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German Pages 224 Year 2006
Tipke Ein Ende dem Einkommensteuerwirrwarr!?
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Rechtsrefonn statt Stimmenfangpolitik
von
Dr. Klaus Tipke em. Professor für Steuerrecht Bonn
2006
oUs
Verlag
Dr.OttoSchmidt Köln
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Dem Verlag Dr. Otto Schmidt zum hundertjahrigen Jubilaum
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Vorwort Die Steuerpolitik demokratischer Parteien befindet sich in einem Dilemma. Einerseits sind die Parteien zur Ausübung von Macht auf Wählerstimmen angewiesen. Daher liegt es nahe, Stimmenfang-Politik zu betreiben, auch Stimmenfang-Steuerpolitik. Andererseits ist aber auch die Steuerpolitik rechtsstaatlich gebunden, nicht zuletzt an den Gleichheitssatz. Steuerpolitik muss daher Steuerrechtspolitik sein; sie darf das Steuerrecht nicht als beliebige Verfügungsmasse politischer Opportunität betrachten. Damit sie auf dem Wege des Rechts bleibt, sich an Rechtsprinzipien orientiert, braucht sie die Korsettstangen der Steuerund Verfassungsgerichtsbarkeit sowie der Steuerrechtswissenschaft. Um den reformmüden Gesetzgebungsverantwortlichen auf die Beine zu helfen, haben einzelne Fachvertreter oder -gruppen ohne Regierungsauftrag Einkommensteuergesetz-Entwürfe erarbeitet, sechs insgesamt (s. S. 18). Es handelt sich nicht um steuerpolitische Leitsätze, sondern um ausformulierte Gesetzentwürfe. Durch sie wird der Steuerpolitik und dem Gesetzgeber sozusagen privater Nachhilfeunterricht in Steuergesetzgebung gegeben. Eigentlich hätte die Entwurfsarbeit im Finanzministerium geleistet werden müssen; das Ministerium ist bisher aber bei einem „Steuerrecht von A – Z“ stehen geblieben (s. S. 81), obwohl das Alphabet kein rechtliches Ordnungsprinzip ist. Da seit den 1970er Jahren alle großen Einkommensteuer-Reformvorhaben gescheitert sind, die Reform-Finanzminister dabei nicht unerheblichen politischen Schaden genommen haben, ist es nicht verwunderlich, dass kein Finanzminister sich unbefangen an einen weiteren Reformversuch herantraut. Dabei ist die Situation gegenwärtig besonders günstig. Zum einen bieten die privaten Entwürfe prinzipielle Konzepte statt Sammelsurium. Sie machen aus einem Steuerwirrwarr oder Steuerchaos wieder ein übersichtliches, widerspruchsloses System. Zum anderen blockieren die Parteien einer großen Koalition sich nicht selbst mit Hilfe des Bundesrats. Der parteipolitische Missbrauch des Bundesrats sollte für die Zukunft aber überhaupt durch Verfassungsänderung unterbunden werden. Gleichwohl wird eine Einkommensteuer-Rechtsreform alles andere als ein Selbstgänger sein. Auch wenn die Interessenverbände sich zur Zeit nicht so leicht mehr hinter die Opposition stecken können, um Besitzstandsänderungen zu verhindern: Die Parteien der großen Koalition haben ihren Respekt vor der Lobby offenbar noch nicht verloren, die Idee des 7
Vorwort
Steuervergünstigungsabbaus nach der „Rasenmähermethode“ daher nicht ersichtlich aufgegeben. Auch ein Blick in die Steuerreform-Gesetzgebung anderer parlamentarischer Demokratien ermutigt nicht. Selbst wenn einmal Rechtsprinzipien durchgesetzt worden sind: Nach zwei oder drei Legislaturperioden waren sie – nicht zuletzt unter dem Druck von Interessenverbänden und Interessen der Wählerklientel – wieder verschüttet, also nicht von Dauer (s. zu den Reformchancen S. 191). Vier der privaten Entwürfe hat die Politik von vornherein verschmäht. Dass die Entwürfe der Ökonomen kaum Interesse bei den deutschen Ökonomen finden, mag verwundern. Inzwischen scheint auch der Entwurf Paul Kirchhofs „vom Tisch“ zu sein. Im Rennen ist noch der in Arbeit befindliche Entwurf der „Kommission Steuergesetzbuch“, die unter der Leitung von Joachim Lang unter dem Dach der „Stiftung Marktwirtschaft“ tätig ist. Hat dieser Entwurf Chancen, zumal unter einer großen Koalition? Das ist schwer zu sagen. Von Reformfreude ist jedenfalls nichts zu spüren. Die Haupteinwände gegen eine Einkommensteuerreform lauten: Die rot-grüne Koalition habe doch schon für erhebliche Senkungen der Einkommensteuer gesorgt. Weitere Senkungen könne der Haushalt nicht verkraften. Die vorliegenden Privatentwürfe würden alle zu untragbaren Steuerausfällen führen. Das sind fiskalische Einwände. Der Reformstau, der während der vergangenen Jahrzehnte entstanden ist, betrifft aber nicht den Tarif, sondern die systematisch verluderte Bemessungsgrundlage. Sie muss wieder an Prinzipien orientiert werden. Die benötigten Mittel müssen durch entsprechende Gestaltung des Tarifs aufgebracht werden, die Bemessungsgrundlage darf nicht aus Haushaltsgründen manipuliert werden. Die Parteien wissen auch um diese Notwendigkeit; theoretisch trennt sie überhaupt nicht viel (s. S. 178, 187 ff.). Wenn es darauf ankommt, handeln sie aber nicht entsprechend ihren eigenen Erkenntnissen, sondern gehen zum Zwecke des Stimmenfangs auf Konfrontationskurs (s. S. 33, 45 ff.). Da die große Koalition früher oder später zu Ende gehen wird, kommt es überhaupt darauf an, dass der Modus des Wettbewerbs um Wähler kontrollierten Regeln unterworfen wird. Von einem „Wortkampfsport“ kann keine Rede sein, solange die Regeln fehlen (dazu S. 183 ff.). Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer enthält nicht nur Verstöße gegen den Gleichheitssatz und Lücken; sie lässt sich von dem den Finanzämtern zur Verfügung stehenden Personal auch nicht gleichmäßig anwenden. Die Anwendungsschwierigkeiten treffen auch die Steuerberater und die Steuerrichter, von Steuerlaien ganz zu schweigen. Ist die Steuerbemessungsgrundlage nicht sachgerecht, so kann das durch den Tarif 8
Vorwort
nicht ausgeglichen werden. Der Tarif muss auf der Bemessungsgrundlage aufbauen, nicht umgekehrt. Die Malaise des Steuerrechts, die hauptsächlich aus der Stimmenfang-Steuerpolitik folgt, wird auf S. 55 ff. ausführlich dargestellt. Nichts drückt diese Malaise besser aus, als die Schätzung, nach der etwa jeder zweite Steuerbescheid falsch ist (s. S. 58). Und falsch sind auch fast alle Steuererklärungen von Laien; daher ist es ein Schritt in die falsche Richtung, Steuerberatungskosten nicht mehr zum Abzug als Sonderausgaben zuzulassen. Wenn das kein Fehler ist, ist es fiskalische Dummheit. Einen solchen Zustand haben die Bürger, aber auch die Steuerberater, Steuerbeamten und Steuerrichter nicht verdient. Offenbar können die für die Gesetzgebung Verantwortlichen gar nicht ermessen, was sie den ihre Gesetze anwendenden Sollenden antun; sonst hätten sie Erbarmen mit ihnen. Gerechte Strafen lassen sich an ungerechte Steuergesetze nicht knüpfen. Daher tut eine Rechtsreform nicht zuletzt des Einkommensteuergesetzes not! Wer die in dieser Schrift erörterten Reformentwürfe vergleicht (s. S. 104 ff.), wird alsbald gewahr, dass die Vorschläge nicht unerheblich voneinander abweichen. Das hängt damit zusammen, dass es im Steuerrecht weithin um Wertungen geht und in einer freien, pluralistischen Gesellschaft unterschiedliche Wertungen normal sind. Das führt zu abweichenden Wertungen in der Frage, welche Einnahmen steuerrechtlich zu erfassen sind und welche Ausgaben die Einnahmen mindern dürfen. Die Steuerrechtswissenschaft muss aufzeigen, welche Wertungen prinzipiell vertretbar sind, welche nicht. Liegen mehrere Wertungen im Rahmen des Vertretbaren, so ist es Sache der Politik, die ihr „am Vertretbarsten“ erscheinende Wertung auszuwählen. Insofern gilt: Lasst den Politikern, was des Politikers ist. Die Politiker, die sich gern auf ihre demokratische Legitimation berufen, sie bleiben trotz ihrer Wahl im Steuerrecht rechtsstaatlich gebunden; und sie sind nicht gewählt worden, damit sie eindeutige Steuerungerechtigkeiten und überkomplizierte, selbst für Fachleute unverständliche Steuergesetze beschließen. Reformer neigen dazu, die Wähler durch luftige Versprechungen beeindrucken zu wollen. Sie versprechen z. B., sie würden dafür sorgen, dass die Steuererklärung innerhalb von Minuten erledigt werden könne, dass die Zahl der Steuerbeamten auf die Hälfte reduziert werden könne, dass jeder Laie, der lesen und schreiben könne, das Gesetz werde verstehen können, etc. Solche und ähnliche Versprechungen führen zwangsläufig zu Enttäuschungen mit negativem Effekt. Es ist auch nicht realistisch anzunehmen, dass ein gutes Reformgesetz über lange Zeit nicht geändert zu werden brauche. In der Demokratie 9
Vorwort
wechseln die Regierungen und mit ihnen die Wertungen. Gleichwohl ist eine gründliche Entrümpelung eines Gesetzes von Zeit zu Zeit nötig. Besonders dringend ist nach jahrzehntelangem Reformstau eine rechtsprinzipielle Entrümpelung des Einkommensteuergesetzes. Das zurzeit geltende Gesetz enthält nicht nur Ungerechtigkeiten, es ist nicht nur unnötig kompliziert, es ist auch selbst für Fachleute nur mit erheblichen Einschränkungen verstehbar, anwendbar, lehrbar, lernbar und übersetzbar (näher dazu S. 55 ff., 97 ff.). Das sind reformierbare Mängel. Über die Reformchancen, die in der Hand der Politik liegen, hat der Verfasser sich auf S. 191 geäußert. Die sprichwörtliche Weisheit „Jedem Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann“, wird auch von der kompetentesten Reformkommission nicht außer Kraft gesetzt werden können. Für das Typoskript habe ich Frau Renate Hantke zu danken, für das Gros der Fotos dem Bonner Altmeister der Pressefotografie J.H. Darchinger, für das Cartoon auf S. 56 der Witwe des Cartoonisten Heinz Jankofsky. Frau Hantke hat den Text nicht nur mechanisch heruntergeschrieben; sie hat sich lebhaft auch für den Inhalt interessiert. Das Manuskript war bereits vor der Bundestagswahl 2005 abgeschlossen worden. Das Wahlergebnis und seine Folgen haben einige Aktualisierungen erforderlich werden lassen. Der Zwischenbericht der „Kommission Steuergesetzbuch“ konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Bonn-Bad Godesberg, im April 2006
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Klaus Tipke
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 007
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 015 B. Über gescheiterte Steuerreformen seit mehr als einem halben Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 022 I. Erste Reformversuche in den 1950er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . 022 II. Gescheiterter Versuch einer „Großen Steuerreform“ durch eine sozialliberale Koalition in den 1970er Jahren . . . . . . 023 III. Gescheiterter Versuch einer „Großen Steuerreform“ durch eine christlich-liberale Koalition in den 1980er und 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 035 1. Der Reformversuch von Finanzminister Gerhard Stoltenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 035 2. Der Reformversuch von Finanzminister Theodor Waigel . . . . 043 IV. Die rot-grüne Koalition und ihre EinkommensteuerÄnderungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 052 C. Der miserable Gegenwartszustand des deutschen Einkommensteuergesetzes nach den gescheiterten Reformen und seine Folgen 055 D. Die Verursacher des miserablen Zustands des Steuerrechts . . . . 063 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 063 I. Die Steuerpolitiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 064 1. Die Steuerpolitiker und ihre Wählerabhängigkeit . . . . . . . . . . 064 2. Insbesondere: Die Politiker und ihre Abhängigkeit von organisierten Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 073 3. Die Medienabhängigkeit der Politiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 077 II. Die Steuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen . . . . 078 11
Inhalt
III. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . 0083 IV. Die Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0084 E. Was lässt sich aus dem Scheitern der EinkommensteuerReformen lernen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0089 F. Ist eine Einkommensteuer-Reform rechtlich und politisch machbar? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0094 I. Steuerpolitik als gedachte Steuergesetzgebung muss Steuerrechtspolitik sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0094 II. Eine Einkommensteuerreform wäre rechtlich machbar . . . . . . 0097 G. Grundsätzliches zu sechs EinkommensteuerReformentwürfen – Ein Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0104 I. Der Wettbewerb der Entwürfe um die Gunst der Steuerpolitik; Entstehung und Charakteristika der Entwürfe . . . . . . . 0104 1. Zu Paul Kirchhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0104 2. Zu Manfred Rose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0112 3. Zu Joachim Mitschke und Michael Elicker . . . . . . . . . . . . . . 0113 4. Zum „Berliner Entwurf“ der FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0115 5. Zum „Kölner Entwurf“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0116 II. Reformziele der sechs Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0116 1. Allgemeine Ziele; Superlativ-Versprechungen durch Paul Kirchhof und Manfred Rose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0116 2. Über Steuergerechtigkeit im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . 0120 3. Über Steuervereinfachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0122 3.1 Über Steuervereinfachung allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . 0122 3.2 Über Einfachheit durch Kürze; unterschiedliche Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0125 4. Über klare, verständliche Gesetzessprache . . . . . . . . . . . . . . 0128 4.1 Umgangs- oder Fachsprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0128 4.2 Unterschiedliche Fach-Begrifflichkeiten der Entwürfe . . 0132 4.3 Verständlichmachung durch Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . 0137
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Inhalt
III. Die Steuerbemessungsgrundlage in den Reformentwürfen . . . . 0138 1. Markteinkommen versus Leistungsfähigkeitseinkommen . . 0138 2. Konsumeinkommen versus konsumierbares Einkommen . . 0140 3. Lebenseinkommen versus Periodeneinkommen . . . . . . . . . . 0142 4. Generalklausel versus Enumerationstechnik . . . . . . . . . . . . 0143 5. Einheitssteuer versus duale oder plurale Steuer . . . . . . . . . . 0144 5.1 Einheitssteuer als Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0144 5.2 Sonderregel „Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte“ gerechtfertigt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0145 IV. Verbreiterung der Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0146 1. Ausfüllung von Gesetzeslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0147 2. Streichen von sachlichen Steuerbefreiungen und Freibeträgen 0148 3. (Ungerechtfertigte) Einschränkungen des Nettoprinzips . . . . 0150 4. Abschaffung von Steuervergünstigungen . . . . . . . . . . . . . . . 0159 5. Meinungsdivergenzen sind in pluralistischen Gesellschaften wertungswissenschaftlich normal . . . . . . . . . . . . . . 0162 V. Senkung des Tarifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0164 H. Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben . . . . . . . . . . . . . 0166 I. Reformarbeit unter dem Dach der „Stiftung Marktwirtschaft“ . . 0166 II. Paul Kirchhof, Politiker für einen Monat. Grandioser Aufstieg und jäher Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0168 I. Große Koalition und Steuerreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0176 J. Über die „große Koalition“ hinausgedacht . . . . . . . . . . . . . . . . 0181 K. Über die Durchsetzung der Steuerrechtsordnung mit Hilfe der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0192 L. Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0196 Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0200 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0217 13
A. Einführung In einer rechtsstaatlichen Demokratie sollte das Steuerrecht so gerecht, so übersichtlich und einfach, so verständlich wie möglich sein. Tatsächlich sind die Steuergesetze seit 1950 – man nehme alles in allem – aber laufend ungerechter, unübersichtlicher, komplizierter und unverständlicher geworden. Kennzeichnend für die Steuergesetze – noch von Steuerrecht zu sprechen, wäre unangemessen – ist, dass sie ständig geändert und aufgebläht werden. Die Steuerrechtspolitik verliert sich in Details, es wird mit unbedachten Folgen an kleinen und kleinsten Rädchen gedreht, ohne dass sich hinter den punktuellen Änderungen noch ein systematisches Konzept erkennen ließe. Das gilt insbesondere für das Einkommensteuergesetz, um das es hier hauptsächlich geht. Als Herausgeber der Vierteljahresschrift „Steuer und Wirtschaft“ hat Joachim Lang in seinen Editorials zum Jahresbeginn diese Änderei und Flickerei registriert und kritisch begleitet. Geschieht die Änderei konzeptionslos, system- und zusammenhanglos, so geht der dem Gesetz zugrunde liegen sollende Rechtsgedanke verloren, es entsteht das, was man heute allgemein als Steuerchaos, Steuerdschungel, Steuerirrgarten, Steuersammelsurium oder Steuerwirrwarr bezeichnet. Im Jargon der Gesetzgebungspraxis nennt man das Konglomerat zusammenhangloser, punktueller Änderungen oder Ergänzungen ein „Steuerpaket“ (das möglichst nicht mehr aufgeschnürt werden darf) oder ein „Omnibusgesetz“ (ein Gesetz, das alles Mögliche aufnimmt). Die Stoffmasse, mit der der Steuerrechtsanwender es zu tun hat, soll inzwischen auf 118 Gesetze, 87 Rechtsverordnungen, 5.000 Schreiben des Bundesfinanzministeriums und 96.000 Verwaltungsvorschriften angewachsen sein. Das Gros der Steuerpflichtigen und ihrer Berater hat es allerdings nur mit wenigen mehr oder weniger verworrenen Steuergesetzen zu tun, viele nur mit dem überkomplizierten Einkommensteuergesetz. Gesetzesvorschriften, die ständig geändert werden, haben keinen bleibenden Wert. Das bemerken auch Rechtslaien. Große Teile des Einkommensteuergesetzes sind heute nicht mehr im Rechtsalltag verwurzelt. Soweit es überhaupt noch ein Steuerrechtsbewusstsein gibt, deckt es sich weithin nicht mehr mit dem unübersichtlichen, verworrenen, aufgeblähten Gesetzesinhalt. Unter dem beschriebenen Zustand nicht zuletzt des Einkommensteuergesetzes leiden die Bezieher von Einkommen und ihre Familien, aber 15
Einführung
auch die beruflichen Gesetzesanwender: Steuerberater, Steuerbeamte und Steuerrichter, darüber hinaus auch die Steuerlehrer. Nicht jeder möchte sich noch Steuerrechtslehrer nennen. Nur Spezialisten, die ihre Tätigkeit auf einen Gesetzesabschnitt oder gar auf wenige Paragraphen beschränken können – man findet sie in Ministerien und in sehr großen Beraterpraxen –, beherrschen ihr kleines Terrain noch. Und wer darauf aus ist, durch Ausnutzen von Gesetzeslücken und -unklarheiten, von Ausnahme- und Vergünstigungsvorschriften möglichst viel Steuern zu sparen, findet ein reiches Betätigungsfeld. Es ist allerdings nicht fair, Steuerbürger, die die legalen Möglichkeiten des Steuersparens nutzen, als „Schlupflochsucher“ zu verunglimpfen. Die Verantwortung für die „Schlupflöcher“ – das ist kein juristischer, sondern ein unpräziser politischer Begriff – trägt der Gesetzgeber. Für den miserablen Zustand der Steuergesetze sind in erster Linie die Steuerpolitiker verantwortlich, die die Gesetze vorbereiten oder vorbereiten lassen und beschließen. Aber man sollte ihnen nicht unterstellen, sie hätten sich diesen Zustand gewünscht. Seit den 1950er Jahren haben sie sich an Steuerreformen versucht, nicht zuletzt an Reformen der Einkommensteuer. Nur, „Steuerreformer sind in Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert so erfolglos wie Sisyphos beim Heraufwälzen eines Steines auf den Berggipfel.“2 Dem Prozess des Scheiterns scheint eine gewisse Gesetzmäßigkeit zugrunde zu liegen.3 Diese Feststellung gilt allerdings nicht nur für Deutschland. Rückblickend lässt sich sagen: „Nach der Reform war vor der (nächsten) Reform“. In der Gesetzgebungspraxis spricht man auch von „permanenter Reform“. Da von den gescheiterten Einkommensteuerreformen aber fast immer nur Änderungen übrig geblieben sind, ist die Feststellung zutreffender: „Den vielen Einkommensteueränderungen folgten alsbald weitere Änderungen“ – mit der Folge, dass das Einkommensteuergesetz nicht reformiert, sondern schließlich deformiert wurde. Dabei begannen EinkommensteuerReformpläne großsprecherisch mit Superlativen wie „Jahrhundert-Steuerreform“ oder „Super-Steuerreform“. In der Regel startete man mit dem Versprechen einer milliardenschweren Steuertarifsenkung und machte sich danach mehr oder minder prinzipienlos über die Steuerbemessungsgrundlage her, um Mittel für eine (teilweise) Gegenfinanzierung „zusammenzukratzen“.4 Das könnte ein konzeptioneller und ein strategischer Fehler gewesen sein. Um herauszufinden, woran die Reformversuche der Vergangenheit gescheitert sind oder warum sie als Reförmchen geendet haben, lassen wir sie noch einmal Revue passieren (s. S. 22 ff.). Lassen sich die Ursachen des Scheiterns klar ausmachen, erhebt sich die Frage, ob und wie diese Ursachen sich künftig ausschalten lassen. 16
Einführung
Das Steuerrecht, nicht zuletzt das Einkommensteuerrecht braucht – das ist ein rechtsstaatliches Gebot – eine Rechtsreform. Das ist eine Reform, die sich auf Rechtsprinzipien gründet und diese konsequent anwendet. Wird die Reform auf politische Opportunität gegründet, insbesondere auf Stimmenfang angelegt, so entsteht die Gesetzesmisere, die ausführlich dargestellt werden wird (s. S. 55 ff.). Zunächst gilt es aber, aus gescheiterten Reformen zu lernen. Die Kritik-Maxime des Verfassers lautet: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Matth. 7,20), d. h.: Nicht großmäulige Versprechungen sind der Maßstab, maßgeblich ist, was davon erfüllt wird. Daran hat der Verfasser in einer anderen Schrift das Versprechen der Sozialtherapeuten gemessen, die Kriminellen zu heilen, statt sie „wegzusperren“. Ihre Devise „Kriminelles Verhalten ist eine sozialtherapeutisch heilbare Krankheit“ und „Freiheit heilt“ erwies sich als ideologische Illusion. Der erwähnte Maßstab wird hier auch an Steuerreformversprechen und ihre Erfüllung oder Nichterfüllung angelegt. Eine Reform, die diesen Namen verdient, rührt an die konzeptionellen Grundlagen, die systematische Struktur eines oder mehrerer Gesetze. Sie ist auf die Erneuerung, Neuordnung oder Umgestaltung der Grundlagen zum Besseren aus. Die Radikalreformer wollen das Gesetzesgebäude ganz abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Die gemäßigten Reformer wollen Bewährtes bewahren und nur im Übrigen erneuern, sanieren; sie wollen verschüttete Prinzipien freilegen, eventuell neu ordnen und wieder zur Geltung bringen. In der Tat muss eine Reform nicht alles umstürzen. Liegt einer Reform ein Gesamtkonzept zugrunde, so kann sie dieses Konzept auch in mehreren Etappen oder Schritten ausführen. Das, was in der Gesetzgebungspraxis als „Reform der kleinen Schritte“ bezeichnet wird, hat sich am Ende aber immer wieder als konzeptionslose Stückwerk-Gesetzgebung erwiesen. Dem sog. „Schritt in die richtige Richtung“ folgten bald wieder Schritte in eine andere oder gar in die Gegenrichtung. Reformen müssen auf längere Dauer angelegt werden. Sie müssen die fragmentarische, kurzfristige Änderei erübrigen. Die Begriffe „Große Reform“ und „Kleine Reform“ sind ebenso wie die Begriffe „Gesamtreform“ und „Teilreform“ relativ, je nachdem, ob man sie auf die Gesamtheit der Steuergesetze oder auf Teile davon bezieht. Separate Reformen der Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage oder des Einkommensteuer-Tarifs sind Einkommensteuer-Teilreformen. Der Begriff „Fundamentalreform“ betrifft die Fundamente, insbesondere die Bemessungsgrundlage eines Steuergesetzes. Er sagt aber nichts darüber aus, ob die Bemessungsgrundlage durch eine andere ersetzt oder nur erneuert werden soll. 17
Einführung
In den letzten Jahren haben Steuerwissenschaftler ohne Auftrag der Regierung oder des Finanzministeriums ausformulierte Entwürfe eines Einkommensteuergesetzes vorgelegt, in der Hoffnung, der Gesetzgeber möge sich ihrer bedienen. Diese Entwürfe werden im Schlussteil dieser Arbeit näher vorgestellt und verglichen (s. S. 104 ff.). Ob der deutsche Gesetzgeber diese Handreichungen nun verschmäht oder nutzt – sie sind wohl auch im Weltvergleich einmalige Leistungen. Thesen und Leitsätze werden von Reformkommissionen (die die Regierung einsetzt) überall in der Welt beschlossen. Aber, dass ausformulierte Gesetzentwürfe (Textentwürfe) von privater Seite präsentiert werden, eröffnet eine neue Phase in der Entwicklung der Steuerwissenschaft, die Phase der konkretisierten, zum Gesetzentwurf verdichteten Steuerpolitik. Es handelt sich um die folgenden Entwürfe mit Begründung: (1) Paul Kirchhof (Staats- und Steuerrechtslehrer, Bundesverfassungsrichter a. D.) und Mitarbeiter, Einkommensteuer-Gesetzbuch. Ein Vorschlag zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 2003, dazu S. 104 ff.; (2) Manfred Rose (Finanzwissenschaftler), Entwurf eines Einkommensteuergesetzes 2015 (von M. Rose auch als Einfachsteuer-Gesetz bezeichnet), 2000, dazu S. 112 ff.; (3) Berliner Entwurf der FDP, Die neue Einkommensteuer. Niedrig, einfach und gerecht, 2003, dazu S. 115 ff.; (4) Joachim Mitschke (Finanzwissenschaftler), Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts. Gesetzestextentwurf und Begründung, 2004, dazu S. 113 ff.; (5) Michael Elicker (Jurist, Privatdozent), Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, 2004, dazu S. 113 ff.; (6) Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes von Joachim Lang (Sprecher) und sechs Mitarbeitern (vier Steuerjuristen, ein Steuerökonom, ein Beamter, ein Rechtsanwalt und Steuerberater), 2005, dazu S. 116. Aus den Gesetzentwürfen und dem mit ihnen verbundenen Argumentationsarsenal kann der Gesetzgeber sich bedienen. Da die Steuerwissenschaften Wertungswissenschaften sind, ist es nicht verwunderlich, dass auch die Wissenschaftler, zumal in Details, nicht durchgehend einheitlich werten. Der Gesetzgeber könnte sich auch aus mehreren Entwürfen bedienen, müsste dann aber darauf achten, dass er nicht zusammensetzt, was prinzipiell nicht zusammengehört und nicht zusammenpasst. Unter dem Dach der „Stiftung Marktwirtschaft“ wurde im Herbst 2004 eine unabhängige „Kommission Steuergesetzbuch“ gebildet, bestehend 18
Einführung
aus drei Arbeitsgruppen – darunter die Arbeitsgruppe Einkommensteuergesetz und Abgabenordnung. Die Kommission will bis Ende 2006 Gesetzentwürfe erarbeiten, u.a. einen Einkommensteuergesetz-Entwurf. Den Arbeitsgruppen steht ein politischer Beirat zur Seite, dem aus jeder im Bundestag vertretenen Partei ein Mitglied angehört (s. S. 166 ff.). Die Reformbedürftigkeit des Einkommensteuergesetzes kann nur leugnen, wer keinen Einblick in die Materie hat oder wer nicht ganz bei Trost ist. Die SPD-Finanzminister H. Eichel und P. Steinbrück sehen in der Tarifsenkung der letzten Jahre schon die große Reform. Dringend reformiert werden muss aber die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer. Sie braucht eine prinzipienorientierte, für Recht, Ordnung und Vereinfachung sorgende Rechtsreform. Steuerpolitik kann im Rechtsstaat nur Steuerrechtspolitik sein, auf das Recht gegründete Politik. Da Steuergesetzgebung geronnene Steuerpolitik ist, Steuergesetze aber auf Gesetz und Recht, insbesondere auf die Grundrechte, gegründet werden müssen, ist auch Steuerpolitik rechtlich gebunden und nicht frei gestaltbar; sie darf nicht Stimmenfang-Steuerpolitik sein. Nach Jahrzehnten solcher Interessenpolitik-Praxis schuldet die Steuerpolitik den Bürgern endlich eine Steuerrechtsreform. Die Notwendigkeit einer Steuerrechtsreform ergibt sich zwingend aus den negativen Folgen der Stimmenfang-Steuerpolitik für die Steuergesetzgebung. Diese Folgen sind auf den Seiten 55 ff. ausführlich dargestellt. Die schwerwiegendste Folge: Das unnötig komplizierte, verworrene, undurchsichtige Einkommensteuergesetz kann mit dem den Finanzämtern zur Verfügung stehenden Personal nicht gleichmäßig angewendet werden. Eine gleichmäßige Anwendung verlangt aber der auf den Gleichheitssatz des Grundgesetzes gegründete § 85 der Abgabenordnung. Zwingend ist, dass das Finanzamtspersonal die Einkommensteuer und andere periodische Steuern innerhalb eines Jahres auf der Grundlage der Steuererklärungen festsetzen muss. Sonst würde ein Veranlagungsstau und mit ihm ein Finanz- und Staatsnotstand entstehen. Zwar ist nicht jeder Bürger gleich kontrollbedürftig, enthält nicht jede Steuererklärung das gleiche Fehlerrisiko.5 Rechtsstaatswidrig ist es aber, wenn die Finanzverwaltung die Besteuerung einseitig am fiskalischen Prinzip orientiert, weil die Steuerpolitik und die Spitzen der Steuerverwaltung erwarten, dass mit dem vorhandenen Personal ein möglichst großer Teil der geschuldeten Steuern hereingeholt wird. Zwar macht bekanntlich „auch Kleinvieh Mist“, jedoch ist seine Produktion besonders arbeitsaufwendig. Da das auch für die Steuererhebung gilt, lässt man die Kleinen weitgehend laufen, es sei denn, sie seien dem Lohnsteuerabzug unterliegende, nicht schwarz arbeitende Arbeitnehmer. Außenprüfungen finden bei 19
Einführung
Klein- und Kleinstunternehmen im Durchschnitt nur etwa im Abstand von 40 Jahren statt.6 Jeder Steuerbeamte weiß, dass es unterschiedliche Einstellungen zur Steuer gibt: (1) Es gibt eine Gruppe von Steuerpflichtigen, die das Gesetz kennt oder seinen Inhalt von einem Steuerberater vermittelt bekommt, und die gesetzestreu die volle Steuerschuld entrichtet. Dass diese Gruppe in Deutschland nicht klein ist, verdanken wir dem gut ausgebildeten und in der Regel gesetzestreuen Berufsstand der Steuerberater (im weiteren Sinne). Wenn es richtig ist, dass die Ehrlichen die Dummen sind, dann trifft es auf diese Gruppe zu. (2) Eine andere Gruppe ist ebenfalls grundsätzlich bereit, Steuern zu zahlen, aber nur, soweit auch die Mitbürger die geschuldete Steuer zahlen. Da die dieser Gruppe Zugehörigen den nicht unberechtigten Eindruck haben, dass viele andere nicht voll zahlen, verfahren – das ist Gerechtigkeits-Selbsthilfe – sie ebenso. Um diese Gruppe bei Laune zu halten, versuchen Finanzminister gerne glauben zu machen, dass alle anderen auch zahlten, andernfalls sie bestraft würden. Erst kürzlich hat sich der amtierende Finanzminister als „erster Treuhänder der Steuerbürger“ bezeichnet, der dafür sorge, dass „jeder nach seiner Fähigkeit und seiner Stärke zum Wohl des Ganzen beiträgt“. Die Realität sieht anders aus. Da das knappe Personal der Finanzämter es mit einem Einkommensteuergesetz zu tun hat, das zu viele anwendungsschwierige und anwendungsuntaugliche Vorschriften enthält, kann das vorhandene Personal gar nicht dafür sorgen, dass alle ihren Anteil zahlen. Das wäre nur machbar, wenn das Personal der Finanzämter es mit einem möglichst gerechten und möglichst einfachen Gesetz zu tun hätte. Was den Finanzbeamten zur Durchführung ihrer Aufgabe als Gesetz zur Verfügung gestellt wird, ist eine Zumutung. Warum beschließt der Gesetzgeber wohl Amnestien, wenn es nur ehrliche Steuerpflichtige gäbe? Auch das letzte Amnestiegesetz hat für jedermann offenbar werden lassen, dass die Ehrlichen die Dummen sind. Den Steuerhinterziehern kommt das Amnestiegesetz weit entgegen, die Ehrlichen bekommen einen Tritt. Es bleibt zu hoffen, dass das Verfassungsgericht den Gesetzgeber zwingt, das zu ändern. (3) Die Gruppe der Steuerlaien kennt das Gesetz nicht. Und wenn Laien ein Einkommensteuergesetz hätten, sie würden es nicht verstehen. Gleichwohl zwingt das Gesetz die Steuerlaien nicht zum Steuerberater. Wenn es richtig ist, dass etwa 50 v. H. der Steuerbescheide fehlerhaft sind, wie mag es dann erst um die Steuererklärungen der Steuerlaien bestellt sein? Sie sind in der Tat in aller Regel mit Fehlern behaftet. Erklären Laien 20
Einführung
keine größeren Beträge, lassen die Finanzämter aus verfahrensökonomischen Gründen viele Laienerklärungen unkontrolliert passieren. In solche Steuererklärungen „einzusteigen“, wäre oft viel zu zeitaufwendig. (4) Es gibt, und zwar in allen Schichten, auch die Gruppe der bewussten Steuerhinterzieher und Trittbrettfahrer. Die Hinterzieher wissen um die Ohnmacht der Finanzämter, in die der Gesetzgeber sie durch seine schwer zu handhabenden Gesetze gestürzt hat, und sie wissen auch, dass auch der an den Leistungen des Staates und der Kommunen teilhat, der die geschuldeten Steuern nicht zahlt. Niemand wird z. B. von der Landstraße verwiesen, weil er seine Steuern nicht bezahlt hat. Ein Finanzbeamter, der es wissen muss, schreibt: „Die Steuerverwaltung setzt ihr Potenzial überwiegend zur minutiösen Festsetzung der Steuerschuld des steuerehrlichen Bürgers ein. Der steuerunehrliche Bürger wird dagegen in großem Umfang nicht einmal von Ferne ins Visier genommen.“ Solange das mit verhältnismäßigen Mitteln nicht gleichmäßig umzusetzende geltende Einkommensteuergesetz besteht, ist die Unmöglichkeit seiner gleichmäßigen Anwendung im Gesetz selbst angelegt. Die Einkommensbesteuerung, so wie sie zwangsläufig praktiziert wird, ist ein einziger Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Die Bürger, die freiwillig oder gezwungenermaßen – etwa durch Lohnsteuerabzug – ihre volle Steuerschuld zahlen, sind die Dummen. Auch wenn Steuerpolitiker nicht meinen, durch die EinkommensteuerTarifsenkungen hätten sie ihre Reformaufgabe schon erfüllt, die Bemessungsgrundlage sei auch zu reformieren: Mit dieser Erkenntnis ist die Reformfähigkeit noch nicht erwiesen. Alle Parteien – jede zu ihrer Regierungs- oder Oppositionszeit – haben durch ihre weitgehend prinzipienlose, wählerorientierte Wurstelei, durch ihre Konfrontations- und Blockadepolitik zu dem unsäglichen Zustand des geltenden Gesetzes beigetragen. Eine große Koalition bringt alle Voraussetzungen für einen Neuanfang mit, da die Koalitionsparteien sich nicht länger durch Konfrontation verschleißen müssen. Einem Staat, der es seinen Finanzbehörden nicht ermöglicht, die Steuergesetze einigermaßen gleichmäßig anzuwenden, fehlt es an Besteuerungsmoral. Ein Staat, der von seinen Bürgern Steuermoral verlangt, muss aber mit dem Beispiel guter Besteuerungsmoral vorangehen.7
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B. Über gescheiterte Steuerreformen seit mehr als einem halben Jahrhundert „Wer die Zukunft in den Blick nimmt, tut immer gut daran, sich erst einmal der Vergangenheit zuzuwenden.“ Peter Graf Kielmannsegg
I. Erste Reformversuche in den 1950er Jahren Nach Beendigung des 2. Weltkrieges verfügte der Alliierte Kontrollrat im Februar 1946 eine exzessive Anhebung der Belastung mit direkten Steuern. Der Spitzensteuersatz der veranlagten Einkommensteuer wurde auf 95 % angehoben. Das konnte den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nur behindern. Schon in seiner Regierungserklärung vom 20. 9. 1949 kündigte Bundeskanzler Konrad Adenauer eine umfassende Steuerreform an mit dem Ziel, die Leistungsbereitschaft, die Ersparnisbildung und die Investitionstätigkeit anzuregen.8 In der ersten Hälfte der 1950er Jahre wurde eine „Organische Steuerreform“ vorgeschlagen.9 Man verstand darunter eine Abstimmung des „Steuersystems“ mit dem Wirtschaftssystem und der politischen Struktur der Bundesrepublik Deutschland. Der Finanzbedarf sollte unter Berücksichtigung der Marktwirtschaft und der sozialen Kulturgesinnung möglichst ökonomisch aufgebracht werden.10 1953 wurde ohne Bezug auf die abstrakten Vorstellungen von einer „Organischen Steuerreform“ eine sog. „Kleine Steuerreform“ verabschiedet.11 Die Änderungen dieses Gesetzes, die Tarifsenkung sowie vorangegangene Änderungen verdienten allerdings den Namen „Reform“ nicht. 1954 erging ein weiteres umfassenderes Steueränderungsgesetz mit deutlichen weiteren Tarifsenkungen. Der Inhalt des Gesetzes12 wurde informell als „Große Steuerreform“ bezeichnet, ebenfalls zu Unrecht.13 Die Änderungen, Ergänzungen eingeschlossen, betrafen ganz überwiegend Steuervergünstigungen zum Zwecke der Wirtschaftsankurbelung. In den 50er Jahren entstand auch die Siebener Gruppe (§§ 7a –7e EStG), wurden ferner die §§ 3a, 3b, 10c EStG eingeführt. Die Steuervergünstigungen zeigten zwar die ihnen zugedachte Wirkung beim Wiederaufbau des Landes; sie erschwerten aber auch die Anwendbarkeit des Einkommensteuergesetzes und beeinträchtigten die Tarifwahrheit. Fritz Schäffer / CSU war der erste Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland (1949–1957), wohl auch der erste Steuerpolitiker, der eine Vereinfachung der Steuergesetze für nötig erklärte. 22
Über gescheiterte Steuerreformen
Sein Nachfolger Franz Etzel (1957–1961) berief eine „Einkommensteuerkommission“ mit dem Auftrag, das Einkommensteuergesetz zu „durchforsten“, dabei auch textkritisch zu überarbeiten. Das Gesetz sollte vor allem klarer, einfacher, allgemeinverständlicher und volkstümlicher gefasst werden. Die Kommission – inoffiziell als „Durchforstungskommission“ bezeichnet – legte im Herbst 1963 einen 483 Seiten umfassenden Bericht14 vor. Wesentliche Wirkungen gingen von ihm aber nicht aus. Auch in den Jahren 1958 bis 1968 beschränkte man sich auf zahlreiche Änderungsgesetze.15 Schon der Bundesfinanzminister Rolf Dahlgrün/FDP (1962-1966) äußerte: „Es geht um eine gerechte Verteilung der Steuerlast. Das Steuerrecht muss auf überflüssige Begünstigungen hin untersucht werden.“ Das geschah aber nicht.
II. Gescheiterter Versuch einer „Großen Steuerreform“ durch eine sozialliberale Koalition in den 1970er Jahren16 Bereits Ende 1968 hatte Franz-Josef Strauß, seit 1966 Bundesfinanzminister einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, zur Vorbereitung einer „Großen Steuerreform“ eine 14köpfige „Unabhängige Kommission“ berufen. Unter den Kommissionsmitgliedern war kein Steuerjurist, kein Steuerrechtssystematiker.17 Die Kommission erarbeitete unter Mitwirkung von Beamten des Bundesfinanzministeriums bis 1971 ein alle Steuern umfassendes Reformgutachten von 1.203 Seiten aus, das auch Mindermeinungen auswies. Nach der Bundestagswahl vom September 1969 war es allerdings zu einer Regierungskoalition von SPD und FDP gekommen, Finanzminister der Regierung Brandt/Scheel war Alex Möller (SPD) geworden; er war davor über 20 Jahre Generaldirektor der Karlsruher Lebensversicherungs AG gewesen. Journalisten nannten ihn, nicht unfreundlich, den Millionär.18 Er ließ die von F. J. Strauß berufene Kommission ihre Arbeit abschließen und nahm im März 197119 das Reformgutachten entgegen. Das Reformgutachten von 1971 ist jedenfalls wegen seines Volumens imponierend. Es fällt besonders durch fleißige Dokumentationsarbeit auf. Obwohl es seinerzeit in der Fachwelt als Reformwerk des Jahrhunderts gefeiert wurde: Von einem systematischen Konzept für eine Gesamtreform, das die Grundlage für ein Steuergesetzbuch hätte werden können, war noch kaum etwas zu erkennen. Einzelne Steuern wurden noch mit ihrer Ergiebigkeit, ihrer Tradition, ihrer Unverzichtbarkeit für die Gemeinden sowie als Ergänzungs- oder Nachholsteuern gerechtfertigt. 23
Über gescheiterte Steuerreformen
Der Leiter der noch von Finanzminister F. J. Strauß eingesetzten Steuerreformkommission, R. Eberhardt, überreicht Bundeskanzler W. Brandt und Finanzminister A. Möller das voluminöse Reformgutachten
Das Leistungsfähigkeitsprinzip wurde nicht als Vergleichsmaßstab des Gleichheitssatzes angesehen. Immerhin sollten schon die Gewinne aus privaten Grundstücksveräußerungen zeitlich unlimitiert erfasst werden. Da Steuerrechtswissenschaftler sich erst Anfang der 1970er Jahre für ein prinzipienbasiertes besonderes Steuerrecht zu interessieren begannen20, konnten die Reformer sich auf steuerrechtswissenschaftliche Erkenntnisse zum besonderen Steuerrecht kaum stützen. In seiner Regierungserklärung vom 28.10.1969 hatte Bundeskanzler Willy Brandt die Notwendigkeit umfassender Reformen betont: Auch in der Steuerpolitik müsse die Voraussetzung für eine breitere Vermögensbildung geschaffen werden. Wörtlich sagte er: „Unser Ziel ist es, ein gerechtes, einfaches und überschaubares Steuersystem zu schaffen.“21 Es werde sich um das bedeutendste und umfassendste Reformwerk nicht nur der Legislaturperiode, sondern der deutschen Nachkriegsgeschichte handeln. Alex Möller begann als ehrgeiziger, engagierter Reformer. Er dachte an ein „Jahrhundertwerk“, steigerte sich sogar zur Idee eines „neuen Systems mit relativem Ewigkeitswert“. Zunächst feuerte Möller drei Staatssekretäre und ließ vier Ministerialdirektoren in den einstweiligen 24
Über gescheiterte Steuerreformen
Ruhestand versetzen. Für seine hochfliegenden Reformpläne holte er sich aus Zürich den renommierten Finanzwissenschaftler Prof. Heinz Haller. Haller hatte sich durch die finanzwissenschaftliche Entwicklung
Finanzwissenschaftler Prof. H. Haller, von Reform-Finanzminister A. Möller als Reform-Staatssekretär eingesetzt
eines „rationalen Steuersystems“ einen Namen gemacht.22 Er wurde Staatssekretär und ab April 1970 Leiter einer hausinternen Reformkommission. Dem Finanzminister und seinem Reformstaatssekretär erwuchs jedoch bald eine Gegenmacht: Prominente SPD-Vertreter beanspruchten die Mitwirkung von Partei und Bundestagsfraktion an der Steuerreform. Sie wollten die Kaufkraft der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch Steuerentlastung stärken und eine Steuererleichterung für Unternehmer verhindern. Auf ihrem Saarbrücker Sonderparteitag über Steuern (11.–14.5.1970) beschloss die SPD, eine eigene Steuerreformkommission unter der Leitung des Parteiideologen Erhard Eppler (erlernter Beruf: Studienrat) einzusetzen. Das „konservative“ Reformgutachten der F. J. Strauß-Kommission hielten die Steuerreformer der Sozialdemokraten für einseitig wirtschafts- und industriefreundlich. Es wurde daher „beiseite gestellt“.23 Finanzminister Alex Möller hatte eine volle Staatskasse übernommen und zu Beginn seiner Amtszeit eine solide Haushaltspolitik 25
Über gescheiterte Steuerreformen
Finanzminister A. Möller, als Reformer schon frustriert
versprochen. Den Haushalt hatte er aber schon durch seine „personelle Säuberungsaktion“ geschmälert. Nun erboste ihn nicht nur, dass ihm in dem zum Steuerpolitiker avancierten Erhard Eppler ein Reformkonkurrent erwuchs; er befürchtete auch, dass die Reformpolitik der SPD – Förderung der Bildung, Verstärkung der Sozialfürsorge, Verbesserung der Infrastruktur und des Umweltschutzes – seinen Haushalt überfordern könnte. Schnell entschloss er sich daher zum Rücktritt. Schon im Mai 1971 wurde Alex Möller von dem Wirtschaftsprofessor Karl Schiller abgelöst. Mit Karl Schiller hatte Alex Möller schon seit Beginn der sozialliberalen Koalition um Macht und Publizität gestritten. Karl Schiller hatte jedoch 1971 noch eine stärkere Position in der SPD als
Rivalen: Finanzminister A. Möller und Wirtschaftsprofessor K. Schiller
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Über gescheiterte Steuerreformen
Alex Möller, hatte er doch großen Anteil am Wahlsieg der SPD von 1969 gehabt. Nach Alex Möllers Rücktritt wurde Karl Schiller „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen. Unter seiner Mitwirkung verabschiedete die Regierung Brandt/Scheel im Juni 1971 „Eckwerte und Grundsätze zur Großen Steuerreform“ mit Änderungen gegenüber Möllers Vorstellungen. Das Gesamtreformvorhaben wurde in drei Reformpakete zerlegt. Die dem Paket 2 zugeordnete Einkommensteuer sollte im Frühjahr 1971 verabschiedet werden. Kurz nach dem Beschluss der Regierungseckwerte kam die SPD-Reformkommission mit ihren Vorstellungen heraus. Die Kommission wurde dann Prof. Karl Schiller, „Superminister“ noch übertrumpft von dem erwähnten für Wirtschaft und Finanzen, Sonderparteitag der SPD, der für einen Nachfolger auch von A. Möller niedrigen Eingangssteuersatz und einen Spitzensatz der Einkommensteuer von 60 % eintrat, ferner für die Erhöhung der Pauschale für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, für die Abschaffung des Abzugs von Bewirtungskosten und des § 6b EStG, für den Abzug unvermeidbarer Privatausgaben von der Steuerschuld statt von der Steuerbemessungsgrundlage, für Kindergeld statt für Kinderfreibeträge („Jedes Kind ist dem Staat gleich viel wert.“), für die Kappung des Ehegatten-Splitting-„Vorteils“, für die Erhöhung der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer sowie für die Unantastbarkeit der Gewerbesteuer. Karl Schiller versuchte, die Genossen zu mäßigen („Genossen, lasst die Tassen im Schrank.“). Er befürchtete, dass das SPDProgramm der Glaubwürdigkeit des Regierungskonzepts Abbruch tun könne, dass es die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft dämpfen und die Rezessionsgefahr verstärken werde. In dieser Beurteilung traf er sich mit der Koalitionspartnerin FDP, die sich dem Mittelstand und der Industrie als Bremserin empfohlen hatte. Jeder Koalitionspartner nahm mehr und mehr die eigene Wählerklientel ins Auge und prüfte jede Maßnahme auf ihre Wählerattraktivität bei der eigenen Klientel. Wortführer ihrer Parteien wurden aus der SPD-Fraktion Konrad Porzner (gelernter Beruf: Studienrat) und für die FDP Liselotte Funcke (Dipl.-Kff., 27
Über gescheiterte Steuerreformen
1972 mit der Silbernen Steuerschraube ausgezeichnet, später Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen). Als sich abzeichnete, dass selbst Teilreformen nicht bis zum Ablauf der Legislaturperiode würden verabschiedet werden können, wurde Karl Schiller vorgeworfen, er vernachlässige und bremse das Reformvorhaben. Tatsächlich lagen im Sommer 1972 erst einige Entwurfsbruchstücke vor. Immer wieder mussten die beamteten Gesetzesformulierer im Finanzministerium auf politische Vorgaben des mit Konjunktur-, Währungs- und Haushaltsproblemen überlasteten „Superministers“ warten. Auch Karl Schiller hatte zwar nach seinem Amtsantritt von der „bedeutendsten und umfassendsten Reform der Nachkriegsgeschichte“ gesprochen, sich aber nicht als
Helmut Schmidt löst Karl Schiller ab, auch als Reform-Finanzminister
entschlossener SPD-Reformer gezeigt. Als er merkte, dass er unter den SPD-Kabinettskollegen nur noch sachliche und persönliche Gegner hatte, trat er im Juli 1972 zurück. Er sah sich als Opfer eines Komplotts von Kabinettskollegen. Seinem Rücktritt folgte bald auch der Abgang des unpolitischen Reformstaatssekretärs Prof. Heinz Haller, der im politischen Terrain und im Finanzministerium nie Fuß gefasst hatte. Prof. Karl Schiller wurde als „Superminister“ von Dipl.-Vw. Helmut Schmidt abgelöst, der zuvor Verteidigungsminister gewesen, aber mit Finanz-, Währungs- und Konjunkturpolitik durchaus vertraut war. H. Schmidt erklärte 1973: „Das Steuersystem muss auch, wie ich denke, 28
Über gescheiterte Steuerreformen
dazu führen, dass der einzelne Bürger Sinn und Berechtigung steuerlicher Maßnahmen erkennen kann. Diese Forderung nach Vereinfachung nehme ich persönlich jedenfalls außerordentlich ernst.“24 Schon im ersten Jahr seiner Amtszeit wollte der als forsch bekannte Minister Steuervergünstigungen und andere Subventionen streichen lassen („Wir können doch nicht jedem den Arsch vergolden“; „Wir müssen auch an Steuerprivilegien ran, die Sozialdemokraten heilig sind“25). Er ließ sich daher eine Subventions-Streichliste anfertigen, bewirkte mit seinen starken Worten aber kaum etwas. Der zum Parlamentarischen Staatssekretär ernannte Konrad Porzner befand: „Man kann nicht einfach streichen; es muss schon ein Konzept dahinter stehen.“ In seiner 1998 erschienenen Schrift „Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral“ äußert Helmut Schmidt rückblickend: Es muss eine Steuerreform „die vielen, an Gruppen-
Finanzminister Helmut Schmidt mit Reformgehilfen Parlamentarischer Staatssekretär Konrad Porzner
interessen orientierten legalen Steuerbefreiungen, Ermäßigungen und Schlupflöcher aller Art beseitigen. Daraus wird sich die Möglichkeit zur Absenkung der Steuersätze ergeben“ (S. 137 f.). „Nur wenn die politische 29
Über gescheiterte Steuerreformen
Klasse unseren Steuer- und Subventionsdschungel endlich durchschaubar macht und ihn anschließend trockenlegt, wird sie im Ernst die Eingangs- und die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer und das Niveau insgesamt senken dürfen. Zwar wissen unsere Politiker dies sehr wohl, aber gegenüber dem Geschrei der Interessengruppen, der Verbände der Industrie, der Landwirtschaft, der Gewerkschaften usw. fehlt ihnen bisher der Mut, ihr Wissen öffentlich auszusprechen und die nötigen Konsequenzen zu ziehen“ (S. 140 f.). Im September 1972 wurde der Bundestag aufgelöst. SPD und FDP gewannen jedoch auch die Bundestagswahl vom November 1972. Helmut Schmidt wurde wieder Finanzminister und brachte den Einkommensteuer-Reformplan allmählich voran. Nach dem Ende September vereinbarten Koalitionskompromiss verabschiedete die Bundesregierung den Einkommensteuer-Reformentwurf im Oktober 197326. Der Finanzausschuss beriet ihn in 22 Sitzungen und hörte im Februar 1974 die Spitzenverbände an. Nach dem Rücktritt Willy Brandts als Bundeskanzler im Jahre 1974 wurde Helmut Schmidt Bundeskanzler. Als Finanzminister wurde
Reform-Finanzminister Hans Apel mit Reformgehilfen Parlamentarischer Staatssekretär Rainer Offergeld
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Helmut Schmidt von Hans Apel (Dr. rer. pol., seit 1969 Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Bundestages; 1972-1974 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen) abgelöst. An ihn reichte der neue Kanzler nach sechs Jahren das Projekt einer „Großen Steuerreform“ weiter. Ihm, Hans Apel, bereitete bald der Bundesrat Schwierigkeiten, in dem inzwischen die CDU/CSU eine knappe Mehrheit hatte. Gerhard Stoltenberg, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU, trat als zäher Verhandler auf. Der Bundesrat lehnte den Regierungsentwurf ab. Man sprach schon damals von Blockade.
Regierung H. Schmidt blockiert von Interessenverbänden und Opposition: Kanzler Schmidt empfängt den Opponenten und „Blockierer“ Gerhard Stoltenberg im Kanzleramt
Je konkreter die Reformabsichten wurden, desto mehr wuchs der Protest, nicht nur der Opposition, sondern auch des Bundes der Steuerzahler, der Deutschen Steuergewerkschaft und der Steuerberater sowie der Interessenverbände. Die Printpresse verdichtete die Proteste zu wirksamen Schlagzeilen, wobei die Massenblätter vorangingen. Insgesamt hatte das Reformvorhaben zu Apels Zeiten eine schlechte Presse. 31
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So blieb nach Anrufung des Vermittlungsausschusses von den Reformzielen nicht viel übrig. Den Vorwurf, sie betreibe über Bundesrat und Vermittlungsausschuss Obstruktion, sie handle staatspolitisch verantwortungslos, nahm die Opposition gelassen in Kauf, wusste sie doch, dass die Stimmung der Wähler sich zugunsten der CDU/CSU-Opposition gewandelt hatte. Der SPD-Fraktionslinke G. Wichert stellte enttäuscht fest: „Solange wir nur darüber geredet haben, dass die Staatsaufgaben erweitert werden müssen, waren alle dafür. Seitdem es ans Portemonnaie geht, sind alle dagegen.“27 Erst sechs Jahre nach Reformbeginn konnte der Reformtorso durch das Einkommensteuer-Reformgesetz vom 5.8.1974 28 verabschiedet werden mit dem Ergebnis: Ein Zuwachs an Steuergerechtigkeit wurde weithin bestritten. Ein Konzept für eine konsequente Rechtsreform der Steuerbemessungsgrundlage hatten die Reformer von vornherein nicht gehabt. Der Stoff wurde nicht systematisch neugeordnet, punktuelle Einzelmaßnahmen standen im Vordergrund. Gesetzesaufbau und Gesetzessprache wurden nicht verbessert. Die SPD hatte zwar insofern einen ideologisch festen Standpunkt, als sie die unvermeidbaren Privatausgaben von der Steuerschuld abgezogen und die Steuerfreibeträge durch das Kindergeld ersetzt wissen wollte: Die Kompromisse, die sie eingehen musste, machten das Gesetz aber eher komplizierter als einfacher. Die sieben Einkunftsarten wurden nach wie vor ungleich behandelt. Es blieb beim Pluralismus der Einkünfteermittlung. Die Alterseinkünfte wurden weiterhin ungleich belastet. Der Versuch, Vorsorgeaufwendungen statt von der Bemessungsgrundlage von der Steuerschuld abzuziehen, scheiterte an der Opposition. Durch die Inflation ausgelöste „heimliche Steuererhöhungen“ durfte es auch in Zukunft geben.29 Nur 11 Steuervergünstigungen im Volumen von ca. 800 Mio. DM wurden abgebaut.30 Immerhin wurden untere und mittlere Einkommen von Einkommensteuer durchweg entlastet. Finanzminister Hans Apel erklärte jedenfalls: „Ich empfinde heute Befriedigung darüber, dass wir mit Beendigung der Arbeiten an der Einkommensteuerreform und am Familienlastenausgleich doch ein echtes Stück sozialdemokratischer Reformpolitik verabschieden können.“31 Die Kritiker ließen dem Finanzminister aber auch nach der Verabschiedung des Reformgesetzes keine Ruhe. Arbeitnehmer erkannten bei der ersten Lohnzahlung 1975, dass die Steuersenkung sich nur mäßig oder gar nicht auswirkte und machten ihrer Enttäuschung durch Beschwerden, Leserbriefe und Anrufe Luft. Infolge des Termindrucks gegen Ende des Reformverfahrens waren Fehler entstanden, die Hans Apel zu dem sprichwörtlichen32 Ausruf veranlassten: „Ich dacht‘, mich tritt ein Pferd.“ 32
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In der Presse tauchten negative Schlagwörter und Schlagzeilen auf wie „Flickschusterei“, „Steuerflickwerk“, „Köpenickiade“, „Fiskus als Nutznießer der Inflation“, „Steuerreform leistungshemmend und inflationsfördernd“, „Investitionsbereitschaft und -fähigkeit abgewürgt“, „Vertrauensbasis der Wirtschaft zerstört“, „Arbeitnehmer benachteiligt und Massenkaufkraft abgewürgt“, „Steuergerechtigkeit wurde zur Farce“, „Steuerreform ist zur Burleske geworden“, „Das Gesetz verdient den Namen Reform nicht“, „Entlastungen sind Augenwischerei“, „Irreführende Zahlen“, „Schludrig gearbeitetes Gesetz“, „Schlechtestes Steuergesetz der Nachkriegszeit“, „Dilettantische Bastelei“, „Mischung von Dilettantismus und gutem Willen“, „Terminhetze, durchgepeitscht“, „Produkt politischer Ideologen“, „Lehrstück dafür, wie man es nicht machen soll“, „Jahrhundertreform als politischer Reinfall“, „Reform – Windei des Jahres“, „Absage an systematische Steuerpolitik“. Zum Teil waren solche und ähnliche Schlagzeilen auch schon vor der Verabschiedung des Gesetzes aufgetaucht. Gegen eine derart schlechte Presse vermochte auch der mit der Öffentlichkeitsarbeit beauftragte junge Parlamentarische Staatssekretär Rainer Offergeld nichts auszurichten. DER SPIEGEL resümierte: „Dabei haben die Bonner sich gerade bei diesem Reformwerk viel versprochen. Mit ihm wollten die Sozialliberalen, allen voran Kanzler Schmidt, in den kommenden Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl 1976 Eindruck machen. Die Reform sollte das Wahlvolk für die Regierung und den Macher Schmidt einnehmen. Doch die Benachteiligten bestimmen jetzt die Diskussion über das hochgejubelte Werk.“33 Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft äußerte: „Nur die Gesetzesmacher sind noch immer vom Zweifel unberührt. Sie produzieren mit kaninchenhafter Virilität und überwiegend guten Glaubens Paragraphen …, auch wenn gelegentlich ein Pferd sie tritt – wie am Jahresbeginn 1975 den Bundesminister der Finanzen Hans Apel, der per Gesetz den kleinen Steuerpflichtigen Milliardengeschenke machen wollte und hernach feststellen musste, dass er mit seiner Großen Steuerreform vielen von ihnen mehr Geld aus der Tasche gezogen hatte, als sie durch ihnen zugedachte Vergünstigungen wieder hereinbekamen …“.34 Die CDU/CSU-Opposition rühmte sich, das Schlimmste verhindert zu haben und machte für alle Pannen die Regierung verantwortlich. Im November 1977 stellten die CDU/CSU-Fraktion und einzelne Abgeordnete, darunter Helmut Kohl und Theodor Waigel, den Antrag, der Bundestag wolle beschließen, er fordere, „den geltenden Rechtsstoff zu reduzieren und zu vereinfachen“ sowie „weniger neuen Rechtsstoff mit einfacherem Inhalt und in verständlicher Sprache zu erlassen“.35 An diese Forderung hielt 33
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sich die CDU/CSU jedoch selbst nicht, als sie wieder die Regierung stellte. Überhaupt hat sich bis heute noch keine Regierung daran gehalten. Hans Apel, durch den Reformprozess verschlissen und unpopulär geworden, wurde 1978 von Hans Matthöfer (SPD) abgelöst. Hans Apel wurde Verteidigungsminister. Der Dipl.-Vw. Hans Matthöfer war von 1972 bis 1974 Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit gewesen, von 1974 bis 1978 Bundesminister für Forschung und Technologie. Erfahrungen in Finanz- und Steuersachen brachte er nicht mit. Mit Matthöfers Unerfahrenheit mag es zusammenhängen, dass er die Steuergesetze nicht für reformbedürftig hielt. Er wies jedenfalls alle ab, die sich über das komplizierte Steuerrecht beklagten. Als der Präsident der Bundessteuerberaterkammer H. Möckershoff auf dem Steuerberaterkongress 1978 vortrug, Steuerberater und Steuerbeamte stünden im Grunde vor der Wahl, entweder laufend die neuen Gesetze, Verordnungen, Richtlinien, Erlasse und Urteile sowie die Literatur dazu zu studieren – oder zu arbeiten, daher sei das Steuerrecht zu vereinfachen, entgegnete der Steuerfrischling Matthöfer, der Bewegungsraum der Politik bei der Vereinfachung sei „nicht ermutigend“. In der Steuergesetzgebung komme es zu einem kompli-
Kanzler H. Schmidt mit Finanzminister H. Matthöfer. Steuerneuling Matthöfer sah keinen Reformbedarf
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zierten Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern, und die wachsenden Anforderungen an die Steuergerechtigkeit führten zu immer differenzierteren Lösungen. Der bürokratische Apparat entwickele seine Eigendynamik. Es sei eine Illusion zu glauben, dass es im deutschen Sozialstaat mit seinen vielfältigen Leistungs- und Transferbeziehungen möglich sei, ein einfaches und gleichzeitig gerechtes Steuerrecht zu finden. Auf die Zweifel von H. Fredersdorf, ob die etablierten Parteien die Kraft aufbrächten, das Steuersystem zu vereinfachen, erwiderte Matthöfer, er fürchte, dass Fredersdorf „so Unrecht nicht“ habe. Nur gebe es keine Alternative zur demokratischen Willensbildung über die politischen Parteien, und es gebe auch keine grundsätzliche Alternative zum heutigen Steuersystem. Die Gesetzesänderei wurde unter Hans Matthöfer munter fortgesetzt. Hans Matthöfer wurde im April 1982 von Manfred Lahnstein abgelöst. Matthöfer wurde Minister für das Post- und Fernmeldewesen. Über die kurze Amtszeit von Lahnstein ist nichts zu berichten. Im Herbst 1982 kam es nämlich zu einem Regierungswechsel.
III. Gescheiterter Versuch einer „Großen Steuerreform“ durch eine christlich-liberale Koalition in den 1980er und 1990er Jahren 1. Der Reformversuch von Finanzminister Gerhard Stoltenberg 36 Im Herbst 1982 wurde die sozialliberale Koalition, nachdem die FDP die Seiten gewechselt hatte, durch eine christlich-liberale Koalition abgelöst. Helmut Kohl wurde Bundeskanzler, Gerhard Stoltenberg Finanzminister. Nach Umfragen in der Bevölkerung war Stoltenberg damals weit populärer als seine Kabinettskollegen, Bundeskanzler Kohl eingeschlossen. Er wurde als natürlicher Nachfolger Helmut Kohls angesehen. Nachdem die von der sozial-liberalen Koalition versuchte Steuerreform weitgehend gescheitert war, wollte die im März 1983 von den Wählern bestätigte Regierung Kohl
Reform-Finanzminister Gerhard Stoltenberg
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Über gescheiterte Steuerreformen
zeigen, wie man erfolgreich eine Steuerreform „ins Werk setzt“. In der Regierungserklärung vom Mai 1983 wurde angekündigt, die Steuerpolitik solle in das Zentrum einer offensiven Wirtschafts- und Finanzpolitik für Wachstum und Beschäftigung gestellt, das Steuersystem dementsprechend Schritt für Schritt umgestaltet werden. Zur Erreichung dieses Zieles sollte die Steuerbelastung für alle Bürger deutlich und dauerhaft gesenkt werden. Die Leistung von Arbeitnehmern, freien Berufen und Unternehmern sollte dadurch stärker honoriert werden. Um das Steuerrecht in sich schlüssiger, überschaubarer und gerechter zu gestalten, sollte die Struktur des Steuersystems nachhaltig verbessert werden.37 Das war allerdings vorerst noch ein sehr abstrakter Plan. Im März 1984 verkündete Finanzminister Stoltenberg als ersten Reformschritt das Vorhaben an, einen linear-progressiven Tarif einzuführen. Dazu wurden Zahlen für das beabsichtigte Entlastungsvolumen in Umlauf gebracht. Vor allem die CDU geizte nicht mit Reform-Superlativen. Auf dem Stuttgarter Steuerparteitag im Mai 1984 verkündete Parteivorsitzender Helmut Kohl den Plan der „größten Steuerreform seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“. Finanzminister Stoltenberg sprach von einer „Super-Steuerreform“, auch der Begriff „Jahrhundert-Steuerreform“ tauchte in der Presse auf. Aber konkret geschah zunächst nichts. Ab Sommer 1985 stellten die Parteien ihre steuerpolitischen Pläne für die Legislaturperiode nach der nächsten Bundestagswahl vor. Die Regierungsparteien (CDU/CSU, FDP) wollten es dem Steuerreformer Ronald Reagan gleichtun. In den USA hatten öffentliche Umfragen des Survey Research Center der Universität von Michigan ergeben, dass eine Majorität der Amerikaner das Einkommensteuergesetz als das schlechteste und am wenigsten gerechte Steuergesetz ansieht. Die Mehrheit meinte, vor allem die vielen Steuervergünstigungen kämen insbesondere den Reichen zugute und die Verlustzuweisungsgesellschaften bewirkten, dass Bezieher hoher Einkommen weniger Einkommensteuer zahlten als Bezieher mittlerer und kleinerer Einkommen. Der amerikanische Präsident machte sich die Maxime „Broadening of the Tax Base, Lowering of the Rates“ zu eigen. Er nutzte die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage entsprechend dem Leistungsfähigkeitsprinzip für kräftige Steuersenkungen. Dazu verbündete der Präsident sich mit dem Wählervolk gegen die Lobbyisten und setzte seine ganze Autorität für das Gelingen der Steuerreform ein.38 In die Bundestagswahl 1987 gingen die deutschen Regierungsparteien mit kühnen Steuerentlastungsversprechen, ließen aber die Frage der Gegenfinanzierung offen. CDU/CSU und FDP gewannen zwar die Wahl vom 36
Über gescheiterte Steuerreformen
25.1.1987. Die CDU verlor aber Stimmen, sie erzielte das schlechteste Ergebnis seit 1949. Die FDP dagegen gewann Stimmen hinzu. Das stärkte ihre Position bei den Koalitionsverhandlungen. Über den Tarif kam es nach der Wahl nicht nur mit der FDP (die immer Profilierungsbedarf
Gerhard Stoltenberg mit Norbert Blüm (CDU-Sozialausschüsse): Blockierer aus den eigenen Reihen
hatte), sondern auch CDU-intern zu Meinungsverschiedenheiten. Die Sozialausschüsse der CDU mit N. Blüm und H. Geißler wollten den Tarif mit Rücksicht auf eine Renten- und Gesundheitsreform nicht absenken. Einige Ministerpräsidenten folgerten aus dem schlechten Wahlergebnis, dass viele Wähler sich an dem Plan einer kräftigen Tarifsenkung (SPD: „Reform für die Reichen“) gestoßen hätten. Die CDUMinisterpräsidenten hatten 1987 noch Landtagswahlen zu bestehen und fürchteten, zu viele Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen könnten sich bei den Landtagswahlen von der CDU abwenden mit der Folge, dass die Bundesratsmehrheit verloren gehe. Die FDP hingegen, die ihr Wählerreservoir hauptsächlich bei den mittleren und leitenden Angestellten vermutete, hielt an der Steuersenkung fest („FDP, die Steuersenkungspartei“). So wurde der Spitzensteuersatz zum zentralen Thema. In den Koalitionsverhandlungen einigte man sich über ein Brutto-Entlastungs37
Über gescheiterte Steuerreformen
volumen von 40 Mrd. DM und ein Netto-Entlastungsvolumen von 25 Mrd. DM; die Gegenfinanzierung der Differenz von 15 Mrd. DM blieb aber offen. Auch die Vorstellung über die Höhe des Vergünstigungsabbaus ging noch weit auseinander; sie wurde zum Gegenstand des Wahlkampfes in den Ländern. Die Regierungsparteien waren freilich bemüht, den Streit um die Gegenfinanzierung bis nach den Landtagswahlen 1987 zu verschieben. In den Medien ging die Diskussion rund um den Tarif und die Art der Gegenfinanzierung indessen munter weiter. Vor allem die parlamentarische Sommerpause 1987 wurde für Auseinandersetzungen und Spekulationen genutzt. Der Industrie ging die Senkung des Einkommensteuer- und Körperschaftsteuer-Tarifs nicht weit genug, den Oppositionsparteien und den Gewerkschaften ging sie zu weit („Umverteilung von unten nach oben“, „Geschenke an die Reichen“, „Unsoziales Machwerk“, „Windei“). Die Opposition bezeichnete die Verschleierung der wahren Be- und Entlastung bis nach den Landtagswahlen als „Wählerbetrug“ (H. Apel). Vorsorglich wandte sie sich auch gegen eine Erhöhung von Verbrauchsteuern und eine Erhöhung der Neuverschuldung. Inzwischen hatten die maßgeblichen Politiker der Regierungsparteien von den Beamten des Finanzministeriums eine streng geheim gehaltene Liste der Steuervergünstigungen als Tischvorlage erhalten. Allein Politiker wählten nun diejenigen Vergünstigungen aus, die gestrichen werden sollten, um Mehrsteuern von ca. 18 Mrd. DM zu erreichen. Nach welchem Maßstab das geschah, wurde nicht bekannt. Der HandelsblattKommentator Hans Mundorf sprach den „selbstherrlichen Politikern“ die nötige Kenntnis des Steuerrechts ab und kritisierte: „Mit dem Finanzierungsteil der Steuerreform 1990 haben ein Dutzend Politiker an einem Samstagnachmittag Steuerrecht gemacht. So geht das nicht. Sie haben die Kritik der Bürger verdient. Gesetzgebung sollte ein ernsthaftes Geschäft bleiben, das sich nach festen Regeln und Prinzipien vollzieht.“ Schon bis hierhin hatte Gerhard Stoltenberg nicht nur aus rechtlicher, sondern – wie jedenfalls rückblickend zu erkennen ist – auch aus politisch-taktischer Sicht so ungefähr alles falsch gemacht, was falsch zu machen war. Da er die Kompetenz der Steuerpolitiker überschätzte, verzichtete er auf eine gründliche Vorbereitung der Reform durch Experten, die gleich nach der Bundestagswahl 1983 hätte beginnen können. Der Minister sah Steuerpolitik wohl nicht als Steuerrechtspolitik an, Steuerreformen nicht als Steuerrechtsreformen. Anfang 1985 lag schon Joachim Langs Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes vor, an dem die Reformer sich hätten orientieren können. Sie hätten aus dem Entwurf bereits lernen können, dass die Rechtsreform der Bemessungsgrundlage Vorrang haben muss vor einer Tarifsenkung, dass 38
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der Tarif auf einer am Leistungsfähigkeitsprinzip zu orientierenden Bemessungsgrundlage aufbauen muss, nicht umgekehrt. Schon gar nicht darf eine Rechtsreform der Bemessungsgrundlage darin bestehen, dass sie ohne Maßstab zum „Zusammenkratzen“39 von Gegenfinanzierungsmitteln manipuliert wird. Diese Feststellung wird auch nicht dadurch erschüttert, dass Laien-Wählern die Tarifbelastung vielleicht mehr ins Auge fällt als eine Bemessungsgrundlage, die über die wahre Belastung täuscht. G. Stoltenberg wollte nicht nur ohne eine Expertenkommission auskommen. Er setzte auf seinen Parlamentarischen Staatssekretär Hansjörg Häfele. Die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums sollte nur die Politikerbeschlüsse in Gesetzesformulierungen umsetzen. Der Minister und die Beamten der Steuerabteilung des Ministeriums hätten jedoch ein Team bilden müssen. Von den Beamten hätte der Minister sich auch einen sachgerechten Maßstab für den Abbau von Steuervergünstigungen liefern lassen sollen. Im Oktober 1987 endlich – nach der letzten Landtagswahl des Jahres – gab das Finanzministerium die konkrete Liste der Steuervergünstigungen bekannt, die gestrichen werden sollten, um ca. 18 Mrd. DM mehr Einkommensteuer einzunehmen. Darauf brach der Sturm der Kritik los. Die negative Kritik der Parteien und der Interessenverbände beherrschte die Zeitungsspalten. Die Wirtschaftsverbände behaupteten, die Wirtschaft werde unverhältnismäßig benachteiligt, die Gewerkschaften nahmen das gleiche für die Arbeitnehmer an. Die Schlagzeilen lauteten z. B.: „Wirtschaft baut Front gegen Stoltenbergs Subventionsabbau auf“, „Blanke Geldbeschaffung zu Lasten der Unternehmer“, „Keine Reform, sondern Geldbeschaffungsaktion“. Das Vorhaben, die Steuerbefreiung der Nachtarbeitszuschläge abzuschaffen oder einzuschränken, wurde mit allen Mitteln von zwei Seiten (der sog. „unheiligen Allianz“ von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften) bekämpft. Die Zeitungs- und Zeitschriftendrucker organisierten Warnstreiks und Demonstrationen. Der Verband der Deutschen Zeitungsverleger sympathisierte mit ihnen. Auf der anderen Seite kündigte auch die Gewerkschaft IG Druck und Papier Protestkundgebungen und Demonstrationen an. Starker Widerstand richtete sich auch gegen das Vorhaben, eine 10%ige Quellensteuer auf Zinsen einzuführen. Vorsorglich wandten Opposition und Gewerkschaften sich gegen eine Erhöhung von Verbrauchsteuern und eine Erhöhung der Neuverschuldung, gegen eine Abschaffung des Weihnachtsfreibetrages und der Befreiung von Belegschaftsrabatten sowie von Zuschüssen zum Kantinenessen. Auch den vollen Abzug von Bewirtungsaufwendungen wollten Interessenten erhalten wissen. 39
Über gescheiterte Steuerreformen
Der Finanzminister konnte sich nun auch der Mehrheit im Bundesrat nicht mehr sicher sein, weil auch mehrere CDU-Länder-Ministerpräsidenten opponierten: Der baden-württembergische Ministerpräsident Späth machte die Zustimmung Baden-Württembergs zum Reformgesetz von einer „Verbesserung“ der Steuerbefreiung für Belegschaftsrabatte sowie einer Realisierung eines in den Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur „Vereinfachung der Vereinsbesteuerung“ abhängig. Der baden-württembergische Finanzminister Palm wollte der Senkung des Einkommensteuer-Spitzensatzes nur zustimmen, wenn zugleich dem Vorhaben Baden-Württembergs zugestimmt werde, den nicht gewerblichen Kleintierund Kleinpflanzenzüchtern die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen. Und der bayerische Ministerpräsident F. J. Strauß nahm die Gelegenheit wahr, die Mineralölsteuer-Befreiung des Benzinverbrauchs der Hobbyflieger durchzusetzen.40 Das waren sachfremde Kopplungen! Die Kommunalverbände behaupteten, die Kommunen würden durch die Reform benachteiligt und forderten die Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer. Wie sehr G. Stoltenberg wähler- und interessenorientiert statt rechtsprinzipienorientiert agierte, demonstrierte er nicht nur durch seine Nachgiebigkeit gegenüber den Hobbyfliegern, sondern auch durch die von ihm betriebene Erweiterung des § 52 Abs. 2 AO um eine Nr. 4, die reine Freizeitvergnügen bis zum „Hundesport“ für gemeinnützig erklärt.41 Stoltenberg dachte wohl an die 20 Mio. Wähler, die in Deutschland Vereinen angehören, vor allem an die Mitglieder von Sportvereinen. Jedoch hat vor allem das Vorhaben der Hobbyflieger-Begünstigung der Reform der CDU/CSU sehr geschadet. Die Reformdiskussion drehte sich zeitweilig nur noch um das Hobbyflieger-Flugbenzin. Der damalige Parlamentarische Staatssekretär K. Faltlhauser (CSU) dazu: „Die irrationalen Erscheinungen einer immer stärker werdenden Stimmungsdemokratie hatten die Atemwege einer rationalen Diskussion verstopft. Von Kommentatoren der großen Fernsehanstalten wurde jeweils am Abend die Tonart der Empörung angeschlagen, die Schlagzeilen der Tageszeitungen spielten am nächsten Morgen diese Tonart weiter, so dass sie schließlich Eingang fand in die Gespräche am Arbeitsplatz, in der Kantine und am abendlichen Stammtisch.“42 Die Öffentlichkeit reagierte deshalb so empört, weil ihr an einem einfachen Fall einmal mehr demonstriert wurde, wie man als Politiker mit Macht und Einfluss (ohne rechtfertigende Gemeinwohlgründe) Privilegien durchsetzt. Das Handelsblatt fasste die (unkonzertierte) Protestaktion so zusammen: „Die Arbeitnehmer und die Unternehmer, die Drucker und die Reeder, die Kirchen und die Stiftungen, die Kommunen und die Länder, 40
Über gescheiterte Steuerreformen
sie alle melden sich fast täglich zu Wort und geben ihr Unbehagen zu Protokoll über den Abbau der Vergünstigungen, der ihnen zum Zwecke der Finanzierung der Steuerentlastung zugemutet werden soll.“ Im Februar 1988 wurde in der Bonner Beethovenhalle ein zweitägiges Massenhearing durchgepeitscht. Trotz aller Kritik hielt die Regierung im Wesentlichen am Referentenentwurf fest und beschloss Ende März 1988 den Regierungsentwurf eines Steuerreformgesetzes 1990. Im Mai 1988 führte der Finanzausschuss des Bundestages eine dreitägige öffentliche Anhörung durch, im Juni 1988 eine weitere Anhörung zu Verfassungsproblemen. Eine Anrufung des Vermittlungsausschusses lehnte der Bundesrat mehrheitlich ab. Im Sommer 1988 wurde das Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet.43 Zum 1.1.1990 trat das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.7.1988 in Kraft. In der Abschlussdebatte des Bundestages am 22.6.1988 nannte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Alfred Dregger, die Steuerreform ein „großes, kühnes und sozial ausgewogenes Werk“. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans Apel, hingegen bewertete sie als „ein Stück aus dem Tollhaus, ein Machwerk voller Ungerechtigkeiten, der brutalen Umverteilung von unten nach oben“.44 Dass die Steuerreform ungeschickt angelegt worden war, erkannten auch Steuerpolitiker von CDU und CSU. Im Herbst 1988 kam ein Buch mit dem Titel „Steuerstrategie“ heraus mit Beiträgen von Steuerpolitikern der CDU und der CSU. Verfasser waren u. a. Theo Waigel, Michael Glos, Kurt Faltlhauser und Gunnar Uldall. Vor allem Kurt Faltlhauser räumte offen ein, dass die Reformstrategie von CDU/CSU alles andere als optimal gewesen sei. Er sprach von „einer zugegebenermaßen miserabel verkauften Reform“. Er beklagte „die mangelnde Koordinierung der ‚politischen Kapitänsentscheidungen‘ mit den parlamentarischen Beratungen. Die in unregelmäßigen Abständen angesetzten Koalitionsrunden waren vielfach weder inhaltlich noch zeitlich mit der Arbeit der ‚Finanzpolitiker im Maschinenraum des Parlamentes‘ koordiniert. In diesen Koalitionsrunden wurde versucht, die Auffassungen der Koalitionsparteien mit der Bundesregierung, den unionsregierten Ländern und den Fraktionen abzugleichen; eine Aufgabe, um die die Führungskräfte der Koalition sicher nicht zu beneiden waren … Oft mussten die Mitglieder des Finanzausschusses aus den Zeitungen entnehmen, was eine Koalitionsrunde beraten hatte, und nicht selten mussten sie dabei feststellen, dass die Koalitionsspitzen noch einmal Punkte aufgegriffen hatten, die von der Finanzarbeitsgruppe bereits einvernehmlich abgehandelt worden war. So gab es viele Missverständnisse, Kommunikationsdefekte, 41
Über gescheiterte Steuerreformen
Paralleldiskussionen und Interpretationsstreit. Es ist nicht verwunderlich, dass die internen Abstimmungs- und Organisationsdefizite auf das Bild der Koalition in der Öffentlichkeit negativ durchschlugen“ (S. 17 f.). Auch Theo Waigel räumte ein, dass es bei der politischen Vorbereitung, Verabschiedung und parlamentarischen Beratung der Steuerreform 1990 leider zu vermeidbaren Fehlern im Management gekommen sei. Obwohl ein beträchtlicher Abbau von Steuervergünstigungen gelungen war, erheblich voluminöser als durch die Reform der sozialliberalen Koalition in den 1970er Jahren, obwohl ein Tarif ohne Buckel und Sprünge
Gerhard Stoltenbergs Reformversuch gescheitert. Von Kanzler H. Kohl verlassen, wird er Verteidigungsminister
durchgesetzt worden war: Finanzminister G. Stoltenberg war erschöpft. Das hohe Ansehen, die unbestrittene Autorität, die er zu Beginn des Reformprozesses gehabt hatte, hatte sich während dieses Prozesses verbraucht, auch in den eigenen Reihen. Zum Glaubwürdigkeitsverlust hatte insbesondere beigetragen, dass G. Stoltenberg F. J. Strauß die Privilegierung des Flugbenzins für Hobbyflieger zugestand, dass ihm vorgeworfen wurde, er habe seine Stellung als Finanzminister dazu ausgenutzt, Landwirtschaft und Werften in Norddeutschland, insbesondere in seinem Stammland Schleswig-Holstein, zu subventionieren, und dass er 42
Über gescheiterte Steuerreformen
eine 10 %ige Quellensteuer auf Zinsen einführte, nachdem die CDU eine solche Maßnahme gegen die SPD immer abgelehnt hatte, als „Neidsteuer aus der sozialistischen Folterwerkstatt“ und als „Kontenschnüffelei“. Nachdem auch der Steuerreformversuch G. Stoltenbergs diesem keine politischen Pluspunkte eingebracht hatte, titelte die Wochenillustrierte „Stern“: „Steuerreform. Der große Bluff“ und setzte hinzu „Eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, bleibt Bonn weiter schuldig. Es gab noch keinen Finanzminister in Bonn, der nicht ein besseres Steuersystem gefordert hätte – aber keiner von ihnen hat es geschaffen.“ Im April 1989 wurde G. Stoltenberg im Rahmen einer Kabinettsumbildung von Theo Waigel (CSU) abgelöst. G. Stoltenberg wurde, wie seinerzeit schon H. Apel, Verteidigungsminister.
2. Der Reformversuch von Finanzminister Theodor Waigel Abgelöst wurde Gerhard Stoltenberg 1989 von dem Juristen Theodor Waigel. Seit 1966 war unter den Finanzministern kein Jurist mehr gewesen. Theo Waigel war bei seinem Amtsantritt sowohl wirtschafts- als auch finanzpolitisch durchaus erfahren. Durch steuerrechtssystematisches Denken war er allerdings nicht hervorgetreten. Er war auch nicht der Typ des engagierten Steuerreformers und hatte – jedenfalls anfangs – kein Einkommensteuer-Reformkonzept. Zunächst fiel er durch Re-Reformmaßnahmen auf. Die von G. Stoltenberg eingeführte unpopuläre 10 %ige Quellensteuer auf Zinsen hob er zum 30. 6.1989, also nach einer Laufzeit von nur sechs Monaten, wieder auf. Ebenso verfuhr er mit der von F. J. Strauß durchgesetzten anrüchigen Mineralölsteuerbefreiung für Hobbyflieger.45 Nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber durch Beschluss vom 25.9.1992 aufgegeben hatte, die Steuerfreistellung des Existenzminimums ab
Finanzminister Thedor Waigel, um Steuerehrlichkeit bittend
43
Über gescheiterte Steuerreformen
1996 verfassungskonform zu regeln46, berief der Minister Ende 1993 eine Kommission, die insbesondere untersuchen sollte, welche Möglichkeiten bestehen, das Existenzminimum systematisch in den Einkommensteuertarif zu integrieren und die Gegenfinanzierung durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage sowie durch Ausgabenersparnisse zu sichern. Die „Einkommensteuer-Kommission zur Freistellung des Existenzminimums ab 1996 und zur Reform der Einkommensteuer“ – nach ihrem Vorsitzenden auch als Bareis-Kommission bezeichnet – übergab ihre begründeten Thesen dem Minister am 8.11.1994. Sie schlug ein Existenzminimum von 13.000 DM, einen geringfügig geänderten linear-progressiven Tarif, die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten, die weitgehende Abschaffung von Steuerbefreiungen und Steuerermäßigungen sowie die Streichung zahlreicher Lenkungsnormen vor.47 Während die Kommissionsthesen in der Fachöffentlichkeit und in den Medien weitgehende Zustimmung fanden, stießen sie beim Minister auf prompte Ablehnung: Die Vorschläge seien unrealistisch, politisch nicht durchsetzbar und nicht sozialstaatlich. Die Opposition und andere Kritiker stießen sich besonders daran, dass die Arbeitnehmer-Pauschale halbiert, die Landund Forstwirte den Gewerbetreibenden gleichbehandelt werden, private Veräußerungsgewinne zeitlich uneingeschränkt erfasst werden sollten, dass auch Steuervergünstigungen wie die Kilometerpauschale und die Steuerfreiheit der Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit gestrichen werden sollten. Die Kritiker dachten eben nicht in den Kategorien einer Rechtsreform, sondern – ohne Rücksicht auf Gerechtigkeits- oder Rechtsprinzipien – wählerorientiert oder interessen-orientiert. Der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion A. Hauser äußerte: „Das Steuerrecht war noch nie an die Moral geknüpft.“48 Möglicherweise befürchtete Minister Waigel, mit den Gegenfinanzierungsvorschlägen der „BareisKommission“ im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss auf Schwierigkeiten zu stoßen. Es gab nun zunächst ein Zwischenspiel mit dem wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Unternehmensberater Dipl.-Vw. Gunnar Uldall (MdB von 1983 bis 2001). Dieser schlug vor, einen Stufentarif mit drei Sätzen (8, 18, 28 %) einzuführen und zur Gegenfinanzierung der sich durch die Tarifsenkung ergebenden Mindereinnahmen von 123 Mrd. DM alle Freibeträge, Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen zu streichen, Kinderfreibeträge und einen reduzierten Arbeitnehmer-Freibetrag sowie Vorsorgeaufwendungen ausgenommen. Auch die Kilometerpauschale und die Absetzbarkeit der Kirchensteuer sollten entfallen. Auf diese Weise sollten 80 Mrd. DM zusätzlich vereinnahmt werden. Die Differenz von 43 Mrd. DM sollte durch 44
Über gescheiterte Steuerreformen
das – angenommene – durch die Reform ausgelöste Wachstum der Wirtschaft aufgebracht werden.49 Wie alle Radikalvereinfacher zeichnete auch G. Uldall eine fast blinde Zuversicht aus, dass sein Modell sich alsbald durchsetzen werde. In einem WOCHE-Interview vom 12.4.1996 äußerte er: „… es muss ein Neuanfang gemacht werden. Da bin ich sicher, dass man das beste Modell wählt, und das ist meines! … Die einzige Partei, in der es einen fundierten durchgerechneten Vorschlag gibt, ist die CDU ... Ich gehe davon aus, dass auf dem Bundesparteitag der CDU im Herbst in Hannover von mir mein Steuermodell zur Abstimmung gestellt wird.“ Der Vergünstigungsabbauvorschlag der „Bareis-Kommission“, so meinte G. Uldall, sei daran gescheitert, dass diese Kommission nur die Streichung einzelner Vergünstigungen vorgesehen habe. Ein solcher Weg sei auf Grund des starken Lobbyismus, der sich hinter jeder Sonderregelung verberge, zum Scheitern verurteilt. Es müssten grundsätzlich alle Ausnahmen ohne Begründung gestrichen werden. Ein Streichen der Ausnahmen ohne Ausnahme sei bei niedrigen Steuersätzen politisch leichter durchzusetzen, zumal die einzelne Ausnahme bei niedrigen Steuersätzen nicht mehr so viel wert sei, der finanzielle Vorteil geringer sei. Wenn alle Ausnahmen gestrichen würden, müsse nicht mehr der Gesetzgeber begründen, warum er etwas streiche, sondern der Bürger oder der Interessenverband müsse darlegen, warum seine Begünstigung als einzige in das Gesetz aufgenommen werden solle. Die Beweislast werde also umgekehrt. Eine selektive Herausnahme einzelner Bestimmungen reiche nicht aus; das Instrument „Steuern mit Steuern“ müsse verschwinden.50 Uldalls Parteifreunde schlossen sich dessen Empfehlungen jedoch nicht an. In der CSU wurde über Uldalls Projekt als dem „unfinanzierbaren Modell Münchhausen“ gelästert. Rechtlich ist zu Uldall zu bemerken: Wie andere Vertreter niedriger Steuersätze, vergeht sich auch Uldall am objektiven und am subjektiven Nettoprinzip und schafft so eine zum Teil unwahre oder unehrliche Bemessungsgrundlage. Uldall wollte auch § 6b EStG, ferner jeglichen Spendenabzug streichen, so dass selbst Wissenschaft und Forschung nicht mehr durch Spenden steuerlich hätten gefördert werden können. Wer so vorgeht, macht aus „einfach und gerecht“ ein „einfach, aber nicht mehr gerecht“.51 Im Februar 1996 wurde die Opposition aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit reformerischen, ja rechtsreformerischen Vorschlägen aktiv. SPD-Abgeordnete, darunter J. Poß, I. Matthäus-Maier, B. Hendricks, 45
Über gescheiterte Steuerreformen
P. Struck und R. Scharping sowie die Fraktion der SPD beantragten am 6.2.199652 einen Bundestagsbeschluss „für eine gerechte und einfache Einkommensbesteuerung“. Danach sollte der Deutsche Bundestag feststellen: „Tragende Grundsätze der Einkommensbesteuerung sind durch eine Vielzahl steuerpolitischer Entscheidungen in den letzten Jahren schwerwiegend verletzt worden. Das Einkommensteuerrecht verstößt nachhaltig gegen das Prinzip der Steuergerechtigkeit. Es verstößt gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung genauso wie gegen das Prinzip einer Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die Bundesregierung hat Mitte der 80er Jahre wiederholt die Schaffung einer einfacheren Einkommensbesteuerung nach dem Leitgedanken, niedrigere Steuersätze und weniger Ausnahmen, als eines ihrer wichtigsten finanzpolitischen Zielsetzungen formuliert. Die Bundesregierung hat diese Zielsetzung nachhaltig verfehlt … Selbst für die Finanzverwaltung ist das Einkommensteuerrecht kaum noch handhabbar. Die Steuerpolitik der Bundesregierung folgt keiner geschlossenen Konzeption, sondern bleibt bloßes Stückwerk. In einer bisher nicht vorstellbaren Hektik in der Steuergesetzgebung mussten mehrfach Einkommensteuergesetze geändert werden, noch bevor sie überhaupt in Kraft getreten waren. Insbesondere unter Bundesminister der Finanzen Dr. Theodor Waigel ist das Einkommensteuerrecht geradezu verwüstet und die Einkommensteuergesetzgebung von Sachverständigen als chaotisch bezeichnet worden. Die Ergebnisse von ihm selbst in Auftrag gegebener Gutachten namhafter Wissenschaftler zur systemgerechten Neuordnung der Einkommensteuer hat er von vornherein verworfen. Es ist daher dringend erforderlich, dass die Einkommensteuer wieder an bewährten Prinzipien der Besteuerung ausgerichtet wird. Die Steuerpolitik muss wieder eine klare Zielrichtung verfolgen. Grundsatz muss dabei sein, die Steuerlast zu senken, gleichzeitig aber ein effizientes und gerechtes, d.h. an der Leistungsfähigkeit orientiertes und einfaches Steuersystem zu schaffen. Dies setzt auch die Bereitschaft und Fähigkeit der Politik voraus, sich gegen die Widerstände der verschiedenen Interessengruppen durchzusetzen. Eine durchgreifende Reform der Einkommensbesteuerung muss sich an folgenden Grundsätzen orientieren: 1. Gerechtigkeit und Einfachheit … 2. Gleichmäßigkeit der Besteuerung … 3. Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit … 4. Transparenz und Akzeptanz der Besteuerung … 5. Senkung der Steuer- und Abgabenquote … 6. Verfassungskonformität …53
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Über gescheiterte Steuerreformen Angesichts der vielfältigen Mängel der heutigen Einkommensbesteuerung, die unter der jetzigen Bundesregierung dramatisch zugenommen haben, besteht dringender politischer Handlungsbedarf. Nicht neue, vage Zielvorgaben für das Jahr 2000, sondern konkrete und umsetzbare gesetzgeberische Maßnahmen sind erforderlich ... Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf, noch im Jahr 1996 einen Gesetzentwurf zur aufkommensneutralen Reform der Einkommensbesteuerung vorzulegen, durch die die Einkommensteuer wieder an den tragenden Grundsätzen und Prinzipien der Besteuerung ausgerichtet wird. Ein solcher Gesetzentwurf sollte insbesondere folgende Elemente enthalten: – Die einzelnen Einkommensarten sind grundsätzlich steuerlich gleich zu behandeln … – Das den Bürgern nicht zur Verfügung stehende, nicht disponible Einkommen soll steuerfrei gestellt werden … – Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen sind weitgehend abzubauen ... – Soweit neben gezielten Finanzhilfen steuerliche Vergünstigungen erforderlich bleiben (im Bereich Forschung und Entwicklung, Ökologie), sind sie nicht mehr einkommensabhängig als Abzüge von der Bemessungsgrundlage, sondern einkommensunabhängig als Abzüge von der Steuerschuld auszugestalten. Die durch die Verbreiterung der Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage erzielten Steuermehreinnahmen sind in vollem Umfang für eine Senkung des Einkommensteuertarifs zu nutzen … In der Progressionszone des Einkommensteuertarifs darf es keine gleichheitswidrigen Progressionssprünge geben.“
Einen ähnlichen Bundestags-Beschluss beantragten am 27.2.199654 u. a. die Abgeordneten Chr. Scheel, O. Metzger und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Begründung – überschrieben mit „Für eine durchgreifende Einkommensteuerreform: Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung“ – lautet auszugsweise: „Die Ergebnisse des Jahressteuergesetzes 1996 zeigen, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, eine umfassende Reform der Einkommensbesteuerung zu verwirklichen. Bei der Umsetzung der Karlsruher Vorgaben zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums hat die Bundesregierung die Chance zu einer echten Reform nicht genutzt. Die EinkommensteuerreformKommission (Bareis-Kommission) hatte dazu einen weitreichenden Vorschlag zu einer verfassungskonformen Neuordnung des Einkommensteuerrechts unterbreitet. Das Steuerrecht bleibt, wie es bisher schon war: ungerecht und undurchschaubar, gleichzeitig aber voller Schlupflöcher, die Gutverdienenden viele Steuerersparnismöglichkeiten eröffnen … Die Ankündigung der Bundesregierung, nach 1998 einen neuen Versuch zu einer Ein-
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Über gescheiterte Steuerreformen kommensteuerreform zu unternehmen, ist nicht glaubwürdig. Das Chaos im Steuerrecht hat diese Regierung mit zu verantworten, und die Ankündigung einer Reform für die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl erscheint vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Steuerpolitik als Wahlkampfrhetorik … Die Einkommensteuer ist in ihrem Grundgedanken als eine Abgabe definiert, die zur Verwirklichung einer gerechten Besteuerung – d. h. einer Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit – dienen soll … Obwohl der Bundesminister der Finanzen das Ziel der Steuervereinfachung mehrfach betont hat, ist tatsächlich nichts geschehen … Darüber hinaus führen die steuerlichen Subventionen dazu, dass das Steuersystem intransparent ist. Die tatsächliche Steuerbelastung bleibt auf Grund der vielen Sonderregelungen weitgehend im Dunkeln … Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden das Steuersystem zu Recht als unverständlich und ungerecht. Die chaotische und unsystematische Steuerpolitik der Bundesregierung hat zu dieser Entwicklung in erheblichem Maße beigetragen … Transparenz, Vereinfachung und Gerechtigkeit sind die leitenden Grundsätze der Reform … Die Reform der Einkommensteuer muss sich konsequent am Prinzip der Leistungsfähigkeit und sozialen Gerechtigkeit orientieren … Folgende Maßnahmen sind dazu notwendig: – Konsequenter Abbau von Steuersubventionen und steuerlichen Sonderregelungen … – Einschränkung steuerfreier Einnahmen, Frei- und Entlastungsbeträge … – Einschränkung des Abzugs von Betriebsausgaben, Werbungskosten und Sonderausgaben … – Rechtsbereinigungen und Steuervereinfachungen ... – Beendigung von ökonomisch und ökologisch schädlichen Fehllenkungen von Kapital und Einkommen ... – Individualbesteuerung statt Ehegattensplitting ... – Gleichmäßigkeit der Besteuerung ... Verfassungskonforme und sozial gerechte Tarifreform verwirklichen … Rückkehr zum linear-progressiven Tarif und darüber hinaus eine der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage entsprechende Senkung des Spitzensteuersatzes …“
Die Begründungen der Anträge der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lesen sich – von einigen wertungslogischen Aufbaufehlern abgesehen – wie ein Kurzlehrbuch des systematischen, d. h. prinzipienorientierten Einkommensteuerrechts. Offenbar nehmen Steuerpolitiker die Erkenntnisse der Steuerrechtswissenschaft sehr wohl zur Kenntnis. Schon hier muss allerdings angemerkt werden, dass Parteien das, was sie in der Opposition fordern, als Regierungsparteien selbst nicht durchsetzen.
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Über gescheiterte Steuerreformen
Die Abgeordnete Ingrid MatthäusMaier (SPD) schrieb dem Verfasser dazu am 30.4.1996: „Dabei bin ich mir allerdings durchaus bewusst, dass es ein weiter Weg ist zwischen der Beschlussfassung über ein solches Vorhaben und seiner tatsächlichen gesetzestechnischen Umsetzung. Denn alle Erfahrung zeigt, der Widerstand steigt enorm, wenn es darum geht, konkrete heute bestehende Vergünstigungen abzuschaffen, selbst wenn damit anderweitige Steuerentlastungen finanziert werden. Ich fürchte deshalb, dass das Einkommensteuerrecht auch noch auf Jahre hinaus eine komplizierte Angelegenheit bleiben wird ...“.
Im Übrigen, wenn die SPD-Opposition der Union vorwarf, sie habe ihr Ziel, niedrigere Steuersätze einzuführen und Ingrid Matthäus-Maier, Mitglied des für weniger Ausnahmen zu sorgen, Finanzausschusses (SPD): Steuerreform „nachhaltig verfehlt“, so ist dazu fest- ist „komplizierte Angelegenheit“ zustellen, dass es die SPD-Opposition war, die auf diese Zielverfehlung nachhaltig hingewirkt hat. Finanzminister Theo Waigel sperrte sich lange gegen einen neuen Reformversuch. Nachdem der Koalitionspartner FDP sich aber in Landtagswahlkämpfen wiederum als „Steuersenkungspartei“ empfohlen und damit Wahlerfolge errungen hatte55 und im Frühjahr 1996 auch Kanzler Kohl sich zur Steuerreform bekannt hatte56, entschloss sich Theo Waigel, sich an die Spitze einer im Juli 1996 gebildeten Kommission zu setzen, die das „große Werk“ in Angriff nehmen sollte. Die Reform sollte das Steuersystem vereinfachen, die Steuerzahler entlasten, die Steuerlast gerechter verteilen sowie Wachstum und Beschäftigung fördern. Da seit der Wahl im Herbst 1994 nun schon eineinhalb Jahre verstrichen waren, war höchste Eile geboten, sollte der Reformentwurf nicht in die Kritik des nächsten Bundestagswahlkampfes geraten. Die Kommission – der kein Steuerrechtswissenschaftler angehörte – verabschiedete ihre Vorschläge einer „grundlegenden Einkommensteuerreform“ (sog. „Petersberger Steuervorschläge“) schon im Januar 1997.57 Zum Inhalt bemerkte Joachim Lang: „Die ‚Petersberger Steuervorschläge‘ geben … den Anstoß zu einer Rechtsreform der Bemessungsgrundlage, indem sie sich geradezu lehrbuchhaft zu
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Über gescheiterte Steuerreformen den Grundprinzipien des Einkommensteuerrechts bekennen, zum ‚Leistungsfähigkeitsprinzip als Fundamentalprinzip gerechter Besteuerung‘, zum ‚Markteinkommensprinzip …‘, zum ‚objektiven und subjektiven Nettoprinzip‘ … sowie zur ‚Ausgestaltung der Einkommensteuer als Einheitssteuer‘“. J. Lang fügte hinzu, „nur, das Programm der Umsetzung von Grundprinzipien des Einkommensteuerrechts impliziert nicht nur Verbreiterung, sondern auch Schmälerung der Bemessungsgrundlage.“58
Auf der Grundlage der „Petersberger Steuervorschläge“ formulierte die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums eiligst eine Neufassung des Einkommensteuergesetzes.59 Die erste Stufe sollte am 1.1.1998 in Kraft treten, der Hauptteil am 1.1.1999. Aber allmählich lief schon der Bundestags-Wahlkampf 1998 an. Die SPD-Opposition und Interessenverbände wurden aktiv. Obwohl es weithin Übereinstimmung mit der Opposition gab, wurde mit ihr – sie hatte die Mehrheit im Bundesrat – doch über die Höhe des Eingangs- und des Spitzensteuersatzes sowie über die Höhe der Nettoentlastung und die Art der Gegenfinanzierung gestritten. Die Regierung betrieb Angebotspolitik, die Opposition – voran der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine – Nachfragepolitik mit dem Ziel, die Massenkaufkraft zu stärken. Ein geschlossenes Gegenkonzept, das ihrem Antrag „für eine gerechte und einfache Einkommensbesteuerung“ (Bundestags-Drucksache 13/3701; s. S. 45 ff.) entsprochen hätte – bot die Opposition nicht an. Um sich nicht der Wählerkritik auszusetzen, wollte sie auch nicht auflisten, welche Steuervergünstigungen sie abzuschaffen oder einzuschränken bereit sei. So tobten die Interessenverbände sich gegen die Regierungskoalition aus. Die Bauern drohten mit „totalem Aufstand“, die Gewerkschaften mit dem „Marsch auf Bonn“. Tagelang protestierten die „Kumpel“ in Bonn für die Erhaltung der Kohlesubventionen. Wohnungswirtschaft, Gewerkschaften und Mieterbund sagten den Zusammenbruch Reform-Finanzminister Theodor Waigel. des Wohnungsbaus voraus. Auch Länder-Ministerpräsidenten mischten sich Von Interessenverbänden und ein. Die Kritik geriet immer mehr zur Opposition im Bundesrat blockiert 50
Über gescheiterte Steuerreformen
totalen Opposition und Konfrontation und ließ – so DIE WOCHE60 – Theo Waigel’s Popularität „ins Bodenlose sinken“. Das „versprochene Jahrhundertwerk“ – so weiter DIE WOCHE – „bleibt Illusion.“ Koalition und Opposition rangen wieder einmal um die günstigste Position für die Wahl, dieses Mal für die Wahl 1998. Hans-Ulrich Jörges schrieb dazu in DIE WOCHE: „Wie lange das Bonner Staatstheater – in großer oder kleiner Zusammensetzung – auch immer andauern wird (äußerstenfalls bis zum Vermittlungsausschuss im Herbst), es ist schon jetzt an der Zeit, von allen Illusionen Abschied zu nehmen. Die faszinierende Idee einer großen Steuerreform, des radikalen Abbaus der Belastung aller Bürger bei ebenso radikaler Durchforstung des zutiefst ungerechten Paragraphen- und Vergünstigungsdschungels, ist gescheitert. Unrettbar. Denn bei nüchternem Blick auf die Verhandlungspositionen der Politik sind nur zwei – gleichermaßen entmutigende – Wege erkennbar. Entweder Koalition und Opposition einigen sich noch überraschend auf ein umfassendes Paket – dann wird es nur noch ein Sammelsurium von Wahlgeschenken beider Seiten sein, kein geschlossenes, profiliertes Konzept, das die Auszeichnung ‚groß‘ verdienen würde. Oder die Verhandlungen scheitern, die Regierung bringt ihren Entwurf auf den parlamentarischen Weg und wird in Bundesrat und Vermittlungsausschuss von der SPD gestoppt ... Oskar Lafontaine hat seine Partei besser im Griff als seinerzeit Rudolf Scharping ... Natürlich werden bis zum bitteren Ende vorgebliche Kompromissbereitschaft und denkbare Einigungsmodelle öffentlich zur Schau gestellt. Es geht eben um viel, um sehr viel, um die Vorbereitung der Schuldzuweisungsmuster für das Wahljahr. Wer zu früh die Nerven verliert, ist mit dem Makel der Obstruktion behaftet. Erst wenn der Scherbenhaufen unübersehbar ist, können daraus die Mosaiksteine für die Wahlstrategien zusammengefügt werden … Die Vorstellungen beider Seiten waren ja auch von Anfang an unvereinbar. Die Koalition hatte die Blütenträume des CDU-Steuerrebellen Gunnar Uldall vom Reformwerk des Jahrhunderts zu Theo Waigels – bei oberflächlicher Betrachtung noch ansehnlichem – Konzept schockgefroren. Doch der CSU-Chef, dem die Reform aufgenötigt werden musste, schreckte in Wahrheit vor den vielen Tabus des in Jahrzehnten gewucherten SteuerSelbstbedienungs-(un)rechts zurück und zog mit der Nagelschere statt mit der Machete ins Unterholz. Die aus wahltaktischem Kalkül geborene Überlegung, das Reformwerk zum Steuerentlastungsprogramm (vor allem für die wohlhabenden Stände) umzufrisieren, bot der Opposition schließlich den entscheidenden Ansatzpunkt, um das Projekt anzugreifen. Denn bei dramatischer Kassenlage, gähnenden Haushaltslöchern und wachsender Arbeitslosigkeit gibt es nichts zu verteilen … Hinter der Schwäche der Koalition konnte die SPD ihre prinzipielle Unbeweglichkeit verbergen. Sie hat die Idee der großen Steuerreform nie wirklich angenommen, denkt in Wahrheit an ein Konsumprogramm – und
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Über gescheiterte Steuerreformen verteidigt mit Zähnen und Klauen die per Gießkanne an die eigene Facharbeiter-Klientel verteilten Wohltaten: Kilometergeld und Steuerfreiheit für Nacht- und Sonntagsarbeit … Verteilungskampf steht auf der Tagesordnung. Die große Steuerreform wird wohl ein Traum bleiben.“61
Nachdem die Gespräche zwischen Regierung und Opposition endgültig abgebrochen worden waren, ging der Reformprozess seinen institutionellen Gang: Beratung im Bundestag, Ablehnung im Bundesrat durch die Oppositionsmehrheit, Anrufung des Vermittlungsausschusses. Auch Kompromissangebote, die der SPD weit entgegenkamen, wurden abgelehnt. Aufgrund der für die SPD günstigen Umfrageergebnisse versprach diese sich offenbar mehr von einem Scheitern der Reform als von einer Einigung über sie. Schließlich folgten die üblichen Schuldzuweisungen. Die Regierung erklärte, die SPD habe die Reform aus wahltaktischen Gründen blockiert. Die SPD entgegnete, die Regierungskoalition habe kein kompromissfähiges, die soziale Symmetrie wahrendes Angebot gemacht. Sie sei reformunfähig.62 Die Neue Zürcher Zeitung sprach am 27./28.9.1997 nicht von der Reformunfähigkeit der CDU/CSU, sondern von „deutscher Reformunfähigkeit“ und vom „Desaster der Steuerreform“. Die deutsche Politik habe ein Trauerspiel sondergleichen geboten. Und wörtlich: „Regierung und Opposition befanden sich auf einem permanenten Konfrontationskurs, hüben und drüben wurde gezurrt und gezankt, ein erfolgloses Vermittlungsgespräch folgte dem anderen – und das einzige, was dabei herauskam, waren gegenseitige Schuldzuweisungen. Das Wort vom Reformstau – das sogar in den angelsächsischen Sprachschatz eingegangen ist – findet nun erneut eine Bestätigung. Und das in Deutschland ohnehin an Schwindsucht leidende Vertrauen in die Politik hat einen zusätzlichen Dämpfer erfahren.“63
IV. Die rot-grüne Koalition und ihre EinkommensteuerÄnderungsgesetze Tatsächlich gewannen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Bundestagswahl 1998 und koalierten. Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler, Oskar Lafontaine Wirtschafts- und Finanzminister. Dieser berief im Dezember 1998 eine Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung. Und in demselben Monat wurde noch – als sog. Vorschaltgesetz – das Steuerergänzungsgesetz 1999 beschlossen.64 Im März 1999 folgte das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, das die stufenweise Änderung des Tarifs und der Steuerbemessungsgrundlage vorsah.65 Das Gesetz enthält 18 Seiten Flickerei an der Bemessungsgrundlage. „Der Steuerände52
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rungsgesetzgeber“ – so J. Lang – „praktizierte das übliche Geschäftsgebaren, jährlich Hunderte von Vorschriften anzupacken (einzufügen, zu ändern oder zu streichen). Darüber hinaus scheute er nicht davor zurück, in Kernbestände des Steuerrechts einzugreifen. Er verletzte das Nettoprinzip durch die sog. Mindestbesteuerung …“. Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine, der nach verbreiteter Meinung vor den Wahlen die Blockade der Steuerreform dirigiert hatte, „tanzte als Finanzminister nur einen Winter“, genau 134 Tage. Er trat schon am 11.3.1999 auf ebenso stillose wie spektakuläre Weise zurück. Ihm folgte Hans Eichel. Er nannte das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 „die größte Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik“.66 Er mag dabei allerdings in erster Linie an die Steuersenkungen gedacht haben. Dem Steuerentlastungsgesetz folgte der Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes. Dieses Gesetz sollte u.a. durch höhere Steuereinnahmen die öffentlichen Haushalte nachhaltig konsolidieren. Die Begründung des Entwurfs stellte zutreffend fest: Das deutsche Steuersystem enthalte immer noch viele ökonomische, ökologische und unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten fragwürdige Steuervergünstigungen und Ausnahmetatbestände, Finanzminister Hans Eichel: die beseitigt werden müssten. Der Ge- Tarifsenkung als große Reform setzentwurf ziele deshalb darauf ab, durch einen weitreichenden, breit angelegten und sozial ausgewogenen Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen die Steuergerechtigkeit und Steuertransparenz zu erhöhen und den öffentlichen Haushalten die notwendigen Einnahmen zur Finanzierung ihrer Aufgaben zu verschaffen. Nur so könne gewährleistet werden, dass alle Bürger und Unternehmen entsprechend ihrer steuerlichen Leistungsfähigkeit einen Beitrag zur Finanzierung der von ihnen in Anspruch genommenen Einrichtungen des Staates leisten und sich die Akzeptanz der Besteuerung erhöhe. Der Abbau von Ausnahmen trage auch dazu bei, die Systematik des Steuerrechts wieder erkennbar und verständlicher zu machen. Gesicherte und planbare Einnahmen garantierten dem Steuerzahler einen zuverlässigen öffentlichen Partner.
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Über gescheiterte Steuerreformen Aufgrund der stetig fließenden Steuereinnahmen könne die Kreditaufnahme reduziert werden. Dies sei die Grundbedingung für eine erfolgreiche nachhaltige Haushaltskonsolidierung.
Schon der Referentenentwurf wurde indessen, insbesondere von den Interessenverbänden, heftig kritisiert und von der Opposition der CDU/CSU/FDP abgelehnt. Der Haupteinwand: Es gehe der Regierung gar nicht um den Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmevorschriften, sondern um ausschließlich fiskalisch motivierte Steuererhöhungen. Im November 2002 wurde der Regierungsentwurf beschlossen und in den Bundestag eingebracht. Der Vergünstigungsabbau scheiterte am Bundesrat, in dem CDU/CSU und FDP die Mehrheit hatten. Vom Vermittlungsausschuss wurde durch Gesetz vom Mai 2003 nur noch ein Torso entlassen, zu besichtigen im Bundesgesetzblatt.67 Man kann sich daran stoßen, dass die SPD, die vor der Wahl versprochen hatte, die Steuern nicht zu erhöhen, nun durch Abbau von Steuervergünstigungen doch Steuern erhöhen wollte. Dieses Mal war es die Koalition aus CDU/CSU und FDP, die im Bundesrat das Vorhaben der Regierung blockierte, obwohl sie früher selbst wiederholt den weiteren Abbau von Steuervergünstigungen gefordert hatte. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verhinderte auch die Aufhebung des Eigenheimzulagegesetzes, einer weiteren Subvention. Die Regierung wollte die Mehreinnahmen für Bildung und Forschung ausgeben. Die Opposition mit ihrer Bundesratsmehrheit wollte die Eigenheimzulage nur im Zusammenhang mit einer umfassenden Steuerreform abschaffen.
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C. Der miserable Gegenwartszustand des deutschen Einkommensteuergesetzes nach den gescheiterten Reformen und seine Folgen Als Steuersystematiker in den 1970er Jahren damit begannen, von Steuerchaos und Steuerkonglomerat zu sprechen, stießen sie zunächst bei Steuerpolitikern, wenn auch nicht bei allen, auf Widerspruch. Adalbert Uelner, damals Leiter der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums, entgegnete noch 1984, Schlagworte wie „Steuerchaos“, „Steuerdschungel“, „Steuerirrgarten“, „Steuerwirrwarr“, „Misere des Steuerrechts“ könnten ihren journalistischen Ursprung nicht verleugnen. Dem Vorsitzenden des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, H. Gattermann, erschien der Begriff „Niedergang des deutschen Einkommensteuerrechts“ „zwei Klassen zu hoch gegriffen“. „Was notwendig ist“ – so Gattermann – „ist der Herbstschnitt eines gesunden Baumes.“69 Aber schon Ende der 1960er Jahre hatte der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Hans Wertz, vor Steuerberatern eingeräumt: „Ihr Berufsstand und die Beamten der Steuerverwaltung gleichermaßen tragen seit Jahren an einer schweren Last. Auf keinem anderen Rechtsgebiet dürften ähnlich komplizierte, ich bin geneigt zu sagen, ähnlich verworrene Regelungen ergangen und immer wieder geändert und von der Rechtsprechung weiter kompliziert worden sein wie im Steuerrecht. Das wird seit Jahren beklagt. Und jahrelang ist ungeachtet der dringenden Forderungen nach Steuervereinfachung praktisch nichts geschehen. Für die Praktiker und die Steuerzahler ist die Situation auf manchen Teilgebieten geradezu unerträglich geworden. Statt Vereinfachung wurden ihnen neue Komplizierungen beschert.“70
Der Text liest sich, als sei er heute geschrieben worden. Die Kompliziertheit und Verworrenheit hat allerdings seit Ende der 1960er Jahre ständig weiter zugenommen. 1986 sprach in einem SPIEGEL-Interview auch Bundesfinanzminister Hans Apel von einem „Dschungel“71, ebenso der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen D. Posser72, und 1996 tauchten dieser und ähnliche Begriffe in zwei Bundestagsdrucksachen auf.73 Die Begriffe „Steuerchaos“ und „Steuerdschungel“ finden wir auch bei dem SPD-Steuerpolitiker J. Poß74. Neue Verbalnegativa sind inzwischen hinzu gekommen, wie „unbeherrschbares Monstrum“, „Regelungslabyrinth“, „Steuerschrottberg“. Von „tax chaos“ und „tax jungle“ kann man auch in den USA 55
Der Gegenwartszustand
lesen und hören. Die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer ist inzwischen geradezu verludert. Sie ist unsystematisch und unübersichtlich aufgebaut, sie belastet die Bürger – je nach Einkommensart – ungleich und ist durch Steuervergünstigungen verunstaltet. Die Deutsche Steuergewerkschaft, Landesverband Niedersachsen, urteilte 1998:
© Heinz Jankofsky
„Steuern sind zwar ein Teil der Rechtsordnung des Staates, sie existieren aber im Bewusstsein der Bevölkerung und (leider auch) in der Politik als reiner Gelderhebungsmechanismus … Die Steuerrechtswirklichkeit gilt in Wissenschaft und Praxis als ein chaotischer und damit willkürlicher Regelungswust.“
Ich erkläre Ihnen jetzt das deutsche Steuersystem …
Zu den Gesetzes-Paragraphen kommen noch hinzu: Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Urteile, ferner die die Rechtslage ebenfalls beeinflussenden Literaturmeinungen. Da die Steuerberater und viele Steuerpflichtige nicht allein mit der Einkommensteuer zu tun haben: Die Sammlung der Steuertexte umfasst 2.920 Seiten, die Sammlung der Richtlinien 2.690 Seiten, die Sammlung der Steuererlasse 3.570 Seiten, das Handbuch der Steuerveranlagungen 2003 3.102 Seiten, das Steuerberater-Handbuch 2004/05 2.371 Seiten, die Textausgabe „Doppelbesteuerungsabkommen“ ist zurzeit 2.590 Seiten stark.75 Steuerberater, Steuerbeamte, Steuerrichter und Steuerlehrer kommen nicht
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Der Gegenwartszustand ohne Kommentare und Zeitschriften aus. Wer sich gar Großkommentare anschafft, hat es mit folgenden Volumina zu tun: Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung von Hübschmann/Hepp/Spitaler: rd. 19.000 Seiten in 14 Ordnern, Kommentar zum Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz von Herrmann/Heuer/Raupach: rd. 19.500 Seiten in 20 Ordnern, Kommentar zu Doppelbesteuerungsabkommen von Debatin/Wassermeyer: rd. 15.300 Seiten in sechs Ordnern. Verleger von Großkommentaren tun sich schwer, genügend gute Autoren zu finden, die den Kommentar auf dem Laufenden der ständigen Änderungen halten.
Das Verständnis vieler Vorschriften wird durch ihre Überlänge und zudem durch die infolge der Hektik der Gesetzgebung entstandenen sprachlichen Mängel erschwert. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat der Gesetzgeber sich mehr für Basteleien am Tarif als für eine möglichst gerechte (d. h. prinzipienorientierte), übersichtliche Bemessungsgrundlage interessiert, wohl deshalb, weil die Wähler sich eher durch die Tarifbelastung beeindrucken, als durch eine komplizierte Bemessungsgrundlage abschrecken lassen. Viele Änderungsgesetze erhalten schöne Namen wie Steuerbereinigungsgesetz oder Steuerentlastungsgesetz. Hätten diese Gesetze viel mit der Realität zu tun, hätte das deutsche Steuerrecht längst von allen Schlacken vorbildlich gereinigt und die Steuerlast auf das Angenehmste gesenkt sein müssen. Das Einkommensteuergesetz leidet im Einzelnen vor allem an folgenden Mängeln: An die verschiedenen Einkunftsarten werden unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft. Insbesondere werden die Einkünfte unterschiedlich ermittelt; dabei wird keine einheitliche Begriffssprache verwendet. Betriebliche und private Veräußerungseinkünfte werden ungleich erfasst. Abhängig von der Einkunftsart bestehen unterschiedliche Möglichkeiten des Verlustausgleichs und des Verlustabzugs. Auch die Höhe von Pauschbeträgen hängt von der Einkunftsart ab. Der Katalog der Steuerbefreiungen ist exzessiv lang und völlig ungeordnet. Die elementar wichtigen Regeln über die Abgrenzung der Berufssphäre von der Privatsphäre sind unübersichtlich und zum Teil unpräzise. Der Dualismus Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen ist überflüssig. Die einkünfteabhängigen Steuervergünstigungen sind trotz aller Reformversuche nie sachgerecht auf ihre Rechtfertigung überprüft worden. Das Gesetz wird je nach Einkunftsart unterschiedlich effizient durchgesetzt. Wenn der Gesetzgeber sich nicht an Prinzipien oder Regeln hält, wenn er durch seine laufenden, hauptsächlich Gruppeninteressen Rechnung tragende Änderungsgesetze Stückwerk und Flickwerk abliefert, so entstehen eben Gesetze, 57
Der Gegenwartszustand
– die unübersichtlich und undurchsichtig sind, – die infolge Inkonsequenz Ungerechtigkeiten schaffen, – die den Problemhaushalt vergrößern, die Gesetzesanwendung erschweren und die Versuchung zur Steuerumgehung erhöhen, – die die Entdecker und legalen Nutzer von Gesetzeslücken und ungerechtfertigten Ausnahmevorschriften belohnen, – die – zumal im steuerlichen Massenverfahren – nur mit erheblichen Einschränkungen vollzugstauglich sind, jedenfalls nicht gleichmäßig angewendet werden können und auch aus diesem Grunde zu ungleicher Belastung führen, so dass die Ehrlichen die Dummen sind; es entstehen Gesetze, deren Anwendung jedenfalls unnötig zeitaufwendig ist, zumal sie laufende Fortbildung verlangen (näher dazu schon oben S. 21), – deren Anwendung unnötig kostenaufwendig ist, z. B. durch unnötige Steuerberatungskosten und unnötig hohe Anschaffungskosten für Fachliteratur, – deren Anwendung sowohl bei Steuerbeamten als auch bei Steuerberatern eine unnötig hohe Fehlerquote auslöst, zumal es kaum noch Routinelösungen gibt. Die Fehlerquote bei Steuerbescheiden soll bei 50 v. H. liegen.75a Die Folgen dieses Zustands treffen nicht nur die Steuerbürger, sondern auch die Steuerberater, die Steuerbeamten, die Steuerrichter, die Steuerlehrer und – nicht zu vergessen – die Steuerkommentatoren.76 Im Vorwort zur 19. Auflage des L. Schmidtschen Einkommensteuerkommentars wird eine assoziative Beziehung zwischen dem Grimmschen Märchen „von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ und der auch Kommentatoren und anderen Fachleuten das Fürchten oder Gruseln lehrenden Einkommensteuer-Gesetzesänderungsproduktion hergestellt. Die Steuerbürger müssten als Steuerlaien eigentlich sämtlich einen Steuerberater beschäftigen. Das Gesetz zwingt sie aber nicht dazu. Nach § 80 Abs. 1 AO kann ein Steuerbürger sich durch einen bevollmächtigten Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten lassen, er muss es aber nicht. Die Steuerstrafrichter jedoch verlangen, dass Laien sich über die Gesetzeslage – von Rechtslage kann man wohl nicht mehr sprechen – zur Vermeidung leichtfertiger Steuerverkürzungen informieren. Steuerprofessor und Steuerberater Gerd Rose hat Steuerbürgern wiederholt empfohlen, sich zum Steuerberater zu begeben, da sie sonst Gefahr liefen, höhere Steuern als die geschuldeten – Rose nennt sie „Dummensteuern“ – zu bezahlen. Es gibt freilich auch Steuerbürger, die beim Steuerberater waren, ihn aber wieder verlassen haben, nachdem sie erfahren hatten, 58
Der Gegenwartszustand
dass für sie „mit Steuervergünstigungen nichts drin“ sei und im Übrigen das Gesetz korrekt angewendet werden müsse, alle zu versteuernden Einkünfte erfasst werden müssten. Unter solchen Umständen wollen gewisse Steuerbürger dann doch lieber wieder ihre Steuererklärung ohne Gesetz abgeben. Das ist die Dummheit, die sich als Klugheit auswirkt. Nirgends steht geschrieben, dass Steuerbürger Steuergesetze besitzen oder einsehen müssen. Warum auch, wenn sie sie doch nicht verstehen? Alle Steuerlaien – sie alle sind eben auch Wähler – zum Steuerberater zu zwingen, wagen die Steuerpolitiker aber nicht; sie fürchten den gesammelten Unmut aller Steuerlaien und nehmen lieber in Kauf, dass die Laien falsche Steuererklärungen abgeben. Wenn schon die Fehlerquote vieler Finanzämter über 50 v. H. liegt – was kann man von Steuerlaien erwarten? Die Steuerbürger würden sicher milder gestimmt, wenn sie die Steuerberatungskosten voll von der Einkommensteuerschuld abziehen dürften. Statt dessen wollen unsere Steuerpolitiker auch den Abzug von Steuerberatungskosten von der Bemessungsgrundlage abschaffen. Je größer und verworrener die steuerliche Stoffmasse ist, desto schwieriger ist es auch für Steuerbeamte und Steuerberater, für Steuerrichter und Steuerlehrer, sich den Stoff anzueignen. Niemand ist mehr in der Lage, alle Steuergesetze samt Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften, Gerichtsurteile und Fachliteratur zu überblicken, geschweige denn zu kennen oder zu beherrschen.77 Wenn das schon für Fachleute der Steuerrechtsanwendung gilt, um wie viel mehr ist das für Steuerpolitiker anzunehmen, die nur während eines Bruchteils ihrer Zeit mit der Steuergesetzgebung befasst sind? Die Fülle der Vorschriften und die prinzipienlose Änderungshäufigkeit lassen eine sichere Stoffaneignung nur noch für Spezialgebiete zu. Spezialisierung ist aber in Finanzämtern und in kleinen oder mittleren Steuerberatungsbüros nur sehr eingeschränkt möglich. Im Übrigen wird durch die Spezialisierung der Rechtsanwender das Steuerrecht auch nicht gerechter und übersichtlicher. Allgemein gilt: Je anwendungskomplizierter die Steuergesetze sind, desto größer muss der sog. Rechtsstab – bestehend aus Steuerberatern, Steuerbeamten, Steuerrichtern – sein. Er lebt von der Anwendung der Steuergesetze, ohne dass sich durch seine Tätigkeit das Volksvermögen erhöht. Auch wer sich berufsmäßig mit dem Steuerrecht und seinen Nebengebieten befasst, kann als einzelner nicht alles lesen, was darüber publiziert wird. Täten Steuerberater es doch, so könnten sie niemanden mehr beraten; täten Steuerbeamte es doch, so hätten sie keine Zeit mehr für die Veranlagungsarbeit. Steuerprofessoren könnten keine Vorlesungen mehr halten. Selbst zum Schlafen bliebe kaum Zeit.
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Von Steuerberatern wird gern angenommen, sie seien die Profiteure des überkomplizierten Steuerrechts und daher die Befürworter des bestehenden Zustandes. Die Steuerberater haben diese Annahme wiederholt nachdrücklich zurückgewiesen. Jürgen Pinne, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes, äußerst sich dazu so: Steuerberatern werde nicht selten vorgeworfen, sie seien aus eigenwirtschaftlichen Gründen daran interessiert, dass das Steuerrecht nicht für jeden begreifbar und handhabbar sei. Diesem Vorwurf lasse sich mit Fakten entgegentreten. Ein Steuerrecht, das auf Grund seiner Komplexität und Unübersichtlichkeit nicht mehr anwendbar sei, helfe niemandem, auch nicht dem Berufsstand der Steuerberater. Ein steuerlicher Berater könne auf Grund einer sich ständig ändernden und ausufernden Gesetzesgrundlage kaum noch sachgerecht beraten. „Steuerberater treten daher seit Jahren für ein Steuerrecht ein, das berechenbar und in seinen Auswirkungen systematisch auf die übrige Rechtsordnung abgestimmt ist.“78 Als „Führer durch den Steuerdschungel“ befinden Steuerberater sich in einer zwiespältigen Lage. Es versteht sich, dass Steuerberater vor ihren Mandanten nicht gern zugeben, dass sie selbst auch den Überblick über das Steuerrecht verloren haben, sondern sich lieber als zuverlässige Führer durch den Steuerdschungel gerieren. Auf der einen Seite drohen Haftpflichtansprüche von Mandanten, auf der anderen Seite muss mit einem Eingreifen der Strafsachenstelle des Finanzamts oder der Staatsanwaltschaft gerechnet werden. Für Steuerberater sollte das Bundesfinanzministerium klarstellen: Was muss ein Steuerberater wissen? Muss er auch Verwaltungsvorschriften kennen, wenn ja: welche? Es gibt Kommentatoren des Steuerstrafrechts, die die Kenntnis gewisser Verwaltungsvorschriften verlangen, obwohl diese nicht für Steuerberater bestimmt sind. Welche Urteile der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit müssen Steuerberater kennen, alle? Die Grenzen des Zumutbaren sind längst erreicht, und zwar nicht nur für Steuerberater. Steuerbeamte und Steuerrichter haben vor Steuerberatern allerdings den Vorteil, dass von ihnen niemand erwartet, sie sollten die Gesetze auf Steuersparmöglichkeiten hin absuchen. Da der Staat nicht bereit ist, so viele Steuerbeamte zu beschäftigen, dass die unnötig komplizierten Steuergesetze gleichmäßig vollzogen werden können, die Finanzämter noch nicht einmal die nötige Fachliteratur anschaffen können, bleibt die Kontrolle der Steuererklärungen durch die Finanzämter mehr oder weniger weit hinter dem Kontrollbedürfnis zurück. Das führt zu Ungleichbelastung. Auf die Beamten in den Finanzämtern als örtlichen Behörden regnet ständig eine Flut von spezialisti60
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schen Verwaltungsvorschriften der Finanzministerien und Oberfinanzdirektionen herab. Sie sollen den Veranlagungsbeamten die Arbeit erleichtern und zu gleichmäßiger Besteuerung beitragen. Die Masse der Verwaltungsvorschriften und des sonstigen Informationsmaterials (Urteile, Literatur) kann von den überlasteten Veranlagungsbeamten aber nicht wirklich verarbeitet werden, schon gar nicht innerhalb der Dienstzeit. Die Veranlagungsbeamten müssen die Steuererklärungen eines Jahres notgedrungen innerhalb eines Jahres erledigen, da sonst ein Stau entstehen würde, zugleich ein finanzieller Staatsnotstand. Zur Erledigung aller Veranlagungen innerhalb eines Jahres sind die Beamten aber schon seit Jahren nur noch in der Lage, wenn sie viele Steuererklärungen nur abschreiben (im Jargon: „durchwinken“) und wenn sie im Übrigen davon absehen, in die Feinheiten des komplizierten Gesetzes einzusteigen.79 J. Jenetzky hat schon 1982 die „Misere der Steuerverwaltung“ eindrucksvoll beschrieben.80 Danach schafft die „Besteuerungsfront“ sich ein „Quasi-Recht“. Sie verzichtet notgedrungen auf Sachaufklärung auch in Fällen, in denen diese an sich geboten wäre. Das komplizierte Gesetz werde auf das Anwendbare, d. h. auf das dem Arbeitsanfall angemessene Maß, verkürzt. Bestimmte komplizierte Rechtsvorschriften würden allgemein nicht angewendet, die Anwendung anderer Vorschriften am Fiskalzweck orientiert oder arbeitserleichternd zurecht gemacht, bald zulasten, bald zugunsten der Steuerpflichtigen.81 Auch die Oberfinanzpräsidenten haben 1993 die notgedrungene ungleichmäßige Durchführung der Steuergesetze beklagt.82 Dass unter solchen Umständen in erheblichem Umfang Steuern verkürzt werden, ist nicht verwunderlich. „Aus Staatsnotwehr“ beschließt der Gesetzgeber gelegentlich eine Steueramnestie. Durch sie werden – m. E. verfassungswidrig – die Steuerunehrlichen besser gestellt als die Steuerehrlichen. Die Steuerehrlichen sind die Dummen. Die Steuermoral wird dadurch nicht gehoben. Kann man es den bisher Dummen verdenken, wenn sie an der nächsten vorteilhaften Amnestie auch teilnehmen möchten? Da nicht heute dies und morgen das Recht sein kann, dringt ein sich ständig ändernder Gesetzesinhalt nicht in das Bewusstsein der Bürger ein, das Rechtsbewusstsein schwindet. Wenn den Gesetzen keine Besteuerungsmoral zugrunde liegt, sind erfahrungsgemäß auch die steuer-moralischen Reserven der meisten Bürger früher oder später erschöpft.83 Wird den bisher Steuerehrlichen bewusst, dass sie die Dummen sind, weil andere folgenlos gegen die Regeln verstoßen, so befolgen sie früher oder später die Regeln auch nicht mehr. 61
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„Deutschland hält einen einsamen Weltrekord der Steuerprozesse.“84 R. von Groll spricht von „notstandsähnlichen Vorbedingungen für die Gerichte.“84a Obwohl den Steuerpolitikern dieser Zustand bekannt ist, er von ihnen auch nicht mehr bestritten wird, ist es ihnen bis heute nicht gelungen, eine Reform zustande zu bringen, die den miserablen Zustand deutlich verbessert. Das mag auch damit zusammenhängen, dass eine offene oder heimliche Steuerrevolte nicht zu erwarten ist. In der Bevölkerung ist keine Stimmung zu spüren, die den Gesetzgeber unter Reformdruck setzen könnte. Eher sind Gleichgültigkeit, Passivität und Desinteresse vorherrschend. Fast jeder versucht für sich, irgendwie durchzukommen. Die verunstaltete Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage scheint nur einer Minderheit zu missfallen, weil die Mehrheit der Steuerlaien sie auch nicht wirklich zur Kenntnis nimmt und die unrichtigen Steuererklärungen der Laien weitgehend hingenommen werden. Den Steuerpolitikern sollte aber auch zu denken geben, dass die Umsetzung der Steuergesetze in ihrem jetzigen Zustand zu einer nicht tragbaren Verschwendung von Ressourcen führt, weil ein extrem großer Rechtsstab eingesetzt werden muss. Der Beamten- und Richterstab muss nicht nur besoldet, sondern später auch mit Pensionen versorgt werden. Und Steuerberatung ist auch nicht umsonst zu haben. So könnte ein Zwang zur Umkehr, zur Reform am Ende weniger von der Besinnung auf Steuergerechtigkeit (soweit nicht mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt) und Steuervereinfachung als mehr vom notleidenden Haushalt ausgehen. Das exzessiv kostspielige „Traumschiff Sozialstaat“ ist an seiner schließlichen Unfinanzierbarkeit gescheitert. Sozialstaatsamariter wollten jeden Ungebetenen, Kulturfremden, Mühseligen und Beladenen aus der näheren und ferneren Welt in unser Sozialsystem einladen. Mit der Begründung: „Wir sind ein reiches Land“ wurden die Kassen der öffentlichen Hand geplündert. Jetzt sind sie leer, und es muss gespart werden. Auch durch ein einfacheres Steuerrecht könnte viel eingespart werden.
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D. Die Verursacher des miserablen Zustands des Steuerrechts „Steuern auferlegen und zugleich Vergnügen zu bereiten, ist dem Menschen ebenso wenig möglich wie verliebt und zugleich weise zu sein.“ Edmund Burke, On American Taxation, 1774
Vorbemerkung Die schonungslose, nicht schönfärbende Beschreibung des miserablen Gegenwartszustandes des Einkommensteuergesetzes reicht zur Abhilfe nicht aus. Es müssen möglichst auch die Ursachen aufgedeckt werden, die diesen Zustand bewirkt haben. Selbst wenn eine gewisse Reform gelingen sollte: sie wäre bald wieder verschüttet, wenn sich an den Ursachen nichts ändern würde. In den USA bereitet im Auftrage von Präsident G. W. Bush zurzeit ein Advisory Panel eine Federal Tax Reform vor. Der Ausschuss stellt fest: „Since the last major reform effort in 1986, there have been more than 14.000 changes to the tax code, many adding special provisions and targeted tax benefits, some of which expire after only a few years. These myriad changes decrease the stability, consistency and transparency of our current tax system while making it drastically more complicated, unfair, and economically wasteful. Today our tax system falls well short of the expectations of Americans that revenues needed for government should be raised in a manner that is simple, efficient and „fair“ (www.taxreformpan.gov). Der Ausschuss hat aber nicht die Ursachen untersucht, die zu dem festgestellten Zustand geführt haben. Unterstellt, es würde in 2006 oder 2008 eine Reform wie in 1986 gelingen. Dann würde ohne Änderung der Ursachen das reformed tax system in 2028 wiederum durch 14.000 Änderungen verschüttet worden sein. Man muss doch fragen: Wer hat denn die 14.000 Änderungen veranlasst? – Wir gehen hier daher zunächst der Frage nach den Verursachern des deutschen Steuerwirrwarrs nach. Für viele mag das allerdings schon eine Tabufrage sein.
Napoleon soll als Gefangener der Engländer auf St. Helena, sein Leben überdenkend, geäußert haben: „Mein wahrer Ruhm besteht nicht darin, dass ich 40 Schlachten gewonnen habe … Was durch nichts ausgelöscht werden kann, was ewig leben wird, das ist mein Zivilgesetzbuch.“84b, als Code Napoleon bezeichnet. Abgesehen davon, dass der Code Napoléon auch nicht für die Ewigkeit ist: Die Spitzenpolitiker der parlamentarischen Demokratien haben zwar wiederholt Jahrhundert-Steuerreformen 63
Die Verursacher des miserablen Zustands
angekündigt, aber sie haben sie bisher nie realisieren können. Sie haben auch nicht – wie des öfteren Napoleon – an den Sitzungen der Gesetzgebungskommissionen persönlich teilgenommen. Als Plädoyer für den Bonapartismus ist diese Anmerkung allerdings nicht zu verstehen.
I. Die Steuerpolitiker 1. Die Steuerpolitiker und ihre Wählerabhängigkeit Gewisse Schlüsse auf die Verursacher des beschriebenen miserablen Zustands des Steuerrechts lassen sich schon aus der Darstellung des Scheiterns der Einkommensteuer-Reformen ziehen (s. S. 22 ff.). Es empfiehlt sich aber, die Frage nach den Verursachern noch weiter zu beleuchten und zu klären. Von Verschulden sprechen wir hier bewusst nicht; denn das Verhalten der Politiker und ihrer Wähler, der Interessenverbände, der Medien, der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums, des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, der Opposition und des Bundesrates85 kann im politischen und verfassungsrechtlichen System angelegt sein. Das gilt allerdings nicht von den unabhängigen oder unabhängig sein sollenden Steuerwissenschaften: Dass sie während des Scheiterns der Reformen den Reformprozess beherrscht hätten, wird indessen wohl niemand behaupten wollen. Da der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt (Art. 65 GG), gilt das auch für die Steuerpolitik. Es gilt auch für Steuerreformen, denn Steuerreformgesetze sind – wie alle Steuergesetze – geronnene Steuerpolitik. Der Bundeskanzler kann durch Richtlinien auch in den Geschäftsbereich des Finanzministers hineinwirken86. In der Bundesrepublik Deutschland hat es allerdings bisher keinen Bundeskanzler gegeben, der durch besondere Kompetenz und besonderes Engagement in Steuerreformsachen aufgefallen wäre. Über großsprecherische Ankündigungen und Leerformeln wie „Der Bundeskanzler ist für eine gerechte, Wachstum und Beschäftigung fördernde Steuerpolitik; er steht voll hinter dem Finanzminister“ o. ä., ist man nicht hinaus gekommen. Als hauptverantwortlich für die Steuerreformen haben sich denn auch immer die Bundesfinanzminister angesehen. Von F. J. Strauß (1966–1969) über Alex Möller, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Hans Apel 87, Hans Matthöfer, Manfred Lahnstein bis zu Gerhard Stoltenberg (1982–1989) war kein Finanzminister ein sich für eine systematische Steuerrechtsreform interessierender Jurist. Dasselbe trifft auf die Finanzminister Oskar Lafontaine und Hans Eichel zu. Aber auch der Jurist Theo Waigel 64
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ist nicht als erfolgreicher Reformer in die Steuergeschichte eingegangen. Nun hat es ein Finanzminister allerdings durchaus nicht nur mit der Pflege des Steuerrechts zu tun, und ein Nichtjurist kann für die Gesamtleitung des Ministeriums bessere Voraussetzungen mitbringen als ein Jurist. Brigitte Knobbe-Keuk meinte: „Dass die Verantwortung für den Haushalt und diejenige für die Pflege des Steuerrechts als einer Rechtsmaterie politisch und organisatorisch nicht getrennt sind, beide zusammen im Bundesfinanzministerium erledigt werden, ist eine der wesentlichen Ursachen für die fortschreitende Verdrängung von Systematik im Steuerrecht.“88 Immerhin sind den Ministern zur Entlastung Parlamentarische Staatssekretäre89 beigegeben. Abgesehen von Kurt Faltlhauser war kein Parlamentarischer Staatssekretär vor seinem Einsatz durch besondere Steuerreformkompetenz aufgefallen. Keiner von ihnen war Rechtssystematiker geschweige denn Steuerrechtssystematiker. Keiner von ihnen hat ein geschlossenes Konzept einer systematischen Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage vorgelegt. Mit ihrem Ausscheiden aus dem Amt waren sie – Kurt Faltlhauser ist auch insoweit eine Ausnahme – bald vergessen. Es ist eben ein Unterschied, ob als parlamentarische Staatssekretäre besonders kompetente oder um die Partei besonders Verdiente berufen werden. Für Politiker ist Steuerpolitik an Wahlen und Wählern orientierte Interessenpolitik. Politiker im Allgemeinen und Steuerpolitiker im Besonderen wissen, dass die Mehrheit der stimmberechtigten Bürger von der Einkommensteuer betroffen ist und dass die Steuerpolitik den Ausgang von Wahlen beeinflussen kann (wenngleich bei Wahlen auch andere Politikfelder eine mehr oder weniger große Rolle spielen). Daher orientieren sie sich mit ihren Maßnahmen hauptsächlich an deren vermeintlichen Auswirkungen auf die Wählerklientel. So wie nämlich Unternehmer auf Gewinne, Ballsportler auf Tore, die Medien auf Auflagen oder Einschaltquoten angewiesen sind, hängen Politiker, die Macht ausüben wollen, von Wahlergebnissen ab, von Stimmenmehrheiten. Daher werden Parteiprogramme und -manifeste, Koalitionsvereinbarungen und Wahlkampfaktionen an der vermeintlichen Wählerwirkung orientiert. Von den Politikern zu verlangen, sie sollten „mutig über den Tellerrand der nächsten Wahlen hinausschauen“, „nicht feige vor den Wählern sein“, den Wählern die reine Wahrheit sagen und nur langfristig das Gemeinwohl im Auge haben, heißt: sie sollten ohne Rücksicht auf die kraft Fiktion als „unfehlbar“ geltenden Wähler handeln. Als der Jurist Adlai Stevenson zum zweiten Mal für das Amt des Präsidenten der USA kandidierte, versuchte ein Freund ihm Mut zu machen mit der Bemerkung: „Alle intelligenten Wähler werden jedenfalls für dich votieren.“ Stevenson erwiderte: „Mir wäre es lieber, wenn die Mehrheit das täte.“90 65
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Vor Wahlen regiert daher im Allgemeinen die Taktik. Was erhöht, was vermindert die Wahlchancen? Wer z. B. die Steuern für nichtbuchführende Landwirte, Nachtarbeiter, Pendler, Hauseigentümer, Eheleute erhöhen will, wer die Umsatzsteuer anheben will, und das vor der Wahl offen ankündigt, muss mit Stimmeneinbußen rechnen, vielleicht sogar mit dem Verlust der Wahl. Ein Politiker ohne Wählermehrheit, ein ungewählter Politiker kann aber wenig ausrichten. Zur Sicherung der Mehrheitsfähigkeit wird vor allem vor Wahlen kurzfristig auf gegenwärtige Wählerwünsche reagiert. So kommt es ständig zu Gesetzesändereien – ohne Rücksicht auf Stimmigkeit, Klarheit und Widerspruchslosigkeit. Zur Erringung der Wählergunst hat jeder Wahlkampf zur Folge, dass die Staatsschulden unverantwortlich anwachsen. Politiker, die ohne Rücksicht auf die Wähler handeln, die die Wahlniederlage nicht scheuen, auf das politische Überleben pfeifen, ist ihre Haltung hoch anzurechnen. Sie sind aber eher Ausnahmen91 und unterliegen durchweg im politischen Wettbewerb. Abgesehen davon, dass vielen Steuerpolitikern nicht bewusst ist, dass Steuerpolitik Steuerrechtspolitik (s.S.94ff.) sein muss, lassen sie sich durchweg mehr vom politischen Beifall oder von politischer Kritik als von Beifall oder Kritik von Rechtstheoretikern beeinflussen. Sie pflegen Zeitungen bis hin zu Boulevardblättern zu lesen, kaum aber Fachzeitschriften. Alles das ist verständlich. Das Umfeld, in dem die Politiker tätig sind, begünstigt die Autosuggestion, dass mit der politischen Macht auch die Fachkompetenz wachse. Wenn aber schon Fachkräfte, die sich ständig mit der Steuergesetzgebung befassen, diese nicht mehr überblicken können, wie sollten Politiker dazu in der Lage sein? Der Steuerpolitiker muss nicht nur den Schlagabtausch mit dem politischen Gegner bestehen, sondern sich auch – innerparteilich – mit den Politikern anderer Parteiflügel auseinandersetzen. Auch innerhalb einer Parteienkoalition (mit unterschiedlicher Wählerklientel) und innerhalb großer Parteien (mit ihren Parteiflügeln) pflegen die Meinungen darüber, wie man am besten Wähler für sich einnimmt, auseinander zu gehen. Da die große Mehrheit der Wähler möglichst wenig Steuern zahlen möchte, bietet es sich an, den Steuertarif – den Eingangssteuersatz, den Spitzensteuersatz und den Tarifverlauf – so zurechtzustutzen, dass er möglichst wenig Wähler verärgert. Auch Wähler, die ihre eigene Tarifbelastung akzeptieren, können darüber verärgert werden, dass „Großverdiener“ ihrer Meinung nach zu wenig belastet werden. Die meisten Wähler interessieren sich erfahrungsgemäß eher für die Tarifbelastung als für Einzelheiten der komplizierten Steuerbemessungsgrundlage, sie 66
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betreffende Befreiungen und Freibeträge ausgenommen. Daher versuchen Steuerpolitiker als Steuerreformer die Aufmerksamkeit auf den Tarif zu ziehen, ihn in den Vordergrund zu stellen und Tarifsenkungen zu versprechen, die verworrene, lückenhafte Steuerbemessungsgrundlage aber – wiederum möglichst wählerwirksam – bar allen Prinzipiendenkens für Gegenfinanzierungszwecke zu benutzen sowie bei Widerstand vor dem Abbau von Vergünstigungen zurückzuschrecken. Gehen die Meinungen führender Politiker einer Partei oder einer Parteienkoalition auseinander, so können aus Sachfragen auch persönliche Machtfragen werden. Steuerpolitiker sind an sich weder steuerwissenschaftsfeindlich noch einem Abbau von Steuervergünstigungen abgeneigt. Wenn ihre Politik so wirkt, so allein deshalb, weil prinzipien-orientierte Vorschläge aus der Wissenschaft und die Beseitigung von Steuervergünstigungen eben den – vielleicht wahlentscheidenden – Verlust von Wählerstimmen befürchten lassen, daher als „steuerpolitisch nicht machbar“ gelten. Da zu viele nur auf Wahlerfolge bedachte Politiker sich über Jahrzehnte zur Erfüllung von Wählerwünschen als Volksbeglücker geriert haben, fehlt den Konsum- und Freizeitverwöhnten jetzt das Verständnis für einen Verzicht auf Wohltaten, für den Abbau von Steuervergünstigungen, für Besitzstandseinschränkungen, für das Ende des exzessiven Wohlfahrtsstaates. Vor dem 16. Deutschen Steuerberatertag äußerte Finanzminister Theo Waigel sarkastisch: „Ein vollständig gerechtes Steuersystem hätten wir nur dann, wenn jeder das zahlt, was er selbst als gerechten Beitrag für die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben ansieht. Von dem, was in einem solchen System an Finanzmasse zusammenkommt, könnten wir drei Kilometer Autobahn und 1.000 Sozialhilfefälle finanzieren.“92
Allzu viele Wähler halten in der Tat die Steuern für gerecht, die nicht sie selbst, sondern andere zahlen sollen, z.B. eine Vermögensteuer, eine „Reichensteuer“. Gerechtigkeitsvorstellung und Eigeninteresse fallen weithin zusammen. Je niedriger eine Steuer ist, desto gerechter erscheint sie vielen. Geht es um Steuerreformen, pflegen die Wähler zu fragen: „Was ist für mich drin? Habe ich mehr oder weniger zu zahlen?“ Steuerlaien haben vom Steuerrecht wenig Ahnung, sie haben bei der Wahl aber eine Stimme. Auf die Frage, ob das deutsche Steuerrecht gerecht sei, würde die große Mehrheit der Einkommensbezieher wohl mit „nein“ antworten, aber nicht angeben können, was im Einzelnen ungerecht ist und wie sie sich ein gerechtes Steuerrecht vorstellen. Obwohl Wählerbeschimpfung durch Politiker als ungehörig gilt: Auch Wähler sind keine unfehlbare Instanz. Ihre Entscheidung kann durchaus kritikwürdig sein. 67
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Für das, was er nicht versteht, ist der Durchschnittswähler in der Regel nicht empfänglich, auch nicht für die ausführliche Darstellung einer komplizierten Materie. Die Wählermassen gewinnt man nicht dadurch, dass man ihnen, die überwiegend anspruchslose Unterhaltung vorziehen, System und Prinzipien des Steuerrechts näher zu bringen versucht, sondern indem man auf Begehrlichkeiten, auf Stimmungen und Gefühle, auf Vorlieben und Abneigungen der Wähler reagiert. Nicht, wer entsprechend dem komplizierten Steuerrecht kompliziert redet, kommt an, sondern wer als großer Vereinfacher anspruchslose Kost bietet. Aber auch er kommt nicht bei allen an. Das Großvermögen der Familie v. Thurn und Taxis kommt als Beweis dafür in Betracht, dass die Vermögensteuer wieder eingeführt werden müsse. Die Situation der sich aufopfernden, gestressten Nachtschwester demonstriert, wieviel „soziale Kälte“ dazu gehöre, die Steuerfreiheit der Sonntags- und Nachtarbeitszuschläge abzuschaffen. Einfache Parolen sind wirkungsvoller als gelehrte Vorlesungen. Wer die Wahlberechtigten in mündige und unmündige Wähler einteilt, trifft nicht nur eine wahlrechtlich unerhebliche Entscheidung; seine Abgrenzung wird auch mehr oder minder subjektiv sein – bis hin zu der Feststellung: „Mündig sind die Wähler, die mich wählen; unmündig sind die Wähler, die andere wählen.“ Sind Parteitagsdelegierte mündig, die einem demagogisch talentierten Parteigranden ohne Rücksicht auf den Inhalt seiner Rede frenetisch zujubeln? Wer vom Bierdeckel hört, wird den Stammtisch assoziieren. Ist der sogenannte „deutsche Stammtisch“ wahlmündig, wenn er sich durch eine „Bierdeckel-Steuererklärungs“-Rede politisch vereinnahmen lässt? Ein probates Mittel sind leerformelhafte Kurzbotschaften, die mehr das Gefühl als den Verstand ansprechen, die die Stimmung beeinflussen, sind kurze, gestanzte, einprägsame Formeln, die sich auf das Niveau des Durchschnittswählers einstellen, z.B. so: – Wir wollen ein modernes, einsichtiges und gerechtes Steuerrecht schaffen. – Wir verringern die Steuerbelastung durch ein leistungsfreundliches, sozial gerechtes und übersichtliches Steuerrecht. – Wir wollen ein zukunftsorientiertes, marktwirtschaftliches, bürgerfreundliches Steuerrecht. – Wir wollen leistungsgerechte Steuersätze, ein einfaches und transparentes Steuersystem. – Wir wollen eine maßvolle, gerechte und transparente Besteuerung, durch die Investitionsbereitschaft und Leistungswille wieder gestärkt werden. 68
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– Wir wollen ein Steuerrecht, durch das der Leistungswille der Bürger und die Investitionskraft der Wirtschaft gestärkt werden. – Wir wollen zum Nutzen aller ein wachstums- und beschäftigungsorientiertes Steuerrecht. – Wir wollen weniger Staat, weniger Bürokratie und weniger Steuern. Wir wollen Steuersenkung für alle. Wir sind die Steuersenkungspartei. – Steuervereinfachung und Steuerentlastung sind unsere Grundsätze für Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit der Besteuerung. – Nur ein einfaches Steuersystem ist ein gerechtes Steuersystem. – Mit uns und weniger Steuern zum Wachstumsschub. – Wer weniger Steuern zahlen will, wählt uns, wer mehr Steuern zahlen will, wählt die anderen. – Wir wollen ein sozial ausgewogenes, bürgernahes Steuerrecht mit Augenmaß und Verantwortung. – Wir wollen die Steuerlast gleichmäßig auf die Schultern der Einkommensbezieher verteilen. Dabei sollen die starken Schultern eine höhere Last tragen als die schwächeren. – Wir sind gegen Grundrechtsabbau und soziale Demontage im Steuerrecht. – Wir wollen Solidarität und Stabilität der Bundesfinanzen. Gesunde Finanzen für einen gesunden Staat. – Unsere Steuerreform: Sozial gerecht, umweltfreundlich, basisdemokratisch. – Wir sind die Partei der praktischen Vernunft und der sozialen Wärme. Besonders kurz, aber sehr einprägsam sind sog. Dreimaster, wie Glaube, Hoffnung, Liebe; Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität; Gott, Vaterland, Familie; Friede, Freude, Eierkuchen; Arbeit, Soziales, Familie; Einfach, niedrig, gerecht; Equity, Simplicity, Efficiency. Wenn alles, was in den letzten 50 Jahren in kernigen Sprüchen, in einprägsamen Einzeilern oder Lösungen schon versprochen oder proklamiert worden ist, verwirklicht worden wäre, müsste das Steuerrecht längst ein Meisterwerk der Gerechtigkeit, der Übersichtlichkeit und Einsichtigkeit, der Einfachheit und Verständlichkeit sein. Die Wirtschaft müsste enorm gewachsen sein, die Arbeitslosigkeit gegen Null tendieren. Immerhin, die Parteien behaupten in ihren holzschnittartigen Floskeln nicht, sie hätten bereits ein gerechtes, einfaches, übersichtliches, verstehbares, verständliches Steuerrecht geschaffen. Sie hätten bereits mit Hilfe des Steuerrechts 69
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ein enormes Wirtschaftswachstum erzielt und die Arbeitslosigkeit fast beseitigt. Was die Parolen entwertet, ist die Tatsache, dass sie seit mehr als 50 Jahren wiederholt werden, ohne dass das Gewollte jemals auch nur annähernd verwirklicht worden wäre. Von manchen Zielen hat man sich eher weiter entfernt. Aber in der kommenden Legislaturperiode will man alles zum Besseren wenden, mit Wortinnovationen jedenfalls: „Neue soziale Marktwirtschaft“, „Neue Gerechtigkeit“, „Neues Vertrauen in die Liebe Gottes“, etc. Von Parteikritikern wird beanstandet, die meisten Plakatstil-Willensbekundungen seien so allgemein zugespitzt, dass wohl kaum eine Partei die Aussagen ins Gegenteil verkehren würde, wie „Wir wollen ein sozial unausgewogenes, bürgerfernes Steuerrecht ohne Augenmaß und Verantwortung“; „Wir sind für Grundrechtsabbau und soziale Demontage im Steuerrecht“; „Wir sind für ungesunde Finanzen in einem ungesunden Staat“; „Wer mehr Steuern zahlen will, wählt uns, wer weniger Steuern zahlen will, wählt die anderen“; „Wir wollen mehr Staat, mehr Bürokratie und mehr Steuern. Wir wollen mehr Steuern für alle. Wir sind die Steuererhöhungspartei.“ Sicher werden wir derartige Parolen niemals lesen. Nur, die zugespitzte Kernbotschaft wird – nicht nur für Wahlplakate – deshalb bevorzugt, weil man sich durch Konkretisierungen vor der Wahl in die Schusslinie des Gegners begibt und dem öffentlichen Angriff aussetzt. Insbesondere Politiker, die den „rückhaltlosen“, „rücksichtslosen“ Abbau der Steuervergünstigungen angekündigt hatten, haben das bald bereut. Aus Angst vor dem Verlust von Wählerstimmen oder gar den Verlust von Wahlen ist man noch nicht weitergekommen als bis zum „überparteilichen“ Vorschlag eines CDU- und eines SPD-Politikers, die Rasenmähermethode anzuwenden: Nach ihr sollen alle Steuervergünstigungen – ob gerechtfertigt oder nicht, ob sinnvoll oder nicht – in gleicher Weise ein wenig geschoren werden, wenn „politisch machbar“, auch mehrfach.93 Einprägsame, sogar schrille Schlagzeilen lassen sich auch von den Medien bequem verwerten. Die Frage, in welchem Verhältnis Steuergerechtigkeit und Steuergleichheit, Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung zueinander stehen, bewegt den Durchschnittswähler nicht, allenfalls die intelligenten Wechselwähler. Im Plenum des Bundestages geht es, zumal wenn das Fernsehen anwesend ist, nicht darum, den politischen Gegner umzustimmen, sondern die Wähler am Bildschirm zu beeindrucken – in der Regel mehr durch Agitation als durch Information. Kurze gerechtigkeitsrhetorische Einflechtungen sind als Beiwerk oder Tünche allerdings nicht schädlich. Nur abstrakt – so wird von Politkern zu Recht beklagt – seien die deutschen Bürger reformbereit. Ihre Bereitschaft nehme aber rapide ab, wenn die 70
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Reformpläne konkretisiert würden. Dann meldeten sich die nachteilig Betroffenen mit einem: „Reform grundsätzlich ja, aber nicht jetzt, nicht so und grundsätzlich nicht zu meinen Lasten.“ Ein probates, für wählerwirksam gehaltenes Mittel ist die Herabsetzung des Gegners. Während Wissenschaftler mit Konkurrenten im Allgemeinen rücksichtsvoll umzugehen pflegen, bedienen wahlkämpfende Politiker sich nur zu oft ruppiger, rabiater Polemik: In der eigenen Partei ist die gesamte politische Weisheit versammelt, beim Gegner hingegen die politische Niedertracht, Torheit, Unvernunft und Einfalt. Nur das Maß an Grobheiten des Philosophen Arthur Schopenhauer erreichen unsere Politiker nicht. Schopenhauer nannte de Universitäts- oder Kathederphilosophen seiner Zeit (zu denen er selbst nicht gehörte), vor allem Hegel, Fichte und Schelling, „armselige Skribler, die mit pretiöser Dunkelheit schreiben“, „faselnde Plattköpfe“, „entschiedenste Schafsköpfe“, „erbärmliche Wichte und Windbeutel“, „Kopfverderber“. Ihre Philosophie wertete er ab als „Afterweisheit“, „philosophische Hanswurstiade“, „hohlsten, sinnleersten Wortkram, an welchem nur Strohköpfe ihr Genüge haben“, „Geträtsche geistloser, abgeschmackter Philosophaster“, „widerwärtigsten und unsinnigsten Galimathias, an Deliramente der Tollhäuser erinnernd.“ Die Anhänger seiner Konkurrenten waren für ihn „geistige Söldner und Gimpel“, „armselige Pinsel“. Von Schopenhauer könnte selbst der bayerische SPD-Landesvorsitzende Ludwig Stiegler noch etwas lernen, obwohl bei ihm bis zur großen Koalition mit der Union dauernd der verbale Ausnahmezustand herrschte, rhetorischer Aschermittwoch. Vor Jahren gegründete Bürgerkonvente und Bürgerinitiativen sind bemüht, den Reformstau aufzulösen, indem sie das „Wollen der Bürger bündeln und ihm Geltung verschaffen“ wollen. Vielleicht ist das bisher deshalb nicht gelungen, weil bei ihnen falsche Vorstellungen über das Wollen von Durchschnittswählern bestehen. Ohne engagierte Bürger läuft jede Bürgerinitiative ins Leere. Die Liebhaber der „Spaßgesellschaft“ kann man ohnehin vergessen. Was fehlt, sind Bürgerbefragungen, die aufhellen könnten, wie Bürger über Steuern und Steuertarife, über Steuervergünstigungen, Steuerverkürzungen und Steuerstrafen denken. Nichts spricht dafür, dass alle Wähler steuervernünftig seien, nur die Politiker nicht. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ will denn auch zunächst – mit Hilfe der Medien – bei den Wählern einen „Bewusstseinswandel“ herbeiführen (s. S. 108). Die Wählerabhängigkeit der Politiker lässt auf der politischen Bühne in den Hintergrund treten, dass die rechtsstaatliche Demokratie auch eine rechtsstaatliche Komponente hat. Die für die Gesetzgebung Verantwort71
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lichen dürfen daher nicht nur nach Wählerwirkungen fragen, sondern müssen auch für eine gerechte Verteilung der Steuerlast sorgen. Steuerpolitik, die nur auf Stimmenmaximierung aus ist, ist keine Steuerrechtspolitik (s. dazu unten S. 94 ff.). Blendet die Steuerpolitik das auf sachgerechte Prinzipien gegründete Recht aus, so wird sie zum System- und Rechtsverderber, zum Verderber der Steuerrechtsordnung. Der Rechtsstaat soll der einseitigen Sicht: „Was ist politisch machbar, was ist nicht machbar?“ Grenzen setzen. Nur, ohne die Richter, die sich an Prinzipien oder Wertungen orientieren, bleibt das wohl graue Theorie. Anderer Ansicht war wohl – jedenfalls 1984 – der damalige Leiter der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums Adalbert Uelner. Er idealisierte (jedenfalls damals) die Praxis des Parteienwettbewerbs, des Parlamentarismus und des Kompromissmus. Er negierte den rüden Modus des Parteienwettbewerbs, die Verfilzung von Politik und organisierten Interessen.94 Verständnis für das Streben der Politiker nach Wählerstimmen kann man durchaus haben. Dieses Streben muss im Rechtsstaat aber Grenzen haben; es darf „nicht vor Recht ergehen“. Auch die Frage, ob Steuervergünstigungen gerechtfertigt sind, ist eine Rechtsfrage und keine Frage politischen Beliebens. Selbst wenn verschiedene Auffassungen von Recht vertretbar sind: Es ist nicht alles relativ! Und das Erjagen von Wählerstimmen mit allen Mitteln ist oft nicht zur Deckung zu bringen mit dem gebotenen Streben nach Recht. Ohne Systematik gibt es keine Ordnung und kein Recht, keine Rechtsordnung. Eine Rechtsordnung entsteht nur, wenn man Steuerpolitik als Steuerrechtspolitik versteht und entsprechend handelt. In welch‘ miserablem Zustand der regellose Wettbewerb um Wählerstimmen unser Steuerrecht gebracht hat, ist evident (s. S. 55 ff.). Zur Reformvorbereitung setzen Finanzminister nicht selten „unabhängige Reformkommissionen“ ein. Das entlastet die Politiker mindestens zeitlich. Sie können neugierige Journalisten damit vertrösten, dass das Gutachten der Reformkommission abgewartet werden müsse. Sickern Einzelheiten über Beschlüsse der Kommission durch, so ist es erfahrungsgemäß um die ruhige Arbeit der Kommission geschehen. Entwickelt eine Kommission rechtssystematische Konzeptionen, die nach Auffassung der Steuerpolitiker „beim Wähler nicht ankommen“, so muss sie damit rechnen, dass sie für den Papierkorb gearbeitet hat. Es geht hier nur darum, die steuerpolitische Wirklichkeit darzustellen, nicht darum, die Steuerpolitiker zu verurteilen. Jeder mag sich fragen, wie er sich verhalten würde, wenn er von Wählern abhängiger Politiker wäre und der real existierende Rechtsstaat ihm kaum Grenzen setzt. 72
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2. Insbesondere: Die Politiker und ihre Abhängigkeit von organisierten Interessen Deutschland ist – wie andere Länder auch – laut Verfassung nicht nur ein demokratischer Rechtsstaat. Er ist tatsächlich auch ein gut durchorganisierter Staat der Interessenverbände. Die Interessenverbände betreiben, im heutigen Sprachgebrauch, Lobbyarbeit oder Lobbying. Dazu gehört die Kunst des Einwirkens auf den Gesetz- und Verordnungsgeber mit dem Ziel, Sonder- oder Partikularinteressen durchzusetzen. Soweit Gesetze vom europäischen Recht abhängig sind, setzt die Lobbytätigkeit schon in Brüssel ein. Dort sollen über 15.000 Lobbyisten aus Regierungen, großen Unternehmen und Interessenverbänden tätig sein.95 Selbst die Zahl von 50.000 Lobbyisten ist bereits genannt worden, aber wohl ziemlich übertrieben. In Deutschland gibt es zurzeit etwa 14.000 Verbände, insbesondere Wirtschafts- und Berufsverbände. Beim Bundestag sind etwa 1.900 Verbände und Unternehmen registriert, die auf die Politik einwirken. Auf jeden Bundestagsabgeordneten kommt ein Mehrfaches von Lobbyisten. Das dichte Lobbyistennetz wirkt nicht zuletzt an Steuergesetzen entscheidend mit. Denn den Parteien sind die Interessenverbände als Mehrheitsbeschaffer bei der Wahl willkommen. Da nur wenige Stimmenprozente über die Regierungsmacht entscheiden können, können einflussreiche, mitgliederstarke Verbände – die ihre Klientel zu Wechselwählern machen können – sich immer wieder durchsetzen. Für ihre Unterstützung erwarten die Interessenverbände Gegenleistungen oder Entgegenkommen: die Erfüllung ihrer Interessenwünsche. Nach § 47 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vom 26. 7. 2000 werden die Verbände vor den Abgeordneten mit den Gesetzen befasst. Die Abgeordneten erhalten erst die schon „verbandsfesten“ Vorlagen. Nach § 70 der Geschäftsordnung des Bundestages (GOBT) können die beim Bundestagspräsidenten registrierten Verbände zu den öffentlichen Anhörungen der Fachausschüsse geladen werden. Ihr Wirken gilt jedenfalls unter Politikern durchaus nicht als anrüchig. Auch ein Teil der Abgeordneten wirkt als Lobbyist (sog. „eingebaute Lobby“). Wie hoch dieser Anteil ist, kann nur geschätzt werden, da die Abgeordneten sich gegenüber den Wählern nicht als Lobbyisten dekuvrieren. Verbandsabhängige Abgeordnete dienen nicht dem Wohl des ganzen Volkes (wie Art. 38 I GG es verlangt); sie sind nicht unabhängige Volksvertreter, sondern Vertreter von Sonderinteressen. Lobbyisten werden Parlamentarier, und Parlamentarier, die nicht wiedergewählt werden, 73
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werden nicht selten Lobbyisten. Soll Art. 38 I GG nicht auf dem Papier stehen, so muss sichergestellt werden, dass Abgeordnete nicht von großen Unternehmen oder Interessenverbänden als Lobbyisten „gekauft“ werden. Eine freiwillige Meldung von Nebenverdiensten an den Parlamentspräsidenten reicht als Kontrolle nicht aus. Der Wähler muss wissen, ob ein Wahlkandidat „das ganze Volk vertreten“ will oder z. B. irgendein Großunternehmen. Es fehlt ein Verhaltenskodex für Abgeordnete und die wirksame Kontrolle ihres Verhaltens. Kaum ist ein Reformplan bekannt geworden, werden die betroffenen Lobbyisten aktiv. Sie schreiben, faxen oder versenden E-Mails an den Kanzler, die Fachminister und andere führende Politiker; sie wenden sich aber auch an Referatsleiter und Referenten im Ministerium; sie dinieren mit Politikern und Beamten der Fachabteilungen und starten u. U. PRKampagnen in den Medien. Sie informieren, alarmieren und aktivieren bei Bedarf ihre Klientel. Je nachdem, was Erfolg verspricht, werden mehr oder weniger vornehme Methoden eingesetzt. Der persönliche Dauerkontakt scheint besonders wirksam zu sein. Politiker und Lobbyisten lassen sich zum (vermeintlichen) gegenseitigen Nutzen fotografieren. Gerne werden Minister von Interessenverbänden auch zum Vortrag eingeladen. Es heißt dann: „Stoltenberg kommt!“, „Waigel kommt!“, „Eichel kommt“. Wenn der Minister nicht kommt, besteht die Gefahr, dass die Verbandsleitung an Ansehen verliert. Aber auch der Minister ist gegenüber starken Interessenverbänden nicht frei. Lobbyisten werden weit vor Wissenschaftlern mit Bundesverdienstkreuzen ausgestattet. Die Lobby ist Teil des Systems geworden. Man hat sie daher auch schon als 5. Gewalt bezeichnet. Regierungen vergehen, die Lobbyisten bleiben bestehen! Lobbyisten verfügen durchweg über ein üppiges Spendenkonto, und viele haben auch die Mittel, ihren Anliegen finanziell Nachdruck zu verleihen. Sie können Parteien und Politiker „bespenden“. Kein Paragraph stört die Verbindung Lobbyist – Abgeordneter. Abgeordnete dürfen zurzeit noch Geschenke, Geld, Schecks in jeder Höhe annehmen. Abgeordnete können zwar tatsächlich bestechlich sein; strafrechtlich sind sie aber nicht „bestechbar“. Wie weit Lobbyisten tatsächlich mit finanziellen Mitteln das „politische Klima“ beeinflussen, die „politische Landschaft“ pflegen, bleibt weitgehend im Dunkeln. Es kommt auch vor, dass Ministerialbeamte oder Politiker sich ihrerseits an ihnen bekannte Lobbyisten wenden und um Informationen oder Ratschläge bitten, überhaupt die Rückkopplung aus der Praxis der Interessenverbände suchen, um nicht in einem späteren Stadium des Gesetzgebungsprozesses „aufzulaufen“. So gerät der Gesetzgeber oft schon früh in das Schlepptau von Lobbyisten. 74
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Dass Lobbyisten in ihrem Tätigkeitssektor durchweg ein gediegenes Fachwissen haben, den Gesetzgeber auch vor Fehlern bewahren können, ist unbestritten. Nur pflegen sie – entsprechend ihrem Auftrag – ein durch die Interessenbrille selektiertes Fachwissen zu unterbreiten. Die Politikberatung von Lobbyisten ist eben bei allem Sachverstand interessengeneigt. Die Gerichte bestellen sie daher nicht zu unabhängigen Sachverständigen. Lobbyisten haben nicht den Auftrag, für ein gerechteres und einfacheres Steuerrecht einzutreten. Sie sind – ihre Rhetorik beiseite – nicht darauf aus, im Steuerrecht den Gleichheitssatz durchzusetzen. Lobbyisten pflegen keine Steuertheoretiker oder Steuersystematiker zu sein, die sich konsequent an sachgerechten Maßstäben orientieren und diese generalisieren oder die ein Konzept zur sachgerechten Rechtfertigung von Steuervergünstigungen vorlegen. Systematik und Konsequenz haben bei ihnen nur einen Stellenwert, soweit sie ihren Zielen entgegenkommen. Die Lobby interessiert sich durchweg nicht dafür, ob eine Gesetzesvorschrift, die ihnen wünschens- oder erhaltenswert erscheint, in die bestehende Rechtsordnung eingepasst werden kann. Die Klientel von Interessenverbänden erwartet, dass der Verband Privilegien durchsetzt oder den Besitzstand als „wohlerworbenes Recht“, als „Errungenschaft“ erhält. Daraus erwächst der Verbandsfunktionärsegoismus, der fordert, aber keine Pflichten kennt. Lobbyisten benötigen ihre Spezialbegünstigung als Erfolgsausweis. Mit der Meldung, alle Bürger würden jetzt gleichbehandelt, kann der Lobbyist seiner Klientel nicht imponieren. Auch Verbände, die sich nachdrücklich zur Marktwirtschaft bekennen, mögen nicht eingestehen, dass Steuervergünstigungen die Wettbewerbsneutralität und damit die Marktwirtschaft grundsätzlich stören. Abstrakt sprechen auch Interessenverbände sich gegen Steuervergünstigungen aus, nur darf die Vergünstigung für die eigene Klientel nicht betroffen sein. Hinter fast jedem Privileg, hinter fast jeder Steuervergünstigung steht eine Lobby, und hinter jeder Lobby stehen Wähler. Daher tut die Politik sich so schwer, sie abzubauen oder abzuschaffen. Daher gibt es noch immer Steuerprivilegien für Landwirte, gibt es noch immer die Steuerfreiheit für Sonntags- und Nachtarbeitszuschläge. Statt Steuervergünstigungen wirklich umfassend abzubauen, wählen die Politiker lieber den Weg einer überkomplizierten Mindeststeuer. Die Interessenverbände vertreten nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch Drittbetroffene, die oft wirtschaftlich stärker berührt werden als die vom Gesetz Begünstigten, so z. B. die Gastronomie (durch Abschaffung des Abzugs von Bewirtungskosten), die Autoindustrie und ihre Zulieferer. Als eine neue Form der Besteuerung der Privatnutzung von Dienstwagen eingeführt 75
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werden sollte, die bei Autopreisen von über 50.000 DM zu Mehrbelastungen führen sollte, protestierten die Hersteller von größeren Limousinen. Auf den Hinweis, die Betroffenen könnten auf kleinere Modelle umsteigen, erwiderte die Präsidentin des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie: „Schon das Einsteigermodell eines Porsche 911 koste über 140.000 DM, die Kunden dieses Hauses hätten also keinerlei Möglichkeit, auf einen preiswerteren Porsche auszuweichen.“ DIE ZEIT schrieb dazu: „Dem Fiskus ein reinrassiges Sport- und Spaßauto als Geschäftswagen unterzujubeln, mag mittlerweile gängige Praxis sein. Von der Bundesregierung aber auch noch zu verlangen, dafür ein Steuergesetz zu ändern, zeugt von besonders eigenwilliger Anspruchshaltung.“ Nach der Erfahrung des Abgeordneten D. Kleinert verstehen Lobbyisten „unter Recht, dass man etwas bekommt, und unter Unrecht, dass man etwas hergeben muss.“96 Vertreter großer Verbände ersetzen die rechtliche Argumentation gerne durch den Hinweis auf die Mitgliederzahl des Verbandes. Gewerkschaften können agieren, als ginge es im Steuerrecht um Lohntarif-Auseinandersetzungen; sie sehen schnell den sozialen Frieden gefährdet oder schlagen auf den Tisch („das ist mit uns nicht zu machen!“). Die Wirtschaftslobby sieht ständig den Standort Deutschland gefährdet und verweist auf ein Ausland, in dem die Tarifbelastung geringer sei, etwa in Neuseeland, Chile, Slowakei. Interessenverbände listen die „Gewinner“ und „Verlierer“ der Reform auf und bedienen die Presse mit Schlagzeilen. Gehört die eigene Klientel zu den Verlierern, werden die Folgen für die Gesamtwirtschaft sehr schwarz ausgemalt. Als Besitzstandswahrer können die Interessenverbände die Gesellschaft immobil machen. Zusammen mit der Opposition können sie bewirken, dass der Parlamentarismus Kreislaufstörungen bekommt; sie können nicht nur Reibungsverluste verursachen, sondern als auf Blockade der Regierung ausgehende Verhinderungsmacht die Reformbremse so stark treten, dass die Reform zu einem Reförmchen verkommt. Der Lobbyismus kann den Rechtsgedanken an der Wurzel bedrohen. Er kann zusammen mit dem Parteienegoismus die Gemeinwohlorientierung weitgehend auflösen. Die Summe der partikularen Verbandsinteressen ergibt schon deshalb nicht das Gemeinwohl, weil es zum einen ganz unterschiedlich mächtige Verbände gibt, zum anderen auch unorganisierte Interessen. Und „in der Politik“ – so Kurt Rossa – „wird das Rad, das am lautesten quietscht, zuerst geölt.“ Die Lobby ist politisch mächtig, rechtlich aber nicht allmächtig, wenn die Politiker sich an das Recht, insbesondere an die Grundrechte halten.
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Auch private Wirtschaftsforschungsinstitute können den Interessen von Verbänden dienen. Da erfahrungsgemäß der Wissenschaft eher vertraut wird als Interessenverbänden, bietet sich der Einsatz von (privaten) Forschungsinstituten für besondere Interessen an. Immer ist daher darauf zu achten, welches Institut in wessen Auftrag ein Gutachten erstattet hat. Sollte es auch der zurzeit regierenden großen Koalition nicht gelingen, die ungerechtfertigten Vergünstigungen abzuschaffen, sollte auch sie bei dem Vorschlag hängen bleiben, realpolitisch die „Rasenmähermethode“ anzuwenden, so stünde fest: Im herrschenden System ist die Lobby leider auch stärker als die Regierung der großen Koalition. Die „Rasenmähermethode“ befreit die Politik nicht aus den Fesseln der organisierten Interessen.
3. Die Medienabhängigkeit der Steuerpolitiker Um seine Botschaft unter die Wähler zu bringen, ist der Steuerpolitiker auf die Medien – auch als 4. Gewalt bezeichnet – angewiesen. Die Meinungen der Massenblätter, ihr Einfluss auf die Mehrheit der Wähler, darunter viele Steuerlaien, kann für Steuerpolitiker wichtiger sein als die Meinung von Fachblättern und von Steuerexperten. Wegen hoher Auflagen erreichen Boulevardblätter die höchste Zahl von Wählern. Steuerreformprobleme sind aber ein komplizierter, schwieriger Stoff, für Unterhaltung nicht geeignet. Der frühere hessische Finanzminister Manfred Kanther formulierte es pointiert so: „In der Steuerpolitik können Sie ganz leicht eigentlich nur einen Satz vermitteln, und der lautet: ‚Ich senke Ihre Steuern um 5%.‘ Danach laufen sie immer noch Gefahr, die Antwort zu bekommen: ‚Das ist zu wenig; 10% sind besser!‘ Aber die Botschaft ist zumindest vermittelbar. Wenn die Botschaft in einem komplizierten Feld zwangsläufig auch komplizierter ausfallen muss, dann ist sie mit den nun einmal gängigen Mitteln der Medienwelt, in der wir leben, beinahe nicht mehr übersetzbar.“97 Die breiten Wählerkreise können nur erreicht werden, wenn auf den Horizont der Durchschnittswähler abgestellt wird. Gerne machen die Medien ihre Beiträge daher an Personen fest, besonders am Minister (z. B. „Waigel prüft Vereinfachung des Steuersystems“; „Eichel durchforstet den Vergünstigungs-Dschungel“; „Eichel droht eine Schlappe vor dem Verfassungsgericht“, „Schily arbeitet an einem fälschungssicheren biometrischen Pass“, „Ulla Schmidt arbeitet an der Gesundheitskarte“), so, als ob ein Minister gar keine Mitarbeiter hätte, sondern jede Einzelheit selbst erledigte. Dem Minister wird nicht nur alles zugerechnet, ihm wird auch alles angelastet, was irgendeinem Interessenverband oder der Opposition nicht passt. Durch Interviews 77
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werden Steuerpolitiker zu Aussagen provoziert, die sie in einem Aufsatz vielleicht nicht von sich gegeben hätten. Ebenso wie im Sport, an der Börse oder bei Wahlen ist auch für viele Laien die Frage von Interesse: Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Die Antwort darauf hat einen gewissen Unterhaltungswert. Es finden sich immer Fachleute, die – für die Medien – die Antwort wissen. Z. B. Verlierer sind: Personen, die auf Diät angewiesen sind, Soldateneltern, Witwen mit Kindern, Sozialrentner mit Kindern, Geschiedene und Getrenntlebende, Väter mit nichtehelichen Kindern, Eheleute im öffentlichen Dienst, Doppelverdiener-Eheleute. Durch Schlagzeilen und kernige Überschriften werden solche Meldungen „ins Licht gerückt“, z.B.: „Die Fußkranken der Steuerreform“ (wie eine Zeitung titelte). Die Abschaffung der Pendlerpauschale wird zur „Pendlerfolter“, der Abbau des Sparerfreibetrages zum „Sozialraub“. „Unternehmer unter der Steuerschraube“ ist auch ein attraktiver Titel. Die akademische Ausbreitung verwickelter Rechtsfragen ist – Ausnahmen gibt es – nicht Sache der Zeitungen. In der „Fernseh-Demokratie“ gibt es mehr Seher als Leser. Das komplizierte Steuerrecht ist aber nicht so eingängig wie eine Unterhaltungssendung; es ist sperrig, anstrengend und schwerlich als Showbusiness zu gestalten. Auch in Talkshows ist es kaum zu vermitteln, schon gar nicht, wenn die Moderatorin nach wenigen Sätzen ungeduldig wird, weil sie fürchtet, dass die Zuschauer ebenso wenig von der Diskussion verstehen wie sie selbst und daher abschalten könnten. Im Fernsehen ist nur der „große Vereinfacher“, „der Oberflächliche, der mit flotten Sprüchen ‘rüber kommt‘“, „der Meister populistischer Verallgemeinerung“ zu gebrauchen. Das Telegene, die äußere Aufmachung, Sympathie und Antipathie, Gebärden und Stimme, das Charisma sind für viele Zuschauer sehr viel wichtiger als der Inhalt des Gesprochenen. Will die Telekratie möglichst hohe Einschaltquoten (statt Abschaltquoten) erreichen, so begibt sie sich auch auf das Niveau der Waschmittelwerbung. Die Interessenverbände machen die Medien gern zu ihren Gehilfen. Sie liefern ihnen interessante Nachrichten und Schlagzeilen, die nur zu oft unkritisch übernommen werden. Auch wenn ein Verband klar als Urheber der Nachricht gekennzeichnet wird: Fast immer bleibt etwas hängen.
II. Die Steuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen Wenn die Finanzminister und ihre parlamentarischen Staatssekretäre keine Steuerrechtstheoretiker, keine Steuerrechtssystematiker waren und sind: Waren und sind es wenigstens die Gehilfen des Gesetzgebers in der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums? Den Gesetzesprodukten 78
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sieht man das schwerlich an. Steuerrechtssystematisches, d.h. auf Prinzipien oder Wertungen gegründetes Denken ist aber die Grundvoraussetzung für eine Rechtsreform, eine Reform für Recht und Ordnung. Nicht wenige verbinden mit der BMF-Steuerabteilung die Vorstellung von intellektueller Harmlosigkeit, Attentismus, Status-quo-Denken. Beharrende Steuerjuristen haben nämlich z.B. auch hartnäckig Widerstand geleistet gegen die Einführung der Finanzgerichtsordnung und der Mehrwertsteuer.98 Von „großen Würfen“ hielt die Front der beharrenden Kräfte bisher nichts; sie reden ausweichend von „Reform der kleinen Schritte“ und erwiesen sich bisher als Meister oder als Meistergehilfen der Politik beim fortschreitenden Komplizieren und Entsystematisieren. B. Knobbe-Keuk hat dazu festgestellt: „Aus dem Bundesfinanzministerium kommt auch kein Beitrag zu einer Steuerrechtsreform, im Gegenteil …“99 In der Tat haben Ministerialbeamte sich – was immer die Gründe dafür sein mögen – fast nie als Förderer oder Verteidiger systematischer Reformen, als prinzipienorientierte Reformgehilfen zu erkennen gegeben. Wer in der Gegenwart Steuerrecht studiert, dürfte wohl besser in der Lage sein, das Einkommensteuergesetz systematisch aufzubauen und zu ordnen als ältere Ministerialbeamte. Die Ministerialbeamten des höheren Dienstes sind ganz überwiegend Juristen. Sie haben in der besonderen Ausbildung für die Finanzverwaltung gelernt, was der Inhalt der Steuergesetze ist, nicht aber, was der Inhalt der Steuergesetze sein sollte. Viele von ihnen haben wohl auch nicht verinnerlicht, dass Steuerpolitik Steuerrechtspolitik sein muss (s. unten S. 94 ff.), dass die Mehrheit des Parlaments im Rechtsstaat nicht Herr über das Recht ist. Dieser Mangel erleichtert jedenfalls die Aufgabe, ohne Hemmungen und Grenzen Vorgaben oder Wünsche der Politiker zu erfüllen, in der Zeit allgemeiner Parteipolitisierung den Konflikt zwischen Staatsloyalität (die das Gesetz vom Beamten erwartet) und politischer Opportunität zugunsten der politischen Erwartung zu lösen. Ob die Beamten der Steuerabteilung nur Gesetzes-Formulierungsgehilfen auf Grund von Weisungen und Beschlüssen der Steuerpolitiker sind, oder ob sie sich auch selbst steuerpolitisch entfalten dürfen, oder ob sie zusammen mit der politischen Leitung des Hauses ein Team bilden, hängt wohl vom jeweiligen Finanzminister und seinem Stab ab. Auf jeden Fall wissen mit der Gesetzgebung befasste Ministerialbeamte, dass ihre Arbeit unter wahltaktischen Gesichtspunkten gewertet wird. „Die Leistungen der Beamtenschaft für die politische Führung, wohl der Bewertungsmaßstab, wird nicht etwa ihrem Beitrag zur Gestaltung einer Rechtsordnung, sondern ihrem Beitrag zur politischen Machterhaltung entnommen. Dies verlangt von der Ministerialbürokratie eine völlig andere 79
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Denkweise gegenüber der Vergangenheit und zumindest in den höheren Rängen eine weitgehende Interessenidentität von Regierungspartei und Ministerialverwaltung, die am besten durch die Parteiidentität gewahrt wird“.100 A. Uelner, BMF-Steuerabteilungsleiter a.D., formuliert es so: Es „können die Initiativen für Steuergesetze auf sehr unterschiedliche Weise zustande kommen. Die Anstöße können von außen (z. B. vom BVerfG, vom BFH, aus der Wirtschaft, aus den Fraktionen des Deutschen Bundestages, aus der öffentlichen Meinung u.s.w.) oder von innen kommen (z. B. auf Grund einer Regierungserklärung, auf Grund von Entscheidungen des Ministers wegen befürchteter Auswirkungen neuerer BFH- oder BVerfGRechtsprechung auf das Steueraufkommen u.s.w.). Die Steuerabteilung nimmt derartige Anstöße oder Weisungen zu Änderungen der Steuergesetze auf, prüft sie und zieht aus dem Ergebnis ihrer Prüfung Folgerungen. Sie entwickelt auch selbst Konzepte zur Änderung der Steuergesetze – manchmal vergeblich – und formuliert die Entwürfe der Bundesregierung zur Steuergesetzgebung. Darüber hinaus leistet sie auch Formulierungshilfe, wenn Mitglieder des Bundestages initiativ werden wollen, um einen Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages (Art. 76 Abs. 1 GG) einzubringen. Aufgrund langjähriger Übung wird dabei nicht nur Formulierungshilfe geleistet, wenn es darum geht, Vorstellungen von Abgeordneten der Regierungskoalition umzusetzen, auch die jeweilige Opposition bedient sich der Sachkunde der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums bei der Formulierung von Steuergesetzen, um ihre Vorstellungen zu Gesetzesänderungen zu Papier zu bringen.“101 Das heißt wohl: Die Steuerpolitiker wissen wohl, was sie wollen; sie können es aber in der Regel nicht gesetzesgemäß formulieren. A. Uelner spricht von den Beamten der Steuerabteilung als „Hilfsarbeitern des Gesetzgebers“. Er nennt die Gesetzgebungsarbeit „politisch-dynamische Gestaltung“ und hebt sie ab von der „an Gesetz und Recht gebundenen vollziehenden Gewalt.“102 Er erwähnt nicht, dass auch die Steuergesetzgebung, daher auch die Steuerpolitik, an das Recht gebunden ist, vor allem an die Grundrechte und was aus ihnen folgt (s. S. 94 ff.). Die Steuerpolitiker auf diese Grenzen hinzuweisen, sollte auch eine Aufgabe der Steuerabteilung des Bundesministeriums der Finanzen sein. Die Initiativen der Interessenverbände werden vom Finanzministerium nicht ausdrücklich erwähnt. Wir lesen z. B. in der Begründung eines Änderungsgesetzes nicht: „Diese Änderung beruht auf einer Initiative des XY-Interessenverbandes“.
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Die Beamten der Steuerabteilung sind Spezialisten. Sie sind vollgepfropft mit Spezialwissen. Den Spezialisten fehlt jedoch nur zu oft die Breite systematischen Denkens und die Anleitung zum Verständnis für die systematische Gesamtordnung des Steuerrechts als Wertordnung. Sie bedürfen der Kontrolle durch Generalisten, dürfen das Generelle aber für den Bereich ihres Spezialgebietes auf die Probe stellen. Die spezialisierten Techniker, die auf Grund der Impulse von Parteien und Verbänden tätig werden, sind immer in Gefahr, unbewusst die Systematik oder Prinzipienordnung des Gesetzes zu entwerten und zu desorganisieren. So werden sie zu Systemverderbern. An ihren Früchten, z. B. dem Zustand des Einkommensteuergesetzes, kann man das erkennen. Es ist nicht anzunehmen, dass jemals ein Steuerpolitiker die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums daran gehindert hat, den langen, ungeordneten Katalog der Steuerbefreiungen (§ 3 EStG) wenigstens systematisch oder sonst übersichtlich zu ordnen, die §§ 4 und 9, 10 und 33 EStG aufeinander abzustimmen, die §§ 16, 17, 23 EStG sowie Zahlung und Bezug von Unterhalt einheitlichen Regeln zu unterwerfen. Das unkritische Festhalten an einmal Erlerntem mag auch mit der Beharrungsneigung von (nicht von allen) Ministerialbeamten zusammenhängen. Wie wenig Sinn im Bundesfinanzministerium für prinzipienorientiertes Systemdenken besteht, beweist auch die Tatsache, dass die im Bundesfinanzministerium erarbeitete Darstellung des Deutschen Gesamtsteuerrechts – die Schrift „Unsere Steuern von A–Z“ – die Steuern nach dem Alphabet darstellt. Als in den 1990er Jahren die Regierungen der früheren Ostblockländer das deutsche Finanzministerium um Rechtshilfe bei der Abfassung „moderner“ Steuergesetze baten, leistete das Finanzministerium diese Hilfe nicht selbst, sondern bat seinerseits den Steuerrechtsprofessor Joachim Lang um Hilfe. Daraus entstand J. Langs Entwurf eines Steuergesetzbuches von 1993.103 Nehmen wir zugunsten des Ministeriums an, es habe erkannt, dass die miserablen deutschen Steuergesetze und ein „Steuerrecht von A–Z“ sich nicht als Exportartikel eignen.104 Nicht selten wird darüber geklagt, dass die Macht der Politiker sehr viel größer sei als ihre Fachkompetenz. Der Ökonom H. Willgerodt hat von der „Anmaßung des Unwissens“ gesprochen. Dass Politiker zur Förderung ihrer Popularität sich ständig von Veranstaltung zu Veranstaltung (bis hin zu Karnevalsveranstaltungen, zu Sport-, Schützen-, Feuerwehrund anderen Volksfesten und bis zum Empfang durch den Papst) begeben müssen, ist bekannt. Verwunderlich ist eher, dass ihnen trotzdem die Zeit bleibt, sich so viel Wissen anzueignen, dass sie damit in Talkshows in der Regel mühelos bestehen, jedenfalls Laien imponieren können. 81
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Sicher dürfte es nicht sonderlich förderlich sein, wenn Inkompetente die Kompetenten anweisen. Die Ministerialbürokratie scheint jedoch willig auszuführen, was ihr Politiker aufgeben (so auch während der Vorbereitung der Stoltenbergschen „Reform“). Seit Jahrzehnten flickt die Ministerialbürokratie nach bestem Wissen in das Einkommensteuergesetz hinein, was die Politik in Auftrag gibt. Ein systematischer Gesetzentwurf ist aber nie erarbeitet worden. Den Spezialisten im Ministerium geht offenbar die Einsicht verloren, dass sie nicht spezialisierte Steuerbeamte in den Finanzämtern und Steuerberater überfordern. Der frühere Referatsleiter im Bundesfinanzministerium, K. Altehoefer, berichtete darüber so: „Mein Perspektivwechsel aus der Leitung verschiedener Referate im Bundesfinanzministerium an die Spitze der Oberfinanzdirektion in Freiburg hat mir bedeutende Erkenntnisse gebracht, die mir bis dahin – ich war nach meiner Finanzamtstätigkeit nahezu 22 Jahre lang in Bonn – in ihren Ausmaßen so gar nicht bewusst waren. Vor allem habe ich erkannt, dass bei der Steuergesetzgebung die Kompliziertheit des Steuerrechts in ihrer konkreten Auswirkung auf die Alltagsarbeit der Steuerbeamten total unterschätzt wird. Die Mitarbeiter in den Finanzämtern sind heute kaum noch in der Lage, das Steuerrecht in seiner Gesamtheit richtig anzuwenden, weil die ausufernde Komplexität und die ständigen Änderungen den Arbeitsaufwand extrem erhöhen. Weiterhin wurde mir deutlich, dass der Sachbearbeiter, gerade der Veranlagungssachbearbeiter, ein weiteres Spektrum des Steuerrechts zu erfassen hat, während ich als Referatsleiter – wenngleich auch sehr vertieft – nur ein Teilgebiet zu verantworten hatte. Im Übrigen habe ich beim Studium der verklausulierten und verschachtelten Gesetzessprache deutlich den Unterschied zu spüren bekommen, ob man nun die Entwicklung einer Gesetzgebung beratend begleitet hat mit allen ihren Facetten, die eine Rolle gespielt haben, oder ob man als Außenstehender den Gesetzestext erstmals übergestülpt bekommt.“105 Fairerweise muss hier erwähnt werden, dass Ministerialdirektor G. Juchum seit Jahren ein offenes Ohr für die legislativen Anliegen der Steuerrechtswissenschaft hatte und sich auch in diesem Sinne engagiert hat106, allerdings kaum mit Erfolg.
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III. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages entwirft nicht selbst Gesetze, sondern überprüft die ihm vom Plenum überwiesenen, meist im Bundesfinanzministerium entstandenen Entwürfe. Nach H. Gattermann, er war längere Zeit Vorsitzender dieses Ausschusses, orientiert sich der Ausschuss bei seinen Beratungen nicht an „festen Maßstäben und Kriterien“, etwa an den Maßstäben „der Steuergerechtigkeit, der Eignung steuerpolitischer Maßnahmen zur Konjunkturverstetigung und -belebung oder der Einfachheit des Steuerrechts.“ Durchgängige, von allen Fraktionen akzeptierte Maßstäbe könne es – so H. Gattermann – in einem Ausschuss, der für ein so kontroverses Gebiet wie die Finanz- und Steuerpolitik zuständig ist, bei politisch wichtigen Vorlagen von der Natur der Dinge her nur in Ausnahmefällen geben. „Wichtiges Element der Ausschussberatungen“ – so weiter H. Gattermann – „ist die Mitwirkung der Bundesregierung, vor allem der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums an den Ausschusssitzungen. Die Ministerialbüro- H. Gattermann, Vorsitzender des kratie vertritt ihre Vorlagen im Aus- Bundestags-Finanzausschusses (FPD): schuss und steht diesem dazu Rede und Die „politischen Juckepunkte“ prüfen Antwort, so wie sie überhaupt im Ausschuss für Stellungnahmen zu allen Vorlagen zur Verfügung steht …“.107 H. Gattermann teilt nicht mit, ob wenigstens den Vorlagen der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums Prinzipien zugrunde zu liegen pflegen und ob die Vertreter des Ministeriums im Ausschuss für die systematische Integrität, Homogenität und Kontinuität sowie für die Vereinfachung der Steuergesetze eintreten. Sowohl H. Gattermann als auch R. Kreile – auch er seinerzeit Mitglied des Finanzausschusses – sahen es auf Grund ihrer Erfahrung als vorteilhaft an, dass dem Finanzausschuss nicht nur Fachleute angehören. Die Nichtfachleute, so Kreile, bildeten ein sinnvolles Regulativ gegen aufkeimende Expertenblindheit. Der Finanzausschuss konkurriere nicht 83
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mit der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums, sondern er diskutiere die Grundsatzfragen, vor allem die „politischen Implikationen“108 – oder, wie Gattermann sich in einer Seminarveranstaltung ausdrückte: „die politischen Juckepunkte“, worunter man vor allem Rücksichten auf Wähler zu verstehen hat. Da der Finanzausschuss von den ihm präsentierten Vorlagen lebt, bringt er nicht selbst umfassende Rechtsreformen auf den Weg; er ist aber imstande, komplizierte Vorlagen u. U. noch weiter zu komplizieren. Die Anhörung von Verbänden und Sachverständigen durch den Finanzausschuss beurteilte H. Gattermann sehr positiv. Er räumte allerdings ein, „dass die Anhörungen auch als politisches Kampfmittel eingesetzt werden – ein Vorgang, der schon daran deutlich wird, dass die Fraktionen zu den Anhörungen gern solche Experten aus Verbänden und Wissenschaft einladen, deren die jeweilige Fraktionsmeinung unterstützende Auffassung man schon vorher zu erkennen glaubt …“109 Viele Ausschussmitglieder suchen offenbar nur die Bestätigung oder Bestärkung ihrer eigenen (Vor-)Urteile. Zur Anhörung über die geplante Unternehmensteuerreform wurde z. B. der Experte Prof. Bareis nicht eingeladen, weil man wohl seine Kritik fürchtete.
IV. Die Opposition Obwohl die Opposition von den Minderheitsparteien gestellt wird, wirkt auch sie nicht unerheblich auf den Gesetzeszustand ein. Die Opposition hat die Aufgabe, die Regierungsarbeit kritisch zu begleiten und zu kontrollieren, evtl. auch eine Alternative zur Regierungspolitik zu entwickeln. Im Allgemeinen wird der Angriff auf die Regierungspolitik aber der Begründung eines eigenen (angreifbaren) Konzepts vorgezogen. Die Opposition möchte durch das Ergebnis der nächsten Wahl die Regierungsmacht erringen. Dazu empfiehlt es sich nicht, der Regierung nachzulaufen. Überparteilicher Konsens pflegt sich bei Wahlen erfahrungsgemäß für die Opposition nicht auszuzahlen. Jede Zustimmung der Opposition zur Regierungspolitik wird als Sieg der Regierung angesehen. „Wir dürfen als Opposition“ – so wird R.Scharping (SPD) zitiert110 – „den Mist der Regierung nicht parfümieren.“ Eine andere Stimme: „Wir dürfen uns nicht als Beleuchter der Figuren betätigen, die die Regierung auf die Bühne stellt. Wir müssen unsere Oppositionsfiguren ins Licht rücken.“ In ihren Mitteln, an die Macht zu gelangen oder zurückzugelangen, pflegt eine starke Opposition nicht wählerisch zu sein, und die Regierung schlägt – zumal in Wahlkampfzeiten – entsprechend zurück. Es wird pointiert 84
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oder derbe polemisiert, hemmungslos „vom Leder gezogen“. Man diskreditiert, diffamiert, polemisiert, agitiert, verdreht den Sachverhalt und verschmäht beim Schlagabtausch auch grandiose Vorwürfe und gelegentliche Tiefschläge nicht. Jede Seite behauptet, die einzig richtige oder vertretbare Lösung zu haben. Die andere Seite ist inkompetent, unaufrichtig, unglaubwürdig, perfide. Man wirft sich gegenseitig Ideologie vor („Deine Ideologie ist eine, meine ist keine!“). Die Motive der einen Seite sind lauter, die der anderen Seite unlauter. Die eigene Seite blickt vollkommen durch, die andere Seite hat einen beschränkten Horizont. Für Misserfolge ist immer die andere Seite verantwortlich. Die Opposition versucht durchweg, das Gemeinsame zu übergehen, die Differenzen herauszustellen, die Kontroverse zu suchen, sich auf die Seite der Unzufriedenen zu stellen. Nicht selten pflegt die Opposition von der Regierung mehr zu fordern, als diese erfüllen kann, selbst mehr zu versprechen, als eine verantwortliche Regierung einlösen kann. Die Regierung, nicht die Opposition hat die Verantwortung für den Haushalt. So kann die Opposition ohne Rücksicht auf den Haushalt Steuersenkungen versprechen und die Gegenfinanzierung offen lassen oder entsprechende Ausgabenkürzungen verlangen. Verkündet die Regierung Steuersenkungen, fragt die Opposition sofort nach der Gegenfinanzierung. Welchen Weg der Gegenfinanzierung (Vergünstigungen abbauen, Ausgaben verringern, Schulden erhöhen, Verbrauchssteuern erhöhen?) die Regierung auch wählt: Die Opposition pflegt es besser zu wissen als die Regierung. Sie gibt sich als Anwalt aller Bürger, die künftig mehr zahlen sollen. Der Regierung bleibt nur, die Forderungen der Opposition als verantwortungslos (was nicht selten zutrifft), als unseriös, ja als skandalös hinzustellen. Aber immer bleibt etwas an ihr hängen. Politikwissenschaftler haben gemeint, die Wahlverlierer hätten den Vorteil, nicht halten zu müssen, was sie vor der Wahl versprochen haben. Die Wahlgewinner müssten sich als Regierung an ihre Versprechen halten, vor allem aber konkrete, durchdachte, realisierbare Maßnahmen ergreifen. Opposition sei die Kunst, so geschickt dagegen zu sein, dass man, zurück in der Regierung, wieder dafür sein könne. Aber häufig werden Wahlversprechen mit luftigen Ausreden auch von der Regierung ganz ungeniert gebrochen. Man setzt sich bedenkenlos in Widerspruch zu eigenem früheren Verhalten. Man fordert z. B. als Opposition von der Regierung den Abbau von Steuervergünstigungen, baut sie nach Rückkehr zur Regierungsmacht aber selbst nicht ab. Wenn es um Steuerreformen geht, kann die Regierung mit dem Beifall der Opposition nicht rechnen. Konstruktive Zusammenarbeit ist selten. 85
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Die Reformmaßnahmen werden von der Opposition gern mit oder ohne Grund zerredet: Die Reform sei familienfeindlich, unternehmerfeindlich, mittelstandsfeindlich; sie vernichte Arbeitsplätze; sie sei das Werk von Stümpern – oder wenn die andere Seite regiert: Die Reform sei sozial unausgewogen, habe soziale Schlagseite, sei sozial rückständig, enthalte Geschenke für die Reichen, bewirke Umverteilung von unten nach oben, sei arbeitnehmerfeindlich; kurz: Das Vorhaben der Regierung sei verwerflich, niederträchtig. Auch wenn die Reform weitgehend misslingt, pflegt die Regierung sich selbst rhetorisch Girlanden zu flechten. Sie redet die Reform schön. Sie spricht von „Reform des steuerpolitischen Fortschritts“ oder von „Reform mit Mut und Augenmaß“, von „Reform der steuerpolitischen Verantwortung“. Die Opposition redet die Reform platt. Sie nennt sie „unbrauchbares, unseriöses Machwerk“, „steuerpolitische Irrfahrt“, „steuerpolitisches Teufelswerk“, „Reform der steuerpolitischen Lebenslügen“, „überbürokratisches Monster“. „Nichts Halbes und nichts Ganzes“ ist noch ein mildes Urteil. Statt durch konstruktives, kooperatives Handeln gemeinsam ein möglichst gerechtes, einfaches Steuerrecht zu schaffen, beschert man sich gegenseitig den Stillstand. Von einer „Vertretung des ganzen Volkes“ (wie Art. 38 I GG sie verlangt) ist kaum etwas zu spüren, eher schon von einem Wettbewerb um die besten Mittel der Volksverdummung. Dass man auch sachlich, sachdienlich und verständig miteinander umgehen kann, zeigt sich, sobald zwei Parteien, die sich bisher als Regierungs- und Oppositionspartei gegenüber standen, plötzlich eine Regierungskoalition eingehen müssen (sog. große Koalition). Nach Art. 105 Abs. 3 GG muss der Bundesrat Bundesgesetzen über solche Steuern zustimmen, deren Aufkommen den Ländern ganz oder zum Teil zufließt. Danach bedürfen auch Einkommensteuer-Reformen der Zustimmung des Bundesrates. Dadurch sollen die Interessen der Länder am Steueraufkommen gewahrt werden.111 Die Parteien haben den Bundesrat jedoch parteipolitisiert. Stellen die Oppositionsparteien des Bundestages mehrheitlich die Regierung der Länder und haben diese Regierungen im Bundesrat eine Stimmenmehrheit, so kann die im Bundestag überstimmte Opposition ihr Ziel, die Steuerreform möglichst zu verhindern, mit Hilfe des Bundesrates doch noch durchsetzen. „Die parteipolitische Instrumentalisierung“ – so Hans Herbert v. Arnim – „hat dem Bundesrat eine neue, ihm von den Verfassungsvätern gar nicht zugedachte Rolle zugespielt, die nicht nur den Einfluss der Wähler schwächt …, sondern auch die bundespolitische Handlungsfähigkeit erheblich einschränken kann. Eine abweichende parteipolitische Mehrheit 86
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im Bundesrat ist leicht versucht, die Regierungsmehrheit im Bundestag mit ihrem Veto zu blockieren und sie auf diese Weise sozusagen an die Wand fahren zu lassen. Da der Bundesrat in den meisten Jahren in der Hand der Opposition ist …, haben die Blockadegefahren erheblich zugenommen. Die ‚Väter‘ des Grundgesetzes hatten im Bundesrat noch ein Widerlager gegen die Parteipolitik gesehen. Um so perverser ist es, dass die Parteipolitik heute auch den Bundesrat überlagert und dieser zum machtpolitisch motivierten Blockadeinstrument degeneriert …“112 Und P. Kirchhof stellt fest: „Der Föderalismus ist in der Verschränkung der Verantwortung, insbesondere durch die Rolle des Bundesrates nicht mehr in der Lage, sinnvolle und praktische Ergebnisse herbeizuführen. Heute sind die Parteien, die im Bundestag die Mehrheit haben, im Bundesrat meist in der Minderheit. Dadurch ereignet sich eine parteipolitische Konfrontation, die gesetzgeberische Entscheidungen hemmt … Aus dem Föderalismusprinzip ist ein parteien-staatliches Prinzip geworden. Das ist Besorgnis erregend.“113 Auf diese Weise sind auch die Steuerreformvorhaben der sozialliberalen Koalition an der CDU/CSU-Opposition und ist das Reformvorhaben Theo Waigels an der Opposition der SPD gescheitert. 2003 haben die CDU/CSU und die FDP als Oppositionsparteien das Steuervergünstigungsabbaugesetz weitgehend scheitern lassen; sie haben sich auch der Abschaffung der Eigenheimzulage verweigert; dies, obwohl die CDU/ CSU und die FDP sich jahrelang für den Abbau von Steuervergünstigungen ausgesprochen hatten und der Abbau der Vergünstigungen Länderbelange nicht negativ berührt, weil das Steueraufkommen der Länder sich durch den Vergünstigungsabbau erhöht. Stellt eine Partei die Regierung sowohl im Bund als auch in den Ländern, so kann es vorkommen, dass auch eine Landesregierung dieser selben Partei über den Bundesrat der Bundesregierung Schwierigkeiten bereitet, wenn ihre Stimmen für eine Bundesratsmehrheit benötigt werden (s. S. 40). Appelle an die Parteien, ihre Parteiinteressen zurückzustellen, haben bisher nicht gefruchtet. Wenn die Opposition nicht darauf beschränkt ist, die Regierung zu kritisieren, sondern die Möglichkeit hat, ihr Programm zu durchkreuzen, pflegt sie davon Gebrauch zu machen. Mit Wahrnehmung oder Wahrung „gesamtstaatlicher Verantwortung“ hat das nichts zu tun. Auch Parteipolitiker wissen allerdings, dass Opposition um jeden Preis, Totalopposition, Opposition durch Blockade unpopulär ist und dazu führt, dass nicht nur die opponierende Partei, sondern die Politik als solche an Glaubwürdigkeit verliert, wenn nicht das Vertrauen in die Politik überhaupt erschüttert wird. Daher wird von der blockierenden Partei jede Obstruktionspolitik gerne geleugnet: Für das 87
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Scheitern der Reform sei nur die unnachgiebige Regierung verantwortlich. Sie habe zu wenig nachgeben wollen. Die Opposition hingegen sei bis zuletzt bemüht gewesen, die Reform im Wesentlichen zu retten. Am Ende wird die Regierung als schwach und reformunfähig abqualifiziert. Wird nach Art. 77 GG der Vermittlungsausschuss angerufen, so werden Kompromisse gesucht. Aber meist wird zunächst parteitaktisch gepokert. Es werden sachfremde Koppelungen vorgenommen („Lässt du Rückstellungserweiterungen zu, gebe ich bei der Entfernungspauschale nach“, u.s.w.). Bar jeder Systematik wird zusammengeflickt, was nicht zusammengehört und nicht zusammenpasst; die Vorlage wird am Ende verstümmelt und verwässert. Es kommt zu komplizierten Mischlösungen, deren behördliche Umsetzung hohen Aufwand auslöst. Zwar ist durchaus nicht jeder Kompromiss ein „fauler Kompromiss“, es ist aber auch nicht jeder Kompromiss akzeptabel. Das anschaulichste Beispiel stammt aus der „Gesundheitsreform“. CDU und CSU hatten sich auf eine Kreuzung aus Prämie, Beitrag und Steuer geeinigt, auf ein gemischt lohnabhängiges und steuerfinanziertes Prämien-„System“. Arbeitgeberpräsident D. Hundt sprach von einer „gemischt-lohnabhängigen-arbeitgeberbeitragsfonds-steuerergänzungsfinanzierten Teilpauschalprämie.“
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E. Was lässt sich aus dem Scheitern der Einkommensteuer-Reformen lernen? (1) Steuerreformen scheitern nicht schon daran, dass die Regierung an den Anfang die Verkündung großer Reformvorhaben und -ziele stellt, wie – Wir wollen ein gerechtes, einfaches, überschaubares Steuerrecht schaffen. – Wir wollen ein Steuerrecht schaffen, das Wachstum und Beschäftigung fördert und die Massenkaufkraft erhöht. – Wir wollen ein Steuerrecht schaffen, das die Leistungsbereitschaft erhöht, den Sparwillen und den Investitionswillen stärkt. – Wir wollen eine „Große Steuerreform“, „die größte Steuerreform seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“, eine „Super-Steuerreform“, eine „Jahrhundert-Steuerreform“ durchführen. Solche abstrakten, wenngleich aufschneiderischen Ankündigungen berühren die Wähler noch nicht negativ. Starke Übertreibungen bezwecken Aufmerksamkeit und Neugier zu erregen. Dass Steuerpolitiker, die nur bis zur nächsten Wahl denken, schon aus diesem Grunde nicht zu einer „Jahrhundertreform“ fähig sind, machen die Durchschnittswähler sich wahrscheinlich nicht klar. (2) Hat die Regierung zur Zeit der Verkündung der Reformziele jedoch noch gar kein Konzept zur Erreichung der propagierten Ziele, wird nach einem Reformkonzept erst noch öffentlich gesucht und auch noch zwischen den Flügeln einer Partei oder den Koalitionsparteien öffentlich kontrovers diskutiert, so gerät die Konzeptsuche schnell unter das Störfeuer von Opposition, Interessenverbänden und Medien. Das erschwert den Reformprozess und beschert politische Minuspunkte. In besonderem Maße gilt das dann, wenn die Konzeptsuche sich über einige Jahre hinzieht und der eigentliche Reformprozess erst beginnen kann, wenn die Vorbereitungen für die nächste Wahl bereits anlaufen oder wenn Rücksicht auf Landtagswahlen zu nehmen ist. Ein Streit der Reformpolitiker über den bestgeeigneten Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Reform ist sinnlos, solange noch nicht einmal ein Reformkonzept erarbeitet worden ist. (3) Zu einem Reformkonzept gehört ein Prinzip (oder Maßstab), das (der) die Unterscheidung zwischen „gerecht“ und „ungerecht“ ermöglicht. Wählerorientiertes Denken, Streben nach Stimmenmaximierung durch Befriedigung von Gruppeninteressen und prinzipienorientiertes Gerechtigkeitsdenken sind zweierlei, können sich sogar ausschließen. Wahl89
Was lässt sich aus dem Scheitern lernen?
kampfschlagworte reichen als Grundlage für eine Rechtsreform nicht aus. Eine Rechtsreform ist auf rechtssytematische Kompetenz angewiesen. Eine Rechtsreform der Einkommensteuer verlangt, dass das Gesetz auf seine Prinzipien oder Wertungen zurückgeführt und an diesen orientiert wird. Sie verlangt ferner, dass die Steuergerechtigkeit nicht zugunsten der Steuervereinfachung aufgelöst wird. Die Schaffung einer „korrekten“ Steuerbemessungsgrundlage ohne Regelungslücken und Inkonsequenzen (basic tax reform) wird ohne Verwertung der Erkenntnisse der systemoder prinzipienorientierten Steuerrechtswissenschaft nicht gelingen. Auch lenkungspolitische Ziele verlangen nach einem Konzept und nach Informationen darüber, wie die lenkungspolitischen Ziele erreicht werden können und sollen – durch welche Vorschriften des Einkommensteuergesetzes? Das Vorhaben, die Steuerbemessungsgrundlage schrittweise, in Etappen, zu reformieren114, scheitert, weil „alles mit allem zusammenhängt“ (auch was den Aufbau der Vorschriften betrifft) und weil ein Gesamtplan, wenn er denn besteht, durch die Legislaturperioden zerrissen wird. Eine Rechtsreform der Bemessungsgrundlage muss kompetent und gründlich von Steuerrechtssystematikern vorbereitet werden. Eine solche Rechtsreform muss Eingriffen aus ökonomischen Gründen vorausgehen. (4) Auch wenn die Reformbedürftigkeit des Einkommensteuergesetzes allgemein anerkannt wird: Diese Erkenntnis ist nichts wert, wenn sie nicht durch eine Reform umgesetzt wird, d. h. durch eine Reform, die das Bundesgesetzblatt erreicht. Umgesetzt werden kann eine Steuerreform nur von einer hoch angesehenen politischen Persönlichkeit, die glaubwürdig in dem Sinne ist, dass sie das Gesamtwohl über das Parteiwohl stellt, die reform-engagiert ist und über politisches Durchsetzungsvermögen verfügt, die – wenn sie nicht selbst kompetent ist – die Kompetenz anderer nutzt. Dazu gehört, dass man wenigstens weiß, wer kompetent ist. An dieser Voraussetzung hat es – anders als im Falle Ronald Reagan115 – bei allen deutschen Einkommensteuer-Reformversuchen gefehlt. Die „Reform-Kanzler“ waren weder rechtsreform-kompetent noch reform-engagiert.116 Finanzminister, die mit Währungs-, Konjunktur- und Haushaltsproblemen überlastet sind, haben weder die Zeit noch die Kraft, eine Steuerreform geistig zu leiten und durchzusetzen. Wer besondere Verdienste in seiner Partei hat, ist allein dadurch noch nicht steuerreformkompetent. Im Übrigen hat es sich bisher als unmöglich erwiesen, Reform-Finanzminister und zugleich populär zu sein und zu bleiben. Politiker, denen es gelingt, sich machtpolitisch durchzusetzen, suggerieren sich gern, ihnen sei auch die entsprechende Kompetenz zugewachsen. 90
Was lässt sich aus dem Scheitern lernen?
Steuerpolitiker, die das Steuerrecht für eine beliebige politische Verfügungsmasse halten, die nicht genau wissen, was Ausnahmevorschriften, was insbesondere Steuervergünstigungen sind, die einen uneingeschränkten Primat der Einfachheit vor der Gerechtigkeit vertreten, sind für eine Rechtsreform nicht geeignet; sie sind nicht geeignet, ein möglichst gerechtes, möglichst einfaches, die Gerechtigkeit nicht durch radikale Vereinfachung auflösendes Steuerrecht zu entwickeln. (5) Nicht nur von Steuerwissenschaftlern, sondern auch von Steuerpolitikern wird einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch Beseitigung von Regelungslücken, Streichung von Prinzip-Ausnahmen, insbesondere von Steuervergünstigungen – und gleichzeitiger Nutzung des Mehraufkommens für eine Tarifsenkung zugunsten aller das Wort geredet. Da aber der Tarif auf einer wahren und klaren Bemessungsgrundlage aufbauen muss, nicht hingegen die Bemessungsgrundlage am Tarif orientiert werden darf (s. S. 38, 45), war es ein Fehler mehrerer Reformer, mit Tarifsenkungen zu beginnen und dann – dazu noch zeitlich entkoppelt – die nötigen Gegenfinanzierungsmittel durch mehr oder minder prinzipienlosen Umgang mit der Bemessungsgrundlage „zusammenzukratzen“ (B.Knobbe-Keuk). Als politisch besonders nachteilig hat es sich erwiesen, vor der Wahl nur Tarifsenkungen vorzunehmen, und nach der Wahl mit den Gegenfinanzierungsmaßnahmen herauszukommen (wie G. Stoltenberg es tat). Die Gestaltung des Tarifs darf vom Finanzbedarf des Gemeinwesens abhängig gemacht werden, die Bildung der Bemessungsgrundlage aber nicht. (6) Bisher ist es noch keiner Regierung gelungen, zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage diejenigen Steuervergünstigungen zu streichen, die abzuschaffen sie sich vorgenommen hatte. Immer waren die Abbauversuche von dem Vorhaben beeinflusst, die eigene Wählerklientel möglichst zu verschonen, statt den gleichen sachlichen Abschaffungsmaßstab auf alle Vergünstigungen anzuwenden. Auch der Vergünstigungsabbau darf nicht politisch-freihändig, sondern muss nach einem rechtlich fundierten Maßstab (s. S. 160 f.) geschehen. Aber auch, wenn keine taktischen Fehler gemacht werden, ist es erfahrungsgemäß überaus schwer, die Interessenverbände und die Opposition – zumal, wenn diese eine Mehrheit im Bundesrat hat – zu überwinden. Auch der Abbau von Steuervergünstigungen wird durch die Furcht vor Wählerstimmenverlust nicht unerheblich gehemmt. Auffällig ist, dass Parteien, die in der Opposition die Regierung auffordern, den Vergünstigungsabbau energisch voranzutreiben, selbst jede Abbauaktivität vermissen lassen, wenn sie wieder in der Regierung sind. Als Regierungs91
Was lässt sich aus dem Scheitern lernen?
parteien setzen sie sich dadurch in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten als Oppositionsparteien. Dieses widersprüchliche Verhalten ist ebenfalls durch Rücksicht auf die Wähler zu erklären. Baut die Regierung tatsächlich Steuervergünstigungen ab, so pflegt die Opposition sie deswegen bei den betroffenen Wählern anzuschwärzen. Die betroffenen Wähler kreiden den Verlust der Vergünstigung der Regierung, nicht aber der Opposition an, auch wenn die Opposition den Abbau der Vergünstigung von der Regierung gefordert hat. (7) Überhaupt neigen Oppositionsparteien – ganz gleich, ob es sich um konservative, liberale oder soziale Parteien handelt – dazu, an die Regierungsarbeit Kritikmaßstäbe anzulegen, die sie als Regierungsparteien selbst nicht erfüllt haben. Zum miserablen Zustand des Steuerrechts haben alle Parteien ihren Teil beigetragen, Regierungs- und Oppositionsparteien. Insofern sitzen die Steuerpolitiker aller Parteien im Glashaus. Sie verlassen sich aber offenbar auf ein kurzes Gedächtnis der Wähler. Eine Mindestbesteuerung ist nicht zu rechtfertigen. Sie kompliziert einerseits das Steuerrecht erheblich und vermag andererseits den Abbau der Steuervergünstigungen nicht zu ersetzen. Je mehr Vergünstigungen das Gesetz enthält, desto mehr wird das Leistungsfähigkeitsprinzip außer Kraft gesetzt. (8) Die Reform einer Steuerart muss auf einem Gesamtkonzept beruhen, nicht auf einem Bruchstückkonzept. Eine Reform „der kleinen Schritte“ bewährt sich daher nicht; ist vor allem die Bemessungsgrundlage reformbedürftig, so kann diesem Reformbedürfnis nicht durch eine Tarifreform abgeholfen werden. (9) Das Gesamtkonzept und seine Umsetzung muss bis in die Details hinein am Beginn einer Legislaturperiode feststehen, damit das parlamentarische Verfahren sofort und nicht erst Jahre nach Beginn der Legislaturperiode eingeleitet werden kann. Nur so kann hektisches Durchpeitschen mit erheblichen Fehlerfolgen verhindert werden. (10) Sollen die Wähler nicht durch Kakophonie irritiert werden, muss die Reform zunächst in den eigenen Reihen planvoll so organisiert werden, dass nicht in den Medien ein verwirrender Meinungssalat entsteht. Die Reformarbeit muss von einer überzeugenden Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden. Wird die Öffentlichkeitsarbeit vernachlässigt, so bekommt die von den Oppositionsparteien und den Interessenverbänden gespeiste Medienkritik schnell die Oberhand. Ein qualitativ schlechtes Reformprodukt – auch das lehrt die Erfahrung mit den gescheiterten Reformen – lässt sich auch durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit nicht „als Qualitätsprodukt“ verkaufen. 92
Was lässt sich aus dem Scheitern lernen?
(11) Hat die Opposition die Mehrheit im Bundesrat, so kann sie durch parteipolitischen Missbrauch des Bundesrates die Reform verhindern. Eine Rechtsreform der (Einkommen-)steuer würde sehr erleichtert werden, wenn alle Parteien beim Übergang von der Regierung zur Opposition oder umgekehrt an ihrer Steuerpolitik festhalten würden, statt das Konsequenzgebot zu verletzen. Ob eine Reformmaßnahme „richtig“ oder „falsch“ ist, kann sachlich nicht davon abhängen, ob die Partei die Maßnahme aus dem Blickwinkel der Regierung oder der Opposition sieht. Eine einseitige, konfrontative Parteipolitik, Opposition um jeden Preis im Interesse der Parteiraison, etwa parteipolitischer Missbrauch des Bundesrates, kann jede Steuerreform nicht nur erschweren, sondern weitgehend verhindern. Dadurch wird der demokratische Prozess ineffektiv. Hinzunehmen ist jedoch die zum freiheitlichen Staat gehörende Wertungsvielfalt, die in der pluralistischen Gesellschaft angelegt ist. Was die von der Parteipolitik beherrschte Mitwirkung des Bundesrates betrifft, ist eine Verfassungsänderung geboten. (12) Bisher hat sich ein Steuerreformplan noch nie als Wahlschlager erwiesen, wohl aber als das Gegenteil.
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F. Ist eine Einkommensteuer-Reform rechtlich und politisch machbar? Die Juristen haben die Gesetze überwiegend nur angewendet, es kommt aber zunächst darauf an, sie zu verbessern.
I. Steuerpolitik als gedachte Steuergesetzgebung muss Steuerrechtspolitik sein Über längere Zeit ist die Steuerrechtswissenschaft nur die Magd der Steuergesetzgebung gewesen, hat sie sich weitgehend nur mit der Deskription der Steuergesetze und der Methode ihrer Anwendung befasst. Das ist unbefriedigend, wenn die Steuergesetze sich in einem miserablen Zustand befinden, wenn sie unter dem Gerechtigkeitsaspekt allenfalls inferiores Recht enthalten, wenn sie unnötig kompliziert und zum Teil unverständlich sind, wenn Rechtslehrer sich ihrer schämen müssen.117 Dann sind Steuerrechtswissenschaftler aufgerufen, sich steuerrechtspolitisch zu engagieren. Diese Aufgabe lässt sich allerdings mit positivistischer Gesetzesgläubigkeit und bloß anwenderischem Können nicht erfüllen. Sie verlangt einen aufgeklärten Normenskeptizismus und eine gerechtigkeitsorientierte, auf das Praktikable Rücksicht nehmende Gesetzeskonzeption, die der Steuerpolitik die Richtung weist. Steuerjuristen, die sich steuerrechtspolitisch engagieren, wird von Steuerrealpolitikern allerdings gern vorgehalten, ihre Konzepte und Vorschläge seien „politisch nicht durchsetzbar“, sie seien „politisch nicht machbar“. Das soll heißen, sie würden an der steuerpolitischen Wirklichkeit – an dem Willen von Parteipolitikern, Verbandsvertretern und Wählermehrheiten – scheitern. Dahinter steckt die Vorstellung, allein die Politik, allein die Mehrheit bestimme, was Gesetzesinhalt werden soll. Deutschland ist aber nicht nur eine Demokratie, sondern auch ein Rechts- und Verfassungsstaat. Daraus ergibt sich, dass das Steuerwesen keine politisch beliebig knetbare Verfügungsmasse ist. Die praktische Steuerpolitik indessen sieht in der Steuer nicht nur ein Mittel der Staatsfinanzierung, sie sieht in ihr auch ein Allerwelts-Lenkungsmittel. So wird wirtschaftspolitisch i.w.S., umweltpolitisch, energiepolitisch, kultur-politisch, wohnungsbaupolitisch, verkehrspolitisch, vermögensbildungspolitisch, kurz: interessenpolitisch gelenkt oder beeinflusst. Auch wenn man annimmt, dass mit Steuern gelenkt werden dürfe: Beliebige oder willkürliche Inter94
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
ventionen sind nicht zulässig. Vergünstigungen, die nur zum Zwecke des Stimmenfangs gewährt werden, sind willkürlich. Auch bei Steuerpolitikern ist insoweit ein Gesinnungswandel auszumachen. Da im Rechtsstaat Steuern nur auf Grund von Gesetzen erhoben werden dürfen, ist Steuerpolitik gedachte oder geplante Gesetzgebung. Da die Gesetzgebung aber an die Verfassung, insbesondere an die Grundrechte der Verfassung, ferner an das Europarecht und an Doppelbesteuerungsabkommen gebunden ist, gilt diese Bindung auch für die Steuerpolitik, die eben Steuerrechtspolitik sein muss. Die Steuerpolitik ist also nur in rechtlichen Grenzen Herr über die Gesetzgebung. Im Rechtsstaat ist nicht alles Recht, wofür sich eine Mehrheit findet. Gesetzesvorschriften erhalten ihre Legitimation nicht allein dadurch, dass sie von einer Mehrheit oder von Mehrheiten beschlossen worden sind; hinzukommen muss im Rechtsstaat die Verankerung im Recht, insbesondere im Verfassungsrecht. Einen Primat der Politik vor dem Recht gibt es nicht. Die Legitimation der Mehrheitsentscheidung wird durch die Verfassung begrenzt; dadurch wird zugleich die Minderheit geschützt. Dass sich z. B. gegen den Gleichheitssatz nicht einwänden lässt, seine Anwendung sei „politisch nicht machbar“, dürfte auch Politikern einleuchten. Was die Bindung an die Verfassung angeht: Der Gesetzgeber ist der erste, der sein Vorhaben an der Verfassung messen muss. Er ist, wie P. Kirchhof es ausdrückt, „der Erstinterpret der Verfassung“118 und trägt damit die Erstverantwortung für sie. So wenig wie das Verfassungsgericht sich an Wählerwünschen orientiert, darf das die Gesetzgebung. Die Bindung an das Recht des Grundgesetzes (s. Art. 1 Abs. 3; 20 Abs. 3 GG) ist vor allem Bindung an den Gleichheitssatz (Art. 3 GG). Die Anwendung des Gleichheitssatzes ist auf einen Vergleichsmaßstab angewiesen. Dieser Maßstab ist für das Steuerrecht grundsätzlich das Leistungsfähigkeitsprinzip. Damit sich eine Steuergleichbelastung, gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, einstellt, darf der Gesetzgeber für das Fiskalsteuerrecht nur solche Steuerbemessungsgrundlagen bestimmen, die diesem Grundsatz entsprechen. Die angewandte Steuerpolitik hat also Rechtsentscheidungen, Entscheidungen mit Rechtsqualität zu treffen,118a d. h. sich konsequent an Rechtsprinzipien oder Wertungen zu orientieren. Anders als die exakten (harten) Naturwissenschaften ist die Steuerrechtswissenschaft eine auf Wertungen angewiesene Geisteswissenschaft. Die Wertungen, die das Leistungsfähigkeitsprinzip und seine Unterprinzipien verlangen, lassen sich mehr oder weniger schwer objektivieren. Aus der Verfassung lässt sich wegen bestehender Wertungsspielräume kein bis in die Details hinein bestimmtes Steuerrecht ableiten. Insoweit ist das 95
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
Grundgesetz – wie J. Isensee es ausdrückt – „nicht das ‚juristische Weltenei‘, in dem das komplette Steuerrecht angelegt wäre.“119 Soweit innerhalb des Wertungsspielraums mehrere Wertungen vertretbar, begründbar, diskutabel sind, darf der Gesetzgeber diejenige Wertung bevorzugen, die ihm am plausibelsten erscheint, und ebenso darf es der Steuerpolitiker. Immer müssen Steuerrechtspolitik und Gesetzgeber aber darauf bedacht sein, dem Gemeinwesen eine dem Recht verpflichtete Steuerordnung zu geben. Mit dieser Aufgabe sind freischöpferische Entscheidungen der Beliebigkeit oder Willkürlichkeit nicht vereinbar. Daher darf nicht beschlossen werden, was prinzipiell unvertretbar, indiskutabel, unbegründbar ist. Eine Politik, die sich opportunistisch nur an den Wünschen der eigenen Wählerklientel orientiert, oder an den Wünschen von Interessenverbänden oder DAX-Unternehmen (denen manche Abgeordnete zugleich dienen), ist keine Rechtspolitik. Allein die demokratische Legitimation der Abgeordneten reicht nicht aus, gesetzliche Privilegien und Diskriminierungen zu rechtfertigen. Kein Abgeordneter ist durch seine Wahl legitimiert, an ungerechten, unnötig komplizierten und unverständlichen Steuergesetzen mitzuwirken. Auch Geisteswissenschaftler werden, wenn sie zu werten haben, davon beeinflusst, dass sie einem bestimmten Milieu entstammen, nicht frei sind von Einflüssen und Vorurteilen, die auf Erziehung, Tradition, Religion zurückgehen, und dass sie in einem bestimmten Umfeld leben. Auch das Geschlecht und die politische Einstellung können sich auf eine Wertung auswirken. Auch unter Wissenschaftlern gibt es Konservative, Liberale und Sozialisten. Den aufgeklärten Wertungspluralismus müssen auch selbstgewisse, dogmatisch stark festgelegte „Einzelkämpfer“ respektieren. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass die Überzeugung von der alleinigen Richtigkeit des eigenen festgezurrten Werturteils oft schwerer zu erschüttern ist als vermeintliches Tatsachenwissen. Steuerpäpste lässt der Wertungspluralismus nicht zu. Allenfalls Verfassungsrichter mag man als Rechtspäpste bezeichnen, erwachsen ihre Entscheidungen doch in Gesetzeskraft.120 Nur sie selbst können ihre Rechtsprechung ändern. Auch Verfassungsrichter sind aber nur kraft Fiktion unfehlbar. Steuerpolitik und Steuergesetzgebung sind relativ frei, wenn es um die Höhe von Steuersätzen – Eingangs- und Spitzensteuersatz eingeschlossen – geht oder um die Höhe einer Steuerentlastung, um die Art einer Gegenfinanzierung, in Grenzen auch, wenn das Verhältnis der Belastung mit direkten oder indirekten Steuern zu bestimmen ist. 96
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
Die pure Wertungs-Unrichtigkeit, der pure Irrtum ist unter pluralistischem Aspekt durchaus nicht die Regel. Oft stehen der einen vertretbaren Lösung eine oder mehrere andere Lösungen gegenüber, die ebenfalls vertretbar sind. Wer daran zweifelt, mag sich die unten (S. 138 ff.) erörterten, von Steuerwissenschaftlern stammenden EinkommensteuergesetzEntwürfe ansehen. Trotz gemeinsamer Grundüberzeugungen überwiegt nicht selten die Vielfalt der Detaillösungen, nicht die einheitliche Lösung. Konsequenz muss allerdings auf jeden Fall verlangt werden. Als Politikberater wären Steuerrechtswissenschaftler gut beraten, wenn sie der Steuerpolitik und dem Gesetzgeber nicht nur die eigene Meinung präsentieren, sondern die Grenzen vertretbarer Wertung aufzeigen und sodann in weiser Selbstbeschränkung die vertretbaren Lösungen auflisten und zu jeder Lösung die Pro’s und Kontra’s benennen würden. In der Regel gibt es sowohl auf der Regierungsseite als auch auf der Oppositionsseite Argumente, die nicht einfach vom Tisch gewischt werden können.
II. Eine Einkommensteuerreform wäre rechtlich machbar Die Rechtswissenschaft hat nicht nur die Aufgabe, der Gesetzgebung durch Interpretation und – soweit zulässig – Lückenausfüllung nachzuarbeiten; sie hat auch Regeln zu schaffen, die guter Gesetzgebung vorausliegen.121 „Die theoretische Beschäftigung mit der Rechtsetzung, ihren Methoden, Formen und Eigengesetzlichkeiten war (indessen) über weite Teile des 20. Jahrhunderts in Deutschland ein eher vernachlässigtes Forschungsgebiet im Vergleich zu dem Interesse, welches Fragen der Rechtsauslegung und Rechtsanwendung entgegengebracht wurde“,122 und zwar keineswegs nur im Steuerrecht. Die allgemeinen Empfehlungen, die die Gesetzgebungsratgeber uns mit auf den Weg geben, sind überwiegend formaler Natur und durchweg selbstverständlich: – Das Gesetz soll wohlgeordnet, nicht verwirrend aufgebaut werden; es soll durch eine klare Gliederung übersichtlich gestaltet werden. – Der Gesetzestext soll nicht weitschweifig, sondern prägnant gefasst werden. Um leserfreundlich zu sein, und zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten soll er sprachlich klar und präzise sein. Die einzelnen Sätze sollen eher kurz und unverschachtelt sein. – Das Gesetz soll einerseits keine Regelungslücken enthalten und andererseits nicht „übernormieren“. 97
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
Das Gesetz muss indessen nicht bloß formale Anforderungen erfüllen; es muss – inhaltlich – auch sachgerecht sein. Gesetze, die Lasten verteilen, müssen das nach einem sachgerechten Maßstab tun. „… es gehört zum Wesen juristischen Denkens und gerechter Entscheidungen“ – so der Ökonom und Nobelpreisträger F. A. von Hayek –, „dass sich der Jurist bemüht, das ganze System widerspruchsfrei zu machen“.123 Als sachgerechter Maßstab ist für das Steuerrecht das Leistungsfähigkeitsprinzip allgemein anerkannt. Dieses Prinzip ist in vielen Verfassungen niedergelegt.124 Auch in der ausländischen Literatur ist die Meinung, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip das tragende Prinzip des Steuerrechts sei oder sein müsse, ganz herrschend.125 Das lässt sich wohl auch für die finanzwissenschaftliche Literatur noch immer feststellen.126 Auch die Regierung beruft sich in Gesetzesentwürfen, die Opposition in Anträgen an das Parlament127 auf das Leistungsfähigkeitsprinzip. Auch im Wahlkampf wird es propagiert. Aus Rücksicht auf Wählerklientel und Interessenverbände werden von der Steuerpolitik jedoch immer wieder Lösungen gewählt, die jede Rückkopplung zum Leistungsfähigkeitsprinzip vermissen lassen. In der Realität stehen nur zu oft andere – rechtlich nicht akzeptable – Prinzipien im Vordergrund, nämlich: – das Prinzip der Stimmenmaximierung oder -optimierung (s. dazu S. 65 ff.); – das Fiskalprinzip, das danach fragen lässt, ob eine die Bemessungsgrundlage betreffende gesetzliche Maßnahme zu Mehr- oder Mindereinnahmen führt. Indessen darf das Fiskalprinzip den Tarif beeinflussen, nicht aber die Gestaltung der Bemessungsgrundlage. Das Leistungsfähigkeitsprinzip – ein wertendes Prinzip – ist allerdings in der Tat konkretisierungsbedürftig. Das liegt jedoch in der Natur eines jeden Prinzips, auch in der Natur eines jeden Verfassungsprinzips. Die Verfassungsprinzipien und auch das (in etlichen Verfassungen verankerte) Leistungsfähigkeitsprinzip sind deshalb aber nicht inhaltsleer und wertlos. Das Leistungsfähigkeitsprinzip bewährt sich als grundlegendes Prinzip eines Steuersystems des Rechts und der Ordnung, einer systematischen Prinzipienordnung statt eines zusammenhanglosen Allerleis. Die sachgerechte Prinzipienordnung bildet die Architektonik der Steuerrechtsordnung oder Steuergerechtigkeitsordnung. Systemgerecht legifizieren kann nur, wer eine systematische Konzeption hat, nicht jedoch, wer das Fremdwort „System“ nur in seine Imponiersprache aufgenommen hat. Das Leistungsfähigkeitsprinzip fragt – anders als das Äquivalenzprinzip – nicht danach, was der Bürger vom Staat und von den Gemeinden erhält, sondern nur danach, was der Bürger aus seinem Einkommen beitragen 98
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
kann, damit der Staat seine Aufgaben zu erfüllen vermag. Es handelt sich um eine Art Solidaritätsprinzip. Je höher das Einkommen, desto mehr finanzielle Verantwortung für das Gemeinwohl sollen die Bürger tragen. Da Steuern nur aus dem gespeicherten Einkommen entrichtet werden können, liefert das Leistungsfähigkeitsprinzip den Maßstab dafür, welchen Teil ihres Einkommens die Bürger als Steuer abzuführen haben. Dieser Anteil ergibt sich aus den Bemessungsgrundlagen und den Steuersätzen (Steuertarifen). Die Bemessungsgrundlage muss entsprechend dem Leistungsfähigkeitsprinzip „wahr“ sein, weil sonst eine „unwahre“ Tarifbelastung ausgewiesen wird. Das Leistungsfähigkeitsprinzip geht zunächst von der sich im Einkommen ausdrückenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aus. Die steuerliche Leistungsfähigkeit bleibt aber hinter der wirtschaftlichen zurück, weil jeder Bürger zwangsläufig einen Teil seines Einkommens für seine eigene und für die Existenz seiner Familie verwenden muss. Nur was über dieses Minimum hinausgeht, ist für die Steuerzahlung disponibel. Steuerliche Leistungsfähigkeit ist danach die Fähigkeit von Personen, die Steuern aus dem gespeicherten Einkommen entsprechend der Höhe des disponiblen Einkommens zahlen zu können. Wird ausgehend vom Leistungsfähigkeitsprinzip über seine Unterprinzipien zu den einzelnen Rechtssätzen hinabgestiegen, so wird eine Ordnung geschaffen, und zwar eine Rechtsordnung, die diesen Namen verdient, indem sie Regelungslücken, Widersprüche und Inkonsequenzen vermeidet und für Prinzipdurchbrechungen eine hinreichende Rechtfertigung verlangt. Die Steuerrechtsordnung hört damit auf, auf einem beliebigen Diktum des Gesetzgebers zu beruhen, eine beliebig verfügbare Masse der Wirtschafts- oder Sozialpolitik zu sein. Schafft der Gesetzgeber durch Verstöße gegen das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Belastungsungleichheiten, so reagieren steuergewandte Bürger und ihre Berater alsbald durch ausweichende, die Gesetzesanwendung oftmals komplizierende Gestaltungen. Sachgerechte Prinzipien sind allerdings nicht nur Fundamente der Gerechtigkeit, sie haben auch andere positive Folgen, nicht zuletzt für die Gesetzesanwendung: – Prinzipien sorgen für Ordnung und Übersicht in den Gesetzen. Auch Ordnung ist eine Kategorie des Rechts. Prinzipien schaffen eine einheitliche Rechtsordnung, schaffen Rechtskultur und Rechtsautorität. Recht ohne sachgerechte Prinzipien und ohne Konsequenz ist Recht ohne juristische Rationalität; es ist partikularistisches Stückwerk und Flickwerk; es ist Recht niedriger Stufe, primitives Recht, pathologisches Recht, das mehr Probleme schafft als es löst. 99
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
– Nur Prinzipien ermöglichen das Vergleichen, das der Gleichheitssatz verlangt, sowie Orientierung bei der Gesetzesanwendung. – Wer sich nicht zu sachgerechten Prinzipien bekennt, ist geistig machtlos gegenüber dem gruppennützigen Wirken mächtiger Interessenverbände, die der nicht sachgerechten Maxime folgen: Recht ist, was der Gruppe, dem Verband nützt. Nur regelhafte Konsequenz sorgt dafür, dass nicht nur die Gruppen bedacht werden, die lautstark Ansprüche stellen und aus Wahlrücksichten nur zu oft erhört werden, sondern alle, die sich in der gleichen Situation befinden. Prinzipienlosigkeit und inkonsequente Prinzipiendurchbrechung ermöglichen die freie Entfaltung der Verbindung von Lobbyismus und Politik, Geld und Politik, persönlichem Vorteil und Politik. Unternehmer sollen durch wirtschaftliche Leistungen zu etwas kommen statt durch Steuervergünstigungen zu Lasten Dritter. – Erst die konsequente Beachtung von Prinzipien durch den Gesetzgeber sorgt dafür, dass alle Fälle erfasst werden (auch die nicht bedachten) und dass keine Lücken und Widersprüche entstehen. – Prinzipienhaftes Recht schafft ein übersichtliches, folgerichtiges System anstelle der Akkumulation unsystematischer Bruchstücke. Ein solches System fördert Lehrbarkeit und Lernbarkeit des Rechts. Systematische Zusammenhänge pflegt das Langzeitgedächtnis ohne Schwierigkeiten aufzunehmen. Eine große Menge prinzipienloser, unsystematischer Details überflutet das Gedächtnis und verliert sich alsbald aus ihm. Existiert ein System, so kann man die Details leicht einordnen. Nur die Orientierung an Prinzipien oder Regeln ermöglicht in vielen Fällen zügige Lösungen. Unzählige prinzipienlose Details können nur „gepaukt“ oder „gebüffelt“ werden. Viel lernen und wenig verstehen ist nicht lernökonomisch. – Sachgerechte Prinzipien machen das Recht einsichtig. Die Möglichkeit, sich an Prinzipien zu orientieren, fördert die Rechtssicherheit. Nur durch sachgerechte Prinzipien kann der juristische Problemhaushalt in Grenzen gehalten werden. Prinzipienlosigkeit schafft ein Übermaß an Konfliktstoff und erhöht die Fehlerquote der Gesetzesanwender. – Die Prinzipienhaftigkeit sorgt für Konstanz. Werden Gesetze prinzipienlos ständig geändert, so können sich Gesetzesanerkennung, Gesetzesvertrauen und Gesetzestreue nicht entwickeln. Das Rechtsbewusstsein wird irritiert. – Sachgerechte Prinzipien entlasten als Orientierungsmittel Steuerpflichtige, Steuerberater, Steuerbeamte und Steuerrichter; sie tragen zu einer effizienteren, zugleich weniger kostenaufwendigen Besteuerung bei. 100
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
– Basiert das Steuerrecht nicht auf sachgerechten Prinzipien, so ist auch das an ein solches Steuerrecht anknüpfende Steuerstrafrecht nicht gerecht.128 „Es ist ein alter Wunsch …“ – so schon kein Geringerer als Immanuel Kant –, „dass man doch einmal statt der endlosen Mannigfaltigkeit bürgerlicher Gesetze, ihre Prinzipien aufsuchen möge, denn darin kann allein das Geheimnis bestehen, die Gesetzgebung … zu simplifizieren.“129 Auch die Verfasser des französischen Code civil (Code Napoléon) wussten: „La science du législateur consiste à trouver dans chaque matière les principes les plus favorables au bien commun.“130 F. A. von Hayek erkannte: „Freiheit kann nur erhalten werden, wenn man Prinzipien folgt, und sie wird zerstört, wenn man der Zweckmäßigkeit folgt.“131 Diese Einsichten kann niemand, und mag er noch so mächtig sein, außer Kraft setzen. Sie sind durch Erfahrung vielfach bestätigt. Dass die Detailantworten auf die Frage, was dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspricht, im Rahmen des Vertretbaren unterschiedlich ausfallen können, ist bereits eingeräumt worden. Der Finanzwissenschaftler E. Wenger – wohl ein Vertreter des „ökonomischen Imperialismus“ – behauptet freilich, das Leistungsfähigkeitsprinzip sei von „rhetorisch begabten Schwadroneuren als Beutegut im Meinungskampf usurpiert worden“. Er spricht von einer „rituellen Beschwörungsformel“ und weist darauf hin, dass der Finanzwissenschaftler Konrad Littmann das Leistungsfähigkeitsprinzip schon vor mehr als drei Jahrzehnten aus der Diskussion habe eliminieren wollen.“132 Man muss allerdings hinzufügen, dass das keineswegs gelungen ist.133 Littmann selbst hat übrigens nichts mit denen im Sinn, die – wie er selbst es ausdrückt – „phantastische Visionen“ haben, „die die Besteuerung zum zentralen Schaltwerk der Wirtschafts- und Sozialpolitik verklären.“134 Der Steuerökonom F. W. Wagner setzt der steuerjuristischen wertungsorientierten Steuerrechtslehre im Anschluss an US-amerikanische Ökonomen ein wirkungsorientiertes Steuerdenken entgegen.135 Ein rechtsstaatliches Steuerwesen, das den Namen „Steuerrecht“ verdient, muss aber rechtlich durchwirkt werden, darf nicht bloßer Wirkungs-Ökonomismus sein. Gerade das Leistungsfähigkeitsprinzip und seine Unterprinzipien dienen dazu, Steuerrecht zu schaffen. Würden wirkungsorientierte Steuergesetze aber für Gleichbelastung sorgen, würden sie Rechtssicherheit schaffen, würden sie für relativ einfache Steuergesetze sorgen? Rechtsstaatliche Verfassungen wollen verhindern, dass Gesetze Ausdruck von Herrschaft und Macht oder von Interessenwillkür sind. Sie verlangen nach einer Orientierung an Rechtsmaßstäben. Meines Erachtens kann eine Einkommensteuerreform nicht gelingen, wenn es allein oder primär auf die ökono101
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
mische Effizienz ankommen soll. Die Gerechtigkeit muss Vorfahrt haben; daher gehören die Reformvorbereitungen zunächst in die Hand von Rechtssystematikern. Was ökonomisch effizient ist, ist zudem höchst umstritten. Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist ein Gerechtigkeitsprinzip – und damit ein Wertungsprinzip – von hohem Rang. Es darf nicht dadurch minimalisiert werden, dass man „jeden nicht unsachlichen“ Grund ausreichen lässt, die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips und damit die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Gerechtigkeitsprinzipien sollen dem Gemeinwohl dienen. Die Durchbrechung des Prinzips muss ebenfalls auf einem Gemeinwohlanliegen von hohem Rang beruhen. Sonst steht die Steuergerechtigkeit, die Gleichheit der Steuerbelastung, auf tönernen Füßen. Gleichwohl kann es Gemeinwohlbedürfnisse geben, die gewichtiger sind als die isoliert betrachtete Steuergerechtigkeit als einer Teilgerechtigkeit. Zu gewichten ist der Gemeinwohlwert des Gerechtigkeits- und Gleichbehandlungsgebots einerseits und der Gemeinwohlwert der die Gleichbehandlung durchbrechenden Norm andererseits. Steuerrechtlich lässt sich dazu allgemein feststellen: Eine steuerliche Ungleichbelastung ist nur gerechtfertigt, wenn sie dem Gemeinwohl mehr dient als die pure Steuergleichbelastung, insbesondere weil die Ungleichbelastung zu einem größeren gesamtgesellschaftlichen Nutzen führt. So lässt es sich m. E. rechtfertigen, beruflich veranlasste Geldstrafen und Geldbußen nicht zum Abzug als Erwerbsaufwendungen zuzulassen. Geht es um den materiellen Nutzen, so muss die Ungleichbelastung m. E. nicht nur zu einem besseren wirtschaftlichen Makro-Ergebnis führen; vielmehr müssen auf Grund der Ungleichbelastung alle besser dastehen als bei Gleichbelastung aller. Nur bei einem solchen Ergebnis ließe sich von einer übergeordneten Gemeinwohlgerechtigkeit sprechen, die der isolierten, puren Steuergerechtigkeit im Wert überlegen wäre. In dieser Weise ließe sich das Anliegen der beiden genannten Ökonomen wohl rechtlich einordnen, damit aber noch nicht allgemein rechtfertigen. Die von F. Wenger als „Schwadroneure“ Abqualifizierten haben immerhin konkrete Einkommensteuergesetz-Entwürfe vorgelegt. F. Wenger und F. W. Wagner sollten das auch tun; dann könnte man sich besser mit ihnen auseinandersetzen. Auch Ökonomen sind sich bekanntlich nicht darüber einig, welche Wirkungen Steuergesetze in der Zukunft auslösen werden und ob diese Wirkungen sich ökonomisch günstig oder ungünstig auswirken. Auch wirtschaftswissenschaftliches Prognostizieren kann u. U. nur eine Form des Meinens oder Glaubens sein. Auch Ökonomen werten unterschiedlich. Schon ihre unterschiedlichen oder gar widersprüchlichen Empfehlungen zeigen, dass ihr Wissen 102
Ist eine Einkommensteuerreform machbar?
auch subjektiv und relativ ist. Zwischen den renommierten Ökonomen Hans-Werner Sinn und Peter Bofinger oder Wolfgang Wiegard und Peter Bofinger z. B. liegt ein weites Feld. Ihre Denkmodelle sind unvereinbar. Auch die Reformentwürfe der Ökonomen M. Rose und J. Mitschke (S. 112, 113) fallen auseinander. Den Vorschlag des Sachverständigenrats (der Ökonomen), eine duale Einkommensteuer einzuführen, nennt M. Rose einen „systematischen Irrweg“. Der apodiktischen Berufung auf die „ökonomische Vernunft“ (F. W. Wagner) fehlt die Objektivität. Hinter ihr kann sich bloß subjektives Dafürhalten verbergen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Es geht nicht darum, die Steuerökonomen aus der Gesetzesvorbereitung auszuschalten. Bevor sie ihre Vorschläge einbringen, muss aber zunächst einmal eine juristisch saubere, am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Bemessungsgrundlage erarbeitet werden. Das Leistungsfähigkeitsprinzip gilt nur für Steuern, nicht für Gebühren und Beiträge; für sie gilt das Äquivalenzprinzip. Die Juristen haben viel Mühe darauf verwendet, Steuern, Gebühren und Beiträge voneinander abzugrenzen. Wichtiger als die Begrifflichkeit ist aber die Frage: Unter welchen Voraussetzungen ist die auf Leistungsfähigkeit bezogene Steuer gerechtfertigt, und unter welchen Voraussetzungen ist die auf Äquivalenz (Nutzen, Kosten) bezogene Vorzugslast (Gebühr, Beitrag) gerechtfertigt? Es geht um die Frage: Welche Abgabenart (Steuern oder Gebühren/Beiträge) ist jeweils vorzuziehen? Dürfte z. B. anstelle einer Müllabfuhrgebühr eine (progressive) Müllabfuhrsteuer erhoben werden? Darüber scheint bisher wenig nachgedacht worden zu sein. Es ist m. E. jedenfalls nicht die angemessenste Lösung, alle Leistungsfähigen für alles zahlen zu lassen. Geht es um Vorteile, die nur einzelnen Gruppen zugute kommen und ihnen auch zugerechnet werden können, so kann es m.E. durchaus sachgerecht sein, nur diese Gruppen äquivalent oder adäquat zu belasten, statt alle Bürger heranzuziehen. Entstehen durch das Verhalten einzelner oder einzelner Gruppen Kosten, so kann es durchaus sachgerecht sein, nur diese einzelnen oder diese Gruppen mit einer Gebühr zu belasten, statt die Allgemeinheit der Steuerzahler. P. Kirchhof möchte „bei allen individuell empfangenen Staatsleistungen eine Gebührenfinanzierung vorziehen, die Steuerfinanzierung also auf die nicht individualisierbaren Staatsleistungen … beschränken …“.136 Dahin tendiert auch der Soziologe Paul Nolte.137 Aufbauend auf der steuerrechtlichen Prinzipienordnung138 haben Steuerjuristen mehrfach „Wege aus dem Steuerchaos“ gewiesen, so J. Lang139 und A. Raupach.140 J. Lang hat auch in den 80er und 90er Jahren schon ausformulierte Gesetzentwürfe vorgelegt.141 Hinzu gekommen sind inzwischen die sechs auf S. 18 genannten, nunmehr näher zu erörternden (s. s. 104 ff.) Entwürfe. 103
G. Grundsätzliches zu sechs Einkommensteuer-Reformentwürfen – Ein Vergleich I. Der Wettbewerb der Entwürfe um die Gunst der Steuerpolitik; Entstehung und Charakteristika der Entwürfe Die erwähnten sechs Reformentwürfe werden nunmehr, zunächst im Grundsätzlichen, verglichen.
1. Zu Paul Kirchhof
© Bert Bostelmann / argum
Vor P. Kirchhof gab es schon Reformentwürfe von J. W. Gaddum142 und von J. Lang.143 Der Gaddum-Entwurf beschränkte sich im Wesentlichen darauf, die Lenkungsvorschriften – insbesondere die Steuervergünstigungen – zu streichen. J. Lang hingegen lieferte 1985 schon einen systematischen Aufbau des Gesetzes und sorgte für eine inhaltliche Systematisierung, ferner für eine Präzisierung der Fachsprache. Sein Entwurf war bereits ein Muster systematischer Ordnung und Klarheit; an ihm
Prof. Paul Kirchhof, Verfasser eines Einkommensteuer-Reformentwurfs
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Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
konnten Systemliebhaber sich delektieren. Unter den Steuerpolitikern von damals – die Spitze der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums eingeschlossen – gab es jedoch keine solchen Liebhaber. Steuerwissenschaften und Steuerpolitik gingen im Wesentlichen getrennte Wege. Weil die Steuerpolitik den Gaddum-Entwurf und den Lang-Entwurf verschmähte, kam es auch nicht zu einer Konkurrenz der beiden Entwürfe. Um die Wende zum 21. Jahrhundert traten dann der Staats- und Steuerrechtslehrer, Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof und der Ökonom Manfred Rose mit Entwürfen zum Einkommensteuergesetz hervor, die sich wesentlich unterschieden. Im Jahre 2001 präsentierte Paul Kirchhof der Öffentlichkeit zunächst den von ihm inspirierten144 und unter Beteiligung eines Arbeitskreises entstandenen sog. „Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes“.145 Der Entwurf wurde auch dem Finanzausschuss des Bundestages vorgestellt, später auch einem Kreis von Steuerfachleuten. Auf der Reputation aufbauend, die P. Kirchhof sich als Verfassungsrichter (Berichterstatter) durch eine Reihe bahnbrechender Entscheidungen, insbesondere zum Steuerrecht, erworben hatte, entwickelte er mit viel Freiheitspathos PR-Fähigkeiten, wie sie bei Universitätsprofessoren selten anzutreffen sind. P. Kirchhof hat Charisma, ist ausdrucksstark und wortprägend und macht seine Anschauungen über die vielen Gebrechen des als trocken geltenden Steuerrechts gern in Sprachbildern anschaulich. Diese Bilder lassen sein Steuerrecht als eine Art Idylle erscheinen. Von Unsicherheit oder Zweifeln ist bei P. Kirchhof nichts zu erkennen. Seine festgezurrten, ständig wiederholten Grundauffassungen, auch sein Freiheitsmantra146 trägt er pointiert, aber nicht drastisch vor. Er ist von gewinnender, niemals die Contenance verlierender Höflichkeit. Seine Gestik und Mimik sowie seine angenehme Sprachtönung tun ein Übriges. P. Kirchhof propagierte die Vorzüge des „Karlsruher Entwurfs“ – der konzeptionell und terminologisch weithin seine Handschrift trägt – nicht nur vor vielen Fachleuten, insbesondere Steuerberatern,147 er verstand es auch, die Medien – das Fernsehen eingeschlossen – zu interessieren und für sein Anliegen einzunehmen.148 Der SPIEGEL berichtete 1999: „Kirchhof der Hexer schreibt ein Steuergesetzbuch. Der uralte Traum, zumindest von Paul Kirchhof, soll hinter den Mauern der ältesten Universität Deutschlands in Erfüllung gehen. Da entsteht ein gerechtes Gesetz, das über Generationen hält, vielleicht länger als das Bürgerliche Gesetzbuch. Paul Kirchhof schreibt am endgültigen deutschen Steuergesetzbuch. Es soll so einfach werden, dass es jeder verstehen kann … Kirchhof verspricht, sein Steuergesetz werde nichts kosten, es werde dem Staat keinen Pfennig weniger in die Kasse bringen als das geltende Dickicht aus 120 Gesetzen des Bundes mit 2500 Para105
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graphen und 178 Verordnungen.“149 Auch Redakteure des FOCUS kamen enthusiasmiert von einem Interview mit P. Kirchhof am Schliersee in die Redaktion zurück und begeisterten selbst den Chefredakteur.150 „Kirchhof“ – schrieb dieser im Editorial schwärmerisch – habe seine Redakteure „in ein deutsches Steuerparadies blicken lassen.“ Er warnte allerdings schon vor „Bedenkenträgern und Korinthenkackern“, die bald ihre Zeigefinger erheben und ihr „ja, aber“ zu Protokoll geben würden. Für den präsentierten „Karlsruher Entwurf“ erhielt P. Kirchhof viel Beifall und erstaunlich wenig Kritik151, besonders wenig von den Steuerberater-Praktikern. Steuerberater sind allerdings keine Experten in Gesetzgebung. Entweder war der Karlsruher Entwurf aber zu früh „vom Stapel gelassen worden“, oder er war ein bewusster erster Versuchsballon, mit dem Stimmung und Echo getestet werden sollten. Auf Grund weiterer Arbeiten in Kirchhofs „Forschungsstelle Bundessteuergesetzbuch“ wurde jedenfalls der Karlsruher Entwurf bis Oktober 2003 zu einem „Einkommensteuer-Gesetzbuch“ weiterentwickelt, in das die Körperschaftsteuer integriert und ein Einheitssteuersatz von 25 % aufgenommen wurde.152 Der Einkommensteuer-Gesetzbuchentwurf ist als Teil eines GesamtSteuergesetzbuches gedacht – mit einem Allgemeinen Teil und den Teilen (Büchern) Einkommensteuer, Erbschaftsteuer, Umsatzsteuer und Sonderverbrauchssteuern. Diese Steuern sollen die zurzeit geltenden 36 Bundessteuern ersetzen. Dadurch soll der Zustand beendet werden, den P. Kirchhof bildhaft wie folgt beschreibt: „Der besteuernde Staat verhält sich heute wie ein Mückenschwarm. An jeder Ecke lauern die Mücken, um den Steuerpflichtigen Blut abzuzapfen. Bürger und Unternehmen weichen deshalb ständig aus und machen die unsinnigsten Umwege, um den Stichen zu entgehen. Statt sich auf ihr wirtschaftliches Fortkommen zu konzentrieren, sind die Bürger permanent damit beschäftigt, die Mücken zu verscheuchen. Einige hat – ob der zahlreichen Stiche – bereits lähmendes Entsetzen ergriffen.“153 An anderer Stelle beschreibt P. Kirchhof den in der Tat beklagenswerten Zustand des Steuerrechts so: „Es gibt keinen anderen Rechtsbereich, der über lange Zeit so vernachlässigt wurde wie das Steuerrecht. Andere Rechtsgebiete sind dagegegen gepflegte Vorgärten. Wenn da an einer Rose ein Blättchen herunterfällt, stürzen fünf Gärtner hinzu, um es aufzuheben. Ich reite in einem Dschungel mit ein paar Schneisen, und wenn ich mal auf eine Lichtung komme, breite ich die Arme aus und lasse mir die Sonne aufs Gesicht scheinen.“153a Welche Rechtsgebiete heute noch juristisch so gepflegt sind, dass sich der Vergleich mit schmucken Rosen-Vorgärten anbietet, wird leider nicht mitgeteilt. 106
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P. Kirchhofs Maxime „Bemessungsgrundlage verbreitern, Steuersatz senken“ hatte sich schon der US-Präsident Ronald Reagan zu Eigen gemacht. Die Idee ist freilich älter. Kirchhofs Art der „Einheitssteuer“ – in den USA als Flat Tax, wörtlich Flachsteuer, bezeichnet, hat schon der konservative Laissez-faire-Ökonom Milton Friedman propagiert. Gegenwärtig betätigen sich die Ökonomieprofessoren Robert Hall und Alvin Rabushka als Missionare der Flat Tax. Allerdings gelang es ihnen bislang nicht, diese in den USA durchzusetzen. In Österreich ließ sich Jörg Haider (FPÖ) für die Flat Tax-Idee einnehmen, konnte sie in Österreich aber auch nicht durchsetzen. Vor P. Kirchhof ist schon M. Rose für die Integration der Unternehmensgewinne in die Einkommensteuer eingetreten. Steuerjuristen kritisieren an Kirchhofs 22-Paragraphen-Entwurf: Die Vielfältigkeit des Erwerbslebens lasse sich nicht in wenigen Paragraphen einfangen. Dass der Einheitssteuersatz von 25 % die Zustimmung einer Wählermehrheit finden könne, wird nachdrücklich bezweifelt. Mit seinem Einkommensteuer-Gesetzbuchentwurf sorgte P. Kirchhof in Deutschland nicht nur weithin für Schlagzeilen in der Presse („Paul Kirchhof legt jetzt das radikalste Modell vor“, titelte das Handelsblatt am 14./15.11.2003, S. 5), wie keinem vor ihm gelang es ihm auch, einflussreiche Politiker für sein Vorhaben zu interessieren, wenn nicht gar zu begeistern. Er nahm den (damals) stv. Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz für sich ein sowie mehrere Länder-Ministerpräsidenten und -finanzminister. Man unterstützte seine Arbeit durch Abordnung von Landesfinanzbeamten. Sein engagiertester Parteigänger wurde der Ministerpräsident von BadenWürttemberg Erwin Teufel. Dieser warb für P. Kirchhof in CDU-Gremien und bei vielen Gelegenheiten in der Öffentlichkeit. P. Kirchhof wurde auch „Botschafter“ der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (mit mehreren namhaften Persönlichkeiten in ihrem Kuratorium); diese startete eine PR-Kampagne für seinen Entwurf – mit ganzseitigen Anzeigen in Prof. Paul Kirchhof, „Reformer des großen Tages- und Wochenzeitungen. Jahres“ 2003 107
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
Im Dezember 2003 meldeten dann die Zeitungen: P. Kirchhof wurde von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und Lesern der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ für seinen Vorschlag einer „radikal vereinfachten Einkommensteuer und Körperschaftsteuer“ zum „Reformer des Jahres“ 2003 gewählt (obwohl doch Reformentwürfe noch keine Gesetzesreformen sind). Friedrich Merz erreichte den 2. Platz. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ titelte dazu am 7.12.2003: „Paul Kirchhof überzeugt alle.“ Er beweise, dass gute Reformvorschläge auch von einem einzelnen ohne institutionelle Macht auf die politische Agenda kommen könnten. P. Kirchhof und F. Merz bestätigten einander wiederholt öffentlich, in grundsätzlichen Reformfragen übereinzustimmen. F. Merz wurde „Reformer des Jahres“ 2004. Die Laudatio lieferte P. Kirchhof. Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, aus deren Unterstützung sich der Medienerfolg P. Kirchhofs wohl hauptsächlich erklärt, gilt als eine der modernsten und wohl auch erfolgreichsten Lobbyorganisationen der Wirtschaftsliberalen; sie verfügt über ein großes Budget und ist ganz auf die „Mediendemokratie“ eingestellt. Sie gestaltet öffentliche Meinung, liefert fertige Botschaften und Fernsehbeiträge, prägt Begriffe, schafft Symbole, liefert schlagzeilenträchtige Nachrichten und will dadurch für einen Bewusstseinswandel der Wähler sorgen, auch durch Seiten füllende Werbeanzeigen. Die Initiative, auch als „bürgerliche APO“ bezeichnet, wird allerdings als „politisch einseitig“ kritisiert: Sie vernachlässige die soziale Komponente und treibe einseitig Klientelpolitik für die Unternehmer und die obere Mittelschicht.154 P. Kirchhofs Optimismus, ja seine Überzeugung, sein Gesetzentwurf werde bald, vielleicht schon im Jahre 2005, im Bundesgesetzblatt stehen, 155 kam nicht von ungefähr. Als Verfassungsrichter hatte er seine Grundauffassungen immer durchgesetzt. Nun erhielt er auch für seinen Gesetzentwurf den Beifall nicht nur des Steuerberaterverbandes, der Deutschen Steuergewerkschaft und des Bundes der Steuerzahler, sondern auch Unterstützung von Spitzenpolitikern, besonders von Friedrich Merz. Dieser äußerte: Würde man Anfang 2004 seine (Kirchhofs, d. V.) Reform über eine Bundesratsinitiative in Gang setzen, könne alles schon ab 2005 greifen, wenn Rot/Grün im Bundestag mitmache. Im Internet konnte man lesen: „Der Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat auf Bitte der Länder Rheinland-Pfalz, Sachsen, Bayern, Baden Württemberg und Nordrhein Westfalen ein radikal vereinfachtes Steuersystem ausgearbeitet … Der renommierte Jurist erhält bereits parteiübergreifende Unterstützung. Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz hat bereits angekündigt, Kirchhofs Ideen in die Reformvorschläge von CDU/CSU einzubeziehen.“ Auf die 108
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Frage, ob er sein Modell für mehrheitsfähig halte, antwortete P. Kirchhof in einer Werbeanzeige der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“: „Ich bekomme Unterstützung aus allen Parteien, aus der Wirtschaft und auch von Steuerberatern. Aber natürlich gibt es auch Interessengruppen, die eisern ihre Steuerprivilegien verteidigen. Diese Widerstände lassen sich umso leichter überwinden, je mutiger die Politik Steuervereinfachung und Steuersenkung verbindet“ (www.chancenfueralle.de). P. Kirchhof, so schwärmte die erwähnte Sonntagszeitung, sei ein deutscher Gelehrter, der sich für das Geschäft der Politik nicht zu schade sei. Er erfülle alle Erwartungen an einen Gelehrten: „Hochgewachsen, in der linken Hand mit der Brille spielend und mit der Rech- Friedrich Merz, MdB, Verfasser von ten weit ausholend, spricht er fast Einkommensteuer-Reformthesen immer langsame Sätze, die luzide und sachbezogen, aber zugleich nicht arm an Nebensätzen sind.“ P. Kirchhof mag sich zu dieser Zeit fast am Ziel gewähnt haben. Er wollte und will noch immer vollenden, was er als Verfassungsrichter mit grundlegenden Urteilen begonnen hat. In seinem Buch „Der sanfte Verlust der Freiheit“ von 2004 lesen wir dazu, die Urteile hätten sich auf die jeweils vorgetragene Frage beschränken müssen, in ihren Antworten nicht über den Prozessgegenstand hinausgreifen dürfen. Und wörtlich: „Der Richter wirkt an der Reparatur eines Autos mit, auch wenn er längst erkennt, dass das schadhafte Auto durch ein neues Modell ersetzt werden müsste. So wächst der Wille, eine grundlegende Neukonzeption des Steuerrechts zu entwerfen. Für dieses Vorhaben steht die Zeit nach seinem richterlichen Amt zur Verfügung. Die Zeit ist reif“ (S. 35). Der Ex-Verfassungsrichter P. Kirchhof konnte endlich umfassend „reformieren“, nachdem für ihn die Schranken des Verfassungsprozessgegenstands entfallen waren. Auf P. Kirchhofs Wagen sprang auch der CDU-Politiker G. Uldall (zu ihm schon S. 44 ff.) auf. Er wollte allerdings den Kirchhof-Entwurf mit seinen eigenen Vorstellungen zu einem Gesetzentwurf der Union verschmelzen. P. Kirchhof allerdings ist kein Verschmelzer; er ist für P. Kirchhof pur. 109
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Jedoch erwies sich: Die Erwartung, die rot-grüne Regierung könnte den Kirchhof’schen Einkommensteuer-Gesetzbuchentwurf schon im Jahre 2004 aufgreifen und bereits am 1.1.2005 Gesetz werden lassen, war unrealistisch, war ein Traum. Der Gelehrte P. Kirchhof, der sich für die Politik nicht zu schade ist, war, was die Mitwirkung der rot-grünen Regierung betraf, wohl doch schon 2003/2004 zu blauäugig. Der SPDMinisterpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, hatte noch als nordrhein-westfälischer Finanzminister in seinem hauseigenen Finanz-Report geäußert: „Aber an die Vorstellung eines hochgradig vereinfachten Steuersystems, das durchweg auf Zustimmung stößt – und damit auch den Verzicht auf Sonderregelungen – glaube ich nicht. Ich finde es gut, dass Experten an dem Thema arbeiten, aber meine Erfahrungen laufen darauf hinaus, dass es diverse Interessen gibt, die mindestens soviel wie der Gesetzgeber zum komplizierten Steuerrecht beitragen.“ Überhaupt, eine Regierung pflegt nicht unbesehen die Vorschläge der Opposition (und man sah P. Kirchhof offenbar als Repräsentanten der damaligen Opposition) aufzugreifen und als Gesetzentwurf einzubringen. Im Übrigen zog sich die Regierung auf den Einwand zurück: Alle Entwürfe, nicht nur der Kirchhof-Entwurf, führten zu hohen, nicht akzeptablen Einnahmeausfällen; und die Regierung habe durch größere Steuersenkungen in den vorangegangenen Jahren bereits „die größte Steuerreform in der Geschichte der Bundesrepublik umgesetzt.“ Einmal mehr wurde hier eine Steuersenkung als Steuerreform ausgegeben. Von Steuervereinfachung war keine Rede mehr. Überraschend hatte die Financial Times Deutschland schon am 25. 9. 2003 mitgeteilt: „Union zweifelt an Kirchhofs Entwurf. Mehrere Finanzministerien halten Vorschlag für nicht umsetzbar.“ Damit kam – scheinbar, wie sich im August/September 2005 herausstellte (s. S. 168 ff.) – die Wende. Leitsätze von CDU und CSU (s. S. 188 f.) hielten sich mehr an den „Kölner Entwurf“. Ministerpräsident Teufel engagierte sich zwar weiterhin vehement für den Kirchhof-Entwurf, setzte sich damit aber einstweilen nicht mehr durch. Auch die Steuerberater begannen nun zu mäkeln: Die Umsetzung des Kirchhof-Konzepts sei noch mit der Klärungsbedürftigkeit vieler Zweifelsfragen behaftet; die steuerlichen Folgen griffen viel zu früh ein, und außerdem sollten – wohl nicht im Sinne der Steuerberater – offene Fragen in Durchführungsvorschriften von der Verwaltung geklärt werden. Am 16.4.2004 schrieb Hans D. Barbier in der FAZ (S. 15): „Wie halten es die Deutschen mit der Freiheit? In Oden und Dramen haben sie sie besungen. Aber von Paul Kirchhofs Steuermodell wollen sie nichts wissen … Mancher Generalsekretär der Parteien hat Kirchhof schon zur Beratung geladen. Aber keine Partei hat 110
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den Mut, sich sein Modell ins Programm schreiben zu lassen … Das (was Kirchhof wolle, d. V.) sei auf dem Papier richtig, aber dem Bürger nicht zu vermitteln“, heiße es jetzt. Barbiers Freiheitsbezug wird verständlich, wenn man weiß, dass fast alle Beiträge P. Kirchhofs von seinem Freiheitsmantra durchwirkt werden. Kirchhof verkündet: „Steuervereinfachung macht frei!“ Er schreibt über Geld als „geprägte Freiheit“, über die „Kraft des Prinzips Freiheit“, über „den sanften Verlust der Freiheit“. In Kirchhofs Beitrag „Standortbestimmung“156 kommt der verschwenderisch verwendete Begriff „Freiheit“ wohl mit Abstand häufiger vor als jeder andere Begriff. „Ein erneuertes Einkommensteuergesetzbuch schafft Freiheitskultur“, heißt es in Kirchhofs Schrift „Der sanfte Verlust der Freiheit“ (S.188). Auf S. X, XI dieser Schrift lädt P. Kirchhof uns ein, alles, was wir über das gegenwärtige Steuerrecht wissen, zu vergessen, „also das steuerliche Feld mit den vielen Barrieren ... zu verlassen“ und P. Kirchhof „in den Garten der Freiheit zu folgen, in dem wir den Neubeginn des auch steuerlich freien Menschen wagen wollen.“ Und auf S. 191 lesen wir: „Erklärungs- und Nachweislasten sind so zurückgenommen, dass der Steuerpflichtige dafür kaum seine Freizeit und damit seine Freiheit einsetzen muss. Hat er das Kassenhäuschen des Einkommensteuerrechts passiert …, wird ihn das Steuerrecht in Zukunft nicht weiter bedrängen. Er hat den Raum der Freiheit betreten, Steuerrecht und Finanzamt hinter sich gelassen.“ Eine Idylle fürwahr! Dazu will nicht recht passen, dass P. Kirchhof ein Liebhaber von Typisierungen und Pauschalierungen ist, die die ungleichen Verhältnisse von freien Individuen „über einen Kamm scheren“. Und soll der Staat unsere Freiheit schützen, so müssen wir ihn auch entsprechend finanzieren. Ohne diesen Schutz würden statt Freiheit bald Willkür und Faustrecht herrschen. Aus der Feststellung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Paul Kirchhof überzeugt alle“ – war nun nach einigen Monaten zunächst ein „dem Bürger nicht zu vermitteln“ geworden. Allerdings ließ die FAZ nicht wissen, wodurch die Wende weg von Kirchhof zustande gekommen war. Kirchhofs Ansinnen, das Parlament solle nicht nur seinen Entwurf als Gesetz beschließen, sondern sich darüber hinaus (selbst) verpflichten, an diesem Gesetz über längere Zeit (10 Jahre oder so) nichts zu ändern, mag auch CDU/CSU-Steuerpolitikern „verstiegen“ vorgekommen sein. Man vermisste vielleicht das Augenmaß.
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2. Zu Manfred Rose Im Herbst 2002 trat der Finanzwissenschaftler Manfred Rose mit einem von Mitgliedern des „Heidelberger Steuerkreises“ verfassten „Entwurf eines Einkommensteuergesetzes 2015“ auf den Plan.157 Auch M. Rose sitzt nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Auch er weiß sich der Presse zu bedienen, hat allerdings nicht die Darstellungs- und Selbstdarstellungskunst eines P. Kirchhof erreicht. M. Rose nennt seinen Entwurf auch „Entwurf eines Einfachsteuergesetzes“. Die Attraktivität und Medienwirksamkeit eines solchen Titels beiseite: Wenn die Einkommensteuer (und Gewinnsteuer) als „Einfachsteuer“ bezeichnet wird, welche Bezeichnung verbleibt dann für die übrigen Steuern? M. Roses Entwurf liest sich weithin wie ein Anti-Kirchhof-Entwurf, wenngleich er nicht bloß Reaktion auf den Kirchhof-Entwurf war. In der Tat sind die beiden Heidelberger Professoren – ein Jurist und ein Ökonom – in den meisten Grundfragen im Dissens. M. Rose beschäftigt sich in der Entwurfsbegründung eigens mit dem Kirchhof’schen „Karlsruher Entwurf“ und listet auf S. 100 ff. die Meinungsverschiedenheiten auf. M. Rose ist in Deutschland einer der entschiedensten Vertreter einer konsumbasierten Einkommen- und Gewinnsteuer. Er hat immer wieder darauf hingewiesen oder darauf hinweisen lassen, er und einige Kollegen hätten dafür gesorgt, dass die konsumorientierte Einkommen- und Gewinnsteuer in Kroatien eingeführt worden sei. Kroatien habe, so berichtete der SPIEGEL schon 1996 ganz im Sinne Roses „das wohl fortschrittlichste Steuersystem der Welt“.158 Auf S. 10 des Vorworts zum RoseEntwurf heißt es: „Hier werden die Bausteine einer möglichen Rechtsgrundlage skizziert, die Manfred Rose auf der Grundlage seiner Erfahrungen bei der Mitwirkung an dem Aufbau eines neuen kroatischen Steuersystems und neuerdings auch eines – nach dem Konzept der Einfachsteuer modellierten – Systems der Einkommensbesteuerung für Bosnien und Herzegowina entwickelt hat.“ Noch in der Festschrift für M. Rose aus dem Jahre 2003 wird „die prägende Gestaltung des kroatischen Steuersystems“ durch Manfred Rose und die mit ihm verbundenen Wissenschaftler lobend erwähnt. In einem anderen Beitrag zu dieser Festschrift (S. 95) wird festgestellt: „Die von Manfred Rose entwickelte Idee einer dynamischen Interpretation der Leistungsfähigkeit und insbesondere die ihm gelungene Umsetzung in die steuerliche Praxis bildet die Grundlage für Steuerreformen in einer zunehmenden Zahl europäischer Länder.“ Gern hätte man indessen gewusst, welche Länder gemeint sind? An anderer Stelle der Rose-Festschrift (S. 407) wird immerhin eingeräumt: „Of course, the Croatian reform was short lived … In private 112
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
conversation, Professor Dr. Rose has suggested that the reversal of the croatian reform primarily reflected political factors ...“. Die deutsche Steuerpolitik hat M. Roses Entwurf nicht aufgegriffen. Sein Verdruss über die Ablehnung seines Entwurfs ist verständlich. Er führt sie wohl vor allem auf die Beharrung von Steuerjuristen in der Finanzverwaltung zurück. In einem Presseinterview äußerte er jedenfalls verärgert: „Leider haben die Juristen und nicht die Ökonomen das Sagen. Die Juristen beherrschen das Feld in jeder Hinsicht. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Betroffenen das Kapital ins Ausland bringen … Ob und wie schnell sich ein neues Leitbild etablieren lässt, hängt davon ab, ob und wie schnell die Juristenlobby entweder beiseite gedrängt oder überzeugt werden kann. An das Überzeugen denke ich weniger, eher daran, sie irgendwie auszuschalten“ (FuW v. 25.9.2002). Auch „die Juristen“ sollte man allerdings nicht über einen Kamm scheren. Der Jurist J. Lang war Mitglied des Rose’schen Heidelberger Steuerkreises, und M. Rose hat sich – wie er selbst erwähnt – für „die Entwicklung des Gesetzentwurfs aus juristischer Sicht am Steuergesetzbuch von Lang (1993) orientiert“ (S. 147). M. Roses konsumorientiertes Modell lässt sich m. E. theoretisch durchaus vertreten. Nur sollte man nicht insinuieren, dieses Modell habe begonnen, sich über die Welt auszubreiten. Schon aus diesem Grunde hat es auch in Deutschland zurzeit keine realistische Chance (dazu näher unten S. 140). Der deutsche Steuergesetzgeber – ganz gleich, von welchen Parteien gestützt – macht keine KonsumeinkommensteuerExperimente.
3. Zu Joachim Mitschke und Michael Elicker Im Sommer 2002 veröffentlichte die „Humanistische Stiftung“, vertreten durch Rechtsanwalt und Notar Dr. Hansgeorg Jehner, eine Auslobung. Prämiert werden sollten die nach Meinung der Jury besten Einkommensteuer-Gesetzentwürfe. Die Auslobung wurde besonders gerichtet an das Bundesfinanzministerium und die Länderfinanzministerien, an die Präsidenten der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit, an die Oberfinanzpräsidenten und die Finanzamtsvorsteher sowie an eine Reihe von Verbänden. Aber entgegen den Erwartungen des Stiftungsvorstandes war die Beteiligung relativ gering. Besonders enttäuschte es den Vorstand, dass aus den Reihen der Finanzbeamten (der Ministerialbeamten zumal), der Finanzrichter, der Freiberufler und aus den Verbänden kein einziger Entwurf einging. Von den prämierten Entwürfen stammte nur einer nicht 113
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
aus dem Universitätsbereich, nämlich der Entwurf einer Arbeitsgruppe der FDP um H. O. Solms. M. E. erstaunt dieses Ergebnis nicht. Es muss kein Zeichen von Indifferenz sein oder von Zufriedenheit mit dem permanenten Änderungs-Output des real existierenden Gesetzgebers, dass Berufsgruppen, die professionell Steuergesetze anwenden, diese Gesetze nicht auch entwerfen können. Systematisch nicht geschulte oder nicht ambitionierte Praktiker sind mit der Abfassung idealer Entwürfe theoretisch überfordert, und die Spezialisten in den Ministerien arbeiten an Fragmenten des Steuerrechts, denken aber vielleicht selten über eine Steuer als Ganzes oder gar über die Gesamtheit der Steuern als systematische Einheit nach. Es kommt daher wohl nicht von ungefähr, dass im Bundesfinanzministerium nie ein Gesetzentwurf formuliert worden ist, der den hier Vorzustellenden vergleichbar wäre. Der kritische Bericht der Abteilungsleiter (Steuer) der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vom 16.2.2004 zu einzelnen Entwürfen und Leitsätzen ist allerdings durchaus beeindruckend. Auch für Steuerökonomen ist das Entwerfen von zumal ökonomischen Prinzipien und die Gesetzeskritik wohl einfacher als das Entwerfen detaillierter Gesetze. Hinzukommen dürfte, dass nicht Wenige auf Grund der Vergangenheitserfahrungen mit der Steuerpolitik dieser keine Reform, die diesen Namen verdient, zutrauen und die Arbeit an Reformentwürfen für reine Zeitverschwendung halten. Die Entwürfe von J. Mitschke159 und M. Elicker160 – sie erhielten den 1. und 2. Preis der „Humanistischen Stiftung“ – haben miteinander gemeinsam, dass in ihnen die ökonomische Effizienz im Vordergrund steht, die Stimulanz des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen zumal. Erreicht werden soll dieses Ziel dadurch, dass erst die Entnahme oder Ausschüttung von Unternehmensgewinnen die Steuerschuld auslöst (nicht schon die Gewinnentstehung) und dadurch zur Investition angereizt, die Eigenkapitalausstattung verbessert wird. Solange der Betriebsinhaber nichts entnimmt oder ausschüttet, soll der Fiskus den Gewinn nicht belasten dürfen. Der Staat soll die Bildung von Eigenkapital und das Investieren nicht behindern. Besonders die Aufstockung des Eigenkapitals soll zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen führen. Der Fiskus soll seinen dadurch für eine Übergangszeit beeinträchtigten Finanzbedarf auf dem Kapitalmarkt decken sowie durch den Abbau von Steuervergünstigungen und die Bekämpfung der Schattenwirtschaft. Die Verfasser erklären nicht, was Investitionen bewirken können, solange es an Konsumenten fehlt, die Leistungen der Unternehmen zu wenig nachgefragt werden. Und wäre nicht überhaupt eine allgemeine Begünstigung der Kapitaleinkünfte der Begünstigung der einbehaltenen Unternehmensgewinne vorzuziehen? 114
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Die Steuerpolitik hat die Entwürfe von Mitschke und Elicker ebenfalls nicht aufgegriffen. Für die Staatsfinanzen verantwortliche Finanzminister sehen wohl die Staatsfinanzen in Gefahr und befürchten, dass viele Unternehmer ihre Gewinne im Unternehmen belassen, ohne zu investieren. Der Bericht der Abteilungsleiter der obersten Finanzbehörden nennt als Hauptgründe: nicht abschätzbare Aufkommensminderungen in einer Übergangszeit und Störung der sozialen Symmetrie (S. 8 f.). Es erstaunt, dass nicht mehr Ökonomen sich medienwirksam auf die Seite von Mitschke schlagen. In der nicht unternehmerischen Öffentlichkeit dürfte ein Vorhaben, das Unternehmen von Steuern verschonen will, wohl kaum akzeptiert werden. Auch wenn man dem Primäransatz von Mitschke und Elicker nicht folgt, sondern ihn übergeht: Die beiden Entwürfe enthalten viel Bedenkenswertes und Anregendes, z. B. zum objektiven und subjektiven Nettoprinzip. Auch Mitschke und Elicker müssen schließlich die Erwerbs- von der Privatsphäre abgrenzen. Mitschkes Entwurf gründet auf etwa 25 einschlägigen Vorarbeiten, die im Laufe von etwa drei Jahrzehnten entstanden sind. Bei dem Entwurf Elickers handelt es sich um in Paragraphen gegossene Erkenntnisse des auch ökonomisch belesenen und beschlagenen Verfassers einer juristischen Habilitationsschrift. Elickers Literaturverzeichnisse bezeugen eine geradezu stupende Belesenheit des Verfassers.161 Die Frage, was „politisch zur Zeit machbar“ sei, haben Mitschke und Elicker sich offenbar nicht gestellt, sondern sind ihren Überzeugungen gefolgt, was respektvoll vermerkt werden soll.
4. Zum „Berliner Entwurf“ der FDP Es handelt sich um einen Praktikerentwurf von fünf Mitgliedern der FDP. Der Entwurf beruft sich im Wesentlichen auf ein Konzept des Bundestags-Vizepräsidenten und Steuerpolitikers Dipl.-Ökonom H. O. Solms, das von einem Arbeitskreis weiterentwickelt wurde. Mit Literaturnachweisen hält sich der Entwurf, der mit der Schlagwort-Trinität „Niedrig, einfach und gerecht“ propagiert wird, zurück. Mit den gleichen Schlagworten arbeitet eine Schrift des Bundes der Steuerzahler und misst daran einige Reformentwürfe.162 Der Entwurf wurde von der FDPFraktion sogar als Bundestags-Drucksache eingebracht, von der Regierung von SPD/DIE GRÜNEN aber ebenfalls nicht aufgegriffen.
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5. Zum „Kölner Entwurf“ Der „Kölner Entwurf“ (Sprecher: J. Lang) – er bezeichnet sich selbst auch als Entwurf der „Kölner Schule“ – war ebenfalls der „Humanistischen Stiftung“ eingereicht worden und erhielt den 3. Preis; dies wohl deshalb, weil er von der Jury ökonomisch nicht für so effizient gehalten wurde wie die Entwürfe von Mitschke und Elicker. Der Entwurf nennt sich „konservativ“ und fragt in vertretbaren Grenzen auch danach, was sich politisch umsetzen lässt. Man wollte nicht für den Papierkorb arbeiten, auch nichts entwerfen, was in Universitätsbibliotheken verstauben könnte. Der Entwurf legt das Schwergewicht auf die systematische Neuordnung und Vereinfachung der Bemessungsgrundlage. Wesentliche wissenschaftliche Grundlagen des Entwurfs sind die Habilitationsschrift von J. Lang („Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer“), dessen frühere Reformentwürfe (s. S. 104), die „Steuerrechtsordnung“ von K. Tipke, das Steuerrechtslehrbuch von Tipke/Lang u. a. sowie Vorarbeiten der Arbeitskreismitglieder R. Seer, J. Hey, J. Pezzer, N. Herzig und H.-G. Horlemann. Die Kölner waren „stille Brüter“. Ihr Entwurf wurde als letzter veröffentlicht. Gleichwohl fand der „Kölner Entwurf“ nach seinem Bekanntwerden alsbald große Aufmerksamkeit bei anerkannten Fachleuten, und diese zogen den Kölner Entwurf offenbar dem Kirchhof-Entwurf vor.163 Der Kölner Entwurf wahrt nach Möglichkeit die Rechtskontinuität, hält weithin an bewährten Begriffen fest und hält sich mit Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen zurück. Er stimmt weitgehend mit den Reformthesen von CDU und CSU (s. S. 188 f.) überein und ist Ausgangsbasis für die Beratung einer Kommission „Steuergesetzbuch“ geworden, die unter dem Dach der Stiftung Marktwirtschaft den Entwurf eines Steuergesetzbuches erarbeitet (s. S. 166).
II. Reformziele der sechs Entwürfe164 1. Allgemeine Ziele; Superlativ-Versprechungen durch Paul Kirchhof und Manfred Rose (1) Alle Reformentwürfe gehen mit guten Gründen davon aus, dass das Einkommensteuergesetz dringend reformbedürftig sei, weil es ungerecht oder unfair, unnötig kompliziert, weithin unverständlich oder kaum noch verständlich und wirtschaftlich ineffizient sei.
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Die Entwürfe wollen das Einkommensteuergesetz daher erneuern, von Grund auf oder grundlegend erneuern, generalerneuern, abreißen und neubauen, neuordnen, umgestalten, neu und verständlich formulieren; sie wollen das Gesetz vereinfachen oder gar „radikal“ vereinfachen. Auch von konzeptioneller Gesamterneuerung, grundlegender Neukonzeption und von einem neuen Modell ist die Rede. Alle erwähnten Begriffe kommen in den Begründungen der Entwürfe vor. P. Kirchhof vergleicht das Steuerrecht mit einem „total kaputtreparierten Auto“, er benutzt das Bild „eines Totalschadens“, der einen „vollständigen Neubau erforderlich“ mache. An anderer Stelle wählt er den Vergleich einer „klapprigen und in vielen Teilen funktionsunfähigen Maschine“ oder mit einem „total verstimmten Klavier“. Die FDP spricht von einer „neuen“ Einkommensteuer (Titelblatt), von einem „völlig neuen Steuerrecht“ (S. 28). Ein verstimmtes Klavier würde man freilich wohl nicht durch ein neues ersetzen. Die überwiegend synonymen Begriffe lassen sich nicht trennscharf abgrenzen. Man muss die Begriffe auch nicht so deuten, als drückten sich in ihnen grundlegend unterschiedliche Ziele aus. Kein Entwurf schlägt eine tabula rasa-Kodifikation vor. Die Kölner nennen ihren Entwurf konservativ, nicht radikal, weil er das Gesetz nur auf am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte, bewährte Grundstrukturen zurückführen und die bewährte Terminologie bewahren will, auf diese Weise möglichst wenig neues Streitpotenzial schaffen will (S. 47 f.). Ich würde auch die Entwürfe von P. Kirchhof nicht als grundlegend neu oder gar visionär bezeichnen. Auch P. Kirchhof hat nicht aus dem Nichts etwas Neues schaffen wollen und geschaffen (S. 107); auch er knüpft an Überliefertes an. „Grundlage unseres Vorschlags“ – so P. Kirchhof – „ist das traditionelle deutsche Einkommensteuerrecht, ein Juwel des Rechts, dessen Glanz allerdings durch Ausnahme- und Verfremdungstatbestände so überwuchert ist, dass es wieder freigelegt und wieder ausgegraben werden muss“ (S. VIII). Die Erfassung aller Arten von erwirtschafteten Einkünften durch eine abstraktionstechnische Einheitsformel (§ 2 Kirchhof-Entwurf; § 7 FDP-Entwurf) ändert inhaltlich nichts, berührt nicht die Wurzel der Bemessungsgrundlage. Selbst konsumorientierte Modelle müssen nicht radikal oder visionär genannt werden, wenn sie nur eine zeitliche Verschiebung der Einkommenserfassung bewirken. Alle sechs Entwürfe sind prinzipienorientierter, kürzer und einfacher als das geltende Recht. Alle Entwürfe entfernen die Vergünstigungen, oder was sie dafür halten, aus dem Text. Da die Entwürfe zum Teil von Juristen, zum Teil von Ökonomen stammen, ist es nicht verwunderlich, dass Juristen den Rechtsgedanken, die Rechtsreform („Kölner Entwurf“ 117
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
S. 31, 36), Ökonomen stärker die ökonomische Effizienz (s. z. B. Rose S. 6, 141) in den Vordergrund rücken. Aber auch die Ökonomen unter den Entwurfsverfassern wollen nicht, wie einige Kollegen der Ökonomie, dass der economic approach das Recht dominiert oder verdrängt. Auch M. Rose nennt seinen Entwurf „fair“ (S. 5). Auch J. Mitschke orientiert sich an „rechtlichen Rahmenbedingungen“ (S. 1 ff.) und nicht einseitig nur an „Förderung von Beschäftigung und Kapitalbildung“ (S. 7 ff.). Ein „Rechtsstaat ohne Gerechtigkeit“ wäre eben kein Rechtsstaat. Daher muss Steuerpolitik primär Steuerrechtspolitik sein, nicht Wirtschaftspolitik. Das gilt jedenfalls für die Steuerbemessungsgrundlage (s. schon oben S. 94 ff.). Alle sechs Entwürfe formulieren den Gesetzestext vom Anfang bis zum Ende neu, beschränken sich also nicht auf das Streichen (wie der Gaddum-Entwurf) und die Änderei und Flickschusterei (wie die herkömmliche Gesetzgebungspraxis). Eine Neuformulierung ist zur Wiederherstellung von Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit wirklich dringend notwendig. Eine inhaltliche Radikalmaßnahme wäre das jedoch nicht. (2) Einige Entwurfsverfasser haben von der Öffentlichkeitsarbeit der Politik gelernt. M. Rose nennt seinen Entwurf zukunftsorientiert, marktorientiert, investitions- und wachstumsfreundlich, diskriminierungsfrei, lebenszeitorientiert und deshalb fair, einfach, transparent und sprachlich verständlich, daher nicht „demokratiefeindlich“ (S. 15). Die FDP preist ihren Entwurf mit den Schlagworten „Niedrig, einfach, gerecht“ an. Dabei ist unklar, ob die Reihenfolge als Rangfolge zu verstehen ist. Andere Entwürfe wählen klar eine andere Reihenfolge. Die Anfang 2005 von USPräsident G. W. Bush berufene Reformkommission soll ein Steuerrecht schaffen, das sich zur Beseitigung der pathologies of the current code an equity, simplicity and efficiency orientiert. Da zunächst für eine möglichst gerechte Bemessungsgrundlage gesorgt werden muss, im Übrigen die Vereinfachung keinen autonomen Selbstzweck hat, sondern der vereinfachten Anwendung bestimmter Gesetzesvorschriften dienen muss, ist das „Niedrig, einfach, gerecht“ des FDP-Entwurfs m. E. durch ein „Gerecht, niedrig, einfach, effizient“ zu ersetzen. Bei P. Kirchhof, M. Rose und auch bei der FDP finden sich auch medienwirksame Superlativ-Versprechungen – wie sie in der Politik üblich sind –, wenngleich sie damit nicht so viel Aufmerksamkeit und Aufsehen erregt haben, wie F. Merz (CDU) mit seiner ebenso spektakulären wie unseriösen „Bierdeckel-Reform“-Metapher. Die „Bierdeckel“-Rede von F. Merz 118
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
auf dem Leipziger Parteitag der CDU (Ende 2003) hatte schon damals einen Karnevalsorden verdient. P. Kirchhof: „Es hilft nur noch ein vollständiger Neuanfang. Aber dazu brauchen wir nicht über 200 Steuergesetze wie bisher – ein einziges reicht … 90% der Bürger könnten sich so ihre Steuererklärung sparen und hätten bald auch mehr Geld in der Tasche“ (www.chancenfueralle.de). – Kirchhof zu BamS: „Jeder Bürger braucht höchstens 10 Minuten, um seine Steuererklärung auszufüllen.“ „In Zukunft soll das Steuerrecht statt 70.000 nur noch unter 500 Paragraphen haben.“ P. Kirchhof wird schon 1997 auch mit dem Satz zitiert: „Die Einkommensteuererklärung muss so einfach sein wie die Stimmabgabe bei einer Wahl.“ (Der Steuerzahler NNW 4/97, 3). Der Vergleich ist deshalb unpassend, weil man dem Steuerpflichtigen in der Steuererklärung nicht die Wahl zwischen unterschiedlich hohen Steuerlasten einräumen kann. In seiner Schrift „Der sanfte Verlust der Freiheit“ verspricht Kirchhof: „… die über 70.000 Paragraphen des geltenden Rechts sollen um 69.600 auf 400 vermindert werden“ (S. X). Im Bericht der Westfälischen Rundschau über einen am 12.5.2005 von P. Kirchhof im „Zentrum für Kirche und Kultur“ in Gevelsberg gehaltenen Vortrag tauchen folgende Forderungen auf: „Revolution statt Reförmchen“; „radikale Vereinfachung“; „Kahlschlag fürs Steuerdickicht aus 50.000 Paragraphen und über 400 legalen Schlupflöchern“, „keine Steuererklärung dauert länger als 60 Minuten“. – P. Kirchhofs Quantitätsangaben sind nicht konstant, seine Zählmethode ist nicht bekannt. Die über 400 „Schlupflöcher“ hat er nirgends aufgelistet, so dass eine detaillierte Nachprüfung nicht möglich ist. Ist z.B. die „Entfernungspauschale“ etwa ein „Steuerschlupfloch“? M. E. durchaus nicht. M. Rose: „Meine Einfachsteuer würde Zweidrittel der Steuerverwaltung überflüssig machen (F & W v. 25.9.2002).“ Rose verspricht eine Steuererklärung in „Postkartenform“ (S. 9; s. auch S. 33 ff.: „Lösung unserer Zukunftsprobleme“). Die FDP: „Ziel des Entwurfes ist es, dass der Steuerbürger im Normalfall seine Steuererklärung auf einer DIN-A 4-Seite und innerhalb einer Stunde erledigen kann.“ (S. XIV). Oder – wie H.O. Solms (FDP) es ausdrückt: „Für uns ist deshalb entscheidend, dass der Steuerbürger, wenn er die Grundrechenarten beherrscht, seine Steuerbelastung, und sei es am Stammtisch in der Kneipe, selber ausrechnen kann.“ (Stbg. 2004, 120). – Schon die USFlat Tax-Advokaten R. E. Hall, A. Rabushka und Steve Forbes versprachen eine für jeden leicht verstehbare Steuererklärung „per Postkarte“. Was die Steuererklärung betrifft: Jeder Verständige weiß: Es kommt nicht darauf an, wie schnell ein Stammtischbürger im Beisein seiner 119
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Mitzecher einen Bierdeckel vollschreiben kann, überhaupt nicht auf die Zeit, die für das Ausfüllen des Erklärungsformulars benötigt wird, sondern wie schnell sich die Besteuerungsgrundlagen – als Voraussetzung zutreffender Steuererklärungen – ermitteln lassen. Die Vorbereitungszeit kann mehrere Tage in Anspruch nehmen, und gleichwohl lassen sich die Endsummen in kurzer Zeit eintragen. Die Steuererklärung lässt sich ebenso wie das Steuergesetz in der Tat vereinfachen; aber wirklich einfach wird sie nicht werden. Und je kürzer das Erklärungsformular ist, desto weniger rechtsrelevante Fragen kann es aufnehmen, desto mehr bleibt folglich im Dunkeln. Würde der Kirchhof-Entwurf Gesetz werden, so könnte z. B. entsprechend seinem § 2 gefragt werden: „Wie hoch waren Ihre Einkünfte aus Erwerbshandeln?“ Nur besonders aufschlussreich wäre die Antwort nicht. Um Aufmerksamkeit zu erregen und Laien-Beifall zu erhalten, darf man sich wohl nicht zu schade sein, „Sprüche zu klopfen“. Allerdings, Sprüche haben auch schon die Betreiber der gescheiterten Steuerreformen von Alex Möller bis Theo Waigel geklopft, letztlich mit kontraproduktiver Wirkung. Es ist daher nicht leicht, darüber nicht satirisch zu schreiben. Auch hier gilt: Was du auch versprichst, tue es weise und bedenke das Ende.
2. Über Steuergerechtigkeit im Allgemeinen Keiner der Entwürfe will ein Steuerrecht ohne Gerechtigkeit, will Steuergerechtigkeit durch ökonomische Effizienz ersetzen. Keiner der Entwürfe lehnt die Orientierung am Maßstab gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ab. Niemand will die Besteuerung ausschließlich in den Dienst der sich wandelnden wirtschaftspolitischen Ziele stellen. Wie alle allgemeinen Wertungsprinzipien, enthält indessen auch das unbestimmte Leistungsfähigkeitsprinzip Wertungsspielräume. Obwohl Einigkeit darüber besteht, dass Leistungsfähigkeit am Einkommen gemessen werden kann, gehen die Meinungen darüber auseinander, – ob alles zu erfassen ist, was wirtschaftlich Einkommen ist (was sich für zusätzliche Bedürfnisbefriedigung eignet) oder nur das erwirtschaftete Einkommen (Markteinkommen). Grundsätzlich nur das erwirtschaftete Einkommen erfassen die Entwürfe von Kirchhof, Rose und der Kölner Entwurf – mit unterschiedlicher Begründung. Auch soweit die Entwürfe über das Markteinkommen hinausgreifen: Kein Entwurf erfasst alles, was wirtschaftlich Einkommen ist; – ob grundsätzlich das Lebenseinkommen zu erfassen ist oder das Jahreseinkommen; 120
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– ob das Einkommen im Zeitpunkt der Realisierung oder im Zeitpunkt des Konsums zu erfassen ist; – ob das Einkommen sich im Zeitpunkt des Vermögenszuwachses oder erst im Zeitpunkt des Zuflusses die Leistungsfähigkeit hinreichend sicher erhöht. Auch nach der ökonomischen Effizienz einer Steuer zu fragen, ist keineswegs illegitim. Die ökonomische Effizienz betrifft nicht bloß die Frage nach den wirtschaftlichen Effekten einer Steuer, sondern vor allem die Suche nach möglichst günstigen wirtschaftlichen Wirkungen einer Steuer, insbesondere auf wirtschaftliches Wachstum und auf den Arbeitsmarkt. Gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und ökonomische Effizienz können durchaus zusammenfallen. Illegitim und verfassungsrechtlich (rechtsstaatlich) unzulässig ist es jedoch, sich nur an ökonomischer Effizienz zu orientieren und die Gerechtigkeitsfrage (gleichmäßige Besteuerung) gänzlich auszublenden, weil die Besteuerung dadurch ihren Rechtscharakter und Rechtsstaatscharakter verlieren würde (s. schon oben S. 94 f.). Im Übrigen: Verschiedene Ökonomen beantworten die Frage, welche Art der Besteuerung ökonomisch effizient sei, unterschiedlich. Juristen können darauf hinweisen, dass es unter Ökonomen zu keiner Zeit eine einhellige Meinung darüber gegeben habe, wie mit Hilfe „ökonomischer Vernunft“ makroökonomische Ziele – zumal mit Hilfe der Steuergesetze – erreicht werden können. Sie können auf die wechselnden Modemeinungen in der Ökonomie verweisen. Die ökonomischen Ratgeber leben mehr noch als Meteorologen von Versuch und Irrtum. Nur berechtigt das die Juristen keineswegs zu Überheblichkeit. Auch sie geben als Wertungswissenschaftler oft unterschiedliche Antworten auf ein und dieselbe Frage. Mir geht es auch nur um diese Feststellung: Wer ohne eine rechtliche Bereinigung des Steuerrechts, wer ohne Rechtsreform sofort mit Wachstumsüberlegungen und anderen ökonomischen Thesen in das Steuerrecht einfällt, wird nicht nur die Steuergerechtigkeit nicht vermehren; er wird das Steuerrecht auch nicht vereinfachen, er wird es auch nicht übersichtlicher und verständlicher gestalten. Es sollte uns auch die Frage beschäftigen: Was ist denn in den letzten Jahrzehnten mit all dem „Steuern durch Steuern“ erreicht worden? Mehr Wachstum, mehr Beschäftigung? Die Regulierungswut hat jedenfalls den Rechtsgedanken der Besteuerung weithin zerstört und ein Steuerchaos geschaffen.
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3. Über Steuervereinfachung 3.1 Über Steuervereinfachung allgemein Der Ruf nach Steuervereinfachung ist nicht erst im 20. Jahrhundert aufgekommen. C. Schott hat das Simplicitas-Thema durch die Jahrhunderte zurückverfolgt.165 Heute mag noch die relative Einfachheit des Code Napoléon erwähnt werden. In einem Relief am Grabmal Napoleons im Pariser Invalidendom sitzt der Kaiser in der Mitte auf seinem Thron, dessen Stufen die Aufschrift tragen: „Mon seul code, par sa simplicité, a fait plus de bien en France, que la masse des lois qui m‘a précedée.“ Das Steuerrecht leidet heute in besonderem Maße an Kompliziertheit. Daher haben die deutsche Steuergewerkschaft, der Steuerberaterverband166, der Bund der Steuerzahler und die Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft beharrlich immer wieder nach Steuervereinfachung verlangt.
Seit Bestehen der Deutschen Steuer-Gewerkschaft hat diese ständig Steuervereinfachung gefordert. Ohne Erfolg. Das Steuerrecht ist im Laufe der Zeit alles in allem immer weiter kompliziert worden. Hier lachen ihre ehemaligen Vorsitzenden Hermann Fredersdorf (ganz rechts) und Erhard Geyer (ganz links) sowie der gegenwärtige Vorsitzende Dieter Ondracek (2. von links) zusammen mit dem Finanzminister von Rheinland-Pfalz Gernot Mittler (3. von links) fröhlich in die Kamera. Offenbar haben sie ihren Humor nicht verloren.
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Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
Im Bundesfinanzministerium wurde in den 1980er Jahren eigens ein Referat „Steuervereinfachung“ eingerichtet. Die Finanzministerkonferenz setzte 1993 eine Arbeitsgruppe „Steuerrechtsvereinfachung“ ein. Geholfen hat alles nichts. Im Laufe der Jahre ist das Steuerrecht alles in allem immer weiter kompliziert worden. Auch in anderen parlamentarischen Demokratien wird ständig nach simplification verlangt, ohne dass diesem Verlangen entsprochen würde. Auch die politischen Parteien versprechen immer wieder Steuervereinfachung, halten dieses Versprechen aber nicht, hier nicht und im Ausland auch nicht. Daher stellt sich auch insoweit die Frage nach den Gründen. Es ist nicht so, dass die Steuerpolitiker die Notwendigkeit der Vereinfachung und die politische Attraktivität des Schlagworts „Vereinfachung“ nicht erkannt hätten. In der Begründung des Gesetzentwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 9.11.1998 (BT-Drucks. 14/23) kommt das Wort „Vereinfachung“ o. ä. 35-mal vor. Friedrich Merz‘ (CDU) Bierdeckel-Metapher enthält nichts weiter als ein medienwirksames Super-Vereinfachungsversprechen. Aber warum ist bisher die Realisierung ausgeblieben? Die Bürger pflegen ihre Verärgerung an den Finanzbeamten auszulassen, statt sich an verantwortliche Steuerpolitiker zu wenden. Allgemein erkannt ist, dass nur möglichst einfache Gesetze gleichmäßig angewendet werden können, dass einfache Steuergesetze prinzipiell aber nur zustande kommen, – wenn der Gesetzgeber sich grundsätzlich konsequent an (sachgerechte) Prinzipien hält, – wenn das Gesetz übersichtlich aufgebaut und die Gesetzessprache so klar, schlicht und einfach wie möglich ist, damit es mindestens von Fachleuten verstanden werden kann, – wenn auch aus Vereinfachungsgründen verschiedene Einkommensarten grundsätzlich gleich behandelt werden, – wenn unter Berücksichtigung des Gerechtigkeitsprinzips besondere Vereinfachungsvorschriften (Typisierung, Pauschalierung) eingeführt werden, – wenn das Gesetz nicht durch ungerechtfertigte Lenkungsnormen kompliziert wird, – wenn das Gesetz nicht ohne sachlichen Grund ständig geändert wird.167 Aber welcher Steuerpolitiker, welches Mitglied des Finanzausschusses folgt schon tatsächlich den aufgeführten Prinzipien. Immer wieder hört man von Steuerpolitikern die Schutzbehauptung, das Einkommensteuer123
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gesetz sei deshalb so kompliziert, weil der Gesetzgeber durch zahlreiche Ausnahmeregelungen versuche, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Das trifft für den Regelfall jedoch nicht zu. Die Hauptursache ist die Verfolgung von Sonderinteressen zugunsten der eigenen Klientel, und im Gefolge davon sind es Verstöße gegen die genannten Prinzipien. Alle sechs Entwürfe sind offensichtlich einfacher als das geltende Einkommensteuergesetz. Sie sind geordneter aufgebaut und offensichtlich übersichtlicher als das geltende Gesetz. Werden nur erwirtschaftete Einkünfte erfasst, so führt das zu Vereinfachungen, weil Befreiungsvorschriften erspart werden. Alle Entwürfe bekennen sich grundsätzlich zum Prinzip der Gleichbehandlung der Einkunftsarten. Ein Entwurf, der sich auf eine Einkommensermittlungsmethode beschränkt und auf das komplizierte Steuerbilanzrecht verzichten kann (Mitschke, Elicker), ist einfacher als ein Entwurf, der am Dualismus der Einkünfteermittlung und am Steuerbilanzrecht festhält (Kirchhof). Die durch die §§ 4a und 5a EStG Privilegierten (kleine Landwirte, Betreiber von Handelsschiffen) werden die Aufhebung dieser Vorschriften allerdings wohl nicht als Vereinfachung empfinden. Alle Entwürfe haben den Ballast der Steuervergünstigungen (oft sind es Privilegien) abgeworfen. Alle Entwürfe sehen Vereinfachungsvorschriften vor und sind um die Vereinfachung des Erhebungsverfahrens bemüht. Dass ein proportionaler Steuersatz stark vereinfachend wirkt, ist richtig. Dass der progressive Tarif die Einkommensteuer kompliziert, ist offensichtlich; nur geht es nicht nur um Vereinfachung, sondern auch um gerechte Steuerlastverteilung. Alle Entwürfe verzichten auf Sondertarife und Tarifermäßigungen. Übertriebene Vereinfachungsversprechen („radikale Vereinfachung“) können nur in Enttäuschungen enden. Das Steuerrecht, so die Begründung zum Kölner Entwurf (S. V, 111), könne „nicht einfach, jedoch wesentlich einfacher als im geltenden Recht geregelt werden.“ Das Steuerrecht ist nämlich auch Reflex eines komplizierten Zivil- und Wirtschaftsrechts. Die unvermeidbare Abgrenzung Berufs-/Privatsphäre wird immer kompliziert bleiben, wenn nicht zu unzulässigen (übermäßigen) Typisierungen und Pauschalierungen gegriffen wird. Zu beachten ist, dass durch Typisierungen und Pauschalierungen der Gleichheitssatz verletzt wird, weil ungleiche Fälle gleich behandelt werden. Das ist nur in Grenzen zulässig. Vereinfachung hat keinen Vorrang vor Gerechtigkeit; sie darf die Gerechtigkeit nicht beliebig, insbesondere nicht unverhältnismäßig einschränken. Darauf weisen auch Mitschke (S. 16 f. Rz. 48), Elicker (S. 48 oben) und der Kölner Entwurf (S. 51 Rz. 113) hin. Die Meinungen darüber, wo die Grenzen der Verhältnismäßigkeit zur Unverhältnismäßigkeit liegen, gehen auch unter Steuerjuristen nicht unerheblich auseinander. 124
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Leider verzichten die Entwurfsbegründungen darauf, im einzelnen aufzulisten, welche Vereinfachungen der Entwurf wodurch bewirkt. Schon gar nicht wird erwähnt, wo das Gegenteil von Vereinfachung eintritt. Entfällt infolge Gleichbehandlung von Einkunftsarten die Notwendigkeit, Einkunftsarten voneinander abzugrenzen (s. z. B. §§ 2 I Nr. 1; 4 Kölner Entwurf), so entkompliziert das. Wird der Verlustvortrag auf „dieselbe Erwerbsgrundlage“ (§ 9 Kirchhof-Entwurf) begrenzt, so kompliziert das (und ein Gewinn an Steuergerechtigkeit ist auch nicht zu begründen). Es läßt sich fast endlos darüber streiten, was „dieselbe Erwerbsgrundlage“ ausmacht. Die allgemeine Definition der Erwerbsgrundlage (§ 2 III 3 KirchhofEntwurf) liefert keine Abgrenzungsmerkmale für verschiedene Erwerbsgrundlagen. Den Begriff „Erwerbsgrundlage“ als „Einkunftsquelle“ zu erklären (§ 2 III 3 Kirchhof-Entwurf), führt nicht weiter. In seinem Glossar präsentiert uns P. Kirchhof eine veritable Zirkeldefinition: Die Erwerbsgrundlage wird als Einkunftsquelle definiert, die Einkunftsquelle als Erwerbsgrundlage. Das Streichen von Vereinfachungsbefreiungen (bis hin zur Abschaffung der Steuerbefreiung der Aufwandsentschädigungen für Abgeordnete), der Durchschnitts-Gewinnermittlung für kleine Landwirte (§ 13 a EStG) und der Tonnage-Besteuerung (§ 5 a EStG), die nicht mehr fristgebundene Erfassung privater Veräußerungsgewinne vereinfacht nicht. Eine Abgeltungssteuer vereinfacht, aber diese Vereinfachung kann die Gerechtigkeit strapazieren. Ein Verbot, gemischte Kosten abzuziehen (§ 4 Kirchhof; anders § 15 I Kölner Entwurf: „anteilig ansetzen“) vereinfacht, ist aber nicht gerecht. Die Beispiele zeigen, dass Realisierung von Gerechtigkeit durch Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und Vereinfachung durchaus nicht immer zusammenfallen. Müsste die Vereinfachung keine Rücksicht auf die Steuergerechtigkeit nehmen, so wäre die Abschaffung des Nettoprinzips zu empfehlen. Darin läge eine enorme Vereinfachung, zugleich aber eine massive Verletzung der Einkommensteuer-Gerechtigkeit.
3.2 Über Einfachheit durch Kürze; unterschiedliche Auffassungen Steigert sich die Einfachheit eines Gesetzes mit seiner Kürze? Liegt auch in der Kürze der Gesetze ihre Würze? Alle vorgestellten sechs Entwürfe sind kürzer als das geltende Einkommensteuergesetz. Entwurf Kirchhof: 23 Gesetzesparagraphen (die integrierte Körperschaftsteuer eingeschlossen) – allerdings ohne Bilanzsteuerrecht – und 35 Paragraphen Durchführungs-VO. Entwurf Rose: 43 Paragraphen (die integrierte Körperschaftsteuer eingeschlossen). 125
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Entwurf Mitschke: 45 Gesetzesparagraphen (die integrierte Körperschaftsteuer eingeschlossen) und 12 nicht ausgeführte Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen. Entwurf Elicker: 21 Gesetzesparagraphen. FDP-Entwurf: 43 Gesetzesparagraphen und mehrere Ermächtigungen zu nicht ausgeführten Verordnungen. Kölner Entwurf: 56 Gesetzesparagraphen und mehrere Ermächtigungen zu nicht ausgeführten Rechtsverordnungen. P. Kirchhof macht den Vereinfachungseffekt der Kürze von der Zahl der Paragraphen und der Wörter abhängig: Die Zahl der Gesetzesparagraphen seines Gesetzbuchentwurfs habe sich gegenüber der Zahl der Paragraphen des geltenden Einkommensteuergesetzes/Körperschaftsteuergesetzes auf etwa ein Zehntel reduziert (23 : 235), die Zahl der Wörter habe sich um mehr als das 63fache vermindert (1.715 : 109.489)168. P. Kirchhof äußert sich selbst so dazu: „Das heutige Einkommensteuerrecht leidet unter einem Übermaß an Detailregelungen, die das Verständnis der Rechtslage erschweren und häufig zu Widersprüchen führen. Die steuerrechtlichen Einzelregelungen sind kaum noch verständlich.“ (S. V). Die Kürze des Kirchhof-Entwurfs ist auch darauf zurückzuführen, dass P. Kirchhof meint, mit wenigen Grund-Sätzen, auch zur Einkünfteermittlung, auszukommen, und weil er das Steuerbilanzrecht (liegt noch nicht vor) auslagert. Auch das Verfahren der Einkommensbesteuerung ist in den §§ 17, 18 nur rudimentär geregelt. Die Regelungen in der vorgesehenen Rechtsverordnung (§§ 28, 29) sind eher dürftig. Die Beschränkung auf Grundsätze geht auf Kosten der Rechtssicherheit. FOCUS nannte P. Kirchhof nicht zu Unrecht den Paragraphen-Killer. Auch Elicker verzichtet „bewusst auf eine zu hohe Regelungsdichte“. Er meint, dass „ein folgerichtiges System, das sichtbar bleibt … zur Stütze der Auslegung in Einzelfragen werden kann.“ (S. 67 oben) Die Begründung der Kölner Entwurfs hingegen betont: „Dem Kölner Entwurf liegt nicht die Annahme zugrunde, Steuervereinfachung sei durch Verkürzung des geltenden Einkommensteuergesetzes auf möglichst wenige Paragraphen zu leisten … Ein so großes Rechtsgebiet lässt sich nicht holzschnittartig mit wenigen Paragraphen einfangen.“ Es erfordert „in allen entwickelten Staaten hohen Regelungsaufwand.“ Daher nehme der Kölner Entwurf „nicht an einem Wettbewerb um das kürzeste Einkommensteuergesetz teil.“ (S. 49 Rz. 106). Der Begründung des Kölner Entwurfs ist m. E. beizupflichten. Sicher soll das System erkennbar sein. Das heißt aber nicht, dass mit einem Rahmen126
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gesetz, Grundsätzegesetz oder Maßstäbegesetz auszukommen wäre. Ein systematisches Skelett braucht Fleisch; ein Baum mit Zweigen braucht Blätter – um es auch einmal bildhaft auszudrücken. Im Kirchhof-Entwurf kommt der Grundsätze-Charakter nicht nur in der Bestimmung des „Gegenstandes der Besteuerung“ (§ 2) zum Ausdruck, sondern z. B. auch in § 3, der die Einkünfteermittlung im Einkommensteuergesetz-Entwurf in wenigen Sätzen regelt (zum Vergleich: Kölner Entwurf: §§ 9–31), in § 20 I, wo in wenigen Sätzen bestimmt wird, was inländische Einkünfte sind (zum Vergleich: Kölner Entwurf: §§ 39, 40) sowie in den Verordnungsermächtigungen des § 23. Bei P. Kirchhof soll zu oft der Verordnungsgeber für das Fleisch am Skelett, für die Blätter am Baum sorgen. Ein Grundsätzegesetz hätte für seinen Schöpfer allerdings den Vorteil, dass er sich für den authentischen Interpreten seiner eigenen Abstraktionen halten könnte. Der Mangel des konfusen geltenden Gesetzes besteht hauptsächlich darin, dass viele Einzelregelungen nicht oder schlecht in das System eingepasst worden sind. Auch ein system- und prinzipienorientiertes Gesetz, das diesen Mangel behebt, muss die Materie möglichst rechtssicher, klar und erschöpfend (lückenlos) regeln. Durch wenige „Gummi-Paragraphen“ werden wesentliche Entscheidungen auf Behörden und Gerichte verlagert. W. Schön stellt zutreffend fest: „Der Gesetzgeber … kann ein kurz gefasstes, auf wenige Grundnormen reduziertes Steuerrecht erlassen. Er lässt damit den fachkundigen Rechtsanwender und schon gar den steuerlichen Laien mit einer Fülle von Subsumtionsproblemen alleine. Diese Auslegungsprobleme können (dann) erst im Laufe der Zeit mit Hilfe eines massiven Corpus von ministeriellen Ausführungsverordnungen, staatlichen Verwaltungsvorschriften und der Spruchpraxis der Gerichte Schritt für Schritt gelöst werden …“169 Der Kirchhof-Entwurf würde mindestens in den ersten beiden Jahrzehnten wahrscheinlich sehr viel mehr Streitpotenzial produzieren als etwa der Kölner Entwurf – ganz abgesehen davon, dass jede Reform einerseits alte Rechtsprechung zum Teil zu Makulatur werden lässt und andererseits neuen Rechtsprechungs-Klärungsbedarf hervorruft, durch fast jeden neuen Begriff von einiger Tragweite. Auch die Kommentatoren würden durch ein kurzes Grundsätzegesetz mit zahlreichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen erheblich mehr gefordert als durch ein Gesetz, das der Länge keinen absoluten Wert beimisst. Ein Großkommentar würde für die Erläuterung allein des § 2 des KirchhofEntwurfs wohl mehrere Bände benötigen. Je kürzer das Gesetz ist, desto länger muss der Kommentar ausfallen. Erfahrungsgemäß würde das Steuerrecht wohl auch nicht dadurch verbessert werden, dass man es in erheblichem Umfang entparlamentarisiert und in Rechtsverordnungen 127
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verweist. Die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums war schon immer in die Gesetzgebung involviert. Sie ist hauptverantwortlich für den jetzigen formalen Zustand des Steuerrechts. Die Gesetzgebungsleistungen des Fachministeriums in der Vergangenheit lassen für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Im Übrigen sollte man mit Art. 80 GG nicht großzügig umgehen.170 Der „Kölner Entwurf“ versucht „die goldene Mitte“ zu halten. In das Kleinste und Feinste steigt auch er verständlicherweise nicht hinab.
4. Über klare, verständliche Gesetzessprache 4.1 Umgangs- oder Fachsprache? Eine unklare, unverständliche Gesetzessprache kompliziert den Text. P. Kirchhof ist der Ansicht: „Das rechtsstaatliche Gebot der Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Steuerlasten … fordert einfache und klare einkommensteuerrechtliche Regelungen, die dem Adressaten verständlich sind.“171 Er verlangt eine „einfache und klare Sprache“, „kurz und verständlich“.172 Die geltenden Einzelregelungen bezeichnet er als „kaum noch verständlich“. Ähnlich M. Rose: Er nennt die geltende Einkommensbesteuerung „demokratiefeindlich, weil die Bürger ihre Steuerpflichten nicht mehr verstehen und deshalb nur noch zufällig oder mit großem Aufwand erfüllen können.“173 Der FDP-Entwurf (s. S. 115) verhält sich dazu etwas ausführlicher: „In einem demokratischen Gemeinwesen hat jeder Staatsbürger den selbstverständlichen Anspruch, Gesetze, die ihn betreffen und die er befolgen muss, auch verstehen zu können. Den Staat auf der anderen Seite trifft die Pflicht, Gesetze verständlich zu formulieren. Beim deutschen Steuerrecht ist diese Aufgabe nicht erfüllt, nicht einmal Experten sind noch in der Lage, Steuervorschriften verlässlich zu beurteilen. Ein Recht, das von den Bürgern nicht verstanden werden kann, hat in einer Demokratie ‚sein Recht‘ verloren.“ (S. IX). „Die Bürger fühlen sich wegen des unverständlichen Steuerrechts nicht gerecht besteuert, sie akzeptieren das Steuerrecht nicht mehr.“ (S. 28, s. auch S. 29). Den eigenen Entwurf nennen die FDP-Autoren „verständlich formuliert“ (S. XI). Die FDP könnte sich u. a. auf den Psycholinguisten Wolfgang Klein berufen, der meint: „Ein Gemeinwesen, in dem das Volk herrscht, darf nicht von Gesetzen beherrscht werden, die das Volk nicht versteht.“ Michael Glos (CSU) schrieb 1988: „Wir wollen, dass das Steuerrecht vereinfacht und durchschaubar gemacht wird, dass auch Bürger ohne juri128
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stische Hochschulbildung wenigstens die Chance haben, es zu verstehen und ihre Steuererklärung ausfüllen zu können.“174 M. Glos übersieht wohl, dass das Steuerrecht in der Juristenausbildung allenfalls Wahlfach ist, dass auch das Gros der Juristen das Steuerrecht schon deshalb nicht versteht (s. auch S. 130 f.). Ex-Verfassungsgerichtspräsident und Ex-Bundespräsident R. Herzog meinte 1999: „Was nicht zu verstehen ist, kann weder auf Verständnis hoffen noch auf Befolgung. Wie soll der Bürger Spielregeln beachten, die zu verstehen selbst der Experte Mühe hat? … Letzten Endes ist gerade der freiheitliche Rechtsstaat in ganz besonderem Maße auf die freiwillige Loyalität, ja Mitarbeit seiner Bürger angewiesen, und wie soll sich der Bürger loyal verhalten, wenn er gar nicht weiß, was die Rechtsordnung von ihm eigentlich verlangt und erwartet?“175 Auch das vom Justizministerium herausgegebene „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ erklärt die Verständlichkeit der Gesetze zum Gebot der Demokratie. Die Idealforderung nach Gesetzen, die jeder betroffene Laie verstehen kann, ist indessen zu keiner Zeit erfüllt worden, auch nicht in rechtsstaatlichen Demokratien. Offenbar ist sie nicht erfüllbar. Auch während der Entstehung des Code Napoléon forderten Idealisten bereits: „que le droit doit être si clair que chacun puisse le connaître.“ Aber die Redakteure verloren bald die Illusion, dass das möglich sei. Dennoch haben sie sich um einen Code bemüht „accessible que possible à tous, et ils ont réussi.“ Der Stil des Code wurde als klar und konzise, ja als brillant empfunden, so dass der Schriftsteller Henri Stendhal jeden Tag einige Artikel aus dem Code Napoléon gelesen haben soll, um sich stilistisch inspirieren zu lassen.176 Wer würde heute schon zur stilistischen Anregung in Gesetzen lesen, in welchem Gesetz auch immer. Als Finanzminister Hans Eichel auf dem Deutschen Steuerberatertag 2000 in Berlin anmerkte: Wer ein Steuerrecht verlange, das jeder versteht, sei entweder naiv oder opportunistisch, kritisierte ihn deswegen insbesondere der Bund der Steuerzahler.177 Im Ergebnis ähnlich wie Hans Eichel, wenn auch weniger drastisch, nimmt die Begründung des Kölner Entwurfs (s. S. 116) Stellung: „Ein Gesetz, das wie das Einkommensteuergesetz komplexe Gegenstände … vollständig, bestimmt und klar zu regeln hat, wird die Forderung nach Gemeinverständlichkeit oder gar Volkstümlichkeit des Gesetzestextes nur bedingt erfüllen können. Das Gesetz sollte in erster Linie den fachlich gebildeten Rechtsanwender möglichst präzise anweisen. Ein Lesebuch für das Volk wird ein Einkommensteuergesetz niemals sein können. Gleichwohl haben die Autoren des Kölner Entwurfs nach der verständlichsten Formulierung für den 129
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nicht steuerlich vorgebildeten Steuerpflichtigen gesucht und diese verwendet, wenn dadurch die fachliche Präzision der Vorschrift nicht beeinträchtigt wird“ (S. 50 Rz. 110).178 Keiner der hier vorgestellten Entwürfe ist durchgehend gemeinverständlich, auch der von „Demokratiefeindlichkeit“ des bestehenden Gesetzes sprechende Rose-Entwurf nicht, auch der ebenfalls auf die Demokratie rekurrierende FDP-Entwurf nicht, auch der Kirchhof-Entwurf nicht. P. Kirchhof fügt seinem Entwurf einen 18-seitigen Katalog von Begriffserläuterungen bei (S. 339–357), wohl nicht als Legaldefinitionen gedacht. M. Rose erläutert in einem 32 Absätze umfassenden, mehr als fünf Seiten langen Paragraphen 4 seine „Grundbegriffe der Einkommensteuer“. Das wäre überflüssig, würde jeder die von Kirchhof und von Rose verwendeten Begriffe verstehen. Tatsächlich dienen die Erläuterungen durch Selbstkontrolle der Begriffsdisziplin. Da sie auch für Fachleute hilfreich sind, empfiehlt sich ein Glossar auch für andere Entwürfe. Legaldefinitionen freilich sollten nach Möglichkeit im Kontext des Gesetzes untergebracht werden. Entwurfsverfasser, die ihr Produkt für allgemein verständlich halten, sollten die Probe aufs Exempel machen und ihre Entwürfe Laien vorlegen. Der Verfasser hat das getan – mit einem ernüchternden Ergebnis179. Inzwischen habe ich auch den Elicker-Entwurf Laien – es waren Arbeitnehmer – präsentiert. Sie wussten trotz allen Bemühens und trotz meiner Hilfestellung nicht, wie Arbeitnehmer nach diesem Entwurf behandelt werden sollen. Die erstaunliche Kürze des Entwurfs fördert eben nicht durchweg seine Verständlichkeit. Das gilt zumal für Steuertatbestände; sie sind erheblich verwickelter als Straftatbestände. Im Übrigen: Gesetze sind unvermeidbar auslegungsfähig und -bedürftig. Laien sind aber mit den Methoden der Gesetzesauslegung nicht vertraut. Wer das Gesetz nicht als Ganzes, nicht in seinen Zusammenhängen versteht, wer die Vernetzung zusammenhängender Vorschriften nicht erkennt, wird leicht in die Irre gehen. Auch Begriffserläuterungen helfen Laien nicht weiter, soweit Fachbegriffe mit anderen (unbekannten) Fachbegriffen erklärt werden. „Recht“ studieren heißt: Konzept und System eines Gesetzes begreifen lernen (statt sinnlos zu pauken) und eine Fachsprache lernen. Wäre eine Gesetzessprache möglich, die für jeden Laien verstehbar ist, könnte auf die Ausbildung von Juristen und Steuerberatern verzichtet werden. In den Finanzämtern und den Finanzgerichten käme man mit Laien aus. Das Steuerrecht hat (wie übrigens auch das Sozialrecht) noch ein besonderes Problem: Es gibt viele Juristen mit zwei Staatsexamina, die Steuer130
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rechtslaien sind (weil sie keine Ausbildung im Steuerrecht erhalten haben), die aber als Staatsanwälte in Steuerstrafsachen, als Steuerstrafrichter, als Zivilrichter z. B. in Steuerberater-Haftungssachen und als Verfassungsrichter tätig werden, obwohl sie sich nicht mehr als eine „steuerrechtliche Halbbildung“ angelesen haben. Iura tributaria novit curia ist nicht ganz selten Fiktion. – H.-J. Vogel schrieb als Justizminister: Selbst einem Volljuristen würde er nicht ohne weiteres zutrauen, dass er seine Steuererklärung korrekt ausfüllen oder seinen Rentenbescheid nachprüfen könne. Viele gewönnen „den Eindruck, eher an einem durch Zufall beherrschten Glücksspiel als an einer rationalen Veranstaltung der austeilenden oder der ausgleichenden Gerechtigkeit beteiligt zu sein.“180 Steuerstrafrichter retten sich – auch mangels hinreichender steuerrechtlicher Kenntnisse – gern in eine vorzeitige Absprache über das Strafmaß (sog. Deal). R. Herzog, der als Bundespräsident wiederholt ein gerechteres, einfacheres Steuerrecht angemahnt hatte, räumte ein: „Ich jedenfalls kann unser Steuersystem nicht mehr (kursiv durch Verfasser) verstehen, obwohl ich mich 10 Jahre in Karlsruhe mit Steuern befasst habe.“ Die Bemerkung hat mich stutzig gemacht: „Nicht mehr verstehen“, heißt das, der Bundespräsident habe die Steuergesetze – von einem System sollte man wirklich nicht reden – als Verfassungsgerichtspräsident zunächst noch verstanden, dann als Bundespräsident aber nicht mehr? Bis wann will der Bundespräsident a. D. das Steuerrecht noch verstanden haben und ab wann dann nicht mehr? Verfassungsrichter Katzenstein bekannte 1987: „Ich habe bis vor 10 Jahren keine Ahnung gehabt, was Sozialrecht ist. Das habe ich zum ersten Mal im Verfassungsgericht gelernt.“ Deutsche Verfassungsrichter befinden sich in guter Gesellschaft mit US-Supreme Court-Richtern. Learned Hand äußerte 1952, die Worte des Einkommensteuergesetzes tanzten bloß wie in einer sinnlosen Prozession vor seinen Augen herum. Dabei müsse er immer an gewisse Passagen im Werk des deutschen Philosophen Hegel denken. Richter Jackson meinte, das Steuerrecht sei so spezialisiert und komplex, dass es die Richter zur Verzweiflung bringe (jedenfalls besonders Richter ohne steuerrechtliche Vorbildung, wie man hinzufügen möchte). Das Gesetz verpflichtet die Bürger nicht, sich Steuergesetze anzuschaffen. Was hülfe die Anschaffung eines für sie unverständlichen Gesetzestextes ihnen auch? Eine Reform muss auch das Problem lösen, wie mit Steuerpflichtigen zu verfahren ist, die aus Gesetzesunkenntnis unrichtige Steuererklärungen abgeben. Nach § 80 I AO können Steuerpflichtige sich durch einen (als Steuerberater usw. zugelassenen) Bevollmächtigten vertreten lassen, sie müssen es aber nicht. Nirgends steht in der Abgaben131
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ordnung, dass Steuerlaien sich bei Sachkundigen informieren müssen. Auch Finanzbeamte verlangen das nicht, obwohl sie wissen, dass Laien durchweg nicht in der Lage sind, zutreffende Steuererklärungen abzugeben. Auch Steuererklärungsformulare im Postkarten- oder Bierdeckelformat würden das Problem nicht lösen, eine AO-Reform sollte es aber tun.181 Der bestehende Gesetzeszustand kann nicht länger hingenommen werden. Viel wäre schon erreicht, wenn wenigstens die Steuerfachleute alle Vorschriften einigermaßen sicher begreifen könnten. Das ist aber auch nicht mehr der Fall.182 Das Lohnsteuerrecht sollten möglichst auch die Sachbearbeiter in den Lohn- und Gehaltsstellen der Unternehmen, das Kapitalertragsteuerrecht und das Recht der Besteuerung von Wertpapierveräußerungen auch die damit befassten Bankbediensteten verstehen können.
4.2 Unterschiedliche Fach-Begrifflichkeiten der Entwürfe Tatsächlich bedienen sich denn auch alle Entwürfe einer Fachsprache, wenn auch nicht durchweg der gleichen Fachsprache. Während z.B. der Kirchhof-Entwurf sich ziemlich weitgehend von der herkömmlichen Begrifflichkeit emanzipiert, hält der Kölner Entwurf nach Möglichkeit an „Terminologien, die dem fachlich gebildeten Rechtsanwender vertraut sind und mit denen ein substanzieller Entwicklungsstand des Rechts verknüpft ist“, grundsätzlich fest, „auch wenn sie dem allgemeinen Sprachverständnis nicht ohne weiteres zugänglich sind“ (S. 50). M. Rose merkt an, dass er sich „aus juristischer Sicht … am Steuergesetzbuch von Lang (1993) orientiert“ habe (S. 147). Mit einer Ausnahme halten die Entwürfe am Begriff „Steuerpflichtiger“ fest. Nur der FDP-Entwurf führt den Begriff „Steuerbürger“ ein (§§ 4, 9 I d, 23 Nr. 2, 26, 29). Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn alle Steuergesetze den Begriff „Steuerpflichtiger“ durch den Begriff „Steuerbürger“ ersetzen würden, auch die Abgabenordnung. Das Einkommensteuergesetz darf aber nicht von der Abgabenordnung und anderen Gesetzen abweichen. Ebenfalls zum FDP-Entwurf: Man ist nicht „mit seinen Welteinkünften unbeschränkt steuerpflichtig“ und nicht „mit seinen inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig“ (so FDP §§ 5, 6), sondern man nennt die Erfassung der Welteinkünfte unbeschränkte, die Erfassung der Inlandseinkünfte beschränkte Steuerpflicht. Dieselbe terminologische Unkorrektheit wie im FDP-Entwurf findet sich auch in den §§ 19, 20 des Kirchhof-Entwurfs. Mitschke setzt die Begriffe zutreffend in die Klammer. 132
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
Jede Steuer braucht eine Steuerbemessungsgrundlage. Dieser Begriff – er ist m. E. anderen vorzuziehen – wird verwendet in den Entwürfen von Mitschke (Abschnitt II) und Elicker (§ 1) sowie im Kölner Entwurf (§ 2). M. Rose ersetzt ihn – wohl in Anlehnung an die tax base – durch die Begriffe „Basis der Einkommensteuer“ (§ 6) und „Komponenten der Steuerbasis“ (Überschrift über dem Dritten Abschnitt). P. Kirchhof überschreibt den § 2 mit „Gegenstand der Besteuerung“; im Glossar wird dieser Begriff nicht erklärt. Besteuert wird jedoch kein Gegenstand, sondern die natürliche Person mit ihrem zu versteuernden Einkommen als Bemessungsgrundlage. Der FDP-Entwurf spricht von „Umfang der Besteuerung“ (§ 7); das empfiehlt sich nicht. Zum zu versteuernden Einkommen gelangt man, indem man von (Netto-)Einkünften ausgeht und von diesen Verluste und private Ausgaben abzieht. (Netto-)Einkünfte ergeben sich, indem man von den Erwerbseinnahmen die Erwerbsausgaben abzieht (so § 9 I Kölner Entwurf). Die einschlägigen Begriffe der verschiedenen Entwürfe weichen indessen nicht unerheblich voneinander ab. Mehrere Entwürfe erfassen zunächst nur das „Markteinkommen“ (so Rose: „durch Marktbeteiligungen erwirtschaftete Einkünfte“ (§ 2 I) oder „marktbestimmtes Einkommen“ (§§ 4 V; 6 I; 8 II; 14 I; 33 I), P. Kirchhof („am Markt erzielte Einkünfte“ (§ 2 III). Kirchhof definiert den Markt als „Rechtsgemeinschaft, in der ein Leistungsanbieter einen Nachfrager findet und deshalb Einkommen erzielt“ (Glossar S. 348). Kann man aber z.B. Abgeordnete und Soldaten wirklich als Anbieter bezeichnen, das Parlament oder die Bundeswehr als nachfragenden Teil des Marktes? Der FDP-Entwurf spricht von „Einnahmen aus wirtschaftlicher Betätigung“ (§ 7 I; § 7 II: „Tätigkeit“) und grenzt davon die „Nutzung von Vermögen“ – wohl als Nichtbetätigung – ab.183 Der Kölner Entwurf erfasst nach § 2 I „Einkünfte, die der Steuerpflichtige durch eine ... Erwerbstätigkeit erwirtschaftet“ (er vermeidet den Begriff „Markteinkünfte“ als zu unpräzise) und sieht Einkünfte aus Finanzkapital auch als durch Erwerbstätigkeit erwirtschaftet an. Das dürfte nicht zu §§ 4, 5 (Einkünfte aus Tätigkeit) und § 6 (Einkünfte aus Finanzkapital – sie sind Erwerbseinkünfte, aber keine Einkünfte aus Erwerbstätigkeit) passen. P. Kirchhof klammert die Liebhaberei dadurch aus, dass sie nicht – „zur Vermögensmehrung bestimmt und geeignet“ – ist (§ 2 III). Bei M. Rose findet sich kein Ansatz für eine Eliminierung von Liebhaberei-Einkünften. Mitschke lässt Aufwendungen für Einrichtungen, Güter und Beschäftigungen, die ganz oder überwiegend der Freizeitgestaltung dienen und bei denen positive Einkünfte nicht dauerhaft zu erwarten sind 133
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(Liebhaberei), nicht zum Abzug zu (§ 11 I Nr. 6); heißt das, dass Liebhaberei-Einnahmen versteuert werden sollen? Elicker unterscheidet zwischen erwerbsdienlicher und nicht erwerbsdienlicher Tätigkeit (§ 3). Der FDP-Entwurf bestimmt: „Wirtschaftliche Betätigung ist jede mit der Absicht der Erzielung von Erträgen ausgeübte Tätigkeit. Fehlt diese Absicht offensichtlich oder bleibt die Tätigkeit über längere Zeit erkennbar ohne wirtschaftlichen Erfolg, ist die Tätigkeit als Liebhaberei nicht steuerbar mit der Folge, dass sich weder die Ausgaben noch Abschreibungen steuermindernd auswirken dürfen.“ (§ 7 II) – aber doch wohl mit der (nicht ausdrücklich erwähnten) Folge, dass die Einnahmen nicht angesetzt werden. Der Kölner Entwurf schaltet Liebhaberei-Einkünfte dadurch aus, dass er eine „mit Gewinnabsicht ausgeübte Erwerbstätigkeit“ verlangt (§ 2 I). Das ist die gegenüber dem FDP-Entwurf flexiblere Fassung. Die vom Gesetz erfassten Einkünfte nennt heute – im Anschluss an den Behördenjargon – auch die Fachsprache „steuerbar“. „Steuerbare Einkünfte“ können „steuerfrei“ sein. M. Rose (§ 2 II), Elicker (§§ 4 II, 8 III) und der FDP-Entwurf (§ 7 II) führen den Begriff „steuerbar“ auch in ihren Gesetzentwurfstext ein. – Mit dem Gebrauch des Begriffs „steuerbar“ wird ein semantisch irreführender Begriff verwendet. „Steuerbar“ heißt so viel wie „lenkbar“ (so auch die Wörterbücher). Es geht aber nicht um „lenkbare“ Einkünfte oder Umsätze, sondern um besteuerbare. Einkünfte und Umsätze sollen nicht gesteuert oder gelenkt, sondern besteuert werden. Wir verkürzen doch auch die Begriffe belastbar, belegbar, beweisbar, begründbar, beleihbar, bebaubar nicht zu lastbar, legbar, weisbar, gründbar, leihbar, baubar (die Liste ließe sich beliebig fortsetzen), weil der Wegfall der Vorsilbe den Sinn verändert. Wir machen auch nicht aus Betriebsausgaben, Betriebsstätte, Bewertungsfreiheit, Bewirtungskosten Triebsausgaben, Triebsstätte, Wertungsfreiheit, Wirtungskosten. Kein Franzose würde aus der base imposable (imposable in meinem Wörterbuch übersetzt mit „versteuerbar“) die Vorsilbe „im“ entfernen; kein Spanier würde aus der base imponible eine base ponible machen (imponible in meinem Wörterbuch übersetzt mit belastbar, besteuerbar). Offenbar sind die Wörterbuchautoren doch bessere Linguisten als Steuerjuristen, die vehement das „steuerbar“ verteidigen, weil die „Steuer“ eben nicht „Besteuer“ heiße, als ob die Last Belast hieße, usw. Man kann schon froh sein, dass die Entwurfsverfasser im Anschluss an den verkürzten Begriff „Werbungskosten“ (= Erwerbskosten) nicht die Begriffe Erwerbseinnahmen, Erwerbsausgaben, Erwerbsgrundlage zu Werbseinnahmen, Werbsausgaben (oder Werbungsausgaben), Werbsgrundlage (oder Werbungsgrundlage) verkürzt haben. Dass Laien den Begriff „steuerbar“ als „lenkbar“ missverstehen, hat der Verfasser selbst erlebt. 134
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Die Entwürfe haben den langen Befreiungskatalog des geltenden Gesetzes erheblich verkürzt oder sich (wie der Kölner Entwurf) ganz vom Begriff „Einkommensteuer-Befreiungen“ verabschiedet. Der FDP-Entwurf enthält noch fünf zum Teil deklaratorische Befreiungen (§ 9). Die sieben steuerfreien „Bezüge“ des Mitschke-Entwurfs (§ 5) sind ebenfalls darauf zu prüfen, inwieweit sie bereits „nicht besteuerbar“ sind. Bei M. Rose (§§ 16 III, 26 II) und dem Kölner Entwurf (§ 14) finden sich noch versteckte Befreiungen, die mit dem Passus eingeleitet werden: „Als Erwerbseinnahmen sind nicht anzusetzen“ bzw. „werden nicht angesetzt“. Das klingt sehr buchhalterisch-technisch. Vom Altersentlastungsbetrag, vom Versorgungsfreibetrag, vom Sparerfreibetrag haben sich alle Entwürfe verabschiedet. Soweit die Entwürfe an einer dualistischen Einkünfteermittlungsmethode festhalten (Bestandsvergleich; Überschuss-Rechnung) liegt es nahe, dass sie auch begrifflich differenzieren. P. Kirchhof tut das, indem er wie folgt unterscheidet: Bestandsvergleich:
Erwerbserträge
Erwerbsaufwendungen
Überschussrechnung:
Erwerbseinnahmen
Erwerbsausgaben
Oberbegriffe:
Erwerbserlöse
Erwerbskosten
Vermögenszuwächse, die nicht durch ein „Handeln am Markt“ erzielt werden, werden von Kirchhof „Bezüge“ genannt (S. 56–58, Glossar S. 342). Das ist eine terminologische Schedule. M. Rose kennt nur Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben. In der Begründung wird allerdings auch noch der Begriff „Werbungskosten“ verwendet (S. 72). Auch der Kölner Entwurf (§ 9 I) unterscheidet nur Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben, bestimmt allerdings für die Ermittlung der Unternehmenseinkünfte durch Bestandsvergleich: „Dabei sind die Vorschriften über Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben … entsprechend auf Erträge und Aufwendungen anzuwenden“ (§ 19 IV 2). Diese Verweisung ist wohl die terminologisch einfachste Lösung. Mitschke verwendet die Begriffe „Erwerbsbezüge“ und „Erwerbsabzüge“ (§§ 7, 8, 10), aber auch den Begriff „Aufwendungen“ (§§ 9 III; 11 I Nr. 1, 6). Sowohl Erwerbsabzüge als auch Aufwendungen werden als „abfließende Zahlungen“ bezeichnet (§§ 8 I, 9 IV). Die Begriffe „Bezüge“ und „Abzüge“ entsprechen einander jedoch nicht; sie liegen auf verschiedenen Ebenen. Der Abzug (als Rechtsfolge) ist nicht das Pendant zum Bezug als Einnahme (tatsächlicher Vorgang). Bei Elicker finden sich die Begriffe „Aufwendungen“ (§ 5 V) und „Ausgaben“ (§ 11). Der FDP-Entwurf ist am wenigsten konsequent. Er schwankt zwischen den Begriffen „Einnahmen“ (die 135
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
Regel), „Erträgen“ (§ 7 II 1) und „Erlösen“ (§ 8 I), zwischen „Ausgaben“ (die Regel) und „Aufwendungen“ (z.B. §§ 9 III; 10 IV; 13). Im Arbeitnehmerbereich schleppt der FDP-Entwurf den Begriff „Werbungskosten“ weiter (§ 15). Er schwankt zwischen „wirtschaftlicher Tätigkeit“ (§§ 7 II; 21 II), „wirtschaftlicher Betätigung“ (§§ 7 II, III; 15; 16; 17 I; 22 I) und „Beschäftigung“ (§ 12 I Nr. 1), zwischen „Aufwendungen für die Lebensführung“ (§ 10 IV) und „Kosten der Lebenshaltung“ (§ 10 V), zwischen „dazu gehören auch“, „zählen auch“ (§§ 7 III; 8 I; 10 IV; 12 I; 13; 17 I) und „als solche gelten auch“ (§ 12 II). Meister der Begriffzucht sind die Verfasser des FDP-Entwurfs nicht. Recht bunt ist auch der Fachwortschatz im Bereich der „Privateinnahmen“ und „Privatausgaben“ (Kölner Entwurf §§ 2 II; 35). Bei P. Kirchhof finden wir die Begriffe „existenzsichernde Aufwendungen“ (§ 6), „Lasten der Lebensführung“ (§ 4), Rose spricht von „persönlichen Abzügen“ (§ 24), dazu gehören „Ausgaben für den regelmäßigen Grundbedarf“ und „Ausgaben für den regelmäßigen Sonderbedarf“ (§ 24). Bei Mitschke heißen die „Privatabzüge“ (§§ 3 IV; 21 ff.) „abzugsfähige Aufwendungen“ (Überschrift zu § 21), aber auch „absetzbare Aufwendungen“ (§ 21 I, II). Ein Teil der Sonderausgaben geltenden Rechts heißt „Besondere Privataufwendungen“ (§ 23) und „Außergewöhnliche Aufwendungen“ (§ 24; Überschrift: „Außergewöhnliche Belastung“). Elicker gibt die Begriffe „Sonderausgaben“ und „Außergewöhnliche Belastungen“ auf und fasst sie zusammen zu „abziehbaren Sonderbedarfen“ (§ 9; aber kann man einen Bedarf abziehen?). Der Kölner Entwurf unterscheidet als Privatausgaben „Lebensbedarfausgaben“, „Mehrbedarfpauschalen“ und „Sonderbedarfausgaben“ (§§ 35, 36). Dass die Differenzierung zwischen „Sonderausgaben“ und „außergewöhnlichen Belastungen“ aufgegeben worden ist, ist sachlich richtig. Überlegenswert erscheint es mir aber, ob nicht an dem hergebrachten Begriff „außergewöhnliche Belastung“ als Oberbegriff festgehalten werden sollte. Einige Entwürfe bevorzugen die Begriffe „abzugsfähig“ / „nicht abzugsfähig“ vor „abziehbar“/„nicht abziehbar“, oder sie wechseln zwischen beiden Begriffen. Ausgaben haben m. E. aber keine Fähigkeiten. Zwischen „dazu gehören auch“, „rechnen auch“, „sind anzusetzen“, „werden angesetzt“ wird recht sorglos gewechselt. Das „Ansetzen“ sollte m. E. außerhalb der Einkünfteermittlungsvorschriften nicht verwendet werden. Alle Entwürfe arbeiten mit Legaldefinitionen. M. Rose stellt sie in einem fünf Seiten langen Katalog von 32 Legaldefinitionen voran (§ 4). Sie im geeigneten Kontext des Gesetzes zu lokalisieren und nötigenfalls zu ver136
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weisen, ist m. E. als Methode vorzuziehen; eine Sammlung der Legaldefinitionen ist unanschaulich. Die anderen Entwürfe folgen der RoseMethode denn auch nicht. Größten Wert auf Begriffsdisziplin legt der Kirchhof-Entwurf. Er ist auch am kreativsten im Erfinden neuer Begriffe.
4.3 Verständlichmachung durch Gründe Jedem Entwurf ist zu seinem besseren Verständnis184 eine mehr oder weniger ausführliche Begründung beigefügt (Kirchhof 324 Seiten; Rose 130 Seiten; Mitschke 81 Seiten; Elicker 321 Seiten; FDP-Entwurf 46 Seiten; Kölner Entwurf 80 Seiten; die Seitenangaben enthalten allerdings zum Teil auch den Gesetzestext). Fraglich ist, an welche Adressaten sich die Begründungen richten. Sie lassen darüber nichts verlauten. Die recht kurze Begründung des FDP-Entwurfs ist m. E. auch die schlichteste (muss nicht heißen: die überzeugendste). Die Kirchhof-Begründung werden Laien allenfalls teilweise verstehen; für den Rose-Entwurf, den MitschkeEntwurf und den Elicker-Entwurf gilt dasselbe. Auch Steuerberater ohne juristische Vorbildung dürften mit Partien des Kirchhof-Entwurfs Schwierigkeiten haben. Mitschke und Elicker wollten vielleicht in erster Linie die Jury überzeugen. Da der Elicker-Entwurf auf einer Habilitationsschrift basiert, musste von ihm auch die Fakultät überzeugt werden. Die Begründung des Kölner Entwurfs macht den Eindruck, als wolle sie in erster Linie die Steuerwissenschaftler ansprechen (nicht zuletzt die Steuerökonomen) und erst in zweiter Linie die Steuerpolitiker. Zum Abdruck als Regierungsbegründung in den Bundestag-Drucksachen müssten m. E. alle Begründungen umgeschrieben werden. Um nur ein Beispiel von Begriffsvielfalt zu nennen, die nicht nur Laien, sondern auch Steuerberater verwirren dürfte: In den Begründungen – insbesondere bei P. Kirchhof – finden sich die Begriffe Ausnahmetatbestände, Sondertatbestände, Überwucherungen, Ausweichtatbestände, Anreiztatbestände, Durchbrechungsnormen, Verfremdungsnormen, Verfälschungsnormen, Interventionsnormen, Lenkungsnormen, Subventionsnormen, Steuervergünstigungen, Steuerprivilegien, Steuerschlupflöcher. Der Inhalt dieser Begriffe wird vorausgesetzt. Sie sind auch in P. Kirchhofs Glossar und in M. Roses Grundbegriffen (§ 4) nicht zu finden. Viel ist von „nachgelagerter Besteuerung“ die Rede; der Begriff ist so modern wie der Begriff der „Nachhaltigkeit“ in der Öko-Politik. Ein Steuerberater fragte mich: „Was ist eigentlich ‚nachgelagerte Besteuerung‘. Gibt es auch vorgelagerte Besteuerung?“ Was ergibt sich dazu aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip?
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III. Die Steuerbemessungsgrundlage in den Reformentwürfen 1. Markteinkommen versus Leistungsfähigkeitseinkommen Kein Entwurf folgt der Übung der Steuerpolitik, erst mitzuteilen, wie stark die Tarifbelastung gesenkt werden soll und dann in der Steuerbemessungsgrundlage nach Gegenfinanzierungsmöglichkeiten zu suchen, die die Wählerklientel möglichst ohne Geschrei hinnimmt. Alle Entwürfe gehen davon aus, dass der Tarif (der Steuersatz) auf einer nicht manipulierten Bemessungsgrundlage aufbauen muss. Zutreffend heißt es in der Begründung des Kölner Entwurfs: „Die Fundamentalreform hat die Wahrheit der Bemessungsgrundlage, d. h. die realitätsgerechte Messung steuerlicher Leistungsfähigkeit herzustellen, bevor ein Einkommensteuertarif verfasst wird.“ (S. 37). Steuerpolitiker in aller Welt haben auch immer wieder gefordert, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und das Mehraufkommen zur Tarifsenkung zu nutzen. In der steuerpolitischen Praxis ist dieses Vorhaben aber immer wieder auf den Kopf gestellt worden. In der Frage, welche Bemessungsgrundlage „wahr“ oder „sachgerecht“ ist, gehen die Meinungen auseinander. Das Leistungsfähigkeitsprinzip, auf das sich alle Entwürfe beziehen, fragt nicht danach, aus welcher Quelle ein die steuerliche Leistungsfähigkeit steigernder Vermögenszuwachs stammt. Es fragt insbesondere nicht danach, ob das Einkommen (am Markt) erwirtschaftet worden ist oder nicht. Als Leistungsfähigkeitseinkommen erfasst wird jeder Vermögenszugang, der zusätzliche Bedürfnisbefriedigung ermöglicht. Wer z.B. den „Jackpot“ knackt und 10 Mio. Euro gewinnt, wird dadurch auch steuerlich leistungsfähiger. Warum soll der, dem etwas ohne eigene Anstrengung zufällt, steuerlich besser behandelt werden, als der, der sein Einkommen durch Leistung erwirbt? Es gibt zwar die Erbschaft- und Schenkungsteuer; aber der Glückliche, der in der Lotterie gewinnt, hat nichts geerbt und nichts geschenkt erhalten. Das Schweizer Gesetz über direkte Steuern erfasst ausdrücklich auch „Einkünfte aus Lotterien – und lotterieähnlichen Veranstaltungen“ (Art. 23). Jedoch hat sich in Deutschland und Österreich die Markteinkommenstheorie verbreitet. Sie will nur Markteinkommen erfassen, wird aber nicht ganz konsequent umgesetzt, weil auch einige Einkünfte einbezogen werden, die keine Markteinkünfte sind, sondern Transfereinkünfte. M. Rose meint, nur das marktbestimmte Einkommen sei Ausdruck der objektiven Leistungsfähigkeit, begründet das aber nicht (S. 21). P. Kirchhof 138
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leitet das Gebot, grundsätzlich nur das Markteinkommen zu erfassen, aus seiner – soweit ich sehe – in der ganzen Welt nicht vorkommenden Einkommensteuer-Rechtfertigungstheorie ab (die hier nicht wiederholt werden muss185), auch sie ist singulär; P. Kirchhofs Ableitung der Markteinkommenstheorie aus dem Grundgesetz hat keine Gefolgschaft gefunden. Die US-amerikanische comprehensive income tax und das Schweizer Gesetz über direkte Steuern beschränken sich denn auch nicht auf die Erfassung von Markteinkommen. Der Markteinkommenstheorie folgt – wenngleich nicht mit der Kirchhofschen Ableitung – auch der Kölner Entwurf (S. 56 ff.); er verwendet allerdings nicht den Begriff „Markteinkommen“. Nur der Entwurf Mitschkes erwähnt keine Markteinkommenstheorie; Mitschkes Entwurf erfasst in § 13 Nr. 7 auch Einkünfte aus „Versicherungen und Unterhaltsansprüchen“. Der Entwurf der FDP erfasst außer Einnahmen aus wirtschaftlicher Betätigung auch „Renten und Unterhaltszahlungen, auf die ein rechtlicher Anspruch besteht“ (§ 7 I). Dazu heißt es in der Begründung: „Die Steuergerechtigkeit erfordert außerdem die Berücksichtigung von Renten und Unterhaltszahlungen, die ebenfalls die persönliche Leistungsfähigkeit erhöhen“ (S. 38). Hier zeigt sich besonders deutlich: Wer auch andere als Markteinkünfte erfasst, kommt als Markteinkommenstheoretiker mit dem Konsequenzgebot in Konflikt. Abgesehen davon, dass die Einkünfte tatsächlich ganz überwiegend erwirtschaftete Einkünfte oder Markteinkünfte sind: Man gelangt über die Ergebnisse der Markteinkommenstheorie nicht eben weit hinaus, wenn folgendes bedacht wird: Auch das Eigeneinkommen, Sozialleistungen und Entschädigungen aus öffentlichen Mitteln ermöglichen die Befriedigung von Bedürfnissen. Aber: (1) Der Versuch, auch Eigeneinkommen zu erfassen, gerät in Konflikt mit dem Gebot gleichmäßiger Verifizierung allen Einkommens. Jede Anwendung einer Theorie oder eines Prinzips muss dort enden, wo sie mit verhältnismäßigen Mitteln nicht gleichmäßig umgesetzt werden kann. Das trifft auf das Eigeneinkommen zu. (2) Sozialleistungen jeder Art – ob wegen Bedürftigkeit oder sonst aus sozialen Gründen gewährt – erhöhen die steuerliche Leistungsfähigkeit nicht. Es kann ein Bürger nicht wegen ein und derselben Einkunft sozial berechtigt und zugleich sozial (zum Steuerzahlen) verpflichtet sein. M.a.W.: Wer sozialberechtigt ist, kann nicht zugleich steuerpflichtig sein, er kann nicht zugleich bedürftig und leistungsfähig sein. Daher dürfen z.B. Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, Wohngeld nicht besteuert werden.
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(3) Entschädigungen aus öffentlichen Mitteln, durch die die Leistungsfähigkeit nicht erhöht wird, weil Schäden ausgeglichen werden sollen, dürfen nicht steuerlich belastet werden. Das gilt insbesondere für Entschädigungen aus öffentlichen Mitteln, die für Sonderopfer gewährt werden, für die der Staat ursächlich oder mitursächlich war, insbesondere durch Kriegs- und Kriegsfolgehandlungen oder durch Unrechtshandlungen an seinen Bürgern. Solche Entschädigungen sind – auch wenn sie in Versorgung bestehen – z. B. die Kriegsopferversorgung, die Entschädigung Vertriebener, die Versorgung Wehrdienstbeschädigter, die Entschädigung zum Ausgleich staatlicher Unrechtsmaßnahmen (insbesondere während des NS- und des DDR-Regimes), die Entschädigung von Kriminalitätsopfern. Sie bezwecken keinen Vermögensvorteil, sondern den Ausgleich von Verlusten oder materiellen/immateriellen Schäden. (4) Nicht besteuert werden sollten auch Förderungsbezüge, die jemand aus öffentlichen Mitteln wegen besonderer Verdienste um das Gemeinwohl erhält. Es wäre wertungswidersprüchlich zu verlangen, dass ein Teil der Gemeinwohlbezüge als Steuer für Gemeinwohlzwecke zurückgewährt werden muss. Auch Förderungsbezüge, die im Interesse der Allgemeinheit gewährt werden (z. B. Leistungen zur Förderung der Aus- und Fortbildung oder zur Familienförderung – wie Kindergeld, Erziehungsgeld) sowie der Ehrensold der Künstler, sollten nicht mit Einkommensteuer belastet werden. Sie sollten zur Förderung des Gemeinwohls von Steuerbelastungen befreit werden. Allerdings wäre ein Progressionsausgleich angezeigt.
2. Konsumeinkommen versus konsumierbares Einkommen M. Rose gehört in Deutschland zu den Protagonisten einer konsumorientierten Einkommensteuer mit der Technik der Zinsbereinigung (§ 2 III Nr. 1). Die Rechtfertigung: Zum einen sei Endziel allen Wirtschaftens der Konsum; nur durch seinen Konsum belaste der Bürger die Gesellschaft. Zum anderen werde durch die konsumorientierte Einkommensteuer eine gleichmäßige Belastung des Lebenseinkommens (s. unten S. 142) erreicht. Indessen, selbst wenn alles Wirtschaften dem Konsum diente: Leistungsfähigkeit drückt sich nicht erst im Konsum des Einkommens aus. Jedoch führt in der Tat der Besteuerungsaufschub des investierten/ gesparten Einkommens auf Grund der unterschiedlichen Zeitpunkte der Steuerbelastung für Bürger mit und ohne Kapitaleinkünfte(n) zu einer gleichen Lebenszeit-Steuerlast (sog. intertemporale Neutralität). Auch die Entwürfe von J. Mitschke und M. Elicker sind konsumorientiert angelegt. Sie erreichen ihr Ziel dadurch, dass der investierte bzw. reinvestierte 140
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Teil des Einkommens noch nicht belastet wird. Erst das Entnommene oder Ausgeschüttete wird erfasst. Die Advokaten der konsumorientierten Einkommensteuer versprechen sich von ihr nicht zuletzt auch eine gesteigerte ökonomische Effizienz. Gegen die konsumbasierte Einkommensteuer bringen ihre Gegner zwei Hauptargumente vor, ein steuerpsychologisches und ein technisches. (1) Die Bürger gingen durchweg von einer Jahresbesteuerung aus; ihnen leuchte nicht ein, dass Vermögende mit Kapitaleinkünften diese nicht jährlich versteuern sollten; sie sähen darin ein Steuerprivileg. (2) Der Übergang von der traditionellen zur konsumorientierten Einkommensteuer sei technisch nicht unmöglich, aber nicht einfach und nur in einer längeren Übergangszeit verminderter Einnahmen zu realisieren. Der Entwurf von M. Rose sieht eine Übergangszeit von 2005 bis 2015 vor (S. 146). Einer Besteuerung des Lebensendvermögens, sofern vorgesehen, würden viele Bürger wohl zu entgehen versuchen. Auch die Einpassung der konsumorientierten Einkommensteuer in das internationale Steuerrecht würde Schwierigkeiten bereiten. Zwar ist der Sprecher des Kölner Reformarbeitskreises, J. Lang, auch Anhänger einer konsumorientierten Einkommensteuer und ihrer Logik186; der Kölner Arbeitskreis hat aber berücksichtigt, dass es den Vertretern der konsumorientierten Einkommensteuer bisher nirgends in der Welt dauerhaft gelungen ist, diese Form der Einkommensteuer durchzusetzen. Dass Deutschland bei der Einführung vorangehen könnte, erschien dem Arbeitskreis ausgeschlossen, zumal auch die OECD und die Europäische Union an der klassischen Einkommensteuer festhalten. J. Lang räumte schon 1994 ein, dass die Idee der konsumorientierten Einkommensteuer noch nicht umsetzbar sei.187 Der Kölner Arbeitskreis hat durchaus erkannt, dass eine Konsumorientierung investitionsförderlich, lebenszeitorientiert und inflationsneutral wäre. In der Begründung heißt es aber: „Jedoch werden reine Konsumsteuermodelle nicht in die realpolitische Diskussion einbezogen, weil sie sich von der hierzulande herrschenden Umverteilungsgerechtigkeit allzu weit entfernen und auch fiskalischen Anforderungen nicht genügen. Daher haben die Steuerabteilungsleiter des Bundes und der Länder die ‚konsumorientierten Reformmodelle’ nach eingehender Erörterung nicht weiter untersucht …“.188 Entgegen M. Rose sind es nicht nur Juristen, die die Einführung einer Konsumeinkommensteuer verhindern; auch unter den Steuerökonomen sind die Advokaten der Konsumeinkommensteuer wohl noch in der Minderheit. Vor allem aber wird die konsumorientierte Einkommensteuer auch von Steuerpolitikern aller Parteien abgelehnt.189 Die gänzliche Entlastung der Unternehmen von Steuern, weil diese nicht konsumieren, wird nicht akzeptiert. 141
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
3. Lebenseinkommen versus Periodeneinkommen Ist die Einkommensteuer nach Jahresperioden (eventuell nach Mehrjahresperioden) zu bemessen oder nach dem Lebenseinkommen? Die Entwürfe sind nicht einig. M. Rose gibt seine Antwort schon in § 1: „Das Lebenseinkommen natürlicher Personen ist einmalig, gleichmäßig und auf einfache Weise zu belasten.“ § 2 III Nr. 1: „Die Einmalbelastung des Lebenseinkommens ist … dadurch zu gewährleisten, dass eine marktübliche Verzinsung des Sparkapitals steuerfrei bleibt (Zinsbereinigung) …“. Auch die Begründung des Kölner Entwurfs sieht im Lebenseinkommen den richtigen Indikator steuerlicher Leistungsfähigkeit und im Perioditätsprinzip eine bloß technische Regel (S. 55 Rz. 129), dies abweichend von P. Kirchhof, der auf Grund seiner Einkommensteuer-Rechtfertigungstheorie im Jahresprinzip eine „Zentralanforderung materieller Steuergerechtigkeit“ sieht (S. 36 Rz. 8). Sieht man von M. Roses „Zinsbereinigung“ ab, so ergeben sich aus der theoretischen Differenz indessen kaum Unterschiede. Alle Entwürfe behandeln die Einkommensteuer (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) als Jahressteuer (Kirchhof § 2 I; Rose § 7; Mitschke § 4; Elicker § 14 I; FDP § 29 I; Kölner Entwurf § 2 III). Auch der Kölner Entwurf beschränkt sich als Instrument der Lebenseinkommensbesteuerung auf einen Verlustabzug (Rücktrag zwei Jahre, Vortrag unbeschränkt; §§ 32, 33). P. Kirchhof lässt nur den Verlustvortrag (genannt „Verlustberücksichtigung in der Zeit“) zu, allerdings beschränkt auf „dieselbe Erwerbsgrundlage“ (§ 9). Man fragt sich, wieso ein unbegrenzter Vortrag noch „in der Zeit“ liegt? Auch die Beschränkung des Verlustvortrags auf dieselbe Erwerbsgrundlage ist nicht einsichtig, da P. Kirchhof sich zur Gleichbehandlung aller Einkommensarten (Erwerbsgrundlagen) bekennt. Der „Karlsruher Entwurf“ sah – nach der Kirchhofschen Einkommensteuer-Rechtfertigungstheorie konsequent – noch eine Begrenzung auf fünf Jahre vor.190 Der Entwurf Mitschke geht fünf Jahre zurück (also über den Kölner Entwurf hinaus) und unbeschränkt vorwärts (§ 12). Es lohnt sich, sich von § 10 des Elicker-Entwurfs anregen zu lassen. Die FDP lässt einen einjährigen Rücktrag und einen zeitlich unbegrenzten – Vortrag zu (§ 16 III, m. E. sprachlich missglückt). Das Leistungsfähigkeitsprinzip lässt nicht ausdrücklich erkennen, auf welchen Zeitraum die Bemessungsgrundlage bezogen werden soll. Da das Leistungsfähigkeitsprinzip sich als Gerechtigkeitsprinzip versteht, ist der Bezug auf das Lebenseinkommen anzunehmen, denn alle kürzeren Abschnitte sind mehr oder minder willkürlich. Der Verlustabzug ist allerdings ein ziemlich dürftiges Mittel, die Willkür der Jahresveran142
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
lagung zu korrigieren. Kein Entwurf sieht aber eine Durchschnittsbesteuerung vor; sie würde auch Einkommensschwankungen ausgleichen, die die Verlustzone nicht berühren. Auch Tarifermäßigungen sind in keinem Entwurf enthalten. M. Elicker spricht vom „Kurieren am Symptom“. Er verweist zutreffend darauf, dass es der progressive Tarif ist, der Ungerechtigkeiten mit sich bringen kann, die beim einheitlichen Tarif nicht auftreten (S. 298).
4. Generalklausel versus Enumerationstechnik Auch Aufbau und Technik der Bemessungsgrundlagenentwürfe enthalten manche Abweichung. Wir erörtern hier die beiden wichtigsten: Die Entwürfe von Kirchhof (§ 2), Elicker (§ 2) und der FDP (§ 7) erfassen das besteuerbare Einkommen (als Bemessungsgrundlage) grundsätzlich in einer Art Generalklausel.191 Die Entwürfe von Rose (§§ 6, 9 f.) und Mitschke (§§ 13–20) sowie der Kölner Entwurf (§ 2 I; §§ 4 ff.) erfassen das besteuerbare Einkommen durch Aufzählung der Einkunftsarten. P. Kirchhofs Begründung lautet: „Das heutige Einkommensteuerrecht leidet an einem Übermaß an Detailregelungen, die das Verständnis der Rechtslage erschweren und häufig zu Widersprüchen führen. Die steuerrechtlichen Einzelregelungen sind kaum noch verständlich“ (S. V). „Je trennschärfer ein Einzeltatbestand gefasst ist, desto eher verfehlt er die Realität des Wirtschaftslebens und desto leichter wird er durch steuerbewusste Sachverhaltsgestaltung in seinem gleichheitsrechtlichen Anspruch widerlegt werden können“ (S. VII). Ein Tatbestand, der alle Einkunftsarten in einem Begriff zusammenfasst, lässt hohe Abstraktionsfähigkeit seines Urhebers erkennen. Unter dem Aspekt der Rechtssicherheit, der Anschaulichkeit und der Verständlichkeit, zumal für Laien – und damit der Rechtsstreitvermeidung – ist eine Enumerierung der Einkunftsarten aber vorzuziehen. „… je einfacher – mithin abstrakter – das Steuergesetz ausfällt, desto mehr – so Josef Isensee – entfernt es sich von der konkreten Erscheinung des Falles und seiner lebendigen Anschauung. Damit wächst die Schwierigkeit für den Rechtsanwender, die Distanz zu überbrücken.“192 Viele Steuerpflichtige haben erfahrungsgemäß nicht die Fähigkeit zur Auflösung von Abstraktionen. Der Gegensatz der von Kirchhof beanstandeten Trennschärfe ist Unschärfe, Unschärfe an den Rändern. Gewisse Unschärfen soll nach Kirchhof der Verordnungsgeber schärfen (s. z. B. § 23 Nr. 1, 2). Damit ist jedoch nichts gewonnen, außer einem Stück Entparlamentarisierung. Durch Rose (§ 10 Nr. 2), Mitschke (§ 16 II) und im Kölner Entwurf (§ 4 I Nr. 2) 143
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ist klargestellt, dass auch Abgeordnete besteuerbares Einkommen haben. Eine andere Annahme würde den Gleichheitssatz verletzen. Auch P. Kirchhof unterscheidet übrigens verschiedene Erwerbsgrundlagen oder Einkunftsquellen (§ 2 III 3). Der Verlustausgleich soll nämlich nur innerhalb „derselben Erwerbsgrundlage“ zulässig sein (§ 9). Daraus ergibt sich die Frage, nach welchen Kriterien sich Erwerbsgrundlagen unterscheiden lassen? Wieviele verschiedene Erwerbsgrundlagen gibt es? Diese Frage wird in Kirchhofs Begründung nicht beantwortet (S. 178, 179). Auf S. 39 Rz. 19 heißt es allerdings: „Die Einkunftsart spielt … bei der Abgrenzung der Erwerbsgrundlage … keine Rolle mehr.“ Das ist aber wegen der Begrenzung des Verlustvortrages auf die jeweilige Erwerbsgrundlage nicht richtig. M. E. läuft § 9 dem Grundgedanken des § 2 zuwider. Einkommensarten in einem Einheitsbegriff aufgehen zu lassen, ist auch deshalb nicht hilfreich, weil – wie es Kirchhof (§§ 3 I, 17) und die FDP tun – bei der Einkünfteermittlung zum Teil nach Einkunftsarten unterschieden wird. Auch im Aufbau weichen die Vorschriften über die Bemessungsgrundlage voneinander ab. Der Kölner Entwurf geht von der Summe der (Netto-)Einkünfte aus. Diese vermindert er um den Verlustabzug und die „Privatausgaben“ und vermehrt sie um die „Privateinnahmen“ (§ 2 I, II). Er trennt also die erwirtschafteten Einkünfte (§ 2 I) von den „Privateinnahmen“ (§§ 2 II; 35 III). Da das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht danach fragt, ob das Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit oder aus einer Transferleistung herrührt, ist die Lösung von Mitschke (s. dort § 13) und des FDP-Entwurfs (§ 7) m. E. vorzuziehen, alle Einkünfte in einem einheitlichen Katalog zu erfassen. Mitschke stellt seinem Einkünftekatalog (§§ 13 ff.) allerdings die Einkünfteermittlungsvorschriften (§§ 6 ff) voran. M. E. muss man zunächst wissen, welche Einkünfte besteuerbar sind; erst danach kann man die besteuerbaren Einkünfte ermitteln.193
5. Einheitssteuer versus duale oder plurale Steuer 5.1 Einheitssteuer als Grundsatz Im Grundsatz behandeln alle Entwürfe die Einkommensteuer als Einheitssteuer (synthetische Steuer). An die verschiedenen Arten von Einkünften werden nämlich grundsätzlich die gleichen Rechtsfolgen geknüpft. Im Kirchhof-Entwurf ist die Gleichbehandlung der Einkunftsarten bereits in § 2 angelegt (dazu S. 39 Rz. 19). Zur grundsätzlichen 144
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Einheitsbehandlung der Einkunftsarten bekennen sich auch J. Mitschke (S. 4 Rz. 11; S. 7 Rz. 18); M. Elicker (S. 181 ff.) und der Kölner Entwurf (S. 53 f.; „Entscheidung für die synthetische Einkommensteuer“).
5.2 Sonderregel „Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte“ gerechtfertigt? Der FDP-Entwurf durchbricht das Prinzip der Gleichbehandlung der Einkunftsarten, indem er für Kapitalerträge (die nicht Ausschüttungen von Körperschaften sind), einen abgeltenden Steuersatz von 25 v. H. vorsieht (§§ 21, 43). Diese Durchbrechung muss gerechtfertigt werden. Nach der Begründung des FDP-Entwurfs ist diese „Ausnahme von der grundsätzlichen Gleichbehandlung aller Einkünfte, … deswegen geboten, weil die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt haben, dass eine zu hohe Besteuerung zur Steuerflucht führt.“ Mit einem Steuersatz von 25 % sollen die Anreize, Kapital ins Ausland zu verlagern, erheblich verringert werden (S. 50). Diese Rechtfertigung lässt Mitschke nicht gelten, da dem Fiskus durchaus wirksame andere, heute nicht ausgeschöpfte Erfassungs- und Einziehungsalternativen zu Gebote stünden“ (S. 7 Rz. 18). Der Kölner Entwurf verwirft ebenfalls die Abgeltungssteuer und empfiehlt „den zügigen Ausbau der nachgelagerten Besteuerung, die das Einkommen lebenszeitlich bestimmt.“ (S. 53). Auf das Steuerflucht-Argument geht der Kölner Entwurf nicht ein. Es erstaunt, dass eine günstige proportionale Abgeltungssteuer nicht als Schritt in die konsumorientierte Einkommensteuer und als Vereinfachungsmaßnahme begrüßt wird. Zur Rechtfertigung einer ermäßigten Abgeltungssteuer könnte auch die auszugleichende Inflationswirkung angeführt werden.194 Die skandinavischen Länder (außer Dänemark) und Litauen haben eine sog. duale Einkommensteuer eingeführt. Sie greift weiter als die Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte. Nur noch das Arbeitseinkommen (einschließlich kalkulatorische Unternehmerlöhne, Pensionen, gesetzliche Altersrenten) werden progressiv besteuert, Kapitaleinkünfte (einschließlich Mieten und Pachten) werden proportional belastet. Fürsprecher einer solchen dualen Einkommensteuer ist in Deutschland auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.195 Die Abgrenzungsschwierigkeiten sind indessen beträchtlich, so dass die duale Einkommensteuer das Gesetz gehörig verkompliziert statt vereinfacht.196 Der Kölner Entwurf lehnt die duale Einkommensteuer ausdrücklich ab mit der zutreffenden Begründung: Die „ZweiSchedulen-Steuer“ steht „im scharfen Gegensatz zum Grundkonzept der geltenden deutschen Einkommensteuer. Die Diskriminierung der Ar145
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beitseinkommen und der niedrigen Kapitaleinkommen ist … nicht zu rechtfertigen, besonders wenn die Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts beachtet werden. Im Übrigen führt die verschiedene Besteuerung von Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen vor allem bei gemischten Kapital-/Arbeitseinkommen zu schwierigen streit- und gestaltungsanfälligen Abgrenzungen“ (S. 53 Rz. 122 f.). In der Tat unterschätzen die Theoretiker des Sachverständigenrats die von der Praxis zu bewältigenden Abgrenzungsschwierigkeiten erheblich. Von jeher hat die finanzwissenschaftliche Theorie dazu geneigt, administrative Schwierigkeiten zu vernachlässigen. Insoweit hat sie den Elfenbeinturm noch nicht verlassen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Gegen eine duale Einkommensteuer spricht sich mit ausführlicher Begründung auch das von K. Faltlhauser entworfene Konzept 21-Steuerreform, S. 21 ff., aus. Wenn die duale Einkommensteuer sich in Deutschland nicht durchsetzen lässt, so bleibt doch die Frage, ob der FDP-Vorschlag einer ermäßigten Abgeltungssteuer sich rechtfertigen ließe, unter dem Aspekt der Steuerflucht und der Inflationswirkungen.197 Dazu sollten auch die Erfahrungen berücksichtigt werden, die in Österreich mit einer Zins-Endbesteuerung gemacht worden sind. Schließlich könnte weniger mehr sein. Dem Vernehmen nach bewährt sich die österreichische Abgeltungssteuer von 25%. Sie verhindert nach allen Berichten Steuerflucht und zieht Kapital an. Die Erklärungspflicht entfällt, was eine wesentliche Vereinfachung ist. In Österreich wird die Abgeltungssteuer auch in ihrer Höhe weitgehend akzeptiert. Dass der Kölner Entwurf, der eine Abgeltungssteuer ablehnt, die prinzipiell sauberste Lösung anbietet, steht außer Frage.
IV. Verbreiterung der Bemessungsgrundlage Entsprechend dem Leistungsfähigkeitsprinzip lässt sich die Bemessungsgrundlage verbreitern (erweitern): (1) durch Ausfüllung von Gesetzeslücken (Regelungslücken), die – gemessen am Leistungsfähigkeitsprinzip – bestehen. Der unpräzise, unjuristische Begriff „Steuerschlupfloch“ wird hier bewusst nicht verwendet; (2) durch Streichen von sachlichen Steuerbefreiungen und Freibeträgen, die – gemessen am Leistungsfähigkeitsprinzip und auch sonst – nicht zu rechtfertigen sind; (3) durch (ungerechtfertigte) Einschränkungen des Nettoprinzips; (4) durch Abschaffung von Steuervergünstigungen. 146
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Diese Schrift beschränkt sich hierzu auf exemplarische Bemerkungen, erschöpft das Thema nicht.
1. Ausfüllung von Gesetzeslücken Nur der Kölner Entwurf befasst sich in der Begründung (S. 39) mit den Lücken („normativen Unvollständigkeiten“) des Gesetzes und führt insbesondere folgende Lücken auf: (1) Unvollständige Erfassung der Veräußerungseinkünfte; (2) unvollständige Regelung der Gewinnermittlung, insbesondere im Bereich der Personengesellschaften; (3) unvollständige Erfassung unvermeidbarer Privatausgaben und etwaiger Erstattungen solcher Ausgaben. Die größte Lücke betrifft die „privaten Veräußerungseinkünfte“. Der Kölner Entwurf befasst sich durch §§ 2 I Nr. 4; 7; 27–29 mit den Einkünften aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Erwerbsvermögens. Dazu gehören auch Wirtschaftsgüter, die vermietet oder verpachtet werden sowie Kapitalanlagen – und zwar ohne Befristung. Dass diese Erweiterung geboten ist, ist in der Steuerrechtswissenschaft allgemeine Meinung.198 In § 28 sieht der Kölner Entwurf zur Inflationsbereinigung eine Indexierung der Erwerbskosten vor; s. auch § 4 Elicker-Entwurf. Dass auch der Kirchhof-Entwurf die Veräußerung aller Wirtschaftsgüter des Erwerbsvermögens erfassen will, muss man wohl dem abstrakt-unanschaulichen § 2 entnehmen; § 13 erfasst nur Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen an „steuerjuristischen Personen“. Auch § 8 FDPEntwurf berücksichtigt (wohl klarstellend) „Erlöse aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die der wirtschaftlichen Betätigung gedient haben.“ Die Überschrift ist allerdings unpassend. In der Schweiz sind Gewinne aus der Veräußerung beweglichen Erwerbsvermögens (betrifft vor allem Wertpapiere) von der Besteuerung ausgenommen. Die Schweizer „Expertenkommission Steuerlücken“ hat darin einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip gesehen, sich bei der Steuerpolitik aber nicht durchgesetzt.199 Das Erwerbsvermögen vom Privatvermögen (Vermögen, das der Lebensführung dient) abzugrenzen, ist nicht immer einfach. Es empfiehlt sich, den gut durchdachten § 4 des Elicker-Entwurfs zu berücksichtigen. M. Elicker klammert bewegliche Gebrauchsgegenstände grundsätzlich aus dem Erwerbsvermögen aus, bezieht aber Geschmeide, Kunstgegenstände, Antiquitäten, Uhren und sonstige Sammlerobjekte ein. Wie soll 147
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die Veräußerung solcher Wertsachen aber kontrolliert werden? (s. auch § 100 II AO). Gegen die erweiterte Erfassung „privater Veräußerungsgewinne“ spricht sich der Bund der Steuerzahler aus, denn diese Gewinne ließen sich nicht gleichmäßig erfassen und komplizierten das Steuerrecht. Die Erfassungsschwierigkeiten lassen sich jedoch durch Aufzeichnungen bzw. Mitwirkung der Banken durchaus überwinden; allerdings gilt das nicht für die von Elicker aufgeführten, in der Privatwohnung aufbewahrten Wertsachen (s. allerdings Elicker S. 211). Zur klarstellenden Abgrenzung könnte daher auch angeordnet werden, dass Geschmeide, Kunstgegenstände usw. nicht als Erwerbsvermögen erfasst werden. Dass die Erfassung des (privaten) Erwerbsvermögens das Steuerrecht nicht vereinfacht, ist offensichtlich. Aber das Vereinfachungsstreben darf nicht beliebig das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit durchbrechen. Auch ist zu bedenken, dass das geltende Recht noch komplizierter ist als das vorgeschlagene neue. H.-J. Kanzler beschreibt den bestehenden Zustand zutreffend wie folgt: „Für alle am Steuerverfahren Beteiligten dürfte sich als größtes Problem erweisen, die Übersicht in dem Gewirr von Regelungen, Ausnahmen und Rückausnahmen, Verweisungen und Weiterverweisungen zu behalten … Die bisherige steuerliche Behandlung betrieblicher wie privater Veräußerungsgewinne zeigt ein Bild orientierungsloser Rechtsentwicklung und weist einen zerklüfteten Normenbestand auf, dessen steuersystematische Mängel die verfassungsgerichtliche Prüfung geradezu herausfordert.“200 Dass dieser Zustand durchweg Ausdruck differenzierender Gerechtigkeit (von der Politiker gern sprechen) sei, wird wohl kein Kenner der Materie behaupten wollen. Also darf es beim bestehenden Zustand nicht bleiben.
2. Streichen von sachlichen Steuerbefreiungen und Freibeträgen Alle Entwürfe dezimieren den langen Befreiungskatalog des geltenden Rechts. Das kann vereinfachend wirken, muss es aber nicht. Unter dem Aspekt der Vereinfachung ist es kontraproduktiv, auch Vereinfachungsbefreiungen zu streichen. Obwohl die Begründung des Kirchhof-Entwurfs auf 40 Seiten (S. 85–125) darlegt, warum die Befreiungen geltenden Rechts überflüssig sind (weil sie Markteinkünfte befreien oder sonst nicht gerechtfertigt sind): Eine penible Untersuchung aller Befreiungen (Lenkungs- und Vereinfachungsbefreiungen eingeschlossen) würde ein umfängliches Buch ergeben. Es ist unwahrscheinlich, dass die Entwurfsverfasser in der Kürze der Zeit 148
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wirklich jede Streichung gebührend auf ihre Rechtfertigung untersucht haben. Die Begründung des Kölner Entwurfs räumt denn auch ein: „Schließlich konnte die Arbeitsgruppe innerhalb der ihr zur Verfügung stehenden Zeit nicht die Normqualität aller Steuerbefreiungen … abschließend prüfen und entscheiden“ (S. 86 Rz. 330). Allgemein einig ist man sich darüber, dass Abfindungen, Übergangsgelder, die Übungsleiterpauschale, der Grundfreibetrag der Produktionsaufgaberente, bestimmte Aufstockungsbeträge, die Bergmannsprämie und die Auslandszulagen jedenfalls gestrichen werden sollten. Nicht einzusehen ist, warum (allein) der Kölner Entwurf Kundenbindungsprogramme und die private Nutzung von PC und von Telekommunikationsgeräten weiterhin befreien will. Einhellig treten die Expertenentwürfe für die Streichung der Befreiung der Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge ein.201 Es handelt sich nämlich um ein den Gleichheitssatz verletzendes Privileg. In keinem anderen Fall nimmt das Steuerrecht Rücksicht darauf, ob die Arbeit besonders beschwerlich ist, auch nicht darauf, zu welcher Zeit sie geleistet wird.202 Auch Tagesarbeit kann mit besonderen Belastungen verbunden sein, etwa mit mechanischem Lärm, mit Schmutz, Staub oder Gestank (z.B. Arbeit im Schweinestall). Arbeit, die ohne Rücksicht auf Witterungsverhältnisse getan werden muss, kann besonders strapaziös sein. Auch Tagesarbeit kann extrem risikoreich sein (etwa das Entschärfen von Bomben). Arbeit unter Tage (z. B. in einem Bergwerk oder in der Kanalisation) ist immer „Nachtarbeit“, auch wenn sie vor 20 Uhr geleistet wird. Jede Arbeit wird durch das Alter erschwert, auch durch einen Mangel an Talent. Andererseits ist nicht jede Nachtarbeit anstrengend. Es ist indessen ausgeschlossen, dass das Steuerrecht die Steuerbelastung am Grad des „Arbeitsleides“ ausrichten könnte. Nicht nur dem Steuergesetzgeber ist es unmöglich, eine objektive Skala des „Arbeitsleids“ zu entwickeln. Erst recht lässt sich die subjektive Einstellung zur Arbeit nicht ermitteln. Von denen, die sich ständig nach Freizeit und Unterhaltung sehnen, wird jede Arbeit als Mühsal und Plage empfunden; andere sehen sie als Lebenserfüllung an, behandeln sie wie ein Hobby. Schon strebsame Studenten müssen Sonntage und Nachtzeiten zu Hilfe nehmen. Wären die deutschen Universitäten – anders als die US-amerikanischen – zu dieser Zeit nicht geschlossen, so würden viele Studenten auch an Sonntagen und zu Nachtzeiten in der Universität arbeiten. Wenn das „Arbeitsleid“ wegen der Unmöglichkeit seiner Ermittlung grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann, so darf das auch im Spezialfall der Sonntags- und Nachtarbeit bestimmter Arbeitnehmer nicht 149
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geschehen. Das Gesetz ist inkonsequent in doppelter Hinsicht, zum einen, weil es nur auf eine bestimmte Arbeitserschwernis Rücksicht nimmt, und zum anderen, weil es nur eine Gruppe von Arbeitnehmern berücksichtigt. In Anbetracht des Vergünstigungsmotivs müsste die Höhe der Einkünfte unerheblich sein. Nachtarbeit ist Nachtarbeit, ganz gleich wie hoch das Einkommen dessen ist, der die Arbeit ausführt. Dass die Streichung des Privilegs überzeugend begründet wird, interessiert die Verteidiger der Vergünstigung indessen überhaupt nicht. Die Verteidiger, das sind die Bezieher der Zuschläge und die Unternehmer, die Nachtarbeit ausführen lassen. Sie werden nicht nur von den Ge-werkschaften unterstützt, sondern herkömmlich auch von der SPD, die die Mehrzahl der Privilegierten ihrer Wählerklientel zurechnet und Stimmenfangpolitik betreibt. In der Regel verfolgen Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedliche Interessen. Im Falle dieser Vergünstigung bilden die mitbegünstigten Unternehmer, die sonst höhere Zuschläge zahlen müssten, aber zusammen mit den Privilegierten und ihrer Lobby eine „unheilige Allianz“. Da Presseunternehmen erheblich betroffen sind, handelt es sich um eine besonders starke Allianz. Die Unternehmer vernebeln, dass es ihre Sache wäre, Sonntags- und Nachtarbeit angemessen zu vergüten. An der Verletzung des Gleichheitssatzes haben Lobbyisten und auf Wählerstimmenfang ausgehende Parteien sich indessen noch nie gestoßen. Da in Anbetracht von mehr als 5 Mio. Arbeitslosen auch nicht arbeitsmarktpolitisch argumentiert werden kann, wird an Emotionen appelliert. Kaum hatte die CDU/CSU-Union im Juli 2005 verkündet, sie wolle das Privileg in Etappen auslaufen lassen, damit Gelegenheit für eine Tarifanpassung bestehe, brachten die Regierungsparteien wieder barmende Nachtschwestern und übernächtigte Busfahrer ins Spiel und klagten Union und FDP der „sozialen Kälte“ an. Abgesehen davon indessen, dass nicht alle Nachtschwestern Samariterinnen sind: Die übelste Nachtarbeit müssen Frauen leisten, die zur Prostitution gezwungen, vom Rechtsstaat aber nicht wirksam geschützt werden. Ohne die Mitwirkung der Gerichte wird das Nachtarbeitsprivileg in Deutschland wohl auf unabsehbare Zeit bestehen bleiben. Es könnten allerdings Selbständige, die sonntags und nachts arbeiten müssen (wie z.B. Landwirte, Ärzte, Hebammen) und Arbeitnehmer, die am Tage Schwerarbeit leisten müssen, sich mit Hilfe der Gerichte gegen ihre Diskriminierung wehren.
3. (Ungerechtfertigte) Einschränkungen des Nettoprinzips Von den Erwerbseinnahmen müssen die Erwerbsausgaben abgezogen werden. In Höhe dieser Ausgaben, die der beruflichen Existenz dienen, 150
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besteht keine steuerliche Leistungsfähigkeit; insoweit ist das Einkommen für die Steuerzahlung nicht disponibel. Nur das Nettoeinkommen in diesem Sinne ist zu versteuern. Man spricht vom objektiven oder beruflichen Nettoprinzip als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips. Über die Geltung des Nettoprinzips besteht grundsätzlich Einigkeit, alle Entwürfe bekennen sich denn auch zu diesem Prinzip. Und doch gibt es erhebliche Differenzen bei der Ausführung des Prinzips. Nach P. Kirchhof mindern „Lasten der Lebensführung die Einkünfte auch dann nicht, wenn sie durch Erwerbshandeln mitveranlasst sind“ (gemischte Kosten), s. § 4. Erst in der Begründung heißt es: „Gemischte Kosten liegen nur vor, wenn sich der Erwerbsanteil von den Lebensführungslasten nicht trennen lässt … Lässt sich eine Trennung der Kosten nicht leicht und einwandfrei durchführen oder ist nur schwer erkennbar, ob sie mehr dem Beruf oder der privaten Lebensführung gedient haben, so gehört der gesamte Betrag … zu den nicht abzugsfähigen Ausgaben“ (S. 143; so wohl auch Elicker § 5 V 2). Die Einzelheiten des Abzugs gemischter Kosten überlässt Kirchhof einer Rechtsverordnung, also der Exekutive, der er allerdings die Arbeit durch die §§ 31, 32 eines RVO-Entwurfs bereits abgenommen hat. Angemessener erscheint mir die Formulierung J. Mitschkes: „Sind … Aufwendungen sowohl durch die Erwerbstätigkeit als auch durch die private Lebensführung veranlasst, so sind sie nach sachgemäßen Quoten in Erwerbsabzüge und nicht abzugsfähige Aufwendungen aufzuteilen“ (§ 11 II; inhaltlich ebenso § 10 V FDP-Entwurf). Der Kölner Entwurf formuliert: „Sowohl wesentlich durch die Lebensführung als auch wesentlich durch die Erwerbstätigkeit veranlasste Ausgaben (gemischt veranlasste Ausgaben) sind anteilig anzusetzen, wenn sie zumindest schätzungsweise aufteilbar sind; sind sie nicht aufteilbar, so sind sie in angemessener Höhe als Erwerbsausgaben abzusetzen“ (§ 15 I 2). In der Begründung heißt es dazu: „Für das bisher von der Rechtsprechung praktizierte, das Nettoprinzip verletzende Aufteilungs- und Abzugsverbot … liefert der Kölner Entwurf keine Rechtsgrundlage. Dem konzeptionell hohen Stellenwert des Nettoprinzips ... entspricht es, wenn eine unwesentliche Veranlassung durch die Lebensführung unschädlich ist ...“ (S. 86). FDP-Entwurf, Mitschke-Entwurf und Kölner Entwurf wollen trotz abweichender Formulierungen wohl dasselbe und heben sich dadurch vom Kirchhof-Entwurf ab. Die Unterscheidung wesentlich/unwesentlich sowie aufteilbar/nicht aufteilbar dürfte allerdings Probleme aufgeben, und in welchen Fällen ist denn die Schätzung nicht möglich? 151
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
Wie immer die Abgrenzungsnormen (beruflich/privat) aber auch gefasst werden: Die Abgrenzung bleibt schwierig und wird auch nach einer Steuerrechtsreform weiterhin ständig die Gerichte beschäftigen, zumal wenn es um Mischaufwendungen geht. Zwei Beispiele mögen die Problematik verdeutlichen. (1) Der Steuerberaterverband Köln lädt zu den „Rügener Steuerfachtagen“ (10.–12.6.) in ein komfortables Strandhotel in Binz ein. In der Einladung heißt es: „Rügen ist … die schönste deutsche Insel. Unser auf die Beratungspraxis zugeschnittenes Programm hat schon mehr als 1200 Teilnehmer begeistert. Genießen Sie die entspannende Atmosphäre des Strandhotels. Direkt am kilometerlangen Badestrand. Großzügige Zimmer mit hohem Komfort. Luxuriöses Vital- und Beauty-Zentrum.“ Für den 10.6. ist auch ein Ausflug nach Hiddensee vorgesehen, für den 11.6. ein Schlossabend im Jagdschloss Granitz. M. E. sind die Ausgaben für die Fahrt nach Rügen zu dem Zwecke einer Fachtagung unangemessen. Kölner Steuerberater können sich in einem Kölner Hotel besser konzentrieren als in einem Strandhotel auf Rügen. Wer würde sich wohl in der angebotenen Art ernsthaft auf ein Examen vorbereiten? Es handelt sich um durch Vorträge garnierten Tourismus. Die Vorträge dienen dazu, die Fahrtkosten als Erwerbsausgaben erscheinen zu lassen. Mindestens sind aber die Fahrtkosten eine unangemessene Ausgabe. Wie wäre es, wenn norddeutsche Steuerberater zu Fachvorträgen mit Beiprogramm in Davos/Schweiz einladen würden oder zu Fachvorträgen mit Beiprogramm in Leningrad? Leningrad ist mit einem luxuriösen Schiff über die Ostsee zu erreichen. M.E. sollte ein künftiger Reformentwurf ausdrücken, dass unangemessene Ausgaben nicht abzugsfähig sind. Der Begriff der Angemessenheit/ Unangemessenheit ist zwar unbestimmt. Vernünftige Richter können mit ihm in Extremfällen aber vernünftige Entscheidungen treffen, ohne das Kind à la Kirchhof mit dem Bade ausschütten zu müssen. (2) Nach geltendem Recht kann für Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine nach Entfernungskilometern bemessene Pendlerpauschale als Erwerbsausgaben abgesetzt werden (§§ 4 V Nr. 6; 9 I 3 Nr. 4 EStG). P. Kirchhof erklärt Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte als mindestens gemischte Kosten zu nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 31 I Nr. 2 RVO-Entwurf; ebenso im Ergebnis § 10 IV b FDP-Entwurf). P. Kirchhof argumentiert: Mit dem Verlassen der Erwerbsstätte beginne die Privatsphäre; die Rückfahrten nach Hause, wenn der Pendler sich schon auf seine Familie freue, seien private. Das Leben im Grünen, die niedrigen Mieten auf dem Lande 152
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
oder die ländliche Lebensqualität beruhten auf privater Motivation. Die Absetzbarkeit der Fahrtkosten benachteilige die, die in der Nähe der Arbeitsstätte wohnten und eine nicht absetzbare höhere Miete zahlen müssten. Privates und Berufliches seien untrennbar vermischt; für eine Schätzung fehlten Anhaltspunkte. Dem gegenüber lassen J. Mitschke (§ 8 V), M. Elicker (§ 6 Rz. 6 ff., ausführliche Begründung) und der Kölner Entwurf (§ 15 II Nr. 4) den Abzug grundsätzlich ausdrücklich zu. Gegen P. Kirchhof ist einzuwenden: Wer durch Arbeit Einnahmen erzielen will, muss sich notwendigerweise zu seiner Arbeits- oder Erwerbsstätte begeben. Die Fahrt dorthin ist keine private Vergnügungsreise. Die Zulassung der Fahrtkosten zum Abzug ist keine Steuervergünstigung oder Steuersubvention. Arbeitsrechtlich trifft es zwar zu, dass die zu bezahlende Arbeit am Arbeitsplatz beginnt, die Fahrt zur Arbeit keine vom Arbeitgeber zu bezahlende Arbeit ist. Steuerrechtlich ist das Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz aber unumgänglich, wenn die Arbeit am mehr oder weniger weit entfernten Arbeitsplatz verrichtet werden muss. Auch die Rückfahrt hängt mit der Berufstätigkeit zusammen, ist durch sie veranlasst, so dass auch keine kombinierte Berufs- und Vergnügungsfahrt anzunehmen ist. Die Hinfahrt macht auch die Rückfahrt erforderlich. Schließlich können nicht alle, die Arbeit haben, im Betrieb übernachten. Für Arbeitslose kommt weder eine Fahrt zum Betrieb noch eine Rückfahrt in Betracht. Wer erwerbstätige Pendler und Arbeitslose (die nicht pendeln müssen) gleichbehandelt, behandelt Ungleiches gleich. Wenn ein Geschäftsmann von einer Geschäftsreise zu seiner Wohnung zurückfährt und „sich auf seine Familie freut“, würde doch wohl niemand auf die Idee kommen, deswegen die Geschäftsreise als private anzusehen. Die Frage, ob die Lebenshaltungskosten auf dem Lande niedriger sind als in der Stadt, betrifft das Existenzminimum, nicht das berufliche Nettoprinzip. Wäre es anders, könnte man auch auf die Idee kommen, Landbewohnern den Werbungskosten-Pauschbetrag zum Teil mit der Begründung zu streichen, sie lebten billiger als Städter. Die Unterscheidung nur zwischen ländlichen Gemeinden und Ballungsgebieten ist ohnehin zu undifferenziert. Wer die höhere Lebensqualität auf dem Lande heranzieht, argumentiert nicht nur irrelevant, sondern auch einseitig. Wer an der Durchgangsstraße eines Dorfes wohnt, hat sicher keine höhere Lebensqualität als der Bewohner eines ruhigen, großstädtischen Villenviertels. Wer auf dem Lande ständig durch den Lärm von Militärflugzeugen geschädigt wird, hat keine höhere Lebensqualität als Bewohner von Großstädten, die von solchen Flügen verschont bleiben. Wer auf dem 153
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Lande wohnt, muss ohne Theater, Oper und Museen auskommen, der Großstädter nicht. In vielen ländlichen Gemeinden muss man 10 km und mehr bis zum nächsten Bäcker zurücklegen. Viele verlassen die Stadt nur deshalb, weil die Mieten angemessener Wohnungen oder die Grundstücke in der Stadt für sie nicht erschwinglich sind. Als Steuervergünstigung – wie P. Kirchhof sie annimmt – war der Abzug der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht gedacht. P. Kirchhof ist selbst der Ansicht, dass eine Steuervergünstigung nur vorliegt, wenn der Gesetzgeber eine bewusste, im Tatbestand erkennbare Vergünstigungsentscheidung trifft. Daran fehlt es aber. Wie kann jemand, der sonst „alles und jedes“ mit Freiheitsrechten in Verbindung bringt, übersehen, dass die Freizügigkeit beeinträchtigt würde, würde die Pendlerpauschale abgeschafft. Der steuerliche Eingriff in die Freizügigkeit würde zum Schaden des Arbeitsmarktes auch die Flexibilität der Arbeitnehmer hemmen. In Frankreich sind Mobilitätshilfen für Arbeitslose geplant. Wie übrigens sollen künftig die Kosten behandelt werden, die Abgeordneten durch die Fahrt von ihrem Wohnort zum Parlamentssitz entstehen? Wenn gemischte Kosten nicht abgezogen werden dürften, so würde übrigens die Achse beruflich-privat weiter ins Private hin verschoben werden und einem erheblichen Teil der Rechtsprechung der Boden entzogen werden, und bis die Rechtsprechung die neue Achse einigermaßen rechtssicher justiert hätte, würde mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Wer nur Kosten zum Abzug zulassen will, die nach Aufnahme oder Beginn der Arbeit entstanden sind, stürzt auch die Rechtsprechung um, die sog. vorgelagerte Kosten zum Abzug zulässt, etwa Berufsausbildungskosten, Bewerbungskosten. Sollen die Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte als Ausbildungskosten abgezogen werden können, die Fahrtkosten der arbeitenden Pendler aber nicht? Das wäre inkonsequent. Die gründlichste Untersuchung zur Fahrtkostenpauschale stammt von J. Hennrichs. Er kommt zu folgendem Ergebnis: „Die Abziehbarkeit der Aufwendungen der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wird in der jüngeren rechtspolitischen Diskussion vielfach als steuerliche Subvention diskreditiert. Unter dem Banner des Subventionsabbaus soll die gegenwärtige Aufwendungspauschale des § 9 I 3 Nr. 4 EStG nicht nur weiter gekürzt, sondern nach manchen sogar ganz abgeschafft werden. Dem ist zu widersprechen. Die Möglichkeit, für Fahrten zur Arbeit Werbungskosten absetzen zu können, ist keine Subvention, sondern eine gemäß dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip gebotene Berücksich154
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tigung von zwangsläufigen, pflichtbestimmten (Erwerbs-)Aufwendungen. Das gilt schon im Fall des Alleinverdiener-Steuerpflichtigen und erst recht bei beiderseits an unterschiedlichen Orten berufstätigen Ehegatten. Die Pauschalierung muss sich als Typisierung in realitätsnahen Grenzen halten. Unter dem Blickwinkel des objektiven und subjektiven Nettoprinzips steht nicht eine Kürzung oder gar Abschaffung der Pendlerpauschale, sondern ihre realitätsgerechte Ausgestaltung in Rede.“203 Würde das objektive Nettoprinzip nicht greifen, so träfe das subjektive Nettoprinzip zu. Die Kosten der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind – zumal unter Berücksichtigung des Prinzips der Freizügigkeit – unvermeidbar. Es wäre nicht möglich, dass jeder Arbeitende in der Nähe seines Betriebes wohnen könnte. Auch insoweit ist J. Hennrichs beizupflichten. Sollte jemand annehmen, dass es zulässig sein müsste, die Fahrt eines Steuerberaters nach Rügen als Berufsausgaben abzusetzen (weil dort auch Fachvorträge angesetzt worden sind), die Fahrt zur Arbeitsstätte aber nicht, so wäre das inkonsequent. Eine Pendlerpauschale von nur 25 Cent (so der Kölner Entwurf) ist übrigens irreal niedrig, zumal unter Berücksichtigung der hohen Benzinpreise. Jedem Reformer ist die Lektüre der ausführlichen Begründung von J. Hennrichs zu empfehlen, aber auch die fünfseitige Begründung von M. Elicker (S. 219–224). Elicker führt u. a. aus: „Die Freiheit zur Wahl des Wohnorts, auch eines gemeinsamen Familienwohnsitzes, ist durch die Grundrechte der Freizügigkeit, Art. 11 GG, sowie des Schutzes von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG, verbürgt. Das Bundesverfassungsgericht hat das familiäre Zusammenleben als einen geschlossenen, gegen den Staat abgeschirmten ‚Autonomie- und Lebensbereich‘ eingestuft. Die Entscheidung, wo man seinen (Familien-)Wohnsitz nimmt – oder beibehält – ist eine vom Staat, also auch vom Steuerrecht, zu respektierende und als gegeben hinzunehmende höchstpersönliche Entscheidung. Der Einwand, dass der Steuerpflichtige auch ‚näher zu seiner Arbeitsstätte‘ ziehen könnte, muss daher unbeachtlich bleiben. Besonders deutlich wird dies, wenn man an die Festlegung des Familienwohnsitzes im Falle von Mehrverdiener-Ehen mit unterschiedlichen Orten der Arbeitsstätte denkt …“ Würde das Steuerrecht die unvermeidlichen Fahrtkosten nicht anerkennen, insofern also zur Bruttobesteuerung übergehen, so würde es den Steuerpflichtigen für den ‚unterlassenen Wohnortwechsel‘ – den Arbeitsort kann man in den allermeisten Fällen ohnehin nicht frei wählen – und in vielen Fällen auch für das Zusammenleben der Mehrverdienerfamilie an einem gemeinsamen Familienwohnsitz bestrafen. Sollte im Gegensatz hierzu nicht derjenige, der von seiner Erwerbstätigkeit lebt und zugleich zur Erfüllung staatlicher Aufgaben durch die Steuer beiträgt, ein 155
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mindestens ebenso gutes Recht haben, seinen Wohnort zu wählen und beizubehalten, wie der von staatlichen Leistungen lebende Sozialhilfeempfänger? Letzterer darf seinen Wohnort grundsätzlich frei wählen …“ (S. 222). Die Fahrten zur Arbeitsstätte sind somit ausschließlich erwerbsveranlasst; ein Bezug zur Lebensführung ist nicht gegeben. Die Abzugsfähigkeit der entstehenden Kosten ergibt sich aus dem objektiven Nettoprinzip. Diese Abzugsfähigkeit muss sich … an den wirklichen vom Steuerpflichtigen zu tragenden Kosten orientieren; da in Wahrheit kein Bezug zur Lebensführung besteht, sind belastende Typisierungen grundsätzlich nicht angebracht. Eine die wahren Kosten wesentlich unterschreitende ‚Pauschale‘ durchbricht das objektive Nettoprinzip …“ (S. 223). Zutreffend erwähnt M. Elicker: „Die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte stellen für die Mehrzahl der Einkommensteuerpflichtigen die bedeutendste Gruppe von Erwerbsausgaben dar. Die Frage der steuerlichen Berücksichtigung dieser Kosten ist – offenbar wegen des hohen ‚Einspar‘-Potenzials für den Fiskus – zu einem Kernthema der Diskussion um eine grundlegende Steuerreform geworden“ (S. 219). Der Staat könne aber nicht verlangen, dass die Bürger „durch die Wahl des Wohnorts das Verhältnis zwischen Erwerbseinnahmen und Erwerbsausgaben möglichst günstig“ halten. – In der Tat neigen insbesondere Proponenten eines besonders niedrigen Steuersatzes oder Tarifs dazu, die Bemessungsgrundlage durch Eingriffe in das Nettoprinzip zu manipulieren. Vereinfachung tut Not! Die Gerechtigkeit darf aber nicht aus Gründen der Vereinfachung beliebig ausgehebelt werden. Dürften künftig Erwerbsausgaben überhaupt nicht mehr von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden, so läge darin zwar eine sehr große Vereinfachung, aber zugleich eine übermäßige Ungerechtigkeit. Die ersten 20 km – wie von der großen Koalition von Union und SPD geplant – unberücksichtigt zu lassen, wäre ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Sollte sich der Standpunkt P. Kirchhofs durchsetzen und Gesetz werden, so könnte nur empfohlen werden, „gegen den Ex-Verfassungsrichter“ das Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung des objektiven und subjektiven Nettoprinzips anzurufen. Unterschiedliche Antworten geben die Entwürfe auch in der Beurteilung folgender Ausgaben: (1) Ausgaben für ein Arbeitszimmer in der Wohnung (häusliches Arbeitszimmer). Während P. Kirchhof (§ 31 I Nr. 1 RVO-Entwurf), die FDP (§ 10 IV b) und Elicker (§ 5 V Nr. 6) eine nicht abzugsfähige Privatausgabe annehmen, geht der Kölner Entwurf (§ 15 II Nr. 3) unter besonderen Voraussetzungen von einer Erwerbsausgabe aus. Bei Rose und Mitschke 156
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findet sich keine besondere Regelung. In der Tat ist in der Vergangenheit mit der Geltendmachung von Arbeitszimmeraufwendungen viel Missbrauch getrieben worden, zumal es selten Kontrollen in der Wohnung gegeben hat. Der Kölner Entwurf schränkt den Abzug daher entsprechend ein. Wenn jedoch z. B. ein pensionierter Wissenschaftler sein Arbeitszimmer und seine Bibliothek mit der Wohnung verbunden hat, soll er künftig gehalten sein, sich ein Arbeitszimmer oder ein Büro außerhalb der Wohnung zu mieten, um die Aufwendungen geltend machen zu können? (2) Ausgaben für doppelte Haushaltsführung: Bei Kirchhof, Rose, der FDP und Mitschke findet sich keine besondere Regelung. Elicker nimmt eine Erwerbsausgabe für ein Jahr an (§ 5 V Nr. 7), der Kölner Entwurf Erwerbsausgaben, soweit notwendig (§ 15 II Nr. 5). Die Fassung des Kölner Entwurfs ist m. E. vorzuziehen. Sie lautet: „Der Abzug der Ausgaben ist bei einer Erwerbstätigkeit am selben Ort auf insgesamt ein Jahr begrenzt, es sei denn, die doppelte Haushaltsführung ist durch den Arbeitgeber oder durch die Erwerbstätigkeit beider Ehegatten oder beider eingetragener Lebenspartner veranlasst.“ (3) Ausgaben für die Bewirtung von Geschäftsfreunden: Rose (§ 26 IV), Mitschke (§ 11 I Nr. 1) und Elicker (§ 5 V Nr. 2) nehmen eine Privatausgabe an, der Kölner Entwurf lässt zur Hälfte Erwerbsausgaben zu (§ 15 II Nr. 2), bei Kirchhof findet sich keine besondere Regelung. Die Behandlung als Privatausgaben ist m. E. vertretbar. Auch den Abzug zur Hälfte würden die Gerichte wohl als vertretbar nicht beanstanden. (4) Ausgaben für Berufsausbildung: Bei Kirchhof, der FDP, bei Elicker (s. S. 97 Rz. 27) und im Kölner Entwurf findet sich keine besondere Regelung. Rose (§ 12: „Ausgaben für Humankapital“) und Mitschke (§ 8 III) nehmen Erwerbsausgaben an. Die Zulassung zum Abzug ist m.E. auch vertretbar. Ergänzend müsste eine Verlustabzugsmöglichkeit geschaffen werden, weil viele in der Ausbildung Befindliche noch keine Erwerbseinnahmen haben (s. dazu Mitschke S. 54 Rz. 139). Eine Steuervereinfachung wäre das freilich nicht. Zur Vermeidung von Prozessen sollten alle vier erörterten Ausgabenposten besonders geregelt werden. Auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips – es geht um den Abzug unvermeidbarer privater Ausgaben – werden unterschiedliche Lösungen angeboten. Zwar bekennen sich alle Entwürfe – auch die der Ökonomen M. Rose und J. Mitschke – zum Abzug der unvermeidbaren privaten Ausgaben von der Bemessungsgrundlage. Die Frage, welche der Lebensführung dienenden Ausgaben (privaten Ausgaben) unvermeidbar sind, wird jedoch nicht einheitlich beantwortet. 157
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In der Tat lässt sich darüber streiten, welche Ausgaben unvermeidbar oder – wie P. Kirchhof es ausdrückt – existenziell notwendig sind? Sicher hat der zivilisierte Mensch nicht nur seine Gegenwartsexistenz zu bestreiten, sondern auch für seine Zukunft vorzusorgen, für das Alter und für Krankheit zumal. Daher erkennen alle Entwürfe den Abzug von „Vorsorgeaufwendungen“ mit unterschiedlichen Fassungen und unterschiedlichen Grenzen an. Auch die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge werden allgemein zum Abzug zugelassen, wenngleich auch nicht in beliebiger Höhe. M. E. ist es auch vertretbar, die Beiträge zu einer Unfallversicherung (so Elicker und Kölner Entwurf) und zu einer Risiko-Lebensversicherung (Elicker) zu berücksichtigen. Überwiegend wird auch die Kirchensteuer einbezogen.204 Mitschke und der Kölner Entwurf lassen vertretbarerweise auch die Steuerberatungskosten zum Abzug zu.205 Steuerberatung für Steuerlaien tut not! Im Übrigen war die Frage zu beantworten, inwieweit unvermeidbare Ausgaben pauschaliert werden dürfen, etwa Mehrbedarfsausgaben. Der Kölner Entwurf unterscheidet den Grundbedarf (abgedeckt durch den Grundfreibetrag), den pauschalierten Mehrbedarf (Ausgaben für die Ausbildung, für Behinderung und Pflege) sowie den Sonderbedarf (darunter die Kirchensteuer); s. §§ 35, 36. Über die Differenzierung zwischen Mehrbedarf und Sonderbedarf lässt sich streiten. P. Kirchhof war immer ein Proponent weitgehenden Typisierens und Pauschalierens. Bei ihm werden alle „existenzsichernden Aufwendungen“ durch einen Grundfreibetrag von 8000 Euro abgedeckt (§ 6). Hinzu kommt bei ihm allerdings noch ein sog. „Sozialausgleichsbetrag“ (§ 7). Ob jemand erwachsen ist oder noch Kind, ob jemand krank oder gesund ist, behindert oder nicht behindert, pflegebedürftig oder nicht: P. Kirchhof schert alle über einen Kamm. Sein Grundfreibetrag ist eine grobe „Vereinfachungspauschale“ (s. auch Kirchhof § 5). P. Kirchhof nennt das subjektive Nettoprinzip „individuelles Nettoprinzip“ (S. 155 Rz. 1). Gerade seine Behandlung des Nettoprinzips ist aber am wenigsten individuell. P. Kirchhof begründet seine grobe Typisierung damit, dass in einem freiheitlichen Staat die persönliche Lebensgestaltung grundsätzlich Sache des Einzelnen sei (S. 157 Rz. 6). Natürlich weiß auch P. Kirchhof, dass man bei Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit nicht von „persönlicher Lebensgestaltung“ sprechen kann. Den Zusatzbedarf infolge Krankheit oder Behinderung möchte er durch Transferzahlungen ausgeglichen wissen (S. 157 Rz. 7). Das entspricht allerdings nicht der These „Steuerverschonung geht vor Sozialleistung“ oder „Selbsthilfe geht vor Staatshilfe“. Der Kölner Entwurf setzt allein für den Grundbedarf 8000 Euro (für Volljährige) an. Die Divergenzen rühren zum Teil daher, dass auch das subjektive Nettoprinzip durch Wertungen ausgefüllt werden muss und auch nicht alle 158
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Steuerwissenschaftler gleich werten (weil sie unterschiedlich vorgeprägt sind), auch daher, dass das Verhältnis Gerechtigkeit/Einfachheit unterschiedlich gewichtet wird. Schließlich kann auch – bewusst oder unbewusst – eine Rolle spielen, dass einige Autoren großes Gewicht auf einen möglichst niedrigen Steuersatz (Steuertarif) legen und daher zum Ausgleich im Zweifel zu einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage neigen.
4. Abschaffung von Steuervergünstigungen Alle Entwürfe – gleich, ob sie von Juristen oder Ökonomen stammen – verzichten weitgehend, wenn nicht ganz auf Steuervergünstigungen oder das, was sie als solche ansehen oder behandeln. Während Juristen den primären Staatsfinanzierungsgedanken der Steuer – entgegen § 3 I AO – wieder herstellen möchten, gibt es Ökonomen, die die Finanzierung zum Nebenzweck degradieren und möglichst hinter der ökonomischen Effizienz – wie der einzelne Autor sie jeweils versteht – verschwinden lassen möchten. Für solche Ökonomen, die (auch) das Steuerwesen ökonomisieren wollen, ist Steuerpolitik Wirtschaftspolitik, die Besteuerung nichts weiter als eine wirtschaftliche Veranstaltung mit wirtschaftlichen Wirkungen, wobei nicht zwischen wirtschaftlichen Wirkungen als bloßer Folge und wirtschaftlichen Wirkungen als Ziel unterschieden wird. Das Steuerwesen soll so eingerichtet werden, dass der volkswirtschaftliche Leistungsprozess und damit zusammenhängend der gesamtgesellschaftliche Wohlstand gefördert oder gar maximiert wird, insbesondere durch Vergrößerung des Wachstums. Wer diesen Standpunkt teilt, ein Steuerwesen ohne Recht bevorzugt, wird gegen geeignete Steuervergünstigungen für Lenkungszwecke grundsätzlich nichts einzuwenden haben, vorausgesetzt eben, dass sie die Wirtschaft und mit ihr den gesellschaftlichen Wohlstand nach dem individuellen Verständnis des einzelnen Ökonomen fördern. Erstaunlicherweise sind aber auch viele Ökonomen, auch Steuerökonomen, für die Abschaffung der Steuervergünstigungen. Nicht nur die Juristenentwürfe, auch die der Ökonomen M. Rose und J. Mitschke verzichten auf Einzelvergünstigungen zugunsten bestimmter Gruppen. Auch Mitschke will „keinen Freibrief für einen ausufernden, unabgestimmten Dirigismus, der die Besteuerung undurchsichtig macht“ (S. 4). Was in allen Entwürfen fehlt, ist eine Definition der Steuervergünstigung (oder synonymer Begriffe) – sie fehlt auch im Kirchhof’schen Glossar – und eine Auflistung der gestrichenen Steuervergünstigungen. So bleibt offen: Ist die Steuerfreiheit der Leistungen von Arbeitgebern zur Unter159
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bringung und Betreuung von Arbeitnehmerkindern, die Übertragungsmöglichkeit stiller Reserven, der Abzug der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, der Abzug von Ausbildungskosten, die degressive Absetzung für Abnutzung, der Verlustrücktrag, der Abzug gemeinnütziger Spenden wirklich eine Steuervergünstigung? – Oder ist die Streichung bewusst oder unbewusst von dem Vorhaben beeinflusst, die Steuerbemessungsgrundlage zwecks Gegenfinanzierung des stark abgesenkten Tarifs möglichst weitgehend zu verbreitern? Viele Steuervergünstigungen sind in der Tat nicht das Produkt einer sorgfältigen Prüfung, ob sie einem legitimen Zwecke dienen oder noch dienen und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sind, sondern sie sind auf Drängen von Interessenverbänden oder (sonst) aus Wahlrücksichten gewährt worden. Vom Zweck her überholte Vergünstigungen werden oft weitergeschleppt. Das Bundesverfassungsgericht ist mit den Steuervergünstigungen allzu großzügig umgegangen, indem es sie als Instrumente irgendwelcher Politiken gerechtfertigt hat. Die Politik ist aber nicht schon die Rechtfertigung; sie bedarf der Rechtfertigung. Für die grundsätzliche Abschaffung der Steuervergünstigungen spricht: (1) Steuervergünstigungen durchbrechen nach einer vertretbaren Meinung das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Sie nehmen eine ungleiche Belastung in Kauf und benachteiligen Steuerpflichtige, die keine Vergünstigung erhalten oder sie aus Unkenntnis nicht in Anspruch nehmen. Die Durchbrechung muss gerechtfertigt werden. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen der Vergünstigung muss den Verlust an Steuergerechtigkeit mindestens ausgleichen. Das setzt voraus, dass überhaupt ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen und nicht nur ein Gruppennutzen bejaht werden kann. Steuervergünstigungen verschütten die am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierten Prinzipien und Unterprinzipien und tragen wesentlich zur Komplizierung des Steuerrechts bei. (2) Der Steuerausfall der Steuervergünstigungen muss durch eine höhere Tarifbelastung für alle ausgeglichen werden. Entfallen die Steuervergünstigungen, so kann die Belastung für alle gesenkt werden. (3) Die Steuerersparnis wächst mit der Höhe des Einkommens, wenn Steuervergünstigungen bei progressivem Tarif an die Steuerbemessungsgrundlage anknüpfen. Wächst die Vergünstigung nicht mit dem Vergünstigungsbedürfnis, sondern mit der Höhe des Einkommens, so ist das ist nicht vergünstigungsgerecht, sondern pervertiert die Vergünstigungsgerechtigkeit.206 160
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(4) Wenn erfolgreich „mit Steuern gesteuert werden soll“, setzt das voraus, dass Politiker, Beamte und beratende Ökonomen besser als die vielen Unternehmer auf ihrem speziellen Betätigungsfeld wissen, welches Verhalten zur Förderung der wirtschaftlichen Leistungskraft und des gesamtwirtschaftlichen Wohlstands geeignet und erforderlich ist. Die Erfahrung lehrt, dass viele Lenkungsmaßnahmen lediglich auf angemaßtem Wissen beruhen oder dass die Politik sich von Interessenverbänden und allgemeinen Wahlrücksichten hat leiten lassen – mit der Folge, dass es immer wieder zu Fehllenkungen und Ressourcenverschwendungen gekommen ist, bei Steuerpflichtigen nicht nur zu Enttäuschungen, sondern auch zu hohen Vermögenseinbußen, für die aber die Politik und der Staat keine Verantwortung übernehmen. Das Ende der Vergünstigungspolitik könnte daher ein Segen für viele Anleger sein. (5) Die Finanzbehörden sind nicht berufen und nicht in der Lage, die Effizienz (Eignung, Erforderlichkeit, Angemessenheit) einer Steuervergünstigung zu prüfen. (6) Zahlreiche Steuervergünstigungen werden nicht allen gewährt, die sich in derselben Lage befinden (das gilt auch für Sonntags- und Nachtarbeiter); dadurch wird der Gleichheitssatz verletzt. (7) Steuervergünstigungen passen grundsätzlich nicht zur Marktwirtschaft, weil sie den Wettbewerb verzerren, den Marktmechanismus stören, die Selbstverantwortung und das Vertrauen in die eigene Leistungskraft lähmen.207 Politiker, die sich mit dem Vergünstigungsabbau befassen, legen in der Regel keinen sachgerechten Maßstab zugrunde, sondern als politischen Maßstab die Auswirkung auf die Wählerklientel. So wird z.B. gefragt: Wieviele Nachtschichtarbeiter aus der Klientel würden vergrätzt, wenn sie die Steuerbefreiung der Nachtarbeitszuschläge verlören (s. dazu S. 149). Politiker fragen in der Regel nach dem „politisch Machbaren“, und „politisch nicht machbar“ ist, was einen größeren Verlust von Wählerstimmen oder gar den Verlust der Wahl befürchten lässt. Das endet dann leicht bei dem Vorschlag, pauschal die „Rasenmähermethode“ anzuwenden. Wohl in keinem Bereich setzen sich Steuerpolitiker so oft in Widerspruch zu ihren eigenen früheren Forderungen wie beim Vergünstigungsabbau. Die Opposition fordert von der Regierung den Abbau, den sie als Regierung selbst nicht durchgeführt hat. Zur Kritik an der missglückten Stoltenberg-Steuerreform stellte Th. Waigel fest: „Die Mehrzahl der kritischen Einwendungen richtete sich gegen Einzelmaßnahmen beim Abbau steuerlicher Sonderregelungen und Subventionen. Wer die jahrelange Diskussion über den Subventionsabbau 161
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verfolgt hat, kommt zwangsläufig zu dem Schluss: St. Florian lässt grüßen! Aus der Sicht des Wirtschaftspolitikers sind jedenfalls nach den Erfahrungen mit der Steuerreform erhebliche Vorbehalte anzumelden, wenn Wirtschaftsverbände lautstark eine Durchforstung der Subventionen verlangen.“208 Mit der pauschalen Begründung, für alle Steuervergünstigungen gelte, dass auf sie kein Rechtsanspruch bestehe, das reiche als Abschaffungsrechtfertigung aus, wird man der Steuerpolitik nicht imponieren können. Es geht bei der Abschaffung in der Tat nicht darum, dass auf Vergünstigungen kein Anspruch besteht, sondern um die Frage, ob jede einzelne zu überprüfende Vergünstigung im Interesse des Gemeinwohls Bestand haben sollte, obwohl sie die pure Steuerbelastungsgleichheit durchbricht. Lässt sich unter dem Aspekt des Gemeinwohls z. B. die Übungsleiterpauschale (§ 3 Nr. 26 EStG)209, die Tonnagebesteuerung (§ 5a EStG) nicht doch rechtfertigen? Die CDU hat die Fortführung der Tonnagebesteuerung bereits zugesichert, und die große CDU/CSU-SPD-Koalition wird an ihr festhalten. Dass sich keine einzige Steuervergünstigung rechtfertigen lasse, wird hier nicht behauptet. Soweit ich sehe, geht kein Entwurf darauf ein, dass nicht jede Steuervergünstigung von heute auf morgen abgeschafft werden darf. Zwar gibt es keinen Anspruch auf Steuervergünstigungen, auch keinen Anspruch auf ihre Erhaltung auf Dauer; jedoch müssen die rechtlichen Interessen der Betroffenen durch Übergangsregelungen oder sonstige Anpassungshilfen berücksichtigt werden.210
5. Meinungsdivergenzen sind in pluralistischen Gesellschaften wertungswissenschaftlich normal Es ging hier nicht um Vollständigkeit der Problembehandlung, sondern um den Nachweis, dass Meinungsverschiedenheiten in einer pluralistischfreiheitlichen Gesellschaft normal sind. Divergenzen bestehen nicht nur im Nettoprinzip-Bereich, sondern – wie beschrieben – auch schon in der Frage, was als Einkommen zu erfassen ist, wie viele Einkunftsarten angemessen sind, ob die Einkommensteuer Schedulen-Elemente enthalten darf (ob insbesondere Zinseinkünfte durch eine mäßige Abgeltungssteuer belastet werden dürfen), welche Einkünfte steuerfrei gestellt werden dürfen (etwa auch Trinkgelder)? Umstritten ist auch die Einkünfteermittlung: Ist eine Einheitsermittlung für alle Einkunftsarten einem Pluralismus der Einkünfteermittlungen vorzuziehen? Sollte es ein Ermittlungswahlrecht geben (so Kölner Entwurf)? Sollte es 162
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ein eigenständiges Steuerbilanzrecht geben oder sollte grundsätzlich die Handelsbilanz weiterhin maßgeblich bleiben? Wie sind Ehe und Familie zu behandeln?211 Wie sollten Spenden für gemeinnützige Zwecke berücksichtigt werden? Inwieweit darf typisiert oder pauschaliert werden? Sollte die Körperschaftsteuer selbständig neben der Einkommensteuer bestehen bleiben, oder sollte sie in die Einkommensteuer integriert werden?211a Es fällt auf, dass die verschiedenen Entwürfe zwar nicht selten zu unterschiedlichen Lösungen kommen, dass aber jeder einzelne Entwurf in der Regel nur jeweils „eine richtige“ Lösung anbietet. Soweit die Entwürfe das Produkt eines Arbeitskreises sind, pflegt nur die Mehrheitsmeinung präsentiert zu werden. Besser wäre es m. E., verschiedene vertretbare Meinungen nebeneinander aufzuführen, die Pros und Kontras aufzulisten und abzuwägen, es aber letztlich dem Gesetzgeber zu überlassen, aus mehreren vertretbaren Lösungen diejenige Lösung auszuwählen, die ihm am besten vertretbar erscheint. Dazu müssen die Entwurfsverfasser zunächst wissen, welche verschiedenen Meinungen tatsächlich vertreten werden. Dass nur eine Einheitsmeinung veröffentlich wird, kann seinen Grund in der Annahme haben, dass sich mit einer Einheitsmeinung bei Steuerpolitikern bessere Wirkungen erzielen ließen als mit abweichenden Auffassungen. Auf unterschiedlichen Wertungen beruhende Meinungsverschiedenheiten sind in einer pluralistischen Gesellschaft aber normal. Dafür sollte wenigstens ein Wertungspluralist Verständnis haben. Die Zeit eines „Reichsrechtsführers“ möge nie wiederkommen. Es kommt allerdings vor, dass Entwurfsverfasser, die ihre eigene Meinung als „allein richtig“ ansehen, andere Entwurfsverfasser mehr oder weniger deutlich auffordern, sich doch der „allein richtigen“ Auffassung des Auffordernden im Interesse der steuerpolitischen Effizienz anzuschließen. Auch Vorsitzende Richter müssen ohne die erwähnten Attitüden auskommen. Jeder Kollegialrichter weiß das. Nochmals: Werden verschiedene Antworten gegeben, so heißt das nicht, dass nur eine von mehreren Versionen „objektiv richtig“212 sei. Im Bereich des Wertens bestehen Wertungsspielräume. Innerhalb des Spielraums können mehrere Antworten vertretbar, diskutabel sein. Die Wertungsdifferenzen machen sich besonders bemerkbar, wenn es um die Familienbesteuerung geht. Ein Familienvater, dessen Ehefrau Hausfrau ist, wertet oft anders als eine unverheiratete Steuerjuristin. Das Familienideal P. Kichhofs wird selbst von der CSU nicht mehr vertreten. Nur was unter dem Aspekt des Leistungsfähigkeitsprinzips indiskutabel, absurd ist, muss außer Betracht bleiben. Es ist aber durchaus nicht alles relativ, und zum unentbehrlichen Systemdenken gehört das Konsequenzgebot. 163
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Da es sich bei den Ökonomen nicht anders verhält als bei den Juristen, verwundert es nicht, dass auch die Entwürfe der Ökonomen M. Rose und J. Mitschke ziemlich weit auseinander fallen, dass M. Rose auch die vom „Sachverständigenrat“ (der Ökonomen) empfohlene „duale Einkommensteuer“ ablehnt; er nennt sie einen „systematischen Irrweg“. Juristen spotten: „Es bedarf nur zweier Ökonomen, um drei verschiedene Meinungen zu vertreten“, und die Ökonomen lästern in gleicher Weise über die Juristen. Für den Gesetzgeber sind Meinungsverschiedenheiten kein Grund, die dringend notwendige Einkommensteuerreform zu unterlassen. Im geltenden Gesetz ist unter dem Aspekt des Leistungsfähigkeitsprinzips vieles unvertretbar, indiskutabel, inkonsequent. Die erörterten Entwürfe liefern dem Gesetzgeber ein großes Arsenal von Argumenten. Daraus mag er sich bedienen. Dass der Gesetzgeber von A – Z nur einem Entwurf folgt, ist ohnehin nicht zu erwarten. Trotz der Meinungsverschiedenheiten in den Steuerwissenschaften bleibt es also dabei. Eine Einkommensteuerrechtsreform ist machbar (s. S. 97 ff.).
V. Senkung des Tarifs Alle Entwürfe wollen mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Senkung des Tarifs verbinden. In den 1980er Jahren gelang es dem Steuerreformer Finanzminister Stoltenberg, einen linear-progressiven Tarif einzuführen. Das wurde damals mit guten Gründen als Fortschritt gefeiert. Heute gibt es eine Tendenz zum Stufentarif. Die Reformentwürfe sehen einen solchen Tarif vor mit niedrigen Eingangssteuer- und Spitzensteuersätzen. Nur das Reformkonzept 21 von K. Faltlhauser (CSU) hält am linear-progressiven Tarif fest. Dazu heißt es: „Wir können keine Zustimmung zu einem neuen Steuerkonzept erwarten, wenn wir bestimmte Gruppen der Bevölkerung überproportional entlasten, während andere höher belastet werden“. Der linear-progessive Tarif sei „am Gedanken der sozialen Gerechtigkeit ausgerichtet“ (S. 34). Der Stufentarif soll es den Steuerpflichtigen ermöglichen, ohne komplizierte Tarifformel die Steuer selbst zu berechnen. Besonders wichtig ist die Anpassung des Tarifs an die Inflation, wie sie in den §§ 3 II, 36 III 2 des Kölner Entwurfs vorgesehen ist. Der Entwurf von P. Kirchhof arbeitet mit einem Einheitssteuersatz von 25%. „Die Einkommensteuerschuld beträgt ein Vierteil des Einkommens“, heißt es in § 2 IV. Dieser Steuersatz wird allerdings für geringe Einkom164
Grundsätzliches zu sechs Reformentwürfen
men gemildert durch einen sog. Sozialausgleichsbetrag (§ 7), so dass es sich doch nicht um einen proportionalen Tarif handelt. Mit einem Einheitssteuersatz von 25 % arbeitet auch der Entwurf von M. Rose (§ 8 I). Und schließlich ersetzt M. Elicker den progressiven durch einen proportionalen Tarif, lässt den Steuersatz jedoch offen (§ 12). Für seine Entscheidung für den proportionalen Tarif gibt er eine 52 Seiten lange Begründung. Ein Steuersatz von 25 % entlastet gehörig die oberen Einkommensschichten. Zur Gegenfinanzierung wäre eine beträchtliche Erhöhung der Umsatzsteuer unvermeidlich. Übermäßig benachteiligt würden dadurch die unteren Einkommensschichten. J. Mitschke nennt seinen Tarif (§§ 27 f.) „gebrochen linear“. Er arbeitet nämlich mit einer einmaligen Erhöhung des Grenzsteuersatzes von 20% auf 30%. Bei den vorgeschlagenen Stufentarifen reicht die Zahl der Stufen von 2 (Mitschke) über 3 (FDP) bis 5 (Kölner Entwurf). Zusammenfassend kann man fast sagen: So viele Tarifvorschläge wie Reformer. Das hängt damit zusammen, dass sich steuerwissenschaftlich nicht entscheiden lässt, ob der Einkommensteuertarif proportional oder progressiv verlaufen sollte. Auch Eingangs- und Spitzensteuersätze kann letztlich nur der Gesetzgeber festlegen, und zwar unter Berücksichtigung der Haushaltslage zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes. Elicker legt daher zu Recht keinen Steuersatz fest; auch der Kölner Entwurf relativiert aus diesem Grunde seinen Vorschlag (s. Rz. 29 ff., 149 ff.). Verfehlt ist es, die Haushaltslage statt im Tarif bei der Gestaltung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen. Unter dem Gerechtigkeitsaspekt ist der linear-progressive Tarif einem Tarif vorzuziehen, der Buckel oder Sprünge enthält. Auf der Grundlage des Stufentarifs lässt sich die Steuer von Laien zwar leichter berechnen; dieser Vorteil rechtfertigt es m. E. aber nicht, den Stufentarif dem linearprogressiven Tarif vorzuziehen. Dies jedenfalls so lange nicht, als keine Selbstveranlagung existiert. Auch die gegenwärtige miserable Haushaltslage spricht für ein Festhalten am linear-progressiven Tarif. Und voraussichtlich wird es auch nicht möglich sein, den Spitzensteuersatz so weit abzusenken, wie es die Reformentwürfe vorsehen. Erst recht kommt ein niedriger Einheitssteuersatz nicht in Betracht. Wer ein Meinungsforschungsinstitut die Frage stellen lässt, ob es gerecht sei, dass ein Einkommensmillionär 250.000 Euro Einkommensteuer zahlen solle, der Bezieher eines Einkommens von 100.000 Euro aber „nur“ 25.000 Euro, mag die Antwort bekommen, die er sich wünscht: die Differenzierung sei gerecht. Aber es sollte doch auch gefragt werden, ob ein progressiver Tarif nicht „noch gerechter“ sei. 165
H. Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben Nur zwei Entwürfe haben – jedenfalls vorübergehend – die Politik erreicht, nämlich der Kölner Entwurf, an den der noch in Arbeit befindliche Entwurf der „Stiftung Marktwirtschaft“ anknüpft, und der Entwurf von P. Kirchhof.
I. Reformarbeit unter dem Dach der „Stiftung Marktwirtschaft“ Unter dem Dach der „Stiftung Marktwirtschaft“ wurde im Herbst 2004 eine nicht an bestimmte Parteien gebundene „Reformkommission Steuergesetzbuch“ gebildet. Nachdem sich unter Leitung von Joachim Lang, Universität Köln, im Sommer 2004 bereits eine „Lenkungsgruppe“ konstituiert hatte, wurde eine Expertenkommission aus 70 hervorragenden Fachleuten gebildet, aus Steuerwissenschaftlern, Steuerrichtern, Steuerbeamten und Steuerberatern. Ziel der Kommission ist eine umfassende
Reformkommission Steuergesetzbuch. Vorsitzender: Prof. Dr. Joachim Lang (2. Reihe, 2. von links)
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Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben
Neuordnung der deutschen Steuergesetze mit ausformulierten Gesetzestexten. Dazu wurden drei Arbeitsgruppen gebildet, nämlich die Arbeitsgruppen „Einkommensteuer und Abgabenordnung“ (Vorsitz: Steuerjurist Joachim Lang, Universität Köln), „Unternehmensbesteuerung“
Lenkungsgruppe und Politischer Beirat. Vorn Mitte: Prof. Dr. Joachim Lang
(Vorsitz: Steuerökonom Norbert Herzig, Universität Köln), und „Kommunalfinanzen“ (Vorsitz: Steuerjurist Manfred Mössner, Universität Osnabrück). Die Arbeit dieser Gruppen wird von der erwähnten Lenkungsgruppe so koordiniert, dass ein schlüssiges Gesamtkonzept entstehen kann. Außerdem wurde ein „politischer Beirat“ – ohne Weisungsrecht – gebildet. Diesem Beirat gehören an: Friedrich Merz/CDU, Kurt Faltlhauser/CSU, Gernot Mittler/SPD, Hermann O. Solms/FDP und Manfred Busch/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Der Bildung einer großen, keiner Partei verpflichteten oder zugeneigten Kommission liegt die Einsicht zugrunde, dass die Arbeit eines einzelnen nicht geeignet erscheint, einer pluralistischen Gesellschaft gerecht zu werden. Mindestens ist die Einzelarbeit am wenigsten geeignet, von A – Z vom Parlament übernommen zu werden. P. Kirchhof, obwohl führender Vordenker eines ausformulierten Gesetzbuchentwurfs, wurde nicht in die große Reformgruppe gerufen und wäre wohl auch gar nicht gekommen, weil er nach 167
Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben
allgemeiner Meinung und nach seinen eigenen Bekundungen nur ein Ziel kennt, nämlich seinen eigenen Entwurf durchzusetzen, und sonst gar nichts. Mit der Experten-Reformgruppe der „Stiftung Marktwirtschaft“ hätte er seinen Entwurf aber nicht durchsetzen können. Der Zeitplan der Kommission wurde wohl nicht unerheblich dadurch gestört, dass auf Betreiben von Bundeskanzler Gerhard Schröder – mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts – die Bundestagswahl 2006 um ein Jahr vorgezogen und bereits am 18.9.2005 abgehalten wurde. Abweichend von P. Kirchhof arbeitet die Kommission „Stiftung Marktwirtschaft“ ohne größeren PR-Aufwand. P. Kirchhof gab aber nicht auf; er hielt unterdessen unverdrossen weiterhin Vorträge, durch die er mit großem Geschick unbeirrbar für sein Einkommensteuergesetzbuch warb, durchweg vor einem begeisterten Publikum. Immer wieder legte er dar, wie er als Verfassungsrichter das bereits kaputt reparierte „Auto Steuerrecht“ habe weiter reparieren müssen, dass er nun aber ein ganz neues Steuer-Auto konstruiert habe. Immer wieder versprach er seinem Publikum, es davon zu befreien, 12-mal im Jahr die Belege aus dem Schuhkarton herausholen zu müssen, um sie für Steuererklärungen auszuwerten. Vielleicht bewahrt P. Kirchhof seine Belege tatsächlich noch im Schuhkarton auf. Ein Höhepunkt war der Vortrag Paul Kirchhofs auf dem FDP-Parteitag vom 6.5.2005. Der Jubel der Delegierten wollte nicht enden. Der Parteivorsitzende umwarb P. Kirchhof mit Elogen, obwohl doch die FDP einen eigenen Reformentwurf (s. S. 115) vorgelegt hatte. Auch P. Kirchhofs Einheitssteuersatz von 25 % kam bei den Liberalen gut an. Der Beifall erreichte einen Höhepunkt, als P. Kirchhof äußerte, er wisse, unsere Gesellschaft brauche 20 Jahre, um ans Ziel zu kommen. Er fügte hinzu: „Ich bin im Steuerrecht in der Position 18 Jahre; es dauert noch zwei Jahre, dann haben wir es erreicht.“ Der Jubel von Parteitags-Delegierten scheint indessen vorwiegend von Emotionen getragen zu werden. Das war auch schon so, als die CDUDelegierten auf ihrem Leipziger Parteitag die Bierdeckel-Reform-Kundgebung von Friedrich Merz mit Jubelgeschrei bedachten.
II. Paul Kirchhof, Politiker für einen Monat. Grandioser Aufstieg und jäher Fall Nicht nur die Mitglieder der „Steuerreformkommission Marktwirtschaft“, auch die Öffentlichkeit wurde am 17.8.2005 durch die Nachricht überrascht, dass Kanzlerkandidatin Angela Merkel u. a. Paul Kirch168
Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben
hof in ihre Wahlkampfmannschaft, genannt „Kompetenzteam“, berufen habe und ihn als künftigen Finanzminister vorsehe. P. Kirchhof nahm die Berufung unverzüglich an, sah er doch nun die große Chance, seinen, und nur seinen Entwurf als Finanzminister in das Bundesgesetzblatt zu bringen. Dem SPIEGEL sagte er: „Ich bin in das Kompetenzteam hineingegangen, weil ich die Chance sehe, das, wofür ich fünf Jahre gearbeitet habe, ganz wesentlich zu fördern.“ Paul Kirchhof löste ein enormes Medienecho aus. Die Printpresse von der FAZ bis zum letzten Lokalblatt machte seine „radikale Steuerreform“ bekannt. Er zog die öffentliche Aufmerksamkeit in einer Weise auf sich, dass die anderen Mitglieder des Kompetenzteams in den Schatten gerieten. Bald wussten auch Frisöre von Paul Kirchhofs Vereinfachungsplänen. Kein Mitglied des „Kompetenzteams“ wurde von der Steuerlaiin Angela Merkel so hofiert wie P. Kirchhof, den sie mit Ludwig Erhard verglich. Medien erklärten die Berufung Paul Kirchhofs durch Angela Merkel zum „großen Coup“, P. Kirchhof wurde enthusiastisch als „Wahlkampf-Wunderwaffe“, als „Wahlkampfknaller“, als „Überraschungswaffe“, als „Wahlkampfmagnet“ der Union gepriesen. „Angela Merkel träumt Kirchhofs Vision“, schrieb die FAZ. Auf dem Dortmunder CDU-Wahlparteitag Ende August 2005 wurde P. Kirchhof wie ein Superstar gefeiert. Auch Wirtschaftsverbände erklärten den Steuerjuristen zum neuen Wirtschaftswundermann nach Ludwig Erhard, zum Garanten für wirtschaftlichen Aufschwung und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Auch einflussreiche, prominente Journalisten – wie Helmut Markwort (FOCUS-Chefredakteur), Hans-Ulrich Jörges (stv. Chefredakteur des Stern) sowie mehrere FAZ-Redakteure – bis hin zu Feuilletonisten rührten – obwohl alles andere als Steuerfachleute – für Paul Kirchhof die Trommel. FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, ebenfalls Steuerlaie, begleitete ihn sogar auf einer Wahlkampftour. Am 20.8.2005 stellte die FAZ fest, durch P. Kirchhofs Berufung sei die rotgrüne Regierung am Nerv getroffen. Der Idee der radikalen Steuervereinfachung habe sie nichts entgegenzusetzen. Gern hätte man gewusst, wie viele der Kirchhof-Bewunderer Kirchhofs Gesetzentwurf jemals gesehen, geschweige denn gelesen haben. Nach so viel Medienbeifall mag A. Merkel P. Kirchhof als „Geschenk des Himmels“ empfunden haben. Hinzu kam, dass er den (aus Merkels Sicht) „entsetzlichen Friedrich Merz“ ersetzen sollte. P. Kirchhof wurde kurzerhand zum Lehrer von F. Merz ernannt, und von einem Lehrer darf man annehmen, dass er einen Schüler ersetzen kann („Wenn der Lehrer kommt, kann der Schüler gehen“). Die Christdemokraten A. Merkel und F. Merz waren schon seit längerem wenig christlich miteinander umge169
Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben
gangen, und es nutzte F. Merz auch nichts, dass er die Berufung P. Kirchhofs begrüßte. Auch CSU-Vorsitzender Edmund Stoiber lobte P. Kirchhof als den „richtigen Mann am richtigen Platz“, als „Glücksfall für die Union“. Ministerpräsident und Steuerlaie Christian Wulff prophezeite: „In einigen Jahren werden wir das Kirchhof-Modell haben.“ Durch Paul Kirchhof wurden die Medien auch von der von A. Merkel beabsichtigten Mehrwertsteuererhöhung abgelenkt. Es wäre nicht erstaunlich gewesen, wenn die Zustimmung von führenden Unions- und FDP-Politikern sowie das positive Medienecho P. Kirchhof in den ersten Wochen nach seiner „Ernennung“ fast schwindlig gemacht hätte, wenn es ihm „zu Kopf gestiegen“ wäre. Aber er ließ davon nichts erkennen, ist überhaupt für seine Contenance bekannt. In den zahlreichen Interviews, die P. Kirchhof nach seiner Aufnahme in das „Kompetenzteam“ laufend gab, erweckte er den Eindruck, es gehe ihm um sein Reformmodell, nicht um das abweichende Reformprogramm der CDU. Das missfiel einigen Unionsgranden. Darauf versprach P. Kirchhof „Linientreue“. Erst nach der Durchsetzung des Unionsprogramms, ab 2009, wolle er seinen eigenen Entwurf umsetzen. Der CDUSteuerpolitiker Gunnar Uldall, der vor Jahren mit einem eigenen Reformmodell (das dem von P. Kirchhof nicht unähnlich ist) schon bei der eigenen Partei nicht durchgedrungen war (s. S. 45), riet seiner Partei, von einer Verschiebung des Kirchhofs-Projekts abzusehen, da sonst die Bedenkenträger zuviel Zeit zum Zerreden hätten. Das Kirchhof-Konzept dürfe auch nicht als Vision zu den Akten gelegt werden. Etwa zwei Wochen vor der Wahl kam dann die Wende. Die Regierungsparteien nahmen sich des „Professors aus Heidelberg“ an. Ihm wurde vorgeworfen, er könne nicht überzeugend erklären, wie er bei einem Einheitssteuertarif von 25 % den Haushalt konsolidieren wolle. P. Kirchhof „jongliere mit „unglaublichen Phrasen“, so Finanzminister Hans Eichel. Auf seine Ankündigung, er werde zur Gegenfinanzierung 418 Steuersubventionen streichen („Steuerschlupflöcher stopfen“), hielt der Finanzminister ihm entgegen, so viele Steuersubventionen gebe es gar nicht oder gar nicht mehr, und Fachleute bestätigten das. Das nährte den Verdacht, Paul Kirchhof arbeite mit übertriebenen Zahlen, nehme es mit Zahlen nicht so genau. Überhaupt lässt sich über die Zahl der Steuervergünstigungen, Steuerausnahmen, Steuerschlupflöcher trefflich streiten, solange jeder eine andere Vorstellung über den Inhalt dieser Begriffe hat. Der Aufforderung, seine Schlupflöcher-Streichliste der Öffentlichkeit vorzulegen, kam P. Kirchhof im Einvernehmen mit der Union nicht nach. Dadurch erregte er Misstrauen. Da Paul Kirchhof aber immer wieder erklärt hatte, zu seinem Radikalprogramm gehöre 170
Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben
auch die Abschaffung der Steuerfreiheit der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge, der Übungsleiter- und der Pendlerpauschale, setzte die massive Kritik der SPD und der GRÜNEN hier besonders an: P. Kirchhof wurde als „radikal unsozial“ geschmäht, er lege die Axt an die Wurzel des Wohlfahrtsstaates, habe keine Ahnung von der Lebenswirklichkeit einfacher Menschen, sei ein „Mann der sozialen Kälte ohne Ahnung von den Realitäten“, er wolle Menschen wie Sachen behandeln, vertrete überhaupt ein reaktionäres Gesellschaftsbild, vor allem ein extrem konservatives Familienbild. Die eigentlichen Profiteure seines Einheitstarifs seien die Reichen. Dieser Tarif fördere nicht nur die „Umverteilung von unten nach oben“; er werde auch den Haushalt nachhaltig ruinieren, ja in den Staatsbankrott führen, zumal Kirchhof das sich aus der Abschaffung der Steuervergünstigungen ergebende Mehraufkommen allein zur Steuersenkung verwenden wolle. Paul Kirchhof wolle die Deutschen in unverantwortlicher Weise zu Versuchskaninchen seines Modells machen. Vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder stellte den „Professor aus Heidelberg“ als Phantom ohne Bodenhaftung, stellte ihn als naiv und politisch unerfahren hin, ging ihm mit allen Mitteln der Rabulistik an. Dass die SPD sich auch des steuerlichen Schicksals der Nachtschwestern, denen P. Kirchhof die Steuerfreiheit der Nachtarbeitszuschläge nehmen wollte, besonders annehmen würde, war zu erwarten. Überhaupt, Parteien, die zusammen mit den Gewerkschaften für einen exzessiven Sozialstaat gesorgt haben, was sollten sie sich nicht für ein Steuerprivileg von Nachtschwestern einsetzen. Sie hatten schon Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose in einer Weise verwöhnt, dass diese körperliche Arbeit wie das Pflücken von Äpfeln gerne Polen und Türken überlassen. So wurde P. Kirchhof von der Lichtgestalt der Union zum emotionalen Hauptprügelknaben von SPD und Grünen. Er fühlte sich zu Recht verunglimpft und sah sein Konzept als „bis zur Karikatur verfälscht“ an. Nur, Wahlkampf war immer ruppig und je nach Wahlkämpfer mehr oder weniger vulgär; mit der Wahrheit ging man im Wahlkampf schon immer großzügig um. Wahlkampf kennt keine Regeln und keinen Schiedsrichter (s. S. 184). So konnte Gerhard Schröder vor einem alles in allem ignoranten Massenpublikum auch mit Verdrehungen und Entstellungen arbeiten. Der Erfolg heiligt im Wahlkampf die Mittel. Von einer bösen Vorahnung befallen, schrieb die FAZ am 14.9.2005: „Da öffnet ein Professor aus Heidelberg den Deutschen den sauber durchgerechneten (wie hat die FAZ das wohl geprüft?, d. V.) und gerechten Garten der Freiheit, und plötzlich haben alle Angst vor der Freiheit. Der Gärtner, der frisches Obst verspricht, wird als Phantast verschrien.“ Bei den FAZFeuilletonisten findet man „in bunten Bildern wenig Klarheit…“. 171
Zwei Entwürfe, die die Politik erreicht haben
Wenn der Erfolg Erfolge gebiert, wenn der Erfolg die Argumente ersetzen kann, so gilt offenbar auch: Der Misserfolg verstärkt den Misserfolg, und gegen ihn helfen auch keine Argumente. Die FDP brachte nun wieder ihren Finanzexperten H. O. Solms (der als Redner allerdings niemanden vom Stuhl reißt) in Erinnerung. Aus der CDU wurde wieder der Ruf nach Friedrich Merz laut. P. Kirchhof erklärte sich darauf bereit, mit Friedrich Merz „Tandem zu fahren“. Der FAZ erklärte P. Kirchhof dazu: „Wenn wir zwei, die in der Finanz- und Steuerpolitik sich seit Jahren exponiert haben, mit schönen Reformvorschlägen, wenn wir beide alle Kraft einsetzen, damit das mit dieser Politik in naher Zukunft, möglichst zum 1.1.2007, gelingt, wäre das die Ideallösung.“ A. Merkel war offensichtlich nicht begeistert von der Tandemidee, hatte P. Kirchhof doch F. Merz vergessen machen sollen. Unverbindlich äußerte sie, beide würden gebraucht, Kirchhof und Merz. F. Merz dürfte der einzige sein, der dem Kanzler rhetorisch und rabulistisch das Wasser reichen kann. Er war auch einer der wenigen, die P. Kirchhof gegen die rabiaten Attacken des Kanzlers nachdrücklich verteidigte. Den Einheitssteuertarif, erklärte er, könne er sich durchaus vorstellen. Andere Unionsgrößen ließen P. Kirchhof schnell im Stich. Dass er ein ehrenwerter Mann ist, wurde verdrängt. Über die politische Tandemtechnik brauchte indessen nicht lange nachgedacht zu werden. Union und FDP, die beiden Koalitionäre in spe, erreichten bei der Wahl am 18.9.2005 keine regierungsfähige Mehrheit. Innerhalb weniger Wochen hatten sie einen komfortablen Vorsprung verspielt. Die Wunderwaffe P. Kirchhof, die auf der Zielgeraden zum Wahlsieg einen letzten Schub hatte auslösen sollen, war – so die Presse nun – zum Rohrkrepierer geworden, zum Wahlgeschenk an die SPD. Der Joker wurde nun zum Hauptwahlverderber erklärt. An den selbständigen Handwerkern kann der Verlust der Wahl nicht gelegen haben. Noch vier Tage vor der Wahl hatte das Kuratorium der „Stiftung Köln Handwerk“ (Vorsitzender: Kölns Oberbürgermeister Kurt Schramma, CDU) P. Kirchhof den Meisterpreis 2005 verliehen. Aber weder die frühere Ernennung Kirchhofs zum „Reformer des Jahres“ 2003 noch der Meisterpreis der Kölner Handwerker war entscheidend hilfreich. Bei zu vielen Arbeitnehmern war P. Kirchhof offenbar nicht angekommen, was immer die Gründe gewesen sein mögen. Die zum Teil primitive, niederträchtige Wahlkampf-Hetze gegen ihn hatte offenbar gewirkt. P. Kirchhof kann man nicht anlasten, dass seine kurze Beteiligung an der aktiven Politik den Charakter einer Politkomödie angenommen hat. Da P. Kirchhof wusste, dass er nur mit der Union/FDP-Koalition etwas hätte erreichen können, zog er sich unmittelbar nach der Wahl auf seine 172
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„geistigen Güter“ in Heidelberg zurück. Sein Ausflug in die Politik hatte nur einen Monat gedauert. Einem grandios steilen Start war ein jäher Absturz gefolgt. Und doch, niemanden vor ihm war es so wie ihm gelungen, die Idee der Steuervereinfachung mit Hilfe der Medien so publik und populär zu machen. Er hatte dafür gesorgt, dass das Vereinfachungsthema nachdrücklich auf die Tagesordnung der deutschen Steuerpolitik gesetzt wurde. P. Kirchhofs Stärke besteht darin, auch vor Steuerlaien und -amateuren mit Hilfe von eingängigen Bildern (das Steuerrecht als „verstimmtes Klavier“, als kaputt repariertes, neu zu bauendes Auto, nach Zahlung von höchstens 25 % Einkommensteuer entlassen „in den Garten der Freiheit“) ein romantisches Steueridyll zu entwickeln, das angenehm kontrastiert mit der miserablen Besteuerungswirklichkeit (s. S. 55 ff.). Feuilletonisten scheinen für die Metaphern des Meisters der bildhaften Vereinfachung besonders anfällig zu sein. Der Journalist Edo Reents suchte Paul Kirchhof nach seinem Rückzug nach Heidelberg in seinem Haus zu einem Gespräch auf und kam im FAZ-Feuilleton zu dem Ergebnis: „Der ehemalige Verfassungsrichter hatte als Utopiker und Visionär eine Welt gegen sich, die er nun durchschaut.“ Dabei bemühte sich der Feuilletonist um einen Vergleich Kirchhofs mit A. Saint Just. Wer sich noch an die Geschichte der französischen Revolution erinnert: Saint Just war ein junger Gefolgsmann von Robespierre. Die beiden totalitären Fanatiker waren die Träger der Schreckensherrschaft des Wohlfahrtsausschusses. Am 27.7.1794 endeten die beiden selbst unter der Guillotine. Was immer das Anliegen des schwer verständlich schreibenden Feuilletonisten Reents war: Sein Vergleich erscheint mir absurd und kann doch auch P. Kirchhof nicht gefallen. Dass P. Kirchhof, wie der Journalist schreibt, sein Programm nicht mit seinem Namen verbunden habe, trifft nicht zu. Ein Paul Kirchhof gibt nicht auf. Er möchte unbeirrt zu Ende führen, was er als Verfassungsrichter begonnen hat. Schon als Richter war er auch Rechtsgestalter. Wenn P. Kirchhof sagt, sein 25 %-Einheitssteuersatz-Modell werde das Steueraufkommen nicht mindern, sondern eher erhöhen, so glaubt er daran. Er will durchaus nicht, wie etwa in den USA Grover Norquist, den Staat durch niedrige Steuern (von etwa 10 %) aushungern. Die Mittel der Politik, vor allem die unlauteren Wahlkampfmethoden, in persona erlitten zu haben, kann das Realitätsbewusstsein eines Staatsrechtslehrers nur fördern. Da P. Kirchhof sein Modell wohl nach wie vor für das non plus ultra hält, seinen Rückschlag folglich nicht mit dem Inhalt seines Entwurfs 173
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zusammenbringt, hat er sich schnell vom Wahlmisserfolg erholt. Unerschüttert will er sein Modell weiter propagieren, auch wenn der Wählersouverän entschieden habe, sein Platz sei die Wissenschaft. Noch immer glaubt er, die Zeit für seinen Entwurf rücke heran. Diesen Glauben teilt er mit dem amerikanischen Flat-Tax-Prediger A. Rabushka sowie mit dem deutschen Finanzwissenschaftler Manfred Rose, der die Verwirklichung seiner Konsumeinkommensteuer-Idee auch nur für eine Frage der Zeit hält. Der Termin des von Rose angenommenen Inkrafttretens ist allerdings bereits verstrichen. Wer – wie P. Kirchhof und M. Rose – Termine für das Inkrafttreten ihres Modells falsch voraussagt, läuft allerdings Gefahr, sich in die Nähe der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas zu begeben. Diese Religionsgemeinschaft hat schon mehrfach die Wiederkunft Christi vorausgesagt: 1874, dann 1878. Dann sollte 1914 das Reich Gottes auf Erden anbrechen: Als stattdessen der 1. Weltkrieg ausbrach, musste die Erwartung oder Verheißung umgedeutet werden. P. Ondracek, Chef der Steuergewerkschaft, stellt fest: Paul Kirchhofs Steuerkonzept sei eine Vision und werde Vision bleiben. Es sei nicht zu finanzieren. Dieses Statement hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Die Wertungen eines konservativen Einzelkämpfers, der – wenn ich es richtig sehe – die Wiederholung seiner Thesen dem Diskurs vorzieht, lassen sich in einer pluralistischen Gesellschaft schwerlich umsetzen. Er gehe nicht als Finanzminister nach Berlin, so wird P. Kirchhof zitiert, um dort unter Kompromissen zu leiden. Zweifel und Argumente Dritter – ob sie von Fachkollegen, von Steuerrichtern, von der Steuergewerkschaft, vom Bund der Steuerzahler oder der Steuerberaterkammer kommen – fechten ihn nicht an. Nur, Steuerpäpste reüssieren nicht in einer pluralistischen Gesellschaft. Inzwischen soll P. Kirchhof auf längere Sicht auch seine Rückkehr in die Politik zwecks Durchsetzung seines Modells nicht mehr ausgeschlossen haben. „Es hätte auch anders kommen können“, soll P. Kirchhof der FAZ gesagt haben, „dann hätte ich die Ärmel hochgekrempelt, und in vier Jahren nach der Steuerreform wären wir haushoch wiedergewählt worden.“ Fachleute bestreiten nicht, dass das Steuerrecht dringend reformbedürftig ist. Sie bestreiten oder bezweifeln nur, dass P. Kirchhofs „Radikalreformvorhaben“ die einzig richtige Lösung, das Optimum sei. Diese Lösung ist ganz auf seine Person zugeschnitten. Der Steuerwissenschaftler und Steuerberater St. Homburg fasst seine kritische Würdigung so zusammen: „Das Kirchhofsche EStGB ist … nicht das Steuergesetz, das sich ein unparteiischer Bürger hinter dem berühmten veil of ignorance wünschen würde. Vielmehr passt es ideal zu den Bedürfnissen eines gesunden, gut situierten kinderreich verheirateten Alleinverdieners, der auf Grund der 174
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Art seiner Tätigkeit weder große Erwerbsaufwendungen trägt, noch Verluste befürchten muss…“.212a Dass P. Kirchhof beim Entwurf seines Konzepts den eigenen Vorteil im Auge gehabt hätte, sollte man m. E. nicht suggerieren oder unterstellen.
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I. Große Koalition und Steuerreform Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 18.9.2005 erzwang eine große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Skeptiker befürchten, dass die große Koalition eher zu einem Reformstillstand führen könnte. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt indessen, dass eine Koalition der beiden Volksparteien durchaus Reformen voranbringen kann. Karl Schiller und Franz-Josef Strauß („Plisch und Plum“) arbeiteten in der Zeit der großen Koalition (Dez. 1966 bis Okt. 1969) reibungsloser zusammen als viele Minister aus derselben Partei; das gleiche lässt sich von Helmut Schmidt und Rainer Barzel (Okt. 1982 bis März 1983) sagen. Den Wählern ist es zu verdanken, dass die Union und die SPD aus der für das Gemeinwohl abträglichen Blockadehaltung, aus dem verbalradikalen Gegeneinander erlöst worden sind. An die Stelle unverantwortlicher Totalopposition ist die Kooperation getreten – mit sachorientierter Politik. Die Koalitionäre gehen in der Tat erstaunlich sachlich miteinander um; das im letzten Wahlkampf auf einen Tiefpunkt gesunkene Niveau der Auseinandersetzung hebt sich merklich. Auch Ludwig Ziegler (SPD) legt sich jetzt Zügel an. Man hört einander zu und geht aufeinander zu. Die Lobbyisten können die übliche Polarität von Union und SPD nicht mehr wie gewohnt nutzen. Richtig ist allerdings, dass sich die SPD während ihrer letzten Regierungsperiode eher reform-uninteressiert gezeigt hat. Sie hat zwar größere Tarifsenkungen vorgenommen, was die Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage betrifft, aber keinerlei Reformfreude erkennen lassen. Ihr Einwand gegen alle Reformentwürfe: „Unfinanzierbar!“ Dieser Einwand lässt sich gegen eine dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechende Bemessungsgrundlage sachlich aber nicht einsetzen; denn das Steueraufkommen darf nicht über die Bemessungsgrundlage gesteuert werden. Die Vergangenheitserfahrung lehrt im Übrigen: Immer, wenn die Oppositionsparteien die Mehrheit im Bundesrat hatten, verlor die Regierung ihre Reform-Handlungsfähigkeit. Der Bundesrat wurde regelmäßig als Instrument der Parteipolitik missbraucht (s. S. 84 ff.). Diese Möglichkeit ist in einer großen Koalition mindestens erschwert. Die Mitglieder der Koalitionsparteien pflegen sich nicht gegenseitig anzuschwärzen, sich nicht gegenseitig der Lüge oder des Vertuschens, der Wählertäuschung etc. zu bezichtigen, nicht wie Kampfhunde aufeinander loszugehen. Sie können ihre Energien weitgehend auf die Sache verwenden. Ausgeschlossen wäre es allerdings nicht, dass z. B. die CDU, wenn sie in der 176
Große Koalition und Steuerreform
Regierung Zugeständnisse machen müsste, diese über ihre Bundesratsmehrheit rückgängig machen könnte. CDU/CSU und SPD könnten, was die Steuerreform betrifft, durchaus eine Koalition der steuerrechtlichen Vernunft, der rationalen Sachlichkeit bilden. Eine Große Koalition braucht bis zum nächsten Wahlkampf nicht so wählerorientiert zu agieren wie eine Regierung, der eine Mehrheit der Opposition im Bundesrat gegenübersteht. Die SPD braucht sich nur wieder auf ihren Antrag „für eine gerechte und einfache Einkommensbesteuerung“ v. 6.2.1996 (s.S. 45 ff. dieses Buches) zu besinnen. Die SPD beklagt darin als Opposition zutreffend den trostlosen Zustand des Steuerrechts und registriert dringenden politischen Handlungsbedarf. Auch im SPD-Grundsatzprogramm v. 20.12.1989/17.4.1998 heißt es: „Das Steuerrecht bedarf einer gründlichen Reform“ (S. 47). Nur hat die SPD – was die Bemessungsgrundlage betrifft – später als Regierung nicht entsprechend gehandelt. Insbesondere werden entgegen der damaligen Forderung der SPD die Einkunftsarten bis heute nicht gleichbehandelt, und die Steuervergünstigungen sind bis heute nicht weitgehend
Minister F.J. Strauß und Karl Schiller („Plisch und Plum“) – Vorbild für die große Koalition 2005 ff.?
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abgebaut worden. Die CDU/CSU müsste nur ihr Konzept 21 („ein modernes Steuerrecht für Deutschland“; Bundestags-Drucksache 15/2745 v. 23.3.2004; dazu hier S. 189) wieder hervorholen. Bei einem Vergleich der drei erwähnten Papiere ergibt sich: CDU/CSU und SPD verbindet einkommensteuerrechtspolitisch viel mehr als sie trennt. Finanzminister Steinbrück hat zutreffend festgestellt: „Die große Koalition ist die Chance, ohne Blockaden und parteipolitische Pepita in vier Jahren Deutschland nach vorn zu bringen. Vielleicht kann sie auch am ehesten einen Politikstil entfalten, der Vertrauen weckt.“ (Rede v. 10.1.2006). Beim Abbau der Steuervergünstigungen wird auch eine große Koalition nur Erfolg haben, wenn sie ohne Rücksicht auf die jeweilige Wählerklientel nach einem sachlichen Maßstab vorgeht und nicht nach der Maxime: „Belässt du meiner Klientel die Vergünstigung X, belasse ich deiner Klientel die Vergünstigung Y.“ Oder: „Bist du einverstanden, dass ich meiner Klientel das Wahlgeschenk X mache, bin ich damit einverstanden, dass du deiner Klientel das Wahlgeschenk Y machst.“ Solche Kompromisse sind in der Tat rechtlich faul. In den hier erörterten Entwürfen fehlen eine Auflistung aller Steuervergünstigungen und eine individuelle Rechtfertigung ihrer Abschaffung. Zur Rechtfertigung ihrer Abschaffung sollte man auch die Argumente von P. Kirchhof bedenken. Die These, dass jeglicher Vergünstigungsabbau der Tarifsenkung zugute kommen müsse, müsste wohl aufgegeben werden. Ein Vergünstigungsabbau „nur zum Stopfen von Haushaltslöchern“ ist rechtlich durchaus erlaubt. Steuervergünstigungen, die (einstweilen) nicht abgeschafft werden, sollten in einem besonderen Gesetzesabschnitt untergebracht, dadurch sozusagen auf den Index gesetzt werden. Am Nettoprinzip sollte sich auch eine in Haushaltsnöten befindliche große Koalition nicht vergreifen. Sie würde sich damit an der Verfassung vergehen. Das gilt auch für die Pendlerpauschale (s. S. 152 ff.). Sollte die CDU/CSU/SPD-Koalition Haushaltskonsolidierung mit rechtlich beliebigen steuerlichen Mitteln betreiben, so wäre erneut eine Chance zu einer Steuerrechtsreform vertan. Da es für eine Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte hinreichende Rechtfertigungsgründe gibt, sollten die Koalitionsparteien sich auf eine solche Abgeltungssteuer einigen können. Parteien pflegen Leitsätze zu entwerfen; sie haben aber in aller Regel nicht das Personal, das dazu geeignet wäre, in systematischer Weise Gesetze zu formulieren. Auch die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums hat sich bisher in dieser Hinsicht nicht „mit Ruhm bekleckert“. 178
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Ein Entwurf, der diese Arbeit leisten will, ist der EinkommensteuerGesetzentwurf der „Stiftung Marktwirtschaft“ (Leitung: Joachim Lang). Ein Entwurf, der für sich in Anspruch nimmt, „überparteilich“ zu sein, sollte das dadurch unterstreichen, dass er unterschiedliche vertretbare Lösungen nebeneinander stellt und es dem Gesetzgeber überlässt, welche vertretbare Lösung er bevorzugt (s. schon S. 163). Beispiel: Ob Ausbildungskosten Erwerbsausgaben (Werbungskosten) sind, ist umstritten. Es genügt nicht, dass ein Entwurf die Ausbildungskosten ohne Begründung als Erwerbsausgaben aufnimmt oder nicht aufnimmt. Bekannte Steuerpolitiker wie H. Eichel, F. Merz, H. O. Solms, Chr. Scheel sind auch im neuen Bundestag vertreten, auch zwischen ihnen sollte eine Einigung über die Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage hergestellt werden können. Erheblich schwieriger dürfte eine Einigung im Bereich der Unternehmensbesteuerung und der Kommunalsteuern werden. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung gibt es besonders viele Spielräume des (noch) Vertretbaren. Die Kommunalverbände sind bis heute über Kämmererdenken nicht hinausgekommen. Die den Gleichheitssatz verletzende Gewerbesteuer ist bis heute ihre fixe Idee geblieben. Daher bekämpfen sie das Konzept der Kommission „Stiftung Marktwirtschaft“. Auch Steuervereinfachung war nie ein Anliegen der Kommunen. Mit dem komplizierten Mix aus Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer müssen sich die Finanzbehörden abplagen, nicht die Kommunen. Auch der Entwurf der „Stiftung Marktwirtschaft“ wird – wenn überhaupt – sicher nicht eins zu eins im Bundesgesetzblatt erscheinen. Der Erfolg setzt voraus, dass sich eine einflussreiche, über Parteigrenzen Vertrauen genießende, glaubwürdige, kompetente Vorbildperson findet, die die Reform energisch vorantreiben kann. Gibt es sie? Die Verfasser eines privaten Entwurfs (die auch nicht Abgeordnete sind) können kein Gesetz einbringen. Dafür sind sie auf die Bundesregierung und zunächst auf den Finanzminister als Mitglied der Bundesregierung angewiesen. Schon wenn der Finanzminister nicht mitzieht, hängt der private Entwurf steuerpolitisch in der Luft. Ein Finanzminister könnte alle Entwürfe von seinen Fiskalisten „totrechnen“ lassen. Wenn er aber meinte, die Entwürfe damit als untauglich entwertet zu haben, hätte er den Wert einer Rechtsreform der Steuerbemessungsgrundlage nicht verstanden. P. Kirchhof wusste um die Abhängigkeit vom Finanzminister und war daher bestrebt, als Finanzminister in eigener Person seinen eigenen Entwurf von der Regierung einbringen zu lassen. Das wäre ein Novum in der Geschichte der Steuergesetzgebung gewesen: ein Finanzminister, der die Steuergesetze selbst entwirft und formuliert und über das Ka179
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binett in das Gesetzgebungsverfahren einbringt. Das Vorhaben P. Kirchhofs ist bekanntlich bereits am Wahlergebnis gescheitert. Sein Vorhaben hätte m.E. aber auch deshalb nicht voll gelingen können, weil wir – glücklicherweise – in einer pluralistischen Gesellschaft leben. Der Entwurf einer selbstbewussten, vielleicht sogar sendungsbewussten Einzelperson mit unerschütterlicher Prinzipienfestigkeit kann einer pluralistischen Gesellschaft nicht gerecht werden, schon gar nicht von A bis Z. Auch einer großen Koalition wird eine Reform nicht gelingen, wenn sie den Reformgesetzentwurf erst in der 2. Hälfte der Legislaturperiode einbringt, weil dann schon der nächste Wahlkampf beginnt, in dem die Koalitionsparteien wieder auf sich gestellt sind. Noch ist der Entwurf der „Stiftung Marktwirtschaft“ nicht fertig. Er müsste auch alle noch existierenden Vergünstigungen auflisten, ferner alle vorgeschlagenen Vereinfachungen, aber auch alle Erschwerungen. Dem Gelingen einer Steuerrechtsreform könnte es entgegenkommen, wenn die große Koalition in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt würde. Ausgeschlossen ist das nicht.
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J. Über die „große Koalition“ hinausgedacht Da nicht damit gerechnet werden kann, dass die große Koalition über eine Legislaturperiode hinaus andauert, müssen auch die Konditionen bedacht werden, die sich dann erneut ergeben, wenn der Regierung wieder eine etwa gleich starke Opposition gegenübersteht. (1) Bisher haben die politischen Parteien – die Regierungs- und die Oppositionsparteien – sich gegenseitig zu oft blockiert. Sie stecken in einem Dilemma: Die Durchsetzungsmacht setzt gewonnene Wahlen voraus.213 Das führt zu dem Versuch, Wählerstimmen zu maximieren. Fast alles, was in einer Legislaturperiode geschieht, ist auf die nächste Wahl ausgerichtet, in der 2. Hälfte der Legislaturperiode allemal. Stimmen gewinnt man erfahrungsgemäß aber nicht durch die Darstellung dessen, was notwendig ist, sondern indem man sagt, was die Mehrheit vermeintlich hören möchte. Politiker, die sich mit mächtigen Interessenverbänden anlegen, verlieren erfahrungsgemäß Stimmen. Politiker, die verwöhnten Wählern etwas zumuten, auch. Daher ist es nicht unverständlich, dass Politiker sich schwer tun mit der Abschaffung von Steuervergünstigungen und sonstigen Subventionen, die ihre Klientel treffen würde. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn Politiker erkennen würden: Stimmenmaximierung und Gemeinwohlorientierung, oder konkreter: Wählerorientierte Politik und Steuerrechtspolitik sind zweierlei, können jedenfalls beträchtlich auseinanderfallen. Offenbar erkennen auch mehr und mehr Steuerpolitiker, dass es für das Gemeinwohl besser wäre, wenn die Abschaffung von Steuervergünstigungen nicht die Ausnahme, sondern die Regel wäre. Aber auch diese Erkenntnis muss erst einmal umgesetzt werden. Die Lobbyisten leben noch. (2) Eine pluralistisch verfasste Gesellschaft braucht Parteien, die den pluralistischen, ja den diffusen Wählerwillen strukturieren. Zur Demokratie gehören auch Oppositionsparteien, die die Regierung kontrollieren und kritisieren sollen (damit Macht nicht missbraucht wird), die aber auch Alternativen aufzeigen sollten. Da sowohl Regierungs- als auch Oppositionsparteien nur ein Ziel haben: selbst die Regierung zu stellen, kommt es zum nur zu oft unfairen Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen. Dieser Wettbewerb nun kann konfrontativ, polarisierend, aggressiv oder sachlich veranstaltet werden, unfair oder fair. In der allgemein bekannten Wirklichkeit wird vorwiegend schwarz-weiß gemalt. Das Steuermodell der Regierung ist – so die Opposition – ein Abkassier- oder Abzockermodell, eine Mogelpackung. 181
Über die „große Koalition“ hinausgedacht
In der Steuerreform-Abschlussdebatte des Deutschen Bundestages v. 22.6.1988 nannte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU (Regierungsparteien) die Steuerreform ein „kühnes und sozial ausgewogenes Werk“, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion hingegen bewertete sie als ein „Stück aus dem Tollhaus, ein Machwerk voller Ungerechtigkeiten, der brutalen Umverteilung von unten nach oben“ (s. schon S. 41). Als die SPD die Besteuerung der Zinsen effizient kontrolliert wissen wollte, sprachen CDU/CSU-Politiker von „Neidsteuer aus der sozialistischen Folterwerkstatt“ und vom Vorhaben „unerträglicher Kontenschnüffelei“. Die „Kontenschnüffelei“, wir haben sie jetzt (s. §§ 93 Abs. 7, 8; 93 b AO), und CDU und CSU haben sie nicht verhindert. Bevor eine Partei darstellt, was sie selbst für reformbedürftig hält und reformiert wissen möchte, pflegt sie zunächst die Gegenseite anzuschwärzen. So beginnt der bereits oben erwähnte Antrag der SPD-Opposition v. 6.2.1996 so: „Tragende Grundsätze der Einkommensbesteuerung sind durch eine Vielzahl steuerpolitischer Entscheidungen in den letzten Jahren schwerwiegend verletzt worden … Insbesondere unter Bundesfinanzminister Dr. Theodor Waigel ist das Einkommensteuerrecht geradezu verwüstet worden.“214 Der ähnliche Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 27.2.1996 wird mit der Feststellung eingeleitet: „Die Ergebnisse des Jahressteuergesetzes 1996 zeigen, dass die Bundesregierung nicht in der Lage ist, eine umfassende Reform der Einkommensbesteuerung zu verwirklichen.“215 J. Poß (Steuerpolitiker der SPD) trug 1990 auf einer Fachtagung vor: „Es hat keine Phase in der deutschen Steuergesetzgebung gegeben, in der das Steuerrecht so verkompliziert wurde, wie in den letzten beiden Jahren … Der Steuerdschungel ist nach der Reform dichter als je zuvor.“216 Im erwähnten CSU-Konzept 21 heißt es: „Es hat sich gezeigt, dass von der gegenwärtigen Bundesregierung kein vernünftiger Vorschlag für ein zukunftsfähiges Steuersystem mehr zu erwarten ist – sie verliert sich im ‚Klein-klein‘“ (S. 12). In der Tat kann man fragen, warum die SPD und die Grünen ihre Anträge an den Bundestag von 1996217 als Regierungsparteien nicht selbst verwirklicht haben. Im Antrag von CDU/ CSU v. 23.3.2004218 wird bemängelt, dass die Bundesregierung kein Reformkonzept vorgelegt habe. Gemeint ist wohl: nicht das Reformkonzept der Opposition vorgelegt und umgesetzt habe. Aber wann haben denn die Unionsparteien CDU/CSU ein Steuerreformkonzept der Opposition umgesetzt? Lässt die Opposition eine Reform mit ihrer Mehrheit im Bundesrat scheitern, so wirft sie der Regierung vor, reformunfähig zu sein.219 Im 182
Über die „große Koalition“ hinausgedacht
Programm von Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 1998 („Grün ist der Wechsel“) heißt es: „Die ‚große Steuerreform‘ der Bundesregierung war ein Flop. Ein nur halbherziger Abbau von Steuervergünstigungen, noch mehr Profit für Besserverdienende und eine Nettoentlastungslüge von 40 Mrd. DM, das war das Konzept der Bundesregierung. Diese ‚Reform‘ haben wir zu Recht gemeinsam mit der SPD im Bundesrat verhindert.“ In Wirklichkeit messen die Parteien, wenn sie sich abqualifizieren, mit zweierlei Maß. Sie legen an den Gegner ein anderes Maß an als an sich selbst und rechnen mit der Vergesslichkeit der Wähler. Zur systematischen „Verwüstung“, zur Steuer-Deform haben alle Parteien beigetragen.220 Und alle Parteien machen offenbar eine Metamorphose durch, wenn sie von der Regierung in die Opposition gelangen, oder umgekehrt. Regierungsverantwortung zu tragen oder der Regierung möglichst zu opponieren, ist parteipolitisch ersichtlich zweierlei. Das Dilemma besteht offenbar darin, dass das Sammeln von Wählerstimmen zum Wohl der Partei geschieht, das Gemeinwohl aber oft etwas anderes verlangen würde. Wird aber aus Parteiraison obstruiert oder blockiert, so wird dadurch die parlamentarische Demokratie in Verruf gebracht und ein Anti-Parteienaffekt genährt. Wer die Blockade-Herrschaft der Parteien für ineffizient hält, muss deshalb nicht harmoniesüchtig sein. Da die Politiker innerhalb des bestehenden politischen Systems nicht unnatürlich agieren, wenn sie hauptsächlich die Wirkung auf den Wähler bedenken, sind Vorschläge gemacht worden, die die Politiker aus den bestehenden Zwängen befreien sollen. Der Nobelpreisträger F. A. v. Hayek wollte das Gesetzgebungsverfahren, wie es die Verfassungen parlamentarischer Demokratien gegenwärtig vorsehen, geändert sehen.221 Der amerikanische Politikwissenschaftler J. Witte wollte den amerikanischen Kongress in Steuersachen ausgeschaltet wissen.222 Die Amerikaner G. Brennan und J. M. Buchanan – Buchanan ist ebenfalls Nobelpreisträger – möchten den Entscheidungsspielraum des Parlaments in Steuersachen durch besondere Verfassungsvorschriften regulieren und limitieren.223 Da diese Vorschläge sich in absehbarer Zeit mit Sicherheit nicht durchsetzen werden, gehe ich auf sie nicht ein. Hätte unser Parlament erst heute über die Einführung eines Verfassungsgerichts zu beschließen: Wir würden möglicherweise keines bekommen. Und dass wir – entsprechend einem Vorschlag P. Kirchhofs224 – demnächst einen „Rat für Gesetzeskultur“ bekommen werden, ist ebenfalls nicht anzunehmen. Auch eine Bündelung des Rhythmus der Landtagswahlen 183
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und eine Zusammenführung von Entscheidungsbefugnis und Finanzverantwortung werden schwer zu erreichen sein. Ob überhaupt Reformen der Parteiendemokratie, auch des Wahlrechts, möglich wären und nützlich sein könnten, mögen Politikwissenschaftler beurteilen.225 Soll eine Steuerrechtsreform von einiger Dauer gelingen, müssten die Parteien ihren Konfrontationskurs, ihr steueragitatorisches Befehden aufgeben. Sie könnten sich – auch ohne formell eine große Koalition einzugehen – gegenseitig zur Sachlichkeit verpflichten. Dieser Meinung war 1986 auch schon der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD W. Roth. Er meinte, die Einkommensteuerreform müsse „aus der parteipolitischen Totalkonkurrenz“ heraus. Sie könne von den Parteien nur gemeinsam realisiert werden. Jede Partei müsse auf ihre „teils schon töricht wirkenden Exzesschen“ verzichten; dann gehe es.226 Auch andere verlangen „geistige Flurbereinigung zwischen den Parteien“, 227 „überparteilichen Konsens“, 228 „überparteiliche Verständigung“, eine „Koalition der Vernunft“, 229 eine de facto-Koalition sozusagen. Nur wenn die Parteien sich fair gegeneinander verhalten, die Opposition sich auch nicht ohne sachlichen Grund hinter die vom Vergünstigungsabbau Betroffenen stellt, können die Parteien sich aus der Gefangenschaft der Interessenverbände und eigennützig denkender Wähler befreien. Zugegeben, ein solcher Gedanke des Umgangs der Parteien miteinander ist sehr gewöhnungsbedürftig. Eine Opposition will opponieren und nicht der Regierung hinterherlaufen. Sie sollte aber auch nicht Opposition mit beliebigen Mitteln und um jeden Preis treiben. Obwohl US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren seine ganze political magic für die Reform einsetzte, musste mehrfach mit dem Scheitern der Reform gerechnet werden. Zustande gekommen ist sie nur, weil der Republikaner Ronald Reagan und der demokratische Vorsitzende des Ways and Means Committee Dan Rostenkowski beschlossen hatten, zu kooperieren. Ein Oskar Lafontaine hätte vielleicht anders agiert. Die Federal Tax Reform, die US-Präsident G. W. Bush plant, wird seit Beginn des Jahres 2005 vorbereitet von einem bipartisan Advisory Panel (www.taxreformpanel.gov). Es wäre wohl auch ein Fortschritt, wenn der Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen reguliert würde. Jeder Wettbewerb kennt Regeln, die die Wettbewerber einzuhalten haben, und einen Unparteiischen. Weder im Sport, noch in der Wirtschaft, noch in den Medien, noch in der Politik darf jedes Mittel recht sein. Es muss oder müsste Regeln der Fairness geben. Der politische Wettbewerb kennt leider keine solchen Regeln, auch keine überparteiliche Selbstkontrolle. So ist es nicht passend, den Wahlkampf als „Wortkampfsport“ zu bezeichnen (der Sport kennt Regeln, die Schlammschlacht nicht). Auch wenn man keinen 184
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rüpellosen Umgangston einführen könnte: Die Regeln müssten z. B. bestimmen: – Den Wählern darf nicht etwas versprochen werden, was ganz offensichtlich nicht zu halten ist. – Die Wähler dürfen nicht vorsätzlich belogen oder grob fahrlässig fehlinformiert werden. Wenn Prozessordnungen und die Abgabenordnung für Bürger eine „Wahrheitspflicht“ anordnen, so sollte eine solche Pflicht auch für Politiker gegenüber ihren Wählern gelten. Kein Politiker sollte durch Wählertäuschung Stimmen gewinnen dürfen. Was sind Stimmen zugunsten einer Partei ethisch wert, die zwar richtig gezählt wurden, aber auf Grund von evidenter Wählertäuschung zustande gekommen sind. Der Wählerbetrug, den die Parteien sich gegenseitig nicht selten vorwerfen, ist nicht weniger verwerflich als der Wahlbetrug durch Manipulation des Wahlergebnisses bei der Stimmenzählung. – Eine Partei, die von der Opposition in die Regierung gelangt, oder umgekehrt, darf nicht deshalb ihre politische Einstellung ändern. Zu dem, was eine Partei in der Opposition gefordert hat, sollte sie auch als Regierung stehen, es sei denn, dass eine Koalition das nicht zulässt. Was eine Partei als Regierung abgelehnt hat, sollte sie in der Opposition auch nicht von der Nachfolge-Regierung verlangen. – Für Regierung und Opposition sollte ein Verhalten frei nach der Goldenen Regel oder dem Kant’schen Kategorischen Imperativ wie folgt maßstäblich sein: „Du, Regierung, behandle die Opposition so, wie du behandelt werden möchtest, wenn du einmal wieder in der Regierung bist. Und du, Opposition, behandle die Regierung so, wie du behandelt werden möchtest, wenn du wieder die Regierung stellst.“ – Da Abgeordnete nach der Verfassung Vertreter des ganzen Volkes sein müssen, nicht Vertreter von Interessenverbänden oder von Wirtschaftsunternehmen, müssen die Wähler kontrollieren können, ob das Abgeordnetenmandat für Lobbyzwecke missbraucht wird. Eine unter Geheimnisschutz gestellte unkontrollierte Meldung von Nebeneinkünften an den Parlamentspräsidenten ist eine Farce. Solange die Abgeordneten eine Kontrolle nicht dulden, muss man befürchten, dass die Lobbytätigkeit von Abgeordneten eher die Regel als die Ausnahme ist, dass zu viele Abgeordnete eher von der Politik als für die Politik leben. Kein Unternehmen verteilt uneigennützig „milde Gaben“ an Abgeordnete. Immer wird eine Gegenleistung erwartet. Wenn es keine Arbeitsleistung (Scheinarbeitsverträge dürften ebenso wenig wie im Steuerrecht akzeptiert werden) ist, besteht jedenfalls die Erwartung: „Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing.“ Die Abgeordneten sollen sich 185
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aber für das Gemeinwohl einsetzen, nicht für Spezialinteressen. Aus von Unternehmen bezahlten Abgeordneten werden von Spezialinteressenten abhängige Abgeordnete. Mit ihnen lässt sich der Gleichheitssatz schwerlich durchsetzen. Der Fraktionszwang mag insoweit ein gewisses Gegengewicht darstellen. Auch sollte der Vorschlag überdacht werden, in der Gesetzesbegründung sollten Gesetzesvorschriften oder -passagen, die auf das Wirken von Interessenverbänden zurückgehen, bezeichnet werden. Die einschlägigen Eingaben von Interessenverbänden sollten zur öffentlichen Einsicht freigegeben werden. Die sogenannte „Rasenmähermethode“ beim Abbau von Steuervergünstigungen beruht auf der Kapitulation vor den Interessenverbänden und vor betroffenen Wählergruppen. Gerade eine große Koalition sollte auf die Rasenmähermethode nicht angewiesen sein. Da die Rechtfertigung von Steuervergünstigungen auch eine Rechtsfrage ist, darf sie nicht allein Politikern überlassen werden, es sei denn, sie wären den zu lösenden Rechtsfragen gewachsen. Die Vergangenheit lehrt, dass die Politiker sich dabei leicht überschätzen (s. z. B. S. 38). Wer sich auf Grund seiner Macht fast immer durchsetzt, neigt dazu, Macht mit Kompetenz zu verwechseln. Interessenverbänden, die an bestimmten Vergünstigungen festhalten wollen, könnte aufgegeben werden, die Vergünstigungen zu rechtfertigen; dazu könnten ihnen ein Rechtfertigungsschema vorgegeben werden. Auch Regeln für Ministerialbeamte über den Umgang mit Lobbyisten könnten förderlich sein. Der demokratisch-parlamentarische Modus, nach dem vor dem Wähler Konflikte ausgetragen werden, muss sich ändern, soll man von „politischer Kultur“ sprechen können und soll „politische Kultur“ nicht nur eine rhetorische Vokabel sein. Wird ein fairer Wettbewerb um die Wähler erreicht, gilt nicht mehr „Erst die Partei, dann das Land“, und es brauchen auch keine „mutigen Reformen“, es braucht kein „Mut vor dem Wähler“ mehr eingefordert zu werden. In den USA haben sich unter dem Druck der öffentlichen Meinung die Abgeordneten dazu durchgerungen, Verhaltensvorschriften für Politiker aufzustellen. Was 1958 mit einem einfachen Kodex ethischer Regeln („Zehn Gebote“) begann, ist inzwischen zu einem komplizierten Normengeflecht gediehen – mit einer Vielzahl von Pflichten und noch mehr Ausnahmen. Es ist z. B. detailliert geregelt worden, welche Zuwendungen Politiker von wem unter welchen Umständen annehmen dürfen, wie Wähler zu betreuen sind, welche Interessenverbindungen offen zu legen sind, wie Mandat und Wahlkampftätigkeit zu trennen sind. Verhaltensnormen und Verhaltensrealität scheinen allerdings weit auseinander zu fallen. 186
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(3) Was unsere im Bundestag vertretenen politischen Parteien betrifft, so sind sie mit ihren Einkommensteuer-Reformvorstellungen nicht oder nicht mehr so weit auseinander, wie man auf Grund ihrer Wahlkampfattitüden annehmen könnte. Das ergibt sich aus den erwähnten Parteiprogrammen, Steuerreform-Leitsätzen und -bausteinen der Parteien sowie aus Anträgen von Parteifraktionen an den Bundestag:230 – Alle Parteien halten danach das Einkommensteuergesetz für reformbedürftig. – Alle Parteien sind für ein gerechtes oder gerechteres und für ein einfaches oder einfacheres Einkommensteuergesetz, auch wenn über das Verhältnis von Gerechtigkeit und Einfachheit unterschiedliche Vorstellungen bestehen dürften. – Alle Parteien bekennen sich zum Prinzip gleichmäßiger Besteuerungen nach der Leistungsfähigkeit. – Alle Parteien wollen die Bemessungsgrundlage entsprechend dem Leistungsfähigkeitsprinzip erweitern (evtl. auch beschränken). Nur die FDP spricht sich dafür aus, das zu versteuernde Einkommen durch eine Generalklausel zu erfassen. Alle anderen wollen die zu versteuernden Einkunftsarten enumerieren, dabei die Zahl der Einkunftsarten verringern. Alle Parteien wollen auch Grundstücke und Wertpapiere betreffende Veräußerungsgewinne und Verluste zeitlich unbegrenzt erfassen, soweit die Grundstücke nicht zum Lebensführungsvermögen gehören. Alle Parteien treten für (oder grundsätzlich für) eine Gleichbehandlung der Einkunftsarten ein. – Alle Parteien treten für eine sog. nachgelagerte Besteuerung der Alterseinkünfte ein. – Alle Parteien wollen alle oder alle ungerechtfertigten begünstigenden Steuerbefreiungen und anderen Steuervergünstigungen weitgehend aufheben oder einschränken.231 – Alle Parteien bekennen sich zum objektiven Nettoprinzip (Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten von der Bemessungsgrundlage). Damit sind allerdings nicht im Detail alle Streitfragen über die Abgrenzung der Berufs- und Privatsphäre gelöst. Wie immer man die Abgrenzung regelt: Es wird immer Klärungsbedarf durch die Rechtsprechung verbleiben. – Alle Parteien wollen das Existenzminimum angemessen berücksichtigt wissen. Wegen anderer notwendiger Privatausgaben gibt es im Detail Meinungsverschiedenheiten. SPD und Grüne ziehen das Kindergeld dem Kinderfreibetrag vor.232 Konsequenterweise müsste dann an187
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stelle der Berücksichtigung eines Grundfreibetrages (Existenzminimum) in der Bemessungsgrundlage ein Erwachsenengeld an jeden Steuerpflichtigen gezahlt werden. – Die Grünen möchten in ihrem Programm das Ehegattensplitting durch eine Individualbesteuerung ersetzt wissen. Auch die Individualbesteuerung wäre nicht verfassungswidrig. SPD-Kreise sprechen sich für eine Splitting-Kappung aus.233 Auch die Steuerrechtswissenschaftler werten unterschiedlich. H.-J. Kanzler, ein exzellenter Kenner der Familiensteuerrechtspolitik, nennt die deutsche Zusammenveranlagung mit Splitting im Vergleich zum Ausland „etwas antiquiert“, ein „europäisches Auslaufmodell“. Er spricht sich für die Individualbesteuerung der Ehegatten als Zukunftsmodell aus, die es z. B. auch in Großbritannien, Österreich, Spanien, den skandinavischen Ländern und der Türkei gibt. Allerdings möchte er auch Unterhaltslasten und -bezüge berücksichtigt wissen.233a – Alle Parteien treten für einen begrenzten Abzug gemeinnütziger Spenden von der Bemessungsgrundlage ein, einige nehmen Spenden an Freizeitvereine ausdrücklich aus. – Viele Detailfragen sind damit noch nicht gelöst. Um die Einkünfteermittlung haben die Parteien sich wenig gekümmert, um das Verfahren gleichmäßiger Durchsetzung der Steuergesetze insgesamt auch zu wenig. – Vielleicht sind noch nicht alle Parteien davon überzeugt, dass eine Reform bei der Bemessungsgrundlage und nicht beim Tarif ansetzen muss. Das Bild der Tarifvorstellungen ist noch bunt. Die endgültige Tariflösung setzt die Einigung über die Bemessungsgrundlage voraus. – Alle Parteien treten für eine „verständliche Gesetzessprache“ ein, lassen aber überwiegend offen, für wen die Gesetzessprache verständlich sein soll, auch für Steuerlaien? Am weitesten in die Details gehen die CDU-Leitsätze (Verf. Friedrich Merz), das Konzept 21 der CSU und der Antrag der CDU/CSU-Fraktion v. 23.3.2004 (Bundestags-Drucks. 15/2745). Diese Entwürfe verlassen auch mehrfach die Deckung, die unbestimmte allgemeine Formeln bieten. So heißt es in der Begründung des 4. CDU-Leitsatzes: „Steuervergünstigungen sind bis auf Befreiungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung umfassend abzubauen. Dies betrifft u.a. steuerfreie Abgeordnetenbezüge, Ausgaben der allgemeinen Lebensführung, Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge, Abfindungen, Übergangsgelder, Beihilfen, Geburts- und Heiratsbeihilfen, Bergmannsprämien, Auslandszulagen, Streikgelder u. a. m. Steuervergünstigungen dieser Art gibt es 188
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nicht mehr.“ Diese Passage taucht allerdings im Beschluss des CDUBundesvorstandes v. 3.11.2003 und im CDU/CSU-Antrag (BundestagDrucks. 15/2745) nicht mehr auf. – Die Befreiung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist m. E. keine Steuervergünstigung. Im CSU-Konzept 21 finden wir u. a. folgende Passagen: „Sonder- und Ausnahmeregelungen, die nur bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen oder bestimmte Branchen begünstigen, wie die Ermittlung des Gewinns nach Durchschnittssätzen für die Land- und Forstwirtschaft oder die Tonnagebesteuerung für den Betrieb von deutschen Seeschiffen mit der dazugehörigen Lohnsteuervorschrift soll es nicht mehr geben (S. 45). Die CDU hat inzwischen erklärt, sie wolle an der Tonnagebesteuerung festhalten. „Bewirtungskosten … sind … künftig nicht mehr abzugsfähig“ (S. 47). „Der Sonderausgabenabzug für Steuerberatungskosten, Ausbildungskosten, Schulgeld sowie Steuervergünstigungen für eigene Wohnungen werden aufgehoben. Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen werden nur noch in Fällen der Behinderung sowie bei nicht durch Versicherungsleistungen abgedeckten Krankheitskosten berücksichtigt“ (S. 51). – M. E. ist das teilweise nicht haltbar. Die steuerpolitische Programmatik der Parteien ist überwiegend ideal, mindestens aber weithin vertretbar. Die große Diskrepanz zur realpolitischen Wirklichkeit und zu den verwirrenden real existierenden Steuergesetzen rührt eben daher, dass die Politiker wählerabhängig sind, Gefangene dieser Abhängigkeit mit der Folge, dass sie ihre eigenen steuerpolitischen Postulate nicht erfüllen. Ein Fortschritt wäre es auch, wenn Steuerpolitiker aufhören würden, „Ausnahmevorschriften“ generell als Ausfluss eines hoch differenzierenden Gerechtigkeitsstrebens zu erklären. Die Steuerpolitik kann die vorliegenden Gesetzesentwürfe auch nicht deshalb für total unverwertbar erklären, weil ihre Tarife die Staatseinnahmen gefährden. Nicht nur der Kölner Entwurf (s. Rz. 151), auch der Elicker-Entwurf (§ 12 Rz. 57) und der Kirchhof-Entwurf (S. 49 Rz. 53) binden sich nicht an eine bestimmte Tarifbelastung. Noch nie haben Steuerwissenschaft und Steuerpolitik in einer Weise kooperiert, wie es jetzt zur Vorbereitung eines Steuergesetzbuches geschieht. Vor 20 oder 10 Jahren hätte sich noch niemand vorstellen können, dass Steuerpolitiker (wenn auch nur einzelne) einmal den Ruf von Steuerrechtswissenschaftlern nach einem Steuergesetzbuch erhören könnten. 189
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Es wäre allerdings wohl naiv anzunehmen, die betroffenen Interessenverbände würden alles klaglos hinnehmen. Der Steuerberaterverband könnte sich gegen die Abschaffung des „Maßgeblichkeitsprinzips“ wenden, überhaupt gegen Änderungen bei der Gewinnermittlung. Dass Ministerialbürokratie, Finanzausschuss und Oppositionsparteien einem privaten Reformentwurf nur Beifall spenden würden, ist auch nicht gut vorstellbar. Der Ruf der Steuergesetz-Anwendungspraxis „Schafft einfache Steuergesetze“ ist bisher nicht erhört worden. Gemessen an der Wirklichkeit besteht der Eindruck, Steuerpolitiker hätten verstanden: „Schafft einfach Steuergesetze.“ Die gleichmäßige Durchsetzung unnötig komplizierter Steuergesetze erfordert mehr Personal als die Durchsetzung relativ einfacher Steuergesetze. Die Steuerpolitik schuldet dem Land schon deshalb seit langem eine Reform vor allem der überkomplizierten Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage, weil sie sich das Personal nicht leisten kann oder will, das für eine gleichmäßige Umsetzung der Bemessungsgrundlage benötigt wird. Unnötig komplizierte Gesetze zu schaffen, aber beim Personaleinsatz so zu tun, als hätte man es mit einfachen Gesetzen zu tun – das geht nicht zusammen. Selbst Bundespräsidenten und Bundesverfassungsgerichtspräsidenten haben sich schon herausgefordert gefühlt, den bestehenden Zustand zu beklagen und Reformen anzumahnen. Selbst wenn es unter der großen Koalition gelingen sollte, einen Einkommensteuergesetz-Entwurf einzubringen, der die Bemessungsgrundlage einigermaßen ideal rechtsreformieren würde, so müssten noch Widerstände der Länder und der Interessenverbände überwunden werden. Daher haben wir uns zu fragen, ob nicht die Mitwirkung des Bundesrates an der Steuergesetzgebung (dazu S. 86 f.) eingeschränkt werden müsste. Auch aus den Finanzministerien der Länder kommt Widerstand, der am Hergebrachten, am einmal Erlernten festhalten will. Die Reform müsse „in Schritten vorgenommen werden“, wenden Ländervertreter ein. Aus der „Reform in Schritten“ – zumal ohne Gesamtplan – ist bisher aber noch nie eine Reform geworden, die diesen Namen verdient. Da die Mehrheitsverhältnisse in der parlamentarischen Demokratie dauernd wechseln, ist es überhaupt schwierig, eine Reform von Dauer zu erreichen. Jede neue Regierung ist erfahrungsgemäß darauf aus, durch Gesetzesänderungen ihrer Klientel möglichst entgegenzukommen. Unter US-Präsident Ronald Reagan wurden in den USA viele Vergünstigungen abgeschafft und zwei Tarifstufen eingeführt. Aber längst ist das Gesetz wieder mit Vergünstigungen zugeschüttet worden. Längst 190
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gelten wieder sechs Tarifstufen. Der Endtarif ist von 28 % (bei Reagan) auf 39,6 % (heute) gestiegen. Die Frage, ob denn nach so vielen gescheiterten Reformen in der real existierenden parlamentarischen Demokratie eine an Rechtsprinzipien orientierte, rechtsvereinfachende Steuerreform überhaupt gelingen könne, lässt sich nur so beantworten: Sie kann nicht gelingen, wenn die SpitzenSteuerpolitiker – Reformangst haben, reformunwillig sind oder sich nicht engagiert für die Reform einsetzen, sondern von „Reform der kleinen Schritte“ reden, die in Wirklichkeit aus permanenter Änderei nicht zuletzt zum Zwecke des Stimmenfangs besteht, – nicht erkennen, was sie den Steuerbürgern, Steuerberatern, Steuerbeamten und Steuerrichtern mit ihren prinzipienlosen, überkomplizierten, selbst für Fachleute zum Teil unverständlichen Steuergesetzen antun, – nicht erkennen, dass sie Steuermoral nur erwarten können, wenn sie mit dem guten Beispiel der Besteuerungsmoral vorangehen, nicht erkennen, dass sich an ungerechte Steuergesetze keine gerechten Steuerstrafen knüpfen lassen, – die nicht selbst steuerkompetent sind, sich auch nicht der reichlich vorhandenen Kompetenz bedienen, sondern einen verdienten, aber steuerinkompetenten Parteifunktionär zum parlamentarischen (Reform-)Staatssekretär befördern, – vor jedem größeren Interessenverband einknicken und sich an Steuerprivilegien allenfalls mit der „Rasenmähermethode“ heranwagen, – nicht das Vertrauen einer großen Mehrheit haben, weil sie das Parteiwohl über das Gemeinwohl stellen. Paul Kirchhof hat dem SPIEGEL in einem Interview gesagt: „Wenn wir in den nächsten vier Jahren keine Trendwende zum Besseren zustande bringen, dann werden die Menschen fragen, ob unsere Demokratie noch in der Lage ist zu leisten, was sie leisten soll. Das wäre dramatisch.“ Auch von einer „friedlichen Revolution“ hat P. Kirchhof schon einmal gesprochen, allerdings offen gelassen, was er sich darunter vorstellt.
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K. Über die Durchsetzung der Steuerrechtsordnung mit Hilfe der Gerichte „Die Katze lässt das Mausen nicht.“ Das entspricht ihrer Natur. Und demokratische Politiker werden immer auf Stimmenfang ausgehen. Das entspricht der Natur des Angewiesenseins auf die Ergebnisse demokratischer Wahlen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn dabei nach Regeln fairen Wettbewerbs verfahren wird und wenn die Grenzen beachtet werden, die das Grundgesetz einem Gesetzgeber setzt. Auch die Steuergesetzgebung als geronnene Steuerpolitik wird durch die Grundrechte gebunden (Art. 1 III GG). Nur wenn diese Bindung beachtet wird, kann eine Steuerrechtsordnung entstehen. Über die Einhaltung der Grundrechte wachen die Fachgerichte und auf Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG) der Steuerpflichtigen sowie auf Vorlage der Fachgerichte (Art. 100 I GG) das Bundesverfassungsgericht. Wir sollten uns fragen, ob die Gerichte den ihnen übertragenen Auftrag zur Mitwirkung an der Verwirklichung der Steuerrechtsordnung bereits voll wahrnehmen. Als Realisten sollten wir nach allen negativen Vergangenheitserfahrungen mit Steuerreformversuchen auch jetzt nicht auf das Gelingen einer dauerhaften Steuerrechtsordnung durch Steuerreformen setzen, sondern uns auch fragen, ob unsere Gerichte ihre Möglichkeiten, der Stimmenfang-Gesetzgebung entgegen zu wirken und zur Steuerrechtsordnung beizutragen, ausgeschöpft haben? Gerichte sind Rechtsschutzeinrichtungen. Die Erhebung einer erfolgreichen Klage hängt von der Verletzung des Klägers „in seinen Rechten“ ab (Art. 19 IV GG; § 40 II FGO). Wann aber sind eigene Rechte verletzt? Unbestritten ist, dass mit einer Klage nicht Rechte Dritter oder ein Allgemeininteresse an Steuergerechtigkeit wahrgenommen werden kann. Sogenannte Popularklagen sind unzulässig. Die Gerichte sind nach geltendem Gesetz nicht dazu berufen, die objektive Rechtsordnung zu gewährleisten. Die Angemessenheit dieser Einschränkung sollte überdacht werden. Die Steuerrechtsordnung wird vor allem dadurch verletzt, dass Steuergesetze den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) nicht beachten. Sollte der Gesetzgeber z. B. die Pendlerpauschale streichen, so könnte ein Pendler geltend machen, durch die Streichung werde das Nettoprinzip als Ausfluss des Leistungsfähigkeitsprinzips verletzt. Das wäre eine Rechtsverletzung. 192
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Der Fall könnte ohne Schwierigkeiten dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Der Gleichheitssatz verlangt nach herrschender Meinung grundsätzlich die Gleichbehandlung aller Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes. Aber tatsächlich gibt es zahlreiche Verstöße gegen diesen Grundsatz, ohne dass die Gerichte daran Anstoß genommen hätten. Das gilt auch für die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Arten von Veräußerungseinkünften (s. S. 147). Beispiel: Der Kläger macht geltend, er werde in seinem Recht auf Gleichbehandlung dadurch verletzt, dass das Finanzamt von ihm die Versteuerung des Gewinns aus der Veräußerung eines gewerblichen Grundstücks verlange, während Vermieter den Gewinn aus der Veräußerung eines bisher vermieteten Grundstücks grundsätzlich nicht zu versteuern hätten. Der Kläger begehrt, zwecks Herstellung gleichmäßiger Besteuerung a) so behandelt zu werden wie der Vermieter, b) den Vermieter genauso wie den Gewerbetreibenden zur Versteuerung des Gewinns heranzuziehen. Da zwischen Gewerbetreibenden und Vermietern kein Konkurrenzverhältnis zu bestehen pflegt, entscheidet das Gericht, die Erfassung des Gewinns des Gewerbetreibenden entspreche dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Dass der Vermieter nicht belastet werde, gehe den Gewerbetreibenden nichts an. Eine Gleichbehandlung im Unrecht sei nicht zulässig. Der Gesetzgeber könne auch nicht zwischen Entlastung des Gewerbetreibenden und Erfassung des Gewinns auch bei Vermietern wählen. Wenn so entschieden werden müsste, bliebe es bei der Ungleichbehandlung. Auch mit einer Verfassungsbeschwerde käme der Gewerbetreibende nicht weiter. Eine Gerichtsvorlage (Art. 80 I GG) könnte das Bundesverfassungsgericht an einer Verneinung der Entscheidungserheblichkeit scheitern lassen. Beispiel: a) Der Kläger kann dadurch in seinen Rechten verletzt werden, dass die Gruppe, der er angehört, gleichheitswidrig nicht von einer Vergünstigung erfasst wird. Er könnte z. B. geltend machen, es sei inkonsequent, Nachtarbeitseinkünfte nur dann zu begünstigen, wenn der Nachtarbeiter Arbeitnehmer ist. Auch sei es inkonsequent, anderen Arbeitserschwernissen nicht durch eine Vergünstigung Rechnung zu tragen. b) Wie aber, wenn der Kläger geltend macht, einer bestimmten vom Gesetz begünstigten Gruppe stehe die Vergünstigung nicht zu, da diese sich nicht rechtfertigen lasse. Die Begünstigten selbst werden nicht geltend 193
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machen, dass sie zu Unrecht begünstigt würden; sie wären durch eine unrechtmäßige Begünstigung auch nicht in ihren Rechten verletzt. Nach herrschender Meinung soll die Aufhebung der Begünstigung Dritter nicht verlangt werden können. Anders nur, wenn ein Konkurrenzverhältnis vorliege oder wenn in Betracht komme, dass der Gesetzgeber zwischen Ausdehnung der Vergünstigung und ihrer Abschaffung wählen könne. Paul Kirchhof bemerkt dazu: „Wer einen Teil seines Einkommens … durch Steuervorteile … zu erzielen sucht, … belastet … Dritte – die anderen Steuerzahler, die ihr Steuerprivileg durch Mehrzahlungen ausgleichen müssen, jede steuerliche Begünstigung treibt die Steuerlast für andere in die Höhe …“.234 Wenn sich feststellen ließe, wie hoch der Steuerausfall durch ungerechtfertigte Steuervergünstigungen ist und wenn sich zugleich erhärten ließe, dass Steuerpflichtige, die keine Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen, den Vergünstigungs-Steuerausfall durch höhere Steuern ausgleichen müssen, läge in der Tat in dieser Höherbelastung eine Gleichheitssatzverletzung und folglich eine Rechtsverletzung. Einzelne Vergünstigungen für bestimmte Steuerpflichtige lassen sich auf diese Weise allerdings nicht angreifen. Wer geltend macht, dass die als gemeinnützig geltende Hobby-Fliegerei ihn und unzählige andere durch Lärm belästige, müsste wohl ein Recht auf Freiheit von unnützem (gesundheitsschädlichem) Lärm geltend machen können, ableitbar vielleicht aus Art. 2 GG. Die Finanzämter verfügen bekanntlich nicht über das Personal, das nötig wäre, das übermäßig komplizierte Steuerrecht gleichmäßig anzuwenden. Etwa 50 % der Steuerbescheide sollen falsch sein. Das verletzt den Gleichheitssatz (Art. 3 GG). Wer gegen seinen Steuerbescheid allgemein geltend macht, dass das Personal der Finanzämter für eine gleichmäßige Anwendung des Steuerrechts nicht ausreiche, trägt zwar etwas Richtiges vor. Die herrschende Meinung würde die Annahme einer Rechtsverletzung aber ablehnen. Im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts E 84, 239, 270 f. lässt sie aber eine Ausnahme zu, wenn gesetzliche Regelungen dazu führen, dass ein gleichmäßiger Belastungserfolg prinzipiell verfehlt wird. Wirkt sich eine Regelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand strukturell gegenläufig aus und kann der Besteuerungsanspruch daher weitgehend nicht durchgesetzt werden, so soll die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Norm führen. Gäbe es diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht, hätten Literatur und Fachgerichte offenbar bis heute eine solche Einschränkung nicht zugelassen. Ist der Ausnahmetatbestand, den das Bundesverfassungsgericht 194
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zulässt, aber nicht zu eng? Ob das Vollzugsdefizit auf einem gesetzlichen Strukturmangel beruht oder darauf, dass der Staat zur Umsetzung seiner unnötig komplizierten Steuergesetze nicht genügend Beamte einstellt, wo liegt der Unterschied? Er liegt allein darin, dass die Verfassungswidrigkeit der materiellen Gesetzesnormen dann nicht mehr einige wenige, sondern viele materielle Normen ergreifen würde. Vor diesem Ergebnis schreckt man offenbar zurück. Da indessen das von den Verantwortlichen zur Verfügung gestellte Personal allenfalls für eine gleichmäßige Anwendung relativ einfacher Steuergesetze ausreichen würde, ergibt sich zwangsläufig, dass das vorhandene Personal den Gleichheitssatz bei der Anwendung der übermäßig komplizierten Gesetze seit Jahrzehnten verletzt. Dieser Zustand, sollte die Politik ihn nicht bald ändern, sollte dem Verfassungsgericht wegen evidenter Benachteiligung der Steuerehrlichen unterbreitet werden. Auch der Europäische Gerichtshof kann Beiträge zur Verwirklichung der Steuerrechtsordnung leisten.235 Ständig wird über unbestimmte, unverständliche, daher rechtsstaatswidrige Steuerrechtsvorschriften geklagt. Aber warum haben die Gerichte noch nie eine solche Vorschrift aufgehoben? Zur Vermeidung von Missverständnissen: Die Richtertätigkeit ist vorwiegend prohibitiv, nur in Grenzen konstruktiv. Die Richter können nicht anstelle des Gesetzgebers eine komplette Steuerrechtsordnung schaffen. Das gilt auch für die Richter des Europäischen Gerichtshofs. Wie sehr sie auch die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes forcieren und dadurch die nationalen Gesetzgeber – berechtigt oder unberechtigt – stören: Eine europäische Steuerrechtsordnung wird daraus nicht entstehen können. Auch die kritischen Begleiter der EuGH-Rechtsprechung vermitteln uns kein Konzept einer den unfairen, ruinösen innereuropäischen Steuerwettbewerb beendenden europäischen Steuerrechtsordnung. Zu ihrer Vorbereitung müsste die Wissenschaft mit rechtsvergleichenden Vorarbeiten beginnen. Da niemand alle europäischen Sprachen versteht, sollte die Brüsseler Administration die Rechtsvergleichung durch eine Übersetzung der wichtigsten Steuergesetze erleichtern. Dass Richter ihren Sachverstand außerhalb ihres Berufs auch zum Nutzen der Gesetzgebung einsetzen sollten, versteht sich.
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L. Nachwort Dass private Autoren ohne Auftrag der Regierung oder des Parlaments sechs ausformulierte Gesetzentwürfe vorlegen, dürfte noch in keinem anderen Rechtszweig vorgekommen sein, ist auch im Weltvergleich ein Novum, soweit ich es übersehe. Vier der Entwürfe wären freilich ohne den Anstoß der „Humanistischen Stiftung“ wohl nicht zustande gekommen. Aber eine private Stiftung ist keine Regierung. Ohne Regierungsauftrag war auch schon der englische Sozialphilosoph, Jurist und Gesetzgebungstheoretiker Jeremy Bentham (1748–1832) tätig geworden, wenngleich auch ohne praktischen Erfolg. Seine Vision, die sich als Utopie erwies, war eine weltumfassende Kodifikation des Rechts, ein Pannomion, wie er es bezeichnete. Die Kodifikation sollte in einem radikalen Neubau des Rechts bestehen. Revisionen sollten nur etwa alle 100 Jahre erforderlich werden. Erst in einem Spätwerk sprach J. Bentham sich für eine fortlaufende Perfektionierung des Pannomions aus. 1811 wandte er sich an den US-amerikanischen Präsidenten Madison mit dem Angebot, der amerikanischen Nation einen Rechtskodex zu schenken, bestehend aus einem General Code und Particular Codes. Aus seinem Kodex werde jeder Amerikaner, der lesen könne, in seiner Freizeit mehr Recht lernen können, als zurzeit der schlaueste Advokat darüber wisse. Als die amerikanische Regierung seine Offerte nicht annahm, wandte Bentham sich 1814/15 in Briefen an den russischen Zaren Alexander I, mit dem Angebot, Gesetzbücher für das russische Volk zu entwerfen. Aber auch der Zar verschmähte sein Angebot. Damit das Recht in das Bewusstsein des Volkes aufgenommen werde, verlangte Bentham, über die Gesetze solle in den Schulen unterrichtet werden. Besonders wichtige Vorschriften sollten die Schüler wie einen Katechismus auswendig lernen. Und über das Jahr verteilt sollten einzelne Kapitel im Gottesdienst verlesen werden.236 Ausformulierte Teile der Benthamschen Kodexvorstellungen sind Torsen geblieben, von ihm selbst nur teilweise veröffentlicht. Von den Anwälten seiner Zeit hat J. Bentham offenbar nicht viel gehalten, denn er wollte durch seine Vorschläge erreichen, dass das Volk die Gesetze besser kennen lerne als die Anwälte. Er selbst war als Advokat offenbar gescheitert. Trotz allen Eifers gelang J. Bentham mit seinen Gesetzgebungsvisionen nichts Reales. So verlor er allen Glauben daran, dass Politiker und Beamte wirklich Gesetzesreformen wollen. Gesetzredaktoren, die mit Erfolg im Regierungsauftrag handelten, waren insbesondere die Juraprofessoren Paul J. A. Feuerbach und Eugen 196
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Huber. Feuerbach erarbeitete den Vorentwurf des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813, nachdem zuvor der Entwurf eines anderen Professors verworfen worden war. Aber auch Feuerbachs Entwurf wurde nicht alsbald als Gesetz beschlossen. Vielmehr wurden zur Überprüfung Kommissionen eingesetzt, die 1808 und von 1810 –1812 tagten. Man ließ Feuerbach auch nicht die Gesetzesmotive formulieren; dafür wurden Mitglieder einer Geheimratskommission eingesetzt. Die Motive sollten Kommentare entbehrlich machen. Private Kommentare zum Gesetz wurden sogar verboten.237 Kommentierungsverbote gab es bis 1798 auch in Preußen. Der Schweizer Eugen Huber wird als der maßgebliche Schöpfer des Schweizer Zivilgesetzbuches von 1907 angesehen. Aber auch sein Vorentwurf wurde von Fachgutachtern und Stellungnahmen des Bundesgerichts begleitet und von einer Kommission aus 31 Mitgliedern und jeweils drei Spezialisten für einzelne Entwurfsteile überprüft. Danach erarbeitete eine Redaktionskommission eine Entwurfsfassung, die 1904 der Bundesversammlung vorgelegt wurde. Auf Grund eingehender parlamentarischer Beratungen, insbesondere in den Ausschüssen, kam es zu weiteren Änderungen. Die Endfassung war also nicht mehr allein das Werk E. Hubers. Hubers Vorarbeit blieb aber eine Epoche machende Leistung.238 Erst recht werden Realisten in der Hochzeit des pluralistisch fundierten Parlamentarismus nicht erwarten können, dass der Entwurf eines einzelnen unbesehen und unverändert als Gesetz beschlossen wird. Juristen können die Gesetzestechnik verbessern und Verstöße gegen das Konsequenzgebot und damit gegen den Gleichheitssatz aufdecken. Sie können zeigen, dass nicht alles geht, was den Interessen verfolgenden Gesetzesmachern passt. Sie können aber nicht erwarten, dass der Gesetzgeber den persönlichen Wertungen eines einzelnen oder weniger einzelner durchgehend folgt. Schon in früheren Jahrhunderten war es üblich, bei größeren Reformen des Zivil- und Strafrechts ausländische Gesetzbücher und -entwürfe zum Vergleich heranzuziehen, insbesondere solche aus dem gleichen Kulturkreis. Die erörterten Einkommensteuergesetzentwürfe haben das nicht getan, auch nicht innerhalb des deutschen Steuerrechtskreises, dem V. Thurony239 Deutschland, Österreich, die Schweiz und Luxemburg zuordnet. Dem Vorwurf einer zu engen nationalen Optik ließe sich entgegenhalten, von ausländischen Steuergesetzen könnten wir nichts lernen; die Ausländer möchten von den deutschen Entwürfen lernen. Ein solcher Einwand erschiene mir in seiner Allgemeinheit nicht stichhaltig. Der internationale Rechtsvergleich würde aber zu neuen geistigen Anstrengungen herausfordern. Das Schweizer Gesetz über direkte Steuern 197
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z. B. folgt bewusst nicht der österreichisch-deutschen Markteinkommenstheorie. Großbritannien, Österreich und die skandinavischen Länder veranlagen Ehegatten individuell, kennen kein Ehegattensplitting. Sollte man wirklich stillschweigend darüber hinweggehen? Wer als Privater ein Gesetzbuch entwirft, wird das tun, um zum Nutzen der Allgemeinheit das Recht zu verbessern; aber er wird es wohl auch tun, um sich – wie durch ein Buch – selbst zu verwirklichen. Bücher werden mit dem Namen des Autors versehen, Gesetzbücher aber nicht. Würde heute endlich einmal eine Steuerreform gelingen, so würde sie wahrscheinlich mit dem Namen eines Politikers verbunden, nicht aber mit dem Namen des oder der geistigen Urheber. Und doch, sollte keiner der erörterten Gesetzentwürfe das Bundesgesetzblatt erreichen, oder sollten nur einzelne Paragraphen übernommen werden, so bliebe den Entwurfsverfassern doch ein „süßer Trost“: Sie alle können für sich in Anspruch nehmen, aufbauend auf einem steuerwissenschaftlichen Konzept die Steuerwissenschaft gefördert zu haben. Welcher Zweig der Rechtswissenschaft kann schon eine Dogmatik vorweisen, die zu Gesetzentwürfen (materiellen Rechts) verdichtet worden ist? Dass das im Steuerrecht geschehen ist, ist umso erstaunlicher, als die „Mannschaftsstärke“ der Disziplin „Steuerrechtswissenschaft“ noch immer vergleichsweise kümmerlich ist. Die Zahl der Steuerrechtswissenschaftler steht in keinem auch nur annähernd angemessenen Verhältnis zur Zahl der Steuergesetze und ihrer Paragraphen. An fiskalischen Bedenken bräuchten die Entwürfe nicht zu scheitern. Der Finanzbedarf muss mit Hilfe des Tarifs, darf nicht durch Manipulation der Bemessungsgrundlage befriedigt werden. Eine große Koalition, wie wir sie zurzeit haben, könnte am ehesten eine Steuerrechtsreform verwirklichen. Dass das in dieser Legislaturperiode gelingen könnte, ist aber eher unwahrscheinlich, und die Bedingungen der nächsten Legislaturperiode sind ungewiss. Ein verschobenes Gesetz wäre indessen immerhin besser als ein überhastet zustande gekommenes, daher wiederum unnötig mangelhaftes. In der gewonnenen Zeit könnte über den Gesetzentwurf weiter nachgedacht werden. Jedes neue Gesetz ist zunächst ein unerprobtes Gesetz. Es enthält Probleme, die anfangs nicht sichtbar sind oder übersehen werden; es ist anfangs mehr oder weniger unreif. Lücken, Widersprüche und Überschneidungen würden eher aufgedeckt, wenn schon der Entwurf möglichst detailliert kommentiert würde. Das kann daran scheitern, dass Kommentatoren in der Regel zu Trockenübungen nicht bereit sind. Es könnten aber Doktoranden und Habilitanden sich kritisch mit den 198
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Entwürfen beschäftigen. Überhaupt wäre es vorteilhaft, wenn Entwürfe, die die Chance haben, vom Gesetzgeber in Betracht gezogen werden, einige Jahre zur Kritik freigegeben würden. Zum internationalen Vergleich sollten auch ausländische Gesetze herangezogen werden. Einen weiteren Trost gibt es für Wissenschaftler. Auch wenn die real existierende rechtsstaatlich verankerte Demokratie mit blockierendem Bundesrat und Privilegien durchsetzenden Interessenverbänden zu einer Steuerrechtsreform von Dauer auch künftig nicht fähig sein sollte (wovon man wohl ausgehen muss), auch wenn es in Zukunft keinen Kanzler (keine Kanzlerin) und keinen Finanzminister geben sollte, auch wenn Kanzler, Finanzminister und Parlament sich – mit dem Ergebnis, das wir kennen – auch in Zukunft nur durchmuddeln wollten: Die Verfassung garantiert doch die Meinungsfreiheit, die Freiheit von Forschung und Lehre, die Glaubens- und Gewissensfreiheit240, die Pressefreiheit und die Freizügigkeit. Diese Freiheiten wiegen so schwer, dass man als Wissenschaftler dafür fast jeden anderen Nachteil in Kauf nehmen sollte. Wir können nicht den totalitären Staat wollen, weil er wirkungsvollere Mittel hat, eine dauerhafte Steuerreform durchzusetzen. Ohnehin würde es keine Rechtsreform sein, sondern eine Reform entsprechend der Ideologie der Diktatur. Das heißt nicht, dass das Streben nach einer dauerhaften Steuerrechtsreform aufgegeben werden sollte. Die Freizeit oder Freiheit, die durch die Erledigung der Steuererklärungen verloren geht, ist eine Bagatelle. Die wirklichen Gefahren gehen von religiösen oder politischen Fanatikern aus, die Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit nicht ertragen und terroristische Mittel einsetzen. Eine Kultur der Freiheit und eine Kultur der Unfreiheit können nicht koexistieren. Auch die Unterdrückung der Freiheit und der Gleichberechtigung der Frauen durch eine gewalttätige Männerherrschaft ist gravierend. Permanente Immigration ohne Integration wird dazu führen, dass wir unseren Nachkommen ein völlig verändertes Europa hinterlassen. Verglichen mit den sich daraus ergebenden Folgen dürften selbst die groben Mängel der Steuergesetze relativ unbedeutend sein.
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Nachweise 01 Hall/Rabushka, Flat Tax, 1998, S. 3. 02 H. Helsper, FR 1999, 49. 03 S. auch D. Dziadkowski, „Die ‚Reform‘ in den Jahren 1953–1998 als ‚untaugliche‘ Versuche der Systembereinigung“, in: Festschrift für K. Offerhaus, 1998, S. 1101 ff.; ders., 50 Jahre Steuerreformen in Deutschland, hrsg. von der Akademie für Steuer- und Wirtschaftsrecht des Steuerberater-Verbandes Köln, 2003, S. 5 („Alle Versuche, eine tatsächliche Einkommensteuerreform vorzunehmen, sind gescheitert“); B. Knobbe-Keuk, Zum Verfall der Steuergesetzgebung, BB 1988, 1086 ff.; J. Thiel, … Steuergesetzgebung in Deutschland, StuW 2005, 347 ff. 04 B. Knobbe-Keuk, BB 1988, 1087 li. Sp. 05 Dazu Tipke/Kruse, Komm. zur AO/FGO (Loseblatt), § 85 Tz. 14 ff. 06 Dazu R. Seer, StuW 2003, 58. 07 K. Tipke, Besteuerungsmoral und Steuermoral, 2000, S. 58 ff. 08 BT-Verhandlungen I/5 v. 20.9.1949, S. 25 D. 09 Wiss. Beirat beim BMF v. 14.2.1953, Bericht über eine „Organische Steuerreform“, BMF (Hrsg.) 1953; Inst. FuSt, Grundlagen und Möglichkeiten einer organischen Finanz- und Steuerreform, Schriftenreihe Inst. Heft 30, 1954/55; s. auch H. Troeger (Hrsg.), Diskussionsbeiträge des 1951 vom Bundesrat eingesetzten Arbeitsausschusses für die große Steuerreform. Ein Bericht an den Finanzausschuss des Bundesrates, 1954. 10 Wiss. Beirat (Fußn. 9), S. 14 f. 11 Ges. zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung v. 24.6.1953, BGBl. I, 413, BStBl. I, 192 (sog. „Kleine Steuerreform“). 12 Ges. zur Neuordnung von Steuern v. 16.12.1954, BGBl. I, 373, BStBl. I, 575. 13 Die Regierung bezeichnete die Änderungen von 1953–1955 allerdings als „Teile einer permanenten Steuerreform“ (s. W. Mersmann, Steuerneuordnung 1954, DStZA 1954, 373, 374; dazu auch G. Schmölders, Permanente Steuerreform, StuW 1971, 37 ff. – Alle Änderungen sind der Zeitfolge nach aufgelistet von W. Krüer-Buchholz, Steuerpolitik und Steuerreform in der BR Deutschland …, Bremer Diss. rer. pol. 1975, publ. München 1982, S. 345–351). 14 Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht, BMF-Schriftenreihe Heft 7, 1964. 15 Näher zur Entwicklung in den 1950er und 1960er Jahren: J. Muscheid, Die Steuerpolitik in der BR Deutschland 1949–1982, 1986, S. 32 ff., 57 ff.; W. Krüer-Buchholz (Fußn. 13), S. 65–162; D. Dziadkowski, in: Festschrift
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Nachweise
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für K. Offerhaus, 1999, S. 1096 ff.; ders., in: 50 Jahre Steuerreformen … (Fußn. 3), S. 22 ff. – Chronologische Auflistung der einschlägigen Daten in: BMF, Schriftenreihe zur Finanzgeschichte Bd. 2 (1945–1969), 1993. Ausführlich dazu J. Muscheid (Fußn. 15); 131 ff.; W. Krüer-Buchholz (Fußn. 13). (Es handelt sich nicht um juristische Arbeiten; der Rechtsgedanke der Besteuerung wird vernachlässigt). Mitglieder der Kommission waren R. Eberhardt, MdL, bayr. Finanzminister a.D.; H. Troeger, Staatsminister a. D., Mitglied des Vorstandes der Bayr. Vereinsbank; H. Fredersdorf, Bundesvorsitzender des Bundes Dt. Steuerbeamter; F. Hörstmann, Präsident der Bundessteuerberaterkammer; W. Köppen, StB; K. Kuhn, Vorstandsmitglied der Thyssen Handelsunion AG; P. Mertens, em. Hauptgeschäftsführer der AGem. Selbst. Unternehmer; K.-H. Mittelsteiner, 1. Vizepräs. der Bundeskammer der StBev.; V. Muthesius, Präsident des Bundes der Steuerzahler; H. Pagenkopf, em. Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Inst. „Finanzen und Steuern“; M. Schäfer, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landw. des Saarlandes; R. Wiethüchter, 1. Bundesvorsitzender des Bundes der Dt. Zollbeamten; G. Wöhe, Ordinarius für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre; G. Zeitel, Ordinarius für Volkswirtschaftslehre. A. Möller renommierte damit, dass der Ministereid (die Übernahme des Finanzministeriums) ihn mindestens ein Drittel seines bisherigen Einkommens gekostet habe und dass er die Abfassung eines Buches mit dem Arbeitstitel „Genosse Generaldirektor“ und eines Romans „Der gläserne Zug“ habe aufschieben müssen (DER SPIEGEL Nr. 42/1969). G. Gaus berichtet, A. Möller habe gern gezeigt, wie weit er es gebracht habe (G. Gaus, Widersprüche, 2004, S. 294). Schriftenreihe des BMF Heft 17, 1971. Erste einschlägige Beiträge: K. Tipke, Steuerrecht-Chaos, Konglomerat oder System?, StuW 1971, 2 ff.; ders., Die Steuergesetzgebung der BR Deutschland aus Sicht des Steuerrechtswissenschaftlers – Kritik und Verbesserungsvorschläge, StuW 1976, 293 ff.; dazu Korreferate von R. Kreile, StuW 1977, 1 ff., und von A. Uelner, DStR 1977, 119 ff. Bulletin der Bundesregierung Nr. 132 v. 29.10.1969, S. 1122, 1123. H. Haller, Die Steuern, Grundlinien eines rationalen Systems öffentlicher Abgaben, 1. Aufl., 1964; 2. Aufl., 1971; 3. Aufl., 1981. W. Krüer-Buchholz (Fußn. 13), S. 289, nennt das Gutachten das wichtigste, umfangreichste, aber im parlamentarischen Raum durch veränderte Koalitionsverhältnisse wirkungsloseste. Zitiert nach G. Felix, Neujahrsrundschreiben Ende 1978. Zitiert nach DER SPIEGEL Nr. 51/1972, S. 28. BT-Drucks. 7/1470 (3. Steuerreformgesetz). DER SPIEGEL Nr. 27/1974, S. 38. BGBl. I 1974, 1769; BStBl. I 1974, 530.
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Nachweise 29 Dazu D. Fricke, StuW 1977, 243 ff. (behandelt insbesondere Umfang und Verteilung der „heimlichen Steuererhöhungen von 1965–1974“ und die dadurch ausgelösten Mehrbelastungen). 30 Kritisch zum Reformergebnis auch D. Dziadkowski, StuW 1974, 289 ff., sowie – umfassend und ausführlich J. Lang, Das Einkommensteuergesetz 1975 – Gewinn an Steuergerechtigkeit und Steuervereinfachung?, StuW 1974, 293-318. 31 Zitiert nach G. Felix (s. Fußn. 24). 32 L. Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 1994, S. 1168 (Stichwort „Pferd“). 33 DER SPIEGEL Nr. 6/1975. 34 Deutsche Steuer-Gewerkschaft 1977, S. 131. 35 BT-Drucks. 8/1206 v. 21.11.1977. 36 Ausführlich dazu M. Findling, Die Politische Ökonomie der Steuerreform. Eine Untersuchung der politischen Grenzen von Steuerreformen unter besonderer Berücksichtigung der Steuerreform 1990, Essener Diss. rer. pol. 1992, veröffentlicht 1995. 37 K. Faltlhauser in: ders. (Hrsg.), Steuerstrategie, 1988, S. 8. Eine Zeittafel des Reformprozesses findet sich bei M. Findling (Fußn. 36), S. 222 ff. 38 Dazu K. Tipke, Einkommensteuer – Fundamentalreform – zum Vorbild des amerikanischen Reformverfahrens, StuW 1986, 150 ff.; M. Zöller, Eine plebiszitäre Zange, FAZ v. 13.12.1986 (Nr. 289), S. 15; DER SPIEGEL Nr. 38/1986, S. 19 ff. 39 B. Knobbe-Keuk, BB 1988, 1087 li. Sp. 40 Ende der 1980er Jahre plante die christlich-liberale Koalition im Rahmen der „Steuerreform“, die Mineralölsteuer zu erhöhen, davon aber – auf Drängen des bayr. Ministerpräsidenten und Privatfliegers F. J. Strauß – Flugbenzin auch für Privatflugzeuge auszunehmen. Während das Öl zum Heizen privater Wohnungen besteuert wird, sollten die „Hobbyflieger“ (F. J. Strauß: „eine mikroskopisch kleine Zahl“) begünstigt werden (dazu K. Tipke, StuW 1988, 277). 41 Dazu K. Tipke in: Tipke/Kruse, Komm. zur AO/FGO, Loseblatt, Lfg. 104 (2004), § 52 AO Tz. 32–44. 42 K. Faltlhauser (Hrsg.), Steuerstrategie, 1988, S. 15 f. 43 Ges. v. 25.7.1988, BGBl. I, 1093. Dazu die Materialien BT-Drucks. 11/2157, 11/2226, 11/2299, 11/2529, 11/2536. 44 Handelsblatt v. 24./25.6.1988, S. 5. 45 Das Gutachten der Kommission zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze von 1991 (BMF-Schriftenreihe Heft 46, Dez. 1991) übergehe ich. Es hat seinen Schwerpunkt im Unternehmenssteuerrecht und wenig Beachtung gefunden. 46 BVerfG 87, 153, 169 ff.
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Nachweise 47 BMF-Schriftenreihe Heft 55, 1995. 48 DIE ZEIT v. 13.1.1995, S. 14. Zu den Gründen der Ablehnung der Vorschläge der Bareis-Kommission auch St. Ganghof, Wer regiert in der Steuerpolitik?, 2004, S. 86 f. 49 G. Uldall, Die Steuerwende. Eine neue Einkommensteuer. Einfach und gerecht, 1996. 50 G. Uldall (Fußn. 49), S. 33; s. auch S. 29. 51 Dazu G. Felix, Stbg. 1996, 433, 437 („mutiert zu einer eher rohen Bruttoabgabe“), 438, 439 („für Angehörige der letzten vier Einkunftsarten eine Einnahmen-Einkommensteuer auf Brutto-Basis“). 52 BT-Drucks. 13/3701. 53 Die Begründungen zu diesen Grundsätzen sind hier nicht abgedruckt. 54 BT-Drucks. 13/3874. 55 FDP-Fraktionschef H. O. Solms hatte im April 1996 seinen 3-Stufen-Tarif (15, 25, 36%) vorgestellt. 56 Auf dem CDU-Parteitag in Hannover ließ Bundeskanzler H. Kohl über eine „Jahrhundertreform“ abstimmen. 57 Mitglieder der Kommission wurden überwiegend bekannte Politiker, nämlich Th. Waigel (Vorsitzender), W. Schäuble (CDU), H. O. Solms (FDP), M. Glos (CSU), G. Rexrodt (FDP), E. Huber (CSU), G. Mayer-Vorfelder (CDU), G. Milbradt (CDU), H. Hauser (CSU). Hinzu kamen J. Semmler (Oberstadtdirektor), Prof. G. Krause-Junk (Finanzwissenschaftler), H. Merkert (DIHT-Steuerausschuss), T. Hinterdobler (Handwerkskammer Passau), H. Sebiger (Steuerberater), D. Meyding (OFD-Präsident), E. Geyer (Deutscher Beamtenbund). – Die Steuerrechtswissenschaft war überhaupt nicht, die Finanzwissenschaft einmal vertreten. Ein Steuerrechtssystematiker war nicht in der Kommission. – Dazu Th. Waigel, Die Erarbeitung der Petersberger Vorschläge durch die Steuerreform-Kommission, in: Festschrift für K. Offerhaus, 1999, S. 983 ff. 58 Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1997, S. 25. 59 BT-Drucks. 13/7480 v. 22.4.1997, Art. 1. 60 DIE WOCHE v. 18.4.1997. 61 DIE WOCHE v. 18.4.1997. 62 Zum Waigel-Reformversuch auch A. Raupach, Erfahrungen aus der Steuergesetzgebung für die Steuerreform, StbJb. 1998/99, 7 ff.; D. Dziadkowski, 50 Jahre Reform (Fußn. 3), S. 44 ff.; St. Ganghof (Fußn. 48), S. 88 ff. und allgemein W. Ritter, in: Baron/Handschuh (Hrsg.), Wege aus dem Steuerchaos, 1996, S. 7. 63 NZZ, Int. Ausgabe Nr. 224/1997, S. 9. 64 BGBl. 1998 I, 3779; BStBl. 1999 I, 81. 65 BGBl. 1999 I, 402; BStBl. 1999 I, 304.
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Nachweise 66 Inst. FuSt-Schrift Nr. 406 (2003), S. 18. 67 BGBl. 2003 I, 660; BStBl. 2003 I, 321. 68 In: Raupach/Tipke/Uelner, Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, Münsteraner Symposium Bd. I, 1985, S. 179. 69 In: Raupach/Tipke/Uelner (Fußn. 68), S. 203 – Das Verharmlosen und Bagatellisieren war schon immer ein probates Mittel der Politik. Im 2. Weltkrieg hieß der Rückzug „Frontbegradigung“. – Ganz anders das USamerikanische Treasury Department (s. StuW 1986, 153 f.). 70 Vortrag vor dem XXI. Fachkongress der Steuerberater in Köln, Mitteilungsblatt des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen v. 25.11.1969, 2. Jg., S. 1. Zitiert auch von J. Thiel, StuW 2005, 348. 71 DER SPIEGEL Nr. 38/1986, S. 20. 72 S. StuW 1986, 151 re. Sp. 73 BT-Drucks. 13/3701; 13/3874. 74 J. Poß, in: Baron/Handschuh (Hrsg.), Wege aus dem Steuerchaos, 1996, S. 11, 169; ders., in: Döring/Spahn (Hrsg.), Steuerreform als gesellschaftspolitische Aufgabe der neunziger Jahre, 1991, S. 83. 75 Die genannten Sammlungen und Handbücher erscheinen im Verlag C.H. Beck, München. 75a E. Schutter, in: M. Rose (Hrsg.), Steuern einfacher machen!, S. 57: „In der Praxis spielt die 50 v. H.-Grenze eine gewichtige Rolle. Erreicht ein Finanzamt … eine Fehlerquote von nur 49 v. H. – ein absoluter Ausnahmefall –, so gilt es als ein hervorragend geführtes Amt … Die meisten Finanzämter dagegen produzieren Steuerbescheide mit einer Fehlerquote zum Teil beträchtlich über 50 v. H.“ 76 Die 24 Vorworte zum Einkommensteuer-Kommentar von Ludwig Schmidt (Hrsg.), 1.–24. Auflage, legen beredt Zeugnis davon ab. 77 So z. B. W. Spindler, Stbg. 2006, 1. – Buchtitel wie „Die Optimierung des Gebührenaufkommens“, „Die Optimierung des Honorarumsatzes“, „Gestaltende Steuerberatung“, „Steueroptimal und rechtssicher beraten“; „Strategien für den Beratungserfolg“ täuschen über die Misere hinweg. 78 J. Pinne, Steuerreformen aus der Sicht des steuerberatenden Berufs, in: Festschrift für K. Offerhaus, 1999, S. 1023 f.; ders., Stbg. 2004, 494; s. auch schon R. Hoss, Der steuerberatende Beruf im Dauerstress, Stbg. 1977, 3; s. auch 16. Deutscher Steuerberatertag: Steuerchaos und kein Ende; Stbg. 1993, 533; ferner Stbg. 1994, 10; V. Humeny (Steuerberaterverband Düsseldorf), Stbg. 2006, 154 („Kein Flickwerk in der Steuerpolitik“). – H.G. Senger macht auch Reformvorschläge; er spricht sich gegen Steuervergünstigungen aus (Festschrift für K. Offerhaus, 1999, S. 1035 ff.). 79 Dazu ausführlich R. Seer, FR 1997, 553 ff. 80 StuW 1982, 273 ff. 81 StuW 1982, 277 re. Sp.
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Nachweise 082 083 084 084a 084b 085 086 087
088 089 090 091
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097 098 099 100 101
Handelsblatt v. 2.6.1993, S. 8. Dazu K. Tipke, Besteuerungsmoral und Steuermoral, 2000. J. Lang, StuW 2005, 1. Die Aussage bezieht sich wohl auf absolute Zahlen. In: Gräber, Finanzgerichtsordnung5, Vorb. 1 RNr. 2. Encyclopaedia universalis, Paris 1996, Corpus 6, Stichwort „Code Napoléon“ (S. 38). Die Politikwissenschaftler sprechen von Politokratie, Lobbykratie, Ministerialbürokratie, Expertokratie. Bundesfinanzminister O. Lafontaine hat das zu spüren bekommen und deswegen nach wenigen Monaten resigniert (s. S. 53). Hans Apel gestand in einem SPIEGEL-Gespräch ein, dass er nicht in der Lage sei, seine Steuererklärung selbst „auszufüllen“ (DER SPIEGEL Nr. 38/1986, S. 20). BB 1988, 1087 li. Sp. Kritisch zum „Parlamentarischen Staatssekretär“ H. H. v. Arnim, Das System. Die Machenschaften der Macht, 2001 S. 283 f., 303. Das Große Anekdotenlexikon, hrsg. von D. Kunschmann, S. 340. Bundeskanzler G. Schröder wusste z.B., wie unpopulär seine Agenda 2010 und die mit ihr verbundenen Reformen sein würden. Er hat die Stimmenverluste in Kauf genommen. Selbst wenn er nicht als Reformkanzler in die Geschichte eingehen sollte; er ist seit Ludwig Erhard der erste Kanzler, der mit dem „Weiter so, Deutschland“ gebrochen hat – mit der Folge, dass „Rot/Grün“ nicht allein weiterregieren konnte. Stbg. 1993, 486, 489. Der DIHT schlug schon 1987 vor, alle Subventionen linear um 20% zu kürzen (Handelsblatt v. 12.2.1987, S. 1). In: Raupach/Tipke/Uelner, Niedergang oder Neuordnung des Einkommensteuerrechts?, Münsteraner Symposium Bd. I, 1985, S. 175 ff. Dazu R. van Schendelen, Machiavelli in Brüssel. The Art of Lobbying in the EU, 2004. In: D. Strempel (Hrsg.), Mehr Recht durch weniger Gesetze?, 1987, S. 55. – Dazu auch H. H. v. Arnim, Das System, 2001, S. 295 ff. („Die Macht organisierter Interessen“), 299 ff. („Der Mythos vom unabhängigen Abgeordneten“). In: D. Döring/P. Spahn (Hrsg.), Steuerreform als gesellschaftspolitische Aufgabe der neunziger Jahre, 1991, S. 13. Dazu Tipke/Kruse, AO/FGO, Einf. FGO Tz. 12; K. Tipke, DStR 1983, 596. BB 1988, 1086 f. U. Seemann, Die Politisierung der Ministerialbürokratie …, Die Verwaltung, 1980, 137, 144. In: Festschrift für K. H. Friauf, 1996, S. 227.
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Nachweise 102 (Fußn. 101), S. 226. 103 BMF-Schriftenreihe Heft 49 (1993). Dazu J. Lang: „Noch vor 15 Jahren war das internationale Ansehen der deutschen Steuergesetze und der deutschen Finanzverwaltung so hoch, dass viele ehemals sozialistischen Staaten die BR Deutschland um Hilfe bei dem Aufbau eines Steuersystems ersuchten. Allerdings war der Bundesregierung schon damals klar, dass die deutschen Steuergesetze mit ihrer Komplexität nicht mehr exportfähig waren. Somit erteilte sie mir den Auftrag, ein Mustersteuergesetzbuch für die Beratung mittel- und osteuropäischer Staaten zu verfassen, in dem die deutschen Steuergesetze auf ihre wesentlichen Grundstrukturen zurückgeführt werden sollten. Dank westlicher Beratung sind die Steuersysteme der neuen mittel- und osteuropäischen EU-Staaten im europäischen Steuerwettbewerb den westeuropäischen deutlich überlegen. Mittlerweile ist das internationale Ansehen des deutschen Steuerwesens vollkommen zerrüttet …“ (StuW 2005, 1). 104 A. Raupach dazu: „Schon fast rührend mutet angesichts des Zustands unseres Steuerrechts die Fürsorge des Bundesfinanzministeriums für andere auf dem Gebiet des Steuerrechts an“ (Festschrift für F. Klein, 1994, S. 320). 105 Stbg. 1995, 177. 106 So in: M. Rose (Hrsg.), Steuern einfacher machen!, 1999, 27 ff. 107 StuW 1988, 173. 108 R. Kreile, StuW 1977, 4. 109 StuW 1988, 172 li. Sp. 110 DIE ZEIT v. 8.8.1997, S. 4. 111 BVerfGE 14, 220. 112 H. H. v. Arnim, Das System (Fußn. 89), 2001, S. 307 f. 113 P. Kirchhof, Handelsblatt v. 21.9.2004 (Nr. 183/04). – Dazu auch M. Sachs, Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat-Entwicklungszustand und Reformbedarf, VVDStRL 58 (1999), 42 ff. 114 Für Reform in kleinen Schritten 1996 noch Landesfinanzminister K. Faltlhauser, in: Baron/ Handschuh (Hrsg.), (Fußn. 74), S. 186 („Die Reform als Politik der kleinen Schritte – Der einzige Weg zum Ziel“), S. 183 („Reformer brauchen einen langen Atem“); Finanzsenator W. Peiner, Stbg. 2004, 494 (für pragmatisches Herangehen, „großer Wurf“ schwer durchsetzbar). Wir kennen diese Töne schon aus früheren Zeiten, z.B. aus 1984 von A. Uelner: „für eine weitere schrittweise Verbesserung des Einkommensteuerrechts“ (S. 191): I. Matthäus-Maier („glaube nicht, dass der große Wurf mit der ‚großen Koalition des Sachverstandes‘ es möglich macht“ (S. 199). Die Seitenangaben betreffen Raupach/ Tipke/Uelner (Fußn. 94). 115 Dazu die Nachweise in Fußn. 38.
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Nachweise 116 H. Fredersdorf, seinerzeit Vorsitzender des Steuerbeamtenbundes, stellte schon 1974 fest: „Zum wirklichen Gelingen einer Steuerreform gehört erstens ein engagierter Finanzminister und zweitens ein Kanzler der inneren Reformen, der Wort hält und auch als Nichtfachmann seine ganze unverspielte Autorität für die Reform einsetzt. An dem einen oder anderen hat es seit 1949 immer wieder gefehlt (Tragödie der Reform, DStG Nr. 1/1974, S. 3). – A. Raupach: „… was fehlt, ist … politische Führung und politische Entscheidungs- und Durchsetzungskraft“ (Festschrift für F. Klein, 1994, S. 320). 117 Klaus Vogel: „Als Hochschullehrer kann man heute deutsches Steuerrecht nicht mehr ohne Scham unterrichten“ (DStJG Bd. 12, S. 127). 118 P. Kirchhof, in: Einkommensteuer-Gesetzbuch, vorgelegt von P. Kirchhof, 2003, S. VIII. 118a Dazu Hinweis auf die Vorworte der Lehrbücher von D. Birk, Steuerrecht, 8. Auflage, 2005, S. V, und von H. Stadie, Umsatzsteuerrecht, 2005, S. V. 119 StuW 1994, 6 re. Sp. 120 § 31 BVerfGG. 121 Schon I. Kant unterschied zwischen dem, „was die Gesetze von einem gewissen Ort und zu einer gewissen Zeit sagen“ („empirische Rechtslehre“), und der Frage, ob das, was die Gesetze wollen, auch recht sei, wofür man zur Beantwortung ein allgemeines Kriterium benötigt.“ Und er fügte hinzu: „Eine bloß empirische Rechtslehre ist … ein Kopf, der schön sein mag, nur Schade! dass er kein Gehirn hat“ (Kants Werke, Akademie-Textausgabe, Bd. VI, 1968, S. 229 f.). – „Zur ersten Aufgabe der Rechtswissenschaft gehört die lange Zeit vernachlässigte Vorbereitung und Teilnahme an der Entstehung des Rechts in der Gesetzgebung, die Anregung von Gesetzen, die Mitarbeit an der Prinzipien- und Institutionenbildung zur Vorbereitung kodifizierten Rechts und die Beratung des Gesetzgebers“ (Uwe H. Schneider, Juristenzeitung 1987, 699 re. Sp.; s. auch Karsten Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee, 1985, S. 74). 122 B. Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikation, 2004, S. 4. 123 F. A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, 1980, S. 84. 124 Nachweise in K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2000, S. 488 ff. 125 Nachweise in K. Tipke (Fußn. 124), S. 470 f., 486, Fußn. 33. 126 Nachweise in K. Tipke (Fußn. 124), S. 470; s. auch K. Reding/W. Müller, Einführung in die allgemeine Steuerlehre, 1999, S. 44 ff. Die Finanzwissenschaftlerin H. Pollak dazu: Es „konnte das Leistungsfähigkeitsprinzip bis auf den heutigen Tag unvermindert Finanzwissenschaftler, Steuer- und Verfassungsrechtler bei der Stange halten. Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gilt weithin
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Nachweise
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als effizient, praktikabel und vor allem gerecht. Fundamentalkritiker wie z. B. K. Littmann, der schon 1970 dem Leistungsfähigkeitsprinzip ein zorniges Valet nachgerufen hat und die Besteuerung allein in den Dienst sich wandelnder wirtschaftspolitischer Ziele stellen wollte, haben sich nicht auf breiter Front durchsetzen können …“ (in: P. Kirchhof/M. Neumann [Hrsg.], Freiheit, Gleichheit, Effizienz, 2001, S. 49). K. Tipke (Fußn. 124), Bd. II, 2003, S. 614, Fußn. 37. Ausführliche steuerrechtliche System- und Prinzipienlehre in K. Tipke (Fußn. 124), S. 61 ff., 228 ff. I. Kant, Werke in 10 Bänden, hrsg. von W. Weischedel, Bd. IV, 1975, S. 313. Zitiert nach Rödig-Gedächtnisschrift, S. 7; s. auch S. 10. F. A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1: Regeln und Ordnung, 1980, S. 84. E. Wenger, Festschrift für M. Rose, 2003, S. 182. – Dazu anders der Steuerökonom D. Schneider schon 1979: „Als Theorie der Steuerarten und Steuerbemessungsgrundlagen … ist das Leistungsfähigkeitsprinzip keineswegs überholt und sogar viel leistungsfähiger als es nach dem Streit über die Leistungsfähigkeit des Leistungsfähigkeitsbegriffs im finanzwirtschaftlichen Schrifttum den Anschein hat“ (StuW 1979, 38 re. Sp.). S. Fußn. 126 (Aussage Pollak). K. Littmann, Steuerreform statt Tarifanpassung, 1985, S. 9. StuW 2004, 237 ff., 248. P. Kirchhof, Der sanfte Verlust der Freiheit, 2004, S. 71. P. Nolte, Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, 2004, S. 188 ff. („Vom Steuerstaat zur Gebührengesellschaft“); s. auch D. Birk, Steuerrecht8, S. 205 Rz. 32. Hinweis auf Fußn. 131. J. Lang, Wege aus dem Steuerchaos, Stbg. 1994, 10 ff. A. Raupach, Wege aus dem Chaos, in: Festschrift für F. Klein, 1994, S. 309 ff.; s. auch Baron/Handschuh (Hrsg.), Wege auf dem Steuerchaos – mit Beiträgen von Bareis, Faltlhauser, J. Lang, Mitschke, Poß, Ritter, M. Rose, Uldall, 1996; M. Jachmann, Wider des Steuerchaos, 1998. J. Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985; ders., Entwurf eines Steuergesetzbuches, BMF-Schriftenreihe Heft 49, 1993; s. auch die Beschlüsse der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft von 1996, StuW 1996, 203 ff. J. W. Gaddum, Steuerreform. Einfach und gerecht!, 1986. Gaddum war 1986 Landesfinanzminister von Rheinland-Pfalz. S. Fußn. 141; dazu K. Tipke, StuW 2000, 309 ff.; J. Lang ist Professor für Steuerrecht und Öffentliches Recht der Universität Köln.
Nachweise 144 Zu P. Kirchhofs Grundvorstellungen z. B. seine Beiträge „Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, Gutachten zum 57. Dt. Juristentag in Mainz, 1988; ders., Verfassungsrechtlich Gebotenes, demokratisch Erwünschtes und politisch Erreichbares in der Steuerpolitik, Inst. FuSt-Schrift Nr. 362, 1998, S. 14 ff:; ders., Das EStGB – ein Vorschlag zur Reform des Ertragsteuerrechts, DStR 2003, Beihefter 5. 145 Heidelberg 2001, Zum Karlsruher Entwurf P. Kirchhof, DStR 2001, 913 ff.; H.-W. Arndt (Mitglied des „Karlsruher Arbeitskreises“), Stbg. 2001, 194 ff., ders., Der Steuerzahler, Juni 2001, 106 – P. Kirchhof war der erste Verfassungsrichter, der sich um die breite Durchsetzung des Verfassungsrechts im Steuerrecht verdient gemacht hat. 146 Dazu S. 111. 147 Z. B. Veranstaltung des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg v. 13.3.2002 im Französischen Dom in Berlin; DStR 14/2002 v. 5.4.2002; Symposium des Studienwerks der Steuerberater in Münster v. 11.4.2003. 148 S. etwa „Wir brauchen ein einheitliches Deutsches Steuergesetzbuch“ (Handelsblatt-Interview v. 10./11.12.1999, S. 7); „Die Gabe, Politik zu zersingen“ (DER SPIEGEL Nr. 50/1999, S. 68 ff. – Der Verfasser des Artikels nennt P. Kirchhof den „Romantiker unter Verfassungsrichtern“; er spricht von „eigensinnigen Ideen und Gedankengebäuden“); Das SPIEGEL-Gespräch „Im Garten der Freiheit“ (DER SPIEGEL Nr. 1/2000, S. 88 ff.); „Schluss mit dem Formularkram. Der Steuerrechtler Paul Kirchhof will den Dschungel der Paragraphen restlos ausholzen“ (DIE WOCHE v. 11.5.2001); Das Capital-Interview (Capital 26/2000, S. 186 ff. – „Radikales Umdenken“). 149 Die Zahlenangaben in den einzelnen Veröffentlichungen stimmen nicht immer überein. 150 FOCUS 34/2003, S. 24 ff. – Auch der Economist berichtete über „Systematic chaos“ im deutschen Steuerrecht sowie darüber, dass P. Kirchhof eine Gruppe von Akademikern und Politikern überzeugt habe, „that the country’s tax system needs radical reform“ (The Economist v. 24.1.2004, S. 35). 151 Kritisch immerhin F. Wassermeyer, Anmerkungen zum Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, DStR 2001, 920–924; W. Schön, StuW 2001, 23; F. W. Wagner, Anmerkungen aus der Perspektive ökonomischer Vernunft, StuW 2001, 354 ff.; dazu Erwiderung des Ökonomen P. Bareis (Mitglied des Karlsruher Arbeitskreises), StuW 2002, 135–147; K. Tipke, Versuch einer steuerjuristischen Würdigung, StuW 2002, 148, 175; H. Weber-Grellet, Ein Weg in die steuerstaatliche Vergangenheit, ZRP 2003, 279–285; R. Voß, Ein Weg nach vorn oder ein Weg in die Vergangenheit?, DStR 2003, 458 ff. (Erwiderung auf Weber-Grellet).
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Nachweise 152 Einkommensteuergesetzbuch. Ein Vorschlag zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, vorgelegt von Paul Kirchhof, Heidelberg 2003. Dazu P. Kirchhof, BB 2002, S. I; ders., DStR 2003, Beihefter 5. Kritisch R. Voß, Integration der Körperschaftsteuer in die Einkommensteuer?, ZRP 2004, 33 f. („Keine Chance auf Verwirklichung“); s. auch J. Thiel, StuW 2005, 354. 153 Stbg. 12/2002, 550. – Ein anderes Bild stammt von K. Vogel: „In ständig sich erneuernder Flut kommen diese Steuervorschriften gleich biblischen Heuschreckenschwärmen über uns …“ (DStJG Bd. 12, S. 125). 153a DER SPIEGEL Nr. 21/2000, S. 90. 154 Dazu C. Gammelin/G. Hamann, Die Strippenzieher, 2005, S. 132 ff., 141 ff., 161 ff. 155 FOCUS-Redakteuren gegenüber äußerte P. Kirchhof: „Wir haben einen fertigen Gesetzesvorschlag in der Schublade. Wenn das Parlament diesen nächstes Jahr (2004, d. V.) verabschiedete …, könnte er bereits zum 1.1.2005 in Kraft treten … Der Gesetzgeber sollte dann versprechen, dass er das Steuerrecht mindestens 10 Jahre nicht verändert“ (FOCUS 34/2003, S. 25). Der CDU-Finanzpolitiker G. Uldall hatte 2001 zuversichtlich angenommen, seine Reformziele seien 2003 oder 2004 erreichbar (DIE WOCHE v. 11.5.2001, S. 13). Den Mitgliedern der DStJG schrieb P. Kirchhof am 16.12.2004 als Vorsitzender dieser Gesellschaft: „Die Politik scheint vielmehr in die Unauffälligkeit der kleinen gesetzgeberischen Schritte … zurückzukehren, eine Grundsatzreform hingegen gegenwärtig nicht entschieden in Angriff nehmen zu wollen. Zwar hören wir allenthalben, dass die wohl bedachten und gediegen erprobten wissenschaftlichen Reformvorschläge, insbesondere zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, richtig seien. Doch dann folgt der verhängnisvolle Zusatz: Eine solche Reform ist aber nicht durchsetzbar. Wäre diese These zutreffend – das Richtige sei in dieser Demokratie nicht erreichbar –, müssten wir eine – friedliche – Revolution vorbereiten.“ 156 In: P. Kirchhof/M. Neumann (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit, Effizienz, 2001, S. 13 ff. 157 M. Rose (Hrsg.), Reform der Einkommensbesteuerung in Deutschland. Konzept, Auswirkungen und Rechtsgrundlagen der Einfachsteuer des Heidelberger Steuerkreises, 2002. Gesetzestext auf S. 146 ff. 158 DER SPIEGEL Nr. 17/1996, S. 104. 159 J. Mitschke, Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts, Gesetzestextentwurf und Begründung, 2004. 160 M. Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, Textentwurf und Begründung, 2004. 161 Dazu die Literaturverzeichnisse seiner Schrift (Fußn. 160) auf S. 1, 19–23, 84–88, 135–141 und zu jeder Paragraphenbegründung. 162 Bund der Steuerzahler, Reform der Lohn- und Einkommensteuer: Niedrig, Einfach, Gerecht, 2005.
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Nachweise 163 Dazu z.B. W. Drenseck, Einkommensteuerreform und objektives Nettoprinzip, in: Gedächtnisschrift für Chr. Trzaskalik, 2005, S. 289 ff. 164 Die im Text angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die veröffentlichten Entwürfe mit Begründung. 165 C. Schott, Einfachheit als Leitbild des Rechts und der Gesetzgebung, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1983, 121 ff. 166 S. nur Dt. Steuerberatertag 1986 in Berlin mit dem Thema „Steuervereinfachung gegen Staatsverdrossenheit“. 167 Dazu DStJG Bd. 21 (1998) über „Steuervereinfachung“; P. Kirchhof zieht die Grenzen der Vereinfachung deutlich weiter (S. 9 ff.) als H. G. Ruppe (S. 29 ff.) u. a. – Weitere Literatur: A. Veit, Stiefkind Steuervereinfachung, Der Steuerzahler 1984, 38; R. Borell/L. Schemmel, Steuervereinfachung, Karl-Bräuer-Inst. des Bundes der Steuerzahler, Heft 60, 1986; Dt. Juristentag Mainz, 1988; J. Isensee, Vom Beruf unserer Zeit zur Steuervereinfachung, StuW 1994, 3 ff.; R. Seer, Bericht über das Symposium „Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung“ der DStJG, StuW 1995, 184 ff.; M. Rose (Hrsg.), Steuern einfacher machen, Vorträge des 3. Heidelberger Steuerkongresses, 1998; M. Jachmann, Grundthesen zu einer Verbesserung der Akzeptanz der Besteuerung, insb. durch Vereinfachung des Einkommensteuerrechts, StuW 1998, 193 ff.; W. Schön, Vermeidbare und unvermeidbare Hindernisse der Steuervereinfachung, StuW 2002, 23 ff.; Steuerforum Fulda, Bericht über eine Konferenz zur Vereinfachung des Steuerrechts, StuW 2004, 84 ff. 168 EStGesb. S. VII. 169 W. Schön, StuW 2002, 27 re. Sp. 170 S. auch Kölner Entwurf, S. V. 171 EStGesb. S. VI oben. 172 EStGesb. S. VII. – Dazu auch O. Sandrock, Die Verständlichkeit von Eingriffsnormen als Verfassungsgebot, in: Festschrift für Knut Ipsen, 2000, S. 781 ff. (Das Steuerrecht als Paradigma benutzend). 173 S. 15. 174 In: K. Faltlhauser (Hrsg.), Steuerstrategie, 1988, S. 48 unten. 175 NJW 1999, 25, 26. 176 Encyclopaedia universalis, 1996, Corpus 6, Stichwort Code Napoléon, S. 38. Das erwähnt auch Rolf Hochhuth (Täter und Denker, 1987, S. 36). 177 Zitiert nach Stbg. 2001, 194. 178 Zum Thema auch B. Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, 2004, S. 380 ff. („Gemeinverständlich, volkstümlich und einfach“). Mertens berichtet auch von dem Vorschlag, dieselbe Materie durch zwei sprachlich verschiedene Gesetze regeln zu lassen, durch eine Fassung „für den gemeinen Mann“ oder jedenfalls für „gebildete Laien“ und eine Fassung für Fachleute (S. 254 f., 385). Der Vorschlag wurde nirgends und zu keiner Zeit verwirklicht.
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Nachweise 179 StuW 2002, 148, 154 re. Sp. 180 DVBl. 1979, 898. 181 Zur strafrechtlichen Seite K. Tipke, in: Festschrift für G. Kohlmann, 2003, S. 555, 563 ff. („Was kann, was soll man über Steuerrecht wissen?“). 182 Die Kritik beschränkt sich selbstredend nicht auf EinkommensteuerVorschriften. Man lese z. B. einmal aus der jüngeren Zeit N. Herzig/U. Lochmann, Anwendungsbereich und Rechtsfolgen von § 8a KStG n. F., StuW 2004, 144 ff. Hinweis auch auf H. Stadie, der neuere Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes als dilettantisch formuliert, als unsinnig oder überflüssig bezeichnet (s. H. Stadie, Umsatzsteuerrecht, 2005, S. VI). 183 Nach § 16 FDP-Entwurf werden die Einkünfte aus wirtschaftlicher Betätigung als „Überschuss der Einnahmen“ über die Ausgaben ermittelt. Wie werden aber die Einnahmen aus Vermögensnutzung ermittelt? 184 Wenn ein Entwurf den Anspruch erhebt, selbst für Laien aus sich heraus verständlich zu sein, wozu ist dann noch eine Begründung nötig? 185 Dazu K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Auflage, 2003, S. 628 ff. 186 Dazu J. Lang, in: M. Rose (Hrsg.), Konsumorientierte Neuordnung des Steuersystems, 1991, 291 ff.; ders., Entwurf eines Steuergesetzbuchs, BMF-Schriftenreihe Heft 49 (1993), Rz. 450 ff.; ders., Prinzipien und Systeme der Besteuerung von Einkommen, DStJG Bd. 24 (2001), S. 49 ff.; ders., Konsumorientierte Besteuerung von Einkommen aus rechtlicher Sicht, in: Festschrift für M. Rose, 2003, S. 32 ff.; ders. in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Auflage, 2005, § 4 Rz. 110 ff., besonders Rz. 120 f. 187 StuW 1994, 1 re. Sp. 188 Kölner Entwurf, S. 54 f. (Rz. 128). 189 K. Faltlhauser/CSU sieht ein Gerechtigkeitsdefizit in der konsumorientierten Einkommensteuer: „Sie träumen von einer Steuerreform auf der grünen Wiese. So etwas können Sie in Kroatien machen, aber nicht hier bei uns …“ (in: Baron/Handschuh [Hrsg.], Wege aus dem Steuerchaos, 1996, S. 21, 185); s. auch J. Poß (ebenda S. 24). 190 Das stieß einmütig auf Unverständnis (s. auch G. Berg und R. Schmich, Die Beschränkung des Verlustabzuges im Karlsruher Entwurf zum Einkommensteuergesetz, DStR 2002, 346. Wohl deshalb hat P. Kirchhof einen Einbruch in seine Theorie zugelassen. 191 Das tun auch Sec. 61a des US-amerikanischen Internal Revenue Code und Art. 16 IV des Schweizer Gesetzes über direkte Steuern. Sie beschränken sich aber nicht auf das Markteinkommen, separieren auch nicht Markteinkommen und sonstiges Einkommen. 192 J. Isensee, StuW 1994, 8. 193 Das weiß natürlich auch J. Mitschke (s. seinen § 6 I); es geht auch nicht um einen inhaltlichen, sondern m. E. um einen Aufbaumangel.
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Nachweise 194 Wie die FDP auch der Bund des Steuerzahler – wegen inflationärer und kumulativer Überbesteuerung, daher für Abgeltungssteuer von 10 oder 15 % (Der Steuerzahler, März 2004, S. 43); ebenso das Konzept der TU Darmstadt (B. Rürup) und des Finanzamtes Darmstadt. 195 Jahresgutachten 2003/04 v. Dez. 2003, 600 ff. Der Sachverständigenrat will allerdings die Spreizung zwischen proportionalem Einkommensteuersatz auf Kapitaleinkünfte und progressiver Besteuerung der Arbeitseinkünfte auf 5 % begrenzen; dazu J. Englisch, Die Duale Einkommensteuer – Reformmodell für Deutschland?, IFSt Nr. 432, 2005; O. Gjems-Onstad, Dual Income Tax – The Norwegian/Scandinavian Experience: A Model for Germany?, StuW 2006, 90 ff.; J. Thiel, StuW 2005, 356. – Die Ökonomen H.-G. Petersen und M. Rose halten den Vorschlag des mit Ökonomen besetzten Sachverständigenrates für „einen systematischen Irrweg“ (FAZ v. 19.7.2005). 196 Zur Problematik auch Franz W. Wagner, StuW 2000, 431 ff.; Schreiber/ Rüggeberg, DB 2004, 2767; R. Seer, BB 2004, 2272; Wiss. Beirat beim BMF, BMF-Schriftenreihe Heft 76, 2004, S. 14 ff., 26 ff. 197 S. schon K. Vogel, Der geschundene Sparer und der Bundesminister der Finanzen, ZRP 1981, 35. Die Abgeltungssteuer auf Zinsen wird auch befürwortet vom FDP-Entwurf und von P. Kirchhof. 198 An BVerfGE 25, 100 sollte man sich nicht mehr stoßen. 199 Bericht der Schweizer Expertenkommission zur Prüfung des Systems der direkten Steuern auf Lücken, erstattet dem Eidgenössischen Finanzdepartment, Bern 1998. 200 H.-J. Kanzler, FR 2003, 9. 201 Kirchhof mit Begründung S. 125–127; Rose S. 71 mit Begründung. Auch die Entwürfe der FDP (s. § 9), von Mitschke (s. § 5) und der Kölner Entwurf (s. § 14) sehen keine Befreiung der Zuschläge vor. 202 Dazu K. Tipke, Steuerrechtsordnung II, 2. Auflage, 2003, S. 634 ff., 753 f. 203 J. Hennrichs, Die Fahrtkostenpauschale – ein willkommenes Gegenfinanzierungsinstrument unter dem Banner des Subventionsabbaus?, BB 2004, 584 ff. – H. Helsper legt dar, zu welchem Zweck die Befreiung 1939/40 eingeführt worden ist. Er meint, die Norm sei seither ohne Telos und dürfe daher von den Gesetzesanwendern ignoriert werden. – Aber darf der Gesetzgeber einer Vorschrift nicht einen anderen als den ursprünglichen Zweck unterlegen? 204 Dazu K. Tipke, StuW 2002, 169 205 Dazu K. Tipke, StuW 2002, 169. Laien sind nämlich in aller Regel nicht in der Lage, zutreffende Steuererklärungen abzugeben. 206 Dazu auch Didzoleit, DER SPIEGEL Nr. 48/1991, S. 159. 207 Nach P. Kirchhof sollen „Steuern finanzieren, nicht lenken“, „Steuergestaltung schafft Ungleichheit“. „Der Subventionsempfänger verkauft seine Freiheit“ (P. Kirchhof, Der sanfte Verlust der Freiheit, 2004, S. 5 f.,
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Nachweise
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14 f., 16 ff.) – Im FDP-Entwurf heißt es: „Die steuerliche Optimierung als tragendes Motiv einer Investition oder Gestaltung verliert wegen … Wegfalls von Steuervergünstigungen ihre Bedeutung. Die Rentabilität einer Investition rückt wieder in den Vordergrund … Die Einkommensteuer erfüllt wieder ihre eigentliche Aufgabe, die Mittelbeschaffung für den Staat“. (S. 29). – Für die Abschaffung der Steuervergünstigungen auch schon G. Loritz, StuW 1986, 9, 18 ff.; P. Bareis (Ökonom), BB 1994, Beilage S. 24; R. Seer, StuW 1995, 193; M. Jachmann, StuW 1998, 193, 201 und ders., in: Festschrift für K. Offerhaus, 1999, S. 1082; K. Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Auflage, 2003, S. 844 ff.; ElickerEntwurf § 1 Rz. 3 – Ausführlich zum Thema auch L. Schemmel (KarlBräuer-Inst. des Bundes der Steuerzahler), Lenken mit Steuern und Abgaben. Große Mängel und Gefahren, Heft 92 der Institutsreihe, 2000. Th. Waigel, in: Steuerstrategie, hrsg. von K. Faltlhauser, 1988, S. 34. – Dazu auch schon H. Zitzelsberger, Über die Schwierigkeiten mit dem Abbau von Steuervergünstigungen, StuW 1985, 197 ff. Dazu schon Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts, BMFSchriftenreihe Heft 40 (1988, S. 217 ff.). Dazu J. Hey, Abbau von Steuervergünstigungen, verfassungsrechtliche terra incognita, StuW 1998, 298, 205 ff. Dazu H.-J. Kanzler, Sind andere europäische Modelle der Eheförderung auf Deutschland übertragbar?, FR 2002, 760 ff.; ders., Grundfragen der Familienbesteuerung, FamRZ 2004, 70 ff. BB 2005, 2330, 2335 zu VI. Nach J. Habermas gibt es keine „objektive Erkenntnis“, losgelöst von Interessen und Lebenspraxis (Erkenntnis und Interesse, 1968). BB 2005, 2335. U. Preusker, Politiksteuerung durch allgemeine Wahlen, Köln 1979, kommt auf Grund einer Fallstudie zur Einkommensteuer-Reform 1974/75 zu dem Ergebnis, dass gerade die Steuerpolitik sehr stark durch Wahlen beeinflusst wird. Ebenso M. Findling (Fußn. 36), S. 9 ff., 12 ff., 35 ff., 292. BT-Drucks. 13/3701, S. 1, 2. BT-Drucks. 13/3874, S. 1. In: D. Döring/Spahn (Hrsg.), (Fußn. 74), S. 83; s. auch ders., in: Baron/ Handschuh (Hrsg.), S. 167 (der miserable Zustand, den J. Poß auf S. 167 beschreibt, besteht im wesentlichen heute noch, obwohl die SPD zu dieser Zeit längst regierte. Die Regierung setzt nur zu oft nicht um, was sie als Opposition gefordert hat). BT-Drucks. 13/3701, 13/3874. BT-Drucks. 15/2745, S. 4. S. auch schon K. Tipke, StuW 1990, 309 ff.
Nachweise 220 Das hat R. Kreile schon 1984 (damals war er Mitglied des Finanzausschusses) eingeräumt (s. Raupach/Tipke/Uelner, Fußn. 69), S. 195. 221 F. A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, 3. Bde., 1980/81; Nachweis von Rezensionen in K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 1993, S. 1512 Fußn. 239. 222 J. Witte, The Politics and Development of the Federal Income Tax, University of Wisconsin Press, 1985. 223 G. Brennan/J. M. Buchanan, Besteuerung und Staatsgewalt, 1988; dies., Constitutional Constraints on Governmental Taxing Power, in: Festgabe für F. A. v. Hayek, 1979, S. 349 ff.; dies., Toward a Tax Constitution for Leviathan, Journal of Public Economics 8, S. 255 ff.; dies., The Logic of Tax Limits: Alternative Constitutional Constraints on the Power to Tax, National Tax Journal 32, Suppl. S. 11 ff. 224 Handelsblatt v. 21.9.2004 (Nr. 183). 225 Dazu H. H. v. Arnim (Hrsg.), Reform der Parteindemokratie, 2003. Anders als F. A. v. Hayek (Fußn. 123) wollen Hans Apel und H. H. v. Arnim (s. auch Fußn. 89) nicht das System grundlegend ändern; sie kritisieren seine Auswüchse. Hans Apel, Die deformierte Demokratie. Parteienherrschaft in Deutschland, 1991; M. Wulff, Das liberaldemokratische Regierungssystem, Grundprinzipien und -positionen, Probleme und Reformansätze, 2005. 226 FAZ, Blick durch die Wirtschaft v. 9.1.1986. 227 W. Ritter, in: Baron/Handschuh (Hrsg.), (Fußn. 74), S. 7 unten. 228 J. Lang, in: Baron/Handschuh (Hrsg.), (Fußn. 74), S. 8; s. auch S. 10. 229 J. Pinne, Stbg. 2004, 499; O. Metzger/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, StB 2005 Heft 2, I. Ed. – S. auch schon M. Findling (Fußn. 36), S. 292; K. Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III, 1993, S. 1513. 230 Dazu BT-Drucks. 13/3701 (SPD); Grundsatzprogramm der SPD v. 20.12. 1989, geändert am 17.4.1998, S. 47; BT-Drucks. 13/3874 (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN), „Grün ist der Wechsel“, Programm zur Bundestagswahl 98, S. 15; „Die Zukunft ist grün“, Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN v. 15.–17.3.2002, S. 50, 57 f.; Programm der FDP zur Bundestagswahl 2002 v. 10.12.2002, S. 4 f.; „Die neue Einkommensteuer“, Berliner Entwurf der FDP, 2003. 231 K. Faltlhauser/CSU und J. Poß/SPD haben sich allerdings 1996 noch ausdrücklich für Steuervergünstigungen ausgesprochen (in: Baron/ Handschuh [Hrsg.], (Fußn. 74), S. 6, 7 s. aber auch J. Poß, aaO, S. 175; ebenso 1994 noch W. Schäuble/CDU, in: Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 248 („dass die Politik auf diese Eingriffsmöglichkeiten schlechterdings nicht verzichten kann“) – in gewissem Widerspruch zu aaO, S. 253. 232 S. z. B. J. Poß/SPD, in: Döring/Spahn (Hrsg.), (Fußn. 74), S. 86; Chr. Scheel/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Stbg. 1/2004, Editorial.
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Nachweise 233 S. z. B. J. Poß/SPD (Fußn. 169); s. auch Chr. Scheel/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Stbg. 1/2004, Editorial. 233a FR 2002, 760 ff. Dazu auch J. Thiel, StuW 2005, 348 li.Sp. 234 P. Kirchhof, Der Weg zu einem neuen Steuerrecht, 2004, S. IX. 235 Dazu Harald Schaumburg, Außensteuerrecht und europäische Grundfreiheiten, 2004, insb. S. 21 f.: „Grundfreiheiten und Gleichheitssatz“. S. aber auch M. Stahlschmidt, Kohärenz – ein Beweis, dass der EuGH die Kompetenz in Steuersachen noch nicht gefunden hat, FR 2006, 249. 236 Ausführlicher dazu B. Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, 2003, S. 257 mit Fußn. 1121 f.; 343 mit Fußn., 382 f.; 456 mit Fußn. 721. 237 Ausführlicher dazu B. Mertens (Fußn. 236), S. 93, 129 ff. 238 Ausführlicher dazu B. Mertens (Fußn. 236), S. 98 ff., 121 f. 239 V. Thurony, Tax Law Design and Drafting, Vol. 2, 1998, S. XXIV. 240 Der Philosoph Ludwig Feuerbach, Sohn des Juristen Paul J. A. Feuerbach (s. S. 197), hatte sich habilitiert, durfte aber nicht als Hochschulprofessor lehren, weil er sich des Atheismus verdächtig gemacht hatte. Die Verbreitung seiner 1830 erschienenen Schrift „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ wurde verboten. Mühselig musste er sich durchbringen. Aber längst steht er in jedem besseren Lexikon.
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Sachverzeichnis
Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte 145 f. Abgeordnete – als Lobbyisten 73 f. – Verhaltenskodex fehlt 74 Amnestie – macht die Ehrlichen zu Dummen 25 Änderei – permanente, ist keine Reform 15 ff. Apel, Hans – als gescheiterter Steuerreformminister 31 ff., 34 – Opposition gegen seinen Reformentwurf 31, 32 ff. – Popularitätsverlust 34 Äquivalenzprinzip 103 Befreiungskatalog – wie mit ihm umgehen? 148 ff. Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer – Meinungsverschiedenheiten über – 138 ff. – ihre Rechtsreform hat Vorrang vor Tarifsenkung 38, 45, 91 – Verbreiterungsmöglichkeiten 146 f. Bentham, Jeremy – als Gesetzesreformvisionär 196 Berufsausbildungskosten 157 „Besteuerbar“ als Begriff 134 Besteuerungsmoral – fehlende 61 Bewirtung von Geschäftsfreunden 157 „Bierdeckel“-Rede von Friedrich Merz 118 f., 119 f., 168 Blockade – mit Hilfe des Bundesrats 31, 50, 53 f., 59, 87
Bundesministerium der Finanzen, s. auch Ministerialbeamte – Anstöße der Steuerabteilung zur Gesetzesvorbereitung 80 – Beharrungskräfte im – 79 – Vorbereitung von Steuergesetzen durch seine Steuerabteilung 78 ff. Bundesrat – parteipolitischer Missbrauch 86, 93 – Steuerblockade durch 31, 50, 53 f., 59, 87 Bündnis 90/Die Grünen – ihre theoretische und praktische Steuerreformpolitik 47 ff., 52 ff. Bürgerinitiativen 71 CDU/CSU-Leitsätze zur Steuerpolitik 188 f. Code Napoléon – als Prinzipienordnung vorbildlich 63, 101, 122, 129 Deutscher Steuerrechtskreis 197 Doppelte Haushaltsführung 157 Duale Einkommensteuer 145 f. Eichel, Hans – Tarifsenkung als „große Reform“ 53, 110 – zur Verständlichkeit 129 Einkommen – Erfassung durch Generalklausel oder durch Enumeration von Einkunftsarten? 143 f. Einkommensbegriffe – Konsumeinkommen oder konsumierbares Einkommen? 140 f. – Leistungsfähigkeits- oder Markteinkommen? 120, 138 –140
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Sachverzeichnis – Lebens- oder Periodeneinkommen? 120, 142 f. Einkommensteuer – Duale 145 f. – Einheitssteuer oder plurale Steuer 144 f. Einkommensteuergesetz – deformiert, statt reformiert 16 – Entwürfe, s. Steuergesetzentwürfe – Hauptmängel 57 f. – kann das Gruseln lehren 59 – kein Lesebuch für das Volk 129 f. – Kritik der Grünen 47 ff. – Kritik der SPD 27, 32, 45 ff., 49 – Stück- und Flickwerk 57 – Zumutung für Rechtsanwender 7, 58 ff. Einkommensteuerreform – ist rechtlich machbar 97 ff. Einstellungen zur Steuer 20 Einkünfteermittlungsmethode – Begrifflichkeit 135 f. Elicker, Michael – Charakteristika seines Entwurfs 113 ff. Fachbegrifflichkeit – nicht entbehrlich 129 ff. – weicht in den Entwürfen voneinander ab 132 Fachterminologie, s. Fachbegrifflichkeit Fahrtkosten Wohnung – Erwerbsstätte – abzugsfähig, keine Steuervergünstigung 152 ff. F.D.P. – zu ihrem „Berliner Entwurf“ 115 f. – – als „Steuersenkungspartei“ 27, 49 Fernseh-Demokratie 78 Fernseh-Talkshows – wenig geeignet, Steuerrecht zu vermitteln 78
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Feuerbach, F. A. – als Gesetzesreformvorbild 196 f. Finanzausschuss des Bundestages – befasst sich mit den politischen Implikationen von Gesetzentwürfen 84 – bringt nicht auf eigene Initiative Steuerreformen auf den Weg 83 f. – kann Interessenverbände und Sachverständige anhören 84 Finanzminister – durchweg keine Juristen 64 f. – auch verantwortlich für den Zustand der Steuergesetze 64 ff. Finanzministerium, s. Bundesministerium der Finanzen Flat Tax 107 Freizügigkeit – verlangt Abzugsfähigkeit der Kosten der Fahrten Wohnung – Erwerbstätte 154 ff. Gebühren – unter welchen Voraussetzungen sind sie Steuern vorzuziehen 103 Gemeinnützigkeit – und Freizeitvereine 40 Gemeinverständlichkeit von Steuergesetzen – nicht durchgehend zu erreichen 129 ff. Gerechtigkeitsdenken, s. Prinzipien orientiertes Gerechtigkeitsdenken Gescheiterte Steuerreformen 23 ff., 35 ff., 43 ff. – der christlich-liberalen Koalition 35 ff., 43 ff. – Lehren daraus 89 ff. – der sozial-liberalen Koalition 23 ff. Gesetzentwürfe, s. Steuergesetzentwürfe Gesetzesbegründung – zur Verständlichkeit 137 Gesetzeslücken, Ausfüllung 147 ff.
Sachverzeichnis Gleichheitssatz – Verletzung durch Personalmangel 19, 194 f. – Verletzung durch ungleichmäßige Gesetzesanwendung 21, 194 Gesetzessprache – Umgangs- oder Fachsprache? 128 ff. Gesetzgebungslehre – formale 97 Goldene Regel – für Regierung und Opposition 185 Große Koalition – Ende des Verbalradikalismus und der Blockadehaltung 176 – macht Koalition der steuerrechtlichen Vernunft möglich 177 – über sie hinaus gedacht 181 ff. – und Steuerreform 86, 176 ff. Häusliches Arbeitszimmer 156 Hobbyflieger – Steuervergünstigung für Hobbyflieger 40 Huber, Eugen – als Schweizer Gesetzesreformvorbild 196 f. Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft 107 f. Interessenverbände, s. auch Lobbyisten – Anhörung durch den Finanzausschuss 84 – ihr Einfluss auf die Steuergesetzgebung 73 ff., 100 – ihre Eingaben der Öffentlichkeit zur Einsicht freigeben 186 – gegen H. Apel 32 f. – gegen G. Stoltenberg 39 – gegen Th. Waigel 50 f. Kirchhof, Paul – grandioser Aufstieg in A. Merkels „Kompetenzteam“ und jäher Fall 168 ff.
– sein Einkommensteuer-Gesetzbuch-Entwurf 106 – sein Freiheitsmantra 111 – sein „Karlsruher Entwurf“ 105 f. – und die Medien 105, 107 f., 109 f., 111, 169 f., 173 – sein Optimismus 108 – seine PR–Fähigkeiten 105 – sein Streben nach Gesetzeskürze 125 ff. – seine Superlativ-Versprechungen 118 ff. – seine Vorliebe für Sprachbilder 105 f., 109, 168, 173 – Sozialdemokraten lehnen seinen Entwurf im Wahlkampf mit z. T. unredlichen Mitteln ab 170 ff. – zur Person 105, 168 ff. – von der „Wunderwaffe“ zum „Rohrkrepierer“ 172 Kommissionen, s. ReformKommissionen Konzept – Fehlen eines systematischen Konzepts 15, 32 – Gesamtkonzept erforderlich 17, 92 Lang, Joachim – Leiter der „Reformkommission Steuergesetzbuch" (Stiftung Marktwirtschaft) 166 f., 179 f. – sein Entwurf eines Steuergesetzbuches für die früheren Ostblockländer 81 – seine Steuergesetzentwürfe 104 f. – Sprecher der Verfasser des „Kölner Entwurfs“ 116 Legaldefinitionen 136 f. Leistungsfähigkeitsprinzip 46, 50, 98 f., 102 – Ausnahmen vom – 139 f. – Durchbrechung bedarf der Rechtfertigung aus dominierenden Gemeinwohlgründen 102
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Sachverzeichnis – Kritik einiger Ökonomen am 101 – nicht für Gebühren 103 – versus Fiskalprinzip 98 – wertendes Prinzip 98 Leistungsfähigkeitseinkommen 99, 138 f. Liebhaberei 133 f. Lobbyisten, s. auch Interessenverbände – Abgeordnete als – 185 – entscheidende Mitwirkung an Steuergesetzen 73 ff. – erstreben Privilegien 75 – können den Rechtsgedanken an der Wurzel bedrohen 76 – sie leben noch 181, 190 – Teil des Systems 74 – US-Präsident R. Reagan gegen Lobbyisten 36 Markteinkommen – Begriff 133 Markteinkommenstheorie 138 ff. Matthöfer, Hans – inkompetenter Steuerrechtsminister 34 f. Medienabhängigkeit der Steuerpolitiker 77 f. Mehrheitswahlrecht 190 Meinungsdivergenzen, s. auch Pluralismus – pluralistisch normal 162 ff. – über Details des Nettoprinzips 150 ff., 157 ff. Merz, Friedrich – seine Bierdeckel-Rede 118 f., 119 f., 168 Mindestbesteuerung – ersetzt Abbau von Steuervergünstigungen nicht 92 Ministerialbeamte, s. auch Bundesministerium der Finanzen – als beharrende Kräfte 79 – auch Gehilfen der Oppositionspolitiker 80, 82
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– bei der Mitwirkung an der Gesetzgebung Erfüllungsgehilfen der Politiker 79 – leisten Formulierungshilfe bei der Gesetzgebung 80 – Meister im Komplizieren 79 – sind abgehobene Spezialisten 81 f. Mitschke, Joachim – Charakteristika seines Entwurfs 113 ff. Möller, Alex – ehrgeiziger, engagierter Reformer 24 f. – sein Rücktritt 26 Napoléon, s. Code Napoléon Nettoprinzip, objektives – unterschiedliche Detaillösungen der Entwürfe 150 ff. Nettoprinzip, subjektives – unterschiedliche Detaillösungen der Entwürfe 157 ff. Öffentlichkeitsarbeit 92 Ökonomische Effizienz 121 Omnibusgesetz 15 Opposition – Goldene Regel für – 185 – neigt zu unsachlichem Schlagabtausch 84 ff. – tut als Regierung nicht, was sie früher von der Regierung gefordert hat 48, 91 f., 93 – um jeden Preis 87, 93 – Wirken der – Ideal und Realität 84 f. Parlamentarische Staatssekretäre – nicht nach Kompetenz ausgewählt 65 Parteien – alle – haben zur Steuerreform beigetragen 183 – ihr Beitrag zur Misere der Steuergesetzgebung 21
Sachverzeichnis – fairer Wettbewerb der – als politische Kultur 186 – fordern in der Opposition, was sie selbst in der Regierung nicht halten 48, 91 f. – messen mit zweierlei Maß 183 – ihre Dokumente beweisen weitgehende Übereinstimmung in der Steuerpolitik (außerhalb des Wahlkampfs) 187 f. – ihre Tarifvorstellungen sind bunt 188 Pendlerpauschale 152 ff. – bei Ablehnung Verfassungsgericht anrufen 192 f. – darf nicht irreal niedrig sein 155 Petersberger Steuervorschläge 49 f. Pluralismus – und Nettoprinzip 150 ff., 157 ff. – und Steuerreform 162 ff., 174, 180, 197 – der Wertungen 96 ff. Pluralistische Gesellschaft – verträgt keinen Steuerpapst 96, 174 Popularitätsverlust durch Reformversuche – A. Apel 34 – G. Stoltenberg 42 f. – Th. Waigel 51 Politiker, s. Steuerpolitiker Prinzipienordnung, s. Rechtsprinzipienordnung Prinziporientiertes Gerechtigkeitsdenken 17, 89 Privateinnahmen/-ausgaben – Begrifflichkeit 136 Rasenmähermethode 70, 77, 186 Rechtsprinzipienordnung, steuerliche – positive Folgen 99 ff. Rechtsreform – Begriff 17, 89 Reform – der kleinen Schritte ist ineffizient, da Gesamtkonzept fehlt 17, 79, 92, 190
Reformbedürftigkeit 8, 19, 116 Reformkommission – Reformkommission F. J. Strauß 23, 25 – Reformkommission Bareis 44 – „Kommission Steuergesetzbuch“ unter „Stiftung Marktwirtschaft“ 166 ff., 179 f. Reformversuche, s. gescheiterte Steuerreformen Reformziele der sechs Entwürfe 116 ff. Regellosigkeit des politischen Wettbewerbs 182 f., 184 Regeln – für den Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen 184 ff. – Goldene Regel für Regierung und Opposition 185 – in den USA 186 Rose, Manfred – seine „Einfachsteuer“ 112 f. Schiller, Karl – als gescheiterter Steuerreformminister 27 f. Schmidt, Helmut – als Steuerreformminister in der Zwischenphase 28 ff. – gegen Steuervergünstigungen 29 f. Schlupflöcher 16 Schopenhauer, Arthur – seine rabiate Polemik 71 Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge – Steuerbefreiung nicht zu rechtfertigen 75, 149 f., 171 Sozialdemokratische Reformvorstellungen – praktische 27, 32, 49 – theoretische 45 ff. Sozialstaat – „Traumschiff Sozialstaat“ gestrandet 62, 171 Spezialisten 82
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Sachverzeichnis Steueramnestie, s. Amnestie „steuerbar“ – irreführender Begriff (für „besteuerbar“) 134 Steuerbeamte – zu wenig –, das komplizierte Steuerrecht gleichmäßig umzusetzen 60 Steuerbemessungsgrundlage, s. Bemessungsgrundlage – der Einkommensteuer ist verludert 56 – darf keine Rücksicht auf den Finanzbedarf nehmen, das ist Sache des Tarifs 91 Steuerberater – leiden unter kompliziertem Steuerrecht 55 – Führer durch den Steuerdschungel 60 – an Überkompliziertheit nicht interessiert 60 – was muss er wissen? 60 Steuerbescheide – Fehlerquote 8, 58 Steuerblockade – durch Bundesrat 31, 50, 53f., 59 Steuerchaos 7, 46, 48, 55 – seine Folgen 15 f. – seine Verursacher 63 ff. Steuererklärung – Vereinfachungsversprechungen 119 f. Steuergerechtigkeit – als Reformziel 120 Steuergerichtsbarkeit – ihre Hilfe zur Durchsetzung der Steuerrechtsordnung nötig 192 ff. Steuergesetzentwürfe – Kommentierung unerprobter – 198 f. – private 18 f. Steuerlaien – und Steuerberatung 20, 58 f., 131 f.
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– weitgehend unkontrollierte Kenntnisnahme ihrer Erklärungen 20 f., 62 Steuerliteratur – unübersehbar 56 f. Steuermentalität, s. Einstellungen zur Steuer Steuerpaket 15 Steuerpolitik, s. auch Steuerrechtspolitik – im Dilemma zwischen Stimmenfang und Rechtspolitik 7, 65 ff. – ist gedachte/geplante Gesetzgebung 94 ff. – kein Primat vor dem Recht 95 – ist realiter Wählerinteressenpolitik 65 f. – muss im Rechtsstaat Rechtspolitik sein 72, 94 ff. – ihr Zeitwert 66 Steuerpolitiker – ihre Abhängigkeit von organisierten Interessen 73 ff. – rüder Debattenstil 71 – über Macht und Fachkompetenz 81 – ohne Muße für die Gesetzgebung 81 f. – Verantwortung für die Gesetzgebung 16 – Wählerabhängigkeit 64 ff. Steuerrechtsbewusstsein – schwindendes 15 Steuerrechtsordnung – als Rechtsprinzipienordnung 72, 98 Steuerrechtsreform, s. auch Rechtsreform – braucht glaubwürdige, kompetente, engagierte Persönlichkeit 90, 191 – ist an Rechtsprinzipien orientiert 79, 90 Steuerrechtssystematik – Verdichtung durch systematische Gesetzentwürfe 198
Sachverzeichnis Steuerrechtswissenschaft – Förderung durch Steuergesetzentwürfe 198 – als Wertungswissenschaft 95 f. Steuerreform, s. auch Steuerrechtsreform Steuerreform – von Dauer nicht zu erwarten 191 – und große Koalition 176 ff. – ausländische Gesetzbücher zum Vergleich heranziehen 197 f. Steuerreformen – scheitern seit mehr als einem halben Jahrhundert 22 ff. Steuervereinfachung – als Reformziel 122 – als Forderung der SPD 46 – als Forderung der Grünen 48 – als Forderung auch der Union 187 – „Bierdeckel“-Vereinfachung 118 ff., 168 – Realität: Schafft einfach (statt einfache) Steuergesetze 190 Steuervergünstigungen – Gründe gegen – 159 ff. – Abbau politisch schwierig 91 f. – Abbauchancen durch große Koalition 178 – Abbau nach der Rasenmähermethode unzureichend 70, 186 – Kosten der Fahrt zur Erwerbstätte keine – 152 ff. – Steuerpolitiker ohne Maßstab für den Abbau 38 – Helmut Schmidt gegen – 29 f. Steuervergünstigungsabbaugesetz – Entwurf der rot-grünen Koalition 53 – scheiterte im Wesentlichen am Bundesrat 54 Steuerwirrwarr 8 – seine Verursacher 63 ff. Steuerwissenschaften – als Wertungswissenschaften 18, 162 ff.
Stimmenfangpolitik – ist keine Steuerrechtspolitik 19, 96, 181 Stimmenmaximierung 89 Stoltenberg, Gerhard – Glaubwürdigkeits- und Ansehensverlust als Reformpolitiker 42 f. – Opponent gegen die Reform H. Apels 31–33 – Opposition gegen sein Reformvorhaben auch aus den eigenen Reihen 37 – als Reform-Finanzminister gescheitert 35 ff. – seine kühnen Steuerentlastungsversprechen 36 f. – Stoltenbergs Reformversuch: Anlehnung an Reagans Reform 36 – Sturm der Kritik gegen sein Reformvorhaben 39 ff. – verfehlte Reformstrategie 41 Tarif – Arten 164 f. – und Inflation 164 – muss auf wahrer, klarer Bemessungsgrundlage aufbauen 38, 45, 91 Thurony, V. – seine Steuerrechtskreis-Einteilung 197 Überforderung der Rechtsanwender 82 Uldall, Gunnar – Steuervereinfachungspolitiker 45 – steht zu Kirchhof 170 Ungleichbelastung 60, 192 ff. Unzureichendes Personal der Finanzbehörden – erlaubt keine gleichmäßige Besteuerung 190, 194 f. Vereinfachung, s. auch Steuervereinfachung 19, 62 – Grenzen der – durch Kürze 125 ff.
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Sachverzeichnis Vermittlungsausschuss 88 Verschwendung von Personalressourcen 62 Versprechungen 118 ff. Vertretbare/unvertretbare Meinungen 96 ff., 163, 179 Wähler – Eigeninteresse als Gerechtigkeitsvorstellung 67 – leerformelartige Kurzbotschaften an die Wähler 68 f. – nur kraft Fiktion unfehlbar 67 f. Wahlkampf – ohne Regeln 171
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Wahrheitspflicht – auch im Wahlkampf erforderlich 185 Waigel, Theodor – lehnt Gutachten der BareisKommission ab 44 – als Reformminister gescheitert 43 ff. – über Steuergerechtigkeit (sarkastisch) 67 Wertungspluralismus, s. Pluralismus der Wertungen – verträgt keinen Steuerpapst 96, 174 Wettbewerb der Parteien – fairer – als politische Kultur 181 f., 186 Wirtschaftsforschungsinstitute 77