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German Pages 254 Year 2006
Schriften zum Internationalen Recht Band 163
Rechtsreform in Deutschland und Korea im Vergleich Herausgegeben von
Thomas Würtenberger
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
THOMAS WÜRTENBERGER (Hrsg.)
Rechtsreform in Deutschland und Korea im Vergleich
Schriften zum Internationalen Recht Band 163
Rechtsreform in Deutschland und Korea im Vergleich
Herausgegeben von
Thomas Würtenberger
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-12184-8 978-3-428-12184-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Mit diesem Band werden die Ergebnisse des zweiten Symposiums zwischen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der National University Seoul vom 14.−18. Juli 2004 vorgelegt. Zwischen beiden Fakultäten besteht seit langer Zeit ein äußerst intensiver fachlicher Austausch, was Professor Chong Ko Choi in seiner Ansprache anlässlich der festlichen Abendveranstaltung zu Beginn des Kolloquiums äußerst eindrucksvoll geschildert hat. Unter dem Generalthema der Rechtsreform in Deutschland und in Korea werden für den Bereich des Zivilrechts, des Zivilprozessrechts, des Strafrechts und des Öffentlichen Rechts jeweils zentrale Fragestellungen rechtsvergleichend entwickelt. Dabei zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Die Rechtsreform in beiden Ländern steht oftmals unter sehr vergleichbaren Herausforderungen und wendet sich fast übereinstimmenden Fragestellungen zu. Nicht zu verkennen ist allerdings auch, dass die unterschiedlichen historischen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen jeweils einen ganz erheblichen Einfluss auf die Tätigkeit des Reformgesetzgebers, auf die die Rechtsreform kritisch begleitende Dogmatik und auf die Neuorientierungen in der Rechtsprechung haben. Standen in allen Referaten die Austauschbeziehungen zwischen Korea und Deutschland im Vordergrund, so kamen doch immer wieder auch die Einflüsse der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika oder der Europäischen Union in das Blickfeld. Dabei wurden die Voraussetzungen eines Rechtstransfers wiederholt angesprochen. Und nicht zuletzt wurde nach unterschiedlichen Grundprinzipien des Rechts sowie nach unterschiedlichen Orientierungen des Rechtsbewusstseins im asiatischen, amerikanischen und europäischen Vergleich gefragt. Das Gelingen eines Symposiums hängt von vielfältiger Hilfe und Unterstützung ab. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die ZEIT-Stiftung haben mit ihrer großzügigen Förderung des Symposiums zur weiteren Vertiefung der rechtswissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Korea und Deutschland beigetragen. Der Druckkostenzuschuss der ZEIT-Stiftung hat zudem das Erscheinen dieses Symposiums-Bandes ermöglicht. Beiden Förderinstitutionen gilt der Dank der Teilnehmer. Nicht zuletzt sei auch allen Mitarbeitern des Lehrstuhls gedankt, die mit der Organisation des Symposiums betraut waren. Freiburg, im Juli 2006
Thomas Würtenberger
Inhaltsverzeichnis Chongko Choi Die rechtswissenschaftlichen Beziehungen zwischen Freiburg und Korea im Spiegel meiner Erinnerungen an das akademische Leben in Freiburg ............
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Oh Seung Kwon Some Issues on Competition Law Enforcement in Korea ....................................
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Uwe Blaurock und Katrin Blasek Reform des europäischen und deutschen Kartellrechts – vom Erlaubnisvorbehalt zur Legalausnahme ........................................................
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Chang Soo Yang Recent Preparatory Work for the Amendment of the Korean Civil Code..............
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Günter Hager Das neue Schuldrecht ...........................................................................................
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Moon-Hyuck Ho Zur Reform des koreanischen Zivilprozessrechts im Jahr 2002 ...........................
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Dieter Leipold Die „Stärkung der ersten Instanz“ im Rahmen der deutschen Zivilprozessreform 2001 ....................................................................................... 105
Sang-Geun Park Anwaltsgesellschaften in Korea ............................................................................ 121
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Inhaltsverzeichnis
Joachim N. Stolterfoht Die Entwicklung des Rechts der Rechtsanwaltsgesellschaften in Deutschland .......................................................................................................... 133
Hong Sik Cho Political Economy of Korea’s Environmental Protection ..................................... 149
Dietrich Murswiek Taking Politics Seriously – a View from a Public International Law Perspective .............................................................................. 165
Chongko Choi South and North Korean Laws: Comparison and Unification .............................. 173
Thomas Würtenberger Schwierigkeiten bei der Transformation einer Rechtsordnung ............................. 185
Nak In Sung Adjudication on the Constitutionality of Laws in the Constitution of Korea ................................................................................................................ 197
Andreas Voßkuhle Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht .................................................................................... 215
Yong-Sik Lee Die Tötung als familiäre Konfliktlösung? ............................................................ 229
Walter Perron Die Tötung des Familientyrannen durch Ehefrau oder Kinder ............................. 243
Die rechtswissenschaftlichen Beziehungen zwischen Freiburg und Korea im Spiegel meiner Erinnerungen an das akademische Leben in Freiburg ∗
Von Chongko Choi
Eine so freundliche Begrüßung aus Ihrem und vor allem aus Freiburger Munde zu hören, berührt mich ganz außerordentlich. Insbesondere als ein Alumnus der Albert-Ludwigs-Universität möchte ich Ihnen herzlich gratulieren zu der erstaunlichen Entwicklung dieser − meiner zweiten − Alma mater. Ich bin sehr froh zu hören, dass Freiburg einen Spitzenrang unter den Europäischen Hochschulen einnimmt. Von dieser Tatsache konnte ich mich zuletzt auch wieder bei dem dreitägigen Alumnitreffen überzeugen. Gleichzeitig möchte ich aber auch sehr für Ihr intensives und freundliches Interesse an meinem Land und meiner Universität danken. Ihr so freundschaftlicher Besuch in Korea hat unserem wissenschaftlichen und menschlichen Austausch erneut großen Antrieb gegeben und konnte die Freundschaft weiter vertiefen. Sie wissen ja um den starken deutschen, insbesondere den Freiburger Einfluss, auf die Koreanische Rechtswissenschaft. Dieses Symposium ist nur ein weiterer Beleg dafür. In diesem Sinne möchte ich meinen herzlichsten Dank aussprechen gegenüber unseren deutschen juristischen Kollegen für ihre wunderbare Vorbereitung und Gastfreundschaft. Als der Älteste der hier anwesenden Koreaner, der in Freiburg studiert hat, will ich nun diese Gelegenheit nutzen, nicht nur einen kleinen Überblick über die deutsch-koreanischen Beziehungen zu geben, sondern auch über meine persönlichen Erfahrungen in Freiburg zu berichten. Als erstes sollten wir uns aber an einige meiner ehemaligen Kollegen erinnern, die sich sehr verdient gemacht haben um unsere Partnerschaft. Zu nennen sind hier namentlich Professor Emeritus Seokin Huang und Sanghyun Song als damaliger Dekan und jetziger Richter am Internationalen Strafgerichtshof. In Freiburg lebte aber auch ein weiterer, für uns unvergesslicher koreanischer Strafrechtswissenschaftler. Ich meine Zong-Uk Tjong (1933–1982), der als wis___________ ∗
Ansprache anlässlich der Abendveranstaltung zu Beginn des Symposiums.
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Chongko Choi
senschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht tätig war. Dieser Vermittler, der gleichsam die Brücke zwischen Freiburg und Korea war, verstarb 1982 leider viel zu früh in seinem 50. Lebensjahr.
I. Deutsch-koreanische Beziehungen Das Koreanische Königreich wurde lange Zeit als „Land der Morgenstille“ oder als ein Einsiedlerland bezeichnet. In der Tat kam es erst 1880 zu einer Öffnung dieses ungewöhnlichen Landes. So wurde etwa im Jahre 1884 der deutschkoreanische Vertrag geschlossen. Der damalige deutsche Gesandte Max von Brandt schrieb über diese Zeit seine wunderbaren Erinnerungen „Dreiunddreißig Jahre in Ostasien“. 1883 bis 1885 lebte Paul Georg Moellendorff (1847–1901) als königlicher Berater in Seoul und schrieb 1897 ein hoch interessantes Memorandum über „Die Reorganisation Koreas“. Er ging als unvergesslicher Jurist in die koreanische Epoche der Modernisierung ein. Josef Kohler schrieb 1886 „Über das Recht der Koreaner“ in seiner Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft und hat damit wohl den ersten wissenschaftlichen Aufsatz über das Koreanische Recht verfasst. Auch auf politischer Ebene kam es zu ersten Kontaktaufnahmen. Im Juni 1898 stattete Prinz Heinrich, der Bruder Kaiser Wilhelms II., Korea einen Besuch ab. Er war der vornehmste Staatsgast im späten koreanischen Kaiserreich. Am 27. Februar 1901 wurde der deutsche Marinekapellmeister Franz Eckert (1852−1916) als Hofkapellmeister an den Koreanischen Kaiserhof eingeladen. Er komponierte die Nationalhymne und spielte sie aus Anlass der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag des Kaisers Kojong1. Die erste moderne Verfassung des koreanischen Kaiserreichs wiederum war hauptsächlich von J. Bluntschlis Buch „Das Moderne Völkerrecht der Civilisierten Staaten“ beeinflusst. Das erste Lehrbuch zur Verfassung von Yu Chihyung von 1905 war maßgeblich von Paul Labands Rechtspositivismus geprägt. Trotz des schon damals sehr intensiven Austausches zwischen dem koreanischen Kaiserreich und Deutschland waren es Japaner, die während der Besetzung Koreas durch das japanische Kaiserreich 1926 meine Universität gründeten. Die Gründung der Nationalen Universität Seoul durch die Japaner war da___________ 1 Für weitere Einzelheiten verweise ich auf meinen 1984 erschienenen Band „Vom Han bis zum Rhein: Geschichte der deutsch-koreanischen Beziehungen“.
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mit in etwa der Gründung der Universität von Straßburg durch die Deutschen im Elsass vergleichbar. Otaka Tomoo (1899–1956), der damalige Professor für Rechtsphilosophie, versuchte Hans Kelsen an die Keijo Kaiserliche Universität, die heutige Nationale Universität Seoul, zu berufen. Da Otaka allerdings selbst nach Japan zurückkehren musste, führten diese Anstrengungen nicht zum Erfolg. Trotz des Abbruchs der offiziellen diplomatischen Beziehungen bestanden weiterhin Verbindungen zu Deutschland. Seit 1920 wuchs die Zahl der Koreaner, die in Deutschland studierten. So war etwa Mirok Li (1899−1950) ein Medizinstudent in Seoul, der an der Befreiungsbewegung vom 1. März 1919 teilnahm und zum weiteren Studium nach Deutschland fliehen musste. Er promovierte in München und schrieb einen schönen autobiografischen Roman „Der Yalu fliesst“ (1946), der auch heute noch gerne von Deutschen gelesen wird.
II. Rechtswissenschaftlichen Beziehungen zwischen Freiburg und Korea Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gerieten Deutschland und Korea in eine entgegengesetzte Lage. Deutschland als besiegtes Land wurde durch die Alliierten besetzt, während Korea mit der Niederlage Japans seine Selbstständigkeit wieder erlangte. Nachdem der Taifun der jüngsten Geschichte über Deutschland und Korea hinweggegangen war, mussten sie das tragische Schicksal der territorialen Teilung erleiden. Die UdSSR als Verbündete der Alliierten wollte nicht ihr Besatzungsgebiet freigeben. Deutschland und Korea blieben bis 1990 geteilte Länder und vertieften als Leidensgenossen ihre gegenseitige Freundschaft. Während des Korea-Krieges, der 1950 mit dem Überfall der nordkoreanischen Kommunisten begonnen hatte, schickte Deutschland zwar keine Truppen, aber der deutsche Kanzler Konrad Adenauer schloss am 12. Februar 1954 „Das Abkommen über die Hilfe durch das Rot-Kreuz-Spital in Korea“. Auch wurden die diplomatischen Beziehungen, die durch den japanischen Kolonialismus mehr als fünfzig Jahre unterbrochen gewesen waren, wieder hergestellt. Nach der nationalen Befreiung Koreas im Jahre 1945 war Ernst Fraenkel als Rechtsberater der amerikanischen Militärregierung in Korea und lehrte Völkerrecht an der neugegründeten Nationalen Universität Seoul. 1952 schrieb er sein Buch „Korea: Ein Wendepunkt des Völkerrechts“. Fraenkel war ein Schüler Hugo Sinzheimers und stand in Briefkontakt mit Gustav Radbruch. Dieser wiederum erwähnte das koreanische Recht auf Grund des Fraenkelschen Briefs in
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Chongko Choi
seiner „Vorschule der Rechtsphilosophie“ von 1947. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der große Rechtsphilosoph Radbruch sich so früh für das koreanische Recht interessierte. Die neue koreanische Republik kodifizierte das Zivilgesetzbuch nach dem deutschen Pandektensystem im Jahre 1957. Das deutsche Strafrechtssystem und die Dogmatik wurden ebenfalls breit und tief rezipiert. Selbstverständlich war es auch, dass viele junge Gelehrte nach Deutschland kamen, um die deutsche Rechtswissenschaft zu studieren. Einige Beispiele: Heeyol Kay promovierte 1969 bei Konrad Hesse mit einer Arbeit über „Die innere Ordnung der politischen Parteien“. Er wurde Professor für Öffentliches Recht an der Korea-Universität in Seoul und der erste Präsident der Freiburger Alumni in Korea. 1966 promovierte Jisu Kim in Freiburg bei Erik Wolf mit seiner Dissertation über „Methodentrialismus und Natur der Sache im Denken Gustav Radbruchs“. Auch er wurde Professor für Öffentliches Recht und der zweite Präsident der Freiburger Alumni in Korea. Im Jahr 1967 besuchte Hans Welzel aus Bonn Korea und hielt einen Vortrag an meiner Universität, an der ich damals Student war. Mein Lehrer Paul Kichyun Ryu (1915–1998) wiederum übersetzte das Koreanische Strafgesetzbuch 1968 ins Deutsche. Er besuchte das Freiburger MaxPlanck-Institut und war mit H.H. Jescheck freundschaftlich verbunden. Im Jahre 1976 besuchte Ernst von Caemmerer Korea. Bei diesem Anlass wurde die Koreanisch-Deutsche Gesellschaft für Rechtswissenschaft gegründet. Diese Gesellschaft organisiert Symposien mit deutschen Gästen und publiziert auch die Jahreszeitschrift Handok Pophak (Recht in Deutschland und Korea). Im Jahre 1984 fand das Deutsch-Koreanische Symposion „100 Jahre DeutschKoreanische Beziehungen“ statt. Von deutscher Seite kamen A. Hollerbach, M. Kriele, J. Isensee, A. Eser, W. Frhr. von Marschall und M. Rehbinder. Erst durch einen langen und regen wissenschaftlichen Austausch ist diese enge Partnerschaft zwischen Freiburg und Seoul möglich geworden. Unbestritten ist nämlich, dass die „Freiburger Schule“ in der Koreanischen Rechtswissenschaft und insbesondere an meiner Fakultät die bedeutendeste ist. So gesehen ist die Partnerschaft zwischen Seoul und Freiburg ein Musterbeispiel der westöstlichen Zusammenarbeit und Solidarität in der Rechtswissenschaft.
Die rechtswissenschaftlichen Beziehungen zwischen Freiburg und Korea
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III. Erinnerungen an meine Freiburger Zeit In der Badischen Zeitung vom 18. Februar 1994 wurde über mich als Herausgeber des Buches „Freiburg in Erinnerungen“ (Seoul, 374 S.) berichtet, das von zehn koreanischen Juraprofessoren geschrieben wurde, die alle in Freiburg promoviert oder als Gastforscher in Freiburg gelebt haben. In diesem Zusammenhang schrieb die Journalistin über mich: „Seine durchweg positiven Erfahrungen haben Chongko Choi in den vergangenen 15 Jahren zu Kongressen oder Forschungsvorhaben immer wieder nach Freiburg geführt. Eine Stadt, in der er sehr glücklich gewesen sei, rekapituliert er“. In der Tat erinnere ich mich an vieles und will im Folgenden gerne darüber berichten. In Erinnerung rufen möchte ich dabei einige Namen ehemaliger Juraprofessoren, die ich persönlich erleben durfte. Erik Wolf etwa lud mich kurz nach meiner Ankunft in Freiburg im Dezember 1975 ein. Er wollte unbedingt den koreanischen Übersetzer der von ihm herausgegebenen „Rechtsphilosophie“ Gustav Radbruchs kennen lernen. Obwohl ich mich damals noch nicht richtig auf Deutsch verständigen konnte, hinterließ er bei mir einen großartigen Eindruck. Dass er seinen Nachfolger Hollerbach sehr schätzte, war für mich ein Grund bei Herrn Hollerbach zu promovieren und meinen ursprünglichen Wunsch, zu Arthur Kaufmann nach München zu gehen, aufzugeben. Tatsächlich erwies sich Herr Hollerbach während der ganzen Zeit der Arbeit an meiner Dissertation über „Staat und Religion in Korea“ als guter Doktorvater. Ich bin stolz darauf, dass ich sein geschätzter Schüler bin. Er gab mir sogar die Ehre, einen Artikel über Koreanisches Recht im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft zu verfassen. Zu seinem 70. Geburtstag konnte ich mich bei ihm mit einem Beitrag über „G. Radbruch und Ostasien“ bedanken, worüber er sich sehr gefreut hat. Auch möchte ich mich mit großer Dankbarkeit und Hochachtung an Fritz von Hippel erinnern. Wie ein warmherziger Großvater lud er mich und meinen japanischen Freund Suzuki Keifu zu sich nach Hause ein und erzählte − äußerst liebenswürdig und gelegentlich vorlesend − von und aus seinem schönen Büchlein „Radbruch als Rechtsphilosoph und Denker“. Inzwischen habe ich erfahren, dass seine Ruhestätte auf dem Bollschweiler Friedhof liegt und möchte ihn diesmal dort besuchen. Obwohl ich kein Zivilrechtler bin, kann ich dennoch nicht die beeindruckende Persönlichkeit Ernst von Caemmerers vergessen. Im Anschluss an die anlässlich seines Besuches 1976 gegründete Koreanisch-Deutsche Gesellschaft für Rechtswissenschaft haben zahlreiche Kollegen aus Freiburg Korea besucht: H.-H. Jescheck, G. Kaiser, Joseph Kaiser, F. Rittner, A. Hollerbach, Frhr. von Marschall, H. Stoll, P. Schlechtriem, U. Blaurock und etliche mehr. Im Jahre 1984 konnte ich dann schließlich als Gastgeber zu dem großartigen Symposion
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über „100 Jahre Deutsch-Koreanische Beziehungen in der Rechtswissenschaft“ nach Seoul einladen. Während meiner Zeit in Freiburg wohnte ich als Nachbar Hans Thiemes in Günterstal. Während das Ehepaar Thieme in Japan weilte, kümmerten meine Frau und ich uns um ihren Hund. Auch half ich ihm bei der Inventarisierung seiner Bibliothek, die nach Japan verkauft werden sollte. Als Koreaner fühlte ich mich dabei allerdings recht zwiespältig. Viele Jahre später stieß ich an der Hokkaido Universitätsbibliothek in Sapporo wieder auf die „Hans Thieme Collection“ und erfuhr so wiederum ein Stück Freiburger Wissenschaftsgeschichte, dieses Mal nun aus einer anderen Perspektive. Von Thieme erfuhr ich auch viel über das akademische Leben Freiburgs, insbesondere über die verstorbenen Gelehrten auf dem Günterstaler Friedhof wie Edmund Husserl und seinen Sohn Gerhart, Adolf Schönke, Fritz Pringsheim und Walter Eucken. Inzwischen ist auch Thieme auf diesem Friedhof begraben. Bei jedem Besuch in Freiburg gedenke ich dort seiner mit einem Strauß Blumen. Gerne erinnere ich mich auch an Ernst Rudolf Huber aus Zähringen. Bei jedem Besuch schenkte er mir einen Band von seiner sechsbändigen „Verfassungsgeschichte“. Dabei merkte er an, dass er sich nicht gerne mit Leuten unterhalte, die viel über Methoden sprechen. In diesem Zusammenhang sagte er abschließend: Ein Tausendfüssler geht irgendwohin, obwohl seine Füße sich verschieden bewegen. Thomas Würtenberger (Senior) ist mir ebenfalls unvergessen als großzügiger Rechtswissenschaftler, der überdies stets eine schöne Harmonie zwischen Rechtswissenschaft und Kunst gepflegt hat. Mehrmals wurde ich zu ihm eingeladen und konnte inzwischen auch einmal sein Grab auf dem BergäckerFriedhof besuchen. Besonders froh bin ich darüber, meine Verbundenheit mit ihm über seinen Sohn vertiefen zu können. Auf diese Weise können wir eine Art Generationengerechtigkeit verwirklichen. Bei diesem Besuch erwarb ich das schöne Büchlein „Gelehrtes Freiburg“ (Berlin 2003). Die Verfasserin Claudia Weise stellt darin 75 Gelehrte, Schriftsteller und andere Persönlichkeiten aus Freiburgs intellektueller Geschichte vor. So wird etwa über Walter Eucken und von Hayek berichtet. Juristen finden in dem Buch dagegen keine Erwähnung. Wäre es nicht wünschenswert zumindest Hermann Kantorowicz oder Erik Wolf darin aufzunehmen?
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IV. Zur fruchtbaren Zusammenarbeit Heutzutage ist oft von der Globalisierung die Rede. Europa mit seiner Entwicklung von einer Europäischen Union zu einer Europäischen Republik ist hierfür ein gutes Beispiel. Hollerbach bemerkte in diesem Zusammenhang in seinem Festvortrag „Globale Perspektiven der Rechts- und Staatsentwicklung“ bei der Eröffnung des Akademischen Jahres 1990: „Es gibt auch längst keine Selbstgerechtigkeit des einzelstaatlichen Rechts mehr“ (Freiburger Universitätsblätter 1991). Als ostasiatischer Rechtshistoriker und Rechtsphilosoph findet die historische Begründung des ostasiatischen Gemeinen Rechts (Jus Commune) mein besonderes Interesse. Dafür beobachte ich durchaus auch den Prozess der „Europäisierung des (deutschen) Rechts“. Dabei benutzte ich zunächst gerne K. Kroeschells „Deutsche Rechtsgeschichte“ und inzwischen Hans Hattenauers „Europäische Rechtsgeschichte“ (3. Aufl. 1999). Insbesondere aus drei Gründen scheint mir Freiburg bedeutsam: Zum einen herrscht hier ein freier Geist mit einer starken humanistischen Tradition. Weiterhin wird hier ein Schwerpunkt auf die Untersuchung und Entwicklung der Globalisierung des Rechts und des Rechtsdenkens gelegt. Und schließlich wird in Freiburg auch auf „ökologische Gerechtigkeit“ geachtet. Diese drei Perspektiven ließen sich gut mit koreanischem und ostasiatischem Gedankengut verknüpfen. Auf diese Weise haben wir auf beiden Seiten eine gemeinsame Grundlage, auf die wir unsere akademische und geistige Diskussion stützen können. Korea als noch geteiltes Land muss dabei viel von Deutschland lernen. Abschließend möchte ich betonen, dass es um die Zukunft unserer Zusammenarbeit sehr gut bestellt ist und es eine Vielzahl von Aufgaben gibt. Korea ist das Herz Ostasiens wie Deutschland die Mitte in Europa ist. Wir koreanischen Juristen haben den Vorteil, die chinesische und japanische Wissenschaftskultur einigermaßen zu verstehen und zu beherrschen. Gleichzeitig finde ich es bemerkenswert, dass die Freiburger Juristische Fakultät eine Vorlesung über asiatisches Recht anbietet. An meiner Fakultät liest wiederum Prof. Peter Gilles aus Frankfurt seit dem letzten Semester Deutsches Recht. An dieser Entwicklung ist deutlich eine Wiederbelebung der ostasiatischen Zivilisation einschließlich des ostasiatischen Rechts zu erkennen. Diese führt sogar dazu, dass wir koreanischen Rechtswissenschaftler heutzutage ernsthaft über eine Ostasiatische Jurisprudenz diskutieren. Dabei habe ich als Vertreter des ostasiatischen gemeinen Rechts mit Goethe stets betont: „Wo das Gelehrte beginnt, hört das Politische auf“. Auch Konfuzius hat sich in seinem Werk „Ge-
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spräche“ (Lunyi) dazu geäußert: „Wenn von fernher Gleichgesinnte kommen, ist das nicht auch ein Grund zur Freude?“ Ich glaube ein solcher humanitärer Gedanke wäre wichtig für das Gemeinwohl und für einen Brückenschlag zwischen West und Ost in dieser Welt. In diesem Sinne will ich erneut für die herzliche Gastfreundschaft danken und wünsche unserem Symposion einen großen Erfolg.
Some Issues on Competition Law Enforcement in Korea By Oh Seung Kwon
I. Preface In 1981, Korea enacted the Monopoly Regulation and Fair Trade Act, better known as the Korean Antitrust Act (hereinafter referred to as ‘the KAA’ or ‘the Act’) to promote free and fair competition in the market. Although the enforcement of the Act contributed to the widely spread public awareness concerning the importance of fair trade and the principle of free competition and to lessening anti-competitive or unfair trade practices, the Act has also been criticized. The issues criticized the most are that the Act could not successfully reform a monopolistic market structure into a more competitive one, and also that it could not reduce the concentration of economic power1. This paper will discuss several issues raised in the process of implementing the Act, which has been undermining the effective enforcement of the Act as the fundamental law of market economy. This paper consists of four parts. The second part (chapter II) outlines the main contents of the Act. The third part (chapter III), which analyzes the reasons for the shortcoming of enforcing the Act, will examine the enforcement agency and the public enforcement by the Fair Trade Commission (hereinafter ‘the KFTC’ or ‘the Commission’) and further reviews also the private litigation. This paper will conclude with some suggestions to enhance the efficiency of the Act enforcement (chapter IV).
___________ Myong ChoYang, Assessment and Perspective of Korean Antitrust Law, Journal of Competition Law, vol. 8 (2002.2), p. 12.
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II. Outline of the Korean Antitrust Act 1. Objectives of the Act The primary objective of the Act is to promote free competition and fair trade, because a market economy can not work efficiently without free competition and fair trade in the market. The first amendment to the Act, made in 1986, was aimed specially at reducing the concentration of economic power2.
2. Substantive Components of the Act3 The substantive components of the Act can be divided into three categories based on the objectives each seeks to achieve: regulations to promote and ensure free competition; regulations to ensure fair competition and trade; and regulations to reduce concentration of economic power. a) Regulations to Promote and Ensure Free Competition In order to promote and ensure free competition in the market, the Act regulates economic agents and activities that could undermine conditions of free competition, such as the abuse of a market dominant position4, anti-competitive mergers and collaborative activities or cartels. With regard to monopolies and oligopolies, the Act does not explicitly prohibit the possession or acquisition of this sort of power. Instead it forbids the abuse of market dominant position. In other words, the Act restricts anti-competitive or unfair behavior of market dominant firms, rather than prohibiting monopolization or attempts to establish a monopoly. The Act, in Article 3 amended in 1996, requires that the Commission establishes and enforces measures designed to promote competition in markets where monopolies and oligopolies have long been entrenched. Korean economic policy reflects a clear understanding that it is impossible to render a market more competitive simply by forbidding the abuse of market dominant position. ___________ 2 Wether or not the revision which added regulating the concentration of economic power as a legislative goal was appropriate. 3 See Oh Seung Kwon, Applying the Korean Experience with Antitrust Law to the Development of Competition in China, Washington University Global Studies Law Review, vol. 3, Nr. 2, 2004, pp. 347−361. 4 The Korean Antitrust Act does not prohibit monopolization or an attempt to monopolize, but only the abuse of the market position. If one enterprise has more than fifty percent market share or less than three enterprises have above 75 percent share in the market, then the firm is considered to have a market dominant position.
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As for mergers, the Act, in Article 7 (1), (2), prohibits those which would substantially restrict competition in any relevant market. The Act allows mergers on exception when the efficiency-enhancing effects of a merger far exceed its potential harms of restrained competition, or when the merger involves an enterprise for which the paid-in-capital was less than the total assets on the balance sheet for a considerable period of time, thus deeming its revitalizationimpossible. In recognizing the difficulty of determining whether a merger substantially restrains competition or not, the Act, in Article 7 (4) amended in 1996 added, a presumptive clause that made certain mergers presumptively illegal5. The Act also prohibits mergers by means of compulsion or any other unfair measure, Article 7 (3). The Act basically prohibits collaborative activities and cartels that unreasonably restrict competition. Cartels, however, may be permitted exceptionally if deemed necessary for achieving certain desirable ends, including: (i) industrial rationalization; (ii) promotion of research and technological development; (iii) resolution of economic depression; (iv) promotion of industrial restructuring, (v) rationalization of terms of trade; and (vi) strengthening of the competitiveness of small-and-medium sized businesses, Article 19 (2). As evidence of mind meeting is both crucial and difficult to prove in these cases, the Act provides that when two or more enterprises commit any of the acts listed in Article 19 (1), the parties shall be presumed to be a cartel, and therefore, substantially restraining competition (despite the absence of an explicit agreement to engage in such an act), Article 19 (5).
___________ 5
Any business combination falling under one of the following categories shall be considered a combination substantially restraining competition in a given area of trade. 1. The total market share (meaning the sum of the market shares of all affiliates) of the parties to the business combination meets all of the following categories: a) The combined market share meets the criteria for market-dominant enterprises. b) The total market share is the highest in the given area of trade. c) The difference between the total market share and the market share of the corporation with the second highest market share (the corporation with the highest market share, excluding the corporation that is a party to the business combination) is more than twenty-five percent (25%) of the said sum of market share. 2. A business combination by a large-scale corporation, either directly or through a specially-related person, meets all of the following categories. a) A business combination in an area of trade where the market share of the smalland-medium enterprises is more than two-thirds (2/3) pursuant to the Framework Act on Small and Medium Enterprises. b) Acquisition of more than five percent (5%) of the market share as a result of the said business combination.
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b) Regulations to Ensure Fair Competition and Trade The Act prohibits various anti-competitive methods and unfair trade practices under the rubric of “unfair trade practices” in order to maintain fair competition and trade. The Act thereby forbids enterprises from engaging in any act listed under Article 23 (1) that is likely to impede fair competition and/or trade or to cause affiliated corporations or other enterprises to commit such an act. In order to effectively prohibit these “unfair trades or practices”, the types of, and criteria for, such trades or practices are clearly set forth in Presidential Decree Article 23 (2), and Presidential Decree Article 36. The Act also prohibits trade associations from engaging in any act that might hamper fair trade or restrain competition, Article 26, and with certain exception, basically outlaws any act that can be considered as resale price maintenance, Article 29 (1). Exceptions include where the actions are deemed justifiable, Article 29 (1), and those actions regarding publications specified in the Presidential Decree, or commodities meeting all of the conditions stated in Article 29 (2) and that the KFTC has designated in advance as being eligible for Resale Price Maintenance, Article 29 (2). Additionally, the Act also prohibits enterprises or trade associations from entering into international agreements or contracts that provide for acts constituting unreasonable restraints of competition, unfair trade or business practices, or resale price maintenance. However, should the KFTC determine that the effect of the agreement upon competition in a relevant market is negligible or that there are other unavoidable reasons for the contract, such contract may be permitted as an exception, Article 32. c) Regulations to Reduce Concentration of Economic Power The Act controls holding companies and activities between subsidiaries belonging to large business groups in order to reduce the concentration of economic power. Its mechanism of control includes regulation of cross sharings, total amount of equity investment, debt guarantees for affiliated corporations, and anti-competitive or unfair subsidies. The establishment of holding companies was prohibited in 1987, but has been allowed basically since 1999 in order to encourage company restructuring, Article 8. There are still, however, stringent restrictions on the establishment of holding companies because they can easily become a means to concentrate economic power, Article 8-2, 8-3. The Act originally defined the “Chaebo” as large business groups6, and then has established control over those groups that fit the criteria provided therein7. ___________ 6 Such approach is very similar to that of Japanese Antitrust Act, but this kind of approach might ignore the fact that there is fundamental difference between Korean “Chaebols” and Japanese “Keirestu” in a way that the former is actually controlled by
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Subsidiaries belonging to these business groups are subject to strict regulations provided in the Act, including prohibition of cross share-holdings8 and debt guarantees for affiliated corporations9 and limitations on the total amount of equity investment, currently set at twenty-five percents10. In addition, improper subsidies and other forms of subsidiary support that could hamper fair trade and competition are prohibited11.
___________ one individual or his close family members whereas the latter is not. If we are to take such approach, we can overlook some key issues that the Chaebols poses such as concentration of equity ownership and inefficient management resulting from it. 7 The Fair Trade Commission shall designate corporations as belonging to large to limitations on debt business groups and to large business groups, subject guarantees in accordance with procedures set forth under the Presidential Decree and shall notify such companies of having been so designated (Article 14). 8 Such restrictions may not apply in case of merger or take-over of the whole business; or execution of security rights or the receipt of accord and satisfaction (Article 9 (1), saving clause). 9 Limitations on debt guarantees for affiliated corporations was first adopted in third revision to the Act in 1992, and it was originally 200% of the company’s net worth, but by 1996, it was reduced to 100%. In 1998, to accommodate IMF’s demand for the complete removal of debt guarantees between affiliated corporations, the Act was amended to prohibit any new debt guarantees, and also mandated complete removal of existing debt guarantees by March 31st, 2000. 10 Limitations on total amount of equity investment was first implemented in 1987, and it was lifted in the sixth revisions made in 1998 during so called “IMF-era” based on the consideration that it might hinder company restructuring. But such amendment actually resulted in dramatic increase in the amount of equity investment between subsidiaries belonging to large scale business groups on the other hand, which also has been used as an exploitation to reduce debt ratio on paper without the actual increase in the net worth, and to gain control of subsidiaries without acquiring bigger shares. For this reason, the limitations were readopted in the eighth amendment in December, 1999, and came into effect on April 1st, 2001. 11 Based on it’s “Guidelines on Unfair Trade Practices by Large Business Groups” which was formulated in July 1992, the Fair Trade Commission has started to strengthen it’s supervision over indirect anticompetitive activities between the subsidiaries which took form of transactions of goods and services (e.g. trading at extremely favorable terms), but such supervision was very limited in the sense that the Commission had no right to supervise more direct violations such as providing other subsidiaries with temporary payments, loans, manpower, real estate, etc. Through the amendment in 1996, legal basis on the Commission’s authority to supervise all the anticompetitive activities has been found, and in July 1997, the Commission formulated “Guidelines on Anti Competitive Transactions between Subsidiaries Belonging to Large Business Groups” in order to ensure the fairness and transparency of it’s enforcement. And through amendment to the Act in 1999, the commission has been granted the authority to request financial transaction information to effectively investigate possible violations regarding such anticompetitive activities.
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3. Enforcement Agency: the KFTC The Act is enforced by the Korean Fair Trade Commission, a quasi-judicial regulatory agency. The KFTC is composed of nine commissioners, including a chairman, a vice-chairman, three standing and four non-standing commissioners (Article 37 (1)). The Commission’s jurisdiction encompasses virtually all antitrust enforcement in Korea. It investigates suspected violations12 and when a violation of the Act is found, it issues corrective measures or recommends to ensure violator compliance with such measures; if necessary, surcharges are imposed, and criminal prosecution is pursued against the violator. Any party that wishes to claim damages resulting from a violation of the Act may bring a private suit against the violator after the Commission’s corrective measures become definite and final. Furthermore, the public prosecutor may indict the violator for violations of the Act. A Secretariat within the Commission is responsible for the day-to-day business of the Commission, Article 47 and consists of a secretary general, six bureaus, and four regional offices, Presidential Decree Article 52. 4. Enforcing Procedures a) Administrative Procedures The enforcement procedures set forth in the Act include the investigation of suspected violations, the ability to order or recommend corrective measures, and the power to impose surcharges13. Under the Act, anyone who discovers a violation may report it to the Commission, and then or in cases of suspected violations, the Commission may conduct an investigation on its own authority, Article 49. An injured party, however, has no legal right to require the Commission to undertake an investigation. Investigations are generally conducted by the Secretariat through authority delegated by the Commission. If it is deemed necessary, designated staff members of the Secretariat may take appropriate measures to collect information, examine materials at the suspected violator’s place of business, or summon the parties for an investigative hearing. When the Commission determines that there has been a violation, under certain circumstances, the Commission may simply recommend that the violator comply with specified corrective measures. The ___________ 12 According to Article 49 (2) of the Act, any person who deems that a violation of the Act has occurred or is occurring may report it to the Fair Trade Commission. 13 The Fair Trade Commission may impose compulsory enforcement charges instead of surcharge upon those who breached provision regarding restrictions on business combinations (Article 17-3).
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violator must notify the Commission of its intentions to comply with the suggested measures, and if it does, corrective measures pursuant to the Act are sufficient remedy. In cases where the alleged violator does not agree to take voluntary action, the Commission makes a final enforcement decision after giving the alleged violator and any interested third parties an opportunity to present their opinions. The final decision may include an administrative order for correction of the illegal conduct, a surcharge, or a criminal prosecution. Corrective orders include, among others, cease-and-desist orders, orders to lower prices, and public acknowledgement of the violations. Surcharges can be imposed on those who violate most of the substantive provisions of the Act. In imposing surcharges, the Commission must take into account the nature and extent of a violation, the duration and frequency of violation, and amount of benefit accrued as a result, Article 55-3. Interested parties may appeal the Commission's decisions to the Seoul High Court under Article 54, 55, and ultimately, to the Supreme Court. b) Private Litigations A party who is damaged by a violation of the Act can bring a private suit against the violators for damages only after corrective measures ordered by the Commission have become definite and final. Unlike general suits for damages there is no need for a plaintiff to prove intent or negligence by the dependent. Private parties are authorized to bring suits for damages arising out of a tort independent of private actions pursuant to the provision of the Act. c) Criminal Prosecution In general, violations of the substantive provisions of the Act and failure to comply with resulting corrective measures are punishable by imprisonment of up to two years or fines not to exceed one hundred fifty million Won, Article 67. Criminal prosecution may not be advanced until the Commission has filed a complaint.
III. Some Reasons for Shortcoming of the Act Enforcement Since 1981, the enforcement of the Act has contributed greatly to the importance acceded to fair trade and free competition in the market and to public opinion, as well as to lessening anti-competitive or unfair trade practices. The
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Act, however is not free from criticism, − especially from academic and business circles. In general, it is argued that the Act can not fully succeed in converting a mono- or oligopolistic market structure into a competitive one, and does not effectively reduce the concentration of economic power. It means that the Act has not successfully worked as a fundamental law for market economy. The explanations of inefficient enforcement of the Act reflect the agency-wide aspects and procedural aspects. The procedural aspects are further divided into public enforcement procedure and private law suit procedure.
1. Enforcement Agency The KFTC is in charge of the adjudication and development of antitrust policy. However, the Commission’s current structure is not sufficiently organized effectively to execute its judicial functions. Because in this structure, it is very difficult for the Commission to be free from government influence in examining and deciding on each suspected case. It may be a crucial cause to impede the predictability and consistency of the Commission’s decision, since the Commission ought to conceive the Act as an instrument of competition policy, and further, not to distinguish strictly between enforcing the Act and carrying out competition policy. In addition, the government has still a strong power to intervene in the whole economy in Korea. Therefore it is highly advisable that the Commission should be reorganized in a manner that strengthens its autonomy and enhance its expertise. More precisely, the Commission should be divided into two separate parts, with one division taking charge of judicial decisions and the other handling establishment of the Nation’s competition policy. Ideally, as with the German Bundeskartellamt14, the judicial division would be further divided into 7 or 9 subdivisions, each responsible for a different industrial sector. Each subdivision would be consisted of a chairman15 and two associate officers. Current commissioners could be transferred to the post of chairman and current officers at the Secretariat to the post of associate officers. Each case must be examined and decided according to the Act without political pressure or any other influence. In this way, the legal stability could be ensured through maintaining the consistency and enhancing the predictability in application of the Act. The policy making branch should be strictly limited to implementing longterm competition policies, repealing anti-competitive statutes, and seeking cooperation with related organizations at home and abroad. For the Commission’s ___________ 14
See www.bundeskartellamt.de. In this case, all commissioners of the Commission should be converted into standing members. 15
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two divisions to perform effectively, the Commission as a whole should be staffed by lawyers and economists with the expertise and sufficient experience in antitrust law and industrial organization.
2. Public Enforcement The enforcement of the Act is primarily the responsibility of the Commission because the Commission analyzes and assesses market structure, conducts and performance (a process necessary for a determination of whether a certain business practice is illegal or not. This is especially true in cases where there has been abuse of a market-dominant position or an anti-competitive merger. This same sort of detailed analysis and assessment is not, however, required in cases involving unfair trade practices or hard core cartels. This is because the legality of these actions is relatively easy to determine. The Commission should, therefore, concentrate its resources on controlling the abuse of market-dominant position or anti-competitive mergers rather than on unfair trade practices or hard core cartels. And the Commission has a broad discretionary power in enforcing the Act. Its discretion is inevitable to analyze and assess each case in some extent. However, it causes to lessen the predictability of its decision in a case where it exceeds a reasonable limit. Therefore it is highly recommended to restrict its discretion to the reasonable extent.
3. Private Litigation Because unfair trade practices and hard core cartels can be more efficiently prohibited through private litigation or criminal procedure, the limitations on these current methods should be dismissed, and new legal procedures such as injunctions, treble damage and class actions should be made available in order to extend the opportunities of criminal prosecution and private litigation. In 2003, the Commission established a task force for researching the way how to promote private litigation and suggested a proposal to revise the enforcement procedure of Act. The extent of revision was restricted only to dismiss the current limitations that a private suit based on the Act may be brought only after the Commission’s corrective order has been definite and final. However, it regrettably failed to introduce the new legal procedures to encourage private litigation. As a result, it is very hard to expect that the Act could be more effectively enforced, especially through private litigation on unfair trade practices and hard core cartels in the near future.
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IV. Conclusion In order to ensure the effective enforcement of the Act as the fundamental law of market economy, the following revisions are highly recommended. The Commission should be reorganized in a manner that strengthens its autonomy and enhances its expertise. And the Commission should concentrate its resources on controlling the abuse of market dominant position or anticompetitive mergers rather than on prohibiting unfair trade practices or hard core cartels. The unfair trade practices and hard core cartels should be prohibited through private litigation or criminal procedure, and the limitations on these current methods should be dismissed and new legal procedures such as injunctions, treble damage and class actions should be made available in order to promote private litigation.
Reform des europäischen und deutschen Kartellrechts − vom Erlaubnisvorbehalt zur Legalausnahme Von Uwe Blaurock und Katrin Blasek
I. Bisherige Rechtslage und Reformgründe Seit mehr als 40 Jahren sind die im EG-Vertrag enthaltenen Regelungen über den Wettbewerb Ausdruck einer gemeinsamen europäischen Wettbewerbspolitik. Diese gemeinsame Politik hat das Fundament für einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt geschaffen und die Dynamik der europäischen Wirtschaft bewahrt. Besonders prägend für das europäische Wettbewerbsrecht war dabei das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen mit einem zentral ausgerichteten System der Ausnahmegenehmigung, welches in diesen Tagen einen grundlegenden Wandel erlebt1.
1. System des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt Die Vorschriften der Artt. 81 und 82 EG-Vertrag erklären wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Verhaltensweisen sowie die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung für verboten und für mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar. Als wettbewerbsbeschränkend verboten sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Allerdings müssen Vereinbarungen oder Beschlüsse, die das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag erfüllen, nicht zwingend zur Rechtsfolge der Nichtigkeit führen. Vielmehr ist denkbar, dass sich aus der Zusammenarbeit zwi___________ 1
Eingeleitet wurde der Systemwechsel mit In-Kraft-Treten der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in Artt. 81 und 82 des Vertrages (EG-Vertrag) niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003 Nr. L 1, S. 1. Zu den Gründen vgl. das Weißbuch der Europäischen Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung von Artt. 85 und 86 EG-Vertrag, S. 7.
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schen Unternehmen auch positive Auswirkungen ergeben, die es rechtfertigen, eine Ausnahme von diesem Kartellverbot zuzulassen. Zu diesem Zweck wurde mit Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag ein generalklauselartiger Ausnahmetatbestand geschaffen, nach dem die Bestimmungen des Kartellverbotes auf bestimmte Vereinbarungen und Beschlüsse „für nicht anwendbar erklärt werden“ können. Die ausschließliche Zuständigkeit für die Zulassung solcher Ausnahmen lag bei der Europäischen Kommission2. Wollte ein Unternehmen vom Kartellverbot befreit werden, so musste es entsprechende Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen bei der Kommission zur Freistellung anmelden. Lagen die Voraussetzungen der Nichtanwendbarkeit des Kartellverbotes vor, so legalisierte die Kommission diese Verhaltensweisen auf Antrag der entsprechenden Unternehmen, indem sie eine so genannte Freistellungserklärung erließ. Die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission bedeutete, dass weder die nationalen Behörden noch die nationalen Gerichte zur Anwendung der Ausnahmekriterien (Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag) vom Kartellverbot berechtigt waren. Allerdings bestand hinsichtlich der Anwendbarkeit der kartellrechtlichen Verbote des Art. 81 Abs. 1 und des Art. 82 EG-Vertrag eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen den nationalen Kartellbehörden und der Kommission. Solange die Kommission kein Freistellungsverfahren einleitete3, also von ihrer ausschließlichen Befugnis zur Nichtanwendbarkeit des Kartellverbotes4 keinen Gebrauch machte, waren die nationalen Behörden zuständig. Leitete die Kommission ein Verfahren ein, so bedeutete dies aber nicht, dass die Behörden der Mitgliedstaaten vom weiteren Verfahren ausgeschlossen blieben. Das Verfahren der Kommission erfolgte vielmehr in enger und stetiger Abstimmung mit den nationalen Behörden, wobei für letztere eine Reihe von Mitwirkungsmöglichkeiten und -pflichten vorgesehen waren5. Bei seiner Schaffung hielt man dieses zentral gesteuerte Genehmigungssystem zur Herausbildung einer europäischen Wettbewerbskultur für notwendig und einzig angemessen. Denn zum einen kannte man in weiten Teilen der Gemeinschaft in den Anfangsjahren keine Wettbewerbspolitik. Zum anderen galt es, Rechtssicherheit für die im Wettbewerb befindlichen Unternehmen sicherzu___________ 2 Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17. Erste Durchführungsverordnung zu den Artt. 85 und 86 des EG-Vertrages vom 06.02.1962 (VO 17/62), ABl. Nr. 13/204. Die Europäische Kommission wird im Folgenden nur noch als Kommission bezeichnet. 3 Ein solches wurde erst durch Beschluss des für die Wettbewerbspolitik zuständigen Mitglieds der Kommission und nicht bereits durch Bestätigung des Eingangs einer Anmeldung eingeleitet. Vgl. Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 7. Auflage, 1994, Art. 9 VO 17/62 Rn. 5. 4 Vgl. Art. 9 Abs. 3 der VO 17/62. Die konkurrierende Zuständigkeit bezog sich auch auf die Einleitung von Verfahren nach Artt. 2 und 3 VO 17/62 durch die Kommission. 5 Vgl. Art. 10 VO 17/62.
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stellen. Diese waren verunsichert durch die sehr allgemeine Formulierung des Kartellverbotes, dessen Nichteinhaltung mit Nichtigkeit geahndet wurde, dessen Tragweite aber noch nicht durch eine gemeinschaftliche Rechtsprechung oder Behördenpraxis präzisiert worden war6. Hinzu kam, dass sich die Unternehmen und die nationalen Gerichte bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu dieser Zeit kaum an nationalen Rechtsvorschriften orientieren konnten. Diese waren entweder nicht existent oder heterogen. Während beispielsweise weder Italien noch Luxemburg über ein Wettbewerbsrecht verfügten, hatten sich Belgien und die Niederlande für ein System der Missbrauchskontrolle entschieden, bei dem die Ahndung unzulässiger Vereinbarungen erst ab dem Datum der Feststellung des Verstoßes durch die Wettbewerbsbehörde möglich war. Nur das deutsche und das französische Recht beruhten wie das Gemeinschaftsrecht auf dem Verbotsprinzip. Das zentralisiert geführte Freistellungssystem war daher für die einheitliche Auslegung dieser Kriterien innerhalb der Gemeinschaft unerlässlich und wesentliche Voraussetzung für die Schaffung eines ordnungsgemäß funktionierenden europäischen Binnenmarktes.
2. Nachteile des Systems − Reformgründe Zur Herausbildung einer einheitlichen europäischen Wettbewerbskultur hat sich dieses System in den letzten 40 Jahren als sehr wirkungsvoll erwiesen. Neben dem hauptsächlichen Vorteil und Zweck einer kohärenten Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts hat das System aber auch eine Reihe von Unwägbarkeiten und Schwächen offenbart. a) Anwendungsmonopol der Kommission nur theoretisch So hat sich beispielsweise gezeigt, dass der theoretisch angeordneten ausschließlichen Befugnis der Kommission zur Anwendung des Ausnahmetatbestandes vom Kartellverbot in der praktischen Wettbewerbskontrolle Grenzen gesetzt waren. Zwar konnte eine nationale Behörde nach ihrer konkurrierenden Zuständigkeit das europäische Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag anwenden, solange nicht die Kommission ein Verfahren einleitete und so diese Anwendungsbefugnis an sich zog. Wollte eine nationale Behörde aber bereits im Vorfeld dieser Verfahrenseinleitung divergierende Entscheidungen im Verhältnis zur Kommission vermeiden, so kam sie nicht umhin, ihre Kompetenzen zu überschreiten und neben den Voraussetzungen des Kartellverbotes auch die der Ausnahmen zu prüfen. Denn eine sinnvolle Entscheidung über das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag ließ sich ohne Berücksichtigung des Aus___________ 6
Vgl. Weißbuch (Fn. 1), S. 12.
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nahmetatbestandes in Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag nicht treffen7. Ein zusätzliches Problem war, dass viele Unternehmen missliebige nationale Wettbewerbsverfahren ganz oder zumindest zeitweise dadurch blockieren konnten, dass sie ihre wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen zur Freistellung bei der Kommission anmeldeten8. In dem Moment, in welchem die Kommission ein entsprechendes Verfahren einleitete, endete die Zuständigkeit der nationalen Behörden auch in Bezug auf das Kartellverbot. Vor ähnlichen praktischen Problemen standen die Gerichte der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des gemeinschaftlichen Kartellverbotes. Die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission zur Anwendbarkeit der Ausnahmekriterien vom Kartellverbot bestand zwar auch im Verhältnis zu den nationalen Gerichten. Eine konkurrierende Zuständigkeit der Kommission gegenüber den nationalen Gerichten hinsichtlich der Anwendung des Kartellverbotes vergleichbar mit der nationalen Kartellbehörden bestand aber nicht. So blieben die nationalen Gerichte selbst dann noch zur Anwendbarkeit des gemeinschaftlichen Kartellverbotes verpflichtet, wenn die Kommission bereits ein Freistellungsverfahren eingeleitet hatte9. In dieser Situation waren die Gerichte der Mitgliedstaaten zwar nicht gehindert, ein Urteil zu fällen. Vermieden werden musste aber auch hier, dass die Nichtigkeit einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung wegen Verstoßes gegen das gemeinschaftliche Kartellverbot von nationalen Gerichten festgestellt wurde und dieses Ergebnis kurze Zeit später durch eine von der Kommission erlassene Freistellungserklärung ins Gegenteil verkehrt würde10. Zu diesem Zweck konnten nationale Gerichte das Gerichtsverfahren bis zur Entscheidung der Kommission über den Freistellungsantrag aussetzen oder bei allgemeinen Zweifeln über die Auslegung des Kartellverbotes eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes beantragen. Eine Pflicht zur Aussetzung eines nationalen Gerichtsverfahrens sollte allerdings dann bestehen, wenn die Voraussetzungen zur Erteilung einer Freistellung durch die Kommission offensichtlich vorlagen11. Demnach hatte ein nationales Gericht die Voraussetzungen einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsvorschrift zu prüfen, zu deren Anwendung es eigentlich nicht befugt gewesen sein sollte12. Auch hier konnte die Anmeldung einer Vereinbarung zur Freistellung vom Kartellverbot ___________ 7 Grundsatz des unteilbaren Zusammenhangs, vgl. Hermann J. Bunte, Kartellrecht, 2003, S. 350. 8 Weißbuch (Fn. 1), S. 19. 9 EuGH 30.01.1974 Slg. 1974, 51, 62-BRT I/SABAM; EuGH 10.07.1980 Slg. 1980, 2481 − Estée Lauder. 10 Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes waren die nationalen Gerichte verpflichtet, diese Gefahr divergierender Entscheidungen zu vermeiden. Vgl. das sog. Delimitis-Urteil des EuGH 28.02.1991 Slg. I 1991, S. 935, 991. 11 Vgl. das Delimitis-Urteil des EuGH 28.02.1991 Slg. I 1991, S. 935, 991. 12 Vgl. Art. 9 Abs. 1 VO 17/62.
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bei der Kommission durch die entsprechenden Unternehmen zur Blockierung des gerichtlichen Verfahrens missbraucht werden13. b) Überlastung der Kommission Von größerer Bedeutung war jedoch die Tatsache, dass das Freistellungsmonopol der Kommission zu ihrer permanenten Überlastung führte. Das System der zentralen Genehmigung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen rief bei den Unternehmen ein systematisches Anmeldeverhalten hervor. Diese wollten sichergehen und gewissermaßen die „amtliche Bestätigung“ für die wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit ihrer Vereinbarungen einholen. Diese Rechtssicherheit konnte sie aber nur durch den Erlass von Freistellungserklärungen erlangen. Eine andere Möglichkeit für die Unternehmen bestand darin, sich von der Kommission bestätigen zu lassen, dass diese nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen keinen Anlass zum Einschreiten gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen oder Verhaltensweisen sah14. Von dieser Möglichkeit der Erteilung eines so genannten Negativattestes wurde in größerem Maße Gebrauch gemacht als es der Kommission lieb sein konnte. Bereits 1967, nur vier Jahre nach Einführung des zentralen Genehmigungssystems, sah sich die Kommission bereits mit der Bearbeitung von 37 450 Fällen15 konfrontiert. Dabei war das Verfahren zur Erteilung einer Freistellungserklärung durchaus komplex. Es mussten nicht nur Ermittlungen durchgeführt werden. Vielmehr musste, um allen betroffenen Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme im Verfahren zu geben, die Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens in allen offiziellen Sprachen der europäischen Gemeinschaft im Amtsblatt veröffentlicht werden. Schließlich war vor jeder Entscheidung der Beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen zu hören, durch den die Mitgliedstaaten eine Stimme im Entscheidungsverfahren erhielten16. Die beschränkten Verwaltungsmittel und der komplexe Charakter des Entscheidungsverfahrens ließen die Kommissionsmitarbeiter schon bald in der Flut von unerledigten Anträgen regelrecht versinken. Die Kommission hatte im Laufe der Zeit eine Reihe verschiedenster Maßnahmen ergriffen, um die Zahl von Anmeldungen, mit denen Negativatteste oder eine Freistellung beantragt wurden, zu reduzieren. Zu nennen sind hier die Bagatellbekanntmachungen, Gruppenfreistellungsverordnungen sowie die so genannten comfort letters. ___________ 13
Weißbuch (Fn. 1), S. 38. Vgl. Art. 2 VO 17/62. 15 Weißbuch (Fn. 1), S. 14. 16 Vgl. Art. 10 Abs. 3 und 4 VO 17/62. Jeder Mitgliedstaat hatte das Recht, einen Beamten als Vertreter in diesem Gremium zu bestimmen. 14
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Bereits in ihrer ersten förmlichen Entscheidung im Jahre 196417 über den Antrag auf Erlass eines Negativattests führte die Kommission den Begriff der „spürbaren Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ ein, um Fälle von geringer Bedeutung dem Zugriff des Kartellverbotes (Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag18) zu entziehen. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Einengung des Kartellverbotes durch das ungeschriebene Kriterium der Spürbarkeit bestätigt hatte, erließ die Kommission mehrfach so genannte Bagatellbekanntmachungen19, in denen sie Kriterien für die kartellrechtliche Unerheblichkeit von Kartellvereinbarungen festlegte. Des Mittels der Bekanntmachung20 bedient sich die Kommission seit 1962 auch um die Bedingungen zu präzisieren, unter denen bestimmte Vereinbarungen normalerweise keine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken und folglich nicht in den Anwendungsbereich des Kartellverbotes fallen. Derartige Bekanntmachungen enthalten zwar keine Rechtsvorschriften, die nationale oder europäische Gerichte bei der Beurteilung des jeweiligen Sachverhalts binden. Dennoch stellen sie einen Umstand dar, den der nationale Richter bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann und in Deutschland auch berücksichtigt21. Darüber hinaus musste sich auch die Kommission nach dem allgemeinen Vertrauensgrundsatz an ihren Erklärungen festhalten lassen. Von den in den Bekanntmachungen geäußerten Rechtsauffassungen durfte sie daher nur aus zwingenden Gründen abweichen. Die Bekanntmachungen waren daher geeignet, Unternehmen und ihren Rechtsberatern wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich der Vereinbarkeit ihrer Vereinbarungen oder Verhaltensweisen mit dem Gemeinschaftsrecht zu geben und damit auch die Frage zu beantworten, ob mit der Einleitung eines Kartellverfahrens durch die Kommission zu rechnen war. Der Erlass dieser Bekanntmachungen führte zu einer gewissen Abnahme von Anmeldungen wettbewerbsunschädlicher Vereinbarungen zur Freistellung und auch zu weniger Anträgen auf Erteilung eines Negativattests22.
___________ 17
Entscheidung 64/344/EWG der Kommission vom 01.06.1964 über einen Antrag auf Erteilung eines Negativattests nach Art. 2 der VO 17/62 (Grosfillex-Fillistorf), ABl. L 64 vom 10.06.1964, S. 1426. 18 Damals noch Art. 85 Abs. 1 EG-Vertrag. 19 Vgl. z.B. die Bekanntmachung der Kommission vom 1970, ABl. C 64 vom 02.06.1970, S. 1, Bekanntmachung vom 19.12.1977, ABl. C 313 vom 29.12.1977, die Bekanntmachung vom 22.12.2001, ABl. C 368 vom 22.12.2001, S. 13 oder die Bekanntmachung über die Beurteilung von kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, ABl. C 43 vom 16.02.1993, S. 2. 20 Zu nennen ist hier beispielsweise die Bekanntmachung über Alleinvertriebsverträge mit Handelsvertreter, ABl. Nr. 139 vom 24.12.1962, S. 3921 oder die Bekanntmachung über die Beurteilung von Zulieferverträgen, ABl. C 1 vom 03.01.1979, S. 2. 21 Siehe bspw. BGH: Bremsrollen, GRUR 1974, 40, 42 und Eiskonfekt II, GRUR 1976, 204, 205. 22 Weißbuch (Fn. 1), S. 15.
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Um die Zahl der Freistellungsanträge zu begrenzen, erließ die Kommission außerdem eine Reihe so genannter Gruppenfreistellungsverordnungen. Sie trug damit dem Umstand Rechnung, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag nicht nur in Einzelfällen die Freistellung vom Kartellverbot vorsieht. Vielmehr können ganze Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen oder Verhaltensweisen freigestellt werden. Gruppenfreistellungsverordnungen sind als Rechtsverordnungen im Sinne des europäischen Rechts unmittelbar anwendbares Recht und für Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten bindend. Diese Verordnungen zählen Wettbewerbsbeschränkungen auf, die als freigestellt angesehen werden können (so genannte weiße Liste), und solche, bei deren Verwendung die Gruppenfreistellungsverordnung nicht mehr anwendbar ist (so genannte schwarze Liste). Entsprachen Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen den in der weißen Liste genannten, so waren sie kraft Gesetzes und damit automatisch vom Kartellverbot freigestellt. Einer förmlichen Entscheidung im Einzelfall durch die Kommission und eines vorausgehenden Prüfungsverfahrens bedurfte es also nicht mehr. Konnte eine Wettbewerbsbeschränkung dagegen weder unter die weiße noch unter die schwarze Liste subsumiert werden (so genannte graue Klauseln), so konnte die Freistellbarkeit solcher Vereinbarungen im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens (Widerspruchsverfahren) geklärt werden. Widersprach die Kommission nach Anmeldung solcher Vereinbarungen nicht innerhalb normierter Fristen, so galt die Gruppenfreistellung auch für diese grauen Klauseln. Mit Hilfe der Gruppenfreistellungsverordnungen konnte die Zahl der Freistellungsanträge zwar erheblich reduziert werden. Allerdings stand es im Belieben der Unternehmen, ob sie sich auf diese stützten und damit das Subsumptionsrisiko selbst tragen wollten. Denn waren die Unternehmen irrtümlicherweise von der kartellrechtlichen Zulässigkeit ihres Verhaltens aufgrund einer Gruppenfreistellungsverordnung ausgegangen, so befreite sie dies nicht von etwaigen Sanktionen durch die Kommission. Insbesondere der Auferlegung von Bußgeldern konnte ein Unternehmen nur durch Beantragung einer Freistellung vom Kartellverbot vorbeugen23. Außerdem ließ sich eine gewisse zusätzliche Arbeitsbelastung der Kommission auch durch den Erlass der Gruppenfreistellungsverordnungen nicht vermeiden. Zum einen beinhalteten alle Verordnungen die Möglichkeit des Entzugs der Freistellung, wenn im Einzelfall ausnahmsweise doch die Voraussetzungen der Freistellung nicht vorlagen. Und diese Prüfungslast oblag der Kommission. Zum anderen erforderte eine zuverlässige Wettbewerbskontrolle im Rahmen des oben genannten Widerspruchsverfahrens relativ kurzfristige Entscheidungen der Kommission. Um die Bearbeitung der unerledigten Anträge zu beschleunigen, bediente man sich seit Anfang der 70er Jahre auch der Praxis von Verwaltungsschreiben. Mit diesen so genannten comfort letters, die eine Mischung aus Negativattest ___________ 23
Vgl. Art. 15 Abs. 5 VO 17/62.
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und Freistellungserklärung sind, teilte die Kommission den anmeldenden Unternehmen mit, dass die Vereinbarungen aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen entweder die Voraussetzungen für eine Anwendung des Kartellverbotes nicht erfüllten oder aber die für eine Freistellung notwendigen Voraussetzungen vorlagen. Das Verfahren zum Erlass eines comfort letters war im Vergleich zum förmlichen Verfahren auf Freistellung weniger komplex und zeitaufwendig. Denn im Allgemeinen wurde die Einleitung des Verfahrens nicht im Amtsblatt veröffentlicht, was die zeit- und kostenintensive Übersetzung in alle Amtssprachen ersparte. Außerdem verzichtete man regelmäßig auf die Anhörung des Beratenden Ausschusses, die essentieller Bestandteil des Freistellungsverfahrens war. Die Verwendung derartiger Verwaltungsschreiben hat sich dementsprechend sehr schnell entwickelt, ihre Zahl belief sich bis zum Jahre 1999 auf jährlich 150 bis 200. Im Jahre 2002 hat die Kommission weit über 90% der Fälle mit Erlass eines comfort letters abgeschlossen, obwohl diese Form der Erledigung rechtlich nie vorgesehen war. Diese Praxis hat sich als sehr nützlich erwiesen und ist im Allgemeinen positiv bewertet worden. Sie hat allerdings zwei wesentliche Nachteile: Die comfort letters wurden nur sehr selten im Amtsblatt veröffentlicht. Mit der Veröffentlichung sollten jedoch betroffene Dritte zur Stellungnahme und damit zur Geltendmachung ihrer Rechte aufgefordert werden. Dieser Mangel an Öffentlichkeit und Transparenz begegnet Bedenken. Was ihre Rechtsnatur betrifft, so entfalten die Verwaltungsschreiben nicht die konstitutive Wirkung der Freistellungsentscheidung und bieten damit den entsprechenden Unternehmen noch weniger Rechtssicherheit als die so genannten Negativatteste. Für nationale Gerichte, vor denen ein Verstoß gegen das Kartellverbot geltend gemacht wird, sind sie nicht bindend24. Sie stellen lediglich einen faktischen Umstand dar, dem die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten Rechnung tragen können, aber nicht müssen. Ein weiterer Grund für die Überlastung der Kommission bestand nach ihrer Auffassung in der zurückhaltenden Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts durch die nationalen Behörden und Gerichte. Zwar waren die Befugnisse zur Anwendung des gemeinschaftlichen Rechts zwischen der Kommission und den nationalen Institutionen durch die Kartellverordnung25 seit 1962 grundsätzlich geregelt und in der Folge für das Verhältnis zu den nationalen Gerichten insbesondere durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weiter präzisiert worden26. Dennoch bedauerte die Kommission regelmäßig, dass die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln auf nationaler Ebe___________ 24
Hermann J. Bunte (Fn. 7), S. 384. VO 17/62. Vgl. dazu oben Fn. 2. 26 Vgl. vor allem das BRT I-Urteil des EuGH Slg. 1974, S. 51 und das DelimitisUrteil des EuGH Slg. I 1991, S. 935. 25
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ne nur langsam voranschritt27. Vor diesem Hintergrund erließ die Kommission zunächst im Jahre 1993 eine Bekanntmachung über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten28 bei der Anwendung des Kartellverbotes aus Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag und des Missbrauchstatbestandes von Art. 82 EG-Vertrag29. Vier Jahre später folgte eine entsprechende Bekanntmachung betreffend die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten30. Beide Bekanntmachungen steckten den allgemeinen Rechtsrahmen der Zusammenarbeit ab und präzisierten deren praktische Einzelheiten. Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten wurden vor allem die Bedingungen konkretisiert, unter denen der nationale Richter von der Kommission Auskünfte zu Verfahrens-, Rechts- oder Sachfragen erhalten konnte. Die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit mit den nationalen Wettbewerbsbehörden traf vor allem detaillierte Leitlinien für die Aufteilung der Fälle zwischen den staatlichen Behörden und der Kommission. Zudem wurden die Unternehmen aufgefordert, sich bei Beschwerdefällen zur Klärung der Rechtslage und damit zur Durchsetzung ihrer Rechte in verstärktem Maße an die nationalen Behörden und nicht an die Kommission zu wenden. Auch diese Versuche der Kommission, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts stärker auf nationale Organe zu verlagern und sich selbst damit zu entlasten, zeitigten nicht den erwarteten Erfolg. Dies lag zum einen daran, dass sich Beschwerdeführer nur zögerlich an nationale Behörden wandten, wenn sie sich durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts geschädigt fühlten. Zum anderen stand den Dezentralisierungsbemühungen der Kommission wieder einmal die geltende Rechtslage entgegen. Denn trotz der genannten Bekanntmachungen blieb den an einem innerstaatlichen Verfahren beteiligten Unternehmen natürlich die Möglichkeit, sich zur Freistellung einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung an die Kommission zu wenden. Wie bereits erwähnt konnten die Unternehmen dadurch das behördliche Verfahren verzögern, gänzlich blockieren oder sogar vollständig vereiteln31. Um der bewussten Blockade nationaler behördlicher Verfahren durch Anmeldung bei der Kommission Einhalt zu gebieten, hatte sich die Kommission in der entsprechenden Bekanntmachung zwar für befugt erklärt, diese Anmeldung als nicht vorrangig zu behandeln32. Trotzdem führten auch diese Maßnahmen nicht zum ___________ 27 Weißbuch (Fn. 1), S. 19; siehe insb. die Wettbewerbsberichte der Kommission: 15. Bericht (1985, Ziff. 38), 16. Bericht (1986, Ziff. 40), 17. Bericht (1987, s. Ziff. 55) und 21. Bericht (1991, Ziff. 69). 28 ABl. C 39 vom 13.02.1993, S. 6. 29 Früher Artt. 85 Abs. 1 und 86 EG-Vertrag. 30 ABl. C 313 vom 15.10.1997, S. 3. 31 Denn nationale Gerichte konnten ihre Verfahren solange aussetzen, wie die Kommission sich nicht geäußert hatte. Zudem beendete die Eröffnung eines Kommissionsverfahrens automatisch die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden. 32 Vgl. Nr. 57 der Bekanntmachung (s. Fn. 30).
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erwarteten Erfolg33. Haupthinderungsgrund war wiederum das Freistellungsmonopol der Kommission. Mit den vorgenannten Maßnahmen war es der Kommission zwar gelungen, die Flut der Anmeldungen zur Freistellung vom Kartellverbot oder zur Erteilung eines Negativattestes einzudämmen. Trotzdem war die Kommission durch die Bearbeitung der entsprechenden Anträge so belastet, dass sie die Erledigung einer anderen wichtigen und für die Realisierung des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes fundamentalen Aufgabe in großem Maße vernachlässigen musste: Nur noch selten konnte sie sich der Ermittlung und Verfolgung schwerwiegender Wettbewerbsverstöße widmen. In den Jahren 1988 bis 1998 betrug der Anteil der von Amts wegen eingeleiteten Verfahren nur 13% der Neufälle. Hingegen lag der Anteil der Beschwerden bei 29% und der der Anmeldungen bei 58%. Davon wiederum wurden lediglich 6% der Fälle durch Freistellungserklärung oder Negativattest und 90% durch die so genannten Verwaltungsschreiben abgeschlossen34. Diese Zahlen zeigen, dass die Kommission auf die Flut der Anmeldungen und Beschwerden nur noch reagieren statt agieren konnte. Die von der Kommission ergriffenen vielfältigen Maßnahmen waren an ihre rechtlichen und praktischen Grenzen gestoßen und hatten im Ergebnis nicht zu der Entlastung geführt, die der Kommission eine Konzentration auf die wirklich schwerwiegenden und bedeutsamen Wettbewerbsverstöße ermöglicht hätte. Der bevorstehende Beitritt einer Reihe von Staaten zur Europäischen Union hätte die Arbeitsbelastung der Kommission noch erheblich vergrößert. Hinzu kommt, dass das Maß an Rechtssicherheit, das man durch das Freistellungsmonopol der Kommission für die auf dem europäischen Markt agierenden Unternehmen erreichen wollte, durch die Praxis der Verwaltungsschreiben nicht einmal ansatzweise erreicht wurde. Denn unter den von der Kommission erlassenen Einzelentscheidungen führten nur die Freistellungsentscheidungen zur zivilrechtlichen Wirksamkeit der angemeldeten Vereinbarungen oder Beschlüsse und konnten von den Unternehmen in behördlichen oder gerichtlichen Wettbewerbsverfahren jedermann entgegen gehalten werden35. Der comfort letter hingegen brachte den Unternehmen nur ein geringes Maß an Rechtssicherheit, weil ihm nicht die genannte konstitutive zivilrechtliche Wirkung zukam und er deshalb weder die Behörden noch die Gerichte in ihrer Entscheidungsfindung band. So mussten die zuständigen nationalen Organe selbst für den Fall, dass die Kommission durch Verwaltungsschreiben das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen bestätigt hatte, von der Unwirksamkeit entsprechender Vereinbarungen oder Beschlüsse ausgehen. Wie bereits ausgeführt, ließ sich auch die ___________ 33
Weißbuch (Fn. 1), S. 20. Zur Statistik vgl. Weißbuch (Fn. 1), S. 22; Hermann J. Bunte (Fn. 7), S. 383. 35 EuGH Slg. 1980, 3775, 3793 – L’Oréal. 34
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ausschließliche Anwendbarkeit des Freistellungstatbestandes durch die Kommission zur Sicherstellung einer kohärenten Rechtsanwendung praktisch nicht durchhalten. Denn eine sinnvolle Prüfung des Kartellverbotes von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag durch die hierzu befugten nationalen Behörden und Gerichte ließ sich zur Vermeidung divergierender Entscheidungen nicht ohne Auslegung des Freistellungstatbestandes des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag realisieren. Das zentrale Genehmigungssystem, das zum Aufbau einer europäischen Wettbewerbskultur zeitweilig gut funktioniert hatte, musste überdacht und reformiert werden.
II. Die Grundzüge der Neuordnung des Systemwechsels 1. Das System der Legalausnahme a) Wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit kraft Gesetzes Um die genannten rechtlichen und praktischen Probleme zu überwinden und den künftigen Herausforderungen des Binnenmarktes sowie der Erweiterung der Europäischen Union gerecht zu werden, entschied man sich für einen radikalen Systemwechsel. So ist das bisherige System des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt mit Wirkung vom 01.05.2004 in ein System der Legalausnahme umgewandelt worden36. Nach diesem System sind Vereinbarungen oder Beschlüsse, die in den Anwendungsbereich des Kartellverbotes von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag fallen, unmittelbar mit ihrem Abschluss wirksam, wenn sie die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag erfüllen37. Die zivilrechtliche Wirksamkeit solcher Vereinbarungen oder Beschlüsse muss also nicht mehr durch eine förmliche Freistellung vom Kartellverbot herbeigeführt werden. Das frühere Genehmigungssystem wird zu einem System der nachfolgenden Wettbewerbskontrolle. Erreicht wird dieser Systemwechsel durch den Verzicht auf das bisherige Freistellungsmonopol der Kommission. Nationale Behörden und Gerichte sind nunmehr zur Anwendung des Ausnahmetatbestandes vom Kartellverbot berechtigt und verpflichtet38.
___________ 36
Vgl. Erwägungsgrund 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rats vom 16.12.2000 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. L 1, S. 1. 37 Vgl. Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003. 38 Vgl. Art. 3 Abs. 2 und 6 VO 1/2003.
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b) Vorteile des neuen Systems Die Schaffung dieses dezentralen Systems hält man nach mehr als 40jähriger Entwicklung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts für möglich und angebracht. Während vor 40 Jahren noch berechtigte Zweifel hinsichtlich einer kohärenten Anwendung der Freistellungsvoraussetzungen bestanden, verfügen staatliche Behörden und Gerichte auf der einen sowie Unternehmen und ihre Rechtsberater auf der anderen Seite inzwischen über eine genaue Kenntnis des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts. Zudem ist der Rechtsrahmen nicht zuletzt durch den Erlass der Gruppenfreistellungsverordnungen, die Entscheidungspraxis der Kommission und die umfängliche Rechtsprechung europäischer Gerichte zum Kartellverbot des Art. 81 EG-Vertrag erheblich verstärkt worden. Mit dem Wechsel zum System der Legalausnahme trägt man auch dem Umstand Rechnung, dass nationale Behörden für die effiziente Bearbeitung der Fälle besser geeignet sind, weil sie in der Regel über eine gute Kenntnis der lokalen Märkte und Marktteilnehmer verfügen39. Das neue System hat für die Unternehmen den Vorteil, dass sie von dem bürokratischen und zeit- und kostenintensiven Anmeldeverfahren befreit werden. Für die Kommission entfällt die Pflicht zur Prüfung vielfach unproblematischer Anmeldungen. c) Maßnahmen für Rechtssicherheit und kohärente Rechtsanwendung Auf Seiten der Unternehmen steht dem jedoch der Nachteil des Verlustes an Rechtssicherheit gegenüber, den diese bisher durch Anmeldung und Freistellung erlangen konnten. Diese drückte sich nicht zuletzt in der mit Einreichung einer Anmeldung verbundenen Bußgeldfreiheit aus. Nunmehr müssen Unternehmen und ihre Rechtsberater selbst die Frage nach der wettbewerbsrechtlichen Unbedenklichkeit ihrer Vereinbarungen und Beschlüsse beantworten. Die Dezentralisierung der Entscheidungspraxis birgt zudem die Gefahr, dass die Kohärenz der Rechtsanwendung künftig nicht mehr gewährleistet ist. Das neue System sieht allerdings eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, um ein gewisses Niveau an Rechtssicherheit für die Unternehmen zu halten40 und eine kohärente Rechtsanwendung sicherzustellen. So wird die Kommission als „Hüterin der europäischen Verträge“ auch weiterhin die gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik festlegen, sei es durch Einzelentscheidungen41 oder durch gesetzliche Vorschriften. Für die Ausarbeitung von ___________ 39
Weißbuch (Fn. 1), S. 22. Weißbuch (Fn. 1), S. 24. 41 Gemeint sind hier nicht nur die weiter unten erörterten „klassischen“ Entscheidungen der Kommission nach Art. 10 VO 1/2003, sondern auch informelle Auskünfte der Kommission, die in Fällen ernsthafter Rechtsunsicherheit, also bei ungelösten Fragen in 40
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Rechtstexten, wie Gruppenfreistellungsverordnungen42, Bekanntmachungen und Leitlinien, wird sie allein zuständig bleiben und auf diese zur Erhaltung einer kohärenten und einheitlichen Rechtsanwendung auch zurückgreifen43. Von zentraler Bedeutung werden dabei die Gruppenfreistellungsverordnungen sein, die aufgrund ihrer unmittelbaren Rechtswirkung für nationale Behörden und Gerichte bindend sind. Auch die innerstaatliche Instanzen nicht bindenden Bekanntmachungen und Leitlinien44 dürften nach Ansicht der Kommission einen wertvollen Beitrag zur kohärenten Rechtsentwicklung leisten, wenn ihr Inhalt durch Einzelentscheidungen der Kommission oder durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt wird45. Mit der Aufgabe des Freistellungsmonopols erhielten konsequenterweise neben der Kommission auch die nationalen Behörden die Befugnis, den Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellung zu entziehen, wenn bestimmte Vereinbarungen oder Beschlüsse mit Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag unvereinbar sind46. Durch die genannten Rechtstexte, die jahrzehntelange zentrale Entscheidungspraxis der Kommission und die europäische Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht verfügen Unternehmen und ihre Rechtsberater nach Ansicht der Kommission inzwischen über ausreichend Rechtssicherheit, um selbst die Frage nach der wettbewerbsrechtlichen Unbedenklichkeit ihrer Vereinbarungen‚ Beschlüsse und Verhaltensweisen zu beantworten47. Um die Rechtssicherheit der Unternehmen auf einem angemessenen Niveau zu halten, will die Kommission auch künftig Freistellungsverordnungen mit einem weitgefassten Anwendungsbereich, Leitlinien und Einzelentscheidungen erlassen, um so den Anwendungsbereich des Kartell- und Missbrauchsverbotes zu konkretisieren48. Um die einheitliche Rechtsanwendung in der Gemeinschaft sicherzustellen, wird die Kommission künftig insbesondere dort, wo es um neuartige Vereinbarungen oder Verhal___________ Bezug auf die Anwendung von Art. 81 EG-Vertrag, an die Unternehmen erteilt werden können (vgl. Erwägungsgrund 38 der VO 1/2003). 42 Vgl. Erwägungsgrund 10 der VO 1/2003 mit Hinweis auf die Verordnungen des Rates, welche der Kommission die Befugnis zum Erlass von Gruppenfreistellungsverordnungen verleihen. 43 Weißbuch (Fn. 1), S. 34. 44 Vgl. bspw. die Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit vom 06.01.2001, ABl. C 3/2. Solche Leitlinien binden weder die Gerichte noch die Behörden der Mitgliedstaaten. Sie stellen nur eine Ermessensbindung der Kommission dar. Vgl. Hermann J. Bunte (Fn. 7), S. 398; ähnlich Hirsch, Anwendung der Kartellverfahrensordnung (EG) Nr. 1/2003 durch nationale Gerichte, ZWeR 2003, 233, 247, der darauf hinweist, dass Leitlinien als Verwaltungsrichtlinien Anhaltspunkte für die Klärung der Frage bieten, ob es notwendig ist, ein Vorabentscheidungsersuchen zum EuGH einzuleiten. 45 Weißbuch (Fn. 1), S. 35. 46 Vgl. Art. 29 VO 1/2003. 47 Weißbuch (Fn. 1), S. 24, 34. 48 Weißbuch (Fn. 1), S. 33.
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tensweisen geht, deren Beurteilung durch die bisherige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis noch nicht geklärt ist, im „öffentlichen Interesse der Gemeinschaft“ die Nichtanwendbarkeit des Kartellverbotes von Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag deklaratorisch feststellen49. In Fällen, in denen ernsthafte Rechtsunsicherheit bestehen kann, können die betroffenen Unternehmen zudem mit der Bitte um informelle Beratung an die Kommission herantreten50. d) Dezentralisierung und Zusammenarbeit von nationalen und europäischen Organen der Wirtschaftskontrolle Was das Verfahren der Wettbewerbskontrolle angeht, so wird es auch künftig bei der konkurrierenden Zuständigkeit zwischen den nationalen Behörden und der Kommission bleiben. Bei Einleitung eines Verfahrens durch die Kommission endet die Zuständigkeit der nationalen Behörde51. Nachdem die nationalen Behörden die Befugnis zur vollständigen Anwendung der gemeinschaftlichen kartellrechtlichen Vorschriften erhalten haben und die Kommission sich auf die Verfolgung schwerwiegender Wettbewerbsverstöße konzentrieren will, wird die Ausübung der Wettbewerbskontrolle in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wohl durch die nationalen Behörden erfolgen. Zur Vermeidung von Doppelverfahren, Ineffizienz und inkohärenter Rechtsanwendung müssen die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und die Kommission zum Zwecke der gegenseitigen Konsultation und Information ein Netzwerk der Zusammenarbeit bilden52. So treffen die Mitgliedstaaten und die Kommission künftig umfangreiche Unterrichtungspflichten; die nationalen Behörden erhalten Konsultations- und Informationsrechte53. Will eine nationale Behörde beispielsweise den Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellung entziehen oder die Abstellung einer Zuwiderhandlung anordnen, so muss sie dies der Kommission spätestens 30 Tage vor Erlass mitteilen und ihr eine zusammenfassende Darstellung des Falles nebst der in Aussicht genommenen Entscheidung zukommen lassen. Will die Kommission ein Verfahren einleiten, in dem bereits eine nationale Behörde tätig ist, so muss sie zunächst die handelnde Behörde konsultieren. Die zwischen der Kommission und den nationalen Behörden ausgetauschten Informationen können in jedem Verfahren als Beweismittel verwendet werden54. ___________ 49
Erwägungsgrund 14 und Art. 10 Abs. 1 VO 1/2003. Erwägungsgrund 38 VO 1/2003. 51 Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003. 52 Erwägungsgrund 15 der VO 1/2003. 53 Artt. 11 und 12 der VO 1/2003. 54 Art. 12 Abs. 1 VO 1/2003. 50
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Der Gefahr von Parallelermittlungen bzw. -verfahren durch die Behörden verschiedener Mitgliedstaaten, die das neue System der dezentralen Wettbewerbskontrolle unzweifelhaft in sich birgt, will man durch die Schaffung von Einstellungs- und Aussetzungsbefugnissen begegnen. Sind mehrere Wettbewerbsbehörden mit der Überprüfung der gleichen wettbewerbsrelevanten Vereinbarung oder Verhaltensweise befasst, so genügt der Umstand, dass eine nationale Behörde den Fall bereits bearbeitet, anderen Behörden als „hinreichender Grund“, ihr Verfahren auszusetzen oder eine Beschwerde zurückzuweisen. Auch die Kommission kann eine Beschwerde mit der Begründung zurückweisen, dass sich bereits eine nationale Wettbewerbsbehörde mit dieser befasst55. Stellen die Kommission oder eine nationale Behörde fest, dass ein Fall, den sie gerade bearbeiten, bereits von einer anderen Wettbewerbsbehörde behandelt worden ist, so „kann“ die Beschwerde abgewiesen werden56. Machen die nationalen Behörden von diesen Aussetzungs- und Einstellungsbefugnissen keinen Gebrauch, so sollen Rechtssicherheit und kohärente Rechtsanwendung zwischen nationaler und europäischer Ebene dadurch gewährleistet werden, dass Entscheidungen auf nationaler Ebene nicht einer bereits von der Kommission erlassenen Entscheidung zuwiderlaufen dürfen57. Um mit dem System der nachherigen Wettbewerbskontrolle verdeckte und schwerwiegende Wettbewerbsverstöße zu bekämpfen, wurden die Ermittlungsbefugnisse der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden verstärkt und die Zusammenarbeit in diesem Bereich geregelt. So müssen betroffene Unternehmen künftig beispielsweise die Nachprüfungen der Kommission nicht mehr nur dulden, sondern aktiv an den Ermittlungen durch vollständige und richtige Beantwortung aller für den Zweck der Nachprüfung notwendigen Fra58 gen mitwirken . Neuerdings können auch ordnungsgemäß beauftragte Rechtsanwälte dem Auskunftsverlangen im Namen ihrer Mandanten nachkommen59. Bisher war die Kommission im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeit nur zum Betreten der Räumlichkeiten des betroffenen Unternehmens berechtigt. Nach der neuen Kartellverordnung kann die Kommission mit entsprechendem nationalem Gerichtsbeschluss Nachprüfungen von Büchern oder Geschäftsunterlagen auch in der ___________ 55
Art. 13 Abs. 1 VO 1/2003. Art. 13 Abs. 2 VO 1/2003. 57 Art. 16 Abs. 2 VO 1/2003. 58 Die Verweigerung dieser Mitwirkung ist bußgeldbewehrt. Vgl. Artt. 18 Abs. 1 und 24 Abs. 1d) VO 1/2003. Seit langem bekannt ist hier das Problem der Verpflichtung von Unternehmen zu selbstbelastenden Auskünften (sog. Nemo-tenetur-Grundsatz). Vgl. Art. 11 VO 17/72 und EuGH Slg. 1989, 3283, 3351 − Orkem − und EuGH Slg. 2001 II729, 755 − Mannesmann −, wonach zwar kein Geständnis abgelegt, wohl aber über alle tatsächlichen Fragen Auskunft gegeben werden muss. 59 Art. 18 Abs. 4 VO 1/2003. 56
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Wohnung, auf Grundstücken oder in Transportmitteln von Mitgliedern der Aufsichts- oder Leitungsorgane oder sonstigen Mitarbeitern des Unternehmens vornehmen60. Die bisherige Befugnis der Kommission zur Untersuchung bestimmter Wirtschaftszweige, wenn dort Anzeichen von Wettbewerbsbeschränkungen vorliegen61 (so genannte Enquêtebefugnis), ist ebenfalls erweitert worden und bezieht sich nunmehr auch auf bestimmte sektorübergreifende Arten von Vereinbarungen62. Diese Regelung tritt an die Stelle der ursprünglich von der Kommission vorgeschlagenen Möglichkeit zur Einführung einer Meldepflicht für bestimmte wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Verhaltensweisen63. Schließlich wird in Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung64 nunmehr die Befugnis der Kommission zum Erlass einstweiliger Maßnahmen normiert. Solche einstweiligen Maßnahmen können angeordnet werden, wenn prima facie ein Wettbewerbsverstoß festzustellen ist und die Gefahr eines ernsten, nicht wieder gutzumachenden Schadens für den Wettbewerb besteht65. Im System der Legalausnahme werden die Unternehmen künftig nicht mehr die Möglichkeit haben, sich das Nichteinschreiten der Kommission gegen Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen durch ein Negativattest formell bestätigen zu lassen. Eine gewisse Selbstbindung der Kommission können die Unternehmen künftig aber durch das neu eingeführte Instrument der Verpflichtungszusage erreichen. Danach können Unternehmen den beabsichtigten Erlass einer Entscheidung zur Abstellung einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung dadurch abwenden, dass sie der Kommission das Eingehen bestimmter Verpflichtungen anbieten. Sind diese Verpflichtungen geeignet, die bei der Kommission nach vorläufiger Beurteilung bestehenden Bedenken auszuräumen, so kann die Kommission diese Verpflichtungszusage für bindend erklären. Gleichzeitig erklärt die Kommission, dass sie für ein Tätigwerden nun keinen Anlass mehr sieht. Allerdings kann die Kommission das Verfahren bei Nichteinhaltung der Verpflichtungszusage und ähnlich wie beim früheren Negativattest bei Änderung der Sachlage wieder aufnehmen66. Hinzu kommt, dass diese ___________ 60
Art. 21 Abs. 1 und 3 VO 1/2003. Art. 12 VO 17/62. 62 Art. 17 Abs. 1 VO 1/2003. 63 Die Einführung einer solchen Regelung erwies sich als nicht durchsetzbar. Vgl. Hossenfelder/Lutz, Die neue Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EGVertrag, WuW 2003, 118, 126. 64 Beschluss des Gerichtshofes Slg. 1980, S. 119 − Camera Care Ltd. gegen Kommission. 65 Art. 8 VO 1/2003. 66 Art. 11 VO 1/2003. 61
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Verpflichtungserklärungen nationale Gerichte und Behörden bei der Anwendung des gemeinschaftlichen Kartellrechts nicht binden67. Zur effektiven Durchsetzung der bisherigen und neuen Ermittlungsbefugnisse der Kommission hat man zudem die seit den 60er Jahren unverändert bestehende Höhe der Bußgelder, der aus heutiger Sicht keine abschreckende Wirkung mehr zukam, angepasst68. Gestärkt wurden allerdings nicht nur die Rechte der Wettbewerbsbehörden, sondern auch die der Unternehmen. Diesen steht nach neuer Rechtslage neben einem Recht auf Anhörung durch die Kommission auch ein Recht auf Einsicht in die Kommissionsakten zu69. Um eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Behörden zu gewährleisten, haben die Regierungen der Mitgliedstaaten und ihre Wettbewerbsbehörden der Kommission alle Auskünfte zu erteilen, die diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt70. Darüber hinaus kann sich die Kommission bei der Durchführung ihrer Ermittlungen der Hilfe der nationalen Behörden bedienen, welche die Ermittlungen dann nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchführen. Dazu können Bedienstete der Kommission oder andere ermächtigte Personen auf Verlangen der Kommission oder der ermittelnden nationalen Behörde letztere in ihren Ermittlungen unterstützen. Eine weitere Form länderübergreifender Zusammenarbeit besteht darin, dass eine nationale Behörde in ihrem Hoheitsgebiet nach Maßgabe ihres Rechtes, aber im Namen und für Rechnung der Behörde eines anderen Mitgliedstaates, alle notwendigen Nachprüfungen und Maßnahmen vornehmen darf, um festzustellen, ob ein Verstoß gegen das europäische Kartellrecht vorliegt71. In einem System paralleler Zuständigkeiten wird konsequenterweise auch die Verjährung der Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse der Kommission und deren Vollstreckung nicht nur durch Handlungen der Kommission, sondern auch durch solche der Mitgliedstaaten unterbrochen72. Die Verjährung ruht, wenn ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist73. Im Interesse der Rechtssicherheit und der einheitlichen Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln gilt für innerstaatliche Gerichtsverfahren nach wie vor, dass Gerichte keine Entscheidungen treffen dürfen, die den von der Kommission erlassenen oder beabsichtigen Entscheidungen widerspre___________ 67
Erwägungsgrund 22 Satz 3 VO 1/2003. Weißbuch (Fn. 1), S. 47 und Artt. 23 und 24 VO 1/2003. 69 Art. 27 Abs. 2 VO 1/2003. 70 Art. 18 Abs. 5 VO 1/2003. 71 Art. 22 VO 1/2003. 72 Erwägungsgrund 31 und Artt. 25 Abs. 3 und 26 Abs. 3b) VO 1/2003. 73 Artt. 25 Abs. 6 und 26 Abs. 5b) VO 1/2003. 68
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chen74. Dabei stellt das neue Recht noch einmal klar, dass zu diesem Zweck eine Aussetzung des nationalen Verfahrens oder die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes zum Zwecke einer Vorabentscheidung in Frage kommen „kann“75. Die Mitgliedstaaten haben der Kommission eine Kopie jedes nationalen Urteils zuzustellen. Im Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung soll die kohärente Rechtsanwendung von Kommission und nationalen Gerichten vor allem durch gegenseitigen Informationsaustausch und die Möglichkeit der grundsätzlich schriftlichen Stellungnahme der entsprechenden nationalen Behörde und der Kommission im gerichtlichen Verfahren sichergestellt werden76. Durch diese Maßnahmen der Zusammenarbeit soll es der Kommission möglich sein, etwaige Schwierigkeiten in der Rechtsauslegung oder Rechtslücken festzustellen und durch ihre Intervention als so genannte amicus curiae in nationalen Gerichtsverfahren wirksam zu einer kohärenten Anwendung der Wettbewerbsregeln beizutragen77.
2. Anpassung des deutschen Rechts Der deutsche Gesetzgeber wird den Systemwechsel im europäischen Kartellrecht zum Anlass für eine generelle und umfassende Revision des deutschen Kartellgesetzes nehmen. Die geänderte Fassung dieses Gesetzes, die das deutsche Kartellrecht nicht nur an das neue System der Legalausnahme und die damit verbundenen verfahrenstechnischen Änderungen anpasst, sondern auch weit reichende materiell-rechtliche Änderungen vornimmt, wird voraussichtlich zum 01.01.2005 in Kraft treten78. Das neue System der Legalausnahme wird in Deutschland nicht zur Schaffung neuer Behördenstrukturen führen. Zuständig für die Anwendung des europäischen Kartellrechts können neben dem Bundeskartellamt (BKartA) nun aber auch die Landeskartellämter sein79. Im Sinne einer effektiven länderübergreifenden Zusammenarbeit wird für den Geschäftsverkehr im europäischen Behördennetzwerk und die Mitwirkung an den Verfahren der Kommission das ___________ 74 Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003 sowie EuGH NJW 2001, 1265 − Masterfoods und die Delimitis-Entscheidung des EuGH (Fn. 10). 75 Erwägungsgrund 22 und Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003. 76 Art. 15 VO 1/2003. 77 Weißbuch (Fn. 1), S. 41. 78 Die folgenden Ausführungen basieren auf dem am 26.05.2004 vom Bundeskabinett beschlossenen Regierungsentwurf (GWB-E) und seiner Begründung (Begr. RegE). 79 Art. 35 VO 1/2003, § 50 Abs. 1 GWB und § 50 Abs. 1 GWB-E.
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BKartA ausschließlich zuständig bleiben80. Die deutschen Kartellbehörden werden in Anlehnung an die neuen Befugnisse der Kommission ebenfalls neue Sanktions-, Entscheidungs- und Ermittlungsbefugnisse erhalten. So wird künftig auch dem BKartA die oben genannte erweiterte Enquêtebefugnis der Kommission zustehen81. Außerdem werden die deutschen Kartellbehörden82 künftig auch bei zwischenstaatlichen Sachverhalten unmittelbar Bußgelder verhängen können83. Das Auskunftsrecht der deutschen Kartellbehörden wird gegenüber demjenigen der Kommission teilweise erweitert. So können die deutschen Behörden auch die Herausgabe allgemeiner Marktstudien und Informationen über verbundene Unternehmen verlangen84. Um im neuen System der Legalausnahme dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen Rechnung zu tragen, haben auch deutsche Kartellbehörden von Amts wegen die Möglichkeit, den Unternehmen ihr Nichteinschreiten zuzusichern, wenn sie keinen Verstoß gegen Art. 81f EG-Vertrag sehen85. An die Zusicherung sind sie bei Änderung der Sach- und Rechtslage allerdings nicht gebunden. Dritten gegenüber entfaltet diese Zusicherung keinerlei Wirkung86. Außerdem haben die Unternehmen auch künftig die Möglichkeit, durch informelle Auskünfte, auf die aber kein Rechtsanspruch besteht, Rechtssicherheit zu erlangen87. Neben den verfahrensrechtlichen Anpassungen bedarf das deutsche Kartellrecht nach Ansicht des Gesetzgebers auch umfangreicher materiell-rechtlicher Anpassungen88. Zwar haben die Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit, Vereinbarungen, Beschlüsse und andere Verhaltensweisen ohne zwischenstaatliche Bedeutung nach eigenen, sich vom europäischen Recht unterscheidenden Rechtsregeln zu beurteilen89. Allerdings wird das neue Kartellgesetz auch für die Beurteilung rein innerstaatlich wirkender Verhaltensweisen weitestgehend das europäische Kartellrecht übernehmen90. Zum einen will man hierdurch die ___________ 80
§ 50 Abs. 2 und 3 GWB-E. Art. 32e GWB-E. 82 Die Landeskartellbehörden sind aber regelmäßig nur zuständig, soweit das BKartA seine weit reichenden Kompetenzen abgibt, vgl. § 49 GWB-E. 83 § 81 GWB-E. 84 § 59 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB-E. 85 § 32c GWB-E sowie die Begr. RegE, S. 23. 86 Begr. RegE, S. 23. 87 Begr. RegE, S. 23 und Böge, Das Netzwerk der EU-Wettbewerbsbehörden nimmt Gestalt an, EWS 2003, 441, 442. 88 Art. 3 VO 1/2003, § 22 GWB-E sowie Begr. RegE, S. 3. 89 Der erweiterte Anwendungsvorrang des Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003 gegenüber dem strengeren nationalen Recht gilt ebenfalls nicht für einseitiges wettbewerbsbeschränkendes Verhalten. 90 Begr. RegE, S. 4. 81
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bisherigen Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage, ob auf einen Sachverhalt noch das innerstaatliche Recht oder schon das europäische Kartellrecht anzuwenden ist, überwinden. Diese würden aufgrund der unscharfen Zwischenstaatlichkeitsklausel des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag und der nicht wesentlich schärferen Definition dieser Klausel durch den Europäischen Gerichtshof91 weiterhin zu großer Unsicherheit bei der Frage nach dem anwendbaren Recht führen. Die weitestgehende Übernahme des europäischen Kartellrechts soll insbesondere in Zweifelsfällen die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidungen sicherstellen, weil nationales und europäisches Recht in der Regel zum gleichen Ergebnis führen werden92. Zum anderen wird die Zweiteilung des deutschen Kartellrechts in europäische und nationale Regeln als nicht mehr sachgerecht empfunden. Um eine unterschiedliche Behandlung kleinerer und mittlerer Unternehmen gegenüber Großunternehmen zu vermeiden, sind lokale und regionale Sachverhalte nicht anders zu behandeln als solche mit grenzüberschreitenden Auswirkungen93. Nur in Ausnahmefällen werden im deutschen Wettbewerbsrecht noch Sonderregelungen für Sachverhalte mit rein lokalen oder regionalen Auswirkungen erhalten bleiben94. Durch die Schaffung eines allgemeinen Verbotstatbestandes nach dem Vorbild des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag wird die bisher für das deutsche Kartellrecht charakteristische Differenzierung zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen aufgegeben95. Auch die bislang bestehenden Tatbestände, die die Freistellung von Vereinbarungen für spezielle Kartelle96 ermöglichten, werden größtenteils zugunsten einer mit Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag im Kern identischen Generalklausel abgeschafft97. Damit werden zugleich die Freistellung von nationalen Kartellen durch Ministererlaubnis sowie das noch bei der letzten Änderung des deutschen Kartellgesetzes 1998 gestärkte Prinzip der Trennung zwischen ausschließlich wettbewerblich98 und allgemein-politisch99 motivierten Freistellungstatbeständen aufgegeben. Nur für so genannte Mittelstandskartelle wird man künftig eine spezielle Regelung für das Vorliegen ei___________ EuGH Slg. 1980, 3775, 3791 − L’Oréal. Begr. RegE, S. 3. 93 Begr. RegE, S. 4. 94 Begr. RegE, S. 4. 95 § 1 GWB-E. Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag erfasst seit jeher sowohl vertikale wie auch horizontale Wettbewerbsbeschränkungen. 96 Kartelle nach §§ 2 und 4−7 GWB-E, also z.B. Normen- oder Typenkartelle, Spezialisierungs-, Rationalisierungs- und Strukturkrisenkartelle. 97 § 2 Abs. 1 GWB-E. 98 §§ 2−7 GWB. Z.B. Typen-, Spezialisierungs- oder Mittelstandskartelle. 99 § 8 GWB. So konnte der Bundeswirtschaftsminister bislang Kartelle nach §§ 2−7 GWB auch vom Kartellverbot befreien, wenn dies aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls oder der Gesamtwirtschaft notwendig war. 91 92
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ner Legalausnahme finden100. Angesichts des Vorrangs des nun als Legalausnahme anzuwendenden Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag gegenüber dem – strengeren – nationalen Wettbewerbsrecht erschien die Aufrechterhaltung des vom Generalklauselprinzip des Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag abweichenden deutschen kasuistischen Systems nicht mehr sachgerecht101. Ein dem Ausnahmetatbestand vom europäischen Kartellverbot im Kern identischer Tatbestand gilt damit künftig auch für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Im Interesse der Rechtssicherheit werden schließlich die Gruppenfreistellungsverordnungen des Rates und der Kommission, die für die sich künftig selbst veranlagenden Unternehmen von großer Bedeutung sind, in Form einer dynamischen Verweisung auch für die Anwendung des deutschen Kartellrechts für maßgeblich erklärt102. Allerdings sollen auch die deutschen Wettbewerbsbehörden den Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung bei schädlichen Wirkungen im Einzelfall regional begrenzt wieder entziehen können103. Hierdurch wird den gegenüber einer dynamischen Verweisung bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen104. Auf dem Prüfstand stehen auch die bisherigen Ausnahmebereiche des deutschen Kartellrechts. So wird es die Ausnahmeregelungen vom Kartellverbot künftig wohl nur noch für Kartelle im Bereich der Landwirtschaft sowie für die Zulassung der Preisbindung in der Kredit- und Versicherungswirtschaft und bei Zeitungen und Zeitschriften geben105. Ebenso wie auf europäischer Ebene wird der deutsche Gesetzgeber konsequenterweise auch die bisherigen kartellrechtlichen Anmelde- und teilweisen Genehmigungserfordernisse106 aufheben. Mit Abschaffung des bisherigen Systems der Administrativfreistellung auch im deutschen Kartellrecht wird sich die behördliche Kontrolldichte vermindern. Weil damit aber keine Einbuße an Wettbewerbsschutz verbunden sein soll, werden künftig neben den verwaltungsrechtlichen auch die zivilrechtlichen Sanktionen bei Kartellrechtsverstößen ausgeweitet107. Um ein effektives spürbar ___________ 100
§ 3 GWB-E. RegE, S. 7 und 9. 102 § 2 Abs. 2 GWB-E. 103 § 32d GWB-E. 104 Peter Jung, Landesbericht Wettbewerbsrecht Deutschland, 2.4 (http://www.fide 2004.org/reports/t2german.pdf, zuletzt besucht am 29.11.2004). Generell zur Problematik Klindt, Die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf EG-Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht, DVBl. 1998, 373, 377. 105 §§ 28 ff. GWB-E. 106 §§ 9−13 GWB. 107 Begr. RegE, S. 25. 101
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abschreckendes zivilrechtliches Sanktionssystem zu schaffen, werden hauptsächlich die Ansprüche auf Unterlassung eines wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens und auf Schadensersatz108 erweitert und verstärkt. So wird der bisherige Unterlassungsanspruch künftig nicht mehr nur vom Beeinträchtigten selbst oder von wirtschaftlichen Verbänden, sondern auch von so genannten qualifizierten Einrichtungen, wie Verbraucherschutzverbänden109, geltend gemacht werden können. Dadurch will man dem Umstand Rechnung tragen, dass Wettbewerb immer auch dem Verbraucher dient110. Beim Schadensersatzanspruch aus § 33 GWB wird man das bisherige Erfordernis des Verstoßes gegen eine Vorschrift, die den Schutz eines anderen bezweckt, weitgehend aufheben. Damit folgt man der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach grundsätzlich jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch eine verbotene wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder durch einseitiges Verhalten entstanden ist111. Für das künftige kartellrechtliche Schadensersatzrecht bedeutet dies insbesondere, dass Abnehmer und Lieferanten bei Kartellverstößen auch dann Schadensersatz verlangen können, wenn sich die Kartellabsprache nicht gezielt gegen sie richtet. Um zu vermeiden, dass die „Rendite“ aus einem Wettbewerbsverstoß bei den betreffenden Unternehmen verbleibt, sollen die Befugnisse der Kartellbehörden zur Vorteilsabschöpfung künftig deutlich erweitert werden112. Diese konnten bisher nur in den seltenen Fällen der Zuwiderhandlung eines Unternehmens gegen eine Verfügung der Kartellbehörde den erlangten Mehrerlös abschöpfen. Die Abschöpfungsbefugnis erfasst künftig jeden durch Kartellverstoß erlangten Mehrerlös, wenn der Schadensersatz nicht durch den Geschädigten geltend gemacht wird113. Schöpft auch die Kartellbehörde den Mehrerlös nicht ab, so sollen hierzu künftig auch Verbände und Verbraucherschutzorganisationen berechtigt sein114. Hierdurch will man so genannte Masse- oder Streuschäden erfassen, bei denen eine Vielzahl von Marktteilnehmern betroffen, die Schadenshöhe im Einzelnen jedoch gering ist. Sehen in diesen Bagatellfällen die Betroffenen oder die Kartellbehörden von
___________ 108
§ 33 GWB-E. Schadensersatz- und Unterlassung sind nunmehr in fünf statt früher in einem Absatz geregelt. 109 § 33 Abs. 2 Nr. 2 GWB-E und Begr. RegE, S. 25. 110 Begr. RegE, S. 25. 111 EuGH Urteil vom 20.06.2001, Rs. C-453/99 Rn. 26 − „Courage“. Neu eingefügt werden soll in § 33 Abs. 1 GWB-E die Klarstellung, dass das europäische Kartellrecht auch dem Schutz von Marktteilnehmern dient, gegen die sich ein Wettbewerbsverstoß nicht gezielt richtet. 112 Begr. RegE, S. 26. 113 § 34 Abs. 1 GWB und § 34 Abs. 1 GWB-E. 114 § 34a GWB-E.
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der Rechtsverfolgung ab, so soll sichergestellt werden, dass der erzielte wirtschaftliche Vorteil nicht beim Schädiger verbleibt115.
III. Kritik am Systemwechsel In Deutschland wird der nunmehr vollzogene Wechsel vom Anmelde- und Genehmigungssystem zum System der Legalausnahme überwiegend kritisch beurteilt116. Beklagt wird insbesondere die drohende Rechtsunsicherheit aufgrund der kaum justitiablen Voraussetzungen des Kartellverbotes von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag117. So befürchtet man nicht nur die Überforderung der Unternehmen mit der künftigen Selbstveranlagung118, sondern auch eine Überforderung deutscher Gerichte bei der Anwendung des Ausnahmetatbestandes (Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag) vom Kartellverbot119. Heftig kritisiert wird auch die Aufgabe der bislang für das deutsche Kartellrecht charakteristischen Differenzierung zwischen vertikalen und horizontalen Wettbewerbsbeschränkungen. Ohne Not schaffe der deutsche Gesetzgeber das bewährte positiv im Markt wirkende und dem europäischen Recht überlegene System der vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, wie das spezielle Verbot der Preis- und Konditionenbindungen120, auch für den rein innerstaatlich wirkenden Wettbewerb ab121 und gehe damit wettbewerbspolitisch einen Schritt zurück ins letzte Jahrhundert122. Die Abschaffung der Differenzierung könne auch nicht durch die Übernahme der vertikalen zumeist branchenüblichen Gruppenfreistellungsverordnungen ausgeglichen werden. Diese hätten sich bekanntlich keineswegs bewährt123. Zudem passten ihre in der Regel auf den euro___________ 115
Begr. RegE, S. 27. Möschel, Die 7. GWB-Novelle ante portas, WuW 2003, 571. Die Kritik bezieht sich hier auf die Aufgabe der Differenzierung zwischen vertikaler und horizontaler Wettbewerbskontrolle. Rittner, Vertikalvereinbarungen und Kartellverbote in der 7. GWB-Novelle, WuW 2003, 451; Mestmäcker, Versuch einer kartellpolitischen Wende in der EU − Zum Weißbuch der Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artt. 85 und 86 EGV a.F. (Artt. 81 und 82 EGV n.F.), EuZW 1999, 523, 524; Schmidt, Umdenken im Kartellverfahrensrecht!, BB 2003, 1237, 1244. 117 Rittner (Fn. 116), S. 451; Böge (Fn. 87), S. 441 (erhöhter Beratungsbedarf). 118 Ernst-Joachim Möschel, FAZ v. 15.11.2003, S. 13. 119 Koenigs, Die VO 1/2003: Wende im EG-Kartellrecht, DB 2003, 755, 758. 120 §§ 14 f. GWB. 121 Rittner (Fn. 116), nach dessen Meinung das deutsche Kartellrecht hierdurch um Jahrzehnte zurückgeworfen wird. 122 Möschel (Fn. 116). 123 Rittner (Fn. 116). 116
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päischen Binnenmarkt zugeschnittenen Kriterien, wie zum Beispiel Marktanteile, nicht ohne weiteres auf jedes Mitgliedsland124. Was die Rechtssicherheit der Unternehmen durch die Gruppenfreistellungsverordnungen angeht, so ist ihre künftige Wirkung zumindest theoretisch zweifelhaft. So wird ihnen mal konstitutive, mal deklaratorische Wirkung zugesprochen125. Weil die Gruppenfreistellungsverordnungen nicht selten auch unbestimmt und regional entziehbar sind, werden sie den Unternehmen keine völlige Sicherheit geben können126. Beim neuen Instrument der Verpflichtungszusage, die unabhängig von einem förmlich festgestellten Kartellrechtsverstoß von der Kartellbehörde mit Zwangsund Bußgeldern durchgesetzt werden kann, stellt sich zudem die Frage, ob die scheinbare „Freiwilligkeit“ der Unternehmen als Ermächtigungsgrundlage für einen Verwaltungszwang ausreichen kann. Diese „Flucht der Kartellrechtspraxis in die Formlosigkeit“ wird als Chance und Sorgenpunkt zugleich gesehen. Von einer „Ermächtigung zur Tyrannei“127 ist sogar die Rede. Kritisiert wird auch die fehlende Waffengleichheit bei solchen Zusagen, denn während das Unternehmen nur eine Nichteinschreitensentscheidung mit der geschilderten geringen Sicherheitswirkung erhält, können die Kartellbehörden die Zusage mit Zwangsmitteln oder Bußgeldern durchsetzen oder das aufgrund der Zusage nicht durchgeführte Verfahren wieder aufnehmen128. Was die Zusammenarbeit der verschiedenen Kartellbehörden im zu schaffenden europäischen Netzwerk angeht, so wird sich zeigen, ob Parallelverfahren, abweichende Sachentscheidungen, ein so genanntes forum shopping durch Beschwerdeführer oder politisch motivierte Alleingänge mit Hilfe der in der Kartellverordnung vorgesehenen Koordinationsmaßnahmen und -möglichkeiten effektiv vermieden werden können. Zwar sichert die neue Kartellverordnung durch weit reichende Unterrichtungspflichten eine enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission. Mit der Konzentration der Zuständigkeit bezüglich des Geschäftsverkehrs mit der Kommission oder anderen nationalen Behörden beim BKartA129 wird man zumindest in Deutschland auch einen wichtigen Beitrag zur erleichterten Zusammenarbeit im europäischen Behördennetzwerk leisten. Jedoch beziehen sich diese Unterrich___________ 124
Möschel (Fn. 116). Schmidt (Fn. 116), S. 1237, 1241 und Wagner, Der Systemwechsel im EGKartellrecht – Gruppenfreistellungen und Übergangsproblematik, WRP 2003, 1369, 1374 für Konstitutivwirkung. Koenigs (Fn. 119), S. 755, 758 für deklaratorische Wirkung. 126 Jung (Fn. 104), 3.16. 127 Schmidt (Fn. 116), S. 1237, 1242. 128 Schmidt (Fn. 116), S. 1237, 1242. 129 § 50 Abs. 2 GWB-E. 125
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tungspflichten nur auf die Einleitung von Ermittlungen und den Erlass beabsichtigter Entscheidungen durch die nationalen Behörden130. Zum Informationsaustausch hingegen sind die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten lediglich „befugt“, nicht aber verpflichtet131. Auch die Aussetzung oder Einstellung des eigenen Ermittlungs- oder Beschwerdeverfahrens liegt im Falle von Parallelverfahren lediglich im Ermessen der jeweiligen nationalen Behörde132 und ist damit nicht verpflichtend. Bewusst geführte Parallelverfahren können daher letztlich nur vermieden werden, wenn die Kommission selbst ein Verfahren einleitet und dadurch die nationalen Behörden ihre Zuständigkeit verlieren133. Sinn des Systemwechsels ist jedoch nicht die effektive Kontrolle der Mitgliedstaaten durch die Kommission, sondern ihre Befreiung von lästigen und übermäßigen Verwaltungsaufgaben und ihre Konzentration auf schwerwiegende Wettbewerbsverstöße zur Förderung des europäischen Binnenmarktes. Vieles wird also vom tatsächlichen Willen der einzelnen Mitgliedstaaten zur Koordination und Zusammenarbeit abhängen. Was die parallelen Sanktions- und Verfolgungszuständigkeiten der verschiedenen Wettbewerbsbehörden angeht, so können sich verfassungsrechtliche Probleme wegen des Verbotes der Doppelbestrafung ergeben134. Problematisch ist auch der Verlust der bislang durch die Anmeldepflicht für die Kartellbehörden bestehenden Marktinformationsmöglichkeiten135. Dieses Defizit wird nur unzureichend durch die neue Enquêtebefugnis der Kommission und des BKartA ausgeglichen. Es ist zudem fraglich, ob das BKartA überhaupt über hinreichende personelle Ressourcen zu ihrer Ausübung verfügt136. Es ist daher auch bedauerlich, dass der Wechsel zum System der Legalausnahme nicht von der Option begleitet wird, für bestimmte Vereinbarungen oder Verhaltensweisen eine Informationspflicht einzuführen137. Vor allem im gerichtlichen Verfahren wird dieses Informationsdefizit zu Beweisproblemen und damit nicht zu der von der Kommission erwarteten großen Bedeutung der nationalen Gerichte bei der Durchsetzung des europäischen Kartellrechts führen138. ___________ 130
Art. 11 VO 1/2003. Art. 12 VO 1/2003 und § 50c GWB-E. 132 Art. 13 VO 1/2003. 133 Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003. 134 Ne-bis-in-idem-Grundsatz; vgl. dazu Kuck, Die Anerkennung des Grundsatzes ne bis in idem im europäischen Kartellrecht und seine Anwendung in internationalen Kartellverfahren, WuW 2002, 689. 135 Koenigs (Fn. 119), S. 755, 758; Möschel (Fn. 116); Hossenfelder/Lutz (Fn. 63), S. 118, 129. 136 Jung (Fn. 104), 3.16. 137 So Hossenfelder/Lutz (Fn. 63), S. 129. 138 Erwägungsgrund 7 VO 1/2003. 131
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Ohne vorangegangenes Verfahren der Wettbewerbsbehörden werden insbesondere die Kläger, die nicht direkt an einer Kartellabsprache beteiligt waren, regelmäßig nicht über die erforderlichen Beweismittel, wie Informationen und Marktdaten, verfügen139. Sie werden damit der ihnen aufgrund der neuen Kartellverordnung obliegenden Beweislast nicht genügen können140. So wird möglicherweise ein hoher Anreiz für die Unternehmen geschaffen, es auf einen Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag ankommen zu lassen, weil insbesondere das Risiko von Zivilklagen aufgrund der Informationsmängel und des erheblichen Prozessrisikos gering ist141. Als Ausweg wären Beweiserleichterungen oder die Umkehr der Beweislast für solche Umstände zu erwägen, die in der Sphäre der gegnerischen Partei angesiedelt sind142. Die Beweislastverteilung der neuen Kartellverordnung, nämlich die Bestimmung, wonach ein Unternehmen die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens durch Vorliegen der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes vom Kartellverbot beweisen muss143, kann in Deutschland nicht uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Denn eine Bestimmung, wonach ein Beschuldigter beweisen müsste, dass sein Verhalten rechtmäßig war, verstößt gegen das verfassungsrechtlich gestützte Prinzip der Unschuldsvermutung im Straf- und Bußgeldverfahren144. Was die kohärente Rechtsanwendung und die Zusammenarbeit von Wettbewerbsbehörden und Gerichten angeht, so können Letztere zwar die nationalen Behörden wie auch die Kommission um Übermittlung von Informationen bitten145. Außerdem haben sowohl die Kommission als auch die nationalen Behörden die Möglichkeit, schriftlich oder mündlich zur Anwendung der Artt. 81 und 82 EG-Vertrag Stellung zu nehmen146. Allerdings binden die Stellungnahmen der Wettbewerbsbehörden die deutschen Gerichte nicht, sondern stellen lediglich Anregungen dar147. ___________ 139
Koenigs (Fn. 119), S. 755, 758; Hirsch (Fn. 44), S. 233, 242. Vgl. Art. 2 Satz 1 VO 1/2003. Vgl. Koenigs (Fn. 119), S. 755, 758. 141 Koenigs (Fn. 119), S. 755, 758. 142 So Hirsch (Fn. 44), S. 233, 242. 143 Art. 2 Satz 2 VO 1/2003. 144 Hirsch (Fn. 44), S. 233, 242. Hossenfelder/Lutz (Fn. 63), S. 119. Die deutsche Bundesregierung hatte daher bei der politischen Einigung über die Kartellverordnung eine einseitige Protokollerklärung abgegeben, wonach die Verordnungs- und Richtlinienkompetenz des Rates (Art. 83 EG-Vertrag) keine ausreichende Rechtsgrundlage für derartige Eingriffe in nationale Strafrechtssysteme darstellt. Eine solche Regelung könnte gegebenenfalls auf der Grundlage eines Rechtsinstrumentes der sog. Dritten Säule (vgl. Art. 29 ff. EU-Vertrag) getroffen werden. 145 Art. 15 Abs. 1 VO 1/2003 und § 90a Abs. 3 GWB-E. 146 Art. 15 Abs. 3 VO 1/2003 und § 90a Abs. 2 GWB-E. 147 Hirsch (Fn. 44), S. 233, 242. 140
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Auch die Aussetzung eines gerichtlichen Zivilverfahrens, auf dessen Möglichkeit die neue Kartellverordnung zur Vermeidung divergierender Entscheidungen ausdrücklich hinweist148, ist zwar nach deutschem Zivilprozessrecht grundsätzlich möglich, wenn der gleiche Fall bereits von der Kommission, von einer anderen nationalen Behörde oder von einem anderen nationalen Gericht behandelt wird. Die Entscheidung liegt aber im Ermessen des Gerichtes149. Die Aussetzung endet automatisch mit dem Erlass der anderweitigen Behördenoder Gerichtsentscheidung. Allerdings setzt die Aussetzung gegen den Willen der Prozessparteien die Vorgreiflichkeit der anderweitigen Entscheidung voraus. Diese wird für die aktuellen behördlichen Freistellungs- und Missbrauchsverfahren überwiegend verneint150. Auch die Tatsache, dass die Kommission eine Entscheidung erwägt, begründet keine Pflicht, sondern lediglich die Möglichkeit der Aussetzung nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichtes. Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit eine Pflicht zur Aussetzung erscheint jedoch fraglich, solange die Kommission eine Entscheidung lediglich erwägt151. Ein Problem kann auch im Hinblick auf die fachliche Kompetenz deutscher Gerichte zur Anwendung des Ausnahmetatbestandes vom Kartellverbot, Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, bestehen152. So werden sich die Gerichte mit den eigenständigen Konzepten der gemeinschaftlichen Rechtsanwendung vertraut machen müssen, die nach dem künftigen deutschen Kartellgesetz auch bei der Anwendung der nationalen Parallelvorschriften zu den Artt. 81 f. EG-Vertrag zu berücksichtigen sein werden153. Hierbei werden die Gerichte vielfach komplexe ökonomische und schwierige rechtliche Fragen zu beurteilen haben154. Das neue System der Legalausnahme kann daher für die Gerichte eine Last, eine Quelle von Rechtsunsicherheit und, davon ausgehend, Anlass für die Klärung rechtlicher Fragen im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens durch den Europäischen Gerichtshof sein155. So drängt sich die Frage auf, ob künftig nicht mehr die Europäische Kommission, sondern der Europäische Gerichtshof überlastet sein wird.
___________ 148
Art. 16 Abs. 1 Satz 2 VO 1/2003. § 148 ZPO. 150 Vgl. Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB-Kommentar, 3. Aufl. 2001, § 92 GWB a.F. Rn. 17 noch im Zusammenhang mit § 96 Abs. 2 GWB a.F. m.w.N.; a.A. OLG Frankfurt/Main, WuW/E OLG 265, 266 – Uhren-W. = NJW 1958, 1637,1639. 151 Jung (Fn. 104), 3.9. Dazu generell Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 148 Rn. 7. 152 Jung (Fn. 104), 3.2.; Schmidt (Fn. 116), S. 1237, 1238. 153 Art. 23 GWB-E sowie Hirsch (Fn. 44), S. 233, 244. 154 Schmidt (Fn. 116), S. 1237, 1238. 155 Jung (Fn. 104), 3.2.; Schmidt (Fn. 116), S. 1237, 1238. 149
Recent Preparatory Work for the Amendment of the Korean Civil Code By Chang Soo Yang
I. Introduction The Korean Civil Code (“KCC”)1 was promulgated on February 22, 1958 and became effective as of January 1, 1960. More than 40 years have now passed since the enactment of KCC. During that time, revisions were mainly made to Book 4 (“Family”) and Book 5 (“Succession”) of KCC on several occasions, including material and far-reaching amendments in 1977, 1991 and, most recently, in January of this year. Through these amendments, certain outdated provisions of the family and succession laws that are now regarded as incompatible with general principles of gender equality and human rights have been abolished or modified. With respect to the first three books, i.e., General Provisions (Allgemeiner Teil), Law of Property (Sachenrecht) and Law of Obligations (Schuldrecht), various new legislation and/or their amendments2 have been enacted, while revisions of KCC itself have been infrequent and relatively minor3. The preparatory work for the amendment to the first three books of KCC began on February 1, 1999, when the Special Committee for the Civil Code Amendment (“Civil Code Amendment Committee” or “Committee”) was estab___________ 1
Hereinafter, I will quote the acts or codes of Korea or its provisions without any affixation of “Korean”, unless otherwise required due to the context. 2 Notable examples include: Act on Establishment and Operation of Non-profit Corporations (1975), Housing Lease Protection Act (1981), Provisional Registration Security Act (1983), Act on Ownership and Management of Aggregate Buildings (1984), Act on Regulation of Standardized Contract (1986), Installment Sales Act (1991), Door-todoor Sales Act (1994), E-commerce Basic Act (1999), Product Liability Act (2000), Commercial Building Lease Protection Act (2002). And in February 2004, Korea made an accession to the United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods, and it will take effect in Korea on March 1, 2005. 3 In 1984, the right of layer superficies was newly introduced and certain provisions relating to Chonse-rights (which is a unique right in rem under the Civil Code) such as its duration and statutory renewal were amended.
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lished as a subcommittee of the Legal Advisory Commission4 within the Ministry of Justice. After the Committee presented the tentative results of its discussions and findings by announcing the Draft Amendment in November 2001, and after holding public hearings and reviewing opinions from experts in various fields, it recently wrapped up its discussions, the contents of which were promulgated as a “Preliminary Announcement of Legislation”5 on June 14, 2004. I participated in the preparatory work as a member and chief secretary of the Committee. With this short speech, I would like to present an overview of the foregoing discussions and process to date and to present one possible point of view with respect to the significance of such an amendment process. First, I will briefly outline the process of the work (Section II), provide an overview of the issues discussed during the work (Section III), and focus on certain points in greater detail that I believe reveal the material characteristics of this preparatory work (Section IV). Lastly, I want to express some of my impressions and thoughts on the work (Section V). I want to make it clear that what I say today is based solely on my personal understanding, observation and opinion, and is not an official opinion of the Committee, or the Subcommittee that is discussed and defined later. Further, I would like to note that I have personally objected to some of the amendment proposals finally prepared by the Committee.
II. Procedure of the Preparatory Work for Amending KCC 1. Composition of the Committee The Committee consisted of 11 members, when it was first formed in February 1999. The membership increased to 13 in September 1999. Out of the 13 members, 11 members are professors of universities and the remaining two are judges6. You may find it noteworthy that five of the 11 university professors received Dr. jur. degrees in Germany7. And five of the remaining six members ___________ 4 This is an advisory organ, set up in order to assist the Ministry of Justice in preparing for major new legislation. 5 This is an equivalent of Regierungsentwurf in Germany. 6 Of the 11 professors, four had previous experience as judges (all of them acquired Ph.D. degrees from Korean universities). And three of them had more than 15 years of practicing experience as judges, and recently held positions in their respective universities as professors. As such, the members of the Committee can be categorized as six members with practicing experience as a judge and seven members without such experience. 7 One member received a degree of docteur en droit in France.
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have received Ph.D. in Law degrees in Korea, but these five have also studied law in Germany8, 9. The eminent presence in the Committee of a German touch may explain various influences from German law in the results of the preparatory work, which will be depicted later. And as of January 1999, 10 out of the 13 members were in their late forties or early fifties10. Such a composition of the Committee is in contrast to the demographics of those who were in charge of the procedure regarding the first enactment of KCC that began in 1947 and was mainly done during and in the aftermath of the Korean War. The enactment of KCC was driven in great part by the belief that Korea, as a new independent country, must overcome as soon as possible the “humiliation” of using foreign laws, and in particular, the laws of Japan, which once colonized Korea11. The actual drafting of the code was conducted by rather old practitioners rather than scholars, due to the very scarce number of legal scholars who taught at universities (or their equivalents) during the Japanese colonial period12. In addition, the systems for universities in Korea were not well organized around 1947 when the procedure for the enactment of KCC started.
2. The Basic Directions for the Amendment Procedure The Committee, at the initial stage of its activity, set its basic directions for the amendment procedure as follows. (1) The Committee summarized the purposes of the amendment of KCC, with reservations for further changes, as follows: ___________ 8
One of the members, who is judge, also studied law in Germany. Three of the members also have studied law in the U.S. 10 More specifically, eight members were between 43 and 49 years old at that time. 11 Article 100 of the First Constitution of Korea (July of 1948) states that “the current laws are effective so long as such laws are not contradictory to this Constitution.” The “current laws” referred to therein include those Japanese laws that were effective as of August 1945, including most provisions of the Japanese Civil Code, with rare exceptions. 12 A “Code Compilation Committee” was formed immediately after the birth of Korea, pursuant to the “Rules for Composition of Code Compilation Committee” promulgated on September 15, 1948 as Presidential Decree No. 4. The purpose of this committee was “preparing and reviewing drafts of codes and acts, after collecting and researching various codes of civil, commercial, criminal laws and other regulations on litigation and criminal penalties” (Article 2 of the foregoing Rules). 52 original members of the committee were renowned persons that deserved to represent Korean legal profession at that time, and only three of them were fulltime university professors. Further, among 11 members of “Special Committee on the Civil Code”, which was actually in charge of the initial works for the preparation of KCC, only one member was a university professor. 9
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First, to secure and enhance the comprehensiveness and unity of KCC. In other words, above all, the amendment is intended to incorporate into KCC the established legal practices and theories that developed in our daily life and civil practices after the enactment of KCC. And it is intended to identify and revise certain provisions that have lost their normative power and no longer function as directives of everyday life. Second, to better conform KCC to reality. In other words, in response to the issues that have arisen and will arise in the course of implementing KCC, it is intended to provide legal frameworks in which individual citizens, with freedom and responsibility, can fulfill and realize their will and ability, and also provide flexible directives in response to the reasonable needs of the adjudication practice. This means to identify legal issues that have been found or are expected to arise in the future and to prepare legal directives that may address such issues. Third, to make KCC more understandable and tighten its logical composition. The amendment is intended to re-consider difficult terminologies and rethink whether it is possible to improve readability13. It is not necessary to change the basic composition of KCC, but the amendment is intended to reconsider whether each provision and system is appropriately located in KCC considering each provision’s function and ramification. (2) Based on these purposes, as a more technical matter, the following issues were determined: (a) With respect to the scope of the amendment, it was determined that the current order and basic system of KCC be maintained. Instead of identifying specific issues for review from the beginning, it was determined that the Committee reviewes the provisions of KCC as a whole from a critical point of view and identifies points for amendment on a step-by-step basis in the course of overall review. This means that the amendment procedure start to from the comprehensive and overall reconsideration of the current Civil Code in its entirety. However, it is needless to say that this starting point does not necessarily lead to a conclusion that all of the provisions required amendments. (b) With respect to procedural matters, it was determined that: (i) Two subcommittees should be set up, namely the First Subcommittee in charge of the General Provisions and the Law of Property, and the Second Subcommittee in charge of the Law of Obligations, with each commissioner belonging to either of these Subcommittees; ___________ 13
However, it was clearly determined from the beginning that technical terminologies that are essential for developing legal thinking in a logical and systematic manner cannot be abandoned.
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(ii) Each Subcommittee reviews amendment proposals submitted by each commissioner and experts in various fields (these selected items were generally called “Starting Points”), provided that very important issues and issues overlapping the respective work scopes of both Subcommittees shall be discussed at the general session; (iii) Further, each Subcommittee selects items from the Starting Points to be actively discussed to determine whether amendment is required (these selected items were generally called “Review Points”), and thereafter, the Subcommittee discusses whether an amendment is required and what the amendment should be, and finally provides the appropriate language for the amendment; (iv) The Committee inquires about comments on the amendment of KCC from various fields of Korean society to obtain broader opinions, and the Committee collects and organizes all the amendment proposals presented in various documents and articles; and (v) The Committee also considers whether or not to incorporate special legislation into KCC, and if so, the scope of such incorporation.
3. The Preparatory Work The preparatory work has been done pursuant to the foregoing directives. Each Subcommittee prepared a Preliminary Draft Amendment in May 2001, which summarized the results of the work up to that point. Then a “Working Committee” composed of three members was introduced (I was one of the members), to review and revise the expression, content and structure of this Preliminary Draft Amendment in its entirety. After the general session of the Committee reviewed the Preliminary Draft Amendment and the revised version of the Work Committee, the Draft Amendment, was completed in November 2001. Public hearings were held with respect to the Draft Amendment, and various opinions and comments have been presented in many seminars, symposia, etc. The Committee recently wrapped up its discussions, the contents of which were promulgated as a “Preliminary Announcement of Legislation” on June 14, 2004. The number of the provisions for which any kinds of revision are proposed is more than 130.
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III. Issues Discussed and Examined During the Preparatory Work In the working process, a wide array of issues have been discussed and examined as Starting Points. In order to highlight the diversity of issues, I list below a few of the issues that were discussed during the general meeting of the Committee but not selected as Review Points: (i) To move the general provisions regarding contracts from the “General Provisions” Section in the Book of Law of Obligations to the Book of General Provisions; (ii) To create a provision on declaration of intention (Willenserklärung) by electronic means; (iii) To combine the three provisions on apparent representation14 into a single provision; (iv) To move the provisions on things from the Book of General Provisions to that of the Law of Property; (v) To amend the provision on the definition of property by including information; (vi) To provide more comprehensive language regarding restriction on land ownership; (vii) With respect to the registration for real estate, (1) to adopt a notary system for certifications of immovable transactions; (2) to acknowledge public credibility of registry (Grundsatz des öffentlichen Glaubens); (2) to introduce a substantive examination process by the registration officials in the registration process; (4) to unify land cadaster and registry; (viii) To acknowledge the transferee’s (not only the transferor’s) notice to the debtor as a requirement for transfer of claims; (ix) To delete the provision on debt payable to order; (x) To delete Article 535 which is an equivalent of the former § 307 BGB;
___________ 14
This can be said to be an equivalent of Anscheinsvollmacht.
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(xi) To acknowledge the lessee’s leasehold in spite of the change in ownership of the leased property, only by the transfer of the leased premise to the lessee (cf. § 566 BGB)15; and (xii) To provide for punitive damages, etc.
IV. Several Noticeable Issues The following issues are a few of the important ones that were in fact chosen to be proposed for amendment, after being discussed and examined mainly in the general meetings of the Committee.
1. Private Autonomy and Rights to Personality Article 1-2 (Human Dignity and Autonomy): (1) All persons shall shape their legal relationships according to their own free will, based on their dignity and value as human beings. (2) Rights to personality shall be protected.
(1) Book 1 of KCC contains two provisions in its section 1 (Common Provisions). Article 2 provides for the principle of good faith and the principle of prohibition of abuse of right16. Korean courts use the principle of good faith every time they feel there is any trivial reason to intervene in any kind of transaction between private persons. In the name of good faith, contracts are not interpreted necessarily according to what the parties really intended, and the positive rules of KCC are not applied in a constant manner. Many of these stances were, I must say, necessary to fill the gap between the imported legal rules and the social reality. In some sense, the people of Korea needed to be placed under the guardianship of the state. But if people depend on this principle too much, they might be “idle” while they prepare and conclude a contract. When something goes wrong with the contract, they then beg the court for its mercy like whimpering babies, and in many cases the court does not betray their hopes. ___________ 15
The Housing Lease Protection Act of Korea (see footnote 2), which purports to protect the lessees of the housing, acknowledges the lessee’s right in spite of the change in ownership, when the lessee satisfied two requirements: transfer of the leased premise to the lessee and lessee’s resident registration (see Article 3 of the Act). Otherwise.&& generally requires the registration of the lessee’s right in the building registry. 16 Article 1 provides for the doctrine of statute priority over other sources of law, especially over customary law.
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Yes, the principle of good faith is really a crown paragraph of KCC. And the view that supports the significance of Article 2 has been extremely influential in Korean civil law theories, as Article 2 has been construed as declaring the fundamental, most precious principle of civil law17. However, there have recently been increasing questions regarding such understanding. Taking also the economic growth of Korea since the 1960’s and its democratization since the late 1980’s into consideration, some scholars think that this kind of excessive stress on the paternalistic applications of the principles cannot be compatible with the constitutional demand for human dignity. During the preparatory work for the revision of KCC, it was accepted that, not as its substitute, but as a counterbalancing value for it, the principle of private autonomy should be clearly stipulated ahead of the principle of good faith. (2) While Articles 751 and 76418 mention the plaintiff’s reputation in the context of torts, there is no general provision on “rights to personality” (Persönlichkeitsrecht) in KCC19. However, the relevant court precedents and the prevalent view among scholars support rights to personality such as right to portraits, sexual integrity, credibility20, not only by giving the right-holder to claim tort damages but also by acknowledging the right to request prohibition of infringing acts, which reflects the characteristics of dinglicher Anspruch, when there is an infringement upon such rights21. ___________ 17
For example, one of the most famous textbooks, Yoon-jik Kwak, General Provisions of the Korean Civil Code (newly revised edition, 1989), p. 78 ff., says, “The principle of good faith and the principle of prohibition of abuse of right, which operates as restriction or modification of the so-called “three basic principles” (i.e. guarantee of private ownership, freedom of contract and principle of culpability), are provided for in the beginning of KCC […]. The principles of good faith, prohibition of abuse of right, security of transaction, public order, etc. are higher principles than the “three basic principles” and actively restrict the “three basic principles”. They are the embodiment of the highest principle of public welfare. (Emphasis added). 18 Article 17 of the Constitution of Korea provides that the secrecy and freedom of the private life of citizen shall not be infringed. 19 In addition, Articles 11 through 15 of the Copyright Act provides for the author’s moral right. 20 For example, the Supreme Court decision of 2/13/1998, 96da7854 (Official Case Collection 46-1, 59), which was a damage suit raised by a patient infected by HIV virus during blood transfusion, mentioned the infringement of “right to personality” of the patient in self-determining whether to receive blood transfusion in finding against the hospital on the grounds that it failed to sufficiently explain about the risk of infection. In addition, the Supreme Court decision of 2/10/1998, 95da39533 (Official Case Collection 46-1, 1), which states the standards of unlawfulness regarding sexual harassment, construes sexual harassment as an infringement of one’s “right to personality.” 21 Supreme Court decision of 4/12/1996, 93da40614 (Official Case Collection 44-1, 323) (“Since the right to personality cannot be fully recovered by ex post remedies (such as monetary damages) once it has been infringed upon, preventive ex ante measures such as right to request prohibition of the infringing acts shall be acknowledged.”); Su-
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There has been much discussion during the work as to whether there should be a new provision on the protection of the rights to personality and, if it shall be so provided, what the structure and contents of such a provision should be. It was finally decided to expressly provide that rights to personality shall be protected as a legal right, while the specific contents or protective means of the right were delegated to the courts and legal scholars. What is important is, I think, that such provision was deliberately provided for in the Chapter of Common Provisions and that it was combined with the provision on the principle of private autonomy. This implies reconsideration of the current overemphasis on the economic and materialistic aspects of KCC that were deemed necessary in order to support the operation of free market.
2. Mistake (1) Paragraph 2 of Article 109 is to be newly created as follows. (2) Paragraph 1 shall be applied, even when the mistake is as to the party, character of goods or any other motive of declaration of intention, if such mistake is concerned with an essential matter of the transaction.
Paragraph 1 of Article 109 provides that declaration of intention (Willenserklärung) may be revoked when there is a mistake as to a material part of “the contents of the juristic act (Rechtsgeschäft)”, unless the mistake was due to gross negligence of the party expressing his intention. Various issues are being discussed with regard to the mistake of a juristic act, such as whether mistake of act (Geschäftsirrtum) and mistake of motive (Motiveirrtum) should be distinguished, how both categories of mistakes should be treated, and whether the cases of common mistake, the other party’s knowledge of the mistake, and gratuitous act should be treated separately and differently. Although the revocation should be allowed only when the mistake is about the content of the juristic act in light of words of the current provision, the view that a mistake of motive, i.e. when the mistake is not about the content of the juristic act, may also be revoked under certain circumstances was adopted22. Conse___________ preme Court decision of 10/24/1997, 96da17851 (Official Case Report 1997 ha, 3574); etc. 22 I could not agree with the majority in this respect. I think the solution suggested by the majority is too German. In addition, the view was strongly raised by a few members of the Committee including me that, disregarding the distinction between mistake of act and mistake of motive, revocation should be allowed only when (i) the mistake was shared by the other party (so-called “common mistake”), (ii) the other party knew or should have known of the mistake, or (iii) the other party caused the mistake, unless the
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quently, mistake of act and mistake of motive are to remain distinguished in KCC. While there have been discussions as to the circumstances under which revocation should be allowed in case of mistake of motive, the majority adopted the position, which was admittedly influenced by § 119 II of the German BGB and Art. 24 of the Swiss OR. (2) A new provision was proposed on the liability of reliance damages of the party who revokes the declaration of intention due to mistake. Article 109-2 (Liability of the party who revokes the declaration due to his mistake) (1) The party who revokes his23 declaration of intention according to Article 109 shall be liable for the damages incurred upon the other party due to the latter party’s reliance on the validity of such declaration. However, the damages shall not exceed the proceeds that could have been obtained if such declaration had been valid. (2) Paragraph 1 shall not be applied when the other party knew or should have known the mistake.
Even without this kind of provision, some scholars had argued that the general liability of culpa in contrahendo must be imported into Korea, and as its concrete application, contractual liability of reliance damages should be imposed on the party in mistake when the declaration of intention is revoked. But the Supreme Court of Korea24 denied tort liability of the party who legitimately revoked his juristic act due to mistake by stating as follows: Tort liability should be established only when the act of the tortfeasor is illegal in addition to the willfulness or the negligence of the tortfeasor. Even if the defendant was negligent, since Article 109 of KCC allows the party in mistake to revoke his declaration on condition his negligence was not gross, the defendant’s act in issuing the letter of guarantee due to mistake by negligence or in revoking the guarantee contract on the basis of mistake shall not be deemed illegal. The view that KCC should expressly provide for the liability of the party who revokes the declaration of intention due to mistake was adopted in the preparatory work. The above-mentioned revision was proposed with reference to § 122 BGB. This is a good example of how German legal theories influenced the work. (3) The following are a few other examples of influences from German law. ___________ contract is gratuitous. I personally prefer this solution. However, this could not obtain a majority. 23 In the following, the nomination of only “he, his, him”, not of “he/she, his/her, him/her”, is only a matter of convenience, and has nothing to do with my attitude to genders. 24 Supreme Court decision of 8/22/1997, 97daka13023 (Official Case Report 1997 ha, 2800).
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(a) A new provision on the construction of a juristic act (Rechtsgeschäft) was added. This provision provides the standards as to the construction of a juristic act by providing as follows: “(1) In construing a juristic act, one should not adhere to the wording of the expression and should examine the genuine will of the party. (2) A juristic act shall be construed in accordance with the principle of good faith considering the purpose of the party, trade usage, and other circumstances.” (Article 106) There was much debate in drafting the provision. Eventually, the above-mentioned provision was drafted with reference to the court precedents25, §§ 133, 157 BGB, Articles 8 and 9 of CISG, and Articles 5:101 and 5:102 of the Principles of European Contract Law. (b) A new provision on the disposition by a non-titleholder (Verfügung eines Nichtberechtigten) was added (Article 139-2). The current KCC provides for the disposition by a person without the requisite rights only indirectly with regard to provisions on bona fide acquisition of movables (Article 249) and performance of obligation with another person’s goods (Article 463). This proposal of the new provision is basically a codification of the court precedents providing that the disposition by a non-titleholder be valid in case there is prior consent of the right-bearer and also when there is ex post confirmation (with retroactive effect unless it infringes upon the right of a third party). It might be said that this is an import of § 185 BGB. (c) A new provision on the substantive effect of provisional registration (Vormerkung) was added. Paragraph 2 of Article 6 of the Real Estate Registration Act provides that when provisional registration is established, the priority of principal registration based thereon shall be determined according to the order of provisional registration. With respect to this provision, there is discussion on what the stipulated effect of preservation of the order implies in terms of substantive law beyond its procedural aspect. It was determined that a new provision on the substantive effect of provisional registration be added to KCC, to the effect that disposition of the property occurring after the provisional registration shall have no effect so long as it infringes upon the rights to be preserved by such provisional registration. In adopting this position we felt supported by the presence of § 883 II BGB. After the debate concerning the location of such new provision, the new provision was to be located in Article 187-2, immediately following Articles 186 and 187, which state the principles with regard to transfer of rights in rem. One may raise doubts about this provision since it only provides for the effect of ___________ 25
Supreme Court decision of 11/24/1992, 92da31514 (Official Case Report 1993, 239); Supreme Court decision of 10/26/1993, 93da2629 (Official Case Report 1993, 3165), etc. adopted the principle of falsa demonstratio non nocet by holding that “In construing a contract, one should not adhere to the formalities of the wording but should examine the genuine intention of each party.”
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provisional registration while it does not mention the circumstances under which the provisional registration can be established. However, the Committee accepted the view that such provision would not raise serious issues since Article 3 of the Real Estate Registration Act already provides for such circumstances. (d) A new provision on construction that invaded boundaries (Überbau) was added (Article 242-2). This provision provides that in case of construction that invaded the boundaries without willfulness or negligence, the owner of the land suffering from such invasion may not claim restitution (i.e. demolition) if he/she fails to raise an objection within 10 years from the invasion or within three years of having knowledge of such invasion. The owner of the land suffering from such invasion, however, may still claim for the monetary compensation equivalent to rent or may request the invader to purchase the invaded portion of the land. This proposal was in part inspired by §§ 912 ff. BGB, but you will notice that they were significantly modified.
3. Guaranty Article 428-2 (Formality of Guaranty): (1) Guaranty shall become effective only if the intention of a guarantor is declared in writing with the guarantor’s name and seal affixed thereon or with the guarantor’s manual signature thereon. (2) The provision of Paragraph 1 shall apply to any adverse alteration of the guarantor’s obligations. (3) To the extent that the guarantor has performed the guarantee obligations, he may not assert invalidity of guaranty on account of any defect in formality as prescribed in Paragraph 1 and Paragraph 2. Article 436-2 (Creditor’s Obligation to Notify): (1) The creditor shall promptly notify the guarantor if the obligor fails to pay principal or interest or perform any other obligations for three months or more, or if the creditor becomes aware in advance that the obligor is unable to pay or perform its obligations on the due date. (2) Upon the guarantor’s request, the creditor shall notify the guarantor of the details of the guaranteed obligations and the results of performance thereof. (3) Upon the creditor’s failure to notify as prescribed in Paragraph 1 and Paragraph 2, the guarantor shall be discharged from its obligations to the extent of the damages attributable to such failure.
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Article 448-2 (keun-Guaranty): (1) Guaranty may be made with respect to unspecified multiple obligations. In this case, the maximum amount of guaranteed obligation shall be set and included in writing as prescribed in Article 428-2, Paragraph 1. (2) The obligations of the keun-guarantor shall be limited to the obligations arising out of a specified continuous contract or a specified type of transaction between the creditor and the obligor or arising continuously from a specified cause. Article 448-3 (Duration of keun-Guaranty): (1) The duration of keun-guaranty shall not exceed three years. If the duration agreed upon by the parties exceeds three years, it shall be reduced to three years. (2) If there is no duration of keun-guaranty agreed upon by the parties, the duration shall be three years. (3) The keun-guaranty may be renewed. The duration of renewed keun-guaranty may not exceed three years from the date of renewal. Article 448-4 (Termination of keun-guaranty): The keun-guarantor may terminate the keun-guaranty upon occurrence of a material adverse change in circumstances at the time of entering into the keun-guaranty or for other important reasons.
A guaranty (Bürgschaft) is the crown of personal surety, serving a distinguished role in financial practices. If you look into the reality of guaranty transactions in Korea, however, in many cases the guarantor signs the guaranty out of personal relationship, gratuitously and without due deliberation of the legal consequences thereof. In practice, guaranties for the benefit of financial institutions have been made in the form of a comprehensive keun-guaranty26, which covers any of the obligor’s obligations arising during the considerable duration, without specifying the scope of guaranteed obligations. In various cases, the guarantors were held liable as such type of comprehensive keun-guaranty was basically found valid by courts. In particular, the financial crisis since the end of 1997 has awakened the need to mitigate the overly strict guarantee liabilities.
___________ 26
Keun means “root” in Korean. So keun-guarantor guarantees various unspecified obligations arising from one “root”, for example, from a sole distributor contract between a creditor and an obligor which normally lasts more than one year. There is another form of keun-surety in KCC, keun-hypothec, which is an equivalent of Höchsthypotheken.
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The proposed amendment of KCC27 at this time introduces a formality of guaranty28 and stipulates creditors’ notification to the guarantor29. In addition, as to keun-guaranty, the proposal purports to prohibit an excessively comprehensive keun-guaranty, to limit the duration of keun-guaranty, and to stipulate newly a provision for termination upon material adverse change30. I believe this provision is probably one of the most significant revisions in terms of actual, practical influence31. I doubt these drastic changes in guaranty laws would have been suggested without the financial crisis referred to above. In this regard, this amendment proposal on guaranty is one good example of reflecting society’s needs into legislation.
___________ 27 In preparing these proposals, the applicable provisions of Swiss Obligation Law (Article 492 and its subsequent Articles) were useful references. These provisions of Swiss law were enacted on July 1, 1942 as a substantial amendment to the previous provisions, with reflections on the pains suffered by many people who carelessly guaranteed others’ debts during the recession period of the 1930s. Please refer to Ch. M. Pestalozzi, in: Honsell/Vogt/Wiegand (Hg.), Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht. Obligationenrecht I: Art. 1-529 OR (1992), Vorb. zu Art. 492-512, Rn. 1 (S. 2345). In addition, Article 7:850 and its subsequent Articles of the New Civil Code of the Netherlands were used as references in drafting these provisions. 28 Hence, there will be two juristic acts in KCC requiring certain formalities: the testament and the guaranty. However, I think that the tendency of minimizing formality requirements as shown in the current KCC should be reconsidered. 29 It is an interesting issue whether the creditor may be obligated to take certain actions towards the guarantor, pursuant to general principle of good faith provided for in KCC. For instance, the Supreme Court held in the decision of 1/20/1987, 86daka1262 (Official Case Report 1987, 305) as follows: “A bank’s essential business is lending and earning interest income thereon; a commercial bank may reasonably expand loan amounts to increase interest income as long as there is sufficient security; and personal security is a protection for the bank itself against any default on loans. As such, the bank cannot be obligated to refrain from lending nor to prevent default for the benefit of the guarantor pursuant to general principles of good faith provided for in KCC.” At the first stage of the current preparatory work, a provision discharging the guarantor’s liability to the extent attributable to the creditor’s negligence in its enforcing claims against the main obligor was considered. However, concerns have been raised that imposing such general obligations on creditors would make it difficult for creditors to provide financing. Eventually, it was agreed to provide for limited obligations to give notice. 30 With respect to the right of termination due to change of circumstances in general, please see Article 544-4 discussed in Section 4 below. 31 In addition, Article 448-5 declares Articles 436-2, 448-2 through 448-4 as unilateral mandatory provisions. Any agreement in violation of these provisions, which has an adverse effect on the guarantor, shall be invalidated.
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4. Rescission (Rücktritt) or Termination (Kündigung) of Contract32 The following language for the amendment of the Rescission or Termination section was drafted with existing doctrines and laws of foreign jurisdictions in mind, with the intention of making up for certain defects in KCC. Article 544-2 (Non-performance of Obligation and Rescission): (1) In case the obligor fails to perform its obligation as due, the obligee may give a notice of demand for performance within a reasonable period of time, and if the obligor fails to perform in the given period of time, the obligee may rescind the contract unless the obligor acted without willfulness or negligence in its original nonperformance. (2) The obligee may rescind the contract without giving notice of demand as set forth in Paragraph 1 above, in any of the following cases: 1. If performance of the obligation has become impossible; 2. If non-performance is clearly foreseeable; 3. If the obligor has failed to perform its obligation within a certain specified period of time, in case the contract cannot fulfill its purpose if not performed within such period of time due to the nature of the contract or declared intent of the parties. Article 544-3 (Non-performance and Termination): (1) In a continuing contractual relationship, if an obligor’s future performance of its obligation is doubtful due to its non-performance, the obligee may give notice of demand for performance within a reasonable period of time, and if the obligor fails to perform in the given period of time, the obligee may terminate the contract notwithstanding the agreed duration of the contract unless the obligor acted without willfulness or negligence in its original non-performance. (2) Notwithstanding Paragragh 1, if it becomes inevitable to break off a contractual relationship due to a grave non-performance by the obligor, the obligee may terminate the contract without giving notice of demand for performance. Article 544-4 (Change in Circumstances and Rescission/Termination): When there has been a significant change in circumstances that was unforeseeable at the time of agreement and it is clearly unjust to maintain the contract as originally concluded, the relevant party may request a modification of the contract to reflect the changed circumstances. If the parties fail to reach an agreement for modification in a significant period of time, they may rescind or terminate the contract.
___________ 32 The following discussions refer to statutory right of rescission and statutory right of termination.
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(1) With regard to the rescission of contracts, it was debated whether to require fault (Verschulden) of the obligor as a condition for the right of rescission to arise33. This was one of the most fiercely debated issues in this process of preparatory work. One group strongly argued, relying on recent legislation of other countries and international trends, that fault of the obligor should not be a requirement because rescission of contract should be regarded not as a sanction on the obligor who failed to perform, but as a mechanism to free the obligee from a binding contract when smooth performance of the contract has been hindered34. On the other hand, some argued that a drastic change in this respect is not desirable so far, while keeping an eye open for progress being made in other countries regarding rescission of contracts. It may be too harsh on the obligor to allow the obligee to rescind a contract without finding any fault on the part of the obligor and extinguishing the obligor’s counter obligation. Even under the current regime where the obligor’s fault is required, in reality, it hardly ever determines whether a right of rescission arises. Restricting the argument in connection to impossibility of performance where there is no fault on the part of the obligor, the outcome is identical to an automatic rescission of contract due to the rules of burden of risk (Gegenleistungsgefahr)35. In the end, the latter opinion was adopted in drafting Paragraph 1 of Article 544-2, after the issue was considered in relation to whether KCC should follow the examples of recent foreign legislation in adopting “material non-performance” as a requirement for giving rise to right of rescission. If it is clear that the obligor will not perform its obligation in spite of a notice of demand by the obligee, there is no need to require a notice before giving rise to right of rescission, and such instances are not limited to where the obligor has manifested its intent not to perform as stated in Article 544 of the current KCC. In order to clarify this point, No. 2, Paragraph 2 of Article 544-2 states that a contract may be rescinded without notification if non-performance is clearly foreseeable. (2) The current KCC states instances where termination (voiding a contract going forward) is permitted according to particular types of contractual relationships. The Committee has adopted the view that there should be general rules on conditions giving rise to right of termination due to non-performance in ___________ 33 The same issue comes up regarding right of termination due to non-performance in continuous contractual relationships. Please refer to the following Sub-section (2). 34 This group argued that the following argument from the other side is legislative retrogression considering the fact that the current KCC does not explicitly require obligor’s fault to trigger right of rescission except for cases where performance is impossible. 35 Some raised the concern that not requiring fault on the part of the obligor may raise needs to revise the current rules of burden of risk (Article 537 of KCC), which is thought to be indispensable.
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connection with continuous contractual relationships over a certain period of time36. As for the conditions that give rise to right of termination, in addition to being a one-time non-performance, the non-performance must be of a nature such that future non-performance of all or a significant part of the contract is anticipated. Even under suche conditions, notice of demand is required in principle. However, when the non-performance is so grave that it is no longer reasonable to expect the contract to be complied with by the other party, no notice of demand is required. (3) Aside from rescission and termination of contract due to nonperformance, it has also been an issue of debate as to under which conditions a contract may be terminated due to change in circumstances. It was also discussed from the perspective of embodiment of the principle of good faith. Such conditions are drafted pursuant to existing doctrines, Article 6.2.2 of the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, Article 6:111 of the Principles of European Contract Law and § 313 BGB as amended. On the other hand, there have been considerable debates as to the effects of such termination. Key issues were whether to acknowledge modification of contracts apart from termination, and as a related matter, whether and in what extent the involvement of courts should be acknowledged. In the end, it was the dominant view that it would not be desirable for courts to unilaterally modify the terms of a contract37.Therefore, the Committee decided to acknowledge a right of termination after the terminating party’s request for modification of the contract has failed.
V. Conclusion As discussed above, the process of amending KCC entails drafting language from court precedents and doctrines; solving certain issues regarding legislative meaning that were called to attention after the enactment; and supplementing and amending the initial legislative resolution to keep in line with changed social circumstances and the legislative trends of other countries. On the other hand, the following tasks were not substantially accomplished: disposing of certain provisions that have effectively ceased to be actually effective law; incorporating certain special legislation into KCC; making legal terms ___________ 36 A party can terminate at any time a contract that does not specify the term of the contract (see Paragraph 2 of Article 603 regarding loan for consumption (Darlehen), Article 660 regarding employment and Article 699 regarding bail (Verwahrung etc.), and this is understood to be a declaration of general legal principles. 37 Committee members coming from the court shared this view.
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and sentences easy to read; and reconsidering the structural position of certain regulations and systems. I would like to express some of my thoughts on the current amendment process. (1) I would like to say more bluntly: the significance of the current amendment process is that it showed how extensively KCC could be modified. In other words, we confirmed and delivered a clear message that the provisions of KCC are not golden rules or ratio scripta, but that they could be modified when the need arises. What made us so hesitant to amend KCC in the past? There may be numerous reasons, but I guess the following ideas played a part: as Korea was highly influenced by (in effect, adopting through Rezeption) the laws of other countries, we had to focus more on understanding them first and were not in a position to rashly discuss the suitability of such laws; rather than saying that some laws are not desirable, should we not ask initially whether the problem was due to the backwardness of Korean people or society? A different view, but similarly indifferent towards legislation, might exist as follows: instead of relying on the written law of the Code, it is better to absorb living law into the system through precedents, and further, through the accumulated precedents, the problems of written law could be addressed little by little rather than by amending the Code. Was there not also apprehension about amending the basic Codes when the normative landscape was unstable (meaning that it was difficult to predict how the courts would rule)? Figuratively speaking, despite the problems shown in a completed building, did not many people worry that fixing the problematic section would have an adverse impact, in some cases a destructive impact, on other sections or the rest of the building? I personally feel that it is somewhat masochistic to hesitate amending the basic codes such as KCC and to try to solve any problem of such codes through case precedents and doctrines only. Although KCC was consciously structured loosely to adapt to the future, this is only true relative to other laws. KCC comprises over 760 provisions (which is a relatively small number comparedto that of the German BGB) in the first three Books. Not all provisions are fundamental principles that are true forever and many are fortuitous and incomplete laws that could only be explained in the context of a particular time in history. KCC is based on laws of Germany, France, Switzerland and England in the late 19th and early 20th century. No one could say that the selection of certain items from these laws was entirely reasonable and proper at that time, much less feel confident about the propriety of such selection as of today. I believe we should recognize the importance of legislation, especially since we have accepted our laws from other countries through the process of legisla-
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tion. Hence, should not an extensive amendment be carried out independently from our own initiative rather than through pressure from other countries? (2) Furthermore, it is crucial to officially fix and legitimize legal concepts, legal propositions and legal institutions through the actual provisions of KCC. This is especially true when we consider that KCC is the source of various legal tools and legal apparatus. KCC provides a lawyer with plenty of detailed techniques to perform legal analysis and think in legal terms about any event in the world including basic aspects of people's lives such as property rights, contracts and marriage. Notwithstanding the acknowledgment that the law is not a complete system and that deficiency in law is inevitable, being granted citizenship by actual provisions of positive law is totally different, in terms of stability, clarity and systematization, from case law that depends on individual events, or from general principles of good faith and public order and good morals. (3) We cannot overlook costs involved in an extensive amendment of KCC. The various aspects of costs involved include increased work for professors and students of law due to the need for new textbooks and commentaries for new provisions; and, more importantly, instability in everyday life and transactions due to ambiguity on how the courts will interpret and apply the new provisions. There is a law in effect at the present, and it is advisable to be prudent in legislating amendments. Even considering the costs involved, however, I cannot help but think that there are many provisions in the current KCC that need amending despite the costs. The Korean Civil Code is still undergoing the process of amendment. Sometimes it is frightening to think that I am taking part in this process when I realize that legislative work exhibits the quality of a country’s law and legal culture. I would like to take this opportunity to hear the candid opinions of all of you who have an interest in this matter and to move one step forward in an effort to improve the Korean Civil Code.
Das neue Schuldrecht Von Günter Hager
Am 1.1.2002 ist das „Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts“1 in Kraft getreten. Zweifellos handelt es sich bei dieser Reform um die grundlegendste und wichtigste Umgestaltung, die das Schuldrecht je erfahren hat.
I. Der aktuelle Anlass Den aktuellen Anlass für die Schuldrechtsmodernisierung bildete die nötige Umsetzung mehrerer EG-Richtlinien, insbesondere der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie2. Die Geschichte dieser Reform reicht allerdings weiter zurück: Bereits Ende der siebziger Jahre stellte Hans Jochen Vogel, damals Bundesminister der Justiz, die Idee einer umfassenden Überarbeitung des Schuldrechts vor3. In der Folge gab das Ministerium wissenschaftliche Gutachten in Auftrag4 und setzte eine Kommission ein, deren Abschlussbericht aus dem Jahr 1991 bereits einen ersten Normentwurf enthielt5. Dieser Vorschlag rief zwar einige kontroverse Stellungnahmen hervor. Auch setzte sich drei Jahre später der Deutsche Juristentag mit dem Entwurf auseinander6. Jedoch verebbte der Reformeifer zusehends, ohne dass in zentralen Fragen ein Konsens erreicht worden wäre.
___________ 1
BGBl. I Nr. 61 vom 29.11.2001, S. 3138 ff. Richtlinie 1999/44/EG vom 25.5.1999, Amtsblatt L 171 vom 7.7.1999, S. 0012 ff. 3 s. die Nachweise bei Zimmermann, in: Ernst/Zimmermann (Hg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, S. 13. 4 Bundesminister der Justiz (Hg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, 3 Bde., 1981 und 1983. 5 Sog. „Kommissionsentwurf“; s. Bundesminister der Justiz (Hg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992. 6 s. den grundsätzlich befürwortenden Beschluss des 60. DJT, abgedruckt in NJW 1994, 3075 ff. 2
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Einigermaßen überrascht reagierte daher die Fachwelt, als die Bundesregierung im August 2000 eine neue Entwurfsfassung vorlegte7. Mit neuem Schwung kam sogleich die wissenschaftliche Aufarbeitung des Reformprojekts wieder in Gang. Die Zeit für derartige Kontroversen war freilich von vornherein begrenzt: Die europäischen Vorgaben zum Verbrauchsgüterkauf mussten bis Ende 2001 in das nationale Recht umgesetzt werden. Da die Bundesregierung die grundlegende Reform des Schuldrechts mit der Transformation dieser und der weiteren genannten Richtlinien verknüpft hatte, ergab sich ein entsprechender Zeitdruck für das gesamte Projekt. In der Wissenschaft mehrten sich Zweifel, ob der gesetzte zeitliche Rahmen für eine breite Diskussion der geplanten Neuordnung zentraler Regelungskomplexe ausreichend bemessen war. Der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verknüpfung von Schuldrechtsreform und Richtlinientransformation, dieser sog. „großen Lösung“, wurden daher Entwürfe gegenübergestellt, die im Sinne einer „kleinen Lösung“ lediglich die Vorgaben der EG-Richtlinien innerhalb und außerhalb des BGB umsetzten, die grundlegende Reform jedoch zurückstellten8. Auch wenn die in rascher Folge vorgelegten weiteren Entwurfsfassungen9 zahlreiche Kritikpunkte berücksichtigten, verstummten die ablehnenden Stimmen bis zuletzt nicht. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vermochten sie freilich nicht mehr aufzuhalten.
II. Zentrale Elemente des neuen Schuldrechts Zentrale Elemente des neuen Schuldrechts sind zum einen die Integrierung des Verbraucherschutzes in das allgemeine Schuldrecht sowie zum anderen die Neugestaltung des Leistungsstörungsrechts. Zu beiden Komplexen soll kurz Stellung genommen werden, wobei das Schwergewicht auf die Neugestaltung des Leistungsstörungsrechts gelegt wird10.
___________ 7
Sog. „Diskussionsentwurf“, abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 3 ff. 8 s. insbesondere den Vorschlag von Ernst/Gsell, ZIP 2000, 1410, 1812 ff. 9 Zu nennen sind insbesondere die „Konsolidierte Fassung“ des Diskussionsentwurfs (abgedruckt bei Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, 2002, S. 349 ff.) sowie der „Regierungsentwurf“ (BT-Drucks. 14/6040). 10 Zu kurzen Übersichten über das neue Schuldrecht siehe: Däubler, Neues Schuldrecht – ein erster Überblick, NJW 2001; Schwab, Das neue Schuldrecht im Überblick, JuS 2002, 1.
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1. Verbraucherschutz Die Schuldrechtsreform hat eine Reihe von Verbraucherschutzregeln, die ursprünglich in Sondergesetzen enthalten waren, in das neue Schuldrecht eingefügt. Genannt seien die Regeln zum Schutz vor missbräuchlichen Klauseln (§§ 305 ff. BGB), das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften (§ 312 BGB), die Fernabsatzverträge (§ 312b BGB), die Teilzeit-Wohnrechteverträge (§ 481 BGB), der Verbraucherdarlehensvertrag sowie die Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 491, 499 BGB). Es lag in der Konsequenz dieser Integration des Verbraucherschutzrechts, dass der Verbrauchsgüterkauf in Umsetzung der Verbrauchsgüterrichtlinie in den Vorschriften über den Kauf geregelt wurde (§ 474 BGB). Analysiert man die Schutzfunktion der erwähnten Verbraucherschutzregeln, so lassen sich folgende Leitideen feststellen: Erstens geht es darum, dem Unternehmer im Verhältnis zum Verbraucher Zusatzpflichten, insbesondere Informationspflichten, aufzuerlegen und insoweit Formerfordernisse vorzuschreiben (§§ 312 c, 312 e, 482, 483, 484, 492, 494, 502 BGB). Zweitens geht es darum, dem Verbraucher zum Schutz vor übereilten Geschäften Widerrufsrechte einzuräumen (§§ 312, 312 b, 485, 495, 503, 505 BGB). Das Widerrufsrecht erfährt eine praktisch wichtige Erweiterung bei Verträgen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, so in dem Fall, dass der Käufer zur Finanzierung des Kaufes durch Vermittlung des Verkäufers bei einer Bank ein Darlehen aufnimmt. Denn hier erfasst der Widerruf des einen Geschäfts auch das andere. Drittens geht es schließlich darum, bestimmten Klauseln, insbesondere Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Wirksamkeit zu versagen (§§ 307, 308, 309, 475 BGB). Diesem System des Verbraucherschutzes liegen verschiedene Schutzkonzepte zugrunde. Die Kontrolle missbräuchlicher Klauseln ist Ausgleich einer gestörten Vertragsparität. Der Vertragspartner des AGB-Verwenders kann sich selbst gegen derartige Klauseln nicht wehren. Der Gesetzgeber muss deshalb korrigierend eingreifen. Die Regeln zur Statuierung von Informationspflichten zielen auf den mündigen Verbraucher. Er soll in die Lage versetzt werden, eine wohl informierte, rationale Entscheidung zu treffen. Die Einräumung der Widerrufsrechte orientiert sich am unmündigen Verbraucher. Dieser wird gleichsam vor sich selbst geschützt. Dieser Schutz hat freilich seine Schattenseiten. Die vermehrte Statuierung von Widerrufsrechten unterhöhlt die Vertragbindung, die klassische Parömie pacta sunt servanda droht dem paternalistischen Ruf pacta sunt revocanda zu erliegen. Unabhängig davon, ob man nun die einzelne Verbraucherschutzregelung billigt oder nicht, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Verbraucherschutzregeln im Schuldrecht ihren richtigen Platz haben. M.E. ist dies zu verneinen. Das Schuldrecht ist das Recht der bürgerlichen Gesellschaft. Ausgehend vom Leit-
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bild des selbstverantwortlichen Rechtssubjekts gründet es auf dem Prinzip der Privatautonomie. Das Verbraucherschutzrecht schützt den Verbraucher in bestimmten Vertragssituationen und entwickelt hierfür ein bestimmtes Schutzkonzept. Dieses Schutzkonzept drängt das Modell des frei ausgehandelten privatautonomen Vertrages in den Hintergrund. Das Schuldrecht droht damit in eine Schieflage zu geraten. Die Abdrängung des Verbraucherschutzrechts in ein Sondergesetz wäre deshalb vorzuziehen gewesen. Systematisch stellte dann das Verbraucherschutzrecht gleichsam einen Gegenpol zum Handelsrecht dar und träte wie dieses ergänzend neben das BGB. Im Hinblick auf die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen mag man anders entscheiden. Hierbei geht es im Kern gar nicht um Verbraucherschutz, sondern um allgemeine Grenzen der Privatautonomie. Es erscheint deshalb sachgerecht, das AGB-Recht in das BGB zu integrieren. Der systematisch richtige Platz wäre freilich der allgemeine Teil, denn das AGB-Recht weist Bezüge zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, zu den Inhaltsschranken der §§ 134, 138 BGB sowie schließlich dem Vertragsabschlussrecht auf11.
2. Neugestaltung des Leistungsstörungsrechts Schwerpunkt der Schuldrechtsreform ist die Neugestaltung des Leistungsstörungsrechts. Im Mittelpunkt des neuen Leistungsstörungsrechts steht der Begriff der Pflichtverletzung. Die Pflichtverletzung ist einheitlicher Anknüpfungspunkt für die verschiedenen Rechtsbehelfe des Gläubigers. Der Begriff der Pflichtverletzung erfasst nicht nur die traditionellen Fälle der Nichterfüllung und der Verzögerung der Erfüllung, sondern auch die Lieferung mangelhafter Ware, sowie die Herstellung eines mangelhaften Werkes. Die Einbeziehung der Sachmängelhaftung in das allgemeine System der Leistungsstörungen ist eine der wichtigsten Neuerungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes. Die Vereinheitlichung der verschiedenen Formen der Vertragsverletzung durch einen einheitlichen Begriff ist im Ansatz zu begrüßen. Dies entspricht auch den Konzeptionen im Auslandsrecht und im UN-Kaufrecht. Zu kritisieren ist dagegen die Wahl des Begriffs „Pflichtverletzung“. Historische Ursache dieses Begriffs ist die dem deutschen Juristen vertraute Figur der positiven Vertragsverletzung, wie sie Staub entwickelt hat. Der Begriff der Pflichtverletzung erweist sich aber in zahlreichen Fallgestaltungen als wenig glücklich. Kann etwa eine Sängerin wegen eines Unfalls oder wegen einer plötzlichen Erkrankung nicht auftreten, will es nicht recht einleuchten, ihren Nichtauftritt als Pflichtverletzung zu qualifizieren. Ähnlich liegt es, wenn ein Erfolg geschuldet wird, der ___________ 11 So zu Recht: Wolf/Pfeiffer, Der richtige Standort des AGB-Rechts innerhalb des BGB, ZRP 2001, 303.
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aus Gründen höherer Gewalt nicht erbracht werden kann. Auch hier will es nicht einleuchten, allein aus der Nichterbringung des Erfolgs auf eine Pflichtverletzung zu schließen. Glücklicher wäre es deshalb gewesen, mit dem Begriff der Nichterfüllung zu operieren12. Mit gutem Grund spricht man auch im angelsächsischen Recht von non-performance, im französischen Recht von der inexécution, desgleichen verwendet auch das UN-Kaufrecht den Begriff der Nichterfüllung. Mögliche Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung sind Geltendmachung des Erfüllungsanspruchs, Rücktritt vom Vertrag sowie Ansprüche auf Schadensersatz. Rücktritt und Schadensersatz können anders als im alten Recht kombiniert werden (§ 325 BGB). Das BGB folgt mit diesen Regeln im Ansatz dem angloamerikanischen System: Dem beeinträchtigten Gläubiger werden verschiedene Rechtsbehelfe, nämlich Erfüllung, Rücktritt und Schadensersatz zur Verfügung gestellt. Dieses System entspricht nicht dem ursprünglichen Konzept des BGB. Danach stand dem Gläubiger aus dem Schuldverhältnis ein einheitliches Forderungsrecht zu, das primär auf Naturalerfüllung, sekundär auf Schadensersatz gerichtet war. Im Fall des Rücktritts wurde das ursprüngliche Schuldverhältnis in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt. Auf diese Abkehr von der alten Dogmatik hat insbesondere Stoll aufmerksam gemacht13. In der Sache scheint mir die neue Konzeption durchaus vernünftig zu sein. Für den beeinträchtigten Gläubiger stellt sich angesichts der Nichterfüllung des Vertrages notwendigerweise die Frage, ob er am Vertrag festhalten, d.h. Erfüllung verlangen, oder ob er vom Vertrag Abstand nehmen, d.h. vom Vertrag zurücktreten soll, und ob ihm in beiden Fallgestaltungen ein Schadensersatzanspruch zusteht. Diese gleichsam naturgesetzliche Sachlogik wird im geltenden System abgebildet. Wenden wir uns nun den einzelnen Rechtsbehelfen zu. (1) Der Erfüllungsanspruch, zu Recht das Rückgrat der Obligation genannt, wird gewissen Einschränkungen unterworfen. Zu nennen ist hier in erster Linie die Regelung des § 275 Abs. 1 BGB, die besagt, dass der Leistungsanspruch ausgeschlossen ist, soweit die Leistung für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Hierunter fallen die traditionell anerkannten Fälle objektiver wie subjektiver Unmöglichkeit. Beispiele objektiver Unmöglichkeit wären der Untergang der verkauften oder vermieteten Sache, der Kauf eines Geheimverfahrens, das bereits offenkundig ist, der Tod eines Sängers, auf dessen Person ein Konzert abgestellt war, desgleichen die Fälle des Fristablaufes beim absoluten Fixgeschäft, ebenso gehören hierher die Fälle rechtlicher Unmöglichkeit, wie etwa die Anordnung eines Vermächtnisses im Hinblick auf eine Sache, die sich ___________ 12 So auch Stoll, Notizen zur Neuordnung des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 2001, 589, 593. 13 Stoll, JZ 2001, 589, 590.
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bereits im Eigentum des Vermächtnisnehmers befindet14. Subjektive Unmöglichkeit ist dann gegeben, wenn der Schuldner außerstande ist, die Leistung zu erbringen, Dritten dies aber durchaus möglich wäre. Bei dieser Fallgruppe ist zu beachten, dass häufig nicht Unmöglichkeit, sondern nur Verzögerung der Leistung vorliegt, dies dann, wenn der Schuldner das Leistungshindernis noch beheben kann. Wenn eine solche Behebung aber nicht mehr in Betracht kommt, ist § 275 Abs. 1 BGB anwendbar, so etwa in dem Fall, dass einem Dienstverpflichteten mangels entsprechender Qualifikationsnachweise die Erbringung bestimmter Dienstleistungen nicht möglich ist und der Qualifikationsnachweis auch nicht mehr erlangt werden kann. Aufmerksamkeit verdient, dass der Wegfall der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit unabhängig davon eingreift, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder nicht15. In der Sache wird dadurch der Erfüllungsanspruch erheblich eingeengt. Denn die Behauptung des Schuldners, die Leistung sei unmöglich, stellt jetzt auch dann einen schlüssigen Einwand dar, wenn sich aus dem Vortrag des Schuldners dessen Verantwortlichkeit für das Leistungshindernis ergibt. Nach altem Recht war dagegen der Einwand bei dieser Konstellation unerheblich, der Gläubiger konnte ein Urteil auf Erfüllung erwirken, d.h. er konnte es in der Zwangsvollstreckung darauf ankommen lassen, ob das Urteil nicht doch durchgesetzt werden kann. Der Gesetzgeber hat es bei der erläuterten Einschränkung des Anspruchs auf Erfüllung infolge Unmöglichkeit nicht bewenden lassen, sondern im § 275 Abs. 2 BGB dem Schuldner in Fällen der so genannten Unerschwinglichkeit der Leistung ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt. Diese Einrede kommt dann in Betracht, wenn die Leistung einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Abzuwägen sind hier also der zu erbringende Aufwand und das Leistungsinteresse des Gläubigers. In diese objektive Abwägung fließen noch subjektive Elemente ein, denn nach § 275 Abs. 2 S. 2 BGB ist bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Ein Beispiel für ein solches Verweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB wäre etwa der Fall, dass ein vermietetes, altes denkmalgeschütztes Gebäude teilweise zerstört wird und der Vermieter für die Reparatur des Gebäudes einen Aufwand tragen müsste, der über den Neuherstellungskosten läge16. ___________ 14 Im Einzelnen siehe hierzu Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 275 Rn. 12 bis 17. 15 Hierzu Stoll, JZ 2001, 589, 590. 16 Vgl. hierzu OLG Karlsruhe, NJW-RR 1995, 849.
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Ergänzt wird § 275 Abs. 2 BGB schließlich durch § 275 Abs. 3 BGB, der dem Schuldner gleichfalls ein Leistungsverweigerungsrecht einräumt, und zwar dann, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des der Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann. Hier sind also gegeneinander abzuwägen das Leistungsinteresse des Gläubigers und die Zumutbarkeit der Leistung für den Schuldner. Als Beispiel sei der Fall genannt, dass sich ein Arzt aus Gewissensgründen weigert, eine Abtreibung durchzuführen. Der skizzierte Regelungskomplex des Wegfalls der Leistungspflicht, sei es ipso jure nach § 275 Abs. 1 BGB, sei es auf Einrede nach § 275 Abs. 2 BGB und Abs. 3 BGB, wird ergänzt durch die Vorschrift zum Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB. Im Fall der Störung der Geschäftsgrundlage kann Anpassung des Vertrages verlangt werden. Hilfsweise − wenn eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist −, steht der beeinträchtigten Partei ein Rücktrittsrecht bzw. ein Kündigungsrecht zu. Hervorgehoben zu werden verdient, dass nach § 313 BGB die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung zu berücksichtigen ist. Schließlich ist im Rahmen der Mängelhaftung der Anspruch des Käufers wie der Anspruch des Werkbeststellers auf Nacherfüllung noch besonderen Einschränkungen unterworfen. Verkäufer wie Werkunternehmer können nämlich die Erfüllung verweigern, wenn sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist (§§ 439 Abs. 3, 635 Abs. 3 BGB). Betrachtet man die Gesamtheit der Regelungen zur Begrenzung der Erfüllungshaftung, so sind gewisse Defizite unübersehbar: Zum einen ist eine gewisse Redundanz der Entlastungsgründe festzustellen, zum anderen lassen sich die verschiedenen Tatbestände nicht trennscharf voneinander abgrenzen; des Weiteren beruhen die einzelnen Tatbestände auf ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten, obwohl es doch immer um die gleiche Frage geht, nämlich die, welcher Aufwand vom Schuldner verlangt werden kann; schließlich fragt man sich, ob und inwieweit das Konzept mit den Prinzipien der Privatautonomie und dem damit korrelierenden Prinzip pacta sunt servanda noch übereinstimmt17. (2) Das Rücktrittsrecht des beeinträchtigten Gläubigers ist in § 323 BGB geregelt. Anknüpfungspunkt eines Rücktrittsrechts ist die Nichterbringung einer fälligen Leistung. Darüber hinaus verlangt das Gesetz, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Nachholung der Leistung gesetzt hat. Der Schuldner erhält dadurch die Chance der Nacherfüllung. Unter im Einzelnen angeführten Voraussetzungen ist die Fristsetzung allerdings wieder entbehrlich. Nach den klaren Tatbeständen der Leistungsverweigerung und des ___________ 17 Hierzu Lobinger, Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten, 2004, S. 119 ff.; Picker, Schuldrechtsreform und Privatautonomie, JZ 2003, 1035 ff.
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Fixgeschäftes heißt es abschließend, dass die Frist auch dann entbehrlich ist, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Anders als im alten Recht hängt das Rücktrittsrecht nicht von einem Vertretenmüssen der Pflichtverletzung ab. Diese Neuerung ist sachlich begründet. Erbringt der Schuldner seine Leistung nicht − aus welchen Gründen auch immer, mögen sie zu vertreten sein oder nicht − kann dem Gläubiger ein Festhalten am Vertrage auf Dauer nicht zugemutet werden. (3) Grundnorm für den Schadensersatzanspruch des beeinträchtigten Gläubigers ist § 280 BGB. Nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hängt die Schadensersatzpflicht des Schuldners von einem Vertretenmüssen ab. Das BGB hält damit an dem Grundsatz fest, dass auch im Vertragsrecht die Schadensersatzpflicht grundsätzlich ein Verschulden des Schädigers voraussetzt. Das Verschulden ist aber stark objektiviert. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass es nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird, sondern vor allem daran, dass die Definition des Vertretenmüssens in § 276 Abs. 1, Abs. 2 BGB objektive Elemente in sich aufnimmt, insbesondere auch die Möglichkeit einer Garantieübernahme. Bei der Ausgestaltung der Schadensersatzhaftung des Schuldners konnte das BGB die Konzeption, die Rechtsbehelfe des Gläubigers einheitlich an den Tatbestand der zu vertretenden Pflichtverletzung anzuknüpfen, nicht durchführen. Vielmehr waren noch Differenzierungen im Hinblick auf die Art des geltend gemachten Schadens erforderlich. Die §§ 280 Abs. 2, 286 BGB schreiben im Hinblick auf den Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung vor, dass ein solcher Schadensersatzanspruch grundsätzlich eine Mahnung voraussetzt. Tradiertem Recht entspricht es, dass in bestimmten, weiteren Fallgestaltungen die Mahnung wiederum entbehrlich ist, so insbesondere dann, wenn die Leistung kalendermäßig bestimmt ist. Ergänzt werden diese Tatbestände wiederum durch eine Generalklausel, wie wir sie bereits bei der Entbehrlichkeit der Fristsetzung kennen gelernt haben. Einer Mahnung bedarf es nämlich auch dann nicht, wenn aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzuges gerechtfertigt ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB). § 280 Abs. 3 BGB schreibt für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung vor, dass dieser grundsätzlich nur verlangt werden kann, wenn eine dem Schuldner gesetzte Frist erfolglos abgelaufen ist (§ 281 Abs. 1 BGB). Will etwa ein Käufer von Getreide, das nicht rechtzeitig geliefert wird, einen Deckungskauf vornehmen und den vertragsbrüchigen Verkäufer auf den Ersatz der Mehrkosten in Anspruch nehmen, muss er dem Verkäufer grundsätzlich eine Frist setzen. Die Einschränkung ist folgerichtig. Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung bringt den vertragsbrüchigen Schuldner um die Möglichkeit
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der Nacherfüllung; deshalb soll dieser Schadensersatzanspruch ähnlich wie der Rücktritt grundsätzlich nur dann gewährt werden, wenn der Schuldner eine ihm gesetzte Frist hat verstreichen lassen. Folgerichtig ist die Frist unter den bereits im Rahmen des Rücktrittsrechts erwähnten Voraussetzungen wieder entbehrlich. Eine Sonderregel zum Ersatz frustrierter Aufwendungen stellt § 284 BGB dar. Angenommen ein Grundstückskäufer hat im Vertrauen auf den Erwerb des Grundstücks bereits Planungskosten investiert, später zerschlägt sich der Grundstückserwerb durch einen schuldhaften Vertragsbruch des Verkäufers, so dass die Investitionen sinnlos geworden sind, dann kann der Käufer nach § 284 BGB Ersatz seiner frustrierten Aufwendungen verlangen. Der Käufer kann also statt des positiven das negative Interesse liquidieren. Das alte Recht kannte eine vergleichbare Regel nicht und konnte deshalb in solchen Fällen nur mit der Rentabilitätsvermutung helfen, dass die Aufwendungen im Fall der Erfüllung wieder „hereingeholt“ worden wären und sich deshalb als entgangener Gewinn darstellen18, ein unbefriedigender und nur unter bestimmten Voraussetzungen gangbarer Ausweg. Abschließend sei noch kurz auf das Problem der Verjährung der Ansprüche des beeinträchtigten Gläubigers eingegangen. Eine wichtige Neuerung stellt hier die Regelung des § 438 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar. Die Mängelrechte des Käufers im Fall der Lieferung mangelhafter Ware verjähren danach in zwei Jahren nach Ablieferung. Das alte Recht sah eine Frist von sechs Monaten vor. Dies war sicher zu kurz und hat zu zahlreichen Konstruktionen geführt, die Frist zu überspielen. Die neue Regelung bringt hier eine spürbare Verbesserung. Ziehen wir ein Fazit, darf konstatiert werden, dass die Reform des Leistungsstörungsrechts sicher ihre Schwachpunkte hat, in der Summe aber doch einen Gewinn darstellt. Zutreffend erscheinen mir die besonnenen Worte eines Mitglieds der Schuldrechtsreform, der zu der umfänglichen Diskussion über Vorzüge und Nachteile der Reform wie folgt Stellung genommen hat: „Mit dem Inkrafttreten des SMG ist diese Diskussion um das pro und contra der Reform zu Ende gegangen. Es interessiert nicht mehr, wer welche Fassung des Entwurfs mit welcher Begründung kritisiert und welche Änderung vorgeschlagen hat. Die neuen Vorschriften sind nicht mehr de lege ferenda mit dem Blick auf alternative Regelungsmöglichkeiten zu erörtern, sondern als lex lata nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der Gesetzesinterpretation auszulegen. Dabei wird immer deutlicher, dass sich vieles im Ergebnis nicht geändert hat, manches besser und einfacher geworden ist, alle neuen Auslegungs- und Abgrenzungsfragen
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lösbar sind und Verschlechterungen für den Rechtsanwender kaum auszumachen sind“19.
III. Ausblick Gestatten Sie mir, dass ich die Überlegungen zur Schuldrechtsreform zum Anlass für einige grundsätzliche Bemerkungen zum Verhältnis von Gesetzgeber und Wissenschaft sowie Gesetzgeber und Rechtsprechung nehme. Zunächst darf ich mich dem Verhältnis von Gesetzgeber und Wissenschaft zuwenden: Bei der Schuldrechtsmodernisierung hat der Gesetzgeber das im Zivilrecht bewährte Konzept eines Zusammenwirkens von Wissenschaft und Legislative teilweise aufgegeben. Der Wunsch nach rascher Verabschiedung der Reform hat den befruchtenden Dialog zwischen Gesetzgeber und Wissenschaft in den Hintergrund gedrängt. Es steht zu befürchten, dass sich diese Haltung des Gesetzgebers gegenüber der Wissenschaft nicht allein aus dem mit der Schuldrechtsmodernisierung verbundenen Zeitdruck heraus erklären lässt, sondern Ausdruck eines allgemeinen Paradigmenwechsels ist. Denn bereits im Abschlussbericht der Kommission aus dem Jahr 1991 ist die Klärung offener Fragen nicht wie bislang üblich gleichermaßen Rechtsprechung und Wissenschaft, sondern in erster Linie der Rechtsprechung überantwortet worden20. Dies führt mich zum Verhältnis von Gesetzgeber und Rechtsprechung: Der Gesetzgeber hat sich, wie oben dargetan, im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz wiederholt solch allgemeiner Begriffe wie „berechtigtes Interesse“, „Unzumutbarkeit“, „grobes Missverhältnis“ bedient, um seine Regelungen im Interesse der Billigkeit aufzuweichen. Auf die Gefahr einer solchen „Flucht in die Generalklauseln“ hat schon 1933 Hedemann in seinem gleichnamigen Buch aufmerksam gemacht. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Gesetzgebungstechnik zu Rechtsunsicherheit führt und die Verbindlichkeit der privatautonom geschlossenen Vereinbarungen untergräbt. Mir geht es aber um einen anderen, weiter reichenden Aspekt. Ein Gesetzgeber, der in dieser Weise verfährt, begibt sich seiner Regelungsmacht und überlässt die Letztverantwortung der Rechtsprechung, also dem Richter. Erst durch die richterliche Entscheidung erlangt die Norm die notwendige Konkretheit. Es ___________ 19
Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, Einleitung Rn. 19. Bundesminister der Justiz (Hg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, 1992, S. 40 f. 20
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findet also eine Machtverteilung vom Gesetzgeber auf den Richter statt. Eine solche Machtverlagerung auf die Justiz ist meines Erachtens heute ein signifikantes Zeichen des modernen Rechts. Im angloamerikanischen Recht entspricht die herausgehobene Position der rechtsprechenden Gewalt langer Tradition. Aber auch in den kodifizierten Rechtssystemen nehmen Gerichte in immer größerem Umfang die Befugnis zur Rechtsfortbildung, und das heißt letztlich zur Rechtsetzung, in Anspruch. Erinnert sei nur daran, in welch fundamentaler Weise der französische Kassationshof im Gewand strenger Gesetzestreue den Code civil umgeformt hat. Nicht ganz so versteckt, aber doch kaum weniger weit reichend haben in Deutschland das Reichsgericht und ihm folgend der Bundesgerichtshof die Rechtsentwicklung voran getrieben. Verstärkt wird das Anwachsen der richterlichen Macht durch den Einfluss des Verfassungsrechts und damit der Verfassungsgerichtsbarkeit auf das Zivilrecht wie auf die Grundfragen des Rechts überhaupt. Ich glaube, dass in Zukunft eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtswissenschaft darin besteht, den skizzierten Machtwechsel vom Gesetzgeber auf die Justiz wissenschaftlich zu begleiten. Der Wissenschaft wächst damit eine neue Aufgabe zu.
Zur Reform des koreanischen Zivilprozessrechts im Jahr 2002 Von Moon-Hyuck Ho
I. Einleitung In Korea gab es eine Reform des Zivilverfahrens im Jahr 19901. Aber schon vor dieser Reform hat man erkannt, dass eine gründliche Änderung der Verfahrensstruktur notwendig sei. Daher hat der Oberster Gerichtshof (OGH) einige Landgerichte verschiedene Modelle zur Verstärkung des Vorbereitungsverfahrens probieren lassen. Im April 1995 hat der OGH die Reformarbeit angefangen, indem er eine Kommission eingesetzt hat, welche die reformbedürftigen Punkte herauszufinden hatte. Die Kommission hat im Dezember desselben Jahres einen Bericht publiziert. Der OGH hat im September 1996 eine ReformKommission eingesetzt. Sie hat einen Entwurf vorgelegt und der OGH hat ihn im Februar 1999 dem Justizministerium übergeben; denn der OGH ist nicht berechtigt, einen Gesetzesentwurf dem Parlament vorzulegen. Im Justizministerium hat man sodann eine Kommission gebildet, die den Entwurf überprüfen sollte. Sie hat im März 2000 einen revidierten Entwurf erstellt, und die Regierung hat nach der weiteren Überprüfung in Oktober 2000 einen modifizierten Entwurf dem Parlament vorgelegt. Das Parlament hat die Novelle Dezember 2001 verabschiedet und die Regierung hat sie im Januar 2002 verkündet. Dieses Reformgesetz ist seit dem 1. Juli 2002 in Kraft2. Die Reform 2002 hat hauptsächlich darauf gezielt, die Verfahrensstruktur gründlich zu verändern, wie die Reform in Deutschland durch die Vereinfachungsnovelle im Jahr 1976. Um die Konzentration der Verhandlung zu realisieren, wurden die Regelungen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung und diejenigen der Präklusion verstärkt und erweitert. Außerdem sind in der Novelle einige wichtige Änderungen enthalten: ___________ 1 Zu dieser Reform vgl. Ho, Zur neueren Reform des Zivilverfahrensrechts in Korea, ZZP Int, Bd. 1, 1996, 337 ff. 2 Über die Einzelheiten des Reformvorgangs, vgl. Verwaltungsbehörde des OGH (= VwOGH), Erläuterungen der Novelle zum Zivilprozessrechts, 2002 (= Erläuterungen), S. 3 ff.
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Moon-Hyuck Ho (1)
Trennung des Zwangsvollstreckungsrechts vom Zivilprozessrecht;
(2)
Überarbeitung der Vorschriften und Fachausdrücke, um den Inhalt der gesetzlichen Regelung den normalen Bürgern verständlicher zu machen;
(3)
Erweiterung des besonderen Gerichtsstands: Besonderer Gerichtsstand für Sachen des geistigen Eigentums und des internationalen Verkehrs (§ 243);
(4)
Anerkennung von neuen Beweismitteln wie z.B. elektronisches Dokument, Ton- und Videoband, Fotos, grafische Darstellungen u.s.w. (§ 374);
(5)
Abschaffung der Subsidiarität der Parteivernehmung (§ 367);
(6)
Erweiterung der Streitgenossenschaft: Eventuelle und alternative Streitgenossenschaft (§ 70);
(7)
Zulassung der einseitigen selbständigen Parteiintervention (§ 79 Abs. 1);
(8)
Erweiterung der Möglichkeit des gerichtlichen Vergleichs durch eine vom Notar beglaubigte Urkunde (§ 148 Abs. 3) und durch den Beschluss, mit dem das Gericht den Parteien den Vergleich mit bestimmten Inhalt empfiehlt (§§ 225 ff.);
(9)
Einführung der Abänderungsklage (§ 252);
(10) Auflockerung der Voraussetzungen für die Anerkennung eines ausländischen Urteils (§ 217 Nr. 2).
Im Folgenden werden (1) Konzentration und Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, (2) Neue besondere Gerichtsstände, (3) Eventuelle und alternative Streitgenossenschaft, (4) Betonung des gerichtlichen Vergleichs, (5) Abänderungsklage und (6) Voraussetzungen für die Anerkennung ausländischer Urteile erörtert.
II. Konzentration der mündlichen Verhandlung 1. Vorbereitung der mündlichen Verhandlung a) Notwendigkeit der Reform Vor der Reform musste das Gericht kein Vorbereitungsverfahren durchführen. Beim Verfahren vor dem Einzelrichter hatte man keine Möglichkeit der Vorbereitung vorgesehen. Nur beim Verfahren vor dem Kollegialgericht konnte man die mündliche Verhandlung vorbereiten (§ 253 a.F.). Dem Abschluss der ___________ 3 Vorschriften ohne Gesetzesangabe sind diejenigen der koreanischen Zivilprozessordnung.
Zur Reform des koreanischen Zivilprozessrechts im Jahr 2002
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Vorbereitung folgt grundsätzlich die Präklusion (§ 259 Abs. 1 a.F.). Denn die meisten Richter haben die Befürchtung, wegen der Präklusion ein Fehlurteil zu fällen, da in der Tat früher kein Gericht ein Vorbereitungsverfahren durchgeführt hatte. Dies hatte dazu geführt, dass der Vorsitzende mehr Termine anzuberaumen und oft Termine zu verlegen hatte. Man hat deshalb diesen Zustand als nicht mehr erträglich angesehen und eine Reform geplant. Man sagt oft, unsere Prozesse dauern zu lange und daher sei die Prozessbeschleunigung äußerst wichtig4. Bei uns handelt es sich allerdings nicht um die Beschleunigung des Verfahrens, sondern um die Konzentration der Verhandlung. Auch vor der Reform waren die Verfahren ziemlich schnell gelaufen. Z.B. sind im Jahr 2000 ca. 82% der Zivilsachen in erster Instanz innerhalb von fünf Monaten erledigt worden5. Das Problem war nicht die Verzögerung des Verfahrens, sondern die Zersplitterung der Verhandlung6. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber die Maßnahmen wie Klageerwiderungszwang und obligatorische Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingeführt. b) Klageerwiderungszwang Vor der Reform hatte der Beklagte keine Klageerwiderung einzureichen, wobei diese nur als ein vorbereitender Schriftsatz angesehen wurde. Die meisten Beklagten verneinten mit der Erwiderung sämtliche Behauptungen der Kläger ohne irgendeine konkrete Begründung. Seit der Reform hat jeder Beklagte eine Klageerwiderung einzureichen, wenn er gegen den Klageantrag vorgehen will (§ 256). Wenn er innerhalb von 30 Tagen keine Erwiderung eingereicht hat, kann das Gericht die Behauptung des Klägers für vom Beklagten zugestanden halten und ohne mündliche Verhandlung ein Urteil fällen (§ 257). Nach dem Willen des Gesetzgebers liegt der Grund dieser neuen Regelung in den praktischen Erfahrungen, wonach der Beklagte, der keine Klageerwiderung eingereicht hat, in der Regel nicht zum Termin erscheint. Dann habe das Gericht die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen als zugestanden ansehen und die Verhandlung schließen können. Daher sei es sinnlos, für den Beklagten, der sich gegen den Klageantrag nicht verteidigen wolle, einen Termin anzuberaumen. Dieser Erwiderungszwang soll auch der geläufigen Vorbereitung der Verhandlung dienen7. ___________ 4
Z.B. Yong Sik Lee, Neues Zivilprozessrecht, 2. Aufl., 2004, S. 24, 26. VwOGH, Justizjahrbuch 2001, S. 405 f. 6 Trotz der Zersplitterung hatte das Verfahren deswegen nicht lange gedauert, weil die Gerichte Termine durchschnittlich im Abstand von drei Wochen anberaumt hatten. 7 VwOHG, Begründung des Entwurfs zur Reform des Zivilprozessrechts, 1998, S. 18 f. 5
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c) Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Seit der Reform hat das Gericht grundsätzlich für jeden Rechtsstreit die mündliche Verhandlung vorzubereiten, damit der Rechtsstreit in mündlicher Verhandlung in einem gründlich vorbereiteten Termin erledigt werden kann. Der Gesetzgeber hat dafür zwei Typen vorgesehen: Schriftliches Vorverfahren und Vorbereitungstermin. In jedem Rechtsstreit hat das Gericht (i.d.R. der Vorsitzende) die Vorbereitung durch einen Schriftwechsel zu führen (§ 258 Abs. 1). Die Parteien können jede Tatsachenbehauptung beibringen und auch Beweisanträge stellen (§ 280 Abs. 1 und 2). Das Gericht kann einen Beweisbeschluss erlassen und in den nötigen Fällen auch eine Beweisaufnahme (§ 281 Abs. 1 und 3) durchführen. Im Laufe der Vorbereitung durch den Schriftwechsel kann das Gericht einen Termin zur Vorbereitung der Verhandlung anberaumen und die Parteien zu diesem Termin laden, wenn dieser Termin zur Vorbereitung notwendig zu sein scheint (§ 282). Zeugen und Parteien können an diesem Termin grundsätzlich nicht vernommen werden (§ 281). Nach dem Schluss des Termins sind Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde, wenn die Partei glaubhaft macht, dass das verspätete Vorbringen nicht auf ihrer groben Nachlässigkeit beruht oder wenn das Gericht das Vorbringen vom Amts wegen zu prüfen hat (§ 285 Abs. 1). Die Ladung der Parteien ist auch beim Anwaltsprozess aus folgenden Gründen sinnvoll8: (1) Die Aufklärung der Sachlage durch Gespräche mit den Parteien geht schneller als mit dem Anwalt, denn sie kennen die Sachlage besser als der Anwalt. (2) Mit den Parteien kann der Rechtsstreit schneller und effektiver gütlich beigelegt werden. Die Tatsache, dass der Richter die Parteien unmittelbar gehört hat, mildert die feindselige Haltung der Parteien. (3) Nach dem unmittelbaren Gespräch mit den Richtern sind die Parteien meistens mit dem Ergebnisse der Streitbeilegung zufrieden, und zwar unabhängig davon, ob sie gewonnen haben oder nicht.
2. Rechtzeitiges Vorbringen und Präklusion Vor der Reform war die koreanische ZPO der Einheit der mündlichen Verhandlung treu geblieben. Die Angriffs- und Verteidigungsmittel konnten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beigebracht werden (§ 136 a.F.). ___________ 8
VwOGH, Erläuterungen, S. 164 f.
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Nach japanischem Vorbild gilt dies als Grundsatz des gelegentlichen Vorbringens. Die regelmäßige zeitliche Begrenzung des Vorbringens erfolgte durch die Regelung der Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§ 138 Abs. 1 a.F.). Da aber die meisten Richter das verspätete Vorbringen aus Sorge hinsichtlich eines unrichtigen Urteils kaum zurückgewiesen haben, hatten die Parteien keine Motivation, Angriffs- und Verteidigungsmittel rechtzeitig vorzubringen. Auch wenn die Zivilsachen in Korea relativ schnell erledigt worden sind, erschwerte ein solches verspätetes Vorbringen die umfangreiche Vorbereitung der mündlichen Verhandlung9. Um das Verfahren noch straffer durchführen zu können, hat sich der Gesetzgeber entschlossen, neben der Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§ 149 Abs. 1 n.F.) den sog. Grundsatz der Rechtzeitigkeit einzuführen. Nunmehr sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel der Prozesslage gemäß rechtzeitig vorzubringen (§ 146). Um die Rechtzeitigkeit des Vorbringens sicherzustellen, kann der Vorsitzende für das Vorbringen von bestimmten Streitpunkten eine Frist setzen (§ 147 Abs. 1). Das Angriffs- oder Verteidigungsmittel, das eine Partei erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht hat, ist nicht zuzulassen, es sei denn, dass die Partei glaubhaft macht, dass das Mittel aus gerechtfertigtem Grund verspätet vorgebracht wurde (§ 147 Abs. 2). Vor der Reform war die Präklusion nur in zwei Fällen anerkannt: Präklusion nach dem Abschluss des vorbereitenden Verfahrens und Zurückweisung verspäteten Vorbringens. Nunmehr ist die Möglichkeit der Präklusion wie folgt erweitert: (1) Präklusion nach dem Abschluss des vorbereitenden Termins, (2) Präklusion nach dem Ablauf jeder vom Vorsitzenden gesetzten Frist, (3) Zurückweisung verspäteten Vorbringens, (4) Erweiterung der Präklusionswirkung auf die Berufungsinstanz.
3. Bewertung der Reform Da es früher in Korea hauptsächlich nicht um die Prozessverzögerung, sondern um die Zersplitterung der mündlichen Verhandlung ging, ist die Konzentration der Verhandlung durch die gründliche Vorbereitung, welche sich die Novelle zum Hauptziel der Reform setzt, sehr zu begrüßen. In der Literatur wird allerdings das Ziel der Konzentration oft mit dem der Beschleunigung verwechselt. Selbstverständlich haben beide Ziele viele gemeinsame Durchsetzungsmittel, wie z.B. Vorbereitung der Verhandlung, richterliche Fristsetzung, Präklusion u.s.w. Aber sie sind nicht dieselben. In Korea ist die Konzentration der Verhandlung wichtiger als die Beschleunigung des ___________ 9
VwOGH, Erläuterungen, S. 49.
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Verfahrens. Sicherlich dient ein rechtzeitiges Vorbringen der Parteien auch der Prozessbeschleunigung10. Wenn man auf Prozessbeschleunigung Wert legt, ist auch die Erweiterung der Präklusionsmöglichkeit sehr zu begrüßen. So sehen es der Gesetzgeber in Korea und auch derjenige in Deutschland. Sie sehen die Regelung der Präklusion von der Natur der Sache her als selbstverständlich und folgerichtig an, wenn man die Vorbereitung der Verhandlung und die richterliche Fristsetzung eingeführt hat. Die Parteien laufen allerdings in Gefahr, dass ihre wichtigen Angriffs- oder Verteidigungsmittel unberücksichtigt bleiben und sie daher eine unrichtige Entscheidung erhalten können. Diese Situation der Partei ist ähnlich wie die Situation eines Soldaten, der in der Mitte eines weiten Minenfelds steht. Wenn man aber auf die Konzentration der Verhandlung Wert legt, sieht man die Präklusion als unwichtig an; denn anders als die Beschleunigung ist die Konzentration auch mit der Erfordernis einer gerechten Entscheidung verbunden. In der Praxis zeigt sich bereits das Phänomen, dass die Richter keine Frist setzen wollen, um die Regelung der Präklusion zu umgehen. Japanische Gesetzgeber haben sich völlig anders entschieden: Die Partei braucht nur den Grund der Verspätung zu erklären. Das ist eine extrem weiche Methode. In Korea wäre es ausreichend, dass der Richter das verspätete Vorbringen akzeptieren kann, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie keine Prozessverzögerung beabsichtigt hat. Wenn es vor allem in einem Land wie Korea keinen Anwaltszwang gibt, liegt sowohl Konzentration als auch Beschleunigung nicht in den Händen der Parteien, sondern des Richters. Denn in der Regel sind die Parteien den richterlichen Anordnungen gegenüber gehorsamer als die meisten Rechtsanwälte. Darüber hinaus hat der Reform-Gesetzgeber m. E. den alten Grundsatz des gelegentlichen Vorbringens missverstanden. Dieser Grundsatz bedeutet nicht, dass die Parteien Angriffs- und Verteidigungsmittel zu einem willkürlich ausgewählten Zeitpunkt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorbringen dürfen11. Dies kann man leicht erkennen, wenn man auch die Regelung der Zurückweisung der verspäteten Angriffs- und Verteidigungsmittel berücksichtigt. „Gelegentliches Vorbringen“ bedeutet also Vorbringen bei passenden prozessualen Umständen. Daher ist die Bedeutung dieses Grundsatzes nicht viel anders als die des Grundsatzes der Rechtzeitigkeit. Die Ursache der Prozessverzöge___________ 10
Im Grunde genommen ist ein Prozess nicht zu fördern, sondern zu vermeiden, wie es einmal Leipold angedeutet hat, Leipold, Prozeßförderungspflicht der Parteien und richterliche Verantwortung, ZZP 93, 1980, 237 ff. 11 Dieser Grundsatz ist auch in der Literatur weitgehend so missverstanden und die Rechtzeitigkeit ist als ein völlig neuer Grundsatz angesehen worden (z.B. Song, Zivilprozessrecht, 4. Aufl., 2004, S. 434; Lee (Fn. 4), S. 294; Kang, Zivilprozessrecht, 5. Aufl., 2002, S. 465).
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rung bzw. -zersplitterung lag in Korea nicht in dem „gelegentlichen Vorbringen“ der Parteien, vielmehr in der richterlichen Unterlassung der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung. Dass der Gesetzgeber statt der Gelegentlichkeit die Rechtzeitigkeit als ein Prinzip anerkannt hat, ist eine Übertreibung gewesen.
III. Neue besondere Gerichtsstände 1. Inhalt und Bedürfnis Bei den Rechtsstreitigkeiten über geistiges Eigentum und internationalen Verkehr fällt es den Juristen ohne Fachkenntnisse nicht leicht, die Sachen zu behandeln. Daher ist es ideal, diese Sachen von den Fachgerichten oder von Fachkammern behandeln zu lassen. Aus diesem Grund hat der OGH bereits angefangen, in verschiedenen Gerichten Fachkammern einzurichten, die für die Sachen des geistigen Eigentums und des internationalen Verkehrs zuständig sind. Es ist aber nicht möglich, bei allen Gerichten solche Fachkammern zu errichten. Nur die Gerichte in größeren Städten sind in der Lage, Fachkammern einzurichten und mit ihnen solche Rechtsstreitigkeiten zu bewältigen. Daher erscheint es sinnvoll, die Gerichte mit größerer Kapazität auch für solche Sachen für zuständig zu erklären12. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber neue Vorschriften eingefügt: Klagen in Sachen des geistigen Eigentums und in solchen des internationalen Verkehrs können beim Landgericht erhoben werden, das sich in dem Ort des Obergerichts befindet, welches als zweite Instanz für die Gerichtsstände nach den Vorschriften über örtliche Zuständigkeit (§§ 2–23) zuständig ist (§ 24). Das Prozessgericht kann den Rechtsstreit an das Gericht verweisen, das nach § 24 für die Sache zuständig ist, es sei denn, dass die Verweisung eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens veranlasst (§ 36). Denn in Korea sind die Obergerichte nur in fünf Großstädten (Seoul, Pusan, Taegu, Kwangju, Taejun) eingerichtet und auch die Landgerichte in diesen Städten haben einen größeren Zuschnitt, als er in anderen Städten üblich ist. Wenn also z.B. der Beklagte seinen Wohnsitz in Ulsan hat, ist für den Rechtsstreit das Ulsan-Landgericht nach den Vorschriften des allgemeinen Gerichtsstands (§§ 2, 3) örtlich zuständig. An diesem Gericht gibt es aber keine Fachkammer für die Rechtsstreitigkeiten in Sachen des geistigen Eigentums. Das Pusan-Obergericht ist in zweiter Instanz für diese Sache zuständig. Daher kann die Klage beim Pusan-Landgericht erhoben werden, in dem auch eine Fachkammer für die Rechtsstreitigkeiten um geistiges Eigentum eingerichtet ist. Wenn die Klage beim ___________ 12
VwOGH, Erläuterungen, S. 14 f.
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Ulsan-Landgericht erhoben wird, kann es den Rechtsstreit an das PusanLandgericht verweisen.
2. Bemerkung Bisher hat der OGH nach und nach die Organisation der Fachgerichte erweitert. Zuerst wurde das Familiengericht in Seoul als erstinstanzliches Gericht eingerichtet. Bei den Gerichten in anderen Gegenden sind Zweigstellen bzw. Fachkammern des jeweiligen Landgerichts für die Familiensachen zuständig. Im Jahr 1994 ist das Verwaltungsgericht in Seoul gegründet worden, das für die Verwaltungsstreitsachen in Seoul zuständig ist. Für die Verwaltungsstreitsachen in anderen Gegenden ist die Fachkammer des jeweiligen Landgerichts zuständig. Und das Patentgericht in Taejun, das auch im Jahr 1994 gegründet worden ist, ist für alle Patentsachen im ganzen Land zuständig. Außerdem sind in einigen größeren Gerichten wie beim Landgericht in Seoul seit langem Fachkammern für Insolvenzsachen eingerichtet. Die Erweiterung des besonderen Gerichtsstands durch die Reform 2002 reflektiert diese Tendenz der Spezialisierung der Richter und Gerichte. Diese Erweiterung wird helfen, den Parteien rechtlich richtige Entscheidungen zu gewähren und den Gerichten effektive und sinnvolle Streitbeilegungen zu ermöglichen.
IV. Abänderungsklage 1. Einleitung Im koreanischen Zivilprozessrecht gab es früher zur wesentlichen Änderung der Verhältnisse keine Regelung, die für die Bestimmung der Höhe der wiederkehrenden Leistungen maßgebend war. Daher ist das Gericht bisweilen wegen der Rechtskraft in Schwierigkeiten geraten, wenn sich ein solcher Fall vor allem aus Gründen einer Preiserhöhung ergab. In solchen Fällen war eine zweite Klage auf Erhöhung der wiederkehrenden Leistungen zuzulassen. Aber wie kann man diese Schlussfolgerung juristisch argumentativ untermauern? Die Rechtsprechung hat die erste Klage als offene Teilklage und die zweite als sog. Restklage angesehen; denn nach der bisherigen Rechtsprechung war die zweite Klage nur dann zulässig, wenn die erste Klage eine offene Teilklage war13. In einem solchen Fall aber kann die erste Klage keine offene Teilklage sein, sondern nur eine verdeckte, auch wenn man sie als Teilklage bezeichnen darf. Daher hat ___________ 13
OGH Urt. vom 14.9.1976, 76da1593; OGH Urt. vom 11.2.2000, 99da10424.
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die Rechtsprechung erklärt, obwohl bei dieser Teilklage der Kläger nicht erklärt habe, dass sie eine Teilklage sei, sei sie als eine offene Teilklage anzusehen, damit die Restklage als zulässig behandelt werden könne14. Dagegen wurde auch die Meinung vertreten, es handele sich bei dem Problem nicht um Teilund Restklage, sondern um ein solches der zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft. Die zweite Klage verstoße nicht gegen die Rechtkraft der ersten Klage, denn die wesentliche Änderung der Verhältnisse habe erst nach dem Schluss der letzten Tatsachenverhandlung stattgefunden15. Die beiden Argumentationsansätze werfen jeweils Probleme auf. Die erste Klage kann nicht eine Teilklage sein, weil der Kläger bei der ersten Klageerhebung nicht einen Teil seiner Forderung, sondern die derzeit ganze Forderung in Anspruch genommen hat. Die zweite Klage kann auch nicht eine Restklage sein, wenn der Kläger den in der Zwischenzeit erweiterten Anspruch zusätzlich beantragt. Es ist auch fraglich, ob eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Lage zu denjenigen Tatsachen gehört, die nach dem Schluss der letzten Tatsachenverhandlung entstanden sind. Um diese Schwierigkeiten zu beseitigen hat sich der Gesetzgeber entschlossen, die Abänderungsklage einzuführen16.
2. Inhalt der Regelung Nach § 252 ist eine Partei berechtigt, im Wege der Klage eine Abänderung des rechtskräftigen Urteils, das zu wiederkehrenden Leistungen verurteilt hat, zu verlangen, falls eine wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse eintritt, die für die Bestimmung der Höhe der Leistungen maßgebend waren. a) Zulässigkeitsvoraussetzungen (1) Für die Abänderungsklage ist das Gericht im ersten Rechtszug im Vorprozess ausschließlich zuständig (§ 252 Abs. 2). (2) Es soll ein rechtskräftiges Urteil im Vorprozess ergangen sein, das den Beklagten zu wiederkehrenden Leistungen verurteilt hat (§ 252 Abs. 1). (3) Die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess soll sich auf die Parteien der Abänderungsklage erstrecken. (4) Allgemeine Prozessvoraussetzungen sollen vorliegen.
___________ 14
OGH Urt. vom 21.12.1993, 92da46226. Sondervotum im Urteil 92da46226. 16 VwOGH, Erläuterungen, S. 127 f. 15
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b) Begründetheitsvoraussetzungen (1) Es soll eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegeben sein, die für die Bestimmung der Höhe der Leistungen maßgebend waren. Eine „wesentliche Änderung“ bedeutet, dass sich eine außerordentlich unverhältnismäßige Unbilligkeit ergäbe, falls man die Änderung nicht berücksichtigen würde (§ 252 Abs. 1). (2) Die Änderung soll nach der rechtskräftigen Verurteilung eingetreten sein (§ 252 Abs. 1). Dieser Ausdruck in § 252 Abs. 1 ist allerdings missverständlich. Er bedeutet vielmehr, dass die Änderung „nach Schluss der letzten Tatsachenverhandlung“ eingetreten sein soll. (3) Der Kläger trägt die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass es eine wesentliche Änderung gegeben hat.
3. Bemerkungen Die Abänderungsklage ist in der koreanischen ZPO anders als in der deutschen ZPO geregelt. Nach § 323 DZPO braucht der Gegenstand der Abänderung zwar nicht ein rechtskräftiges Urteil zu sein. Jedoch ist die Klage nur insoweit zulässig, als die Gründe erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind und daher eine Erweiterung des Klageantrags oder die Geltendmachung von Einwendungen oder Einspruch nicht mehr möglich ist. Diese Regelung in Deutschland könnte auch auf drastische wirtschaftliche Änderungen Anwendung finden, denn sie sieht ein Bedürfnis für diese Klage auch in dem Zeitraum zwischen dem Schluss der Tatsachenverhandlungen und der rechtskräftigen Verurteilung im Vorprozess vor. Die koreanische Regelung, die diese Voraussetzung vereinfacht, ist ebenfalls berechtigt, weil eine solche drastische Situation nur selten vorkommt.
V. Eventuelle bzw. Alternative Streitgenossenschaft 1. Einleitung Wie in Deutschland gab es auch in Korea Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine eventuelle subjektive Klagehäufung zuzulassen ist17. Die Recht___________ 17 Zustimmend: Pang, Zivilprozessrecht, 1987, S. 194; Lee, Zivilprozessrecht, 2000, S. 206; Kang, Zivilprozessrecht, 1999, S. 199 f. Ablehnend: Kim, Zivilprozessrecht, 1998, S. 197 f.; Chung, Zivilprozessrecht, 1995, S. 899; Song, Zivilprozessrecht, 1999, S. 153; Ho, Zivilprozessrecht, 2000, S. 732.
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sprechung hat die Zulässigkeit dieser Klagehäufung aus dem Grund verneint, dass bei einer solchen subjektiven Klagehäufung der Beklagte in eine unerträgliche Unsicherheit geraten würde18. Nach der Ansicht, die eine eventuelle subjektive Klagehäufung anerkennen will, ist eine solche Klagehäufung für eine einheitliche Streitbeilegung sehr nützlich. Aber diese Ansicht hat die Schwäche, dass das Ziel der einheitlichen Streitbeilegung nicht verwirklicht werden kann, wenn nur einer der Streitgenossen ein Rechtsmittel einlegt; denn eine solche subjektive Klagehäufung gehört dem Wesen nach zur einfachen Streitgenossenschaft. Der Gesetzgeber hat den Schluss gezogen, die eventuelle subjektive Klagehäufung im Gesetz zu verankern, wobei er diese Klagehäufung als „eventuelle Streitgenossenschaft“ bezeichnet hat. Dabei hat er darauf aufmerksam gemacht, dass die Verfahren der Streitgenossen wie bei der notwendigen Streitgenossenschaft stets miteinander verbunden bleiben sollen19. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber auch eine alternative Streitgenossenschaft anerkannt. 2. Eventuelle Streitgenossenschaft a) Inhalt der Vorschrift (§ 70) Wenn der Klageanspruch eines Klägers, der zur Streitgenossenschaft gehört, mit den Ansprüchen der anderen Kläger in Widerspruch steht, oder wenn der Klageanspruch gegen einen Beklagten, der zur Streitgenossenschaft gehört, mit den Ansprüchen gegen einen anderen Beklagten in Widerspruch steht, sind die Vorschriften der notwendigen Streitgenossenschaft (§§ 67−69) entsprechend anzuwenden (§ 70 Abs. 1 S. 1). Sie sind aber im Falle von Klageverzicht, Anerkenntnis, Vergleich und Klagerücknahme nicht anzuwenden (§ 70 Abs. 1 S. 2). Das Gericht hat über jeden Klageantrag ein Urteil zu fällen (§ 70 Abs. 2). b) Besonderheiten der eventuellen Streitgenossenschaft (1) Rechtliche Natur dieser Streitgenossenschaft Eine eventuelle Streitgenossenschaft nach § 70 ist etwas anderes als die Institution, die bisher als eventuelle subjektive Klagehäufung bekannt war. Nach der bisherigen Vorstellung ist die Klage des eventuellen Klägers bzw. diejenige gegen den eventuellen Beklagten abhängig vom Erfolg des Hauptantrags nur auflösend bedingt rechtshängig. Dass das Gericht nach § 70 Abs. 2 über alle Klageanträge zu entscheiden hat, bedeutet aber, dass der Hilfsanspruch auch unbe___________ 18 19
OGH Urt. vom 28.11.1972, 72da829; OGH Urt. vom 26.6.1984, 83nu554,555. VwOGH, Erläuterungen, S. 24 f.
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dingt rechtshängig ist. Um die Trennung des Verfahrens infolge von Rechtsmitteln zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die Regelung daher modifiziert. (2) Gemeinsamer Gang des Verfahrens Der Zweck der Regelung von § 70 liegt darin, den Rechtsstreit für alle Streitgenossen auf einmal beizulegen. Daher soll das Verfahren auch für alle Streitgenossen einheitlich verlaufen, obwohl die eventuelle Streitgenossenschaft dem Wesen nach eine Art einfacher Streitgenossenschaft ist. (3) Gemeinsame Beibringung der Prozessstoffe? Weil nach § 70 die Vorschriften der notwendigen Streitgenossenschaft entsprechend anzuwenden sind, fragt es sich, ob dies auch hinsichtlich der Beibringung des Tatsachen- und Beweisstoffs der Fall sein sollte. Bei der normalen notwendigen Streitgenossenschaft ist z.B. ein Geständnis eines Beklagten, der zur Streitgenossenschaft gehört, wirkungslos, denn die nachteiligen Prozesshandlungen sind wirkungslos, es sei denn, dass sie von den gesamten Streitgenossen gemeinschaftlich vorgenommen worden sind (§ 67 Abs. 1). Ob ein Geständnis nur eines der Beklagten bei der Beklagtenstreitgenossenschaft mit dem Eventualverhältnis auch wirkungslos sein soll, ist in der Literatur umstritten20. Ein Beispiel: K klagt auf Schadensersatz wegen eines Sachmangels eines Gebäudes zunächst gegen den Besitzer des Gebäudes (B1) und hilfsweise auch gegen den Eigentümer (B2). K behauptet, es gebe einen Sachmangel im Gebäude und B1 habe den Mangel absichtlich nicht beseitigt. Wenn B1 nicht versäumt habe, den Mangel zu beseitigen oder alles versucht habe, den Schaden zu vermeiden, habe B2 nach § 758 Abs. 1 KBGB den Schaden zu ersetzen. In diesem Fall kann B1 zwei Tatsachen zugestehen: Sachmangel des Gebäudes und seine Nachlässigkeit. Wenn B1 bejaht, dass er den Mangel absichtlich nicht beseitigt habe, ist diese Erklärung ein gerichtliches Geständnis, das für B2 vorteilhaft ist. Es ist daher unvorstellbar, dieses Geständnis deshalb für wirkungslos zu erachten, weil B1 es allein erklärt hat. Wenn demgegenüber B1 bejaht, dass es einen Sachmangel im Gebäude gebe, ist diese Erklärung auch ein gerichtliches Geständnis, das aber in diesem Fall auch für B2 nachteilig ist. Die Frage ist nun, ob in diesem Fall die nachteilige Handlung des gerichtlichen Geständnisses nur dann wirksam bleibt, wenn sie von B1 und B2 gemeinsam vorgenommen wurde. Anders als bei der notwendigen Streitgenossenschaft ist dies m.E. zu verneinen. Wenn nur B1 den Sachmangel zugestanden und B2 ihn verneint hat, kann das Gericht ohne weiteres den Klageantrag gegen B1 stattgeben. Dieses Ergebnis, dass die streitgenössischen Parteien in der Regel widersprüch___________ 20 Zustimmend: Lee (Fn. 17), 2. Aufl., S. 622 f. Ablehnend: Ho (Fn. 17), 3. Aufl., S. 770 f.; Kang (Fn. 17), 5. Aufl., S. 210.
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liche Urteile erhalten, muss man hinnehmen. Dass die Vorschriften über die notwendige Streitgenossenschaft im Falle von Klageverzicht, Anerkenntnis, Vergleich und Klagerücknahme nicht anzuwenden sind (§ 70 Abs. 1 S. 2), zeigt vielmehr, dass diese Streitgenossenschaft ursprünglich zur einfachen gehörte und je nach den jeweiligen Umständen anders geregelt werden sollte als die notwendige Streitgenossenschaft.
3. Alternative Streitgenossenschaft Eigentlich hat man sowohl in Deutschland als auch in Korea die alternative subjektive Klagehäufung als unzulässig angesehen, weil es dabei nur um die Unbestimmtheit der Partei geht. Trotzdem hat der Gesetzgeber gedacht, dass mit § 70 auch eine alternative subjektive Klagehäufung geregelt werden kann. Deswegen hat er § 70 die Überschrift gegeben: „Sondervorschrift für eventuelle bzw. alternative Streitgenossenschaft“. Dadurch sollte auch die sog. alternative Streitgenossenschaft im Gesetz verankert werden.
4. Bewertung der Reform Es war ein grober Fehler, dass man solche Institutionen gesetzlich anerkannt hat. Der Gesetzgeber hat die übliche eventuelle subjektive Klagehäufung mit § 70 Abs. 2 modifiziert, um die oben genannte Schwäche dieser Institution zu beheben. Diese Operation war jedoch nicht gut genug. Die Komplikation bei der Verhandlung und die widersprüchlichen Behauptungen der Gegenpartei in der Berufungsinstanz sind ungelöst geblieben. Ein Beispiel: Im oben genannten Fall hat das Gericht die Klage gegen B1 als unbegründet abgewiesen und derjenigen gegen B2 stattgegeben. B2 hat dagegen Berufung eingelegt und behauptet, beide Urteile seien unrichtig, denn B1 habe absichtlich seine Pflicht vernachlässigt. Dagegen hat B1 in der Berufungsinstanz behauptet, das erstinstanzliche Urteil sei richtig. Da in diesem Fall die Berufung von B2 eine unbedingte Prozesshandlung ist, konnte K dagegen ohne Vorbehalt behaupten, die Urteile seien richtig, um sich gegen die Berufung zu verteidigen. Dann würde es keinen Sinn mehr haben, dass K den B1 als Hauptbeklagten benennt. Um die eventuellen Verhältnisse zu wahren, hat K in der Berufungsinstanz zuerst zu behaupten, das Urteil sei insoweit unrichtig, als es die Klage gegen B1 abgewiesen hat, und hilfsweise, das Urteil sei insoweit richtig, als es derjenigen gegen B2 stattgegeben hat. Solche widersprüchlichen Behauptungen können, anders als in der ersten Instanz, nicht als schlüssig angesehen werden, weil die Berufung von B2 unbedingt ist. Diese
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Probleme wurden schon früher auch in Deutschland angedeutet21. Noch schlimmer ist die alternative Streitgenossenschaft. Es handelt sich dabei einfach nur um die Unbestimmtheit der Parteien. Der Gesetzgeber war damals viel zu leichtsinnig und hat eine unzulässige Klage als zulässig anerkannt. In Japan hat man dieses Thema ebenfalls diskutiert und eine neuartige, raffinierte Lösung gefunden: Antrag auf gleichzeitige Verhandlung und Entscheidung (§ 41 JZPO). Dadurch soll der Rechtsstreit unter den eng verbundenen Parteien auf einmal, ohne widersprüchliches Ergebnis und in einem Verfahren erledigt werden.
VI. Einseitige selbstständige Parteiintervention 1. Einleitung Um den Rechtsstreit unter drei Parteien in einem Verfahren zu erledigen, hat man in Korea schon seit 1960 nach dem Vorbild des japanischen Zivilprozessrechts eine selbstständige Parteiintervention eingeführt. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen waren sehr streng. Der Intervenient hatte gegen beiden Parteien jeweils seinen eigenen Klageantrag zu stellen. Wenn der Intervenient nur gegen eine Partei einen Klageantrag gestellt hat, wurde die Intervention der Rechtsprechung gemäß als unzulässig abgewiesen. Dies hat dazu geführt, dass diese Intervention nur in ganz begrenzten Fällen brauchbar war. Daher wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass auch eine einseitige Intervention als zulässig anerkannt werden soll. Der Gesetzgeber hat diesen Vorschlag akzeptiert. Nunmehr ist es also auch zulässig, wenn der Intervenient nur gegen eine Partei einen Klageantrag stellt (§ 79 Abs. 1).
2. Problem Je nach dem Interesse an der Intervention unterscheidet man zwei Typen einer selbstständigen Parteiintervention. Der eine Typ ist die Intervention zur Rechtsbehauptung (Rechtsbehauptungsintervention), der andere ist die Intervention zur Abwendung einer arglistig täuschenden Prozessführung (Abwendungsintervention).
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LG Berlin Urt. vom 14.11.1957, NJW 1958, 834.
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Bei der Rechtsbehauptungsintervention hat der Intervenient solche Anträge zu stellen, die sich mit dem Klageantrag des Klägers nicht vereinbaren lassen. Z.B.: K erhebt gegen B eine Klage auf Übertragungseintragung des Eigentums an einem Grundstück ins Grundbuch. K behauptet, er habe von B das Grundstück gekauft. Während des Prozesses tritt I diesem Prozess bei und stellt gegen B den Antrag, die Übertragung solle auf I erfolgen. I behauptet, nicht K, sondern er sei der aus dem Kaufvertrag berechtigte Käufer. Eine solche Intervention ist zuzulassen22. Dabei braucht I keinen Antrag gegen K zu stellen. Bei der Abwendungsintervention geht es nicht darum, wer der Rechtsinhaber ist, sondern darum, dass die Prozessführung, die auf einer arglistigen täuschenden Verabredung beruht, abzuwenden ist. Deshalb verlangt hier die Rechtsprechung als Zulässigkeitsvoraussetzung nicht, dass der Intervenient einen Antrag stellt, der mit dem des Klägers in Widerspruch steht, sondern, dass die Parteien eine arglistige Täuschungsabsicht haben23. Z.B.: K erhebt gegen B eine Klage auf Eintragung der Übertragung eines Grundstücks ins Grundbuch. Dabei behauptet K, er habe von B das Grundstück gekauft. Während des Prozesses tritt I bei, indem er gegen K und B den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrags zwischen K und B und gegen B zusätzlich noch den Antrag auf Eintragung der Grundstücksübertragung ins Grundbuch stellt. Dabei behauptet I, er kündige den Treuhandvertrag mit B, nach dem I das Grundstück mit seinem Geld, aber im Namen des B von einem anderen erhalten habe24. Die Frage ist nun, ob eine solche Abwendungsintervention auch dann zulässig ist, wenn der Intervenient nur gegen eine Partei einen Antrag stellt. Der Intervenient tritt auf Grund dessen dem Prozess bei, weil Kläger und Beklagter eine arglistige täuschende Verabredung getroffen haben und das Urteil erschleichen wollen. Es ist daher nicht unproblematisch, wenn der Intervenient z.B. nur gegen den Beklagten einen Antrag stellt. Daher wäre m. E. eine einseitige Abwendungsintervention trotz des Wortlauts des § 79 Abs. 1 als unzulässig anzusehen.
___________ 22
Aber wenn I behauptet, B habe auch ihm das Grundstück verkauft, ist diese Intervention unzulässig, denn die beiden Anträge können stattgegeben werden. 23 OGH Urt. vom 27.4.1990, 88daka25274,25281. 24 Dieser Treuhandvertrag heißt in Korea „Namentreuhand“ und ist von der Rechtsprechung als zulässig anerkannt.
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VII. Vergleichsvorschlagsbeschluss 1. Einleitung Seit langem hat man in der Praxis die gütliche Streitbeilegung wie etwa den Prozessvergleich oder die Schlichtung betont. Daher hat auch die koreanische ZPO von den Richtern gefordert, den Parteien einen Vergleich vorzuschlagen (§ 145). In vielen Fällen war der richterliche Versuch ohne Erfolg geblieben; denn die Parteien konnten sich über Kleinigkeiten nicht einigen und waren dadurch in eine noch feindseligere Situation geraten25. Um diese Probleme zu beseitigen und die Streitbeilegung durch den Vergleich zu erweitern, hat der Gesetzgeber eine neuartige Institution geregelt.
2. Inhalt und Problem Der Richter kann nunmehr einen Beschluss fällen, mit dem er einen Vergleich mit bestimmtem Inhalt vorschlägt (§ 225). Gegen den Beschluss können die Parteien nach der Zustellung des Beschlusses binnen zwei Wochen Beschwerde einlegen (§ 226 Abs. 1). Diese Beschwerde ist schriftlich und in vorgeschriebener Form bei dem Gericht einzureichen, das den Beschluss erlassen hat (§ 227). Wenn die Beschwerde nicht frist- oder formgemäß eingelegt wird, hat das Gericht sie als unzulässig abzuweisen. Dieser Beschluss erlangt die gleiche Wirkung wie der Prozessvergleich, (1) wenn die Partei keine Beschwerde einlegt, (2) wenn die Beschwerde rechtskräftig als unzulässig abgewiesen wird oder (3) wenn die Partei die Beschwerde zurücknimmt oder auf die Beschwerde verzichtet (§ 231). Es ist jedoch eine Begriffsverwirrung, wenn ein Richter einen Beschluss erlässt, mit dem er einen Vorschlag macht. Denn ein Beschluss ist eine Art richterliche Entscheidung. Eine vorschlagende Entscheidung ist zumindest begrifflich unvorstellbar; denn dieser Beschluss ist eine bedingte Entscheidung. Außerdem passt diese Institution nicht zum Wesen des Vergleichs. Ein Vergleich soll sich aus freiwilligen Willenserklärungen ergeben. Wenn eine Partei gegen den Beschluss Beschwerde eingereicht hat, bedeutet dies, dass die Partei keinen Vergleich will, auch wenn die Beschwerde nicht formgemäß eingelegt wird. Ein Vergleichsvorschlagsbeschluss kann zudem in vielen Fällen zudem eine richterliche Nötigung bedeuten. Der Prozessvergleich ist zwar ein wünschenswertes Mittel, einen Rechtsstreit gütlich beizulegen. Die Richter dürfen aber nicht auf einen Vergleich derart drängen, dass die Parteien zur Ansicht gelingen können, dass das Gericht dadurch lediglich seine Arbeitsbelastung verringern will. ___________ 25
VwOGH, Erläuterungen, S. 120.
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VIII. Erleichterung der Anerkennung ausländischer Urteile 1. Reformbedürftigkeit Früher waren die Voraussetzungen für die Anerkennung eines ausländischen Urteils wie folgt geregelt (§ 203 a.F.): (1) Die Gerichtsbarkeit des ausländischen Gerichts ist durch koreanische Gesetze oder internationale Abkommen nicht ausgeschlossen; (2) dem unterlegenen Beklagen, der die koreanische Staatsbürgerschaft hat, wurden Ladungen oder richterliche Verfügungen, die für die Einleitung des Verfahrens nötig sind, nicht öffentlich zugestellt oder dieser Beklagte hat sich selber ohne Zustellung auf das Verfahren eingelassen; (3) das ausländische Urteil verstößt nicht gegen die guten Sitten oder den ordre public in Korea; (4) die Gegenseitigkeit ist verbürgt. Der Gesetzgeber hat diese Regelungen als unklar, missverständlich und zu einseitig angesehen: Der Ausdruck von Nr. (1) sei nicht richtig. „Gerichtsbarkeit“ sollte hier internationale Zuständigkeit heißen26. Der Inhalt von Nr. (2) sei einseitig und engführend. Auch im ausländischen Verfahren sollten nicht nur Koreaner, sondern auch Ausländer einen Anspruch auf rechtliches Gehör haben. Darüber hinaus sollten die Ordnungsmäßigkeit und Rechtzeitigkeit der Zustellung als Voraussetzung ausdrücklich gefordert werden. Außerdem sollte der Gegenstand der Zustellung erweitert werden. Nicht nur Ladungen und richterliche Verfügungen, sondern auch verfahrenseinleitende Schriftsätze sollten ordnungsmäßig und rechtzeitig zugestellt werden27. Man könnte Nr. (3) dahin missverstehen, dass die ausländischen Urteile in Korea Gegenstand der révision au fond seien. Daher sei es notwendig, klarzustellen, dass es sich nicht um den Inhalt des ausländischen Urteils, sondern um die Rechtsfolgen seiner Anerkennung handele28.
2. Neue Voraussetzungen Deshalb hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen der Nummern (1) bis (3) wie folgt geändert (§ 217 n.F.): (1) Die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichts ist im Hinblick auf die Grundsätze der internationalen Zuständigkeit nach den koreanischen Gesetzen und internationalen Abkommen anerkannt; (2) dem unterlegenen Beklagten werden die Schriftsätze wie z.B. die Klageschrift, die Ladungen oder richterliche Verfügungen ordnungsmäßig und so rechtzeitig zugestellt, dass er sich verteidigen kann (dabei sind die öffentli___________ 26
VwOGH, Erläuterungen, S. 112. VwOGH, Erläuterungen, S. 114 f. 28 VwOGH, Erläuterungen, S. 115 f. 27
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che Zustellung und ähnliche Zustellungsarten ausgeschlossen), oder der unterlegene Beklagte hat sich bereits auf das Verfahren ohne vorherige Zustellung eingelassen; (3) die Anerkennung der Wirkung des Urteils führt nicht dazu, dass dessen Ergebnis gegen die guten Sitten oder den ordre public in Korea verstößt.
3. Bemerkungen An diesen neuen Regelungen gibt es nichts zu beanstanden. Die alte Fassung war, wie der Gesetzgeber es aufgefasst hat, zu ungenau, missverständlich und einigermaßen nationalistisch. Sie war also weit von dem internationalen Niveau entfernt. Durch die Reform hat das koreanische Zivilprozessrecht mit dem internationalen Bereich kompatibel werden können. Bei der Reform ist allerdings die Voraussetzung der Gegenseitigkeit unangetastet geblieben. In den meisten Ländern ist die Gegenseitigkeit nicht als eine Voraussetzung der Anerkennung ausländischer Urteile vorgeschrieben. Außer Korea ist sie nur in Deutschland (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 DZPO) und Japan (§ 118 JZPO) als Voraussetzung anerkannt. Dies ist als ein Ausdruck des Nationalismus heutzutage nicht mehr gerechtfertigt. Daher ist es an der Zeit, diese Voraussetzung zu streichen.
IX. Schlussbemerkung Hauptziel der Reform 2002 war die Konzentration der Verhandlung. Durch diese Reform soll sich die gerichtliche Praxis grundlegend verändern. Sie ist das Ereignis von langjährigen Versuchen und Überprüfungen. In diesem Sinne kann man die Reformarbeit sehr hoch loben. Es ist aber nicht einfach, die Richter und Rechtsanwälte in ihrem bisherigen, gewöhnlichen Verhalten (inklusive auch der Denkweise) nach dem Willen des Gesetzgebers zu verändern. Es wird zudem auch die Gefahr bestehen, die Konzentration so weit zu treiben, dass man im Vorbereitungsverfahren fast alles macht und es am Verhandlungstermin nur noch mit Zeugen zu tun hat. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die Reformarbeit hauptsächlich vom OGH gesteuert wurde und deshalb die Ansicht dieses Gerichts innerhalb der Reformarbeiten einen sehr starken Einfluss hatte. Die Verwaltungsbehörde des OGH ist eine riesige Organisation und ihr Personal besteht aus zahlreichen höchst qualifizierten Richtern. Daher konnte sie die Reformarbeit sehr umfangreich und sorgfältig vorbereiten. Es ist dennoch bedauerlich, dass man nicht genügend Zeit gehabt hat, den Entwurf auch wissenschaftlich tief greifend zu überprüfen. Die leichtsinnigen Änderungen und die Einführung der neuen problematischen Institutionen, die oben geschildert sind, sind die negativen Folgen der leitenden Rolle des Gerichts bei der Reform.
Die „Stärkung der ersten Instanz“ im Rahmen der deutschen Zivilprozessreform 2001 Von Dieter Leipold
I. Einführung Herr Kollege Prof. Dr. Moon-Hyuck Ho, mit dem mich eine jahrelange freundschaftliche Zusammenarbeit verbindet, hat im Rahmen dieses Symposiums über die jüngsten Änderungen des koreanischen Zivilprozessrechts berichtet. Es ist interessant, die Schwerpunkte dieser Reform, die vor allem auf eine Konzentration der Verhandlung in der ersten Instanz abzielt, mit der neuesten Entwicklung in Deutschland zu vergleichen. Das deutsche Zivilprozessreformgesetz 20011 wird von manchen als die grundlegendste Veränderung der ZPO seit ihrem Erlass im Jahre 1877 angesehen. Jedenfalls ist die Bundesregierung mit hoch gesteckten Reformzielen angetreten. Zu Beginn der Begründung des Regierungsentwurfs2 heißt es: „Der Zivilprozess muss durch eine grundlegende Strukturreform bürgernäher, effizienter und transparenter werden. Die Verhandlungskultur, die Funktion der Rechtsmittelzüge und der Gerichtsaufbau genügen den berechtigten Ansprüchen der Recht suchenden Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft nicht mehr.“ Die wichtigsten Veränderungen durch diese Reform liegen im Bereich der Rechtsmittel. Neu gestaltet wurden vor allem der Zuschnitt der Berufungsinstanz und der Zugang zur Revision. Bemerkenswert ist auch die Schaffung der Anhörungsrüge (§ 321a ZPO), mit der gegenüber unanfechtbaren erstinstanzlichen Urteilen eine Verletzung des Rechts auf Gehör geltend gemacht werden kann und die später aufgrund einer Plenarentscheidung des BVerfG3 einen noch ___________ 1 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27. Juli 2001, BGBl. I S. 1887. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 1. 3 BVerfGE 107, 395. Danach verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
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viel weiteren Anwendungsbereich (gegenüber allen unanfechtbaren Entscheidungen) erhalten hat4. In diesem kurzen Beitrag soll es aber, auch im Interesse der Gegenüberstellung mit dem neuen koreanischen Recht, um die wichtigsten Veränderungen im Bereich des erstinstanzlichen Verfahrens gehen. Die Bundesregierung5 stellte sie unter das programmatische Schlagwort „Stärkung der ersten Instanz“. Das ist zum einen in personeller Hinsicht gemeint: Richterstellen, die durch eine angestrebte Effizienzsteigerung in der Berufungsinstanz frei werden, sollen der ersten Instanz zugewiesen werden (ob dies eine realistische Erwartung ist, steht auf einem anderen Blatt). Daneben zielte die Reform aber auf eine inhaltliche Stärkung der ersten Instanz, um deren Akzeptanz durch die Parteien zu erhöhen und in einem möglichst frühen Stadium Rechtsfrieden zu erreichen. Die wichtigsten Maßnahmen auf diesem Gebiet sollen im folgenden dargestellt werden (wobei ich den weiter verstärkten Einsatz des Einzelrichters statt der mit drei Richtern besetzten Zivilkammer am Landgericht gleich beiseite lasse, da man darin beim besten Willen keine Stärkung der ersten Instanz erblicken kann).
II. Obligatorische Güteverhandlung und Erleichterung des Vergleichsabschlusses 1. Güteverhandlung Dem Vorbild des arbeitsgerichtlichen Verfahrens folgend, wurde durch § 278 Abs. 2 ZPO eine obligatorische Güteverhandlung eingeführt. Sie hat im Regelfall der mündlichen Verhandlung vorauszugehen, es sei denn, dass bereits ein Einigungsversuch vor einer außergerichtlichen Schlichtungsstelle stattgefunden hat oder die Güteverhandlung erkennbar aussichtslos erscheint. Die angestrebte gütliche Einigung soll dadurch gefördert werden, dass das Gericht den Sach- und Streitstand in, wie es im Gesetz heißt „freier Würdigung aller Umstände“ mit den Parteien erörtert. Das ist wohl so zu verstehen, dass auch die Chancen und Risiken der Prozessführung vom Richter angesprochen und erläutert werden sollen. Das Gericht kann die Parteien zwecks Güteverhandlung auch vor einen beauftragten Richter (ein Mitglied der Kammer) oder einen ersuchten Richter (ein auswärtiges Gericht) verweisen oder eine außergerichtliche Streitschlichtung vorschlagen. ___________ 4
Neufassung des § 321a ZPO durch das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9.12.2004, BGBl. I S. 3220. 5 Begr. Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 61.
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Von diesen Bemühungen, dem Gütegedanken durch institutionelle Neuerungen zum Erfolg zu verhelfen, ließ sich die Bundesregierung nicht durch den Hinweis abhalten, dass solche Regeln schon in früheren Lebensperioden der ZPO erfolglos geblieben waren. In der Praxis hat sich die neue obligatorische Güteverhandlung, soweit man hört, bisher auch diesmal nicht bewährt, so dass zum Teil auch schon ihre Abschaffung gefordert wurde.
2. Schriftlicher Abschluss eines Vergleichs Eher könnte in manchen Fällen die neu geschaffene Möglichkeit nützlich sein, einen gerichtlichen Vergleich dadurch zu schließen, dass die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen (§ 278 Abs. 6 S. 1 ZPO). Das Gericht hat dann das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs durch Beschluss festzustellen (§ 278 Abs. 6 S. 2 ZPO). Durch diese Regelung wird, nachdem das Gericht einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hat, dessen Annahme nach einer Bedenkzeit möglich, ohne dass eine erneute mündliche Verhandlung stattfinden müsste. Mittlerweile ist § 278 Abs. 6 ZPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz6 dahingehend ergänzt worden, dass die Parteien auch von sich aus einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten können, dessen Zustandekommen und Inhalt das Gericht durch einen Beschluss feststellen kann, ohne dass es einer mündlichen Verhandlung bedarf.
III. Die materielle Prozessleitung nach neuem Recht 1. Die Neufassung des § 139 ZPO § 139 ZPO ist die grundlegende Bestimmung der ZPO über die Aufgaben des Gerichts im Verhältnis zu den Prozessparteien. Das Gericht ist nicht nur für den korrekten förmlichen Ablauf des Prozesses verantwortlich (formelle Prozessleitung), sondern hat in der Sache selbst dafür zu sorgen, dass der Prozess sein Ziel erreicht. Mit der Zuweisung der materiellen Prozessleitung an das Gericht und der näheren Erläuterung der richterlichen Aufgaben etabliert § 139 ZPO den aktiven Richter im Zivilprozess7. Die Bestimmung der Parteien über den Gegenstand des Prozesses, wie sie in Gestalt der Dispositionsmaxime zu___________ 6
Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004, BGBl. I S. 2198. 7 Näher s. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., Bd. 3, §§ 128-252, 2005, § 139 Rn. 1 ff.
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sammenfassend umschrieben werden kann, bleibt davon unberührt. Ebenso ändert § 139 ZPO nichts an der Verantwortung der Parteien für den Tatsachenvortrag und die Beweismittel, also an der zivilprozessualen Verhandlungsmaxime (Beibringungsgrundsatz). Die Vorschrift führt nicht etwa unter der Hand die Untersuchungsmaxime ein. Über frühere Ansätze, die u.a. unter Berufung auf § 139 ZPO an die Stelle des von Parteifreiheit und Parteigleichheit geprägten rechtsstaatlichen Zivilprozesses einen ideologisierten sog. sozialen Zivilprozess setzen wollten, ist die Zeit hinweggegangen. Erfreulicherweise hat auch der Gesetzgeber des Jahres 2001 nicht mehr auf diese Diskussion zurückgegriffen. § 139 ZPO wurde durch das Zivilprozessreformgesetz 2001 in verschiedener Hinsicht geändert. Dadurch wurde die Vorschrift zwar nicht grundsätzlich verändert, ihre zentrale Bedeutung aber noch stärker als bisher betont. Die Reform zielt darauf ab, die Verantwortung des Gerichts für die umfassende tatsächliche und rechtliche Erörterung des Streitstoffs mit aller Klarheit hervorzuheben. Die Parteien sollen noch stärker in das Verfahren einbezogen und die richterliche Entscheidungsfindung für sie nachvollziehbarer gestaltet werden. Davon erhofft man sich auch eine gesteigerte Akzeptanz selbst für ein ungünstiges streitiges Urteil. Im Einzelnen wurde in § 139 Abs. 1 ZPO die Reihenfolge der beiden Sätze gegenüber dem zuvor geltenden Gesetzestext schlicht vertauscht. Ob sich dadurch sachlich etwas geändert hat, kann man bezweifeln. Aus Abs. 1 S. 1 ergibt sich die generelle Verpflichtung des Gerichts, die Sache in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien zu erörtern. Durch die Voranstellung des Satzes 1 sollte diese umfassende Erörterungspflicht betont werden8. Sie besteht unabhängig davon, ob der Parteivortrag unvollständig oder unklar ist. Das zuvor in § 278 Abs. 3 ZPO enthaltene Verbot von Überraschungsentscheidungen wurde aufgrund des engen Sachzusammenhangs in § 139 Abs. 2 ZPO aufgenommen. Während bisher nur ein Hinweis auf übersehene rechtliche Gesichtspunkte vorgeschrieben war, ist dieses Attribut nunmehr gestrichen worden, so dass auch Hinweise auf tatsächliche Gesichtspunkte erfasst werden. Neu eingefügt wurden die Absätze 4 und 5 des § 139 ZPO. Nach Abs. 4 S. 1 sind Hinweise so früh wie möglich zu erteilen. Dies ändert aber nichts daran, dass der grundsätzlich angemessene Ort hierfür die mündliche Verhandlung ist9. Jedoch wird durch Abs. 4 S. 1 zugleich unterstrichen, dass gerichtliche Hinweise bereits zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung geboten sein können. ___________ 8
Begr. Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 77. Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 139 Rn. 95. Davon geht auch OLG Hamm NJW 2003, 2543 aus. 9
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Dagegen sollte man aus Abs. 4 S. 1 nicht den Schluss ziehen, dass auf etwaige Lücken des Vorbringens in der Klageschrift schon nach deren Einreichung hingewiesen werden muss. Das würde in der Regel dem Sinn und Zweck des Schriftsatzwechsels und der Terminsvorbereitung widersprechen. Im Allgemeinen werden also Hinweise erst angemessen sein, wenn auch die Klageerwiderung, eventuell auch eine Replik des Klägers, vorliegt. Alle Hinweise müssen nach Abs. 4 S. 1 aktenkundig gemacht werden, gleich ob sie innerhalb oder außerhalb der mündlichen Verhandlung erfolgen. Der Beweis, dass ein gebotener Hinweis erteilt wurde, kann nach Abs. 4 S. 2 nur durch den Inhalt der Akten geführt werden. Auf diese Weise soll eine sichere Grundlage für die Beurteilung in der Rechtsmittelinstanz geschaffen werden10. Diese neue Regelung wird von der Praxis zum Teil als unnötige Komplizierung kritisiert, so dass auch hier Forderungen nach ihrer Abschaffung laut geworden sind. Erklärt eine Partei, sich nicht sofort äußern zu können, so soll nach § 139 Abs. 5 ZPO auf Antrag eine Frist zur Nachreichung eines Schriftsatzes bestimmt werden. Soll bedeutet kein Ermessen, sondern nur, dass entweder in dieser Weise oder in anderer (durch Vertagung) eine ausreichende Gelegenheit zur Äußerung geboten werden muss.
2. Zum Inhalt der Erörterungs-, Frage- und Hinweispflicht Welche Fragen zu stellen und welche Hinweise zu geben sind, richtet sich ganz nach den Gegebenheiten des konkreten Prozesses. Es hängt vom Inhalt des Streitverhältnisses und von den Erklärungen der Parteien ab, wie weit das Gericht aktiv zu werden hat. Ob sich aus der Pflicht des Gerichts zur Neutralität Schranken für die Fragen und Hinweise ergeben, wird unterschiedlich beurteilt11. Eine aktive Mitwirkung des Gerichts bei der Klärung des Sach- und Streitverhältnisses ist jedoch grundsätzlich keine Verletzung der Pflicht zur Neutralität, sondern nichts anderes als die Konsequenz der gerichtlichen Pflicht, auf eine sachgerechte Prozessführung als Voraussetzung einer richtigen Entscheidung hinzuwirken12. Dass die von § 139 ZPO geforderten gerichtlichen ___________ 10
Begr. Bundestagsdrucks. 14/4722, 77 f. Bejahend z.B. OLG Rostock NJW-RR 2002, S. 576; Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, ZPO, 64. Aufl., 2006, § 139 Rn. 3, 13 ff.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., 2005, § 139 Rn. 1; Zimmermann, ZPO, 7. Aufl., 2006, § 139 Rn. 1; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 139 Rn. 2. − Verneinend Rensen, MDR 2002, 1175; ders., Die richterliche Hinweispflicht, 2002, S. 110 ff.; gegen eine restriktive Auslegung des § 139: Münchener Kommentar zur ZPO/Peters, 2. Aufl., 2000, § 139 Rn. 16. 12 Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 139 Rn. 20. 11
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Fragen und Hinweise für die jeweilige Partei eine wesentliche Hilfe bei der Rechtsverfolgung darstellen können, ist allein kein Argument, das eine Beschränkung rechtfertigen könnte. Bei der Ausübung der Frage- und Hinweispflicht hat das Gericht jedoch den Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien zu wahren und den Anschein einer Bevorzugung einer Partei aus sachfremden Motiven strikt zu vermeiden13. Sollte daher die Art und Weise, in der von der Frage- und Hinweispflicht Gebrauch gemacht wird, den Eindruck einer Identifizierung des Gerichts mit dem Anliegen einer Partei erwecken, so kann die Ablehnung des Richters wegen Besorgnis der Befangenheit begründet sein. Die Frage- und Hinweispflicht des Gerichts besteht nur im Rahmen des von den Parteien unterbreiteten Streitstoffs14. Nach nicht ausdrücklich geltend gemachten Klagegründen oder Einwendungen und Einreden hat das Gericht zu fragen, wenn das Parteivorbringen Anhaltspunkte in dieser Richtung enthält und es darum geht klarzustellen, welche Angriffs- und Verteidigungsmittel die Partei geltend macht. Zu Hinweisen auf die Möglichkeit anderer Klagebegründungen oder anderen Verteidigungsvorbringens als dem von den Parteien wenigstens in Umrissen vorgetragenen Material ist das Gericht nicht verpflichtet, auch nicht, wenn der Gedanke nahe liegt, die Partei bzw. ihre Berater hätten solche Möglichkeiten nicht erkannt. § 139 ZPO legt dem Gericht keine allgemeine Beratungs- oder gar Fürsorgepflicht auf. Diese Grenzen gelten auch, soweit das materielle Recht Gestaltungsrechte15 gewährt (z.B. Anfechtung, Rücktritt, Aufrechnung) oder echte Einreden enthält16. So ist der Richter nach überwiegender, aber seit langem bestrittener Ansicht nicht berechtigt, eine Partei von sich aus und ohne Anhaltspunkte im Parteivorbringen auf die mögliche Einrede der Verjährung aufmerksam zu machen17. Hieran hat, worauf in der Gesetzesbegründung18 ausdrücklich hingewiesen wird, die Neufassung des § 139 ZPO nichts geändert. Der BGH19 hat nun___________ 13
Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 139 Rn. 21. Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 139 Rn. 52 ff. 15 Gegen eine Pflicht zum Hinweis auf Gestaltungsrechte auch Reischl, ZZP Bd. 103, 2003, 81, 112 f. 16 Generell a.M. E. Peters, Richterliche Hinweispflichten und Beweisinitiativen im Zivilprozeß, 1983, S. 135 ff.; ders., Wachsende Bedeutung der richterlichen Hinweispflicht, in: Festschrift für Beys, 2. Bd., Athen 2003, S. 1250 ff.; MünchKommZPO/Peters (Fn. 11), § 139, Rn. 40 ff.; Alternativkommentar zur ZPO/Eike Schmidt, 1987, § 139 Rn. 34. 14
17 Thomas/Putzo/Reichold (Fn. 11), § 139 Rn. 6 und 10; Zöller/Greger (Fn. 11), § 139 Rn. 17; Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 139 Rn. 54 (mit weiteren Nachweisen). 18 Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 77.
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mehr mit großer Entschiedenheit einen solchen Hinweis als Grund zur Ablehnung des Richters wegen Befangenheit bewertet und es dabei abgelehnt, die Befangenheit deshalb zu verneinen, weil über die Zulässigkeit des Hinweises verschiedene Auffassungen vertreten werden.
IV. Neue Regeln über die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten − deutsche discovery? 1. Neuregelung der gerichtlichen Anordnung der Urkundenvorlage Durch das Zivilprozessreformgesetz 2001 wurde § 142 ZPO tief greifend verändert. Die Absicht des Gesetzgebers war es, die Befugnisse des Gerichts zu erweitern, damit es sich, wie es in der Gesetzesbegründung20 heißt, möglichst früh einen umfassenden Überblick über den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt verschaffen könne. Schon während des Gesetzgebungsverfahrens wurden allerdings Bedenken gegen eine zu weit gehende Zulässigkeit von gerichtlichen Vorlageanordnungen geäußert. So war gegenüber der beabsichtigten Neuregelung die Befürchtung geäußert worden, damit würden Möglichkeiten zur Ausforschung des Gegners oder Dritter eingeräumt, wie sie das USamerikanische Zivilprozessrecht in Gestalt der „discovery“ kenne, während das deutsche Recht solche Wege bisher aus gutem Grund nicht eröffne21. Besonders bemängelt wurde, dass die vorgesehene Regelung, im Gegensatz zum amerikanischen Recht, der Partei auch keine Verweigerungsrechte einräume. Im Bericht des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages22 wird zu diesen Einwänden ausführlich Stellung genommen. Dem Rechtssausschuss lag offenbar viel an der Klarstellung, dass mit den neuen Regeln keine unzulässige Ausforschung einer Partei oder eines Dritten angestrebt werde, so dass auch nicht von einer Annäherung an das discovery-Verfahren gesprochen werden könne. Entscheidend sei, dass § 142 ZPO die Partei, die sich auf eine Urkunde beziehe, nicht von ihrer Darlegung- und Substantiierungslast befreie. Nur aufgrund eines schlüssigen ___________ 19 BGHZ 156, 269 = NJW 2004, 164, 165. Die sehr dezidierten Formulierungen des BGH mögen damit zusammenhängen, dass im konkreten Fall der richterliche Hinweis bereits mit Zustellung der Anspruchsbegründungsschrift erfolgte, also ehe sich der Beklagte überhaupt geäußert hatte (dass der Hinweis überdies inhaltlich falsch war, setzt einen zusätzlichen Akzent). 20 Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 78. 21 Dombek (Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer), Schreiben an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zur ZPO-Novelle, BRAKMitt. 2001, S. 122, 124. Dombek forderte namens der Bundesrechtsanwaltskammer, die §§ 142, 144 aus dem Gesetzgebungsvorhaben herauszunehmen. 22 Bundestagsdrucks. 14/6036, S. 120 f.
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Vortrags der Partei, die sich auf die Urkunde beziehe, dürfe das Gericht die Urkundenvorlage anordnen, nicht dagegen zur Informationsgewinnung unabhängig von einem schlüssigen Vortrag. Außerdem habe der Richter den Interessen der Parteien an der Wahrung ihrer Geheimnisse im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens Rechnung zu tragen. Eine Befugnis, schutzwürdige Geheimbereiche von Verfahrensbeteiligten auszuforschen, werde durch die neue Regelung nicht begründet. Der Rechtssausschuss wies zugleich auch die Besorgnis zurück, die Änderung des deutschen Rechts könne die bisherige Ablehnung amerikanischer Rechtshilfeersuchen mit dem Ziel einer discovery of documents gefährden; durch den neuen § 142 ZPO werde auch nicht etwa der deutsche ordre public verändert23. Ob die Ansicht des Rechtsausschusses zutrifft, die neue Bestimmung führe, richtig verstanden und angewendet, nicht zu solchen unerwünschten Ergebnissen, ist eine offene Frage. Erste Äußerungen zum neuen Recht lassen dieses Problem bereits deutlich erkennen. Dabei muss man bedenken, dass nicht alle Prozessualisten die Möglichkeiten der amerikanischen discovery von vornherein als ein Schreckgespenst betrachten. Vielmehr gibt es gerade umgekehrt seit langem durchaus gewichtige Stimmen, die in der Frage der Informationsgewinnung durch Parteien und Gericht das herkömmliche deutsche System mit seinem grundsätzlichen Ausforschungsverbot als rückständig und verbesserungsbedürftig betrachten. So ist es nicht verwunderlich, dass der neue § 142 ZPO bereits dahin verstanden (und begrüßt) wurde, der Grundsatz, niemand sei verpflichtet, dem Prozessgegner die Waffen an die Hand zu geben, sei damit weitgehend außer Kraft gesetzt24. Autoren, die auf Grenzen der Vorlagepflicht hingewiesen haben, werden mit dem Etikett der „dogmatischen Zögerlichkeit“ versehen und demgegenüber die These aufgestellt, die Vorlagepflicht diene auch „einer (vernünftigen) Ausforschungsmöglichkeit“25. Von anderer Seite wird der deutschen Diskussion bescheinigt, sie sei geradezu von einer „discovery-Phobie“ geprägt26. ___________ 23 Zu den international-rechtlichen Zusammenhängen Trittmann/Leitzen, Haager Beweisübereinkommen und pre-trial-discovery: Die zivilprozessuale Sachverhaltsermittlung unter Berücksichtigung der jeweiligen Zivilprozessrechtsreformen im Verhältnis zwischen den USA und Deutschland, IPRax 2003, 7, 11 f., die ebenfalls zu der Ansicht gelangen, dass die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem USamerikanischen System der Sachverhaltsermittlung durch das ZPRG 2001 unberührt geblieben sind. 24 Schlosser, JZ 2003, 427, 428. 25 Schlosser (Fn. 24). – Dagegen verwahrt sich Baumbach/Lauterbach/Hartmann (Fn. 11), § 142 Rn. 2 (notwendiges Abwehren von Anfängen). 26 So Stadler, Inquisitionsmaxime und Sachverhaltsaufklärung; erweiterte Urkundenvorlagepflichten von Parteien und Dritten nach der Zivilprozeßrechtsreform, in Festschrift für Beys, 2. Bd., Athen 2003, S. 1625, 1627.
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Erst die Auslegung (und damit die praktische Handhabung) wird daher zeigen, ob die neuen Bestimmungen wirklich so wenig Brisanz enthalten, wie es die Äußerungen des Bundestagsrechtsausschusses glauben machen. So bedarf u.a. die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vorlagepflicht der Gegenpartei oder Dritter besteht, auch im Hinblick auf die Anforderungen an die Substantiierung einer genaueren Betrachtung. Erste Entscheidungen verdeutlichen das Problem: Das OLG Saarbrücken27 hält es ohne weiteres für zulässig, dass das Gericht nach § 142 ZPO die Vorlage der Krankenunterlagen anordnet, die bei einem außerhalb des Rechtsstreits stehenden Arzt oder einer Klinik geführt werden. Eine Entscheidung des LG Ingolstadt28 bietet ebenfalls ein Beispiel für eine weite Anwendung des neuen § 142 ZPO. Ein Beklagter, der auf Begleichung von Mietforderungen verklagt wurde, berief sich auf werterhöhende Leistungen, die die Vormieterin auf das Mietobjekt verwendet habe und die den Beklagten nach seiner Ansicht zur Aufrechnung gegenüber den Mietforderungen berechtigten. Zum Nachweis der erbrachten Leistungen trug der Beklagte vor, entsprechende Unterlagen seien in einem Leitzordner der Vormieterin mit der Rückenaufschrift „Bürogebäude“ enthalten, der sich nunmehr im Besitz des im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Vormieterin bestellten Insolvenzverwalters befinde. Auf Antrag der Beklagten ordnete das Gericht die Vorlage dieses Ordners durch den Insolvenzverwalter (und den Verbleib auf der Geschäftsstelle bis zur Beendigung des Verfahrens) an. Nach Weigerung des Insolvenzverwalters wurde die Verpflichtung in einem Zwischenurteil bestätigt. Das Gericht verwies darauf, dass nach der Neufassung des § 142 ZPO auch am Verfahren nicht beteiligte Personen verpflichtet werden könnten, in ihrem Besitz befindliche Unterlagen an das Gericht herauszugeben. Die Vorlage sei auch nicht aus praktischen Gründen unzumutbar, da es sich nur um einen bestimmten, mit einer Rückenaufschrift genau bezeichneten Leitzordner handle. Beide Entscheidungen gehen m.E. über das zulässige Maß hinaus29. Eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO sollte nur erlassen werden, wenn neben einem konkreten Tatsachenvortrag auch die vorzulegende Urkunde konkret bezeichnet wurde. Andernfalls wäre die Schranke zu einer unzulässigen Ausforschung durchbrochen.
___________ 27
OLG Saarbrücken MDR 2003, 1250. LG Ingolstadt ZInsO 2002, 990. 29 Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 142 Rn. 11. 28
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2. Vorlageanordnung gegenüber Dritten Die wichtigste Neuerung des § 142 ZPO nF liegt darin, dass das Gericht nicht nur den Parteien, sondern auch Dritten die Vorlage von Urkunden und sonstigen Unterlagen aufgeben kann. Wie sich aus der Begrenzung der Vorlagepflicht durch § 142 Abs. 2 ZPO klar entnehmen lässt, setzt die Verpflichtung eines Dritten, einer solchen von Amts wegen erlassenen Anordnung nachzukommen, nicht voraus, dass nach materiellem Recht gegenüber einer Partei eine Verpflichtung zur Vorlage besteht. Durch § 142 ZPO wird vielmehr eine prozessuale, dem Gericht gegenüber bestehende Verpflichtung eingeführt. In dieser Abkoppelung von materiellen Verpflichtungen liegt ein grundlegender Systemwechsel und insoweit ebenfalls eine Annäherung an die Grundgedanken des discovery-Verfahrens, in dem die Vorlageverpflichtungen allein aus der prozessualen Situation, nicht aus materiell-rechtlichen Gründen hergeleitet werden. Die Pflicht des Dritten, einer gerichtlichen Vorlageanordnung Folge zu leisten, stellt eine Parallele zur Zeugnispflicht dar, die schon bisher grundsätzlich jeden trifft, unabhängig davon, ob er in Rechtsbeziehungen zu einer Partei steht. Die Pflicht zur Vorlage von Urkunden und sonstigen Unterlagen kann allerdings für den Dritten eine größere Belastung darstellen als eine Pflicht zur Zeugenaussage, da er mit der Urkunde bzw. den Unterlagen die darin enthaltenen Informationen völlig aus der Hand geben muss, während ihm bei einer Zeugenvernehmung immer noch die Entscheidung darüber bleibt, was er letztlich aussagt. Der Gesetzgeber30 scheint dies ähnlich gesehen zu haben, schloss er doch die Verpflichtung des Dritten, der Anordnung Folge zu leisten, nicht nur in den Fällen aus, in denen ein Zeugnisverweigerungsrecht gegeben wäre, sondern auch dann, wenn die Vorlage dem Dritten nicht zumutbar ist (§ 142 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Unzumutbarkeit wird vor allem dann zu bejahen sein, wenn in der Urkunde oder den Unterlagen Informationen über die Angelegenheiten des Dritten enthalten sind, die der Dritte nicht preisgeben möchte. Wenn allerdings der Dritte einer Partei gegenüber zur Herausgabe der Urkunde verpflichtet ist, wird ihm auch die Befolgung der amtswegigen Vorlageanordnung, die derselben Partei zugute kommen kann, in aller Regel zuzumuten sein. Auf diese Weise wird die Frage einer materiellen Verpflichtung des Dritten möglicherweise größere Bedeutung behalten als es auf den ersten Blick scheint. So hat sich das OLG Düsseldorf bei seiner Anordnung der Vorlage der Krankenunterlagen durch eine Klinik auch darauf berufen, dass nach materiellem Recht ohnehin eine Herausgabepflicht gegenüber der Partei (dem Patienten) bestehe. Dass § 142 ZPO nunmehr auch Vorlageanordnungen gegenüber Dritten erlaubt, ist nicht nur für das amtswegige Vorgehen des Gerichts bedeutsam, son___________ 30 Im Referentenentwurf war die Begrenzung der Vorlagepflicht durch das Erfordernis der Zumutbarkeit noch nicht enthalten.
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dern bringt in Verbindung mit der Neufassung der §§ 428, 429 ZPO auch weit reichende Folgerungen für den von einer Partei angetretenen Urkundenbeweis mit sich. Nach dem früheren Recht konnte eine Partei den Beweis mittels Urkunden, die sich nach ihrer eigenen Behauptung im Besitz eines Dritten befanden, nur dadurch antreten, dass sie beantragte, für die Beschaffung der Urkunde eine Frist zu bestimmen (§ 428 ZPO a.F.). Es war dann Sache der Partei, innerhalb dieser Frist die Urkunde beizubringen. War der Dritte nicht zur freiwilligen Herausgabe bereit, so blieb der Partei nur der Weg, ihn auf Vorlage zu verklagen, wie dies auch jetzt noch in § 429 Satz 1, 2. Halbsatz ZPO vorgesehen ist. Eine Pflicht des Dritten zur Vorlage besteht aus denselben Gründen wie bei der Partei, § 429 S. 1, 1. Halbsatz ZPO; diese Vorschrift ist bei der Reform unverändert geblieben. Die Vorlagepflicht des Dritten besteht somit im Wesentlichen nur, wenn er nach bürgerlichem Recht dem Beweisführer zur Herausgabe oder Vorlegung der Urkunde verpflichtet ist (§ 422 ZPO). Der zweite gegenüber dem Prozessgegner geltende Grund, dass sich dieser im Prozess zur Beweisführung auf die Urkunde bezogen hat, kann dem Dritten gegenüber allenfalls dann eingreifen, wenn sich dieser als Nebenintervenient am Prozess beteiligt hat. Durch § 428 ZPO n.F. wird nunmehr dem Prozessgegner ein zweiter Weg des Beweisantritts bei Urkunden im Besitz eines Dritten ermöglicht. Er kann den Beweis auch dadurch antreten, dass er bei Gericht beantragt, eine Anordnung nach § 142 ZPO zu erlassen. Diese Vorgehensweise steht nach dem Gesetzestext neben dem schon bisher möglichen Antrag auf Fristbestimmung (zur Selbstbeschaffung der Urkunde) zur Wahl31. Unklar ist, ob damit nur ein zweiter Verfahrensweg eröffnet wird oder ob bei einem Antrag der Partei auf Erlass einer Vorlageanordnung nach § 142 ZPO zugleich auch die Voraussetzungen, unter denen vom Dritten die Vorlage verlangt werden kann, nach § 142 ZPO zu beurteilen sind. Handelt es sich nur um einen zweiten Verfahrensweg, so dürfte das Gericht die Vorlageanordnung nach § 142 ZPO auf Antrag einer Partei nur erlassen, wenn der Dritte der Partei gegenüber nach § 429 i.V.m. § 422 ZPO zur Vorlage verpflichtet ist. Wenn es aber in § 429 S. 2 ZPO im Anschluss an § 429 S. 1 ZPO, der die Voraussetzungen der Vorlagepflicht durch Verweisung auf die §§ 422, 423 ZPO regelt, heißt, § 142 ZPO bleibe unberührt, so muss dies doch wohl den Sinn haben, dass die Voraussetzungen einer Vorlagepflicht, ___________ 31
Der Wortlaut könnte allerdings auch so verstanden werden, dass es sich stets nur um einen Antrag handelt und es dem gerichtlichen Ermessen überlassen bleibt, ob es eine Frist für die Herbeischaffung der Urkunde bestimmt oder eine Anordnung nach § 142 ZPO trifft. Der Zweck der Regelung, die Position des Beweisführers zu verbessern, spricht aber gegen eine solche Auslegung. Auch in der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 9) wird der Antrag auf Erlass einer Anordnung nach § 142 ZPO als eigenständige Möglichkeit des Beweisantritts betrachtet. s. auch Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 428 Rn. 4 f.
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wie sie sich aus S. 1 ergeben, für eine Anordnung nach § 142 ZPO nicht gelten. Also wird man die durch § 428 ZPO eingeräumte Möglichkeit, den Beweis durch Antrag auf eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO anzutreten, so verstehen müssen, dass sich in diesem Fall sämtliche weitere Voraussetzungen, einschließlich der Vorlageverpflichtung des Dritten, allein nach § 142 ZPO richten32. Dies war im übrigen auch die Absicht der Gesetzesverfasser, die in der Begründung33 unter Hinweis auf die Prozessökonomie ausdrücklich erklärten, der Antrag auf Anordnung der Urkundenvorlegung solle unabhängig vom Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf Vorlage sein. Der Vorzug des neuen Rechts für die Partei ist also, soweit es um Urkunden oder sonstige Unterlagen im Besitz eines Dritten geht, ein doppelter. Die Partei braucht sich nicht mehr selbst um die Beibringung der Urkunde zu kümmern (durch Klage gegen den Dritten) und sie kann sich zu ihrer Beweisführung der prozessualen Vorlagepflicht des Dritten bedienen, die sich, sobald sich die Partei auf die Urkunde bezieht, aus § 142 ZPO (mit den Grenzen nach Abs. 2) ergibt und von einer materiell-rechtliche Herausgabe- oder Vorlagepflicht unabhängig ist. Ein Vorteil für den Beweisführer liegt ferner darin, dass das Gericht, wenn es auf Antrag eine Vorlageanordnung erlassen hat, bei unberechtigter Verweigerung der Vorlage gegen den Dritten nach § 142 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 390 ZPO durch Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft vorgehen kann und muss, um den Dritten zur Vorlage zu bewegen. Die beweisführende Partei braucht sich also auch um die Vollstreckung einer Vorlageanordung nicht zu kümmern.
3. Erweiterung der Vorlagepflicht der Parteien Auch die Vorlagepflicht der Parteien wird durch § 142 ZPO n.F. erheblich erweitert, sofern man es für ausreichend hält, wenn sich eine der Parteien auf die Urkunde oder Unterlage bezogen hat. Nach dem bisherigen Text konnte die Vorlage nur gegenüber derjenigen Partei angeordnet werden, die sich selbst auf eine Urkunde in ihrem eigenen Besitz bezogen hatte. Die h.M.34 hatte dieses Erfordernis allerdings in neuerer Zeit für obsolet erklärt, nachdem in § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO a.F. dem Gericht die Vorlageanordnung ohne das Erfordernis einer Bezugnahme gestattet worden war. Jedoch wurde überwiegend die Ansicht ver___________ 32
Ebenso Stadler (Fn. 26), S. 1642; Huber, JuS 2002, 690, 693; Musielak/Huber, ZPO, 4. Aufl., 2005, § 428 Rn. 5; Thomas/Putzo/Reichold (Fn. 11), § 428 Rn. 3; Zöller/Geimer (Fn. 11), § 429 Rn. 1. 33 Bundestagsdrucks. 14/4722, S. 92. 34 Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 142 Rn. 2.
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treten, eine Vorlageanordnung gegenüber der nicht beweispflichtigen Partei könne nur unter den Voraussetzungen ergehen, unter denen die beweispflichtige Partei nach §§ 422, 423 ZPO einen Vorlageanspruch gegen den Gegner habe35. Fragt man, ob vergleichbare Einschränkungen auch bei Anwendung des neuen § 142 ZPO gelten, so ist zunächst daran zu erinnern, dass die Voraussetzung, eine Partei müsse sich auf die Urkunde bezogen haben, eingefügt wurde, um eine amtswegige Sachverhaltsermittlung im Sinne der Untersuchungsmaxime auszuschließen. Dazu kann man es in der Tat als genügend erachten, wenn sich eine der Parteien auf die Urkunde oder die sonstige Unterlage bezogen hat. Eine davon zu unterscheidende Frage ist aber, unter welchen Voraussetzungen eine Pflicht der Partei zu Vorlage besteht. Warum bei einer Anordnung im Rahmen des § 142 ZPO n.F. allein aufgrund der Bezugnahme der einen Partei die andere Partei stets zur Vorlage ihrer Urkunden und Unterlagen verpflichtet sein soll, während bei einer Beweiserhebung auf Parteiantrag nur diejenige Partei vorlagepflichtig ist, die sich selbst auf ihre Urkunden und Unterlagen bezogen hat (oder nach materiellem Recht dem Gegner gegenüber zur Vorlage verpflichtet ist), ist schwer nachvollziehbar. Für einen Urkundenbeweis auf Parteiantrag soll die Bezugnahme auf Urkunden in den Händen des Gegners ersichtlich auch weiterhin nicht ausreichen; denn weder wurde § 423 ZPO entsprechend erweitert noch ist, anders als nach § 428 ZPO bei Urkunden im Besitz Dritter, der Partei ein Recht eingeräumt worden, den Beweis dadurch anzutreten, dass sie dem Gegner gegenüber den Erlass einer Vorlageanordnung nach § 142 ZPO beantragt36. Bei einem Beweisantritt der Partei muss der Beweisführer in seinem Antrag weiterhin u.a. den Grund bezeichnen und glaubhaft machen, aus dem sich die Verpflichtung des Gegners zur Vorlegung der Urkunde ergibt (§ 424 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Richtig erscheint es, bei der Anordnung einer Urkundenvorlage nach § 142 Abs. 1 ZPO gegenüber der Partei, die sich im Besitz der Urkunde befindet, danach zu unterscheiden, ob diese Partei beweispflichtig ist oder nicht37. Wenn sie die Beweislast für die mittels der Urkunde aufzuklärenden Tatsachen trägt, ist es weniger problematisch, allein die Bezugnahme der Gegenpartei (ebenso wie die eigene Bezugnahme) als Grundlage für eine gerichtliche Vorlageanordnung ausreichen zu lassen. Das Bezugnahmeerfordernis erfüllt dann die bereits erwähnte Funktion, eine vom Willen beider Parteien losgelöste Amtsermittlung zu ___________ 35 Schreiber, Die Urkunde im Zivilprozeß, 1982, S. 74 ff.; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl., 1994, § 142 Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Prütting (Fn. 11), § 273 Rn. 19. – A.M. MünchKomm-ZPO/Peters (Fn. 11), §§ 142-144 Rn. 10, der (schon vor dem ZPRG 2001) von einer allgemeinen prozessualen Mitwirkungspflicht des Gegners ausging. 36 Ebenso Stadler (Fn. 26), S. 1641. 37 Diese Ansicht habe ich auch in Stein/Jonas/Leipold (Fn. 7), § 142 Rn. 17 ff. dargelegt.
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verhindern. Eine Diskrepanz zu den §§ 422, 423 ZPO, die eine Vorlageanordnung nur bei Bezugnahme der besitzenden Partei oder bei Bestehen einer materiellen Vorlageverpflichtung zulassen, entsteht hier nicht, da die §§ 422, 423 ZPO nur bei einem Beweisantrag eingreifen, den die beweisbelastete Partei zu stellen hat. Soweit sie selbst die Beweislast trägt, ist die besitzende Partei in ihrem eigenen Interesse gehalten, geeignete Urkunden oder Unterlagen vorzulegen. Eine gerichtliche Vorlageanordnung auf der Grundlage einer Bezugnahme durch den Gegner hat hier mehr den Charakter eines Hinweises auf die im eigenen Interesse nötige Vervollständigung des Vortrags und der Beweisangebote, so wie dies in § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO in allgemeiner Form vorgesehen ist. Bei einer Vorlageanordnung gegenüber einer beweispflichtigen Partei ergeben sich auch hinsichtlich der Rechtsfolgen, die bei Nichtbefolgung der Anordnung eintreten, keine Schwierigkeiten. Wurde eine Frist für die Vorlage gesetzt, so kann eine verspätete Vorlage zur Zurückweisung nach Maßgabe des § 296 Abs. 1 ZPO führen38. Unterbleibt die Vorlage überhaupt, so kann dies zur Folge haben, dass der Beweis für die aufzuklärenden Tatsachen nicht als geführt angesehen werden kann; die Nachteile für die nicht vorlegende Partei ergeben sich dann ohne weiteres aus ihrer Beweislast. Trägt dagegen die Partei, die zum Zweck des Beweises auf eine Urkunde in den Händen des Gegners Bezug nimmt, die Beweislast für die mit der Urkunde zu beweisenden Tatsachen, so ist es äußerst problematisch, die Bezugnahme dieser Partei als hinreichende Voraussetzung für eine Vorlageanordnung gegenüber der besitzenden Gegenpartei anzusehen. Hier ist die Diskrepanz zu den §§ 422, 423 ZPO unübersehbar. Wenn der Gesetzgeber wirklich eine so weitgehende Verpflichtung der nicht beweisbelasteten Partei einführen wollte, der beweisbelasteten Partei das nötige Material für deren prozessualen Erfolg zu liefern, dann hätte er die §§ 422, 423 ZPO entsprechend ändern oder aufheben müssen. Dass dies gerade nicht geschehen ist, rechtfertigt es, die in den §§ 422, 423 ZPO enthaltene Wertung auch bei einer Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen. Dem nicht beweispflichtigen Gegner gegenüber erscheint daher eine Vorlageanordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO nur dann berechtigt, wenn sich entweder der Gegner selbst auf die Urkunde bezogen hat oder wenn er nach materiellem Recht der beweispflichtigen Partei gegenüber zur Vorlage der Urkunde verpflichtet ist39. ___________ 38 Dies folgt aus der Bezugnahme des § 296 Abs. 1 auf § 273 Abs. 2 Nr. 5. So Hannich/Meyer-Seitz/Schwartze, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, 2002, § 142 Rn. 13 (bei Anordnung im Rahmen der Terminsvorbereitung); Zöller/Greger (Fn. 11), § 142 Rn. 4; Musielak/Stadler (Fn. 32), § 142 Rn. 6. 39 Ebenso Baumbach/Lauterbach/Hartmann (Fn. 11), § 142 Rn. 6. − A.M. Stadler (Fn. 26), S. 1639 f.; Zekoll/Bolt, Die Pflicht zur Vorlage von Urkunden im Zivilprozess – Amerikanische Verhältnisse in Deutschland?, NJW 2002, 3129, 3130; Musielak/Stadler (Fn. 32), § 142 Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold (Fn. 11), § 142 Rn. 1.
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4. Vorlage von Augenscheinsobjekten Nach dem neu gefassten § 144 ZPO kann das Gericht von Amts wegen sowohl den Parteien als auch einem Dritten die Vorlage eines Gegenstands zwecks Einnahme des Augenscheins oder der Begutachtung durch einen Sachverständigen aufgeben. Ein Dritter ist, wie bei den Urkunden, zur Vorlage verpflichtet, es sei denn, dass ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht oder die Vorlage unzumutbar erscheint. Die Vorlage durch einen Dritten kann mit Ordnungsmitteln durchgesetzt werden. Ist der Beweisführer nicht im Besitz des Augenscheinsobjekts, so kann er den Beweis nach § 371 Abs. 2 S. 1 ZPO auch durch den Antrag antreten, das Gericht möge eine Anordnung nach § 144 ZPO erlassen. Das wird man so verstehen müssen, dass es in diesem Fall auf einen Herausgabeanspruch der Partei gegen den Gegner oder den Dritten nicht ankommt. Im Einzelnen stellen sich bei der Auslegung der neuen Regeln über den Augenscheinsbeweis im Wesentlichen dieselben Probleme, wie sie oben für den Urkundenbeweis erläutert wurden. Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden.
V. Schlussbemerkung Ob die hier vorgestellten Änderungen der ZPO wirklich zu einer Stärkung der ersten Instanz führen, ist zu bezweifeln. Eher wird, wie ich befürchte, die tatsächliche Situation durch den immer weiter gehenden Einsatz des Einzelrichters an Stelle der Kammer in erster und (seit der Reform von 2001) auch in zweiter Instanz geprägt. Sparmaßnahmen und trotzdem inhaltliche Verbesserrung des Rechtsschutzes – dieses Kunststück ist auch dem Reformgesetzgeber des Jahres 2001 nicht gelungen.
Anwaltsgesellschaften in Korea Von Sang-Geun Park
I. Einleitung Unter den Anwaltsgesellschaften versteht man die Zusammenschlüsse der Rechtsanwälte für die anwaltliche Berufsausübung. Die Anwaltsgesellschaften unterstehen unter anderem dem Berufsrecht, nämlich dem (koreanischen) Rechtsanwaltsgesetz (KRAG). Das koreanische Ministerium der Justiz hat vor kurzem einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des KRAG (Entwurf) dem Parlament zugeleitet. Der Entwurf enthält vor allem die Reform der Anwaltsgesellschaften. In den folgenden Ausführungen werden die Gesellschaftsformen für Rechtsanwälte in Korea nach dem geltenden Recht (II.) und nach dem Gesetzentwurf (III.) behandelt. Anschließend wird zu dem Entwurf Stellung genommen (IV.).
II. Anwaltsgesellschaften nach dem geltenden Recht 1. Überblick (1) Nach dem geltenden Recht stehen den Rechtsanwälten drei Organisationsformen für die anwaltliche Zusammenarbeit zur Verfügung: Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), Gemeinschaftspraxis und Rechtsberatungsgesellschaft. Die letzten beiden werden im KRAG geregelt: Im fünften Abschnitt wird die Rechtsberatungsgesellschaft, im sechsten Abschnitt die Gemeinschaftspraxis behandelt. Auf die Rechtsberatungsgesellschaft finden, soweit im KRAG nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften des (koreanischen) Handelsgesetzbuchs (KHGB) über die offene Handelsgesellschaft Anwendung (§ 58 Abs. 1)1 und auf die Gemeinschaftspraxis die Vorschriften des (koreanischen) Bürgerlichen Gesetzbuchs (KBGB) über die Gesellschaft (§ 63 Abs. 1). Die Rechtsformen der Handelsgesellschaften (OHG, KG, AG, GmbH) sind für die anwaltliche Zu___________ 1
Paragraphen ohne Gesetzesangaben sind die des KRAG.
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sammenarbeit nicht zulässig; denn eine Handelsgesellschaft muss ein Handelsgewerbe betreiben (§ 169 KHGB). Die Gründung einer Anwaltsgesellschaft nach dem KRAG bedarf einer Genehmigung des Justizministers (§§ 41, 60), die er in bestimmten Fällen zurücknehmen kann (§§ 53, 63). Der interprofessionelle Zusammenschluss für die Berufsausübung ist nach dem KRAG nicht gestattet. (2) Eine Besonderheit von Anwaltsgesellschaften im KRAG ist, dass sie das Amt eines Notars haben (§§ 49 Abs. 1, 59). Das Privileg wurde verliehen, um den Zusammenschluss von Rechtsanwälten zu fördern. Das macht den wichtigsten Unterschied zwischen der Gemeinschaftspraxis und der GbR von Rechtsanwälten aus; die Gemeinschaftspraxis hat das Notariat kraft des Gesetzes, die GbR von Rechtsanwälten hat es nicht. (3) Im Folgenden werden die Gemeinsamkeiten zwischen der OHG und der Rechtsberatungsgesellschaft ausgelassen und nur die Besonderheiten der Rechtsberatungsgesellschaft dargelegt. Ebenfalls wird die Gemeinschaftspraxis ausgelassen, denn sie ist aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nicht von Bedeutung. 2. Rechtsberatungsgesellschaft a) Allgemeines (1) Die verbandsrechtliche Verfassung der Rechtsberatungsgesellschaft ist im Großen und Ganzen die der OHG. Die Rechtsberatungsgesellschaft ist dennoch eine spezielle Rechtsform, die durch Vorschriften des KRAG geschaffen ist2. Sie setzt also keine eingetragene OHG voraus. (2) Die Rechtsberatungsgesellschaft hat volle Rechtsfähigkeit und eigene Rechtspersönlichkeit. Sie handelt unter ihrer Firma. Die Rechtsberatungsgesellschaft ist ins Register einzutragen (§ 43). (3) Die Rechtsberatungsgesellschaft muss an ihrem Sitz eine Kanzlei unterhalten, in der zumindest eine Mehrheit der Gesellschafter tätig ist. Sie kann Zweigniederlassungen haben (§ 48). In einer Zweigniederlassung muss zumindest ein Gesellschafter tätig sein. b) Gesellschafter (1) Nur Rechtsanwälte können Gesellschafter einer Rechtsberatungsgesellschaft sein. Sie werden in der Praxis Gesellschafter-Anwälte genannt und müssen in der Gesellschaft ihren Beruf ausüben. Für eine Rechtsberatungsgesellschaft sind mindestens fünf Gesellschafter erforderlich; einer der Gesellschafter muss mindestens zehn Jahre Berufserfahrung als Jurist haben (§ 45). ___________ 2
Das gilt auch für die Rechtsanwalts-GmbH und die Rechtsanwaltsgesellschaft.
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(2) Die Rechtsberatungsgesellschaft kann Rechtsanwälte einstellen (§ 47). Sie werden Nicht-Gesellschafter-Anwälte oder Angestellten-Anwälte genannt. (3) Die Frage, ob die Gesellschaft Angehörige anderer freier Berufe einstellen kann, ist zu bejahen. Sie können aber ihre Berufe nur innerhalb des Tätigkeitsbereichs der Rechtsberatungsgesellschaft ausüben. Auf sie finden die Vorschriften über den Angestellten-Anwalt entsprechende Anwendung. c) Geschäftsführung und Vertretung (1) Die Geschäftsführung der Rechtsberatungsgesellschaft ist nicht anders als die der OHG. (2) Die Rechtsberatungsgesellschaft muss, anders als die OHG, einen oder mehrere bestimmte Vertreter haben. Sie werden unter den Gesellschaftern bestellt und in der Praxis Vertreter-Anwälte genannt. Die Gesellschaft handelt durch den Vertreter-Anwalt. Die Angaben über die Vertretung der Gesellschaft ist ins Register einzutragen (§ 43). d) Bearbeitung des Auftrags (1) In Bezug auf die Bearbeitung eines Auftrags sieht § 50 Abs. 1 S. 1 vor, dass bestimmt werden muss, welcher Anwalt den Auftrag bearbeitet. Ein Anwalt, der einen Auftrag bearbeitet, ist ein Bearbeiter-Anwalt. Ein AngestellterAnwalt kann auch ein Bearbeiter-Anwalt sein, wenn er zusammen mit einem Gesellschafter-Anwalt dazu bestellt wird (§ 50 Abs. 1 S. 2). (2) Was die Bearbeitung eines Auftrags betrifft, vertritt der BearbeiterAnwalt die Gesellschaft (§ 50 Abs. 3 S. 1). Bei mehreren Bearbeiter-Anwälten gilt Einzelvertretung (§ 50 Abs. 3 S. 2). Demzufolge kann auch ein Angestellter-Anwalt allein die Gesellschaft vertreten. Bearbeiter-Anwälte handeln unter dem Namen der Gesellschaft (§ 50 Abs. 1 S. 1). e) Haftung (1) Der Inhalt der Haftung in der Rechtsberatungsgesellschaft ist nicht anders als der in der OHG. In Bezug auf die Haftung in der OHG liegt der Unterschied zwischen dem deutschen und koreanischen Recht darin, dass die Haftung der Gesellschafter einer koreanischen OHG gegenüber den Gesellschaftsgläubigern subsidiär gegenüber der Haftung der OHG selber ist. Das gilt auch für die Rechtsberatungsgesellschaft und für Verbindlichkeiten jeder Art, auch wegen fehlerhafter Berufsleistung.
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(2) Die Regierung und ebenfalls die Rechtsanwälte betrachten die unbeschränkte, persönliche und gesamtschuldnerische Haftung aller Gesellschafter als das größte Hindernis für die Entwicklung zu größeren, wettbewerbsfähigeren Anwaltsgesellschaften. Das hat zur Forderung nach einer Änderung des KRAG geführt.
III. Anwaltsgesellschaften nach dem Regierungsentwurf 1. Überblick Der Entwurf reformiert die Anwaltsgesellschaften. Die Reform verfolgt zwei Ziele, die Schaffung von Rechtsformen, die für größere Anwaltsgesellschaften geeignet sind, und die Haftungsbeschränkung des Gesellschafter-Anwalts. Außerdem hebt der Entwurf die Vorschriften auf, wonach die Rechtsberatungsgesellschaft und die Gemeinschaftspraxis das Amt eines Notars haben, und schafft die Gemeinschaftspraxis ab. Die Verfasser des Entwurfs wollen den Rechtsanwälten eine Vielfalt der Rechtsform für Anwaltsgesellschaften anbieten. Zunächst bleibt es bei der geschilderten Verfassung der Rechtsberatungsgesellschaft. Sodann werden zwei neue Gesellschaftsformen für Rechtsanwälte geschaffen. Dies sind die Rechtsanwaltsgesellschaft und die Rechtsanwalts-GmbH. Auf die Rechtsanwaltsgesellschaft finden, soweit in dem KRAG nichts anderes bestimmt ist, die Vorschriften des KBGB über die Gesellschaft Anwendung, und auf die Rechtsanwalts-GmbH die Vorschriften des KHGB über die GmbH. Der Kern der Reform betrifft die Haftung des Gesellschafters für Ansprüche aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung. Die personenbezogene Haftungsbeschränkung, die so genannte Handelndenhaftung ist nicht nur für die Rechtsanwaltsgesellschaft, sondern auch für die Rechtsanwalts-GmbH eingeführt worden. Eine summenmäßige Haftungsbeschränkung blieb von vornherein außer Betracht. 2. Rechtsanwalts-GmbH a) Hintergrund Die Einführung der Rechtsanwalts-GmbH durch Änderung der BRAO von 1998 hat die Einführung der Rechtsanwalts-GmbH im KRAG von heute stark beeinflusst. In Korea gab es aber keine große Diskussion über die Zulässigkeit von Kapitalgesellschaften als Rechtsform anwaltlicher Berufsausübung.
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b) Gesellschafter (1) Nur Rechtsanwälte können Gesellschafter einer Rechtsanwalts-GmbH sein. Auch in der Rechtsanwalts-GmbH ist der interprofessionelle Zusammenschluss nach dem KRAG nicht gestattet. Die Gesellschafter werden Gesellschafter-Anwälte genannt. Sie müssen in der Gesellschaft beruflich tätig sein. Für eine Rechtsanwalts-GmbH sind zumindest zehn Gesellschafter erforderlich; drei der Gesellschafter müssen zumindest zehn Jahre Berufserfahrung als Jurist haben (§ 58-6 Abs. 1 n.F.). (2) Die Rechtsanwalts-GmbH kann auch Nicht-Gesellschafter-Anwälte einstellen (§ 58-6 Abs. 2 n.F.). (3) Bei einer Rechtsanwalts-GmbH müssen zumindest zwanzig Rechtsanwälte − davon zumindest zehn Gesellschafter-Anwälte − ihren Beruf ausüben (§ 58-6 Abs. 3 n.F.). Die Rechtsanwalts-GmbH braucht mehr Rechtsanwälte als alle andere Anwaltsgesellschaftsformen, um gegründet zu werden und um fort zu bestehen. c) Kapital Das Kapital der Rechtsanwalts-GmbH muss mindestens eine Milliarde KRW, die Einlage eines Gesellschafters muss mindestens dreißig Millionen KRW betragen3. Die Beträge des Mindestkapitals und der Mindesteinlage eines Gesellschafters einer Rechtsanwalts-GmbH erfordern im Vergleich zu denen einer GmbH eine viel höhere Summe4. Das hat mit der immer größer werdenden Haftungssumme wegen fehlerhafter Berufsleistung zu tun. d) Geschäftsführung und Vertretung (1) Gesellschafterversammlung: Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefasst. Jede zehn tausend KRW eines Geschäftsanteils gewähren eine Stimme. (2) Geschäftsführer: Die Gesellschaft muss drei oder mehr Geschäftsführer haben (§ 58-6 Abs. 5 n.F.). Zu Geschäftsführern können nur Gesellschafter bestellt werden. Die Geschäftsführung ist von der Mehrheit der Geschäftsführer zu entscheiden (§ 564 Abs. 1 KHGB). ___________ 3 KRW ist die Abkürzung des Koreanischen Won. 1 Euro entspricht umgerechnet ungefähr 1400 KRW. 1 Mrd. KRW sind also etwa 700.000 Euro, 30 Mio. KRW sind etwa 21.000 Euro. 4 Das Kapital der GmbH muss mindestens zehn Mio. KRW, die Einlage eines Gesellschafters muss mindestens fünftausend KRW betragen (§ 546 KHGB).
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(3) Vertreter-Geschäftsführer: Die Rechtsanwalts-GmbH muss einen oder mehrere Vertreter haben (§§ 58-4, 58-5 n.F.). Die Vertreter werden unter den Geschäftsführern durch Gesellschafterbeschluss bestellt und VertreterGeschäftsführer genannt. Bei mehreren Vertreter-Geschäftsführern ist die Gesamtvertretung zulässig, wenn die Satzung dies vorsieht. e) Bearbeitung des Auftrags (1) Die Vorschriften des § 50 über den Bearbeiter-Anwalt gelten auch bei der Rechtsanwalts-GmbH (§ 58-16 n.F.). Im Entwurf wird der § 50 noch konkreter geregelt. (2) Wird kein Bearbeiter-Anwalt bestellt, so sind alle Gesellschafter-Anwälte als Bearbeiter-Anwälte anzusehen (§ 50 Abs. 3 n.F.). Wenn Bearbeiter-Anwälte bestellt werden, muss die Gesellschaft es dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich mitteilen (§ 50 Abs. 5 n.F.). Durch die Mitteilung bekommt der Auftraggeber Kenntnis davon, wer seinen Auftrag bearbeitet, und gegen wen er gegebenenfalls wegen fehlerhafter Leistung vorgehen soll. f) Haftung (1) Was die Haftung der Gesellschaft betrifft, ist es in der RechtsanwaltsGmbH nicht anders als in der GmbH. Nur für Ansprüche aus Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung sieht der Entwurf neben der Haftung der Gesellschaft die so genannte Handelndenhaftung vor, also die persönliche Haftung des Bearbeiter-Anwalts, der für den Berufsfehler verantwortlich ist. (2) Ein Bearbeiter-Anwalt ist − falls keine Bearbeiter-Anwälte bestimmt sind, alle Gesellschafter-Anwälte − zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den er in Bezug auf den Auftrag vorsätzlich oder fahrlässig dem Auftraggeber zugefügt hat. Er und die Gesellschaft haften als Gesamtschuldner (§ 58-11 Abs. 1 n.F.). Haftet ein Bearbeiter-Anwalt nach Absatz 1, so haftet auch der Gesellschafter-Anwalt, der den Bearbeiter-Anwalt unmittelbar geleitet oder beaufsichtigt hat, es sei denn, der Gesellschafter-Anwalt hat auf die Leitung oder die Beaufsichtigung die erforderliche Sorgfalt angewendet (§ 58-11 Abs. 2 n.F.). (3) Um zu wissen, wer nach der Handelndenhaftung im KRAG haftet, braucht man nur festzustellen, wer der Bearbeiter-Anwalt des Auftrags ist. Es kommt also nicht darauf an, wer mit der Bearbeitung des Auftrags befasst war. Die Angaben über den Bearbeiter-Anwalt werden, wie oben schon gesagt, von der Gesellschaft dem Auftraggeber schriftlich mitgeteilt. Dadurch beseitigt der Entwurf die Schwierigkeiten, die entstehen würden, wenn der fehlerhaft handelnde Anwalt ermittelt werden muss.
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(4) Was den Absatz 2 betrifft, ist es in der Praxis kaum vorstellbar, dass ein Gesellschafter-Anwalt, der nicht zum Bearbeiter-Anwalt eines Auftrags bestellt ist, wegen fehlerhafter Bearbeitung des Auftrags haftet. Denn es ist in einer Anwaltsgesellschaft sehr ungewöhnlich, dass ein Gesellschafter-Anwalt einen anderen Gesellschafter-Anwalt oder einen Angestellten-Anwalt, der nicht mit ihm arbeitet, unmittelbar leitet oder beaufsichtigt. (5) Die Rechtsanwalts-GmbH ist verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen (§ 58-12 n.F.)5. Der einzelne Rechtsanwalt ist noch nicht gesetzlich verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Der Entwurf schreibt eine Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung vor, aber eine Bestimmung über den Betrag der Mindestversicherungssumme fehlt. 3. Rechtsanwaltsgesellschaft a) Allgemeines (1) Die Rechtsform der Rechtsanwaltsgesellschaft, in der die Gesellschafter ihre persönliche unbeschränkte Haftung auf den Verantwortlichen konzentrieren, hat die deutsche Partnerschaftsgesellschaft und die US-amerikanische Limited Liability Partnership (LLP) zum Vorbild genommen. (2) Die Rechtsanwaltsgesellschaft ist im Grunde eine GbR und keine juristische Person. Sie hat weder Rechtsfähigkeit noch Grundbuchfähigkeit, aber die Parteifähigkeit (§ 58-26 n.F.). b) Gesellschafter Bei einer Rechtsanwaltsgesellschaft müssen zumindest zehn GesellschafterAnwälte ihren Beruf ausüben; drei der Gesellschafter müssen zumindest zehn Jahre Berufserfahrung als Jurist haben (§ 58-22 Abs. 1 n.F.). Die Rechtsanwaltsgesellschaft kann auch Nicht-Gesellschafter-Anwälte einstellen (§ 58-22 Abs. 2 n.F.). Eine weitere Bestimmung über die Mindestzahl der Anwälte, die in einer Rechtsanwaltsgesellschaft beruflich tätig sein müssen, gibt es nicht. c) Geschäftsführung und Vertretung (1) Die Geschäftsführung der Rechtsanwaltsgesellschaft ist nicht anders als die der GbR. Die Gesellschaft kann einen oder mehrere Geschäftsführer haben. Wenn der Geschäftsführer nicht durch den Gesellschaftsvertrag bestimmt wird, ___________ 5 Das Kapital der GmbH muss mindestens zehn Mio. KRW, die Einlage eines Gesellschafters muss mindestens 5000 KRW betragen (§ 546 KHGB).
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ist zur Bestellung des Geschäftsführers eine Mehrheit von zwei Dritteln der Gesellschafter erforderlich (§ 706 Abs. 1 KBGB). Eine Besonderheit des Entwurfs im Vergleich zu KBGB ist, dass der Entwurf ausdrücklich vorsieht, dass die Rechtsanwaltsgesellschaft nach der Bestimmung des Gesellschaftsvertrags einen Verwaltungsausschuss bilden kann, der aus allen Geschäftsführern besteht (§ 58-23 Abs. 2 n.F.). (2) Die Rechtsanwaltsgesellschaft muss, obwohl sie eine GbR ist, einen oder mehrere Vertreter haben, die Gesellschafter-Anwälte sind (§§ 58-20, 58-21 n.F.). Der Vertreter-Anwalt handelt unter dem Namen der Gesellschaft und vertritt dabei die Gesellschafter. Wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, ist er der Vertreter. Aber wenn mehrere Geschäftsführer bestellt sind und nicht alle Geschäftsführer im einzeln oder gemeinsam die Vertretungsmacht haben sollen, müssen der oder die Vertreter mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Gesellschafter bestellt werden. d) Bearbeitung des Auftrags Die Vorschriften des § 50 über den Bearbeiter-Anwalt finden auch bei der Rechtsanwaltsgesellschaft Anwendung (§ 58-30 n.F.). e) Haftung (1) Der Inhalt der Haftung in der Rechtsanwaltsgesellschaft ist nicht anders als der in der GbR. (2) Für die Haftung für Ansprüche aus Schäden wegen fehlerhafter Beratung gilt das, was über die Haftung in der Rechtsanwalts-GmbH gesagt ist, entsprechend.
IV. Stellungnahmen zu dem Entwurf und Vorschläge 1. Skizze der Anwaltsgesellschaften Nach dem neuen Recht stehen vier Gesellschaftsformen für die anwaltliche Berufsausübung zur Verfügung. Die Grobgliederung sieht wie folgt aus: − die Gesellschaft bürgerlichen Rechts; − die Rechtsberatungsgesellschaft, die eigentlich eine OHG ist; − die Rechtsanwalts-GmbH, die eine GmbH mit Handelndenhaftung ist; − die Rechtsanwaltsgesellschaft, die eine GbR mit Handelndenhaftung ist.
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2. Zur Rechtsberatungsgesellschaft Die Rechtsberatungsgesellschaft ist die alte geblieben. Ich habe an anderer Stelle die Ansicht vertreten, dass die Handelndenhaftung ins Recht der Rechtsberatungsgesellschaft eingeführt werden sollte. Die Verfasser des Entwurfs sind aber der Meinung, dass die Interessen von Gesellschaftern der zurzeit bestehenden Rechtsberatungsgesellschaften geschützt werden sollen. Welche Interessen dies sein sollen, ist aber nicht ersichtlich. Meines Erachtens kommt die Einführung der Handelndenhaftung in der Rechtsberatungsgesellschaft den Gesellschaftern insgesamt zugute.
3. Zur Handelndenhaftung in der Rechtsanwalts-GmbH (1) Die Verfasser des Entwurfs konzipieren die Rechtsanwalts-GmbH als eine Rechtsform für die größten Anwaltsgesellschaften. Die Frage, ob Rechtsanwälte die Rechtsanwalts-GmbH attraktiver als die Rechtsanwaltsgesellschaft finden werden, ist wohl zu verneinen, weil die Haftung eines Gesellschafters der Rechtsanwalts-GmbH schwerer als diejenige der Rechtsanwaltsgesellschaft ist. Ein Gesellschafter der Rechtsanwalts-GmbH trägt die gleiche Haftung für fehlerhafte Berufsausübung wie ein Gesellschafter der Rechtsanwaltsgesellschaft und muss dazu eine Geldeinlage leisten. Die Rechtsform der RechtsanwaltsGmbH bietet keine ausschlaggebenden Vorteile für Rechtsanwälte an. (2) Im Übrigen kann auf die Diskussion über die gesetzliche Einführung einer Handelndenhaftung in der Rechtsanwalts-GmbH in Deutschland vor der Änderung der BRAO im Jahr 1998 hingewiesen werden. (3) Meines Erachtens sollte die Handelndenhaftung in der RechtsanwaltsGmbH abgeschafft werden. Es wäre besser, wenn Gesellschafter der Rechtsanwalts-GmbH die gleiche Haftung wie die der GmbH tragen würden.
4. Zur Rechtsanwaltsgesellschaft (1) Im koreanischen Recht der GbR ist eine Reihe von Fragen, insbesondere im Hinblick auf die Gesellschaftsschulden, noch nicht ganz geklärt. Die Handelndenhaftung könnte die Problematik der Gesellschaftsschulden der Rechtsanwaltsgesellschaft noch komplizierter machen. Was die Lage noch schwieriger macht, ist folgendes: Je größer die Anzahl der Gesellschafter und das Unternehmen der Gesellschaft werden, umso mehr Probleme entstehen und umso schwieriger wird ihre Lösung. Um eine Rechtsanwaltsgesellschaft zu errichten, sind zumindest zehn Rechtsanwälte erforderlich. Eine GbR mit zehn Gesell-
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schaftern ist schon ungewöhnlich. Meines Erachtens ist die GbR keine geeignete Rechtsform für mittlere oder größere Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten. (2) Die Rechtsanwaltsgesellschaft ist, wenn man ihre Verfassung, unter anderem ihre Organe und Mitgliederzahl berücksichtigt, eher ein Verein. Trotzdem finden die Vorschriften über die GbR auf die Rechtsanwaltsgesellschaft Anwendung. Auch in diesem Punkt passt die Rechtsanwaltsgesellschaft nicht in das koreanische Verbandsrecht.
5. Zum Status des Angestellten-Anwalts (1) Ein Angestellter-Anwalt kann Bearbeiter-Anwalt sein, wenn er zusammen mit einem Gesellschafter-Anwalt dazu bestellt wird. Der Entwurf ändert nichts daran. Das wirft zwei Probleme auf. (2) Ein Angestellte-Anwalt, der zum Bearbeiter-Anwalt eines Auftrags bestellt ist, kann im Bereich der Bearbeitung des Auftrags die Anwaltsgesellschaft vertreten. In diesem Fall ist der Angestellte-Anwalt das Vertretungsorgan der Gesellschaft. Dass ein Nicht-Gesellschafter-Anwalt die Gesellschaft vertritt, ist nicht nötig und nicht sachgerecht, auch wenn man berücksichtigt, dass seine Vertretungsbefugnis begrenzt ist. (3) Ein schwierigeres Problem ist die Haftung des Angestellten-Anwalts, der Bearbeiter-Anwalt ist. Es spielt in der Rechtsberatungsgesellschaft keine Rolle, denn in der Rechtsberatungsgesellschaft haften nur Gesellschafter und die Gesellschaft. Aber in der Rechtsanwalts-GmbH und der Rechtsanwaltsgesellschaft haften Bearbeiter-Anwälte für fehlerhafte Berufsleistung. Danach tragen Angestellte-Anwälte, die Bearbeiter-Anwälte sind, die gleiche Haftung wie Gesellschafter-Anwälte. Schließlich erleichtert der Entwurf die Haftung des Gesellschafters von neuen Anwaltsgesellschaften, belastet aber den AngestelltenAnwalt erneut mit der Haftung für vertragliche Ansprüche des Auftraggebers. Ein Angestellter-Anwalt steht normalerweise unter der Leitung und Beaufsichtigung des Gesellschafter-Anwalts und bekommt Lohn. Es ist nicht gerecht, dass Angestellte-Anwälte und Gesellschafter-Anwälte das gleiche Haftungsrisiko tragen. (4) Um diese Probleme zu lösen, sollte § 50 Abs. 1 dahingehend geändert werden, dass nur Gesellschafter-Anwälte Bearbeiter-Anwälte werden können, oder dass Angestellte-Anwälte keine Bearbeiter-Anwälte werden können.
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6. Reform-Vorschlag (1) Aus dem, was oben ausgeführt wurde, folgt: − die Rechtsformen der Anwaltsgesellschaften sollten die GbR, die Rechtsberatungsgesellschaft und die Rechtsanwalts-GmbH sein; − in der Rechtsberatungsgesellschaft sollte die Handelndenhaftung für fehlerhafte Berufsleistung eingeführt werden; − die Haftung des Gesellschafters der Rechtsanwalts-GmbH sollte wie die der GmbH geregelt sein; − ein Angestellte-Anwalt sollte nicht zu Bearbeiter-Anwalt bestellt werden können. (2) Die Einführung der Rechtsanwaltsgesellschaft ist meines Erachtens eine Fehlentwicklung. Auf die Rechtsform der Rechtsanwaltsgesellschaft sollte verzichtet werden. (3) Wenn man die drei Gesellschaftsformen nach der Größe der Anwaltsgesellschaften nacheinander aufstellt, ist die Reihenfolge folgendermaßen: Die GbR für kleinere Anwaltsgesellschaft, die Rechtsberatungsgesellschaft für kleinere und mittlere, die Rechtsanwalts-GmbH für größere. Die Bestimmung über die Mindestzahl der Gesellschafter in der Rechtsanwalts-GmbH ist beizubehalten. Aber diejenige in der Rechtsberatungsgesellschaft sollte aufgehoben werden, weil kein Grund dafür zu sehen ist, dass die Rechtsberatungsgesellschaft mindestens fünf Rechtsanwälte braucht.
Nachtrag Das koreanische Parlament hat am 29.12.2004 das Gesetz zur Änderung des KRAG verabschiedet. Die neuen Vorschriften über die Anwaltsgesellschaften wurden nur mit ein paar redaktionellen Änderungen angenommen. Der Versuch des Ministeriums der Justiz, den Anwaltsgesellschaften das Amt eines Notars zu nehmen, ist aber an dem hartnäckigen Widerstand von Rechtsanwälten gescheitert. Das Gesetz trat ab Juli 2005 in Kraft.
Die Entwicklung des Rechts der Rechtsanwaltsgesellschaften in Deutschland Von Joachim N. Stolterfoht
I. Die Entwicklung Ursprünglich unterlag die Tätigkeit der Rechtsanwälte in den verschiedenen Teilen Deutschlands sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Das änderte sich erst durch die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 18781, mit der im Deutschen Reich der Grundsatz der Freien Advokatur realisiert wurde. Danach konnte die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr vom Ermessen einer Behörde oder einer anderen Stelle abhängig gemacht werden. Das Bild dieses „freien Advokaten“ war geprägt durch seine Unabhängigkeit, das persönliche Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten und dadurch, dass er seine Leistung persönlich erbrachte. Normativer Ausdruck dieses Vertrauensverhältnisses waren die umfassende strafrechtlich gesicherte Schweigepflicht (§ 203 StGB), das Zeugnisverweigerungsrecht und die Pflicht, sich im Rahmen der Gesetze für die Belange der Mandanten vorbehaltlos einzusetzen. Es verwundert daher nicht, dass von Anfang an die berufliche Organisation der Anwaltschaft durch die Persönlichkeit des Einzelanwalts geprägt war. Wenn eine gemeinsame Berufsausübung mehrerer Rechtsanwälte erfolgte, so vollzog diese sich – gewissermaßen naturgemäß – im Rahmen der Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts, die das deutsche Recht in §§ 705 ff. BGB allgemein für gemeinsame Unternehmungen mehrerer Personen zur Verfügung stellt: vom Spielen eines Loses, über die gemeinsame Investition in eine Immobilie bis zur Zusammenarbeit von Handwerkern oder auch Rechtsanwälten. Bei Rechtsanwälten2 bildete sich dabei der Name „Sozietät“3 heraus. Weitere Rechtsformen ___________ 1
RGBl. Nr. 23 vom 1.7.1878 Und später auch bei den gesamten wirtschaftsberatenden Berufen der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, während sich im ärztlichen Bereich der Ausdruck „Gemeinschaftspraxis“ durchsetzte. 3 Heute wird der Begriff „Sozietät“ zum Teil über den herkömmlichen Bereich der BGB-Gesellschaft hinaus auf alle Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung unabhängig von der Rechtsform angewandt, vgl. Kunz, in: So2
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für den Zusammenschluss von Rechtsanwälten standen seinerzeit nicht zur Verfügung: Die offene Handelsgesellschaft nach §§ 105 ff. HGB war Kaufleuten vorbehalten. Die GmbH widersprach nach einheitlicher Auffassung dem höchstpersönlichen Charakter des Mandatsverhältnisses und wurde daher als berufsrechtlich unzulässig angesehen4. Wenn sich diese Situation seit Beginn der 90er Jahre verändert hat, so sehe ich dafür drei sich überschneidende Gründe:
1. Die Wandlung des Berufsbildes Der erste Umstand ist die empirisch zu belegende Tatsache, dass sich das Bild des Rechtsanwaltes seit den 80iger Jahren des 20. Jahrhunderts langsam unter anglo-amerikanischen Einflüssen vom traditionellen Freiberufler zu einem wettbewerbsorientierten Dienstleister wandelte5. Der Verkauf einer Rechtsanwaltspraxis an einen Nachfolger, der vom Reichsgericht unter Berufung auf die Rechtsüberzeugung der Anwaltschaft noch als grundsätzlich sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB als nichtig angesehen wurde6, wurde generell zugelassen7. Die zunehmende Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte8 und die Konkurrenz ausländischer Rechtsanwälte im Rahmen der EU schufen einen Konkurrenzdruck, der zunehmend die Führung der Rechtsanwaltskanzlei nach Grundsätzen der Unternehmensführung verlangte; „Anwaltsmarketing“, „TQM“
___________ zietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 1 Rn. 14. Das entspricht auch Art. 11 mit Art. 1 Abs. 2 f) der Niederlassungsrichtlinie für Rechtsanwälte 98/5/EG zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, vom 16.2.1998 (ABl. Nr. L 77/36). Ich verwende den Begriff hier im herkömmlichen Sinne nur für die BGB-Gesellschaft. 4 Der Kommentar von Adolf und Max Friedlaender, Rechtsanwaltsordnung, 3. Aufl. 1930, erörtert überhaupt nicht, ob Rechtsanwälte in Form einer GmbH auftreten können, ebenso nicht Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1976. 5 Schon früh hatte Fritz Rittner, Unternehmen und Freier Beruf als Rechtsbegriffe, 1962 (insbes. S. 18/19) aufgezeigt, dass im deutschen Recht der Unternehmensbegriff vom sachbezogenen Gegenstand „Unternehmen“ her entstanden sei, während der Begriff des freien Berufes systematisch vom Berufsrecht aus entwickelt werden müsse und das Selbstverwirklichungsrecht des in diesem Bereich tätigen Menschen im Rahmen seiner Arbeit zu gewährleisten habe. 6 RG Urt. vom 12.8.1939 – II 67/39, RGZ 161, 153 (Ausnahmen seien nur in ganz außergewöhnlichen Fällen anzuerkennen); ebenso EGH Urt. vom 1.3.1937 – G 115/36, EGHE XXXI, 41 7 BGH Urt. vom 20.1.1965 – VIII ZR 53/63, BGHZ 43, 46 8 1965 betrug die Zahl der Rechtsanwälte 14.818 und stieg bis 2005 auf 125.015 an (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1993 und 2005).
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und „Zertifizierung“ wurden zu überall benutzten Schlagworten9. Friedlaender10 hatte die Rechtsanwaltsordnung in ihren wichtigsten Teilen als „ein Gefäß ohne Inhalt, einen Rahmen ohne Bild“ bezeichnet, weil sie weitgehend nicht normativ, sondern von einem sozialen und politischen Bild des Rechtsanwaltes erfüllt war11. Die Orientierung an den Vorstellungen der Mitglieder des Berufsstandes führte lange Zeit zu einer Erstarrung, weil das sehr konservative Weltbild vieler Rechtsanwälte den Maßstab dafür bildete, was zulässig war und was nicht. Mit der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts12 wurde die verfassungsrechtlich gesicherte Berufsfreiheit stärker in den Vordergrund gestellt13, und die Maßstäbe wurden liberaler14. Der Wettbewerb wurde in weiten Bereichen gefördert.
2. Die Schaffung von Partnerschaftsgesellschaften Der zweite Anstoß kam vom Gesetzgeber. Mit dem Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften vom 25. Juli 199415 schuf der Gesetzgeber eine Personengesellschaft speziell für Freie Berufe, die eng an die Regelungen der offenen Handelsgesellschaft angelehnt ist und die nach § 1 Abs. 2 S. 2 PartGG auch Rechtsanwälten offen steht. Die Partnerschaftsgesellschaft setzte sich anfangs in der Praxis jedoch nicht durch, weil sie gegenüber der Sozietät keine erkennbaren Vorteile brachte. Vor allem eröffnete das Gesetz in § 8 Abs. 2 anfangs nur ___________ 9 Vgl. beispielhaft den von Hartung/Römermann herausgegebenen Sammelband Marketing- und Management-Handbuch für Rechtsanwälte, 1999 und Hoeflmayr, Kanzleimarketing für die anwaltliche und steuerberatende Praxis, 2003 sowie die vom Deutschen Anwaltsverein (DAV) herausgegebene Schrift TQM – Qualitätsmanagement in der Anwaltskanzlei, 1997. 10 Fn. 4, Vorwort S. VII. 11 Das Bundesverfassungsgericht (Beschl. vom 25.2.1960 – 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354 (364)) bezeichnete generell den „Freien Beruf“ als soziologischen Begriff, der aus der gesellschaftlichen Situation des frühen Liberalismus entstanden sei und keinen festen Begriffsinhalt habe. 12 BVerfG Beschl. vom 14.7.1987 – 1 BvR 537/81, 195/87, BVerfGE 76, 171. 13 In der Wissenschaft hat vor allem Michael Kleine-Cosack diese Entwicklung hin zu einem freieren anwaltlichen Berufsrecht stark unterstützt, vgl. nur Michael KleineCosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986 und ders., BRAO, 4. Aufl. 2003, Einleitung Rn. 21-46. 14 Vgl. zur Sozietät zwischen Anwaltsnotar und Wirtschaftsprüfer BVerfG Beschl. vom 8.4.1998 – 1 BvR 1773/96, BVerfGE 98, 49; zur überörtlichen Anwaltssozietät BGH Urt. vom 23.9.1992 – I ZR 150/90, BGHZ 119, 225; zur interprofessionellen Sozietät Kleine-Cosack (Fn. 13) vor § 59a Rn. 8-15 und Martin Henssler, in: Henssler/Streck (Hg.), Handbuch des Sozietätsrechts 2001, C Rn. 249. Zur Erweiterung zulässiger Werbung vgl. die Zusammenfassung bei Feuerich/Weyland (Fn. 36), Kommentierung zu § 43b BRAO. 15 BGBl. I S. 1744.
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die Möglichkeit, die Haftung der nicht handelnden Partner zu beschränken, beließ es aber ohne eine solche Haftungsbeschränkung bei der Haftung aller Partner16. Das Gesetz wurde im Jahre 199817 jedoch dahin geändert, dass die Haftung bei Fehlern in der Mandatsbearbeitung durch das Gesetz selbst auf den jeweils handelnden Partner begrenzt wurde. Wenn also ein Partner bei der Bearbeitung eines Mandates einen Kunstfehler begeht, dann haftet er selbst nach § 8 Abs. 2 PartGG noch neben der Partnerschaftsgesellschaft mit seinem gesamten Vermögen, nicht aber auch seine Partner, die in die Bearbeitung nicht oder nur unerheblich eingeschaltet waren18. Für andere Verbindlichkeiten wie z.B. aus gemeinsam aufgenommenen Darlehen oder aus dem Kauf einer EDV-Anlage gilt aber nach § 8 Abs. 1 PartGG die gesamtschuldnerische Haftung.
3. Die Zulassung von Kapitalgesellschaften Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung wurde zunehmend auch die Auffassung in Frage gestellt, dass das anwaltliche Berufsrecht die Rechtsform einer GmbH verbiete, zumal die GmbH als Rechtsform für die berufliche Zusammenarbeit von Steuerberatern (§ 49 StBerG) seit langem zur Verfügung stand und es sich nicht einleuchtend begründen ließ, warum diese19, nicht aber die Rechtsanwälte für ihre Zusammenarbeit eine GmbH gründen konnten. Da auch juristische Personen sich auf den Schutz der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG berufen können, wurde immer stärker angezweifelt, dass eine RechtsberatungsGmbH nicht zulässig sei, wenn, wie dies §§ 50, 50a StBerG für die Steuerberatungs-GmbH vorsehen, Gesellschafter und Organe nur Berufsangehörige sein können. Als der BGH20 schließlich eine GmbH aus Zahnärzten anerkannt und damit die Zusammenarbeit in Form einer Kapitalgesellschaft in einem traditionell freien Beruf erlaubt hatte, war das Verbot der GmbH trotz einiger standespolitischer Rückzugsgefechte nicht mehr zu halten, zumal sich 1990 bereits acht ___________ 16 Zur Kritik Sotiropoulos, Partnerschaftsgesellschaft: Haftung der Partner und Haftungsbeschränkungswege, ZIP 1995, 1879; Knoll/Schüppen, Die Partnerschaftsgesellschaft – Handlungszwang, Handlungsalternative oder Schubladenmodell, DStR 1995, 608 und 646; Römermann, Anwalts-GmbH als „theoretische Variante“ zur Partnerschaft, GmbHR 1997, 530. 17 Gesetz vom 22.7.1998, BGBl. I S. 1878 (1881). 18 Zu den Schwierigkeiten, die die Regelung aufwirft, vgl. Jawansky, Haftung und Vertrauensschutz bei Berufsausübung in der Partnerschaftsgesellschaft, DB 2001, 2281. 19 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Steuerberatung ebenfalls Rechtsberatung auf einem bestimmten rechtlichen Teilgebiet, nämlich demjenigen des Steuerrechts, vgl. BGH Beschl. vom 4.1.1968 – AnwZ (B) 10/67, BGHZ 49, 244 (246); BGH Beschl. vom 1.12.1969 – NotZ 7-8/69, BGHZ 53, 103 (105); BGH Beschl. vom 10.11.1975 – AnwZ (B) 9/75, BGHZ 65, 238 (240). 20 BGH Urt. vom 25.11.1993 – I ZR 281/91, BGHZ 124, 224; Vorinstanz OLG Düsseldorf Urt. vom 10.10.1991 – 2 U 15/91, NJW-RR 1992, 808.
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Rechtsanwaltskammern auf der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer für die Zulassung der Rechtsberatungs-GmbH ausgesprochen hatten21. Nachdem das Bayerische Oberste Landesgericht22 die Zulässigkeit einer Rechtsberatungs-GmbH de lege lata anerkannt hatte, trug der Gesetzgeber 1998 dieser Diskussion Rechnung und ließ die Rechtsanwalts-GmbH als Kooperationsform in § 59e BRAO zu und traf ergänzend dazu einige flankierende Sonderregelungen wie diejenige, dass Gesellschafter nur in der Gesellschaft tätige Berufsträger sein durften. Damit sollte ausgeschlossen werden, dass Banken und Versicherungen ihre eigenen Rechtsberatungs-GmbHs gründeten und durch angestellte Juristen betreiben ließen. Inzwischen ist auch generell die Zulässigkeit der Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft anerkannt23 und wird im Wege der Analogie zur Rechtsanwalts-GmbH zugelassen.
II. Die uneinheitlichen Erfahrungen Man könnte vor dem Hintergrund dieser Entwicklung vermuten, dass sich mit der Öffnung von neuen Gestaltungsbereichen die Zahl der Partnerschaftsgesellschaften und Rechtsanwalts-GmbHs schnell vermehren würde. Das ist jedoch offenbar nicht – oder zumindest noch nicht – der Fall. Auch heute noch ist die Sozietät die ganz deutlich bevorzugte Gesellschaftsform, und zwar sowohl für den Zusammenschluss einiger weniger Rechtsanwälte als auch bei den Großsozietäten mit mehreren hundert Rechtsanwälten. In der Beratungspraxis hat sich allerdings inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass keiner dieser Rechtsformen einer ständigen beruflichen Zusammenarbeit von Rechtsanwälten ein Vorrang gegenüber den anderen zukommt, sondern dass es von der Analyse der konkreten Situation abhängt, welche Gesellschaftsform gewählt werden sollte24. Warum das so ist, lässt sich nicht sicher sagen. Ich kann Ihnen nur meine eigenen Erfahrungen dazu darstellen. Irgendwelche allgemeingültigen und belastbaren Erhebungen hierzu kenne ich nicht.
___________ 21
BRAK-Mitteilungen 1990, 76 (13 waren noch dagegen). BayObLG Beschl. vom 24.11.1994 – 3 Z BR 115/94, NJW 1995, S. 199 mit Besprechung von Ahlers, AnwBl 1995, 121. 23 BGH Beschl. vom 10.1.2005 – AnwZ (B) 27/03 und 28/3, BGHZ 161, 376; BGH Beschl. vom 14.11.2005 – AnwZ (B) 83/04, ZIP 2006, 282. 24 Zusammenfassend Kunz, in: Sozietätsrecht, 2. Aufl. 2006, § 1 Rn. 30. 22
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1. Die Mandantenbindung Das Bild des Rechtsanwaltes ist auch heute noch vielfach durch eine stark personale Beziehung zu dem Mandanten (Mandantenbindung) gekennzeichnet. Dies entspricht auch weitgehend dem Berufsethos25. Bei kleineren Gesellschaften wird die Bindung an die Sozietät durch das Vertrauensverhältnis zu einem bestimmten Sozius hergestellt; auch bei großen Sozietäten ist das aber nicht selten der Fall. Das zeigt sich beispielsweise im Auslandsgeschäft: Wer die jeweilige Landessprache des ausländischen Mandanten gut spricht und dessen Kultur kennt und sich auf sie einstellt, wird regelmäßig eine starke personelle Bindung erzeugen. Und das strafrechtliche Mandat ist nahezu immer durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt. Der wechselnde Kreis von Ansprechpartnern wird nicht selten als Nachteil von großen (anonymen) Kanzleien gesehen, dem man bewusst entgegen zu wirken versucht. Dieser persönlichen Bindung entspricht die Sozietät zumindest zur Zeit wohl noch stärker, während die Kapitalgesellschaft den Blick von deutschen Mandanten leicht auf US-amerikanische Großkanzleien leitet, die in weiten Teilen der mittelständischen Mandantschaft nicht positiv gesehen werden26. Die Kapitalgesellschaft wirkt einer personalen Mandantenbindung eher entgegen. Es gibt andererseits aber natürlich auch die rein geschäftlichen Beziehungen − etwa eines Unternehmens zu einer bestimmten Sozietät. Auch kommt es zunehmend vor, dass interessante und größere Mandate aufgrund einer Ausschreibung vergeben werden (die sog. „Schönheitskonkurrenz“). Derjenige mit dem besten Angebot bzw. der es am besten präsentieren kann, erhält das Mandat. Hier gibt es kaum personelle Beziehungen; man vertraut nur dem guten Ruf der Sozietät, wie man auch auf andere Markennamen vertraut. Die Verhältnisse sind in der Realität also sehr unterschiedlich und wechseln auch von Sozietät zu Sozietät und von Mandant zu Mandant. Es ist mithin Flexibilität gefragt. Hinzu kommt, dass zunehmend auch Rechtsberatungsleistungen (z.B. von Politikern oder Managern) nachgefragt werden, denen es gar nicht um die gewonnene Rechtserkenntnis geht, sondern vielmehr darum, sich gegenüber einem späteren Vorwurf abzusichern, man habe nicht die optimalen Berater hinzugezogen, ein Vorwurf, dem man durch die Beauftragung großer Kanzleien mit vielen Berufsträgern am leichtesten zu entkommen hofft.
___________ 25 Das zeigt sich beispielsweise noch in dem für die Sozien bestehenden Gebot, auf ihren Briefbogen sämtliche deutschen Gesellschafter namentlich aufzuführen: BGH Beschl. vom 19.11.2001 – AnwZ (B) 75/00, NJW 2002, 1419. 26 Ausführlich zur Mandantenorientierung als Wettbewerbsvorteil Meyer/Oppermann, in: Marketing und Management (Fn. 9), § 22.
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2. Flexibilität Andererseits hat die Sozietät den Vorteil großer Flexibilität. Die wenigen Vorgaben für die innere gesellschaftsrechtliche Gestaltung erlauben individuell angepasste Lösungen. So können sich bei der überörtlichen Sozietät nicht nur örtlich an verschiedenen Orten tätige Rechtsanwälte zu einer Sozietät verbinden, sondern es ist auch möglich, dass sich örtliche Sozietäten (also BGBGesellschaften) zu einer überörtlichen Sozietät zusammenschließen. Praktisch ist dies die einzige flexible Form, um über die Grenzen des nationalen Staates gemeinsame ständige berufliche Zusammenarbeit von mittelständischen Rechtsanwälten zu gestalten, die über eine gelegentliche Kooperation hinausgehen.
3. Die Überschätzung von Haftungsfragen Umgekehrt werden die auf den ersten Blick vermuteten Haftungsvorteile der Partnerschaftsgesellschaft und der Kapitalgesellschaft gegenüber der Sozietät, in der alle Rechtsanwälte gesamtschuldnerisch nach § 421 BGB für Kunstfehler haften27, häufig überschätzt. Denn das Berufsrecht verlangt in § 51 BRAO bei einem Einzelanwalt28 bei der Zulassung zur Anwaltschaft den Nachweis einer Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250.000 € im Einzelfall bei einer Begrenzung auf höchstens vier Fälle im Jahr. In der Praxis liegen die Haftpflichtsummen häufig sehr viel höher. Diese starke Absicherung der Mandanten durch eine Haftpflichtversicherung reduziert das Gewicht der persönlichen Haftung erheblich, zumal auch eine grob fahrlässige Handlungsweise (§ 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO) und das Fehlverhalten von Mitarbeitern (§ 51 Abs. 1 S. 1 BRAO) gedeckt sein müssen. Umgekehrt sind die steuerlichen Vorteile der Rechtsberatungs-GmbH, die z.B. durch die Möglichkeit von Pensionsrückstellungen denkbar sind, anders als im Bereich der Steuerberatungs-GmbH meist nicht so gewichtig. Denn Versorgungszusagen von Sozietäten werden wegen der hohen Risiken und Belastungen mit deutlichen Vorbehalten gesehen. Bei der Partnerschaftsgesellschaft haftet zwar nach § 8 Abs. 2 PartGG nur der das Mandat bearbeitende Partner persönlich mit seinem Vermögen. Gerade in Fällen, in denen Partner mit unterschiedlichen Spezialgebieten zusammenwirken, hilft diese Beschränkung aber nicht wirklich. Hinzu kommt, dass sich die Haftungsbeschränkung nach § 8 Abs. 2 PartGG auf die Partner beschränkt; ___________ 27 Ständige Rechtsprechung BGH Urt. vom 8.7.1999 – IX ZR 338/97, NJW 1999, 3040 mit weiteren umfassenden Nachweisen; für Steuerberater BGH Urt. vom 17.10.1989 – XI ZR 158/88, NJW 1990, 827. 28 Jeder Rechtsanwalt einer Sozietät ist persönlich berufshaftpflichtversichert. Einheitliche Sozietätspolicen gibt es bisher nicht, vgl. Fn. 42.
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werden – was häufig ist – als Arbeitnehmer tätige oder freiberufliche Rechtsanwälte in die Bearbeitung eingeschaltet, ergibt sich wiederum eine Haftung aller Partner, wenn die Mitarbeit dieser Personen sich nicht nur auf eine untergeordnete „Zuarbeit“ für einen Partner beschränkt29.
4. Beispiele Die Wahl der geeigneten Rechtsform dürfte also wohl in vielen Fällen auf ganz konkreten Besonderheiten beruhen, die eine „maßgeschneiderte Lösung“ für den konkreten Einzelfall nahe legen. Ich möchte das an drei Beispielen verdeutlichen: Fall 1: Ein Einzelanwalt, der Mandanten mit starker Mandantenbindung und lukrativen Mandaten betreut, kann durchaus eine Einmann-GmbH gründen und hat den Vorteil, dass er seine Altersversorgung über Pensionsrückstellungen ansparen kann. Wenn er hohe Gewinne erzielt, benötigt er einen Teil der Beträge nicht zum Lebensunterhalt, kann also teilweise auf eine Ausschüttung verzichten und insoweit den günstigen Körperschaftsteuersatz von 25% (§ 23 Abs. 1 KStG) in Anspruch nehmen. Allerdings fällt Gewerbesteuer an, die bei der Tätigkeit als Einzelanwalt nicht zu zahlen wäre. Fall 2: Wollen mittelständische Anwaltssozietäten in verschiedenen Staaten dauerhaft „über die Grenze“ zusammenarbeiten, kommt praktisch nur die internationale Sozietät in Form der BGB-Gesellschaft in Betracht, da die unterschiedlichen Verhältnisse nur auf diese Weise praktikabel und flexibel gestaltet werden können. Fall 3: Die Partnerschaftsgesellschaft bietet durch ihre Registerpublizität eine besondere Klarheit der Haftungsverhältnisse. Rechtsanwälte, die als Arbeitnehmer oder Freiberufler im Rahmen einer Sozietät tätig werden und nach außen auf den Briefbögen, auf dem Kanzleischild oder auf der Website oder in sonstiger Weise nach außen auftreten, haften als Scheinsozius30. Diese Rechtsscheinhaftung greift bei der Partnerschaft richtigerweise nicht ein, weil sich die Mandanten durch die Einsicht in das Partnerschaftsregister über den Kreis der Partner und damit der Haftenden vergewissern können. Insoweit bietet für einen jungen Anwalt die Tätigkeit als Arbeitnehmer oder freiberuflich Tätiger im Rahmen einer Partnerschaftsgesellschaft eine gewisse Risikoabsicherung31.
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Zur Haftung von Mitarbeitern, die nicht Partner sind: Langenkamp/Jaeger, Die Haftung für Fehler von Scheinpartnern in Rechtsanwalts- und SteuerberaterPartnerschaftsgesellschaften, NJW 2005, 3238. 30 Zusammenfassend Peres, in: Sozietätsrecht (Fn. 3), § 9 und Borgmann/ Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. 2005, § 36 Rn. 25−27. 31 Zutreffend Michalski/Römermann, PartGG, 3. Aufl. 2005, § 8 Rn. 30a−30c. Eine Rechtsscheinhaftung des das Mandat bearbeitenden angestellten Mitarbeiters nach § 8 Abs. 2 PartGG nimmt allerdings zu Unrecht OLG München Urt. vom 18.1.2001 – 29 U 2962/00, NJW-RR 2001, 1358 mit Anmerkung von Posegga, EWiR 2002, 129 an.
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III. Der „berufsrechtliche Durchgriff“ Versucht man vor dem Hintergrund dieser verwirrenden Vielgestaltigkeit gemeinsame zukünftige Entwicklungslinien für alle Rechtsanwaltsgesellschaften aufzuzeigen, so stößt man zwangsläufig auf das Berufsrecht, das die Materien des Zivilrechts überlagert und alle Formen der Rechtsanwaltsgesellschaften (und auch die als Arbeitnehmer tätigen Rechtsanwälte) verklammert. Einen Beruf kann nur ein Mensch haben, nicht eine juristische Person oder eine wie auch immer geartete Organisation. Es geht im Berufsrecht darum, wie das Recht die Selbstverwirklichung des Berufsträgers im Rahmen seiner Arbeit verwirklicht und sichert32. Auch bei Mitgliedern einer Rechtsanwaltsgesellschaft muss daher Adressat berufsrechtlicher Regelungen auch immer der einzelne Berufsangehörige sein; Jörg Nerlich33 spricht insoweit anschaulich von einem „berufsrechtlichen Durchgriff“. Der Unterschied des Anknüpfungspunktes wird besonders deutlich, wenn das Berufsrecht eine Organisationsform zulässt, zugleich aber den einzelnen Berufsangehörigen Schranken auferlegt, wie sie sich dann zu organisieren haben34.
1. Die Rechtsfähigkeit der Sozietät durch BGH-Urteil vom 29. Januar 2001 Bis zur grundlegenden Entscheidung des BGH35, in dem die Rechtsfähigkeit der Sozietät anerkannt wurde, ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann, sondern dass die einzelnen Gesellschafter ihren Vertragspartnern als Individuen „in ihrer gesellschafterlichen Zusammensetzung“ gegenübertreten. Von diesem Ausgangspunkt aus gesehen, war es nahe liegend und nicht besonders bemerkenswert, dass das anwaltliche Berufsrecht an den einzelnen Rechtsanwalt als Person anknüpfte und nicht an eine irgendwie geartete Organisationsform „Sozietät“. Die Berufspflichten richten sich an jeden einzelnen Rechtsanwalt einer Sozietät (vgl. §§ 43 ff. BRAO); er hat mit seiner Person für berufs___________ 32
Rittner (Fn. 5), S. 19/20. Nerlich, in: Sozietätsrecht (Fn. 3), § 30 Rn. 6. Zur Systematik der Unterscheidung von Gesellschaftsrecht und Berufsrecht bei Freiberuflern zutreffend auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1707 (§ 58 III). 34 Ein Wirtschaftsprüfer kann sich jederzeit an einer Partnerschaftsgesellschaft aus Steuerberatern und Rechtsanwälten beteiligen und dabei auf seinen Beruf hinweisen; der Gesellschaft ist es aber verwehrt, als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aufzutreten, wenn Partner auch Nicht-Wirtschaftsprüfer sind, vgl. LG München Beschl. vom 4.12.1997 – 13 T 16594/97, NJW 1998, 1156. 35 BGH Urt. vom 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341; als Schritt auf diesem Wege ist BGH Urt. vom 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 zu verstehen. 33
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widrige Handlungen einzustehen, die ihm gegenüber berufsgerichtlich geahndet werden36. Er ist als solcher schweigepflichtig und hat seine berufliche Unabhängigkeit sicherzustellen37. Handelten in gemischten Sozietäten neben Rechtsanwälten z.B. auch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc., so hatte jeder darauf zu achten, dass – trotz gesellschaftsrechtlicher Wirksamkeit – Sozietätsverbote beachtet wurden38. Es gibt auch heute noch zahlreiche Berufspflichten, die nicht die Sozietät als Gesellschaft, sondern den einzelnen Sozius treffen39. So kann nur ein Anwalt zum Pflichtverteidiger bestellt werden40, nicht eine Sozietät oder Rechtsanwaltsgesellschaft. Bei der Prozesskostenhilfe wird ein bestimmter Anwalt zugeordnet, auch wenn das Mandat vom Mandanten der Sozietät erteilt worden ist41. Diese Personenbezogenheit greift bis in Nachbargebiete über: Jeder einzelne Anwalt ist nach § 51 BRAO verpflichtet, sich selbst hinreichend zu versichern, so dass es auch bisher meines Wissens keine Sozietätspolicen gibt, sondern nur einzelne Berufshaftpflichtversicherungen jedes Rechtsanwaltes; und verschiedene Rechtsanwälte einer Sozietät können auch bei verschiedenen Versicherern versichert sein42. Auch die früher geltende Beschränkung der Vertretungsbefugnis vor dem Bundesfinanzhof auf den Berufsträger43 persönlich passt in dieses Bild. In der neueren Literatur44 werden daher die berufsrechtlichen Bindungen zunehmend rechtsformübergreifend gesehen. Auch der BGH45 geht wohl von ei___________ 36 Soweit § 59m Abs. 2 BRAO die sinngemäße Anwendung berufsrechtlicher Vorschriften für Rechtsanwaltsgesellschaften statuiert, handelt es sich in Wahrheit um eine Pflicht ihrer Organe als Berufsangehörige. Die Vorschrift ist nur erforderlich, soweit Personen betroffen sind, die nicht bereits kraft Gesetzes zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 59 Rn. 6. 37 Nerlich, in: Sozietätsrecht (Fn. 3) § 31 Rn. 65. 38 So richtet sich das aus dem Wort „einer“ in § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO hergeleitete Verbot, „Sternsozietäten“ einzugehen (dazu ausführlich BGH Urt. vom 14.11.2005 – AnwZ (B) 83/04, ZIP 2006, 282), an den Gesellschafter einer Sozietät, nicht an diese selbst. 39 Ausführlich Nerlich, in: Sozietätsrecht (Fn. 3), § 31. 40 BGH Beschl. vom 11.6.1981 – 1 StR 303/81, NStZ 1983, 208. 41 OLG Düsseldorf Beschl. vom 10.1.1991 – 10 W 114/90, AnwBl 1991, 223; OLG Zweibrücken Beschl. vom 16.12.1985 – 2 WF 41/85, NJW-RR 1986, 615; LAG Nürnberg Beschl. vom 27.5.2002 – 4 Ta 80/02, MDR 2002, 1094. 42 Die Versicherungswirtschaft wartet mit dem Angebot von Sozietätsversicherungen offenbar, bis die Sozietät selbst in gleicher Weise wie bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern (vgl. § 49 StBerG, § 27 WPO) als Berufsträger anerkannt wird, vgl. Gräfe/Brügge, Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung, 2006, Rn. 470. 43 BFH Urt. vom 23.7.1998 – VII R 154/97, BStBl. II 1998, 693; BFH Zwischenurt. vom 9.6.1999 – I R 6/99, BStBl. II 1999, 667; BFH Beschl. vom 26.2.1999 – XI R 66/97, BStBl. II 1999, 363. Zwischenzeitlich ist durch die Änderung von § 62 Abs. 2 S. 3 FGO auch die Bestellung von Steuerberatungsgesellschaften zu Bevollmächtigten möglich. 44 Fn. 33.
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nem derartigen Ansatz aus, wenn er – ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage – im Wege der Lückenfüllung die Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft in Analogie zur Rechtsanwalts-GmbH (§§ 59c BRAO) für zulässig hält. Dieser personale Ansatz des Berufsrechts würde es auch ermöglichen, nicht nur den Gesellschafter, sondern auch den Rechtsanwalt als Arbeitnehmer in die berufliche Pflichtenbindung zu nehmen und damit die arbeitsrechtlichen Rechte des Arbeitgebers gegenüber Berufsträgern zu beschränken. Da aber Rechtsanwälte nur die Berufszulassung erhalten können, wenn der Arbeitgeber wiederum ein Rechtsanwalt ist − da ihnen andernfalls die Eigenverantwortlichkeit gegenüber den von ihnen Beratenen fehlt46 − ist die Ausprägung dieses berufsregelnden Ansatzes trotz der prinzipiellen Anerkennung (vgl. § 26 BORA) bisher nur schwach ausgeprägt, da die Berufsorganisationen diese Restriktionen gegenüber Rechtsanwalts-Arbeitgebern durchsetzen müssten, dieses Konfliktspotential von ihnen aber möglichst gemieden wird47.
2. Die berufsrechtliche Auslegung von Wettbewerbsverboten Eine solche übergreifende berufsbezogene Sicht scheint sich auch bei der in der Praxis schwierigen Problematik des Wettbewerbsverbotes beim Ausscheiden aus einer Rechtsanwaltsgesellschaft, der Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote nach einer dienstvertraglichen Mitarbeit (gleich ob sie als Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter erfolgt) und bei Wettbewerbsverboten im Rahmen von Praxisverkäufen abzuzeichnen. Die Personenbezogenheit des Anwaltsberufs wirkt sich hier über die Generalklausel der Sittenwidrigkeit des § 138 und die mittelbare Drittwirkung des Grundrechts der Berufsfreiheit des Art. 12 GG dahin aus, dass die Rechtsprechung aus dem Berufsbild entsprechende Maßstäbe konkretisiert48. Ein Wettbewerbsverbot ist nur dann und insoweit zulässig, als es von legitimen Bestandsschutzinteressen des Begünstigten getragen wird und geeignet, erforderlich und zumutbar ist. In zeitlicher Hinsicht ___________ 45
BGH Beschl. vom 10.1.2005 – AnwZ (B) 27/03 und 28/03, BGHZ 161, 376. Soweit er überhaupt als Rechtsanwalt zugelassen werden kann, denn wenn er nicht bei einem Rechtsanwalt Arbeitnehmer ist, fehlt ihm regelmäßig die Eigenverantwortlichkeit gegenüber dem Mandanten, vgl. BGH Beschl. vom 10.11.1975 – AnwZ (B) 9/75, BGHZ 65, 238 und Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, vor § 59a Rn. 53 ff. 47 Steinkraus/Schaaf, Zur Einführung: Das Berufsrecht der Rechtsanwälte, JuS 2001, 377 (378); Kleine-Cosack (Fn. 46), vor § 59a Rn. 53 ff. und § 26 BORA Rn. 2. Zur praktischen Seite Wettlaufer, Angestellter oder freier Mitarbeiter? – Zum Einstieg in eine Anwaltskanzlei, AnwBl. 1989, 194 und Knief, Der Rechtsanwalt als Angestellter und freier Mitarbeiter, AnwBl. 1985, 58. 48 Vgl. die umfassende Rechtsprechungsübersicht bei Kleine-Cosack (Fn. 46), vor § 59 Rn. 71 ff. 46
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wird eine Schranke von zwei Jahren gesetzt49. Zwischenzeitlich ist entschieden, dass eine übermäßige Bindung auf den zulässigen zeitlichen Rahmen beschränkt und vom Richter für diesen Zeitraum aufrecht erhalten werden kann, während ein gegenständlich zu weit gefasstes Wettbewerbsverbot insgesamt unwirksam ist50.
IV. Berufsrechtlicher Ansatz bei der Beantwortung von Haftungsfragen? Nach meiner Ansicht ist zu überlegen, ob dieser berufsrechtliche Ansatz nicht zugleich auch im Rahmen einer entsprechenden Rechtsfortbildung eine gewisse Basis zur Beantwortung von Haftungsfragen bilden kann. Ob dabei rechtshistorische und rechtsvergleichende Ansätze generell hilfreich sein können, wonach es im Hinblick auf den das deutsche Recht beherrschenden Dualismus von Vertragsrecht und Deliktsrecht der generellen Ausbildung eines besonderen Berufshaftungsrechts bedarf51, muss hier undiskutiert bleiben. Jedenfalls kann die Zurückführung der Haftung auf die Anforderungen einer realitätsnahen Berufspraxis hilfreich sein.
1. Die Gefahr von Einheitslösungen bei der Haftung in der BGB-Gesellschaft Seit langem ist anerkannt, dass ein Mandant, der einem Rechtsanwalt einer Sozietät ein Mandat erteilt, damit allen Mitgliedern der Sozietät dieses Mandat erteilt52 und dass für Kunstfehler auch alle Sozietätsmitglieder gesamtschuldnerisch haften53. Die dafür sprechenden Sachgründe, nämlich der fehlende Einfluss des Mandanten darauf, wer im Rahmen der Sozietät jeweils in seiner Sa-
___________ 49
BGH Urt. vom 8.5.2000 – II ZR 308/98, NJW 2000, 2584. BGH Urt. vom 18.7.2005 – II ZR 159/03, MDR 2006, 119. 51 Dafür Lammel, Zur Auskunftshaftung, AcP 179 (1979), 337; Hopt, Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – Zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, AcP 183 (1983), 68; dagegen beispielsweise Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rn. 348/349. 52 Zum „Grundsatz des Gesamtmandates“ Schmid, in: Sozietätsrecht (Fn. 3), § 5 Rn. 21−28. 53 Fn. 27. 50
Die Entwicklung des Rechts der Rechtsanwaltsgesellschaften in Deutschland 145
che tätig wird und Beweisschwierigkeiten bei der Aufklärung dieser Frage54 überzeugen. Die Begründung dieser Rechtsansicht fällt seit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft sogar noch wesentlich leichter, weil man heute die Sozietät selbst als Vertragspartner des Mandatsvertrages begreift55 und grundsätzlich die Haftung der Gesellschafter aus einer Analogie zu § 128 HGB folgt. Zugleich birgt die durch die neue Rechtsprechung geschaffene Sicht aber auch Probleme. Denn sie legt nahe, für „die BGB-Gesellschaft“ (oder eingeschränkt: die BGB-Außengesellschaft) in begriffslogischer Deduktion Einheitsantworten zu finden, während es gerade gilt, für die verschiedenen Bereiche differenzierte Antworten zu prüfen. Denn die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Haftung der OHG ist nur eine entsprechende, das heißt sinngemäße, die durchaus Modifikationen verträgt. Auch früher hatte das Reichsgericht die Haftung durchaus differenziert gesehen. Nachdem es zutreffend entschieden hatte56, dass grundsätzlich – abweichend vom Wortlaut des § 425 Abs. 2 BGB – jeder Sozius auch für Kunstfehler und damit ein Verschulden des anderen Sozius einzustehen habe, entschied es beispielsweise auch, dass eine falsche wirtschaftliche Auskunft eines Sozius an einen Mandanten bei Gelegenheit der Mandatsbearbeitung nicht zu einer gesamtschuldnerischen Haftung führe, da sie ein Gebiet betreffe, für das sich die Sozien nicht zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen hätten57. Auch bei der rechtsfähigen Sozietät des neuen Rechts sollte es deshalb möglich sein, zwischen verschiedenen Haftungsfällen nach berufsrechtlichen Kriterien zu differenzieren.
2. Die Haftung in gemischten Sozietäten Die Haftungsproblematik stößt in gemischten Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Steuerberatern immer wieder auf Schwierigkeiten. Dem Steuerberater ist nämlich die allgemeine Rechtsberatung verboten58; er ist auf die Steuer___________ 54 Die Haftungsbeschränkung in § 8 Abs. 2 PartnerschGG ist nur akzeptabel, weil die Beweislast dafür der Partnerschaft obliegt. Wie kompliziert die Verhältnisse im Prozess sind, zeigen die Ausführungen von Michalski/Römermann (Fn. 31), § 8 Rn. 37/38. 55 Eine Folge davon ist, dass sich auch in eigenen Prozessen der Sozietät (z.B. beim Einklagen des Honorars) die Rechtsanwaltsgebühren nicht mehr nach Vergütungsverzeichnis 1008 RVG für jeden Sozius um 30% (bis zu einer Obergrenze) erhöhen. 56 RG Urt. vom 6.10.1914 – Rep. III. 156/14, RGZ 85, 306. 57 RG Urt. vom 26.5.1916 – Rep. III 47/16, RGZ 88, 342. 58 Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz.
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Rechtsberatung als Teilgebiet der Rechtsberatung59 beschränkt. Da für ihn die allgemeine Rechtsberatung eine verbotene Tätigkeit60 darstellt, kann er sich auch nicht gegen Fehler aus der allgemeinen Rechtsberatung versichern. Würde man, wie dies bei einem anderen der Sozietät angehörenden Rechtsanwalt der Fall wäre, in Analogie zu § 128 HGB die Haftung des Steuerberaters annehmen, so müsste der Steuerberater für den von einem Rechtsanwalt gemachten Fehler persönlich einstehen, ohne sich an eine Versicherung halten zu können. Der BGH61 hat vor der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Sozietät in derartigen Fällen angenommen, das Mandat werde bei gemischten Sozietäten nur denjenigen Sozietätsmitgliedern erteilt, die rechtlich die Befugnis hätten, ein solches Mandat zu bearbeiten. Nach der Grundsatzentscheidung vom 29. Januar 200162 gibt es meines Wissens noch keine Entscheidung, dass diese Beurteilung auch weiterhin maßgebend ist. Eine berufsbezogene Sicht auch der Haftung des Freiberuflers könnte auch hier den Ansatz für eine Begründung einer Kontinuität im Entscheidungsergebnis liefern.
3. Der eintretende Sozius Die berufsbezogene Sicht auch der Haftungsnormen könnte auch für die Haftung des eintretenden Gesellschafters Maßstäbe setzen. Unter der „Doppelverpflichtungslehre“, wonach der handelnde Gesellschafter vertragliche Verpflichtungen für alle BGB-Gesellschafter „in ihrer gesellschafterlichen Zusammensetzung“ mit Wirkung des Gesellschaftsvermögens sowie mit Wirkung für das haftende Privatvermögen der Gesellschafter begründete, ließ die Rechtsprechung den Eintritt des der Gesellschaft beitretenden Sozius in die vor seinem Beitritt bereits begründeten Verpflichtungen nicht zu63. Mit der Annahme der Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft waren die Verhältnisse jedoch verändert, so dass der BGH in Analogie zu § 130 HGB die grundsätzliche Haftung des beitretenden Gesellschafters annehmen konnte64. Obgleich die Entscheidung zu ei___________ 59
Fn. 19. Der Steuerberater, der allgemeine Rechtsberatung betreibt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 8 RBerG. Zu den zivilrechtlichen Rechtsfolgen OLG Düsseldorf Beschl. vom 27.5.2003 – 23 U 173/02, DStR 2004, 1102. 61 BGH Urt. vom 16.12.1999 – IX ZR 117/99, NJW 2000, 1333; OLG Dresden Urt. vom 2.6.2000 – 5 U 2862, DStRE 2000, 952; OLG Köln Urt. vom 3.5.1996 – 11 U 252/95, NJW-RR 1997, 438. Das gleiche Problem stellt sich bei Vorbehaltsaufgaben eines Wirtschaftsprüfers in einer Sozietät, für deren mangelhafte Erfüllung die Rechtsanwälte nicht haften. 62 Fn. 35. 63 BGH Urt. vom 30.4.1979 – II ZR 137/78, BGHZ 74, 240. 64 BGH Urt. vom 7.4.2003 – II ZR 56/02, BGHZ 154, 370; BGH Urt. vom 12.12.2005 – II ZR 283/03, BB 2006, 118. 60
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ner Rechtsanwaltssozietät erging, ließ der BGH jedoch ausdrücklich offen, ob für „Verbindlichkeiten aus beruflichen Haftungsfällen dieser Gesellschaften eine Ausnahme zu machen ist“, weil es darauf letztlich für die Entscheidung nicht mehr ankam. Dabei wies er speziell auf die für freie Berufe zugeschnittene Sonderregelung des § 8 Abs. 2 PartGG hin. Es ist aber zu überlegen, ob diese Vorschrift nicht im Wege einer Analogie sogar auch die Basis dafür bilden könnte, bei der Sozietät die Haftung nicht nur bei dem der Sozietät beitretenden Rechtsanwalt auf den Handelnden zu begrenzen, sondern die persönliche Haftung für Kunstfehler wegen der zwangsweisen und ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung (§ 51 BRAO), im Verhältnis zu der der persönlichen Haftung nur noch eine begrenzte Bedeutung zukommt65, generell − entsprechend dem Grundgedanken des § 425 Abs. 2 BGB und des § 8 Abs. 2 PartGG − auf den Handelnden zu begrenzen. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten66.
4. Keine persönliche Haftung des Handelnden bei Kapitalgesellschaften Andere Rechtsordnungen kennen umgekehrt auch bei Kapitalgesellschaften trotz der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung noch eine daneben bestehende persönliche Verantwortung der fehlerhaft handelnden Rechtsanwälte67, was wohl meist auf der Vorstellung beruht, dass erst die persönliche mit existenziellen Risiken verbundene Haftung des Individuums zur
___________ 65 Das gilt in besonderem Maße unter dem Aspekt, dass im Rahmen der Reform des Versicherungsvertragsrechts bei der Berufshaftpflicht ein Direktanspruch des Mandanten geschaffen werden soll, wie wir ihn heute nur bei Verkehrsunfällen nach § 3 Pflichtversicherungsgesetz v. 5.4.1965 (BGBl. I S. 213) kennen. Vgl. § 116 des Referentenentwurfs des Bundesjustizministeriums zu einem Gesetz zur Reform des VVG vom März 2006. 66 Von einer Tendenz zur Haftungsbegrenzung ist auch BGH Urt. vom 22.1.2004 – IX ZR 65/01, BGHZ 157, 361 getragen, wonach bei dem Zusammenschluss zweier Einzelanwälte zu einer Sozietät die einzelnen Anwälte jeweils nicht für die vorher begründeten Schulden des anderen haften. Zu den Möglichkeiten einer Haftungsbegrenzung de lege lata Zimmermann, Haftungsbeschränkung statt Versicherung? – Zur Reichweite von § 51a BRAO, NJW 2005, 117. Lux, Generelle Haftungsprivilegierung von Sozien? NJW 2003, 2806 leitet aus § 8 Abs. 2 PartGG als Spezialregelung ab, dass in der Sozietät eine derartige Haftungsprivilegierung nicht besteht. Zur Methodenfrage bei der erforderlichen Rechtsfortbildung vgl. Karsten Schmidt, Die Gesellschafterhaftung bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als gesetzliches Schuldverhältnis, NJW 2003, 1897. 67 Henssler, Die Rechtsanwalts-GmbH, JZ 1992, 696, 709; Nerlich, Anwaltssozietäten in Europa, AnwBl. 1994, 528, 535 f.; Henssler, Grundlagen des US-amerikanischen Berufsrechts der Rechtsanwälte, AnwBl. 2002, 557, 565; Henssler, Gesellschafts- und Berufsrecht der US-„Law Firms“ und Anwaltskooperationen, RIW 2001, 572, 574.
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sorgfältigen Erledigung der beruflichen Aufgaben führt68. Auch das koreanische Recht geht in seinen Reformbestrebungen, wie der Vortrag von Sang-Geun Park gezeigt hat, von einer solchen Haftung des „Bearbeiter-Anwalts“ bei der GmbH aus und formt sie konsequent aus. Eine solche Entwicklung der Durchbrechung der Haftungsbeschränkung bei der GmbH ist nach meiner Auffassung in Deutschland nicht zu erwarten. Die in Deutschland früher diskutierte ideologische69 Vorstellung im Gesellschaftsrecht, dass nach dem geltenden Recht eine Korrelation von „Herrschaft und Haftung“ bestehe oder jedenfalls rechtspolitisch bestehen sollte, ist von der Rechtsprechung70 nicht aufgegriffen worden und gedanklich wohl auch überwunden, nachdem über lange Zeit das Prinzip der Risikovermeidung das Handeln und Denken in Deutschland weitgehend bestimmt hat.
___________ 68
Von solchen Erwägungen war auch noch die Stellungnahme des Bundesrats zum Regierungsentwurf eines AnwaltsGmbH-Gesetzes (Bundestags-Drucksache 13/9820) getragen. 69 Vgl. Werner Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. I, Teil I, Die Personengesellschaft, 1977, S. 244. So beispielsweise der bei der Einbringung des PartGG durch Bundesministerin Leutheusser-Schnarrenberger, AnwBl. 1994, 334, gegebene Hinweis: „Das persönliche Einstehen für sein Handeln ist für den Arzt und den Anwalt immer noch eine Selbstverständlichkeit.“ Dabei wird außer Betracht gelassen, dass immer mehr der Erfolg durch fremdbestimmte Faktoren beeinflusst wird, die sich dem Handeln des Einzelnen entziehen. 70 BGH Urt. vom 17.3.1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204.
Political Economy of Korea’s Environmental Protection By Hong Sik Cho*
Abstract While law played an instrumental role in Korea’s economic development, the same cannot be said in the field of environmental protection. Though Korea has successfully modernized environmental law system, its enforcing practice, as compared to that in the domain of economic progress, falls well short of the public’s expectation expressed in modernized environmental law. Judicial oversight has been gradually increasing, yet the courts have kept a self-restraining posture where confrontational nongovernmental organizations press test cases. After dismissing a tempted idea to put down the bureaucracy’s slack to the Korea’s general backwardness, the author tries to explain why this divergence between legislative initiatives and administrative practices took place. By drawing on recent literature that sees the structure of government as dictated by politics, the author explores why the bureaucracy neither behaves as expected by the public nor performs as mandated by legislation, and why the courts just look on with folded arms. After pointing out the current efforts’ inherent limit, the author concludes that establishing the “rule of law” concept more firmly in the judicial, administrative, and legislative practice is crucial to furthering the quality of life as affected by the environment1. ___________ * This article reflects a revised version of my article “Law and Politics in Environmental Protection: A Case Study on Korea”, published in Journal of Korean Law Vol. 2, No. 1, 45-80 (2002). I would liked to give special thanks to Dean John Dwyer and Professor Laurente Mayali both of whom were instrumental for steering my attention toward the issues touched upon in this article by inviting me to the University of California, Berkeley, Boalt Hall, School of Law. I also thank Professor Kon Sik Kim for his helpful comments on an earlier draft. Finally, I thank EuBong Lee for her research assistance. 1 Alice Amsden, Asia’s Next giant: South Korea and Late Industrialization, 1989; James M. Buchanan/Gordon Tullock, Polluters’ Profits and Political Response: Direct Controls Versus Taxes, American Economic Review 65 (1975), p. 139; Seung Wha Chang, The Role of Law in Economic Development and Adjustment Process: The Case of Korea, The International Lawyer 34 (2000), p. 267; Hong Sik Cho, An Overview of Korean Environmental Law, Environmental Law 29 (1999), p. 501; Jong-Sup Chong,
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I. Issue Spotted Until and even after the Asian financial crisis in late 1997, many developing nations looked to Korea as a model for rapid industrialization and economic prosperity. In this regard, the role of law in the Korean economic development process drew considerable attention from academic and policy circles. A recent study revealed that the Korean government intentionally and successfully utilized legislation in achieving its goal of economic development. However, the same cannot be said of the role of law in the field of environmental protection. The following three factors clearly typify Korea’s law and practice for environmental protection: legislature’s advanced legislation, agencies’ backward practice, and courts’ little oversight. Though Korea has accomplished modernization of legal system for environmental protection, administrators have yet to comply strictly with legal constraints. Judicial oversight has been gradually increasing, yet it is still short of the public’s expectation. Compared to court’s role in the field of private law, it may well be argued that courts have kept a self-restraining posture in disputes between the regulator and the regulated. Figure 1 shows how different the goal of legislation and the reality of administrative practice are from each other. Curve A, representing the target of environmental enactments, is located on the right side of Curve B, which represents the level of administrative enforcement efforts. The larger the discrepancy be___________ Political Power and Constitutionalism, in: Dae-Kyu Yoon (ed.), Recent transformation in Korean Law and Society, 2000, p. 11; Steven P. Croley, Theories of Regulation: Incorporating the Administrative Process, Columbia Law Review 98 (1998), p. 1; Harold Demsetz, Toward a Theory of Property Rights, American Economic Review Papers and Proceedings 57 (1967), p. 347; Donald N. Dewees, Instrument Choice in Environmental Policy, Economic Inquiry 21 (1983), p. 53; John Dwyer, The Pathology of Symbolic Legislation, Ecological Law Review 17 (1990), p. 233; Richard J. Ferris Jr., Aspiration and Reality in Taiwan, Hong Kong, South Korea, and Singapore: An Introduction to the Environmental Regulatory Systems of Asia’s Four New Dragons, Duke Comparative and Internationale Law 4 (1993), p. 125; Tom Ginsburg, Dismantling the Developmental State? Administrative Procedure Reform in Japan and Korea, 49 American Journal of Comparative Law 49 (2001), p. 585; Pyong-Choon Hahm, Korean Jurisprudence, Politics and Culture 1986, p. 250; Robert W. Hahn, The Political Economy of Environmental Regulation: Towards a Unifying Framework, Public Choice 65 (1990), p. 21; Garrett Hardin, The Tragedy of the Commons, Science 162 (1968), p. 1243; JoonHyung Hong, Administrative Law in the Institutionalized Administrative State, in: DaeKyu Yoon (ed.), Recent transformation in Korean Law and Society, 2000, p. 47; Nathaniel O. Keohane et al., The Choice of Regulatory Instruments in Environmental Policy, Harvard Environmental Law Review 22 (1998), p. 313; Mancur Olson, The Logic of Collective Action: Public Goods and the Theory of Groups, 1965; Sang-Yeol Park, Environmental Law in Korea, Journal of Environmental Law and Practice 32 (1993), p. 38; Dae-Kyu Yoon, Law and Political Authority in South Korea, 1990.
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tween A and B becomes the less enforcement of environmental statutes actually takes place. Administrative discretion is the core reason for this discrepancy. Although it is an essential element of administration, discretion also means arbitrary implementation from time to time. Discretion is liable to be wielded in a discriminatory manner, with bias toward a specific group of people or firms or sometimes even toward a specific goal or ideology. In explaining the divergence between Curve A and B, two viewpoints can be taken. One might think that the legislature set a high compliance level because it wanted to make companies more environment-friendly. One might also think that in the public interest, e.g., from a fear that strict enforcement shrinks the national economy, bureaucrats used administrative discretion to stifle policing, causing the real compliance level to fall far behind the targeted compliance level. However, this naïve viewpoint, assuming only public-minded political actors, does not explain why apparently independent courts have kept silent on administrators’ aberrations. The development history of Korea’s environmental law may give a clue to advanced environmental legislation. Until 1990, environmental law was in existence in Korea, but not enforced and, thus, was virtually meaningless. While the government itself undeniably took an initiative to address the country’s mounting environmental concern in 1990 by substantially reworking the then-existing legislation and promulgating new laws, its action was spurred by “growing public discontent over environmental issues rather than the result of critical introspection.”2. The advanced legislation was a response to public demand. In short, I would say that Korea has as much of statutory and institutional structure for environmental protection as Germany. In addition, Korea’s Constitution not only provides the Korean people with a right to a healthy and decent environment, but also imposes on the government and people a constitutional duty to endeavour to protect the environment. In this sense, the level of environmental legislation shown in Curve A reflects the level of public awareness developed in this way. Unfortunately, however, history does not provide any plausible explanation of backward environmental law practice and little judicial oversight. It is probable that, until we explore the politics surrounding the environmental law regime we will fall short of grasping a plausible explanation for the status quo. Drawing on recent literature that sees the structure of the administrative process as dictated by politics, I will now explore the political dynamics surrounding Korea’s environmental law regime.
___________ 2
Cho, fn. 1, p. 508.
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B: practice ↑
⁄
large
A: legislation
⁄
number of companies
small ↓
← bad
Compliance
good →
Figure 1: Comparison Between Korea’s Legislation Level and Korea’s Practice Level
II. Political Economy of Public Law in Korea’s Environmental Protection Process 1. Introduction As we have seen, Korea has an advanced legal structure for environmental protection, and the general public is well aware of the importance of the environment, striving for participation in environmental policy-making. While the bureaucracy neither behaves as expected by the public nor performs as mandated by legislation, the courts just look on with folded arms. In sum, the Korean environmental law regime can be characterized as legislature’s advanced legislation, agencies’ backward practice, and courts’ little oversight. Then, a critical question arises at this juncture: why is this so? Have politicians let or meant the bureaucracy to misbehave? If so, why did they modernize environmental law? While courts have handled well private litigation involving environmental claims, why haven’t they monitored and policed the bureaucracy to the same extent? Is there any particular political backdrop to the Korean environmental law regime?
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It is tempting to attribute this to the backwardness of Korea in general. But it would be wrong to do so. As noted earlier, Korea has accomplished enormous, rapid economic development through the state’s developmental policy and instrumental legislation. If we consider how instrumental the role of law has been in Korea’s economic success, we cannot put the Korean government’s environmental practices down to its general backwardness. One might attribute the bureaucracy’s slack to the discretionary or symbolic nature of environmental legislation. In fact, a number of pieces of U.S. environmental legislation were criticized in that they were too ambitious to enforce in practice. By enacting this type of statute, legislators reap the political benefits of voting for health and the environment and against trading lives for money, and successfully sidestep the difficult policy choices that must be made in regulating public health and the environment. The symbolic legislation itself frequently means too much discretion for regulators concerning whether and how to proceed with it. Thus, while the statute, literally read, promises a riskfree environment, the actual impact of the statute on environmental protection is purely nominal. As explored later, however, this may not be the case with Korea. Put simply, a theory developed in the U.S. may be inapplicable to Korea, with its different political and institutional setting. In this sense, it is worth trying to unravel the complicated and dynamic reasons for Korea’s case. To see the logic behind the pattern of environmental law in Korea, the following question should be answered: in what circumstances would rational, self-interested politicians anywhere want courts to police what bureaucrats do? That politicians modernized environmental law can be reasonably supposed to mean that they wanted courts to police bureaucrats more strictly whenever bureaucrats vitiate goals of modernized environmental law. If politicians wanted to have a stronger grip over bureaucrats, they did not have to revise strict environmental law. Politicians are elected by voters, but bureaucrats are hired to keep office (directly or indirectly) by politicians. If they wanted, politicians could hire their bureaucrats on terms that let them fire or demote the bureaucrats whenever the bureaucrats misbehaved. They could do so without modernizing environmental law. Therefore, the question is why politicians sometimes think they can improve their electoral chances by enacting strict statutes and letting more constituents sue the bureaucracy – in fact, by delegating their control over bureaucrats to judges. In this part, I briefly summarize the relevant theory that can explain the political dynamics in Korea. I then apply the theory to Korea’s situation, and finally show some implications.
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2. Theory I employ the microeconomic theory of principals and agents to explore the political dynamics of Korea’s environmental law regime. The principal-agent relationship is a powerful tool with which to analyze the structure of government as dictated by politics because the sheer scale and complexity of modern government compels politicians to delegate certain tasks to administrative agents. Applying Mancur Olson’s logic of collective action, the production of public goods will tend to be too low. To generate the provision of collective goods, there must be some coordination and cooperation among group members. To induce such coordination and cooperation from individualistic members, they must be subject to coercive sanctions for failing to contribute to group efforts, or else they must be selectively induced to contribute by being rewarded with private benefits in exchange for their contributions. To build the incentive and sanction system, group members must organize themselves into an organizational structure so that the organization may mobilize the public to participate in providing public goods. Organization activities logically need delegation. The most important way the public responds to the dilemma implied by the logic of collective action is by delegating political authority to representatives who in turn can provide public goods such as clean air and national parks. Delegation, though in itself a public good, is a low-cost alternative to providing collective goods because there are such fewer legislators than the public that coordination and cooperation among them are relatively easier. However, legislators must also deal with their own set of collective action problems. Like the public, legislators also respond to their own collective action problems by delegating authority over many regulatory matters. Administrators who are delegated authority by legislators also have their own collective action problems. Collective action problems go on and on. However, delegation is burdened with its own serious costs, which is a consequence of the inevitable discrepancy between what the delegators (“principals”) want and the delegatees (“agents”) actually deliver. Because agents have incentives to shirk whenever their own interests diverge from the interests of those they represent, and because agents are seldom perfectly loyal to their principals, principal-agent relationships are not cost-free. Instead, they suffer from more or less “slack,” i.e., room for agents to pursue their own interests to the detriment of their principals’ common interests. Naturally, delegators-principals monitor their delegatee-agents to guard against slack. The public looks for mechanisms for monitoring their legislators to minimize “slack” and thereby to ensure that the regulation really reflects the public’s values and preferences. Voters elect politicians to provide various services, and
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they hire the bureaucrats to deliver those services. To improve their electoral odds, rational self-interested politicians then monitor their agents so that bureaucrats may deliver public services the public prefers to have. There are a variety of mechanisms to monitor agents. Executive branch, political parties, parliaments, and courts can control bureaucratic discretion. J. Mark Ramseyer and Minoru Nakazato suggest a helpful summary of schemes for politicians to adopt for control of their agents as follows: “First, to induce their bureaucrats to perform, politicians could monitor them through their staff. […] In effect, they could assign those staff to play ‘police patrol.’ Second, politicians could turn to the courts. […] To ensure that bureaucrats serve their constituents efficiently, promptly, and predictably, […], politicians can give their constituents an incentive to sue if bureaucrats do anything else. Last, politicians can use their staff as private administrative-law-judge equivalents. [A majority politician’s staff] can […] choose the cases that most effectively promote his electoral odds. In those politically attractive cases, [he] can intervene in the bureaucracy on behalf of constituents.”3.
In addition to the above items, there is another mechanism to control agents, professional indoctrination. For instance, by requiring that all senior civil servants be trained as lawyers, politicians might make their agents cling strictly to the text of statutes. All senior civil servants are de facto trained as lawyers in Japan, and were formerly required to be trained as such in Germany. Which mechanism politicians adopt to control their agents depends upon a number of factors. First, whether or not politicians adopt a strong administrative law regime will depend upon availability and costs of other mechanism to control bureaucrats. Institutional design decides availability and costs of other mechanisms. In case of a high likelihood of courts serving as effective agents of the legislators, an open system of administrative law is desirable. If judges are quite independent, there is little reason to entrust the task of monitoring bureaucrats to them. Second, the attractiveness of one mechanism depends on the structure of politics itself. Strong political parties likely to be in power a long time can provide qualified and motivated personnel to police the bureaucracy. Thus, they do not prefer a strong administrative law regime. On the other hand, weak parties are likely to prefer to use courts to protect their policy bargain from repeal by later coalitions because they anticipate electoral loss.
___________ 3
Ramseyer/Nakazato, Japanese Law, Vol. 212, 1999, p. 212, 213.
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Third, cultural infrastructure is another important factor. For instance, the self-restraining tendency of courts reduces the agency costs of courts generally. Strong professional norms of fidelity to law tend to increase the agency costs of courts. Any factors influencing the formation of cultural infrastructure also play a part. For instance, the structure for appointment and advancement of judges has an effect on the agency costs of courts. Where judges are appointed and advanced in a bureaucratic structure, the agency costs of courts are less than where judges are elected. In sum, whether politicians can turn to courts for control of their agents depends upon the agency costs of courts vis-à-vis other available mechanisms: i.e., politicians give the courts narrow or broad discretion to review administrative disputes according as politicians control bureaucrats more or less efficiently with other mechanisms.
3. Application How does the above theory fit Korea’s experience with respect to environmental protection efforts? As noted above, while Korea has strong legislation, the bureaucracy has not yet shown enthusiasm and motivation for environmental protection, resulting in shirking administrative practices. In order for the theory to fit Korea’s case, it should successfully answer the questions already asked: Why didn’t advanced legislation produce strong law enforcement in Korea? Did Korea’s politicians fail to ensure that bureaucrats abide by the law? Or did they really mean the bureaucracy to shirk from environmental protection efforts? If so, why were politicians so steeped in modernizing environmental protection law? Did they pretend to care about the environment under the disguise of strong legislation? While courts have handled well private law litigation involving environmental claims, why have they monitored and policed the bureaucracy so poorly? Why do they maintain a self-restraining attitude toward bureaucratic shirking? In sum, the following explanation can be provided. First, politicians enacted such ambitious legislation in order to reap the political benefit of voting for health and the environment and against trading lives for dollars. Second, at the same time as politicians have provided for judicial review, they have let their bureaucrats shirk their environmental duty because they have a number of politically attractive goals other than environmental protection. Largely, the priority has been economic prosperity in Korea. Third, politicians hold a tight rein over both the courts and the bureaucracy, and therefore, politicians have given judges the discretion to reverse agency action – but judges have almost never exercised it.
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In 1999, Ramseyer and Nakazato gave an insightful observation on the political-economical logic behind the pattern of administrative law in Japan. The same observation seems to apply to the case of Korea. Even loyal and tightly constrained bureaucrats sometimes make mistakes. Therefore, although politicians might manage bureaucrats strictly, if they also control the courts strictly, they may choose to give those courts the power to review administrative decisions to give themselves a long-stop in the case where the bureaucracy gets it wrong. On the other hand, if politicians keep a tight rein over both the bureaucracies and the courts, judges rarely reverse bureaucrats. Even if judges have the power to do so, since loyal bureaucrats will seldom err, loyal judges will rarely have reversed them. Furthermore, even if relevant law gives the tool by which the public actually sues against the government to correct bureaucrats’ violation of the law, since judges are strictly loyal to politicians, politicians will have no fear in giving courts power of judicial review. Specifically, the following factors can be taken as causes for the weakness of Korea’s environmental law regime. They consist of institutional, political, and cultural factors. These factors enable Korean politicians to keep a tight rein over both the bureaucracies and the courts. a) Emperor-Style Presidential System First, Korea maintains a presidential system. As compared to parliamentary government, a presidential system decreases the ability of majority politicians to control bureaucracy since the division of power between president and legislature weakens any politician’s ability to discipline the bureaucracy. However, this is not the case in Korea. The president of Korea is equipped with a variety of tools and powers, which makes him even stronger than majority leaders under parliamentary structure. As most Korean observe, Korea’s presidents are reminiscent of old-style emperors in realizing their desire for power. First, checks and balances among president, legislature, and courts do not work, or remain weak due to the constitutionally reinforced supremacy of the presidential branch with executive powers over the other two bodies. The principle of checks and balances is “nullified by mutual deference and compromise among the three branches”, as has been the case for the past decades4. As one politician of the ruling party said, “Korea’s legislature is unable to perform its role because of the mighty authority of the emperor-style presidency.”5 The legislature has hardly been a forum to find a better alternative for public interest but rather a place for passing bills pro___________ 4 5
Hong, Fn. 1, p 65. Editorial: Chosun Ilb, A President, Please, Not an Emperor, March 17, 2001.
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posed by the executive branch. Thus, the top priority for ruling parties has been to establish a majority in the legislature. Securing a majority in the legislature has been carried out through political reshuffles or realignments of political parties propelled by the president, who has a variety of apparatus to mobilize to get the job done. Second, the bureaucracy has been extremely loyal to the president throughout Korea’s history. Indeed, bureaucrats are faithful arms and legs for the executive in Korea. Through the presidential secretariat of the Blue House, the president control runs closely over administrative agencies. Agencies related to public security or law enforcement are most utilized in increasing the president’s power. Public security authorities such as the Agency for National Security Planning, police agencies, the public prosecutor’s office, the Board of Audit and Inspection, and military intelligence agencies are under the president’s supervision, direct or indirect. Tax agencies are also strong instruments usable by the political elite to tame the business circle. In fact, this institutional design coupled with political structure gives rise to the rule of man rather than the rule of law. b) Super-Strong Boss Politics In addition to the Korean presidential system, the Korean political system concentrates a great deal of power in the single individual who occupies the presidency, which also contributes to creating Korea’s weak environmental law regime. In fact, Korean politics has been controlled by a number of super-strong presidents, i.e. military elites under the military regime and a number of political heroes after the long reign of military power. While military elites, including the late Park Jung-Hee, Chun Doo-whan, and Roh Tae-woo, mobilized various authoritarian apparatus, a number of political heroes, including Kim YoungSam and Nobel Laureate Kim Dae-Jung, leading the two civilian governments, utilized hegemonic power acquired by fighting against the authoritarian regime. Commanding tremendous reputations through their life-long opposition and resistance against military rule, political heroes were capable of exerting enormous influence in Korean politics. They were also wise enough to take advantage of conspicuous localism, a deplorable antagonism among regions, so that each of them could have absolute power over politicians coming from their respective regions. By proving that they could win elections consistently and that they could raise money extravagantly, they could make other politicians delegate power to them. In this way, the civilian regimes could also wield as powerful a control over the bureaucracy as the previous authoritarian military regime.
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As a result, bureaucrats as well as politicians work to please their bosses to the detriment of the principle of law. The government tends to be managed by presidential directives rather than the rule of law. The pervasiveness of politics over the rule of law has inevitably contributed to a broadening of the gap between practice and principle, the reality and the theory of law. In addition, because legislators have also been under the control of superstrong presidents, the legislature has not played an appropriate role as an oversight organ. The legislature’s role in checking the executive has been virtually nominal by blindly justifying the executive’s agendas. In this sense, the law is still instrumentalized to realize the rule of man rather the rule of law. c) Informal Social Network Ruling politicians can intervene directly with the bureaucracy by assigning staff to deal with administrative agencies on behalf of constituents. Politicians sell bureaucratic intervention services in exchange for support. But this is relatively costly form of monitoring, and involves scarce staff time. Generally, no single politician is likely to have the resources to provide enough such services to reduce agency slack. However, there are a number of politicians who command such resources in Korea. As noted above, Korean politics have revolved around a number of political leaders rather than parties. In boss politics, a boss of party or group can usually wield hegemonic power. Boss politics based on boss’ strongholds over regions has contributed to bring about frequent realignments of political parties depending on boss’ interest. Naturally, political leaders run their parties as a personal vehicle to realize their political goal while party policies play a minimal role. Personal loyalty to their boss rather than ideology or expertise is the most important factor in assessing an individual’s ability. To prove their loyalty to their boss, politicians build up informal social networks consisting of various persons, i.e., bureaucrats, businesses, judges, prosecutors, and so on. Furthermore, politicians endeavour to build as many and diverse relationships with each other as possible so that they can successfully prepare for possible political realignment and reshuffle to survive as legislators. In this way, boss politics functions to build a powerful informal social network. Powerful informal social networks mean that politicians do have the human resources to intervene in the bureaucracy. These powerful informal social networks enable politicians to respond effectively and promptly to their constituents’ complaints. Leaders of ruling party especially have successfully made bureaucratic intervention a major part of the services they offer their constituents. But even worse, the informal social networks spawn a principle-ignoring attitude for the people. Legal framework is to hardware what its practice is to soft-
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ware. The way how law functions is directly related to people’s attitude toward law. The more informal social networks function, the more people ignore law. People’s attitude against principle and in favor of expediency, in turn, forms legal cultures that affect adversely legal practice. This is the so-called a vicious circle of expediency, through which a law-ignoring attitude takes firm root in the cultural infrastructure. d) Loyal and Indoctrinated Judiciary Korean presidents have successfully maintained a loyal judiciary throughout history. The president has the power to appoint Justices of both the Supreme Court and the Constitutional Court, and both Courts, in turn, exercise indirect administrative control over lower court judges, which enables politicians indirectly to reward and discipline judges by the ideological character of their performance. In fact, the past military regime would not hesitate to discipline judges rendering anti-regime decisions by e.g. degrading them to remote posts of office. Moreover, Korean judges are typically appointed at a relatively young age and serve in bureaucratic structures much like the bureaucrats themselves. In addition, Korean judges are simply “generalized judges.” Generalized judges by definition are not encouraged to develop specialized expertise, and Korean judges are rotated among various posts, which allows for political influence. For all these reasons, ruling politicians were able to keep their judges largely loyal throughout history. Finally, Korean judges are so much indoctrinated that the courts themselves adopt self-restraining postures. A continental tradition, i.e., strict conceptual and formal jurisprudence, has played a major role in forming courts’ posture. Conceptual jurisprudence has discouraged judges from departing from the text of statutes. Seemingly, judges are so much steeped in conceptual and formal jurisprudence that they cannot distinguish between indoctrination and professional fidelity to law. In fact, judicial activism has never been present in Korean court history. Since the late 1980s, the Constitutional Court and Supreme Court have made vigorous decisions. Although both Courts sometimes nullified some legislation and precedents, they also revealed their own limits in many more cases.
4. Some Plausible Explanations for the Courts’ Self-Restraining Posture Under this political and institutional structure, my earlier discussion implies that Korean courts would seldom reverse agencies. Through their tight control over the bureaucracy, a number of almighty political leaders minimized agency decisions that threatened their electoral advantage. Through their informal social networks, politicians directly manoeuvred the agency decision process to
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restrain agency decision-making to their political gain. Through their stable, well-paid, and long-term leaders, ruling politicians made credible promises to their constituents. Through their faithful corps of judges, ruling politicians reversed those rare residual agency actions – but only those actions – disadvantageous to politicians. A couple of judicial decisions are conducive to understanding the political dynamics surrounding Korean courts. In choosing when to encourage judges to reverse agencies, rational, self-interested politicians should differentiate among disputes by their political impact, especially on their electoral odds. Some disputes they should find more advantageous politically to delegate to judges than others. For example, minor, everyday problems are more probably best delegated to judges since judges generally deal well with routine cases. However, when politicians come up against group claims involving many complainants, politicians prefer courts not to consider them, forcing the complainants to ask the politicians themselves to intervene with the bureaucracy. When these complainants are satisfied with what they have got, they will more likely support the politicians. Thus, as long as they can easily intervene in the bureaucracy politicians want to keep the more politically salient cases under their own control, delegating the less salient to the courts to resolve. Korean court decisions concerning administrative law largely reflect this dynamic. For instance, the rules governing standing do not restrict judicial review in routine cases. Instead, the standing rules restrict judicial review in far-reaching, large-scale cases involving a large number of complainants. This is exactly what rational leaders of a ruling party would want. Why should they intervene in minor everyday disputes in exchange for small political returns? These disputes do not concern broad policies. For such routine cases, indoctrinated judicial review is more than enough. However, leaders of ruling party will never let other actors get control of disputes involving multiple complainants or broad policy issues. Such large-scale projects as the Saemangeum and Shiwha reclamation affect many constituents. Therefore, politicians try to decide such disputes themselves, thereby demonstrating their political power to their potential supporters. Toward that end, Korean administrative law successfully removes the court from the scene. Put simply, Korean law hands over routine cases with trivial political implications to the judges, and keeps others to the ruling politicians. Ironically, rigorous conceptual jurisprudence contributes a lot to this case. More precisely, Korean judges have yielded, consciously or unconsciously, to politicians’ scheme by sticking to conceptual jurisprudence.
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III. Concluding Remarks The role of law is not as instrumental in Korea’s environmental protection as in its economic growth. While legislation necessary to environmental protection has been enacted to the level of developed countries, the law in practice falls far short of the public’s expectation. In this sense, the law cannot be said to produce any meaningful impact on achieving environmental protection. And a weak environmental law regime coupled with the inherent limit of Korea’s legal infrastructure results in arbitrary discretion enjoyed by the regulator. Although my analysis is basically one of political economy, I cannot avoid commenting on Korea’s underlying culture. As established in the case of the close tie between political power and economic tycoons in Korea, Korea is not a typical “rule-oriented” or “rule-based” society. Although their cultural unwillingness to file a suit is being diluted, Korean people still adhere to a culture based not upon rule, but upon human relationship. With this observation, it would be tempting, but wrong, to conclude that the trend is not changing. Even though relevant data is not available, it cannot be doubted that Korean people are also changing culturally, keeping pace with intensifying modernization process. However, there is something else necessary for this change to have a meaningful impact on Korean society, namely a legal infrastructure supporting that cultural change institutionally. Unfortunately, Korea falls far short in this regard. Detailed legislation, enacted to implement an advanced environmental policy, cannot function without an advanced legal infrastructure such as the legal profession and dispute settlement system. No matter how good substantive rules and standards adopted by new legislation may be, their values are set at naught if a legal system supporting their enforcement does not follow. In this regard, Korea is in need of judicial reform in its broad meaning. Above all, Korea is lacking in human legal resources. For instance, new legislation gives members of the public a right to file suit against a polluting corporation. To solve a collective action problem, for instance, it is often necessary for lawyers to take the initiative in bringing suits. But because of a lack of lawyers and supplementary dispute settlement rules and procedures, only a very few well-qualified lawyers in Korea have an incentive to represent environmental interests rather than corporate or personal interests. In addition, it is doubtful how responsive the already heavily burdened judges would be in dealing with this type of complex case requiring expertise in environmental matters. Also, the Ministry of Justice apart, there are only a handful of lawyers within the executive branch who serve as government officials. This is due to a shortage of lawyers in Korean society in general. In most cases, non-lawyer government officials are drafting important legislative bills and, consequently, most
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regulatory laws tend to be discretionary by their nature and rarely subject to judicial review. The above observation is also true with the administrative sector. The exercise of the government’s discretion as an environment keeper should be monitored and checked by some other mechanism. This is due to the danger of government failure. To correct government failure, e.g. regulatory capture problem in the area of environmental protection, Korea needs to set up a legal system under which even the regulators are required to function according to the duly established and transparent rules – laws and regulations. In summary, a serious effort to realize the rule of law within the executive branch should accompany the current environmental protection effort. There must be a similar change in the legislative system. The institutional strength of the legislative branch in enacting laws and regulations is weak, and this intensifies the weakness of the Korean legal system in general. Most legislative bills are drafted and proposed by the executive branch. In order to restore the checks and balances between the executive and the legislature, there should be reform within the legislature to strengthen its capacity to enact laws. And the executive branch itself cannot be expected to submit the legislative bills imposing strict legal requirements on the executive. The courts too are not excepted. The bureaucratic structure should be reformed so that judges can be completely free from the control of other actors. Judges should also reconsider the long-standing conceptual jurisprudence, and shake off self-restraining attitude so that they can cope with new and complicated problems. The recent move by the legislature to perfect a legal framework for achieving environmental goal seems to be heading in the right direction. However, unless fundamental reforms in the legal infrastructure are taken, including the legal profession, environmental protection efforts will be doomed to be of only a cosmetic nature.
Taking Politics Seriously – a View from a Public International Law Perspective By Dietrich Murswiek
I. Public International Law and Politics Public international law is to a great extend interrelated with politics. The biggest problem of public international law is the fact that politics regularly is much stronger than law and that in many cases international law cannot be enforced against States. Therefore, the never ending melody of public international law is law enforcement, and a proper title for this ever present topic could be “Taking law seriously” or “Don’t take law lightly”, to put it in the words of Mr Cho. But why should “Taking politics seriously” be a topic worth considering in international law? The weight of politics in international relations is obvious, and there might be not many people who tend to underestimate it. But concerning the special relationship between politics and international law, there is one aspect that cannot be taken seriously enough. What I’m going to point out is the role of politics for the creation of public international law. There is no special problem so far, when we consider treaty law. International treaties are concluded by States. There is no doubt that political decisions lead to law making in public international law as well as in domestic law. Once an international treaty is in force, the State parties are bound by it. Once they have created it by politics, politics is obliged to act within the limitations of the treaty. On the other hand, States are free to terminate their treaty obligations by another treaty. So we seem to have a clear distinction between law and politics on the international level: International law is created by politics, and politics is bound by international law as long as it exists, i.e. as long as it is not altered or abolished by new political law making decisions. But the relationship between law and politics is by far not that simple. Let’s first have a look at customary law which is another important source of public international law. We are used to confront the rules of customary international law with politics in the way that we ask: Does a political decision violate a rule of international law, or is it in accordance with it? International law, as long as
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it exists, puts obligations on States, and politics has to act within the framework of these obligations. This is true for customary law as well as for treaty law. But then, there is a special effect of non-compliance in international law that is worth focussing our attention on. I mean the fact that the breach of a rule of public international law can be the starting point of a process which creates a new rule of customary international law (or merely abolishes an existing rule of international law). Customary international law is created, as you know, by State practice plus opinio iure, i.e. the conviction of the relevant State parties that their practice is in accordance with an existing rule of international law. If State parties violate a rule of international law and they express the opinion that they act lawfully, than this unlawful behavior might lead to the creation of a new rule of international law and so become lawful in future. And this is true not only for customary law but for treaty law as well. For treaty law can be altered by customary law and within the scope of different possible interpretations of a treaty rule, State practice concerning the application of the respective rule − the so-called subsequent practice − is a criterion for treaty interpretation. Therefore we have reasons enough to take politics seriously. If States still watch other States breaking rules of international law without protesting, then they are running the risk to get bound by a new rule of customary international law that is created by the law breakers. The coming into existence of a new rule of public international law does not require the participation of all States in the relevant State practise. It is sufficient that we have a widespread practice, and that States don’t object. States that are careless and don’t take politics seriously with regard to its effects on international law, contribute without or even against their political convictions to the alteration of international law
II. The American Strategy of Pre-emptive War as an Example Let me explain you this relationship of politics and public international law with a recent and still present example, namely the U.S.-American Strategy of pre-emptive war1. In its National Security Strategy of September 2002 the U.S. declare that the U.S. is determined to wage preventive wars if these appear necessary for its own safety. The first case in which the U.S. applied this strategy ___________ 1 The following remarks are based on an article on “The American Strategy of Preemptive War and International Law” that has appeared in: Finnish Yearbook of International Law Vol. XIII (2002), 2004, pp. 183−199. A former version of this paper is available at http://ssrn.com/abstract=397601.
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was the war on Iraq 1993. The doctrine of preemption, the so-called BushDoctrine, was used to justify this war. The U.S. government did not only use this justification, but in its official statement for the Security Council gave another one. It argued to be authorized by an old Security Council resolution from the first Gulf war in 1990. This certainly is wrong, but we can put aside this argument, because it is not relevant for our subject. The point I want to focus is the allegation the U.S. government had brought forward in its National Security Strategy, the allegation that the U.S. had the right to use pre-emptive military force against other States if necessary on reasons of national security. As everybody knows, the use of force in international relations is prohibited by public international law, not only by the Charter of the United Nations (Art. 2 para 4), but also by customary law. The only justification for a State acting without a mandate by the Security Council to apply force against another State is self-defense (Art. 51 UN-Charta). In lack of a valid authorization by the Security Council the war waged by the United States against Iraq could thus only have been legitimate if the U.S. had been entitled to exercise its right of self-defense. In the view of the BushAdministration this prerequisite was given in the case of Iraq.
1. A Right to Pre-emptive Self-Defense? Therefore the question was whether the right to self-defense implies a right to take preventive military actions against another State that has not yet begun a war. Under Article 51, the right to self-defense arises ‘if an armed attack occurs.’ In 1993 it could not be claimed that Iraq had been attacking the United States or any other state. The question can therefore only center on whether Article 51 also grants a right to self-defense against a future attack. In other words, is there a right to ‘pre-emptive self-defense’? International legal scholarship has essentially embraced two main points of view. As one group of authors maintains, Article 51 should be interpreted narrowly, being, as it is, an exception from the general prohibition of the use of force. A more extensive interpretation would be too prone to abuse. As the other view contends, reflecting what is probably a majority opinion, such an interpretation would be too formalistic and hard to reconcile with reality. Whoever fires the first shot is not always the aggressor. No state can be expected to stand by and idly watch until the preparations for an attack finally result in an actual strike, preventing an effective defense. The right of states to self-defense is based on their right to existence, sovereignty and territorial in-
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tegrity. Article 51 presupposes and recognizes it as an ‘inherent right’. It may not be interpreted in such a manner that self-defense would be rendered useless in a given case, forcing a state to effectively surrender its integrity without being able to launch a defense. If self-defense can thus, under certain circumstances, become admissible even before an enemy has fired the first shot or sent his troops across the border, those circumstances have to be understood narrowly. Otherwise, the right to self-defense might grow to become a general authorization of the use of force. The boundaries of pre-emptive self-defense have been elaborated in international legal scholarship with a view both to customary law and contextual interpretation. Apparently, international custom allows pre-emptive self-defense if – and only when – the state invoking it can demonstrate that the threat of a hostile attack is both immediate and overwhelming, ruling out a lengthy search for peaceful means of resolution, provided no defense other than military force is available. [A contextual interpretation of Article 51 arrives at essentially the same outcome: as an exception from the general prohibition of the use of force, the right of self-defense must be limited to such cases involving an armed attack that has either begun or is about to begin. Article 51 does not entitle to measures for the general avoidance of danger. A distinction must be made between the avoidance of danger or of a threat and the defense against an imminent attack. The avoidance of danger – of a threat to peace – rests within the exclusive competence of the Security Council (Articles 39–42). The Charter does not even place selfdefense within the sole responsibility of an attacked state and its allies. Instead, the right to self-defense contained in Article 51 exists only until the Security Council has adopted the measures required to safeguard peace.] With regard to pre-emptive measures, the following conclusion ensues: a state that feels threatened by an imminent attack may only carry out measures of self-defense if it no longer has sufficient time to wait for the adoption of required measures by the Security Council. Furthermore, the burden of evidence rests with the defending state, which must provide compelling evidence for an imminent attack by the hostile state. The existence of an attack situation must be evident. Mere assumptions or circumstantial evidence, however plausible, are not sufficient. If no evidence can be presented, the situation must be considered a mere threat, not an attack as demanded by Article 51. Only the Security Council may then decide whether world peace is threatened, and whether military measures should be adopted. In effect, leaving this determination to any state that may feel threatened would severely undermine the peacekeeping system of the U.N. Charter. For
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many states have reason to feel threatened by a number of other states; and in an era of globalization, the threat of terrorism is universal. If every state were entitled to engage in self-defense as a response to such threats, the Security Council prerogative to adopt sanctions against threats to peace would gradually erode. By the same token, the prohibition of the use of force would become dependent on the subjective assessment of a threat by individual states, which, in practice, would mean that it ceases to exist. A consensus therefore exists among international lawyers that pre-emptive or, more accurately, anticipatory self-defense – if it is to be accepted at all – needs to be strictly limited to cases involving an obvious and imminent attack which cannot be otherwise averted.
2. Anticipatory Self-defense by the United States against Iraq? Quite obviously, the military strike launched by the United States against Iraq could not be based on the foregoing criteria of anticipatory self-defense. While Iraq might still have been in possession of biological and chemical weapons of mass destruction, the mere possession of such weapons does not amount to an attack for the purposes of Article 51. In order to invoke the right to selfdefense, the United States would not only have had to submit evidence on the possession of weapons of mass destruction by Iraq, but also on the intention of that state to use these weapons against the United States or to pass them on to terrorists which, in turn, would use them against the U.S. The mere possibility that Saddam Hussein might do so at some point did not suffice to establish an “imminent threat” and thereby satisfy the criterion of immediacy. There is, of course, little doubt that Saddam can be considered a vile dictator, a ‘rogue’ capable of all sorts of evil deeds. Article 51 does not, however, entitle to military crusades against dictators and ‘rogue states’, but merely to defensive measures against current or evidently imminent attacks. Even the consistent violation by Iraq of obligations set out in various Security Council resolutions did not give rise to an attack situation. While many circumstances might have suggested a threat to world peace, this alone could not confer the authority to measures of self-defense. Instead, any measures would have had to be decided upon by the Security Council on the basis of its powers under Chapter VII. The law is perfectly clear about this. All experts who have commented on the Iraq-crisis denied the United States a right to self-defense.
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3. A New Right to a Pre-emptive War? The new American strategy departs from previous means of peacekeeping, which used to be based on containment and deterrence. According to the new strategy, the events of September 11 showed that containment and deterrence no longer sufficed to address international terrorism. A terrorist determined to commit suicide cannot be deterred by threats of massive retaliation. And containment cannot be applied against dictators who own weapons of mass destruction and might use them in missile warheads or secretly provide them to terrorist allies. The battle must therefore be taken to the enemy. An attack is the best defense. If necessary, liberty and life of Americans would have to be defended against ‘rogue states’ by way of pre-emptive action. Against such states, mere reaction is no longer a viable strategy. ‘We cannot let our enemies strike first’, as the National Security Strategy puts it. But then, that document explicitly makes reference to international law: it correctly states, for one, that states threatened with an immediate attack are not held to suffer the attack before they may act against hostile armed forces in legitimate defense. That statement is followed by a decisive passage: ‘We must adapt the concept of imminent threat to the capabilities and objectives of today’s adversaries.’ In the case of ‘rogue states’ the criterion of an imminent threat is now supposedly to be understood as the mere possibility that these might use weapons of mass destruction at some future point. In other words, the requirement of immediacy is purged: the intention of an actual attack no longer needs to be established. The Bush-Doctrine violates international law. It is, however, meant to create new international law. Against the background of the National Security Strategy, the current war against Iraq could be a first step. New international law arises from state practice coupled with opinio iuris, the acceptance of such practice as reflecting the law. The National Security Strategy contains a statement about the law. In essence, what the U.S. government is claiming is that, given novel types of threats to peace, the conditions for an invocation of the right to self-defense have to be reinterpreted so as to allow pre-emptive action. Accordingly, the United States claims they have acted in accordance with the law by attacking Iraq. If the U.S. managed to convince other states of the legitimacy of its pre-emptive strikes, new international custom would arise – provided, of course, that such practice continued with the approval of most states. Even the failure of other states to object against to an American attack may suffice, as their behavior could then be interpreted as an implied consent to the American interpretation of the law. States that wish to prevent an expansion of the right to self-defense towards a right to pre-emptive war should voice their protest loud and clear, and expressly label the American attack a violation of international law.
Taking Politics Seriously
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III. Conclusion When I asked the German Government to do so, they refrained. As it seemed they felt to already having troubles enough with the U.S. due to their criticism concerning the Iraq crisis. But of all States that commented on the legality of the war against Iraq before the Security Council a great majority held that it violated international law. Of the remaining states which considered the war legitimate, none – excepting the United States – suggested that a right to preemptive self-defense might exist in international law and might apply to the case of Iraq. To the extent that legal arguments were put forward, these were limited to the contention that the war was justified by Security Council resolution 678 in connection with resolution 687. At the moment, therefore, no reason exists to believe that a right of pre-emptive warfare is currently evolving. That could change, however, if the opinio iuris of states were to subsequently shift. Another question arises in this context: Are the Member States of the European Union currently engaged in a process of approximation to the American preventive war strategy by launching a similar strategy of their own? On 16 June 2003, the E.U. foreign ministers agreed on a paper endorsing the application of force as a last means of enforcing demands for disarmament in the area of weapons of mass destruction2. This strategy paper (‘Basic Principles’)3 is a draft that still requires further elaboration4. The E.U. considers the proliferation of all weapons of mass destruction and means of their delivery, such as ballistic missiles, a threat to international peace and security. With respect to the threats posed by the proliferation of such weapons, the paper states in paragraph 4: Political and diplomatic preventative measures […] and resort to the competent international organisations […] form the first line of defence. When these measures have failed, coercive measures under Chapter VII of the UN Charter and international law (sanctions, selective or global, interceptions of shipments and, as appropriate, the use of force) could be envisioned. The UN Security Council should play a central role. Does this include a right to pre-emptive self-defense? Two aspects might suggest so: on the one hand, the paper clearly refers to pre-emptive use of force, not a defense against an attack. Moreover, the word ‘defense’ is explicitly mentioned. On the other hand, the E.U. emphasizes its commitment to the multilateral system (paragraph 5) while also affirming the need to strengthen the role of ___________ 2
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17 June 2003. Basic Principles for an EU Strategy against the Proliferation of Weapons of MassDestruction, Doc. 10352/03 PESC 315 CONOP 18 CODUN 13 COTER 24. 4 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21 June 2003. 3
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the Security Council as the final arbiter on consequences of non-compliance with the multilateral treaty regime (paragraph 6). Most relevant, finally, is the mention in paragraph 4 of the use of force as an example of coercive measures under Chapter VII of the UN Charter. At the end of the paper, one of the ‘key elements’ of the E.U. strategy against proliferation is described as follows: ‘Considering […] coercive measures, including as a last resort the use of force in accordance with the United Nations Charter.’ That seems to suggest that, unlike the United States, the European Union prefers not to rely on the unilateral use of force when addressing the proliferation of weapons of mass destruction, but rather would endorse measures adopted under Chapter VII of the UN Charter. From a legal point of view, these would also constitute pre-emptive measures, but not measures of self-defense; they would be action against a threat to the peace in accordance with Article 39 of the UN Charter. This interpretation of the ‘Basic Principles’ is not entirely unequivocal, however. Because paragraph 4 mentions ‘coercive measures under Chapter VII of the UN Charter and international law’, it leaves room for the possibility that pre-emptive measures might also be justified beyond the scope of Chapter VII – a right to pre-emptive self-defense, after all? As regards the Security Council, the EU merely states that it ‘should play a central role’, without designating it the only legitimate body to decide on the pre-emptive use of force as a means to counter threats against the peace posed by the possession or proliferation of weapons of mass destruction. And even the wording ‘use of force in accordance with the United Nations Charter’ used in paragraph 13 is ambiguous. If the right to self-defense includes a right to pre-emptive self-defense, as the U.S. National Security Strategy assumes, then the unilateral use of pre-emptive force could be in accordance with the Charter. The further development of international law will largely depend on whether the European Union decides to join the U.S. position or whether it declares that the use of force when enforcing calls for disarmament can – if at all – be only decided by the Security Council.
South and North Korean Laws: Comparison and Unification By Chongko Choi
Introduction The most salient feature of the contemporary Korean law is that it is divided into the South and North Korean laws1. Toward the ultimate unification of Korean peninsula, the legal unification must be considered seriously in advance. Political unification might be easier, in a sense, than the legal unification. Legal scholars are primarily responsible for this difficult task. This presentation will survey briefly how the South and North Korean laws have been formed and how similar and different they are in system and contents. The presenter believes that such an overview would be necessary before going into the analysis in details. South Korea has ca. 4000 current laws, which might be called as a sort of “flood of statues” (Gesetzesflut) of contemporary industrialized society. North Korea is one of the rare states which have no legal code as a book form. Therefore, it is not possible to numerate the current laws of. North Korea. The comparison of both legal systems is confronted with such a fundamental problem from the beginning. In spite of this difficulty, I will try on the basis of my gathering the North Korean laws and through my personal research experience over 20 years.
I. Common Legal Tradition of Korea Before being divided into South and North, Korea had a common legal tradition until the end of the period of Japanese rule (1910−45). The traditional legal history of Korea is rather subtle and complex in the context of East Asian legal traditions. Being located very near the Chinese empire, the traditional Korea in___________ 1 Chongko Choi, South Korean Law and North Korean Law: Comparison and Reunification, Seoul Law Journal, 40-4, 2000, pp. 41−55.
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evitably received a great deal of Chinese influence not only in law but also in many areas of social institutions2. Historically, looking into Korean legal history, reception of foreign laws has taken place in five stages. The Three Kingdoms of Koguryo, Paekchae and Silla (37 BC−917) received the Chinese laws of Wei, Tsin and Tang; The Koryo Kingdom (918−1391) received the laws of Tang, Sung and Yüan; The Choson Dynasty (1392−1896) received the Code of Ming (Ta Ming Lü, ⮶㢝㈚); The Taehan Empire (1897−1910) received European-Continental law, especially from Germany; and contemporary Korea after 1945 incorporated a legal system based on Capitalistic principles (partly American) law in the South and a Socialistic (or Communistic) legal system in the North3. It is undeniable that the Confucian legal culture assimilated from China exerted a profound influence on Korean traditional law and social development4. Confucian scholar Chong Tojon (d. 1398) compiled, in 1394, a private Code named Chosun Kyongkukjeon (Code of Governing Chosun, 㦬渽倢⦚␇) which can be compared to the Sachsenspiegel authored by Eike von Repgow in 12th century Germany5. The Kyongje Yukjeon (Six Codes for Governance, 倢䉮ᘱ␇) promulgated in December 1397 is known as the first comprehensive code of the Chosun Kingdom, although it is not extant. These codes were divided into six sections which reflected the concerns of the administrative arm of government at that time: Personnel, Revenue, Rites, Punishment, War and Public Works. A grand legislative proclamation took place again during the reign of King Sejo (r. 1455−68) and completed under King Songjong (r. 1469−94). This 1485 Grand Code for Governing the State (Kyongkuk Taejeon, 倢⦚⮶␇) was a comprehensive collection of modified legal norms existing in 15th Century Korea6. ___________ 2
About East Asian Common law, Chongko Choi, The Development of East Asian Law until the End of 18th Century, Seoul 1999; Chongko Choi, Foundations of Law and Justice in East Asia, Comparative Law Nihon University, 18, 2002, pp.1–17; Chongko Choi, Possibility of East Asian Common Law, Cultural Transformation of East Asia, Nihon University, 2002, pp.167−184. 3 Chongko Choi, Hanguk ui Soyangpop Suyongsa (Reception History of Western Law in Korea), Bakyongsa/Seoul 1981; Hahm Pyongchoon, Korea’s Initial Encounter with the Western Law, Korean Jurisprudence, Politics and Culture, Yonsei University Press, 1986, pp. 126–151. 4 Chaishik Chung/Chong Tojon: “Architect” of Yi Dynasty Government and Ideology, The Rise of New-Confucianism in Korea, Columbia University Press, 1985, pp. 59−88. 5 Chongko Choi, Confucianism and Law in Korea, Asian Jurisprudence in the World, Seoul 1997, p. 99–125. 6 Park Pyongho, Hanguk Popchesa-Go (Studies in Korean Legal History), Seoul 1974, pp. 419–421.
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The basic principle of legislation was “respecting the established enactment of the royal ancestors” (Chojong Songhon, 䯥⸦㒟㑁)7. This principle of respecting laws enacted by the forefathers played the role of protector of the original laws but also acted to hinder innovations in the legal system. The ideal of good laws and beautiful customs (Yangpop Miui, ᗜ㽤初㎞), just like the ideal of gutes altes Recht in European legal history, was carefully retained under the legislation of Taejon Tongpyon (Comprehensive Compilation of the Grand Code, ⮶␇抩偷, 1785) and Taejeon Hoetong (Comprehensive Code of State Governance, ⮶␇㦒抩, 1866). Despite emphasis of the Yi Kingdom on establishing Confucian ideals in politics, economic and social life, culture and all other fields, the original code of laws which was based on the traditional social order persisted for a period of over 500 years and served as the basis of Korea’s unique social order. Korean law was the embodiment of the will and command of the kings. Thus we can divide traditional Korean law into three elements: (1) Command of the Sovereign, (2) Respecting for the old order, and (3) Confucian state ideology8. With Confucianism, the traditional Korean law was able to carry out the “legal enforcement of dominant morals” (Lord Devlin). It embodied the Confucian values in the legal texts; such as ten cardinal abominations (Sipak, ◐㍰), and the prohibition of marriage between the same family name of same origin (Donsong dongbon, ⚛Ɫ⚛㦻) etc. As aptly pointed out by Max Weber, the dominance of the cultural literati prevented the formation of lawyer class (Juristenstand) in East Asia and thus made it impossible for jurisprudence to develop as a separate discipline. Traditional jurisprudence, Yulhak (㈚⸇), existed throughout the Three Kingdoms, Koryo and Yi Dynasties but was always regarded as one branch of technical learning or miscellaneous learning, like medicine, arithmetic, or divination, and as such was regarded as inferior to Confucian canonical learning. Yulhak was taught not at the Sunggyunkwan (National Academy, 㒟⧖殷), but at the Ministry of Punishment (hyongjo, ⒠㦈) as a technical subject in order to train officials9. The executive and judicial branches of government were not separated from each other and as a result, administrators such as governors and county chiefs were empowered to administer justice, while the role of jurisprudence graduates was to assist in the legal process rather than play an active role in de___________ 7
Park Pyongho, Hanguk Popchesa-Go (Studies in Korean Legal History), Seoul 1974, pp. 419–421; William Shaw, Traditional Korean Law and its Relation to China, China’s Legal Tradition, ed. by Jerome Cohen/R. Edwards/Fumei Chen, Princeton 1980. 8 Chongko Choi, Traditional Korean Law and its Modernization, Transactions of Royal Asiatic Society, vol. 64, 1989, also in: Law in Korea, Seoul 1995, pp. 1–17. 9 Chongko Choi, Hanguk Pophaksa (History of Korean Jurisprudence), Bakyongsa/Seoul, 1986.
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fense or prosecution. Law was utilized by the ruling Yangban (nobility, ⏸䙼) class as a political tool. Even though there was some technical development of the criminal code, civil and commercial law were not treated as academic subjects. Thus, daily life and transactions continued to be conducted as a type of common law10. Since law was regarded as the enactment of the established will of the royal ancestors it resulted in a code quite unlike that of the West. The conservative elements in the legal structure resulted in stagnation of the Korean legal system until the latter half of the 19th century. As Maurice Courant, a French scholarly diplomat who investigated the traditional Korean books, aptly pointed out, there were few books dealing with the area of legal science despite frequent promulgation of legal codes through out the Chosun history11. In the latter half of the 19th Century, Korea came into contact with Western law. Despite a preference for western jurisprudence the Anglo-American “case law” system was not easily received. After a short inclination toward French law, Korea turned to German law and legal dogmatics, especially through the “unpleasant mediator” Japan12. This pro-German “Continental Law” system still exists in contemporary South Korea. Even though Japan was considered as an “unpleasant mediator” by the Korean people, it cannot be denied that many laws and institutions like criminal law and the judicial system were reformed and modernized during the period of Japanese rule from 1910 to 194513. The influence of the Japanese rule was not entirely overcome even after the national liberation in 1945, creating a “postcolonial phenomenon” with both positive and negative aspects. Researches indicate that many authoritarian and undemocratic features of Korean law and politics flow out of the legal system and practices during the period of the Japanese occupation14. But here is not the place to evaluate the Japanese legal achievements in Korea. The traditional legal history including the Japanese rul-
___________ 10
Park Pyongho, Characteristics of Traditional Korean Law, Korea Journal, Vol. 16, No. 7, 1976, pp. 4–16; Hahm Pyong-choon, Korean Political Tradition and Law, Hollym, Berkeley 1967; Chun Bong-duck/William Shaw/Choi Dai-kwon, Traditional Korean Legal Attitudes, Berkely, 1981; Chun Sin-yong (ed.), Legal System of Korea, Seoul 1975. 11 Maurice Courant, Bibliographique Coréene, 1894, pp. 19–189. 12 For details: Chongko Choi, On the Reception of Western Law in Korea, Korea Journal of Comparative Law, vol. 9, 1981, pp. 141–167. 13 For details: Edward Baker, The Role of Legal Reforms in the Japanese Annexation and Rule of Korea 1905–1919, Studies on Korea in Transition, Center for Korean Studies, University of Hawaii 1977, pp. 17–42. 14 See the essays in the Ilche Yusan (Remnants of Japanese Imperialism) for the Commemoration of 50th Anniversary of Liberation, Seoul 1995.
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ing period is explained more critically by the North Koreans, due to their socialistic and anti-imperialistic ideology15.
II. South Korean Law The Republic of Korea (ROK) claims to manifest a democracy based on “rule of law”. Nevertheless, the way to this ideal has been long and complicated. The unstable political and socio-economic situation of Korea must be considered as the main cause of difficulty in establishing a law-ruled democracy. The supreme and basic law, i.e. Constitutional Law (Honpop), was first promulgated on July 17, 1948. Since then the Constitution has been revised nine times. This fact demonstrates the difficult political course we have followed hitherto. The Constitution of the First Republic under President Syngman Rhee pursued the America-oriented Presidential system. The Second Republic of 1960 under Premier Myon Chang tried to realize the merits of the Cabinet System. This attempt was interrupted by a military coup d’état just after one year. The Third Republic under President Chunghee Park resumed presidential power with a view toward creating a “developmental dictatorship”. After the assassination of President Park, succeeding governments under Presidents Doohwan Chun and Taewoo Roh took basically the same line while demands of “democratization” were coming from the grass root people. A civilian government was finally established in 1993. With the changes in use of political power, constitutional revisions have been continuously discussed. This issue of governmental form is crucial to the future political development and is connected with national reunification. There have been some discussions on the possible constitution of a unified Korea of the future16. The national flag of South Korea contains the strong Cofucian and Taoistic taints, while the North Korean flag visualizes the Socialistic revolutionary image. The unified Korea would have to meet the problem of reconsidering the national or state symbol(s)17.
___________ 15 Chongko Choi, Pukhan ui Chonton Popsakwan (North Korea’s View on Traditional Legal History), Seoul Law Journal, vol. 33, No. 1, 2, 1990 and in his book Pukhanpop (North Korean Law), Bakyoungsa, Seoul 1996 (revised edition), pp. 21–26. 16 For the national security, these drafts are not allowed to distribute openly. 17 Chongko Choi, State Symbol and Law in South and North Koreas, Pukhanpop Yongu (North Korean Law Studies), 5, 2002.
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The area of administrative law is broad. Currently in Korea, we hear of the “almightiness of administration”, meaning the weakness of “rule of law” through the judiciary. The so-called “administrative guidance’s (Haenjong Jido, 嫛㟎㖖⺝)” or “government’s order (Chongbu chisi, 㟎ㄫ㖖䯉)”, somewhat like Gyosei Shido in Japan, play an important role before a matter becomes a legal action18. Civil and Commercial Laws were adopted in the early 1960’s and have regulated the private life of the Korean people. With changes in the system of ownership in housing, financing and insurance, these private laws also must have been revised. Even family law, as a part of the Civil Code, underwent a comprehensive revision in 198919. Labor laws were originally drafted rather idealistically according to the standard of American labor laws. But the process of Korean industrial development prevented laborers from full enjoyment of their rights. As the results of such “dictatorial developments” in the economy and industry, uncountably complicated economic and industrial laws have been produced. This is also evidence that law just seems to be a faithful tool to the political power. Criminal law is basically the ultima ratio in each country. In a “free society”, the role of criminal law must be lessened according to ideological and moral “neutrality”. Nonetheless, in a divided country like Korea, criminal law plays a crucial role not only for national security but also in regard to influencing the behavior of individuals. The Criminal Code adopted during the Korean War (1953) has regulated South Korean people’s life for half a century. Even though it was partly revised in 1996, it contains still some articles of severe punishments. Additionally, the National Security Law adopted in 1953 is still in action. There are some strong voices to abolish or to alter this “obstacle” to the national reunification. Of course, there are conspicuous conflicts of opinions between ‘conservative’ proponents of national security and the ‘progressive’ abolitionists. Through the three years American military government 1945–48, Korea underwent an “Americanization” of its society. Contemporary social sciences such as political science and economics became oriented toward the American flavor. We could say that the organization of South Korean society consisted of a “backbone” of the German legal system and a “flesh” of American social reali-
___________ 18 For the role of Gyosei Shido: H. Coing (ed.), Die Japanisierung des Westlichen Rechts: Japanisch-deutsches Symposium in Tübingen, Tübingen 1990, pp. 83–102. 19 For details, Kay C. Lee, Confucian Ethics, Judges and Women: Divorce under the Revised Korean Family Law, Pacific Rim Law and Policy Journal, vol. 4, No. 2, 1995, pp. 479–504.
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ties. These influences combined to produce an inhibiting effect on the active development of an indigenous Korea legal culture20. In summary, South Korean legal culture could be characterized as a heterogeneous, pluralistic “mixed legal culture”21. On the other hand, South-Korean people are still quite much influenced by the traditional legal consciousness in exerting their rights and duties.
III. North Korean Law In contrast to the South, the Democratic People’s Republic of Korea (DPRK) in North is fundamentally a socialistic state, based on the Juche (self-reliance) ideology. The first Constitution of DPRK was enacted on Sept. 9, 1948. It consists of 104 articles in 10 chapters. Thereafter, it underwent several revisions till the current Constitution of 1998. North Korea is one of the most isolated states in the world and thus does not provide easy access to its national legal code. We may be sceptical as to what constitutes its national legal code22. The 50th Supreme People’s Assembly on Sept. 5, 1998 elected Kim Jong-Il as Chairman of the National Defence Commission and revised the Constitution. This Constitution consisting of 166 articles is equipped with a new preamble, which did not exist in the previous constitutions. We see here some striking “Confucian” expressions, which could be hardly understood from the “socialistic” ideology. […] Comrade Kim Ilsung regarded “believing in the people as in heaven (Imin Wichon, ⅴ㺠䓁⮸)” as his motto, was always with the people, devoted his whole life to them, took care of and guided them with a noble politics of benevolence (Indok Jongchi, ⅐㉆㟎㽊), and turned the whole society into one big and united family. […] Comrade Kim Ilsung was a genius ideological theoretician and a genius art leader, an ever-victorious, iron-willed brilliant commander, a greater revolutionary and politician, and a great human being. The DPRK and the entire Korean people
___________ 20
For understanding of Korean legal culture, Chulwoo Lee, Talking about Korean Legal Culture, Korea Journal, vol. 38, No. 3, 1998, pp. 45–76. 21 Chongko Choi, Traditional Legal Culture and Contemporary Legal Consciousness in Korea, paper presented at the World Conference on Sociology of Law at Tokyo University on Aug. 1–4, 1995, in Legal Culture: Encounters and Transformations, Japan Commission for RCSL, 95, 1995, pp. 123–130; also Chongko Choi, Asian Jurisprudence in the World, Seoul 1997, pp. 75–85. 22 It is interesting and ironical that the North Korean laws were gathered and published in Seoul. See Pukhan Popryong jip (North Korean Statutes) in 6 volumes, Taeryuk Yonguso, Seoul 1990; Chongko Choi, Pukhanpop (North Korean Law), Bakyoungsa, Seoul 1966 (revised edition).
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Chongko Choi will uphold the great leader Comrade Kim Ilsung as the eternal President of the Republic, defend and carry forward his ideas and exploits and complete the Juche revolution under the leadership of the Worker’s Party of Korea. The DPRK Socialist Constitution is a Kim Ilsung which legally embodies Comrade Kim Ilsung’s Juche state construction ideology and achievements23.
Juche ideology has been explained in the meanwhile as a significant break with the Confucian past. But we see now a new combination of Confucianism and Juche ideology in North Korea24. In this sense, Confucianism seems to be an important ideology and legal value to be a common ground for the dialogue toward the legal unification of both Koreas25. The national economy of North Korea is a strictly planned economy with basic economic elements operated as state enterprises. It is interesting that this extremely socialistic state adopted a Civil Code (Minpop, 㺠㽤) on Sept. 5, 1990. It consists of 271 articles, which is comparable to the Civil Code of South Korea with 1118 articles. North Korean civil law is based on the Soviet Civil Code of 196426. Family law is therefore excluded from this Code and treated separately. The Civil Law recognizes three kinds ownership: state ownership, cooperative property, and private property. Private property is for personal consumption by the working people. It is primarily “the products from the inhabitant’s supplementary husbandry, including those from the small plots of cooperative farmers”. This property is derived mainly from Socialistic distribution according to work done and from additional benefits accorded by the state. Since DPRK has been confronted with economic crisises, it has produced many new laws concerning foreign investment. It has been recognized that foreign capital and technology are essential to help develop its flagging economy. While maintaining its ideological commitment to the autocratic, defiantly selfreliant Juche ideology, North Korea has in the past ten years revised existing laws and regulations, and issued many new ones. The principal new laws are Foreign Investment Law (1992), the Free Economic and Trade Zone Law (1993), the Foreign Enterprises Law (1992), the Equity Joint Venture Law (1994) and the Contract ional Joint Venture Law (1995). This legislative structure constitutes an ambitious attempt to facilitate foreign investment in a rela___________ 23
The text of this new Constitution is published “unofficially” at the Newspaper The People’s Korea of Sept. 19, 1998, p. 4–7. 24 For Confucianism and Law: Chongko Choi, Confucianism and Law in Korea, Asian Jurisprudence in the World, Seoul 1997, pp. 99–125. 25 Chongko Choi, Confucian Elements in South and North Korean laws – paper which is to be read at the 2nd World Congress of Korean Studies in Pyongyang on August 4–5, 2004. 26 Dalkon Choi, Pukhan Minpop ui Yongu (A Study on North Korean Civil Law), Seoul 1997.
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tively flexible manner. Sometimes these laws seem to overlap and contradict each other. It does not seem that the changes in law have resulted in active foreign investments. The present judicial system of DPRK is essentially that established under the first Constitution of 1948, which outlined the tasks, functions, and structure of the courts and procuracy under the Court Organization Law, Criminal Code, and the Code of Criminal Procedure of 1950. Unfortunately we cannot access to any judicial decisions and comments on them. We don’t even know who acts as judges, prosecutors, attorneys and legal scholars. Our analysis suffers from the inability to obtain any actual legal information from North Korea27. Since the 1970’s North Korean government has strongly supported the socialistic Law-Abiding-Life Movement (Sahoejuui Popmusengwhul Undong, ꩡ쁁늱넍 Ꙋꓩꪒ쀑끩鶎), and State Arbitration (Kukga Jungje, 霢閵닆녡) in cases of legal disputes. Through such a state-initiated legal life, the human rights of the North Korean people have been frequently damaged and critically reported by the foreign observers. But here is not the place to go into this problem28. In summary, North Korean law could be characterized as “law as teacher and parents” as expressed by Professor Harold Berman of Harvard Law School. He characterizes the “pseudo-religious” Communist law as following: (1) love of fatherland, (2) international solidarity through the world’s workers, (3) hatred for class enemy, (4) absolute support of communist party policy, (5) selfsacrifice for social interest, (6) socialistic humanism, (7) socialistic ownership, (8) noble sense of duty to state, (9) respect to citizen’s neighbour, (10) love of sacred labour29. Almost all of these characteristics seem to be true of North Korean law.
___________ 27 Sungyoon Cho, Law and Legal Literature in North Korea, Library of Congress, Washington D. C., 1989. 28 On human rights in South and North Korea, see William Shaw (ed.), Human Rights in Korea, Harvard Univ. Press, 1991; Chin-Tai Kim, North-South Divergence on Human Rights, Justice and Well Being and its possible Suppression, a presentation at the Millenium Conference on Korean Studies, Feb. 20, 2000; and Chongko Choi, Asian Jurisprudence on Human Rights and Responsibilities, paper read at Lawasia Conference in Seoul on Sept. 8, 1999. 29 Harold J. Berman, Justice in the USSR, Harvard University Press, 1963.
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IV. Possibility of Legal Unification According to “Agreement on Reconciliation, Nonaggression and Exchanges and Cooperation between South and North Korea” (1992), the relationship is temporarily constituted to facilitate the process of unification rather than being a relationship between established separate states. Nevertheless, there are still continuous conflicts and tensions between North and South Korea. Legal scholars argue that Art. 3 of the Republic of Korea is a hindrance; because it says that “The territory of Republic of Korea shall consist of the Korean peninsular and its adjacent islands”. Nevertheless, Article 4 of the Constitution declares: “The Republic of Korea shall seek unification and shall formulate and carry out a policy of peaceful unification based on the principles of freedom and democracy”. Before explaining the possibility of legal reunification, we must remember that Korean people are not in favor of a legalistic approach to South-North dialogues. This is quite different from the German experience in the East-West reunification30. The difference might be generalized as a characteristic of East Asian mentality. Because of both South and North Korean regimes are polemicized, each has tried to confront the other politically. Nevertheless there have been several contacts and dialogues between North and South. South Korea has proposed a four-stage reunification process based on the great community of Korean nation (Hanminjok kongtongche, 뼑ꖱ눦␀⚛浣). North Korea has proposed unification through a “Democratic Confederal Republic of Koryo” (Koryo Yonbangche, 隕ꇙ꾥ꗞ뇑) since 1980, based on Kim Ilsung’s speech on “Five Policy Lines for Independent and Peaceful Unification”31. As preconditions to the implementation of this proposal, Kim Ilsung advocated (1) the withdrawal of the present South Korean Government, (2) the abolishment of the Anti-Communist Law and the National Security Law of South Korea, and (3) the withdrawal of U.S. troops from South Korea and the signing of a peace treaty between the U.S. and North Korea.
___________ 30 There are many comparative studies on German and Korean reunifications. For example, Myongku Kang/Helmut Wagner (ed.), Germany and Korea: Lessons in Unification, Seoul National Univ. Press, 1995, especially the article of Dai-kwon Choi, Legal Aspects of the Present South-North Korea Relations and Beyond, ibid. pp. 208–234. South Korean government declares officially that it would not absorb the North Korea like in Germany. Nevertheless, the North Korea seems to be afraid of “absorption” (Beitritt) by the South. 31 For details, Jae Kyu Park, North Korea’s Democratic Confederal Republic of Koryo: A Critique, Korean Reunification: New Perspectives and Approaches, ed. by Tae-Hwan Kwak etc., Kyungnam University Press, 1984, pp. 69–83.
South and North Korean Laws: Comparison and Unification
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On Dec. 13, 1991, South and North Korea concluded an “Agreement on Reconciliation, Non-aggression and Exchanges and Cooperation between South and North Korea”. According to this agreement, South and North Korea shall recognize and respect each other’s political systems (Art. 1). South and North Korea shall not slander or defame each other (Art. 3). South and North Korea shall resolve peacefully, through dialogue and negotiation, any differences of views and disputes arising between them (Art. 10). South and North Korea shall carry our exchanges and promote cooperation in various fields such as science and technology, education, literature and the arts, health, sports, the environment, journalism and media including newspapers, radio, television broadcast, and other publications (Art. 16). This Agreement went into effect Feb. 19, 1992, but unfortunately nothing has really improved. If anything, the situation is even worse than at the time of the agreement. Both sides did not show any sincere efforts to carry out this agreement. As a South Korean law professor, I must express great regret for that and say that we should return to the spirit of this agreement. I would like to draw special attention to one point. According to the Protocol on the Implementation and Observance of Chapter 1 of this agreement, South and North Korea shall establish and operate the South-North Joint Reconciliation Commission (Art. 25). This Commission shall have a Consultative Working Group on Law, a Consultative Working Group on the Cessation of Slander and Defamation, and such other consultative working groups are considered necessary by the two sides. Agreements concerning the organization and operation of the consultative working groups shall be adopted separately by the South-North Joint Reconciliation Commission (Art. 26). We should establish this Consultative Working Group on Law (Popyul Silmu Hypui hoe, 㽤㈚╨◣巿㦒) as soon as possible. Through the meetings of Korean lawyers and legal scholars from both South and North, we could look at similarities and differences in the two legal systems and their institutions. Lawyers may sometimes be the defenders of their own political order, but they are basically intelligent persons who believe in rationality and the common good. I believe, a key to reopening the reunification dialogue is co-operative dialogue between lawyers and legal scholars from both segments of the divided Korean nation. As one way of implementing the beginning of such a dialogue I would like to propose that North Korean lawyers be invited to explain the new laws in North Korea in regard to foreign investment. Through discussion of such a concrete topic the lawyers of both sides can increase their mutual understanding and credibility.
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Chongko Choi
Some scholars assert that North Korea is more Confucian than South Korea32. The succession procedure of Kim Ilsung’s political power by his son Kim Jongil has shown some Confucian features. South Korean politics and “rule of law” also is described as not a mere imitation of Western patterns. The political behavior of the Presidents from Syngman Rhee through Chunghee Park strongly appeared Confucian. Currently, Confucian “Asian values” are seriously discussed in many fields of South Korean society and academism33. I have a vague anticipation that South and North Korea could reassure each other of their homogeneity or sameness through Confucianism.
Conclusion If we compare South and North Korean laws, the quantity and quality are both quite different. So, it is not easy to compare simply on the same level. North Korean laws are expressed merely in Korean Hangul, whereas the South Korean laws are still mixed with Chinese letters. The “academic” legal literature of North Korea contains no footnotes, but incorporates statements of national leaders of Kim Ilsung and Kim Jongil in larger letters. This isolated and deteriorated North Korean laws and legal culture could not be the ground for justification of South Korean law. Each system has its own characteristics and problems. I cannot foretell when and how the reunification will occur on the Korean peninsula. But I would say that unification through law as well as politics may take a long period of time. Unification of the extremely Capitalistic South Korean law and the extremely Socialistic North Korean law would be an enormous task for the “true” Korean law in the future. Nonetheless, if the Korean people accomplish a desirable legal unification, it would be a great contribution to the world’s legal history.
___________ 32
Mizoguchi Yuzo, Thinking about Renaissance of Confucianism (Jap.), Tokyo,
1991. 33 A good example is Seoul Conference of UNESCO, held on Oct. 4–6, 1999 with the title “Universal Ethics and Asian Value”. The Korean Association of Public Administration also held a Conference on “Asian Values and Government Reforms” on Oct. 21−22, 1999 at Seoul National University. The Quarterly (Jentong kwa Hyundai (Tradition and Modernity)) sponsored on international Workshop on Confucian Democracy on March, 13−17, 2000, Andong.
Schwierigkeiten bei der Transformation einer Rechtsordnung Von Thomas Würtenberger
Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts fand in Mittel- und Osteuropa ein revolutionärer Prozess von epochaler Bedeutung statt: Der Zerfall der alten Sowjetunion und die Auflösung des osteuropäischen kommunistischen Machtblocks, der Übergang von einer marxistisch-sozialistischen Verfassung zu Verfassungen vom Typ des westlichen Verfassungsstaates, hiermit verbunden eine grundsätzliche Transformation der Rechtsordnung sowie eine jedenfalls teilweise Neuformierung politischer Eliten. Dieser revolutionäre Prozess ist nach wie vor begleitet von der Suche nach neuer nationaler Identität und neuen Formen des Nationalismus in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, teilweise auch von weiteren revolutionären Ereignissen und von Bürgerkrieg. Ein vorläufiger Abschluss dieses revolutionären Transformationsprozesses ist darin zu sehen, dass eine Reihe von mittel- und osteuropäischen Staaten den acquis communautaire erreichen konnte und damit die Voraussetzungen für die Aufnahme in die Europäische Union geschaffen hat1. Ein anderer Teil der mittel- und osteuropäischen Staaten gibt sich berechtigten Hoffnungen, einiger dieser Statten aber auch der Illusion hin, mittelfristig ebenfalls in die Europäische Union aufgenommen werden zu können. Einen gewissen Sonderweg in diesem Prozess revolutionärer Umwälzungen stellt die ehemalige DDR dar: Durch den Beitritt der Länder der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes geschah von einem Tag auf den anderen die Geltungserstreckung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland auf das Gebiet der ehemaligen DDR. Bekanntlich war Ende 1989 und in den ersten Monaten des Jahres 1990 äußerst umstritten und wird auch heute noch kontrovers diskutiert, ob nicht alternative Modelle der Transformation der Rechts- und Wirtschaftsordnung der
___________ 1
Umfassender Monitoring-Bericht der Europäischen Kommission über den Stand der Beitrittsverhandlungen der Tschechischen Republik, Estlands, Zyperns, Lettlands, Ungarns, Maltas, Polens, Sloweniens und der Slowakei; Strategiepapier und Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte Bulgariens, Rumäniens und der Türkei auf dem Weg zum Beitritt.
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Thomas Würtenberger
DDR vorzugswürdig gewesen wären2. So propagierte die Regierung Modrow bis zu den sog. Verfassungswahlen im März 1990 den Übergang zu einem demokratischen Sozialismus oder wurde auch von einigen westlichen Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland eine lockere Föderation zwischen der Bundesrepublik und der DDR mit der Möglichkeit eines allmählichen Zusammenwachsens für vorzugswürdig gehalten. Der deutsche Weg der Wiedervereinigung begegnete und begegnet nach wie vor ernst zu nehmender Kritik. Nicht wenige sprachen in der ehemaligen DDR bereits 1990 von einem machtpolitisch durchgesetzten „Anschluss“ oder sprechen heute von Kolonialisierung3. Hinzu kommt in den neuen Bundesländern eine zunehmende Nostalgie, die in der alten sozialistischen rechtlichen und politischen Ordnung eine behütete ökonomische Existenz verwirklicht sah, die nicht durch liberalistischen Wettbewerb in Frage gestellt wurde und durch Massenarbeitslosigkeit mittlerweile für einen großen Teil der Bevölkerung abhanden gekommen ist. Im Folgenden sollen zunächst einige Schwierigkeiten bei der Transformation der rechtlichen und politischen Ordnung zusammengefasst werden, wie sie derzeit in den jungen Demokratien Mittel- und Osteuropas auftreten. Auf dieser Folie soll sodann auf jene Probleme eingegangen werden, die die Transformation der Rechtsordnung der ehemaligen DDR geschaffen hat.
I. Die Schwierigkeiten bei der Transformation der Rechtsordnung der mittel- und osteuropäischen Staaten Die Verfassung und die Rechtsordnung nicht nur der mittlerweile der Europäischen Union beigetretenen, sondern auch der übrigen mittel- und osteuropäischen Staaten ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten grundlegend verändert worden. Die Verfassungen sind nicht nur Organisationsstatut für eine in der Regel semi-präsidentielle Demokratie, sondern regeln ein gewaltenteiliges, rechtsstaatliches und demokratisches politisches System mit dem gebotenen Grundrechtsschutz. Man hat eine unabhängige Gerichtsbarkeit, meist mit einem Verfassungsgericht sowie eine Verwaltungsgerichtsbarkeit mit allerdings nicht immer umfassenden verwaltungsprozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten durch eine Generalklausel eingerichtet. Ebenso sind Zivilrecht und Zivilprozessrecht ___________ 2 Karl-Heinz Roth, Anschließen, angleichen, abwickeln, 2000, S. 83 ff.; Horst Teltschik, 329 Tage, Innenansichten der Einigung, 1991; Wolfgang Schäuble, Der Vertrag, 1991; Michail Gorbatschow, Wie es war. Die deutsche Wiedervereinigung, 2000. 3 Vilmar, Der Begriff der „Strukturellen Kolonialisierung“, in: ders. (Hg.), Zehn Jahre Vereinigungspolitik, 2000, S. 21 ff.
Schwierigkeiten bei der Transformation einer Rechtsordnung
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sowie Strafrecht und Strafprozessrecht in grundsätzlicher Weise reformiert worden4.
1. Die Rahmenbedingungen des Rechtstransfers All dies war nicht möglich ohne eine erhebliche Hilfe und ohne einen erheblichen politischen Druck von außen. Die kommunistischen und postkommunistischen Eliten in diesen Staaten wären nicht in der Lage gewesen, aus eigener Kraft ihre Rechtsordnung umzubauen. Hier erbrachten der Europarat, die Europäische Union sowie deren Mitgliedsstaaten erhebliche Leistungen bei einem erfolgreichen Rechtstransfer. Von deutscher Seite seien nur die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit und die Gesellschaft für internationale rechtliche Zusammenarbeit genannt, die in Konkurrenz mit französischen und englischen Institutionen wichtige Beratungsleistungen erbracht haben. Dabei entstand in den neuen Demokratien Mittel- und Osteuropas eine erhebliche Konkurrenz bei der Vermarktung des eigenen Rechtssystems oder jeweils nationaler Gesetze zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie den Vereinigten Staaten von Amerika. Dies betrifft vor allem das Wirtschaftsrecht und das Wirtschaftsverwaltungsrecht. Bei dieser Vermarktung nationaler Rechtsgrundsätze und Gesetze ist in den mittel- und osteuropäischen Ländern eine gewisse Tendenz zu den westeuropäischen kontinentalen Rechtsordnungen festzustellen. Die Einflüsse des deutschen Verfassungsrechts, Verwaltungsrechts, Prozessrechts oder Bürgerlichen Rechts sind beträchtlich. Allerdings begegnet man bei der Rechtsberatung immer wieder dem Vorwurf des Rechtsimperialismus und dem Wunsch, in den jeweiligen Staaten einen eigenen Weg zu einer demokratischen und rechtsstaatlichen neuen politischen Ordnung zu gehen. Die Transformation der postkommunistischen Rechtsordnungen begegnet nicht unerheblichen innenpolitischen Schwierigkeiten und bedarf parlamentarischer Mehrheiten, die für eine Verwestlichung des Rechts offen sind. Hier sind es drei Faktoren, die die Verwestlichung der dortigen Rechtsordnung vorangetrieben haben: Zum einen zwingt der Beitritt zum Europarat und die Ratifizierung der europäischen Menschenrechtskommission dazu, ein Minimum an Grundrechtsschutz und an prozessualen Standards zu gewährleisten. Zum anderen, und dies erscheint noch wichtiger, zwingen die WTO und der ___________ 4
Vgl. die zusammenfassende Darstellung für die Ukraine bei Eberhard Schneider, Das politische System der Ukraine, 2005 sowie allgemein Otto Luchterhand (Hg.), Neue Regierungssysteme in Osteuropa und der GUS, 2. Aufl. 2002; aus der vielfältigen, um Reformen bemühte Literatur vgl. Ihor Koliushko (ed.), Legal Reforms in Ukraine. Materials of the centre for Political and Legal Reforms, Kiew 2005.
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Thomas Würtenberger
Bedarf an Krediten durch die Weltbank dazu, deren Vorgaben für eine rechtsstaatliche, am Modell einer liberalen Wirtschaft orientierte politische Ordnung zu verwirklichen. Gerade dieser Druck, innerstaatliche Reformen vornehmen zu müssen, um nicht vom weltweiten Freihandel ausgeschlossen zu sein, gehört wohl zu den wichtigsten Rahmenbedingungen der Transformation der jeweiligen Rechtsordnung. Nicht zuletzt stehen die Rechtsordnungen der Mittel- und Osteuropäischen Staaten unter einem erheblichen Globalisierungsdruck: Wer Wirtschaftsbeziehungen mit der Europäischen Union vertiefen möchte, muss ein Teil der Rechtsordnung der Europäischen Union übernehmen, – auch ohne Beitrittskandidat zu sein5.
2. Die Herausforderung der Verwaltungsreform Die Verwaltungsreform, um ein konkretes Beispiel zu nennen, begegnet ganz besonderen Schwierigkeiten. Der Zentralismus der alten kommunistischsozialistischen Ordnung muss einer gestuften Staatsorganisation mit Selbstverwaltung auf lokaler und regionaler Ebene weichen. Die Staaten, die wie etwa Polen der Europäischen Union beigetreten sind, haben eine grundsätzliche Verwaltungsreform erfolgreich zu Ende gebracht. In anderen Staaten Mittelund Osteuropas wie etwa in der Ukraine erscheint eine Verwaltungsreform kaum durchsetzbar. Im Prinzip hat sich die Ansicht auch in Mittel- und Osteuropa durchaus durchgesetzt, dass der Zentralstaat eine regionale Infrastruktur-, Arbeitsmarktund Wirtschaftspolitik nicht effektiv steuern kann und dass eine „GoodGovernance“ einer dezentralisierten und am Subsidiaritätsprinzip orientierten Verwaltung bedarf6. Die Konzepte eines „Europa der Regionen“ oder des Entwurfs einer Charta für regionale Selbstverwaltung des Europarates7 werden durchaus diskutiert8.
___________ 5
Würtenberger, Legal Drafting and Approximation with EU-Legislation, Vortrag am 20.5.2004 in Tiflis; Trunk, Westeuropa-Osteuropa: Rechtsangleichung als Integrationsinstrument, www.uni-kiel.de/eastlaw/antrvor.htm. 6 Vgl. Petro Morgos/Thomas Würtenberger (eds.), Regionalisation and Decentralisation, Special Issue of the Ukrainian-European International and Comparative Law Journal, Vol. 2, Nr. 2, 2001. 7 Conference of European ministers responsible for local and regional government, 14th session 24–25 february 2005, Draft Convention on Regional Self-Government, Council of Europe, Paper MCL-14 (2005) 6. 8 Vyacheslaw Tolkovanow, La mise en place du nouveau système de l’autonomie locale en Ukraine, Thèse de doctorat, Ecole doctorale de l’Université Robert Schumann, 2006.
Schwierigkeiten bei der Transformation einer Rechtsordnung
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Die erforderliche Verwaltungsreform ist allerdings bislang weder auf der lokalen noch auf der regionalen Ebene auf den Weg gebracht worden. Für die lokale Ebene hat man in der Ukraine ebenso wie in den meisten anderen mittelund osteuropäischen Staaten zwar die Charta der lokalen Selbstverwaltung des Europarates ratifiziert. Auch ist ein Kommunalrecht geschaffen worden, das durchaus an den Prinzipien lokaler Selbstverwaltung orientiert ist. Es fehlt aber an einer Gemeindereform, die Gemeindegrößen schafft, die Grundlage einer effektiven Selbstverwaltung sein können. Vor allem aber fehlt es weitgehend sowohl an den ausreichenden Finanzen als auch an dem nötigen kommunalen Personal, sodass der Zentralstaat nach wie vor einen Großteil der Selbstverwaltungsaufgaben meist in Parallelkompetenz zur kommunalen Kompetenz wahrnimmt9. Noch größere Schwierigkeiten bereitet es, für die regionale Ebene auch nur ein Mindestmaß politischer Autonomie vorzusehen. Gehört die Gewährung politischer Autonomie an die Regionalebene zu den Leitzielen der Staatsreform in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union10, so werden entsprechende Reformmodelle in den osteuropäischen Staaten entweder abgelehnt oder nur sehr zögerlich auf den Weg gebracht. Vordergründiges Argument für die ablehnende Haltung ist, dass eine stärkere Regionalisierung Sezessionstendenzen fördern könne, was sicherlich in Umbruchsituationen nicht von der Hand zu weisen, aber bei einer Konsolidierung des Staates eher ferner liegend ist. Tieferer Grund dieser Reformskepsis ist wohl eher das nach wie vor tief verwurzelte Vorverständnis, dass ein Staat auch in Fragen der Infrastrukturpolitik oder der regionalen Wirtschaftspolitik zentral gelenkt bleiben müsse. Zudem haben sich im regionalen Bereich vielfach neue ökonomische und politische Eliten bzw. Clans11 gebildet, die an einer Reform der regionalen Ebene nicht nur desinteressiert sind, sondern diese auch dezidiert ablehnen. Fragen von regionalpolitischer Bedeutung wurden von den auf regionaler Ebene politisch Einflussreichen auf direktem Wege mit der Präsidialverwaltung12 oder mit der Ministerialverwaltung abgeklärt. Eine Stärkung der politischen Partizipation oder ein Regionalparla-
___________ 9
Zur Kritik vgl. Tolkovanow (Fn. 8). Zusammenfassend Würtenberger, L’autonomie locale et régionale, principe directeur du droit constitutionnel en Europe, Revue belge du droit constitutionnel, 2002, 499 ff. 11 Tina Kowall/Kerstin Zimmer, Der politische Einfluss von Wirtschaftseliten in der Ukraine, 2002; Schneider (Fn. 4), S. 124 ff. zum Donezker, Kiewer und Dnipropetrowsker Clan. 12 Zur Kontrolle der regionalen Entwicklung durch den Präsidenten: Schneider (Fn. 4), S. 94. 10
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Thomas Würtenberger
ment mit regionalpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten erscheinen bei den derzeitigen politischen Kräfteverhältnissen kaum durchsetzbar13. Dass die aus der marxistisch-sozialistischen Zeit überkommenen alten Verwaltungsstrukturen beibehalten werden, wird nicht zuletzt mit einem pragmatischen Argument begründet. Von einer Reform auf lokaler und regionaler Ebene befürchtet man den Verlust an Verwaltungsstrukturen, sollten sich die Reformvorhaben nicht wie geplant umsetzen lassen14. Diese Furcht ist sicherlich nicht völlig unberechtigt, da eine grundsätzliche Verwaltungsreform durchaus auch mit dem Risiko des Scheiterns behaftet sein kann. Gleichwohl verlangen aber die Modernisierung des Staates und die weitere Verwirklichung einer Civil Society nach einer grundlegenden Verwaltungsreform.
3. Diskrepanz zwischen Rechtsordnung und Rechtspraxis Der Blick auf die neue politisch-rechtliche Ordnung in den mittel- und osteuropäischen Staaten muss aber auch die Rechtspraxis erfassen. Hier besteht nach wie vor eine unglaubliche Diskrepanz zwischen der Normenordnung einerseits und dem praktizierten Recht andererseits. Dies folgt zunächst daraus, dass der Rechts- und Verwaltungsstab weitestgehend fehlt, der das neu geschaffene Recht umzusetzen in der Lage wäre. Eine politische und rechtliche Ordnung, die bislang mit internen Reglements und persönlichem Befehl gearbeitet hat, hat nicht jenes Verwaltungs- und Gerichtspersonal hervorgebracht, das zu einem unabhängigen Vollzug der Rechtsordnung bereit und in der Lage ist. Um dies zu belegen, blicken wir auf die Gerichtsbarkeit: Im alten sozialistisch-kommunistischen System bestand für die Richter ein Verbot, Gesetze auszulegen oder gar richterrechtlich fortzubilden. Lediglich der Oberste Gerichtshof in Moskau war befugt, der Richterschaft in der gesamten Sowjetunion Auslegungsrichtlinien vorzugeben. So gibt es derzeit in den mittel- und osteuropäischen Staaten eine sehr kontroverse Diskussion darüber, ob der Richter strikt an den Wortlaut des Gesetzes gebunden ist oder ob er darüber hinaus gesetzliche Begriffe Einzelfallorient konkretisieren und das Recht richterrechtlich fortbilden dürfe. Hinzu tritt eine besondere Form des institutionellen Misstrauens: Das Parlament misstraut der Verwaltung und Richterschaft, dass diese das Recht orientiert an den Zielsetzungen der Gesetze anwenden und fortentwickeln. Die oftmals aus westlicher Sicht autoritär agierende Präsidentschaft fürchtet erhebliche ___________ 13 Auch die Verfassungsreform nach der Orangenen Revolution von Ende 2004 hält weitestgehend am Modell eines unitaristischen Staates fest. 14 Tolkovanow (Fn. 8), S. 180 ff.
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Machtverluste, wenn von der Verwaltung und der Richterschaft die Gesetze in eigenverantwortlicher Weise angewendet und fortgebildet werden. Dies wiederum führt zu Formen des gesetzlichen Regelungsperfektionismus, wie sie dem angelsächsischen Recht, aber nicht dem kontinentalen europäischen Recht eigentümlich sind. Das Fehlen eines Verwaltungsstabes mit einem ausgeprägten Amtsethos ist ein wesentliches Hindernis bei der Umsetzung des neuen Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrechts. Hier hat der Abschied von der Planwirtschaft nicht zur Marktwirtschaft, sondern in die Clanwirtschaft geführt. Bestimmte Clans beherrschen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ganze Industriezweige und Regionen. Sie bestimmen den Rechtsvollzug, notfalls durch breit angelegte Korruption. Die neue Rechtsordnung ist nur Fassade, hinter der ein breiter Raum nicht sanktionierter Illegalität liegt. Die Modernisierung der Rechtsordnung in den mittel- und osteuropäischen Staaten befindet sich in dem Dilemma, das schon Montesquieu bekannt war: Das beste Recht nutzt nichts, wenn es an einem Gemeingeist und wenn es an Institutionen fehlt, die den Geist der Gesetze zur Rechtspraxis werden lassen. So gesehen ist die Transformation der Verfassungs- und Rechtsordnung in den mittel- und osteuropäischen Staaten nicht nur eine Frage der Übernahme oder der Schaffung neuen Rechts, sondern auch eine Frage der Veränderung des Verfassungs- und Rechtsbewusstseins des Rechtsstabes, seiner Fähigkeit, das Recht effektiv durchzusetzen, aber auch der Fähigkeit der Bevölkerung insgesamt, das neue Recht mit Leben zu erfüllen. Diese Veränderung bedarf wohl zweier politischer Generationen und vor allem des Herausalterns jener Führungseliten, die noch im marxistisch-sozialistischen System ihre Sozialisation erfahren haben.
II. Schwierigkeiten bei der Transformation der Rechtsordnung bei der deutschen Wiedervereinigung Die vorgenannten Schwierigkeiten haben sich bei der Transformation der Rechtsordnung der ehemaligen DDR15 im Zusammenhang mit der deutschen ___________ 15 Hierzu allgemein: Jörn Leonhard/Lothar Funk (Hg.), Ten years of German unification: Transfer, transformation, incorporation?, 2002; Quint, The Constitutional and legal Framework of German Unification, in: Schluchter/Quint (Hg.), Der Vereinigungsschock, 2001, S. 19 ff.; Lepsius, Die deutsche Vereinigung: Ereignisse, Optionen und Entscheidungen, ebd., S. 39 ff.; von Beyme, Die Entwicklung Ostdeutschlands nach der Vereinigung im Licht der vergleichenden Transformationsforschung, ebd., S. 417 ff.; Robra, Lust oder Frust? Die Herstellung der Einheit Deutschlands im Rechtsalltag, NJW 1998, 1666; Heitmann, Rechtsangleichung zwischen West und Ost – eine Bilanz, NJW 2000, 3039.
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Thomas Würtenberger
Wiedervereinigung nicht ergeben. Hier wurde seitens der Bundesrepublik zu Beginn des Jahres 1990 klar erkannt, dass keine allmähliche Transformation der Rechtsordnung der DDR in Frage kommen könne, sondern dass mit der Wiedervereinigung das westdeutsche Recht im größtmöglichen Umfang in der DDR in Kraft gesetzt werden muss.
1. Die Herstellung der Rechtseinheit Die Rahmenbedingungen, um dieses Ziel zu erreichen, sind bekannt. Der Regierung Modrow wurden keine Finanzkredite gewährt, um die Wirtschaft und damit auch die DDR selbst stabilisieren zu können. Zugleich wurde in beispielloser Weise seit Februar 1990 am Wahlkampf in der DDR teilgenommen, um eine politische Mehrheit zu erreichen, die das Ziel der Wiedervereinigung konsequent verfolgt16. Zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik wurden nach den Verfassungswahlen im März 1990 drei große Verträge geschlossen, die die Wiedervereinigung und die Übernahme der Rechtsordnung der Bundesrepublik auf den Weg brachten. Durch den Währungsvertrag vom 18.5.1990 wurde eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen den beiden deutschen Staaten errichtet. Diese bildeten nunmehr ein einheitliches Währungsgebiet mit der deutschen Mark als gemeinsame Währung und der deutschen Bundesbank als der Währungs- und Notenbank. Durch den Wahlvertrag vom 3.8.1990 wurde vereinbart, für die erste gesamtdeutsche Wahl den Geltungsbereich des Bundeswahlgesetzes auf das Gebiet der beitretenden Länder zu erstrecken. Durch den Einigungsvertrag vom 31.8.1990 wurde zur Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands vereinbart, dass die Länder der ehemaligen DDR dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beitreten und dass die bundesrepublikanische Rechtsordnung damit auf die ehemalige DDR erstreckt werden sollte, soweit im Einigungsvertrag keine Übergangsregelungen oder Modifikationen vorgesehen waren. Aus der Distanz von mehr als einem Jahrzehnt lässt sich die Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland als durchaus gelungen bezeichnen. Gewiss gab es und gibt es in Einzelbereichen nach wie vor kontroverse Fragen. Dies betrifft etwa die Rückgabe jenes Eigentums, das zwischen 1945 und 1949 konfisziert und in Volkseigentum der DDR übergeführt wurde17. Gewiss hat ___________ 16 Einzelheiten bei Würtenberger, Die Verfassung der DDR zwischen Revolution und Beitritt, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 1995, § 187; Fiedler, Die deutsche Revolution von 1989: Ursachen, Verlauf, Folgen, ebd., § 184. 17 Zur Lösung der Eigentumsfrage: Quint (Fn. 15), S. 24 ff.
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man auch Schwierigkeiten, das in der DDR geschehene Unrecht nunmehr in rechtsstaatlicher Form zu ahnden18. Differenzierter fällt der Blick auf die Praxis der Herstellung der Rechtseinheit in Deutschland aus. Der Rechtsstab in der ehemaligen DDR war naturgemäß am Vollzug eines sozialistisch-kommunistischen Rechts orientiert, die höchst komplexe Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland war ihm fremd. Dies zwang nicht nur dazu, die Gerichtsorganisation der ehemaligen DDR neu aufzubauen, sondern auch mit Richtern aus der Bundesrepublik zu besetzen. Gleiches gilt für die Verwaltung und für die Ministerialbürokratie in den Ministerien der neuen Bundesländer. Hinzu kommt, dass jedenfalls die geisteswissenschaftlichen Fachrichtungen an den Universitäten von der Professorenschaft und vom Lehrplan einseitig an einer marxistisch-leninistischen Gesellschaftstheorie orientiert waren19. Dies zwang zu einer sogenannten Abwicklung einer Vielzahl von Fakultäten und Besetzung der Professorenstellen von der Bundesrepublik her. Ähnliches galt für die ehemalige Wirtschaftselite in der DDR, die ihre Leitungsfunktionen bei der Umgestaltung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhand verlor, aber auch für die Elite in den Medien und zum Teil selbst in der Kultur. Die soziale Folge der Transformation der Rechtsordnung der ehemaligen DDR war, dass praktisch eine ganze Generation, die zur ehemaligen Elite gehörte, entlassen und in Rente geschickt wurde20.
2. Gespaltenes politisch-rechtliches Bewusstsein Die Übernahme der Rechtsordnung der Bundesrepublik hat zu einem in sich gespaltenen politisch-rechtlichen Bewusstsein in der DDR geführt. Die Enttäuschung der Bürgerrechtsbewegung, die die Wiedervereinigung wesentlich vorangetrieben hat, kommt in dem berühmten Wort: Gerechtigkeit haben wir gewollt, den Rechtsstaat haben wir erhalten, zum Ausdruck21. Die rechtsstaatliche Ordnung der Bundesrepublik war nicht jene, die sich die Bürgerrechtsbewegung gewünscht hatte. Und dass die neue politisch-rechtliche Ordnung nicht von der ehemaligen Führungsschicht der DDR akzeptiert werden konnte, liegt ebenfalls auf der Hand. ___________ 18
Quint (Fn. 15), S. 29 ff. Vilmar, Soziale Liquidation oder Diskriminierung ostdeutscher Eliten, in: Vilmar (Fn. 3), S. 81 ff. (zum einseitigen Transfer westdeutscher Forscher). 20 Zum Elitenwechsel: Hoffmann-Lange, Elite West-Elite Ost?, in: Wehling (Hg.), Deutschland Ost – Deutschland West, 2002, S. 105 ff., 114 ff. (zum Unterschied zwischen den Transferprozessen in der DDR und den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks). 21 Heitmann, Rechtsstaat und Gerechtigkeit – Zehn Jahre Herrschaft des Rechts in Ostdeutschland, NJW 1999, 3761. 19
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Vergleicht man das politisch-rechtliche Bewusstsein in den alten und in den neuen Bundesländern, so ergeben sich auch nach eineinhalb Jahrzehnten Wiedervereinigung gravierende Unterschiede: Fast 60 Jahre zunächst nationalsozialistischer, sodann kommunistischer Diktatur haben in den neuen Bundesländern zu einem politisch-rechtlichen Bewusstsein geführt, das auf feste politische Orientierung angewiesen ist, aber pluralistischer Auseinandersetzung skeptisch gegenübersteht, das nach sozialer Harmonie sucht, und das die demokratische bzw. partizipatorische Lösung von Konflikten nicht als Element einer Civil Society bejaht, sondern auf sozialstaatliche Regulierung und autoritären Paternalismus vertraut22. Vor allem ist man nicht der Geborgenheit im Kollektiv entwachsen und nicht zum Gebrauch jener grundrechtlichen Freiheit bereit, die Grundlage ökonomischer oder politischer freier Entfaltung ist. Dies führt, wie zahlreiche empirische Untersuchungen ergeben haben, dazu, dass zwar die zentralen Verfassungswerte des Grundgesetzes wie Demokratie oder grundrechtliche Freiheit einen hohen Stellenwert im politisch-rechtlichen Bewusstsein auch der Bevölkerung in den neuen Bundesländer besitzen, gleichwohl aber gegenüber den Mechanismen der pluralistischen Demokratie und deren Institutionen tiefe Vorbehalte bestehen23. Aber auch die Wirtschaftsordnung stößt auf verbreitete Ablehnung. Diese Fragmentierung im politischrechtlichen Bewusstsein zwischen den alten und den neuen Bundesländern wird derzeit durch nostalgische Erinnerungen an die „Gute alte DDR“ verstärkt. Derartige Einstellungsunterschiede werden wohl erst nach zwei politischen Generationen eingeebnet sein können. Sicherlich wächst die jüngere Generation24 in das vom Grundgesetz verfasste politisch-rechtliche System herein und besitzt einen anderen politischrechtlichen Erfahrungshorizont als die ältere Generation. Retardierend dürfte jedoch wirken, dass die Sozialisation in der Schule durch eine Lehrerschaft erfolgt, die in der alten DDR ausgebildet wurde, und dass die familiären Erziehungsziele sehr stark von den Erziehungszielen der Familien in den alten Bundesländern differieren. Hier sollen nach neueren Studien die Werte von Ordnung und Gehorsam weit an der Spitze der Erziehungsziele in den neuen Bundesländern stehen, während in den alten Bundesländern diese Werte durch die ___________ 22
Würtenberger, Wiedervereinigung und Verfassungskonsens, JZ 1993, 745 ff. Patzelt, Demokratievertrauen und Partizipationsbereitschaft, in: Eith/Rosenzweig (Hg.), Die deutsche Einheit, 2003, S. 15 ff.; Renate Köcher, Die „anderen“ Deutschen – Mentalitäts- und Einstellungsunterschiede in Ost und West, in: Ein Jahrzehnt nach der Wende. Perspektiven für das vereinte Deutschland, 2003, S. 137 ff.; Reißig, Die Ostdeutschen – Zehn Jahre nach der Wende, in: Vilmar (Fn. 3), S. 51 ff. 24 Sehr skeptisch Schmidtchen, Die Jugend: Wie weit ist der Weg nach Deutschland?, in: Vietinghoff/May (Hg.), 10 Jahre deutsche Einheit, 1999, S. 111 ff., 120 ff. (zur Gewaltbereitschaft). 23
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Erziehung zur autonomen Persönlichkeit und zur Übernahme sozialer Verantwortung ergänzt werden.
III. Schlussbemerkung Die Transformation von Rechtsordnungen im Europa der Wende-Ära ist nicht allein ein Ereignis von epochaler Bedeutung, sondern liefert auch für das seit dem 18. Jahrhundert diskutierte Verhältnis von Recht und Rechtskultur reiches Anschauungsmaterial. Der derzeitige Stand des Transformationsprozesses zeigt, dass eine Transformation des Rechts ohne eine Transformation der Rechtskultur in einem soziologischen Sinn zu ganz erheblichen Geltungsproblemen des Rechts führt. Aber selbst wenn, wie in den neuen Bundesländern, mit der Transformation des Rechts zugleich auch ein Rechtsstab zur Verfügung steht, der dieses Recht entsprechend der westlichen Rechtskultur zu verwirklichen sucht, verbleiben erhebliche Probleme bei der Akzeptanz der neuen politischen-rechtlichen Ordnung.
Adjudication on the Constitutionality of Laws in the Constitution of Korea By Nak In Sung
I. Introduction 1. History of the Korean Constitutional Court System In 1948, the First Republic’s Constitutional Committee1 was an institution that judged the constitutionality of laws through the “konkrete Normenkontrolle”. In 1960 the Second Republic introduced a Constitutional Court2 based on the System of the “abstrakte Normenkontrolle”. In 1962 the Third Republic had the Supreme Court acting also as the Constitutional Court. In 1972, the Fourth Republic introduced the Constitutional Committee3, and in 1980, the Fifth Republic’s Constitutional Committee had a similar structure. However, the constitutional court system was not active during all this time. But in 1987, with the Sixth Republic’s Constitutional Court, the country’s democracy was fully activated.
___________ 1 The president of the Constitutional Committee was the Vice President, and the Committee was composed of five Supreme Court justices, and the authority of the Committee was limited to adjudication of the constitutionality of laws. 2 The Constitutional Court was composed of nine justices, three of which were appointed by the President, Supreme Court, and the Cham-eui-won (Parliament). They served six years as their terms. The Court had authority over adjudication on the constitutionality of laws, adjudication on competence dispute, adjudication on dissolution of a political party, adjudication on impeachment, election trials of the President, President and Justices of the Supreme Court, but the Court was not established due to the May 16 Coup. 3 The Constitutional Committee was composed of three justices elected by the National Assembly, three justices appointed by the President, and three justices appointed by the President of the Supreme Court. The Committee had authority over adjudication on the constitutionality of laws, adjudication on impeachment, and adjudication on dissolution of a political party.
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Nak In Sung
2. The Organization of the Constitutional Court The Constitutional Court is composed of nine justices, who are appointed by the President (Constitution Article 111 Clause 2). Three of the justices are selected by the National Assembly, and three of the justices are selected by the President (Clause 3). The president (head) of the Constitutional Court is appointed by the President with the consent of the National Assembly (Clause 4). The term of office of the Justices is six years and they may be reappointed under the conditions as prescribed by Law (Article 112 Clause 1). The Justices can’t join any political party. Nor can they participate in political activities (Clause 2). No justice shall be expelled from office except by impeachment or a sentence of imprisonment without prison labor or heavier punishment (Clause 3). Decisions of the Council of Justices shall be taken with the attendance of seven or more Justices and by the affirmative vote of a majority of the Justices president (Constitutional Court Act Article 16).
3. Definition of Judgments on the Constitutionality of Law According to the present Constitution, the Constitutional Court is established as a court separated from ordinary courts, and functions as making post decisions on a case-by-case basis. When the constitutionality of a law is at issue in a trial, the court shall request a decision of the Constitutional Court, and shall judge according the decision thereof (Article 107 Clause 1). The Constitutional Court has jurisdiction over the constitutionality of a law upon the request of the courts (Article 111 Clause 1 Item 1). When the Constitutional Court makes a decision on the unconstitutionality of a law, the concurrence of six Justices or more is required (Article 113 Clause 1).
II. Court’s Request for a Decision on the Unconstitutionality of a Law 1. Definition When the constitutionality of a law is at issue in a trial, the court shall request a decision of the Constitutional Court, and shall judge according to the decision thereof (Article 107 Clause 1). This article demands for the courts to request for the Constitutional Court’s decision on the constitutionality of a law when there is a possibility of the law being unconstitutional.
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2. The Process of the Court’s Request for the Unconstitutionality of a Law First, the ordinary court shall request to the Constitutional Court, ex officio or by decision upon a motion by the party, an adjudication on the constitutionality of statutes (Constitutional Court Act Article 41 Clause 1). The purpose of the Constitution Article 107 Clause 1, Constitutional Court Act Article 41, and Article 43 is for the court to make a request for a decision on the unconstitutionality of a law when there exists a practical suspicion of unconstitutionality that exceeds a simple level of suspicion. The Constitutional Court shall respect the decision of the court and accept its request for a decision on the unconstitutionality of the law, if possible4. Second, when an ordinary court requests to the Constitutional Court an adjudication on the constitutionality of statutes, the court written request shall include the indication of the requesting court, indication of the case and the parties, the statute which is interpreted as unconstitutional, and bases on which it is interpreted as unconstitutional (Constitutional Court Act Article 43). Third, when an ordinary court other than the Supreme Court makes a request for adjudication on the constitutionality of statutes, it shall do so through the Supreme Court (Article 41 Clause 5).
3. The Subject of the Right to Request for Adjudication on the Constitutionality of Law The Supreme Court and other ordinary courts have the right to request for adjudication on the constitutionality of laws. However, the other ordinary courts have to go through the Supreme Court when it requests to the Constitutional Court an adjudication on the constitutionality of statutes (Article 41 Clause 5). But the passing through of the Supreme Court is only a formality, and the Supreme Court is not authorized to make any judgments on the lower court’s request of adjudication on the constitutionality of statutes. According to the articles of the Constitution, the “court” has the right to request an adjudication on the constitutionality of statutes, while according to the articles of the Constitutional Court Act, the “the court who’s original case is relevant to the constitutionality of the statutes” has the right to request. This difference might cause confusion as to the meaning of the court which is in charge of the relevant case, but it is understood to mean the undertaking court. To avoid such future confusion and make the meaning clear, it is necessary to show ___________ 4
93 Hunga 2, December 23, 1993.
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that the justice or court in charge of the relevant case individually has the right to request the adjudication on the constitutionality of statutes.
4. The Nature of the Right to Request an Adjudication on the Constitutionality of Statutes: Whether the Court’s Right to Decide the Constitutionality is Included On the subject of whether the right to decide on the constitutionality of laws is included in the court’s right to request for an adjudication on the constitutionality of laws, the Supreme Court holds an affirmative opinion, while the Constitutional Court holds a negative opinion5. According to the nature of law, the court holds it’s analysis of the law as it’s own right, and the ordinary court can make a decision on the constitutionality of statutes while dismissing the relevant party’s request for adjudication on the constitutionality. Also the court is requested to write the reasons why it interpreted the statute to be unconstitutional, and this opinion would be in accordance to the rule of assuming the constitutionality of a law since the law is enacted by the main representative of the people, the National Assembly.
5. Subject of the Request for an Adjudication on the Constitutionality of Law Not only are conventional statutes the subject of the request for adjudication on the constitutionality of laws, but substantial statutes such as an emergency order, financial and economic actions or issues are also the subject of the request.
6. Conditions of the Request for an Adjudication on the Constitutionality of Law In order to request for an adjudication on the constitutionality of a law, the constitutionality needs to be at issue in a trial (Article 107 Clause 1). Therefore, for the request or filed complaint based on the Constitutional Court Act Article 68 Clause 2 to be legal, the constitutionality of the relevant law needs to be at
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issue in the trial. This is an innate characteristic of detailed “Normenkontrolle”system. Indeed judiciary conditions must also be met6.
7. Decision on the Request for an Adjudication on the Constitutionality of Law When the issue of whether or not statutes are constitutional is relevant to the judgment of the original case, the ordinary court shall request to the Constitutional Court, ex officio or by decision upon a motion by the party, an adjudication on the constitutionality of statutes (Constitutional Court Act Article 41 Clause 1). No appeal shall be made against the decision of the ordinary court (Article 41 Clause 4). If the motion made under Article 41 Clause 1 for adjudication on constitutionality of statutes is rejected, the party may file a constitutional complaint with the Constitutional Court (Article 68 Clause 2). When an ordinary court requests to the Constitutional Court an adjudication on the constitutionality of statutes, the court’s written request shall include the following matters; indication of the requesting court, indication of the case and the parties, the statute or provision of the statute which is interpreted as unconstitutional, and bases on which it is interpreted as unconstitutional (Article 43). When the relevant party withdraws his request after the court makes its decision to make the request for adjudication on the constitutionality of law, the Supreme Court immediately rules a decision declaring the cancellation of request for adjudication, and sends the original documents to the Constitutional Court, while the Constitutional Court dismisses the case for not being relevant anymore.
8. Effect of Request for an Adjudication on the Constitutionality of Laws: Suspension of Court Proceedings When an ordinary court requests to the Constitutional Court an adjudication on the constitutionality of states, the proceedings of the court shall be suspended until the Constitutional Court makes a decision (Article 42 Clause 1). However, provided, that if the court deems urgent, the proceedings other than the final decision may be proceeded.
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III. Constitutional Court’s Adjudication on the Constitutionality of Laws 1. Definition Adjudication on the constitutionality of laws refers to the term in which the court requests a decision of the Constitutional Court when the constitutionality of a law is at issue in a trial, and the Constitutional Court judges according to the decision thereof (Article 107 Clause 1, Article 111 Clause 1 Item 1). Although the current practice adopts a system in which the adjudication on the constitutionality of laws are ex post facto revised “konkrete Normenkontrolle”, any statute or provision thereof decided as unconstitutional loses its effect (Constitutional Court Act Article 47 Clause 2). Although the Constitutional Court adopts a German system formality wise, the fact that it adopts “konkrete Normenkontrolle”-system is what it makes a difference with German “abstrakte Normenkontrolle”-system.
2. Subject of Adjudication on the Constitutionality of Laws The subject matters of the request for adjudication on the constitutionality of laws are not only conventional statutes, but also substantial statutes such as emergency orders, financial, economic orders, and ratified treaties which the National Assembly had consented to. There is also opinion that even the constitution articles are also included. a) Constitution Articles Among the articles in the Constitution, there are articles which have constitutional meanings and are not the main core of the Constitution. When these articles are in violation with the core articles, there exists controversy as to whether an adjudication on the constitutionality of laws is possible, and although some hold affirmative opinions, the Constitutional Court does not7. b) Emergency Order, Financial, Economical Emergency Order Since emergency orders and financial, economical emergency orders have the same effect as statutes as long as they obtain the consent of the National Assembly, they are also subjects to adjudication on constitutionality of laws.
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c) Non-performance of Legislation Whether to enact a law is purely the discretion of the legislator, the National Assembly. However, when the Constitution clearly states that certain legislation measures are to be taken, or when according to the analysis of the Constitution a certain legislation needs to take place but is not performed, this kind of nonperformance is considered unconstitutional. Non-performance of legislation is divided into two categories, real non-performance of legislation and surreal non-performance of legislation. In the former case, the party can file a constitutional complaint for the non-performance itself. But since the adjudication of constitutionality of law is only for statutes and laws, the real non-performance of legislation cannot be the subject. As for the latter case, the Constitutional court finds that “the surreal non-performance of legislation itself cannot be subject to an adjudication”8. In this case, the incomplete law itself can be considered for an adjudication. d) Repealed Statutes and Amended Articles Statutes that are the subject matters of adjudication on the constitutionality of laws are currently binding statutes. But even for repealed statutes and amended articles, if the constitutionality needs to be decided upon for the protection of citizens’ rights, then they also become subject matters of adjudication. e) Treaties There is controversy as to whether treaties that are ratified and consented by the National Assembly are subject to adjudication on the constitutionality of laws. Opposing opinions recognize the ruling characteristic of concluding a treaty, the effect an unconstitutionality ruling would have on international relations, and the fact that there exists no relevant article. However, treaties have the same effect as internal statutes, and are only positioned lower in hierarchy to the Constitution, and are therefore subject to adjudication on the constitutionality of laws. f) Prior Preventive Adjudication on the Constitutionality The term ‘statutes’ refers to those passed by the National Assembly, promulgated by the President, and currently enforced. Before statutes are enforced, they cannot be considered to be relevant to the trial. However, if the statute is expected to make infringements on the basic rights of the people, there is a ___________ 8
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precedent of the Constitutional Court that acknowledges an adjudication on the constitutionality of law is possible even before the statute is enforced.
3. Conditions of Adjudication on Constitutionality of Laws For general requirements of adjudication on constitutionality of laws, there needs to be a request for adjudication (conventional condition) and also the law needs to be relevant to the trial (substantial condition). Other opinions require a need for judgment or unconstitutionality of the law.
4. Adjudication on Constitutionality of Laws Upon the request of the court for an adjudication on constitutionality of laws, “the Constitutional Court shall decide only whether or not the requested statute or any provision of the statute is unconstitutional. Provided, That if it is deemed that the whole provisions of the statue are unable to enforce due to a decision of unconstitutionality of the requested provision, a decision of unconstitutionality may be made on the whole statute” (Constitutional Court Act Article 45)9. For an adjudication on constitutionality of law, there needs to be the consent of six or more justices among the total nine.
5. Delivery of the Final Decision of the Adjudication of Constitutionality of Laws Upon making a final decision, a written decision stating the following matters shall be prepared, signed and sealed by all the Justices participating in the adjudication: number and title of the case, indication of the parties and persons who pursue the proceeding for them or their counsels, hold, rational and the date of decision (Constitutional Court Act Article 36 Clause 2). Any Justice who participates in an adjudication on the constitutionality of statutes, competence dispute or constitutional compliant, shall express his opinion on the written decision (Clause 3). When a final decision is pronounced, the clerk shall prepare without delay an authentic copy of the written decision and serve it to the parties (Clause 4). The final decision shall be made public through publication in the Gazette of the government (Clause 4).
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94 Hunba 1, December 26, 1996.
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IV. The Types of Decisions of Adjudication on Constitutionality of Laws and Their Effects 1. Definition There is no sufficient article within the Constitutional Court Act that mentions the types of decisions of adjudication on the constitutionality of law. The Constitutional Court shall decide only whether or not the requested statute or any provision of the statute is unconstitutional. Provided, That if it is deemed that the whole statue becomes unable to enforce due to a decision of unconstitutionality of the requested provision, a decision of unconstitutionality may be made on the whole statute” (Constitutional Court Act Article 45). There is no controversy in recognizing the fact that two constitutional decision types exist(constitutional or unconstitutional), but there is controversy in recognizing whether there is another middle ground between the two decision types such as a modified decision type, or in what form the decision order should be given. The categories of the decision types differ slightly between the professors and the Constitutional Court. In the casebook of the Constitutional Court, the decisions are categorized into dismissed by small benches, constitutional, declaration of non-unconstitutional, modified, unconstitutional, unconstitutional in certain context. Modified decision types are categorized into unconformable to constitution, constitutional in certain context, urging legislation, unconstitutional in certain context. Since the decision of dismissed by small benches is a decision made before the Constitutional Court decides upon the constitutionality of law during the main judgment, generally the decisions which are most at issue are constitutional, unconstitutional, and modified decision types. Constitutional decisions are further categorized into simple constitutional decision and declaration on non-unconstitutional decision. Apart from the simple unconstitutional decision, unconstitutional decisions are types of modified decision and will be covered under this subject.
2. Order and Form of Consent a) Choosing the Form of Order When the Constitutional Court decides upon the constitutionality of laws, it is the general rule to make simple unconstitutional decisions or simple constitutional decisions, and modified decisions are to be made exceptionally. However, too many modified decisions were made during the past few years, and the lack of unity among the orders have constantly become the subject of criticism.
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Also, the Constitutional Court Act does not have any articles designating the form of decision orders. On this topic, the Constitutional Court ruled that it uses it’s discretion to decide upon the form of order10. b) Form of Consent When the Constitutional Court makes a decision, it does not follow the form of decision by topic, but the form of decision by order. The minority opinion of the court has shown this to be true in its decisions11.
3. Decision to Dismiss the Request for Adjudication on the Constitutionality of Law For reasons that the conditions of the request for adjudication on the constitutionality of law have not been met, the Constitutional Court ruled in its order that “this case is dismissed”. The required conditions that were not met were the subject matter not being that of the request for adjudication, and the lack of relevance at trial. 4. Constitutional Decision a) Simple Constitutional Decision When the Constitutional Court judges the constitutionality of a certain law or statute and can not find any unconstitutionality, the Court makes a decision that the law or statute is “not unconstitutional”, and makes a constitutional decision. b) Declaration of Non-constitutional Decision In accordance to the Constitution article that requires more than six of the justices’ consent to make an unconstitutional decision, although there may exist a majority consenting opinion, there is a case in which the unconstitutional decision cannot be reached due to a lack of the required number. This is when the declaration on non-constitutional decision is reached. In other words, among the nine justices, five of the justices decide that the law is unconstitutional, while four justices decide that the law is constitutional. The form of the decision order is “the law cannot be declared unconstitutional”. The declaration on non-
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constitutional decision is legally the same as the simple constitutional decision, and is considered to be a part of the constitutional decision. Despite of the fact that the majority of justices consider the law unconstitutional, the declaration on non-constitutional decision is legally the same as the simple constitutional decision. Therefore it can be considered as positive considering the legal stability and constitutional analysis of the law. However, the majority justices’ unconstitutional opinion shall be considered in future legislative process of the legislators, and this is where the constitutional meaning of the declaration on non-constitutional decision comes into effect. Recently, the Constitutional Court has given up using the term of declaration on non-constitutional decision and instead rules the simple constitutional decision. Although the substantial legal effect is the same, in my opinion, the obvious difference between the two decisions must be shown. According to the rule of democracy and majority, the fact that the majority of justices are of the unconstitutional opinion needs to be sufficiently considered by the legislators in the future. This is why apart from the substantial effect of the declaration on nonconstitutional decision, the decision needs to be set apart from other decisions and be respected. 5. Unconstitutional Decision a) Form of Order When the Constitutional Court makes a decision of the constitutionality of a law, the concurrence of six justices shall be required (Article 113 Clause 1). Simple unconstitutional decision rules that “the law violates the Constitution”. b) The Range of the Unconstitutional Decision The Constitutional Court shall decide only whether or not the requested statute or any provision of the statute is unconstitutional. Provided, that if it is deemed that due to a decision of unconstitutionality of the requested provision, all provisions of the statue are unable to enforce a decision of unconstitutionality may be made on the whole statute (Constitutional Court Act Article 45). There is also an example in which the Constitutional Court ruled an unconstitutional decision for a provision that was not requested for an adjudication on the constitutionality.
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c) Effect of the Unconstitutional Decision aa) Conclusiveness The provisions of the laws and regulations relating to the civil litigation shall apply mutatis mutandis to the procedure for adjudication of the Constitutional Court. According to the Constitutional Court Act Article 39, the Constitutional Court shall not repeatedly adjudicate the same case on which a prior adjudication has already been made. Therefore, just like the decisions of ordinary courts, the Constitutional Court decisions are also conclusive. The Constitutional Court cannot withdraw nor modify the decision that it has made in the past, nor can the parties oppose the final decision, and nor can the Constitutional Court make a decision that is contrary to it’s decision in the past.
bb) General Effect and Legal Effect Any statute or provision thereof decided as unconstitutional shall lose its effect from the day on which the decision is made (Constitutional Court Act Article 47 Clause 2). It is the general rule of the detailed control of statutes to refuse the application of the unconstitutional law, but the current law also grants general effects along with the detailed control of statutes. Due to the general effects, the unconstitutional statute loses its effect and no one can use the unconstitutional law as a basis to argue the validity of the law. This not only affects the relevant parties and government agencies, but also the general public as well. In this regard, the unconstitutional decision can be said to have legal effects.
cc) Binding-ness Any decision that statutes are unconstitutional shall bind the ordinary courts, other state agencies and local governments (Constitutional Court Act Article 47 Clause 1). This binding-ness also affects the Constitutional Court, and the Court is not allowed to modify the decisions that it has already made. However, there is controversy as to whether an appeal can be made to the decisions of the Constitutional Court because there is no substantial law on this topic. The Constitutional Court ruled that for constitutional complaints requesting for adjudication on constitutionality of laws (Article 68 Clause 2), an appeal cannot be allowed, but
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in other cases (Article 68 Clause 1), an appeal can be allowed when there exists “a grave and clear illegality”12.
dd) Effective Period of the Unconstitutional Decision Any statute or provision thereof decided as unconstitutional shall lose its effect from the day on which the decision is made. Provided that the statutes or provisions there of relating to criminal penalties shall lose their effect retroactively (Constitutional Court Act Article 47 Clause 2). The provisory clause cannot be seen as an authoritative one just because it makes the unconstitutional clause’s effect retroactive. In case referred to in the provison of clause 2, the retrial may be allowed with respect to a conviction based on the statutes or provisions thereof decided as unconstitutional (Clause 3). The provisions of the Criminal Procedure Act shall apply mutates mutandis to the retrial as referred in clause 313.
6. Modified Decisions a) Definition Ordinarily, the Constitutional Court rules simple constitutional or simple unconstitutional decisions, but at times for reasons such as respecting the legislative rights of the National Assembly, securing the legal community, overcoming the confusing situation of legal gap and complicated constitutional situation, the Court needs to act flexibly and rule modified decisions. The many versions of modified decisions are; unconformable, request for legislation, constitutional limitedly, unconstitutional limitedly, unconstitutional partly, unconstitutional for application et cetera. The points at issue for modified decisions are not only whether they could be allowed or not but also the form and structure of it. Although considering the characteristics of the Constitutional Court modified decisions are inevitable, they must be ruled on a minimum level.
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2001 Hunah 3, September, 27, 2001. 92 Hunga 10, May 13, 1993.
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b) Unconformable Decision aa) Definition Even though there exists some unconstitutionality to a statute, in order to respect the legislative right of the National Assembly and to overcome the legal gap that would occur if the effect of the unconstitutional decision was immediate, the unconformable decision is ruled, and the effect of the statute is maintained for a certain amount of time. The ruling order of the unconformable decision is “the law does no conform to the Constitution”, and generally “the statute does not lose its effect until the legislator makes an amendment”14. bb) Scope of the Unconformable Decision The Constitutional Court can rule an unconformable decision for a whole statute, but can also rule for parts of a statute. Also there exists a case in which an unconformable decision was ruled because of an amendment of a statute. cc) Effect of the Unconformable Decision Just like the unconstitutional decision, the unconformable decision also has conclusiveness and legal effect. First, temporary sustaining of the effect and obligation to make amendments: Unlike unconstitutional decisions, when an unconformable decision is ruled, the statute still conventionally exists for a certain period of time. Therefore the actions based upon the unconformable statutes still exist as a flawless action during this time. The nature of the unconformable decision is to respect the legislative rights of the legislator and let the legislator maintain the constitutionality of the statute. This bestows upon the legislator the obligations to make amendments to the statute. Second, the suspension of the application and procedure of the law: Originally, for unconformable decisions, the statute at issue is not applicable anymore, and all the procedures of similar cases in courts and administrative agencies need to be suspended. This is because if the law is still applied, the unconstitutional scope of the law could be enlarged, and this will be against the rule of law. For simple unconstitutional decisions, the procedure is not suspended but is rather proceeded with the decision of the Constitutional Court, and this is what differentiates it from unconformable decisions. Since unconformable decisions are unconstitutional decisions in nature and have retrospective effects, the scope of the decision is the same as that of simple unconstitutional decisions. ___________ 14
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However, the definition and content cannot be the same. In other words, for unconstitutional decisions, the retrospective effect that is reflected upon on the relevant case will make the court to rule that the article is invalid, but for unconformable decisions (except for the ones that temporary application has been ordered), for the cases which are retrospectively affected, the decision of the legislator must be awaited for, and then the court’s ruling occurs. This is somewhat fair because it is the nature of unconformable decisions to authorize the legislator to create a constitutional situation. Third, exceptional temporary application: Even though a certain law is conventionally still existent but the application is suspended, it is because it is in accordance with the rule of superiority of the Constitution, and it is for maximizing the security of law and right of legislation. However, there a legal gap could occur that couldn’t be overcome by the unconformable decision and suspension of application. In this case, the exceptional temporary application of the law can be allowed. When an unconstitutional situation does not arise in which a typical statute is temporary applied due to an unconstitutional decision, there could exist a possibility in which the unconstitutional statute needs to be temporarily applied until the legislator amend the statute. This time period allows the Constitutional Court to prevent the confusion and overcome the legal gap. c) Decision Requesting Legislation For decisions requesting legislation, although at the time of decision the law is constitutional, there is a possibility of the law to be unconstitutional in the future. This is why this particular decision requests the legislator to later amend the law or supplement the law. d) Limited Constitutional Decision aa) Definition This decision refers to the case in which although the law partially includes unconstitutional areas, the law is interpreted in a constitutional way. The decision order is “[…] as long it is interpreted in such a way, the law is not unconstitutional.” However because of this decision, the securing of rights might be overlooked, and therefore this type of decision should be ruled with caution. bb) Allowed Limit of Constitutional Analysis of the Law “The constitutional analysis of the law has its basis on the Constitution’s characteristic of being the top standard of rule and unity of the rule of law. When a law can be analyzed as being constitutional, it cannot be decided as be-
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ing unconstitutional and this has its roots in respecting the legislative rights and the division of power. Therefore ordinarily it is suitable to analyze the law as being constitutional as much as possible, but the analysis must also conform to the purpose of the law. In other words, the wording of the law must not be modified into something completely different. Also, the clear intention of the legislator in drawing up the statute, along with the purpose of the law in which the law cannot be interpreted in a wrongful way are also other limits to the analysis. This is because to deviate from this constitutional analysis results in infringement of the legislative rights of the legislator”15. cc) Nature of Limited Constitutional Decision The Constitutional Court interprets “limited constitutional decision as being partially unconstitutional in quality”16. dd) Decision Order of Limited Constitutional Decision The Constitutional Court rules that the purpose of the limited constitutional decision needs to be shown not only in the decision reasons, but also in the decision order. e) Limited Unconstitutional Decision The fact that the law at issue is analyzed in a constitutional way is the same as the limited constitutional decision, but the limited unconstitutional decision cannot be overly analyzed into something unconstitutional. The decision order is “[…] as long as it is interpreted in such a way, the law can be unconstitutional.”17. f) Partial Unconstitutional Decision Among unconstitutional decisions, there could be a case in which the whole article of a law is not decided as being unconstitutional, but is rather partially unconstitutional. The subject of the partially invalid can be a whole article of the law, or it could also be a specific part of the article, or it could be part of a clause.
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88 Hunga 5, July 14, 1989. 89 Hunga 104, February 25, 1992. 17 90 Hunga 23, June 26, 1992. 16
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There are two types of partial unconstitutional decisions18, quantity partial unconstitutional decisions in which parts of an article of the unconstitutionally proclaimed law is deleted and quality partial unconstitutional decisions19. g) Binding-ness of the Modified Decisions While Germany’s Federal Constitutional Court acknowledges the bindingness of the ‘Constitutional Courts Decisions’, our Constitutional Court Act Article 47 Clause 1 only prescribes “any decision that statutes are unconstitutional shall bind the ordinary courts, other state agencies and local governments”, and therefore there is controversy as to whether modified decisions can be allowed, or whether there is any binding-ness to the modified decisions. In respect to the special characteristic of the constitutional decisions, modified decisions themselves have to be allowed. The opinion of the Supreme Court concerning this matter in which the court sees the limited unconstitutional decision as a simple expression of opinion and ignores the decision should be corrected. The misunderstanding and complications construed between the Supreme Court and the Constitutional Court has contributed greatly to the Constitutional Court Act, especially since the management of the Constitutional Court system is lacking in experience. In the future, there is a need to prescribe an article pertaining to the modified decision and its effect.
7. Conclusion Although the decision forms of the Constitutional Court reflects its special characteristic, excessive rulings of modified decisions will eventually bring about avoidance of constitutional trials, unfairness of the judicial system, lack of objectivity in constitutional analysis, and this can cause the downfall of the constitutional decision’s reliance and authority. Therefore precaution must be taken when modified decisions are ruled. Considering the fact that modified decisions such as limited constitutional decisions or limited unconstitutional decisions is recently indifferently treated by the court, the Constitutional Court must put in an effort to remove such worries.
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92 Hunma 82, April 14, 1992. 89 Hunga 97, May 13, 1991.
Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht Von Andreas Voßkuhle
I. Die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle als Vollendung des Verfassungsstaates Die Einsetzung des Bundesverfassungsgerichts als Kontrollinstanz für den Gesetzgeber ist die logische Konsequenz und zugleich die Vollendung des Verfassungsstaates1. Soll die Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) und namentlich an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) auf Dauer wirksam bleiben, muss eine Institution geschaffen werden, die über die Einhaltung der formellen und materiellen Vorgaben der Verfassung wacht. Wenngleich aus historischer und rechtsvergleichender Sicht verschiedene Wege der Verfassungssicherung denkbar sind (z.B. durch ein allgemeines Prüfungs- und Verwerfungsrecht des Staatsoberhaupts oder eine Selbstkontrolle des Parlaments)2, liegt es im gewaltenteilenden Staat nahe, ein Gericht mit dieser einflussreichen Aufgabe zu betrauen3. Die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der dort tätigen Richter und eine justizförmige Ausgestaltung des Verfahrens bieten nach aller Erfahrung die überzeugendste Gewähr für eine am Recht orientierte und von verdeckten politischen Einflüssen weitgehend freie ___________ 1
Zur historischen Entwicklung vgl. zuletzt Hoffmann-Riem, Das Ringen um die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle in den USA und Europa, JZ 2003, 269 ff. m.w.N. 2 Vgl. auch die modellhafte Betrachtung bei Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit: Strukturfragen, Organisation, Legitimation, in: ders., Staat, Nation, Europa, 1999, S. 157, 158 ff., sowie Höffe, Wie viel Politik ist dem Verfassungsgericht erlaubt?, Der Staat 38 (1999), 171, 172, dem zufolge die Verfassungsgerichtsbarkeit keineswegs selbstverständlicher Bestandteil der westlichen Rechtstradition sei, weil der demokratische Verfassungsstaat auf zwei Pfeilern ruhe: Nicht nur auf der Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern auch auf dem demokratischen Gesetzgeber. 3 Die rechtslogische Notwendigkeit einer Verfassungsgerichtsbarkeit als Konsequenz einer vorrangigen und maßstäblichen Verfassung ist im Anschluss an die Stufenlehre von Adolf Merkl insbes. von Hans Kelsen herausgearbeitet worden, vgl. ders., Allgemeine Staatslehre, 1966 (1925), S. 233 f., 285 ff.; ders., Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), S. 30 ff.; ders., Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Die Justiz 6 (1930/31), 576 ff. Vgl. dazu auch Korinek, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, VVDStRL 39 (1981), S. 7, 11 ff.
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Entscheidung, die auch auf größtmögliche Akzeptanz unter den Beteiligten und innerhalb der Bevölkerung hoffen darf, ohne von dieser unmittelbar abhängig zu sein4. Verfahrensrechtlich bestehen in Deutschland bekanntlich verschiedene Möglichkeiten, ein Parlamentsgesetz der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen. Direkte Wege bieten das abstrakte und konkrete Normenkontrollverfahren sowie die Verfassungsbeschwerde. Aber auch im Rahmen eines Organstreitoder Bund-Länder-Streit-Verfahrens kann es zur Überprüfung eines Gesetzes am Maßstab der Verfassung kommen. Zwar sind jeweils gewisse verfahrensrechtliche Hürden zu überwinden, die eigentlichen Probleme der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle liegen aber nicht im Bereich des Zugangs zum Bundesverfassungsgericht. Es ist die strukturell unauflösbare Spannungslage zwischen richterlicher Herrschaftsgewalt und gesetzgeberischer Gestaltungsaufgabe, die Praxis und Wissenschaft seit jeher beschäftigen. Fünf neuralgische Problemfelder möchte ich im Folgenden näher beleuchten.
II. Fünf neuralgische Problemfelder 1. Der offene Kontrollmaßstab der Verfassung Angesichts der starken Konkretisierungsbedürftigkeit der Verfassung gerade im Grundrechtsteil stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, wie sich die Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts eingrenzen lässt. Nach der herkömmlichen Betrachtungsweise hängen Umfang und Reichweite der verfassungsgerichtlichen Überprüfung ausschließlich vom jeweils einschlägigen verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs ab5. Denn „allein dort, wo verfassungsrechtliche Maßstäbe […] normiert sind, kann das Bundesverfassungsgericht ihrer Verletzung entgegentreten“6. Ob und inwieweit die Verfassung eine materielle Aussage enthält, muss vor diesem Hintergrund durch Auslegung ermittelt werden. Aufgrund seiner Interpretationsmacht hat es das Bundesver___________ 4
Deutlich statt vieler Helmut Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Benda u.a. (Hg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1994, § 34 Rn. 43. 5 So insbes. Christoph Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1985, S. 144; Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit, 1992, S. 37 ff. 6 BVerfGE 62, 1, 51 (Hervorh. im Original). Vgl. auch BVerfGE 67, 256, 289; 68, 1, 97; 72, 330, 390.
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fassungsgericht daher letztlich weitgehend selbst in der Hand, durch Ausweitung oder Verengung des Kontrollmaßstabs seine Kompetenz zu bestimmen7. Seit den 70er Jahren8 bemüht man sich daher verstärkt, funktionell-rechtliche Überlegungen für die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit ins Feld zu führen und den „Zusammenhang von materiellem Verfassungsrecht und verfassungsrechtlicher Funktionenordnung“9 fruchtbar zu machen10. Aus funktionellrechtlicher Sicht ist dasjenige Organ für eine bestimmte Aufgabe legitimiert, das ausgehend vom arbeitsteiligen Funktionsgefüge des Grundgesetzes von seinem gesamten Leistungsprofil her der zu treffenden Entscheidung „strukturell am nächsten“ steht11 und zu ihrer Bewältigung am besten in der Lage erscheint. Ziel ist eine sachgemäße, effiziente Rollenverteilung zwischen den Staatsorganen, wobei nicht so sehr auf das Endprodukt (Gesetz, Exekutivakt, Urteil) abzustellen ist, sondern auf den Entscheidungsprozeß, mithin das Verfahren und seine spezifische Ausgestaltung durch die Verfassung12. Entscheidender Ausgangspunkt für die Bestimmung der Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts ist danach seine Stellung als spezifisches Fachgericht für Verfassungsfragen und die Entscheidungsfindung in einem justiziellen, „neutralen“ Verfahren. Beispiele für eine funktionell-rechtliche Betrachtungsweise sind im vorliegenden Zusammenhang etwa die Differenzierung zwischen Handlungs- und Kontrollmaß___________ 7 So auch Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht: Stellung, Verfahren, Entscheidung, 6. Aufl., 2004, Rn. 14, 506: „Das BVerfG hat insofern faktisch (nicht rechtlich) die Kompetenz-Kompetenz.“ 8 Maßgeblich angestoßen durch Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), S. 53, 73, der den Begriff der „funktionell-rechtlichen Interpretationsprinzipien“ einführte. 9 Gunnar Folke Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980, S. 1. Vgl. speziell zur Verfassungsbeschwerde auch Arno Scherzberg, Grundrechtsschutz und Eingriffsintensität, 1989, S. 135 ff. 10 Aus der umfangreichen Lit. vgl. etwa Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gewaltenteilung, NJW 1980, 2103; Konrad Hesse, Funktionelle Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders., Ausgewählte Schriften, 1984, S. 311; Rudolf Dolzer, Die staatstheoretische und staatsrechtliche Stellung des Bundesverfassungsgerichts, 1972, S. 68 ff.; Schuppert, Verfassungsinterpretation (Fn. 9); ders., Self-restraints der Rechtssprechung, DVBl. 1988, 1191 ff.; Scherzberg, Wertkonflikte vor dem Bundesverfassungsgericht – zur Bewältigung politisch-moralischer Streitfragen im Verfassungsprozeß, DVBl. 1999, 356, 362 f. Eingehend jüngst wieder Nina-Luisa Siedler, Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht, 1999. 11 Alfred Rinken, in: Denninger u.a. (Hg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, Stand: August 2002, vor Art. 93 Rn. 99. 12 Erste Ansätze zu einer solchen funktionell-prozeduralen Sichtweise der Funktionenordnung in BVerfGE 49, 89, 129 f.; 68, 1, 86. Grundlegend ausgearbeitet ist dieser Ansatz erstmals bei Gerhard Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation: Gewaltenteilung in der Ordnung des Grundgesetzes, 1979. Aus jüngerer Zeit vgl. Andreas Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, 1993, S. 94 ff. m.w.N. in § 5 Fn. 169, 421, 447.
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stab13, die abgestufte Intensität der Kontrolle von Prognosen im Rahmen der Normenkontrolle (dazu unter 2.)14 und die nicht geregelten verfassungsgerichtlichen Befugnisse beim Entscheidungsausspruch (dazu noch unter 4. und 5.). Freilich kann auch der funktionell-rechtliche Ansatz seine Schwächen kaum verbergen15. Die mit ihm angestrebte Gesamtschau ermöglicht es, je nach Bedarf ganz unterschiedliche Aspekte des Kompetenzgefüges in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken, ohne sich auf konkrete, verbindliche Maßstäbe für die Abgrenzung der Aufgaben der Verfassungsgerichtsbarkeit von denen anderer Hoheitsträger festlegen zu müssen. Seine Vorzüge liegen insofern weniger in seiner – durchaus intendierten16 – handlungsanleitenden Kraft als in seinem theoretischen Erklärungs- und Begründungspotential. Letztlich wird man daher beide Ansätze kombinieren müssen: Weder lässt sich die Auslegung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstäbe ohne Blick auf die justizielle Entscheidungsstruktur des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, sein spezielles Leistungsprofil und die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Funktionengefüge des Grundgesetzes bewältigen, noch vermag eine funktionell-rechtliche Betrachtungsweise die an juristischen Rationalitätsansprüchen orientierte, methodisch geleitete Konkretisierungsarbeit in Bezug auf die materiellen Aussagen der Verfassung zu ersetzen. Es wäre indes verfehlt, insoweit von einem in sich geschlossenen Lösungskonzept zu sprechen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit ein „offenes System“ von unterschiedlichen Entscheidungsregeln, Argumentationsmustern, Rechtsfiguren und Prozeduren entwickelt17, das es flexibel und einzelfall___________ 13 Nach dieser auf James Goldschmidt (Der Prozeß als Rechtslage, 1925, S. 227 ff.) zurückgehenden Unterscheidung kann dieselbe Norm ein Organ stärker binden als ein anderes Organ, so dass staatliche Rechtsbindungen und gerichtliche Kontrollkompetenz divergieren können, vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 439, 569; Scherzberg, Grundrechtsschutz (Fn. 9), S. 19 f., 121 ff. Kritisch: Heun, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 5), S. 46 ff.; Karl-E. Hain, Die Grundsätze des Grundgesetzes, 1999, S. 31 f. 14 Vgl. Hesse, Grenzen (Fn. 10), S. 311, 318; Marius Raabe, Grundrechtsschutz und gesetzgeberischer Einschätzungsspielraum: Ein Konstruktionsvorschlag, in: Grabenwarter u.a. (Hg.), Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, 1994, S. 83, 86 f. 15 Kritisch z.B. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 29 (1990), 1, 26 f.; und zuletzt wieder eingehend Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, insbes. S. 173 ff., 201 ff. m.w.N. 16 Vgl. Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 10), S. 2104. 17 So zutreffend Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 10), S. 2103; Fritz Ossenbühl, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, in: Badura (Hg.), Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, Symposion aus Anlass des 70. Geburtstages von Peter Lerche, 1998, S. 75, 96; Herbert Bethge, in: Maunz u.a., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: Sept. 2003, Vorb. Rn. 175.
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bezogen18 handhabt19. Aufgabe der Wissenschaft bleibt es, hier weiter zur Vereinheitlichung, Übersichtlichkeit und inneren Konsistenz beizutragen.
2. Wer entscheidet über die „soziale Wirklichkeit“? Zur Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und Prognosen Der zweite Punkt, der hier angesprochen werden soll, betrifft die Entscheidungsgrundlage. Jede Überprüfung eines Gesetzes basiert auf tatsächlichen Prämissen, mithin auf einer bestimmten Konstruktion der sozialen Wirklichkeit. Schränkt der Gesetzgeber z. B. ein Grundrecht ein, basiert die durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geforderte Prüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des Gesetzes immer auf mehr oder weniger empirisch abgesicherten Annahmen über seine zukünftigen Auswirkungen20. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass ein vollständiger Verzicht auf die Kontrolle solcher Prognosen die Normenkontrolle in weiten Bereichen leer laufen lassen würde, andererseits aufwendige Folgenabschätzungen über komplexe Sachverhalte in einem strukturell selektiv angelegten gerichtlichen Verfahren regelmäßig kaum besser bewerkstelligt werden können als in einem offenen parlamentarischen Verfahren, hat sich das Bundesverfassungsgericht für einen differenzierten Lösungsweg entschieden21. Es behält sich zwar im Grundsatz eine Kontrolle vor, räumt dem Gesetzgeber aber bei den zu treffenden Wahrscheinlichkeitsurteilen eine Einschätzungsprärogative ein22. Die Prüfungsdichte variiert dabei je nach „Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf dem Spiele stehenden Rechtsgüter […] von einer Evidenzkontrolle […] über eine Vertretbarkeitskontrolle […] bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle“23. ___________ 18 Betonung des Spielraums z.B. in BVerfGE 18, 85, 93; 54, 129, 135; 60, 79, 91; 61, 1, 6. 19 So Andreas Voßkuhle, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, 2001, Art. 93 Rn. 42 m.w.N. 20 Beispiele für Tatsachenwürdigungen in der Verhältnismäßigkeitsprüfung: BVerfGE 81, 156, 188 ff.; 93, 362, 369 ff. 21 Vgl. auch die Analyse von Brun-Otto Bryde, Tatsachenfeststellungen und soziale Wirklichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Badura/Dreier (Hg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. I, 2001, S. 533, 557 ff. m.w.N. 22 Vgl. BVerfGE 77, 84, 106; 82, 126, 151 f.; 92, 365, 366, 396; 94, 115; 95, 267, 314; 97, 169, 181; 99, 341, 354 („Beurteilungsspielraum bei komplexen Sachverhalten“); 99, 367, 389 f. („Prognosespielraum“). 23 BVerfGE 50, 290, 332 f. Während das zweite Kriterium unverkennbar einer funktionsorientierten Betrachtungsweise entspringt, beziehen sich die anderen beiden eher auf das materielle Recht, vgl. Christian Rau, Selbstentwickelte Grenzen in der Rechtsprechung des United States Supreme Court und des Bundesverfassungsgerichts, 1996,
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Ob sich aus dieser im Mitbestimmungsurteil erstmals aufgestellten Stufenfolge tatsächlich „drei voneinander unterscheidbare Kontrollmaßstäbe herleiten lassen“24 und nach welchem erkenntnisleitenden Kriterium diese drei Maßstäbe dem jeweiligen Fall zugeordnet werden können, erscheint indessen fraglich. Eher handelt es sich um „Markierungen innerhalb einer gleitenden Skala“25. In den allermeisten Fällen wird man von dem Gesetzgeber daher nicht mehr verlangen können als die Nachvollziehbarkeit seiner Prognose26. Erweist sich die gesetzgeberische Prognose jedoch im Nachhinein als fehlerhaft, muss der Gesetzgeber (innerhalb einer bestimmten Frist)27 nachbessern28. De lege ferenda wäre insofern eine Wiedervorlage der Sache nach einer bestimmten Frist zu erwägen. Der Gesetzgeber müsste hier darlegen, dass seine Prognosen im Wesentlichen zutreffend waren. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, bestünde die Befugnis des Gerichts, das Gesetz jetzt für nichtig zu erklären.
3. Schuldet der Gesetzgeber mehr als das Gesetz? Zur Kontrolle der „Methodik“ der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung Eng verknüpft mit dem Problem der Kontrolle gesetzgeberischer Prognosen ist die Frage der Kontrolle der Art und Weise der gesetzgeberischen Entscheidungsfindung jenseits der formellen Vorgaben der Art. 76 ff. GG. Will das Bundesverfassungsgericht seine eigene Bewertung der Auswirkungen eines Gesetzes nicht einfach an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen, besteht als Alternative die Möglichkeit, den parlamentarischen Prozess als solchen einer näheren Prüfung zu unterziehen. Nicht von ungefähr greift das Gericht daher in der Praxis immer häufiger bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes auf Vorgänge während des Gesetzgebungsverfahrens zurück, etwa ___________ S. 232 f.; differenzierende Analyse der Argumentation bei Raabe, Grundrechtsschutz (Fn. 14), S. 83, 86 ff. m.w.N. Ausschließlich auf materielle Kriterien abstellend dagegen z. B. Heun, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 5), S. 37 ff.; Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 537. 24 Relativierend BVerfGE 88, 203, 262. 25 Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 536. 26 Als Beispiele für eine intensivere Kontrolle nennt BVerfGE 55, 290, 333: BVerfGE 7, 377, 415 – Apothekenurteil; BVerfGE 17, 269, 276 ff. – Arzneimittelgesetz; BVerfGE 39, 1, 46, 51 ff. – Schwangerschaftsabbruch I; BVerfGE 45, 187, 238 – Lebenslange Freiheitsstrafe. Vgl. ferner BVerfGE 71, 364, 384 – Versorgungsausgleich; BVerfGE 88, 87, 97 – Transsexuellen-Gesetz. 27 Vgl. BVerfGE 87, 1, 40 f.; 89, 15, 27. 28 Vgl. grundlegend BVerfGE 34, 9, 44, st. Rspr.; vgl. auch BVerfGE 99, 341, 354. Zur Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers vgl. ausführlich Werner Bernd, Legislative Prognosen und Nachbesserungspflichten, 1989; Matthias Kleuker, Gesetzgebungsaufträge des Bundesverfassungsgerichts, 1993; Christian Mayer, Die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, 1996.
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wenn es danach fragt, ob der Gesetzgeber „die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen“ ausgeschöpft hat29 oder eine ausreichende Begründung vorliegt30. Von hier aus ist der Weg zu einer „optimale[n] Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht“ nicht mehr weit31. Woraus sich eine solche Pflicht angesichts der äußerst präzisen parlamentarischen Verfahrensregelungen im Grundgesetz ergeben soll und vor allem, wie sie näher zu konturieren ist32, ist jedoch nicht klar ersichtlich. Der auf den ersten Blick vielleicht nahe liegende Gedanke des Grundrechtsschutzes durch Verfahren33 hilft hier jedenfalls nur sehr begrenzt weiter. Er zielt auf die Steigerung der Rationalität von Erkenntnisverfahren, die wie das gerichtliche Verfahren oder das Verwaltungsverfahren auf ein optimales Ergebnis hin angelegt sind. Das Gesetzgebungsverfahren ist dagegen primär als offenes Entscheidungsverfahren konzipiert; Widersprüchlichkeiten und politische Machteinflüsse gehören ebenso zu seinen Eigenarten wie Emotionen und taktische Erwägungen. Folglich schuldet der Gesetzgeber tatsächlich von Verfassungs wegen zunächst einmal nicht mehr als ein wirksames Gesetz34.
___________ 29 BVerfGE 65, 1, 55 f. Vgl. ferner z.B. BVerfGE 50, 290, 334; 94, 115, 157 (SV Limbach); 95, 1, 23. 30 Vgl. BVerfGE 72, 330, 405 – Finanzausgleich; BVerfGE 79, 311, 343 – Staatsverschuldung; BVerfGE 86, 90, 110 – Gemeindeneugliederung. Ablehnend gegenüber einer Begründungspflicht dagegen BVerfGE 88, 148, 212. 31 Vgl. Gunther Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, in: Stödter u.a. (Hg.), Hamburg, Deutschland, Europa: Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hans Peter Ipsen zum 70. Geburtstag, 1977, S. 173 ff.; Breuer, Legislative und administrative Prognoseentscheidungen, Der Staat 16 (1977); Brun-Otto Bryde Verfassungsentwicklung, 1982, S. 327 f.; Axel Burghart, Die Pflicht zum guten Gesetz, 1996, S. 201 f., 206; Hans-Joachim Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, 1997, S. 326 ff. (einschränkend S. 335). Speziell zur Begründungspflicht des Gesetzgebers vgl. Jörg Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, S. 11, 33, 63, 138, 214; Ernst Gottfried Mahrenholz, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, in: Badura (Hg.), Symposion Lerche (Fn. 17), S. 23, 32 f. 32 Ist z. B. ein Gesetz deshalb verfassungswidrig, weil eine betroffene Gruppe nicht angehört wurde? Ablehnend BVerfGE 36, 321, 330. 33 Vgl. BVerfGE 24, 367, 401 f.; 33, 303, 345; 53, 30, 65; 65, 76, 93 ff.; 94, 166, 200. 34 So zuletzt wieder Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, in: Badura/Dreier (Hg.), FS 50 Jahre BVerfG (Fn. 21), Bd. I, S. 33, 50. Deutlich auch Willi Geiger, Gegenwartsprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit aus deutscher Sicht, in: Berberich u.a. (Hg.), Neue Entwicklungen im öffentlichen Recht, 1979, S. 131, 141: „Der Gesetzgeber schuldet den Verfassungsorganen und Organen im Staat, auch den Verfassungsgerichten, nichts als das Gesetz. Er schuldet ihnen weder eine Begründung noch gar die Darlegung aller seiner Motive, Erwägungen und Abwägungen.“ Zustimmend: Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 542; Albert Janssen, Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, 1990, S. 195.
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4. Das Bundesverfassungsgericht als Ersatzgesetzgeber? – Übergangsregelungen und Appellentscheidungen Ein viertes Problemfeld bei der Normenkontrolle betrifft die Problematik des Entscheidungsausspruchs. Das Bundesverfassungsgericht sieht sich hier mit verschiedenen, schwer vereinbaren Erwartungen konfrontiert: Es muss zum einen den materiell und funktionell vorgegebenen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers wahren, zum anderen aber für die (Wieder-)Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes sorgen und drittens vermeiden, dass durch die Regelfolge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, die Nichtigkeit, ein Rechtsvakuum entsteht35. Angesichts unzureichender Programmierung durch den Gesetzgeber hat das Bundesverfassungsgericht zur Orientierung innerhalb dieses „magischen Dreiecks“36 selbst ein differenziertes, folgenorientiertes Entscheidungsinstrumentarium entwickelt37. Es begibt sich dabei aber mehr und mehr in die unerwünschte Rolle eines „Ersatzgesetzgebers“. So trifft das Bundesverfassungsgericht in den Fällen, in denen ihm die bestehende Rechtslage untragbar erscheint, selbst immer häufiger mehr oder weniger ausführliche Übergangsregelungen38. Getragen ist diese Vorgehensweise offensichtlich von der – unzutreffenden – Vorstellung, § 35 BVerfGG mache das Gericht „zum Herrn der Vollstreckung“ und belasse ihm „volle Freiheit, das Gebotene in der jeweils sachgerechtesten, raschesten, zweckmäßigsten, einfachsten und wirksamsten Weise zu erreichen“39. Seiner funktionellen Stellung als Gericht läuft eine quasi legislatorische Interimsherrschaft jedoch grundsätzlich ___________ 35
So Klaus Stern, Staatsrecht III/2, 1994, S. 1348. Frenz, Die Verfassungsbeschwerde als Verfahren zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich verliehener Rechte, DÖV 1993, 847. 37 Steiner, NJW 2002, 2919, 2922 f., spricht treffend vom „Folgenmanagement“. Vgl. übersichtlich Sabine Stuth, in: Umbach/Clemens (Hg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1992, § 78 Rn. 7 ff. und Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 378 ff. 38 Vgl. dazu Gerber, Die Rechtssetzungsdirektiven des Bundesverfassungsgerichts, DÖV 1989, 698 ff.; Frenz, Eine begrenzte Gesetzgebungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts im Gefüge der Gewaltenteilung, ZG 1993, 248 ff.; ders., Verfassungsbeschwerde (Fn. 36), S. 847 ff.; Seung-Ju Bang, Übergangsregelungen in Normenkontrollentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 1996, S. 6 ff., 13 ff., 122 ff.; Roth, Grundlage und Grenzen von Übergangsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bewältigung möglicher Folgeprobleme seiner Entscheidungen, AöR 124 (1999), 470 ff. Zum Teil ermächtigt das BVerfG auch die Fachgerichte, nach erfolglosem Ablauf der Nachbesserungspflicht selbst „verfassungskonform zu entscheiden“, vgl. nur BVerfGE 97, 228, 270, und Udo Steiner, Zum Entscheidungsausspruch und seinen Folgen bei der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle, in: Isensee u.a. (Hg.), Freiheit und Eigentum: Festschrift für Walter Leisner zum 70. Geburtstag, 1999, S. 569, 576 m.w.N. 39 BVerfGE 6, 300, 304. 36
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zuwider40. Sie ist, wenn überhaupt, nur in ganz wenigen Ausnahmefällen hinnehmbar und dann auch nur unter der Voraussetzung, dass sich das Gericht darauf beschränkt, als „Notgesetzgeber auf Zeit“ zu agieren41, statt dem Gesetzgeber, wie etwa in der zweiten Abtreibungsentscheidung42, faktisch genau vorzuschreiben, welche Regelung er für die Zukunft zu treffen hat43. Eine weniger einschneidende Vorstufe der Übergangsregelung stellt die sog. Appellentscheidung dar44. Das Bundesverfassungsgericht bringt hier in den Entscheidungsgründen (meistens gekoppelt mit einem Hinweis im Tenor)45 zum Ausdruck, dass die zu beurteilende gesetzliche Lage zwar „noch verfassungsgemäß“46 ist, aufgrund einer falschen gesetzgeberischen Prognose oder z. B. geänderter tatsächlicher Umstände aber die Entwicklung zur Verfassungswidrigkeit absehbar erscheint47. Es regt daher eine Überprüfung der entsprechenden ___________ 40 Kritisch u.a. Jörn Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, S. 235 ff.; Gusy, Gesetzgeber (Fn. 5), S. 199 ff.; Gerber, Rechtssetzungsdirektiven (Fn. 38), S. 700; Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 474; Christian Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 1991, § 19 Rn. 12: „nicht den Hauch einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung“; Simone Laumen, Die Vollstreckungskompetenz nach § 35 BVerfGG, 1997, S. 19 ff., 100 ff., 215 ff. 41 Diesen Aspekt betont Peter Lerche, Das Bundesverfassungsgericht als Notgesetzgeber, insbesondere im Hinblick auf das Recht des Schwangerschaftsabbruchs, in: Heinze u.a. (Hg.), Festschrift für Wolfgang Gitter, 1995, S. 509 ff. Vgl. auch Bang, Übergangsregelungen (Fn. 38), S. 129 f. u.H. auf BVerfGE 84, 9, 23: „Gleichzeitig sind die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und die sich aus der Funktion des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Grenzen zu beachten. Es muss daher eine Lösung gewählt werden, die in die Rechte der Betroffenen möglichst wenig eingreift und die spätere gesetzliche Regelung nicht erschwert.“ 42 BVerfGE 88, 203. Krititsch zu Recht Schneider, Die Vollstreckungskompetenz nach § 35 BVerfGG – ein Notverordnungsrecht des Bundesverfassungsgerichts?, NJW 1994, 2590, 2594; Lamprecht, Oligarchie in Karlsruhe – Über die Erosion der Gewaltenteilung, NJW 1994, 3272 ff.; Geiger/von Lampe, Das zweite Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch, Jura 1994, 20, 29; Konrad Hesse, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten des Gesetzgebers, in: Däubler-Gmelin u.a. (Hg.), Gegenrede: Aufklärung, Kritik, Öffentlichkeit, Festschrift für Ernst Gottfried Mahrenholz, 1994, S. 541, 552 f. 43 Zur äußerst loyalen Umsetzungspraxis von verfassungsgerichtlichen Übergangsregelungen durch den Gesetzgeber vgl. Bang, Übergangsregelungen (Fn. 38), S. 186 ff. 44 Vgl. dazu etwa Kleuker, Gesetzgebungsaufträge (Fn. 28), S. 41 ff.; Bang, Übergangsregelungen (Fn. 38), S. 38 ff., 64 ff., 147 ff., 151 ff., der im Anschluss an Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 10), S. 2110, zwischen Appellentscheidungen, bei denen die Verfassungswidrigkeit der Norm kurz bevorsteht oder schon eingetreten ist, und Signalentscheidungen, bei denen die weitere Entwicklung abzuwarten bleibt, unterscheidet. 45 Vgl. BVerfGE 53, 257, 258. 46 Pestalozza, Verfassungsprozessrecht (Fn. 40), § 20 Rn. 109 f., differenziert zwischen dem „dynamische(n) Noch“ und dem „toleranten Noch“. 47 Vgl. BVerfGE 54, 11, 34 ff.; 86, 369, 379.
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Normen und gegebenenfalls eine Neuregelung an48, meist nicht ohne den Rahmen der gesetzgeberischen Novellierungsmöglichkeiten näher abzustecken und eine Frist zur Abhilfe49 zu setzen50. Mitunter werden sogar konkrete Lösungsvorschläge formuliert51. Da die Entscheidungspassagen, die die verfassungsrechtliche Lage erörtern, auch im Falle einer präzisen Fristsetzung nicht in Rechtskraft erwachsen und die angegriffene Norm nicht ohne weitere Entscheidung des Gerichts nichtig wird52, wahrt die Appellentscheidung trotz ihrer weit reichenden Vorwirkungen auf den politischen Prozess die Funktionsgrenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit.
5. Das Bundesverfassungsgericht als Letztinterpret der einfachen Rechtsordnung – zu Gefahren der verfassungskonformen Auslegung Als letzter Problemkreis soll hier die verfassungskonforme Auslegung angesprochen werden53. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Norm nur dann für verfassungswidrig zu erklären oder im Rahmen der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) von den Fachgerichten vorzulegen, „wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten“54. Die damit ___________ 48
Vgl. BVerfGE 34, 9, 44, st. Rspr. Vgl. z.B. BVerfGE 87, 1, 40 f.; 89, 15, 27. 50 Sofern Schutzgüter von hohem Rang betroffen sind, können „Korrektur- und Nachbesserungspflichten“ des Gesetzgebers von einer „Beobachtungspflicht“ flankiert werden, vgl. BVerfGE 88, 203, 309. Vgl. auch BVerfGE 87, 248, 358, 362. 51 Vgl. BVerfGE 82, 126. 52 Vgl. Klaus Stern, in: Dolzer u.a. (Hg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: März 2004, Art. 93 Rn. 319; Sabine Stuth, in: Umbach/Clemens, BVerfGG (Fn. 37), § 78 Rn. 24, jeweils m.w.N. 53 Aus dem reichhaltigen Schrifttum vgl. nur Joachim Burmeister, Die Verfassungsorientierung der Gesetzesauslegung, 1966; Harald Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, 1966; Hans Spanner, Die verfassungskonforme Auslegung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 91 (1966), 503 ff.; Wassilios Skouris, Teilnichtigkeit von Gesetzen, 1973, S. 96 ff.; Simon, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, EuGRZ 1974; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 97 ff.; Ulrich Häfelin, Die verfassungskonforme Auslegung und ihre Grenzen, in: Badura u.a. (Mitarb.), Recht als Prozeß und Gefüge: Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, 1981, S. 241 ff.; Karl August Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986; Geis, Die „Eilversammlung“ als Bewährungsprobe verfassungskonformer Auslegung, NVwZ 1992, 1025 ff.; Steiner, Entscheidungsausspruch (Fn. 38), S. 569, 572 ff. 54 BVerfGE 83, 201, 214 f. 49
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im Grundsatz jedem Gericht55 obliegende Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung gewinnt im verfassungsgerichtlichen Verfahren besondere Bedeutung durch die umfassende Bindungswirkung der Entscheidung nach § 31 BVerfGG. Die überwiegende Charakterisierung der verfassungskonformen Auslegung als eine normkonservierende Form der systematischen Auslegung56 kann nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Rahmen dieses Interpretationsprinzips eine mit den klassischen Methoden erarbeitete Auslegungsalternative des geltenden Rechts – „Sinnsegment“57 und damit Bestandteil der Norm – nach Überprüfung anhand der Vorgaben des Grundgesetzes58 als verfassungswidrig verworfen wird; der Sache nach entspricht dies einer teilweisen Nichtigerklärung ohne Normtextreduzierung59. Die im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung gern propagierte Schonung des Gesetzgebers verkehrt sich insofern schnell ins Gegenteil, und zwar immer dann, wenn das verfassungsrechtlich Zulässige vom Gericht zum wirklich Gewollten erklärt, mithin Recht gesetzt wird, statt Gewolltes als verfassungswidrig aufzuheben60. Folge ist eine „Zementierung“ der einfachen Rechtsordnung, aus der man sich nur schwer wieder befreien kann61. Umso fataler ist der Umstand, dass mit der ___________ 55
Zur verfassungskonformen Auslegung des einfachen Rechts durch Fachgerichte vgl. ferner neben den in Fn. 53 Genannten Detlef Ch. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, 1969; Jörg Neuner, Rechtsfindung contra legem, 1992, S. 128 ff., und Voßkuhle, Theorie und Praxis der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen durch Fachgerichte, AöR 125 (2000), 177 ff. 56 So insbes. Bogs, Auslegung (Fn. 53), S. 25 f.; Spanner, Auslegung (Fn. 53), S. 508 f. Zu Recht kritisch wegen der Besonderheiten der verfassungskonformen Auslegung Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. I, 7. Aufl., 2002, 104 f. Für die Qualifikation als teleologische Interpretation Roth, Die verfassungsgerichtliche Überprüfung verfassungskonformer Auslegung im Wege abstrakter Normenkontrolle, NVwZ 1998, 563, 564. 57 Bogs, Die Bindung des Fallrichters an eine verfassungskonforme Gesetzesauslegung des Normenkontrollrichters, DVBl. 1965, 633, 634 Fn. 3. 58 Die verfassungskonforme Auslegung kommt als „Vorzugsregel“ immer erst dann zur Anwendung, wenn die Auslegung des einfachen Rechts nach den herkömmlichen Methoden verschiedene, nebeneinander stehende Deutungsvarianten hervorgebracht hat, so statt vieler Müller/Christensen, Methodik (Fn. 56), S. 104, und Neuner, Rechtsfindung (Fn. 55), S. 130 m.w.N. Vgl. ferner aus der Rspr. etwa BVerfGE 88, 145, 166; 93, 37, 81; 95, 64, 93. 59 So zutreffend Bettermann, Auslegung (Fn. 53), S. 26; Heun, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 5), S. 27, und Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 386, 446. A. A. dagegen z.B. Bryde, Verfassungsentwicklung (Fn. 31), S. 410 f.: „integraler Bestandteil der Gesetzesauslegung“. 60 So Schuppert, Verfassungsinterpretation (Fn. 9), S. 7. Vgl. ferner statt vieler Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit (Fn. 4), Rn. 53, und Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 450; Georg Hermes, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), S. 119, 140, jeweils m.w.N. 61 So zutreffend Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht (Fn. 34), S. 47.
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Grenze der verfassungskonformen Auslegung, die sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem mit ihr verfolgten gesetzgeberischen Regelungszweck ergeben soll, der nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht werden darf62, vom Bundesverfassungsgericht „bisweilen großzügig, ja akrobatisch umgegangen wird“63. Man sollte sich insofern keinen Illusionen hingeben. Entgegen allen anders lautenden Beteuerungen bieten methodische Grenzziehungspostulate bei realistischer Einschätzung kaum hinreichenden Schutz vor einer Überformung des legislativen Gestaltungswillens. Die Praxis zeigt vielmehr, dass die verfassungskonforme Auslegung „fast stets die ferner liegende, oft gekünstelte und sich von Vorstellungen aller Beteiligten weit entfernende Deutung“ ist64. Viel wäre daher schon gewonnen, wenn sich das Bundesverfassungsgericht aus funktionellen Erwägungen darauf beschränken würde, im Tenor seiner Entscheidungen einzelne Auslegungsvarianten lediglich für verfassungswidrig zu erklären, statt den Fachrichtern, wie es der bisherigen Übung entspricht65, eine bestimmte Auslegung positiv vorzuschreiben66.
IV. Ausblick Damit bin ich am Ende meiner eher kursorischen Überlegungen. Es hat sich gezeigt, dass die viel apostrophierte Gestaltungsfreiheit des demokratisch legitimierten Gesetzgebers im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt ist. Diese Gefährdungen gilt es im Bewusstsein zu halten, sie lassen sich aber nicht gänzlich vermeiden. Gleichzei___________ 62 Vgl. BVerfGE 8, 28, 34; 18, 97, 111, st. Rspr.; zuletzt BVerfGE 90, 263, 275; 92, 158, 183; 93, 37, 79, 81; 95, 64, 93, 95; 97, 169; 97, 186; 97, 228, 252, 262; 98, 17, 45; 99, 341, 358; 101, 312, 329. s. ferner statt vieler Harald Klein, in: Umbach/Clemens, BVerfGG (Fn. 37), § 80 Rn. 52 ff. m.w.N. 63 Stern, Staatsrecht III/2 (Fn. 35), S. 1148. Noch weitergehend Bettermann, Auslegung (Fn. 53), S. 46: „Form wohltätiger […] Vergewaltigung“. 64 So Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht (Fn. 40), § 20 Rn. 9 Fn. 17. Als Beleg für diesen Befund können eine Vielzahl von Entscheidungen herangezogen werden, vgl. die Auswahl bei Harald Klein, in: Umbach/Clemens, BVerfGG (Fn. 37), § 80 Rn. 55 Fn. 36; Bettermann, Auslegung (Fn. 53), S. 23 Fn. 21 und Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 450. 65 Der Tenor lautet meistens: „§§ […] sind in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung mit Artikel […] des Grundgesetzes vereinbar“, siehe erstmals BVerfGE 30, 1, 3. Vgl. ferner BVerfGE 51, 304; 64, 229, st. Rspr. Kritisch wegen der mangelnden Präzision des Tenors z. B. Eckart Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2001, Rn. 1287; und Schlaich/Korioth, Bundesverfassungsgericht (Fn. 7), Rn. 445. 66 So zuletzt Voßkuhle, Theorie (Fn. 55), S. 198. Vgl. auch allgemein Joachim Wieland, in: Dreier (Hg.), GG, 2000, Art. 93 Rn. 38.
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tig muss aber auch vor einer (wissenschaftlich) verzerrten Perspektive gewarnt werden. Im Zeitraum von 1951 bis zum Ende des Jahres 2000 hat das Bundesverfassungsgericht bei insgesamt über 132.000 anhängigen Verfahren lediglich in 523 Fällen eine (bundes- oder landesrechtliche) Norm als verfassungswidrig beanstandet67. Auch wenn man faktische Vorwirkungen seiner Kontrolltätigkeit sicher nicht in Abrede stellen kann: Am Gängelband des Bundesverfassungsgerichts befindet sich der Gesetzgeber in Deutschland nicht!
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Vgl. den statistischen Anhang in: Badura/Dreier (Hg.), FS 50 Jahre BVerfG (Fn. 21), Bd. I, S. 931, 940 sowie die Analyse von Klaus von Beyme, Der Gesetzgeber, 1997, S. 301–305 m.w.N.
Die Tötung als familiäre Konfliktlösung? Von Yong-Sik Lee
I. Vorbemerkung Die traditionelle koreanische Redewendung „Die Ehefrau und getrockneter Fischpollack müssen jeden Tag geschlagen werden“ ist immer noch nicht verschwunden. In dieser tief eingewurzelten patriarchalischen Kultur versteckte sich lange Zeit die häusliche Gewalt. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ist sie jedoch zu einem öffentlich verbreiteten, ernsten Problem geworden, da eine Vielzahl von Fällen des so genannten „battered woman syndrom“1 vor Gericht verhandelt und in der Gesellschaft diskutiert wurde. Haustyrannen haben mit physischer Gewalt ihre Opfer unterdrückt, versklavt und ihre Menschenwürde in schwerster Weise verletzt. Die meisten Frauen, die häufig über lange Zeiträume wiederholte Misshandlungen ertragen müssen, wagen nicht zu fliehen, weil sie Nachstellungen des Ehemannes sowie die Schutzlosigkeit ihrer Kinder befürchten. Auf tatsächliche Fluchtversuche haben Ehemänner mit unnachgiebigen Verfolgungen reagiert, die zu einer Steigerung der Gewalttätigkeiten führten. Diese Situation führt dazu, dass die misshandelte Frau verzweifelt und während einer kleinen Unterbrechung der Misshandlungen, oftmals im Schlaf, den Peiniger tötet, um Tortur und Terror zu beenden. Häusliche Gewalt läuft daher in Korea häufig auf die Tötung des tyrannischen Ehemannes oder Vaters hinaus2. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Problematik der Haustyrannentötung, welche insbesondere die Prüfung von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe beinhaltet.
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Diese Terminologie geht auf Lenore E. Walker, The Battered Woman, 1979, zurück. 2 Dieses Phänomen der Tötung des schlafenden Haustyrannen durch seine lange Zeit mißhandelte Partnerin kann man in allen Kulturkreisen finden.
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II. Die Entscheidung des Koreanischen Obersten Gerichtshofs vom 22.12.1992 Die zur Zeit der Tat einundzwanzigjährige Angeklagte lebte mit ihrer Mutter zusammen bei ihrem Stiefvater, den ihre Mutter in zweiter Ehe vor vielen Jahren geheiratet hatte. Die Angeklagte wurde von ihrem Stiefvater ab dem Alter von neun Jahren regelmäßig sexuell genötigt, ab dem Alter von 12 Jahren regelmäßig vergewaltigt. Seit dieser Zeit erlitt sie ständige sexuelle Misshandlungen und musste sich permanent zur Verfügung ihres Stiefvaters halten. Auch als sie die Universität besuchte, musste sie jede Woche zu ihm kommen. Ihr Stiefvater war Beamter der Staatsanwaltschaft. Er hatte der Angeklagten wiederholt angedroht, dass er sie umbringen werde, wenn sie die Polizei benachrichtige. Außerdem hatte er immer wieder darauf hingewiesen, dass die Polizei ihr nicht glauben werde, da er die Macht des Staatsanwalts habe; im Gegenteil, sie werde dann vielmehr selbst festgenommen und angeklagt. Alles dies war der Mutter der Angeklagten bekannt. Sie sah jedoch keine Möglichkeit, sich gegen ihren Ehemann durchzusetzen, und riet daher ihrer Tochter, dessen Wünschen nachzukommen. Die Angeklagte lernte an der Universität einen Freund kennen, dem sie schließlich die Misshandlungen durch ihren Stiefvater berichtete. Beide litten so schwer unter der Situation, dass sie beschlossen, den Stiefvater zu töten. Gegen 1.30 Uhr kam der Freund mit Hilfe der Angeklagten in die Wohnung. Der Stiefvater schlief in seinem Bett, nachdem er am selben Abend die Angeklagte zu sexuellem Verkehr gezwungen hatte. Der Freund nahm ein Messer, setzte dieses an den Oberkörper des Stiefvaters, drückte dessen Hände mit den Knien nieder, weckte ihn auf, sagte ihm, dass er seine Stieftochter nicht mehr quälen solle und stach ihm mit dem Messer ins Herz. Die Angeklagte und ihr mitangeklagter Freund haben sich auf Notwehr berufen. Der Koreanische Oberste Gerichtshof hat die Möglichkeit eingeräumt, dass tatsächlich ein gegenwärtiger Angriff auf Leib oder Freiheit vorgelegen habe. Jedoch sei die Notwehrhandlung nicht angemessen gewesen, weil dem Opfer das Messer ins Herz gestochen worden sei in einer Situation, in der dieses keine Gegenwehr vornehmen konnte. Auch sei eine Notwehrüberschreitung im Affekt zu verneinen. Weitere Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe hat der Koreanische Oberste Gerichtshof nicht geprüft. Die Feststellungen der unteren Gerichte, wonach die beiden Angeklagten für schuldfähig angesehen wurden, hat er nicht beanstandet. Der Freund der Angeklagten wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, während die angeklagte Tochter des Opfers zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die Tötung als familiäre Konfliktlösung?
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III. Tatbestandliche Erfassung Die Subsumption der beiden Fälle unter den Tatbestand des Totschlags gemäß Artikel 250 Abs. 1 kStGB bietet keinen Anlass zur Diskussion. Das koreanische StGB kennt die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag nicht. Allerdings bereitet die Strafzumessung gewisse Schwierigkeiten, weil der Totschlag von Verwandten in aufsteigender Linie gemäß Artikel 250 Abs. 2 kStGB mit einer Mindestfreiheitsstrafe von mehr als sieben Jahren bedroht wird und dadurch eine Aussetzung der Vollstreckung auf Bewährung ausgeschlossen ist3. Im vorliegenden Fall findet diese Strafschärfung freilich keine Anwendung, weil die Angeklagte keinen Verwandten in aufsteigender Linie, sondern „nur“ ihren Stiefvater getötet hat.
IV. Rechtfertigungsgründe Die Gerichte befassen sich in Fällen der Tötung des Familientyrannen ausschließlich mit der Notwehr. Rechtfertigender Notstand wird hingegen nur im Schrifttum problematisiert. Der Grund hierfür liegt darin, dass wegen des Rechtsguts Lebens eine Rechtfertigung kaum in Betracht kommen kann. Auch auf der gesellschaftlichen Ebene wird deshalb lediglich die Frage der Notwehr diskutiert. 1. Notwehr a) Die Gegenwärtigkeit des Angriffs Notwehr wird in Artikel 21 Abs. 1 kStGB definiert als Abwehrhandlung, die angemessen ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden4. Das Problem liegt zunächst in der Gegenwärtigkeit des Angriffs. Diese liegt vor, wenn der Angriff unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch fortdauert. Wie in Deutschland wird auch in Korea zwischen einem Angriff im Sinne der Notwehr und einer Gefahr im Sinne des Not___________ 3 Art. 250 kStGB lautet: „(1) Wer einen Menschen tötet, wird mit Todesstrafe, lebenslanger Strafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahre bestraft. (2) Wer seinen oder seines Ehegatten Verwandten in aufsteigender Linie tötet, wird mit Todesstrafe, lebenslanger Strafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahre bestraft.“ 4 Art. 21 Absatz 1 kStGB lautet: „Handelt der Täter, um rechtlich geschützte Interessen seiner selbst oder eines anderen gegen einen gegenwärtigen ungerechtfertigten Angriff zu verteidigen, so ist die Handlung nicht strafbar, soweit für sie angemessene Gründe vorliegen.“
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standes unterschieden und die Gegenwärtigkeit des Angriffs enger gezogen als die Gegenwärtigkeit der Gefahr. In der Lehre ist deshalb anerkannt, dass von einem Schlafenden keine unmittelbare Rechtsgutsbedrohung und deshalb kein Angriff ausgehen kann. Die Berufung auf Notwehr bleibt also mangels gegenwärtigen Angriffs versagt. Vereinzelt finden sich freilich auch andere Auffassungen. Mein Fakultätskollege Prof. Han geht davon aus, dass in den vorliegenden Fällen der Wesenskern der Notwehr nicht erfasst werden könne, ohne den psychischen Zustand der misshandelten Frau in Betracht zu ziehen. Der Haustyrann greife seine wehrlosen Opfer täglich an. Regelmäßige physische Gewalt ersticke jede Kraft zum Widerstand und löse psychische Angstzustände aus. Die physische Gewalt wirke bei der misshandelten Frau daher als schwerer Dauerangriff auf ihre psychische Integrität, der über einen längeren Zeitraum gegenwärtig sein könne. Zur Auslegung der Notwehrmerkmale müsste auch die Person der Angegriffenen und deren Perspektive als Faktor einbezogen werden5. Die Notwehr des geltenden Rechts beruht auf der Konfrontation zwischen gleichstarken Männern. Deshalb muss der Angriff, der als einmalige Episode angesehen wird, gegenwärtig sein. Die misshandelte Frau kann sich hingegen zum Zeitpunkt des gegenwärtigen Angriffs nicht verteidigen, weil sie physisch und psychisch unterlegen ist. Nach der geltenden Notwehrregelung muss sie mit ihrer Verteidigung so lange warten, bis der nächste Angriff gegenwärtig wird. Aber dieses Warten bedeutet, dass sie überhaupt jede realistische Verteidigungsmöglichkeit verliert. Die Frage ist daher, ob das Strafrecht hier nicht einen Ausweg bieten muss. In vielen koreanischen Entscheidungen ist dokumentiert, dass Versuche misshandelter Frauen, ihren Ehemann zu verlassen, die Polizei oder andere gesellschaftliche Institutionen um Hilfe zu bitten oder die Scheidung einzureichen, von den gewalttätigen Ehemännern mit noch brutaleren Misshandlungen beantwortet werden. Ein Ausweichen oder Ausbrechen aus dieser ausweglosen Situation ist daher in der koreanischen Praxis häufig nicht möglich6. Wertet man diese Situation nicht als dauerhaften Angriff, so wird die misshandelte Frau auch zum Opfer des Strafrechts7. Prof. Han ist deshalb darin zu___________ 5
I.S. Han, Gajeongpogryeog pihaeja e euihan gahaeja salhae (Tötung des Familientyrannen vom Opfer häuslicher Gewalt), Seoul daehaggyo Beobhag (Seoul Law Journal) Bd.37/4, 1996, S. 277 ff. 6 Die Präventivnotwehr wird nach der koreanischen h.M. nicht von Art. 21 kStGB erfasst und auch eine analoge Anwendung der Notstandsregelung auf diese Fälle der Präventivnotwehr wird abgelehnt. 7 Vereinzelt wird auch im deutschsprachigen Raum eine Notwehrlösung vertreten, welche die Lage des tyrannisierten Opfers mit einem Dauerangriff gleichsetzt. Vgl. Byrd, in: Bottke/Lampert/Rauscher (Hg.), Familie als zentraler Grundwert demokrati-
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zustimmen, dass die klassische Notwehrkonzeption in diesen Fällen geändert werden muss. Die Notwehr beruht auf einer männlichen Basis und die Konfliktsituation der misshandelten Frauen wird auf der Rechtfertigungsebene daher nicht ausreichend berücksichtigt. Der Koreanische Oberste Gerichtshof hat die Möglichkeit eingeräumt, dass in dem von ihm zu entscheidenden Fall ein gegenwärtiger Angriff auf das Rechtsgut Freiheit vorliege. Was er damit gemeint hat, ist nicht ganz klar. Er scheint freilich der Auffassung von Prof. Han nahe zu stehen und Verteidigungshandlungen, die gegenüber dem schlafenden Opfer ausgeübt werden, als von der Notwehr erfasst anzusehen. b) Die Angemessenheit der Notwehrhandlung Das gesetzliche Erfordernis der Angemessenheit der Verteidigung wird in der koreanischen Wissenschaft in Anlehnung an die deutsche Lehre dahingehend interpretiert, dass die Notwehrhandlung objektiv erforderlich und normativ geboten sein muss. Eine Abwägung der beteiligten Rechtsgüter findet danach grundsätzlich nicht statt. Allerdings wird betont, dass auch das Leben des rechtswidrig Angreifenden ein Höchstwert ist. Deshalb wird insbesondere in der deutschen Literatur bei lebensgefährlicher Verteidigung ein abgestuftes Vorgehen verlangt wie auch eine gewisse Mindestschwere des Angriffs. Damit erlangen Proportionalitätserwägungen bei lebensgefährlichen Verteidigungshandlungen unausgesprochen doch eine eigenständige Bedeutung8. Das Kriterium der Erforderlichkeit wird in solchen Ausnahmesituationen, insbesondere wenn die Verteidigung mit Schusswaffen oder Messern erfolgt, daher immer stärker relativiert, um die schneidige Notwehr sozialverträglicher zu gestalten. In Korea enthält das Gesetz hingegen eine allgemeine Angemessenheitsklausel, die von vornherein Proportionalitätserwägungen erfordert9. Die koreanische Rechtsprechung hat deshalb Verhältnismäßigkeitsaspekte bei der Bewertung der Angemessenheit der Verteidigungshandlung schon immer ausdrücklich berücksichtigt. Dabei müssen nach einer bekannten Formel alle konkreten Umstände wie Art und Ausmaß der Rechtsgüter des Angegriffenen sowie des Angreifers und auch Dringlichkeit und Intensität der Angriffshandlung berücksichtigt werden. Dadurch ist man in der koreanischen Praxis zu ei___________ scher Gesellschaften, 1994, S. 117 f.; Trechsel, KritV Sonderheft Winfried Hassemer zum 60. Geburtstag, 2000, S. 193 ff.; Welke, ZRP 2004, S. 18 ff. 8 Vgl. Lilie, Zur Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung, in: Festschrift für Hirsch, 1999, S. 278 ff. 9 Vgl. O.C. Choi, Notwehr und gesellschaftliche Sitten, 1988, S. 166 ff.
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ner weiten Einschränkung des Notwehrrechts gelangt10. Insbesondere wird die Tötung des Angreifers fast nie als angemessen angesehen. Dahinter steht wohl der Gedanke, dass, wenn Leben gegen Leben steht, eine Tötung immer außer Verhältnis stehen müsse. Deshalb wird in Korea in der Wissenschaft eine deutliche Erweiterung des Notwehrrechts gefordert. Insbesondere beruft man sich dabei auf die deutsche Notwehrregelung. Im vorliegenden Fall der Tötung des Haustyrannen wird – bei angenommener Notwehrlage – die Dringlichkeit der Abwehrhandlung geringer eingeschätzt als in der Situation eines akuten einmaligen Angriffs. Insbesondere prüft die koreanische Rechtsprechung die Möglichkeit, Verwandte und Freunde einzuschalten oder bei der Behörde Schutz zu suchen. Somit werden im Gegensatz zu den klassischen Notwehrfällen die Anforderungen an die Subsidiarität der Verteidigung erheblich hochgeschraubt. Die misshandelte Frau müsse mehr Mühe darauf verwenden, ein angemessenes Abwehrmittel zu finden. In der Wirklichkeit ist, wie bereits erwähnt, diese Möglichkeit alternativer Abwehrmittel freilich weitgehend ausgeschlossen. Schließlich stellt sich die schwierige Frage nach der Proportionalität der widerstreitenden Rechtsgüter. Auf der Seite des Angreifers ist dessen höchstes Rechtsgut Leben betroffen. Auf der anderen Seite lässt sich nicht leugnen, dass die Angeklagte vom Opfer lebensbedrohlich angegriffen und psychisch erheblich geschädigt wurde. Die Menschenwürde der Stieftochter wurde weitgehend zerstört. Auch die psychische Zerstörung eines Menschen durch einen gewalttätigen Angriff lässt eine Verteidigungshandlung zu, die in das Leben des Angreifers eingreift. Gleichwohl verneint die koreanische Rechtsprechung im vorliegenden Fall die Angemessenheit der Notwehrhandlung, weil die Tötung nicht verhältnismäßig sei11. In der koreanischen Wissenschaft neigen dagegen Stimmen, wie insbesondere Prof. Han, für eine Rechtfertigung der Angeklagten durch Notwehr12. Der von Herrn Kollegen Perron vorgetragene deutsche Fall13 würde in Korea nicht anders beurteilt werden als der koreanische Fall.
___________ 10
T.M. Kim, Jeongdangbangwuieui sangdangseonge daehan haeseogron (Die Angemessenheit der Verteidigungshandlung in der Notwehr), Hyeongsabeob yeongu Vol.14, 2000, S. 150. 11 Im vorliegenden Fall enger persönlicher Beziehungen sprechen sich gegen sozialethische Einschränkungen der Notwehr aus O.C. Choi, Baeuja jeongdangbangwui (Ehegatten-Notwehr), Festschrift für J.K. Park, 1990, S. 20; T.M. Kim (Fn. 10) S. 158 f. 12 Vgl. auch T.M. Kim (Fn. 10) S. 159. 13 BGH v. 25.3.2003 – 1 StR 483/02 = BGHSt 48, 255 ff. = NJW 2003, 2464 = NStZ 2003, 482 mit Anm. Otto, NStZ 2004, 142.
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c) Verteidigungswille Handelte die Angeklagte auch mit Verteidigungswillen? Häufig wird die Täterin billigend in Kauf nehmen oder sich sogar wünschen, nicht nur den drohenden Angriff abzuwehren, sondern dem Tyrannen endgültig ein Ende zu setzen. Die Frage ist dann, ob eine solche Tat als Verteidigung angesehen werden kann, wenn sie mit Bedacht und kaltblütig durchgeführt wurde. Nach der deutschen Lehre versperrt das Vorhandensein zugleich mitschwingender feindlicher Motive die Berufung auf Notwehr nicht. Eine Rechtfertigung kann auf der subjektiven Ebene erst dann versagt werden, wenn diese Motive den Verteidigungswillen ganz in den Hintergrund drängen. Auch in Korea wird zwischen Verteidigungs- und Angriffswillen unterschieden, wenngleich die Rechtsprechung keine konkreten Kriterien für deren Feststellung entwickelt hat. Während das Obergericht Seoul einen Verteidigungswillen der Angeklagten verneinte, erkannte der Koreanische Oberste Gerichtshof in dem ihm vorliegenden Fall einen solchen an. 2. Rechtfertigender Notstand a) Gegenwärtige Gefahr Im koreanischen Schrifttum gibt es Autoren, welche die Anwendung des rechtfertigenden Notstands (Artikel 22 kStGB) auf die Tötung des Familientyrannen befürworten14. Danach ist eine Notstandshandlung gerechtfertigt, wenn sie angemessen ist, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Angemessen ist nach dem Verständnis der koreanischen Lehre die Notstandshandlung, wenn die Gefahr nicht anders als durch den Notstandseingriff abgewendet werden kann und das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Im Gegensatz zur Notwehr setzt der Notstand eine gegenwärtige Gefahr voraus, wobei man wie in Deutschland auch eine Dauergefahr genügen lässt, wie sie gerade von dem wiederholt und unberechenbar gewalttätigen Familientyrannen ausgeht. Eine solche Dauergefahr kann im vorliegenden Fall zweifelsfrei bejaht werden. b) Nicht-Anders-Abwendbarkeit der Notstandshandlung Die Notstandstat ist nicht anders abwendbar, wenn sie das einzige geeignete Mittel ist, der Notstandslage wirksam zu begegnen. Als anderweitige Abwen___________ 14
Art. 22 Absatz 1 kStGB lautet: „Handelt der Täter, um eine Gefahr für rechtlich geschützte Interessen seiner selbst oder eines anderen abzuwenden, so ist die Handlung nicht strafbar, soweit für sie angemessene Gründe vorliegen.“
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dungsmöglichkeiten kommen nur solche in Betracht, welche die Notlage tatsächlich beseitigen und die Gefahr nicht nur hinausschieben, wie etwa behördliche Hilfe, Hilfe karitativer Einrichtungen, Umsiedlung in ein Frauenhaus, Zuflucht bei der Polizei, Strafanzeige etc. Die näheren Anforderungen der Erforderlichkeit der Rettungshandlung sind in der koreanischen Lehre freilich noch nicht näher herausgearbeitet worden. Insbesondere bleibt offen, ob der Notstandstäter nicht zumindest versuchen muss, auf eine solche andere Weise aus der Notstandslage herauszukommen. Diese Frage ist hier auch schwer zu beantworten. Die Reaktion eines Familientyrannen auf Flucht oder Scheidungsversuche sind schwer abzuschätzen. Die koreanische Wirklichkeit hat gezeigt, dass manche Männer sich dadurch nicht von weiteren schlimmen Gewaltakten abhalten lassen. Auch kann man nicht davon ausgehen, dass eine Strafanzeige zur Festnahme des Familientyrannen führt. Andererseits muss man sehen, dass sich in der heutigen Zeit die Chancen für die misshandelte Frau deutlich verbessert haben, ihrem Leiden ein Ende zu setzen. So gibt es erweiterte Hilfsangebote, im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist ein starker Wandel eingetreten und es wurde ein Spezialgesetz zur Bestrafung häuslicher Gewalttaten erlassen. Im vorliegenden Fall hat der Stiefvater gedroht, dass er seine berufliche Position ausnutzen werde, um die Stieftochter wegen falscher Anschuldigung verhaften zu lassen. Mir fällt es daher sehr schwer, den Gang zur Polizei als zumutbar anzusehen. Allein die Tatsache, dass die Angeklagte nicht versuchte, einen solchen Weg zu gehen, darf noch nicht zur Verneinung der Erforderlichkeit der Tötung des Familientyrannen führen. Die Verpflichtung staatlicher Stellen zu wirksamem Einschreiten bedeutet nicht, dass diese auch tatsächlich entsprechend vorgegangen wären. Vor dem Hintergrund der koreanischen Wirklichkeit erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die Angeklagte die ihr drohenden Gefahren auf diesem Weg endgültig und nicht nur vorübergehend hätte beseitigen können. Daher überzeugt die Behauptung nicht, dass die von einem Familientyrannen ausgehende Dauergefahr regelmäßig anders als durch Tötung abwendbar sei. c) Interessenabwägung Die Notstandsregelung ist auf Fälle zugeschnitten, in denen in die Interessen eines unbeteiligten Dritten eingegriffen wird, der in keiner Weise für die Gefahr verantwortlich ist. Im Fall des Defensivnotstandes wird dagegen in die Interessen gerade desjenigen eingegriffen, der für die Gefahr verantwortlich ist. In Deutschland scheint heute darin Übereinstimmung zu bestehen, dass im Defensivnotstand die Interessenabwägung im Zweifel zu Gunsten der bedrohten Interessen ausfallen muss. Eine problematische Grenze erreicht diese Einsicht aller-
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dings dann, wenn die einzige Rettungsmöglichkeit in der Tötung des Verursachers der Gefahr besteht. Hier stößt die Abwägung an die Grenze des höchsten, nicht weiter relativierbaren Rechtsguts Leben15. Deshalb kann nach herrschender Ansicht auch im Defensivnotstand die Tötung des Gefahrverursachers nicht auf ein überwiegendes Interesse gestützt werden. Mein anderer Fakultätskollege Prof. Cho befürwortet freilich die Rechtfertigung einer Tötung im Defensivnotstand16. In Anlehnung an Hruschka17 dreht er den Maßstab der Interessenabwägung hier vollständig um. Im Defensivnotstand könne auch die Tötung der für die Gefahr zuständigen Person erlaut sein. Fraglich ist jedoch, ob die Zurückstellung der Lebensinteressen des Familientyrannen aufgrund der von ihm ausgehenden Gefahr tatsächlich gerechtfertigt ist. Auch im Defensivnotstand darf der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr stehen. Wenn das Leben aber einen unvergleichbaren und unabwägbaren Höchstwert darstellt, verbietet es sich vorn vornherein, diesen Wert in ein Verhältnis zu anderen Werten zu setzen. Der Defensivnotstand soll bei der Güterabwägung Leben gegen Leben nicht einschlägig sein18. Die Vernichtung von Leben ist daher immer unverhältnismäßig, so dass auch die Tatsache, dass die Gefahr vom (Angriffs-)Opfer selbst ausgeht, nicht dazu führen kann, dass sein Rechtsgut Leben zurückzustehen hat.
V. Entschuldigungsgründe 1. Notwehr- oder Notstandsexzess Wenn die Grenze der Angemessenheit der Verteidigung oder Gefahrabwendungshandlung überschritten ist, wird die Anwendbarkeit des Notwehr- oder Notstandsexzesses diskutiert. Nach Artikel 21 Abs. 2 und 3 sowie Art. 22 Abs. 2 und 3 kStGB ist der Täter entschuldigt, wenn er aus Furcht, Bestürzung, Aufregung oder Verwirrung zur Nachtzeit oder unter anderen unsicheren Verhält___________ 15
Anders jedoch Erb, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 2003, § 34 Rn. 162; NK-Neumann, § 34 Rn. 90; Joachim Renzikowski, Notstand und Notwehr, 1994, S. 269. 16 K. Cho, Maemanneun yeoseong jeunghugun ironeui hyeongsabeobjeog hameui (Strafrechtliche Bedeutung der Syndrome der geschlagenen Frauen), Hyeongsabeob yeongu Vol. 15, 2001, S. 51 ff.; ders., Hyeongsabeobeui seongpyeonhyang (GenderNeigung des Strafrechts), 2. Aufl. 2004, S. 208. 17 Hruschka, NJW 1980, 21 ff. Vgl. auch Frister, GA 1988, 294 f.; Dominik Ludwig, Gegenwärtiger Angriff, drohende und gegenwärtige Gefahr im Notwehr- und Notstandrecht, 1991, S. 155 ff. 18 Vgl. statt vieler Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 34 Rn. 30.
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nissen die Grenzen der Notwehr oder des Notstandes überschreitet; in anderen Exzessfällen kann die Strafe entsprechend den Umständen gemildert oder ganz erlassen werden19. Sowohl das Wesen als auch die Grenzen des Notwehr- und Notstandsexzesses sind in Korea noch nicht näher erörtert worden. Ein Kernproblem scheint darin zu liegen, dass man in manchen Fällen kaum unterscheiden kann, ob die Verteidigungs- oder Rettungshandlung völlig unangemessen ist oder ob lediglich die Grenze der Angemessenheit überschritten wird. Im vorliegenden Fall hat der Koreanische Oberste Gerichtshof sowohl Notwehr als auch Notwehrexzess verneint. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass wenn Leben gegen Leben steht, nach der koreanischen Rechtsprechung Notwehr von vornherein ausscheidet und damit auch die Möglichkeit eines Notwehrexzesses entfällt. Nach der koreanischen Lehre ist die Figur des Notwehrexzesses dagegen auf Fälle wie den vorliegenden anwendbar, so dass je nach der psychischen Verfassung der Angeklagten eine Entschuldigung oder eine Strafmilderung bis hin zum Absehen von Strafe möglich wären. Auch für die parallele deutsche Fallkonkonstellation würde nichts anderes gelten.
2. Entschuldigender Notstand Das koreanische StGB enthält keine Vorschrift des entschuldigenden Notstands. In der Lehre wird deshalb mitunter versucht, aus der Vorschrift des Artikels 22 kStGB neben dem rechtfertigenden Notstand auch einen entschuldigenden Notstand herauszulesen. Eine Notstandshandlung sei danach angemessen, wenn die Gefahr gegenwärtig und nicht anders abwendbar ist und es dem Täter unzumutbar ist, die Gefahr hinzunehmen. Die herrschende Meinung führt hingegen den entschuldigenden Notstand auf den übergesetzlichen allgemeinen Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zurück. Die Frage der gegenwärtigen Gefahr und der Nichtandersabwendbarkeit habe ich schon beim rechtfertigenden Notstand erörtert. Deshalb stellt sich hier ___________ 19
Art. 21 kStGB lautet: „(2) Hat eine Notwehrhandlung die ihr angemessenen Grenzen überschreitet, so kann die Strafe je nach dem Ausmaß der vorliegenden mildernden Umstände gemildert oder erlassen werden. (3) Ist die im vorangehenden Absatz genannte Handlung durch Furcht, Bestürzung, Auferlegung oder Verwirrung zur Nachtzeit oder unter anderen unsicheren Verhältnissen verursacht worden, so ist sie nicht strafbar.“ Art. 22 kStGB lautet: „(3) Die Bestimmungen der Absätze 2 und 3 des vorangehenden Artikels sind auf diesen Artikel entsprechend anzuwenden.“
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nur noch die Frage, ob der Stieftochter die Hinnahme der sexuellen Misshandlung des Stiefvaters zugemutet werden kann. Dies muss angesichts der bedrohlichen Situation, in der weitere Vergewaltigungen anstanden, eindeutig verneint werden. Sie tötete den Tyrannen, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für ihr eigenes Leben ihren Leib und ihre Freiheit von sich abzuwenden20. Die koreanische Rechtsprechung erkennt demgegenüber nur den allgemeinen übergesetzlichen Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens an. Der Koreanische Oberste Gerichtshof hat insoweit freilich ohne nähere Begründung in völlig abstrakter Weise festgestellt, dass dieser Entschuldigungsgrund auf den Fall der Tötung des Familientyrannen nicht angewendet werden könne. An dieser Haltung ist zu erkennen, dass der übergesetzliche allgemeine Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens in der koreanischen Praxis ein Luftschloss darstellt. Ohne konkrete Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands herauszuarbeiten, lässt sich die Nähe oder Entfernung eines Falles zu den Entschuldigungsanforderungen nicht genau erfassen21. Gleichwohl erscheint nach der geltenden Auslegung des koreanischen Rechts für misshandelte Frauen allein die Berufung auf den entschuldigenden Notstand aussichtsreich.
VI. Strafzumessung Die Fälle der Tötung des Familientyrannen reichen zumeist mindestens nahe an eine Rechtfertigung oder Entschuldigung heran. Sie gehören daher eindeutig zu den Grenzfällen, die eine außergewöhnliche Strafmilderung erfordern. Diese Strafmilderung beruht auf einer Unrechtsminderung wegen Teilverwirklichung von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungselementen. Die koreanische Rechtsprechung verneint ständig und ohne Ausnahme eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des Haustyrannen durch Ehefrau oder Kinder. Eine Entschuldigung wird insbesondere deshalb verweigert, weil sie zu einer tiefen Erschütterung des Vertrauens in die Rechtsordnung führen würde und man befürchtet, dass solche Fälle zur Regel würden. Die gesetzliche oder über___________ 20 I.S. Kim, Janggijeog wuinangwa myeonchaegjeog gingeubpinan (Dauergefahr und entschuldigender Notstand), Panrrye yeongu Vol. 7, 1994, S. 313; Y.S. Lee, Jeongdangbangwuiwa gingeubpinaneui myeodgaji zogeon (Einige Probleme bei Notwehr und Notstand), Hzeongsapanrye yeongu Vol. 3, 1995, S. 92. 21 Y.S. Lee, Entschuldigungsgründe im deutschen und koreanischen Strafrecht, 1992, S. 276 ff.
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gesetzliche Entschuldigung wird nicht ganz zu Unrecht von der Rechtsprechung als Erweiterung des Handlungsspielraums für den Täter begriffen. Deswegen beschreiten die koreanischen Gerichte stattdessen den Weg einer Strafzumessungslösung, wo eine Unterschreitung des gesetzlichen Mindeststrafrahmens aufgrund von Artikel 53 kStGB durch den Richter generell möglich ist22. Daneben kann das Gericht in den meisten Fällen auch gemäß Artikel 62 kStGB die Vollstreckung der Strafe aussetzen23. Die Linie der koreanischen Gerichte besteht somit darin, die Strafbarkeit solcher Fälle einerseits festzustellen, andererseits aber durch die Strafzumessung eine Vollstreckung der Strafen zu verhindern. Es zeigt sich somit, dass sich die koreanischen Gerichte in Fällen der Haustyrannentötung oftmals nicht ausreichend mit der konkreten Situation befassen und es unterlassen, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe genau zu prüfen. Sie äußern sich dazu vielmehr nur sehr abstrakt und oberflächlich und mildern stattdessen schnell die Strafe. Das ist jedoch nicht genug.
VII. Schlussbemerkungen Der tragische Fall, den der Koreanische Oberste Gerichtshof zu entscheiden hatte, offenbart wieder einmal, wie Spendel gesagt hat, eine ungenügende Gesetzeslage, ein unzureichendes Gerichtsurteil und ein unbefriedigendes Gesamtergebnis24. Das ist meine erste Schlussbemerkung. Im Bereich der Familientyrannenproblematik müssen Opferschutz und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen wesentliche Ziele der Kriminalpolitik darstellen. Die meisten koreanischen Autoren befürworten eine solche Kriminalpolitik. Das ist meine zweite Schlussbemerkung. Zugleich aber, zumindest in Korea, geht es hierbei auch um die Problematik von Recht und Unrecht beim Lebensschutz im Strafrecht. Das ist nun meine dritte Schlussbemerkung.
___________ 22 Art. 53 kStGB lautet: „Wenn bei der Begehung eines Deliktes mildernde Umstände mitwirken, kann die Strafe gemildert werden.“ 23 Art. 62 kStGB lautet: „Ist eine Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren aufzuerlegen, so kann, wenn mildernde Umstände vorliegen, unter Berücksichtigung von Art. 51 die Vollstreckung der Strafe für die Dauer von nicht unter einem Jahr bis zu fünf Jahren ausgesetzt werden.“ 24 Spendel, in: Festschrift für Schmidt, 1992, S. 214.
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Die Einordnung der Tötung des schlafenden Haustyrannen als Notwehr seitens der misshandelten Frau trifft auf vielfältige dogmatische Probleme. Eine Rechtfertigung würde die Schranken des Tötungstabus unterminieren. Der Haustyrann hätte kein Notwehrrecht.
Die Tötung des Familientyrannen durch Ehefrau oder Kinder Von Walter Perron
I. Einführung Dass Ehemänner und Familienväter ihre Angehörigen mit körperlicher oder sexueller Gewalt misshandeln und dabei physisch und psychisch zugrunde richten, ist ein in fast allen Kulturen verbreitetes Phänomen. Über die Gründe dieser Verbreitung mag man spekulieren. Jedenfalls sind entweder die kulturellen Unterschiede nicht groß genug oder der kulturelle Einfluss insgesamt ist zu gering, als dass man von einem Problem nur einzelner Gesellschaften sprechen könnte. Wesentlich größer sind hingegen die Differenzen bei der Art und Weise, wie eine bestimmte Gesellschaft oder Rechtsordnung auf diese Vorkommnisse reagiert und welche Hilfen sie den betroffenen Ehefrauen oder Kindern zukommen lässt. Aber selbst wenn durch rechtliche Instrumente wie etwa einem weitgehenden familienrechtlichen Rechtsschutz1, umfangreiche faktische Hilfen wie etwa Unterbringungsmöglichkeiten in Frauenhäusern, und eine umfassende öffentliche Aufklärung über diese Möglichkeiten den Betroffenen leicht zugängliche und effektive Wege zur Beendigung ihrer Misere angeboten werden, kommt es doch immer wieder zu Situationen, in denen sich die Opfer häuslicher Gewalt nicht anders zu helfen wissen, als den Familientyrannen zu töten. Dass dies so ist und alle Hilfsangebote nur eine begrenzte Wirkung haben können, leuchtet freilich ein: Misshandelte Ehefrauen und Kinder schämen sich, haben Hemmungen, ihre Probleme anderen mitzuteilen, schätzen aufgrund ihrer psychischen Bedrängnis die Möglichkeiten äußerer Hilfe – zu Recht oder zu Unrecht – als wenig effektiv ein und neigen nach dauernder Zermürbung dazu, ihre Situation als ausweglos zu begreifen. Vor diesem Hintergrund verwundert es somit nicht, dass sowohl in Deutschland als auch in Korea die Tötung des Familientyrannen ein Dauerproblem darstellt, mit dem sich die Gerichte immer wieder zu beschäftigen haben. Im Folgenden soll anhand zweier Fälle aus der jüngeren Vergangenheit aufgezeigt ___________ 1
Vgl. etwa das deutsche Gewaltschutzgesetz vom 11.12.2001, BGBl. I 3513.
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werden, wie das deutsche und das koreanische Strafrecht mit diesen Fällen umgehen.
II. Deutscher Ausgangsfall: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.3.20032 Die Angeklagte lernte ihren Ehemann 1983 kennen und heiratete ihn 1986. Von Beginn der Beziehung an wurde der Ehemann gegenüber der Angeklagten tätlich, versetzte ihr Faustschläge ins Gesicht, trat mit Springerstiefeln auf sie ein, schlug sie mit Baseballschlägern und misshandelte sie selbst im schwangeren Zustand. Diese Verhaltensweise zog sich bis zum Jahr 2001 hin, wobei die Misshandlungen immer schwerer wurden, das zweite Kind der Angeklagten mit einer Missbildung zur Welt kam, welche die Angeklagte auf Tätlichkeiten ihres Ehemannes zurückführte, und sie schließlich bei ihrer dritten Schwangerschaft wegen der physischen und psychischen Belastungen eine Fehlgeburt erlitt. Die Angeklagte hatte schon 1988 versucht, sich von ihrem Mann zu trennen. Sie hatte sich in ein Frauenhaus begeben, war jedoch nach vier Wochen zurückgekehrt, weil ihre Eltern aus Furcht vor den Nachstellungen des Ehemannes nicht bereit waren, sie aufzunehmen. In der späteren Zeit hatte die Angeklagte drei Selbstmordversuche mittels Tabletten unternommen, war schließlich aber zu der Einsicht gekommen, dass ihr Tod keine Lösung sei, weil ihre Töchter dann den Gewalttätigkeiten des Mannes schutzlos ausgesetzt wären. Ein abermaliger Auszug in ein Frauenhaus oder eine Anzeige bei der Polizei kamen für sie ebenfalls nicht in Betracht: Ihr Mann hatte wiederholt gedroht, dass er den Töchtern etwas antun würde, und wenn er ins Gefängnis käme, würde er schließlich irgendwann wieder herauskommen und sich dann an ihr rächen. Als sie eines Tages im Zimmer ihres Mannes einen Revolver fand, den dieser zu seinem Schutz angeschafft hatte, rang sie zuerst längere Zeit mit sich und entschloss sich dann aber, den Schritt zu wagen und ihren Ehemann zu töten. Sie betrat das Schlafzimmer und feuerte aus einer Entfernung von rund 60 cm den Inhalt der gesamten Trommel des achtschüssigen Revolvers in Sekundenschnelle auf ihren schlafenden Ehemann ab, der umgehend an den Verletzungen starb.
___________ 2
1 StR 483/02, veröffentlicht u.a. in BGHSt 48, 256.
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III. Straftatbestandliche Einstufung des Falles Da die Angeklagte ihren Ehemann gezielt, d.h. mit dolus directus 1. Grades, getötet hat, ist ihre Tat sowohl objektiv als auch subjektiv zunächst als Totschlag im Sinne des § 212 des deutschen Strafgesetzbuches einzustufen3. Problematisch erscheint jedoch, ob aufgrund der besonderen Umstände der Fall entweder einerseits als minderschwerer Fall des Totschlags gemäß § 213 dStGB4 oder umgekehrt als Mord im Sinne des § 211 dStGB5 anzusehen ist. Die Regelung der vorsätzlichen Tötungsdelikte im deutschen Recht ist nicht nur sehr umstritten, sondern auch aus verfassungsrechtlicher Sicht hochproblematisch6. Während der Tatbestand des Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 dStGB einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren bereitstellt, der in besonders schweren Fällen nach Absatz 2 dieser Vorschrift auf lebenslange Freiheitsstrafe erhöht und in minderschweren Fällen nach § 213 auf Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren herabgesetzt werden kann, verlangt § 211 dStGB für Mord zwingend eine lebenslange Freiheitsstrafe. Ob eine vorsätzliche Tötung als Mord oder Totschlag zu qualifizieren ist, hängt davon ab, dass ein so genanntes „Mordmerkmal“ vorliegt. Zu dem Faktum der vorsätzlichen Tötung muss mit anderen Worten ein zusätzlicher Umstand hinzukommen, den der Gesetzgeber als so schwerwiegend ansieht, dass die Tat mit der höchstmöglichen Strafe geahndet werden muss. Liegt ein solches Mordmerkmal vor, so ist mithin der Weg zu einer milderen Strafe versperrt, wie auch immer die übrigen Umstände der Tat sein mögen7. Diese rigorose Haltung des Gesetzes, wonach ein einziger erschwerender Umstand zwingend zur lebenslangen Freiheitsstrafe führt, ohne dass er im Rahmen einer Gesamtwürdigung wieder relativiert werden könnte, ist vom Bundesverfassungsgericht als zumindest sehr problematisch eingestuft worden. ___________ 3
Diese Vorschrift lautet: „(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.“ 4 Diese Vorschrift lautet: „War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.“ 5 Diese Vorschrift lautet: „(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“ 6 Vgl. BVerfGE 45, 187, sowie näher Eser, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl. 2001, § 211 Rn. 7 ff. mit weiteren Nachweisen. 7 Vgl. Eser (Fn.6), Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 9a.
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Es hat unter Berufung auf den Schuldgrundsatz verlangt sicherzustellen, dass nur solche Fälle mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden, die auch tatsächlich eine solche Strafe verdienen8. Insbesondere müsse daher bei den Mordmerkmalen der „Heimtücke“ und „Verdeckungsabsicht“ eine Korrektur durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung erfolgen9. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs hat daran anknüpfend eine Grundsatzentscheidung getroffen, wonach in außergewöhnlichen Fällen auch bei Mord der Strafrahmen jenseits des Gesetzeswortlauts auf eine Freiheitsstrafe zwischen drei und fünfzehn Jahren abgesenkt werden könne10. In der Praxis ist diese außergesetzliche Strafmilderungsmöglichkeit seither freilich nur äußerst zurückhaltend angewendet worden11. Der vorgetragene, vom Bundesgerichtshof zu entscheidende Fall verdeutlicht mustergültig die Problematik. Wägt man ohne Rücksicht auf die Gesetzeslage in freier Würdigung die Tatumstände gegeneinander ab, so fällt neben der Tatsache, dass es sich um eine vorsätzliche Tötung und damit um eine der schwersten Straftaten überhaupt handelt, gegen die Angeklagte zusätzlich ins Gewicht, dass sie ihren Mann im Schlaf erschoss, also in einer Situation, in der er ihr wehrlos ausgeliefert war. Auf der anderen Seite blieb ihr angesichts der körperlichen Überlegenheit und hohen Gewaltbereitschaft ihres Mannes realistisch kein anderer Weg zur Tötung übrig. Dass sie sich überhaupt zu diesem Schritt entschloss, beruht auf einer langjährigen unsäglichen Leidensgeschichte, aber auch auf der durch konkrete Erfahrungen gereiften Einsicht, dass ihr private wie staatliche Stellen keinen ausreichenden Schutz vor ihrem Ehemann bieten konnten. Eine freie Bewertung der Tatumstände würde daher dazu führen, dass man entweder die Tat überhaupt nicht für strafwürdig hält oder doch den Unrechtsund Schuldgehalt als eher gering ansieht, so dass nur eine nicht sehr hohe, eventuell sogar zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe als angemessen erscheint. Nach der Gesetzeslage ist jedoch eine Tötung, die „heimtückisch“ begangen wird zwingend als Mord einzustufen und mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen. Nach der in der Wissenschaft vielfach kritisierten, gleichwohl seit Jahrzehnten unverändert aufrecht erhaltenen Ansicht der Rechtsprechung liegt eine solche Heimtücke schon dann vor, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt, ohne dass es auf eine besondere Verwerflichkeit der Tat im übrigen ankäme12. Insbesondere in Fällen wie dem vorliegenden, wenn die Täterin das Opfer im Schlaf tötet, wird daher regelmäßig Heimtücke bejaht. ___________ 8
Vgl. BVerfGE 45, 187, 259ff. BVerfGE 45, 187, 265 ff. 10 Vgl. BGHSt (GS) 30, 105. 11 Vgl. die Nachweise bei Eser (Fn. 6), § 211 Rn. 57. 12 Vgl. nur BGHSt (GS) 9, 385. Weitere Nachweise bei Eser (Fn. 6), § 211 Rn. 23 ff. 9
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Das Landgericht, das in erster Instanz über die Angeklagte zu urteilen hatte, hat dementsprechend die Angeklagte wegen Mordes verurteilt. Den besonderen Umständen trug es dadurch Rechnung, dass es entsprechend den Vorgaben des Großen Senats des Bundesgerichtshofs die außergesetzliche Strafmilderung anwandte. Der Strafrahmen beträgt danach Freiheitsstrafe zwischen drei und fünfzehn Jahren. Da das Landgericht durch diese Veränderung des Strafrahmens bereits alle mildernden Umstände als verbraucht ansah, wählte es daraus die Mitte und verurteilte die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung diese tatbestandliche Einstufung der Tat als Mord für richtig befunden. Nicht einverstanden war er jedoch mit der Beurteilung der Schuld sowie der Strafzumessung. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Haltung freilich unbefriedigend. Völlig ungeachtet dessen, ob dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat auf der Ebenen der Rechtswidrigkeit, Schuld und Strafzumessung letztlich möglicherweise doch hinreichend Rechnung getragen werden kann, bedeutet die Qualifizierung der Tat als „Mord“, dass die Angeklagte mit diesem Stigma versehen und öffentlich als Schwerverbrecherin gebrandmarkt wird, obwohl ihre Tat zweifelsfrei nicht zu dem Bereich der höchsten Strafwürdigkeit gehört.
IV. Rechtswidrigkeit Im Unterschied zum Referat meines koreanischen Kollegen kann ich mich auf dieser Ebene kurz fassen. Einen Rechtfertigungsgrund, welcher der Angeklagten die Befugnis verleihen würde, ihren Ehemann im Schlaf zu töten, kennt das deutsche Recht nicht. Zwar könnte eine vorsätzliche Tötung dann gemäß § 32 dStGB wegen Notwehr gerechtfertigt sein, wenn diese das erforderliche Mittel darstellt, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Anderen abzuwenden. Voraussetzung für die Einräumung einer so weitgehenden Verteidigungsbefugnis ist jedoch, dass der Angriff des Opfers „gegenwärtig“ ist, d.h. zumindest unmittelbar bevorsteht. Bei einem schlafenden Ehemann kann davon jedoch keine Rede sein13. Zwar hat es vereinzelte Versuche im Schrifttum gegeben, Verteidigungshandlungen vor Beginn des eigentlichen Angriffs über ein Institut der „notwehrähnlichen Lage“ einer ähnlichen Beurteilung wie die Notwehrhandlungen ___________ 13 Vgl. Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 32 Rn. 14 mit weiteren Nachweisen.
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selbst zuzuführen14, doch haben sich diese Versuche nicht durchsetzen können. Angesichts der sehr weitgehenden Verteidigungsbefugnisse, die das deutsche Recht dem Notwehr Übenden zugesteht – insbesondere muss die Verteidigung nicht angemessen oder verhältnismäßig gegenüber der von dem Angriff ausgehenden Gefahr sein –, halte ich diese Beschränkung der Notwehr auf die unmittelbare Situation der Aggression auch für richtig15. Eine Berufung auf rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 dStGB ist hingegen zumindest insoweit möglich, als für die Annahme einer Notstandslage auch eine so genannte Dauergefahr genügt, bei der der Eintritt des schädigenden Ereignisses nicht unmittelbar bevorstehen muss, sondern es ausreicht, wenn die Gefahr sich soweit verdichtet hat, dass das Opfer jetzt handeln muss, um spätere Schäden zu vermeiden16. Genau in dieser Situation befand sich auch unsere Angeklagte. Dieser weiten gesetzlichen Umschreibung der Notstandslage stehen freilich sehr strenge Anforderungen an die Notstandshandlung gegenüber, die in unserem Fall nicht erfüllt werden können. Hierbei muss nämlich unter Abwägung sämtlicher in Betracht kommenden Gesichtspunkte das geschützte Interesse das verletzte wesentlich überwiegen. Da das menschliche Leben aber den höchsten Wert unserer Rechtsordnung darstellt, sind sich Rechtsprechung und Schrifttum nicht zuletzt vor dem besonderen Hintergrund der deutschen Geschichte darin einig, dass die gezielte Tötung eines Menschen niemals oder allenfalls in höchst seltenen Ausnahmekonstellationen auf ein überwiegendes Interesse gestützt werden kann17. Auch wenn über die Figur des so genannten „Defensivnotstands“ bisweilen gewisse Aufweichungen dieser strikten Haltung befürwortet werden18, kann man doch für den vorliegenden Fall mit großer Sicherheit sagen, dass wohl kaum ein Autor eine Rechtfertigung der Angeklagten annehmen würde. Auch der Bundesgerichtshof hat sich hier ganz eindeutig gegen eine Rechtfertigung ausgesprochen19.
___________ 14
Etwa Hartmut Suppert, Studien zur Notwehr und zur „notwehrähnlichen Lage“, 1973, S. 356 ff. Weitere Nachweise bei Lenckner/Perron (Fn. 13), § 32 Rn. 17. 15 Vgl. näher Lenckner/Perron (Fn. 13), § 32 Rn. 17. 16 Vgl. etwa BGH NJW 1979, 2053. Weitere Nachweise bei Lenckner/Perron (Fn. 13), § 34 Rn. 17. 17 Vgl. Lenckner/Perron (Fn. 13), § 34 Rn. 30 mit weiteren Nachweisen. 18 Etwa Erb, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 2003, § 34 Rn. 156 ff., 162, mit weiteren Nachweisen. 19 Vgl. BGHSt 48, 256, 257.
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V. Schuld Deutlich anders als bei der Rechtswidrigkeit stellt sich die Beurteilung des deutschen Falles auf der Ebene der Schuld dar. Hier könnte sich die Angeklagte insbesondere auf entschuldigenden Notstand nach § 35 dStGB berufen. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Notstandslage ist eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit für sich oder eine nahe stehende Person. Auch in diesem Bereich genügt eine Dauergefahr, die hier für Gesundheit und Leben der Angeklagten und ihrer Töchter zweifelsfrei bestand. Diese Gefahr darf freilich „nicht anders abwendbar“ sein. Um diese Voraussetzung zu prüfen, müssen alle realistischen Alternativen, die der Angeklagten zur Verfügung standen, betrachtet und danach bewertet werden, ob es der Angeklagten zumutbar gewesen wäre, einen dieser alternativen Wege einzuschlagen. Wird die Nichtandersabwendbarkeit der Gefahr freilich einmal anerkannt, so ist die Angeklagte damit auch schon entschuldigt, es sei denn, ihr konnte aus besonderen anderen Gründen zugemutet werden, die Gefahr hinzunehmen. Da solche anderen Gründe – wie etwa die schuldhafte Herbeiführung der Gefahrenlage durch den Bedrohten – nicht erkennbar sind, hat sich der Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall vorrangig mit der Frage befasst, ob der Angeklagten andere Auswege hätten zugemutet werden können20. Zu einer abschließenden Beurteilung hat er sich außerstande gesehen, weil die Feststellungen des Landgerichts zum Sachverhalt insoweit unvollständig waren. Er hat jedoch zu erkennen gegeben, dass er der Annahme eines entschuldigenden Notstandes deutlich zuneigt, und das Tatgericht, das sich in einer neuen Verhandlung mit dem Fall befassen muss, ausdrücklich davor gewarnt, die Anforderungen hierfür zu streng zu fassen. In der Tat muss in unserem Fall berücksichtigt werden, dass die Angeklagte im Verlauf der langen Leidensgeschichte bereits einen Auszug in ein Frauenhaus unternommen hatte und ihr gesamtes privates Umfeld, das ihr hätte zur Seite stehen können, durch die Drohungen und den gewalttätigen Lebenswandel des Opfers sowie seiner Freunde massiv eingeschüchtert war. Hinzu kommen die zahlreichen Drohungen des Ehemannes, dass er im Falle einer Strafanzeige und Verurteilung sich anschließend rächen würde, welche durchaus glaubhaft waren. Ob der Angeklagten und ihren Kindern von der Polizei ein wirksamer Schutz hätte gewährt werden können, erscheint daher zumindest zweifelhaft. Damit zeigt sich auch eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit der Differenzierung des deutschen Rechts zwischen rechtfertigendem und entschuldigendem Notstand. Auch wenn man außerhalb von Notwehrsituationen der Angeklagten ___________ 20
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kein Recht zur Tötung ihres Ehemannes einräumen will, führt doch die Tatsache, dass ihr kein realistischer Ausweg aus ihrer Misere zur Verfügung stand und eine weitere Hinnahme des Leides für sie und ihre Töchter nicht zumutbar war dazu, dass ihr für ihre Tat kein persönlicher Vorwurf mehr gemacht wird21. Diese Lösung steht und fällt freilich mit der objektiven Ausweglosigkeit der Lage. Gäbe es tatsächlich einen gangbaren Weg der dauerhaften Gefahrbeseitigung ohne Tötung des Tyrannen, dann käme eine Entschuldigung nicht in Betracht. Aber auch in diesem letztgenannten Fall muss ein Schuldvorwurf nicht notwendig erhoben werden. Gemäß § 35 Abs. 2 dStGB entfällt die Strafbarkeit ebenfalls, wenn der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche ihn nach Abs. 1 entschuldigen würden, und er den Irrtum nicht vermeiden konnte (so genannter Entschuldigungstatbestandsirrtum). Der Bundesgerichtshof hat dementsprechend auch diese Möglichkeit in seine Erwägungen einbezogen und dem neuen Tatgericht aufgegeben, zu prüfen, ob die Angeklagte in dem Falle, dass ihre Situation letztlich doch objektiv als anders abwendbar angesehen werden sollte, diesen tatsächlichen Ausweg möglicherweise nicht erkannt oder seine Erfolgsaussichten falsch eingeschätzt hatte22. In diesem Falle wäre zumindest aus ihrer subjektiven Sicht die Gefahr nicht anders abwendbar gewesen, so dass es auf die Vermeidbarkeit des Entschuldigungstatbestandsirrtums ankäme. Für diese Vermeidbarkeitsprüfung wären dann sowohl objektive Umstände (wie nahe lag der andere Ausweg tatsächlich?) als auch auf die konkrete seelische Verfassung der Angeklagten (war sie noch zu einer vernünftigen Abwägung in der Lage?) maßgeblich23. Darüber hinaus muss in einem solchen Fall auch geprüft werden, ob die Angeklagte bei der Tat in ihrer Schuldfähigkeit eingeschränkt oder diese gar ausgeschlossen war. Das Landgericht hatte dies im vorliegenden Fall beides verneint. Tatsächlich hat allerdings eine unter meiner Leitung durchgeführte Befragung von Praktikern ergeben, dass in derartigen Fällen eine großzügige Handhabung von § 21 dStGB, der für Fälle erheblich verminderter Schuldfähigkeit eine deutliche Strafminderung vorsieht, in der Praxis das vorrangige Mittel ist, um Härten des Mordtatbestandes abzumildern24. Auch hat in der deutschen Praxis das battered woman-syndrome zwar nominell noch nicht den Eingang in die ___________ 21
Zur theoretischen Grundlage der auf der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens beruhenden so genannten „Entschuldigungsgründe“ vgl. näher Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl. 2001, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 108 ff. 22 BGHSt 48, 256, 261. 23 Vgl. BGHSt 48, 256, 262. 24 Vgl. Gropengießer, Landesbericht Deutschland, in: Eser/Perron, Strafrechtlicher Strukturvergleich (im Druck).
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forensische Praxis gefunden wie etwa in angelsächsischen Ländern25. Gleichwohl ist insbesondere bei Tötungsdelikten von einer sehr umfassenden Berücksichtigung psychischer Ausnahmesituationen auszugehen, was nicht zuletzt daran erkennbar ist, dass derartige Strafverfahren fast immer von psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigen begleitet werden, welche die Schuldfähigkeit der Angeklagten begutachten26.
VI. Strafzumessung Der Bundesgerichtshof hat im vorliegenden Fall unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass er die vom Landgericht ausgesprochene Strafe in Höhe von neun Jahren Freiheitsentzug für deutlich zu hoch hält27. Er hat dem Landgericht insbesondere vorgeworfen, dass es die verschiedenen Möglichkeiten zur Absenkung des auf der Tatbestandsebene gefundenen Strafrahmens (lebenslange Freiheitsstrafe) nicht hinreichend genutzt hat. Die vom Landgericht gewählte Lösung der außergesetzlichen Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe ist nur der letzte Notanker, auf den erst zurückgegriffen werden darf, wenn alle anderen Milderungsmöglichkeiten versagt haben. Neben der nicht ganz fern liegenden Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit, zu der sich der Bundesgerichtshof angesichts der Feststellung des Landgerichts nicht mehr äußern konnte und wollte, käme insbesondere eine Strafmilderung nach § 35 Abs. 2 dStGB wegen vermeidbaren Entschuldigungstatbestandsirrtums in Betracht. Voraussetzung dafür wäre, dass erstens eine Entschuldigung nach § 35 Abs. 1 dStGB verneint, zweitens eine irrige Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands durch die Angeklagte bejaht und drittens dieser Entschuldigungstatbestandsirrtum als vermeidbar angesehen wird. Der Bundesgerichtshof hat zu erkennen gegeben, dass diese Milderungsmöglichkeit das Mindeste sein müsste, was der Angeklagten zugute zu halten ist, sofern man nicht bereits einen Schuldausschluss wegen Notstands oder unvermeidbaren Entschuldigungstatbestandsirrtums bejahen will28. Im Gegensatz zur Lösung des Landgerichts müsste bei Annahme einer Strafmilderung wegen vermeidbaren Entschuldigungstatbestandsirrtums die Strafzumessung auch deutlich milder ___________ 25 Vgl. Huber, Landesbericht England und Wales, in: Eser/Perron, Strafrechtlicher Strukturvergleich (im Druck). 26 Vgl. Streng, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 20 Rn. 8 ff.; siehe auch Dölling, Begutachtung der Schuldfähigkeit und Strafurteil, in: Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, Festschrift für Günter Kaiser zum 70. Geburtstag, 1998, S. 1337. 27 BGHSt 48, 256, 263. 28 BGHSt 48, 256, 263.
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ausfallen. Insbesondere wären die verschiedenen mildernden Aspekte des Falles durch die Strafrahmenabsenkung nicht verbraucht, sondern könnten neben der Tatsache, dass ein solcher vermeidbarer Irrtum vorliegt, selbständig berücksichtigt werden. Dies hätte zur Folge, dass die Strafe im unteren Bereich des herabgesetzten Strafrahmens, also etwa zwischen drei und fünf Jahren, anzusiedeln wäre. Würde gleichzeitig eine verminderte Schuldfähigkeit bejaht, so könnte der gemilderte Strafrahmen noch einmal herabgesetzt werden und man wäre dann in einem Bereich, in dem eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren verhängt und zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.
VII. Fazit Das deutsche Recht enthält somit eine große Palette von Möglichkeiten, um bei der rechtlichen Einstufung und Bewertung eines Falles wie des vorliegenden sachgerechte Ergebnisse zu finden. Freilich ist die Lösung kompliziert und umständlich, weil wegen des zu starren und einseitigen Mordtatbestandes die Strafe zunächst in unangemessener Weise auf lebenslange Freiheitsstrafe angehoben wird und dann über diffizile, komplexe Erwägungen langsam wieder auf ein erträgliches Maß heruntergebracht werden muss. Die Praxis kann, wie neben der Entscheidung des BGH auch die bereits erwähnte empirische Untersuchung gezeigt hat, diese Aufgabe im allgemeinen gut bewältigen, wenngleich jedes Verfahren, wie die angefochtene Entscheidung des Landgerichts im vorliegenden Fall gezeigt hat, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Einem Außenstehenden oder ausländischen Kollegen lässt sich diese Rechtslage freilich nur schwer vermitteln. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen kurzen Hinweis darauf geben, wie der Fall des Koreanischen Obersten Gerichtshofs meiner Einschätzung nach im deutschen Recht zu entscheiden wäre: Auch hier liefe wohl alles auf eine Entschuldigung oder zumindest auf die Annahme eines vermeidbaren Entschuldigungstatbestandsirrtums hinaus. Wie im deutschen Fall wäre die Tat als Mord einzustufen, da der schlafende Stiefvater geweckt und getötet wurde. Eine Rechtfertigung käme mangels Notwehrlage nicht in Betracht. Für die Annahme eines entschuldigenden Notstands käme es auch hier maßgeblich darauf an, ob der Weg zur Polizei Erfolg versprechend und deswegen zumutbar gewesen wäre. Insoweit kann man als Ausländer die koreanischen Verhältnisse nicht gut beurteilen. Dem Referat meines Freundes und Kollegen Yong-Sik Lee ist freilich zu entnehmen, dass die Fakten dort noch stärker für eine Entschuldigung der Angeklagten sprechen. Zumindest gingen die Angeklagte und ihr Freund subjektiv davon aus, dass sie mit einer solchen Anzeige nichts erreichen, sondern ihre Lage umgekehrt
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nur noch verschlimmern würden. Der darauf beruhende Entschuldigungstatbestandsirrtum wäre nach meiner Einschätzung auch nur schwer vermeidbar gewesen. Deshalb würde die Bewertung des koreanischen Falles fast exakt wie diejenige des deutschen Falles ausfallen.