Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat [1 ed.] 9783428491544, 9783428091546

Auch fast auf den Tag genau 50 Jahre nach der Arbeitsaufnahme des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 gibt es B

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Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat [1 ed.]
 9783428491544, 9783428091546

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MARKUS BERMANSEDER

Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in Tübingen

Band 45

Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Von Markus Bermanseder

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bermanseder, Markus: Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat / von Markus Bermanseder. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht ; Bd. 45) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-428-09154-X

D 21

Alle Rechte vorbehalten

© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-09154-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Meinen Eltern

Vorwort Für eine abschließende Bewertung der Entwicklung der europäischen Einigung spielt nicht nur das Europaverständnis des heute geltenden Verfassungsrechts eine Rolle. Namentlich im Bereich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch bei der Juristenausbildung oder in der Parlamentspraxis ist die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes nach wie vor von aktueller praktischer Relevanz. Deshalb erschien es keinesfalls nur unter historischen oder politischen, sondern auch unter juristischen Gesichtspunkten geboten, die hier bestehende Lücke in der deutschen Verfassungsgeschichte zu schließen. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1996/97 von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Sie entstand im wesentlichen während meiner Zeit als wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Rechtswissenschaft der Universität Hohenheim. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann, sage ich herzlichen Dank für die in jeder Hinsicht fruchtbare und stets sehr angenehme Zusammenarbeit und Betreuung sowie für die Aufnahme meiner Arbeit in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe. Mein ebenso herzlicher Dank gilt Herrn Prof. Dr. Annin Dittmann, der nicht nur die Erstellung des Zweitberichtes übernommen hat, sondern mir auch darüber hinaus während meiner Zeit in Hohenheim ein in vielfältiger Hinsicht gewinnbringender Kritiker und Gesprächspartner war. Dank sagen möchte ich auch zahlreichen Freunden und Kollegen, die mir in vielen Diskussionen wertvolle Anregungen gegeben haben. Besonders erwähnt seien dabei Andreas Wölfle und Jens Zinke, aber auch Gunther Staib, dessen unennüdlicher Arbeitseifer auch mich immer wieder beflügelt hat. Schließlich danke ich meiner Verlobten, Stefanie Stingel, die die ganze Zeit über meine kritischste Beobachterin war. Ein besonders herzliches Dankeschön gebührt an dieser Stelle meinen Eltern, ohne deren jahrelange Unterstützung die vorliegende Arbeit wohl nicht geschrieben worden wäre. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand vom Sommer 1996. Einige Neuerscheinungen, insbesondere die Biographie Carlo Schmids von Petra Weber, wurden aber vor Drucklegung noch eingearbeitet. Stuttgart, im Oktober 1997

Markus Bermanseder

Inhalt

A Einleitung....................................................................................................

17

I. Gegenstand der Untersuchung.................... .............. . ................ ..... .. .......

17

n.

Zur Bedeutung des Europaverständnisses des Parlamentarischen Rates für die juristische Praxis.........................................................................

21

m. Anlaß und Ziel der Untersuchung...... ......................................................

27

N. Probleme der Untersuchung....................................................................

28

V. Gang der Untersuchung..........................................................................

29

B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Parlamentarischen Rates...........................................................................................................

30

I. Die europäische Idee und die Vorstellungen der Alliierten von der Neuordnung Deutschlands............................... ..................... ..................

30

n. Die europäische Idee in der Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Parlamentarischen Rates........................................................................

37

1. Die europäische Idee in den Verfassungsentwürfen des deutschen Widerstandes...................................................................................

38

2. Die europäische Idee in den Verfassungskonzeptionen der später im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien.............. ........................

43

a) Die Verfassungskonzeptionen der Sozialdemokraten.....................

44

b) Die Verfassungsvorstellungen der Unionsparteien........................

49

c) Die Verfassungskonzeptionen der Liberalen...... .. .........................

55

d) Die Verfassungspläne der Deutschen Zentrumspartei............. ......

57

10

Inhalt

e) Die VerfassWlgsvorstellWlgen der Deutschen Partei......................

58

f) Die VerfassWlgskonzeptionen der Konununistischen Partei...........

60

g) Zwischenergebnis.........................................................................

61

3. Die europäische Idee in den VerfassWlgsplänen der Ministerpräsidenten der deutschen Länder.............................................................

61

4. Die BerucksichtigWlg der europäischen Idee im Rahmen des Herrenchiemseer VerfassWlgskonvents.... ....................................................

65

5. Die europäische Idee in den VerfassWlgsvorstellWlgen des Deutschen Büros ftlr Friedenfragen in Stuttgart........................................

73

6. Die europäische Idee in den VerfassWlgsvorstellWlgen der Kirchen Wld der ihr nahestehenden Kreise.....................................................

75

7. Die europäische Idee in den VerfassWlgsplänen sonstiger relevanter Interessengruppen in Deutschland.....................................................

79

8. ZusanunenfassWlg...................... ......................................................

80

III. Der Einfluß der Anfänge der europäischen Politik innerhalb Wld außerhalb Deutschlands auf den Parlamentarischen Rat...................................

80

I. Der Streit zwischen ,,Föderalisten" Wld ,,Realisten" um die ,,richtige" Europakonzeption.....................................................................

81

2. Die FormierWlg der Europäischen BewegWlg....................................

86

3. Die Europapläne der RegierWlgen.....................................................

89

IV. Zwischenergebnis.............................................. .....................................

92

C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat......................... ...............

94

I. Legitimation Wld Zusanunensetzung des Parlamentarischen Rates...........

94

n. Organisation Wld Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates...................

96

III. Die EinstellWlg fiihrender Ratsmitglieder zur europäischen EinigWlg......

102

1. KonradAdenauer, 1875-1967 (CDU).......... ...... ...............................

102

2. Wilhelm Heile, 1881-1969 (DP)......................................................

107

Inhalt

11

3. Theodor Heuss, 1884-1963 (FDP)....................................................

109

4. Carlo Schmid, 1896-1979 (SPD)......................................................

III

5. Sonstige..................... ..... ................. ....... ... ..................................... ..

114

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen des Parlamentarischen Rates.................................................................................

117

I. Die europäische Idee in der ersten Phase der Bonner Beratungen......

117

a) Die Eingangsberatungen im Plenum............... ...............................

117

b) Die ersten Beratungen der Fachausschüsse.......... .............. ...........

127

c) Weitere Beratungen im Plenum.....................................................

134

d) Die Reaktion des Grundsatzausschusses.......................................

135

e) Die erste Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses

142

f) Zwischenergebnis................. .........................................................

142

2. Die europäische Idee in der zweiten Phase der Bonner Beratungen....

143

a) Die erste Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß.....

143

b) Die weiteren Beratungen der Fachausschüsse. ..............................

150

c) Nochmalige Beratungen im Hauptausschuß .................... ,. .............

152

d) Die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur ersten Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß.......

153

3. Die europäische Idee in der dritten Phase der Bonner Beratungen.....

154

a) Die zweite Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß..

155

b) Nochmalige Beratungen der Fachausschüsse.. ...............................

169

c) Die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur zweiten Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß. ....

169

d) Die Beratungen im Fünfer-Ausschuß............................................

170

4. Die europäische Idee in der vierten Phase der Bonner Beratungen.....

171

Inhalt

12

a) Die dritte Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß....

171

b) Weitere Beratungen des Fünfer-Ausschusses................................

172

c) Das alliierte Memorandwn vom 2. März 1949........................... ....

172

d) Die Verhandlungen des Siebener-Ausschusses..............................

173

e) Die Auswirkungen des Besatzungsstatuts auf die Bonner Grundgesetzberatungen. ........... ..... ............................................... ...........

173

f) Die weitere Entwicklung der Arbeiten am Grundgesetz.................

176

5. Die europäische Idee in der ftlnften Phase der Bonner Beratungen.....

177

6. Die europäische Idee in der sechsten Phase der Bonner Beratungen...

178

7. Die europäische Idee in der siebten Phase der Bonner Beratungen.....

179

D. Zusammenfassende Darstellung und Bewertung........ .................... ............

189

I. Inhaltliche Vorstellungen des Parlamentarischen Rates von ,,Europa"......

190

n. Räumliche Europavorstellungen des Parlamentarischen Rates...... ...... .... ..

195

m.

Zeitliche Vorstellungen des Rates im Hinblick auf die Realisierung ,,Europas"...............................................................................................

198

IV. Gründe fiir die Berücksichtigung der europäischen Idee durch den Parlamentarischen Rat....................................................................................

199

E. Fazit..............................................................................................................

204

Literatur...... .. .. ............................ .......... ................................................ .. .........

206

Personen- und Sachregister.............................................................................

217

Abkürzungen aaO

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art

Artikel

BB

Der Betriebs-Berater

Bd.

Band

BGB\.

Bundesgesetzblatt

BR

Bundesrat

BT

Deutscher Bundestag

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

CSU

Christlich Soziale Union

DDP

Deutsche Demokratische Partei

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

d.h.

das heißt

DNVP

Deutschnationale Volkspartei

Dok.

Dokument

DP

Deutsche Partei

14

Abkürzungen

Drucks.

Drucksache

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt

EPU

Europäische Parlamentarische Union

EuR

Europarecht

f.

folgende Seite

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

F.D.P./DVP

Freie Demokratische Partei / Demokratische Volkspartei

ff.

folgende Seiten

Fn.

Fußnote

GG

Grundgesetz fiIr die Bundesrepublik Deutschland

HChE

Herrenchiemseer Entwurf

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

JAG

Juristenausbildungsgesetz

JAPrO

Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Juristen

JöRNF

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge

Jura

Juristische Ausbildung

JZ

Juristenzeitung

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

NEI

Nouvelles Equipes Internationales

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NLP

Niedersächsische Landespartei

Abkürzungen

15

Nr.

Nummer

NWDR

Nordwestdeutscher Rundfunk

OEEC

Organization of European Economic Cooperation (Organisation filr wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa)

PR

Parlamentarischer Rat

RlW

Recht der internationalen Wirtschaft

Rn.

Randnummer

S.

Seite

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SZ

Süddeutsche Zeitung

UEF

Union Europeene des Federalistes (Union der Europäischen Föderalisten)

UEM

United Europe Movement

UN

United Nations (Vereinte Nationen)

UNO

United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen)

vgl.

vergleiche

WEU

Western European Union (Westeuropäische Union)

Z

Deutsche Zentrumspartei

ZaöRV

Zeitschrift fiIr ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

,,Deutschland bleibt unser Heimatland, Europa aber soll unser Vaterland werden."l

A. Einleitung I. Gegenstand der Untersuchung Als Konrad Adenauer am 8. Mai 1949, auf den Tag genau vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die Annahme des Grundgesetzes in namentlicher Schlußabstimmung mit 53 gegen 12 Stimmen bekanntgab, war die Arbeit des Parlamentarischen Rates beendet. Acht Monate zuvor, am 1. September 1948, hatten sich 65 Delegierte der westdeutschen Landtage, sowie 5 Vertreter Berlins ohne Stimmrecht, zur konstituierenden Sitzung des Parlamentarischen Rates in der Pädagogischen Akademie in Bonn versammelt. Ausgehend vom Auftrag der westlichen Besatzungsmächte in den Frankfurter Dokumenten, bestand ihre Aufgabe darin, eine Verfassung fiir den künftigen westdeutschen Staat zu beraten und zu beschließen. Diese Verfassung sollte die Grundlage fiir einen demokratisch föderativen Staat bilden, der nach den Vorstellungen der Alliierten in bewußter geographischer und politischer Beschränkung in einen festen westeuropäischen Rahmen eingebunden werden sollte2 . Das Ergebnis der Arbeit des Parlamentarischen Rates, das Bonner Grundgesetz, griff neben einer Reihe sonstiger Neuerungen erstmals einen fiir unser heutiges Staats- und Politikverständnis ganz zentralen Gedanken auf. Trotz oder vielleicht gerade wegen - der mit der Bildung eines Weststaates eingeleiteten deutschen Teilung trat es aus einem bloß nationalstaatlich ausgerichteten Denken heraus. Erstmalig in einer deutschen Verfassung 3 tauchte im 1 Karl Arnold (CDU), damals Mimsterpräsident von Nordrhein-Westfalen, in einer an Belgien gerichteten Rede am 17. April 1949; zit. nach: Europa-Archiv 1949, S. 2092. 2 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XI. 3 Lange, Grundgesetz: Entscheidung für die Freiheit, S. 109; von Mangoldtl Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, Art. 24, Amn. Il I; Randelzhofer, in: MaunzJDürig/ Herzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. I, 1. Rn. I; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. L § 15 I I, S. 517; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rn. I. 2 Bermanseder

18

A. Einleitung

Grundgesetz explizit die Vorstellung eines "vereinten Europa" auf. Schon in der Präambel beschrieben die Mitglieder des Parlamentarischen Rates die Zielsetzung des neu zu gründenden Staates wie folgt : "Von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk (... ) dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen." Daruber hinaus ermöglichte Art. 24 Abs. I GG in einer, verglichen mit den Verfassungen der anderen europäischen Staaten4, rur die damaligen Verhältnisse einzigartigen Herabstufung nationaler Souveränitätsrechte die Übertragung von Hoheitsrechten auf sog. zwischenstaatliche Einrichtungen. Mit Art. 24 Abs. 2 GG schließlich wurde eine Regelung geschaffen, die es dem Bund erlaubte sich zur Herbeifiihrung und Sicherung einer friedlichen und dauerhaften Ordnung in Europa und anderswo einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen und zu diesem Zweck in Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einzuwilligenS . In dieser Verfassungsentscheidung rur eine "offene" Staatlichkeit6 lag eine bewußte Abkehr von der Idee des geschlossenen Nationalstaates und eine 4 Im Jahre 1949 enthielten lediglich die französische (in ihrer Präambel) und die italienische Verfassung (in Art. 11) in etwa vergleichbare Regelungen. Der Wortlaut der genannten Bestimmung der italienischen Verfassung fmdet sich bei: Tomuschat, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 24, S. 149. Die angesprochene Passage der Präambel der französischen Verfassung ist abgedruckt: ebenda, S. 142. Thr Wortlaut ist darüber hinaus unten, in Fn. 257, wiedergegeben. 5 Auch Art. 24 Abs. 2 zählt zu den Normen, die den Prozeß der europäischen Einigung unterstützt haben. Vgl. Randelzhofer, in: MaunzlDürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 2, Rn. 5; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 3. Die Vorschrift dient vor allem der bttensivierung der militärischen und sicherheitspolitischen bttegration. Auf sie ist etwa die Beteiligung Deutschlands an der Westeuropäischen Union (WEU) zurückzuführen. Schwarze, Das Grundgesetz und das europäische Recht, S. 210, nelll1t ferner die Art. 32 Abs. 1 und 59 Abs. 2 GG. Auch diese Normen seien von den ,,Erschaffern" des Grundgesetzes als sog. "ergänzende Organisationsnormen" zur Erfüllung der europäischen bttegrationsaufgabe zur Verfügung gestellt worden. Da die Gesetzesmaterialien aber weder im Zusammenhang mit Art. 32, noch mit Art. 59 GG einen Hinweis darauf enthalten, daß diese - für die Anfange der bttegration Europas später zweifellos mit erforderlichen - Artikel auch in den Augen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates von Bedeutung für die europäische Einigung gewesen sein könnten (vgl. insoweit: v. Doemming/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd. I, S. 300-305 und S. 413416), wird im folgenden auf eine weitergehende Untersuchung bei der Normen verzichtet. 6 Dieser Begriff wurde geprägt von Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, S. 42 ff. Er ist auf einhelligen Beifall

1. Gegenstand der Untersuchung

19

Öffnung des neuen deutschen Staates, mit welcher der wachsenden internationalen Interdependenz Rechnung getragen werden sollte. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates hatten damit die Weichen für eine Beteiligung Deutschlands am Bau des europäischen Hauses gestellt. Insbesondere Art. 24 Abs. 1 GG ging in jeder Hinsicht über die traditionellen völkerrechtlichen Konstruktionsmöglichkeiten internationaler Zusammenarbeit hinaus 7 Er ennöglichte es, internationale Organisationen mit eigener Hoheitsgewalt zu schaffen, welche unmittelbar bindende Rechtswirkungen für die nationale Staatsgewalt und deren Staatsangehörige entfalteten8 Heute ist Europa in aller Munde. Binnenmarkt, politische Union, Regierungskonferenz Maastricht 11 - all dies sind Begriffe, die für einen jungen Deutschen wie selbstverständlich zum politischen Alltag gehören. Die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1996 ist fest verankert in der Europäischen Union9 . Seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften in den fünfziger Jahren haben sich die Beziehungen der Mitgliedstaaten der heutigen Europäischen Union, verglichen mit der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, grundlegend verändert. Der damals eingeleitete Prozeß des Zusammenwachsens und der Integration in Europa ist mittlerweile so weit fortgeschritten, daß die Mehrzahl aller Politik- und Lebensbereiche davon in irgend einer Weise tangiert werden 10 In immer stärkerem Maße und in immer rasanterem Tempo gestoßen. Vgl. etwa: lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 52; Jarass, in: JarasslPieroth, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 1; Oppermann, Europäische Integration und das deutsche Grundgesetz, S. 93; Rojahn, in: v.MÜllchlKunig, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 1: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, § 15 I 1, S. 516; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 6; Tomuschat, in: Dolzer/Voge\, Bonner Kommentar, Art. 24, Rn. 3. Zum Begriff der "offenen Staatlichkeit" vgl. jetzt auch die gleichnamige Festschrift fur Ernst-Wolfgang Böckenförde. Darin finden sich u. a.: Beutler, Offene Staatlichkeit und europäische Integration, S 109 ff, sowie Enders, Offene Staatlichkeit unter Souveränitätsvorbehalt - oder: Vom Kampf der Rechtsordnungen nach Maastricht, S. 29 ff. 7 von Simson! Schwarze, Europäische Integration und Grundgesetz, S. 20; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, § 15 I 3, S. 518. Ähnlich auch: Tomuschat, in: Dolzer/Voge\, Bonner Kommentar, Art. 24, Rn. 8. 8 Hiervon hat die Bundesrepublik Deutschland vor allem im Hinblick auf die wirtschaftliche Integration in vielfaltiger Weise Gebrauch gemacht. Nur beispielhaft genannt seien an dieser Stelle neben den Europäischen Gemeinschaften die Europäische Patentorganisation (EPO) oder die Europäische Kernenergie-Agentur. 9 So auch: Hrbek, Europäische Einigung und Grundgesetz, S. 20. 10 Nach einer Aussage des früheren Kommissionspräsidenten De\ors und des deutschen Korrunissionsmitgliedes Bangemann waren bereits vor der Unterzeichnung des Unionsvertrags nahezu 80 % aller Regelungen im Bereich des Wirtschaftsrechts durch 2'

20

A. Einleitung

schreitet er voran. Die Vollendung des Binnenmarktes und die Schaffung einer politischen Union stellen die vorläufigen Höhe-, sicherlich aber noch lange nicht die Endpunkte dieser Entwicklung dar. Vor allem im Zusammenhang mit der Schaffung der Europäischen Union infolge des Vertrages von Maastricht 1992 wurde häufig die Frage nach der Vereinbarkeit einer noch stärkeren europäischen Integration mit dem Grundgesetz gestellt. Maßstab für die Entscheidung dieser Frage war allerdings nicht das Grundgesetz in seiner urspliinglichen Fassung vom 23. Mai 1949, sondern allein das heute geltende Verfassungsrecht. Dieses war im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele des Vertrages von Maastricht geändert worden. Dabei wurde das Grundgesetz insbesondere um einen neu geschaffenen "Europa - Artikel", Art. 23 GG, erweitert ll . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner integrationsfreundlichen "Maastricht-Entscheidung" vom 12. Oktober 1993 12 keine Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Beteiligung der Bundesrepublik an der Europäischen Union gehabt 13 . Damit hat es den Rahmen für die weitere Entwicklung der europäischen Integration unter Berücksichtigung der aktuellen Verfassungslage abgesteckt. Für eine abschließende Bewertung vieler mit der europäischen Einigung im Zusammenhang stehender Fragenkomplexe spielt jedoch nicht nur das Europaverständnis des heutigen Grundgesetzes eine Rolle. Wie zu zeigen sein wird, gibt es nach wie vor Bereiche, in denen die Entstehungsgeschichte der das Gemeinschaftsrecht festgelegt bzw. nahezu 50 % aller deutschen Gesetze durch das Gemeinschaftsrecht veranlaßt; vgl.: BVerfG E 89, ISS tT(l72 f). il Vgl.: Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBI. I 1992, S. 2086 f. 12 BVerfGE 89,155-213. 13 Hinsichtlich der umfangreichen Reaktionen des juristischen Schrifttums auf die Maastricht-Entscheidung des BVerfG sei an dieser Stelle - lediglich beispielhaft - verwiesen auf: BleckmannlPieper, Maastricht, die grundgesetzliche Ordnung und die "Superrevisionsinstanz". Die Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, RIW 1993, 969 tT; Frowein, Das Maastricht-Urteil und die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, ZaöRV 1994, I tT; Götz, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1993, 1081 tT; Häde, Das Bundesverfassungsgericht und der Vertrag von Maastricht, BB 1993, 2457 tT; Ipsen, Zehn Glossen zum Maastricht-Urteil, EuR 1994, I tT; Lenz, Der Vertrag von Maastricht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1993, 3038 f; Meessen, Maastricht nach Karlsruhe, NJW 1994, 549 tT; Schröder, Das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Staates im Prozeß der europäischen Integration, DVBI 1994, 316 tT; Winke\mann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993. Dokumentation des Verfahrens mit Einführung.

II. Zur praktischen Bedeutung des Europaverständnisses

21

Präambel und des Art. 24 GG, sowie das daraus abgeleitete Europaverständnis der Bonner Abgeordneten 14, auch heute noch bedeutsam ist. Deshalb erscheint es nicht nur unter historischen und politischen, sondern auch unter juristischen Gesichtspunkten 15 interessant, sich näher mit dem Stellenwert und den Inhalten der europäischen Idee im Rahmen der Grundgesetzberatungen des Parlamentarischen Rates zu beschäftigen. Diese Aufgabe wird mit der vorliegenden Arbeit übernommen.

11. Zur Bedeutung des Europaverständnisses des Parlamentarischen Rates für die juristische Praxis Im Vorfeld und auch noch nach der RatifIkation des Vertrages von Maastricht wurde im juristischen Schrifttum monatelang über das vom heute geltenden deutschen Verfassungsrecht zugelassene Ausmaß der europäischen Integration diskutiert. Die damit - als ihr logischer Ausgangspunkt - zusammenhängende Frage, wie wohl die Väter und Mütter 16 des Grundgesetzes auf das Tempo und die Intensität, mit der die Staaten Europas im ausgehenden 20. Jahrhundert zusammenwachsen, reagiert hätten, fand dagegen - soweit ersichtlich - keine Beachtung. Dabei hat das Europaverständnis des Parlamentarischen Rates auch heute - beinahe fünfzig Jahre nach dem Abschluß der Bonner Verfassungsarbeiten - weit mehr als nur historische Bedeutung. Wie gerade schon angedeutet, gibt es in der Praxis nach wie vor Bereiche, in denen die Entstehungsgeschichte der Präambel und des Art. 24 GG auch in den neunziger Jahren noch eine Rolle spielen. 14 Obwohl die Mitglieder des Parlamentarischen Rates strenggenommen keine Abgeordneten - also in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählte Mitglieder eines Parlaments - waren, verwendeten sie, auch untereinander, diese Bezeichnung. In den Stenographischen Berichten über die Sitzungen des Plenums ist deshalb stets vom Abgeordneten von Mangoldt, dem Abgeordneten Schmid, etc ... die Rede. 15 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Stolleis, der - allerdings im Hinblick auf die bei den meisten Examenskandidaten heute fehlende Kenntnis des römischen Rechts - darauf hinweist, daß es keinesfalls genügen könne, nur die Grundlagen des geltenden Rechts zu erlernen. Vielmehr seien gerade die historischen Wurzeln des Rechts für dessen Verständnis oft von überragender Bedeutung. Vgl.: Stolleis, Der geschichtsblinde Jurist ist gefahrlich, FAZ vom 23. Januar 1996, S. 29. 16 Das Grundgesetz hatte, wie oft falschlicherweise behauptet, keineswegs nur Väter. Unter den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates befanden sich mit Friedericke Nadig, Elisabeth Seibert (beide SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wes sei (Z) auch vier Frauen. Vgl.: Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 85 f; Lange, Die Würde des Menschen, S. 183 ff.

22

A. Einleitlillg

Zu nennen ist hier gleich an erster Stelle die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Obwohl zum Teil verbal abgewertet, hat sich die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes in der Praxis zu einer wichtigen Größe im Rahmen der Verfassungs interpretation durch das Bundesverfassungsgericht entwickelt l7 . Dabei war der Stellenwert der Entstehungsgeschichte im allgemeinen - und damit auch des Europaverständnisses der Mitglieder des Parlamentarischen Rates im besonderen - bei der Ermittlung des Normsinns keineswegs immer eindeutig. Zwar hatte sich das Bundesverfassungsgericht schon Wh dahingehend geäußert, daß neben einer Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatische Auslegung), sowie aus dem Normzusammenhang (systematische Auslegung) und aus dem Normzweck (teleologische Auslegung) grundsätzlich auch eine Auslegung aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung) in Frage käme l8 . Während jedoch die eigenständige Bedeutung der drei erstgenannten Auslegungsmethoden von Anfang an unbestritten war, hatte das Bundesverfassungsgericht der Entstehungsgeschichte im Hinblick auf die Verfassungsauslegung nur einen begrenzten Stellenwert zugebilligt. Diese sollte nur insoweit Bedeutung haben, als sie die Richtigkeit einer nach den sonstigen Auslegungsmethoden ermittelten Interpretation des Grundgesetzes bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können 19 Diese grundsätzliche methodische Aussage hat das Gericht, trotz zwischenzeitlicher Differenzen zwischen dem 1. und dem 2. Senat20 , allerdings selbst immer weiter "verwässert" und der Entstehungsgeschichte, sowohl im Rahmen der Gesetzesauslegung im allgemeinen, als auch im Rahmen der Verfassungsauslegung, in seiner Spruchpraxis eine nicht unerhebliche

17 Sachs, in: Sachs, Gflilldgesetz, Einführung, Rn. 41. Zu den dabei entwickelten Verfahrensweisen des Bundesverfassungsgerichts, die Entstehlillgsgeschichte bei der Auslegung zu berücksichtigen, vgl. näher: Blankenagel, Tradition lilld Verfasslillg, S. 125 ff. 18 So allgemein schon: BVerfGE 1,299 (312); zuletzt vgl. etwa: BVerfG E 88, 145 (166). Eine komplette Erwälutlillg erfolgte erstmals in: BVerfGE 11, 126 (130). Vgl. auch: Lutz, Krieg lilld Frieden als Rechtsfrage im Parlamentarischen Rat 1948/49, S. 18; Sachs, in: Sachs, Gflilldgesetz, Einführung, Rn. 37 ff. 19 Sog. "objektive Ausleglillgstheorie", vom BVerfG entwickelt in BVerfG E 1,299 (312). Auch später äußerte sich das BVerfG weiter in diesem Sinne. Vgl. etwa: BVerfGE 3, 225 (233); 6, 55 (75); 8,274 (307); 10,234 (244) lilld 11. 126 (130 1). 20 Dazu ausführlich: Sachs, Die Entstehlillgsgeschichte des Üfllldgesetzes als Mittel der Verfasslillgsausleglillg, DVBI 1984, 79.

II. Zur praktischen Bedeutung des Europaverständnisses

23

Bedeutung eingeräumt21 . Den in der oben angesprochenen Leitentscheidung entwickelten Grundsatz der Subsidiarität hat es in der Zwischenzeit selbst in einer ganzen Reihe von Fällen durchbrochen. Das Bundesverfassungsgericht zieht die Entstehungsgeschichte ohne ersichtlich verminderte Bedeutung neben anderen Auslegungsmethoden heran 22 , nennt sie vor anderen Methoden23 bzw. bringt sie im Rahmen anderer Auslegungskriterien zum Tragen 24. Praktisch hat sich deshalb mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, daß die Entstehungsgeschichte eines unter mehreren prinzipiell gleichwertigen Auslegungselementen darstellt25 . Von einer "Nachschaltung" der Entstehungsgeschichte kann aufgrund dieser Auslegungpraxis nicht mehr gesprochen werden. Unter dem Strich spielen die Gesetzesmaterialien26 und mit ihnen die geschichtlichen Rahmenbedingungen der Entstehungszeit also auch aktuell eine nicht zu unterschätzende Rolle im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung. Über dieses erste Beispiel hinaus stellt sich die Frage nach der Entstehungsgeschichte der Präambel und des Art. 24 GG aber noch auf weiteren für die Praxis relevanten Gebieten. Angesprochen sei als nächstes die Juristenausbildung. Auch hier spielt die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes eine durchaus zu beachtende Rolle. Fast einstimmig fordern die

21 So

im Ergebnis: Sachs, ebenda, S. 78 und S. 80 ff.

22 BVerfGE 29, 183 (189f); 30, 173(191 f). 23 Noch vor dem Wortlaut in: BVerfGE I, 117 (134) und 10,302 (318 fl). Nach dem Wortlaut, aber vor allen anderen Methoden in: BVerfGE 3, 58 (77 fl); 3, 288 (299 f); 5, 85 (111); 6, 32 (34 f); 10, 20 (39); 12, 354 (364); 16, 306 (318 fl) und 25, 352 (358). Vor systematischen Erwägungen in: BVerfGE 4, 219 (233); 15, 256 (264). Und schließlich noch vor teleologischen Gesichtspunkten: BVerfGE 3, 288 (334) und 4, 178 (189). 24 Im Ralunen der Wortinterpretation vgl.: BVerfGE 4, 299 (304 f); im Ralunen der systematischen Interpretation vgl.: BVerfGE 16,64 (79), sowie im Ralunen der teleologischen Interpretation vgl.: BverfGE 5, 85 (142) und 32,333 (340 f). 25 Sachs, (FN. 20), DVBI 1984, 78. 26 Dies gilt sowohl filr die Materialien zu Art. 24 GG, als auch für die Materialien zur Präambel. Die Präambel steht keinesfalls außerhalb der Geltung des Grundgesetzes. Sie ist vielmehr ein selbständiger Bestandteil desselben. Vgl. insoweit: BVerfGE 5. 85 (127 f); Huber, in: Sachs, Grundgesetz, Präambel, Rn. 8; Maunz, in: MaunzlDürig/Herzog, Grundgesetz, Präambel, Rn. 7.

24

A. Einleitung

Juristenausbildungsgesetze der Länder27 heute, daß ein Examenskandidat zur Feststellung seiner fachlichen Eignung für den Vorbereitungsdienst im Ersten Juristischen Staatsexamen nicht nur über Kenntnisse der gegenwärtigen Rechtslage verfügen, sondern auch deren geschichtliche Bezüge kennen muß. Dabei haben die Ausbildungsvorschriften nicht allein den hohen Wert der Rechtshistorie an sich im Auge. Sie zielen vielmehr primär auf deren praktische Bedeutung ab28 Diese liegt vor allem in der Vorstellung, daß ein angehender Jurist das Recht "nur mit Verständnis erfassen und anwenden kann"29, wenn er - zumindest in den Grundzügen - dessen historische Wurzeln durchdrungen hat. Im Ergebnis kommt damit der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes und mit ihr dem Europabild der Mitglieder des Parlamentarischen Rates auch für die juristische Ausbildung, etwa fiir das Verständnis des Staats-, vor allem aber des Europarechts, eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Als ein letztes aktuelles Beispiel sei schließlich die Arbeit der "Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat" genannt30 . Primäre Aufgabe dieser Kommission war es, das Grundgesetz an die infolge der Wiedervereinigung gewandelte Wirklichkeit anzupassen31 . Daneben sollten aber auch die neuen Herausforderungen, die sich dem vereinten Deutschland - insbesondere im zusammenwachsenden Europa - stellten, in Angriff genommen werden 32 Vor dem Hintergrund des anstehenden Einstieges in die Europäische Union durch das Vertragswerk von Maastricht standen dabei gerade die europäische Einigung und die hierfür notwendigen Verfassungsänderungen im Vordergrund der Beratungen der Verfassungskommission. Insgesamt fünfmal, anIäßlich der Sitzungen vom 13. Februar, l2. März, 4. und 22. Juni 1992, sowie im Rahmen einer öffentlichen Expertenanhörung am 22. 27 Vgl.: § 4 Abs. I JAPrO BW; § 2 Abs. 2 JAG NRW; § 2 N JAG; § 7 hess. JAG; § 6 JAPrO LSA; § 3 Abs. 2 Bbg JAG; § I JAG M-V; § 2 Sächs JAG. 28 Sachs, Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, Jura 1984,519.

29 Vgl. insoweit beispielsweise § 2 Abs. 2 JAG NRW. 30 Die Gemeinsame Verfassungskommission wurde durch gleichlautende Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat vom 28. bzw. 29. November 1991 eingesetzt; vgl.: PIPr. BT 12/61 und PIPr. BRat 637. Sie konstituierte sich am 16. Januar 1992. Nähere Informationen gibt der Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. November 1993 (BT-Drucksache 12/6000). Über die Arbeit der Kommission berichten auch: Busch, Die Gemeinsame Verfassungskommission, S. 7 ff; Scholz, Grundgesetz wld europäische Einigung, S. 2593 ff; ders., Grundgesetz zwischen Reform und Bewahrung, S. 8 ff. 31 Vgl. Art. 5 des Einigungsvertrages. 32 Schäuble, Die deutsche Einheit und die Verfassungsreform, S. 6.

II. Zur praktischen Bedeutung des Europaverständnisses

25

Mai 199233 , wurde die Thematik "Grundgesetz und Europa" von der Kommission im einzelnen diskutiert. Als wichtigste Refonnempfehlung in diesem Bereich erarbeitete die Gemeinsame Verfassungskommission den oben schon erwähnten Art. 23 GG. Die Beratungen der Kommission standen überwiegend im Zeichen aktueller verfassungspolitischer Fragen34 . Dennoch spielten auch historische Gesichtspunkte immer wieder eine Rolle. Ausgehend von der Vorstellung, daß eine Verfassungsrefonn lediglich eine Anpassung der bestehenden Verfassungslage an neue Herausforderungen, keinesfalls aber eine komplette Verfassungsneuschöpfung sein dürfe, sahen die Kommissionsmitglieder ihre Tätigkeit stets unter dem Vorbehalt der Bewahrung der gegebenen Verfassungssubstanz und ihrer Grundprinzipien35 . An vielen Stellen ihrer Beratungen vergegenwärtigten sie sich daher zunächst die historische Entwicklung, bevor sie sich aktuellen Fragen zuwandten. In diesem Rahmen spielten auch die Vorstellungen, die der Parlamentarische Rat im Hinblick auf die künftige Einigung der europäischen Staaten entwickelt hatte, mehrfach eine Rolle. So stellte etwa der Abgeordnete Franz Möller (CDU) bereits auf der zweiten Sitzung am 13. Februar 1992 fest, daß es im Hinblick auf die Bedeutung des Art. 24 GG "gut (sei), sich einmal kurz zu erinnern, was die Väter und Mütter des Grundgesetzes dazu gesagt haben"36. Diesen ersten Ansatz griff Möller auf der nächsten Kommissionssitzung am 12. März 1992 auf. Nun führte er detailliert aus, was die Erschaffer des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat im Zusammenhang mit Art. 24 GG diskutiert hatten37 . Auf derselben

33 Vgl.: Scholz, Grundgesetz und europäische Einigung, S. 2594. 34 Vor allem der Einfluß, der den Ländern im Hinblick auf die künftig europäische Integration zugestanden werden sollte, war stark umstritten. VgJ. hierzu etwa das Protokoll der 3. Sitzung der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 12. März 1992. 35 Scholz, Was soll ein reformiertes Grundgesetz leisten ?, S. 30 f. 36 Gemeinsame Verfassungskommission, Stenographischer Bericht, Teil II, 2. Sitzung, S. 28. 37 Möller machte dabei deutlich, daß den Müttern und Vätern des Gnmdgesetzes vollauf bewußt gewesen sei, "daß die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen in vielen Fällen eine materielle Verfassungsändenmg bedeuten würde", weshalb sie eigentlich einer Zweidrittelmehrheit der gesetzgebenden Körperschaften bedürfe. Er verwies an dieser Stelle darauf, daß sich der Parlamentarische Rat dennoch für eine Übertragung durch einfaches Bundesgesetz ausgesprochen habe. Damit habe er das integrationspolitische Anliegen der Bundesrepublik besonders deutlich gemacht. Vgl: Gemeinsame Verfassungskommission, Stenographiseher Bericht, Teil II, 3. Sitzung, S. 6.

26

A Einleitung

Sitzung beschäftigten sich auch der Abgeordnete Hartmut Soell (SPD)38, sowie der nordrhein-westfaIische Innenminister Herbert Schnoor (SPD)39, mit den Vorstellungen der Bonner Verfasssungsversammlung aus den Jahren 1948/49. Schließlich berief sich im Rahmen der öffentlichen Anhörung der Verfassungskommission am 22. Mai 1992 in Berlin auch einer der geladenen Sachverständigen auf die Motive des Parlamentarischen Rates40 . Insgesamt kam den Europavorstellungen der Mütter und Väter des Grundgesetzes damit auch 43 Jahre nach Abschluß der Arbeit des Parlamentarischen Rates im Rahmen der Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die angesprochenen Beispiele zeigen, daß es nach wie vor eine Reihe von Feldern gibt, auf denen das Europaverständnis der Mitglieder des Parlamentarischen Rates eine wichtige Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch aus heutiger Sicht durchaus lohnend, sich näher mit der "Europäischen Idee im Parlamentarischen Rat" zu beschäftigen.

38 Soell erinnerte daran, daß "unsere Verfassungsmütter und -väter sich nach längerer Diskussion bewußt ftlr die einfache Mehrheit entschieden hätten". Damals hätten sich "Cario Schmid, Fritz Eberhard und andere" im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates mit Erfolg gegen Anträge der KPD und der Deutschen Partei durchgesetzt, die bei der Übertragung von Hoheitsrechten eine Zweidrittelmehrheit gefordert hatten. Vgl.: ebenda, 3. Sitzung, S. 9. 39 Schnoor erinnerte im Hinblick auf die filr die Kommission ganz zentrale Frage der künftigen Beteiligung des Bundesrates an der Übertragung nationaler Hoheitsrechte auf die Europäische Union daran, daß man es "bei der Schaffung des Grundgesetzes nicht filr erforderlich gehalten habe, daß der Bundesrat beim Art. 24 beteiligt wird". Vgl., ebenda, 3. Sitzung, S. 14. 40 Hier verwies Roland Bieber auf die Tatsache, daß der "Verfassungsgeber des Grundgesetzes" den Begriff der zwischenstaatlichen Einrichtung ,,keineswegs nur als ein Gebilde mit sachlich eng umgrenztem Rahmen konzipiert" habe. Er erinnerte ferner daran, daß der Vorsitzende des Hauptausschusses Schmid bereits auf der zweiten Plenarsitzung des Parlamentarischen Rates im September 1948 davon gesprochen habe, daß Art. 24 Abs. I GG den Willen des deutschen Volkes "aus der nationalstaatlichen Phase seiner Geschichte in die übernationalstaatliche einzutreten", zum Ausdruck bringen sollte. Deshalb habe Schmid im Rat dazu aufgerufen, die Tore in eine neu gegliederte überstaatliche Welt weit zu öffuen. Vgl. insoweit: Gemeinsame Verfassungskommission, Stenographischer Bericht, Teil I, Bd. I, I. Öffentliche Anhörung vom 22. Mai 1992, S. 56 f. Die Ausführungen Biebers entstammen dessen schriftlichem Gutachten. Im Rahmen seiner mündlichen Ausführungen sprach Bieber diesen Bereich nicht mehr ausdrücklich an. Er verwies jedoch ausdrücklich auf seinen schriftlichen Bericht. Vgl.: ebenda, S. 3.

ill. Anlaß und Ziel der Untersuchung

27

111. Anlaß und Ziel der Untersuchung Wer jedoch - ausgehend von der dargestellten Bedeutung der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes - einen detaillierten Blick auf die Beratungen der europäischen Einigungsidee im Parlamentarischen Rat werfen möchte, tut sich schwer. Zwar existieren mittlerweile eine ganze Reihe von Darstellungen, die sich mit der Entwicklung der europäischen Integration beschäftigen41 . Diese Darstellungen befassen sich aber ausschließlich mit der Entwicklung der gesamteuropäischen Politik in den ersten Nachkriegsjahren. Sie gehen etwa auf die Züricher Rede Winston Churchills42 oder auf die Gründung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC)43 und des Europarates44 ein. Die Ausgangsbedingungen der europäischen Integration in Deutschland werden dabei regelmäßig ausgeklammert. Eine Untersuchung, welche die Ausgangssituation der europäischen Idee im Parlamentarischen Rat, die einzelnen Beratungen der Ratsmitglieder im Plenum und in den verschiedenen Ausschüssen, sowie die hieraus abgeleiteten konkreten Europavorstellungen der Bonner Abgeordneten, in den Mittelpunkt stellt, fehlt bisher. Auf dem Gebiet des Verfassungsrechts besteht in der Bundesrepublik nach wie vor ein erheblicher Nachholbedarf an zeitgeschichtlicher Forschung45. Der Aufarbeitung einer der bestehenden Lücken gilt die vorliegende Arbeit. Ziel der Untersuchung ist es deshalb, auf einem Feld, dessen historische, politische, aber auch juristische Bedeutung nicht zu unterschätzen ist, eine 41 Vgl. insoweit etwa: Bleckmann, Europarecht, S. 2 f; Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 25 ff; Loth, Der Weg nach Europa, S. 29 ff; Mickel, Handlexikon der Europäischen Union, S. XXI ff; Oppermann, Europarecht, S. 7 ff; SchweitzerlHumrner, Europarecht, S. 4 f. 42 Churchills berühmte Züricher Rede vom 19. September 1946 in der der frühere britische Premier die Schaffung der "Vereinigten Staaten von Europa" forderte, ist abgedruckt in: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 84 f; Lipgens, Die europäische Integration, S. 25; Ruhl, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. 4, S. 18 ff. Siehe hierzu auch unten, S. 82. 43 Die Gründung der Organization of European Economic Cooperation (OEEC) erfolgte am 6. April 1948. Die Organisation besteht bis heute, wurde allerdings im Jahr 1961 umbenannt in Organization for Economic Cooperation and Development (OECD). Vgl. statt vieler: Mickel, Handlexikon der Europäischen Union, S. 274 f; Weidenfeld/Wessels, Europa von A-Z, S. 265. 44 Die Gründung des Europarates erfolgte am 5. Mai 1949 in Straßburg, wo er bis heute seinen Sitz hat. Nähere Informationen finden sich etwa bei: Weidenfeld/ Wessels, Europa von A-Z, S. 190 ff. 45 Vgl.: Mitteilungen des Deutschen Instituts fiIr Föderalismusforschung, Heft I, September 1992, S. I.

28

A. Einleitung

systematische Aufarbeitung des Themas zu erreichen, welche als Grundlage

fiir die weitere Europa-Diskussion mit zur Verfiigung stehen soll.

IV. Probleme der Untersuchung Größere Probleme warf die Bearbeitung vor allem unter "Material gesichtspunkten" auf. Zwar sind die umfangreichen Beratungen des Parlamentarischen Rates vollständig dokumentiert, es sind jedoch längst nicht alle diese Dokumente veröffentlicht. Die für das vorliegende Thema besonders interessierenden Verhandlungen der Fachausschüsse sind teilweise nur als Schreibmaschinen-Protokolle in der Bibliothek des Deutschen Bundestages in Bonn einsehba46 . Hilfreich war insofern allerdings, daß die besonders wichtigen Protokolle über die Verhandlungen des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates im Jahr 1994 als Band 5 in der Edition "Der Parlamentarische Rat. Akten und Protokolle" erschienen sind. Eine weitere große Verbesserung ist künftig von der, unter Leitung von Hans-Peter Schneider herausgegebenen, Edition "Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung" zu erwarten. Hier soll die große Masse der in verschiedenen Archiven verstreuten Materialien auf insgesamt über 28000 Seiten besser zugänglich gemacht werden. Im Zeitpunkt der Anfertigung dieser Arbeit lag erst ein Teilband47 vor, der im Hinblick auf die europäische Idee allerdings ohne Bedeutung ist. Nur teilweise von Erfolg gekrönt waren verschiedene Versuche mit Zeitzeugen der Arbeit des Parlamentarischen Rates in Verbindung zu treten. In den Jahren 1995/96, dem Zeitraum der Anfertigung der vorliegenden Arbeit, waren von den 77 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates48 lediglich noch zwei am Leben. Ein Gespräch mit Kaspar Seibold, im Parlamentarischen Rat Mitglied fiir die CSU, scheiterte an dessen schlechtem Gesundheitszustand. Eine Kontaktaufnahme mit Hannsheinz Bauer (SPD-Bayern) gelang trotz mehrmaliger Versuche nicht.

46 Insgesamt handelt es sich wn mehr als 6300 Schreibmaschinenseiten. Diese sind bis heute nur zu einem Teil gedruckt. Vgl.: v.Doemming/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd. I, S. 9, dortFn. 17. 47 Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung. Band 9. Artike129 und 118. Bearbeitet von Carmen Abel. Frankfurt 1995. 48 65 ordentliche Mitglieder plus 5 Berliner Delegierte und insgesamt 7 Nachrücker; vgl. hierzu: Ley, Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, S. 375; Sörgel, Konsensus, S. 259.

V. Gang der Untersuchung

29

V. Gang der Untersuchung Eine umfassende Untersuchung des Themas kann sich nicht auf den Zeitraum der eigentlichen Arbeit des Parlamentarischen Rates vom September 1948 bis zum Mai 1949 beschränken, sondern muß auch die im Vorfeld seines Zusammentretens liegenden und die späteren Verfassungsarbeiten in vielfacher Hinsicht prägenden Einflüsse einbeziehen. Der Arbeit ist deshalb ein Kapitel über die politische Entwicklung im Vorfeld der Tätigkeit des Parlamentarischen Rates vorangestellt. Hier werden die Ereignisse angesprochen, die die Rahmenbedingungen für die spätere Arbeit der Bonner Versammlung darstellten. Wie zu zeigen sein wird, überrascht dabei die Vielzahl der oft gänzlich unterschiedlich gelagerten Einflußnahmen auf den Rat. Anschließend wird in einem zweiten Schritt zum besseren Verständnis zunächst kurz auf den Parlamentarischen Rat als solchen, auf seine Entstehung, seine Zusammensetzung, seine Organisation und seine Arbeitsweise eingegangen. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie die führenden Ratsmitglieder der europäischen Idee gegenüber eingestellt waren. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dann aber auf der Darstellung der eigentlichen Grundgesetzberatungen im Plenum und in den verschiedenen Ausschüssen des Parlamentarischen Rates. Die Bedeutung der europäischen Idee im Rahmen der Arbeiten am Bonner Grundgesetz wird dabei in insgesamt sieben Phasen untersucht. Die Arbeit endet mit einer Bewertung der europapolitischen Vorstellung der Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Hier wird der Versuch unternommen, das Europabild der Väter und Mütter des Grundgesetzes möglichst genau nachzuzeichnen. Dabei wird sowohl auf die inhaltlichen Vorstellungen, die die Mitglieder des Parlamentarischen Rates von "Europa" hatten, als auch auf den räumlichen und zeitlichen Rahmen, den sie einer Gemeinschaft der europäischen Staaten setzten, einzugehen sein. Daran anknüpfend wird aufgezeigt, worin die Gründe für diese "Verfassungsentscheidung" des Rates "für die internationale Zusammenarbeit" 49 lagen.

49 Auch dieser Begriff geht auf Vogel zurück. Vgl. dazu den (fast) gleichlautenden Titel seines Diskussionsbeitrages in Recht und Staat, Heft 292/293, 1964.

B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Parlamentarischen Rates Als sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates zu ihrer konstituierenden Sitzung trafen, waren die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Vorentscheidungen über die Bildung und Ausformung des neuen deutschen Weststaates längst gefallen50 . Die Arbeiten am Grundgesetz begannen keineswegs bei "Null", sondern orientierten sich an einer Vielzahl von Entwürfen, die im Vorfeld des Zusammentretens des Parlamentarischen Rates erarbeitet worden waren. Dabei hatten alle politisch und gesellschaftlich relevanten Kräfte in Deutschland versucht, in ihrem Sinne Einfluß auf die spätere Gestaltung des Grundgesetzes zu nehmen. Neben der Berücksichtigung dieser oft sehr unterschiedlich gelagerten Anregungen, galt es für den Parlamentarischen Rat aber auch, die Vorstellungen der Besatzungsmächte ins Grundgesetz aufzunehmen. Die angestrebte Beteiligung des neuen deutschen Staates an einer künftig zu schaffenden Gemeinschaft der europäischen Staaten hatte deshalb nur dann Aussicht im Grundgesetz berücksichtigt zu werden, wenn sowohl die Alliierten, als auch die in Deutschland maßgeblichen Kräfte dieses Ziel unterstützten. Aus diesem Grund bedarf es zunächst eines intensiveren Blickes auf die politische Entwicklung in Deutschland im Vorfeld der Beratungen des Parlamentarischen Rates. Aufgrund der eben angedeuteten vorentscheidenden Bedeutung dieser Phase für die spätere Berücksichtigung der europäische Idee im Grundgesetz fällt dieser Blick relativ umfangreich aus.

I. Die europäische Idee und die Vorstellungen der Alliierten von der Neuordnung Deutschlands Die entscheidenden Kräfte für die Wiederherstellung des staatlichen Lebens in Deutschland waren die Alliierten. Da von ihren Vorgaben die grundsätzliche Ausrichtung der neuen Verfassung abhing, waren die Vorstellungen der Besatzungsmächte vom künftigen Deutschland für die spätere Arbeit des 50 Akten zur Vorgeschichte der BWldesrepublik Deutschland, Bd.l, S. 5; Sörgel, Konsensus, S. 18; Stolleis, Besatzungsherrschaft Wld Wiederaufbau 1945 - 1949, S. 175; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XI.

I. Die Vorstelllll1gen der Alliierten

31

Parlamentarischen Rates zunächst weit wichtiger als alle innerdeutschen Vorschläge51 . Die Alliierten beschäftigten sich intensiv mit den Möglichkeiten der Reorganisation Deutschlands. Es dauerte allerdings lange, bis sie sich auf einen einheitlichen Kurs einigen konnten. Bereits seit dem Beginn der Allianz der drei Großmächte USA, Sowjetunion und Großbritannien im Dezember 1941 stand die Frage der Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Krieges auf der Tagesordnung fast jeder politischen Konferenz der Alliierten 52 . Zum damaligen Zeitpunkt war allerdings lediglich der britische Premier Churchill ein Beftirworter der europäischen Integration. Der von Churchill unternommene Versuch, die Weltmächte von der Notwendigkeit einer fOderativen Neuordnung Europas zu überzeugen, war jedoch wenig erfolgreich 53. Im März 1943 hatte Churchill öffentlich seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, es werde im Rahmen einer "alle Nationen umfassenden oder vertretenden Weltorganisation ein Europarat entstehen". Churchill betonte die Notwendigkeit, diesen Europarat zu einem "wirklichen und wirkungsvollen Bund" zu machen54 . Neben einem amerikanischen und einem asiatischen Rat sollte er eine der drei regionalen Unterorganisationen der künftigen Vereinten Nationen bilden. Zur Durchfiihrung seiner Entscheidungen sollten ihm bewaffnete Streitkräfte, zur Streitschlichtung ein Oberster Gerichtshof zur Verfiigung stehen55 . Diese Vorstellungen Churchills standen im offenen Widerspruch zu den Plänen der USA. Präsident Roosevelt und sein Außenminister Hull lehnten das Konzept der Regionalräte schon aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sie waren davon überzeugt, daß derartige regionale Untergliederungen dem von ihnen angestrebten Zusammenschluß aller Völker unter dem Dach der Vereinten Nationen, als der Weltfriedensorganisation, nur neue Hindernisse und

51 Das hatte auch Adenauer erkannt. Vgl.: Morsey, Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, S. 84. 52 Graml, Die Alliierten in Deutschland, S. 25. Vgl. auch: Dennewitz, in: Dolzerl Vogel, Bonner Kommentar, EinIeittmg, S. 3 f; Stolleis, Besatzungsherrschaft lll1d Wiederaufbau 1945 - 1949, S. 179 ff. 53 Loth, Der Weg nach Europa, S. 22. 54 Churchill in einer Grußadresse an den 5. Paneuropa-Kongreß in New York, Radioansprache vom 21. März 1943, zitiert nach der Übersetzung bei: Lipgens, Die europäische Integration, S. 17. Die Ansprache ist auch abgedruckt in: Ruhl, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. I, S. 12 f. 55 Vgl. zum Ganzen auch: Loth, Der Weg nach Europa, S. 22.

32

B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

Barrieren schaffen würden 56 In einer erneuten Aufteilung der Welt in Einflußsphären, sahen sie die Saat für einen neuen Krieg, den sie in jedem Fall verhindern wollten. Deshalb verwarf die Roosevelt-Administration im Herbst 1943 alle Pläne für einen europäischen Zusammenschluß 57 . Die amerikanische Europapolitik stand von diesem Zeitpunkt an ganz im Zeichen des Wunschbildes der "one world"58. Der Hoffnung, den sowjetischen Staatschef Stalin zur Kooperation in der weltweiten Friedensorganisation bewegen zu können, opferte Roosevelt die Chance einen (gesamt-)europäischen Zusammenschluß zu erreichen. Stalin selbst war vorderglÜDdig durchaus geneigt, sich der Wunschvorstellung vom weltverbindenden Frieden anzuschließen. Mit großem Geschick verfolgte er dabei seine eigenen macht- und sicherheitspolitischen Interessen in Mittel- und Osteuropa59 . Bereits auf der Teheraner Konferenz der "Großen Drei" 1943 hatte Stalin klargemacht, daß er den Sinn einer Weltfriedensorganisation primär darin sehe, das ständige Bestreben Deutschlands, die Vorherrschaft in Europa zu gewinnen, unter Kontrolle zu halten. Konsequenterweise hatte Stalin in Teheran einen Plan für die künftige Ordnung Europas vorgelegt, in welchem sich die Sowjetunion anbot, diese Kontrolle zu gewährleisten und künftig für Ruhe und Ordnung in Europa Sorge zu tragen. Unter dem Deckmantel der "one world" - Idee betrieb StaIin seine Europapolitik weiter. Dabei nutzte er aus, daß nach der Konzeption Roosevelts der Wiederherstellung der Nationalstaaten in Europa keinerlei Bedenken entgegenstanden60 . StaIin hatte erkannt, daß ein Anschluß der Länder Mittel- und Osteuropas an die Sowjetunion zum damaligen Zeitpunkt schon wegen der zu erwartenden Gegenmaßnahmen taktisch alles andere als klug gewesen wäre. Deshalb entschied er sich dafür, die Kommunisten in Polen, in der Tschecheslowakei und anderswo darin zu bestärken, sich für die Wiedererlangung ihrer staatlichen Selbständigkeit einzusetzen. Der sowjetische Staatschef wußte, daß die wiederentstehenden osteuropäischen Staaten, auf sich allein gestellt, sowohl wirtschaftlich, als auch politisch, zu schwach sein würden, sich einer Einflußnahme durch die UdSSR zu entziehen61 . Die56 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung Wld EinigWlg, S. 27; Loth, Der Weg nach Europa, S. 23. 57 Loth, Der Weg nach Europa, S. 23. 58 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung Wld EinigWlg, S. 28; Lipgens; Die Anfange der europäischen EinigWlgspolitik 1945-1950, Teil I, S. 73; Micke1, Handlexikon der Europäischen Union, S. XXI; Ruh!, Die Adenauer-Ära, S. 9. 59 Gasteyger, Europa zwischen SpaltWlg Wld EinigWlg, S. 42 f. 60 Vgl. hierzu: Loth, Die TeilWlg der Welt, S. 86 f. 61 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung Wld Einigung, S. 44.

I. Die Vorstellungen der Alliierten

33

se Einflußnahme verstand Stalin durch zahlreiche Verträge über "Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand"62 zu sichern. Nach und nach vergrößerte er auf diese Weise seinen Einflußbereich bis zur Eibe. Erst als eine Trennlinie mitten durch den europäischen Kontinent verlief, fanden die USA sich bereit, ihre bisherige Europapolitik einer Überprüfung zu unterziehen63 . Die amerikanische Führung unter dem neuen Präsidenten Truman mußte erkennen, daß ihr Traum von der "ungeteilten Welt" nicht realisierbar war. Als in Washington der Plan einer europäischen Einigung endlich zu einem konkreten politischen Ziel hervorgehoben wurde, war die Chance einer gesamteuropäischen Friedensordnung, die wenige Jahre zuvor vielleicht noch hätte Realität werden können, vertan. Die politischen Realitäten erforderten nun die Konzentration auf die Integration Westeuropas. Mit der berühmt gewordenen Rede ihres Außenministers Marshali am 5. Juni 1947 in Harvard64 leiteten die USA ihre Bemühungen um den wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas ein65 . Der "Marshall-Plan" sah eine ausgedehnte amerikanische Unterstützung für den europäischen Wiederaufbau vor. Diese Unterstützung war allerdings an die Bedingung geknüpft, daß sich die Völker Europas 66 zusammenschlössen, um so für die Amerikaner die Gewähr einer möglichst sinnvollen Verwendung der Hilfe zu bieten. Auch die drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands sollten am europäischen Wiederaufbau beteiligt werden. Ihnen mußte nach den Vorstellungen 62 Vgl. etwa den Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Union der Sozialistischen So\\jetrepubliken und der Tschechoslowakischen Republik vom 12. Dezember 1943 oder den so\\jetisch-polnischen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand vom 21. April 1945, abgedruckt in: Meissner, Das Ostpakt-System, S. 22 bzw. S. 25. 63 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 29. 64 Abgedruckt in: Europa-Archiv 1947, S. 821. 65 Zuvor hatten bereits die Rede von Außenminister Byrnes am 6. September 1946 in Stuttgart, sowie die sog. Truman-Doktrin einen Wandel der amerikanischen Politik angekündigt. 66 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß sich das Angebot Marshalls auch noch zum damaligen Zeitpunkt bewußt mit an die von Moskau kontrollierten osteuropäischen Staaten richtete. Die Amerikaner spekulierten freilich von Anfang an darauf, daß Stalin einen derart abrupten europapolitischen Kurswechsel nicht mitmachen würde. Als der sowjetische Außenminister Molotow am 2. Juli 1947 in Paris eine Beteiligung der UdSSR ablehnte, waren die Würfel ftlr eine auf Westeuropa beschränkte Integration endgültig gefallen. Vgl.: Loth, Die Teilung der Welt, S. 177. 3 Bcrmanseder

34

B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

der USA bald eine eigene staatliche Ordnung gegeben werden67 . Eine Vierrnächte-Vereinbarung über ganz Deutschland hielten die Amerikaner und ihre westallierten Partner Großbritannien und Frankreich zu diesem Zeitpunkt fur politisch nicht mehr realisierbar6 8 . Die internationalen Grundlagen fur die staatliche Neuordnung Deutschlands wurden von den drei Westalliierten im Frühjahr 1948 zusammen mit den Benelux-Staaten auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz gelegt69. Dort verständigte man sich über Verfahren und Inhalte der von einer westdeutschen verfassunggebenden Versammlung zu erarbeitenden Verfassung fur einen deutschen Teilstaat1°. Zwar betonten die Amerikaner hier nochmals den hohen Stellenwert, den die Herstellung der wirtschaftlichen und politischen Einheit ganz Deutschlands fur sie habe, stellten andererseits jedoch klar, daß es ihnen nun nicht mehr sinnvoll erschiene, durch allzu starres Beharren auf politisch nicht realisierbaren Einigungsplänen den Neuaufbau Westeuropas zu behindern71 Ihr politisches Hauptanliegen sei die zügige Eingliederung der westdeutschen in die westeuropäische Wirtschaft72. Dabei hatte Marshall aber erkannt, daß eine derartige wirtschaftliche Integration Deutschlands in eine Gemeinschaft der Staaten Europas nur dann zu einer dauerhaften Stabilisierung der Situation in Europa fuhren würde, wenn diese Hand in Hand mit einer politischen Integration ginge. Er war deshalb gewillt, einem demokratischen westdeutschen Staat einen festen Platz in der westeuropäischen Staatengemeinschaft zu überlassen73. In verfassungsrechtlicher Hinsicht befurworteten die Amerikaner die Schaffung eines föderalistischen Staates mit maßvollem Machtausgleich zwischen 67 Loth, Der Weg nach Europa, S. 52. 68 Clay, Entscheidung in Deutschland, S. 437~ Lange, Die Würde des Menschen, S. 2; Wiesemann, Die Gründung des deutschen Weststaats, S. 119. 69 Kröger, Die Entstehung des Grundgesetzes, NJW 1989, S. 1319~ Lange, Die Würde des Menschen, S. 2 f; Sörgel, Konsensus, S.15: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.l, S. XIV ff. 70 Das Schlußkommunique der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz vom 7. Juni 1948 ist abgedruckt bei WernickeIBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.l, S. I - 17. 71 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. Xv. 72 Vgl. hierzu auch: Clay, Entscheidung in Deutschland, S. 435. 73 Die Leitgedanken dieser neuen amerikanischen Deutschland- und Europapolitik fasste Marshall wie folgt zusanunen: " Economic and political reorientation of Germans, fostered by common policies of Western occcupation powers and integration of Western Germany into Western Euro-pean community". Vgl. dazu: Foreign Relations ofthe United Staates 1948, Volume II, Germany and Austria, S. 73.

I. Die Vorstellungen der Alliierten

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Bund und Ländern 74 . Auch die Briten, obwohl ohne eigene föderalistische Erfahrung, unterstützten dieses Verfassungskonzept auf der Londoner SechsMächte-Konferenz75 . Beispielhaft für ihre deutschlandpolitischen Ziele läßt sich eine kurz zuvor von ihrem Militärgouverneur Robertson vor dem nordrhein-westfälischen Landtag abgegebene Erklärung anführen. Dort hatte Robertson erklärt, daß es das Hauptanliegen seiner Regierung sei, daß in einem geeinten Europa, in dem Deutschland seine volle Rolle spielen müsse, Friede und Wohlstand herrschten. Deshalb befürworte Großbritannien die allgemeine Verschmelzung der Industrie in ganz Westeuropa unter Deutschlands "würdevoller Teilnahme". Es sei an der Zeit einzusehen, daß die Interessen aller Europäer zusammenliefen76. Allein Frankreich verschloß sich anfangs diesen für die künftige europäische Integration so positiv anmutenden Plänen. Von einer möglichen Kooperation auf europäischer Ebene mit einem neuen deutschen Staat war auf offizieller französischer Seite zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. Das ausgeprägte französische Sicherheitsbedürfnis verlangte vielmehr nach einer dauerhaften politischen und wirtschaftlichen Schwächung Deutschlands. Dieses schien den Franzosen nur durch einen extrem föderalistischen, beinahe staatenbündlerischen Aufbau Deutschlands gewährleistet zu sein, der das entscheidende Machtgewicht den Ländern zugestehen sollte. Darüber hinaus strebten sie eine dauernde Beteiligung an der Ruhrwirtschaft an77. Im Endeffekt setzten sich, auch weil der französischen Seite eine Reihe von Zugeständnissen in der Ruhr- und in der Sicherheitsfrage gemacht worden waren78, in London aber die amerikanischen Vorstellungen durch79. Im Schlußkommunique der Londoner-Sechs-Mächte-Konferenz über Deutschland vom 7. Juni 194880 wird ausdrucklich betont, daß das wirtschaftliche Leben eines demokratischen Deutschlands und der Länder Westeuropas in der Zukunft eng miteinander verbunden sein müsse 81 . Als ein möglicher Weg zur Sicherung dieser künftigen engen Verflechtung wird auf die Einbeziehung der Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XVI. Ebenda, S. XVI; vgl. auch: Clay, Entscheidung in Deutschland, S. 442. 76 Vgl.: Adenauer, Erinnerungen, S. 135. 77 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XVI. 78 Etwa durch die geplante Errichtung einer internationalen Ruhrbehörde und durch die Beteiligung der BeneIux-Staaten an der Deutschland-Politik. Vgl.: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XVll. 79 Merkl, Die Entstehung der BRD, S. 27 f. 80 Abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, Dok.Nr.I, S.I-17. 81 So berichtet auch: Clay, Entscheidung in Deutschland, S. 444. 74 WernickelBooms, 75

3*

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

drei Westzonen als vollberechtigte Mitglieder in die kurz zuvor - am 16. April 1948 - gegründete Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OEEC) verwiesen 82 . Im Verfolg dieser in London beschlossenen neuen Deutschlandpolitik überreichten die Militärgouverneure Clay, Koenig und Robertson am l. Juli 1948 den versammelten Ministerpräsidenten der damals elf westdeutschen Länder in Frankfurt drei Dokumente83 . Diese "Frankfurter Dokumente" waren von einer Arbeitsgruppe der Militärgouverneure in enger Anlehnung an die Londoner Beschlüsse formuliert worden 84 . Das erste Dokument war das wichtigste85 . Es ermächtigte die Ministerpräsidenten bis spätestens zum 1. September 1948 eine Versammlung einzuberufen, deren Aufgabe es sein sollte, eine demokratische Verfassung auszuarbeiten, "die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält"86. Damit war der Weg frei für die Errichtung eines selbständigen westdeutschen Staates. Dieser sollte sich nach den Vorstellungen der Westmächte schon in seiner Verfassung für die Unterstützung einer schnellen europäischen Integration aussprechen. Daß die Westmächte die europäische Einigung in den auf der Grundlage des Londoner Schlußkommuniques erarbeiteten "Frankfurter Dokumenten" nicht mehr explizit erwähnten, ändert nichts an dieser Einschätzung. Die Alliierten hatten sich schon zuvor auf die feste Verankerung Westdeutschlands in der europäischen Staatengemeinschaft 82 WenickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, Dok.Nr.l, S. 11. 83 Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 159 f; v.Doemming/ FüssleinJMatz, JÖR NF, Bd. I, S. L Kröger, Einfilhrung in die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 18; Morsey, Die Bundesrepublik Deutschland, S.17. 84 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.l, S. XXV; In den Foreign Relations US, 1948, Bd. 11, S. 375 f, fmdet sich dazu folgende Anmerkung: "These statements follow c1ose1y London texts and are only slightly modified for editorial reasons or in order to make these more palatable to German leaders." 85 Kröger, Einfllhrung in die Verfassungsgeschichte, S. 18; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Einftlhrung, Rn. 14. 86 Auszug aus dem Frankfurter Dokument Nr.1 ,abgedruckt bei: Dennewitz, in: DolzerNoge1, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 40 ffund bei: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.1 S. 30 ff.

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verständigt87, so daß es eines nochmaligen Hinweises nicht mehr bedurfte. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates konnten also mit der Gewissheit der uneingeschränkten Unterstützung der künftigen europäischen Integration durch die Besatzungsmächte an ihre Arbeit herangehen. Im Hinblick auf die Frage nach dem "Ob" der Berucksichtigung der europäischen Idee im Grundgesetz hatten ihnen die Alliierten dabei zwar nicht die endgültige Entscheidung abgenommen, aber doch die Richtung deutlich vorgegeben. Dartiber hinaus mußte sich der Parlamentarische Rat noch über die ebenso interessante Frage nach dem "Wie" der europäischen Zusammenarbeit klar werden.

11. Die europäische Idee in der Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Parlamentarischen Rates Die Entscheidung der Alliierten, die Ministerpräsidenten der deutschen Länder zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, und diese Versammlung zur Erarbeitung einer Verfassung für Westdeutschland zu ermächtigen, traf die Deutschen keineswegs unvorbereitet. Zwar lag das Gesetz des Handeins, die Entscheidung über das "timing"88 im Vorgehen gegenüber der deutschen Frage, bis zum Zusammentreten des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948, ausschließlich bei den westalliierten Besatzungsmächten. Die Geschichte des Grundgesetzes beginnt jedoch weit vor diesem Datum. Die Diskussion um eine Verfassungsordnung Deutschlands nach dem Ende der Nazi-Herrschaft hatte schon begonnen, als der Führer des "tausend-jährigen Reiches" noch auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Noch während des Krieges wurden im Widerstand und unter Emigranten Pläne rur einen künftigen deutschen Staat geschmiedet. Nach dem Zusammenbruch waren es vor allem die Parteien, die verschiedene Verfassungsentwürfe erarbeiteten. Aber auch die Ministerpräsidenten der Länder, die Kirchen, die Gewerkschaften, sowie eine ganze Reihe anderer Interessengruppen beteiligten sich an der Verfassungsdiskussion. Inwieweit bereits im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Vorarbeiten die Idee einer Beteiligung Deutschlands an der europäischen Integration eine Rolle spielte, bedarf im folgenden einer genaueren Untersuchung.

87 So auch Hrbek, Die SPD - Deutschland und Europa, S. 44. 88 Diesen Begriff velWendet: Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 150.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

1. Die europäische Idee in den Verfassungsentwürfen des deutschen Widerstandes

Noch während die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges ihren Lauf nahm, fanden sich in Deutschland und im Exil Männer und Frauen zusammen, die sich Gedanken machten, über die Zukunft Deutschlands nach der Überwindung des Dritten Reiches. Da paramilitärische Aktionen angesichts des beinahe perfekten Polizeiapparates der Nationalsozialisten, mit Ausnahme der letzten Kriegsmonate, so gut wie unmöglich waren, konzentrierten sich ihre Bemühungen auf die einzig mögliche Form des Widerstands: Die geistige Resistance89 . Verschiedene Gruppen formulierten ihre Grundsätze für eine Neuordnung. So unterschiedlich diese Kreise des Widerstandes oft zusammengesetzt waren, so einig waren sie sich in ihren Zielen. Die Überwindung national staatlichen Denkens zugunsten der Idee "Europa" findet sich mehr oder minder stark ausgeprägt in allen Konzepten 90 . Für die Angehörigen des deutschen91 Widerstandes war die europäische Einigung untrennbar mit dem Schicksal ihres eigenen Landes verknüpft92 . Sie nahm in ihren Nachkriegsplänen eine zentrale Stellung ein. Ein beredtes Zeugnis davon legt das "Programm der deutschen Opposition für Deutschland und Europa"93 ab, welches am 31. Mai 1942 von dem deutschen Pfarrer Hans Schönfeld94 in Stockholm vorgestellt wurde. Darin war unter anderem die Rede davon, daß eine neue deutsche Regierung, bestehend aus Mitgliedern der Heeresleitung und der zentralen Staatsverwaltung, sowie aus führenden Persönlichkeiten der früheren Gewerkschaften und der christlichen Kirchen zur Machtübernahme und zur Änderung des gegenwärtigen Systems der Rechtlosigkeit und der sozialen Ungerechtigkeit bereit sei. Eines der Hauptziele dieser neuen Regierung war: 89 Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil 1, S.45. 90 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 15; Lipgens, Das Konzept regionaler Friedensorganisation, S. 156; ders., Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 19451950, Teil 1, S. 50; Loth, Der Weg nach Europa, S. 20. 91 Zu den Europa-Konzepten der Vertreter verschiedener anderer europäischer Staaten im Exil und im Widerstand, vgl.: Loth, Der Weg nach Europa, S. 16-20; siehe auch Lipgens, Das Konzept regionaler Friedensorganisation, S. 157. 92 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 26. 93 Abgedruckt in englischer Sprache in:Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1957 (Heft 5), S. 395-397. 94 Schönfeld war Direktor der Forschungsabteilung des Weltkirchenrates. Vgl.: Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 33.

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"Eine europäische Föderation von freien Staaten oder Nationen, einschließlich Großbritannien, die mit anderen Föderationen von Nationen eng zusammenarbeiten WUrde. Dieser europäische Staatenbund freier Nationen, dem auch eine freie polnische und eine freie tschechische Nation angehören WUrde, müßte eine gemeinsame Regierung haben, unter deren Leitung eine europäische Annee geschaffen WUrde, fiIr die dauernde Regelung der europäischen Sicherheit95 ."

In dieselbe Richtung ging eine von Widerstandskämpfern aus verschiedenen europäischen Ländern unter Beteiligung aktiver Antinationalsozialisten aus Deutschland im Frühjahr 1944 in Genf ausgearbeitete Deklaration über die europäische Zusammenarbeit Dort hieß es unter anderem: "IIl. Der Frieden in Europa stellt den Schlüssel zum Frieden in der Welt dar. Tatsächlich ist Europa im Zeitraum einer einzigen Generation das Auslösezentrum zweier Weltkriege geworden, wobei hierftlr wesentlich maßgebend war, daß auf diesem Kontinent 30 souveräne Staaten existierten. Es ist unerläßlich, gegen diese Anarchie anzugehen, indem eine Bundesordnung fiIr die europäischen Völker geschaffen wird.( ... )96."

Auch bekanntere deutsche Widerstandsgruppen berücksichtigten die europäische Idee in ihren Verfassungsüberlegungen. So forderte etwa der Kreisauer Kreis in seinem fiir die Nachkriegsplanung grundlegenden Doku-

95 "Programm der deutschen Opposition für Deutschland und Europa" II. 3, vgl.: ebenda, S. 396 ; Eine deutsche Übersetzung findet sich bei: Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 33 und (im Wortlaut etwas anders) bei: Lipgens, Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940-1945, S. 132. 96 Abgedruckt bei: Lipgens, Die europäische Integration, S. 13 f; ders., Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil 1, S. 56. Wie detailliert die Europapläne im Widerstand bereits waren, zeigt der weitere Text der Deklaration, wo es unter anderem hieß: " IV. Die Bundesordnung muß sich auf eine Deklaration der Menschemechte, der persönlichen, der politischen und der wirtschaftlichen (Rechte) gründen, die die freie Entwicklung der menschlichen Person und das normale Funktionieren der demokratischen Funktionen gewährleistet.( ... ) Die Bundesordnung darf nicht das Recht eines jeden Mitgliedsstaates einschränken, die ihm eigenen Probleme in Übereinstimmung mit seinen völkischen und kulturellen Eigenarten zu lösen. Jedoch werden die Staaten, in Erinnerung an die Erfahrungen und Fehlschläge des Völkerbundes, unwiderruflich an den Bund diejenigen Kompetenzen ihrer Souveränität abtreten müssen, die die Verteidigung des Territoriums, die Beziehungen mit Mächten außerhalb des Bundes, die Wirtschaftsbeziehungen und die internationalen Verbindungswege zum Gegenstand haben. "

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ment97, daß der Friede einen europäischen Bundesstaat mit einheitlicher Souveränität von Portugal bis zu einem möglichst weit nach Osten vorgeschobenen Punkt mit sich bringen müßte. Zur Zuständigkeit dieses Bundesstaates müßten mindestens die Zollgrenzen, die Währung, auswärtige Angelegenheiten, sowie die Verfassungsgesetzgebung gehören. Im Kreisauer Kreis hatten sich Personen ganz verschiedener politischer und sozialer Herkunft - unter ihnen der Sozialdemokrat Julius Leber, der Geistliche Eugen Gerstenmaier und der frühere Landrat von Rendsburg Theodor Steltzer, später Mitglied des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee - unter der Führung von Helmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg zusammengefunden 98 . Ganz ähnlich lauteten die Forderungen earl Goerderlers, der als Repräsentant des konservativeren Flügels des deutschen Widerstands gilt. Goerderler hatte nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 auf der Flucht formuliert: ,,Dieser Krieg muß zu einem engen Zusammenschluß der europäischen Völker führen, wenn die Opfer einen Sinn erhalten sollen. ( ... ) Aber nicht durch Unterwerfung und Aussaugung anderer Völker, sondem durch freiwilligen Zusammenschluß selbständiger Nationalstaaten, die in ihm ihre eigenen Lebensinteressen verkörpert sehen. Sie sollen sich nur der Souveränitätsrechte entäußem, die auf den europäischen Staatenbund übergehen müssen, um seine Rechte wirksam zu machen : a) einheitliches Wirtschafts- und Verkehrsrecht, b) Zollunion, c) einheitliche Verkehrstechnik, d) stabile Währungen auf der Grundlage gegenseitig kontrollierter Haushalte, e) obligatorisches Schiedswesen. ( ... ) Der europäische Staatenbund würde einen Wirtschaftsrat, eine Bundesversammlung und ein ständiges Bundeskommitee haben, dessen Sitz und Vorsitz wechseln könnte ... ,,99.

Als ein abschließendes Beispiel nachhaltigen Einsatzes für die künftige europäische Integration kann "Das Demokratische Deutschland" angeführt werden. Diese Gruppe war 1943 als eine Arbeitsgemeinschaft deutscher Emigranten in der Schweiz entstanden. Die führenden Köpfe des "Demokratischen Deutschland" waren der ehemalige sozialdemokratische Reichs-

97 Abgedruckt in: Lipgens, Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940-1945, S. 114; ders., Die europäische Integration, S. 10; siehe auch: ders., Das Konzept regionaler Friedensorganisation, S. 157; ders., Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S. 51. 98 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 94. 99 Abgedruckt in: Lipgens, Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegwlgen 1940-1945, S. 170 ff; ders., Die europäische Integration, S. 14.

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tagsabgeordnete Wilhelm Hoegner, später erster bayerischer Ministerpräsident, der ehemalige Reichskanzler Josef Wirth und der frühere preußische Ministerpräsident Otto Braun 100. "Das Demokratische Deutschland" veröffentlichte im Mai 1945 die "Grundsätze und Richtlinien für den deutschen Wiederaufbau im demokratischen, republikanischen, föderalistischen und genossenschaftlichen Sinne" 101. Zentrale Forderung dieses Dokuments war die Errichtung eines deutschen Bundesstaates im Mittelpunkt einer europäischen Föderation. Die europäische Idee wurde in den "Grundsätzen und Richtlinien" an mehreren Stellen explizit aufgegriffen. So hieß es etwa: " 2. Außenpolitik des Bundes VerwertUng jeder Kriegs- und Gewaltpolitik. Schlichtung der internationalen Streitfragen durch Schiedsgericht. Eingliederung Deutschlands in einen Bund europäischer Staaten und in eine friedliche Völkergemeinschaft ,,102.

In den beigefügten Erläuterungen konkretisierten die Mitglieder des "Demokratischen Deutschland" diese Forderung. Sie betonten dort, daß sie es als ihre "erhabenste Pflicht" betrachteten, die enge nationale Ebene zu verlassen, um ihre Gedanken auf europäischer Ebene zu elltfalten lO3 . In einer für die damalige Zeit ungewöhnlich deutlichen Art unterbreitete die Gruppe konkrete Vorschläge, die die Erreichung dieser europäischen Ebene zumindest mit ennöglichen sollte. Nach ihren Vorstellungen sollte in der Erziehungs- und Bildungspolitik ein Neuaufbau "auf der Grundlage der geistigen und sittlichen Werte und Güter der europäischen Kultur" erfolgen 104. Ziel des neuen deutschen Staates müsse es deshalb unter anderem sein, das Kulturbewußtsein von der nationalen Enge in die europäische Weite zu fiihren lO5 . Die hier wiedergegebenen Dokumente des Widerstandes zur Neuordnung eines künftigen deutschen Staates können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben 106. Sie verdeutlichen aber - obwohl sie in sich oft noch unvollkommen und in ihren Aussagen zu allgemein gehalten sind - den 100 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 103; Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S. 233. 101 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 104 - 120. 102 "Grundsätze und Richtlinien fiir den deutschen Wiederaufbau" A. 2. 103 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 110. 104 "Grundsätze und Richtlinien fiir den deutschen Wiederaufbau" B. 2. 105 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 113. 106 Zu den ebenfalls eine europäische Föderation bejahenden Vorstellungen der Sozialdemokraten im Exil, vgl.: Hrbek, Die SPD - Deutschland und Europa, S. 19-24.

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Stellenwert, den die Idee eines geeinten Europas schon zu diesem Zeitpunkt, viele Jahre vor dem Zusammentreten des Parlamentarischen Rates, für die Verfassungsvorstellungen der Angehörigen der einzelnen Widerstandsgruppen hatte. Inwieweit bereits diese frühen Verfassungsentwürfe die Arbeit des Parlamentarischen Rates beeinflusst haben, ist bis heute, trotz der in jüngerer Zeit intensiveren Beschäftigung mit Fragen des Widerstands, nicht abschließend untersucht worden 107. Sicher ist aber, daß sich unter den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates in Bonn, und auch unter deren Mitarbeitern, so viele aktive Gegner des Nationalsozialismus befanden, wie in keinem westdeutschen Nachkriegsparlament lO8 . Wer, als die Mitglieder des Widerstands gegen Hitler, wäre auch besser geeignet gewesen, die Verantwortung für die Schaffung eines neuen demokratischen Staatswesens zu übernehmen. Die Mehrzahl der Mitglieder des Parlamentarischen Rates war während des Dritten Reiches verfolgt oder verhaftet worden bzw. in Konzentrationslagern interniert gewesen. Andere hatten dieses Schicksal nur durch die Flucht vermeiden können l09 Erwähnt seien an dieser Stelle der SPDAbgeordnete Fritz Eberhard, von 1947-1949 Leiter des Büros für Friedensfragen 11 0 in Stuttgart, der nach Verfolgung und Untergrund das Londoner Exil erreichte. Ferner, der über die Tschecheslowakei ebenfalls nach London geflohene, dort aber von der Gestapo aufgeriffene und ins KZ Sachsenhausen verbrachte Max Reimann (KPD). Aber auch bürgerliche Politiker waren Opfer der Unterdrückung durch die Nazis. Jakob Kaiser (CDU), der in enger Beziehung zum oben erwähnten Kreisauer Kreis gestanden hatte, mußte sich seit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 in einem Keller in Babelsberg 107 Lange, Die Würde des Menschen, SAO. 108 Ebenda, S. 40. Dies gilt in noch höherem Maße für den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee. Von den zwölf dort teilnelunenden Delegationschefs waren mit Hermann Brill und Theodor Steltzer zwei an herausgehobener Stelle im Widerstand tätig. Brill hatte sich bereits 1936 der, überwiegend aus Gewerkschaftern bestehenden, Gruppe ,,Neues Beginnen" angeschlossen, die schon 1938 in einem ,,zehn-PunkteProgramm" die Mitarbeit Deutschlands an der europäischen Staatengemeinschaft im Ralunen eines reorganisierten Völkerbundes forderte. Im April 1945 hatte er gemeinsam mit anderen KZ-Häftlingen im ,,Buchenwalder-Manifest" die Zusammenarbeit aller sozialistisch gefilhrten Staaten gefordert, um hierdurch zu einer europäischen Gemeinschaft zu kommen. Steltzer, einer der führenden Köpfe des Kreisauer Kreises, hatte sich immer wieder f\.lr die Zusammenfassung der europäischen Völker unter einer handlungsfähigen Regierung ausgesprochen. Vgl. insoweit: Lipgens, EuropaFöderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940-1945, S. 103 ff, 168 ffund 175 f. 109 Vgl. hierzu eine Äußerung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Rat. Pfeiffer. der auf der 4. Plenarsitzung am 15. September 1948 sagte: " Eine Reihe von Mitgliedern dieses hohen Hauses sind selbst im KZ oder Gefängnis gesessen". Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, S. 60. 110 Zu den Verfassungsvorstellungen des Friedensbüros vgl. unten S.73 ff.

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versteckt halten. Noch schlimmer traf es Ernst Winner (CDU), der nach der Hinrichtung seines Bruders, eines der Hauptbeteiligten des Putschversuches, verhaftet worden war. Winner blieb bis zur Befreiung durch die Franzosen Ende April 1945 in Haft. Die im deutschen Widerstand erhobenen Forderungen fiir die Neuordnung des künftigen Deutschlands waren den meisten Mitgliedern des Parlamentarischen Rates somit zumindest bekannt, teilweise sogar aus eigener Beteiligung vertraut. Denjenigen Abgeordneten, die selbst Angehörige des Widerstands waren bzw. die in Kontakt zum Widerstand gestanden hatten II 1, bot sich nun die Möglichkeit ihre früheren Ziele aufzugreifen und sie in der neuen Verfassung tatsächlich zu verankern. Dies galt insbesondere fiir die im Widerstand immer wieder fonnulierte Forderung nach der Schaffung einer europäischen Föderation. Im Ergebnis lag damit schon in den im Widerstand geborenen Vorstellungen von einem neuen demokratischen deutschen Staat eine Wurzel fiir die spätere Entscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes fiir eine Öffnung nach "Europa" . 2. Die europäische Idee in den Verfassungskonzeptionen der später im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien Bereits kurze Zeit nach dem totalen Zusammenbruch Deutschlands hatten innerhalb der sich wieder bzw. neu konstituierenden Parteien verfassungstheoretische Erörterungen begonnen. Diese Erörterungen hatten sich bis zum Jahr 1947 zu konkreten Richtlinien und Verfassungsentwürfen verdichtet. Besonders in der britischen Zone l12 wurde intensiv an einer neuen Verfassung gearbeitet. Infolge einer Rundfrage des dortigen Zonenbeirats erstellten alle maßgebenden Parteien eigene Verfassungsentwürfe. Daß die verfassungspolitischen Konzepte der Parteien, deren Mitglieder später den Parlamentarischen Rat bildeten, mehr als nur eine Anregung fiir das Grundgesetz waren, liegt auf der Hand. Sie bildeten wichtige Eckpunkte 111 Hierzu zählten auch Theodor Heuss (FDP) und Carlo Sc1unid (SPD). Heuss hatte sich mehrfach mit Carl Goerdeler getroffen. Er war deshalb von Goerde1er für die Mitarbeit in einer künftigen deutschen Regierung vorgesehen worden. Vgi.: HammBrücherlRudolph, Theodor Heuss, S. 95 f. Schmid stand in Kontakt zu Helmuth James von Moltke. Er war so über die Arbeit des Kreisauer Kreises unterrichtet. Vgl. hierzu: Weber, Carlo Schmid 1896-1979, S. 174 f. 112 Zur britischen Zone zählten: Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schieswig-Hoistein.

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rur die Arbeit der Bonner Versammlung. Je nach politischer, teilweise auch nach geographischer l13 Herkunft, sowie je nach geschichtlichem Erfahrungsund Erlebnishorizont enthielten die Entwürfe allerdings sich sehr deutlich unterscheidende Vorstellungen über die Gestalt des künftigen deutschen Staates l14 . Welche Rolle die Forderung nach einer Einigung Europas in den Augen der später im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien spielte und mit welchem Engagement die Parteien dieses Ziel verfolgten, wird im folgenden geklärt. a) Die Verjassungskonzeptionen der Sozialdemokraten

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hatte gegenüber den anderen Parteien nach 1945 einen Startvorteil 115 . Sie mußte keinen langwierigen Gründungs- und Forrnierungsprozeß durchlaufen. Bereits vor der offiziellen Zulassung durch die Alliierten 116 war die Rekonstruktion der SPD praktisch abgeschlossen 117 Der Parteivorstand unter Führung von Kurt Schumacher betraute deshalb schon im September 1946 einen verfassungspolitischen Ausschuß 118 mit der Aufgabe, eine grundlegende sozialdemokratische Verfassungskonzeption rur den künftigen deutschen Staat zu entwerfen l19 . Wenige Monate später lag ein erster Verfassungsentwurf vor. Auf dem Parteitag der SPD in Nürnberg vom 29. Juni bis 2. Juli 1947 konnte der Verfassungsrechtler Walter Menzel 120 "Richtlinien fiir den Aufbau der 113 Dieser Gesichtsptmkt spielte vor allem bei den Entwürfen der Unionsparteien eine sehr wichtige Rolle. Vgl. dazu näher unten, S.34 ff. 114 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.l, S. XXVIII. 115 Aus diesem Grund werden ihre Verfassungskonzeptionen zuerst untersucht. 116 Diese erfolgte nach Pirker, Die SPD nach Hitler, S. 36, in der britischen Zone im August, in der amerikanischen Zone zunächst nur auf Kreisebene ab September 1945. In der französischen Zone wurden bis zum Frühjahr 1946 keine Parteien genehmigt. 117 Die SPD war deshalb in der Lage schon im Mai 1946 ihren ersten großen Nachkriegsparteitag abzuhalten. Dort gelang durch die Verabschiedung ,,Politischer Leitsätze" eine erste Kursfestlegung. Vgl.: Flechtheim, Dokumente m, S. 22 f. 118 Diesem gehörten neben Schumacher zunächst der Hamburger Bürgermeister Max Brauer, der Ministerpräsident Bayerns, Wilhelm Hoegner, sowie Paul Loebe, Walter Menze1 und Carlo Schmid an. Otto Suhr kam 1947 hinzu. Die vier Letztgenannten waren später Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Vgl. Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XXXv. 119 Merkl, Die Enstehung der BRD, S. 51; Sörgel, Konsensus, S. 59; Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd.2, S. XXXV f. 120 Zum Wirken Walter Menzels für die europäische Idee siehe unten S. 115.

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Deutschen Republik" vorstellen, die von den Delegierten einstimmig angenommen wurden l21 . Eine breitere Diskussion der "Richtlinien" fand allerdings nicht statt. Vielmehr standen, sowohl bei den Delegierten, als auch innerhalb der Parteispitze, tagespolitische Dinge höher im Kurs l22 . Dies änderte sich auch in der Folge kaum. Das Interesse der SPD galt weniger der künftigen Verfassung, als vielmehr dem schnellen Erlaß eines Besatzungsstatuts für Deutschland l23 . Bis weit in das Jahr 1948 bildeten die Nürnberger Grundsätze das verfassungspolitische Programm der SPDI24. Noch als sich die Hinweise auf die baldige Gründung eines Weststaates durch die Alliierten immer mehr verdichteten, hielt die Partei an dieser auf Gesamtdeutschland zugeschnittenen Verfassungskonzeption "im Provisorium" auch für einen deutschen Teilstaat fest l25 . Erst Anfang August 1948 gab der Parteivorstand seinem Verfassungsexperten Menzel den Auftrag, einen Entwurf speziell für eine westdeutsche Verfassung auszuarbeiten 126. Kurz darauf127 wurde der "Erste Menzel-Enwurf einer Westdeutschen Satzung" der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieser war allerdings im Zeitpunkt seiner Veröffentlichung bereits wieder überholt, denn Walter Menzel hatte bei der Ausarbeitung von zwei wesentlichen, parallel stattfindenden, Entwicklungen keine Notiz genommen. Weder die Ergebnisse der Verhandlungen der Ministerpräsidenten mit den Militärgouverneuren über die Auslegung der Frankfurter Dokumente, noch die Vorstellungen des zeitgleich tagenden Verfassungskonvents von Herrenchiemsee 128 berücksichtigte Menze1 129 . Erst als die Ergebnisse der Verfassungsberatungen von Herrenchiemsee vorlagen, erkannte der SPD-Vorstand, daß die Annahme, der Parlamentarische Rat würde seine Arbeit bei "Null" beginnen, eine grobe Fehleinschätzung gewesen war. 121 Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 357; Hirscher, Car10 Schmid Wld die Gründung der Bundesrepublik, S. 186; Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 160; Merkl, Die EntstehWlg der BRD, S. 51. 122 Hirscher, Car10 Schmid Wld die GründWlg der BWldesrepublik, S. 189; Sörge1, Konsensus, S. 61 f. 123 Benz, Bewegt von der HoffuWlg, S. 358; Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 161; Sörge1, Konsensus, S. 63. 124 Benz, Von der BesatzWlgsherrschaft zur BWldesrepublik, S. 181. 125 Sörge!, Konsensus, S. 64. 126 Ebenda, S. 64. 127 Am 16. August 1948. 128 Zu den VerfassungsvorstellWlgen der Ministerpräsidenten Wld zum VerfassWlgskonvent von Herrenchiemsee, vgl. näher Wlten, S.61 ff. 129 Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 358; Hirscher, Carlo Schmid und die GründWlg der Bundesrepublik, S. 194; Sörge!, Konsensus, S. 65.

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Diese Erkenntnis führte Ende August 1948 zu einem erneuten Auftrag an Walter Menzel, der einen neuen Entwurf unter Berücksichtigung der in Herrenchiemsee gegebenen Anregungen erarbeiten sollte. Menzel veröffentlichte diesen, gegenüber dem ersten deutlich veränderten zweiten Entwurf am 2. September 1948, also am Tage nach der konstituierenden Sitzung des Parlamentarischen Rates l30 . Der SPD-Ratsfraktion verhalf er damit in letzter Minute zu einer diskussionsfahigen Alternative zu den Entwürfen der Unionsparteien. Die verfassungspolitischen Ziele der SPD schlossen von Anfang an auch die Frage der künftigen europäischen Ordnung ein. Schon im Oktober 1945, im Rahmen seiner ersten programmatischen Erklärung als Parteivorsitzender, hatte Schumacher darauf aufmerksam gemacht, daß die Bildung einer "europäische(n) Wirtschaftseinheit" für Deutschland lebensnotwendig seim. Er betrachtete es deshalb als die Aufgabe der deutschen Sozialdemokratie, dazu beizutragen, "Europa zu einer sozialen und wirtschaftlichen Einheit zu machen". Die SPD wolle "Deutschland nicht als einen national-unabhängigen Faktor, sondern im Rahmen eines befriedeten und vereinigten Europa" 132. In ähnlicher Art und Weise machte sich Schumacher auch 1946 mehrfach öffentlich für ein geeintes Europa stark. In der WELT133 wies er darauf hin, daß für seine Partei "eine Europa-Föderation die letzte Erfüllung unserer Wünsche" sei. Schließlich nahm er für die SPD in Anspruch, diese sei die einzige Partei, "die ohne jede Einschränkung und Täuschung für ein geeintes Europa" eintrete 134. Inhaltlich verlangte die SPD dabei, neben einer politischen, vor allem die wirtschaftliche und soziale Einigung der Staaten Europas 135 . Carlo Schrnid, ihr europapolitischer Vordenker, hatte schon früh erkannt, daß der wirtschaftliche Zusarnmenschluß als Motor der darauffolgenden politischen Einigung dienen würde l36 . Zur Erreichung dieser Ziele war man bereit, 130 Beide Menzel Entwürfe lagen dem Parlamentarischen Rat vor. Der "Erste Menzel-Entwurf' als PR-Drucks. Nr. 39, der "Zweite Menzel-Entwurf' als PR-Drucks. Nr. 53; vgl. dazu Sörgel, Konsensus, S. 267 und S. 279. 131 Flechtheim, Dokumente IIl, S. 6. 132 Schumacher am I. Dezember 1945 vor der SPD-Bezirkskonferenz in Düsseldorf, zit. nach: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 528. 133 Vgl.: Die WELT vom 25. Juni, 19. und 30. Juli 1946, zit. nach: Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik, Teil I, S. 238. 134 Schumacher in einem Zeitungsartikel vom Juni 1946, zit. nach: Hrbek, Die SPD - Deutschland und Europa, S. 33. 135 Schumacher im SPD-Pressedienst August 1946, zit. nach: Hrbek, Die SPD Deutschland und Europa, S. 33, Fn. 29. 136 Schmid, Das deutsch-französische Verhältnis und der Dritte Partner, S. 795.

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deutsche Hoheitsrechte unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit und Gleichberechtigung an eine übernationale Organisation abzutreten. Diese Organisation sollte nach den Vorstellungen der SPD für Außenpolitik, Verteidigung, Verkehrswesen, Energieversorgung, Wirtschaftsplanung und die Lenkung der Schlüsselindustrien zuständig sein. Darüber hinaus sollte sie mit bestimmten eigenen Rechten ausgestattet sein 137. Ausgehend von diesen sehr europafreundlichen frühen Aussagen vennag es kaum zu überraschen, daß die SPD bereits in ihren "Politischen Leitsätzen" vom 11. Mai 1946 gefordert hatte : "Die deutsche Sozialdemokratie erstrebt die Vereinigten Staaten von Europa, eine demokratische und sozialistische Föderation europäischer Staaten. Sie will ein sozialistisches Deutschland in einem sozialistischen Europa 138. "

Auch die ein Jahr später auf dem Nürnberger Parteitag verabschiedeten "Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik" beschäftigten sich ausdrücklich mit der "künftigen Zugehörigkeit Deutschlands zu einem europäischen Staatenbund" 139. Ferner wurde die Anregung Schmids aufgegriffen und gefordert : "Die Verfassung soll Bestimmungen enthalten, die es ermöglichen, durch Reichsgesetz Hoheitsrechte im Rahmen internationaler Vereinbarungen an internationale Institutionen zu überlragen l40. "

137 Diese Gedanken enstammten dem Konzept Schmids für einen europäischen Zusammenschluß, welches er unter anderem in dem, gerade zitierten, Ende 1947 in der Monatsschrift ,,Die Wandlung" erschienen Aufsatz, Das deutsch-französische Verhältnis und der dritte Partner, darlegte. Vgl. ebenda, S. 795. Siehe auch: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 576. 138 Flechtheim, Dokumente lll, S. 22 f. 139 "Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik" A. 1. Abgedruckt in: Sörgel, Konsensus, S. 263 ff und Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 359 ff; siehe auch: Antoni, Sozialdemokratie und Grundgesetz, Bd. 1, S. 156. 140 "Richtlinien fllr den Aufbau der Deutschen Republik" A. 1. Daneben erteilten die "Richtlinien" allen allzu föderalistischen Bestrebungen eine deutliche Absage. Unter Ziffer A. hieß es weiter: "3. Die deutsche Sozialdemokratie lehnt eine Umwandlung der Deutschen Republik in einen Staatenbund ab, weil ein Staatenbund nach außen die Entwicklung zu einer europäischen Einheit hemmen und nach innen eine unerwünschte Zersplitterung der zur Gesundung und zum Aufbau erforderlichen Kräfte bedeuten würde."

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

In seinen mündlichen Erläuterungen zu den "Richlinien für den Aufbau der Deutschen Republik" griff Walter Menzel diese europapolitische Zielvorstellung der SPD auf. Dabei fiihrte er aus: "Wir sind gewillt, Deutschland nicht mehr nur als ein nationales Einzelwesen zu sehen, sondern als einen Bestandteil des großen Europa. Daher haben wir unseren Richtlinien das Bekenntnis zu einem europäischen Staatenbund vorangestellt und gefordert, daß unsere zukünftige Verfassung die Bereitwilligkeit vorsehen muß, zugunsten internationaler Einrichtungen deutsche Hoheitsrechte aufzugeben I41 ." Dieser proeuropäische Kurs wurde in den späteren Verfassungsentwürfen der SPD beibehalten. Der den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates vorliegende "Zweite Menzel-Entwurf'l42 enthielt in seinem § 6 folgende Bestimmung: "Der Bund kann durch Gesetz Rechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, insbesondere kann er im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit in diejenigen Beschränkungen seiner Rechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht und sichergestellt werden kann 143 . " Die SPD trat also bereits im Vorfeld der Arbeit des Parlamentarischen Rates mit Nachdruck für die europäische Integration ein. Die Sozialdemokraten hatten schon vor dem Zusammentritt der Bonner Versammlung erkannt, daß in Europa "mit dem Prinzip des isolierten Nationalstaates aufgeräumt und der Kontinent föderativ zu einer politischen und ökonomischen Einheit zusammengeschlossen werden müsse"144. Für sie stand fest, daß die Verfassung des neuen deutschen Staates von vornherein so ausgestaltet werden mußte, daß dessen Beitritt zu einer Föderation der europäischen Staaten nicht auf verfassungsmäßige Schwierigkeiten stoßen würde l45 .

141 Protokoll des SPD-Parteitages 1947, S. 135; siehe auch: Hirscher, Sozialdemokratische Verfassungspolitik und die Entstehung des Grundgesetzes, S. 94; Hrbek, Die SPD - Deutschland und Europa, S. 36. 142 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 391 ff und Sörgel, Konsensus, S. 279 ff. 143 Im "Ersten Menzel-Entwurf' fehlte überraschenderweise eine vergleichbare Regelung. 144 Schrnid, Gliederung und Einheit, in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 385. 145 Ebenda, S. 385.

ll. Die VerfassWlgsdiskussion vor EinberufWlg des Rates

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Die zentrale Frage, wie das künftige geeinte Europa konkret aussehen sollte, vermochte aber auch die SPD, trotz eines so exzellenten Vordenkers wie Carlo Schmid, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zu beantworten. Lediglich in Bezug auf die Stellung Deutschlands in bzw. gegenüber der künftigen Gemeinschaft der europäischen Staaten hatte die Partei schon 1948 genaue Vorstellungen. Die SPD betonte von Anfang an, daß sie sich Deutschland nur als gleichberechtigten Bestandteil dieser Staatengemeinschaft vorstellen könne und wolle l46 . Alles in allem verstanden sich die Sozialdemokraten also als Vorkämpfer rur die europäische Idee. Dies sollte auch während der Beratungen des Parlamentarischen Rates so bleiben. b) Die Verfassungsvorstellungen der Unionsparteien

Anders als bei der SPD mangelte es innerhalb der Unionsparteien an einer gemeinsamen Führungsspitze 147. Das Bestehen verschiedener selbständiger Parteiorganisationen innerhalb der Union behinderte lange Zeit auch die Verständigung über ein gemeinsames Verfassungsprogramm l48 . Zwar wurden bereits in den Jahren 1945 und 1946 verschiedene, meist noch lückenhafte Programmentwürfe 149 von Teilen der Unionsparteien aus ganz Deutschland

146 Hrbek, Die SPD - Deutschland Wld Europa, S. 34 f; Lipgens, Die Anfange der europäischen EinigWlgspolitik 1945-1950, Teil I, S. 238. 147 Bis zur BildWlg einer BWldesorganisation der Christlich-Demokratischen Union (CDU) Deutschlands auf dem I. BWldesparteitag im Oktober 1950 in Goslar war die CDU ein Ensemble selbständiger Parteien gleichen Namens. Vgl.: Deuerlein, Die CDU/CSU 1945-1957, S. 154 fI; Flechtheim, Dokumente I, S. 18; Jesse, Parteien in Deutschland, S. 69. 148 Sörgel, Konsensus S. 73. 149 So etwa die "Kölner Leitsätze der CDU" oder der "Aufruf an das Deutsche Volk" der Ostzonen-CDU Berlin, beide vom JWli 1945, sowie die "Leitsätze der ChristlichDemokratischen Partei in Rheinland und Westfalen" Wld die "Frankfurter Leitsätze" der hessischen CDU, beide vom September 1945. Diese Entwürfe sind abgedruckt in: Flechtheim, Dokumente ll, S. 27 fI. Die Köhler Leitsätze, sowie die Leitsätze der rheinisch-westfalischen Christdemokraten finden sich auch in: Konrad -Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer Wld die CDU, Dokumente Nr. I Wld 2 , S. 105 113. Schon konkreter gestaltet waren das "Programm der CDU der britischen Zone", beschlossen am I. März 1946, sowie das "GfWldsatzprogramm" der bayerischen Christlich-Sozialen Union (CSU) vom November 1946. Ersteres ist abgedruckt in: Flechtheim, Dokumente ll, S. 48 fIWld in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Konrad 4 Bennanseder

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

vorgelegt. Diese frühen Veröffentlichungen sind jedoch gekennzeichnet von einem großen Mangel an Übereinstimmung. Der erste Versuch die vorliegenden Programmentwürfe zu einem gemeinsamen VerfassungsvorschIag der CDU/CSU zusammenzufassen, erfolgte Anfang 1947. Auf einer Sitzung führender Vertreter der Unionsparteien in Königstein im Taunus gelang am 5./6. Februar 1947 die Gründung einer "Arbeitsgemeinschaft der Christlich-Demokratischen und der ChristlichSozialen Union DeutschIands"150, die künftig wenigstens als zentraler Briefkasten der Unionsparteien fungierte l51 . Da die Geschäftsordnung der Arbeitsgemeinschaft die Behandlung wichtiger Einzelfragen durch Ausschüsse vorsah, trat bereits wenige Wochen später unter Leitung von Heinrich von Brentano in Heppenheim an der Bergstraße ein Verfassungsausschuß zusammen 152. Das Ergebnis der ersten beiden Zusammenkünfte des Ausschusses im März und April 1947, der sog. "Heppenheimer Entwurf' I53, stellte den frühesten Versuch der gesamten Union zur Erarbeitung eines Verfassungsmodells dar. Doch auch diesen Entwurf hielten große Teile der Partei nicht für verbindlich. Wie anders ließe es sich sonst erklären, daß Robert Lehr im Auftrag der CDU der britischen Zone im August 1947 "Richtlinien für die künftige Verfassung"154 ausarbeitete, welche anschließend dem Zonenbeirat der britischen Zone vorgelegt wurden. Ähnlich verhielt es sich trotz der gemeinsamen Arbeit im Verfassungsausschuß in Bayern. Immer wieder trat die CSU mit Nachdruck für ihre eigenen verfassungspolitischen Vorstellungen ein. Dies ging soweit, daß der bayerische Kultusminister Hundhammer ein Memorandum über den "Staatsaufbau im künftigen DeutschIand"155 in Umlauf brachte, welches in gedrängter Form den Standpunkt Bayerns zur Verfassungsfrage enthielt.

Adenauer und die CDU, S. 131-135. Letzteres 1st abgedruckt in: Flechtheim, Dokumente II, S. 213-219. 150 Flechtheim, Dokumente I, S. 18; Ley, Föderalismusdiskussion, S. 34; Salzmann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXVI; SörgeL Konsensus S. 79. 151 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 319 152 Führende Mitglieder des Verfassungsausschusses waren neben dem Vorsitzenden von Brentano der Ettlinger Bürgermeister Theophil Kaufmann, der rheinlandpfälzische lustizminister Adolf Süsterhenn und der Berliner Staats- und VerwaltungsrechtIer Hans Peters. Vgl.: Ley, Föderalismusdiskussion, S. 39. Mit Ausnahme von Hans Peters gehörten alle Genannten später dem Parlamentarischen Rat an. 153 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 323-327. 154 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 328-332. 155 Vgl.: Archiv der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag. Akten NT. 1-30. Das Memorandum ist abgedruckt in: Sörgel, Konsensus, S. 294 ff.

11 Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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Ein sichtbares Zeichen für die Vielschichtigkeit der Interessen und Staatskonzeptionen der einzelnen Unions-Parteien war die Tatsache, daß neben dem offiziellen Verfassungsausschuß der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU bald auch sonstige überregionale Gremien der Union Vorschläge für eine neue Verfassung erarbeiteten. Die intensivste Diskussion wurde dabei im sog. "Ellwanger Kreis" geführt. Dieser war entstanden aus zwanglosen Besprechungen mehrerer CDU/CSU - Politiker im Anschluß an die Beratungen des Länderrates der amerikanischen Besatzungszone in Stuttgart l56 . Da für einen ausführlicheren Gedankenaustausch über Grundfragen der Zukunft Deutschlands nach den Sitzungen in Stuttgart nicht genügend Zeit blieb, war man übereingekommen, ein Treffen sämtlicher, der CDU und CSU angehörenden Regierungsmitglieder der Länder der amerikanischen Besatzungszone 157 zu organisieren i58 . Als Tagungsort für die erste Zusammenkunft am I. und 2. März 1947 wählte man das Exerzitienhaus auf dem Schönenberg bei Ellwangen. Die führenden Köpfe des "Ellwanger Kreises" waren der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Staatssekretär Anton Pfeiffer, dessen württemberg-badischer Kollege Hermann Gögler, sowie der stellvertretende hessische Ministerpräsident Werner Hilpert l59 . Im Laufe des Jahres 1947 kam der Freundeskreis insgesamt viermal zusammen l60 . Standen die Treffen zunächst im Zeichen von Grundsatzfragen christlicher Politik, so wurden sie spätestens ab der vierten Tagung am 23. und 24. November 1947 ganz von der Diskussion über eine neue Verfassung für Deutschland beherrscht l61 . Das Ergebnis dieser vierten Tagung wurde von einem "Arbeitskreis für Verfassungsfragen"162 zu einer entscheidungsreifen

156 Ley, Föderalismusdiskussion, S. 54; Salzrnann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXVII; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd_ 2, S_XL. 157 Zur amerikanischen Besatzungszone gehörten: Bayern, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden; vgl. hierzu statt vieler: Merkl, Die Entstehung der BRD, S. 71. 158 Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 179; siehe auch: Pfeiffer, Die Verfassungsarbeit des Ellwanger Kreises, SZ vorn 24. April 1948, S. 3. 159 Weitere einflußreiche Mitglieder waren Josef Beyerle, Paul Binder, Eugen Kogon, Theodor Steltzer, Walter Strauß, Georg Stickrodt und Adolf Süsterhenn. Binder, Strauß und Süsterhenn gehörten später auch dem Parlamentarischen Rat an. VgJ.: Ley, Föderalismusdiskussion S.55; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XL. 160 Dabei waren bereits auf der 2. Tagung vorn 31. Mai bis I. Juni 1947 Vertreter der CDU aus der britischen und französischen Zone zugegen. 161 Ley, Föderalismusdiskussion, S_ 56. 162 VgJ.: Ley, Föderalismusdiskussion, S. 57 ff und Salzrnann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S_ XXVII f 4*

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

Vorlage für den Verfassungsausschuß der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU zusammengefaßt. Diese wurde auf der nächsten Zusammenkunft des "Ellwanger Kreises" in Bad BTÜckenau am 13. April 1948 unter Beteiligung von CDU/CSU-Mitgliedern aus allen westlichen Besatzungszonen und Berlin, unter ihnen Konrad Adenauer, diskutiert l63 . Trotz noch bestehender Meinungsverschiedenheiten, verabschiedeten die Teilnehmer in Bad BTÜckenau "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung"164 als Vorschläge für die Arbeitsgemeinschaft von CDU und CSu. Deren Verfassungsausschuß trat am 24./25. Mai 1948 in Düsseldorfzusammen. Ihm lag dabei neben dem BTÜckenauer auch der bereits angesprochene Heppenheimer Verfassungsentwurf vor. In Düsseldorf wurde in einer ganzen Reihe von Fragen Übereinstimmung erzielt, ein verbindlicher Verfassungsentwurf der gesamten Union konnte allerdings auch dort nicht erarbeitet werden 165 Die CDU/CSU-Fraktion im Parlamentarischen Rat besaß mithin keinen allgemeinverbindlichen, von allen Mitgliedern akzeptierten Verfassungsentwurf166 Die Fraktionsspitze stand deshalb vor dem Problem, bei jeder anstehenden Streitfrage, die gesamte Fraktion auf einen einheitlichen verfassungspolitischen Kurs bringen zu müssen. Dies kostete die Union während der späteren Verfassungsarbeiten viel Kraft. Es brachte ihr zudem manche verfassungspolitische Niederlage ein. Inhaltlich war das verfassungsrechtliche Denken innerhalb der CDU/CSU weit stärker vom föderalistischen Prinzip geprägt, als das der SPD. Dabei standen sich in CDU und CSU zwei Gruppen mit unterschiedlichem Föderalismusverständnis gegenüber l67 . Hauptstreitpunkt zwischen der Gruppe der "Süddeutschen" und der Gruppe der "Nordwestdeutschen" war die Frage, 163 Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 320; Salzrnann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXVIII; Särgel, Konsensus S. 85; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XLN. 164 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 333-347 und Särgel, Konsensus, S. 297-307. 165 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 320; ders.; Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 180; Salzmann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXIX. 166 Die "Grundsätze für eine Deutsche Bundesverfassung" des "Ellwanger Kreises" lagen dem Parlamentarischen Rat zwar als offizielle PR-Drucks. Nr. 74 vor. Diese Tatsache sagt aber nichts über ihre Verbindlichkeit filr die Fraktion aus. Vgl.: Salzrnann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXX; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XLIX. 167 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XXIV.

11. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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welchen Mindesteinfluß das Länderelement in einem föderativen Staatsaufbau haben müsse und wie dieser institutionell zu sichern sei. Die extremen Föderalisten saßen in Süddeutschland. Sie wollten die Länderinteressen durch eine echte zweite Kammer vertreten wissen. Die "Nordwestdeutschen" dagegen strebten es an, die bundesstaatliche Ordnung allein durch eine klare Kompetenzverteilung in Gesetzgebung und Verwaltung zu sichem l68 . Diese Kontroverse um die Stellung der Länderkammer war letztlich der Grund dafür, daß es nicht zur Verabschiedung eines gemeinsamen Verfassungskonzepts der Unionsparteien kam 169 . Trotz der geschilderten Meinungsverschiedenheiten bestand aber zwischen beiden Gruppen innerhalb der CDU/CSU weitgehende Überinstimmung über die Gestaltung großer Teile der neuen deutschen Verfassung. Man war sich darüber einig, daß Deutschland ein wirklicher Bundesstaat werden sollte, dessen Eintritt in eine europäische Föderation bereits in der Verfassung vorgesehen werden sollte. Zur Erreichung dieses Ziels sollten Kompetenzen von Ländern, Bund und europäischer Föderation klar voneinander abgegrenzt sein l70 . Untermauert wird diese Aussage durch die Tatsache, daß die europäische Idee in dem von Lehr vorgelegten Verfassungsentwurf der "Nordwestdeutschen" , in den Beschlüssen des "Ellwanger Kreises" und im Hundhammerschen Memorandum Berücksichtigung gefunden hat. Die "Richtlinien für die künftige Verfassung" von Robert Lehr enthielten die Forderung: "C. Auch die vorläufige Reichsverfassung soll bereits eine Bestimmung enthalten, daß Deutschland jederzeit bereit ist, Mitglied eines europäischen Staatenbundes zu werden l71 . "

In den vom "Ellwanger Kreis" erarbeiteten "Grundsätzen für eine Deutsche Bundesverfassung" hieß es:

168 Salzmann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. XXIX. 169 Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 165.

170 Ebenda, S. 164; vgl. auch: "Die Länder und der deutsche Staat. Die Stellung der CDU und CSU zum Verfassungsproblem". Anonymer Aufsatz eines prominenten Mitglieds des "Ellwanger Kreises" (wahrscheinlich Anton Pfeiffer), der am 5. August 1948 in der Zeitschrift "Gegenwart" erschien. Abgedruckt in: Bel1Z, Bewegt von der Hoffnung, S. 347 ff.

B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

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"I. BWldesstaatliche Grundlagen 2. Die BWldesverfassWlg soll vorsehen, daß die BWldesrepublik bereit ist, einer europäischen Staatenföderation beizutreten, Wld die Mitgliedschaft der "Vereinten Nationen" anstrebt l72. "

Das Memorandum der CSU über den "Staatsaufbau im künftigen Deutschland" schließlich forderte im Hinblick auf die Frage der Zukunft Deutschlands in Europa: "Letzten Endes muß das deutsche Staatswesen so aufgebaut werden, daß es sich ohne Schwierigkeiten in ein neuorganisiertes Europa eingliedern läßt. Jede LöSWlg, die, wenn auch nur zeitweilig, für die deutsche Frage getroffen wird, soll ein Schritt auf dem Wege zur europäischen Staatengemeinschaft sein. Sie muß sich deshalb an den Gesetzen orientieren, die für den Zusammenschluß Europas maßgebend sind, d.h. den Prinzipien eines echten Föderalismus l73 . "

Wie dieses neuorganisierte Europa konkret aussehen sollte, hatte die CSU bereits in ihrem Grundsatzprogramm vom Dezember 1946 zum Ausdruck gebracht. Schon damals war sie für "die Schaffung einer europäischen Konföderation" eingetreten, die die Partei vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht für notwendig erachtete. Da letzten Endes kein Land Europas für sich alleine bestehen könne, hatte sich die CSU schon zu diesem frühen Zeitpunkt "für die Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion" und den "Abbau der Zoll schranken zwischen den einzelnen Staaten Europas" eingesetzt l74 . Trotz aller Unterschiede in ihrem Föderalismusverständnis waren also auch die Unionsparteien in einem Punkt einer Meinung. Sie wollten den Föderalismus nicht auf Deutschland beschränkt sehen l75 , sondern strebten die Beteiligung des neuen deutschen Staates an einer Föderation der Staaten Europas

17l Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der HoffuWlg, S. 331.

172 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der HoffuWlg, S. 333 Wld Sörge1, Konsensus,

S.297. 173 Abgedruckt in: Sörgel, Konsensus, S. 295. 174 ÜTWldsatzprogramm der CSU vom Dezember 1946, abgedruckt in: Flechtheim, Dokumente n, S. 218. Siehe auch: Micke1, Handlexikon der Europäischen Union,

S. XXII f.

175 Vgl. hierzu die "BegrilndWlg" zu den "Grundsätzen für eine Deutsche BWldesverfassWlg" I zu 2.; abgedruckt in: Benz, Bewegt von der HoffuWlg, S. 338 f Wld Sörgel, Konsensus, S. 301.

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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an. Diese Position gedachten sie auch bei den Grundgesetzberatungen im Parlamentarischen Rat zu vertreten.

c)

Die Verjassungskonzeptionen der Liberalen

Für die Liberalen erwies sich der Neuanfang aus zwei Gründen als schwieriges Unterfangen. Zum einen erfuhren sie weniger Ermunterung durch die Alliierten, als die SPD und die Unionsparteien, zum anderen standen ihnen rein zahlenmäßig weit weniger frühere Anhänger zur Verfügung, als den großen Parteien 176. Dennoch entstanden, zunächst nur auf regionaler, bald aber auch auf Landes- und Zonenebene, verschiedene liberale Parteien l77 . Diese schlossen sich in der britischen Zone im Januar 1946 zur "Freien Demokratischen Partei" (FDP), in der amerikanischen Zone im September 1946 zur "Demokratischen Volkspartei" (DVP) zusammen 178. Am 17. März 1947 erfolgte auf einer Konferenz liberaler Politiker aus allen vier Besatzungszonen in Rothenburg ob der Tauber die Vereinigung auf gesamtdeutscher Ebene. Dort wurde als Dachorganisation die "Demokratische Partei Deutschlands" gegründet l79 . Allerdings zeigte sich auch bei den Liberalen schnell, daß die sich zusehends beschleunigende Auseinanderentwicklung der Ostzone und der Westzonen eine gesamtdeutsche Parteiarbeit erschwerte, wenn nicht sogar unmöglich machte. Der Bruch 180 zwischen den Liberalen in der sowjetischen Besatzungszone und den Parteiverbänden im Westen im Januar 1948 war eine fast logische Konsequenz. Die Landesparteien im Westen verbanden sich daraufhin Anfang Dezember 1948 in Heppenheim zu einer einheitlichen Parteiorganisation unter dem Namen "Freie Demokratische Partei" 181 . Ein einheitlicher, als Grundlage für die Bonner Verfassungsarbeiten dienender Entwurf, wurde von den Liberalen nicht erarbeitet l82 . Die Gründe 176 Flechtheim, Dokumente I, S. 39. 177 Diese furnierten freilich zunächst noch unter verschiedenen Namen: u.a. als Freie Demokratische Partei, Partei Freier Demokraten, Liberal-Demokratische Partei, Demokratische Volkspartei und Demokratische Partei. VgI.: Kaack, Die F.D.P., S. 11. 178 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 410. 179 Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 411; Juling, Programmatische Entwicklung der FDP 1946 - 1969, S. 20 tT; Kaack, Die F.D.P., S. 12. 180 Vgl.: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 411. 181 Flechtheim, Dokumente 1, S. 41; Jesse, Parteien in Deutschland, S. 68; Juling, Programmatische Entwicklung der FDP 1946-1969, S. 20 tT; Kaack, Die FD.P., S. 12. 182 Erst Anfang Dezember 1948, also schon während der Arbeit des Parlamen-

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

hierfür lagen zum einen in der soeben beschriebenen Zersplitterung der Partei zu Anfang des Jahres 1948. Zum anderen in der fehlenden Möglichkeit für die Liberalen ihre Verfassungsvorstellungen schon vor den Beratungen des Parlamentarischen Rates wirkungsvoll zu vertreten l83 . Es existierten jedoch eine Reihe von Verfassungskonzeptionen der frühen liberalen Parteigruppierungen. Erwähnt seien hier exemplarisch die "Programmatischen Richtlinien der FDP" der britischen Zone, beschlossen am 4. Februar 1946 in Syke bei Bremen l84, und der Wahlaufruf der DVP Württemberg-Baden vom 14. Juni 1946 185 . Neben anderen Dingen gingen beide Papiere auch auf die Frage der europäischen Integration ein. Die "Programmatischen Richtlinien" stellten die Forderung auf: "2. Das neue Reich des deutschen Volkes soll sobald wie möglich in die werdende Organisation der Menschheit eingegliedert werden. Die Vereinigten Staaten von Europa sollen fiir die Vereinigten Staaten der Erde die festeste Stütze sein l86. "

Der Wahlaufruf der württemberg-badischen DVP lautete auszugsweise: "VIII. Deutschland und die Welt ( ... ) Aus dem Vertrauen zueinander und dem Verständnis fiireinander soll über allen nationalen Egoismus hinweg durch übernationale Lösungen ein enger Zusammenschluß der europäischen Völker in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht unserem Erdteil den Frieden sichern 187."

tarischen Rates, gelang der, nun vereinigten, Partei mit der sog. Heppenheimer Proklamation eine gemeinsame Erklärung zu "dringlichen Tagesfragen der deutschen Politik". Hierin zeigte die FDP den Weg zu "Freiheit, Frieden und Sicherheit ftir Deutschland in einem geeinten Europa" auf. Die Heppenheimer Proklamation ist abgedruckt in: Mischnick, Verantwortung für die Freiheit, S. 531 tT. 183 Allein in der Person Reinhold Maiers, als einzigem liberalen Ministerpräsidenten, hatte die FDP einen gewissen Einfluß auf den Verlauf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents. Vgl.: WenickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XLIX. 184 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 411-415 und Juling, Programmatische Entwicklung der FDP 1946 - 1969, S. 70 - 72. 185 Abgedruckt in: Gutseher, Die Entwicklung der FDP, S. 337 ff und Juling, Programmatische Entwicklung der FDP 1946 - 1969, S. 73 -75. 186 Vgl.: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 412; Juling, Programmatische Entwicklung der FDP 1946 - 1969, S. 71. 187 Vgl.: Gutseher, Die Entwicklung der FDP, S. 340; Juling, Programmatische Entwicklung der FDP 1946-1969, S. 75.

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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Unterstützt wurde dieses Engagement der fruhen liberalen Parteigruppierungen rur "Europa" durch den öffentlichen Einsatz einer Reihe bekannter liberaler Politiker rur die europäische Idee. Henry Bemhard etwa, der vormalige Leiter des Ministerbüros Gustav Stresemanns, war bereits 1946 rur eine "unauflösbare Union der europäischen Demokratien" eingetreten 188 Wenige Monate später hatte er in Stuttgart eine der ersten europaföderalistischen Gruppen in Deutschland, die "Europäische Aktion", gegrundet l89 . Der fruhere Generalsekretär der niedersächsischen FDP, Wilhelm Hermes, war zur selben Zeit die treibende Kraft rur die Grundung der deutschen "EuropaUnion" in Syke l90 . Auch die Liberalen waren also der europäischen Idee gegenüber bereits im Vorfeld der Beratungen des Parlamentarischen Rates durchaus aufgeschlossen. Obwohl sie keinen eigenen einheitlichen Verfassungsentwurf besaßen, der die Möglichkeit des Beitritts des künftigen deutschen Staates explizit vorsah, gehörte die Unterstützung der europäischen Einigung seit dem Jahr 1946 ganz allgemein zu den politischen Zielen der Freien Demokraten. Dies ließ darauf hoffen, daß sie die oben erhobenen Forderungen auch im Rahmen der anstehenden Bonner Grundgesetzberatungen vertreten würden. d) Die Verjassungspläne der Deutschen Zentrumspartei

Weil ihnen die Entwicklung der im Entstehen begriffenen CDU zu weit nach rechts zu verlaufen schien, hatten Politiker des alten Zentrums im Rheinland und in Westfalen in Konkurrenz zur Union bereits im Sommer 1945 die "Deutsche Zentrumspartei" (Z) wiedergegrundet 191 . Das neue Zentrum, unter dem Vorsitz von Johannes Brockmann, später eines von zwei Zentrumsmitgliedern im Parlamentarischen Rat, bewegte sich trotz des Bekenntnisses, eine sozialfortschrittliche Partei auf überkonfessioneller Grundlage zu sein, im wesentlichen in seinen alten Traditionen. Dennoch gehörte die Unterstützung der europäischen Einigung von Anfang an zu den Zielen der Partei. Schon im "Soester Programm" vom Oktober 1945 hatte das 188 Bernhard war nunmehr DVP-Abgeordneter im württemberg-badischen Landtag. Das Zitat entstammt einer Rede Bernhards auf einer Kundgebung der Stuttgarter Gewerkschaften und Parteien zum I. Mai 1946, zit. nach: Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, S. 414. 189 Ebenda, S. 414. 190 Vgl. ebenda, S. 419; siehe auch: Cornides, Die Anfange des europäischen föderalistischen Gedankens in Deutschland 1945-1949, S. 4244. 191 Vgl. hierzu: Flechtheim, Dokumente I, S. 35-38.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

Zentrum seine Bereitschaft erklärt, für eine "europäische Föderation" einzutreten 192. Am 12. August 1947 legte die Partei einen eigenen Verfassungsentwurf vor, der diesen Ansatz aufgriff. In den, von ihrem Mitgründer und damaligen stellvertretenden Vorsitzenden Carl Spiecker 193 erarbeiteten "Richtlinien für eine künftige deutsche Verfassung"194 forderte die "Deutschen Zentrumspartei" einen bundesstaatlichen Aufbau Deutschlands unter Zugrundelegung eines "sinnvollen Föderalismus". Darüber hinaus hatte man bereits zu diesem frühen Zeitpunkt den möglichen späteren Beitritt Deutschlands zu einer übergeordneten Organisation im Blick. Die "Richtlinien" schlugen insoweit vor: " Verfassungsänderungen : 32. Die Eingliederung Deutschlands in eine höhere europäische Einheit oder Welteinheit hedarfnur eines Bundesgesetzes"195 Die "Deutsche Zentrumspartei" gehörte damit schon vor Beginn der Grundgesetzberatungen in Bonn zu den Verfechtem der europäischen Idee. Daß ihre Vertreter diese Linie auch im Parlamentarischen Rat vertreten würden, stand außer Frage.

e) Die Verfassungsvorstellungen der Deutschen Partei Gestützt auf antipreußische welfische Traditionen war 1945 in mehreren Orten des heutigen Bundeslandes Niedersachsen auf lokaler Ebene die "Niedersächsische Landespartei" (NLP) gegründet worden l96 . Auf Betreiben ihres späteren Vorsitzenden Heinrich Hellwege erhielt die Partei im Frühjahr 1946 die Zulassung auf Zonenebene durch die britische Militärregierung l97. Unter der Führung Hellweges benannte sich die NLP am 4. Juni 1947 in Celle in "Deutsche Partei" (DP) um 198 . Zuvor war der Versuch eines Zusammenschlusses der NLP mit der FDP gescheitert, weil der Vorsitzende der nieder192 Das "Soester Programm" ist abgedruckt in: Flechtheim, Dokumente n, S. 245. 193 Spiecker wurde im Dezember 1948 Vorsitzender des Zentrums. Anfang 1949 trat er jedoch zur eDU über. Dem Parlamentarischen Rat gehörte er nicht an. 194 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 425 - 429. 195 Ebenda, S. 429. 196 Holzgräber, Die DP, S. 407; Meyn, Die Deutsche Partei, S. 10. 197 Meyn, Die Deutsche Partei, S.IO. 198 Flechtheim, Dokumente I, S. 47: Holzgräber, Die DP, S. 409; Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881 - 1981, S. 145; Meyn, Die Deutsche Partei, S. 19.

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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sächsischen Freien Demokraten, Heile, nach Abschluß einer entsprechenden Vereinbarung die Unterstützung in seiner eigenen Partei verloren hatte I 99. Der Aufruf des Zonenbeirats der britischen Zone an die Parteien, Entwürfe für eine mögliche Verfassung auszuarbeiten, verhallte auch auf Seiten der "Deutschen Partei" nicht ungehört. Hellwege legte am 5. August 1947 "Richtlinien für die künftige deutsche Verfassung" vor200 , welche nach verschiedenen Ergänzungen und Erweiterungen am 24. November 1947 von der DP im Rechts- und Verfassungsauschuß des Zonenbeirats eingebracht wurden. Inhaltlich waren die Verfassungsvorstellungen der Deutschen Partei betont föderalistisch ausgerichtet20I . Von der Möglichkeit einer Beteiligung des künftigen deutschen Staates an einer europäischen Föderation ist in dem Entwurf der DP überraschenderweise nicht die Rede. Überraschenderweise deshalb, weil sich die Spitze der DP ansonsten sehr europafreundlich gab 202 . Vor allem der später von der Deutschen Partei in den Parlamentarischen Rat entsandte Wilhelm Heile war schon seit den zwanziger Jahren einer der überzeugtesten Streiter für die europäische Integration 203 . Heile galt aus diesem Grund als "Vorkämpfer Europas in Deutschland"204. Die grundsätzlich europafreundliche Haltung der Deutschen Partei stand aufgrund des Engagements ihrer führenden Köpfe für die europäische Idee schon vor der Einberufung des Parlamentarischen Rates auch ohne die ausdrückliche Verankerung eines diesbezüglichen Zieles in ihrem offiziellen Verfassungsentwurf fest.

199 Vgl.: Luckemcyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 140; Meyn, Die Deutsche Partei, S. 16. Heile trat kurz darauf der DP bei. Zusammen mit Hans-Christoph Seebohm vertrat er diese später im Parlamentarischen Rat. 200 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 430 - 433. 201 Meyn, Die Deutsche Partei, S 21. 202 Als ein Indiz für diese Europafreundlichkeit mögen etwa die noch von der NLP veröffenlichten ,,Richtlinien" gelten, wo es unter anderem hieß: ,,Die NLP erstrebt im Hinblick auf die gemeinsamen Grundlagen der Kultur, die gemeinsame Tradition einer jahrhundertelangen Geschichte und die gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Interessen die engste Verbindung mit dem britischen Imperium" Vgl.: Flechtheim, Dokumente II, S. 376. 203 Vgl. zum Eintreten Wilhelm Heiles flir die europäische Idee unten, S. 107 ff. 204 So der Untertitel des Werkes von Luckemeyer: Wilhelm Heile 1881-1981 Föderativer liberaler Rebell in DDP und FDP und erster liberaler Vorkämpfer Europas.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

j) Die Verjassungskonzeptionen der Kommunistischen Partei Sofort nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschlands arbeitete die Kommunistische Partei (KPD) mit aller Macht auf ihre Wiedergrundung hin. Diese erfolgte in der so\\jetischen Besatzungszone bereits am 7. Juni 1945. In den drei westlichen Besatzungszonen wurde die KPD zunächst nur in den Städten und Landkreisen, etwas später auch auf Landesebene, von den Alliierten zugelassen. Die von der KPD im Anschluß daran angestrebte Verschmelzung mit der SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gelang nur in der Sowjetzone. Die SPD der übrigen Zonen lehnte eine Vereinigung dagegen ab 205 . Später als die anderen Parteien legte die Kommunistische Partei ihre Verfassungsvorstellungen dar. In ihren "Richtlinien für eine künftige deutsche Verfassung"206, abgegeben am 16. Oktober 1947 vor dem Rechts- und Verfassungsausschuß des Zonenbeirats der britischen Zone, stellte sie eine Reihe grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Forderungen auf, verwies im übrigen aber auf den Verfassungsentwurf der SED vom 14. November 1946. Deren "Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik"207 sah die KPD auch für sich als verbindlich an. Die verfassungsrechtlichen Vorstellungen der Kommunisten waren vor allem von der Idee getragen, daß jede - also auch eine nur provisorische staatsrechtliche Zusammenfassung der Westzonen die künftige Einheit Deutschlands unmöglich machen würde208 . Die Möglichkeit einer stärkeren Integration der europäischen Staaten sprach keiner der beiden genarmten Verfassungsvorschläge an. Zwar forderten die "Richtlinien" der KPD "weitere Katastrophen für Deutschland und die europäischen Völker" zu verhüten. Das Mittel hierfür sollte aber nicht etwa ein intensiveres Miteinander der Staaten von Europa sein, sondern die Zerschlagung der "monopolistischen Gebilde des Großkapitals, sowie die Enteignung der Kriegsverbrecher und Großgrundbesitzer in ganz Deutschland"209.

205 Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S.230. 206 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffnung, S. 446 - 449. 207 Ebenfalls abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 449 - 472. 208 Ebenda, S. 446. 209 Vgl. die Erklärung der KPD zu den "Richtlinien fUr eine künftige deutsche Verfassung". Diese ist abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 447.

11. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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Zumindest im Vorfeld der Arbeiten am Bonner Grundgesetz dachten die Kommunisten also nicht im entferntesten daran die Zusammenarbeit der europäischen Staaten in übernationalen Organisationen zu unterstützen. Ihre Politik zielte nach wie vor allein auf die Durchsetzung der kommunistischen Ideologie in jedem einzelnen Staat ab. Von dieser Seite konnte die europäische Idee keine Unterstützung erwarten. g) Zwischenergebnis

Abgesehen von den Kommunisten war bei allen später im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien bereits vor dem ersten Zusammentritt der verfassunggebenden Versammlung in Bonn das Bestreben vorhanden, den neuen deutschen Staat fest in eine künftige europäische Ordnung einzubinden. Dieses Ziel wurde - bei allen sonstigen politischen Gegensätzen zwischen den Parteien, und teilweise auch innerhalb der einzelnen Parteiverbände - über die Parteigrenzen hinweg verfolgt. Auf Seiten der Parteien war die, fiir eine spätere Verankerung der europäischen Idee im Grundgesetz wichtige, grundsätzliche Zustimmung der Beteiligung Deutschlands an den "Vereinigten Staaten von Europa" mithin schon zu diesem frühen Zeitpunkt erreicht. Wie diese "Vereinigten Staaten von Europa" letztlich tatsächlich aussehen würden und welche Rolle Deutschland darin spielen würde, darüber würden erst die Beratungen im Parlamentarischen Rat selbst Auskunft geben. 3. Die europäische Idee in denVerfassungsplänen

der Ministerpräsidenten der deutschen Länder

Neben den Parteien waren die Ministerpräsidenten der neu entstandenen Länder die bedeutendsten politischen Kräfte in den ersten Nachkriegsjahren. Vor allem die Ministerpräsidenten der föderalistisch geprägten süddeutschen Länder waren seit den Jahren 1946/47 bestrebt, den Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland in ihrem Sinne zu gestalten. Männer wie Hans Ehard, Reinhold Maier und Christian Stock210 traten vehement fiir die Schaffung eines föderalistischen Bundesstaates, in dem die "KompetenzKompetenz" bei den Ländern liegen sollte, ein. Dem Bund sollte nach ihren Plänen nur das zugewiesen werden, was zur Erledigung gemeinsamer Aufgaben unbedingt notwendig war 211. Von einer Beteiligung Deutschlands am Prozeß der europäischen Integration war in den frühen Verfassungs210 Hans Ehard (CSU) war bayerischer, Reinhold Maier (FDPIDVP) württembergbadischer und Christian Stock (SPD) hessischer Ministerpräsident. 211 Vgl. Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 156 f.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

konzeptionen der süddeutschen Ministerpräsidenten zwar ausdrücklich noch nicht die Rede. Daß die süddeutschen Föderalisten ihre Vorstellungen von der künftigen Gestalt ihrer Heimat aber keinesfalls auf Deutschland beschränkten, läßt sich auf andere Weise belegen. Ein Großteil von ihnen stand nämlich mit der Union der Europäischen Föderalisten (UEF) in enger Verbindung 212 Aus dieser Konstellation heraus kann es als sicher gelten, daß die föderalistisch eingestellten süddeutschen Ministerpräsidenten ihre politischen Zukunftsvorstellungen nicht auf Deutschland beschränkt sahen. Sie arbeiteten auch auf ein föderalistisch organisiertes, vereinigtes Europa hin. Die Chance diesem Ziel ein großes Stück näher zu kommen, eröffneten ihnen die Besatzungsmächte. In den Frankfurter Dokumenten war die Verantwortung für die Neuordnung Deutschlands von alliierter Seite in die Hände der Ministerpräsidenten und der Parlamente der Länder gelegt worden213 . Diese einzigartige Einflußmöglichkeit wollten vor allem die süddeutschen Ministerpräsidenten voll ausnutzen. Infolge der Frankfurter Dokumente sahen sie sich als die einzig legitimierten Gesprächspartner der Besatzungsmächte an 214 . Allerdings verzichteten die Ministerpräsidenten anfangs bewußt auf jede Kommentierung der Dokumente. Sie wollten zunächst untereinander ihre Meinungen austauschen, um dann den Alliierten gegenüber möglichst einheitlich auftreten zu können215 . Der innerdeutsche Meinungsaustausch fand auf 212 Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 48.

213 Vgl. Frankfurter Dokument Nr. I ; abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. 30 ffund in Lange, Die Würde des Menschen, S.7. 214 Die Parteien bestritten diesen Führungsanspruch der Ministerpräsidenten. Kurt Schumacher (SPD) hatte den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten bereits anläßlieh der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz 1947 deutlich gemacht, daß sie nur im Einvernehmen mit der Parteispitze handeln und entscheiden sollten. Vgl.: Vogelsang, Die Option filr den westdeutschen Staat, S. 163. Infolge dieser Einwirkung Schumachers fanden seit München 1947 sog. "Ministerpräsidenten-Fraktionssitzungen" statt; d.h. die Ministerpräsidenten berieten sich vor wichtigen Entscheidungen mit ihrer jeweiligen Parteiführung. Vgl. dazu: Maier, Erinnerungen, S. 59. Alles in allem wäre es aber falsch, einen allzu großen Gegensatz zwischen den Ministerpräsidenten und den Parteifiihrern zu konstruieren. Schließlich waren ja auch die Ministerpräsidenten in der Regel partei politisch gebundene Politiker. Allerdings wurde in den Sommermonaten des Jahres 1948 sehr ernsthaft um die Frage gekämpft, wer im künftigen Deutschland mehr politischen Einfluß haben sollte die Parteien oder die Ministerpräsidenten der Länder. Vgl. zum Ganzen: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. :xxx ff. 215 Dieser Weg wurde auf Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten Ehard gewählt, vgL: Protokoll der Konferenz der Militärgouverneure mit den Ministerpräsidenten der westdeutschen Besatzungszonen am I. Juli 1948 in Frankfurt; abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, Dok.-Nr. 3, S.26.

ll. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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einer Serie von Konferenzen statt, von denen vor allem die Beratung der Ministerpräsidenten auf dem Rittersturz bei Koblenz vom 8. bis 10. Juli 1948 Bedeutung erlangte 216 . Dort zeigten sich große Gegensätze zwischen den Ministerpräsidenten in der Beurteilung der Zukunft Deutschlands. Während die gerade angesprochenen süddeutschen Ministerpräsidenten auf eine schnelle politische und wirtschaftliche Einheit der drei westlichen Besatzungszonen drängten, hielten ihre Kollegen die Zeit dafiir noch nicht für reif2 I7. Trotz dieser Meinungsverschiedenheiten herrschte zwischen den Teilnehmern aber Einmütigkeit darüber, die Frankfurter Dokumente durch deutsche Gegenvorschläge "positiv" zu beantworten218 . Deshalb einigte man sich schließlich einstimmig auf einen Komprorniß. Die Ministerpräsidenten teilten den Militärgouverneuren mit, daß sie es begrüßten, daß "die Besatzungsmächte entschlossen sind, die ihrer Jurisdiktion unterstehenden Gebietsteile Deutschlands zu einem einheitlichen Gebiet zusammenzufassen, dem von der Bevölkerung selbst eine kraftvolle Organisation gegeben werden soll"219. Die Verantwortung rur die Gründung eines Weststaates wollten die Deutschen indes nicht selbst übernehmen. Nach ihren Vorstellungen sollte anstelle einer verfassunggebenden "deutschen Nationalversammlung" lediglich ein "Parlamentarischer Rat" zur Ausarbeitung eines vorläufigen "Grundgesetzes" zusammentreten 220. Bei den Beratungen auf dem Rittersturz stand die Entscheidung über die Zukunft Deutschlands im Mittelpunkt. Jedoch wurde von Seiten der Ministerpräsidenten auch der Wunsch der Deutschen nach einer künftigen Zusammenarbeit der europäischen Staaten unterstrichen. Der rheinland-pfaIzische Ministerpräsident Peter Altmaier etwa brachte die Hoffnung auf weitere, von den Besatzungsmächten zu bewilligende Vollmachten und Freiheiten zum Ausdruck, deren es bedürfe,

216 Lange, Die Würde des Menschen. S. 3; Loth, Die Teilung der Welt, S. 228 f; Merkl, Die Entstehung der BRD, S.64 f; Niclauß, Demokratiegrilndung in Westdeutschland, S. 124 f; Vogel sang, Die Option für den westdeutschen Staat, S. 166 ff; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. XXXVI ff. 217 Vgl. das Protokoll der Konferenz der Ministerpräsidenten der westdeutschen Besatzungszonen in Koblenz vom 8. bis 10. Juli 1948; abgedruckt in: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, Dok.-Nr. 6, S. 68-83. 218 Wiesemann, Die Gründung des deutschen Weststaats, S. 123. 219 Auszug aus der Antwortnote der Ministerpräsidenten an die Militärgouverneure, abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.l, Dok.-Nr. 7, S.143. 220 Vogel sang, Die Option ftir den westdeutschen Staat, S. 175.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates "wenn Deutschland in ein friedliebendes Europa, in die europäische Völkerfamilie eingeordnet werden so1l221. "

Die als Gast in Koblenz weilende Oberbürgenneisterin Berlins, Louise Schröder, ging auf die Bedeutung der Einigung Europas für die Zukunft Deutschlands ein. Wörtlich sagte sie: "Möge diese Arbeit, die sie leisten, nicht nur eine Arbeit sein für ihre drei Zonen, für ihre Länder, sondern möge sie die Vorarbeit sein für einen konstruktiven Neuaufbau Gesamtdeutschlands, eines Deutschlands, in dem dann Berlin wieder die Stellung einnehmen kann, die es gehabt hat, in seiner glorreichen Vergangenheit, eine Stellung, in der es mitwirken will, um Deutschland in ideeller Weise wiederum mit den übrigen Ländern Europas zusammenzuschließen zu einer glücklicheren Zukunft222 ." Die Antwort der Besatzungsmächte auf die Koblenzer Vorstellungen der Ministerpräsidenten fiel alles andere als positiv aus. Die Militärgouverneure machten gegenüber den Deutschen klar, daß sie nicht bereit seien, ein derartiges Provisoriumskonzept zu akzeptieren. Die Frankfurter Dokumente enthielten verbindliche Vorgaben ihrer Regierungen, über deren Inhalt keine Verhandlungen möglich seien223 . In der Folge waren eine Reihe von Besprechungen zwischen den Militärgouverneuren und den Ministerpräsidenten in Frankfurt, sowie zwei Treffen der Regierungschefs der Länder im Jagdschloß Niederwald bei Rüdesheim erforderlich, um die Dissonanzen zu beseitigen. Die Deutschen mußten dabei erkennen, daß sie ihren eigenen Verhandlungsspielraum in Koblenz überschätzt hatten. In Niederwald vollzogen die meisten Ministerpräsidenten daher eine Kehrtwendung224 . Das in Koblenz favorisierte "organisierte Provisorium" wurde aufgegeben. Die Ministerpräsidenten entschieden sich nun eindeutig für die rasche Errichtung eines westdeutschen Kemstaates225 . Im Gegenzug waren die Alliierten mit den terminologischen Änderungswünschen

221 Vgl. WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, Dok.-Nr. 6, S. 61. 222 Ebenda, S.63. 223 Wiesemann, Die Gründung des deutschen Weststaats, S. 125. 224 Lange, Die Würde des Menschen, S. 6. 225 Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 172; Lange, Die Würde des Menschen, S. 6 f; Nic\auß, Demokratiegrundung in Westdeutschland, S. 127; Wiesemann, Die Gründung des deutschen Weststaats, S. 126.

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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der deutschen Seite - "Parlamentarischer Rat" anstelle von "verfassunggebende Versammlung" und "Grundgesetz" statt "Verfassung" - einverstanden. Nach dieser Einigung lag es bei den Ministerpräsidenten, die weiteren Schritte zur Realisierung der Frankfurter Dokumente einzuleiten. Neben der Entscheidung über den Tagungsort226 des Parlamentarischen Rates galt es einheitliche Kriterien für die Wahl seiner Mitglieder festzulegen. Von weit größerer Bedeutung war für die Ministerpräsidenten aber die Frage, wie sie dem Parlamentarischen Rat inhaltliche Leitlinien zur konkreten Gestaltung des Grundgesetzes an die Hand geben konnten. Man einigte sich am 25. Juli 1948 auf die offizielle Einsetzung eines "Verfassungsausschusses der Ministerpräsidentenkonferenz" . Die Aufgabe des Ausschusses bestand in der Erstellung einer Arbeitsgrundlage für den Parlamentarischen Rat. Als Tagungsort wurde auf Einladung des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard die Herreninsel im Chiemsee ausgewählt. Deshalb wurde der Ausschuß später oft als "Herrenchiemseer Verfassungskonvent" bezeichnet. Er tagte vom 10. bis 23. August 1948 227 .

4. Die Beriicksichtigung der europäischen Idee im Rahmen des Herrenchiemseer Verfassungskonvents Die Ministerpräsidenten hatten sich darauf geeinigt, daß jedes der elf Länder der Westzonen durch einen Bevollmächtigten auf Herrenchiemsee vertreten sein sollte. Hinzu kam als Vertreter Berlins der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Otto Suhr. Diese zwölf Delegierten wurden von insgesamt vierzehn Mitarbeitern unterstützt228 . Bei der Auswahl ihrer jeweiligen Vertreter auf dem Verfassungskonvent hatten sich die einzelnen Länder von unterschiedlichen Kriterien leiten lassen. Zwar waren die Teilnehmer bis auf eine Ausnahme 229 durchweg Juristen, jedoch handelte es sich bei den Ver226 Acht Ministerpräsidenten entschieden sich für Bonn, zwei für Karlsruhe, nur einer rur Celle. Vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 10; StanunenlMaier, Der Prozeß der Verfassunggebung, S. 393. 227 Nähere Informationen zur Einsetzung des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee finden sich bei: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. VII ff. Vgl. auch: Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 52 ff; Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes, S. 232 ff. 228 Alle Teilnehmer sind namentlich aufgeführt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. LXVI. 229 Der von Schleswig - Holstein benannte Fritz Baade war Professor rur Wirtschaftswissenschaften; vgl. zur Vita der Teilnehmer: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XI-XXXV. 5 Bcrmanscdcr

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

tretern der britischen Zone ausschließlich um fachlich hochqualifizierte Spitzenbeamte, die parteipolitisch noch nicht in Erscheinung getreten waren 230 . Demgegenüber entsandten die Länder der heiden anderen Zonen vorrangig politische Vertreter, die verfassungsrechtliche Erfahrung besaßen231 . Bei dieser Zusammensetzung überrascht es kaum, daß sich die Beratungen des Verfassungskonvents nicht auf rein staatsrechtlichem, sondern auch auf politischem Gebiet abspielten232 . Der Verfassungskonvent hatte beschlossen, die einzelnen Fragen in drei Unterausschüssen zu beraten233 . Hierbei hatte der Unterausschuß I, der sich mit Grundsatzfragen beschäftigte, das größte Gewicht bei den Teilnehmern. Ihm gehörten die Delegationschefs an, während sich die Mitarbeiter in den beiden anderen Unterausschüssen trafen 234 . Der Unterausschuß 11 debattierte über Zuständigkeitsfragen auf dem Gebiet der Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung. Im Unterausschuß III beschäftigte man sich mit Organisationsfragen235 . In allen drei Unterausschüssen erarbeiteten die Delegierten zunächst Vorschläge für ihren jeweiligen Themenbereich. Dabei diente ihnen ein von der bayerischen Delegation zu Beginn des Verfassungskonvents vorgestellter Entwurf eines Grundgesetzes 236 lediglich als äußerer Anhaltspunkt. Anders als von der bayerischen Staatsregierung ursprünglich geplant237, lehnte es der Konvent nämlich trotz dieses geschickten Manövers ab, den Entwurf als inhaltliche Leitlinie rur die Beratungen zu benutzen238 .

230 Benz, Von der Besatzlmgsherrschaft zur Bundesrepublik S. 186; Lange, Die Würde des Menschen, S.II; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat,Bd.2, S.xXXII. 231 Zu nennen sind hier Josef Beyerle, Hermann BrilI, Carlo Schmid und Adolf Süsterhenn. 232 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XXXII. Wiesemann, Die Gründung des deutschen Weststaats, S. 127, spricht hingegen davon, daß der Konvent in hohem Maße von juristischen Fragen geprägt gewesen sei. 233 Dennewitz, in: DolzerNogei, Bonner Konunentar, Einleitung, S. 53; Niclauß, Demokratiegrundung in Westdeutschland, S. 130. 234 WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. LXXill. 235 Ebenda, S. LXXm. 236 Bayerischer Entwurf eines Grundgesetzes fiir den Verfassungskonvent; abgedruckt in: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok.-Nr.l, S. I - 52. 237 Diese distanzierte sich allerdings kurzfristig von dem Entwurf. Er sei lediglich als private Arbeit der Verfasser um den StaatsrechtIer Nawiasky anzusehen; vgl.: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. LXill und S. 64. 238 Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 188; Merkl, Die Entstehung der BRD, S. 68; WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2,

II. Die VerfassWlgsdiskussion vor EinberufWlg des Rates

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Die Arbeiten in den Unterausschüssen endeten im Laufe des 21. August 1948239 . Auf der unmittelbar im Anschluß daran. in der Nacht vom 21. auf den 22. August 1948, stattfindenden Plenarsitzung wollten die Delegierten die von jedem Unterausschuß erarbeiteten, teilweise noch unvollständigen, Verfassungsvorschläge zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen. Dabei mußten sie erkennen, daß ihnen dies in der kurzen Zeit, welche bis zum vorgesehenen Ende der Beratungen am 23. August 1948 noch verblieb, kaum gelingen würde24o . Auf Vorschlag Adolf Süsterhenns241 wurde deshalb zur Koordinierung der Einzelberichte und zur Einarbeitung der zahlreichen Anregungen der letzten Plenarsitzung ein Redaktionsausschuß eingesetzt, der einen Gesamtbericht erstellen sollte 242 . Dieser Redaktionsausschuß fertigte einen Abschlußbericht, den der Tagungsleiter des Herrenchiemseer Konvents, der CSU-Politiker Anton Pfeiffer243 , am 30. August 1948 dem geschäftsführenden Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz übersandte. Der Bericht244, dessen Druckfassung annähernd 100 Seiten lang war, gliederte sich in drei Teile. In einem ersten, darstellenden Teil wurden die Hauptprobleme bei der Erarbeitung der einzelnen Verfassungsvorschläge wiedergegeben. Im zweiten Teil folgte der Entwurf eines Grundgesetzes, zu

S. LXIX. Der bayerische Entwurf enthielt keine Aussagen zur europäischen Integration. 239 Vgl. WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok.-Nr. 11, S. 350. 240 Ebenda, S. CN f. 241 Adolf Süsterhenn (CDU) war rheinland-pfälzischer Justiz- Wld Kultusminister. Er war Mitglied des "Ellwanger-Kreises"der CDU/CSU. Süsterhenn gehörte später dem Parlamentarischen Rat an, wo er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSUFraktion war. 242 Die Einsetzung dieses Redaktionsausschusses war der geschickteste Schachzug des bayerischen TagWlgsleiters Pfeiffer (CSU). Ihm gehörten ausschließlich Mitarbeiter aus Ländern der französischen Wld der amerikanischen Zone mit CDUMehrheiten an. Damit war es für die Bayerische Staatskanzlei relativ einfach, Einfluß auf die Redaktionskommission zu nehmen. Vgl.: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. CIX f. 243 Anton Pfeiffer (CSU) war Leiter der Bayerischen Staatskanzlei. In dieser Eigenschaft wurde er von Ministerpräsident Ehard mit der Organisation des VerfassWlgskonvents auf Herrenchiemsee betraut. Auf WWlsch der anderen Konferenzteilnehmer übernahm er auch dessen allgemellle LeitWlg. Pfeiffer war GründWlgsmitglied des "Ellwanger-Kreises" der CDU/CSU. Im Parlamentarischen Rat war er später Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. 244 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. - 23. August 1948, abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok.-Nr. 14, S. 504 -630. 5'

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

dem anschließend in einem dritten, kommentierenden Teil Einzelerläuterungen gegeben wurden245 Neben einer Reihe von Übereinstimmungen lassen sich dem Bericht auch Beweise für gravierende Meinungsunterschiede entnehmen. Heftig umstritten war auf Herrenchiemsee, wie bereits bei den Erörterungen innerhalb der Parteien und später auch im Parlamentarischen Rat, die Frage, wie föderalistisch der neue deutsche Staat sein sollte246 . Weit weniger Diskussionen gab es über die Frage, inwieweit das Grundgesetz die Möglichkeit einer stärkeren europäischen Integration berücksichtigen sollte247 . Die europäische Idee wurde auf Herrenchiemsee sowohl im Unterausschuß I, dem Ausschuß für Grundsatzfragen, als auch im Plenum diskutiert. Der Grundsatzausschuß, dem der württemberg-badische Iustizminister Beyerle vorsaß, hatte, neben anderen, den Bereich "Völkerrecht und Bundesrecht" als einen seiner Themenschwerpunkte festgelegt. Zum Berichterstatter hierfür hatte man Carlo Schmid gewählt. Vor allem Schmid, aber auch der nordrhein-westfälische Völkerrechtler Theodor Kordt248, prägten die Beratungen des Unterausschusses in diesem Bereich. Auf Vorschlag Schmids einigte sich der Grundsatzausschuß schon auf seiner zweiten Sitzung übereinstimmend darauf, daß das Grundgesetz eine Bestimmung enthalten sollte, die es dem Bund ermöglichte, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen249 . Man versprach sich hiervon Erleichterungen bei der Schaffung internationaler Organe. Diese sollten die Möglichkeit erhalten, :für die beteiligten Staaten in der Zukunft auch solche Angelegenheiten zu erledigen, welche bislang ausschließlich einzel staatlich besorgt wurden. Carlo Schmid selbst dachte bei

245 Otto, Das Staatsverständnis, S. 32. 246 Lange, Die Würde des Menschen, S. 12; Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 69; O1to, Das Staatsverständnis, S. 35 f. 247 Dies läßt sich vor allem dadurch belegen, daß zwischen dem Bericht des Unterausschusses I zu den "Völkerrechtlichen Verhältnissen des Bundes" und dem von der Redaktionskommission vorgelegten Abschlußbericht lediglich stilistische Änderungen vorgenommen wurden. Vgl.: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S.CX. 248 Theodor Kordt hatte seit 1947 einen Lehrauftrag fiir das Fach "Praxis des Völkerrechts und der Diplomatie" an der Universität Bonn. Später war er Leiter des Referats flir internationales Recht beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Vgl.: Munzinger-Archiv 12/62. 249 Vgl. hierzu und zum folgenden den Bericht des Unterausschusses I, "F) Völkerrecht und Bundesrecht", abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok.-Nr. 6, S. 206 f; siehe auch: Hirscher, Carlo Schrnid und die Gründung der Bundesrepublik, S. 171.

n. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufimg des Rates

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seinem Vorschlag an die Möglichkeit der Übertragung deutscher Souveränitätsrechte auf die kurz zuvor gegründeten Vereinten Nationen250 . Problematisch war zunächst allerdings die Frage, unter welchen innerstaatlichen Voraussetzungen eine solche Übertragung ermöglicht werden sollte. Vor allem Beyerle und Schmid stritten im Unterausschuß lange darüber, ob hierfur ein mit qualifizierter Mehrheit ergangenes oder lediglich ein einfaches Gesetz erforderlich sein sollte. Beyerle hatte sich im Hinblick auf die noch nicht entschiedene Frage, inwieweit das Ruhrgebiet der Kontrolle durch die Alliierten unterstellt würde, gegen die Möglichkeit einer Übertragung deutscher Hoheitsrechte durch ein einfaches Bundesgesetz ausgesprochen. Er befürchtete, daß man sich hierdurch bereits von Verfassungs wegen zu sehr binden könnte251 . Schmid wies mit Nachdruck auf die große politische Bedeutung der Regelung hin. Diese wollte er nicht durch die Diskussion um juristische Details verblassen lassen. Für ihn war von entscheidender Bedeutung, daß das grundsätzliche einmütige "Ja" des Unterausschusses zur Entstehung derartiger internationaler Einrichtungen deutlich nach außen getragen würde252 . Als einen Unterfal}253 dieser künftigen Möglichkeit zur Übertragung von Hoheitsrechten sah der Ausschuß die Einordnung des neuen deutschen Staates in ein System der kollektiven Sicherheit an. Hierdurch sollte deutlich gemacht werden, daß Deutschland künftig auf den Krieg als Mittel der Politik verzichten wollte. Um dann aber gegenüber fremder Aggression nicht gänzlich wehrlos zu sein, hatte man sich dafür entschieden, dem Bund die Möglichkeit zu geben. sich im Interesse des Friedens und der dauerhaften Ordnung der europäischen Verhältnisse in ein System der kollektiven Sicherheit einzuordnen. Auch in die sich aus einem solchen System ergebenden Beschränkungen seiner Hoheitsrechte sollte der Bund nach den Vorstellungen des Ausschusses in der Zukunft einwilligen können. Nach Ansicht der Ausschußmitglieder war dem deutschen Volk eine solche "Vorleistung" schon deshalb

250 Vgl.: WemickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok.-Nr. 6, S. 207, Fn. 64. Die Gründung der UNO war bereits am 26. Juni 1945 mit der Unterzeichnung der UN-Charta zum Abschluß gebracht worden. 251 Vgl. WemickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 206, Fn. 62. 252 Ebenda, S. 206, Fn. 62. 253 Dies ergibt sich eindeutig aus der vom Unterausschuß gewählten Formulierung :,,lnsbesondere kann ... ". So auch Randelzhofer, in: MaunzlDüriglHerzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 2, Rn. 2.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

zumutbar, weil andere Staaten diesem Beispiel folgen würden 254. Nach einer Reihe verschiedener Formulierungsvorschläge beschloß der Unterausschuß I schließlich, den Vorstellungen seines Vorsitzenden Beyerle entsprechend, die Aufnahme des folgenden Artikels in seinen Bericht, der die Beteiligung Deutschlands an der Integration der Staaten Europas sichern sollte: "F. Völkerrecht und Bundesrecht Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Insbesondere kann er im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht werden und sichergestellt werden kann. Ein solches Gesetz bedarf im Bundesrat und Bundestag einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl 255 "

Dieser vom Grundsatzausschuß vorgeschlagene Text wurde dem Plenum am Abend des 21. August 1948 vorgetragen 256. Der Ausschußvorsitzende Beyerle erläuterte dort den Sinn der vorgesehenen Übertragung von Hoheitsrechten. Er führte aus, daß der Unterausschuß hierdurch der Möglichkeit einer Eingliederung Deutschlands in eine europäische Staatengemeinschaft Rechnung tragen wolle. Daneben sei damit eine Beteiligung an sonstigen überstaatlichen Zweckverbänden möglich. Beyerle machte in diesem Zusammenhang aber auch klar, daß eine solche Eingliederung Deutschlands nur unter der Voraussetzung der Übertragung gewisser nationaler Souveränitätsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen erfolgen könne. Unter Hinwies auf die französische Verfassung257 sprach sich Beyerle dafür aus, daß der Bund die Möglichkeit erhalten sollte, sein Gebiet im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens in ein System kollektiver Sicherheit einzuordnen. Dazu sei es zwingend erforderlich, daß der Bund auch hier in Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen könne, um so eine friedliche 254 Vgl. hierzu den Bericht des Unterausschusses 1; abgedruckt in: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat,Bd. 2, Dok.-Nr. 6, S. 207. 255 Ebenda, S. 207. 256 Vgl. Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, Plenarsitzungen, Fünfter Sitzungstag, abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd.2, Dok.-Nr. 11, S. 344 - 363, hier S. 353 f. 257 Die Verfassung der Französischen Republik vom 13. Oktober 1946 sah in Abs. 15 ihrer Präambel vor: "Sous reserve de reciprocite, la France consent aux limitations de souverainite necessaires ä l'organisation et ä la defense de la paix".

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse zu erreichen. Beyerle betonte allerdings, daß diese Einwilligung nur unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, also dann, wenn auch andere Staaten sich an einem solchen System der kollektiven Sicherheit beteiligten und ihm nationale Hoheitsrechte einräumten, erfolgen sollte258 . Eine Aussprache über diese Vorschläge des Unterausschusses I fand im Plenum nicht statt. Die Tatsache, daß - anders als bei sonstigen Themen - kein Delegierter das Wort wünschte, spricht für die Einmütigkeit, mit der alle Teilnehmer des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee die Berücksichtigung einer Vorschrift, die eine schnelle europäische Einigung unterstützen sollte, anstrebten. Der Konvent war übereinstimmend der Auffassung, daß der neu zu schaffende deutsche Staat, sich an einem Zusarnmenschluß der europäischen Staaten beteiligen sollte. Das hierfür verfassungsrechtlich notwendige Rüstzeug sollte man ihm, nach Meinung der Delegierten von Herrenchiernsee, zur Verfügung stellen. Obwohl keiner der Teilnehmer eine konkrete Vorstellung von der Gestalt des künftigen "Europa" hatte, war unstreitig, daß Deutschland, notfalls auch im Wege einer "Vorleistung", daran teilnehmen sollte. Im Abschlußbericht über den Herrenchiemseer Verfassungskonvent259 konnte sich der Redaktionsausschuß deshalb darauf beschränken, diese einmütig erarbeiteten und beschlossenen Vorschläge für eine Beteiligung Deutschlands an der künftigen europäischen Integration relativ kurz auszuführen. Im darstellenden Teil des Berichts, der bei sonstigen Fragen oft eine Reihe von Problemen erörtert und die hierzu gemachten Lösungsvorschläge teilweise in einer Mehrheits- und Minderheitsmeinung wiedergibt, wird im zweiten Kapitel unter der Überschrift "Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes" lediglich in einigen wenigen Sätzen erläutert, weshalb der Konvent es für sinnvoll erachtete, dem Bund durch das Grundgesetz künftig zu ermöglichen, Hoheitsrechte durch ein mit qualifizierter Mehrheit ergangenes Gesetz auf zwischenstaatliche Organisationen zu übertragen. Dabei werden die bei der Schilderung der Beratungen im Unterausschuß dargestellten Argumente wiederholt. Demgemäß unterscheidet sich der im Bericht enthaltene "Entwurf eines Grundgesetzes" nur geringfügig stilistisch von der im Grundsatzausschuß beschlossenen Fassung260 . Im kommentierenden Teil, der-

258 Vgl. zum Ganzen das Protokoll der 5. Plenarsitzung, abgedruckt in: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok.Nr. 11, S. 353 f. 259 Der Abschlußbericht ist abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 504 -630. 260 Der genaue Wortlaut des Berichts im darstellenden Teil lautet : ,,zweites Kapitel - Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes - Eintritt des Bundes in ein Staatensystem:

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

soweit problematisch - Einzelerläuterungen zu den Artikeln des Grundgesetzentwurfs gibt, wird auf Artikel 24 HCbE nicht eingegangen. Im Ergebnis bedeutete der Herrenchiemseer Verfasungskonvent eine ganz zentrale Weichenstellung fiir die spätere Berücksichtigung der europäischen Idee im Grundgesetz. Zwar wurden dem Parlamentarischen Rat zu Beginn seiner Beratungen eine ganze Reihe von Verfassungsplänen vorgelegt. Davon erlangte jedoch keiner die Bedeutung des Herrenchiemseer Entwurfes, der sowohl aufgrund seiner zeitlichen Nähe zu den Bonner Verfassungsarbeiten, als auch aufgrund der anerkannten Sachkunde seiner Erschaffer zumindest inoffiziell die Bedeutung einer, fiir das Grundgesetz eigentlich fehlenden, "Regierungsvorlage" erhielt. Wie sehr die Mitglieder des Parlamentarischen Rates selbst von der Qualität des Herrenchiemseer Entwurfes überzeugt waren, verdeutlicht eine Aussage des Abgeordneten Süsterhenn aus der zweiten Plenarsitzung261 . Dort erläuterte Süsterhenn, daß der Rat zwar völlig frei in seinen Entscheidungen sei, daß in Herrenchiemsee aber dennoch "wertvolle Vorarbeiten" geleistet worden seien. Insbesondere seien die Problemstellungen klar umrissen und gesetzestechnisch einwandfreie Formulierungen gefunden worden. Deshalb sei die Fraktion der CDU/CSU der Auffassung, daß man diese Vorarbeiten "zur Grundlage unserer Arbeit machen sollte". Verdeutlicht man sich nach alledem die überragende Bedeutung des Herrenchiemseer Entwurfes, so war es fiir die spätere Berücksichtigung der Das Grundgesetz soll ferner vorsehen, daß der Bund durch ein mit qualifIZierender Mehrheit ergangenes Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann. Dadurch soll die Schaffung internationaler Organe erleichtert werden, die etwa geschaffen werden sollten, um mit Wirkung flir die Gebiete der beteiligten Staaten Angelegenheiten zu besorgen, die bisher ausschließlich den verschiedenen nationalen Souveränitäten überlassen waren. Das deutsche Volk ist gewillt, künftighin auf den Krieg als Mittel der Politik zu verzichten und hieraus die Folgerungen zu ziehen. Um aber nicht wehrlos fremder Gewalt preisgegeben zu sein, bedarf es der Aufnahme des Bundesgebiets in ein System kollektiver Sicherheit, das ihm den Frieden gewährleistet. Nach der einmütigen Auffassung des Konvents muß der Bund bereit sein, im Interesse des Friedens und einer dauerhaften Ordnung der europäischen Verhältnisse in die sich aus einem solchen System ergebenden Beschränkungen seiner Hoheitsverhältnisse einzuwilligen. Zwar wird damit dem deutschen Volke eine Vorleistung zugemutet. Nach dem, was im Namen des deutschen Volkes geschehen ist, ist aber eine solche Vorleistung, die entsprechende Leistungen der anderen beteiligten Staaten im Gefolge hat, angebracht. 261 Vgl. das Protokoll der 2. Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rates, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, S. 22.

ll. Die Verfasstmgsdiskussion vor Einberuftmg des Rates

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Idee der europäischen Einigung im Grundgesetz umso wichtiger, daß gerade dieser Entwurf so nachdrucklich und geschlossen für "Europa" eintrat.

5. Die europäische Idee in den Verfassungsvorstellungen des Deutschen Büros für Friedensfragen in Stuttgart Nachdem die Amerikaner Anfang 1947 kurzfristig den Gedanken eines Friedensvertrages mit Deutschland wieder aufgriffen262 , bemühte sich die deutsche Seite eine gemeinsame Koordinierungstelle für die Bearbeitung solcher Themen zu errichten, die in diesem Zusammenhang geklärt werden sollten: Die Frage der Zukunft des Ruhrgebiets und des Saarlandes einschließlich sonstiger Grenzprobleme, Reparationen und auch staats- und völkerrechtliche Fragen263 . Die Ministerpräsidenten der britischen und der amerikanischen Zone beschlossen deshalb im Januar 1947 die Errichtung einer derartigen Leitstelle. Diese sollte bis zur Wahl einer deutschen Bundesregierung die vorhandenen Arbeiten verschiedener Organisationen anläßlich der bevorstehenden Verhandlungen der Westmächte über die Zukunft Deutschlands koordinieren. Sie erhielt den Namen "Deutsches Büro für Friedensfragen"264. Noch bevor sich die Deutschen über die mit der Errichtung des Friedensbüros zusammenhängenden organisatorischen Fragen einigen konnten, widersetzte sich der amerikanische Militärgouverneur Clay diesen Plänen265 . Er erklärte, daß ein solches Büro lediglich für die amerikanische Zone, nicht aber zonenübergreifend, genehmigt werden könnte. Die Errichtung eines bizonalen Friedensbüros war damit gescheitert. Die Ministerpräsidenten der amerikanischen Zone reagierten schnell. Auf einer Sitzung Mitte März 1947 beschlossen sie die Grundung eines zonalen Friedensbüros mit Sitz in Ruit bei Stuttgart266 . Zum Leiter wurde Fritz Eberhard, später Vertreter der württemberg-badischen SPD im Parlamen-

262 Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 157. 263 Benz, Bewegt von der HofTntmg, S. 239; Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 17. 264 Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 35. 265 Overesch, Gesamtdeutsche lllusion tmd westdeutsche Realität; S. 82; Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 37 f. 266 Ruit gehört zum Landkreis Esslingen. Es ist nicht Stadtteil von Stuttgart, wie in VeröfTentlichtmgen zum Deutschen Büro fur Friedensfragen fälschlicherweise immer wieder ausgeführt wird.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

tarischen Rat, ernannt267 . Das Büro verstand sich als Vorläufer des Auswärtigen Amtes einer künftigen deutschen Regierung268 . Etwa ab Mitte des Jahres 1947 begann das Büro für Friedensfragen Entwürfe für eine künftige Verfassung Deutschlands zu erarbeiten269 . Mit dieser Aufgabe war ein eigens eingesetzter "Verfassungsausschuß beim Friedensbüro" betraut worden270 , dem der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hoegner, der hessische Staatssekretär BrilI, der Vertreter des württemberg-badischen Justizministeriums Küster, sowie ein nicht namentlich bekannter Vertreter Bremens, angehörten. Die Sekretariatsgeschäfte des Ausschusses wurden von Theodor Eschenburg wahrgenommen. Der Ausschuß beriet im Jahr 1947 insgesamt sechsmal über die Gestalt einer neuen Verfassung 271 . Hierbei dienten ihm ein Verfassungsvorschlag des Ministerialdirigenten in der bayerischen Staatskanzlei, Glum272 , sowie ein Entwurf Brills273 als Beratungsvorlagen274 . Trotz einer Einigung in vielen Sachfragen gelang es dem Verfassungsausschuß nicht, einen vollständigen Verfassungsentwurf für das Friedensbüro zu präsentieren. Der Grund dafür ist wiederum in der extrem föderalistischen Haltung Bayerns zu suchen. Letztendlich konnte der Ausschuß keinen Komprorniß über den organisatorischen Teil der künftigen Verfassung erzielen275 . Dennoch trafen sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses beim Friedensbüro, allerdings ohne Vertreter aus Bayern und Bremen, am 16. Juli 1948 nochmals, um einen erneuten Versuch zu unternehmen, die auf ihrer letzten Sitzung am 17. Dezember 1947 aufgestellten "Vorschläge für eine Bundesverfassung" zu einem

267 Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 240; Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 50. 268 Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 9. 269 Overesch, Gesamtdeutsche Dlusion und westdeutsche Realität. S. 95; Pikart, Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 158. 270 Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 143; Wemickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. LIV. 271 Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 298; Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 143. 272 Vgl. WemickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. LIV f; Der Entwurf ist abgedruckt in: Glum, Der künftige deutsche Bundesstaat, S.1 0 t1 273 Vgl.: WemickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. XXXVIII f. 274 Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 179. 275 Piontkowitz, Anfange westdeutscher Außenpolitik 1946-1949, S. 143 f.

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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kompletten Verfassungsentwurf auszubauen 276 . Dieser abermalige Versuch war von Erfolg gekrönt. Weil jedoch nicht alle Mitglieder des Ausschusses anwesend waren, konnte man nicht im Namen des FriedensbÜTos auftreten. Die Sitzungsteilnehmer einigten sich deshalb auf die Unterbreitung von "Vorschlägen der süddeutschen Sachverständigenkommission" fiir eine deutsche Verfassung277 . Diese forderten ausdrücklich die Beteiligung Deutschlands an einer Föderation der europäischen Staaten. Wörtlich hieß es: "I. 1. Die deutschen Länder bilden den deutschen Bundesstaat. Dieser ordnet sich einer europäischen StaatenfOderation und den Vereinigten Nationen ein."

Zwar erlangten die Vorschläge der süddeutschen Sachverständigenkommission nicht die Bedeutung, die ein gemeinsamer Entwurf des Verfassungsausschusses beim Deutschen Büro für Friedensfragen erlangt hätte; dennoch prägten auch sie die weitere politische Entwicklung im Parlamentarischen Rat. Dies ist der bereits angesprochenen, späteren Ratsmitgliedschaft des Leiters des FriedensbÜTos, Eberhard, der selbst der süddeutschen Sachverständigenkommission angehörte, zu verdanken. Eberhard verwies während der Verfassungsberatungen wiederholt auf die Vorarbeiten des Stuttgarter Büros. Die europäische Idee konnte mithin auch von dieser Seite Unterstützung erwarten.

6. Die europäische Idee in den Verfassungsvorstellungen der Kirchen und der ihr nahestehenden Kreise Die Folgen des totalen Zusammenbruchs im Mai 1945 trafen auch die Kirchen in Deutschland hart. Dennoch hielten diese gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Gruppen eine Trumpfkarte in der Hand. Da sie in den Augen der Alliierten die einzigen bedeutenden Organisationen waren, die nicht mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatten, verfügten sie über deutlich mehr politischen Einfluß als alle sonstigen Interessengruppen278 . Diesen nutzten beide christlichen Kirchen aus. Vor allem in Fragen der Besatzungsund der internationalen Politik redeten die Kirchen, als von den Alliierten akzeptierte Sprecher des "anderen Deutschlands", oftmals ein Wort mit279 . 276 Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 299; Teilnehmer waren: Eberhard, Eschenburg, Küster und Müller-Payer, vgl. auch: WernickefBooms, Der Parlamentarischen Rat, Bd. 2, S. LVI. 277 Abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 299 - 304. 278 Merkl, Die Entstehung der BRD, S. 147; Sörge1, Konsensus, S. 167. 279 Ebenda: Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 147; Sörgel, Konsensus, S. 167.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

Daneben sicherte ihnen der enge Kontakt zur neugegründeten CDU/CSU, aber auch zur katholischen Zentrumspartei und zur Deutschen Partei, eine unmittelbare Einflußmöglichkeit auf der Ebene der Parteien280 Das Schwergewicht der Forderungen, die die Kirchen erhoben, lag im traditionell kirchlichen Bereich. Vor allem klerikale, aber auch soziale und gesellschaftspolitische Themen lagen den Kirchenvertretern am Herzen. So forderten sie etwa die Aufnalune der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in das Grundgesetz und traten für die Garantie der ungestörten Religionsausübung ein. Daneben beharrten sie auf der Festschreibung des sog. Elternrechts, als dem Recht der Eltern, selbst den konfessionellen Charakter der öffentlichen Schulen in ihren Gemeinden zu bestimmen, in der neuen Verfassung281 . Schließlich traten sie für die Weitergeltung der vom Deutschen Reich und den Ländern geschlossenen Konkordate ein282 . Neben diesen Hauptanliegen unterstützten auch die Kirchen und die ihr nahestehenden Organisationen, die Stärkung der europäischen Integration. Martin Niemöller, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau und gleichzeitig eines der prominentesten Mitglieder der Bekennenden Kirche, drängte bereits im August 1947 im Amtsblatt der evangelischen Kirche darauf, sich um ein "vereinigtes Europa" als "Brücke zwischen Ost und West" zu bemühen283 . Hierin sah er den "einzig möglichen Weg, um Europa zu befrieden und ( ... ) wieder selbständig zu machen"284. Im Ergebnis ging Niemöller sogar so weit, ein geeintes Europa "als unsere einzige Hoffnung für eine friedliche Entwicklung unserer Welt"285 zu bezeichnen. Ähnlich äußerte sich im Februar 1948 das vom Landesbischof von Hannover, Lilje, herausgegebene "Sonntagsblatt", eine der evangelischen Kirche nahestehende Zeitschrift, zur Zukunft Deutschlands und Europas. Unter der Überschrift "Deutscher Verfassungswille" wird dort lobend hervorgehoben, daß man nun endlich darangehe, die Brücken zu einer europäischen Verständigung zu schlagen286.

280 Sörge\, Konsensus, S. 168. 281 Zwn Elternrechtsstreit; vgl.: van Schewick, Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945-1950, S. 111 ff; Sörge\, Konsensus, S. 188 ff . 282 Zwn Konkordatsstreit; vgl.: Sörgel, Konsensus, S. 184 ff. 283 Niemöller, Gedanken zur europäischen Lage, Sp. 103; siehe auch: Schwnann, Die Entstehung eines politischen Ansatzes bei Martin Niemöller, S. 218 ff. 284 Niemöller, Gedanken zur europäischen Lage, Sp. 104. 285 Ebenda, Sp. 104.

II. Die Verfassullgsdiskussioll vor Einberufung des Rates

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Veröffentlichungen in kirchlichen bzw. der Kirche nahestehenden Zeitungen zur europäischen Einigung waren kein Einzelfa1l287 . Die katholischen Publizisten Walter Dirks288 und Eugen Kogon289 gingen seit 1946 in den von ihnen herausgegebenen "Frankfurter Heften" immer wieder auf die Zukunft Europas ein29o . Schon in der ersten Ausgabe der "Frankfurter Hefte" im April 1946 hatte Walter Dirks unter dem Titel "Die Zweite Republik" seine Vorstellungen von der Zukunft Deutschlands dargestellt. Unter der Überschrift "Deutschland, Europa und der Sozialismus" hatte Dirks das Ende des souveränen Nationalstaates proklamiert. Da die europäischen Nationen zu klein seien, um die herrschende Krise zu bewältigen, müsse Deutschland eine europäische Konföderation ansteuern und dabei vor allem zu Frankreich und England engen Kontakt suchen. Eine solche Konföderation sollte nicht vom Staat, sondern vom Volk - insbesondere den Arbeitern und Christen - getragen werden. Nur auf diese Weise sei der für die Einigung der europäischen Staaten so wichtige Sozialismus zu verwirklichen291 . Eugen Kogon hatte sich im September 1946 in einem Aufsatz unter dem Titel "Demokratie und Föderalismus" ähnlich geäußert. Kogon forderte die Schaffung einer föderalistischen und sozialistischen Demokratie in Deutschland. Eine solche sei der höchste Beitrag Deutschlands zum Neubau Europas. Nur unter diesen Voraussetzungen sah er eine Chance fur die "Vereinigten Staaten von Europa". Diese würden allerdings lediglich dann Bestand haben, wenn sie mehr wären, als

286 Sonntagsblatt, Hannover, 29. Februar 1948, zit. nach: Sörgel, Konsensus, S. 373, Fn.18. 287 Darauf weist llln: Loth, Deutsche Europa-Konzeptionen in der Eskalation des Ost-West-Konflikts 1945-1949, S. 454. Nicht nur in kirchlichen, sondern auch in politischen Monatszeitschriften sprachen sich plötzlich eine ganze Reihe von Autoren für eine Stärkung des Föderalismus und, daran anknüpfend, für eine europäische Föderation aus. Zu nennen sind hier beispielhaft F.A. Kramer und Adolf Süsterhenn im ,,Rheinischen Merkur'" Rudolf Amelunxen in ,,Neues Europa", Carlo Sclunid in der "Wandlung" und Henry Bernhard in der "Stuttgarter Rundschau". Vgl. Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil 1, S. 235 fund 606 f. 288 Dirks kam aus der katholischen Jugendbewegung. Bis 1934 war es Redakteur der "Rhein-Mainischen-Volkszeitung". Vgl.: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 127. 289 Kogon hatte sich in der christlichen Gewerkschaftsbewegung engagiert. Er arbeitete von 1927 bis 1934 als Redakteur der katholisch-konservativen Wochenzeitschrift "Schönere Zukunft". Vgl.: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 156. 290 Vgl. hierzu: Stankowski, Linkskatholizismus nach 1945, S. 88 f. 291 Dirks, Die Zweite Republik, abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 127-142, dort S. 133 ff.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

ein Zweckverband von Nationalstaaten, von denen jeder zentralistisch um den Vorrang kämpfte292 . Die von den "Frankfurter Heften" vertretene Europakonzeption deckte sich mit den Vorstellungen hoher kirchlicher Würdenträger, bis hin zum Papst293 . Pius XII. hatte zu dem im Mai 1948 abgehaltenen Europakongreß in Den Haag294 eigens einen besonderen Vertreter des Heiligen Stuhls entsandt. Dieser sollte den versammelten Befiirwortem der europäischen Integration "die Sorge des Apostolischen Stuhles fiir die Einigung der Völker" übermitteln295 . In einer Ansprache vor dem Heiligen Kolleg über die "Weltlage und die europäische Einigungsbewegung" würdigte Papst Pius XII. selbst die Teilnehmer des Haager Europakongresses. Diese seien "klarblickende und mutige Geister", die neue Wege nach einem "rettenden Ausgang" suchten296 . Zur selben Zeit machten sich auch in den Westzonen kirchliche Würdenträger fiir ein geeintes Europa stark. Anläßlich der Wiederaufnahme der Verhandlungen der Londoner-Sechs-Mächte-Konferenz über Deutschland veröffentlichten eine Reihe von fiihrenden Persönlichkeiten der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland eine Resolution. Sie forderten darin im Namen der "Verantwortung vor Europa" eine gerechte Behandlung Deutschlands durch die Westmächte. Wörtlich hieß es in dem Aufruf: "In dem geschichtlichen Augenblick, in dem die Zukunft Deutschlands zur Entscheidung steht, erheben wir als Männer der Kirche( ... ) in unserem Gewissen getrieben von der Verantwortung für unser Volk, die auch unsere Verantwortung vor Europa ist, mahnend und bittend unsere Stimme: Gebt unserem Volk und damit der Welt einen dauerhaften Frieden, aus dem die Gesundung der Völker und die Heilung Europas erwachsen kann .... 297."

Alles in allem bleibt damit festzuhalten, daß auch in Kirchenkreisen eine proeuropäische Haltung vorherrschte. Dies gilt sowohl fiir die Vertreter der Kirche selbst, als auch fiir die der Kirche nahestehenden Persönlichkeiten, die sich in der Öffentlichkeit mit kirchlichen Themen und Zielvorstellungen aus292 Kogon, Demokratie und Föderalismus, abgedruckt in: Benz, Bewegt von der Hoffuung, S. 156-171, hier S. 171. 293 Sörgel, Konsensus, S. 174. 294 Zum Europakongreß in Den Haag vgl. auch: unten S.87. 295 Herder-Korrespondenz, Januar 1949; zit. nach: Sörge!, Konsensus, S. 174. 296 Herder-Korrespondenz, Juni 1948, S. 401 f; zit. nach: Sörge!, Konsensus, S. 174. 297 Sörge!, Konsensus, S. 171.

II. Die Verfassungsdiskussion vor Einberufung des Rates

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einandersetzten. Der ausgesprochen gute Kontakt zu den Parteien ermöglichte es den Kirchen später direkt auf die Arbeit des Parlamentarischen Rates in Bonn einzuwirken, wo ihren Interessen zu einem großen Teil Rechnung getragen wurde. Diese Betrachtungsweise zeigt, wie entscheidend es war, daß auch die Kirchen von der Notwendigkeit der europäischen Integration überzeugt waren.

7. Die europäische Idee in den Verfassungsplänen sonstiger relevanter Interessengruppen in Deutschland Neben den genannten, versuchten noch eine ganze Reihe sonstiger Interessengruppen im Vorfeld und während der Arbeit des Parlamentarischen Rates, auf die Gestaltung des Grundgesetzes Einfluß zu nehmen. Als die wichtigsten sind an dieser Stelle die Gewerkschaften, die Beamten, die Richter, die kommunalen Verbände, sowie die Unternehmer zu nennen. Wie bei den Kirchen lag das Hauptinteresse dieser Gruppen jeweils auf der Absicherung ihrer speziellen Interessen im Grundgesetz298 . Demzufolge lag den Beamten besonders viel an der Bewahrung der traditionellen Privilegien des Berufsbeamtentums299 . Die kommunalen Verbände hingegen, setzten sich vordringlich für die Festschreibung der gemeindlichen Selbstverwaltung im Grundgesetz ein300 . Die Berücksichtigung der Möglichkeit einer Teilnahme Deutschlands an einer Konföderation der europäischen Staaten im Grundgesetz, verbunden mit der grundsätzlichen Bereitschaft zur Abtretung von nationalen Hoheitsrechten an diese Konföderation, forderte keine der genannten Interessengruppen direkt. Daraus auf eine grundsätzlich europafeindliche Haltung zu schließen, wäre jedoch verfehlt. Daß bespielsweise auch die Gewerkschaften von der Notwendigkeit der europäischen Einigung überzeugt waren, ohne diese gleich zu einer ihrer Verfassungsforderungen zu machen, läßt sich anband einer Äußerung des Vorsitzenden des Gewerkschaftsrates der Bizone, Hans Böckler, belegen. Dieser verteidigte auf einem außerordentlichen Bundeskongreß der Gewerkschaften am 17. Juni 1948 in Recklinghausen den Entschluß der deutschen Gewerkschafter, den Marshall-Plan zu akzeptieren, wie folgt301: 298 Vgl. zu den lnteressen der einzelnen Organisationen: Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 144 ffund Sörgel, Konsensus, S. 120 - 166, sowie S. 201 - 224. 299 Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 145. 300 Vgl. die "Denkschrift des Deutschen Städtetages zum Grundgesetz filr die Westzonen", Köln, o.J., abgedruckt in :Sörge1, Konsensus, S. 312 f. 301 Sörge!, Konsensus, S. 203.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates "Durch die Beteiligung am Marshall-Plan bekommen wir die Möglichkeit, in der Gesamtheit der europäischen Völker wieder eine Rolle zu spielen lll1d mit ilmen zu arbeiten .... WelUl er zum Erfolg filhren soll, müssen sich die Völker Europas freimachen von ihren engen nationalstaatlichen Interessen, von einem Denken, von dem die Staaten seit Jahrhlll1derten befangen sind. Wir müssen den großen europäischen Zusammenhang sehen ..... 302 ."

Die sonstigen Interessengruppen in Deutschland nahmen im Vorfeld der Beratungen des Grundgesetzes im Hinblick auf die europäische Einigung folglich eine Haltung ein, die man als "wohlwohlend und abwartend" bezeichnen kann. Sie waren zwar keine direkten Fürsprecher der Einigung Europas, hegten aber - wie das Beispiel der Gewerkschaften zeigt - durchaus Sympathien für die europäische Idee. Diese würde im Parlamentarischen Rat von ihrer Seite jedenfalls keine Gegenwehr zu erwarten haben.

8. Zusammenfassung Bereits im Vorfeld der Arbeit des Parlamentarischen Rates hatte sich bei den meisten politischen und gesellschaftlichen Interessengruppen in Deutschland die Überzeugung herausgebildet, daß die Zukunft des deutschen Staates nicht in einem Nationalstaat herkönunlicher Prägung liegen sollte. Obwohl die Verfassungsvorstellungen der einzelnen Gruppen und Organisationen in manchen Punkten noch sehr unterschiedlicher Natur waren, herrschte im Hinblick auf die Notwendigkeit der Eingliederung des neuen deutschen Staates in eine Konföderation der europäischen Staaten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt große Übereinstimmung. Fast alle der angesprochenen Interessengruppen, von den Parteien über die Ministerpräsidenten bis hin zu den Kirchen, traten für eine schnelle europäische Einigung ein.

III. Der Einfluß der Anfänge der europäischen Politik innerhalb und außerhalb Deutschlands auf den Parlamentarischen Rat Dank des Einsatzes einer Reihe privater Europa-Verbände fand die europäische Bewegung in den Jahren nach 1945 in allen Staaten Europas eine Vielzahl von Anhängern303 . Bald konnte sie erste konkrete Erfolge auf dem 302 Geschäftsbericht DGB (1948), S. 136 f. 303 Die bekalUltesten Verbände waren die ,,Movimento Federalista Europeo" in Italien, die schweizerische ,,Europa-Union", die niederländische ,,Europeesche Actie", die ,,Federal Union" in GroßbritalUlien, sowie das "Comite Francais pour la Federation Europeene". Vgl.: Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-

Ill. Der EinHuB der europäischen Politik

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Weg zu einer Gemeinschaft der europäischen Staaten vorweisen 304. An diesen ersten Erfolgen der europäischen Politik in den Jahren nach dem Krieg hatten auch deutsche Politiker ihren Anteil. Insbesondere Konrad Adenauer und Carlo Schmid unterstützten die auf europäischer Ebene in den einzelnen Europa-Verbänden diskutierten Integrationsmodelle nachhaltig. Beide engagierten sich selbst in privaten europäischen Organisationen305 . Soweit die Alliierten dies zuließen, nahmen sie an den großen Europakongressen teil. Die Forderungen der verschiedenen Europa-Verbände fanden auf diesem Wege direkten Eingang in die deutsche Politik. Unter diesem Blickwinkel muß im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch auf die Entwicklung der europäischen Politik innerhalb und außerhalb Deutschlands in den Nachkriegsjahren eingegangen werden. Nur unter Zugrundelegung der auf gesamteuropäischer Ebene diskutierten Integrationsmodelle läßt sich verstehen, wie sich die Erschaffer des Grundgesetzes die Einbindung des neuen deutschen Weststaates in die Gemeinschaft der europäischen Staaten vorstellten. Dargestellt wird dabei im einzelnen zunächst der Streit zwischen den sog. "Realisten" und den sog. "Föderalisten" um die bestmögliche Europakonzeption, sowie die anschließende Formierung der Europäischen Bewegung. Weiterhin gilt es einen kurzen Blick auf die Europapläne der Regierungen der europäischen Staaten zu werfen.

1. Der Streit zwischen "Föderalisten" und "Realisten" um die "richtige" Europakonzeption Obwohl sich die verschiedenen Europa-Verbände in der Frage der grundsätzlichen Unterstützung der europäischen Idee einig waren, stieß die von einigen Seiten erhobene Maximalforderung, baldmöglichst einen europäischen Bundesstaat zu schaffen, keineswegs auf die ungeteilte Zustimmung aller Organisationen. Lediglich die europäischen "Föderalisten" sahen in einem politisch geeinten "Bundesstaat Europa" die Chance, gleichzeitig aber auch die Voraussetzung, für dessen dauerhafte Selbständigkeit. Demgegen1950, Teil I, S. 109 ff. Von Anfang an engagierten sich eine Vielzahl europäischer Spitzenpolitiker - genannt seien hier nur beispielhaft Winston Churchill, Leon Blum, Jean Monnet und Alcide des Gasperi - in den verschiedenen Europa-Verbänden. Weitere bekannte Mitglieder der Europa-Verbände finden sich unten, Fn. 345. 304 Zu Details vgl. die folgenden Seiten. 305 Adenauer engagierte sich in der ,,Nouvelles Equipes Internationales" (NEI), dem Zusanunenschluß der christdemokratischen Parteien. Vgl. hierzu auch unten, S. 105. Schmid arbeitete im Verband der europäischen Föderalisten, der "Union Europeene des Federalistes" (UEF), mit. Siehe dazu unten. S. 85 und S. 114. 6 Bcrmanscdcr

B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

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über plädierten die "Realisten" für eine möglichst schnelle Zusammenarbeit der Staaten Westeuropas, der völligen oder auch nur teilweisen Aufgabe der gerade wiedererlangten einzel staatlichen Hoheitsbefugnisse bedurfte es nach ihrer Überzeugung hierzu jedoch nicht. Bald entbrannte ein erbitterter Streit um die "richtige" Konzeption für Europa. Der ehemalige britische Premier Churchill war der entschiedenste Verfechter einer "realistischen" Europapolitik306 . Aufgrund der Schwächen der amerikanischen "one world" - Politik hielt er die Einheit Gesamteuropas auf lange Zeit hinaus für unerreichbar. Deshalb rief Winston Churchill die freien Länder Europas in seiner berühmten Züricher Rede307 am 19. September 1946 zur schnellen Sammlung auf. Mit besonderem Nachdruck betonte er in Zürich, daß es darauf ankomme, mit der europäischen Integration sofort zu beginnen. Wörtlich sagte Churchill: "Wenn zu Anfang auch nicht alle Staaten Europas willens oder in der Lage sind, der Union beizutreten, müssen wir uns dennoch ans Werk machen, diejenigen Staaten, die es wollen und können, zusammenzufassen und zu vereinen308 ." Churchill forderte die Erschaffung einer Art "Vereinigter Staaten von Europa". Der erste Schritt hierzu müsse "eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland" sein. Im Ergebnis ging es Churchill in Zürich nicht darum, ein ausgefeiltes, in der politischen Praxis aber nicht durchsetzbares Europakonzept vorzulegen. Ausmaß und Instrumente der Integration ließ er deshalb noch offen 309. Churchill beabsichtigte vielmehr eine grundsätzliche Belebung des europäischen Geistes, einen "Glaubensakt"310, um der expansionistischen Politik der So\\jetunion bald einen geeinten Block der Staaten Westeuropas entgegensetzen zu können 311 .

306 Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil 1, S.317.

307 Abgedruckt in: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 84 f; Lipgens, Die europäische Integration, S. 25; Ruh!, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. 4, S. 18 ff. Zu Churchills Züricher Rede vgl. auch: Bleckmann, Europarecht, S. 3; Oppermann, Europarecht, S. 7 f. 308 Vgl.: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 85. 309 Lediglich die Bildung eines "Europarates" schlug Churchill vor. 310 Diese treffende Formulierung findet sich bei: Loth, Der Weg nach Europa, S. 45. 311 Mickel, Handlexikon der Europäischen Union, S. XXIII; detaillierter: Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S. 318.

ill. Der Einfhlß der europäischen Politik

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In Deutschland war Konrad Adenauer der nachhaltigste Streiter fiir eine schnelle Westintegration312 . Bereits im Oktober 1945 hatte Adenauer seine deutschland- und europapolitischen Zukunftspläne dargelegt. Schon zum damaligen Zeitpunkt hatte er die Auffassung vertreten, daß durch die russische Politik die Trennung in Ost- und Westeuropa eine Tatsache sei. Der nicht von Rußland besetzte Teil Deutschlands sei ein "integrierender Teil Westeuropas". Es läge damit "im eigensten Interesse nicht nur des nicht von Rußland besetzten Teils Deutschlands, sondern auch von England und Frankreich, Westeuropa unter ihrer Führung zusammenzuschließen"313. Dies geschehe am besten in Form einer wirtschaftlichen und politischen Union 314 , denn nur ein "wirtschaftlich und geistig gesundes Westeuropa, zu dem als wesentlicher Bestandteil der nicht von Rußland besetzte Teil Deutschlands gehört, kann das weitere geistige und machtmäßige Vordringen Asiens aufhalten"315. Neben Adenauer traten auf deutscher Seite vor allem der in Genf lehrende Theoretiker des Nationalliberalismus, Wilhem Röpke316 , der frühere DNVPAbgeordnete Hans Schlange-Schöningen und der sozialdemokratische Parteiführer Kurt Schumacher für dieses Konzept der Einbindung Westdeutschlands

Um sein Eintreten für eine Westintegration Europas in der öffentlichen Meinung zu verfestigen, rief Churchill zusammen mit vorwiegend konservativen und liberalen Mitstreitern kurze Zeit später das "British Uni ted Europe Conunittee" ins Leben, das sich im Mai 1947 in "United Europe Movement" (UEM) umbenannte. Gleichzeitig nahm in Belgien, Großbritannien und Luxemburg eine "Independent League of European Cooperation" ihre Arbeit auf, deren erklärtes Ziel es war, an die Aktivitäten des sog. Zollunions-Komittees der zwanziger und dreißiger Jahre anzuknüpfen. Vgl. insoweit: Loth, Der Weg nach Europa, S. 45 ( 312 Ebenda, S. 41; Zu den Vorstellungen Adenauers von der Zukunft Europas siehe ausführlich: S. 87 t1 313 Adenauer, Erinnerungen, S. 40; Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950 , Teil I, S. 239; Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S.425. 314 So Adenauer wenig später in einer Aktennotiz. Vgl.: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 425 ( 315 Adenauer in einem Brief im März 1946; abgedruckt in: Mensing, Adenauer, S.191. 316 Röpke hatte sich bereits im Frühjahr 1945 für die Westintegration Deutschlands bei gleichzeitiger Teilung des Landes entlang der Demarkationslinie zur so\\jetischen Besatzungszone ausgesprochen. Seine Schrift "Die deutsche Frage", in der er diesen Gedanken entwickelte, hatte große Beachtung gefunden. Vgl.: Ruhl, Die AdenauerÄra, S. 41. 6"

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

in einen Block der westlichen Staaten ein317. Deren Ansatz, Osteuropa von vornherein von einem Zusammenschluß auszuschließen und damit den in Europa verhandenen Graben noch zu vertiefen, wurde bis zum Jahr 1947 allerdings nur von einer Minderheit der Europa-Anhänger unterstützt318 . Den Vorstellungen der europäischen Föderalisten schlug zunächst weitaus größere Sympathie entgegen. In ihrem vom 14. bis 21. September 1946 auf der Konferenz von Hertenstein am Vierwaldstätter See, an der auch einige in der Schweiz lebende Deutsche teilnahmen319 , ausgearbeiteten Aktionsprogramm320 traten sie für die Schaffung einer "auf föderativer Grundlage errichteten europäischen Gemeinschaft" ein, die "allen Völkern europäischer Wesensart" zum Beitritt offenstehen müsse. Diese "Europäische Union" sollte sich als regionale Körperschaft in die Organisation der Vereinten Nationen einfiigen. Ihre Mitglieder sollten verpflichtet sein, "einen Teil ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Souveränitätsrechte an die von ihnen gebildete Föderation" zu übertragen. Im Dezember 1946 schlossen sich die europäischen Föderalisten in Paris zur "Union Europ&me des Federalistes" (UEF) zusammen321 . Ihre Forderungen zielten darauf ab, Europa aus dem Ost-West-Konflikt herauszuhalten. Das Hauptziel der Föderalisten war ein gesamteuropäischer Zusammenschluß von Warschau bis Paris. Dieser sollte die Brücke zwischen Ost und West bilden322 . An jener vermittelnden Rolle Europas als "Dritter Kraft" zwischen den USA und der Sowjetunion, welche in erster Linie von den sozial-demokratischen Parteien angestrebt wurde323 , hielten die Föderalisten zunächst auch noch fest, als sich der Machtblock

317 Loth, Deutsche Europa-Konzeptionen in der Eskalation des Ost-West-Konflikts 1945-1949, S.458 f. 318 Loth, Der Weg nach Europa, S. 46; ders., Deutsche Europa-Konzeptionen in der Eskalation des Ost-West-Konflikts 1945-1949, S. 457; ders., Die Teilung der Welt, S. 211. 319 Vgl.: Cornides, Die Anfange des europäischen föderalistischen Gedankens in Deutschland 1945-1949, S. 4246; Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 86. Genauere Infonnationen zur Nationalität der Teilnehmer fmden sich bei: Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S. 300. 320 Das "Hertensteiner Programm" ist abgedruckt in: Die Friedenswarte 1947, S. 68; Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 86; Ruh!, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. 5, S. 21. 321 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 30; Lipgens, Die europäische Integration, S. 26; ders., Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 19451950, Teil I, S. 361. 322 Lipgens, Europäische Integration, S. 521. 323 Loth, Der Weg nach Europa, S. 30.

ill. Der Einfluß der europäischen Politik

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Stalins und die westlichen Demokratien schon unversöhnlich gegenüberstanden. Die UEF lud zu ihren Konferenzen von Anfang an auch Europa-Anhänger aus Deutschland ein324 . Deren Teilnahme hing jedoch vielfach von der Willkür der alliierten Besatzungsmächte ab. Carlo Schmid arbeitete ab 1947 in der Union der europäischen Föderalisten mit325 . Soweit möglich nahm er fortan an den Tagungen der UEF teil 326 . Neben Schmid engagierten sich in Deutschland die Sozialdemokraten Paul Löbe und Ernst Reuter, die Christdemokraten Jakob Kaiser, Ernst Lemmer und Josef Müller, die katholischen Publizisten Walter Dirks und Eugen Kogon, der evangelische Geistliche Martin Niemöller, der Historiker Ulrich Noack, sowie die Intellektuellen HansWerner Richter und Alfred Weber für ein Europa der "Dritten Kraft"327. Ab dem Herbst 1946 erfolgte auch in Deutschland selbst die Gründung mehrerer europa-föderalistischer Gruppen 328 . Diese schlossen sich im Laufe des Jahres 1947 zur "Europa-Union",als nationaler Sektion der UEF, zusammen329 . Beide Europakonzeptionen standen sich auf der internationalen politischen Bühne bis etwa Mitte des Jahres 1947 gegenüber. Der entscheidende Anstoß dafür, daß sich schließlich das Konzept der "Realisten", also die Konzentration der Einigungsbemühungen auf Westeuropa, durchsetzte, kam nicht von den Europäern selbst. Wie bereits ausgeführt. waren es die USA, die als Reaktion auf den Marshall-Plan den Weg hin zu einer Westintegration wiesen.

324 Ebenda, S. 33. 325 Schmid. Erinnerungen. S. 420. 326 Ebenda, S. 421. 327 Loth, Deutsche Europa-Konzeptionen in der Eskalation des Ost-West-Konflikts 1945-1949, S.454 f. 328 Es entstanden die ,,Paneuropa-Union" Hamburg und Freiburg, der ,,PaneuropaBund" Berlin, die ,,Europäische Volksbewegung" Hamburg, die "U.S.E.-Liga" Ascheberg, die ,,Föderalistische Union" Köln, die ,,Europäische Gemeinschaft" Münster, die "Union-Europa-Liga" München und Koblenz, sowie die ,,Europäische Aktion" Stuttgart~ vgl.: LIpgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S. 386 t1 329 Zur "Europa-Union" vgl : Lipgens, Die Anfange der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil I, S. 417-434.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

2. Die Formierung der Europäischen Bewegung

Für die europäischen Föderalisten bedeutete diese Entwicklung eine schwere Niederlage. Im Angesicht der nun gegebenen weltpolitischen Situation standen die Anhänger der "Dritten Kraft" damit zwangsläufig vor der Entscheidung, von ihrem Plan einer gesamteuropäischen Einigung Abstand zu nehmen. Auf einem Kongreß in Montreux im August 1947, an dem sechs Vertreter der deutschen Europa-Bewegungen teilnahrnen 330 , entschlossen sich die UEF-Delegierten zu diesem Schritt. Sie entschieden sich dafiir, die europäische Eigenständigkeit zunächst durch die Unterstützung der Schaffung handlungsfähiger Organe in Westeuropa zu stärken. Das Ausmaß dieses Kurswechsels der UEF verdeutlicht der Wortlaut ihrer Entschließung von Montreux, in der es heißt: "Der Ernst der Lage, in der sich Europa befmdet, fordert, daß mit der Verwirklichwtg des Föderalismus dort begonnen wird, wo der Versuch dazu wtternommen werden kann, wo die Völker noch über eine gewisse Bewegwtgs- wtd Entscheidwtgsfreiheit verfügen, wo die öffentliche Meinwtg einen nachhaltigen Einfluß auf die Tätigkeit der RegiefWlgen auszuüben vermag. Es wäre geradezu verbrecherisch, die von der politischen Konjunktur gebotenen Gelegenheiten nicht zu ergreifen, um mit dem föderativen Aufbau Europas schon heute überall dort zu beginnen, wo damit begonnen werden kann .... 331."

Ab dem Herbst 1947 stimmten die verschiedenen Europaorganisationen also darin überein, die Integration Europas zunächst auf die westlichen Staaten zu konzentrieren. Welches Gewicht die neu formierte Europa-Bewegung plötzlich hatte, zeigt das Resultat einer Umfrage des österreichischen Grafen Coudenhove-Kalergi, der selbst bereits in den zwanziger Jahren die Idee eines geeinten Europa vertreten hatte. Coudenhove-Kalergi hatte über 4000 Abgeordnete des westlichen Europa gebeten fiir oder gegen eine europäische Föderation im Rahmen der Vereinten Nationen zu votieren. Nach anfangs schleppendem Rücklauf sprachen sich bis Ende September 1947 immerhin 43 Prozent der befragten Parlamentarier fiir eine westeuropäische Föderation aus332 . 330 Bei einer Gesamtzahl von 200 Delegierten waren ursprünglich 28 deutsche Delegierte eingeladen gewesen. Nur sechs erhielten aber rechtzeitig ihr Ausreisevisum. Diese sind namentlich genannt in: Corni des, Die Anfänge des europäischen föderalistischen Gedankens in Deutschland 1945-1949, S. 4250. 331 Rapport du premier Congres Annuel de I'UEF, Genf 1947, S. 132-136; siehe auch: Lipgens, Europäische Integration, S. 522 wtd ders., Die europäische Integration, S. 33 f. 332 Lipgens, Die Anfänge der europäischen Einigwtgspolitik 1945-1950, Teil I, S. 442; Loth, Der Weg nach Europa, S. 56.

Ill. Der Einfluß der europäischen Politik

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Aufgrund der Ergebnisse dieser Umfrage wurde im September 1947 in Gstaad von 114 Abgeordneten aus zehn europäischen Ländern die "Europäische Parlamentarische Union" (EPU) gegründet. Diese sollte die Einberufung einer europäischen verfassunggebenden Versammlung vorbereiten 333 . Eine noch weit bemerkenswertere Demonstration der Stärke der Einigungsbewegung wurde der Kongreß der europäischen Organisationen vom 7. bis 10. Mai 1948 in Den Haag334 . Trotz der Verweigerungshaltung vieler Sozialdemokraten335 führten die dort erzielten Ergebnisse zur Akzeptanz des europäischen Einigungsgedankens bei fast allen westeuropäischen Regierungen. Nachdem sich überwiegende Teile der westeuropäischen Spitzenpolitiker zu "Europa" bekannt hatten, konnten auch die Regierungen an den in Den Haag formulierten Forderungen nicht mehr vorübergehen336 . Namentlich bekannte Teilnehmer aus Deutschland in Den Haag waren Konrad Adenauer und der nordrhein-westfalische Ministerpräsident Karl Amold337 . Daß neben Angehörigen der CDU/CSU, die durch eine "starke Gruppe"338 vertreten war, auch noch andere deutsche Politiker in Den Haag anwesend gewesen sein müssen, beweist eine Bemerkung des Fraktionsvorsitzenden der Deutschen Partei im Parlamentarischen Rat, Seebohm. Im Rahmen der Hauptausschußdebatte zum Ruhrstatut erinnerte dieser ausdrücklich an den Einsatz des Vertreters der Deutschen Partei, Petersen, auf dem Kongreß339. 333 Vgl.: Vers Wl Parlement de l'Europe, Gstaad 1947, S. 13, zit. nach: Lipgens, Die europäische Integration, S. 34. 334 Vgl.: Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 757; Loth, Der Weg nach Europa, S. 58 ff; Mikkel, Handlexikon der Europäischen Union, S. XXIII. Dokwnente zum Haager Kongreß finden sich im Europa-Archiv 1948, S. 1442 ff. 335 Die sozialdemokratischen Parteien hatten ihre Mitglieder aufgefordert dem Kongreß fernzubleiben, weil sie Winston Churchill, dem Organisator des Kongresses, den Triumph zum Einiger Europas zu werden aus Rücksicht auf die Labour-Party nicht gönnen wollten. Aus diesem Grunde wurde der Haager Kongreß im wesentlichen von konservativen Wld liberalen Europapolitikern beherrscht. Es nahmen aber auch einige namhafte Sozialisten. etwa Paul Ramadier, in Den Haag teil. Vgl.: LOth' Der Weg nach Europa, S. 58. 336 Loth, Der Weg nach Europa, S. 59. 337 Ebenda, S. 59. Von der Teilnahme Adenauers berichtet auch: Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, S. 60. 338 Cornides, Die Anfänge des europäischen föderalistischen Gedankens in Deutschland 1945-1949, S. 425 I. 339 Vgl.: Parlamentarischer Rat, VerhandlWlgen des Hauptausschusses, S. 382. Der Aussage läßt sich leider nicht mit Sicherheit entnehmen, ob auch Seebohm selbst Teilnehmer in Den Haag war. lnfolge seiner Wortwahl ("wir", "unser Vorschlag", etc.) spricht jedoch manches für diese VermutWlg.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

In politischer Hinsicht forderte der Europakongreß die europäischen Nationen auf, sich unter Übertragung eines Teils ihrer Hoheitsrechte zu einer Union zusammenzuschließen. Darüber hinaus wurde die Einberufung einer von den nationalen Parlamenten einzusetzenden "Europäischen Versammlung" vorgeschlagen. Diese sollte die Aufgabe haben "sofortige praktische Maßnahmen zu empfehlen, die geeignet seien, die notwendige wirtschaftliche und politische Einheit Europas in fortschreitendem Maße zu verwirklichen"340. In wirtschaftlicher Hinsicht strebten die Delegierten Maßnahmen zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes, explizit Freihandel, Freizügigkeit und freien Kapitalverkehr, an 341 . Dank des starken Engagements der deutschen Europa-Verbände fanden nun auch in Deutschland Konferenzen zur Frage der Einigung Europas statt. Ebenfalls im Mai 1948 veranstaltete die Deutschland-Kommission der UEF eine vielbeachtete Arbeitstagung mit dem Thema "Deutschland - Europa" in Bad Homburg342 , auf der die europäischen Föderalisten ihre konkreten europapolitischen Vorstellungen formulierten. Im Bericht der politischen Kommission der Homburger Tagung343 , an dem die späteren Mitglieder des Parlamentarischen Rates Adolf Süsterhenn und Carlo Schrnid an herausgehobener Stelle mitwirkten344 , wird ausdrücklich festgestellt, daß das Ziel der Einigung Europas gerade nicht durch "Interessengemeinschaften oder Bündnissysteme alten Stils", sondern nur durch "eine politische Neuschöpfung in Form eines europäischen Bundesstaates verwirklicht werden" könne. Zur Bildung der Föderation sei "jeder Staat und jedes Volk Europas willkommen". Diese sollten zusammen die "Verfassung des europäischen Bundes" beschließen, sowie "für die gesamteuropäischen Aufgaben gemeinsame Organe" schaffen. Schließlich forderte die Deutschland-Kommission der UEF die Schaffung eines aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangenen europäischen Bundesparlaments.

340 Vgl.: Dokumente zum Haager Kongreß, Resolution des politischen Ausschusses, abgedruckt in: Europa-Archiv 1948, S. 1443 f. 341 Vgl.: Dokumente zum Haager Kongreß, Resolution des Wirtschafts- und Sozialausschusses, abgedruckt in: Europa-Archiv 1948, S. 1444 f. 342 Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 87. 343 Abgedruckt in: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 88 ff. 344 Cornides, Die Anfange des europäischen föderalistischen Gedankens in Deutschland 1945-1949, S. 4252.

ill. Der Einfluß der europäischen Politik

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3. Die Europapläne der Regierungen

Parallel zu dieser Annäherung und Sammlung der privaten europäischen Organisationen entwickelte sich seit 1947 auch auf offizieller Regierungsebene eine gedeihliche Verständigung über den zukünftigen Weg der europäischen Integration. Wesentlich erleichtert wurde diese Verständigung durch die Tatsache, daß die führenden Köpfe der privaten Europa-Bewegung oft zugleich die politisch maßgebenden Persönlichkeiten in ihren Heimatländern waren345 . Diese Identität der Handelnden stellte allerdings lediglich die schon bei den europäischen Organisationen geschilderte, grundsätzliche Übereinstimmung der westeuropäischen Regierungen in der Frage, daß ein engerer Zusammenschluß der Staaten Europas kommen müsse, sicher. Eine Einigung über die Frage, wie weit dieser Zusammenschluß gehen sollte und in welchem Tempo er ablaufen sollte, war damit noch lange nicht erzielt. Bei allen Verhandlungen zeigte sich, daß insbesondere Großbritannien zum damaligen Zeitpunkt nicht gewillt war, eine wirkliche Gemeinschaft im Sinne eines europäischen Bundesstaates, der bisher nationalstaatlich wahrgenommene Kompetenzen anstelle des Einzelstaates ausüben sollte, zu errichten346 . In London versteifte man sich darauf, zunächst allenfalls eine institutionalisierte Kooperation der Staaten Westeuropas zu realisieren. Die nationalen Regierungen sollten vorläufig weiter autonom bleiben. Unter diesen Vorzeichen vermochte die Ausgestaltung des am 17. März 1948 unterzeichneten "BTÜsseler Paktes"347 kaum zu überraschen. Unter

Voranstellung einer Art Definition des europäischen Erbes hatten sich Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten darin gegenseitige Hilfe im Falle eines bewaffneten Angriffs zugesichert. Die Verstärkung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit, sowie des kulturellen Austausches wurden im "BTÜsseler Pakt" nur allgemein als Zielsetzung beschrieben348 . Der Gedanken einer überstaatlichen Kompetenzzusammen-

345 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 29. Genannt seien hier nur beispielhaft: Konrad Adenauer und Carlo Schmid in Deutschland; Jean Monnet, Robert Schuman und Paul Ramadier in Frankreich; Paul van Zeeland und Hendrik Brugrnanns in den Niederlanden; Paul-Henri Spaak in Belgien; Winston Churchill und Ernest Bevin in Großbritannien, sowie Alcide de Gasperi in Italien. 346 Lipgens, Europäische Integration, S. 523. 347 Der ,,Brüsseler Pakt" ist abgedruckt in: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 99 ff. 348 Immerhin versprachen sich die fllnf beteiligten Staaten für ihr Verhältnis untereinander, "die Prinzipien der Demokratie, der persönlichen und politischen Freiheit, der verfassungsmäßigen Traditionen und der Herrschaft des Gesetzes, die ihr gemeinsames Erbe sind, zu befestigen und zu erhalten, die wirtschaftlichen, sozialen und

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

legung tauchte nicht auf. Dennoch stellte der "Brüsseler Pakt" eine kooperative Vorstufe für einen späteren europäischen Zusammenschluß dar349 . Mehr als ein erster Schritt konnte der Pakt der fünf europäischen "Kernstaaten" aber nicht sein350 . Auch im HinBlick auf die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Kooperation der europäischen Staaten vermochten sich die Vorstellungen der britischen Regierung durchzusetzen. Als am 6. April 1948 siebzehn europäische Länder zur Koordinierung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus in Europa im Sinne des Marshall-Planes die "Organization of European Economic Cooperation" (OEEC) gründeten351 , bedeutete dieses nur vordergrundig einen Sieg für die Anhänger einer umfassenden Integration. Wie schon der "Brüsseler Pakt", so zeigte auch dieser Vertragsschluß, daß die Staaten Europas zumindest in ihrer Mehrheit noch lange nicht bereit waren, zugunsten einer supranationalen Organisation auf Bereiche der eigenstaatlichen Hoheitsgewalt zu verzichten. Die OEEC erhielt zwar einen Exekutivausschuß, dieser war jedoch abhängig von der Vollversammlung der einzelnen Regierungsvertreter, welche ihrerseits ein auf Einstimmigkeit angelegtes Organ war. Durch diese Ausgestaltung war für die weitere europäische Integration nicht mehr als ein organisatorischer Rahmen geschaffen352 . Die eigentliche Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten spielte sich nach wie vor im konventionellen Rahmen zwischenstaatlicher Vereinbarungen ab353 .

kulturellen Bindungen, die sie bereits vereinigen, mit diesen Zielen vor Augen zu stärken, loyal zusanunenzuarbeiten und ihre Bemühungen, in Westeuropa eine feste Basis für die wirtschaftliche Erholung Europas zu schaffen, aufeinander abzustimmen". Vgl. insoweit die Präambel des "BTÜsseler Paktes", abgedruckt in: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 99. 349 So Paul-Henri Spaak bei der Unterzeichnung des Paktes. Vgi.: Lipgens, Europäische Integration, S. 523. 350 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 57. 351 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 55; Lipgens, Europäische Integration, S. 523; Loth, Der Weg nach Europa, S. 67; Mickel, Handlexikon der Europäischen Union, S. 274. 352 Loth, Der Weg nach Europa, S. 67. 353 Dieses Beharren auf einer zunächst nur wirtschaftlichen Zusanunenarbeit war der Grund dafür, daß auch die politische Einigung von vielen Seiten nicht mehr direkt, sondern nur noch über den Umweg einer ökonomischen Zusanunenarbeit angestrebt wurde. Das Ziel einer direkten politischen Integration trat aus diesem Grund auf längere Sicht in den Hintergrund.

ill. Der Einfluß der europäischen Politik

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Unter Berücksichtigung dieser Entwicklung stellte die Gründung des Europarates, kurz vor dem Ende der Bonner Grundgesetzarbeiten am 5. Mai 1949, das Maximum dessen dar, was die Mehrheit der europäischen Staaten damals einer zwischenstaatlichen Organisation zuzugestehen bereit war3 54 . Zwar sollte der Europarat "eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinschaftliches Erbe bilden, herstellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt fordern"355. Seine Struktur indessen bewirkte, daß auch ihm lediglich der Wert eines "europäischen Forums" beizumessen war. Neben einem Generalsekretariat verfügte der Europarat über ein Ministerkomitee, bestehend aus den Außenministern der Mitgliedstaaten, sowie über eine "Beratende Versammlung europäischer Parlamentarier". Dabei hielt das Ministerkomittee, in welchem Einstimmigkeit erforderlich war, alle Macht in Händen. Die Versammlung hatte ausschließlich beratende Funktion. Unter dem Strich hatten sich also auch bei der Gründung des Europarates die Gegner einer echten supranationalen Integration durchgesetzt356 . Im Ergebnis erbrachten die Anfange der europäischen Politik in den Nachkriegsjahren nach einer weitgehenden Einigung der verschiedenen Europa-Organisationen untereinander ein eindeutiges "Ja" zur europäischen Integration als solcher. Ausgelöst durch die vielfaltigen Aktivitäten der einzelnen Europa-Verbände flammte nicht nur in Frankreich, Italien oder den Benelux-Staaten, sondern auch in Deutschland eine richtiggehende Europabegeisterung auf. Infolge dieser Begeisterung allein war freilich noch keine Entscheidung über das Ausmaß der künftigen Integration gefallen. Obwohl auf Regierungsebene durchaus Bestrebungen vorhanden waren, baldmöglichst echte supranationale Organisationen zu schaffen, scheiterten diese ersten Bemühungen vor allem an der Zurückhaltung Großbritanniens, das noch nicht auf seine Souveränitätsrechte verzichten wollte. Diese Entwicklung der europäischen Politik kannten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, und zwar auch diejenigen, die nicht selbst direkt in den europäischen Organisationen mitarbeiteten. Vor allem durch die für die Europa-Bewegung eintretenden deutschen Parlamentarier, aber auch durch die Medien, wurden die Bonner Abgeordneten informiert. Darüber hinaus kam an mehreren Stellen der Grundgesetzberatungen in Bonn direkt die

354 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 57. 355 Vgl. Art. 1 des Statuts des Europarates vom 5. Mai 1949, abgedruckt in: Dokumente zur Frage der europäischen Einigung, S. 199. 356 Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, S. 58.

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B. Die europäische Idee in der Vorgeschichte des Rates

Sprache auf den Einsatz und die Vorstellungen der Europäischen Einigungsbewegung357. Auch die Entwicklung der europäischen Politik in der Zeit nach 1945 und die hieraus resultierende Europabegeisterung innerhalb und außerhalb Deutschlands war folglich einer der Gründe für die schon im Vorfeld der Verfassungsberatungen entstandene proeuropäische Stimmung vieler Ratsmitglieder.

IV. Zwischenergebnis Die grundlegenden Verfassungsentscheidungen für den neuen deutschen Staat fielen keineswegs erst im Parlamentarischen Rat selbst. Vielmehr baute der Rat bei seinen Beratungen auf einer ganzen Reihe von unterschiedlichsten Vorarbeiten auf. Er hatte dabei Rücksicht zu nehmen auf Einflüsse, die innerhalb, teilweise auch außerhalb Deutschlands gründeten. Die Idee der europäischen Einigung war bereits im Vorfeld der Bonner Beratungen eine feste Größe bei allen für die spätere Entstehung des Grundgesetzes Verantwortung Tragenden. Sowohl die Besatzungsmächte, als auch die in Deutschland politisch und gesellschaftlich relevanten Kräfte hatten sich einmütig für die bereits im deutschen Widerstand geforderte Einbindung des neuen deutschen Staates in eine Gemeinschaft der europäischen Staaten ausgesprochen. Alle wesentlichen, für die Grundgesetzberatungen des Parlamentarischen Rates als Arbeitsunterlagen dienenden Vorentwürfe enthielten Aussagen, die die europäische Idee unterstützten. Von ganz besonderer Bedeutung war dabei, daß diese auch im Rahmen des Herrenchiemseer Verfassungskonvents Beachtung gefunden hatte. Darüber hinaus hatte sich seit etwa 1947 in beinahe allen Staaten der alten Welt eine europäische Eini-

357 So beispielsweise auf der 20. Sitzung des Grundsatzausschusses, wo der Ausschußvorsitzende von Mangoldt auf die Bedeutung der Beschlüsse der "Union Interparlementaire" hinwies; vgl. hierzu unten S. 139 f. Weiterhin im Rahmen der bereits oben angesprochenen 31. Sitzung des Hauptausschusses zum Ruhrstatut. auf der der Abgeordnete Seebohm ausdrücklich den großen Europakongreß in Den Haag und dessen Ergebnisse ansprach, vgl. dazu unten S. 165. Und schließlich auch auf einer Fraktionssitzung der CDU/CSU am Nachmittag des 20. Januar 1949, auf welcher der Fraktionsvorsitzende PfeitTer von einer Veranstaltung berichtete, die der Auswahl der Delegierten für die Eröffnungssitzung des ,,Internationalen Rates der Bewegung für ein vereinigtes Europa" dienen sollte; vgl. insoweit: Salzmann, Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat, S. 356.

IV. Zwischenergebnis

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gungsbewegung gebildet, die mehr und mehr an politischer Durchschlagskraft gewann. Auch deren Erfolge konnten nicht ohne Auswirkungen auf die Verfassungsentwicklung in Deutschland bleiben. Alles in allem hatte die europäische Idee damit bereits vor den eigentlichen Verfassungsarbeiten im Parlamentarischen Rat eine Bedeutung erlangt, die es den Abgeordneten in Bonn beinahe unmöglich machte, an ihrer Verankerung im Grundgesetz vorbei zu gehen. Die entscheidenden Weichenstellungen für die grundsätzliche Ausrichtung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland "nach Europa" waren also schon zu diesem Zeitpunkt in der Vorgeschichte des Parlamentarischen Rates gefallen.

C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat Um die angestrebte Verankerung der europäischen Idee im Grundgesetz tatsächlich zu erreichen, bedurfte es neben der breitgefächerten grundsätzlichen Sympathie für den europäischen Einigungsgedanken seitens der Alliierten, der Parteien, sowie zahlreicher sonstiger Interessengruppen im Vorfeld der Verfassungsarbeiten, noch weiterer Faktoren. Nur, wenn auch die Struktur des Parlamentarischen Rates während der Beratungen selbst die Gewähr für eine gedeihliche Behandlung europäischer Themen bot konnte sie wirklich gelingen. Aus diesem Grund wird im folgenden zunächst ein genauerer Blick auf die Ausgangssituation der europäischen Idee im Rat selbst geworfen. Dabei wird - stets unter Beachtung der Auswirkungen auf die Berücksichtigung der europäischen Einigung - vor allem auf die Zusammensetzung, die Organisation und die Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates eingegangen. Darüber hinaus wird von der Einstellung der führenden Ratsrnitglieder zu "Europa" die Rede sein, bevor anschließend die Beratungen zum Bonner Grundgesetz in insgesamt sieben Phasen analysiert werden.

I. Legitimation und Zusammensetzung des Parlamentarischen Rates Nach einigem Ringen um den Modus der Einberufung des Parlamentarischen Rates wurden die 65 Abgeordneten der Bonner Grundgesetzversammlung im August 1948 in indirekter Wahl von den elf Landtagen der westdeutschen Länder gewähIt358 . Die Verteilung der Mandate erfolgte aufgrund einer Absprache 359 zwischen den Parteien exakt nach dem Stimmenanteil in den einzelnen Landtagen360 . Letztlich lag die Auswahl der Abgeordneten damit in den Händen der Fraktionen der Länderparlamente. Diese entschieden darüber, wer Mitglied des Parlamentarischen Rates wurde und wer nicht. Die Mandatsverteilung der 65 Sitze im Rat erbrachte eine Pattsituation zwischen den großen Parteien. Sowohl die Unionsfraktion, als auch die Sozialdemokraten stellten je 27 Abgeordnete. Die Freien Demokraten 358 StammenlMaier, Der Prozeß der Verfassunggebung, S. 395. 359 Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes, S. 231; WemickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, S. LV. 360 Otto, Das Staatsverständnis, S. 42.

I. Legitimation Wld Zusammensetzung des Rates

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kamen auf funf, die Deutsche Partei, die Kommunistische Partei und das Zentrum auf je 2 Abgeordnete. Hinzu kamen 5 Teilnehmer aus Berlin ohne Stimmrecht (3 SPD, 1 CDU, 1 FDP)361. Im Hinblick auf seine Zusammensetzung reihte sich der Parlamentarische Rat in das übliche Bild deutscher Parlamente ein. Der Anteil der Akademiker lag mit 51 Mitgliedern recht hoch. Demgegenüber waren die Handwerker3 62 im Parlamentarischen Rat überhaupt nicht, die Landwirte mit nur zwei Mitgliedern sehr schwach vertreten. 61 Prozent der Ratsmitglieder waren aktive oder ehemalige Berufsbeamten, Richter oder Professoren. Deshalb wurde die Bonner Versammlung oft als "Beamtenparlament" bezeichnet363 . Der Anteil der Juristen betrug insgesamt 42 Prozent364 . Ein Großteil der Abgeordneten verfUgte über politische Erfahrung. Mit Wilhelm Heile, Paul Löbe und Helene Weber hatten drei Ratsmitglieder bereits der verfassunggebenden Weimarer Nationalversammlung angehört365 . Insgesamt elf Abgeordnete waren Mitglieder des Reichstages gewesen; Paul Löbe sogar dessen Präsident. Ferner hatten 22 Mitglieder des Parlamentarischen Rates in den Landtagen und Provinziallandtagen der Weimarer Republik, 18 Abgeordnete in den Beratungsgremien auf Zonenebene gewirkt366 . Wichtiger als dieses große Maß an politischer Erfahrung war jedoch, daß viele Abgeordnete des Parlamentarischen Rates nach 1945 wesentlichen Anteil an den oben dargestellten parteiinternen Verfassungsdiskussionen gehabt hatten367 . Auf Seiten der Unionsparteien galt dies besonders fiir Heinrich von Brentano, Robert Lehr, Anton Pfeiffer und Adolf Süsterhenn. Von Brentano war Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Arbeitsgemeinschaft von CDU/CSU gewesen. Pfeiffer und Süsterhenn zählten zu den fiihrenden Köpfen des "Ellwanger Kreises". Ferner hatte Pfeiffer als Tagungsleiter dem Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee vorgestanden. Lehr schließlich hatte den

361 Vgl. statt vieler: Morsey, Die BWldesrepublik Deutschland, s. 18; Niciauß, DemokratiegründWlg in Westdeutschland, S. 132; Otto, Das Staatsverständnis, S. 43. 362 Hierzu: Otto, Das Staatsverständnis, S. 45. 363 Die Zahlenangaben entstammen den tabellarischen Übersichten bei Sörgel, Konsensus, S. 261 f. 364 32 der insgesamt 77 Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren Juristen; vgl.: ebenda, S. 262. 365 Ley, Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, S. 377 f Vgl. auch: Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur BWldesrepublik, S. 157. 366 Ley, Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, S. 379 f 367 Lange, Die Würde des Menschen, S. 38; Otto, Das Staatsverständnis, S. 43.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Verfassungsentwurf der eher zentralistisch eingestellten CDU der britischen Zone erstellt. Auch die fuhrenden Verfassungspolitiker der SPD, Walter Menzel und Carlo Schmid, wurden in den Parlamentarischen Rat berufen. Von Menzel stammte der wesentliche Verfassungsentwurf seiner Partei. Schmid hatte sich spätestens durch seine engagierte Teilnahme am Herrenchiemseer Verfassungskonvent einen Namen als hervorragender Verfassungsjurist gemacht. Mit Fritz Eberhard, dem Leiter des Deutschen Büros fur Friedensfragen, gehörte darüber hinaus ein weiterer Politiker der SPD-Ratsfraktion an, der bereits vor den Bonner Beratungen konkrete Verfassungsvorschläge unterbreitet hatte. Für die Berücksichtigung der europäischen Idee erwies sich die geschilderte Zusammensetzung als vorteilhaft. Aufgrund der Pattsituation zwischen CDU/CSU und SPD war es keiner Ratsfraktion möglich, dem Grundgesetz nachhaltig ihren Stempel aufzudrücken368 . Vielmehr zwang das Patt die beiden großen Parteien zur Zusammenarbeit. Parteipolitik im eigentlichen Sinne wurde im Parlamentarischen Rat nur äußerst zurückhaltend betrieben369 . Für die Aufnahme einer politischen Forderung ins Grundgesetz war deshalb stets eine breite Akzeptanz über die Partei grenzen hinweg erforderlich. Im Gegensatz zu mancher sonstigen verfassungspolitischen Forderung konnte sich aber gerade die europäische Idee dieser breiten Akzeptanz bei allen Fraktionen des Parlamentarischen Rates, mit Ausnahme der Kommunisten, sicher sein. Ferner war es von Vorteil fur die europäische Idee, daß viele zentrale Entscheidungen im Parlamentarischen Rat nicht von der Parteizugehörigkeit, sondern von der Persönlichkeit des sie Unterstützenden abhängig waren. Gerade die fuhrenden Köpfe der einzelnen Fraktionen traten in besonderem Maße für die Festschreibung der europäischen Integration in der Verfassung ein. Unter umgekehrten Vorzeichen, wenn also Adenauer, Schmid, Pfeiffer, Heuss und andere sich konsequent gegen "Europa" ausgesprochen hätten, wäre die europäische Idee wohl kaum berücksichtigt worden. Insgesamt ließ die Zusammensetzung des Parlamentarischen Rates also durchaus Hoffnungen auf die Verankerung der Idee der europäischen Einigung im Grundgesetz zu.

11. Organisation und Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates Die geschilderte parlamentarische Erfahrung vieler Mitglieder half dem Rat bei der Arbeitsaufnahme. Noch bevor er sich eine Geschäftsordnung gegeben hatte, hatte der Parlamentarische Rat seine organisatorischen Grundstrukturen 368 Mußgnug, Zustandekonunen des Grundgesetzes, S. 236. 369 Ebenda, S. 236.

ll. Organisation tllld Arbeitsweise des Rates

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gefunden370 . Sowohl CDU/ CSU, als auch FDPIDVP hatten sich, obwohl sie außerhalb des Rates noch weit von einer organisatorischen Einheit entfernt waren37l , zu Fraktionsgemeinschaften zusammengeschlossen. Zum Sprecher der Unionsfraktion wurde Anton Pfeiffer gewählt. Carlo Schmid wurde Vorsitzender der SPD-Fraktion. Theodor Heuss stand der FDPIDVP-Fraktion vor. Auch die kleineren Parteien erhielten zumindest faktisch die Stellung von Fraktionen372 . Das Plenum des Parlamentarischen Rates trat erstmals am 1. September 1948 zusammen. Ihm gehörten alle 65 Abgeordneten, sowie ab der zweiten Sitzung auch die fiinf Berliner Delegierten ohne Stimmrecht an. Im Plenum fanden die Eingangsberatungen, die Grundsatzdebatte und die spätere Beschlussfassung über das Grundgesetz statt. Auf der gerade angesprochenen ersten Plenarsitzung wählte der Parlamentarische Rat sein Präsidium. Dieses bildeten der Abgeordnete Adenauer (CDU) als Vorsitzender, sowie die Abgeordneten Schönfelder (SPD) und Schäfer (FDP) als stellvertretende Vorsitzende373 . Neben dem Präsidium setzte der Parlamentarische Rat einen Ältestenrat und einen Geschäftsordnungsausschuß ein. Beide Gremien waren mit Vertretern aller politischen Richtungen besetzt374. Auf seiner dritten Sitzung am 9. September 1948 einigte sich das Plenum über Anzahl, Größe, Gliederung und Zusammensetzung der Organe des Parlamentarischen Rates. Der Rat bildete einen aus 21 Abgeordneten bestehenden Hauptausschuß. Daneben setzte er insgesamt sieben Fachausschüsse mit je zehn bis zwölf Mitgliedern ein375 , die jeweils fiir einen bestimmten Teilbereich der Grundgesetzberatungen zuständig waren. In den einzelnen Fachausschüssen waren die beiden großen Fraktionen stets mit vier bzw. fiinf Abgeordneten vertreten. Die FDP

370 Vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 41. 37l Merkl, Die Entstehtlllg der BRD, S. 71. 372 Lange, Die Würde des Menschen, S. 41. 373 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht,1. Sitztlllg, S. 2. Vgl. ferner: v.Doemming/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd.l, S. 6: Kröger, Einfühnmg in die Verfasstlllgsgeschichte, S. 21; ders., Die Entstehtlllg des Grundgesetzes, NJW 1989, S. 1320; Lange, Die Würde des Menschen, S. 41: Merkl, Die Entstehtlllg der BRD, S. 71; Otto, Das Staatsverständnis, S. 51. 374 Lange, Die Würde des Menschen, S. 42. 375 Der Parlamentarische Rat bildete folgende Fachausschüsse: Ausschuß für Grundsatzfragen, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, Ausschuß für Finanzfragen, Ausschuß für die Organisation des Btllldes, Ausschuß für Verfasstlllgsgerichtshof tllld Rechtspflege, Ausschuß für das Besatzungsstatut, Ausschuß fllr Wahlrechtsfragen; vgl.: Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleittlllg, S. 87; Mußgnug, ZustandekOIrunen des Grundgesetzes, S. 235, Fn. 46; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Einflihrung, Rn. 17. 7 Serm.nseder

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

stellte jeweils ein Mitglied, während den drei sonstigen Parteien insgesamt pro Ausschuß nur ein Vertreter zugebilligt wurde376 . Auf den Fachausschüssen lastete im September und Oktober 1948 das Hauptgewicht der Verfassungsarbeiten. Sie erarbeiteten in diesen ersten Wochen der Bonner Beratungen die eigentliche Grundgesetzvorlage377 . Als die Beratungen der Fachausschüsse Anfang November 1948 so weit fortgeschritten waren, daß erste Teilentwürfe vorlagen, setzte der Ältestenrat einen "Allgemeinen Redaktionsausschuß" ein. Dieser aus den Abgeordneten von Brentano (CDU)378, Dehler (FDP) und Zinn (SPD) bestehende Ausschuß sollte formell lediglich redaktionelle Aufgaben bei der Zusammenfassung der einzelnen Teilentwürfe übernehmen. In der Praxis machte der Allgemeine Redaktionsausschuß aber von Anfang an auch materielle Änderungsvorschläge. Auf diese Weise nahm er erheblichen Einfluß auf die Beratungen379 . Erst als die von den Fachausschüssen erstellte und vom Allgemeinen Redaktionsausschuß überarbeitete "Vorlage" im November 1948 fertig war, begann der Hauptausschuß unter dem Vorsitz von Carlo Schmid, mit seiner Tätigkeit. Ihm oblag nun die wichtige Aufgabe, die bisherigen Ergebnisse, unter Einschluß einer Reihe von politischen Vorentscheidungen, zu einem einheitlichen Gesamtentwurf für ein Grundgesetz auszubauen380 . Die erste Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß in der Zeit vom 10. November bis zum 10. Dezember 1948 brachte diesen gewünschten Erfolg noch nicht. Immer wieder wurden einzelne Artikel zur erneuten Überarbeitung an die Fachausschüsse zurückverwiesen und dann nochmals im Hauptausschuß behandelt381 . Als auch nach dem Ende der zweiten Lesung im Hauptausschuß am 20. Januar 1949 eine ganze Reihe zentraler Verfassungsprobleme noch ungelöst waren, bildete der Rat den sog. "Fünfer-

376 Lange, Die Würde des Menschen, S. 43; vgl. auch: Merk], Die Entstehung der BRD, S. 72.

377 OUo, Das Staatsverständnis, S. 53; Särge!, Konsensus, S. 234. 378 Später wurde von Brentano ausgetauscht gegen von Mangoldt (CDU); vgl.: v.Doenuning/Füssleini Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 13; Lange, Die Würde des Menschen, S.43. 379 Antoni, Sozialdemokratie und Grundgesetz, Bd. 2, S. 161; Dennewitz, in : DolzerNoge!, Bonner Konunentar, Einleitung, S. 87. 380 v. Doenuningl Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 10; Niciauß, Demokratiegründung in Westdeutschland, S. 133. 381 v. Doenuningl Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd. 1, S. 11.

ll. Organisation Wld Arbeitsweise des Rates

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ausschuß"382. Diesem interfraktionellen Ausschuß gehörten je zwei Abgeordnete von CDU/CSU und SPD, sowie ein Abgeordneter der FDP an383 . Die Aufgabe des "Fünferausschusses" bestand darin, abgetrennt vom Hauptausschuß, im kleinen Rahmen einen Komprorniß in den umstrittenen politischen Grundentscheidungen zu finden. Die von ihm erarbeiteten Kompromißvorschläge waren von allergrößter Bedeutung fiir den Fortgang der Verfassungsarbeiten. Sie ermöglichten es, die dritte Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß in nur drei Tagen durchzufiihren. Diese endete mit der mehrheitlichen Annahme des Grundgesetzentwurfes durch den Hauptausschuß am 10. Februar 1949384. Nachdem damit endlich eine innerdeutsche Einigung im Parlamentarischen Rat erzielt worden war, fiihrte unerwarteter Einspruch der Militärgouverneure385 zu einer erneuten, ernsthaften Krise der Beratungen. Um das bereits Erreichte nicht zu gefährden, bildete man auf deutscher Seite durch die Erweiterung des "Fünferausschusses" um je einen Vertreter der Deutschen Partei und des Zentrums386 den sog. "Siebenerausschuß". Diesem oblag im folgenden die äußerst schwierige Aufgabe in Verhandlungen mit den Alliierten die Grundgesetzfassung zu erarbeiten, die der Hauptausschuß in vierter Lesung am 5./6. Mai 1949 endgültig beschließen konnte und die vom Plenum schließlich mit nur geringfiigigen Änderungen angenommen wurde. Fragen der europäischen Integration wurden sowohl im Plenum des Parlamentarischen Rates, als auch in verschiedenen Ausschüssen behandelt. Dies geschah im wesentlichen im Zusammenhang mit den Beratungen zur Präambel und zu Art. 24 GG. Eine Vorreiterrolle fiir die Berücksichtigung der 382 Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, EinleitWlg, S. 88; v. Doernming/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd. I, S. I L Kräger Einführung in die VerfassWlgsgeschichte, S. 21; Otto, Das Staatsverständnis, S. 52; Särgel, Konsensus, S. 234. 383 Mitglieder waren für die CDU/CSU: v. Brentano (gelegentlich Lehr) Wld Kaufmann, für die SPD : Menzel Wld Schmid, sowie für die FDP : Dehler bzw. HäpkerAschoff; vgl. Dennewitz, in: Bonner Kommentar, EinleitWlg, S. 88. 384 Merkl, Die EntstehWlg der BRD, S. 73; StarnmenlMaier, Der Prozeß der VerfassWlggebWlg,S.397. 385 Nachdem die Alliierten bereits in einem "Aide memoire" am 18. Februar 1949 die Prüfung des Grundgesetzentwurfes mitgeteilt hatten, übergaben die Militärgouverneure am 2. März 1949 einer Delegation des Parlamentarischen Rates ein Memorandum, in welchem sie vor allem die VorranggesetzgebWlg Wld die Struktur der FinanzverwaltWlg beanstandeten. Vgl. v.Doemmingl Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 12. 386 Hinzu kamen die Abgeordneten Seebohm (DP) Wld Brockmann (Z). Vgl. Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, EinieitWlg, S. 88; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, EinftlhrWlg, Rn. 18. 7*

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

europäischen Idee spielte der Grundsatzausschuß, der die Gebiete "Präambel" und "Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes" (Abschnitt II), und damit auch den späteren Integrationsartikel Art. 24 GG, vollständig bearbeitete387. In seinen insgesamt 36 Sitzungen388 beschäftigte sich der Grundsatzausschuß in der Anfangsphase der Verfassungsarbeiten bis Mitte November immerhin viennal 389 ausführlich mit Fragen der europäischen Einigung. Von den übrigen Fachausschüssen behandelte nur noch der Ausschuß für das Besatzungsstatut die europäische Idee. Dort diskutierte man als Reaktion auf den Erlaß des Besatzungsstatuts Anfang April 1949 in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen390 über "Europa". In den sonstigen Fachausschüssen spielte die künftige europäische Integration keine Rolle, weshalb in dieser Arbeit nicht weiter auf sie eingegangen wird. Eine kurze Betrachtung verdient aber die Tätigkeit der außerordentlichen Ausschüsse391 . Hier beschäftigte sich der Allgemeine Redaktionsausschuß in seinen Stellungnahmen zu den Fonnulierungen der Fachausschüsse sowohl mit der Präambel, als auch mit den für die europäische Integration entscheidenden Vorschriften des Abschnittes II des Grundgesetzentwurfes392 . Demgegenüber gingen weder der "Fünfer-", noch der "Siebenerausschuß" auf die Frage der gemeinsamen Zukunft der Staaten Europas ein. Dies erklärt sich aus der Tatsache heraus, daß die europäische Integration im Zeitpunkt des Tätigwerdens dieser Ausschüsse nicht mehr zu den umstrittenen Punkten zählte. Infolge der Berücksichtigung der europäischen Idee in den Vorschlägen des Grundsatzausschusses beschäftigte sich auch der Hauptausschuß mehrfach mit Fragen der europäischen Integration. Während der insgesamt 59 Sitzungen des Hauptausschusses kam immerhin fünfmal, zum Teil in sehr ausführlicher Art und Weise, die Sprache auf die europäische Einigung393. Im Plenum schließlich spielte das Zusammenwachsen Europas in sechs von insgesamt zwölf Sitzungen eine Rolle394 . Abschließend sei noch kurz auf die Arbeitsweise des Rates eingegangen. Im Gegensatz zu der heute allgemein üblichen Praxis führten die Fachausschüsse 387 v. Doemmingl Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 9. 388 Vgl. Schicld Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, S. LIX - LXVIII. 389 Auf seiner 12., 19., 20. und 21. Sitzung. Ausführlicheres hierzu siehe unten S. 128 ff. 390 Auf der 4. und 5. Sitzung. Siehe unten S. 174 ff. 391 Diese Bezeichnung benutzt Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 87. 392 Und zwar sowohl in seiner Stellungnahme vom 16. November 1948, als auch in der Stellungnahme vom 13. Dezember 1948. 393 Auf der 6., 26., 29.,31. und 57. Sitzung. 394 Und zwar auf der 1.,2.,3.,6., 9. und 10. Plenarsitzung.

II. Organisation und Arbeitsweise des Rates

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die grundlegenden Verfassungsarbeiten durch, ohne auf eine detaillierte "Regierungsvorlage" zurückgreifen zu können. Eine solche existierte schlicht nicht395 . Ihnen stand lediglich ein Register über sämtliche Vorschläge und Eingaben an den Parlamentarischen Rat zur Verfügung396 . Dieses eröffnete jedem Abgeordneten bzw. jeder Ratsfraktion zwar grundsätzlich die Möglichkeit, Vorschläge zu offiziellen Anträgen zu erheben397 ; in der Praxis war das jedoch die Ausnahme. Vielmehr orientierten sich die Fachausschüsse bei ihren Beratungen aber vor allem an der Systematik und an den Formulierungen des Berichts des Herrenchiemseer Verfassungskonvents398 . Daneben lagen ihnen die meisten der oben vorgestellten Verfassungsentwürfe der Parteien und sonstigen Interessengruppen vor. Zu nennen sind hier insbesondere der von der SPD erstellte "2. Menzel-Entwurf', der Entwurf des "Ellwanger Kreises" der CDU/CSU, die von Hellwege fiir die DP ausgearbeiteten "Richtlinien fiir eine künftige deutsche Verfassung", der kommunistische Entwurf, sowie eine Denkschrift des Zonenbeirats der britischen Zone zur Verfassungspolitik399 Die sonstigen Verfassungsvorschläge kleinerer Organisationen konnten dagegen kaum auf Resonanz hoffen. In der Praxis bestand nur fiir eine sehr beschränkte Anzahl gesellschaftlich und politisch relevanter Kräfte die Möglichkeit, die Entstehung des Grundgesetzes gezielt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nur diesen Gruppen war es aufgrund ihrer Massenbasis und ihrer Organisationsstruktur möglich, direkten Einfluß auf die Fraktionen im Parlamentarischen Rat zu nehmen. Für die europäische Idee war diese Konstellation, wie auch schon oben die Zusammensetzung des Rates, von Vorteil. Da sie, mit Ausnahme des kommunistischen Entwurfes, in allen bedeutenden Verfassungsvorschlägen enthalten war, war praktisch sichergestellt, daß die europäische Integration im Parlamentarischen Rat zumindest ein Thema sein würde. Besonders günstig wirkte sich darüber hinaus die große Einmütigkeit aus, mit der die Berücksichtigung der Einigung Europas im Vorfeld, insbesondere im Herrenchiemseer Entwurf, gefordert worden war. Schon aufgrund der Arbeitsweise des Parlamentarischen Rates schien deshalb die gerade von den "starken Interessengruppen" befiirwortete, endgültige Verankerung der Idee der europäischen Einigung im Grundgesetz in greifbare Nähe gerückt zu sein. 395 Vgl. Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes, S. 234. 396 Beschluß des Geschäftsordnungs-Ausschusses des Parlamentarischen Rates vom 27. September 1948. Vgl.: PR-Drucks. 85. 397 Vgl.: Geschäftsordnung PR, §§ 23 und 36. 398 Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 89 und 91. 399 v. Doemming/ Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 3 f~ Merkl, Die Entstehung der BRD, S. 73.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

III. Die Einstellung führender Ratsmitglieder zur europäischen Einigung Ausgehend von dieser günstigen Ausgangssituation gilt es nachfolgend einen genaueren Blick darauf zu werfen, mit welchem Engagement die maßgeblichen Köpfe im Rat für den europäischen Gedanken eintraten. In kurzen Porträts wird die Einstellung der fiihrenden Persönlichkeiten des Parlamentarischen Rates der Idee der europäischen Einigung gegenüber dargestellt400 .

1. Konrad Adenauer, 1875 - 1967 (eDU) In Konrad Adenauer, dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates, hatte die europäische Idee einen überzeugten Fürsprecher. Bereits in den frühen zwanziger Jahren, damals noch als Oberbürgermeister von Köln, hatte sich Adenauer für eine Verständigung Deutschlands mit seinen westeuropäischen Nachbarn, insbesondere mit Frankreich, stark gemacht. Während des Ruhrkampfes 1923 war er mit dem Vorschlag, die französische, belgische und deutsche Schwerindustrie organisch zu verflechten, an die Öffentlichkeit getreten40I . Hierin sah Adenauer die beste Möglichkeit der Friedenssicherung in Europa. Er hielt "parallel laufende, gleichgeschaltete wirtschaftliche Interessen" für das "gesündeste und dauerhafteste Fundament guter politischer Beziehungen" der westeuropäischen Staaten402 Adenauer galt deshalb schon zu diesem frühen Zeitpunkt in den zwanziger Jahren als ein der europäischen Idee sehr gewogener Politiker4°3 . Diese außenpolitische Linie, für die sich nun ungleich bessere Realisierungschancen boten, verfolgte Adenauer in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent weiter. Wie kaum ein anderer deutscher Politiker in der Nachkriegszeit trat er, der sich "als Deutscher, aber immer auch als Europäer"

400 Die genannten Ratsmitglieder werden dabei in alphabetischer Reihenfolge behandelt. 401 In einem am I. Dezember 1923 im Pariser FIGARO abgedruckten Interview, zit. nach: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 429; siehe auch Adenauer, Erinnerungen, S. 41; Schwarz, Adenauer und Europa, S. 488 und Weidenfe1d, Konrad Adenauer und Europa, S. 41 f. 402 Adenauer, Erinnerungen, S. 41. 403 Coudenhove-Kalergi, Eine Idee erobert Europa, S. 125.

ill. Die EinstellWlg führender Ratsmitglieder

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fühlte404 , von Anfang an fiir die feste und unwiderrufliche Anbindung des neuen deutschen Weststaates an die europäischen Nachbarn ein405 . Seine regelmäßigen Kontakte zu den Besatzungsmächten nutzte Adenauer immer wieder, um auf seine Vorstellungen von der Rolle Westdeutschlands im Rahmen einer europäischen Föderation hinzuweisen406 . Adenauers nachhaltigen Überzeugung von der Notwendigkeit einer Integration der europäischen Staaten lagen zwei außenpolitische Leitvorstellungen zugrunde. Zum einen hatte er erkannt, daß dem Sicherheitsbedürfnis Frankreichs nur durch eine kooperativ-europäische Lösung dauerhaft Rechnung getragen werden konnte407 . Zum anderen war Adenauer davon überzeugt, daß langfristig nur ein wirtschaftlich und politisch gesundes Westeuropa der sowjetischen Expansionspolitik würde Einhalt gebieten können408 . Bereits Ende 1945 forderte er deshalb die westeuropäischen Demokratien auf, der Sowjetunion eine wirtschaftliche und politische Union entgegenzusetzen409 . Nachdem Adenauer im Januar 1946 zum Vorsitzenden der CDU in der britischen Zone gewählt worden war4 lO , legte er in zwei Grundsatzreden411 seine programmatischen Vorstellungen dar. Dabei vertrat er ausdrücklich die Auffassung, es müßten "in nicht zu ferner Zukunft die Vereinigten Staaten von Europa, zu denen Deutschland gehören würde", geschaffen werden412 . 404 Adenauer in einer Rede über den NWDR am 6. März 1946, dessen Text sich im Besitz des CDU-Archivs befmdet. Vgl. auch: Adenauer, ErinneTill1gen, S. 41 Wld Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 444; ders., Adenauer Wld Europa, S. 493. 405 Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 425. 406 Morsey, Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, S. 73; Vgl. auch: Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 462. 407 Vgl hierzu Adenauers EröffnWlgsrede auf dem 1. Parteitag der CDU der britischen Zone in Recklinghausen am 14. August 1947, abgedruckt in: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer Wld die CDU, S. 350 f; sowie: Adenauer, ErinnefWlgen, S. 40 f; Loth, Der Weg nach Europa, S. 41; Schwarz, Adenauer Wld Europa, S. 475. 408 LOth' Der Weg nach Europa, S. 42. 409 Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 426. 410 Siehe Protokoll der ersten TagWlg des Zonenausschusses der CDU am 22. Wld 23. Januar 1946 in Herford, abgedruckt in: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer Wld die CDU, Dok.Nr. 3, S 1 I3 - 122. 411 Am 6. März 1946 über den NWDR Wld am 24. März 1946 in der Kölner Universität. Der Text der Rede in der Kölner Universität ist abgedruckt in: Ruhl, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. 18, S. 49 ff. 412 Rede über den NWDR, Text im Besitz des CDU-Archivs, zit. nach Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 443. Siehe auch: Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, S 46.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Wie schon mehr als zwanzig Jahre zuvor forderte er eine "organische Lösung", welche nur in der Verflechtung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und seiner westlichen Nachbarn Belgien und Frankreich liegen könne 413 . Adenauer hatte die Forderung nach den "Vereinigten Staaten von Europa" damit bereits ein halbes Jahr vor Churchill erhoben, dessen belÜhmte Züricher Rede zum Ausgangspunkt der europäischen Einigung in der Nachkriegszeit werden sollte414 . In der Zeit bis zum Zusammentritt des Parlamentarischen Rates im September 1948 bekräftigte Adenauer diese europapolitischen Vorstellungen in einer Vielzahl von Äußerungen. In den Sitzungen des Zonenausschusses der CDU der britischen Zone beispielsweise sprach er sich immer wieder für die Einigung Europas aus415 . Daneben stellte er das Thema "Europa" ins Zentrum der ersten beiden Parteitage der CDU der britischen Zone. Auf dem ersten Parteitag in Recklinghausen wies Adenauer in seiner Eröffnungsrede am 14. August 1947 nochmals mit Nachdruck darauf hin, daß die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich das entscheidende Faktum für die Zukunft Europas sei 416 . Auf dem zweiten Parteitag, wiederum in Recklinghausen, machte er in seinem Hauptreferat unter dem Titel "Eine Hoffnung für Europa" am 29. August 1948, also unmittelbar vor dem Zusammentreten des Parlamentarischen Rates, klar, daß die Zukunft nur gelingen könne, wenn eine Europäische Union erreicht würde. Die "vornehmste Aufgabe einer kommenden deutschen Außenpolitik" erblickte Adenauer daher "in der Herstellung eines dauernden guten nachbarschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und seinen westlichen Nachbarn, den Benelux-Staaten und Frankreich"417. 413 Die außenpolitische Konzeption Adenauers stellt auch dar: Morsey, Die RoIle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, S. 83 f. 414 So auch: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 454, ders., Adenauer und Europa, S. 479; Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, S. 48. 415 Die ProtokoIle der Sitzugen des Zonenausschusses enthalten an fiInf SteIlen Belege darüber, daß über das Thema "Europa" gesprochen wurde. Auf den Sitzungen in Herford am 18. März 1947, in Lippstadt am 13. und 14. März 1948, in Bad Meinberg am 19. und 20. Mai 1948, in Minden am 10. Juli 1948 und in Recklinghausen am 3. August 1948. Die einzelnen SitzungsprotokoIle sind abgedruckt in: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg), Konrad Adenauer und die CDU, Dok.Nr. 13 (Herford), S. 291 f; Dok.Nr. 18 (Lippstadt), S. 478; Dok. Nr. 20 (Bad Meinberg), S. 496 ff; Dok.Nr. 21 (Minden), S. 520 fund Dok.Nr.22 (Recklinghausen), S. 539. 416 Die Rede ist abgedruckt in: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer und die CDU, Dok.Nr. 16, S. 330 - 352, hier: S. 350 f. 417 Das Referat ist abgedruckt: ebenda, Dok.Nr. 23, S. 582-593, (590) und in: Ruhl, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. 27, S. 69 ff.

III. Die EinstellWlg filhrender Ratsmitglieder

105

Ferner begann Adenauer, sich auch auf der internationalen Bühne für die europäische Politik einzusetzen. Als vom 29. Januar bis l. Februar 1948 die 3. Vollversammlung der Nouvelles Equipes Internationales (NEI)418 in Luxemburg - erstmals auch unter Beteiligung deutscher Politiker - stattfand, war Konrad Adenauer als Delegierter anwesend419 . Wenig später bildete er im Auftrag der NEI eine deutsche Gruppe420 . Im Mai 1948 nahm Adenauer am großen Europa-Kongreß in Den Haag teil421 , über dessen Ergebnisse er sich erfreut zeigte422 . Lediglich über die Zusammensetzung der deutschen Delegation äußerte er Unverständnis423 . Schließlich gehörte Adenauer zu den Teilnehmern des 2. Kongresses der Europäischen Parlamentarischen Union Anfang September 1948 in Interlaken, wo Vertreter der nationalen Parlamente die Ausarbeitung einer gesamteuropäischen Verfassung in Angriff nahmen424 Wie sich Konrad Adenauer die künftige Gemeinschaft der europäischen Staaten konkret vorstellte, zeigt ein Ende 1946 in der WELT erschienener Artikel. Schon damals sagte Adenauer:

418 Die NEI war der 1947 gegründete Zusammenschluß der christlich-demokratischen Parteien Europas. Sie benannte sich 1964 in "Europäische Union Christlicher Demokraten" (EUCD) um. 419 Neben Adenauer nahm auch Jakob Kaiser in Luxemburg teil. Vgl. : Schwarz, Vorn Reich zur BWldesrepublik, S. 446; Weidenfeld, Konrad Adenauer Wld Europa, S.60. 420 Vgl. das Protokoll der Sitzung des Zonenausschusses der CDU der britischen Zone am 3. August 1948 in Recklinghausen, abgedruckt in: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer Wld die CDU, Dok. Nr. 22, S. 539. 421 Loth, Der Weg nach Europa, S. 59 ; Schwarz, Vorn Reich zur BWldesrepublik, S.446. 422 Auf einer Sitzung des Zonenausschusses am 19. Mai 1948 in Bad Meinberg stellte er im Hinblick auf die Ergebnisse des Haager Europakongresses fest: "Alle die Deutschland betreffenden Probleme sind zusammengefaßt worden in einern Satz, daß die politischen Wld wirtschaftlichen Probleme Deutschlands nur gelöst werden können im Rahmen einer europäischen Föderation". Vgl.: Protokoll der Sitzung, abgedruckt in: Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer Wld die CDU, Dok.Nr. 20, S. 497. In einern Brief an Paul Silverberg schrieb Adenauer: ,,Im Haag konnte man zufrieden sein. Hoffentlich wird die Europa-Föderation weitergehen. Die parlamentarische Union soll sich jetzt des Gedankens annehmen", zit. nach: Schwarz, Adenauer Wld Europa, S. 494. 423 Konrad Adenauer Stiftung (Hrsg.), Konrad Adenauer Wld die CDU, Dok.Nr.20, S.496. 424 Schwarz, Adenauer Wld Europa: S. 494.

106

c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

" Ich sehe die endgültige Lösung in der Schaffung eines gewaltigen Binnenmarktes in Westeuropa, das heißt eines einheitlichen Marktes, der England, Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg und Deutschland umfassen sollte 425."

In räumlicher Hinsicht hatte sich Adenauer auf die unmittelbaren Nachbarn in Westeuropa festgelegt. Italien, Spanien und Portugal spielten für ihn keine Rolle426 . Sie waren fiir Adenauer allenfalls Länder an der europäischen Peripherie427 . Auch die östlichen Nachbarn Polen und die Tschecheslowakei klammerte er aus seinen Überlegungen aus, da diese dem sowjetischen Einflußbereich unterlagen428 . In politischer Hinsicht zeigt Adenauers Forderung nach einem Binnenmarkt, daß er vor allem an ein "Wirtschaftseuropa" dachte429 . Das Ziel einer echten politischen Union hielt er erst nach der Schaffung einer wirtschaftlichen Union für erreichbar. Was den zeitlichen Rahmen bis zur Erreichung erster konkreter Erfolge anging, war Adenauer sehr optimistisch. Noch während der Beratungen des Parlamentarischen Rates äußerte er sich dahingehend, daß die Vorbereitungen für eine europäische Föderation in derart schnellem Tempo vorangingen, daß man mit ihrer Verwirklichung noch im Herbst des Jahres 1949 rechne430 . Im Ergebnis war Konrad Adenauer - auch im Parlamentarischen Rat - ein Garant fiir die Stärkung der europäischen Idee. Während der eigentlichen Beratungen hielt er sich allerdings sehr zurück 431. Nie erhob er offen die Forderung nach einer Festschreibung der europäischen Integration im Grundgesetz. Dies hing vor allem mit seiner Stellung als Präsident des Rates zusammen. Adenauers Bestrebungen gingen hauptsächlich dahin, das Gesamtwerk des Parlamentarischen Rates zu einem positiven Ende zu fUhren 432. Daher verzichtete er darauf, selbst verstärkt in die Ausschußarbeiten einzutreten, sondern wirkte geschickt hinter den Kulissen 433. Daß er dabei die künftige Ein-

425 Interview in: DIE WELT vom 30. November 1946; zit. nach: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 791,Fn. 51. Diese Aussage beweist, wie weit Adenauer in seinen Europaplänen vielen seiner Zeitgenossen voraus war. 426 Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, S. 54. 427 Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 448. 428 Ebenda, S. 448. 429 Ebenda, S. 451. 430 Adenauer in: DIE WELT vom 31. MärZ 1949, zit. nach: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 446 f. 431 Morsey, Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, S. 86. 432 Adenauer, Erinnerungen, S. 152. 433 Morsey, Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, S. 91 ff.

ID. Die Einstellung ftl.hrender Ratsmitglieder

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bindung Deutschlands in ein System der westeuropäischen Staaten stets als ein zentrales Anliegen im Hinterkopf hatte, bedarf nach der Aufzählung seines großen Engagements fiir die europäische Einigung keines zusätzlichen Beweises. 2. Wilhelm Heile, 1881 - 1969 (DP) Als Wilhelm Heile im Sommer 1948 als Vertreter der Deutschen Partei in den Parlamentarischen Rat entsandt wurde, bot sich ihm - drei Jahrzehnte nach seiner Tätigkeit als Mitglied der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung in Weimar - zum zweiten Mal die Möglichkeit am verfassungspolitischen Aufbau Deutschlands mitzuwirken. Heile, zeitiebends ein liberaler Politiker, war gemeinsam mit seinem langjährigen politischen Weggefährten Theodor Heuss in der Zeit bis 1919 der engste Mitarbeiter Friedrich Naumanns gewesen 434 . Von 1920 bis 1924 gehörte er fiir die Deutsche Demokratische Partei (DDP) dem Reichstag an. Auch nach dem Zusammenbruch Deutschlands fiihlte sich Heile dem Liberalismus verpflichtet. Der Dreiundsechzigjährige war 1945 entscheidend an der Grundung der FDP in der britischen Zone beteiligt. Am 8. Januar 1946 wählte die Partei Heile zu ihrem Vorsitzenden. In dieser Eigenschaft versuchte Heile den FDPLandesverband Niedersachsen mit der Niedersächsischen Landespartei (NLP) zur stärksten politischen Kraft des neuen Landes zu vereinigen. Es blieb jedoch bei einem Versuch. Heile verlor nach einer Rede auf dem Parteitag der NLP das Vertrauen seiner eigenen Partei, die er verlassen mußte. Kurz darauf schloß er sich der NLP, die sich ab Juni 1947 "Deutsche Partei" nannte, an435 Daß Heile auch nach diesem Schritt persönlich und politisch glaubhaft blieb, ist vor allem der Tatsache zuzuschreiben, daß er sich selbst zeitiebends nicht als Parteipolitiker, sondern als liberaler niedersächsischer republikanischer Freiheitskämpfer betrachtete436 . Neben der Liebe fiir seine Heimat Niedersachsen gehörte die große Leidenschaft Wilhelm Heiles der Außenpolitik. Wie sein Ratskollege Adenauer engagierte sich auch Heile bereits in den zwanziger Jahren fiir die europäische

434 Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 147; Pegg, Vorstellungen und Pläne der Befilrworter eines europäischen Staatenbundes in den Jahren 1925-1930, S. 784. Siehe auch: Holl, Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik, S. 34. 435 Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 140. 436 Ebenda, S. 139.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Idee437 . Dies belegen eine Reihe von Veröffentlichungen, überwiegend zur Frage der Zukunft Deutschlands und Europas438 , und seine seit 1922 bestehende Mitgliedschaft in der deutschen Gruppe der Interparlamentarischen Union, wo er, auch nach seinem Ausscheiden aus dem Reichstag im Mai 1924, bis ins Jahr 1932 als Schriftfiihrer im Vorstand wirkte439 Als erster deutscher Politiker überhaupt440 forderte Heile schon 1922 auf einer Arbeitstagung der Interparlamentarischen Union in Wien die Zusammenarbeit der Staaten Europas441 . Diese Zusammenarbeit sollte nach seinen Vorstellungen zur Schaffung einer europäischen Zollunion und zur Gründung der "Vereinigten Staaten von Europa" fiihren 442 . Daneben machte sich Heile fiir die weltweite Zusammenarbeit aller liberalen Parteien stark. Auf seine Anregung hin wurde die internationale Vereinigung der liberalen und demokratischen Parteien gegründet. Wilhelm Heile wurde ihr erster Präsident443 . Im Jahr 1926 wurde Heile zudem geschäftsfiihrender Präsident des "Verbandes fiir Europäische Verständigung"444 und der "Union fiir Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit"445. Am 25. November 1928 schließlich war er einer der Urheber der Gründung des "Bundes fiir Europäische Cooperation" in

437 Daß der hierbei von Heile an den Tag gelegte europäische Idealismus, zwnindest in den frühen zwanziger Jahren, in enger Verbindung zu einem nationaldemokratischen Revisionismus stand, fl.ihrt HeB, Europagedanke und nationaler Revisionismus, S. 576 ff, aus. Heile selbst hat als Motivation filr seine europäischen Bemühungen mehrfach sein Fronterlebnis im Ersten Weltkrieg bezeichnet; vgJ.: Holl, Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik; S. 35. 438 Zu nennen sind hier Heiles Buch, Nationalstaat und Völkerbund, Gedanken über Deutschlands europäische Sendung, Halberstadt 1926, sowie eine Reihe von Artikeln in der ursprünglich von Friedrich Naumann herausgegebenen Zeitscluift ,,Die Hilfe", etwa: Die Vereinigten Staaten von Europa, Die Hilfe 18 (1922), S. 274; Von VersailIes über Locarno nach - Europa, Die Hilfe 31 (1925), S. 436; Deutschlands Einheit und europäische Sendung, Die Hilfe 33 (1927), S. 299. 439 Holl, Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik, S. 35. 440 Noch vor dem Gründer der Paneuropa-Bewegung, dem (österreichischen) Grafen Coudenhove-Calergi; VgJ.: Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 98. Zur Konkurrenz zwischen Heile und Coudenhove-Kalergi um die ,,richtige Europakonzeption" vgl: Holl, Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik, S. 36 ff. 441 Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 93 und S. 100. 442 Ebenda, S.97. 443 Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 97. 444 HeB, Europagedanke und nationaler Revisionismus, S. 573; Holl, Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik, S. 64; Luckemeyer, Wilhe1m Heile 18811981, S. 102. 445 Pegg, Die wachsende Bedeutung der europäischen Einigungsbewegung in den zwanziger Jahren, S. 870 f.

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Paris446 . Durch dieses großes Engagement für die europäische Einigung gewann Wilhelm Heile bald an Wertschätzung und Vertrauen im europäischen Ausland. Er wurde ein gefragter europapolitischer Redner. Immer wieder reiste Heile zu Vorträgen durch die Hauptstädte Europas. Dabei sprach er beispielsweise im Frühjahr 1929 in Madrid über die "Europäische Cooperation auf dem Gebiet des Verkehrs"447. Wilhelm Heile gilt zurecht als "erster liberaler Vorkämpfer für Europa" in Deutschland448 . Wie kein anderer deutscher Politiker seiner Zeit trat Heile in den zwanziger Jahren für den Gedanken der "Vereinigten Staaten von Europa" ein. In allen Gremien, in denen er vertreten war, und bei all seinen Auslandsaufenthalten versuchte er Einfluß auf die weitere Entwicklung Europas zu nehmen. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt setzte Wilhelm Heile seine ganze Energie dafür ein, den führenden Persönlichkeiten des politischen Lebens den besonderen Wert des Wortes "Europa" nahe zu bringen. Mit seiner Vision von Europa war Wilhelm Heile seiner Zeit politisch um Generationen voraus449 . Daß ein Europäer wie Wilhelm Heile auch bei den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat mit Leidenschaft für die Möglichkeit der Beteiligung Deutschlands an einer Föderation der europäischen Staaten eintreten würde, stand außer Frage.

3. Theodor Heuss, 1884 - 1963 (FDP) Auch Theodor Heuss, der prominenteste Vertreter der Liberalen im Parlamentarischen Rat, gehörte spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu den Befurwortem der europäischen Einigung. In Württemberg geboren und aufgewachsen, hatte Heuss nach dem Abschluß seines kunsthistorischen und staatswissenschaftlichen Studiums seit 1905, zeitweise gemeinsam mit Wilhelm Heile, in Berlin als Redakteur der von Friedrich Naumann herausgegebenen sozialliberalen Wochenschrift "Die Hilfe" gearbeitet450 . Durch den intensiven Kontakt zu seinem politischen Ziehvater Naumann, der seine diesbezüglichen Gedanken noch während des Ersten Weltkrieges unter dem

446 Luckemeyer, Wilhe1m Heile 1881-1981, S. 100. Vgl. auch: Holl, Europapolitik im Vorfeld der deutschen Regierungspolitik, S. 83. 447 Luckemeyer, Wilhelm Heile 1881-1981, S. 10 1. 448 So der Untertitel des Werkes von Luckemeyer, Wilhelrn Heile 1881-1981. 449 Trotz seiner Kritik an den grundsätzlichen Motiven Heiles räumt dies auch HeB, Europagedanke und nationaler Revisionismus, S. 615, ein. 450 Hamm-BTÜcherlRudolph, Theodor Heuss, S. 45 f.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Titel "Mitteleuropa"451 veröffentlicht hatte, wurde Heuss schon flÜh mit Überlegungen zum Thema "Europa" konfrontiert. Vor diesem Hintergrund vermag es kaum zu verwundern, daß auch Heuss selbst sich in den zwanziger Jahren mehrfach zur Frage der europäischen Einigung äußerte 452 . Im Gegensatz zu seinem Weggefahrten Heile zeigte er sich dabei allerdings zunächst als ausgesprochener Europakritiker. Sowohl die Paneuropa-Pläne CoudenhoveKalergis, als auch die ersten Ansätze einer europäischen Politik durch Briand und Stresemann lehnte Theodor Heuss ab453 . Insgesamt kritisierte er die Reden über Europa als ein Stück Politik, mit dem die europäischen Schwierigkeiten - Heuss nannte hier ausdrücklich die Saar-Frage, das AnschlußProblem, sowie die Sorge um den polnischen Korridor - in den Dauerschlaf gesungen werden sollten454 . Der Grund fiir diese strikte Ablehnung der frühen Europabemühungen durch den jungen Theodor Heuss ist in seiner festen Verwurzelung im national staatlichen Denken des 19. Jahrhunderts zu suchen, welche ihn unabhängig von seinen demokratischen Anschauungen zum damaligen Zeitpunkt kennzeichnete455 . Noch 1929 sah Heuss in den Plänen für eine europäische Föderation einen Rationalismus, "der es sich gar zu leicht mache, indem er die urtümliche Gegebenheit der Nation zur Seite schiebe"456. Von den Nazis mit einem Publikationsverbot belegt457, äußerte sich Heuss erst nach dem Zweiten Weltkrieg erneut zum "Thema Europa": Nun vertrat er allerdings einen - gegenüber seinen früheren Äußerungen - fundamental gewandelten Standpunkt und machte sich für eine schnelle Integration der europäischen Staaten stark. Nachdem Heuss sich erstmals im Sommer 1946 als Vorsitzender der württemberg-badischen DVP fiir einen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenschluß der europäischen Völker ausgesprochen hatte458 , ging er Anfang Dezember 1948, als der Parlamentarische Rat bereits seine Arbeit aufgenommen hatte, auf dem GlÜndungsparteitag der Freien Demokraten in Heppenheim ausführlich auf die Frage der europäischen Einigung ein. Im Rahmen seiner Rede über "Unsere deutsche

451 Friedrich Nawnann, Mitteleuropa, Berlin 1915. 452 In der Weimarer Republik war Heuss Reichstagsabgeordneter ftlr die Deutsche Demokratische Partei, vgl.: Hanun-BfÜcherlRudolph, Theodor Heuss, S. 69 ff. 453 Vgl. hierzu: Heß, Theodor Heuss vor 1933, S. 169 f 454 Ebenda, S. 169. 455 Ebenda, S. 175 f 456 Heuss unter dem Titel ,,Aufbruch nach Paneuropa ?" im Hamburger Fremdenblatt vom 24. September 1929; zit. nach: Heß, Theodor Heuss vor 1933, S. 170. 457 Vgl. SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, S. XVI. 458 Siehe hierzu oben S. 56 f.

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Mission" 459 zeigte sich Theodor Heuss als Anhänger der "kommende(n) Eingliederung Deutschlands in den großen europäischen Raum". Diese Eingliederung. so betonte Heuss jetzt. habe er sich "selber als Herzensaufgabe gestellt". Er spüre. daß "die Zeit der reinen national staatlichen Auffassung überholt" sei 460 . Besonders machte sich Heuss für eine Aussöhnung mit Frankreich stark. Der FDP-Politiker sah rur "Europa" nur dann eine Chance. wenn Deutschland. trotz der mit "soviel begreiflichem Ressentiment" belasteten Beziehungen zu einem freien Verhältnis mit Frankreich komme461 . Theodor Heuss hatte damit deutlich gemacht. daß auch er mittlerweile zu den Unterstützem der europäischen Einigungsidee zählte. Während der Beratungen des Parlamentarischen Rates sollte er diese Linie konsequent fortsetzen.

4. Carlo Schmid, 1896 - 1979 (SPD) Obwohl er erst infolge eines spektakulären Arrangements für die SPD Württemberg-Hohenzollem in den Parlamentarischen Rat entsandt worden war462 • war Carlo Schrnid einer deIjenenigen. die ganz entscheidend zum Gelingen der Verfassungsarbeiten beitrugen. Vor allem als Vorsitzender des Hauptausschusses erwies sich Schrnid als ein besonderer GlÜcksfall463 . Durch die ihm eigene Verbindung von humanistischer Gelehrsamkeit und volksnaher Eloquenz verkörperte Schrnid jene selten gewordene Mischung aus Politik und

459 Abgedruckt in: Mischnick, Verantwortung für die Freiheit, S. 536-548. 460 Ebenda, S. 543. 461 Ebenda, S. 543 f. 462 Hirscher, Carlo Schmid und die Gründung der Bundesrepublik, S. 202; Salzmann, Die CDU/ CSU im Parlamentarischen Rat, S. XIII. Gebhard Müller, der Regierungschef von Württemberg-Hohenzollern, hatte bei der Landtagsfraktion seiner eigenen Partei , der CDU, durchgesetzt, daß der SPD-Abgeordnete Schmid neben dem CDU - Parlamentarier Paul Binder in den Parlamentarischen Rat gewählt wurde. Dafür sollte die nordrhein-westfälische SPD-Landtagsfraktion im Gegenzug einen CDU-Politiker in die verfassunggebende Versammlung berufen. Dies unterblieb jedoch. Müller, der während der Verfassungsarbeiten engen Kontakt zu Schmid hielt, begründete seine Vorgehensweise später damit. daß es zur Ermöglichung eines tragfähigen Verfassungskompromisses dringend gemäßigter aber einflußreicher Sozialdemokraten im Parlamentarischen Rat bedurft habe. Vgl.: Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, S. 194. 463 Darüber hinaus war Schmid Vorsitzender der SPD - Fraktion im Parlamentarischen Rat; vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 184.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Geist, die ihm eine unangefochtene Sachautorität verlieh464 . Schon weit vor den Jahren 1948/49465 hatte Schmid begonnen in seine politischen Überlegungen europäische Ansätze einzubeziehen. Er war davon überzeugt, daß das Schicksal Deutschlands und der westeuropäischen Staaten entscheidend davon abhinge, ob es ihnen gelingen würde, die Kraft und den Willen zur Bildung einer gemeinsamen politisch-ökonomischen "Union Europas" aufzubringen 466 . Schmid glaubte, daß nur ein derartig geeintes Europa in der Lage sein würde, als "Dritte Kraft" neben den bei den Supermächten, den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion, zu bestehen467 . Dieses Ziel, des Europa der "Dritten Kraft", hielt er jedoch nur für erreichbar, wenn "Europa" eine klare staatliche Strukturierung erhielte. Schon früh setzte sich Schmid deshalb für die Schaffung eines europäischen Bundesstaates ein468 . In einem für die damalige Zeit sehr ausgereiften Europa-Konzept legte er seine diesbezüglichen Auffassungen ctar469 . Schmid forderte die Staaten Europas auf, zugunsten einer überstaatlichen Gemeinschaft zumindest auf Teile ihrer nationalstaatlichen Souveränität zu verzichten. Bestimmte Politikbereiche sollten nach seinen Vorstellungen künftig von einer zwischenstaatlichen Einrichtung, andere weiterhin von den Einzelstaaten, wahrgenommen werden47o . Was die zeitliche Realisierung dieser Europapläne anging, so hielt Schmid ein Vorgehen in Etappen für sinnvoll. Schmid glaubte, daß vor einer politischen Union der Staaten Europas ein wirtschaftlicher Zusammenschluß erreicht werden müsse471 . Ein solcher wirtschaftlicher Zusammenschluß sollte zunächst zwischen den Benelux-Staaten, Frankreich und Italien erfolgen. Schmid hoffte aber darauf, bald Großbritannien, eventuell sogar das gesamte Commonwealth, in den künftigen europäischen Bundesstaat eingliedern zu können. Ferner dachte er an die skandinavischen Staaten als mögliche Partner

464 Ebenda, S. 75. 465 Nämlich seit der Jahreswende 1946/47; vgl.: Schmid, Erinnerungen, S. 417. Weber, Carlo Schmid 1896 -1979, S. 190, spricht jetzt davon, daß sich Schmid bereits in seiner Zeit als Kriegsverwaltungsrat in Lille über eine deutsch-französische Freundschaft, die der Angelpunkt eines vereinten Europa werden sollte, Gedanken gemacht habe. 466 Schmid, Erinnerungen, S. 296 und 417. 467 Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 575. 468 Schmid, Erinnerungen, S. 296. Von Carlo Schmid stammt beispielsweise die Aussage: ,,Europa muß man schon als Bundesstaat wollen, wenn man ein wirksames Europa will !". Vgl.: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 574. 469 Vgl.:Schmid, Das deutsch-französiche Verhältnis und der Ditte Partner, S.795 tT. 470 Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 576; Weber, Carlo Schmid 18961979, S. 321. 471 Schmid, Das deutsch-französische Verhältnis und der Dritte Partner, S. 795.

ill. Die Einstellung fllhrender Ratsmitglieder

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der europäischen Einigung472. Auch die künftige Stellung Deutschlands hatte Schmid in seine europa- bzw. weltpolitischen Überlegungen einbezogen. Er glaubte fest daran, daß durch das Erreichen einer europäischen Einheit viele Bedenken gegen die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands von selbst gegenstandslos werden würden473 . Daß es sich bei diesen sehr europafreundlichen Vorstellungen im Zeitpunkt der Beratungen des Parlamentarischen Rates zunächst nur um ein Denkmodell handeln konnte, war Schmid klar. Er ging davon aus, daß Deutschland aus dem europäischen Einigungsprozeß noch für eine gewisse Zeit ausgeklammert werden würde474 . Später, nach einer Reihe nur provisorischer Übergangsregelungen, würde ein wiedervereinigtes Deutschland aber einem geeinten Europa beitreten können475 . Diese politische Vision verlor Carlo Schrnid bei seinem ganzen Handeln nie aus den Augen. Versuchen von Seiten französischer Sozialisten, ihn für die Schaffung "europäischer Realitäten"476 zu gewinnen und die Internationalisierung des politischen Status an der Ruhr hinzunehmen, trat er entschlossen entgegen. Zwar akzeptierte Schmid, daß Deutschland, um die Bildung eines europäischen Bundesstaates zu erreichen, Opfer bringen müsse. Jedoch lehnte er die Ausbeutung deutscher Bodenschätze als Vorleistung für das künftige Europa ab. Deutschland müsse vielmehr versuchen, zumindest die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Schaffung eines künftigen eigenverantwortlichen Staates so lange selbst zu bestimmen, bis diese auf ein Gemeinschaftsorgan übertragen werden könnten477. Obwohl Schrnid, der die472 Ebenda, S. 796 ff; Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 576 f. 473 Schmid, Erinnerungen, S. 296. 474 Daß Deutschland noch fiir eine gewisse Zeit vom europäischen Einigungsprozess ausgeschlossen sein würde, war Schmid aus mehreren Gründen aber gar nicht so unrecht. Zum einen hatte er erkannt, daß auch im Jahr 1948 selbst bei den westlichen Siegermächten teilweise noch eine stark antideutsche Stimmung vorherrschte. Schmid hielt es deshalb fiir günstiger, wenn ein Friedensvertrag noch möglichst lange auf sich warten ließe. Er hoffte, daß die Vereinigten Staaten von Europa später stark genug sein würden, Deutschland direkt als gleichberechtigten Partner in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Darüber hinaus befiirchtete er, daß - ausgehend vom Besatzungsstatus Deutschlands - in der deutschen Öffentlichkeit die Idee der Lösung vieler Probleme durch eine Vereinigung der europäischen Staaten falsch verstanden werden könnte. Auf jeden Fall wollte Schmid vermeiden, daß die Idee der europäischen Integration in Deutschland selbst als "perpetuierte Okkupation" mißverstanden würde. Vgl. hierzu: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 581 f. 475 Schmid, Erinnerungen, S. 297; vgl. auch: Loth, Deutsche Europa-Konzeptionen in der Eskalation des Ost-West-Konflikts 1945-1949, S. 461. 476 Schmid, Erinnerungen, S. 418. 477 Ebenda, S. 419. X Bermanseder

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

se Haltung in einer Vielzahl von Gesprächen, etwa mit niederländischen478 und französischen479 Sozialisten vehement vertrat, sich damit speziell auf französischer Seite nicht besonders beliebt zu machen wußte, stand er bald im Ruf einer der deutschen Wortführer einer realistischen Europapolitik zu sein. Beinahe zwangsläufig kam Schmid mit internationalen Verbänden, deren Ziel die Unterstützung einer raschen europäischen Integration war, in Berührung. Im Laufe des Jahres 1947 ermunterte ihn Ernst von Schenk aus Bern zur Mitarbeit in der Europäischen Union der Föderalisten (UEF)480. Bereits ein Jahr später, weit vor dem Zusammentritt des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948, war Schmid ein gefragter Redner, wenn es um europapolitische Themen ging. Im Mai 1948 sprach vor dem Berliner Bezirksparteitag der SPD über eine "realistische Europapolitik"481. Bei der angesprochenen Arbeitstagung der UEF in Bad Homburg hielt er ein vielbeachtetes Referat482 . Auch während und kurz nach Beendigung der Arbeit des Parlamentarischen Rates trat Schmid öffentlich fiir die Einigung Europas ein. Im Dezember 1948 hielt er einen Vortrag vor der Europa-Union in Stuttgart, in dem er vor allem auf das Verhältnis Deutschlands zu Frankreich abstellte. Im Juni 1949 schließlich gab er mit seiner Rede auf der konstituierenden Versammlung des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung die Leitlinie der künftigen Tätigkeit dieser Organisation vor4 83 . Carlo Schmid nach alledem als einen der ersten großen Europäer zu bezeichnen, erscheint keineswegs übertrieben. Daß er durch sein nachhaltiges, stets aber realistisches und maßvolles Eintreten rur die europäische Integration auch im Rahmen der Arbeit des Parlamentarischen Rates entscheidende Impulse fiir die europafreundliche Ausrichtung des Grundgesetzes liefern würde, stand außer Frage.

5. Sonstige Neben diesen aus deutscher Sicht wichtigsten Streitern rur ein geeintes Europa engagierten sich eine ganze Reihe weiterer Ratsmitglieder bereits im 478 Etwa mit Koos Vorrink, dem Vorsitzenden der Niederländischen Partei der Arbeit Wld dessen außenpolitischem Sekretär Alfred Mozer. Vgl: Sclunid, ErinnefWlgen, S. 298. 479 Mit dem fiilheren Minister Andre Philip. Vgl: Sclunid, ErinnefWlgen, S. 299. 480 Sclunid, ErinnefWlgen, S. 420; Weber, Carlo Sclunid 1896-1979, S. 322. 481 Sclunid, ErinnefWlgen, S. 422. 482 Ebenda, S. 421; Weber, Carlo Schmid 1896-1979, S. 323. 483 Schmid, ErinnefWlgen, S. 423.

ID. Die EinstellWlg ftlhrender Ratsmitglieder

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Vorfeld der Bonner Grundgesetzberatungen für die europäische Idee. Deren Aktivitäten seien hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, kurz dargestellt. Bereits Anfang 1947 hatte sich der von der hessischen SPD in den Parlamentarischen Rat entsandte Ludwig Bergsträsser (1883-1960) in einem Interview rur eine um den Energiesektor aufgebaute europäische Wirtschaftsunion ausgesprochen. Er hatte sich "im wohlverstandenen Interesse Deutschlands" dafür eingesetzt, der französischen Forderung nach einer internationalen Kontrolle der deutschen Kohleproduktion nicht zu widersprechen, sondern diese "nur als einen Ausgangspunkt dafiir anzusehen, daß ganz allgemein größere Gebiete ins Leben gerufen werden und in ihnen engere wirtschaftliche Zusammenarbeit entsteht"484 Bergsträssers sozialdemokratischer Fraktionskollege Ernst Reuter (1889-1953) war ebenfalls bereits 1947 für die europäische Idee eingetreten. Auch Reuter ging es dabei primär um die wirtschaftliche Kooperation der europäischen Staaten. Speziell in einem "europäischen Kohlekontor" sah er ein geeignetes Instrument für deren Realisierung485. Unterstützt wurde Reuter in diesem Ansinnen von Paul Löbe (1875-1967). Löbe, der ebenfalls von der Berliner SPD mit beratender Stimme in den Parlamentarischen Rat entsandt worden war, gehörte schon seit 1927 dem Präsidium der "Paneuropa-Union" des österreichischen Grafen Richard Coudenhove-Kalergi an 486 . Mit Walter Menzel (1901-1963) schließlich hatte sich ein weiteres ruhrendes Ratsmitglied der SPD schon vor der Arbeit des Parlamentarischen Rates rur die europäische Einigung engagiert. Über seine bereits angesprochene Rede auf dem Nürnberger Parteitag 1947, sowie über die Berücksichtigung einer proeuropäischen Bestimmung in seinem maßgeblichen zweiten Verfassungsentwurf hinaus, läßt sich Menzels Engagement rur "Europa" vor allem anband einer Äußerung vor dem Zonenbeirat der britischen Zone belegen, wo Menzel am 25. November 1947 den Verfassungsvorschlag seiner Partei erläutert hatte 487 Auch hier betonte der als ausge-

484 Bergsträsser in einem Interview über "Die Partner des Friedens" in: DER TAGES SPIEGEL vom 7. März. 1947, zit. nach: Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 793, Fn. 71. 485 Vgl. BrandULowenthal, Ernst Reuter, S. 371. 486 Coudenhove-Kalergi, Eine Idee erobert Europa, S. 124 f; Loth, Der Weg nach Europa, S. 11; vgl. auch: Hess, Europagedanke Wld nationaler Revisionismus, S.611 und Pegg, VorstellWlgen Wld Pläne der Befl1rworter eines europäischen StaatenbWldes in den Jahren 1925-1930, S. 788. 487 Siehe dazu: Hirscher, Sozialdemokratische Verfassungspolitik wld die Entstehung des BOlmer Grundgesetzes, S. 99 ff. 8'

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

sprochener Zentralist geltende Politiker die grundsätzliche Notwendigkeit einer Union der Staaten Europas488 . Auf Seiten der Union war Konrad Adenauer keineswegs der einzige, der Sympathie für die europäische Einigung hegte. Auch der spätere Vorsitzende der Unionsfraktion im Rat, Anton Pfeiffer (1888-1957), hatte sich mehrfach für "Europa" ausgesprochen. Bereits Anfang September 1945 hatte Pfeiffer in einem Prograrnmentwurf für die damals noch in der GIiindung befindliche CSU bemerkt, Europa brauche eine "weitgespannte völkerverbindende Föderation", in der für nationalstaatliche Egoismen kein Platz sei 489 . In dem ebenfalls von Pfeiffer ausgearbeiteten Grundsatzprograrnm einer ChristlichDemokratischen Volkspartei in Bayern vom 5. September 1945 490 forderte er demgemäß die "Abwendung von den nationalsozialistischen Übersteigerungen eines überlebten nationalstaatlichen Prinzips". Es bedürfe vielmehr eines Bekenntnises "zur höheren Idee des übernationalen Zusammenschlusses von VÖlkergemeinschaften"491. Auch in der Folgezeit verlor Pfeiffer die Notwendigkeit der europäischen Einigung nicht aus den Augen. Dies belegt seine Mitarbeit im "Ellwanger Kreis", dessen oben erörterte "Grundsätze für eine Bundesverfassung" neben anderem auch die Bereitschaft Deutschlands zum Beitritt in eine europäische Staatenkonfoderation enthielten492 , sowie eine maßgebend von Pfeiffer vorbereitete Tagung internationaler Föderalisten vom 31. März bis 4. April 1948 in Regensburg493. Dort waren Vertreter aus insgesamt 13 Nationen anwesend, um über "Die europäische Lage und den deutschen Föderalismus" zu diskutieren494 .

488 Ebenda, S. 102. Menze1 machte dabei allerdings deutlich, daß man den Aufbau Deutschlands nach seiner Ansicht dann nicht "im Rahmen einer europäischen Union" durchfilhren, sich also an größeren politischen und staatlichen Einheiten orientieren könne, wenn man zugleich die Politik innerhalb Deutschlands "ländermäßig autark gestalten" wolle. 489 Siehe dazu: Reuter, "Graue Eminenz der bayerischen Politik", S. 123. 490 Vgl.: Ebenda, S. 124. 491 Das angesprochene Grundsatz-Programm der Christlich-Demokratischen Volkspartei in Bayern ist abgedruckt in: Reuter, "Graue Eminenz der bayerischen Politik", Anhang, S. 320. 492 Siehe oben Seite 51. 493 Es handelte sich um ein Treffen des ,,Institut International des Sciences Sociales et Politiques" mit Sitz in Fribourg/Schweiz, an dem u. a. der italienische Arbeitsminister Fanfani und der französische Agrarminister Pflirnlin teilnahmen. 494 Reuter, "Graue Eminenz der bayerischen Politik", S. 163.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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Damit bleibt festzuhalten, daß eine Reihe der Mitglieder des Parlamentarischen Rates die europäische Idee schon vor dem Beginn der Verfassungsberatungen nicht nur aus der Entfernung kannte, sondern sich bereits aktiv für das Zusammenwachsen Europas eingesetzt hatte. Besonders positiv für die europäische Idee war in diesem Zusammenhang, daß es sich dabei vor allem um die Spitzenvertreter der einzelnen Fraktionen handelte.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen des Parlamentarischen Rates Die grundsätzlichen Voraussetzungen für ein Aufgreifen der Forderung nach einer Teilnahme Deutschlands am Prozeß der europäischen Einigung im Grundgesetz schienen also gegeben zu sein, als die Bonner Abgeordneten ihre Beratungen aufnahmen. Inwieweit der vorsichtige Optimismus, den diese Ausgangslage bei den Anhängern der europäischen Einigung in Deutschland weckte, tatsächlich berechtigt war, wird die nachfolgend vorgenommene Untersuchung zeigen, welche sich ausführlich mit der primären Fragestellung der Arbeit, nämlich der tatsächlichen Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Arbeiten am Grundgesetz, auseinandersetzt. Ausgehend von der im Bonner Kommentar von Dennewitz vorgenommenen Einteilung werden die Beratungen zum Grundgesetz dabei einer phasenweisen Betrachtung in insgesamt sieben Abschnitten unterzogen495 .

1. Die europäische Idee in der ersten Phase der Bonner Beratungen Der erste Abschnitt der Grundgesetzarbeiten von September bis Anfang November 1948 umfaßte die Eingangsberatungen im Plenum, sowie die anschließend daran begonnene Erarbeitung erster Vorlagen in den einzelnen Fachausschüssen. Er endete mit dem Beginn der ersten Lesung des Grundgesetzentwurfs im Hauptausschuß am 11. November 1948496 . a) Die Eingangsberatungen im Plenum

Nach einem Festakt zu Beginn der Verfassungsarbeiten am Morgen trafen sich die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates am Nachmittag des 1. Septembers 1948 zu ihrer ersten Sitzung im Plenum. Bereits zu diesem frühen

495 Vgl.: DelUlewitz, in: DolzerNoge\, BOlUler Kommentar, Einleitung, S. 91 fT. 496 Ebenda, S. 91 fT.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Zeitpunkt war etwas von dem neuen überstaatlichen Geist zu spüren, der im Laufe der Beratungen immer wieder auftauchen sollte, als sowohl der Alterspräsident des Parlamentarischen Rates, Schönfelder (SPD), als auch der frisch gewählte Präsident Adenauer auf die Bedeutung der Arbeit des Rates, nicht nur für Deutschland selbst, sondern auch für Europa hinwiesen. Schönfelder erinnerte die Anwesenden daran, daß sie die Aufgabe hätten, ein Grundgesetz zu schaffen, welches es Deutschland gestatte, aus eigener Kraft alles zu tun, was "wir für den Wiederaufbau leisten können" und "welches auch für Deutschland wieder den Weg in die große europäische Völkerfamilie hinein öffnet"497. Adenauer unterstrich diese Aussage. Es gelte dem "politisch völlig auseinandergebrochenen deutschen Volk" eine neue politische Struktur zu geben. Dabei handele man nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Interesse Europas498 . Die eigentlichen Grundgesetzberatungen begannen mit einer im Vorfeld nicht unumstrittenen zweitägigen Plenarsitzung am 8. und 9. September 1948499 . Als erster Berichterstatter ergriff Carlo Schmid das Wort. In einer Grundsatzrede legte Schmid seine verfassungspolitischen Leitvorstellungen dar. In den Mittelpunkt der Ausführungen stellte er dabei sein Konzept eines "organisierten Provisoriums"500. Darüber hinaus versäumte Schmid es nicht, 497 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, I. Plenarsitzwlg, S. 3. 498 Ebenda, S. 5. 499 Vor allem Adenauer hatte sich - erfolglos - mit großer Entschlossenheit für eine sofortige Aufnahme der Beratungen in den Fachausschüssen eingesetzt. Der Grund dafür dürfte in seiner Furcht vor einer vOIZeitigen. allzu einseitigen Meinungsbildung im Plenum zugunsten der extremf6deralistischen Kräfte zu suchen sein. Vgl. Lange, Die Würde des Menschen, S. 16; Morsey, Die Rolle Konrad Adenauers im Parlamentarischen Rat, S. 68. Neben dem "Ob" der Durchführung einer Eingangsberatung im Plenum führte vor allem das "Wie" einer solchen Veranstaltung zu Diskussionen. Anlaß der Kritik war eine Entscheidung des Ältestenrates. Obwohl die Tagesordnung einen ,,Bericht über die dem Parlamentarischen Rat gestellte Aufgabe an Hand der Vorarbeiten und Entwürfe" vorsah - konsequenterweise also eine Beratung über alle dem Rat vorgelegten Verfassungsvorschläge hätte durchgeführt werden müssen - hatte dieser beschlossen, lediglich eine ,,Berichterstattung" solcher Abgeordneter zuzulassen, die am Herrenchiemseer Vertassungskonvent teilgenommen hatten Darüber hinaus wurde festgelegt, daß hierbei nur die beiden großen Fraktionen mit jeweils zwei Berichterstattern zu Wort kommen sollten. Die anderen im Rat vertretenen Parteien sollten sich erst während des zweiten Tagesordnungspunktes ,,Allgemeine Aussprache" an der Debatte beteiligen dürfen. Vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 18 f. 500 Schmid hatte wiederholt die Auffassung vertreten, daß Deutschland als Staat 1945 nicht untergegangen, sondern lediglich "desorganisiert" worden sei. Da die deutsche Volkssouveränität infolge der alliierten Besatzwlg noch nicht vollständig

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Ralunen der Beratungen

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eine seiner Hauptforderungen aus der Zeit vor den Bonner Beratungen zu wiederholen. Auch in dieser ersten Rede vor den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates setzte er sich nachdrücklich für die Übertragung von nationalen Souveränitätsrechten auf zwischenstaatliche Organisationen ein. Wörtlich sagte Schmid : "Weiter sollte man eine Bestimmung vorsehen, die es erlaubt, im Wege der Gesetzgebung Hoheitsbefugnisse auf internationale Organisationen zu übertragen. Ich glaube, daß dieses Grundgesetz durch eine solche Bestimmung lebendig zum Ausdruck bringen würde, daß das deutsche Volk zum mindesten entschlossen illt, aus der nationalstaatlichen Phase seiner Geschichte in die übernational staatliche Phase einzutreten,,50 I. Daran anknüpfend erinnerte Schmid an die Probleme, die auftauchen würden, wenn eine derartige Bestimmung im künftigen Grundgesetz nicht enthalten sein würde. Er machte den Ratsmitgliedern deutlich, daß dann für jeden Einzelfall der Souveränitätsübertragung ein verfassungsänderndes Gesetz erforderlich sein würde. Zwischen den Zeilen wies er so darauf hin, daß in diesem Fall die Beteiligung Deutschlands am Prozess des Zusammenwachsens der Staaten Europas wesentlich erschwert sein würde. Schmid empfahl den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates deshalb, selbst "die Tore in eine neugegliederte überstaatliche politische Welt" zu öffnen. Mit Nachdruck betonte er, daß es keine Probleme mehr gebe, die "ausschließlich mit nationalen Mittel gelöst werden" könnten. Die Mittel, um aller innerstaatlicher Nöte Herr zu werden, könne man nur auf überstaatlicher Grundlage finden 502 . Bei aller Begeisterung für die europäische Idee vergaß Carlo Schmid nicht eine Einschränkung zu machen, die die Anforderungen, die er an die künftige Gemeinschaft der europäischen Staaten stellte, verdeutlicht. Schmid legte Wert auf die Tatsache, daß die "Internationalisierungen, die geschehen, echte Internationalisierungen werden". Keineswegs dürfe es sich hierbei um nur einseitige Hypotheken zu Lasten des deutschen Volkes handeln 503 . Welch

ment"organisiert, nicht aber eine Verfassung als Ausdruck deutscher Souveränität verabschiedet werden. 501 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 2. Plenarsitzung, S. 15. 502 Ebenda, S. 15. 503 Schon mit diesen ersten Ausführungen hatte Schmid die Ansicht vieler seiner Ratskollegen wiedergegeben. Dies beweisen die im Sitzungsprotokoll enthaltenen Reaktionen im Plenum. Dort ist mehrfach von lebhaften Zurufen wie "Sehr gut!" und

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zentrale Bedeutung Schmid und seine Fraktion dem Zusammenwachsen der Staaten Europas beimaßen, zeigt schließlich die folgende Aussage, in der Schmid eines der Leitmotive seiner Fraktion fiir die anstehenden Grundgesetzarbeiten im Parlamentarischen Rat beschrieb : ,,Klare Einsicht und Nüchternheit und leidenschaftliche Liebe zum deutschen Volke und brelUlende Sorge um den Frieden Europas werden die Sozialdemokratische Partei bei ihrer Arbeit im Parlamentarischen Rate leiten"S04. An die Alliierten richtete Schmid den Appell "um des Friedens Europas willen Deutschland endlich den Frieden zurückzugeben". Dem deutschen Volk müsse nun die Möglichkeit der eigenen Gestaltung der Fonnen und Inhalte gegeben werden. Ein geeintes demokratisches Deutschland, welches seinen Sitz im Rate der Völker habe, sei ein besserer Garant des Friedens und der Wohlfahrt Europas, als ein Deutschland, welches man "angeschmiedet hält wie einen Kettenhund"s05. Bereits in seinem ersten Auftritt vor dem Parlamentarischen Rat hatte Carlo Schmid damit klar zum Ausdruck gebracht, daß er und seine Partei gewillt waren, ihren im Vorfeld der Beratungen eingeschlagenen proeuropäischen Kurs auch während der Arbeiten am Grundgesetz fortzusetzen. Wie mehrfach gezeigt, spielte die Berücksichtigung der europäischen Integration dabei eine wichtige Rolle. Für die Unionsfraktion erwiderte mit Adolf Süsterhenn der Mann, der wenige Monate zuvor gemeinsam mit Carlo Schmid die Homburger Arbeitstagung der Deutschland-Kommission der UEF entscheidend mitgeprägt hatte 506 . Süsterhenn legte in seiner Rede im wesentlichen die verfassungspolitischen Ziele des "Ellwanger Kreises" dar. Im Mittelpunkt standen Ausfiihrungen zur bundesstaatlichen Struktur des neuen deutschen Staates. Dem von Carlo Schmid favorisierten "Provisoriumskonzept" widersprach Süsterhenn. Er berief sich auf einen naturrechtlichen Anpruch des deutschen Volkes auf politische Selbstbestimmung, der auch durch die bedingungslose Kapitulation nicht

"Sehr richtig!" die Rede. VgL: Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 2. Plenarsitzung, S. 15. 504 Ebenda, S. 17. 505 Lange, Die Würde des Menschen, S. 27; Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 2. Plenarsitzung, S. 17. 506 Vgl. dazu oben, S. 88.

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eingebüßt worden sei. Aus diesem Grund müsse man alle Kräfte darauf verwenden, "die staatliche Einheit wiederherzustellen lllld Deutschland als voll souveränen Staat in die europäische Völkergemeinschaft lllld in die Gemeinschaft der freien demokratischen Organisationen der Welt wieder einzuordnen"507. Lediglich in gebietsmäßiger Hinsicht war Süsterhenn bereit, den von Carlo Schrnid skizzierten, fragmentarischen Charakter Deutschlands in Kauf zu nehmen. Dies geschehe jedoch ganz bewußt, denn ". .. es erscheint llllS ( ... ) im Interesse Europas llllabweislich notwendig, die politische KonsolidieTllllg der drei Westzonen zu bewirken, weil sie die Voraussetzllllg auch für die wirtschaftliche Geslllldllllg der Lebensverhältnisse llllseres gesamten Volkes darstellt. Eine Fortdauer des gegenwärtigen politischen lllld wirtschaftlichen Chaos würde nicht nur eine Getahrdllllg der Existenz unseres deutschen Volkes bedeuten, sondern ganz Europa, daß sich bereits am Rande des Abgrundes befmdet, mit in llllser Verderben hineinziehen "508. Demgemäß forderte Süsterhenn die "sofortige und effektive Konsolidierung Westeuropas", sowie die "Schaffung einer politischen Ordnungs- und wirtschaftlichen Wohlstandssphäre in Westdeutschland". Nur auf diese Weise könne auf die dem abendländischen Kulturbereich angehörenden ostmittelund südeuropäischen Völker so viel Anziehungskraft ausgeübt werden, daß deren baldige Wiedereingliederung in eine "europäische Konföderation" ermöglicht wiirde 509 . Ein solches "friedliches Zusammenarbeiten der Völker" hielt Süsterhenn auf längere Sicht nur auf der Basis der Gleichberechtigung fiir erreichbar. Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit seien die grundlegenden Voraussetzungen "für die Begründung einer europäischen Friedensordnung und Wirtschaftsgemeinschaft". Um beides zu erreichen, war er "gern bereit" Souveränitätsrechte auf den verschiedensten Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet der internationalen Friedenssicherung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, an "eine höhere, übernationale politische Einheit" abzutreten. Wie sein Vorredner Schmid machte auch Süsterhenn deutlich, daß eine solche Abtretung nicht einseitig sein dürfe. Süsterhenn verlangte, daß, wenn Deutschland bereit sei, "die Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets in eine plan-

507 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 2. Plenarsitzllllg, S. 18. 508 Lange, Die Würde des Menschen, S. 28; Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 2. Plenarsitzllllg, S. 19. 509 Ebenda, S. 19.

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wirtschaftliche Wiederaufbauarbeit Europas einzubringen", dies auch fiir die Wirtschaftszentren anderer Länder gelten müsse 51O . Diese ersten Aussagen der Unionsfraktion machen deutlich, daß auch die Christdemokraten an ihrer im Vorfeld der Grundgesetzarbeiten mühsam erarbeiteten, die europäische Integration befiirwortenden, Konzeption festhielten. Nach den sehr grundsätzlich gehaltenen Berichten Schmids und Süsterhenns gingen die beiden anderen Berichterstatter Walter Menzel (SPD) und Josef Schwalber (CSU) tags darauf stärker auf verfassungsrechtliche und -politische Details ein511 . Im Mittelpunkt ihrer Ausfiihrungen standen die im Vorfeld und während der Grundgesetzberatungen am stärksten umstrittenen Fragen nach dem Gewicht der zweiten Kammer und der Ausgestaltung der Finanzverfassung. Die Frage der europäischen Einigung sprach lediglich Menzel kurz an. Der SPD-Politiker legte Wert darauf, daß die am Vortag angesprochenen verfassungspolitischen Grundsätze ihren Niederschlag in einer Vorschrift finden müßten, welche sich mit der Einordnung des Bundes "in eine größere europäische Gemeinschaft" befasse512 . Darüber hinaus äußerten sich beide Redner nicht zum Thema "Europa". Auch diese "Nichtbefassung" kann aber durchaus als positives Zeichen fiir die europäische Idee gewertet werden. Nachdem am Tag zuvor beide großen Fraktionen ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Stärkung der europäischen Integration zum Ausdruck gebracht hatten, wurde dieser Punkt nun, bei der Behandlung der strittigen Fragen, nicht mehr vertieft angesprochen. Hierin kann ein weiteres Indiz fiir die schon zu diesem frühen Zeitpunkt herrschende übereinstimmende proeuropäische Haltung der beiden großen Ratsfraktionen gesehen werden. Nach der "Berichterstattung" ergriff in der "Allgemeinen Aussprache" zunächst Theodor Heuss fiir die FDP das Wort. Auch Heuss sprach die Frage der Zukunft der europäischen Staaten an. Dabei zeigte er sich von einem Vorschlag der französischen Regierung beeindruckt, der darauf abzielte, das Problem der Schaffung einer europäischen Konföderation von nun an "nicht mehr nur theoretisch" zu behandeln. Heuss äußerte die Hoffnung, daß hier bald Gespräche in Gang kämen, durch die "vielleicht auch das (... ) Problem

510 Ebenda, S. 20. 511 Lange, Die Würde des Menschen, S. 20. 512 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 3. Plenarsitzung, S. 27.

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des Saargebietes eine Entlastung erfahren könnte"513. DaIiiber hinaus stellte er klar, daß die Fraktion der Liberalen grundsätzlich bereit sei, "den Gedanken mitzugehen, auf Gegenseitigkeit Teile der deutschen Hoheit in einen größeren Verband der Gesamtverantwortung hineinzugeben"514. Gleichzeitig wies Theodor Heuss aber auf ein Problem hin, das sich durch das Zusammenspiel des deutschen und des europäischen Föderalismus stelle. Heuss warnte davor, künftig auch die deutschen Länder an der Außenpolitik zu beteiligen. In Europa könne "nicht ein Teil ( ... ), sondern nur das Gesamte" operieren 515 . Nach Heuss sprach der Vorsitzende der Fraktion der Deutschen Partei, Hans-Christoph Seebohm516 . Dieser forderte, vielleicht am deutlichsten von allen Rednern der Eingangsberatungen im Plenum, daß sich das Grundgesetz für "Europa" aussprechen müsse. Als einziger ging Seebohm an mehreren Stellen seiner Rede auf die Bedeutung der europäischen Integration ein. Gleich zu Beginn seiner Ausführungen verlangte er: "der Welt zu beweisen, daß die deutschen Kräfte, die Europa bejahen, bereit sind die äußersten Anstrengungen zu machen, um fltr Deutschland das größte Maß an Souveränität zurückzugewinnen, das unter den augenblicklich gegebenen weltpolitischen Voraussetzungen überhaupt nur erreichbar ist,,517. Nach einigen grundsätzlichen Ausführungen zur Haltung der DP im Hinblick auf die Grundrechte, die Rolle der Parteien, sowie zum Geistes- und Kulturleben, wandte sich Seebohm dem Aufbau des künftigen deutschen Staates zu. Mit großem Nachdruck forderte er die Schaffung eines föderalistischen Staates in Westdeutschland. Auf dieses Ziel arbeite seine Partei seit ihrem Bestehen vor mehr als achtzig Jahren hin. Es gelte alle Deutschen in Freiheit und Würde in einem föderalistischen deutschen Staat zusammenzufassen. Hierdurch würden zugleich die Voraussetzungen für die Bildung

513 Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 3. Plenarsitzung, S. 43. 514 Ebenda, S. 43. 515 Ebenda, S. 43. 516 Lange, Die Würde des Menschen, S. 184. 517 Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 3. Plenarsitzung, S. 46; vgl. auch: Lange, Die Würde des Menschen, S. 34.

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"größerer Einheiten" geschaffen518 . Daß die Deutsche Partei bei diesen größeren Einheiten ausdrücklich an eine Gemeinschaft der europäischen Staaten dachte, beweist Seebohms nachfolgende Aussage: ,,Das ist der Grund, weshalb sich die Deutsche Partei in der Stunde der europäischen Gefahr klar tmd eindeutig zu Europa bekennt. Europa können wir ( ... ) nur als einen übernational staatlichen Staatenbtmd auf föderalistischer Grundlage aufbauen,,519. Wie schon einige seiner Vorredner verknüpfte auch Seebohm das Schicksal Deutschlands mit dem Schicksal Europas. Seebohm vertrat die Auffassung, daß "Europa ohne ein wiederhergestelltes Deutschland wirtschaftlich und politisch unmöglich" sei 520 . Ohne Deutschland bliebe Europa immer "krank" und wäre "der Vernichtung preisgegeben". Es gelte deshalb zunächst "Ordnung in unserem eigenen Hause" zu machen und alle Anstrengungen zu unternehmen, "unsere Souveränität ZUTÜckzugewinnen". Die Wiederherstellung Deutschlands müsse dabei aber schon "im Sinne der europäischen Aufgabe ( ... ) unter Überwindung des national staatlichen Ressentiments" erfolgen. Schließlich sei es " ... die Aufgabe fiir diejenigen Menschen, die heute deutsch sein wollen, den Willen zu Europa zu haben ( ... ) Europäer zu werden"521. Anschließend wies Seebohm darauf hin, daß weitere zentrale Probleme der deutschen Nachkriegspolitik durch eine Einigung der europäischen Staaten gelöst werden könnten. Dabei machte er beispielsweise deutlich, daß etwaige Gebietsforderungen der Siegermächte an Deutschland "in einem Zeitalter, in dem wir nicht eine Verschiebung (. .. ), sondern eine Aufhebung der Grenzen anstreben 522, gegenstandslos würden. Als eine "gesamteuropäische wie deutsche Aufgabe" sah es Seebohm an, die "unter Zwang und Not von uns ferngehaltenen Deutschen" an den neu zu schaffenden Weststaat heranzufiihren. 518 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 3. Plenarsitzung, S. 49. 519 Ebenda, S. 49; siehe auch: Lange, Die Würde des Menschen, S. 35. Daran anknüpfend stellte Seebohm allerdings klar, daß diese Aussage keinesfalls bedeute, daß auch alle anderen Gliedstaaten dieses künftigen europäischen Systems selbst föderalistisch aufgebaut sein müßten. Er spreche hier ztmächst nur über die Gestalttmg Deutschlands. 520 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 3. Plenarsitzung, S. 49. 521 Ebenda, S. 49. 522 Ebenda, S. 49.

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Eine weitere gesamteuropäische Aufgabe sei es schließlich, eine Lösung für die Millionen widerrechtlich vertriebenen Deutschen zu finden. Diese könnten ohne Rückkehr in ihre Heimat "niemals Europäer" werden 523 . Damit war Seebohm aber noch nicht am Ende seines Plädoyers für die Berücksichtigung der europäischen Idee im Grundgesetz. Als er sich wenig später der Frage zuwandte, wie das künftige Besatzungsstatut für Deutschland auszusehen habe, forderte Seebohm die darin enthaltene Souveränitätsminderung ausdrücklich als nur "vorübergehend und abbauwürdig" festzuschreiben. Es müsse das Ziel sein, Deutschland "sobald als möglich wieder gleichberechtigt in die Gemeinschaft der Völker" aufzunehmen. Die Deutsche Partei könne daher einen Verzicht auf Souveränitätsrechte auf die Dauer nur dann anerkennen, wenn er auch von anderen Staaten als "integrierender Bestandteil einer künftigen europäischen Föderation" vollzogen würde 524 Seebohm schloß seine Rede mit der Feststellung: "Was wir durch unsere Arbeit erreichen sollen und wollen, ist die Wiedererringung der völligen Freiheit in der Gesetzgebung, ohne vormundschaftliche Überwachung, die Freiheit filr eine eigene selbständige Verwaltung, die Freiheit in der Rechtsprechung, die Freiheit in der Gestaltung des kulturellen Lebens, die Freiheit in der Gestaltung unserer wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten und letzten Endes - und das wiederum zuerst - die Freiheit filr jeden deutschen Menschen in einem befriedeten Europa"525. Im Anschluß an diese für die europäische Idee so pOSitIV anmutenden Klänge folgte die Rede des KPD-Abgeordneten Hugo Paul. Diese unterschied sich deutlich von den bisherigen, in allgemeiner Konsensbereitschaft gehaltenen, Beiträgen. Paul begründete die grundsätzliche Ablehnung der Verfassungsarbeiten durch die Kommunistische Partei. Gleichzeitig betonte er aber, daß auch seine Fraktion bereit sei, inhaltliche Vorschläge zu unterbreiten 526 . Konsequenterweise setzte sich Paul anschließend unter anderem mit dem Stichwort "Europa" auseinander. Dabei vertrat er den Standpunkt, daß die deutsche Politik vorläufig "über Europa (... ) noch nicht zu bestimmen" habe527 . Deshalb bilde er sich solche Befugnisse auch nicht ein. Paul hielt den übrigen Ratsmitgliedern vor, deutsche Hoheitsrechte an andere abtreten zu wollen, bevor sie das Hoheitsrecht besäßen, im eigenen Lande eine neue demo-

523 Ebenda, S. 49. 524 Ebenda, S. 50. 525 Ebenda, S. 50 f. 526 Vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 21. 527 Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 3. Plenarsitzung, S. 54.

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C. Die europäische Idee on Parlamentarischen Rat

kratische Ordnung zu schaffen528 . Er wertete alle diese Vorschläge daher nur als "platonische Liebeserklärungen" und riet, man solle sich lieber auf die Wahrnehmung der eigenen.Aufgaben beschränken. Als letzter Redner erhielt der Abgeordnete Johannes Brockmann, Fraktionsvorsitzender der Deutschen Zentrumspartei 529. das Wort. Anders als sein direkter Vorredner schloß sich Brockmann in der Sache der allgemeinen Konsensstimmung an. Brockmann verzichtete darauf, nochmals alle relevanten Themenbereiche aus der Sicht seiner Partei anzusprechen. Er konzentrierte sich vielmehr auf einige für das Zentrum besonders wichtige Materien, wie etwa die föderative Idee oder das Demokratieprinzip530. Daß Brockmann dabei trotz der Kürze seiner Ausfiihrungen auch auf die europäische Einigung einging, ist ein weiteres Zeichen für deren Stellenwert. Wörtlich sagte er: "Wir wollen uns schon mit dem Grundgesetz bewußt in die europäische Gemeinschaft hineinstellen, an deren Verwirklichung heute auch jenseits der Grenzen viele schöpferische Kräfte täglich und stündlich unermüdlich arbeiten. Das deutsche Volk ( ... ) kann dadurch nur gewinnen"531. Im Ergebnis verdeutlichen diese ersten Aussagen, daß die von den maßgeblichen politischen Kräften in Deutschland bereits im Vorfeld der Arbeiten am Grundgesetz erkannte Bedeutung der europäischen Einigung für die künftige Entwicklung des neuen deutschen Staates von eben jenen Kräften von Anfang an auch im Parlamentarischen Rat unterstrichen wurde. Inhaltlich blieb es im Rahmen der Eingangsberatungen im Plenum des Rates allerdings zunächst bei einem nur allgemein gehaltenen Bekenntnis zum Ziel der europäischen Einigung. Mögliche Details des künftigen Integrationsprozesses, sowie hierfür etwa von deutscher Seite zu schaffende, verfassungsrechtliche Voraussetzungen wurden zu diesem frühen Zeitpunkt der Grundgesetzarbeiten noch nicht angesprochen.

528 Ebenda, S. 54. 529 Vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 183. 530 Vgl. das Protokoll zur 3. Plenarsitzung, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, S. 54 tT. 531 Ebenda, S. 57.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der BeratWlgen

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b) Die ersten Beratungen der FachausschiJsse

Ab Mitte September 1948 nahmen die Fachausschüsse ihre Tätigkeit auf. Fragen der europäischen Einigung wurden dabei zunächst ausschließlich im Grundsatzausschuß behandelt. Der Ausschuß, der unter dem Vorsitz von Hermann von Mangoldt532 (CDU) stand, wandte sich nach einer grundsätzlichen Abgrenzung des Stoffes auf der zweiten Sitzung533 sogleich den ihm zugewiesenen Einzelfragen zu. Der Einteilung des Entwurfs von Herrenchiemsee folgend, der bei den Ausschußberatungen auf übereinstimmenden Vorschlag seiner maßgeblichen Gestalter Pfeiffer und Schrnid als eine Art Leitfaden diente 534, widmete man sich zuerst den Grundrechten. Daher dauerte es bis zum 6. Oktober 1948, bis der Grundsatzauschuß erstmals über eine rur das vorliegende Thema bedeutsame Materie, nämlich die Präambel, beriet. Die Ausschußmitglieder beschäftigten sich in der siebten und achten Sitzung zunächst eingehend damit, welche Grundgedanken überhaupt in der Präambel Ausdruck finden sollten535 . Von der Berücksichtigung der Idee der europäischen Einigung in der Präambel des Grundgesetzes - als ein den Charakter der neuen Verfassung prägendes Merkmal 536 - war zu diesem Zeit-

532 Zu von Mangoldt vgl. jetzt auch: Starck, Herrnann von Mangoldt (1895-1953), Mitglied des Parlamentarischen Rates Wld Konunentator des Grundgesetzes, AöR 121 (1996), S. 438 ff. 533 Dabei hatte es Carlo Schmid nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß der Ausschuß neben seinen Schwerpunktthemen, vor allem den Grundrechten, einige weitere sehr wichtige Fragen zu klären hatte. Wörtlich sagte er : ,,Hierher gehört ferner die Frage einer etwaigen AbtretWlg deutscher Hoheitsrechte auf internationale Institutionen ... ". Vgl. SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok.Nr. 2, S. 8. 534 Hier zeigte sich erneut die große BedeutWlg des Herrenchiemseer Entwurfes. Sowohl Pfeiffer (CSU), als auch Schmid (SPD) hatten sich bereits auf der zweiten SitzWlg des Grundsatzausschusses übereinstinunend daftir ausgesprochen, eben diesen Entwurf als ,,Arbeitshilfe" heranzuziehen. Ihre Vorschläge stießen auf keinerlei Widerstand. Vgl.: Protokoll der zweiten SitzWlg des Ausschusses für Grundsatzfragen am 16. September 1948, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/ I, Dok.Nr. 2, S. 5 f. 535 Vgl. dazu v.a. das Protokoll der siebten SitzWlg vom 6. Oktober 1948, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok.Nr. 8, S. 162 ff; siehe auch: v.Doenuning/ Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 23 f. 536 Schmid hatte bereits in der zweiten SitzWlg des Grundsatzausschusses auf die diesbezügliche BedeutWlg der Präambel hingewiesen. Diese müsse bereits alles Entscheidende enthalten. Sie sei weit mehr als nur "ein illustrierender oder dekorativer Vorspruch", sondern vielmehr "etwas wie das Zeichen auf dem Notenblatt, das die Tonart des Stückes bestinunt".Vgl. Protokoll der zweiten SitzWlg des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd.51l, Dok.Nr. 2, S. 8.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

punkt noch nicht die Rede. Nachdem man sich, zumindest im wesentlichen, über den Inhalt der Präambel einig geworden war, beauftragte der Grundsatzausschuß einen aus sieben seiner Mitglieder gebildeten Redaktionsausschuß 537 mit der Formulierung eines Entwurfes fur die Präambel. Dieser legte als Ergebnis seiner Arbeit auf der neunten Sitzung einen Vorschlag vor, der nach eingehender Diskussion in leicht veränderter Form angenommen wurde 538 . Nur einen Tag später, auf der zehnten Sitzung des Ausschusses am 13. Oktober 1948, befaßte man sich nochmals mit der Präambel, nahm jedoch lediglich geringfügige redaktionelle Änderungen des Textes vor. Über einen neuen Vorschlag des Abgeordneten August Zinn (SPD) stimmte der Ausschuß nicht mehr ab. Zinns Vorschlag, der dem vom Ausschuß erarbeiteten Entwurf inhaltlich sehr nahekam, sollte in der zweiten Lesung erneut aufgegriffen werden 539 . Die erste Lesung der Präambel im Ausschuß fur Grundsatzfragen war damit abgeschlossen. Aussagen zur europäischen Einigung waren in der bisherigen Fassung der Präambel noch nicht getroffen worden. Parallel dazu begann der Ausschuß sich mit dem Themenkomplex "Übertragung von Hoheitsrechten" zu befassen. In der zwölften Sitzung des Grundsatzausschusses wurde erstmals von einem Gremium des Parlamentarischen Rates über Einzelheiten der künftigen europäischen Integration gesprochen540 . Ausgangspunkt der Ausschußberatungen war dabei ein Vorschlag des Abgeordneten Fritz Eberhard (SPD)541 zur Fassung des Abschnitts "Völkerrechtliche Verhältnisse des Bundes", den dieser in Absprache mit seinen Mitarbeitern im Friedensbüro erarbeitet hatte. Eberhard hatte hierfur

537 Diesem Redaktionsauschuß gehörten folgende Ausschußmitglieder an: Heuss, Kaiser, Kroll, von Mangoldt, Schmid, Weber und Zinn. Vgl. insoweit das Protokoll der achten Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. SIl, Dok.Nr. 9, S. 18S. 538 Vgl. insoweit: Protokoll der neunten Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg; Der Parlamentarische Rat, Bd. SIl, Dok.Nr. 11, S. 2292S2; Text: PR-Drucks. Nr. 173. 539 Protokoll der zehnten Sitzung des Grundsatzauschusses, abgedruckt: Ebenda, Dok.Nr. 13, S. 287. 540 Das Sitzungsprotokoll ist abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. SIl, Dok.Nr. 1S, S. 313 - 332 (322 fl). 541 Eberhard war zugleich Leiter des Deutschen Büros filr Friedensfragen. Das Büro hatte im Vorfeld der Bonner Beratungen ebenfalls Verfassungsvorschläge gemacht und war in diesen fllr ,,Europa" eingetreten. Vgl. auch oben S. 73 ff.

N. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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der Herrenchiemseer Entwurf5 42 als Grundlage gedient. Diesen hatte er jedoch in einer ganzen Reihe von Punkten erweitert543 . Zur Begründung seines Vorschlags wies Eberhard auf die besondere Bedeutung gerade dieser Verfassungsartikel hin. Sie stellten in ihrer Gesamtheit "etwas wie eine deutsche Visitenkarte nach außen"544 dar. Als Beleg dafür, wie interessiert vor allem das Ausland die verfassungsrechtliche Entwicklung in diesem Bereich verfolge, verwies Eberhard auf die Reaktionen der amerikanischen Presse zu den betreffenden Bestimmungen des Entwurfs von Herrenchiemsee. Dort sei in diesem Zusammenhang von "einem Meilenstein in der Entwicklung des deutschen Denkens zum europäischen Denken" gesprochen worden 545 . Im Anschluß an diese allgemeine Einführung durch Eberhard wandte sich der Ausschuß der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Artikel zu546.

542 Zum Wortlaut des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfes im Hinblick auf die "Völkerrechtlichen Verhältnisse des Bundes" vgl. oben S. 70. 543 Der Vorschlag Eberhards, der im Rat ohne Drucks.-Nr. vervielfältigt wurde,ist komplett abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 15, S. 315 f, Fn. 9. Die hier besonders relevanten Passagen lauten: Artikel 24 ( I) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (2) Ein solches Gesetz bedarf im Bundestag und Bundesrat (Senat) einer Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl. Artikel24a Unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit kann der Bund deutscher Länder im Interesse der AufrechterhaItung des Friedens sein Gebiet in ein System kollektiver Sicherheit einordnen und hierbei, unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, in diejenigen Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, durch die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse erreicht und sichergestellt werden kann. Darüber hinaus forderte Eberhard die Bereitschaft des Bundes sich einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, das Verbot der Vorbereitung der Führung eines Krieges, sowie eine Kontrolle der Waffen- und Munitionsproduktion. 544 Protokoll der 12. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat. Bd. 5/1, Dok.Nr. 15, S. 316. 545 Ebenda, S. 316. 546 Bevor der Ausschuß dabei in verfassungsrechtliche Detailfragen einstieg, tat sein Vorsitzender von Mangoldt eine wichtige Aussage. Von Mangoldt kommentierte Eberhards Ausführungen nämlich schlicht mit den Worten: ,,Ich glaube zu der Materie selbst ist wenig zu sagen. Falls das Wort nicht gewünscht wird, könnten wir in die Be9 Bcrmanscder

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Hierbei wurden zunächst eine Reihe gesetzestechnischer Fragen erörtert. Eberhard erläuterte, weshalb er in Abweichung vom Herrenchiemseer Entwurf, der den Gesamtkomplex der Übertragung von Hoheitsrechten in einem einzigen Artikel 547 zusammengefaßt hatte, eine Regelung jedes einzelnen Aspekts in mehreren eigenen Artikeln vorgesehen hatte. Er empfahl, "nur das Grundsätzliche", nämlich die Übertragung von Souveränitätsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen, in den ersten Artikel zu nehmen 548 . Im Hinblick auf Art. 24 a seines Entwurfs sprach sich Eberhard dafür aus, in Anlehnung an Abs. 15 der Präambel der französischen Verfassung von 1946 die Formel "unter Voraussetzung der Gegenseitigkeit" an den Anfang zu stellen549 . Davon versprach er sich einen größeren Verhandlungsspielraum für die künftige deutsche Außenpolitik. Die Bundesregierung könne sich dann vor der "Übertragung"550 von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen stets darauf berufen, durch das Grundgesetz insoweit gebunden zu sein, als eine solche Übertragung nur im Falle der Gegenseitigkeit möglich sei. Theodor Heuss (FDP), als Schriftführer einer der maßgeblichsten Mitgestalter der Arbeit im Grundsatzausschuß, begrüßte die Voranstellung der Formel aus "politisch-psychologischen" Gründen für die deutsche Öffentlichkeit. Er glaubte, der politische Sinn der Vorschrift werde dadurch für viele Leser besser verständlich 551 . Diesen Vorstellungen trat Carlo Schmid entgegen. Schmid wies darauf hin, daß es sich bei Art. 24 a lediglich um eine "Kann-Bestimmung" handele. Die Voraussetzung der Gegenseitigkeit sei schlicht überflüssig, da die Bundesregierung stets selbst in der Lage sei, zu überprüfen, inwieweit die Übertragung von Hoheitsrechten auf-

sprechlUlg der einzelnen Artikel eintreten." Damit ist klar gesagt, daß zumindest die grundsätzliche BerucksichtiglUlg der europäischen Idee im Grundgesetz für den Vorsitzenden des Grundsatzausschusses derart lUlstreitig war, daß darüber nach seiner AuffasSlUlg nicht mehr gesprochen werden mußte. Von den übrigen Mitgliedern des Ausschusses wurde hiergegen, trotz ausdrücklicher AufforderlUlg durch von Mangoldt, keinerlei Widerspruch erhoben. Vgl.: Protokoll der 12. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick/Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok.Nr. 15, S. 317. 547 Art. 24 HCbE. Zu dessen Wortlaut vgl. oben S. 70. 548 Schick/Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok.Nr. 15, S. 322. 549 Ebenda S. 322. Der Wortlaut der Präambel der französischen Verfassung wurde bereits oben in Fn. 257 wiedergegeben. 550 Diese Aussage Eberhards ist ein schönes Beispiel dafür, wie unsauber die Ausschußmitglieder zum Teil noch zwischen der Übertragung (also dem späteren Art. 24 Abs. I 00) lUld der Beschränkung (dem späteren Art. 24 Abs. 2 00) von Hoheitsrechten lUlterschieden. 551 Vgl. das SitzlUlgsprotokoll, abgedruckt in: Schick/Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok. Nr. 15, S. 323.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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grund des Verhaltens der Gegenseite im Einzelfall opportun sei oder nicht 552 . Auch dem Heuss'schen Ansatz konnte Schmid nur wenig positives abgewinnen. Wenn man schon einen Erziehungsprozeß im Auge habe, mache man die europäische Idee für einen Aussenstehenden interessanter, wenn man ihm direkt das Ziel angebe. Man bringe einen "verstockten Nationalisten eher von seiner Verstockung" weg, "wenn man ihm gegenüber gleich die volle pazifistische These vertritt und nicht nur die halbe pazifistische These"553. Schmid glaubte: "Wenn wir hier "unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" einschalten, dann wirkt das doch nicht anders als: Eigentlich tun wir's nicht gerne"554. Abschließend rief er dazu auf, "gewisse Dinge" einfach "unbefangener" zu nehmen. Man sollte die in Rede stehenden Bestimmungen lediglich als solche Rechtssätze betrachten, die es ermöglichten, politische Operationen in Formen des Rechts durchzuführen, die man sonst nur aufgrund von Verfassungsänderungen machen könnte. Damit hatte Schmid allerdings längst nicht alle Ausschußmitglieder überzeugt. Fritz Eberhard verwies erneut darauf, daß die französische Verfassung eben gerade eine solche Bestimmung aufweise. Ludwig Bergsträsser (SPD) gab zu Bedenken, daß man, vor allem was die Wirkung nach innen betreffe, an die Leute denken müsse, die der europäischen Integration gegenüber "ein ungeheures Mißtrauen" hätten 555 . Trotz dieser Bedenken wurde der Passus "unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit" letztlich vom Grundsatzausschuß gestrichen. Nachdem die Diskussion bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend im Zeichen technischer Fragen gestanden hatte, beschäftigte sich der Ausschuß im folgenden erstmals mit konkreten inhaltlichen Gesichtspunkten. Ausgehend von einer Bemerkung Hermann von Mangoldts führte Carlo Schmid detailliert aus, welche zwischenstaatlichen Einrichtungen er bei der Übertragung von Hoheitsrechten im Auge hatte. Von Mangoldt hatte angezweifelt, ob es - wie von Eberhard vorgeschlagen - tatsächlich richtig sei, Art. 24 des Herrenchiemseer Entwurfes in mehrere eigenständige Artikel auseinanderzuziehen. Dabei hatte er die Frage aufgeworfen, worauf sich die Bestimmung, daß der Bund Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen könne, denn eigentlich beziehe. Die Antwort auf seine Frage hatte sich von Mangoldt selbst ge552 Ebenda, s. 323: vgl. auch: v. Doemming/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd. I, S. 223 f. 553 Schick/Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok.Nr. 15, S. 323. 554 Ebenda, S. 323. 555 Ebenda, S. 324. 9*

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

geben. Nach seinen Vorstellungen bezog sich die Bestimmung auf "das System kollektiver Sicherheit"556. Schmid nutzte die Gelegenheit, um erstmals in einem Gremium des Parlamentarischen Rates inhaltliche Ausführungen dazu zu machen, wie er sich einen konkreten Anwendungsfall des Art. 24 Abs. 1 HCbE vorstellte. Er fuhrte aus, daß sich die Norm etwa auf einen "Vertrag zur Schaffung einer internationalen Behörde" beziehen könnte. Als Beispiel nannte er ausdrücklich den Ruhrkohlebergbau. Einer solchen Behörde, welche "den gesamten Kohlenbergbau europäisch zu organisieren" hätte, könnten über Art. 24 Abs. 1 HCbE Hoheitsrechte übertragen werden 557 . Damit hatte Schmid die Grundstruktur der späteren Montanunion bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Verfassungsarbeiten im Oktober 1948 im Parlamentarischen Rat vorgestellt558 . Eine weiteres Kemproblem behandelte der Ausschuß gleich im Anschluß. Ausgehend von einer Bemerkung Hermann von Mangoldts diskutierten die Abgeordneten darüber, ob an der, sowohl im Entwurf von Herrenchiemsee, als auch im "Vorschlag Eberhard" enthaltenen Regelung festgehalten werden sollte, wonach ein den Bund zur Übertragung von Hoheitsrechten ermächtigendes Gesetz im Bundestag und Bundesrat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden müsse. Nachdem sich die Abgeordneten Weber (CDU), Schmid und überraschenderweise auch Eberhard selbst, für eine Streichung ausgesprochen hatten, verzichtete der Ausschuß, auf dieses Erfordernis559 . Bevor die Mitglieder des Grundsatzausschusses die endgültige Textfassung festlegten, sprach Carlo Schmid nochmals Art. 24 a an. Dabei machte er deutlich, daß auch diese Bestimmung über den rein militärischen Bereich hinausgehen sollte. Bei Art. 24 a kämen Gesichtspunkte in Frage, "die mit der kollektiven Sicherheit als solcher zunächst gar nichts zu tun" hätten 560 . Schmid nannte ausdrücklich eine "International Power Agency", welche die

556 Ebenda, S. 324. Diese Antwort macht zwei Dinge deutlich. Sie belegt zum einem, daß auch die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, anknüpfend an die Vorstellungen des Herrenchiemseer Verfassungskonvents, in Art. 24 Abs.2 HCbE einen Unterfall des Absatzes I sahen. Zum anderen zeigt sie, daß die Vorstellung, wie das künftige ,,Europa" aussehen könnte, bei von Mangoldt noch weit weniger ausgeprägt war, als etwa bei Schmid. 557 SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok.Nr. 15, S. 324. 558 So auch Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 2. 559 SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok.Nr. 15, S. 324 f. 560 Ebenda, S. 325.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Ralunen der Beratungen

133

"gesamte Lastverteilung von elektrischem Strom" international ausüben könnte. Diesen Gedanken aufgreifend, brachte Eberhard eine internationale Flugverkehrsorganisation ins Spiel 561 . Zum Abschluß der Diskussion sprach Schmid das Verhältnis der Absätze 1 und 2 des Art. 24 HebE an. Um den Ausschußmitgliedern zu verdeutlichen, wie beide Absätze zueinander standen, faßte er zusammen: " Die Gliederung ist klar : In Absatz I kann der BWld durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. In Absatz 2 ist von einer Beschränkung der Hoheitsrechte die Rede .... ,,562.

Am Ende der zwölften Sitzung beschloß der Grundsatzausschuß folgenden

Text:

" Artikel 29 563 (I) Der BWld kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (2) Der BWld kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche Wld dauerhafte OrdnWlg der europäischen Verhältnisse herbeifilhren Wld sicherstellen können".564.

Gemeinsam mit den sonstigen vom Ausschuß bearbeiteten Passagen, also der Präambel und den Artikeln 1 bis 32. wurde diese Fassung des Art. 29 wenige Tage später als Ergebnis der ersten Lesung des Grundsatzausschusses veröffentlicht565 . Bei gründlicher Lektüre des Protokolls der zwölften Sitzung des

561 Ebenda, S. 325. Fritz Eberhard hatte damit eine weitere, später auf europäischer Ebene tatsächlich entstandene zwischenstaatliche EinrichtWlg, nämlich das internationale Übereinkommen über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt ,,Eurocontrol" angesprochen. Zu ,,Eurocontrol" vgl. BGBI. II 1962, S. 2273 tT. 562 SchickIKahienberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok.Nr. 15, S. 325. 563 Da der Ausschuß seine Themengebiete Wlter fortlaufender Nwrunerierung der Artikel behandelte kam es zu AbweichWlgen im Hinblick auf die EinteilWlg des HChE Wld des Vorschlages Eberhard. Deshalb wurde der ,,Integrationsartikel" nWl plötzlich als Art. 29 geführt. 564 Vgl. hierzu: v. Doemming/ Füssleinl Matz, JÖR NF, Bd.l, S. 224. 565 Als PR-Drucks. Nr. 200; Text ist abgedruckt in: SchickIKahienberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok.Nr. 16, S. 333-340.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Grundsatzausschusses fallen zwei Dinge auf. Zum einen zeigt der Diskussionsverlauf, daß manche Ausschußmitglieder zunächst tatsächlich nur sehr undeutliche Vorstellungen von der möglichen Gestalt einer Gemeinschaft der europäischen Staaten gehabt haben. Hier bedurfte es der "ordnenden Hand" einiger weniger Abgeordneter, allen voran Carlo Schmids566 . Zum zweiten lassen sich aus dem Gang der Beratungen wesentliche Anhaltspunkte für das Verhältnis der Absätze I und 2 des, oft als "Integrationsnorm" bezeichneten, späteren Art. 24 GG ableiten. Dieser zeigt, daß die Mitglieder des Grundsatzausschusses in Fortfiihrung der auf Herrenchiemsee gefundenen Linie beide Absätze fiir das Zusammenwachsen der Staaten Europas fiir bedeutungsvoll hielten 567 . Alles in allem war man der tatsächlichen Berücksichtigung der Idee der europäischen Integration im Grundgesetz also schon auf der ersten zu diesem Themenbereich durchgefiihrten Fachausschußsitzung ein gutes Stück näher gekommen. c) Weitere Beratungen im Plenum

Weil die Präambel in der vom Ausschuß für Grundsatzfragen in erster Lesung angenommenen Fassung nach ihrer Veröffentlichung stark kritisiert worden war, befaßte sich auch das Plenum des Parlamentarischen Rates auf Antrag der SPD-Fraktion in seiner sechsten Sitzung am 20 .Oktober mit diesem Thema568 . Dabei wurden zwar keine Beschlüsse zum Wortlaut gefaßt, in der Diskussion zeigte sich aber, daß die bisherige Fassung noch eine ganze Reihe von Mängeln aufwies 569 . Darüber hinaus wurde im Rahmen dieser Debatte erstmals zumindest ansatzweise die Möglichkeit einer Berücksichtigung der europäischen Idee in der Präambel selbst angedeutet, als der Abgeordnete Seebohm erläuterte, welchen Inhalt die Präambel nach den Vorstellungen der Deutschen Partei haben müßte. Diese müsse klar zum Ausdruck

566 Vgl. hierzu, ebenda, S. 324. 567 Die Ratsmitglieder verstanden Abs. 2 als einen Unterfall des Abs.l, der gerade keine Sonderregehmg filr den militärischen Bereich sein, sondern eine eigenständige, über diesen Rahmen hinausgehende, Bedeutung erlangen sollte. So auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 16; Randelzhofer, in: MaunzJDilrig/Herzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 2, Rn. I ff. Auf diese Sichtweise hatte auch die Aufgabe der Formulierung ,,Insbesondere" in der Einleitung des zweiten Absatzes keine Auswirkungen. Vgl.: Randelzhofer, in: MaunzJDürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 2, Rn. 2; Tomuschat, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Art. 24, Rn. 123. 568 Vgl. das Protokoll der sechsten Sitzung des Plenums, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, S. 69-84. 569 v. Doemming/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd. I, S. 28 f.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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bringen, daß das deutsche Volk einen Bundesstaat schaffen will, der "in der Gemeinschaft der Völker" steht570 . Wörtlich sagte Seebohm: "Und endlich muß in der Präambel der Wille des deutschen Volkes klar und eindeutig zum Ausdruck kommen, in Frieden und Freiheit als Glied in der Gemeinschaft der Völker seine Kraft restlos einzusetzen für die Einheit Europas ... "571. Obwohl Seebohm von Seiten der anderen Parteien zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine Unterstützung in diesem Punkt erhielt, hatte er damit den Grundstein für die spätere Festschreibung des Gedankens der europäischen Einigung in der Präambel des Grundgesetzes gelegt. Für die europäische Integration war ferner eine Aussage Carlo Sclunids von Bedeutung, der es auch in dieser sechsten Plenarsitzung nicht versäumte für seine Vision von "Europa" zu werben. Mit Blick auf die Besatzungsmächte sagte Sclunid zum Abschluß seiner Rede, man wolle die volle Souveränität haben, "um Deutschland in Europa aufgehen lassen zu können". Denn es gelte, durch das eigene engere Vaterland hindurch das große Vaterland zu erreichen, das da hieße: "Europa"572.

d) Die Reaktion des Grundsatzausschusses Auch der Grundsatzausschuß reagierte nun darauf, daß die bisherige Fonnulierung der Präambel in "weiten Kreisen starke Kritik gefunden" hatte 573 . Er beriet in seiner 19. Sitzung am 9. November 1948 erneut über deren Gestaltung. Abweichend von der ursprünglichen Planung griff man dabei nicht auf die auf der zehnten Sitzung erarbeitete Fassung und den ähnlich lautenden Entwurf Zinns zurück, sondern erörterte eine Vielzahl neuer Vorschläge574. Im Hinblick auf die Frage der europäischen Integration war dabei der von Seebohm auf der sechsten Plenarsitzung vorgetragene Entwurf der Dp575 von besonderer Bedeutung. Obwohl auch dieser Vorschlag die europäische 570 Vgl. hierzu den Vorschlag der DP zur Präambel, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 6. Plenarsitzung, S. 77 f. 571 Ebenda, S. 77. 572 Ebenda, S. 71. 573 So der Ausschußvorsitzende von Mangoldt in der Einfilhrung zur 19. Sitzung. Vgl. Sitzungsprotokoll, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. SIl, Dok.Nr. 24, S. 497. 574 Diskutiert wurden ein Entwurf des Bayerischen Staatsministeriums, sowie Vorschläge der DP und der Abgeordneten Heuss, Kroll und von Mangoldt. 575 Zum Wortlaut vgl.: v.DoemmingIFüssleinlMatz, JÖR NF, Bd.l, S. 30.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Einigung nicht ausdlÜcklich, sondern noch etwas undeutlich forderte, entzündete sich an ihm eine leidenschaftliche Debatte über die Frage, in welchem Zustand Deutschland einer Union der europäischen Staaten beitreten sollte. Ausgangspunkt der Diskussion war dabei nicht die europäische, sondern die deutsche Einheit. Hermann von Mangoldt hatte sich gegen den Entwurf der DP ausgesprochen, weil dieser sich in seinen Augen nicht deutlich genug zur deutschen Einheit bekannte. Gerade darauf mußte nach von Mangoldts Vorstellungen aber dem Osten gegenüber größter Wert gelegt werden. Es müsse klar werden, daß jeder, der dem Grundgesetz beitrete, ein Bekenntnis zur Einheit Deutschlands abgebe 576 . Der Ausschußvertreter der Deutschen Partei, Wilhelm Heile577, vertrat demgegenüber einen anderen Ansatz. Heile hielt von Mangoldt entgegen, daß man den Blick nicht nur nach innen richten dürfe. Zwar sei das "Bekenntnis zur Einheit Deutschlands gemütsmäßig" bei allen Deutschen vorhanden. Dieses nationale Einheitsgefiihl strebe aber vielfach schon "über die bisherigen Grenzen hinaus und möchte das, was ehemals deutsch war auch wieder hereinholen"578. Ein solches "Hereinholen" konnte sich Heile nur im Rahmen eines neu zu schaffenden europäischen Staatenbundes vorstellen. Ob dieser europäische Staatenbund komme, läge allein an Deutschland selbst. Als Voraussetzungen fiir sein Gelingen nannte Heile, "die Form, wie wir unsere Staatlichkeit regeln, und die Form, wie unsere StaatIichkeit nach außen hin wirkt". Die Erlangung der staatlichen Einheit Deutschlands war nach Heiles Vorstellungen nicht Grundvoraussetzung fiir eine deutsche Teilnahme an der Einigung Europas. Für die europäische Integration spiele es keine Rolle, ob wir "als lauter kleine Fetzen" oder "fest verbunden in staatlicher Form" in den europäischen Staatenbund hineingehen. Im Inneren könne man in beiden Fällen gleichermaßen einig sein, denn "das Maß der deutschen Einheit wird nicht von draußen bestimmt, sondern von unserem eigenen Herzen". Heile glaubte deshalb, ,.... wir würden sehr viel stärkere Möglichkeiten der Vereinigung haben, wenn wir ruhig aus der gegenwärtigen Situation heraus den Mut hätten, so locker, wie wir da stehen, in diese europäische Staatengemeinschaft hineinzugehen. Dann hätten wir die Chance, daß alles, was draußen am Rande ist und nicht mitkommen kann, sich im Herzen zu uns hingezogen fühlt',579.

576 Protokoll der 19. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 511, S. 504. 577 Heile war einer der entschiedensten Befürworter der europäischen Einigung im Rat; vg1.0.S.107 ff. 578 Ebenda, S. 504. 579 Ebenda, S. 505.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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Der Abgeordnete Hans Wunderlich (SPD) trat Heiles Ausführungen entgegen. Wunderlich legte dar, daß Heile allenfalls dann Recht haben könne, wenn bereits heute eine "gefestigte europäische Staatenunion" bestünde. Da eine solche aber noch nicht existiere, und niemand wisse, wann und in welcher Fonn sie kommen werde, müsse man versuchen, dieser als "ein möglichst einheitlicher Partner gegenüberzustehen"580. Auch Theodor Heuss widersprach Heile. Heuss vertrat den Standpunkt, daß die "ruhige Lage der deutschen Dinge" eine Voraussetzung für die Befriedung Europas sei. Diese ruhige Lage sei aber gerade nicht durch den Verzicht auf die nationale Einheit und die Hinwendung zu einem "europäischen Gebilde" zu erreichen. Er wandte sich entschieden gegen eine Teilnahme mehrerer quasi-souveräner Teile Deutschlands an der europäischen Politik. Deshalb forderte Heuss nachdrücklich das Bekenntnis zur deutschen Einheit in der Präambel des Grundgesetzes abzusichern. Dieses müsse, "auch als ein europäisches Sachbedürfnis" ausgesprochen werden 581 . Im Ergebnis trat Heuss damit, um Europa willen für ein einheitliches Deutschland ein, während Heile sich um Deutschland willen für ein geeintes Europa stark machte. Mit dem bisher Gesagten gab sich Wilhelm Heile allerdings noch nicht zufrieden. Nochmals stellte er klar: ,.Der Nationalstaat, der nur einen Teil der Nation umfaßte, ist vorbei, der ist tot.

Wir müssen darüber hinausgehen. Wir müssen den internationalen Staat ha-

ben "582. Anschließend wies er darauf hin, daß die künftig erforderliche internationale wirtschaftliche Gemeinschaft weder in der Enge von Lippe-Detmold, noch in dem viel zu engen Rahmen eines Dreizonen-Staatswesens gedeihen könnte. Auch der "Rahmen, der entstehen würde, wenn der Osten wieder zu uns zurückkäme", würde hierfür nicht ausreichen. Vielmehr bedürfe es eines Großraumes, welcher "sich mindestens über ganz Europa erstrecken müßte"583. National seien wirtschaftliche Dinge künftig nicht mehr zu meistern. Wolle man an dieser wirtschaftlich und gesellschaftlich notwendigen Entwicklung teilhaben, dürfe man die Eigenstaatlichkeit Deutschlands nicht zu stark betonen. Dadurch würden vor allem bei den kleineren Nachbarstaaten584 Ängste 580 Ebenda, S. 505. 581 Ebenda, S. 506. 582 Ebenda, S. 506. 583 Ebenda, S. 506. 584 Heile nannte hier die Schweiz, Belgien, Holland und Dänemark.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

geweckt, die der Begründung einer europäischen Union hinderlich sein könnten 585 . Hennann von Mangoldt widersprach dieser sehr europabezogenen Sicht der Dinge. Er vertrat die Auffassung, daß gerade die Benelux-Staaten ein besonderes Interesse an der Einheit Deutschlands hätten, weil auf diese Weise eine Art Puffer zum Osten hin entstünde586 . Im Ergebnis fand der Vorschlag der DP wegen der geschilderten Differenzen um das Bekenntnis zur deutschen Einheit nicht die Zustimmung des Ausschusses. Im Hinblick auf die europäische Idee sind die Redebeiträge hierzu dennoch als bemerkenswert zu bezeichnen587 . Der Gedanke, die europäische Integration als eine Zielbestimmung des neuen deutschen Staates in die Präambel des Grundgesetzes aufzunehmen, war damit aber keinesfalls gleich wieder verschwunden. Ebenfalls in der 19. Sitzung hatte der Ausschuß über einen Vorschlag des Abgeordneten Gerhard Kroll (CSU) zur Präambel zu befinden. Dieser enthielt - möglicherweise aufbauend auf den Vorstellungen der Deutschen Partei 588 - neben einem Bekenntnis zur staatlichen Einheit, erstmals auch eine die Teilnahme Deutschlands an der europäischen Integration ausdrücklich bejahende Aussage. Der von Kroll vorgeschlagene Text lautete auszugsweise589 : " ... Das deutsche Volk in seiner Gesamtheit bleibt aufgefordert, in gemeinsamer Entscheidung und Verantwortung vor Gott nach Wiedererlangung seiner Freiheit seine nationale Einheit im Bundesstaat Deutschland zu vollenden. Das deutsche Volk ist gewillt, einem föderativen Europa als gleichberechtigtes Glied beizutreten

585 Vgl. Protokoll der 19. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 511, S. 507. 586 Ebenda, S. 508. 587 Immerhin so bemerkenswert, daß sogar das sonst sehr knapp gehaltene Kurzprotokoll über die Ausschußsitzung den Hinweis enthielt: ,,Heile (DP) ( ... ) meint, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse der Jetztzeit verlangten von uns mehr das Hinstreben zu einem internationalen Staate, der sich über ganz Europa erstrecke". Vgl.: PR-Drucks. Nr. 271, S. 2. 588 Zumindest rein zeitlich gesehen wäre dies durchaus möglich. Der erste Vorschlag von Seebohm aus der sechsten Plenarsitzung stammte vom 20. Oktober 1948. Der Antrag des Abgeordneten Kroll datiert laut PR-Drucks. Nr. 215 vom "Oktober 1948". Möglicherweise hat Kroll also die Anregungen der sechsten Plenarsitzung mit einfließen lassen. 589 Der Text wurde als PR-Drucks.Nr. 215 vervielfältigt; er ist abgedruckt in: v.Doemming/ FüssleinJMatz, JÖR NF, Bd. I, S. 31 f.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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und alle Bedingungen zu erfüllen, die flir die Erreichung dieses hohen Zieles erforderlich sind."

Allerdings fand auch dieser Entwurf nicht die Zustimmung der Mitglieder des Ausschusses. Er wurde, ohne daß über den Aspekt "Europa" überhaupt gesprochen worden wäre, aufgrund anderer Schwächen abgelehnt 590 . Dennoch schien die neuerliche Erwähnung der europäischen Idee in der Präambel zumindest dem Ausschußvorsitzenden von Mangoldt auch ohne weitere Diskussion so gut gefallen zu haben, daß er diesen Gedanken in eine neun Punkte umfassende Gliederung der Essentialia fiir die Präambel aufnahm 591 . Diese Gliederung sollte in der nächsten Phase der Bonner Grundgesetzberatungen als Grundlage fiir die weitere Diskussion der Präambel dienen. Auch im Hinblick auf die in erster Lesung in Art. 29 festgeschriebene Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten war der Grundsatzausschuß kurz vor Beginn der Arbeit des Hauptausschusses nicht untätig. Bereits am nächsten Tag, dem 10. November 1948, wurde die zweite Lesung der Artikel 21 bis 32 durchgefiihrt592 . Hierbei wurde erneut auch über Einzelfragen zu Art. 29 gesprochen. Der Abgeordnete Eberhard berichtete, daß innerhalb der SPD-Fraktion terminologische Bedenken gegen die Verwendung des Begriffes "kollektive Sicherheit" erhoben worden seien. Er regte deshalb an, diesen durch die Formulierung "gemeinsame Sicherheit" zu ersetzen593 . Im Ergebnis fand der Vorschlag nicht die Zustimmung des Ausschusses. Nachdem Heuss und Schmid sich ablehnend geäußert und letzterer darauf verwiesen hatte, daß der Terminus "gegenseitige kollektive Sicherheit" ein klar umrissener, fester juristischer Begriff sei, einigte man sich darauf diese bisherige Formulierung beizubehalten. Weit bedeutender war eine anschließende Bemerkung des Ausschußvorsitzenden von Mangoldt. Dieser stellte klar, daß Artikel 29 Abs. I nach seiner Auffassung im Hinblick auf die Bestrebungen der "Union Inter-

590 Vgl. Protokoll der 19. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51l, Dok.Nr. 24, S. 510 f; siehe auch: v. DoemminglFüssleini Matz, JÖR NF, Bd. I, S. 32 und PR-Drucks. Nr. 271, S. 3. 591 Diese ist abgedruckt in: v.DoemmingIFüssleinlMatz, JÖR NF, Bd.l, S. 32. 592 Vgl. dazu das Protokoll der 20. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5m, Dok.Nr. 25, S. 521-549. 593 Ebenda, S. 542.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

parlt~mentaire"594, deren letzte Beschlüsse er soeben erhalten habe, bedeutsam

sei. Er sprach davon, daß es "die verschiedensten Möglichkeiten zu inter~ nationalen Zusammenschlüssen", hinsichtlich deren eine Beschränkung der nationalen Souveränitätsrechte erwünscht sein könnte, gebe595 . Konkreter wurde von Mangoldt an diesem Punkt leider nicht. Insbesondere nannte er keine weitere internationale Organisation, die er hier im Blick hatte. Seine Aussage macht aber die Bedeutung der oben geschilderten596 Entwicklung der europäischen Politik fiir die Arbeit des Parlamentarischen Rates deutlich. Sie beweist, daß die Ratsmitglieder die Forderungen und Ziele der verschiedenen europäischen Bewegungen kannten und versuchten, diese im Rahmen ihrer Arbeit umzusetzen. Schließlich enthüllte ein Vorschlag der Abgeordneten Friederike Nadig (SPD) einen äußerst interessanten rechtlichen Aspekt. Frau Nadig hatte nachgefragt, ob es nicht zweckmäßig sei, in Art. 29 Abs. 2 den Begriff "europäische Verhältnisse" in "Weltverhältnisse" abzuändern 597 . Dem trat der Ausschußvorsitzende von Mangoldt entgegen. Von Mangoldt erläuterte, daß hier ganz bewußt auf die europäischen Verhältnisse abgestellt worden sei. Als der Abgeordnete Wunderlich daraufhin vorschlug beides, Europa und die Welt, nebeneinander zu setzen, wurde von Mangoldt deutlicher. Das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sei "das Weltsystem der Vereinten Nationen", Dieses Weltsystem ließe durch Art. 53 seiner Charta598 regionale Pakte

594 Von Mangoldt spielte vennutlich auf die Beschlüsse der Europäischen Parlamentarischen Union (EPU) an. Diese hatte auf ihrem zweiten Kongreß Anfang September 1948 in Interlaken, an dem auch Mitglieder des Parlamentarischen Rates teilgenommen hatten, ein lO-Ptmkte-Programm fUr eine europäische Föderation beschlossen. Über diese Entwicklung wurden die Ratsmitglieder durch ihren Informationsdienst am 3. September 1948 unterrichtet (Z 5/178 F). So auch: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5ill, Dok.Nr. 25, S. 542, dort Fn. 35. 595 Ebenda, S. 543. 596 Vgl. oben S. 80 f1 597 Protokoll der 20. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schiele! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5ill, Dok.Nr. 25, S. 543. 598 Hennann von Mangoldt verwechselte hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Artikel der UN-Charta. Nicht Art. 53, sondern Art. 52 der Charta der Vereinten Nationen räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, regionale Abmachungen zu treffen. Da eine spätere Änderung dieser Artikel nicht stattgefunden hat, spricht alles ft1r ein Versehen von Mangoldts. Art. 52 der UN-Charta lautet auszugsweise: " (1) Diese Charta schließt das Bestehen regionaler Abmachungen oder Einrichtungen zur Behandlung deIjenigen die Wahrung des Weltfriedens und der inter-

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zu. Unter jenen regionalen Pakten spiele die Europaunion "die hervorragenste Rolle". Aus diesem Grund sei es richtig, in Art. 29 Abs. 2 gerade "dieses besondere Moment der Europaunion hervorzuheben". Schließlich ließe Abs. 1 daneben alle Möglichkeiten in weltweitem Sinn offen599 . Von Mangoldts Erläuterung beweist, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates davon ausgingen, daß eine politischen Union der europäischen Staaten auf zwei Wegen zu erreichen sein würde. Zum einen über die Eingliederung in ein System der kollektiven Sicherheit und zum anderen durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Gremien. Darüber hinaus zeigt sie, daß die Ratsmitglieder die Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 29 Abs. 1 nicht nur im Hinblick auf wirtschaftliche, sondern auch im Hinblick auf politische Integrationsmaßnahmen für bedeutungsvoll hielten Neben Hermann von Mangoldt sprach sich auch Carlo Schmid gegen die vorgeschlagene Änderung aus. Der SPD-Abgeordnete begründete dies damit, daß man nicht zur Weltregierung kommen werde, ohne vorher durch Europa gegangen zu sein600 . Schließlich regte der Abgeordnete Heuss an, in Art. 29 Abs. 2 die Formulierung "des Friedens" in "des Weltfriedens" bzw. "des allgemeinen Friedens" auszuweiten60I . Gegen diesen Vorschlag führte Schmid ins Feld, daß sich die Beschränkung auf Europa politischer auswirke, als die Einbeziehung des "Weltfriedens allgemein". Denn sonst setze man sich dem Vorwurf aus, sich absichtlich ein zu hohes Ziel zu stecken, um zu nichts verpflichtet zu sein. Er mahnte in diesem Zusammenhang an, daß sich der Parlamentarische Rat darauf beschränken müsse, sich nahe Ziele zu stecken, mit der Aussicht, diese bald zu erreichen. Nur so würde eine derartige Verpflichtung "einlösbar und konkret"602. Im Ergebnis konnte sich keiner der vorgetragenen ÄnderungsWÜDsche durchsetzen. Der Ausschuß entschied sich mehrheitlich für die Belassung des Art. 29 in der bisherigen Fassung. Er wurde noch am selben Tag in der vom Grundsatzausschuß in zweiter Lesung angenommenen Fassung der "Allge-

nationalen Sicherheit betreffenden Angelegenheiten nicht aus, bei denen Maßnalunen regionaler Art angebracht sind;( ... ) ." 599 Protokoll der 20. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5ill, Dok.Nr. 25, S. 543. 600 Ebenda, S. 543. 601 Ebenda, S. 543. 602 Ebenda, S. 544.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

meinen Bestimmungen" (Art.21-32), lediglich unter Veränderung der Nummerierung, als Art. 30, veröffentlicht603 . e) Die erste Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses

Der Allgemeine Redaktionsausschuß nahm erstmals am 16. November 1948 zu den im Grundsatzauschuß formulierten europafreundlichen Bestimmungen Stellung604. Dabei wartete er lediglich im Hinblick auf Art. 30 Abs. 2 mit einem Änderungsvorschlag auf. Statt der vom Grundsatzausschuß präferierten "Ordnung der europäischen Verhältnisse" sprach sich der Redaktionsauschuß fiir die Formulierung "Ordnung zwischen den Völkern" aus. Im übrigen beschränkte er sich darauf, lediglich die zahlenmäßige Bezeichnung von Art. 30 in der Fassung des Grundsatzausschusses nochmals, jetzt in Art. 29 a, zu verändern605 . Da über die Verhandlungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses keinerlei Protokolle aufgenommen wurden606 , können keine Aussagen zum Inhalt der Beratungen getroffen werden. Die Tatsache, daß der Ausschuß, anders als an anderen Stellen, wo oft seitenlange Anmerkungen gemacht wurden, keine größeren inhaltlichen Änderungen vorschlug, ist aber ein weiteres Indiz fiir die breite Übereinstimmung, die im Hinblick auf diese Bestimmungen herrschte. j) Zwischenergebnis

Die erste Phase der Bonner Beratungen war damit zu Ende gegangen. Im Hinblick auf die angestrebte Verankerung der europäischen Idee im Grundgesetz hatte sie mehrere Dinge gezeigt : In den Eingangsberatungen im Plenum war die schon vor dem Zusammentreten des Rates aus verschiedenen politischen Lagern erhobene Forderung nach einer Beteiligung Westdeutschlands am europäischen Einigungsprozess grundsätzlich bekräftigt

603 Vgl. PR - Drucks.Nr. 269, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5m, Dok.Nr. 26, S. 550- 553. 604 Zwar liegt dieses Datwn eigentlich schon in der 2. Phase der Beratungen. Da sich die Stellungnahme inhaltlich aber auf die ersten beiden Lesungen des Grundsatzausschusses bezieht, wird bereits an dieser Stelle auf sie eingegangen. 605 Vgl. die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Dok.Nr. 2, S. 46. 606 Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 81.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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worden. In den Sitzungen des Auschusses für Grundsatzfragen hatte man sich intensiv mit der europäischen Einigung beschäftigt und dabei eine recht konkrete Vorstellung davon gewonnen, welches verfassungsrechtliche Fundament man dem Einigungsprozess aus deutscher Sicht bereiten mußte. Sogar Details waren hier erstmalig angesprochen worden. Was den Weg nach "Europa" anging, war man sich einig geworden "zweigleisig" zu fahren. Neben der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Organisationen - als Beispiel wurde hier ausdrücklich eine internationale Behörde fur den Ruhrkohlebergbau genannt - sollte dem Bund die Möglichkeit gegeben werden, sich in ein System der gegenseitigen kollektiven Sicherheit einzuordnen und in dessen regionaler Untergliederung - nach den Vorstellungen des Ausschußvorsitzenden von Mangoldt einer "Europa-Union" - mitzuarbeiten. Insgesamt hatte die europäische Idee damit bereits in diesem ersten Arbeitsabschnitt des Parlamentarischen Rates ein großes Stück ihres Weges zurückgelegt. Nun war es vor allem am Hauptausschuß, diesen konsequent fortzusetzen.

2. Die europäische Idee in der zweiten Phase der Bonner Beratungen In den zweiten Arbeitsabschnitt des Parlamentarischen Rates, der von Mitte November bis Mitte Dezember 1948 andauerte, fielen die erste Lesung im Hauptausschuß, die vom Allgemeinen Redaktionsausschuß parallel hierzu abgegebenen Stellungnahmen, sowie erneute Beratungen in den einzelnen Fachausschüssen607 . a) Die erste Lesung des GrundgesetzentwurJes im Hauptausschuß

Im Anschluß an die ausfuhrlichen Beratungen der Einzelmaterien in den Fachausschüssen trat der Hauptausschuß in der Zeit vom 11. November bis zum 10. Dezember 1948 zu seiner ersten Lesung zusammen. Diese diente vor allem dazu, die erarbeiteten zahlreichen Einzelvorlagen zu einem Gesamtentwurf zu verschmelzen. Dabei sollten die sich abzeichnenden verschiedenen Streitpunkte herausgeschält, sowie die schon vorliegenden Formulierungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses berücksichtigt werden608 . Die europäische Idee spielte bereits in der sechsten Sitzung des Hauptausschusses am 19. November 1948 eine Rolle, als der Ausschuß unter Vorsitz 607 Vgl. Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 96 f. 608 Ebenda, S. 96 f.

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C. Die europäische Idee

im Parlamentarischen Rat

von Carlo Schmid über die Anforderungen einer Eingliederung Deutschlands in internationale Organisationen beriet609 . Als Diskussionsgrundlage diente ihm hierbei die vom Grundsatzausschuß in zweiter Lesung erarbeitete Vorlage61O . Die Mitglieder des Hauptausschusses debattierten zunächst über Art. 30 Abs. 1 der Vorlage. Dabei tauchte zum wiederholten Male eine Frage auf, die bereits auf Herrenchiemsee und im Grundsatzausschuß erörtert worden war. Der Abgeordnete Seebohm störte sich daran, daß die Übertragung von Hoheitsrechten durch einfaches Bundesgesetz möglich sein sollte. Er vertrat in diesem Zusammenhang die Auffassung, daß so die Wertigkeit der Sache nicht genügend betont werde. Die Übertragung von Hoheitsrechten sei "das Allerwichtigste, was der Bund tun kann". Deshalb sollte hinter einer solchen Maßnahme die sichere, große Mehrheit des Volkes durch seine Vertretung stehen611 . Dies sah Seebohm nur durch folgenden Wortlaut des Art. 30 Abs.l gewährleistet: ,,Der Bund kann mit verfassungsändernder Mehrheit Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Eiruichtungen übertragen"612. Dieser Sichtweise Seebohms trat der Ausschußvorsitzende Schmid entgegen. Wie schon an anderer Stelle in diesem Zusammenhang machte Schmid deutlich, daß die Bestimmung bewußtennaßen vorsah, Hoheitsrechte durch einfaches Bundesgesetz zu übertr~gen. Er verwies darauf, daß hiermit zum Ausdruck gebracht werden solle, "daß dieses Land grundsätzlich bereit ist, internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen beizutreten, also die Internationalisierung der politischen Wirklichkeit möglichst aktiv zu fördern"613.

Schmid erläuterte, daß diese Bereitschaft dadurch unterstrichen werden solle, daß in einem solchen Fall gerade kein verfassungsänderndes Gesetz 609 Siehe: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Protokoll der sechsten Sitzung, S.69 t1 610 Text: siehe oben S. 133. Die in zweiter Lesung beschlossene Fassung entspricht der dort, als Ergebnis der 1. Lesung, wiedergegebenen Fassung. Lediglich die Numerierung der Artikel hatte sich zwischenzeitlich geändert. Aus Art. 29 (I. Lesung) war Art. 30 (2. Lesung) geworden. 611 Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, vgl.: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 69. 612 Ebenda, S. 69. 613 Ebenda, S. 69.

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verlangt werde, sondern ein einfaches Gesetz genüge. Die grundsätzliche Entscheidung im Hinblick auf die Zustimmung zur Übertragung von nationalen Souveränitätsrechten solle "nicht bei den einzelnen Akten", sondern schon im Grundgesetz selbst "als eine Entscheidung allgemeiner und fundamentaler Art" getroffen werden 614 . In der Erwiderung stellte Seebohm sein grundsätzliches Einverständnis mit der Bestimmung klar. Auch er sei für eine derartige Übertragung von Hoheitsrechten durch Gesetz. Es stehe außer Frage, daß man alles tun müsse, "um das Entstehen solcher zwischenstaatlicher Einrichtungen, insbesondere innerhalb unseres gesamten europäischen Gebietes, zu erreichen". Er glaube aber, daß speziell solch bedeutsame Akte dem Volk klar zum Bewußtsein gebracht werden sollten. Das Volk sei nur dann wirklich innerlich bereit einen derartigen Schritt zu tun, wenn es diesen Schritt in seiner vollen Bedeutung erfahre und anerkenne. Eben diesen Gedanken wolle er durch seinen Antrag unterstreichen, insbesondere deshalb, weil das Grundgesetz seine Legalität nicht durch eine Volksabstimmung, sondern lediglich durch Beschlüsse der verschiedenen Landtage erhalte615 . Auch mit diesen ergänzenden Ausführungen gelang es Seebohm nicht, die anderen Ausschußmitglieder zu überzeugen. Sowohl Rudolf Katz (SPD), als auch dessen Fraktionskollege Eberhard, sprachen sich gegen die vorgeschlagene Änderung aus. Katz betonte in Anlehnung an die Ausführungen Carlo Schmids: " Die Pointe ist gerade die, daß es durch einfaches Gesetz geschehen kann. Darin sehen wir den Fortschritt. Wir wollen uns hier aus Anlaß dieses Grundgesetzes bereits grundsätzlich bereit erklären, eventuell in ein derartiges System einzutreten".616 Katz stellte fest, daß man Art. 30 Abs. I gar nicht bräuchte, wenn man dem Vorschlag Seebohms folgen würde. Denn danach wäre stets eine Verfassungsänderung erforderlich, um Hoheitsrechte übertragen zu können. Durch verfassungsänderndes Gesetz könnten aber "alle anderen Dinge späterhin auch geschehen". Die Bestimmung habe deshalb nur Sinn,

614 Schmid auf der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, ebenda, S. 69. 615 Seebohm auf der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, ebenda, S. 69 f. 616 Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, ebenda, S. 70. 10 Serm.nsoder

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"wenn wir uns schon jetzt darauf festlegen, daß wir bereit sind, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, sobald der. Augenblick gekommen ist" 617. Der Abgeordnete Eberhard verwies darauf, daß es wichtig sei, auch die Öffentlichkeit erfahren zu lassen, "daß wir einen großen Schritt zu einer besseren Art tun, die internationalen Angelegenheiten von deutscher Seite aus zu regeln". Er machte ferner darauf aufmerksam, daß Art. 30 Abs.l in seiner bisherigen Fassung eine "sehr schöne Antwort" auf die -bereits mehrfach erwähnte- Regelung in der Präambel der französischen Verfassung618 sei619 . Anschließend ergriff der Abgeordnete Heinz Renner (KPD) das Wort und beantragte, hinter den bisherigen Art. 30 Abs.l einen Zusatz einzufügen, wonach eine solche Übertragung unter anderem erst dann erfolgen könne, wenn "die Republik in den vollen Besitz der staatlichen Hoheitsrechte gekommen" sei 620 . Zur Begrundung seines Antrages verwies Renner darauf, daß Deutschland weit entfernt davon sei, "im vollen Besitz der staatlichen Hoheitsrechte" zu sein. Bevor man jedoch "als gesamtdeutsches Gebiet" Bindungen eingehe, durch die man auf einen Teil der Souveränität verzichte, müsse gesichert sein, daß Deutschland derartige Verpflichtungen ausschließlich aufgrund eigener uneingeschränkter Hoheit eingehe621 . Weit interessanter als die eigentliche AntragsbegIiindung ist in diesem Zusammenhang eine kurze, nur in einem Nebensatz enthaltene Bemerkung Renners, die eine - gemessen an dessen sonstigen Redebeiträgen - überraschende Haltung der europäischen Integration gegenüber, verdeutlicht. Renner hatte in seiner Wortmeldung im Hinblick auf den mit der Übertragung von Hoheitsrechten verbundenen Verzicht "auf einen Teil der staatlichen Souveränität" ausdIiicklich gesagt, daß dies "im Prinzip von mir durchaus bejaht wird"622. Damit hatte er sich 617 Ebenda, S.70. 618 Vgl. zu deren Wortlaut: oben Fn. 257. 619 Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 70. 620 Der volle Wortlaut des Zusatzes lautet: "Von dieser Bestimmung kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn I) die Republik in den vollen Besitz der staatlichen Hoheitsrechte gekommen ist, 2) ein entsprechendes Gesetz ohne Mitwirkung und ohne Genehmigung der Besatzungsmächte beschlossen werden kann, 3) die Vertretung der Republik durch die Bundesregierung wahrgenommen wird." Vgl.: Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptauschusses, ebenda, S. 70. 621 Ebenda, S. 70. 622 Ebenda, S. 70.

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anders geäußert, als sein zwischenzeitlich aus dem Rat ausgeschiedener Vorgänger Hugo Paul, der sich in der Eingangsberatung im Plenum noch generell gegen eine derartige Übertragung ausgesprochen hatte623 . Daraus läßt sich ableiten, daß zu diesem Zeitpunkt der Beratungen selbst die Ratsvertreter der KPD, die sich in vielen anderen Fällen kategorisch ablehnend äußerten, zumindest einem national staatlichen Souveränitätsverzicht als erster Stufe der Einigung Europas wohlwollend gegenüberstanden. Ob sich diese Tendenz fortsetzen würde, mußten die nächsten Sitzungen aber erst zeigen. Der Vorstoß Renners wurde ohne größere Diskussion verworfen. Lediglich der Abgeordnete Seebohm hatte dazu kurz das Wort ergriffen und erklärt, er stehe auf dem Standpunkt, daß man sich bei der Abfassung dieser Bestimmungen von derartigen Gedanken so weit wie möglich frei machen sollte624. Anschließend lehnte der Hauptausschuß den von der KPD geforderten Zusatz mit allen Stimmen gegen die Stimme des AntragssteIlers ab625 . Bevor über den Antrag Seebohms abgestimmt wurde, brachte dieser selbst einen weiteren, auch heute noch oft umstrittenen Gedanken ins Spiel. Seebohm machte darauf aufmerksam, daß durch die Übertragung von Hoheitsrechten durch den Bund teilweise auch die Hoheitsrechte der Länder beeinträchtigt würden. Er regte deshalb an, die Übertragung an ein Gesetz zu knüpfen, welches die "volle Zustimmung des Bundesrats" erfordere626 . Als der Ausschußvorsitzende Schrnid ihn allerdings darauf hinwies, daß er diese Problematik besser im Zusammenhang mit der Beratung über zustimmungspflichtige Gesetze vorbringen solle, zog Seebohm, offenbar vom Verlauf der vorhergehenden Diskussion verunsichert, seinen ursprünglichen Antrag zurück627 . Er beantragte nun nur noch zu sagen: " Der Bund kann durch Gesetz mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen"628 . 623 Siehe oben S. 125 f. 624 Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, ebenda, S. 70. 625 Ebenda, S. 70. 626 Ebenda, S. 70. 627 Vgl.: Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, ebenda, S. 70. Dennoch ließ Seebohm diesen Gedanken nicht gänzlich fallen. Wenige Tage nach der Sitzung beantragte er folgenden Zusatz in Art. 29 a, Abs. I aufzunehmen: "Dieses Gesetz bedarf der ZuStimmWlg von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrates". Vgl.: PR-Drucks. Nr. 411. 628 Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, ebenda, S. 70 10*

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Auch dieser Antrag wurde vom Hauptausschuß mit großer Mehrheit abgelehnt. Der Hauptausschuß wandte sich anschließend Art. 30 Abs. 2 in der vom Grundsatzausschuß in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zu629. Hierzu lag zunächst ein Antrag des Abgeordneten Walter Menzel (SPD) vor, der vorschlug die Formulierung "gegenseitige kollektive Sicherheit" durch den Begriff "gemeinsame Sicherheit" zu ersetzen630 . Wie schon auf der 20. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen trat Carlo Schrnid diesem Antrag entgegen. Der Ausschußvorsitzende verwies abermals darauf, daß der gewählte Begriff ein "Terminus technicus" sei, unter dem "etwas ganz Bestimmtes" verstanden werde. Dieser sei genauso klar umrissen, wie etwa im Bürgerlichen Recht der Ausdruck "ungerechtfertigte Bereicherung". Es handele sich um eine Institution aus dem Kriegsverhütungsrecht, welche in den modemen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt werde631 . Menzel hielt dem entgegen, daß genau diese Argumente ihn zu dem Änderungsantrag bewogen hätten. Er wolle die "politische Belastung", welche dieser Begriff in den letzten Jahren in der europäischen Politik bekommen habe, nicht übernehmen. Deshalb habe er nach einer Neuformulierung gesucht, um das auch von Schrnid hervorgehobene "Gemeinsame" zu betonen632 . In der späteren Abstimmung konnte sich Menzel mit diesem Antrag dennoch nicht durchsetzen. Ebenfalls von Walter Menzel stammte der Antrag, die Formulierung "europäische Verhältnisse" durch das Wort "Welt" zu ersetzen. Diesen Ansatz griff der Abgeordnete Seebohm auf, der einerseits darauf verwies, daß die Bezugnahme auf die europäischen Verhältnisse hervorgehoben bleiben müsse, es andererseits aber für richtig hielt auch "die Völkergemeinschaft in der Welt" zu nennen. Die beiden Begriffe stünden für die "Vorstufe" und für die "später anzustrebende Entwicklung". Nachdrücklich verwies Seebohm darauf, daß er damit klar zum Ausdruck gebracht haben wolle, daß gerade die "Regelung der europäischen Verhältnisse eine sehr naheliegende und rasch zu erreichende Vorstufe" sei 633 . Anders als noch kurz zuvor im Grundsatzausschuß, als die

629 Text, siehe oben S. 133, vgl. auch Fn. 610. 630 Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 70. 631 Ebenda, S. 71. 632 Ebenda, S. 71. 633 Ebenda, S. 70.

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Abgeordnete Nadig diesen Gedanken angesprochen hatte 634, regte sich gegen Seebohms Vorschlag kein Widerstand. Die Mitglieder des Hauptausschusses und ihr Vorsitzender, der die Berücksichtigung der Weltverhältnisse im Grundsatzausschuß noch abgelehnt hatte, waren offenbar zu dem Ergebnis gekommen, daß dieser neue Vorschlag fiir die europäische Integration keine Verschlechterung, fiir die immer wieder geforderte globale Vereinigung aber einen Fortschritt, bedeutete. Der Ausschuß stimmte diesem Antrag deshalb einstimmig zu635. Schließlich hatte sich der Hauptausschuß noch mit einem erneuten Ergänzungsantrag des Abgeordneten Renner zu beschäftigen. Dieser forderte hinter Art. 30 Abs. 2 unter anderem einzufiigen, daß eine Beschränkung der Hoheitsrechte nur "in voller Gegenseitigkeit der vertragsschließenden Mächte" erfolgen könne636 . Ein solcher Zusatz sei erforderlich, um Deutschland nicht "das Tor fiir eine spätere Kritik" an verschiedenen Zwangsmaßnahmen der Besatzungsmächte - Renner nannte exemplarisch die Einfiihrung einer Ruhrbehörde - zu verschließen. Er äußerte die Befiirchtung, daß man sich jegliche Revision derartiger Zwangsauflagen selbst abschneide, wenn man sie durch die Verfassung freiwillig übernehmen würde637 . Auch in diesem Punkt folgte der Ausschuß Renner nicht. Sein Antrag wurde abgelehnt. Der komplette Artikel 30 hingegen, wurde in der nun vom Hauptausschuß beratenen Fassung bei nur einer Nein-Stimme angenommen638 .

634 Vgl. oben S. 140. 635 Protokoll dersechsten Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 71. 636 Der komplette Wortlaut des Antrages ist abgedruckt im Protokoll der sechsten Sitzung des Hauptausschusses, S. 71. 637 Ebenda, S. 71. 638 Die entscheidenden Passagen des bisherigen Art. 30, der nach einer erneuten UmbeneIUlung schließlich als Art. 29 a gefilhrt wurde, lauteten nach der ersten Lesung im Hauptausschuß nunmehr also: (I) Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. (2) Der Bund kann im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens sein Gebiet in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung der europäischen Verhältnisse und der Völkergemeinschaft der Welt herbeifllhren und sicherstellen.

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c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat b) Die weiteren Beratungen der Fachausschüsse

Parallel zur Arbeit des Hauptausschusses gingen die Beratungen in den Fachausschüssen weiter6 39 . Der Grundsatzausschuß traf sich am 16. November 1948 zu seiner 21. Sitzung, um die Präambel in zweiter Lesung zu beraten640 . Dabei gingen die Ausschußmitglieder von einem unter Berücksichtigung der Ergebnisse der 19. Sitzung von ihrem Vorsitzenden von Mangoldt erarbeiteten Entwurf aus641 . Neben einer Reihe sonstiger Punkte enthielt dieser Entwurf das folgende Bekenntnis zur europäischen Einigung : " ... in der Erwartung, daß das geeinte Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied mitwirken wird." Von Mangoldt, der diesen Passus offenbar aus dem Kroll'schen Entwurf6 42 übernommen hatte, führte dazu aus, daß es ihm gut erscheine, schon in der Präambel selbst "die Stellung innerhalb Europas zu berühren"643. Er habe deshalb "sehr gerätselt, um für diese neuartige Frage die Worte zu finden, die man wählen müßte". Dabei sei er schließlich zu der zitierten Formulierung gekommen. Theodor Heuss eröffnete die Diskussion mit starker Kritik am Vorschlag Hermann von Mango1dts644 . Die Einleitung "in der Erwartung" sei unmöglich. Das hieße soviel wie "wir hoffen es", beziehungsweise "wir wollen einmal abwarten, was daraus wird, vielleicht machen unsere Nachfahren das". Heuss sprach sich deshalb für die Formulierung "in der Gewißheit" aus. Diese sei zugleich eine Aufforderung an die anderen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, "daß ein geeintes Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied mitwirken" könne. Von Mangoldt stimmte diesem Vorschlag zu, wollte aber statt "mitwirken" einen anderen Ausdruck am Ende der Bestimmung haben. Er sprach sich für:

639 Dennewitz in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 97. 640 Vgl. das Protokoll der 21. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51ll, Dok.Nr. 27, S. 554-577. 641 Der Text dieser mit nochmaligen handschriftlichen Änderungen versehenen, letztendlich gültigen Fassung des Entwurfs von von Mangoldt datiert unter dem 16. November 1948. Er ist abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51ll, Dok.Nr. 27, S. 555, dort Fn. 6. 642 Vgl. hierzu oben, S. 138 f. 643 Protokoll der 21. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 51ll, Dok.Nr. 27, S. 567 f. 644 Ebenda, S. 568.

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" ... in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland zum Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa große Aufgaben zu erfüllen hat" aus645 . Der Abgeordnete Ludwig Bergsträsser646 stellte folgende Fonnulierung zur Diskussion: " ... in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland in einem vereinten Europa als gleichberechtigtes Glied zum Wohle der Menschheit fruchtbar mitwirken wird647 u. Auch gegen diesen Vorschlag wandte sich Theodor Heuss. Er begründete seine Kritik damit, daß man den Ausdruck "fruchtbar" schon wieder "als leise Übertreibung" empfinden könnte. Heuss selbst schlug deshalb vor, zu sagen: ". .. in der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied dem Wohle der Menschheit in einem vereinten Europa dienen wird648 H.

Letztlich hatte Theodor Heuss damit die Linie des Ausschusses am treffendsten fonnuliert. Man einigte sich anschließend lediglich noch darauf, "als gleichberechtigtes Glied" unmittelbar vor "in einem vereinten Europa" zu setzen, da hierdurch "das Zielhafte" besser herauskäme. Die vom Grundsatzausschuß angenommene Fonnulierung lautete im Endeffekt also: ,,In der Gewißheit, daß ein geeintes Deutschland als gleichberechtigtes Glied in

einem vereinten Europa dem Wohle der Menschheit dienen wird649 ". Damit hatte der Ausschuß einen Vorschlag ausgearbeitet, der der späteren Fassung im Grundgesetz schon sehr ähnlich war. Dem Ziel, die europäischen Idee bereits in der Präambel der neuen deutschen Verfassung zu berücksichtigen, war man in der 2l. Sitzung des Grundsatzausschusses ein gewaltiges Stück nähergekommen.

645 Ebenda, S. 568. 646 Wie dargestellt war Bergsträsser schon vor den BOImer Grundgesetzberatungen ein überzeugter Anhänger der europäischen Einigung. Siehe hierzu: oben S. 115. 647 V gl.: Protokoll der 21. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5m, Dok.Nr. 27, S. 568. 648 Ebenda, S. 568. 649 Ebenda, S. 568.

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c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat c) Nochmalige Beratungen im Hauptausschuß

Der Hauptausschuß beriet erst zum Ende seiner ersten Lesung in der 26. Sitzung am 10. Dezember 1948 über die Präambel. Der Grund für diese Vorgehensweise ist in der gerade dargestellten, parallelen Behandlung dieser Materie durch den Grundsatzausschuß zu suchen. Nachdem man dort die meisten Probleme zur Zufriedenheit der Mehrheit gelöst hatte650 , wurde im Hauptausschuß nur noch über eine politisch hochbrisante Frage gestritten. Man suchte nach einer Lösung für die Frage, ob in der Präambel das deutsche Volk als gesamtdeutsches Staatsvolk oder die einzelnen deutschen Länder als eigene Rechtsträger als die maßgeblichen Kräfte für die Entsendung der Abgeordneten in den Parlamentarischen Rat genannt werden sollten651 . Die vorgesehene Berücksichtigung der Idee der europäischen Einigung in der Präambel wurde im Hauptausschuß vom Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen, von Mangoldt, lediglich kurz erwähnt. Von Mangoldt wies schlicht darauf hin, daß der Gedanke. das "neue, im Entstehen begriffene Deutschland nun auch in seine Umwelt einzuordnen" in einem eigenen Absatz Ausdruck gefunden habe652 . Anschließend nahm auch der Hauptausschuß den bereits vom Ausschuß für Grundsatzfragen beschlossenen Text an653 . Die für die geplante Verankerung der europäischen Idee im Grundgesetz positive Entwicklung wurde also auch in der ersten Lesung der verschiedenen Teilentwürfe im Hauptausschuß fortgesetzt. Nach dem Grundsatzausschuß hatte mit dem Hauptausschuß die nächst größere organisatorische Einheit des Parlamentarischen Rates ihre grundsätzliche Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, die Einigung der Staaten Europas im Grundgesetz zu berücksichtigen. Bei den einzelnen Beratungen hatte eine breite Übereinstimmung über alle Parteigrenzen hinweg, mit Abstrichen sogar bis hin zur KPD, geherrscht. Viele Detailprobleme wurden dabei bereits zum zweiten Mal erörtert. Die meisten von ihnen konnten demgemäß viel zügiger als noch in den Fachausschüssen aus dem Weg geräumt werden. Insgesamt läßt sich aus dem Verlauf der Beratungen ablesen, daß sich bei den Ratsmitgliedem zwischenzeitlich eine schon recht gefestigte Grundlinie im Hinblick auf "Europa" gebil-

650 Vgl. dazu: Protokoll der 21. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der ParlamentarIsche Rat. Bd. 5m, Dok.Nr. 27, S. 554 - 577. 651 Siehe: Protokoll der 26. Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 306 ff. 652 Ebenda, S. 306. 653 Vgl.: Protokoll der 26. Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 310. Der Wortlaut des angenommenen PräambeItextes findet sich oben auf S. 151.

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det hatte. Die noch vorhandenen Streitpunkte waren mehr und mehr geschwunden.

d) Die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur ersten Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß Im Anschluß an diese ersten Beratungen im Hauptausschuß trat der Allgemeine Redaktionsausschuß zusammmen, um sich mit dem erarbeiteten Grundgesetzentwurf zu befassen654 . Nach dem Ende seiner Beratungen gab er eine Stellungnahme in Form eines eigenen, komplett ausformulierten und mit zahlreichen Anmerkungen versehenen Entwurfes655 ab. Dabei setzte sich der Ausschuß auch mit den, langsam eine deutliche Kontur gewinnenden, Integrationsartikeln auseinander. Im Hinblick auf die Präambel merkte der Allgemeine Redaktionsausschuß an, diese solle nur "wenige markante, den Wesensgehalt einer Verfassung kennzeichnende Gedanken" enthalten656 . Die vom Hauptausschuß beschlossene Fassung sei zu umfassend. Sie enthalte eine historische Schilderung des Zustandekommens des Grundgesetzes und verbinde damit eine Reihe von Bekenntnissen, die in ihrer Häufung zu Wiederholungen führten. Es werde dort von der Erhaltung der Einheit der Nation, der freien Gestaltung ihres nationalen Lebens, einem geeinten Deutschland in einem vereinten Europa, der Ausübung eines freien nationalen Selbstbestimmungsrechts sowie der Vollendung der nationalen Einheit und Freiheit des deutschen Volkes gesprochen. Dabei handele es sich um Formulierungen, in denen immer dieselben Gedanken wiederkehrten. Demgemäß schlug der Ausschuß eine stark gekürzte Neufassung vor, die wie folgt lautete: ,,Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern ( ... ) dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden"657.

654 Delmewitz. in: Dolzer/Vogel. Bonner Kommentar, Einleitung, S. 97. 655 Dieser ist abgedruckt in: SchickIKahienberg, Der Parlamentarische Rat, Bd.7. Dok. Nr.4, S.133-201. 656 Vgl. auch zum folgenden: Ebenda, S 133. 657 Ebenda, S. 134.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Daß sich sich der Allgemeine Redaktionsausschuß trotz umfangreicher Kürzungen an anderer Stelle dafiir entschieden hatte, den Gedanken der europäischen Einigung weiterhin in der Präambel zu berücksichtigen, spricht dafiir, daß auch er die große politische Bedeutung des Europagedankens erkannt hatte658 . Auch der Vorschlag zu Art. 29 a macht deutlich, daß für die Mitglieder des Allgemeinen Redaktionsausschusses die grundsätzliche Berücksichtigung der europäischen Einigung im Grundgesetz nicht mehr zur Disposition stand. Hier wiesen sie lediglich darauf hin, daß die in Abs. 2 vorgesehene Beschränkung auf die bloße Einordnung des Gebiets in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit möglicherweise zu eng sein könnte. Die Wahrung des Friedens könne eine Einordnung in ein derartiges System erforderlich machen, ohne daß das Gebiet als solches eingeordnet werden müsse659 . Deshalb schlug der Ausschuß folgende Formulierung vor: ,,(2) Der Bund kann sich zur Wahnmg des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anschließen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeifilhren und sichern"660. Weitere Änderungsvorschläge, insbesonder im Hinblick auf die Fassung des Art. 29 a Abs. 1, unterbreitete der Ausschuß nicht. Spätestens ab diesem Zeitpunkt zum Ende der zweiten Phase der Arbeiten am Grundgesetz war die endgültige Entscheidung darüber gefallen, daß das Grundgesetz Bestimmungen enthalten würde, die eine Beteiligung Deutschlands an der europäischen Einigung vorsehen würden. Obwohl deren letztgültige Formulierung noch offen war, stand die grundsätzliche Europafreundlichkeit des Grundgesetzes nurunehr fest.

3. Die europäische Idee in der dritten Phase der Bonner Beratungen Die dritte Phase der Verfassungsarbeiten dauerte von Mitte Dezember 1948 bis Anfang Februar 1949. In dieser Zeit fand die zweite Lesung des Grundgesetzentwurfes im Hauptausschuß statt. Parallel dazu berieten die Fachaus658 Über die Beratungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses wurden keine Sitzungsprotokolle angefertigt. Vgl.: Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Korrunentar, S. 81. Die getroffene Feststellung läßt sich deshalb nicht näher belegen. 659 Ebenda, S. 148, Arun. I zu Art. 29 a. 660 Ebenda, S. 148.

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schüsse weiter. Nach Abschluß der Beratungen im Hauptausschuß legte der Allgemeine Redaktionsausschuß am 25. Januar 1949 eine Stellungnahme zu der dort beschlossenen Fassung vor. Daneben erarbeitete der nun eingesetzte Fünfer-Ausschuß bis zum 5. Februar 1949 eine Reihe von Kompromißvorschlägen661 . a) Die zweite Lesung des GrundgesetzentwurJes im Hauptausschuß

Im Verlauf der zweiten Lesung im Hauptausschuß spielte die europäische Einigung mehrmals eine Rolle. Vor allem die 3l. Sitzung, in der eine Aussprache über das kurz zuvor von den Alliierten veröffentlichte "Ruhrstatut" erfolgte, stand stark, wohl so stark wie keine sonstige Diskussion im Parlamentarischen Rat, im Zeichen der Zukunft Europas. Zuvor berieten die Abgeordneten in der 29. Sitzung des Hauptausschusses über den, als Art. 29 a in der Fassung der ersten Lesung berücksichtigten, künftigen Integrationsartikel. Als erster Redner meldete sich dabei ein Mann zu Wort, der die Grundgesetzberatungen in diesem Punkt schon mehrfach aktiv mitgestaltet hatte. Der sozialdemokratische Abgeordnete Fritz Eberhard griff an dieser Stelle den Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 29 a Abs. 2662 auf und wies darauf hin, daß sich die bisherige Fassung nur auf ein Einordnen des Gebietes in ein System der kollektiven Sicherheit bezöge. Da aber die Einordnung in ein solches System auch erforderlich sein könnte, "ohne daß das Gebiet als solches eingegliedert werden" müsse, beantragte Eberhard eine Änderung des Textes im Sinne der oben vorgestellten Fassung des Redaktionsausschusses663 . Als nächster bat ein Abgeordneter ums Wort, der sich ebenfalls schon mehrfach für die europäische Integration eingesetzt hatte. Der Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm griff einen von ihm selbst im Rahmen der ersten Lesung unterbreiteten, in der Zwischenzeit von seiner Fraktion zu einem Antrag erhobenen, Gedanken auf. An seine Ausführungen in der sechsten Sitzung des Hauptausschusses anknüpfend664, erinnerte Seebohm daran, daß durch die in Art. 29 a Abs. 1 vorgesehene Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen "in besonderem Maße

661 Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 101 f. 662 Siehe oben S. 154. 663 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 346. 664 Siehe insoweit oben S. 147.

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die Länderinteressen" betroffen seien. Es gelte deshalb, auch wenn der Hauptausschuß sich darüber einig gewesen sei, "solche Verträge nicht durch die Schwerfälligkeit einer Verfassungsänderung zu belasten", sicherzustellen, daß die vorgesehene Übertragung "vom Bund und den Ländern gemeinsam getragen" werde. Seebohm beantragte deshalb für die Fraktion der Deutschen Partei, dem Abs.l des Art. 29 a folgenden Satz 2 anzufügen: ,Dieses Gesetz bedarf der ZustimmWlg von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundesrats"665. In der anschließenden Diskussion war es wiederum Fritz Eberhard, der sich zu Wort meldete, um dem Antrag der Deutschen Partei entgegenzutreten. Eberhard erinnerte Seebohm daran, daß sich der Hauptausschuß bereits in der ersten Lesung über diesen Punkt unterhalten habe. Damals habe man sich dazu entschlossen, "im Grundgesetz zu sagen, daß durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte übertragen werden können". Damit habe der Ausschuß eindeutig die Bereitschaft festlegen wollen, "in der europäischen Ordnung und in der friedlichen Ordnung der Welt unsere Rolle dadurch zu spielen, daß wir es leicht machen, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen"666. Um diese Entscheidung zu bekräftigen, sprach sich Eberhard dafür aus, auch diesen neuerlichen Antrag abzulehnen. Schließlich ergriff der Abgeordnete Renner für die KPD das Wort. Renner, der sich noch im Rahmen der sechsten Sitzung des Hauptausschusses der europäischen Idee gegenüber zumindest nicht gänzlich abgeneigt gezeigt hatte667 , schlug nun vollkommen andere Töne an. Er kritisierte Art. 29 a in derart scharfer Form, daß ihm der Ausschußvorsitzende Schrnid einen Ordnungsruf erteilte. Renner sagte, man müsse "den doppelten Inhalt, das doppelte Gesicht dieses Artikels und die dadurch geschaffenen Möglichkeiten erkennen". Nur so könne man "seine ganze Gefahrlichkeit und auch die Gefahrlichkeit einer Politik, die durch diesen Artikel eingeleitet werden soll", begreifen668 . Hierdurch sei nicht nur die Eingliederung des militärischen Potentials wirtschaftlicher Natur in Westdeutschland in den politisch gegen die Sowjetunion ausgerichteten Westblock vorgesehen, sondern auch die militärische Eingliederung der Söhne des westdeutschen Volkes in diesen Westblock.

665 Parlamentarischer Rat, VerhandlWlgen des Hauptausschusses, S. 346. 666 Ebenda, S. 346. 667 Vgl. oben S. 146 f.

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Die Mitglieder des Hauptausschusses entschieden sich gegen den Antrag Seebohm, stimmten jedoch der vom Allgemeinen Redaktionsausschuß vorgeschlagenen und von Eberhard eingebrachten Änderung ZU669. Zwei Tage später, in seiner 31. Sitzung am 7. Januar 1949, beschäftigte sich der Hauptausschuß intensiv mit dem kurz vor Jahresende 1948 von den westlichen Besatzungsmächten und den Beneluxstaaten veröffentlichen Entwurf des "Abkommens über die Errichtung einer internationalen Ruhrbehörde". Die Redner der einzelnen Fraktionen nahmen die Ausschußberatungen zu Art. 36 Nr. ll, der die Vorranggesetzgebung des Bundes auf dem Gebiet des Rechts der Wirtschaft regelte, zum Anlaß sich eingehend mit diesem sog. Ruhrstatut zu befassen. Dabei gingen alle Diskussionsteilnehmer auf die besondere Bedeutung der Einigung Europas ein670 . Als erster Redner ergriff Carlo Schmid rur die SPD das Wort671 . Schmid rief den Abgeordneten zunächst ins Bewußtsein zurück, was viele Menschen in Deutschland während des Krieges "als die einzige echte Hoffnung" angesehen hätten. Er erinnerte daran, daß viele darauf gehofft hätten, daß nach dem Schweigen der Kanonen eine "Zeit der Vorbereitung Europas" anbrechen würde. Schmid sprach von der Hoffnung auf ein "Europa, das mehr sein sollte, als nur ( ... ) eine Zusammenfassung kultureller Traditionen". Es sollte ein "politisch, ökonomisch und konstitutionell" einheitliches Europa sein672 . Dabei vergaß er nicht darauf hinzuweisen, daß man sich schon während des Krieges in Deutschland darüber im klaren gewesen sei, daß dem deutschen Volk die Verpflichtung auferlegt werden würde, zumindest einen Teil des Unheils wiedergutzumachen, das in seinem Namen begangen worden war. Deshalb habe er durchaus mit gewissen Kontrollmechanismen für die deutsche Wirtschaft gerechnet. Er habe aber nie daran gedacht, daß man "uns Maßnahmen auferlegen könnte, die zu nichts anderem dienen können, als die deutsche Wirtschaft", ähnlich wie in den zwanziger Jahren, "zu manipulieren"673. 668 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 346. 669 Ebenda, S. 346. Art. 29 a Abs. 2 lautete in seiner letztgültigen Fassung damit: ,Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern". 670 Vgl. insoweit das Protokoll der 31. Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 373-387. 671 Zu Schmids AusfUhrungen vgl., ebenda, S. 373-376. 672 Ebenda, S. 373. 673 Ebenda, S. 373.

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Anschließend ging Schmid darauf ein, wie er sich die Zukunft Deutschlands in "Europa" vorgestellt hatte. Dabei machte er deutlich, daß er darauf gehofft habe, daß nun endlich mit der "angeblich unteilbaren Souveränität des Staates aufgeräumt werden würde". Er habe geglaubt, daß "an die Stelle eines nationalegoistischen Wirtschaftens etwas treten würde, was (. .. ) sich rur uns in erster Linie konkret darstellte als Europäisierung der europäischen Wirtschaft". Schmid stellte klar, daß man es deshalb freudig begrüßt hätte, "wenn die Sieger dieses Krieges uns verpflichtet hätten, das Wirtschaftspotential der Ruhr in einen europäischen Pool einzubringen - einschließlich Oberschlesiens und Mitteldeutschlands". Dies sei schließlich nichts anderes, als die alte sozialdemokratische Forderung, die besagte, daß aus den schwerindustriellen Zentren aller Länder etwas "wie ein großer internationaler Pool" zusammengestellt werden müsse. Diesen Pool habe er sich allerdings immer als eine "Genossenschaft'" nicht aber als eine "societas leonina" vorgestellt674. Vor allem habe er sich nicht denken können, daß man einmal "Kooperation und Internationalisierung" nennen könnte, was doch nichts anderes sei, als die Vereinigung einiger Bevorrechtigter zur Ausnutzung der Hilfsquellen eines am Boden liegenden Nachbarn. Erst an dieser Stelle ging Schmid ausdrücklich auf das Ruhrstatut ein. Dieses habe alle deutschen Hoffnungen enttäuscht. Schmid sparte deshalb im folgenden nicht mit Kritik an den Plänen der Besatzungsmächte. Man könne eine Ordnung nicht bejahen, bei der alles, was einen Ansatz zu echter Kooperation darstellen könnte, "durch eine Art internationale Polizei zu einem riesigen Apparat zusammengeballt ist". Mit Nachdruck wies Schmid darauf hin, daß aus repressivem Denken "noch nie Kooperation geworden" sei. Ein derartig gigantischer Repressivapparat, wie ihn das Ruhrstatut vorsehe, könne "nicht zum Embryo eines künftigen Europa auf föderativer Grundlage werden". Man hätte in London besser den Sicherheitsmechanismus und alles was zu ökonomischer Kooperation fuhren könne auseinandergehalten, als "beide Dinge in einem zu verschmelzen"675. Schmid stellte aber klar, daß er und seine Partei "trotz des Bleigewichts, daß uns das Ruhrstatut an die Füße hängt" auch in Zukunft "für die Demokratie weiterkämpfen" würden. Dies geschehe "nicht um unseretwillen, sondern um Europas willen"676. Schmid versprach deshalb nicht zu ruhen, "bis die Ruhr ein Teil des Vennögens einer Genossenschaft geworden sein wird, die aktiv lll1d passiv alle Staaten umfasst, die sich zu Europa rechnen. Wie sehr sich ein Staat zu Europa rechnet, daß wird einmal daran zu ennessen sein, wieviel er von seiner ökonomischen Souveränität bereit sein wird in diese Genossenschaft

674 Ebenda, S. 374. 675 Ebenda, S. 374. 676 Ebenda, S. 375.

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einzubringen. Auf diesem Unterbau einer "europäisierten" europäischen Wirtschaft wird sich dann das politische Europa aufrichten lassen"677 . Abschließend verlas Schmid eine Erklärung678 seiner Partei zum Ruhrstatut, die im wesentlichen den Inhalt seiner Rede zusammenfaßte. Hierin kritisierte die SPD nochmals die "Härte und die Einseitigkeit" des Ruhrstatuts. Nachdrücklich forderte sie die Schaffung einer "gesamteuropäischen Föderation". Für die Unionsfraktion sprach der Abgeordnete Walter Strauß (CDU)679. Wie sein Vorredner sparte auch Strauß nicht mit Kritik, brachte aber deutlicher als Schmid seine Hoffnung zum Ausdruck, daß die Vereinbarung milder gehandhabt würde, als dies die bloße Papierform befürchten lasse. Er stellte klar, daß das Ruhrstatut, obwohl in seinen Grundzügen bereits im Londoner

677 Ebenda, S. 375. 678 Vgl. ebenda, S. 376. Die Erklärung lautet in den hier interessierenden Punkten: " ( ... ) Den Nöten unter denen Europa heute leidet, kann wirksam nur dadurch abgeholfen werden, daß sämtliche Staaten Europas sich gegenseitig im Wege einer auf Gleichberechtigung beruhenden internationalen Organisation den Zugang zu ihren Hilfsquellen öffuen. Internationalisierungen, die lediglich zu Lasten eines Landes gehen, werden den Weg zu echter europäischer KonfMeration eher hindern als fördern. Sie sind nichts anders als kollektive Ausbeutung zugunsten einiger Bevorrechtigter, die dann keine Veranlassung mehr sehen werden, ihre eigene Wirtschaft in eine internationale Organisation einzubringen. ( ... ) So enttäuscht dieses Ruhrstatut die Hoffuungen der Sozialdemokraten, daß aus der Katastrophe des Hitlerkrieges die große Idee eines politisch, wirtschaftlich und konstitutionell geeinten Europa, eines Europa des Friedens und der Freiheit geboren werden wUrde. Dieses Europa kann nur errichtet werden, wenn sämtliche Staaten, die sich dazu rechnen wollen, auf wesentliche Bestandteile ihrer Souveränität verzichten und sie einer gesamteuropäischen Föderation übertragen. Dieses Vorhaben wird aber nur dann voll gelingen körnlen, wenn die Ausbeutung der Menschen beseitigt wird durch Überfil.hrung der Produktionsmittel, ( ... ), in das demokratisch kontrollierte Gemeineigentum aller Völker und wenn die Wirtschaft Europas einer allgemeinen Planung und Lenkung auf der Grundlage der Gegenseitigkeit unterworfen wird. Wir wissen, daß auch in anderen Ländern starke politische Bewegungen ftlr diese Ideen kämpfen. Das gibt uns die Hoffuung, daß dieses Statut einer anderen Ordnung Platz machen wird, die in wirksamer Weise die Vorbedingungen ftlr ein geeintes Europa scham, in dem Friede, Freiheit und Wohlstand aller herrschen sollen." 679 Daß die CDU/CSU-Fraktion gerade Strauß als Redner zu diesem wichtigen Thema benannte, überrascht, denn dieser zählte nicht zur engeren Fraktionsspitze. Darüber hinaus gehörte er dem Hauptausschuß eigentlich gar nicht an. Zu seinen Ausführungen vgl.: Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 376-380.

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Schlußkommunique angedeutet, für die deutsche Öffentlichkeit eine schwere Enttäuschung darstelle. Strauß unterstrich die besondere Bedeutung des Ruhrgebietes für die traditionell stark exportabhängige deutsche Wirtschaft. Diese deutsche Wirtschaft, die wie keine andere Wirtschaft durch die unmittelbaren Einwirkungen der Kampfhandlungen zerstört worden sei, sei für ihren Wiederaufbau in besonderem Maße von Kohle und Stahl abhängig. Strauß forderte deshalb die Alliierten auf, die "Verantwortung für die Gestaltung der Produktion" baldmöglichst auf die Deutschen ZUlÜckzuübertragen. Nur so könnten die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft, ohne die ein Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nicht gedacht werden könne, befriedigt werden. Daß es Walter Strauß dabei tatsächlich nicht allein um Deutschland, sondern auf lange Sicht auch um "Europa" ging, zeigen seine weiteren Ausführungen. Strauß erinnerte daran, daß auch in den Jahren nach 1919 die deutschen Reparationsverpflichtungen der Weltwirtschaft geschadet hätten. Als damals die Zollmauern der einzelnen Volkswirtschaften ins Unangemessene gestiegen seien, hätte gerade die Ruhr gezeigt, wie derartige Schwierigkeiten durch internationale Zusammenarbeit überwunden werden könnten. Als die deutsche Zollhoheit 1925 wieder in Kraft trat. seien "gleichzeitig mehrere Abkommen zwischen der französischen und der deutschen Wirtschaft über die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen" ausgehandelt worden. Dadurch habe "im europäischen Rahmen insbesondere eine enge Zusammenarbeit bei Stahl und bei allen Eisenprodukten" eingesetzt680 . Strauß äußerte die Hoffnung, daß diese Ansätze jetzt aufgegriffen werden könnten: "WelUl es gelingt, diese Frage nicht durch Privatinteressenten, sondern von Volk zu Volk, das heißt durch die vom Volk berufenen Regierungen zu behandeln, so würde ein Fortschritt mit dem Zweck, eine europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine Abmilderung internationaler Konjunkturkrisen zu erzielen, erreicht werden kölUlen "681.

Schließlich sprach Walter Strauß das psychologische Moment des Ruhrstatuts an. Er ging offen darauf ein, daß es für das deutsche Volk weitaus leichter gewesen wäre, alle mit dem Ruhrstatut verbundenen Nachteile hinzunehmen, wenn nicht "Wirtschaftsfragen ( ... ) in einer durch die Sache nicht gerechtfertigten Weise mit dem Sicherheitsproblem verquickt worden wären". Durch diese Verquickung hätte man dem deutschen Volk vor Augen geführt, welches Mißtrauen ihm gegenüber offenbar noch immer bestehe. Dieses Mißtrauen erschwere es "einem Deutschen leider auch so sehr, sich zu europäischen Fragen und Fragen der Zusammenarbeit der Völker zu äußern". Man 680 Ebenda, S. 378. 681 Ebenda, S. 378.

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gerate dabei stets in Gefahr, daß einern gänzlich falsche Motive unterstellt würden. Strauß rief die Deutschen dennoch dazu auf, aus diesem Mißtrauen, das nur die Zeit überwinden könne, eine positive Lehre zu ziehen. Diese könne nur darin bestehen, "daß wir durch unsere tatsächliche Leistung unseren Beitrag auch dann als Vorleistung darbringen, wenn wir innerlich sehr stark gehemmt sind und wenn bei uns umgekehrt das nicht unberechtigte Mißtrauen waltet, daß alle diese Organisationsformen und Maßnahmen dazu ausgenutzt werden könnten, um diese Befugnisse und Aufgaben einseitig zu Ungunsten des deutschen Volkes" auszunutzen682 . Strauß forderte die Besatzungsmächte dazu auf, dem deutschen Volk durch die Handhabung des Ruhrstatuts die Gewißheit zu geben, daß dieses lediglich eine Übergangslösung darstelle. Gleichzeitig betonte er aber, daß auch eine solche Übergangslösung einen Ansatz bieten könne, um zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu kommen. Nachdrücklich wies er darauf hin, daß es von dieser "Zusammenarbeit im Wirtschaftlichen" abhinge, ob die europäische Wirtschaft und damit die Völker Europas überhaupt, überleben könnten. Er stellte klar, daß das deutsche Volk, in dem Gefiihl, daß das Ruhrstatut ein bloßes Übergangsstadium darstellt, trotz des noch bestehenden Mißtrauens im Ausland, durch echte Leistung, durch den Beweis seines guten Willens eine Vorleistung auf dem Weg in eine bessere gesamteuropäische Zukunft auf sich nehmen könne683 . Um diese Forderungen zu unterstreichen, verlas auch Strauß eine Erklärung684 seiner Fraktion, die die Kernpunkte seiner Rede zusammenfaßte. Diese schloß mit der auch von den Unterzeichnerstaaten des Ruhrstatuts im Begleitkommunique zum Ausdruck gebrachten Hoffnung: "Wenn die Ruhrbehörde vernünftig gehandhabt wird, kann sie einen weiteren Beitrag fl1r eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern Europas darstellen"685.

682 Ebenda, S. 379. 683 Ebenda, S. 379. 684 Ebenda, S. 379 f. Die im Hinblick auf die europäische Einigung interessanten Aussagen lauten: " ( ... ) Nach der Verengung des westeuropäischen Wirtschaftgebietes harrt der Ruhr eine größere Aufgabe als je zuvor: zum friedlichen Wiederaufbau der deutschen und der europäischen Wirtschaft ihren wesentlichen Beitrag zu leisten. ( ... ) Wenn auch das deutsche Volk zu einer Vorleistung fl1r eine europäische wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit entschlossen ist, so erwartet es aber zugleich, daß Maßnahmen der Gegenseitigkeit folgen und daß diese Maßnahmen auch dem Wiederaufbau der von allen europäischen Volkswirtschaften am schwersten betroffenen deutschen Wirtschaft helfen werden." 11 Bermanseder

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Als dritter Redner sprach der stellvertretende Ratspräsident Hennann Schäfer (FDP). Auch er übte scharfe Kritik an dem Entwurf des Abkommens. Insgesamt sei dadurch ein "großer Gefahrenherd :fiir die Erfüllung der deutschen Aufgaben" entstanden. Das Ruhrstatut trage "ein Element der Erschwerung in alle Bemühungen um eine Einheit Europas" hinein 686 . Schäfer erinnerte an den wirtschaftlichen Imperialismus des 19. Jahrhunderts. Er habe geglaubt, daß dieser Imperialismus vorbei sei. Deshalb sei er fest davon ausgegangen, daß es möglich sein würde, durch das Verfassungswerk zu dem der Parlamentarische Rat zusammengetreten sei, einen deutschen Beitrag rur den Beginn einer Politik zu leisten, die den Grundstein :fiir die Entwicklung einer Gesellschaft freier Menschen über die Staaten hinweg legen würde. Nun aber berurchte er, daß von dem vorgelegten Entwurf des Ruhrstatus "eine Störung der großen Konzeption" :fiir ein geeintes Europa oder gar rur eine Gesellschaft der vereinten Nationen ausgehen werde. Denn jener Entwurf enthalte einen "unlösbaren Widerspruch" zwischen den friedlichen Zwecken, die in der Einleitung des Abkommens gefordert seien und den Maßnahmen und Einrichtungen, die der Entwurf in seinem materiellen Teil vorsehe. Zwar begrüßte es Schäfer in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß die Präambel des Abkommens den Abbau von Handelsschranken nenne. Denn gerade dieses sei eines der entscheidenden Mittel, "um durch die freie Bewegwlg von Menschen, Gütern Wld Gedanken in aller Welt,

zwischen allen Völkern eine solche Vielzahl von überstaatlichen Wld zwischenstaatlichen Zusammenhängen Wld WechselbeziehWlgen zu knüpfen, das daraus wirklich für eine weltstaatliche Föderation freier Völker, gleichsam die gesellschaftliche Voraussetzung, die gesellschaftliche Grundlage wirkWlgsmächtig werden könnte,,687 . Gleichzeitig kritisierte er aber den eigentlichen Zweck des Ruhrstatuts. Dieser gehe von wesentlich anderen Beweggründen aus. Er liege weit entfernt von der Idee, daß Bindungen internationaler Art allein auf Wechsel- und Gegenseitigkeit beruhen könnten688 . Im Ergebnis stellte Schäfer klar, daß auch seine Fraktion aus tiefster Überzeugung "einen deutschen Beitrag zu einem wirtschaftlichen Neuaufbau in einem geeinten Europa" bejahe689 . Dabei machte er aber deutlich, daß dieser Beitrag nicht so aussehen könne, etwaige Depressionen anderer Volkswirtschaften auf die Ruhrwirtschaft abzuwälzen. 685 Ebenda, S. 686 Ebenda, S. 687 Ebenda, S. 688 Ebenda, S. 689 Ebenda, S.

380. 381. 380. 380. 380.

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Er hielt es für nicht zumutbar, allen in der Bergbau- und Hüttenindustrie des Ruhrgebiets Tätigen eine Pufferfunktion für sämtliche auf den europäischen Märkten auftretenden Produktions- und Absatzschwankungen aufzubürden. Eine Lösungsmöglichkeit für diese Probleme sah Schäfer in der schnellen wirtschaftlichen Einigung der Staaten in Europa. Nachdrücklich wies er daraufhin. " ... wie notwendig es wäre, nicht nur die Montanindustrie an der Ruhr zu reglementieren, sondern mit ihr die gleichartigen und verwandten Erzeugungsgebiete ganz Europas zu einem System wechselseitiger Austausch- und Ausgleichsordnung zusammenzufassen"690. Abschließend versprach Schäfer, daß er und seine Partei, trotz der durch das Ruhrstatut bedingten Erschwerung, nicht aufhören würden, "die Menschen diesseits und jenseits der Grenzen anzusprechen", um so "zu einer wirklichen menschlichen Lebensordnung zwischen den Völkern zu gelangen". Nach Schäfer ergriff der Abgeordnete Seebohm für die Deutsche Partei das Wort691 . Seebohm nutzte die Gelegenheit, um erneut nachdrücklich auf die Wichtigkeit einer künftigen europäischen Föderation hinzuweisen. Im Ergebnis bewertete auch er die Unterzeichnung des Ruhrstatuts als eine schwere Enttäuschung. Der erwartete "Vertrauensbeweis" im Hinblick auf die Einigung Europas sei das Ruhrstatut nicht692 . Dennoch gelte es ehrlich festzustellen, daß sein Inhalt, obwohl er die bisherigen Erfolge in der Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft in Frage stelle, nicht ganz so niederschmetternd sei, wie es eigentlich zu erwarten gewesen sei 693 . Im Unterschied zu seinen Vorrednern legte Seebohm zu Beginn seiner Ausführungen zunächst den Inhalt des Statuts dar. Dabei erläuterte er, daß das Abkommen vorsehe, deutsche Hoheitsrechte "in einem klar begrenzten Bezirk, dessen Industrie 90 Prozent der Kohlenforderung und 75 Prozent der Stahlerzeugung" im verbliebenen Deutschland694 umfasse, auf eine internationale Behörde zu übertragen. Seebohm kritisierte in diesem Zusammenhang, daß das Ruhrstatut

690 Ebenda, S. 381. 691 Zu Scebohms Ausflihrungen vgl: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 381-383. 692 Ebenda, S. 382. 693 Ebenda, S. 382. 694 Seebohm nannte diese Zahlen bezogen auf das Gebiet der vier Besatzungszonen. Die der polnischen Verwaltung unterstellten Ostgebiete, sowie das wirtschaftlich mit Frankreich vereinigte Saargebiet nahm er ausdrücklich aus. 11*

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ohne eine, wie auch immer geartete, Beteiligung des deutschen Volkes ausgehandelt worden sei. Dieses habe keine Möglichkeit gehabt, die Folgen einer derart einseitigen Willensbekundung abzuwehren. Seebohm erwähnte aber auch, daß das Abkommen einige durchaus positive Ansätze enthalte. Er erinnerte daran, daß es die Aufgabe der Ruhrbehörde sein solle, "die Gesundung der Länder Europas einschließlich eines demokratischen Deutschlands zu fordern und eine enge Verbindung ihres wirtschaftlichen Lebens herzustellen, die letzten Endes allein ein fiiedliches und blühendes Europa sichern kann "695 . Dartiber hinaus wies Seebohm daraufhin, daß Deutschland - entgegen dem bisherigen Brauch - an der Behörde selbst beteiligt sein und später, nach dem Beitritt durch die neugewählte deutsche Regierung, dort sogar Stimmrecht erhalten solle. Er stellte deshalb ausdrücklich klar, daß es erst die Aufgabe der zukünftigen Bundesregierung sein werde, eine endgültige Stellungnahme zum Ruhrstatut abzugeben. Insoweit wolle und könne er nicht vorgreifen696 Seeborn hielt es allerdings durchaus fiir legitim festzustellen, daß das Ruhrstatut der vorläufige Abschluß einer Entwicklung sei, die dem deutschen Volk ständig größte Sorge bereitet habe. Gleichzeitig machte er aber deutlich, daß er davon ausgehe, daß diese Entwicklung noch nicht endgültig abgeschlossen sei. Das Ruhrstatut dürfe nur eine Phase sein, auf dem Weg zu einem "friedlichen, in Freiheit schaffenden Deutschland in einem befriedeten, wirtschaftlich und politisch zusammengefiihrten Europa"697. Zur Verdeutlichung des bisher Gesagten nahm Seebohm eine Einordnung des Gesamtvorgangs "dieses Übereinkommens über die internationale Kontrolle der Ruhr in unsere Zeit" vor. Diese nutzte er dazu deutlicher als alle anderen Redner der Debatte darzulegen, wie er und seine Partei sich die Zukunft der Staaten Europas vorstellten. Seebohm unterstrich, das es das Ziel der Deutschen und mit ihnen aller Völker Europas sei, eine friedliche Entwicklung, eine Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet und damit auch einen "europäischen Zusammenschluß" zu erreichen698 . Er begrüßte deshalb ausdrücklich den Einsatz des französischen Außenrninisters Schuman, der sich vier Wochen zuvor in der französischen Kammer in derselben Richtung geäußert habe. Seebohm zitierte Schumans Schlußsatz, der da lautete: 695 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 381. 696 Ebenda, S. 381. 697 Ebenda, S. 381 f. 698 Ebenda, S: 382.

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,,Europa, der Friede, die Sicherheit werden in einem einzigen Wurf verwirklicht werden müssen, wenn sie überhaupt verwirklicht werden sollen. Deutschland muß sich in dieses Gebäude einfilgen. zuerst wirtschaftlich, dann politisch. Die Ruhr wird ein unentbehrlicher Beitrag filr die europäische Lösung der Probleme des Friedens und der deutschen Frage sein" wörtlich 699 . Anschließend sagte er, daß ihn diese Worte des französischen Außenministers an den "Kongreß, der im Mai vorigen Jahres im Haag" stattgefunden habe, erinnerten. Seebohm berichtete den Mitgliedern des Hauptausschusses, daß damals "fast tausend Delegierte europäischer Völker" versammelt gewesen seien. Er erläuterte, daß von den dort tagenden Kommissionen auch Vorschläge zur Ruhrfrage diskutiert worden seien. Diese seien allerdings für "uns Deutsche" gänzlich unannehmbar gewesen. Deshalb habe sich der damalige Sprecher der Deutschen Partei in Den Haag, Petersen, mit Nachdruck dagegen gewehrt. Seine Ausführungen hätten einen derart starken Eindruck hinterlassen, daß man daraufhin in einer gemeinsamen Initiative, unterstützt von ,jungen Franzosen, Holländern, Belgiern und Schweizern", vorgeschlagen hätte, "die für den Frieden notwendige Überwachung aller großen Industriegebiete Europas (. .. ) in allen europäischen Ländern gemeinsam vorzunehmen". Diesem Vorschlag habe die Vollversammlung des Kongresses in einem Akt der "gemeinsamen Bekundung des europäischen guten Willens der Völker" zugestimmt. Man habe sich darauf geeinigt, daß nicht nur das Ruhrgebiet, sondern alle europäischen Industriegebiete der gemeinsamen Überwachung durch die Völker Europas unterstellt werden sollten700. Das Ruhrstatut sei davon freilich "noch sehr weit entfernt". Deshalb dürfe man aber die Hoffnung nicht aufgeben. Vielmehr müsse man sich an Aussagen, wie jener des französischen Deputierten Andre Philip, ebenfalls von Anfang Dezember 1948 vor der französischen Kammer, orientieren. Philip habe dort gesagt: "Wir wollen aus der Ruhr eine europäische Gemeinschaftseinrichtllllg machen, die den öffentlichen Bedürfuissen aller europäischen Völker dient. Wir sind im übrigen bereit, die Ruhrkonurussion mit den gleichen Befugnissen in jedem beliebigen westeuropäischen Land anzunehmen,,701. Das Ruhrstatut müsse der Anfang einer wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit der Völker Europas sein. Es müsse dazu dienen, die gemeinsame Ausnutzung der Bodenschätze der europäischen Staaten zu friedlichen Ebenda, S. 382. 700 Parlanlentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 382. 701 Ebenda, S. 382.

699

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Zwecken, sowie die gegenseitige Unterstützung in der Erhaltung des Friedens zu erreichen. Nur dann würde es "der europäischen Verantwortung und Aufgabe", die seine Unterzeichner zu tragen hätten, gerecht. Seebohm stellte klar, daß dieses Ziel nur erreicht werden könne, "wenn die Gleichberechtigung aller Völker Europas bei diesen Aufgaben im Rahmen einer europäischen Föderation gesichert" sei. Um eine solche zu erreichen, bedürfe es des Vertrauens der europäischen Völker zueinander und zu sich selbst. Abschließend ging Seebohm auf die Bereitschaft der Deutschen, sich in ein derartiges europäisches System einzugliedern, ein. Er stellte insoweit schlicht fest: "Das deutsche Volk ist bereit". Im Anschluß an Seebohm sprach die stellvertretende Vorsitzende des Hauptausschusses, die Zentrumsabgeordnete Helene Wessel 702 . Sie verwies zunächst darauf, daß die grundsätzliche Haltung, auch ihrer Partei, zum Ruhrstatut bereits ausführlich dargelegt worden sei. Demgemäß wolle sie sich auf wenige Anmerkungen beschränken. Auch diese Anmerkungen lassen aber die proeuropäische Grundhaltung des Zentrums erkennen. Frau Wessei stellte eingangs fest, daß das Ruhrstatut "nach der öffentlichen Weltrneinung" ein Instrument des Wiederaufbaus und der Einigung Europas sei. Dennoch falle es den Deutschen und besonders den Menschen an der Ruhr, die ihre Heimat auch in den schwersten Tagen nicht verlassen hätten, nicht leicht, die Ruhr von nun an als internationale Angelegenheit zu sehen. Dies könne man nur tun, wenn man "den von meinen Vorrednern schon dargelegten großen Gedanken der europäischen Föderation" sehe. Sie betrachte das Ruhrstatut deshalb "wirklich nur als ein Instrument der Einigung Europas"703. Dieses dürfe nicht dazu dienen, das deutsche Volk dauernd zu entrechten. Frau Wessei forderte deshalb, das Ruhrstatut zeitlich zu begrenzen. Während einer begrenzten Zeit sollten nach und nach sämtliche Wirtschaftszentren in Europa "derselben europäischen Auswertung unterstellt werden". Sollte die Ausdehnung der jetzt für das Ruhrgebiet geschaffenen internationalen Autorität innerhalb dieser bestimmten Zeit nicht gelingen, müsse das Ruhrstatut hinfallig werden. Frau Wessei stellte klar, daß die von Deutschland durch das Abkommen geforderte "Vorleistung auf Europas Zusammenschluß" nur dann von den Deutschen mit innerer Zustimmung akzeptiert werden könne, wenn ihnen die Garantie gegeben würde, "daß es sich tatsächlich nur um eine Vorleistung handelt". Den angesprochen zeitlichen Rahmen wollte sie nicht übermäßig weit setzen. Sie sprach lediglich von "wenigen Jahren, die unserer 702 Zu den Ausführungen Helene Wessels vgl.: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 383. 703 Ebenda, S. 383.

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Überzeugung nach der europäischen Einigung noch zur Verfugung stehen"704. Deshalb forderte Frau Wessei, nicht nur das deutsche Volk auf, sondern "alle, die mit heißem Herzen Europa wollen und den europäischen Zusarrunenschluß ersehnen, (... ) dieses Europa, diese europäische Föderation so schnell wie möglich zustande zu bringen, damit auch das deutsche Volk in dieser Föderation den ilun gebührenden Platz einnehmen kann"705. Das Ziel der neu zu bildenden Bundesregierung müsse es sein, "eine Partnerschaft mit den demokratischen Ländern Europas einzugehen". Diese Partnerschaft müsse eines Tages zur "gleichberechtigten Teilnehmerschaft an einem gemeinsamen Unternehmen entwickelt" werden706 . Als letzter Redner erhielt der kommunistische Abgeordnete Renner das Wort707 . Auch Renner brachte die ablehnende Haltung seiner Fraktion gegenüber dem Abkommen zum Ausdruck. Allerdings gab er hierfür eine von seinen Vorrednern abweichende Begründung. Renner sagte, die KPD lehne das Ruhrstatut vor allem deshalb ab, weil sie in diesem, wie in der gesamten Arbeit des Parlamentarischen Rates, einen "Verrat an den nationalen Interessen des gesamten deutschen Volkes" sehe708 . Wer das Ruhrstatut nicht ablehne, der helfe mit Westdeutschland, die westdeutsche Wirtschaft und die westdeutschen schaffenden Menschen zu Objekten einer auf die Teilung der Welt, die Zerreißung Europas und die Zerreißung Deutschlands gerichteten Politik zu machen709 . Bei dieser Politik spiele Westdeutschland nur die Rolle eines Protektorates ohne Souveränitätsrechte und ohne Verfügungsrecht über seine Wirtschaft. Renner übte in seiner Rede vor allem Kritik an der von den Sprechern der anderen Parteien zum Ausdruck gebrachten Hoffnung, daß das Ruhrstatut lediglich einen Übergangszustand darstelle. Dieser "Übergang" bedeute "nackt und nüchtern gesagt, daß man dem deutschen Werktätigen das Fell über die Ohren" ziehe710 . Schließlich ging auch Renner auf die europäi704 Ebenda, S. 383. 705 Ebenda, S. 383. 706 Dieses Zitat hatte die Abgeordnete Wessei vom britischen Militärgouverneur Robertson übernommen. Vgl.: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 383. 707 Zu Renners Ausfilhrungen vgl.: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 383-387. 708 Ebenda, S. 387. 709 Ebenda, S. 386. 710 Ebenda, S. 384.

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sche Idee ein. Er nahm dabei einen Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold zum Anlaß, seine schon an anderer Stelle gezeigte Ablehnung für derartige Pläne zu bekräftigen. Arnold hatte sich, ähnlich wie die Redner der Debatte im Hauptausschuß, dafür ausgesprochen, die Ruhrindustrie in eine gesamteuropäische Gesellschaft einzugliedern. Renner bewertete dieses Ansinnen mit dem Kommentar, das seien "nur schöne Worte"711. Im weiteren Verlauf seiner Rede begründete er die Kritik an den EuropaPlänen der anderen Parteien. Renner führte aus, daß auch seine Partei grundsätzlich Init einer internationalen Kontrolle der Ruhr einverstanden sei. Allerdings sei der Aufbau einer wirklichen "Friedensindustrie" an der Ruhr nur möglich, wenn auch die Sowjetunion an dieser internationalen Kontrolle beteiligt werde. Da aber das Ruhrstatut eine solche Einbeziehung der Sowjetunion nicht vorsehe, sei eine Teilnahme der Ostzone Deutschlands und der übrigen Länder des Ostens hieran unmöglich. Ohne deren Beteiligung könne die europäische Wirtschaft jedoch überhaupt nicht aufgebaut werden 712 . Darüber hinaus verstoße das Ruhrstatut gegen die Lebensinteressen des deutschen Volkes. Diese wiesen zu einem sehr erheblichen Teil nach Osteuropa. Durch das Ruhrstatut würden die Verbindungen nach dem europäischen Osten bewußt unterlaufen. Aus diesem Grund forderte Renner den gesamten Parlamentarischen Rat auf, jede Beteiligung Deutschlands am Ruhrstatut Init absoluter Entschiedenheit abzulehnen. Die 31. Sitzung des Hauptausschusses, in deren Mittelpunkt die Bewertung des kurz zuvor von den Westalliierten veröffentlichten Ruhrstatuts gestanden hatte, war damit beendet. Obwohl die Reaktionen auf das Statut selbst ausnahmslos negativ ausfielen, verlief die Debatte für die Idee der europäischen Einigung sehr positiv. Auf keiner anderen Sitzung des Parlamentarischen Rates wurde so ausführlich, und gleichzeitig so hoffnungsvoll, über die Zukunft Europas gesprochen. Auch der Hauptausschuß selbst war sich über die besondere politische Bedeutung gerade dieser Sitzung im klaren. Auf Antrag des Abgeordneten Eberhard entschied man sich dafür, das Sitzungsprotokoll, wie sonst nur bei den Plenarsitzungen üblich, ausnahmsweise in Druck zu geben713 .

711 Ebenda, S. 384. 712 Ebenda, S. 386. 713 Ebenda, S. 387.

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Mit der Präambel beschäftigte sich der Hauptausschuß im Rahmen der zweiten Lesung nicht. Die Beschlußfassung über diesen Punkt wurde zunächst zurückgestellt1 14 . b) Nochmalige Beratungen der Fachausschasse

Dafür diskutierte der Grundsatzausschuß sowohl in seiner 33.Sitzung am 12. Januar 1949, als auch in seiner 34. Sitzung am 26. Januar 1949, erneut über die Präambel. Dabei entschied sich der Ausschuß übereinstimmend dafür, die Präambel grundsätzlich in der vom Hauptausschuß in erster Lesung beschlossenen, relativ ausführlichen Fassung zu belassen715 . Die Ausschußmitglieder hatten sich damit gegen einen Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses ausgesprochen, der in seiner Stellungnahme zur Fassung des Hauptausschusses einen weit kürzeren Text empfohlen hatte716 . Inhaltlich nahm der Grundsatzausschuß lediglich eine Reihe stilistischer Änderungen vor, die die bisherige Fassung der Präambel zwar sprachlich, nicht aber entscheidend inhaltlich, veränderten. Die bereits enthaltene Idee der Einigung Europas spielte bei der dabei durchgeführten Diskussion keine Rolle mehr717 . c) Die Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur zweiten Lesung des Grundgesetzentwurjes im Hauptausschuß

Nur fünf Tage nach Beendigung der zweiten Grundgesetzlesung im Hauptausschuß 718 legte der Allgemeine Redaktionsausschuß eine erneute Stellungnahme vor, in der die Ausschußmitglieder die vom Hauptausschuß erarbeitete Fassung eingehend kommentierten. Dabei stellten sie der Hauptausschußfassung in synoptischer Form eigene Vorschläge gegenüber, die zum Teil mit ausführlichen Begründungen versehen waren719 . Für die europäische Idee brachte die Stellungnahme keine Veränderungen. Zwar hielt der Redaktionsausschuß im Gegensatz zum Hauptausschuß auch weiterhin an der kurzen

714 VgI: v. Doenuning/FüssleinlMatz, JÖR NF, Bd. 1, S. 39. 715 Vgl. hierzu das Protokoll der 33. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick! Kahlenberg , Der Parlamentarische Rat, Bd. 5 n, Dok.Nr. 44, S. 965-978, Zur Fassung der Präambel nach der I. Lesung im Hauptausschuß, vgl. oben S. 152. 716 Dieser ist oben aufS. 153 abgedruckt. 717 Vgl.: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5 n, Dok.Nr. 44 und 45, S. 968 ff. 718 Am 25. Januar 1949. 719 Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Konunentar, Einleitung, S. 102.

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Fonn der Präambel fest. Wie bereits ausgeführt enthielt aber auch diese das Bekenntnis, daß Deutschland "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa" mitwirken solle. Weitergehende Anmerkungen zur Präambel machte der Redaktionsausschuß nicht720. Auch Art. 29 a erfuhr keine Änderung. Sowohl bei Abs. 1, als auch bei Abs. 2 schlossen sich die Mitglieder des Allgemeinen Redaktionsausschusses der Fassung des Hauptausschusses an721. Lediglich im Hinblick auf die bisherige Gliederung der Abschnitte II "Allgemeine Bestimmungen" und III "Bund und Länder" schlugen sie eine Änderung vor, die auch Art. 29 a betraf. Hier hielten die Ausschußmitglieder eine Zusammenfassung aller Artikel beider Abschnitte unter der Überschrift : "Zweiter Abschnitt : Bund und Länder" für wünschenswert722. Auf die Numerierung der einzelnen Artikel hatte dieser Vorschlag, zumindest zunächst, noch keine Auswirkungen. Der "Integrationsartikel" wurde weiterhin als Art. 29 a geführt.

d) Die Beratungen im Fünfer-Ausschuß Obwohl die Arbeiten am Grundgesetz Ende Januar, Anfang Februar 1949 schon recht weit fortgeschritten waren, herrschte in einer ganzen Reihe von Fragen noch immer wenig Einigkeit. Deshalb trafen sich die drei großen Fraktionen in der Zeit vom 26. Januar bis zum 2. Februar 1949 zu interfraktionellen Gesprächen im Fünfer-Ausschuß. Die Ergebnisse seiner Gespräche veröffentlichte der Fünfer-Ausschuß in einer Reihe von Sonderdrucksachen723 . Abschließend erstellte er einen "offiziellen" Vorschlag für die dritte Lesung im Hauptausschuß724 . Das Thema Europa spielte bei den dort vorgelegten Änderungsvorschlägen keine Rolle mehr. Weder die Präambel, noch Art. 29 a wurden mit Änderungsvorschlägen versehen. Erwähnenswert ist an dieser Stelle allenfalls noch, daß sich der Fünfer-Ausschuß, anders als der Allgemeine Redaktionsausschuß, dafür aussprach, die vom Hauptausschuß beschlossene lange Fassung der Präambel beizubehalten.

720 Vgl. SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Dok.Nr. 5, S. 202 f. 721 Ebenda, S. 226. 722 Ebenda, S. 219. 723 Die Sonderdrucksachen S 9 - S 12 sind abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Dok.Nr. 6, S. 297-338. 724 Vgl.: Ebenda, DokNr. 7, S. 339-395.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

171

4. Die europäische Idee in der vierten Phase der Bonner Beratungen Die vierte, für die Arbeit des Parlamentarischen Rates insgesamt wohl entscheidende, Phase der Beratungen zum Grundgesetz begann Anfang Februar 1949 mit der dritten Lesung des VerfassungsentwUlfs im Hauptausschuß 725 . Mit den dort erzielten Ergebnissen befaßte sich im Anschluß erneut der Fünfer-Ausschuß. Nachdem die Militärgouverneure den in der dritten Lesung im Hauptausschuß erarbeiteten Grundgesetzentwurf Anfang März in einigen Punkten stark kritisiert hatten, versuchte der Parlamentarische Rat in den darauffolgenden Wochen in interfraktionellen Besprechungen im Siebener-Ausschuß die vor allem zwischen den beiden großen Fraktionen bestehenden Unterschiede zu überbrücken und die Auflagen der Besatzungsmächte einzuarbeiten. Parallel zu diesen Beratungen mußte sich der Rat mit dem am 8. April 1949 von den Alliierten veröffentlichten Besatzungsstatut auseinandersetzen. Dies geschah im Hauptausschuß und im Ausschuß für das Besatzungsstatut. Eine erneute Botschaft der Alliierten ermöglichte es schließlich, die ins Stocken geratenen Arbeiten am Grundgesetz doch noch zu einem einvernehmlichen Ende zu führen. a) Die dritte Lesung des Grundgesetzentwurjes im Hauptausschuß

Der Hauptausschuß trat in der Zeit vom 8. bis 10. Februar 1949 zur dritten Lesung des Grundgesetzentwurfs zusammen. Vor allem infolge des vom Fünfer-Ausschuß erarbeiteten Kompromisses gelang es ihm, diese Lesung in nur drei Tagen mit insgesamt fünf Sitzungen zu absolvieren726 . Die für die europäische Einigung relevanten Passagen des Grundgesetzes erfuhren dabei keine Änderung mehr. Über die Präambel diskutierten die Ausschußmitglieder auf ihrer 47. Sitzung zwar nochmals727, allerdings kam es auch dort nicht zu einer abschließenden Beschlußfassung. Vielmehr wurde die Entscheidung über einen Antrag des Abgeordneten von Mangoldt, welcher allerdings für die nicht mehr umstrittene Zielbestimmung der deutschen Mitarbeit in einem vereinten Europa ohne Bedeutung war, an den Fünfer-Ausschuß verwiesen 728 . Im Hinblick auf Art. 29 a folgte der Hauptausschuß dem Vorschlag des Fünfer725 Zu Einzelheiten über diese vierte Phase siehe Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 104 - 124. 726 Die vom Hauptausschuß in dritter Lesung angenommene Grundgesetzfassung ist abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Entwürfe, S. 195-240 und in SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Dok.Nr. 8, S. 396-444. 727 Vgl. insoweit: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S.61Iff. 728 Ebenda, S. 611.

172

c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Ausschusses und beließ die Absätze 1 und 2 in der Fassung aus der zweiten Lesung729 .

b) Weitere Beratungen des Fünfer-Ausschusses Wie schon nach der zweiten Hauptausschußlesung gelang es dem FünferAusschuß auch im Anschluß an die dritte Lesung schnell, mit Änderungsvorschlägen zu den noch strittigen Fragen aufzuwarten. Bereits am 28. Februar 1949 veröffentlichten die Mitglieder des Fünfer-Ausschusses einen nochmals überarbeiteten Grundgesetzentwurf. Das Thema "Europa" spielte darin, weder im Zusammenhang mit der Präambel, noch im Zusammenhang mit Art. 29 a, eine Rolle730 .

c) Das alliierte Memorandum vom

2. März 1949

Nachdem damit endlich eine weitestgehende innerdeutsche Einigung erzielt worden war, belastete eine Stellungnahme der alliierten Militärgouverneure zu der vom Hauptausschuß in dritter Lesung beschlossenen Grundgesetzfassung den Fortgang der Verfassungsarbeiten schwer. Am 2. März 1949 hatten die Besatzungsmächte einer nach Frankfurt geladenen Delegation des Parlamentarischen Rates unter Führung von Ratspräsident Adenauer mitgeteilt, daß "dieser Entwurf in verschiedenen Punkten der Auffassung der Militärregierung über einen föderalistischen Aufbau nicht ausreichend entspreche"731. Die Alliierten kritisierten vor allem, daß die Stellung der Länder durch den bisherigen Verfassungsentwurf nicht ausreichend gesichert sei. Deshalb verlangten sie in der Frage der Gesetzgebungskompetenz und bei der Gestaltung der Finanzverfassung eine Verlagerung zugunsten der Länder732 . Zu der im Gundgesetz vorgesehenen Beteiligung des neuen deutschen Staates an der europäischen Einigung äußerten sich die Militärgouverneure nicht. Daraus aber ihre generelle Ablehnung gegenüber diesem Ziel der deutschen Seite abzuleiten, wäre verfehlt. Aus der Systematik des Memoran-

Ebenda, S. 626. 730 Vgl. PR-Drucks. Nr. 675; diese ist abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, S. 445-456. 731 So ein Pressekornrnunique der Alliierten vorn 3. März 1949. Vgl. auch Dennewitz, in: Dolzerl Vogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 105. 732 Zu weiteren Details im Hinblick auf das Memorandum vgl.: Lange, Die Würde des Menschen, S. 86 f; Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 134. 729

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Ralunen der Beratungen

173

dums ergibt sich, daß die Alliierten dort nur zu solchen Punkten Stellung nahmen, die ihre Billigung nicht fanden. Aus der Tatsache, daß sie sich zur Frage der Einigung Europas nicht äußerten, kann deshalb im Umkehrschluß darauf geschlossen werden, daß sie derartige Pläne durchaus unterstützten. d) Die Verhandlungen des Siebener-Ausschusses

In der Folge bemühte sich der Siebener-Ausschuß auf interfraktioneller Ebene zu einer Lösung rur die von den Alliierten kritisierten Streitpunkte zu gelangen. Als besonders schwierig erwies es sich dabei, einen einheitlichen deutschen Standpunkt in den Finanz- und Steuerfragen zu erreichen733. Dennoch erarbeitete der Ausschuß, ohne daß es zu einer endgültigen Klärung gekommen war, eine Reihe von Änderungsvorschlägen, die am 17. März 1949 veröffentlicht wurden734 . Im Gegensatz zur bisherigen Praxis im Allgemeinen Redaktionsausschuß und im Fünfer-Ausschuß bezogen sich die Vorschläge des Siebener-Ausschusses ausschließlich auf die Artikel, deren Inhalt noch umstritten war. Die rur die europäische Integration bedeutsamen Bestimmungen, über deren grundsätzliche Berücksichtigung man sich schon früher geeinigt hatte, wurden nicht mehr genannt. e) Die Auswirkungen des Besatzungstatuts auf die Bonner Grundgesetzberatungen

Parallel zu diesen Ereignissen in der vierten Phase der Beratungen des Parlamentarischen Rates hatten sich die Außenminister der Westmächte in Washington auf eine Reihe von entscheidenden Weichenstellungen fiir die künftige Entwicklung Westdeutschlands geeinigt. Am 10. April 1949 übergaben sie dem Rat über die Verbindungsoffiziere der Militärgouvemeure den lange erwarteten Entwurf eines Besatzungstatuts fiir Deutschland735 . Darin war der rechtliche Rahmen fiir diejenigen Bereiche festgeschrieben, in denen sich die Alliierten selbst ein unmittelbares Entscheidungsrecht vorbehalten hatten. Darüber hinaus kündigten die Außenminister der deutschen Seite in einer Begleitbotschaft zum Besatzungsstatut ihr Entgegenkommen in zentralen Politikbereichen an. Vor allem "Verwaltungs- und Gesetzgebungsmaß733 Vgl.: Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 116. 734 Als Sonderdrucksache NI. 105; diese ist abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, S. 457-461. 735 Merk!, Die Entstehung der BRD, S. 137. Die ,,Botschaft der Außenrninister der Westmächte und der Entwurf des Besatzungsstatuts" sind abgedruckt in: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 4, Dok. Nr. 5, S. 54 ff.

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c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

nahmen" sollten die deutschen Behörden künftig eigenverantwortlich vornehmen können. Weiterhin stellten die Außenminister klar , "daß es ein Hauptanliegen der drei alliierten Regierungen ist, die engste Einbeziehung des deutschen Volkes innerhalb eines demokratischen Bundesstaates in den Rahmen einer europäischen Vereinigung auf einer fiir beide Seiten günstigen Grundlage zu fördern und zu erleichtern,,736. Dabei versäumten sie es aber nicht, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die wichtigste Voraussetzung fiir diese weitreichenden Entwicklungen die schnelle Einigung des Parlamentarischen Rates über das Grundgesetz sei. Denn jene Entwicklungen könnten erst nach Verabschiedung des Grundgesetzes in Gang gesetzt werden737. Im Parlamentarischen Rat begannen die Beratungen über das Besatzungsstatut am Tag nach dessen Überreichung mit einer gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut und des Fachausschusses der Ministerpräsidenten. Unter Vorsitz von Carlo Schmid führte der Ausschuß am Abend des 11. April 1949 zunächst nur eine erläuternde Lesung durch. Dennoch ging Schmid bereits an dieser Stelle auf die Konsequenzen der jüngsten Vorgänge für die Teilnahme Deutschlands an der europäischen Einigung ein. Er machte die Anwesenden besonders darauf aufmerksam, daß es zu den Hauptanliegen der alliierten Regierungen gehöre, die Einbeziehung Deutschlands "in den Rahmen einer europäischen Vereinigung" zu unterstützen738 . Ausführlichere Sachberatungen schlossen sich am 12. April 1949 auf einer gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut und der Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder an. Auch hier wurde die Frage der künftigen europäischen Einigung kurz angeschnitten. Als die Teilnehmer über die im Besatzungsstatut genannte Möglichkeit der Erhebung von Besatzungskosten durch die Alliierten diskutierten, stellte sich der Abgeordnete Strauß auf den Standpunkt, daß diese Frage "in engstem Zusammen-

736 Vgl. die nichtamtliche Übersetzung der Botschaft der Außenminister der Westmächte zum Entwurf des Besatzungsstatuts, abgedruckt in:WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 4, Dok.Nr.5, S.58. 737 Ebenda, S. 58. 738 Protokoll der vierten Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut in Verbindung mit dem Besatzungsstatut-Ausschuß der Ministerpräsidenten vom 11. April 1949, abgedruckt in: Wernickel Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 4, Dok.Nr. 6, S.63.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Ralunen der Beratungen

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hang" mit der von den Außenministern in ihrem Begleitschreiben genannten Einbeziehung Deutschlands in die Vereinigung der europäischen Staaten gesehen werden müsse. Bemerkenswert ist dabei, daß Strauß genau diese Passage des Begleitschreibens als "den entscheidenden Satz des Anschreibens" einstufte739. Die Ministerpräsidenten verabschiedeten in der Sitzung eine gemeinsame Resolution, in der sie das Besatzungsstatut "einen bedeutsamen Fortschritt auf dem Wege zur Wiedererlangung der Souveränität des deutschen Volkes" nannten. Gleichzeitig begrüßten sie die Entwicklungsmöglichkeiten für Deutschland zur "gleichberechtigten Einordnung ( ... ) in die europäische Völkerfamilie"740. Auch die Parteien nahmen öffentlich zum Besatzungsstatut Stellung. Konrad Adenauer hatte sich in seiner Funktion als Vorsitzender der CDU der britischen Zone bereits vor der offiziellen Übergabe des Dokuments in der Presse positiv geäußert. Als einen der wesentlichen Punkte der Washingtoner Beschlüsse hatte er dabei herausgestellt, daß Deutschland in die europäische Völkerfamilie zurückgeführt werden solle741 . Lediglich der Parlamentarische Rat gab zunächst noch keine Stellungnahme ab. Obwohl sich in der Zwischenzeit auch der Hauptausschuß in seiner 56. Sitzung742 am 13. April 1949 mit dem Besatzungsstatut beschäftigt hatte, war man - trotz lautstarken Protests der KPD - intern übereingekommen, mit einer Kommentierung des Statuts noch zu warten. Am nächsten Tag, dem 14. April 1949, traf sich eine Delegation des Parlamentarischen Rates mit den Militärgouverneuren in Frankfurt, um das Statut zu besprechen und eventuelle Unklarheiten auszuräumen743. Ratspräsident Adenauer gab dabei eine vorher vereinbarte Stellungnahme des Parlamentarischen Rates ab, in der er das Besatzungsstatut als einen Fortschritt bezeichnete. Gleichzeitig begrüßte er ausdrücklich die geplante Eingliederung des demokratischen Deutschlands in eine europäische Vereinigung. Adenauer sagte, er sehe es mit Genugtuung, daß diese Eingliederung "ein Hauptanliegen 739 Vgl.: Protokoll der Besprechung des Präsidiwns des Parlamentarischen Rates, des Ausschusses fiIr das Besatzungsstatut und der Fraktionsfilhrer mit den Ministerpräsidenten der drei westlichen Besatzungszonen vom 12. April 1949, abgedruckt in: WemickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 4, Dok.Nr. 8, S. 96. 740 Ebenda, S. 109. 741 Rheinische Post vom 11. April 1949, zit. nach: Wemicke/Booms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 4, S. XXX, dort Fn. 153. 742 Vgl. hierzu: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 739 ff.

743 DeIU1ewitz, in: DolzerNogel, BOIU1er Kommentar, Einleitung, S. 120.

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

der drei alliierten Regierungen" sei744. Im Verlauf der Besprechung äußerte sich auch der amerikanische Militärgouverneur Clay in diesem Sinne. Von Schmid auf die Festsetzung und die Höhe der Besatzungskosten angesprochen, sagte Clay, daß den Alliierten daran gelegen sei, derartige Kosten "so niedrig wie möglich zu halten". Diese Schlußfolgerung ziehe er aus der Zielsetzung der drei alliierten Regierungen , ,,nämlich die engstmögliche EinbeziehWlg auf der Basis gegenseitiger Vorteile des deutschen Volkes Wlter einem demokratischen föderalen Staat in die Gemeinschaft der europäischen Völker zu erreichen"745. Als Clay wenig später vom Abgeordneten August Zinn (SPD) gefragt wurde, in welchem Umfang die Besatzungsbehörden künftig in die Rechtsprechung der Staats- und Verwaltungsgerichtsbarkeit würden eingreifen können, antwortete er ähnlich. Es bestehe die Absicht den deutschen Stellen die größtmögliche Freiheit auf gesetzgebendem, rechtsprechendem und ausführendem Gebiet zu übertragen. Auch dieses müsse man als "einen Schritt zu der größeren Einbeziehung Deutschlands in die Gemeinschaft der westeuropäischen Nationen" sehen746. Im Ergebnis bedeutete das Besatzungsstatut einen weiteren Schritt nach vom für die Entwicklung Westdeutschlands hin zur Bundesrepublik. Dies gilt nicht nur ganz allgemein im Hinblick auf die Rückübertragung großer Teile der Souveränität, sondern speziell auch im Hinblick auf den Gedanken der europäischen Einigungs in Deutschland. Dieser hatte durch das Besatzungsstatut erneut Aufwind erhalten . .f) Die weitere Entwicklung der Arbeiten am Grundgesetz

Nachdem die Grundgesetzarbeiten in Bonn einige Tage ausschließlich im Zeichen des Besatzungsstatuts gestanden hatten, galt es nun die Beratungen in absehbarer Zeit zu einem guten Ende zu führen. Genau dieses schien aber alles andere als einfach zu sein. Die Ratsfraktionen hatten es in den zurückliegenden Tagen zwar geschafft, ein beinahe allgemeines Einverständnis im

744 Protokoll der BesprechWlg der Militärgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen mit einer Delegation des Parlamentarischen Rates am 14. April 1949, abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. 4, Dok.Nr. 9, S. 113. 745 Ebenda, S. 119. 746 Ebenda, S. 120 f.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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Bezug auf das Besatzungsstatut herzustellen. Im Hinblick auf die noch strittigen Fragen des Grundgesetzentwurfs war die Situation aber noch immer verfahren. In dieser Lage überreichten die Militärgouverneure dem Parlamentarischen Rat am 22. April 1949 überraschend eine bis dahin geheime Botschaft ihrer Außenminister. Diese hatten bereits am 8. April 1949 in Washington beschlossen, dem Rat eine weitestgehende Entschlußfreiheit in den Beratungen zum Grundgesetz zuzubilligen. Die Anforderungen des Memorandums vom 2. März 1949 waren damit überholt. Sofort nach Bekanntwerden dieser "Botschaft" machten sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates mit großem Engagement daran, die noch offenen Streitpunkte auszuräumen. In einer Reihe von interfraktionellen Gesprächen und einer weiteren Besprechung mit den Militärgouverneuren gelang es bis zum 27. April 1949, eine grundsätzliche Einigung über alle noch strittigen Fragen zu erreichen. Anschließend erarbeitete der Allgemeine Redaktionsausschuß in der Zeit bis zum 2. Mai 1949 unter Einbeziehung der aufrechterhaltenen Beschlüsse des Fünfer- und des Siebener-Ausschusses, sowie der gerade angesprochenen Kompromißergebnisse, einen voll ausformulierten Grundgesetzentwurf. Dieser wurde am 3. und 4. Mai 1949 in nochmaligen interfraktionellen Gesprächen ausführlich beraten747 . Für die schon zuvor unstreitige Berücksichtigung der europäischen Idee brachten diese -im Hinblick auf das gesamte Grundgesetz letztlich entscheidenden- Gespräche keine Veränderungen mehr. Nicht einmal bei der Entscheidung des Allgemeinen Redaktionsausschusses bei der Präambel wieder auf die kurze Fassung zurückzugreifen, spielte das Thema "Europa" noch eine Rolle. Der Grund hierfür ist schlicht darin zu suchen, daß das Ziel der Teilnahme Deutschlands an der europäischen Einigung sowohl in der einen, als auch in der anderen Fassung enthalten war.

5. Die europäische Idee in der fünften Phase der Bonner Beratungen Diese Phase der Grundgesetzarbeiten ist zeitlich gleichzusetzen mit der vierten Lesung des Grundgesetzentwurfs im Hauptausschuß in der 57. und 58. Sitzung am 5. und 6. Mai 1949. Obwohl dem Ausschuß hierbei nochmals mehr als einhundert Änderungsanträge vorlagen, gelang es ihm, ausgehend von der Vorlage des Allgemeinen Redaktionsausschusses, die Beratungen sehr zügig durchzuführen7 48.

747 Dennewitz, in : DolzerNogel, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 123 f. 748

Ebenda, S. 124.

12 Bermonscder

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C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Im Hinblick auf Art. 29 a gibt es aus dieser vierten Lesung des Hauptausschusses zwei Dinge zu berichten. Zum einem unternahm der KPDAbgeordnete Renner kurz vor der Abstimmung über den europäischen "Integrationsartikel" einen letzten Versuch, die Aufnahme einer derartigen Bestimmung ins Grundgesetz doch noch zu verhindern. Er stellte kurzerhand den Antrag, der Artikel möge komplett gestrichen werden. Dem wollte aber keines der anderen Ausschußmitglieder folgen. Die Streichung wurde mit allen gegen eine Stimme abgelehnt749 . Zum anderen ergab sich durch die Streichung bzw. Umsetzung einer ganzen Reihe von Bestimmungen eine neue Reihenfolge der einzelnen Artikel. Art. 29 a erhielt dabei seinen endgültigen Platz und wurde zu Art. 24750 .

6. Die europäische Idee in der sechsten Phase der Bonner Beratungen Bereits wenige Stunden später, am frühen Abend des 6. Mai 1949, traf sich das Plenum zu seiner neunten Sitzung. Dort stand die zweite Lesung des Grundgesetzentwurfs auf der Tagesordnung751 . Im Plenum erläuterte der Abgeordnete Schmid in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Hauptausschusses das bisherige Ergebnis der Arbeiten am Grundgesetz. Dabei ging er auch auf die Bedeutung der Aufnahme solcher Bestimmungen ins Grundgesetz ein, die eine Teilnahme Deutschlands an der Einigung der europäischen Staaten ermöglichen sollten. Bezugnehmend auf Art. 24 stellte Schmid klar, daß das deutsche Volk und dessen politische Organe erst mit der Erlangung der vollen Souveränität in der Lage sein würden, die volle Verantwortung für das zu tragen, was in Deutschland geschehe. Für die Bundesregierung gelte es deshalb auf die Wiedererlangung der deutschen Souveränität hinzuarbeiten. Dieses geschehe keineswegs nur aus eigensüchtigen Zwecken. "sondern weil das deutsche Volk sonst nicht die Möglichkeit hat, sich selbst frei in ein politisch, ökonomisch und konstitutionell geeintes Europa einzubringen752 ".

749 Protokoll der 57. Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 749. 750 Vgl. hierzu den Grundgesetztext nach der 4. Lesung im Hauptausschuß, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Entwürfe. S. 241-257 (243) und in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, Dok.Nr. 13, S. 538. 751 Vgl. Protokoll der neunten Plenarsitzung, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, S. 169. 752 Ebenda, S. 174.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der BeratWlgen

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Ferner verwies Schmid darauf, daß das Grundgesetz darauf verzichte, die Souveränität des Staates wie einen "rocher de bronze" zu stabilisieren. Es mache vielmehr "die Abtretung von Hoheitsbefugnissen an internationale Organe leichter als irgendeine andere Verfassung in der Welt"753. Auch auf die Präambel ging Schmid kurz ein. Hierbei machte er deutlich, daß die dort enthaltenen Zielvorstellungen nicht zufallig in den Text der Präambel hineingerutscht seien. Vielmehr sei man bei der Aufzählung der konstitutiven Faktoren des neuen deutschen Staates stets "in vollem Bewußtsein dessen, was geschehen sollte", vorgegangen. Die Präambel sei deshalb weit mehr, "als nur ein pathetischer Vorspruch". Sie besage, "was geschaffen werden sollte und was noch nicht geschaffen werden konnte"754. Was darüber hinaus nach seiner ganz privaten Meinung noch geschehen sollte, verdeutlicht der Schlußsatz seiner Ansprache. Bezugnehmend auf die im letzten Grundgesetzartikel für das deutsche Volk vorgesehene Möglichkeit, eines Tages in freier Entscheidung eine Verfassung zu beschließen, sagte Carlo Schmid: "Wann dieser Tag sein wird, wissen wir nicht. Ich für meine Person möchte hotTen, daß ihm der GründWlgstag der Vereinigten Staaten von Europa auf dem Fuße

folgen wird,,755.

7. Die europäische Idee in der siebten Phase der Bonner Beratungen Auf den Tag genau vier Jahre nach der Kapitulation traf sich der Parlamentarische Rat am 8. Mai 1949 zur dritten Lesung des Grundgesetzentwurfs im Plenum. Die zehnte Plenarsitzung begann mit einer vierstündigen allgemeinen Aussprache. Im Anschluß daran trat der Rat in eine letzte etwa dreistündige Einzelberatung der Grundgesetzartikel ein. Hierbei wurden nochmals einige Änderungen vorgenommen; allerdings nur in sehr geringem Umfang. Anschließend nahm der Parlamentarische Rat das Grundgesetz in namentlicher Abstimmung an. Bevor die Sitzung danach zu Ende ging, gaben mehrere Abgeordnete persönliche Erklärungen zur Abstimmung über das Grundgesetz ab 756 .

753 Ebenda, S. 174. 754 Vgl. dazu Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 9. PlenarsitzWlg, S. 171.

755 Ebenda, S. 174. 12*

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c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Die europäische Idee spielte auch in dieser siebten und letzten Phase der Grundgesetzberatungen eine Rolle. Zwar erfuhren die Präambel 757 und Art. 24758 keine Änderung mehr, sondern wurden ohne weitere Aussprache angenommen, in der allgemeinen Aussprache, der Einzelberatung und in den Schlußerklärungen setzten sich aber einige Abgeordnete nochmals sehr ausführlich mit der europäischen Einigung auseinander. Alle Redner, die sich zum Thema "Europa" äußerten, sprachen sich fiir eine Beteiligung Deutschlands am Prozeß des Zusammenwachsens der europäischen Staaten aus. In der allgemeinen Aussprache ergriff als erster Redner der Abgeordnete Robert Lehr (CDU) das Wort759 . Anders als die Mehrzahl seiner Kollegen im Rat, die sich primär aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten fiir die Einigung der europäischen Staaten aussprachen, stellte Lehr sicherheitspolitische Motive in den Vordergrund. Er erinnerte daran, daß es bei den gesamten Grundgesetzberatungen problematisch gewesen sei, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß der neu zu schaffende Staat Deutschland nicht die volle Souveränität erhalten werde. Trotzdem habe man sich bemüht, "das Haus, das wir bauten, so wohnlich einzurichten, wie es möglich war". Man habe dieses Haus mit Einrichtungen versehen, mit denen ein Volk selbständig leben und seine Wirtschaft, wie auch seine Kultur, aufwärtsentwickeln könne. Für Deutschland bestehe darüber hinaus aber die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit mit den Siegermächten. Lehr unterstrich, daß man hier infolge der eingeschränkten eigenen Souveränität auf den Schutz der Siegermächte angewiesen sei. Deutschland müsse deshalb darauf vertrauen, durch die Aufnahme in die europäische Völkerfamilie zugleich den erforderlichen Sicherheitsrahmen zu erhalten760. Nach Lehr sprach der sozialdemokratische Abgeordnete Walter Menzel. Auch dieser äußerte sich zum Thema "Europa". Menzel kritisierte die Haltung mancher, aus seiner Sicht, allzu föderalistisch denkender Unionsabgeordneter. Er betonte, daß sich die Vertreter der SPD im Parlamentarischen Rat ohne Rücksicht darauf, von welchem Landtag sie nach Bonn geschickt worden seien, als Vertreter Gesamtdeutschlands und nicht nur als Vertreter eines 756 Dennewitz, in: DolzerNogel, Bonner Konunentar, Einleitung, S. 126. 757 Zur Abschlußberatung über die Präambel: Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 10. Plenarsitzung, S.22 I. 758 Art. 24 wurde bei der BesprechWlg des 11. Abschnitts nicht mehr gesondert angesprochen. Vgl. insoweit: Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 10. Plenarsitzung, S. 227 f. 759 Zu den Ausführungen Lehrs vgl.: Ebenda, S. 201. 760 Ebenda, S. 20 I.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Beratungen

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einzelnen Landes, sähen. Menzel stellte klar, daß dieses in seinen Augen nichts mit Zentralismus oder Unitarismus zu tun habe, sondern allein mit gesamtdeutschem Bewußtsein. Schließlich gelte es, dem deutschen Volk eine Einheit zu geben, "die sich einbaut in das europäische Länderkonzert". Deutschland müsse auf einen Weg geruhrt werden, der "endlich Abstand ninunt von dem nationalen Egoismus vergangener Jahrzehnte und der Gesamtdeutschland als einen Baustein filr das kommende Europa sieht161 ".

Im Anschluß an Walter Menzel sprachen die Abgeordneten Heuss, Reimann, Adenauer und Frau Wessel762 . Im Rahmen ihrer Redebeiträge spielte die europäische Integration keine Rolle mehr. Dies änderte sich erst, als mit HansChristoph Seebohm der Abgeordnete das Wort ergriff, der sich, neben Carlo Schrnid, im Verlauf der Beratungen am stärksten rur die europäische Idee eingesetzt hatte. Seebohm nutzte auch diese letzte Gelegenheit, um ausgiebig auf das Thema "Europa" einzugehen763. Bezugnehmend auf die Auswirkungen des Besatzungsstatuts sprach er davon, daß das deutsche Volk "als Glied einer Großraumgemeinschaft" am Beginn einer Entwicklung stehe, deren endgültige Ergebnisse noch nicht abzusehen seien. Seebohm stellte die Vermutung auf, daß das Völkerrecht, so wie es sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelt habe, in naher Zukunft von einem neuen System abgelöst würde. Dabei würden "staatlich organisierte Völker, die zu einer Kooperation in dauerhaften, großräumigen politischen Gebilden zusammengeschlossen" seien, an die Stelle der souveränen Nationalstaaten treten 764 Im Anschluß stellte er dar, welches Ausmaß dieses neue System eines Tages haben sollte. Seebohm sprach davon, daß ein "atlantischer Großraum" gebildet werden müsse, in den "neben Amerika und der britischen Völkerfamilie auch Europa eingebettet" werden solle765. Dieser Großraum müsse durch ein Paktsystem zusammengehalten werden, welches auf Dauer angelegt sei. Dabei bezeichnete er den "Atlantikpakt und die Abkommen über das europäische Hilfssystem" als die "oberste Ordnung dieses Paktsystems" . Als Unterglied nannte Seebohm das Abkommen vom 17. März 1948766 , durch welches "die West-

761 Ebenda, S.

206.

762 Zu deren Ausführungen vgl.:Ebenda, S. 763 Vgl Ebenda, S. 764 Ebenda, S. 765 Ebenda, S.

206 - 216.

216 f.

216. 217.

766 Seebohm sprach an dieser Stelle der Beratungen also explizit den Briisseler Pakt

an.

182

c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

europäische Union eingeleitet" worden sei. Dieses sei durch die "Unterzeichnung der Verfassung des Europäischen Rates767 am 5. Mai" bestätigt worden. Noch eine Stufe darunter lägen schließlich diejenigen Abkommen im Rahmen der "Westeuropäischen Union", die der Lösung der deutschen Frage gewidmet seien. Seebohm nannte hier das Ruhrstatut, das Besatzungsstatut und das Grundgesetz768 . Anschließend wies Seebohm auf ein Problem hin, daß sich fiir Deutschland in diesem Zusammenhang stelle. Er ging darauf ein, daß beim Aufbau derartiger politischer Großräume den einzelnen Gliedern stets ein unterschiedliches Gewicht, je nach der geographischen Lage, der Bevölkerung oder aufgrund anderer Faktoren zukäme. Ein solcher Faktor sei vor allem die politische Aktivität und Kraft, die einem Volkskörper innewohne. Deshalb sei es für Deutschland verhängnisvoll, wenn es "bestenfalls auf gewissen wirtschaftlichen Gebieten autonom" an dieser Entwicklung hin zum Großraum teilnehmen könne 769. Im weiteren Verlauf seiner Rede begründete Seebohm, warum er und sein Fraktionskollege Heile dem Grundgesetz insgesamt die Zustimmung verweigern würden. Dabei machte er deutlich, daß dieser Entschluß allein auf der Ablehnung zentraler Forderungen der Deutschen Partei im Hinblick auf die Ausgestaltung der Bundesrepublik im Inneren beruhe. Daß seine Fraktion die durch das Grundgesetz eingeleitete Öffnung des deutschen Staates nach außen unterstützte, beweist die folgende Feststellung Seebohms zum Ende seiner Rede: ,,Die Fraktion der Deutschen Partei bekelUlt sich zu Deutschland und zu Europa, auch welUl sie aus GewissensgrtInden dem Grundgesetz in seiner jetzt vorliegenden Fassung nicht zuzustimmen verrnag"770. Im Anschluß an die Ausführungen Seebohms wurde die Plenarsitzung fiir etwa eine Stunde unterbrochen. Nach der Pause trat der Rat in die letzte Einzelberatung der Artikel ein. Dabei wurde weder zur Präambel, noch zu Art. 24 das Wort gewünschf71 . Dennoch fand die europäische Idee auch im 767 Damit war der Europarat gemeint. 768 Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 10. Plenarsitzung, S. 217. 769 Ebenda, S. 217. 770 Ebenda, S. 219. 771 Vgl. insoweit: Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 10. Plenarsitzung, S. 221 bzw. S. 226 f.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der Berattmgen

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Rahmen dieser letzten Detailberatungen Erwähnung. Die CDU-Abgeordnete Helene Weber zeigte sich im Rahmen einer Bewertung der Grundrechte darüber erfreut, "daß in den Grundrechten auch jener Artikel steht, der uns aus Deutschland heraushebt (und) uns die Weite Europas" und der Welt zeigt 772. Ihre weiteren Ausfiihrungen machen deutlich, daß sie damit nicht auf ein Grundrecht im eigentlichen Sinne, sondern auf die Präambel anspielte. Zwar nannte Frau Weber die Bestimmung, die sie im Auge hatte nicht ausdrücklich, sie sagte aber abschließend, es handele sich um jenen Artikel, "der von der friedvollen Arbeit der Völker Europas spricht und von der Arbeit am Frieden der ganzen Welt"773. Auch Heinrich von Brentano (CDU) ging im Zusammenhang mit dem Besatzungsstatut nochmals auf "Europa" ein. Er appellierte an die Alliierten, das Statut im Geiste der Präambel, vor allem aber im Geiste seines Begleitschreibens handzuhaben. Nur dann würde für Deutschland der Weg offen sein, zu der von den Außenministern angesprochenen "Mitarbeit in einem wirklich vereinten Europa"774. Als nächster Redner sprach der Abgeordnete Thomas Dehler (FDP). Dehler zog sich im Verlauf seiner Rede den Unmut derjenigen Ratsmitglieder zu, die beabsichtigten gegen das Grundgesetz zu stimmen. Er kritisierte dieses Vorhaben derart scharf, daß er einen Ordnungsruf des Ratspräsidenten Adenauer erhielt775 . Als sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, ging auch Dehler auf die Bedeutung Europas für den künftigen deutschen Staat ein. Er fiihrte seinen Zuhörern vor Augen, daß "heute eine neue Stufe der Geschichte des deutschen Volkes" beginne, von der er glaube, daß sie "ein Stück besseren Weges ( ... ) bedeuten wird". Der FDP-Abgeordnete betonte, jetzt sei die Stunde in die Welt hinauszuschauen und den Willen und die Bereitschaft zu erklären, mit dieser Welt im Einvernehmen zu leben. Wie wichtig ihm die europäische Einigung war, verdeutlicht Dehlers anschließende Aussage: "Wir wissen, wir können nicht losgelöst von der Gemeinschaft der europäischen Völker bestehen. Mir ist es dabei ein Bedürfnis, in dieser Sttmde den Blick nach

772 Ebenda, S. 773 Ebenda, S. 774 Ebenda, S. 775 Ebenda, S.

224. 224. 232. 233 f.

184

c. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

Westen zu richten. Es gibt keine europäische BefriedigWlg, wenn nicht zwischen uns und dem französischen Volk die Brücke geschlagen wird,,776. Dehler appellierte deshalb sowohl an die "europäische Gemeinschaft", als auch an das deutsche Volk. Er betonte dabei nachdrücklich, daß das deutsche Volk an diese Gemeinschaft glaube. Es warte nur auf die ausgestreckte Hand Frankreichs, in die es bereit sei einzuschlagen, um Europa aus den Jahrhunderten der fürchterlichen Verwüstung herauszuführen. Er beendete seine Rede in der Hoffnung, daß die deutsche Demokratie künftig in Frieden und Freiheit mit der größeren Gemeinschaft der europäischen Völker zusammenklingen möge 777 . Im Anschluß an Dehler sprach für die SPD der Abgeordnete Schmid. Auch Schmid versäumte es nicht, nochmals auf die, für ihn persönlich so wichtige, europäische Einigung einzugehen. Er wiederholte sich, als er sagte: ,,Europa zu schaffen, muß das Ziel aller unserer Bemühungen sein. Dieses Ziel gibt allem, was wir in den einzelnen Staaten tun, in die der Kontinent zerfällt, seinen rechten Sinn"778. Die alliierten Außenminister, "die bald über Deutschland zu Rate sitzen werden" forderte Schmid auf, nicht zu vergessen, daß der Sinn des Grundgesetzes letztlich darin liege, mitzuhelfen, "Deutschland wieder in die Gemeinschaft der freien Völker einzugliedern". Er ermahnte sie, nicht zu vergessen, daß sie selbst es gewesen seien, die diese Forderung in der Begleitbotschaft zum Besatzungstatut an die Deutschen gerichtet hätten. Nur, wenn beide Seiten nach dem Gesetz der Solidarität handelten, würde man später einmal sagen können, daß im Parlamentarischen Rat in Bonn etwas geschaffen worden sei, "daß die Tore zu einer besseren Zukunft Deutschlands, einer Zukunft Europas, aller Völker Europas, weit aufgestoßen hat"779.

776 Lange, Die Würde des Menschen, S. 106; Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 10. Plenarsitzung, S. 234. 777 Ebenda, S. 234. 778 Ebenda, S. 235. 779 Ebenda, S. 236.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Rahmen der BeratWlgen

185

Nach Abschluß der Einzelberatung nahm der Parlamentarische Rat das Grundgesetz in namentlicher Abstimmung mit 53 gegen 12 Stimmen an780 . Damit waren die eigentlichen Verfassungsberatungen zu Ende. Dennoch baten die Abgeordneten Heile, Frau Wessei, Löbe und Kaiser nochmals ums Wort, um Erklärungen zur Abstimmung abzugeben. Wilhelm Heile nutzte seine ErkJärung781 , um im Rahmen einer außenpolitischen Bewertung des Grundgesetzes ein weiteres Mal mit Nachdruck auf den Stellenwert, den er der Beteiligung Deutschlands an der künftigen Zusammenarbeit in Europa einräumte, hinzuweisen. Trotz der Tatsache, daß sich der Parlamentarische Rat für eine Teilnahme Deutschlands am europäischen Integrationsprozeß entschieden hatte, sparte Heile nicht mit Kritik. Er bemängelte, daß der Rat die Formung eines "kleindeutschen Weststaates" rur die zentrale deutsche Angelegenheit gehalten habe, anstatt klar zum Ausdruck zu bringen, daß man hierin lediglich ein notwendiges Übel sehe. Heile betonte, daß es weitaus wichtiger gewesen wäre, deutlich zu machen: "daß WlS in allererster Linie an der gleichberechtigten EingliederWlg in die internationale ZusaDWlenarbeit Europas Wld der ganzen Menschheit gelegen ist"782.

Um die Ernsthaftigkeit dieser Aussage zu unterstreichen, ging Heile noch einen Schritt weiter. An seine Ausfiihrungen aus der 19. Sitzung des Grundsatzaussschusses anknüpfend783 , stellte Wilhelm Heile die Bedeutung der deutschen Mitarbeit an der Einigung Europas über die Bedeutung der deutschen Einheit. Im Hinblick auf die deutsche Einheit könne niemand die Deutschen hindern, sich so einig zu fiihlen und so einig zu handeln, wie sie es im Herzen wirklich seien. Das Maß der deutschen Einigkeit hinge nicht von der Form der Staatlichkeit ab, sondern allein "von der Gesinnung, die in

780 Ebenda, S. 238. Mit ,,Nein" stinWlten die Abgeordneten des Zentrwns (Brockmann, Wessei), der DP (Heile, Seebohm), der KPD (Reimann, Renner) Wld sechs Abgeordnete der CSU (Kleindinst, Kroll, Laforet, Pfeiffer, Schwalber, Seibold). Die beiden übrigen CSU-Abgeordneten (Mayr, Schlör), sowie die Abgeordneten der CDU Wld der SPD stinWlten für die Annahme des Grundgesetzes. Vgl.: Dennewitz, in: DolzerNoge1, Bonner Kommentar, EinleitWlg, S. 126. 781 Parlanlentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 10. PlenarsitzWlg, S. 238- 240. 782 Ebenda, S. 239. 783 Siehe hierzu oben, S. 136 f.

186

C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

unseren Herzen wohnt". Anders sei es bei der Einigung Europas, ohne die man "weder für Deutschland noch für Europa auf eine bessere Zukunft hoffen" könne. Diese sei derart wichtig, daß er die Beteiligung Deutschlands an der europäischen Einigung bejahe, obwohl "als Folge der jüngsten deutschen Vergangenheit eine Eingliederung in die Union Europas" nur für die von den Besatzungsmächten gefonnten westlichen Länder möglich sei. Heile begründete diese Entscheidung damit, daß "alle technischen Probleme einer großräumigen Wirtschafts- und Verkehrsregelung" ebenso gut und besser, als im engen Raum eines kleindeutschen Staatswesens, im weiten Raume Europas und schließlich der ganzen Erde gelöst werden könnten784. Unter diesem Gesichtspunkt begrüßte auch er letztlich die Gründung der Bundesrepublik. Abschließend kritisierte Heile dennoch nochmals, daß man auf die "großen deutschen und europäischen Möglichkeiten verzichtet" habe, die man hätte haben können und durch die man zum Vorbild für die Einigung Europas geworden wäre. Als Deutscher, Europäer und Weltbürger bedauere er diese Entscheidung785 . Welche großen deutschen und europäischen Möglichkeiten ihm dabei vorschwebten, führte Heile leider nicht weiter aus. Er betonte aber, daß die Deutsche Partei die außenpolitische Zielsetzung des Grundgesetzes trotz alledem insgesamt bejahe. Sie bejahe, daß durch die Verknüpfung mit internationalen Gegebenheiten und völkerrechtlichen Bindungen eine Eingliederung Deutschlands in einen höheren Zusammenschluß freier und gleichberechtigter Völker zu gegenseitigem Nutzen und zur Befriedung der Welt in die Wege geleitet würde. Denn, "die Zeit der unbeschränkt souveränen Nationalstaaten" sei vorbei 786 . Nachdem anschließend Helene Wessei, Paul Löbe und Jakob Kaiser ihre Erklärungen abgegeben hatten, ohne daß dabei das Thema "Europa" noch eine Rolle gespielt hätte, ergriff Konrad Adenauer, als der Präsident des Parlamentarischen Rates, das Wort zu einer kurzen Schlußansprache787 . Auch dabei wurde nochmals die neue europäische Dimension in der deutschen Politik deutlich. In seinen wenigen Schlußsätzen ging Adenauer dreimal auf "Europa" ein. Zunächst zitierte er wörtlich den letzten Satz der alliierten Begleitbotschaft zum Besatzungsstatut, in dem die gleichberechtigte Einbeziehung des demokratischen Deutschlands in den Rahmen einer europäischen Vereini-

784 Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 10. Plenarsitzung, S. 239. 785 Ebenda, S. 239. 786 Ebenda, S. 239. 787 Ebenda, S. 242 f.

IV. Die Rolle der europäischen Idee im Ralunen der Beratungen

187

gung in Aussicht gestellt wird. Dann erinnerte er an eine kurz zuvor gehaltene Rede des amerikanischen Außenministers Acheson, der dem westdeutschen Volk auch weiterhin starke Unterstützung zugesagt hatte. Adenauer betonte in diesem Zusammenhang, man vertraue in Deutschland auf diese Worte. Dieses Vertrauen dürfe aber, wenn man wirklich den .,Bestand Europas sichern" wolle, keinesfalls getäuscht werden. Im Anschluß an diese Mahnung beendete der Ratsvorsitzende seine Rede mit den Worten: " Meine Damen und Herren! Wir WÜllschen, daß Gott dieses Volk und dieses Werk segnen möge, zum Segen Europas und zum Segen des Friedens in der Welt!,,788.

Am Morgen des 9. Mai 1949789 , um 0 Uhr 38 Minuten, schloß Konrad Adenauer die zehnte Plenarsitzung. Die Grundgesetzberatungen des Parlamentarischen Rates waren damit beendet79o . Für die Anhänger der europäischen Idee hatten sie den erhofften Erfolg gebracht. Der Parlamentarische Rat hatte die schon vor den Bonner Beratungen immer wieder erhobene Forderung der Beteiligung Deutschlands am Prozeß des Zusammenwachsens der Staaten in Europa aufgegriffen und diesen Gesichtspunkt erstmals in einer deutschen Verfassung verankert. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland bekannte sich bereits in seiner Präambel zur künftigen Mitarbeit in einem vereinten Europa. Darüber hinaus enthielt es mit Art. 24 GG eine Bestimmung, die dem neuen deutschen Staat die Tür nach "Europa" weit öffnete. Besonders bemerkenswert war dabei das Ausmaß der Unterstützung, das speziell der europäischen Idee zuteil wurde. Berücksichtigt man das oben dargestellte ausdrückliche "Ja" der Deutschen Partei zum außenpolitischen Teil der Verfassung, sowie die, die Einigung der europäischen Staaten durchweg bejahenden Aussagen des Zentrums und der Vertreter der CSU, welche dem Grundgesetz allesamt aus innenpolitischen Erwägungen ihre Zustimmung verweigerten, dann lassen sich - zumindest im Hinblick auf die Einbindung Deutschlands in ein europäisches Staatensystem - zu den oben erwähnten

788 Ebenda, S. 243. 789 Auf den Tag genau ein Jahr später, am 9. Mai 1950, sollte Robert Schuman mit seinem Plan einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, einen weiteren wichtigen Schritt im Hinblick auf eine Vereinigung der Staaten Europas unternelunen. Vgl. insoweit: Oppennann, Europarecht, S. 10 f 790 Die Arbeit des Parlamentarischen Rates insgesamt war damit allerdings noch nicht zu Ende. In den folgenden Tagen galt es das Wahlgesetz filr den ersten Bundestag fertigzustellen, sowie eine Endscheidung über den vorläufigen Sitz der Bundesorgane zu treffen.

188

C. Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat

53 "Ja"-Stimmen rur das Grundgesetz noch zehn weitere Stimmen hinzuaddieren. Gänzlich gegen die Beteiligung Deutschlands an der europäischen Integrat; 0>-1 sprachen sich lediglich die beiden Abgeordneten der KPD aus. Im Ergebms hatten also mehr als fünfundneunzig Prozent der Abgeordneten die europäische Idee im Parlamentarischen Rat unterstützt.

D. Zusammenfassende Darstellung und Bewertung Unter den in den Jahren 1948/49 in Deutschland herrschenden Umständen konnte es den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates nicht nur darum gehen, im Inneren eine neue Ordnung zu schaffen. Darüber hinaus war es ihre Absicht, den neuen deutschen Staat auf einen Weg zu bringen, auf dem das Geschaffene nach außen gesichert werden konnte 791. Diesen Weg erblickte die weit überwiegende Anzahl der Abgeordneten in der Mitarbeit Deutschlands an der europäischen Einigung. Im Grundgesetz gelang es erstmalig in einer deutschen Verfassung den Gedanken eines vereinten Europa zu verankern. An mehreren Stellen berücksichtigten die Ratsmitglieder die künftige Mitarbeit des deutschen Staates an der Einigung Europas. In bewußter Anlehnung an den Herrenchiemseer Verfassungskonvent entschlossen sie sich dazu, dem Bund über Art. 24 GG zwei Wege zur Teilnahme. am europäischen Integrationsprozeß zu eröffnen. Zusätzlich kamen sie überein, den Gedanken der europäischen Einigung als eines der Hauptziele des neuen deutschen Staates bereits in der Präambel anzusprechen. Dieser "Verfassungsentscheidung" des Parlamentarischen Rates "für die internationale Zusammenarbeit"792 allein läßt sich jedoch weder eine konkrete Aussage über die Vorstellungen der Väter und Mütter des Grundgesetzes von der Gestalt jener künftigen Gemeinschaft der europäischen Staaten, noch eine Begründung für die große Europafreundlichkeit der Ratsmitglieder entnehmen. In beiden Fällen bedarf es einer detaillierteren Darstellung.

791 So: Von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, S. 31. Ähnlich auch: Abendroth, Deutsche Einheit und europäische Integration in der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, S. 4385. 792 Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusanunenarbeit, 1964. Vgl. auch oben Fn. 49.

190

D. Zusammenfassende Darstellung und Bewertung

I. Inhaltliche Vorstellungen des Parlamentarischen Rates von "Europa" Eine abschließende Vorstellung davon, wie stark die Beteiligung an der Einigung Europas sich in der Zukunft auf die deutsche Politik aus- und welche enormen Veränderungen sie im Laufe der kommenden Jahrzehnte bewirken würde, hatte keines der Bonner Ratsmitglieder. Einige der Abgeordneten des Parlamentarischen Rates793 hatten aber im Zeitpunkt der Grundgesetzberatungen schon ein sehr umfassendes Europaverständnis entwickelt794 und bereits damals ein gutes Stück der späteren Entwicklung vorhergesehen795. Die zentrale Norm im Hinblick auf die europäische Vereinigung erblickten die Ratsmitglieder in Art. 24 Abs. 1 GG796. In dieser Bestimmung hatten sich die Abgeordneten dazu entschlossen, dem Bund schon durch das Grundgesetz selbst zu ermöglichen, künftig Souveränitätsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen abzutreten. Sie hatten damit klar zum Ausdruck gebracht, daß der neue deutsche Staat aus der nationalstaatlichen Phase seiner Geschichte in die übernationalstaatliche eintreten wollte797 . Diese Bereitschaft wurde noch unterstrichen durch die Tatsache, daß in derartigen Fällen künftig gerade kein verfassungsänderndes Gesetz erforderlich sein sollte, sondern ein einfaches

793 Genannt seien hier die Abgeordneten von Mangoldt, Strauß und Süsterhenn (alle CDU), Heile und Seebohm (beide DP), Heuss und Schäfer (beide FDP), sowie Eberhard, Menzel und Schmid (alle SPD). 794 Demgegenüber hatte die Mehrheit der Mitglieder des Parlamentarischen Rates, trotz der dargestellten großen Übereinstimmung vieler Abgeordneter in der grundsätzlichen Bejahung der Teilnahme Deutschlands an der europäischen Einigung, zumindest zu Anfang der Grundgesetzberatungen kaum konkrete Europavorstellungen. Dies zeigen vor allem die Anfangsdebatten im Grundsatzausschuß. Vgl. etwa das Protokoll der 12. Sitzung des Grundsatzausschusses; abgedruckt in: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok. Nr. 15, S. 315 ff (322 ff). 795 Im Verlauf der Arbeiten am Grundgesetz dürfte es ihnen gelungen sein, bei so manchem weiteren, der europäischen Idee offen gegenüberstehenden, über Details jedoch noch zu wenig informierten, Ratskollegen ein vertiefteres Gespür daftir zu wecken, welche vielfältigen Möglichkeiten sich durch die Beteiligung am europäischen Einigungsprozeß ftir Deutschland boten. 796 So auch der Abgeordnete Eberhard, der die in Absatz I enthaltene Regelung auf der 12. Sitzung des Ausschusses ftlr Grundsatzfragen als ,,Das Grundsätzliche" bezeichnete. Vgl. SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok.Nr. 15, S.322.

797 Abgeordneter Schmid auf der 2. Plenarsitzung, vgl. Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, S. 15.

1. Inhaltliche Anforderungen an "Europa"

191

Gesetz ausreichen würde798. Den grundsätzlichen Rahmen, in welchem der Parlamentarische Rat die Übertragung von Hoheitsrechten für erforderlich hielt, hatte der Abgeordnete Süsterhenn bereits in der 2. Plenarsitzung abgesteckt. Süsterhenn nannte dort ausdrücklich die Bereiche internationale Friedenssicherung und wirtschaftliche Zusammenarbeit799. Der Schwerpunkt der von Art. 24 Abs. 1 GG eröffneten Möglichkeiten lag für die Bonner Abgeordneten auf dem zuletzt genannten wirtschaftlichen Sektor. Carlo Schmid hatte hier die am weitesten entwickelten Vorstellungen800 . Im Grundsatzausschuß erläuterte er als einen denkbaren Anwendungsfall des Art. 24 Abs. 1 GG ausdrücklich die Abtretung nationalstaatiicher Hoheitsrechte an eine für den gesamten europäischen Kohlebergbau zuständige internationale Behörde80I . Nach den Vorstellungen der Mütter und Väter des Grundgesetzes war durch dieses genannte Beispiel aber erst ein kleiner Teilbereich der künftig von Art. 24 Abs. 1 GG eröffneten Möglichkeiten abgedeckt. Die Schöpfer des Bonner Grundgesetzes dachten darüber hinaus an weitere Kompetenzverlagerungen802 . Neben rein wirtschaftlichen hatten sie dabei auch politische Integrationsmaßnahmen im Sinn 803 .

798 Über die rechtlichen Konsequenzen der Aufnahme einer solchen Bestinunung ins Grundgesetz waren sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates dabei durchaus im klaren. Vgl. insoweit die Aussagen der Abgeordneten Schmid, Katz und Eberhard auf der 6. Sitzung des Hauptausschusses, abgedruckt in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 69 f. 799 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 2. Plenarsitzung, S. 20. 800 Schmid hatte bereits in weiten Teilen erkannt, wohin die "europäische Reise" in Zukunft gehen würde. Dies verdeutlichen neben seinen Redebeiträgen auch verschiedene Artikel, die er in den Jahren 1947 - 1949 zwn Thema ,,Europa" veröffentlichte. Genannt sei an dieser Stelle nochmals der Beitrag ,,Das deutsch - französische Verhältnis und der Dritte Partner" in der Monatsschrift ,,Die Wandlung" 1947; S. 792 ff. 801 SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd 5/1, Dok.Nr. 15, S. 324. 802 Dies beweist vor allem eine Feststellung Hermann von Mangoldts. Von Mangoldt machte mit Blick auf die umfassenden Bestrebungen der privaten europäischen Organisationen klar, daß es die "verschiedensten Möglichkeiten zu internationalen Zusammenschlüssen" gäbe, bei denen eine Beschränkung der staatlichen Hoheitsrechte erwünscht sein könnte. An welche Bereiche er dabei konkret dachte, führte von Mangoldt im Rahmen der Verfassungsberatungen allerdings nicht mehr aus. Vgl.: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd 5m; Dok.Nr. 25, S. 543. 803 Auch diese Behauptung läßt sich durch eine Bemerkung Hermann von Mangoldts belegen. Auf der 20. Sitzung des Grundsatzausschusses hatte von Mangoldt ausgeführt, daß Art. 24 Abs. I GG alle Möglichkeiten zur Beschränkung nationaler Hoheitsrechte im Hinblick auf die Einordnung Deutschlands "in eine weltweite Vereinigung", also die Vereinten Nationen, lasse. Zumindest zwischen den Zeilen läßt

192

D. Zusanunenfassende DarstellWlg Wld Bewertung

Über diese, für die angestrebte europäische Einigung grundsätzlichen Fragen hinaus, beschäftigten sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates im Verlauf ihrer Beratungen zu Art. 24 Abs. 1 GG bereits mit einer Reihe von Detailproblemen. In der dritten Plenarsitzung hatte der Abgeordnete Theodor Heuss darauf aufmerksam gemacht, daß über die Bestimmung des Art. 24 Abs. 1 GG keineswegs die gesamte Staatsgewalt übertragen werden dürfte. Heuss hatte deshalb ausdrücklich klargestellt, daß seine Fraktion lediglich bereit sei "Teile der deutschen Hoheit"804 abzutreten. Wiederum Heuss war es, der sich angesichts der stark föderalistischen Tendenzen größerer Teile des Rates, dagegen wandte, auch die deutschen Länder an der Außenpolitik zu beteiligen. In Europa könne nur der Gesamtstaat operieren805 . Der Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm verwies darauf, daß durch die Übertragung einzelstaatlicher Hoheitsrechte teilweise auch die Hoheitsrechte der Länder beeinträchtigt würden. Er forderte deshalb - letztlich allerdings erfolglos - daß die Übertragung in diesen Fällen von Bund und Ländern gemeinsam getragen werden müsse806 . Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates kauften also keinesfalls "die Katze im Sack", als sie sich dazu entschlossen, dem Bund durch Art. 24 Abs. 1 des Grundgesetzes die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu ermöglichen. Zwar wagten sie sich damit auf verfassungsrechtliches Neuland, dessen letzte Auswirkungen sie nicht voraussehen konnten. Dank der fundierten Anregungen einiger Abgeordneter hatten sie aber zum Ende der Beratungen bereits recht klare Vorstellungen von der grundsätzlichen Wirkungsweise des Art. 24 Abs. 1 GG und den hieraus erwachsenden Möglichkeiten im Rahmen des neu zu errichtenden europäischen Hauses807

sich aus dieser BemerkWlg herauslesen, daß die Grundnorm des Art. 24 Abs. I GG nach den VorstellWlgen der Ratsmitglieder neben der wirtschaftlichen auch der politischen EinigWlg dienen sollte. Vgl.: SchickIKahienberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. Sill, Dok.Nr. 25, S. 543. 804 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 3. PlenarsitzWlg, S. 43. 805 Ebenda, S. 43. 806 Parlamentarischer Rat, VerhandlWlgen des Hauptausschusses, S. 70 Wld S. 346. Die beiden letzten Aussagen zeigen, daß die Ratsmitglieder bereits eine ganze Reihe von Problemen, die die BeteiligWlg an ,,Europa" im innerstaatlichen BWld-LänderVerhältnis mit sich bringen sollte, erkannt hatten. 807 Diese gingen immerhin so weit, daß die Mitglieder des Rates - zieht man die gerade erwähnte Aussage Schrnids zur EuropäisierWlg des Kohlebergbaus, sowie zwei Vorschläge der Abgeordneten Strauß Wld Schäfer heran, die sich für eine enge Zusanunenarbeit beim "Stahl Wld allen Eisenprodukten" im europäischen Rahmen in

I. Inhaltliche Anforderungen an "Europa"

193

Über Art. 24 Abs. 2 GG wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates vor allem auf sicherheitspolitischem Gebiet eine enge Verbindung zwischen den Völkern Europas und der Welt erreichen. Nach dieser Norm sollte sich der neue deutsche Staat in ein System der gegenseitigen kollektiven Sicherheit einordnen können. Auf das anfänglich in der Bestimmung enthaltene Erfordernis der Gegenseitigkeit hatten die Ratsmitglieder im Verlauf der Beratungen verzichtet808 . Wie sich der Parlamentarische Rat die Wirkungsweise des Art. 24 Abs. 2 GG vorstellte, hatte der Abgeordnete von Mangoldt im Rahmen der 20. Sitzung des Grundsatzausschusses erläutert809 . Von Mangoldt hatte dabei klargemacht, daß das System gegenseitiger kollektiver Sicherheit das Weltsystem der Vereinten Nationen sei. Dieses Weltsystem lasse über seine Charta regionale Pakte zu. Als einen dieser regionalen Pakte wollte Hermann von Mangoldt die kommende "Europaunion" verstanden wissen. Die Vorstellungen der Ratsmitglieder gingen also dahin, über Art. 24 Abs. 2 GG die Einbindung Deutschlands in eine zukünftige Weltordnung des Friedens zu erreichen. Dabei dachten sie sowohl an einen universellen Zusammenschluß, als auch an regionale Pakte. Die europäische Einigung stellte nach ihren Vorstellungen eine "Vorstufe", die Weltordnung des Rechts die "später anzustrebende Entwicklung" dar 810. Darüber hinaus war man sich einig, daß Art. 24 Abs. 2 GG eine über den rein militärischen Bereich hinausgehende Bedeutung haben sollte. Welche weiteren Möglichkeiten im Rahmen des Begriffes der kollektiven Sicherheit über Art. 24 Abs. 2 GG in Frage kommen könnten, deutete wiederum Carlo Schmid an, der vorschlug, die gesamte Lastverteilung von elektrischem Strom von einer internationalen Behörde ausüben zu lassen. Auch einer solchen "International Power Agency" müßten dann Hoheitsrechte übertragen werden. Daran anknüpfend nannte der Abgeordnete Eberhard als ein weiteres denkbares Beispiel eine internationale Flugverkehrsorganisation811 ,

einem "System wechselseitiger Austausch- und Ausgleichsordnung" ausgesprochen hatten - zumindest in den Grundstrukturen angedacht hatten, was erst im April 1951 Realität werden soHte; nämlich die spätere europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Vgl. insoweit: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 378 und 380. 808 Vgl.: SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd 51l, Dok.Nr, 15, S. 323. 809 SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd 51II. Dok.Nr. 25, S. 543, 810 So der Abg. Seebolun, vgl.: Der Parlamentarische Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses. S, 70. 13 Bcrmanscder

194

D. Zusammenfassende Darstellung und Bewertung

Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates sahen die Absätze I und 2 des

Art. 24 GG folglich in einem Verhältnis der Komplementarität812 . Beide sollten sich ergänzen, nicht aber gegenseitig ausschließen. Hierfür sprechen sowohl der Wortlaut des Art. 24 Abs. I GG, als auch der Sinn und Zweck der Regelung in beiden Absätzen813 . Weder Art. 24 Abs. I GG, noch Art. 24 Abs. 2 GG liefert einen Beleg dafür, daß im Falle der Einordnung des Bundes in ein System der kollektiven Sicherheit lediglich die, in Bezug auf den Souveränitätsverzicht, schwächere Form der Beschränkung von Hoheitsrechten möglich sein sollte und nicht auch die weitergehende Form der Übertragung derselben. Schließlich hatten sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates dazu entschlossen, den Gedanken, daß Deutschland künftig "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa" mitwirken solle, bereits in der Präambel des Grundgesetzes zu erwähnen. Damit hatten sie unterstrichen, daß die Teilnahme des neuen deutschen Staates an der Einigung "Europas" künftig nicht lediglich ein nachrangiges Feld der Politik betreffen, sondern eine seiner zentralen Aufgaben sein sollte. Die Erwähnung der europäischen Idee in der Präambel bedeutete einen entscheidenden Schritt. Da die Präambel das gesamte Grundgesetz "charakterisieren und qualifizieren"814 sollte, hatte der Parlamentarische Rat die Idee der europäischen Einigung durch ihre Aufnahme in die Präambel zu einem fiir das künftige deutsche Staatswesen prägenden Merkmal erhoben815 .

811 12. Sitzung des Grundsatzausschusses, abgedruckt in: Schick/Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd 5/1, Dok.Nr. 15, S. 325. 812 So auch: Randelzhofer, in: MaunzlDürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 2, Rn. I; Streinz, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 24, Rn. 55. 813 Diese Auffassung vertritt auch Randelzhofer, in: Maunz!Dürig/Herzog, Grundgesetz, Art. 24 Abs. 2, Rn. 2. 814 Vgl.: Schick/Kahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/1, Dok.Nr. 2, S. 7. 815 Die Teilnahme Deutschlands sollte nach den Vorstellungen der Erschaffer des Grundgesetzes allerdings nicht gänzlich ohne Gegenleistung erfolgen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes machten die Beteiligung Deutschlands am Prozeß des Zusammenwachsens in Europa ausdrücklich von der Stellung des neuen deutschen Staates in ,,Europa" abhängig. Nur unter der Voraussetzung der "Gleichberechtigung" sollte sich Deutschland daran beteiligen dürfen. Wie eine solche gleichberechtigte Teilnahme jedoch konkret aussehen sollte, brachten die Ratsmitglieder leider an keiner Stelle der Verfassungsarbeiten klar zum Ausdruck.

11. Räumliche Europavorstellungen des Rates

195

Im Ergebnis gingen die inhaltlichen Vorstellungen der Ratsmitglieder im Hinblick auf "Europa" also dahin, eine europäische Vereinigung durch die Errichtung supranationaler wirtschaftlicher Organisationen, sowie die Schaffung regionaler und globaler politischer Bündnissysteme zu erreichen. Eine Beteiligung Deutschlands hieran erachteten sie für wünschenswert. Darüber hinaus standen sie auch weitergehenden wirtschaftlichen und politischen Integrationsmaßnahmen offen gegenüber. Den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates ging es letztlich vor allem darum, die grundsätzliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland auf die europäische Integration im Grundgesetz festzuschreiben. Ihnen war wichtig, daß die europäische Vereinigung eines Tages erreicht werden würde. Hinsichtlich der Frage, wie das vereinte Europa aussehen sollte, wollten sich die Ratsmitglieder nicht definitiv festlegen. Vielmehr wollte man der künftigen Bundesregierung einen möglichst weiten Gestaltungsspielraum geben. Dieser Gestaltungsspielraum sollte es Deutschland letztlich ermöglichen, eines Tages das von Carlo Schmid immer wieder geforderte Ziel816 der gleichberechtigten Teilnahme an einem "politisch, ökonomisch und konstitutionell geeinten Europa" zu erreichen.

11. Räumliche Europavorstellungen des Parlamentarischen Rates Belege für die räumlichen Europavorstellungen des Parlamentarischen Rates finden sich an mehreren Stellen der Sitzungsprotokolle. Vielfach fällt dort allerdings nur pauschal der Begriff "Europa". Der stellvertretende Ratspräsident Hermann Schäfer etwa forderte, die "Erzeugungsgebiete ganz Europas" msammenzuschließen817. Ähnlich drückten sich die Abgeordneten Hans-Christoph Seebohm, der "alle europäischen Industriegebiete" vereinen wollte818 , und Carlo Schmid aus, der eine europäische Genossenschaft forderte, die "alle Staaten, die sich zu Europa rechnen" umfassen sollte819 . Der Abgeordnete Wilhelm Heile schließlich sprach sich für einen wirtschaftlichen Großraum aus, der sich "mindestens über ganz Europa" erstrecken sollte820 . Ausgehend von diesen relativ undeutlichen Formulierungen, fällt eine präzise Antwort auf die Frage, welche Staaten die Ratsmitglieder konkret

816 Vgl.: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 373 und Stenographischer Bericht, 9. Plenarsitzung, S. 174. 817 Vgl.: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 38l. 818 Ebenda, S. 382. 819 Ebenda, S. 375. 820 SchickIKahlenberg, Der Parlamentarische Rat, Bd. 5/I, Dok.Nr. 24, S. 506. 13*

196

D. Zusammenfassende DarstellWlg Wld Bewertwtg

unter jenem immer wieder genannten "Europa" verstanden, nicht leicht. Gänzlich unumstritten war in diesem Zusammenhang bei den Bonner Abgeordneten lediglich die Beteiligung der westeuropäischen Staaten. Dieses läßt sich anband einer Äußerung des Abgeordneten Adolf Süsterhenn belegen, der bereits auf der 2. Plenarsitzung die "sofortige und effektive Konsolidierung Westeuropas" gefordert hatte821 . Legt man jene Aussage Süsterhenns und einige vom Ratspräsidenten Adenauer noch vor den Bonner Grundgesetzberatungen in den Jahren nach 1946 getane Äußerungen822 zugrunde, so kann es als sicher gelten, daß die Ratsmitglieder eine baldige Vereinigung mit den westlichen Nachbarn Deutschlands, mit Frankreich und den Beneluxstaaten, fiir erstrebenswert hielten. Weit stärker umstritten war die Einbindung Großbritanniens in den Prozeß der europäischen Integration. Vor allem aufgrund der oben geschilderten europäischen "Verzögerungstaktik" Londons823 , aber auch aufgrund der vormaligen WeltmachtsteIlung des britischen Empires, war eine Teilnahme des Vereinigten Königreiches an der europäischen Einigung keineswegs selbstverständlich. In diesem Sinne muß eine Aussage des Abgeordneten Seebohm aus der 10. Plenarsitzung verstanden werden, der sich dafiir aussprach, "die britische Völkerfarnilie" als eigene Gemeinschaft neben "Europa" zu stellen824 . Während Seebohm eine europäische Vereinigung ohne die Briten plante, hatten diese in Konrad Adenauer einen starken Fürsprecher. Von Anfang an hatte sich Adenauer dafiir eingesetzt, daß England und das nördliche Europa in die kommende Gemeinschaft der europäischen Staaten aufgenommen werden sollten825 Dabei hatte er die Auffassung vertreten, daß das Schicksal

821 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 2. Plenarsitzwtg, S. 19. 822 Vgl. insoweit etwa Adenauers bereits angesprochene Programm-Rede vom 29. August 1948 auf einem CDU-Parteitag in Recklinghausen, zit. nach: Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 445 1'. 823 Siehe oben S. 89 1'. 824 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, 10. Plenarsitzwtg, S. 216 1'. 825 Vgl.: Schwarz, Vom Reich zur BWldesrepublik, S. 448. Belege hierftlr sind etwa Adenauers Reden in der Kölner Universität am 24. März 1946 \Uld zur EröffnWlg der ZonenausschußtagWlg der CDU in Lippstadt am 17. Dezember 1946. In Köln sprach Adenauer ausdrücklich davon, daß eine Verflechtwtg der europäischen Wirtschaft Wlter EinbeziehWlg Englands stattfmden müsse. Diese Rede ist abgedruckt in: Ruh!, Die Adenauer-Ära, Dok.Nr. 18, S. 49 tT. In Lippstadt brachte Adenauer seine HoffnWlg zum Ausdruck, daß Westeuropa "einschließlich Frankreichs, Englands Wld des von den Russen besetzten deutschen Teiles" bald wieder geSWlde. Die Lippstadter Rede fmdet sich im Adenauer-Archiv, Abt. I, Bd. 19 b. Sie ist hier zit. nach: Weidenfeld, Konrad Adenauer Wld Europa, S. 53.

11. Räwnliche Europavorstellungen des Rates

197

Englands und das Schicksal Westeuropas miteinander verbunden sei. Die Zeiten, in denen England eine außereuropäische Macht gewesen sei, seien endgültig vorüber8 26 . Insgesamt erscheint es deshalb, trotz der abweichenden Vorstellungen Seebohms, angebracht, auch Großbritannien und die Länder des nördlichen Europa, also Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen und Island, mit in den Kreis der Staaten aufzunehmen, die sich die Ratsmitglieder noch als "europäische Gemeinschaft" vorstellen konnten. Darüber hinaus kamen in den Augen des Parlamentarischen Rates auch die Länder Ostrnittel- und Südeuropas fiir eine europäische Staatengemeinschaft in Frage. Nachdrücklich fiir eine Beteiligung der osteuropäischen Staaten hatte sich der kommunistische Abgeordnete Heinz Renner ausgesprochen. Renner hatte sich auf den Standpunkt gestellt, daß die europäische Wirtschaft ohne eine Beteiligung der "Länder des Ostens" nicht lebensfähig sei 827 . Auch Adolf Süsterhenn hatte eine spätere Beteiligung der "ostmittel- und südeuropäischen Völker"828 an einer europäischen KonfOderation in Aussicht gestellt. Der CDU-Politiker hatte sich damit grundsätzlich fiir die Möglichkeit einer späteren Eingliederung Polens, der Tschechoslowakei und eventuell auch der baltischen Staaten einerseits, sowie Italiens, Griechenlands, Spaniens und Portugals andererseits, ausgesprochen. Mit diesem Ansinnen befand sich Süsterhenn allerdings in einem Gegensatz zu Konrad Adenauer, fiir den zumindest bis Anfang der fiinfziger Jahre ausschließlich die Nachbarn im Westen als Partner in Europa in Frage kamen. Die südeuropäischen Staaten waren fiir Adenauer allenfalls Länder an der "europäischen Peripherie". Die Staaten Ostrnitteleuropas kamen fiir ihn schon wegen ihrer Abhängigkeit von der UdSSR nicht fiir eine Teilnahme am europäischen Eingungsprozeß in Frage829 . Die räumliche Ausdehnung der angestrebten europäischen Gemeinschaft sollte sich nach den Vorstellungen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates also zunächst auf die west- und nordeuropäischen Staaten erstrecken. Im Laufe der Zeit sollte die Gemeinschaft nach Osten und Süden ausgeweitet wer-

826 Ähnlich hatte sich auch Carlo Schmid geäußert, der die These vertreten hatte, England sei so wenig ohne Europa denkbar, wie Europa ohne England. Vgl.: Schmid, Das deutsch-französische Verhältnis und der Dritte Partner, S. 797. 827 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 386. 828 Parlamentarischer Rat, Stenographischer Bericht, S. 19. 829 Vgl. insoweit: Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 448.

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D. Zusanunenfassende Darstellung und Bewertung

den 830 Auf die dabei in den Augen der Ratsmitglieder bestehende, absolute Grenze für die Aufnahme eines Staates in die europäische Gemeinschaft hatten die Abgeordneten Süsterhenn 831 und Seebohm832 hingewiesen, die unabhängig voneinander davon sprachen, daß für Deutschland nur ein Eingliedern "in den Gesamtbereich der abendländischen Kultur" in Frage käme. Eine Ausdehnung der künftigen europäischen Staatengemeinschaft über diesen Bereich hinaus, etwa in die Türkei oder die eurasischen Teile der früheren Sowjetunion, hielten die Väter und Mütter des Grundgesetzes, nicht für wünschenswert.

III. Zeitliche Vorstellungen des Rates im Hinblick auf die Realisierung "Europas" Anhaltspunkte für den zeitlichen Rahmen, in welchem die Ratsmitglieder die Schaffung einer europäischen Staatengemeinschaft anstrebten, lassen sich den Sitzungsprotokollen nur vereinzelt entnehmen. Soweit der europäischen Einigung im Rahmen der Grundgesetzberatungen eine zeitliche Vorgabe gemacht wurde, ist diese stets sehr knapp bemessen. Obwohl die Bonner Abgeordneten im Zeitpunkt ihrer Arbeit, wie dargestellt, lediglich in groben Zügen wußten, wie sich die weitere europäische Integration gestalten würde, setzten sie nicht darauf, daß zunächst noch eine längere Frist vergehen würde, bis konkrete Schritte auf dem Weg zur europäischen Einigung getan werden könnten. Vielmehr war man allenthalben bereit, umgehend erste Maßnahmen einzuleiten. Der Abgeordnete Seebohm brachte diese Bereitschaft zum raschen Handeln auf den Punkt. Er beschrieb die Haltung Deutschlands im Hinblick auf die Schaffung einer "europäischen Föderation" mit den Worten: "Das deutsche Volk ist bereit"833. Die Zentrumsabgeordnete Helene Wessei war mit Blick auf die Internationalisierung des Ruhrgebietes sogar gewillt. eine "Vorleistung" auf dem Weg nach Europa zu erbringen. Schließlich hätten "alle, die ( ... ) den europäischen Zusammenschluß ersehnen, das gemeinsame

830 Daß die europäische Staatengemeinschaft seit ihrer Gründung stetig gewachsen ist und in räumlicher Hinsicht heute in der Nord - Süd - Ausdehnung von Finnland bis nach Griechenland, in West - Ost - Richtung von Frankreich bis Österreich reicht, steht mithin nicht im Widerspruch zu den Vorstellungen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Auch ein weiteres Anwachsen im Osten, wo die Union demnächst bis hin zu den baltischen Staaten reichen könnte, hält sich durchaus noch im Rahmen dessen, was die Bonner Abgeordneten erwarteten. 831 Parlamentarischer Rat, Stenographiseher Bericht, 2. Plenarsitzung, S. 19. 832 Ebenda, 10. Plenarsitzung, S. 217. 833 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 382.

IV. Gründe ftir die Berücksichtigung der europäischen Idee

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Interesse ( ... ) die europäische Föderation so schnell wie möglich zustande zu bringen"834. Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch der Präsident des Parlamentarischen Rates. Im März 1949 sagte Konrad Adenauer, "die Vorbereitungen fiir eine europäische Föderation" gingen "im schnellsten Tempo voran". Deshalb rechnete er mit ihrer Verwirklichung bereits im Herbst desselben Jabres835 Die Bonner Ratsmitglieder gingen demnach davon aus, daß der Prozeß des Zusammenwachsens in Europa sehr bald beginnen würde. Man hoffte darauf, erste Integrationsmaßnahrnen umgehend in Angriff nehmen zu können 836 .

IV. Gründe für die Berücksichtigung der europäischen Idee durch den Parlamentarischen Rat Anknüpfend an dieses soeben nachgezeichnete Europabild der Väter und Mütter des Grundgesetzes stellt sich die Frage nach den Gründen fiir die Berücksichtigung der europäischen Idee durch den Parlamentarischen Rat. Insgesamt war eine Reihe verschiedener Faktoren fiir die Berücksichtigung der europäischen Idee im Grundgesetz verantwortlich. Diese Faktoren kamen sowohl von außen, als auch von innen. Teilweise sind sie im Rahmen der Arbeit bereits angesprochen worden837 . Als ein von außen kommender Grund fiir die Verankerung der Idee der europäischen Einigung im Grundgesetz sind die Vorstellungen der Besatzungsmächte zu nennen. Die Alliierten hatten bereits im Juni 1948 im Schlußkommunique der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz dargelegt, daß der künftige deutsche Staat zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht eng mit den anderen Staaten Westeuropas verbunden sein sollte838 . Ob die Londoner Erklärung als eine zwingende Vorgabe fiir die deutsche Seite verstanden oder

834 Ebenda, S. 383. 835 Adenauer in einem Zeitungsartikel in der WELT am 31. März 1949, zit. nach: Schwarz; Vom Reich zur Bundesrepublik, S. 446 f. 836 Die Hoffuungen der Ratsmitglieder sollten sich bereits im Mai 1950 erfilllen, als der französiche Außenminister Robert Schuman den Vorschlag unterbreitete eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu errichten, die er ausdrücklich als "erste Etappe der Europäischen Föderation" ansah, vgl.: Oppermann, Europarecht, S: 10. 837 Vgl. insoweit oben S. 30 ff. 838 Vgl.: Schlußkomrnunique der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz, Ir a), abgedruckt in: WernickelBooms, Der Parlamentarische Rat, Bd. I, Dok.Nr. I; S. 11.

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D. Zusanunenfassende Darstellung und Bewertung

den Deutschen hierdurch lediglich die Möglichkeit der Teilnahme an einer Gemeinschaft der europäischen Staaten in Aussicht gestellt werden sollte, kann an dieser Stelle offel) bleiben. Zmnindest den Rahmen, in den sie den neuen deutschen Staat eingebunden sehen wollten, hatten die Besatzungsmächte damit aber skizziert. Die Vorstellungen der Besatzungsmächte waren im Ergebnis deshalb wenigstens mitursächlich dafür, daß im Parlamentarischen Rat über eine Beteiligung Deutschlands am europäischen Integrationsprozeß beraten und letztlich auch positiv hierüber entschieden wurde. Sie sind mithin als einer von mehreren, für die Verankerung der europäischen Idee im Grundgesetz verantwortlichen, Faktoren anzusehen 839 . Die übrigen Faktoren lagen in Deutschland selbst. Hier wurde die Bereitschaft der Ratsmitglieder die europäische Integration in der neuen Verfassung zu berücksichtigen durch eine ganze Reihe von Ereignissen ausgelöst, die im wesentlichen bereits in der Vorgeschichte der Verfassungsarbeiten dargestellt wurden 84o . Ausgehend von der bereits im deutschen Widerstand geborenen Idee einer europäischen Föderation, die von den Parteien, den Kirchen und zahlreichen sonstigen Gruppierungen aufgegriffen und vor allem von den privaten Europa-Verbänden auch in den drei Westzonen verbreitet wurde, herrschte im Deutschland der Nachkriegsjahre eine allgemeine Europabegeisterung. Dieser Europabegeisterung konnten sich auch die Bonner Ratsmitglieder nicht entziehen. Für viele von ihnen, wie auch für weite Teile der Bevölkerung, war "Europa" die Zukunftshoffnung. Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg, als es erste Tendenzen zur europäischen Einigung gegeben hatte, war der Begriff "Europa" ein Zauberwort. Anders als in den zwanziger Jahren, als die Vereinigung Europas von weiten Teilen der deutschen Politik

839 Diese Aussage ist nicht gleichbedeutend mit der Feststellung, die Teilnahme an der europäischen Einigung sei der deutschen Seite von den Alliierten "befohlen" worden. Nur in einigen Einzelfragen, etwa im Hinblick auf die Stellung der Länder oder die Finanzzuständigkeiten, versuchten die Besatzungsmächte gezielt Einfluß auf den Parlamentarischen Rat zu nehmen. Vgl. etwa das Memorandum der Alliierten vom 2. März 1949, abgedruckt bei : Dennewitz, in: DolzerNoge1, Bonner Kommentar, Einleitung, S. 106 tT. In der Mehrzahl der Fälle, u.a. auch im Hinblick auf die Teilnahme an der europäischen Integration, war der Rat, sofern er den durch die Frankfurter Dokumente gezogenen grundsätzlichen Rahmen beachtete, frei in seinen Entscheidungen. Kröger, Einführung in die Verfassungsgeschichte, S. 21, spricht deshalb davon, daß das Grundgesetz ein genuin deutsches Werk sei. Wer dies bestreite, folge einer haltlosen Legende. 840 Vgl. insoweit oben, S. 37 ff.

N. Gründe für die Berücksichtigung der europäischen Idee

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nur aus revisionistischen Motiven heraus propagiert wurde841 , hatte sich aber in der Zeit nach 1945 in Deutschland die Einsicht herausgebildet, daß es künftig in Europa einer über die Grenzen der Nationalstaaten hinausreichenden Politik bedürfe. Man hatte erkannt, daß der in Weimar vertretene Ansatz, die europäische Einigung nur deshalb zu unterstützen, um auf diesem Weg möglichst schnell ein neues starkes Deutschland zu errichten, letztlich dem Nationalismus neuen Vorschub geleistet hatte. Deshalb war man sich einig, daß nun alle Anstrengungen unternommen werden müssten, um einen fundamentalen Wandel zu erreichen842 . Auf der Suche nach den Gründen fiir diesen tiefgreifenden Bewußtseinswandel und dem daraus resultierenden engagierten Eintreten der Mitglieder des Parlamentarischen Rates fiir den Gedanken der europäischen Idee stößt man auf unterschiedliche Motive. Für eine Reihe von Abgeordneten, allen voran fiir die europapolitischen Vordenker der großen Fraktionen, Konrad Adenauer und Carlo Schmid, aber auch fiir einen Mann wie Wilhelm Heile, bot sich durch die Festschreibung der Beteiligung Deutschlands an der Einigung der europäischen Staaten im Grundgesetz die Möglichkeit, ihrer lange und nachdrücklich geforderten "Vision" von Europa in verfassungsrechtlicher Hinsicht ein erstes, entscheidendes Stück näher zu kommen. Sowohl Adenauer843 und Schmid844 , als auch Heile, handelten dabei um der europäischen Sache selbst willen. Allen drei Politikern war es ein echtes und ernsthaftes Anliegen, den neuen deutschen Staat fest in einen europäischen Rahmen einzubinden. Sie machten sich fiir die Teilnahme Deutschlands an der europäischen Integration stark, weil sie schon weit vor den Grundgesetzberatungen in Bonn erkannt hatten, welche enormen Möglichkeiten sich durch die Einigung Europas fiir alle beteiligten Staaten boten. Ihr Engagement fiir die europäische Idee im Parlamentarischen Rat beruhte mithin auf einer echten "Europa-Überzeugung". Adenauer, Schmid, Heile und einige andere setzten sich fiir die Berücksichtigung der europäischen Integration im Grund-

841 Vgl. zu diesem europapolitischen Ansatz: Heß, Europagedanke und nationaler Revisionismus, S. 574 fT. 842 Krüger, Europabewußtsein, S. 47. 843 Von Adenauer selbst stammt in diesem Zusarrunenhang die Aussage, er habe "der Europapolitik seine ganze Kraft und seinen ganzen Einfluß" gewidmet. Vgl.: Adenauer, Erinnerungen, S. 211. 844 Schmid hatte bereits Ende 1947 gefordert, die Beiträge zur Neuorganisation Europas müßten aus freier Erkenntnis der Notwendigkeiten und aus freiem Entschlusse geleistet werden. Vg1.: Schmid, Das deutsch-französische Verhältnis und der Dritte Partner, S. 804.

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D. Zusammenfassende Darstellung und Bewertung

gesetz ein, weil sie nachhaltig von den Vorteilen einer europäischen Staatengemeinschaft überzeugt waren. Die Motive der Mehrzahl der Ratsmitglieder waren, bei nur oberflächlicher Betrachtung, ähnlicher Natur. Auch diese waren vom Gedanken einer europäischen Staatenföderation nachhaltig überzeugt. Jedoch resultierte ihre Europabegeisterung nicht, wie etwa bei Adenauer und Schmid, primär aus der Überzeugung, daß eine europäische Vereinigung und die daraus entstehenden Möglichkeiten die politisch sinnvollste Lösung für Deutschland wäre. Sie kam vielmehr nicht zuletzt von der "Epidemie des Mitrnachens"845. Wie viele andere Deutsche, so hatten auch die Mitglieder des Parlamentarischen Rates erkannt, daß Deutschland allein auf längere Sicht im internationalen Konzert bei weitem nicht seinen früheren Stellenwert würde zurückerlangen können. Durch die Beteiligung an der europäischen Integration hofften sie eine neue staatliche Zukunft, als Ersatz für den diskreditierten Nationalismus, zu erhalten846 . Die Akzeptanz der europäischen Idee fiel ihnen dabei umso leichter, je deutlicher sie erkannten, daß sich ihnen auf diesem Wege am ehesten die Chance eines baldigen Wiederaufstieges eröffnen würde847 . In einem aus dem Februar 1949 stammenden Zeitungsartikel 848 , wird deshalb sehr zutreffend von einer "Flucht nach Europa" gesprochen. Die Vereinigung Europas bedeutete also für viele seiner Anhänger in Deutschland primär die Flucht aus der Niederlage849 . Dabei herrschte vielfach die Meinung vor, man bräuchte sich nur "Europa" anschließen, dann würde es sowohl wirtschaftlich, als auch

845 Dieser Begriff entstammt einem in der Zeitschrift ,,Die Gegenwart" am 15. Februar 1949 unter dem Titel ,,Flucht nach Europa" erschienenen, nur mit dem Namenskürzel ,,M.F." gezeichneten, Artikel, zit. nach: Comides, Flucht nach Europa ?, S. 2091.

846 In der Einstellung der europäischen Einigung gegenüber war in Deutschland in den Jahren seit Kriegsende ein echter Sinneswandel eingetreten. Während noch Ende 1945/Anfang 1946 in einer von der amerikanischen Militärregierung in Deutschland in Auftrag gegebenen Feldstudie nur sehr geringes Interesse an einer Einigung Europas bestand - von 151 Befragten zeigte nur eine Person Interesse daran - sprachen sich bei einer Meinungsumfrage des Bielefelder EMNID-Instituts im Frühsommer 1949 bereits 35,9 % der Befragten fil.r die gleichberechtigte Mitgliedschaft Deutschlands in einer europäischen Vereinigung aus. VgJ.: Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa, S. 60 ff. 847 Krüger, Europabewußtsein, S. 47. 848 Aa.O., vgJ. Fn.845. ,,Europa" wird dort für die Deutschen gleichsam als "ein Passierschein aus dem deutschen Ghetto" dargestellt. 849 Älmlich auch: Oppermann, Europäische Integration und das deutsche Grundgesetz, S. 86 f.

IV. Gründe für die Berücksichtigung der europäischen Idee

203

politisch schnell aufwärts gehen. Ob deshalb die europäische Idee als solche bei all denjenigen, die mit Begeisterung von "Europa" sprachen, tatsächlich den großen Stellenwert hatte, den man hiernach annehmen möchte, darf an dieser Stelle bezweifelt werden. Alles in allem spricht viel dafiir, daß die Mehrzahl der Ratsmitglieder der Berucksichtigung der europäischen Einigung in der neuen Verfassung nicht deshalb zustimmte, weil sie bereits vollständig von deren politischer Notwendigkeit überzeugt gewesen wäre, sondern weil sie sich durch "Europa" am ehesten eine schnelle Gesundung ihrer am Boden liegenden Heimat erhoffte. Diese Gesundung, und das war der eigentliche Fortschritt, konnten sie sich aber, im Unterschied zu der vom Revisionismus geprägten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, durchaus auch im überstaatlichen Rahmen vorstellen. Im Ergebnis hatten also sowohl die Besatzungsmächte, als auch die Deutschen selbst Anteil daran, daß die Idee der europäischen Einigung tatsächlich ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Ob dabei die Vorstellungen der Alliierten oder aber das Engagement und die Zukunftshoffnungen der deutschen Seite letztlich den Ausschlag gaben, läßt sich aus heutiger Sicht nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegen. Trotz der in Deutschland vorhandenen, starken proeuropäischen Bestrebungen von einer genuin deutschen Entscheidung für die Teilnahme am Prozeß der europäischen Einigung zu sprechen, erscheint aufgrund der in den Jahren 1948/49 gegebenen weltpolitischen Kräfteverteilung nicht ganz realistisch. Andererseits spricht das große Engagement der maßgeblichen Kräfte in Deutschland für die Beteiligung an der europäischen Integration gegen die Annahme, daß die Entscheidung der deutschen Seite sich künftig am Aufbau eines europäischen Hauses beteiligen zu wollen, allein aufgrund einer Vorgabe der Alliierten erfolgte. Alles in allem wird man deshalb wohl sagen können, daß letztlich ein Miteinander beider Faktoren für die Verankerung der europäischen Idee im Grundgesetz verantwortlich war.

E. Fazit Mit der vorliegenden Arbeit über "Die europäische Idee im Parlamentarischen Rat" wurde der Versuch unternommen, die europapolitischen Vorstellungen der Mütter und Väter des Grundgesetzes anband der Sitzungsprotokolle des Plenums und der verschiedenen Ausschüsse des Rates unter Einschluß der bereits im Vorfeld der Bonner Verfassungsarbeiten liegenden Entwicklung möglichst genau nachzuvollziehen. Im Kern hat die dabei vorgenommene Untersuchung gezeigt, daß die große Mehrzahl der Abgeordneten der Bonner Verfassungsversammlung in ihrer Grundhaltung sehr europafreundlich eingestellt war. Deshalb sprachen sich die Ratsmitglieder mit überwältigender Mehrheit fiir eine Beteiligung Deutschlands am europäischen Integrationsprozeß aus, obwohl fiir sie das Ausmaß der angestrebten Europäischen Union allenfalls in Teilen absehbar war. Dabei ging es ihnen gerade nicht darum bereits zum damaligen Zeitpunkt bis ins letzte ausgefeilte Detailregelungen zu schaffen, welche auch noch Jahrzehnte später auftretende Einzelfragen der europäischen Einigung würden bewältigen können, sondern vielmehr darum, den neuen deutschen Staat in verfassungsrechtlicher Hinsicht mit dem fiir die Teilnahme am Europäischen Integrationsprozeß erforderlichen Instrumentarium auszustatten. Im Endeffekt konnte und wollte der Parlamentarische Rat keine detaillierte Vorgabe fiir die europäische Einigung machen. Den Abgeordneten war die grundsätzliche Offenheit des Grundgesetzes fiir die europäische Integration wichtig. Ihr Hauptanliegen war es, dem neuen deutschen Staat die Möglichkeit zu geben, sich am Zusammenwachsen Europas beteiligen zu können. Wie diese Beteiligung letztlich aussehen sollte, wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates bewußt nicht vorschreiben. Sie beließen es dabei, lediglich einige denkbare Bereiche anzusprechen, in denen nationale Kompetenzen an zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden könnten. Letztlich ging es den Ratsmitgliedern darum, der künftigen Bundesregierung im Hinblick auf die später erforderlichen konkreten Integrationsmaßnahmen möglichst umfassende Freiheiten zu geben. Ausgehend von diesem sehr integrationsfreundlichen Europaverständnis der Bonner Abgeordneten kann deshalb abschließend festgehalten werden, daß die Entwicklung, die die europäische Vereinigung im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte genommen hat, in einem grundsätzlichen Sinne bis zum heutigen

E. Fazit

205

Tag im Rahmen der Vorstellungen der Väter und Mütter des Grundgesetzes liegt. Dies sollte beachtet werden, wenn das Europaverständnis des Parlamentarischen Rates künftig in der juristischen Praxis, sei es im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, bei der Juristenausbildung oder an anderer Stelle, angefiihrt wird.

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Personen- und Sachregister Adenauer, Konrad 17, 52, 81, 83, 87, 96,97, 102 tT, 116. 118, 175 f, 181, 183,187,196,199,201 ÄI testenrat 97 f Allgemeiner Redaktionsausschuß 98, 100,142,143,153 tT, 169 f, 177 Altmaier, Peter 63 Arnold, Karl 87, 168 Ausschuß fllr das Besatzungsstatut 100, 174 tT Bauer, Hansheinz 28 Bergsträsser, Ludwig 115, 131, 151 Bernhard, Henry 57 Besatzungsmächte 17, 30, 61, 63, 170, 199 Besatzungsstatut 45, 170, 173, 176, 181,184 Beyerle, Josef 68, 70 Biooenmarkt 19 Böckler, Hans 79 Braun, Otto 41 Brentano, Heinrich von 49 f, 95. 98, 183 Brill, Hermann 74 Brockmann, Johannes 57, 126 BTÜsseler Pakt 89, 181 Bundesverfassungsgericht 20, 22 f Christlich Demokratische Unionl Christlich Soziale Union 49 tT, 76, 96,174 Churchill, Winston 27, 31, 82, 104 Clay, Lucius D. 36, 175 Coudenhove-Kalergi, Richard 86, 110, 115 Deutsches BUro fur Friedensfragen 42, 73 tT, 96, 129 Deutsche Partei 58 f. 76, 107 tT, 135

Dehler, Thomas 98, 183 f Dirks, Walter 77, 85 Eberhard, Fritz 42, 74, 96, 128 tT, 139, 146,155,193 Ehard, Hans 61, 64 Ellwanger Kreis 50 f, 53, 95, 101, 116, 120 Eschenburg, Theodor 74 Europarat27,31,91,182 Europäische Föderalisten, Union der 61,85 tT, 87, 89, 114, 120 Europäische Parlamentarische Union 87, 105 Europäische Union 19,20 Frankfurter Dokumente 17, 36 f. 45, 61,64 Frankfurter Hefte 77 Freie Demokratische Partei 55 tT, 96, 107, 110 Fünferausschuß 98 f, 99,170.171,177 Gerstenmaier, Eugen 40 Geschäftsordnungsausschuß 97 Glum, Friedrich 74 Gögler, Hermann 51 Goerde1er, Carl40 Grundsatzausschuß 98, 127 tT, 135 tT, 144, 150 tT, 169 f Haager Europakongreß 78, 87 f, 105, 165 Hauptausschuß 97, 98, 111, 117, 143 f. 152,155 tT, 171 f, 177 Heile, Wilhelm 58 f, 95, 107 tT, 136 tT, 182,185 f, 195,201 Hellwege, Heinrich 58, 98 Hermes, Wilhelm 57

218

Personen- und Sachregister

Herrenchiemsee -Verfassungsentwurf von 127, 129, 132 -Verfassungskonvent von 45, 64, 65 ff, 96, 101, 144 Heuss, Theodor 96, 97, 107, 109 ff, 123,131,137,141,151,181,192 Hilpert, Werner 51 Hoegner, Wilhelrn 40, 73 Hull, CordeIl 31 Hundhammer, Alois 50 International Power Agency 132, 193 Internationale Flugverkehrs-Organisation 133, 193 Interparlamentarische Union 108, 139 f Juristenausbildung 24 Kaiser, Jakob 42, 86, 185 Katz, Rudolf 145 Koenig, Pierre 36 Kogon, Eugen 77, 85 Konferenz von Hertenstein 84 Konferenz von Teheran 32 Kommunistische Partei Deutschlands 60 f, 153, 175, 188 Kordt, Theodor 68 Kroll, Gerhard 138 Küster, Otto 74 Leber, Julius 40 Lehr, Robert 50, 53, 95, 180 Lernrner, Ernst 85 Löbe,Paw85,95, 115, 185 Londoner Sechs-Mächte-Konferenz 34 f,78, 199 Maastricht-Vertrag 20, 21 Maastricht-Entscheidung 20 Maier, Reinhold 61 Mangoldt, Herrnann von 127, 132, 136ff, 139, 140, 151, 171, 193 Marshall-Plan 33 f, 79, 85 Menzel, Walter 44 f, 47,96, 115, 121, 148, 180 f Möller, Franz 25 Moltke, Helrnuth James von 40

Nadig, Friedericke 140, 149 Naumann, Friedrich 107, 109 Niemöller, Martin 76, 85 Niederwald-Konferenz 64 Noack, Ulrich 85 Nouvelles Equipes Internationales 105 Organisation ftir wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa 27, 35, 90 Paneuropa-Union 115 Papst Pius XII 78 Paul, Hugo 126, 147 Pfeiffer, Anton 51, 67, 95, 96, 116, 127 Philip, Andre 165 Plenum 29, 70, 99, 100, 117 ff, 134, 178, 179 ff Politische Union 19 Reimann, Max 42, 181 Renner, Heinz 146, 149, 157, 167, 174, 197 Reparationsverpflichtungen 160 Reuter, Ernst 85, 115 Richter, Werner 85 Ritterstwz-Konferenz 63 Robertson, Brian Hubert 36 Röpke, Wilhelrn 83 Roosevelt, Franklin Delano 31, 32 Schäfer, Hermann 97, 162 ff, 195 Schenk, Ernst von 114 Schlange-Schöningen, Hans 83 Schmid, Carlo 46 ff,68, 81,85,88,96, 97,98, 111 ff, 118 ff, 127, 131 ff, 135,141,144 ff, 157ff, 174, 179 ff, 184,191, 193, 195,201 Schneider, Hans-Peter 28 Schönfeld, Hans 38 Schönfelder, Adolf 97, 118 Schnoor, Herbert 26 Schröder, Louise 64 Schumacher, Kurt 44,46, 83 Schuman, Robert 164 Schwalber, Josef 122 Seebohm, Hans-Christian 87, 123 ff, 135, 136, 144, 146, 155, 163 ff, 181ff, 192, 195, 196, 198

Personen- und Sachregister Seibold, Kaspar 28 Siebenerausschuß 99, 100, 171, 173, 177 Soell, Hartmut 26 Sozialdemokratische Partei Deutschlands 44 ff, 95, 134, 159 Spiecker; Carl 58 StaIin, Josef32, 85 SteItzer, Theodor 40 Stock, Christian 61 Strauß, Walter 159 ff, 174 Stresemann, Gustav 57 SüsterhelUl, Adolf 67, 72, 88, 95, 120, 191,195 Suhr, Otto 65 Truman, Harry Spencer 33 Vereinte Nationen 31, 69, 140, 193 Verfassungskommission 24 ff

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Völkerrecht 148 Wartenburg, Peter Yorck von 40 Weber, Alfred 85 Weber, Helene 95,132, 183 Wessei, Helene 166 ff, 181, 185, 198 Wirmer, Ernst 42 Wirth, Josef41 Wirtschafts- und Währungsunion 54 Wunderlich, Hans 137 Zentrumspartei, Deutsche 58 f, 76 Zinn, August 98,128,175 Zollunion, europäische 108 Zone - amerikanische 73 - britische 43,58, 73, 95, 101, 174 - so\\jetische 59 Zonenberrat43, 58, 95, 101, 115 Züricher Rede 82, 104