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German Pages 158 Year 2009
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Theodor Heuss – Vater der Verfassung Zwei Reden im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz 1948/49
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Theodor Heuss Vater der Verfassung Zwei Reden im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz 1948/49
Mit einem Essay von Jutta Limbach
Herausgegeben und bearbeitet von Ernst Wolfgang Becker im Auftrag der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus
K · G · Saur München
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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlag: Foto: Theodor Heuss vor dem Parlamentarischen Rat, vermutlich vor dem Hauptausschuss, 7. 12. 1948; Erna Wagner-Hehmke/Hehmke-Winterer, Düsseldorf; Haus der Geschichte, Bonn, Sammlungen U Gedruckt auf säurefreiem Papier © 2009 by K. G. Saur Verlag, München Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG Alle Rechte vorbehalten Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Satz: Dr. Rainer Ostermann, München Druck & Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Printed in Germany ISBN 978-3-598-11791-6
Inhalt Ernst Wolfgang Becker Der Bürger als Verfassungsvater Zwei Reden von Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz . . . . . . . . . .
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Theodor Heuss Zwei Reden im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz Dritte Sitzung des Plenums, 9. September 1948 . . . . . . . . Zehnte Sitzung des Plenums, 8. Mai 1949. . . . . . . . . . . . .
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Jutta Limbach 60 Jahre Grundgesetz Theodor Heuss und der Parlamentarische Rat . . . . . . . . . .
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Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang Theodor Heuss Stationen seines Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ernst Wolfgang Becker Der Bürger als Verfassungsvater Zwei Reden von Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz
Im Januar 1949 fuhr der Soziologe und Publizist Dolf Sternberger schweres Geschütz gegen die Arbeit des Parlamentarischen Rates auf. Vor die Alternative „Demokratie der Furcht oder Demokratie der Courage“ gestellt, attestierte er in einem Artikel in seiner Zeitschrift „Die Wandlung“ den Schöpfern des Grundgesetzes eine Scheu vor klaren und wechselnden Regierungsmehrheiten.1 Ausdruck einer solchen „Demokratie der Furcht“ sei das Verhältniswahlrecht, auf das sich der Parlamentarische Rat anstelle eines Mehrheitswahlrechts zu einigen drohe. Personifiziert findet Sternberger diese Furcht in den „gemütlich lässigen Plaudereien des württembergischen Abgeordneten Dr. Theodor Heuss“, wie sie sich in einem Leitartikel von Heuss in der „Rhein-Neckar-Zeitung“ wiederfinden.2 Mit ätzender Polemik nimmt Sternberger zunächst die sprachlichen Eigentümlichkeiten des Autors und die vermeintlich fehlende Legitimität der Verfassungsversammlung durch das Volk aufs Korn; doch im Kern zielt seine Kritik auf die Forderung von Heuss nach einem möglichst breiten Konsens in der Verfassungsfrage. Diese Furcht vor der machtpolitischen Konfrontation einer Mehrheit mit einer Minderheit sei der „Leim für die nationale Einheit“, stellt Sternberger fest, und er fährt fort: „Die Ausrede der nationalen Einheit muß herhalten, weil gesunde Mehrheiten nicht zu schaffen sind. Weil alle zugleich regieren wollen. Weil man die innere Opposition fürchtet. Weil man das Volk leutselig verachtet. Die illegitime
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Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater Demokratie sucht den äußeren Feind und seine ‚machtpolitische Phantasie‘, um ihre tote Verfassung durch neue Furcht zu galvanisieren.“3
Diese persönlichen Angriffe veranlassten Heuss, sich direkt an Sternberger zu wenden. In einem Brief forderte er den Abdruck einer Gegendarstellung in der „Wandlung“, denn es habe Sternberger „offenbar Spaß gemacht, mich zu verhöhnen, wodurch die Sachproblematik etwas verstellt wurde. Ihre Tonlage mußte auf meine Antwort abfärben. […] Was Sie – jetzt – von meiner literarischen Fähigkeit halten, ist mir vollkommen wurscht. Aber es sind einige Sätze in Ihrem Artikel, die an die menschliche Ehre gehen. Und da reagiere ich sauer.“4
Sternberger räumte in seinem Blatt Heuss tatsächlich die Möglichkeit zu einer Erwiderung ein, die dann im März erschien.5 Heuss wendet sich darin ironisch gegen die stilistischen Belehrungen des „Sprachmeisters“ aus Heidelberg. Er verteidigt die Art der indirekten Wahl des Parlamentarischen Rates durch die Landtage, denn eine Volkswahl hätte die Menschen in Stadt und Land angesichts der Sorgen über die Währungsreform und Ernteeinbringung sachlich überfordert. Dies könnten nur „couragierte Formalsoziologen“ übersehen, die ihre Weisheiten allein aus Büchern beziehen. Vor allem bekräftigt Heuss seine Einschätzung, dass das Verfassungswerk einer breiten Anerkennung bedürfe und dass Demokratie jenseits des destruktiven Freund-Feind-Verhältnisses die „hohe Schule des Kompromisses“ pflegen müsse. Erst auf dieser Grundlage könne der Rahmen für den „legitimen Machtkampf der Parteien“ geschaffen werden. Besonders getroffen fühlt sich Heuss von dem Vorwurf Sternbergers, das Volk „leutselig“ zu verachten, und er warnt vor diesem politisierenden Typus eines „Praeceptor Germaniae“, „der, so will es uns scheinen, der Demokratie verderblich ist.“ Und er schließt seinen Artikel mit einer nüchternen Beschreibung der Wirkungsmöglichkeiten des aktiven Politikers: 8
Der Bürger als Verfassungsvater „Die Leute, die, wo immer man sie finde, sich hier oder dort wieder dem Parteiengetriebe zur Verfügung gestellt haben, sind ganz gewiß keine Halbgötter, die nach Verehrung hungern; sie schlagen sich schlecht und recht mit ihren Aufgaben herum und sind froh, wenn sie halbwegs ordentlich mit ihnen fertig werden. Sie sind auch keine Meistersinger, die eh und je die Tabulatur beherrschen oder gar bereichern. Aber der Beckmesser wird ihren Mühen nicht die Maßstäbe geben.“
Von dieser scharfen Entgegnung herausgefordert, hielt Sternberger in einer nachfolgenden Replik an seinen Vorwürfen gegen Heuss fest.6 Und Heuss selber ließ es sich in seiner Abschlussrede vor dem Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949 nicht nehmen, auf diesen Konflikt zurückzukommen, als er die ausgleichende Rolle der FDP bei den Verfassungsberatungen würdigte und gegen Kritik in Schutz nahm: „Die formalistischen, die Literaten-Demokraten wissen und werden beweisen, daß wir hier wesentlich Dummheiten gemacht haben. Sie belehren uns, daß eine Entscheidung der Demokratie in ihrer Natur auf Mehrheit und Minderheit, also auf Sieg und Niederlage abgestellt ist. Es darf hier in diesem Hause keiner besiegt worden sein.“7
Die beiden Streithähne blieben unversöhnlich. Dies verwundert nicht, denn hinter der Kontroverse stand ein gegensätzliches Politikbzw. Demokratieverständnis, das unterschiedliche Folgerungen aus dem Scheitern der Weimarer Republik zog. Auf der einen Seite der streitbare Intellektuelle Dolf Sternberger, der es als Publizist nach 1945 als seine Aufgabe ansah, eine pluralistische Demokratie einzufordern, um die in einem offenem Prozess permanent gerungen wird und die vom politischen und gesellschaftlichen Konflikt, von einer starken Regierung und selbstbewussten Opposition sowie von wechselnden Mehrheiten lebt. Das sich abzeichnende Grundgesetz war ihm, der nicht in der politischen Verantwortung stand, hingegen ein Dokument der Furcht 9
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater „vor den Feinden der Demokratie, vor dem Wechsel der Verantwortung, vor der Mehrheitsentscheidung, vor dem Risiko des offenen Marktes, vor der Opposition, vor der Legitimität schlechthin – der Furcht und ihrem System von Sicherungen steht die Courage gegenüber. In der Sprache der Verfassungen heißt sie: Freiheit.“8
Dies war die Losung, die Sternberger aus dem Untergang der Weimarer Republik zog. Auf der anderen Seite Theodor Heuss, der ebenfalls schon seit 1905 äußerst rege als Publizist, Journalist und Redakteur bei verschiedenen Blättern tätig war,9 jedoch keine politische Verantwortung durch Ämter und Mandate scheute und sich den Mühen des politischen Alltagsgeschäftes in Partei und Parlamenten unterzog. So ging er auch schon mit den ihm eigentlich nahestehenden großen demokratischen Zeitungen in der Weimarer Republik ins Gericht, wenn diese wohlfeile Kritik an seiner Partei, der Deutschen Demokratischen Partei, übten, ohne die Entscheidungszwänge im politischen Tagesgeschäft zu berücksichtigten. Sie argumentierten „moralisch, wie es zum Stil der deutschen Zeitungen gehört“, und würden vergessen, dass die breite Bevölkerung „die ausgezeichneten Leitartikel der Frankfurter Zeitung“ nicht lese.10 Die praxisferne Kritik der Gralshüter der Demokratie habe sich anheischig gemacht, „je und je festzustellen, wer noch ein guter Demokrat ist und was eigentlich Demokratie bedeutet. Es kann nicht ausbleiben, daß hier im Ganzen ein rationalistischer Formalismus das gewachsene Gefühl niederdrückt.“11 Für Heuss war es der Rigorismus dieser Intellektuellen und der Mangel an Fairness in der politischen Auseinandersetzung, die den demokratischen Politikern des nötigen Rückhalts für ihre politische Arbeit beraubt und unter anderem zur Destabilisierung der Weimarer Republik beigetragen hatten. 10
Auf dem Weg nach Bonn
Diese Befürchtungen erhärteten sich für Heuss nach der nationalsozialistischen Diktatur und dem Zweiten Weltkrieg, als Publizisten wie Sternberger die Legitimität der oktroyierten, noch ungefestigten Demokratie und der verfassunggebenden Versammlung in Bonn samt ihrer Protagonisten in Zweifel zogen. Sie propagierten den politischen Kampf in ungeschützter Arena ohne jeden Kompromiss, weil sich nur darin freiheitliche Demokratie offenbare. Vor allem in diesem theoriegeleiteten Absolutheitsanspruch sah Heuss seine Aufgabe im Parlamentarischen Rat gefährdet, angesichts wachsender, unlösbar scheinender Konflikte zwischen den Fraktionen ein Verfassungswerk einvernehmlich zu verabschieden, um damit ein Signal für die Erziehung der Deutschen zur Demokratie zu geben. Von dieser schwierigen Aufgabe handeln die beiden hier abgedruckten Reden von Theodor Heuss vor dem Parlamentarischen Rat.
Auf dem Weg nach Bonn Theodor Heuss (1884–1963) hatte zwar kein juristisches Studium absolviert, aber Verfassungsfragen waren ihm durchaus wohlvertraut.12 1884 im württembergischen Brackenheim geboren und in Heilbronn aufgewachsen, studierte er an der Universität München Nationalökonomie und wurde 1905 promoviert. Im selben Jahr begann er seine journalistische Laufbahn bei der von seinem politischen Mentor Friedrich Naumann herausgegebenen Zeitschrift „Die Hilfe“ in Berlin. Als Chefredakteur der Heilbronner „NeckarZeitung“ standen seit 1912 Verfassungsprobleme immer wieder im Mittelpunkt seines publizistischen Schaffens. Vor allem als er den Sturz der Monarchie im Herbst 1918 in Berlin hautnah miterlebte und die Verfassung der neuen Republik auf der Agenda stand, verfolgte er aufmerksam die Verhandlungen der Verfassung11
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gebenden Nationalversammlung in Weimar, der er – zu seinem großen Bedauern – nicht selber angehörte. Auch in den folgenden Jahren begleitete er die Weimarer Republik als Publizist, Politiker und Abgeordneter und beschäftigte sich in Artikeln, Schriften und Reden intensiv mit den verfassungsrechtlichen Problemen der jungen Demokratie.13 In der Deutschen Hochschule für Politik bot er regelmäßig Veranstaltungen auch zu verfassungsrechtlichen und -geschichtlichen Themen an. Nach 1933 politisch ins Abseits gestellt, überstand er die Zeit des Nationalsozialismus als Journalist, der sich freilich zunehmend unpolitischen und unverdächtigen Themen zuwenden musste, und als Biograph bedeutender Persönlichkeiten, anhand derer er die unterschiedlichen Facetten bürgerlicher Existenz beleuchtete.14 1945 fand er schnell wieder den Weg in die Öffentlichkeit, als die amerikanischen Besatzungsbehörden ihm die Mitherausgeberschaft der Heidelberger „Rhein-Neckar-Zeitung“ sowie das Amt des württembergischen „Kultministers“ antrugen, das er bis Ende 1946 bekleidete. Als mittlerweile ausgewiesener Kenner der deutschen Verfassungsgeschichte lag es nahe, dass er 1946 Mitglied der Verfassungsausschüsse der Vorläufigen Volksvertretung und der Verfassunggebenden Landesversammlung von Württemberg-Baden war. In der Landesversammlung hielt er zu Beginn der Beratungen eine Grundsatzrede, in der er aus der Betrachtung der Geschichte und der gegenwärtigen Situation heraus Stellung zu den Aufgaben einer künftigen demokratischen Verfassung nahm.15 Viele der hier vorgebrachten Argumente und Formulierungen finden sich zwei Jahre später auch in seiner Eröffnungsrede vor dem Parlamentarischen Rat wieder. Konkret wurde Heuss 1946 vor allem, wenn es um ein Thema ging, das ihn als „Kultminister“ besonders betraf und das ihm immer besonders am Herzen lag: das Verhältnis von 12
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Staat, Kirche und Schule.16 So setzte er die Festschreibung der christlichen Gemeinschaftsschule in der Landesverfassung durch – ein Anliegen, für das er auch im Parlamentarischen Rat vehement eintreten sollte. Darüber hinaus konnte er wegen seiner ministeriellen Verpflichtungen nur an wenigen Sitzungen teilnehmen und letztlich nur geringen Einfluss ausüben. Doch schon aus dieser frühen Verfassungsarbeit wird der grundsätzliche Umgang von Theodor Heuss mit staatsrechtlichen Fragen deutlich. Das Aushandeln einer Verfassung war für ihn zunächst einmal ein Gespräch mit vergangenen Erfahrungen und mit gegenwärtigen Problemen. In der unsicheren Nachkriegszeit einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten war seine Sache nicht,17 sondern die Vermittlung von Orientierungswissen. Heuss verlor sich dabei weniger in juristischen Details, sondern behielt immer das Ganze der Verfassung, ihre historische Verankerung und ihre Bedeutung für das Staats- und Gemeinwesen im Blick. Bei wichtigen Einzelfragen legte er aber durchaus Wert auf anschauliche und präzise Formulierungen. Vor dem Zusammentritt des Parlamentarischen Rates stand für Theodor Heuss die Verfassungsarbeit noch nicht im Vordergrund. Neben seiner umfangreichen journalistischen und schriftstellerischen Tätigkeit agierte er als Minister und dann vor allem als liberaler Parteipolitiker mitten im politischen Alltagsgeschäft.18 Seit Januar 1946 im Vorstand der württembergischen Demokratischen Volkspartei (DVP), wurde er im September zum Vorsitzenden der liberalen Parteien in der US-Zone gewählt. Im November errang er für die DVP ein Mandat im Landtag von Württemberg-Baden. Ein halbes Jahr später übernahm er als Vertreter der westlichen Zonen gemeinsam mit Wilhelm Külz, dem Repräsentanten der Ostzone, den Vorsitz der Demokratischen Partei Deutschlands 13
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
(DPD), ein Dachverband der liberalen Parteien in der amerikanischen, britischen und sowjetischen Zone.19 Aufgrund fundamentaler Differenzen in der Deutschlandpolitik blieb die Idee einer gesamtdeutschen liberalen Partei jedoch illusionär. Im Dezember 1947 vollzog Heuss den Bruch mit Külz, als sich die ostzonalen Vertreter der DPD der Volkskongressbewegung der SED angeschlossen hatten. Im Januar 1948 zerbrach dann die DPD faktisch. Der nun angestrebte Zusammenschluss der liberalen Landesverbände aus den Westzonen vollzog sich wegen interner Spannungen zwischen einem nationalliberalen und linksliberal-bürgerlichen Flügel erst ein knappes Jahr später.20 Am 12. Dezember 1948 wählten die Delegierten auf dem Gründungsparteitag der FDP Theodor Heuss zum Vorsitzenden; die Konflikte zwischen den Flügeln schwelten freilich weiter. Zu diesem Zeitpunkt war Heuss bereits Abgeordneter des Parlamentarischen Rates in Bonn. Seine Verfassungsarbeit war also rückgebunden an das politische Tagesgeschäft, das er als Parteipolitiker, Landtagsabgeordneter und Publizist betrieb. Heuss reiste zudem seit Herbst 1945 durch alle Besatzungszonen und hielt zu unterschiedlichen Anlässen Hunderte von Reden zu historischen, politischen und kulturellen Themen. Seine Arbeit am Grundgesetz entbehrte also nicht des Bezugs zu den Sorgen und Nöten, welche die breite Bevölkerung nach Kriegsende bewegten. So konnte er nicht ganz zu unrecht Sternberger vorwerfen, dieser argumentiere weltfremd. Die Initiative für eine Verfassung ging freilich nicht von den Deutschen, sondern von den drei West-Alliierten aus, als der sich abzeichnende Kalte Krieg keine Einigung mehr mit der sowjetischen Führung erwarten ließ. Am 1. Juli 1948 überreichten die drei west14
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lichen Militärgouverneure in Frankfurt am Main den Ministerpräsidenten der Länder ihrer Zonen drei Dokumente. In diesen sogenannten Frankfurter Dokumenten wurden die Länderchefs unter anderem dazu aufgefordert, eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, um sich eine freiheitliche und demokratische Verfassung föderalen Typs mit dem langfristigen Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands zu geben.21 Heuss selber hatte sich mittlerweile zu der Einsicht durchgerungen, dass zunächst die deutsche Spaltung zu akzeptieren und eine Verfassung für das westliche Deutschland zu erarbeiten sei, die dann aber für die östliche Zone beispielhaft sein könne.22 Somit begrüßte er in einem Rundschreiben an seine Parteifreunde vom 20. Juni 1948 den alliierten Vorstoß,23 der sich schon vor der Übergabe der Frankfurter Dokumente abzuzeichnen begann. Doch nicht alle liberalen Landesverbände sahen dies so und blieben skeptisch gegenüber einer Politik, die den Vollzug der Teilung mit Hilfe einer Verfassung in deutsche Hände legte.24 Und auch in Einzelfragen der künftigen Verfassung zeichnete sich schon jetzt Dissens innerhalb der Liberalen ab, welcher dann die Arbeit der FDP im Parlamentarischen Rat beeinflussen sollte. Trotz einiger Vorbehalte gegenüber den Frankfurter Dokumenten mussten die Ministerpräsidenten in Verhandlungen mit den Alliierten schließlich deren Vorgaben weitgehend akzeptieren.25 Daraufhin erarbeitete der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948 einen Verfassungsentwurf als Grundlage für die Beratungen im Parlamentarischen Rat.26 Am 1. September 1948 versammelten sich schließlich die von den einzelnen Landtagen gewählten 65 ordentlichen Abgeordneten zur Eröffnungsfeier im zoologischen Museum Alexander König und zur konstituierenden Sitzung in der Pädagogischen Akademie in Bonn. Der Weg zu einer westdeutschen Verfassung war frei. 15
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
Unter den Abgeordneten befand sich auch der württembergbadische Vertreter Theodor Heuss. Doch eine Mitarbeit am Verfassungswerk hatte zunächst gar nicht in seiner Lebensplanung gestanden, scheute er doch wegen des schlechten Gesundheitszustandes seiner Frau Elly Heuss-Knapp die häufige Abwesenheit von Stuttgart. Außerdem wollte er einem jüngeren Parteifreund den Vortritt lassen. Dem Drängen des württemberg-badischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier gab er aber schließlich nach und ließ sich in den Parlamentarischen Rat wählen.27 Sein Sachverstand als Verfassungsexperte war auch unter den Juristen gefragt. Heuss, der sich selber in seiner Abschlussrede eine „irenische Natur“ attestierte,28 sah als Vorsitzender der fünfköpfigen FDPFraktion seine grundsätzliche Aufgabe darin, aktiv eine vermittelnde Rolle zwischen den beiden großen Lagern um SPD und CDU/CSU einzunehmen. So sollte die Verfassung auf eine breite Grundlage gestellt und ihr Akzeptanz verschafft werden: „Wir bilden das berühmte Zünglein an der Waage u. wollen dafür sorgen, daß die Dinge nicht in die Gegensatzrankünen geraten“, so in einem Brief an seinen Sohn kurz nach Zusammentritt des Parlamentarischen Rates.29 Ein wenig derber formulierte er es im Januar 1949 gegenüber Ernst Jäckh: „Die Position meiner Gruppe in Bonn ist nicht schlecht, da wir zwischen CDU und SPD, die gleichstark sind, als Waagscheißer fungieren.“30 In der Tat sollten Heuss und seine Fraktionskollegen in den kommenden Monaten immer wieder in Schlüsselpositionen geraten, in denen es ihnen gelang, Gegensätze zu überbrücken und dabei auch eigene Vorstellungen durchzusetzen. Heuss vertrat seine Fraktion im Ausschuss für Grundsatzfragen, der sich vor allem mit der Präambel und den Grundrechten befasste – 16
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dies waren ohnehin Themen, die seiner grundsätzlichen Art, verfassungsrechtliche Fragen zu behandeln, seiner breiten Bildung und seinem Stilgefühl besonders entgegenkamen. Doch darüber hinaus war er wegen seiner verbindlichen und vermittelnden Art und als Vorsitzender der FDP-Fraktion ein gefragter Teilnehmer und Gesprächspartner im Ältestenrat, in interfraktionellen Gremien und Ausschüssen sowie im Hauptausschuss. Dass Theodor Heuss hingegen auch durchaus streitbar eigene Positionen vertreten konnte, zeigen seine Auseinandersetzung mit Dolf Sternberger und auch die hier abgedruckten zwei Reden.
Die Grundsatzrede vom 9. September 1948 Grundzüge der künftigen Verfassung Der Rede von Theodor Heuss im Plenum des Parlamentarischen Rates gingen am 8. und 9. September 1948 Berichte von vier Abgeordneten über die in den nächsten Monaten zu bewältigende Aufgabe voraus: Carlo Schmid (SPD), Adolf Süsterhenn (CDU), Walter Menzel (SPD) und Josef Schwalber (CSU). In diesen Reden wurden bereits Grundzüge der künftigen Verfassung diskutiert und die Bruchlinien zwischen den Fraktionen deutlich. Theodor Heuss nahm als erster Redner in der allgemeinen Aussprache auf diese Vorredner immer wieder Bezug. Er sprach, ohne sich in Details zu verlieren, Fragen an, die in den folgenden Monaten von zentraler Bedeutung bei den Beratungen des Grundgesetzes werden sollten und zum Teil schon die Konfliktlinien vorzeichneten. Wir haben hier also ein Schlüsseldokument für das verfassungspolitische Denken von Heuss und für die künftigen Verhandlungen im Parlamentarischen Rat vor uns. Welches sind die Charakteristika und wichtigsten Themen dieser Grundsatzrede? 17
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
Erstens erfahren wir etwas über das Selbstverständnis von Theodor Heuss und seiner Generation in der Situation nach 1945, vor der sich die Verfassungsberatungen abspielten. Er sah sich und seine Zeitgenossen, nach zwei verlorenen Weltkriegen und einer gescheiterten Demokratie, als Angehörige der „skeptischen Generation“, noch bevor der Soziologe Helmut Schelsky 1957 diesen Begriff für eine wesentlich jüngere Generation prägte:31 „wir sind gegenüber der Wirklichkeit illusionslos geworden, wir alle, diese Generationen, sind durch die Schule der Skepsis hindurchgegangen.“32 Ungeachtet dieses nüchternen Wirklichkeitssinns warnte Heuss zugleich vor Resignation in der Verfassungsarbeit, deren „innere Würde“ er betonte und der er große Bedeutung für die künftige Entwicklung Deutschlands und der Welt zumaß, so am Schluss seiner Rede, wo er sich einen Anflug von Pathos erlaubte: Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates bezögen „ihre geschichtliche Legitimation aus der Leistung, die wir fertigbringen. Ich glaube, daß, wenn wir etwas fertigbringen, wir auch einen Beitrag – das klingt pathetisch – für das Weltenschicksal geben. Denn die deutsche Situation ist heute und sie wird immer ein Kernproblem der Welt, vorab der europäischen Dinge sein.“33
Doch sonst versagte sich Heuss allzu große Zukunftserwartungen, sondern beschwor die „heilige Nüchternheit“ seines Landsmannes Friedrich Hölderlin für die Verfassungsberatungen. Zweitens gehörte zu dieser Illusionslosigkeit einer skeptischen Haltung die Anerkennung der Bedeutung der realen Machtverhältnisse, vor denen sich die Ausarbeitung der Verfassung abspiele. Vor dem Hintergrund des unauflöslichen Spannungsverhältnisses zwischen Recht und Macht war es Heuss durchaus bewusst, dass der Verfassungsauftrag durch die Alliierten nach der bedingungslosen Kapitulation in einem Zustand der Besatzungsherrschaft und Un18
Die Grundsatzrede vom 9. September 1948
freiheit erfolgt sei: „Wir wandern im Tal der Ohnmacht. Wieder ist die Demokratie in Deutschland nicht erobert worden; sie ist von den Besatzungsmächten angeordnet, anempfohlen, zugelassen, zugemessen, lizenziert, limitiert, kontingentiert.“34 Doch anders als der SPD-Abgeordnete Carlo Schmid zog Heuss aus dieser „Fremdherrschaft“ keineswegs die Konsequenz, dass eine vollgültige Verfassung unter diesen Bedingungen nicht zu schaffen sei, da es an der notwendigen Legitimation durch das deutsche Volk fehle. Er sah die Verfassungsarbeit vielmehr dadurch legitimiert, dass die Abgeordneten als Entsandte der einzelnen Landtage „Vertreter des ganzen Volkes [sind]. Wenn wir das für uns selber jetzt schon maßgebend sein lassen, dann ist unsere Legitimation sachlich geklärt.“35 Und dann könne auch eine Verfassung geschaffen werden, die „in sich die moralisch-sachliche Qualität gegenüber der Macht“ besitze.36 Um sich als Rechtssubjekt aber eine Verfassung zu geben, durfte das Deutsche Reich nicht untergegangen sein, sondern musste trotz des Zusammenbruchs 1945 – zumindest als juristische Fiktion – weiter existieren: „Nein, das Deutsche Reich, auch wenn es desorganisiert ist, ist rechtlich und politisch eine Geschichtstatsache geblieben.“37 Der deutsche Nationalstaat als sprachlich und historisch vorgegebene Größe blieb für Heuss unverrückbar bestehen. Doch durch die Arbeit im Parlamentarischen Rat musste die Nation darüber hinaus demokratisch und rechtlich gefasst werden, also als freiheitlicher Nationalstaat.38 Auf diese Weise konnte sich Heuss in den kommenden Auseinandersetzungen auch gegen föderalistische Tendenzen im Parlamentarischen Rat wappnen, welche die Neugründung eines Bundes, ausgehend von den Ländern, favorisierten. Drittens fällt ins Auge, dass Theodor Heuss in seiner Rede zu zahlreichen historischen Rekursen neigte. Daraus konnte sich – wie 19
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
überhaupt in seinen Reden und Schriften – eine regelrechte Lehrstunde in Geschichte entwickeln. Mit Hilfe einer historischen Grundierung wollte er seine Reden anschaulicher machen und ihnen auch argumentativ mehr Überzeugungskraft verleihen. Er wurzelte damit in einer bildungsbürgerlichen Geschichtsversessenheit aus dem 19. Jahrhundert, die im Zeichen des Historismus Orientierung für Gegenwart und Zukunft bieten sollte.39 Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war nun ein durchgängiges Phänomen in den Beratungen des Parlamentarischen Rates, das sich bei fast allen Abgeordneten beobachten lässt. So begegnet einem der Rückgriff auf die deutsche Verfassungsgeschichte als historisches Argument auf Schritt und Tritt. Besonders die Verfassung von Weimar war Ausgangspunkt eines Abgrenzungsdiskurses. Ihr Staatsorganisationsrecht, vor allem die Stellung des Reichspräsidenten im parlamentarischen System, und die mangelhafte Sicherung der Grundrechte wurden für das Scheitern der Weimarer Republik und den Aufstieg des Nationalsozialismus bis hin zur Machtübergabe im Januar 1933 verantwortlich gemacht. Auch wenn das Grundgesetz als „Antiverfassung“ letztlich auf die pervertierte Verfassungspraxis im „Dritten Reich“ reagierte, wollten die Schöpfer der neuen Verfassung mit einer Revision der Weimarer Reichsverfassung die Ursachen bekämpfen, die eine demokratische Wehrlosigkeit begünstigt und zu der NS-Diktatur geführt hatten.40 Theodor Heuss stimmte hingegen in diesen Chor nicht mit ein. Er grenzte sich in seiner Rede von dieser Lesart sogleich und unmissverständlich ab, obwohl auch er sich vor 1933 immer wieder kritisch mit der Weimarer Reichsverfassung auseinandergesetzt hatte und von ihren Schwächen wusste.41 Doch wer es dieser Ver20
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fassung anlaste, sie habe den Nationalsozialismus nicht verhindert, unterliege noch der „Suggestion der Hitlerpropaganda“, welche die Verfassungsordnung von Weimar moralisch diskreditiert habe und „in der auch sehr viele von uns noch befangen sind.“ Statt dessen bekannte Heuss: „Die Rechtsordnung von Weimar war nicht schlecht.“42 Doch dass sie sich nicht durchgesetzt hatte, lag vor allem an mentalitätsgeschichtlichen Faktoren, nämlich weil „die Demokratie in Deutschland nicht erobert worden ist“ und sie sich deshalb „keine eigene Legende, keine Geschäftserfahrung“43 schaffen konnte. Zudem mangelte es der Verfassung an einem Umfeld der Fairness: „Es kennzeichnet die sehr tragische Lage für unser Volk, daß wir für diesen Begriff Fairneß in Deutschland selber kein eigenes Wort besitzen; so geschah, daß der Entwicklungsweg der Demokratie von der Atmosphäre der nationalistischen Romantik, der monarchischen Restauration und dem elenden Verbrechen der Dolchstoßlegende begleitet wurde. Diese Dinge sind für das Funktionieren der Weimarer Verfassung viel, viel entscheidender gewesen als diese oder jene von uns heute nicht als ganz richtig empfundene technische Paragraphenformulierung.“44
Es war also die demokratische Gesinnung, deren Mangel Heuss für die Weimarer Republik vor allem beklagte und die er als entscheidende Voraussetzung für den Erfolg einer demokratischen Entwicklung im Nachkriegsdeutschland einforderte, um nicht einer Wiederholung der Geschichte anheimzufallen.45 Dass er darüber hinaus einzelne Regelungen des Weimarer Verfassungswerkes ablehnte, gar als „fast grotesk“ qualifizierte,46 ändert nichts an seiner grundsätzlichen Wertschätzung. Doch es war nicht allein der offensichtliche Bezug auf die Weimarer Republik und deren Negation im Nationalsozialismus, welche die Rede von Heuss prägten, sondern historische Exkurse und An21
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spielungen waren grundsätzlich Bestandteil seiner Beiträge im Parlamentarischen Rat. Er arbeitete auch als Publizist, Schriftsteller und Biograph fast schon obsessiv historisch mit durchaus wissenschaftlichem und literarischem Anspruch.47 In seiner Grundsatzrede setzt Heuss diesen ungeheuren Wissensfundus immer wieder ein, um seine Positionen zu untermauern und seine Gegner argumentativ zu entwaffnen. Wenn er über das Verhältnis von Recht und Macht spricht, streift er kurz Ferdinand Lassalle, den preußischen Verfassungskonflikt und Thomas von Aquin.48 Wenn er das Problem von Föderalismus und Zentralismus erörtert, rekurriert er auf die US-amerikanische Geschichte und den Führer der Federalists, Alexander Hamilton.49 Wenn er über Wahlrecht und Zweiparteiensystem räsoniert, kann er sich Ausflüge in die amerikanische, englische und französische Geschichte nicht verkneifen, um die Bedeutung des Wahlrechts für das parlamentarische System zu relativieren.50 Wenn es um die föderative Gestaltung der Zweiten Kammer geht, bezieht er seine eigenwilligen Ideen für die Zusammensetzung dieser Länderkammer aus den Verhandlungen der Paulskirchenversammlung 1848/49, über die er außerdem kurz zuvor ein Buch veröffentlicht hatte.51 Und wenn Heuss über eine europäische Konföderation nachdenkt, dann weist er eine solche mit Hinweis auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurück.52 Mit welcher Absicht auch immer: Die geschichtliche Rückversicherung war ein wesentliches Element des Denkens und der Redestrategie von Heuss. Und viertens schließlich steckt Theodor Heuss in seiner Rede bei zentralen Themen der künftigen Verfassung bereits Positionen ab, die anschließend in den Ausschüssen zum Teil sehr kontrovers erörtert wurden. Da ist zunächst die Präambel anzusprechen. Über sie wurden intensive Diskussionen geführt, die „im besonderen 22
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Maße Aufschluß über das Selbstverständnis der Abgeordneten, ihre Legitimität, die Bewertung ihrer Aufgabe im Kontext deutscher Geschichte“ geben.53 Auch Theodor Heuss bewegte die Frage nach der Präambel, gehörte sie doch neben den Grundrechten zu den wichtigsten Aufgaben des Grundsatzausschusses.54 Zunächst einmal sprach er die fundamentale Frage nach dem Status der Verfassung an, der in der Präambel festzuhalten war. Dabei legte er nachdrücklich Wert darauf, die Würde und die Qualität des Grundgesetzes nicht dadurch zu schmälern, dass angesichts der Besatzungsherrschaft der flüchtige, provisorische und fragmentarische Charakter betont werde, im Sinne lediglich einer Übergangsordnung bzw. eines Organisationsstatuts. Dies hatten vor allem die SPD und Carlo Schmid gefordert. Heuss konterte hingegen: „Wir begreifen dieses Wort ‚provisorisch‘ natürlich vor allem im geographischen Sinne […]. Aber strukturell wollen wir etwas machen, was nicht provisorisch ist und gleich wieder in die Situation gerät: heute machen wir etwas, und morgen kann man es wieder ändern, und übermorgen wird eine neue Auseinandersetzung kommen. Wir müssen vielmehr strukturell schon etwas Stabileres hier fertigzubringen versuchen, […] auch etwas, was eine gewisse Symbolwirkung hat, und wenn auch bloß in der Abschattierung, so daß wir den Besatzungsmächten, daß wir auch den Leuten im deutschen Osten sagen: Wir sind nun eben auf einem Wege begriffen, dessen Ende noch nicht erreicht ist.“55
Heuss wollte also auch unter den Vorzeichen der staatlichen Unfreiheit eine vollgültige Verfassung mit dem Anspruch auf Dauer schaffen, damit diese eine integrative Wirkung nach innen und eine Sogwirkung in den östlichen Teil Deutschlands entfalten konnte. Der Modellcharakter der Verfassung für die sowjetische Besatzungszone fand sich schließlich auch im Stellvertretungsgedanken wider, den Heuss in einem seiner beiden Präambel-Entwürfe für den Grundsatzausschuss formulierte und der schließlich in abgewandelter Form Eingang in die endgültige Fassung finden sollte.56 23
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
Im Zusammenhang mit der Behandlung der Präambel wurde im Ausschuss für Grundsatzfragen auch die Bezeichnung des neuen Staatswesens diskutiert. In dieser Frage hatte sich Heuss bereits in seiner ersten Rede vor dem Plenum festgelegt, als er für den Namen „Bundesrepublik Deutschland“ plädierte: „Ich würde bitten, in die Diskussion hereinzunehmen, daß wir uns heute einfach ‚Bundesrepublik Deutschland‘ nennen, weil damit schon eine starke moralische Attraktion für die jungen Menschen mit drinsteckt, die in diesem ‚Bund Deutscher Länder‘ ja nur ein Ausweichen vor sich sehen. Das wird auch im deutschen Osten verstanden werden.“57
Nach längeren Debatten, auch mit führenden Politikern seiner eigenen Partei,58 folgte der Parlamentarische Rat dem Vorschlag von Heuss. Ein weiterer Themenschwerpunkt in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates war die Frage der Grundrechte. Auch dazu nahm Heuss in seiner Rede Stellung, die er dann in den Sitzungen des Grundsatzausschusses immer wieder unterstrich. Nach den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur erkannte er den Grundrechten einen deutlich höheren Stellenwert zu, als er dies noch in der Weimarer Republik getan hatte.59 Sie waren ihm nicht mehr „Beiwerk, das von den Gesinnungen der Aufklärungsperiode geliefert wurde“, sondern hatten „elementaren Charakter“ für eine Verfassung.60 Darüber herrschte Konsens im Parlamentarischen Rat. Dissens gab es hingegen bei der Frage der Begründung der Grundrechte im Artikel 1. Hier wandte sich Heuss gegen eine naturrechtliche Legitimation, da er diese als zu unverbindlich und nicht einklagbar ansah. Statt Grundrechte einem abstrakten Menschentum zuzuschreiben und dem Menschen eine Vorrangstellung gegenüber dem Staat zuzuerkennen, wie es der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee vorsah, pochte Heuss vielmehr auf die genuine 24
Die Grundsatzrede vom 9. September 1948
Schutzfunktion des Staates. Obwohl auch Heuss klar erkannte, dass im Nationalsozialismus der „Staat ein Ruinierer des Menschentums“ geworden war, zog er daraus gerade nicht den negativen Schluss, zu Beginn der Verfassung gleich „die innere Würde des Staates zu kränken“. Vielmehr sei der „Staat nicht nur eine Apparatur, sondern er ist auch ein Träger eingeborener Würde, und als Träger der ordnenden Gemeinschaft ist er für den Menschen und ist der Mensch für ihn keine Abstraktion. Streichen Sie diese banale Staatsphilosophie weg, und gehen Sie dorthin, wo man praktisch auch Rechtsverbindlichkeiten machen kann.“61
Mit dieser Erklärung befand sich Heuss noch tief in der etatistischen Tradition des deutschen Liberalismus, dessen Fixierung auf den Staat, der freilich immer ein Rechtsstaat zu sein hatte, vorstaatliche Individualrechte zurückdrängte.62 Doch dahinter stand auch die selbstverständliche Vorstellung, dass jeder Staat zur Erfüllung seiner Aufgabe Autorität bedürfe, um Gehorsam notfalls zu erzwingen. Auch der demokratische Staat könne darauf nicht verzichten: „Jeder Staat, auch der demokratische Staat, ruht auf Befehlsgewalt und Gehorsamsanspruch, und der demokratische Staat hat darin sein Wesenhaftes, daß er einen Herrschaftsauftrag auf Frist, also auch kündbar, enthält.“63 Ein starker, handlungsfähiger Staat war für Heuss also nicht nur Kennzeichen eines autoritären, sondern eben auch eines demokratischen Staates. Heuss konnte letztendlich in dieser Frage immerhin einen Teilerfolg erringen. Artikel 1 knüpft an das Naturrecht unmissverständlich an, jedoch ohne dieses explizit zu erwähnen, und der positive Schutzauftrag des Staates findet Erwähnung. Hinsichtlich des Umfangs der Grundrechte plädierte Heuss für Zurückhaltung. Er wandte sich gegen eine Überfrachtung der Verfassung durch die Festschreibung sozialer und wirtschaftlicher 25
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
Grundrechte (zum Beispiel das Recht auf Arbeit), da die sozialwirtschaftliche Struktur der kommenden Zeit nicht vorhersehbar sei.64 Stattdessen standen für ihn die klassischen individuellen Freiheitsrechte (zum Beispiel Presse- und Versammlungsfreiheit) im Vordergrund, weil nur diese durchsetzbar und einklagbar erschienen. Mit dieser Selbstbeschränkung wurde schließlich auch Konfliktpotential aus den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates genommen. Weniger gelang ihm dies bei den kulturellen Grundrechten. Heuss beklagte in seiner Grundsatzrede das „Auseinandergleiten, Auseinanderleben des deutschen geistigen Seins“65 in den einzelnen Besatzungszonen, in denen sich Deutschland vor allem in Bildungsund Erziehungsfragen nach zweckrationalen Gesichtspunkten auseinanderentwickeln werde – einem Anhänger des humanistischen Bildungsideals wie Heuss ein Gräuel: „Denn wir stehen vor der Frage, eine deutsche Zusammenarbeit zu formen, die uns noch oder wieder in die Lage setzt, das geistige Gespräch mit der Welt gemeinsam von Deutschland aus zu führen.“66 Als seine wichtigste Aufgabe sah er es an, die Aufnahme des sogenannten „Elternrechts“ in das Grundgesetz zu verhindern, so wie es ihm bereits bei der Verfassung für Württemberg-Baden 1946 gelungen war.67 In dieser Frage positionierte er sich eindeutig und wurde zum Wortführer seiner Fraktion. Das „Elternrecht“ als ein zentraler Bestandteil kirchen- und schulpolitischer Grundrechte stellte das alleinige Recht des Staates auf Erziehung und Ausbildung des Kindes infrage, weil das Recht der Eltern auf freie Wahl der Schulform die Einrichtung und Anerkennung konfessionsgebundener Bekenntnisschulen in kirchlicher Trägerschaft nach sich gezogen hätte. Als erklärter Fürsprecher der christlichen Gemeinschaftsschule in staatlicher Obhut sah Heuss damit das Monopol des 26
Die Grundsatzrede vom 9. September 1948
Staates über die Ordnung des Schulwesens gefährdet. Vor allem in Zeiten der „großen Flüchtlingsinfiltration“ verstärke die Einrichtung von „konfessionelle[n] Minderheits-Zwergschulen“ die nationale Desintegration und zementiere die Isolierung von Flüchtlingskindern anderer Konfession: „Das heißt, daß diese Generation nicht um ihres Glaubens willen, sondern um ihrer Herkunft willen in diesem und jenem Dorf die Kinder isoliert, wo es das größte nationalpolitische Anliegen ist, das Zusammenwachsen dieser Altersklassen nicht zu erschweren.“68 Theodor Heuss war sich zu diesem Zeitpunkt der Brisanz dieser Frage nicht bewusst. Erst in den kommenden Wochen und Monaten sollten CDU, CSU, Deutsche Partei und Zentrum die Aufnahme kirchen- und schulpolitischer Grundrechte fordern und damit die Arbeit im Grundsatzausschuss belasten. Unter dem massiven Druck der Kirchen verhärteten sich die Fronten sachlich und atmosphärisch dermaßen, dass die gesamte Verfassungsarbeit infrage gestellt wurde. Erst kurz vor Verabschiedung des Grundgesetzes konnte die Aufnahme des „Elternrechts“ definitiv verhindert werden – vor allem ein Erfolg der Festigkeit und des Verhandlungsgeschicks von Heuss. Dass er sich in diesen teils dramatischen Verhandlungen durch persönliche Angriffe, Unterstellungen und polemische Vereinfachungen auch persönlich verletzt fühlte, machen die bitteren Ausführungen seiner Abschlussrede vom 8. Mai 1949 deutlich.69 Nicht nur zu Präambel und Grundrechten, die Theodor Heuss dann noch intensiv bei seiner Arbeit im Ausschuss für Grundsatzfragen beschäftigen sollten, nahm er in seiner Rede Stellung, sondern auch zu Themen, die zu den Gegenstandsbereichen anderer Ausschüsse gehörten. Bei den Grundprinzipien der Verfassung erörterte er vor allem das Problem von Zentralismus und Föderalismus und 27
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
warnte auf der Folie historischer Exkurse vor allzu dogmatischen Festlegungen. Obwohl er als Liberaler südwestdeutscher Prägung innerhalb der FDP eher föderal gesonnen war,70 warnte er angesichts der Nachkriegssituation vor zu ausgeprägten eigenstaatlichen Ansprüchen der Länder: „Der große Zentralisator des deutschen Schicksals ist die deutsche Not und die deutsche Armut. (Lebhafte Zustimmung.) Dann werden auf einmal die Leute, die heute so selig über ihr staatliches Eigenleben scheinen, dankbar sein, wenn ihnen aus der Gemeinschaft, aus der Gemeinverantwortung jene Hilfe und Kräftigung zufließt, die sie für sich gar nicht schaffen könnten. Wir wollen dabei auch keine zusätzliche heimatliche Geschichtsromantik haben, wie sie im Nordwesten oder im Südosten Gesamtdeutschlands heute noch gepflegt wird. […] die Flüchtlingstatsache als Massenproblem [wird] ohnehin eine soziologisch-psychologische Umwandlung all der Heimaten herbeiführen.“71
Respekt vor den Willkürlichkeiten der aktuellen Ländergrenzen hatte Heuss ohnehin nicht. Deshalb hob er noch einmal deutlich auf den Auftrag der Alliierten in den Frankfurter Dokumenten ab, der zu einer Überprüfung und Neugestaltung der Ländergrenzen aufforderte, um so „aus dem Zustand der ‚originären‘ Staaten in den Zustand von lebendigen Staaten“ zu führen.72 Auch nach den Erfahrungen mit einem zunehmend handlungsunfähigen Reichstag in der Weimarer Republik brach Heuss eine Lanze für das parlamentarische Regierungssystem: „Ich für meine Person bin der Meinung, daß wir am parlamentarischen System festhalten sollen, […] rein aus dem Grunde, weil in dem parlamentarischen System für Regierungen und Parteien gerade in Deutschland die Erziehungsschule der politischen Verantwortung liegt“.73 Gerade die parlamentarische Auseinandersetzung um Gesetzgebung, Regierungsbildung und -kontrolle sah er unter seinem 28
Die Grundsatzrede vom 9. September 1948
Leitmotiv für die Nachkriegszeit: Erziehung zur Demokratie.74 Dabei musste er sich gegenüber zwei Seiten abgrenzen. Einerseits wandte er sich gegen Formen der direkten Demokratie, die er unter anderem für das Scheitern der Weimarer Republik verantwortlich machte und nur für kleinräumige Demokratien wie in der Schweiz als sinnvoll ansah: „Das Volksbegehren, die Volksinitiative, in den übersehbaren Dingen mit einer staatsbürgerlichen Tradition wohltätig, ist in der Zeit der Vermassung und Entwurzelung, in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen […] und die dauernde Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum sich die Gesetzgebungskörper, die vom Volk gewählt sind, noch werden bemühen müssen, um es zu gewinnen.“75
Dieses Verdikt sollte Heuss bis heute anhängen, wo er in der aktuellen Diskussion über mehr „Direkte Demokratie“ als Feinbild oder Kronzeuge zitiert wird und vielen nicht mehr zeitgemäß erscheint.76 Auf der anderen Seite stieß Heuss mit seinem Eintreten für das parlamentarische System kurze Zeit später auf Widerstände in seiner eigenen Fraktion. Im Organisationsausschuss traten am 23. September 1948 die FDP-Abgeordneten Max Becker und Thomas Dehler für ein Präsidialsystem bzw. für eine zeitlich gebundene Kanzlerschaft ein, um Konstanz in der Regierung gegenüber parlamentarischen Einflüssen zu gewährleisten. Ihr Antrag für eine Präsidialregierung fand Anfang Januar 1949 im Hauptausschuss aber schließlich keine Mehrheit.77 Mit dem Eintreten für den Parlamentarismus ging für Heuss eine positive Einschätzung der Funktion von Parteien einher, die er auch durch die Weimarer Erfahrungen nicht als diskreditiert ansah, sondern ihnen für die Nachkriegszeit eine Schulungsaufgabe für die Erziehung der Bevölkerung zur Demokratie zusprach.78 Die Anerkennung von Parteien für den politischen Willensbildungs29
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prozess, wie sie sich schließlich im Artikel 21 niedergeschlagen hat, folgt dieser Argumentation von Heuss.79 In Fragen, welche die Organe des Bundes betrafen, vermochte Heuss wichtige Anregungen zu geben, auch wenn er nicht Mitglied des zuständigen Organisationsausschusses war.80 Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee hatte sich in seiner Mehrheit für das Amt des Bundespräsidenten ausgesprochen.81 Die SPD hingegen gab weiterhin einem Gremium bzw. Direktorium aus mehreren Personen den Vorzug, da einem nichtsouveränen „Staatsfragment“ kein Präsident vorstehen könne, so Carlo Schmid in seinem Einführungsreferat.82 Hier war es wiederum Heuss, der vor dem Provisorischen dieser Lösung warnte und auf die große „Symbolkraft“ dieses Amtes hinwies: „Man muß schon den Mut haben, in das Strukturelle das Feste einzubauen.“83 CDU und CSU teilten diese Vorstellungen von Heuss und der FDP, so dass Ende November 1948 die Schaffung einer solchen repräsentativen Spitze feststand.84 Um das Wahlgremium wurde freilich noch lange gerungen.85 Die Art der Zusammensetzung der Bundesversammlung ging schließlich weitgehend auf Heuss zurück. Besonderen Wert legte Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat auf die Frage, aus welchen Vertretern die Zweite Kammer, die Länderkammer, sich zusammensetzen sollte. Über die Schaffung eines Regierungssystems föderalistischen Typs herrschte im Parlamentarischen Rat Einigkeit, hingegen gingen die Meinungen über die Zusammensetzung der Länderkammer auseinander. Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee hatte sich in seinem Mehrheitsvotum für das die Länderinteressen betonende Bundesratsprinzip ausgesprochen. Dieses sah die Entsendung weisungsgebundener Vertreter der Länderregierungen vor und wurde von 30
Die Abschlussrede vom 8. Mai 1949
Teilen der CDU (nicht von Adenauer) und vor allem von der CSU favorisiert. In einem Minderheitenvotum fand das Senatsprinzip seinen Ausdruck, das die Bildung der Länderkammer aus gewählten Vertretern der Landtage bedeutete und vor allem von der SPD befürwortet wurde.86 Heuss plädierte in seiner Rede für ein Mischsystem und berief sich dafür auf das historische Vorbild der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Ende Oktober bezeichnete er diese Kombination eigenwillig als „Bundesrat mit senatorieller Schleppe“.87 Doch Heuss war in dieser Frage kein Erfolg beschieden, woran er enttäuscht auch noch in seiner Abschlussrede vom Mai 1949 erinnerte.88
Die Abschlussrede vom 8. Mai 1949 Ernüchterung und Neuanfang Ist die erste Grundsatzrede von Theodor Heuss vor dem Plenum des Parlamentarischen Rates geprägt von der Darlegung seines Geschichts- und Verfassungsverständnisses und der Erörterung zentraler Verfassungsprinzipien, so offenbart seine große Abschlussrede vom 8. Mai 1949, dem Tag, an dem das Grundgesetz verabschiedet wurde, ein gutes Stück Ernüchterung nach der geleisteten Verfassungsarbeit. Aus wenigen Wochen, von denen Heuss noch im Spätsommer 1948 ausging,89 waren acht Monate aufreibender Verhandlungen zwischen den Fraktionen und den Parteien, mit gesellschaftlichen Gruppen und mit den Besatzungsmächten geworden. In dieser Zeit brannte Heuss gesundheitlich regelrecht aus. Schon im April klagte er in Briefen immer wieder über sein Allgemeinbefinden: „Mein eigener gesundheitlicher Zustand ist im Augenblick so schlecht, wie er es nie gewesen ist.“90 Wenige Tage nach seiner Rede vom 8. Mai begab er sich für mehrere Wochen in das Städtische Krankenhaus Konstanz. 31
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
Trotz dieser widrigen Umstände der enorm zeit- und arbeitsaufwendigen Beratungen in Bonn ist die Rede, die Heuss im Rahmen der dritten und letzten Lesung des Grundgesetzentwurfs vor dem Plenum hielt, kein reiner Ausdruck der Resignation, der Abrechnung oder der Huldigung. Wie er schon gegenüber Dolf Sternberger betont hatte, wollte er die Verfassungsarbeit unter dem Gesichtspunkt des „in der deutschen Volks- und Staatengemeinschaft heute politisch Möglichen“ gewürdigt wissen. Anders als Publizisten oder Staatsrechtler, die „Perfektionisten auf dem Papier“, waren die Abgeordneten „in die Wirklichkeiten der deutschen Geschichte gestellt“ und „gelähmt eben durch diese deutsche Geschichte und durch unsere äußere Machtlosigkeit.“91 Und unter diesen Vorzeichen hielt Heuss den Grundgesetzentwurf für durchaus respektabel. Er zollte der Verfassungsarbeit Achtung, obwohl er seine Vorstellungen in einigen Punkten nicht durchsetzen konnte. So einigten sich die beiden großen Parteien in der Frage der Länderkammer auf das Bundesratsprinzip, das Heuss nicht zu verhindern wusste. Aber er hielt an seiner Auffassung fest, „daß es fruchtbarer und richtiger und demokratischer gewesen wäre, einen Senat oder doch die von mir vorgeschlagenen Kombination zu machen. Denn das jetzige Gebilde hat gerade das nicht, was eine junge Demokratie braucht, eine Integrationskraft ins Volksgefühl hinein.“ Gerade in dieser Erziehung zur Demokratie sah er ja die zentrale Aufgabe des jungen Staates. Sachlich hart, doch im Ton durchaus heiter-ironisch ging Heuss in seinem Beitrag vor allem mit den inhaltlichen, atmosphärischen und persönlichen Einflussversuchen externer Kräfte ins Gericht, welche nicht in der Gesamtverantwortung für die Neugründung 32
Die Abschlussrede vom 8. Mai 1949
der Republik standen, sondern Gruppeninteressen vertraten. Sie begleiteten die Arbeit des Parlamentarischen Rates und brachten diese immer wieder zum Stocken, ja bisweilen an den Rand des Scheiterns. Erstens erinnerte Heuss noch einmal daran, dass die drei westalliierten Besatzungsmächte die Verhandlungen über das Grundgesetz genau beobachtet und immer dann interveniert hatten, wenn sie ihre Vorgaben nicht erfüllt sahen. In mehreren Memoranden hatten sie Einfluss auf die verschiedenen Entwurfsstadien des Grundgesetzes genommen und dabei vor allem eine stärkere föderale Akzentuierung der Verfassung angemahnt.92 Dies akzeptierte Heuss, zumal „im Austausch der Auffassungen, der Zielsetzungen manchmal eine Befruchtung der Arbeit“ entstanden war.93 Persönlich pflegte er mit den alliierten Vertretern einen sachlichen und entspannten Umgang. Doch was er anprangerte, waren die Dissonanzen zwischen den Besatzungsmächte, da sie lähmend auf die Verhandlungen gewirkt hätten. Vor allem in der Frage des Besatzungsstatuts hätten sich die Alliierten „selber als Spezialisten und Perfektionisten des Vertagens von Schwierigkeiten erwiesen“.94 „Sehr, sehr schmerzlich“95 war für Heuss zweitens die Torpedierung der Verfassungsberatungen durch die bayerische CSU. Geschwächt von innerparteilichen Krisen und Flügelkämpfen war die CSU zunehmend unter Druck der radikal föderalistischen Bayernpartei geraten. Dermaßen getrieben, versuchte sie, über ihre Abgeordneten im Parlamentarischen Rat extrem föderalistische Positionen hinsichtlich der Zusammensetzung der Länderkammer oder des Finanz- und Steuerwesens durchzusetzen, und geriet immer wieder auch in Dissenz mit dem Fraktionspartner CDU. Dadurch verzögerten sich die Verhandlungen weiter. Enttäuschend war für Heuss 33
Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater
vor allem, dass die CSU-Vertreter eigentlich bereit gewesen waren, den ausgehandelten Grundgesetzentwurf mitzutragen, doch „daß nun von außen her – von außen her in dem Sinne: ohne die unmittelbare Verantwortung des Mitbeteiligtseins – Schwierigkeiten gemacht werden. […] Habt ihr kein Gefühl der relativen Unwürde des Vorgangs, daß man sich überstimmen läßt, statt daß man die Dinge mitnimmt, um sie mitgestalten zu können?“96 Losgelöst von den Folgen ihres Handelns, sollte die Mehrheit der CSUAbgeordneten bei der Schlussabstimmung schließlich die Annahme des Grundgesetzes verweigern und musste damit den Forderungen der bayerischen Mutterpartei Rechnung tragen. Drittens teilte Heuss einen ironischen Seitenhieb gegen den Einfluss der SPD-Zentrale in Hannover auf die Verfassungsberatungen aus. Vor allem der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher hatte versucht, seine Abgeordneten im Parlamentarischen Rat zu lenken, der ihnen damit „die innere Bewegungsfreiheit fast völlig raubte, eine geradezu tragische Situation.“97 Im April 1949 eskalierte die Krise, als die SPD auf ihrem „kleinen Parteitag“ in Hannover auf Konfrontationskurs zu den Forderungen der Alliierten und zu den Positionen der CDU und CSU ging und einen eigenen Entwurf des Grundgesetzes vorlegte, der im Berliner „Telegraf“ veröffentlicht wurde.98 Dieser Entwurf hatte weniger den Charakter eines Diskussionsbeitrags für die Verfassungsberatungen, sondern war vielmehr ein politisches Positionspapier der SPD für die öffentliche Auseinandersetzung. Zudem heizte Schumacher den Konflikt mit veröffentlichten Interviews an, in denen er die CDU/CSU-Fraktion provozierte. Heuss wies solche Äußerungen Schumachers als „Wegweiser in einen bedenklichen Illusionismus“ und als unproduktives „Prestigebedürfnis“ zurück.99 Erst als sich die Fronten zwischen den großen Parteien im Parlamentarischen Rat dermaßen 34
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verhärtetet hatten, dass ein Scheitern der Verhandlungen drohte, emanzipierte sich die SPD-Fraktion von dem beherrschenden Einfluss ihres Parteivorsitzenden. Carlo Schmid erklärte sich in einem Gespräch mit Konrad Adenauer am 24. April 1949 bereit, den SPD-Grundgesetzentwurf von Hannover fallen zu lassen. Damit machte er den Weg für eine Einigung frei, so dass am kommenden Tag ein auch in den strittigen Punkten (konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern, Finanzverwaltung, religionsund kulturpolitische Grundrechte) mehrheitsfähiger Entwurf den Alliierten in Frankfurt am Main vorgelegt werden konnte.100 Die SPD-Abgeordneten zu dieser realistischen und verantwortungsbewussten Haltung erzogen zu haben schrieb Heuss dann in seiner Abschlussrede den Bemühungen des Parlamentarischen Rates zu, der „bieder mithelfen“ musste bei der Frage: „Wie sage ich es also nun meinem Kinde, auch meinem Führer?“101 Von besonderer Bitterkeit sind schließlich viertens die Ausführungen, die Theodor Heuss dem Einfluss der Kirchen auf die Grundgesetzberatungen widmete. Obwohl er sich im Parlamentarischen Rat erfolgreich für das Recht auf Privatschulen und für Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen eingesetzt hatte, sah er FDP und SPD sowie seine eigene Person durch die beiden großen Kirchen und die ihr nahestehende Presse diffamiert. Zutiefst getroffen fühlte er sich von der Polemik des „Rheinischen Merkur“, der die FDP wegen ihrer Haltung zum „Elternrecht“ zu den nichtchristlichen Parteien gezählt hatte: „Ich finde das sehr unchristlich.“102 Heuss sah in der Schule zwar „eine Veranstaltung der Gemeinschaft“, doch den Eltern wollte er nicht die „innere Gestaltung des Schulwesens“ und damit die Trennung nach Konfessionen überlassen.103 Darin sah er eine „nationalpolitische Tragik“,104 weil sie zur Isolierung der Kinder führe, wie er 35
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schon am 9. September prognostiziert hatte.105 Aus den ihn auch persönlich verletzenden Angriffen zog er nun, acht Monate später, die Lehre, die auch auf die Nähe von CDU und CSU zu den Kirchen abzielte: „Lassen Sie mich ein sehr ernstes Wort sagen: Kirchen sollen sich nicht auf Parteien stützen wollen. […] Das ist ihrer nicht würdig; denn sie haben ihren Auftrag aus dem Ewigen. Aber auch die Parteien sollen sich nicht auf Kirchen stützen wollen. Die Parteien sind weiß Gott sehr diesseitige Gebilde mit allerhand Schlauheit, Taktik und kleinem Machtsinn, mit dem sie nicht die Kirchen belasten sollen und belasten dürfen.“106
Doch traute Heuss der Wirkung seiner eigenen mahnenden Worte nur wenig, wenn er zwei Monate später in einem Brief bekannte, er „kriege manchmal Angst, daß eine Klerikalisierung im Anmarsch ist, die wir als Problem jetzt nicht auch noch brauchen.“107 Am Schluss seiner Rede rief Heuss wieder die Nachkriegssituation in Erinnerung und integrierte sie in die deutsche Nationalgeschichte. Symbolisch sah er im 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen deutschen Kapitulation, an dem nach vier Jahren das Grundgesetz verabschiedet werden sollte, eine Ambivalenz, nämlich „die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“108 Gerade wegen der Erschütterung der deutschen Geschichte durch nationalsozialistische Verbrechen, Krieg und Niederlage, wegen des Mangels an demokratischer Gesinnung, den Heuss noch in seiner Eingangrede beklagt hatte, suchte er Anleihen bei der deutschen Kulturnation, um damit die nationale Integrität zu beschwören und die Zäsur von 1945 zu überbrücken. Mit seinem Rückgriff auf ein Schiller-Fragment, das er schon 1919 und dann in der Nachkriegszeit immer wieder im Munde geführt hatte, appellierte er an die Beständigkeit deutscher Größe – 36
Die Abschlussrede vom 8. Mai 1949
freilich nicht im machtpolitischen Sinne, sondern als geistige Grundlage für die politische Existenz.109 Der Historiker Friedrich Meinecke ließ 1946 seine Nachkriegsbetrachtung „Die deutsche Katastrophe“ mit der Rückbesinnung auf nationale Kulturtraditionen ausklingen, um auf diese Weise eine geistige Erneuerung einzuleiten: „Auf eine Verinnerlichung unseres Daseins kommt heute alles, alles an.“ Und die „deutsche Größe“ hatte für ihn noch eine missionarische Aufgabe: „Der deutsche Geist, so dürfen wir hoffen und glauben, hat noch, nachdem er zu sich selbst zurückgefunden hat, seine besondere und unersetzliche Mission innerhalb der abendländischen Gemeinschaft zu erfüllen.“110 Auch Heuss hatte am Ende seiner Grundsatzrede vom September 1948 daran erinnert: „Wir wollen uns nicht in solche Hybris hineinsteigern. Aber wir wollen auch genügend Selbstgefühl und geschichtliches Wissen besitzen, daß die Welt auch von uns noch manches zu erwarten hat.“111 Doch stärker als Meinecke deutete Heuss diese kulturelle Sendung politisch um, indem er sie auf die Arbeit und schließlich das Ergebnis der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates bezog. Die Arbeit am Grundgesetz hatte nach Heuss zur nationalen Selbstvergewisserung geführt, die über das Geistig-Kulturelle, dessen unverlierbare Größe Schiller und Meinecke beschworen, hinausging und entscheidend für die Stellung Deutschlands in der Welt werden sollte: „Wir spüren dies, daß in der Auseinandersetzung mit den Völkern und Nationen das Zu-sich-selber-gefunden-haben der Deutschen erst Wirklichkeit geworden sein muß und daß unsere politische Arbeit […] eben in dem Ergebnis dieses Tages ein ganz kleines Stück festen Bodens für das deutsche Schicksal geschaffen haben wird.“112
Mit diesem Schlusswort machte Theodor Heuss deutlich, dass die Einigung auf eine Verfassung zu einem Stück Identitätsstiftung 37
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der Deutschen beitragen und der tiefe Bruch in der Nationalgeschichte überwunden werden könne. Die Unversehrtheit der Nation, die letztlich für Heuss und zahlreiche seiner bürgerlichen Zeitgenossen Voraussetzung ihres Denkens nach 1945 war, wurde somit aus dem rein Geistigen in die Politik überführt.
Der Bürger als Verfassungsvater Aufbruch in die bürgerliche Gesellschaft Am späten Abend des 8. Mai 1949 nahmen bei der Schlussabstimmung 53 Abgeordnete des Parlamentarischen Rates den Grundgesetzentwurf an, 12 Abgeordnete stimmten dagegen. Knapp zwei Wochen darauf hatten sich alle westzonalen Landtage mit Ausnahme des bayerischen für das Grundgesetz ausgesprochen. Am 23. Mai 1949 erfolgte in der letzten Sitzung des Parlamentarischen Rates die Ausfertigung und Verkündung. Theodor Heuss hatte seinen Krankenhausaufenthalt unterbrochen und war nach Bonn gereist, um an diesem feierlichen Akt teilzunehmen. Was war nun der Beitrag, den Theodor Heuss zur Entstehung des Grundgesetzes geleistet hat? Den Zeitgenossen war die Bedeutung des FDP-Vorsitzenden im Parlamentarischen Rat schnell klargeworden. Schon bald nach Zusammentritt der verfassunggebenden Versammlung wurde Heuss als künftiger Bundespräsident ins Gespräch gebracht.113 Durch seine Arbeit in Bonn war er auf die große überregionale Bühne getreten und einer breiteren Öffentlichkeit im Nachkriegsdeutschland bekannt geworden. Seine fachlich versierte Tätigkeit in den Ausschüssen, seine grundlegenden Reden, in denen er den Verfassungsauftrag in größere Zusammenhänge einzuordnen wusste und die Grundlinien absteckte, sowie seine vermittelnde Verhandlungs38
Aufbruch in die bürgerliche Gesellschaft
führung hatten ihn für das höchste Amt im neuen Staat empfohlen. Doch ausschlaggebend für seine Kandidatur und Wahl zum Bundespräsidenten am 12. September 1949 war schließlich das koalitionspolitische Kalkül Konrad Adenauers, der auf eine christlichliberale Koalition hinarbeitete.114 Hingegen ohne die gemeinsame Arbeit im Parlamentarischen Rat, wo die beiden Spitzenpolitiker das erste Mal zusammentrafen, wäre Adenauer vermutlich kaum auf diesen Gedanken verfallen. Richtig ist, darauf hat Jürgen C. Heß hingewiesen, dass die Bedeutung von Heuss für das Zustandekommen des Grundgesetzes in dem Zusammenspiel seiner allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten und seiner rednerischen Gabe, seiner konkreten Mitgestaltung wichtiger Bestandteile und Formulierungen der Verfassung sowie in seiner Funktion als Vermittler zwischen den Parteien besteht, der festgefahrene Fronten immer wieder zu lockern wusste. Dabei war er nicht unverbindlich, sondern vertrat durchaus auch konsequent seine Positionen, wenn sie für ihn – zum Beispiel das „Elternrecht“ – grundlegend waren und das Selbstverständnis des Staates betrafen.115 Abschließend sollen aber nicht weiter diese konkreten Verdienste von Theodor Heuss für die Entstehung des Grundgesetzes nachgewiesen, sondern soll vielmehr der wichtigen Frage nachgegangen werden: Welches zentrale Moment brachte Heuss in die Verfassung ein, das in der Verfassungswirklichkeit, in Politik und Gesellschaft der kommenden Jahrzehnte weiterlebte und dazu beitrug, die Bundesrepublik erfolgreich in die westliche Wertegemeinschaft zu integrieren? Theodor Heuss war ein Bürger par excellence – und zwar in dreifacher Hinsicht.116 Erstens gehörte er der sozialen Formation des 39
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Bürgertums, genauer: des Bildungsbürgertums an. Seine soziale Herkunft, seine humanistische Schulbildung und sein Studium, die Heirat einer Professorentochter, ein „standesgemäßer“ Haushalt und die engen Beziehungen zu zahlreichen anderen Bildungsbürgern sprechen für diese Annahme.117 Auch wenn er sich durch seine Berufswahl als Journalist und Schriftsteller von dem Feld des traditionellen, ständisch vergesellschafteten Bildungsbürgers absetzte und damit eher der ungesicherten Existenz des Intellektuellen zuneigte, konnte er seine bildungsbürgerliche Zugehörigkeit nicht verleugnen. So zeigte er sich durch seine enge Beziehung zum Kreis um Friedrich Naumann gegenüber der „sozialen Frage“ zwar aufgeschlossen und plädierte für eine Öffnung zur Arbeiterschaft und eine Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie, doch er bewegte sich weiterhin vor allem im bürgerlichen Umfeld unter seinesgleichen. Eng damit zusammen hängt zweitens, dass bei Heuss die Lebensführung und Wertorientierungen zutiefst (bildungs-)bürgerlich geprägt waren. Ein großer Stellenwert von Selbständigkeit und Selbstverantwortung, ein regelrechter Bildungs- und Geschichtshunger, ein ausgeprägtes Interesse für Kunst und Wissenschaft, ein hohes Arbeits- und Leistungsethos, die Kultivierung des Briefeschreibens sowie das Vertrauen, über öffentliche Angelegenheiten in einem rationalen Diskurs entscheiden zu können – all dies gehörte zur bürgerlichen Kultur und Lebensweise. Und dass Theodor Heuss nach 1949 als Bundespräsident einen bildungsbürgerlichen Habitus pflegte, steht außer Frage.118 Und drittens trifft auf Heuss eine weitere Dimension des Begriffs „Bürger“ zu. Als Staatsbürger engagierte er sich schon im Kaiserreich für eine stärkere Bindung der Staatsgewalt an das Prinzip 40
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der Volkssouveränität. Er bezog selbständig Stellung im politischen Raum und strebte nach Verantwortung, vor allem, als er 1918 nach Berlin in das Zentrum der politischen Entscheidungen wechselte. Nach der Revolution trat er sogleich der bürgerlichen DDP bei, die seine demokratische Heimat im politischen Spektrum werden sollte und die er seit 1924 aktiv im Reichstag vertrat. In dieser linksliberalen Partei sah sich ein Großteil des demokratischen Bürgertums vertreten – freilich mit abnehmender Tendenz. Als Journalist und Redakteur begleitete und kommentierte Heuss zudem die Entwicklung der Weimarer Republik; als Studienleiter und Dozent an der Deutschen Hochschule vermittelte er politische Bildung im Sinne einer Staatsbürgergesellschaft. An Theodor Heuss lässt sich nun in der Tat gut beobachten, wie er der Deklassierung und dem vielbeschworenen Niedergang des deutschen Bürgertums seit der Jahrhundertwende entgangen ist, sich weitgehend immun gegenüber totalitären Ideologien und Versuchungen zeigte und bürgerliche Haltungen und Werte über die Epochenschwelle des Zusammenbruchs 1945 retten konnte. Dieses bürgerliche Element prägte dann auch seine Arbeit im Parlamentarischen Rat, in dem ohnehin überwiegend Akademiker, vor allem Berufsbeamte, Richter und Professoren vertreten waren, also genuin Angehörige des Bildungsbürgertums. Im Ergebnis ist das Grundgesetz eine zutiefst bürgerliche Verfassung, welche auf den Prinzipien liberaler Grundrechte, der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und des Parlamentarismus beruht und die bürgerliche Eigentumsordnung garantiert. Vorausgesetzt wird der aktive Staatsbürger mit seinen politischen Rechten und Pflichten. Das Grundgesetz zu einer bürgerlichen Verfassung mit liberalem Charakter werden zu lassen war nicht das geringste Verdienst von 41
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Theodor Heuss. Dies kommt in den beiden hier abgedruckten Reden immer wieder zum Ausdruck. Allein schon seine hohe Wertschätzung einer Verfassung an sich und ihrer integrativen Funktion für eine Orientierung bedürfende Nachkriegsgesellschaft beruht auf einer langen bürgerlich-liberalen Tradition des deutschen Konstitutionalismus.119 Anstelle eines jederzeit revidierbaren Provisoriums stand für ihn die Würde der Verfassung im Vordergrund, um die Staatsmacht in einen Rechtsrahmen zu spannen und zu einem Rechtsstaat zu machen. Der große Stellenwert, den Heuss den Grundrechten zuwies, erinnert an Forderungen des liberalen Bürgertums aus dem Vormärz ebenso wie die Bedeutung, die er dem Staat und seinen Organen als Hüter dieser Grundrechte zumaß. Mit seiner Forderung der Beschränkung auf die individuellen Freiheitsrechte befand sich Heuss ganz in der Traditionslinie des deutschen Liberalismus und setzte sich bewusst von seinem politischen Mentor, den nationalsozialen Friedrich Naumann, ab. Hingegen in der Betonung des bürgerlichen Leitwerts der Nation, den die Linksliberalen in der Weimarer Republik demokratisch verstanden, war Heuss wieder ganz auf der Linie Naumanns.120 Die Persistenz der deutschen Nation, von Heuss nach 1945 kulturell mit durchaus politischem Potential verstanden, war Grundlage seines Nachdenkens über eine künftige Verfassung. Und ebenso die Rückversicherung in und die Auseinandersetzung mit der Geschichte dieser Nation war ein zutiefst bürgerliches Element aus dem 19. Jahrhundert, in dem der Geschichtswissenschaft eine enorme Deutungsmacht zuerkannt wurde. Heuss argumentierte immer wieder mit der identitätsstiftenden Symbolkraft des Grundgesetzes und seiner Organe, wenn er für das Amt des Bundespräsidenten plädierte oder gegen die Einrichtung eines Bundesrates als Zweite Kammer Stellung bezog. Die 42
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Verfassung sollte gewissermaßen die Arena für den Bürger vorbereiten, in der sich Politik nach demokratischen Gesichtspunkten abzuspielen hatte. So sollte aus dem Untertan der aktive Staatsbürger werden. Deshalb war der bürgerliche Erziehungs- und Bildungsgedanke so wichtig, den Heuss dem Grundgesetz als vornehmste Aufgabe zuschrieb. Neben dem Staat sah er vor allem in den Parlamenten und Parteien eine Erziehungsschule zur Demokratie. Sein Misstrauen gegenüber einer Demokratie von unten, außerhalb der Regelungsmechanismen von gewählten Repräsentativorganen, ist freilich ebenso ein Relikt aus dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts. Dessen Leitbild einer bürgerlichen Gesellschaft mittlerer Existenzen hatte durchaus ausschließende Züge gegenüber der ungeregelten Gewalt der Unterschichten und ließ auch noch Heuss vor direktdemokratischen Elementen zurückschrecken. Ihm ging es vielmehr darum, zur Demokratie in dem Sinne zu erziehen, dass dem politischen Handeln Verantwortung innewohnte, die er vor allem bei Parteien und Parlamenten verortete. Deshalb attackierte er Dolf Sternberger ja auch so scharf, gerade weil dieser für das ungeschützte Aufeinanderprallen von Mehrheit und Minderheit plädierte, ohne als Publizist für die Folgen in der politischen Praxis verantwortlich zu sein. Erziehung zur Demokratie schloss für Heuss ein, sich verantwortlich zu zeigen für die Konsequenzen seines Tuns. Diese bürgerliche Stoßrichtung sollte nach der Überzeugung von Theodor Heuss das Grundgesetz bekommen; es hatte damit ein zentrales Projekt des liberalen und demokratischen Bürgertums aus dem 19. Jahrhundert einzulösen. Und in der Tat: Die Bonner Verfassung wurde in den kommenden Jahrzehnten zum Träger und Wegbereiter einer bürgerlichen Gesellschaft. Ob das Bürgertum als soziale Formation nach den Krisen und Zusammenbrüchen der 43
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ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Strahlkraft und seinen Einfluss eingebüßt haben mag oder nicht, gänzlich aufgelöst hat es sich freilich nicht, allenfalls Wandlungen durchlaufen.121 Vor allem haben bürgerliche Werte, Tugenden und Ideen nach 1945 ihren Exklusivitätsanspruch und ihren ständischen Charakter verloren und sind nicht mehr zwangsläufig an ein Bürgertum gebunden. Die Verallgemeinerung von „Bürgerlichkeit“ – so ein Trend der jüngeren Forschung – wurde zum Kennzeichen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Gerade die Infragestellung des sozialen Statuts des Bürgertums ließ das „bürgerliche Projekt“ zu einem Erfolgsmodell werden; die Bürgergesellschaft hatte sich von der Sozialformation „Bürgertum“ emanzipiert.122 Dazu hatte in den Jahrzehnten nach 1949 auch das Grundgesetz beigetragen, dessen bürgerliche Imprägnierung Theodor Heuss ein so großes Anliegen war. Vor allem in der Idee der Staatsbürgergesellschaft fand das Projekt der bürgerlichen Gesellschaft seine zeitgemäße und breitenwirksame Ausprägung. Insbesondere die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes konnten seit Ende der fünfziger Jahre das Grundgesetz in das Bewusstein der Gesellschaft tragen und den Grundrechten eine wachsende Bedeutung zuweisen – nicht mehr allein als Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat, sondern als Wertsystem, das in alle Rechtsbereiche ausstrahlt.123 Diese Wirkmächtigkeit des Grundgesetzes erklärt damit auch ein wenig den erstaunlichen Wandlungsprozess, den eine orientierungslose, durch Nationalsozialismus und Krieg, Vertreibung und Niederlage geprägte Gesellschaft nach 1945 durchmachte. Das Grundgesetz schuf neben den institutionellen auch die ideellen Voraussetzungen für eine Modernisierung und Liberalisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft.124 Diese mündete seit den achtziger Jahren zunehmend in der Utopie 44
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einer Zivilgesellschaft, getragen von gesellschaftlichen Selbstorganisationen bzw. der Non-Government-Bewegung.125 Die dezidierte Abgrenzung dieser Organisationen vom Staat, der Kult der Zivilität, geht nun freilich weit über das hinaus, was etliche Abgeordnete des Parlamentarischen Rates intendiert hatten. Vor allem Heuss war es ja, der auf die Würde des Staates pochte und davor warnte, ihn gegenüber dem Bürger zum bloßen Instrument zu degradieren. Doch durch diese Entwicklung hin zu Formen gesellschaftlich verankerter Demokratie, die Heuss zeit seines Lebens fremd blieben, bewies das Grundgesetz, dass es – oftmals mit dem Instrument des Bundesverfassungsgerichtes – durchaus den Anforderungen einer modernen Gesellschaft genüge leisten konnte. Die Zivilgesellschaft sieht sich nun nicht nur in Distanz zum Staat – auf dessen Institutionen sie zu ihrer Entfaltung freilich nicht verzichten kann –, sondern fragt auch nach den Voraussetzungen, die eine bürgerliche Gesellschaft zusammenhalten: Gemeinsinn, Selbständigkeit und Selbstorganisation, Bürgerengagement, Legitimität von Pluralität und geregeltem Konflikt, Toleranz, Öffentlichkeit, Akzeptanz von Arbeit und Leistung als Kriterien der Verteilung von Wohlstand, Ansehen und Macht sowie die Grundsätze des Rechts- und Verfassungsstaates.126 Diese primär vorpolitischen Haltungen sind es nun, die Theodor Heuss zeit seines Lebens als unabdingbare Voraussetzungen für eine lebensfähige Demokratie ansah und für die er schon 1920 den Begriff der „Demokratie als Lebensform“ prägte.127 So war es ja vor allem der Mangel an demokratischer Haltung, der nach seiner Ansicht zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen hatte. Aus diesem Grund verstand er sich nach 1945 als Erzieher zur Demokratie, der eine bürgerliche Gesinnung einforderte und im Grundgesetz verankern wollte. Wenn im Parlamentarischen Rat die institutionellen Rahmenbedin45
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gungen der künftigen Verfassung diskutiert wurden, dann war es vor allem Heuss, der immer wieder daran erinnerte, dass hinter diesen Institutionen und Organen sittlich-demokratische Werte zu stehen haben, welche die Bürger an die Republik binden – so zum Beispiel Fairness. Die Verfassung bedurfte also zum einen dieser vorpolitischen Einstellungen, um überhaupt in der politischen Praxis überlebensfähig zu sein; zum anderen sollte sie bis in die Sprache hinein auch selber dazu beitragen, diese demokratischen Haltungen ins Bewusstein der Menschen zu implementieren. In diesem Wechselspiel von Verfassung und ihrem mentalem Komplement lag die anspruchsvolle Herausforderung des Grundgesetzes in den kommenden Jahrzehnten. Es ist nun eine Ironie der Geschichte, dass es gerade Dolf Sternberger dreißig Jahre später verstand, den Erfolg des Grundgesetzes bei der Verankerung eines demokratischen Bewussteins auf den Punkt zu bringen. Angesichts der deutschen Teilung bleibe, so Sternberger, das traditionelle Nationalgefühl verwundet. Stattdessen habe sich in der Bundesrepublik ein „zweiter Patriotismus“ herausgebildet, der auf dem Grundgesetz beruhe. Die zunehmende Identifikation des Bürgers mit der politischen Kultur und den normativen Prämissen des demokratischen Rechtsstaates, diesen „Verfassungspatriotismus“ pries Sternberger 1979 als das folgenreiche Verdienst und die herausragende Qualität des Grundgesetzes.128 In dieser Einschätzung des Grundgesetzes sollten sich Theodor Heuss und sein einstiger Kontrahent wiederfinden: in der Demokratie als Lebensform, die Voraussetzung, Inhalt und Aufgabe einer Verfassung zugleich ist. Theodor Heuss quasi als Verkünder des Verfassungspatriotismus avant la lettre! Und dass Sternberger nun auch noch der im Grundgesetz kodifizierten Staatsgewalt eine zentrale Funktion für die Sicherung der Freiheit attestierte, weil 46
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„es keine Freiheit geben kann ohne Staat“ und „keine Menschenrechte außerhalb des Staates, der sie nämlich in Bürgerrechte verwandelt“129 – dieses Zugeständnis an einen starken, handlungsfähigen Staat hätte Heuss vermutlich einiges an Genugtuung bereitet. Doch der Wind bläst mittlerweile den Anhängern der grundgesetzlichen Ordnung ins Gesicht. Als der streitbare Politikwissenschaftler Arnulf Baring am 19. November 2002 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, nur wenige Monate nach der Bundestagswahl, die Innen- und Außenpolitik der rot-grünen Regierungskoalition geißelte, da beschwor er ein einschlägiges Krisenszenario.130 Kaum ein Handlungsfeld der Politik lässt er aus, um den Niedergang der Bundesrepublik zu prophezeien: von der außenpolitischen Distanzierung zu den USA im Falle des zweiten Irak-Krieges über den maroden wie überforderten Sozialstaat und die Selbstblockade des deutschen Föderalismus bis hin zum erstarrten Parteiensystem. „Diese Republik ist am Ende“, so sein Fazit.131 Und die Wurzel des Übels macht Baring schließlich im Grundgesetz aus. Aus der Diktatur-Erfahrung geboren, verhindere es eine handlungsfähige Regierung ebenso wie eine durchgreifende Gesetzgebung und damit die Konsolidierung Deutschlands. Anders als die präsidialen Notverordnungen aus der Weimarer Republik, mit denen notwendige, schmerzliche Reformen ohne Parlament in die Wege geleitet werden konnten, fehle dem Grundgesetz die Möglichkeit zu einer „mutigen“, sprich autoritären Regierung. Baring ruft abschließend zum „Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem“, zum passiven und aktiven Widerstand, zur Revolte auf und fordert trotzig: „Bürger, auf die Barrikaden!“ Wie abenteuerlich die historische Argumentation Barings auch ist, mit diesem Pamphlet hat er sich weit von den Verfassern des 47
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Grundgesetzes und ihren Erfahrungen mit dem Scheitern der Weimarer Republik entfernt. Der Verfassungskonsens, von dem jede bürgerliche Verfassung lebt, ist aufgekündigt, wenn der Bürger auf der Barrikade sich der Bedingungen entledigt, unter denen politisches Handeln in der parlamentarischen, pluralistischen Demokratie möglich ist. Und uns, den Staatsbürgern, wird wieder vor Augen geführt, dass die demokratische Verfassung auch von Voraussetzungen lebt, die sie selber weder herstellen noch bewahren kann. Daran erinnert zu haben, ist nicht das geringste Verdienst von Theodor Heuss und seines Beitrages zum Grundgesetz. Er hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Editorische Notiz Der hier abgedruckte Text der beiden Reden von Theodor Heuss hält sich weitgehend an die Vorlage aus dem Band 9 der Edition „Der Parlamentarische Rat 1948–1949“.132 Die Zeichensetzung wurde vereinheitlicht und modernisiert. Hervorhebungen im Original wurden durch Kursive gekennzeichnet. Der Kommentar von Wolfram Werner, dem ich einige wichtige Hinweise verdanke, wurde grundlegend überarbeitet und erweitert. Mein Dank für die Erlaubnis zum Wiederabdruck geht an das Bundesarchiv. Für Kritik und Anregungen danke ich Dr. Thomas Hertfelder und Florian Burkhardt.
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Theodor Heuss Zwei Reden im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz Dritte Sitzung des Plenums, 9. September 1948 Vizepräsident Adolf Schönfelder:1 Meine Damen und Herren! Nach unserer Abrede treten wir nunmehr in die Aussprache ein. Als erster Redner hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Heuss. Dr. Theodor Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Als vorige Woche der Kollege Reimann2 eine, wie ich glaube, noch bescheidene Vorprobe seines Temperaments und seiner Begabung für das Emotionelle gegeben hat, warf er in die Versammlung die Sentenz: Verfassungsfragen sind Machtfragen.3 Ich bin nicht ganz sicher, ob es als Sentenz oder als Parole gedacht war. Das Wort stammt, wie Sie wissen, von Ferdinand Lassalle.4 Er sprach es aus, als er im Jahre 1862 in den preußischen Verfassungskampf eingriff.5 Es könnte für uns die Lockung vorliegen, nun, da wir hier zusammen sind, um eine Verfassung zu machen, die wir doch nicht ganz eine Verfassung nennen wollen, das Problem Macht und Verfassung zu untersuchen und zu prüfen: Haben wir eigentlich den Auftrag, einen Machtkampf aufzuführen, oder den Auftrag, das Problem der Verfassung als Rechtsfrage zu sehen und zu formen? Damit Recht nicht bloß Recht sei, sondern damit Recht Recht werde, muß das Recht in Macht eingebettet sein. Es war ganz schön, gestern an Thomas von Aquino6 erinnert zu werden. Ein sehr weiser Mann! Und vom Naturrecht her uns irgendwie anregen zu lassen für die Überprüfung rechtlicher Normen, ist gewiß eh und je notwendig.7 Aber 49
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auch Thomas von Aquin wußte davon, daß Recht in Macht eingebettet sein muß. Wir dürfen nicht vergessen: Er ist der Exponent einer Zeit des Lehensrechts, wo die Abstufung der Lebensordnung von oben nach unten ging und noch keine Demokratie der Masse vorhanden war. Ich werde darauf noch zurückkommen. Wir wollen also, so interessant es ist, mit solchen geistesgeschichtlichen Parallelen etwas vorsichtig sein. Wir sind vor die Situation gestellt, das Problem Recht und Macht in Paragraphen sauber auseinanderzugliedern. Dies ist auch in den Ausführungen des Kollegen Schmid durchgeklungen.8 Aber geht denn das? Das geht nicht, weil das Verhältnis von Recht und Macht ein ewiges geschichtliches Spannungsverhältnis ist. Wir müssen trachten, die Rechtsformen so zu schaffen, daß sie in sich die moralisch-sachliche Qualität gegenüber der Macht besitzen und, wenn diese dem Mißbrauch ausgesetzt ist, ihre eigene innere Kraft wahren. Es ist das Problem, das auch in der Diskussion des Weimarer Ergebnisses vorliegt. Die Rechtsordnung von Weimar war nicht schlecht. Heute ist modern geworden, und das ist auch hier ein bißchen durchgeklungen, von der Weimarer Verfassung gering zu reden. Das ist so ein bißchen noch die Suggestion der Hitlerpropaganda, (Lebhafte Zurufe: sehr richtig!) in der auch sehr viele von uns noch befangen sind. Die deutschnationale Opposition vom Jahre 1919 ab und dann die Nazipropaganda haben von vornherein jene Atmosphäre geschaffen, in der die junge Verfassung moralisch fast nicht leben konnte. Heute hat man die 50
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Angewohnheit zu sagen: Weil der Hitler an die Reihe gekommen ist und von den Paragraphen der Weimarer Verfassung nicht daran gehindert werden konnte, ist die Verfassung schlecht gewesen. So primitiv ist die Motivenreihe des Geschichtsprozesses nicht! Für uns ist es lehrreich genug, einen Augenblick – auch wenn das als eine politische Debatte erscheint – den Rückblick zu vollziehen, weil uns dann bestimmte Parallelen der heutigen Situation gegenwärtig werden. Die Demokratie der Weimarer Verfassung ist dadurch so schwer in Gang gekommen und konnte nicht recht in Gang kommen, weil die Demokratie in Deutschland nicht erobert worden ist. (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig!) Sie ist nach Deutschland gekommen im Augenblick – und das ist ja nun eine Banalität – der Niederlage.9 Aber indem sie nicht erobert wurde, hatte sie sich keine eigene Legende, keine Geschäftserfahrung geschaffen. Man soll sich doch den Reichstag von 1914 ansehen: der hatte Angst vor der möglichen eigenen Macht, der fühlte sich ganz gut dabei, im Vorhof der Macht seinen Daueraufenthalt zu nehmen, und nur ein paar Leute haben etwas davon gespürt, daß die Mitverantwortung des Parlaments die Voraussetzung zur Schulung eines politischen Typs in Deutschland sei, der neben der Bürokratie eine Leistungskraft in sich selber entwickele.10 Nun ist unstreitig die Weimarer Verfassung das Opfer eines grandiosen Irrtums geworden. Sie glaubte nämlich, wie junge Demokratien ihrer Natur nach optimistisch sein müssen, an die Fairneß der Deutschen. Es kennzeichnet die sehr tragische Lage für unser Volk, daß wir für diesen Begriff Fairneß in Deutschland selber 51
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kein eigenes Wort besitzen; so geschah, daß der Entwicklungsweg der Demokratie von der Atmosphäre der nationalistischen Romantik, der monarchischen Restauration und dem elenden Verbrechen der Dolchstoßlegende11 begleitet wurde. Diese Dinge sind für das Funktionieren der Weimarer Verfassung viel, viel entscheidender gewesen als diese oder jene von uns heute nicht als ganz richtig empfundene technische Paragraphenformulierung. Wenn wir an diese vergiftete politische Atmosphäre denken, in der Weimar gestartet wurde, wie ist dann unsere Lage heute? Wir sollen einem gemeinsamen Recht für das deutsche Volk die Stütze der Macht geben. Aber wo ist die Macht? Wir wandern im Tal der Ohnmacht. Wieder ist die Demokratie in Deutschland nicht erobert worden; sie ist von den Besatzungsmächten angeordnet, anempfohlen, zugelassen, zugemessen, lizenziert, limitiert, kontingentiert.12 Ist denn das die Situation, in der etwas Rechtes, Kräftiges und Gesundes überhaupt entstehen kann? Das ist die Frage, vor der wir als Gruppen und als einzelne stehen. Die Antwort lautet ganz verschieden. Sie ist bei den einen die müde Resignation: Da kann ja nichts werden! Oder bei den andern eine ziellose Proteststimmung gegen die Besatzungsmächte. Oder bei den ganz Gescheiten ein sehr wirkungsloses Buchstabieren der Landkriegsordnung13 und solcher Geschichten. Das ist nicht die Stimmung und die Gesinnung, in der wir hier beginnen können. In welcher können wir denn beginnen? Verzeihung, ich komme aus Württemberg; infolgedessen darf ich aus unserem großen Vorrat an Dichtern einen kurz zitieren und sagen: Wir wollen beginnen in der Gesinnung, die Hölderlin mit dem Wort „heilige Nüchternheit“ bezeichnet.14 Ein sehr merkwürdiges und tiefes Wort, die Nüchternheit „heilig“ zu nennen, als sei diese etwas Sakrales. Wenn 52
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ich das auf uns beziehe: wir sind gegenüber der Wirklichkeit illusionslos geworden, wir alle, diese Generationen, sind durch die Schule der Skepsis hindurchgegangen. Aber wenn wir nur illusionslos sind und wenn wir nicht ein Stück Glauben auch für diesen unseren Beruf mitbringen, dann verliert unser Handwerk von seinem Beginn an die innere Würde. Wer hat uns denn die Legitimation gegeben, hier etwas zu beginnen? Das Dokument I15 ist ein technischer Vorgang, der seine Rechtfertigung aus der Gesamtentwicklung der politischen Situation bezieht. Wir sind dann von den Landtagen gewählt,16 Landtagen, von denen wir eben gehört haben, daß sie der Ausdruck originärer Staaten seien.17 Ich will niemand zu nahe treten, aber manche dieser Staaten sind weniger originär als originell (Heiterkeit.) in der Art, wie sie geworden sind. Nun den Status einer richtigen Staatlichkeit in diesen, bald hätte ich gesagt, Sauzustand der deutschen Länderwerdung hineinzulegen, bitte, das wollen wir uns eigentlich schenken. Wenn wir hier von den Landtagen gewählt worden sind, so sind die Landtage im Augenblick Behelfsheime der deutschen Existenz überhaupt. (Lebhafte Zurufe: Sehr gut! und Heiterkeit.) Gut, sie haben im ganzen anständig gearbeitet. Aber wir sind doch nicht als Vertreter von Württemberg oder Bayern oder sonst einem Land hier, auch wenn deren Parlamente uns gewählt haben, weil man in diesem August, wo die Menschen unter den größten Sorgen lebten, Währungsfolgen18 usw., keine Volksmeinung über staats53
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politische Dinge herausholen konnte.19 Darüber sind wir uns ganz klar: es ist eine Behelfskonstruktion, die uns hierher entsandt hat. Mir scheint, wir könnten das vorwegnehmen, was zu beschließen wir offenbar gemeinsam entschlossen sind, nämlich den Satz: Der Abgeordnete ist Vertreter des ganzen Volkes. Wenn wir das für uns selber jetzt schon maßgebend sein lassen, dann ist unsere Legitimation sachlich geklärt. Aber beschließen denn wir hier oder beschlossen die Ministerpräsidenten, wenn sie im Auftrag zusammen waren, einen Bund? Nein, das Deutsche Reich, auch wenn es desorganisiert ist, ist rechtlich und politisch eine Geschichtstatsache geblieben. (Lebhafte Zustimmung.) Die Novemberverträge des Jahres 1870,20 auf die Herr Dr. Hoegner21 in München sich einmal berufen hat und von denen er gemeint hat, sie seien jetzt außer Kraft,22 sind, verzeihen Sie, durch 80 Jahre gemeinsamer politischer Volksgeschichte als Rechtsvorgang konsumiert, die interessieren uns nicht mehr, (lebhafte Zurufe: sehr richtig!) sondern was uns interessiert, ist das Problem: Kann man sich überhaupt seelisch vorstellen, daß man einen „Bund“ auf Anweisung fremder Mächte schließt oder erneuert? Der Bund setzt als neuer Rechts- und politischer Vorgang ja doch die Freiheit voraus. Wir sind also dabei, uns Gedanken zu machen, eine Neuordnung, eine Rückordnung des deutschen Gemeinschaftslebens mit den Tatbeständen der Länder vorzunehmen. Wir weichen dabei dem Wort 54
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„Verfassung“ aus, und wir sagen sehr oft zu dem, was wir machen wollen, „provisorisch“, weil wir spüren, zum einen, daß uns das Pathos der freien Entscheidung mangelt, und weil wir zum andern nur ein Teil-Deutschland personell in unseren Reihen, an unseren Verantwortungen beteiligt fühlen.23 Aber ein bißchen habe ich die Sorge, daß wir uns – aus Gründen, die ich politisch durchaus verstehe, die aber auf unsere eigene Arbeit zurückwirken können und auf das immerhin von uns noch zu erstrebende Gefühl des Mitdenkens des deutschen Volkes – angewöhnen, das Wort „provisorisch“ etwas zu oft auszusprechen. Wir begreifen dieses Wort „provisorisch“ natürlich vor allem im geographischen Sinne, da wir uns unserer Teilsituation völlig bewußt sind, geographisch und volkspolitisch. Aber strukturell wollen wir etwas machen, was nicht provisorisch ist und gleich wieder in die Situation gerät: heute machen wir etwas, und morgen kann man es wieder ändern, und übermorgen wird eine neue Auseinandersetzung kommen. Wir müssen vielmehr strukturell schon etwas Stabileres hier fertigzubringen versuchen, (Zustimmung) auch etwas, was eine gewisse Symbolwirkung hat, und wenn auch bloß in der Abschattierung, so daß wir den Besatzungsmächten, daß wir auch den Leuten im deutschen Osten sagen: Wir sind nun eben auf einem Wege begriffen, dessen Ende noch nicht erreicht ist.24 Ich bin in Sorge, ob nicht das, was in Herrenchiemsee vorgeschlagen wurde, dieses Gebilde aus diesen politisch-psychologischen Gründen „Bund deutscher Länder“ zu nennen, etwas sehr Zufälliges 55
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hat.25 Wir sollen keine Angst haben vor der Magie des Wortes. Ich würde bitten, in die Diskussion hereinzunehmen, daß wir uns heute einfach „Bundesrepublik Deutschland“ nennen, weil damit schon eine starke moralische Attraktion für die jungen Menschen mit drinsteckt, die in diesem „Bund Deutscher Länder“ ja nur ein Ausweichen vor sich sehen. Das wird auch im deutschen Osten verstanden werden.26 Es ist uns der Auftrag gegeben, eine, wie es heißt, Verfassung des „föderativen Typs“ zu machen.27 Nun ist ja von dem Problem des Föderalismus und Zentralismus allerhand gesagt worden. Ich will auch etwas dazu bemerken. Zunächst rein als Geschichtsvorgang: Katastrophen der Welt, die ein Volk erschüttern, haben zunächst die seltsame Wirkung der Dezentralisation der seelischen Empfindung. Nach 1918, nach 1945 wurde auf einmal die Nähe das Wesentliche, was die Menschen suchten, und zwar nicht bloß deshalb, weil Telefonleitungen zerstört waren und keine Bahnen gingen, sondern es entsteht die Flucht dorthin, wo die große weltpolitische Erschütterung in ihrer Gewalt nicht so unmittelbar gespürt wird. (Sehr gut!) Aber die zweite Wirkung ist dann die, daß hinter solchen Ereignissen die große zentralistische Bewegung hereindrängt. 1789, überhaupt große Revolutionen wirken absolut zentralisierend, um eine Machtsituation zu sichern und auszudehnen.28 Wir hatten im Jahre 1918/19 keine Revolution in diesem Sinne. Wir hatten sie 1933 und mir ihr die Zentralisierungstendenz.29 Wir hatten aber auch schon im Jahre 1920 eine der Konsequenzen dieser Entwicklung in der großen Erzberger’schen Gesetzgebung,30 die in vielen 56
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Dingen eine Rettungsaktion gegenüber den dezentralisierenden Kräften bedeutet hat, die sich damals geschichtlich gemeldet haben. (Zustimmung.) Und heute? Wir wollen, wenn wir nach einem „föderativen Typ“ zu suchen haben, keinen Wortfetischismus treiben, sondern wir sollen uns sogar selber aus einer gewissen Reinlichkeit heraus davon freimachen. Die Deutschen sind ein merkwürdiges Volk. Ich habe im vorigen Jahr eine sehr große Diskussion mitgemacht,31 wo einer sich kolossal gescheit vorkam, als er darstellte: föderalistisch, das ist der Ruin, föderativ, das ist das Gesunde. So argumentiert diese simpelhafte Wortgläubigkeit der Deutschen, die sich um derlei herumstreiten. Wir wollen nun einen Augenblick sehen – es ist schon erwähnt worden –, in welches Mißverständnis man kommt, wenn man sich über den Begriff des Föderalismus, ich will einmal sagen, mit einem Amerikaner austauscht. Im Beginn der amerikanischen politischen Geschichte steht Alexander Hamilton,32 der Führer der „Federalists“, und der war für die Stärkung der Zentrale, während es bei uns Denkgewohnheit geworden ist, daß Föderalismus Stärkung der Glieder auf Kosten der Zentrale bedeutet. Das ist bei uns nach Weimar vorbelastet worden nicht mit der ungenügenden Lösung der Zuständigkeiten, sondern damit, daß auf einmal Herr Zeigner33 in Dresden und das andere Mal Herr Kahr34 in München ihre Interpretation von Zusammengehörigkeit eines deutschen Gliedstaates mit dem Gesamtschicksal eines Volkes in furchtbarer Zeit so gegeben haben, wie es weder ein gesunder noch ein ungesunder Föderalismus, um diesen Begriff aufzunehmen, je hätte erlauben dürfen. 57
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Ich glaube, die Situation bei den Deutschen ist vielfach so gewesen: von 1924/25 ab – darüber ist schon geredet worden35 – hat man bei uns Überlegungen angestellt, ob die Weimarer Verfassung durch eine „Reichsreform“ anders gemodelt werden könnte.36 Im Jahre 1919 hat Naumann37 den sehr klugen Vorschlag gemacht, man solle nach fünf Jahren die Verfassung einmal sachlich überprüfen, ohne daß dabei eine verfassungändernde Mehrheit nötig wäre.38 Nun ist dies nicht eingetreten; man hat sich mit der Entwicklung des Kompetenzkatalogs begnügt.39 Ein solcher wurde in Weimar durchgeführt. Er ist dann von den Nazis sehr eindeutig interpretiert worden. Daß die Nationalsozialisten nach dem Gesetz der Revolution Zentralisten wurden und zugleich Nivellierungsfanatiker,40 das hat eine unitarische Richtung bei sehr vielen Leuten innerlich erschüttert, sie seelisch umgestimmt. Ich bin weit davon entfernt, hier eine zentralistische Propagandarede zu halten, aber ich sage: Der Ausschuß, der die Fragen der Kompetenzen durchzugehen hat,41 wird auf einmal merken, daß das eigentlich nur eine philologische Spielerei ist, wenn man nicht dahinter spürt: der große Zentralisator des deutschen Schicksals ist die deutsche Not und die deutsche Armut. (Lebhafte Zustimmung.) Dann werden auf einmal die Leute, die heute so selig über ihr staatliches Eigenleben scheinen, dankbar sein, wenn ihnen aus der Gemeinschaft, aus der Gemeinverantwortung jene Hilfe und Kräftigung zufließt, die sie für sich gar nicht schaffen könnten. Wir wollen dabei auch keine zusätzliche heimatliche Geschichtsromantik haben, wie sie im Nordwesten oder im Südosten Gesamtdeutschlands heute noch gepflegt wird. Denn bei aller Anerkennung dessen, was Geschichte im Bewußtsein heimatgebundener 58
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Menschen ausmacht, sind doch alle diese Dinge, etwa die Beamtentradition, die ich nicht gering ansehe, heute fragwürdig geworden durch den einfachen Vorgang, von dem ich nachher an anderer Stelle etwas zu sagen habe, daß nämlich die Flüchtlingstatsache als Massenproblem eine soziologisch-psychologische Umwandlung all der Heimaten herbeiführen wird, ob sich einer dagegen sträubt oder nicht, und wenn er sich dagegen sträubt, begeht er ein Unrecht an der deutschen Entwicklung, die diese größte Geschichtsaufgabe, vor der wir stehen, bewußt mit anfassen muß. Wir wollen die Frage der Entscheidung im Organaufbau nun in den Ausschüssen pfleglich überlegt wissen. Wir halten dafür, daß die Person, die Amtsfunktion des Bundespräsidenten nicht in die ungewisse Geschichte abgeschoben werden soll, weil die Zeit noch nichts Rechtes für ihn zu tun gibt. Verkennen Sie nicht die Symbolkraft, die davon ausgeht, und vermeiden Sie das Provisorium eines Direktoriums, was dann in der Bevölkerung gleich wieder so ausgedeutet wird: man will also die verschiedenen Leute und Parteien mit daran beteiligt haben. Man muß schon den Mut haben, in das Strukturelle das Feste einzubauen.42 Parlamentarisches oder Schweizer System? Ich brauche es nicht durchzugehen. Das parlamentarische System ist durch die Entwicklung in Weimar, durch die Ereignisse der französischen Regierungskrisen disqualifiziert.43 Gibt es denn eine Regierungsform, wie naive Menschen oder Staatshandbücher das glauben, die dem Gemäßen entspricht? Nein, das gibt es nicht, sondern es gibt immer nur Annäherungswerte, um Schwierigeres zu verhindern, zu lindern. Ich für meine Person bin der Meinung, daß wir am parlamentarischen System festhalten sollen,44 obwohl ich die Einwendungen dagegen kenne, rein aus dem Grunde, weil in dem parlamentari59
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schen System für Regierungen und Parteien gerade in Deutschland die Erziehungsschule der politischen Verantwortung liegt, die hinweggegeben wird in dem Schweizer System, wenn ich es einmal so nennen soll; die eidgenössische Entwicklung hat ihren eigenen festen Rhythmus begründen können.45 Es ist nun gesagt worden, daß das parlamentarische System ein anderes Wahlrecht voraussetzt, daß diese Wahlrechtsfrage vorher entschieden werden muß.46 Nun halte ich dafür, daß wir die Probleme sehr gut und sehr genau untersuchen müssen. Aber man soll nicht das Opfer von Schlagworten werden, die jetzt so laufen, daß das Wahlrechtsproblem isoliert eine politisch-funktionelle Entscheidung herbeiführen könne. Es wird dann so dargestellt, daß die politische Erbweisheit der Engländer sie zum relativen Wahlrecht und dadurch zum Zweiparteiensystem gebracht habe und daß die Amerikaner das von den Engländern gelernt und ihnen dann nachgemacht hätten. So ist das nicht. Das klassische englische Zweiparteiensystem ist vor über zweieinhalb Jahrhunderten ganz ohne Wahlrechtsprobleme entstanden aus dem Zwiespalt der aristokratischen gentry, als die einen für das Haus Stuart und die andern dagegen waren.47 Und das Zweiparteiensystem in Amerika ist geworden, weil die einen für die Stärkung des Bundes und die andern für die Stärkung oder für die Selbständigkeit der Glieder gewesen sind.48 Beide sind konservative Völker in diesem Sinne. Ich erinnere an diesen Vorgang nur deshalb, weil es eine etwas zu primitive Vorstellung ist, daß Wahlrechttechnik als solche die politischen Entscheidungen bestimme. Man soll dann auch mit dem Hinweis auf Frankreich brav zu Hause bleiben. Bei den Franzosen spielt sich das ab, ganz wurst, ob sie einmal das Proportionalwahlrecht oder das andere Mal das Mehr60
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heitswahlrecht gehabt haben. Wenn Sie sich die Geschichte der französischen Republik in den letzten vierzig Jahren vorstellen, so ist zwei- oder dreimal die Technik des Wahlrechts geändert worden, aber die parlamentarische Gesamtsituation als solche ist geblieben.49 Wir sind uns alle jedenfalls darüber klar, daß wir die unechten Mehrheiten, wenn ich sie einmal so nennen darf, oder die destruktiven, wie sie hier genannt worden sind, als Möglichkeiten durch das Grundgesetz in ihrer Wirkungskraft begrenzen.50 Ob die föderative Gestaltung der zweiten Kammer dem Senatstyp, um sich hier auf Formungen des Herrenchiemseer Entwurfs einzulassen, oder dem Bundesratstyp entsprechen wird,51 auch das ist der Einzeldiskussion, die ich mir bei der Kürze der Zeit ja doch nicht gestatten kann, bedürftig. Es ist gegenüber der Senatsformung nun das berechtigte Gefühl vorhanden: wird sie nicht nur eine verkleinerte Spiegelung dessen sein, was der Bundestag schon darstellt, und wird nicht infolgedessen die Gefahr der Repetition sich ergeben? Ich will jetzt nicht auf die fürsorglichen Meinungen eingehen, daß man diesen armen Senatoren doch nicht den ganzen Apparat beischaffen könnte, den sie vielleicht brauchen, wenn sie für „Verordnungen“ mit zuständig werden sollen und so fort. Von uns aus gesehen, wünschen wir auf der einen Seite, daß nicht eine bürokratische Behörde als solche entsteht, weil ihr das Dynamische fehlt, weil sie das Mitschwingen der demokratischen Verantwortung entbehrt. Aber auf der anderen Seite glaubt man wohl nicht ohne Grund, das, was an Sachverstand und Erfahrung in den alten Vertretungskörpern vorhanden war, in der Gänze jetzt nicht einfach auf die Seite schieben zu können. Wir haben in der deutschen Geschichte einen Vorgang als Möglichkeit, der nicht exerziert wurde, nämlich im Jahre 1848/49, wo 61
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man sich über diese Dinge auch Gedanken machte. Das hat im Winter 1848/49 in der Spielart gewechselt. Da hat man eine Zeitlang das Staatenhaus entworfen gehabt und in diesem Staatenhaus Vertreter der Landtage, Vertreter der Regierungen. Man hat in der zweiten Lesung sogar einen Reichsrat gemacht, in dem die einzelnen Länder bei der Bundeszentrale mit einem Gesandten vertreten sein sollten. In der dritten Lesung ist dieser sogenannte Reichsrat wieder gefallen.52 Aber daß die Kombination von Länderregierungsvertretern und Landtagsvertretern an sich gangbar ist und versucht werden könnte, legt sich mir sehr nahe. Das ist nicht rational brav ausgedacht. Aber es kommt ja auch nicht so darauf an, daß die Dinge rational ganz genau ausgemessen sind, wenn in sie eine Chance gelegt wird, daß eine Tradition sich daraus entwickelt, und gerade diese Kombination von Regierungsvertretern und Freigewählten kann vielleicht eine neue Tradition mit schaffen.53 Aber falls der Bundesrat, um das Wort zu übernehmen, genommen werden sollte, dann müßte er dies als Selbstverständlichkeit haben, daß echte politische Verantwortungen sichtbar mit von denen getragen werden, die dort als Ländervertreter die Entscheidung haben. Dann kommt der zuständige Ausschuß freilich vor eine sehr schwierige Aufgabe, und ich rate den Herren, die da hineingehen, jetzt schon ein sehr schwer auszusprechendes Wort zu üben, damit sie nicht darüber stolpern. Es heißt Inkompatibilität. Das ist sehr schwer auszusprechen. (Heiterkeit.) Aber nicht bloß dies. Dahinter steht die Frage, ob und inwieweit Kabinettsmitglieder der einzelnen Länder in die Situation kommen können, die ihnen nicht verwehrt werden kann, auch Mitglieder 62
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des Bundestages zu sein. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß hier ein offenes Problem steckt – es ist in der Frage des Aufbaus der Gesetzgebung angedeutet –, das wir vielleicht auch wieder hereinnehmen könnten, wo Herrenchiemsee mit staatsmännischer Weisheit geschwiegen hat. Nur bin ich nicht so unhöflich zu sagen, daß Herr Kollege Menzel54 nicht auch staatsmännische Weisheit besäße. Aber er hat das Problem Volksinitiative und Volksbegehren angeschnitten.55 Ich meine: Cave canem, ich warne davor, mit dieser Geschichte die künftige Demokratie zu belasten. Warum denn? In die Weimarer Verfassung ist das Volksbegehren aus einer gewissen Verliebtheit meines Freundes Conrad Haußmann56 in die Schweiz hineingekommen, weil Württemberg in der Nähe der Schweiz liegt und weil die Schweiz es hat. Das ist von ihm als eine konservative Angelegenheit begriffen worden, wie es ja vielfach in der Schweiz gewirkt hat.57 Das Volksbegehren, die Volksinitiative, in den übersehbaren Dingen mit einer staatsbürgerlichen Tradition wohltätig, ist in der Zeit der Vermassung und Entwurzelung, in der großräumigen Demokratie die Prämie für jeden Demagogen (sehr richtig!) und die dauernde Erschütterung des mühsamen Ansehens, worum sich die Gesetzgebungskörper, die vom Volk gewählt sind, noch werden bemühen müssen, um es zu gewinnen.58 Ich möchte also bitten, daß die Leute, die in den Ausschüssen damit zu tun haben werden, diesen Gedanken abstreichen, der in der ersten Weimarer Anlage als Volksentscheid sinnvoll gewesen ist, daß der Reichspräsident eine Entscheidung herbeiführen konnte. Denn damit sollte sich erst – nicht aus den Paragraphen, sondern aus der Geschichtswirklichkeit – ergeben, wer denn eigentlich in diesem Kampf um 63
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Verantwortung vor der deutschen Geschichte stärker würde, der Reichspräsident oder das Reichsparlament. An dieser Stelle wirkt die Weimarer Verfassung fast grotesk, und ich glaube, die Staatsrechtler haben in ihren Vorlesungen zwei bis drei Stunden dazu gebraucht, um klarzumachen, wer und unter welchen Voraussetzungen – Reichsrat, Reichstag, Reichspräsident – in diese Problematik der unmittelbaren Volksgesetzgebung hineinsteigen konnte.59 Wir stehen bei dieser Frage deutscher Föderalismus nun auch vor dem Problem, ihn mit einem europäischen Föderalismus im Zusammenhang zu sehen. Manche tun das publizistisch bei uns, auch draußen in der Welt, und fragen, ob dieser Föderalismus in Deutschland Teilproblem eines europäischen Föderalismus sei. Ich spreche deshalb davon, weil hier leicht sentimentale Mißverständnisse entstehen. Wir sind stark davon beeindruckt, daß in der französischen Kammer die Regierung jetzt den Vorschlag gemacht hat, einmal das Problem einer europäischen Konföderation aus der rein theoretischen Deklamation herauszunehmen.60 Wir würden sehr wünschen, daß ein solches Gespräch in Gang kommt, weil damit vielleicht auch das heute vollkommen verwirrte und undurchsichtige staatsrechtliche Problem des Saargebietes eine Entlastung erfahren könnte.61 (Sehr richtig!) Wir sind durchaus bereit, den Gedanken mitzugehen, auf Gegenseitigkeit Teile der deutschen Hoheit in einen größeren Verband der Gesamtverantwortung hineinzugeben. Aber ich warne vor jenen Stimmen, die sagen, daß die „deutsche Konföderation“ das Kernstück einer „europäischen Konföderation“ sein werde. Warum denn? Weil dahinter die Vorstellung steht – nach dem, was wir 64
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vorhin davon gehört haben, als davon gesprochen wurde, ist sie ganz gewiß nicht beabsichtigt gewesen –, daß die Einzelstaaten auch bei der Außenpolitik mitzuwirken hätten. Wenn die Deutschen heute schon jubiläumsfröhlich sind, dann könnten sie auch an 1648 denken, als den Deutschen die „teutsche Libertät“ geschenkt worden ist.62 (Sehr richtig! – Dr. Schmid: Nichtsnutzig eine deutsche Libertät, die prahlerisch im Feindeslager steht!) Die wollen wir nicht wieder haben. Es ist uns ganz klar, daß die Voraussetzung unserer europäischen Existenz im größeren Verbande die Gesichertheit unserer deutschen staatlichen Existenz ist, daß nicht ein Teil in Europa operieren kann, sondern nur das Gesamt. (Sehr richtig!) Die deutsche föderale Vorstellung unserer Generation ist an die hegemoniale geschichtliche Lösung von 1866, 1870 gebunden.63 Und dann die Sorge: Soll ein Hegemonialstaat wiederkommen, darf er wieder kommen? Preußen ist nicht mehr, und sehr viele Deutsche haben davon innerlich noch nicht recht Kenntnis genommen, obwohl der Kontrollrat es merkwürdigerweise für notwendig gehalten hat, darüber sogar noch ein Gesetzlein herauszugeben, in dem er diesen Geschichtsvorgang feststellte.64 Wir stehen in einer totalen Verschiebung der Voraussetzungen. Nun gibt es ein paar Länder, die gern ein bißchen das Erbe von Preußen antreten möchten. (Heiterkeit.) 65
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Sie sollen es lieber nicht tun, denn sie bringen es nicht fertig, da sie keine Staatsgeschichte von irgendwelchem Rang hätten, die ihnen sachlich und geschichtlich diesen großen, diesen zweifelhaften, diesen gefährlichen Geschichtsauftrag zuwenden würde. Nun haben wir aber in der letzten Woche etwas sehr Merkwürdiges erlebt. Die Militärgouverneure hatten in dem Dokument II den Deutschen eine Chance gegeben mit dem Anerbieten, das Problem der deutschen regionalen Gestaltung einmal neu anzusehen.65 Das war eigentlich ein sehr wichtiger Vorgang. Denn dahinter steckte die Einsicht, daß die relativen Zufälligkeiten der Zonenbegrenzungen für „originäre“ Staaten, von denen wir vorhin gehört haben,66 nicht eigentlich die gegebene Voraussetzung darstellen. Ich muß schon sagen, ich war sehr betrübt, vor ein paar Tagen zu lesen, daß von diesen Ministerpräsidenten der Auftrag – nachdem man vorher noch um Verlängerung des Termins gebeten hat, welche Blamage! – durch die Ranküne des Freiburger Herrn Wohleb67 mit 6:5 Stimmen in den Abgrund geworfen wurde.68 Verzeihen Sie, wir sollten ja zu den Herren Ministerpräsidenten, die nicht gerade Auftraggeber für uns, aber doch Briefträger unserer Aufgaben gewesen sind, sehr höflich sein, aber das war ein blamables Versagen gegenüber einer geschichtlichen Aufgabe. (Lebhafte Zustimmung.) Wir kommen nicht darum herum, dieses Gefühl auszudrücken. Nun sagt irgendein Pressereferent von Nordrhein-Westfalen: Man kann nicht daran gehen, die Besatzungsmächte haben das so und nicht so haben wollen; kein Staat darf so oder so groß werden. Derlei kennen wir ausgezeichnet. Wenn man in irgendeiner Ge66
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schichte bei uns, in allen Zonen, nicht weiterkommt, sagt man: Die Besatzungsmächte wollen das nicht. Verzeihen Sie, es ist unsere Aufgabe, diese Dinge aus der deutschen Rationalität und Verantwortung durchzudenken und vorzuschlagen, und dann kommt es eben auf die Antwort an, während wir jetzt eine deutsche Aufgabe verschoben sehen doch nur wegen Hausmächtlein, (sehr gut!) die gesichert werden sollen, die einmal parteipolitisch so und das andere Mal so aussehen. Das ist das einzig Versöhnende an dem Vorgang, daß Sünder allzumal auf allen Seiten sitzen. Uns enthebt das, glaube ich, nicht der Verantwortung, deutlich zu sprechen. Wir können den Auftrag, weil er auf die Seite geschmissen ist, jetzt nicht aus dem Papierkorb herausfischen. Aber wir müssen uns selber doch ein Bild davon machen, ob wir hier nicht einen Geschichtsauftrag haben. Und wenn wir ihn jetzt nicht lösen können, dann müssen wir in die Verfassung, oder was wir so nennen, die Bestimmung hereinbekommen, daß im Laufe, wir wollen einmal sagen, von zwei Jahren diese Dinge noch aus dem Zustand der „originären“ Staaten in den Zustand von lebendigen Staaten geführt werden können.69 (Sehr richtig!) Und nun noch einige Bemerkungen zu den Grundrechtsfragen. Da ist das Problem erörtert worden, ob die Grundrechte deklaratorischen Charakter besitzen oder den Charakter der Rechtsverbindlichkeit, der Rechtsvorschrift, des Rechtsanspruches.70 Auch hier eine kleine geschichtliche Erinnerung. 1918/19 wollte Hugo Preuß71 67
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keine Grundrechte. Ebert72 hat ihm gesagt, sie müssen herein.73 Preuß stammte, wenn Sie so wollen, aus der Bismarckschen Tradition. Und dann kam Friedrich Naumann mit seinem Entwurf sogenannter volksverständlicher Grundrechte, der aus der Empfindung entstand: der Katalog der klassischen Grundrechte reicht nicht für die neue sozialwirtschaftliche, seelische Gesamtstruktur. Seine Grundrechte hatten wesentlich die moralische Aufgabe der Integration dieses neuen Staates im Volksbewußtsein.74 Dann sind aber die Juristen darüber gekommen, und da passiert meist ein Unglück. (Heiterkeit.) Natürlich passiert auch etwas Gutes dabei. Aber auf jeden Fall ist eine Deformation dieser Grundidee entstanden, und die Systematik der Weimarer Grundrechte ist auf diese Weise zerbrochen. Was haben wir jetzt dazu zu sagen? Wir müssen uns einen Augenblick über das Problem des Staates in diesen Dingen noch unterhalten. Haben Sie keine Sorge, ich will jetzt keine große Staatstheorie vortragen. Aber soviel will ich sagen: Jeder Staat, auch der demokratische Staat, ruht auf Befehlsgewalt und Gehorsamsanspruch, und der demokratische Staat hat darin sein Wesenhaftes, daß er einen Herrschaftsauftrag auf Frist, also auch kündbar, enthält. Wenn wir nun die Grundrechte ansehen und das Problem, das auch Kollege Schmid miterwähnt hat,75 untersuchen wollen, nämlich Recht – Macht, so hat Jacob Burckhardt76 gern das Wort des katholischen Sozialdenkers von Lasaulx77 zitiert, daß „die Macht an sich böse“ sei.78 Ich will das einmal offenlassen. Was die 68
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Grundrechte betrifft, so sind sie ein Stück des Staates; aber sie sind gleichzeitig Mißtrauensaktionen gegen den Mißbrauch der staatlichen Macht. Da muß ich nun ein Wort sagen, mit dem ich vielleicht dem einen oder anderen Weh tue. Als ich diese Grundrechte von Herrenchiemsee in dem Entwurf las, da fangen diese mit einem Satz an, der so heißt: Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.79 Ich nehme an, daß der Verfasser sehr stolz darauf ist, diesen Satz geformt zu haben,80 und war betrübt, in den Zeitungen zu lesen, daß die Versammlung in Herrenchiemsee begeistert war, eine solche Präambel zu bekommen. Meine Herren, was für ein Deutsch! Der Staat ist … da …! Was ist denn das nun? Eine deklamatorische Sentenz oder ein einklagbares Recht, ist das ein Rechtssatz oder was eigentlich? Verzeihen Sie, wenn ich etwas grob bin. In diesem Satz steckt eine heimliche Polemik gegen den schief verstandenen, vor 117 Jahren verstorbenen Hegel81 drin. Und weil man gegen diesen Hegel, der wehrlos ist, irgendeine Polemik unterbringen muß, wird sie zu den banalsten Dingen, die wir der Welt nachreden, daß der Hegel unser Staatsdenken versaut hätte.82 Bitte, wie sind denn die Dinge? Wir dürfen, wenn wir ein Staatsgrundgesetz machen, nicht damit beginnen, die innere Würde des Staates zu kränken, indem wir ihn nur als eine subsidiäre Angelegenheit für den Menschen – wer ist denn der Mensch? – unterbringen wollen. Weil wir erlebt haben, daß Staatssinn und Menschentum in der Zeit, wo der Hitler die Geschichten bestimmt hat, als Gegensätze behandelt und empfunden wurden, wo der Staat ein Ruinierer des Menschentums wurde, deshalb dürfen wir meiner Meinung nach nun nicht mit einer so negativen Deklaration beginnen. Der Staat ist nicht nur eine Apparatur, sondern er ist 69
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auch ein Träger eingeborener Würde, und als Träger der ordnenden Gemeinschaft ist er für den Menschen und ist der Mensch für ihn keine Abstraktion. Streichen Sie diese banale Staatsphilosophie weg, und gehen Sie dorthin, wo man praktisch auch Rechtsverbindlichkeiten machen kann.83 Und dann noch zu dem Katalog: Verzicht auf den Gedanken der sozialwirtschaftlichen Ordnung.84 Damit bin ich sehr einverstanden. Die Landtage haben zum Teil die Vermessenheit oder den Mut besessen, in ihre Verfassungen hineinzuschreiben, wie die sozialwirtschaftliche Struktur der kommenden Zeit sein wird.85 Sie wird nicht so sein, wie sie in den Paragraphen drinsteht. Es ist leichtfertig, es ist hoffärtig, es ist, ich weiß nicht was, zu glauben, daß aus der gegenwärtigen undurchsichtigen Situation überhaupt ein Mensch sagen könne: so wird die sozialwirtschaftliche Struktur der kommenden Zeit sein. Das schaffen wir nicht. Wir begnügen uns, in diesen Dingen die Bundeskompetenz auszusprechen.86 Aber wir stehen vor einer anderen sehr ernsten Überlegung, wenn wir an den Grundrechtekatalog kommen. Das Problem ist schon angedeutet –, nämlich, ob wir ganz darum herumkommen, von den Kulturfragen etwas zu sagen. Haben Sie keine Sorge, ich werde keine Schulartikel für die Grundrechte jetzt vorschlagen wollen, weil ich etwas zu sehr erlebt habe, was dabei nach Weimar herausgekommen ist. Denn dort hatte man 1919 das berühmte „Schulkompromiß“ fertiggebracht. Nachher hatte sich die Mehrheit geändert. Als man später dieses Schulkompromiß in ein Gesetz übertragen wollte, haben sich fast alle Partner in der Erinnerung 1918/19 etwas anderes unter den Formeln gedacht gehabt. Und aus dieser verschiedenen Interpretation eines Geschichtsvorganges ist die Sache in die Lähmung geraten.87 70
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Aber, meine Damen und Herren, das Problem hat heute einen viel, viel ernsteren Akzent bekommen, als es im Jahre 1918/19 hatte, wo man den Versuch meinethalben als eine Liebhaberei von zentralistischen Schulmeistern ansehen konnte. Heute ist die Sache aus zwei Gründen in eine ganz andere Ebene gehoben. Wir haben nämlich praktisch im Laufe der letzten drei Jahre schon etwas erlebt wie das Auseinandergleiten, Auseinanderleben des deutschen geistigen Seins. Ohne daß der einzelne es weiß oder wahrhaben will, wirkt die Auffassung der Besatzungsmacht in diese Dinge mit herein. Sie haben ihre Auffassungen, sie haben die Meinung, ihre Auffassung sei die bessere. Wir müßten uns ja selber immer überprüfen: Fangen wir an, geistig amerikanisch oder französisch zu reden? Als ich vor zwei Jahren einmal in Berlin gewesen bin88 – ich war damals in Württemberg-Baden Kultusminister89 –, da habe ich mit einem der leitenden Herren der Zentralverwaltung in Berlin über die Schulprogrammatik in der Ostzone gesprochen, mit einem Herrn, den ich von vielen Jahren her aus gemeinsamem Antinazitum kannte.90 Bei dieser Unterhaltung merkte ich auf einmal, wir sprechen ja verschiedene Sprachen; denn den interessierte nur der Schulaufbau unter dem Gesichtspunkt der zweckhaften Verwendungsfähigkeit der Kinder, die dort sind. Die wurden als Rohstoff für diesen Beruf, für dieses Fach, für diese Ausbildung begriffen. Da ich selber ein altmodischer Mensch bin, habe ich die Meinung gehabt, die Schulerziehung sei dazu vorhanden, die jungen Menschen zu Menschen zu erziehen und ein gemeinverbindliches deutsches Bildungsideal in ihnen lebendig zu halten. Das ist heute bereits auf dem Weg, für uns kaputtzugehen. Wir haben hier Englisch, hier Französisch, dort Russisch als Grundsprache. Wir verlieren vielleicht im Augenblick die Voraussetzungen, Latein als grundständig zu nehmen. Geht diesen Saal die Frage der humanistischen Bildung etwas an? Meine Herren, das 71
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geht uns sehr viel an. Denn wir stehen vor der Frage, eine deutsche Zusammenarbeit zu formen, die uns noch oder wieder in die Lage setzt, das geistige Gespräch mit der Welt gemeinsam von Deutschland aus zu führen. Die Welt wartet mit darauf, und in der Welt selber sind in diesen Dingen Kräfte der humanistischen Besinnung unterwegs, die bei uns schier verlorengingen.91 Und ein zweites! Wir haben die Schulfragen in den Länderverfassungen geregelt. In unserer Verfassung steht wohl als einziger das Elternrecht nicht.92 Verzeihen Sie, ich bin fast stolz darauf, daß es nicht darin steht. Nicht, als ob ich von den Eltern und ihrem Recht gering denke. Aber die Situation der Schulpolitik hat sich vollkommen einfach durch folgenden Vorgang verschoben, daß mit der großen Flüchtlingsinfiltration das alte „cujus regio, ejus religio“93 in den letzten zwei, drei Jahren überschwemmt ist. Sie haben überall konfessionelle Minderheiten. Es soll niemand die Meinung haben, daß ich von der Kraft und der Notwendigkeit der religiösen, auch der konfessionellen Unterweisung irgendwie gering denke. Ich denke sehr hoch davon. Aber ich sehe die Gefahr, daß wir nun überall konfessionelle Minderheits-Zwergschulen bekommen. Das wäre erträglich, wenn nicht dahinter folgendes stünde. Da sind die Kinder dann nicht katholische oder evangelische Minderheit, sondern sie gehen in ihre Zwergschule als Sudetenleute, als Schlesier, als Ungarländer. Was heißt das? Das heißt, daß diese Generation nicht um ihres Glaubens willen, sondern um ihrer Herkunft willen in diesem und jenem Dorf die Kinder isoliert, wo es das größte nationalpolitische Anliegen ist, das Zusammenwachsen dieser Altersklassen nicht zu erschweren. Ich bitte Sie, diesen Gedanken, der mir sehr am Herzen liegt, nicht als eine Schwierigkeitenmacherei ansehen zu wollen. Wir dürfen diesem Problem nicht ausweichen. 72
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Ich sehe, ich habe mein Versprechen von der Dreiviertelstundenrede schon überschritten. Es wäre natürlich manches zu dem Problem des Besatzungsstatuts,94 der auswärtigen Politik zu sagen. Manchmal habe ich das Gefühl, daß hier Leute in Illusionen leben. Wissen Sie, so sehr viele von den früheren Angehörigen des Auswärtigen Amtes, die glücklich als Mitläufer herausgekommen sind, stehen jetzt schon wieder an, um diese oder jene Position draußen auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen zu erhalten. Schön, gut und brav! Man soll sich doch über die Enge der Möglichkeiten nicht täuschen. Was wir in der Auseinandersetzung mit den Mächten in dem Besatzungsstatut brauchen, ist, daß diese Geschichte in dem ersten Entwurf – die die Einklammerung des deutschen Atems in die Bürokratie der fremden Mächte bedeutete95 – wegfällt, und zwar nicht bloß um unseretwillen, sondern um des Begreifens der anderen willen, daß die Wirtschaftsbürokratisierung der Welt auch von den anderen her für sie selber eine gefährliche Geschichte wird. Was wir brauchen, ist, daß wir Deutsche wieder draußen Konsuln haben können, daß eine Gesamtvertretung auf diesen nüchternen, aber sehr notwendigen Gebieten wieder möglich ist, aber freilich dann auch nicht bloß im Wirtschaftlichen, sondern vielleicht auch im Geistigen. Einstweilen ist es den fremden Mächten nach meiner Meinung noch nicht recht gelungen, uns zu zeigen, daß sie ihrerseits uns einen neuen Stil des politischen überstaatlichen, übernationalen Lebens vorleben konnten, der für uns etwas Vorbildhaftes werden konnte. Aber immerhin verfolgen wir mit Interesse, ja, nicht bloß mit Interesse, sondern mit dem Wissen, daß unser Schicksal daran gebunden ist, daß diese Formen eines überstaatlichen, eines Gemeinschaftslebens möglich werden. Die Deutschen müssen hier auch wieder geistig mit ins Spiel kommen. Wir sind als Nation und als einzelne ärmer geworden in 73
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der Zeit, da der Hitler uns von der Welt abschloß und buchstabierte: deutsch, deutscher, am deutschesten, und nur die Deutschen die Spitze hielten. Wir sind ärmer geworden, wir sind arm geworden. Aber auch die Welt würde ohne den deutschen Beitrag ärmer sein. Das ist nicht so zu verstehen, als ob wir aus der Mottenkiste des neunzehnten Jahrhunderts den unglücklichen Spruch des biederen Geibel herausholen wollten, daß an dem deutschen Wesen die Welt genesen solle.96 Mit derartigem Arznei-Angebot haben wir wenig Glück gehabt. Das hat nie gestimmt. Wir wollen uns nicht in solche Hybris hineinsteigern. Aber wir wollen auch genügend Selbstgefühl und geschichtliches Wissen besitzen, daß die Welt auch von uns noch manches zu erwarten hat. Vor zwei Jahren waren bei mir in Stuttgart Amerikaner, eine amtliche Kommission von bedeutenden, wesentlichen Menschen, die ausgesucht waren, um das deutsche Bildungswesen zu studieren, um einen Eindruck zu gewinnen. Die haben dann einen Bericht darüber gemacht. In diesem amtlichen Bericht – ein Jahr nach Kriegsende – stand zu Anfang drin, daß neben den Griechen und den Römern die Deutschen von ihren Gaben an die Welt am meisten befruchtend verschwendet hätten. Ich muß sagen, es hat mich damals stark beeindruckt, daß in einem amtlichen Dokument ein solches Wort gesprochen war.97 Das hieß aber doch gleichzeitig für uns soviel, daß in dieser möglichen Beurteilung der Deutschen auch eine Verpflichtung liegt. Sie liegt für uns auch in der Aufgabenstellung, vor der wir hier stehen. Wir wollen etwas schaffen, damit das deutsche Volk in Ordnung und in Freiheit leben kann. Unsere Arbeit bekommt ihre Legitimation nicht aus dem Dokument II und nicht aus dem Auftrag der Ministerpräsidenten,98 sondern bekommt ihre geschichtliche Legitimation aus der Leistung, die wir fertigbringen. Ich 74
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glaube, daß, wenn wir etwas fertigbringen, wir auch einen Beitrag – das klingt pathetisch – für das Weltenschicksal geben. Denn die deutsche Situation ist heute und sie wird immer ein Kernproblem der Welt, vorab der europäischen Dinge bleiben. (Beifall.)
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Zehnte Sitzung des Plenums, 8. Mai 1949 Präsident Dr. Adenauer:99 Das Wort hat Herr Dr. Heuss. Dr. Heuss (FDP): Meine Damen und Herren! Die Situation beim Abschluß unserer Arbeiten ist für den, der von Anbeginn ihr verbunden war, eigentümlich seelisch gespalten insofern, als wir vor der Frage stehen: Zählen wir nun auf, was uns an diesem Grundgesetz nicht gefällt, um durch diese Darlegungen ein Alibi unseres Besserwissens zu geben, oder loben wir das Gesetz, um damit einen Integrationseffekt im Bewußtsein der Bevölkerung zu erzielen? Ich glaube, wir müssen in beidem Maß halten. Es wäre sinnlos, die Arbeit, die hier geleistet wurde, durch einen Katalog des Mißbehagens zerreden zu wollen. Es ist doch so: Fast jeder von uns glaubt, daß er mit einer bestimmten Vorstellung über die Zweckmäßigkeit und Güte einer deutschen Verfassung hierher gekommen ist. Entweder hat er sich diese Vorstellung selber gemacht, oder seine Partei hat sie ihm geliefert, und nun ist er in die Situation gestellt worden, daß diese beste Verfassung, die er in seinem Hirn hatte, mit dem Ergebnis hier nicht übereinstimmt. Das bedeutet, daß wir das, was jetzt abgeschlossen wird, nicht zu beurteilen haben unter dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Leistung, sondern des in der deutschen Volks- und Staatengemeinschaft heute politisch Möglichen. Ob die Staatstheoretiker und Staatsrechtler mit uns zufrieden sind, das wird uns einmal interessieren, wenn sie die Kommentare schreiben; aber es wird uns nicht zu stark beeindrucken können. Denn sie sind die Perfektionisten auf dem Papier, während wir in die Wirklichkeiten der deutschen Geschichte gestellt waren und gestellt sind, bei unserer Arbeit gelähmt eben durch diese deutsche Geschichte und durch unsere äußere Machtlosigkeit. 76
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Der Vorwurf lastet auf uns, daß diese Arbeit zu lange gedauert habe.100 Es scheint ein psychisches Gesetz zu sein, daß, wenn die Solone101 zusammenkommen, sie in ihrem Ehrgeiz wachsen, möglichst große Verfassungen zu machen. Wir sind bereit, diesen Vorwurf von unserem Volk anzunehmen, aber nicht von den Besatzungsmächten, die im Laufe dieses Jahres sich selber als Spezialisten und Perfektionisten des Vertagens von Schwierigkeiten erwiesen haben. Wir sind lange genug vor der Problematik etwa des Besatzungsstatuts gestanden102 – kommt es, wann kommt es, in 14 Tagen, in drei Tagen, es ist schon da, sind es ein paar Paragraphen, sind es ein paar hundert Seiten? Bis in den Schluß unserer Arbeiten hinein ging diese Geschichte. Nun aber habe ich nicht die Absicht, den Rückblick so zu machen: was ist alles geschehen? Wir haben von den beiden Vorrednern103 ein bißchen in dem Sinne Berichterstattung bekommen. Ich möchte nur ein paar politische Dinge festhalten. Ich glaube, in unserer Arbeit war eigentlich zunächst fast der interessanteste Vorgang das Legende gewordene Frühstück des Herrn Abgeordneten Menzel mit dem Herrn Ministerpräsidenten Ehard 104 aus München; (Heiterkeit) denn bei diesem Gespräch oder Frühstück ist der Bundesrat entstanden.105 Wir haben, als wir im September zusammenkamen, davon geredet, ein demokratischer Bundesstaat habe ein Zweikammersystem.106 Herr Dr. Lehr107 hat von den Dingen vorhin auch gesprochen.108 Er hat noch so ein bißchen die Fiktion aufrechterhalten, der Bundesrat sei so etwas wie eine Zweite Kammer. Das ist er nämlich nicht. Für den Historiker wird es eine sehr 77
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reizvolle Anekdote sein, einmal festzustellen, daß der rheinische Sozialist109 und der weißblaue Staatsmann110 sich bei Bismarck111 gefunden haben,112 (Heiterkeit.) und zwar über Weimar zurück noch bismärckischer geworden sind. Diese beiden neuen Bismärcker haben nur eines vergessen, (erneute Heiterkeit.) daß nämlich die Bismarcksche Konstruktion und Wesenheit des deutschen Bundesstaates den Hintergrund von Preußen besaß. Ohne den ist dieses ganze Geschichtswerk gar nicht zu begreifen. Und nun entsteht an Stelle dieses Bismarckschen Föderalismus eine andere Sache. Wir stehen vor einem sehr großen Experiment unserer Geschichte. In dem Bismarckschen war nämlich immerhin noch die Monarchie vorhanden. Das war ein sehr wesenhaftes Element. Jetzt stehen wir vor der großen Wahrscheinlichkeit, einen Föderalismus der Bürokratie zu bekommen, und vor der Sorge, daß dadurch das Einheitsleben der Gesamtheit gestört wird. Wir hatten – davon ist auch schon von Herrn Dr. Lehr, mit dem ich in diesen Dingen übereinstimmte, etwas gesagt worden113 – davon gesprochen, daß es fruchtbarer und richtiger und demokratischer gewesen wäre, einen Senat oder doch die von mir vorgeschlagene Kombination zu machen.114 Denn das jetzige Gebilde hat gerade das nicht, was eine junge Demokratie braucht, eine Integrationskraft ins Volksgefühl hinein. Die soll also beim Bundestag, beim Volksparlament liegen. Ich gestehe, daß ich lieber das Wort „Volks78
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tag“ gehabt hätte, um der akustischen Gegenwirkung willen, auch um das Elementare der Volkssouveränität, das schließlich doch hinter diesem Vorgang stehen soll, zum Ausdruck zu bringen, und weil ich auch gewünscht hätte, daß dieses Wort „Bundestag“, an dem die Staatenbundgeschichte von Deutschland hängt, mit der Geschichte untergehen würde. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es ist anders beschlossen worden; wir nehmen es hin.115 Das Problem des Föderalismus wird uns allen eine neue, sehr eigentümliche Aufgabe geben, nämlich jetzt wächst an die Parteien eine neue Verantwortung. Warum denn? Die Länderregierungen, ob sie nun sozialdemokratisch oder von der CDU oder anderwärts geführt werden, haben in sich ein sonderliches Machtgefühl gerade für ihren Staat, für ihr Land, gleichviel wie es parteipolitisch aussieht. Die Regierungen und ihre Beamtungen haben die Tendenzen zur Sonderung, und es liegt die Verantwortung bei den sie tragenden Parteien, die über die Ländergrenzen hinausgehen, diesen Sonderungskomplex der Länderregierungen in den Breiten der gemeinen Verantwortung abzufangen und aufzuheben. Hinzu kommt eine große staatspolitische Aufgabe an die Parteien, die soviel Geduld als Elastizität als auch gesammelte Kraft verlangt. Für den Gang unserer Geschichte hier ist nun dies charakteristisch gewesen, daß wir fast immer in Auseinandersetzungen mit Kräften außerhalb dieses Hauses standen. Es ist in Bonn zwar nicht das neue Schlagwort von der „Optik“ im politischen Leben erfunden worden; aber der Begriff ist nun, wie mir scheint, in 79
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Deutschland gefestigt. Es darf vielleicht einen Augenblick erlaubt sein, zu sehen, welcherlei Optik in diese Arbeit hineingewirkt hat. Optik auf die Besatzungsmächte! Davon ist einiges schon gesagt. (Renner:116 Seid ihr nicht eher von denen beobachtet worden?) Verzeihung, Herr Renner, einen Augenblick! – Die Situation ist so, daß wir in sehr vielen Auseinandersetzungen die Ungewißheit auf der anderen Seite vor uns hatten. In den Zimmern der Verbindungsstäbe117 standen wohl die Dreifuße, und eine Pythia118 war auch mit dabei. Wenn eine Pythia spricht, ist es immer ein Risiko, ihre Worte zu interpretieren. Aber wenn da und da und da eine andere Pythia redet, so wird das um so schwerer. Das hat sehr lähmend in unsere Arbeit mit hineingewirkt. Immerhin, das war auch im Austausch der Auffassungen, der Zielsetzungen manchmal eine Befruchtung der Arbeit, was wir ruhig aussprechen können. Ich möchte nur dessen gesichert sein, daß das, was jetzt in Deutschland beschlossen werden wird und soll und was doch auch in sachlichen und moralischen Bindungen mit den Vertretern der Besatzungsmächte seine Form gefunden hat, in seiner Verbindlichkeit auch von den Kontrahenten gesehen wird. Es war schwer – eine Optik in Washington, eine in London und eine in Paris –, sich da durchzufinden und dann doch zu spüren: also hier werden wir die deutschen Möglichkeiten sichern und im weltgeschichtlichen Spiel unsere Aufgabe vollenden können.119 Es gibt eine Optik, die nach München weist. Manchmal konnte man das Gefühl haben, daß der Mann, der gar nicht in unserem Raum ist, als Machtfaktor (Renner: der vierte Gouverneur!) 80
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durch die Säle wandere, der Dr. Baumgartner,120 daß diese Figur der Bayernpartei irgendwie in den Kalkulationen, Überlegungen, Sorgen mit vorhanden war.121 Ich spreche ungern von den Dingen. Für mich ist die Auseinandersetzung, in die wir wegen des bayerischen Problems hineingekommen sind, sehr, sehr schmerzlich. Denn es war von Anbeginn über alle psychologischen Schwierigkeiten hinweg, die es auch gerade bei uns da unten gibt – Nachbarn lieben Nachbarn, reiben sich auch –, undenkbar für meine Phantasie, daß ein deutsches Grundgesetz nicht mit den Stimmen der Bayern angenommen werden könnte.122 (Sehr richtig! – Renner: Ohne Dr. Ehard geht’s ja nicht!) Die Herren von Bayern haben zum Teil die Auffassung, daß ihren Erfordernissen nicht genügend Rechnung getragen würde. Es ist nicht die Stunde, um bitter zu sprechen. Aber wieviel Zeit haben wir verloren, (Zustimmung.) erstens bis innerhalb der CDU/CSU die Sachgegensätze ausgeräumt wurden!123 Bitte, das ist kein Vorwurf, es ist eine Selbstverständlichkeit, daß dies nicht von heute auf morgen geht. Aber wie haben wir uns alle doch redlich bemüht, den Bayern entgegenzukommen! Das Quälende für uns ist dies, zu spüren, daß die hier anwesenden Bayern in ihrer großen Mehrheit bereit waren oder bereit sind, da sie an der Arbeit teilgenommen haben, mitzugehen und daß nun von außen her – von außen her in dem Sinne: ohne die unmittelbare Verantwortung des Mitbeteiligtseins – Schwierigkeiten gemacht werden. Ich habe mit den bayerischen Freunden gesprochen: Bringt doch nicht dieses Stück in die bayerische Geschichte 81
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wieder mit hinein, wie es im Jahr 1871 gewesen ist, daß hinterhergehinkt wird!124 Habt ihr kein Gefühl der relativen Unwürde des Vorganges, (Sehr richtig!) daß man sich überstimmen läßt, statt daß man die Dinge mitnimmt, um sie mitgestalten zu können? Es ist doch nicht so, daß die bayerische Geschichte allein von den Herren bestimmt wird, die gerade heute das bayerische Kabinett bilden.125 (Sehr wahr!) Das bayerische Volk oder doch die Bevölkerung in Bayern, wo so viele Flüchtlinge noch nicht die Stimme ihres politischen Willens gefunden haben, denkt, dessen bin ich schier gewiß, über diese Dinge ganz anders. (Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.) Ich kann mir nicht vorstellen, daß die bayerische Jugend irgendwie davon gefaßt wird, vielleicht Leute in Oberbayern, aber nicht im Fränkischen und Schwäbischen. Aber der bayerische, typisch zentralistische, von Montgelas126 gemachte Staat, für dessen Aufrechterhaltung ich immer gewesen bin – ich will gar kein Experiment mit ihm gemacht haben –, wird in seiner seelischen Struktur nicht so von München bestimmt. Es ist etwas Schmerzliches und zugleich etwas leicht komisch Rührendes, daß nun, ich weiß nicht was, nach einer Legende von Heinrich dem Löwen127 her die Welfen hier Heinrich dem Löwen, 82
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der auch einmal in Bayern gewesen ist, als Münchener auf diesem Weg zu folgen bereit erscheinen.128 (Heiterkeit.) Nun gibt es aber auch eine Optik, die Hannover heißt.129 Sie richtig zu gewinnen, das war für die Sozialdemokratie eine manchmal quälende Aufgabe. Wir, der Parlamentarische Rat in seiner Gesamtheit, mußten bieder mithelfen: Wie sage ich es also nun meinem Kinde, auch meinem Führer? (Große Heiterkeit.) Wir haben schließlich erreicht, daß der Akt der „Komprimierung“, dem wir in Frankfurt zugestimmt haben,130 vollzogen wurde, ich glaube mit Erfolg. Die Philologen und Rechthaber im Hause unterhalten sich wohl, ob bei der Komprimierung des Grundgesetzes dieses wirklich kleiner geworden ist oder ob es eigentlich so geblieben ist, wie es war? Ich möchte vorschlagen, daß Hannover irgendeinem Bösen – ich will nicht grad sagen Löwenthal131 – (Heiterkeit.) die Strafarbeit aufgibt, einmal die Buchstabenzahl im Grundgesetz Fassung 3 und im Grundgesetz Fassung 4 zu zählen. Dann läßt sich nämlich der „Sieg“ der Sozialdemokratie buchstabenmäßig, zentimetermäßig darstellen. (Heiterkeit und Zuruf.) Aber es gibt auch – und nun werde ich sehr ernst reden – eine Optik, die heißt Köln oder Pützchen.132 Ich hatte mich mit dem Kollegen 83
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Süsterhenn darüber besprochen, daß ich diesen ganzen Komplex: Kirche, Staat, Partei und Schule, hier behandeln wolle, und zwar in den Motiven, nicht aggressiv. Ich glaube, eine irenische133 Natur zu sein, sozusagen; aber hier stehe ich in der Verteidigung, und diese führt man fechtend. Ich kann diese Auseinandersetzung mit dem Kollegen Süsterhenn nicht führen, sondern ich kann nur dies tun: ihm meine und Ihrer alle Wünsche für eine baldige Genesung von seinem schweren Unfall zu wünschen.134 (Bravo!) Aber die Sachlage als solche bleibt für uns gegenwärtig. Darf ich persönlich werden: Es ist zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich längere Zeit in der Atmosphäre des rheinischen Katholizismus geweilt habe. Sehr nett, sehr liebenswürdig! Ich habe dann auch den „Rheinischen Merkur“ zu lesen begonnen, der übrigens nichts mit dem jungen Görres135 zu tun hat, vielleicht mit dem alten Görres, dem Münchener. Der Koblenzer Feuergeist verflog. Dieser „Rheinische Merkur“ ist ein Organ, über das ich mich nicht beklagen dürfte; denn er hat mich persönlich von Anfang an sehr nett und gut behandelt und gesagt, ich sei wer. Aber es ist nun so, daß in dem „Rheinischen Merkur“ für unsere innere Situation eine schlechte Atmosphäre geschaffen wurde. Ich möchte den Herren von der CDU die Anregung geben, aus ihrer Fraktionskasse ein Neues Testament für die Redaktionsbibliothek des „Rheinischen Merkur“ zu stiften (Heiterkeit.)
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und in diesem Neuen Testament durch den Buchbinder ein Dauerlesezeichen bei Matthäus 23 anbringen zu lassen, wo nämlich die Rede Jesu über die Pharisäer steht.136 (Große Heiterkeit. – Renner: Da müßten Sie für jede CDURedaktion ein Neues Testament bestellen. Mit einem kommen Sie nicht aus.) In diesem Blatt ist zum ersten Mal der Begriff der „christlichen Parteien“ erschienen. (Renner: Christliche Partei, deren Führer lauter Pharisäer sind!) Renner, halten Sie mal eine Zeit Ihr Maul und seien Sie ruhig! (Große Heiterkeit und Beifall. – Glocke des Präsidenten.) Präsident Dr. Adenauer: Herr Heuss, ich nehme an, Herr Renner hat Ihnen das nicht übelgenommen. Dr. Heuss (FDP): Er hat sich darüber gefreut. (Renner: Das wollte ich sogar hören.)137 Verzeihung, aber ich bitte Sie, seien Sie mal eine Zeitlang ruhig! Es geht jetzt um sehr ernsthafte Dinge, die auf Ihren Beifall nicht den geringsten Wert legen. Ihr Beifall kann für diese Art der Auseinandersetzung nur unangenehm sein. 85
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Dort also entstand der Begriff der „christlichen Parteien“. Und dann schreibt auf einmal ein Herr Roegele,138 oder wie der Mann heißt, von den „nichtchristlichen Parteien“.139 Ich finde das sehr unchristlich. (Sehr richtig!) Jesus Christus ist nicht auf die Welt gekommen, um mit seinem Namen Bezeichnungen für politische Gruppen abzugeben, sondern um die Menschen, alle Menschen zu erlösen. Es sieht so aus, daß nun wir gegen diese Art von Angriffen um der Redlichkeit und Sauberkeit der Atmosphäre willen einfach gezwungen sind, über diese Dinge heute deutlich zu sprechen. Ich kann in der knappen Zeit, die mir gegeben ist, keine geistesgeschichtliche Betrachtung über das geben, was man „Elternrecht“ nennt.140 Wir haben davon etwas im Hauptausschuß gesprochen.141 Ich bin alt genug, um zu wissen, daß in die deutsche Schulgeschichte die Auseinandersetzung über das sogenannte Elternrecht erst nach 1918/19 gekommen ist.142 Im Jahre 1906 und 1907 waren in Preußen die großen Streite bei dem sogenannten Schulunterhaltungsgesetz über den konfessionellen oder nichtkonfessionellen Charakter der Volksschule.143 Kein Wort von Elternrecht! Es wird mir widersprochen, wenn ich sage, daß es eigentlich erst in der Revolution 1918/19 als Begriff sich gefestigt hat. Theoretisch mag es älter sein; die konkrete Schulpolitik wurde erst damals damit befaßt, als der „unabhängige“ preußische Kultusminister Adolf Hoffmann144 den Erlaß losließ, daß die Kinder, wenn ihre Eltern das beantragen, nicht mehr in den Religionsunterreicht gehen müssen. Da hat die Kirche gegen dieses „Elternrecht“ protestiert.145 Warum? Weil sie den Anspruch auf das getaufte Kind hat. 86
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Dies ist eine alte und tiefe Problematik. Wir haben nun in der Debatte erfahren, daß es wesenhaft ein Stück des Naturrechts sei, den Eltern dieses spezifische Recht, den Charakter der Schule zu bestimmen, zu geben.146 Da liegt eine Lücke im Denken. Die Schule ist eine Veranstaltung der Gemeinschaft. Wir selber sind nicht für ein Staatsmonopol. Der Antrag über die Schule trägt ja meinen Namen.147 Darin ist auch das Recht auf die Privatschulen neben dem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach für alle öffentlichen Schulen genannt. Wir sehen aber nun, daß heute der Staat in seiner Verpflichtung und in seinem Anspruch, die Schule zu erstellen und zu leiten, bekämpft, befehdet, begrenzt erscheint. Es gibt auch evangelische Bischöfe – nicht viele, aber einige –, die, wie mir scheint, jene Schrift des Martin Luther148 vergessen haben, die vorhin schon von Menzel zitiert wurde,149 sein Sendschreiben an die Bürgermeister und so fort. Diese war nicht bloß eine deutsche schulpolitische Sache jener Zeit, sondern wurde mit der größte Beitrag für die Bildungsgeschichte der ganzen Welt, der von Deutschland ausging, weil damit der Anspruch, das Recht und die Pflicht der weltlichen Gewalt auch für die christliche Unterweisung, die Luther verlangt, ausgegeben war. Ich habe im Hauptausschuß, als ich von den Dingen zu reden hatte,150 und auch bei unserer ersten Zusammenkunft im September151 hier davon gesprochen, daß die Frage des sogenannten Elternrechts ein Problem nationalpolitischer Tragik geworden ist, weil mit der unerhörten Binnenwanderung, mit der Überschwemmung des cujus regio ejus religio ein konfessioneller Mischprozeß in die kleinen Städte, in die Dörfer getragen wurde. Wir dürfen die Kinder nicht durch Isolierung gefährden, weil sie etwa in evangelischem Um87
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land Katholiken sind. Denn dann bleiben sie Schlesier oder Sudetenleute: die Kinder wachsen nicht nationalpolitisch in ihrer Heimat zusammen. Ich will auch nicht davon sprechen, daß uns der Vorschlag gemacht worden ist, aus der Charta der UN jenen Satz herauszunehmen, nach dem die Eltern das Recht haben, die Art der Erziehung zu bestimmen.152 Das bedeutet doch, ob private oder öffentliche Schule, ob Realschule oder Gymnasium zu besuchen seien, und nicht innere Gestaltung des Schulwesens. Als wir vor Monaten über diese Dinge diskutierten, habe ich zum Ausdruck gebracht, wir wollen nicht irgendwelche unverbindlichen Formen finden, bei denen sich jeder etwas anderes denken kann. Denn solches Kompromiß schafft dann nur Verunklarung.153 Das Wort Elternrecht hat in der deutschen Geschichte eine spezifische Bedeutung bekommen und ist in das Weimarer Schulkompromiß154 mit durch die Sozialdemokraten hineingekommen. Warum dies? Weil damals innerhalb der Sozialdemokratischen Partei noch traditionelle Freidenkerpropaganda vorhanden gewesen ist. Manchmal habe ich die Sorge, daß von rechts her nach links gesehen wird: Wo ist denn der Adolf Hoffmann hingekommen, der uns die Pointen für die Agitation liefert?155 Es ist nur Greve156 da – das „nur“ ist vielleicht untertrieben –, ein Mann von Gewicht, nicht übersehbar, nicht überhörbar.157 Aber Greve reicht als Propagandamodell nicht aus; er hat ja wohl auch keine Missionsabsicht, soweit ich ihn kenne. (Heiterkeit.) Begreifen Sie dieses, daß es geistesgeschichtlich ein außerordentlicher Fortschritt ist, daß die Sozialdemokratische Partei sich ge88
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löst hat oder sich löst von dem mechanistischen, materialistischen Grundtenor ihrer früheren Tradition in den religiösen Fragen? Sie sollten sich auf der Rechten darüber freuen. Von dieser Seite her nun aber ein Weiteres. Die Sache hat auch ihre kirchlichen Aspekte. Die Parteien mögen sich für ihren Bedarf so ihre Phantome bilden; die Kirchen sollen und dürfen das nicht. Ich will einen Satz vorlesen – ich tue das nicht gern, aber es ist notwendig –, der vor ein paar Monaten an einen sozialdemokratischen Zeitungslizenzträger hinausging, der sich darüber beschwert hatte, daß gegen seine Zeitung von seiten der Pfarrer Propaganda gemacht werde; ein, wie mir gesagt wird, praktizierender Katholik. Am 11. März 1949 wird vom Erzbischöflichen Generalvikariat in Paderborn diesem Mann geschrieben: „Es ist schon eine ernste Gewissensfrage, ob ein Katholik jetzt noch der SPD oder der FDP angehören darf.“158 (Hört! Hört!) Wegen unserer Auseinandersetzung über das Elternrecht „angehören darf“! Der Mann, der dies schrieb, hat vermutlich keine Kenntnis von dem Inhalt des Konkordats, in welchem den Priestern politische Zurückhaltung auferlegt ist.159 Er hat kein rechtes Gefühl von dem, was Gewissensfreiheit heißt. Aber das müssen wir um der Klarheit willen sagen: so geht es nicht. Die Stellung der Kirche im öffentlichen Leben wird von mir sehr groß und bedeutend und wichtig gesehen. Ich denke nicht etwa daran, die Kirche in den Raum der Kirche einsperren zu wollen: 89
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Wortverkündigung, Seelsorge, Sakramentsverwaltung. Die Kirche hat schon mehr. Adolph Kolping160 und der Freiherr von Ketteler161 waren vielleicht mäßige Theologen, aber große christliche Erscheinungen. Und für uns Ältere ist der Name Hitze162 noch eine deutliche Erinnerung. Wir wissen, was dieser Mann bedeutet hat in seiner aus dem Raum der Kirche in die soziale Arbeit hinauswirkenden Bedeutung. Und in der evangelischen Kirche gibt es wohl von dem Schleiermacher163 über den Tholuk,164 Frank,165 Ritschl166 und Harnack167 bis zu dem Barth168 bedeutende Theologen. Aber die großen Erscheinungen sind Johann Hinrich Wichern169 und Friedrich von Bodelschwingh,170 die Männer, die, nur von der Christlichkeit ihres Wesens bestimmt, in das breite und böse Leben gegangen sind; sie haben hineingewirkt in die Seelen, aber nicht Parteipolitik gemacht. Lassen Sie mich ein sehr ernstes Wort sagen: Kirchen sollen sich nicht auf Parteien stützen wollen. (Sehr gut! bei der SPD.) Das ist ihrer nicht würdig; denn sie haben ihren Auftrag aus dem Ewigen. Aber auch die Parteien sollen sich nicht auf Kirchen stützen wollen. Die Parteien sind weiß Gott sehr diesseitige Gebilde mit allerhand Schlauheit, Taktik und kleinem Machtsinn, mit dem sie nicht die Kirchen belasten sollen und belasten dürfen. Wenn ich gefragt werde, ob so etwas in eine Schlußrede zu dem Grundgesetz der Deutschen gehört, habe ich zu antworten: Ja, weil wir in diesen Dingen eine reinliche Luft haben müssen, gerade auch um der Kirchen willen, und weil wir unserem politischen Leben in seinen säkularisierten Bedingtheiten sein eigenes Recht und seinen Raum zu lassen und zu sichern haben. 90
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Wir haben hier redlich zusammengearbeitet. Das Schicksal hat es gefügt, daß die Gruppe, für die zu sprechen ich den Auftrag habe, in eine Mittleraufgabe gekommen ist.171 Ich möchte für uns den Anspruch erheben, daß Sie zugestehen, daß wir dieser Aufgabe gut gedient haben. In welche Situation wären wir so oft gekommen – verzeihen Sie! –, wenn nicht ein Mann wie Höpker Aschoff172 zur Verfügung gestellt gewesen wäre! Wir haben die große Mehrheit, von der wir hoffen, daß sie kommt, mit um deswillen zu bilden gesucht, weil nur mit einer großen Mehrheit das, was wir jetzt gemacht haben, im breiten Volk aufgenommen werden wird; das wird nicht überall der Fall sein. Die formalistischen, die LiteratenDemokraten wissen und werden beweisen, daß wir hier wesentlich Dummheiten gemacht haben. Sie belehren uns, daß eine Entscheidung der Demokratie in ihrer Natur auf Mehrheit und Minderheit, also auf Sieg und Niederlage abgestellt ist.173 Es darf hier in diesem Hause keiner besiegt worden sein. Und wenn jemand aus Eigenem dagegen stimmt, dann vielleicht aus Gründen, die nun draußen liegen, oder aus einer romantischen Rechthaberei in die Betrachtung der deutschen Dinge oder weil er sich davon eine Wahlpointe verspricht. Fast möchte mir auch scheinen, daß der Verlauf und das Ergebnis etwa ein Gegenbeweis gegen das ist, was uns jene Formaldemokraten immer erzählen, daß mit der „festen“ Mehrheit und Minderheit, mit der Nr. 1 und Nr. 2, mit dem Zweiparteiensystem die deutschen Dinge zu meistern wären. Sie wären nicht zu meistern. Wir haben es gesehen. Lassen Sie mich wenige Schlußbemerkungen machen. Menzel hat damit begonnen, an den Tag zu erinnern, an dem wir heute mit vier Jahren Abstand hier zusammentreten.174 Ich weiß nicht, ob man das Symbol greifen soll, das in solchem Tag liegen kann. Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und 91
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fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind. (Sehr gut!) Darf ich ein persönliches Wort sagen: In die verwirrte Seele trat damals plötzlich die Erinnerung an den 9. Mai, in den wir hineingingen.175 Das war der 140. Todestag von Friedrich Schiller,176 und es ging mir durch das Gehirn und ließ mich nicht mehr los ein kleiner Vers des Dichters, den Sie in Ihren Schiller-Ausgaben nicht finden werden, weil er erst später von Bernhard Suphan177 entdeckt wurde, 1803/04 entworfen: Stürzte auch in Kriegesflammen Deutsches Kaiserreich zusammen, Deutsche Größe bleibt bestehn!178 Schiller, der nicht nur ein Dichter, sondern auch ein großer Geschichtsdenker war, wollte irgendwie den Sinn des Vorgangs deuten, daß das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation zerbröselte. Der alte Kaisertraum in Sinn und Wirklichkeit ging unter. Vor unserer eigenen Aufgabe ist es fast eine schreckhafte Verpflichtung, an dieses Wort „Deutsche Größe bleibt bestehn“ noch zu glauben. Wir können hier „Deutsche Größe“ nicht beschließen und nicht beschließen wollen. Für Schiller war dieses Wort damals die Flucht in das Geistige, in das Unverlierbare, in das, was vom Tagesgeschehen unabhängig ist. Wir aber wollen wieder Ansätze machen, nicht zur politischen „Macht“ – ach Gott! –, ganz nüchtern und bescheiden zum bloßen politisch einheitlich Lebenkönnen. Dahinter aber steht dann doch dies Wort – was ich eine schreck92
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hafte Verpflichtung nannte – von der deutschen Größe. Wir spüren dies, daß in der Auseinandersetzung mit den Völkern und Nationen das Zu-sich-selber-gefunden-haben der Deutschen erst Wirklichkeit geworden sein muß und daß unsere politische Arbeit, die noch durch viel Turbulenz, durch viele Enttäuschungen und durch viele Rückschläge hindurchgehen wird, eben in dem Ergebnis dieses Tages ein ganz kleines Stück festen Bodens für das deutsche Schicksal geschaffen haben wird. (Lebhafte Bravorufe und Händeklatschen.)
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Jutta Limbach 60 Jahre Grundgesetz Theodor Heuss und der Parlamentarische Rat Mit seines Basses Gewalt Theodor Heuss war neben Carlo Schmid einer der großen Geister, die die Arbeit am Grundgesetz beflügelten. Er war nicht nur ein Meister der Redekunst, der gleichermaßen gebildet wie bodenständig zu überzeugen wusste. Er war ein homo politicus im ureigenen Sinne des Wortes, als er Politik als „Leidenschaft zum Staat und zu seiner Führung“ begriff. Im Gegensatz zu Adenauer, der sich von vornherein auf das Procedere im Parlamentarischen Rat und die große Politik, vor allem auf die Auseinandersetzung mit den Alliierten, konzentrierte, kehrte Theodor Heuss seine Aufmerksamkeit dem Verfassungswerk selbst zu. Er betrieb das politische Handwerk im Parlamentarischen Rat mit Witz und Ironie, mit Geschichtskenntnis und Wirklichkeitssinn. Seine Bereitschaft, sich mit gegnerischen Vorschlägen und Argumenten sachlich auseinander zu setzen, machte ihn alsbald zu einem der Wortführer im Parlamentarischen Rat – nicht nur der Liberalen. Carlo Schmid hat in einer „Parlamentarischen Elegie“ vom Januar 1949 das Wirken von Theodor Heuss trefflich mit den Worten glossiert: „Wallend weht ihm das Haar im Silberschimmer der Weisheit, Und seines Basses Gewalt gibt ein dreifaches Gewicht Jeglichem Wort; so erdrückt es den Kampfmut des wildesten Streithahns, Selbst Held Süsterhenn senkt müd ein geschlagenes Haupt. Weise verteilet der Heuss seine Gaben, das Ja und das Nein, daß Keinem schwelle der Kamm, und bis zum letztesten Tag
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Jutta Limbach: 60 Jahre Grundgesetz Zucke das Zünglein der Waage und jeglicher merke: es siege Schließlich der, dem der Baß Theodors endlich sich neigt. Traun, das wird dann ein Fest sein im Zelte des Siegers! Doch Theodor Gehet zu dem, der verlor, und sein spendendes Wort Lehrt ihn, daß alles auf Erden ja wechsle, daß morgen ein Tag sei, Der, was sich heute versagt, bringen könnte – vielleicht …“1
Doch es griffe zu kurz, wenn man Theodor Heuss’ Wirken auf das des Schiedsrichters in den Meinungskämpfen des Parlamentarischen Rates beschränkte. Man könnte ihn vielmehr als dessen guten Geist bezeichnen; denn er wirkte im besonderen Maße auf die Stimmung und die Geisteshaltung der Mütter und Väter des Grundgesetzes ein. Die Atmosphäre war anfangs von Kleinmut und Niedergeschlagenheit geprägt. Fand doch auch der zweite Start der Deutschen in die Demokratie nach einer Niederlage statt. „Wieder ist die Demokratie in Deutschland nicht erobert worden“, so Theodor Heuss in seiner ersten Rede, „sie ist von den Besatzungsmächten angeordnet, anempfohlen, zugelassen, zugemessen, lizenziert, limitiert, kontingentiert.“ Die durch die deutsche Teilung bedingten geopolitischen Grenzen seien nicht vergessen. Der sich in dieser neuen Frontlinie andeutende Beginn des Kalten Krieges lenkte die westlichen Alliierten von der Entnazifizierung ab und veranlasste sie, den Wiederaufbau der deutschen Staatlichkeit in ihrem Besatzungsgebiet mit Nachdruck vorantreiben. Angesichts der fehlenden Souveränität Deutschlands und der Tatsache, dass die zu gründende Bundesrepublik nur dessen westlichen Teil umfassen konnte, regten sich im Parlamentarischen Rat allerdings starke Widerstände gegen die Absichten der Alliierten, aus ihren Besatzungszonen einen Separatstaat zu bilden. Man vermied bewusst die Bezeichnung „Verfassung“. Auf der ersten Sitzung konstatierte Carlo Schmid: „Wir haben nicht die Verfassung 96
Mit seines Basses Gewalt
Deutschlands oder Westdeutschlands zu machen. Wir haben keinen Staat zu errichten. […] was wir machen können ist ausschließlich das Grundgesetz für ein Staatsfragment.“ Dem gemäß sollte das Grundgesetz das staatliche Leben in den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen nur vorläufig ordnen. In der Präambel wurde der Wille des deutschen Volkes bekundet, die nationale und staatliche Einheit zu wahren. Theodor Heuss verwahrte sich gegen die sich allmählich einstellende Gewohnheit, das Wort „provisorisch“ etwas zu oft in den Mund zunehmen. Er war mehr als andere darauf bedacht, im Parlamentarischen Rat etwas Stabiles zustande zu bringen. Als Arbeitsethos empfahl er eine Gesinnung, die Hölderlin als „heilige Nüchternheit“ bezeichnet hat. Welche Nüchternheit ist eine heilige – bezogen auf die Arbeit des Parlamentarischen Rates? Offenbar diejenige, bei der sich die aus bitterer geschichtlicher Erfahrung hervorgegangene Illusionslosigkeit mit politischer Verantwortungsbereitschaft paart. Denn laut Theodor Heuss kann nur derjenige sein politisches Handwerk mit innerer Würde versehen, der trotz des Verlusts seiner Illusionen ein Stück Glauben für seinen Beruf mitbringt. Die Frage nach der Legitimation beantwortete Heuss mit dem Hinweis auf die Landtage, die die Mitglieder des Parlamentarischen Rates gewählt hatten. Das erklärte sich aus der Tatsache, dass das staatliche Leben Deutschlands nach Kriegsende zunächst in den Ländern wieder erwacht war. Etwas herablassend sprach Theodor Heuss davon, dass die Landtage im Augenblick die „Behelfsheime der deutschen Existenz“ seien. Angesichts der gegenwärtigen Sorgen der Menschen könne man „keine Volksmeinung über staatspolitische Dinge herausholen“. Gleichwohl seien die 97
Jutta Limbach: 60 Jahre Grundgesetz
Mitglieder des Parlamentarischen Rates nicht die Vertreter von Bayern, Württemberg oder sonst eines Landes. Er schlug vor, einen Satz vorweg zu nehmen, über dessen Aufnahme in das Grundgesetz man sich offenbar schon einig war: „Der Abgeordnete ist Vertreter des gesamten Volkes“: Und wenn sie sich nach dieser Maßgabe richteten, so Theodor Heuss, dann sei ihre Legitimation sachlich geklärt.
Stolz auf das Grundgesetz? Die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mit Vorliebe diskutierte Legitimationsschwäche des als Provisorium gedachten Grundgesetzes ist spätestens seit den achtziger Jahren in der AltBundesrepublik kein herausforderndes Thema mehr. Auch diejenigen, die das Ende der deutschen Teilung gern zum Anlass genommen hätten, die Bundesrepublik auf eine neue verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen, schätzten das Grundgesetz. Schließlich haben sie unter diesem über ein halbes Jahrhundert in Frieden gelebt. Die Bürger und Bürgerinnen der Alt-Bundesrepublik haben sich mehr und mehr die Verfassung zu eigen gemacht. Demoskopisch befragt, worauf sie als Deutsche am meisten stolz sind, verweist seit dem Jahr 1994 eine Mehrheit auf das Grundgesetz. Dieser Stolz auf das Grundgesetz ist nicht ungeteilt. Das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger der ostdeutschen Länder zu unserer Verfassung ist wesentlich distanzierter. Zwar hat die Zufriedenheit der Bürger mit der Demokratie in Ost und West in den letzten Jahren merklich abgenommen. Doch ist die Reserve der Ostdeutschen gegenüber den freiheitlich-demokratischen Prinzipien deutlich ausgeprägter. Sie sind mit den Leistungen des Sozialstaats unzufriedener als die Bürger im Westteil des Landes und meinen, 98
Mehr Volk ins Grundgesetz?
dass ihre soziale Sicherheit heute schlechter sei als in der DDR vor der Wende. Wohl wird das Leistungsvermögen des Sozialstaats heute allgemein in Frage gestellt. Doch lasten die Bürger der alten Länder die Unzulänglichkeit sozialer Transfers der jeweiligen Regierung und aktuellen Politik an, während solche Enttäuschung die Bürger der neuen Länder dazu führt, das Leistungsvermögen der Demokratie grundsätzlich in Frage zu stellen.
Mehr Volk ins Grundgesetz? Es ist inzwischen müßig zu fragen, ob es sich bei diesem Vorbehalt gegenüber der Demokratie um Fernwirkungen der Diktatur handelt. Näherliegend ist der Schluss, dass die Abkehr von der Demokratie auf die Erfahrungen zurückzuführen ist, die im Ostteil Deutschlands bei dem Übergang vom SED-Regime zur Bundesrepublik gemacht worden sind. Wir müssen uns fragen, ob in den Anfangsjahren der deutschen Einheit wichtige Prozesse der Integration abgeblockt worden sind, die gewinnbringend für die Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins hätten genutzt werden können. Denn gern hätten die Neubundesrepublikaner ihre kurzen, aber sehr intensiven Demokratieerfahrungen – man denke an die Runden Tische und die vielen verfassungspolitischen Aktivitäten – in einen intensiven gemeinsamen Verfassungsdiskurs eingebracht. Schließlich waren die Ereignisse des Jahres 1989, die wir gern als friedliche Revolution bezeichnen, direkt-demokratische Vorgänge. Die Montagsdemonstrationen unter dem Ruf „Wir sind das Volk!“ haben schließlich zu einer Öffnung der Mauer geführt. Hätte man nicht diese geglückten Plebiszite – so hat Günter Dürig zu Recht gefragt – für die Zukunft honorieren sollen? Hätten wir diesen bedeutsamen politischen Umbruch nicht weniger bürokratisch, dafür mehr demokratisch gestalten sollen? 99
Jutta Limbach: 60 Jahre Grundgesetz
Der Parlamentarische Rat hat sich in den Jahren 1948/49 für die parlamentarisch-repräsentative Demokratie entschieden. Das Grundgesetz kennt weder die Möglichkeit des Volksentscheids noch die des Volksbegehrens. Offenbar hat allein die Tatsache, dass das deutsche Volk während der Weimarer Republik wiederholt den Kandidaten der Reaktion zum Reichspräsidenten gewählt hat, plebiszitäre Elemente in den Augen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates diskreditiert. Weder das Volksbegehren noch der Volksentscheid haben – entgegen einer gern kolportierten These – zum Verfall der Weimarer Republik beigetragen. Denn von der Möglichkeit des Volksentscheids war nur selten und nie erfolgreich Gebrauch gemacht worden. Gleichwohl wird als Quintessenz von vermeintlich „nicht sehr erbaulichen Erfahrungen“ gern der Ausspruch von Theodor Heuss zitiert, dass Referenden „nichts anderes als eine Prämie auf Demagogie“ seien. Mit einer im Wesentlichen gleichsinnigen Argumentation hat Anfang der neunziger Jahre auch die Mehrheit der Mitglieder der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat die Aufnahme plebiszitärer Elemente in das Grundgesetz abgelehnt. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Möglichkeit direkter politischer Teilhabe in der nächsten Zeit wieder auf der verfassungspolitischen Agenda stehen wird, obgleich Die Grünen/Bündnis 90 einen dahingehenden Antrag in den Bundestag eingebracht haben. Doch wird in der Zivilgesellschaft – man denke an die Kampagne „Mehr Demokratie wagen!“ – mit zunehmender politischer Phantasie über neue Möglichkeiten politischer Partizipation nachgedacht. Nicht nur gehört ein präziser Negativkatalog in die Debatte, der Referenden über die Todesstrafe und den Haushalt ausschließt. Es muss auch intensiver darüber nachgedacht werden, welche Fragen und welche Verfahren empfehlungswürdig sind. 100
Im Schatten von Weimar
Die Angst vor dem Volk dürfte heutzutage unangebracht sein. Schließlich hat sich die Bundesrepublik zu einer stabilen Demokratie entwickelt. Auch hat sich ein Wandel von der Untertanengesellschaft zu einer Staatsbürgerkultur vollzogen. Möglichen Missbräuchen von Instrumenten unmittelbarer Demokratie lässt sich durch eine kluge Wahl der Verfahren begegnen. Diese sind so zu gestalten, dass das Parlament Hort der politischen Auseinandersetzung und Entscheidung bleibt. In der repräsentativen Demokratie ist es Sache des Parlaments, die gegensätzlichen Interessen abzuwägen und einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Die Abgeordneten sind – das sei noch einmal betont – Vertreter des ganzen Volkes. Sie haben letztlich das Gemeinwohl zu bestimmen, während eine Volksinitiative durchaus partikulare Interessen verfolgen kann. Verfahren direkter Bürgerbeteiligung sind nicht nur ein Mittel gegen Politikmüdigkeit und Demokratieverdrossenheit. Sie dürften die parlamentarische Demokratie eher beleben als diese schwächen.
Im Schatten von Weimar Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren von dem Wunsch beseelt, aus der Schreckensherrschaft der Jahre 1933 bis 1945 zu lernen. Das Versprechen des „Nie wieder!“ leitete die Suche nach Prinzipien und Institutionen, die ein menschenwürdiges Zusammenleben in einem freiheitlich-demokratischen Staat zu gewährleisten vermögen. Die Grundrechte, das Prinzip der Gewaltenteilung und des Rechtsstaats sind in dieser Absicht zum Inhalt des Grundgesetzes gemacht worden. Die Erfahrung aus der voraufgegangenen Diktatur hat die Schöpfer des Grundgesetzes nicht nur veranlasst, die Menschenrechte und Grundfreiheiten als einklagbare subjektive Rechte zu formulieren. Sie haben darüber hinaus alle staatlichen Gewalten an diese Grundrechte als unmittelbar 101
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geltendes Recht gebunden und sich zum Vorrang der Verfassung bekannt (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG). Bereits in den Auftaktreden wurde betont, dass die Grundrechte das Grundgesetz regieren müssen. Zwar kannte auch die Weimarer Verfassung einen Grundrechtekatalog. Doch war dieser durch den sogenannten Gesetzesvorbehalt seines prinzipiellen Charakters entkleidet worden, weil er im Wege des einfachen Gesetzes verändert werden konnte. Künftig sollte, so Carlo Schmid, der Mensch Rechte haben, über die auch der Staat nicht verfügen könne. Das Grundgesetz spricht dem gemäß von „unveräußerlichen“ Menschenrechten, die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt sind (Art. 1 Abs. 2 GG). Theodor Heuss, der nicht zu jenen gehörte, die die Weimarer Verfassung gern geringredeten, betonte die moralische Aufgabe der Grundrechte. Diese sollten der „Integration des neuen Staates im Volksbewusstsein“ dienen. Die mangelnde Durchsetzungskraft dieser Rechte lastete er weniger dem Weimarer Verfassungstext als vielmehr der juristischen Zunft an, die diese durchzusetzen und anzuwenden hatte. „Dann sind aber“, so Heuss, „die Juristen darüber gekommen, und da passiert zumeist ein Unglück“. Die allgemeine Heiterkeit war ihm bei diesem Kompliment gewiss. Das Scheitern der ersten Demokratie in Deutschland hat in den Debatten des Parlamentarischen Rates eine große Rolle gespielt und die Wahl der Normen des Grundgesetzes beeinflusst. Die Parlamentarier waren darauf bedacht, das freiheitlich-demokratische Prinzip fest im Grundgesetz zu verankern und Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass die Feinde der Demokratie diese mit ihren eigenen Verfahrensweisen zerstören. Das Thema „Weimar“ klang 102
Das Gerede vom verstaubten Grundgesetz
nicht nur bei der Frage des Wahlsystems und der Konstruktion der Länderkammer (Bundesrat) an. Auch das Risiko rein destruktiver Misstrauensvoten, die Stellung und Macht des Staatsoberhaupts, die Existenz verfassungswidriger Parteien und nicht zuletzt die richterliche Unabhängigkeit wurden vor dem Hintergrund des Scheiterns der Weimarer Republik diskutiert. So aus der Vergangenheit lernend, haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rates Vorkehrungen in das Grundgesetz aufgenommen, um ein abermaliges Scheitern der Demokratie in Deutschland zu verhindern. Diese neuen Bausteine des modernen Verfassungsstaates – wie der Katalog gerichtlich durchsetzbarer Grundrechte, die Verfassungsgerichtsbarkeit, das konstruktive Misstrauensvotum, das Verbot verfassungswidriger Parteien und nicht zuletzt das Bekenntnis zu den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats – haben das Grundgesetz nicht erst seit dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einem Exportschlager gemacht. Die über die Jahrzehnte gewachsene innere Stabilität unserer Demokratie ist auch auf diese charakteristischen Vorzüge des Grundgesetzes zurückzuführen. Wenngleich wir wissen, dass eine geglückte Verfassung für sich allein noch kein Unterpfand für den Fortbestand einer freiheitlich-demokratischen und menschenwürdigen Gesellschaft ist.
Das Gerede vom verstaubten Grundgesetz Seit der Jahrhundertwende mehren sich die Zweifel, ob das Grundgesetz in Zukunft halten wird, was es verspricht: eine menschenwürdige, freiheitlich-demokratische Ordnung. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben sich über dessen Geltungsdauer bekanntlich keine Illusionen gemacht. Überdies war ihnen die Anpassungs103
Jutta Limbach: 60 Jahre Grundgesetz
fähigkeit der Verfassung an fortschreitende gesellschaftliche Entwicklungen ein wesentliches Anliegen. Die jüngste Geschichte hatte sie gelehrt, dass die Demokratie ein offenes und riskantes Projekt ist. Diese Einsicht mag bewirkt haben, dass das Grundgesetz wortkarg und mit Normen von großer Offenheit formuliert worden ist. Auch in diesem Zusammenhang hat Heuss wiederholt seine Stimme erhoben. So verstand er die Menschenwürde als eine „nicht interpretierbare These“. Der Antrag, die Gottgegebenheit der Menschenwürde und Menschenrechte im Grundgesetz zum Ausdruck zu bringen, wurde im Hinblick auf andere Ansichten über die Herkunft dieser Rechte abgelehnt. Theodor Heuss und Carlo Schmid meinten, dass die Berufung auf Gott in Anbetracht des irdischen Charakters der Aufgabe der Verfassung eine „Strapazierung der Religion“ sei, die man sich aus religiösen Gründen versagen sollte. In dieser Ansicht ist die Mehrheit der späteren Kommentatoren den Schöpfern des Grundgesetzes gefolgt. Wenngleich sich zuweilen die religiöse Bindung des einzelnen – mehr oder minder bewusst – im Grundrechtsverständnis niederschlägt. Zum anderen hat Theodor Heuss den Verzicht gelobt, ein bestimmtes wirtschaftspolitisches System, etwa den Gedanken einer sozialwirtschaftlichen Ordnung im Grundgesetz zu verankern. Es erschien ihm in der damaligen undurchsichtigen Situation als hoffärtig, etwa über die künftige sozialwirtschaftliche Struktur aussagen zu wollen.
Ein ganz kleines Stück festen Bodens Die Schöpfer des Grundgesetzes haben sich gewiss nicht träumen lassen, dass wir eines Tages dessen 60. Geburtstag feiern würden. Viele der Reden im Parlamentarischen Rat waren – situations104
Ein ganz kleines Stück festen Bodens
bedingt – von Skepsis erfüllt. Theodor Heuss war es, der sehr häufig – zuweilen heiter, zumeist ernst – die richtigen Worte fand. In den Schlusssätzen seiner letzten Rede im Parlamentarischen Rat, der am 8. Mai 1949 seine Arbeit am Grundgesetz abgeschlossen hatte, sagte er: „Wir spüren dies, daß in der Auseinandersetzung mit den Völkern und Nationen das Zu-sich-selber-gefunden-haben der Deutschen erst Wirklichkeit geworden sein muß und daß unsere politische Arbeit, die noch durch viel Turbulenz, durch viele Enttäuschungen und durch viele Rückschläge hindurchgehen wird, eben in dem Ergebnis dieses Tages ein ganz kleines Stück festen Bodens für das deutsche Schicksal geschaffen haben wird.“
Dieses „ganz kleine Stück festen Bodens“ hat sich als ein solides und stabiles Verfassungsfundament erwiesen. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes haben die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik bereits 60 Jahre in Frieden gelebt. Gewiss haben die obersten Gerichte der Bundesrepublik erst durch ihre Rechtsprechung den neuen Verfassungsstaat konkret ausgestaltet. Vor allem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat dazu beigetragen, die Grundrechte mit Leben zu erfüllen. Die Richtersprüche haben ein Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger dafür geschaffen, dass sie staatlichen Maßnahmen nicht wehrlos ausgesetzt sind. Ihrem Rechtssinn und ihrem Widerspruchsgeist ist es zu verdanken, dass die Gerichtsbarkeit als Hüter des Grundgesetzes tätig werden kann. Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung hat das Grundgesetz nicht nur auf ihre Freiheitsrechte bedachte Bürger und Bürgerinnen, sondern auch loyale Richter und Richterinnen gefunden. Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes sei für das langlebige Produkt ihrer Verfassungsarbeit nachdrücklich gedankt!
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Anmerkungen Ernst Wolfgang Becker: Der Bürger als Verfassungsvater 1
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Vgl. DOLF STERNBERGER: Demokratie der Furcht oder Demokratie der Courage?, in: Die Wandlung 4 (1949), H. 1, S. 3–15. THEODOR HEUSS: Nach der ersten Lesung, in: RNZ, Nr. 163, 11. 12. 1948. D. STERNBERGER, Demokratie, S. 12. Theodor Heuss an Dolf Sternberger, 23. 1. 1949, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 465f. Auch im Folgenden THEODOR HEUSS: Ein Intermezzo, in: Die Wandlung 4 (1949), H. 3, S. 243–246. DOLF STERNBERGER: Replik, in: ebd., S. 246–249. S. 91. D. STERNBERGER, Demokratie, S. 13. Vgl. R. BURGER, Theodor Heuss. Theodor Heuss an Wilhelm Cohnstaedt, 18. 7. 1929, in: TH. HEUSS, Bürger, S. 326, 328. Theodor Heuss an Erich Koch-Weser, 29. 10. 1924, in: ebd., S. 230. Die folgenden Ausführungen können sich dankenswerterweise auf die Broschüre von Jürgen C. Heß stützen: JÜRGEN C. HESS: Verfassungsarbeit. Theodor Heuss und der Parlamentarische Rat. Berlin 2008. Vgl. J. C. HESS, Theodor Heuss. Vgl. E. W. BECKER, Biographie. Vgl. zweite Sitzung der Verfassunggebenden Landesversammlung für Württemberg-Baden, 18. 7. 1946, in: QUELLEN ZUR ENTSTEHUNG, 2. Teil, S. 37– 53. Vgl. neunte und zehnte Sitzung der Verfassunggebenden Landesversammlung für Württemberg-Baden, 24./25. 9. 1946, in: ebd., S. 320–328, 360– 364. Einen Verfassungsentwurf stellt auch nicht das Memorandum „Zur Frage der staatsrechtlichen Gestaltung Deutschlands“ dar, das Heuss im Sommer 1947 verfasst hatte; in: TH. HEUSS, Aufzeichnungen, S. 111–140. Vgl. hierzu auch im Folgenden E. W. BECKER, Liberaler. Vgl. J. C. HESS, Fehlstart. Vgl. D. HEIN, Milieupartei, S. 316–348.
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Abdruck der Frankfurter Dokumente in: PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 1, S. 30–36. 15–22 Vgl. J. C. HESS, Mächtespiels, S. 106–124. Rundschreiben Nr. 3 der DPD, 20. 6. 1948, in: SBTH, Nachlass Theodor Heuss, N 1221, 407 (= BArch). Vgl. D. HEIN, Milieupartei, S. 325–327. Vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 27–35. Vgl. ebd., S. 36–39; PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 2. Vgl. E. W. BECKER, Einführung, S. 34. Vgl. S. 84. Heuss an Ernst Ludwig Heuss, 4. 9. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 402. Heuss an Ernst Jäckh, 22. 1. 1949, in: ebd., S. 462. Vgl. H. SCHELSKY, Skeptische Generation; dazu auch J. HACKE, Philosophie, S. 31–35. S. 53. S. 74f. S. 52. S. 54. S. 50. S. 54. Vgl. dazu auch P. KRÜGER, Liberalismus, S. 202. Zum „demokratischen Nationalismus“ der Liberalen in der Weimarer Republik vgl. J. C. HESS, Das ganze Deutschland. Vgl. W. HARDTWIG, Preußens Aufgabe, S. 103–111; bezogen auf Heuss TH. HERTFELDER, Bürger, S. 460f. Vgl. dazu immer noch hilfreich F. K. FROMME, Weimarer Verfassung, hier S. 8f. Vgl. J. C. HESS, Theodor Heuss. S. 50. S. 51. S. 51f. Zur Wahrnehmung der Weimarer Republik durch Heuss nach 1945 vgl. J. C. HESS, Wege, S. 369; U. BAUMGÄRTNER, Republik. S. 64. Für Heuss als Biographen vgl. E. W. BECKER, Biographie, S. 69–73. Vgl. S. 49.
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Vgl. S. 57. Vgl. S. 60f. 22–26 Vgl. S. 61f; TH. HEUSS, 1848; zur Rezeption der Revolution von 1848/49 durch Heuss vgl. zudem G. KRUIP, Gescheiterter Versuch. Vgl. S. 64f. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 5/I, Einleitung, S. XXIX. Vgl. dazu auch im Folgenden ebd., S. XXVIII–XXXII; M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 70–72; J. C. HESS, Verfassungsarbeit, S. 34–38. S. 55; vgl. auch die Artikel THEODOR HEUSS: Über das Vorläufige …, in: Christ und Welt, Nr. 20, 16. 10. 1948; DERS.: Die Präambel, in: RNZ, Nr. 129, 11. 10. 1948, beide Artikel abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 64–67, 71–74. Heuss ۥFormulierung in seinem zweiten Entwurf einer Präambel vom 20. 10. 1948 lautete: „Sie haben bei der Durchführung ihres Auftrags sich als stellvertretend auch für jene Deutschen empfunden, denen die Mitwirkung an dieser Aufgabe versagt war.“ PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 194. S. 56. Vgl. den Brief von Heuss an Friedrich Middelhauve, 9. 11. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 421f. Vgl. J. C. HESS, Verfassungsarbeit, S. 39f. THEODOR HEUSS: Von den Grundrechten, in: RNZ, Nr. 117, 20. 9. 1948, abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 55–58, hier 56. S. 69f. Vgl. D. LANGEWIESCHE, Liberalismus, S. 262–266; J. C. HESS, Überlegungen, S. 293f; DERS., Theodor Heuss, S. 47–52. S. 68. Vor einer Überfrachtung des Grundgesetzes warnte jüngst wieder GERD ROELLECKE: Nicht für die Ewigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 12, 15. 1. 2009. S. 71. S. 72. Vgl. S. 72. Zur Auseinandersetzung über das „Elternrecht“ im Parlamentarischen Rat vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 74–77, 126–128; V. OTTO, Staatsverständnis, S. 77–85; J. C. HESS, Verfassungsarbeit, S. 43–57.
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S. 72. Vgl. S. 83–90. 27–31 Vgl. J. C. HESS, Verfassungsarbeit, S. 72. S. 58f. S. 67. S. 59f. Vgl. dazu E. W. BECKER, Einführung. S. 63. Vgl. O. JUNG, Grundgesetz. Vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 13/I, S. 127, 134–137; 32. Sitzung des Hauptausschusses, 7. 1. 1949, in: PARLAMENTARISCHER RAT, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 395–402; Brief von Heuss an Friedrich Middelhauve, 9. 11. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 424; V. OTTO, Staatsverständnis, S. 125f; THOMAS DEHLER: FDP fordert Präsidialregierung, in: Informationsdienst der Freien Demokratischen Partei, Landesverband Bayern, Nr. 62, 15. 1. 1949, abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 100–103. Vgl. hierzu den ausführlichen Brief von Heuss an Max Hildebert Boehm über die Funktion von Parteien in Geschichte und Gegenwart, 19. 1. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 341–352. Vgl. F. K. FROMME, Weimarer Verfassung, S. 32. Vgl. ausführlich M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 79–85; J. C. HESS, Verfassungsarbeit, S. 60–72. Vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 2, S. 594. Vgl. ebd., Bd. 9. S. 32. S. 59. Vgl. zur Diskussion um die Neuorganisation des Amtes des Bundespräsidenten in Auseinandersetzung mit der Weimarer Reichsverfassung F. K. FROMME, Weimarer Verfassung. Vgl. R. MORSEY, Debatte, S. 55–57; PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 13/I, S. LXVI–LXXI. Vgl. ebd., Bd. 2, S. Cf, 592–594. Ebd., Bd. 11, S. 33. Vgl. S. 77–79. Vgl. Theodor Heuss an Ernst Ludwig Heuss und Hanne Heuss, 4. 9. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 403. Theodor Heuss an Alfred Wolf, 1. 4. 1949, in: ebd., S. 483.
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S. 76. 32–44 Vgl. H.-J. GRABBE, Kontroverse. S. 80. S. 77. S. 81. S. 81f. Theodor Heuss an Heinz Winkler, 26. 4. 1949, in: SBTH, Nachlass Theodor Heuss, N 1221, 408 (= BArch). Abgedruckt in: PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 7, S. 462–496. THEODOR HEUSS: Prestige, in: RNZ, Nr. 59, 9. 4. 1949, abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 168–170. Vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 11, S. 179–192; M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 185f. S. 83. S. 86. S. 87. S. 87. Vgl. S. 72. S. 90. Theodor Heuss an Wilhelm Stapel, 4. 7. 1949, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 511. S. 91f. Vgl. S. 92f. F. MEINECKE, Deutsche Katastrophe, S. 168, 173. S. 74. S. 93. Vgl. Theodor Heuss an Max Rademacher, 1. 11. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 418–420. Vgl. U. WENGST, Auftakt, S. XXXVIII–XLIX. Vgl. J. C. HESS, Verfassungsarbeit, S. 75–82. Vgl. TH. HERTFELDER, Bürger; M. DORRMANN, Einführung, S. 15–18. Vgl. TH. HERTFELDER, Kapital, S. 94f. Vgl. DERS., Bürger, S. 468f Vgl. D. LANGEWIESCHE, Liberalismus, S. 20–34. Vgl. J. C. HESS, Deutschland. Vgl. H.-U. WEHLER, Bürgertum; H. SIEGRIST, Ende.
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Vgl. E. CONZE, Republik; A. SCHULZ, Lebenswelt; K. TENFELDE, Stadt; M. HETTLING, Bürgerlichkeit; J. KOCKA, Bürger; C. RAUH, Kontinuität. Vor allem das grundlegende „Lüth-Urteil“ von 1958; vgl. TH. HENNE / A. RIEDLINGER, Lüth-Urteil; vgl. zur Frage nach der Integration der Bundesrepublik durch Verfassungsrecht auch U. HERBERT, Integration; außerdem jüngst CH. BOMMARIUS, Grundgesetz, S. 216–254, Vgl. U. HERBERT, Liberalisierung. Vgl. J. KOCKA, Zivilgesellschaft. Ebd., S. 26. TH. HEUSS, Demokratie, S. 155–159. D. STERNBERGER, Verfassungspatriotismus. Zur Weiterführung des Gedankens durch Jürgen Habermas vgl. J. HABERMAS, Staatsbürgerschaft. D. STERNBERGER, Verfassungspatriotismus, S. 14. ARNULF BARING: Bürger, auf die Barrikaden! Deutschland auf dem Weg zu einer westlichen DDR, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 269, 19. 11. 2002. Vgl. zu dieser seit Jahren anschwellenden Krisenrhetorik und ihrer historischen Einordnung TH. HERTFELDER, Modell Deutschland, S. 10–14. DER PARLAMENTARISCHE RAT 1948–1949. Akten und Protokolle, hg. v. Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv unter Leitung von Rupert Schick und Friedrich P. Kahlenberg, Band 9: Plenum, bearb. v. Wolfram Werner, München 1996.
Theodor Heuss: Zwei Reden im Parlamentarischen Rat über das Grundgesetz 44–49 1
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Adolf Schönfelder (1875–1966), Zimmermann und Politiker, MdL Hamburg (SPD 1919–33, 1945–61), Senator für die Polizei von Hamburg (1925–33), Zweiter Bürgermeister von Hamburg (1945/46), Mitglied und Alterspräsident des Parlamentarischen Rates (SPD 1948/49), Präsident der Hamburger Bürgerschaft (1946–60). Max Reimann (1898–1977), Politiker, Mitglied der KPD (ab 1919), Emigration ins Saargebiet (1934), inhaftiert (1939–45), MdPR (KPD 1948/49), MdB (KPD 1949–53), Vorsitzender der KPD-Fraktion im Bundestag (1949–51) und der KPD in den drei Westzonen bzw. in der Bundesrepublik (1948–53), Übersiedelung in die DDR (1954), Rückkehr in die Bundesrepublik (1969).
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Auf der ersten Sitzung des Plenums am 1. 9. 1948 stellte der KPD-Abgeordnete Reimann den Antrag, die Beratungen des Parlamentarischen Rates über eine westdeutsche Verfassung einzustellen. Um die Abstimmung über diesen Antrag zu erzwingen, rief er aus: „Verfassungsfragen sind Kampffragen!“ Der Antrag wurde von allen Abgeordneten mit Ausnahme der beiden KPDVertreter abgelehnt; PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 11. 49 Ferdinand Lassalle (1825–1864), Philosoph und Politiker, Gründer und Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (1863/64). Der preußische Kriegsminister Albrecht von Roon hatte 1860 eine Vorlage zur Reform des Heeres in das preußische Abgeordnetenhaus eingebracht. Sie sah eine Verdoppelung der Friedensstärke des Heeres durch Erhöhung der jährlichen Rekrutenaushebung und eine Verlängerung der Dienstzeit von zwei auf drei Jahre vor. Zudem sollte die von den preußischen Heeresreformern 1814 ins Leben gerufene Landwehr, die eine Verklammerung von Heer und Gesellschaft intendierte, in die Reserve abgedrängt werden. Die Opposition im Abgeordnetenhaus sah darin ein Stärkung der Armee in der Hand des Königs und verweigerte die Zustimmung zu dem Budget. Der Konflikt entwickelte sich daraufhin zur Verfassungskrise, weil die Regierung die Reform auch ohne Zustimmung des Parlaments umzusetzen begann und mehrfach Zuflucht zu Parlamentsauflösungen nahm. Aus den Neuwahlen ging die liberale Opposition jedoch gestärkt hervor. Durch die Berufung Otto von Bismarcks zum Ministerpräsidenten folgte 1862 eine vierjährige Regierungszeit gegen die parlamentarische Mehrheit ohne verfassungsmäßig bewilligtes Budget. Nach dem preußischen Sieg gegen die österreichischen Truppen bei Königgrätz 1866 nahm das Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit schließlich die sogenannte Indemnitätsvorlage an, mit der die Regierung staatsrechtlich entlastet wurde für die Nichtbeachtung des parlamentarischen Budgetrechts; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 275–369. – Auf dem Höhepunkt der Verfassungskrise hielt Lassalle am 16. 4. 1862 in Berlin eine Rede „Über Verfassungswesen“, in der er Verfassungen als Ausdruck der realen Machtverhältnisse interpretierte. Gegen Ende der Rede heißt es: „Verfassungsfragen sind ursprünglich nicht Rechtsfragen, sondern Machtfragen; die wirkliche Verfassung eines Landes existiert nur in den realen tatsächlichen Machtverhältnissen, die in einem Lande bestehen; geschriebene Verfassungen sind nur dann von Wert und Dauer, wenn sie der genaue Ausdruck der wirklichen in der Gesellschaft bestehenden
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Machtverhältnisse sind – das sind die Grundsätze, die sie festhalten wollen.“ Abgedruckt in: F. LASSALLE, Verfassungswesen, S. 50. Thomas von Aquin (1224–1274), Theologe und Philosoph, Professor in Paris (1252–59, 1269–72), Orvieto (1261–65), Viterbo und Rom (1267/68), Heiligsprechung (1323). 49–52 Auf der zweiten Sitzung des Plenums am 8. 9. 1948 hob der CDU-Abgeordnete Adolf Süsterhenn die naturrechtlich begründete Volkssouveränität hervor und berief sich dabei auf Thomas von Aquin. Damit setzte er sich von seinem Vorredner Carlo Schmid (SPD) ab, der in seinem verfassungstheoretischen Grundsatzreferat betonte, dass der Verfassungsauftrag durch die Besatzungsmächte und nicht durch den freien Willen des deutschen Volkes erfolgt sei; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, 47f. Vgl. ebd., S. 20–45. Carlo Schmid (1896–1979), Jurist, Schriftsteller und Politiker, Kriegsgerichtsrat in Lille (1940–44), Verbindungen zum Widerstand („Kreisauer Kreis“) gegen das NS-Regime, Landesdirektor für Kultur in Stuttgart (1945), Vorsitz des Staatssekretariats und Leitung der Landesdirektion für Justiz und für Kultur (1945–47) sowie stellv. Staatspräsident und Justizminister (1947–50) von Württemberg-Hohenzollern, Mitglied der Beratenden Landesversammlung Württemberg-Hohenzollern (SPD 1946/47), MdL Württemberg-Hohenzollern (SPD 1947–52), MdPR und Vorsitzender der SPDFraktion (1948/49), MdB (SPD 1949–72), Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder (1966–69), Vorsitzender der SPD in Württemberg-Hohenzollern (1946–50), Mitglied des Parteivorstandes der SPD (1947–73), Professor in Tübingen (1945–53) und Frankfurt a. M. (1953–66). Angesichts der drohenden Niederlage im Ersten Weltkrieg und des Drucks durch revolutionäre Aufstände von Soldaten und Arbeitern rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. 11. 1918 die Deutsche Republik aus. Knapp drei Wochen später dankte Kaiser Wilhelm II. auch offiziell ab. Die am 19. 1. 1919 gewählte verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar verabschiedete im August 1919 eine Reichsverfassung. Nach der Reichsverfassung von 1871 war der vom Kaiser ernannte Reichskanzler nicht vom Vertrauen des Reichstages abhängig und konnte durch ein Misstrauensvotum des Reichstages nicht gestürzt werden; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 898–900. Die Anhänger der sogenannten Dolchstoßlegende behaupteten, dass bestimmte Personen und Gruppen, die an der Revolution vom November 1918
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beteiligt waren, die Kriegsniederlage zu verantworten und damit der Heimat den Dolch in den Rücken gestoßen hätten. Auf diese Weise bürdeten die nationalistische Rechte und dann vor allem die nationalsozialistische Bewegung den Trägern der Weimarer Republik die Verantwortung für den Kriegsausgang auf und verschleierten das eigentliche Versagen der militärischen und politischen Führung im Kaiserreich. Diese Legende war einer der Faktoren, die zur Vergiftung und Radikalisierung des politischen Klimas und damit zur Destabilisierung der Weimarer Republik beitrugen. 52–53 Vgl. zum Verfassungsauftrag der Alliierten Einführung, S. 14f. Carlo Schmid hatte in der zweiten Sitzung des Plenums tags zuvor den Rechtszustand, in dem sich Deutschland befand, folgendermaßen charakterisiert: „Die Alliierten halten Deutschland nicht nur auf Grund der Haager Landkriegsordnung besetzt. Darüber hinaus trägt die Besetzung Deutschlands interventionistischen Charakter.“ PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 27. Die Haager Landkriegsordnung, eine Anlage zum Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, wurde am 18. 10. 1907 auf der zweiten internationalen Friedenskonferenz in Den Haag unterzeichnet und auch vom Deutschen Reich ratifiziert. Die Landkriegsordnung regelte u. a. die Rechtsstellung von Kriegsgefangenen, die Wahl der erlaubten Mittel zur Schädigung des Feindes und die Rechte der Bevölkerung eines besetzten Landes; Abdruck in: GENFER ABKOMMEN, S. 297–308. Friedrich Hölderlin (1770–1843), Dichter. Das Wort stammt aus dem Gedicht „Hälfte des Lebens“ (1805), dessen erste Strophe lautet: „Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen / Das Land in den See, / Ihr holden Schwäne, / Und trunken von Küssen / Tunkt ihr das Haupt / Ins heilignüchterne Wasser.“ In: F. HÖLDERLIN, Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 117. Am 1. 7. 1948 hatten die drei Militärgouverneure der westlichen Besatzungsmächte den Ministerpräsidenten ihrer Zonen in Frankfurt a. M. drei Dokumente überreicht. Dokument Nr. I dieser sogenannten Frankfurter Dokumente rief die Ministerpräsidenten u. a. dazu auf, „eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten sollte. […] Die Verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und
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die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.“ PARLAMENBd. 1, S. 30f. Hinsichtlich des Wahlmodus für die Bestimmung der Abgeordneten des Parlamentarischen Rates aus den Landtagen ließen die Alliierten den Ministerpräsidenten weitgehend freie Hand. Diese empfahlen, die Abgeordneten nach dem Wahlergebnis der jeweils letzten Landtagswahlen zu bestimmen, um so alle Parteien zu berücksichtigen. Den von ihren Fraktionen vorgeschlagenen Kandidaten stimmten die Landtage dann ohne weitere Personaldebatte zu; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 41f. 53–54 Der CSU-Abgeordnete Josef Schwalber hatte in seinem Redebeitrag bemerkt, der dem von Heuss direkt voranging: „Die gegenwärtigen deutschen Länder sind Staaten im vollen Sinne des Wortes mit einer originären Staatlichkeit.“ PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 89. Die Währungsreform vom 20. 6. 1948 führte in den drei Westzonen zu einem deutlichen Anstieg der Preise. Die Befürworter allgemeiner direkter Wahlen vor allem aus der SPD konnten sich nicht durchsetzen und stimmten auf der zweiten Ministerpräsidentenkonferenz am 21. 7. 1948 im Schloss Niederwald bei Rüdesheim dem Verfahren zu, die Abgeordneten indirekt von den Landtagen wählen zu lassen; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 1, S. 181. Unter den Novemberverträgen versteht man die im November 1870 abgeschlossenen Staatsverträge des Norddeutschen Bundes mit Bayern, Württemberg, Baden und Hessen zur Gründung eines neuen deutschen Bundesstaates, ab 1871 des Deutschen Reiches; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 742–750; Vertragstexte in: DERS., Dokumente, Bd. 2, S. 326–350. Wilhelm Hoegner (1887–1980), Staatsanwalt, Richter und Politiker, MdL Bayern (SPD 1924–32, 1946–70), MdR (SPD 1930–33), Emigration nach Österreich (1933) und in die Schweiz (1934), bayerischer Ministerpräsident (1945/46, 1954–57), stv. Ministerpräsident (1946/47), Justizminister (1945/ 46), Innenminister (1950–54), SPD-Fraktionsvorsitzender im bayerischen Landtag (1958–62). Eine direkte Berufung Hoegners auf die Novemberverträge ließ sich nicht nachweisen. Als bayerischer Ministerpräsident sprach sich Hoegner 1945/ 46 aber deutlich für eine starke Betonung des föderalen Elements in einem freiwilligen Zusammenschluss der Länder und für eine Beschränkung der TARISCHE RAT,
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Zentralgewalt aus, womit er den Widerspruch zahlreicher Politiker in den anderen Ländern der amerikanischen Zone herausforderte; vgl. WILHELM HOEGNER: Föderalismus, Unitarismus oder Separatismus, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 13, 13. 11. 1945; DERS.: Freiheit oder Zwang, in: ebd., Nr. 1, 1. 1. 1946; DERS., Außenseiter, S. 277–280. Die Ministerpräsidenten der westdeutschen Besatzungszonen hatten in den Koblenzer Beschlüssen am 10. 7. 1948 eine Stellungnahme zu den Frankfurter Dokumenten formuliert. Darin unterstrichen sie, dass sie keine Verantwortung für die Teilung Deutschlands zu übernehmen gedächten, jeglichen Eindruck einer westdeutschen Staatsgründung vermeiden und allenfalls an der Gründung eines staatlichen Provisoriums durch die Ausarbeitung eines Grundgesetzes mitwirken wollten. Erst nach einer gesamtdeutschen Regelung und der Wiederherstellung der deutschen Souveränität sei eine Verfassung zu verabschieden. Nach längeren Auseinandersetzungen mit den Westalliierten kam es schließlich am 26. 7. 1948 zu einer Einigung. Diese trug in einigen Punkten den deutschen Wünschen Rechnung, den vorläufigen Charakter der Verfassung herauszustreichen; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 28–35. 55–56 Zur Entwicklung der Haltung von Heuss zur Deutschen Frage vgl. J. C. HESS, Machtlos. Vom 10. bis 23. 8. 1948 ließen die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder auf Herrenchiemsee durch einen Verfassungskonvent einen Verfassungsentwurf ausarbeiten, der zwar keine offizielle Vorlage für den Parlamentarischen Rat darstellte, jedoch den Fachausschüssen in Bonn immer wieder als wichtige Diskussionsgrundlage diente. Die Präambel dieses Entwurfs sprach sowohl im Mehrheits- wie auch im Minderheitsvotum von einem „Bund deutscher Länder“; Entwurf eines Grundgesetzes, in: PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 2, S. 579. Die Bezeichnung „Bundesrepublik Deutschland“ führte bereits im Juli 1948 die „Süddeutsche Sachverständigenkommission für eine deutsche Verfassung“ ein. Der Parlamentarische Rat führte die Diskussion über den Namen des neuen Staates im Ausschuss für Grundsatzfragen, dem Heuss angehörte; vgl. zu den unterschiedlichen Vorschlägen der Parteien PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 5/I, S. 169–175, 277–283. Zur Position von Heuss vgl. außerdem den Brief von Heuss an Friedrich Middelhauve vom 9. 11. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 421f; DERS.: Die Präambel, in: Rhein-Neckar-
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Zeitung, Nr. 129, 11. 10. 1948, abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 64–67. 56 So Dokument Nr. I der Frankfurter Dokumente; vgl. Anm. 15. Auch im weiteren Verlauf der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates forderten die drei Militärgouverneure, die alliierten Vorgaben für einen ausgeprägten Föderalismus stärker zu berücksichtigen. Vor allem drängten sie darauf, die Kompetenzen der Länder bei der Steuerverteilung, der Finanzverwaltung, im Erziehungswesen sowie bei kirchlichen und kulturellen Angelegenheiten zu stärken. Im Parlamentarischen Rat kritisierten die Abgeordneten dieses Vorgehen der Alliierten als unangemessene Einflussnahme; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 111f, 122–124; allgemein zum Einfluss der Alliierten auf das Grundgesetz E. SPEVACK, Control; vgl. auch THEODOR HEUSS: „…des föderativen Typs“, in: RNZ, Nr. 155, 27. 11. 1948; abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 82–85. Die im Zuge der Französischen Revolution am 3. 9. 1791 verabschiedete Verfassung überführte Frankreich in eine konstitutionelle Monarchie. Sie etablierte den modernen, zentralisierten Einheitsstaat, der Frankreich bis heute prägt, indem sie die selbständigen Verwaltungseinheiten beseitigte und stattdessen gleichförmig strukturierte Departements einrichtete. Die Hitler-Regierung begann schon 1933 mit einer massiven Zentralisierung des Reichsaufbaus. Mit dem vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. 3. 1933 erhielten auch die Länderregierungen das Recht der Gesetzgebung. Außerdem wurden die Volksvertretungen der Länder und Kommunen nach dem Reichstagswahlergebnis vom 5. 3. 1933 zusammengesetzt; vgl. Reichsgesetzblatt I, 1933, S. 153. Mit dem zweiten Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 7. 4. 1933 wurden Reichsstatthalter in den Ländern „für die Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik“ eingesetzt, welche das Recht hatten, Mitglieder der Landesregierungen zu ernennen oder zu entlassen und Landesgesetze auszufertigen und zu verkünden; vgl. ebd., S. 173. Mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. 1. 1934 wurden schließlich die Volksvertretungen der Länder aufgehoben und deren Hoheitsrechte auf das Reich übertragen. Die Länder waren nur noch Träger einer Reichsauftragsverwaltung. Die Länderregierungen unterstanden der Reichsregierung. Alle Staatsverwaltung wurde somit zur Reichsverwaltung; vgl. ebd. I, 1934, S. 75.
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Matthias Erzberger (1875–1921), Lehrer und Politiker, MdR (Zentrum 1903–18), MdNV/MdR (Zentrum 1919–21), Reichsminister ohne Portefeuille (1919), Vizekanzler und Reichsfinanzminister (1919/20), ermordet von der rechtsradikalen Organisation Consul. Die Erzbergerschen Reichsfinanzreformen von 1919/20 markierten eine tiefe Zäsur in der Geschichte des deutschen Föderalismus. Das Reformpaket umfasste den Aufbau einer Reichsfinanzverwaltung, die Neuregelung und Vereinheitlichung der Steuergesetzgebung durch Zusammenfassung der Steuergesetzgebung der Länder sowie die Reform des Finanzausgleichs. Die Zentralregierung erhielt die Finanzhoheit im Reich und wurde nachhaltig auf Kosten der Länder gestärkt; vgl. P. KIRCHHOF, Matthias Erzberger, S. 79–118. 56–57 Die Diskussion ließ sich nicht nachweisen. Heuss hielt im Jahr 1947 mehrere Vorträge zum Thema Föderalismus: am 14. 7. vor der Staatsbürgerlichen Gesellschaft in Stuttgart, am 9. 9. vor der Volkshochschule in Schwäbisch Gmünd und am 13. 10. vor der Volkshochschule in Aalen; vgl. Redenkalender, in: SBTH, Nachlass Theodor Heuss, N 1221, 684 (= BArch). Alexander Hamilton (1755–1804), US-amerikanischer Politiker und Verfassungstheoretiker, Schatz-Minister (1789–95). Erich Zeigner (1886–1949), Jurist und Politiker, sächsischer Justizminister (1919–23) und Ministerpräsident (1923), MdL Sachsen (SPD 1922/23, SED 1946–49), inhaftiert (1924/25), Leiter einer juristischen Beratungsstelle der SPD in Leipzig (1928–33), mehrfach inhaftiert (seit 1934), Oberbürgermeister von Leipzig (1945–49). Zeigner hatte als sächsischer Ministerpräsident am 10. 10. 1923 zwei kommunistische Minister in sein Kabinett aufgenommen und geriet in schwere Konflikte mit der Reichsregierung, die sein Kabinett zur Demission aufforderte. Als er dem nicht nachkam, führte die Reichsregierung Ende Oktober eine Reichsexekution gegen Sachsen durch und ließ die Reichswehr einmarschieren, woraufhin die Regierung Zeigner zurücktreten musste. Gustav Ritter von Kahr (1862–1934), Jurist und Politiker, bayerischer Ministerpräsident und Minister für Inneres und Äußeres (1920/21), Generalstaatskommissar in Bayern mit diktatorischen Befugnissen (1923), im Zuge des „Röhm-Putsches“ verhaftet und ermordet (1934). Kahr provozierte als bayerischer Generalstaatskommissar im Oktober 1923 einen Konflikt mit der Reichsregierung, als er den vom Reichswehrminister seines Posten enthobenen bayerischen Wehrkreiskommandeur General Otto von
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Lossow wieder einsetzte und die Truppen auf die bayerische Regierung vereidigte. Mit diesem offenen Verfassungsbruch gefährdete er die Reichseinheit. So Heuss’ Vorredner Schwalber; PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 93. Die Forderung nach einer Reichsreform ergab sich aus den Mängeln staatlicher Organisation der Weimarer Republik. Diese Defizite betrafen vor allem die unterschiedlichen Ländergrößen und den Dualismus zwischen Preußen und dem Reich, die Klein- und Mittelstaaten, welche aus finanziellen Gründen den Verwaltungsaufgaben kaum gewachsen waren, einen gerechten Finanzausgleich zwischen den Ländern und die sich überschneidenden Kompetenzen konkurrierender Reichs- und Länderverwaltungen; vgl. CH. GUSY, Weimarer Reichsverfassung, S. 266–271; G. SCHULZ, Demokratie, S. 453–612; L. BIEWER, Reichsreformbestrebungen, vor allem S. 80–93. Zur Diskussion einer Reichsreform in der DDP vgl. W. SCHNEIDER, Deutsche Demokratische Partei, S. 153–160. 58–60 Friedrich Naumann (1860–1919), Pfarrer, Publizist und Politiker, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift „Die Hilfe“ (1894–1919), Gründer des Nationalsozialen Vereins (1896), Mitgründer des Deutschen Werkbundes (1907), MdR (Freisinnige Vereinigung, FVP 1907–12, 1913–18), Mitgründer und Vorsitzender der DDP (1918/19), MdNV (DDP 1919). Heuss hatte 1937 eine voluminöse Biographie seines politischen Ziehvaters Naumann veröffentlicht. Vgl. TH. HEUSS, Friedrich Naumann, S. 611. Gemeint ist die Aufgabenverteilung im Bundesstaat zwischen Reich und Ländern, so z. B. bei der Finanzverfassung (vgl. Anm. 30); vgl. CH. GUSY, Weimarer Reichsverfassung, S. 235–251. Vgl. Anm. 29. Ausschuss für Zuständigkeitsabgrenzung; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 3, Einleitung, S. VII–XXXIX. Vgl. Einführung, S. 30. Vom 13. 2. 1919 bis zum 30. 1. 1933 standen an der Spitze des Deutschen Reiches insgesamt 21 Regierungen. In Frankreich lösten sich während der Vierten Republik (1946–1958) wegen zahlreicher Regierungskrisen insgesamt 21 Ministerpräsidenten ab. Vgl. Einführung, S. 28f. Vgl. zur Direkten Demokratie in Anlehnung an die Schweiz S. 63.
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Der CDU-Abgeordnete Adolf Süsterhenn hatte in seinem Redebeitrag auf der zweiten Sitzung des Plenums am 8. 9. 1948 den Erfolg des parlamentarischen Regierungssystems mit dem Wahlrecht, konkret mit dem Mehrheitswahlrecht verknüpft; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 59. Zur Wahlrechtsfrage vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 95–102; E. H. LANGE, Wahlrecht, S. 329–408. 60–62 Zur Herausbildung des Zweiparteiensystems (Tories und Whigs) in England seit dem 17. Jahrhundert vgl. A. KLEY, Verfassungsgeschichte, S. 58–60; TH. OPPERMANN, Unterhauswahlrecht, S. 85–126. Zur Entstehung des Zweiparteiensystems in den USA am Ende des 18. Jahrhunderts vgl. A. KLEY, Verfassungsgeschichte, S. 98–100; PH. GASSERT / M. HÄBERLEIN / M. WALS, Geschichte, S. 169–186. Änderungen des Wahlverfahrens wurden 1914, 1928 (Wahl nach Arrondissements) und wieder 1946 zu Beginn der Vierten Republik (Verhältnisund Listenwahlrecht auf Ebene der Departements) vorgenommen; vgl. R. RÉMOND, Frankreich, S. 138; P. C. HARTMANN, Verfassungsgeschichte, S. 135. So der CDU-Abgeordnete Süsterhenn am 8. 9. 1948 auf der zweiten Sitzung des Plenums: „Ebenso sind wir der Auffassung, daß der im Herrenchiemseer Entwurf enthaltene Gedanke richtig ist, daß unter allen Umständen die Bildung von negativen oder destruktiven Mehrheiten für ein Mißtrauensvotum nicht ausreicht, sondern daß eine Opposition, welche die Regierung stürzt, auch bereit und in der Lage sein muß, selbst die Regierungsverantwortung zu übernehmen.“ PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 60. Mit „unechter Mehrheit“ ist eine Mehrheit im Parlament gemeint, die sich zwar zum Sturz einer Regierung, nicht aber zur Bestellung einer neuen zusammenfindet. Um dies zu vermeiden, einigte sich der Parlamentarische Rat im Art. 67 auf das „konstruktive Misstrauensvotum“, welches das Misstrauensvotum mit der Wahl eines neuen Bundeskanzlers verknüpft. Vgl. Einführung, S. 30f; Rede vom 8. 5. 1949, S. 77–79. Vgl. zur Diskussion in der Frankfurter Nationalversammlung über die Zweite Kammer E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 771, 784–786. Heuss hatte 1948 eine Publikation über die Revolution von 1848/49 veröffentlicht und sich darin auch über die Frage der Zweiten Kammer geäußert; vgl. TH. HEUSS, 1848, S. 116f. Ende Oktober 1948 bezeichnete Heuss dieses Mischsystem als „Bundesrat
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mit senatorischer Schleppe“, dem sich Teile der CDU anschlossen; PARLABd. 11, S. 33. Walter Menzel (1901–1963), Richter, Rechtsanwalt und Politiker, nordrhein-westfälischer Innenminister und stellv. Ministerpräsident (1946–50), MdL Nordhrein-Westfalen (SPD 1946–54), MdPR (SPD 1948/49), MdB (SPD 1949–63). 63–64 Dazu äußerte sich Menzel am 9. 9. 1948 auf der dritten Sitzung des Plenums: „Wir werden uns sicherlich dazu entschließen müssen, Volksbegehren und Volksentscheide unter bestimmten technischen Voraussetzungen zuzulassen, und wir werden zu erwägen haben, ob es richtig wäre, einen Volksentscheid nicht nur dann zuzulassen, wenn es sich um die Annahme eines Gesetzes handelt, sondern wenn damit bezweckt wird, ein bereits gewähltes Parlament wieder aufzulösen, mit der Begründung, die Masse der Wähler sei der Auffassung, daß dieses Parlament nicht mehr dem derzeitigen Willen des Volkes entspreche.“ PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 77. Conrad Haußmann (1857–1922), Rechtsanwalt, Publizist und Politiker, MdL Württemberg (Volkspartei/FVP 1889–1918), MdR (Deutsche Volkspartei/FVP 1890–1918), Herausgeber der Zeitschrift „März“ (1907–17), MdNV/MdR (DDP 1919–22), Vorsitzender des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung (1919), Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Württemberg (DDP 1919/20), MdL Württemberg (DDP 1920–22), Vorsitzender der württembergischen DDP (1918–21) und der DDP-Fraktion im württembergischen Landtag (1919–22). Vgl. den Antrag in der 28. Sitzung des Verfassungsausschusses der Weimarer Nationalversammlung am 11. 4. 1919, der u. a. vom Ausschussvorsitzenden Haußmann gestellt wurde, in: VERHANDLUNGEN, Bd. 336, S. 307, 489. Schon zu Beginn der Weimarer Republik äußerte Heuss sich skeptisch gegenüber Formen direkter Demokratie, verschärfte aber nach 1945 unter dem Eindruck des Scheiterns der Weimarer Demokratie und auch zum Schutz des neu zu gründenden Staates seine Kritik an der Volksgesetzgebung; vgl. O. JUNG, Grundgesetz, S. 290–294. Die Weimarer Reichsverfassung sah in Art. 73–76 zwei Hauptformen der plebiszitären Gesetzgebung vor: den Volksentscheid auf Initiative des Volkes („Volksbegehren“) und den Volksentscheid auf Initiative anderer Verfassungsorgane (ein Drittel des Reichstags, Reichspräsident, Reichsrat); vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 430–433.
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Eventuell gemeint: der Plan der französischen Regierung zur Bildung einer europäischen beratenden Versammlung, bestehend zunächst aus Delegierten der fünf Brüsseler Paktstaaten; vgl. KEESING’S ARCHIV, 18. 8. 1948, S. 1607. Die französische Regierung verfolgte seit 1945 das Ziel, das Saargebiet vom übrigen Deutschland abzutrennen und es als politisch autonomes Gebiet wirtschaftlich an Frankreich anzuschließen. 1946 wurde das Saargebiet der Zuständigkeit des Alliierten Kontrollrats entzogen und ein Jahr später zu einem französischen Protektorat mit eigener Verfassung und Regierung erklärt, außerdem der französische Franc als offizielles Zahlungsmittel eingeführt und 1948 die Zollunion mit Frankreich bestätigt. Anfang der fünfziger Jahre wuchs der Widerwille der Bevölkerung gegen den Status des Saarlandes. In einer Volksabstimmung entschieden sich die Saarländer 1955 gegen das Saarstatut, das eine Europäisierung vorgesehen hätte, woraufhin das Saargebiet als zehntes Bundesland 1957 der Bundesrepublik beitrat; vgl. ROBERT H. SCHMIDT, Saarpolitik.64–66 Mit „teutscher Libertät“ ist die Verteidigung der ständischen Freiheiten der Fürsten einschließlich Konfessionswahl gegenüber dem Kaiser und den Reichsbehörden gemeint, wie sie der Westfälische Friede von 1648 festschrieb, der den Dreißigjährigen Krieg beendete. Im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich besaß Preußen aufgrund seiner Bevölkerungsgröße, Flächenausdehnung, Wirtschafts- und Militärmacht eine hegemoniale Stellung. Preußen wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. 2. 1947 als Staat für aufgelöst erklärt; Abdruck des Gesetzes in: QUELLEN ZUM STAATSRECHT, S. 648. Das Frankfurter Dokument Nr. II forderte die Ministerpräsidenten zur Überprüfung und ggf. Neugestaltung der Ländergrenzen auf; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 1, S. 32f. Vgl. Anm. 17. Leo Wohleb (1888–1955), Lehrer und Politiker, Vorsitzender der CDU Baden (1946/47), Mitglied der Beratenden Landesversammlung Baden (CDU 1946/ 47), MdL Baden (CDU 1947–52), badischer Staatspräsident (1947–52), Gesandter in Lissabon (1952–55). Die durch die Alliierten geschaffenen territorialen Gliederungsmaßnahmen in ihren Zonen schienen zum Teil willkürlich und verbesserungsbedürftig. Vor allem im Südwesten waren die alten Länder Württemberg und Baden
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zerschnitten und damit historische, politische und wirtschaftliche Bindungen zerstört worden. Zudem unterschieden sich die neuentstandenen Länder in Größe, Wirtschafts- und Finanzkraft enorm. In Reaktion auf das Frankfurter Dokument Nr. II (vgl. Anm. 65) nahmen sich die Ministerpräsidenten des alliierten Auftrags einer Länderneugliederung an und konnten angesichts der schwierigen und politisch heiklen Aufgabe eine Terminverlängerung für die Vorlage von Vorschlägen erwirken. Am 27. 7. 1948 nahm der Ausschuss zur Überprüfung der Ländergrenzen seine Arbeit auf. Interessendivergenzen im Ausschuss und unter den Ministerpräsidenten verhinderten jedoch die Einigung auf gemeinsame konkrete Empfehlungen. Am 31. 8. 1948 lösten die Ministerpräsidenten, unter ihnen auch Wohleb als Gegner der Vereinigung Badens mit Württemberg, auf der Konferenz in Niederwald den Ausschuss mit sechs zu fünf Stimmen auf; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 1, Einleitung, S. LVII–LXIX. Der Parlamentarische Rat schrieb schließlich im Art. 29 GG die Möglichkeit der Neugliederung der Länder fest. 66–68 So Carlo Schmid auf der zweiten Sitzung des Plenums am 8. 9. 1948; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 37–39. Hugo Preuß (1860–1925), Jurist und Politiker, Staatssekretär des Innern (1918/19), Reichsinnenminister (1919), MdVL/MdL Preußen (DDP 1919–25). Friedrich Ebert (1871–1925), Sattler und Politiker, MdL Bremen (SPD 1900–05), MdR (SPD 1912–18), MdNV (SPD 1919), Vorsitzender der SPD (1913–19) und der SPD-Fraktion im Reichstag (1916–18), Reichskanzler und Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten (1918/19), Reichspräsident (1919–25). Um die Verfassungsarbeiten zu beschleunigen, wollte Preuß eine Grundrechtsdiskussion in der Nationalversammlung möglichst vermeiden. In seinem ersten, unveröffentlichten Verfassungsentwurf klammerte er deshalb die Grundrechte weitgehend aus. Ebert als Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragen forderte hingegen eine Ergänzung des Entwurfs, in den Preuß schließlich zwölf Artikel mit vor allem bürgerlichen Freiheitsrechten aufnahm; vgl. CH. GUSY, Weimarer Reichsverfassung, S. 272f; E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1180f; E. PORTNER, Verfassungspolitik, S. 167–170. Naumann hatte am 31. 3. 1919 im Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung einen „Versuch volksverständlicher Grundrechte“
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vorgelegt. Neben den klassischen Grundrechten bürgerlicher Rechtskultur sollten in den Grundrechtsteil der Verfassung Fundamentalsätze aufgenommen werden, die das gegenwärtige Staatsbewusstsein sowie die wirtschaftlichen und sozialen Realitäten widerspiegeln; dazu gehörten für Naumann auch das Recht auf Arbeit und Arbeitnehmervertretungen. Dieser Entwurf fand keine Mehrheit; jedoch schlug sich der Appell Naumanns, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Gegenwart im Grundrechtsteil zu berücksichtigen, letztlich in der Verfassung nieder (z. B. Möglichkeiten der Sozialisierung, Einführung von Arbeiterräten, Recht auf Arbeit); vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1197–1199; ebd., Bd. 6, S. 95–125; DERS., Naumanns Weimarer Grundrechts-Entwurf; CH. GUSY, Weimarer Reichsverfassung, S. 273–369. Vgl. Anm. 7 und 13. 68–69 Jacob Burckhardt (1818–1897), schweizerischer Kulturhistoriker, Professor in Zürich (1855–58) und Basel (1858–93). Ernst von Lasaulx (1805–1861), Geschichtsphilosoph und klassischer Philologe, Professor in Würzburg (1835–44) und München (1844–61), Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung (1848/49). So Burckhardt in seinen 1905 posthum erschienenen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“: „Und nun zeigt es sich, […] daß die Macht an sich böse ist“. „Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe. Sie ist kein Beharren, sondern eine Gier und eo ipso unerfüllbar, daher in sich unglücklich und muß also andere unglücklich machen.“ J. BURCKHARDT, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S. 36, 97. Burckhardt beruft sich in seinen „Betrachtungen“ immer wieder auf Lasaulxs Werk „Neuer Versuch einer alten, auf die Wahrheit der Tatsachen gegründeten Philosophie der Geschichte“ von 1856, jedoch bei der Passage über das Böse der Macht verweist er auf den Geschichtsschreiber Friedrich Christian Schlosser. Abdruck in: PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 2, S. 580. Der Staatsrechtler Hans Nawiawsky hatte im Unterausschuss I des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee als Berichterstatter wesentlichen Einfluss auf die Formulierung des Entwurfs für die Grundrechte; vgl. ebd., Einleitung, S. LXXXf. Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770–1831), Philosoph, Vertreter des Deutschen Idealismus, Professor in Heidelberg (1816–18) und Berlin (1818–31). In seinen 1820 erschienen „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ stellte
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Hegel den Staat als höchste sittliche Einheit sowie als Verwirklichung von Vernunft und Freiheit dar; vgl. G. W. F. HEGEL, Grundlinien, S. 207f. Vgl. dazu auch den Brief von Heuss an Artur Scheibner, 7. 3. 1949, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 477f. 70 Der Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee verzichtete in Anlehnung an das Frankfurter Dokument Nr. I (vgl. Anm. 15) auf Grundrechte der Gemeinschaftsordnung; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 2, S. 580–582. Schon in der vierten Sitzung des Verfassungsausschusses der Vorläufigen Volksvertretung von Württemberg-Baden am 29. 4. 1946 hatte Heuss für Zurückhaltung bei der Formulierung von Grundrechten plädiert. Dies bekräftigte er dann auch auf der zweiten Sitzung der Verfassunggebenden Landesversammlung für Württemberg-Baden am 18. 7. 1946. Die Verfassung für Württemberg-Baden vom 24. 10. 1946 sollte dann schließlich doch in den Art. 20–28 einen Abschnitt über die Sozial- und Wirtschaftsordnung enthalten; vgl. QUELLEN ZUR ENTSTEHUNG, erster Teil, S. 61f, zweiter Teil, S. 50–52, dritter Teil, S. 544–546. Heuss warnte auch im Ausschuss für Grundsatzfragen, der sich vor allem mit der Frage der Grundrechte beschäftigte, davor, die Grundrechte mit wirtschafts- und sozialpolitisch einklagbaren Rechten zu belasten, die Ausdruck von Parteiprogrammen seien und die komplizierte Wirklichkeit nicht angemessen widerspiegeln könnten: „Die wirtschaftspolitischen Zusammenhänge sind undurchsichtig, die seelischen Faktoren sind so verwirrt, daß wir Gefahr laufen, mit Wortgespinsten hinter einem Schicksal herzulaufen.“ Stattdessen warb er für eine Beschränkung auf die klassischen Grundrechte und empfahl, weitergehende Rechte der Gesetzgebung zu überantworten; PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 5/I, 3. Sitzung, S. 38f, 43–45, hier 45; vgl. auch den Leitartikel von THEODOR HEUSS: Von den Grundrechten, in: RNZ, Nr. 117, 20. 9. 1948, abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 55–58. Der sogenannte Weimarer Schulkompromiss beruhte zum einen auf Art. 146, Abs. 1 WRV, der die Einrichtung von Simultanschulen, die für alle Konfessionen galten und nur im Religionsunterricht differenzierten, als Regelschule bestimmte. Abs. 2 sah hingegen die Einrichtung von Bekenntnisund Weltanschauungsschulen auf Antrag der Erziehungsberechtigen vor. Das Nähere sollte die Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes bestimmen. Da sich Reichsregierungen und Länder nicht auf ein
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solches Reichsschulgesetz einigen konnten, sollte dessen Verabschiedung bis zum Ende der Weimarer Republik nicht mehr gelingen. Weil Art. 174 WRV die Änderung der Rechtslage in den Ländern vor Inkrafttreten eines Reichsschulgesetzes untersagte, bedeutete dies im größten Teil des Reiches eine Bestandsgarantie für die Bekenntnisschulen, wo sie schon vor 1919 als Regelschule existierten; vgl. CH. GUSY, Weimarer Reichsverfassung, S. 333f; E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1201f; ebd., Bd. VI, S. 120f, 939–960. Auf Einladung des Präsidenten des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Johannes R. Becher, reiste Heuss im März 1946 nach Berlin und hielt dort am 18. 3. eine vielbeachtete Rede unter dem Titel „Deutschland – Schicksal und Aufgabe“ (im maschinenschriftlichen Manuskript unter der Überschrift „Um Deutschlands Zukunft“, Abdruck in: TH. HEUSS, Aufzeichnungen, S. 184–208). 71–72 Auf Vorschlag der amerikanischen Militärregierung gehörte Heuss von September 1945 bis Dezember 1946 der Regierung von Württemberg-Baden unter Ministerpräsident Reinhold Maier als Kultusminister an; vgl. E. W. BECKER, Einführung, S. 24–27. Vermutlich gemeint: der Agrarwissenschaftler Karl Brandt, der vor seiner Emigration in die USA 1933 Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin war und nach dem Krieg als Berater für Ernährung und Landwirtschaft bei OMGUS in Berlin tätig war; vgl. den Hinweis in dem Schreiben von Heuss an Gustav Stolper, 25. 3. 1946, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 163. Vgl. zum Eintreten von Heuss für das humanistische Gymnasium als Ort zweckfreier Bildung („Allotria“) die Briefe an Heinrich Schöffler ( 26. 4. 1948) und an Wilhelm Stapel (4. 7. 1949), in: ebd., S. 370, 509f. Als Abgeordneter der Verfassunggebenden Landesversammlung für Württemberg-Baden setzte sich Heuss erfolgreich für die christlichen Gemeinschaftsschulen ein, so schon auf der zweiten Sitzung am 18. 7. 1946: „Wir werden die Form zu finden haben, daß die Schulen als gemeinsame Schulen der Bekenntnisse um der Kinder willen aufgebaut werden. (Sehr richtig!) Konfessionelle Zwergschulen auf dem Hintergrund von Erziehungsberechtigten, die in der Verfassung ihre Sicherung haben, dagegen werden wir uns wehren.“ QUELLEN ZUR ENTSTEHUNG, zweiter Teil, S. 49. Im Art. 37 der württemberg-badischen Verfassung heißt es: „Die öffentlichen Volksschu-
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len sind christliche Gemeinschaftsschulen.“ Ebd., dritter Teil, S. 458; zur Auseinandersetzung über das „Elternrecht“ im Parlamentarischen Rat vgl. Rede vom 8. 5. 1949, S. 86–90. Lateinische Redewendung für „wessen Gebiet, dessen Religion“, die besagt, dass der Herrscher eines Landes berechtigt ist, die Religion für die Bewohner festzulegen. 72–76 Das dritte der Frankfurter Dokumente vom 1. 7. 1948 hatte ein Besatzungsstatut angekündigt und skizziert, das die rechtlichen Beziehungen zwischen der künftigen westdeutschen Regierung und den drei Besatzungsmächten regeln sollte; Abdruck in: PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 1, S. 33–36. Vgl. auch Anm. 102. Im Frankfurter Dokument Nr. III behielten sich die Militärgouverneure bestimmte Zuständigkeiten vor, u. a. bei der Außenpolitik und beim Außenhandel; vgl. ebd., S. 33f. Emanuel von Geibel (1815–1884), Lyriker und Dramatiker. Abschlussverse des Gedichts „Deutschlands Beruf“ von 1861: „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.“ E. GEIBEL, Gesammelte Werke, S. 215. Experts Report by G. F. Zook on his education mission, September 1946, in: Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Landesarchiv Baden-Württemberg), Office of Military Government for Wuerttemberg-Baden, RG 260 OMGWB, 12/91-2/11. Dort heißt es: „The virulent disease of Nazism developed in a culture of very profound dimensions. No country – unless it be ancient Greece or Rome – has contributed more generously to the common treasures of our civilization. No approach to the German educational problem dare be blind to this achievement or lacking in gratitude for it.“ Vgl. zu den Frankfurter Dokumenten Nr. I (Auftrag der Westalliierten an die Ministerpräsidenten zur Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung) und Nr. II (Länderneugliederung) Anm. 15 und 65. Konrad Adenauer (1876–1967), Jurist und Politiker, Oberbürgermeister von Köln (1917–33, 1945), Mitglied des Preußischen Herrenhauses (1917/18), Präsident des Preußischen Staatsrates (1920–33), inhaftiert (1944), MdL Nordrhein-Westfalen (CDU 1946–50), Präsident des Parlamentarischen Rates (1948/49), MdB (CDU 1949–67), Mitgründer und Vorsitzender der CDU im (Nord-)Rheinland, in der britischen Zone (1946–50) und in der Bundesrepublik (1950–66), Bundeskanzler (1949–63).
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Uneinigkeiten zwischen den Fraktionen und Einflussversuche der Alliierten durch mehrere Memoranden hatten die Arbeit im Parlamentarischen Rat immer wieder verzögert. Heuss hatte im August und September 1948 erwartet, die Beratungen im Parlamentarischen Rat in wenigen Wochen abschließen zu können; vgl. Heuss an Ernst Ludwig Heuss und Hanne Heuss, 4. 9. 1948, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 403. 77 Solon (640–561 v. Chr.), Dichter und Gesetzgeber in Athen. Vgl. zum Besatzungsstatut Rede vom 9. 9. 1948, Anm. 94. Der Parlamentarische Rat und der zuständige Ausschuss für das Besatzungsstatut hatten monatelang auf das Statut gewartet. Erst nach langen Verhandlungen zwischen den Alliierten konnten am 8. 4. 1949 die drei Außenminister der Westmächte auf einer Konferenz in Washington den Entwurf eines Besatzungsstatuts verabschieden, der zwei Tage später überraschend dem Parlamentarischen Rat überreicht wurde, ohne dass dieser Änderungswünsche hätte vorbringen können. Das Statut wurde am 12. 5. verkündet und trat am 21. 9. 1949 in Kraft. Es sprach den Alliierten Zuständigkeiten zu wie z. B. die Kontrolle der Entmilitarisierung des Ruhrgebietes, die Reparationszahlungen, die Verfolgung von NS-Straftätern, die Auswärtige Politik, den Außenhandel und die Devisenwirtschaft sowie Flüchtlingsangelegenheiten. Die Besatzungsmächte behielten sich das Recht vor, jederzeit die volle Regierungsgewalt zu übernehmen, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und der demokratischen Ordnung erforderlich sei. Seit November 1949 mehrfach modifiziert, erlosch das Besatzungsstatut am 5. 5. 1955 mit Inkrafttreten des Deutschlandvertrages, mit dem die Bundesrepublik ein souveräner Staat und Mitglied der NATO wurde; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 4, Einleitung. Vor Heuss hatten in der Allgemeinen Aussprache über die dritte Lesung des Grundgesetzentwurfs der CDU-Abgeordnete Robert Lehr und der SPDAbgeordnete Walter Menzel das Wort ergriffen; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 517–531. Hans Ehard (1887–1980), Verwaltungsjurist, Richter und Politiker, Senatspräsident am Oberlandesgericht München (1933–45), Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Bayern (1946), MdL Bayern (CSU 1946–66), bayerischer Ministerpräsident (1946–54, 1960–62), Landwirtschafts- (1948), Finanz- (1950), Verkehrs- (1951/52) und Justizminister (1962– 66), Landesvorsitzender der CSU (1949–55).
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Gemeint ist das Treffen des SPD-Abgeordnete Menzel mit dem bayerischen Ministerpräsident Ehard am 26. 10. 1948 im Bonner Königshof, um sich in der Frage der Länderkammer informell zu verständen. Die dort erreichte Übereinkunft, welche den eigenen Fraktionen nahegebracht werden sollte, sah einen Bundesrat mit suspensivem Veto vor. Damit war der Vorschlag von Heuss, ein Mischsystem von Bundesrat und Senat zu schaffen, vom Tisch; vgl. Einführung, S. 30f. Adenauer, der dem Senatsprinzip nahestand, war über das Ergebnis dieses ohne sein Wissen geführten Gesprächs höchst verärgert, konnte aber letztlich die Entscheidung des Parlamentarischen Rates zugunsten eines Bundesrates (jedoch ohne suspensives Veto und dem Bundestag partiell gleichberechtigt) nicht verhindern; vgl. D. DÜDING, Ehard, S. 137–143; M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 80–82, 113– 115; V. OTTO, Staatsverständnis, S. 109–114. Heuss betrachtete noch Jahre später diese Entscheidung als Fehlschlag seiner Bemühungen im Parlamentarischen Rat; TH. HEUSS, Tagebuchbriefe, S. 150. 77–79 So der CDU-Abgeordnete Adolf Süsterhenn auf der zweiten Sitzung des Plenums am 8. 9. 1948, der SPD-Abgeordnete Walter Menzel oder Heuss selber auf der dritten Sitzung des Plenums am 9. 9. 1948; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 60, 74, 110f. Robert Lehr (1883–1956), Verwaltungsjurist und Politiker, Oberbürgermeister von Düsseldorf (1924–33), MdL Nordrhein-Westfalen (CDU 1946–50), MdPR (CDU 1948/49), MdB (CDU 1949–53), Bundesinnenminister (1950– 53). Ebd., S. 518f. Lehr bekannte sich als Anhänger des Senatsprinzips. Menzel war als Landtagsabgeordneter von Nordrhein-Westfalen in den Parlamentarischen Rat entsandt worden. Der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard. Otto von Bismarck (1815–1898), Politiker, preußischer Ministerpräsident und Außenminister (1862–90), Reichskanzler (1871–90). Auch der Bundesrat des Kaiserreiches setzte sich aus weisungsgebundenen Regierungsvertretern zusammen; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 852f. Vgl. Anm. 108. Vgl. Rede vom 9. 9. 1948, S. 61f. Der Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates hatte sich am 9. 2. 1949 in seiner 48. Sitzung für die Ersetzung der Bezeichnung „Bundestag“ durch
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„Volkstag“ ausgesprochen; vgl. PARLAMENTARISCHER RAT, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 628f. Heuss hatte diesen Entschluss in einem Zeitungsartikel befürwortet; vgl. THEODOR HEUSS: „Der Volkstag“, in: RNZ, Nr. 33, 26. 2. 1949, abgedruckt in: TH. HERTFELDER / J. C. HESS, Streiten, S. 132–134. Anfang Mai machte die CDU den Vorschlag, wieder die Bezeichnung „Bundestag“ einzuführen. Hauptausschuss und Plenum nahmen den Antrag an; vgl. PARLAMENTARISCHER RAT, Verhandlungen des Hauptausschusses, 57. Sitzung vom 5. 5. 1949, S. 751; PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 564f. Heuss hatte bereits am 3. 5. 1949 in einer interfraktionellen Besprechung diesen Antrag aus „historischen Gründen“ abgelehnt; vgl. ebd., Bd. 11, S. 234. Heinz Renner (1892–1964), Arzt und Politiker, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Essen (KPD 1922–33, 1945–56) und des Rheinischen Provinziallandtages (KPD 1924–33), Emigration in das Saargebiet (1933) und nach Frankreich (1935), inhaftiert (1939–45), Oberbürgermeister von Essen (1946), nordrhein-westfälischer Sozial- (1946) und Verkehrsminister (1947/48), MdL Nordrhein-Westfalen (KPD 1946–49), Vorsitzender der KPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag (1946/47), MdPR (KPD 1948/49), MdB (KPD 1949–53). 80–81 Die amerikanische, englische und französische Militärregierung hatten in Bonn eigene Verbindungsbüros eingerichtet, um die Arbeit des Parlamentarischen Rates zu beobachten und zu beurteilen. Die Verbindungsoffiziere fungierten als Vermittlungsinstanz zwischen den Parlamentariern und den Militärgouverneuren; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 41. Im Tempel von Delphi, dem Apoll geweihten Heiligtum, verkündete die Pythia, die auf einem Dreifuß sitzende Priesterin, die Antworten des Apolls auf die Fragen der Ratsuchenden. Oberpriester mussten diese oftmals im Rausch verkündeten Orakelsprüche anschließend interpretieren. Die drei Westalliierten waren untereinander oft uneins in ihrer Einschätzung der Entwürfe des Grundgesetzes und des Besatzungsstatuts; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 148–152; Anm. 102. Josef Baumgartner (1904–1964), Volkswirt und Politiker, MdL Bayern (CSU 1946–48, fraktionslos 1948–50, Bayernpartei 1950–62), bayerischer Landwirtschaftsminister (1946–48, 1954–57) und stellvertretender Ministerpräsident (1954–57), Vorsitzender der Bayernpartei (1948–52, 1953–59), MdB (Bayernpartei 1949–51).
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Die CSU, geschwächt von innerparteilichen Krisen und Flügelkämpfen, war zunehmend unter Druck der Bayernpartei geraten, die radikal föderalistische Positionen mit teils monarchischen Tendenzen vertrat. Sie entwickelte sich seit 1948 zunächst auf kommunaler Ebene, dann 1950 auch auf Landesebene zu einer erheblichen Konkurrenz zur CSU; vgl. I. UNGER, Bayernpartei, S. 31f, 141–150; CH. HENZLER, Christlich-Soziale Union, S. 139–144. Bei der Schlussabstimmung am späten Abend des 8. 5. 1949 wurde das Grundgesetz mit 53 Ja-Stimmen gegen 12 Nein-Stimmen angenommen. Sechs der acht CSU-Abgeordneten lehnten das Grundgesetz aus föderalistischen Erwägungen ab. Für das Inkrafttreten des Grundgesetzes war nun noch eine Zweidrittelmehrheit der Länderparlamente nötig. Allein der bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz ab, erkannte aber die Rechtsverbindlichkeit für Bayern an; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 617; CH. HENZLER, Christlich-Soziale Union, S. 154f; P. J. KOCK, Bayerns Weg, 323–326. 81–82 Vor allem hinsichtlich der Zusammensetzung der Länderkammer (Senat oder Bundesrat), der Finanz- und Steuerverwaltung sowie der Steuerverteilung gab es Dissens zwischen CDU und CSU. Noch auf einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der CDU und CSU in Königswinter am 26. 4. 1949 lehnte der bayerische Ministerpräsident Ehard den vorliegenden Grundgesetzentwurf ab; vgl. UNIONSPARTEN, S. 526; CH. HENZLER, ChristlichSoziale Union, S. 153; D. DÜDING, Ehard, S. 140f. Der Verfassungsausschuss der bayerischen Zweiten Kammer sprach sich im Januar 1871 gegen eine Ratifikation der Novemberverträge zur Gründung eines neuen deutschen Bundesstaates (vgl. Rede vom 9. 9. 1948, Anm. 20) aus. Doch nachdem die anderen süddeutschen Staaten den Beitritt vollzogen hatten, ratifizierte die Zweite Kammer am 21. 1. 1871 die Verträge mit knapper Zweidrittelmehrheit, um Bayern nicht in die Isolierung gegenüber dem Deutschen Reich zu führen; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 749f. Noch am 3. 5. 1949 hatte das bayerische Kabinett zahlreiche Beanstandungen am Grundgesetz hervorgehoben, die vor allem das Finanzwesen betrafen. Eine Liste mit Änderungswünschen der bayerischen Regierung ging dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Anton Pfeiffer zu, deren Erfüllung zur Voraussetzung für eine bayerische Zustimmung gemacht wurde; vgl. P. J. KOCK, Bayerns Weg, S. 315f.
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Maximilian Joseph Freiherr Montgelas (1759–1838), Politiker, bayerischer Außen- (1799–1817), Innen- (1806–17) und Finanzminister (1803– 06, 1809–17). Unter Montgelas erfuhr Bayern territoriale Zugewinne. Um die neu erworbenen Gebiete erfolgreich in den bayerischen Staat zu integrieren, wurde die bayerische Verwaltung modernisiert und zentralisiert. 82–84 Heinrich der Löwe (um 1129/30–1195), Herzog von Sachsen (1142–80) und Bayern (1156–80), Gegenspieler der staufischen Könige. Die in Niedersachsen beheimatete Deutsche Partei lehnte wie die CSU das Grundgesetz ab und stimmte bei der Schlussabstimmung mit Nein, wie deren Abgeordneter Hans-Christoph Seebohm in seinem Redebeitrag ankündigte; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 569. Gemeint ist der Einfluss der SPD-Parteizentrale in Hannover unter ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher. Vgl. hierzu Einführung, S. 34f. In Frankfurt a. M. hatte eine Delegation des Parlamentarischen Rates am 25. 4. 1949 den in der Nacht zuvor interfraktionell beschlossenen Grundgesetzentwurf den drei Militärgouverneuren vorgestellt und deren Änderungswünsche entgegengenommen; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 186–188; vgl. auch den Brief von Heuss an seine Frau vom 26. 4. 1949, in: TH. HEUSS, Erzieher, S. 490f. Fritz Löwenthal (1888–1956), Rechtsanwalt und Politiker, MdR (KPD 1930–32), Emigration in die Sowjetunion (1933), Rückkehr nach Berlin (1946), MdPR (SPD 1948/49). Nach Kritik am Parteivorstand war Löwenthal Anfang Mai aus der Partei ausgeschlossen worden. Im Kloster Pützchen bei Bonn hatte die katholische Bischofskonferenz am 11. 2. 1949 unter ihrem Vorsitzenden, dem Kölner Erzbischof Joseph Frings, über den Grundgesetzentwurf beraten, der einen Kompromiss in der Frage des „Elternrechts“ vorsah. In einer Erklärung forderten die Bischöfe u. a. die vorbehaltlose Anerkennung des „Elternrechts“ und kündigten den Widerstand des katholischen Bevölkerungsteils an. Anwesend auf der Konferenz war auch der CDU-Abgeordnete Süsterhenn; vgl. V. OTTO, Staatsverständnis, S. 84; N. TRIPPEN, Josef Kardinal Frings, S. 363–386. Griechisch für „friedfertige“. Am 5. 5. 1949 hatte Adolf Süsterhenn einen schweren Autounfall; vgl. R. POMMERIN, Mitglieder, S. 585. Joseph von Görres (1776–1848), revolutionärer, später katholisch-mystischer
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Publizist und Schriftsteller, Begründer und Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ in Koblenz (1814–16). In Matthäus 23 werden die Schriftgelehrten und Pharisäer mehrfach als Heuchler tituliert. 85–86 Diese Begebenheit berichtete Heuss am 13. 5. 1949 auch Franz Blücher: „Wahrscheinlich können Sie es nicht billigen, daß ich dem KPD-Mann Renner ‚schwäbisch‘ kam, ‚er solle s[ein] Maul halten‘ – aber er hielt es dann!“ In: TH. HEUSS, Erzieher, S. 502. Otto B. Roegele (1920–2005), Publizist und Kommunikationswissenschaftler, Chefredakteur (1949–63) und Herausgeber (1963–2005) des „Rheinischen Merkur“, Professor in München (1963–85). OTTO B. ROEGELE: Der Staat gegen die Eltern?, in: Rheinischer Merkur, Nr. 8, 19. 2. 1949. Roegele setzte sich in diesem Artikel mit den Beratungen im Parlamentarischen Rat über das „Elternrecht“ auseinander und schied dabei die christlichen von den nichtchristlichen Parteien. Zu letzteren rechnet er sowohl die SPD wie auch die FDP, über die es heißt: „Es ist eine hintergründige, verzweifelt logische Ironie […] der deutschen Geschichte, daß die Liberalen unter Lobpreis des staatlichen Zwangsschulmonopols und die Sozialisten unter scheinheiliger Beteuerung ihres föderalistischen Kulturwillens mit der Fünften Kolonne des Bolschewismus in Deutschland plötzlich zu einer Koalition sich zusammengeschlossen, als der gemeinsame antichristliche Instinkt aufgerufen ward.“ Vgl. Einführung, S. 26f, 35f. Vor allem in der 21. Sitzung am 7. 12. 1948; PARLAMENTARISCHER RAT, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 245–254. Vgl. Rede vom 9. 9. 1948, Anm. 87. Das Volksschulunterhaltungsgesetz vom 28. 7. 1906 übertrug zum einen die finanziellen Aufwendungen für die Volksschulen auf die Gemeinden und machte sie damit zu einer öffentlichen Last. Zum anderen wurde die Konfessionsschule zur Regelschule deklariert, an der alle Lehrer dem an der jeweiligen Schule herrschenden Bekenntnis angehören mussten. Vor allem diese Regelung traf auf heftige öffentliche Kritik; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 903f. Adolf Hoffmann (1858–1930), Publizist und Politiker, MdR (SPD 1904–07, USPD/SPD 1920–24), MdL Preußen (SPD/USPD/KPD 1908–21, SPD 1928–30), preußischer Kultusminister (1918/19).
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Während der revolutionären Übergangszeit wurden von den beiden preußischen Kultusministern Konrad Haenisch und Adolf Hoffmann durchgreifende Schulreformen vorgenommen. Aufgrund zweier Erlasse vom 15. und 29. 11. 1918 konnten die Eltern ihre Kinder auf Antrag vom Religionsunterricht befreien. Die beiden christlichen Kirchen erhoben dagegen scharfen Protest, der eine Abmilderung der Erlasse erwirkte; vgl. E. R. HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 884–890. 86–87 So die Zentrum-Abgeordnete Helene Wessel am 7. 12. 1948 in der 21. Sitzung des Hauptausschusses: „Das Elternrecht – das muß auch einmal gesagt werden – steht als natürliches Recht vor jedem staatlichen und auch kirchlichen Recht“; PARLAMENTARISCHER RAT, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 246. Art. 7b, Abs. 2 des Grundgesetzentwurfs in der Fassung des Grundsatzausschusses vom 26. 1. 1949 besagt: „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Volks-, Mittel- und Berufsschulen und in höheren Lehranstalten ordentliches Lehrfach. Er wird, unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes, nach den Grundsätzen und Lehren der Religionsgemeinschaft erteilt. Kein Lehrer kann gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“ PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 7, S. 210. Dieser Absatz stammte wörtlich von Heuss, der ihn auf der 32. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 11. 1. 1949 vorgeschlagen hatte; ebd., Bd. 5/II, S. 936. – Art. 7b, Abs. 3 lautet: „Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Das Nähere wird durch Landesgesetz bestimmt.“ Ebd., Bd. 7, S. 210. – Diesen Abs. 3 wie auch obigen Abs. 2 brachte Heuss als Anträge in der 43. Sitzung des Hauptausschusses vom 18. 1. 1949 ein. Nach längerer Diskussion nahmen die Abgeordneten die Anträge an; PARLAMENTARISCHER RAT, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 557– 567. Martin Luther (1483–1546), Theologe und Reformator. Sendschreiben Luthers „An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ von 1524, in: M. LUTHER: Werke, Bd. 15, S. 9–53, neu abgedruckt in: DERS., Schriften, S. 1–46. Menzel hatte direkt vor Heuss im Plenum gesprochen und Luther zitiert; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 526.
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So am 7. 12. 1948 in der 21. Sitzung des Hauptausschusses; PARLAMENVerhandlungen des Hauptausschusses, S. 248. Vgl. auch im Folgenden Rede vom 9. 9. 1948, S. 72. 87–90 Nicht die Charta der Vereinten Nationen vom 26. 6. 1945, sondern die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, welche die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 10. 12. 1948 verabschiedet hatte, äußert sich dazu: „Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll“ (Art. 26, Abs. 3). Vgl. Anm. 150. Vgl. Rede vom 9. 9. 1948, Anm. 87. Zu Hoffmann und seiner radikalen Schulpolitik vgl. Anm. 144f. Heinrich Otto Greve (1908–1968), Rechtsanwalt und Politiker, Mitglied der DDP/DStP (1926–33), aus dem Justizdienst entlassen (1938), MdL Niedersachsen (FDP 1947/48, SPD 1948–51), MdPR (SPD 1948/49), MdB (SPD 1949–61). Greve fiel im Plenum vor allem durch seine zahlreichen Zwischenrufe auf. Schreiben ließ sich nicht nachweisen. Das Reichskonkordat vom 20. 7. 1933 regelte das Verhältnis zwischen dem deutschen Staat und der katholischen Kirche in Deutschland. Art. 32 legt fest, dass der Heilige Stuhl Bestimmungen erlässt, „die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen.“ Diese Ausführungsbestimmungen sind jedoch nie erschienen; L. VOLK, Reichskonkordat, S. 241. Völkerrechtlich hat das Konkordat noch heute Bestand. Adolph Kolping (1813–1865), katholischer Theologe und Schriftsteller, Begründer der „Gesellenvereine“ zur Betreuung von obdachlosen Gesellen, dem späteren „Kolpingwerk“ (1849), Seligsprechung (1991). Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler (1811–1877), katholischer Theologe und Sozialpolitiker, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung (1848/49), Bischof von Mainz (1850–77), MdR (Zentrum 1871/72), Vordenker des sozialen Katholizismus. Franz Hitze (1851–1921), katholischer Theologe und Sozialpolitiker, MdL Preußen (Zentrum 1882/83, 1898–1912), MdR (Zentrum 1884–1918), MdNV/MdR (Zentrum 1919–21), Professor in München (1893–1921). Friedrich Schleiermacher (1768–1834), evangelischer Theologe, Pädagoge und Philosoph, Professor in Halle (1804–06) und Berlin (1810–34), MitTARISCHER RAT,
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begründer der Universität Berlin (1810), Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (1810–34). Friedrich Tholuck (1799–1877), evangelischer Theologe, Professor in Berlin (1823–26) und Halle (ab 1826), Oberkonsistorialrat in Magdeburg (ab 1868), einflussreicher Erweckungstheologe. 90–91 Ludwig Frank (1874–1914), Rechtsanwalt und Politiker, Begründer der sozialistischen Arbeiterjugendbewegung (1904), MdL Baden (SPD 1905–14), MdR (SPD 1907–14). Heuss war mit Frank befreundet; vgl. TH. HEUSS, Erinnerungen, S. 40–44. Er schrieb einen Nachruf auf ihn, als sein Freund zu Beginn des Ersten Weltkrieges gefallen war; THEODOR HEUSS: Ludwig Frank, in: Die Hilfe, Nr. 38, 17. 9. 1914, S. 618f, wiederabgedruckt in: DERS., Profile, S. 236–239. Albrecht Ritschl (1822–1889), evangelischer Theologe, Professor in Bonn (1846–64) und Göttingen (1864–89). Adolf von Harnack (1851–1930), evangelischer Theologe und Kirchenhistoriker, Professor in Gießen (1879–86), Marburg (1886–88) und Berlin (1888–1921), Präsident des Evangelisch-Sozialen Kongresses (1902–12), Generaldirektor der Königlichen Bibliothek zu Berlin (1905–21), Präsident der Kaiser-Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1911– 30), Cousin von Elly Heuss-Knapp. Karl Barth (1886–1968), schweizerischer evangelischer Theologe, Professor in Münster (1926–30), Bonn (1930–35) und Basel (1935–62), Mitbegründer der „Bekennenden Kirche“ (1934), Begründer der „dialektischen Theologie“. Johann Hinrich Wichern (1808–1881), evangelischer Theologe, Begründer des „Rauhen Hauses“ bei Hamburg (1833) und der „Inneren Mission“ (1848). Friedrich von Bodelschwingh (1831–1910), evangelischer Theologe, Begründer der sozialen Anstalten (1872) und der „Theologischen Schule“ (1905) in Bethel bei Bielefeld. Vgl. Einführung, S. 16. Hermann Höpker Aschoff (1883–1954), Richter und Politiker, MdR (DStP 1930–32), MdL Preußen (DDP/DStP 1921–32), preußischer Finanzminister (1925–31), MdPR (FDP 1948/49), MdB (FDP 1949–51), Präsident des Bundesverfassungsgerichts (1951–54), Professor in Bonn und Münster. Höpker Aschoff war einer der maßgeblichen Mitglieder des Finanz-
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ausschusses, dessen große Sachkenntnis von allen Fraktionen anerkannt war. Hier hatte Heuss vermutlich seine Auseinandersetzung mit dem Publizisten Dolf Sternberger im Sinn; vgl. Einführung, S. 7–11. 91–96 In der Nacht vom 8. zum 9. 5. 1945 hatten das Oberkommando der Wehrmacht und die Oberbefehlshaber der Teilstreitkräfte im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet. Adenauer hatte sich anlässlich des bevorstehenden Jahrestages bemüht, das Grundgesetz noch am 8. 5. 1949 vom Parlamentarischen Rat verabschieden zu lassen; vgl. M. F. FELDKAMP, Parlamentarische Rat, S. 189. Der SPD-Abgeordnete Menzel erinnerte als Vorredner von Heuss an diesen Tag; vgl. PARLAMENTARISCHE RAT, Bd. 9, S. 521. Mitte Mai 1945 hatte Heuss einige Notizen zur Kapitulation formuliert, in denen er ebenfalls an Schillers Todestag und an das nachgelassene Gedichtfragment erinnerte; THEODOR HEUSS: Das Ende (9./17. Mai 1945), in: TH. HEUSS, Aufzeichnungen, S. 50–76, hier 54; vgl. auch die Reden von Heuss über „Bindung und Freiheit“ am 6. 1. 1946 und „Um Deutschlands Zukunft“ am 18. 3. 1946 sowie den Leitartikel „Kapitulation“ vom 9. 4. 1946, in: ebd., S. 165, 184, 211, wo er diese Verse ebenfalls zitiert. Schon im Januar 1919 berief sich Heuss in einer Rede über „Deutschlands Zukunft“ auf dieses Schillerzitat; TH. HEUSS, Deutschlands Zukunft, S. 23. Friedrich von Schiller (1759–1805), Schriftsteller und Historiker. Schiller war am 9. 5. 1805 in Weimar gestorben. Bernhard Suphan (1845–1911), Literaturwissenschaftler, Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar (1887–1911). Aus dem Fragment „Deutsche Größe“, vermutlich schon 1797. Die zweite Zeile lautet: „Deutschlands Kaiserreich zusammen“; F. SCHILLER, Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 476.
Jutta Limbach: 60 Jahre Grundgesetz 1
CARLO SCHMID: Parlamentarische Elegie im Januar, in: PARLAMENTARISCHE POESIE, S. 40.
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Anhang
Theodor Heuss Stationen seines Lebens 1884 1890 1892 1902
1905
1907 1908 1910 1912 1913 1918
1919
1920
31. 1. Geburt von Theodor Heuss in Brackenheim/Württemberg Umzug nach Heilbronn Eintritt in das humanistische Karlsgymnasium Abitur Erste Begegnung mit Friedrich Naumann Beginn des Studiums der Neuphilologie und Nationalökonomie an der Universität München Abschluss des Studiums der Nationalökonomie mit einer Dissertation zum Thema „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn a. N.“ (Veröffentlichung 1906) Redakteur der Wochenzeitschrift „Die Hilfe“ in Berlin (bis 1912) Erste Begegnung mit Elly Knapp Erfolgreicher Reichstagswahlkampf für Friedrich Naumann in Heilbronn 11. 4. Hochzeit mit Elly Knapp (Pfarrer: Albert Schweitzer) 5. 8. Geburt des Sohnes Ernst Ludwig Chefredakteur der „Neckar-Zeitung“ in Heilbronn (bis 1917) Erfolglose Kandidatur für den württembergischen Landtag Schriftleiter der Kulturzeitschrift „März“ (bis 1917) Mitarbeit in der Geschäftsstelle des Deutschen Werkbundes in Berlin (hauptamtlich bis 1921) Schriftleiter der Zeitschrift „Deutsche Politik“ (bis 1922) Beginn der politischen Arbeit für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) Erfolglose Kandidatur für die Verfassunggebende Nationalversammlung Wahl zum Mitglied der Schöneberger Stadtverordnetenversammlung, seit 1920 der Schöneberger Bezirksversammlung Studienleiter (bis 1925) und Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik
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Theodor Heuss: Stationen seines Lebens
1922 1924
1925 1928 1930 1932
1933
1936 1937 1939 1940 1942
1943
1945
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6. 6. Erfolglose Kandidatur bei den Wahlen zum 1. Reichstag Schriftleiter der Zeitschrift „Die Deutsche Nation“ (bis 1925) Wahl zum Vorstandsmitglied des Deutschen Werkbundes 4. 5. Wahl in den 2. Reichstag für die DDP 7. 12. Wahl in den 3. Reichstag für die DDP 5. 4. Wahl zum 1. Vorsitzenden des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (Rücktritt 1926) 20. 5. Erfolglose Kandidatur bei den Wahlen zum 4. Reichstag 14. 9. Wahl in den 5. Reichstag für die Deutsche Staatspartei (DStP) Veröffentlichung von „Hitlers Weg. Eine historisch-politische Studie über den Nationalsozialismus“ 31. 7. Wahl in den 6. Reichstag für die DStP 6. 11. Erfolglose Kandidatur bei den Wahlen zum 7. Reichstag 1. 1. Herausgeber der „Hilfe“ 5. 3. Wahl in den 8. Reichstag für die DStP 23. 3. Zustimmung zum „Ermächtigungsgesetz“ 3. 5. Aberkennung der Dozentur an der Deutschen Hochschule für Politik 10. 5. Verbrennung zweier Bücher von Theodor Heuss 12. 7. Aberkennung des Reichstagsmandats 29. 9. Rücktritt vom Vorstand des Deutschen Werkbundes Rücktritt von der Herausgeberschaft der „Hilfe“ Veröffentlichung der Biographie über Friedrich Naumann Veröffentlichung der Biographie über den Architekten Hans Poelzig Veröffentlichung der Biographie über den Zoologen Anton Dohrn Veröffentlichung der Biographie über den Chemiker Justus von Liebig Beginn der Arbeit an der Biographie über den Unternehmer Robert Bosch (Veröffentlichung 1946) August–Oktober: Flucht aus Berlin über Heilbronn und den Boschhof (Oberbayern) nach Heidelberg Dezember: Treffen mit Carl Goerdeler 30. 3. Besetzung Heidelbergs durch amerikanische Truppen Ende April: Angebot für die Übernahme der Lizenz einer Heidelberger Zeitung 4. 8. Heirat des Sohnes Ernst Ludwig mit Hanne Elsas
Theodor Heuss: Stationen seines Lebens
1946
1947
1948
5. 9. Verleihung der Lizenz für die Herausgabe der „Rhein-NeckarZeitung“ in Heidelberg (bis Ende 1949) 24. 9. Vereidigung zum Kultusminister von Württemberg-Baden Ende September: Umzug nach Stuttgart 25. 11. Stuttgarter Rede „In Memoriam“: Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus Veröffentlichung der Biographie über Robert Bosch 6. 1. Wahl in den Vorstand der württemberg-badischen Demokratischen Volkspartei (DVP) 18. 3. Rede in Berlin vor dem Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands 30. 6. Wahl in die Verfassunggebende Landesversammlung von Württemberg-Baden 28. 9. Wahl zum Vorsitzenden der DVP in der amerikanischen Zone 24. 11. Wahl in den 1. Landtag von Württemberg-Baden Dezember: Ausscheiden aus dem Amt des Kultusministers 12. 2. Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss des württemberg-badischen Landtags zum „Ermächtigungsgesetz“ 17. 3. Wahl zum Mitvorsitzenden (gemeinsam mit Wilhelm Külz) der gesamtdeutschen liberalen Demokratischen Partei Deutschlands (DPD) 9.–14. 4. Teilnahme am Kongress der Liberalen Weltunion in Oxford 4.–7. 7. Teilnahme am Parteitag der ostzonalen Liberal-Demokratischen Partei (LDP) in Eisenach Veröffentlichung der Aufsatzsammlungen „Deutsche Gestalten. Studien zum 19. Jahrhundert“ und „Schattenbeschwörungen. Randfiguren in der Geschichte“ Veröffentlichung von „1848. Werk und Erbe“ 12. 1. Ernennung zum Honorarprofessor für politische Wissenschaften an der TH Stuttgart 18. 1. Scheitern der gesamtdeutschen liberalen DPD 13./14. 3. Teilnahme am Parteitag der Berliner LDP 26. 4.–31.7. Vorlesungstätigkeit an der TH Stuttgart 21.–25. 5. Teilnahme am Kongress der Liberalen Weltunion in Zürich 1. 9. Beginn der Tätigkeit als Abgeordneter im Parlamentarischen Rat
143
Theodor Heuss: Stationen seines Lebens
1949
1950 1951 1952 1953 1954
1956 1957 1958
1959
1960 1963
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9. 9. Grundsatzrede im Parlamentarischen Rat über die künftige Verfassung 12. 12. Wahl zum Vorsitzenden der westzonalen FDP 31. 1. 65. Geburtstag Januar: Beginn der publizistischen Auseinandersetzung mit Dolf Sternberger 25. 4. Teilnahme an Besprechungen von Vertretern des Parlamentarischen Rates mit den Militärgouverneuren in Frankfurt a. M. 8. 5. Abschlussrede im Parlamentarischen Rat 13. 5.–8. 6. Aufenthalt im Städtischen Krankenhaus Konstanz 23. 5. Teilnahme an der Verkündung des Grundgesetzes 11./12. 6. Teilnahme am Bundesparteitag der FDP in Bremen 14. 8. Wahl in den ersten Deutschen Bundestag 12. 9. Wahl zum ersten Bundespräsidenten Vergebliche Bemühungen um die Einführung einer neuen Nationalhymne (bis 1951) Stiftung des Bundesverdienstkreuzes Verfassungsstreit über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 19. 7. Tod von Elly Heuss-Knapp Veröffentlichung der Jugenderinnerungen „Vorspiele des Lebens“ 17. 7. Wiederwahl zum Bundespräsidenten in Berlin 8.–14. 11. Erster offizieller Staatsbesuch eines ausländischen Staatsoberhaupts in der Bundesrepublik durch den äthiopischen Kaiser Haile Selassie I. 14.–22. 5. Staatsbesuch in Griechenland 5.–13. 5. Staatsbesuch in der Türkei 19.–28. 11. Staatsbesuch in Italien und im Vatikan 28. 5.–4. 6. Staatsbesuch in Kanada 4.–23. 6. Staatsbesuch in den USA 20.–23. 10. Staatsbesuch in Großbritannien Auseinandersetzungen um die dritte Amtszeit und die Nachfolge des Bundespräsidenten 12. 9. Ende der zweiten Amtszeit Reisen nach Frankreich, Israel und Indien Veröffentlichung der „Erinnerungen 1905–1933“ 12. 12. Tod von Theodor Heuss in seinem Haus in Stuttgart
Abkürzungen
BArch CDU CSU DDP DDR DPD DStP DVP FDP FVP GG KPD MdB MdL MdNV MdPR MdR MdVL NATO NS OMGUS OMGWB RNZ SBTH SED SPD UN US USA USPD WRV
Bundesarchiv Christlich Demokratische Union Christlich-Soziale Union Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Demokratische Partei Deutschlands Deutsche Staatspartei Demokratische Volkspartei Freie Demokratische Partei Fortschrittliche Volkspartei Grundgesetz Kommunistische Partei Deutschlands Mitglied des Bundestages Mitglied des Landtages Mitglied der Nationalversammlung Mitglied des Parlamentarischen Rates Mitglied des Reichstages Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung North Atlantic Treaty Organization nationalsozialistisch Office of Military Government for (bis April 1947: of) Germany, United States Office of Military Government for Wuerttemberg-Baden Rhein-Neckar-Zeitung Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands United Nations United States United States of America Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Weimarer Reichsverfassung
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Personenregister Das Personenregister umfasst alle Namen aus der Einführung von Ernst Wolfgang Becker, den beiden Reden von Theodor Heuss einschließlich Anmerkungen und dem Essay von Jutta Limbach. Der Name „Theodor Heuss“ wurde nicht aufgenommen. Seitenzahlen in Kursivschrift verweisen auf nähere biographische Angaben in den Anmerkungen zu Personen, die in den Reden erwähnt werden. Adenauer, Konrad 31, 35, 39, 76, 85, 95, 128, 130, 138 Baring, Arnulf 47 Barth, Karl 90, 137 Baumgartner, Josef 80f, 131 Becher, Johannes R. 127 Becker, Max 29 Bismarck, Otto von 68, 78, 113, 130 Blücher, Franz 134 Bodelschwingh, Friedrich von 90, 137 Boehm, Max Hildebert 110 Brandt, Karl 127 Burckhardt, Jacob 68, 125 Cohnstaedt, Wilhelm 107 Dehler, Thomas 29 Dürig, Günter 99 Ebert, Friedrich 68, 124 Ehard, Hans 77f, 81, 129, 130, 132 Erzberger, Matthias 56, 119 Frank, Ludwig 90, 137 Frings, Joseph 133 Geibel, Emanuel von 74, 128 Görres, Joseph von 84, 133f
Greve, Heinrich Otto 88, 136 Haenisch, Konrad 135 Hamilton, Alexander 22, 57, 119 Harnack, Adolf von 90, 137 Haußmann, Conrad 63, 122 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 69, 125, 126 Heinrich der Löwe 82f, 133 Heß, Jürgen C. 39, 107 Heuss, Ernst Ludwig 16, 108, 129 Heuss, Hanne 110, 129 Heuss-Knapp, Elisabeth Eleonore, genannt Elly 16, 133, 137 Hitler, Adolf 21, 50f, 69, 74, 118 Hitze, Franz 90, 136 Hoegner, Wilhelm 54, 116, 117 Hölderlin, Friedrich 18, 52, 97, 115 Höpker Aschoff, Hermann 91, 137f Hoffmann, Adolf 86, 88, 134, 135f Jäckh, Ernst 16, 108 Jesus Christus (Jesus von Nazareth) 86 Kahr, Gustav Ritter von 57, 119 Ketteler, Wilhelm Emanuel Freiherr von 90, 136
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Personenregister Koch-Weser, Erich 107 Kolping, Adolph 90, 136 Külz, Wilhelm 13f Lasaulx, Ernst von 68, 125 Lassalle, Ferdinand 22, 49, 113 Lehr, Robert 77f, 129, 130 Löwenthal, Fritz 83, 133 Lossow, Otto von 120 Luther, Martin 87, 135 Maier, Reinhold 16, 127 Meinecke, Friedrich 37 Menzel, Walter 17, 63, 77f, 87, 91, 122, 129f, 135, 138 Middelhauve, Friedrich 109f, 117 Montgelas, Maximilian Joseph Freiherr 82, 133 Naumann, Friedrich 11, 40, 42, 58, 68, 120, 124f Nawiawsky, Hans 125 Pfeiffer, Anton 132 Preuß, Hugo 67f, 124 Rademacher, Max 111 Reimann, Max 49, 112, 113 Renner, Heinz 80f, 85, 131 Ritschl, Albrecht 90, 137 Roegele, Otto B. 86, 134 Roon, Albrecht von 113 Scheibner, Artur 126 Scheidemann, Philipp 114
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Schelsky, Helmut 18 Schiller, Friedrich von 36f, 92, 138 Schleiermacher, Friedrich 90, 136f Schlosser, Friedrich Christian 125 Schmid, Carlo 17, 19, 23, 30, 35, 50, 65, 68, 95f, 102, 104, 114, 115, 124 Schöffler, Heinrich 127 Schönfelder, Adolf 49, 112 Schumacher, Kurt 34f, 133 Schwalber, Josef 17, 116, 120 Seebohm, Hans-Christoph 133 Solon 77, 129 Stapel, Wilhelm 111, 127 Sternberger, Dolf 7–11, 14, 17, 32, 43, 46, 107, 138 Stolper, Gustav 127 Süsterhenn, Adolf 17, 84, 95, 114, 121, 130, 133 Suphan, Bernhard 92, 138 Tholuck, Friedrich 90, 137 Thomas von Aquin 22, 49f, 114 Wessel, Helene 135 Wichern, Johann Hinrich 90, 137 Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen 114 Winkler, Heinz 111 Wohleb, Leo 66, 123, 124 Wolf, Alfred 110 Zeigner, Erich 57, 119