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German Pages 157 [149] Year 1989
AUFKLÄRUNG Interdisziplinäre Halbjahresschrift zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte
In Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts Herausgegeben von Günter Birtsch, Karl Eibl, Norbert Hinske, Rudolf Vierhaus
Jahrgang 4, Heft 1, 1989
Thema: Entwicklungsschwellen im 18. Jahrhundert Herausgegeben von Karl Eibl
F E L I X M E I N E R V E R L AG H A M B U RG
Unverändertes eBook der 1. Aufl. von 1990. ISBN 978-3-7873-0799-9· ISBN eBook 978-3-7873-3499-5 · ISSN 0178-7128
© Felix Meiner Verlag 1990. Das Jahrbuch und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.meiner.de/aufklaerung
Inhalt Einleitung Karl Eibl: Zum Titel des Heftes
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Abhandlungen Wolfram Mauser: Geselligkeit. Zu Chance und Scheitern einer sozialethischen Utopie um 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wolfram Malte Fues: Die Aufklärung der Antike über die Tugend. Christoph Martin Wielands Singspiel nAlceste" in der Geschichte des Sinns von Literatur
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Klaus Gerteis: Das „Postkutschenzeitalter". Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Eckhart HeUmuth: Kommuni kation, Radikalismus, Loyalismus und ideologischer Pluralismus. „Popular Politics" in England in der zweiten H älfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kurzbiographie Klaus Gerteis: Johann August Schlettwein (1731-1802)
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Diskussionen und Berichte Knud Haakonssen: Enlightenment Philosophy in Scotland and Germany. Recent German Scholarship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rezensionen . . . . . . .
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AUFKLÄRUNG ISSN 011g-112g. Jahrgang 4, Heft 1, 1989. ISBN J-7873-0977-2 Interdisziplinäre Halbjahresschrifi zur Erforschung des 1g. Janrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte. In Verbindung mitder Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 1g.Jahrhunderts herausgegeben von Günter Bimch, Karl Eibl, Norbert Hinske, Rudolf Vierhaus Redaktion: Prof. Dr. Klaus Gcrteis. Universität Trier, Fachbereich III - Geschichte. Postfach 3825. 5500 Trier. Telefon (065 1) 201 - 2200 C>
Felix Meiner Verlag GmbH. Hamburg 19g9, Printed in Germany.
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EINLEITUNG
Karl Eibl
Zum Titel des Heftes Dieses Heft war ursprünglich mit dem Titel "Epochenschwellen im 18. Jahrhundert" angekündigt worden. Der Herausgeber ließ sich dann jedoch davon überzeugen, daß die kleine ironische Provokation, die im Plural dieses Titels steckt, womöglich nicht wahrgenommen wird, und daß es auf diese Weise zu falschen Erwartungen kommen könnte. Der Begriff der Epoche markiert eine jener Stellen, an denen Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie einander begegnen. Der Historiker wird im Extremfall die Epochenbegriffe nur quasi nominalistisch benutzen, um zum Beispiel passable Gliederungspunkte für ein Handbuch zu gewinnen; dem Geschichtsphilosophen werden sie im Extremfall zu den eigentlichen Individuen und Akteuren der Geschichte. Dazwischen aber liegt ein Bereich, in dem die Verwendungsweisen einander befruchten, sich auch gelegentlich ineinander verheddern. 1 Die derzeit am meisten diskutierte und rezipierte Geschichtsphilosophie ist wohl die Michel Foucaults. An ihr wird besonders deutlich, welche Schwierigkeiten sich beim Versuch einer operationalen Verwendung geschichtsphilosophischer Konzepte ergeben. Foucault hat seinen Schülern und den Historikern vor allem zwei ungelöste Probleme hinterlassen: Der Wandel von einer Episteme zur andern, insbesondere der Schritt von der klassisch-aufklärerischen zur romantischen - also die Epochenzäsur um 1775 - , wird nicht erklärt, ja, gilt vielleicht sogar als unerklärbar. Wir können nur mit leisem Schaudern über die Diskontinuitäten und Brüche staunen. Das zweite Problem liegt im Diskurs-Begriff. Wenn die distinkten Diskurse als die 'realen' Einheiten der (ldeen-)Geschichte aufgefaßt werden, dann stellt sich das Problem, wie die Einheitlichkeit von Epistemen überhaupt zustandekommt, also welche inter- oder metadiskursiven Instanzen hier für Abstimmung sorgen. Diese Schwierigkeiten kann man durchaus als typisch für das Verhältnis von geschichtsphilosophischer Begriffsbildung und einzelwissenschaftlichem Ge-
Die Spanne der Möglichkeiten ist in zwei Sammelbänden dokumentiert: Hans-Ulrich Gumbrecht, Ursula Link-Heer (Hg.}, Epochenschwellcn und Epochenstrukture n im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt 1985; Reinhart Herzog, Reinhart Koselleck (Hg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein (Poetik und Hermeneutik 12), München 1987. Fruchtbarkeit und Problemalik des Diskursbegriffs in: Jürgen Fohrmann, Harro Müller (Hg.), Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, Frankfurt 1988.
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Einleitung
brauch so entstandener Begriffe ansehen: Foucaults Epochen-Tableaus und der Diskursbegriffeignen sich recht gut, wenn der Historiker seiner weichen Materie ein paar Strukturen einzugraben versucht. Werden sie aber reifiziert und mit demselben Ernst gebraucht, mit dem der Naturwissenschaftler Begriffe wie Kupfer oder Neutron gebraucht, gerät man schnell in Aporien. Foucault konstruiert seine Epistemen, indem er konsequent alle Warum-Fragen ausschließt. Die so entstandenen klaren Grenzen der Begriffe sollten jedoch nicht mit Diskontinuitäten des Gegenstandes konfundiert werden. Sie sind vielmehr folgerichtiges Produkt des restriktiven Ansatzes der Begriffsbildung, der vom Historiker wieder aufgebrochen werden muß. Und die Distinktheit der Diskurse verliert gleichfalls an Dramatik, wenn man hinzudenkt, daß es allemal personale Träger, horribile dictu: Subjekte sind, die an verschiedenen Diskursen teilhaben, kognitive Dissonanzen zu vermeiden suchen und dies nicht nur mit Strategien der Abschottung, sondern auch mit solchen der Kompatibilisierung tun, also ständig für Durchlässigkeit der Diskursgrenzen sorgen. Das Bild von der 'Epochenschwelle' impliziert das Bild einer Tür, durch die man tritt, um vom einen Raum in den anderen zu kommen. Insofern korrespondiert es mit dem kataklysmenartigen Wechsel der Epistemen Foucaults. Sachgerechter wäre vielleicht die Vorstellung vom Korridor. In ihm ist eine Vielzahl von Schwellen im Sinne kleinerer Hindernisse und Probleme verstreut. Man kann sie gelegentlich um des großen Überblicks Willen zusammenfassen, nach Dominanzen ordnen. Dann freilich treten die Einzeldiskurse und -institutionen in den Hintergrund. Sie alle jedoch haben sich im Gesamtprozeß an jeweils für sie spezifischen Schwellen abzuarbeiten, und ihre jeweilige problemlösende Leistung ist zugleich Voraussetzung für die Entwicklung der anderen. Mehr als die Rede von den Diskontinuitäten oder die älteren monokausalen Ansätze ist wahrscheinlich die systemtheoretische Vorstellung vom autokatalytischen Prozeß angemessen, die Vorstellung also von wechselseitigen positiven Rückkoppelungen der verschiedenen Elemente, die zu einer Dynamisierung des Gesamtprozesses führen. Deshalb wurde nun der Titel „Entwicklungsschwellen" gewählt, der voll ausgeschrieben etwa lauten könnte: Wie verschiedene Diskurse und Institutionen im 18. Jahrhundert spezifisch ihrer Domäne zugehörende Schwellen überschreiten, Probleme zu lösen versuchen und damit zum makroskopischen Bild von der Epochenschwelle im 18. Jahrhundert beitragen.
ABHANDLUNGEN
Wolfram Mauser
Geselligkeit Zu Chance und Scheitern einer sozialethischen Utopie um 1750
In seinem großen moralischen Lehrgedicht 'Die Freundschaft' phantasiert sich Friedrich Hagedorn in die Gestalt des Ulysses. Das Schicksal des Königs von Ithaka vor Augen, der nach „zwanzig sauren Jahren" ins Vaterland zurückkehrt, „Verarmt, gekrümmt, allein, und unerkannt[ . ..) Entstellt und ausgezehrt[ .. .) alles Schmucks beraubt", zieht der Zweiundvierzigjährige, nicht lange vor seinem Tod (1754), Bilanz. Dies geschieht aber nicht im Sinne einer persönlichen 'Abrechnung', sondern als Versuch einer Summe dessen, was ihm nach einem halben Jahrhundert Aufklärung als gesichert erscheint. Im Stande der Natur, al.s , zu der Menschen Ruhm, Noch keine Herrschaft war, kein Rang, kein Eigenthum , Da wollte die Vernunft, und selbst die Triebe wollten, Daß wir gesellig scyn, daß wir gefallen sollten; Dann war, zu gleichem Glück, im menschlichen Geschlecht Der Zweck gemeinschaftlich, und allgemein das Recht. Dann schmückten jeden Tag die Freyheit und der Friede. Wer wird, wo diese sind, des längsten Lebens müde? Als aber Stolz und Neid den frechen Schwung erhub, Gewalt das Recht bestürmt', und List es untergrub, Als Krieg und Raub und Wut der Schwächem Brust zerfleischte, Und vieler Sicherheit auch vieler Bund erheischte; Ward die Geselligkeit, die erste Zuversicht Der neu erschaffnen Welt, ihr immer mehr zur Pflicht. Jedoch, wie übertrifft die freundschaftliche Liebe Dieß allgemeine Band, und die Erhaltungstriebe!'
In der Geselligkeit erfüllt sich der Trieb zum Miteinander der Menschen. Die affektive Qualität dieses Miteinander bezeichnet Hagedorn in Übereinstimmung mit vielen seiner Zeitgenossen mit dem Begriff der Freundschaft; die höchste Stufe ihrer Vollkommenheit erreicht sie in „freundschaftliche(r] Liebe". Freundschaft in diesem Sinne entspringt nicht aus „Noth und Eifersucht", sondern aus der „ Weisheit" und der „reifen Kenntniß". Sie führt zu „Freyheit" und „Friede[n]"; in „Krieg und Raub und Wut" erweist sie sich als die „erste Zuversicht".
Friedrich von Hagedorn, Sämtliche poetische Werke, Hamburg '1771, Teil 1, S. 40, 49-50.
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Hagedorns Gedicht formuliert ein Programm des sozialen Miteinander, dem ein spezifischer Geselligkeitsbegriff zugrundeliegt. Das sozialethisch-politische Denken der Aufklärung erreicht mit den fünfziger Jahren eine bis dahin nicht gekannte Intensität und Breite. Zugleich stellten sich aber auch deutliche Anzeichen einer Wende ein, die gesamthistorisch von großer Bedeutung war. Man weiß, daß um die Jahrhundertmitte eine grundlegende Veränderung der leitenden Denkkategorien eintrat, die sich nachhaltig auswirkte. Die philosophischanthropologischen (Koselleck), naturwissenschaftlichen (Moravia), seelengeschichtlichen (Grimminger), geschichtsphilosophischen (Marquard) und kulturhistorischen (Welsch) Aspekte dieses Umbruchs wurden vielfach erörtert. 2 Im folgenden geht es darum, auf den für das Verständnis der Literatur der Zeit so wichtigen Wandel der sozialethisch-politischen Vorstellungen aufmerksam zu machen, der sich von den fünfziger zu den siebziger Jahren vollzog. Am Begriff der Geselligkeit ist dieser Vorgang deutlich ablesbar. Im Zuge dieser Umorientierung, die zu den weniger erforschten Aspekten des 18. Jahrhunderts gehört, verlor der Begriff der Geselligkeit seine zunächst wirksame Orientierungs- und Legitimationsfunktion, begann er, neue Zuständigkeiten wahrzunehmen.3 Mit dem Begriff der Aufklärung verbindet sich heute nicht nur die Vorstellung einer rationalistischen, kritisch zupackenden Philosophie, einer für neue Bereiche des Gefühlslebens sich öffnenden Empfindsamkeit, einer sich auf alle Gebiete ausbreitenden Technisierung, einer gelegentlich auch energisch vorangetriebenen Industrialisierung und einer zunehmenden Verschärfung der politischen und sozialen Gegensätze, sondern auch das Bild einer die Alltagswelt begleitenden und überhöhenden Geselligkeit, sowohl an den Höfen als auch im Kreis der Untertanen. Die Freude an geselligen Lustbarkeiten, an Tanz und Schlittenfahrten, an Spaziergängen und Jagden, an Hausmusik und Lesestunden bestimmte das Leben vieler Bürger und Landadeliger. Nicht immer hielt es sich in bescheidenem Rahmen; die vielen Ermahnungen, die das Schrifttum formuliert, waren wohl nicht ganz unbegründet. 4
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Reinhart Koselleck, Kritik und Krise . Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg, München 2 1959. Sergio Mora via, La scienza dell 'uomo ncl settecento, Bari 1970 (dt.: Beobachtende Vernunft, München 1973). Rolf Grimminger, Einleitung zu: ders. (Hg.), Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789, München J980. Odo Marquardt, Der angeklagte und der entlastete Mensch (1978), in: Abschied vom Prinzipiellen (Reclams Universal-Bibliothek, 7724), Stuttgart 1981. Wolfgang Welsch , Unsere postmoderne Modeme, Weinheim 1987. Hier jeweils weitere Literatur zum Epochenknick um 1750. Zum Begriff der Geselligkeit: Wolfgang Hinrichs, in: Joachim Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel, Stuttgart 1974, Sp. 456-458. Im ganzen fand die Theorie der Geselligkeit ausgehend von Schleiermacher und geistvoll entfaltet durch Georg Simmel (1910) mehr Aufmerksamkeit (Gehring, Spann. Tenbruck, Pieper, Mollenhauer, Altenhofer) als das historische Phänomen in den verschiedenen Epochen. Indiz für die exzeßhaften Formen von „Geselligkeit" in der Zeit des Ancien Regime ist die große Verbreirung des erotischen Geheimrheaters. Dazu: Arthur Maria Rabenalt, Voluptas ludens, München , Regensburg 1962. In den bürgerlichen Kreisen setzte es sich erst im 19. Jahrhundert durch.
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Nicht die vielfältigen Formen geselliger Zerstreuung, auch nicht das sich lebhaft entfaltende Leben in Vereinen, Bünden und Gesellschaften stehen im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen, sondern das sozialethisch-utopische Element, das der Begriff und die Vorstellung von Geselligkeit bis nach 1750 enthielten. Anthropologisch-ideelle Impulse waren es, die einen neuen Zuschnitt des geselligen Miteinander begründeten. Viele Zeitgenossen verbanden damit politische Perspektiven, die zunächst freilich nicht zu einer substantiellen Veränderung der politisch-staatlichen Realität führten . Von den sechziger Jahren an traten an die Stelle des Diskursiv-Egalitären, das viele offenbar mit der Vorstellung von Geselligkeit verbanden, verstärkt ganzheitlich-volkhafte Konzepte, die die Entwicklung fernerhin bestimmen sollten. Die Ablösung des in Ansätzen aufklärerisch-progressiven Geselligkeitsbegriffes, die in den fünfziger Jahren einsetzte, steht in auffallender zeitlicher Parallele zum Wandel der Familienvorstellungen in diesen Jahrzehnten.
l . Conversation Gut hundert Jahre vor Schleiermachers viel beachtetem 'Versuch einer Theorie des geselligen Betragens'5 "offerieret" Christian Thomasius dem Markgrafen zu Brandenburg Friedrich III., seinem "Gnädigsten Chur= Fürsten und Herrn", eine" Erfindung", die im Grunde nicht neu, um 1700 aber hochaktuell war: die Wissenschaft, „das Verborgene des Hertzens anderer Menschen auch wider ihren Willen aus der täglichen Conversation zu erkennen" .6 Nicht an die Gerichtsrede (Rhetorik) knüpfte Thomasius an, sondern an die Tradition der Konversations-Literatur, an das in der philosophischen Diskussion der Zeit sonst kaum präsente Verhaltensschrifttum. 'Conversation' besteht für ihn entweder aus einem Diseurs, oder aus einem andern Thun und Lassen, öfters aus einem von ungefchr entfallenen Wort, ja zuweilen gar aus einem heimlichen Blick eines andern sein Absehen auf ein mahl zu errathen weiß, welches er sich lange Zeit durch allerhand Künste und Räncke noch so meisterlich zu verbergen geflissen.
Thomasius greift das alte Diktum „Rede, daß ich dich sehen möge" auf und plädiert mit Leidenschaft für ein Studium, das das Sprechen, Tun und Lassen des anderen und damit seine wirklichen Absichten und geheimen Motive zu
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Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, in: Werke, Bd. 2, Leipzig 1927, S. 3-31. Christian Thomasius, Allerhand bißher publicirte Kleine Teutsche Schrifften, Halle 1 1721. Zitate S. 423, 425 und 431. Neben anderen folgte ihm Julius Bernhard von Rohr, Unterricht von der Kunst der Menschen Gemüther zu erforschen ... , Leipzig ' 1713('1715). - Die frühe Diskussion ist geprägt von der Dichotomie Eigennutz - Gemeinnutz, Karrieredenken Dienst am Menschen, Selbstbehauptung - Dienstbarmachung des anderen, eigenes G lück allgemeine Glückseligkeit: Der Widerspruch wurde durch das Vertrauen/FreundschaftsModell entschärft, aber erst durch Lessing und Kant aufgelöst; dies kann hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden.
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Wolfram Mauser
erkunden lehrt. Eine solche" Wissenschaft" sei für das „gemeine Wesen" höchst notwendig. Thomasius' Bemühungen zielen über Vorstellungen einer aufgeklärten Herrschaftspraxis hinaus auf eine veränderte Kultur des Umgangs der Menschen miteinander. Der Begriff, der ihm um 1700 dafür zur Verfügung steht, ist der der 'Conversation'. Noch Zedler hält an ihm fest: „Conversatio, die Conversation, Gemeinschafft, Gesellschafft, welche also genennt wird, wenn man mit einem persöhnlich umgeher', für weitere Auskunft verweist Zedler auf den Artikel „Klugheit zu leben". Historische Autoritäten und Muster dienen Thomasius als Beweis. Die eigentliche Leitfigur einer solchen „ Wissenschaft" ist für ihn aber Sokrates; denn aller Erkenntnis des anderen voraus liege die „Erkenntnüß sein Selbst". Sich auf Sokrates zu berufen, bedeutet nicht nur, lebenspraktische Akzente zu setzen, sondern auch auf einem Stil des Miteinander zu bestehen, der sich nicht am hierarchisch strukturierten „Haus" und Staat orientiert, sondern an Formen des Umgangs miteinander, die nicht auf Verhältnissen der Abhängigkeit beruhen. Es ist eine neue Art „politischer Klugheit", auf die Thomasius zielt. So lautet denn auch der Titel seines zunächst in Latein erschienenen Buches 'Primae lineae de jureconsultorum prudentia consultatoria' ( 1705), das 1707 in Deutsch herauskam: 'Kurtzer Entwurff der politischen Klugheit, sich selbst und andern in allen menschlichen Gesellschaften wohl zu rathen und zu einer gescheiden Conduite zu gelangen'. Bis 1725 folgten vier weitere Auflagen. War Conversation/Geselligkeit in der Gesellschaft des 17. Jahrhunderts zugleich der Raum staatspolitischen Verhaltens, so bezog sie sich an der Wende zum 18. Jahrhundert, zunächst bei Christian Weise, dann vor allem aber bei Thomasius auf einen nichtstaatlichen, vorwiegend außerfamiliären Bereich, den man als „privat" bezeichnete. Heute würde man die von Thomasius gemeinte Form geselliger Klugheit eher als „vorpolitisch" bezeichnen. In dieser Zone des "Privaten" wurde auch Verhalten erprobt, das politisch-staatlich wirksam werden sollte. Das Stichwort „Conversation" erscheint nun immer häufiger in den Anleitungsbüchern. Auch in kurioserem Zusammenhang wie der 'Venus Rebutee', einem „Discours Vom Tobacks=Decoro Und der so genannten TobacksFreyheit. Zum vergönnten Zeit= Vertreib der studirenden Jugend" (1722) eines „Philone De Conversationibus". 7 Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang aber Christoph August Heumanns Traktat 'Der politische Philosophus' (31724 ). Hier nimmt Konversation die erste Stelle im System der Alltagsklugheit ein. Elemente der Tradition treten nun nicht nur in eine neue Verbindung, sie erfahren in der aktuellen Bedürfnissituation auch eine neue Akzentuierung. Nicht die Frage: Was begründet die gesellschaftliche und die politische Ordnung, und nach welchen Vernunftprinzipien funktionieren beide? steht im Vordergrund, sondern: Wie soll sich der einzelne im gegebenen gesellschaftlichen Rahmen verhalten? Wie kann er diesen für sein persönliches Vor-
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Der Verfasser berichtet ausführlich über die Entfaltung einer Conversations-Kultur in seiner Zeit, in der auch das " Taback-Rauchen·· seine Funktion besitzt.
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ankommen ausfüllen? Dabei interessieren Rechte und Pflichten, aber mehr noch die Formen der Handhabung des Alltags in einer den sozialen Status fördernden Weise. Zugrunde liegt die Überzeugung, daß nicht Institutionen und politische Theorie wie von selbst den Zustand der Glückseligkeit herbeiführen, sondern daß der einzelne sie durch Klugheit und praktische Vernunft erwerben könne. Kluge Geselligkeit ist hier Teil einer umfassenden Lebenspraxis. Auch der Kluge handelt nach Normen, aber er tut dies kraft Einsicht, kritischem Vermögen und Selbstverantwortung, nicht nur aus Gewohnheit. 8 Dieser Auffassung liegt die Einsicht zugrunde, daß die beste Tugendregel Tugendhaftigkeit im ganzen noch nicht sicherstellt. Die abendländische Philosophie kennt das Problem der törichten, torenhaften, narrenhaften Regelerfüllung. Eines der wichtigsten Themen der Aufklärungsdichtung und des ethischen Schrifttums der Zeit war die Versuchung des Menschen, das Richtige auf falsche Art zu tun. Abdera und Schilda waren allenthalben anzutreffen. Die Lehre von der Klugheit zielte vor allem auf die Gemäßheit des Verhaltens. Insofern besaß sie eine „Vermittlungsfunktion" ,9 deren Bedeutung mit dem Grad an Praxisnähe wuchs. Es komme darauf an, ein „erbares, sittsames und gerechtes Leben" zu führen; alles andere sei „Thorheit"; so erwiesen sich für Thomasius politische Klugheit („gescheide Conduite") und Torheit/Narrheit als Gegenbegriffe. Die gesunde Vernunft (der Hausverstand) wurde zur obersten Begründungsinstanz, Gesundheit zur Leitkategorie eines gemäßen Verhaltens. Methodisch setzte sich Thomasius zum Ziel, ohne sich um „Secten" weiter zu kümmern, die „Regeln der Weißheit und Klugheit aus der gesunden Vernunfft und aus den Grund=Sätzen handgreifflicher Warheit her[zu)leiten".' 0 „Handgreifflich" war zuallererst das Wissen aus Erfahrung. Die Schrift des Thomasi us zur' Politischen Klugheit' kann in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden; vor allem deshalb nicht, weil sie es wagte, sich zwei mächtigen und einflußreichen Positionen entgegenzutellen: philosophischmethodisch gesehen dem syllogistischen Verfahren; politisch gesehen der Doktrin der Staats-Klugheit. Während sich die „Privat-Klugheit", so Julius Bernhard von Rohr (J 688-1742) in seiner 'Einleitung zur Ceremonial=Wissenschaft der Privatpersonen' ( 1728), erst allmählich durchzusetzen vermochte, habe das, was man als „Staats-Klugheit" bezeichnete, die politische Diskussion beherrscht.11 J. C. Rüdiger beklagte noch 1722, daß „auf Academien/ das Studium politices, so wohl von Lehrenden als Lernenden, gar zu sehr verabsäumet" werde, auch in Leipzig und Halle, wie er ausdrücklich hervorhebt. 12 Die Verach-
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Vgl. Gerhard Funke, Gewohnheit (Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. 3), Bonn 1 1961, handelt seine Geschichte des Tugendverständnisses unter dem aristotelischen Begriff der ' Gewohnheit' (habitus) ab, den Thomasius und seine Nachfolger zurückzudrängen versuchten. Wolf Wucherpfennig, Klugheit und Weltordnung. Das Problem des politischen Handelns in Lohensteins "Arminius', Freiburg 1973, S. 35-42. Christian Thomasius, Kurzer Entwurf der politischen Klugheit ... , Frankfurt und Leipzig 1710. Neudruck Frankfurt a . M. 1971, S. 4 und 5. Julius Bernhard von Rohr, Einleitung zur Staats-Klugheit . . „ Leipzig 1718, Vorrede. Johann Christian Rüdiger, Klugheit Zu Leben, und zu Herrschen .. ., Leipzig 1722, S. 3.
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tung des Aristoteles und ein Übergewicht an Theorie seien die Erklärung dafür. Gemeint war dabei das, was Thomasius schon in seinem 'Discours' über Gracians 67. Maxime ( 1687) als die „ohnnöthigen Grillen derer Schulfüchse" bezeichnete und mit H ilfe des Aristoteles-Gegners Ramus „auszutilgen und aus dem Lande zujagen" versucht hatte. 13 Aber noch bis weit in das 18. Jahrhundert hinein erschien eine Reihe von wirksamen und erfolgreichen Schriften, die nicht nur für die „Staats-Klugheit", sondern auch für die Hierarchie des absolutistischen Staates eine Lanze brachen (Schröder, Rüdiger, Hoffmann, Peltzhoffer und andere). Noch an den 1748 erschienenen 'Grund-Reguln einer Staats=Wissenschaft' wird deutlich, welch geringe Rolle die „Conversation" im Denken vieler konservativer Autoren spielte. 14 Heumann fragte demgegenüber in seinem 'Politischen Philosophus', ob es denn richtig sei, „Regenten und Staats=Ministros, klug zu machen" und für das eigene Wohlsein „keine rechtschaffene Sorge'' zu tragen. Heumann wehrt sich, kritische Vorwürfe im voraus entkräftend, gegen die Unterstellung, nicht nach den Grundsätzen des strengen Syllogismus zu verfahren; dieses, so betont er, mache er in seinem Kopf, was er präsentiere, sei nicht der Methode, wohl aber der Sache nach neu, der Versuch nämlich einer Philosophie des „gemeinen Lebens". Es gebe eine übergroße Zahl von Werken zur „Staats= Klugheit", zur „Politica publica", die sich „mit der Wohlfahrt einer gantzen Republic" beschäftigt, kaum eines aber befasse sich mit der „Politica privata". Dafür habe erst Thomasius „glücklich" die Bahn geebnet. Jedem seiner acht Kapitel legt Heumann die Prudentia homiletica, oder „die Klugheit zu conversiren" zugrunde, wobei er Homiletik nicht im Sinne von Theorie und Anleitung zur Predigt versteht, sondern in der ursprünglichen Bedeutung von (griech.) Umgang, Unterhaltung. 1 ~ Diese neue „Conduite" mit dem Blick auf den Alltag, auf das gemeine Leben, bezeugte eine Veränderung des anthropologischen Denkens. Grundpositionen des 17. Jahrhunderts rückten in immer größere Ferne. Pietistische Seelenerkundung, organismisch-synergetische Theoreme, wie der Hallesche Arzt Georg Ernst Stahl 16 sie entwickelte, und Ideen des Miteinander, wie August Hermann Francke sie mit konzipierte, kamen dem Um- und Neudenker Thomasius ebenso entgegen wie der gesamten auf Lebenspraxis und damit auf die Berücksichtigung
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Christian Thomasius, Discours, welcher Gestalt man denen Frantzoscn in gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle? Leipzig 1687. Jetzt in: Deutsche Schriften , hg. von Peter von Düffel (Reclams Universal-Bibliothek, 8369-71), Stuttgart 1970, S. 20. (Johann Christoph Cör06r], Wahre Grund=Reguln einer Staats= Wissenschaft .. „ Leipzig und Cöthen 1748; Cörner kommt in seiner umfangreichen . Prudentia regnandi" konsequenterweise zu dem Schluß, daß .Socrates, Platon und andere·· keine „Staats= Klugen Leute" gewesen seien (7). Christoph August Heumann, Der Politische Philosophus, Das ist, Vernunfftmäßige Anweisung Zur Klugheit im gemeinen Leben, Frankfurt und Leipzig ' 1724. Neudruck Frankfurt a. M. 1972. Belege: Erste Vorrede 1714, (a 5 r). Zu Stahl: Wolfram Mauser, G lückse ligkeit und Melancholie in der deutschen Literatur des frühen 18. JahrhundertS. (Erscheint 1990). Johanna Geyer-Kordesch. Georg Ernst Stahl. Pieti smus, Medizin und Aufklärung in Preußen im 18. Jahrhundert. (Erscheint 1990).
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der Bedürfnisse des Menschen ausgerichteten neueren Weltweisheit. Die neuen Vorstellungen des Miteinander erschienen vielen nicht weniger zeitgemäß als Bildung, Naturerforschung oder Kameralistik. Der neue Geist bewegte sich weder auf der Linie des feudalabsolutistischen Staates noch auf der des „Hauses" als kleinster Wirtschaftseinheit; Privat-Klugheit, Konversation u11d GeseUigkeit zielten vielmehr auf Formen der „Assoziation", die Grundsätze wie Freiwilligkeit, Gleichheit und Eigenentscheidung miteinander verbanden und einen bestimmenden Anteil an der Aufklärung in Deutschland hatten.
2. Vom „bürgerlichen Wandel" Was Thomasius mit der Verschiebung des Interesses von der Staats-Klugheit zur Privat-Klugheit im Auge hatte, war eine Kultur der Geselligkeit, die dem Denken und den politischen Vorstellungen der frühen Aufklärung entsprach. Wie wenig die deutsche Tradition aber für ein solches Unterfangen vorbereitet war und wie schwierig es war, die verinnerlichten und verfestigten Hierarchiestrukturen daraufhin zu öffnen, zeigt die allgemeine terminologische Unsicherheit in diesen Fragen bis weit ins 18. Jahrhundert. So sammelten sich die Vorstellungen in diesem Umfeld zunächst um den schwer systematisierbaren Begriff der Lebens-Art (Genus vitae). Zedler spricht von vier Graden, die „Staffels-Weise" aufeinander folgen (Vita silvestris des Jagd- und Höhlenmenschen; Vita pastoraJis des Viehzüchters; Vita agrestis des Ackerbauers; Vita civilis sive urbana et mitior des Menschen, der ein „Haus-Wesen", Gärten und gehobene Landkultivierung geschaffen hat). Die letzte und höchste Stufe sei nicht nur durch die Herrschaft über die materielle Welt gekennzeichnet, sondern auch durch einen hohen Kulturzustand, in dem vom Menschen erwartet wird, daß er sein Leben vernünftig, das heißt den Umständen gemäß einrichtet, daß er im Zuge der Arbeitsteilung prüft, wo das richtige Verhältnis von Begabung, Studium und praktischer Tätigkeit für ihn liegt, und daß er die gewählte Form der Lebensführung und der beruflichen Arbeit in einer Weise verwirklicht, die ihm und dem „gemeinen Wesen" nützt. Dazu gehöre, daß er seine "Kräffte wohl[ ...] gebrauchet", im einzelnen und im ganzen frei, das heißt den Verhältnissen entsprechend entscheidet und einen klugen Ausgleich von Eigennutz und Dienst an der Allgemeinheit zustandebringt. Wenn ihm dies gelingt, sei auch der Erfolg gesichert. Der Artikel mündet in eine für Zedler ungewöhnlich eindringliche Belehrung. Es ist bemerkenswert, daß Zedler im Zeitalter einer verschärften landesfürstlichen Wirtschaftspolitik, die auf eine Steigerung der Bevölkerungszahlen und auf eine zunehmende Berufsqualifikation zielte, einer der Einzelperson gemäßen Lebens-Art klaren Vorrang vor den Ansprüchen des Vaterlandes gibt: Gehet es mit der ergrieffenen Lebens=Art in deinem Vaterlande nicht fort, versuche es anderwärts [ . ..) Erkennet man in diesem Lande deine Verdienste nicht, bist du nicht an dasselbige gebunden. Versuche es anderwärts. Unterdrucke! man dich an diesem Orte, wird man dich an jenem vielleicht erheben.
Der Begriff der Lebens-Art in seiner spezifischeren Bedeutung hatte das nach
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dem Dreißigjährigen Krieg vehement sich entfaltende Leben in den Städten zur Voraussetzung und prägte es zugleich in zunehmendem Maße. Die machtpolitische Konstellation in den Landesfürstentümern und die hierarchische Struktur der Wirtschaft (auf den Landgütern, in den Handelshäusern und in den Gewerbebetrieben bis hin zu den Verlagen und Manufakturen) führten zwar zu materiellem Fortschritt, eine Verbesserung der Lebensverhältnisse des einzelnen und des Umgangs der Menschen miteinander war damit aber nicht notwendigerweise verbunden. Impulse dafür kamen indessen aus der sich etablierenden Schicht von Gebildeten, Bürgern und Adeligen, häufig Landadeligen, die sich über die Konturen eines eigenen Lebensstils zu verständigen suchten. Dies konnte nur unter Anlehnung an höfisch-urbane Muster geschehen. Kein Begriff fand dabei so viel Einverständnis wie der der Lebens-Art. Autoren und Leser scheinen spontan verstanden zu haben, wovon die Rede ist, nämlich von einer allgemeinen Vervollkommnung der Umgangsformen, einer besonderen Beachtung der geistig-kulturellen Werte und eines verstärkten Interesses an den (auch politisch wirksamen) Formen des Miteinander. Meinte das Wort Lebens-Art im 18. Jahrhundert zunächst noch soviel wie Beruf oder Berufsorientierung, so markierte es zunehmend die Gesamtorientierung, den „Lebensplan" des Menschen, wobei in der Regel damit eine ganz bestimmte Einstellung zur Mitwelt verbunden war: „In Ansehung des Betragens gegen andere im gesellschaftlichen Leben" (Grimm). Etwas zugespitzt kann man sagen, Lebens-Art zu besitzen, bedeutete Uedenfalls auch), gesellig, des Gesprächs fähig und für Neues offen zu sein. So benutzte der Verfasser des 'Lustigen Observateurs' 1724 den Begriff vor allem dort, wo es ihm um die Abkehr von der Einsamkeit, die Überwindung von Vorurteilen und einen freieren Umgang geht. Lebens-Art ist so Ausdruck von Privat-Klugheit. Ihr liegen Elemente der Konversationstheorie, wie Thomasius und Heumann sie vertraten, ebenso zugrunde wie das, was man in der Natur des Menschen angelegt sah. Spalding wird 1748 in seiner 'Betrachtung über die Bestimmung des Menschen' sagen können, die „einzige Hauptwissenschaft" sei die „des Lebens"; was er in diesem Zusammenhang als „innerliche Richtigkeit'' bezeichnet, trifft sich weithin mit der Vorstellung von „Lebens-Art" . 17 Wer für das Neue aufgeschlossen war, orientierte sich nicht an einer Lebensführung, die sich im Hinnehmen, im Erdulden und in Leidensfähigkeit erfüllte, wie noch im „Jammertal" des 17. Jahrhunderts. Beständigkeit (Constantia) als Haupttugend einer Ideologie des Ertragens ist keine Grundforderung mehr. Die neuen Tugenden sind: Ausdauer, Fleiß, Pünktlichkeit, Verläßlichkeit, Redlichkeit und Sparsamkeit. Lebens-Art ist demnach etwas, was man tatsächlich in dieser Welt verwirklichen kann, und zwar nach eigenen Vorstellungen und unter Voraussetzungen, die sich
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Johann Joachim Spalding, Die Bestimmung des Menschen, Leipzig • 1768, ( 1 1763), S. 7- 8, 16. Vgl. Johann Michael von Loen, Entwurf einer Staats- Kunst . . „ Leipzig ' 1751 , S. 51-64: 'Von einer guten Lebens= Art und der Gelegenheit seines Gutes sich zu erfreuen.'
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nicht nach dem Muster: Anordnen/Gehorchen richten, sondern sich aus der Conversation, dem Miteinander-Umgehen, dem Miteinander-Reden ergeben. Lebens-Art und Geselligkeit vereinigten in sich im wesentlichen zwei Elemente der Überlieferung: ein naturrechtliches und ein verhaltenstheoretisches. Geselligkeit als Trieb oder Vernunftpostulat war in der langen Tradition des Naturrechts jenes Moment, das den Menschen in den Gesellschaftsverband führt. Geselligkeit als das treibende Etwas, das die Gesellschaft zustandebringt, band nicht weniger denkerische Energien an sich als das Phänomen der Sprache, wobei zunächst nicht so sehr Sprachphilosophie die Überlegungen beherrschte als die Frage nach der Funktion und der Handhabung des Gesprächs. Wenn Menschen vernünftig miteinander umgehen sollen, müssen sie sich über alle Fragen der Assoziierung verständigen. Während Christian Wolff in seinen 'Vemünfftigen Gedancken Von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen' (1721) im Grunde eine Theorie der politischen Institutionen - von Ehe, Haus und väterlicher Herrschaft bis hin zur Landesobrigkeit-vorlegte und dabei einen starken Akzent auf den Aspekt des Staatlichen setzte, zeigten Thomasius und seine Nachfolger vergleichsweise geringes Interesse an den Institutionen. Was sie allem voran beschäftigte, war die Frage nach dem (geselligen) Verhalten des Menschen, das heißt nach den Voraussetzungen und Möglichkeiten einer sozialethisch begründeten Lebensführung. Nicht um Herrschaftslegitimation und um die theoretische Fundierung der Institutionen ging es ihnen, sondern um praktische Sittlichkeit im Umgang der Untertanen miteinander. Thomasius ersetzte das gewohnte Rechtsprinzip der „ vernünftigen Menschennatur" durch das moderne Rechtsprinzip der „geselligen Menschennatur". Indem er die herkömmliche Naturrechtsbegründung (recta ratio, natura hominis rationalis) mit der modernen (freilich seit der Antike geläufigen) der natura socialis des Menschen verband, trug er zur Durchsetzung eines Rechtsbegriffes bei, für den das „Vernünftige" auch das „Gesellige" ist, „ weil die Vernunft selber wesentlich gesellig ist. Bezogenheit auf andere Menschen ist eine Haupteigenschaft der menschlichen Vernunft" . 18 Der Reiz, ja die Eleganz seines Geselligkeitsbegriffes lagen nicht zuletzt darin, daß sich traditionelle Positionen und Argumentationen ohne besondere Schwierigkeiten in das Neue integrieren ließen. So war es kein Zufall, daß er i687 „Der Studierenden Jugend zu Leipzig" die Art „ Vernünfftig / klug und artig zu leben" in einem Kolleg über Gracians 'Grund= Regeln' zu vermitteln suchte. 19 Aber was bedeutet es - für Thomasius und für die Verhältnisse in Deutschland - , daß er sich an der Wende zum 18. Jahrhundert auf Gracian berief? Der Versuch, diese Frage zu beantworten, führt in die weitläufige Tradition der europäischen Verhaltensliteratur; vielfach verwandelt, aber deshalb nicht weniger bestimmend wirkte sie bis ins Aufklä-
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Werner Schneiders, Naturrecht und Liebesethik. Zur Geschichte der praktischen Philosophie im Hinblick auf Christian Thomasius, Hildesheim 1971 , S. 109- 110. Thomasius, Discours (wie Anm. 13), S. 5-49.
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rungszeitalter nach. Noch um 1700 konnte sie dem einzelnen dazu dienen, die komplizierten inneren und äußeren Zusammenhänge des gesellschaftlichen und politischen Machtapparates zu verstehen. Er konnte daran lernen, wie man sich zu verhalten hatte, wenn man, unter Wahrung von Dezenz und Takt, Erfolg haben wollte. Voraussetzung dafür war, daß man im anderen einen Mitspieler sah, dessen Interessen, Absichten und Motive es zu durchschauen galt. Dazu war eine praktische Psychologie erforderlich, die darauf gründete, den anderen zu verstehen, und die Bereitschaft, die Spielregeln im ganzen zu beachten. Dieses Leitbild grenzte ebenso ein, wie es ausgliederte. Der gesellige Umgang der Menschen miteinander war zu einer Kunst geworden, er markierte aber auch das Feld, auf dem sich die entscheidenden politischen Prozesse vollzogen. Für die höfisch-humanistische Welt, mit der das Mittelalter in wesentlichen Aspekten seinen Abschluß gefunden hatte, formulierte Castiglione 1528 in seinem 'Cortegiano' (deutsch:' Der Höfling', 1560) ein Gesellschaftskonzept, das mehr als 200 Jahre Geltung behielt. Aber schon die italienischen Nachfolger setzten andere Akzente. Giovanni della Casas 'II Galateo' ( 1558) schrieb die bewährten Verhaltensregeln stärker alltagsbezogen fest. Er wurde zum eigentlichen Lehrmeister gesellschaftlicher Bildung, dessen Fernwirkung bis ins 19. und 20. Jahrhundert reichte. Die 'Civil Conversazione' von Stefano Guazzo (1574; deutsch: 'Vom bürgerlichen Wandel', 1599) nahm zwischen Castigliones Idealismus und della Casas Pragmatismus eine vermittelnde Stellung ein. Sein Buch wandte sich an alle Stände und Schichten. Es nahm sich vor, den Menschen nicht für den Auftritt am Hof vorzubereiten, sondern für die entscheidenden Lebenssituationen, für den Umgang der Menschen miteinander in allen Berufen, Ständen und Altersgruppen, aber auch in Familie, Ehe und Haushalt. Obwohl sich schon der 'Galateo' den mittleren Ständen geöffnet hatte, war Guazzos 'Conversazione' am ehesten das, was man ein Aufklärungsbuch nennen könnte. 20 An die italienischen Muster knüpften am selbständigsten die Franzosen an (Franz von Sales, Faret, Du Refuge). In Deutschland blieb es zunächst bei Übersetzungen, die in der Regel bald nach den Originalausgaben folgten. So war bei allen Unterschieden im einzelnen doch für mindestens zweihundert Jahre ein europäischer Kodex gesetzt, dessen Einhaltung Prestige brachte, das Bewußtsein von Rang vermittelte und die Gewißheit festigte , durch Selbstdisziplinierung an der moralisch-ästhetischen Vervollkommnung der Welt Anteil zu haben. Dies freilich unter maßgeblicher Berücksichtigung des jeweils eigenen Vorteils. Zum wohl aufschlußreichsten Indikator für die sich wandelnden Akzente und Funktionen des Verhaltenskodex wurde der Begriff des Politischen. 2 1 Dabei spielte die schon von Aristoteles und Cicero gepriesene Tugend der prudentia
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Emilio Bonfatti, La 'Civil Conversazione' in Germania. Leueratura del componamento da Stefano Guazzo a Adolph Knigge, 1574-1788, Udine 1979 (Universitil degli Studi di Trieste. Facolta di Magistern, Ser. 3, 14). Vgl. vor allem Wilfricd Barner, Baroc krhetorik . Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 1970.
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(Klugheit) eine herausragende Rolle. Da sie sich zunächst mit dem Glanz und der Weitläufigkeit des Hoflebens verband, erhielt das Wort einen besonderen Klang. Im Bewußtsein vieler stellte sich eine Gedankenverbindung von Klugheit und Kavaliersleben, weltmännisch-höfischem Verhalten und modischer Kleidung her. Noch für Christian Weise und Thomasius standen das Galante und das Politische nahe beisammen. Die Wirklichkeit sah indes meist anders aus, als das ideale Leitbild des Hofmannes es wollte. Die zunehmende Hofkritik seit dem 15. und 16. Jahrhundert läßt erkennen, wie groß das Unbehagen an den verbreiteten Mißständen war. Die Skrupellosigkeit machiavellistischen Machtdenkens und die Mißachtung christlicher Ethik drohten das Leben im Staat zu vergiften. Hofleben und Politik wurden zum Inbegriff von Vorteilsnahme, Falschheit, Lüge und Betrug. In dieser Situation gewannen Gracians Schriften besondere Bedeutung. Er wurde zum „Klassiker" einer veränderten politischen Lebenslehre. Der Klugheit wies er einen neuen Ort im Funktionszusammenhang von Staat und Gesellschaft zu. Auch für ihn standen Selbsterkenntnis und Welterkenntnis, Selbstbeherrschung und Weltbeherrschung im Vordergrund . Stärker als bislang trat aber die Technik klugen, aufmerksamen und berechnend politischen Verhaltens in den Dienst der Anstrengung, sich nicht beherrschen zu lassen. Voraussetzung dafür war die richtige Einschätzung des Gegenübers, die Kunst des Sich-Anpassens, eine gesteigerte Wahrnehmung dessen, was den Untertanen bedrohte oder ihm zum Vorteil gereichen konnte. Seine Anweisungen zu klugem Verhalten setzten eine intellektuell-praktische Dynamik des Politischen in Gang, die angesichts der Zerrüttung der alten Machtstrukturen und der Erschütterung des bewährten Herrschaftsethos vor allem dem Bedürfnis der Selbstbehauptung folgte, darauf zielte, „Cautelen" aufzubauen. 22 Dies ist auch der Aspekt, der Gracian für Thomasius interessant machte. Bei dem Versuch, Wege der Selbtbehauptung des Untertanen an der Wende zum 18. Jahrhundert aufzuzeigen, „oszilliert" sein Begriff des Politischen „zwischen dem Salonbegriff galant und dem diplomatischen prudent nicht weniger als zwischen dem honnere des honnete homme und dem savanr des homme savant".23 Der Untertan, der sich als Weltmann zu begreifen begann, orientierte sich nicht mehr an Hof oder Salon. Thomasius unterscheidet in Hinblick auf die Klugheit der Konversation nun zwischen Freunden, Feinden und Unbekannten. Dafür bot Gracian reichlich Anregung. Damit war das Ideal einer galanten Lebensführung zwar nicht überwunden, es konnte aber eine dem Bürger angemessene Kontur finden.
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So z.B. Johann Gottfried Gregorius(Melissantes), Curieuser Affecten=Spiegel/ Oder auserlesene Cautelen und sonderbahre Maximen, Die Gemüther der Menschen zu erforschen ..., Frankfurt und Leipzig 1715. Claudia Henn-Schmölders, Ars conversationis. Zur Geschichte des sprachlichen Umgangs, in: Arcadia 10 ( 1975). S. 29.
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Die herausragende Bedeutung, die die Begriffe Politik, Konversation und Geselligkeit um 1700 gewannen, ergab sich auch aus der besonderen Konstellation in Halle. Entschiedener und nachdrücklicher als anderswo ging es hier, vor allem nach der Gründung des Waisenhauses, darum, junge Männer für den Dienst in der Verwaltung des Staates auszubilden. Christian Weises Bemühungen an den Gymnasien in Weißenfeld und Zittau liefen in eine ähnliche Richtung.2• Die politische, das heißt weltmännische Orientierung, die hier wie dort angestrebt wurde, erfolgte in der Absicht, das Gemeinwohl der Bewohner des Landes zu fördern. Thomasius scheint darüber hinaus erkannt zu haben, daß der moderne Staat und eine an seinem Erfolg orientierte Gesellschaft neben naturrechtlich gesicherten, unzweifelhaften Rechtspositionen und neben einer der modernen Welt angemessenen praktischen Sittenlehre auch der Verhaltensregeln bedarf, die sich in einem ständigen Prozeß des Miteinander herstellen, aber auch verändern. Zwei Voraussetzungen, die sich beide der Institutionalisierung entziehen, hielt er dabei für unverzichtbar: das Prinzip der Gleichrangigkeit und das des Vertrauens. Das eine fand er, unabhängig von der Naturrechtslehre, in der Theorie und Praxis der Conversation vorgebildet, das andere in der Tugend der Freundschaft. 3. Prinzip Vertrauen Eine „Privat-Klugheit", die sich auf „gesunde Vernunfft" und Erfahrung stützt, auf Selbstbehauptung zielt, den Nutzen im Auge behält, in der Conversation die erste Grundlage wirksamen Handelns sieht und damit dem einzelnen ein hohes Maß an Selbständigkeit, Urteilsfähigkeit und Gemeinsinn zugesteht, die zugleich aber auch die staatlichen und kirchlich-autoritären Instanzen in ihre Grenzen weist, muß Kategorien finden, die gleichwohl die Ordnung gewährleisten und das Wohl des Gemeinwesens sicherstellen. Sie muß sich vornehmen, den Zweck und die Funktion der Institutionen auch ohne diese zu erreichen. Die Kategorie, auf die die Aufklärungsautoren zunehmend setzten, war die des Vertrauens. Wo Menschen in einem freien Gespräch stehen, müssen sie wissen, daß sie sicp aufeinander verlassen können, daß auch der andere das Beste für das Ganze will. Es war das ausgemachte Ziel des traditionellen Verhaltenskodex, das spannungsvolle Zusammenleben am Hof und in der höfisch-gelehrten Gesellschaft dadurch in einem labilen Gleichgewicht der Kräfte zu halten, daß man einen Kanon von Umgangsformen festschrieb , der die Beteiligten einbinden, ihnen Halt geben, sie aber auch begrenzen sollte. Da der Mensch „zu der Gesellschafft gebohren" ist, schrieb der Abt Bellegarde, sei „ unter allen Wissenschafften diese die nützlichste, welche lehret, wie man leben soll." Die Artigkeit des Verhaltens, als „Inhalt aller sittlichen Tugenden", vereinige in sich „Be-
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Dazu: Barner (wie Anm. 21).
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dachtsamkeit, Höfligkeit, Gefälligkeit und Vorsichtigkeit". Sie allein schütze vor der „Auslachens=würdigkeit" und sichere den Erfolg.is Entgegen den Gewährleistungsfunktion en des Formalen, den Manieren und Konventionen setzte Thomasius, unter Wahrung der Forderung nach galanter „Conduite", den Akzent auf die „Sache selbsten". Diese Sachgerechtigkeit erforderte über kritischen Verstand hinaus Vertrau.eo des einen in den anderen. Aber auch zu große Vertraulichkeit könne der Sache schaden. Thomasius widmete der Frage nach dem richtigen Maß an Familiarität mehrere Seiten seiner 'Politischen Klugheit'. Auch ein „höchst angenehmer Dienst" verliere den Charakter einer „Gutthat", wenn er „mit widerwärtigen oder traurigen Hertzen geleistet wird". Hingegen könne Unangenehmes „annehmlich" gemacht werden oder den „Eckei" verlieren, wenn es mit „auffrichtiger Freundlichkeit" vorgestellt wird. Doch sei Vorsicht geboten: „Traue / aber schaue wem." 26 Der Akzent lag nun auf dem gesunden Mißtrauen. In dem Ausmaß, in dem die Kategorie des Vertrauens Funktionen übernahm, die zuvor dem Primat des Formaten übertragen waren, veränderte sie ihre Zuständigkeit und ihr Gewicht. Du Refuge, dessen 'Traite de la Cour' von Harsdörffer ins Deutsche übertragen wurde, fügte in sein Anleitungsbuch einen Abschnitt „ Von dem Vertrauen" ein. Für ihn ging es aber noch nicht um die Vergewisserung, sich aufeinander verlassen zu können, sondern um die Zuversicht, mü geeigneten Mitteln das angestrebte eigene Ziel erreichen zu können, „daß wir uns getrauen durchzubrechen und zu unsrem Verlangen [gemeint ist: Ziel des Verlangens] zu gelangen". Es sei eine „ Bewegung", die sieb in uns ereignet. 27 Die neue Art von Vertrauen als Grundlage jeder Form freier und aufrichtiger Gegenseitigkeit, auf der allein Privat-Klugheit wirksam werden konnte, hatte viele Facetten. Sie meinte die Erwartung, daß man in der „ vertrauten Conversation" nicht „sein gantzes Hertz" ausschüttet, da dies dem Gesprächspartner seine Unbefangenheit nehme, ebenso wie die Forderung, in „seinem Thun und Lassen" nur „so viel Freyheit" zu beanspruchen, daß diese dem andern auch „gefallen" kann, statt davon auszugehen, er werde sie schon nicht übelnehmen. Zu einer vertrauensvollen Konversation gehöre aber auch, daß der andere zuhört, daß er auf das Ernstgemeinte eingeht und daß sich die Gesprächspartner nicht gegenseitig zum Narren machen. Der „Arglistigkeit" falscher Klugheit widmete Thomasius breiten Raum, in ihr sah er die eigentliche Gegenkraft zum Vertrauen.28 Dem 'Magazin oder Vorrathskammer [...) zur Errichtung ordentlicher Wirthschaften' ( 1751 ), das dem geselligen Umgang große Aufmerksamkeit
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Jean Baptiste Morvan de Bellegarde, Betrachtungen über die Artigkeit derer Sitten, Nebst einigen Grund=Regeln Vor die Bürgerliche Gesellschaft .. „ Leipzig 1708, Tl. 1, S. 1-2; Tl. 2, S. 1. Tbomasius, Politische Klugheit (wie Anm. 10), S. 119 und 157. Eustache Du RHuge, Kluger Hofmann, Frankfurt a. M. und Hamburg 1655, S. 58-61. Tbomasius, Politische Klugheit (wie Anm. 10), S. 155-156; zur Arglistigkeit vor allem S. 11-14, 164-165. Noch 1792 wird der Gegensatz abgehandelt in Johann Friedrich Jüngers Lustspiel 'Freundschaft und Argwohn'.
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schenkt, gab Johann Gotthold Kiesling ein Titelkupfer mit dem Motto bei: „Aberglaube und Mißtrauen kan' vieles [viel Schädliches] verursachen." Die Kategorie des Vertrauens, der im Zeitalter einer nachlassenden Integrationskraft von (absolutistisch-hierarchischem) Staat und (dogmatisch begründeter) Kirche in zunehmendem Maße Leit- und Legitimationsfunktionen zuwuchsen, hatte keinen festen Ort im System der Tugenden. Was sie sicherstellen konnte, war am ehesten mit dem Tugendbegriff der Freundschaft zu fassen. 29 Schon in der Antike meinte sie Zuverlässigkeit im Feld des Sozialen. So überrascht es nicht, daß sie im Verlauf der nachfolgenden Jahrzehnte mehr und mehr zum Garanten für Gemeinsinn, Verläßlichkeit und das Gefühl des Miteinander in einem außerinstitutionellen Raum geselligen Umgangs wurde. Konsequenterweise fügte der Herausgeber der dritten verbesserten Auflage (1724) von Heumanns 'Politischem Philosophus' dem Erfolgsbuch ein Kapitel über „Prudentia philemonica", über „Freundschaffts=Klugheit" an. 30 Er entsprach damit offenbar einer neu sich entfaltenden Erwartungs- und Bedürfnislage. Nicht mehr zustande gekommen sei indessen, was der Bearbeiter bedauert, ein Abschnitt „De Morosophia, oder von der Weisen Thorheit und politischen Unweißheit". Diese Weisheit von den mores sei es, worauf die „Klugheit im gemeinen Leben" hinauslaufen und worin sie gipfeln sollte. In seiner Ergänzung bezieht sich der Bearbeiter ausdrücklich auf das zerstörerische Prinzip des bell um omnium inter omnes, dem er das Prinzip des Vertrauens entgegenstellt: „[ ...] die gantze Welt ist voller ehrlichen Leute, guter Freunde, getreuer Nachbarn, und dergleichen.·· Mit dem Prinzip der Freundschaft, das nun Teil der „politischen Klugheit im gemeinen Leben" wird und sich auf die Vorstellung von Gleichheit und Ausgleich der Interessen stützt, konstituierte sich so eine diskursiv-egalitäre Sozialethik, zu deren obersten Grundsätzen Redlichkeit, Rechtschaffenheit und Verläßlichkeit zählten. 3 1 Freundschaft deckte alle Bereiche des Miteinander ab. So bedeutete „Klugheit im Ehestande", daß die Eheleute „in der genauesten Freundschafft mit einander stehen". Trotz der unterschiedlichen Funktionen, die Mann und Frau in der Ehe zu erfüllen hätten, und trotz der Tatsache, daß der „Mann das Directorium" habe, bewirke die Freundschaft, daß „beyde Eheleute
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Den sozia lethisch -politischen Aspekt der Freundschaft im 18. Jahrhundert hat die bisherige Forschung {Rasch, Miuner, Trunz, Tenbruck, Salomon, Beck, Mohr, Kon , Meyer-Krentler u. a.) kaum beachtet. So betont auch Christa Seidel {Rilter, Historisches Wörterbuch , wie Anm . 3, Bd. 2, Sp. 1108-1114) die ethische Fundierung der Freundschaft im 18. Jahrhundert , nicht aber den politisch relevanten Aspekt der mit dem Phänomen Geselligkeit gegeben ist. Vgl. Silvia Bovenschen, Vom Tanz de r Gedanken und Gefühle . .. Über die Freundschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 25. 1. 1986. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit , Neuwied 1962, berührt den Aspe kt der Geselligkeit nur gelegentlich; die Entfahung von literarischer und politischer Öffentlichkeit sieht er in einem funktionalen Zusammenhang mit der Veränderung der ökonomischen und familiären Verhältnisse; sozialethischpolitische Aspekte, wie sie erörtert werden , stehen für ihn am Rande. Heumann, Klugheit {wie Anm. 15), S. 256-320 , b3. Ebd„ S. b5, 267 , 296.
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gleich" sind. 32 Meinte die „christliche Freundschafft" 33 Nächstenliebe, so zielte die „politische Freundschaft" auf einen Geist des Miteinander, der sich in der wechselseitigen Berücksichtigung der Interessen des jeweils anderen erfüllen konnte. 34 Ehe Gleichheit eine gesellschaftliche Legitimationskategorie und eine politische Forderung geworden war, hatte sie im Verhaltensschrifttum das Prinzip der Gegenseitigkeit begründet, das Guazzo noch an einem Bibelexempel festmacht: Vnnd derhalben ist mit grossem Verstand! gesagt worden I daß der Mensch eines andern Menschen Gott seye / nachdem einer von dem andern also grosse Nutzbarkeit empfengl I welches vns auch durch dasjenig bedeutedt wird/ so man von dem blinden erzehlet I welcher auff den Achseln den Lamen träget I der jhme den Weg weisetH
Der Wandel der Geselligkeitsvorstellung zum 18. Jahrhundert hin ist auch daran abzulesen, daß ein Prediger wie Zollikofer über die christlichen Grundwahrheiten hinaus auch über den Wert der Aufrichtigkeit, der Freundschaft, des geselligen Lebens und der Glückseligkeit viel beachtete Kanzelreden hielt. 36 Der Aspekt „soziales Vertrauen" spielte in der Literatur des 18. Jahrhunderts eine überragende Rolle. So wird im Selektionsprozeß, den Johann Gottfried Schnabel in seiner ' Insel Felsenburg' beschreibt, ausgeschieden, wer Vertrauen nicht verdient; daß man auf der Insel am Ende einander vertrauen kann, unterscheidet sie grundlegend von den Verhältnissen in Europa. Auch die Dreieckslösung in Gellerts 'Schwedischer Gräfin' hat Vertrauen zur Voraussetzung; nachdem der Hof das Vertrauen enttäuscht hatte, bewähren sich die Hauptfiguren des Romans gerade dadurch, daß jede sich auf die andere verlassen kann. Vor dem Hintergrund der aufklärerischen Elementar-Kategorie „Vertrauen" ist auch das bürgerliche Trauerspiel neu zu überdenken. Sind die Stücke tatsächlich als Familientragödien zu lesen? Lessings 'Emilia Galotti' ist als Familienstück nicht ein (verdecktes) Plädoyer für die intakte Familie, sondern für eine funktionierende Gesellschaft; dies galt schon für 'The London Merchant'. Zu einer intakten Gesellschaft würde gehören, daß ein Mann, der über Macht und Mittel verfügt, nicht Situationen herbeiführt oder ausnützt, die eine junge Frau in
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Ebd., S. 107. Ausführlich: Johann Heermann, Aeternus Amicitiae Contractus, in: Concionum Variarum Fasciculus, Nürnberg 1656, S. 251-274. Noch bei Haller ("Über den Ursprung des Übels" II, 147): .Die Freundschaft stammt von ihr" (der Nächstenliebe). Ähnlich: Friedrich Spee, Güldenes Tugent= Buch . . . , Köln 1666, Vorrede: .Die Liebe der Freundschafft aber I ist die dritte Göttliche Tugend[ .. .] treffiicher [...] als die[ . . .] Hoffnung."' Vorstufen u. a.: Paul Negelein. Von Freundschafft oder Friedfertigkeit, in: Vom Bürgerlichen Stand, Frankfurt ' 1616, S. 266-273. Du Refuge(wie Anm. 27, S. 387) handelt die .politische Freundschafft" als . Hoffreundschafft" ab; er versteht sie im Sinne einer affektiven Absicherung der Herrschaftspraxis. Steffan Guano von Casal, De Civile Conversatione. Das ist Von dem Bürgerlichen Wandel und ;zierlichen Sillen, Frankfurt 1599, S. 30. Georg Joachim Zollikofer, Predigten über die Würde des Menschen, und den Werth der vornehmsten Dinge, die zur menschlichen Glückseligkeit gehören, oder dazu gerechnet werden, Neue Auflage , Leipzig 1788.
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Verwirrung stürzen. Und das Haus eines führenden Mitglieds der Gesellschaft wie das der Grimaldi müßte einer Frau das Gefühl der Sicherheit vermitteln und sie nicht der Versuchung ausliefern. Aber mit solchen Formen des Vertrauens, der Verläßlichkeit und der wechselseitigen Sicherung, ganz besonders im Umgang zwischen Mann und Frau, war nicht zu rechnen, solange Fürsten oder wohlhabende Bürger mit Willkür herrschten und solange eine Hofgesellschaft nichts daran fand, die Verletzung von Vertrauen nicht einmal als Kavaliersdelikt zu ahnden. Im Kreis der (vor allem bürgerlichen) Untertanen hatte man sich darüber verständigt, daß die Kreditwürdigkeit für den Handel unverzichtbar sei. Um diese sicherzustellen, hatte man schon seit der Renaissance umfangreiche private und staatliche Maßnahmen ergriffen. Die Gleichrangigkeit der Geschäftspartner in diesem Bereich stand außer Frage. Im Hinblick auf das Miteinander der einzelnen als Menschen war es aber im wesentlichen bei hierarchisch-obrigkeitlichen Vorstellungen geblieben. Wenn überhaupt, so konnte die Starre der sozialen Rangordnungen durch Conversation und Geselligkeit ein Stück weit aufgelöst werden. Den Denkstrukturen der Zeit gemäß war dies aber nur mit Hilfe von Kategorien der Ethik möglich. An diesem Punkt freilich konnte Neues einströmen. Die Tugend der Freundschaft gewann so ihre besondere Bedeutung. Sie konnte den ethischen Aspekt mit einem funktional-pragmatischen verbinden und an Bedürfnisse, Interessen und soziale Leitvorstellungen einen emotionalen Wert knüpfen, in dem sich individual- und staatsdiätetische Vorstellungen trafen. Zu Recht wehren in Lessings ' Emilia Galotti' der Prinz und Appiani Marinellis Mißbrauch des Wortes Freundschaft ab. Wo Vertrauen fehlt , ist der Begriff unangemessen. Die zahlreichen Freundschaftsgedichte, -oden und -episteln der Zeit sprechen eine deutliche Sprache. Das, wovor Freundschaft schützen soll, sind nicht nur „Sklaverey" (Uz) und „Tyrannenketten" (Schiller), sondern auch die „finstern Splitterrichter und die ganze Lügenzunft" (Hagedorn). Was Freunde verbindet, ist mehr als das, was die Familie gewährleisten kann: denn nicht nur um Hilfe in der Not geht es, sondern vor allem um eine alle Bereiche der bürgerlichen Existenz umfassende Verläßlichkeit. Diese schließt auch Personen gleichen Interesses und gleicher politischer Orientierung ein, die man persönlich gar nicht kennt. So kann der Jakobiner Eulogius Schneider noch 1798 einem „ungesehenen Freund(es]" Bekenntnisverse ins Stammbuch schreiben.37 Die (hierarchisch strukturierte) Familie, sowohl im ökonomisch gegründeten Verständnis (Haus) als auch im Sinne der (Kern)familie, konnte zwar einigen Schutz und begrenzte Sicherheit bieten , aber konnte sie auch den vertrauensvoll-verläßlichen Umgang mit Menschen außerhalb der Familie einüben? Das umfassende Schrifttum der Zeit zu Fragen des Miteinander übertrug daher nicht Familienerfahrungen auf die Gesellschaft, sondern soziale
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Eulogius Schneider, Gedichte, Frankfurt a. M. 1 1798, S. 43- 44; der Jakobiner Schneider wurde selbst Opfer des Pariser 'terreur'.
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Fertigkeiten von "draußen" auf Ehe und Familie. 38 Dies geschah am programmatischsten in Gellerts 25. 'Moralischer Vorlesung', in der er fordert, daß die Ehe „gutgesinnte Herzen zu einer Freundschaft, die so lange, als das Leben, dauert und zu einer tugendhaften Ausübung gesellschaftlicher Pflichten, vereinigen" soll. 39 Der Gegenbegriff zu vertrauensvoll-geselligem, freundschaftlichem Umgang lautete nicht Feindschaft, sondern Verführung. Die Erwartung, dem andern vertrauen zu können, und die Vortäuschung von Gegenvertrauen erfolgen gleichermaßen vor dem Horizont der Verführung. In ihr vollzieht sich der denkbar schlimmste Mißbrauch des mündigen Menschen. Verführung kann auch nicht gedacht und versucht werden, ohne sich der Verführbarkeit der menschlichen Natur bewußt zu sein. So lag es nahe, daß die Zeit große Anstrengungen darauf verwandte sicherzustellen, daß sich der einzelne im freien Umgang mit dem anderen auf ihn auch verlassen konnte. Vertrauen und Verführbarkeit waren Gedanken, die in einer veränderten, die Bedürfnisse und Ängste des Menschen beachtenden Anthropologie begründet lagen. Es gehörte zum Dilemma der Aufklärung, daß sie es nicht verstand, Vorstellungen einer nicht heilsgeschichtlich, sondern naturhaft orientierten Anthropologie in entsprechende sozialethische Strukturen umzusetzen. Das Modell Freundschaft war ein Versuch, einem verbreiteten Bedürfnis gerecht zu werden, es konnte aber politisch-gesellschaftlich nicht wirklich tragen. Was zunächst ein sozialethisches Konzept war, verkümmerte dann im 19. Jahrhundert zu ängstlich-betulichen Maßnahmen, junge Menschen, vor allem aber Frauen von allen Situationen fernzuhalten , in denen die Mündigkeit, und das heißt auch die Vertrauenswürdigkeit des einzelnen erprobt werden konnte. Angst und eine zunehmende Tabuisierung alles Sexuellen waren ebenso die Folge wie die Ausbreitung einer Scheinmoral. So überrascht es nicht, daß vor allem im 18. Jahrhundert Verführung und Verführbarkeit zu den eigentlichen Leitthemen der Literatur wurden. Jedem Mann traute man offenbar zu, sich als Verführer zu entpuppen, nur dem Freunde nicht. Jede Frau konnte sich als verführbar erweisen, wenn sie das Prinzip der Freundschaft nicht schützte. 4. 'Piquenique für den Geist' Die Eroberung der Welt des Politischen durch den Untertanen im Zeichen von Geselligkeit an der Wende zum 18. J ahrhundert ist ein aufregender Vorgang. Er
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Der Analogie von Familie und Staat, die im 18. Jahrhundert wechselweise Legitimationsfunktionen erfüllte, lag nicht ein egalitär-diskursives, sondern ein hierarchisches Muster sozialen Miteinanders zugrunde. Die Frage der Vorgängigkeit von Familie oder Geselligkeit/Freundschaft ist nicht abschließend geklärt. Zur Familie vgl.: Günter Saße, Die aufgeklärte Familie (Studien zur deutschen Literatur, 95), Tübingen 1988; hier auch umfassende Bibliographie. Christian Fürchtegott Geliert, Moralische Vorlesungen , Tl. 2, in: Sämmtliche Werke, Karlsruhe 1818, Bd. 7, S. 170-188, bes. S. 174.
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vollzieht sich zunächst im Bereich der Gedanken und der Theorie, doch man weiß, daß Ideen auf Dauer nicht ohne Einfluß auf die politische und gesellschaftliche Realität sind. Die Dichtung und das weitläufige Feld der Anleitungsliteratur, vor allem die Moralischen Wochenschriften und Traktate spiegeln diesen Prozeß sehr deutlich. Zunehmend bringt der Begriff der Geselligkeit auch eine politische Standortbestimmung zum Ausdruck, ausgehend von der Frage, wie das Miteinander im engeren persönlichen, aber auch im weiteren gesellschaftlich-staatlichen Bereich geregelt sein soll. Die Antworten sind ebenso vielfältig wie die Interessen der einzelnen sozialen Gruppen, dennoch zeichnen sich Leitlinien ab. Deutlich erkennbar sind zunächst die Veränderungen im Bereich des kanonisierten Verhaltensschrifttums. Im Jahre 1745 erschien unter dem Pseudonym Ethophilus in vierter und vermehrter Auflage das 'Neue und wohleingerichtete Complementir- Und Sitten== Buch'. 40 Es richtete sich vor allem an Personen des bürgerlichen Standes und nahm sich vor, sie „in der Klugheit zu reden und zu leben" zu unterweisen. Auch die Nicht-Adligen müßten eine „gute Conduite" zeigen. Sie seien nicht weniger mit einer „ vernünfftigen Seele begabet" , auch sie gehörten „zur menschlichen Gesellschafft" , und wenn „deren Geburt und Lebens= Art sie nicht zu hohen Dingen bestimmet hat", so wollten sie doch „in diesem Leben glücklich seyn". Nicht auf die mechanische Einhaltung eines bestimmten Zeremoniells komme es also an, vielmehr auf eine Lebens-Art, die zur zweiten Natur geworden ist. Ethophilus legt ein bürgerliches Verhaltenskompendium vor, das alle sozial wichtigen Lebensstationen des Menschen berücksichtigt und nicht übersieht, auch Exkurse über das Titulieren und über das Tranchieren von Speisen einzufügen. Das Wort Geselligkeit benutzt er nicht, aber in der Sache zielt das Buch auf eine Verbesserung des bürgerlichen „ Wandels" im Sinne einer neu sich etablierenden Geselligkeit. Ethophilus ist charakteristisch für die Bedürfnisse einer zunehmenden Zahl von Bürgern, die als Aufsteiger ein Interesse daran haben, der Obrigkeit gegenüber, aber auch im eigenen Kreis richtig zu titulieren, sich bei sozialen Anlässen formgerecht zu verhalten und dafür auch Anerkennung zu finden. Sie legen offenbar Wert darauf, in Analogie zum Adel einen besonderen Stil des guten Umgangs miteinander, ein Ritual des Festefeierns und eine Kultur des Briefeschreibens zu entwickeln, die Selbstdarstellung und Selbstbestätigung gewährleisten können. Ethophilus schließt eine Entwicklung ab und öffnet sich zugleich für eine neue. Neben und an die Stelle von Standardisierung und Reglementierung des Verhaltens, die häufig zu Mechanischem erstarrten, trat mehr und mehr der Versuch, Handhabungen auszubilden, die dem Selbstverständnis der Untertanen und ihrem Bedürfnis nach freierem, natürlicherem, den Gemeinsinn bewußt förderndem Verhalten entsprachen.
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Ethophilus, Neues und wohl eingerichtetes Complementir- Und Sitten= Buch .. ' 1745 ( 1 1733), Vorrede und S. 2.
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Die Anstrengungen, sich über die Notwendigkeit, den Wert und die politischsozialen Perspektiven von Geselligkeit zu verständigen, fanden in der Zeit der Jahrhundertmitte ihren Höhepunkt. Die Auseinandersetzungen darüber wurden zu einem guten Teil in den Moralischen Wochenschriften geführt. Das praktisch orientierte, aus unserer Sicht kulturkritische, populärwissenschaftliche Schrifttum stand in hohem Ansehen. Fast alle bedeutenden Autoren bis hin zu Klopstock und Hamann arbeiteten an Wochenschriften mit. Dennoch: Enge der Perspektive, eine gewisse Betulichkeit und Ideenarmut kennzeichnen nicht wenige Beiträge. Dies wird dem Leser von heute besonders deutlich, wenn er sich daran erinnert, daß etwa zur selben Zeit in Frankreich Montesquieus 'Esprit des Lois' (1748), Diderots und d'Alemberts ' Encyclopedie' (ab 1751) und Rousseaus •Discours I' ( 1750) und 'II' ( 1753) erschienen. Klopstocks Gedichte •An meine Freunde' ( 1747) und 'Zürcher See' ( 1750), die den Geist der Wochenschriften der Zeit atmen, erschienen immerhin zur selben Zeit. Die Schule der Wochenschriften scheint für Deutschland indes eine unverzichtbare Durchgangsphase gewesen zu sein. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die besten Wochenschriften und Traktate eine diskursiv-gesellige Kultur vertraten, die zu den Gipfelleistungen der deutschen Aufklärung zählt. Vielen früheren und späteren Versuchen zum Thema "gesellige Kultur" gegenüber zeichnete sich die Wochenschrift 'Der Gesellige' 41 durch Qualität und Konsequenz aus. Dies überrascht nicht. Einer der Verfasser und wohl auch der Spiritus rector des Unternehmens war der bekannte Philosoph und Schriftsteller Georg Friedrich Meier ( 1718-1777). Zusammen mit Samuel Gotthold Lange ( 1711 - 1781) verfaßte er den größten Teil der Beiträge selbst. Das Blatt hielt sich länger, als die Autoren selbst angenommen hatten; und als Hauptursache, „ warum wir unsre Arbeit schliessen", geben sie „das Grundgesetz der geselligen Klugheit" an, nämlich zu verhüten, daß man ihrer überdrüssig wird. (VI, 395) Schon im darauffolgenden Jahr ließen sie die Wochenschrift 'Der Mensch' folgen (6 Bände, Halle 1751-1756) und einige J ahre später 'Der Glückselige' (6 Bände, Halle 1763-1768). Parallel zu dieser eindrucksvollen Publikationstätigkeit, die sie über zwanzig Jahre lang durchhielten, erschienen in Nürnberg 'Der Redliche' (1751), in Göttingen ' Die Freunde' (1753) und in Anspach 'Der Freund' ( 1754-1756). Allein schon die Titel zeigen, daß es sich um gleichgerichtete Unternehmungen handelte, und in der Tat stand der Aspekt freundschaftlicher Geselligkeit für jede der Wochenschriften im Vordergrund. Was den 'Geselligen' sowie auch die anderen Wochenschriften auszeichnete, war eine programmatische Diesseitigkeit. Es fällt dem Leser von heute nicht leicht, dies zu erkennen, da die Autoren für viele Beiträge eine allegorischpoetische Einkleidung oder ein Scenario wählten, das in der Tradition der
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Der Gesellige, eine moralische Wochenschrift, hg. von Samuel Gotthold Lange und Georg Friedrich Meier, 6 Tle., Halle 1748- 1750. Neu hg . von Wolfgang Martens, Hildesheim, Zürich, New York 1987; zitiert wird nach diesem Neudruck unter Angabe von Teil und Seitenzahl.
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Schäferdichtung stand. Ebensowenig wie in der Anakreontik handelte es sich hier aber um ein unverbindliches Spiel. Hier wie dort wurden Verhaltensweisen durch Rollenfiguren vorgestellt, hier wie dort war der diätetisch-therapeutische Charakter der Werke unverkennbar. 42 Die suggestive Wirkung, die von den Rollenfiguren (wie zum Beispiel im sechsten Stück) ausgehen sollte, war als milde Subversion gedacht. Dieser Form der Subversion lag offenbar die Annahme zugrunde, daß der sozialethische Anspruch der Schriften im absolutistischen Staat eine bessere Chance hatte, gehört zu werden, wenn er nicht nur argumentativ, sondern auch suggestiv vertreten wurde. Wir neigen heute dazu, die Anstrengungen der bürgerlichen Intelligenz des 18. Jahrhunderts, die darauf zielten, die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Wege über Bildung, kritische Diskursivität und poetische Vergegenwärtigung zu verändern, am Monumentalereignis der Französischen Revolution zu messen und entsprechend gering zu schätzen. Das Nicht-Eintreten einer Revolution wie in Frankreich kann aber nicht der Maßstab für den Reflexionsstand und für die Anstrengungen sein, einen Wandel herbeizuführen. Es ist auch nicht gerechtfertigt, daraus auf einen im ganzen provinziell-kleinmütigen Zuschnitt der Aufklärung in Deutschland zu schließen. Was die Autoren des 'Geselligen' schon in den ersten Stücken entwarfen, war der Umriß einer Lebens-Art, zu der gehörte, daß man über die Regierenden und die Untertanen anders dachte als die Obrigkeit. Die Wochenschrift formulierte ein Programm, das sehr oft gerade dort, wo das Dargestellte dem heutigen Leser nach Thema, Stoff und Ausarbeitung fernsteht, für die Zeitgenossen sehr aktuell war. Weder die Kategorien des Rationalismus noch die der Empfindsamkeit werden diesem Programm gerecht. Was geboten wurde, war eine sozialethische Utopie, ein Wunschbild menschlichen Miteinanders. Es konzipierte das Mustergültige aus der Erfahrung des Mangels und stellte es in einem Raum der Phantasie vor, der auf das Bestehende verwies, ohne sich direkt darauf zu beziehen. 43 In das eher beiläufig Gebotene war viel Sachverstand eingearbeitet. Die Antworten auf bestehende Bedürfnisse, die die Schriften Woche für Woche gaben, integrierten zudem europäisches Denken. Das zweite Stück des 'Geselligen' endet mit dem klaren Bekenntnis: „ Wir wollen, es soll keine andere Gesellschaft seyn, als zu welcher ein jeder in vollkommener Gleichheit das Seine beytragen kan." (l, 24) Schon der erste Satz der Schrift hatte Thema und Programm festgelegt: "Ich betrachte die Erdkugel als einen Platz, der den vernünftigen Bewohnern desselben zu einer gesellschaft-
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Dazu: Wolfram Mauser, Anakreon als Therapie? Zur medizinisch-diälclischen Begründung der Rokokodichlung, in: Lessing Yearbook 20 ( 1988), S. 85-119. Schon die Wochenschrift "Der Sammler', Göttingen 1736, belonte (gul naturrechllich), „daß keine bürgerliche Socieläl, aus der liebreichen Tugend und gulherzigen Beschaffenheil des Menschen emstanden sey; sondern daß im Gegenteil, von seinem Mangel, seiner Unvollkommenheit und der Mannigfaltigkeit seiner Leidenschafflen, Lüslcn und Begierden selbe ihren Uhrsprung genommen" (44. Stück, S. 352).
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liehen Versammlung bestimmt ist." (I, 1) Das Motto aus Hallers 'Ursprung des Übels': „Sie, diese Liebe, war der Menschen erste Kette, / Sie macht uns bürgerlich, und sammlet uns in Städte; I Die Freundschaft stammt von ihr" (I, !), betonte neben der Orientierung am Naturrecht die Gottebenbildlichkeit des Menschen, die verbindende Kraft der Liebe im menschlichen Miteinander. Der Nachdruck, mit dem hier der Gedanke des notwendigen Zusammenschlusses der Menschen vertreten wurde, machte deutlich, wie wenig die um 1750 erfahrbaren Formen von Geselligkeit - theoretisch und praktisch - dem Anspruch genügten. Der intellektuelle und emotionale Druck, der die Gedanken und die Phantasien hervortrieb, ist ein Indiz für die Unzulänglichkeit der Verhältnisse, aber auch für das, was diesen gegenüber (womöglich) eine Chance haben konnte: nicht offene Analyse, die verbot sich, wohl aber eine verdeckte, oft indirekt anvisierende Reflexion, in der trotz aller Begrenztheit ein Stück Mündigkeit praktiziert wurde. Was die Vorrede der Auflage von 1764 hervorhob, hatte schon vom ersten Stück ( 1748) an gegolten: Der „Mensch gesellet sich nur zu seines gleichen, so lange er bey vollkommenen Kräften der Seele und des Leibes ist". Alles, was der Gesundheit, der geistigen und physischen Kräftigung des einzelnen und der Gesellschaft dienen konnte, war Thema der Schrift. Eine wichtige Schlußfolgerung war damit vorausgesetzt: so wie die Glückseligkeit jedes einzelnen die Glückseligkeit des Staates im ganzen ausmacht, so ist die Gesundheit des einzelnen Grundlage der Wohlfahrt des Ganzen. Wie kann dieser Zustand hergestellt werden? Die Antwort, die 'Der Gesellige' -ähnlich den anderen Wochenschriften - gibt, ist eine Bündelung sozialer Tugenden, die kein Begriff besser als der der Geselligkeit fassen kann: Gleichheit statt Rangabstufung, Freiwilligkeit statt Anordnung, Verdienstbewußtsein statt Gratifikation, Vernünftigkeit statt Willkür, Vertrauen statt Angst, Empathie statt Affekt. Gewiß, die Zeit war noch nicht imstande, die Qualität des Füreinander anders als durch den Hinweis auf „gesellschaftliche Tugenden" zu beschreiben; diese „begreifen die Redlichkeit, die Munterkeit, den witzigen Scherz, die kluge Mässigung, die Bescheidenheit, Verschwiegenheit, das Mitleiden, die Gedult, Nachsicht, Vertraulichkeit, Behutsamkeit, und hundert andere Tugenden, in sich", Tugenden also, die sich durchweg von Weisheit und Klugheit ableiten. (I, 3) Diese Zuordnungen galten für Frauen ebenso wie für Männer. Der Akzent lag, trotz Wahrung des Nützlichkeitsprinzips, nicht auf der Ansammlung von Reichtum und Macht, sondern auf der Vorstellung eines Ausgleichs von Ansprüchen, Bedürfnissen und Notwendigkeiten. Das Prinzip der Geselligkeit grenzte so auch aus, vor allem jene, die nicht bereit waren, auf Egoismus, Zweckrationalität und Gewaltanwendung zu verzichten. Die soziale Frage trat indes noch nicht in den Blick. Das Programm der Geselligkeit formulierte eher eine Fernhaltestrategie für alle jene, die, aus welchen Gründen immer (auch aus sozialer Not), den Verhaltenskodex verfehlten. Dies zeigt sich auch deutlich am geselligen Leitszenario, das die Wochenschrift schon im zweiten Stück entwirft: „Das Piquenique ist eine vortreffliche Erfindung". (1, 17) Das Muster: „[ ...]jederträgt das Seinige bey, [ ...] und die Verschiedenheit der Speisen, der freundschaftliche Tausch einer Schüssel gegen
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die andere, und das Unvermuthete macht die Mahlzeit noch schmackhafter." Doch es kam den Verfassern nicht auf das Essen und Trinken an, sie wollten, daß „ein Piquenique für den Geist aufgebracht würde. Wie angenehm und lebhaft würde nicht eine Gesellschaft seyn, in welche jedes Mitglied etwas brächte, dadurch das Vergnügen der Seele unterhalten würde." (l, 17) Es ist zudem wichtig, daß sich das „Piquenique" im freien vollzieht, fern von Hof, Salon, Schloß, Villa und Bürgerhaus, unter räumlichen Gegebenheiten einer naturhaft selbstverständlichen Gleichrangigkeit, frei von Zwang, Etikette, Complement. Die Verfasser distanzieren sich entschieden von den „regierenden Herren", die „beständig die Gesellschaft allein unterhalten" und die fordern, daß sie „ganz von ihnen abhangen soll" . Die Gründe, auf die sie ihre Herrschaft stützen („das Alter, der Stand, die Ehrenstelle, der Reichthum, die Pracht, ein bordirtes Kleid, eine Stärke in einer gewissen Art von Beschäftigungen, und tausend dergleichen Dinge"), existierten nur „in der blassen Einbildung" (1, 18). Die Antwort des 'Geselligen': „ Wir wollen eine wahre Republik in dem geselligen Leben errichten." (1, 24) Die Satire auf den „regierenden Herren", die gegen Selbstgefälligkeit, Eigendünkel und Machtanmaßung zu Felde zieht, ist zugleich ein Plädoyer für eine Kultu r des Zuhörens. Ohne sie gebe es keine gesellige Conversation. Schon della Casa und vor a llem Guazzo betonten die Notwendigkeit und den Wert des Zuhören-Könnens in der sozialen Welt, die sich nicht nur auf den Austausch von Meinungen gründet, sondern auch davon ausgeht, daß Wahrheit auf diskursivem Weg gefunden werden kann. Der republikanische Geist, den die Wochenschrift beschwört, erweist sich in nichts deutlicher als in der programmatischen Forderung, jeden, der etwas zu sagen hat, zu Wort kommen zu lassen und anzuhören. „Ein aufmerksames Ohr ist die beste Vergeltung einer freundschaftlichen Rede, und eine freundliche Geberde die stärkste Ermunterung zum Sprechen." (1, 24) Das „Piquenique", das sich von Reichtum, Stand und Zeremoniell freihalten kann, versteht sich als suggestive Szene des Miteinander, in der sich sozialethische und seelenhygienische Bedürfnisse als erfüllt darstellen. 44 Im Geist des „Piquenique" stellen die Verfasser auch fest: „das Frauenzimmer ist zur Gesellschaft geboren". (l , 8) Die besondere Eignung der Frau für das gesellige Leben wird nicht, wie häufig schon früh im Jahrhundert, mit der Forderung nach Bildung und Ausbildung verbunden, sondern mit der nach Gleichberechtigung. Der 'Gesellige' geht dabei sehr weit. Er hält es für nötig, „daß ein Mann so viel Mühe anwenden solle, seiner Frau angenehm zu seyn, als er von ihr verlangt" , und daß er einsieht, „seine Frau sey eben sowol berechtiget, als er, eine andere Person zu lieben". (l, 56) Ausdrücklich sieht die Redaktion
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Klopstocks Ode auf eine gemeinsame Bootsfahrt mit Freunden (' Der Zürchersee') versteht sich in ähnlicher Weise als Akt des Miteinander. Zur Bedeutung des Begriffs . Freude" in diesem Zusammenhang vgl. Wolfram Mauser, „Göttin Freude". Zur Psychosoziologie eines literarischen Themas, in: Bernd Urban, Winfried Kudsl uS (Hg.), Psychoanalytische und psychopathologische Literaturinterpretation (Ars lnterpretandi, Bd. 10), Darmstadt 1981 , S. 208- 232.
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vor, die Aufsätze, die ihr „ von dem schönen Geschlechte zukommen möchten", mit „rechter Freude" entgegenzunehmen, und versichert, daß die Bearbeitung der Zuschriften alleine vom "Frauenzimmer unserer Gesellschaft" übernommen werden; im übrigen lehre ja der tägliche Umgang, „daß das schöne Geschlecht zu Werken des Witzes wohl nicht tüchtiger, doch eben so aufgelegt sey, als das männliche"; es habe deshalb „ein besonderes Recht auf alles, was zu schönen Wissenschaften gehöret." (I, 13)
5. Von der Konversation zum Raisonnement Der egalitär-diskursive Geselligkeitsbegriff, von dem eine große Zahl von Schriften im 18. Jahrhundert handelte, hatte es in Deutschland schwer, auf die politische Praxis bestimmenden Einfluß zu nehmen. Wenn Kategorien wie Mündigkeit, Urteilsfähigkeit, Selbstbestimmung und das Bedürfnis, den vernünftigen Einsichten gemäß zu handeln, die Aufklärung wesentlich ausmachten, so war die egalitär-diskursive Vorstellung des Miteinander eine der Aufklärung gemäße Form der Assoziation. Sie stand für Aktualität, Fortschrittlichkeit und Humanität. Vor allem aber vermittelte sie das Bewußtsein, daß diese neue Form des Miteinander auf Vertrauenswürdigkeit beruhe und diese auch fördern und verstärken könne. Wie wenig sich aber die Verhältnisse im ganzen in der Richtung auf eine egalitär-diskursive Gesellschaftsstruktur bewegten, zeigte Kants sarkastisches Diktum „räsonniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht!" Das freie öffentliche Nachdenken und das Reden darüber setzte Kant deutlich gegen den privaten Gebrauch von Vernunft und Freiheit ab, wobei er als 'privat' - in einem wiederum gewandelten Sinn - den Gebrauch der Vernunft auf einem dem einzelnen „anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte" bezeichnet; da sei es am Platze zu gehorchen. 45 An Kants Formulierung wird deutlich, daß das verbreitete Nachdenken über Geselligkeit im 18. Jahrhundert wenig Operationalisierbares für die politisch-staatlichen Organisationsformen erbrachte. Freundschaft war dafür keine geeignete Kategorie. Zwar wurde die verbreitete Forderung, das Herrschaftsszepter dem „Menschenfreund" zu übertragen, von so angesehenen Autoren wie Geliert vertreten, 46 erreicht wurde aber über Abgrenzungen zur praktischen Politik hinaus nur wenig; diese änderte sich kaum. So bestätigt sich auch in diesem Zusammenhang Kosellecks These der Trennung von Politik und Moral im 18. Jahrhundert. „Fortan wird es dem
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Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1964 (Sonderaugabe 1981), Bd. 9, S. 61 , 55 ('Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?'). Christian Fürchtegou Gellert , 'Der Menschenfreund'. Vgl. dazu Wolfram Mauser, .Der Flor der Republik". Verdienstbewußtsein und Literatur im absolutistischen Staat, in: Festschrift für Wolfgang Martens, München 1989, S. 65-83. Hier auch Hinweise auf Metaphern der Geselligkeit.
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Individuum möglich sein, in die Gesinnung zu emigrieren, ohne dafür verantwortlich zu sein." 47 Man darf sich fragen, ob die sozialethische Utopie der Geselligkeit, die nicht auf Institutionalisierung zielte, nach der Jahrhundertmitte an ihrer politischen Naivität scheiterte, oder ob die Theorie und das Schrifttum zu Geselligkeit und Freundschaft nicht ihrerseits Folge und Ausdruck der Unmöglichkeit waren, die Herrschaftsstrukturen zu verändern. Bezeugt die Begeisterungsfähigkeit anakreontischer Dichter für Krieg und Patriotismus, vor allem nach J756, daß sich hinter dem Ri tual von Tändelei und Spiel doch ein starkes politisches Potential verbarg, das nun freilich in eine andere Richtung lief? Oder war der Krieg das große Erlebnis, das aus der Unverbindlichkeit des erotisch-ästhetischen Spiels erlöste? Dem inneren und äußeren Widerspruch, in den der Geselligkeitsbegriff nach der Jahrhundertmitte geriet, trug Kant in seiner Schrift 'Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht' (1784) Rechnung. Er leitete „die vollkommene bürgerliche Verfassung" nicht von einem wie immer begründeten Geselligkeitsbegriff ab, sondern von dem Antagonismus zwischen Geselligkeit und Ungeselligkeit, das heißt, dem „Hang derselben, in Gesellschaft zu treten", so wie er der menschlichen Natur entspricht, und dem „großen Hang, sich zu vereinzelnen (isolieren)", zwischen der Eintracht und der Zwietracht. Dem „Plane der Natur", die auf die „ vollkommene bürgerliche Vereinigung in der Menschengattung abziele", entspreche es, daß es dem Menschen gelingt, diesen Antagonismus in eine Verfassung umzusetzen, in deren Rahmen der Mensch seine Glückseligkeit finden kann. 48 Kant setzt hier an dem entscheidenden Punkt einer verfassungsmäßigen Grundlegung und institutionellen Strukturierung des Gemeinwesens an. Was er damit aber außer Kraft setzte, war der Versuch, ein egalitär-diskursives Muster weiterzuentwickeln, das nicht so sehr auf den institutionell gesicherten Ausgleich aus war, als auf eine politische Moral, in deren Mittelpunkt nicht nur die Forderung nach Vertrauenswürdigkeit stand, sondern auch nach einer egalitär-affektiven Fundierung des Miteinander, wie sie mit Freundschaft und Brüderlichkeit gegeben schien. Auf die Notwendigkeit, für eine vernünftige Handhabung der staatspolitischen Fragen beide Stränge - den konstitutionell-institutionellen und den politisch-moralischen - zum Ausgleich zu bringen, hatte schon Lessing in seiner Schrift 'Ernst und Falk' ( J778) aufmerksam gemacht. Lessing ging, ähnlich Kant, von einem der bürgerlichen Gesellschaft innewohnenden unvermeidbaren Widerspruch aus: „Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen". Die Gesprächspartner, die auf diskursivem Weg die Wahrheit herauszupräparieren versuchen - freilich mit dem klaren Übergewicht Falks - , zielen auf ein Gleichheitsprinzip, das sicherstellen soll, daß sich „über alle
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Reinhart Koselleck , Kritik und Krise (wie Anm . 2), S. 29. Kant, Werke (wie Anm. 45), Bd. 9, S. 41, 37, 38, 39, 47.
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bürgerlichen Modifications hinweg" niemand „zum Nachteil eines Dritten" versündigt. Von diesem Prinzip lasse sich, als das „sicherste Kennzeichen einer gesunden, nervösen Staatsverfassung", ein Verfahren ableiten - analog der Freimaurerei-, das nicht „auf äußerlichen Verbindungen" beruht, „die so leicht in bürgerliche Anordnungen ausarten; sondern auf dem gemeinschaftlichen Gefühl sympathisierender Geister". 49 Vieles von dem Geist der Geselligkeit, den die Jahrzehnte davor so nachdrücklich beschworen hatten, lebt hier weiter, freilich auf eine Art, die frei ist von moralisierender Betulichkeit, Engstirnigkeit, Besserwisserei und langweiligem Auf-der-Stelle-Treten, wie es sich in den Moralischen Wochenschriften und in vielen Traktaten, Dialogen und (fiktiven) Briefwechseln eben doch gefunden hatte. Andererseits war die breite Beteiligung von Gebildeten an diesem Prozeß der Reflexion auf Bedingungen, Voraussetzungen und Chancen, veränderte Formen des Miteinander zu finden, ein Zeichen für das nicht nachlassende Interesse an Fragen der Lebens-Art. Das Diktum „räsonniert [ ...], aber gehorcht" zeigt, mit welchem Zynismus die Obrigkeit auch des aufgeklärt-absolutistischen Staates den vielfältigen Bemühungen um eine sozialethisch-politische Neuorientierung begegnete. Nicht auf Gehorchen, sondern auf den Austausch von Meinungen und auf ein Verfahren diskursiver Wahrheitsfindung zielte die Utopie der Geselligkeit. Es würde lohnen, der Frage nach der soziopolitischen Qualität des Geselligkeitsbegriffs von 1750 aus der Sicht der späteren soziologischen Forschung nachzugehen. Dabei würde sich zeigen, daß er über seine ideologische Spitze hinweg wichtige Formen des Miteinander in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft im Blick hatte. So trat er für den rechten Mittelweg zwischen dem Zu-Persönlichen und dem Zu-Distanzierten ein. Er versuchte, Maximen für den angemessenen Ausgleich von Geben und Nehmen zu finden. Das richtige Maß von Indirektheit und Vertrauen wollte er sicherstellen, also das, was Schopenhauer die „mittlere Entfernung" nannte. Sich-zur-Geltung-bringen hielt er für ebenso wichtig wie gelten lassen. Was für ihn zählte, war die Verbindung zwischen „der behaupteten eigenen Freiheit und der geschonten Freiheit des andern". 50 Im Zeichen von Geselligkeit wurde Demokratie gespielt, wurden Probehandlungen des Miteinander von Gleichrangigen inszeniert und Verhaltensdispositionen für die Zukunft entwickelt. Dies geschah aber zugleich doch auch als „Angriff auf die geltende Gesellschaftsordnung". 51 So ist es durchaus konsequent, wenn Iselin in seinem 'Versuch über die gesellige Ordnung' (1772) darauf verzichtet, „zu einem chimärischen gesellschaftlichen Vertrage seine Zuflucht zu nehmen", und statt dessen darauf besteht, daß die „Gesetze der
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Gouhold Ephraim Lessing, Werke, hg. von Herbert G. Göpfert, München 1979, Bd. 8, S. 463, 478, 481. Schiller an Körner ( 13. 2. 1793); zitiert nach Josef Pieper, Grundformen sozialer Spielregeln, Frankfurt a. M. 1 1956, S. 90. Karl Richter, Geselligkeit und Gesellschaft in Gedichten des Rokoko, in: Schiller Jahrbuch 18 (1974). s. 262.
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Gerechtigkeit und der Ordnung" für Monarchen und Untertanen dieselben seien, denn die „unpartheyische Mutter" Natur wolle, daß alle in der „ vollkommensten G leichheit" leben, ohne „Ungleichheit, Unterdrückung, Ungerechtigkeit''. In diesem Sinne plädierte Iselin nicht nur für das Recht des Eigentums, sondern vor allem auch für „Gerechtigkeit und [...) Anständigkeit", für „Sicherheit vor den Uebeln", für Vertrauen. Zu den „ersten Bedingnisse[n] der geselligen G!i.ickseeligkeit" zählte er nicht nur die zureichende materielle Versorgung der Menschen, sondern auch „Gefühle der Menschlichkeit und der Tugend", die den rohen Trieben und den „feindseelige[n] Einflüsse[n]" widerstehen. Gesinnung hielt er für verläßlicher als Verträge und Institutionen. 52
6. Geselligkeit und das neue Einheitsdenken Sozialethisch-utopische Modelle werden durch die Geschichte nicht falsifiziert. So ist zu fragen, durch welche Umstände sie an Aktualität, Plausibilität und Anziehungskraft verlieren. Was ist geschehen, was ist falsch gelaufen, wenn konkurrierende Entwürfe sie außer Kraft setzen? Vorgänge dieser Art sind komplex; Zeiterfahrungen wirken in ihnen nach , sie sind aber auch Ausdruck geschichtsphilosophischer Reflexion, die auf sich verändernde Verhältnisse antwortet. Die sozialethische Utopie der Geselligkeit verlor an der Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren ihre Überzeugungskraft und ihre Wirksamkeit. Was sie an poetischen T hemen und literarischen Verfahren getragen oder mitgetragen hatte, behielt länger Geltung als die Utopie selbst. Viele Ideen hatten, freilich oft in banalisierter Gestalt, weite Verbreitung gefunden. Anthologien wie Ramlers •Lieder der Deutschen' ( 1766) zeigen, daß es möglich geworden war, eine Summe des Erreichten zu ziehen; es war aber nicht nur eine Summe literarischer Themen und Verfahren, sondern auch von Modellen des Miteinander. Das Bedürfnis, Bilanz zu ziehen, war wohl auch ein Zeichen dafür, daß die Bewegung an Energie verloren hatte. Der Wandel mag sich ein Stück weit aus dem Wechsel der Generationen erklären; mit ihm erledigten sich Fragen, die eigentlich nicht erledigt waren. Hinter diesem Wandel standen aber umfassende Veränderungen, die sich an einschneidenden Ereignissen verdeutlichen Jassen. Sie zeigen, daß die Linie, die von Thomasius zu Lessing und Kant führte, jedenfalls in sozialethisch-politischem Sinne, an Dynamik und Kontur verlor, daß an die Stelle der Selbstbehauptung des einzelnen Selbstpreisgabe zu treten begann. Das egalitär-diskursive Verständnis von Geselligkeit stieß mit dem Siebenjährigen Krieg an seine Grenzen. Dies lag auch am veränderten Charakter dieses Krieges, der mehr als ein anderer zuvor zu einem Volkskrieg geworden war. Zu den letzten Reserven, die vor allem Preußen mobilisierte, um im Krieg zu
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Isaak Jselin, Versuch über die gesellige Ordnung, Basel 1772, S. 108, 110, 116, 123, 3, 122.
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bestehen, gehörten auch geistig-moralische. Ein verändertes Bewußtsein sprach nicht nur aus Gleims ' Preußischen Kriegsliedern' (1758), sondern auch aus Schriften wie 'Vom Tode für das Vaterland'(l761) von T homas Abbt. Abbt übertrug bewußt Vorstellungen von Heldentum und Patriotismus der römischen Republik auf die deutsche Monarchie. Den Ausruf „Das Vaterland hat ein Recht auf dein Leben" begründet er mit dem Hinweis auf den religiösen Charakter eines machtpolitisch motivierten Patriotismus: „In solchen Fällen dient auch die wahre Religion dem Staat, wenn sie, ohne ihrer Wahrheit etwas zu vergeben, mit den Gründen der Offenbarung und der Vernunft, die Befehle der Regierung unterstützt." 53 Wie immer man die gewiß in manchem unausgegorene Schrift des Dreiundzwanzigjährigen einschätzt, sie ist ein Indiz für einen bedeutungsvollen Vorgang. Die Verschärfung des Krieges, die Zwangssituation, in die Friedrich II. s.eraten war, und das Charisma eines Königs, der es verstand, sich gegen die Ubermacht der Gegner durchzusetzen, trafen mit einem breit sich entfaltenden Einheitsdenken zusammen. Immer entschiedener trat dabei der Volksbegriff an die Stelle vorhandener Konzepte von Assoziation. Abgesehen davon, daß „Geselligkeit" in einem Krieg von der Heftigkeit des Siebenjährigen kaum eine Chance hatte zu bestehen, entzog ihm die Einheitsvorstellung Volk auch seine geistige Grundlage. War der Geselligkeitsbegriff um die Jahrhundertmitte noch verbunden mit dem gedachten Bild einer Verbindung Gleichgesinnter, die sich freiwiUig einander anschließen und ebenso freiwillig die Gruppe wieder verlassen können, die im diskursiven Umgang miteinander das erst herstellen, was die Essenz ihrer Gemeinsamkeit ausmacht, so ging der Einheitsbegriff Volk davon aus, daß das Entscheidende durch Setzung und Geschichte vorgegeben sei. Bis in einzelne Formulierungen hinein ist der Unterschied der Denkstrukturen erkennbar. So bringen schon die ersten Sätze in Mosers Schrift 'Von dem deutschen Nationalgeist' (1766) das neue Einheitsdenken deutlich zum Ausdruck: Wir sind Ein Volk, von Einern Nahmen und Sprache, unter Einern gemeinsamen Oberhaupt, unter Einerley unsere Verfassung, Rechte und Pflichten bestimmenden Gesezen, zu Einern gemeinschaftlichen grossen Interesse der Freybeit verbunden, auf Einer mehr als hundertjährigen Nationalversammlung zu diesem wichligen Zweck vereinigt, an innerer Macht und Stärke das erste Reich in Europa, dessen Königscronen auf Deutschen Häuptern glänzen und so, wie wir sind, sind wir schon Jahrhunderte hindurch ein Räthsel politischer Verfassung, ein Raub der Nachbarn, ein Gegenstand ihrer Spöttereyen, ausgezeichnet in der Geschichte der Welt, uneinig unter uns selbst, kraftlos durch unsere Trennungen, stark genug, uns selbst zu schaden, ohnmächtig, uns zu retten, unempfindlich gegen die Ehre unsers Namens, gleichgültig gegen die Würde der Gesetze, eifersüchtig gegen unser Oberhaupt, mißtrauisch unter einander, unzusammenhangend in Grundsäzen, gewaltthätig in deren Ausführung, ein grosses und gleichwohl verachtetes, ein in der Möglichkeit glückliches, in der That selbst aber sehr bedaurenswürdiges Volk .
Die „National=Denkungsart" 54 war von nun an ein überpersönlich-nationales
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Thomas Abbt, Vom Tod für das Vaterland. Mit einer Einleitung von Paul Friedrich, Leipzig
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Friderich Carl von Moser, Von dem deutschen Nationalgeist, o. J. [1766), S. 5-6, 9.
1915, s. 18.
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Phänomen, das sich nichL aus der eigenen Bildungs-, ErkennLnis- und Bewußtseinsleistung ergab, es galL vielmehr, sich in das Vorgegebene einzufügen und sich von dessen Eigenart her zu verstehen und zu bestimmen. Damit hatte auch der Subjektivismus des 18. Jahrhunderts eine neue Fundierung gefunden. Das neue Einheitsdenken, das sich in unterschiedlichen, aber im Kern gleichgerichteten Ausprägungen weithin durchsetzte, rückte die aufgeklärt-liberalen Geselligkeitsvorstellungen nicht nur ins Abseits, sondern denunzierte sie auch als fremdländisch, rationalistisch und vaterlandsfeindlich . Das Wort Geselligkeit selbst wurde indes auch für die sich entfaltenden ganzheitlichen Konzepte des Miteinander in Anspruch genommen. Zusammen mit dem Wort wurde das Prestige, das der Begriff gewonnen hatte, nun für grundlegend andere Vorstellungen der Vereinigung benutzt. Die Besinnung auf den Nationalgeist, die von den sechziger Jahren an immer mehr an Boden gewonnen hatte und sich in den Befreiungskriegen 1813/ 14 nicht nur bewährte, sondern auch legitimiert sah, stellte aber nur einen Aspekt des sich ausbreitenden Einheits- und Ganzheitsdenkens dar. Vollkommenheit wurde zunehmend als Ganzheit gedacht. Dies geschah in Anlehnung an die Natur und durch sie legitimiert: Gleichwie alle Glieder unsers Leibes zusammen genommen ein einziges sehr weise eingerichtetes Ganzes ausmachen, so sind die verschiedenen Arten natürlicher Dinge einzelne Glieder, woraus die oberste Weisheit ein vollkommenes Ganzes zusammen gesetzt hat.SI
Die Voraussetzungen dieser Einheits- und Ganzheitsvorstellungen waren vielfältig, ebenso ihre Ausprägungen. In ihnen verbanden sich Theoreme einer synergetisch-organismisch en Anthropologie, die die Medizin von 1680 an entwickelt hatte, mit naturwissenschaftlich-kos mologischem Analogiedenken und mit Traditionen des Pietismus. Auf keinem Gebiet wirkten sie sich so folgenschwer aus wie auf dem von Staat und Volk. Staat und Volk erschienen nun als mystisch erfahrbare Gemeinschaften, die sich dem naturrechtlichen Vertragsmodell und dem Zweck-Mittel-Denken der Aufklärung entziehen. Autoren wie Moser und Herder aktualisierten eine breite Tradition von politisch-staatlichem Einheitsdenken, das sich zu einem Organismus- und Wachstumskonzept verdichtete, das das Staatsdenken des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts beherrschen sollte, aber es lebte auch in den Erziehungs- und Bildungsvorstellungen der Zeit weiter. Adolph Freiherr von Knigges Erfolgsbuch 'Ueber den Umgang mit Menschen' (1788) bewegte sich schon ganz auf der Linie eines Subjektivismus, der dem neuen Einheitsdenken entsprach und die Perspektive des Gemeinwesens weitgehend aus dem Auge verlor. Er schrieb darüber hinaus in scharf pointierender Weise aus der Sicht des alles beherrschenden Mannes. Seine Anweisungen und Ratschläge begründete er vor allem mit dem Hinweis darauf, daß viele
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Johann Georg Sulzer, Unterredungen über die Schönheit der Natur, Berlin 1750, S. 64(Zwcitc Unterredung).
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gute und rechtschaffene Personen trotz aller Qualitäten „verkannt, übersehen werden, zu gar nichts gelangen" ; die Kunst, auf sich aufmerksam zu machen und sich zur Geltung zu bringen, ohne Anstoß zu erregen, könne dem Übel abhelfen. Ein Charakter, eine Persönlichkeit zu werden, sei das Ziel, auf das es ankomme: „Sei was du bist immer und ganz und immer derselbe." Die Pflichten gegen uns selbst seien die wichtigsten und ersten. Nur ein Ich, das sich kultiviert, könne sich auch durcbsetzen. 56 Trat in Knigges 'Umgang mit Menschen' der Aspekt des Diskursiven deutlich zurück, so entfalteten die Autoren der Romantik, nicht zuletzt unter dem Eindruck des sich festigenden Einheits- und Ganzheitsdenkens, dann eine Theorie der Geselligkeit, die sich in fast allen Punkten der egalitär-diskursiven der Aufklärung entgegengestellte. Im ganzen blieb dieser neue Geselligkeitsbegriff aber eher diffus; er überlagerte sich - bei verschiedenen Autoren in unterschiedlicher Weise - mit Begriffen wie Familie, Freundschaft und Liebe. Jeder dieser Begriffe wurde „durch individuelle Konnotationen" so verändert, daß er „definitorisch ungreifbar" war.S? Demgegenüber nahm Schleiermacher eine gewisse Sonderstellung ein. In seinem 'Versuch einer Theorie des geselligen Betragens' ( 1799) setzte er sich mit dem von Lessing und Kant diagnostizierten Antagonismus des Geselligen („Ich soll meine Individualität, meinen Charakter mitbringen, und ich soll den Charakter der Gesellschaft annehmen.") mit dem Ziel auseinander, diesen Widerspruch aufzulösen. Den Maßstab dafür entnahm er seiner Erfahrung von Salon-Geselligkeit. Dennoch komme es für den einzelnen darauf an, von „dem Totale des geselligen Stoffs" auszugehen und seinen Platz in der Sphäre der Gesellschaft zu finden. In dieser „Kunst" sei die Einheit, das Ganze der Gesellschaft entsprechend gewahrt und zugleich dem Charakter des einzelnen Rechnung getragen. 58 So überrascht es nicht, daß Schleiermacher wenige J ahre später im 'Brouillon' ( 1805/06) die Ganzheit der Familie zur Grundlage ihrer Geselligkeit machte: der „freie[n] Geselligkeit" müsse die „ Liebe" vorangehen, „aber sie kann nur entstehn durch die Familie, weil sie das Eigenthum voraussezt. Also muß die Familie als ein ursprünglich Gegebenes angesehn werden [ .. .] Daher ist beides identisch. Die Familie zugleich die ursprüngliche Sphäre der freien Geselligkeit." Auch im Hinblick auf die Freundschaft war für Schleiermacher die Familie das vorgängig Gegebene. Gedacht war dabei an die Kleinfamilie. Dies geschah mit Blick auf ihre Verankerung in der Gesamtheit des Volkes ebenso wie aufgrund der Gewißheit, daß der Mensch im familialen Liebeszusammenhang das endliche Wesen seiner Existenz zur höheren Bestimmung hin transzendiere.59 Wenn hier Liebe, Ehe, Familie und
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Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen, Lcipz.ig 1878, S. 25, 69,83, 84. Thomas Günther Ziegner, Ludwig Tie.ck. Studien zur Geselligkeitsproblematik, Frankfurt 1987, s. 26. Schleiermacher , Werke (wie Anm. 5), Bd. 2, S. 15, 24, 31. Schleiermacher, Werke (wie Anm. 5), Bd. 2, S. 128, 135, 136, 138. Noch Othmar Spann, Gesellschaftslehre, Leipzig 2 1923, betont Jas ganzheitlich-universalistische . Wesen· der Fami-
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Freundschaft als Phänomene der Geselligkeit gedacht wurden, so auch in der Absicht, die geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen und die Zwänge der bürgerlichen Arbeitswelt in neuen Formen freier Assoziation aufzulösen. Salonund Briefkultur dienten diesem Ziel nicht weniger als der immer wieder erneuerte Versuch, sich in Freundschaftszirkeln zu organisieren. Was die Veränderungen des Geselligkeitsbegriffs im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts im ganzen bedeuteten, wurde erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in seiner vollen Tragweite erkennbar. Auch dort, wo das neuere Schrifttum an traditionelle Modelle anknüpfte, wie etwa Oscar Bie in seinem Essay 'Der gesellschaftliche Verkehr' (1902), war vom ursprünglichen Konzept kaum mehr etwas vorhanden. Bie stellte sich bewußt in die Tradition der Verhaltensbücher seit der Renaissance. „Anfang, Höhe und Ideal der abendländischen Geselligkeitsbewegung" sah er in dem italienischen D reigestirn Castiglione, della Casa und Guazzo. Er zeichnet dann den Weg der Entwicklung in Frankreich und Spanien nach und hebt an der deutschen Tradition vor allem die Werke von Knigge und Pockels sowie die Moralischen Wochenschriften hervor. In der Nachfolge des 'Spectators' hätten sie Wesentliches zur Verbesserung der Geselligkeit in Deutschland beigetragen. Nicht weniger wichtig seien Chodowieckis Zeichnungen, die Errungenschaften der Gartenkunst, die Stile des Sich-Kleidens und die Eßkultur gewesen. Der Gesellschaftsessay sei darüber hinaus eine Literaturform geworden, die den Geist „freier Geselligkeit" ebenso spiegle wie bestätige. Was Oscar Bie aber nicht erwähnt, ist der egalitär-diskursive Charakter, den der Begriff im 18.Jahrhundert angenommen hatte. Geselligkeit ist für ihn Leben, das sich in einem großen organismushaften Kunstwerk vollzieht. Die Rhythmen des Straßenverkehrs hätten ebenso daran teil wie der Tanz und das Gespräch. Bie ebnet die Kluft zwischen den technischen Neuerungen und dem, was Geselligkeit sozialethisch bedeuten kann, ein und läßt beides in der Ganzheit eines schönen, überwältigenden Rhythmus aufgehen. So ästhetisiert besitzt sie denn auch keinerlei Funktion mehr. 60 Doch nicht nur in der Einheit des Schönen konnte sich Geselligkeit verflüchtigen, auch in der des Volkskampfes. Herman Nohl, der Schleiermachers anonym erschienene Schrift 'Versuch einer Theorie des geselligen Betragens' neu entdeckte und herausgab, veröffentlichte 1914 einen Aufsatz mit dem Titei 'Vom deutschen Ideal der Geselligkeit' 61 , in dem er das volkhaft-ganzheitliche Geselligkeitsverständnis auf die aktuelle politische Situation bezog und in geradezu makabrer, aber keineswegs inkonsequenter Weise bis zu seinen fatalsten Folge-
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lie: "[. . .] die geistigen Verhältnisse, welche in der Ganzheit ·Familie' beschlossen sind , die bilden und schaffen erst den Geist ihrer Mitglieder. Sie geben dem Vater die Väterlichkeit, das Geistige seiner Führer- und Herrschaftsstellung, den Kindern das Geistige ihrer vertrauenden gehorsamen Stellung." (S. 96). Oscar Bie, Der gesellschaftliche Verkehr(Dic Kullur, hg. von Cornclius Gurlitt, Bd. 2), Leipzig o. J. [1902] , S. 53, 55, 56. Herman Nohl, Vom deutschen Ideal der Geselligkeit , in: Pädagogische und politische Aufsätze, Jena (1919] , S. 48, 49, 52, 53, 56.
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rungen führte. Auch er berief sich auf die Tradition, die mit Castiglione begonnen hatte. Und auch er knüpfte ausschließlich an jene Elemente der Überlieferung an, die auf seine Vorstellung von Geselligkeit zuliefen oder, entsprechend umgedeutet, diese stützen konnten. Die „vollkommene Menschheit" ruhe nicht im einzelnen, sondern „in der Geselligkeit als Ganzem", und diese bringe den „ganzen Menschen" erst hervor. Im Volkhaft-Ganzen vollziehe sich „eine neue Steigerung der Geselligkeitslehre", die nun die Funktion erfülle, „das Ideal der Humanität in diesem Sinn realisieren zu helfen". Sie „deduziere" sich „aus dem Ideal der Totalität alles Menschlichen", sei deshalb „Selbstzweck" und verweigere sich allen „utilitarischen Zwecken''. Geselligkeitsvorstellungen, wie sie die Aufklärung beherrschten, weist Nohl entschieden zurück. Die neue Geselligkeit habe denn auch die Aufgabe, „die Homogenität des Volkes herzustellen"; in ihr liege „die Bedingung der Stärke des Staates". So wie schon 1813 sei es auch in jüngster Zeit die neue Jugend Deutschlands gewesen, die den tiefen pädagogischen und menschlichen Wert der Geselligkeit wieder verstanden hat. In ihren Gemeinschaften, wie im Wandervogel, in den neuen Jugendbünden an den Universitäten, machte sich das Bedürfnis nach Entwicklung des Charakters durch die Gemeinschaft, nach neuen Formen des geselligen Daseins, nach der vollen Freiheit der persönlichen Haltung, die nur in ihm entsteht , geltend.
Den reifsten Ausdruck habe die „gesellige Theorie dieser J ugend" aber „in der Darstellung des frohmütigen jungen Menschen" der ersten Kriegsjahre gefunden. Einern von ihnen, Karl Brügmann, widmete Nohl seinen Aufsatz. Brügmann, „die feurigste Seele eines Kreises edler Jugend in Jena", sei bei einem „Sturmangriff gegen den Plogsteedwald am 8. 11. 1914 im heldenmütigsten Vorgehen" gefallen. Den geselligen Geist, mit dem er gestorben sei, bringe ein Wort in einem seiner letzten Briefe zum Ausdruck: „Die Kerle haben singen gelernt, daß es eine Lust ist." In der „klassischen Zeit" sei eine Vergeistigung des „geselligen Verkehrs" zu „Theorie und Wissenschaft" gelungen, nun erfülle sie sich im Kampf der Jugend: Alles, was sie erhoffte , wurde in jenen Augusttagen wahr, als unser ganzes Volk mit Gesang und schrankenloser Einmütigkeit in seinen aufgedrungenen Kampf zog, und so konnte sie den Krieg wie eine heroi sche Fortsetzung ihres Lebens nehmen.
Thema ist nicht die Vielfalt geselligen Umgangs, sondern das sozialethischpolitische Konzept, das ein großer Teil des deutschen Aufklärungsschrifttums vertritt. Erläutert werden seine naturrechtlichen (J. Locke) und verhaltenstheoretischen (Guazzo, Gracian) Voraussetzungen ebenso wie seine Leitideen (Conversation, Lebensart, Freundschaft, Vertrauen). Dieses im Kern egalitär-diskursive Modell gerät um 1750 in eine Krise und wird zunehmend von genetisch-ganzheitlichen Vorstellungen abgelöst. Dem neuen Geselligkeitsbegriff liegen Kategorien wie Gemeinschaft, Volk und Volkskampf zugrunde; die Linie wird bis zum Ersten Weltkrieg gezogen (H. Nohl). The topic is not the variety of social intercourse, but rather the socio-ethicopolitical conception thereof which was he/d by a /arge part of German Enlighten-
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mem literature. lts presuppositions in nazural /aw (J. locke) andin the theory of behavior (Guazzo, Gracian), as weil as its /eading ideas (conversation, manners, friendship, trust) are explained. This model, in its essence egalitarian and discursive, enters about 1750 into a crisis and is increasingly replaced by ideas which are genetic and holistic. The new concept of sociability is based on categories such as community, people and the struggle of the people; the line is traced up to the First Wor/d War (H. Nohl).
Prof. Dr. Wolfram Mauser, Deutsches Seminar 11, Alben-Ludwigs-Universität Freiburg, Postfach, D -7800 Freiburg
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Die Aufklärung der Antike über die Tugend Christoph Martin Wielands Singspiel „Alceste" in der Geschichte des Sinns von Literatur
„Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum", eröffnet Karl Moor die 2. Szene des 1. Aktes von Schillers „Räubern", „wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen". Und fährt fort, zur lllustration und Demonstration: „Da krabbeln sie nun, wie die Ratten auf der Keule des Herkules, und studieren sich das Mark aus dem Schädel, was das für ein Ding sei, das er in seinen Hoden geführt hat?"' Christoph Martin Wieland macht sich in seinem Singspiel „Alceste" derartiger Krabbelei nicht schuldig. Ob sein Herkules überhaupt Hoden hat, bleibt zweifelhaft, aber eins hat er gewiß: Tugend. „Oh du", singt er sie in einer zarten Kavatine an, „o du, für die ich weicher Ruh I Und Amors süßem Schmerz entsage, I Du, deren Namen ich an meiner Stirne trage, I Für die ich alles tu, / Für die ich alles wage, I 0 Tugend!" 2 Die „Briefe an einen Freund über das Singspiel 'Alceste'" wiederholen und vertiefen: „Er" - Herkules, wie ihn Wieland schildert - „nähert sich dem Ideal des wahren Helden. Seine Theilnehmung an seines Freundes Schicksal ist rein; seine Wiederbringung Alcestens ist nicht die Vergütung eines begangenen Unrechts; sie ist die verdienstliche That einer freyen Entschließung, des Mannes würdig, der für die Tugend alles thut, alles wagt; [...] und durch Thaten, die ihm kein Erdensohn nachthun kann, den Weg zum Olympus sich öfnen will."3 Das bei Euripides, zu dem Wieland hier
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Friedrich Schiller, Sämtliche Werke in zehn Bänden. Berliner Ausgabe, hg. von Hans-Günther Thalheim, Bd.2 Berlin 1981, S.41. Christoph Martin Wieland, Werke, hg. von Fritz Martini und Hans Werner Seiffert, Bd. 3, bearb. von Fritz Martini und Reinhard Döhl, München 1967, S.89. Christoph Martin Wieland, Briefe an einen Freund über das deutsche Singspiel Alceste, in: Der Teutsche Merkur, 1. Bdes 1. Stück, Januar 1773, S.34-84 und 1. Bdes 3. Stück, März 1773, S.223-243, hier 2. Brief, S.48. - Oscar Fambach identifiziert den Freund, an den die Briefe gerichtet sind, mit Friedrich Heinrich Jacobi (Oskar Fambach, Ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik. 1750-1850, Bd. 3: Der Aufstieg zur Klassik in der Kritik der Zeit, Berlin 1959, S.187, Anm . 1), während Reinhard Döhl in den Anmerkungen zur . Alceste" dessen Bruder Johann Georg Jacobi für den Gemeinten hält (Wieland, Werke, wie Anm. 2, Bd. 3, S. 806). Ich schließe mich der Auffassung Döhls an, weil Johann Georg Jacobi später selbst Singspiele verfaßt hat und als Fachmann für diesbezügliche Fragen gelten darf.
Aufklärung 4/1 e> Felix Meiner Verlag, 1989, ISSN 01 78-7 128
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deutlich Distanz nimmt, offenbar nicht zu findende Ideal des Helden ist die Tugend und die Heldenlaufbahn die lebensgeschichtliche Verkörperung dieses Ideals. Und welches Leben, welche Lebensführung verlangt es? Vor allem einmal Leistung: große, ungewöhnliche Taten, die ihren Vollbringer über die gewöhnlich menschlichen Taten erheben. Wielands „Alceste" zufolge sogar unablässige Leistung, die auf Muße ebenso verzichtet wie auf Liebe, das leistungsfreie Tun par excellence. Schließlich auch noch Leistung ohne Lohn, genauer: ohne Lohn als die Wahrnehmung des Werts der Leistung für andere. Als am Schluß des Singspiels Admet die wiedergewonnene Alceste in den Armen hält und Herkules fragt, wie er ihm diese Tat vergelten könne, antwortet der Held: „Ich bin belohnt an euren Freuden/ Mein mitempfindend Herz zu weiden,/ Ich bin der glücklichste von euch !" 4 Alles in allem: Es ist nicht angenehm, ein Tugendheld zu sein. Der Platz im Olymp, Ruhm, Ehre, erhabenes Ansehen, muß mit lebenslangem Verzicht auf Selbstgefühl, auf jede Annehmlichkeit des Ichs bezahlt werden. Dieses karge Ideals nun bringt Wieland in empfindsame Verse und rührende Musik, ja, er macht es nur ein Vierteljahr nach der „Alceste" zum Hauptthema eines weiteren Singspiels: „Die Wahl des Herkules. Eine dramatische Cantate", uraufgeführt in Weimar am 3. oder 4. September 1773 zum 17. Geburtstag des Herzogs Karl August und infolgedessen ausklingend mit einem allegorischen Nachspiel: „Die Tugend an den durchlauchtigsten Herzog." Herkules zeigt am Scheidewege denselben Charakter wie am Hof Admets in Pherä. Er verpflichtet sich auf Leistung, indem er Zeus um Unterricht über die Taten bittet, die ihm den Weg zum Olymp öffnen können: „0, lehre deinen Sohn/ Die Wege zum Olympus, lehre ihn I Sich deiner würdig machen! "6 Er liebt die T ugend mehr als sein Leben: „ Was wär' es ohne dich?/ Wie könnt' ich dir entsagen, dir, I Arete, die ich über Alles liebe?" 7 , und hört mit folgsamer Aufmerksamkeit ihre Lehre von der Lebensführung, die Heroen zu Göttern werden läßt: „Sie lebten einst, wie du, in irdischer Gestalt, I Doch nicht sich selbst,/ Sie lebten blos, der Erde wohl zu thun ." 8 Vor den erbprinzlichen Ohren mildert die Tugend ihr hartes Gebot allerdings wesentlich ab. Wenn du dich für mich entscheidest, erklärt sie Herku-
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Wieland , Werke, Bd. 3 (wie Anm .2), S.107. Es entspricht m. E. dem , in das August Hermann Francke das Ziel aller Erziehung setzt, wenn er feststellt, "daß insonderheit drey Tugenden seynd I welche man vor allen suchen muß denen Kindern bey noch zarten Jahren einzupflantzen I („ .] I nemlich: Liebe zur Wahrheit I Gehorsam und Fleiß.[.. .) Durch die Liebe zur Wahrheit I wird das Hertze auffrichtig und redlich auch frey und offen gegen Jedermann[ .. .] Durch den hertzlichen Gehorsam wird die Herrschafft des eigenen Willens und Fü rwitzes niedergeleget [ ...] Durch den Fleiß wird eine Beständigkeit in a llen Dingen I und eine Daurhafftigkeit erlanget[...]" (Kurzer und einfältiger Unterricht, wie die Kinder zur wahren Gottseligkeit und christlicher Klugheit anzuführen sind , Kap. XII, 1702; hier zit. nach Werke in Auswahl, hg. von Erhard Peschke, Berlin 1969, S. 137) Um es auf eine Formel zu bringen: Selbstaneignung in sozialer Selbst-Sicherheit durch Selbstentäußerung. C. M. Wielands sämmtliche Werke, Bd. 28 Leipzig 1857. S. 204. Ebd., S.219. Ebd .. S. 221.
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les, „ Verzeihst du keiner Freude dich, an welche/ Ein edler Geist sich unbeschämt I Erinnern kann."9 Christoph Martin Wielands Singspiel „Alceste" mit der Musik von Anton Schweitzer wird am 28. Mai 1773 in Weimar uraufgeführt. 10 Die „Fünf Briefe an einen Freund über das Singspiel• Alceste"' erscheinen jedoch schon in der 1. und 3. Nummer des !.Jahrgangs des „Teutschen Merkurs", im Januar und im März 1773: eine vorsorgliche Vorwegnahme des Vergleichs mit der „Alkestis" des Euripides und eine besorgte Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der Unbescheidenheit, „wenn die Vergleichung nicht immer zum Vortheile des Griechischen Dichters ausfallen sollte" .i 1 Nicht genug damit: „Was hab' ich gethan", befindet der Autor der „Briefe", „als was er selbst" - Euripides nämlich „hätt' er sein Drama 2200 Jahre später zu verfertigen gehabt, auch gethan haben würde?" 12 Diese ungenierte Selbstproklamation zum modernen Alter Ego eines großen alten Dichters mußte jeden aufbringen, der wie der junge Goethe mit Herder die Frage „ Wie weit wir die griechischen Dichter kennen?" erörtert und dabei sicher auch dessen resignierte Feststellung gründlich kennengelernt hatte: „Man sucht vergebens etwas, das uns das Genie der Griechen, ihres Theaters, und den Charakter seines Autors kostet, und zu schmecken giebt." 13 Als Goethe im September/Oktober 1773 die Farce „Götter, Helden und Wieland" niederschreibt, 14 die die Verliebtheit dieses Autors in seine Arbeit und sie selbst ebenso scharf wie scharfztingig angreift, liegen die Publikation der
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Ebd., S.220. - Vgl. zu diesem Singspiel Wielands im übrigen Jens Tismar, Herakles als Leitfigur bei Wieland, Goethe und Hölderlin, in: Text & Kontext 13 (1985). S. 39f. Siehe dazu im weiteren Friedrich Sengle, Wieland, Stuttgart 1949, S.286ff., sowie jetzt auch Wolfgang Stellmacher, Wieland und das Singspiel, in: Thomas Höhle (Hg.), Wieland Kolloquium Halberstadt 1983, Halle 1985, S. 213- 221. - Zu Geschichte und Theorie des deutschen Singspiels sowie Wielands Bedeutung in ihrem Zusammenhang siehe Hans-Albrecht Koch, Das deutsche Singspiel, Stuttgart 1974, S.44ff., sowie Renate Schusky, Das deutsche Singspiel im 18.Jahrhundert. Quellen und Zeugnisse zu Ästhetik und Rezeption, Bonn 1980, S. l I0135. Wieland, Briefe an einen Freund (wie Anm.3), 4. Brief, S.62. Ebd„ 2. Brief, S.48. - Wieland führt in seinem Aufsatz.Über einige ältere teutsche Singspiele, welche den Namen Alceste führen" (in: Der Teutsche Merkur 1773, 4. Band, S. 34-73, auch in: Sämmtliche Werke, Bd. 34 Leipzig 1857, S. 185-217) diese. Vergleichung" weiter und will sie in bezug auf .Einheit des Tons, Reinigkeit des Ausdrucks, Rundung und Glätte des Styls" (Werke, S. 217) zu seinen Gunsten entschieden wissen. Das Urteil nach diesen Maßstäben fällt allerdings allzu leicht angesichts der unbeholfenen Ungeheuer barock(isch)er Repräsentationskunst, die Wieland sich zum Vergleich auswählt, und ihres erst notbehilnichen Umgangs mit dem Deutschen als moderner Dichtersprache. - Über die wichtigsten Auseinandersetzungen mit der . Alkestis" des Euripides siehe Kurt von Fritz, Euripides' Alkestis und ihre modernen Nachahmer und Kritiker, in: ders„ Antike und moderne Tragödie. Neun Abhandlungen, Berlin 1962, S.256-321. Fragmente über die neuere deutsche Literatur, zweite Sammlung, in: Johann Gottfried Herder, Sämmtliche Werke, hg. von Bernhard Suphan, Bd. l Berlin 1877, S.292. Siehe zu diesem Text Goethes: Roger Ayrauh, Une .farce" de Goethe dans ses annees de Sturm und Drang: „Göner, Helden und Wieland", in: Etudes Gcrmaniques 20 (1965), S. 161-171.
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„Fünf Briefe" und die Uraufführung der „Alceste" schon zu weit zurück, als daß sie unmittelbaren Anlaß geboten haben könnten - den bietet vielmehr, wie ich vermute, eine des Tadels volle Rezension der zweiten Fassung des „Götz", die im September-Heft des „Teutschen Merkurs" erschienen ist. 15 Im März! 774 veröffentlicht, wird die Satire auf der Ostermesse in Frankfurt bekannt - kurz vor der dortigen Erstaufführung der „Alceste" - , erlebt binnen weniger Monate vier Auflagen und spaltet das literarische Deutschland bald in zwei Parteien: Lessing zeigt sich wenig begeistert über den neuen Ausbruch des Kraftgenies, während dem alten Bodmer die Sache so gut gefällt, daß er selbst eine Posse „Nicolais Monologen unter Absingung der Alceste" verfaßt, in der außerdem Merck („Märke"), Riede! und Stolberg im Publikum sitzen und vom Parterre aus ihre Glossen machen. 16 Wieland reagiert öffentlich mit einer anerkennenden Anzeige im „Teutschen Merkur" vom Juni 1774-derselben Nummer, die auch seine für den „Götz" eintretende Antwort auf dessen Besprechung im September 1773 enthält. 17 Privat muß er sich weniger nobel geäußert haben, wie man Goethes Brief an Sophie von La Roche von Ende Mai 1774 entnehmen kann: „ Wenn ich von einem grossen Geiste hörte, so gab meine Einbildungskrafft dem Mann eine Stärke, eine höhe Vorstellungsart, und andere Apartinenzien, und nun wie ich sie Lerne die Herrn, ist's mit ihnen nicht besser, als einem eingeschränckten Mädgen deren Seele überall anstöst, und deren Eitelkeit mit einem Winckgen zu beleidigen ist. Ich dachte Wieland sollte sich so albern nicht gebärden." 18
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Der Tcutsche Merkur 1773, 3. Bdes 3. Stück, September 1773, S.267-287. Wieland hat ihr sofort folgende Anmerkung des Herausgebers nachgestellt: "Der Urheber der gegenwärtigen Recension denkt ( .. .] über einige Grundsät ze der Poetischen Kunst ganz anders als der Herausgeber. Besonders scheint ihm beinahe alles, was derselbe an Götzen von Berlichingen tadelt, ohne genugsamen Grund getadelt worden zu sein. Den Beweis muß er aus Mangel des Raums auf eine andere Gelegenheit versparen: · (S. 287). Wieland hat von dieser Parodie sehr wahrscheinlich nie Kenntnis erhalten. Das Ms Bodmer 26.5, 22 Seiten in Klein-Oktav, liegt heute noch unveröffentlicht auf der Zentralbibliothek Zürich. Das Personenverzeichnis führt ursprünglich folgende Namen: Nicolai, Riede!, G öthen , Märke. Die letzten beiden sind durchgestrichen und dafür "Märke" und ,Stollberg" gesetzt. Vgl. dazu Erich Meissner, Bodmer als Parodist, Naumburg 1904, S.108-1 17. Der Teutsche Merkur 1774, 6. Bdes 3. Stück, Juni 1774. Goethes Briefe in vier Bänden, ,Hamburger Ausg:·, Bd. 1Hamburg 2 1968, S.160. - Wieland schreibt noch am 27.0kt. 1775 an J. H. Merck: "Unterdessen verlangt mich zu sehen, ob ich durch persönliche Bekanntschaft soweit kommen werde, besser als izt zu wissen, was ich von dem Manne denken soll, der als Shakespears Nebenbuhler so groß ist und doch fähig war, ohne durch einen Gedanken von mir beleidigt zu sein, in so bösartigen Pasquinaden als Götter, Helden und Wieland[ ...] ist[ . . .] alles anzuwenden, um mich meinen Zeitgenossen verächtlich zu machen." (Hier zit. nach Wieland , Werke, wie Anm. 2, Bd. 3, S. 808). Wieland "mußte seine Kunst gegen die Farce Goethes in dem kurzen Singspiel ' Das Urteil des Midas' (in: Der Teutsche Merkur 1775/1, S. 1-19, jetzt auch in: C. M. Wieland, Sämmtliche Werke, Bd. 28 Leipzig J 85 7, S. 389-407) verteidigen" , behauptet Richard Newald ohne jede weitere Begründung (Helmut de Boor, Richard Ncwald, Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 6/ 1, 4. , verb . Aufl. München 1964, S. 92). Ich vermag an Wielands Text keine Anzeichen für die Richtigkeit dieser Behauptung zu entdecken. Er verbindet Berichte Ovids und Hygins zu einem gefälligen
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Herkules, der Held, wenn auch nicht die Hauptfigur der Farce, nimmt seinen vor ihn zitierten Autor sogleich bei dem Wort, unter das der ihn gestellt hat: „ Wer ist denn Sein Herkules, auf den Er sich so viel zu gute tut? Und was will er? Für die Tugend! Was heißt die Devise? Hast du die Tugend gesehn, Wieland? Ich bin doch auch in der Welt herumgekommen, und ist mir nichts so begegnet." 19 Auf Wielands Beharren „Tugend muß doch was sein, sie muß wo sein" erklärt ihm dieser Herkules dann, wen man einen „braven Kerl", das heißt einen tugendhaften Helden nennen darf: „Einen, der mitteilt, was er hat. Und der reichste ist der bravste. Hatte einer Überfluß an Kräften, so prügelte er die andern aus. Und versteht sich, ein rechter Mann gibt sich nie mit Geringem ab, nur mit seinesgleichen, auch Größern wohl. Hatte einer Überfluß an Säften, machte er den Weibern so viel Kinder, als sie begehrten, auch wohl ungebeten. Wie ich denn selbst in einer Nacht funfzig Buben ausgearbeitet habe. Fehlt' es einem dann an beiden, und der Himmel hatte ihm [...] Erb' und Hab' vor Tausenden gegeben, eröffnete er seine Türen und hieß Tausende willkommen, mit ihm zu genießen."20 Tugend als die Praxis einer Ökonomie der Verschwendung? Nicht ganz: Tugendhaft ist nicht, wer auf sich verzichtet, sich wegschenkt, sondern wer sich in allem Seinigen mitteilt, woran er Überfluß hat. Überschreitet die Reflexion in sich, die Selbstgewinnung des Subjekts aus seinen Objekten, das Maß dessen, was das individuierende Ich zu fassen vermag, quillt der Becher über, so teilt sich der Überfluß denen mit, deren reflexive Kraft ihren Bedürfnissen nicht genügt. Tugendhaft ist, wer diesem Überfluß seinen Lauf läßt, wer seinen Reichtum mit Tausenden teilt, damit sie mit ihm genießen - wer sie seiner Form des Genusses anteilig macht und ihn in ihnen genießt. Goethes Herkules setzt sich zu Wielands Herkules in reinen Widerspruch: entspannender Genuß statt verzichtfordernder Leistung, Selbstäußerung statt Selbstentäußerung. Goethe macht sich anheischig, Euripides' Werk gegen Wielands modernistische Kritik 21 zu verteidigen. Trifft nun seine Darstellung des Herkules die des
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Unterhaltungsschauspiel - eine Quellenkombination, deren sich der Autor auch schon in . Aurora und Cephalus" aus den .Comischen Erzählungen· bedient hat. Vgl. dazu Joseph Brock, Hygins Fabeln in der deutschen Literatur. Quellenstudien und Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur, München 1913, S.81 ff. Johann Wolfgang von Goethe, Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe in 40 Bänden, Stuttgart 1902ff., Bd. 7, S.136. Ebd. , S. 137f. .Im übrigen aber ist Euripides für Wieland ein Sokratiker. Und wenn wirnun zu Euripides den andern für Wieland bedeutendsten Sokratiker hinzunehmen, Xenophon nämlich , so spiegeln sich im Verhältnis Wielands zu den beiden zwei Seiten seines Wesens. Die Wesensarten des Xenophon und des Euripides entsprechen irgendwie zwei Seiten des Wieland'schen Menschentums: auf der einen Seite eine Humanität, die kosmopolitisch angehaucht ist und nach dem Optimistischen tendiert, wie wir sie bei Xenophon finden, und auf der andern Seite einen Realismus, der nach dem Pessimistischen tendiert, der in seinem Blick fürs Einzelne um das Schlechte weiß, und der rationalistisch und mit den Mitteln der Rhetorik und Philosophie dieses Schlechte zu überwinden sucht, wenn notwendig mit den Mitteln der Intrige: das ist
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Herakles in der „Alkestis"? Erkennt und verwirklicht der junge deutsche die Intention des alten griechischen Dichters? Nachdem des Euripides Herakles sich über den Todesfall im Hause des Admetos recht leicht hat täuschen lassen, betritt er dessen Gästehaus, bekränzt sich, betrinkt sich und beschwert sich anschließend über die saure Miene des Dieners, der ihm aufwarten muß. Nichts als Dummheit, diese Trauer um eine fremde Frau. „ Weißt du, wies mit den Menschendingen steht? / Ich glaube kaum. Woher auch? Höre zu. I Auf alle Menschen wartet gleicher Tod , I Und keinen gibt es, der an diesem Tag/ Schon weiß, ob er den nächsten noch erlebt./ Der Weg des Schicksals liegt in Finsternis. / Kein Kunstgriff, keine Rechnung hellt sie auf. / Hast solche Weisheit du von mir gelernt, / Sei heiter, trinke, rechne mit dem Tag,/ Stell alles andre dem Geschick anheim." 22 Mit einem Wort: „ Wer sterblich ist, der denke Sterbliches!" 23 Dieser Herakles ist ein geschworener Feind aller Metaphysik, allen Jenseitsdenkens und damit aller Ideale, deren Geltung sich über einen einzelnen Lebenslauf hinaus erstreckt und die darum für ihn bestimmend werden kann. Wer sterblich ist, richte alle seine Sinne auf Sterbliches, auf den Augenblick der wahren Empfindung, dessen Wahrheit mit ihm entsteht und vergeht. Dennoch verhält sich dieser Herakles nirgends anarchisch, im Gegenteil, wo er einsieht, soziale Ordnung verletzt zu haben, unternimmt er die äußerste Anstrengung, um die Verletzung wieder zu heilen: Er, der neben der Bahre der Alkestis gezecht und gelärmt hat, bricht auf, dem Thanatos seine Beute wieder abzuringen. Seine Wiederbringung Alcestens ist, das sieht Wieland richtig, eine Vergütung begangenen Unrechts, peinlich genaue Rekonstitution einer gestörten Ordnung, die sich nicht eher zufriedengibt, als bis Alkestis' Hand in der ihres Mannes liegt, bis er sie an dieser Hand in seinen Palast führt und so öffentlich dartut, daß die alte glückliche Lebensform seiner Familie wieder gilt und neu beginnt. 24 „ Wer sterblich ist, der denke Sterbliches!" steht gleichberechtigt neben „So fasse dich und finde dir ein Maß!",is und beide Grundsätze prononcierter Diesseitigkeit charakterisieren den Mann, dem mit dem Sieg über den Tod Übernatürliches, Übermenschliches gelingt. Daß Goethes Herkules eher einem homerischen Helden gleicht als
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Eu ripides.· (0. Bantel, Wieland und die griechische Antike , Diss. masch. Tübingen 1952. S. 242f.) Das charakterisiert bei aller Weitschweifigkeit und Unschärfe recht gut den Ton, den die .Fünf Briefe" Euripides gegenüber anschlagen. Wieland sucht die Lebensfreude und Lebenssinngewißheil Xenophons mit dem Realitäts- und Detailbewuß1sein des Euripides auszugleichen. Alkestis, V. 780-789 (hier zit. nach: Euripides. Sämtliche Tragödien und Fragmente. Griechisch-ornb11rs • • ,. ,IUorm. 11.j 4 8 • • /
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Aus: Walter Leibbrand, Postrouten ( Postcoursc) in Baden-Württemberg 1490-1803, in: Historischer Atlas von Baden-Würtemberg, Erläuterungen X, 2, $. 7.
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