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German Pages 1310 [1313] Year 2020
Rechtskultur und Rechtspflege in der Kirche Festschrift für Wilhelm Rees zur Vollendung des 65. Lebensjahres
Herausgegeben von
Christoph Ohly, Stephan Haering und Ludger Müller
Duncker & Humblot . Berlin
Rechtskultur und Rechtspflege in der Kirche Festschrift für Wilhelm Rees zur Vollendung des 65. Lebensjahres
Kanonistische Studien und Texte begründet von Dr. A l b e r t M . K o e n i g e r † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. H e i n r i c h F l a t t e n † o.ö. Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn sowie von Dr. G e o r g M a y Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz und Dr. A n n a E g l e r Akademische Direktorin i. R. am FB 01 Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Mainz herausgegeben von Dr. W i l h e l m R e e s Professor für Kirchenrecht an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und Dr. C h r i s t o p h O h l y Professor für Kirchenrecht an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) – St. Augustin
Band 71
Rechtskultur und Rechtspflege in der Kirche Festschrift für Wilhelm Rees zur Vollendung des 65. Lebensjahres
Rechtskultur und Rechtspflege in der Kirche Festschrift für Wilhelm Rees zur Vollendung des 65. Lebensjahres
Herausgegeben von
Christoph Ohly, Stephan Haering und Ludger Müller
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: Das Druckteam Berlin Printed in Germany ISSN 0929-0680 ISBN 978-3-428-15711-2 (Print) ISBN 978-3-428-55711-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Wilhelm Rees, Professor des Kirchenrechts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, vollendet am 22. April 2020 sein 65. Lebensjahr. Für viele Kolleginnen und Kollegen aus der akademischen Welt Österreichs und weit darüber hinaus, ist dies ein sehr willkommener Anlass, den hochgeschätzten Jubilar durch eine akademische Festschrift zu ehren und ihm mit ihren Beiträgen reiche Glück- und Segenswünsche zu übermitteln. Die Festschrift trägt den Titel „Rechtskultur und Rechtspflege in der Kirche“. Sie soll auf diese Weise zentrale Anliegen widerspiegeln, denen sich Wilhelm Rees in seiner wissenschaftlichen Arbeit und in der Mitwirkung am Leben der Kirche in hohem Maße verpflichtet sieht. Bei der kritischen Analyse der kirchlichen Ordnung und der kommentierenden Begleitung der kirchlichen Gesetzgebung tritt er immer wieder dafür ein, dem Ideal der Gerechtigkeit gemäße Lösungen zur Geltung zu bringen. Auch für die praktische Arbeit eines Kirchenrechtlers ist Rees sich nicht zu schade und leistet als Berater und Beistand rechtssuchenden Menschen seine kundige Unterstützung. Wilhelm Rees wurde am 22. April 1955 in Augsburg geboren. Von 1975 bis 1980 studierte er an der Universität seiner Heimatstadt katholische Theologie und schloss das Studium mit dem Diplom ab. Danach trat er in den Dienst des Bistums Augsburg und wirkte zwei Jahre als Pastoralassistent in der Stadtpfarrei St. Sebastian in Oettingen. 1982 kehrte er an die Universität Augsburg zurück und wurde Assistent von Professor Dr. Joseph Listl SJ (1929 – 2013) am Lehrstuhl für Kirchenrecht. Unter der Begleitung Listls, dem er bis zu dessen Tode verbunden blieb, qualifizierte Rees sich weiter. Mit der Studie „Der Religionsunterricht in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung“ promovierte Rees im Wintersemester 1985/86 zum Doktor der Theologie. Danach wandte er sich dem kirchlichen Strafrecht zu und verfasste eine Untersuchung mit dem Titel „Die Strafgewalt der Kirche. Grundlagen und Entwicklungen des kirchlichen Strafrechts vom Corpus Iuris Canonici bis zum Codex Iuris Canonici vom 25. Januar 1983“; sie bildete die Grundlage für die Habilitation im Fach Kirchenrecht im Sommersemester 1991. Der junge Augsburger Privatdozent erhielt schon bald die Möglichkeit, Erfahrungen in der Leitung eines Lehrstuhls für Kirchenrecht zu sammeln. Von 1992 bis 1996 wirkte er als Professor an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und vertrat dort am kirchenrechtlichen Lehrstuhl der Katholisch-Theologischen Fakultät den damaligen Rektor der Universität, den Kanonisten Professor Dr. Alfred E. Hierold. Nach der Emeritierung des Innsbrucker Kirchenrechtlers Professor Dr. Johannes Mühlsteiger SJ im Jahre 1994 bot sich für Wilhelm Rees die Möglichkeit, selbst
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Vorwort
einen kirchenrechtlichen Lehrstuhl einzunehmen. Bereits 1995 begann er seine Lehrtätigkeit an der Universität Innsbruck und wurde im Sommersemester 1996 zum Nachfolger Mühlsteigers als Professor für Kirchenrecht und Vorstand des Instituts für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck ernannt. Seit einem Vierteljahrhundert lehrt Rees in Innsbruck und vertritt dort das Fach Kirchenrecht mit großem Erfolg in Lehre und Forschung. Das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts war in Österreich von großen Umwälzungen im Hochschulbereich gekennzeichnet. Es galt, das Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten (UOG 1993) sowie den Bologna-Prozess, der auf europaweite Vereinheitlichung von Studiengängen und -abschlüssen sowie auf internationale Mobilität der Studierenden zielte, umzusetzen. Nicht nur innerhalb der Universität Innsbruck, sondern auch auf gesamtösterreichischer Ebene machte man sich die hohe Kompetenz von Wilhelm Rees für die Umsetzung dieser Aufgaben nutzbar. Ab 1998 arbeitete Rees im Planungsprozess zur Neuordnung und Strukturierung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck sowie an der Erarbeitung neuer Studienpläne mit. Rees wurde Mitglied im Kontaktkomitee der Katholisch-Theologischen Fakultäten und Hochschulen in Österreich, das dem Austausch zwischen diesen Einrichtungen und den österreichischen Bischöfen dient, Mitglied in der vom damaligen Innsbrucker Bischof Dr. Alois Kothgasser SDB, dem Referatsbischof der Österreichischen Bischofskonferenz (ÖBK) für Universitäten und Katholisch-Theologische Fakultäten und Hochschulen, neugegründeten Steuerungsgruppe „Studienpläne“, die die ÖBK in hochschulrechtlichen Fragen berät und unterstützt und der Rees bis heute als Rechtsberater angehört, ferner Mitglied der Studienkommission für die theologischen Studienrichtungen der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck sowie Vertreter seiner Fakultät beim deutschen Katholisch-Theologischen Fakultätentag (2000 – 2017). Innerhalb seiner eigenen Innsbrucker Fakultät nahm Rees verschiedene Aufgaben der akademischen Selbstverwaltung wahr, die hier nicht detailliert aufzuführen sind. Unter seinem Vorsitz der Studienkommission für die theologischen Studienrichtungen der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck von Oktober 2001 bis März 2004 entstanden neue Studienpläne für die Katholische Fachtheologie, das Doktorat Katholische Theologie, die Katholische Religionspädagogik und das Lehramtsstudium im Unterrichtsfach Katholische Religion. Das Forschungsinteresse von Rees gilt neben dem kirchlichen Strafrecht, dem kirchlichen Verfassungsrecht, den rechtlichen Fragen zu Katechese, Religionsunterricht, Schule und Hochschule sowie der Ökumene vor allem staatskirchenrechtlichen Fragestellungen, ein Forschungsgebiet, das ihm in besonderer Weise sein Lehrer Joseph Listl erschlossen hat. Im Schriftenverzeichnis des Jubilars nehmen entsprechende Publikationen breiten Raum ein. Rees wendet sich nicht nur der kanonistischen Forschung zu. Seine Aufmerksamkeit galt auch den an der Katholisch-Theologischen Fakultät bzw. der Universität Innsbruck neu entstehenden Vernetzungen. So ist er Mitglied im Forschungszentrum Religion – Ge-
Vorwort
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walt – Kommunikation – Weltordnung (RGKW), im Forschungsprogramm Kommunikative Theologie sowie im Forschungszentrum Synagoge und Kirchen. Die nationale und internationale Zusammenarbeit in Forschung und Lehre ist Rees ein besonderes Anliegen. Rees war 2012 bis 2015 Initiator und Leiter des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) genehmigten Forschungsprojekts „Österreichischer Synodaler Vorgang – Befragung von Zeitzeugen und Rezeption“. Das Projekt war Bestandteil eines internationalen Kooperationsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu den mitteleuropäischen Nationalsynoden der römisch-katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, das von Professor Dr. Joachim Schmiedl geleitet wurde und an dem Forscher aus Deutschland, der Schweiz und Österreich beteiligt waren. Wilhelm Rees ist durch seine ausgedehnte Vortrags- und Publikationstätigkeit in der akademischen Welt vielfach präsent. Dazu gibt das Schriftenverzeichnis des Jubilars, das diesem Band beigefügt ist, detaillierte Auskunft. Seine Kooperationsfähigkeit und die selbstlose Bereitschaft, Gemeinschaftswerke zu organisieren, bilden die Grundlage für eine gleichfalls umfangreiche Tätigkeit als Herausgeber. Namentlich genannt seien die Herausgeberschaften der renommierten Reihe „Kanonistische Studien und Texte“ (seit 2000) und der 3. Auflage des „Handbuchs des katholischen Kirchenrechts“ als internationale Gemeinschaftsarbeit (2015). Neben der akademischen Tätigkeit wird Wilhelm Rees auch als Berater, Gutachter und Auskunftsperson gefragt, sowohl im kirchlichen als auch im wissenschaftlichen Bereich. Rees war Mitglied der Diözesansynode des Militärordinariats der Republik Österreich, die von 30. September bis 4. Oktober 2013 in der Schwarzenberg Kaserne in Salzburg stattfand und deren Ziel die Erarbeitung von Vorschlägen für ein neues Pastoralkonzept der Militärdiözese war, und begleitete diese mit seiner kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Fachkompetenz. Die Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft von Wilhelm Rees bilden die Grundlage für dessen vielfache Präsenz an anderen Universitäten in Österreich und im Ausland. Mit den Kollegen der Universitäten Wien und Salzburg hat er gemeinsam Lehrveranstaltungen und Exkursionen durchgeführt. Als Organisator internationaler kirchen- und staatkirchenrechtlicher Tagungen hat Wilhelm Rees sich vielfach bewährt. Forschungs- und Lehraufenthalte haben ihn an Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Italien, Polen, Tschechien, Litauen, Slowenien, Spanien und Griechenland geführt. Trotz seiner weitgespannten akademischen Aktivitäten findet Wilhelm Rees noch Zeit und Kraft für die Mitarbeit in der Pfarrei St. Wolfgang und Leonhard an seinem Wohnort Jenbach und für seine Familie. Mit der Fertigstellung dieses Festbandes geht der Blick der Herausgeber auch dankbar zu jenen Menschen, ohne deren Hilfe ein solches Werk nicht entstehen kann. Zu Dank sind wir vor allem den Autoren verpflichtet. Sie haben Forschungs-
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beiträge aus ihrem wissenschaftlichen Arbeiten zur Verfügung gestellt, die an Grundlinien im kanonistischen Arbeiten des Jubilars Maß nehmen. Unser Dank gilt sodann Seiner Exzellenz Hermann Glettler, Bischof von Innsbruck, für sein Grußwort. Vergelt’s Gott sagen wir allen, die durch großherzige Zuschüsse die Drucklegung dieser Festschrift ermöglicht haben, namentlich der Erzdiözese Salzburg, den Diözesen Augsburg, Eisenstadt, Feldkirch, Graz-Seckau, Innsbruck, Linz und St. Pölten, dem Katholischen Militärordinariat Österreichs sowie der Pfarrer-Elz-Stiftung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Darüber hinaus bedanken wir uns für die bewährte Zusammenarbeit mit dem Verlag Duncker & Humblot in Berlin. Ebenso danken wir für die Aufnahme der Festschrift in die Reihe „Kanonistische Studien und Texte“, die Wilhelm Rees seit dem Jahre 2000 mitverantwortet und mit seinem persönlichen Einsatz maßgebend prägt. Schließlich gilt unser großer Dank den Mitarbeitern am Lehrstuhl für Kirchenrecht der Theologischen Fakultät Trier, Frau Silvia Marx im Sekretariat, Herrn Mag. Theol. Sebastian Marx als wissenschaftlichem Mitarbeiter sowie Frau Mag. Theol. Nina Andrea Jungblut und Herrn Jakob Luz y Graf als wissenschaftlichen Hilfskräften. Sie haben großartige Arbeit in allen Phasen der Entstehung dieser Festschrift geleistet! Mit großem Respekt und mit Dankbarkeit blicken wir auf das Wirken von Wilhelm Rees im Dienst von Kirche und Wissenschaft und wünschen dem verdienten Kollegen eine glückliche Fortsetzung seiner vielfältigen Tätigkeiten. Ad multos annos! München/St. Augustin/St. Pölten, Ostern 2020
Stephan Haering, Christoph Ohly und Ludger Müller
Nur wenige Tage, bevor die Festschrift in den Druck gehen sollte, ist unser hochgeschätzter Kollege und Mitherausgeber Ludger Müller am 20. April 2020 nach schwerer Krankheit verstorben. Bis zuletzt hat er die Fertigstellung dieses Festbandes mit aller ihm möglichen Unterstützung begleitet. Mit großer Dankbarkeit blicken wir gemeinsam mit Wilhelm Rees auf vielfältige Formen unserer Zusammenarbeit mit Ludger Müller zurück, insbesondere in der Verantwortung und Durchführung zahlreicher kirchenrechtlicher Fachtagungen, Lehrgänge sowie kanonistischer Fachpublikationen. Getragen durch den Glauben an die Auferstehung werden wir unserem Kollegen und Freund ein stets ehrendes Andenken bewahren. München/St. Augustin, den 22. April 2020
Stephan Haering und Christoph Ohly
Inhaltsverzeichnis Hermann Glettler Grußwort. Dem Leben der Kirche verpflichtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Kirchliche Rechtsgeschichte Johann Bair Anmerkungen zum Begriff „Religion“ aus rechtshistorischer Sicht . . . . . . . . .
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Bernd Eicholt Regulae iuris des Liber VI0 im staatlichen und im kirchlichen Straf- und Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jörg Ernesti Die Außenpolitik und Staatslehre Leos XIII. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christian Hillgruber Das Delikt der Gotteslästerung im kanonischen und weltlichen Recht im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Herbert Kalb Die religionsbezogenen Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain-enLaye – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alfred Rinnerthaler Joseph Anton Schöpf – ein Salzburger Kanonist im Kampf gegen den Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Harald Tripp Die Gesetzgebung über den Kult der heiligen Bilder und Ikonen. Rechtshistorische Anmerkungen zum Zeitalter des byzantinischen Ikonoklasmus . . . . . . .
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II. Grundfragen des Kirchenrechts und allgemeine Normen Irena Avsenik Nabergoj Law between legal norms and literary forms in the Bible . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Judith Hahn Religiöse Bukowina. Die Rechtspluralismusdebatte und ihre Bedeutung für das Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ulrich Rhode Mindestanzahlen im kanonischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Markus Walser Gesetzeskonkurrenz. Vom Umgang mit konkurrierenden oder sich widersprechenden Rechtsnormen insbesondere im Rahmen der Gesetzgebung . . . . . . . .
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III. Kirchliches Verfassungsrecht Richard Hartmann Leitung in der Kirche – notwendige Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gábor Kiss Fragen über die Mitwirkung der Laien in der kirchlichen Vollmacht und in dem dreifachen Amt Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Adrian Loretan Die Synode 72 als schweizerisches Modell der Synodalität . . . . . . . . . . . . . . .
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Thomas Meckel Das Motu Proprio „Come una madre amorevole“ zur Amtsenthebung von Bischöfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Christoph Ohly Der Pfarrer als „Pastor proprius“. Erinnerung an ein verfassungsrechtliches Grundprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Torbjørn Olsen Der Begriff „christifidelis“ und dessen Übersetzung in moderne Sprachen . . .
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Andrzej Pastwa „Die formale Willenserklärung zum Austritt aus der Kirche“. Ein Jahrzehnt der Rechtspraxis in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Joachim Schmiedl Synodalität in der katholischen Kirche – ein „Zeichen der Zeit“. Anmerkungen im Anschluss an ein Dokument der Internationalen Theologenkommission . . .
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Thomas Schüller Renaissance eines lang verschmähten Kanons – zur Seelsorge in pfarrerlosen Pfarreien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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IV. Recht der kanonischen Lebensverbände Rudolf Henseler Der Ordensbruder in klerikalen klösterlichen Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Elisabeth Kandler-Mayr Cor orans – einige Fragen an die Instruktion aus der Sicht der Ordinariate . . .
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Nikolaus Schöch Fragen zur Anwendung der Entlassung durch Dekret gemäß c. 695 CIC/1983 auf bereits verjährte Straftaten und auf nicht-geweihte Mitglieder . . . . . . . . . .
391
V. Grundvollzüge der Kirche und ihre rechtliche Ordnung Christoph Grabenwarter Zur Frage der Erteilung der bischöflichen Zustimmung zur „Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415
Andreas E. Graßmann „Die Eltern haben die sehr strenge Pflicht und das erstrangige Recht […] für die sittliche und religiöse Erziehung der Kinder zu sorgen.“ (c. 1136 CIC/1983). Recht und Pflicht zur Erziehung von Kindern durch die Eltern in Auseinandersetzung mit dem kirchlichen und staatlichen Erziehungsanspruch in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427
Georg May Trägt c. 844 § 4 CIC/1983 seine Interpretationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
455
Markus Moling Ein guter Lebensstil für Priester – Impulse aus der Ratio fundamentalis sacerdotalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
469
Stefan Mückl „Wie aber soll jemand verkünden, wenn er nicht gesandt ist?“. Die Missio canonica für Religionslehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Matthias Pulte Das neue kirchliche Hochschulrecht – wirklich eine Freude für Forschung und Lehre in der Theologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
VI. Kirchliches Vermögens-, Sanktionsund Verfahrensrecht Rüdiger Althaus „Das kann man ihm doch (nicht) durchgehen lassen“. Aspekte eines Disziplinarrechts für Kleriker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Grichting Vermögensrechtliche Lehren aus den Vereinigten Staaten von Amerika . . . . . .
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Elmar Güthoff Interdiözesangerichte erster Instanz als Alternative zu den Diözesangerichten
557
Gerhard Hörting „… doch ganz ungestraft kann ich dich nicht lassen“ (Jer 30,11). Über die Frage nach der Bedeutung von Strafrecht und Strafe in der Lateinischen Kirche
571
Stefan Ihli Buße statt Strafe. Ein wenig beachtetes Rechtsinstitut als Handlungsalternative im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus Lüdicke Nicht nur Worte, sondern Taten. Desiderate zum rechtlichen Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
609
Peter Platen Die Würdigung von Handlungen im Zusammenhang von pornographischen Darstellungen von Minderjährigen im geltenden kirchlichen Strafrecht . . . . . .
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Matthias Rauch Überlegungen zur Relevanz des Interdikts als Beugestrafe im Kanonischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Rehak Die „actio libera in causa“ im kirchlichen und weltlichen Strafrecht. Eine Skizze zur Genese des c. 1325 CIC/1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
655
Klaus Zeller Die „Invocatio divini Nominis“ im Rubrum kirchlicher Gerichtsurteile . . . . . .
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VII. Recht der orientalischen Kirchen und ökumenische Fragestellungen Michael Benz Die staatskirchenrechtliche Stellung katholischer orientalischer Christen in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hanns Engelhardt Das Verfahren der Bischofswahl in den anglikanischen Kirchen . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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Heribert Hallermann Kommuniongemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Liborius Olaf Lumma Kommunion für Kinder. Kanonistische und liturgiewissenschaftliche Überlegungen zur Sakramentenpraxis in der lateinischen Kirche und in den katholischen Ostkirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Otto „Ein Schatz in irdenen Gefäßen“. Der „Otto-Larsen-Fall“ und andere: Lutherische Lehrzucht in skandinavischen Volkskirchen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Helmuth Pree Das Ordinariat für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich . .
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Karl W. Schwarz Über die Selbstverpflichtung „Vorurteile abzubauen“ und den Dialog mit den „Freikirchen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII. Vergleichendes Religionsrecht und das Verhältnis von Staat und Kirche Burkhard Josef Berkmann Neueste Judikatur zum EU-Beihilfenrecht: keine Berücksichtigung religiöser Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Felix Bernard „Ewige Schulden“ – das Problem mit den Staatsleistungen. Anmerkungen dazu aus niedersächsischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
809
Andrea Edenharter „Aggiornamento made in Europe“ – Neujustierung des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
817
Gabriela Eisenring „Ehe für alle“ und naturrechtlich-christliches Eheverständnis in der Schweiz: einige historisch-rechtliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
835
Michael Frisch Rechtsgrundlagen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
851
Lothar Häberle Islam-bezogene Konflikte um die Religionsfreiheit. Kopftuch und Niqab im öffentlichen Raum sowie islamischer Religionsunterricht in staatsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stephan Haering Heiliger Stuhl. Ein Begriff des Kirchenrechts und des internationalen Rechts
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Inhaltsverzeichnis
Felix Hammer Kirchensteuer und Konkordate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
917
Ansgar Hense Einheitlichkeit in kirchlicher Rechtssetzung und Rechtsanwendung? Vorläufige Überlegungen zu einer Thematik aus deutscher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . .
933
Alfred E. Hierold Kirche und Staat in Bayern nach der Verfassung von 1919 . . . . . . . . . . . . . . . .
947
Johann Hirnsperger Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz und der Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften. Zu einem Grazer Forschungsprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . .
955
Burkhard Kämper Das christliche Menschenbild in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
973
Gerlinde Katzinger Religiöse Symbole in pädagogischen Einrichtungen – eine immerwährende Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
985
Andreas Kowatsch Wenn Unionsrecht, nationales Recht und kirchliches Recht kollidieren – eine Relecture des sogenannten „Chefarztfalles“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Georg Manten Konfessioneller Religionsunterricht in öffentlichen Schulen unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033 Michael Mitterhofer Kirchliche Körperschaft mit zivilrechtlicher Anerkennung in Italien . . . . . . . . 1067 Stefan Muckel Deutsches Staatskirchenrecht als Integrationschance für islamische Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1079 Ludger Müller Geistliches und Weltliches aus der Sicht des katholischen Kirchenrechts . . . . . 1095 Damián Neˇ mec Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Tschechischen Republik im Lichte der Beziehungen zwischen Staat und Kirche . . . 1107 Martin Ötker Der Sonntag – Tag der Arbeitsruhe und des Einkaufserlebnisses? Zum bundesweit ersten Bürgerbegehren für den freien Sonntag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129 María J. Roca Propuesta de modificación de la Ley Orgánica de Educación en España: consecuencias sobre el derecho de los padres a elegir la formación religiosa y moral de sus hijos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1159 Balázs Schanda Staatskirchenrechtliche Kontexte des Religionsunterrichts in Ungarn . . . . . . . . 1171
Inhaltsverzeichnis
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Stefan Schima Etablierung eines Staatschristentums? Aspekte der aktuellen religionsrechtlichen Entwicklung Österreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1183 Markus Schulten Die Integration jüdischer und muslimischer Gemeinschaften in die religionsverfassungsrechtlichen Ordnungsgefüge Deutschlands und Österreichs – einige rechtsvergleichende Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1211 Arnd Uhle Schwindende Gemeinsamkeiten. Aktuelle Entwicklungstendenzen im Verhältnis von kanonischem und staatlichem Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1231 Andreas Weiß „Ehe für Alle“? Bemerkungen zum staatlichen „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ vom 1. Oktober 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1257 Bibliographie Wilhelm Rees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1273 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1305
Grußwort Dem Leben der Kirche verpflichtet Wilhelm Rees ist seit 1996 Ordinarius für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Ich freue mich über die Festschrift, die anlässlich seines 65. Geburtstages entstanden ist – ein Zeichen von Anerkennung und Wertschätzung für sein umfassendes Wirken. Wilhelm Rees gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Kanonisten. Seine hohe wissenschaftliche Reputation gründet auf einer umfangreichen internationalen Lehr-, Vortrags- und Forschungstätigkeit, der Organisation von Tagungen, zahlreichen Publikationen und vielen Rechtsberatungstätigkeiten in- und außerhalb der Diözese Innsbruck. Eine ausgewiesene Netzwerkkompetenz und nicht unwichtige didaktischen Fähigkeiten begründen die Beliebtheitswerte von Professor Wilhelm Rees unter den Studierenden. Das Kirchenrecht hat die Aufgabe, „der kirchlichen Gemeinschaft (societas) eine Ordnung zu geben, die der Liebe, der Gnade und den Charismen Vorrang einräumt und gleichzeitig deren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gemeinschaft wie auch der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert.“ Diese Zielangabe, die Papst Johannes Paul II. bei der Promulgation des aktuellen CIC am 25. Jänner 1983 formuliert hat, scheint mir die vielfältige Arbeit von Professor Wilhelm Rees zu leiten. Seinem Verständnis zufolge muss das Kirchenrecht immer den konkreten Menschen sowie dem kirchlichen Leben und der Pastoral dienen. Aus diesem Grund ist für Wilhelm Rees der Praxisbezug in seiner Lehrtätigkeit ein besonderes Anliegen. Im Rahmen seiner Lehrveranstaltungen stellt er Kontakte zu kirchlichen Praxisfeldern, wie z. B. der Kirchenbeitragsstelle, dem diözesanen
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Ehegericht und anderen Einrichtungen der Diözese her. In diesem Zusammenhang lädt er auch Verantwortliche diözesaner Stellen in Seminare und Vorlesungen ein und organisiert entsprechende Exkursionen mit den Studierenden, nicht zuletzt regelmäßig auch nach Rom. Viele der heute in der Diözese Innsbruck tätigen Theologinnen und Theologen hat Wilhelm Rees auf ihrem Ausbildungs- und Glaubensweg begleitet und geprägt. Ich danke ihm für sein Engagement, für seine Weitsicht und seine Expertise und gratuliere dem Jubilar von Herzen zu seinem 65. Geburtstag. Gottes Segen für das weitere Wirken! Hermann Glettler Diözesanbischof von Innsbruck
I. Kirchliche Rechtsgeschichte
Anmerkungen zum Begriff „Religion“ aus rechtshistorischer Sicht Von Johann Bair
I. Allgemeines Der Religionsbegriff spielt nicht nur in der Rechtswissenschaft, sondern auch in einer Reihe anderer Wissenschaften1 eine Rolle. Im Zentrum steht bei allen, neben dem Bemühen um eine inhaltliche Klärung des Begriffs, auch das Streben nach einem allen Wissenschaften gemeinsamen Religionsbegriff. Letzteres ist weder der Rechtswissenschaft noch den anderen Wissenschaften bis zum heutigen Tag gelungen.2 Sämtliche Wissenschaften sind gezwungen, auf einen ihnen jeweils eigenen Religionsbegriff zurückzugreifen, wobei in der Regel sogar innerhalb einer Wissenschaft ein von allgemeinem Konsens getragener Religionsbegriff nicht vorhanden ist. Als „komplexes Gebilde“ prägt den Begriff auch eine historische Komponente.3 Versucht man sich aus rechtshistorischer Sicht dieser historischen Komponente zu nähern, so ist vorauszuschicken, dass die Rechtsgeschichte sich ausschließlich mit Rechtsquellen befasst und diese im Allgemeinen zeitgebunden interpretiert werden. Wenn der Begriff Rechtsquellen auf Rechtsbegriffe eingeengt wird, ist im gegebenen Zusammenhang nur das weltliche Recht gemeint. Außer Betracht bleibt der Religionsbegriff der Theologie4 oder einer anderen Wissenschaft.
1 Erwähnt seien nur neben der Religionswissenschaft noch die Religionssoziologie, Religionspsychologie oder Religionsphilosophie. Dazu Walter Kerber (Hrsg.), Der Begriff der Religion, Ein Symposium, in: Walter Kerber (Hrsg.), Veröffentlichungen des Forschungs- und Studienprojekts der Rottendorf-Stiftung an der Hochschule für Philosophie Philosophische Fakultät S. J., 9. Bd., München 1993, S. 13 ff., 47 ff., 111 ff., 159 ff. 2 Ernst Feil, Zur Bestimmung und Abgrenzungsproblematik von „Religion“, in: Ernst Feil (Hrsg.), Streitfall „Religion“, Diskussionen zur Bestimmung und Abgrenzung des Religionsbegriffs, Münster 2000, S. 5 – 35, hier S. 7 f. 3 Heinrich von Stietencron, Religion: Vom Begriff zum Phänomen oder vom Phänomen zum Begriff?, in: Feil (Hrsg.), Streitfall (Anm. 2), S. 131 – 136, hier S. 134. 4 Falk Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Güthersloh 1986, S. 441 ff.
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II. Anfänge und Religionsfrieden Die Wurzel des heutigen Rechtsbegriffs Religion ist rechtshistorisch im Abschied des Augsburger Reichstages des Jahres 15555 zu sehen. Dort war er Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs, neben Begriffen wie „Confession“ und „Glaube“.6 Bis es soweit war, war der altrömische Begriff „religio“ mit dem Begriff „pietas“ gleichbedeutend und umschrieb die „sorgfältige Ausübung“7 der Götterverehrung.8 Im Bereich der geistlichen Genossenschaften umfasste der Begriff die Gesamtheit der Normen „für glauben und leben“, welche die Genossenschaften verbanden.9 Bei Augustinus kam es zu einer Abgrenzung zwischen christlicher „religio vera“ und heidnischer „religio falsa“.10 Der Begriff „religio“ beschrieb dabei die „Praxis der Gottesverehrung (veneratio Dei)“.11 Ein gemeinsamer Überbegriff entstand durch die Abgrenzung aber nicht. Zu einem solchen wurde der Begriff Religion erst ab 1530 im Zuge der Spaltung des westlichen Christentums.12 Bis dahin war der von katholischer Theologie und synodalem, päpstlichem und bischöflichem Kirchenrecht geprägte Religionsbegriff aufgrund der im Wormser Konkordat des Jahres 112213 vereinbarten gegenseitigen Unterstützung von geistlicher und weltlicher Macht im Großen und Ganzen unangefochten geblieben. Mit der Spaltung des Christentums am Beginn der Neuzeit zerbrach die mittelalterliche Einheit von Glauben und Recht. In Bezug auf den Religionsbegriff bedeutete dies, dass die Notwendigkeit entstand, den Begriff aus katholischer Theologie und katholischem Kirchenrecht herauszulösen und im weltlichen Recht zu verankern. Der Abschied des Augsburger Reichstags von 1555 tat, um den Untergang des „heyl. Reich[s] Teutscher Nation“14 aufgrund der Spaltung zu verhüten, genau dies. Der Rechtsbegriff Religion wurde auf der Ebene des Reiches zu einem Über5 Abschiedt Der Römischen Königlichen Maiestat, vnd gemeiner Stendt, auff dem Reichßtag zu Augspurg, Anno Domini M.D.LV. auffgericht, Meyntz M.D.LV. 6 Ernst Feil, Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation, Göttingen 1986, S. 271. 7 Mathias Hildebrandt/Manfred Brocker, Der Begriff der Religion, in: Mathias Hildebrandt/Manfred Brocker (Hrsg.) Der Begriff der Religion, Interdisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 2008, S. 9 – 32, hier S. 13. 8 Feil, Religio, Frühchristentum (Anm. 6), S. 47. 9 Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Artikel Religion, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854 – 1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971, Bd. 14, Sp. 801. 10 Feil, Religio, Frühchristentum (Anm. 6), S. 71. 11 Matthias Riedl, Vera religio – ein Schlüsselbegriff im politischen Denken des spätantiken Christentums, in: Mathias Hildebrandt/Manfred Brocker (Hrsg.) Religion, S. 33 – 58, hier S. 47. 12 Feil, Religio, Frühchristentum (Anm. 6), S. 269 f. 13 Ludwig Weiland (Hrsg.), Monumenta Germaniae historica, Bd. 1, Hannover 1893, 159 ff. 14 Abschiedt (Anm. 5), S. 1.
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begriff, der zwei gegensätzliche, trotz aufrichtiger Bemühungen die Spaltung zu überwinden, unversöhnbare religiöse Vorstellungen in sich aufnahm. Religion im reichsrechtlichen Sinn war die Summe aus „alte[r]“ Religion plus „spaltige[r]“ Religion.15 Darüber hinaus hatte im reichsrechtlichen Religionsbegriff des Augsburger Abschieds nichts Platz. Die weltliche Macht (Kaiser, Reichsstände) schuf eine Friedensordnung, in der der Rechtsbegriff Religion als Rechtfertigungsgrund für Gewaltanwendung nicht mehr herangezogen werden konnte. Eingeschränkt war die Gewaltanwendung allerdings nur in Bezug auf die „alte“ Religion (Katholiken) und „spaltige“ Religion (Anhänger der „Augspurgischen Confession“); alle die diesen „bede[n] Religionen“16 nicht angehörten, sich nicht zu ihnen bekannten bzw. von ihnen abspalteten, wurden vom Frieden nicht umfasst und waren auch nicht Teil des Rechtsbegriffs Religion.17 Den Untertanen des Kaisers und der Reichsstände, die „der alten Religion oder Augspurgische[n] Confession anhenig“ waren, räumte der Abschied das Recht ein, „ihrer Religion wegen“ ihren Heimatort zu verlassen und sich anderswo niederzulassen.18 Allerdings beantwortete der Reichsabschied weder in Bezug auf die Reichsfürsten noch die Untertanen die Frage, wer zur alten bzw. spaltigen Religion nunmehr gehörte. Dies überließ der Abschied jedem einzelnen. Für die Untertanen ging mit dem Recht der Religionswahl ein Auswanderungsrecht einher, für die Reichsfürsten das Recht, die Religion des eigenen Landes zu bestimmen;19 letzteres zeigte plakativ die Formel cuius regio – eius religio.20 Mit der Möglichkeit der Bestimmung der Religion durch die Fürsten bzw. der Inanspruchnahme des Auswanderungsrechtes durch die Untertanen wurden katholische Theologie und katholisches Kirchenrecht auf der einen Seite und evangelische Theologie und Kirchenordnung auf der anderen Seite Teil des Religionsbegriffs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Auf Reichsebene entstand damit ein formal einheitlicher, in seiner konkreten Ausprägung Widersprüchliches verbindender Religionsbegriff. Dieser einheitliche reichsrechtliche Begriff bedingte allerdings keinen einheitlichen Religionsbegriff auf der Ebene der Länder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Auf dieser Ebene konnte sich der Begriff von Land zu Land unterscheiden, je nachdem welche Religion ein Fürst wählte. Durch die Wahl machte der Fürst eine Religion des Augsburger Abschieds zu seiner Religion. Damit verschaffte er entweder der katholischen Religion unter Ausschluss der evangelischen Religion oder der evangelischen Religion unter Ausschluss der katholischen Religion auf seinem Territorium 15
Ebd. (Anm. 5), u. a. S. 6 f. Ebd. (Anm. 5), S. 7. 17 Johann Christian Majer, Teutsches Geistliches Staatsrecht, abgetheilt in Reichs- und Landrecht, 1. Bd., Lemgo 1773, S. 42 ff. 18 Abschiedt (Anm. 5), S. 9. 19 Klaus Schlaich, Jus reformandi, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 1. Bd., Berlin 1971, S. 498 ff. 20 Nach Martin Heckel, Cuius regio – eius religio, in: HRG, 1. Bd., S. 651, stammt die Formulierung von Joachim Stephani (1544 – 1623). 16
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einen universellen Geltungsanspruch. Mit seiner Wahl bestimmte er letztlich den Religionsbegriff in seinem Territorium. So konnte in einem anderen Territorium, unter einem anderen Fürsten, ein anderer Religionsbegriff des Augsburger Abschieds vorhanden sein. Der Abschied schuf also nicht nur eine Friedensordnung und in beschränktem Umfang religiöse Freiheitsordnung, er schuf auch die Grundlage für zwei unterschiedliche Religionsbegriffe auf Länderebene. Diese Religionsbegriffe konnten aufgrund ihrer „räumlichen Aufteilung“21 nebeneinander Bestand haben. Die Wahl des Fürsten verhinderte, dass Widersprüchliches im Religionsbegriff der Länder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vorhanden war. Auf Reichsebene fehlte eine derartige räumliche Trennung des Religionsbegriffs. Im Westfälischen Frieden des Jahres 164822 entschied man sich daher den widersprüchlichen, gleichzeitig aber einheitlichen weltlichen Religionsbegriff abzusichern, und in Religionssachen Mehrheitsentscheidungen nicht zuzulassen. Dies wurde dadurch erreicht, dass bei der Entscheidung von Religionssachen der Reichstag in einen Corpus Evangelicorum und Catholicorum auseinanderzutreten (itio in partes) hatte.23 Damit war auf Reichseben der Religionsbegriff der einseitigen Verfügung einer weltlichen Religionspartei (Kaiser, Reichsfürsten, Reichsstädte) entzogen. Mit dem Westfälischen Frieden trat ein neues Element in den Religionsbegriff des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ein, nämlich die Religion der „Reformierten“,24 denen sämtliche Rechte oder Vergünstigungen der katholischen und augsburgischen Konfession zugetanen Stände und Untertanen zugestanden wurden.25 Im Ergebnis erweiterte der Westfälische Frieden den Religionsbegriff. Auf Reichsebene umfasste er nunmehr neben der katholischen auch die evangelische und reformierte Religion. Diesem Widersprüchliches umfassenden einheitlichen reichsrechtlichen Religionsbegriff standen auf der Ebene der Länder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation weiterhin von den Landesfürsten, im Rahmen des reichsrechtlich Möglichen, bestimmte Religionsbegriffe gegenüber. Der Religionsbegriff wurde mit dem Augsburger Abschied und dem Westfälischen Frieden säkularisiert. Weder im Abschied von 1555 noch beim Abschluss des Westfälischen Friedens 1648 waren die religiösen „Institutionen“ (Katholische, Evangelische oder Reformierte Kirche) Parteien des Abschieds bzw. des Vertrags. Damit waren sie auch von jeder Deutungshoheit bzw. jedem Mitwirkungsrecht bei 21 Martin Heckel, Zur Auswirkung der Konfessionalisierung auf das Recht im Alten Reich, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung, Bd. 96 (1) (2010), S. 407 – 454, hier S. 422. 22 Friedens-Schluß Zwischen der Römischen Käyserlichen Auch Königl. Schwedischen Mayst. […] ins Teutsche versetzt […] Mäyntz […] M.DC.XLIX. 23 Art. V [Kirchliche Streitfragen], § 52 IPO (Instrumentum Pacis Osnabrugensis). 24 Art. VII [Reformierte], § 1 IPO. 25 Zur Zuordnung der Reformierten zur Augsburger Konfession Matthias Simon, Der Augsburger Religionsfriede, Augsburg 1955, S. 79.
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der Auslegung des Religionsbegriffs ausgeschlossen. Der Widerspruch oder Protest von „Geistlichen“ gegen den Westfälischen Frieden im Allgemeinen und damit dem Religionsbegriff im Besonderen wurde darüber hinaus auch ausdrücklich für „ungültig und nichtig“ erklärt.26 Die „Säkularisierung“27 brachte mit sich, dass die Interpretation des Religionsbegriffs, dessen inhaltlich Befüllung und Einpassung in die Rechtsordnung, eine weltliche Aufgabe war. Wo Religion in die weltliche Sphäre hineinreichte, war sie daher von der weltlichen Macht im interpretativen Weg mit der weltlichen Rahmenordnung in Übereinstimmung zu bringen. Inhaltlich nahm der Religionsbegriff des Reiches daher sowohl im Augsburger Abschied als auch im Westfälischen Frieden die katholische sowie evangelische bzw. reformierte Religion daher nur insoweit in sich auf, als nicht der in die weltliche Sphäre hineinreichende Wahrheitsanspruch28 der jeweiligen Religion dies unmöglich machte. Daher war etwa die „Geystlich Jurisdiction“29 wider Nicht-Religionsverwandten nicht Teil des Religionsbegriffs. Der Missionsauftrag nur insoweit, als er mit dem allgemeinen Friedensgebot vereinbar war. Vom reichsrechtlichen Religionsbegriff unterschied sich der Religionsbegriff auf der Ebene der Länder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation insofern, als der Wahrheitsanspruch der auf Reichsebene vorhandenen Religionen aufgrund der bereits im Augsburger Abschied vorgesehenen räumlichen Trennung derselben Bestand haben konnte. Insoweit war der Religionsbegriff inhaltlich auf Länderebene umfangreicher als auf Reichsebene. In katholischen Territorien bestimmten die katholische Theologie und das katholische Kirchenrecht, in evangelischen und reformierten Territorien die evangelische oder reformierte Theologie und die jeweilige Kirchenordnung den Religionsbegriff. Relativiert wurde dies allerdings durch den Westfälischen Friedens insoweit, als der Frieden die „Reichsstände“ zu den „mächtigste[n] Laien“30 in ihren Ländern machte. Sie erlangten aufgrund der ihnen eingeräumten autonomen Stellung auch in Religionsfragen verstärkten Einfluss auf Ämterbesetzung oder Kirchenordnung. Damit erweiterte der Westfälische Frieden die Möglichkeit der Fürsten, den Religionsbegriff nach ihren Vorstellungen zu formen.
III. Toleranzgesetzgebung Auf Reichsebene gab es in Bezug auf den Religionsbegriff bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 keine wesentlichen Än26
Art. V [Kirchliche Streitfragen], § 1 IPO. Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede: kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998, S. 114. 28 Barbara Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: Vom Ende des Mittelalters bis 1806, München 52013, S. 63. 29 Abschiedt (Anm. 5), S. 8. 30 Bernd Jeaund’Heur, Der Begriff der „Staatskirche“ in seiner historischen Entwicklung, in: Der Staat, Bd. 30, Nr. 3 (1991), S. 442 – 467, hier S. 444. 27
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derungen. Auf der Länderebene begann sich in den zum heutigen Österreich gehörenden habsburgischen Erbländern die Situation im ausgehenden 18. Jahrhundert zu verändern. Der Gedanke der religiösen Toleranz hielt unter dem Einfluss vernunftrechtlicher Vorstellungen Einzug in das Recht. Neben wirtschaftlichen Argumenten31 spielte auch die in der Gegenüberstellung von geoffenbarter und natürlicher Religion32 sich zeigende gedankliche Erweiterung33 des Religionsbegriffs eine Rolle. Die Toleranzgesetzgebung Kaiser Josef des II. in seinen Erblanden gründete auf dem Recht des Fürsten, die Religion in seinen Landen zu bestimmen. Insoweit war die Toleranzgesetzgebung innerhalb vom Augsburger Abschied und Westfälischen Frieden vorgegebenen reichsrechtlichen Rahmen. Wo die Toleranzgesetzgebung über diesen Rahmen hinausging, etwa in Bezug auf nicht unierte Griechen und Juden34, stand sie im Widerspruch zum klaren Wortlaut des Augsburger Abschieds und Westfälischen Friedens. Allerdings wurde schon im Vorfeld der Toleranzgesetzgebung „zur richtigen Bestimmung des wahren Verstandes“ des reichsrechtlichen Rahmens durch „Observanz“ eingeführtes „Toleranzrecht“ diskutiert.35 Dafür, dass die Toleranzgesetzgebung sich auf Reichsgewohnheitsrecht stützen konnte,36 sprach der in ihr vorhandene Verweis auf bestehende Gewohnheiten, dagegen, die Formulierung, das „Privat-Exercitium […] zu gestatten, ohne Rücksicht, ob selbes jemal gebräuchig, oder eingeführt gewesen seye, oder nicht.“37 Mit der Toleranzgesetzgebung erweiterte sich der landesrechtliche Religionsbegriff im landesfürstlichen Herrschaftsbereich Joseph des II. und umfasste nunmehr neben der katholischen und evangelischen (augsburgischer und helvetischer Ausprägung) Religion auch die Religion der nicht unierten Griechen und Juden. Gemeinden und Familien grenzten die verschiedenen Religionsverwandten in den Ländern der Toleranzgesetzgebung voneinander ab bzw. fassten sie zu einer Einheit zusammen. Damit war die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vorgezeichnete länd31 Erich Hassinger, Wirtschaftliche Motive und Argumente für religiöse Duldsamkeit im 16. und 17. Jahrhundert, in: Ernst Walter Zeeden (Hrsg.), Gegenreformation, Darmstadt 1973, S. 332 – 356, hier S. 352. 32 Hermann Conrad (Hrsg.), Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph im Natur- und Völkerrecht sowie im Deutschen Staats- und Lehnrecht, Wiesbaden 1964, S. 157 f. 33 Johann Jacob Moser, Von der Teutschen Religions-Verfassung, Franckfurt und Leipzig 1774, S. 37 f., gestand Gewissensfreiheit den Anhängern der reichsrechtlich erlaubten Religionen und den Juden zu. Den sich im „teutschen“ Reich eine Zeitlang aufhaltenden oder durchreisenden Griechen und „Mahometaner[n]“ sowie anderen „Sonderlinge[n] in Religionssachen“ wurde Gewissensfreiheit insoweit zugestanden, als sie sich den „Landesherrlichen Verordnungen“ fügten. 34 Harm Klueting (Hrsg.), Der Josephinismus, ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen, Darmstadt 1995, S. 275. 35 Majer, Staatsrecht (Anm. 17), 1. Bd., S. 44. 36 René Pahud de Montanges, Religionsfreiheit, in: Theologische Realenzyklopädie 28 (1997), S. 565 – 574, hier S. 566. 37 Klueting, Josephinismus (Anm. 34), S. 253.
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erweise Trennung der Religionsverwandten überwunden. In den Toleranzgebieten konnten auf diese Weise verschiedene Religionsverwandte nunmehr nebeneinander leben. Allein die der „katholischen Religion“ vorbehaltene öffentliche Ausübung der Religion hielt die Erinnerung an das im Augsburger Abschied und Westfälischen Frieden festgelegten Religionsbestimmungsrecht des Fürsten unter der Toleranzgesetzgebung wach. Mit der Sichtbarkeit der katholischen Religion im öffentlichen Bereich und der Duldung der tolerierten Religionen im privaten Bereich ging nicht nur eine Erweiterung des Religionsbegriffs einher, sondern auch eine Differenzierung des Begriffs. Er umfasste nunmehr in Bezug auf die katholische Religion die öffentliche, bei den tolerierten Religionen jedoch ausschließlich die private Religionsausübung. Im Übrigen wurde der Begriff im Wesentlichen von katholischen, orthodoxen, evangelischen, reformierten und jüdischen Glaubens- und Rechtsvorstellungen gespeist. Allerdings nur insoweit, als nicht religiöse Vorstellungen den landesrechtlichen Rahmen berührten. Wo dies geschah, zeigte sich, dass der Religionsbegriff ein rein landesrechtlicher Begriff war. So waren etwa bei einem katholischen Vater alle Kinder in der katholischen Religion zu erziehen, bei einem protestantischen Vater und katholischer Mutter hatte die Erziehung dem Geschlecht zu folgen.38 Die Juden waren „gleich allen übrigen Insassen“ an alle „politischen, bürgerlichen und gerichtlichen Landesgesetze“ gebunden.39
IV. Vom Beginn des Konstitutionalismus bis zum Ende der österreichischen Monarchie Mit dem Siegeszug des Konstitutionalismus hielt der Religionsbegriff Einzug in das Verfassungsrecht des Habsburgerreiches. Auch wenn die Verfassungsentwicklung einen revolutionären Ursprung hatte, es in kurzer Zeit auch zu mehrfachen Brüchen in der Verfassungsrechtsentwicklung kam, war der Religionsbegriff in diesem von Umbrüchen geprägten Umfeld doch von Kontinuität geprägt. So wurde in der ersten Verfassungsurkunde des österreichischen Kaiserstaates auf individueller Ebene von „Glaubens-[…]Freyheit“ gesprochen, auf kollektiver Ebene von „anerkannten christlichen Glaubensbekenntnissen“ und dem „israelitischen Cultus“. Eine Verbindung zwischen individueller Ebene und kollektiver Ebene bestand nur insofern, als die individuelle Ebene in der kollektiven Ebene ihre Entsprechung finden konnte, eine solche Entsprechung aber nicht notwendigerweise vorhanden sein musste. Individueller und kollektiver Religionsbegriff traten damit auf Verfas38 Peter Barton, „Das“ Toleranzpatent von 1781. Edition der wichtigsten Fassungen, in: Peter Barton (Hrsg.), Im Zeichen der Toleranz, Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen, Wien 1981, S. 199. 39 Klueting, Josephinismus (Anm. 34), S. 279.
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sungsebene auseinander, jede inhaltliche Konkretisierung des individuellen Religionsbegriffs verschwand. Auf kollektiver Ebene rezipierte die Verfassung den Religionsbegriff im Wesentlichen so, wie er in der Toleranzgesetzgebung niedergelegt worden war. Teil dieses Religionsbegriffs war nun allerdings auch die „freye Ausübung des Gottesdienstes“ der „anerkannten“ Religionsgemeinschaften.40 Der konstituierende Reichstag, der in der Folge auf der Grundlage der Verfassung von 1848 entstand, schrieb in seinem Kremsierer Verfassungsentwurf41 den Religionsbegriff fort, und öffnete ihn auf individueller Ebene für die häusliche und öffentliche „Ausübung“42. Gleichzeitig schloss er aber auch jede Handlung aus, die rechtsoder sittenverletzend war bzw. bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Pflichten entgegenstand. Auf kollektiver Ebene wurde eine gesetzliche Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgesellschaften (Kirchen) in Aussicht gestellt; bis es soweit war, war die Fortschreibung der bestehenden Verhältnisse vorgesehen. Im Grundrechtspatent43 der oktroyierten Märzverfassung44 des Jahres 1849 wurde der im Kremsierer Verfassungsentwurf auf individueller Ebene skizzierte Religionsbegriff insoweit eingeschränkt, als nunmehr nur mehr die häusliche Ausübung des „Religionsbekenntnisses“ erwähnt wurde. Auf kollektiver Ebene umfasste der Begriff weiterhin die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Denen wurde u. a. die öffentliche Religionsausübung zugestanden. Mit diesem und anderen Zugeständnissen ging die Unterwerfung unter die allgemeinen Staatsgesetze einher.45 In der weiteren Verfassungsentwicklung kam es zur Beseitigung der Verfassung im Jahr 185146. Dabei verschwand der Religionsbegriff auf der individuellen Ebene. Auf der kollektiven Ebene blieb er bestehen, da die in der Verfassung von 1849 in Bezug auf Kirchen und Religionsgesellschaften getroffenen Regelungen wieder in Geltung gesetzt wurden.47
40 §§ 17, 31 der Verfassungsurkunde des österreichischen Kaiserstaates vom 25. April 1848, in: Sr.[Seiner] k.[kaiserlichen]k.[königlichen] Majestät Ferdinand I. politische Gesetzte und Verordnungen, Wien 1851, 76. Bd., Nr. 49, S. 150, 152. 41 Anton Springer (Hrsg.), Protokolle des Verfassungs-Ausschusses im Österreichischen Reichstage 1848 – 1849, Leipzig 1885, 365 ff. 42 § 11 im Kremsierer Entwurf der Grundrechte. 43 Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, über die, durch die konstitutionelle Staatsform gewährten politischen Rechte, Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das Kaiserthum Österreich (RGBl) Nr. 151 (Grundrechtspatent). 44 Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die Reichsverfassung für das Kaiserthum Österreich enthaltend, RGBl Nr. 150, Wien 1850. 45 §§ 1, 2 Grundrechtspatent. 46 Kaiserliches Patent vom 31. Dezember 1851, RGBl Nr. 2 (1852). 47 Kaiserliches Patent vom 31. Dezember 1851, RGBl Nr. 3 (1852).
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Der Neubeginn der Verfassungsentwicklung ab 186048 führte schließlich zu der bis zum Ende der Monarchie in Österreich in Geltung stehenden, aus mehreren Staatsgrundgesetzen bestehenden Dezemberverfassung des Jahres 1867. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass im Jahr 1861 auf einfach gesetzlicher Ebene neben den staatsrechtlichen Beziehungen49 u. a. auch die innere Verfassung50 der evangelischen Kirche augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses einer Regelung unterworfen wurde. Im Jahr 1867 war Teil der Dezemberverfassung ein Staatsgrundgesetz51, das bis heute im Großen und Ganzen in Geltung blieb. Übernommen wurden von diesem Staatsgrundgesetz im Wesentlichen die Regelungen der Jahre 1848 und 1849. Auf individueller Ebene gestand das Staatsgrundgesetz den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses die häusliche Religionsübung ausdrücklich zu; dies allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass die Religionsübung weder rechtswidrig noch sittenverletzend war.52 Im Übrigen fehlte auf individueller Ebene jede inhaltliche Konkretisierung des Religionsbegriffs. Auf der Ebene der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften blieb die auf die Toleranzgesetzgebung zurückgehende inhaltliche Konkretisierung des Begriffs aufrecht. Damit war auf dieser Ebene der Religionsbegriff auf die anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften eingeschränkt. Ihnen wurden „gewisse Corporationsrechte“, die keine „Individualrechte“ waren, verfassungsmäßig gewährleistet.53 Begrenzt wurde der Religionsbegriff durch die allgemeinen Staatsgesetze. In der weiteren Entwicklung wurde aufgrund „eines lebhaft empfundenen praktischen Bedürfnisse[s]“54 eine „gesetzliche Vorsorge“55 für die Anerkennung von Kirchen und Religionsgesellschaften als notwendig erachtet. Es kam zur punktuellen Erweiterung des kollektiven Religionsbegriffs auf der Ebene der anerkannten Gemeinschaften. Gesetzliche Grundlage dieser Erweiterung war das im Jahr 1874 geschaffene, an und für sich bis heute in Geltung stehende Anerkennungsgesetz (An-
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Kaiserliches Diplom vom 20. Oktober 1860, zur Regelung der inneren staatrechtlichen Verhältnisse der Monarchie, RGBl Nr. 226. 49 Kaiserliches Patent vom 8. April 1861, RGBl Nr. 41. 50 Verordnung des Staatsministers vom 9. April 1861, RGBl Nr. 42. 51 Staatsgrundgesetz (StGG) vom 21. Dezember 1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, RGBl Nr. 142. 52 Art. 16 StGG. 53 Max Burckhard, Gesetze und Verordnungen in Cultussachen, Wien 1895, S. 3. 54 Stenographische Protokolle (StProt.) des Abgeordnetenhauses, VIII. Session (Sess.), Beilage (Blg.) 43 (Motivenbericht zu dem Entwurfe eines Gesetzes, betreffend „die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften“), S. 306. 55 StProt. des Abgeordnetenhauses, VIII. Sess., Blg. 135 (Bericht des confessionellen Ausschusses des Abgeordnetenhauses), S. 1224.
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erkennungsG),56 welches der Verwaltung die Möglichkeit gab, den kollektiven Religionsbegriff des Staatsgrundgesetzes mittels Verordnung auszudehnen. Die Kriterien, die der Verwaltung dabei an die Hand gegeben wurden, waren recht vage. Wesentlich war, dass die Religionslehre, der Gottesdienst, die Verfassung und die Benennung nichts „Gesetzwidriges oder sittlich Anstößiges“ enthielten, und dass die Errichtung und der Bestand einer Gemeinde gesichert waren.57 Die Abgrenzung der Religionsverwandten durch Gemeinden hatte sich bereits in den Toleranzpatenten abgezeichnet. Das Vorhandensein einer Gemeinde war damit Teil des kollektiven Religionsbegriffs. Daneben fanden sich noch Merkmale, wie Religionslehre, Gottesdienst, Verfassung und Name. Gesetzwidriges oder sittlich Anstößiges begrenzte den Begriff. Auf der Grundlage dieser im AnerkennungsG niedergelegten Kriterien kam es dann noch in der Zeit der Monarchie zur Erweiterung des Kreises der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Mittels Verordnung wurde im Jahr 1877 die Anerkennung der altkatholischen Religionsgesellschaft58 und im Jahr 1880 die der evangelischen Brüderkirche (Herrnhuter Brüderkirche)59 ausgesprochen. Im Jahr 1912 wurde dann der Religionsbegriff noch mittels eines Gesetzes60 durch die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft erweitert. Diese Erweiterung wurde im Bewusstsein vorgenommen, dass bei dieser Anerkennung die „Bedingungen“ des AnerkennungsG nicht erfüllt waren.61 Daher wurde der Weg der Gesetzgebung gewählt. Es zeigte sich, dass die im AnerkennungsG niedergelegten Kriterien für die Verwaltung galten, der Gesetzgeber sich jedoch nicht daran gebunden sah. Den Religionsbegriff auf der Ebene der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften formten so der an keine Kriterien gebundene Gesetzgeber und die an das AnerkennungsG gebundene Verwaltung. Mangels Bindung an die im AnerkennungsG genannten Kriterien konnte der Gesetzgeber eine Gemeinschaft, die die Verwaltung in den Religionsbegriff nicht aufnehmen hätte können, trotz des zweifelhaften Bestands einer Gemeinde und punktuell Gesetzwidrigem oder sittlich Anstößigem in der Religionslehre in den Begriff aufnehmen. Über den zweifelhaften Bestand einer Gemeinde wurde einfach hinweg gesehen, Gesetzwidriges und sittlich Anstößiges wurden aus der Religionslehre ausgeschieden. Am Ende der Monarchie im Jahre 1918 war somit der Religionsbegriff auf individueller Ebene im Rahmen der Staatsgesetze unbeschränkt und auf häusliche Reli56 Gesetz vom 20. Mai 1874, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl Nr. 68. 57 § 2 AnerkennungsG 1874. 58 Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 18. Oktober 1877, RGBl Nr. 99. 59 Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 30. März 1880, RGBl Nr. 40. 60 Gesetz vom 15. Juli 1912, RGBl Nr. 159, betreffend die Anerkennung der Anhänger des Islams nach hanefitischem Ritus als Religionsgesellschaft. 61 StProt. des Herrenhauses, XX. Sess., Blg. 1 (Erläuternde Bemerkungen der Regierungsvorlage), S. 5.
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gionsausübung beschränkt. Auf der Ebene der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften umfasste der Begriff die öffentliche Religionsausübung; Verwaltung und Gesetzgebung hatten ihn schrittweise auf der Grundlage des AnerkennungsG und mittels eines Gesetzgebungsaktes erweitert.
V. Staatsvertrag von St. Germain, Europäische Menschenrechtskonvention und Bekenntnisgemeinschaften Der Religionsbegriff der Monarchie fand aufgrund der Überleitung des StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger des Jahres 1867 in die Verfassungsordnung der Republik Österreich Eingang in die Rechtsordnung der Republik.62 Inhaltlich veränderte er sich etwas durch den Staatsvertrag von St. Germain63. Durch diesen wurde die Beschränkung des Religionsbegriffs auf der individuellen Ebene auf häusliche Religionsausübung beseitigt. Zur häuslichen Religionsausübung trat die öffentliche Religionsausübung hinzu. Grenze der individuellen Religionsausübung waren die öffentlichen Ordnung oder die guten Sitten. Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Menschenrechtskonvention am 24. September 195864 und deren Bezeichnung als „verfassungsändernd“ im Jahr 196465 wurde ein völkerrechtlicher Religionsbegriff in die österreichische Verfassungsordnung integriert. Artikel (Art.) 9 EMRK garantierte jedem u. a. das Recht auf Religionsfreiheit und erlaubte neben dem Religionswechsel, allein oder in Gemeinschaft die öffentliche oder private Religionsausübung durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche. Mangels jeder Differenzierung waren in Art. 9 EMRK individueller und kollektiver Religionsbegriff verbunden.66 Umfasst wurden von diesem einheitlichen Religionsbegriff im Laufe der Zeit sämtliche Formen „der religiösen Lebensführung“67. Die Grenzen des Begriffs
62 Art. 149 des Gesetzes vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz). 63 Abschnitt V des III. Teils des Staatsvertrages von Saint Germain vom 10. September 1919, StGBl (Staatsgesetzblatt) Nr. 303/1920. 64 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), BGBl Nr. 210/1958. 65 Art. II Z. 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, mit dem Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt werden. 66 Jens Meyer-Ladewig/Susette Schuster, Artikel 9, Rn. (Randnummer) 22, in: Jens MeyerLadewig/Martin Nettesheim/Stefan von Raumer (Hrsg.), EMRK, Handkommentar, BadenBaden 42017. 67 Antje von Ungern-Sternberg, Religionsfreiheit in Europa, Tübingen 2008, S. 46.
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fanden sich, unter Beachtung des in der EMRK verankerten Günstigkeitsprinzips68, in den in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit, Moral sowie im Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte orientierte das kollektive Element des einheitlichen Religionsbegriffs der EMRK am innerstaatlichen kollektiven Religionsbegriff. Eine abstrakte Klärung dieses Begriffs sah der Gerichtshof nicht als seine Aufgabe.69 Daher waren die kollektive Variante des innerstaatlichen und EMRK Religionsbegriffs deckungsgleich. Nur dann, wenn der innerstaatliche kollektive Religionsbegriff in Widerspruch zu einem vom allgemeinen Konsens der Mitgliedstaaten der EMRK getragenen kollektiven Religionsbegriff stehen sollte, stellte der Gerichtshof ein Abweichen vom innerstaatlichen Religionsbegriff in Aussicht.70 Ab den 1950er Jahren differenzierte sich der kollektive Religionsbegriff in Österreich durch eine Reihe von Anerkennungen von Kirchen und Religionsgesellschaften auf der Grundlage des AnerkennungsG.71 Mit jeder Anerkennung wurde der kollektive Religionsbegriff mit neuen Elementen befüllt. Im Jahr 1998 schaltete der Gesetzgeber dann dem AnerkennungsG das Bekenntnisgemeinschaftengesetz (BekGG)72 vor, und erweiterte gleichzeitig das AnerkennungsG unter der Überschrift „Zusätzliche Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem Anerkennungsgesetz“73 im 68 Art. 53 EMRK: „Keine Bestimmung dieser Konvention darf als Beschränkung oder Minderung eines der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden, die in den Gesetzen eines Hohen Vertragschließenden Teils oder einer anderen Vereinbarung, an der er beteiligt ist, festgelegt sind“. 69 EGMR 1. 10. 2009, Case of Kimlya and others v. Russia (Applications nos. 76836/01 and 32782/03) Rn. 79: „It is clearly not the Court’s task to decide in abstracto whether or not a body of beliefs and related practices may be considered a ,religion‘ within the meaning of Article 9 of the Convention.“ 70 Case of Kimlya and others v. Russia, Rn. 79: „In the absence of any European consensus on the religious nature […] the Court considers that it must rely on the position of the domestic authorities in the matter.“ 71 Evangelisch-methodistische Kirche in Österreich, Bundesgesetzblatt (BGBl.) Nr. 74/ 1951; Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) in Österreich, BGBl. Nr. 229/1955; Armenisch-apostolische Kirche in Österreich, BGBl. Nr. 5/1973, Neuapostolische Kirche in Österreich, BGBl. Nr. 524/1975; Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft, BGBl. Nr. 72/1983; Syrisch-Orthodoxe Kirche in Österreich, BGBl. Nr. 129/1988; Jehovas Zeugen in Österreich, BGBl. II Nr. 139/2009; Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich, BGBl. II Nr. 133/2013; Freikirchen in Österreich, BGBl. II Nr. 250/2013. 72 Bundesgesetz vom 9. Jänner 1998 über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (BekGG), BGBl. I Nr. 19. 73 „§ 11. (1) BekGG. Zusätzliche Voraussetzungen zu den im Gesetz betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl. Nr. 68/1874, umschriebenen Voraussetzungen sind: 1. Bestand als Religionsgemeinschaft durch mindestens 20 Jahre, davon mindestens 10 Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes, 2. Anzahl der Angehörigen in der Höhe von mindestens 2 vT der Bevölkerung Österreichs nach der letzten Volkszählung, 3. Verwendung der Einnahmen und des Vermögens für religiöse Zwecke (wozu auch in der religiösen Zielsetzung begründete
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BekGG. Vorausgegangen war ein Erkenntnis des Verfassungsgerichthofs, das der Verwaltung eine Entscheidungspflicht bei Anträgen auf Aufnahme in den Kreis der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften auferlegte.74 Der kollektive Religionsbegriff wurde mit dem BekGG und der in ihm erfolgten Erweiterung des AnerkennungsG nunmehr einerseits vom BekGG, andererseits von den zusätzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem AnerkennungsG bestimmt. Unter dem Titel zusätzliche Voraussetzungen waren die Verwendung des Vermögens, die Grundeinstellung zum Staat und der Religionsfrieden angesprochen. Daneben trat unter diesem Titel auch der Gemeindebegriff mittels einer Promillereglung besonders in den Vordergrund. Die heutige Fassung der Erweiterung des AnerkennungsG im BekGG entstand unter dem Druck des Verfassungsgerichtshofs, der im Jahr 2010 einen Teil der ursprünglichen Erweiterung des AnerkennungsG als verfassungswidrig75 aufhob. In der als Reaktion auf das Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis im Jahr 2011 in Kraft getretenen Fassung der Erweiterung des AnerkennungsG wurde der kollektive Religionsbegriff der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zwar auch wieder mit dem BekGG verbunden, gleichzeitig daneben aber auch durch die Einfügung „historischer“ Elemente vom BekGG losgelöst.76 So konnte der Begriff sich für Kirgemeinnützige und mildtätige Zwecke zählen), 4. positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat, 5. keine gesetzwidrige Störung des Verhältnisses zu den bestehenden gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sowie sonstigen Religionsgemeinschaften“. 74 VfSlg (Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofs) 11931/1988. 75 Kundmachung des Bundeskanzlers vom 21. Oktober 2010 über die Aufhebung einer Wortfolge in § 11 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften durch den Verfassungsgerichtshof, BGBl I Nr. 84. 76 In der heute geltenden Fassung bestimmt § 11 BekGG: „Für eine Anerkennung müssen die nachstehend genannten Voraussetzungen zusätzlich zu den im Gesetz betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl. Nr. 68/1874, umschriebenen Erfordernissen, erfüllt sein. 1. Die Bekenntnisgemeinschaft muss a) durch zumindest 20 Jahre in Österreich, davon 10 Jahre in organisierter Form, zumindest 5 Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit nach diesem Bundesgesetz bestehen oder b) organisatorisch und in der Lehre in eine international tätige Religionsgesellschaft eingebunden sein, die seit zumindest 100 Jahren besteht und in Österreich bereits in organisierter Form durch zumindest 10 Jahre tätig gewesen sein oder c) organisatorisch und in der Lehre in eine international tätige Religionsgesellschaft eingebunden sein, die seit zumindest 200 Jahren besteht, und d) über eine Anzahl an Angehörigen von mindestens 2 vT der Bevölkerung Österreichs nach der letzten Volkszählung verfügen. Wenn der Nachweis aus den Daten der Volkszählung nicht möglich ist, so hat die Bekenntnisgemeinschaft diesen in anderer geeigneter Form zu erbringen. 2. Einnahmen und Vermögen dürfen ausschließlich für religiöse Zwecke, wozu auch in der religiösen Zielsetzung begründete gemeinnützige und mildtätige Zwecke zählen, verwendet werden. 3. Es muss eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat bestehen. 4. Es darf keine gesetzwidrige Störung des Verhältnisses zu den bestehenden gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften sowie sonstigen Religionsgemeinschaften bestehen“.
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chen und Religionsgesellschaften, die auf einen 100- bzw. 200-jährigen Bestand zurückblickten, öffnen, ohne dass der Status einer Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit vorher erlangt werden musste. Bei allen anderen war der Religionsbegriff mit der Erlangung des Status einer Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit verbunden. Damit wurde der Begriff im Wesentlichen von zwei Komponenten gespeist: Einerseits von jener, die mit 100- bzw. 200-jährigen Bestand einherging und durch das AnerkennungsG und die zusätzlichen Anerkennungsvoraussetzungen (§ 11 BekGG) konkretisiert wurde, andererseits aber auch von jener, welche von der Erlangung des Status einer Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit abhing. Der Status einer Bekenntnisgemeinschaft konnte über Antrag erlangt werden. Voraussetzungen waren neben einer Mindestanzahl von Bekennern77 und einem unverwechselbaren Namen78 u. a. auch eine eigenständige Religionslehre. Gemeint war damit eine Lehre, die sich von der Lehre bestehender religiöser Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit sowie von der Lehre gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften unterschied. Eine Religionslehre, welche die „öffentlichen Sicherheit“, „öffentliche Ordnung“, „Gesundheit“ und „Moral“ gefährdete bzw. zu einem mit „Strafe bedrohtem gesetzwidrigen Verhalten“ aufforderte, die „psychischen Entwicklung von Heranwachsenden“ behinderte, die „psychischen Integrität“ verletzte oder „psychotherapeutische Methoden zur Glaubensvermittlung“ anwendete,79 Stand dem Erwerb des Status einer Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit entgegen. Diese Ausschlusselemente konnten damit im kollektiven Religionsbegriff, der den Status einer Bekenntnisgemeinschaft voraussetzte, nicht enthalten sein. In den kommenden Jahren entstanden eine Reihe von Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit.80 Der kollektive Religionsbegriff erweiterte sich dadurch in den Grenzen des BekGG.
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Nach § 3 Abs. 3 BekGG mindestens 300 Personen mit Wohnsitz in Österreich. Diese Personen durften weder einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit noch einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft angehören. 78 § 4 Abs. 1 Z. 1 BekGG. 79 § 5 Abs. 1 Z. 1 BekGG. 80 Zu den Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit gehören heute: Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 23. August 2013); BAHÁ‘Í – Religionsgemeinschaft Österreich (Rechtspersönlichkeit am 11. Juli 1998); Die Christengemeinschaft – Bewegung für religiöse Erneuerung in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 11. Juli 1998); Hinduistische Religionsgesellschaft in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 10. Dezember 1998); Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 1. März 2013); Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 11. Juli 1998); Pfingstkirche Gemeinde Gottes in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 13. Oktober 2001); Vereinigungskirche in Österreich (Rechtspersönlichkeit am 15. Juni 2015); Vereinigte Pfingstkirche Österreichs (Rechtspersönlichkeit am 11. Juli 1998).
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VI. Anerkennung durch Gesetz und Grundrechte-Charta Am Beginn des 21. Jahrhunderts kam es zur Anerkennung der Koptisch-orthodoxen Kirche durch den Gesetzgeber im Orientalisch-orthodoxen Kirchengesetz.81 Ausschlaggebend für die Erweiterung des Religionsbegriffs durch den Gesetzgeber war, neben der notwendigen Gleichbehandlung der „orientalisch-orthodoxen Kirchen“, auch der Umstand, dass „im Hinblick auf die besondere innere Verfasstheit“ dieser Kirche, eine Anerkennung in der Rechtsform der Verordnung unzulässig war und daher nur in Form eines Gesetzgebungsaktes ausgesprochen werden konnte.82 Im Verweis auf die „innere Verfasstheit“ zeigte sich aufs Neue, dass der Gesetzgeber sich weiterhin nicht an die im AnerkennungsG bzw. BekGG dem Religionsbegriff zu Grunde gelegten Kriterien gebunden sah. Dies vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber die Kriterien mit dem BekGG einer Konkretisierung unterzogen hatte. In der neuesten Entwicklung fand durch Art. 10 Abs. 1 der EU-GrundrechteCharta83 ein im Primärrecht der Europäischen Union verankerter Religionsbegriff Eingang in die österreichische Rechtsordnung. Art. 10 entsprach sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf seine Grenzen84 im Wesentlichen Art. 9 EMRK.85 Verbunden waren daher auf primärrechtlicher Ebene, gerade so wie in der EMRK, individueller und kollektiver Religionsbegriff. Unterhalb des Primärrechts wurde der Religionsbegriff im Europarecht in Zusammenhang mit der Festlegung von Mindestnormen für die Gewährung des Status eines Flüchtlings thematisiert. Der Religionsbegriff umfasste nach der in diesem Zusammenhang erlassenen Richtlinie86 des Rates neben „theistische[n], nichttheistische[n] und atheistische[n] Glaubensüberzeugungen“ auch die „Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung“ stützten „oder nach dieser vorgeschrieben“ waren.87 Im Ergebnis verband der in der Richtlinie definierte Religionsbegriff wiederum individuellen und kollektiven Religionsbegriff. Inhaltlich war eine Anlehnung an Art. 9 EMRK und die damals noch nicht im Primärrecht verankerte Grundrechte-Charta unübersehbar. 81 § 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 25. April 2003 über äußere Rechtsverhältnisse der orientalisch-orthodoxen Kirchen in Österreich, BGBl I Nr. 20. 82 StProt. des Nationalrats, XXII. Gesetzgebungsperiode, Blg. 8 (Regierungsvorlage), S. 3. 83 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) vom 12. Dezember 2007, Amtsblatt (ABl.) der Europäischen Union 2007, Nr. C 303, S. 1. 84 Art. 52 Abs. 3 GRCh. 85 Europäischer Gerichtshof (Große Kammer), Urteil vom 5. September 2012, C-71/11, C99/11 (Y + Z/Bundesrepublik Deutschland), Rn. 56. 86 Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304, S. 12. 87 Art. 10 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2004/83/EG.
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VII. Rückblick und Ausblick Blickt man an dieser Stelle zurück, so lässt sich sagen, dass bereits im 16. Jahrhundert ein Religionsbegriff sich zeigte, der theologisch Inkompatibles in sich aufnahm. Aufgrund der Aufnahme von religiös Widersprüchlichem in den Begriff konnte die religiöse „Wahrheitsfrage“88 nicht Teil dieses Religionsbegriffs sein. Im 16. Jahrhundert kam es auch zu einer Spaltung des Begriffs auf der Grundlage territorialer Trennung. Diese territoriale Trennung wurde am Ende durch die Eingliederung der Gemeinde in den Religionsbegriff überwunden. Das Gemeindeelement wurde im Laufe der Zeit vom Gesetzgeber dann allerdings wiederum relativiert. Durch die Aufnahme theologischer Begriffe in den Religionsbegriff wurden diese aus ihrem theologischen Kontext gelöst und juristisch überprägt. In neuester Zeit erfasste diese Überprägung auch religiöse Institutionen (Kirchen und Religionsgesellschaften) und führte zu deren Verschmelzung auf der Ebene der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften.89 Deutlich wurde über die Jahrhunderte die Spaltung des Religionsbegriffs in eine individuelle und kollektive Komponente. Mit der Ausdehnung des Kreises der Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit und jeder neuen Anerkennung einer Kirche oder Religionsgesellschaft erweiterte sich der kollektive Religionsbegriff und näherte sich dem individuellen Religionsbegriff an. Individueller und kollektiver Religionsbegriff waren durch das weltliche Recht, insbesondere die öffentliche Ordnung und die guten Sitten, umrahmt. In diesem Rahmen war individuellen Religionsbekenntnissen, Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit und anerkannten Kirchen oder Religionsgesellschaften nicht nur ein friedliches Zusammenleben garantiert, sondern auch eine Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeit eröffnet. Inhaltlich war der individuelle Religionsbegriff seit Beginn der Verfassungsentwicklung innerhalb des Rahmens der weltlichen Rechtsordnung weitgehend unbestimmt. Der kollektive Religionsbegriff war insoweit bestimmt, als Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit, Kirchen oder Religionsgesellschaften in der Rechtsordnung verankert waren. Für neue Entwicklungen waren sowohl der individuelle als auch kollektive Religionsbegriff offen, wobei allgemeine, in der Rechtsordnung verankerte Kriterien, wie etwa das Vorhandensein einer Religionslehre, vor dem Hintergrund der in der Rechtsordnung bereits gegenwärtigen Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit, Kirchen oder Religionsgesellschaften, Hinweise dazu gaben. Nur am Rande beschäftigte sich in der Vergangenheit die Rechtsprechung mit dem Religionsbegriff. Im Zentrum ihres Interesses stand die Institution Kirche 88
Heckel, Konfessionalisierung (Anm. 21), S. 423. Verwiesen sei nur auf die Anerkennung der Freikirchen. Von dieser Anerkennung wurden alle Kirchengemeinden erfasst, die dem Bund der Baptistengemeinden in Österreich, dem Bund Evangelikaler Gemeinden in Österreich, den Elaia Christengemeinden, der Freien Christengemeinde – Pfingstgemeinde in Österreich und der Mennonitischen Freikirche Österreich angehörten. 89
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bzw. Religionsgesellschaft. Darin wurde eine „organisierte Gemeinschaft“ gesehen, die „die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder allseitig durch Belehrung über sittliche Pflichten, durch Erbauung bei Zusammenkünften überhaupt, und insbesondere bei wichtigen Lebensereignisse zu befriedigen“90 bzw. „in Beziehung zu Gott zu setzen“91 suchte. Das Element des „Gottesglaube[ns]“92 wurde auch in der Rechtswissenschaft aufgegriffen, von der Verwaltung aber mit der Anerkennung der Buddhistischen Glaubensgemeinschaft93 als Religionsgesellschaft relativiert. Einer Definition wurde der Religionsbegriff im Rahmen des Gesetzwerdungsprozesses des BekGG unterzogen. In den Erläuterungen zum Gesetz wurde Religion definiert, als ein „Historisch gewachsenes Gefüge von inhaltlich darstellbaren Überzeugungen, die Mensch und Welt in ihrem Transzendenzbezug deuten sowie mit spezifischen Riten, Symbolen und den Grundlehren entsprechenden Handlungsorientierungen begleiten.“94 Diese Erklärung fand keine Aufnahme in das Gesetz, das im Übrigen im Gegensatz zu dem in der Definition angesprochenen historisch gewachsenen Gefüge, für die Erlangung des Status einer Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit ein zeitliches Kriterium95 nicht kannte. Mit dem Religionsbegriff befasste sich in neuester Zeit das Bundesverwaltungsgericht. Anlass war die Abweisung des Antrags der „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ auf Aufnahme in den Kreis der Bekenntnisgemeinschaften mit Rechtspersönlichkeit durch das Kultusamt.96 Das Gericht stellte im Rahmen seiner im Ergebnis abweisenden Entscheidung fest, dass es sich nur am Gesetz bei seiner Entscheidung zu orientieren habe, und daher für das Gericht irrelevant sei, ob in einem „wissenschaftlichen“ Buch die Antragstellerin als Religion gesehen werde. Damit wurde klargestellt, dass der Religionsbegriff ein rein juristischer Begriff war,97 dessen Bestimmung allein der Gesetzgebung zukam. Das Gericht näherte sich dann dem Religionsbegriff auf der Grundlage der in der Regierungsvorlage zur Stammfassung des BekGG vorhandenen Definition.98 Einbezogen wurde auch der Gemeinschaftsaspekt, wobei das wesentliche Element in diesem Zusammenhang die organisierte Gemeinschaft war. Zur Klärung der Religionsfrage orientierte sich 90
Max von Hussarek, Grundriß des Staatskirchenrechts, Leipzig 21908, S. 9. Verfassungsgerichtshoferkenntnis vom 7. Dezember 1929, VfSlg 1265. 92 Rudolf Köstler, Religion und Religionsgenossenschaft, in: Juristische Blätter 1935, S. 339 – 343 ff., hier S. 341. 93 BGBl. Nr. 72/1983. 94 StProt. des Nationalrates, XX. Gesetzgebungsperiode, Blg. 938 (Erläuterungen), S. 8. 95 Lukas Wallner, Die staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften, Frankfurt a. M. 2007, S. 32. 96 Bescheid des Bundesministers für Kunst, Kultur, Verfassung und öffentlichen Dienst vom 5. Juni 2015, Zl. BKA-KA 12.056/0002-Kultusamt/2014. 97 Zum juristischen Sprachgebrauch Thomas Fleischer, Der Religionsbegriff des Grundgesetzes: zugleich ein Beitrag zur Diskussion über die „neuen Jugendreligionen“, Bochum 1989, S. 22 f. 98 StProt. des Nationalrates, XX. Gesetzgebungsperiode, Blg. 938 (Erläuterungen), S. 8. 91
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das Gericht vor allem am Vorhandensein: einer Religionslehre, von religiösen Symbolen, einer Ordnung religiöser (liturgischer, zeremonieller) Handlungen, eines Gottesdiensts, eines Aufnahmeritus, einer organisierten Gemeinschaft, eines Unterrichts zur Vermittlung religiöser Pflichten, eines religiösen Lebens. In Bezug auf die Religionslehre stellte das Gericht fest, dass eine solche auch dann gegeben sein könne, wenn sie in sich selbst widersprüchlich bzw. nicht nachvollziehbar sei. Im Übrigen wurden im gegebenen Zusammenhang ein Transzendenzbezug, eine Gottheit, eine Jenseitsvorstellung, eine Schöpfungsgeschichte und eine Handlungsanleitung für ein gelungenes Leben festgestellt. Die Existenz eines religiösen Symbols (Nudelsieb) stand für das Gericht außer Zweifel. Eine „Ordnung für die Durchführung zeremonieller, speziell religiöser und insbesondere liturgischer Handlungen“ sah das Gericht aber nicht. Auch einen „Gottesdienst“ konnte das Gericht nicht feststellen, da die Treffen der Anhänger „von außen betrachtet“, sich nicht „von einem Treffen anderer Menschen“ unterscheiden ließen. Darüber hinaus sah das Gericht keinen Aufnahmeritus. Im Übrigen wurde das Fehlen einer „hinreichend organisierten Gemeinschaft“, in deren Rahmen „Personen […] am religiösen Leben“ teilnahmen, festgestellt. Eine „Glaubensübung“ wurde „höchstens im Familienkreis“ gesehen.99 Bleibt abschließend festzuhalten: Der Religionsbegriff ist aus rechtshistorischer Sicht über Jahrhunderte in der Rechtsordnung gewachsen. Seine inhaltliche Ausgestaltung ist ein Prozess, der bis heute noch nicht sein Ende gefunden hat. Vor diesem Hintergrund leistet die Rechtsgeschichte einen Beitrag zu seinem heutigen Verständnis. Der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung100 kommt es im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung zu, den Begriff von Fall zu Fall zu konkretisieren.
99 Bundesverwaltungsgerichtserkenntnis vom 22. März 2018, Geschäftszahl W170 2115136-1. 100 Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung des Selbstverständnisses der vom Islamgesetz, RGBl Nr. 159/1912, nicht erfassten Anhänger des Islam, Verfassungsgerichtshoferkenntnis vom 10. Dezember 1987, VfSlg 11574.
Regulae iuris des Liber VI0 im staatlichen und im kirchlichen Straf- und Prozessrecht Von Bernd Eicholt
I. Einleitung Die Bedeutung des kanonischen für das staatliche Recht kann – jedenfalls in den vom römischen Recht geprägten Staaten – kaum bestritten werden. Die inzwischen fünf Bände umfassende Reihe „Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur“ legt dafür ein deutliches Zeugnis ab1. Im Folgenden werden einige der regulae iuris auf ihre heutige Bedeutung für das deutsche und französische sowie das kirchliche Straf- und Prozessrecht hin näher untersucht.
II. Die für das Straf- und Prozessrecht besonders relevanten Rechtsregeln des Liber Sextus 1. Sine culpa, nisi subsit causa, non est aliquis puniendus (reg. iur. 23) a) Deutsches und französisches Strafrecht aa) Das Schuldprinzip hat in Deutschland Verfassungsrang2. Eine Strafe darf nur verhängt werden, wenn dem Täter hinsichtlich der Verletzung eines Strafgesetzes Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt. Auch für Art und Höhe der Strafe ist das Maß der Schuld maßgeblich. Hat jemand den Tod eines Menschen durch Nachlässigkeit verursacht, wird er daher nicht zwingend zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, sondern ggf. „nur“ zu einer Geldstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Im gemeinen Recht konnte eine Strafe dagegen auch bei Zufall verhängt werden, allerdings war diese milder als bei schuldhaften Taten3. Der Schuld-Grundsatz gilt nicht nur bei Strafen, sondern auch
1 Vgl. die Nachweise im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek zu diesen Veröffentlichungen, online unter: http://d-nb.info/995588643 (eingesehen am 19. 12. 2019). 2 Vgl. nur BVerfGE 90, 145 (173). 3 Hans Welzel, Das Deutsche Strafrecht, Berlin 111969, S. 10.
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bei strafähnlichen Maßnahmen, also solchen, die Sühnecharakter haben4. Dies sind z. B. Geldbußen im Rahmen von Ordnungswidrigkeitsverfahren5, Ordnungsgeld oder -haft wegen des Verstoßes gegen die Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden (§ 890 ZPO)6 und Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte und Richter (§§ 77 Abs. 1 BBG i. V. m. § 2 BDG und § 63 Abs. 1 DRiG). Daneben gibt es Maßnahmen, die zwar als Übel empfunden werden, aber keinen Sühnecharakter haben, z. B. die Maßregeln der Sicherung und Besserung (§§ 61 ff. StGB). Ziel dieser Maßregeln ist der Schutz der Allgemeinheit7, so dass bei deren Umfang dieser und nicht das Maß der Schuld entscheidend ist. § 20 StGB lautet, den Begriff der Schuldfähigkeit negativ definierend: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“.
Hat der Täter sich selbst in einen Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt und gewollt, gewusst oder gebilligt, dass er in diesem Zustand eine Straftat begehen wird, spricht man von einer vorsätzlichen „actio libera in causa“ (alic)8. Die Schuldunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat bleibt außer Betracht; die Verurteilung erfolgt wegen des vorsätzlichen Delikts. Hätte der Täter sein Verhalten voraussehen können, ohne dessen Folgen zu wollen (fahrlässige alic), kommt eine Verurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts in Betracht. Ein eigener Tatbestand ist der „Vollrausch“ (§ 323a StGB). Der Täter wird bestraft, weil er sich vorsätzlich in den dort beschriebenen Zustand versetzt und eine Straftat begangen hat, ohne dass nach dem Ausgeführten eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger alic in Frage kommt. Da in diesen Fällen die Versetzung in den Rauschzustand Anknüpfung für den Schuldvorwurf ist, liegt in dieser Praxis kein Verstoß gegen das Schuldprinzip. Die Schuld kann im Falle eines Irrtums entfallen. Das Reichsgericht hatte bis 1945 – sehr nahe an reg. iur. 13 „Ignorantia facti, non iuris, excusat“ – einen Rechtsirrtum nur berücksichtigt, wenn er sich auf eine außerstrafrechtliche Norm bezog. Das Schuldprinzip verlangt aber, dass sich jemand in „freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung“ für das Unrecht entscheidet9 – hieran fehlt es bei einem Irrtum über das Unrecht der Tat. Gemäß § 17 StGB lässt ein derartiger Verbotsirrtum die Schuld aber nur entfallen, wenn dieser unvermeidbar war. Insoweit werden keine 4
BVerfGE 91, 1 (27); 110, 1 (13 f.). Vgl. für das bis 1968 geltende Recht: BVerfGE 23, 113 (124 f.). 6 BVerfGE 20, 323 (332); 58, 159 (162); 84, 82 (87). 7 Vgl. z. B. für die Sicherungsverwahrung: BVerfGE 109, 133 (173 f.). 8 Vgl. näher Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Band I, München 42006, § 20, Rn. 56 ff. 9 BGHSt 2, 194 (200 ff.). 5
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„vertieften“ Rechtskenntnisse verlangt, wohl aber die „Anspannung des Gewissens“ und ggf. die Einholung von Rechtsrat10. bb) Auch in Frankreich werden Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschieden; ebenso ist das Schuldprinzip normiert11. Hinsichtlich der Taten unter Einfluss von Alkohol ist das französische Recht härter: Die bewusst herbeigeführte Trunkenheit zum Zeitpunkt der Tat wird nicht als schuldausschließend oder -mildernd angesehen, da der (übermäßige) Genuss von Alkohol geächtet („reprimé“) und die Wirkungen alkoholischer Getränke bekannt seien. Ferner habe der Gesetzgeber in Fällen fahrlässiger Tötung sowie bei fahrlässigen Körperverletzungen mit schwerwiegenden Folgen im Straßenverkehr die Trunkenheit als strafschärfend bestimmt12 ; dies gilt auch, wenn der Hund eines alkoholisierten oder unter dem Einfluss von Drogen stehenden Halters Körperverletzungen oder den Tod eines anderen verursacht, sowie allgemein bei vorsätzlichen Körperverletzungen sowie Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen; Art. 221-6-1 Nr. 2 und 3, 221-6-2 Nr. 2, 222-12 Nr. 14, 222-13 Nr. 14, 222-19-1 Nr. 2 und 3; 222-192 Nr. 2, 222-20-1 Nr. 2 und 3, 222-20-2 Nr. 2, 222-24 Nr. 12, 222-28 Nr. 8, 22230 Nr. 7 und 227-26 Nr. 5 Code Pénal (CP). Gem. Art. 122-3 CP entschuldigt nur der nicht vermeidbare Rechtsirrtum; wie in Deutschland muss ggf. Rechtsrat eingeholt werden13. b) Kanonisches Strafrecht Wer bei Begehung der Tat nicht in der Lage war, sein Verhalten verantwortlich zu steuern, unterlag bereits im frühen kanonischen Recht keiner Strafe. Kuttner14 legt dies für die Fälle psychisch Erkrankter dar. Auch die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit findet sich bereits im Corpus Iuris Canonici15. Für die alic finden sich im kanonischen Recht ebenfalls frühe Quellen. Mit Blick auf Trunkenheit erörtert Kuttner16 zwar (nur), dass eine im Rausch begangene Tat milder zu bestrafen sei, als die vorsätzliche, aber diskutiert wurde, ob das Versetzen in den Rausch als solches ein Delikt sei. An anderer Stelle – betreffend das Erdrücken des Kindes 10
Vgl. Thomas Fischer, Strafgesetzbuch, München 672020, § 17 Rn. 8 – 16. Art. 122-1 Code Pénal (CP): „N’est pas pénalement responsable la personne qui était atteinte, au moment des faits, d’un trouble psychique ou neuropsychique ayant aboli son discernement ou le contrôle de ses acts“. 12 Vgl. Yves Mayaud/Carole Gayet, Code Pénal, Paris 1172019, Art. 122-1, Nr. 30; ähnlich Xavier Pin, Droit pénal général, 11. Ed. Paris 2020, Rn. 291. 13 Pin (Anm. 12), Rn. 297 ff. 14 Stephan Kuttner, Kanonistische Schuldlehre, Città del Vaticano 1935, S. 85 ff. 15 Hierzu umfassend: Olivier Descamps, Quelques remarques sur la distinction entre homicide volontaire et homicide involontaire en droit canonique médiéval, in: Mathias Schmoeckel/Orazio Condorelli/Franck Roumy (Hrsg.), Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur, 3. Bd., Köln/Weimar/Wien 2012, S. 107 ff. 16 Kuttner (Anm. 14), S. 119 ff. 11
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im Schlaf – verweist er aber darauf, wenn der „Wille, das Kind im Schlaf zu ersticken, vor dem Zusichlegen in den Willen aufgenommen worden“ sei, sei dies einer Tötung im Wachen gleichzustellen17. Damit ist der Fall der vorsätzlichen alic angesprochen. Diese Quellen haben die Entwicklung des Schuldprinzips im deutschen Strafrecht mit beeinflusst18. Auch heute setzt die Strafbarkeit die Schuldfähigkeit voraus, cc. 1322 und 1323, 60 CIC/1983. C. 1325 CIC/1983 sieht für die vorsätzliche alic vor, dass die Schuldunfähigkeit außer Betracht bleibt. Bei Fahrlässigkeit hinsichtlich der Trunkenheit (ohne Vorsatz hinsichtlich der Tat), ist gemäß c. 1324 § 1, 20 CIC/1983 eine obligatorische Strafmilderung vorgesehen. Die Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsirrtum im frühen kanonischen Recht hat zu willkürlichen19 Abgrenzungen geführt. Das heutige kirchliche Recht geht daher auch davon aus, dass nicht nur der Irrtum über Tatsachen, sondern auch der unverschuldete Verbotsirrtum zur Straffreiheit führt, c. 1323, 20 CIC/ 1983. Der schwer vorwerfbare Irrtum bleibt außer Betracht, c. 1325 CIC/1983; der leicht- und der einfach-fahrlässige Verbotsirrtum führt gem. c. 1324, § 1, 100 CIC/1983 zu einer obligatorischen und nicht nur gem. c. 1324 § 2 CIC/1983 zu einer fakultativen Strafmilderung. Er mindert die Schuld und passt daher besser unter c. 1324, § 1 CIC/1983. Es ist auch angebracht, dass eine angedrohte Tatstrafe gem. c. 1324, § 3 CIC/1983 entfällt. Ähnliches galt bereits gem. c. 2202 § 1 CIC/ 1917. Insoweit war das kanonische dem deutschen Strafrecht zeitlich voraus. 2. In poenis benignior est interpretatio facienda (reg. iur. 49)20 a) Materielles Strafrecht aa) Im deutschen Strafrecht ist diese Regel nicht normiert. Aus dem im Strafrecht geltenden Gesetzmäßigkeitsprinzip folgt aber u. a. das Verbot der Analogie zu Lasten des Täters; äußerste Grenze der Auslegung einer Strafrechtsnorm ist deren Wortlaut, der mögliche Wortsinn21. Das Bestimmtheitsgebot fordert ferner, dass alle Tatbestandsmerkmale so gefasst sein müssen, dass deren Auslegung für den Rechtsunter17
Kuttner (Anm. 14), S. 117 f. Hans-Heinrich Jescheck/Thomas Weigand, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, Berlin 51996, S. 94. 19 Vgl. das Beispiel bei Kuttner (Anm. 14), S. 172 ff.: Ist die Unkenntnis über ein neues, noch nicht verkündetes, Gesetz Tat- oder Rechtsirrtum, und gibt es eine gewisse „Schonfrist“? 20 Gleichermaßen kann man in diesem Zusammenhang auch „Odia restringi, et favores convenit ampliari“ (reg. iur. 15) und „In obscuris minimum est sequendum“ (reg. iur. 30) nennen. 21 Vgl. nur: Jescheck/Weigand (Anm. 18), S. 155 und 159 m. w. N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung; s. auch BGHSt 52, 89 (92 Rn. 7). 18
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worfenen vorhersehbar ist22. Es muss ein klarer gesetzgeberischer Zweck erkennbar sein, der der Auslegung Grenzen setzt23. Im Übrigen kann ein Strafgesetz je nach Zweck des Gesetzes weit oder eng ausgelegt werden24. Die Rechtsprechung legt dementsprechend in einigen Fällen Strafrechtsnormen weit aus: @ Strafbar gemäß § 240 StGB ist es, einen anderen durch „Gewalt“ zu einem Verhalten zu nötigen. Die Rechtsprechung hat sich dabei von dem ursprünglich vertretenen engen Gewaltbegriff, in dessen Rahmen der Einsatz physischer Kraft verlangt wurde, mehr und mehr gelöst. Heute reicht ein geringer körperlicher Kraftaufwand aus, wenn der Bereich des Psychischen verlassen wird25. @ Ein weiteres Beispiel war die Rechtsprechung zu § 246 StGB. Nach dem früheren Gesetzeswortlaut wurde wegen Unterschlagung bestraft, wer sich eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hatte, rechtwidrig zueignete. Nach wörtlicher Auslegung wäre die „Fundunterschlagung“ nicht erfasst worden, wenn sich jemand eine gefundene Sache sofort zueignet hat. Dieses als unerwünscht angesehene Ergebnis wurde dadurch vermieden, dass die „kleine berichtigende Auslegung“ es ausreichen ließ, dass Besitz-/Gewahrsamserlangung und Zueignung in einem Akt zusammenfielen26. Diese Rechtsprechung ist durch eine Gesetzesänderung nunmehr obsolet. Auf der anderen Seite wird aber oft eine enge Auslegung vertreten: @ Der BGH hat eine jahrzehntealte Rechtsprechung aufgegeben, wonach eine Bande (vgl. z. B. § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB) vorliegen kann, wenn sich zwei Personen zur Begehung von Straftaten zusammengeschlossen haben; nunmehr sind drei Person erforderlich27. Die hohen Strafdrohungen für bandenmäßig begangene Straftaten erforderten es, die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bande zu verschärfen, da es nicht gelungen sei, den Bandenbegriff näher zu bestimmen28. @ Die absolute (als einzige Strafe vorgesehene) lebenslange Freiheitsstrafe bei Mord (§ 211 StGB) ist seit langem umstritten. Grund dafür ist, dass es Fallgestaltungen gibt, in denen diese Strafe ungerecht erscheint, z. B. wenn der körperlich unterlegene Partner nach jahrelanger Gewalt keine andere Möglichkeit sieht, als 22
BGHSt 59, 218 (222 Rn. 9); s. auch Roxin, Strafrecht (Anm. 8), § 5 Rn. 69 ff. Vgl. Roxin, Strafrecht (Anm. 8), § 5 Rn. 75; Jescheck/Weigand (Anm. 18), S. 130. 24 Roxin, Strafrecht (Anm. 8), § 5 Rn. 28; ähnlich Jescheck/Weigand (Anm. 18), S. 135: Das Strafgesetz darf nicht über den Sinngehalt der Norm hinaus, muss aber nicht zugunsten des „Täters“ ausgelegt werden und a. a. O. S. 154 lehnt er den Grundsatz „in dubio mitius“ ausdrücklich unter Hinweis auf BGHSt 6, 131 (133) ab. 25 Vgl. Fischer (Anm. 10), § 240 Rn. 10 ff. 26 Herbert Tröndle, Strafgesetzbuch, München 481997, § 246 Rn. 10. 27 BGHSt 46, 321 (325). 28 BGHSt 46, 321 (328). 23
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den Gewalttäter durch einen von diesem nicht vorhersehbaren Angriff – also heimtückisch – zu töten. In einem derartigen Fall hat der BGH entschieden, dass eine Milderungsmöglichkeit nach § 49 StGB besteht, obwohl dessen Voraussetzungen („besondere gesetzliche Milderungsgründe“) nicht vorliegen29. @ Eine Mitgliedschaft in einer Vereinigung i. S. d. §§ 129 – 129b StGB liegt nur vor, wenn der Täter deren Ziele fördert. Es reicht nicht aus, dass das Alltagsleben eines Mitglieds (durch Führen des Haushaltes) unterstützt wird30. @ Die „große Zahl“ von unechten Urkunden i. S. d. § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 StGB darf mit Blick auf den hohen Strafrahmen nicht zu niedrig bestimmt werden; erforderlich sind mindestens 25 Urkunden31. bb) In Frankreich gilt gemäß Art. 111-4 CP „La loi pénale est d’intérpretation stricte“, also eine c. 18 CIC/1983 fast wortgleich entsprechende Norm. Gleichwohl werden Strafvorschriften häufig weit ausgelegt: @ Dies gilt z. B. für den Begriff der körperlichen Sache beim Diebstahl – Art. 311-1 CP. Der unberechtigte Download von Daten ist als Diebstahl strafbar32 und für den Entzug der elektrischen Energie, deren Entziehung (seit 1912) als Diebstahl angesehen wird33, existiert erst seit 1992 (Art. 311-2 CP) eine ausdrückliche Regelung. In beiden Fällen wird die Körperlichkeit in Deutschland verneint. @ Der Einwurf von wertlosen Gegenständen in einen Automaten ist als Betrug strafbar, obwohl keine Täuschung eines Menschen vorliegt34 ; in Deutschland ist hierfür eine eigene Strafvorschrift erforderlich (§ 265a StGB). In Frankreich ist es nämlich zulässig, „alte“ Gesetze an die modernen Gegebenheiten anzupassen35, selbst wenn dies eine – aus deutscher Sicht – Überdehnung des Wortlautes zur Folge hat. Dem Richter ist zwar „extension, analogie ou induction“ verboten, aber es gelten die allgemeinen Auslegungsregeln. Bei unklarem Wortlaut ist der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, auch wenn dies eine weite Auslegung erfordert36. Art. 111-4 CP ist daher als Normierung des Analogieverbots, nicht aber als Auslegungsregel zu verstehen. Bestätigt wird dies durch folgende Beispiele37 der französischen Rechtsprechung für eine Anwendung des Art. 111-4 CP, 29
BGHSt 30, 105 (120). BGH NStZ-RR 2018, 206 (207 und 208). 31 BGH NStZ-RR 2019, 11 (13). 32 Mayaud/Gayet (Anm. 12), Art. 311-2, Nr. 16. Der Sachbegriff wird anscheinend mit dem handelsrechtlichen Begriff der Ware gleichgesetzt. 33 Mayaud /Gayet (Anm. 12) Art. 311-2, Nr. 9. 34 David Dechenaud, Code Pénal 2020, Paris 322019, Art. 111-4, Nr. 13. Auch heute wird dieses Verhalten als „manœuvre frauduleuse“ i. S. d. Art. 313-1 CP angesehen; vgl. MichèleLaure Rassat, Droit pénal spécial, Paris 82018, Rn. 166. 35 Dechenaud (Anm. 34), Nr. 12. 36 Mayaud/Gayet (Anm. 12), Art. 111-4, Nr. 5 und 9. 37 Mayaud/Gayet (Anm. 12), Art. 111-4, Nr. 11, 12, 14, 24, 27, 28, 35, 37 und 40. 30
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die in Deutschland unter Hinweis auf das Analogieverbot oder der Begrenzung der Auslegung durch den Gesetzeszweck ähnlich entschieden würden: @ Keine Unterstützung des unberechtigten Aufenthalts eines Ausländers38 ist es, wenn einer Person, die keinen Aufenthaltstitel, aber das Recht auf einen Wohnsitzwechsel hat, eine Wohnung vermietet wird. @ Ein Amtsträger beschränkt nicht missbräuchlich die Freiheit („accomplir arbitrairement un acte attentatoire à la liberté individuelle“) eines anderen i. S. d. Art. 432-4 CP, wenn er den Zufluss von Wasser auf ein Privatgrundstück einschränkt, da die Strafvorschrift nur die Bewegungsfreiheit schützt. @ Dringt jemand regelmäßig in ein DV-System ein, um von dort unverlangt Nachrichten zu versenden, ohne Daten zu verändern, rechtfertigt dies nicht eine Bestrafung, wenn keine Beeinträchtigung („entraver ou (…) fausser le fonctionnement“) dieses Systems i. S. d. Art. 323-2 CP vorliegt. @ Da eine Stage kein Arbeitsverhältnis ist, findet Art. 225-2, 30 CP, der eine Diskriminierung bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses unter Strafe stellt, auf diese keine Anwendung. @ Strafbar ist nach Art 434-20 CP die Erstattung eines inhaltlich falschen Gutachtens im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens; für vor Inkrafttreten des CP erstattete Gutachten kann nicht auf die Strafbestimmungen über falsche Aussagen von Zeugen zurückgegriffen werden. @ Die Absicht, die während eines Aufenthalts in einem Hotel angefallenen Telefonkosten nicht zu bezahlen, ist nicht strafbar als betrügerische Anmietung eines Hotelzimmers (Art. 313-5, 20 CP). @ An ein Amts- oder Berufsgeheimnis betreffend strafrechtliche Ermittlungen (Art. 226-13 CP) sind Personen nicht gebunden, die zu Angaben gegenüber Ermittlungsbehörden verpflichtet sind. @ Ein nach Art. L8224-1 Code de Travail strafbarer „travail dissimulé“ (hier: Beschäftigung von Scheinselbständigen) liegt nicht vor, wenn sich der Vertrag nicht als Dienst-, sondern als Kaufvertrag darstellt. @ Ein strafbares unberechtigtes Führen des Titels eines staatlich geregelten Berufs oder Diploms (Art. 433-17 CP) liegt nicht vor bei unberechtigtem Führen eines Adelstitels. cc) Im kanonisches Recht wird der Grundsatz der engen Auslegung von Strafgesetzen in c. 18 CIC/1983 übernommen. In der Literatur wird darauf verwiesen, hieraus folge, dass, wenn „der Tatbestand (…) eine weite und eine enge Deutung (zulasse), die letztere (…) verbindlich sei“; allerdings sei bei einer unbestimmten Strafgesetzformulierung unsicher, ob c. 18 CIC/1983 oder die Rücksicht auf das schutzbe-
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Art. L622-1 Code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile.
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dürftige Gut für die Interpretation maßgeblich sei39. Der Praxis entspricht die letzte Auffassung; erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die weite Auslegung des Begriffs der Sünde „contra sextum Decalogi“40. „In poenis benignior est interpretatio facienda“ (c. 18 CIC/1983) gilt nur „im Zweifel“41, wenn also die Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, bedeutet aber nicht, dass bei mehreren möglichen Auslegungen immer die mildeste zu wählen ist. Im Rahmen der Auslegung von Gesetzen ist der Wortlaut der Ausgangspunkt. Führt die grammatikalische Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis („si dubia et obscura manserit“), sind auch der Zweck und die Umstände des Gesetzes sowie der Wille des Gesetzgebers zu berücksichtigen, c. 17 CIC/1983. Entspricht dem eine weite Auslegung am besten, ist diese möglich und der Wortlaut legt nur die Grenzen dieser Auslegung fest. Wenn diese Prüfung aber nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, ob das Verhalten von dem Strafgesetz erfasst werden soll, ist (zwingend) die enge Auslegung zu wählen.42 Eine weite Auslegung kann erforderlich sein, damit zur Vermeidung des Skandals gegen ein gemeinschädliches Verhalten mit Mitteln des Strafrechts, vorgegangen werden kann43. Im kanonischen Recht müssen insoweit keine engeren Grenzen gezogen werden als in staatlichen Rechtsordnungen. In diesen wird das Analogieverbot überdies auch aus den Grundrechten als Abwehrrechten gegen den Staat abgeleitet; im kanonischen Recht steht dagegen auch das Recht aus c. 221 § 3 CIC/1983 unter dem Vorbehalt des c. 223 CIC/1983. C. 18 CIC/1983 ist daher wie Art. 111-4 CP als Normierung des Analogieverbotes, aber nicht als strikte Auslegungsregel anzusehen. b) Rechtsfolgen aa) Im Rahmen der Frage, welche Strafe angemessen ist, kommt es (auch) auf die Strafzwecke an. Diese sind im deutschen Strafrecht Vergeltung für das begangene Unrecht und die Resozialisierung des Täters, aber auch das Einwirken auf das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung (Spezial- und Generalprävention); die Strafe darf aber nicht über das Maß der Schuld des Täters hinausgehen, auch nicht unter Berufung auf Gründe der Prävention44. Das Schuldprinzip ist insoweit eine Ausformung des allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsprinzips45, das unverhältnismä39
Vgl. dazu: Hubert Socha, c. 18, Rdnr. 6, in: MK CIC (Stand: Februar 2012). Kritisch insoweit Klaus Lüdicke, c. 1378, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: November 2012). 41 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht, 1. Bd., Paderborn/München/ Wien/Zürich 1991, S. 184. 42 Bernard d’Alteroche, De l’interprétation favorable du doute à l’interprétation favorable de la loi pénale: Recherche sur les origines canoniques d’un principe; in: Schmoeckel (Anm. 15), S. 135 ff. (140, 144, 146, 148). 43 S. unter b) cc) – vgl. auch c. 1399 CIC/1983. 44 Fischer (Anm. 10), § 46, Rn. 2 – 5. 45 Vgl. nur BVerfGE 90, 145 (173); 92, 277 (326); 110, 1 (13). 40
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ßig harte Strafen ausschließt, aber keine Auslegung zu Gunsten des Täters fordert46. Teilweise wird zwar gefordert, es sei immer die mildeste in Betracht kommende Strafe zu verhängen47. Dieser Theorie liegt die Annahme zugrunde, es ließe sich eine objektiv angemessene Strafe feststellen. Dafür sind die Fallgestaltungen im Hinblick auf die Hintergründe des Täters und der Tat aber zu vielfältig. Das Schuldprinzip fordert allerdings ein System, das den Verzicht auf Strafen im Falle geringer Schuld zulässt48, z. B. den Schuldspruch verbunden mit einer Verwarnung unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe (§ 59 StGB) oder die Einstellung eines Strafverfahrens nach Erfüllung von Auflagen (§ 153a StPO). Dem Ziel, unverhältnismäßig harte Folgen für den Verurteilten zu vermeiden, dient es auch, dass Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren – s. zu den Einzelheiten § 56 Abs. 1 und 2 StGB – zur Bewährung ausgesetzt werden können, wenn zu erwarten ist, dass der Täter künftig ein straffreies Leben führen wird. Diese Voraussetzung kann nicht allein deswegen verneint werden, weil der Täter schon mehrfach straffällig geworden oder ein „Bewährungsversager“ ist. Vielmehr hat immer eine aktuelle Prognose zu erfolgen49. bb) In Frankreich sind ebenfalls die Umstände der Tat, die Persönlichkeit und die Situation des Täters sowie die Vergeltung und die Resozialisierung zu berücksichtigen, Art. 132-1 CP. Zwar dürfen nur die Strafen verhängt werden, die „strictement et évidemment nécessaires“ sind; gleichwohl hat der Richter hier einen weiten Beurteilungsspielraum50. Auch hier werden im Ergebnis nur unverhältnismäßige Strafen ausgeschlossen. Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren können zur Bewährung ausgesetzt werden und ebenso Geldstrafen und weitere Strafen; die Aussetzung ist aber bei einer innerhalb der letzten fünf Jahren erfolgten Verurteilung ausgeschlossen, Art. 132-30, 132-31 CP. Anders als in Deutschland können Freiheitsstrafen auch teilweise zur Bewährung ausgesetzt werden, Art. 132-39 CP. cc) Im kirchlichen Strafrecht werden Tat- und Spruchstrafen unterschieden. Die Tatstrafe ist unmittelbare Folge der Tat selbst. Tatstrafen sind daher immer absolute Strafen51. Spruchstrafen setzen die hoheitliche Festsetzung voraus. Die Strafvor46 Vgl. die Darstellung der zu berücksichtigenden Umstände: Fischer (Anm. 10), § 46, Rn. 25 ff. 47 Johannes Kaspar, Sentencing Guidelines versus freies tatrichterliches Ermessen – Brauchen wir ein neues Strafzumessungsrecht?, Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages Leipzig 2018, Gutachten C; Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), 1. Bd., München 2018, C 43. 48 BVerfGE 90, 145 (189). 49 Vgl. Jescheck/Weigand (Anm. 18) S. 837; reg. iur 8 („Semel malus semper praesumitur esse malus“) gilt daher nicht. 50 Mayaud/Gayet (Anm. 12), Art. 132-1, Nr. 10. 51 Die Exkommunikation in cc. 1364 § 1, 1367, 1370 § 1, 1378 § 1, 1382, 1388 § 1 und c. 1398; das Interdikt in cc. 1370 § 2, 1378 § 2, 1390 § 1 und 1394 § 2; die Suspension in
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schriften können genau festgelegte Strafen52 vorsehen. Ist eine Strafe dagegen unbestimmt („indeterminata“)53, dürfen gem. c. 1349 CIC/1983 vorbehaltlich einer anderen gesetzlichen Regelung keine schwereren Strafen, insbesondere Beugestrafen54 nur ausnahmsweise und keine Strafen auf Dauer55 verhängt werden. Welche Strafe angemessen ist, kann nur mit Blick auf den Zweck des Strafrechts bestimmt werden56. Einen Rückschluss ermöglicht c. 1341 CIC/1983, nach dem eine Strafe nur in Betracht kommt, wenn weder durch eine brüderliche Ermahnung oder einen Verweis noch durch einen anderen Weg pastoralen Bemühens ein Ärgernis hinreichend behoben, die Gerechtigkeit wiederhergestellt werden und der Täter gebessert werden kann57. Hinzuweisen ist auch auf c. 1344 CIC/1983. Auch bei obligatorischen Strafen58 gibt dieser die Möglichkeit, von einer Strafe abzusehen, wenn dem Strafzweck bereits auf einem anderen Wege hinreichend Genüge getan ist. Das zu beseitigende Ärgernis ist nie die Aufdeckung der Straftat, sondern der Eindruck der Gemeinschaft, die kirchliche Autorität bleibe untätig und das Verhalten könne unbeanstandet nachgeahmt werden59. Nicht überzeugend ist es, als Strafzweck anzusehen, den Täter „so lange aus der Gemeinschaft auszugrenzen oder ihn wenigstens in seinen Rechten zu mindern, bis er sein gemeinschaftswidriges Verhalten aufgibt“60. Diese Auffassung hat zu sehr Beugestrafen im Blick, nicht aber den Sühnecharakter einer Strafe. Rees stellt dies klar, indem er ausführt, das Kirchenrecht stecke den
cc. 1370 § 2, 1378 § 2, 1383, 1390 § 1 und 1394 § 1 sowie das Weiheverbot in c. 1383 CIC/ 1983. 52 Cc. 1364 § 1 (Strafen gem. c. 1336 § 1 Nr. 1 – 3), 1372 (Beugestrafe), 1374 (Interdikt), 1380 (Interdikt oder Suspension), 1395 (Suspension) und 1397 (Entzug von Rechten gem. c. 1336) CIC/1983. 53 Cc. 1365, 1368, 1369, 1370 § 3, 1371, 1374, 1375, 1376, 1377, 1379, 1381 § 1, 1384, 1386, 1388 § 1, 1389 § 2, 1391, 1392, 1393 und 1399 CIC/1983. 54 Ausdrücklich genannt in: Cc. 1366, 1385 und 1390 § 2 (Beugestrafe), 1373 (Interdikt), 1378 § 3 und 1388 § 2 (Exkommunikation) sowie 1387 (Suspension) CIC/1983. 55 Ausdrücklich genannt in: Cc. 1364 § 2, 1367, 1370 § 1, 1387, 1394 § 1, 1395 § 1 und § 2 (Entlassung aus dem Klerikerstand) sowie 1389 § 1 und 1396 (Amtsentzug) CIC/1983. 56 Dazu umfassend: Wilhelm Rees, Strafe und Strafzwecke – Theorien, geltendes Recht und Reformen, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen der kirchlichen Strafrechtsentwicklung, Paderborn 2017, S. 23 ff. 57 Rees (Anm. 55), S. 55. 58 Cc 1365, 1366, 1368, 1369, 1370 § 3, 1371, 1372, 1373, 1374, 1376, 1377, 1379, 1380, 1381 § 1, 1385, 1386, 1387, 1388 §§ 1 und 2, 1389 §§ 1 und 2, 1392, 1395 §§ 1 und 2, 1396 und 1397 CIC/1983. 59 Klaus Lüdicke, c. 1341, Rdnr. 3 (1. Absatz), in: MK CIC (Stand: November 1993). 60 Klaus Lüdicke, Einleitung vor 1311, Rdnr. 23, in: MK CIC (Stand: Juli 1992); ähnlich Ders., c. 1341, Rdnr. 3 (2. Absatz), in: MK CIC (Stand: November 1993).
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„Rahmen ab, innerhalb dessen sich jedes einzelne Glied bewegen (…) kann, ohne den Anspruch der anderen Gläubigen oder der Gemeinschaft insgesamt zu verletzten (…). Hier haben auch Strafmaßnahmen ihren Platz“.61
Selbst Reue schließt damit eine Strafe nicht aus, wenn ein besonders schweres Verbrechen vorliegt, das eine Reaktion der kirchlichen Autorität erfordert. Auch für die Höhe der Strafe spielt dieser Gesichtspunkt eine entscheidende Rolle. Im Falle des c. 1395 § 2 CIC/1983 sollte deshalb die Entlassung aus dem Klerikerstand als Regelstrafe vorgesehen werden. Härter als im Gesetz vorgesehen kann der Täter unter den Voraussetzungen des c. 1326 CIC/1983 bestraft werden. In entsprechender Anwendung von c. 1326 § 2 CIC/1983 kann daher auch bei Spruchstrafen eine zusätzliche oder statt der gesetzlich vorgesehenen eine härtere Strafe oder eine zusätzliche Buße verhängt werden62. Dabei ist c. 1349 CIC/1983 zu beachten; Strafen auf Dauer scheiden aus, weil c. 1326 CIC/1983 diese nicht erwähnt. Dagegen werden Beugestrafen regelmäßig in Frage kommen, da eine Schwere des Falles i. S. d. c. 1349 CIC/1983 fast immer vorliegen wird. Eine quantitative Verschärfung der Strafe ist nur ausnahmsweise, z. B. im Falle des c. 1383 CIC/1983 – Verlängerung des Verbots der Weihespendung über ein Jahr hinaus – möglich. Liegt eine der Voraussetzungen des c. 1324 CIC/1983 vor, ist die Strafe zu mildern. Soweit eine Beugestrafe verhängt wird, müssen daher jedenfalls einzelne der gesetzlichen Folgen (cc. 1331 – 1333 CIC/1983) entfallen bzw. Sühnestrafen hinsichtlich des Umfangs reduziert werden. Im Regelfall wird aber nur eine andere, mildere (c. 1349 CIC/1983) Strafe als gesetzlich vorgesehen oder eine Buße in Betracht kommen. 3. Qui facit per alium, est perinde, ac si faciat per se ipsum (reg. iur. 72) a) Deutsches und französisches Strafrecht aa) Diese Rechtsregel betrifft in erster Linie die Frage der Stellvertretung bei rechtlich relevanten Erklärungen. Im Strafrecht scheint die Sache klar zu sein: Täter ist, wer die Tat begeht – aber wer begeht die Tat? Kommt es darauf an, ob jemand die Tatbestandsmerkmale selbst erfüllt oder ist entscheidend, dass jemand die Tat als eigene will und sich nicht nur – als Gehilfe – dem Einfluss eines Dritten unterordnet63? Oder ist darauf abzustellen, ob jemand die Tatherrschaft im Ausfüh61
Rees (Anm. 55), S. 59. Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1326, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: November 1992). 63 Vgl. zu dieser und weiteren Theorien umfassend: Jescheck/Weigand (Anm. 18), S. 648 ff.; diese von der Rechtsprechung früher nahezu durchgängig vertretene subjektive Tätertheorie gibt den Gerichten einen weiten Spielraum zwischen Täterschaft und Beihilfe „zu wählen“; vgl. Claus Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, München/Boston 102019, S. 759. 62
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rungsstadium hat64. Die deutsche Rechtsprechung vertritt heute eine vermittelnde Theorie, in die beide zuletzt genannten Gesichtspunkte einfließen65. Allerdings kann nach § 25 StGB die Tat „durch einen anderen“ begangen werden. Damit ist nicht der Fall der Anstiftung (§ 26 StGB) gemeint, sondern die mittelbare Täterschaft, wenn also der unmittelbar Tätige (Tatmittler) von dem Hintermann, dem mittelbaren Täter, als „Werkzeug eingesetzt“ wird66. Dies kommt in Betracht, wenn z. B. ein Irrtum des Tatmittlers67, dessen Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat oder eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit (§ 35 StGB) ausgenutzt wird. Hinzu kommen Fälle, in denen der unmittelbar Handelnde in ein Befehlssystem staatlicher68 bzw. geschäftlich-/unternehmerischer69 Organisationen eingebunden ist. Interessant ist der Katzenkönig-Fall70: Der Hintermann spiegelte dem unmittelbaren Täter die Existenz eines Katzenkönigs vor. Wenn diesem nicht ein Menschenopfer gebracht werde, müssten mehrere Millionen Menschen sterben. Das Opfer überlebte den Mordanschlag. Hier lag ein vermeidbarer Verbotsirrtum71 vor. Gleichwohl wurde mittelbare Täterschaft bejaht. Dies ist nicht unproblematisch, da der Haupttäter schuldhaft handelte72. Da der Hintermann in diesem Fall – wie auch in den Fällen des Systemunrechts – eine steuernde Funktion hatte, ist dieses Ergebnis aber gerechtfertigt. bb) In Frankreich ist gem. Art. 121-4 Nr. 1 CP Täter, wer „commet les faits incriminés“. Pouyanne73 unterscheidet auf der Grundlage von Rechtsprechung und Literatur den „auteur mediat“ und den „auteur moral“. Ein auteur mediat bedient sich bei der Straftat eines anderen als sein Werkzeug und ist der allein Verantwortliche74. Bejaht wird mittelbare Täterschaft, wenn der unSie führte bei der Verfolgung der NS-Gewaltverbrechen häufig dazu, dass diejenigen, die eigenhändig getötet hatten, nur wegen Beihilfe verurteilt wurden und damit nur zu geringen Strafen. 64 Vgl. dazu Jescheck/Weigand (Anm. 18), S. 651 ff. 65 Fischer (Anm. 10), Vor § 25 Rn. 2 ff. 66 Vgl. zu den Fallgestaltungen Jescheck/Weigand (Anm. 18), S. 665 ff. 67 Jemand fordert einen Dritten auf, ihm eine Sache zu holen und täuscht ihn, indem er behauptet, diese Sache gehöre ihm. 68 BGHSt 40, 218 ff. (230 ff.): Nationaler Verteidigungsrat der DDR; BGHSt 45, 270 ff. (293 ff.): Mitglieder des Politbüros der SED; BGHSt 48, 77 ff. (80 ff.): Mitglieder des Zentralkomitees der SED; zusammenfassend: Roxin, Täterschaft (Anm. 62), S. 839 ff. 69 Zusammenfassend und kritisch: Roxin, Täterschaft (Anm. 62), S. 853 ff.; auf S. 711 verweist er auf eine neuere Praxis, in diesen Fällen Mittäterschaft anzunehmen. 70 BGHSt 35, 347 ff. 71 Die Abwägung „Ein Leben ist weniger wert, als das von Millionen“ kommt nicht in Betracht: BGHSt 35, 347 (350). 72 Ablehnend im Hinblick auf den „Täter hinter dem Täter“: Welzel (Anm. 3), S. 106, 107; Jeschek/Weigand (Anm. 18), S. 664. 73 Julia Pouyanne, L’auteur moral de l’infraction, Aix-en-Provence 2003. 74 Ebd., Rn. 311 und 362.
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mittelbar Handelnde das Unrecht wegen eines Irrtums, der Strafunmündigkeit oder eines Zustandes i. S. d. Art. 122-1 CP nicht erkannt hat75. Der „auteur moral“ dagegen veranlasst einen Dritten, der sich grundsätzlich bewusst ist, dass er rechtswidrig handelt, zur Tat. Der unmittelbar Handelnde ist daher regelmäßig Täter, selbst wenn er auf Grund von Weisungen, Drohungen, Missbrauch der Autorität oder sonstige Anstiftungshandlungen durch einen Dritten hierzu veranlasst wurde76. Zum auteur moral wird dieser Dritte, wenn sich seine „Teilnahme“ nicht wie die eines Anstifters darstellt, sondern von ihm nicht nur die Tatinitiative ausgeht, sondern er auch eine steuernde Funktion und ein (besonderes) Interesse an der Tat hat.77 Diese Lösung unterscheidet sich im Ergebnis nicht grundsätzlich von der deutschen Praxis. Bei Vorsatztaten lässt sich dieses auch mit einer subjektiven Definition der Täterschaft, ggf. auch mit der Annahme der Tatherrschaft (Über-/Unterordnungsverhältnis) begründen; der Hintermann ist dann „Täter hinter dem Täter“. Bei Fahrlässigkeitsdelikten wird dem das Geschehen steuernden Hintermann ohnehin selbst der Vorwurf der Fahrlässigkeit zu machen sein. b) Kanonisches Strafrecht Für das kanonische Recht neigt Lüdicke dazu, die Anerkennung der mittelbaren Täterschaft mit Blick auf c. 18 CIC/1983 abzulehnen78. Der Hinweis auf c. 18 CIC/ 1983 reicht hierfür aber – wie oben ausgeführt – nicht aus. Vielmehr ist entscheidend, wie der Täterbegriff im kanonischen Recht zu verstehen ist. Geht man davon aus, dass der Tatmittler ein Werkzeug ist, ist es geboten, den Hintermann als Täter i. S. des c. 1321 CIC/1983 („ab eo commissa“) anzusehen, insbesondere wenn man wie Lüdicke der Theorie von der Tatherrschaft nahesteht79. Für diese Auslegung lässt sich anführen, dass diese auch in Frankreich – bei ähnlicher Definition der Täterschaft und unter dem Gebot der engen Auslegung von Strafgesetzen – als zulässig angesehen wird. Eine Ablehnung dieser Rechtsfigur könnte allein i. S. einer streng objektiven Theorie damit begründet werden, „ab eo comissa“ bedeute, der Täter müsse selbst – Ausnahme Mittäterschaft – alle Tatbestandsmerkmale erfüllen. Tatsächlich muss man dieses Merkmal aber so verstehen, dass Täter ist, wer die entscheidende Ursache für den Erfolg setzt.
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Ebd., Rn. 315 – 327. Ebd., Rn. 370. 77 Ebd., Rn. 399, 425, 426, 446. 78 Klaus Lüdicke, c. 1329, Rdnr. 9, in: MK CIC (Stand: November 1992). 79 Vgl. ebd., Rdnr. 3, 1. Anstrich. 76
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Die mittelbare Täterschaft ist daher auch im kanonischen Recht anzuerkennen80, wenn der Hintermann @ sich eines Dritten bedient, dem die Tat nicht zugerechnet werden kann, weil bei ihm eine der Voraussetzungen der cc. 1321 – 1323 CIC/1983 vorliegt, @ den unmittelbar Handelnden in den Fällen des c. 1324 CIC/1983 so gesteuert hat, dass dessen Beitrag noch nicht einmal als annähernd gleichwertig angesehen werden kann oder @ einen anderen durch Ausnutzung einer kirchlichen Macht – einer tatsächlichen Befehlsgewalt oder kraft der Autorität z. B. als Pfarrer – zur Tat veranlasst hat und zwar auch dann, wenn der unmittelbar Handelnde volldeliktisch handelt. Im Falle eines gemeinschaftlichen Handelns kommt auch Mittäterschaft und – wenn keine „Übereinkunft“ besteht, aber beide Tatherrschaft haben – Nebentäterschaft in Betracht. Deren eingeschränkte gesetzliche Anerkennung kann man in c. 1325 CIC/1983 sehen, wenn man annimmt, der Täter setze sich selbst – durch die Herbeiführung des Rauschzustandes, um die Tat in diesem Zustand zu begehen – als Werkzeug ein81. 4. Quum quid prohibetur, prohibentur omnia, quae sequuntur ex illo (reg. iur. 39) a) Deutsches und französisches Prozessrecht aa) Verstößt eine Ermittlungsbehörde bei ihren Ermittlungen gegen prozessuale Vorschriften, sind in den USA die dadurch gewonnenen Beweise nicht verwertbar, auch wenn diese nur zum Anlass für weitergehende Ermittlungen genutzt wurden. Als Grund hierfür wird angeführt, der Prozess in den USA sei ein Parteiprozess, in dem sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte gegenüberstehen. Keine Partei solle sich durch ihr rechtswidriges Verhalten einen Vorteil verschaffen können. Im deutschen Strafprozess stehe dagegen die Suche nach der Wahrheit im Vordergrund. Daher könne diese Lösung nicht übernommen werden82. Die Folgen rechtswidrigen Handelns der Ermittlungsbehörde können wie folgt zusammengefasst werden83 : @ Je schwerwiegender der Eingriff ist, um so eher führt ein Verstoß zur Unverwertbarkeit der erlangten Beweise. @ Im Regelfall haben prozessordnungswidrige Zwangsmaßnahmen (z. B. Durchsuchungen ohne richterliche Anordnung) nicht die Unverwertbarkeit der erlangten 80 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf/Ludger Müller, Kanonisches Recht, 4. Bd., Paderborn/München/Wien/Zürich 2013, S. 131. 81 RGSt 22, 413 (414 f.). 82 Claus Roxin/Bernd Schünemann, Strafverfahrensrecht, München 292017, § 24 Rn. 60. 83 Vgl. dazu: Roxin/Schünemann (Anm. 81), § 24 Rn. 30 ff.
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Beweismittel zur Folge, es sei denn, es liegt eine bewusste Missachtung der Regeln vor. @ Ein Verstoß gegen die Pflicht, einen Beschuldigten über sein Schweigerecht zu belehren (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), führt grundsätzlich zur Unverwertbarkeit der Angaben, wenn dieser sein diesbezügliches Recht nicht gekannt hat. Findet eine mündliche Hauptverhandlung statt und ist der Angeklagte durch einen Verteidiger vertreten, muss dieser der Verwertung aber rechtzeitig (vgl. § 257 Abs. 1 StPO) widersprechen. @ Mittelbar durch eine rechtswidrige Beweiserhebung erlangte Beweise sind grundsätzlich – entscheidend ist insoweit die Schwere des Verstoßes – verwertbar84. Bei Ermittlungen von Privatpersonen sind entwendete Urkunden verwertbar, nicht dagegen durch Folter erlangte Geständnisse. In Zivilverfahren sind die Regeln strenger. Es wird eine am Einzelfall orientierte Güterabwägung gefordert. Dem Persönlichkeitsrecht wird ein hoher Stellenwert beigemessen. Geschützt ist nicht nur die Intim-/Geheim-, sondern auch, obgleich in geringerem Maße, die Sozial- und Privatsphäre. Dabei spielt auch eine Rolle, ob sich ein Vorgang öffentlich oder nicht-öffentlich abgespielt hat85. Ton- und Bildaufnahmen, die ohne Zustimmung erfolgten, verletzten das Persönlichkeitsrecht; diese können weder unmittelbar noch mittelbar – durch Zeugenvernehmung – berücksichtigt werden86. Auf der anderen Seite fließt aber auch eine evtl. Schwierigkeit in die Abwägung ein, Beweise vorzulegen87 sowie das Recht, einen Anspruch auch tatsächlich durchsetzen und falsche Entscheidungen verhindern zu können88. bb) Auch in Frankreich kommt es auf die Art des Prozesses an89 : @ Im Zivilprozess dürfen rechtswidrig beschaffte Beweise nicht berücksichtigt werden. @ In Strafverfahren sind „magistrats“ (Untersuchungsrichter und Staatsanwälte) streng an die Grenzen der Gesetze gebunden. Für Beamte der Kriminalpolizei gilt dies nur im Grundsatz. Ihr Vorgehen muss verhältnismäßig sein, aber ein ge84 Diese Frage ist „nach der Sachlage“ – insbesondere der Schwere des Eingriffs, ob eine bewusste Verletzung der Rechte des Angeklagten vorliegt und unter Abwägung mit dem Strafverfolgungsinteresse – und „der Art des Verbotes“ – insbesondere der Bedeutung der betroffenen (grundrechtlichen) Positionen des Angeklagten und ob die verletzte Vorschrift bewusst eng gefasst ist – zu entscheiden; vgl. Gericke, in: Rolf Hannich (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, München 82019, § 337 Rn. 38 m. w. N. 85 BGHZ 218, 348 (370 f., Rn. 44, 45). 86 BGHZ 218, 348 (372 f., Rn. 50). 87 BGHZ 218, 348 (371, Rn. 47). 88 BGHZ 218, 348 (375, Rn. 54 f.). 89 Vgl. Coralie Ambroise-Castérot/Philippe Bonfils, Procédure pénale, Paris 22018, Rn. 278 ff.
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wisses Maß an List und Zwang ist zulässig. Bestimmte Maßnahmen (Telefonüberwachung oder sonstige heimliche Aufnahmen) sind nur verwertbar, wenn diese Maßnahme gerichtlich angeordnet wurde. Das „Mithören“ durch einen heimlich anwesenden Beamten ist dagegen zulässig. Im Widerspruch dazu wurden vereinzelt rechtswidrig beschaffte Beweise zugelassen, wenn diese durch andere Umstände bestätigt werden und der Angeklagte sich dazu äußern konnte. Dagegen können von Privatpersonen beschaffte Beweise auch dann berücksichtigt werden, wenn diese rechtswidrig erlangt wurden90. Jedenfalls unzulässig ist es in beiden Staaten im Falle staatlicher Provokation einer Tat die dadurch erlangten „Beweise“ uneingeschränkt zu nutzen, wenn der Täter erst durch den agent provocateur zu der Tat veranlasst wurde91. b) Kanonisches Prozessrecht Gemäß c. 1527 § 1 CIC/1983 können Beweise beigebracht werden, die „utiles videantur et sint licitae“. Lüdicke92 versteht „licitae“ nicht im rechtlichen, sondern in einem moralischen Sinne, da dieses Merkmal sonst eine Tautologie wäre. Diese Auffassung überzeugt nicht, denn man kann „licitae“ so interpretieren, dass nur die im Prozessrecht zugelassenen Beweise beigebracht und verwertet werden können und dabei die durch das kirchliche und göttliche Recht gesetzten Grenzen einzuhalten sind93. Gerade im Prozessrecht sollte auf unklare Erwägungen zur „Moral“ verzichtet werden, weil Prozessrecht „formal“ ist, um die Chancengleichheit der Parteien zu wahren. Weiß94 verweist auf das Beweis- und Beweisverwertungsverbot bei zeugnisunfähigen95 Personen (c. 1550 § 2 CIC/1983) und lehnt durch arglistige Täuschung erlangtes Wissen als Beweis ab. Die von ihm ebenfalls erwähnten anonymen Dokumente dürften allerdings bereits als „nicht nützlich“ anzusehen sein. Darüber hinaus seien die Rechte der Gläubigen gem. cc. 208 ff. CIC/1983, insbesondere der Schutz der Intimsphäre (c. 220 CIC/1983), zu beachten. Bei dem praktisch bedeutsamen Fall des „entwendeten“ Tagebuchs bejaht er zwar die Einschlägigkeit des c. 220 CIC/ 1983, kommt aber zu dem Ergebnis, es müsse das Ziel des Prozesses, die Erlangung der Kenntnis von der Wahrheit, berücksichtigt werden. Der Richter müsse ein Tage90
Durch Folter beschaffte Beweise sind aber auszuschließen. Ambroise-Castérot/Bonfils (Anm. 88), Rn. 286; Fischer (Anm. 10), § 46 Rn. 67 – 69c. 92 Klaus Lüdicke, c. 1527, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: Mai 1989). 93 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf/Ludger Müller, Kanonisches Recht, Ergänzungsband, Paderborn 2017, S. 56. 94 Andreas Weiß, Beweismittelverbote im Ehenichtigkeitsverfahren? Bemerkungen zur Auslegung von c. 1527 § 1 CIC in Art. 157 § 1 der Instruktion Dignitas Conubii, in: DPM 17/ 18 (2010/11), S. 275 ff. (284 ff.). 95 Insoweit gilt eine Fernwirkung, also auch ein Verbot der Nutzung der mittelbar durch die Aussage dieser Personen gewonnen Beweise. 91
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buch ggf. zur Kenntnis nehmen und auf seine Relevanz prüfen. Sei es für den Fall von Bedeutung, müsse es als Beweismittel genutzt werden, auch wenn dadurch c. 220 CIC/1983 verletzt würde; dies fordere der salus animarum. Die Auffassung von Weiß ist im Ansatz zutreffend, aber einzuschränken. Bei Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht muss eine Abwägung erfolgen: @ Durch Folter erlangte Beweise – dieses Beispiel wird sowohl von Lüdicke als auch von Weiß genannt – sind unverwertbar, da Folter den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts verletzt. @ Die Nutzung privater Aufzeichnungen (z. B. in Tagebüchern) ohne Zustimmung des Verfassers, verletzt die Rechte der davon betroffenen Partei so schwer, dass der salus animarum betroffen ist96. Diese Verletzung kann nicht verneint werden, weil die Unterlagen nur Personen zur Kenntnis gelangen, die der Schweigepflicht unterliegen97, da die Verletzung gerade in der Nutzung liegt. Auch der Verweis auf c. 223 § 1 CIC/198398, der bei der Ausübung der Rechte eine Rücksichtnahme u. a. auf die Rechte anderer fordert, rechtfertigt es nicht, in diesen Fällen immer der Erlangung der Wahrheit den Vorrang zu geben. Er spricht für eine Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung der Intimsphäre. Auch aus der von Weiß erwähnten99 Parallele zu c. 1546 CIC/1983, der auf c. 1548 § 2, 20 CIC/1983 verweist (Zeugnisverweigerungsrecht bei Gefahr der Rufschädigung, gefährlicher Belästigungen oder sonstiger schwerer Schäden), ergibt sich, dass die Wahrheitsfindung im Prozess an Grenzen gebunden ist. @ Werden Rechte einer Partei/des Verdächtigten bewusst durch kirchliche Amtsträger verletzt, um so an Beweise zu gelangen, sind diese unverwertbar. @ Durch Täuschung Privater erlangtes Wissen sollte nicht generell als Beweis ausgeschlossen sein100. C. 125 § 2 CIC/1983 ist nicht unmittelbar anwendbar, da es in diesen Fällen nicht um eine Rechtshandlung geht. Ferner ist eine durch arglistige Täuschung verursachte Rechtshandlung lediglich aufhebbar – also nicht nichtig – und auch nur, soweit nicht etwas anderes im Recht vorgesehen ist. Hier ist das Ziel des Prozesses, Kenntnis von der Wahrheit zu erlangen, eine gesetzliche Ausnahme. So erlangte Beweise sollten in Ehe- bzw. Weihenichtigkeits- oder Strafverfahren zugelassen werden, bei sonstigen Prozessen aber – im Falle eines Widerspruchs der betroffenen Partei – unberücksichtigt bleiben.
96 So i. E. auch Aymans/Mörsdorf/Müller, Ergänzungsband (Anm. 92), S. 56, Fn. 2, ausgeschlossen sind ferner Tonbandaufnahmen von einer Beichte; Aymans/Mörsdorf/Müller, KanR IV (Anm. 79), S. 426 verweisen auf naturrechtliche Grenzen und schließen illegal beschaffte Dokumente als Beweise aus. 97 Weiß (Anm. 93), S. 297. 98 Weiß (Anm. 93), S. 296 f. 99 Weiß (Anm. 93), S. 293. 100 Anders: Weiß (Anm. 93), S. 285.
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@ In den verbleibenden Fällen ist nach dem Gegenstand des Prozesses zu unterscheiden. Bei Ehe- bzw. Weihenichtigkeits- oder Strafverfahren sollten mit Rücksicht auf deren Bedeutung rechtswidrig beschaffte Beweise berücksichtigt werden, solange nicht die Intimsphäre betroffen ist. Geht es dagegen um Verfahren, in denen Personen oder Vereinigungen Rechte durchsetzen wollen, sollten illegal beschaffte Beweise nur zugelassen werden, wenn die Abwägung der Schwere der Rechtsverletzung und des Interesses, den geltend gemachten Anspruch durchsetzen zu können, ergibt, dass das letztere deutlich überwiegt.
Ergebnis Sowohl das staatliche deutsche als auch das kirchliche Recht sind auch heute noch stark von den hier behandelten Rechtsregeln geprägt In beiden Bereichen stellen sich häufig ähnliche Fragen. Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn Kanonisten und Juristen in Zukunft enger als bisher zusammenarbeiten und die Rechtsvergleichung – im staatlichen Recht mit Blick auf ausländische Rechtsordnungen heute eine Selbstverständlichkeit – eine größere Bedeutung als bisher erlangen würde.
Die Außenpolitik und Staatslehre Leos XIII. Von Jörg Ernesti
I. Ein weithin „vergessener Papst“ Man sollte eigentlich meinen, dass die jüngere Papstgeschichte gut erforscht ist, denn das Interesse am Papsttum und seiner Entwicklung ist besonders seit der Jahrtausendwende ständig gewachsen. Doch dem ist nicht so. Für die meisten Päpste der letzten 150 Jahre fehlen wissenschaftliche Biographien in deutscher Sprache. Das gilt sicher für Pius XI. Die vorliegenden Biographien Pius’ XII. genügen entweder nicht wissenschaftlichen Ansprüchen oder sie sind heillos einseitig (hagiographisch oder überaus kritisch). Die einzige umfangreichere Biographie Johannes’ XXIII. stammt von seinem Neffen. Die materialreiche Biographie Johannes Pauls II. von George Weigel ist alles andere als ausgewogen. Auch die letzte Gesamtdarstellung dieser Epoche der Zeitgeschichte ist 20 Jahre alt.1 Was Leo XIII. angeht, sieht es nicht besser aus. Die letzte deutschsprachige Vollbiographie stammt aus dem Jahr 1934.2 Auch die Öffnung der entsprechenden vatikanischen Archivbestände im Jahr 1978 hat nicht zu einer verstärkten Beschäftigung mit seinem Pontifikat geführt. Obgleich in seiner Zeit wichtige Weichen für die Zukunft gestellt wurden, kann dieser Papst getrost zu den großen „vergessenen Päpsten“ gerechnet werden. Diesem Mangel habe ich abzuhelfen versucht, indem ich eine Biographie vorgelegt habe.3 Heute fast vergessen, galt Leo XIII. den Menschen seiner eigenen Epoche als zeitgemäße Verkörperung des Papsttums, ja geradezu als Idealpapst. Er war der erste wirklich „populäre“ Pontifex im modernen Sinn, der erste „Massenpapst“ der Geschichte. 1810 in Carpineto Romano als Spross eines lokalen Adelsgeschlechtes geboren, wurde Gioachino Vincenzo Pecci in Schule und Seminar durch Jesuiten geprägt. Sein Bruder Giuseppe, den er 1879 zum Kardinal ernennen sollte, war selbst Mitglied der Gesellschaft Jesu. Der spätere Papst besuchte die päpstliche Diplomatenakademie und wurde nach seiner Priesterweihe zunächst Delegat in Benevent, 1 Vgl. Georg Schwaiger, Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert. Von Leo XIII. zu Johannes Paul II., München 1999. 2 Vgl. Joseph Schmidlin, Papstgeschichte der neuesten Zeit, 2. Bd.: Papsttum und Päpste gegenüber den modernen Strömungen. Pius IX. und Leo XIII. (1846 – 1903), München 1934. 3 Vgl. Jörg Ernesti, Leo XIII. Papst und Staatsmann, Freiburg i. Br. u. a. 2019. Auch in anderen Sprachen sieht es nicht besser aus. Eine Einführung ohne kritischen Apparat bietet: Santiago Casas, León XIII. Un papado entre modernidad y tradición, Pamplona 2014.
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dann in Perugia und damit höchster ziviler Beamter in diesen Bereichen des Kirchenstaates. Nach einem kurzen Intermezzo als Nuntius in Belgien wurde er 1846 Bischof des umbrischen Bistums Perugia (mit dem persönlichen Titel Erzbischof) – und sollte es drei Jahrzehnte bleiben. 1853 erfolgte die Ernennung zum Kardinal. 1877 wurden seine wiederholten Bitten um eine Abberufung erhört, und er wurde zum Camerlengo der Römischen Kirche ernannt. Am 20. Februar 1878 wurde er zum Papst gewählt, wohl eher als Kandidat des Übergangs nach dem längsten Pontifikat der Papstgeschichte (Pius IX. hatte 32 Jahre lang regiert). Als Papst legte Pecci einen erkennbaren Schwerpunkt auf die Ausübung des Lehramtes, wovon allein 86 Enzykliken zeugen (dieses Genus, das es seit Benedikt XIV. gibt, wurde damit in seiner Bedeutung stark aufgewertet). Hervorzuheben ist die Enzyklika Aeterni Patris (1879) als Auftakt einer Erneuerung der kirchlichen Studien im Geist des Thomas von Aquin (Neuscholastik). Arcanum divinae sapientiae (1880) ist die erste Enzyklika zur Ehethematik. Mit der Enzyklika Providentissimus Deus (1893) erfolgt eine vorsichtige Öffnung für die moderne Bibelauslegung. Die mit Abstand bedeutendste und folgenreichste Enzyklika seiner Amtszeit sollte aber Rerum Novarum aus dem Jahr 1891 sein, die erste Sozialenzyklika eines Papstes, in der sich dieser zur Arbeiterfrage äußerte und damit zugleich die Tradition der katholischen Soziallehre begründete. Auch im Blick auf die Geschichtsforschung fällte dieser Pontifex eine folgenreiche Entscheidung, indem er im Jahr 1883 das Vatikanische Geheimarchiv für die Forschung öffnete, um die antiklerikale Geschichtsdeutung des Risorgimento-Staates zu konterkarieren. Durch die Gründung der Benediktinischen Konföderation und des Generalstudiums Sant’Anselmo in Rom sowie durch die Vereinigung der verschiedenen Zweige der Franziskaner-Observanten griff er auch in das Ordensleben ein. Den Einsatz der Laien in der Kirche suchte er durch die Dritten Orden zu kanalisieren. Konziliant im Ton gegenüber den Ostkirchen, war er den Kirchen der Reformation gegenüber auf Abgrenzung bedacht. 1896 wurden durch das Motu proprio Apostolicae curae die anglikanischen Weihen für ungültig erklärt. 1870 war der alte Kirchenstaat untergegangen und damit die bisherige finanzielle Basis der Kurie weggebrochen. Die vom Königreich Italien einseitig angebotene Apanage von 3,2 Mio. Euro jährlich lehnte Pius IX. ab und setzte stattdessen auf die Solidarität der Katholiken in aller Welt. Nun finanzierte sich der Vatikan vornehmlich durch die Gaben der Gläubigen aus aller Welt („Peterspfennig“). Wallfahrten nach Rom wurden unter Leo XIII. zu Solidaritätskundgebungen mit dem „Gefangenen im Vatikan“, besonders bei den Jubiläen seiner Priester- und Bischofsweihe und bei seinen Thronjubiläen. Die weltkirchliche Dimension und internationale Ausrichtung des Papsttums wurde auf diese Weise gestärkt und ausgebaut.
Die Außenpolitik und Staatslehre Leos XIII.
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II. Ein politischer Pontifikat Von Herkunft und Werdegang her war Gioacchino Pecci diplomatisch geprägt, ein homo politicus, ein in gesellschaftlichen Kategorien denkender Mensch. So hatte auch sein Pontifikat eine stark gesellschaftlich-staatspolitische Note, und nicht von ungefähr wurden gerade seine Außenpolitik sowie seine Staats- und Soziallehre die am stärksten nachwirkenden Elemente. Schon 1923 wurde er in einer Sammlung großer Staatsmänner („Meister der Politik“) in eine Reihe mit Friedrich Barbarossa, Richelieu und Bismarck gestellt.4 Ein jüngerer Autor hat von einem „politischen Pontifikat par eccellence“5 gesprochen. Seit den Zeiten Pippin d. J. waren die Nachfolger Petri wie ihre Amtsbrüder im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Landesherren eines eigenen Staates.6 Als solche waren sie naturgemäß Mitspieler der italienischen und europäischen Politik. Während das Papsttum in der Zeit der Renaissance noch ein gewisses Gewicht in die Waagschale werfen konnte, war seine politische Bedeutung spätestens seit dem 30-jährigen Krieg nurmehr marginal. Immerhin überlebte der Kirchenstaat zweimal seine erzwungene Aufhebung und wurde 1814 und 1850 in seinen alten Grenzen wiederhergestellt. Dessen endgültiger Untergang im Jahr 1870 stellte das Papsttum nun vor eine neue Herausforderung, der sich Pius IX nicht mehr recht stellen konnte: die päpstliche Souveränität neu zu definieren, ohne über ein eigenes Territorium zu verfügen; die politische Rolle des Heiligen Stuhls neu zu modellieren, ohne sich auf die klassischen Instrumente gewachsener Staatlichkeit stützen zu können. Dieser Aufgabe sollte sich Leo XIII. mit großer Virtuosität annehmen. Es gelang ihm, die Außenpolitik des Vatikans unter den nun gegebenen Bedingungen auf eine neue Grundlage zu stellen. Ganz Diplomat, vermied er in allen politischen Fragen Zuspitzungen und war im Verhältnis zu den Staaten stets um einen konzilianten Ton bemüht. In dieser Hinsicht war dieser Pontifikat stilbildend. Was die Römische Frage anging, hielt er zwar an der Forderung eines eigenen Staates fest, insofern dieser als Bedingung aufgefasst wurde, dass der Papst sein Amt frei ausüben kann. Doch wurden bald schon keine konkreten territorialen Forderungen mehr gestellt. Leo XIII. war bereit, sich auf ein kleines Territorium mit dem Vatikan als Kerngebiet zu beschränken. Überdies führte er entschieden fort, was unter Pius IX. begonnen worden war: Der Heilige 4
Vgl. Walter Goetz, Leo XIII., in: Meister der Politik 3 (1923), S. 461 – 484. „pontificato politco per eccellenza“: Roberto De Mattei, Il ralliement di Leone XIII. Il fallimento di un progetto pastorale, Florenz 2014, S. 6; vgl. Jean-Dominique Durand, Léon XIII, Rome et le monde, in: Vincent Viaene (Hrsg.), The Papacy and the New World Order. Vatican Diplomacy, Catholic Opinion and International Politics at the Time of Leo XIII (1878 – 1903), Löwen 2005, S. 55 – 67; Philippe Levillain (Hrsg.): Le pontificat de Léon XIII. Renaissances du Saint-Siège? (= Collection de l’École Française de Rome 368), Rom 2006; Ernesti, Leo XIII (Anm. 3), S. 115 – 170. 6 Vgl. Peter C. Kent/John F. Pollard (Hrsg.), Papal Diplomacy in the Modern Age, Westport (Co.), 1994; Ralph Rotte, Die Außen- und Friedenspolitik des Heiligen Stuhls. Eine Einführung, Wiesbaden 2007; Jörg Zedler (Hrsg.), Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen 1870 – 1939 (= Spreti-Studien 2), München 2010. 5
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Stuhl praktizierte Souveränität, ohne über ein Territorium zu verfügen, indem weiterhin Nuntien in verschiedene Staaten entsandt und deren Botschafter akkreditiert wurden. Unter Leo XIII. wurden die diplomatischen Beziehungen zu den Staaten sogar noch ausgeweitet, etwa durch die Errichtung einer Apostolischen Delegatur in den USA.7 Neu war die internationale Vermittlertätigkeit.8 Insgesamt zehnmal vermittelte der Heilige Stuhl in Konflikten zwischen Staaten, so u. a. im Vorfeld des Kuba-Kriegs zwischen den USA und Spanien, ohne dass hier ein Erfolg zu verzeichnen war (1899). Alte Fronten wurden begradigt: Schon durch die Mitteilung seiner Wahl an den deutschen Kaiser Wilhelm I. signalisierte der Pontifex, dass der Kulturkampf in Deutschland obsolet sei und er eine Verständigung wünsche.9 Durch staatliche Milderungsgesetze wurden in der Folge die Kampfmaßnahmen abgebaut. 1885 schließlich bot Reichskanzler Bismarck dem Papst die Vermittlung in einem Konflikt mit Spanien um die Karolineninseln an – für den Heiligen Stuhl ein diplomatischer Triumph. Insgesamt dreimal besuchte dann Wilhelm II. den greisen Papst. Eine Teilnahme an der Haager Friedenskonferenz von 1899, die wohl eine Krönung der außenpolitischen Aktivitäten bedeutet hätte, blieb dem Vatikan wegen des italienischen Widerstands verwehrt.10 Besondere Bedeutung haben die Bemühungen Leos und seines Kardinalstaatssekretärs Mariano Rampolla del Tindaro (der dieses Amt seit 1887 innehatte), die französischen Katholiken mit der Republik auszusöhnen.11 Diese Politik des Ralliement gelang aber nur zum Teil, da die alte Frontstellung gegenüber der Französischen Revolution im Katholizismus nie ganz aufgegeben worden war und unter den katholischen Gläubigen starke monarchistische Strömungen vorherrschten. Das Verhältnis zum italienischen Staat blieb angespannt, und auch das von Pius IX. verhängte und von Leo XIII. aufrecht erhaltene Politikverbot für Katholiken („Non expedit“) trug nicht zu einer Entspannung bei. Die verschiedenen Regierungen trieben eine zum Teil offen antiklerikale Politik. Der Pecci-Papst sah in Italien und in Frankreich Freimaurer am Werk, die er mehrfach scharf verurteilte, schärfer als jeder andere Papst.
7 Vgl. Claude Fohlen, La création de la délégation apostolique aux États-Unis, in: Revue d’histoire ecclésiastique 99 (2004), S. 406 – 424. 8 Vgl. Jean M. Ticchi, Les difficultés de l’arbitrage pontifical à la fin du 19ème siècle, in: Archivum Historiae Pontificiae 36 (1998), S. 183 – 202; Ders., Aux frontières de la paix. Bons offices, médiations, arbitrages du Saint-Siège (1878 – 1922) (= Collection de l’École française de Rome 294), Rom 2002; Ernesti, Leo XIII (Anm. 3), S. 171 – 178. 9 Vgl. Rudolf Lill, Die Wende im Kulturkampf. Leo XIII., Bismarck und die Zentrumspartei 1878 – 1880, Tübingen 1973. 10 Vgl. Aldo Lanza, La Santa Sede e le conferenze della pace dell’Aja del 1899 e 1907. Studio giuridico-diplomatico, Rom 2002; Hans de Valk, A Diplomatic Desaster. The Exclusion of the Holy See from the 1899 Hague Peace Conference, in: Viaene (2005), S. 434 – 452. 11 Vgl. De Mattei, Il ralliement di Leone XIII (Anm. 5). Der Autor malt ein düstereres Bild der päpstlichen Bemühungen.
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Medaille des zehnten Pontifikatsjahres aus Anlass der Mediation zwischen Spanien und Deutschland im Konflikt um die Karolineninseln. Staatliche Münzsammlung München (Foto: Nikolai Kästner)
Auch im humanitären Bereich wurden Zeichen gesetzt und damit neue Wege eingeschlagen: Der Papst unterstützte nachhaltig die Kampagne des Missionsbischofs Charles-Martial Lavigerie gegen die Sklaverei, die um 1890 in ganz Europa für Aufsehen sorgte. Die Sklaverei hatte vor allem im Osmanischen Reich und in den muslimisch geprägten Gebieten Afrikas überlebt.12 Trotz einzelner Rückschläge wurde der Heilige Stuhl in der Zeit Leos XIII. als internationaler politischer Akteur und als globale moralische Instanz etabliert – eine Entwicklung, die angesichts der Katastrophe von 1870 durchaus unerwartet und überraschend ist. Eine berufene Stimme, der Mailänder Erzbischof Giovanni Battista Montini (selbst lange Jahre außenpolitischer Mitarbeiter Pius’ XI. und Pius’ XII.), der spätere Papst Paul VI., beschrieb diese Entwicklung in einer Rede auf dem Kapitol am Vorabend der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Der Papst ging erhöht durch die dogmatische Definition seiner höchsten Vollmachten aus dem Ersten Vatikanischen Konzil hervor; zugleich wurde er aber durch den Verlust seiner zeitlichen Macht in seiner Stadt Rom erniedrigt. Aber bekanntermaßen nahm nun das Papsttum mit ungeahnter Kraft seine Aufgabe als Lehrer und Zeuge des Evangeliums wieder auf.
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Vgl. John Francis Maxwell, Slavery and the Catholic Church. The History of Catholic Teaching concerning the Moral Legitimacy of the Institution of Slavery, Chichester – London 1975, S. 115 – 122; François Renault, Lavigerie, l’esclavage africain et l’Europe (1868 – 1892), Paris 1971; Gianni La Bella, Leo XIII and the Anti-Slavery Campaign, in: Viaene (2005), S. 380 – 394.
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Jörg Ernesti Und im Blick auf die geistliche Leitung der Kirche und als moralische Stimme in der Welt stieg es zu einer bisher nicht gekannten Höhe auf.“13
Es habe sich inLeos Regierungszeit das Bewusstsein durchgesetzt, dass es im Konflikt um die Römische Frage nicht um ein Territorium oder einen Herrschaftsanspruch, sondern um die Freiheit und Unabhängigkeit des Papsttums gehe. So sei eine Entwicklung in Gang gekommen, die aus dem Fürsten eines italienischen Kleinstaates eine universale moralisch-politische Autorität habe werden lassen.14
III. Das Fundament der neuen Politik: Eine revidierte Staatslehre Charakteristisch für den Pontifikat des Pecci-Papstes ist, dass das neue Verhältnis zu den Staaten nicht allein von praktisch-politischen Faktoren diktiert, sondern auch theoretisch reflektiert und auf eine neue geistige Grundlage gestellt wird.15 Die Revision der Staatslehre und die Erneuerung der Scholastik als verbindliche katholische Denkform hängen bei ihm zusammen. Der Schlüssel zum philosophischen und gesellschaftspolitischen Denken dieses Papstes ist daher die erwähnte Enzyklika Aeterni Patris.16 Falsche Gesellschaftsmodelle wie der Sozialismus oder der Liberalismus sind aus Peccis Sicht durch falsche philosophische Systeme verursacht. Umgekehrt kann nur auf der Basis einer der Wahrheit verpflichteten Philosophie eine rechte Gesellschaftsordnung entstehen. Nach seiner Deutung kann die Scholastik, insbesondere das philosophisch-theologische Denksystem des Thomas von Aquin, auch heute noch höchste Gültigkeit beanspruchen. Wenn er damit auf das Mittelalter rekurriert, will er dieses nicht nostalgisch verklären oder einfach wiederbeleben, sondern die festgefahrenen Fronten zwischen Staat und Kirche, wie sie seine eigene Zeit 13 „Il Papa usciva glorisoso dal Concilio Vaticano I per la definizione dogmatica delle sue supreme potestà nella Chiesa di Dio, e usciva umiliato per la perdita delle sue potestà temporali nella stessa sua Roma, ma com’è noto, fu allora che il Papato riprese con inusitato vigore le sue funzioni di Maestro di vita e di testimonio del Vangelo, così da salire a tanta altezza nel governo spirituale della Chiesa e nell’irradiazione morale sul mondo, come prima non mai“, in: Giovanni Battista Montini, Discorsi e scritti Milanesesi, 3. Bd., Brescia/Rom 1998, S. 5352 (10. 10. 1962). 14 Vgl. Annibale Zambarbieri, Nuovo papato. Sviluppi dell’universalismo della Santa Sede dal 1870 ad oggi, Cinisello Balsamo 2001, S. 146: Unter Leo XIII. wurde der Heilige Stuhl „un polo di insegnamenti, di ammonimenti, di giudizi e di verdetti a proiezione mondiale“. Die internationalen Vermittlungsbemühungen sind die praktische Seite dieser neuen Haltung. 15 Vgl. Peter Tischleder, Die Staatslehre Leos XIII., Mönchengladbach 1925 (im Wesentlichen eine Zusammenfassung der päpstlichen Lehraussagen zu diesem Themenbereich); John Courtney Murray, Leo XIII on Church and State: The General Structure of the Controversy, online unter: https://www.library.georgetown.edu/woodstock/murray/1953b (eingesehen am 29. 12. 2018); Antonio Esquivias, La libertad de la Iglesia en la doctrina de Léon XIII, Pamplona 1991; Ernesti, Leo XIII (Anm. 3), S. 178 – 188. 16 Vgl. ASS 12 (1879), S. 97 – 115.
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prägen, aufbrechen. In der Zeit der mittelalterlichen Scholastik haben beide Größen nach seiner Deutung Hand in Hand zusammengearbeitet, zum Wohl des christlichen Abendlandes. Von daher kann es nicht verwundern, dass Innozenz III., der mächtigste Papst des Mittelalters, für ihn in gesellschaftspolitischer Hinsicht ein Idealbild darstellt. Den Pontifex ließ er übrigens von Perugia nach Rom umbetten und ihm in der Lateranbasilika ein repräsentatives Grabmal errichten – an der gegenüberliegenden Seite des Gotteshauses wollte er selbst bestattet sein. Den Sündenfall sieht er mit der Reformation gekommen, durch welche das Einvernehmen zwischen Staat und Kirche gestört worden ist. Die Aufklärung hat diesen Graben nur weiter vertieft. In der Aufklärung wird nach Peccis Auffassung die bei Thomas mustergültig formulierte naturrechtliche Definition des Staates aufgegeben. Über Bord geworfen wird dabei auch die Theonomie, der göttliche Ursprung aller Gewalt (nicht nur der kirchlichen, sondern auch der staatlichen). Die republikanischen Verfassungen der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreichs sehen dagegen den Ursprung der staatlichen Gewalt beim Volk. Nach dem von Hobbes, Locke und Rousseau geprägten Prinzip der Volkssouveränität gilt der Satz: „Alle Macht geht vom Volke aus.“ Wenn Gott aber nicht mehr Quelle und Ursprung aller staatlichen Gewalt ist, dann sind die Regierenden ihm auch nicht mehr letztverantwortlich. Auch wenn der Pontifex den Gedanken der Volkssouveränität ablehnt, so kann er doch im Rahmen eines thomistisch-naturrechtlichen Staatsverständnisses die Autonomie der weltlichen Verhältnisse (Recht, Verwaltung, Regierungssystem etc.) grundsätzlich bejahen – wenn denn der Kirche in diesem Rahmen das Recht der freien Betätigung gewährt wird.17 Vor diesem Hintergrund entfaltet der Papst in den großen Diuturnum illud (1881), Immortale Dei (1885), Libertas (1888), Sapientiae christianae (1890), Au milieu des sollicitudes (1892) und Graves de communi re (1901) seine Staatslehre. In den genannten Enzykliken konnte er auf eigene Überlegungen in seiner Zeit als Bischof aufbauen.18 Als Grundprinzip gilt für ihn: Alle Macht geht von Gott aus. Die Mächtigen dieser Erde üben ihre Gewalt nur in seinem Namen und Auftrag aus, und sie sind ihm Rechenschaft schuldig. Wer also den Regierenden gehorsam ist, der ist indirekt Gott gehorsam. Die Abkehr von Gott und seinen Geboten muss aus seiner Sicht notwendig Chaos und Anarchie hervorrufen, wie er mit Hinweis auf das tödliche At17
Darauf weist Emile Perreau-Sassine, Catholicism and Democracy. An Essay in the History of Political Thought, Princeton 2012, S. 55 hin. Schmidlin, Papstgeschichte der neuesten Zeit (Anm. 2), S. 356 spricht treffend von einer „relativen Autonomie“. 18 Bereits ein Jahr nach seiner Wahl zum Papst wurden seine wichtigsten Predigten und Hirtenworte herausgegeben. Diese Sammlung ermöglicht es, seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen zu rekonstruieren: Vgl. Scelta di Atti episcopali del cardinale Gioacchino Pecci arcivescovo di Perugia (ora Leone XIII Sommo Pontefice), Rom 1879. Bemerkenswert sind vor allem seine langen Hirtenworte aus den siebziger Jahren, die eine gründliche Auseinandersetzung mit den Problemen der modernen Gesellschaft erkennen lassen; vgl. Gioacchino Pecci, La Chiesa e la civiltà. Lettere pastorali del 1877 e del 1878, herausgegeben und kommentiert von Maria Lupi, Perugia 1991.
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tentat auf Zar Alexander II. (1818 – 1881) darlegt. Der christliche Glaube hat also etwas Staatserhaltendes, Staatstragendes. Bis dahin scheint der Gedankengang konventionell. Leo XIII. entwickelt diesen traditionellen Gedanken jedoch weiter, wenn er in Diuturnum illud formuliert: „Es ist aber in diesem Zusammenhang zu beachten, dass diejenigen, die dem Staat vorstehen sollen, unter bestimmten Umständen durch Willen und Entscheid der Menge gewählt werden können, wenn dadurch die Lehre der Kirche nicht feindlich zurückgewiesen wird. Indem so der Regierende ausgewählt wird, wird jedoch nicht das Recht zu regieren verliehen. Es wird nicht die Herrschaft an sich übertragen, sondern nur festgelegt, von wem diese verwaltet wird. Ebenso wenig geht es dabei um die konkrete Staatsform, denn es gibt keinen Grund, warum die Kirche die Herrschaft einer einzigen Person derjenigen vieler Subjekte vorziehen sollte, wenn jene (Herrschaft) nur gerecht ist und auf das Allgemeinwohl zielt. Wenn nur die Gerechtigkeit gewahrt ist, werden die Völker nicht daran gehindert, den Staat so zu gestalten, dass er ihrem Wesen oder den überkommenen Institutionen und Sitten am besten entspricht.“19
Sicher wird hier an der Theonomie und an der naturrechtlichen Definition des Staates unverkürzt festgehalten. Dem säkularen und autonomen Staat wird vom Pontifex ein theonom begründetes und bleibend an Gott rückgebundenes Gemeinwesen entgegengestellt. Und doch ist entscheidend, dass die konkrete Art der Herrschaftsausübung nicht weiter festgelegt, sondern anscheinend bewusst offengelassen wird. Es ist nicht mehr vom monarchischen Prinzip und einem Königtum von Gottes Gnaden die Rede. Die Herrschaftsform steht gewissermaßen ad libitum, wenn nur das Grundprinzip einer Gott und seinen Geboten verpflichteten Herrschaft gewahrt bleibt. Man kann hier allererste vorsichtige Öffnungstendenzen erkennen, was die demokratische Organisation des Staates angeht. Theonomie und politische Autonomie des Volkes werden also in diesen Dokument vermittelt. Die Gesellschaft auf allen Ebenen demokratisch zu gestalten, muss nicht mehr der Lehre der Kirche widersprechen.20 Und wenn das so ist, dann sind katholische Christen aufgerufen, das Staatswesen mit christlichem Geist zu durchdringen. Der Papst konnte sich hier auf Überlegungen der Schule von Salamanca (namentlich auf Francisco Suárez, 1548 – 1614) stützen, deren Vertreter die Herrschaftsbereiche des Staates und der Kirche klar unterschieden hatten. Zugleich war hier betont worden, dass zwar alle Macht von Gott kommt, diese aber an das Volk übergeht, welches sie wiederum den konkret
19 „Interest autem attendere hoc loco, eos, qui reipublicae praefuturi sint, posse in quibusdam causis voluntate iudicioque deligi multitudinis, non adversante neque repugnante doctrina catholica. Quo sane delectu designatur princeps, non conferuntur iura principatus: neque mandatur imperium, sed statuitur a quo sit gerendum. Neque hic quaeritur de rerum publicarum modis: nihil enim est, cur non Ecclesiae probetur aut unius aut plurium principatus, si modo iustus sit, et in communem utilitatem intentus. Quamobrem, salva iustitia, non prohibentur populi illud sibi genus comparare reipublicae, quod aut ipsorum ingenio, aut maiorum institutis moribusque magis apte conveniat“: ASS 14 (1881), S. 4 f. 20 Vgl. Antonio Acerbi, Chiesa e democrazia. Da Leone XIII al Vaticano II, Mailand 1991, S.15 ff.
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Regierenden verleiht. Dem Gottesgnadentum des Herrschers wurden so gewisse Grenzen gesetzt. Alle Macht kommt von Gott. Wenngleich ein Staatsvolk das Recht hat, diese Macht bestimmten Personen zu übertragen, so bleiben diese doch auf die Gebote Gottes verpflichtet. 1864 hatte der Syllabus in Artikel 54 die These verurteilt, die Regierenden unterstünden nicht der kirchlichen Gerichtsbarkeit. Das war eher defensiv gedacht. Leo XIII. geht darüber hinaus, indem er von den Regierenden fordert, das Staatswesen nach den Gesetzen des Christentums zu organisieren. Er ist überzeugt, dass es Freiheit nur zum Guten geben kann, die Wahl des Bösen aber nicht erlaubt ist. Die Wahrheit hat einen hohen Verpflichtungsgrad für alle Menschen, und dem hat die staatliche Gesetzgebung Rechnung zu tragen. Das gilt besonders für die res mixtae, die Kirche und Staat gleichermaßen betreffen. Konkret heißt das etwa, dass der Bereich von Ehe und Familie nicht autonom, sondern im Sinne der Kirche organisiert wird. Abzulehnen sind Zivilehe und Scheidung, die in seinem Pontifikat in immer mehr Staaten eingeführt wurden. Konkret heißt das auch, dass alle Schüler religiös unterwiesen werden und die Ordensgemeinschaften ihren Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft leisten dürfen. Schließlich geht es um die freie Ernennung der Bischöfe. Mit dieser Neupositionierung in politicis kommen die Laien neu in den Blick – ein Thema, das den Pontifikat Leos XIII. bestimmen sollte. Er persönlich war überzeugt, dass die alte Allianz von Thron und Altar sich nicht wiederherstellen lässt und dass die stärkste Waffe der Kirche der katholischer Laie ist, der sich in der Gesellschaft für die kirchlichen Belange einsetzt und sie so in christlichen Geist gestaltet. Er soll dies im Gehorsam gegenüber dem Papst und dem Bischof tun, die er namentlich im Blick auf die in verschiedenen Staaten Europas aufkommende christliche Demokratie immer wieder betont.21 Außer für Italien kann er sich auch vorstellen, dass Katholiken (auch Priester!) politische Mandate übernehmen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist allerdings der Hinweis Antonio Acerbis, dass Leos Staatslehre an ihre Grenzen stieß, wenn es galt, gesellschaftspolitische Verhältnisse zu berücksichtigen, in denen die katholische Kirche nicht in der Mehrheit war, wie beispielsweise in den USA, in Deutschland und England.22 Der Papst versuchte, für alle Verhältnisse gleichermaßen gültige Prinzipien zu formulieren, zeigte dabei aber Schwächen in der Differenzierung. Leo XIII. forderte in Frankreich dazu auf, katholische Parlamentarier zu wählen, konnte aber das parteipolitische Engagement deutscher Katholiken nicht vorbehaltlos bejahen. Während er in seinem Heimatland das politische Engagement von Laien auf regionaler und lokaler Ebene lobte, verbot er die Mitarbeit in den beiden Kammern des nationalen Parlamentes. Hinsichtlich des Einsatzes der Laien in den USA war er gespalten. Wenn er auch grundsätzlich den sozialpolitischen Einsatz der Katholiken bejahen konnte,
21 Vgl. Jean-Dominique Durand, Storia della Democrazia cristiana in Europa. Dalla Rivoluzione francese al postcomunismo, Mailand 2002, S. 148 ff. 22 Vgl. Acerbi, Chiesa e democrazia (Anm. 20), S. 80 – 84.
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erwartete er doch, dass diese einheitlich auftreten und sich den Weisungen der Hierarchie unterwerfen. Wenn er mehr als alle seine Vorgänger eine Erneuerung der Gesellschaft in christlichem Geist von den katholischen Laien erwartete, dachte er dabei aber nicht nur an Politiker und Potentaten: Ihm schwebte eine bisher ungekannte Mobilisierung der katholischen Massen vor. In dem Apostolischen Schreiben Sapientiae christianae betonte er im Jahr 1890, Christen seien gute Staatsbürger, da sie durch ihr Gewissen gehalten seien, den Geboten Gottes und den Gesetzen der Menschen zu folgen. Eindringlich rief er die Gläubigen zur Eintracht auf, da ihr Einsatz in der Gesellschaft nur so von Gewicht sei.23 Man sollte diese Auffassung nicht mit der Forderung einer Unterordnung des Staates unter die Kirche verwechseln, wie Thomas Neumann in seiner kanonistischen Dissertation zur Staatslehre Leos XIII. das tut.24 Immortale Dei ist sicher nicht „die erste ausführliche Entfaltung der päpstlichen Staatslehre, in der der päpstliche Machtanspruch gegenüber den Staaten systematisch und umfassend gelehrt wird“.25 Das Gegenteil ist der Fall: Der traditionelle Machtanspruch wird vielmehr vorsichtig abgelöst und durch etwas Neues ersetzt. Die eigentliche „Macht“ der Kirche sind die engagierten Katholiken im Staat. Dabei wird deren Autonomie durchaus respektiert. Es kann also nicht die Rede davon sein, Sapientiae christianae sei „als ein in teilweise radikaler Sprache verfasster päpstlicher Aufruf an die Christen zu verstehen, für die Sache der Kirche im Namen und auf Weisung des Papstes zu kämpfen.“26 In den Lehrtexten zum Staatswesen geht Leo XIII. von der Voraussetzung aus, dass die Kirche eine societas perfecta ist, also eine in sich vollständige, uneingeschränkt funktionstüchtige, selbstorganisierte, autonome und von keiner anderen Größe abhängige Wirklichkeit – so wie es auf seine Art auch der Staat ist. Societas perfecta ist für den Papst geradezu ein „Schlüsselbegriff“, was das Staat-Kirche-Verhältnis angeht.27 Diese im Kern scholastische Lehre war vom Ersten Vatikanischen 23
Vgl. ASS 22 (1889/1890), S. 385 – 404 (10. 01. 1890). Vgl. Thomas Neumann, Dem Kaiser, was des Kaisers ist? Papst Leo XIII. (1878 – 1903) und die Lehre von der potestas papae in temporalibus, Münster 2018, S. 157 – 166. Seine Ausführungen scheinen auf einem Missverständnis der societas-perfecta-Lehre zu beruhen. Diese impliziert weder einer Höherwertigkeit der Kirche noch eine Unterordnung des Staates, sondern allein deren jeweilige Autarkie und Autonomie. 25 Neumann, Dem Kaiser, was des Kaisers ist? (Anm. 24), S.165. 26 Ebd. (Anm. 24), S. 206. 27 Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978, S. 179; vgl. Matthias Pulte, Von der Societas-perfecta-Lehre zur wechselseitigen Anerkennung der Autonomie von Kirche und Staat. Das Verhältnis von Kirche und Staat aus katholischer Sicht im 19. und 20. Jahrhundert, in: Thomas Holzner/Hannes Ludyga (Hrsg.), Entwicklungstendenzen des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts. Ausgewählte begrifflich-systematische, historische, gegenwartsbezogene und biographische Beiträge, Paderborn u. a. 2013, S. 143 – 160. 24
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Konzil aufgegriffen worden. Ihre Rechte kommen der Kirche nicht aufgrund einer Gewährung durch den Staat zu, wie es das Staatskirchentum des 18. Jahrhunderts postuliert hatte, sondern in sich. Der Syllabus hatte in Satz 42 die These verurteilt, staatliches Recht stehe über kirchlichem Recht. Die Betonung der societas-perfecta-Lehre ist vor dem Hintergrund immer neuer Eingriffe in kirchliche Rechte in Frankreich, Italien und vielen anderen Staaten zu sehen (Einschränkung der Orden, Eingriffe in den Kirchenbesitz, Einführung der Zivilehe Beschränkung des Religionsunterrichtes, Behinderung des kirchlichen Schulwesens usw.). Damit einher geht naturgemäß eine Betonung der rechtlichen Dimension von Kirche. Leo XIII. betont einerseits die Eigenständigkeit der Kirche als societas perfecta, andererseits fordert er eine Zusammenarbeit von Staat und Kirche, da es um ein und denselben Menschen geht. Statt einer sterilen Trennung von Staat und Kirche (die bereits der Syllabus in seinem 55. Artikel abgelehnt hatte), braucht es „eine geordnete Vereinigung“28 der beiden Rechtsbereiche. Anzustreben ist eine verlässliche rechtliche Basis, auf der die Kirche ihren Auftrag erfüllen kann. Rechtliche Privilegien sind nicht abzulehnen, ebenso wenig wie der Status einer Staatsreligion. In diesem Punkt entwickelte der Pontifex die Position des Syllabus weiter, der in seinem 77. Artikel die Annahme verworfen hatte, der Status einer Staatsreligion passe nicht mehr in die heutige Zeit und sei daher nicht anzustreben. Als das ideale Instrument, die Rechtssicherheit gegenüber dem Staat erreichen, erscheint dem Papst das traditionelle Instrument des Konkordates. Mit seinem Pontifikat sollte die große Zeit der vatikanischen Konkordatspolitik beginnen, die besonders in der Zwischenkriegszeit äußerst erfolgreich war.29 Leo XIII. lehnt nicht nur das Prinzip der Volkssouveränität ab, sondern auch die Menschenrechte, welche die Aufklärung aus diesem Prinzip abgeleitet hatte. Diese Rechte (namentlich die Meinungs- und Gewissensfreit, die Gleichheit vor dem Gesetz) bilden die Grundlage eines jeden demokratischen Systems.30 Wegen ihres aufklärerischen Entstehungskontextes hatte die Kirche zentrale Menschenrechte immer wieder verurteilt, etwas in den Enzykliken Mirari vos (1832), Singulari nos (1834) sowie im Syllabus (1864). Auch Pecci lehnt die Religionsfreiheit ab, weil es keine Freiheit der Wahl zugunsten des Irrtums geben kann. Die wahre Religion ist für den Pontifex die katholische, und dem müssen auch die Gesetze des Staates Rech28 „Ordinata colligatio“: Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (Anm. 27) S. 166. 29 Vgl. Stefan Samerski, Kirchenrecht und Diplomatie. Die Konkordatsära in der Zwischenkriegszeit, in: Zedler (2010), S. 285 – 298. Zwischen 1918 und 1940 wurden 20 neue Konkordate abgeschlossen; vgl. Michael Feldkamp, La Diplomazia pontificia. Da Silvestro I a Giovanni Paolo II. Un profilo, Mailand 1995, S. 129. 30 Vgl. Jörg Ernesti, La tolleranza religiosa, fondamento di ogni convivenza pacifica. La prospettiva storica, in: Ders./Martin Lintner/Markus Moling (Hrsg.), Erben der Gewalt. Zum Umgang mit Unrecht, Leid und Krieg/Eredi della Violenza. Sulle problematiche di ingiustizia, dolore e Guerra (= Brixner Theologisches Jahrbuch/Annuario Teologico Bressanone 5 (2014)), Brixen/Innsbruck 2015, S. 39 – 46, hier 43 ff.
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nung tragen. Dieser darf nicht neutral bleiben. Er darf die anderen Glaubensgemeinschaften allenfalls tolerieren, wenn es das Gemeinwohl (etwa die Vermeidung von Unruhe und Aufruhr) erfordert. Diese Position blieb in der kirchlichen Staatslehre noch lange bestimmend. Pius XII. sollte sie im Jahr 1953 in seiner sogenannten Toleranzrede ein letztes Mal vorbringen. In den Staatsenzykliken Leos XIII. finden sich im Hinblick auf die Religionsfreiheit aber auch vorsichtige neue Akzente, namentlich wenn er hervorhebt, „dass niemand gezwungen werden kann, den katholischen Glauben gegen seinen Willen anzunehmen, wie schon Augustinus weise mahnt: Glauben kann der Mensch nur mit freiem Willen.“31 Genau hier werden bei der Erarbeitung des Konzilsdokuments Dignitatis Humanae über die Religionsfreiheit 75 Jahre später die Diskussionen ansetzen. Seine Staatslehre war dem Pontifex so wichtig, dass er Ende 1885 ein außerordentliches Heiliges Jahr ausrief, um die Staaten auf den Weg einer christlichen Gesetzgebung zurückzuführen und die Christen zu einem Leben nach den christlichen Geboten zu ermutigen.32 Die Lehre von Immortale Dei solle nicht nur bei den Theologen, sondern beim ganzen Kirchenvolk ankommen. Leo XIII. war ein politischer Denker, wie wenige seiner Vorgänger auf dem Stuhl Petri. Diplomatisch geschult, markiert sein Pontifikat den Beginn des Zeitalters der Diplomatenpäpste, das bis zum Jahr 1978 andauern sollte und das bis heute fortwirkt. Diplomatisch geschulte oder im diplomatischen Dienst geprägte Männer sollten für 100 Jahre die Geschicke der Kirche lenken. Leo XIII. war es ein Anliegen, die katholische Staatslehre „in einer für die damalige Zeit modernen und angemessenen Weise weiterzuführen und in einem geschlossenen, auf der aristotelisch-thomistischen Staats- und Sozialphilosophie aufbauenden System darzustellen“, wie es Josef Listl formuliert.33 Die scholastisch geprägte societas-perfecta-Lehre war in ihrer Zeit ein probates Mittel, die kirchliche Autonomie zu verteidigen. Sie war die Antwort der Kirche auf das Staatskirchentum des 18./19. Jahrhunderts und die Übergriffe verschiedener Staaten auf kirchliche Rechte. Richtig ist, dass sie sich im Lauf des 20. Jahrhunderts zunehmend überlebt hatte, bis sie im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils durch ein neues Kirchenbild abgelöst wurde.34
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„Ad amplexandam fidem catholicam nemo invitus cogatur, quia quod sapienter Augustinus monet, credere non potest homo nisi volens“: ASS 18 (1885), S. 175. 32 Vgl. die Enzyklika Quod auctoritate vom 22. 12. 1885, in: ASS 18 (1885), S. 257 – 262. 33 Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft (Anm. 27), S. 189. 34 Vgl. ebd. (Anm. 27), S. 173.
Das Delikt der Gotteslästerung im kanonischen und weltlichen Recht im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit Von Christian Hillgruber
I. Einleitung: Die kirchliche Strafgewalt als Schutzinstrument des Ordo publicus Ecclesiae Die Katholische Kirche nimmt seit jeher Strafgewalt für sich in Anspruch. In diesem Sinne formuliert c. 1311 des Codex Iuris Canonici von 1983: „Nativum et proprium Ecclesiae ius est christfideles delinquentes poenalibus sanctionibus coercere.“ Wilhelm Rees, der seine wissenschaftliche Arbeit auch und gerade dieser Strafgewalt der Kirche gewidmet hat und dem dieser Beitrag als Ehrung zugeeignet sei, leitet sie in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche aus der Leitungsgewalt, der potestas regiminis, ab: „Als nicht in reiner Innerlichkeit bestehende, sondern in der Außenwelt existierende, sichtbare und von jeder weltlichen Macht unabhängige und deshalb rechtlich vollkommene Gesellschaft besitzt die Kirche die ihr von ihrem Herrn und Stifter Jesus Christus übertragene dreifache Gewalt der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. […] Die Strafgewalt der Kirche bildet einen Bestandteil dieser hoheitlichen Hirtengewalt.“1 Der kirchliche Strafanspruch erfasst dabei keineswegs alle Sünden, d. h. Übertretungen göttlicher Gebote. „Das kirchliche Strafrecht richtet sich nicht gegen die unmoralische Verhaltensweise schlechthin, gegen die Sünde, sondern nur gegen jene unmoralische Verhaltensweise, die die Ordnung des Gemeinschaftslebens ernstlich bedroht.“2 Das Strafrecht ahndet die Verletzung der äußeren Ordnung, es betrifft das forum externum.3 „Die Tat wird nicht als Sünde bestraft; dies ist Sache des göttlichen Strafgerichts; allein ihr Strafcharakter bringt die Tat vor das strafrechtliche Forum. Strafrechtliche Schuld ist daher primär Rechtsschuld, nicht sittliche Schuld.“4 Das kirchliche Strafrecht dient, wie das Kirchenrecht überhaupt, in erster Linie dem Schutz des Ordo publicus Ecclesiae, der rechtlich verfassten kirchlichen Ge1
Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche, Berlin 1993, S. 57. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 69. 3 Heinrich de Wall/Stefan Muckel, Kirchenrecht, München 2009, § 22 Rn. 2, S. 209. 4 Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 69.
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meinschaft. Er bestimmt zugleich maßgeblich die Reichweite der kirchlichen Strafgewalt, die nur diese Ordnung verletzendes gemeinschaftswidriges Verhalten sanktioniert. Die der Kirche primär aufgetragene Sorge für das Seelenheil der Gläubigen (salus animarum) „hat den Schutz und die Wiederherstellung der gestörten Rechtsordnung zur Voraussetzung“.5
II. Die Gotteslästerung als Delikt nach kanonischem Recht und weltlichem Recht Als Straftat gegen die Religion gehört die Gotteslästerung zu den kirchenrechtlich strafbaren Handlungen. Nach c. 1369 CIC/1983 soll mit einer gerechten Strafe belegt werden, „wer in einer öffentlichen Aufführung oder Versammlung oder durch öffentliche schriftliche Verbreitung oder sonst unter Benutzung von sozialen Kommunikationsmitteln eine Gotteslästerung zum Ausdruck bringt, die guten Sitten schwer verletzt, gegen die Religion oder die Kirche Beleidigungen ausspricht oder Hass und Verachtung hervorruft“.6 Die Gotteslästerung ist von der Kirche stets als strafwürdiges Delikt angesehen worden.7 Gleichwohl ist die Entwicklungsgeschichte dieses Delikts lehrreich. „Die Normen zur Gotteslästerung zeigen in Definition und Nuancierungen auch etwas von der juristischen Komplexität und der Gelehrsamkeit des kanonischen Rechts.“8 Da auch das weltliche Recht dieses Delikt lange Zeit sanktionierte, gibt die Behandlung dieses Delikts zudem Aufschluss über das Verhältnis der beiden Rechte zueinander und ihre jeweiligen Eigengesetzlichkeiten.
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Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 67. Inhaltsgleich c. 1448 § 1 CCEO. 7 Zwar hat die Konstantinische Wende in der christlichen Antike keine Strafbestimmung gegen Gotteslästerung hervorgebracht. Aber sie ist wohl insbesondere bei Klerikern kirchenrechtlich bereits früh sanktioniert worden; siehe Helmut Merkel, Gotteslästerung, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Lieferung 81, Stuttgart 1979, Sp. 1185 – 1201, hier Sp. 1200 f. Belegt ist die kirchliche Ahndung der Blasphemie jedenfalls schon für die Karolingerzeit: Karl der Große beauftragte in einem Reformkapitular von 802/03 die Bischöfe, die Strafgewalt ausübten, auf ihren Visitationen auch bestimmte, gegen göttliche Gebote verstoßende Delikte von Laien (mala quae contraria sunt Deo) wie die Gotteslästerung (cenodoxiae) zu untersuchen und zu bestrafen; siehe dazu Lotte Kéry, Gottesfurcht und irdische Strafe. Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen, Bd. 10), Köln/Weimar/Wien 2006, S. 29 f. m. N. in Fn. 61. 8 Richard H. Helmholz, Kanonisches Recht und europäische Rechtskultur, Tübingen 1996, S. 283. 6
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1. Die Strafwürdigkeit der Gotteslästerung in der Sicht der Kanonisten Angesichts des zweiten Gebots – „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“ – ist es offensichtlich, dass die Gotteslästerung „ihrer Natur nach eine schwere Sünde“9 ist, etwas sittlich Schlechtes, das immer unerlaubt ist.10 Daraus ergibt sich aber noch nicht zwingend die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit, und so haben die Kanonisten intensiv die Frage diskutiert, warum dieses Delikt nach kanonischem Recht strafbar sein soll.11 Hier kam den Kanonisten die Autorität der Bibel zur Hilfe, die im Alten Testament wiederholt die Gotteslästerung als ein den Tod verdienendes Verbrechen brandmarkt.12 Als wichtigste Bezugsquelle diente dabei das Beispiel des Königs Nebukadnezars, dessen Dekret gegen Blasphemie13, von Augustinus im „Liber de Praedestinatione et gratia“ (cap. XV)14 als Zeichen der Reue gewertet, im Decretum Gratiani (um 1140) mehrfach als Begründung für die Notwendigkeit strafbewehrter Normen gegen die Gotteslästerung angeführt wird.15 Die einschlägigen biblischen Texte wurden von den mittelalterlichen Kanonisten als Bestätigung dafür herangezogen, dass Gotteslästerung ein schwerwiegendes, strafwürdiges Verbrechen sei16, aber nicht selbst als unmittelbar anwendbares Strafgesetz interpretiert. „Sie dienten in den Händen der mittelalterlichen Kanonisten eher als allgemeine Formulierung von Prinzipien denn als Normen des positiven Rechts“.17 Sie waren damit hinreichender Grund für die Annahme der Strafbarkeit der Blasphemie, legten aber nicht selbst das Maß ihrer Strafwürdigkeit fest, die vielmehr ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig war. So wurden in der Praxis 9 Katechismus der Katholischen Kirche. Kompendium, München 2005, Rn. 447. Siehe bereits Thomas von Aquin, Summa Theologica, 1266 – 1273, 2 a 2 ae, q. 13, art. 1. 10 Katechismus der Katholischen Kirche. Kompendium, München 2005, Rn. 369. 11 Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 286. 12 Vgl. Lev. 24,16: „Wer den Namen des Herrn schmäht, wird mit dem Tod bestraft; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Der Fremde muss ebenso wie der Einheimische getötet werden, wenn er den Gottesnamen schmäht.“ 2 Sam 12, 14: Gottes Strafe für David: „Weil du aber die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern veranlasst hast, muss der Sohn, der dir geboren wird, sterben.“ 13 Daniel 3, 29: „Darum ordne ich an: Jeder, der vom Gott des Schadrach, Meschach und Abed-Nego verächtlich spricht, zu welcher Völkerschaft, Nation oder Sprache er auch gehört, soll in Stücke gerissen und sein Haus soll in einen Trümmerhaufen verwandelt werden.“ 14 Patrologia Latina 45, 1661, 1675. 15 Concordia discordantium canonum ac primum de iuri naturae et constitutionis, Distinctio IX, C. I § 2; Decreti pars secunda, Causa XI, Questio 3, C. XXXVIII; Causa 23, Questio 4, C. 22, C. 39, C. 41. 16 So bei Diego de Covarrubas y Leyva (Didacius Covarruvias), Relectio ex Rubrica de pactis, in: Opera Omina, Frankfurt 1573, lib. 6, c. quamvis pactum, pars 1, § 7, Nr. 27: „cum sit maximum crimen legi equidem naturali, divinae et humanae contrarium“. 17 Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 287.
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kirchlicher Gerichte bei einfacher Gotteslästerung Geldbußen und körperliche Strafen bis hin zur Abtrennung der Zunge, aber nicht die Todesstrafe verhängt. An der Notwendigkeit, Gotteslästerung mit kirchlichem Strafrecht zu ahnden, haben die Kanonisten allerdings nie ernstlich gezweifelt. Das Gegenargument, Gott selbst als dem dadurch unmittelbar Verletzten die Bestrafung zu überlassen18, drang, obwohl mitunter angeführt, nicht durch. Die Kanonisten hielten ganz offensichtlich unabhängig von einer möglichen göttlichen Strafe eine Sanktionierung auf Erden hic et nunc um der durch die Lästerung gestörten Ordnung der kirchlichen Gemeinschaft willen für zwingend notwendig. Jenseits der biblischen Zeugnisse fand die Kanonistik eine Stütze von ihrer Auffassung eines Strafbedürfnisses für die Gotteslästerung auch in den Regelungen des römischen Rechts zum Verbrechen der laesio maiestatis (imperatoris)19: Wenn der oberste weltliche Herrscher umfassend gegen seine Schmähung geschützt war, musste dies – argumentum a fortiori – erst recht für Gott den Allmächtigen gelten.20 2. Strafsanktionen und gerichtliche Zuständigkeiten nach kirchlichem und weltlichem Recht Im Liber Extra Gregors IX. von 1234 wird schließlich eindeutig die Zuständigkeit der Kirche, näherhin der Bischöfe, zur strafenden Aburteilung öffentlicher blasphemischer Äußerungen über Gott, die Heiligen und die Jungfrau Maria reklamiert: „Statuimus, ut, si quis contra Deum, vel aliquem sanctorum suorum, et maxime beatam Virginem, linguam in blasphemiam publice relaxare praesumpserit, per episcopum suum poenae subdatur inferius annotatae, videlicet […].“21 Eine Dekretale Clemens III. ordnet auch die Bestrafung der Schmähung des Papstes an: „Maledicens Papae puniendus est, ut alii deinceps deterreantur, et ipse arceatur.“22 18 Vgl. Ludovicus Montaltus, De Reprobatione sententiae Pilatae, 1498, § Blasphemia, Nr. 10: „ergo sum Deus offendatur solus Deus sit ultor“; abgedruckt in: Tractatus Universi Iuris, Venedig 1549, Vol. 8. 19 Die Lex Julia Maiestatis, Grundlage für den strafrechtlichen Schutz des maiestas principis, hatte in Fragmenten Eingang in den Corpus Iuris Civilis gefunden: Codex Iustinianus C. 9.8.5; Digesten 48,4. 20 So etwa Bernhard von Parma (gest. 1266), Glossa Ordinaria (1263) zum Liber Extra, ad X 5.26.2, s. v. ,Blasphemiam‘, in: Decretales Gregorii Noni Pont. Max. cum Glossis ordinariis, Argumentis, Casibus litteralibus, et Adnotationibus tam veterum quam recentium Iurisconsultorum illustratae, Venedig 1572; vgl. Kéry, Gottesfurcht (Anm. 7), S. 542, 545. Prozessual hatte dies zur Konsequenz, dass von jedermann Klage erhoben werden konnte; (Henrici de Segusio Cardinalis) Hostiensis, Lectura in quinque libris decretalium, Venedig 1581, ad X 5.26.2, Nr. 2. 21 Decretalium Gregorii papae IX compilationis liber V Titulus XXVI. De maledicis, Capitulum II (X 5.26.2). 22 Decretalium Gregorii papae IX compilationis liber V Titulus XXVI. De maledicis, Capitulum I (X 5.26.1). Als Strafsanktion für den Kleriker sah Clemens III. zur Abschreckung (ut poena illius aliis terrorem incutiat, ne de cetero contra Romanam ecclesiam in talia verba
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Was die zu verhängenden Strafen angeht, so bestimmte das Decretum Gratiani, dass Kleriker im Fall der Blasphemie degradiert und abgesetzt, Laien mit dem Kirchenbann belegt werden sollten.23 Der Liber Extra Gregor IX. setzte insoweit neues Recht, indem er mit der öffentlichen Buße24 und einer außerdem noch – unter allen Umständen25 – zu verhängenden, nach den Vermögenverhältnissen gestaffelten und nötigenfalls mit Hilfe einer vom Diözesanbischof verfügten Zwangsmaßnahme einzutreibenden weltlichen Geldstrafe26 andere als die bisherigen Sanktionen einführte.27 Die kirchlich angeordnete und ggf. zu erzwingende28 zusätzliche Bestrafung durch die weltliche Gewalt – die entsprechende Strafandrohung sollte nach dem Willen des kirchlichen Gesetzgebers in die Statuten der Stadtgemeinden und damit in das ius commune aufgenommen werden – machte diese für die kirchlichen Zwecke dienstbar und eine Kooperation von kirchlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit not-
prorumpant) die Suspension von Amt und Benefizien ohne die Möglichkeit der Berufung vor. Zu mit dieser Bestimmung verbundenen Rechtsproblemen – der Papst als iudex in causa sua – und deren Behandlung durch die Kanonisten siehe Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 291 m. Fn. 28. Der Schutz galt nicht der Person, sondern dem Amt des Papstes; von Parma, Glossa Ordinaria (Anm. 20), ad X 5.26.2, s. v. ,In depressionem‘. 23 Concordia Discordantium Canonum ac primum de iure naturae et constitutionis, Distinctio XLVI, C. V: „Clericus maledicus (maxime in sacerdotibus) cogatur ad postulandam ueniam. Si noluerit, degradetur, nec umquam ad offitium absque satisfactione reuocetur.“ Decreti pars secunda, Causa XXII, Questio 1, C. X: „Si quis per capillum Dei vel caput iuraverit, vel alio modo blasphemia contra Deum usus fuerit, si ex ecclesiastico ordine est, deponatur; si laicus, anathematizetur.“ Siehe auch ebd., Causa XXIII, Questio V, C. XXXV. 24 Decretalium Gregorii papae IX compilationis liber V Titulus XXVI. De maledicis, Capitulum II (X 5.26.2). Vorgesehen war ein prangerartiges Bußestehen vor der Kirche an sieben aufeinanderfolgenden Sonntagen mit Bekleidungsauflagen, Fastengeboten und Armenspeisung. Wenn die letztgenannte Strafe nicht geleistet werden konnte, so konnte sie umgewandelt werden. Wer die Buße verweigerte, wurde vom Gottesdienst ausgeschlossen – zur „interdictio ingressus ecclesiae“ siehe Paul Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, 5. Bd., Berlin 1895, S. 585 – und im Todesfall das kirchliche Begräbnis verweigert; siehe dazu Kéry, Gottesfurcht (Anm. 7), S. 543 f. 25 Ohne Erbarmen –„nullam in hoc misericordiam habiturus“. 26 Decretalium Gregorii papae IX compilationis liber V Titulus XXVI. De maledicis, Capitulum II (X 5.26.2): „Per temporalem praeterea potestatem, coactione, si necesse fuerit, episcopi dioecesani adhita contra eum, blasphemus, si dives fuerit, quadraginta solidorum, alioquin triginta sive viginti, et, si ad id non sufficiat, quinque solidorum usualis monetae poena mulctetur, nullam in hoc misericordiam habiturus; quod etiam inter alia communitatum statuta ponatur.“ Dazu Siegfried Leutenbauer, Das Delikt der Gotteslästerung in der bayerischen Gesetzgebung (= Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 14), Köln/Wien 1984, S. 23 f.; Kéry, Gottesfurcht (Anm. 7), S. 544. Es war wohl üblich, die Geldstrafe bei Uneinbringlichkeit in einer körperliche oder sonstige Strafe umzuwandeln; siehe Hostiensis, Lectura (Anm. 20), ad X 5.26.2 ,Commutetur‘. 27 Siehe dazu Kéry, Gottesfurcht (Anm. 7), S. 546. 28 Von Parma, Glossa Ordinaria (Anm. 20), ad X 5.26.2, s. v. ,Contra eum‘; Hostiensis, Lectura (Anm. 20), ad X 5.26.2 ,Contra eam [sic]‘.
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wendig.29 Die Rechtfertigung für die „Doppelbestrafung“30 lag für den Kanonisten Hostiensis darin, dass die Gotteslästerung sowohl die Kleriker als auch die Laien verletzte, daher für beide Gewalten, die geistliche wie die weltliche, ein je eigenes Verfolgungsinteresse bestand, wobei wegen der Verletzung des geistlichen Standes (genus clericorum) die kirchliche Buße verhängt, den Laien (genus laicorum) dagegen durch die weltliche Strafe Genugtuung zuteilwerden sollte.31 Die Gotteslästerung wurde so zu einem crimen mixti fori, zu einem Delikt, das sowohl der kirchlichen als auch der weltlichen Strafgerichtsbarkeit unterfiel. Nach der kirchenrechtlichen Doktrin konnten bei solchen Straftaten kirchliche und weltliche Instanzen, jeweils nach ihrem Recht, Sanktionen aussprechen, einerseits eine kirchliche Buße (penitentia spiritualis) und andererseits eine weltliche Strafe (poena temporalis) anordnen32 ; dabei galt die Regel „dass die Kompetenz sich nach der Prävention des Gerichts richten sollte“.33 Strafe für Gotteslästerer auch nach weltlichem Recht hatte schon eine Kaiserkonstitution Justinians von 538 vorgesehen34 und dies bemerkenswerter Weise mit den verheerenden Folgen des dadurch provozierten Gotteszorns für das Gemeinwesen begründet: „damit solche Handlungen nicht den gerechten Zorn Gottes anziehen und nicht den Verlust der Städte und ihrer Bewohner verursachen. Denn die göttlichen Schriften lehren uns, dass auch Städte und Menschen durch solche Einfälle um-
29 Kéry, Gottesfurcht (Anm. 7), S. 651 deutet dies so, „dass die Instrumente der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit nicht mehr als ausreichend wirkungsvoll empfunden wurden, um dieses Vergehen strafrechtlich zu verfolgen. Dabei soll offenbar zweierlei erreicht werden: die öffentliche Buße soll durch eine öffentliche Geldstrafe verschärft werden und zugleich soll die weltliche Strafgerichtsbarkeit bei diesem Vorgehen von sich aus und nicht nur als Unterstützungsorgan für die Kirche in Aktion treten.“ 30 Der Grundsatz ne bis in idem gilt für das Verhältnis von kirchlicher zu staatlicher Strafe bis heute nicht; die beiden autonomen Strafgewalten kommen nebeneinander zur Geltung; siehe Michael Andreas Ling, Zum gegenwärtigen kirchlichen Strafrecht, in: JZ 2004, S. 596 – 605, hier S. 596 f. 31 Vgl. dazu Kéry, (Anm. 7), S. 546, 652 unter Verweis auf Hostiensis, Lectura (Anm. 20), ad X 5.26.2 ,Praeterea‘, Nr. 9; Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 301 f. 32 Siehe Elisabeth Dickerhof-Borello, Ein Liber Septimus für das Corpus Iuris Canonici, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 190: „Die Sicherung der sozialen Ruhe war Aufgabe der weltlichen Gerichte, das Urteil über den spirituellen Gehalt der Aussage Gegenstand der kirchgerichtlichen Behandlung.“ Als Beispiel kann hier eine Ordnung angeführt werden, die Herzog Ludwig am 20. 3. 1463 in Landshut erließ und in der es heißt, es hätten sich Bischof Johann von Freising „als gaistlicher ordentlicher Richter und wir als Landesfürst Ordenung und Straff urgenommen, und uns der baiderseit verainigt“, zitiert nach: Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 12. 33 Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 23; Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 299. 34 Novelle 77,1: […] werden sie zunächst der göttlichen Barmherzigkeit nicht würdig sein, dann unterliegen sie den durch die Gesetze festgelegten Strafen […].
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gekommen sind“.35 Darauf beriefen sich auch noch Kommentatoren dieser Kaiserkonstitution im 16. und 17. Jahrhundert36 ; die Glossa Ordinaria rief das Schicksal von Sodom und Gomorra in Erinnerung.37 Gotteslästerung erschien mithin als gemeingefährliches Delikt, das nach der Novelle 77 die Todesstrafe38, in der Praxis zumindest schwerste körperliche Strafen wie die Verstümmelung der Zunge nach sich zog.39 Genau dies, das Abschneiden der Lästerzunge, sahen dann in einem verselbständigten Blasphemieartikel auch die Kaiserkonstitutionen Friedrich II. von Melfi 1231 als Strafe für die Schmähung Gottes und der Jungfrau Maria vor.40 Strafbar war – nach kanonischem wie weltlichem Recht – nur die öffentliche („publice“) Gotteslästerung; die private war dagegen nur nach dem Ermessen des Beichtvaters geheim zu büßen. Öffentlich meinte in diesem Zusammenhang in erster Linie, dass die Lästerung beweisbar war – nur dann kam eine öffentliche Buße als Strafe in Betracht –, aber auch, dass sie notorisch war, d. h. gewohnheitsmäßig begangen wurde und dadurch in der Öffentlichkeit Anstoß erregte, zu einem öffentlichen Ärgernis wurde.41 Damit aber ist eine Beeinträchtigung des Ordo publicus Ecclesiae verbunden, die ein Strafbedürfnis begründet.
35 Novelle 77, 1 zählt die Gotteslästerung zu den „unnatürliche[n] Verbrechen“, „die Hungersnöte verursachen, Erdbeben und Seuchen“. 36 Bonifacius de Vitalinis, Tractatus super maleficiis, Venedig 1560, tit. De poena blasphemantium, Nr. 1; Joannes Bernardus Diaz de Luco, Practica Criminalis canonica, Lyon 1554, c. 103, § Blasphemia. 37 Novelle 77, 1; Glossa Ordinaria s. v. ,et civitates‘. 38 Novelle 77, 1: „qui ipsum deum blasphemat dignus est supplicia sustinere“. 39 Siehe dazu m. w. N. Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 24. Allgemein wurden Strafmilderungen bei verminderter Schuld in Erwägung gezogen. 40 Hermann Conrad/Thea von der Liek-Buyken/Wolfgang Wagner (Hrsg.), Die Konstitutionen Friedrich II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien: Nach einer lateinischen Handschrift des 13. Jahrhunderts (= Studien und Quellen zur Welt Kaiser Friedrichs II., 2. Bd.), Köln/Wien 1973, lib. III, tit. XCI, S. 348: „Blasphemantes Deum et virginem gloriosam linguae maliloquae mutilatione ponatur.“ Gerd Schwerhoff, Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200 – 1650, Konstanz 2005, S. 120 konstatiert eine „auffällige zeitliche Nähe von Friedrichs Status zur Dekretale de maleficidis von Papst Gregor IX.“, die nicht zufällig sei: „Im Ganzen folgt die Ketzerpolitik des Kaisers in den zwanziger und dreißiger Jahren des 13. […] Jahrhunderts wohl den päpstlichen Vorgaben und Forderungen […].“ Einen vergleichbaren Zusammenhang gibt es in Frankreich unter Ludwig IX. (1226 – 1270). Der grande ordonnance von 1254, die den königlichen Amtleuten u. a. die Gotteslästerung verbot, folgte 1268 „das erste umfassende Spezialmandat gegen die Blasphemie für das gesamte Königreich“, das für verschiedene Arten von Gotteslästerungen abgestufte Geldstrafen, ersatzweise Pranger und Haft vorsah; siehe dazu ebd., S. 121 f. m. N. Auf die ursprünglich vorgesehen Körperstrafen soll Ludwig IX. nach einer Intervention von Papst Clemens IV. verzichtet haben, der ihn gebeten haben soll, er möge davon absehen, „um der Konstitution Gregor des Großen nicht vorzugreifen, sondern ihr vielmehr zur Durchsetzung zu verhelfen“; Dickerhof-Borello, Liber Septimus (Anm. 32), S. 188 f. m. N. in Fn. 372. 41 Siehe dazu m. N. Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 24 f.; Kéry, Gottesfurcht (Anm. 7), S. 547 f.; Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 301.
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3. Der Tatbestand der Gotteslästerung und seine Abgrenzung zur Häresie So eindeutig das Urteil der Kanonisten über die Strafwürdigkeit der – öffentlichen – Gotteslästerung ausfiel, so relativ unbestimmt blieb – auch und insbesondere im Decretum Gratiani – die Definition des Tatbestands, der weit gefasst alle der christlichen Gottesverehrung zuwiderlaufende Praxis (Handlungen oder Äußerungen) erfassen konnte. Im 13. Jahrhundert setzten allerdings theologische Bemühungen ein, die Blasphemie dogmatisch genauer zu erfassen. In seiner „Summa universae theologica“ bestimmte Alexander von Hales (gest. 1245) Blasphemie als einem Schöpfer angetane, verletzende Schmähung, die auf dreierlei Art und Weise begangen werden könne: indem Gott erstens etwas zugeschrieben werde, was ihm nicht zukomme, ihm zweitens etwas abgesprochen werde, was ihm gebühre, oder drittens einer Kreatur zugesprochen, was Gottes sei.42 Diese präzisere theologische Definition wurde von den Kanonisten aber nicht rezipiert; man wollte sich offenbar die Würdigung des jeweiligen Sachverhalts und seine Subsumtion unter den Tatbestand der Blasphemie offenhalten und sich insoweit nicht durch definitorische Vorfestlegungen binden.43 Praktisch bedeutsam war dagegen die Frage der Abgrenzung der Blasphemie zur Häresie, d. h. zur Abweichung von den Glaubensgrundsätzen und -wahrheiten der Kirche. Gotteslästerung kann, aber muss nicht häretisch, also ex- oder implizit mit Irrlehren verbunden sein.44 War Häresie im Spiel, fiel die Gotteslästerung „ratione materiae“ in die exklusive Jurisdiktion der Kirche (crimen mere ecclesiasticum)45 und zwar in die gerichtliche Sonderzuständigkeit der Inquisition, während ansonsten, weil es sich um ein delictum mixtum handelte, sowohl die bischöfliche Strafgewalt als auch weltliche Behörden sich der Sache annahmen.46 Die Kanonisten unterschie42 Summa universae theologiae, Pavia 1489, Pars II, liber II, inq. III, tract. III, sect. II, quaest. XI, De blasphemia, cap. 1. Gegen diese Unterscheidung von drei Gattungen von Gotteslästerungen aber von Aquin, Summa Theologica (Anm. 9), 2 a 2 ae, q. 13, art. 1: „Denn Zuteilen, was Gott nicht gebührt und Nichtzuteilen Gott, was gebührt, kommt auf dieselbe Gattung hinaus. […] Wird aber der Kreatur zugeschrieben was Gott eigen ist, so heißt dies die Kreatur zu Gott machen und somit Gott nicht zuschreiben, was Ihm gebührt“. 43 Siehe dazu näher Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 289 – 294. 44 Generell als Erscheinungsform der Häresie behandelt sie Raimund von Peñafort, Summa de paenitentia, hrsg. von Xaverio Ochoa, X./Aloisio Diez, S. Raimundus de Pennaforte, Summa de paenitentia [1234] (= Universa bibliotheca iuris 1 B), Rom 1976, Sp. 572: „Quintum est blasphemia: ecce haeresis.“ 45 Siehe Dickerhof-Borello, Liber Septimus (Anm. 32), S. 190 m. Fn. 379 unter Berufung auf P. Torquebiau SJ, „Compétence“, in: Dictionnaire de Droit Canonique (DDC), 3. Bd., Paris 1942, Sp. 1189 – 1238, hier Sp. 1204. 46 Allerdings galten wohl auch für die gewöhnliche Blasphemie gewisse prozessuale Sonderregeln, etwa hinsichtlich der Möglichkeit, auch als schlecht beleumundeter Zeuge im Verfahren aufzutreten; siehe Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 300 unter Berufung auf Francesco Ansaldi, Tractatus de iurisdictione, Lyon 1643, pars 4 tit 9, c. 1.; Geisteskranke
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den daher zwischen blasphemia simplex und blasphemia haereticalis. Die Unterscheidung zwischen Gotteslästerung und Glaubensabweichung war auch deshalb von Relevanz, weil nicht der Kirche angehörende Anders- oder Nichtgläubige keine Häresie begehen, wohl aber den Tatbestand der Blasphemie erfüllen konnten.47 4. Strafbewehrte Verbote der Gotteslästerung in städtischen Ordnungen des Mittelalters Die städtische Obrigkeit erfüllte die Forderungen Gregors IX. in weitem Umfang und erließ in Ordnungen strafbewehrte Verbote der Gotteslästerung. Das Motiv der Vermeidung des göttlichen Zorns, der sich gegen die gesamte civitas richtet, zu der der Gotteslästerer gehört, stellt dabei einen durchgehenden Topos dar.48 Kann das 13. Jahrhundert als der Zeitraum der „Geburt eines Delikts“ der Gotteslästerung im kanonischen und weltlichen Recht gelten, so sollten das 14. und 15. Jahrhundert zu einer Ära der „Offensive der Städte“ werden.49 Sie wurden, jedenfalls im Reich, zur „treibenden Kraft bei der Bekämpfung der Gotteslästerung im Spätmittelalter“.50 Als ältestes einschlägiges Kommunalrecht kann das Wiener Stadtrecht Herzog Leopolds VI. von 1221 gelten, das die Gotteslästerung bei der nicht ablösbaren Strafe des Abschneidens der Zunge verbot (Art. 15)51; diese Regelung wurde im 14. und 15. Jahrhundert wiederholt bestätigt und bekräftigt. In großer Zahl folgten insbesondere im 15. Jahrhundert andere Städte des Reiches und erließen Lästerungsverbote, auf deren Verletzung die verschiedensten Sanktionen standen, das Zungeabschneiden, aber auch und verbreitet Geldstrafen, die Gregors Dekretale ausdrücklich für die weltliche Gewalt vorgesehen hatte, oder bei Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Pranger, schließlich auch die befristete Verbannung aus der Stadt.52 Teilweise wurde aber auch einfach die Kirchenbuße „als Sanktion verankert, womit diese Buße den Charakter einer öffentlichen Schand- und Ehrenstrafe annimmt“; sie sollte „nach
oder Unmündige blieben aber auch hier ausgeschlossen; Hostiensis, Lectura (Anm. 20), ad X 5.26.2 ,Publice‘. 47 Helmholz, Kanonisches Recht (Anm. 8), S. 296. 48 Heinz Lieberich, Die Anfänge der Polizeigesetzgebung des Herzogtums Baiern, in: Dieter Albrecht/Andreas Kraus/Kurt Reindel (Hrsg.), Festschrift für Max Spindler zum 75. Geburtstag, München 1969, S. 307 – 378, hier Fn. 63. 49 Begriffe nach Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 115, 131. 50 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 126, 131. 51 Peter Csendes (Hrsg.), Die Rechtsquellen der Stadt Wien, Wien/Köln/Graz 1986, Nr. 4, S. 36. Siehe dazu Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 124. 52 Vgl. dazu Schwerhoff, Blasphemie vor den Schranken der städtischen Justiz: Basel, Köln und Nürnberg im Vergleich (14. bis 17. Jahrhundert), in: Ius commune 25 (1998), S. 39 – 120, hier S. 46 ff.; Ders., Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 132 – 135. Zu den Regelungen im süddeutschen Raum siehe auch Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 7 – 12.
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bebstlichem gepote und gesecze vorpüsset werden“.53 Hier zeigt sich ein Eindringen des kirchlichen in das weltliche Sanktionssystem. Die städtischen Regelungen, die vor allem auch Schwörverbote beinhalteten, wurden zunehmend tatbestandlich ausdifferenzierter und unterschieden in den Rechtsfolgen nach dem Schweregrad der Deliktsverwirklichung.54 Die Blasphemie avancierte zum „Offizialdelikt par excellence“, wegen der Schwierigkeiten der Überführung von Delinquenten allerdings bisweilen auch eher zum „symbolischen Exerzierfeld obrigkeitlicher Moralpolitik“.55 Es gab aber doch eine nicht unerhebliche, wenn auch in verschiedenen Zeiträumen unterschiedlich stark ausgeprägte Strafverfolgungspraxis und eine hohe Sanktionsquote in untersuchten Fällen.56 Die Erfüllung des päpstlichen Verlangens nach weltlichen Strafbestimmungen gegen die Gotteslästerung hat allerdings auch dazu geführt, „dass durch die veränderte Bestrafung aufgrund der ergehenden Ordnungen immer mehr ausschließlich das weltliche Gericht über die Gotteslästerung urteilte, – zumal der Erlass der Ordnungen auch zurückzuführen war auf das Versagen der kirchlichen Gerichtsbarkeit – und sich die Zuständigkeit der geistlichen Gerichte nur mehr für die leichteren Fälle, insbesondere das Fluchen, erhielt.“57 Tatsächlich wurden gerade „in den angesprochenen Strafnormen die ersten Ansätze zu einer ,Polizierung‘ des Verhaltens aller Untertanen sichtbar, die sich später zu einem umfassenden Disziplinierungsanspruch auswachsen sollten“.58 „Waren theoretisch also weltliche und geistliche Gerichte gleichermaßen für die Gotteslästerung zuständig, so scheint die Gewichtsverlagerung auf der Ebene des angewandten Rechts eindeutig: Überreichlich fließenden Quellen für die weltliche Gerichtsbarkeit stehen kärgliche Gelegenheitsfunde für den kirchlichen Bereich gegenüber.“59 Teilweise erkannten auch die Kanonisten die größere Wirksamkeit von Sanktionen der weltlichen Gewalt unumwunden an; zudem biete, so wurde argumentiert, der Schwur der weltlichen Herrscher auf ihre 53 Iglauer Stadtrecht aus der zweiten Hälfte des 13. Jh., zitiert nach: Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 133, 146. 54 Einzelheiten bei Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 135 – 139, 139 – 147. 55 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 139. Zur Bedeutung für die Herausbildung des peinlichen Inquisitionsprozesses im später Mittelalter und in der frühen Neuzeit der gleichnamige Beitrag von Günter Jerouschek, in: ZStW 104 (1992), S. 328 – 360, hier S. 353, 358. 56 Nachweise bei Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 140 f. 57 Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 22 f. m. N. in Fn. 80 f. Siehe auch Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 126 – 129. Zur Verdrängung und Entmachtung der kirchlichen Gerichtsbarkeit auf diesem Feld siehe auch Hinschius, Das Kirchenrecht (Anm. 24), S. 318 f.; Alain Cabantous, Geschichte der Blasphemie, Weimar 1999, S. 73. 58 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 126. 59 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 128; Ders., Gott und die Welt herausfordern. Theologische Konstruktion, rechtliche Bekämpfung und soziale Praxis der Blasphemie vom 13. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, masch. Habil. Schrift, Bielefeld 1996/ rev. Online-Version 2004, online unter: http:/bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2004/617/pdf/ Zentraldokumente/pdf (eingesehen am 19.03.19), S. 97.
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statuta civitatis auch die Gewähr dafür, dass die Gotteslästerer tatsächlich zur Verantwortung gezogen würden.60 „Den mit der kommunalen Welt Italiens vertrauten Kirchenrechtlern erschienen Statuarrecht und Strafgewalt der Städte offenbar effektiver als die Möglichkeiten der eigenen Gerichtsbarkeit.“61 5. Die reichsrechtliche Bekämpfung der Gotteslästerung in der frühen Neuzeit Zu Beginn der frühen Neuzeit nahm sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation der Sache selbst an, und damit trat auch auf der weltlichen Seite eine „normative Zentralisierung“ ein.62 Auf dem berühmten Reformreichstag zu Worms 1495 war auch das „erschrockenliche Gotslestern/ und Swern/ so gemainlich in Landen erhört worden“63 verhandelt worden. Kaiser und Reich verständigten sich in § 36 des Reichsabschieds64 auf ein reichsweit geltendes, verbindliches Gotteslästerungsverbot: „Als freventliche Lästerung des Namens, der Glieder und Marter Gottes und seiner Mutter, der Jungfrau Maria, und Seiner Heiligen gebraucht wirdet: ist geratschlagt, daß die Römisch Königlich Majestat, mit Willen und Wissen der Kurfürsten, Fürsten und Stände, ein gemein offenbar Gebot in dem Heiligen Reich Deutschen Nation ausgehen und proclamieren lasse, darinnen er solch frevelich Lästerung ernstlich verbiete, bei den Penen des gemeinen geschriebenen Rechts und an welchem oder welchen das enntlich überfarung erfunden würde. Sind sie aus dem Adel geboren, sollen sie alsbald mit der Tat untuglich sein, zu Ehren oder Ampten zu gebrauchen oder zugelassen zu werden; sind sie aber geringers Stand, sie sollen von der Ritterschaft in der Gerichts-Zwange oder Oberheit sie solches begangen haben, nach Maß ihrer Verhandlung, in ihrem Leben unablässig gestraft werden.“ In der daraufhin ergangenen „Königlichen Satzung von den Gotteslästerern“ vom 7. August 149565 wird unter Bezugnahme auf die Justinianische Gesetzgebung (Novelle 77) auch und nicht zuletzt wegen des im Fall der Gotteslästerung drohenden 60 Hostiensis, Summa una cum summariis et adnotationibus Nicolai Superantii, Lyon 1537, S. 257 – 257 A, 7. 61 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 130. 62 Begriff nach Stefan Mückl, Blasphemie aus der Sicht des Christentums, in: Wilhelm Rees/Ludger Müller/Christoph Ohly/Stephan Haering (Hrsg.), Religiöse Vielfalt. Herausforderungen für das Recht, Berlin 2018, S. 91 – 106, hier S. 93. 63 Johannes Joachim Müller, Des Heil. Reiches Teutscher Nation Reichs Tags Theatrum, 1. Teil (1486 – 1496), Jena 1718, S. 377. 64 Heinrich Christian von Senckenberg/Johann Jacob Schmauß (Hrsg.), Neue und vollständige Sammlung der Reichs-Abschiede, welche von den Zeiten Conrads II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tagen abgefasset worden, 1. Bd., Frankfurt a. M. 1747, Theil 2, S. 24, 25. 65 Von Senckenberg/Schmauß, Sammlung der Reichs-Abschiede (Anm. 64), S. 28 f.; abgedruckt in: Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 2 – 4.
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irdischen Ungemachs66 dieselbe (Lästerwort und Schwur) reichsrechtlich unter Strafe gestellt, wobei die Strafandrohung zwischen „denen, so aus Hitz oder Zorn schweren“, „die, vom Adel geboren, freventlich schweren“, „denen, so geringen Standes weren“ und „den Zuhörern, die es nicht wiederreden“, also nach den Tatumständen und dem Status der Täter differenziert. Das strafbewehrte Verbot der Reichsgewalt, das generalpräventiv wirken soll, dient damit dem gemeinen Wohl und wird eben dadurch zugleich gerechtfertigt.67 Diese Reichsordnung wird 1500 erneuert (Art. 33 des Reichsabschieds von Augsburg).68 Bereits 1512 wird eine neuerliche Regelung getroffen69, die nun in Tatbestand und Rechtsfolgen deutlich präzisiert und stärker ausdifferenziert wird. Die Abgrenzung zur kirchlichen Jurisdiktion erfolgt nun ratione personae: Bei Klerikern liegt die Zuständigkeit für die Bestrafung bei der geistlichen, bei Laien bei der weltlichen Obrigkeit des Tatorts. Das Thema bleibt auf der Agenda des Reichstags; die Forderung nach einer Überarbeitung der Reichsordnung von 1512 „wird unter Hinweis auf die sich daraus ergebenden Folgen, nämlich der Strafe Gottes in Form von gegenwärtigen mannigfaltigen Plagen, die Gott „uber Land und Leute geen last“, häufig mit der Zunahme des Delikts der Gotteslästerung und ähnlicher Delikte begründet“.70 Die Reichspolizeiordnung von 153071 bekräftigt mit dieser Begründung das Generalverbot der Gotteslästerung, definiert den Tatbestand72 und ordnet die Ahndung jedes Verstoßes „mit
66 „[…] auch vormals aus solchem, Hunger, Erbidem, Pestilentz und andere Plagen auf Erden kommen und gefallen sind. Und jitzt bey Unsern Zeiten, als offenbahr ist, dergleichen viel und mancherley Plagen und Straff gefolgt, und sonderlich in diesen Tagen schwehre Kranckheiten und Plagen der Menschen, genannt die böse Blasen, die vormals bey Menschen Gedächtniüs nie gewesen, noch gehört sind, aus dem Wir die Straff Gottes billich bedenken […]“. Im Gefolge dieses Gotteslästerungsmandats von 1495 „wurde es in städtischen und territorialen Verordnungen mehr und mehr üblich, diese Faktoren [Verletzung der Ehre des Schöpfers und Provokation des göttlichen Zorns; C. H.] als Gründe für den Erlass der eigenen Ordnungen anzuführen“; Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 154. Siehe zu diesem Motiv in den bayerischen Ordnungen Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 61 ff. 67 Siehe auch Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 28: „denn der Schutz der von Gott anvertrauten Untertanen vor der Strafe Gottes begründet die Abkehrung von der geistlichen Zuständigkeit wohl eher als der alleinige Gesichtspunkt der Überwachung der Ehre Gottes“. Von einer Ersetzung der kirchlichen Zuständigkeit durch die weltliche Reichsgewalt kann allerdings keine Rede sein. 68 Von Senckenberg/Schmauß, Sammlung der Reichs-Abschiede (Anm. 64), S. 63, 81. 69 Art. 4 §§ 1 – 4 des Reichsabschieds von Köln/Trier 1512, in: von Senckenberg/Schmauß, Sammlung der Reichs-Abschiede (Anm. 64), S. 136, 141 f. 70 Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 33 f. m. N. in Fn. 109. 71 Reichsabschied des Reichstags von Augsburg, §§ 98, 99; Reformation guter Polizei, in: von Senckenberg/Schmauß, Sammlung der Reichs-Abschiede (Anm. 64), S. 306, 322. 72 Strafbar machte sich, wer „Gott […] zumessen wird, das seiner Göttlichen Majestät und Gewalt nicht bequem, oder mit seinen Worten dasjenig, so Gott zusteht, abschneiden wolt, als
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dem Turm oder sonst einer Geldbuß, nach Gestalt und Gelegenheit der Uberfahrung“ an. Auch Leib- oder Lebensstrafe kamen in Betracht, und wer, etwa als Adliger, zu solcher nicht gebracht werden konnte, sollte ehrlos werden und nach Möglichkeit peinlich bestraft werden. Die Reichsordnung stellte in den Fällen, in denen eine peinliche Bestrafung nicht vorgesehen war, es den örtlichen Obrigkeiten und Landesherren frei, nach Maßgabe vorhandener oder zukünftiger strengerer Satzungen härtere Strafen zu verhängen, namentlich die Geldstrafe zu erhöhen.73 Die Halsgerichtsordnung Karls V. von 1532 (Carolina)74 umschreibt in Art. 106 den Tatbestand „gottsschwerer oder gottsslesterung“ in nahezu gleicher Weise und legt fest, dass Täter „darum an leib, leben oder glidern, nach gelegenheyt und gestalt der person und lesterung gestrafft werden; letztlich verweist die Bestimmung hinsichtlich der Strafsanktion aber darauf, „wie solche lesterung den gemeynen unsern Keyserlichen rechten gemess, und sonderlich nach innhalt besonderer artickeln unser Reichs Ordnung gestrafft werden soll“, d. h. auf die Reichsordnung von 1530.75 6. Die einschlägigen päpstlichen Konstitutionen des 16. Jahrhunderts Zur selben Zeit waren auch die Päpste noch einmal regulatorisch tätig geworden. Die Konstitution Supernae dispositionis arbitrio Leos X. von 1514 legte in § 33 Strafen für Kleriker und Laien fest und ordnete außerdem an, in foro conscientiae nicht ohne erhebliche Auflagen freizusprechen.76 Julius III. bestätigte in der auf der Late-
ob Gott ein Ding nicht vermöcht oder nicht gerecht wäre […]“; offensichtlich wird hier dogmatisch die theologische Definition seit Alexander von Hales zugrundegelegt. 73 Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 35, 43. Ob diese Klausel konstitutive, d. h. die Territorialherren ermächtigende Wirkung entfaltete, ist umstritten; mit Blick auf die ungeschmälert erhalten bleibenden landesherrlichen Befugnisse verneinend, Georg Hirtz, Die Bedeutung der salvatorischen Klausel der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., Diss. Bonn 1949, S. 109 f. m. N. zum Streitstand, ebd., S. 3 ff. 74 Hier zitiert nach: Heinrich Zoepfl, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. nebst der Bamberger und der Brandenburger HGO und Projecten, 3. Ausgabe, Leipzig/Heidelberg 1883, S. 91. 75 Die Reichsordnung von 1548 (in: von Senckenberg/Schmauß, Sammlung der ReichsAbschiede (Anm. 64), S. 587, 589 – 591 und dazu Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 76 – 78 enthielt im Wesentlichen nur redaktionelle Änderungen und teils Strafschärfungen teils Strafmilderungen. Die „reformirte und gebesserte Policey-Ordnung“ von 1577 (von Senckenberg/Schmauß, Sammlung der Reichs-Abschiede (Anm. 64), Theil 3, S. 379, 380 – 382 und dazu Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 92) folgte dem nahezu wörtlich. 76 Die auf dem 5. Laterankonzil am 5. Mai 1514 erlassene Bulle ist abgedruckt in: Bullarium Romanum novissimum a B. Leone Magno usque ad S. D. N. Urbanum VIII, 1. Romae : Ex typ camerae apostolicae, Rom 1638, S. 408, und in: Joseph Wohlmuth (Hrsg.), Dekrete der Ökumenischen Konzilien, 2. Bd., Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 621 f. Zu den materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen im Einzelnen siehe Schwerhoff, Zungen wie
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ransynode 1554 erlassenen Konstitution In multis die Regelung Leos und ergänzte sie um den Ausschluss der Täter von der Testierfähigkeit und der Erbfolge. In prinzipieller Übereinstimmung mit seinen Vorgängern verfügte schließlich Pius V. in der Konstitution Cum primum 1566, dass Gotteslästerungen von Laien mit Geldstrafe, und wenn der Täter arm und nicht zahlungsfähig war, mit Pranger- und Prügelstrafe, im Wiederholungsfall mit dem Durchstoßen der Zunge geahndet werden sollte. Klerikern wurde der Verlust der Einkünfte, der Benefizien und schließlich sogar Exil angedroht, sofern sie keine Benefizien besaßen, Geld- und Körperstrafen, Karzer und Galeere.77 Aufschlussreich für den Rechtszustand gegen Ende des 16. Jahrhunderts sind die Bedenken, die dagegen bei den Beratungen der päpstlichen Kongregation geltend gemacht worden sind, die 1580 – 1598 daran arbeitete, ein neues kirchliches Gesetzbuch zusammenzustellen, ein Projekt, das letztlich scheiterte78 : Zum einen wurde eingewandt, dass die vorgesehenen Geldstrafen je nach örtlichen Statuten und Gewohnheiten unterschiedlich festgelegt würden und daher ein kirchlicher Richter sie folglich gegenüber Laien nur in Kirchengebieten tatsächlich durchsetzen könne. Zum anderen bestehe für den Tatbestand der Blasphemie in der Regel eine Doppelzuständigkeit kirchlicher und weltlicher Gerichte (crimen mixti fori), teilweise, so im Königreich Spanien, auch nur ein weltlicher Gerichtsstand (fori saecularis) mit Ausnahme des Falls von Häresie. Daher könne sich die Kirche insoweit bezüglich der Bestrafung der Laien nicht einmischen. Mit Blick auf diese Einwände entschied sich die Kongregation zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten mit der weltlichen Gewalt dazu, den auf die Gotteslästerung bezogenen Ausschnitt aus Supernae dispositionis aus der Kompilation zu streichen und von der Konstitution Pius V. nur die Regelungen bezüglich der Kleriker aufzunehmen. Insoweit reklamierte also die Kirche ratione personae eine exklusive Zuständigkeit für sich; Kleriker sollten sich aufgrund des privilegium fori nur vor kirchlichen Gerichten verantworten müssen.79 Die ausschließliche kirchliche Jurisdiktion über Kleriker war zwar weltlicherseits nicht mehr unbestritten, für das Heilige Römische Reich aber, wie gesehen, in der Reichsordnung von 1512 anerkannt worden. Man wird angesichts dieser dichten regulatorischen Behandlung der Gotteslästerung durch das Reich und die Kirche konstatieren können, dass die Bekämpfung der Blasphemie „ihren institutionellen Höhepunkt im 16. und frühen 17. Jahrhundert [findet]“, und zwar „in zunehmendem Maß als Aufgabe der weltlichen Justiz“80: Schwerter (Anm. 40), S. 129 f., der insbesondere im differenzierten Strafkatalog ein „Echo der weltlichen Gesetzgebung“ sieht und ihre Wirkung für „beschränkt“ erklärt. 77 Inhalt wiedergegeben nach: Dickerhof-Borello, Liber Septimus (Anm. 32), S. 187 f. 78 Siehe zum Folgenden: Dickerhof-Borello, Liber Septimus (Anm. 32), S. 188. 79 Siehe dazu näher Torquebiau, „Compétence“ (Anm. 45), Sp. 1205 f. und F. Claeys-Boúúaert, „Clerc“, in: DDC III, Sp. 827 – 872, hier Sp. 865 f. 80 Mückl, Blasphemie (Anm. 62), hier S. 94; Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 154: „Mit dem Reichsabschied [von 1495; C. H.] beginnt gleichsam das ,lange 16. Jahrhundert‘ bei der Bekämpfung der Gotteslästerei in Norm und Praxis.“
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„Der Theorie nach ein delictum mixtum, beanspruchte in der Praxis vor allem die weltliche Justiz hier Kompetenzen.“81 7. Der regulatorische Kampf der weltlichen Obrigkeit gegen die Gotteslästerung nach der Glaubensspaltung Die Glaubensspaltung wirkte sich bemerkenswerter Weise in der weltlichen Gesetzgebung gegen Gotteslästerung kaum aus. Reichsrechtlich fand man einen konfessionsübergreifenden Konsens in dieser Frage; so konnten auch die Protestanten mit einem Verbot der Lästerung Mariens und der Heiligen leben, sofern diese nur nicht mit der unmittelbaren Lästerung Gottes selbst gleichgestellt wurde. Im Übrigen intensivierte die Reformation sogar den Kampf der weltlichen Obrigkeit gegen die Gotteslästerung.82 Sie avancierte zum „Leitdelikt für die Schaffung einer systematischen Sittenzucht“83 im Rahmen einer reformatorisch vorangetriebenen Verchristlichung des Gemeinwesens. Die lutherische Reformation führte zu einer Ausdehnung der staatlichen Zuständigkeiten auf diesem Feld. Die äußere Ordnung der Kirche wurde in den lutherischen Territorien nämlich zum Regelungsgegenstand des weltlichen Regiments in Gestalt von Kirchen- und Visitationsordnungen.84 Aber auch in den katholisch gebliebenen Territorien war die Blasphemie längst ein in erster Linie von der weltlichen Justiz verfolgtes Delikt geworden, Kleriker ausgenommen.85 Überragendes Regelungsmotiv der christlichen Obrigkeit beim regulatorischen Kampf gegen die Gotteslästerung bildet dabei auch in der frühen Neuzeit die Abwendung von als göttliche Strafe gedeuteten Katastrophen, die als „gemeine Gefahr“ erscheinen. Während des gesamten 16. Jahrhunderts steht dabei die sog. Türkengefahr im Vordergrund.86
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Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 164. Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 161 f. 83 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 163. 84 Christian Hillgruber, Die lutherische Reformation und der Staat, Paderborn 2017, S. 27 f. 85 „Zur Ausnahme von der Regel der Dominanz weltlicher Gerichte bei der Blasphemieverfolgung“ in Gestalt der römischen und spanischen Inquisition siehe Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 167 f. 86 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 168 f.; Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 61 – 72. 82
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III. Ausblick auf die weitere Entwicklung – Wandel im weltlichen Recht, Kontinuität im Kirchenrecht Die weitere Entwicklung kann hier nur noch kurz skizziert werden. Eine erste wesentliche Änderung erfährt die weltliche Strafgesetzgebung gegen Gotteslästerung, als im aufgeklärten Spätabsolutismus87 die bisher gegebene Begründung mit dem zum Schutz des bonum commune88 abzuwendenden göttlichen Strafgericht in Gestalt von Katastrophen jedweder Art, die das entscheidende Motiv für das Einschreiten der Obrigkeit dargestellt hatte, nicht mehr tragfähig ist. Gegen die dahinterstehende „Vergeltungstheologie“ hält Johann Anselm Feuerbach mit Entschiedenheit fest: „Dass die Gottheit injuriiert werde, ist unmöglich; dass sie sich wegen Injurien an Menschen räche, ist undenkbar; dass man sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnen müsse, ein Thorheit.“89 Dass der Gesetzgeber in der Tradition der justinianischen und reichsrechtlichen Regelungen gerade dies noch immer als Grund der Strafbarkeit angeführt habe, zwinge, so Feuerbach, auch bei der Beurteilung des geltenden Rechts nicht dazu, dieser Auffassung zu folgen, weil „ein Gesetzgeber uns nicht nöthigen [kann], einen undenkbaren und ungereimten Grund des Gesetzes zu denken“.90 Aber die Gotteslästerung galt immer noch als „staatsgefährdend“. War in der frühen Neuzeit die Notwendigkeit der Bestrafung der Gotteslästerung als Verbrechen gegen die Majestät Gottes auch damit gerechtfertigt worden, dass darin zugleich auch ein Angriff gegen die weltliche Herrschaft liege, die ihre Autorität der göttlichen Gnade verdanke91, so trat nun der Schutz der Religion im Interesse des Staates, als seine sittliche Grundlage, in den Mittelpunkt und rechtfertigte die Aufrechterhaltung der Strafbarkeit bei geändertem Schutzzweck,92 allerdings nur unter gleichzeitiger deutlicher Abschwächung des Schweregrads des Delikts. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts sollte daraus endgültig eine Bestimmung zum Schutz des öffentlichen Friedens werden, die nicht mehr die Gotteslästerung als solche, wohl aber die Beschimpfung aller Religionen und Religionsgemeinschaften unter Strafe stellt, wie dies bei § 166 StGB und auch bei § 188 öStGB der Fall 87 Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 167: „Verletzung und Schutz der Ehre, Beleidigung und Versöhnung des zürnenden und strafenden Gottes stehen in der Literatur, soweit in den Darstellungen zur Gotteslästerung überhaupt darauf eingegangen wird, im Vordergrund noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts.“ Noch das Landrecht Preußens führt 1721 ausdrücklich die justinianische Motivation (Krieg, Hunger, Pest als Strafe Gottes) an; vgl. Eduard Kohlrausch, Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften – ein Beitrag zur Strafrechtsreform, Tübingen 1908, S. 10. 88 Der französische König Philipp IV. (1285 – 1314) hatte seine Ordonnanz gegen die Blasphemie mit der Förderung der publica utilitas begründet; Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 185. 89 Paul Johann Anselm von Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden Peinlichen Strafrechts, Gießen 1801, § 344, S. 265. 90 Feuerbach, Lehrbuch des Peinlichen Strafrechts (Anm. 89), S. 265. 91 Schwerhoff, Zungen wie Schwerter (Anm. 40), S. 184 ff., 185. 92 Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 211 ff., 222.
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ist.93 Damit hat der moderne Staat als Heimatstatt aller Bürger ungeachtet ihres Glaubens auch bei den sog. Religionsdelikten zu seiner raison d’être gefunden.94 Für die Kirche blieb und bleibt dagegen die öffentliche Gotteslästerung als solche ein strafbares Delikt, nach c. 2323 CIC/1917 ebenso wie nach c. 1369 CIC/1983. Wer ihren Stifter schmäht, lässt es eben nicht nur an der gebotenen Ehrfurcht und Verehrung Gottes fehlen, sondern stört durch solch kirchenfeindliches, die Essenz des Bekenntnisses verletzendes Verhalten massiv die Ordnung der kirchlichen Gemeinschaft und muss dafür auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.95 Auch insoweit gilt: „Das angeborene Recht der Kirche zur Strafverhängung und die Notwendigkeit, die Ordnung im Volke Gottes erforderlichenfalls auch durch Strafen sicherzustellen, bleiben unbestreitbar, solange die Kirche auf Pilgerschaft ist. Eine Gesellschaft, die nicht mehr den Willen aufbietet, ihre Güter und Rechte durch Sanktionen zu verteidigen, bezeugt damit, dass sie sich selbst nicht mehr ernst nimmt.“96 Weltliches und kirchliches Strafrecht gehen jetzt – zum Wohl des Staates wie der Kirche – auch in der Frage der Gotteslästerung getrennte Wege.97 „[D]as Recht“ hat sich „in langen Kämpfen in wesensverschiedene Ordnungen aufgeteilt: Das staatliche Recht dient dem politischen Frieden, der weltlichen Freiheit aller und der Koexistenz der gegensätzlichen Religionen unter Ausklammerung der religiösen Wahrheitsfrage. Das Kirchenrecht […] hingegen dient der ,wahren‘ Verkündigung der
93 Zur Entwicklung des Strafrechts in Deutschland von der Reichsgründung bis zur Reform von 1969 siehe Leutenbauer, Delikt der Gotteslästerung (Anm. 26), S. 264 – 293. 94 Siehe dazu nur Christian Hillgruber, Die Religion und die Grenzen der Kunst, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 36 (2002), S. 53 – 86, hier S. 74 – 77. Kritisch Mückl, Blasphemie (Anm. 62), hier S. 98 f; dieses Schutzgut rechtfertigt aber entgegen Mückl sehr wohl angesichts der geschichtlichen Erfahrung der besonderen Schärfe religiöser Konflikte bis hin zu Bürgerkriegen auch gleichheitsrechtlich den besonderen strafrechtlichen Schutz der Religionen und Religionsgemeinschaften. Demgegenüber erweist sich der Schutz religiöser Gefühle als nicht tragfähig, kann jedenfalls nicht als Schutz der Religionsfreiheit ausgegeben werden; siehe Hillgruber, aaO, hier S. 71 – 74. 95 Ähnlich, aber zurückhaltender und stärker die pädagogische Funktion des kirchlichen Strafrechts für die Gläubigen betonend Burkhard Josef Berkmann, Blasphemie, Diffamierung von Religionen und religiöser Frieden, in: Markus Graulich/Thomas Meckel/Matthias Pulte (Hrsg.), Ius canonicum in communione christifidelium. Festschrift zum 65. Geburtstag für Heribert Hallermann (= Kirchen- und Staatskirchenrecht KStKR 23), Paderborn 2016, S. 631 – 646, hier S. 633. 96 Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 58. Dass die praktische Bedeutung und Anwendung der aktuellen Norm äußerst gering zu veranschlagen ist (vgl. dazu Ludwig Schick, Blasphemie und der Glaube, in: Thomas Laubach/Konstantin Lindner (Hrsg.), Blasphemie – lächerlicher Glaube? Ein wiederkehrendes Phänomen im Diskurs (= Bamberger Theologisches Forum Bd. 15), Berlin 2014, S. 11 – 23, hier S. 18, zeigt, dass es daran in der Kirche mangelt. 97 Allerdings erfährt das kircheneigene Strafrecht aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgesellschaften nach Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG in Deutschland verfassungsrechtlich eine Anerkennung von Seiten des Staates.
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göttlichen Offenbarung durch die Entfaltung und Ausübung des Bekenntnisses“98, wo zur Wahrung der Ordo publicus Ecclesiae notwendig auch unter Androhung und Verhängung von kirchlichen Strafen.99 Für die Kirche aber ist die öffentliche Lästerung ihres Herrn mehr als nur eine schwere Sünde oder ein Skandalon: eine Straftat gegen den Glauben, welche die communio fidei in Frage stellt.
98 Martin Heckel, Zur Zukunftsfähigkeit des deutschen „Staatskirchenrechts“ oder „Religionsverfassungsrechts“?, in: AöR 134 (2009), S. 309 – 390, hier S. 345. 99 Diese Einsicht war seit den 1960er Jahren verloren gegangen und hatte zu einem dramatischen Bedeutungsrückgang des kirchlichen Strafrechts geführt; vgl. die Wertungen bei Johannes Neumann, Grundriss des katholischen Kirchenrechts, Darmstadt 1981, S. 128 – „weithin obsolet“; Klaus Mörsdorf, Grundfragen einer Reform des kanonischen Rechts, in: Münchener Theologische Zeitschrift (MThZ) 15 (1964), S. 1 – 16, hier S. 14 – „praktisch tot für die Laien“; Alexander Dordett, Erwägungen zur Reform des Kanonischen Strafrechts, in: Ulrich Mosiek/Hartmut Zapp (Hrsg.), Festschrift für Bernhard Panzram, Freiburg i. Br. 1972, S. 307 – 325, hier S. 309 – „auf die geistliche Wirkung reduziert“. Der gegen „strafrechtliche Repression“ eingestellte Zeitgeist hatte auch in der Kirche eine „Verdunkelung des Rechts und der Notwendigkeit der Strafe“ (Benedikt XVI., Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg/Basel/Wien 2010, S. 43) herbeigeführt. Erst die öffentliche Aufdeckung zahlreicher Missbrauchsfälle hat insoweit wieder bewusstseinsverändernd gewirkt: Auch als Rechtskirche ist die Kirche eine Kirche der Liebe, „die eben nicht nur Nettigkeit und Artigkeit ist, sondern die in der Wahrheit ist. Und zur Wahrheit gehört auch, dass ich denjenigen strafen muss, der gegen die wirkliche Liebe gesündigt hat“ (ebd.). Richtig ist allerdings, dass die Strafverhängung ultima ratio ist und nur in Betracht kommt, wenn „weder durch mitbrüderliche Ermahnung noch durch Verweis noch durch andere Wege des pastoralen Bemühens ein Ärgernis hinreichend behoben, die Gerechtigkeit wiederhergestellt und der Täter gebessert werden kann“ (c. 1341 CIC/1983); siehe dazu Klaus Lüdicke, in: Ders. (Hrsg.), Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Stand: Oktober 2018, c. 1341 Rn. 2.
Die religionsbezogenen Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain-en-Laye – ein Überblick Von Herbert Kalb
I. Einleitung Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden zwischen Juni 1919 und August 1920 in fünf verschiedenen Vororten von Paris Verträge abgeschlossen, die zusammen als „Pariser Vororteverträge“ bezeichnet werden. Deutschland unterschrieb am 28. Juni 1919 in Versailles, Bulgarien am 27. November 1919 in Neuilly-sur-Seine, Ungarn am 4. Juni 1920 in Trianon, die Türkei am 10. August 1920 in Sèvres. Die Unterzeichnung des Vertrages mit Österreich erfolgte am 10. September um 11 Uhr im „Steinzeitsaal“ des Schlosses St. Germain-en-Laye. Zu den Vertragspartnern zählten die alliierten und assoziierten Mächte: USA, Britisches Reich, Frankreich, Italien und Japan sowie Belgien, China, Kuba, Griechenland, Nicaragua, Panama, Polen, Portugal, Rumänien, der SHS-Staat, Siam und die Tschechoslowakei. Fast alle Vertragspartner ratifizierten den Vertrag von St. Germain (im Folgenden VSG), das österreichische Parlament am 25. Oktober 1919. Die Ratifikation des VSG durch die USA scheiterte am Kongress, weshalb die USA nicht Vertragspartner waren. Anstelle trat ein gesonderter Vertrag vom 24. August 19211. Erst damit endete der Kriegszustand zwischen den USA und der Republik Österreich. Der VSG trat am 16. Juli 1920 in Kraft. Der VSG wurde im Original in französischer, englischer und italienischer Sprache abgefasst; als authentisch wurde die französische Fassung vereinbart. Das ursprünglich in Frankreich verwahrte Originalexemplar des VSG gilt heute als verschollen; eine Abschrift befindet sich im Österreichischen Staatsarchiv. Am 21. Juli 1920 wurde der VSG mitsamt einer deutschen Übersetzung im „Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich“ veröffentlicht.2 Die fünf Pariser Vororteverträge sind abgesehen von den Grenzbestimmungen über weite Strecken miteinander identisch. Der Vertrag von Versailles diente oftmals
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BGBl 643/1921. StGBl 303/1920. Eine Druckfehlerberichtigung gem. § 2a BGBlG erfolgte mit der Kundmachung des Bundeskanzlers BGBl III 179/2002. 2
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als Vorlage für die Friedensverträge, teilweise wurden einfach die Bezeichnungen der Vertragspartner ausgetauscht.3
II. Religionsbezogene Minderheitenschutzbestimmungen4 1. Religionsbezogene Minderheitenschutzrechte und die Pariser Friedenskonferenz In seinem 14 Punkte Programm, der berühmten Friedensbotschaft vom 8. Januar 1918 an den amerikanischen Kongress, plädierte Präsident Wilson in der ihm eigenen Unbestimmtheit für „eine allgemeine Vereinigung der Nationen … welche eine gegenseitige Sicherung bilden werden für die politische Unabhängigkeit und territoriale Unverletzlichkeit der kleinen wie der großen Nationen“.5 Wilsons Völkerbundidee und damit auch einhergehend die Gewährleistung von Minderheitenschutzrechten waren das wohl innovativste Projekt der „peacemaker“ in Paris und sein zentrales Anliegen. Es hatte für ihn eine geradezu religiöse Bedeutung. Nicht zufällig bezeichnete Wilson die Völkerbundsatzung als „Covenant“, ein Begriff, mit dem in der englischen Sprache ein göttlicher Gnadenbund mit den Menschen benannt wird.6 Wilsons Pressesprecher Baker erklärte, der Völkerbund sei eine Glaubenssache: „Der Präsident ist zuallererst ein Mann des Glaubens. Er glaubt daran, dass der Völkerbund die Welt retten wird“.7 Aus der Rückschau beschrieb noch 1933 Harold Nicholson – er verfasste 1930 einen der lebendigsten Berichte über die Friedenskonferenz mit dem Titel „Peacemaking, 1919“ – dieses Friedensprogramm enthusiastisch und mit religiösen Unterströmungen: „Wir fuhren nach Paris nicht nur um einen Krieg zu liquidieren, sondern um eine neue Ordnung in Europa zu begründen. Wir bereiteten nicht nur Frieden, sondern Ewigen Frieden. Der Heiligenschein einer göttlichen Sendung umstrahlte uns.“8 3
Vgl. Isabella Ackerl/Rudolf Neck (Hrsg.), Saint Germain 1919, Wien 1989; Nina Almond/ Ralph H. Lutz, The Treaty of St. Germain, Stanfort 1937; Fritz Fellner, Der Vertrag von SaintGermain, in: Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Hrsg.), Österreich 1918 – 1938. Geschichte der Ersten Republik, Bd. 1, Graz 1983, S. 85 – 106; Hanns Haas, Österreich-Ungarn als Friedensproblem. Aspekte der Friedensregelung auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie in den Jahren 1918 – 1919, 2 Bde., Diss. masch., Salzburg 1968. 4 Vgl. hierzu die Kommentierung der Art. 59 – 82, in: Herbert Kalb/Thomas Olechowski/ Anita Ziegerhofer (Hrsg.), Der Vertrag v. St. Germain. Kommentar, Wien 2020 (dzt. i. Druck). 5 Abdruck bei Susanne Brandt, Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag, Stuttgart 2018, S. 206 – 222. 6 Vgl. Eckart Conze, Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt, München 2018, S. 228 f.; Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918 – 1923, München 2018, S. 687 f. 7 Manfred Berg, Woodrow Wilson. Amerika und die Neuordnung der Welt. Eine Biographie, München 2017, S. 174. 8 Conze, Die große Illusion (Anm. 6), S. 229.
Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain-en-Laye
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Wilsons Vision für einen friedlichen Wandel der Machtverhältnisse ist eng verbunden mit dem Prinzip der Selbstbestimmung als Alternative und Konkurrenz zum Siegerrecht. Allerdings, zu Recht merkt Margaret MacMillan an: „Von allen Ideen, die Wilson nach Europa mitbrachte, war und ist die der Selbstbestimmung eine der umstrittensten und unklarsten.“9 Einflussreich für den Erfolg der Ausdrücke „Selbstbestimmung“, „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ wie den jeweiligen Entsprechungen in anderen Sprachen war die Konzeption von Wladimir Iljitsch Lenin, wonach jedem Volk ein Recht auf staatliche Unabhängigkeit, auf Souveränität, auf nationale Selbstbestimmung zukomme. Auch das Selbstbestimmungsrecht Kolonialisierter spielte in der Propaganda der Bolschewiki eine große Rolle, Lenin propagierte ein „Recht der Lostrennung“. Demgegenüber identifizierte Wilson Selbstbestimmung weitaus weniger radikal mit der als Demokratie verstandenen Selbstregierung. Für ihn war mit Selbstbestimmung die Selbstregierung gemeint, die der Demokratisierung dienen und das Entstehen autoritärer Staaten verhindern sollte.10 Bemerkenswert ist, dass das Leninsche Verständnis sich in der Wahrnehmung durchsetzte, jedoch, wie Jörg Fisch verdeutlichte: „Das Publikum teilte die Leninsche Auffassung des Selbstbestimmungsrechts, nicht die Wilsonsche, aber man wollte sie aus dem Munde Wilsons, nicht Lenins hören. Man hörte Wilson zu, aber man hörte aus ihm Lenin sprechen.“11 Allerdings sahen die Alliierten im Konzept der „Selbstbestimmung“ eine Bedrohung ihrer Souveränität. Bei Gestaltung der Grenzziehungen trat das von Wilson formulierte Selbstbestimmungsrecht zunehmend in den Hintergrund, die Konferenz sah aber unter anderem in der Einführung eines allgemeinen Minderheitenschutzsystems ein Stabilisierungsinstitut. Die Bemühungen Wilsons, allgemeine Minderheitenschutzbestimmungen in die Völkerbundsatzung aufzunehmen, scheiterten jedoch kläglich. Letztlich wurde keine Minderheitenschutzbestimmung in die Satzung aufgenommen, es war kein Konsens zu erzielen, Minderheitenschutzgewährleistungen mit allgemeiner Wirkung und somit auch mit Wirkung gegenüber den Siegermächten in einem multilateralen Instrument zu verankern.12 9 Margaret MacMillan, Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte, Berlin 2015, S. 39. 10 Wolfgang Heidelmeyer, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Zur Geschichte und Bedeutung eines internationalen Prinzips in Praxis und Lehre von den Anfängen bis zu den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, Paderborn 1973, S. 46 f.; Uwe Kränke, Selbstbestimmung. Zur gesellschaftlichen Konstruktion einer normativen Leitidee, Weilerswist 2007, S. 48 ff.; Jörg Fisch, Die Geschichte des Selbstbestimmungsrechts der Völker, oder der Versuch, einem Menschenrecht die Zähne zu ziehen, in: Peter Hilpold (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Vom umstrittenen Prinzip zum vieldeutigen Recht?, Frankfurt a. M. 2009, S. 45 – 74; Ders., Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, München 2010, S. 133 – 157. 11 Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Anm. 10), S. 155. 12 Sarah Pritchard, Der völkerrechtliche Minderheitenschutz. Historische und neuere Entwicklungen, Berlin 2001, S. 72 f.; Peter Hilpold, Minderheitenschutz im Völkerbundsystem, in: Christoph Pan/Beate S. Pfeil (Hrsg.), Zur Entstehung des modernen Minderheiten-
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Anfangs hatte es noch eine Bereitschaft für die Aufnahme einer Religionsfreiheitsklausel gegeben, mit der Forderung Japans um Ergänzung dieser Klausel durch das Prinzip der Gleichheit aller Rassen, verschwand auch diese Billigung. Mit bewegenden Worten verlas Baron Nobuaki Makino seinen Antrag für Rassengleichheit. Er wies darauf hin, dass im Ersten Weltkrieg unterschiedliche Rassen Seite an Seite gekämpft hätten, dabei sei zwischen ihnen „in einem Ausmaß wie nie zuvor ein Band der Sympathie und Dankbarkeit“ entstanden. Der australische Premierminister Hughes legte vehement Widerspruch ein, der Vertreter Großbritanniens, Robert Cecil, wies darauf hin, dass diese Forderung ein höchst umstrittenes Thema betreffe. Einwände gegen die Religionsfreiheitsgarantie erhob der französische Vertreter Larnaude auf dem Hintergrund der französischen „laïcité de séparation“. Demgegenüber erklärte der portugiesische Delegierte, seine Regierung habe noch niemals einen Vertrag unterfertigt, der keinen Gottesbezug enthalten habe. Schlussendlich schlug der griechische Ministerpräsident Venizelos vor, die ganze Klausel zur Religionsfreiheit zu streichen, denn auch diese sei ein heikles Thema.13 Um wenigstens einen partikulären Minderheitenschutz zu etablieren, wurde am 1. Mai 1919 eine Kommission für neue Staaten und Minderheitenschutz eingerichtet. Durchgesetzt wurde im Ergebnis die Garantie eines individuellen Minderheitenschutzes. Sowohl die Alliierten als auch die betroffenen Minderheitenstaaten fürchteten im Falle einer Gewährleistung von Kollektivrechten für Minderheiten, also einer damit verbundenen Anerkennung von Kollektivsubjekten, eine Beeinträchtigung der Souveränität und nationalen Einheit des jeweiligen Staates. Das in Paris geschaffene System sah vier Formen des Minderheitenschutzes vor14: Minderheitenschutzbestimmungen in den Friedensbestimmungen15, auf der Friedenskonferenz vereinbarte Minderheitenschutzverträge16, Minderheitenschutzerklärungen als Voraussetzung für die Aufnahme in den Völkerbund17, sowie bilaterale Verträge18. schutzes in Europa. Handbuch der europäischen Volksgruppen, 3. Bd., Wien/New York 2006, S. 156 – 189, hier S. 160. 13 MacMillan, Die Friedensmacher (Anm. 9), S. 419 – 442; Klaus Schwabe, Versailles. Das Wagnis eines demokratischen Friedens 1919 – 1923, Paderborn 2019, S. 61. 14 Abdruck der relevanten Bestimmungen bei Herbert Kraus, Das Recht der Minderheiten. Materialien zur Einführung in das Verständnis des modernen Minoritätenproblems, Berlin 1927. 15 Friedensvertrag von St. Germain-en-Laye mit Österreich, Friedensvertrag von Neuillysur-Seine mit Bulgarien (27. November 1919), Friedensvertrag von Trianon mit Ungarn (4. Juni 1920), Friedensvertrag von Lausanne mit der Türkei (24. Juli 1923). 16 Der Vertrag von Versailles mit Polen (28. Juni 1919), der Vertrag von St. Germain-en Laye mit dem Serbisch Kroatisch-Slowenischen Staat (10. September 1919), der Vertrag von St. Germain-en-Laye mit der Tschechoslowakei (10. September 1919), der Vertrag von Paris und Rumänien (9. Dezember 1919) sowie der Vertrag von Sèvres mit Griechenland (10. August 1920), abgeändert und ersetzt durch den Vertrag von Lausanne (24. Juli 1923). 17 Am 15. Dezember 1920 beschloss die Bundesversammlung, die Aufnahme in den Völkerbund von entsprechenden Minderheitenschutzerklärungen abhängig zu machen.
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Grundlage für alle Minderheitenschutzbestimmungen war der Polen abverlangte19 Vertrag (28. Juni 1919)20. Diese Übernahme unterschied sich vom polnischen Mustervertrag nur in wenigen materiellen Einzelbestimmungen, die sich aus der Berücksichtigung gewisser innerstaatlicher Besonderheiten ergaben. So wurden über die allgemeinen Bestimmungen des PolenV hinausgehend diese verschiedentlich durch Sonderbestimmungen ergänzt. Diese Konkretisierungen betrafen den Schutz von Minderheitenreligionen, wie die Sicherstellung einer ungestörten Feiertagsheiligung (z. B. für Juden in Polen, Litauen, Deutsch-Oberschlesien, Griechenland, nicht-muslimische Minderheiten in der Türkei, muslimische Minderheiten in Griechenland) sowie den Schutz religiöser Anstalten und Erleichterung bei deren Errichtung (z. B. für Muslime im SHS Staat, Griechenland, nicht muslimische Minderheiten in der Türkei, „communautés religieuses minoritaires existants en Irak“) sowie Gewährleistungen einer „kulturellen“- wie Personalautonomie in Religions- und Schulfragen (z. B. Regelung des familien- und personenrechtlichen Status der Muslime im SHS-Staat, Autonomie der nicht griechischen Klostergemeinschaften am Athosberg).21 Art. 1 verpflichtet Polen, die ersten acht Artikel als „lois fondamentales“ anzuerkennen, keine Rechtsnorm oder amtliche Handlung darf den Vertragsbestimmungen entgegenstehen, Art. 2 enthält die Verpflichtung, allen Einwohnern ohne Unterschied der Geburt, der Staatsangehörigkeit, der Sprache, der Rasse oder der Religion den Schutz des Lebens und der Freiheit zu gewähren. Weiters wird allen Einwohnern das Recht auf uneingeschränkte öffentliche wie private Ausübung jeden Bekenntnisses, jeder Religion oder Weltanschauung gewährleistet, sofern deren Betätigung nicht mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten unvereinbar ist. Art 3 – 6 regeln die Staatsangehörigkeit. Art. 7 erkennt u. a. allen polnischen Staatsangehörigen ohne Unterschied der Rasse, Sprache oder Religion die Gleichheit vor dem Gesetz sowie den Genuss der gleichen bürgerlichen und politischen Rechte zu. Der Unterschied der Religion, der Weltanschauung oder des Bekenntnisses darf ihnen im Genuss der bürgerlichen oder politischen Rechte bei der Zulassung zu ehrenamtlichen 18 Wie z. B. das Pariser Abkommen zwischen Polen und der Freien Stadt Danzig (9. November 1920); finnisch-schwedisches Abkommen über die Ålands-Inseln (27. Juni 1921); deutsch-polnisches Abkommen über Oberschlesien (15. Mai 1922), zwischen den Allierten und Assoziierten Hauptmächten und Litauen abgeschlossene Memelstatut (8. Mai 1924). 19 Dieses in Polen als „kleiner Versailler Vertrag“ bezeichnete Minderheitenschutzabkommen wurde von Seiten Polens als eine Beeinträchtigung seiner Souveränität empfunden, Włodzimierz Borodziej, Geschichte Polens im 20. Jh., München 2010, S. 108 ff.; hierzu grundlegend Carol Fink, The Minorities Question at the Paris Peace Conference: The Polish Minority Treaty, June 28, 1919, in: Manfred F. Boemeke/Gerald D. Feldmann/Elisabeth Glaser (Hrsg.), The Treaty of Versailles. A reassessment after 75 Years, Cambridge 1998, S. 249 – 274; Dies., Defending the Rights of Others. The Great Powers, the Jews, and International Minority Protection, 1878 – 1938, Cambridge 2004, S. 135 ff. 20 Im Folgenden: PolenV; in Kraft getreten am 10. Jänner 1920, abgedruckt bei Kraus, Das Recht der Minderheiten (Anm. 14), S. 50 – 71. 21 Pritchard, Der völkerrechtliche Minderheitenschutz (Anm. 12), S. 82 – 84.
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und öffentlichen Ämtern oder bei der Ausübung der verschiedenen Berufe und Ämter nicht schaden. Kein polnischer Staatsangehöriger darf in privaten und wirtschaftlichen Beziehungen, auf dem Gebiete der Religion, der Presse oder bei Veröffentlichungen jeder Art noch in öffentlichen Versammlungen im freien Gebrauch einer Sprache beeinträchtigt werden. Art. 8 sieht für alle polnischen Staatsangehörigen, die zu einer rassischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit gehören, Gleichbehandlung und die gleichen rechtlichen und tatsächlichen Sicherheiten, wie sie allen anderen polnischen Staatsangehörigen eingeräumt sind, vor. Insbesondere sollen sie das gleiche Recht haben, auf ihre Kosten Wohlfahrts-, religiöse oder soziale Einrichtungen sowie Schulen und andere Erziehungsanstalten zu errichten, leiten und zu beaufsichtigen und in ihnen ihre Sprache frei zu gebrauchen und ihre Religion frei auszuüben. Art. 9 verpflichtet Polen zur Schaffung angemessener Erleichterungen, damit Kindern fremdsprachiger polnischer Staatsangehörigen in der Grundschule Unterricht in ihrer eigenen Sprache erteilt wird, die Möglichkeit der polnischen Regierung die polnische Sprache zum Pflichtgegenstand zu machen, bleibt davon unberührt. In Städten und Bezirken mit rassischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten in beträchtlichem Verhältnis soll diesen ein gerechter Anteil an dem Genusse und der Verwendung der Summen sichergestellt werden, die in staatlichen, kommunalen oder anderen Haushaltsplänen für Zwecke der Erziehung, der Religion oder der Wohlfahrt ausgeworfen werden. Art. 10 und 11 enthalten Sonderbestimmungen für die jüdische Minderheit, „Articles … (which) had been obtained through hard bargaining among the committee members over Poland’s bitter opposition“22. Nach Art. 10 wird die Verteilung der den jüdischen Schulen zuzuweisenden Steueranteile von örtlichen jüdischen Schulausschüssen unter staatlicher Aufsicht vorgenommen, Art. 11 ermöglicht die Sabbatheiligung.23 Art. 12 stellt alle Bestimmungen des polnischen Vertrages unter die Garantie des (noch zu schaffenden) Völkerbundes. Vehementen Widerstand gegen die Übernahme der vertraglichen Minderheitenschutzverpflichtungen leisteten Rumänien und Jugoslawien.24 Auch die politische Elite in Regierung und Parlament in Deutsch-Österreich stand Minderheitenschutzbestimmungen ablehnend gegenüber. So sahen bereits die Richtlinien für die österreichische Friedensdelegation vor, Minderheitenschutzverpflichtungen nach Mög22
Fink, Defending the Rights of Others (Anm. 19), S. 259. Resümierend hält Fink, Defending the Rights of Others (Anm. 19), S. 259 f, fest: „Despite these small victories, the partisans of Jewish rights had suffered several major setbacks. To be sure, Yiddish had not been banned, but it would receive no governmental support to survive and flourish as an officially-recognized language. There would be no national curiae, proportional representation, or administrative offices for minorities. Instead of a central Jewish Bureau dreaded by the Allies and the Poles, there would be only powerless local associations. Above all, the controversial Sabbath clause – disputed by the British, Americans and Poles – was silent on the most crucial issue of all, Sunday trading.“ 24 Erich Kendi, Minderheitenschutz in Rumänien. Die rechtliche Normierung des Schutzes ethnischer Minderheiten in Rumänien, München 1992, S. 24 – 27; Arnold Suppan, Jugoslawien und Österreich, Wien/München 1996, S. 766 ff. 23
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lichkeit abzulehnen, wobei die „Absicht, diesen Minderheiten den Schutz zu verweigern, nicht sichtbar werden“ sollte.25 Minderheitenschutzverpflichtungen pauschal zu vermeiden war unmöglich, aber die österreichische Friedensdelegation versuchte, Minderheitenschutzbestimmungen im Sinne eines kollektiven Schutzes auf der Folie internationaler Vorgaben, die als Souveränitätsbeschränkungen empfunden wurden, möglichst zu verhindern. Deutschösterreich habe sich im Gegensatz zu anderen aus der ehemaligen Monarchie hervorgegangenen Staaten als eine „nationale Gemeinschaft von Mitgliedern derselben Rasse und Sprache konstituiert“. Deutschösterreich sei, von einer „verschwindend kleine(n) Minorität“ abgesehen, ein ethnisch einheitlicher Nationalstaat.26 2. Die einzelnen Bestimmungen Für alle Minderheitenschutzbestimmungen wesentlich sind die staatsrechtlichen und internationalen Garantien: Dem „polnischen Modell“ entsprechend, wird textgleich als erste Bestimmung des Minderheitenschutzes die staatsrechtliche Garantie festgelegt, nämlich die Verpflichtung, die Minderheitenschutzbestimmungen als „Grundgesetze“ (lois fondamentales) anzuerkennen. Die Umsetzung erfolgte durch Art. 149 Abs. 1 B-VG, wonach der Abschnitt V des III. Teiles VSG als Verfassungsgesetze i. S. v. Art. 44 B-VG gilt. Mit dieser Rezeptionsbestimmung verlieren die Minderheitenschutzbestimmungen auch bei einem allfälligen völkerrechtlichen Geltungsverlust ihre innerstaatliche Bestandskraft nicht.27 Die internationale Garantie durch den Völkerbund – Vorlage Art. 12 PolenV – ist in Art. 69 VSG verortet. Danach anerkennt Österreich, dass die Minderheitenschutzbestimmungen „Verpflichtungen von internationalem Interesse“ sind und unter die Garantie des Völkerbundes gestellt werden. Sie können nicht ohne Zustimmung des Völkerbundes abgeändert werden. Dazu korrespondierend verpflichten sich die im Rat vertretenen Alliierten und Assoziierten Mächte Mehrheitsbeschlüssen 25
Vgl. „Instruktion für die Delegation zum Pariser Friedenskongreß“, abgedruckt bei Fritz Fellner/Heidrun Maschl (Hrsg.), „Saint Germain, im Sommer 1919“. Die Briefe Franz Kleins aus der Zeit seiner Mitwirkung in der österreichischen Friedensdelegation, Mai bis August 1919, Salzburg 1977, S. 38 – 50, hier S. 43; Hanns Haas, Die österreichische Regierung und die Minderheitenschutzbestimmungen von Saint Germain in: Die Volksgruppen in Österreich (integratio XI–XII), Wien 1979, S. 23 – 52, hier S. 24; Ders., Die rechtliche Lage der slowenischen Volksgruppe Kärntens nach Saint Germain in: Deutsch-slowenischer Koordinationsausschuß des Diözesanrates (Hrsg.), Das gemeinsame Kärnten. Skupna Korosˇka, Klagenfurt 1991, S. 111 – 124, hier S. 113. 26 Österreichische Antwort vom 6. August auf die Friedensbedingungen vom 20. Juli 1919, in: Bericht über die Tätigkeit der deutschösterreichischen Friedensdelegation in St. Germainen-Laye, Bd. 2, S. 118; Haas, Die österreichische Regierung (Anm. 25), S. 23. 27 Zur strittigen völkerrechtlichen Geltung eingehend Dieter Kolonovits, Sprachenrecht in Österreich. Das individuelle Recht auf Gebrauch der Volksgruppensprachen im Verkehr mit Verwaltungsbehörden und Gerichten, Wien 1999, S. 111 – 113.
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des Rates bezüglich einer Abänderung der Minderheitenschutzbestimmungen zuzustimmen. Mit dieser Bestimmung wurden die Minderheitenschutznormen in das Minderheitenschutzssytem des Völkerbundes eingefügt, eine auch gemessen am klassischen Völkerrecht „präzedenzlosen Dichte und Tiefe solcherart unmittelbar den Binnenraum der betroffenen Staate einwirkenden internationalen Vorgaben auf dem Gebiet des Minderheitenschutzes“.28 Die spezifisch religionsbezogenen Minderheitenschutzbestimmungen finden sich in den Art. 63, 66 Abs. 1 – 3, 67 und 68 Abs. 2 VSG. Neben Gleichheitsverbürgungen (Art. 66 Abs. 1 – 3, Art. 67 VSG) und Zusicherung eines angemessenen Anteils der vom Staat vorgesehenen Ausgaben für Erziehung, Religions- oder Wohltätigkeitszwecke (Art. 68 Abs. 2 VSG) ist vor allem Art. 63 VSG von zentraler Bedeutung. Dieser übernimmt Art. 2 des PolenV. Geschützt ist die freie Ausübung, privat wie öffentlich, von Glaube (fois), Religion (religion), Bekenntnis (croyance). Da verschiedentlich „croyance/belief“ mit Weltanschauung übersetzt wurde29, war zu klären, ob der Schutzbereich ausschließlich Religion – Bekenntnisfreiheit im Sinne von äußerer Betätigung von Religion und Glaube – oder auch Weltanschauungen umfasst30. In der Rechtsprechung wurde vom VwGH der Schutzbereich des Art. 63 VSG auch auf nicht religiöse Weltanschauungen bezogen und auch „Konfessionslosigkeit“ geschützt, der Eintritt in diesen Status sollte einem „Religionswechsel“ gleichzuhalten sein.31 28 Christian Pippan, Die völkerrechtlichen Konsequenzen des Vertrages von St. Germain, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 2019 (dzt. i. Druck). 29 Kraus, Das Recht der Minderheiten (Anm. 14), S. 67. 30 Ernst Flachbart, System des internationalen Minderheitenrechts, Budapest 1937, S. 174; Rudolf Köstler, Religion und Religionsgenossenschaft, in: JBl 64 (1935), S. 339 – 343, 357 – 362, 378 – 382, 399 – 407, 404: Art. 63 Abs. 2 schütze die Freiheit der Religionsausübung und umfasse anerkannte oder nicht anerkannte Gemeinschaftsreligionen, Privatreligionen, aber keine Religionslosigkeit, denn diese lasse eine Religionsübung nicht zu. 31 VwSlg 14729/1927 A (Religion, Glaube, Bekenntnis seien „im weitesten Sinne“ auszulegen, müssen „das ganze Gebiet der Lehren umfassen, die sich mit dem Wesen der Welt, der Erkenntnis alles Seienden, mit der Stellung des Menschen in der Natur befassen“); 16712/ 1931 A (die weite Fassung des Staatsvertrages umfasse nicht nur „positive Religionsbekenntnisse, sondern auch Weltanschauungen, die jenseits jedes positiven Religionsbekenntnisses liegen, die daher eine ,Konfessionslosigkeit‘ im eigentlichen Wortsinn darstellen“); vgl. Paul Burkart, Ehetrennung und der Staatsvertrag von St. Germain, in: Zentralblatt für die Juristische Praxis 42 (1924), S. 534 – 543, hier S. 534; Köstler, Religion und Religionsgenossenschaft (Anm. 25), S. 404 f.; Hans Klecatsky/Hans Weiler (Hrsg.), Österreichisches Staatskirchenrecht, Wien 1958, S. 49 f.; Inge Gampl/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1. Bd., Wien 1993, S. 59; Stefan Schima, Die Rechtsgeschichte der „Konfessionslosen“: der steinige Weg zur umfassenden Garantie der Religionsfreiheit in Österreich, in: Jos C. N. Raadschelders (Hrsg.), Staat und Kirche in Westeuropa in verwaltungshistorischer Perspektive (19./20. Jh.), Baden-Baden 2002, S. 97 – 124, hier S. 114; Im autoritären Ständestaat erfolgte durch die Verfassung 1934 (BGBl 1934 II Nr. 1) wohl eine
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Diese Schutzbestimmung traf auf die im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger32 enthaltenen grundrechtlichen Religionsfreiheitsverbürgungen. Art. 14 enthält die individualrechtliche Komponente: Jedermann wird die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet (Abs. 1). Der „Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist vom Religionsbekenntnis unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen“ (Abs. 2) und – Fokussierung auf die negative Religionsfreiheit – „Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, insofern er nicht der nach dem Gesetze hierzu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht“ (Abs. 3). Art. 15 gewährleistet die korporative Religionsfreiheit: „Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.“ Art. 16 StGG beschränkt die Anhänger nicht anerkannter Religionsbekenntnisse auf die häusliche Religionsausübung. Art. 63 Abs. 2 VSG erweitert mit der Garantie der öffentlichen und privaten Religionsausübung ohne Beschränkung auf Angehörige von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften den Schutzumfang der Religionsfreiheit des StGG.33 Da damit Art. 16 StGG seinen Bedeutungsgehalt verlor, ist von einer materiellen Derogation34 auszugehen. Eine weitere wesentliche religionsfreiheitliche Gewährleistung erfolgte 1964 mit der rückwirkenden Aufnahme der EMRK in das Verfassungsrecht.35 Damit trat Art. 9 EMRK – Verbürgung der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit – zu den Art. 14 und 15 StGG und Art. 63 Abs. 2 VSG hinzu.36 Eine gleichartige GewährleisÜbernahme von Abschnitt V des III. Teils des VSG (Art. 181 Verfassung 1934), doch distanzierte sich der Bundesgerichtshof deutlich von der Judikatur von VwGH und VfGH. So wurde etwa der Übertritt in die Konfessionslosigkeit nicht einem Religionswechsel gleichgehalten, auch wurde das Recht der Eltern auf Nachfolge ihrer Kinder in die Konfessionslosigkeit bestritten (Sammlung der Erkenntnisse, Beschlüsse und Rechtssätze des Bundesgerichtshofs 552/1935). 32 RGBl 142/1867. 33 Rudolf Köstler, Die religionspolitischen Bestimmungen des Friedensvertrages, in: ZÖR II (1921), S. 325 – 335. 34 Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 42 ff. 35 BGBl 59/1964. 36 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 34), S. 50 ff.; Julia Lemonia Raptis, Religions- und Weltanschauungsfreiheit, in: Gregor Heißl (Hrsg.), Handbuch Menschenrechte, Wien 2009, S. 334 – 350; Johannes Hengstschläger/David Leeb, Grundrechte, Wien 32018, S. 225 – 241; Georg Lienbacher, Religiöse Rechte, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. VII/1. Grundrechte in Österreich, Heidelberg/Wien, S. 319 – 349; Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München/Basel/Wien 62016, S. 359 ff.; Stefan Schima, Die Entfaltung der Religi-
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tung enthält seit dem Vertrag von Lissabon, in Kraft getreten mit 1. Dezember 2009, die Grundrechtecharta der Europäischen Union mit Art. 10 Abs. 1.37 Art. 63 Abs. 2 VSG enthält eine ausdrückliche Schrankenregelung, wonach die Übung von Glauben, Religion oder Bekenntnis nur insoweit geschützt ist, als sie nicht mit der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten unvereinbar ist. Der VfGH vermeidet in seiner jüngeren Judikatur eine isolierte Betrachtungsweise der einzelnen Grundrechtsgewährleistungen. Er hält fest, dass „Art. 14 StGG durch Art. 63 Abs. 2 Staatsvertrag v. St. Germain ergänzt wird und die dort genannten Schranken in Art. 9 Abs. 2. EMRK näher umschrieben werden“38. Art. 63 Abs. 2 VSG enthält eine Schrankenregelung, wonach die Übung von Glauben, Religion oder Bekenntnis nur insoweit geschützt ist, als sie nicht mit der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten unvereinbar ist. Bei Auslegung der „öffentlichen Ordnung“ stellt der VfGH auf den „Inbegriff der die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken ab“39 und spezifizierte in seinem „Schächtenerkenntnis“, dass die Zulässigkeit des Grundrechtseingriffs im Hinblick auf das Günstigkeitsprinzip des Art. 53 EMRK anhand des Schrankenvorbehalts des Art. 63 Abs. 2 VSG zu beurteilen ist, „allerdings wird der Schrankenvorbehalt des Art. 63 Abs. 2 StV St Germain durch die Verfassungsnorm des Art. 9 EMRK näher konkretisiert“. Die öffentliche Ordnung umfasst „nur Regelungen, die für das Funktionieren des Zusammenlebens der Menschen im Staate wesentlich sind“. Unvereinbar mit der öffentlichen Ordnung sind „nur Handlungen, die das Zusammenleben der Menschen im Staat empfindlich stören“. Die guten Sitten „bezeichnen nur jene allgemein in der Bevölkerung verankerten Vorstellungen von einer ,richtigen‘ Lebensführung, die durch ausdrückliche gesetzliche Anordnung geschützt sind“.40 In der Entscheidung über die Zulässigkeit der Anbringung von Kreuzen in NÖ Kindergärten spezifizierte der VfGH seine Ansicht mit dem Ergebnis, dass alle in Art. 9 Abs. 2 genannten Eingriffsziele unter die Eingriffsziele des Art. 63 Abs. 2 VSG subsumiert werden und einen Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit rechtfertigen können.41 onsfreiheit in Österreich von der Dezemberverfassung bis heute. Einblicke in die letzten 150 Jahre, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, Wien 2018, S. 3 – 47. 37 Christoph Bezemek, Art 10 GRC in: Michael Holoubek/Georg Lienbacher (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union. GRC-Kommentar (Wien 22019), S. 236 – 245. 38 Z. B. VfSlg 10547/1985; 13513/1993, 15394/1998. 39 „Leitentscheidung“ VfSlg 2944/1955; Klecatsky/Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 31), S. 50. Gampl/Potz/Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 31), S. 76 – 84. 40 VfSlg 15394/1998. 41 VfSlg 19349/2011.
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Plausibel erscheint die Argumentation von Ermacora und vor allem Müller und ihm folgend Grabenwarter42, die in der Schranke des Art. 63 Abs. 2 VSG einen allgemeinen ordre-public-Vorbehalt sehen, eine Interpretation, die auch durch den Wortlaut der heranzuziehenden französischen Fassung (Art. 381 VSG) gestützt wird. Ein Gleichbehandlungs- und Diskriminierungsverbot sieht Art. 66 und 67 VSG vor. Art. 66 Abs. 1 VSG statuiert die Gleichheit aller österreichischen Staatsbürger ohne Unterschied der Rasse, der Sprache oder Religion und räumt ihnen dieselben bürgerlichen und politischen Rechte ein. Unterschiede in Religion, Glauben und Bekenntnis sollten keinem österreichischen Staatsangehörigen beim Genuss der bürgerlichen oder politischen Rechte nachteilig sein, insbesondere bei der Zulassung zu öffentlichen Stellungen, Ämtern und Würden oder bei den verschiedenen Berufs- und Gewerbetätigkeiten (Abs. 2). Weiters dürfen keinem österreichischen Staatsangehörigen „im freien Gebrauch irgendeiner Sprache im Privat- oder Geschäftsverkehr, in Angelegenheiten der Religion, der Presse oder irgend einer Art von Veröffentlichungen oder in öffentlichen Versammlungen, Beschränkungen“ auferlegt werden. Art. 67 VSG räumt österreichischen Staatsbürgern, die einer Minderheit nach Rasse, Sprache oder Religion angehören, „rechtliche und faktische Gleichbehandlung“ ein, insbesondere wird ihnen das gleiche Recht zuerkannt, auf eigene Kosten karitative, religiöse und soziale Einrichtungen sowie Schulen und andere Erziehungsanstalten zu errichten, zu leiten und zu beaufsichtigen und in ihnen ihre Sprache frei zu gebrauchen und ihre Religion frei auszuüben. Art. 68 Abs. 2 sieht vor, dass in Städten und Bezirken43 mit rassischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten in verhältnismäßig beträchtlicher Anzahl diesen ein angemessener Teil an dem Genuss und der Verwendung der Summen sichergestellt werden muss, die in staatlichen, kommunalen oder anderen Haushaltsplänen für Zwecke der Erziehung, der Religion oder der Wohlfahrt vorgesehen sind.
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Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte, Wien 1963, S. 367; Rudolf Müller, Über Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Schächtens, in: Bernd-Christian Funk/Gerhard Holzinger/Hans Klecatsky/Karl Korinek/Wolfgang Mantl/ Peter Pernthaler (Hrsg.), Der Rechtsstaat vor neuen Herausforderungen. Festschrift für Ludwig Adamovich, Wien 2002, S. 246 – 263; Christoph Grabenwarter, Art. 63 Abs. 2 StV St. Germain, in: Karl Korinek/Michael Holoubek/Christoph Bezemek/Claudia Fuchs/Andrea Martin/Ulrich Zellenberg (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 7. Lfg (2005), Rz 11 f. 43 Unter Städte und Bezirke („villes et districts“) sind nicht – so eine einengende Interpretation – Verwaltungsbezirke im staatsrechtlichen Sinne, sondern die von den Angehörigen der Minderheiten bewohnten Siedlungsgebiete gemeint, vgl. Franz Sturm, Die Minderheiten und der Volksgruppenschutz – Art. 19 StGG; Art. 66 bis 68 StV Saint-Germain; Art. 8 B-VG; Art 7 StV 1955, in: Rudolf Machacek/Willibald Pahr/Gerhard Stadler (Hrsg.), 40 Jahre EMRK. Grund- und Menschenrechte in Österreich, 2. Bd.: Wesen und Werte, Kehl/Straßburg 1992, S. 77 – 111, hier S. 95; Dieter Kolonovits, Verpflichtung zur finanziellen Förderung der Minderheiten aus der „Staats-Gemeinde und anderen Budgets“, in: migralex (2005), S. 2 ff.
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Diesen „fördernden Minderheitenschutz“ lehnte die Friedensdelegation ab und wollte in ihrem Gegenvorschlag den Minderheiten nur einräumen, „auf Grund von gesetzlichen Bestimmungen über ihre Organisation … besondere Taxen festzulegen und von ihren Mitgliedern einzuheben, und zwar gemäß dem Vermögensstande und nach Maßgabe der Verteilung der bestehenden Abgaben“. Dieser Vorschlag sei gerechtfertigt, „um die allgemeinen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu schützen“ und verhindere eine „Verzettelung der öffentlichen Mittel“44. Der Schutzumfang der Gleichheitsverbürgung war auf verfassungsrechtlicher Ebene bereits weitgehend in den Verbürgungen des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder enthalten45, doch erfolgte die einfachgesetzliche Umsetzung einer damit notwendigen Entkonfessionalisierung nur schleppend. Folgerichtig waren Verletzungen der Religionsbestimmungen auch Gegenstand von Völkerbundpetitionen, eingebracht wurden sie vom Freidenkerbund Österreich, vom Ehereformverein und von der Altkatholischen Kirche. Sie betrafen das konfessionell geprägte Eherecht sowie das Schulrecht.46 Zentraler Punkt der Beschwerden im Eherecht war die Unauflöslichkeit der Katholikenehen im staatlichen Recht. Eherecht: Während sich die Republik Deutschösterreich auf der Ebene des Verfassungsrechts eine neue Ordnung gab, übernahm die Provisorische Nationalversammlung unterhalb der Verfassungsebene grundsätzlich die Rechtsordnung Cisleithaniens. Übernommen wurde damit auch das sogenannte „altösterreichische Eherecht“, eingehandelt hatte man sich eine – rechtsvergleichend betrachtet – familienrechtliche Modernitätsverzögerung inklusive engagierter, aber ergebnislos gebliebener Reformdiskurse. Dieses altösterreichische Eherecht ist ein Produkt des neuzeitlichen Ausdifferenzierungsprozesses von Staat und Kirche. Der grundlegende Wandel wurde durch Joseph II. vollzogen, der auf der Folie der Distinktionstheorie – Trennung zwischen Ehesakrament und Vertrag – im Ehepatent 1783 die staatliche Hoheit für den Vertrag beanspruchte. Die Grundsätze des Josephinischen Eherechts wurden in das ABGB
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Bericht über die Tätigkeit der österreichischen Friedensdelegation in St. Germain-enLaye, 1. Bd., S. 347. 45 Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Art. 66/2 StV St. Germain, in: Karl Korinek/Michael Holoubek/Christoph Bezemek/Claudia Fuchs/Andrea Martin/Ulrich Zellenberg (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 7. Lfg (2005), Rz 2; Markus Vasˇek, Art 66 StV von St. Germain in: Benjamin Kneihs/Georg Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 9. Bd., 21. Lfg. (Wien 2018). 46 Herbert v. Truhart, Völkerbund und Minderheitenpetitionen, Wien/Leipzig 1931, S. 158 f.; Martin Scheuermann, Minderheitenschutz contra Konfliktverhütung. Die Minderheitenpolitik des Völkerbundes in den zwanziger Jahren, Marburg 2000, S. 202 – 207.
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1811 übernommen und mündeten in ein dreifach gegliedertes Eherecht für Katholiken, „nicht katholische christliche Religionsverwandte“ und für Juden. Was sind die prägenden Leitlinien dieses altösterreichischen Eherechts? Das Eherecht war ein patriarchalisches, dem bürgerlichen Familienmodell verpflichtet, ein Befund, der sich aus der Zusammenschau von Rechtswirkungen der Ehe, wie des Ehegüterrechts, unmissverständlich ergibt. Weiters: Keine obligatorische Zivilehe: „Die feyerliche Erklärung der Einwilligung“ – so § 75 ABGB – „muß vor dem ordentlichen Seelsorger eines der Brautleute, er mag nun, nach Verschiedenheit der Religion, Pfarrer, Pastor oder wie sonst immer heißen oder von dessen Stellvertreter in Gegenwart zweyer Zeugen geschehen“. Wenn auch die Seelsorger als Staatsorgane handelten, wurde dadurch keine von der Kirche unabhängige Form der Eheschließung geschaffen. Für vorliegenden Kontext entscheidend: Das Eherecht mit seiner konfessionellen Dreiteilung ist materiell einem kirchlich bestimmten Leitbild verpflichtet, dramatisch sichtbar im Scheidungsrecht. Das ABGB unterschied zwischen Scheidung von Tisch und Bett (§§ 103 ff) und der Ehetrennung (§§ 115 ff). Mit der Scheidung wurde nur die häusliche Gemeinschaft aufgelöst, eine Wiederverheiratung war nicht möglich. Demgegenüber bewirkte die Trennung die Auflösung des Ehebandes und ermöglichte das Eingehen einer weiteren Ehe. Eine Ehetrennung wurde aber nur gestattet, wenn die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht-katholische Christen oder Juden waren – damit war die absolute Unauflöslichkeit der Katholikenehe besiegelt, zusätzlich noch verstärkt durch das impedimentum catholicismi: Dieses verhinderte, dass ein Nichtkatholik zu Lebzeiten seines getrennten Ehepartners einen Katholiken heiraten durfte. In Umgehung dieser strengen Bestimmungen für Katholikenehen kam seit 1919, initiiert durch den Landeshauptmann von Niederösterreich Albert Sever die Übung auf, vom Hindernis des Ehebandes auf administrativem Weg allgemein zu dispensieren, um Katholiken die Möglichkeit einer zweiten Ehe einzuräumen. Diese sog. Dispens- oder Severehen führten zu dem berüchtigten „Ehewirrwarr“ in der 1. Republik. Die Unauflöslichkeit der Katholikenehe sowie der damit verbundene Ehewirrwarr, Stichwort „Severehe“, war Anlass für die erwähnten Völkerbundpetitionen, die auf eine Verletzung der in den Minderheitenschutzbestimmungen verbürgten religionsrechtlichen Gewährleistungen abstellten.47 47 Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918 – 1938, Frankfurt a. M. 1999; Christian Neschwara, Hans Kelsen und das Problem der Dispensehen, in: Robert Walter/Werner Ogris/Thomas Olechowski (Hrsg.), Hans Kelsen. LebenWerk-Wirklichkeit, Wien 2009, S. 246 – 263; Herbert Kalb, Das Eherecht in der Republik Österreich 1918 – 1978, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, 2012, S. 27 – 43; Stefan Schima, Das Eherecht des ABGB, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, 2012, S. 13 –
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Schulrecht: § 48 Abs. 2 Reichsvolksschulgesetz i. d. F. RGBl 53/1883 sah vor, dass als „verantwortlicher Schulleiter“ nur solche Lehrpersonen bestellt werden können, „welche auch die Befähigung zum Religionsunterricht … jenes Glaubensbekenntnisses nachweisen, welchem die Mehrzahl der Schüler der betreffenden Schule … angehört“. Öffentlichkeitswirksam im Schulrecht wurde der Fall Mittellehner. Dem Bürgerschullehrer Mittellehner wurde als Protestant die Erlangung einer Schulleiterstelle verwehrt, da die Mehrheit der Schüler Katholiken waren. Demgegenüber ging der VfGH in einem Erkenntnis aus 1925 bemerkenswerterweise von einer Derogation des § 48 Abs. 2 Reichsvolksschulgesetz durch die religionsrechtlichen Gleichheitsverbürgungen der Minderheitenschutzbestimmungen des VSG aus.48 Diese Lösung ging auf Hans Kelsen zurück. Der mit dem Fall befasste Adolf Menzel, Vizepräsident des VfGH, schlug nämlich – dies wäre die „Standardlösung“ gewesen – die Abweisung der Beschwerde vor. Dagegen opponierte Kelsen mit dem Hinweis, dass damit auch alle konfessionslosen Lehrer von der Leitung ausgeschlossen seien und schlug den Weg über die Derogation durch den VSG vor, eine Lösung, die dem VfGH die Aufhebung des § 48 Abs. 2 Reichsvolksschulgesetz ersparte.49 Der Völkerbund stellte seine Untersuchungen ein. Im Dreierkomitee setzte sich im Hinblick auf die religionsbezogenen Petitionen die Meinung durch, die Verträge seien zur Gewährleistung der Zumutbarkeit für die Staaten eng auszulegen und interkonfessionelle Interventionen könnten zur Verstärkung derartiger Konflikte in anderen Staaten führen.50
III. Gräberfürsorge Die bis zur Pariser Friedenskonferenz einschlägigen völkerrechtlichen Vorgaben waren in ihrer Berücksichtigung der Bestattungen von Gefallenen noch vage und lückenhaft, im Vordergrund stand der Umgang mit den Verwundeten. Resümierend konstatiert Jakob Böttcher drei Entwicklungen. Erstens den „Grundsatz der Gleichbehandlung der Toten als humanitäres Prinzip“, zweitens die Anwendung des Territorialitätsprinzips, „ein Modus …, der die Verantwortung für die Toten anhand der Geländehoheit über das umkämpfte Territorium bestimmte“, und drittens die Einforderung von „administrativen Strukturen, die es ermöglichen sollten, das Kriegs26; Ursula Floßmann/Herbert Kalb/Karin Neuwirth, Österreichische Privatrechtsgeschichte, Wien 82018, S. 99 ff. 48 VfGH Erkenntnis v. 19. 10. 1925, B 25/25. 49 Ewald Wiederin, Jüdische Bevölkerung und verfassungsrechtliche Lage 1918 bis 1938, in: Gertrude Enderle-Burcel/Ilse Reiter-Zatloukal (Hrsg.), Antisemitismus in Österreich 1933 – 1938, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 97 – 109. 50 Scheuermann, Minderheitenschutz (Anm. 46), S. 202 ff.
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schicksal eines jeden einzelnen Soldaten und den Verbleib seines Grabes zu bestimmen“.51 Die Pariser Friedenskonferenz markiert einen einschneidenden Wendepunkt in der Entwicklung der Kriegsgräberfürsorge. Erstmals wurde sie in einem multilateralen Vertrag als eigenständiger Themenbereich verortet und bestimmte mit den getroffenen Festlegungen die weitere einschlägige völkerrechtliche Entwicklung. Die beiden Artikel legen auf der Basis des Territorialprinzips für die alliierten und assoziierten Regierungen und die österreichische Regierung die Verpflichtung für eine aktive Grabpflege fest: Die Kriegsgräber der auf ihrem Gebiet beerdigten Heeres- und Marineangehörigen sind mit Achtung zu behandeln und instand zu halten. Diese Verpflichtung gilt auch für die Grabstätten der in Gefangenschaft verstorbenen, den verschiedenen kriegführenden Staaten angehörigen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten (Art. 171 Abs. 1, 172 Abs. 1). Weiters wird die wechselseitige Anerkennung und Unterstützung der jeweiligen Kriegsorganisationen vereinbart (Art. 171 Abs. 2). Ebenso sind „Wünsche wegen Überführung der irdischen Reste ihrer Heeres- und Marineangehörigen in die Heimat … gegenseitig nach Möglichkeit zu erfüllen“ (Art. 171 Abs. 3). Abschließend sieht Art. 172 Abs. 3 für die alliierten und assoziierten Regierungen und die Österreichische Regierung vor, einander eine vollständige Liste der Verstorbenen mit allen zur Feststellung der Person dienlichen Angaben, sowie alle Auskünfte über Zahl und Ort der Gräber sämtlicher Toten, die ohne Feststellung der Person beerdigt worden sind, zu übermitteln. Die Umsetzung erfolgte im Zusammenwirken staatlicher Stellen und der 1919 gegründeten privaten Kriegsgräberfürsorgevereinigung „Österreichisches Schwarzes Kreuz“.52 In den Jahren 1919/20 entstanden auch in anderen europäischen Staaten Vereine für die Kriegsgräberfürsorge. Pläne für die Schaffung einer „Internationalen Kriegsgräberfürsorge“ mit Sitz in Genf und in enger Verbindung mit dem Völkerbund wurden aber nicht verwirklicht.53 Eine bedeutende Rolle im militärischen Totenkult übernahm in der ersten Republik die Katholische Kirche, vor allem das Allerheiligenfest entwickelte sich zu einem Brennpunkt militärischer Totenehrung. Der
51 Jakob Böttcher, Zwischen staatlichem Auftrag und gesellschaftlicher Trägerschaft. Eine Geschichte der Kriegsgräberfürsorge in Deutschland im 20. Jahrhundert, Göttingen 2018, S. 43. 52 Otto Jaus, Österreichisches Schwarzes Kreuz/Kriegsgräberfürsorge – gestern und heute, in: Österreichisches Schwarzes Kreuz (Hrsg.), Österreichisches Schwarzes Kreuz. Kriegsgräberfürsorge, Wien 1987, S. 9 – 21; ausführlich Thomas Reichl, „Das Kriegsgräberwesen Österreich-Ungarns im Weltkrieg und die Obsorge in der Republik Österreich“. Das Wirken des Österreichischen Schwarzen Kreuzes in der Zwischenkriegszeit, Diss. masch. Wien 2007, online unter: http://othes.univie.ac.at/237/ (eingesehen am 07. 08. 2019). 53 Alexander Wessely, „Bestattungsrecht für Gefallene. Zur Frage der kirchlichen Bestattung“, Diss. theol., Wien 2017, S. 94 ff., online unter: http://othes.univie.ac.at/49223/ (eingesehen am 07. 08. 2019).
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Allerseelentag wurde „zum inoffiziellen Volkstrauertag für die Gefallenen des Krieges“54.55
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Reichl, Kriegsgräberwesen (Anm. 52), S. 31. Der Vollständigkeit halber soll noch auf Art. 376 VSG – entspricht Art. 438 Vertrag v. Versailles – verwiesen werden: Danach kommen die alliierten und assoziierten Mächte überein, „daß, soweit österreichische Gesellschaften oder österreichische Personen auf ihrem oder ihrer Regierung gemäß dem gegenwärtigen Vertrag anvertrautem Gebiet religiöse christliche Missionen unterhalten haben“ , das Eigentum weiter für Missionszwecke verwendet werden soll. Das Eigentum wird Verwaltungsräten des gleichen religiösen Bekenntnisses, die von der betreffenden verbündeten Regierung ernannt oder bestätigt werden, ausgeantwortet. 55
Joseph Anton Schöpf – ein Salzburger Kanonist im Kampf gegen den Antisemitismus Von Alfred Rinnerthaler
I. Die Wiederansiedlung von Juden in der Stadt Salzburg Das Erzstift Salzburg war nie in seiner Geschichte ein Ort religiöser Toleranz. Die Einheit von weltlicher und kirchlicher Gewalt machte dies praktisch unmöglich, gehörte es doch zu den Aufgaben des jeweiligen Fürsterzbischofs, für die religiöse Geschlossenheit seines Territoriums Sorge zu tragen. Es ist daher keineswegs überraschend, dass Erzbischof Leonhard von Keutschach (1495 – 1519) im Jahr 1498 die „Verbannung der Juden aus dem Erzstift Salzburg für immer und ewige Zeiten“1 verfügte. Nach vielfältigen Diskriminierungen und Verfolgungen in der Zeit davor waren es in der Stadt Salzburg nur fünf und in Hallein drei Juden, die einen Revers unterzeichnen mussten, in dem sie sich verpflichteten, nie wieder das Erzstift Salzburg zu betreten.2 In den folgenden Jahrhunderten durften Juden das Erzstift Salzburg nur gegen Bezahlung eines „Judenleibzolls“ betreten, zuzüglich zur Zahlung von Waren- und Wegmauten für die Güter, die sie mit sich führten. Betrat ein Jude die Stadt Salzburg, dann musste ihn – gegen Bezahlung – stets ein Gerichtsdiener begleiten. Ein längerer Verbleib oder gar eine Niederlassung von Juden im Erzstift Salzburg war völlig ausgeschlossen. Eine fühlbare Verbesserung für die Juden erfolgte erst unter Erzbischof Hieronymus Joseph Franz de Paula Graf von Colloredo3 (1772 – 1812). Auf einer Europareise im Jahr 1786 demonstrierte er in Amsterdam seine aufgeklärte und religiös tolerante Haltung gegenüber den Juden: „In der deutschen Synagoge, die der Erzbischof be1 Salzburgs wiederaufgebaute Synagoge. Festschrift zur Einweihung, Salzburg 1968, S. 85. Zu Leonhard von Keutschach siehe Franz Ortner, Salzburgs Bischöfe in der Geschichte des Landes (696 – 2005) (= Wissenschaft und Religion, 12), Frankfurt a. M. 2005, S. 179 – 184 (mit weiteren Literaturhinweisen). 2 Heinz Dopsch, Die Salzburger Juden im Mittelalter bis zu ihrer Ausweisung 1498, in: Helga Embacher (Hrsg.), Juden in Salzburg. History Cultures Fates, Salzburg 2002, S. 23 – 37, hier S. 30 f. 3 Ortner, Salzburgs Bischöfe (Anm. 1), S. 265 – 273 (mit weiteren Literaturhinweisen); ebenso Alfred Stefan Weiß, Hieronymus Graf Colloredo (1732 – 1812) – geistlicher und weltlicher Herrscher, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde (MGSLK), Bd. 144 (2004), S. 225 – 250.
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suchte, nannten die Juden in ihrem Gebete für regierende Häupter auch den Herzog von Salzburg, Fürsten Colloredo, mit seinem Gefolge und begleiteten ihn unter tausend Segenswünschen an den Wagen.“4 So weit wie sein großes Vorbild, Kaiser Joseph II., ging der Salzburger Landesfürst jedoch nicht. Die Juden wurden keine tolerierte Religionsgemeinschaft im Erzstift Salzburg, Colloredo übernahm keines der in den k. k. Erbländern geltenden Judenpatente für sein Territorium. Ihm ist jedoch die am 3. September 1791 erfolgte Abschaffung des Judenleibzolls in Salzburg zu verdanken; diese erfolgte aufgrund eines konkreten Anlassfalles, basierend auf Gutachten der Polizeibehörde, des Hofrates und der Hofkammer. Auch die Begleitung der Juden durch einen Gerichtsdiener wurde abgeschafft und die Judenzolltafeln an den Grenzstationen entfernt. Die Handelsbeschränkungen für Juden und das Niederlassungsverbot blieben jedoch aufrecht.5 Auch nach dem Ende des Erzstifts verbesserten sich die Rahmenbedingungen für Juden nur unmerklich. Zwar durften sie in der Zeit der Zugehörigkeit Salzburgs zu Bayern (1810 – 1816) zu den „Jahrmärkten, den ,Salzburger Dulten‘“ ihre Waren allgemein anbieten und zu diesem Zweck anstandslos in Salzburger Gasthöfen und Hotels wohnen, eine Niederlassungsfreiheit wurde ihnen aber durch das bayerische Judenedikt vom 10. Juni 1813 nicht zugestanden. Wenn auch den Juden in diesem Edikt die bürgerlichen Rechte eingeräumt und Gewissensfreiheit gewährt wurde, so waren davon nur diejenigen Glaubensgenossen betroffen, „welche das Indigenat in unseren Staaten auf gesetzliche Weise erhalten haben (§1)“. In Salzburg gab es aber keine Juden, die in den Genuss des Edikts hätten kommen können. Zudem hatte auch der § 13 des Edikts vorgesehen, dass „die Ansässigmachung in Orten, wo noch keine Juden sind“, nur von der allerhöchsten Stelle bewilligt werden könne.6 Durch den endgültigen Anfall Salzburgs an Österreich im Jahr 1816 verschlechterte sich sogar vorübergehend die Lage der Juden, da das königlich-bayerische Judenedikt im Jahr 1817 ausdrücklich aufgehoben wurde. Damit traten die vorher im Land Salzburg geltenden Restriktionen gegenüber den Juden wiederum in Kraft.7 Erst durch die Dezemberverfassung, insbesondere durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867, wurde die israelitische Religionsgemeinschaft zu einer gesetzlich voll anerkannten (nicht nur tolerierten) Religionsgemeinschaft in Österreich und alle zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden lokalen Niederlassungsbeschränkungen galten als aufgehoben. Dies ermöglichte es Albert Pollak, sich als erster Jude in Salzburg dauerhaft niederzulassen. Im heutigen burgenländischen Mattersburg – damals Matersdorf in Un4 Adolf Altmann/Günter Fellner/Helga Embacher, Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg von den frühesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Salzburg 1990, S. 239. 5 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 251. 6 Das „Edikt vom 10. Juni 1813 über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern“ findet man online unter: www.rijo.hompage.t-online.de/pdf/DE_BY_JU_ edikt.pdf. In Salzburg wurde dieses Edikt am 23. Juli 1813 im kgl. Kreisamtsblatt in der Nr. 89 publiziert. 7 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 269 – 273.
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garn – geboren, war Pollak 1856 als Soldat (59. Inf.Regiment Erzherzog Rainer) nach Salzburg gekommen. Nach seiner Abmusterung im Jahr 1862 plante er, in Salzburg zu bleiben und die Stadt an der Salzach zu seinem künftigen Lebensmittelpunkt zu machen. Zu diesem Zweck erwarb er im Zuge der 1859 erfolgten Liberalisierung des Gewerberechts eine Konzession für „neue Gold- und Silberwaren, Uhren und Prätiosen“, die es ihm ermöglichen sollte, in der Stadt Salzburg einen kleinen Laden aufzumachen.8 Die Konzession wurde am 2. Juli 1862 anstandslos erteilt. Kaum hatte Pollak einen kleinen Laden für sein Gewerbe und eine bescheidene Wohnung gefunden, wurde er polizeilich zum Bürgermeister der Stadt Salzburg zitiert, der ihn wie folgt instruierte: „Ich habe gehört, dass Sie sich hier niederlassen und ein Geschäft betreiben wollen, sogar auch schon Laden und Wohnung gemietet haben. Wissen Sie denn nicht, dass ein Jude in Salzburg eigentlich nicht einmal übernachten darf? Ihre Niederlassung kann nicht geduldet werden.“ Pollak musste daraufhin Salzburg verlassen, bis ihm der Erlass der Dezemberverfassung die Möglichkeit bot, nach Salzburg zurückzukehren.9 Ob sich dies tatsächlich so ereignet hat, darüber kann man aufgrund der Quellenlage durchaus Zweifel hegen. So suchte Albert Pollak am 22. Mai 1867 – also mehr als ein halbes Jahr vor Inkrafttreten der Dezemberverfassung – erneut beim Salzburger Gemeindeamt um Verleihung einer Konzession an, diesmal für das „Tändler-(Trödler-)Gewerbe“. Er selbst bezeichnet sich in diesem Ansuchen als „Goldwaarenhändler“, wohnhaft in Salzburg Nr. 527. In seinem Gesuch spricht er auch von einem „langjährigen hiesigen Aufenthalt“, im Zuge dessen er sich die „nöthigen Lokal- u. fachlichen Kenntnisse angeeignet habe“. Da wider den Antragsteller nichts Nachteiliges vorlag, wurde ihm mit Datum vom 6. Juni 1867 die erbetene Trödlerkonzession erteilt.10 Dem Beispiel Pollaks folgend, ließen sich in der Folge weitere Juden in Salzburg nieder. Die ersten waren Verwandte und Bekannte Pollaks aus Matersdorf, denen weitere Familien aus Böhmen und Mähren folgten. Mit Stichtag 28. Jänner 1881 zählte man in der Stadt 78 Juden, davon 46 Kinder.11 Das damals herrschende liberale Klima in der Stadt Salzburg ermöglichte nicht nur die Ansiedlung dieser ersten Juden, sondern auch für Albert Pollak – nach Ablegung der ungarischen und Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft – die Aufnahme in den Gemeindever-
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Helga Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde von ihrer Neugründung im Liberalismus bis zur Gegenwart, in: Embacher, Juden in Salzburg (Anm. 2), S. 38 – 66, hier S. 38; Daniela Ellmauer/Helga Embacher/Albert Lichtblau (Hrsg.), Geduldet, geschmäht und vertrieben. Salzburger Juden erzählen, Salzburg 1998, S. 23 – 36; Albert (Awraham) Pollak – eine Annäherung, in: Marko M. Feingold (Hrsg.), Ein ewiges dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg, Wien/Köln/Weimar 1993, S. 18 – 29. 9 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 275. 10 Das Gesuch vom 22. Mai 1867 findet man abgedruckt in: Albert (Awraham) Pollak (Anm. 8), S. 18 – 21. 11 SLA 1881 XI B – 1702, Ausweis über die in der Stadt Salzburg lebenden Israeliten vom 28. Jänner 1881, abgedruckt in: Feingold, Ein ewiges dennoch (Anm. 8), S 33 f.
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band der Stadt Salzburg (Gemeinderatsbeschluss vom 22. Jänner 1872) und die Verleihung des Bürgerrechtes (7. Dezember 1873).12 Diese ersten Juden in Salzburg wurden durch eine Ministerialverordnung vom 27. Mai 1876 der Linzer jüdischen Gemeinde zwecks religiöser Betreuung zugewiesen. Da sie mit dieser Zuweisung beziehungsweise einer im Raum stehenden völligen Einverleibung nicht einverstanden waren, bemühte sich die Salzburger Judenschaft, eine eigene Infrastruktur in Form eines eigenen Bethauses, Lehrers, Vorbeters usw. aufzubauen. Der Weg zu einer eigenen Gemeinde schien damit vorgezeichnet, was auch staatlicherseits anerkannt wurde, indem mittels Ministerialerlass vom 17. Jänner 1893, Zl. 26070 ex 1892, angeordnet wurde, die Matrikenführung weiterhin in Linz zu belassen, jedoch für die Salzburger Juden eigene Matrikenbücher anzulegen. Die Leitungsfunktion über die Salzburger Juden übte ein „geschäftsführendes Komitee der israelitischen Kultusgemeinde Linz in Salzburg“ aus, das aus einem gewählten fünfköpfigen Kollegium bestand.13 In der Folge gründeten die Salzburger Israeliten ein Tempelbau-Komitee, das die Errichtung eines geeigneten Sakralraumes zum Ziel hatte. Dieses Komitee erwarb 1893 einen Baugrund in der Lasserstraße, wo in nur wenigen Monaten ein einfacher aber optisch ansprechender Synagogenbau errichtet wurde. Die grundbücherliche Einverleibung musste allerdings auf den Namen des jüdischen Professors an der Gewerbeschule Salzburg, Gottlieb Winkler, erfolgen, da man der jüdischen Gemeinde als solcher keinen Baugrund verkaufen wollte. Auch fand sich kein christlicher Baumeister, der eine Synagoge errichtet hätte, und der Bau selbst durfte nur in Form eines zurückversetzten Gebäudes, also ohne Straßenfront, errichtet werden. 1893 wurde eine Begräbnisbruderschaft (Chewra-Kadischa) errichtet, die in Aigen ein geeignetes Grundstück für einen jüdischen Friedhof ankaufte, der noch im selben Jahr angelegt wurde. Selbst diese Errichtung stieß auf den Widerstand des katholischen Umfeldes, diesmal der Gemeinde Aigen, die allerdings vergeblich argumentierte, dass „ein jüdischer Friedhof in Aigen die Gefühle der katholischen Bevölkerung dortselbst verletzen würde.“ Als erster Jude wurde Rudolf Fürst auf dem neuen Friedhof bestattet. Er war zwar bereits am 4. Dezember 1892 verstorben und zunächst auf dem Salzburger Kommunalfriedhof bestattet worden. Nach Fertigstellung des jüdischen Friedhofs wurde er jedoch exhumiert und auf den Aigner Friedhof umgebettet.14 Da derart die wichtigsten Gemeindeeinrichtungen geschaffen worden waren, konnte man an die Einrichtung einer eigenständigen Kultusgemeinde in Salzburg denken. Erste Ansuchen bei der Salzburger Landesregierung in den Jahren 1902 und 1906 wurden allerdings negativ beschieden, da die Behörden angesichts der geringen Zahl von Salzburger Juden an der Lebensfähigkeit einer solchen Gemeinde
12 Antrag vom 18. Jänner 1873 und Beschluss vom 7. Dezember 1873, abgedruckt in: Albert (Awraham) Pollak (Anm. 8), S. 22 – 27. 13 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 281 – 285. 14 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 286 f.
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zweifelten.15 Erst als 1907 mit Adolf Altmann ein eigener Rabbiner für die kleine „Salzburger Filialgemeinde von Linz“ berufen wurde, fruchtete dieses Argument nicht mehr, weshalb einem weiteren Ansuchen aus dem Jahr 1908 – nach längerem Zögern – durch Verordnung des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 22. Februar 1911, Zl. 4603 ex 1910, endlich stattgegeben wurde. Mit der Wahl eines fünfköpfigen Kultusvorstandes16 unter der Leitung von Rudolf Löwy und der Genehmigung des Organisationsstatutes der Kultusgemeinde durch die Landesregierung wurde die Gemeindeerrichtung noch im selben Jahr 1911 zu einem positiven Abschluss gebracht.17 Die religiös-liberale Grundhaltung in den 60er- und 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurde in den 80er-Jahren abgelöst durch eine wachsende antisemitische Strömung, mit der die Salzburger Juden zu kämpfen hatte. Deren Ursachen waren nicht so sehr religiöser – so gibt es so gut wie keine Hinweise auf Kontroversen mit der katholischen Amtskirche – als vielmehr nationaler Art. Eine „Deutschtümelei“ hatte das katholisch dominierte Umfeld, das sich immer nachdrücklicher von der ohnehin gesellschaftlich kaum wahrnehmbaren Judengemeinde abzugrenzen suchte, ergriffen. Bezeichnend für diese Entwicklung ist das folgende Zitat Theodor Herzls, des späteren Zionistenführers, der als junger Jurist an den Gerichten in Wien und Salzburg tätig war: „In Salzburg erschien mir die Arbeit anziehender. … Ich wäre auch gerne in der schönen Stadt geblieben, aber als Jude wäre ich nie zur Stellung eines Richters befördert worden. Deshalb nahm ich damals von Salzburg und der Rechtsgelehrsamkeit Abschied.“18 Typisch für die ablehnende Haltung des katholischen Umfelds sind die bereits erwähnten Probleme beim Bau der Synagoge und des Friedhofs, die auf unübersehbare antijüdische Vorurteile in der katholischen Bevölkerung Salzburgs zurückzuführen waren. Selbst Albert Pollak, als der vermutlich gesellschaftlich am meisten akzeptierte Vertreter dieser Glaubensgemeinschaft, hatte mit diesen Ressentiments zu kämpfen, wurden ihm doch seine Geschäfts- und Wohnräume im Palais Überacker am Markartplatz gekündigt, da Graf Überacker keine Juden mehr in seinem Haus dulden wollte.19 Von katholischer Seite war es vor allem der Salzburger Kirchenrechtler und Kirchenhistoriker Joseph Anton Schöpf, der gegen die damalige Judenhetze energisch auftrat. Diese seine Haltung trug 15 Harry Slapnicka, Oberösterreich unter Kaiser Franz Joseph 1861 – 1918, Linz 1982, S. 295. 16 Diesem gehörten Rudolf Löwy, Dr. Julius Pollak, Ignaz Glaser, Ludwig Pollak und Wilhelm Popper an. 17 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 288 f. 18 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 277 f. Dieser Antisemitismus in Salzburg war nicht zuletzt Produkt einer aus Deutschland importierten „Stöcker’schen Judenhaßpolitik“, die auch hier die Gründung einer alldeutschen Schönerianer-Ortsgruppe zur Folge hatte. In den 90-er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde auch der Arierparagraph in vielen Vereinen de facto eingeführt und damit die Juden aus dem gesellschaftlichen Leben immer mehr ausgegrenzt. – Siehe Embacher, Die Salzburger jüdische Gemeinde (Anm. 8), S. 43 – 45. 19 Ellmauer/Embacher/Lichtblau, Geduldet, geschmäht und vertrieben (Anm. 8), S. 23.
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ihm einerseits den Dank von jüdischer Seite, andererseits aber auch heftige Anfeindungen sowohl aus dem alldeutschen als auch aus dem klerikalen Lager ein.20
II. Joseph Anton Schöpf – eine biographische Skizze Der am 3. Februar 1822 in der Gemeinde Umhausen im Ötztal (Tirol) geborene Joseph Anton Schöpf wurde am 10. März 1848 als Supplent des Faches Kirchengeschichte und ab 1849 auch als Supplent des Kirchenrechts am Salzburger Lyceum angestellt. Auf einer Klerusversammlung am 5. Juni 1848 stellte Kardinal Friedrich Fürst zu Schwarzenberg den jungen Geistlichen allen dort Anwesenden auch als Redakteur der neugegründeten „Salzburger Constitutionellen Zeitung“ vor. Da Schöpf als Journalist und Redakteur völlig unerfahren war, gab ihm der Salzburger Fürsterzbischof die folgende Mahnung mit auf dem Weg: „Vergessen Sie nie, dass Sie Geistlicher sind. Das Volk sieht in Ihnen nicht den Redacteur, sondern den Geistlichen, und erwartet, daß jeder Ihrer Artikel in Übereinstimmung sei mit den Grundsätzen unserer heiligen Religion.“21 Nicht immer konnte Schöpf in seinen Artikeln – getrieben von jugendlichem Reformeifer – der konservativen, ruhigen und sachlichen Linie des von Kardinal Schwarzenberg gegründeten Blattes gerecht werden. Als Schwarzenberg im Mai 1850 auf Wunsch des Kaisers zum Erzbischof von Prag ernannt wurde, bestellte der Kardinal am 5. August 1850 Schöpf zu sich und verabschiedete sich von ihm mit den Worten: „Sie haben mir viel Verdruß gemacht, aber Sie waren ein treuer uneigennütziger Diener.“22 Der Kardinal blieb Schöpf auch weiterhin gewogen und erinnerte sich auch an ein diesem im Jahr 1848 gegebenes Versprechen, dass er sich bemühen werde, dem jungen Wissenschafter „die Professur definitiv zu verschaffen, da zu besorgen steht, daß die Redaction ihrem Lebensgange nachtheilig sein könnte.“23 Nachdem Schöpf am 1. Juli 1851 sein Amt als Redakteur niedergelegt hatte, um sich in Hinkunft mehr der Wissenschaft widmen zu können, wurde er – wohl nicht zuletzt durch die Unterstützung Schwarzenbergs – am 28. September 1852 zum ersten Professor für Kirchenrecht und Kirchengeschichte an der im Jahr 1850 wiedererrichteten Theologischen 20
Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 278 ff. Franz Anthaller, Dr. Josef Anton Schöpf, Professor des Kirchenrechts und der Kirchengeschichte an der theologischen Facultät zu Salzburg, Ritter des Franz Josef-Ordens, f.e. geistl. Rath von Salzburg und Consistorialrath von Agram, Ehrenbürger der vereinigten fünfzehn Gemeinden der Umgebung von Salzburg und Altpräses des Salzburger katholischen Gesellenvereines, Salzburg 1900, S. 8. 22 Joseph Anton Schöpf, Cardinal und Redacteur, in: Neuer Salzburgischer Haus- und Wirthschafts-Schreibkalender, Salzburg 1886, S. 62 – 69, hier S. 68; Anthaller, Dr. Josef Anton Schöpf (Anm. 21), S. 8. 23 Schöpf, Cardinal und Redacteur (Anm. 22), S. 64; Andreas E. Graßmann, Joseph Anton Schöpf. Kanonist – Schriftsteller – Seelsorger (Wissenschaft und Religion, 28), Berlin 2018, S. 51. 21
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Fakultät24 in Salzburg ernannt.25 Von einer Wiedererrichtung kann man deshalb sprechen, da die alte Salzburger Universität, die 1622 gegründet worden war, durch Dekret des Königs von Bayern vom 25. November 1810 aufgehoben worden war. Anstelle der alten Universität mit ihrer Theologischen Fakultät wurde in der Folge eine Lyceum in Salzburg errichtet. Dieses Lyceum war primär auf die Priesterausbildung ausgerichtet und umfasste neben einer theologischen auch eine philosophische Sektion.26 Obwohl der theologischen Sektion (und nur dieser) ein Promotionsrecht zustand, war das Lyceum nicht gleichrangig mit der ehemaligen Universität. So war es unzulässig, „dass die am königlichen Lyceum Studierenden den Namen Akademiker führen und nach denselben gesetzlichen Vorschriften, wie die an den königlichen Universitäten Studierenden, behandelt werden…“27. Auch gab es am Lyceum weder eine juridische noch eine medizinische Sektion. Dieses Lyceum wurde durch Erlass des Ministeriums für Cultus und Unterricht am 18. Oktober 1850 aufgehoben, die Professoren der Philosophischen Studienabteilung dem Lehrkörper des Gymnasiums zugeteilt, das gleichzeitig um zwei Klassen (von bisher sechs auf acht) erweitert wurde. Die Theologische Studienabteilung erhob man in den Rang einer Fakultät, für welche dieselben Vorschriften wie für die Theologischen Fakultäten in Graz, Lemberg und Olmütz galten.28 Salzburg war somit wiederum Sitz einer Universität – wenn auch einer Rumpfuniversität – geworden. Kurz nach seiner Ernennung begann für Schöpf die wissenschaftlich produktivste Periode seiner akademischen Laufbahn. 1854 startete er die Arbeit an seinem wissenschaftlichen Hauptwerk, seinem vierbändigen „Handbuch des katholischen Kirchenrechts“. Als Kirchenrechtslehrer fühlte er den Drang, „am wissenschaftlichen
24 Mit Erlass des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 18. Oktober 1850 wurde das Salzburger Lyceum aufgehoben und dessen theologische Studienabteilung in den Rang einer Fakultät erhoben. Damit war Salzburg wiederum Sitz einer Universität – wenn auch einer Rumpfuniversität – geworden. – Alfred Rinnerthaler, Zwischen alter und neuer Universität. Eine dunkle Periode in der Salzburger Wissenschaftsgeschichte, in: Reinhold Reith (Hrsg.), Die Paris Lodron Universität Salzburg. Geschichte Gegenwart Zukunft, Salzburg 2012, S. 62 – 79, hier S. 68. 25 Zu den Hintergründen dieser Ernennung siehe Nikolaus Grass, Kirchenrecht und Kirchengeschichte an der Hohen Schule zu Salzburg 1810 – 1985, in: Franz Pototschnig/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Im Dienst von Kirche und Staat. In memoriam Carl Holböck (Kirche und Recht, 17), Wien 1985, S. 183 – 315, hier S. 216 – 219; siehe auch Cölestin Wolfsgruber, Friedrich Kardinal Schwarzenberg, Erster Band (Jugend- und Salzburgerzeit), Wien/Leipzig 1906, S. 274 f. 26 Rinnerthaler, Zwischen alter und neuer Universität (Anm. 24), S. 65. 27 Stefan Midaner, Salzburg unter bayerischer Herrschaft. Die Kreishauptstadt und der Salzachkreis von 1810 bis 1816, in: MGSLK Bd.125/1985, S. 9 – 305, hier S. 211. 28 Siehe hierzu Ewald Hiebl, Zwischen Kirche und Staat – Salzburger Lyceum, Theologische Fakultät und Universitätsbestrebungen 1810 – 1962, in: Salzburg Archiv. Schriften des Vereines Freunde der Salzburger Geschichte, Bd. 12/1991, S. 263 – 286, hier S. 274 – 276.
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Baue dieser hochwichtigen Disziplin mitzuwirken“.29 Erschien der erste Band des Handbuchs im Jahr 1854 in Salzburg, so resultierte aus der raschen und großen Nachfrage nach diesem Werk die Notwendigkeit, die folgenden Bände in einer größeren Auflage in einem anderen Verlag – in Schaffhausen – erscheinen zu lassen.30 In Schaffhausen erschien auch der erste Band des Handbuchs in einer zweiten verbesserten Auflage.31 Das Handbuch erfuhr in Schaffhausen noch eine weitere Auflage, 1863 erschien der erste Band somit in dritter und zwischen 1864 und 1866 die Bände zwei bis vier in zweiter Auflage. Mit seinem Handbuch verfolgte Schöpf die Absicht, einen aktuellen Arbeitsbehelf für Geistliche, insbesondere „für Studierende der Theologie und praktische Seelsorger“, zu schaffen.32 Mit seinem Handbuch des Kirchenrechts hat sich Schöpf – so Franz Grass33 – ein bleibendes Denkmal gesetzt. Im Vorwort zur ersten Auflage seines Handbuchs schreibt Schöpf, dass er sich vor allem im ersten Band unter anderem auf „das ausgezeichnete Werk des k.k Herrn Hofraths und Universitätsprofessors Georg Phillips“ gestützt habe, „nachdem zu derartiger Benützung die ausdrückliche Zustimmung des hochverehrten Herrn Verfassers eingeholt worden, wofür der wärmste Dank ausgesprochen wird.“34 Aus diesem Grund widmete Schöpf den ersten Band seines Handbuches seinem Wiener Fachkollegen. Die engen Beziehungen dieser beiden Kanonisten resultierten vermutlich aus dem Umstand, dass Phillips in Aigen bei Salzburg eine Villa besaß, in der er sich oft aufhielt und in der er am 6. September 1872 auch verstarb.35 Seitens des Salzburger Kanonisten bestanden aber auch gute Kontakte zu Ignaz von Döllinger und Johann Friedrich von Schulte. Für Schöpf galt Döllinger „als Orakel, als der entschieden größte unter den Kirchenhistorikern dieses Jahrhunderts“.36 Bis zu Döllingers Bruch mit der Katholischen Kirche schätzte ihn Schöpf sehr als „eine feste Säule der Kirche“ und als „anerkanntes Haupt der Ultramontanen“.37 Gerade noch rechtzeitig vor der Exkommunikation Döllingers distanzierte sich Schöpf „von dessen 29 Joseph Anton Schöpf, Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Mit besonderer Bezugnahme auf Oesterreich und mit Rücksicht auf Deutschland, Erster Band, Salzburg 1854, S. V (Vorwort zur ersten Auflage). 30 Joseph Anton Schöpf, Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Mit besonderer Bezugnahme auf Oesterreich und mit Rücksicht auf Deutschland, Zweiter Band Schaffhausen 1855, Dritter Band Schaffhausen 1857 und Vierter Band Schaffhausen 1858. 31 Joseph Anton Schöpf, Handbuch des katholischen Kirchenrechts. Mit besonderer Bezugnahme auf Oesterreich und mit Rücksicht auf Deutschland, Erster Band Schaffhausen 2 1855. 32 Vorwort zur ersten Auflage (Anm. 29), S. VI und VII. 33 Franz Grass, Joseph Anton Schöpf, in: Pototschnig/Rinnerthaler, Im Dienst von Kirche und Staat (Anm. 25), S. 317 – 326, hier S. 326. 34 Vorwort zur ersten Auflage (Anm. 29), S. VIII. 35 Graßmann, Joseph Anton Schöpf (Anm. 23), S. 70. 36 Joseph Anton Schöpf, Kleine Trias, Salzburg 1890, S. 10; ebenso Graßmann, Joseph Anton Schöpf (Anm. 23), S. 72. 37 Schöpf, Kleine Trias (Anm. 36), S. 12 und Graßmann, Joseph Anton Schöpf (Anm. 23), S. 71.
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Aussagen und Ansichten zur Lehre des I. Vatikanischen Konzils über die Unfehlbarkeit des Papstes.“38 Ein gut kollegiales Verhältnis unterhielt Schöpf auch zu dem Prager Rechtshistoriker und Kirchenrechtler Johann Friedrich Ritter von Schulte, der zunächst „von Bischöfen und anderen Prälaten gleich einem Orakel consultiert“ und als „Stern und Glanz des Kirchenrechtes gepriesen“ wurde.39 Schöpf selbst hielt Schulte für „kurialistischer als selbst die Kurie“, ehe er sein Urteil spätestens zu dem Zeitpunkt revidieren musste, als sich Schulte zu einem vehementen Vorkämpfer der altkatholischen Bewegung wandelte.40 Aus regionalhistorischer Sicht interessant erscheint Schöpfs frühes Eintreten für die Wiedererrichtung einer Volluniversität in Salzburg. Als nach dem Abschluss des österreichischen Konkordates im Jahr 1855 nunmehr Hoffnungen bestanden, dass in Salzburg eine katholische Universität errichtet werden könnte, zeigte sich der damalige Salzburger Bürgermeister Aloys Spängler41 von dieser Möglichkeit äußerst angetan. In einem Schreiben an Erzbischof Maximilian von Tarnoczy vom 12. Februar 1857 brachte der Bürgermeister seine Freude darüber zum Ausdruck, dass „die Idee einer katholischen Universität im Gespräch sei“ und er bekräftigte, „dass Salzburg, wie kein anderer Ort, schon wegen seiner kirchlichen Vergangenheit und geographischen Lage dafür geeignet wäre“.42 Als diese Universitätspläne durch den aufkommenden Liberalismus und den beginnenden Kulturkampf in unerreichbare Ferne gerückt erschienen, war es nunmehr der Salzburger Gemeinderat, der am 13. Dezember 1869 den Beschluss fasste, ein Universitätskomitee für die Errichtung einer nunmehr staatlichen Universität ins Leben zu rufen. Dieses sollte für diesen Plan Argumente sammeln und in einer Denkschrift niederlegen. 1870 erschien diese Denkschrift43, in der u. a. neben historischen Gründen auch mit einem entsprechenden Bedarf nach einer Hochschule in der Stadt Salzburg sowie dem angeblichen Vorhandensein der notwendigen finanziellen Ressourcen, aus den Vermächtnissen edler Stifter stammend, argumentiert wurde. Verfasser dieses anonym erschienenen Druckwerks war nach zeitgenössischen Zeugnissen der sechsmalige Dekan der Salzburger Theologischen Fakultät, Joseph Anton Schöpf, der gemeinsam mit zwölf anderen Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und politischen Lebens diese Denkschrift unterzeichnet hatte.44 Den Bemühungen dieses Universitätskomitees war jedoch kein Er38
Hans Paarhammer, Prof. Dr. Joseph Anton Schöpf, in: Heimat Koppl. Chronik der Gemeinde, Koppl 2000, S. 267 – 272, hier S. 268. 39 Schöpf, Kleine Trias (Anm. 36), S. 12 und Graßmann, Joseph Anton Schöpf (Anm. 23), Anm. 306, S. 78 f. 40 Graßmann, Joseph Anton Schöpf (Anm. 23), S. 81. 41 Zu Spängler siehe Rudolph Angermüller, Aloys Spängler (1800 – 1875). Bürgermeister von Salzburg (1854 – 1861). Erinnerungen (1800 – 1863), Salzburg 2008. 42 Franz Ortner, Die Universität in Salzburg. Die dramatischen Bemühungen um ihre Wiedererrichtung (1810 – 1962), Salzburg 1987, S. 31. 43 Denkschrift des Comités für Wiederherstellung der Universität in Salzburg, Salzburg 1870. 44 Graßmann, Joseph Anton Schöpf (Anm. 23), S. 58 f.
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folg beschieden. Eine nachhaltige Wirkung war erst den Aktivitäten der Salzburger Landespolitik beschieden, die im Jahr 1884 den Plan einer katholischen Universität in Salzburg zu beleben suchte. Infolge eines Antrages, den der Führer der konservativen Partei im Herzogtum Salzburg, Hofrat Dr. Georg Lienbacher, im Landtag eingebracht hatte,45 kam es zur Errichtung eines „Vereines zur Gründung und Erhaltung einer freien katholischen Universität zu Salzburg“, der in der Folge mit großer Beharrlichkeit über Jahrzehnte die katholischen Universitätspläne verfolgte. Letztlich scheiterten aber auch diese Bemühungen, weshalb es 1962 zur Errichtung einer staatlichen Universität in Salzburg kam. Joseph Anton Schöpf war auch ein engagierter Seelsorger. Hatte er nach Empfang seiner Priesterweihe am 1. August 1845 zunächst als Kooperator in Stumm im Zillertal gewirkt, so war er auch als Professor der Theologischen Fakultät noch weiterhin seelsorglich tätig. Unter anderem fungierte Schöpf von 1852 – 1874 als Präsident des am 16. Mai 1852 von Adolph Kolping in der Stadt Salzburg gegründeten „Katholischen Gesellenvereines“. Seit Anfang 1869 wirkte er als Aushilfspriester an Sonn- und Feiertagen in der Filialkirche von Gnigl, der Kirche zum Hl. Kreuz und zur hl. Elisabeth in Guggenthal.46 1874 erwarb Professor Schöpf das Haus Guggenthal Nr. 5, genannt „Wiesfleck“, in dem er am 21. November 1899 verstarb. Beigesetzt wurde er in der sogenannten „Weicklgruft“ in der Guggenthaler Kirche.47 Noch heute erinnern an den verdienten Wissenschaftler und beliebten Seelsorger eine Gedenktafel an der Außenwand der Guggenthaler Kirche , eine Erinnerungstafel im Sozial- und Gesundheitszentrum St. Anna in Gnigl, eine Gasse im Salzburger Stadtteil Gnigl und ein Denkmal (Brunnen), das 2012 gegenüber dem Kolpinghaus (Adolf-Kolping-Straße 10 in der Stadt Salzburg) errichtet wurde.
45 Antrag der Abgeordneten Lienbacher und Genossen, in: Verhandlungen des Salzburger Landtages, I. Session, 6. Periode 1884, S. 1114. 46 Walburg Schobersberger, Kirche zu Guggenthal geschichtliche und bauliche Entwicklung der Filialkirche zum Hl. Kreuz und zur hl. Elisabeth sowie des Gutes Guggenthal mit Gasthaus, Brauerei, Villa und Herrenhaus, in: Heimat Koppl (Anm. 38), S. 210 – 226. 47 Paarhammer, Prof. Dr. Joseph Anton Schöpf (Anm. 38), S. 268 f. Zu Schöpf siehe neben den schon bisher genannten Autoren noch Josef Schwarzbach, Zum 40jährigen SchriftstellerJubiläum Dr. J. A. Schöpf, emer. k. k. Universitäts-Professor, Ritter des k.k. Franz Josef-Ordens, Salzburg 1888; Art. „Joseph Anton Schöpf“, in: Salzburgwiki (Hrsg.), online unter: www.sn.at/wiki/Joseph_Anton_Schöpf; Art. „Schöpf, Joseph Anton (1822 – 1899), Kirchenrechtslehrer und Schriftsteller“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon, online unter: www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Schoepf-Joseph-Anton_1822_1899.xml; Art. „Schöpf, Joseph Anton“, in: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 31/1876, S. 193 f., online unter: https://de.wikisource.org/wiki/BLKÖ:Schöpf,-Joseph_Anton.
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III. Schöpfs Kampf gegen den Antisemitismus Die Schriftstellerin Irene Harand48, eine „einsame Stimme im österreichischen Katholizismus“, wies darauf hin, dass der Antisemitismus als Wesenselement des Nationalsozialismus im Christentum wurzelt.49 Frau Harand ist diesbezüglich zuzustimmen, dass neben nationalen und wirtschaftlichen Motiven die religiöse Komponente eine Hauptwurzel des Antisemitismus war. Allerdings ist heute davon auszugehen, dass seit den amtlichen Erklärungen der christlichen Kirchen, die unter dem Eindruck der Geschehnisse in der NS-Ära ergangen sind, der religiöse Antisemitismus zur Bedeutungslosigkeit verkümmert ist. Als Beispiel für die Überwindung des alten Gegensatzes zwischen Christen- und Judentum sei hier nur das Bußgebet „Vergib uns den Fluch“ angeführt, das Papst Johannes XXIII. kurz vor seinem Tod mit dem Wunsch verfasste, dass es in allen katholischen Kirchen gesprochen werde: „Wir erkennen nun, daß viele, viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen bedeckt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen. Wir erkennen, daß das Kainszeichen auf unserer Stirne steht. Jahrhunderte lang hat Abel darniedergelegen in Blut und Tränen, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns die Verfluchung, die wir zu Unrecht aussprachen über den Namen der Juden. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fluche zum zweiten Mal kreuzigten. Denn wir wußten nicht, was wir taten…“.50 Sehr wohl von Bedeutung war der religiöse Antisemitismus bzw. Antijudaismus noch im 19. Jahrhundert. Der Vorwurf, dass die Juden den Tod Jesu Christi verschuldet hätten, verhinderte damals noch ein positives Verhältnis zwischen Juden und Christen. Als „gute Juden“ galten nur solche, die sich zum katholischen Glauben bekehrten und sich taufen ließen. Nur wenige Geistliche entzogen sich diesem Trend und traten energisch gegen den in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auftretenden Rassenantisemitismus auf. In Salzburg fand seit Beginn der Achtzigerjahre diese Form des Antisemitismus zunehmend Anhänger in der Bevölkerung. Diese Bewegung erreichte ihren ersten Höhepunkt mit der Gründung des „alldeutschen Schönerianerbundes“ unter dem örtlichen Spiritus rector, dem Anwalt Dr. Julius Sylvester, der auch Obmann des „Germanenbundes“ und des „Kyffhäuser“ war. Es wurde eine Art „Katechismus des Antisemitismus“ herausgegeben und „Judenhass und Verfolgung in Form von Zitaten und Schlagworten zum Dogma erhoben.“51 48
Zu dieser mutigen Frau siehe Peter Marboe, Kämpferin gegen Nationalsozialismus und Antisemitismus Irene Harand – Eine Gerechte (1900 – 1975), in: Jan Mikrut (Hrsg.), Faszinierende Gestalten der Kirche Österreichs, Bd. 9, Wien 2003, S. 87 – 110. 49 Art. „,Salzburg war ein heißer Boden‘. Als der Nationalsozialismus bedrohlich wurde, erlebten die Salzburger Festspiele einen heute noch spürbaren Wandel“, in: Salzburger Nachrichten, Freitag 10. August 2018, S. 7. 50 Text bei Friedrich Heer, Gottes erste Liebe. Die Juden im Spannungsfeld der Geschichte, Esslingen 1967, S. 7. 51 Altmann/Fellner/Embacher, Geschichte der Juden (Anm. 4), S. 278.
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Gegen diese ständig wachsende Judenfeindschaft nahm Joseph Anton Schöpf den Kampf auf. Warum gerade er – als ein höherer katholischer Geistlicher – zum Fürsprecher der Juden wurde, kann nur vermutet werden. Wahrscheinlich war es seine von einem liberalen Geist geprägte Toleranz, die ihn dazu veranlasst hatte. Noch ehe er zum Kämpfer gegen den Antisemitismus wurde, war er schon den Evangelischen, allerdings in Tirol, zur Seite gestanden. Als 1860/61 in Tirol die Erhaltung der katholischen Glaubenseinheit durch die Bildung einer evangelischen Kirchengemeinde gefährdet erschien und eine antievangelische Stimmung aufflammte, stellte sich Schöpf auf die Seite der Protestanten.52 Er mahnte zur Duldung und warnte vor eventuellen Retorsionsmaßnahmen, durch welche die Existenz der Katholiken in evangelisch dominierten Ländern gefährdet werden könnte. Obwohl Schöpf dadurch in Verdacht geriet, „lutherisch“ zu sein, nahm er in der Folge rund 300 Protestanten in den von ihm geleiteten katholischen Gesellenverein auf.53 Bezüglich seiner Haltung zum Antisemitismus war Schöpf vor allem durch eine strenge Rüge seitens des Salzburger Erzbischofs Kardinal Schwarzenberg geprägt. Nachdem unter seiner Redaktion in der Salzburger Constitutionellen Zeitung ein Artikel mit antijüdischen Passagen erschienen war, soll der Kardinal folgendes gesagt haben: „Lassen Sie die Juden in Ruhe! (…) Judenhetze ist die Vorläuferin oder Begleiterin einer jeden Revolution. (…) Die Judenhetze verstößt geradezu gegen die Grundsätze unserer heiligen Religion und bringt niemals Segen (…). Ich bedauere zwar auch die Arroganz und Ueberhebung gewisser jüdischer Schriftsteller (…), aber für die Excesse Einzelner darf nie das ganze Volk verantwortlich gemacht und niemals darf die Gegenwart verantwortlich gemacht werden für die Vergangenheit. Revanche ist ein heidnisches Wort. Merken Sie sich das.“54 Im Jahr 1888 bezog daher Joseph Anton Schöpf Stellung gegen die damals in der Stadt Salzburg aufkommenden antisemitischen und judenhetzerischen Bestrebungen. In einer von ihm herausgegebenen Streitschrift, deren Erträgnisse für eine Verbesserung der Kost im St. Anna-Spital in Gnigl verwendet werden sollten,55 setzte er sich mit den plakativsten Thesen der Antisemiten auseinander und suchte diese argumentativ zu widerlegen. Dabei handelte es sich um die folgenden Behauptungen bzw. Vorwürfe über bzw. gegen die Juden:
52
Schwarzbach, Zum 40jährigen Schriftsteller-Jubiläum (Anm. 47), S. 11. Joseph Anton Schöpf, Der Salzburger Gesellen-Verein vom Mai 1852 bis Mai 1872. Denkschrift zum 20. Stiftungs-Fest (am 12. Mai 1842). Über den Streich der Schlosser-Gesellen & Über den Frieden auf dem Gebiete der Religion, Salzburg 1872, S. 3. 54 Günter Fellner, Vom Judenhut zum Trachtenhut? Diskurse über Kleidung und Politik in Salzburg (1800 – 1900), in: Archiv für Kulturgeschichte, Vol. 83/2/2001, S. 331 – 376, hier S. 355 f.; Wolfsgruber, Friedrich Kardinal Schwarzenberg (Anm. 25), S. 276. 55 Joseph Anton Schöpf, Antisemitische, zu deutsch judenhetzerische Bestrebungen in der Saison-Stadt Salzburg!!! Grandverwunderung, Salzburg 1888. 53
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1.
„Unsere Bestrebungen sind nicht gegen die Religion, sondern gegen die Race.“
2.
„Aber die Juden nehmen eine aparte Stellung ein, sind ein Staat im Staate, sie sollen sich amalgamiren und thun wie andere Leute.“
3.
„Der Jude arbeitet nicht, er will nur die Frucht von dem verzehren, was sich der Christ im Schweiße seines Angesichts erworben hat, er betreibt weder Bauersarbeit noch Handwerk und beutet die bei ihm bediensteten Arbeiter aus.“
4.
„Aber es gibt unter den Juden ein Paar gar sehr arrogante, prahlerische und vorlaute Leute.“
5.
„Aber die Juden verderben uns die Geschäfte, wir können mit ihnen nicht Concurrenz halten.“
6.
„Aber wenn und so oft Du mit einem Juden geschäftlich zu thun hast, bist Du beschummelt.“
7.
„Aber die Juden in Galizien und Ungarn haben den Bauern sammt Haut und Haar im Sacke – den armen Hascher.“
8.
„Aber die Judenpresse, die verjudeten Blätter sind eine wahre Pest.“
9.
„Ist man denn nicht auch in der Metropole der Intelligenz – in Berlin – zur Ueberzeugung gekommen, daß man mit den Juden abfahren soll?“
10. „Aber die Studirenden der Hochschule, die hieher kamen, sind fast durchgehends Antisemiten, Anhänger Schönerer’s.“56 Nach Prüfung und Wiederlegung dieser Behauptungen drängte sich für den Kanonisten die folgende Frage auf, deren Antwort sich ihm nicht erschließen wollte: „Wie ist es doch möglich, dass in unserer lieben Saisonstadt Salzburg solch’ ein unfriedsamer, antikosmopolitischer Bund sich bilden konnte und noch dazu in der heiligen Weihnachtszeit – der Zeit des pax hominibus! Es müssen entschieden fremde Elemente sein, die da vorschreien und die auf die gedankenbare, unselbständige Masse rechnen. Darum sollen alle echten, alten Salzburger zusammenstehen, um diese Elemente zum Schweigen zu bringen! Wie kann man am Ausgange des 19. Jahrhunderts friedliche Mitmenschen, die einem kein Leid zugefügt, einer förmlichen Razzia preisgeben!“57 Mit dieser Flug- bzw. Schutzschrift setzte sich Schöpf dem Spott und dem Hass des antisemitischen Lagers aus. Vor allem die Redakteure der antisemitischen Wochenschrift „Kyffhäuser“58, Anton Langgassner59 und Karl Irresberger, polemisierten 56
Schöpf, Antisemitische … Bestrebungen (Anm. 55), S. 6 – 15. Schöpf, Antisemitische … Bestrebungen (Anm. 55), S. 15 f. 58 Beim „Kyffhäuser“ handelt es sich um eine antisemitische Wochenzeitung, die von 1887 bis 1894 in München und Salzburg erschien. Im Untertitel bezeichnete sie sich als „Deutschnationale Wochenschrift“, als deren Herausgeber Anton Langgassner firmierte. 59 Anton Langgassner, Gerichtet. Eine angemessene Abfertigung der Schöpfiaden, Salzburg 1888. 57
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gegen Schöpf und verunglimpften dessen „Vertheidigung der Jüdischheit gegen ungerechte Angriffe“ als einen „Angriff im Namen des Judenthums auf erbgesessene deutsche Bürger in Salzburg“ und als eine „Verhöhnung deutscher Art und deutscher Empfindung“. Für Irresberger war Schöpfs Streitschrift ein „aufreizendes, demagogisches Pamphlet, eine Brandschrift“, entstanden sowohl aus dem Geist des Liberalismus, „welchem der Verfasser je und je gehuldigt“, als auch aus „seiner krankhaft gesteigerten Eitelkeit“. Ganz offen deklarierte man die eigenen Ziele: Was der Antisemitismus anstrebe „sind erstens gesetzliche Mittel, um das Judenthum überall dort zu beschränken, wo das deutsche oder arische Volk erdrückt zu werden droht, und um dies zu erreichen, wollen die Antisemiten aufklärend wirken über die wahre Natur des Judenthumes, und alle Besserungen unterstützen, die zur wirtschaftlichen, geistigen und sittlichen Wiedergesundung unseres Volksthumes beitragen!“60 Die Angriffe gegen seine Person stachelten Schöpf zur neuerlichen Abfassung einer Broschüre gegen die Antisemiten auf. Im „Sendschreiben an die Herren vom Kyffhäuser und an den Verfasser des ,Grand-Unsinns‘“ geißelte er den Antisemitismus als „Anachronismus“, als „Anarchismus“, als „Antichristenthum“, als „Antihumanismus“ und „Antiaustriacismus“.61 Im offiziellen Verfasser des „Grand-Unsinns“, Karl Irresberger, vermutete Schöpf einen Strohmann, weshalb er die Autorschaft der zentralen Figur in der Salzburger „Schönerianer-Bewegung“, nämlich dem Juristen Dr. Julius Sylvester, zuschrieb.62 Die andauernde Hetze durch gewissenlose Demagogen veranlasste Schöpf sogar noch ein drittes Mal gegen den Antisemitismus zur Feder zu greifen. In dieser dritten Streitschrift ging es dem 1885 emeritierten Universitätsprofessor vor allem darum, die Motive für sein eigenes Handeln und die Reaktionen auf seine früheren Schriften gegen den Antisemitismus aufzuzeigen. Sowohl Unterstützer als auch Gegner ließ er darin zu Wort kommen. So z. B. den „k. k. Gymnasial-Director Schmued“, der wiederholt die Haltung Schöpfs verteidigt und antisemitische Geschichtsfälschung – so etwa im „Antisemiten-Katechismus, der für unsere Salzburger Antisemiten das Alpha und Omega ist“ – aufgedeckt hatte.63 Ebenso zitierte Schöpf aus einer Zuschrift des Superintendenten und Reichsratsabgeordneten Dr. Theodor Haase, der „denselben Geist, dieselbe Arbeit im Dienste dieses Geistes, dasselbe erhabene Ziel“ betont hatte: „Wie wäre es sonst auch möglich, daß ein Doctor der katholischen und ein Doctor der evangelischen Theologie, ein katholischer Consistorialrath und ein protestantischer Superintendent, ohne einander persönlich zu kennen und ohne jemals auch nur brieflich mit einander 60 Karl Irresberger, Grand-Unsinn des Dr. Schöpf, beleuchtet von einem geborenen Salzburger, der dem Herrn Dr. Schöpf genügend Auskunft ertheilen kann, Wien 1888, S. 3, 4 und 14. 61 Joseph Anton Schöpf, Sendschreiben an die Herren vom Kyffhäuser und an den Verfasser des „Grand-Unsinns“, Salzburg 1888, S. 5 – 7. 62 Schöpf, Sendschreiben (Anm. 61), S. 8. 63 Joseph Anton Schöpf, Nachtrag zur Grandverwunderung, Salzburg 1888, S. 8.
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verkehrt zu haben, in den von ihnen verfaßten Schriften sich so zu begegnen vermöchten, daß der Katholik schlechtweg unterschreiben kann, was der Protestant veröffentlicht hat, und der Protestant seine volle und unbedingte Anerkennung und Uebereinstimmung aussprechen muß zu der mannhaften schriftstellerischen Arbeit des Katholiken. Der Schlüssel liegt eben im Christentum, welches uns lehrt im Menschen, gleichviel welcher Abstammung, welcher Glaubensgemeinschaft und welcher socialen Richtung er angehören mag, ein Kind Gottes, einen Bruder zu sehen und im Menschen den Mensch zu achten. Der Antisemitismus hingegen verläßt mit seiner Judenverfolgung nicht nur den Boden des Christenthums, sondern er muß, weil Christus und das Christenthum sich ihm mit dem Donnerwort entgegenstellt: ,Wer seinen Bruder hasset, der ist ein Todtschläger‘, auch unserem Herrn die Freundschaft aufkündigen.“64
Am Ende seines „Nachtrages“ gab Schöpf schließlich selbst die folgende Antwort auf die Frage, wie er – ein katholischer Geistlicher – dazu komme, gegen den Antisemitismus aufzutreten: „Gerade der katholische Geistliche ist hiezu nicht bloß berechtigt, sondern verpflichtet, weil der Antisemitismus die absolute Negation des Christentums ist, weshalb auch der Bischof von Königgrätz sich dagegen erhoben hat.“65 Joseph Anton Schöpf konnte es allerdings nicht verhindern, dass der Antisemitismus sich wie ein Krebsgeschwür allmählich im gesellschaftlichen Leben in Salzburg ausbreitete und sich in der Politik, im Vereinsleben und in der organisierten Geselligkeit einnistete. Immer mehr Vereine orientierten sich am sogenannten „Arierparagraphen“ und huldigten einer rassistisch geprägten „Deutschtümelei“, auch wenn die k. k. Behörden die explizite Aufnahme des Arierparagraphen bzw. die Erstellung von direkt antisemitischen Vereinsstatuten im Regelfall nicht genehmigten.66 Im politisch aufgeheizten Klima des ausgehenden 19. Jahrhunderts dachten und handelten zu wenige Personen wie Joseph Anton Schöpf, es gab zu wenige Gerechte. Der Antisemitismus führte zu einer zunehmenden Verrohung gesellschaftlicher Schichten und weckte niedere Instinkte, was letztlich im Holocaust mündete.
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Schöpf, Nachtrag zur Grandverwunderung (Anm. 63), S. 19. Schöpf, Nachtrag zur Grandverwunderung (Anm. 63), S. 15. 66 Feingold, Ein ewiges dennoch (Anm. 8), S. 40. 65
Die Gesetzgebung über den Kult der heiligen Bilder und Ikonen Rechtshistorische Anmerkungen zum Zeitalter des byzantinischen Ikonoklasmus Von Harald Tripp
I. Hinführung In der Geschichte des kanonischen Rechts der katholischen Ostkirchen und auch der Orthodoxen Kirche verdient das Thema des Bilderkultes, das einer der entscheidenden Diskussionspunkte auf dem Zweiten Konzil zu Nizäa (787) war, vertiefende Betrachtung. Wir wissen, dass das kanonische Recht seine Grundlage in der Schrift, in der Theologie und nicht im zivilen Recht finden muss und dass das Geheimnis der Kirche im Geheimnis der Dreifaltigkeit begründet ist, von welchem die Einheit seines sozialen Organismus abgeleitet wird.1 Das mysterium ecclesiae ist rechtlich und hierarchisch organisiert, und offenbart die Kontinuität zwischen Ecclesia Juris und Ecclesia Caritatis, deren Fundament der sakramentale Charakter der Kirche ist.2 Der vorliegende Beitrag will eine kirchenrechtsgeschichtliche Studie über einen der ältesten Bräuche und Gewohnheiten der Kirche sein, nämlich den Kult der Bilder3, und er ist Prof. Wilhelm Rees gewidmet, der sich im Laufe seiner kanonisti1 Vgl. dazu Peter Krämer, Kirchenrecht I. Wort-Sakrament-Charisma, Stuttgart 1992, S. 29 – 30. 2 Siehe dazu Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 21 f. 3 Dieses Thema ist umfangreich, weil es nicht nur im Blick auf die Forschung einen an sich sehr weitreichenden Zeitraum miteinschließt, sondern sich auch auf die Auswirkungen der spekulativen und dogmatischen Theologie, auf die Liturgie, auf die Geschichte der Kirche und der christlichen Kunst sowie auf die Ikonographie ausweitet. Siehe dazu die ausführliche theologische Grundlegung von Christoph Schönborn, Die Christus-Ikone. Eine theologische Hinführung, Schaffhausen 1984. Jüngst auch für die orientalischen orthodoxen Kirchen Christine Chaillot, Die Rolle der Bilder und die Ikonenverehrung in den Orientalischen Orthodoxen Kirchen. Syrische, Armenische, Koptische und Äthiopische Traditionen (= Martin Thamke (Hrsg.), Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, 56. Bd.), Wien/Zürich 2018. Dabei ist zu bemerken, dass die orientalisch orthodoxen Kirchen einen Ikonoklasmus nicht gekannt haben, im Gegensatz zur byzantinisch-orthodoxen Welt. Für die Bedeutung von Kreuz und Ikonen im orthodoxen Glauben vgl. Metropolit Hilarion Alfeyev, Geheimnis des Glaubens. Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie, 3. verb. Auflage, Münster
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schen Forschungen immer wieder mit Synoden4 und auch dem Thema der Ökumene und den Kirchen des Ostens beschäftigt hat.5 Das Thema, das in diesem Betrag behandelt wird, ist dem Abschnitt des liturgischen Rechts, der die Disziplin in Bezug auf den göttlichen Kult festlegt, zuzuordnen. Der Heiligungsdienst und seine Normierung genießen deshalb auch in der ostkirchlichen Rechtstradition eine besondere Bedeutung, und das liturgische Recht ist daher ohne weiteres kirchliches Recht, auch wenn es nicht im CCEO oder in der außerkodikarischen Gesetzgebung niedergeschrieben ist, sondern hauptsächlich in den liturgischen Büchern oder, was den Bereich der heiligen Bilder und Ikonen anbelangt, besonders als Gewohnheitsrecht greifbar wird.6 1. Zur Quellenlage Die erste Quelle des Bilderkultes ist „ungeschrieben“, weil sie auf der Gewohnheit der Kirche beruht, Bilder seit ihren frühesten Anfängen zu besitzen.7 Seit dem dritten bzw. vierten Jahrhundert gibt es nach anfänglicher Ablehnung Bilder in der christlichen Kirche. Im sechsten Jahrhundert gewinnen diese Bilder im Osten eine neue Qualität, sie erscheinen als wunderwirkend und werden verehrt. Schritt für Schritt zeigt sich auch in der christlichen Bilderlehre ein Bemühen um die Begründung des Bildes.8 Die Auseinandersetzung um diese Erscheinung, die Ikone, erfuhr eine Steigerung, als seit 726 das Kaisertum gegen christliche Bilder vorzugehen begann. Offiziell kann vom Ikonoklasmus erst seit dem Jahre 730 gesprochen werden, als Kaiser Leon III. ein Edikt gegen den Bilderkult veröffentlichte. Das Studium der ikonoklastischen Bewegung führt ob dieser Entwicklungen zu großen Schwierigkei-
2019, S. 123 – 128. Auch Hans Belting, Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, 7. Auflage, München 2011, S. 52 f. und S. 164 – 184. 4 Siehe etwa Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, 2. Bd.), Freiburg i. Br. 2014. Wilhelm Rees/ Ludger Müller (Hrsg.), Synodale Prozesse in der katholischen Kirche, Innsbruck 2016. 5 Vgl. dazu u. a. besonders Wilhelm Rees, Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= KB 13), Münster 2014. 6 Siehe dazu Martin Rehak, Über die Perichorese von Liturgie und Recht. Eine Skizze aus kanonistischer Sicht, in: Martin Stuflesser/Tobias Weyler (Hrsg.), Liturgische Normen. Begründungen, Anfragen, Perspektiven (= Theologie der Liturgie 14), Regensburg 2018, S. 107 – 134, hier S. 125. 7 Vgl. dazu cc. 23 – 28 CIC/1983. Besonders c. 27 CIC/1983: „Consuetudo est optima legum interpres“. Vgl. auch die Darstellungen der Kunstentwicklung bei Irmgard Hutter, Frühchristliche Kunst/Byzantinische Kunst, Stuttgart 1968, S. 11 ff. 8 Vgl. zur Entwicklung byzantinischer Kunst auch zur Zeit der Ikonoklasten André Grabar, Byzanz. Die byzantinische Kunst des Mittelalters (Vom 8. bis zum 15. Jahrhundert), BadenBaden 1964, S. 87 ff.
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ten für die aktuelle Situation der schriftlichen Quellen.9 Alle Werke der Ikonoklasten, die kaiserlichen Dekrete, die Akte der Konzilien der Ikonoklasten von 754 und die Traktate gegen Bilder des Jahres 815 wurden beim „Triumph der Orthodoxie“ zerstört. Was wir über ikonoklastische Literatur wissen, wird uns durch Textabschnitte überliefert, die in den Werken der Ikonodulen eingeführt werden, um sie zu widerlegen. So ist beispielsweise das Dekret des ikonoklastischen Konzils von Hiereia in der Akte des Konzils zu Nizäa II. erhalten geblieben, wahrscheinlich in unvollständiger Form.10 Das Dekret des Konzils in der Hagia Sophia zu Konstantinopel (815) wurde in einer Abhandlung des Patriarchen Nikephoros entdeckt11, und zahlreiche Fragmente der ikonoklastischen Literatur finden sich in den polemischen und theologischen Abhandlungen der Bilderverehrer.12 Man denke hier an die drei berühmten Traktate des Johannes von Damaskus, der ein Zeitgenosse der ersten beiden ikonoklastischen Kaiser Leon III. und Konstantin V. war.13 Schließlich benutzten die Bilderfeinde auch apokryphe Schriften, um ihre Lehren zu verbreiten. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Quellen des Bildersturms, die uns überliefert sind, von den Meinungen der Gegner beeinflusst sind; es ist zumindest teilweise der Grund, warum spätere Wissenschaftler so unterschiedliche Urteile über den Ikonoklasmus fällen.14 Historiker untersuchten zunächst die Frage nach den Ursprüngen der Bewegung, die mehr als ein Jahrhundert lang mit Unterbrechungen dauerte und schwerwiegende Folgen für das Reich und die Kirche hatte. Einige Spezialisten dieser Zeit haben der Politik der Ikonoklasten-Kaiser religiösen Ursachen gegeben, andere glauben, dass die tieferen Gründe für ihr Verhalten vor allem von politischen Gründen inspiriert wurden.15 9
Vgl. dazu Hans Georg Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage im 8. und 9. Jahrhundert. Das 7. Ökumenische Konzil in Nikaia 787, Paderborn 2005, S. 17 ff. Siehe dazu auch Hans Georg Beck, Die griechische Kirche im Zeitalter des Ikonoklasmus, in: Hubert Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte, 3. Bd.: Die mittelalterliche Kirche. Erster Halbband: Vom kirchlichen Frühmittelalter zur gregorianischen Reform, Freiburg 1966, S. 31 – 61, hier S. 34. 10 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 87 – 89. 11 J. M. Featherstone, Nicephori patriarchae Constantinopolitanae Refutatio et eversio Definitionis synodalis anni 815 nunc primum edita cura et studio (CC ser. Graeca 33), Turnhout 1997. 12 Siehe dazu Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 102. 13 Bonifatius Kotter (Hrsg.), Die Schriften des Johannes von Damaskos III (= PTS 17), Berlin/New York 1975. 14 Vgl. dazu die reichhaltige Literatur und die Ausführungen bei Gilbert Dagron, Der Ikonoklasmus und die Begründung der Orthodoxie (726 – 847), in: Gilbert Dragon/Pierre Riché/André Vauchez (Hrsg.), Die Geschichte des Christentums. Religion-Politik-Kultur, 4. Bd.: Bischöfe, Mönche, Kaiser (642 – 1054), S. 97 – 175, hier S. 98 ff. Vgl. auch Hans Georg Beck, Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Abteilung 12: Byzantinisches Handbuch. Teil 2, 1. Bd., München 1959, hier S. 473 ff., der – entgegen seiner Haltung bei der Behandlung anderer Zeitepochen – beim Bilderstreit kanonistische Fragestellungen gänzlich ausschließt. 15 Etwa Konstantin Paparregopulos, Memoire sur la réforme politique, religieuse et civile des iconoclasts, t. I, in: Histoire de la civilisation hellénique, Paris 1878 und Alexander
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2. Die Bedeutung der Ikonen in der Orthodoxie und der Begriff des heiligen Bildes in der Philosophie Im Bereich der Orientalistik ist es wichtig, über das Thema der Bilder (Ikonen) zu sprechen, deren theologische Debatte diese für mehr als ein Jahrhundert in der Geschichte der Kirche ausgelöst haben.16 In den griechisch-sprachigen Ländern hatte das Bild einen wichtigen Platz im Kult, während in den Ländern syrischer und armenischer Tradition seine Bedeutung vielmehr didaktisch war. Im griechischen Denken nimmt das Bild an der Realität der dargestellten Materie teil, in der sich das Wesen der Sache manifestiert: Das Bild ist einfach das Symbol einer verständlichen Realität, die den Geist zum Göttlichen erheben sollte. Diese Lehre wurde von der Schule des Origenes übernommen und findet sich bei Dionysius Areopagita im sechsten Jahrhundert wieder. Nicht von ungefähr wurde deshalb die Ikone als die „Urform des europäischen Bildes“ bezeichnet.17 Materielle Bilder und ihre Verehrung haben einen eigenen und oft zweideutigen Platz in der hierarchischen Auffassung über die Welt, die die Schulen des Origenes und Dionysius Areopagita vom Neoplatonismus geerbt haben.18 Der Neoplatonismus ist die Grundlage für die Konzeption des heiligen Bildes, das sich in der byzantinischen Kirche entwickelt hat, denn obwohl es mit der biblischen Konzeption begann, hat das byzantinische Denken das große Problem der Beziehung zwischen griechischer Philosophie und christlicher Offenbarung nie vermieden, sondern es als Hilfe genutzt.
II. Die erste Gesetzgebung über die Verehrung der heiligen Bilder durch das Quinisextum Die ältesten Rechtssammlungen der Synoden finden wir im ostkirchlichen Bereich. Die älteste dieser Sammlungen existiert bereits im vierten Jahrhundert und wurde um Kanones anderer Konzilien erweitert, insbesondere um das Konzil von
Alexandrovich Vasiliev, Histoire de l’Empire Byzantin, Paris 1932. Einige argumentieren, dass Leon III. hoffte, eines der unüberwindbaren Hindernisse zu beseitigen, das Juden, Muslime und Christen voneinander getrennt hielt und damit das Gleichgewicht des Reiches ins Schwanken brachte. 16 Siehe dazu etwa Nino Sakvarelidze, Ikonenverständnis aus orthodoxer Sicht: an die Urbilder erinnernd, in: Ioan Vasile Leb/Konstantin Nikolapoulos/Ilie Ursa (Hrsg.), Die Orthodoxe Kirche in der Selbstdarstellung. Ein Kompendium, Berlin 2016, S. 171 – 183. 17 Wilhelm Weischedel, Dionysios Areopagita als philosophischer Theologe, in: Festschrift für Joseph Klein, Göttingen 1967, S. 105 – 113. Beate Regina Suchla, Dionysius Areopagita. Leben – Werk – Wirkung, Freiburg i. Br. 2008. Auch das Vorwort von Otto Demus bei I. Hutter, Frühchristliche Kunst/Byzantinische Kunst (Anm. 7). 18 Siehe dazu die Ausführungen bei Gerhard Wehr, Der Mystiker Dionysius Areopagita, Wiesbaden 2013, S. 17 ff.
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Nizäa (325).19 Die erste Sammlung wurde in Antiochia zwischen 342 und 381 zusammengestellt und heißt Syntagma Canonum oder Syntagma Antiochienae bzw. Corpus Canonum Orientale.20 Diese Sammlung war die ursprüngliche Grundlage für die meisten der östlichen Sammlungen und insbesondere für die der byzantinischen Kirche. Das Concilium Quinisextum (691) erstellte daraufhin die offizielle Liste der Quellen des kanonischen Rechts der byzantinischen Kirche, und zu den Syntagma-Dokumenten kamen die 85 Canones Apostolorum und noch andere Texte hinzu. Nach dem Fall des weströmischen Reiches (Jahr 476) wurde im Osten die theodosianische Tradition in kirchlichen Angelegenheiten zunächst in Justinians Gesetzgebung der Jahre 529 – 534 und dann durch den Codex repetitiae praelectionis (534) und im Recht der Novellae gefestigt.21 In der Folge hatte sich innerhalb der byzantinischen Rechtsordnung die Figur der Nomokanones, verstanden als weltliche Regelordnung in kirchlichen Angelegenheiten, als typische Rechtsform durchgesetzt.22 In der östlichen Reichshälfte sind Nomokanones aus der Collectio LX Titulorum (535) bis zum Nomokanon XIV Titulorum unter Heraklius und der Collectio Tripartita unter Justinian entstanden. Im sechsten Jahrhundert kam es damit durch Kaiser Justinian zu einem massiven gesetzgeberischen Engagement und damit zu einer kirchenrechtlichen Konsolidierung der byzantinischen Kirche.23 Dabei ging es im wesentlichen um das Bemühen, das alte kanonische Recht mit dem Kaiserrecht zu „synchronisieren“.24 Somit kam es unter Kaiser Justinian zu einer formellen Gleich19 Vgl. dazu Walter Selb, Die Kanonessammlungen der orientalischen Kirchen und das griechische Corpus canonum der Reichskirche, in: FS W. Plöchl, Wien 1967, S. 371 – 383. 20 Syntagma (griech.) bezeichnet eine koordinierte Sammlung von Kanones zu einem bestimmten Thema. Vgl. Gian Luigi Falchi/Brian Edwin Ferme, Introduzione allo studio delle fonti dell’Utrumque Ius, Roma 2006, S. 64 f. 21 Untersuchungen haben aber gezeigt, dass für die Rechtsentwicklung stets auch die Bedeutung der Stellung der Kirche im Osten von erheblicher Bedeutung gewesen ist. Vgl. dazu jüngst Mike Humphrey, Law, Power and Imperial Ideology in the Iconoclast Era c. 680 – 850, Oxford 2015, S. 24: „Having affirmed the law’s Christian credentials, Justinian used it to assert his authority within the Church and over the moral and religious lives of his subjects. A flood of legislation affected ecclesiastical and monastic life, and would indeed eventually become part of eastern canon law, while the canons oft he first four ecumenical councils were given the force of civil law. Manifestly, Justinian felt able and duty-bound to regulate both imperium and sacerdotium, and the civil law was the medium to use.“ Siehe dazu auch allgemein Neslihan Asutay-Effenberger/Arne Effenberger, Byzanz. Weltreich der Kunst, München 2017, S. 131 – 168, hier S. 144 ff. 22 Vgl. dazu Péter Erdö, Die Quellen des Kirchenrechts: eine geschichtliche Einführung, Frankfurt a. M. 2002, S. 31 f. Auch Panteleimon Rodopoulos, An Overwiev of Orthodox Canon Law, (= Orthodox Theological Library, Bd. 3), Rollinsford 2007, hier S. 82 – 83. 23 Siehe zur Kodifikation Justinians z. B. Hartmut Leppin, Justinian. Das christliche Experiment, Stuttgart 2011, S. 169 f.: „Der Codex Iustinianus sammelte das Kaiserrecht, es besteht aber ein wesentlicher Unterschied zum älteren Codex Theodosianus. Die Gesetze zu Kirchen und zum wahren Glauben stehen nicht mehr am Ende, sondern werden an den Beginn gereiht. Im lateinischen Westen lange vergessen erlangten sie erst seit dem 16. Jahrhundert an Bedeutung und formierten dann das Corpus iuris.“ 24 Richard Potz/Eva Synek, Orthodoxes Kirchenrecht. Eine Einführung, 2. Aktualisierte und erweiterte Auflage, Freistadt 2014, S. 73.
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stellung kaiserlicher (nomoi) und kirchlicher Gesetze (kanones). Auf der Ebene synodaler Versammlungen wurde dann erst wieder das sog. Quinisextum rechtssetzend tätig.25 Kaiser Justinian II. berief 691 – 92 eine Synode ein, die sich im Kuppelsaal (Trullos) des Kaiserpalastes von Konstantinopel traf, um die kanonischen Lücken zu schließen, die das fünfte und sechste ökumenische Konzil hinterließen.26 Es ergänzte einerseits in seinen 102 Kanones die auf doktrinäre Problemstellungen beschränkten Synoden von 553 und 680/81 im Blick auf aktuelle Fragen und fixierte den Bestand von Offenbarungsschriften und rezipierten kirchenrechtlichen Quellen. Wir weisen nun auf drei Kanones hin, die von dieser Synode genehmigt wurden, und sich eigentlich zum erstenmal in der kirchlichen Gesetzgebung mit den heiligen Bildern befassen. Das Quinisextum versteht sich als lebendige Stimme einer Versammlung, die die heiligen Bilder und deren Verehrung, ihre theologische Bedeutung und auch die Art und Weise ihrer Gestaltung betrachtet, um Ärgernis in den Seelen der Gläubigen zu vermeiden.27 Die Zeit dieser Versammlung ist bereits dem Ikonoklasmus am nächsten, und es ist interessant zu sehen, wie die Rechtsnormen noch nicht kämpferisch im Sinne der Ablehnung heiliger Bilder formuliert werden, sondern diese Haltung stattdessen erst etwa ein Jahrhundert später in den Konzilien, die sich mit den Bildern befassen werden, üblich sein wird. Hier im Einzelnen nun die drei Kanones. 1. Kanon 73: Das Kreuzesbild als Vergegenwärtigung Christi Kanon 7328 : „Dass man Kreuzesabbildungen nicht auf dem Fußboden anbringen darf“: „Weil uns das lebensspendende Kreuz das Heil gezeigt hat, durch das wir vom alten Sündenfall errettet wurden, sollen wir alle Sorgfalt aufwenden, ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Deshalb bringen wir ihm mit dem Geist, dem Wort und den Sinnen Verehrung entgegen und ordnen an, dass die von einigen im Fußboden angebrachten Kreuzesabbildungen vollständig entfernt werden sollen, damit nicht das, was für uns ein Zeichen des Sieges ist, durch die Tritte der Darüberlaufenden miss25
Heinz Ohme, Concilium Quinisextum – Das Konzil Quinisextum (= Fontes Christiani 82), Turnhout 2006. 26 Heinz Ohme, Sources of the Greek Canon Law to the Quinisext Council (691/2). Councils and Church Fathers, in: Wilfried Hartmann/Kenneth Pennington (Hrsg.), The History of Byzantine and Eastern Canon Law to 1500, Washington 2012, S. 24 – 114, hier S. 78. 27 Guilielmus Beveregius, Synodikon sive pandectae canonum SS. Apostolorum et Conciliorum ad Ecclesia Graeca receptorum, Oxonii 1672, S. 249 – 250, wo man im Kapitel Canones Concilii sexti in Trullo auch die entsprechenden Kommentare des Balsamon, Zonaras und Aristenus einsehen kann. 28 C. LXXIII, Oecum. Conc. Trullani, in: Pericles-Pierre Joannou, Fonti fasc. IX. Discipline générale antique, les canons des conciles oecumeniques fasc. IX, 1-IX, 2. (Pontificia Commissione per la redazione del Codice di Diritto Orientale), Grottaferrata/Rom 1962, t. IXI, S. 211. Vgl. dazu die deutsche Übersetzung bei Ohme, Concilium Quinisextum (Anm. 25), S. 264 – 265.
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achtet werde. Deshalb bestimmen wir, dass diejenigen, die von jetzt an das Kreuzzeichen auf Fußböden anbringen, ausgeschlossen werden sollen.“ Ab dem vierten Jahrhundert findet sich das Kreuz als Fußbodenmosaik in Sakralbauten. Bereits um 427 wurde diese Praxis durch ein Edikt von Theodosius II. und Valentinian III. verboten wegen des damit zwangsläufigen entwürdigenden Tretens auf das Zeichen Christi. Bei diesem Kanon handelt es sich damit nicht um eine völlig neue Rechtsnorm, weil diese sich bereits im Codex Justinianus befindet.29 In diesem Kanon, der wohl als eine Disziplinarmaßnahme der kirchlichen Hierarchie zu verstehen ist, richtet sich die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf einen persönlichen Groll gegen die Bilderstürmer, sondern auf eine Frage der Ehrerbietung. Tatsächlich war es üblich, das Bild des Kreuzes auf dem Boden von Kirchen darzustellen, und es war unangemessen, dass die Gläubigen, die die Kirche betraten, auf dem Zeichen der Erlösung umhergingen. Diese scheinbar „respektlose Geste“ macht es jedoch notwendig, dass die kirchliche Autorität denjenigen, der in Zukunft weiterhin das Kreuz auf dem Boden anbringen würde, exkommunizierte. Das Zeichen des Kreuzes Christi wurde so verehrt, dass die Bilderstürmer es als ihr eigenes Symbol betrachten werden, um dem Orthodoxen gegenüberzutreten, deren Erkennungszeichen die Ikonen sein werden. Mit diesem Kanon beginnt die Kirche, ihre eigenen lehrmäßigen und disziplinären Kompetenzen von den privaten Auffassungen und Meinungen des jeweiligen Künstlers zu lösen, die von da an stets nachgeordnete Bedeutung erhalten werden. Die Gründe für die Neuerungen des Verbotes durch Kanon 73 werden zum einen in der Überführung des nicht mehr überall greifenden staatlichen Rechts in das kanonische Recht liegen. Damit verbunden ist die Frage nach den Ursachen für die Katastrophen des 7. Jahrhunderts zu stellen. Sowohl die Perserkriege als auch eine gesteigerte Kreuzesverehrung durch die Einfälle der Araber in Konstantinopel und nicht zuletzt das Kreuz als Vergegenwärtigung Christi waren Ursachen für diese Rechtsauffassung. 2. Kanon 82: Das Christusbild als Bild des Gott-Logos Kanon 8230 : „Darüber, dass die Maler nicht ein Lamm darstellen sollen, auf das der Vorläufer mit dem Finger hinweist“. „Auf manchen Abbildungen der verehrungswürdigen Ikonen wird ein Lamm dargestellt, auf das der Vorläufer (Johannes der Täufer) mit dem Finger hinweist. Dieses Lamm wurde als Zeichen der Gnade über29 Vgl. CODEX IUSTINIANI, 1. I. tit. VIII, Theodosius und Valentinianus an den Eudoxius, Praef. Praet. 21. Maius 427: „Nemini licere signum Salvatoris Christi vel in silice vel in marmore aut sculpere aut pingere“. In Übersetzung: „Dass es niemandem gestattet sei, das Zeichen des Erlösers Christi in Stein oder Marmor gegraben oder darauf gemalt zur ebenen Erde anzubringen“. 30 C. LXXIII, Oecum. Conc. Trullani, Pericles-Pierre Joannou, Fonti (Anm. 28), t. IX-I, S. 218 – 220. Deutsche Übersetzung nach Ohme, Concilium Quinisextum (Anm. 25), S. 270 – 273.
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nommen, das uns durch das Gesetz das wahre Lamm, Christus unseren Gott, vorauserscheinen lässt. Obwohl wir nun die alten Zeiten und Schatten, die der Kirche überliefert wurden, als Symbole und Präfigurationen der Wahrheit durchaus hochschätzen, geben wir doch der Gnade und der Wahrheit den Vorzug, die wir als Erfüllung des Gesetzes empfangen haben. Damit nun das Vollkommene auch in den farbigen Bildnissen allen vor Augen gestellt wird, setzen wir fest, dass von jetzt an auch auf den Ikonen an Stelle des alten Lammes das Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt, Christus unser Gott, mit menschlichen Zügen dargestellt wird. Dadurch erfassen wir die Erhabenheit der Erniedrigung des Gott-Logos und werden zum Gedenken seines Wandelns im Fleisch, seines Leidens und heilbringenden Todes und der dadurch der Welt zuteil gewordenen Erlösung geführt.“ Kanon 82 ordnet uns an, den Vorläufer, der mit dem Finger auf das Lamm zeigt – also Johannes den Täufer –, nicht zu malen; wir ignorieren die Bedingungen, unter denen der Text dieses Kanons vorbereitet wurde, aber nur daraus können wir versuchen, einen Hinweis darauf zu erhalten, was die Väter des Quinisextum dazu gebracht haben könnte, sich mit heiligen Bildern zu befassen.31 Der fragliche Kanon zeigt nur eine Kategorie von Bildern auf, nämlich die der Bilder Christi unter den symbolischen Eigenschaften des Lammes. Die Väter wollten diese Art der zoomorphen Darstellung verbieten und den Merkmalen eines Menschen in Christus ihren Platz einräumen. Der Kanon ordnet das Bild des Lammes in die allgemeine Kategorie der „alten Typoi und Schatten“ ein, die Symbole oder Hinweise auf die Wahrheit sind, und erklärt, dass es sich um Anspielungen oder Reflexionen handelt, wobei es keinen Grund mehr für diese Darstellungsweise gäbe, da „Gnade“ und „Wahrheit“ direkt dargestellt werden können, indem man den Christus als Gott und menschgewordenes Wort in seiner menschlichen Gestalt darstellt. Dieser letzte Ausdruck erinnert an die Größe der Demut Gottes, die uns an das Leben, die Leidenschaft und den Tod des Erlösers und die daraus resultierende Erlösung der Welt erinnern. Auch die Väter des Zweiten Konzils zu Nizäa werden diesen Kanon als Zeugnis für die Praxis der Ikonenverehrung hervorheben.32 Johannes von Damaskus wird dann die Antithese von „Schatten“ und „Wahrheit“ mit dem dritten Begriff der Dinge, also mit der transzendentalen Realität, vervollständigen.33 Er sagt, dass die Vorahnungen des Alten Testaments von der „Wahrheit“ übertroffen werden und die Ikone in uns die Erinnerung an den „sichtbaren Charakter des Menschwerdens“ wachhält. Selbst Germanus von Konstantinopel wird über die Ikone selbst sagen, dass sie der „sichtbare Charakter“ des Wortes in seiner „freiwilligen Hingabe in Demut“ ist.34 Wenn man den „Schatten“ des Alten Testaments zu überwinden vermag, kann die ewige Wirklichkeit durch „Wahrheit“ und „Gnade“ gesehen werden. Wir können sagen, dass es sich hier um eine Anwendung auf dem Gebiet der allgemeinen Ikonographie 31
André Grabar, L’iconoclasm byzantin, Paris 1957, S. 77 – 91. Johannes Dominicus Mansi, Sacrorum Conciliorum Nova et amplissima collectio, Florentiae 1759 ff. tomi XII et XIII (= Mansi), Mansi XII, 1079; Mansi XIII, 40. 33 Johannes von Damaskus, Oratio I,15, in: PG 94 1244 – 1245. 34 Mansi XI, 977B-980B. 32
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handelt, die sich das Quinisextum vorgenommen hat, um die letzten Überreste heidnischer und jüdischer Irrtümer auszulöschen.35 Im Text von Kanon 82 muss die deutliche Betonung als Folge des Vergleichs zwischen den Darstellungen, die unter der „Wahrheit“ und der „Gnade“ gemacht wurden, verstanden werden. Dabei handelt es sich um einen Vergleich, der natürlich die Überlegenheit des zweiten Weges deutlich machen musste, und dazu führte, die Darstellung des Lammes zu verbieten. Auf diese Art und Weise wollte man die Ansichten der Juden korrigieren, und eine Gewohnheit aufgeben, die jetzt überflüssig und sogar dem Erlösungswerk Christi abträglich war. Tatsächlich qualifiziert sogar der hl. Paulus (vgl. Hebr 10,1) das Gesetz als „Schatten“, im Gegensatz zu jenen „Wirklichkeiten“, die uns die „Gnade“ bietet; ausgehend von dieser Deutung kommt im neunten Jahrhundert Kosmas Indicopleustes („der Indienfahrer“) zum Begriff des „Schattens“ und fügt ihm den Begriff des „Typos“ hinzu, wodurch bereits ab dem sechsten Jahrhundert die beiden parallelen Begriffe des Kanons 82 zusammengeführt werden, um die Offenbarung des Alten Testaments zu bezeichnen, die die Wirklichkeit des Neuen Testaments vorgibt.36 In Analogie zur typologischen Exegese des Alten Testaments wird das Lamm als „Typos“ des kommenden Christus betrachtet, dem nun die Darstellung des Menschgewordenen als „Gnade und Wahrheit“ und „Erfüllung“ vorzuziehen sei (Joh 1,17; Hebr 10,1). Nur auf diese Weise wäre die wahre Bedeutung der Menschwerdung Gottes zu erkennen. Die Synode betont also die besondere Bedeutung des Christusbildes als Bild des Gott-Logos, ohne seine Darstellungsmöglichkeit als Problem zu empfinden. Der Kanon setzt somit eine kultische Verehrung des Christusbildes voraus, die wiederum auf der personalen Begegnung mit der dargestellten Person basiert. Dafür waren Darstellungen Christi als Lamm ungeeignet.37 Der Kanon vermittelt den Eindruck, ein Monolog zu sein, der andere dazu bringt, mit Juden und Muslimen zu diskutieren. Tatsächlich entspricht die Rechtsnorm nicht nur der Notwendigkeit, das Bild als Gegenstand der Anbetung zu verteidigen – wie es am Vorabend des Ikonoklasmus im Konzil Quinisextum festgelegt wurde –, sondern sie zeigt theologisch auch eine heilsgeschichtliche Perspektive im Alten wie im Neuen Testament auf. Ohne Bezugnahme auf frühere Kanones geht der Kanon 82 stillschweigend davon aus, dass der Bilderkult auch in den Augen der Kirche legitim, akzeptiert und nützlich ist, denn durch die Darstellung Christi sind wir zur Betrachtung seines Heilswerkes der universellen Erlösung aufgerufen. Kanon 82 war der einzige Kanon, der das Verhalten der Kirche gegenüber den Bildern unter den Ikonoklasten und auch danach definieren konnte, denn die Wahl der von den Vätern gewählten ikonographischen Figuren des Lammes und des Christus waren bereits ein traditionelles Thema in theologischen Diskussionen gewesen. Dies beweist, dass die Kirche den Gebrauch von Bildern – die aus einer Gewohnheit der Gläubigen entstanden sind –, so sehr akzep-
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Mansi XI, 993. Grabar, L’iconoclasm byzantin, (Anm. 31), S. 77 – 91. 37 Ohme, Concilium Quinisextum, (Anm. 25), S. 106 – 107.
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tiert hat, dass sie ihnen eine wichtige Bedeutung beimisst, und dies auf dem Konzil durch entsprechende Rechtsnormen regelt.38 3. Kanon 100: Verbot erotischer Kunst Kanon 10039: „Darüber, dass auf Bildern nicht das dargestellt werden soll, was zur Lust verleitet“. „Deine Augen sollen geradeaus schauen“ (Spr 4,25), und: „bewahre Dein Herz mit ganzer Sorgfalt“ (Spr 4,23), gebietet die Weisheit. Denn die Sinne des Körpers beeinflussen mit Leichtigkeit die Seele. Wir ordnen an, dass ab jetzt nirgends und auf keine Weise Darstellungen auf Tafeln oder sonst wie angebracht und abgebildet werden sollen, die den Blick blenden und den Geist verderben und zur Entfachung schändlicher Lüste verleiten. Wer aber versuchen sollte, dies zu tun, soll ausgeschlossen werden.“ Die Väter verwenden die Heilige Schrift, um den Inhalt des Kanons zu verstärken. Ein Bild kann auf Personen einen starken Einfluss ausüben, noch mehr auf deren Seele. Tatsächlich sagen die Väter, dass sehr leicht körperliche Empfindungen die Seele beeinflussen. Dieser Kanon hat also einen Zweck des moralischen Schutzes der Herzen der Gläubigen, denn das wichtigste Ziel der heiligen Kunst ist auch die Erhöhung und die Erbauung der Seelen. Daher wendet sich Kanon 100 gegen die erotischen Themen im Bereich künstlerischer Darstellungen. Da die byzantinische Kunst keine erotische Kunst entwickelt hat, kann es sich bei den hier gemeinten Bildern nur um Darstellungen aus der Mythologie handeln, denn der Mythos war antike Erotik in allen möglichen Formen.40 Das Verbot des Quinisextum bezeichnet somit einen Kampf gegen heidnische Lebensformen. So haben wir summarisch in den drei Kanones des Quinisextum eine Zusammenfassung über die Thematik des Bilderkultes zu jener Zeit vorliegen. Jede Norm hat unterschiedliche Nuancen von besonderen Interessen zu wahren: Kanon 73 bekennt sich indirekt zur Heiligkeit des Bildes, das ein Zeichen der himmlischen Wirklichkeit ist, in diesem Fall des Kreuzes. Kanon 82 verkündet und bekennt das Kommen Christi in einer sichtbaren Person, die auf der Ikone dargestellt werden muss, als Zeichen des Verblassens des Schattens des Gesetzes und des Erscheinens von Wahrheit und Gnade. Dabei handelt es sich um eine Auffassung, die dem der Inkarnation sehr nahekommt und den Orthodoxen bei der Verteidigung der Ikonen dienlich sein wird. Schließlich legt Kanon 100 die Grenzen fest, die von den Verantwortlichen der Malerei bei der geistlichen Darstellung heiliger Szenen und Bilder zu beachten sind, 38
Grabar, L’iconoclasm byzantin, (Anm. 31), S. 80 – 81. C. C, Oecum. Conc. Trullani, in: Pericles-Pierre Joannou, Fonti (Anm. 28), t. IX-I, S. 236 – 237. Deutsche Übersetzung nach Ohme, Concilium Quinisextum (Anm. 25), S. 288 – 289. 40 Hans Georg Beck, Byzantinisches Erotikon, München 1986, S. 80 – 82. Mythologische Szenen halten sich auf byzantinischen Elfenbeinschnitzereien bis ins 10. Jahrhundert. Darunter finden sich besonders viele Frauenraub- und Vergewaltigungsszenen. 39
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denn das Bild kann den Gläubigen auch moralisch schaden. Eine Darstellung kann unangemessen sein, da bildliche Inhalte generell eine wichtige didaktische Funktion besitzen und im letzten die Seele des Menschen heiligen sollen.41
III. Zur Entstehung ikonoklastischer Gesetzgebung Nach und nach wurden Kaiser aus Armenien und Syrien auf den Thron von Byzanz erhoben, und ihre östliche Herkunft veranlasste sie zur Ablehnung der Bilder.42 1. Das Edikt Jazids II. Die Geschichte der Araber war im Blick auf ihre Erfolge während des Ikonoklasmus bemerkenswert. Sie versuchten, Byzanz auf dem Land- und Seeweg anzugreifen, mit der Gefahr, auch in Richtung Westen voranzuschreiten, wie sie es in Gibraltar taten, und sich in Richtung Spanien zu bewegen. Aber sie erhielten eine schwere Niederlage, vor allem aufgrund der militärischen Überlegenheit der Griechen. Sie zogen sich 718 aus den Gebieten Europas zurück.43 Es ist interessant zu sehen, dass das erste rechtsverbindliche Verbot von heiligen Bildern und Ikonen genau im Einfluss der muslimischen Welt festzumachen ist. Die älteste Quelle, die über die Nachricht vom Edikt berichtet, ist der Brief des Patriarchen Germanus von Konstantinopel an Thomas von Claudiopolis, geschrieben um 724, und damit sicherlich vor Beginn der ikonoklastischen Politik von Leon III. Dieses Schreiben wurde in die Akten des Zweiten Konzils von Nizäa aufgenommen.44 Die andere wichtige Aussage gibt uns Patriarch Nikephoros in seinem dritten Antirretikum45, das uns von den weniger wichtigen und populären Gründen erzählt, die den Kalifen veranlasst haben mögen, ein Edikt zu verlautbaren: ihm hatte ein Totenbeschwörer namens Saracontapeches versprochen, für weitere dreißig Jahre zu regieren, wenn er die Zerstörung von Bildern und Statuen anordnete. Der Kalif befahl die Zerstörung der Bilder, starb aber bereits drei Jahre später. Das gleiche Zeugnis wird durch die Rede des Presbyters Johannes von Jerusalem auf dem Zweiten Nizänum bestätigt, der von Anfang an Zeugnis darüber geben wollte, wie sich die Dinge entwickelt hatten.46 Obwohl der Koran die Bilder nicht ausdrücklich verboten hatte, wurde Jazid II. von einem bilderfeindlichen Juden gedrängt, das Verbot auf die Kirchen des Reiches auszudehnen. 41
Christoph Schönborn, Die Christus-Ikone (Anm. 3), S. 218. Judith Herrin, Byzanz. Die erstaunliche Geschichte eines mittelalterlichen Imperiums, Stuttgart 2013, S. 120 ff. 43 Ralph-Johannes Lilie, Byzanz. Das zweite Rom, Berlin 2003, S. 118 ff. 44 Mansi XIII, 109 B-E. Grabar, L’iconoclasm byzantin, (Anm. 31), S. 105. 45 Nicephori, Antirrethicus III, in: PG 100,527 C-531 A. 46 Mansi XIII, 196E-200 A. 42
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Da der muslimische Glaube erst jüngst als Religion entstanden war, entwickelten sich Ideen erst nach und nach, und vielleicht beeinflusste dieses Edikt von Jazid auch die Verkündung des Ediktes, das Leon III. fünf Jahre später gegen die Bilder veröffentlichen würde (726). Aus diesem Grund ist es wichtig, die Quellen im Zusammenhang mit dem Ikonoklasmus des Jazid in der Publikation von A.A. Wassiljew zu studieren, die bestimmte Fragen und Auffassungen zwischen dem Kaiser und dem Kalifen untersucht.47 2. Die Gesetzgebung durch das Edikt Leons III. aus der Zeit vor dem Zweiten Konzil zu Nizäa Die ikonoklastischen Tendenzen zeigen sich vor dem Ikonoklasmus nur vereinzelt. Die erste Maßnahme gegen die Bilderverehrung war, wie wir sehen konnten, das Edikt von Jazid II. von 721, der die Zerstörung aller Bilder „sowohl in Tempeln, Kirchen und Häusern“ anordnete“.48 Die Bewegung ging ursprünglich von Kleinasien aus, und einige Bischöfe waren deren Initiatoren. Das Vorbild und die Haltung der Araber veranlasste Konstantin, den Bischof von Nakolia, die Bilder und Ikonen zu bekämpfen. Bald waren auch Thomas von Claudiopolis und Theodor von Ephesus, Sohn des entthronten Kaisers Tiberius III., davon angetan und überzeugt.49 Sie sollen sich mit dem Kaiser geeinigt und ihm zugestimmt haben. Leon hätte den syrischen Abtrünnigen namens Beser begünstigt, der, als er von den Arabern gefangen genommen wurde, nach seiner Rückkehr ins Reich den muslimischen Glauben angenommen hatte, die Freundschaft des Kaisers aber wegen seiner körperlichen Durchhaltefähigkeit und aufgrund der gleichen Vorstellungen über die Bildern und Ikonen gewonnen hatte.50 Syrische Quellen bezeugen nur, dass Leon 726 ein Edikt gegen die Bilder veröffentlicht hatte.51 Es gibt jedoch eine Reihe von Fakten, die dieser Hypothese entgegenstehen. Theophanes berichtet 726 im „Chronographen“, dass Leon begann, Reden über die Zerstörung von Bildern zu halten.52 Und nach einem Vulkanausbruch und der Entstehung einer neuen Insel zwischen Santorin und Therasien verstärkte sich sein Zorn gegenüber den heiligen Bildern, sodass man annehmen konnte es handle sich bei der Naturkatastrophe um eine Strafe Gottes. Nikephoros hingegen sagt in seiner Chronik, dass Leon seinen Kampf gegen die Bilder wegen dieses Un47 Alexander Alexandrovich Vasiliev, The Iconoclastic Edict of the Caliph Yezid II A. D. 721, Cambridge Massachussets 1956, S. 25 – 47. 48 Vgl. Theophanis Chronographia a. 715, in: PG 108, 811 A, auch Nicephori Antirrhetici III: in: PG 100, 528 – 529. Mansi XII, 197 ff. Das Edikt Jazids II. war laut Aussage des Patriarchen Nicephoros der Startpunkt allen Unglücks, welches sich im Römischen Reich nunmehr ereignete. 49 Mansi XII, 968. 50 Theophanis Chronografia, a.715, in: PG 108,811 B. 51 Mansi XII, 59. 52 Theophanis Chronografia, a.717, in: PG 108,815 A.
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glücks auf der Insel erst danach begonnen hatte.53 Tatsache ist jedoch, Kaiser Leon will einen entscheidenden Akt umsetzen und er ließ die Ikone Christi am Eingang des Chalké-Palastes entfernen, die unter Kaiser Konstantin dem Grossen dort angebracht wurde. Danach brach eine Revolte aus, die zu Verhaftungen, Verurteilungen am Galgen, Verstümmelungen und Exil führte.54 Seit der ikonoklastischen Ära in Byzanz ist es in der Tat der Kaiser, der in kirchlichen Angelegenheiten anordnet, verfügt und verurteilt. Die absolute Theokratie ermöglichte somit zuerst den Bildersturm, danach die Bilderverehrung.55 Beide Vorgänge und Entwicklungen werden von der weltlichen Herrschaft aufgezwungen. So verhielt sich der Kaiser eher wie ein Patriarch als der Patriarch selbst, und dank dieser Politik konnten die nun folgenden bilderfreundlichen Kaiser den Kult der Bilder mit der gleichen Autorität wiederherstellen, mit der diese der Zerstörung ausgeliefert worden waren. Dieser Umstand wird durch die Tatsache bestätigt, dass der Volksaufstand auf den griechischen und kykladischen Inseln auch durch die ikonoklastischen Maßnahmen von Leon III. verursacht wurde. Daraus wird angenommen, dass das kaiserliche Edikt angesichts der Revolte tatsächlich veröffentlicht wurde.56 Danach versuchte Leon III., die Zustimmung des Papstes und des Patriarchen einzuholen, um Schismen zu verhindern. Er versuchte, den Patriarchen Germanus einzuschüchtern57 und drohte Gregor II. mit der Absetzung.58
IV. Das bilderfeindliche Konzil von Hiereia (754) und die Zeit danach 1. Das Konzil Am 10. Februar 754 versammelte sich das Konzil im Palast von Hiereia an der asiatischen Küste unweit von Chalcedon.59 Weder der Papst noch die Patriarchen waren dort vertreten und auch das Patriarchat von Konstantinopel befand sich im Zustand der Vakanz. Von diesem Konzil kennen wir nur seine endgültige Entscheidung, seinen Horos, der in den Akten des Zweiten Konzils zu Nizäa enthalten ist.60 Im Horos finden wir die meisten Themen, die das Buch Peuseis von Konstantin V. ent53
Theophanis Chronografia, a.718, in: PG 108,815C. Theophanis Chronografia, a.718, in: PG 108, 816 A-822 A. 55 Fernanda de Maffei, Icona, pittore ed arte al Concilio Niceno II, e la questione della scialbatura delle immagini, Roma 1974, S. 32. 56 Theophanis Chronographia, a.718, in: PG 108, 818 A. 57 Theophanis Chronographia, a.718, in: PG 108, 822 A. 58 Louis Duchesne, Liber Pontificalis, I, Paris 1886, S. 404. 59 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 68 f. 60 Der Horos wird von der Ablehnung durch Gregorios Thaumaturgos begleitet und findet sich in Mansi XIII, 205 – 363. Auch die analysierende Darstellung bei Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 69 – 77. 54
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wickelt hat. Er spricht von der Bosheit Satans, der versucht, die Kirche in die Idolatrie und den Götzendienst zu ziehen, von den frömmsten Kaisern, die von Christus ermächtigt wurden, mit der Kraft des Heiligen Geistes bewaffnet, diese neue Götzenverehrung zu zerstören. Er unterstreicht den häretischen Charakter der Bilder Christi, und die Verachtung der Jungfrau und der Heiligen, die auf Bildern mit ihren leiblichen Körpern dargestellt werden.61 Die ikonoklastischen Lehren sind nur aus den Zitaten bekannt, die sich in den Schriften ihrer Gegner wie Johannes von Damaskus, Nikephoros und bei den Vätern des Zweiten Konzils zu Nizäa finden.62 Aber das Kreuz war von den Verboten ausgenommen. Das Kreuz wurde immer in der Apsis der Kirchen aufgestellt. Außerdem erschien es immer auf den Münzen und Siegeln von Leon III. und Konstantin V. Dieses Kreuz hatte einen triumphalen Charakter über die Götzenverehrung und den christlichen Sieg über Heidentum und Idolatrie. Aus diesem Grund hatten die ikonoklastischen Kaiser es bewahrt und entwickelt.63 Die Schlussfolgerung daraus war die formelle Verurteilung von jedem, der ein heiliges Bild schuf und es in der Kirche oder zu Hause verehrte oder es sogar versteckt hielt. Der Ungehorsame würde bestraft werden: die Kleriker mit ihrer Absetzung bestraft, die Mönche und die Laien mit ihrer Exkommunikation bedroht, und alle wären folglich als „Feinde Gottes und der von den Vätern gelehrten Dogmen“ der kaiserlichen Strafgewalt unterstellt.64 Am 27. August ging Konstantin V. zusammen mit dem neuen Patriarchen auf das Forum, um das Konzilsdekret vor dem Volk zu verkünden, und das Anathema gegen die Bildverehrer, den Patriarchen Germanus, sowie gegen Georg von Zypern und Johannes von Damaskus wurde eingeleitet.65 So erhielt Konstantin V. das Recht, die Verteidiger der Bilder als Häretiker zu behandeln und betrachtete die Häresie nicht nur als Verbrechen gegen das Dogma oder die Kirche, sondern auch gegen die zivile Gewalt, von der auch die Kirche abhing. Das Recht verlieh den Herrschern auch das ius sacrum, die Angelegenheiten der Kirche zu überwachen66, und deshalb intervenierte der Kaiser so sehr, dass er in einer Ver61 Vgl. dazu Konstantinos V., Peuseis, in: PG 100, 205 – 373. Auch Ilse Rochow, Konstantin V. (741 – 775), BBS 1, Frankfurt a. M. 1994, S. 177 – 184. 62 Siehe zur theologischen Bedeutung im Blick auf die Christologie der Bilderfeinde besonders Schönborn, Die Christus-Ikone (Anm. 3), S. 163 ff. und für das Konzil von Hiereia, S. 168 ff. 63 Vgl. Jean Gage, La théologie de la victoire imperiale, in: Revue historique 1933 (171) S. 43. 64 Mansi XIII, 328 BC. Auch Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 74. 65 Theophanis Chronographia, a.745, in: PG 108,862 C. Vgl. zu ihren theologischen Meinungen besonders Schönborn, Die Christus-Ikone (Anm. 3), S. 172 ff. Vgl. auch die summarischen Ausführungen zu Johannes von Damaskus bei Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 120 – 127. 66 Vgl. dazu Jan Rezac, Chiesa e Stato in Oriente, Ius Populi Dei, Miscellanea in honorem, R. Bidagor, Roma 1972, S. 262. In der alten Kirche hatte nicht der Papst, sondern der byzantinische Kaiser als der einzige römische Kaiser die Konzilien gewissermaßen als Reichsversammlungen einzuberufen und diese selbst oder durch seine Beamten zu leiten. Diese Tatsache beruht auf der antiken Kaiserideologie, nach welcher der Kaiser als Pontifex Maxi-
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ordnung von Hiereia kurz nach den Entscheidungen des Konzils erlaubte, die Ikonodulen als Rebellen zu verfolgen. Hiereia eröffnete damit praktisch die Reihe der offiziellen Entscheidungen der Kirche. Die Synode gilt zwar selbst als häretische Versammlung, sie ist jedoch die erste Synode, die den Christen eine offizielle Bilderlehre gibt.67 2. Spannungen zwischen Konstantinopel und Rom und die Neuausrichtung unter Kaiserin Eirene (ca. 800) Der Bruch zwischen Rom und Konstantinopel ist das Problem, das uns bei der Auseinandersetzung mit dieser Epoche des Ikonoklasmus am meisten betrifft, da dabei wohl die verschiedenen Meinungen und Auffassungen zwischen den beiden beteiligten Parteien ausschlaggebend waren.68 Der alles entzündende Funke war das kaiserliche Edikt Leons III., das den Kult der Bilder als Idolatrie verbot und verurteilte. Der Kaiser versuchte, dieses Verbot gegen Papst Gregor II. durchzusetzen. Gregor weigerte sich, die „Synode“ des Patriarchen Anastasius zu akzeptieren, der 730 von Leon III. zum Patriarchen gewählt wurde, anstelle von Germanus, der dem Willen des Kaisers widerstanden hatte. Papst Gregor III. berief 731 eine Synode in Rom ein, wo die Ikonoklasten mit dem Anathema belegt wurden.69 Im Jahre 769 berief Papst Stephan III. ein Konzil im Lateran ein, welches sich gegen das Konzil zu Hiereia aussprach und welches festhielt, dass die orientalischen Patriarchen von Alexandrien, Antiochia und Jerusalem nicht teilgenommen hatten.70 Damit schien Konstantinopel isoliert zu sein. Mit diesen Tatsachen wurde die Gemeinschaft zwischen den Kirchen von Rom und Konstantinopel gebrochen. In ihrem Brief von 785 an Papst Hadrian erkennt Kaiserin Eirene offen an, dass ihre Vorgänger einen falschen Weg eingeschlagen hatten. Das Schisma musste beseitigt und die alte Tradition der Väter wiederhergestellt werden.71 Die Kaiserin selbst bezeugt daher, dass ihre Vorgänger im Widerspruch zur Lehre der Väter standen und dass sie tatsächlich Häretiker waren. So beschloss sie, den Bilderkult wiederherzustellen und sich damit von der Häresie zu lösen, denn als orthodoxe Kaiserin stehe sie an der Spitze des Christentums und treffe deshalb die Entscheidung, ein allgemeines Konzil einzuberufen.72 Angesichts der Situation der Isolation, in der sich Konstantinopel befand, lehnten sich Rom und die anderen Patriarchen des Ostens gegen das Ökumenische Patriarchat auf, und so sagte Patriarch Paulus bei seinem Rücktritt: „Wenn ich bleibe, wird mus auch religiöse Kompetenzen besaß. Die Kaiserkrönung hatte in Byzanz damit gleichsam sakralen Charakter. 67 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 77. 68 Ebd. (Anm. 9), S. 80. 69 Ebd. (Anm. 9), S. 83. 70 Mansi XII, 705. Siehe auch Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 84 – 85. 71 Mansi XII, 985 – 986. 72 Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 128 f.
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das Anathema der ganzen Kirche, das zur Verdammnis führt, auf meinen Schultern lasten“.73 Die Ursache für diese Anathema sah er in der Synode von Hiereia. Paulus war sich völlig bewusst, dass die Kirche von Konstantinopel durch den Ikonoklasmus vom Rest der Universalkirche getrennt war. Die Absicht des ihm folgenden Patriarchen Tarasios (784 – 806) war es, „die Einheit der heiligen Kirche wiederherzustellen, die getrennt und geteilt ist, denn was geteilt ist, muss wieder vereint werden“.74 Auf jeden Fall wussten die Byzantiner, dass die Lösung angesichts der paradoxen Situation nun bei der höchsten Autorität der Kirche lag, mit einem endgültigen Urteil eines ökumenischen Konzils, das durch den gesamten universellen Episkopat vertreten und vom Heiligen Geist geführt zu den notwendigen Entscheidungen finden musste. Ziel dieses Konzils war es eben, die „Tradition der katholischen Kirche durch eine gemeinsame Entscheidung zu bestätigen“.75 Nur auf diese Weise wurden die Ikonoklasten feierlich als Häretiker verurteilt, auch weil diese auf der Synode von Hiereia die Verehrung von Bildern als Idolatrie ausdrücklich abgelehnt hatten. Bereits in der ersten Sitzung in Konstantinopel im August 786 wurde versucht, die Nichtigkeit des Konzils von Hiereia zu beweisen.76 Die sechste Sitzung des Zweiten Nizänums befasste sich daher ausführlich mit Hiereia als Pseudo-Konzil.77 Jede Entscheidung dieses Pseudo-Konzils wurde nacheinander widerlegt. Die Synode zu Rom von 731, die den Bildersturm verurteilte, forderte einen ausdrücklichen Akt der Wiederaufnahme der Häretiker in die Einheit der Kirche, der auch für die Kaiser und offenbar für die Patriarchen Geltung beanspruchte.78 Papst Hadrian, der an Eirene schreibt, preist sich glücklich, weil die Kaiserin den wahren Glauben gefunden hatte.79 Und im Briefschluss fordert der Papst die Kaiserin auf, den Bilderkult wiederherzustellen und die Tradition der heiligen Apostolischen und unbefleckten Römischen Kirche zu bewahren.80 Auch Patriarch Tarasius wird von Rom als Patriarch anerkannt, wenn er diesen Kult wiederherstellen sollte.81
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Mansi XII, 1003. Mansi XII, 1226. 75 Mansi XIII, 376. 76 Karl Joseph Hefele, Histoire des conciles d’apres les documents originaux. Nouvelle traduction Francaise corrigee et augmentee par H. Leclerq. III. 2 Deuxieme Partie, Hildesheim 1973, S. 757. 77 Mansi XIII, 208 – 209. 78 Mansi XII, 299. Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 84. 79 Mansi XII, 1055. Siehe zur Situation und Vorgeschichte der Versammlung auch Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 102 – 105. 80 Mansi XII, 1071. 81 Mansi XII, 1127. 74
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V. Das Zweite Konzil zu Nizäa (787) Anfang August 786 wurde das Konzil zur Wiederherstellung der Bilderverehrung in der Apostelkirche zu Konstantinopel eröffnet, d. h. der Konzilsbeginn dürfte derjenige Tag des 1. August gewesen sein.82 1. Die sechste Sitzung und die kanonische Bilderlehre der Kirche Die sechste Tagung vom 6. Oktober 787 ist, im Blick auf die heiligen Bilder von Bedeutung, und ausschließlich der Widerlegung des dogmatischen Dekrets von Hiereia gewidmet.83 Gregorios Thaumaturgos las das ikonoklastische Dekret vor und nach jeder Passage unterbrachen die Diakone Johannes und Eutychius mit einer längeren Entgegnung, die zusammen mit dem Dekret selbst 160 Spalten im Mansi füllt.84 Man kann sich einen Eindruck vom Ton dieser Widerlegung verschaffen.85 Schließlich fasst die Widerlegung das zusammen, was zuvor gesagt wurde. Einige Anmerkungen sind erwähnenswert: die Ökumenizität der Synode von Hierea wird bestritten, da der Papst in keiner Weise daran teilgenommen hatte.86 Die Ablehnung des Götzendienstes, da es für die Kirche unmöglich ist, in die Idolatrie zu fallen, weil sie sich nicht ändern kann und nichts in ihr ohne Christus getan wird.87 Auf den Einwand von Hiereia, dass die Malerei Christus nicht darstellen kann, ohne seine beiden Naturen zu teilen, antwortet die Widerlegung, dass die Malerei den Menschen darstellen kann, ohne die menschliche Seele vom menschlichen Körper zu trennen.88 Betont wurde auch die Unterscheidung im Blick auf die Bilder.89 Es wird auch ausdrücklich gesagt, dass diejenigen irren, welche das Kreuz oder andere Bilder und heiligen Geräte nicht ehrfürchtig behandeln, auch wenn über diese noch kein Segensgebet gesprochen worden ist, weil die Ikonen immer heilig sind und ihnen immer der Akt der 82 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 120. Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 130 ff. 83 Mansi XIII, 205. 84 Mansi XIII, 205 A-364D. Vgl. Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 175. Eine englische Übersetzung findet sich bei Daniel J. Sachas, Icon and Logos. Sources in Eighth-Century Iconoclasm. An Annotated Translation of the Sixth Session of the Seventh Ecumenical Council (Nicea 787), Containing the Definition of the Council of Constantinople (754) and ist Refutation, and the Definition of the Seventh Ecumenical Council, Toronto 1986. 85 Mansi XIII, 331: „Vere haec eorum (= iconoclastarum) sunt, qui ex ventre eorum pronuntiationes eliciunt, qui saturitatibus stercoralibus conceptis, putridas evaporationes emittens vesanos et phrenesi captos efficit.“ 86 Mansi XIII, 207. 87 Mansi XIII, 212 – 227. 88 Mansi XIII, 243; 252.260. 89 Mansi XIII, 283: „Spiritus est Deus et eos qui adorant eum in spiritu et veritate oportet adorare, adorationem et servitutem, quae per fidem est, ipsi soli Deo, qui super omnes in Trinitate laudatur, offerunt. Nam divinum typum crucis et venerabiles imagines desiderio et affectu flagrantes, secundum principalium relationem salutamus et honorabiliter adoramus.“
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Verehrung gebührt durch den Namen des Heiligen und durch die Ähnlichkeit mit dem Prototyp.90 2. Die siebte Sitzung vom 13. Oktober 787 und der Horos In dieser Sitzung wurden die dogmatische Verordnung bzw. das Dekret über den Kult der Bilder erlassen.91 Es beginnt mit dem nizänisch-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, in das das Filioque nicht eingefügt ist.92 Das Dekret verurteilt alle Häretiker einschließlich des Papstes Honorius. In Bezug auf die Bilderverehrung erklärt der Horos93: „In ähnlicher Weise wie das Zeichen des kostbaren und lebensspendenden Kreuzes sollen die ehrwürdigen und heiligen Ikonen aus Farben, Mosaikwerk und anderem geeigneten Material in den heiligen Kirchen Gottes, auf heiligen Geräten und Gewändern, an Wänden und auf Tafeln, an Häusern und Wegen angebracht werden, und zwar die Ikone unseres Herrn, Gottes und Heilandes Jesus Christus, unserer makellosen Herrin, der heiligen Gottesgebärerin, der verehrten Engel und aller Heiligen und Seligen; denn in welchem Maße sie andauernd durch ikonische Abbildung gesehen werden, in solchem Maße werden auch diejenigen, die sie betrachten, zum Gedenken an die Urbilder und zur Sehnsucht nach ihnen erweckt; und man soll ihnen Gruß (aspásmos, eigentlich ,Kuss‘) und ehrende Proskynese erweisen, nicht allerdings die unserem Glauben entsprechende wahre Anbetung, die nur der göttlichen Natur gebührt, sondern auf die Weise, wie dem Zeichen des kostbaren und lebensspendenden Kreuzes, den heiligen Evangelien und den übrigen Weihegaben Verehrung erwiesen wird; und zu ihrer Ehre sollen Weihrauch und Lichter dargebracht werden, wie es auch bei den Alten fromme Sitte war; denn die der Ikone erwiesene Ehre geht über auf das Urbild, und der die Ikone verehrt, verehrt in ihr die Person des Dargestellten“.94
Unmittelbar an diesen Text angeschlossen ist dann die Anathemaformel. Alle Mitglieder unterzeichneten dieses dogmatische Dekret (Horos) und verfügten von neuem das Anathem über die Anführer des ikonoklastischen Aufstandes und schlossen mit einer Laudatio des Germanus von Konstantinopel, Georg von Zypern und Johannes von Damaskus.95 Tarasius schrieb später einen Brief an die Kaiserin, um ihr über das Geschehene in der Versammlung zu berichten.96 Es sei darauf hingewie90
Mansi XIII, 269E-272 A. Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 133. 92 Mansi XIII, 376C-377C. Siehe dazu Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 176. 93 Zur Gattung des Horos als „Glaubensentscheidung“ siehe Johannes Bernhard Uphus, Der Horos des Zweiten Konzils von Nizäa 787. Interpretation und Kommentar auf der Grundlage der Konzilsakten mit besonderer Berücksichtigung der Bilderfrage, Paderborn 2004, S. 13 – 37. 94 Mansi XIII, 373 – 380. Hier zitiert nach Thomas Bremer, „Verehrt wird er in seinem Bilde…“ Quellenbuch zur Geschichte der Ikonentheologie, Trier 2014, S. 175. 95 Mansi XIII, 400. 96 Vgl. dazu Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 178. 91
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sen, dass Tarasius in diesem Brief das Synonym von Anbetung (pqosj}mgsir) und Gruß (!sp²feshai) darlegt. Im Altgriechischen bedeutet „jum]y“ nach Tarasius „begrüßen“ und „küssen“. Das Präfix „pqos“ verstärkt den höheren Grad an Zuneigung. Als Beweis für die Synome von „pqosjume?m“ und „!sp²feshai“ zitiert Tarasius die Version der LXX in 1 Könige 20,41 und auch Hebräer 11,21. Diese Proskynese unterscheidet sich für Tarasius von der Anbetung (katqe_a), die nur Gott selbst dargebracht werden kann. Schließlich schrieb das Konzil an den Klerus von Konstantinopel, um ihn über die Arbeit und die Entscheidungen zu informieren.97 So wurde die dogmatische Definition vom Zweiten Konzil zu Nizäa in der siebten Sitzung am 11. Oktober 787 definiert.98 Den Gegnern des Bilderkultes wurden starke Vorwürfe gemacht. Die Väter bekennen sich zum Glauben der ersten sechs Konzilien und bewahren treu sowohl schriftliche als auch ungeschriebene Gesetze über bildliche Darstellungen in Übereinstimmung mit der Verkündigung des Evangeliums. Denn die Verehrung des Bildes geht über auf das Urbild, und wer das Bild verehrt, verehrt in ihm die Person des darin Abgebildeten.99 Es wurde festgehalten, dass es im Horos des Konzils keine Definition der Ikone im Sinne einer Maltechnik gibt, offenkundig war der Väterbeweis für eine nähere Bestimmung im Sinne einer Fülle von Möglichkeiten tragend.100 Sie geben den Befehl, die heiligen Bilder mit allen üblichen Verwendungszwecken gemäß alter Tradition – wie Weihrauch und Kerzen – zu verehren. Als Formen der Verehrung nennt der Horos also Kuss, Proskynese, Weihrauch und Lichter.101 Den Bildern wird kein latreutischer Kult zuteil, da dieser nur Gott geschuldet ist, sondern eine Verehrung im Sinne der alten Gebräuche. Diese Definition wurde von den beiden römischen Legaten, von Patriarch Tarasius, von den Legaten der Patriarchen des Ostens und von etwa 300 Bischöfen unterzeichnet. Die endgültige Genehmigung durch Papst Hadrian hatte sich aus vielen Gründen verzögert.102 Jedenfalls betonte das dritte Anathem, dass derjenige, der diese gemachten Bilder im Namen des Herrn und seiner Heiligen nicht verehrt, ausgeschlossen werden soll. Aus diesem Text folgt, dass der christliche Kult der heiligen Ikonen oder Bilder nicht im Widerspruch zu dem ersten Gebot steht, das die Götzenverehrung verurteilt, sondern vielmehr auf dem Geheimnis der Menschwerdung des Wortes Gottes beruht. Die Ehre, die den heiligen Ikonen oder Bildern entgegengebracht wird, ist eine fromme Verehrung, nicht eine Anbetung, die nur Gott alleine zu-
97 Mansi XIII, 407 – 414. Vgl. auch Johannes Bernhard Uphus, Der Horos (Anm. 93), S. 263. 98 Mansi XIII, 374 – 399. 99 DH 600 – 603. 100 Vgl. Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 183. 101 Mansi XIII, 377 DE. 102 Der Brief des Papstes Hadrian stammt aus der zweiten Hälfte des Jahres 794, so hat sieben Jahre nach Ende des Konzils der Papst dieses noch nicht approbiert. Vgl. dazu Libri Carolini: PL 98, 1291 – 1292: „Nos vero adhuc pro eadem Synodo nullum responsum hactenus eidem Imperatori reddidimus, metuentes ne ad eorum reventerentur errorum.“
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kommt.103 Heilige Ikonen oder Bilder werden nicht für sich als Gegenstand verehrt, sondern weil sie dazu dienen, den fleischgewordenen Gott darzustellen, d. h. insofern, weil sie darauf ausgerichtet sind, Gott anzubeten und die Mutter Gottes und die Heiligen zu verehren. Der heilige Basilius konnte daher sagen: „Die Ehre, die einer Ikone zuteil wird, kommt jenen zu, die darauf abgebildet sind“.104 3. Die heiligen Bilder im Gesetz der Kirche Das Zweite Konzil zu Nizäa verlautbarte auch 22 disziplinäre Kanones. Das wären die besten, die ein allgemeines Konzil jemals erlassen hätte.105 Unter diesen 22 disziplinären Kanons interessieren uns der siebte, der achte und der neunte für unsere Fragestellung nach dem Bilderkult. a) Can. 7106 : „Die Deponierung von Reliquien in Kirchen mit dem Gebet“ („Quod templa noviter sine reconditis sanctorum reliquiis dedicata oporteat suppleri“) In diesem Kanon wird die Autorität des Apostels Paulus angerufen (1 Tim 5,24), der sagt, dass „die Sünden einiger Menschen offenbar sind, von anderen werden sie später entdeckt“. Nach den ikonoklastischen Auseinandersetzungen wurde nicht nur weithin die Praxis angewendet, die Bilder vor den Augen der Gläubigen zu verbergen, sondern auch, die Reliquien der Märtyrer aus den Kirchen zu verbannen.107 Das Konzil stellt klar, dass diese verloren gegangene Tradition wiederhergestellt und erhalten werden sollte. Deshalb wird angeordnet, dass in den ohne Reliquien geweihten Kirchen die Hinterlegung der heiligen Reliquien der Märtyrer mit Gebeten zu erfolgen hat.108 Die Absetzung derjenigen wird gefordert, die dieser Vorschrift der kirchlichen Traditionen nicht gehorchen oder entsprechen wollen. Der Kanon versucht in Normen zu gießen, was durch die Bilderfeinde geschehen ist, sie haben nicht nur die Bilder aus den Kirchen entfernt, sondern auch andere unangemessene Haltungen gezeigt, die nunmehr gemäß der geschriebenen und ungeschriebenen Tradition geändert werden müssen.
103 Vgl. dazu Dimitrios Salachas, Il Diritto Canonico delle Chiese orientali nel primo millennio. Confronti con il diritto attuale delle Chiese orientali: CCEO, Bologna 1997, S. 305 – 306. 104 Sanctus Basilius, Liber de Spiritu Sancto, 18,45: PG 32,149 C. 105 Adolf Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Tübingen 1909 – 10, S. 488 ff. 106 Mansi XIII, 427B-D; auch Pericles-Pierre Joannou, Fonti (Anm. 28), t. IX-I, S. 260 – 261. 107 Vgl. dazu Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 187. 108 Vgl. dazu die Anmerkungen Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 187: „Hieraus darf nicht auf eine Ablehnung der Verehrung von Reliquien und der damit verbundenen Praxis durch die Bilderfeinde geschlossen werden. Eher zeigt sich die Tendenz, alles als Missstand Empfundene den Ikonoklasten anzulasten“.
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b) Can. 8109 : „Die Aufnahme jener Juden, die sich vollen Herzens bekehren“ („Quod Haebreos non oporteat recipi, nisi forte ex sincero corde conversi fuerint“) Dies ist ein Kanon von geringerer Bedeutung, nicht etwa weil er direkt eine Maßnahme gegen Ikonoklasten oder für Bilder enthält, sondern weil die Väter, die die Beweggründe und Motive des ikonoklastischen Kampfes kennen, sehr vorsichtig bei der Akzeptanz der Bekehrung der Juden sind. Ihre Kinder sollten nicht getauft noch als Sklaven gekauft werden. Nur diejenigen, die auf alle jüdischen Bräuche und Riten verzichtet haben, die von einem aufrichtigen öffentlichen Glauben angetrieben sind, werden in den christlichen Glauben aufgenommen. Ein Mensch kann mit seiner ganzen Familie getauft werden, wenn sichergestellt ist, dass er auf jüdische Lebensweisen verzichtet hat. Uns liegt hier ein Kanon vor, der die gesunde Lehre und die Bräuche der kirchlichen Traditionen bewahren will.110 c) Can. 9111: „Die Abgabe aller bilderfeindlichen Bücher“ („De non abscondendo libro quolibet haereseos Christianos accusantium“) Kanon 9 verfügt, dass alle bilderfeindlichen Bücher im Patriarchat von Konstantinopel abzugeben seien, wo sie bei den anderen häretischen Büchern aufbewahrt werden sollten. Eine Folge, die daraus abgeleitet werden kann, ist, dass der Ikonoklasmus selbst dem Verbrechen der Häresie gleichgestellt wird. Zwei schwere Strafen werden verhängt, die Absetzung für Geistliche (Bischof, Priester, Diakon) und das Anathem für Laien und Mönche. Dies zeigt die Bedeutung des Bilderkultes auf, der im Konzil als Disziplinarregel verankert ist.112 Summa summarum: Diejenigen, die Bilder ablehnen, stehen außerhalb der Lehre der Kirche. Die Kanones sind in der Form etwas im Stil der altbewährten Mönchsregeln abgefasst, in denen die in der Praxis umzusetzende Lehre des Evangeliums als Grundlage genommen wird. Sie sind fast als ein Spiegel des disziplinären Chaos zu deuten, in der sich der Klerus während des Ikonoklasmus befunden hatte, und dem man durch eine geregelte Gesetzgebung entgegentreten mochte. Die Kanones gelten als Primärquellen, viele betreffen Probleme, die immer wieder im kirchlichen Leben auftreten. Dann kann darauf verwiesen werden, dass bereits früher Kanones in dieser Frage erlassen wurden, andererseits gehen Kanones durch Rezeption in das Kirchenrecht ein, so dass später auf sie zurückgegriffen werden kann.113 Es wird einige Zeit dauern, bis 109 Mansi XIII, 427D-430 A. Auch Pericles-Pierre Joannou, Fonti (Anm. 28), t. IX-I, S. 261 – 263. 110 Siehe dazu Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 187. 111 Mansi XIII, 430AB. Auch Pericles-Pierre Joannou, Fonti (Anm. 29), t. IX-I, S. 263. 112 Vgl. dazu Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 190. 113 Für die einzelnen Kanones des zweiten Nizänums vgl. die Angaben über die Rezeption bei Karl Josef Hefele, Conciliengeschichte. Zweite verbesserte Auflage, 4 Bände, Freiburg i. Br. 1873 – 1879, S. 475 – 482. Siehe auch Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 185.
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sich die Autorität des Zweiten Konzils zu Nizäa volle Anerkennung verschaffen wird. Die Nachgeschichte des Zweiten Nizänums in Ost und West ist auch seine Rezeptionsgeschichte. Schon die Ablehnung des Konzils durch die Franken sowie die Erneuerung der bilderfeindlichen Beschlüsse durch den zweiten Ikonoklasmus (813 – 815) in Byzanz gehören dazu, können aber hier nicht umfassend betrachtet werden.114 Das achte ökumenische Konzil (869), das vierte von Konstantinopel, betrachtet das Zweite Nizänum als ökumenisch. Für die „orthodoxe“ Kirche schließt sich die Liste der „sieben großen Konzilien“.115 Nizäa II. ist somit das wichtigste Ereignis in der Geschichte der byzantinischen Kunst: Es legte den Grundstein für die Wiederherstellung heiliger Bilder. Es definierte konzeptionell den Weg der byzantinischen Kunst, einen engen vertikalen Weg, streng, aber spirituell.116 Es markierte den Bruch zwischen der byzantinischen und der westlichen Welt. In der Zwischenzeit ging die Geschichte weiter, und auf dem Thron von Byzanz folgten mehrere Kaiser aufeinander, die nicht den Ideen der Kaiserin Eirene folgten, sondern einen zweiten Ikonoklasmus aufnahmen.117 Mit dem Erlass dieser Kanones zielte die Synode auf die Wiederherstellung und Festigung der kirchlichen Disziplin ab, die in der Zeit der ikonoklastischen Kontroverse sehr stark gestört worden war. Das Konzil zu Nizäa II. zielte auch darauf ab, all jene Phänomene zu beseitigen, die die letzten Jahrzehnte verursacht hatten und die das Funktionieren der kirchlichen Verwaltung behinderten. Eine Analyse der Gesetzgebungsfunktion des Konzils zeigt jedoch, dass es keine beeindruckenden Innovationen gibt. Die Kanones enthalten eine eher begrenzte Anzahl neuer Gesetze; in den meisten Fällen wiederholen sie Regelungen, die durch frühere Synoden118 oder, häufiger, durch kaiserliche Gesetze eingeführt wurden.119 Die Aufnahme von Bestimmungen des Zivilrechts ist wahrscheinlich Ausdruck einer Tendenz der Kirche, ihr Gesetz selbst zu formulieren, völlig unabhängig vom Gesetzgebungsprozess des Staates. Dies wurde sicherlich dadurch beeinflusst, dass das oströmische Reich zu diesem Zeitpunkt aufgehört hatte, die gesamte christliche Welt innerhalb 114 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 219 f. Auch im Osten stellte die neuerliche ikonoklastische Bewegung, die unter Kaiser Leon V. vorbereitet wurde, die Entscheidungen dieser Versammlung in Frage, die ab 843 endgültig angenommen werden sollte. Vgl. dazu auch die Darlegungen bei Bremer, Quellenbuch (Anm. 94), S. 42 – 46. 115 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 194. 116 Vgl. dazu Hans Belting, Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2005, S. 133 ff., der darauf verweist, wie stark unser Bilddenken und die moderne Semiotik auch heute noch in den Debatten der Religion verwurzelt sind. So ist der Ikonoklasmus als Schwellenzeit zu verstehen, der wie die Reformation auch die europäische Kultur nachhaltig geprägt hatte. 117 Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 146 – 163. 118 Vgl. dazu Heinz Ohme, „Das Quinisextum auf dem VII. Ökumenischen Konzil“, in: AHC 20 (1988), S. 325 – 344. 119 Siehe dazu Spyridos Troianos, „Die Kanones des VII. Ökumenischen Konzils und die Kaisergesetzgebung“, in: AHC 20 (1988), S. 289 – 306.
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ihrer Grenzen zu erfassen. Da also die östlichen Patriarchate unter die Herrschaft der Araber geraten waren, hätte die Durchsetzung des byzantinischen kaiserlichen Rechts sicherlich viele Probleme bereitet. Diese Probleme wurden dadurch minimiert, dass die gleichen Bestimmungen von einem ökumenischen Konzil erlassen wurden.
VI. Die Reaktion des lateinischen Westens Der Bilderstreit befasste natürlich auch den christlich lateinischen Westen, die Päpste Gregor II. (715 – 731), Gregor III. (731 – 741) und Hadrian I. (772 – 795). Die Päpste standen auf der Seite der Ikonenverehrer. Papst Hadrian hatte in einem Brief an Kaiserin Eirene den Beschlüssen des Zweiten Nizänums zugestimmt. Er ließ auch Kaiser Karl den Großen die Konzilsakten in einer allerdings fehlerhaften lateinischen Übersetzung zukommen. Dieser beauftragte Theodulf von Orleans eine Widerlegung der bilderfreundlichen Beschlüsse zu verfassen. Diese Widerlegung ging in die Libri Carolini ein, später dann auch in die Beschlüsse der Synode von Frankfurt (794) und von Paris (825). Es wurde zwar nicht die Zerstörung der Bilder angeordnet, aber deren „Anbetung“ (adoratio) verboten. Aufgrund der fehlerhaften Übersetzung wird also den Byzantinern die Anbetung der Ikonen unterstellt und nicht zwischen „Anbetung Gottes“ und „Verehrung der Ikonen“ unterschieden. Abgelehnt wurde auch die Aussage der Theologen, dass die den Ikonen dargebrachte Verehrung auf das Urbild übergeht. Das Verhalten der fränkischen Synoden zeigt, dass der Westen im achten und neunten Jahrhundert eine Krise des Bild- und Symbolverständnisses überwinden musste. Die Lateransynode im Jahre 863 schwächt diese Sichtweise deutlich ab, sodass Bilder und Kreuze als heilig qualifiziert wurden und der Widerstand schwächer wurde.120
VII. Die Erneuerung des Bilderverbots im zweiten Ikonoklasmus Im Jahr 813 wollte dann Kaiser Leon V. der Armenier sich auf die Armee stützen, um den Thron zu erhalten, und so nahm der ikonoklastische Kampf seinen weiteren Lauf. Im Jahr 815 wurde das zweite ikonoklastische Konzil in der Kirche der Hagia Sophia abgehalten.121 Patriarch Nikephoros wurde durch Patriarch Theodotos Kassiteras (815 – 821) ersetzt, der dem Kaiser treu blieb, und mit ihm wurde die Verfol-
120 Zum Verhalten des Westens in der Bilderfrage siehe Walter von Loewenich, Artikel Bilder V, 2, in: TRE 6, S. 540 – 546. 121 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 237 ff. Vgl. auch Herrin, Byzanz. (Anm. 42), S. 134 f. Vgl. auch die Ausführungen bei Hans Georg Beck, Die griechische Kirche (Anm. 9), S. 48 ff.
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gung der Ikonen wieder aufgenommen.122 Nach einigen Jahrzehnten stellte Theodora am 11. März 843 den Kult der heiligen Bilder wieder her, und definiert damit endgültig den „Sieg der Orthodoxie“.123 Das ikonoklastische Dekret des zweiten ikonoklastischen Konzils in der Hagia Sophia (815) erklärte das Bild für „nutzlos“, aber im Jahre 843 wird das heilige Bild durch seine heiligende und didaktische Kraft legitimiert. Zum Glauben durch das Hören gesellt sich damit der Glaube durch das Sehen. Diese Glaubensform ergänzt die Schrift und das Wort. Die andere Neuerung durch die Versammlung in der Kirche der Hagia Sophia ist, dass die Konzilsväter die im zweiten Teil der Abhandlung des Nikephoros abgelehnte patristischen Florilegien untersuchen.124 Der Zweck dieser Florilegien ist es, eine Antwort auf die Idee des heiligen Bildes zu geben, das für sie immer noch als „nutzlos“ galt, denn das Bild Christi ist nicht die Ikone, sondern der „tugendhafte Mensch“. Dies ist eine Neuerung im Vergleich zur Versammlung in Hiereia, und so ist es das Verdienst der Versammlung in der Hagia Sophia nach der Natur des wahren Bildes gesucht zu haben. Die Argumente sind allesamt traditionell. Entweder werde im Christusbild die göttliche Natur dargestellt oder beide Naturen würden auseinandergerissen.125 Die Originalität dieses Konzils liegt also darin, eine andere Lösung gefunden zu haben als die von Konstantin V.126 Die zweite Periode dauerte 30 Jahre (815 – 843), also war sie 20 Jahre kürzer als die erste. Kraftvoll war die Unterdrückung von Theodoros von Studion und seiner Gefährten, die einen großen Einfluss auf die Massen der Menschen ausübten.127 Theodoros schrieb offen gegen den Einfluss weltlicher Gewalt in den Angelegenheiten der Kirche und verteidigte die Grundlagen der Unabhängigkeit der Kirche und der Gewissensfreiheit. Der Kaiser sandte ihn ins Exil und sprach gegenüber seinen Gefährten den Bann aus.128 122
Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 157. Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 164 ff. 124 Paul Alexander, The Iconoclastic Council of St. Sophia (815) and it’s Definition (Horos) in: DOP 7 (1953), S. 35 – 66, hier S. 42. 125 Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 238. Für Hierea und Konstantin V. war das wahre Bild Christi mit dem Urbild „konsubstantiell, also wesensgleich“. Für das Konzil der Heiligen Sophia waren das wahre Bild Christi und der Heiligen nicht irgendwelche bildlichen Darstellungen. Hier haben wir es mit einer ikonoklastischen Lehre zu tun, die eine viel tiefere philosophische Sprache spricht als die von Hiereia, die eine christologische Sprache benutzte. In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden ikonoklastischen Synoden. Von der Christologie führt der Diskurs zur aristotelischen Philosophie unter Verwendung der Lehre von Origenes, die den göttlichen Aspekt Christi mehr als den menschlichen betont. Origenismus, Monophysitismus und Ikonoklasmus sind ein Zeichen jener griechischen Mentalität, für die die Kreuzigung Christi eine Torheit ist (vgl. 1 Kor 1, 23). 126 Alexander, The Iconoclastic Council (Anm. 124), S. 51 – 52. 127 Vgl. zur Ikonentheologie des Theodoros die summarischen Ausführungen bei Ferdinand Gahbauer, Byzantinische Dogmengeschichte. Vom Ausgang des Ikonoklasmus bis zum Untergang Konstantinopels (1453), Heiligenkreuz im Wienerwald 2010, S. 15 – 20. 128 Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 157 – 159, auch S. 162 f. 123
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VIII. Kaiserin Theodora und die Gesetzgebung über die Ikonen bei der Wiederaufrichtung der Bilder Theodora, die Frau des Kaisers Theophilus, war eine begeisterte Anhängerin des Bilderkults. Ihr vorrangiges Ziel war es, die Bilder- und Ikonenverehrung wiederherzustellen.129 Tatsächlich berief Theodora nach nur einem Jahr ein Konzil ein, das dazu bestimmt war, ihre Haltung und Einstellung zu begründen.130 Am 4. März wurde eine Synode einberufen, die bis zum 8. März dauerte. Vor der Diskussion wurde Patriarch Johannes VII. Grammatikos abgesetzt und Methodius an seiner Stelle ernannt. Unter seinem Vorsitz fand eine Diskussion über die Bilder statt, deren Kult wiederhergestellt wurde.131 Dann wurde der neue Horos veröffentlicht, eine dogmatische Definition, dem die Anathemata gegen die ernannten Häretiker und deren Nennung folgten.132 Am 11. März stellten die Orthodoxen den Kult in der Kirche der Hagia Sophia feierlich wieder her und begründeten damit dieses Fest für die Zukunft, das bis heute jedes Jahr gefeiert wird. So wurde nach dieser Vorschrift am 2. März 844 der erste Jahrestag des Sieges der Orthodoxie oder des Bilderkultes gefeiert. An diesem Gedenktag wurde feierlich das Synodikon verlesen, das enthält: den Horos des Zweiten Konzils von Nizäa, den Horos des Konzils von 843, der die Bilderverehrung wiederherstellte, die Verurteilung der Häretiker, das „Multos annos“ zum Gedenken an die Kirchenväter und Kirchenlehrer, die Patriarchen sowie die orthodoxen Herrscher, denen an den jeweiligen Orten die Namen der orthodoxen Bischöfe hinzugefügt werden. Der Text des Synodikons wird traditionell am orthodoxen Sonntag gelesen.133 Mit Nikephoros und Theodoros von Studion traten die bedeutendsten Denker der gesamten byzantinischen Geschichte auf, deren Periode gerne als „scholastische Periode des Ikonoklasmus“ bezeichnet wird.134 Eine beeindruckende Bildtheorie konnte sich entwickeln, eine Semantik des Bildes, die das christologische Dilemma der zwei Naturen in einer Person zu überwinden erlaubte.135 Die von Theodoros vorgebrachten Prinzipien sind die Unabhängigkeit der Kir129
Thümmel, Die Konzilien zur Bilderfrage (Anm. 9), S. 269 ff. Symeonis Magistri Annales, in: PG 109,707D-710B. 131 Gregorii Monachi Vitae, in: PG 109,871C-875 A. 132 Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 165. 133 Jean Gouillard, Le Synodikon de l’Orthodoxie. Édition et commentaire, in: Centre de Recherche d’Histoire et Civilisation Byzantines. Travaux et me´moires. no. 2., Paris 1967, S. 137 ff. Der Text findet sich bei Bremer, Quellenbuch (Anm. 94), S. 269 – 277 und auch bei Uphus, Der Horos (Anm. 93), S. 2 – 11. 134 Vgl. dazu Marie-José Baudinet-Mondzain, La relation iconique à Byzance au IXme siècle d’après Nicéphore le Patriarche: un destin de l’aristotélism, in: Les Etudes philosophiques 1 (1978) S. 85 – 106. Vgl. auch Gahbauer, Byzantinische Dogmengeschichte (Anm. 127), S. 14 – 15. 135 Vgl. Theodoros von Studion, Epistel 411, Hrsg. von Georgios Fatouros, 2. Bd., S. 573 f. Das Bild Christi ist nicht Christus selbst: „Christus und die nach der Natur gestaltete Ikone Christi sind zweierlei, auch wenn, was die Benennung betrifft, unteilbare Identität besteht. Wenn man die Natur der Ikone meint, wird man nicht „Christus“, nicht einmal „Bildnis Christi“ sagen, sondern das, was man sieht: „Holztafel“, „Farbe“, „Gold“ und „Silber“; doch 130
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che gegenüber der Institution des Kaisertums und der Laien, die Ablehnung jedes politischen Kompromisses und die sorgfältige Beachtung des kanonischen Rechts. Das „studitische Schisma“ gab aber folglich ein Muster für große Krisen vor, die die Geschichte der byzantinischen Kirche bis zum Ende der Herrschaft Leons VI. markierten.136
IX. Abschließende Bemerkungen Bei der Betrachtung des Zeitraums des Ikonoklasmus sollte man weder Fortschritte in der Geschichte des Dogmas noch sehr originelle theologische oder kanonistische Entwicklungen erwarten. Die Glaubenswahrheiten, die der Theologie der Ikone zugrunde liegen, werden bereits von den ersten sechs Konzilien bekannt, denen das siebte Konzil förmlich ein Siegel aufdrückt. Die Väter des Zweiten Konzils zu Nizäa waren sich dessen wohl bewusst und erkannten, dass die zweite Sitzung zu Nizäa wie die Erfüllung und Vollendung des Bekenntnisses der ersten Synode im Jahr 325 war.137 Es sei daran erinnert, dass die Zahl der sieben Konzilien voller Bedeutung ist. Wir können von einer „Kirche der sieben Konzilien“ sprechen, um auf eine gewisse normative Fülle hinzuweisen, die in der zweiten Versammlung von Nizäa eine allgemeine „Bestätigung“ des „traditionellen“ Glaubens der Kirche erfahren hatte.138 Das Ereignis, das sein Motiv war, mag von geringer Bedeutung erscheinen, aber in der Tat war es das nicht, denn es ging um die Ablehnung von Ikonen, die mit einem theologischen Apparat gerechtfertigt werden sollte, der den von den sechs vorangegangenen Konzilen zum Ausdruck gebrachten katholischen Glauben zutiefst untergrub. Der endgültige Sieg der Ikonenverehrer im Jahr 843 war wirklich der Sieg der Orthodoxie nicht nur für diesen Zeitraum, sondern auch für den der „Kirche der sieben Konzilien“.139
wenn man die Ähnlichkeit mit dem dargestellten Vorbild meint, sagt man „Christus“ und „Bildnis Christi“ nach der Relation“. Siehe dazu auch die Ausführungen bei Schönborn, Die Christus-Ikone, (Anm. 3), S. 209 – 225. 136 Vgl. dazu Kirill Maksimovicˇ , Patriarch Methodios I. (843 – 847) und das studitische Schisma: Quellenkritische Bemerkungen, in: Byzantion 70, 2 (2000), S. 422 – 446. 137 Mansi XIII, 201 A: „Benedictus Deus, qui glorificavit amatricem Christi Nicaensium hanc civitatem in diebus Constantini et Irenae amatorum Christi imperatorum. Benedictus Deus qui exhibuit eam duplici gratia dignam. Fidem prius hic Christus expressius explanavit: nunc autem per sanctam synodum hanc dispensationis suorum symbola omnibus manifestavit. Arius infamis hic est depositus: Deo peroforum imagines confringentium haeresis hic exterminata est. Benedictus Deus qui dicit per sanctum apostolum Ioannem: Ego sum Alpha et Omega. Benedictus Deus, qui hic in primis et in fine fidem orthodoxam confirmavit.“ 138 Vgl. dazu Henry R. Percival, The Seven Ecumenical Councils, in: Philip Schaff/Henry Wace (Hrsg.), Volume XIV Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian Church), Oxford 2011, S. 8 – 12. 139 Grigorios Larentzakis, Die Orthodoxe Kirche, ihr Leben und ihr Glaube, Graz/Wien/ Köln 2000, S. 138 ff.
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Auf allen Gebieten der Politik, der Kultur und Religion war der Ikonoklasmus eine Zeit des Wandels. Das Mönchtum veränderte sich, die Ekklesiologie erneuerte sich und die Theologie wurde vollendet.140 Aus der Krise erwuchs eine neue Auffassung der Ökumenizität. Der Ikonoklasmus stellte die Reform des christlichen Kults dar, die Verteidigung der Bilder eine Umgestaltung der Orthodoxie. Ekklesiologisch verstärkte der Konflikt die Auffassung von der Kirche als Corpus ecclesiarum, gelenkt von fünf Patriarchen, deren Einmütigkeit Ökumenizität und Orthodoxie bestimmte. Der erste unter ihnen sei der Papst in Rom.141 Der Westen entschied sich dazu, sich durch mehr als zögernde Zurückhaltung gegenüber den Bildern und auch Reliquien von Byzanz abzugrenzen. Erst nach der Reformation und dem Konzil zu Trient kommt es im Westen zu einer theoretischen Stellungnahme zugunsten der Bilderverehrung. Allein die östliche Frömmigkeit setzte allmählich das Bild durch und bewirkte die Entwicklung zu einem Kultbild der Ikone, das eine geheiligte Anwesenheit birgt, vor der man sich niederwirft und die man küsst. So fassen wir zusammen: Ausgehend vom Quinisextum haben wir gesehen, dass im Zentrum des Konzils zu Nizäa 787 ohne Zweifel die ikonoklastische Frage stand, in der letzten Sitzung hatte sich die Synode aber durchaus auch mit administrativen Fragen befasst.142 Die 22 Kanones bringen zwar materiell nicht viel Neues gegenüber der bisherigen Gesetzgebung, sind aber von enormer Wichtigkeit, weil sie in vielen Fällen staatliches in rein kirchliches Recht transformierten. Das Konzil drückt dadurch den Anspruch auf eine eigenständige kirchliche und vom Staat unabhängige legislative Kompetenz aus. In der Bilderfrage wurde in Rom die ikonenfreundliche Politik unterstützt, eine misslungene Übersetzung der Dekrete der Synode von Nizäa führte aber zu deren Verurteilung auf einer fränkischen Synode im Jahre 794. Die Darstellung dieses rechtshistorischen Beitrags hat dabei ein sehr großes Problem im theologisch-kirchlichen Bereich eröffnet, das ich auf die ersten acht Jahrhunderte und ausschließlich auf die legislativen Aspekte des Themas beschränken musste. Andere haben bereits sehr interessante Arbeiten zu anderen Aspekten der Ikone geschrieben, und dieser Beitrag fügt summarisch hinzu, was eine praktische Hilfe sein kann, um die rechtlichen und legislativen Aspekte zu verstehen. Es bleibt noch viel zu tun und die Arbeit muss mit der kanonischen Gesetzgebung über den Kult der Bilder in der Kirchengeschichte der anderen christlichen Kirchen abgeschlossen werden. Dies würde neue interessante Sichtweisen eröffnen, die der gesamten kanonischen und ikonologischen Abhandlung ein einheitliches Gesicht geben würden. Der wichtigste Fortschritt, der sich aus dem Studium der inhaltlich 140
Dagron, Der Ikonoklasmus (Anm. 14), S. 170. Frantisek Dvornik, Byzance et la primauté romaine, Paris 1984, S. 89 ff. Auch Vittorio Peri, La Pentarchia: istituzione ecclesiale (IV–VII sec.) e teoria canonico-teologica, in: Bisanzio, Roma e l’Italia nell’Alto Medioevo, Spoleto 1988, S. 209 – 218. 142 Vgl. dazu die Ausführungen bei Potz/Synek, Orthodoxes Kirchenrecht (Anm. 24), S. 76 f. 141
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stärksten Zeit bis 843 ergeben kann, ist der Aufweis, dass die Ikonen auch heute noch in den Gedanken der Gläubigen die Erinnerung an die apostolische Tradition und Heilige Schrift wach halten, an die wir alle durch den Glauben gebunden sind und dass man in ihnen immer einen Ort der Begegnung mit Gott finden kann. Aus den bisherigen Überlegungen ist auch abzuleiten, dass der Begriff „Ikone“ eher in den Ostkirchen verwendet wird, das lateinische Gesetzbuch spricht eben von den „heiligen Bildern“ (c. 1188 CIC/1983). Der Umgang mit Ikonen ist im östlichen Rechtsbereich eine besondere Angelegenheit für die Partikularkirchen (c. 886 CCEO), wie der Umgang mit der göttlichen Liturgie, deshalb verweist der CCEO auf die besonderen Rechte, wobei sich das allgemeine Recht sich darauf beschränkt, ihre Aufstellung und Verehrung zu erlauben (c. 887 § 1 CCEO). Das Thema der heiligen Ikonen hat gezeigt, dass die östlichen, katholischen und orthodoxen Kirchen die gleiche Geschichte und Kultur, die gleiche pastorale Sorge um ihr Volk und grundsätzlich ein gemeinsames theologisches, liturgisches, spirituelles und disziplinäres Erbe haben. Dieses gemeinsame Erbe im kanonischen Recht charakterisiert ihre gemeinsame Identität und rechtfertigt die besondere Aufgabe, die Einheit aller Christen, Katholiken und Orthodoxen zu fördern.
II. Grundfragen des Kirchenrechts und allgemeine Normen
Law between legal norms and literary forms in the Bible Von Irena Avsenik Nabergoj
I. Introduction Ever since antiquity, up until the 20th century, the hermeneutics of the Bible primarily maintained a historical perspective, whilst in the methodological aspect the comparative approaches focused on the relationship to the other creeds and cultures of antiquity. The historical perspective also looked into the literary forms of the biblical scriptures, where its comparison to those of the other religions and cultures was analytical; and therefore partial. In the 20th century increasing numbers of interpreters of the Bible became attentive to the literary genres and techniques of the scriptures. Morphological studies were then being conducted on the elementary Biblical literary forms, with the goal of establishing the exact and full structure of the texts within the framework of specific literary genres or forms. The guideline of the new method is that “a clear grasp of the outer literary form is an essential guide to the inner matter and spirit.1” Striving to reach the understanding of these two by way of literary analysis lets scholars examine the relationship between the scriptures and the ancient Egyptian, Sumerian, Acadian, Greek and Roman literature from a higher resolution of comprehensive comparison between their over-arching messages, which in the Holy Bible encompasses the most acute spiritual and emotional horizons of man’s life – in personal relation to the highest ideals of purity, universal order, empathy and solidarity, faith in the ultimate fall of moral evil, in infinite good and all-encompassing love. Two scholarly camps thus eventually formed, with the proponents of the historical textual analysis method on the one hand, and those pursuing pure literary morphology on the other. Nevertheless, many interpreters seek to integrate both perspectives to their mutual benefit. The most convincing argument for such endeavours is belief that precise historical analysis of texts in their proper Zeitgeist context may indeed be highly useful for establishing the positive and negative balance of likelihoods and facts concerning their genesis, but most often cannot overcome disputes regarding the issue of authorship, dating, and numerous other queries based on currently available records. Despite major discrepancies in the views concerning the authorship and 1 Richard G. Mounton, The Literary Study of the Bible: An Account of the Leading Forms of Literature Represented in the Sacred Writings, Boston/New York/Chicago 1899.
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circumstances of the creation of the core biblical texts, and the diverging steps of preliminary analysis, interpreting scholars have largely reached a consensus concerning the message and meaning of each individual text as a whole. Moulton in the procedure of literary analysis makes a distinction between the “higher” and “lower” unity of the texts.2 Lower unity may be observed in the form of individual sentences and verses and their place in smaller complete units, while higher unity is gleaned in the criteria that connect the smaller complete units into the whole of a particular text. For Judaism, an especially significant part of the Bible is the five books of Moses (the Pentateuch), as these contain the fundamental legal dictates specifying God’s relationship towards Israel, humanity and vice versa. Legal norms are in the Pentateuch assembled in the context of narrative text on the history of mankind and of Israel, from creation to the exodus from Egypt. Still, content dealing with law is delivered by many other biblical literary forms like the prophecy, the wisdom literature, and the gospel in the New Testament.
II. Literary context of the legal norms in the Old Testament Academic discourse on the forms of the legal and moral commandments in the Holy Bible begins with the definition of terminology. The basic concept for a commandment is in Hebrew the torah and in Greek the nomos. In the Judaic Hebrew cannon of the Old Testament, the word torah also represents the title of the first five books of the Old Testament (the Pentateuch), whose most widely international denominations arise from the Greek and Latin tradition: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium. This fact alone opens the subject of the potential manifold meanings placed within the word torah in the Judaic tradition, since the Pentateuch is not specifically a collection of legal norms but in essence a collection of narrative texts on the events of the creation, on humanity’s prehistory, the history of the Church Fathers, and in the largest part a collection of narrative text on the role of Moses in the period of Egyptian slavery and exodus from Egypt, and the travel of the chosen people through the desert to the Promised Land. Here it should be pointed out that in the tradition of the Judaic religion, Moses stands not only as a lawmaker but primarily a prophet, the paramount prophet of all in fact. Moses holds the unique status of a prophet unto whom God spoke “face to face”, and he alone was allowed to witness the “the form of the Lord” (Num 12:8). At the end of Deuteronomy we read: “Never since has there arisen a prophet in Israel like Moses, whom the Lord knew face to face” (Deut 34:10). Collections of legal and moral commandments in the Old Testament are thus organically included in stories of literary and historical nature: the Code of the Covenant (Deut 20:22 – 23:33); the Priestly Code – Leviticus and parts of Exodus and 2
Mounton, The Literary Study of the Bible (fn. 1), p. 83.
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Number; the Deuteronomic Code (Deut 12–28). The most salient part of these collections are the Ten Commandments, the Decalogue (Exod 20:2 – 17; Deut 5:6 – 21). From certain other books of the Old Testament, we may infer that the concept torah was understood in an even broader sense than may be observed in the prophetic perspectives of the Old Testament, even as a deeply personal relationship between man and God. The introductory Psalm 1:1 – 2 speaks thus: Happy are those who do not follow the advice of the wiced, or take the path that sinners tread, or sit in the seat of scoffers; but their delight is in the law of the Lord, and on his law they meditate day and night.
Acrostic Psalm 119 utilizes the word torah and its synonyms in as many as 22 of its partial psalms to celebrate and recommend the faithful observance of God’s commands. The Pentateuch contains several collections of law and legal examples, which in various forms also appear elsewhere in the Old Testament. As Gordon Wenham states these biblical collections are frequently compared to the legal collections of the various cultures of the ancient Near East: “These invite comparison with the collections of law, so-called codes, and the tens of thousands of legal texts from the ancient Near East. Records of legal cases from many different sites in Mesopotamia and Asia Minor tell of property transactions, loans, adoptions, marriages, and all sorts of disputes. These texts give a vivid picture of how law operated in practice in biblical times.”3 Among all the legal codes of the ancient Near East, the most well known and frequently cited is that of the Babylonian king Hammurabi from approx. 1750 BC. Contrary to the later, and especially the modern codes, “these ancient oriental texts do not attempt to be a complete or comprehensive statement of legal principles. Instead, we have a variety of topics addressed, but many areas are either unaddressed or mentioned only in passing.”4 The Old Testament repeatedly praises the “just” norms of the Lord’s commandments. Loyalty to God’s law is encouraged especially in Deutronomy (4:1 – 8), culminating in rapture: “For what other great nation has a god so near to it as the Lord our God is whenever we call to him? And what other great nation has statutes and ordinances as just as this entire law that I am setting before you today?” (4:7 – 8). These revealing words hint at the origin point of the Israelite valuation of authority, and consequently reasoning to follow the commandments: “Whereas the God Shamash gave Hammurabi the gift of insight into justice, and his formulation of the laws demon3 Gordon Wenham, Law in the Old Testament, in: John William Rogerson/Judith M. Lieu (eds), The Oxford Handbook of Biblical Studies, Oxford 2007, pp. 351 – 361, here p. 352. 4 Wenham, Law in the Old Testament (fn. 3), p. 352.
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strates his exploitation of that gift, in Israel the king was not seen as the source or conduit of the laws. Rather, he was to be subject to the law himself (Deut 17:18 – 20), and the collections of biblical laws celebrate not the wisdom of human lawgiver, but the wisdom of God, who entrusted these laws to Israel.”5 To the Israelites, acceptance or renouncement of God’s law means the life or death of their king and their entire people. In Deuteronomy the author speaks these words on the fundamental mandate of the king: “When he has taken the throne of his kingdom, he shall have a copy of this law written for him in the presence of the levitical priests. It shall remain with him and he shall read in it all the days of his life, so that he may learn to fear the Lord his God, diligently observing all the words of this law and these statues, neither exalting himself above other members of the community nor turning aside from the commandment, either to the right or to the left, so that he and his descendants may reign long over his kingdom in Israel.” (Deut 17:18 – 20)
The first distinction of the Hebrew commandments of the Old Testament is that God revealed his laws when he saved the Jewish people from their slavery in Egypt, through the exodus and the experience of the desert. This distinction is prominently featured in Exodus as a direct word of God: “You have seen what I did to the Egyptians, and how I bore you on eagles’ wings and brought you to myself. Now therefore, if you obey my voice and keep my covenant, you shall be my treasured possession out of all the peoples. Indeed, the whole earth is mine, but you shall be for me a priestly kingdom and a holy nation. These are the words that you shall speak to the Israelites” (Exod 19:4 – 6). Leviticus convey a similar guarantee from the Lord: “I will walk among you, and will be your God, and you shall be my people. I am the Lord your God who brought you out of the land of Egypt, to be their slaves no more; I have broken the bars of your yoke and made you walk erect” (Lev 26:12 – 13). The covenant relationship demands a complete obedience of the people of the covenant to their Lord, as is put forth at the beginning of the Decalogue: “You shall have no other gods before me” (Exod 20:3). Faithfulness to God is supposed to be absolute: “Whoever sacrifices to any god, other than the Lord alone, shall be devoted to destruction” (Exod 22:20; Lev 20:1 – 5; 25; Deut 13). The covenant between God and Israel further commands solidarity within the family circle. A strong commandment is to respect one’s father and mother (Exod 20:12), and the punishment for its breaking most severe: “Whoever strikes his father or his mother shall be put to death” (Exod 21:15; cf. Deut 21:18 – 21). Furthermore, sexual relations among close relatives are forbidden (Lev 18:6 – 18; 20:10 – 21). On the other hand, the commands dictate the parents’ duty to raise their children appropriately, in the faith and observance of God’s word (Deut 6:7; 11:19).
5
Wenham, Law in the Old Testament (fn. 3), p. 353.
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III. The place and role of the law in the literary texts of the Holy Bible In recent times, increasing numbers of law scholars and literary theorists have directed attention at themes of legal nature in literary texts. Pamela Barmash establishes that several approaches exist in the valuation of the legal aspects of narrative literature of the Holy Bible, and warns against the strictly analytical approach, which scans literature solely so as to identify the embedded legal norms. She posits the following: “Law and literature are profoundly interrelated. The literary conventions and motifs on which narrative is built bear a relationship to actual law, or else they would be neither recognizable nor acceptable to the readers of their time.”6 Certainly, analysis of the content of narrative texts may help us establish how the authors perceived some example of legal nature; and such analysis presupposes a constant comparison between the legal and narrative text. Since literary narration reflects the personal views of the author, which are often critical towards conditions in their society, parallel comparison may lead to precious understanding about the ways in which the authors of the scriptures perceived the workings of their contemporary legal institutions in the just enforcement of legal principles and norms. Comparison between the interpretation of the legal texts and the analysis of the literary narrative frequently reveals literary interpretations are critical towards the establishment of a rigid legal “order,” since existential situations at times demand decisions that cannot be operated through reductionist legal norms: “Narrative texts in which law appears are, therefore, critical to the study of biblical law because they shed light on legal matters not touched upon in legal texts. They offer access to elements essential to the process of law and to issues of justice and fairness that are otherwise ignored in legal texts.”7 Chaya Halberstam in her article “The Art of Biblical Law” (2007) explains how Robert Alter in his own book The Art of Biblical Narrative (1981) arguments the intertwinement of “law” and “literature” in the Hebrew Bible, focusing especially on the ”judicial parable” in 2 Sam 12,1 – 15. There, the prophet Nathan faces king David with guilt in relation to his affair with Bathsheba, the woman he had stolen from her husband. The assertion is put forth that ever since antiquity, the sphere of law ran parallel with the sphere of literary myth. And yet, as opposed to abstract legal norms, the biblical stories “provide dramatic tension, emotional reverberation, and the possibility of restoration and resolution.”8 Assnat Bartor in his article “Reading Biblical Law as Narrative” (2012) delves more exhaustingly into how the biblical narrative complements the legal norms and principles:
6
Pamela Barmash, The Narrative Quandary: Cases of Law in Literature, in: Vetus Testamentum 54/1 (2004), pp. 1 – 16, here p. 4. 7 Bamash, The Narrative Quandary (fn. 6), p.16. 8 Chaya Halberstam, The Art of Biblical Law, in: Prooftexts 27/2 (2007), pp. 345 – 364, here p. 359.
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Narrative reading, as opposed to common legal reading, does not focus on norms, foundational principles, or the policies enacted by the law, but rather attends to its narrative dimension – characters and events, how they are described, which textual and rhetorical elements serve to elaborate their content, and the communicative processes through which the lawgiver transmits the law to their audience. In other words, narrative reading focuses on the poetics of these legal stories. It treats legal material in a manner that also confers value and meaning upon it. It underscores the human and subjective aspects of the law and illustrates how law is an instrument for responding to the human condition and is not only an instrument for subordination and control. According to its basic assumption, the combination of law and narrative and the concentration on narrative elements, which are found in the laws, may lead to a deeper understanding of the law as part of human culture and of human life as a whole.9
The narrative stories present realistic, lifelike and concrete descriptions of life accounts, events and characters evoking strong emotional responses. Authors of the compendium Law and Narrative in the Bible and in Neighbouring Ancient Cultures (2012), published by Klaus-Peter Adam, Friedrich Avemarie and Nili Wazana, seek out answers to the following questions: To what extent does a story owe its narrative features to the particular legal problem to which it relates? What differences emerge between a case narrative and the corresponding legal norm? Is a narrative entirely fictitious, or is it based on historical or traditional material that is adapted to the purposes of a case study? Is a narrative determined by a particular legal context, such as the forensic setting of a lawsuit? Does a story merely serve as an illustration or does it seek the authentication of a particular law? Or, conversely, does it reveal the inherent problems of a particular legal reality and call for change? And can it be ascertained whether a given narrative actually influenced subsequent legislative developments of legal decisions?10
A host of other inquiries might be added to the above, concerning the possible principled and personal reasons for actions beyond the reasoning of the law, such as forgiveness for example. This holds true not just for the biblical stories but also and especially for the speeches of the prophets, and in the New Testament specifically those of Jesus and Paul. The motivation of the prophetic speeches is most frequently an unsatisfactory state of relations between Israel, the nations, and the Lord’s commandments, especially in terms of justice. Rampant wrongdoings motivate the prophets to utilize rhetorical and literary means so as to bolster and spread their criticism and calls for improvement. The fundamental guideline of prophetically inspired narratives and prophetic speeches is the understanding of God as a just and consistent creator and master of universal history. The nature of God, conceptualized as one and holy, is the reason why the Bible puts forth as the highest principle of justice not ret9 Assnat Bartor, Reading Biblical Law as Narrative, in: Prooftexts 32/3 (2012), pp. 292 – 311, here p. 293. 10 Klaus-Peter Adam/Friedrich Avemarie/Nili Wazana (eds), Law and Narrative in the Bible and in Neighbouring Ancient Cultures (= Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe, 54), Tübingen 2012.
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ribution but rather the merciful grace of salvation, which in its essence is a divine act as it surpasses the abilities of man. God is just, not only in the judgement distribution sense but above all as a merciful Father who forgives the guilt of his children to make possible their salvation. Indeed, in the divine person of Jesus Christ, the Lord himself becomes a conciliatory sacrifice for the salvation of mankind. Jonathan Kertzer thoughtfully explains the transcendence of stern reductionist justice through sacrifice in his book Poetic Justice and Legal Fictions (2010): The structure of sacrifice is asymmetrical: the innocent suffer for the sake of the guilty, and the redemption is not proportionate to the crime, but far exceeds it. On its completion, justice offers closure, whereas sacrifice (“to make holy”) evokes an astonishing new possibility not yet achieved. Like grace, which is its uncanny partner, sacrifice is excessive: it gives us more than we deserve. Whereas grace intercedes from above, sacrifice emerges from below, usually by using nature as an intermediary to link the human to the divine …11
Matthew Levering likewise explores the relationship between law and love, grounding the transcendence of legal norms in the Bible through superlative Divine goodness and love – which reaches its ultimate pinnacle in self-sacrifice – using arguments of the theocentric and teleological basis of the biblical universe as God’s creation.12
IV. Law in the teachings of the prophets, in the wisdom literature, and in the gospel In his monumental standard work Einleitung in das Alte Testament (1964), Otto Eissfeldt within the scope of 1129 pages treats, on an accomplished scholarly level, the development of the biblical literature of the Old Testament from the smaller proto-literary units (ch. 1), across the literary prehistory of the Old Testament books (ch. 2) to the analysis of the final form of the individual groups and individual books of the Old Testament canon (ch. 3). Less exhaustive in general yet nevertheless well-classified presentations of the development of biblical literature are found in many prefaces to the Old and New Testament.13 Likewise, recent times have produced the publication of quite a few resounding monographs on the subject of the Holy Bible as literature.14 In this contribution, we shall limit ourselves to the most easily recognized biblical literary genres: prophecy, wisdom literature (Old Testament), and gospel (New Testament). The intent of this part of the study is to present 11
Jonathan Kertzer, Poetic Justice and Legal Fictions, Cambridge 2010, p. 89. Matthew Levering, Biblical Natural Law: A Theocentric and Teleological Approach, Oxford 2008. 13 Otto Eissfeldt, Einleitung in das Alte Testament, Tübingen 1964. 14 Robert Alter/Frank Kermode (eds), The Literary Guide to the Bible, London 1987; Meir Sternberg, The Poetics of Biblical Nattarive: Ideological Literature and the Drama of Reading, Bloomington 1987; David Jasper/Stephen Prickett (eds), The Bible and Literature: A Reader, Malden, MA/Oxford/Carlton 1999. 12
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the most visible characteristics of the individual literary genres, with special attention to the role played by the commandments in the transmission of the message. The narrative part of the Old Testament on the one hand, and Paul’s letters on the other, represent a scope too extensive and complex to meaningfully incorporate herein.15 1. Law in the teachings of the prophets In the Hebrew Holy Bible, prophetic literature encompasses not only the four great prophets (Isaiah, Jeremiah, Ezekiel, Daniel) and 12 minor prophets (Hosea, Joel, Amos, Obadiah, Jonah, Micah, Nahum, Habakkuk, Zephaniah, Haggai, Zechariah, Malachi) of the Christian canon, but also the historical books: Joshua, Judges, First Book of Samuel, Second Book of Samuel, First Book of Kings, Second Book of Kings. These historical books, mostly composed in narrative form, are named by the Jewish canon the “Early Prophets”, whereas all the prophetic books of the Christian canon where the dominant form is oracle poetry are named the “Latter Prophets.” In the search for the definition of the literary characteristics of the “prophecy” genre, this contribution will limit itself to the Christian canon of the major and minor prophets. We are interested in the specifics of recognizing the literary characteristics of the individual original oracles of the prophetic books and the influence of the anonymous redactors who joined lesser or greater numbers of individual oracles into a book. On the grounds of the newer bible treatments, Deborah W. Rooke in her article “Prophecy” (2006) engages the issue of prophecy as a “literary phenomenon” along two examination axes: the axis of the historical critique of the 19th and 20th century, which dealt with the history of the emergence of the prophetic books from the original oracles to their final redacted collections, and the axis of the more recent biblical studies, which place more focus on the examination of the characteristics of the prophetic books’ final forms.16 Today, scholarly tendencies appear to strongly favour aiming for a comprehensive, complementary method that connects the findings of historical critique with the modern methods of detailed literary analysis, since after all, the primary goal of exploring the Bible is the unveiling of the complete message of the books – in their final scope that received a lasting place in the canon. As concerns the authorship of the original oracles and their transformation into the books as we know them through a process of redaction, opinions continue to differ, especially since the redaction process leaves no historical witnesses to speak of. The most widely established thesis is that the prophets recited the short, poetic oracles before their audiences who were mostly illiterate. Therefore, the prophets must have been talented orators, poetically inclined and with some literary education. 15
Mark Minor published an extensive overview of bibliography on the literary approaches to the Bible, a testament to the relevancy of this field for a complete understanding of the Bible’s message. Cf. Literary-Critical Approaches to the Bible: An Annotated Bibliograhy, West Cornwall, CT 1992. 16 Deborah W. Rooke, Prophecy, in: John William Rogerson/Judith M. Lieu (eds), The Oxford Handbook of Biblical Studies. Oxford 2006, pp. 385 – 396, here p. 387.
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From there it is supposed some of the better-educated students gradually transformed the oracles into written documents, classifying them by themes so that those oracles dealing with similar subjects were placed together. Other scholars posit that the prophets themselves compiled the oracles in written form so as to practice their recital. A middle approach is taken by those who suppose some oracles had the former history, and some the latter, depending on the prophet and their students; especially since no records remain in support of one theory or the other that would predate the core written content of the prophetic speeches. Analysis of the content, style and vocabulary of the whole of the prophetic books, though, clearly points to the fact some of the books have had a longer history of additions of biographical narratives on the life and work of the prophet, as well as having been added newer oracles as time progressed. Certain prophetic books were used in variants of diverse length and scope; this is especially evident by comparing the Book of Jeremiah in its Hebrew version and the Greek translation Septuagint, which presents much abridged versions of the speeches, in part also arranged differently within the whole. Focused comparative exploration of the “literary phenomenon” of prophecy within religious, cultural, political and social conditions of the broader area of the ancient Near East dictates some measure of caution in the supposition of “parallels” on the literary plane as the core argument behind the thesis of a “prophetic tradition” of the ancient Near East. Some interpreters place special attention at the prophetic literature emerging in the city Mari in Mesopotamia in 18th century BC. The Israelite prophecy, emerging a thousand or more years later, mirrors the specific Hebrew religious, social and literary circumstances. The course of the redaction of the prophetic books may be unknown but one hundred years after Christ, the Jewish people had set their canon of prophetic books, in its final scope and form, to be consequently accepted by Christians indiscriminately. The single indisputable result of the genesis of the prophetic books are the final forms of the prophetic books themselves, whereas no preserved sources are available to testify on the supposed degrees of redaction and transformation of the original oracles on their way to the canonized book form. It is then logical to assume, as Deborah W. Rooke states that therefore: “The most obvious, legitimate, and potentially fruitful object of study is the final form of the text, rather than its hypothetical sources or earlier editions.”17 The literary qualities of the prophetic speeches with their rich use of metaphor, wordplay and rhetorical persuasion techniques, make dubious also the expectations that the study of prophetic books as a whole might solve the issue of the concrete historical circumstances which produced the individual books of prophecy. The literary and rhetorical elements of the prophetic books are so dominant in the texts that little direct historical information may be extracted from within. This implies the prophets and their redactors were not focused on the reporting of the course of historical events, but rather on the establishment of the contemporary spiritual condition of the people’s leaders, the people as a whole, and nations in the crucible of a time and 17
Rooke, Prophecy (fn. 16), S. 390.
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place that is mostly not clearly specified. The markedly spiritual and moral goals of the biblical prophecies most evidently display where the originality and singularity of the biblical prophecy lies, notwithstanding certain parallels in the broader circle of the ancient Near East. The literary genre of the New Testament gospel, which in a unique way profess the life of Jesus and his public appearances, is for these reasons most naturally recognized in the spiritual sphere of Old Testament prophecy, which condemns sin, rejects idolatry, encourages moral improvement, announces faith in the restoration and offers glimpses into the final days of man’s existence. In the consciousness of the prophets, the literary characteristics of the prophetic speeches were not tasked primarily with aesthetic teachings, but appear to be fully subordinate to the transmission of the message. The core message of all the prophets is the relationship of the people of the covenant towards God’s commandments, in the broadest meaning of the word. The prophets are messengers of God’s will in relation to the revealed commands, which in addition to the gift of creation represents the grace of God’s guidance of the covenant people towards their personal fulfilment of meaning, and the consequent ennoblement of all creation. This is why the complete prophetic literature is permeated by a complementary relationship between judgment through punishment on the one hand, and the divine mercy of forgiveness on the other.18 Due to the rampant breaking of laws and norms, the prophets are often the heralds of God’s wrath, whereas their recognition of the Lord’s absolute righteousness allows them to venture beyond immutable expectations of man’s utter submission to God by putting faith in Divine mercy and the holy grace of forgiveness “for the sake of his name” (Ezek 20:9, 14, 22, 44). Thus: “The Lord’s final judgement of the covenant people will not be made by the laws of legal justice, but by the internal laws of God’s grace.” God will prove himself holy in the sight of the nations “for his name’s sake,” and not according to the unfaithful people’s “evil ways and corrupt practices” (Ezek 20:41 – 44; cf. Ezek 16). 2. Law in the wisdom literature In several places, the Holy Bible expounds on the words “wisdom” and “wise.” In the book of Daniel we read that Daniel was “skilled in all kinds of wisdom” (1:4), whereas the Gospel of Matthew carries a report on the “wise men” visiting the holy family in Bethlehem upon the birth of Jesus (2:1 – 12). The motive of wisdom recurs in various texts of the Old and New testaments, whereas the Old Testament canon notably maintains its own “wisdom books.” Job, Proverbs, Psalms, Ecclesiastes, the Book of Wisdom, and Sirach. The most basic forms of wisdom literature are the proverbs, and so the book of Proverbs is considered the fundamental book of biblical Wisdom. In the examination of the biblical wisdom texts, the question of the 18 Jozˇe Krasˇovec, Reward, Punishment, and Forgiveness: The Thinking and Beliefs of Ancient Israel in the Light of Greek and Modern Views (= Supplements to Vetus Testamentum 78), Leiden/Boston/Köln 1999.
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tradition of wisdom literature within the complete ancient Near East, and within Israel, becomes self-evident.19 The proverb literary form is known by all cultures in all times. In certain periods and places, individual proverbs coalesced into collections. Such collections are preserved from the Sumerian, Babylonian, Egyptian, and Hebrew culture and religion. The base content of the wisdom proverbs is the experience of contrast between the actions of the just and the unjust, and the consequences of such actions on the order of the world. The Book of Proverbs, of much significance to this examination, consists of two kinds of wisdom texts: educational texts in the form of exhortations (Prov 1–9 and 22:17–14:22); and proverb collections (Prov 10:1–22:16; 24:23 – 29:27). The concluding chapters 30–31 furthermore include some longer units of various content. These types of text may be classified as two different literary genres. James G. Williams stresses that the perspective of the wisdom tradition of the ancient Near East and Israel differs from the perspective of the remaining parts of the Old Testament, which speak of the creation of the world and the special place of Israel in God’s plan of the course of salvation “Wisdom is dedicated to articulating a sense of order. The world is viewed as an order informed by a principle of retributive justice.”20 Among the Wisdom Books, the Book of Job is most complexly structured, challenging the foundations of the traditional doctrine of wisdom tradition – that the righteous shall be rewarded and the wicked punished (cf. Ps 37; 73). Job’s role in the book is to dispute his “compatriots” who advocate the validity of the former doctrine with a unilateral application principle. Job counters them on the grounds of his own, and the examples of others who had been stricken by tragedy despite being good and just. The role of divine intervention in chapter 38 is then to challenge Job’s expectations of being passively absolved by God from suffering and the ordeals he considers unfounded and disproportionate to his own presumed imperfections. In the depths of Job’s expectations lurks a desire to gain recognition of his righteousness, and consequently be gifted salvation from his miserable reality. Job’s earthy perspective and understanding of retribution thus appears yet far removed from Jesus’ ultimate completion of the Old Testament “commandments,” which turns out to be characteristically eschatological in nature. God sets Job before the great mysteries of the creation miracle, leading him towards the knowledge that man may never grasp the world in all its magnitude and ultimate harmonious perfection, whereas suffering is a phenomenon that belongs within as an inevitable constituent part of the magnificence of creation.21 The thematic complexity of the Book of Job is proportional to its poetic conciseness in the presentation of the fundamental themes of biblical wisdom: “It 19 For the relationship between wisdom and the commandments in the Old Testament, see Joseph Blenkinsopp, Wisdom and Law in the Old Testament: The Ordering of Life in Israel and Early Judaism, Oxford 1995. 20 James G. Williams, Proverbs and Ecclesisastes, in: Robert Alter/Frank Kermode (eds), The Literary Guide to the Bible, London 1987, pp. 263 – 282, here p. 263. 21 Kathartine J. Dell, Wisdom, in: John William Rogerson/Judith M. Lieu (eds), The Oxford Handbook of Biblical Studies, Oxford 2006, pp. 409 – 419, here p. 414.
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embraces an extraordinary range of objects of universal interest: emotions of serenity and terror, hope and despair; the contrasting characters of men; doubts about and affirmations of cosmic justice; the splendours and wonders of animate and inanimate nature. To be sure, these appear elsewhere in biblical literature, but only in the Book of Job are these themes expressed with such concentration, such invention and vivid imagery.”22 In its own way, Ecclesiastes likewise stresses the reality of the world’s uncertainty, concluding that no firm statement may be made on the final course of existence. “The Ecclesiastes both presupposes and attacks the conventional wisdom represented by Proverbs. Ecclesiastes’ style outlook, and conclusions on the meaning of life radically question received wisdom. Ecclesiastes sees polarities in creation but subordinates them to a sceptical questioning of what the ancient sages taught.”23 This realization does not read to resignation, but instead to the acceptance that the fundamental, most evident principle in life is “fear of God”: “The end of the matter; all has been heard. Fear God, and keep his commandment; for that is the whole duty of everyone. For God will bring every deed into judgment, including every secret thing, whether good or evil” (Eccl 12:13 – 14). The Book of Sirach from the second century BC relates “wisdom” to the commandments Israel had received from the Lord. In this, some interpreters see a departure from the former universalism in the conception of the source and meaning of wisdom. Yet it ought to be taken into account that God’s commandments as revealed to Israel arise from the universalism of creation, and are grounded in ethical ideals which apply to all humanity in the final analysis. By the structure of its proverb collections the book is reminiscent of the Proverbs. The significant themes of Sirach are: the duties of the sons (Sir 3:1 – 16), relations towards women (Sir 9:1 – 9), the art of ruling (Sir 9:7–10:18) and the role of major personalities in the history of salvation (ch. 44–50). The book comprises various literary types, such as prayers with a profoundly God-fearing undertone, hymns to wisdom, etc. The Book of Wisdom emerged only in the first century BC. A particular attribute of presenting the concept of wisdom in this book is its personification. Wisdom becomes hypostasis, a divine attribute by which God created the world: “For she is a breath of the power of God, and a ore emanation of the glory of the Almighty; therefore nothing defiled gains entrance into her” (Wis 7:25). It is not merely a mediator between God’s all-knowing nature and the human experience as in the Book of Proverbs (ch. 8), but carries a closer connection to God’s own being. Personification of God’s wisdom opens up avenues for the inclusion of specifically biblical aspects of the salvation history; the choosing of Israel, the prophetic vision, the calls against the idolaters. The Book of Wisdom contains the literary forms of prayer, psalm and wisdom hymn. 22 Moshe Greenberg, Job, in: Robert Alter/Frank Kermode (eds), The Literary Guide to the Bible, London 1987, pp. 283 – 304, here p. 302. 23 Greenberg, Job (fn. 22), p. 266.
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The outreach of wisdom literature into the field of law in the Old Testament points at certain shifts in development from the very oldest sources. In the legacy of the Hebrew wisdom tradition, a name of particular merit is that of king Solomon: “God gave Solomon very great wisdom, discernment, and breadth of understanding as vast as the sand on the seashore, so that Solomon’s wisdom surpassed the wisdom of all the people of the east, and all the wisdom of Egypt” (1 Kings 5:9 – 10). The field of law was of close interest to Solomon, naturally. Widely known is the story of his wise decision in the case of the two purported mothers and their contested child (1 Kings 3:16 – 28). The text ends with a report on the effect of a just verdict: “All Israel heard of the judgment that the king had rendered; and they stood in awe of the king, because they perceived that the wisdom of God was in him, to execute justice” (1 Kings 3:28). The Hebrew wisdom tradition employs the poetical phrase “fear of God” for the observance of God’s commandments: “The fear of the Lord is the beginning of knowledge; fools despise wisdom and instruction” (Prov 1:7). In another place we read: “The fear of the Lord is the beginning of wisdom, and the knowledge of the Holy One is insight” (Prov 9:10). At the end of a suggestive poem on the ultimate inaccessibility of wisdom to man, in Job 28 the poet quotes the word of God: “Truly, the fear of the Lord, that is wisdom; and to depart from evil is understanding” (Job 28:28). The books of Job and Ecclesiastes, as noted, present a serious critique of the traditional folk doctrine which equates righteousness with the principle of retribution, failing to reach out into the more nuanced and profound understandings of man’s mysterious condition, and the infinite complexity of life. Job’s compatriots argue for a pragmatic doctrine of retributive justice in the zero-sum sense, failing to convince Job thus, as they put forth not only the fundamental – valid – thesis that God inevitably punishes man’s guilt and wickedness, but furthermore the supposition that misfortune implies a single cause: man’s apparent or hidden guilt. In the 2nd and 1st centuries BC, the parallels between the wisdom and legal traditions then reached their pinnacle, with an identification of both the concepts into one. In Sirach, 24:23 – 35 the erudite Sirach thus praises the law that Moses commanded by stating that “it overflows with wisdom” (Sir 24:25). The tradition of the wisdom literature genre in the various types of biblical texts greatly affected the scriptures of the New Testament as a whole. Jesus in his speeches frequently employs wise proverbs, though markedly in the service of ethical ideals and eschatological expectations rather than in the fashion of the older Hebrew wisdom lore. Apostle Paul in his writings notably includes many wisdom literature examples as well, once again with goals of ethical and eschatological substance primarily.
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3. Law in the gospels In the literary aspect, the accounts of the life and work of Jesus in the four gospels make for quite a unique challenge to the scholars and interpreters.24 Their basic form is that of a biography, and it is thus legitimate to wonder whether the evangelists were inspired by the established biography templates of antiquity, or whether they perhaps created one that is entirely distinctive. At any rate the biography genre inherently presupposes the gospels to be based on historical facts; as opposed to legend which might facilitate boundless allegorical horizons in the interpretation of meaning. The gospels’ interpretation is further complicated by their constitution as four different books that essentially present the same short stories (pericopes) on the life, teachings and workings of Jesus, which then in the case of the individual pericopes and redactions of the gospels in many ways appear distinctive, at times even unique. A recurring question arises, then, why the early Church did not commit to a single comprehensive narrative about the life and work of Jesus Christ, its most fundamental figure. A close analysis of individual gospels and their mutual relationships shows glimpses into each of the evangelists’ commitments to certain theological meaning accents and writing preferences. The abundance of “life-accounts” or lives (Gr. bioi) in the antique Graeco-Roman cultural space allows for an increased horizon of comparative analysis of the gospel literary genre; the literary characteristics of particular pericopes in their individual structure and the manner of their incorporation into the redaction of a complete gospel. Important is the realization that unlike the modern biographies, the “GraecoRoman lives do not cover a person’s whole life in chronological sequence, and have no psychological analysis of the subject’s character.”25 These accounts focused on presenting the framework of a person’s life story, the most significant milestones of their work, and the circumstances of their death at length in particular. From the viewpoint of literary classification, the gospels are thus most accurately defined as biographies on the life, teachings and work of Jesus, within the general framework of the legacy of the antique biographies. A distinction of the gospels is the Christological orientation of all their four versions, reaching its apex in the phenomenon of Jesus’ resurrection. Historically speaking, the gospels stand out within Hebrew culture for another reason, as they represent the single case of a biography about a Hebrew teacher during the first century AD. Rabbi literature presents some stories and anecdotes about certain persons (for example Hillel and Shammai), but no truly comparable biography of any other Jewish personality from that period has been recorded. A standout feature of the description of Jesus’ life, his teachings and work in the gospels is the profoundly emotional ad24 Richard A. Burridge, The Gospels and Acts, in: Stanley E. Porter (Ed.), Handbook of Classical Rhetoric in the Hellenistic Period. 330 B.C. – A.D. 400. Leiden/New York/Köln 1997, pp. 507 – 532; id., Gospels, in: John William Rogerson/Judith M. Lieu (eds), The Oxford Handbook of Biblical Studies, Oxford 2006, pp. 432 – 444. 25 Burridge, Gospels (fn. 24), pp. 432 – 444, here p. 436.
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dress of the students and the powerful ethical message pervading the narratives. Maksimilijan Matjazˇ in his dissertation on the Gospel according to Mark dedicated special attention to the impression left by Jesus’ proclamations on his audiences, as observed from their reactions and emotive expression. Mark the Evangelist for example, using terms of awe and fear, portrayed fittingly the intense inner dynamics of the interaction (1999). In this context Richard A. Burridge establishes: Central to all ancient biography is that the picture of the subject is built up through both their words and their deeds. So, to find the heart of Jesus’ ethic, we need to consider both his ethical teaching and his actual practice. Jesus’ ethical teaching is not a separate and discrete set of maxims, but is part of his proclamation of the kingdom of God. It is intended primarily to elicit a response from his hearers to live as disciples within the community of others who also respond and follow. In his appeal for the eschatological restoration of the people of God, Jesus intensified the demands of the Law with his rigorous ethic of renunciation and self-denial in the major human experiences of money, sex, power, violence, and so forth. However, such teachings are set within the context of biographical narrative about his central stress on love and forgiveness, which opened the community to the very people who had moral difficulties in these areas. Hence he was regularly accused of being “glutton and a drunkard, friend of tax collectors and sinners” (Mt 11:19; Lk 7:34).26
The words and actions of Jesus frequently touch upon the commandments in principle and practice. Within his Sermon on the Mountain, much meaning is found in Jesus’ announcement of intent: “Do not think that I have come to abolish the law or the prophets; I have come not to abolish but to fulfil” (Mt 5:17). Meaningful is also his connection of “the law and the prophets”: “In everything do to others as you would have them do to you; for this is the law and the prophets” (Mt 7:12). Another version of this combinations reds: “For all the prophets and the law prophesied until John came” (Mt 11:13). When Jesus is asked by some Pharisee which commandment in the law is the greatest, he replied thus: “‘You shall love the Lord your God with all your heart, and with all your soul, and with all your mind.’ This is the greatest and first commandment. And a second is like it: ‘You shall love your neighbour as yourself.’ On these two commandments hang all the law and the prophets” (Mt 22:37 – 40). Luke in his report on Jesus’ final instructions to the apostles following his resurrection, among other, states these words of Jesus: “These are my words that I spoke to you while I was still with you – that everything written about me in the law of Moses, the prophets, and the psalms must be fulfilled” (Lk 24:44). Jesus did not speak out against the validity of Moses’ commandments, but he did stress the new revelations by him as the Son of God complement the commandments of Moses in a fundamental and essential sense, by assisting in all aspects of man’s many-faceted experience. He was that much sharper in criticizing the mentality of the Pharisees, which failed to meet the spirit of even Moses’ commandments let alone that of Jesus Christ. Revealing is his criticism of the Pharisees as regards 26
Ib. (fn. 24), p. 441.
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their attitude towards the holiness of the Sabbath (Mr 2:23 – 27; Mt 12:1 – 8; Lk 6:1 – 5): “The Sabbath was made for humankind, and not humankind for the Sabbath” (Mr 2:27 – 28) In the literary aspect, the most clearly expressed essence of Jesus’ criticism of the Pharisees’ attitude towards the commandments is found in the parable of the Pharisee and the Tax Collector (Lk 18:9 – 14). He told this parable “to some who trusted in themselves that they were righteous and regarded others with contempt” (Lk 18:9) and concluded that the tax collector “went down to his home justified rather than the other; for all who exalt themselves will be humbled, but all who humble themselves will be exalted” (Lk 18:14).
V. Conclusion In the recent decades, interpretations of the Bible are frequently performed in the style of “New Criticism,” striving for a more comprehensive deciphering of the scriptures which balances focus between the historical and the existential conditions (Sitz im Leben) of biblical texts. This entails more attention to the role of the literary genres, the types and techniques, the basic literary forms of the Bible, its rhetorical figures, distinctive particularities of the biblical style, and the semantic plurality of the linguistic, content and style elements of the biblical texts. It furthermore promotes examination into the history of that part of the Hebrew and Christian hermeneutics which places high esteem on the literary and rhetorical quality of the biblical texts. A salient reason for the awareness of the semantic plurality of their language and literary elements is the decidedly spiritual over-arching substance of those biblical texts which delve into the fundamental rationale of God’s commandments. Comprehensive structural analysis is an essential condition for the acute understanding of the content perspectives of these texts, which are characterized by a passionate search for the universal order of the world and a just, faithful and loving relationship towards God and humankind. Only in this way can the long Jewish and Christian exegesis, in which the scriptures were being analyzed primarily with the goal of establishing the origin and meaning of the individual elements in their isolated, core meaning, be integrated and made complete. Searching for an over-arching meaning in the harmonious whole provides beauty surpassing the external criteria of aesthetic impression, as it is instructed by a deeply human inner sense of order, beauty, purity of the heart, and the ideal of spiritual perfection. Such a methodological principle is perhaps a quintessential factor of an appropriately complete approach to the ongoing translation and interpretation of the Bible, and the secondary Jewish and Christian sources of special significance.
Religiöse Bukowina Die Rechtspluralismusdebatte und ihre Bedeutung für das Kirchenrecht Von Judith Hahn Das Forschungsfeld „Recht und Religion“ stellt gegenwärtig stark auf das Recht des Staates ab und betont dessen Leistung gegenüber der Religion (I.). In einer modernen monistischen Blickwinkelverengung dominiert der Staat als zwangsbewehrter Ursprung von Recht (II.), während andere Produzenten von Recht – wie die Religionsgemeinschaften – tendenziell vernachlässigt werden. Zugleich wird zunehmend deutlich, dass diese Engführung nicht trägt. „Recht und Religion“, multiperspektivisch betrachtet, zeigt an, dass auch das religiöse Recht ins Zentrum der Debatte gehört. Dies stützt ein rechtssoziologischer Diskurs, der auf die Pluralität von Recht abstellt: die keineswegs neue, in den vergangenen Jahren jedoch aufgeflammte Rechtspluralismusdebatte (III.). Indem Recht nicht mehr allein als staatliches Phänomen, sondern als plurales Feld wahrgenommen wird, erhalten unter anderem auch die Religionsgemeinschaften als Erzeugerinnen religiösen Rechts vermehrte Aufmerksamkeit der Rechtssoziologie. Die Kanonistik darf dies als Einladung verstehen, sich an der Rechtspluralismusdebatte zu beteiligen (IV.).
I. Recht und Religion Der Zusammenhang von Recht und Religion hat in aktuellen humanwissenschaftlichen Forschungsbeiträgen Hochkonjunktur. Anthropologisch, ethnologisch und soziologisch Forschende vermuten eine religiöse Wurzel rechtlicher Verbindlichkeit.1 Historisch interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdecken Quellen staatlichen Rechts im religiösen Recht. Dass das kanonische Recht seinen Beitrag zur Entwicklung des modernen nationalstaatlichen Rechts leistete, betonte schon Max Weber.2 Harold Bermans These von den kanonischen Wurzeln des westlichen Rechts blieb in den historischen Debatten der vergangenen Jahre zwar nicht unwidersprochen, zeigt aber nachvollziehbar auf, dass die kirchliche Rechtstradition 1 Vgl. u. a. Rafael Domingo, Theology and Jurisprudence. A Good Partnership?, in: Journal of Law and Religion 32 (2017), S. 79 – 85. 2 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Werner Gephart/Siegfried Hermes (Hrsg.), Nachlaß, Teilband 3: Recht (= Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe Bd. I/22 – 3), Tübingen 2014, S. 129 – 130, 141 – 142.
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bei der Formierung des westlichen Rechts nicht übersehen werden darf.3 Rechts- und politikwissenschaftliche Studien zeichnen die religiösen Fundamente einzelner staatlicher Rechtsmaterien nach – die Politikwissenschaftlerin Tine Stein arbeitete beispielhaft die Bezüge zwischen der christlichen Anthropologie und dem modernen Verfassungsrecht heraus, vor allem das religiöse Erbe des Menschenwürdeprinzips.4 Auch die Gegenwartsbezüge von Recht und Religion sind im Fokus. Kultur- und Sozialwissenschaften widmen dem Zusammenhang von Recht und Pluralität disziplinenübergreifende Aufmerksamkeit und verweisen dabei zuvörderst auf einen wesentlichen Unterfall dieser Verbindung, nämlich multiple religiöse Normvorstellungen in der pluralen Gesellschaft. Gunnar Folke Schuppert kennzeichnete in seinem 2017 erschienenen Buch „Governance of Diversity“ den „Umgang mit Pluralität“ als „ein Zentralproblem moderner, insbesondere freiheitlich-demokratischer Gesellschaften“5. Zu suchen seien Antworten, wie dem Staat eine rechtliche Ordnung von Pluralität gelingen könne. Als ein vornehmliches Problemfeld, an dem sich die Herausforderung staatlicher Governance in besonderer Weise darstellen lasse, erweise sich der staatliche Umgang mit der in modernen Gesellschaften pluralen Religiosität, im Besonderen mit dem Recht von Religionsgemeinschaften sowie den Rechtsansprüchen religiöser Individuen und Gemeinschaften.6 Wie moderne Staaten sich auf das religiöse Recht beziehen und auf die wachsende Pluralität religiöser Rechtsansprüche reagieren, bearbeitet unter anderem die Religionswissenschaftlerin Astrid Reuter, die für das deutsche Religionsverfassungsrechts diesbezüglich Grundlagenarbeit leistete.7 Wilhelm Rees, dem diese Festschrift gewidmet ist, trug die kanonistische Perspektive in die Debatten ein. Gemeinsam mit Ludger Müller, Christoph Ohly und Stephan Haering verantwortete er jüngst den Band „Religiöse Vielfalt. Herausforderungen für das Recht“8, der die Pluralisierung des Religiösen als staatliches Problem beleuchtet.
3 Vgl. Harold J. Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991. 4 Vgl. Tine Stein, Himmlische Quellen und irdisches Recht. Religiöse Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates, Frankfurt a. M. 2007. 5 Gunnar Folke Schuppert, Governance of Diversity. Zum Umgang mit kultureller und religiöser Pluralität in säkularen Gesellschaften (Religion und Moderne 10), Frankfurt a. M. 2017, S. 44. 6 Vgl. u. a. Rossella Bottoni/Rinaldo Cristofori/Silvio Ferrari (Hrsg.), Religious Rules, State Law, and Normative Pluralism – a Comparative Overview (= Ius Comparatum – Global Studies in Comparative Law 18), Cham 2016. 7 Vgl. Astrid Reuter/Hans G. Kippenberg (Hrsg.), Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Göttingen 2010; Astrid Reuter, Religion in der verrechtlichten Gesellschaft. Rechtskonflikte und öffentliche Kontroversen um Religion als Grenzarbeiten am religiösen Feld (= Critical Studies in Religion/Religionswissenschaft 5), Göttingen 2014; Ulrich Willems/Astrid Reuter/ Daniel Gerster (Hrsg.), Ordnungen religiöser Pluralität. Wirklichkeit – Wahrnehmung – Gestaltung (= Religion und Moderne 3), Frankfurt a. M. 2016. 8 = KST 69, Berlin 2019.
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Während die staatliche Last, auf religiöse Pluralität zu antworten, somit große Beachtung findet, ist die Kehrseite dieser Fragestellung bisher gering erforscht. Nur wenige Studien untersuchen die Bedeutung des staatlichen Rechts für die Religionen. Der anglikanische Kirchenrechtler Norman Doe plädierte daher dafür, dem staatlichen Religionsrecht, das die Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften maßgeblich prägt, nicht nur staatskirchenrechtlich, sondern auch religionssoziologisch gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken.9
II. Monistische Engführung Viele weitere Schnittstellen von Recht und Religion ließen sich benennen. Die meisten eint – und das ist auffällig –, dass sie eine spezifische Konstellation betrachten, nämlich die Frage, wie Religion (ob rechtlich verfasst oder nicht) und staatliche Ordnung miteinander interagieren. „Recht und Religion“ erweist sich in diesem Sinne überwiegend als ein Forschungsfeld, das Religion im staatlichen Rechtsrahmen wahrnimmt. Die Rede vom „Recht“ in der Alliteration „Recht und Religion“ meint zumeist das staatliche Recht. Aus rechtssoziologischer Sicht ist dies eine überraschende Blickwinkelverengung. Sie unterstützt ein monistisches Rechtsverständnis, das seine Aufmerksamkeit ausschließlich dem Staat als Erzeuger von Recht widmet („etatistischer Rechtsbegriff“10) und Phänomene von Rechtlichkeit, die von nichtstaatlichen Akteuren wie den Religionsgemeinschaften erzeugt werden, vom Rechtsbegriff ausschließt. So betont der Rechtswissenschaftler Brian Tamanaha aus rechtsrealistischer Sicht, dass sich der moderne Rechtsbegriff überwiegend auf das staatliche Recht beziehe.11 Während nichtstaatliche Akteure unbestreitbar rechtsähnliche soziale Normen erzeugten, verbinde sich mit Recht in der Moderne doch wesentlich das Merkmal, staatlichen Ursprungs zu sein. Hierdurch entsteht eine frappante Engführung der soziologischen Debatten. Immerhin nimmt gerade die Gegenwart in verstärkter Weise wahr, dass Recht keineswegs allein Recht nationalstaatlichen Ursprungs meint. Dies zeigt sich an Phänomenen wie dem Eindringen internationalen Rechts in staatliches Recht, zum Beispiel in Menschenrechtefragen, oder der Überlagerung nationaler Regelungen durch transund internationales Recht, wie dies durch europäisches Recht oder internationales 9 Vgl. Norman Doe, A Sociology of Law on Religion – Towards a New Discipline: Legal Responses to Religious Pluralism in Europe, in: Law & Justice – The Christian Law Review 152 (2004), S. 68 – 92; vgl. auch Russell Sandberg, A Sociologial Theory of Law and Religion, in: Frank Cranmer u. a. (Hrsg.), The Confluence of Law and Religion. Interdisciplinary Reflections on the Work of Norman Doe, Cambridge 2016, S. 66 – 77, hier: S. 66 – 67 und 76 – 77. 10 Klaus F. Röhl, Rechtssoziologie. Ein Lehrbuch, Köln 1987, S. 219. 11 Vgl. Brian Z. Tamanaha, The Folly of the ,Social Scientific‘ Concept of Legal Pluralism, in: Journal of Law & Society 20 (1993), S. 192 – 217.
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Handels- und Wirtschaftsrecht geschieht. Zugleich spielt aktuell der Status partikularen Rechts in nationalen Rechtsordnungen eine bedeutende Rolle, so in der Frage der Berücksichtigung indigenen Rechts in nationalem Recht oder der Integration religiösen Rechts in säkular-staatliche Ordnungen im Zuge von Migrationsbewegungen.12 Vor dem Hintergrund von Globalisierung und Digitalisierung werden Kategorien wie die Territorialität in ihrer Bedeutsamkeit für das Recht hinterfragt. Dies schließt die Frage nach der zukünftigen Rolle des Staates und der staatlichen Souveränität ein. Angesichts der Digitalisierung argwöhnte Volker Boehme-Neßler vor zehn Jahren: „Ist das Ende des Staates, so wir [sic] ihn kennen, auch das Ende des Rechts?“13 Heute stellen wir in Abrede, ob die Digitalisierung das Ende des Staates bedeuten muss, wenn sie auch offenkundig manch hoheitliche Zugriffe staatlicher Ordnungen verhindert. Dieser staatliche Kontrollverlust über gesellschaftliche Teilbereiche wirft gleichwohl die Frage nach der Zukunft des Rechts auf. Diese Entwicklung wird durch die Globalisierung verstärkt. Sie hat zur Folge, wie die Rechtsanthropologin Julia Eckert beobachtet, „dass der oft als fast selbstverständlich angenommene Nexus zwischen dem Staat, dem Recht und dem Regieren aufgebrochen wird“14. Der Rechtssoziologe Gunther Teubner formulierte gar angesichts eines sich vernetzenden und verdichtenden Ordnungssystems multinationaler Konzerne die These von einem „Weltrecht ohne Staat“15. Auch wer das Ende der Staatlichkeit bezweifelt, kommt nicht zur Kenntnis zu nehmen umhin, dass Recht unter den Gegenwartsbedingungen nicht mehr generell von Staatlichkeit her gedacht werden kann. Der auf rechtliche Globalisierungsaspekte spezialisierte Rechtswissenschaftler Paul Schiff Berman notiert: „In a world of permeable borders, multiple affiliations, and overlapping interests, law is diffused in myriad ways, and the construction of legal communities is always contested, uncertain, and open to debate“16. 12 Vgl. u. a. Reuter, Religion in der verrechtlichten Gesellschaft (Anm. 7); Bottoni/Cristofori/Ferrari (Hrsg.), Religious Rules (Anm. 6); Fabian Wittreck, Religiöse Paralleljustiz im Rechtsstaat?, in: Ulrich Willems u. a. (Hrsg.), Ordnungen religiöser Pluralität. Wirklichkeit – Wahrnehmung – Gestaltung (= Religion und Moderne 3), Frankfurt a. M. 2016, S. 439 – 493; Schuppert, Governance of Diversity (Anm. 5). 13 Volker Boehme-Neßler, Unscharfes Recht. Überlegungen zur Relativierung des Rechts in der digitalisierten Welt (= Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung 89), Berlin 2008, S. 185. 14 Julia Eckert, Rechtsaneignung. Paradoxien von Pluralisierung und Entpluralisierung in rechtspluralen Situationen, in: Matthias Kötter/Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Normative Pluralität ordnen. Rechtsbegriffe, Normenkollisionen und Rule of Law in Kontexten dies- und jenseits des Staates (= Schriften zur Governance-Forschung 19), Baden-Baden 2009, S. 191 – 206, hier: S. 203. 15 Gunther Teubner, Globale Bukowina. Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, in: Rechtshistorisches Journal 15 (1996), S. 255 – 290, hier: S. 256; Andreas Fischer-Lescano/Gunther Teubner, Regime-Kollisionen. Zur Fragmentierung des globalen Rechts (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1803), Frankfurt a. M. 2006, S. 43. 16 Paul Schiff Berman, Conflict of Laws, Globalization, and Cosmopolitan Pluralism, in: The Wayne Law Review 51 (2005), S. 1105 – 1145, hier: S. 1145.
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Dass sich die Verklammerung von Recht und territorial-nationaler Staatlichkeit heute, wenn auch nicht auf-, so doch anlöse, sei freilich keineswegs so überraschend, wie es gegenwärtig erscheine, betont Schiff Berman. Immerhin sei die Kopplung von Recht und Staat eine moderne Idee des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie habe in der Rechtstheorie und -soziologie dazu geführt, den Rechtsbegriff mit dem der staatlichen Souveränität zu verknüpfen und damit auf das positive Recht der Nationalstaaten engzuführen. Diese Verbindung sei jedoch keine notwendige. Gerade heute lasse transnationales Recht vermehrt erkennen, dass rechtlich relevante Gruppenbildungen nicht zwingend nationalstaatlich-territorialen Kriterien folgten. Es komme nicht unbedingt auf räumliche Nähe oder eine geteilte Geschichte an, um als Rechtsgemeinschaft aufzutreten. Daher sei eine Engführung des Blickwinkels auf die Nationalstaaten und ihr Recht nicht zu rechtfertigen. Auch andere Gruppen könnten sich auf ihr Recht und ihren Status als Rechtsgemeinschaften berufen: „if communities are based not on fixed attributes like geographical proximity, shared history, or face-to-face interaction, but instead on symbolic identification and social psychology, then there is not intrinsic reason to privilege nation-state communities over other possible community identifications that people might share.“17 Supra-, transund subnationales Recht – zu dem das religiöse Recht zähle – gewinne unter den Bedingungen der Globalisierung an Bedeutung und weise das nationalstaatliche Recht immer häufiger in seine Schranken. Diese Umbrüche im Sinn sprechen Andreas Fischer-Lescano und Gunther Teubner von der „Multidimensionalität des globalen Rechtspluralismus. […] Sie erzwingt eine Ausweitung des Rechtsbegriffs über die Rechtsquellen des nationalstaatlichen wie des internationalen Rechts hinaus und zugleich eine Reformulierung des Regimebegriffs“18. Diese „Ausweitung des Rechtsbegriffs“, wie sie Fischer-Lescano und Teubner einfordern, lenkt verstärkt den Blick auf das Recht nichtstaatlichen Ursprungs. Hinter der „Reformulierung des Regimebegriffs“ steckt der Auftrag, sich der nichtstaatlichen Akteure zu vergewissern, die rechtsproduktiv sind. Gemeint sind hiermit nicht allein transnationale Akteure, multinationale Konzerne und Nichtregierungsorganisationen, die im globalen Miteinander Normgebung betreiben. In den Fokus geraten auch die Akteure, die ihr Recht im Rahmen staatlicher Ordnungen in Geltung bringen. Gunther Teubner spricht von den „Rechtsformen verschiedener ethnischer, kultureller und religiöser Gemeinschaften innerhalb des modernen Nationalstaates“19. Der Rechtssoziologe Jean Carbonnier nannte dieses vom staatlichen Recht gerahmte Recht Infrarecht oder „Unter-Recht“20. Der Abwertung, die Carbonniers Begrifflichkeit impliziert, entkommt man durch eine Unterscheidung, die der Rechtssoziologe Thomas Raiser einführte. Er differenzierte 17
Ebd. (Anm. 16), S. 1109 – 1110. Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen (Anm. 15), S. 41. 19 Teubner, Globale Bukowina (Anm. 15), S. 257. 20 Jean Carbonnier, Rechtssoziologie (= Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung 31), Berlin 1974, S. 137. 18
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zwischen einem horizontalen und einem vertikalen Rechtspluralismus, „je nachdem, ob die betrachteten partikularen Rechtskulturen gleichberechtigt nebeneinander oder in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung zueinander stehen.“21 Paul Schiff Berman spricht in ähnlicher Weise vom Recht der Religionsgemeinschaften und anderer partikularer Gruppen als Recht der „subnational communities“22. Dies im Sinn hat sich das Forschungsfeld von „Recht und Religion“ nicht nur dem Verhältnis von staatlichem Recht zur Religion zu widmen, sondern hat ebenso das vertikal-plurale Verhältnis von staatlichem Recht und religiösem Recht sowie das horizontal-plurale Verhältnis diverser (religiöser) Rechtsgemeinschaften innerhalb der staatlichen Ordnung zu bedenken.
III. Rechtspluralismus Die in der Kanonistik in den 1990er Jahren intensiv geführte Debatte über die Frage, ob Kirchenrecht echtes Recht sei, steht unter anderem für eine Selbstvergewisserung der Kirchenrechtswissenschaft, den Status ihres Gegenstands im Licht etatistisch-monistischer Engführungen in Rechtstheorie und -soziologie zu klären. Der von Ludger Müller und anderen vorgetragene Anspruch, Kirchenrecht sei „ein Recht ,sui generis‘“, dabei allerdings „eine mögliche Verwirklichungsform von Recht“ und damit rechtstheoretisch Recht „wie alle anderen Verwirklichungsformen von Recht (staatliches Recht, Völkerrecht)“23, formuliert das kanonistische Votum, Recht als plurale Erscheinungsform des Normativen wahrzunehmen und dem monistischen Anspruch eines rein staatlich gefüllten Rechtsbegriffs eine Absage zu erteilen. Diese Diskurse zur Begrenzung monistischer Ansprüche bestreitet die Kanonistik vor allem heute nicht mehr alleine. Sie erhält hierbei zunehmend Unterstützung der Rechtssoziologie, die im Angesicht der Pluralisierung von Recht die rechtspluralen Denktraditionen aus der Frühzeit der Disziplin neu bewertet. Dass eine monistische Verengung nicht nur religiöses Recht, sondern auch andere Phänomene nichtstaatlicher Rechtlichkeit verkennt, wurde bereits von Eugen Ehrlich als einem der Gründerväter der Rechtssoziologie kritisch gesehen.24 Ehrlich, der bis 1914 in Czernowitz forschte und dessen Beobachtungen zum lebendigen Recht der Bukowina als Pionierarbeit des Rechtspluralismus gelten, betonte die Entstehung und Entfaltung 21
Thomas Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 4. Aufl., Tübingen 2007, S. 316. Paul Schiff Berman, Conflict of Laws (Anm. 16), S. 1111. 23 Ludger Müller, Kirchenrecht – analoges Recht? Über den Rechtscharakter der kirchlichen Rechtsordnung (= Dissertationen, Kanonistische Reihe 6), St. Ottilien 1991, S. 117; so auch Antonio Rouco Varela/Eugenio Corecco, Sakrament und Recht – Antinomie in der Kirche? (= Kirchenrecht im Dialog 1), Paderborn 1998, S. 64. 24 Vgl. Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts (= Schriftenreihe zur Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung), hrsg. von Manfred Rehbinder, 4. Aufl., Berlin 1989, S. 26 – 28. 22
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von Recht frei von staatlicher Intervention. In der ethnisch pluralen Bukowina studierte er diverse Rechtstraditionen, die die Rechtswirklichkeit prägten – von formalisierten staatlichen Gesetze bis hin zu partikularen mündlich tradierten Rechtsgewohnheiten. Ehrlich vertrat daher ein pluralistisches Rechtsverständnis, das neben dem Staat eine Vielzahl anderer Gruppen als Erzeugerinnen rechtlicher Normen wahrnimmt. Zu denken ist an das Recht der Staatenbündnisse, aber auch an Vertragsrecht, das der Einigung der Vertragsparteien entspringt, an Gewohnheitsrecht, das die Rechtsgewohnheiten einer rechtsfähigen Gemeinschaft zu Recht gerinnen lässt, oder an Recht religiöser Gruppierungen, das die Anhängerinnen und Anhänger religiöser Bekenntnisgemeinschaften verpflichtet. Dass Gruppen auch dann Recht erzeugen, wenn sie nicht hoheitlich-staatlich organisiert sind, drückt sich begründungstheoretisch in der sprichworthaften Formel „ubi societas ibi ius“ aus, die Kanonistinnen und Kanonisten mit dem Ius Publicum Ecclesiasticum verbinden. Diese Formel kann man angesichts der Erkenntnisse des Rechtspluralismus über das Recht ethnisch, kulturell oder religiös integrierter Gemeinschaften zur Formel „ubi communitas ibi ius“ erweitern. Wer nach rechtlichen Phänomenen sucht, entdeckt eine essentielle Neigung von Gesellschaften und Gemeinschaften, sich eine Ordnung in Form rechtlicher Strukturen zu geben. Niklas Luhmann beobachtete systemtheoretisch angespitzt: „Recht entsteht, ebenso wie Wissen, rudimentär in allen sozialen Systemen und auch ohne Rekurs auf das offizielle staatlich gesetzte und sanktionierte Recht – also auch in Organisationen, Familien, in Gruppen, die Briefmarken tauschen, in Nachbarschaftsverhältnissen usw. Kein System kann über längere Zeit hinweg […] normative Erwartungen handhaben, ohne daß […] Recht anfällt.“25
1. Das Panjurismusproblem Diesem pluralen Phänomen Recht wird man allein durch ein pluralistisches Rechtsverständnis gerecht. Dennoch kann man gegenüber pluralistischen Ansätzen nicht unbegründet den Vorwurf erheben, diese seien nicht frei von Beliebigkeit. Denn nimmt man an, dass aus allen Sozialbeziehungen Recht entstehen kann, stellt sich die Frage, wie sich dieses Recht von anderen Normativitäten unterscheiden lasse. Gelingt diese Abgrenzung nicht, müsste man jegliche Normativität als Recht gelten lassen, die von einer Gruppe als rechtlich bindend anerkannt wird.26 Eine solche Auffassung vertritt Brian Tamanaha. Er notiert: „Law can be anything, can take any form and serve any function, legal officials and/or people conventionally recognize.“27 Das Problem einer hierdurch entstehenden Expansion des Rechtlichen sieht Tamanaha aber nicht. Denn anders, als man befürchten könnte, führe das Kriterium 25 Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984, S. 451. 26 Vgl. Röhl, Rechtssoziologie (Anm. 10), S. 215 – 216. 27 Brian Z. Tamanaha, A Realistic Theory of Law, Cambridge 2017, S. 150.
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der Anerkennung als Recht nicht zu einem beliebigen Aufblähen rechtlicher Normativität. Während das Recht der Europäischen Union, das Kirchenrecht oder die Scharia als Recht Anerkennung fänden, verstehe die Allgemeinheit die Regeln von Straßengangs, Universitäten oder Sportverbänden nicht als Recht.28 Dies sei der Fall, weil Akteure wie Straßengangs nicht als Inhaber rechtskonstitutiver deontischer Macht wahrgenommen würden. Tamanaha bezieht sich hierbei auf John Searles Theorie, der Institutionen aufgrund der ihnen zugesprochenen deontischen Macht für rechtsproduktiv hält.29 Während man bei der Europäischen Union oder bei Religionsgemeinschaften deontische Macht am Werk sehe, wenn diese Normen formulierten, seien Straßengangs, Universitäten oder Sportverbände allgemein nicht als Inhaber deontischer Macht anerkannt, wie Tamanaha erläutert: „Universities and sport leagues are not collectively recognized as ,legal‘ systems and do not have the legal deontic powers exercised by legal officials. The members of these very organizations do not typically view their own rule system as ,law‘, which they recognize they are subject to. Their rule systems do not establish basic rules and social intercourse, are not backed by organized physical force, and make no general claims of justice and right. Hence rule systems in general are not legal systems per se.“30
Legt man als Maßstab bei der Bestimmung des Rechtlichen das Kriterium an, dass Recht sei, was Menschen dafür halten, entsteht ein fluides Bild rechtlicher Normativität. Das räumt Tamanaha ein, der diese Fluidität allerdings für unproblematisch hält. Welche Regelsysteme als Recht gälten, seien kontingente Einschätzungen; diese seien jedoch erstaunlich beständig.31 Die Frage nach dem Recht als eine Einschätzungsfrage zu verstehen, gibt sie freilich einer gewissen Beliebigkeit preis, insoweit bei der Bestimmung des Rechts vor allem die Definitionsmacht bestimmter Akteure zum Tragen kommt, wie der Rechtsethnologe Franz von Benda-Beckmann mit Blick auf die Definitionshoheit der Rechtswissenschaft betonte. Es gebe nämlich Recht, das von der Rechtswissenschaft dogmatisch und politisch bevorzugt werde, anderes Recht sei weniger privilegiert.32 Entbehre eine bestimmte Rechtsordnung eine solche wissenschaftliche Anerkennung, büße sie dessen ungeachtet nicht ihren Rechtscharakter ein. Benda-Beckmanns Kritik findet in der Rechtssoziologie einige Unterstützung. Sein Unverständnis gegenüber der Auffassung, dass kein Recht sei, was nicht als solches breite Anerkennung finde, spiegelt sich in der rechtssoziologischen Debatte darüber, ob umgekehrt jegliche Normativität Recht sei, die als solches anerkannt werde. Ein dergestalt ausladendes Rechtsverständnis wird freilich in Teilen der Rechtssozio28
Vgl. ebd. (Anm. 27), S. 48 – 53. Vgl. John R. Searle, Wie wir die soziale Welt machen. Die Struktur der menschlichen Zivilisation, Berlin 2012. 30 Tamanaha, A Realistic Theory (Anm. 27), S. 54. 31 Vgl. ebd. (Anm. 27), S. 77. 32 Vgl. Franz von Benda-Beckmann, Who’s Afraid of Legal Pluralism?, in: Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law 34 (2002), S. 37 – 82, hier: S. 69. 29
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logie als „Panjurismus“33 problematisiert und von vielen Stimmen als heikel zurückgewiesen. Für die Rechtssoziologie ist der Panjurismus vor allem deshalb ein Problem, weil er ihren Gegenstand diffus werden lässt. Kann jede normative Praxis als Recht verstanden werden, wenn sie als solches Anerkennung findet, entzieht sich der Begriff des Rechts einer präzisen begrifflichen Fassung. Er lässt sich nicht mehr trennscharf gegenüber anderen gesellschaftlichen Normen und normativen Praktiken abgrenzen. So bemerkt Klaus Röhl: „Ein pluralistischer Rechtsbegriff läßt kaum etwas übrig, was man dem Recht als Gesellschaft gegenüberstellen könnte. Er mag für Ethnologen, Kleingruppenforscher oder Rechtshistoriker nützlich sein. Für die Rechtssoziologie der Gegenwart ist er verfehlt.“34 Insoweit unter dem Vorzeichen eines panjuristischen Rechtsbegriffs nicht zu klären sei, ob und wodurch das Recht seine Grenze finde, werde Recht entweder um seinen rechtlich-bindenden Gehalt gebracht oder jeglicher Diskurs verrechtlicht. 2. Zwangsbewehrte Normen? Wie aber lässt sich bestimmen, welche Normen unter den Begriff des Rechts zu fassen sind? Dass wiederkehrend der Zwang als ein Essential des Rechts erscheint, geht auf Max Webers Einfluss auf die Bestimmung des Rechtsbegriffs zurück. Weber wollte allein in den Fällen von Recht reden, in denen „die Anwendung irgend welcher, physischer oder psychischer, Zwangsmittel in Aussicht steht“35 und dies in Form eines institutionalisierten Zwangsapparats. Durch den Zwang grenzte Weber das Recht von anderen Normativitäten ab, die frei von Zwang wirkten, wie Sitte oder Konvention. Bis heute steht das Sprechen über das Recht erkennbar unter Weber‘schen Vorzeichen. Jedoch hat sein Ansatz auch vielfach Kritik auf sich gezogen. Dass Recht mit dem Zwang in Verbindung stehe, wird selten bestritten, wohl aber, dass Zwang für den Rechtsbegriff zentral sei. Beim Rechtssoziologen Georges Gurvitch liest man, dass „jedes Recht die Möglichkeit von Zwang zuläßt, ohne ihn jedoch unbedingt zu fordern“36. Der häufig als Antipode Webers eingeführte Eugen Ehrlich zitierte einmal eine spanische Lebensweisheit, um das Problem eines vom Zwang her gedachten Rechts ins Bild zu bringen: „Auf Bajonette kann man sich stützen, doch nicht darauf
33 Den Begriff prägte Jean Carbonnier: vgl. Jean Carbonnier, Flexible droit. Pour une sociologie du droit sans rigueur, 10. Aufl., Paris 2001, S. 25. 34 Röhl, Rechtssoziologie (Anm. 10), S. 219; vgl. auch Tamanaha, The Folly (Anm. 11), S. 192 – 194. 35 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Anm. 2), S. 5. 36 Georges Gurvitch, Grundzüge der Soziologie des Rechts, vom Verfasser autorisierte deutsche Ausgabe mit einer internationalen Bibliographie der Rechtssoziologie von Paul Trappe (= Soziologische Texte 6), Neuwied 1960, S. 129.
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sitzen“37. Hiermit zeigt Ehrlich zum einen an, dass er den Zwang für eine Möglichkeit hält, um das Recht durchzusetzen, zugleich aber anzweifelt, dass ein ausnahmslos forciertes Recht einer Gemeinschaft eine dauerhaft stabile und lebenswerte Ordnung geben könne. Wenn Recht nur mit dem Zwang zu denken sei, dann sei kaum erklärlich, dass Rechtsordnungen zumindest den meisten Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft ein bequemes „Sitzen“ erlaubten. Auch Ehrlichs Theorie zufolge ist Zwang nicht für das Recht konstitutiv, wenngleich das Recht nicht selten vom Zwang Gebrauch mache. Der alte Streit der Rechtssoziologie über die Bedeutung des Zwangs für das Recht soll hier nicht aufgearbeitet werden. Von Interesse ist er jedoch gegenwärtig aufgrund seiner Aktualisierung, die er in den Debatten um Recht unter den Bedingungen von Globalisierung und Digitalisierung erfährt. In diesem Kontext drängt sich erneut die Frage in den Vordergrund, was das spezifische Konstitutiv des Rechts sei, wenn nicht Zwangsbewehrung eine Norm als Rechtsnorm ausweise. Um ein solches Proprium des Rechts zu identifizieren, helfen Ehrlichs Überlegungen nicht weiter. Denn dass sich die „Wirkung der Normen weniger durch Zwang als durch Suggestion“ einstelle, durch Normsozialisation als „ein unbewußtes sich Einleben in die Gefühle und Gedanken der Umgebung“38, wie Ehrlich bemerkte, sagt Zutreffendes über die Wirkweise von Normen aus, jedoch nichts über ihr Wesen. An einer solchen Distinktion war Ehrlich schlicht nicht gelegen. Er sah zwischen rechtlichen und nichtrechtlichen Normen keinen kategorialen Unterschied. 3. Binär codierte Kommunikation Dieses Problem wird in der Rechtssoziologie der Gegenwart aufgegriffen. Gerade angesichts der Pluralität des Normativen, der er in seinem Beitrag „Globale Bukowina“ in Ehrlichs Tradition, aber unter Berücksichtigung der zunehmenden Bedeutung trans- und internationalen Rechts nachging, sah Gunther Teubner die Versuche, den Streit um das rechtlich und nichtrechtlich Normative mithilfe einer distinkten Bestimmung des Wesens einzelner Normarten zu klären, als gescheitert an: „Nach einer langen Debatte hat es sich als aussichtslos herausgestellt, nach einem Kriterium zur Unterscheidung sozialer von rechtlichen Normen zu suchen.“ Wer differenzieren wolle, komme nicht kriteriologisch weiter, sondern sei auf den Kontext verwiesen: „Die entscheidende Transformation ist nicht in den inhärenten Charakteristika von Regeln, sondern in ihrer konstitutiven Einführung in den Kontext verschiedener Diskurse zu finden. Regeln werden dann zu Rechtsregeln, sobald sie in kommunikativen Akten auf den binären Code Recht/Unrecht bezogen werden“39.
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Ehrlich, Grundlegung (Anm. 24), S. 317, Fn. 5. Ebd. (Anm. 24), S. 77. 39 Teubner, Globale Bukowina (Anm. 15), S. 271.
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Hiermit weist Teubner Niklas Luhmanns systemtheoretischen Zugang als den erfolgreichsten aus, um unterschiedliche Normativitäten voneinander zu scheiden. Unter Recht versteht Luhmann all die Kommunikationen, die sich über die Codierung „recht“/„unrecht“ identifizieren lassen. Die über diesen binären Code als Recht erkannten Kommunikationen bildeten ein soziales System und hierbei eine „Struktur […], die auf kongruenter Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen beruht“40. Während viele Ansätze bei der Bestimmung von Recht auf die Verhaltenssteuerung durch Recht blicken, gewichtet Luhmann Verhalten als nachrangig. So meint er über das Recht: „Seine primäre Funktion liegt nicht in der Bewirkung bestimmten Verhaltens, sondern in der Stärkung bestimmter Erwartungen“41. Recht sei eine Normativität, bei der „erwartet werden kann, daß normatives Erwarten normativ erwartet wird“42. Diese Erwartungsstruktur ist gleichwohl nicht zureichend, um Recht zu identifizieren – immerhin trifft sie auf alle Normen zu. Gunther Teubner stellt erläuternd klar: „Es ist weder Struktur noch Funktion der Erwartungen, sondern die Sekundärbeobachtung über den binären Code, die das ,spezifisch Rechtliche‘ im lokalen oder globalen Rechtspluralismus ausmacht“43. Dass die Systemtheorie auch heute als die Referenztheorie Verwendung findet, um Normativitäten unterschiedlicher Provenienz voneinander zu differenzieren, hängt dabei vor allem genau damit zusammen, dass sich in der Globalisierungsfrage die Pluralität von Normativität in besonderer Weise als Problem aufdrängt. „Die verschiedenen Systeme des Rechtspluralismus bringen fortlaufend normative Erwartungen hervor“44, bemerkt Teubner. Diese müssten dann jeweils dahingehend differenziert werden, ob es sich um rechtliche, moralische oder andere soziale Erwartungen handle. Auch innerhalb der einzelnen Funktionssysteme erleichtere die Systemtheorie die Verarbeitung pluraler Normativitäten, wie Teubner am Beispiel des Rechts beschreibt: „Rechtspluralismus ist dann nicht mehr als eine Gruppe konfligierender sozialer Normen in einem bestimmten sozialen Feld definiert, sondern als Nebeneinander verschiedener kommunikativer Prozesse, die soziale Handlungen unter dem binären Code Recht/Unrecht beobachten“45. Insoweit in den pluralen Diskursen zunehmend erkennbar werde, dass sich das Recht nicht mehr abschließend über seinen Ursprung in (quasi)staatlicher Souveränität identifizieren lasse, müsse es auf andere Weise erkannt werden können: „es ist nicht das Recht der Nationalstaaten, sondern
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Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 4. Aufl., Wiesbaden 2008, S. 105. Niklas Luhmann, Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1 (1970), S. 175 – 202, hier: S. 179 – 180. 42 Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 144. 43 Teubner, Globale Bukowina (Anm. 15), S. 273. 44 Ebd. (Anm. 15). 45 Ebd. (Anm. 15), S. 272. 41
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die symbolische Verkörperung von Geltungsansprüchen, welche die lokale, nationale oder globale Natur fragmentierter Rechtsdiskurse bestimmen“46. Was die Systemtheorie gleichwohl nicht leistet, ist eine Einordnung hybrider Formen von Normativität. Dieses Problem thematisierte der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers in seinem normtheoretischen Grundlagenwerk „Die Möglichkeit der Normen“. Mit seiner Arbeit kehrt aktuell – Teubners Prophezeiung der 1990er Jahre von der Unbrauchbarkeit normativer Systematisierungen widerlegend – die Normtheorie in das Zentrum der gegenwärtigen rechtstheoretischen und -soziologischen Überlegungen zurück. Während Möllers eine Unterscheidung von Normenarten am besten durch Theorien funktionaler Differenzierung geleistet sieht, nimmt er eine Schwäche dieser Ansätze darin wahr, dass in ihnen „hybride Formen von Normativität wegdefiniert oder unter den Verdacht der Dysfunktionalität gestellt werden, weil sie dem Imperativ funktionaler Differenzierung nicht genügen“47. Dies illustriert er anhand der Menschenrechtedebatte, die rechtliche, politische und moralische Diskurse kreuze und hierbei diverse Normativitäten ineinandersetze: „Es kann passieren, dass die moralische Autorität einer Menschenrechtsnorm nur dadurch entsteht, dass sie durch Rechtsform vermittelt wird. Einen solchen Fall können wir nur mit Hilfe der Unterscheidung zwischen Recht und Moral angemessen beschreiben. Aber wir können ihn nicht einfach dem Rechtssystem zuordnen oder uns damit begnügen, dass das Rechtssystem moralische oder politische Gehalte inkorporiert. […] Ebenso wenig ist es ergiebig, religiöse politische Bewegungen entweder der Politik oder der Religion zuzuordnen – oder Religion aus Gründen der Diskurshygiene aus dem Bereich der Politik verbannen zu wollen“48.
Während Möllers‘ letztgenannter Hinweis (ohne ihn zu zitieren) offenkundig Jürgen Habermas‘ Selbstkorrektur spiegelt, religiösen Beiträgen zu öffentlich-politischen Debatten einen Wert zuzuerkennen,49 geht es Möllers selbst nicht um die hiermit berührte Ebene der Legitimation von Grenzüberschreitungen. Vielmehr ist er allein an der normtheoretischen Feststellung interessiert, dass Normen in bestimmten Fällen faktisch Systemgrenzen überwinden. Über Normen in angemessener Weise zu reden, müsse daher in einigen Fällen bedeuten, deren Systemgrenzen sprengende Hybridität ernst zu nehmen. Möllers folgert hieraus für die an Normativität und deren Pluralität interessierten Wissenschaften: „Die Erforschung sozialer Normen sollte soziale Differenzierung zur Kenntnis nehmen, aber sich nicht vor hybriden Praktiken und unklaren Befunden fürchten. Es ist gerade der 46
Ebd. (Anm. 15), S. 273. Christoph Möllers, Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität, Berlin 2015, S. 440. 48 Ebd. (Anm. 47), S. 441 – 442. 49 Vgl. Jürgen Habermas, Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?, in: Ders./Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, mit einem Vorwort hrsg. von Florian Schuller, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2005, S. 15 – 37. 47
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Clou einer komparatistisch arbeitenden Normentheorie, dass sie nicht nur wie die strukturfunktionalistische Soziologie nach Gemeinsamkeiten zwischen Funktionsdifferenzen sucht, sondern auch nach Phänomenen, in denen die Funktionsgrenzen in Frage stehen“50.
4. Justiziable Normen Gerade aber dass manche Normen hybrider sind, als die Systemtheorie nahelegt, wirft die Frage auf, wie man ihnen ihren rechtlichen Gehalt entnehmen könne. In diesem Zusammenhang ist wiederum ein Hinweis hilfreich, den Gunther Teubner in seiner Luhmann-Relektüre gibt. Teubner weist es ja als Folge der systemtheoretischen Wende im Rechtsverständnis aus, dass Recht sich nicht mehr anhand einer bestimmten Normstruktur zu erkennen gebe, sondern anhand einer codebasierten Einsetzbarkeit in rechtlichen Diskursen. Hiermit einher gehe eine Blickwinkelverschiebung „von ,Struktur‘ zu ,Prozeß‘“51. Der Blick richte sich nun primär auf die Prozeduralität von Recht und damit auf rechtsproduktive Prozesse: auf Gesetzgebungs-, Gerichtsverfahren und Verwaltungshandeln. In ähnlicher Weise meint Jean Carbonnier in den Anwendungszusammenhängen von Recht ein Merkmal des Rechts zu entdecken. Das Wesen des Rechts, so Carbonnier, bestehe in der „Bestreitung“ oder „Infragestellung“: „Es ist hiernach eine gewisse interrogative Natur, die Möglichkeit des Infragestellens, welche die Rechtsnormen charakterisiert“52. Indem eine Norm sich als auf einen Fall applizierbar und in rechtlichen Verfahren anwendbar erweise, offenbare sie ihren Charakter als Recht: „Es geht hier nicht um das Recht als Norm, sondern um die Anwendung der Norm auf einen konkreten Fall. Die Institution der Bestreitung nimmt so die typische Form des Prozesses bis zur Urteilsfällung an. Prozeß und Urteil lassen sich so wenig auf andere sozialpsychologische Erscheinungen zurückführen und sind von so spezifisch rechtlicher Art, daß es naheliegend erscheint, in ihnen die Indikatoren der Rechtlichkeit zu sehen“53. Als Recht gelte daher die positiv markierte Möglichkeit, sich in institutionell geordneten Verfahren um einen Anspruch zu streiten. Es gehe nicht um das faktische Judizieren, sondern um die „Möglichkeit eines Urteils“54, wie Carbonnier betont. Man kann dieses Merkmal von Recht auch als „Justiziabilität“ bezeichnen. Dieser Gedanke trifft sich mit Überlegungen, wie sie unter anderem Gunther Teubner, Andreas Fischer-Lescano und Paul Schiff Berman bei ihrer Arbeit zur Globalisierung von Recht entwickelten. Globales Recht könne sich nicht durchgängig und in zunehmend geringerem Maß auf souveräne Staatlichkeit berufen. Wie aber gewinnt es eine Chance auf Beachtung? Dies führen die Autoren auf den Bedeutungszuwachs der
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Möllers, Die Möglichkeit der Normen (Anm. 47), S. 442 – 443. Teubner, Globale Bukowina (Anm. 15), S. 270 – 271. 52 Carbonnier, Rechtssoziologie (Anm. 20), S. 125. 53 Ebd. (Anm. 20). 54 Ebd. (Anm. 20).
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trans- und internationalen Gerichtsbarkeit zurück.55 Ein über Staatengrenzen hinweg wirksames Recht gehe häufig auf das Engagement einer trans- und international agierenden Judikative zurück. Deren Entscheidungen seien zwar vergleichsweise zwangsarm, aber faktisch wegweisend. Sie würden in internationalen Handelsbeziehungen berücksichtigt, prägten das Verhalten transnationaler Akteurinnen und Akteure und beeinflussten die nationale Rechtsprechung.
IV. Fazit Was lässt sich aus diesen Ausführungen an Erkenntnissen über das Kirchenrecht und an Impulsen für die Kanonistik gewinnen? In Bezug auf den Kirchenrechtsbegriff stützen die gegenwärtigen Überlegungen zum Rechtspluralismus die für die kirchliche Rechtstheorie günstige Position, dass Recht ohne Zwang zu denken ist. Sowohl normtheoretisch und rechtsbegrifflich als auch rechtssoziologisch spricht wenig dagegen, alle Normen, die dem Code „recht“/„unrecht“ folgen, als Recht zu verstehen, wenn sie in einer Rechtsgemeinschaft als Rechtsnormen Anerkennung finden. Max Webers Einfluss ist – zumindest in dieser Hinsicht – in den Gegenwartsdebatten in den Hintergrund geraten. Damit ist freilich nicht zugleich die Frage beantwortet, was mit einer Rechtsordnung geschieht, die mangels Zwangsoptionen überwiegend keine Rechtsbefolgung mehr verzeichnet. Begreift man die Justiziabilität als ein Merkmal des Rechts, verlieren Normen ihren Rechtscharakter, wenn ihnen ein faktischer Einfluss in Anwendungszusammenhängen fehlt. Dies ist eine Wirkung, die sich bei mangelndem Zwang einstellen kann, wenn auch nicht muss. Die größte Anfrage an den Rechtscharakter des Kirchenrechts geht in diesem Sinne nicht vom abnehmenden Zwang kirchlicher Anordnungen aus, sondern vom Wirkungsverlust kirchlicher Normen in Anwendungskontexten. Während die aktuellen Diskurse somit zum einen auf den prekären rechtlichen Status des Kirchenrechts aufgrund seines zunehmenden Wirkungsschwunds verweisen, heben sie zum anderen die Chancen der Religionsgemeinschaften hervor, sich als Produzentinnen von Recht nichtstaatlichen Ursprungs in die Rechtspluralismusdebatte einzubringen. Hier zeigten die vergangenen Jahre, dass „Recht und Religion“ sich nicht auf den Umgang staatlichen Rechts mit religiösem Recht (Stichwort „Governance“) beschränken lässt, sondern notwendig um Überlegungen zur konstruktiven Verhältnisgestaltung zwischen staatlichem und religiösem Recht zu ergänzen ist. Die Bukowina des Rechts, in der sich plurale rechtliche Traditionen begegnen, ist heute in zunehmender Weise durch plurale Religiosität und ihre Rechtstraditionen geprägt. In dem Maße beispielsweise, in dem der Islam als rechtlich verfasste Reli55 Vgl. Paul Schiff Berman, Conflict of Laws (Anm. 16), S. 1125 – 1145; Fischer-Lescano/ Teubner, Regime-Kollisionen (Anm. 15), S. 8.
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gion eine stärkere Rolle in den westlichen Gesellschaften spielt, nimmt nicht nur die religiöse Pluralität dieser Gesellschaften zu, sondern auch ihre rechtliche Diversität. Und es festigt sich die Erkenntnis, dass religiöse Rechtlichkeit nicht nur Gegenstand staatlich-rechtlicher Einhegung oder Förderung ist, sondern Akteurin der rechtspluralen Gesellschaft. Rechtlich verfasste Religionsgemeinschaften sind Teil der rechtspluralen Landschaft. Und sie sind Beteiligte an ihrer Gestaltung. Ihr Recht als Recht ernst zu nehmen, heißt in Konsequenz, die Frage des Rechts in der Gesellschaft nicht rechtsmonistisch allein dem Staat zu überantworten, sondern sich innerhalb dieses staatlichen Rahmens für die rechtliche Gestaltung der Gesellschaft mitverantwortlich zu fühlen. Dies fordert nicht zuletzt Expertinnen und Experten religiösen Rechts heraus, ihre Perspektive in die Rechtspluralismusdebatte einzubringen. Die Debatte profitiert von dieser Expertise. In diesem Zusammenhang erscheint nicht zuletzt das Wissen der Kanonistik als von besonderem Wert. Denn die Fragen, die sich der Rechtssoziologie heute im Angesicht von Globalisierung und Digitalisierung stellen, treiben die Kanonistik schon lange um. Wie lässt sich Recht unter globalen Bedingungen gestalten? Wie fügt sich Recht in plurale Rechtsordnungen ein? Wie gelingt eine kulturenübergreifende Ordnung rechtlicher Angelegenheiten? Wie entfaltet Recht Wirkung, wenn unmittelbarer Zwang fern ist? In der Rechtssoziologie werden diese Fragen heute unter den Vorzeichen von Pluralisierung, Globalisierung und Digitalisierung mit Dringlichkeit gestellt und diskutiert. Für das Kirchenrecht hingegen stellen sie alte Bekannte dar. Mit ihrem erprobten wissenschaftlichen Repertoire und ihrer jahrhundertealten Wissenschaftstradition könnte die Kanonistik eine wichtige Gesprächspartnerin für den Staat und andere Religionsgemeinschaften sein, wenn sie die Herausforderung annimmt, sich in der Rechtspluralismusdebatte zu engagieren.
Mindestanzahlen im kanonischen Recht Von Ulrich Rhode In zunehmendem Maße finden sich seit einigen Jahren in gesamtkirchlichen Rechtsnormen Bestimmungen, die eine Mindestanzahl von Personen oder Sachen festlegen als Voraussetzung dafür, dass bestimmte Handlungen vorgenommen werden dürfen oder dass ein bestimmter Rechtsstatus erworben werden kann. Die Zunahme solcher Bestimmungen betrifft vor allem zwei Rechtsbereiche, nämlich das Ordens- und das Hochschulrecht. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich aber nicht auf diese Rechtsbereiche, sondern untersucht die beschriebene Art von Rechtsnormen in allgemeiner Weise. Zwar zieht er dazu als Beispiele, von einigen Ausnahmen abgesehen, nur Normen des gesamtkirchlichen Rechts heran; das Gesagte lässt sich aber auch auf vergleichbare Normen des Partikular- oder Eigenrechts anwenden.
I. Im vorliegenden Beitrag nicht behandelte Mindestzahlen Neben der im vorliegenden Beitrag behandelten Art von Normen gibt es noch etliche andere Arten von Normen, die ebenfalls Mindestzahlen festlegen, im Folgenden aber nicht berücksichtigt werden: a) Viele Normen legen eine Mindestzeitdauer fest, wie etwa die Normen über den Erwerb eines kanonischen Wohnsitzes oder Normen über das Mindestalter einer Person als Voraussetzung für die Übertragung einer bestimmten Aufgabe. b) Andere Normen legen eine Mindesthäufigkeit für die Vornahme bestimmter Handlungen fest. Z. B. können die Statuten eines Kollegiums eine Mindestzahl von Zusammenkünften pro Jahr verlangen. Ein anderes Beispiel ist die Bestimmung, wonach der Bischof sein Bistum mindestens alle fünf Jahre visitieren muss (c. 396 § 1). c) Des Weiteren gibt es Bestimmungen, wonach bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte andere Rechtserfordernisse gelten. Solche Bestimmungen haben nicht die Absicht, den Handelnden zum Überschreiten solcher Schwellenwerte zu motivieren; vielmehr erhöhen sie als Vorsichtsmaßnahme die Anforderungen an Handlungen von größerer Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist die soge-
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nannte „Romgrenze“, oberhalb deren für Veräußerungen eine Erlaubnis des Apostolischen Stuhls erforderlich ist.1 d) Die Vornahme eines kollegialen Aktes setzt in der Regel das Erreichen zweier Mindestzahlen voraus. Einerseits ist zumeist die Anwesenheit einer Mindestanzahl von Personen erforderlich, das sogenannte „Quorum“. Andererseits muss bei der Abstimmung eine bestimmte Anzahl von befürwortenden Stimmen erreicht werden; man spricht von der nötigen „Mehrheit“ der Stimmen. Beide Arten von Mindestzahlen sind nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags. e) Schließlich lässt der vorliegende Beitrag auch jene Normen unberücksichtigt, die das Vorhandensein von wenigstens einer Person oder Sache verlangen. Die typische Zielsetzung derartiger Normen besteht nämlich nicht darin, eine höhere Anzahl zu erreichen. Typischerweise wollen solche Normen vielmehr zum Ausdruck bringen, dass man sich nicht auf eine Person bzw. Sache beschränken muss, sondern dass auch zwei oder mehr Personen bzw. Sachen zulässig sind. Ein Beispiel dafür ist die Bestimmung, wonach es in einem Seminar mindestens einen Spiritual geben muss (c. 239 § 2 CIC/1983). Das frühere Recht verlangte vor dem Tabernakel mindestens eine Lampe (c. 1271 CIC/1917).
II. Die geschichtliche Entwicklung der Normen über Mindestanzahlen Einige der im Folgenden behandelten Normen haben einen sehr frühen Ursprung. Die älteste Quelle sind wohl jene Verse des Buches Deuteronomium, wonach sich eine Anklage nicht auf einen einzigen Zeugen stützen konnte, sondern zwei oder drei Zeugen voraussetzte.2 Diese Verse haben über die Jahrhunderte hin einen großen Einfluss auf die Bestimmungen des kanonischen Rechts über die Zeugen ausgeübt. Interessanterweise hat auch das Konzil von Trient bei der Einführung der kanonischen Eheschließungsform die Formel „zwei oder drei Zeugen“ gebraucht.3 Erst in späterer Zeit wurde der Zusatz „oder drei“ gestrichen, so dass das geltende Recht – zusätzlich zu dem assistierenden Kleriker – einfach „zwei Zeugen“ verlangt (c. 1108 § 1 CIC/1983). In indirekter Weise findet sich die Forderung nach wenigstens zwei Zeugen, wenn es im geltenden Prozessrecht (c. 1573 CIC/1983) heißt: „Unius testis depositio plenam fidem facere non potest, nisi agatur de teste qualificato qui deponat de rebus ex officio gestis, aut rerum et personarum adiuncta aliud suadeant.“ Auf das römische Recht geht die Bestimmung zurück, wonach die Errichtung einer Personenmehrheit als juristische Person das Vorhandensein von wenigstens 1
Vgl. cc. 638 § 3; 1292 § 2 CIC/1983. Vgl. Dtn 17,6; 19,15. 3 DH 1816. 2
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drei Personen voraussetzt (c. 115 § 2 CIC/1983). Das dabei angewendete Prinzip tres faciunt collegium wird in den Digesten dem römischen Rechtsgelehrten Lucius Neratius Priscus (1./2. Jh. n. Chr.) zugeschrieben.4 Die Mindestanzahl drei findet sich auch in Canones mehrerer Konzilien der alten Kirche, wonach eine Bischofsweihe die Beteiligung von mindestens drei Bischöfen erfordert, die sie gemeinsam vornehmen. Erstmals ist diese Mindestzahl in den Canones des Konzils von Arles (314) bezeugt5, kurz darauf auch in den Canones des Konzils von Nikaia (325).6 Die Bestimmung hat die Jahrhunderte überdauert und ist in c. 1014 in den CIC/1983 eingegangen. Es wäre interessant, zu wissen, ob das römisch-rechtliche Prinzip tres faciunt collegium einen Einfluss auf die Entstehung dieser Norm ausgeübt hat. Etwa zur selben Zeit entstand im Judentum eine Norm über eine Mindestanzahl, die mit dem hebräischen Wort Minjan bezeichnet wird, einem Wort, das „zählen“ bedeutet. Es bringt zum Ausdruck, dass für bestimmte offizielle Gebete die Anwesenheit von mindestens zehn jüdischen Gläubigen erforderlich ist, näherhin nach Auffassung des orthodoxen Judentums von zehn jüdischen Männern. Was die religiöse Erklärung dieser Mindestanzahl angeht, wurde später auf die zehn Söhne Jakobs hingewiesen, die nach Ägypten gesandt wurden, um Lebensmittel zu besorgen. Ein Einfluss des Minjan auf Mindestanzahlen in der Kirche ist allerdings nicht ersichtlich. Im Mittelalter wird die Mindestanzahl zwölf beliebt: Zusätzlich zum Abt bzw. zur Äbtissin werden zwölf Mönche bzw. Nonnen für die Gründung einer neuen Abtei erwartet. Es ist offensichtlich, dass man sich dabei auf die Zahl der Apostel stützte. In den großen monastischen Ordensregeln ist diese Zahl nicht zu finden; vermutlich entstand sie in einigen Orden, vor allem bei Benediktinern und Zisterziensern, als Gewohnheitsrecht. Soweit ersichtlich, hat das gesamtkirchliche Recht diese Mindestanzahl von Mönchen bzw. Nonnen für die Gründung einer Abtei niemals verlangt.7 Trotzdem wurde sie nach und nach als so selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie in mehreren Lexika als notwendige Voraussetzung für die Errichtung 4
est.“
D. 50, 16, 85: „Neratius Priscus tres facere existimat collegium, et hoc magis sequendum
5 Konzil von Arles, c. 20: „De his qui usurpant sibi solis debere episcopum ordinare, placuit ut nullus hos sibi praesumat, nisi assumptis secum aliis septem episcopis; si tamen non potuerit, infra tres non audeant ordinare.“ 6 Konzil von Nikaia, c. 4: „9p¸sjopom pqos¶jei l²kista l³m rp¹ p²mtym t_m 1m t0 1paqw¸ô jah¸stashai7 eQ d³ dusweq³r eUg t¹ toioOto, C di± jatepe¸cousam !m²cjgm, C di± l/jor bdoO, 1n ûpamtor tqe?r 1p· t¹ aqt¹ sumacol´mour …“ 7 Im Jahre 1603 verlangte Klemens VIII. eine Mindestanzahl von 24 Mönchen für die Abteien der Basilianer; siehe die ApK Altissimi vom 23. 9. 1603, in: BullRom, hg. v. A. Tomassetti, Bd. 11, S. 39 – 46, §§ 3 – 4. Einige Jahre später setzte Paul V. für eine bestimmte benediktinische Kongregation die Mindestanzahl von 12 Mönchen voraus; siehe die Bulle Postulat ratio vom 19. 5. 1611, in: BullRom, hg. v. A. Tomassetti, Bd. 11, S. 666 – 670, § 13, cap. 2.
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einer neuen Abtei genannt wurde.8 Neben der Zahl zwölf wurden nach und nach auch niedrigere Mindestanzahlen verlangt für jene Klöster, die nicht den Rang einer Abtei hatten, wie Priorate oder Nonnenklöster ohne den Abteistatus. Die betreffenden Mindestanzahlen lassen sich sowohl im Eigenrecht der einzelnen monastischen Kongregationen als auch in der Verwaltungspraxis des Apostolischen Stuhls nachweisen. Demgegenüber begannen die zentralisierten Gemeinschaften, Mindestanzahlen von Mitgliedern für die Errichtung neuer Provinzen festzulegen. Z. B. entschied sich die Gesellschaft Jesu für eine Mindestanzahl von 50 Jesuiten als Voraussetzung für die Provinzgründung.9 Seit der Mitte des 20. Jh. verlangt der Apostolische Stuhl Mindestanzahlen von Ordensleuten für die Errichtung einer neuen Kongregation bzw. für ihre Approbation als Kongregation päpstlichen Rechts (vgl. unten Abschnitt III). Das Konzil von Trient ordnete an, dass es in jedem Bistum mindestens sechs Diözesanexaminatoren10 und vier Richter11 zu geben hatte. Der CIC/1917 verringerte die Mindestanzahl von Examinatoren auf vier12 und schaffte die Mindestanzahl von Richtern ab. Auch das geltende Recht kennt keine Mindestanzahl von Richtern mehr.13 Ein Rechtsgebiet, das besonders reich an Mindestanzahlen ist, sind die Heiligund Seligsprechungsverfahren. Neben den Mindestanzahlen von Wundern14 verlangte der CIC/1917 mindestens vier Zeugen, um das Nichtvorhandensein eines öffentlichen Kultes zu beweisen, mindestens acht Zeugen für den Beweis der Tugenden, des Martyriums und der Wunder, mindestens zwei Sachverständige und mindestens fünf Richter.15 Die geltenden Normen für die Heilig- und Seligsprechungsverfahren haben diese Mindestanzahlen zwar nicht beibehalten, enthalten jedoch einige vergleichbare Bestimmungen.16 Eine weitere Gruppe von Bestimmungen betreffen die Räte in der Kirche. Wenngleich es in der Kirche schon im Altertum Berater für Vermögensangelegenheiten gab, sind die ersten gesamtkirchlichen Normen über Mindestanzahlen von Beratern 8 Joseph Baucher, Abbaye, in: Dictionnaire de droit canonique, Bd. I, Paris 1935, S. 2 – 4; Gerard Oesterle, Abtei. Kirchenrechtlich, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, Freiburg 21957, S. 94. 9 Societas Iesu, Constitutiones Societatis Iesu et normae complementariae, Romae 1995, Nr. 388 § 2. 10 CT, Sess. XXIV, Decretum de reformatione, cap. 18. 11 CT, Sess. XXV, Decretum de reformatione, cap. 10. 12 C. 385 § 2 CIC/1917. 13 Freilich gibt es im geltenden Recht die Bestimmungen über Kollegialgerichte aus drei oder fünf Richtern (c. 1425 CIC/1983). Dabei handelt es sich aber um genau festgelegte Anzahlen, nicht um Mindestanzahlen. 14 C. 2117 CIC/1917; vgl. auch c. 2138 CIC/1917. 15 Cc. 2020 §§ 1 – 2; 2031, 18; 2088 § 1 CIC/1917. 16 SM, Art. 62 §§ 1 und 3 (zwei Zensoren); 68 § 1 (drei Sachverständige); C CausSS, Instr. Le reliquie, vom 08. 12. 2017, Art. 10 (zwei Zeugen).
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vermutlich erst im frühen 20. Jh. entstanden. Im Jahre 1911 legte der Apostolische Stuhl fest, dass die Entlassung eines Ordensangehörigen eine kollegiale Entscheidung des zuständigen Oberen zusammen mit einem aus mindestens vier Mitgliedern bestehenden Rat erforderte.17 Der CIC/1917 verlangte in Bistümern, die nicht über ein Kathedralkapitel verfügten, mindestens sechs Diözesankonsultoren18, sowie mindestens drei Konsultoren in apostolischen Vikariaten und Präfekturen.19 Dieselben Mindestanzahlen sind in das geltende Recht eingegangen.20 Für die in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils geschaffenen Räte legt das gesamtkirchliche Recht keine Mindestanzahlen fest und überlässt diese Festlegungen dadurch dem Partikularrecht. Der CIC/1983 hat zwei neue Mindestanzahlen für die Vermögensverwaltungsräte eingeführt. Zum diözesanen Vermögensverwaltungsrat müssen mindestens drei Gläubige gehören.21 Und alle übrigen juristischen Personen müssen einen Vermögensverwaltungsrat oder zumindest zwei Berater haben (c. 1280 CIC/ 1983). Aus der Tatsache, dass die Möglichkeit von mindestens zwei Beratern erwähnt wird, lässt sich schließen, dass mindestens drei Mitglieder erforderlich sind, um von einem Vermögensverwaltungsrat zu sprechen.22 Zahlreiche neue Bestimmungen über Mindestanzahlen finden sich im kirchlichen Hochschulrecht. Das erste gesamtkirchliche Gesetz über die Kirchlichen Fakultäten, die Apostolische Konstitution Deus scientiarum Dominus von 1931, verlangte, dass die Statuten der einzelnen Fakultäten die Mindestzahl von Professoren festlegten.23 Die Ausführungsbestimmungen legten Mindestanzahlen von Professoren für die Prüfungen fest: vier Professoren für das Lizentiatsexamen, zwei für die Doktordissertation und fünf für deren Verteidigung.24 Die Apostolische Konstitution Sapientia christiana (1979) sowie die zugehörigen Ausführungsbestimmungen haben keine neuen Mindestzahlen festgelegt. Seit Beginn des 21. Jh. wurden jedoch etliche neue Festlegungen vorgenommen, insbesondere in Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staaten, in den Rundschreiben der Bildungskongregation über den Bologna-Prozess sowie in der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium und in ihren Ausführungsbestimmungen (siehe unten Abschnitt IV).
17 SC Rel, Dekr. vom 16. 05. 1911, n. 1, in: CIC Fontes VI, S. 1011, n. 4409; vgl. c. 655 § 1 CIC/1917. 18 C. 425 § 1 CIC/1917. 19 C. 302 CIC/1917. 20 Cc. 699 § 1; 502 § 1; 495 § 2 CIC/1983; vgl. c. 500 § 1 CCEO; Benedikt XVI., ApK Anglicanorum coetibus, vom 04. 11. 2009, in: AAS 101 (2009), S. 985 – 990, X, Nr. 2. 21 C. 492 § 1 CIC; vgl. cc. 271 § 3; 319 § 2 CCEO 22 Ebenso: Rüdiger Althaus, c. 1280, Rdnr. 5.1, in: MK CIC (Stand: April 1997). 23 Pius XI., ApK Deus scientiarum Dominus, vom 24. 05. 1931, in: AAS 23 (1931), S. 241 – 262, Art. 20 a). 24 SC Stud, Ordinationes, vom 12. 06. 1931, in: AAS 23 (1931), S. 263 – 284, Art. 38 § 3; 41 §§ 2 und 5.
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III. Neuere Bestimmungen im Ordensrecht Was die gegenwärtigen Mindestanzahlen im Bereich des Ordensrechts angeht, kann man danach unterscheiden, ob sie in Rechtsnormen festgelegt oder nur in der Verwaltungspraxis des Apostolischen Stuhls begründet sind. Seit mehreren Jahrzehnten sind Listen der Anforderungen bekannt, die die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens aufgestellt hat als Voraussetzungen dafür, dass eine Lebensgemeinschaft der evangelischen Räte errichtet werden darf oder die Anerkennung als Gemeinschaft des päpstlichen Rechts erhalten kann. Für die Errichtung einer neuen Gemeinschaft als Institut des geweihten Lebens werden 40 Mitglieder erwartet, von denen die Mehrheit bereits die ewige Profess abgelegt haben muss.25 Für die Anerkennung als Institut päpstlichen Rechts lag die vorgegebene Mindestanzahl über mehrere Jahrzehnte hin bei 80 bis 100 Mitgliedern26 ; seit dem Jahr 2007 werden mindestens 100 Mitglieder verlangt.27 Für die Errichtung eines neuen selbständigen Nonnenklosters verlangte die Kongregation auch bislang schon die Zugehörigkeit von mindestens acht Nonnen, von denen die Mehrheit die ewige Profess haben musste.28 Zur Veröffentlichung einiger Normen mit Mindestanzahlen von Nonnen kam es im Jahr 2018 durch die Instruktion Cor Orans29: Für die Gründung eines abhängigen Klosters sind mindestens fünf Nonnen erforderlich, von denen mindestens drei die ewige Profess30 abgelegt haben müssen (Nr. 29). Die Mindestanzahl von fünf Nonnen gilt auch als Voraussetzung für die Errichtung eines Noviziats (Nr. 33). Für die Errichtung eines selbständigen Klosters wiederholt die Instruktion die Mindestanzahl, die auch schon vorher in der Verwaltungspraxis des Apostolischen Stuhls zugrunde gelegt worden war: acht Nonnen, von denen mindestens fünf die ewige Pro25 Donatus Aihmiosion Ogun, Foundation and canonical erection of an institute of consecrated life, Roma 2001, S. 223 – 224 mit Anm. 145; Gianfranco Ghirlanda, Iter per l’approvazione degli istituti di vita consacrata a livello diocesano e pontificio e delle nuove forme di vita consacrata, in: PerRCan 94 (2005), S. 628; C InstVit, Documenti richiesti per la consultazione in vista dell’erezione di un Istituto religioso di diritto diocesano (c. 579) (Fassung von 2007), in: QDE 30 (2017), S. 356 – 357. 26 Documents Required in View of Obtaining Pontifical Recognition of a Religious Institute of Diocesan Right, in: Roman Replies and CLSA Advisory Opinions 2004, S. 10 – 12, Nr. 3: „about 80 – 100 professed of whom the major part in perpetual vows“. 27 Rudolf Henseler, Vom institutum iuris dioecesani zum institutum iuris pontificii. Die 12 Erfordernisse, in: Matthias Pulte/Thomas A. Weitz (Hrsg.), Veritas vos liberabit (FS Assenmacher), Paderborn 2017, S. 486, Nr. 6: „Für die päpstliche Anerkennung sind mindestens 100 Professen nötig, die meisten davon mit ewigen Gelübden“. 28 Domingo J. Andrés, Il diritto dei religiosi, Roma 1996, S. 81. 29 C InstVit, Instr. Cor orans, vom 01. 04. 2018 (= VApSt 214). 30 Wörtlich sprechen die genannten Normen der Instr. von feierlichen Gelübden. Es ist jedoch zu bedenken, dass es Klöster gibt, in denen keine feierlichen Gelübde abgelegt werden (vgl. Cor Orans, Nr. 1 und 3). Angesichts dessen ist anzunehmen, dass die Bestimmungen über Mindestanzahlen sich nicht wirklich auf feierliche Gelübde, sondern auf die ewige Profess beziehen wollen.
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fess abgelegt haben müssen (Nr. 39 a). Außerdem enthält die Instruktion eine Bestimmung für den Fall, dass die Anzahl der Nonnen eines selbständigen Klosters auf die Zahl fünf sinkt; siehe dazu unten Abschnitt VII.
IV. Neuere Bestimmungen über die Kirchlichen Fakultäten Im Bereich des Kirchlichen Hochschulrechts gibt es z. B. Bestimmungen über Mindestanzahlen, was die Tätigkeit der Studierenden angeht; sie betreffen die Mindestseitenzahl einer Doktorarbeit31, die Mindestanzahl der wöchentlichen Vorlesungsstunden32 oder der credit points33. Am häufigsten sind jedoch Bestimmungen, die eine Mindestanzahl von Dozenten bzw. Professoren34 festlegen. Die ersten Normen dieser Art betrafen die affiliierten und aggregierten Institute. Die Bestimmungen von 1985 über die Affiliation an eine Theologische Fakultät verlangen in der affiliierten Institution mindestens sieben Dozenten35, die Normen von 1993 über die Aggregation an eine Theologische Fakultät mindestens zwölf Dozenten.36 Für die Katholisch-Theologischen Fakultäten in Bayern legt das im Jahre 2007 vereinbarte Zusatzprotokoll zum Bayerischen Konkordat die Mindestzahl von einem philosophischen und zwölf theologischen Professuren bzw. Lehrstühlen fest.37 In den Istituti superiori di scienze religiose werden gemäß der einschlägigen Instruktion aus dem Jahre 2008 wenigstens vier oder fünf Dozenten verlangt, je nachdem, ob das Institut nur den ersten oder auch den zweiten Studienzyklus anbietet.38 Das Dekret über die Reform der kirchlichen Studien der Philosophie von 2011 legte die folgenden Mindestanzahlen von Philosophieprofessoren fest: drei in der Theologischen Fakultät, sieben für eine Philosophische Fakultät, und 31 Vgl. Pontificia Commissio Biblica, Ratio studiorum Ad baccalaureatum, vom 07. 12. 1974, in: AAS 67 (1975), S. 153 – 158, VII. 32 Vgl. C InstCath, Normae de instituti theologici aggregatione, 23. 06. 1993, Nr. 9. 33 Vgl. C InstCath, Lettera circolare, vom 30. 03. 2009, S. 3 – 5; C InstCath, Instr. Novis postulatis, vom 29. 04. 2018, in: Com 50 (2018), S. 146 – 171, Art. 11; 21 § 1; 25; 31 § 3; und Anhang. 34 Die gesamtkirchlichen Normen verwenden meist den Ausdruck docentes (bzw. italienisch docenti), bisweilen aber auch den Ausdruck professores (bzw. italienisch professori), z. B. C InstCath, Dekret Ad operam, vom 28. 01. 2011, in: AAS 103 (2011), S. 145 – 161 = AAS 104 (2012), S. 218 – 234, Nr. 52 bis, 61, 62 bis. Ein Unterschied zwischen den Bedeutungen der beiden Ausdrücke ist dabei nicht erkennbar. 35 C InstCath, Normae servandae ad affiliationem theologicam exsequendam, vom 01. 08. 1985, Art. 4, a). 36 C InstCath, Normae de instituti theologici aggregatione, vom 23. 06. 1993, Nr. 7 c). 37 ZusP. zum BayK vom 29. März 1924, vom 19. 01. 2007, Anmerkungen, Nr. 4, a). 38 C InstCath, Instr. Con il Concilio, vom 28. 06. 2008, in: Com 40 (2008), S. 307 – 321, Art. 15 § 1.
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fünf in einem affiliierten Institut für Philosophie.39 Diesen Anforderungen entsprechen auch die Normen von 2013 über die Affiliation an eine Philosophische Fakultät.40 Das erste vom Apostolischen Stuhl veröffentlichte Dokument, das eine Mindestanzahl von Dozenten in der Theologischen Fakultät festlegt, ist das sechste Rundschreiben über den Bologna-Prozess aus dem Jahre 2009; es verlangt 12 Lehrstühle bzw. Professoren.41 Die Ordinationes zur Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium (2017) wiederholen alle bisherigen Normen über Mindestanzahlen von Dozenten und fügen einige weitere hinzu: Mit Ausnahme der Theologischen und Philosophischen Fakultät werden an allen anderen Kirchlichen Fakultäten mindestens fünf Dozenten verlangt; das gilt auch für die Kanonistischen Fakultäten.42 Für die Aggregation an eine Philosophische Fakultät werden mindestens sechs Dozenten verlangt43, für die Ausbildung in Philosophie in einer Einrichtung, die an eine Theologische Fakultät affiliiert ist, wenigstens zwei Dozenten.44 Die Instruktion über das Studium des Kirchenrechts aus dem Jahre 2018 bestimmt einige neue Mindestanzahlen für die Kanonistik: drei Professoren in einem aggregierten Institut, vier in einem inkorporierten Institut, und fünf in einem Institut ad instar facultatis.45 Für eine Kanonistische Abteilung innerhalb einer Theologischen Fakultät wird neben dem Direktor mindestens ein Dozent verlangt.46 Für die Auslegung aller dieser Normen über Mindestanzahlen von Dozenten bzw. Professoren ist zu beachten, dass sie sich auf die festangestellten (stabiles) Lehrenden beziehen, d. h. auf diejenigen Lehrenden, die sich hauptamtlich dieser Tätigkeit widmen.47 Die geltenden Bestimmungen über Mindestanzahlen von Dozenten bzw. Professoren lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
39
C InstCath, Dekret Ad operam (Anm. 34), Nr. 52 bis, 61, 62 bis. C InstCath, Normae servandae ad affiliationem philosophicam exsequendam, 2013, Art. 4, a). 41 C InstCath, Lettera circolare, vom 30. 03. 2009, Anm. 1. 42 C InstCath, Ordinationes, vom 27. 12. 2017, in: OR vom 14. 09. 2018, S. 8 und Beilage, Art. 18 § 2; lat.: AAS 110 (2018), S. 137 – 159. 43 Ebd., Art. 69 § 2. 44 Ebd., Art. 69 § 3. 45 C InstCath, Instr. Novis postulatis (Anm. 33), Art. 2. 46 Ebd., Art. 3 § 2. 47 C InstCath, Ordinationes (Anm. 42), Art. 57. 40
Mindestanzahlen im kanonischen Recht
Fakultät
Theologie
Kirchenrecht
Philosophie
Andere Fächer
12 [3 für Philosophie]
5
7
5
Inkorporiertes Institut
4
Aggregiertes Institut
12
Affiliiertes Institut
7 [2 für Philosophie]
Abteilung in der Theologischen Fakultät
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3
6 5
2
Bestimmungen, die eine Mindestanzahl von Studierenden festlegen, sind selten. Im Jahre 2015 erließ die Kongregation für das Katholische Bildungswesen ein Dokument über Fernstudien in den Istituti superiori di scienze religiose in Italien. Darin wird als Voraussetzung für die Einrichtung eines Fernstudiums eine Mindestteilnehmerzahl von zehn Studierenden festgelegt.48 Schließlich legt die Apostolische Konstitution Veritatis gaudium auch Mindestanzahlen von Fakultäten fest: Die kanonische Errichtung einer Kirchlichen Universität setzt vier Kirchliche Fakultäten voraus, die Errichtung eines Athenäums drei Fakultäten.49 Wie es scheint, hatte der Apostolische Stuhl in seiner Verwaltungspraxis diese Mindestanzahlen auch schon vorher zugrunde gelegt.
V. Die sprachlichen Mittel zur Festlegung von Mindestanzahlen Was die sprachlichen Mittel angeht, mit denen der kirchliche Gesetzgeber Mindestanzahlen festlegt, zeigen sich zwischen den verschiedenen verwendeten Sprachen keine nennenswerten Unterschiede. Die nachstehende Darstellung beschränkt sich auf die lateinischen Dokumente. Am häufigsten findet sich in den betreffenden Normen das Wort saltem. Daneben sind einige synonyme Formulierungen anzutreffen: @ Einige Bestimmungen sprechen ausdrücklich von einem numerus minimus.50
48 C InstCath, Norme sulla formazione sincrona a distanza (FAD) negli Istituti Superiori di Scienze Religiose (ISSR) presenti in Italia, vom 14. 09. 2015, Art. 1; 4 c). 49 Franziskus, ApK Veritatis gaudium, vom 08. 12. 2017, in: OR 14. 09. 2018, S. 8 und Beilage, Art. 62 § 2; lat.: AAS 110 (2018), S. 1 – 41. 50 C InstCath, Ordinationes (Anm. 42), Art. 18 § 2; vgl. C InstCath, Instr. Novis postulatis (Anm. 33), Art. 2; 21 § 1.
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@ Andere Bestimmungen verwendeten eine negative Formulierung, etwa numerus non minor quam oder non infra.51 @ Anstelle der Formulierung „wenigstens zwei“ wird auch gesagt: „zwei oder mehr“.52 Es kommt auch vor, dass eine Bestimmung von ihrem Wortlaut her zwar eine genaue Zahl nennt, in Wirklichkeit aber eine Mindestanzahl verlangen will. Ein interessantes Beispiel dieser Art ist die Bestimmung über die kanonische Eheschließungsform. Das Konzil von Trient hatte bei ihrer Einführung einfach von „zwei oder drei“ Zeugen gesprochen, ohne ausdrücklich von einer Mindestanzahl zu sprechen.53 Demgegenüber ist im CIC/191754 und im CCEO55 der geforderten Zahl von Zeugen das Wort saltem hinzugefügt. Hingegen ist das Wort saltem in der betreffenden Norm des CIC/1983 weggelassen worden56 ; die Gründe dafür sind nicht bekannt.57 Es ist aber offensichtlich, dass es für die gültige Feier der Eheschließung unproblematisch ist, wenn – neben dem assistierenden Geistlichen – mehr als zwei Zeugen anwesend sind. Mit anderen Worten drückt die Formulierung „zwei Zeugen“ in c. 1108 CIC/ 1983 natürlich eine Mindestanzahl aus. Ein weniger eindeutiges sprachliches Mittel ist die Verwendung eines Wortes im Plural, ohne Zahlenangabe. Zum Beispiel verlangt c. 1293 CIC/1983 als Voraussetzung für die Zulässigkeit von Veräußerungen eine Schätzung der zu veräußernden Sache, die von Sachverständigen (a peritis) eingeholt wird. Dass hier der Plural verwendet wird, erweckt jedenfalls prima facie den Eindruck, dass die Beteiligung eines einzigen Sachverständigen nicht ausreichend ist.58
VI. Die Folgen der Verletzung einer Norm über eine Mindestanzahl Soweit ersichtlich, beziehen sich alle Normen über eine Mindestanzahl von Personen oder Sachen letztlich auf eine bestimmte Handlung. Die betreffende Handlung ist zumindest rechtswidrig, wenn die vorgeschriebene Mindestanzahl nicht erreicht 51
C. 502 § 1 CIC/1983; vgl. cc. 271 § 3, 319 § 2 CCEO; vgl. auch c. 385 § 2 CIC/1917. Vgl. c. 1520 § 1 CIC/1917. 53 DH 1816; vgl. aber – mit saltem – DH 1815. 54 C. 1094 CIC/1917. 55 C. 828 § 1 CCEO. 56 C. 1108 § 1 CIC/1983. 57 Vgl. Com 33 (2001), S. 254. 58 Vom Inhalt her lassen sich allerdings Einwände gegen diese wörtliche Auslegung vorbringen; siehe Rüdiger Althaus, c. 1293, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: August 1997). – Ein anderes Beispiel ist die Bestimmung in c. 937 CIC/1983, wonach eine Kirche „täglich wenigstens einige Stunden“ (per aliquot saltem horas cotidie) für die Gläubigen offenzuhalten ist. Sie lässt sich so deuten, dass die Öffnungsdauer mindestens zwei Stunden betragen muss. 52
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ist. Z. B. wäre es rechtswidrig, wenn der Diözesanbischof einen öffentlichen Verein errichtet, wenn nicht mindestens drei Mitglieder vorhanden sind. Die Frage, ob die betreffende Handlung nicht nur rechtswidrig, sondern auch ungültig ist, hängt entsprechend dem in c. 10 CIC/1983 formulierten Grundsatz davon ab, ob die betreffende Norm eine Nichtigkeitsklausel enthält oder nicht. Eine Nichtigkeitsklausel ist z. B. in der Bestimmung über die kanonische Eheschließungsform enthalten (c. 1108 § 1 CIC/1983): Wenn nicht – zusätzlich zum assistierenden Klerikern – mindestens zwei Zeugen anwesend sind, ist die Eheschließung ungültig. Ein anderes Beispiel ist die Bestimmung über die Entlassung eines Religiosen mit ewiger Profess (c. 699 § 1 CIC/1983): Die Entlassung ist ungültig, wenn das Kollegium, das die Entscheidung über die Entlassung fällt, nicht aus dem Generaloberen und einem Rat, der aus mindestens vier Mitgliedern besteht, zusammengesetzt ist. Hingegen ist – mangels einer Nichtigkeitsklausel – die Errichtung einer Kirchlichen Fakultät seitens des Apostolischen Stuhls auch dann gültig, wenn die dafür vorgeschriebene Mindestanzahl von Professoren nicht erreicht ist. Auf den ersten Blick scheint eine solche Errichtung zwar rechtswidrig zu sein. Es wäre allerdings zu überprüfen, ob eine solche Errichtung nicht – vorausgesetzt, dass der zuständigen Autorität die Unterschreitung der Mindestanzahl bekannt war – implizit eine Dispens (vgl. unten Abschnitt VIII) von diesem Erfordernis enthält.
VII. Das spätere Unterschreiten einer Mindestanzahl Soweit eine Mindestanzahl die Zusammensetzung eines Kollegiums oder einer Institution betrifft, stellt sich die Frage, ob die Mindestanzahl nur zum anfänglichen Zeitpunkt oder dauerhaft gegeben sein muss. Für beides gibt es Beispiele. So muss ein Institut des geweihten Lebens nach der Verwaltungspraxis des zuständigen Dikasteriums mindestens 100 Mitglieder haben, um die Anerkennung als Institut des päpstlichen Rechts erhalten zu können. Es besteht aber natürlich keine Verpflichtung, diese Anzahl dauerhaft aufrechtzuerhalten; eine spätere Verringerung ändert nichts an der einmal erhaltenen Anerkennung. Hingegen handelt es sich bei der Mindestanzahl von Dozenten einer Kirchlichen Fakultät um eine dauerhafte Anforderung. Falls die tatsächliche Anzahl unter die vorgeschriebene Mindestanzahl zu sinken droht (oder tatsächlich schon gesunken ist), entsteht die Notwendigkeit, dieses Problem anzugehen. Um zu entscheiden, zu welcher dieser beiden Arten von Normen eine bestimmte Mindestanzahl gehört, sind die bekannten Kriterien für die Auslegung kanonischer Normen anzuwenden. Das erste Kriterium bilden Text und Kontext (c. 17 CIC/1983). Zum Beispiel ist die Mindestanzahl von vier Kirchlichen Fakultäten gemäß Art. 62 § 2 der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium eine Voraussetzung für die Errichtung einer Kirchlichen Universität. Es handelt sich also nicht um eine andauernde
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Anforderung. Auch wenn die Anzahl der Fakultäten einer Universität später unter vier sinkt, wird dadurch ihre Anerkennung als Kirchliche Universität nicht hinfällig. Das schließt freilich nicht aus, dass die zuständige Autorität sich im Einzelfall doch für eine Intervention entscheidet. Wenn die üblichen Auslegungskriterien Zweifel offenlassen, kann es sinnvoll sein, dass der Päpstliche Rat für Gesetzestexte die Frage verbindlich klärt. So wurde im Jahre 1984 dem Rat die Frage vorgelegt, ob ein ausgeschiedenes Mitglied des Konsultorenkollegiums ersetzt werden muss. Der Rat entschied durch eine authentische Interpretation, dass eine Verpflichtung, das Mitglied zu ersetzen, nur dann besteht, wenn durch das Ausscheiden die Mindestmitgliederzahl unterschritten wurde.59 Einige Bestimmungen über dauerhafte Mindestanzahlen sind von weiteren Normen begleitet, die ausdrücklich auf den Fall einer späteren Verringerung der Anzahl eingehen. Fünf Beispiele seien genannt: (1) C. 120 § 2 CIC/1983 behandelt den Fall, in dem „nur noch eines der Mitglieder einer kollegialen juristischen Person übriggeblieben“ ist und bestimmt, dass dann „die Ausübung aller Rechte der Gesamtheit jenem Mitglied zukommt“. Diese Norm ist an sich unnötig. Wenn nur ein Mitglied übrig ist, ist es offensichtlich, dass diesem Mitglied die Ausübung der Rechte der Gesamtheit zukommt. Die genannte Norm ändert daran nichts. (2) Der erste Paragraph desselben Canons geht auf die Frage ein, wozu es führt, wenn eine juristische Person „durch einen Zeitraum von hundert Jahren zu handeln aufgehört hat“. Das wird typischerweise gerade dann der Fall sein, wenn eine juristische Person über einhundert Jahre hin keine Mitglieder mehr gehabt hat. (3) C. 926 §§ 1 und 2 CCEO gehen auf die Frage ein, was zu tun ist, wenn eine juristische Person alle ihre Mitglieder verloren hat. Insbesondere wird die Frage nach der Zuständigkeit für die erforderlichen Eingriffsmaßnahmen behandelt. Es handelt sich um eine ausgesprochen nützliche Bestimmung; sie stellt vor die Frage, ob sie in analoger Weise auch in der Lateinischen Kirche angewendet werden kann. (4) Art. 67 der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium geht auf die Situation einer Kirchlichen Universität oder Fakultät ein, die nicht mehr die Voraussetzungen erfüllt, die für ihre Errichtung oder Anerkennung erfüllt sein mussten. Es ist offensichtlich, dass zu diesen Voraussetzungen auch die Bestimmungen über die Mindestanzahl der Professoren gehören. (5) Die Instruktion Cor Orans behandelt (in Nr. 45) die Situation eines selbständigen Nonnenklosters, in dem die Anzahl der Nonnen mit feierlicher Profess auf fünf sinkt. Sie legt drei Folgen fest: 59
PCLT, Authentische Interpretation vom 11. 07. 1984, in: AAS 76 (1984), S. 747.
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(a) Die Kommunität des betroffenen Klosters verliert das Recht, die Oberin zu wählen. (b) Die Präsidentin der Föderation hat den Apostolischen Stuhl zu informieren, im Hinblick auf die Ernennung einer Ad-hoc-Kommission. (c) Derjenige, der das Recht hat, dem Wahlkapitel vorzustehen, ernennt nach vorheriger Genehmigung des Heiligen Stuhls und nach Anhörung jedes einzelnen Mitgliedes der Gemeinschaft eine Administratorin.
VIII. Die Dispensierbarkeit der Vorschriften Die Möglichkeit, von einem kirchlichen Gesetz zu dispensieren, setzt voraus, dass es nicht Normen des göttlichen Rechts enthält oder Normen, die Wesenselemente von Rechtseinrichtungen oder Rechtshandlungen festlegen (c. 86 CIC/1983). Es ist offensichtlich, dass die Normen über Mindestanzahlen nicht dem göttlichen Recht entstammen. Auf den ersten Blick könnte aber der Eindruck entstehen, dass es sich bei einigen Mindestanzahlen um Wesenselemente von Rechtseinrichtungen handelt. Zum Beispiel könnte man meinen, dass es vom Wesen eines Kollegiums her erforderlich sei, dass mindestens drei Personen vorhanden sind. Diese Meinung trifft aber nicht zu. Zweifellos bleibt eine kollegiale juristische Person auch dann bestehen, wenn die Zahl ihrer Mitglieder unter drei sinkt. Die Existenz eines Kollegiums als juristische Person ist also auch mit weniger als drei Mitgliedern möglich. Angesichts dieser Möglichkeit wäre es widersprüchlich, zu behaupten, bei dem geforderten Vorhandensein von drei Mitgliedern (c. 115 § 2 CIC/1983) handle es sich um ein Wesenselement, von dem nicht dispensiert werden könne. Ähnlich lässt sich zeigen, dass sämtliche Vorschriften über Mindestanzahlen dispensierbar sind. Freilich stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit für die Erteilung von Dispensen. Die Frage ist anhand der allgemeinen Normen über Dispensen zu beantworten, sofern nicht die zuständige Autorität für bestimmte Angelegenheiten etwas anderes festgelegt hat. Ein Beispiel für eine Norm, die eine ausdrückliche Bestimmung über die Zuständigkeit für die Erteilung von Dispensen enthält, ist die Bestimmung über die Mindestanzahl konsekrierender Bischöfe bei der Bischofsweihe (c. 1014 CIC/ 1983). Sie legt fest, dass eine Dispens davon dem Apostolischen Stuhl vorbehalten ist. Die Zuständigkeit für Dispensen von den Bestimmungen der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium und der zugehörigen Ordinationes liegt bei der Kongregation für das Katholische Bildungswesen.60
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Franziskus, ApK Veritatis gaudium (Anm. 49), Art. 93 § 2.
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IX. Die Zielsetzung der Bestimmungen Um die Zielsetzung der Bestimmungen über Mindestanzahlen zu verstehen, ist es hilfreich, verschiedene Arten von Bestimmungen zu unterscheiden. Im Wesentlichen geht es dabei um zwei Arten von Normen: Die Normen der ersten Art wollen für bestimmte Handlungen eine Mindestausstattung festlegen; den Normen der zweiten Art geht es eher darum, bestimmte Handlungen zu verhindern, solange nicht eine Mindestanzahl von Personen oder Sachen vorhanden ist. Ein Beispiel für Normen der ersten Art ist die Bestimmung über die Mindestanzahl von Mitgliedern des diözesanen Konsultorenkollegiums (c. 502 § 2 CIC/1983). Natürlich geht es dieser Norm niemals darum, die Einrichtung eines Konsultorenkollegiums zu verhindern; denn jeder Diözesanbischof ist ja verpflichtet, dieses Gremium einzurichten. Der Norm geht es vielmehr darum, bei der Schaffung (und Aufrechterhaltung) des Gremiums eine Mindestgröße festzulegen. Ein Beispiel für Normen der zweiten Art ist demgegenüber die Bestimmung über die Mindestanzahl von Dozenten einer Theologischen Fakultät. Die Bestimmung will (unter anderem) verhindern, dass eine solche Fakultät errichtet wird, solange nicht eine ausreichende Zahl von Dozenten vorhanden ist. Unter den Normen der ersten Art lassen sich näherhin verschiedene Zielsetzungen unterscheiden. Diejenigen Bestimmungen, die eine Mindestanzahl anwesender Zeugen verlangen, wollen sicherstellen, dass die betreffende Handlung später mit der nötigen Sicherheit bewiesen werden kann. Andere Bestimmungen über die Anwesenheit einer Mindestanzahl von Personen wollen hingegen eine gewisse Kontrolle sicherstellen; man könnte von einer Anwendung des sogenannten „Vier-Augen-Prinzips“ sprechen. Ein Beispiel dafür ist die Bestimmung, wonach bei einer Wahl mindestens zwei Wahlhelfer zu bestellen sind.61 Die Bestimmungen über die Mindestausstattung von Beratungs- und sonstigen Kollegialorganen wollen sicherstellen, dass das Kollegium über umfassende Kenntnisse über die betreffenden Angelegenheiten verfügt und dass für einseitige oder von Vorurteilen geleitete Positionen unter den Mitgliedern des Kollegiums ein Ausgleich geschaffen wird. Schließlich gehört zu den Normen der ersten Gruppe auch eine, die zumindest unter anderem eine symbolische Zielsetzung hat: Die Mindestanzahl von Konsekratoren bei der Bischofsweihe (c. 1014 CIC/1983) bringt die kollegiale Natur des Standes der Bischöfe zum Ausdruck.62 Die Bestimmungen über Mindestanzahlen von Personen innerhalb einer akademischen Einrichtung oder innerhalb einer Untergliederung (Niederlassung, Provinz) einer Lebensgemeinschaft der evangelischen Räte gehören zur zweiten Art von Nor61
C. 173 § 1 CIC/1983; vgl. c. 955 § 1 CCEO. So erklärt es die Einleitung des betreffenden liturgischen Buches: Pontificale Romanum: De ordinatione diaconi, presbyteri et episcopi, Città del Vaticano 1990, Praenotanda generalia, Nr. 16: „Hoc modo in ipsa Ordinatione uniuscuiusque Episcopi indoles collegialis ordinis episcopalis significatur.“ 62
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men. Sie wollen verhindern, dass solche Strukturen geschaffen werden, wenn nicht die nötige Ausstattung vorhanden ist. Auf diese Weise stellen sie die Wirksamkeit der betreffenden Institutionen oder Strukturen sicher und verhindern eine übermäßige Zersplitterung der Kräfte. Zugleich will der Gesetzgeber mit diesen Normen fördern, dass die zuständigen Leitungsorgane reagieren, falls die für die Errichtung verlangte Mindestanzahl zu einem späteren Zeitpunkt wieder unterschritten wird. Worin die angemessene Reaktion in diesen Fällen besteht, ist damit nicht präjudiziert. Die Lösung kann darin bestehen, wieder für eine Erhöhung der personellen Ausstattung Sorge zu tragen, ggf. auch durch eine Vereinigung mit einer anderen Einrichtung. Sie kann aber auch darin bestehen, in angemessener Weise die Aufhebung der Einrichtung vorzubereiten. Vermutlich gehören die Anweisungen der Instruktion Cor Orans über ein Kloster, dessen Mitgliederzahl auf fünf sinkt (siehe oben Abschnitt VII), zu den wichtigsten Bestimmungen der gesamten Instruktion; es ist offenbar gerade eine der Zielsetzungen der Instruktion gewesen, das Problem der Klöster anzugehen, die in absehbarer Zeit ihre Überlebensfähigkeit verlieren. Diese Feststellung lässt sich auch verallgemeinern: Die neueren Normen über Mindestanzahlen haben ihre Bedeutung vor allem in jenen Teilen der Welt, in denen es für die kirchlichen Einrichtungen schwierig geworden ist, ihre Überlebensfähigkeit und Wirksamkeit sicherzustellen. Die Bestimmungen über Mindestanzahlen können eine Hilfe sein, um vor diesen Schwierigkeiten nicht die Augen zu verschließen.
X. Gefahren Es ist unübersehbar, dass die neuen Bestimmungen über Mindestanzahlen auch die Versuchung ihrer Umgehung mit sich bringen. Das gilt vor allem im Bereich des Hochschulrechts. Eine akademische Institution könnte jemanden zum festangestellten Professor ernennen, um die vorgeschriebene Mindestanzahl zu erreichen, obwohl sie bereits absehen kann, dass der betreffende Professor in Wirklichkeit für diese Aufgabe nur wenig Zeit aufbringen kann. Ähnlich könnte eine Einrichtung für den Zeitpunkt ihrer Errichtung die nötige Mindestzahl erreichen und zugleich wissen, dass es sehr schwierig bis unmöglich sein wird, die Mindestanzahl anschließend aufrechtzuerhalten. Wenn sich der Normgeber der Gefahr solcher Umgehungen bewusst ist, besteht andererseits für ihn selbst die Versuchung, in den Normen – in der Erwartung, dass sie ohnehin nicht vollständig eingehalten werden – übermäßig hohe Anforderungen zu stellen: die Gefahr eines circulus vitiosus. In einer selbständigen Theologischen Fakultät sind nach geltendem Recht fünfzehn Professuren erforderlich: drei für die philosophischen und zwölf für die theologischen Fächer. Es wäre interessant, zu überprüfen, wie viele der Kirchlichen Fakultäten weltweit tatsächlich diese Anforderung erfüllen. Wenngleich Bestimmungen über Mindestanzahlen nützlich sein können, wird man zugeben müssen, dass der Beitrag, den sie für die Überlebensfähigkeit
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und Wirksamkeit einer Einrichtung wie einer Fakultät oder eines Klosters leisten können, letztlich eher bescheiden ist. Womöglich liegt der tatsächliche Nutzen solcher Bestimmungen nicht so sehr in dem Zwang zur Aufrechterhaltung einer Mindestausstattung, sondern eher darin, alle Beteiligten frühzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass eine Einrichtung auf ihre Aufhebung zugeht.
Gesetzeskonkurrenz Vom Umgang mit konkurrierenden oder sich widersprechenden Rechtsnormen insbesondere im Rahmen der Gesetzgebung Von Markus Walser Der Begriff „Gesetzeskonkurrenz“ wird in der Gesetzgebung der Katholischen Kirche wie auch in der kanonistischen Literatur selten verwendet. Der damit gemeinte Sachverhalt ist jedoch in der Rechtsanwendung von nicht zu unterschätzender Bedeutung und müsste – wie an Beispielen aufgezeigt wird – im Hinblick auf die anzustrebende Rechtssicherheit bei der Gesetzgebungstätigkeit mehr Beachtung finden.
I. Begriff In der Rechtsanwendung stellt sich regelmäßig die Frage, welche Rechtsnorm für einen bestimmten Tatbestand bzw. für eine bestimmte Tatsache einschlägig ist. Die entsprechende Zuordnung von Rechtsnorm und Tatbestand bzw. Tatsache gehört zur Handwerkskunst des Juristen. Die entsprechende Treffsicherheit bestimmt in entscheidender Weise die Qualität seiner Arbeit, noch mehr hingegen ist die Einfachheit oder Komplexität des Zuordnungsvorgangs ein Hinweis auf die vorhandene oder fehlende formale Qualität der Tätigkeit des Gesetzgebers. Es kann durchaus vorkommen, dass nicht unmittelbar ersichtlich ist, welche Rechtsnorm auf einen konkreten Tatbestand anzuwenden ist. Es können aber auch Normen aus verschiedenen Rechtsbereichen einschlägig sein sowie Normen desselben Rechtsbereichs einander widersprechen. Letzteres ist ein Hinweis auf mangelnde formale oder inhaltliche Stringenz der Gesetzgebungstätigkeit. Das Bemühen, die beschriebene Problematik einander widersprechender oder konkurrierender Rechtnormen aufzulösen, beschreibt eine der Aufgaben der Kanonistik als Wissenschaft und zeigt sich im ursprünglichen Titel des Decretum Gratiani: „Concordia Discordantium Canonum“ (wörtlich: Übereinstimmung widersprechender Regeln). Dieser programmatische Titel des Meisterwerks Gratians, das am Beginn der Kirchenrechtswissenschaft steht, hat an Bedeutung und Aktualität (leider) nichts eingebüßt.
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1. Gesetzeskonkurrenz im engen bzw. eigentlichen Sinn Im engen Sinn geht es bei der Gesetzeskonkurrenz um Rechtsnormen, die dem gleichen rechtspolitischen Zweck dienen und folglich in unmittelbarer Konkurrenz stehen. Sie sind mit den einschlägigen, vom Gesetzgeber selbst aufgestellten Regeln aufzulösen. Ein Beispiel: Die Tötung eines Kindes im Mutterleib gegen Entgelt erfüllt in bestimmten Fällen sowohl die Tatbestandsmerkmale des Mordes wie der Abtreibung (cc. 1397 u. 1398 CIC/1983), wobei im Sinne der Gesetzeskonkurrenz nicht beide Strafnormen gleichzeitig zur Anwendung kommen, obwohl beide dem Lebensschutz dienen, sondern nur die speziellere. 2. Gesetzeskonkurrenz im weiten Sinn Von Gesetzeskonkurrenz in einem weiteren Sinn kann man sprechen, wenn ein und derselbe Tatbestand unter verschiedene Rechtsnormen fällt bzw. den dafür verwendeten abstrakten Tatbeständen entspricht. Beispielsweise kann gemäß den sakramentenrechtlichen Normen nur der gültig geweihte Priester die Eucharistie feiern (vgl. c. 900 § 1 CIC/1983 bzw. c. 699 § 1 CCEO). Diese sakramentenrechtliche Norm findet im Strafrecht einen entsprechenden Schutz: Wer ohne Priesterweihe das eucharistische Opfer zu feiern versucht, zieht sich die Tatstrafe des Interdikts (bzw. bei Klerikern der Suspension) zu (vgl. c. 1378 § 2 n. 18 CIC/1983 bzw. c. 1443 CCEO). Die sakramentenrechtliche Norm und die strafrechtliche Schutzbestimmung dürfen sich inhaltlich nicht widersprechen, stehen jedoch nicht in Gesetzeskonkurrenz im engeren Sinn hinsichtlich eines konkreten Tatbestandes. Für den Fall, dass ein Widerspruch bestünde, ist nach Regeln oder Wegen zu suchen, wie dieser aufgelöst werden kann. 3. Gesetzeskonkurrenz im Hinblick auf die Gesetzgebung Nicht nur in der Rechtsanwendung, sondern auch in der Rechtsetzung bzw. Gesetzgebung ist die Gesetzeskonkurrenz im engen wie im weiten Sinn ein wichtiger Aspekt. Der Gesetzgeber soll(te) vor dem Erlass neuer Normen die Frage klären, welche Rechtsnormen von der anstehenden Gesetzgebungstätigkeit betroffen sind: Gibt es übergeordnetes Recht, dessen Rahmen verbindlich ist (vgl. c. 135 § 2 CIC/1983 bzw. c. 985 § 2 CCEO)?1 Gibt es gleichrangige Normen, die durch das neue Gesetz außer Kraft gesetzt werden sollen? Präzise Formulierungen könn(t)en Unklarheiten und Konflikte aufgrund nicht eindeutiger Geltung sich teilweise widersprechender Rechtsnormen vermeiden und dadurch der Rechtssicherheit sowie dem Rechtsfrieden dienen. Dies bedingt eine sachliche und logisch-schlussfolgernde Sichtweise. 1 Diese Frage betrifft nicht nur den in c. 135 § 2 CIC/1983 bzw. c. 985 § 2 CCEO genannten Gesetzgeber unterhalb der höchsten Autorität der Kirche, sondern in sachlicher Hinsicht auch den höchsten Gesetzgeber der Kirche, der dem internationalen Vertragsrecht Vorrang vor dem Recht des CIC/1983 beimisst (vgl. c. 3 CIC/1983 bzw. c. 4 CCEO).
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Auch hier Beispiele: Mit den auf Grundlage des MP Sacramentorum sanctitatis tutela2 Johannes Pauls II. durch die Kongregation für die Glaubenslehre erlassenen Normae de gravioribus delicits3 wurde das Schutzalter für qualifizierte Sexualdelikte durch Kleriker gemäß c. 1395 § 2 CIC/1983 von sechzehn auf achtzehn Jahre angehoben, ohne die entsprechende Norm im CIC/1983 zu novellieren. Ein unbedarfter Rechtsanwender, der davon ausgeht, dass es sich bei den Canones des CIC/1983 in seiner aktuellen Version um gültiges Recht handelt, würde hier in nicht korrekter Weise eine durch ein späteres außerkodikarisches Gesetz des höchsten kirchlichen Gesetzgebers aufgehobene bzw. geänderte Norm anwenden. Das ist ein unbefriedigender Zustand vor allem im Hinblick darauf, dass es sich – wie an weiteren Beispielen dargelegt wird – um keinen Einzelfall handelt, sondern eher zur Regel wurde. Mit dem MP Vultum Dei quaerere4 vom 29. Juni 2016 hat Papst Franziskus eine nicht genauer umschriebene Zahl von Canones des CIC/1983 außer Kraft gesetzt.5 Mit der AK Episcopalis communio über die Bischofssynode hat Papst Franziskus ebenfalls eine nicht genauer umschriebene Zahl von Canones des CIC/1983 abrogiert.6 Ähnlich verhält es sich mit den Canones im CIC/1983, die durch die Instruktion Cor orans vom 1. April 2018 aufgrund spezifischer Approbation der erwähnten Instruktion durch den Heiligen Vater aufgehoben wurden.7 Das ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit ein unbefriedigender Befund, weil nicht mehr klar ist, welche Teile des CIC/1983 noch in Geltung sind. Er gleicht so immer mehr einem vernachlässigten Schweizer Käse: durchlöchert und modrig. Rechtstechnisch korrekt und angezeigt wäre es, den CIC/1983 und den CCEO laufend entsprechend den neuen in2
In: AAS 93 (2001), S. 737 – 739. In: AAS 102 (2010), S. 419 – 431. 4 In: AAS 108 (2016), S. 835 – 861. 5 „Art. 1. Ratione habita can. 20 CIC/1983, supra expositis perattente 37 articulis perpensis, hac Constitutione Apostolica Vultum Dei quaerere promulgata, derogatur canonibus Codicis Iuris Canonici, qui cuivis articulo huius Constitutionis partim directe forte sint contrarii“, in: AAS 108 (2016), S. 857. 6 Vgl. Art. 27 AK Episcopalis communio: „Gemäß can. 20 des Codex des kanonischen Rechts und can. 1502 § 2 des Codex der Canones der orientalischen Kirchen werden mit der Promulgation und der Veröffentlichung der vorliegenden Apostolischen Konstitution alle gegenteiligen Bestimmungen aufgehoben, insbesondere: 1. Die Kanones des Codex des Kirchenrechts und des Codex der Canones der orientalischen Kirchen, die insgesamt oder teilweise in direktem Gegensatz zu den Artikeln der vorliegenden Apostolischen Konstitution stehen“. Das Dokument ist online unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_constitutions/documents/papa-francesco_costituzione-ap_20180915_episcopalis-communio.html (eingesehen am 31. 05. 2019). 7 Die Instruktion ist noch nicht in den AAS publiziert. In Schlussformel des auf der Homepage des Heiligen Stuhls zugänglichen Textes werden die entsprechenden derogierten Canones aufgezählt: „i nn. 52, 81 d) e 108, in deroga al can. 638, §4 CJC; il n. 83 g) in deroga al can 667, §4 CJC; il n. 111 in deroga al can. 628, §2, 18 CJC; il n. 130 in deroga al can. 686, §2 CJC; i nn. 174 e 175 in deroga al can. 667, §4 CJC; il n. 176, che abroga la restrizione presente in Verbi Sponsa n. 17, §2; i nn. 177 e 178 in deroga al can. 686, §2 CJC“, online unter: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ccscrlife/documents/rc_con_ccscrlife_doc_20180401_cor-orans_it.html (eingesehen am 31. 05. 2019). 3
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haltlichen Vorgaben zu novellieren und so für den Rechtsanwender klare Verhältnisse zu schaffen.
II. Regeln zur Gesetzeskonkurrenz 1. Vorrang des spezielleren Gesetzes Ein allgemeines Gesetz hebt kein partikulares oder besonderes Recht auf, sofern nicht etwas Anderes im Recht ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. c. 20 CIC/1983, c. 1502 § 2 CCEO), wobei ein untergeordneter Gesetzgeber kein Gesetz gültig erlassen kann, das übergeordnetem Recht widerspricht (c. 135 § 2 CIC/1983 bzw. c. 985 § 2 CCEO). Die Spezialität eines Gesetzes wird bisweilen ausdrücklich erwähnt, z. B. in c. 1379 CIC/1983, der generell die Vortäuschung einer Sakramentenspendung unter Strafe stellt, jedoch auf die speziellere Norm für die Vortäuschung der Eucharistie oder der sakramentalen Lossprechung in c. 1378 § 2 CIC/1983 verweist. Der CCEO kennt in diesem Zusammenhang nur eine Norm (c. 1443). Im Eherecht werden für die Gültigkeit des Konsenses von den Allgemeinen Normen abweichende Regeln aufgestellt (vgl. cc. 1095 – 1107 bzw. 124 – 128 CIC/1983; cc. 817 – 827 bzw. 931 – 935 CCEO). Der Vorrang des allgemeineren Gesetzes wäre sinnwidrig: Die besondere Vorschrift wäre bedeutungslos. Würden jedoch beide nebeneinander zur Anwendung kommen, so entständen sinnlose Unklarheiten. Ein Beispiel für die ausdrückliche Aufhebung speziellerer Gesetze findet sich in c. 5 und 6 CIC/1983 bzw. c. 6 CCEO: Durch den CIC/1983 bzw. CCEO wird grundsätzlich alles bisherige Partikularrecht aufgehoben, das diesen widerspricht. 2. Vorrang des späteren Gesetzes Grundsätzlich hebt ein späteres Gesetz ein früheres auf, wenn es dies ausdrücklich bestimmt oder ihm unmittelbar widerspricht oder die ganze Materie des früheren Gesetzes neu ordnet (vgl. c. 20 CIC/1983 bzw. c. 1502 CCEO). Dies kommt besonders in c. 6 CIC/1983 bzw. c. 6 § 1 CCEO zum Ausdruck, mit dem der Gesetzgeber neben dem früheren Codex auch alle allgemeinen und partikularen Gesetze außer Kraft setzte, die den Vorschriften des CIC/1983 bzw. CCEO widersprachen oder eine Materie betreffen, die im Codex neu geordnet wurde, außer es wäre im Einzelfall etwas anderes ausdrücklich vorgesehen. Mit c. 5 CIC/1983 bzw. c. 6 § 2 CCEO hob der Gesetzgeber zudem alles Gewohnheitsrecht auf, das den Normen des CIC/1983 bzw. CCEO widersprach, außer im Codex selbst wäre dies im Einzelfall anders geregelt oder es handelte sich um hundertjährige beziehungsweise unvordenkliche Gewohnheiten, die nach dem Urteil des Ordinarius nicht beseitigt werden können. Als Ausnahmen sind zu erwähnen: völkerrechtliche Verträge (auch wenn ihre Normen dem
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allgemeinen Recht widersprechen – vgl. c. 3 CIC/1983 bzw. c. 4 CCEO); wohlerworbene Rechte und vom Apostolischen Stuhl gewährte Privilegien, es sei denn, sie werden ausdrücklich widerrufen (vgl. c. 4 CIC/1983 bzw. c. 5 CCEO). Der Rechtssicherheit zuträglich ist es, wenn der Gesetzgeber bei neuen Gesetzen ausdrücklich angibt, welche bestehenden Rechtsnormen dadurch außer Kraft gesetzt werden. Dies ist nicht immer der Fall. Z. B. hat es der höchste Gesetzgeber unterlassen, bei der Novellierung der eheprozessrechtlichen Canones im CIC/1983 durch das MP Mitis Iudex Dominus Iesus8 vom 15. August 2015 anzugeben, ob oder in welchen Teilen die Instruktion Dignitatis Connubii9 vom 25. Januar 2005 noch in Kraft ist.
III. Gesetzeskonkurrenz im Strafrecht: Delikts- oder Verbrechenskonkurrenz Mehrere Deliktstatbestände können durch eine Handlung (Idealkonkurrenz) od. mehrere Taten (Realkonkurrenz) erfüllt sein. Beispielsweise erfüllt die Verführung eines Minderjährigen zu einer Straftat gegen das sechste Gebot bei der Spendung des Bußsakramentes in Idealkonkurrenz sowohl den Tatbestand von Art. 4 § 1 n. 48 der Normae de gravioribus delictis von 2010 (vgl. c. 1387 CIC/1983 bzw. c. 1458 CCEO) wie auch von Art. 6 § 1 n. 1 der Normae de gravioribus delictis von 2010 (vgl. c. 1395 § 2 CIC/1983 – ohne Entsprechung im CCEO), während die bei mehreren Kranken vorgenommene Vortäuschung der Spendung der Krankensalbung durch einen Diakon sowie die vorgetäuschte Spendung der Firmung durch denselben Diakon anlässlich einer Erwachsenentaufe (vgl. c. 1378 CIC/1983 bzw. c. 1443 CCEO) in Realkonkurrenz zueinander stehen. Für die Strafbemessung und damit zur Auflösung der Gesetzeskonkurrenz durch den Richter gelten die entsprechenden kodikarischen Regeln, insbesondere cc. 1326 und 1346 CIC/1983 bzw. cc. 1409 § 1 n. 38 und 1416 CCEO (Strafverschärfung und Strafminderung), die in Strafverfahren wohl nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit bei der Strafzumessung erfahren. So wünschte man sich in Strafverfahren, dass die Urteile bzw. Strafdekrete jeweils begründete Hinweise darauf enthalten würden, wie die konkrete Strafzumessung erfolgte, um so auch dem möglichen Vorwurf der Willkür zu begegnen.
IV. Gesetzeskonkurrenz im Rahmen der Gesetzgebung Jeder kirchliche Gesetzgeber ist gut beraten, neben den oben erwähnten Grundsätzen (Vorrang des spezielleren Gesetzes und Vorrang des neueren Gesetzes) auch folgende Regeln im Auge zu haben: 8 9
In: AAS 107 (2015), S. 958 – 970. In: Comm 37 (2005), S. 11 – 92.
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1. „Pacta sunt servanda“ Gemäß c. 3 CIC/1983 bzw. c. 4 CCEO heben die Canones des CIC/1983 bzw. CCEO vom Apostolischen Stuhl mit Nationen oder anderen politischen Gemeinschaften eingegangene Vereinbarungen in keiner Weise auf. Im Sinne der Rechtslogik ist diese Norm jedoch nicht nur auf die Normen des CIC/1983 anzuwenden, sondern auch auf anderes, nach Inkrafttreten des CIC/1983 bzw. CCEO erlassenes Recht des höchstkirchlichen Gesetzgebers. 2. Rechtskraft von Gesetzen: Promulgation Damit ein Rechtstext überhaupt Gesetzeskraft erhalten kann, muss er von der zuständigen Autorität promulgiert werden. C. 7 CIC/1983 (vgl. c. 1488 CCEO) bestimmt diesbezüglich: Ein Gesetz tritt ins Dasein, indem es promulgiert wird, während c. 8 § 1 CIC/1983 (vgl. c. 1489 § 1 CCEO) festlegt, dass die Promulgation allgemeiner kirchlicher Gesetze in der Regel durch Veröffentlichung im offiziellen Publikationsorgan Acta Apostolicae Sedis erfolgt. Die Rechtskraft tritt drei Monate nach Ablauf des Tages ein, der auf der entsprechenden Nummer der AAS angegeben ist, sofern nicht der Gesetzgeber eine andere Promulgationsweise bzw. eine kürzere oder längere Gesetzesschwebe festgesetzt hat. Hier ist einerseits festzustellen, dass die AAS – etwas provokant formuliert – in steigendem Maß „posthum“ erscheinen, d. h. eigentlich immer zu spät. Beim Verfassen dieser Zeilen Ende Mai 2019 war dem Verf. gerade die Nummer 1 des Jahrgangs 2018 der AAS mit Datum vom 01. 01. 2018 zugesandt worden, während auf der Homepage des Apostolischen Stuhls erst die Ausgabe 12 des Jahrgangs 2017 mit Datum vom 01. 12. 2017 zugänglich war.10 Der höchstkirchliche Gesetzgeber wäre gut beraten, statt auf andere Promulgationsweisen wie beispielsweise eine italienischsprachige Tageszeitung (Osservatore Romano) auszuweichen, wie dies in jüngerer Zeit bisweilen geschah, auf ein zeitnahes Erscheinen der entsprechenden Ausgaben seines Amtsblattes hinzuwirken, um dem Gesetzesanwender überhaupt die Möglichkeit zu geben, in der Gesetzeskonkurrenz die einschlägige Norm zu finden. 3. Formalia und inhaltliche Abgleichung von Gesetzen Obwohl es an sich als selbstverständlich gelten müsste, dass der oberste kirchliche Gesetzgeber auf eine formale Kohärenz seiner Tätigkeit achtet, ist dies in augenscheinlich zunehmendem Maß nicht mehr der Fall. Auf die Problematik der Promulgation wurde schon im vorhergehenden Absatz eingegangen. Außerdem ist es leider unerlässlich, den Gesetzesanwender auf zwei Punkte hinzuweisen:
10 Vgl. die AAS auf der Internetpräsenz des Heiligen Stuhles, online unter: http://www.vati can.va/archive/aas/index_ge.htm (eingesehen am 31. 05. 2019).
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Bei den vom höchsten kirchlichen Gesetzgeber damit beauftragten bzw. den ihm zugeordneten Dienststellen werden Gesetzestexte verbreitet, die nicht dem aktuellen Stand entsprechen. Das ist bei gedruckten Versionen des CIC/1983 oder CCEO insofern noch in praktischer Hinsicht nachvollziehbar oder allenfalls unvermeidbar, da – ohne die mittlerweile wohl angezeigte Umstellung auf ein Loseblattsystem – nicht in der gleichen Kadenz Neudrucke erfolgen können, mit der unter dem jetzigen Pontifikat Normen geändert oder außer Kraft gesetzt werden. Beispiele: Mit dem MP De concordia inter Codices über die Änderung des Codex Iuris Canonici (CIC/1983) vom 31. 05. 2016 wurde c. 111 CIC/1983 geändert, was schon auf den ersten Blick dadurch erkenntlich ist, dass er neu über 3 statt bisher 2 Paragrafen verfügt. Der gleiche Befund trifft auf die mit dem MP Communis vita vom 19. März 2019 geänderten cc. 694 und 729 CIC/1983 zu.11 Konsultiert nun der deutschsprachige Rechtsanwender c. 111 CIC/1983 auf der Homepage des Apostolischen Stuhls, wird ihm auch drei Jahre nach dem erwähnten MP De concordia inter Codices noch die alte Version von c. 111 CIC/1983 gezeigt,12 während wenigstens in der lateinischen Version die novellierte Fassung mit einem entsprechenden Hinweis nach der Nummer des Kanons „n“ angezeigt wird.13 Das Gleiche gilt für die cc. 694 und 729 CIC/1983. Das ist ein höchst unbefriedigender Befund: Der Rechtsanwender kann also nicht davon ausgehen, auf der offiziellen Homepage des Apostolischen Stuhls jeweils eine konsolidierte Fassung der Gesetzesnormen zu finden. Doch wäre gerade die leichte Zugänglichkeit des geltenden Rechts ein Gebot der Stunde für eine Kirche, die ihre Regeln transparent darstellen will. 4. Hilfsmittel zur Auflösung der Gesetzeskonkurrenz14 Neben den schon erwähnten Regeln zur Auflösung einer allfälligen Gesetzeskonkurrenz sind insbesondere auch diejenigen Hilfsmittel zu erwähnen, die das Bemühen um das Auffinden der jeweils einschlägigen bzw. aktuellen Rechtslage erleichtern. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang unter anderem auf die von der Kanonistischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana erstellte Liste der Normen des geltenden Kirchlichen Rechts. „Diese Übersicht versucht, die geltenden vom Apostolischen Stuhl erlassenen rechtlichen Normen aufzulisten, die für die Ge11
Das Dokument ist online unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/it/motu_proprio/ documents/papa-francesco-motu-proprio-20190319_communis-vita.html (eingesehen am 31. 05. 2019). 12 So online zu finden unter: http://www.vatican.va/archive/DEU0036/__PC.HTM (eingesehen am 31. 05. 2019). 13 So online zu finden unter: http://www.vatican.va/archive/cod-iuris-canonici/latin/documents/CIC/1983_liberI_la.html# DE_NORMIS_GENERALIBUS (eingesehen am 31. 05. 2019). 14 Vgl. die Übersicht auf der Internetpräsenz der Kanonistischen Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana (Hrsg.), „Aussortierte Dokumente“, polyglott online unter: https:// www.iuscangreg.it/documenti_rimossi.php (eingesehen am 31. 05. 2019).
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samtkirche (bzw. für die gesamte Lateinische Kirche) von Bedeutung sind“ 15 und zählte am 31. Mai 2019 349 Einträge, wobei diese Zahl nach menschlichem Ermessen weiter steigen dürfte. Dieser Katalog des geltenden Rechts versucht auch anzugeben, welche Normen mit neueren Erlassen geändert oder außer Kraft gesetzt wurden und kennt folglich eine Liste der „aussortierten Dokumente“. Diese Onlinepublikation ergänzt die bislang bis zum Jahr 2006 erschiene, von Xavier Ochoa begonnene Reihe Leges Ecclesiae post C.I.C 1917 editae. Letztere hat den Vorteil, dass sie nicht nur Verweise auf die entsprechenden Gesetzestexte enthält, sondern diese auch abdruckt, freilich auch den Nachteil, dass nicht ersichtlich ist, welche Normen zum Zeitpunkt der Konsultation noch in Kraft sind. Im Zusammenhang mit der derzeitigen Gesetzgebungspraxis des höchsten kirchlichen Gesetzgebers können Loseblattsammlungen16 ihre Stärke ausspielen, indem sie flexibler als gebundene Werke die Änderungen zu integrieren vermögen. Aber auch hier kann es redaktionsbedingt zu Verzögerungen bei der Abgleichung mit dem aktuellen Stand der Gesetze kommen. Die mit dem entsprechenden Zeitaufwand verbundene konsequente Einordnung der Ergänzungslieferungen darf zudem nicht unterbleiben.
V. Concordantia discordantium canonum oder das Desiderat einer Publikation bzw. Datenbank des konsolidierten Rechts In früheren Zeiten galt das kanonische Recht hinsichtlich der formalen Gesetzesqualität bisweilen als vorbildlich. In jüngerer Zeit hat es nach Einschätzung des Verfassers rapide an formaler Qualität verloren, indem Rechtsbereiche, die in den Codices (CIC/1983 und CCEO) geregelt sind bzw. waren, durch außerkodikarisches Recht novelliert wurden, ohne die Normen der Codices anzupassen. Für viele Staaten ist es seit langem eine Selbstverständlichkeit, ihre Gesetze in einer Sammlung bzw. Datenbank des konsolidierten Rechts zugänglich zu machen.17 15
Kanonistische Fakultät der Päpstlichen Universität Gregoriana (Hrsg.), „Normen des geltenden Rechts“, polyglott online unter: https://www.iuscangreg.it/diritto_universale.php?info=on (eingesehen am 31. 05. 2019). 16 Für den deutschen Sprachraum sei diesbezüglich hingewiesen auf den Münsterischen Kommentar zum Codex Iuris Canonici. 17 Das Fürstentum Liechtenstein beschreibt die von der Landesverwaltung betriebene Gesetzessammlung, die im Internet zugänglich ist (www.gesetze.li) folgendermaßen: „Hier finden Sie tagesaktuell das geltende Landes- und Staatsvertragsrecht in konsolidierter (bereinigter) Form. In den Grunderlass sind somit sämtliche Abänderungen eingearbeitet“, online unter: https://www.gesetze.li/konso/suche (eingesehen am 31. 05. 2019). Auch die Schweizerische Eidgenossenschaft, die Bundesrepublik Deutschland und Österreich, um nur die drei weiteren mehrheitlich deutschsprachigen Länder zu nennen, kennen eine solche systematische Rechtssammlung, online unter: https://www.admin.ch/gov/de/start/bundesrecht/systematische-sammlung.html, sowie https://www.gesetze-im-internet.de/; https://www.ris.bka.gv.at/ Bund/ (jeweils eingesehen am 31. Mai 2019).
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Dies könnte auch für den kirchlichen Gesetzgeber ein Anstoß sein, seine Gesetzgebungstätigkeit qualitativ zu verbessern. Freilich würde das in einigen Punkten eine gewisse Selbstdisziplin des Gesetzgebers voraussetzen: 1. Es würde die Rückkehr zu einem einheitlichen Promulgationsvorgang und die Verwendung eines einheitlichen Publikationsorgans voraussetzen. Beides ist der katholischen Kirche zwar grundsätzlich nicht unbekannt, findet aber insbesondere unter dem derzeitigen Pontifikat immer weniger Beachtung. 2. Bei der Gesetzgebung müsste deutlich mehr auf die formale Einheitlichkeit geachtet werden: Rechtsmaterien, die im CIC/1983 (bzw. CCEO) geregelt werden, müssten bei einer inhaltlichen Novellierung formal auch oder gerade im CIC/ 1983 (bzw. CCEO) angepasst werden. 3. Die Zuständigkeiten im Bereich des Apostolischen Stuhls wären zu klären. Es kann nicht angehen, dass unterschiedliche „Dikasterien“ mit dem gleichen Geltungsanspruch einander diametral widersprechende Interpretationen neuer Normen abgeben, wie dies kürzlich in der Frage des „ältesten Suffraganbischofs“ (c. 1687 § 3 CIC/1983) als Berufungsinstanz gegen das Urteil eines Metropolitanbischofs in einem bischöflichen Ehenichtigkeits-Kurzverfahren geschehen ist: Nach Auskunft des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte muss es im Hinblick auf die Rechtssicherheit der Bischof der ältesten Suffragandiözese sein, während es sich nach Auskunft des Sussidio applicativo der Römischen Rota ausdrücklich um den dienstältesten Suffragbischof handelt.18 Diese Desiderate werden wohl unter dem derzeitigen Pontifikat eine Utopie bleiben, da sie mit dem praktischen Peronismus, wie man den derzeitigen Regierungsstil kennzeichnen könnte, nicht kompatibel sind. Vom früheren argentinischen Präsidenten Juan Perón (1895 – 1974) wird berichtet, dass er von einem Neffen dafür kritisiert wurde, dass er zwei Gruppen mit entgegengesetzten Positionen nacheinander recht gegeben habe. Perón reagierte darauf mit: Du hast ganz recht. Perón konnte mit der Methode, mit allem und allen übereinzustimmen, letztlich nach seinem eigenen Gutdünken fast jede Maßnahme durchsetzen. Perón perfektionierte den populistischen Personenkult und den Machterhalt ohne ideologisches Unterfutter. Die Gesetzgebungsmethode des argentinischen Papstes kann man in einem gewissen Sinn als Übersetzung des Peronismus ins Kirchliche beschreiben. Jedenfalls lässt sich die teils widersprüchliche und alles andere als stringente Gesetzgebungstätigkeit mit dieser Methode plausibel erklären: Alle haben irgendwie Recht. Recht haben diejenigen, die am CIC/1983 festhalten möchten. Denn CIC/1983 bleibt weitgehend der CIC/1983, auch wenn er in Teilen geändert und in anderen Teilen derogiert wurde. Die derogierten Teile stehen nach wie vor im authentischen Text. Recht haben aber auch die, welche weitergehende Änderungen wünschen. Diese finden sich dann im 18 Vgl. Markus Walser, Fragen zum Motu proprio „Mitis Iudex Dominus Iesus“, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici. Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KST 67), Berlin 2017, S. 685 – 697, hier S. 693 – 694.
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außerkodikarischen universalkirchlichen und partikularkirchlichen Normen, mit denen der CIC/1983 teilweise derogiert wird. Bei diesem Befund bleibt letztlich nur die Hoffnung auf einen künftigen „Gratian“, der mit einer neuen Concordantia discordantium canonum eine gewisse Ordnung in das derzeit zunehmende Chaos bringen wird und so der katholischen Kirche wieder zu jener Rechtssicherheit verhilft, die vor allem die Kleinen und Schwachen schützt und dem Seelenheil dient, „quae in Ecclesia suprema semper lex esse debet“.19
19 C. 1752 CIC/1983 in der vermutlich aktuellen Fassung (10. Juni 2019), falls sie noch nicht derogiert wurde.
III. Kirchliches Verfassungsrecht
Leitung in der Kirche – notwendige Veränderungen Von Richard Hartmann Die Ausprägung des kirchlichen Amtes, die Fragen der kirchlich-gemeindlichen Strukturen und besonders die Fragen der Leitung der Kirche sind im deutschsprachigen Raum in großen Umbruchsprozessen. Mit unterschiedlicher Akzentsetzung werden Positionen vertreten und besetzt und Gegenpositionen bezogen. Diese Positionen sind von unterschiedlichen auch gegensätzlichen Grundentscheidungen und vor allem Grundlagenfragen bestimmt. Das große Symposion, das das Internationale Diakonatszentrum zusammen mit der Theologischen Fakultät Fulda in Kooperation mit vielen anderen vom 3. – 5. April 2019 in der Katholischen Akademie in München veranstaltete, verdeutlichte Vieles.1 Einfach scheint eine kirchenrechtliche Position, die positivistisch dem gesetzten Text folgt und womöglich noch für eine enge Auslegung optiert. Dass diese Art der Kanonistik längt nicht dem Selbstanspruch kirchenrechtlicher Lehre entspricht, wird nicht rezipiert. Dass Kirchenrecht die Aufgabe hat, die Ausprägung des kirchlichen Selbstverständnisses zu fördern und zugleich Normen fortzuentwickeln, wird unterschlagen. Positivistische Auslegungen dogmatischer Positionen gibt es in gleicher Weise. Bestimmte lehramtliche Positionen eines fixierten geschichtlichen Zeitpunktes werden als unveränderlich behauptet. Die schon vor Jahrzehnten von Walter Kasper2 formulierte doppelte Relativität des Dogmas – zeit- und sachkonfliktbestimmt – wird ebenso wenig zugelassen, wie die Notwendigkeit systematisch Setzungen zu dekonstruieren, sprich in ihren machtpolitischen Rahmen einzubinden. Wenn dann dazu ontologisch begründet Positionen als zum göttlichen Recht gehörend markiert werden, wird noch mehr im Sinne von machtvollem Agieren Veränderung tabuisiert. Je nach eigener Positionierung sind es dann Positionen des Tridentinums, des Vaticanum I oder des Vaticanum II, die absolut gesetzt werden und als sacrosanct unberührbar gelten. Pastoraltheologisch scheint die Situation noch einmal anders auszusehen. Die Einen versuchen immer noch, diesem Fach die einfache Anwendung der dogmati1
Für den Herbst 2020 ist dazu eine Veröffentlichung von Stefan Sander und Richard Hartmann beim Matthias-Grünewald-Verlag geplant. 2 Vgl. hierzu: Norbert Podhorecki, Offenbarung – Schrift – Tradition: Walter Kaspers Beitrag zum Problem der Dogmenhermeneutik, Frankfurt a. M. 2001.
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schen und kanonistischen Regeln zuzuschreiben. Andere meinen, man müsse alles nicht so ernst nehmen, und erwarten von der Pastoraltheologie ein „wachsweiches“ Durchlavieren. Wiederum andere schreiben der Pastoraltheologie die Aufgabe zu, rein pragmatisch, nach dem Modus dessen, was zu gehen scheint, oder sogar pragmatistisch, mit dem Zwang zu handeln ohne ausreichend vertiefende Reflexion, Handlungsfähigkeit herzustellen. Schließlich gibt es auch jene Positionen, die die Pastoraltheologie als Speerspitze der Reformen sieht, die alle aktuellen Positionen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit in kirchliche Praxis übernimmt. Dass die Beschreibungen der drei Fächer alle defizitär sind, wird in den knappen Zeilen spürbar. Dass die Frage der kirchlichen Strukturen in wesentlich präziserer Analyse der geschichtlichen Entwicklungen, der machtpolitischen Konstellationen, der wissenschaftlichen Handlungsstrategien mehr reflektiert und verändert werden müssen, war uns, dem Kirchenrechtler Bernd Dennemarck, dem Systematiker Gregor Predel und dem Pastoraltheologen Richard Hartmann für ein Seminar im Wintersemester 2018/19 an der Theologischen Fakultät Fulda Motivation und Antrieb. Dass in den zwei Beiträgen zu dieser Festschrift ein Einblick in die Werkstatt genommen werden kann, ist ein weiterer Zugewinn.
I. Vermeintliche Klarheit Das gläubige Volk und nicht wenige Pfarrer leben immer noch mit der Überzeugung, dass doch bezüglich Pfarrgemeinde und Pfarrer alles klar sei, schon immer so war und auch künftig so bleiben wird. Die – und ich überzeichne das Bild der 70er Jahre – überschaubare „Pfarrfamilie“ hat ihr Zentrum mit Kirche und Pfarrer, Gemeindezentrum und Kindergarten, im besten Fall noch Gemeindeschwester – und stellt eine „Vollversorger-Kirche“ dar, in der auch noch weitere Gemeindereferentinnen helfen. „Wer mitmacht, erlebt Gemeinde“, war das Motto, das in konfessionseinheitlichen Gegenden gut 30 % der getauften Katholiken ansprach und zum Engagement vom Pfarrgemeinderat bis zu den Kindergottesdiensten, von der Seniorenarbeit bis zu Hausbesuchen führte. Der Pfarrer ist im besten Fall der sympathische Leiter, Motivator und Inspirator, von dem Vieles ausgeht und auf den hin alles zusammenläuft. Er hat alles im Blick und im besten Fall im Griff. Dass dieses Bild in vielen Feldern nicht mehr stimmt, dass diese dörfliche Kirchenwirklichkeit – Karl Rahner hat schon in den 50er Jahren von einer Mentalität der Polizeireviere gesprochen3 – Vergangenheit ist, und dass die jetzt sichtbare Veränderung nicht einfach nur als Untergangsgeschichte gedeutet werden kann, wird nicht immer gesehen.
3 Vgl. Karl Rahner, Betrieb und Pfarrei, in: Ders./Albert Raffelt (Bearb.): Kirchliche Erneuerung Studien zur Pastoraltheologie und Struktur der Kirche (= Rahner, Sämtliche Werke Bd. 16, Erstveröffentlichung 1953), Freiburg i. Br. 2005, S. 33 – 44, hier S. 39.
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Wesentliche Veränderungen zeigen sich in der Ausdifferenzierung der Gesellschaft u. a. in verschiedenen Milieus, einer wesentlich gewachsenen Mobilität jenseits lokaler örtlicher Bindungen. Die Haltung der Autonomie in der Pluralität der Weltanschauungen ist ebenso gewachsen, wie die begrenzte Bereitschaft zu stabilen Bindungen und unbefragter Anerkennung von Autoritäten und Institutionen. Die Stabilität der Familie als Ort der Glaubensüberlieferung ist deutlich geschwächt. All das und noch viel mehr sorgt für ganz andere Erwartungen an die Kirchen und ihre Sozialformen, an Beteiligung und Ausprägung. All das sorgt für deutlich veränderte Bereitschaft zum Engagement – eher projekt- als bestandsbezogen – und begrenzt den Mut und den Willen sich in einer Lebensentscheidung für den Beruf als Priester – mit Zölibatsverpflichtung – oder als kirchlich hauptberufliche „Laien“-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter4 zu entscheiden. Dies gilt um so mehr, dass viele fürchten, dass das Theologiestudium keinen einfachen Berufswechsel jenseits kirchlicher Anstellung zulässt. Damit ändert sich wesentlich die Sozialgestalt kirchlicher Praxis und die Berufswirklichkeit. Den Pfarrer der einen, überschaubaren Gemeinde gibt es nicht mehr. Größere Räume und ausdifferenziertere Dienste kommen auf weniger Menschen zu. 1. Begriffliche Unschärfe Die theologische und kanonistische Diskussion um die Leitung der Kirche durch die Kleriker und die Leitung der Pfarrei durch den Pfarrer als pastor proprius wird durch etliche Begriffe geprägt, deren Geltung und Bedeutung längst nicht so sicher ist, wie sie es auf den ersten Blick vorgeben. Der CIC von 1983 gibt zwar vor, sich als Ausführungsbestimmung zum Vaticanum II zu verstehen. Doch gerade hier werden Begriffe fixiert, deren lehramtliche Geltung gerade nicht eindeutig und klar fixiert sind. a) Cura Pastoralis Die „pastorale Sorge“ als spezifische Form der Seelsorge des ordentlichen Hirten wird ausdrücklich dem Priester und genauer dem Bischof und dem Pfarrer zugeschrieben. Die Neubestimmung des Begriffs „pastoralis“, die durch die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ vorgenommen wird, in jener bedeutsamen Fußnote, die „Pastoral“ als Haltung bestimmt, wird gerade nicht übernommen.5 Die glatte Gleichsetzung Pastor = Hirte = Kleriker lässt sich nicht vom Vaticanum II herleiten. In 4 Ich setze das Wort „Laie“ in Anführungszeichen, das es irreführend und in unterschiedlichen Kontexten polyvok benutzt wird. 5 „,Pastoralis‘ autem dicitur Constitutio ex eo quod, principiis doctrinalibus innix, habitudinem Ecclesiae ad mundum et ad hominem hodiernos exprimere intendit.“ „,Pastoral‘ aber wird die Konstitution deswegen genannt, weil sie, auf Lehrprinzipien gestützt, die Haltung der Kirche zur Welt und zu den heutigen Menschen auszudrücken beabsichtigt.“ Zitiert nach HKVatII, 1. Bd, S. 592.
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einem Atemzug werden die Begriffe nur in Sacrosactum concilium 42 genannt. Der Terminus Clerus findet in der Kirchenkonstitution Lumen gentium keine Verwendung. Die spätere Weitung des Begriffs „Seelsorger“ weit über die priesterliche Sorge hinaus, wird durch das Konzil vorbereitet.6 Dass der Begriff des Pastors weiter problematisiert werden muss seit der Reflexion von Michel Foucault zur „Pastoralmacht“7, ist im Codex noch lange nicht wahrgenommen und muss nach dem Öffentlichwerden des vielfachen sexuellen und geistlichen Missbrauchs erst recht zu neuer Bestimmung des priesterlichen Dienstes führen. b) In persona Christi capitis Der Begriff „in persona Christi capitis“ erweckt den Anschein, einer langen kirchlichen Lehrtradition zu folgen. Tatsächlich wurde dieser Begriff erst durch Pius XII. im Rahmen der christozentrischen Ekklesiologie in Mystici corporis (1943) vorbereitet.8 Er dient der Ausdeutung des christologischen, wenn nicht christomonistischen Selbstverständnisses der Kirche als corpus Christi mysticum.9 Für das Haupt Christus steht dann das sakramental geweihte Priestertum. So sehr Elemente dieser Theologie in LG und PO aufgenommen sind, findet sich der Begriff selbst nur
6 Zum Hirtenbegriff siehe zunächst: Michael Hoelzl, Theorie vom guten Hirten eine kurze Geschichte pastoralen Herrschaftswissens. Wien/Zu¨ rich/Mu¨ nster 2017; Hermann Steinkamp, Die sanfte Macht der Hirten: die Bedeutung Michel Foucaults fu¨ r die Praktische Theologie. Mainz 1999; Hermann Stenger/Robert Oberforcher, Im Zeichen des Hirten und des Lammes: Mitgift und Gift biblischer Bilder. Innsbruck 2000. 7 Siehe dazu Steinkamp, Sanfte Macht (Anm. 6) und spezifisch: Michel Foucault, Ein ohne Komplexe geführtes Gespräch mit dem Philosophen, der die „Machtstrukturen“ untersucht, in: Michel Foucault/Daniel Defert (Hrsg.), Schriften in vier Ba¨ nden (= Dits et e´crits), 3. Bd., 1976 – 1979, Frankfurt a. M. 2003, S. 838 – 850. 8 Die Arbeit von João Paulo de Medonça Dantas, In persona Christi capitis il ministro ordinato come rappresentante di Cristo capo della Chiesa nella discussione teologica da Pio XII fino ad oggi, Siena 2010 geht ausdrücklich den Wurzeln nach und untersucht die SomaChristologie. Die Spannungen zwischen der Bezeichnung der Kirche als Leib Christi und der dann folgenden Identifikation des Hauptes mit Christus kann jedoch nicht überzeugend aufgelöst werden. Die Identifizierung des capitis-Begriffs mit dem hierarchischen Amt entspringt keiner eindeutigen Traditionslinie, wird dann aber nach dem Vaticanum II in der Lehrverkündigung von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. immer dominanter. Paul VI. hatte noch darauf verzichtet. Auch Julia Knop (Julia Knop, Sündige Kirche – Kirche der Sünder: Problemanzeige zur ekklesiologischen Modellbildung, in: Matthias Reményi/Saskia Wendel (Hrsg.), Die Kirche als Leib Christi Geltung und Grenze einer umstrittenen Metapher, Freiburg/Basel/Wien 2017, S. 332 – 356.) problematisiert die Corpus-Christi-Ekklesiologie und präferiert eine sakramentenanloge Ekklesiologie, die auch der Sündhaftigkeit der Kirche und ihrer Diener gerecht werde. 9 Siehe besonders dazu Matthias Reményi/Saskia Wendel (Hrsg.), Die Kirche als Leib Christi Geltung und Grenze einer umstrittenen Metapher, Freiburg/Basel/Wien 2017.
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in PO 2 als Folgewirkung der Salbung des Heiligen Geistes10 und dann im Katechismus der Katholischen Kirche.11 Unter Bezug auf LG 28 wird er im Motu proprio förmlich zum Politicum, wenn den Diakonen diese Metapher entzogen wird.12 Diese Gedankenwelt war tatsächlich im Vaticanum II aufgegriffen, dann aber erst und vor allem in der Lehrtradition von Papst Johannes Paul II. intensiv bekräftigt worden. Sie trägt jedoch in der Gegenwart die Tendenz in sich, gegen LG 8 die Ordination noch mehr zu sanktifizieren und jede Form der Neuzuordnung des geweihten Amtes zum gläubigen Volk zu behindern. Eine prominente Rolle spielt der Begriff in der Argumentation gegen die mögliche Weihe der Frau zum Priesteramt. Georg Essen13 problematisiert die unheilvolle Verquickung von Sacralisierung und Auratisierung: „Dabei verstehe ich unter Sakralisierung zunächst die Aura der Heiligkeit, mit der ein Priester umgeben wird. Diese Aura erzeugt auf Seiten ihrer Adressaten eine subjektive Evidenz. Sie begründet im Medium affektiver Intensität die Andersartigkeit desjenigen, dem man eine Sakralaura zuschreibt – oder der sie für sich in Anspruch nimmt.“14 Er empfiehlt vielmehr eine Desakralisierung des Presbyterdienstes, wie er ihn in einschlägigen Dokumenten des Vaticanum II vorgezeichnet sieht.15 Nur so könne die Ideologieanfälligkeit des Amtes überwunden werden, was durch die Vielgestaltigkeit und den Reichtum der Tradition gut begründet sei.16
10 „Quare sacerdotium Presbyterorum initiationes christianae Sacramenta quidem supponit, peculiari tamen illo sacramento confertur, quo Presbyteri, uncitone Spiritus Sancti, speciali charactere signantur et sic Christo Sacerdoti configurantur, ita ut in persona Christi Capitis agere valeant.“ (PO 2). Eine Fußnote verweist auf LG 10, dort ist jedoch nur davon die Rede, dass der Priester in persona Christi handelt. 11 KKK, Art. 875 (Der Heilige Stuhl (Hrsg.): Katechismus der katholischen Kirche: Kompendium. Regensburg 2005). 12 „Art. 2. des Can. 1009 des Codex des kanonischen Rechtes wird von nun an drei Paragraphen haben, von denen der erste und der zweite aus dem Text des geltenden Canons bestehen. Der neue Text des dritten jedoch wird derart verfaßt, daß derselbe Can. 1009 § 3 uneingeschränkt so lautet: „Die die Bischofsweihe oder die Priesterweihe empfangen haben, erhalten die Sendung und die Vollmacht, in der Person Christi, des Hauptes, zu handeln; die Diakone hingegen die Kraft, dem Volk Gottes in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebe zu dienen.“ (Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben in Form eines ,Motu proprio‘ Omnium in Mentem, mit dem einige Normen des Codex des kanonischen Rechtes geändert werden, 26. 10. 2009, Bonn 2009). Im vorbereitenden Text wird ausdrücklich auf LG 28 verwiesen, dort wiederum kommt der Begriff „in persona Christi capitis“ als solcher nicht vor. 13 Siehe Georg Essen, Das kirchliche Amt zwischen Sakralisierung und Auratisierung: Dogmatische Überlegungen zu unheilvollen Verquickungen; in: Magnus Striet/Rita Werden (Hrsg.), Unheilige Theologie! Analysen angesichts sexueller Gewalt gegen Minderja¨ hrige durch Priester. Freiburg i. Br. 2019, S. 78 – 105. 14 Essen, Das kirchliche Amt (Anm. 13), S. 82. 15 Vgl. Essen, Das kirchliche Amt (Anm. 13), S. 102 16 Vgl. Essen, Das kirchliche Amt (Anm. 13), S. 105.
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c) Potestas Begriff Eine historisch deutliche breitere Spur – allerdings mit unterschiedlicher Tendenz – hat der Potestasbegriff, der besonders seit dem Tridentinum relevant ist. Die damaligen Diskussionen, gut dokumentiert bei Guido Bausenhart17 und Josef Freitag18, strebten an, die Sakramentalität des Bischofsamtes – gegen die Tendenz, den Bischof rein funktional als Fürsten zu begreifen – zu begründen. Damals jedoch blieben die potestas ordinis und die potestas iurisdictionis, also die Gewalt der Weihe und der Rechtsprechung, noch getrennt, zwar in Spannung zueinander, aber eben nicht deckungsgleich verstanden. Mehr und mehr wurden in der Ausfaltung der bischöflichen Macht, im Vaticanum I und ausdrücklich im Vaticanum II beide Formen die Deckung gebracht. Während im Tridentinum damit der Bischof in die kirchliche Verantwortung eingebunden wurde und im Vaticanum I die Zuordnung von Bischofsamt und Papstamt19 gesichert werden sollte, bewirkte die Ineinssetzung im Vaticanum II nachfolgend, dass keine Jurisdiktionsmacht mehr ohne die Weihevollmacht gedacht werden sollte. Der Bischof wurde zum absoluten Monarchen, alle weitere Vollmacht wurde zur rein abgeleiteten Macht. Diese Engführung im Vaticanum II führt zu den Schwierigkeiten, in der Rezeption des Priestertums aller Gläubigen eigene Verantwortung zu begründen. Bausenhart führt aus: „Mit der gegenständlichen Trennung von ,Weihe‘ und ,Sendung‘ hatte man die Frage nach dem Verhältnis beider ,elegant‘ gelöst, verdrängt. Mit ihr war es überdies möglich geworden, die Jurisdiktionsgewalt nicht auf Geweihte zu beschränken, sondern sie auch Nicht-Geweihten zu übertragen.“20 Folge war dann jedoch, dass Fürstbischöfe- und Äbte nur aufgrund der Jurisdiktion handelten, ohne sich weihen zu lassen, die sakramentalen Aufgaben Weihbischöfen überlassen wurden. Zugleich stand damit in Frage, ob das Bischofsamt überhaupt sakramental verstanden werden muss. An dieser Stelle wäre zu überlegen, ob die Einheit der potestas iurisdictionis und der potestas ordinis nicht gerade im Bischofsamt gesichert sein könnte oder müsste.
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Vgl. Guido Bausenhart, Das Amt in der Kirche eine not-wendende Neubestimmung, Freiburg i. Br. 1999. 18 Vgl. Josef Freitag, Sacramentum ordinis auf dem Konzil von Trient ausgeblendeter Dissens und erreichter Konsens, Innsbruck 1991. 19 Siehe hierzu: Klaus Unterburger, Die bischöfliche Vollmacht im Mittelalter und in der Neuzeit, in: Sabine Demel/Klaus Lüdicke (Hrsg.), Zwischen Vollmacht und Ohnmacht: die Hirtengewalt des Diözesanbischofs und ihre Grenzen, Freiburg i. Br. 2015, S. 65 – 89, hier S. 87: „Die Frage stellt sich, was denn nun die unableitbarer und eigentliche bischöfliche Gewalt sei. Jurisdiktionell schien den Bischöfen ja nichts zukommen zu können, was nicht auch dem Papst a fortiori zukam. Noch die ekklesiologische Enzyklika Mystici corporis Papst Pius‘ XII. aus dem Jahr 1943 lehrte, dass die Jurisdiktion der Bischöfe nur vom Papst abgeleitet sei. Hier gewann nun die ,neukatholische‘ Unterscheidung von potestas ordinis und potestas iurisdictiones eine neue Bedeutung. Die Bischofsweihe, die Weihegewalt verleihe sei selbst sakramental, ja die Höchststufe des ordo. Diese Weihegewalt ohne Jurisdiktion sei somit das unableitbare Proprium eines jeden Bischofs“. 20 Bausenhart, Amt (Anm. 17), S. 250.
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Im Vorgriff auf die folgenden Überlegungen wäre jedoch auch hier eine synodale Rückbindung möglich und notwendig. Die Probleme, die mit der Verbindung und mit der Trennung der „Potestas“ bearbeitet werden, bleiben in Spannung und führen je eigen in Verhältnisse, die Widersprüche in sich tragen. Unterburger betont daher: „Wenn dieses Hirtenamt, die Seelsorge, der Dienst am Glauben, heute durch die historische Gestalt, die die bischöfliche Vollmacht im Verlauf der untramontanen Epoche der Kirchengeschichte angenommen hat, behindert wird und Schaden nimmt, so beweist der Blick in die Kirchengeschichte, dass Veränderungen durchaus möglich sind, weil sie immer möglich waren und so der katholischen Tradition entsprechen.“21 d) Ontologische Fundamentierung Wenn alle diese Überlegungen mehr und mehr die Rollen, Funktionen und Aufgaben des Amtes ontologisch fundamentieren und weder eine Beschreibung funktional noch rollentheoretisch zugelassen werden soll, wird die Struktur der Kirche vom Amt in Haft genommen, wird das Amt zur Bedingung kirchlichen Lebens und nicht umgekehrt. Wenn das Amt aber vorrangig dazu da ist, das Leben der Kirche zu fördern, zu ermöglichen und ihm zu dienen, braucht es andere Begründungen und muss kommunikationstheoretisch neu gefasst werden. An dieser Schaltstelle stehen wir momentan und hier kommt es darauf an, sich historisch, systematisch, canonistisch und pastoral abzuarbeiten. 2. Tendenz zur Festigung der Pfarrerrolle Die Pfarrei als abgestecktes Territorium mit einem genau beschriebenen Pfarrvolk gehört zu den stabilen Einrichtungen im Laufe der Kirchengeschichte. Sie ordnet Zugehörigkeit und vor allem wirtschaftliche Sicherheit mit dem Pfarrbann, der die Sakramentenspendung ordnet, dem Benefizium, das den Seelsorger finanziell sichert, und ggf. dem dazugehörigen Patronat. In dieser Ordnungskategorie spielt die Seelsorge, über die Taufe, Buß- und Eucharistievollmacht hinaus, jedoch kaum eine zentrale Rolle; auch Verkündigung, Katechese und Lehre sind damit nicht gefasst. Einzig und allein spielt die Gerichtsbarkeit in den Angelegenheiten kirchlicher Gesetze noch eine Rolle. Jedenfalls kann keine „Allzuständigkeit“ des Pfarrers behauptet werden. Es entwickelt sich nicht zuletzt seit dem Aufkommen der Bettelorden und mit neuem Antrieb nach der Reformation eine umfassendere Predigttätigkeit, Katechese und Seelsorge aber gerade neben der Pfarrei. Die Bedeutung des Pfarrers und die immer mehr wachsende Zuständigkeit und Führungsaufgabe wächst erst im 19. Jahrhundert. Besonders die Bildungsaufgabe, die Ordnung im Kontext des Beamtentums, später die finanzielle Sicherung durch 21
Unterburger, Bischöfliche Vollmacht (Anm. 18), S. 89.
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die Kirchensteuer und damit die erhöhte Abhängigkeit von der Bistumsorganisation, stärkt den Pfarrer in der körperschaftlich gesicherten Kirchengemeinde zudem als anerkannter Akademiker und öffentlich anerkannte Persönlichkeit. Der „Pfarrhof“ mit mehreren Kaplänen und entsprechend angestellten Knechten und Mägden wird zu einer angesehenen Institution mit öffentlicher Relevanz. Kirchenrechtlich bleibt der Pfarrer zwar einerseits dem Bischof untergeordnet, hat jedoch zugleich eine hohe Rechtssicherheit, kann nur schwerlich versetzt werden. Im Zweifelsfall kann er auch etliche Konflikte mit dem Bistum aussitzen22. Der CIC beschreibt eine hohe Pflichtenlast (s. bes. CIC/1983, can. 526 – 537), gleichzeitig begrenzt er den steuernden Eingriff. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wird ihm auch in Personalkonflikten seitens des Ortsordinarius im Zweifelsfall immer der Vorrang gegeben. Professionssoziologisch23 wird diese Position jedoch spätestens mit dem Einsatz der ersten Pastoralreferenten kritisch, die zumindest eine vergleichbare Ausbildung haben. Wenn gemäß der Überlegungen von Stichweh die Universität als ordnende und prägende Einrichtung für die Profession sorgt, dann aber Berufe entstehen, die bei gleichem universitären Studium unterschiedliche Positionen besetzen, wie es bei Pastoralreferentinnen und – referenten und Priestern ist, dann wird die Leistung der Universität für die Sicherung von Profession zerstört. Von daher versuchen die Diözesen in klaren Abgrenzungen der Tätigkeitsfelder und vor allem der Sicherung der, den Klerikern vorbehaltenen Dienst, z. B. der Homilie in der Eucharistie, Konflikte zu begrenzen. Zu den Strategien gehörte auch, die Zahl der Stellen für Kleriker immer größer zu behalten als die der „Laientheologen“.24 Einerseits führte dies zu einem klaren Hierarchiedenken seitens der Kleriker, andererseits entwickelte sich in der Fachlichkeit der Laientheologen eine neue Anerkennung, die hierarchische Unterordnung in Frage stellte. Die Gefahr, zu einer neuen Spaltung und Abgrenzung zwischen dem gläubigen Volk auf der einen Seite und den hauptberuflich Tätigen in der Pastoral auf der anderen Seite, war oft gegeben, die Erwartung an eine „Servicekirche“ „für das Volk“ statt einer „Kirche 22 Sie hierzu: Richard Hartmann, Priester – Neues Verständnis jenseits des Klerikalismus: Die Krise führte bislang zu keiner Entscheidung, in: Rainer Bucher/Johann Pock (Hrsg.), Klerus und Pastoral, Wien 2010, S. 87 – 106. 23 Siehe zur Professionssoziologie v. a. bei Gina Atzeni, Professionelles Erwartungsmanagement zur soziologischen Bedeutung der Sozialfigur Arzt, Baden-Baden 2016; Rudolf Stichweh, Profession in einer funktional differenzierten Gesellschaft, in: Arno Comne/Werner Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität, Frankfurt a. M. 1996, S. 49 – 69; Rudolf Stichweh, Professionalisierung, Ausdifferenzierung von Funktionssystemen, Inklusion: Beobachtungen aus systemtheoretischer Sicht, in: Bernd Dewe (Hrsg.), Erziehen als Profession zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern, Opladen 1992, S. 36 – 48; Rudolf Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen: soziologische Analysen, Frankfurt a. M. 1994. 24 Zur Rolle der Laien siehe u. a. Sabine Demel, Kirche als Volk Gottes und die Berufung der Laien zur eigenen Verantwortung: Die theologische Grundlagen für die Berufe der Gemeinde- und PastoralreferentInnen, in: Sabine Demel (Hrsg.), Vergessene Amtsträger/-innen? Die Zukunft der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Freiburg i. Br. 2013.
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des Volkes Gottes“ war gefördert. Diese Ausgangsposition für die Veränderung der Kirche ist nicht zu unterschätzen.
3. Wandlungen im Leitungshandeln In der Praxis der Pfarreien entwickelte sich seit dem Vaticanum II und der Synode eine weite Ausdifferenzierung des Leitungshandelns: Mit dem „Abschied von Hochwürden“25 gab es etliche Pfarrer, die offensiv und engagiert mit dem hauptberuflichen26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offene Team-Arbeit mit geteilter oder delegierter Verantwortung praktizierten. Gleichzeitig wurden mit den neuen synodalen Gremien die Pfarrgemeinderäte mehr in die Verantwortung genommen und die Kirchenverwaltungsräte27 zu eigenverantwortlichem Handeln geführt. Parallel dazu hielten sich jedoch auch klerikal-monarchische „Alleinherrscher“, die keine Kooperation ermöglichten, und auch „Einzelkämpfer“, die solche Stellen besetzten, die Kooperation anscheinend unnötig machten. Parallel zu solchen Entwicklungen veränderten sich auch die Methoden der Führung und Leitung im wirtschaftlichen und politischen Kontext. Neben der klassisch hierarchischen Leitungsform entwickelten sich neue Matrixorganisationen, ausdrückliche Teamleitung mit entsprechender Verantwortung. Ein Aufbruch von Coaching, Supervision, Führungs- und Leitungstrainings veränderten mehr und mehr die Organisationen und Institutionen. Leitung, die nur auf eine Entscheidungsperson zuläuft, wird mehr und mehr unwahrscheinlich. Zugleich wird erkennbar, welch Zugewinn in der Förderung mehrerer Personen in ihrer Kompetenz und ihrem Charisma liegt. Dass freiwillig engagierte MitarbeiterInnen in der Kirchengemeinde, die im Beruf eigenständig arbeiten, in der Pfarrei kaum bereit sind, rein abhängige Hilfsdienste anzunehmen, ist selbstsprechend. Leitungshandeln verändert sich, wie es auch in den unterschiedlichen Modellprojekten der 70er und 80er Jahre sichtbar wird: Paul Weß28 in Wien, Machstraße setzt auf überschaubare Gemeindegrößen und eine einmütige Einstimmigkeit in wichtigen Entscheidungen. Heinz-Manfred Schulz29 in Eschborn baut auf ein hochdifferen25 Vgl. Josef Othmar Zöller, Abschied von Hochwu¨ rden Seelsorger der Zukunft, Frankfurt a. M. 1969. 26 Ich benutze ausdrücklich den Begriff „hauptberuflich“ um klarzustellen, dass es um Menschen geht, die diese Aufgabe als Erwerbsberuf leisten. „amtlich“ können auch nebenberuflich oder rein freiwillig engagierte Menschen in der Kirche handeln, z. B. etliche Diakone. 27 Die Bezeichnungen dieser Gremien unterscheiden sich je nach diözesanen Regelungen. 28 Paul Weß, Gemeindekirche – Zukunft der Volkskirche der Lernweg einer Pfarrgemeinde, Wien/Freiburg/Basel 1976. 29 Heinz-Manfred Schulz, Ein Jahr in Gottes Werkstatt: eine Gemeinde macht neue Erfahrungen, Mainz 1978.
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ziertes auch diakonisch ausgerichtetes Netzwerk des Engagements. Bernhard Honsel in Ibbenbüren30 setzt einen starken Impuls im ausdrücklichen Verzicht auf sein VetoRecht. Dass gerade moderne bürgerliche und sozial-engagierte Christinnen und Christen in verschiedenen Basisinitiativen entsprechende Reformen einfordern, braucht nicht zu wundern. Dass sie in etlichen dieser Demokratisierungsversuche gegen diözesane und weltkirchliche Mauern stoßen, führt bei nicht wenigen zu einer Abwendung von kirchlichen Aktivitäten. Die Ausgrenzung der Frauen vom geweihten Dienst fördert weiterer Unzufriedenheiten. Die Protestaktion „Maria 2.0“, die im Mai 2019 zu einem Streik aller Frauen im kirchlichen Dienst aufgerufen hat, besitzt das Potential diese Unzufriedenheiten wirksam zu kanalisieren.
II. Was ist das Spezifische des geweihten Priesters Die Infragestellung und Relativierung etlicher bislang anscheinend tragender Formeln für die Beschreibung des ordinierten priesterlichen Dienstes verlangt nach neuen Versuchen der Beschreibung dieses Dienstes. Was nun ist das Spezifische des Dienstes der Priester? Führen die veränderten Rollenerwartungen zu einer Marginalisierung derer, die sich selbst lange vorrangig von der Pfarrerrolle her verstanden haben? Sind sie es nicht, die alle Fäden einer Pfarrei in der Hand haben müssen, sollen und auch wollen? Wie gehen Sie um mit anderen Ansprüchen und mit wachsender Überforderung? Immer wieder gab es Rollenbeschreibungen für den Dienst der Pfarrer, die zum Teil ironisch31 ihre Überfor-
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Bernhard Honsel, Der rote Punkt eine Gemeinde unterwegs, Du¨ sseldorf 1983. Z. B.: Klaus Dieter Härtel, Da lacht der Wetterhahn, Hamburg 2007, online unter: http:// roedelsee-evangelisch.de/der-perfekte-pfarrer (eingesehen am 18. 04. 2019): „Der perfekte Pfarrer / Der perfekte Pfarrer predigt genau zehn Minuten. Er verdammt die Sünde rundum, tut dabei aber niemandem weh. Er arbeitet von acht Uhr morgens bis Mitternacht, und das sieben Tage die Woche. / Der perfekte Pfarrer hat stets für alle seine Gemeindemitglieder Zeit, nur für sich selbst und seine Familie braucht er keine. / Der perfekte Pfarrer darf gute Ratschläge geben, aber er darf nichts und niemanden kritisieren. Er ist 29 Jahre alt, aber mindestens 49 an Erfahrung. Er hat ein brennendes Verlangen, mit Teenager zusammen zu arbeiten. Er verbringt die meiste Zeit mit älteren Menschen. / Der perfekte Pfarrer lächelt ständig mit einem ernsten Gesicht, denn er hat einen gut entwickelten Sinn für Humor, der durch nichts erschüttert werden kann. Eigene Sorgen und Probleme kennt er nicht. Er macht täglich ein Dutzend Hausbesuche und ist immer in seinem Büro erreichbar, für jeden, der ihn gerade / braucht. / Der perfekte Pfarrer hat immer Zeit für den Kirchenvorstand und seine Probleme. Er besucht viele Tagungen zu seiner Weiterbildung, ist aber immer zu Hause. Er interessiert sich für alle Vereine und Organisationen am Ort, stimmt mit der politischen Meinung jedes seiner Gemeindemitglieder überein und ist regelmäßig in jedem Gemeindekreis, bei jedem Geburtstag und jedem Krankenzimmer anwesend. Er selbst ist niemals krank. / Der perfekte Pfarrer hat immer gute Ideen für alle Gelegenheiten. Er weiß alles, er kennt alles, er macht alles, und er 31
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derung zeichneten: Finanzchef, Hausmeister, Verwaltungschef, Dienstvorgesetzter, Konfliktmanager, Öffentlichkeitsarbeiter, Moderator von Sitzungen, Einzelseelsorger, Lehrer, Gottesdienstleiter, Sozialmanager, Abteilungsleiter unter bischöflicher Leitung,… Die Liste lässt sich noch gut erweitern. Wer einigermaßen realistisch ist, weiß, dass er diese Erwartungen nicht erfüllen kann. Zudem wird die Ausbildung als Theologe und spiritueller Mensch nicht diesen Aufgaben gerecht. Die Vielfalt nötiger Zusatzqualifikationen ist nicht zu bewältigen. Was macht den geweihten Priester aus der Tradition von Sendung und Lehre aus? Die Quellen sind vielfältig, die Lehraussagen ebenso. Schon 1969 reflektiert dies Karl Lehmann in seinem Beitrag: „Das dogmatische Problem des theologischen Ansatzes zum Verständnis des Amtspriestertums“32. Er hält fest: „Der heutige Priester hat in sehr vielen Dimensionen der menschlichen Existenz und der geschichtlichen Welt von heute ein beträchtliches Maß jener selbst verständlichen, wenn auch nicht ohne seinen Einsatz vermittelten Anerkennung verloren, die ihm früher zu eigen war. Bis vor kurzer Zeit – vermutlich bis in die unmittelbar nachkonziliare Situation hinein – verblieb dem Geistlichen allerdings noch die Auszeichnung durch die streng kultisch-sacerdotale Aufgabe, denn ihm ist ja im Gefolge der Apostel in seinem Priestertum „die Gewalt übertragen, den Leib und das Blut des Herrn zu verwandeln, darzubringen und auszuteilen sowie Sünden zu vergeben und zu behalten“ (Konzil von Trient, XXIII. Session vom 15. Juli 1563, Kapitel 1; DS 1764). Die skizzierte Krise schwelte schon längere Zeit, sie wurde aber erst offen virulent, als in der Konsequenz theologischer Entscheidungen des Zweiten Vatikanischen Konzils noch bestehende Prärogativen des priesterlichen Standes und bestimmte Aspekte des traditionellen Priesterbildes erschüttert wurden oder stark zurücktraten.“33 Lehmann reflektiert in genauer Analyse die komplexe und nicht widerspruchsfreie Theologie der letzten Konzilien und beschreibt aktuelle Versuche. So arbeitet er heraus: „Von hier aus wird, wie man leicht bei J. Ratzinger nachlesen kann, eine scharfe Kritik am kultischen Mißverständnis des Priesters möglich; indirekt erfolgt eine gezielte Neuinterpretation der Begriffe „potestas“, „Amt“, „Jurisdiktion“ usw. Dieses Fundament hat genügend Weite, um keine nur dem Priester selbst zugehörige Heiligkeit, isoliert vom Auftrag seines Dienstes, zu erlauben. Der problematische Begriff der ,potestas‘ wird auf dem Hintergrund der christologisch radikalisierten Sendung so auf Menschlichkeit, Brüderlichkeit und konkrete Liebe hin geöffnet, daß plötzlich ein Urbegriff von „Evangelium“ wieder aufleuchtet: Den Armen die frohe Botschaft zu verkünden… „Der Priester ist der Mensch, der für jene da ist, für die sonst niemand da ist“. Es wird deutlich, wieviel ursprünglich prophetisch-befreiende Kraft diesem Entwurf innewohnt und wie wenig er nur wird dabei niemals müde und hört niemals auf. / Der perfekte Pfarrer wohnt immer in der Nachbargemeinde“. 32 Karl Lehmann, Das dogmatische Problem des theologischen Ansatzes zum Verständnis des Amtspriestertums, in: Georg Denzler (Hrsg.), Existenzprobleme des Priesters, Mu¨ nchen 1969, S. 121 – 175. 33 Lehmann, Das dogmatische Problem (Anm. 32), S. 126 f.
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fromm erbaulich sein will, wenn er auch zweifellos einer tiefen Spiritualität entstammt.“34 In der darauf folgenden Phase der Neubeschreibung der Rolle war zudem die Tendenz des Heiligen Stuhls und besonders der Kleruskongregation zu sehen, keinerlei Begrenzung der priesterlichen Zuständigkeit und Verantwortung zu dulden.35 Dass schon in den 70er Jahren etliche Priesterkandidaten und Priester eine Konzentration auf die Seelsorge wünschten und die Rollenveränderung vom Manager zum Spiritual erhofften, wurde lehramtlich und kanonistisch lange nicht rezipiert. Wer genauer in die Tradition der Kirche schaut, wer biblische, geistliche und dogmatische Quellen betrachtet, kann das Spezifische des geweihten Dienstes genauer sehen36. Besonders die dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium (LG) und die Konstitution über das Bischofsamt Christus Dominus (CD) helfen dazu weiter. 1. Sakramente und Verkündigung Dem geweihten Dienst kommt die Verantwortung für die Feier der Sakramente zu. Dem Bischof in seiner Vollmacht steht die Verantwortung für die Vollzahl der Sakramente (mit Weihe und Firmung, die auch delegiert werden kann) zu, dem Priester die Verantwortung für Eucharistie, Versöhnung und Krankensalbung und auch für Taufe und Eheassistenz, die auch durch die Diakone gefeiert werden. Bei diesen Sakramen34
Lehmann, Das dogmatische Problem (Anm. 32), S. 174. Bezeichnend dafür sind die unzähligen lehramtlichen Schreiben: Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992) (= VApSt 105), Bonn 1992; Johannes Paul II., Nachsynodales Schreiben Pastores Gregis zum Thema: „Der Bischof – Diener des Evangeliums Jesu Christi für die Hoffnung der Welt“ (13. Oktober 2003) (= VApSt 163), Bonn 2004; Kongregation für den Klerus, Direktorium für Dienst und Leben der Priester (31. Januar 1994) (= VApSt 113), Bonn 1994; Kongregation für den Klerus, Internationales Symposion zum 30. Jahrestag des Konzilsdekrets Presbyterorum Ordinis: Schlussbotschaft an alle Priester der Welt (28. Oktober 1995) (= VApSt 125), Bonn 1995; Kongregation für den Klerus, Der Priester, Lehrer des Wortes, Diener der Sakramente und Leiter der Gemeinde für das dritte christliche Jahrtausend (19. März 1999) (= VApSt 139), Bonn 1999; Kongregation für den Klerus, Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde. Instruktion August 2002 (= VApSt 157), Bonn 2002; Kongregation für den Klerus, Der Priester, Diener der Göttlichen Barmherzigkeit – Arbeitshilfe für Beichtväter und Geistliche Begleiter, Vatikanstadt 2011, online unter: http://www.clerus.org/clerus/dati/2011 – 05/20 – 13/Sussidio_per_Confessori_de.pdf (eingesehen am 20. 05. 2019); Kongregation für die Bischöfe, Direktorium für den pastoralen Dienst der Bischöfe (22. Februar 2004) (= VApSt 173), Bonn 2006. – Darüber hinaus hat die Kongregation auch in etlichen Diözesen in Konfliktfällen entsprechend Position bezogen. Siehe z. B. für das Bistum Fulda in Lothar Wächter, Die gesetzgebende Gewalt übt der Bischof selber aus (c. 391 §2 CIC): Beteiligung am Werdegang eines kirchlichen Gesetzes am Beispiel des „Grundstatuts für Pastoralverbünde im Bistum Fulda“, in: Bernd Willmes/Christoph Gregor Müller (Hrsg.), Thesaurus in Vasis fictilibus: „Schatz in zerbrechlichen Gefässen“ (2 Kor 4,7), Freiburg i. Br. 2018, S. 530 – 553. 36 Siehe besonders die einschlägige Arbeit Guido Bausenhart, Das Amt (Anm. 17). 35
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ten ist jedoch zu bedenken, dass die Ehe von den Brautleuten selbst gestiftet wird und die Taufe von jedem Menschen gewährt werden kann, der tun will, was die Kirche tut. Die Verantwortung für die gültige Feier der Sakramente ist jedoch vorrangig als Dienst an der Kirche zu begreifen, nicht als Machtinstrument. Dass die Gültigkeit vieler Sakramente an die Weihe gebunden ist, dient den Empfängern als Zeichen für die zuverlässige Gültigkeit. Der Geweihte wird somit zum Gnadenzeichen für das Gottesvolk. Als damit verbundener Dienst kommt dem Geweihten eine besondere Verantwortung für die traditionsgesicherte und biblisch fundierte Verkündigung zu. „Was du liest, erfasse im Glauben; was du glaubst, das verkünde, was du verkündest, erfülle in deinem Leben.“37 Dieser Satz aus der Weiheliturgie ist Auftrag und Aufgabe zugleich. Dabei ist neben dem Bischofsamt und der Weihe immer auch eine weitere Kompetenz der Lehrer und Theologen akzeptiert. Die Verantwortung für die rechte Erfüllung der Verkündigungsaufgabe wird somit nicht zu einem Monopol und einer aus sich selber gesicherten und gegründeten Aufgabe, sondern zu einer Verantwortung im Dialog mit allen, die das Evangelium und seine Sendung verstehen sollen. Somit sind die geweihten an dieser Stelle sowohl für ihre eigene Verkündigung, wie auch für die Entscheidung über die Rechtgläubigkeit auf den ständigen Dialog mit den Theologen und mit dem Glauben des Gottesvolkes angewiesen. Die Argumentation, die dem Geweihten ausschließlich die Predigt in der Eucharistie zusteht, hat nur eine begrenzte Plausibilität. Die Einheit der Liturgie, damit die Einheit Eucharistievollmacht und Predigt, wird nicht nur durch den geweihten Priester gewährleistet. Vielmehr wirkt sie in der actuosa participatio in der feiernden Gemeinde und Kirche. Bekanntlicher Weise betont ja schon Justin, der Kirchenvater, wie zentral das Amen der Gemeinde für die Feier der Eucharistie ist38. Der Geweihte hat eine spezifische Verantwortung für die Feier der Sakramente und die Verkündigung, jedoch nicht in einem Monopol der Alleinherrschaft. 2. Dienst der Einheit Der Dienst der Einheit ist eine weitere Kernaufgabe des geweihten Dienstes. Dieser Dienst hat vielfältige Dimensionen. 37 Deutung zur Überreichung des Evangelienbuchs. Siehe Liturgische Institute Salzburg, Trier und Zürich (Hrsg.), Die Weihe des Bischofs, der Priester und der Diakone, Freiburg i. Br. 1994, S.148. 38 „Ist er mit den Gebeten und der Danksagung zu Ende, so gibt das ganze Volk seine Zustimmung mit dem Worte ,Amen‘. Dieses Amen bedeutet in der hebräischen Sprache soviel wie: Es geschehe! Nach der Danksagung des Vorstehers und der Zustimmung des ganzen Volkes teilen die, welche bei uns Diakonen heißen, jedem der Anwesenden von dem verdankten Brot, Wein und Wasser mit und bringen davon auch den Abwesenden.“ (Justin, 1 apol. 65 in BKV 12, S. 80) Zwar wird nicht im rechtlichen Sinn von Gültigkeit gesprochen, doch das verbindliche Zusammenspiel wird deutlich.
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Es ist die stete Sorge, die Einheit der „una, sancta, catholica et apostolica ecclesia“39 zu stärken. Die Einheit mit dem Papst und den Bischöfen meint dabei nicht Uniformität, sondern Communio und Solidarität. Sie soll für niemanden seine Relevanz verlieren. Die Einheit wurzelt schließlich in Christus. Diese Einheit besteht aus einer grenzenlosen Bereitschaft zur Kommunikation und zu Dialog, die einschließt, in Konfliktfragen auch die Spannung und den Dissens über längere Zeit auszuhalten und mitzutragen. Dass die anderen, die leitenden Anderen und auch die anderen Ortskirchen egal sind, geht in unserer Kirche nicht. Praktisch wird diese Aufgabe in der inneren Verbundenheit durch das Weihesakrament und durch die aufmerksame Wahrnehmung dessen, was in der Weltkirche geschieht in der Aufgabe hermeneutischer Vermittlung. Bestimmte Positionen polarisierend auszutragen, geht nur insoweit, wie die anderen Positionen nicht dämonisiert werden. Spaltung, Schisma und Häresie sind Zeichen für den Verlust der zentralen Aufgabe aus der Weihe. Der Dienst der Einheit ist zugleich ein Dienst, der die Einheit innerhalb der Kirche, in Pfarrei und Gemeinde fördert. Es gibt immer unterschiedliche Positionen und spirituelle, wie ästhetische Ausrichtungen. Gerade in Gründungszeiten laufen neue geistliche Gemeinschaften aufgrund der Herausforderung ihr eigenes Profil zu finden, in der Gefahr, andere Richtungen abzuwerten und auszugrenzen. Wesentliche Aufgabe des geweihten Amtes ist, als Vermittler und Versöhner zu wirken und in bestimmten Fragen auch Grenzziehungen vorzunehmen. Schließlich ist in einer postmodernen und damit multiformen Kirche die Aufgabe des Brückenbauens, der Vernetzung, der gegenseitigen Wahrnehmung und Wertschätzung wesentlich größer geworden. Aufgabe des geweihten Amtes ist sowohl durch die einheitsstiftende Eucharistie, als auch durch persönliche Präsenz, Intervention und Kommunikation Kirche über die spezifischen Ausprägungsformen hinaus, zusammenzuhalten. Diese Aufgaben gehören zum unaufgebbaren Proprium des geweihten Dienstes, auch wenn zugleich deutlich wird, dass es keine Aufgaben sind, die dem Amt vorbehalten sind. Ganz im Gegenteil: Der Dienst der Einheit kann nur erfolgreich geleistet werden, wenn er im Miteinander vieler bewältigt wird. So sehr der Dienst der Einheit unbedingt Pflicht für den Geweihten ist, so sehr ist er zugleich auf die Einheit mit dem Gottesvolk und allen Menschen guten Willens angewiesen. 3. Professionalität und Persönlichkeit Der priesterliche Dienst steht in einer großen Tradition klassischer Professionen. Die Profession ist mit Stichweh beschrieben in den Bereichen Leibsorge – Medizin, Gesellschaftssorge – Juristerei, Gottessorge – Theologie40. Für diese zentralen Fel39
Siehe das Große Glaubensbekenntnis (z. B. Gotteslob 2013, Nr. 586, 2 A). Vgl. Stichweh, Professionalisierung, Ausdifferenzierung (Anm. 23), hier S. 36: „Insofern waren die Professionen der Zahl und der Rangordnung nach mit den höheren Fakultäten der spätmittelalterlichen und frühmodernen europäischen Universitäten identisch (Theologie, 40
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der des Zusammenlebens gab es nicht einfach nur Fachexperten. „Man kann zusätzlich tieferliegende Gründe dieser besonderen Auszeichnung einiger Berufe spezifizieren. Der erste dieser Gründe ist eine hervorgehobene gesellschaftliche Bedeutung der Sachthematiken, auf die die jeweilige Berufsgruppe verpflichtet sind. Es konnte dann beispielsweise gesagt werden, es gehe um das Verhältnis der Menschen zu Gott (Theologie), zu anderen Menschen (Recht) und zu seinem Körper (Medizin), und damit entstand der Eindruck, es handle sich um eine vollständige Klassifikation aller wichtiger Außenbeziehungen der Person.“41 Darüber hinaus wurden die Berufe als Stände identifiziert und damit von standesanaloger Ehre und Tugendhaftigkeit bestimmt.42 Sie waren lange Persönlichkeiten anvertraut, die sich als gebildete, achtenswerte Menschen auszeichneten, die eine Fach- und Kommunikationskompetenz hatten, die sich jedoch in gleicher Weise in ihrem persönlichen Lebenswandel belegen ließen. Keine Berufsvorstellung in einer begrenzten Zeit, sondern die Persönlichkeit, die in den Sorgen der Menschen jederzeit ansprechbar waren, zeichneten diese Professionen aus. Schließlich war die Verbindung von Profession und Universität sehr wirksam, da die Universität einen zentralen machtpolitischen Stand hatte. Damit kommt zu den Kriterien Qualität und persönlicher Tugendhaftigkeit eine nicht zu unterschätzende machtpolitische Relevanz der Profession.43 Bedeutend ist hier jedoch nicht die Universität als solche, sondern die konkrete örtlich bestimmte Universität als Macht- und Einflusszentrum. Vieles was hier beschrieben wird, wurde im priesterlichen Beruf und spezifisch in der Rolle des Pfarrers wirksam. Er gehörte zu den örtlichen Honoratioren, zeichnete sich mit Allgemeinbildung und theologisch-seelsorglicher Kompetenz aus, war im Prinzip rund um die Uhr erreichbar und pflegte als Zölibatär einen Lebensstil, der öffentlich eindeutig bezeichnet war. Schließlich war er geprägt durch das Studium an der örtlich relevanten Universität. Dass dabei alles, was im Verborgenen geschah, tabuisiert wurde, weil das Amt gefährdet war, wenn Gerüchte es in Frage stellten, ist selbstsprechend.44 Die Bedeutung dieser Persönlichkeiten für die Organisation einer Gesellschaft schwand mehr und mehr mit der Professionalisierung als fachlicher Ausdifferenzierung und der Pluralisierung der Gesellschaft: Moderne Professionalisierung differenziert die fachliche Expertise aus. Der Spezialist/ die Spezialistin sind gefragt, ihre Recht, Medizin)“. Rudolf Stichweh, Fakultäten und Professionen: Juristen, Theologen, Mediziner, Lehrer, in: Robert Stichweh, Der frühmoderne Staat und die europäische Universität: zur Interaktion von Politik und Erziehungssystem im Prozeß ihrer Ausdifferenzierung (16. – 18. Jahrhundert), Frankfurt a. M. 1991, S. 364 – 376. 41 Stichweh, Professionalisierung (Anm. 23), S. 37. 42 Vgl. ebd. (Anm. 23). 43 Vgl. Stichweh, Fakultäten (Anm. 40), S. 164 – 176. 44 Die Folge zeigt sich deutlich im sogenannten Missbrauchsskandal, der ja auch ein Skandal der Vertuschung ist. Siehe hierzu auch Wunibald Müller/Myriam Wijlens, Ans Licht gebracht: weiterführende Fakten und Konsequenzen des sexuellen Missbrauchs fu¨ r Kirche und Gesellschaft, Mu¨ nsterschwarzach 2012.
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Fachlichkeit und nicht mehr ihre Persönlichkeit traten in den Vordergrund. Ähnlich differenzieren sich auch die theologisch-seelsorglichen Berufe aus.45 Die Mobilität, die Auflösung der geschlossenen und überschaubaren Wohn- und Lebensareale sorgen dafür, dass die Lebensgestaltung immer mehr privatisiert wird. Arzt, Lehrer und Richter müssen nicht mehr an ihrem Wirkungsort wohnen. Die Seelsorger in ihrer differenzierten Zuständigkeit und mit weiteren Ortszuständigkeiten leben ebenso nicht mehr im Beobachtungsraum der ihnen anvertrauten. Damit verliert der Pfarrer als Profession seine Bedeutung, wird zugleich auch bezüglich seiner Integrität immer wieder unter Verdacht gestellt. Wie auch die anderen Professionen in der Regel an das männliche Geschlecht gebunden waren und zum Teil – so bei den Lehrerinnen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts – an die Ehelosigkeit, sind diese Regelformen aufgehoben und für die Beschreibung der Zulassungsbedingungen für die Priester nicht mehr plausibel. Die Bedeutung der priesterlichen Ehelosigkeit und der Begrenzung der Weihe auf den unverheirateten Mann steht in Frage. Dass dies keine unabdingbaren Erwartungen an den Priester sind, macht die Praxis der unierten Ostkirchen längstens innerhalb unserer Kirche deutlich, die Erfahrungen der byzantinischen Kirchen und der Kirchen der Reformation genauso. Dennoch scheint es mir wichtig zu sein, die Rolle der Ordinierten nicht nur im Sinne eines üblichen Erwerbsberufs zu reduzieren und als Job neben anderen Jobs zu formieren. Transparent für die Wirklichkeit des Reiches Gottes kann nur der sein, der in seiner Existenz die Suche, die Beziehung zu dieser Wirklichkeit erkennbar macht. Glaubwürdigkeit, wie sie in unserer Zeit gefordert wird, ist eine Lebenshaltung, die die ganze Lebensform durchdringt. Nur ein glaubend-suchender Mensch wird Gott bezeugen. Diese Haltung ist rund um die Uhr relevant. Diese Glaubwürdigkeit kann nicht mehr durch die Einbindung in einen Stand und das Zölibat unterstrichen werden. Die Prägung der Persönlichkeit, ihre Ausstrahlung und spirituelle Tiefe ist wesentlich zentraler und diese kann sich in ganz unterschiedlichen Lebensgestaltungen finden. Sie bedingt jedoch ein Lebens-, Dienst- und Berufsverständnis, das über eine klassische professionelle Berufstätigkeit hinausgeht und das eine lebenslange Treue erwartet. Vielleicht kann die berufssoziologische Beschreibung der klassischen Profession hier zum Leitbild werden, allerdings unter Relativierung der universitären und auch der kirchlich institutionellen Machtposition. Ob und wie dies geschehen kann, ohne in einer Idealisierungsfalle zu tappen, bedarf weiterer Prüfung.
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Die Ausdifferenzierung der Berufe und die berufsrelevante Rezeption des Begriffs vom „Gemeinsamen Priestertum“ belegt beeindruckend Stephan Knops, Gemeinsames Priestertum und Laienpredigt die nachkonziliare Diskussion in der BRD bis zur Wu¨ rzburger Synode, Freiburg/Basel/Wien 2019, bes. S. 59 – 257 durch die Beschreibung der nachkonziliaren Entwicklung der Laienberufe.
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III. Leitung in synodaler Verfassung Damit stellt sich jedoch ausdrücklich die Frage nach der Macht in der Kirche und die Frage nach Führungs- und Leitungsverantwortung. Mehr und mehr erneuert sich in der kirchlichen Lehre – besonders bei Papst Franziskus – wie auch in den pastoralen Perspektiven der Deutschen Bischöfe – „Gemeinsam Kirche sein“46 – wie in den Erwartungen vieler Christgläubigen – das Verständnis der Kirche als synodalem Weg aller Glieder des gemeinsam Priestertums.47 Der geweihte Priester steht mit seinen Aufgaben und seiner Würde mitten im Volk Gottes und nicht autoritär ihm gegenüber. Seine Aufgabe erfüllt er dienend für die Schwestern und Brüder. „Das Volk und die Verantwortlichen wurden befragt, und ich bezeuge, dass sie für würdig gehalten werden.“48 So wird schon in der Eröffnung der Weiheliturgie bezeugt, dass priesterliche Berufung nicht nur eine geistliche private Frage der Gottesbeziehung und der bischöflichen Annahme ist, sondern eingebunden ist in das ganze Gottesvolk. Von daher wäre ja auch später zu fragen, ob diese Annahme und Wertschätzung auf Dauer hin gelten. Wer das Volk leiten will, muss von allen gewählt werden. Solche Ausgangsposition stellt eine radikal autoritäre Leitung in Frage. Die radikal synodale Gemeindeorganisation von Paul Wess in Wien Machstraße49 zeigt auf, dass unter bestimmten sozialen Bedingungen auch eine nicht nur einmütige, sondern einstimmige Konsensfindung möglich ist. Wenn darüber hinaus auch noch die Funktionen des ordinierten Priesters so beschrieben werden, wie im vorigen Kapitel, wird eine Ausweitung auf viele unbedingte oder gar unfehlbare Entscheidungen kaum mehr nötig sein. 1. Funktionen im geweihten Dienst Die Weihe zum Bischof, Priester oder Diakon ist nicht in allen Bereichen unbedingte Voraussetzung, um Entscheidungen im kirchlichen Leben zu treffen. Die Frage nach der Zulassung zu den Sakramenten ist die erste Frage in der Verantwortung des Amtes. So sehr hier im Konfliktfall Entscheidungen gefällt werden müssen, so sehr sind diese zugleich in theologisch-lehramtliche Diskussionen einzuordnen. Gerade die Diskussionen um die Zulassung zur Eucharistie für wiederverheiratete Geschiedene hat hier den synodalen Weg geöffnet. Die beiden Bischofssynoden zur Familie haben einen ausführlichen und offenen Diskurs gewagt, in dem 46 Die Deutschen Bischöfe, Gemeinsam Kirche sein: Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral (= Die Deutschen Bischöfe 100), Bonn 2015. 47 Es wird kaum überraschen, dass solcher Perspektivenwechsel auch starke innerkirchliche Opposition hervorruft. 48 Musterantwort in der Liturgie der Priesterweihe. Siehe Liturgische Institute, Die Weihe (Anm. 37), S. 74. 49 Siehe oben.
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die Bedingungen vielfach erwogen wurden, in denen zugleich keine bindende Entscheidung getroffen wurden: Sowohl die gnadentheologische Grundoption der Sakramente, wie die Gewissensfreiheit des einzelnen Christgläubigen verbieten eine Grundentscheidung ohne die Wahrnehmung der individuellen Situation. Damit wird in dieser Frage nicht eine einfache laissez-fair Position bezogen, vielmehr wird die Seelsorge, die Begleitung und damit die Bestärkung der einzelnen in ihrem Gewissen vorgezogen. Die Entscheidung des einzelnen Priesters ist höchst relevant in der seelsorglichen Einzelbegleitung und besonders in der Feier der Versöhnung. Hier stehen wirklich der einzelne Pönitent, der Beichtvater und Gott in einem unberührbaren Dreierverhältnis, das dem Priester eine gefährliche Pastoralmacht zuschreibt und dem Pönitent nur die Annahme der Entscheidung und ein Ausweichen möglicher Ausschlüsse durch örtlichen Wechsel oder zu einem anderen Beichtvater eröffnet. In der Beichte ist die Leitungsvollmacht am ausgeprägtesten. Vielleicht ist gerade diese Erfahrung eine der zentralen Gründe, aufgrund derer sich viele Christgläubigen diesem Sakrament nicht mehr stellen. Zudem werden immer wieder – ich fürchte immer mehr – Fälle offenkundig, in denen hier geistlicher (Macht-)Missbrauch erfolgt ist. In der ebenso brisanten und in ihrer Folge für das kirchliche Leben relevanten Frage der Weihezulassung sollte m. E. die schon benannte Frage an das gläubige Volk bezüglich der Würde der Kandidaten noch wesentlich stärker ins Bewusstsein gehoben werden. Zugleich hat sich längstens in der Praxis bewährt, dass mehrere in Ausbildung und Begleitung Verantwortliche über die Eignung und Berufung urteilen. Im Regelfall werden also konsensuelle Entscheidungen getroffen. Dennoch behält der ordinierende Bischof das Recht einer eigenen und schließlich einzelnen Entscheidung, die er vor Gott und(!) dem Gottesvolk verantwortet. Die Verantwortung der Verkündigung ist ebenso keine Willkür-Macht, die dem Priester zukommt. Gerade hier ist er gebunden an den bleibenden theologischen Diskurs. Es ist ihm nicht erlaubt, seine individuelle geistliche Einstellung zur absolut geltenden Norm zu erheben. Bezeichnend ist ja auch, dass selbst nach der Dogmatisierung päpstlicher Unfehlbarkeit gerade keine Inflation dieses Instrumentes der Entscheidung begonnen hat. Dennoch kommt dem gläubigen Volk die Pflicht zu, das allgemeine Lehramt zu rezipieren und sich ihm gegenüber nicht in einer Beliebigkeitshaltung zu begeben. Andererseits bedarf es eines ausgeprägten theologischen Diskursraumes – in synodalen Prozessen und theologischen Fachgesprächen, sowie im weltkirchlichen Dialog, der dem Lehramt, besonders der Bischöfe, hohe Qualität zuspricht. Immer wieder wird in der Kirchengeschichte erkennbar, dass zeitbedingte Positionen bestimmter Parteiungen versuchen, die Lehre zu dominieren. Dass dies vor allem auch vor dem Hintergrund der Analogie unseres Redens von Gott (Lateranense IV) kaum zulässig ist, muss in Erinnerung gebracht werden. Die Wahrheit Gottes wird nicht unterdrückt werden können. Das zeigt sich vor allem, wenn einzelnen Theologinnen und Theologen über Zeit das öffentliche
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Schreiben und Reden verboten wird, sie später dann amtlich rehabilitiert werden. Auch hier sind Maßnahmen, die sich mit Gewalt durchsetzen, kaum tragfähig. Das Lehramt, das verbunden ist mit der Feier der Eucharistie, braucht von daher auch keine Angst zu haben, vor den theologischen und spirituellen Zeugnissen von „Laien“ als Predigt, weil sie sich einordnen in das Gesamt der Verkündigung und Ausdruck einer legitimen Vielfalt sind. Auch der Dienst der Einheit wird nicht durch „Machtworte“, sondern durch kommunikative und mediative Interventionen gewährt werden können. Gerade diese Aufgabe bedarf einer Kompetenz, das klein-klein mancher kirchlichen Praxis mit einem weitenden Horizont zu konfrontieren. Gerade Einheit kann nicht durch Abgrenzung gefördert werden. In allen drei von mir als Kernaufgaben bezeichneten Leitungen des geweihten Dienstes zeigen sich die Grenzen, wenn nicht gar die Unmöglichkeit autoritären Führungshandeln. Es kommt gerade nicht auf Entscheidungen der einsamen Entscheider an. 2. Haltungen Solche kommunikationsoffene Praxis bedarf spezifischer Kompetenzen, deren Ausprägungen für die Besetzung unterschiedlicher Positionen und Aufgaben relevant sind. Schon Hermann Stenger u. a. hat in seinem Grundlagenwerk über die Eignung für die pastoralen Berufe50 darauf aufmerksam gemacht, dass ideologische Persönlichkeiten dafür ungeeignet sind. Ideologie zementieren die eigenen begrenzten Einsichten und Haltungen und verhindern dadurch die Wahrnehmung anderer. Die Präambel von Gaudium et spes in ihrem Plädoyer zur Gemeinsamkeit mit Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, besonders der Armen und Bedrängten, kann mit ideologischen Vorurteilen nicht gelingen. Darum müssen m. E. ideologische Personen unbedingt vom seelsorglichen Amt ausgeschlossen werden. Die Verantwortung für die Sakramente und die seelsorgliche Verantwortung erfordern die Kompetenz zu biographischer Sensibilität und Einfühlsamkeit. Es kommt darauf an, die konkrete Bedürftigkeit von Einzelnen und Gruppen wahrzunehmen und im Licht des Evangeliums zu deuten. Diese Kompetenz ist eine grundlegend geistliche, spirituelle Kompetenz, weil sie in den Menschen das Licht Gottes zu erahnen hofft und die Lebenssituation mit der Wirklichkeit des Reiches Gottes in Beziehung setzt. Die Auseinandersetzung mit dem Gut des Glaubens, in Schrift, Tradition und Gegenwart erfordert – je nach Anspruch der verschiedenen Aufgaben eine wissen50 Hermann Stenger/Karl Berkel, Eignung für die Berufe der Kirche: Klärung – Beratung – Begleitung, Freiburg i. Br. 1988.
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schaftlich-theologische Kompetenz. Es kommt darauf an, sich in den Überlieferungsprozessen und in der gesellschaftlichen Wirklichkeit auszukennen und entsprechende Zusammenhänge herzustellen, die dem Leben und dem Glauben dienen. Je höher die Position und Führungsaufgabe ist, desto wichtiger ist die kommunikative Kompetenz. Diese Kompetenz lebt nicht nur aus der Fähigkeit, andere zu moderieren und im Gespräch zu halten, sondern zugleich in der Fähigkeit, in diese Gesprächsprozesse die eigenen Einsichten und Positionen einzuspeisen, ohne sie zu verabsolutieren. Sie braucht zudem Räume, in denen in individueller Begleitung und Reflexion aber auch im öffentlichen Raum Feedback und Correctio möglich sind. Ein gemeinsamer Kommunikationsprozess ist insoweit ergebnisoffen, dass er zu neuen, dritten Impulsen führen kann. Das Gespräch wird somit auch zum Einfallsort des Gottesgeistes. 3. Leitung der Pfarrei und der Gemeinden oder kirchlichen Orte Die vorgetragenen Überlegungen scheinen prima facie von der Ausgangsfrage der Leitung von Pfarrei, Gemeinde, kirchlichem Ort wegzuführen. In Wirklichkeit dienen sie der Einordnung des ordinierten Dienstes in die vielfältigen Bezüge kirchlichen Lebens. Es braucht Leitung in allen sozialen Wirklichkeiten. Es braucht in der Kirche auch Leitung im Sinne der beschriebenen Aufgaben des geweihten Dienstes. Es braucht jedoch nicht eine Gleichsetzung aller verschiedenen Leitungsaufgaben, auch nicht eine Ineinssetzung dieser Aufgaben in eine einzige Person. Hier muss meines Erachtens das kirchliche Recht – in Rezeption der Texte des Vaticanum II und der nachfolgenden Lehrentwicklung neu differenzieren lernen. 1) Kirche kann ihre Struktur und Organisationsform in jeder Zeit und je nach den Herausforderungen und Möglichkeiten eigenständig gestalten. Die Aufgaben – in theologisch, seelsorglicher, diakonischer und auch organisatorischer Form können nach den jeweiligen Möglichkeiten und in Beschreibung der Zuständigkeiten unterschiedlich geregelt sein. 2) Diese Form der Leitung geschieht am besten in organisierten Formen der Zusammenarbeit, die verschiedene Kompetenzen berücksichtigt. Sie kann durch hauptberuflich Tätige gefördert werden, aber auch durch freiwillig Engagierte geleistet werden. Die Legitimation der Leitung sollte sowohl durch die „Basis“ der Kirchenglieder, wie durch die Welt- und Ortskirchliche Leitung (Bischofsamt) gewährt werden. 3) Der ordinierte Dienst in der beschriebenen Form ist letztlich notwendig für die Einheit in den Sakramenten, die Anbindung an Schrift und Tradition und die Einheit in der Kirche. Darum soll jede kirchliche Einheit in einer Beziehung zum ordinierten Dienst stehen, ohne dass dieser formale und schon gar nicht monopolartig Leitung wahrnimmt.
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4) Leitung in der Kirche kann dabei in Anlehnung an andere weltliche Leitungskonzepte organisiert werden: a) Es ist notwendig besonders im Bereich der Leit- und Richtlinienentscheide synodale Formen zu nutzen, in denen alle Christgläubigen ihrer Sendung folgen und zur Ausrichtung kirchlicher Praxis führen. Diese Formen können – in Beteiligung des geweihten Dienstes – legislative Funktionen wahrnehmen. b) Es braucht gemeinschaftlich strukturierte Handlungsgremien (im Sinne der Exekutive), in denen hauptberuflich Tätige und Ehrenamtliche, Geweihte und Nicht-Geweihte nach Fähigkeit und Charisma zur Handlungsstrukturierung der Kirche beitragen. c) Es braucht Formen der rechtsprechenden Gewalt, die als Kollektiv-Gremien auf verschiedenen Ebenen und Instanzen im Zusammenspiel mit den ordinierten Diensten, Konflikte regeln. d) Die drei Stufen des Weiheamtes haben darin verschiedene Zuständigkeiten und Handlungsräume. Dem Bischof kommt die ortskirchliche Verantwortung und Zuständigkeit in seinem Bistum und – in Absprache mit anderen Verantwortlichen der Weltkirche und der Nationalkirche – fachliche Zuständigkeit zu. Dem Priester kommt als Pfarrer ebenfalls Zuständigkeit in einem lokal oder personal beschriebenen Teilbereich der Ortskirche zu, oder in anderen Zuständigkeiten für spezifisch beschriebene seelsorglich und fachlich beschriebene Teilaufgaben. Dem Diakon kommt – auf Augenhöhe zu allen anderen Christgläubigen – in seiner sakramentalen Verantwortung und in der Verkündigung in Tat und Wort – die bleibende Aufgabe des prophetisch-diakonischen Erinnerns und Gestaltens zu. Dabei prägen die Glieder des sakramentalen Dienstes ihre Aufgaben nicht aufgrund jurisdiktionell beschriebener Letztentscheidung und der Position des unangreifbaren Vorsitzes. Vielmehr bringen sie an allen Orten zum einen ihre beschriebenen Funktionen ein, zum anderen aber ihre Begabungen, Charismen und ihre Fachlichkeit, die mitbestimmend ist für die konkrete Position innerhalb der verschiedenen Arbeitssegmente. e) Die polare Gegenüberstellung von pastoralem Handeln und Verwaltungshandeln ist eine zu einfache Lösung, weil sich Verwaltungshandeln dem Ziel pastoraler Sendung zu unterwerfen hat.51
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Valentin Dessoy schlägt eine „strukturell geteilte Leitung“ vor und macht Vorschläge zu einer partizipativen Konstruktion solcher Organisation. Ob diese Polarität so auf Dauer hin trägt und den Gefahren einer Frontstellung zueinander entkommt, sollte genau beobachtet werden. Siehe Valentin Dessoy, Partizipation und Leitung in der Kirche, in: Diakonia 50 (2019), Nr. 2, S. 127 – 135.
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4. Konfliktregelungen Spannend wird – und hier ist unbedingt das Kirchenrecht gefragt – wie Strukturordnung und Konfliktregelung geleistet werden. Ihm kommt sowohl die Aufgabe zu, die Rahmen zu beschreiben, nach denen sich kirchliche Bereiche organisieren sollen. Solche Bereiche sind Bistum und Pfarrei ebenso, wie die viel kleinteiligeren Formen der Kirchorte. Ordnungsprinzip ist nicht die Überordnung des geweihten Dienstes, sondern die Einordnung und Beziehungsregelung, damit die Einheit der Kirche gewahrt wird. Zum anderen ist genau bis in den Verfahrensweg die Bearbeitung von aufkommenden Konflikten zu beschreiben, vorrangig in kollegialen Organen, vor allem auch in der Kraft, Konflikte zunächst in Mediation vor Ort zu klären, bevor eine streitbare Entscheidung getroffen ist, die auf nächster Instanz noch eine Überprüfung finden kann. Insgesamt mit diesem Beitrag vorangetrieben, die Träger des ordinierten Dienstes vorrangig an ihre in der Tradition beschriebenen Verantwortung für Sakramente, Verkündigung und Einheit zu binden und sie nicht mehr einer weder notwendigen noch leistbaren Allzuständigkeit und Letztverantwortung auszusetzen. Zugleich wird sich die Kirche als Gemeinschaft aller Getauften, stärker als in den letzten Jahrzehnten, ihrer Verantwortung für ihre Sendung bewusst und muss sie neu annehmen.
Fragen über die Mitwirkung der Laien in der kirchlichen Vollmacht und in dem dreifachen Amt Christi Von Gábor Kiss
I. Einführung Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird immer wieder die Frage nach den Möglichkeiten der Teilhabe von Laien an der kirchlichen Gewalt und nach den Möglichkeiten der Ausübung von Leitungsfunktionen durch Laien auf verschiedenen Ebenen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche diskutiert. Der 65-jährige Prof. Dr. Wilhelm Rees, die maßgebende Persönlichkeit der deutschsprachigen Kanonistik, beschäftigt sich ebenso mit der Rechtsstellung von Laien in der katholischen Kirche in vielen seiner Beiträge. In der Rezeptionsgeschichte zu den ekklesiologischen Paradigmenwechseln nach dem Zweiten Vatikanum finden sich Entscheidungen verschiedener kirchlicher Ämter, die zur Erforschung der kirchenrechtlichen Dimension der laikalen Leitungsfunktionen und der laikalen Mitwirkungsmöglichkeiten in der kirchlichen Gewalt neue Anstöße gaben. Nach der Promulgation der dogmatischen Konstitution Lumen gentium (21. November 1964) und des Dekretes Apostolicam actuositatem (18. November 1965) können eine Vielzahl solcher Impulse – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – hier aufgezählt werden: der Kodifikationsprozess des neuen Gesetzbuchs (1962 – 1983), das Motu proprio Causas matrimoniales von Papst Paul VI. (28. März 1971) – durch das die Aufnahme eines Laien in das Richterkollegium erstmals ermöglicht wurde, die Promulgation des Kirchlichen Gesetzbuchs (25. Januar 1983), die Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester von Kleruskongregation und sieben andere Dikasterien (15. August 1997) und zuletzt die Motu proprio mit den Titeln „Mitis Iudex Dominus Iesus“ und „Mitis et misericors Iesus“ von Papst Franziskus (15. August 2015), die die mögliche Anzahl der Laienrichter in einem Richterkollegium erhöhte. Nach den soeben aufgezeigten verschiedenen praktischen Umsetzungen, die die Beteiligung der Laien im Rahmen der kirchlichen Aufgaben und Organisation betreffen, lässt sich festhalten, dass die grundsätzliche Möglichkeit der Mitwirkung von Laien in der kirchlichen Leitungsgewalt nicht in Frage steht, sich jedoch eine darüberhinausgehende Frage
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stellt: Wie können Laien konkret bei der Ausübung der Leitungsgewalt nach Maßgabe des geltenden kanonischen Rechtes mitwirken?1 Die ab der Kodifikation des c. 129 §2 CIC/1983 bis heute andauernde wissenschaftliche Kontroverse differenziert mehrere Teilfragen der kirchlichen Leitungsgewalt, die auf die Konzilslehre über die potestas sacra, auf deren Rezeptionsgeschichte im Gesetzesbuch, auf der Theorie über die Natur und Funktion der Leitungsgewalt in der Kirche, auf die theoretische Mitwirkungsmöglichkeiten von Laien an der Leitungsgewalt im Allgemeinen (vgl. c. 129 § 2 CIC/1983) und auf deren praktische Verwirklichung im verschiedenen kirchlichen Ämter Bezug nahmen. Der c. 129 § 1 CIC/1983 definiert dabei zunächst die Leitungsgewalt als solche, zu deren Übernahme nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt sind, die die heilige Weihe empfangen haben: „Gemäß c. 129 § 2 können Laien an der Ausübung der potestas regiminis nach Maßgabe des Rechts mitwirken. Sie können folglich an der Vorbereitung oder der Durchführung von einzelnen Akten der Hirtengewalt beteiligt sein, diese Akte jedoch mangels einer Teilhabe an der Weihegewalt nicht selber setzen. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine konkrete Handlung zu ihrer Gültigkeit tatsächlich eine Teilhabe an der Hirtengewalt voraussetzt.“2 Die vielfältigen Probleme bei der Interpretation dieses Kanons waren seit der Promulgation des neuen Gesetzbuchs immer wieder Gegenstand von wissenschaftlichen Darstellungen. Es wurde insbesondere folgendes Kernproblem herausgearbeitet: „Dabei macht das Verständnis des cooperari große Schwierigkeiten. In c. 129 § 2 CIC/ 1983 ist es ein Schlüsselbegriff, an dem sich die Diskussion um die Teilhabe von Laien an der Leitungsgewalt entzündet. Schließt das „cooperari“ eine gewisse Trägerschaft von Leitungsgewalt mit ein oder nicht?“3 Neben diesen Untersuchungen zu den Problemen, die c. 129 § 2 CIC/1983 aufwirft, wurden ebenso viele Beiträge ver1
Vgl. Kevin Gillespie, Ecclesiastical office and the participation of the lay faithful in the exercise of sacred power. Towards a theological and canonical understanding of the mutual orientation in the sign of Christ (= Tesi Gregoriana. Serie diritto canonico 107), Roma 2017; Heribert Hallermann, „…dass nur öffentlich predige, wer gesandt ist.“ Kanonistische Nachfragen und Perspektiven zum Verbot der „Laienpredigt“ (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 26), Paderborn 2017; Thomas Meckel, Konzil und Codex. Zur Hermeneutik des Kirchenrechts am Beispiel der christifideles laici (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 18), Paderborn 2017; Roberto Interlandi: Chierici e laici soggetti della potestà di governo nella Chiesa. Lettura del can. 129, Roma 2018; Peter Platen, Die Delegation von Laien zur Ausübung von Leitungsgewalt in der Diözesankurie, in: Thomas Meckel/Matthias Pulte (Hrsg.), Ius semper reformandum. Reformforschläge aus der Kichenrechtswissenschaft (= KStKR 28) Paderborn 2018, S. 197 – 208; Rosel Oehmen-Vieregger, Sacra potestas – Ein Schlüsselbegriff des Zweiten Vatikanischen Konzil? in: ThQ 197 (2017), S. 337 – 358; Jordi Bertomeu Farnós, La participación de los laicos en el ejercicio de la cura pastoral parroquial: ¿expresión de una nueva ministerialidad en la Iglesia? Estudio exegético del can. 517 §2 CIC (= Tesi Gregoriana. Serie diritto canonico 111), Roma 2017. 2 Markus Nelles, Die geistliche Vollmacht, in: HdbKathKR3, S. 199 – 206, hier S. 202 – 203. 3 Thomas A. Amann, Laien als Träger von Leitungsgewalt? Eine Untersuchung aufgrund des Codex Iuris Canonici (= MThS 3), St. Ottilien 1996, S. 7.
Fragen über die Mitwirkung der Laien in der kirchlichen Vollmacht
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öffentlicht, die die in diesem Kanon grundsätzlich vorgesehenen Mitwirkungsmöglichkeiten der Laien in der Sendung der Kirche eingehend im Detail betrachteten. Hier soll insbesondere auf zwei Aspekte näher eingegangen werden und zwar zum einen, wie c. 129 § 2 CIC/1983 seiner Funktion als „lex generalis“4 in allen Rechtsgebieten des neuen Codex gerecht werden kann und was für eine grundsätzlich Richtlinie, anhand derer die unterschiedlichen Mitwirkungsformen der Laien beurteilt werden könnten, herausgearbeitet werden kann. Um diese Frage näher zu beleuchten, wird die vorliegende Untersuchung zunächst einen Überblick über die Verwirklichungsformen der laikalen Kooperation in der Sendung der Kirche in Hinsicht auf die Mitwirkung an dem Dreifachen Amt Christi und an der kirchlichen Gewalt geben. Im Anschluss daran wird anhand der geltenden Normen dargestellt werden, dass das kanonische Recht eine ausdifferenzierte Abstufung hinsichtlich der laikalen Teilhabe und Mitwirkung an der Leitungsgewalt vorsieht. Mit der Darlegung dieser ausdifferenzierten Regelungen will der Verfasser diesen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung hinsichtlich der Interpretationsmöglichkeiten des c. 129 § 2 CIC/1983 leisten. Da hierbei eine vollständige Untersuchung der umfänglichen und kontrovers diskutierten Mitwirkungsformen den Rahmen des Beitrags sprengen würde, richtet sich der Fokus der Studie darauf, eine Übersicht über das Themengebiet zu geben und eine Stufenfolge für die einzelnen Teilnahmemöglichkeiten darzustellen. Die Laien haben durch die Sakramente der Taufe und Firmung an der von Christus der Kirche anvertrauten dreifachen Sendung auf ihre Weise Anteil. Nach der hier vertretenen Auffassung können die Laien ihre Mitwirkung in tria munera Christi auf allgemeine und unmittelbare Weise und in der kirchlichen Leitungsgewalt auf mittelbare und unmittelbare Weise verwirklichen. Die These wird in dieser Studie in zwei Teilen geprüft: zunächst sind die verschiedenen Dimensionen der Mitwirkungsmöglichkeit im Dreifachen Amt Christi (tria munera Christi) zu untersuchen, danach wird die Möglichkeiten der mittelbaren und unmittelbaren Mitwirkung in der Ausübung der Leitungsgewalt durch Laien zusammengefasst. Der Begriff von „cooperatio“ hat nicht nur bei der Leitungsgewalt eine rechtwissenschaftliche Bedeutung, sondern Mitwirkung (mit anderem Wortgebrauch: Zusammenarbeit, Kooperation) als Handlungsweise erscheint auch an verschiedenen anderen Stellen des Gesetzbuches und betrifft dort weitere Ebenen der kirchlichen Hierarchie.5 Dieser Beitrag konzentriert sich dabei zunächst auf die Untersuchung der Mitwirkung in Hinsicht auf die dreifache Sendung und auf die Leitungsgewalt. Dabei würde eine zukünftige, weitergehende Recherche und der Vergleich der ver4
Amann, Laien als Träger von Leitungsgewalt? (Anm. 3), S. 10. Vgl. c. 208; c. 275 § 1; c. 311; c. 328; c. 356; c. 369; c. 434; c. 519; c. 529 § 2; c. 652 § 4; c. 708; c. 713 § 2; c. 759; c. 796 § 2; c. 820; c. 1274 § 4 CIC/1983; Michèle Adam Schwartz, Hat die „Gemeindeleiterin“ eine Leitungsfunktion? Rechtliche Möglichkeiten der Anwendung der cc. 129 § 2 und 517 § 2 CIC/1983, Wien 2008, S. 49. 5
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schiedenen rechtlichen Formen von „Mitwirkung“ für die Forschung noch darüberhinausgehende Ergebnisse erwarten lassen und wäre deswegen für die Forschung sehr fruchtbar.
II. Die Teilnahme der Laien in tria munera Christi 1. Eine allgemeine Teilnahme in der Sendung der Kirche „Der Begriff ,Teilhabe‘ hat im Zweiten Vatikanischen Konzil entscheidende Bedeutung erhalten. In den Konzilstexten ist von ,participatio‘, ,partem habere‘ usw. die Rede. Damit ist gleichzeitig die ,Teilhabe an der universalen Heilssendung der Kirche durch die Bezeugung und Weitergabe des Wortes Gottes, die aktive Mitfeier der Gottesdienste und Sakramente, die Ausübung der Werke der Caritas und Frömmigkeit und auch Mitwirkung am Aufbau der Kirche und Bewahrung der kirchlichen Gemeinschaft‘, sowie auch ,die Teilhabe der Priester und Diakone an der Sendung und Weihe der Bischöfe‘ gemeint. Beide Formen der Teilhabe fanden ihre Rezeption in verschiedenen Normen des geltenden Kirchenrechts.“6
Die Gläubigen, die die Priesterweihe nicht empfangen haben, haben aufgrund des sakramentalen Grundsatzes dennoch Rechte und Pflichte, über die sie in der dreifachen Sendung der Kirche auf Ihre Weise teilnehmen und mitwirken. Während sie diesen Dienst bzw. diese Tätigkeit ausüben, handeln die Laien privat, im eigenen Namen und ohne jedwede kirchliche Beauftragung. So können sie ihr Hirtenamt, Prophetenamt und Priesteramt gemäß den Gesetzen des Kodex7 auf allgemeine Weise verwirklichen. 2. Eine unmittelbare Teilnahme in der Sendung der Kirche Im neuen Gesetzbuch wurden eine Reihe von verschiedenen kirchlichen Ämtern und Diensten geschaffen, in denen die Mitwirkungsmöglichkeit durch Laien in unterschiedlichen geistlichen Handlungen und auf den verschiedenen Hierarchieebenen der Kirche zum Ausdruck kommt. a) Die unmittelbare Mitwirkung im Verkündigungsdienst der Kirche Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ermöglicht der Gesetzgeber im neuen Kodex, dass die Laien auch zur Mitarbeit mit dem Bischof und den Pries6 7
Adam Schwartz, Hat die „Gemeindeleiterin“ (Anm. 5), S. 41. Vgl. c 221; cc. 224 – 231; c. 834. § 1; c. 835. § 4 CIC/1983.
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tern bei der Ausübung des Dienstes am Wort berufen werden können.8 „Im Bereich des Lehrens hat die Mitwirkung von Laien im besonderen Dienst der Kirche eine weit verbreitete Tradition. Hierher gehört ein breitgespanntes Aufgabenfeld, das von der Katechese über den Religionsunterricht bis zur Predigt und zur wissenschaftlichen Theologie nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre reicht“.9 Der c. 759 CIC/1983 als „lex generalis“ für die laikale Teilnahme im Verkündigungsdienst stellt ihnen potentielle Mitwirkungsmöglichkeiten in Aussicht: „Die Laien sind, kraft der Taufe und der Firmung, durch ihr Wort und Beispiel christlichen Lebens Zeugen des Evangeliums, sie können auch zur Mitarbeit mit dem Bischof und den Priestern bei der Ausübung des Dienstes am Wort berufen werden“.10 Die Möglichkeit zur Predigt für Laien ist heutzutage vermutlich eine der umstrittensten Fragen im Verkündigungsdienst der kirchlichen Sendung im Zusammenhang mit der laikalen Mitwirkung.11 Schon während des Kodifikationsprozesses des neuen Kodex wurde heftig über diese Interpretation der Konzilslehre diskutiert.12 Obwohl der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen der kirchlichen Hierarchie und den Laien in Hinsicht auf die Predigt klar hatte regeln wollen („ius praedicandi“13 für den Bischof, „facultas praedicandi“14 für Priester und Diakone und „admitti possunt“ für die Laien15), tauchten trotzdem Probleme bezüglich der Interpretation des c. 767 § 1 CIC/1983 wegen des inkonsequenten Wortgebrauchs des Gesetzgebers auf.16 So stellt sich unter anderem die Frage, ob es dem Laien gestattet ist, die Homilie zu halten? Wer kann eine Zulassung für diese Tätigkeit erteilen? Im Hinblick auf die rechtliche Form der Zulassung und die Rezeption dieser Normen in verschiedenen Ländern ergeben sich Herausforderungen.17 Die Frage der Predigt von Laien sollte dabei nach der hier vertretenen Ansicht nicht in erster Linie um die grundsätzliche Zulässigkeit der Laienpredigt geführt werden, sondern es sollte vielmehr geprüft werden, ob diese Möglichkeit für den Laien auch in der Eucharistiefeier oder nur in anderem gottesdienstlichen Handeln (z. B. Taufe, Begräbnis) bestehen kann. Der Diskurs über 8
Vgl. c. 759 CIC/1983. Nelles, Vollmacht (Anm. 2), S. 318. 10 C. 759 CIC/1983. 11 Vgl. Hallermann, „…dass nur öffentlich“ (Anm. 1). 12 Giuseppe Dalla Torre, La collaborazione dei laici alle funzioni sacerdotale, profetica e regale dei ministri sacri, in: MonEccl 109 (1984), S. 140 – 165; Dominique Le Tourneau, La prédication de la parole de Dieu et la partic ipation des laïcs au ,munus docendi‘: fondements scripturaires et codification, in: IusE 2 (1990), S. 101 – 125; Enrique Parada, La posición activa de los laicos en el ejercicio del ,munus docendi‘. in: IusCan 27 (1987), S. 99 – 118. 13 Vgl. c. 763 CIC/1983. 14 Vgl. c. 764 CIC/1983. 15 Vgl. c. 766 CIC/1983. 16 Vgl. Art 3. Kleruskongregation und sieben andere Dikasterien: Instruktion über Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester, auf lateinisch: AAS 89 (1997), S. 852 – 877; John M. Huels, The act of ,admitting‘ a lay person to preach in a church or an oratory, in StCan 45 (2011), S. 443 – 484. 17 Huels, The act of ,admitting‘ (Anm. 15), S. 443 – 484. 9
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diese Frage könnte in der Zukunft fruchtbarer geführt werden, wenn sich nicht auf die Spannung zwischen den Begriffen „Predigt“ („praedicatio“) und „Homilie“ („homilia“) konzentriert wird, weil weder die Fachliteratur noch die Gesetzgebung18 den Begriff von „Homilie“ folgerichtig nutz(t)en. Vielmehr sollte man die Möglichkeit der Predigt im Rahmen der Eucharistiefeier und darüber hinaus mit Blick auf die Aspekte der liturgischen Theologie erforschen. Die Christgläubigen mit geeigneter Bildung, homiletischen Kenntnissen und der nötigen kirchlichen Zulassung in dem Verkündigungsdienst der Kirche können daher bereits im Rahmen von bestimmten Formen der Predigt in einem größeren Ausmaß zusammen mit den geweihten Klerikern am Dienst der Kirche mitwirken. Vor dem Hintergrund der zukünftigen Entwicklung, die zu befürchten stünde, wenn der Priestermangel in zahlreichen Teilkirchen fortdauernd sollte, gewinnt die Möglichkeit große Bedeutung, Laien weitergehende Befugnisse u. a. auch bei der Predigt einzuräumen, wobei diese Möglichkeit jedoch nochmals außerordentlich betrachtet werden muss. Ebenfalls ist der Mitwirkungsmöglichkeit von Laien in der missionarischeren Sendung in Bezug auf den Verkündigungsdienst in diesem Zusammenhang nachzugehen. „Weil die Mission eine Grundfunktion der christlichen Gemeinschaft ist, hat dazu die Kirche amtlich vor jeder diesbezüglichen Gesetzgebung die Pflicht und das Recht (c. 747 § 1 CIC).“19 Der c. 784 CIC/1983 schafft die Möglichkeit20, dass die Laien mit kirchlicher Beauftragung neben den Klerikern und Ordensleuten erste VerfechterInnen des Glaubens sein können.21 Außerdem können die Laien im Rahmen von missionarischen Tätigkeiten als Katechisten wirken und auf diese Weise am Verkündungsdienst der Kirche mitwirken. „Der Katechist – Mann oder Frau – ist beauftragter Helfer in der Missionsarbeit und insofern selbst Missionar mit besonders umschriebenem Aufgabenfeld“.22 Jedoch bildet die fehlende Priesterweihe die Grenze ihrer Tätigkeit im Missionsdienst und kann daher als Hindernis empfunden werden. Im Verkündigungsdienst der Kirche können der/die LaienmissionarIn allerdings mit geweihten Klerikern zusammenwirken und zusammenarbeiten23, die die Gemeinde leiten können und durch die Christus repräsentiert wird24, so dass dieses Hindernis überwunden werden kann. Julio Garcia Martin erklärte die nötigen personellen
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Vgl. Ordo baptismi parvulorum, Typis Polyglottis Vaticanis 1973, S. 137; Ordo exsequiarum, Typis Polyglottis Vaticanis 1969, S. 12 – 13, 28. 19 Nelles, Vollmacht (Anm. 2), S. 937. 20 C. 784 CIC/1983. 21 Oskar Stoffel, Das Recht der Laien in der Kirche nach dem neuen Codex, in: Moritz Amherd/Eugenio Corecco (Hrsg.), Das neue Kirchenrecht. Seine Einführung in der Schweiz. Vorträge an der Universität Fribourg, Zürich 1984, S. 78. 22 Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR III, Paderborn/München/Wien/Zürich 2007, S. 89. 23 Vgl. Natale Loda, Il rapporto di comlementarietà tra il can. 784 del CIC e il can. 589 del CCEO nell’individuazione della figura del missionario, in: IusM 5 (2011), S. 61 – 78. 24 John M. Huels, The teaching office of the catholic church. A Commentary on Book III of the Code of Canon Law, Ottawa 2017, S. 147.
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und beruflichen Eigenschaften der MissionarInnen25 und daraus kann ein möglicher Aufgabenkreis des Trägers des Missionsauftrags wie folgt umrissen werden: Glaubensverkündigung26, Darlegung der Lehre des Evangeliums, Teilnahme, Hilfe liturgischer Feiern und Vollziehung von Werken der Caritas27, Führung der Katechumenatrozess28, Mitwirken an der einzelnen liturgischen Feier des Katechumenat und an der weiteren Lehre der Neugetauften29. Man kann die oben genannte Beziehung zwischen Laien und Klerikern im seelsorgerlichen Dienst mit dem Begriff der „cooperatio“ analog zu c. 517 § 2 CIC/1983 kennzeichnen, weil die in c. 517 § 2 CIC/1983 geregelte Zusammenarbeit zwischen dem Kleriker und dem Laien als Beispiel für die Missionsgebiete dienen kann. Ebenso ist die durch Papst Franziskus mit der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium30 neugeregelte kirchliche Universitätsbildung neben dem Religionsunterricht bei der Lehrsendung der Kirche in diesem Zusammenhang besonders zu erwähnen. Der c. 229 § 3 CIC/1983 stellt in Aussicht, dass Laien „unter Beachtung der hinsichtlich den erforderlichen Eignung erlassenen Vorschriften einen Auftrag zur Lehre in theologischen Wissenschaften von der rechtmäßigen kirchlichen Autorität erhalten“ können.31 Gemäß dieser Norm haben ausgebildete Laien die Möglichkeit, wenn sie die gesamtkirchlichen und staatlichen Voraussetzungen erfüllen,32 in der theologische Hochschul- und Universitätsbildung als Lehrkräfte dieser Institute tätig zu werden. Außerdem schuf der c. 776 CIC/1983 eine Möglichkeit für Laien, insbesondere als Katecheten in den katechetischen Aufgaben der Pfarrei mitzuwirken.33 Obwohl dem Pfarrer die Sorge für die katechetische Bildung der Erwachsenen, Jugendlichen und Kinder in seiner Pfarrei obliegt34, soll er die Hilfe und Mitwirkung anderer qualifizierter Mitarbeiter wie Priestern und Gläubigen hierbei in Anspruch nehmen. Die Artikel 230 und 231 des Allgemeinen Direktoriums für die Katechese unterstreichen dabei zusätzlich den theologischen Charakter der Mitwirkungsmöglichkeiten: „Die Berufung des Laien zur Katechese entspringt dem Sakrament der Taufe und wird 25 Julio García Martín, L’azione missionaria della chiesa nella legislazione canonica, Roma 1993, S. 142 – 147. 26 Vgl. c. 786 CIC/1983. 27 Vgl. c. 785 § 1 CIC/1983. 28 Vgl. c. 788. CIC/1983. 29 Vgl. c. 789. CIC/1983. 30 Papst Franziskus, Apostolische Konstitution Veritatis Gaudium (27. Dezember 2017), in: Comm 50 (2018), S. 11 – 50 (= VApSt 211). 31 C. 229 § 3 CIC/1983. 32 Vgl. Ludger Müller, Kleriker und Laien als Professoren der Katholischen Theologie, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag, Berlin 2004, S. 232 – 249. 33 Vgl. c. 776 CIC/1983. 34 Heinz Mussinghoff/Hermann Kahler, c. 776, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: November 2000)
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durch die Firmung gestärkt, Sakramente, durch die der Laie teilhat am ,priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi‘35.“36 Mit der kirchlichen Beauftragung (vgl. missio canonica) für die Ausübung der Lehrfunktionen im Namen der katholische Kirche entsteht ein Rechtsverhältnis zwischen der Kirche und der/dem beauftragten LaienmitarbeiterIn, das man als eine unmittelbare Teilhabe bewerten kann. b) Die unmittelbare Mitwirkung im Heiligungsdienst der Kirche Der c. 230 CIC/1983 stellt eine dreifache Typologie für die Teilhabe an dem Heiligungsdienst der Kirche durch Laien auf. „Nur für männliche Laien (,viri laicus‘) sind hingegen die Dienste (,ministeria‘) des Lektors und Akolythen auf Dauer bestimmt (c. 230 § 1), die förmlich durch einen liturgischen Akt übertragen werden. […] Die zeitlich begrenzte, formlose Beauftragung eines Laien mit den Aufgaben des Lektors oder – wenngleich nur im ausdrücklichen Bedarfsfall – der Kommunionausteilung ist dagegen nicht auf männliche Laien begrenzt (c. 230 §§ 2 und 3). Die Dienste eines Kommentators und Kantors (c. 230 § 2) vermag ebenfalls jeder geeignete Laie zu erfüllen. Im ausdrücklichen Bedarfsfall können Laien auch zum Dienst am Wort, zur Leitung liturgischer Gebete und zur Spendung der Taufe herangezogen werden (c. 230 § 3 CIC; c. 403 § 2 CCEO).“37 Die durch das II. Vatikanische Konzil verfolgte Intention nach einer stärkeren, aktiven Teilhabe der Laien wurde in einer besonderen und einzigartigen Art und Weise während des Kodifikationsprozesses des CIC/1983 verwirklicht. Solange die nicht geweihten Laien an der Sendung des kirchlichen Verkündigungsdienstes teilnehmen können, wird insoweit die Liturgie selbst das primäre Umfeld des Heiligungsdienstes bilden. Daher soll sich nun der Liturgie selbst vor diesem Hintergrund näher zugewendet werden: Das Subjekt der gottesdienstlichen Handlungen – in einem breiteren theologischen Sinn – ist das ganze geheiligte Volk38, trotzdem ist der Vollzug bzw. die Leitung dieser Liturgie das Recht und Pflicht der in drei Stufen des Weihesakraments beteiligten Kleriker. So war und wird der Mangel der Ordo die wichtigste Grenze der Mitwirkung zwischen Laien und Kleriker sein und auch in Zukunft bleiben. Die weltlichen Christgläubigen können jedoch bereits dann an den liturgischen Handlungen mitwirken, wenn sie keine offiziellen liturgischen Dienste vollziehen. 35 Kongregation für die Katholische Erziehung, Religiöse Dimension der Erziehung an der katholischen Schule (7. April 1988), Nr. 68; vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Priester der Diözese Rom (5. März 1981): Insegnamenti di Giovanni Paolo II, IV1, S. 629 – 630; CD 13c; CIC 761. 36 Art. 231. in: Kongregation für den Klerus: Allgemeines Direktorium für die Katechese (17. 04. 1998). 37 Nelles, Vollmacht (Anm. 2), S. 311. 38 Vgl c. 834 CIC/1983.
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In diesem Fall nehmen sie mit ihren Gebeten und ihrer Achtung an den heiligen Handlungen „bloß“ aktiv teil („participatio actuosa“). Letztendlich geht aus dieser Form eine fruchtbare Teilnahme hervor („participatio fructuosa“). Im Licht dieser Gedankenfolge reichert die liturgische Dimension der aktiven Teilnahme diese mit einem bedeutsamen kanonistischen Inhalt an. Auf die Übernahme von liturgischen Handlungen, die in der Regel dem Priester vorbehalten sind, wurde bereits oben eingegangen. Im Umfeld der Liturgie finden sich aber nun auch solche Dienste, die die Laien nicht nur im Bedarfsfall, also stellvertretend erfüllen, sondern die sie auch dann durchführen können, wenn genügend Kleriker zur Verfügung stehen. Solche „ministeria“ können die Aufgaben des Lektors und Akolythen sowie der Vollzug anderer bestimmten Sakramentalien und Segnungen sein. Am Beispiel einiger Segnungen kann aufgezeigt werden, dass die Laien einzelne Elemente des Heiligungsdiensts in bestimmten Fällen sogar ohne die Beauftragung der Kirche mit der Hilfe der Gnade der Taufe ausüben können. In außerordentlichen Fällen dürfen die nicht zu Priestern geweihten Gläubigen das Sakrament der Taufe39 spenden und bei der Eheschließung als Trauungsassistent unter Einhaltung der vom kanonischen Gesetzgeber vorgeschriebenen Voraussetzungen mitwirken40. In Bezug auf den Heiligungsdienst kann eine neue Dimension der „cooperatio“ beobachtet werden. Die Laien können an den Aufgaben und Diensten der Kirche auf außergewöhnliche Weise durch die Erteilung einer Befugnis kraft Gesetz mitwirken, jedoch haben sie ebenso aufgrund der Gnadengabe der Taufe ebenfalls die Möglichkeit dazu, Heiligungsdienste der Kirche ausüben zu können. Dadurch, dass Mitglieder der Kirche in vielfältiger Weise durch die aufgezeigten Möglichkeiten Teilhabe an diesen Diensten der Kirche ausüben können, wird auf diesem Weg auch der Inhalt des Begriffs von „cooperatio“ erweitert. c) Die unmittelbare Mitwirkung im Leitungsdienst der Kirche Nach der großen Breite der laikalen Mitwirkungsmöglichkeiten in Verkündigungs- und Heiligungsdienst der Kirche stellen sich automatisch weitere Fragen über die Teilnahmemöglichkeit in Leitungsdienst. Die kanonistischen Bedingungen einer umstrittenen Leitungsfunktion von Laien werden einerseits durch das Beispiel des c. 517 § 2 CIC/1983 bereits im Gesetz festgeschrieben, andererseits im nun folgenden Kapitel auch in dieser Untersuchung näher thematisiert. Der erwähnte Kanon, der die Möglichkeit an der Beteiligung an den Seelsorgeaufgaben in einer Pfarrei zum Gegenstand hat, ist das Ergebnis eines längeren Ko-
39 40
Vgl. c. 861 CIC/1983. Vgl. c. 1112 CIC/1983.
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difikationsprozess41 gemäß den konziliaren Quellen42 und es gibt hierzu bereits eine reiche Forschungsliteratur.43 „Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die nicht die Priesterweihe empfangen hat an der Wahrnehmung der Seelsorgeaufgaben einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet“.44 Der so beauftragte Laie nimmt an der Betreuung der Gemeinde tatsächlich und aktiv teil und diese Personen dürfen „zusammen mit dem leitenden Priester an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben insgesamt – im Sinne der tria munera des Lehrens, Heiligens und Leitens – beteiligt werden, soweit dafür nicht die Priesterweihe erforderlich ist.“45 Das „participatio in exercitio curae pastoralis“ bedeutet in diesem Fall, dass die so beauftragten Laien manche Aufgabe des Seelsorgers gerade nicht vollziehen können. Die Beteiligung von Laien in Hinsicht auf den geprüften Kanon wurde nämlich durch eine zweifache Trennungslinie geregelt: einerseits ist das Fehlen der Priesterweihe eine ontologische Grenze der sakramentalen Handlung, andererseits wird der tatsächliche Aufgabenkreis der Gemeindereferenten/tinnen bei der bischöflichen Beauftragung bestimmt. Michael Böhnke hat bereits in seiner Untersuchung46 dargestellt, welche einzelnen Aufgaben, Rechte und Befugnisse die LaienmitarbeiterInnen anhand der dreifachen Sendung bei der Teilnahme an Aufgaben des Seelsorgers in einer Pfarrei innehaben. Außerdem kann man eine Analogie zwischen der „lex generalis“ der Lei41 Michael Böhnke, Pastoral in Gemeinden ohne Pfarrei. Interpretation von c. 517 § 2 CIC/ 1983, Essen 1994, S. 10 – 33; Reinhild Ahlers, c. 517, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: Januar 2008). 42 Vgl. LG 35; CD 30; PO 9; AA 24. 43 Adrian Loretan, Ausserordentliche Gemeindeleitung in Pfarreien ohne Pfarrer. Eine Zukunftsperspektive, in: öarr 59 (2012), S. 315 – 326; Heribert Hallermann, Pfarrei und pfarrliche Seelsorge. Ein kirchenrechtliches Handbuch für Studium und Praxis, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2004; Heribert Schmitz, „Gemeideleitung“ durch „NichtpfarrerPriester“ oder „Nichtpriester-Pfarrer“, in: AfkKR 161 (1992), S. 343 – 354; Wolfgang Beinert, Priestermangel und Pfarreienstruktur, in: Stimme der Zeit 141 (2016), S. 695 – 705; Sharon A. Euart, Parishes without a resident pastor: reflections on the provisions and conditions of canon 517, §2 and its implications, in: The Jurist 54 (1994), S. 369 – 386; Adam Schwartz, Hat die „Gemeindeleiterin“ (Anm. 5); Peter Stockmann, Außerordentliche Gemeindeleitung. Historischer Befund – Dogmatische Grundlagung – Kirchenrechtliche Analyse – Offene Postitionen, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1999; Helmuth Pree, Pfarrei ohne Pfarrer – Leitung und Recht auf Eucharistie?, in: Anzeiger für die Seelsorge 105 (1996), S. 18 – 24; Johannes Panhofer, Kanon 517/2 – der Kirchenentwicklungsparagraph. Das Kirchenrecht zwischen Beständigkeit und Weiterentwicklung, in: Konrad Breitsching/Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht – Bürge der Freiheit. Berlin 2006 (= KStT 51), S. 113 – 147; Michael Böhnke/Thomas Schüller, Zeitgemäße Nähe. Evaluation von Modellen pfarrgemeindlicher Pastoral nach c. 517 § 2 CIC (= Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 84), Würzburg 2011. 44 C. 517 § 2 CIC/1983. 45 Nelles, Vollmacht (Anm. 2), S. 692. 46 Böhnke, Pastoral in Gemeinden (Anm. 40), S. 55 – 69.
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tungsgewalt (c. 129 § 2 CIC/1983) und dem geprüften Kanon (c. 517 § 2 CIC/1983) dahingehend erkennen, dass beide Paragraphen für die Laien nicht die Ausübung der Gewalt bzw. der Rechte (Leitungsgewalt bzw. Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben) sondern die Mitwirkungsmöglichkeit bei der Ausübung dieser Aufgaben in Aussicht stellen. So zeigt die Behandlung des im c. 517 § 2 CIC/1983 aufgeführten Amts für die Laien ohne Priesterweihe an, dass die laikale Teilhabe im dreifachen Dienst gleichzeitig neben dem Kleriker und zudem in einem eigenen Amt verwirklicht werden kann.
III. Die Möglichkeiten der mittelbaren Mitwirkung in der Ausübung der Leitungsgewalt durch Laien Im Rahmen von unterschiedlichen Untersuchungen der Kanonistik im Anschluss an die Promulgation des CIC/1983 hat sich gezeigt, dass die Formulierung in c. 129 § 2 CIC/1983 keine nähere Bestimmung zur Art und Weise der Verwirklichung der laikalen Mitwirkungsmöglichkeit in der kirchlichen Gewalt beinhaltet. Zu weiteren Untersuchungen und näheren Bestimmung ist die Distinktion des c 135 § 1 CIC/1983 hilfreich: „Die Leitungsgewalt wird unterschieden in gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt“. Im anschließenden Teil dieses Beitrags werden die Teilnahmemöglichkeiten in diesen, gerade angeführten drei Bereichen der Leitungsgewalt untersucht. 1. Die mittelbare Mitwirkung in der gesetzgebenden Gewalt Gemäß des c. 135 § 2 CIC/1983 kann ein Gesetzgeber in der Kirche unterhalb der höchsten Autorität seine Legislativgewalt nicht gültig delegieren. Deswegen können die ungeweihten Christgläubigen nicht mit der gesetzgebenden Funktion der Leitungsgewalt im Wege der Beauftragung ausgestattet werden. Der amerikanischen Kanonist James H. Provost verwies jedoch auf das Rechtsinstitut der Diözesansynode und des Partikularkonzils, mit Hilfe derer die Laien zumindest eine mittelbare Teilhabe an der Gesetzgebung verwirklichen können.47 „Die Diözesansynode (cc. 460 – 468) ist eine vom Diözesanbischof einberufene und präsidierte Versammlung von Priestern und anderen Angehörigen der Teilkirche“.48 Eine Diözesansynode wird immer durch dem Diözesanbischof geleitet49 und er ist der einzige Gesetzgeber, „während die anderen Teilnehmer der Synode
47 James Provost, The Participation of the Laity in the Governance of the Church, in: StCan 17 (1983), S. 436 – 437. 48 Nelles, Vollmacht (Anm. 2), S. 622. 49 C. 462 § 2 CIC/1983.
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nur beratendes Stimmrecht haben“.50 Die Laien gehören dabei auch zum verbindlichen Teilnehmerkreis51, dazu kann der Diözesanbischof noch frei andere Teilnehmer (Kleriker, Mitglieder von Instituten des geweihten Lebens oder Laien) als Synodenmitglieder52 hinzuladen. Sie haben ebenso beratendes Stimmrecht. Ein Provinzialkonzil – ein Konzil für alle Teilkirchen ein und derselben Bischofskonferenz – hat demgegenüber eine komplexere Mitgliedschaft. „Teilnehmer am Provinzialkonzil haben entweder entscheidende oder nur beratende Stimme. In beiden Gruppen gibt es ordentliche Teilnehmer, die eingeladen werden müssen, und außerordentliche, die nach dem Willen der Mehrheit der Diözesanbischöfe (c. 433 § 6) eingeladen werden können“.53 Der c. 443 § 4 CIC/1983 ermöglicht, dass auch Priester und andere Gläubige zu den Partikularkonzilien mit beratendem Stimmrecht eingeladen werden können.54 In beiden kirchlichen Sammlungen haben die eingeladenen Gläubigen ein beratendes Stimmrecht inne, wodurch sie an den Sitzungen der Synoden teilnehmen und dort anhand des Statutes von Synode bzw. Konzil auch einen Diskussionsbeitrag leisten dürfen, so dass sie auf diesen beiden Wegen eine mittelbare Mitwirkung in der gesetzgebenden Gewalt wahrnehmen. Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle die Rolle und die Bedeutung von gut ausgebildeten Laien, die an der Vorbereitung und bei der Erarbeitung der Grundlagen für die gesetzgeberischen Aufgaben der Universalkirche oder der Teilkirchen mitwirken und deren Teilhabe an der gesetzgebenden Gewalt der Kirche auf diesem, sehr oft übersehenen Weg ein Gegenstand weiterer Untersuchungen sein könnte. 2. Die mittelbare Mitwirkung in der ausführenden Gewalt Gemäß der Forschung von Peter Platen55 und Beatrix Laukemper-Isermann56 wurden die Mitwirkungsmöglichkeiten von Laien in der „potestas exsecutivam“ in Hinblick auf die Delegation geprüft. „In begrenzter Weise können auch Laien durch den Papst oder – nach Maßgabe des von ihm erlassenen Rechts – durch die Oberhirten 50
C. 466 CIC/1983. C. 463 § 1 85 CIC/1983. 52 C. 463 § 2 CIC/1983. 53 Nelles, Vollmacht (Anm. 2), S. 583. 54 Vgl. c. 443 § 4 CIC/1983. 55 Peter Platen, Die Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt durch Laien. Rechtssystematische Überlegungen aus der Perspektive des Handelns durch andere (= BzMK 47), Essen 2007; Peter Platen, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des „Handelns durch andere“ im kanonischen Recht. Grundlage einer Teilhabe von Laien an der potestas regiminis? (= BzMK 48), Essen 2007; Platen, Die Delegation von Laien (Anm. 1), S. 197 – 208. 56 Beatrix Laukemper-Isermann, Zur Mitarbeit von Laien in der bischöflichen Verwaltung, Essen 1996. 51
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mit ausführender Vollmacht betraut werden“.57 Auf diese Weise ist es nicht nur möglich, kanonisch ausgebildete Laien zur Wahrnehmung oberhirtlicher Mitwirkungsund Aufsichtsrechte heranzuziehen, sondern ihnen auch die Ausübung der diözesanbischöflichen Dispensgewalt zu delegieren. Die Mitwirkungsmöglichkeiten können die nicht zu Priester geweihten Personen im Rahmen der Ausübung der ausführenden Gewalt in ersten Linie in der Diözesanverwaltung wahrnehmen (z. B.: Delegation der Ausübung oberhirtlicher Mitwirkungs- und Aufsichtsrechte58, Delegation der Erteilung verschiedenen Befugnisse [z. B.: Beichtbefugnis, Vollmacht zur Dispens privater Gelübden], Delegation der Erteilung eherechtlicher Verwaltungshandlungen [Dispenserteilung von Ehehindernisse, Untersuchung der Nichtigkeitserklärung wegen Formmangels sanatio in radice]). „Mit Blick auf die Ergebnisse einer rechtssystematischen Analyse der geltenden kodikarischen Bestimmungen einschließlich ihres Werdeganges ist festzuhalten, dass Dispensgewalt als eine potestas zu verstehen ist, die materiell so strukturiert ist, dass sie qua Delegation von Laien ausgeübt werden kann. Weiter kann den einschlägigen Normen kein ausdrückliches Verbot einer Delegation von Dispensgewalt an Laien entnommen werden“59 – so Platen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verwaltungskanonistik mit dem Rechtsinstitut der Delegation auf viele offene Frage aufmerksam machte, indem die Laien mit der ausführenden Funktion der Gewalt in einer mittelbaren Beziehung stehen. Ihre Mitwirkung in der Ausübung der kirchlichen Vollmacht kann in diesen Fällen nur indirekt bzw. mittelbar sein, weil sie keine ordentliche Leitungsgewalt innehaben.60 3. Die mittelbare Mitwirkung in der richterlichen Gewalt Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und mit der Hilfe des im CIC/1983 mündenden Kodifikationsprozesses und der zunehmenden Zahl der kanonistischen Fakultäten und Instituten bekamen die LaienkanonistInnen an den kirchlichen Gerichten eine bedeutsamere Rolle. Gemäß den Bestimmungen des CIC/1983 kann man die Dienstelle im Offizialat folgendermaßen gruppieren, wobei sich die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen nach dem Lebensstand der BewerberInnen für die verschiedenen Ämter richtet: für Laien nicht übertragbare/zugängliche Ämter (Offizial61, Vizeoffizial62, Einzelrichter63), für Laien nur teilweise übertragbare/zugängliche Ämter 57
Hubert Socha, c. 137, Rdnr. 11, in: MK CIC (Stand: November 1986). Platen, Die Delegation von Laien (Anm. 1), S. 204 – 205. 59 Platen, Die Delegation von Laien (Anm. 1), S. 205 – 206. 60 Vgl. c. 131 § 1 CIC/1983. 61 C. 1420 § 4. CIC/1983. 62 C. 1420 § 4. CIC/1983. 63 C. 1673 § 4. CIC/1983.
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(Kollegialrichter64, Notar in den Fällen, bei denen der gute Ruf eines Priesters beeinträchtigt werden könnte65) und für Laien frei übertragbare/zugängliche Ämter (Vernehmungsrichter66, Ehebandverteidiger67, Rechtsanwalt68, Anwalt69, Prozeßbevollmächtigten70, Notar71, Sachverständiger72). Dabei erfolgt die Übernahme der Aufgaben durch die oben genannten Mitarbeiter, was den Offizial, den Vizeoffizial und den Richter angeht, nur in einer solchen Weise, dass in ihrem Fall nur von einer indirekten Teilnahme an der Ausübung der Leitungsgewalt gesprochen werden kann. Sie tragen mit der Erfüllung ihrer Aufgaben auf mittelbare Weise zu der Urteilsfällung und der Wahrheitsfindung bei, aber sie nehmen nicht an dem konkreten rechtlichen Akt der Urteilsfällung teil. 4. Die Möglichkeiten der unmittelbaren Mitwirkung in der Ausübung der Leitungsgewalt durch Laien „Gemäß c. 1421 § 2 kann die Bischofskonferenz die Erlaubnis erteilen, daß auch Laien (Männer und Frauen) durch den Diözesanbischof als erkennende Richter bestellt [werden]. Aus ihnen kann einer bei der Bildung eines Kollegialgerichts herangezogen werden, soweit eine Notwendigkeit besteht (suadente necessitate). Das Vorliegen der Notwendigkeit auf dem Hintergrund einer Notlage (fehlende Kleriker als Richter, Sicherung des Rechts aller Gläubigen gemäß c. 221, Berücksichtigung der Verfahrensdauer nach c. 1453) ist durch den Diözesanbischof zu prüfen“.73 Diese Hauptregel wurde mit der Reform der Ehenichtigkeitsverfahren von Papst Franziskus auch in zwei bedeutsamen Punkten geändert.74 Gemäß c. 1673 § 3 MIDI kann sich einerseits die Zahl der Laienrichter in einem Kollegium auf zwei erhöhen, andererseits wurde das oben angesprochene Kriterium der Notwendigkeit aufgehoben. Durch die bisherige verfassungs- und prozessrechtlichen Forschung75 wurde das Amt des Laienrichters in der Fachliteratur eingehend untersucht. Die ausführliche 64
C. 1421 § 2; c. 1673 § 3 CIC/1983. C. 483 § 2 CIC/1983. 66 C. 1428 § 2 CIC/1983. 67 C. 1435 CIC/1983. 68 C. 1435 CIC/1983. 69 C. 1483 CIC/1983. 70 C. 1483 CIC/1983. 71 C. 483 § 2 CIC/1983. 72 Vgl. c. 1575 CIC/1983. 73 Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, Paderborn/München/Wien/Zürich 2013, S. 306. 74 MIDI c. 1673 § 3. 75 Vgl. Günter Assenmacher, Laien als kirchliche Eherichter. Die Situation in den Bistümern der Bundesrepublik Deutschland. Zur Diskussion einer Grundsatzfrage, in: Klaus Lüdicke/Heinrich Mussinghoff/Hugo Schwendenwein (Hrsg.), Iustus Iudex. Festgabe für Paul Wesemann zum 75. Geburtstag von seinen Freunden und Schülern, Essen 1990, S. 349 – 362; 65
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Untersuchung der rechtlichen Ausgestaltung des kollegialen Handelns und der Ausübung von potestas sacra76 beleuchtete deutlich die Beziehung der als Richter ernannten Laien und der Leitungsvollmacht. „Der Gesetzgeber weist also in den Canones über die kollegiale Ausübung von sacra potestas im Richterkollegium das Procedere an“.77 Jedoch blieb das genaue Verhältnis zwischen dem kollegialen Handeln bei der Urteilsfindung und der „conclusio“ der einzelnen Richter im Hinblick auf die richterliche Gewalt bislang unklar. „Die zur Gültigkeit notwendige Anwesenheitspflicht aller Richter des Kollegiums, die Nicht-Delegierbarkeit richterlicher Vollmacht bei der Urteilsfällung und die Unterzeichnungspflicht aller Richter verweisen nicht nur auf eine strenge Handhabung kollegialen Vorgehens im Richterkollegium, sondern auch darauf, dass die potestas iudicialis jedes einzelnen Richters die potestas des Kollegiums trägt. Die Vollmacht des Kollegiums ist nicht von der der Richter abstrahierbar“.78 Anhand dieser Folgerung kann man die These aufstellen, dass das Amt der Laienrichter eine unmittelbare Mitwirkung in der Ausübung der Leitungsgewalt darstellt. Der Verfasser dieses Beitrags spricht sich daher dafür aus, dass diese „unmittelbare Mitwirkung“ als „tatsächliche Ausübung der Leitungsgewalt“ bezeichnet werden kann, obwohl eine gültige Urteilsfindung durch ein solches Kollegium, in dem zwei Laien als Richter tätig sind, nicht möglich wäre.
IV. Zusammenfassung Die Laien haben durch die Sakramente der Taufe und Firmung an der von Christus der Kirche anvertrauten dreifachen Sendung auf ihre Weise teil. Deswegen können sie meiner Ansicht nach ihre Mitwirkung im Verhältnis des Dreifachen Amtes Christi und der Leitungsgewalt in vier Stufen verwirklichen: auf allgemeine und unmittelbare Weise und auf mittelbare und unmittelbare Weise. Handlungen werden dann als allgemein bezeichnet, wenn die Laien ihre Sendung vom Sakrament der Taufe eigenständig, ohne irgendeine offizielle kirchliche Zulassung, in eigenem Namen, als Zeichen ihres Glaubens in der Welt ausüben. Diese theologische Realität wird im Glauben und in der Familie lebendig sein sowie auch oft im Rahmen einer missionarischen Tätigkeit gelebt werden.
Jean Beyer, Iudex laicus vir vel mulier, in: PerRMCL 75 (1986), S. 29 – 60; Peter Frattin, Lay judges in ecclesiastical tribunals, in: The Jurist 28 (1968), S. 178 – 182; Elizabet McDonough, Laity and the Inner Working of the Chruch, in: The Jurist 47 (1987), S. 228 – 245; James H. Provost, The Participation of the Laity in the Governance of the Church, in: StCan 17 (1983), S. 417 – 448; Linda Robitaille, Collaboration and cooperation between the clergy and the laity in the parish, tribunal and chancery, in: PerRCan 89 (2000), S. 593 – 633. 76 Thomas A. Amann, Die Ausübung der sacra potestas im kirchlichen Richterkollegium, in: De Processibus Matrimonialibus 10 (2003), S. 99 – 118. 77 Thomas A. Amann, Die Ausübung der sacra potestas (Anm. 76), S. 115. 78 Thomas A. Amann, Die Ausübung der sacra potestas (Anm. 76), S. 117.
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Die Mitwirkung im Dreifachen Amt Christi ist nach der hier vertretenen Auffassung als mittelbar zu bezeichnen, wenn Laien eine Beauftragung durch die kirchlichen Behörden innehaben, wobei der Laie seine Aufgabe im Namen der Kirche in diesen Fällen sogar in immens bedeutsamen Kernbereichen wie dem Verkündigungs-, Heiligungs- und Leitungsdienst der Kirche erfüllen kann. Zudem können die Laien solche kirchlichen Ämter erfüllen, indem sie in gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Funktionen der Leitungsgewalt tätig werden. In diesen Aufgaben üben sie im engeren Sinne keine kirchliche Vollmacht aus, sondern sie wirken mit den geweihten Amtsträgern mit der Hilfe der Delegation, des beratenden Stimmrechts oder sogar nur in gewissenhafter Erfüllung ihres Amtes mit. In diesem Fällen verwirklichen sie deswegen eine mittelbare Teilhabe an der Leitungsgewalt. Zum Schluss führen die Christgläubigen ihre kanonische und theologische Sendung unmittelbar durch, wenn sie die notwendige Leitungsgewalt mit der Zulassung des zuständigen kirchlichen Amtes innehaben. Ein Beispiel dafür ist das Amt des Laienrichters (c. 1421 § 2; c. 1673 § 3 CIC/1983). Diese prozessrechtliche Aufgabe beleuchtet die Konsequenz der oben genannten Gedankenfolge im Hinblick auf das Dreifache Amt Christi und auf die kirchliche Leitungsgewalt. Einerseits ist der Begriff von der Mitwirkung („cooperatio“) als der Verwirklichung der tria munera Christi zutreffend und geeignet, andererseits erweist sich dieser Begriff der „cooperatio“ im Hinblick auf die Leitungsgewalt als zu eng, weil mit seiner Hilfe die große Vielfalt der Mitwirkungsmöglichkeiten nicht ausreichend differenziert gefasst werden kann. Daher wird abschließend hier die Ansicht vertreten, dass die Lösungsmöglichkeiten für die aufgeworfenen Fragen über die Natur und Struktur der kirchlichen Gewalt im Spannungsverhältnis zur Teilhabe und Teilnahme der Laien eher im theologischen als im kanonistischen Bereich zu suchen sind. Die Vertiefung der ekklesiologischen Kenntnisse und die offene Gegenüberstellung mit der geschichtlichen Tradition der Kirche sind nützlich für die endgültige Bestimmung des Verhältnisses zwischen der geistlichen Gewalt und der Weihe.
Die Synode 72 als schweizerisches Modell der Synodalität Von Adrian Loretan In der Westkirche haben die Synoden nicht jene prägende Bedeutung wie in der Ostkirche, von der sich Papst Johannes XXIII.1 in seinen neunzehn Jahren in Bulgarien und Konstantinopel (bzw. Istanbul) für seine Erneuerung der Synodalität inspirieren lässt. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass auch in der lateinischen Westkirche bis in die Neuzeit eine teilweise lebendige synodale Praxis besteht.2 Das Decretum Gratiani empfiehlt dem Diözesanbischof, eine jährliche Diözesansynode abzuhalten (D. 18, c. 16). Auch das Konzil von Trient verlangt jährlich eine Diözesansynode. Der CIC/1917 wird wie folgt interpretiert: Eine Diözesansynode ist „eine vom Bischof einberufene und präsidierte Versammlung von Vertretern des Diözesanklerus. Wenigstens alle zehn Jahre ist eine Diözesansynode zu veranstalten. […] Die Geistlichen haben kein Selbstversammlungsrecht; allein der Bischof beruft und leitet die Synode.“3 Der Begriff „synodos“ kommt, wie viele kirchliche Begriffe, aus der griechischen Rechtssprache und meint dort eine politische Körperschaft, der die Wahl und Abwahl der leitenden Beamten zukam. Darüber hinaus hatten diese Synoden auch eine kultische Seite.4 „Synodos“ bedeutet aber auch Weggenosse, jemand, der den gleichen Weg zu gehen hat. Dieser Begriff schien den Christen geeignet, um jene Versammlung zu bezeichnen, in der die Glaubenden auf den Tag warten, an dem Gott sich ihnen endgültig offenbart. „Darum nennen die Apostolischen Konstitutionen (aus 1 Fridolin Wechsler, „Heiterkeit, die von Gott kommt“. Johannes XXIII., 1881 – 1963, in: Ders., Menschen von Gottes Farbe, Luzern 2015, S. 92 – 111, dort S. 105: „Mit den zehn Jahren in Bulgarien sollte Roncallis Aufenthalt im Orient noch nicht zu Ende sein. Es folgten ihnen noch weitere neun Jahre in der Türkei.“ 2 Vgl. Klaus Mörsdorf, Das synodale Element der Kirchenverfassung im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Remigius Bäumer/Heimo Dolch (Hrsg.), Volk Gottes. Zum Kirchenverständnis der katholischen, evangelischen und anglikanischen Theologie. Festgabe für Josef Höfer, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1967, S. 568 – 584, hier S. 568. Vgl. Eugenio Corecco, Die synodale Aktivität im Aufbau der katholischen Kirche der Vereinigten Staaten von Amerika, in: AfkKR 137 (1968), S. 38 – 94, hier S. 44 – 46. 3 Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht, Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, 1. Bd.: Einleitende Grundfragen und Allgemeine Normen, Paderborn 1991, S. 424 – 425. 4 Vgl. Johannes Neumann, Synodales Prinzip. Der grössere Spielraum im Kirchenrecht (= Kirche im Gespräch), Freiburg i. Br. 1973, S. 14.
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dem 4. Jahrhundert) auch die gewöhnliche gottesdienstliche Versammlung der Gemeinde „synodos“ (V 20).“5 Die durch das Zweite Vatikanische Konzil wieder belebte synodale Rechtstradition ist damit keineswegs eine opportunistische Anpassung an den Zeitgeist. „Gewiss ist die Kirche keine Demokratie, wohl aber können demokratische Elemente in das Leben der Kirche aufgenommen werden, die eine analoge Nähe zwischen Demokratie und Kirche nahelegen (vgl. auch LG 1, 10, 12, 32). Dabei gibt es durchaus auch schon historische Zusammenhänge zwischen der konkreten rechtlichen Praxis z. B. der Ordensgemeinschaften (Mehrheitsvoten, Zweidrittelquorum, geheime Abstimmung, Wahlbevollmächtigung, geheimes Mandat, Vielzahl der Wahlvorgänge), aber auch der mittelalterlichen Statuten der Domkapitel usw. und der geschichtlichen Ausbildung von ,Demokratie‘. So wurden Teilhabe (Partizipation) und Mitwirkung zu den antreibenden Motoren einer neuen Schaffung synodaler Strukturen“6, so Karl Kardinal Lehmann. Auch der Konzilstheologe Joseph Ratzinger denkt 1970 über Möglichkeiten und Grenzen der Demokratie in der Kirche nach.7 Er wird von katholischen Medienschaffenden in der Vorbereitung der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik eingeladen. Diese beschäftigen sich bei ihrem Treffen mit dem Thema „Demokratisierung der Kirche“. Kardinal Ratzinger veröffentlicht diese Überlegungen dreißig Jahre später nochmals in mehreren Auflagen. Trotzdem wird er zum Papst gewählt.
I. Die Ankündigung der Synode 72 Die Wiederbelebung der Synodalität in den schweizerischen Diözesen beginnt nach dem Konzil in der so genannten „Synode 72“. Diese steht von Anfang an im Kontext der Konzilsrezeption. Zehn Jahre nach der Konzilsankündigung8 wird
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Neumann, Prinzip (Anm. 4), S. 14. Karl Kardinal Lehmann, Die Theologie des Bischofsamtes nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und ihre Bedeutung für synodale Prozesse, in: Joachim Schmiedl/Robert Walz (Hrsg.), Die Kirchenbilder der Synoden. Zur Umsetzung konziliarer Ekklesiologie in teilkirchlichen Strukturen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 3), Freiburg i. Br. 2015, S. 11 – 34, hier S. 33. 7 Joseph Ratzinger/Hans Maier, Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen (= Topos-plus-Taschenbücher 348), Limburg 2000. Nach der Erstausgabe 1970 erschienen 1971 „eine spanische sowie italienische und 1973 eine französische Ausgabe, eine englische und portugiesische folgten.“ Gerhard Hartmann, Habeant Fata sua libelli – Ein Nachwort des Verlages, in: a. a. O., S. 100 – 104, hier S. 101. 8 Johannes XXIII. kündigt am 25. Januar 1959 in der Basilika St. Paul vor den Mauern ein Konzil zusammen mit einer Diözesansynode und dem „Aggiornamento“ des Codex von 1917 an. Vgl. Johannes XXIII., Sollemnis Allocutio vom 25. Januar 1959, in: AAS 51 (1959), S. 65 – 69. 6
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1969 von der Schweizerischen Bischofskonferenz beschlossen, koordinierte Diözesansynoden durchzuführen,9 die von 1972 – 1975 dauern sollten. Als erster spricht Bischof Johannes Vonderach auf einer Konzilsfeier in seiner Kathedrale von einer zu planenden Diözesansynode (22. Mai 1966), „die als Grundlage die Instruktionen des Konzils nehmen wird“10. Die Reaktion auf die bischöfliche Ankündigung ist vorerst enttäuschend klein. Die Initiative von oben greifen nur drei Bischofsvikare auf. Alois Sustar (Chur), Ivo Fürer (St. Gallen) und Otto Wüst (Basel) schlagen ihren Bischöfen vor, eine Synode der Bistümer der deutschsprachigen Schweiz durchzuführen. Nach dem Einverständnis der drei deutschsprachigen Bischöfe äußern auch die Bischöfe der lateinischen Schweiz (der französischsprachigen und italienischsprachigen Landesteile) ihr Interesse an einer Synode. So kann die Schweizerische Bischofskonferenz beschließen, diözesane Synoden durchzuführen, die gesamtschweizerisch koordiniert werden. Der Beginn wird auf das Jahr 1972 festgelegt, weshalb sich als Bezeichnung „Synode 72“ durchsetzt. Mit Synode 72 werden also die nachkonziliaren Diözesansynoden der sechs Schweizer Bistümer und der Territorialabtei St-Maurice bezeichnet, die sowohl in Bezug auf die Termine als auch auf die Tagesordnungen eng aufeinander abgestimmt sind. Eine Nationalsynode ist die Synode 72 also nicht, sondern die zeitgleiche Diskussion derselben Themen in Diözesansynoden. Dieses Procedere führt zu Beschlüssen von unterschiedlichem Rechtscharakter: Einerseits gibt es Beschlüsse der Diözesansynoden, die durch die Approbation des jeweiligen Bischofs rechtskräftig werden. Andererseits „finden nebst den Synodenberatungen in den einzelnen Diözesen zwecks Erreichung gemeinsamer Lösungen auch solche auf überdiözesaner Ebene statt. Gemeinsame Lösungen können sich für alle schweizerischen Diözesen, für einzelne von ihnen oder für einzelne schweizerische Gebiete, insbesondere Sprachgebiete, aufdrängen.“11 Die auf überdiözesaner Ebene verabschiedeten Rechtstexte werden genau wie die der Diözesansynode durch jeden Bischof einzeln in Kraft gesetzt oder sie haben den Charakter von Empfehlungen zuhanden der Bischofskonferenz. „Von vornherein verzichtete man darauf, die Texte integral der Römischen Kurie zur Genehmigung zu unterbreiten.“12 Der Präsident der gesamtschweizerischen Synode, Bischofsvikar Ivo Fürer, informiert die zuständigen Behörden in Rom in der Halbzeit, Anfang 1974. Ihm wird „vor-
9 Vgl. Alois Sustar, Diözesansynoden – Der wichtigste Beschluss der Schweizerischen Bischofskonferenz, in: SKZ 12 (1969), S. 165. 10 Folia officiosa pro venerabili clero dioecesis Curiensis 72 (1966), S. 92. 11 Elisabeth Hangartner-Everts, Synode 72. Vom II. Vatikanischen Konzil zur Vorbereitung und rechtlichen Ausgestaltung der Synode 72, Luzern 1978, S. 132; vgl. auch das Schema der interdiözesanen Zusammenarbeit ebd., S. 133. 12 Markus Ries, Auf der Suche nach Ausgleich. Die Schweizer Synode 72, in: Joachim Schmiedl (Hrsg.), Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Rechtliche Grundlagen und öffentliche Meinung (= ThB XXXV), Freiburg (Schweiz) 2013, S. 101 – 115, hier S. 105.
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gehalten, dass das Synodenstatut von Rom hätte genehmigt werden müssen“13. Dennoch werden die drei führenden Köpfe der Synode 72 nachmalige Bischöfe von St. Gallen (Ivo Fürer), von Basel (Otto Wüst) und des Erzbistums Ljubljana (Alois Sustar).
II. Der politische Kontext der Synode 72 Ein Mitglied der Regierung, Bundesrat Ludwig von Moos, nimmt in seiner Rede anlässlich der Churer Konzilsfeier Bezug auf die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit. „Allen war klar, dass er dabei die konfessionellen Ausnahmeartikel (Jesuitenverbot14 und Verbot, neue Klöster zu gründen) ins Visier nahm, die endlich 1973 – während der Synode – in einer Volksabstimmung von Volk und Ständen ersatzlos gestrichen wurden.“15 Doch die Aufhebung dieser die Katholiken diskriminierenden Artikel wäre wohl nicht möglich gewesen ohne das Frauenstimmrecht, wie Josef Bruhin SJ16 immer wieder betont. Ein Jahr vor der Synode 72, im Jahr 1971, wird in einer Volksabstimmung das Frauenstimm- und wahlrecht auf Bundesebene eingeführt, nachdem es 1959 noch abgelehnt worden war. Dies ermöglicht dann die Streichung der katholischen Ausnahmeartikel, allerdings nur knapp.17 Damit sind die Frauen auch in den katholischen staatskirchenrechtlichen Kirchgemeinden und landeskirchlichen Körperschaften gleichberechtigt. Warum dies in den kirchenrechtlichen Amts-Strukturen nicht gelten soll, wird schon in der Synode 72 begründungspflichtig, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird.18
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Albert Gasser, Das Kirchenvolk redet mit. Die Synode 72 in der Diözese Chur, Zürich 2005, S. 27. C. 362 CIC/1917 wird von Heribert Jone anders interpretiert. „Es ist auch keine Approbation von seiten (sic) des Apostolischen Stuhles nötig. Die Konsistorialkongregation sieht es aber sehr gerne, wenn mit dem Berichte über den Stand der Diözese (vgl. Kan. 340) auch ein Exemplar der Synodalbeschlüsse eingesandt wird. Eine ausdrückliche Approbation wird aber auch in diesem Falle nicht erteilt.“ Heribert Jone, Gesetzbuch des kanonischen Rechtes. Erklärung der Kanones, I. Band Normenrecht und Personenrecht (Kan. 1 – Kan. 725), Paderborn 1939, S. 295. 14 Vgl. Adrian Loretan, Der Jesuitenartikel in den Schweizer Bundesverfassungen von 1848 und 1874 – Ein rechtshistorischer Beitrag, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering (Hrsg.), Ius quia iustum. Festschrift für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag (= KStT 65), Berlin 2015, S. 1137 – 1150. 15 Gasser, Kirchenvolk (Anm. 13), S. 24. 16 Vgl. Joseph Bruhin, Die beiden Vatikanischen Konzile und das Staatskirchenrecht der Schweizerischen Bundesverfassung. Theologische Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Staat (= FVKS 17), Freiburg Schweiz 1975. 17 Der Film „Göttliche Ordnung“, der den Kampf für das Frauenstimmrecht in der Schweiz in die Kinos brachte, wurde dort zum meist besuchten Film des Jahres 2017. 18 Vgl. Denise Buser/Adrian Loretan, Gleichstellung der Geschlechter und die Kirchen. Ein Beitrag zur menschenrechtlichen und ökumenischen Diskussion (= FVRR 3), Freiburg Schweiz 1999.
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Die Mehrsprachigkeit (deutsch, französisch und italienisch) wird bei der Berichterstattung der Synode 72 zu einem besonderen Problem. Bei der Synodensitzung zum Thema „Mitverantwortung des Christen für die Mission, die Dritte Welt und den Frieden“ werden auch Fragen zur militärischen Landesverteidigung diskutiert. „Dem sicherheitspolitisch realistischen Ausgleichstext setzen die Delegierten der lateinischen Schweiz einen prophetischen Text entgegen, wonach die Christen und die Menschen guten Willens ermutigt werden sollen, jetzt schon darauf hin zu arbeiten, dass das Land einmal in der Lage sein werde, auf die bewaffnete Verteidigung zu verzichten.“19 Eine verkürzende deutsche Übersetzung interpretiert dieses Anliegen als Abschaffung der Armee. Die Bischofskonferenz sieht sich zu einer mäßigenden Erklärung genötigt. Die Bischöfe „wenden sich gegen jeden Versuch, zwischen den Bischöfen und der Synode einen Gegensatz zu konstruieren“20. Diese deutliche Stellungnahme der Bischöfe für die Synodalen des Volkes Gottes lässt aus heutiger Sicht aufhorchen.
III. Die Entwicklung ortskirchlicher Ämter durch die Synode 72 Vom Konzil angeregt, wollen Laien Theologie studieren.21 Das Motuproprio „Ministeria quaedam“ von Papst Paul VI. vom 15. August 1972 ermutigt die Bischofskonferenzen, in Rom die Anerkennung weiterer ortskirchlicher Dienstämter zu beantragen: „Es steht nichts im Wege, dass die Bischofskonferenzen ausser den in der lateinischen Kirche allen gemeinsamen Diensten noch andere vom Apostolischen Stuhl erbitten, deren Einführung sie in ihrem Land aus besonderen Gründen für notwendig oder sehr nützlich erachten.“22 Dies wird in der Schweiz rasch umgesetzt. „Noch bevor die Bistümer Basel, Chur, St. Gallen 1972 die ersten ,Richtlinien für die Anstellung von Laientheologen‘ erlassen konnten, nahmen die ersten Laientheologen ihre Arbeit als Seelsorger in Pfarreien auf.“23 Diesen Vorgang, auch Laien kirchliche Ämter zur übertragen, kommentiert Papst Johannes Paul II. im Dom zu 19 Rolf Weibel, Beteiligung der Öffentlichkeit an der Synode 72 (I), in: SKZ 180 (2012), S. 620 – 627, hier S. 627. 20 KIPA, 143. Schweizerische Bischofskonferenz: 4. – 6. März 1974 in St. Gallen, in: SKZ 142 (1974), S. 186. 21 GS 62: „Es ist sogar wünschenswert, dass einer großen Zahl von Laien eine hinreichende Bildung in der Theologie vermittelt werde und recht viele von ihnen die Theologie auch zum Hauptstudium machen und selber weiter fördern.“ 22 MP MinQ, lateinisch und deutsch, in: Kleriker- und Weiherecht. Sammlung neuer Erlasse. Lateinisch – deutsch. Von den deutschen Bischöfen approbierte Übersetzung. Eingeleitet und kommentiert von Heribert Schmitz (= NKD 38), Trier 1974, S. 24 – 39, hier S. 29. Vgl. Adrian Loretan, Laien im pastoralen Dienst. Ein Amt in der kirchlichen Gesetzgebung: Pastoralassistent/-assistentin – Pastoralreferent/-referentin (= PThD 9), Freiburg Schweiz 2 1997, S. 214 – 280. 23 Weibel, Beteiligung (Anm. 19), S. 620.
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Fulda 1980 wie folgt: „Euer Dienst hat unter allen Laiendiensten einen besonderen Rang; denn er hilft beim Aufbau der Gemeinden, bei der Bezeugung des Evangeliums in den verschiedenen Gruppen der Gemeinde und in den verschiedenen Lebenssituationen, bei der Hinführung der Fernstehenden zur Kirche, bei der Formung ehrenamtlicher Mitarbeiter. Der Aufbruch im Engagement der Laien für den Heilsdienst an anderen Menschen straft alle Pessimisten Lügen. Wie viele junge Leute sind doch bereit, diesen Dienst anzutreten! Niemand, der das bedenkt, sollte behaupten, das Evangelium hätte seine Anziehungskraft verloren.“24 Laien werden kirchliche Ämter übertragen.25 Die Amtsdefinition des von Papst Johannes Paul II. promulgierten CIC/1983 schließt Laien – Frauen und Männer – nicht aus (cc. 145, 228 CIC/1983), sofern für die Ausübung des Kirchenamtes nicht die Weihe nötig ist. Der kanonische Amtsbegriff (cc. 145, 228 CIC/1983) setzt im Unterschied zum dogmatischen Amtsbegriff die Weihe nicht voraus. Die lateinischen Amtsbegriffe „munus“, „ministerium“ und „officium ecclesiasticum“ werden von Papst Johannes Paul II. auch auf Laien im kirchlichen Dienst angewandt.26 Die Synode 72 möchte diese nichtgeweihten Personen, die kirchliche Ämter übernehmen, zusätzlich im Kontext des sich anbahnenden Priestermangels einsetzen. „Wo kein ordinierter Amtsträger zur Verfügung steht, oder wo es aus anderen Gründen für angezeigt erscheint, soll an dessen Stelle ein Laie (Mann oder Frau) die Gemeindeleitung übernehmen. Dieser Gemeindeleiter steht einem Seelsorgeteam vor. Diesem Team gehört ein ordinierter Priester an, der aber nur bestimmte (in der jeweiligen Situation zu umschreibende) Aufgaben übernimmt, die sich jedoch nicht nur auf die Sakramentenspendung beschränken sollen.“27 Diese Kompromissformel der Synode 72 lässt rechtlich viel offen, wie die spätere universalkirchliche Normierung in c. 517 § 2 CIC/1983.28 Manfred Belok „staunt vor allem über die Offenheit und Unbefangenheit, mit der sich die Frauen und Männer der Synode […] dem Thema ohne jedes Denkverbot 24 Johannes Paul II., Ansprache an die Laien im kirchlichen Dienst im Dom zu Fulda am 18. November 1980, in: Sekretariat der DBK (Hrsg.), Papst Johannes Paul II. in Deutschland (15. – 19. November 1980) (= VApSt 25 A), Bonn 1980, S. 136 – 144, hier S. 143. 25 Vgl. LG 33; PO 20; AA 24; c. 228 CIC/1983. Vgl. ausführliches Konzilsregister in: Loretan, Laien (Anm. 22). 26 Johannes Paul II., Christifideles laici 23: „Varia ministeria, officia et munera, quae christifideles possunt legitime sustinere in liturgia, in fidei transmissione et in structuris pastoralibus Ecclesiae, exercenda erunt ratione quadam cum eorum specifica vocatione laicali concordi, quae alia erit ab illa sacrorum ministeria propria.“ Dieser Textabschnitt aus der lateinischen Fassung (in: AAS 81 (1989), S. 432) fehlt in der deutschsprachigen Übersetzung, die vom Sekretariat der DBK herausgegeben wurde. 27 Sachkommission 3, 5.7: Pastorelle Zielsetzungen für die gegenwärtige Lage der Diözese Chur (III, S. 37 – 39, hier: 5.7.5, III., S. 38). 28 Vgl. Adrian Loretan, Die Zukunft der Gemeinden. Perspektiven aus can. 517 § 2, in: Michael Böhnke/Thomas Schüller (Hrsg.), Gemeindeleitung durch Laien? Internationale Erfahrungen und Erkenntnisse, Regensburg 2011, S. 125 – 151.
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stellten. Dieser helvetische und zutiefst christliche Freimut beeindruckt und überzeugt noch heute.“29 Belok fühlt sich30 an das mutige Wort der Kirchenlehrerin Theresa von Ávila (1515 – 1582) erinnert: „Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Gutem begabte Geister zurückstösst, nur weil es sich um Frauen handelt.“31 Papst Franziskus zeigt auf: „Es gibt kirchliche Strukturen, die eine Dynamik der Evangelisierung beeinträchtigen können.“32 Und er fährt fort: „Die Reform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden.“33 Der Papst verlangt Unterscheidungsvermögen. Haben wir keine Angst, auch tief in der Geschichte verwurzelte Bräuche „zu revidieren! In gleicher Weise gibt es kirchliche Normen oder Vorschriften, die zu anderen Zeiten sehr wirksam gewesen sein mögen, aber nicht mehr die gleiche erzieherische Kraft als Richtlinien des Lebens besitzen. Der heilige Thomas von Aquin betonte, dass die Vorschriften, die dem Volk Gottes von Christus und den Aposteln gegeben wurden, ,ganz wenige‘ sind.“34 Paulus erinnert ausdrücklich: „Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn.“ (1 Kor 7,25) In dieser rein disziplinarischen Frage der Personalrekrutierung, in der der Missionar Paulus sich sehr breit auf Frauen und Verheiratete abgestützt hat (Röm 16), sollte nicht gewartet werden, bis alle Ortskirchen übereinstimmen. Papst Franziskus betont „die Notwendigkeit, in einer heilsamen ,Dezentralisierung‘ voranzuschreiten“35. Das Konzil hat diesen Weg der Dezentralisierung auch bei der Einführung des Diakonats für „viri probati“ vorgeschlagen. „Den zuständigen verschiedenartigen territorialen Bischofskonferenzen kommt mit Billigung des Papstes die Entscheidung zu, ob und wo es für die Seelsorge angebracht ist, derartige Diakone zu bestellen. Mit Zustimmung des Bischofs von Rom wird dieser Diakonat auch verheirateten Männern reiferen Alters erteilt werden können.“36 Die von der Synode 72 eingeführten Ämter können – wie Papst Franziskus betont – nur auf diese dezentrale Weise weiter entwickelt werden.
29 Manfred Belok, Die Synode 72 Schweiz: Das kirchliche Dienstamt und die Anfänge zweier ,Laien‘-Ämter, in: Joachim Schmiedl/Robert Walz (Hrsg.), Die Kirchenbilder der Synoden. Zur Umsetzung konziliarer Ekklesiologie in teilkirchlichen Strukturen, Freiburg i. Br. 2015, S. 138 – 164, hier S. 138. 30 Vgl. Belok, Synode 72 (Anm. 29), S. 162. 31 Teresa von Avila: Camino de Perfección, Manuskript Escorial, 4,1; hier deutsch zitiert nach: Theresia von Avila: „Ich bin ein Weib – und obendrein kein gutes“. Ein Porträt der Heiligen in ihren Texten. Ausgew., übers. u. eingel., hrsg. v. Erica Lorenz, Freiburg i. Br. 1982, S. 34. 32 Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium vom 24. November 2013, 26. Deutsch hrsg. v. Sekretariat der DBK (= VApSt 194), Bonn 2013. 33 Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (Anm. 32), 27. 34 Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (Anm. 32), 43. 35 Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (Anm. 32), 16. 36 LG 29.
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Seit der Synode 72 werden die Zulassungskriterien zu den geweihten Ämtern diskutiert. Papst Franziskus hat angeregt, über die Zulassung von bewährten Männern („viri probati“) nachzudenken. „Was bedeutet das? Welche Situationen könnten das sein? […] Es braucht eine breitere theologische Diskussion. Ich bin froh, dass das in Gang gekommen ist. Ich habe keine Angst davor. Aber das muss bitte auch im Respekt vor denen geschehen, die vor Jahren eine Entscheidung zum Zölibat gefällt haben. […] Aber der Papst hat natürlich Recht: Wir sollten darüber sprechen.“37 Diese Diskussion wird in den Ortskirchen der Schweiz seit der Synode 72 geführt. Dabei hat es sich gezeigt: „Nicht der Zugang von Frauen [und verheirateten Männern] zu den kirchlichen Diensten und Ämtern ist begründungspflichtig, sondern deren Ausschluss“, wie später die Osnabrücker Thesen formulieren werden.38 Bischöfe und Priester aus der anglikanischen Tradition, die zur römisch-katholischen Kirche konvertieren, müssen die Zölibatsverpflichtung nicht übernehmen.39 Es ist angesichts dieser Praxis „nicht nachvollziehbar, warum die gleiche kirchenpolitische Flexibilität nicht in der eigenen Kirche zum Tragen kommen kann. […] Das Paradoxe an dieser Entwicklung ist: Es gibt derzeit eine positive Wiederentdeckung von Seelsorge im Sinne des ,face to face‘-Kontaktes, von Seelsorge ,mit Namen und Gesicht‘. Zugleich aber werden mit ,XXL-Pfarreien‘ Strukturen geschaffen, die eine solche Seelsorge geradezu verunmöglichen und so manche Hirten zu Personalmanagern mutieren lassen, die um ihr eigenes Überleben kämpfen.“40 Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Auswertung der Briefe bei der Vorbereitung zur Synode 72 an den Bischof von Chur schon damals ergeben hat: „Mit 15 % am häufigsten genannt wird das Thema ,Zölibat‘.“41 37 Stefan Orth/Volker Resing, Ein Gespräch mit dem DBK-Vorsitzenden Kardinal Reinhard Marx, „Gott denkt grösser“, in: HK 72, 1 (2018), S. 17 – 21, hier S. 21. 38 Vgl. Dritte Osnabrücker Thesen zu Frauen in kirchlichen Ämtern vom Dienstag, 12. Dezember 2017, online unter: http://www.zdk.de/veroeffentlichungen/reden-und-beitraege/ detail/OSNABRUeCKER-THESEN-402x/ (eingesehen am 13. 12. 2017). Mit Bischof FranzJosef Bode, Bischof von Osnabrück und stellvertretendem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, stellt sich ein gewichtiger Vertreter der Hierarchie, der an der Tagung teilgenommen hat, hinter die Anliegen der Konferenz. Auch die Führung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken unterstützt die Osnabrücker Thesen. 39 Vgl. Benedikt XVI., Apostolische Konstitution „Anglicanorum coetibus“ vom 4. November 2009, 4 § 1 – 2, online unter: https://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/de/apost_consti tutions/documents/hf_ben-xvi_apc_20091104_anglicanorum-coetibus.html (eingesehen am 3. 5. 2018). Vgl. auch die Erklärung der Glaubenskongregation, in: ORdt, Nr. 15, 10. April 1981, S. 3: „Der Hl. Stuhl hat klargestellt, dass die Aufnahme der verheirateten, ehemals anglikanischen Geistlichen in die katholische Priesterschaft als Ausnahme von der Regel des Zölibats zugunsten dieser Einzelpersonen gedacht ist und nicht so verstanden werden darf, als ob sie eine Änderung in der Überzeugung der Kirche vom Wert des priesterlichen Zölibats beinhalte, der für künftige Priesteramtskandidaten auch aus dieser Gruppe die Regel bleibt“. 40 Belok, Synode 72 (Anm. 29), S. 163. 41 Rolf Weibel, Synode 72. Themenfindung und Beteiligung der Öffentlichkeit, in: Joachim Schmiedl (Hrsg.), Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Rechtliche Grundlagen und öffentliche Meinung (= ThB XXXV), Freiburg (Schweiz) 2013, S. 236 – 257, hier S. 247. Vgl. die Lizenziatsarbeit an der Theologischen Hochschule Chur von Heribert von
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Der Kommissionsbericht der Synode 72 der Diözese Basel, der von der Synode zur Kenntnis genommen und zur Veröffentlichung freigegeben wird, formuliert unter dem Titel: „3.6.5. Priesterweihe für Frauen“: „Zahlreich sind die Frauen, die einen kirchlichen Dienst ausüben. Zur Zeit ist ihnen die Türe zur Weihe verschlossen. Die Texte der frühen Kirche weisen darauf hin, dass damals Frauen zu einem diakonalen Dienst geweiht wurden. Doch ist es eine feststehende Tradition in der Geschichte der Kirche, dass sie nicht zum Priester geweiht werden. Heute stellt sich die Frage, wo die Gründe für dieses Verhalten der Kirche liegen. Geht es um Motive, die mit der psychologischen Eigenart der Frau zusammenhängen oder um dogmatische Gründe? Oder handelt es sich einfach um eine Folge daraus, dass der Frau in der Gesellschaft ein bestimmter Platz zugewiesen worden ist (und immer noch wird)? Es gibt Frauen, die fähig sind, Aufgaben zu erfüllen, die dem priesterlichen Dienst entsprechen. Auch äussern Frauen ausdrücklich den Wunsch, die Priesterweihe zu empfangen.“42 Unter den Entscheidungen und Empfehlungen, die am 29. November 1975 verabschiedet und von Bischof Dr. Anton Hänggi genehmigt wurden, heißt es: „6.5.4. Priesterweihe für Frauen“ (gesamtschweizerisch verabschiedet am 12./13. September 1975): „Von jeher haben Frauen kirchliche Dienste übernommen. Da und dort stellt sich heute die Frage nach der Priesterweihe der Frau. Die allgemeine Einstellung der Gläubigen diesbezüglich ist noch zurückhaltend oder doch gegensätzlich. Das hindert nicht, die Frage zu stellen und sie zu studieren. Die gesamtschweizerische Synode gibt daher ihrer Befriedigung darüber Ausdruck, dass die internationale Theologenkommission beschlossen hat, die Frage der Priesterweihe der Frau zu studieren und wünscht, dass diese Studien weitergeführt werden. Die Synode bittet die Bischofskonferenz, diesen Wunsch an die zuständigen Stellen in Rom weiterzuleiten.“43
IV. Ist die Synode ein demokratisches Kirchenparlament? Weil die Synode 72 als Erneuerungsbewegung gedacht ist, wurde von Anfang an die Mitverantwortung aller appelliert. Die Synode 72 ist eine absolute Neuheit. Sie ist mit nichts aus der bisherigen Schweizer Kirchengeschichte zu vergleichen. Im Vereins- und Verbandskatholizismus sind die Laien unter sich. Die staatskirchenrechtlichen Institutionen sind nicht zuständig, theologisch-kirchliche Fragen mit Tunk, Briefe zur Synode 72 an den Bischof von Chur. Auswertung der im Zusammenhang mit der Bischofsumfrage zur Synode 72 im Bistum Chur eingegangenen Briefe, Chur 1976. 42 III. Kirchlicher Dienst, Kommissionsbericht, 3.6.5. Priesterweihe der Frauen, in: Synode 72. Diözese Basel, Gesamtband. Pastoralstelle des Bistums Basel, Baselstrasse 58, 4500 Solothurn, Juni 1978, Nr. III/15. 43 III. Kirchlicher Dienst, Kommissionsbericht, 6.5.4. Priesterweihe der Frauen, in: Synode 72. Diözese Basel, Gesamtband. Pastoralstelle des Bistums Basel, Baselstrasse 58, 4500 Solothurn, Juni 1978, Nr. III/34 – 35.
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dem Bischof zu diskutieren.44 In der Synode 72 wird nun das Volk Gottes, d. h. Laien und Klerus, von den Bischöfen zu Fragen des Glaubens befragt. Am 25. September 1969 rufen die Bischöfe „alle Katholiken in der Schweiz auf, durch ihren Rat und ihre Mitarbeit zum Gelingen der Synode beizutragen“45. Zugleich wendet sich jeder Bischof in einem gleichlautenden persönlichen Brief an die Katholiken seines Bistums. Der Basler Bischof, Anton Hänggi, proklamiert in der Kathedrale von Solothurn: „Das Gottesvolk der Diözese erneuert seinen Bund mit Gott.“46 Aber wie ist dieses neue Gremium Synode 72 zu verstehen? Vor der Betonung der synodalen Elemente in der kirchlichen Verfassung durch Papst Johannes XXIII. ist die synodale Tradition in vielen Ortskirchen erloschen. Ein Churer Kirchenrechtsprofessor pflegt damals zu scherzen: „Man könne den Bischof arg in Verlegenheit bringen, wenn man sich bei ihm nach dem Statut der Diözesansynode erkundigte. […] Ein solches existiere nicht, und eine Diözesansynode habe seit dem Konzil von Trient (1545 – 1563) nie stattgefunden, obwohl dieses die Bischöfe dazu angehalten hätte.“47 Die synodale Rechtstradition wird in den Diözesen verdrängt und vergessen. Ihr Rechtsinstrumentarium wird aber von anderen Institutionen auf dem Gebiet der Westkirche übernommen und weiterentwickelt, die später als „Westen“ bezeichnet werden. Umgekehrt kann der Westen als Rechtsgemeinschaft auf den normativen Beitrag der lateinischen Westkirche auch in Zukunft nicht verzichten.48 Denn „das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur eine Vorläufergestalt […] gewesen. Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, […] von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und der christlichen Liebesethik. […] Dazu gibt es bis heute keine Alternative.“49 Der Westen als säkulare Rechtsgemeinschaft wurzelt in einer rationalen theologischen und kirchenrechtlichen Denktradition.
44 Vgl. Adrian Loretan, Kirche und Staat in der Schweiz, in: HdbKathKR3, S. 1888 – 1913, bes. S. 1909 – 1913. 45 Die Schweizer Bischöfe, Synode 72. Einladung der Schweizer Bischöfe zur Mitarbeit, in: SKZ 137 (1969), S. 577. 46 Gasser, Kirchenvolk (Anm. 13), S. 39. 47 Gasser, Kirchenvolk (Anm. 13), S. 9. 48 Vgl. Adrian Loretan, Der Westen wurzelt in der Westkirche. Eine kleine Rechtsgeschichte, online unter: http://www.feinschwarz.net/der-westen-wurzelt-in-der-westkirche/ (eingesehen am 18. 3. 2018). 49 Jürgen Habermas, Ein Gespräch über Gott und die Welt (mit Eduardo Mendieta), in: Ders., Zeit der Übergänge (= Kleine politische Schriften/Jürgen Habermas 9), Frankfurt a.M. 2001, S. 172 – 195, hier S. 174 – 175.
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V. Die Kirche entwickelt durch ihre Synodalität die „rule of law“ Die Benedikt-Regel verlangt vom Abt in Kapitel 3 Vers 2: „Et audiens consilium fratrum.“ Der Abt „soll den Rat der Brüder anhören und dann mit sich selbst zu Rate gehen. Was er für zuträglich hält, das tue er.“50 Die Interpretation dieses Zuhörens hat in den benediktinischen Klöstern Kapitelsäle entstehen lassen. In der Interpretation dieses Zuhörens bei den Zisterziensern entstand ein neuer Begriff, der Weltgeschichte geschrieben hat: parliamentum51. Die Zisterzienserklöster, die ebenfalls die regula Benedicti als Grundlage kennen, sind gekennzeichnet von Einfachheit, die sich in einem eigenen Stil niederschlägt, dem Zisterzienserstil. Bei ihrer Suche nach dem Minimum an Machtausübung52 entwickeln die Zisterzienser Ansätze der parlamentarischen Demokratie weiter. Jeder muss für das Ganze Mitverantwortung tragen. Die Gemeinschaft gibt sich Regeln, die für alle gelten. Wer in dieser Gemeinschaft leben will, hat sich diesem Regelwerk zu unterstellen. Das Kloster ist eine solche Rechtsgemeinschaft. Aber das parliamentum oder Generalkapitel hat keine absolute Macht: Die einzelnen Mönchskommunitäten können sich ihm widersetzen, wenn sie den Sinn ihrer Opposition zu begründen vermögen.53 Es wird also eine individuelle und kollektive Weigerung aus Gewissensgründen zugelassen. Die kirchliche Rechtswissenschaft entwickelt schon im 12. und 13. Jahrhundert eine juristische Theorie der Begrenzung der Befugnisse für kirchliche und weltliche Herrschaft.54 Dies zeigt sich u. a. in der brisanten Rezeptionsgeschichte des „Quod omnes tangit“-Prinzips des römischen Privatrechts, das erst im kanonischen Recht zu einer Allgemeinverbindlichkeit ausgestaltet wird, wie Yves Kardinal Congar OP55 belegt. Die Wirkungsgeschichte wird in seinem Artikel aber nur bis zum Konzil von Basel (1431) verfolgt. So werden die intensive Rezeption in der Neuzeit bei den spanischen Spätscholastikern und die damit weiterreichende Wirkungsgeschichte für
50 Deutsche Übersetzung gemäß Michaela Puzicha, Kommentar zur Benediktusregel. Mit einer Einführung von Christian Schütz, im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, St. Ottilien 2002, S. 96. 51 Vgl. José Jiménez Lozano, Kastilien. Eine spirituelle Reise durch das Herz Spaniens, Freiburg Schweiz 2005, S. 81 – 91. In der Praxis des britischen Parlamentes findet sich einiges von den zisterziensischen Verfahrensweisen, z. B. das „pedibus ire in sententiam“, bei dem man abstimmt, indem man den Sitzungssaal verlässt (ebd., S. 82). 52 Vgl. „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“ (Mt 5,5). 53 Vgl. Ulrich K. Preuss, Politische Verantwortung und Bürgerloyalität. Von den Grenzen der Verfassung und des Gehorsams in der Demokratie, Frankfurt a.M. 1984. 54 Harold Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, übersetzt von H. Vetter, Taschenbuchausgabe (1995) (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1203), Frankfurt a.M. 1991, S. 366. 55 Vgl. Yves Congar, „Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet“, in: Revue historique de droit français et étranger (4e série) 36 (1958), S. 210 – 259.
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die Entstehung des modernen Demokratie- und Völkerrechtsverständnisses übersehen.56 Das kanonische Recht wird zum ersten modernen westlichen Rechtssystem, die Kirche zum ersten modernen westlichen Rechtsstaat, der die Rechtsstaatlichkeit (rule of law) und damit den rechtlichen Umgang mit der Autorität prägt. Auf Grund der rule of law, die das kanonische Recht entwickelt hat, kann nicht mehr von zwei sich widersprechenden Gerechtigkeiten im Plural gesprochen werden, eine für die Kirche und eine für den Staat. Es gibt nur eine Gerechtigkeit und nur eine rule of law. Diese Bedeutung des Rechts im lateinischen Westen trägt aber auch zu „seinem relativen Erfolg bei der Schaffung von Freiheit von politischer und moralischer Tyrannei“57 bei. Dies führt zu einer Trennung von politischer und religiöser Sphäre, die von Papst Gregor VII. initiiert wird. Die übergroße Mehrheit demokratischer Staaten stammt nach dem alevitischen Politologen Ahmet Cavuldak nicht zufällig aus dem „(latein)christlich geprägten Erfahrungsraum“ des Westens, der durch das kanonische Recht geprägt worden ist.58 Die Geschichte des Westens als Rechtsgemeinschaft beginnt also mit der Rechtsentwicklung der lateinischen Westkirche, bzw. des kanonischen Rechts, wie der evangelische Berliner Historiker Heinrich August Winkler ausführt.59
VI. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Synode 72 Unter den Teilnehmern der Diözesansynoden sind bis ins Mittelalter auch Laien vertreten, die aber im 13. und 14. Jahrhundert vollständig verschwinden.60 Das ekklesiologische Verständnis des Konzils von der Kirche als Volk Gottes bewirkt in 56 Vgl. eine ausführliche Besprechung von Congars Artikel in: Patrick Huser, Vernunft und Herrschaft. Die kanonischen Rechtsquellen als Grundlage natur- und völkerrechtlicher Argumentation im zweiten Prinzip des Traktates Principia quaedam des Bartolomé de Las Casas (= RRD 11), Zürich 2011, S. 97 Anm. 217. 57 Berman, Recht (Anm. 54), S. 370. 58 Ahmet Cavuldak, Gemeinwohl und Seelenheil. Die Legitimität der Trennung von Religion und Politik in der Demokratie (= Edition Politik 22), Bielefeld 2015, S. 590. 59 Vgl. Heinrich August Winkler, Die Geschichte des Westens, München ab 2009, I–IV. Bd. Vgl. Ein Fernsehgespräch mit Heinrich August Winkler, Der Westen, mächtig und angreifbar (NZZ Standpunkte 2015), online unter: https://www.youtube.com/watch?v= Q2x6bdDSRQM&list=PLlhMaiGeSJ8knji6Bk2dPuQa45U3x33Mj (eingesehen am 02. 05. 2018). 60 Vgl. Wilhelm Rees, Synoden und Konzile. Geschichtliche Entwicklung und Rechtsbestimmungen in den kirchlichen Gesetzbüchern von 1917 und von 1983, in: Ders./Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg i. Br. 2014, S. 10 – 67, hier S. 18.
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Bezug auf die Teilnehmer der Synoden ein Umdenken, so dass es auch für die Schweizer Bischöfe nicht mehr möglich erscheint, eine Diözesansynode ohne Volk Gottes durchzuführen.61 Von synodalen Kirchenstrukturen kann dort gesprochen werden, wo die Verantwortung und die Anliegen des Volkes Gottes „und die Verantwortung und die Verpflichtung der Dienstträger in der Kirche gegenseitig gebunden und aufeinander bezogen bleiben“62. Johann Baptist Metz betont mit Rahner „,die normative Bedeutung des Volksglaubens bzw. des faktischen Glaubens für das Lehramt‘; er sprach ,von einem gegenseitigen Bedingungsverhältnis zwischen den beiden Grössen, auch wenn diese Gegenseitigkeit keine Gleichheit bedeutet‘. […] Die kirchliche Orthodoxie ist also in ihrem Kern keine Eliteorthodoxie (kein ,Gralswissen‘), kein Geheimwissen des Lehramtes, kein Expertenwissen der Theologen, an dem die Kleinen und Unmündigen nur bona fide und durch einschlussweisen Glauben (also fide implicita) beteiligt wären.“63 Die Schweizer Kirche kennt zudem eine duale Struktur, die den Laien seit dem Mittelalter in finanziellen Belangen eine echte Mitsprache gewährt. Denn die Schweizer Ortskirchen kennen einerseits Gebietskörperschaften im Sinne des kanonischen Rechts: z. B. Pfarreien, Dekanate etc. Andererseits entscheiden Laien in den Gebietskörperschaften im Sinne des Staatskirchenrechts (z. B. Kirchgemeinden) über die Verwendung der Steuergelder, die der Kirche von den katholischen besteuerten Personen zur Verfügung gestellt werden. Wie diese Dualstruktur zu verstehen ist, wurde auch in den letzten Jahren wieder neu besprochen.64 Zur Demokratie in der Kirche schreibt Josef Kardinal Ratzinger: „Kirchliche Amtsverantwortung ist gebunden an die Weihe. […] Aber die heilige Gewalt ist nicht vonnöten für die kirchlichen Finanzen.“65 Papst Leo XIII. willigt schon im April 1879 in die Abhaltung von Pfarr-
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Vgl. Pier V. Aimone, The Participation of Lay-people to the Diocesan Synods immediately after Vatican II (1966 – 1983), particularly in the Swiss Local Church, in: Alberto Melloni/Silvia Scatena (eds), Synod and Synodality. Theology, History, Canon Law and Ecumenism in New Contact. International Colloquium, Bruges 2003 (= Christianity and History 1), Münster 2005, S. 677 – 702. 62 Leo Karrer, Laie/Klerus, in: Peter Eicher (Hrsg.), NHThG, 2. Bd., München 1984, S. 363 – 374, S. 373. 63 Johann Baptist Metz, Im Ringen um das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Nikolaus Klein/Heinz Robert Schlette/Karl Weber (Hrsg.), Biotope der Hoffnung. Zu Christentum und Kirche heute. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ludwig Kaufmann, Olten 1988, S. 29 – 30. Vgl. die einschlägigen Aufsätze Karl Rahners in: Ders., Schriften zur Theologie, Band XIV und Band XVI, Zürich/Einsiedeln 1954 – 1984. 64 Vgl. z. B. Libero Gerosa, Chiesa Cattolica e Stato in Svizzera. Atti del Convegno della Conferenza dei Vescovi Svizzeri (Lugano, 3 – 4 novembre 2008), Locarno 2009. Eine deutsche und französische Ausgabe folgten. 65 Joseph Ratzinger, Demokratisierung der Kirche?, in: Ders./Hans Maier, Demokratie in der Kirche. Möglichkeiten und Grenzen (= Topos-plus-Taschenbücher 348), Limburg 2005, S. 7 – 46, hier S. 32. Vgl. Immaculata Saulle Hippenmeyer, Nachbarschaft, Pfarrei und Gemeinde in Graubünden 1400 – 1600 (= Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte 7. Bd.), Chur 1997. Dies./Ursus Brunold, Nachbarschaft, Pfarrei und Gemeinde in Graubün-
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wahlen im französischsprachigen Teil des damaligen Kantons Bern (heute Kanton Jura) ein.66 Papst Johannes Paul II. fordert sogar, dass es „daher dringend einiger konkreter Schritte [bedürfe …], dass den Frauen Räume zur Mitwirkung in verschiedenen Bereichen und auf allen Ebenen [sic!] eröffnet werden, auch in den Prozessen der Entscheidungsfindung, vor allem dort, wo es sie selbst angeht.“67 Kurz gesagt: In den Schweizer Ortskirchen ist eine Diözesansynode aus Klerikern wegen der Ekklesiologie des II. Vaticanums und wegen der langen partizipativen Rechtstradition in der Kirche nicht denkbar. Es entsteht sogar „die Hoffnung, es lasse sich das kirchliche Leben in den Bistümern künftig mit forcierter Partizipation von Seelsorgenden und Laien leiten und gestalten. Gedacht war an Mechanismen, wie sie in Pfarreien, Kirchgemeinden und Landeskirchen etabliert waren. Hier hatten die Schaffung von Räten und der Erlass ausgewogener Ordnungen längst dazu geführt, dass Grundmuster aus demokratisch geprägter gesellschaftlicher und politischer Alltagserfahrung für die Beteiligten zur Selbstverständlichkeit geworden waren.“68 Die deutschen, österreichischen und französischen Bitten, ein Nationalkonzil abhalten zu können, werden in der Mitte des 19. Jahrhunderts abgelehnt.69 „Die sogenannte ,Niederländische Pastoralsynode‘ und die Synoden der katholischen Kirche in der BRD und der DDR [und der Schweiz] haben einen anderen Charakter als die vom kirchlichen Gesetzbuch erwähnten Plenarkonzilien.“70 Der vorkonziliare CIC/1917 (c. 358)71 verbietet zudem eine Teilnahme von Laien an der Diözesansynode. Die Ortskirchenvorsteher (Bischöfe und Territorialabt) lassen sich von dieser Rechtsgrundlage, die dem ekklesiologischen Aufbruch des Konzils widersprach, nicht abhalten und reichen ein diesbezügliches Dispensgesuch ein. „Der päpstliche Nuntius, offenkundig bereits mit den erforderlichen Fakultäten versehen, stellte innerhalb von nur vier Tagen, am 22. September 1969, das entsprechenden 1400 – 1600, Quellen (= Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte 8. Bd.), Chur 1997. 66 „Das dem jurassischen Emissär Ernest Daucourt auf den Weg gegebene päpstliche ,tolerari posse‘ hinsichtlich der Pfarrwahlen, das ,den Abbau des jurassischen Kulturkampfes so entscheidend erleichterte, gehört in den grösseren Kontext der politischen Annäherung an republikanische und demokratische Lebensformen, die dieser grosse Papst inaugurierte.‘“ Zitat aus: Dieter Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht. Hauptlinien des Verhältnisses von Staat und Kirche auf eidgenössischer und kantonaler Ebene (= Ius ecclesiasticum 45), Tübingen 1993, S. 47 – 48. 67 Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben „Vita consecrata“, Über das geweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt, 58. Deutsch hrsg. vom Sekretariat der DBK (= VApSt 125), Bonn 1996. Wer bei dieser Stelle kontextgebunden nur an die Frauen der Vita consecrata denkt, übersieht, dass die Kirche seit dem Konzil in ihrem Grundrechtskatalog die „wahre Gleichheit in Würde und Tätigkeit“ (c. 208 CIC/1983, vgl. LG 32) auf ihre Fahnen geschrieben hat. 68 Ries, Suche (Anm. 12), S. 110. 69 Vgl. Breve Pius’ IX. am 17. Mai 1879, in: Collectio Lacensis 5, S. 995. 70 Neumann, Prinzip (Anm. 4), S. 30. 71 Vgl. Aymans/Mörsdorf, Lb. (Anm. 3) 1. Bd., S. 425 – 426.
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de Indult aus.“72 Dieses erlaubt die Teilnahme von Laien, sofern sie über einen einwandfreien kirchlichen Leumund verfügen und sofern der Klerus die Stimmenmehrheit behält, was verlangt, „dass Religiose ohne Priesterweihe den Laien zugerechnet wurden. Dies drohte die Handlungsfreiheit allzu stark einzuschränken, weshalb man sich unter anderem im Bistum Basel über die Bestimmung hinwegsetzte.“73 Da man befürchtet, die Forderungen, an welche Rom die Dispensation knüpft, könnten in der Öffentlichkeit auf Ablehnung stoßen, wird auf die Bekanntmachung des Reskriptes verzichtet.74 Die Juristin Elisabeth Hangartner-Everts vergleicht das römische Reskript und die Auslegung in den Rechtstexten der Synode 72. „Während im römischen Dokument ein juridischer Ton mit unüberhörbar kanonischem Grundtenor [im Geiste des CIC/ 1917] angeschlagen wird, steht bei der [schweizerischen] Auslegung das Bemühen im Vordergrund, in grösstmöglichem Einvernehmen mit dem bestehenden Recht die Erkenntnisse des Konzils konkret auf die Synode 72 anzuwenden.“75 Die unterschiedliche Gewichtung des Konzils bzw. des CIC/1917 war für Hangartner-Everts offensichtlich. „Dem schweizerischen Wunsch bezüglich der Vorbereitung und Durchführung einer Synode, welche die Möglichkeiten des II. Vatikanischen Konzils ausschöpft“76, trifft auf ein Rechtsverständnis, das noch ganz im Rahmen des CIC/ 1917 denkt. Den Prozess um eine rechtliche Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils hat Papst Paul VI. längst aufgenommen. Ich möchte hier aus der ausgezeichneten Nachkonziliaren Dokumentation, die diese Texte lateinisch-deutsch publizierte, nur ein Beispiel nennen, das bisheriges Rechtsdenken aufgrund der theologischen Entwicklung des Vatikanums II rechtlich völlig verändert: die rechtliche Ordnung der Mischehen „Matrimonia mixta“77 von 1970, die für die Synode 72 von entscheidender Bedeutung ist. Zusammenfassend sei festgehalten: Die Synode 72 fand also mitten in den Auseinandersetzungen um die rechtliche Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils statt, was hier an der Frage der Synodenteilnehmerinnen und -teilnehmer verdeutlicht werden konnte.78
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Ries, Suche (Anm. 12), S. 107. Ries, Suche (Anm. 12), S. 107. 74 Vgl. Hangartner-Everts, Synode 72 (Anm. 11), S. 81. 75 Hangartner-Everts, Synode 72 (Anm. 11), S. 92. 76 Hangartner-Everts, Synode 72 (Anm. 11), S. 92. 77 Vgl. MP MatrMixt. 78 Vgl. Joseph Listl/Hubert Müller/Heribert Schmitz (Hrsg.), Grundriss des nachkonziliaren Kirchenrechts, Regensburg 1980. 73
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VII. Die Weiterführung der interdiözesanen Synodalität Für die Weiterführung der Synode 72 wurde nach neuen Wegen der interdiözesanen Zusammenarbeit gesucht. In einem Rückblick stellte Ivo Fürer fest: „Gewiss könnten Synoden durchaus ein Risiko mit sich bringen. Eine Grabesruhe sei aber noch ein grösseres Risiko für die Kirche.“79 Papst Franziskus wird es später so formulieren: „Mir ist eine ,verbeulte Kirche‘, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Strassen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“80 Es besteht die Hoffnung, die Bewegung der Synode 72 lasse sich für die Schweizer Kirche fortsetzen „und die erfahrene Partizipation könne institutionalisiert werden. Die Basler Diözesansynode beschloss in ihrer letzten Sitzung am 29. November 1975, die Mitbestimmung von Laien über die Pfarreiräte hinaus zu erweitern und einen ,gesamtschweizerischen Pastoralrat‘ einzurichten. Die Bischofskonferenz ging darauf ein und liess ein Statut erarbeiten, dem jedoch die römische Kurie die Approbation verweigerte.“81 Da die Partizipation im Sinne der Synode 72 nicht mehr weitergeführt werden kann, veranstalten die Bischöfe noch zwei landesweite Pastoralforen: 1978 in Einsiedeln und 1981 in Lugano. „Ergebnisse liessen sich dabei nicht erzielen, weshalb weitere Veranstaltungen nicht mehr zu Stande kamen. […] Als feste Einrichtung blieb einzig eine Delegiertenversammlung aus Vertretungen diözesaner und kantonaler Seelsorgeräte übrig, welche unter der Bezeichnung ,Interdiözesane Koordination‘ jeweils im November für zwei Tage zur Beratung gesamtschweizerischer Kirchenangelegenheiten zusammentritt.“82 Regelmäßige Tagsatzungen als kontinuierlichen Prozess hat Leo Karrer vorgeschlagen, die das gesamte Volk Gottes vor Ort im Horizont kirchlicher Weltverantwortung zusammenbringen. Die Tagsatzung will ein „Dialog-Instrument“83 sein, um die Zeichen der Zeit zu deuten, „die Dienstanweisungen Gottes zu erkennen und sich ihnen auszuliefern“84. Die Synode 72 hat den Weg in die Zukunft gewiesen: „Wenn kirchliches Sprechen ernst genommen werden will, muss es den Bezug finden zur konkreten Situation der angesprochenen Menschen. Eine Kirche, die bloss Antwort gäbe auf Probleme von gestern, würde sich selbst überflüssig machen.“85 79
Gasser, Kirchenvolk (Anm. 13), S. 97. Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (Anm. 32), 49. 81 Ries, Suche (Anm. 12), S. 111. 82 Ebd. S. 111 – 112. 83 Leo Karrer, Erneutes Plädoyer für eine „Tagsatzung“ der Katholiken und Katholikinnen in der Schweiz, in: Ders., Katholische Kirche Schweiz. Der schwierige Weg in die Zukunft, Freiburg Schweiz 1991, S. 456 – 473, hier S. 473. 84 Karrer, Plädoyer (Anm. 83), S. 473. 85 Formulierung der Diözesansynode Basel, XII, 4.1.2. 80
Das Motu Proprio „Come una madre amorevole“ zur Amtsenthebung von Bischöfen Von Thomas Meckel Papst Franziskus hat am 4. Juni 2016 das Motu Proprio Come una madre amorevole (CUMA) erlassen1, um die in c. 193 § 1 CIC/1983 bzw. c. 975 § 1 CCEO im Kontext der Amtsenthebung (amotio) verwendete Ermessensklausel „ob graves causas“ („aus schwerwiegenden Gründen“) insbesondere in Fällen sexuellen Missbrauchs zu präzisieren.2 Dieses Motu Proprio trat am 5. September 2016 universalkirchlich in Kraft und alle entgegenstehenden Bestimmungen traten außer Kraft.3 Der zu ehrende Kollege Wilhelm Rees ist auf dem Gebiet des Strafrechts insbesondere seit seiner bei Joseph Listl erarbeiteten Habilitation4 und durch zahlreiche folgende Publikationen ausgewiesener Kenner und hat sich zuletzt im ersten Band des Lexikons für Kirchen- und Religionsrecht auch unter anderem der Amtsenthebung gewidmet.5 Rees definiert die Amtsenthebung als „eine zwangsmäßige Maßnahme seitens der zuständigen Autorität gegen den Willen des Amtsinhabers und hat im Unterschied zur Absetzung in der Regel keinen Strafcharakter“.6 Papst Franziskus hat den Titel des Motu Proprio Come una madre amorevole (Wie eine liebevolle Mutter) auf die Notwendigkeit des Schutzes von Kindern und Schutzbefohlenen durch alle Glieder der Kirche bezogen, für den insbesondere die Diözesanbischöfe bzw. Eparchen und andere Teilkirchenleiter Verantwortung tragen und diese wie eine liebevolle Mutter schützen müssen.7 Dieses Anliegen hat implizit seine Wurzel in c. 220 CIC/1983, der das Grundrecht auf guten Ruf und die eigene Intimsphäre jedes Gläubigen normiert und entsprechend schützen möchte.8 Im Fol1
Franziskus, Litterae Apostolicae Motu Proprio datae Come una madre amorevole, in: AAS 108 (2016), S. 715 – 717. 2 Vgl. ebd., Vorwort. 3 Vgl. ebd. die Promulgationsformel am Ende des Dokuments. 4 Vgl. Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (= KST 41), Berlin 1993. 5 Vgl. Wilhelm Rees, Art. Amtsenthebung, in: LKRR I, S. 120 – 121. 6 Ebd., S. 120. 7 Vgl. CUMA (Anm. 1), Vorwort. 8 Vgl. dazu Thomas Meckel, Das Recht auf die eigene Intimsphäre und den guten Ruf – Genese und Geltung zweier Grundrechte aller Christgläubigen, in: Heribert Hallermann/ Thomas Meckel/Matthias Pulte/Sabrina Pfannkuche (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch (= WTh 8), Würzburg 2012, S. 279 – 305.
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genden soll zunächst die Amtsenthebung von der strafweisen Amtsabsetzung abgegrenzt und sodann das Motu Proprio Come una madre amorevole kommentiert werden, da es in der deutschsprachigen kanonistischen Literatur noch keine ausführliche Aufmerksamkeit bekommen hat.
I. Die Amtsenthebung in Abgrenzung zur strafweisen Amtsabsetzung Ämter können gemäß c. 184 § 1 CIC/1983 bzw. c. 965 § 1 CCEO aufgrund von Fristablauf, durch Erreichen einer entsprechenden Altersgrenze, „durch Verzicht, Versetzung, Amtsenthebung und Absetzung“ verloren gehen. Amtsenthebung (amotio) und Amtsabsetzung (privatio) sind als zwei Formen der Amtsentfernung zu unterscheiden.9 Die Amtsabsetzung wird im CIC/1983 gemäß c. 196 CIC/1983 bzw. c. 1430 § 1 CCEO als privatio ab officio bezeichnet und sie unterscheidet sich von der Amtsenthebung (amotio ab officio) insofern, dass die Amtsabsetzung stets eine strafweise Absetzung darstellt. Zugleich ist aber zu sehen, dass die Enthebung aufgrund der Entlassung aus dem Klerikerstand gemäß cc. 290 28 und 194 § 1 18 CIC/1983 „ebenfalls Strafcharakter“ hat.10 Die amotio von Rechts wegen gemäß c. 194 CIC/1983 wirkt ex tunc, während die amotio „ab homine“ ex nunc wirkt.11 Der Begriff privatio wird im geltenden Recht in der Wendung privatio ab officio für die Amtsabsetzung verwendet.12 In c. 1336 CIC/1983 wird im Kontext der Sühnestrafen der Begriff privatio nicht nur auf ein Amt (privatio officii), sondern auch auf den Entzug einer „Vollmacht, … einer Aufgabe, eines Rechtes, eines Privilegs, einer Befugnis, eines Gunsterweises, eines Titels [und] … einer Auszeichnung“ bezogen. Ebenso breit wird in den cc. 1338 und 1397 CIC/1983 der Begriff privatio als Überbegriff für entsprechende Rechtsentzüge in Rekurs auf c. 1336 CIC/1983 verwendet, in c. 1338 § 2 CIC/ 1983 auch im Hinblick auf die „Aberkennung von akademischen Graden“. C. 1381 CIC/1983 gebraucht die Wendung „privatio a munere“. Die cc. 1387 und 1394 § 1 CIC/1983 verwenden privatio allgemein im Sinne des Entzugs von konkreten Rechten. Die Amtsabsetzung ist gemäß cc. 1312 § 1 28 und 1336 § 1 28 CIC/1983 eine Sühnestrafe, die gemäß c. 1336 § 2 CIC/1983 stets Spruchstrafe und nicht Tatstrafe ist, die der zuständige Obere gemäß c. 1338 CIC/1983 bzw. sein Gerichtshof gemäß c. 1721 CIC/1983 verhängt. Es gilt die Befolgung der cc. 1341 – 1353 und 1717 – 1728 CIC/1983. Die privatio kann c. 1336 § 1 CIC/1983 zufolge auf Dauer, 9
Vgl. Hubert Socha, Einführung vor c. 192, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: August 1988). Hubert Socha, c. 196, Rdnr. 9, in: MK CIC (Stand: August 1988). Vgl. auch Hans Paarhammer, Art. Amtsenthebung, in: LKR, Sp. 41. 11 Pablo Gefaell, Commentary on c. 192, in: Angel Marzoa/Jorge Miras/Rafael RodríguezOcana (Hrsg.), Exegetical Commentary on the Code of Canon Law I, Montreal/Chicago 2004, S. 1059 – 1061, hier S. 1060. 12 Vgl. cc. 143 § 2; 184 § 1; 196; 416; 1389 § 1; 1396; 1457 § 1 CIC/1983. 10
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wobei die Amtsabsetzung auf Dauer nicht auf dem Verwaltungsweg verhängt werden kann, oder für eine begrenzte Zeit erfolgen. Der CIC/1983 sieht die Amtsabsetzung als mögliche Strafe bei Häresie, Apostasie oder Schisma gem. c. 1364 CIC/1983, Schändung der Eucharistie gemäß c. 1367 CIC/1983, der Gewaltjuridie gegen den Papst gemäß c. 1370 CIC/1983, bei Verführung eines Pönitenten zu einem Verstoß gegen das sechste Gebot im Rahmen oder unter dem Vorwand einer Beichte gemäß c. 1387 CIC/1983, beim Missbrauch kirchlicher Gewalt oder eines kirchlichen Dienstes gemäß c. 1389 § 1 CIC/1983, bei einem Eheschließungsversuch eines Klerikers gemäß c. 1394 § 1 CIC/1983, bei Konkubinat oder sexuellem Missbrauch gemäß c. 1395 CIC/1983, im Fall der Residenzpflichtverletzung gemäß c. 1396 CIC/1983, im Fall der Tötung, Verstümmelung, Entführung oder schweren Verletzung eines Menschen gemäß c. 1397 CIC/1983 und im Fall von den in c. 1457 CIC/1983 genannten Vergehen von Richtern.13 Eine Voruntersuchung ist bei Kenntnisnahme einer möglichen Straftat, die zur Amtsabsetzung führen kann, gemäß der cc. 1717 – 1719 CIC/1983 durchzuführen und die Zurechenbarkeit muss gemäß der cc. 1321 – 1330 CIC/1983 geprüft werden. Wenn eine Ermahnung oder ein Verweis gemäß c. 1339 CIC/1983 bzw. gemäß c. 1341 CIC/1983 das Ärgernis nicht beheben oder die Gerechtigkeit auf andere Weise wiederhergestellt werden kann, muss vor der strafweisen Amtsabsetzung noch geprüft werden, ob der Täter nicht durch Tatstrafen oder andere Sanktionen bereits betraft ist.14 Die Amtsenthebung (amotio ab officio) wird insbesondere in den cc. 192 – 195 CIC/1983 geregelt.15 Im Unterschied zur Versetzung wird nach ihr in der Regel kein neues Amt mehr verliehen.16 Nach c. 192 CIC/1983 tritt die Amtsenthebung von Rechts wegen durch Erfüllung der in c. 194 CIC/1983 genannten Tatbestände, des Verlustes des Klerikerstands, des öffentlichen Abfalls vom katholischen Glauben oder von der kirchlichen Gemeinschaft oder im Fall des Eheschließungsversuchs eines Klerikers ein. Außer im Fall des Verlustes des Klerikerstands, die gemäß 290 28 CIC durchaus den Charakter einer Strafe hat, sind die anderen genannten Fälle für die Amtsenthebung nach c. 194 § 2 CIC/1983 mittels einer „Erklärung der zuständigen Autorität“ festzustellen. Darüber hinaus kann die Amtsenthebung nach c. 192 CIC/1983 durch ein Dekret vorgenommen werden „unter Wahrung etwa aufgrund eines Vertrags erworbener Rechte“ wie beispielsweise ein Beamtenverhältnis oder ein Inkardinationsverhältnis etc. Nach c. 193 § 1 CIC/1983 kann eine solche Amtsenthebung nur „aus schwerwiegenden Gründen“ und unter Befolgung des vorgesehenen rechtlichen Verfahrens vorgenommen werden.17 Ein schwerwiegender Grund wird angeführt, „wenn der Zweckbestimmung einer kirchlichen Ein13
Vgl. Socha, c. 196, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: August 1988). Vgl. ebd. 15 Vgl. darüber hinaus cc. 143 § 2; 184 § 1; 194; 538 § 1; 572 CIC/1983. Vgl. auch Verweise auf die Amtsenthebung aus verschiedenen Ämtern Rees, Amtsenthebung (Anm. 5), S. 120. 16 Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 498. 17 Vgl. Christoph Ohly, § 14 Das Kirchenamt, in: HdbKathKR3, S. 234 – 251, hier S. 250. 14
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richtung mit öffentlicher Wirkung nicht mehr oder nicht voll entsprochen werden kann“.18 Die Amtsenthebung von Pfarrern ist durch eigene prozessrechtliche Normen in den cc. 1740 – 1747 CIC/1983 geregelt19 sowie in c. 430 § 2 CIC/1983 die Amtsenthebung des Diözesanadministrators, während es für die Amtsenthebung von Bischöfen bislang keine entsprechenden Normen gab.20 Es gab nur die Möglichkeit der Analogie zu den cc. 1740 – 1747 CIC/1983.21 Diese Gesetzeslücke zu schließen, ist Anliegen des Motu Proprio Come una madre amorevole. Die amotio erfolgt nicht im Kontext eines Strafprozesses.22
II. Das Amtsenthebungsverfahren von Bischöfen und ihnen rechtlich Gleichgestellten gemäß dem Motu Proprio Come una madre amorevole Nach c. 416 CIC/1983 wird das Amt des Diözesanbischofs vakant durch Tod, Verzicht (renuntiatio), den der Papst angenommen hat, durch eine Versetzung (translatio) oder durch Amtsabsetzung (privatio). Die Amtsenthebung (amotio), die ebenso die Vakanz des bischöflichen Stuhles bewirkt, fehlt in c. 416 CIC/1983, was gemäß cc. 184 § 1 i. V. m. 192 – 195 CIC/1983, insbesondere gem. c. 194 § 1 CIC/1983, zu ergänzen wäre.23 Die kirchliche Rechtsordnung sieht in c. 401 § 2 CIC/1983 vor, dass ein Diözesanbischof, der entweder aus gesundheitlichen Gründen „oder aus einem 18 Thomas Amann, Art. Grund, schwerwiegender, in: LKStKR II, S. 179 f., hier S. 179. Vgl. ferner Javier Canosa, Causa grave, in: DGDC I, S. 958 – 959. 19 Vgl. Hans Paarhammer, Neuordnung des Verfahrens zur Absetzung und Versetzung von Pfarrern im CIC, in: AfkKR 154 (1985), S. 452 – 489; Winfried Schulz, Vom schwierigen Umgang mit den kodikarischen Vorgaben in Bezug auf die Verfahren zur Amtsenthebung und zur Versetzung von Pfarrern, in: Elmar Güthoff/Karl-Heinz Selge (Hrsg.), Festgabe Franz X. Walter zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Fredersdorf 1994, S. 13 – 29; Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern. Eine Untersuchung des geltenden Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung der Zweiten Sektion des Höchsten Gerichts der Apostolischen Signatur (= AIC 16), Frankfurt a. M. u. a. 1999; Ders., Amtsenthebung bei Pfarrern im geltenden lateinischen Kirchenrecht, in: Christoph Grabenwarter u. a. (Hrsg.), Standpunkte im Kirchen- und Staatskirchenrecht. Ergebnisse eines interdisziplinären Seminars (= FzK 33), Würzburg 2002, S. 117 – 153; Victor George D’Souza, The Procedure for the Removal and Transfer of Pastors: Balancing the Rights, in: Studies in Church Law 4 (2008), S. 287 – 340; Gian Paolo Montini, La rimozione del parroco tra legislazione, prassi e giurisprudenza, in: QDE 24 (2011), S. 109 – 125. 20 Vgl. Pablo Gefaell, Commentary on c. 193, in: Angel Marzoa/Jorge Miras/Rafael Rodríguez-Ocana (Hrsg.), Exegetical Commentary on the Code of Canon Law I, Montreal/Chicago 2004, 1063 – 1068, hier S. 1067. 21 Vgl. Georg May, Die Amtsenthebung (amotio) von Bischöfen, in: FKTh 21 (2005), S. 199 – 212, hier S. 209. 22 Vgl. Gordon Read, Comment on Motu Proprio ,As a Loving Mother‘, in: CLSN 188 (2016), S. 15 – 19, hier S. 17. 23 Vgl. überzeugend Georg Bier, c. 416, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: Juli 1999) sowie May, Amtsenthebung (Anm. 21), S. 204 f., 210 f.
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anderen schwerwiegenden Grund, nicht mehr recht in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen“, den Verzicht auf sein Amt anbieten soll. Dies ist nicht der Vorgang einer amotio, sondern eine renuntiatio ab officio. Eine Versetzung gemäß der cc. 190 – 191 CIC/1983 erfolgt in der Regel in Fällen der Bewährung eines Bischofs, aber die Versetzung ist, wie Georg May betont, „auch ein Mittel, um Bischöfe von einer Diözese, in der nach dem Urteil des Heiligen Stuhles ihre Stellung unhaltbar geworden ist, auf eine andere Diözese zu verbringen“.24 Das Motu Proprio Come una madre amorevole möchte in c. 193 § 1 CIC/1983 bzw. c. 975 § 1 CCEO die im Kontext der Amtsenthebung (amotio) verwendete Ermessensklausel „ob graves causas“ („aus schwerwiegenden Gründen“) präzisieren, insbesondere im Fall sexuellen Missbrauchs.25 Während der Redaktionsgeschichte des c. 193 § 1 CIC/1983 wurde „graves“ ab dem Schema CIC 1980 eingefügt und angemerkt, dass es unmöglich sei, alle möglichen Fälle hier aufzuzählen.26 Bei Amtsträgern, die ad nutum auctoritatis ihr Amt innehaben, wie z. B. der Generalvikar oder der Bischofsvikar nach c. 477 § 1 CIC/1983, benötigt die Enthebung gemäß c. 193 § 3 CIC/1983 nur einen gerechten Grund. Die geltende Rechtsordnung kennt für die Amtsenthebung keine erschöpfenden taxativen Listen von Fällen, in denen die Amtsenthebung vorgesehen ist.27 Papst Franziskus Motiv der Gesetzgebung ist die Notwendigkeit des Schutzes von Kindern und schutzbefohlenen Erwachsenen durch alle Glieder der Kirche, für den insbesondere die Diözesanbischöfe bzw. Eparchen und andere Teilkirchenleiter Verantwortung tragen und wie eine liebevolle Mutter diese schützen müssen. Sie haben für die, die ihnen anvertraut sind, eine hohe Verantwortung und Schutzpflicht.28 Franziskus hebt hervor, dass ein schwerwiegender Grund auch die Vernachlässigung der Amtspflichten bzw. der Ausübung des Amtes sein kann, insbesondere in Fällen sexuellen Missbrauchs mit Verweis auf das Motu Proprio Sacramentorum Sanctitatis Tutela (SST)29 und die Normen zu den delicta graviora.30 Sodann verweist der Papst am Ende seines Vorworts auf die zu beachtenden folgenden prozeduralen Regelungen.31 Unter Kinder sind in diesem Kontext mit c. 97 § 1 CIC/1983 Minderjährige i. V. m. c. 99 und i. V. m. dem Motu Proprio Vos estis lux mundi32 Art. 1 § 2a) zu verste24
May, Amtsenthebung (Anm. 21), S. 201. Vgl. CUMA (Anm. 1), Vorwort. 26 Vgl. Com 23 (1991), S. 266. 27 Vgl. Gefaell, c. 193 (Anm. 20), S. 1065. 28 Vgl. CUMA (Anm. 1), Vorwort. 29 Johannes Paul II., Motu Proprio Sacramentorum sanctitatis tutela vom 30. 04. 2001, in: AfkKR 170 (2001), S. 144 – 147. 30 Congregatio pro Doctrina Fidei, Normae de gravioribus delictis vom 21. 05. 2010, in: AfkKR 179 (2010), S. 169 – 179. 31 Vgl. CUMA (Anm. 1), Vorwort. 32 Franziskus, Lettera Apostolica in forma di Motu Proprio del Sommo Pontefice Francesco Vos estis lux mundi, in: OR (10. Mai 2019), S. 10; dt. Übersetzung auf der Homepage des Heiligen Stuhles, online unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/motu_proprio/docu 25
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hen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Unter schutzbefohlenen Erwachsenen bzw. Personen sind gemäß dem Motu Proprio Vos estis lux mundi Art. 1 § 2b) Personen zu verstehen, die sich „im Zustand von Krankheit, von physischer oder psychischer Beeinträchtigung oder von Freiheitsentzug [befinden], wodurch faktisch, auch gelegentlich, ihre Fähigkeit zu verstehen und zu wollen eingeschränkt ist, zumindest aber die Fähigkeit, der Schädigung Widerstand zu leisten“. Art. 6 § 1 SST spricht von Personen, „deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist“. Unter dem schwerwiegenden Grund für eine Amtsenthebung versteht Hubert Socha aus einer Synthese der cc. 253 § 3, 501 § 3, 810 § 1, 1740 sowie 1741 CIC/1983 das „Verhalten oder ein[en] Zustand des Amtsinhabers …, der seinen Dienst ungeachtet der Schuldfrage im Hinblick auf den kirchlichen Heilsauftrag schädlich oder zumindest dauerhaft unwirksam macht“.33 In Art. 1 § 1 CUMA wird geregelt, dass Diözesanbischöfe, Eparchen oder andere Leiter von Teilkirchen (Gebietsabt, Gebietsprälat, Apostolischer Administrator, Vikar oder Präfekt) gemäß c. 368 CIC/1983 i. V. m. c. 313 CCEO sowie alle diesen rechtlich Gleichgestellten des Amtes enthoben werden, wenn sie aus Nachlässigkeit Akte gesetzt oder unterlassen haben, die anderen, seien sie physische Personen oder Gemeinschaften als Ganze, Schaden verursacht haben, der physischer, moralischer, spiritueller Art oder in einem Patrimonium begründet sein kann. Für die Amtsenthebung kann demnach ein Handeln oder ein Nichthandeln rechtlich relevant werden, das den benannten Schaden zur Folge hat. Das Motu Proprio Vos estis lux mundi spricht im strafrechtlichen Rahmen sexuellen Missbrauchs von verantwortlichen Klerikern von „Verhaltensweisen, die … in Handlungen und Unterlassungen bestehen, die darauf gerichtet sind, die zivilen Untersuchungen oder kirchenrechtlichen Untersuchungen verwaltungsmäßiger oder strafrechtlicher Natur gegenüber einem Kleriker oder einer Ordensperson … [die Straftaten bezüglich des Verstoßes gegen das sechste Gebot oder der Kinderpornographie betreffen] zu beeinflussen oder zu umgehen“. Auch hier wird das Nichthandeln oder das Handeln als rechtlich relevant qualifiziert. Art. 1 § 4 CUMA erfasst neben den Diözesanbischöfen und anderen Teilkirchenleitern auch die Höheren Oberen der Religioseninstitute und der Gesellschaften des Apostolischen Lebens päpstlichen Rechts. Hier lässt sich berechtigterweise fragen, warum die Leiter von Säkularinstituten oder neuen Formen des geweihten Lebens nicht genannt werden.34 Zugleich verweist c. 624 § 3 CIC/1983
ments/papa-francesco-motu-proprio-20190507_vos-estis-lux-mundi.html (eingesehen am 30. 06. 2019). 33 Hubert Socha, c. 193, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: August 1988). 34 Vgl. dazu auch Robert W. Oliver, Commento alla Lettera apostolica in forma die motu proprio Come una madre amorevole del Papa Francesco, in: ME 131 (2016), S. 177, der auch nach Generalvikaren und Bischofsvikaren etc. fragt.
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bei der Amtsenthebung von Oberen auf das jeweilige Eigenrecht, das beachtet werden muss, das in der Regel jederzeit eine Enthebung vorsieht.35 Dass CUMA sich der Amtsenthebung jenseits des Strafrechts widmet, zeigt sich in Art. 1 § 2 CUMA, der feststellt, dass die Amtsenthebung völlig unabhängig von der Frage persönlicher moralischer und zurechenbarer Schuld erfolgt, was bedeutet, dass kein Vorsatz vorliegen muss, wissentlich und willentlich zu handeln oder ein Handeln zu unterlassen. Die Amtsenthebung stellt eine „Disziplinarmaßnahme“ dar.36 Dies ist ebenso in c. 1740 CIC/1983 im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens der Pfarrer geregelt, dass Gründe für dessen Enthebung auch „selbst ohne seine schwere Schuld“ vorliegen können. Die Amtsenthebung wird in Spezifikation des vorherigen Paragraphen in Art. 1 § 2 CUMA nur vorgenommen, wenn der Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht des übertragenen Amtes objektiv sehr schwerwiegend ist. Insofern wird der schwerwiegende Grund aus c. 193 CIC/1983 nochmals spezifiziert in „sehr schwerwiegend“ und „schwerwiegend“; denn Art. 1 § 3 CUMA sieht in Fällen des Missbrauchs von Kindern oder Schutzbefohlenen vor, dass diese Verletzung der Sorgfaltspflicht nur schwerwiegend sein muss, damit die Amtsenthebung vorgenommen wird und die Sorgfaltspflichtverletzung wie in anderen Fällen nicht sehr schwerwiegend sein muss.37 Das heißt, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen von einem nach Art. 1 § 1 CUMA gegebenen Schaden ausgeht. Für die Unterscheidung von „sehr schwerwiegend“ und „schwerwiegend“ werden keine weiteren Kriterien angegeben, außer dass in Fällen sexuellen Missbrauchs die Sorgfaltspflichtverletzung als schwerwiegend anzusehen ist. Der Gesetzgeber verzichtet darauf, konkrete Gründe aufzulisten, was im Rahmen der Amtsenthebung von Pfarrern in c. 1741 CIC/1983 vorgesehen ist. Diese Liste ist nicht taxativ und kann in der Praxis hilfreich sein.38 Die Amtsenthebung von Pfarrern kann gem. c. 1741 CIC/1983 erfolgen aufgrund von schwerem Schaden oder Verwirrung der kirchlichen Gemeinschaft, Unfähigkeit zur fruchtbringenden Ausübung des Amtes aufgrund von körperlicher oder geistiger Defizienz oder von Unerfahrenheit, des Verlustes des guten Rufes „bei rechtschaffenen und angesehenen Pfarrangehörigen oder Abneigung gegen den Pfarrer, die voraussichtlich nicht so bald behoben werden“ kann, oder nach Verwarnung weiter begangene Verletzung oder grober Vernachlässigung der Amtspflichten oder einer „schlechte[n] Vermögensverwaltung verbunden mit einem schweren [nicht durch andere Maßnahmen zu behebenden] Schaden für die Kirche“. Der Gesetzgeber hätte mit einer Nennung möglicher Gründe für eine schwerwiegende oder sehr schwerwiegende Verletzung der Sorgfaltspflicht eventuell zur erfolgreichen Anwendung des neuen Gesetzes beigetragen. Nun lässt sich nur im Rahmen der analogen Methode auf c. 1741 CIC/1983 zugreifen, eingedenk aber 35
Vgl. James H. Provost, Commentary on c. 193, in: John P. Beal/James A. Coriden/ Thomas J. Green (Hrsg.), New Commentary on the Code of Canon Law, New York/Mahwah 2000, S. 225 – 226, hier S. 226 sowie Aymans-Mörsdorf, KanR I (Anm. 16), S. 499 f. 36 May, Amtsenthebung (Anm. 21), S. 209. 37 Die Formel vom sehr schwerwiegenden Grund findet sich z. B. in c. 290 38 CIC/1983. 38 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1741, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: April 1992).
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der Tatsache, dass die Ämter des Diözesanbischofs und des Pfarrers einen unterschiedlichen Verantwortungsgrad aufweisen.39 Das Motu Proprio überlässt daher die Frage der Festlegung, ob sehr schwerwiegende Gründe für eine Amtsenthebung vorliegen, der jeweiligen Einzelfallprüfung außer in Fällen des Missbrauchs von Kindern oder Schutzbefohlenen und einer damit verbundenen Sorgfaltspflichtverletzung, die als schwerwiegender Grund gilt. In Darstellung des geordneten Vorgehens, das c. 193 § 1 CIC/1983 generell vorsieht, ist das Motu Proprio CUMA wesentlich detaillierter. Art. 2 CUMA regelt die Zuständigkeit und weitere Schritte des Ermittlungsverfahrens. In diesen Fällen kann dem Fall entsprechend eine Zuständigkeit für die Kongregation für die Bischöfe, die Kongregation für die Evangelisierung der Völker, die Kongregation für die orientalischen Kirchen oder die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften des Apostolischen Lebens bestehen.40 Da es sich nicht um einen gerichtlichen Prozess handelt, ist keiner der Gerichtshöfe des Apostolischen Stuhls bzw. die Römische Rota involviert, die gemäß c. 1406 § 3 CIC/1983 „über Bischöfe in Streitsachen“ richtet. Auch wenn es sich um kein strafrechtliches Verfahren handelt, die im Fall von Bischöfen gemäß c. 1405 § 1 38 CIC/1983 dem Papst selbst vorbehalten sind, ist der Papst die letztentscheidende Instanz gemäß Art. 5 CUMA, auf den im Folgenden noch eingegangen wird. Die zuständige Kongregation leitet ein Ermittlungsverfahren ein, wenn es Indizien für die Erfüllung der in Art. 1 CUMA genannten Tatbestände eines schwerwiegenden oder sehr schwerwiegenden Verstoßes gegen die Sorgfaltspflicht gibt. Der betroffene Teilkirchenleiter wird informiert und ihm wird die Möglichkeit gegeben, Dokumente und Zeugenaussagen vorzubringen. Art. 2 § 2 CUMA widmet sich dem Verteidigungsrecht des Betroffenen, der sich entsprechend seinen Rechten verteidigen darf, was dem Grundrecht der Gläubigen nach c. 221 § 1 CIC/1983 entspricht. Zudem ist auf die nicht sehr spezifizierten Rechte des Betroffenen gemäß der cc. 50 und 51 CIC/1983 sowie der cc. 192 – 195 CIC/1983 hinzuweisen. Es sollte zu einem Enthebungsverfahren gehören, dass der betroffene Schadensverursacher angehört wird, dass er sich entsprechend verteidigen kann, über den Verfahrensstand informiert wird und die Entscheidung mit der entsprechenden Rechtsmittelbelehrung und der Möglichkeit des Einlegens entsprechender Rechtsmittel ergeht.41 Der Betroffene erhält Kenntnis von allen Verfahrensschritten und erhält die Möglichkeit, mit dem Oberen der Kongregation zu sprechen. Falls der Betroffene die Initiative zum 39 Vgl. Fernando Puig, La responsabilità giuridica dell’autorità ecclesiastica per negligenza in un deciso orientamento normativo, in: IusE 28 (2016), S. 718 – 734, hier S. 724. 40 Read, Comment (Anm. 22), S. 18 hingegen zählt statt der Kongregation für die Bischöfe die Kongregation für den Klerus auf. Vgl. dagegen die korrekte Benennung der Kongregation im obigen Sinn bei Oliver, Commento (Anm. 34), S. 176. Puig, Responsabilità (Anm. 39), S. 720 weist zudem in Fällen des Personalordinariats der in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche stehenden Gläubigen anglikanischer Tradition auf die Zuständigkeit der Glaubenskongregation hin. 41 Vgl. Oliver, Commento (Anm. 34), S. 179 f. sowie Socha, c. 193, Rdnr. 2 (Anm. 33).
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Gespräch nicht ergreift, wird die zuständige Kongregation einen solchen Versuch unternehmen. Nach Art. 2 § 3 CUMA kann die Kongregation auf der Grundlage des vom Betroffenen Vorgebrachten ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchführen. Art. 3 CUMA gibt die Möglichkeit, nicht die Pflicht, dass vor einer Entscheidung die Kongregation andere Bischöfe oder Eparchen der Bischofskonferenz des betroffenen Gebiets bzw. der Bischofssynode der Kirche eigenen Rechts zum Fall des Betroffenen anhören kann. Im Unterschied zu c. 1742 CIC/1983 im Kontext über die Amtsenthebung von Pfarrern, ist diese Anhörung keine Pflicht und der Personenkreis ist nicht vorgeschrieben, da c. 1742 CIC/1983 zwei vom Priesterrat benannte Pfarrer für die Anhörungen vorsieht.42 Über diese Normen hinaus äußert sich CUMA nicht zur Frage von weiteren Vernehmungen von Personen oder Sammlung von Informationen vor Ort etc. Ferner finden sich keinerlei Bestimmungen, die die Rolle und die Anhörung des Geschädigten vorsehen. Zudem findet ein möglicher Schadensersatz gemäß c. 128 CIC/1983 keine Erwähnung.43 Gemäß Art. 123 § 2 der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus44 richtet auch die Apostolische Signatur über Schäden, die aus unrechtmäßigen Akten entstanden sind.45 Diese Fragen wären im Gesetz und nicht auf der Ebene von Ausführungsbestimmungen zu regeln, denn zentraler Punkt in Art. 1 CUMA ist die Verursachung eines Schadens aufgrund von Handeln oder Nichthandeln von Bischöfen, die die Sorgfaltspflicht ihres Amtes sehr schwerwiegend bzw. schwerwiegend verletzen. Nach der möglichen Anhörung anderer Bischöfe fällt die zuständige Kongregation gemäß Art. 3 § 2 CUMA in einer ordentlichen Sitzung ihren Beschluss. Nach Art. 4 § 1 CUMA hat sie zwei Möglichkeiten: Sie erlässt in kürzest möglicher Zeit das Enthebungsdekret oder sie fordert den Betroffenen auf, seinen Verzicht (renuntiatio) auf sein Amt in einer Frist von 15 Tagen anzubieten.46 Wenn der Betroffene nicht innerhalb der Frist antwortet, kann die zuständige Kongregation das Amtsenthebungsdekret erlassen. Das Dekret muss gemäß der cc. 37, 51 und 193 § 4 CIC/1983 auf dem Schriftweg ergehen. Die zweite Möglichkeit mit der vorgeschalteten Bitte um den angebotenen Amtsverzicht hat in c. 401 § 2 CIC/1983 seine kodikarische
42
Vgl. Oliver, Commento (Anm. 34), S. 180 f. Vgl. kritisch ebd., S. 182 sowie Puig, Responsabilità (Anm. 39), S. 724. 44 Johannes Paul II., Apostolische Konstitution über die Römische Kurie Pastor Bonus, in: AAS 80 (1988), S. 841 – 930; dt.-lat. Fassung: Codex Iuris Canonici. Auctoritate Ioannis Pauli PP. II. promulgatus. Lateinisch-deutsche Ausgabe, hrsg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz, der Erzbischöfe von Luxemburg und von Straßburg sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von Lüttich und von Metz, Kevelaer 52001, S. 771 – 833. 45 Vgl. Thomas Schüller, Art. Amtshaftung, in: LKRR I, S. 126 – 128, hier S. 127. 46 Es ist in Art. 4 von Disposizioni sulla rinuncia die vescovi diocesanie die titolari di uffici die nomina pontificia, in: AAS 106 (2014), S. 882 – 884 grundsätzlich vorgesehen, dass die höhere zuständige Autorität Bischöfe bitten kann, Ihren Amtsverzicht anzubieten. 43
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Grundlage.47 Die Bitte, den Amtsverzicht innerhalb von 15 Tagen anzubieten, ist im Enthebungsverfahren für Pfarrer in c. 1742 § 1 CIC/1983 explizit vorgesehen. Alle benannten Entscheidungen der Kongregation gemäß Art. 3 und 4 CUMA unterliegen nach Art. 5 CUMA der approbatio specifica des Papstes, die zur Folge hat, dass die Entscheidung gemäß Art. 126 des Regolamento Generale della Curia Romana (RGCR)48 als vom Papst selbst vorgenommen gilt, was bedeutet, dass es gegen diese Entscheidungen gemäß Art. 134 § 4 des RGCR keinerlei Rekursmöglichkeit mehr gibt, der den cc. 1732 – 1739 CIC/1983 folgen könnte.49 Bevor der Papst seine definitive Entscheidung trifft, soll er sich mit einem Kollegium von Juristen beraten, das er ad casum beruft. Weder die Zahl der Juristen des Kollegiums noch deren Qualifikation werden näher bestimmt. Es ist davon auszugehen, dass es sich um Experten des Kirchenrechts handeln soll. Dies wäre im Gesetz selbst, aber zumindest in entsprechenden Ausführungsbestimmungen zu präzisieren. Der Papst wäre natürlich, auch wenn dies ausdrücklich in CUMA nicht vorgesehen ist, frei, den Betroffenen ebenso nochmals anzuhören. Nach c. 195 CIC/1983 besteht nach durch Dekret vorgenommener Amtsenthebung für eine gewisse Zeit eine Versorgungspflicht für den Betroffenen, falls das Amt, dessen er enthoben wurde, seinen Unterhalt sicherte. Man wird den Enthobenen voraussichtlich nicht wieder als Diözesanbischof einsetzen. Auch dazu könnte das Motu Proprio CUMA Regelungen vorsehen, ebenso zur Frage von Aufenthaltsgeboten und -verboten. Diese Fragen werden im Motu Proprio CUMA nicht geregelt. Es ist zumindest nach c. 195 CIC/1983 eine entsprechende Versorgung sicherzustellen, entweder durch eine entsprechende Pension oder eine Versorgung, die mit einem anderen Amt verbunden ist.50 Der Betroffene hat in diesem Verfahren, da der Papst sich die Entscheidung durch die approbatio in forma specifica zu eigen macht, keine Möglichkeit zum hierarchischen Rekurs und ein weiterer Rechtsweg ist damit nicht mehr möglich. Wenn doch Hinweise auf eine Straftat etwa auf der Grundlage des Straftatbestands von c. 1389 CIC/1983 vorliegen, muss nach einer Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC/1983 auch ein entsprechendes strafrechtliches Verfahren erwogen und dann gemäß c. 1718 CIC/1983 eingeleitet werden. Dies sollte nicht durch das oben beschriebene Verfahren einer Amtsenthebung substituiert werden.51 Der c. 1389 CIC/1983 widmet sich zwei unterschiedlichen Straftatbeständen mit obliga47
Vgl. Read, Comment (Anm. 22), S. 18. Regolamento Generale della Curia Romana (RGCR), in: AAS 91 (1999), S. 629 – 699. 49 Vgl. Ulrich Rhode, Art. Approbation, in: LKRR I, S. 214 – 217, hier S. 216. 50 Vgl. Pablo Gefaell, Commentary on c. 195, in: Angel Marzoa/Jorge Miras/Rafael Rodríguez-Ocana (Hrsg.), Exegetical Commentary on the Code of Canon Law I, Montreal/Chicago 2004, S. 1076 – 1078, hier S. 1078 sowie James I. Donlon, Remuneration, Decent Support and Clerics Removed from the Ministry of the Church, in: Canon Law Society of America Proceedings 66 (2004), S. 93 – 113. 51 Vgl. Read, Comment (Anm. 22), S. 19 sowie Oliver, Commento (Anm. 34), S. 182 f. 48
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torischen, aber nicht bestimmten Strafen. In c. 1389 § 1 CIC/1983 wird explizit die privatio, die Amtsabsetzung nach c. 196 CIC/1983, nicht ausgeschlossen. Zum einen stellt er in c. 1389 § 1 CIC/1983 den Missbrauch eines kirchlichen Amtes oder eines kirchlichen Dienstes unter Strafe je nach Schwere des jeweiligen Handelns oder Nichthandelns unabhängig von einem möglichen Schaden. C. 1389 § 2 CIC/1983 stellt das Setzen oder Unterlassen eines rechtswidrigen Aktes der jeweiligen Gewalt bzw. eines Dienstes, das einen Dritten schädigt, unter Strafe, die auch im Fall von Fahrlässigkeit verhängt wird.52 Nach c. 1350 CIC/1983 ist auch im Fall der Bestrafung für den notwendigen Unterhalt des Betroffenen zu sorgen. Die Kommentierung des Motu Proprio CUMA hat gezeigt, dass manches durch das Gesetz näher geregelt werden könnte. So würde eine beispielhafte, nicht erschöpfende Nennung möglicher Gründe für eine schwerwiegende oder sehr schwerwiegende Verletzung der Sorgfaltspflicht zur erfolgreichen Anwendung des Motu Proprio beitragen. Auch zur Frage der Rolle und der Anhörung des Geschädigten fehlen Bestimmungen des Gesetzgebers. Ferner wäre es angemessen, dass ein möglicher Schadensersatz gemäß c. 128 CIC/1983 im Motu Proprio Erwähnung findet, da der zentrale Punkt des Gesetzes die Verursachung eines Schadens aufgrund von Handeln oder Nichthandeln von Bischöfen, die die Sorgfaltspflicht ihres Amtes sehr schwerwiegend bzw. schwerwiegend verletzen, ist. Die genannten Desiderate sollten im Gesetz oder zumindest in einer entsprechenden Ausführungsbestimmung etwa in Form einer Instruktion gem. c. 34 CIC/1983 behoben werden, damit das Gesetz sein Ziel erreicht, Schaden verursachendes Handeln bzw. Nichthandeln und die entsprechend sehr schwerwiegende oder schwerwiegende Verletzung der Sorgfaltspflicht durch Bischöfe mit der Konsequenz der Amtsenthebung zu versehen.
52 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1389, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: November 1993). Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 4), S. 465 f.
Der Pfarrer als „Pastor proprius“ Erinnerung an ein verfassungsrechtliches Grundprinzip Von Christoph Ohly In seinem Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ vom 29. Juni 2019 beschreibt Papst Franziskus mit erkennbarem Realismus die aktuelle Situation der Kirche.1 Zugleich kennzeichnet er wegweisende Leitlinien für eine notwendige Erneuerung der Kirche und ihrer Sendung in der Welt von heute. Darunter findet sich unter anderem der mit Nachdruck formulierte Gedanke, dass der seit langem fortschreitenden „Erosion des Glaubens“, die auf geistlicher Ebene ebenso wie in den sozialen und kulturellen Bereichen erkannt werden könne, nicht einfach mit Veränderungen in der kirchlichen Struktur zu begegnen sei: „Die derzeitige Situation anzunehmen und sie zu ertragen, impliziert nicht Passivität oder Resignation und noch weniger Fahrlässigkeit; sie ist im Gegenteil eine Einladung, sich dem zu stellen, was in uns und in unseren Gemeinden abgestorben ist, was der Evangelisierung und der Heimsuchung durch den Herrn bedarf. Das aber verlangt Mut, denn, wessen wir bedürfen, ist viel mehr als ein struktureller, organisatorischer oder funktionaler Wandel.“2
Vielmehr sieht Papst Franziskus in der Konzentration auf Strukturfragen „eine der ersten und größten Versuchungen“, die im Glauben daran bestehe, „die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen.“3 Diese Fragen seien zwar wichtig und man käme möglicherweise auch zu einem „gut strukturierten und funktionierenden, ja sogar ,modernisierten‘ kirchlichen Organismus“.4 Dieser stünde jedoch in der Gefahr, letztlich „ohne Seele und ohne die Frische des Evangeliums“ und daher dauerhaft fruchtlos zu bleiben.5 Daher sei in Verbindung mit konkreten Fragen der Strukturveränderungen immer und unverzichtbar der „Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen, um die Zukunft mit Vertrauen und Hoffnung in den Blick zu nehmen.“6 Die Kirche habe als „Trägerin der Evangelisierung […] unablässig selbst 1 Papst Franziskus, Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ vom 29. 06. 2019, in: ORdt, Nr. 28 vom 12. 07. 2019, S. 7 – 9. 2 Papst Franziskus, Brief (Anm. 1), Nr. 5. 3 Papst Franziskus, Brief (Anm. 1), Nr. 5. 4 Papst Franziskus, Brief (Anm. 1), Nr. 5. 5 Papst Franziskus, Brief (Anm. 1), Nr. 5, auch Nr. 6. 6 Papst Franziskus, Brief (Anm. 1), Nr. 7. Vgl. dazu auch Joseph Ratzinger, Was heißt Erneuerung der Kirche, in: JRGS 8/1, Freiburg i. Br. 2010, S. 1186 – 1202; Ders., Eine Ge-
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[zu] vernehmen, was sie glauben muss, welches die Gründe ihrer Hoffnung sind und was das neue Gebot der Liebe ist.“7 Die Zielrichtung der päpstlichen Äußerungen ist einsichtig. Strukturfragen können sich verselbstständigen und von der inhaltlichen Dimension einer notwendig geistlichen Erneuerung der Kirche in Leben und Sendung loslösen. Daher bedarf es der steten Rückbindung möglicher struktureller Veränderungen an die Maßgabe des Glaubens und an das Selbstverständnis der Kirche als Sakrament, „das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“8 Das gilt auch und gerade für die Veränderungen auf der Ebene der Pfarreien, wie sie seit Jahrzehnten in den deutschsprachigen Bistümern zu beobachten sind. Die diözesanen Pfarreistrukturen durchlaufen dabei vielfältige Wandlungen, deren Legitimation in den Auswirkungen der gesellschaftlichen Entwicklungen, zumeist aber in Mangelerscheinungen im Raum der Kirche selbst begründet wird, spezifisch im Mangel an Priestern, die der Pfarrei als Pfarrer vorstehen, im Mangel an Gläubigen, die gemäß c. 515 § 1 CIC/1983 den Kern einer Pfarrei als „eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen“ ausmachen, sowie im Mangel an gemeinschaftlicher und missionarischer Praxis des Glaubens, der im einen Glauben der Kirche verankert ist. Auf diese Mangelsituationen strukturell verändernd zu reagieren, darf gemäß den Aussagen von Papst Franziskus nicht rein äußerlich bleiben. Die Korrekturen pfarrlicher Konturen müssen demzufolge aus der missionarischen Verfasstheit des Glaubens entwickelt werden und dabei die ekklesiologische Struktur der kirchlichen Glaubensgemeinschaft als indispensable Vorgabe berücksichtigen. Im Spannungsfeld von normativer Maßgabe und aktueller Anpassung sind daher die diözesanen Strukturveränderungen der Pfarreienlandschaft in den vergangenen Jahren immer auch Gegenstand der kanonistischen Diskussion gewesen. An den kirchenrechtswissenschaftlichen Überlegungen hat sich Wilhelm Rees, dem diese Festschrift gewidmet ist, mit zahlreichen Beiträgen beteiligt und sie mitzugestalten sich bemüht.9 meinschaft auf dem Weg. Von der Kirche und ihrer immerwährenden Erneuerung, in: JRGS 8/ 1, Freiburg i. Br. 2010, S. 1216 – 1230; Ders., Die Neuevangelisierung, in: JRGS 8/1, Freiburg i. Br. 2010, S. 1231 – 1242; Anna E. Meiers, „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20). Streiflichter zur Wiederentdeckung der missionarischen Dimension der Kirche, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina MeckelPfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Reform an Haupt und Gliedern. Impulse für eine Kirche „im Aufbruch“ (= WTh 14), Würzburg 2017, S. 149 – 180. 7 Papst Franziskus, Brief (Anm. 1), Nr. 7. Vgl. dazu auch Ders., Apostolisches Schreiben „Evangelii gaudium“ vom 24. 11. 2013, in: AAS 105 (2013), S. 1019 – 1137, dt. Fassung: VApSt 194, hier bes. Nr. 110 – 175. 8 LG 1. 9 Als Auswahl: Wilhelm Rees, Die Mitwirkung von Laien bei der Gemeindeleitung. Kritische Überlegungen zu einem neuen kirchenrechtlichen Modell, in: FKTh 12 (1996), S. 1 – 15; Ders., Die Pfarrei als Ort der Seelsorge und die Möglichkeit der Teilhabe von Laien an der Gemeindeleitung. Rechtliche Grundlagen einer zukunftsorientierten Pastoral, in: Hans Paarhammer (Hrsg.), Deus Caritas. Jakob Mayr. Festgabe 25 Jahre Weihbischof von Salzburg, Innsbruck 1996, S. 393 – 406; Ders., Die Sicherung der Hirtensorge. Can. 517 § 2 CIC und die österreichischen diözesanen Rahmenordnungen, in: Johannes Panhofer/Sebastian Schneider
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Die nachfolgenden Ausführungen, die an das unverzichtbare verfassungsrechtliche Grundprinzip des „Pastor proprius“ im Bereich der Pfarrei erinnern möchten, sollen daher ein Zeichen des Dankes für den Jubilar und sein vielfältiges Wirken im Kontext der Kanonistik sein.
I. Theologischer Bildbegriff als ekklesiologische Maßgabe 1. Ausdruck einer Zuordnung In der Eröffnungsnorm zum kodikarischen Pfarreienrecht stellt der kirchliche Gesetzgeber fest, dass die Pfarrei „unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten (proprio eiusdem pastori) anvertraut wird.“ Als solchem ist ihm die Hirtensorge für die pfarrliche Gemeinschaft der Gläubigen mit jenen Rechten und Pflichten anvertraut, die das Amt des Pfarrers charakterisieren (cc. 519 – 539 CIC/1983; cc. 281 – 298 CCEO). Der Begriff des „Pastor proprius“ verbalisiert und normiert dabei ein theologisch durchdrungenes Bild, das die ekklesiologische Grundstruktur der Kirche erfasst. Jeder Gemeinschaft von Gläubigen (communio fidelium) ist aufgrund der hierarchischen, im Willen Christi selbst gründenden Struktur der Kirche (communio hierarchica) ein sakramental bevollmächtigtes Leitungsamt zugewiesen, das in seinem Dienstcharakter für die Gläubigen die Stellung und das Wirken Jesu Christi als Haupt der Kirche repräsentiert. Das Bild des „eigenen Hirten“, der den göttlichen Hirten der Kirche in Leben und Dienst vergegenwärtigt, ist grundlegend in eine größere Sicht der Kirche hineingestellt, wie sie in der kirchlichen Bildsprache des II. Vatikanischen Konzils aufgenommen und entfaltet worden ist. Die Konzilsväter haben in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium eine Grundentscheidung getroffen. In LG 6 definieren sie die Kirche nicht mit Hilfe einer abstrakten Formel, sondern verwenden zahlreiche Bildworte Jesu aus den Evangelien und aus den Briefen des Apostels Paulus, um das Wesen und die Sendung der Kirche gemäß LG 1 zu beschreiben. Dazu gehören beispielsweise die Bildworte vom Weinstock und den Reben (Joh 15,1 – 5), vom Guten Hirten und dem Schafstall (Joh 10,1 – 10), vom Bräutigam und der Braut (Eph 5,25 f.) oder vom Bauwerk Gottes (1 Kor (Hrsg.), Spuren in die Kirche von morgen. Erfahrungen mit Gemeindeleitung ohne Pfarrer vor Ort – Impulse für eine menschennahe Seelsorge (= Kommunikative Theologie 12), Ostfildern 2009, S. 156 – 174. Weiter gefasst: Ders., Strukturveränderungen in der Kirche, in: Monika Datterl/Wilhelm Guggenberger/Claudia Paganini/Roman A. Siebenrock (Hrsg.), Papst Franziskus. Ein erstes Resümee (= ThTr 26), Innsbruck 2016, S. 197 – 216; Ders./Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg/Basel/Wien 2014; Ders./Joachim Schmiedl (Hrsg.), Die Erinnerung an die Synoden. Ereignis und Deutung – im Interview nachgefragt (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 4), Freiburg/Basel/Wien 2017.
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3,9), dem Haus des Herrn (1 Tim 3,15), in dem die Gemeinschaft der Heiligen als Familie Gottes wohnt. Die wohl umfassendste Bildbeschreibung der Kirche findet sich in der trinitarischen Bildkomposition, wenn das Konzil die Kirche als Volk Gottes, Leib des Herrn und Tempel des Heiligen Geistes beschreibt: „So aber betet und arbeitet die Kirche zugleich, dass die Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den Tempel des Heiligen Geistes, und dass in Christus, dem Haupte aller, jegliche Ehre und Herrlichkeit dem Schöpfer und Vater des Alls gegeben werde.“10
Diese ekklesiologische Bildersprache macht deutlich, dass es bei allen Bildern nicht um eine simple Gleichsetzung von Kirche und Bild gehen kann. Die Kirche ist nicht einfach ein Volk, ein Leib oder ein Tempel. Vielmehr tritt dem Bild durch den Gottesglauben etwas Entscheidendes hinzu, das die Kirche als Wirklichkeit Gottes erkennen lässt. Biblische Kirchenbilder sind folglich nicht einfach menschliche Bilder, sondern tragen in sich ein Glaubenswort über und von Gott. Sie werden daher auch „theologische Bildbegriffe“ genannt, die etwas von Gott und seiner Kirche künden, das über das verwendete Bild hinausgeht.11 Ein solcher theologischer Bildbegriff wird auch da erkennbar, wo die kirchliche Lehre betont, dass eine Pfarrei nicht ohne Pfarrer, eine Diözese nicht ohne Bischof, die Weltkirche nicht ohne das Petrusamt sein können. Die Kirche bezeichnet die Gemeinschaft aller Getauften, unter denen gemäß c. 208 CIC/1983 (c. 11 CCEO) aufgrund von Taufe und Firmung „eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken“, herrscht. Doch zur kirchlichen Gemeinschaft gehört immer und unverzichtbar das Amt des in der Weihe sakramental bevollmächtigten Vorstehers. Er wird dargestellt als Stellvertreter des Guten Hirten Jesus Christus, der persönlich – durch das Leben und den Dienst des jeweiligen Amtsträgers vermittelt – die Gemeinschaft seiner Brüder und Schwestern leitet. In diesem Sinne liegt alle Leitungsvollmacht beim Bischof bzw. Priester, der Jesus Christus zeichenhaft und wirkmächtig zugleich repräsentiert. In der sakramentalen und personalen Stellvertretung Christi liegt jenes „unipersonale Leitungsprinzip“ begründet, das die universale Kirche und in ihr die Partikularkirche kennzeichnet. Der Gemeinschaft der Gläubigen (Pfarrei, Diözese, Universalkirche) steht ein Priester bzw. ein Bischof gegenüber, der durch die Weihe und den Sendungsauftrag Christus als das Haupt der Kirche, als das Haupt dieser konkreten Gemeinschaft der Gläubigen sakramental vergegenwärtigt. Demzufolge liegt die Vollmacht zur Leitung in ein- und derselben Hand. Unter Beachtung der konziliaren Lehre, dass die Kirche grundlegend die Gemeinschaft 10 LG 17. Vgl. Gerhard Ludwig Müller, Das trinitarische Grundverständnis der Kirche in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“, in: MThZ 45 (1994), S. 451 – 465. 11 Vgl. dazu Winfried Aymans, Die Kirche – Das Recht im Mysterium Kirche, in: HdbKathKR3, S. 32 – 41. Dazu auch Joseph Ratzinger, Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: JRGS 8/1, Freiburg i. Br. 2010, S. 258 – 282.
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aller Getauften umgreift und damit die Verantwortung aller am Sendungsauftrag der Kirche betont12, lehrt das Konzil aber auch, dass der Herr selbst den Zwölf, die er aus dem großen Kreis seiner Jünger herausruft13, eine qualifizierte Teilhabe an den drei Diensten des Lehrens, Heiligens und Leitens überträgt, indem er sie an seiner Vollmacht als Gesandter des Vaters teilhaben lässt.14 Sie sollen in seiner Person und in seinem Namen handeln. Diese in der Kirche wirkende und durch das Sakrament der Weihe vermittelte geistliche Vollmacht der Apostel (potestas sacra) erwächst demzufolge nicht aus einem innerkirchlichen Ordnungsdrang, es handelt sich „nicht um Gemeindebildung, nicht um die Tendenz einer bestimmten Gruppe“15. Sie besitzt vielmehr einen eigenen Ursprung, indem sie direkt von Jesus Christus auf die Apostel übertragen und im Weihesakrament kontinuierlich durch die Geschichte der Kirche hindurch vermittelt wird (Apostolische Sukzession). Sie stammt nicht aus Eigenem, sondern ist wesenhaft Teilhabe an der Vollmacht Christi. Die Leitungsvollmacht, die durch das II. Vatikanische Konzil gegen alle historischen Deformationen (wie z. B. in der Zeit der Kurfürstbischöfe) als untrennbar mit der Weihevollmacht verbunden und gelehrt wird, bedeutet aber nicht exklusive Alleinverantwortung. Das gilt einerseits für die Formen stellvertretenden Handelns als vikarielle Mitverantwortung in der Ausübung des sakramentalen Vorsteheramtes. So üben beispielsweise der Generalvikar und der Gerichtsvikar die Leitungsvollmacht des Diözesanbischofs im Bereich der potestas administrativa und der potestas iudicialis in vikarieller Vollmacht aus. Das ermöglicht andererseits Formen der Mitverantwortung, die grundlegend durch die Norm des c. 129 § 1 CIC/1983 bestimmt ist. Demzufolge können Laien bei der Ausübung der Leitungsvollmacht nach Maßgabe des Rechts mitwirken (cooperari possunt).16 Diese Form der Kooperation berührt zunächst nicht die eigenverantwortliche Sendung eines jeden Gläubigen, der allein oder in Gemeinschaft im Bereich der Verkündigung (beispielsweise in der Katechese), der Heiligung (beispielsweise durch Formen christlicher Spiritualität) und der Leitung (beispielsweise durch die Leitung eines kirchlichen Vereins) seine kirchliche und missionarische Sendung erfüllt. Der einzelne Christ trägt hier aufgrund von Taufe und Firmung eine indispensable Mitverantwortung. Gleichzeitig kann der Christgläubige aber in institutionalisierter Weise eine Mitverantwortung an der Ausübung der Leitungsvollmacht des sakramental bevollmächtigten Vorstehers versehen, wie sie sich exemplarisch im konsiliaren Element 12
Vgl. vor allem LG 30 – 38, auch c. 204 § 1 CIC/1983 (c. 7 § 1 CCEO). Vgl. Mk 1,16 – 20; 3,13 – 19; Mt 9,9; 10,1 – 4; Lk 6,12 – 16. 14 LG 19. 15 Joseph Ratzinger, Das geistliche Amt und die Einheit der Kirche, in: JRGS 12, Freiburg i. Br. 2010, S. 51 – 69, hier 57. 16 Vgl. dazu Aymans/Mörsdorf, KanR I, S. 385 – 444; auch Marcus Nelles, Die geistliche Vollmacht, in: HdbKathKR3, S. 199 – 206; Helmuth Pree, Die Ausübung der Leitungsvollmacht, in: HdbKathKR3, S. 207 – 233. 13
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der Kirche (z. B. Pfarrgemeinderat, Diözesanpastoralrat oder Diözesansynode) realisiert. Durch gemeinsame Beratung werden Entscheidungen vorbereitet, für deren Inkraftsetzung und Umsetzung der sakramental bevollmächtigte Vorsteher eine Verantwortung trägt, die er nicht delegieren kann. Eine solche institutionalisierte Mitverantwortung ist darüber hinaus beispielsweise auf der Ebene der Pfarrei besonders auch im Fall von Priestermangel möglich, wenn gemäß c. 517 § 2 CIC/198317 ein Diakon oder ein Laie an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei beteiligt wird und für Einzelbereiche Verantwortung übertragen bekommt. In diesem Fall ist jedoch ein Priester zu bestimmen, der die Hirtensorge leitet (curam pastoralem moderetur), auch wenn er nicht als Pfarrer der Pfarrei kanonisch installiert ist.18 2. Hinterfragung und Neumodellierung In den zurückliegenden Jahren ist es in den Diözesen immer wieder zu weitgehenderen Vorschlägen bezüglich der pfarrlichen Neustrukturierung gekommen.19 Dabei sind im gegenwärtigen Augenblick drei Tendenzen zu beobachten. Zum einen werden zur Aufrechterhaltung der bisherigen Pfarreien Laien in Anwendung der Norm des c. 517 § 2 CIC/1983 verstärkt in „Leitungsaufgaben“ einbezogen. Sie übernehmen damit die Aufgaben des Ansprechpartners vor Ort, mit der in der Regel auch die Verantwortung für bestimmte Seelsorgsaufgaben verbunden ist. In diesem Fall wird gemäß kodikarischer Bestimmung ein Priester, der nicht Pfarrer vor Ort ist, mit der Leitung der Hirtensorge betraut. Daneben ist als zweite Tendenz zu beobachten, dass ein Diözesanbischof für eine vakante Pfarrei ein Leitungsteam aus Laien bestellt, das seine Aufgaben unter der bischöflichen Autorität erfüllt.20 Ein moderierender (leitender) Priester kommt hier nicht mehr zum Einsatz. Schließlich wird der Versuch unternommen, der Pfarrei ein Leitungsgremium (Leitungsteam) vorzustellen, in dem ein Priester vorbehaltlich seiner kodikarischen Stellung als Pfarrer als einer unter mehreren Verantwortungspersonen verstanden wird.21 Bei allem bleibt die Frage 17
Der CCEO kennt dazu keine Parallelnorm. Vgl. dazu exemplarisch Christoph Ohly, Kooperative Pastoral. Eine kanonistische Studie zu den Veränderungen teilkirchlicher Seelsorgestrukturen in den Diözesen der Kölner Kirchenprovinz (= DiKa 17), St. Ottilien 2002, bes. S. 45 – 63; Michael Böhnke, Pastoral in Gemeinden ohne Pfarrer. Interpretation von c. 517 § 2 CIC/1983 (= BzMK 12), Essen 1994; Michael Böhnke/Thomas Schüller (Hrsg.), Gemeindeleitung durch Laien? Internationale Erfahrungen und Erkenntnisse, Regensburg 2011. 19 Vgl. exemplarisch Bischof Stephan Ackermann, Gesetz zur Umsetzung der Ergebnisse der Diözesansynode 2013 – 2016 (Umsetzungsgesetz) vom 09. 10. 2019, in: KA Trier 163 (2019), S. 214 – 243. Einen hilfreichen Überblick zu den 27 deutschen Diözesen bietet www.katholisch. de/artikel/17959-priester-laien-teams-wer-leitet-die-pfarreien (eingesehen am 12. 09. 2019). 20 Vgl. zur Regelung im Erzbistum München und Freising: Robert Lappy, Erprobung kollegialer Leitung im Erzbistum München und Freising, in: https://www.euangel.de/ausgabe-2 2019/leitung/erzbistum-muenchen-und-freising-erprobung-kollegialer-leitung-von-pfarrverbaen den (eingesehen am 12. 09. 2019). 21 Vgl. Ackermann, Gesetz (Anm. 19), Art. 1, §§ 25 – 34, hier bes. §§ 25 und 27. 18
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nach der Bedeutung des Pfarrers als „Pastor proprius“ der Pfarrei. Hat dieses ekklesiologisch und verfassungsrechtlich begründete Bild ausgedient oder muss es in den Entwicklungen einer neuen Bedeutung zugeführt werden? Ein Blick in die grundlegenden Normen des Pfarreienrechts kann darauf eine klärende Antwort geben, mit der ein Plädoyer für den Pfarrer als „Pastor proprius“ im Sinne der sakramental bevollmächtigten Repräsentanz des Guten Hirten der Kirche verbunden ist.22
II. Verbindung von Pfarrei und Pfarrer Auf der Grundlage der Norm des c. 515 § 1 CIC/1983 zur Stellung des Pfarrers als „Pastor proprius“ der Pfarrei kann herausgestellt werden, dass dem Pfarrer die Hirtensorge (cura pastoralis) für die Angehörigen seiner Pfarrei als Teilhabe am bischöflichen Hirtenamt und damit als Teilhabe am Amt Christi zugewiesen wird.23 Grundsätzlich wird nach Maßgabe des Rechts der Pfarrer vom Diözesanbischof ernannt.24 Die tatsächliche Leitung der Pfarrei obliegt gemäß c. 526 § 2 CIC/1983 (c. 287 § 2 CCEO) immer nur einem einzigen Pfarrer, was auch für eine Pfarrei gilt, die nach c. 517 § 1 CIC/1983 (c. 287 § 2 CCEO) in solidum konstituiert ist.25 Diese Norm gilt unabänderlich, was der Zusatz des c. 526 § 2 CIC/1983 verdeutlicht, dass „jede gegenteilige Gewohnheit verworfen und jedes gegenteilige Privileg widerrufen“ ist. Da die Pfarrei eine juristische Person im Sinne der kirchlichen Rechts darstellt, vertritt der Pfarrer die Pfarrei nach Maßgabe des c. 532 CIC/1983 (c. 290 § 1 CCEO) rechtlich.26 Die Notwendigkeit hierzu stellt c. 118 CIC/1983 dar, der normiert, dass jede juristische Person der Kirche eines Vertreters bedarf, dem „diese Kompetenz durch allgemeines oder partikulares Recht […] zuerkannt wird“. Diese Funktion des Pfarrers leitet sich aus einem der drei Dienstämter der Kirche – dem Leitungsamt (munus regendi) – ab, das dem Bischof übertragen ist27 und an dem 22
Vgl. grundlegend Heribert Hallermann, Pfarrei und pfarrliche Seelsorge. Ein kirchenrechtliches Handbuch für Studium und Praxis (= KStKR 4), Paderborn u. a. 2004. 23 Vgl. dazu auch Kongregation für den Klerus, Instruktion „Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde“ vom 04. 08. 2002, in: VApSt 157, Bonn 2002, hier II, 3. 24 Vgl. c. 515 § 1 i. V. m. c. 523 CIC/1983 (cc. 279 und 284 § 1 CCEO). 25 Vgl. Matthias Pulte, Abbruch oder Neukonzeption? Ein kanonistischer Einblick in die Strukturierungsprozesse in deutschen Diözesen, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Lebendige Strukturen. Herausforderungen und Chancen (= WTh 11), Würzburg 2015, S. 267 – 312, hier S. 278 – 279. Dazu auch René Löffler, Gemeindeleitung durch ein Priesterteam. Interpretation des can. 517 § 1 CIC/1983 unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Rechtslage (= BzMK 31), Essen 2001. 26 Vgl. Heribert Hallermann, Die rechtliche Vertretung der Pfarrei durch den Pfarrer. Kanonistische Erwägungen aufgrund gewandelter Verhältnisse, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (Hrsg.), In mandatis meditari. Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (= KST 58), Berlin 2012, S. 521 – 536, hier S. 527 – 528. 27 Vgl. LG 20.
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der Pfarrer mittels seiner kanonischen Installation durch den Diözesanbischof Anteil gewinnt. Die Hirtensorge, von der c. 515 § 1 CIC/1983 (c. 279 und 280 CCEO) spricht, beinhaltet zudem die beiden anderen Dienstämter des Heiligens (munus sanctificandi) und des Lehrens (munus docendi). Dabei muss bedacht werden, dass stets alle drei munera gemeinsam als Ausdruck und Vollzug der Dienste des Hauptes der Kirche, Jesus Christus, des Priesters, Königs und Propheten, zu denken und zu vollziehen sind.28 Die Pfarrei kann umschrieben werden als „nichtkollegiale Personengemeinschaft“29 und damit einhergehend als juristische Person, die eines Vertreters bedarf, der im Amt des Pfarrers gegeben ist. Auch deswegen ist es eindeutig, dass es keine Pfarrei ohne Pfarrer geben kann (mit Ausnahme der in den cc. 524 – 525 CIC/1983 beschriebenen Zeit der Vakanz) und es überdies nicht zu einer Errichtung einer vakanten Pfarrei kommen kann, da diese „keine Pfarrei im kanonischen Sinn ist“.30 Im Sinne der Pfarrei als certa communitas christifidelium nach c. 515 § 1 CIC/1983 (c. 279 CCEO) ist der Pfarrer ganz und gar Teil dieser communitas als deren eigener Hirte. Er ist somit weder „über der Pfarrei und auch nicht der Pfarrei gegenüber“.31 Mit anderen Worten: In ordentlicher kanonischer Form gibt es weder einen Pfarrer ohne Pfarrei, noch eine Pfarrei ohne Pfarrer.32 Die Gesamtheit der pfarrlichen Hirtensorge inklusive rechtlicher Vertretung der Pfarrei ist die dem Pfarrer „eigene, nicht abgebbare und unvertretbare Verantwortung […] von der ihn auch der Diözesanbischof nicht dispensieren kann und darf – sofern er ihn nicht seines Amtes als Pfarrer entheben will“.33 Daraus ergibt sich die ekklesiologisch und verfassungsrechtlich begründete Verbindung des kanonischen Pfarrers mit der Pfarrei. Mit der kanonischen Leitungsaufgabe der Pfarrei darf nur ein einziger Pfarrer betraut werden. Dass die Person, die das Pfarreramt bekleidet, ein geweihter Priester sein muss, regelt die Norm des c. 521 § 1 CIC/1983 unzweideutig.34 Die Pfarreileitung durch ein Team mehrerer hauptamtlicher Mitarbeiter, in dem jedes Mitglied im rechtlichen Sinne
28 Vgl. Hallermann, Die rechtliche Vertretung der Pfarrei (Anm. 26), S. 530 f.: „Nach dem Konzept des CIC/1983 sind jedoch die pfarrliche Hirtensorge einerseits und die rechtliche Vertretung der Pfarrei andererseits nicht voneinander zu trennen; beide fallen im Kirchenamt des Pfarrers zusammen.“ Ebenso Christoph Böttigheimer, Das kirchliche Amt vor neuen Herausforderungen? Problembestimmung und Lösungsansätze, in: ZKTh 137 (2015), S. 285 – 298, hier S. 289 – 290. 29 Nach Ludwig Schick, zitiert in: Hallermann, Die rechtliche Vertretung der Pfarrei (Anm. 26), S. 531. 30 Hallermann, Die rechtliche Vertretung der Pfarrei (Anm. 26), S. 531. 31 Hallermann, Die rechtliche Vertretung der Pfarrei (Anm. 26), S. 532. 32 Vgl. Stephan Haering, Die Ausübung pfarrlicher Hirtensorge durch Diakone und Laien. Gesamtkirchliches Recht und partikularrechtliche Ausgestaltung, in: AfkKR 165 (1996), S. 353 – 372, hier S. 360. 33 Vgl. Ludwig Schick, zitiert in: Hallermann, Die rechtliche Vertretung (Anm. 26), S. 536. 34 Vgl. Haering, Die Ausübung pfarrlicher Hirtensorge (Anm. 32), S. 360.
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gleichrangig ist, ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen und würde auch dem der Kirche zugrundeliegenden unipersonalen Leitungsprinzip widersprechen. Diese als pfarrliche Hirtensorge (cura pastoralis) zu fassende Leitungsvollmacht, die allein dem Pfarrer als „Pastor proprius“ eigen ist, ist jedoch zugleich zu unterscheiden von der Seelsorge (cura animarum), an der auch andere Gläubige Anteil gewinnen können und die sich als inhaltliche Partizipation an der gemeinsamen Verantwortung für die kirchliche Sendung entfaltet.35 Die Beteiligung weiterer Hauptamtlicher an der cura animarum ist deshalb gemäß c. 519 CIC/1983 (c. 281 § 1 CCEO) nicht nur vorgesehen, sondern als Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung für die Pfarrei möglich und im Blick auf deren Sendung sinnvoll und notwendig.
III. Pfarrliche Hirtensorge des Pfarrers Dem Pfarrer einer Pfarrei obliegt nach c. 515 § 1 CIC/1983 (c. 279 CCEO) die Hirtensorge für die ihm anvertraute bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen in seiner Funktion als deren eigener Hirte. Der Gesetzgeber überträgt diese Sorge dem Pfarrer als Teilhabe am bischöflichen Hirtenamt.36 Mit dieser Übertragung geht die Pflicht einher, die Hirtensorge in persönlicher Verantwortung zu vollziehen, auch und gerade dann, wenn der Pfarrer durch weitere Kleriker und Laien gemäß c. 519 CIC/1983 (c. 281 § 1 CCEO) unterstützt wird. Als zu schützendes Gut übertragen, muss der Pfarrer für die rechte Ausübung derselben Sorge tragen. Die Norm des c. 517 CIC/1983 (c. 287 § 2 CCEO) beschreibt mit aller Deutlichkeit die Notwendigkeit der Ausübung der Hirtensorge durch einen einzigen Priester. So legt § 1 fest, dass selbst bei Einsetzung einer Gruppe mehrerer Priester in solidum ein einziger derselben „Leiter des seelsorglichen Wirkens“ sein muss. Gilt dies bei Bestehen dieser Spezialform einer Pfarreileitung, so in gleichem Maße bei der Konzeption anderer „Pastoralteams“, wie c. 517 § 2 CIC/1983 festlegt. Auch hier muss es ein Priester sein, „der, mit den Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Hirtensorge leitet“. Die theologische Grundlage stellt die Norm des c. 519 CIC/1983 (c. 281 § 1 CCEO) in eindrücklicher Weise auf. Als „Pastor proprius“ der ihm übertragenen Pfarrei, nimmt der Pfarrer als geweihter Priester teil am bischöflichen Amt „des Lehrens, des Heiligens und des Leitens“.37 Er ist auf pfarrlicher Ebene der sakramental bevollmächtigte Repräsentant des Hauptes der Kirche, Jesus Christus. In seiner Person handelt er sakramental – und das heißt sichtbar stellvertretend – als geistliches Haupt der Pfarrei, dessen Wesen Dienst und Hingabe an die ihm anvertrauten Gläubigen darstellt. 35 Vgl. Ludger Müller/Christoph Ohly, Katholisches Kirchenrecht. Ein Studienbuch (= utb 4307), Paderborn 2018, hier S. 297. 36 Dazu auch Ohly, Kooperative Pastoral (Anm. 18), S. 10 – 12. 37 Vgl. LG 28.
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Weiter führt der Gesetzestext aus, dass an der Hirtensorge in den drei Bereichen von Lehre, Heiligung und Leitung „nach Maßgabe des Rechts auch andere Priester oder Diakone mitwirken sowie Laien mithelfen“ können. Die Normen der cc. 517 und 519 CIC/1983 (cc. 287 § 2 und 281 § 1 CCEO) stellen eindeutig fest, dass im rechtlichen Sinne der Pfarrer „Vorgesetzter“ aller an der Seelsorge überdies beteiligter Personen sein muss. Dieser Vorsitz erstreckt sich unweigerlich auf alle drei Bereiche des Amtes, inklusive des Leitungsdienstes. Diese Feststellung mindert selbstverständlich nicht den zu beachtenden und durch den Pfarrer zu fördernden Anteil der Laien an der Sendung der Kirche, wie dies insbesondere die Norm des c. 529 § 2 CIC/1983 markiert. Schließlich ist auf die Bestimmung des c. 526 § 2 CIC/ 1983 (c. 287 § 2 CCEO) zu verweisen. Der Gesetzgeber legt eindeutig und zweifelsfrei fest, dass „in ein und derselben Pfarrei nur einer Pfarrer oder Leiter gemäß c. 517 § 1 sein [- darf]; jede gegenteilige Gewohnheit wird verworfen und jedes gegenteilige Privileg widerrufen“. Diese normative Feststellung gilt auch für alle Formen der sogenannten „Pastoralteams“.
IV. Einheit der Dienstämter – Aufteilung des munus regendi? Ein „Leitungsteam“ einer Pfarrei, das aus für die Pfarreileitung gleichberechtigten Personen besteht, kann es im Licht der kirchenrechtlichen Normen und ihrer ekklesiologischen Grundlegung nicht geben. Das gilt sowohl für das Leitungsteam, wie es im Umsetzungsgesetz für die Trierer Diözesansynode unter Beachtung einer gewissen Vorbehaltsstellung des Pfarrers angedacht wird38, als auch für die Pilotprojekte des Erzbistums München und Freising, in denen Leitungsteams ohne die Beteiligung eines Pfarrers / Priesters installiert werden.39 In jeder auch gemeinschaftlichen Ausübung der Seelsorge muss ein geweihter Priester als Pfarrer nach cc. 515 § 1, 519 und 526 CIC/1983 (cc. 279, 281 § 1 und 287 CCEO) oder als Moderator gemäß c. 517 § 1 und § 2 CIC/1983 (c. 287 § 2 CCEO) Leiter und damit als geistliches Haupt fungieren, das in sakramentaler Stellvertretung Christus selbst sichtbar macht. Eine inhaltliche und personelle Schwerpunktsetzung in den verschiedenen Bereichen der pfarrlichen Seelsorge kann und soll gemäß c. 519 CIC/1983 (c. 281 § 1 CCEO) jedoch durchaus geschehen und auch gewinnbringend sein. Eine Gefahr besteht dabei aber in der möglichen Reduzierung der Zuständigkeit des geweihten Priesters auf den Bereich der Sakramentenspendung als Ausdruck seiner Leitungsvollmacht, der eine Art „Handlungsvollmacht“ anderer in der Seelsorge Tätigen gegenüber gestellt wird. Damit wäre das geschichtlich ausmachbare Trennungsdenken in Bezug auf die geistliche Vollmacht in der Kirche (Weihe- und Leitungsvollmacht) wieder zum Greifen nahe, das eben durch das II. Vatikanische Konzil und durch den 38 39
Vgl. Anm. 19. Vgl. Anm. 20.
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Codex Iuris Canonici als „letztem Dokument des Konzils“ (Johannes Paul II.) endgültig überwunden worden ist.40 Die Folge eines solchen Denkens wäre eine neben der sakramental begründeten Leitungsvollmacht allein an der Funktion orientierte Parallelstruktur von „laikalen“ Leitungsaufgaben.41 Daher gilt es zu bedenken, dass die fundamentale Aufgabe der Kirche – neben der Verkündigung des Evangeliums und der Caritas als geordnete Form der Nächstenliebe – in der Verwaltung der Sakramente, die ihren Höhepunkt in der Feier der Eucharistie findet,42 niemals als ein Teilbereich neben anderen bewertet werden kann. Die Norm des c. 897 CIC/1983 (c. 698 CCEO) verdeutlicht dies eindeutig, wenn die heiligste Eucharistie als „Gipfelpunkt und Quelle“ bezeichnet, durch die „die Einheit des Volkes Gottes bezeichnet und bewirkt sowie der Aufbau des Leibes Christi vollendet“ wird. Die rechtmäßige Unterweisung der Gläubigen hin zu diesem Verständnis über Wesen und Inhalt des Altarsakraments wird u. a. durch c. 898 CIC/1983 (c. 699 § 3 CCEO) zur Pflicht erhoben.43 Um den Gipfelpunkt und die Quelle allen kirchlichen Handelns zu feiern, bedarf es des geweihten Priesters.44 Der „Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft“45 stellt überdies den Ausgangspunkt aller pfarrlichen Seelsorge dar, worin eingeschlossen sein muss, dass im Vollzug des Sakraments alle drei Dienstämter des Pfarrers dargestellt werden. Der Priester handelt in der Feier der Eucharistie in persona Christi46 und steht so für Christus, den Herrn der Kirche, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten. Es ist theologisch eindeutig, dass der Priester auch im sakramentalen Vollzug nie nur in persona Christi des ewigen Hohepriesters handelt. Stets sind alle drei Dienstämter gemeinsam und untrennbar zu sehen. Eine Festigung dieser Tatsache stellt c. 1009 § 3 CIC/1983 dar, der besagt, dass die Bischöfe und Priester in persona Christi Capitis handeln.47 40
Vgl. dazu Aymans/Mörsdorf, KanR I, S. 391 – 402. Vgl. Ohly, Kooperative Pastoral (Anm. 18), S. 60 – 64. 42 Vgl. c. 528 § 2 CIC/1983 (c. 289 § 2 CCEO): „Der Pfarrer hat dafür Sorge zu tragen, dass die heiligste Eucharistie zum Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft der Gläubigen wird […]“. Auch cc. 897 – 899 CIC/1983. Vgl. Joseph Ratzinger, Recht der Gemeinde auf Eucharistie? Die „Gemeinde“ und die Katholizität der Kirche, in: JRGS 8/1, Regensburg 2010, S. 538 – 555. 43 Ebenso nochmals c. 528 § 2 CIC/1983 (c. 289 § 2 CCEO). 44 Vgl. c. 900 § 1 CIC/1983 (c. 699 § 1 CCEO). 45 So c. 528 § 2 CIC/1983 (c. 289 § 2 CCEO). 46 Vgl. c. 899 § 1 CIC/1983. 47 Die Diakone sind in diese Definition explizit nicht mit eingeschlossen, siehe c. 1009 § 3 CIC/1983. Vgl. dazu Stephan Haering, Die Änderung der weiherechtlichen Grundnormen des Codex Iuris Canonici durch das Motu proprio Omnium in mentem, in: AfkKR 181 (2012), S. 6 – 24; Christoph Ohly, Omnium in mentem. Ein notwendiger Schritt zur Klärung von Wesen und Sendung des Diakons?, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (Hrsg.), In mandatis meditari. FS für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (= KST 58), Berlin 2012, S. 561 – 577; Matthias Pulte, Repraesentatio in persona Christi serviens. Kanonistische Überlegungen zu den ordinationsrechtlichen Weichenstellungen für Diakone im Motu proprio „Omnium in mentem“, im nachsynodalen apostolischen Schreiben „Verbum Domini“ Benedikts XVI. und in der Instruktion „Universae Ecclesiae“ der 41
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Sind in Christus die drei Dienstämter der Kirche untrennbar vereint, bestehen sie auch in jenen geweihten Dienern der Kirche gleichberechtigt fort, die in persona Christi agieren. „Durch den Dienst des Priesters“ bringt sich Christus selbst den Gläubigen dar.48 Zelebriert der Priester die Eucharistie, so tut er dies als Repräsentant Christi einerseits und als Repräsentant des Volkes Gottes andererseits.49 So, wie diese doppelte Repräsentation in Einheit mit den drei Dienstämtern der Kirche in der Eucharistiefeier ineinanderwirkt, können auch die Bereiche der Seelsorge nicht verabsolutiert und dabei unter mehreren Verantwortlichen eigenberechtigt aufgeteilt werden. Geschieht dies dennoch, „würde die Kirche in eine sakramental-geistliche unsichtbare Gemeinschaft und in ein bloß von Menschen geschaffenes Gebilde getrennt“.50
V. Anteil der Priester am Dienst der Einheit Ausgehend vom Bischofsamt unter dem Haupt des Bischofskollegiums, dem Papst, erörtert die Dogmatische Konstitution des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche Lumen Gentium die eigene und vornehme Würde des priesterlichen Amtes.51 So bekunden die Konzilsväter, dass die Priester „das Amt Christi des Hirten und Hauptes […] entsprechend dem Anteil ihrer Vollmacht“ ausüben.52 In diesem theologischen Kontext und auf eben diesem Fundament ist auch der priesterliche Dienst an der Einheit des Gottesvolkes zu lesen, denn es sind die Priester, die „die Familie Gottes als von einem Geist durchdrungene Gemeinde von Brüdern [– sammeln] und die durch Christus im Geist zu Gott dem Vater [– führen]“.53 Der Dienst an der Einheit, der dem Papst und den Bischöfen von Christus dem Herrn der Kirche übertragen wurde, ist stets Abbild und Zeichen der Einheit Jesu Christi.54 Der priesterliche Dienst an der Einheit des Gottesvolkes besteht in der Vereinigung aller Christgläubigen im Geiste der Frohbotschaft Jesu Christi und der Tradition seiner heiligen Kirche. Diese priesterliche Aufgabe ist folglich vom Bischofsamt her zu denken. Als sorgsame Mitarbeiter, die Hilfe und Organ der Ordnung der Bischöfe zum Dienst am GotKommission Ecclesia Dei, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (Hrsg.), In mandatis meditari. FS für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (= KST 58), Berlin 2012, S. 579 – 601. 48 Vgl. c. 899 § 1 CIC/1983. 49 Vgl. c. 899 § 1 CIC/1983. 50 Haering, Die Ausübung pfarrlicher Hirtensorge (Anm. 32), S. 361. 51 Vgl. etwa LG 21, 21, 28. 52 So LG 28. 53 So LG 28. 54 Vgl. Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution „Pastor Bonus“ vom 28. 06. 1988, in: AAS 80 (1988), S. 841 – 934 und 87 (1995) 588; dt. Fassung in CIC/1983, lat.dt. Ausgabe, Kevelaer 20189, S. 775 – 831, hier Einführung, Nr. 1.
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tesvolk sind,55 kommt den Priestern vom episkopalen Amt diese Aufgabe zu. Insofern ist es problematisch, diese priesterliche Aufgabe des Dienstes an der Einheit als zwischen verschiedenen pastoralen Mitarbeitern aufteilbar bzw. vom Dienst der Leitung abgelöst zu konzipieren. Von der bischöflichen Leitungsaufgabe erwächst dieser Dienst der Einheit und bleibt somit den damit in den Pfarreien betrauten Pfarrern vorbehalten. Die spezifische Würde des amtlichen Priestertums darf durch eine theologisch nicht begründbare „Demokratisierung“ der hierarchischen Verfassung der Kirche56 nicht untergraben werden.57 Abbild dieser Einheit der Gläubigen in der Gemeinschaft mit Gott kann und muss gerade auch die Pfarrei sein.58 Bereits im Jahre 1995 warnte deshalb der Beschluss „Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde“ der Deutschen Bischofskonferenz vor einer pragmatischen Kurzsichtigkeit, indem darin mit Blick auf die Zusammenarbeit von Pfarrer und weiteren pastoralen Diensten in der Pfarrei von heute festgestellt wurde: „Dabei soll darauf geachtet werden, daß hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pastoral nicht durch einen allgemeinen Seelsorgsauftrag für die gesamte Pastoral einer Pfarrei oder durch Häufung von Seelsorgsaufgaben faktisch in die Rolle der Gemeindeleitung gedrängt werden. Ihrem Berufsprofil entspricht eher die Verantwortung für Teilbereiche der Seelsorge […].“59
VI. Resümee Im Licht der vorausgehenden Überlegungen muss im Zusammenhang mit den aktuellen Versuchen diözesaner Reformen der Pfarrstrukturen die Bedeutung des Pfarrers als „Pastor proprius“ betont und an seine unverzichtbare Aufgabe erinnert werden. Die hierarchische Struktur der Kirche und das ihr eigene unipersonale Leitungsprinzip, das auf sakramentaler Bevollmächtigung gründet und die Vergegenwärtigung Jesu Christi als Haupt der Kirche vermittelt, lässt eine Aufteilung der damit verbundenen Leitungsvollmacht nicht zu. Der Leiter als eigenberechtigter Hirte der Pfarrei ist gemäß cc. 515, 519, 521 und 526 CIC/1983 (c. 279, 280 und 287 CCEO) immer und allein der Pfarrer. In dieser Hirtensorge (cura pastoralis) ist er nicht zu ersetzen. Zugleich sieht c. 519 CIC/1983 (c. 281 § 1 CCEO) für die Pfarrei die Bildung von „Pastoralteams“ vor, in denen durch bischöfliche Sendung weitere
55
Vgl. LG 28. Vgl. LG Drittes Kapitel. 57 Vgl. Gerhard Ludwig Müller, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg i. Br. 20129, S. 617: „,Hierarchie‘ ist das geistliche Amt, welches sich gliedert in die Stufen des Bischofs, Presbyters und Diakons, das dem sakramentalen Wesen der Kirche selbst eingestiftet ist und in der Vollmacht Jesu Christi handelt.“ 58 Vgl. Müller/Ohly, Katholisches Kirchenrecht (Anm. 35), S. 296. 59 Die Deutschen Bischöfe, Der pastorale Dienst in der Pfarrgemeinde vom 28. 09. 1995, in: DDB 54, Bonn 1995, S. 22. 56
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Priester, ständige Diakone sowie pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an und in der Seelsorge (cura animarum) unter der Leitung des Pfarrers beteiligt werden. Fasst man diese beiden Brennpunkte der Ellipse zusammen, kommt es im Blick auf eine geistliche Erneuerung der Kirche letztlich auf ein gutes Zu- und Miteinander aller Gläubigen in dem gemeinsam von Jesus Christus empfangenen Auftrag an, das Evangelium – und das heißt die Botschaft von der Erlösung und Befreiung des Menschen durch das Heilswirken des dreifaltigen Gottes – zu verkündigen und in der Tat zu bezeugen. Verkündigung und Evangelisierung ruht auf dem persönlichen und gemeinsamen Bezeugen des göttlichen Heilshandelns. Auf die Frage nach der Umsetzung dieses Zusammenwirkens hat Papst Benedikt XVI. im Gespräch mit Gläubigen einen Hinweis gegeben, der für eine geistliche und strukturelle Erneuerung der Kirche wegweisend sein kann: „Ich würde zwei wesentliche Teile in meiner Antwort gerne sehen wollen: Einerseits die Unersetzlichkeit des Priesters, Bedeutung und Weise des priesterlichen Dienstes heute; andererseits – was uns heute mehr aufgeht als früher – die Vielheit der Charismen und dass alle miteinander Kirche sind, Kirche bauen, und dass wir darum uns um das Wecken der Charismen, um dieses lebendige Miteinander mühen müssen, das dann auch den Priester trägt. Er trägt die anderen, sie tragen ihn, und nur in diesem vielschichtigen und vielfältigen Miteinander kann Kirche heute und in die Zukunft hineinwachsen.“60
Darin wird die Zielrichtung jener Evangelisierung erkennbar, an die Papst Franziskus die Kirche in Deutschland eindringlich erinnert hat. Für die aktuellen Bemühungen um die Erneuerung der diözesanen Pfarrstrukturen bedeutet dies, dass sich darin neben und mit der gemeinsamen Verantwortung aller Gläubigen auch jenes rechtstheologische Grundprinzip der Pfarreileitung durch den Pfarrer als „Pastor proprius“ widerspiegeln muss, das von der sakramental bevollmächtigten Vergegenwärtigung des Herrn der Kirche spricht. Seine Preisgabe wäre aufgrund seiner für die Kirche ekklesiologisch und verfassungsrechtlich konstitutiven Bedeutung nicht legitim und daher einer notwendigen Erneuerung der Kirche abträglich.
60 Papst Benedikt XVI., Ansprache vom 06. 08. 2008, in: http://www.vatican.va/content/be nedict-xvi/de/speeches/2008/august/documents/hf_ben-xvi_spe_20080806_clero-bressanone. html (eingesehen am 15. 09. 2019).
Der Begriff „christifidelis“ und dessen Übersetzung in moderne Sprachen Von Torbjørn Olsen Das Wort „christifidelis“ kommet im alten Codex nur viermal, aber im neuen Codex 161 Mal vor. Wir werden untersuchen, woher der Begriff „christifidelis“ kommt, wie er jetzt benutzt wird, und wie er übersetzt wird und zu übersetzen sei. Auf die Wörter „fidelis“ und „christianus“ müssen wir einen Seitenblick werfen. Auch diese kommen im neuen Codex häufig vor.1
I. Vorkodikarisches Auftreten des Begriffs „christifidelis“ Das Konzil von Trient (1545 – 63) benutzt gemäß der Sammlung „Concilium Oecumnicorum Decreta“ den Begriff „chistifidelis“ zwanzig Mal, einige Male allein2, aber meistens in der Verbindung „omnes et singoli christifideles“3, in der weiteren Form „omnes et singoli utriusque sexus christifideles“4 oder in den kürzeren Formen „omnes christifideles“5 oder „singoli christifideles“.6 Auch die Formen „universi et singoli christifideles“7 und „cuncti christifideles“8 kommen vor. In der Sammlung von Denzinger-Schönmetzer wird am häufigsten die Schreibweise „Christi fideles“ benutzt9, aber auch die Schreibweise „Christifideles“.10 Der Begriff scheint allgemein auf den Christen angewendet zu werden, die prinzipiell der katholischen Kirche
1 Vgl. Xaverius Ochoa, Index verborum ac locutionum Codicis iuris canonici, 2. Ed., Città del Vaticano 1984, S. 77 – 78, 194. 2 Vgl. Giuseppe Alberigo u. a., Conciliorium Oecumenicorum Decreta, versione italiana, Bologna 1991, S. 712, Z. 37; S. 732, Z. 7; S. 736, Z. 21; S. 743, Z. 4; S. 754, Z. 19; S. 774, Z. 11. 3 Vgl. ebd. (Anm. 2), S. 660, Z. 23; S. 713, Z. 3; S. 727, Z. 30. 4 Vgl. ebd. (Anm. 2), S. 698, Z. 14; S. 712, Z. 35. 5 Vgl. ebd. (Anm. 2), S. 671, Z. 12; S. 693, Z. 31; S. 695, Z. 25; S. 707, Z. 29; S. 711, Z. 26; S. 726, Z. 23. 6 Vgl. ebd. (Anm. 2), S. 721, Z. 27. 7 Vgl. ebd. (Anm. 2), S. 721, Z. 12. 8 Vgl. ebd. (Anm. 2), S. 726, Z. 10. 9 Vgl. DH 1635, 1643, 1659, 1684, 1700, 1708, 1710, 1731. 10 Vgl. DH 1725, 1717, 1800, 1820.
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gehören, auch wenn sie wegen Häresien oder Schisma exkommuniziert oder von „impedimenta“ getroffen sind. In der Konstitution „Populis ac nationibus“ vom 25. Januar 1585 über das paulinische Privileg spricht Gregor XIII. von den „infideles“ und den „Christifideles“.11 Die Konstitution behandelt den Fall eines verheirateten nicht-gläubigen Kriegsgefangenen, der keine Rückkehrmöglichkeit hat, der Christ geworden ist und der mit Dispens von der ursprünglichen, nicht-christlichen Ehe eine christliche Ehe schließen möchte. Hier meint mit „christifidelis“ einen Getauften. In den Dokumenten des Ersten Vatikanischen Konzils (1869 – 70) kommt der Begriff zwar nicht in den Schlussdokumenten vor, aber in einem Schema12, wo es auch um alle geht, die zum Christentum gehören.
II. Der alte Codex aus dem Jahr 1917 und dessen Interpretation Das Wort „christifidelis“ kommet in altem Codex viermal vor. In c. 931 CIC/1917 wird von „Christifideles“ gesprochen, die gewöhnlich zwei Mal monatlich zur Beichte gehen.13 In c. 1161 CIC/1917 wird eine „Kirche“ als Gottesdienstgebäude für alle „Christifideles“ (nicht nur für eine engere Gruppe) definiert.14 In c. 2003 CIC/1917 wird eine „legitimus Christifidelium coetus“ als klagefähig bei den kirchlichen Gerichten erklärt.15 In c. 2003 CIC/1917 wird allen „Christifideles“ auferlegt, in die Kanonisierungsprozesse mit eventuellen Gegenargumenten einzuschreiten.16 Dazu kommt der Begriff einmal im beigefügten Dokument VIII vor, das die genannte Konstitution „Populis ac nationibus“ wiedergibt. Der Begriff wird also im kanoni11
Vgl. DH 1988, S. 440. Vgl. Roger Aubert/Michel Gueret/Paul Tombeur, Concilium Vatican I, Concordance, Index, Listes de fréquence, Tables comparatives, Université Catholique de Louvain, Löwen 1977, Liste generale de voculaire, S. 3, 23; XIII, le schéma De Ecclesia Christi, le ler capitre additionnel code A 14; 23: christifidelis A1, Kol. 789, Z. 21: „TANQUAM VERITATEM FIDEI AB OMNIBUS * CHRISTIFIDELIBUS * CREDENDAM DECLARARE ATQUE PROPONERE HOC“. 13 Vgl. c. 931 § 3 CIC/1917: „Christifideles qui solent, nisi legitime impediantur, saltem bis in mense ad poenitentiae sacramentum accedere, aut sanctam communionem in statu gratiae et cum recta piaque mente recipere quotidie, quamvis semel aut iterum per hebdomadam ab eadem abstineant, possunt omnes indulgentias consequi, etiam sine actuali confessione quae ceteroquin ad eas lucrandas necessaria foret, exceptis indulgentiis sive iubilaei ordinarii et extraordinarii sive ad instar iubilaei“. 14 Vgl. c. 1161 CIC/1917: „Ecclesiae nomine intelligitur aedes sacra divino cultui dedicata eum potissimum in finem ut omnibus Christifidelibus usui sit ad divinum cultum publice exercendum“. 15 Vgl. c. 2003 § 1 CIC/1917: „Quivis fidelis vel legitimus Christifidelium coetus ius habet petendi ut causa apud tribunal competens instruatur“. 16 Vgl. c. 2023 CIC/1917: „In processibus beatificationis omnes Christifideles, salvo praescripto can. 2027 § 2 n. 1 tenentur, licet non vocati, ea in Ecclesiae notitiam perferre, quae contra virtutem aut miracula aut martyrium Servi Dei facere ipsis videantur“. 12
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schen Zusammenhang nicht häufig benutzt, scheint aber einen Christen zu bezeichnen, der getauft ist und der katholischen Kirche im engen Sinn gehört. Außerhalb der kirchenrechtlichen Texte ist der Ausdruck wesentlich gebräuchlicher. Eine einfache Online-Umfrage zeigt, dass das Wort in den AAS (1917) 28 Mal benutzt wurde.17 Das Wort „fidelis“ kommt im alten Codex 190 Mal vor, aber mit verschiedenen Bedeutungen. Das Wort „christianus“ wird als Adjektiv 35 Mal benutzt, aber als Substantiv nur einmal. In der fundamentalen Beschreibung eines Getauften in c. 87 CIC/1917 wird das Substantiv „christianus“ benutzt,18 ein Wort mit direktem biblischen Hintergrund: „Dort [in Antiochia] wirkten sie [Barnabas und Saulus] miteinander ein volles Jahr in der Gemeinde und lehrten eine große Zahl von Menschen. In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen [Wqistiavo_ – Christiani] (Apg 11,26)“. Das Wort „fidelis“ mit verschiedenen Formen und Bedeutungen hat auch biblischen Hintergrund: „Die gläubig gewordenen Juden [oR 1j peqitol/r pisto· – qui ex circumcisione fideles], die mit Petrus gekommen waren, konnten es nicht fassen, dass auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde (Apg 10,45).“ Pietro Gasparri (1852 – 1934), Sekretär der Päpstlichen Kommission für Kodifizierung des kanonischen Rechts und seit 1917 Präsident der Päpstlichen Kommission für die authentische Auslegung des Codex Iuris Canonici, scheint „christifidelis“ mit einem Christ oder einer getauften Person identisch zu verstehen.19 Klaus Mörsdorf (1909 – 89) versteht den „baptizatus“ und den „christianus“ als identische Wörter.20 Unter den Christen bilden die Katholiken eine Gruppe. Sie werden oft mit dem Wort „fidelis“ bezeichnet, aber auch mit dem Wort „Christifidelis“.21 Das letzte 17
Vgl. das Archiv der AAS, online auf der Website des Apostolischen Stuhles unter: http:// www.vatican.va/archive/aas/ documents/AAS-09-I-1917-ocr.pdf (eingesehen am 14. 08. 2019). 18 Vgl. c. 87 CIC/1917: „Baptismate homo constituitur in Ecelesia Christi persona cum omnibus christianorum iuribus et officiis, nisi, ad iura quod attinet, obstet obex, ecclesiasticae communionis vinculum impediens, vel lata ab Ecclesia censura“. 19 Vgl. Codex Iuris Canonici, ab E.mo Petro Card. Gasparri auctus, Typis Polyglottis Vaticanis 1974, S. 829: „Christifideles homines constituuntur baptismate, qui eos facit in Ecclesia Christi personam cum omnibus iuribus et officiis, nisi, etc., 87; proinde ius habent, servatis servandis, ad bona spiritualia et potissimum ad adiumenta ad salutem necessaria, 682; inde a pueritia in catholica religione sunt instituendi, 1372 § 1; excitandi sunt a pastoribus ˜ am Eucharistiam, 1273; sanctos et praesertim B. V. Mariam animarum ad pietatem erga ssm invocare et venerari debent, 1276; fidem aperte profiteri tenentur, si secus haberetur implicita negatio fidei aut contemptus religionis aut iniuria Dei vel scandalum proximi, 1325 § 1; ab Ecclesia iussi tenentur praestare necessaria ad cultum Dei, sustentationem clericorum et alios fines Ecclesiae proprios, 1496“. 20 Vgl. Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici, Paderborn 1937, S. 129: „Die Taufe schafft den homo christianus. Baptizatus und christianus sind gleichbedeutende Begriffe und werden vom Kodex immer in diesem Sinne gebraucht (vgl. c. 87 mit c. 1325 § 2)“. 21 Vgl. ebd. (Anm. 20), S. 129 – 130, IV, 1, a: „Die der einen, katholischen Kirche rechtlich und tatsächlich angehörenden Christen, mögen sie auch von Nichtkatholiken getauft sein oder sich von anderen christlichen Bekenntnissen zu ihr bekehrt haben (conversi, cc. 300 § 2, 1070
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Wort wird nur für Katholiken benutzt.22 Im Fall, dass Mörsdorf Recht hat, haben wir möglicherweise einen Fall parallel mit der fehlenden kanonischen Formpflicht für getaufte „catholici“ wegen persönlicher oder historischer Häresie oder Schisma. Solche Getauften sind nicht an die kanonische Formpflicht gebunden und fallen nicht unter den Begriff „christifideles“ im engen Sinn.
III. Die vorkonziliare Zeit In der Enzyklika „Mystici corporis“ von Pius XII. vom 29. Juni 1943 über den mystischen Leib Christi23 wird der Ausdruck „christifidelis“ oder „Christifidelis“ 16 Mal benutzt. In der Enzyklika „Mediator Dei“ von Pius XII. vom 20. November 1947 über die heilige Liturgie24 kommt er 46 Mal vor. In der Tat bezeichnet das Wort „christifidelis“ einen Getauften in der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche. Im Motu Proprio „Crebrae allatae“ von Pius XII. vom 22. Februar 1949 über die Disziplin der Sakramente in den orientalischen Kirchen25 kommt er auch einmal vor. Als Wirkungskreis des MP werden die „christifideles Ecclesiae Orientalis“ angegeben.26 Aber es wurde nicht deutlich gesagt, ob die Orthodoxen einverstanden waren. Später sollte diese Frage eine zentrale Rolle spielen.
IV. Das Zweite Vatikanische Konzil 1. Die Benutzung des Wortes „christifideles“ im Allgemeinen Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 65) war offenbar die Zeit reif, der Ausdruck „christifidelis“ auch in den neuen Konzils- und Gesetzestexten massiv im Gebrauch zu nehmen. In den Schlussformulierungen des Konzils wird er 77 Mal be§ 1, 1121 § 1, 1122 § 2), heißen catholici (cc. 538, 1657 § 1, 2319 u. a.). Aber der Begriff des catholicus ist nicht gleichbleibend; die persona catholica im Sinne des Mischehenrechts (c. 1060) ist eine andere als die bei der Ehe mit cultus disparitas (c. 1070 § 1) und im Eheschließungsrecht (c. 1099). Ungleich häufiger verwendet das Gesetzbuch den ebenfalls unsicheren Begriff fidelis. Abgesehen von der Bedeutung ,getreu, verläßlich‘ (cc. 432 § 1, 691 § 5, 1644) bezeichnet es den gläubigen Christen in verschiedener Begriffsweite. Bald steht es im engeren Sinne für den Katholiken (vgl. cc. 216 § 4; 239 § 1 n. 6, 240 § 2, 250 § 2, 684, 1290 § 1, 1348 und Christifidelis, c. 2003 § 1) und bald im weiteren Sinne für jeden Christen (= baptizatus) (vgl. cc. 119, 218 § 2, 906, 1124, 1126, 1188, 1203 § 1, 1276, 1325 § 1, 1384 § 1, 2268 § 1 und Christifidelis, cc. 1161, 2023)“. Rechtschreibung getreu dem Original. 22 Vgl. ebd. (Anm. 20), S. 129, Fn. 23 (zum Wort „Christifidelis“): „Hier ergibt sich klar aus der Natur der Sache (vgl. cc. 1646, 1654, 2256), daß mit ,quivis fidelis vel legitimus Christifidelium coetus‘ nur Katholiken gemeint sind. Vgl. Noval IV“. 23 In: AAS 35 (1943), S. 193 – 248. 24 In: AAS 39 (1947), S. 521 – 600. 25 In: AAS 41 (1949), S. 89 – 118. 26 Vgl. ebd. (Anm. 25), S. 117.
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nutzt27, d. h. in den Dokumenten „Sacrosanctum Concilium“ (6 Mal)28, „Inter mirifica“ (einmal)29, „Lumen Gentium“ (LG) (15 Mal)30, „Unitatis redintegratio“ (UR) (einmal)31, „Christus Dominus“ (6 Mal)32, „Perfectae caritatis“ (einmal)33, „Optatam totium“ (einmal)34, „Gravissimum educationis“ (2 Mal)35 „Nostra aetate“ (2 Mal)36, „Dei Verbum“ (3 Mal)37, „Apostolicam actuositatem“ (9 Mal)38, „Dignitatis humanae“ (2 Mal)39, „Ad Gentes divinitus“ (9 Mal)40, „Presbyterorum Ordinis“ (6 Mal)41 und „Gaudium et spes“ (GS) (13 Mal).42 2. Ein paar Beispiele aus der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ Im ursprünglichen Schema zu SC 9 (damals n. 5) hieß es: „quibus manifestum sit eos de hoc mundo“.43 Im November 1962 wurde das Schema geändert, um es mit „Mediator Dei“ in Übereinstimmung zu bringen, und die Formulierung wurde zu: „quibus quidem operibus manifestum fiat christifideles de hoc“.44 Dagegen gab schon im ursprünglichen Text, nämlich im Schema zu SC 48, die Formulierung „christifideles“ nur einmalig.45 Während der Behandlung im Konzil ist in SC 54, Abs. 1, der letzte Satz „provideatur tamen ut christifidelium etiam lingua …“ zugekommen.46 Während das Schema den Ausdruck „christianus“ hatte, wurde in SC 84 27 Vgl. Philippe Delhaye/Michel Gueret/Paul Tombeur, Concilium Vaticanum II, Concordance, Index, Lieste de fréquence, Table comparatives, Université Catholique de Louvain, Löwen 1974, S. 92 – 93 und 855. 28 Vgl. SC 9,18; 48,1; 54,6; 84,6; 106,5. Vgl. weiter 57,14. 29 Vgl. IM 2,17. 30 Vgl. LG 11,50; 31,1.3; 33,22; 37,1.14; 40,27; 41,92; 42,63; 43,26; 65,4; 69,6. Vgl. weiter 44,2; 25,44. 31 Vgl. UR 7,24. 32 Vgl. CD 6,10; 15,15. Vgl. weiter 20,8; 22,11; 30,29; 35,50. 33 Vgl. PC 12,9. 34 Vgl. OT 2,36. 35 Vgl. GE 6,23; 9,23. 36 Vgl. NA 4,7; 5,14. 37 Vgl. DV 25,9. Vgl. weiter 15,17; 22.1 38 Vgl. AA 1,3; 3,15; 11,21; 18,1; 18,12; 31,30. Vgl. weiter 3,20; 18, 7; 23,2. 39 Vgl. DH 13,29; 14,11. 40 Vgl. AG 11,3; 12,20; 15,45; 15,55; 28,1; 36,25. Vgl. weiter 12,1; 28,10; 42,9. 41 Vgl. PO 9,52; 12,6; 18,9; 22,8. Vgl. weiter 9,4; 16.4. 42 Vgl. GS 2,12; 46,15; 52,37; 56,36; 57,1; 61,34; 75,55; 76,4; 92,12. 43 Vgl. Sacrosanctum Oecumenicum Concilium Vaticanum Secundum, Schemata Constitutionum et decretorum, Series Prima, S. 161; Acta Synodalia I, I, S. 266. 44 Vgl. ebd. (Anm. 43), Acta Synodalia I, III, S. 698, 706 – 707. 45 Vgl. ebd. (Anm. 43), Schemata Constitutionum et decretorum, Series Prima, S. 175. 46 Vgl. ebd. (Anm. 43), S. 176 (n. 41).
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der Ausdruck „christifidelis“ benutzt.47 Auch in SC 106 über die Feier des Sonntags sind die „christifideles“ als die an diesem Tag Zusammenkommenden eingefügt. Der Ausdruck scheint zweckmäßig, um die gemeinsame Feier des ganzen Volks Gottes zum Ausdruck zu bringen. 3. Ein paar Beispiele aus der dogmatischen Konstitution „Lumen Gentium“ In LG 11 wurde während der Arbeit der Schlusssatz eingefügt: „Mit so reichen Mitteln zum Heile ausgerüstet, sind alle ,christifideles‘ in allen Verhältnissen und in jedem Stand je auf ihrem Wege vom Herrn berufen zu der Vollkommenheit in Heiligkeit, in der der Vater selbst vollkommen ist.“ In LG 14 wurden während der Arbeit die Gläubigen als Katholiken näher bestimmt: „Den katholischen Gläubigen [ad fideles ergo catholicos] wendet die Heilige Synode besonders ihre Aufmerksamkeit zu.“ In LG 31 ist das ursprüngliche Wort „fideles“ zum „christifideles“ geworden: „Nomine laicorum hic intelleguntur omnes christifideles praeter …“ Interessant ist die Entwicklung von LG 37. Im ursprünglichen Schema wurde von „de collaborationis laicorum principialibus formis“ gesprochen.48 Später wurde es zu „de christifidelium relatione ad Hierarchiam“ geändert.49 So wurden mit dieser Formulierung die Laien als selbstverständlicher Teil des Gottesvolkes verstanden: „Christifideles omnes, laicis non exceptis, ius habent“.50 Jetzt wollten die deutschen und die skandinavischen Konzilsväter hier die Nennung der Laien streichen.51 Die endgültige Formulierung von LG 37 lautete: „Laici, sicut omnes christifideles …“ 4. Der Begriff „christifidelis“ und andere Begriffe in der konkreten Terminologie des Konzils Das Konzil scheint den Begriff „christifidelis“ als einen geeigneten theologischen Begriff zu verstehen, um das ganze Volk Gottes zu beschreiben. Die Begriffe „fidelis“ und „christianus“ sind jedoch nicht ganz aus den Konzilsdokumenten verschwunden (vgl. LG 3, 10 und 11; UR 12; GS 22). Auch der Begriff „credentes (in/per Christum)“ wird mehrmals benutzt (vgl. LG 2, 4, 7, 9, 13, 17, 28, 65). Im Dekret UR 12 sind die nicht-katholischen Christen zweifellos im Begriff „christianus“ eingeschlossen. In der Pastoralkonstitution GS 22 scheinen die Begriffe umeinander 47 Vgl. ebd. (Anm. 43), S. 185: „Quod munus absolvit non solum per celebrationem Eucharistiae, sed etiam per mirabile illud laudis canticum, in Officio divino exstans, quod christianorum omnium nomine eorumque in beneficium adhibetur Deo, cum a sacerdotibus aliisque fiat, in hanc rem ipsius Ecclesiae instituto delegatis“. 48 Vgl. ebd. (Anm. 43), Schemata Constitutionum et decretorum, Series Prima, Schema II, S. 39 (n. 25). 49 Vgl. ebd. (Anm. 43), S. 261 (n. 26). 50 Vgl. ebd. (Anm. 43), Acta Synodalia II, Pars I, S. 261. 51 Vgl. ebd. (Anm. 43), S. 334 (Vorschlag 57).
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benutzt zu werden. Zuerst wird das Wort „christianus“ im rein theologischen Sinn benutzt: „Der christliche Mensch [christianus homo] empfängt, gleichförmig geworden dem Bild des Sohnes, der der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist, ,die Erstlingsgaben des Geistes‘ (Röm 8,23), durch die er fähig wird, das neue Gesetz der Liebe zu erfüllen. … Auch auf dem Christen [christianus] liegen ganz gewiss die Notwendigkeit und auch Pflicht, gegen das Böse … anzukämpfen …“ Aber später wird das Wort „christifidelis“ in gleicher Bedeutung benutzt: „Das gilt nicht nur für die ,christifideles‘, sondern für alle Menschen guten Willens.“
V. Die Diskussion zum Begriff „christifidelis“ vor der Promulgation des neuen Codex In den Jahren 1964 – 68 war ein umfassender Streit bezüglich der Verständnisse des Begriffs „christifidelis“ im MP „Crebrae allatae“. Zuerst sprach die Mehrheit der Autoren für die Geltung des MP für alle Orientalen, d. h. alle waren im Begriff „christifidelis“ eingeschlossen. Am 23. März 1964 antwortete die Kommission für die Ausarbeitung des Codex der orientalischen Kirchen auf eine Anfrage der Glaubenskongregation, dass es „pro nunc non expedit et dilata“, bezüglich Erweiterung des Begriffs „christifidelis“ auf die orthodoxen Christen. Eine päpstliche Kardinalskommission wurde danach errichtet, und sie antwortete am 24. Februar 1966 „affirmative“ auf die Frage der Erweiterung. Diese Antwort wurde aber von der Rota Romana und vielen Fachleuten nicht angenommen, denn sie wäre in Konflikt mit UR. Eine neue Kardinalskommission kam am 23. September 1968 zur umgekehrten Konklusion, und ihrer Entscheidung wurde vom Papst am 18. Oktober 1968 approbiert.52 Die Problemstellung war selbstverständlich nicht eine sprachliche Frage, sondern die Frage bezüglich der Gesetzgebung für getaufte Nichtkatholiken. In dieser Präzisierung wurde der Begriff „christifidelis“ vom MP „Crebae allatae“ auf den Katholiken begrenzt. November-Dezember 1966 hatte die Studiengruppe „de laicis“ innerhalb der Codex-Reform-Kommission ihre erste Session. Dort wurde die Definition der Laien in der LG 31 vom Sekretär auch für den Codex vorgeschlagen: „In canonibus qui sequuntur nomine laicorum intelleguntur omnes christifideles qui non sunt …“ Sie ist im Schema als c. 1 aufgenommen.53 Im Schema für das Lex Ecclesiae Fundamentalis (1971) wurde die Rechte und Pflichten aller „christifideles“ behandelt, aber keine Definition eines „christfidelis“
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Vgl. Udo Breitbach, Die Vollmacht der Kirche Jesu Christi über die Ehen der Getauften, Tesi Gregoriana, Serie Diritto Canonico, 27, Roma 1998, S. 111 – 115. – Seinem Bericht ist hier gefolgt. 53 Vgl. Ex Actis Pont. Comm. C. I. C. Recognoscendo, in: Com 17 (1985), S. 171 und 192.
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gegeben.54 Im Jahr 1977 kam das Schema für Liber II des neuen Codex. Hier wurde die Formulierung vom geplanten Lex Ecclesiae Fundamentalis aufgenommen.55 In c. 1 wurde die Formulierung des c. 87 CIC/1917 weitergeführt.56 Der Begriff „christifidelis“ wurde gleichzeitig durch eine Umwandlung der ursprünglichen Definition der Laien von 1966 exakt definiert. Die Definition war jedoch mehr theologisch und spirituell als juridisch, doch wurde der Laienstatus jetzt als eine „condicio iuridica“ bezeichnet.57 Im Schema zum neuen Codex wurde die Definition aufgenommen, aber jetzt ohne Ausdrücklich als Definition genannt zu werden.58 In den eingereichten Anmerkungen und den Kommentaren der Kommission war die Problematik besonders berührt worden: „Ad can. 201 1. Non placet, quia quod essentiale videtur, nempe ut Baptismo homo in Ecclesia Christi constituatur persona cum officiis et iuribus, non dicitur ,in recto‘. Praeterea locutio ,christifideles sunt qui, utpote baptismo Christo incorporati, in populum Dei sunt constituti …‘ videtur per se comprehendere etiam baptizatos qui Ecclesiae seu communitati ecclesiali ab Ecclesia Catholica seiunctae adscripti sunt. Melior erat textus can. 1 schematis 1977 ,De Populo Die‘ vel textus can. 6 schematis LEF (Cardd. Siri, Philippe, Parecattil, Bafile et Palazzini; Exc. Stewart). R. Textus manere potest uti est, quia a) quae dicenda proponuntur iam habentur in cann. 5 et 6 LEF in Codicem nunc inserendis; b) Re vera sub verbo ,christifideles‘ theologice comprehenduntur etiam baptizati non catholici, quia ipsi baptismate Christo incorporantur et in quadam cum Ecclesia catholica communione, etsi non perfecta, constituuntur (cfr. Decr. Unitatis redintegratio, n. 3). Attamen patet quod hic et in toto Codice tantummodo agitur de christifidelibus catholicis, qui nempe sunt in plena communione cum Ecclesia vinculis professionis fidei, sacramentorum 54
Vgl. Pontificia Commissio Codici Iuris Canonic recognoscendo, Schema Legis Ecclesiae Fundamentalis, Typis Polyglottis Vaticanis 1971, S. 9 (c. 2, § 3) und S. 12 – 22 (cc. 3 – 29/ 30). C. 6 geht auf der Kirche Christi im Allgemeinen. Zuerst in c. 7 wird zwischen der katholischen Kirche und anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften unterschieden. 55 Vgl. ebd. (Anm. 54), Schema Canonum Libri II De populo Dei, Typis Polyglottis Vaticanis 1972, S. 3, 4, 23 – 31 (cc. 1 – 38). 56 Vgl. ebd. (Anm. 54), S. 23: „Baptismo homo Ecclesiae Christi incorporatur et in eadem constituitur persona, cum officiis et iuribus quae christianis, attenta quidem eorum condicione, sunt propria, quatenus in ecclesiastica sunt communione atque nisi obstet lata legitime sanctio“. 57 Vgl. ebd. (Anm. 54), S. 27: „Can. 16 – Nomine christifidelium intelleguntur homines qui, utpote baptismo Christo incorporati, in Populum Dei sunt constituti, quique hac ratione, de munere Christi sacerdotali, prophetico et regali pro parte sua participes facti, unusquisque secundum propriam condicionem iuridicam, ad missionem quam Deus Ecclesiae in mundo adimplendam concredidit exercendam vocantur“. 58 Vgl. ebd. (Anm. 54), Schema Codicis Iuris Canonici, Libreria Editrice Vaticana 1980, S. 44: „Can. 201 – Christifideles sunt qui, utpote baptismo Christo incorporati, in populum Dei sunt constituti, atque hac ratione, de munere Christi sacerdotali, prophetico et regali suo modo participes facti, secundum propriam cuiusque condicionem iuridicam, ad missionem quam Deus Ecclesiae in mundo adimplendam concredidit exercendam vocantur.“
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et ecclesiastici regiminis (cfr. can. 11, § 1); ceteri christifideles legibus Ecclesiae catholicae directe non obligantur (cfr. can. 11, § 2). 2. Dicatur ,… utpote baptismo ceteris initiationis sacramentis complendo‘: cfr. can. 270 § 1 et can. 595 § 2 (Card. König). R. Additio proposita non videtur necessaria. Sufficit ut hic sermo tantum fiat de Baptismo (cfr. Const. dogm. Lumen gentium, n. 14). 3. Iuxta Const. ,Lumen gentium‘, n. 31, dicendum est in fine canonis: ,… iuridicam, pro parte sua missionem totius populi christiani in Ecclesia et in mundo exercent‘. Ratio est quia ita melius apparet quod Ecclesia composita est a christianis, qui baptismo vocantur ad Ecclesiae servitium et missionem (Exc. Bernardin). R. Animadversio recipi non potest, quia textus n. 31 Const. Lumen gentium ad christifideles laicos praesertim refertur, dum can. 201 latius patere debet. Praeterea quod in ratione animadversionis dicitur in textu canonis non negatur. Cfr. etiam responsum ad 1am animadversionem“.59
Im dem Papst 1981 vorgelegten Entwurf zum neuen Codex sind folglich die Anmerkungen nicht aufgenommen; es wurden nur sprachliche Abänderungen gemacht.60 Im Codex 1983 ist die gleiche Formulierung als c. 204, § 1, CIC/1983 unverändert geblieben, doch wird der Laienstatus als „condicio“ (und nicht mehr als eine „condicio iuridica“) bezeichnet.
VI. Der neue Codex vom Jahr 1983 Der Begriff „christifidelis“ kommt im neuen Codex 161 Mal vor, d. h. allein 127 Mal61, und dazu in den Verbindungen „consociatio christifidelium“ 17 Mal62 und „christifidelis laicus“ 17 Mal.63 Möglicherweise kann man den Gebrauch mit der grundlegenden theologischen Bedeutung aller Getauften (1), in weiter Bedeutung (nicht theologisch, aber gemäß dem Kontext) aller Getauften (2), prinzipiell aller Getauften, aber juridisch nur der Katholiken (3), in der Bedeutung der Katholiken (4) und wahrscheinlich in der Bedeutung der Katholiken (5) systematisieren.
59
Vgl. ebd. (Anm. 54), Relatio complectens synthesim animadversionum, Typis Polyglottis Vaticanis 1981, S. 49 – 50. 60 Vgl. ebd. (Anm. 54), Codex Iuris Canonici Schema Novissimum, S. 34: „Can. 204 – Christifideles sunt qui, utpote per baptismum Christo incorporati, in populum Dei sunt constituti, atque hac ratione muneris Christi sacerdotalis, prophetici et regalis suo modo participes facti, secundum propriam cuiusque condicionem iuridicam, ad missionem exercendam vocantur, quam Deus Ecclesiae in mundo adimplendam concredidit“. 61 Vgl. Ochoa, Index (Anm. 1), S. 77 – 78 62 Vgl. ebd. (Anm. 1), S. 106. 63 Vgl. ebd. (Anm. 1), S. 78.
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1. „Christifideles“ in der grundlegenden theologischen Bedeutung aller Getauften In den obengenannten Aussagen64, die in c. 204, § 1, CIC/1983 aufgenommen sind, wird das Wort „christifidelis“ nicht direkt definiert, aber in der grundlegenden theologischen Bedeutung aller Getauften benutzt: „,Christifideles‘ sind jene, die durch die Taufe Christus eingegliedert, zum Volke Gottes gemacht und dadurch auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden sind, sie sind gemäß ihrer je eigenen Stellung [condicio] zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat.“ Das Wort wird in dieser Bedeutung mehrere Male benutzt, z. B. in c. 208 CIC/1983: „Unter allen ,christifideles‘ besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.“ Wenn der Papst in c. 749 § 1 CIC/1983 als oberster Hirt und Lehrer aller „christifideles“ genannt wird, können keine Getauften von diesem göttlichen Auftrag ausgenommen sein. Wenn Johannes Paul II. in der apostolischen Konstitution „Sacrae disciplinae leges“ zum neuen Codex vom 25. Januar 1983 von „christifidelium fides, gratia, charismata ac praesertim caritas“ spricht, muss das Wort „christifidelis“ allgemeint für alle Getauften benutzt werden. Das Gleiche gilt, wenn er von „officia et iura christifidelium“ und von „mutuae christifidelium necessitudines“ spricht. Bei der Vorbereitung des Gesetzbuchs hatte die Bischofsynode 1967 von der fundamentalen Gleichheit aller „christifideles“ gesprochen (Prinzip 6; vgl. der Vorrede des neuen Codex). Es wurde auch von der persönlichen Rechtsstellung aller „christifideles“ gesprochen. Mehr konkret wird der Ausdruck wohl in dieser Bedeutung auch in cc. 210, 211, 759, 781, 835, § 4, 836, 837, § 2, 839, § 1, 840, 898, 1008, 1174, § 2, 1176, 1183, § 1, 1186, 1249, 1311 und 1446, § 1, CIC/1983 benutzt. 2. „Christifideles“ in weiter Bedeutung gemäß dem Kontext Nicht die Theologie, aber der sprachliche Kontext zeigt mehrere Male, dass das Wort „christifidelis“ in weiterer Bedeutung als der Katholiken benutzt wird: „Der Pastoralrat besteht aus ,christifideles‘, die in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen.“ (c. 512 § 1 CIC/1983) Die Mitglieder des Pastoralrates müssen folglich katholisch sein (vgl. c. 512 §§ 2 – 3 CIC/1983), aber hier wird auch vorausgesetzt, dass andere „christifideles“ gegeben sind. Bei der Übersetzung der Bücher der Heiligen Schrift dürfen die „christifideles catholici“ mit den „fratres seiuncti“ zusammenarbeiten (vgl. c. 825 § 1 CIC/1983), d. h. die Existenz der nicht-katholischen „christifideles“ wird vorausgesetzt. Im allgemeinen c. 844 CIC/1983 über die interekklesiale Sakramentenspendung wird in § 1 von „chris64
Vgl. Anm. 57, 58 und 60.
Der Begriff „christifidelis“ und dessen Übersetzung in moderne Sprachen
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tifideles catholici“ gesprochen. In § 2 werden die Katholiken nur als „christifideles“ genannt. In §§ 3 und 4 werden die Nichtkatholiken mit anderen Begriffen bezeichnet. Im (2016 neugefassten) c. 1116 § 3 CIC/1983 werden die Orthodoxen als „christifideles Ecclesiarum orientalium quae plenam cum Ecclesia catholica communionem non habeant“ bezeichnet. Wenn der Priester die Pflicht hat, die Gaben der „christifideles“ dem pfarrlichen Vermögen zuzuführen (vgl. cc. 531 und 551 CIC/1983), sind selbstverständlich Gaben von Nichtkatholiken nicht ausgenommen. 3. „Christifideles“ – prinzipiell alle Christen, aber juridisch nur Katholiken Viele generelle Aussagen bezüglich der „christifideles“ gelten theologisch allen Getauften, aber juridisch fallen die Nichtkatholiken außerhalb des Interesses der Gesetzgebung: „Kraft göttlicher Weisungen gibt es in der Kirche unter den ,christifideles‘ geistliche Amtsträger, die im Recht auch Kleriker genannt werden.“ (c. 207 § 2 CIC/ 1983). Das gilt allgemein cc. 204 – 231 (Pars I: De christifidelibus), cc. 208 – 223 (Titulus I: De omnium christifidelium obligationibus et iuribus) und cc. 224 – 231 (Titulus II: De obligationibus et iuribus christifidelium laicorum) CIC/1983. Bei der Vorbereitung des Gesetzbuchs hatte die Bischofsynode 1967 beschlossen, dass die „christifideles“ in ihrem christlichen Leben der von der Kirche angebotenen Güter teilhaft werden“ (Prinzip 1; vgl. der Vorrede des CIC). Weiter hieß es, dass das Gesetzesbuch von allen „christifideles“ leicht verstanden und benutzt werden soll. Das neueste Recht der Kirche steht nach fast 20 Jahren den Seelsorgern und den „christifideles“ zur Verfügung. Wenn in c. 750 § 1 CIC/1983 vom gemeinsamen Festhalten der „christifideles“ gesprochen wird, sind grundsätzlich alle Gläubigen gemeint, aber in der Tat muss die Bedingung sein, dass sie in der Gemeinschaft der katholischen Kirchen stehen. Die Glaubenspflicht der „christifideles“ (cc. 752, 753 und 754 CIC/1983) trifft in der Tat nur die Katholiken. In c. 221, §§ 1 und 2, CIC/1983 wird die Parteifähigkeit bei kanonischen Prozessen allgemein geregelt. Prinzipiell gilt es für alle Getauften, praktisch nur für Katholiken, mit einigen Ausnahme aber für getaufte Nichtkatholiken, und sogar für einige Nichtgetauften.65 In c. 216 CIC/1983 wird den „christifideles“ allgemein das Tätigkeitsrecht in der Sendung der Kirche zugesprochen. In c. 573 § 2 CIC/1983 wird die Entscheidung der „christifideles“ für das Ordensleben genannt (vgl. weiter cc. 574 § 2, 603 § 1, 710 und 725 CIC/1983). Es kann nur für Katholiken gelten (vgl. c. 597 § 1 CIC/1983). Im Strafrecht wird die Bestrafung der „christifideles“ geregelt (vgl. c. 1312 § 2 CIC/1983). Mehr konkret wird der Ausdruck wohl in dieser Bedeutung auch in cc. 209 § 1, 212 §§ 1 – 3, 213, 214, 217, 219, 221 § 3, 222 § 1 (und § 2), 223 §§ 1 und 2, 224, 225 § 1 (und § 2), 227, 768 § 1, 796 § 1, 797, 799, 800 § 2, 822 § 3, 843 § 2, 1043, 1249, 1260, 1261 § 1, und 1266 CIC/1983 benutzt. 65 Vgl. Torbjørn Olsen, Prozessabgrenzung und Ökumene zu Art. 3 § 2 der Instruktion „Dignitas connubii“. Festschrift für Antoni Stankiewicz „Iustitia et Iudicium“, 3. Bd., Città del Vaticano 2010, S. 1543 – 1564.
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4. „Christifideles“ in der Bedeutung der Katholiken Oft wird das Wort „christifidelis“ prinzipiell und praktisch in der Bedeutung eines Katholiken benutzt, d. h. auf die Personen angewandt, „die in der katholischen Kirche getauft oder in diese aufgenommen worden sind“ (c. 11 CIC/1983)66, z. B. zum ersten Mal im Gesetzesbuch in c. 95 § 1 CIC/1983: „Ordnungen sind Regeln oder Normen, die eingehalten werden müssen bei Zusammenkünften von Personen, seien sie von der kirchlichen Autorität angeordnet oder von den ,christifideles‘ frei einberufen, sowie bei der Durchführung anderer Veranstaltungen; durch diese wird das bestimmt, was zu Verfassung, Leitung und Vorgehensweisen gehört.“ Die Zusammenkünfte, die von Nichtkatholiken frei einberufen sind, sind kaum Regelungsgegenstand der katholischen Kirche. Die gesetzliche Regelung der Rechte und Pflichten der „christifideles“ als Folge von Ersitzung und Verjährung (vgl. c. 199 nn. 3 und 7 CIC/1983) können kaum andere als Katholiken treffen. Wenn die Sorge des Diözesanbischofs beschrieben wird, trennt man zwischen den „christifideles“ (c. 383 § 1 CIC/1983) und „fideles“ (§ 2) und den „fratres“, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen“ (§ 3). Auch später werden die Gläubigen, die dem Bistum gehören, als „christifideles“ genannt (vgl. c. 387 CIC/1983). Das Gleiche gilt für die Bischofskonferenz (vgl. c. 447 CIC/ 1983), und für die Pfarrei und den Pfarrer (vgl. cc. 515 § 1, 516 § 1, 518, 528 §§ 1 und 2, 529 § 2, und 545 § 2 CIC/1983). Es gilt auch für andere Gruppierungen innerhalb des Bistums (vgl. cc. 560, 564, 683 § 1 und 861 § 2 CIC/1983). Die, die zu Konzilen und Synoden einberufen werden können, werden „christifideles“ genannt (vgl. cc. 443 § 4, 460 und 463 § 1 n. 5 § 2 CIC/1983). Nichtkatholiken an einer Diözesansynode werden als „observatores“ genannt (vgl. c. 463 § 3 CIC/1983). Das Gleiche muss betreffs des Pastoralrats der Pfarrei gemeint sein (vgl. c. 536 § 1 CIC/1983). Die als Missionare, Katechisten und außerordentliche Spender der heiligen Kommunion beauftragten Personen werden zu den „christifideles“ gezählt (vgl. cc. 784, 785 § 1 und 910 § 2 CIC/1983). Wenn die aktiven Teilnehmer in den Aufgaben des Pfarrers als „christifideles“ genannt werden, werden sie als Katholiken verstanden (vgl. c. 519 CIC/1983). Das Gleiche gilt bei der Anhörungspflicht des Bischofs (vgl. cc. 524, 776 und 902 CIC/1983). Bei der Einführung in den Pfarrbüchern sind mit den „christifideles“ (vgl. c. 535 §§ 2 – 3 CIC/1983) klar die Katholiken gemeint. In c. 823 §§ 1 – 2 CIC/1983 werden die „christifideles“ in der Benutzung von sozialen Kommunikationsmitteln unter Aufsicht der Bischöfe gestellt (vgl. auch c. 831 § 1 CIC/1983). Die katholischen Sakramentenempfänger, Stipendiengeber und Benutzer der Ablässe werden als „christifideles“ bezeichnet (vgl. cc. 921 § 1, 923, 945 § 2, 946, 962 §§ 1 – 2, 967 § 1, 986 § 2, 987, 988 §§ 1 – 2, 991, 992, 1011 § 2 und 1063 CIC/1983).
66
Vgl. cc. 307 § 1 und 316 § 1 CIC/1983.
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5. „Christifideles“ wahrscheinlich in der Bedeutung der Katholiken Einige Male wird das Wort „christifidelis“ wahrscheinlich in der Bedeutung eines Katholiken benutzt, aber auch andere Interpretationsmöglichkeiten sind möglich. Grundlegend ist die Aussage über Mitwirkung der Nichtkleriker in der Leitung der Kirche, in. c. 129 § 1 CIC/1983: „Bei der Ausübung dieser Gewalt [der Leitungsgewalt in der Kirche] können ,christifideles laici‘ nach Maßgabe des Rechtes mitwirken.“ Es ist schwierig, hier nicht-katholische Laien unter den Gewaltenträgern zu verstehen. Die Mitglieder des Vermögensverwaltungsrats eines Bistums müssen „christifideles“ sein (vgl. c. 492 § 1 CIC/1983). Wahrscheinlich müssen sie katholisch sein, weil es zweifellos ein inneres Gremium der Kirche ist, aber es geht nicht direkt aus dem Text und Kontext hervor. Das Gleiche gilt für das Vermögenverwaltungsrat einer Pfarrei (vgl. c. 537 CIC/1983). Im Vereinsrecht spielen die „christifideles“ eine Schlüsselrolle, vgl. die Überschriften cc. 298 – 329 (Titulus V: De christifidelium consociationibus), 312 – 320 (Caput II: De christifidelium consociationibus publicis) und 321 – 326 (Caput III: De christifidelium consociationibus privatis) CIC/1983 und den festen Ausdruck „consociatio christifidelium“ in vielen canones.67 Die Hauptbestimmung ist c. 298 § 1 CIC/1983: „In der Kirche gibt es Vereine …; in ihnen sind ,christifideles‘, seien es Kleriker oder Laien, seien es Kleriker und Laien zusammen, in gemeinsamem Mühen bestrebt, ein Leben höherer Vollkommenheit zu pflegen oder den amtlichen Gottesdienst bzw. die christliche Lehre zu fördern oder andere Apostolatswerke, das heißt Vorhaben zur Evangelisierung, Werke der Frömmigkeit oder der Caritas, zu betreiben und die weltliche Ordnung mit christlichem Geist zu beleben.“ Vereinsbildung ist ein Recht der „christifideles“ und der Beitritt wird ihnen empfohlen (vgl. cc. 298 § 2, 299 § 1 und c. 327 CIC/ 1983). Die Mitgliedschaft ist nicht direkt auf den Katholiken begrenzt, folgt aber den eigenen Statuen (vgl. c. 307 § 1 CIC/1983). Aber einige Rechte der Mitglieder setzen die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche voraus (vgl. cc. 306 und 996 § 1 CIC/ 1983 und die apostolische Konstitution „Indulgentiarum doctrina“ von Paul VI. vom 1. Januar 1967 über die Neuordnung des Ablasswesens68, Normae, N. 11), und für öffentliche Vereine ist die Mitgliedschaft mit der öffentlichen Ablehnung des katholischen Glaubens oder mit der Exkommunikation nicht vereinbar (vgl. c. 316 §§ 1 und 2 CIC/ 1983). Möglicherweise hat man in einem privaten Verein von „christifideles“ weitere Mitgliedmöglichkeiten, oder man muss zwischen Mitgliedern in kanonischem Sinn und in weiterem Sinn trennen?
67
Vgl. cc. 299 § 3, 301 §§ 1 – 3, 302, 304 § 1, 305 § 1, 317 § 4, 322 §§ 1 und 2, 323 § 1, 324 §§ 1 – 2, 325 § 1, 326 § 1, 328 CIC/1983. – Vgl. auch c. 677 § 2 CIC/1983 mit dem Ausdruck „associationes christifidelium“. 68 In: AAS 59 (1967), S. 5 – 24.
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6. Das Wort „catholicus“ Das Wort „catholicus“ wird im Gesetzesbuch sehr oft benutzt, meistens als Adjektiv. Als Substantiv kommt es nur sieben Mal vor: c. 597 § 1 CIC/1983: „In ein Institut des geweihten Lebens kann jeder ,catholicus‘ aufgenommen werden, der …“; c. 755 § 1 CIC/1983: „die ökumenische Bewegung bei den ,catholici‘“; c. 1059 CIC/1983: „Die Ehe von ,catholici‘ …“; c. 1065 § 1 CIC/1983: „,Catholici‘, die das Sakrament der Firmung noch nicht empfangen haben …“; c. 1118 § 1 CIC/1983: „Eine Ehe zwischen zwei ,catholici‘ …“; c. 1170 CIC/1983: „Segnungen sind vornehmlich ,catholici‘ zu erteilen; sie können auch Katechumenen erteilt werden, und, wenn dem nicht ein Verbot der Kirche entgegensteht, sogar ,non catholici‘.“ Warum das Wort „catholicus“ und nicht der Begriff „christifidelis (in plena communione Ecclesiae catholicae)“ in diesen wenigen Fällen gewählt ist, ist nicht erkennbar. Aber die Bedeutung ist zweifellos: Es geht um Personen, die sich in der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirchen befinden. Das Wort „acatholicus“ kommt im Codex nur einmal vor, und dann als Adjektiv (vgl. c. 1366 CIC/1983). 7. Das Wort „christianus“ Das Wort „christianus“ wird im Gesetzesbuch sehr oft benutzt, meistens als Adjektiv. Als Substantiv wird es nur vier Mal benutzt: c. 96 CIC/1983 über die Rechte und Pflichten des Getauften: „die den ,christiani‘ unter Beachtung ihrer jeweiligen Stellung eigen sind“; c. 206 § 2 CIC/1983 über die Vorrechte der Katechumenen im Vergleich mit denen, „die den ,christiani‘ eigen sind“; c. 755 § 1 CIC/1983: „die Wiederherstellung der Einheit unter ,universi christiani‘ …“; c. 844 § 4 CIC/1983: „den übrigen nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehenden ,christiani‘ …“. Es geht immer um Getaufte in weiterem Sinn als Katholiken. 8. Das Wort „fidelis“ Das Wort „fidelis“ kommet sehr häufig vor. Es wird als Adjektiv und als Substantiv benutzt: c. 23 CIC/1983: „eine Gemeinschaft von ,fideles‘ …“; c. 87 CIC/1983 über das geistliche Wohl der „fideles“. Es kann in gleicher Bedeutung wie „christifidelis“ benutzt werden, aber hat normalerweise eine mehr allgemeine Bedeutung. 9. Das Wort „credentes“ Während das Wort „credentes“ in den Konzilstexten positiv benutzt wurde, wird es im Gesetzesbuch nur ein paar Mal und immer negativ benutzt (vgl. cc. 256 § 1, 771 § 2 und 787 § 1 CIC/1983).
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10. Ergebnisse Während die Wörter „christianus“ und „catholicus“ exakte juridische Begriffe sind, die nicht oft benutzt werden, ist das Wort „fidelis“ sehr allgemein. Das Wort „christifidelis“ scheint ein klarer theologischer Begriff zu sein, dem jetzt auch ein umfassender juridischer Gebrauch zukommt, aber mit sehr verschiedenen juridischen Bedeutungen. Zuerst bezeichnet es eine Person, die durch die Taufe dem Leib Christi und der Kirche Christi gehört. Grundsätzlich gibt es nur eine Kirche Christi, und sie ist in der katholischen Kirche verwirklicht (vgl. LG 8 und c. 204 § 2 CIC/1983). Deswegen ist jedes Mitglied der katholischen Kirche, d. h. jeder Katholik, als „christifidelis“ zu bezeichnen. Die Herausforderung findet sich im ekklesiologischen und ökumenischen Denken nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, wenn sowohl die Kirchen und die kirchlichen Gemeinschaften wie auch die einzeln Christen außerhalb der vollen katholischen Gemeinschaft nicht zuerst negativ verstanden werden, sondern eher als Angehörige der Kirche Christi, auch wenn die Gemeinschaft nicht vollkommen ist. Diese nicht-katholische Christen werden grundsätzlich als wirkliche Glieder der Kirche Christi verstanden und müssen deswegen theologisch vom Begriff „christifidelis“ umgefasst werden. Wenn der Begriff in vielen Zusammenhangen nur die Katholiken trifft, ist vielleicht ein Sprachgebrauch aus der vorkonziliaren Zeit vorhanden, wo die Kirche Christi nicht nur in der katholischen Kirche verwirklich war, aber mit dieser identifiziert wurde und das ökumenische Ideal und Ziel war, alle Getauften in sie hereinzuschließen. Dieser unterschiedliche Gebrauch des Begriffs ist nur aus dem Zusammenhang zu erkennen. Deswegen ist der Begriff an sich nicht sehr hilfreich, einen klaren juridischen Zustand einer Person zu bestimmen. Warum der Begriff in den neuen Codex aufgenommen wurde, ist nicht leicht erkennbar. Möglicherweise kann der häufige Gebrauch des Zweiten Vatikanischen Konzils eine Rolle gespielt haben. Schon das Konzil von Trient hatte, wie gezeigt, den Begriff auch mehrmals benutzt.
VII. Postkodikarische Texte Von den Dokumenten, die nach der Promulgation des Codex erschienen sind, sollen ein paar Beispiele genannt werden. In der apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ von Johannes Paul II. vom 28. Juni 1988 über die Neuordnung der Römischen Kurie69 hieß es, dass auch „alii christifideles“ (als Kardinäle, Bischöfe und andere Kleriker), Mitglieder einiger römischen Kongregationen sein können (vgl. Art. 3 § 2). Damit sind wahrscheinlich nur Katholiken gemeint. Die apostolische Konstitution „Sacri Canones“ von Johannes Paul II. vom 8. Oktober 1990 mit der Promulgation des Codex der katholischen Ostkirchen70 ist an die Geistlichen und die „christifideles“ 69 70
In: AAS 80 (1988), S. 841 – 923. In: AAS 82 (1990), S. 1033 – 1044.
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in den Ostkirchen gerichtet. Zwei Titel gelten besonders für die „christifideles“ (Titulus I: De christifidelibus eorumque omnium iuribus et obligationibus; Titulus XIII: De christifidelium consociationibus), d. h. der Sprachgebrauch des CIC/1983 wurde aufgenommen. Wichtiger ist die allgemeine Bestimmung über interekklesiale Sakramentenspendung, wo man nicht nur von „membra“ der nicht-katholischen Ostkirchen (vgl. c. 844 § 3 CIC/1983), sondern von „christifideles Ecclesiarum orientalium, quae plenam communionem cum Ecclesia catholica non habent“ (c. 671 § 3 CCEO) spricht. Die nicht-katholischen und nicht-orthodoxen Gläubigen werden nur als „ceteres christiani“ bezeichnet (vgl. § 4). In der apostolischen Konstitution „Fidei depositum“ von Johannes Paul II. vom 11. Oktober 1992 mit der Veröffentlichung des Katechismus der katholischen Kirche71 wird mehrere Male von den Adressaten als „christifideles“ gesprochen. Im MP „Ad tuendam fidem“ von Johannes Paul II. vom 18. Mai 1998, durch das einige Normen in den Codex Iuris Canonici und in den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium eingefügt wurden72, sind die „christifideles“ mehrere Male genannt. In der Instruktion „Dignitas connubii“ des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte vom 25. Januar 200573 wird von einem Partner gesprochen, der „christifidelis alicuius Ecclesiae orientalis acatholicae“ ist (vgl. Art. 4 § 1 n. 2). In der apostolischen Konstitution „Anglicanorum Coetibus“ von Benedikt XVI. vom 4. November 2009 über die Einrichtung von Personalordinariaten für zur katholischen Kirche übertretende Anglikaner74, Abs. 2, hieß es im erst veröffentlichen nicht-authentischen englischen Text: „Every division among the baptized in Jesus Christ wounds that which the Church is and that for which the Church exists“.75 Im gleichzeitig veröffentlichten italienischen Text hieß es: „Ogni divisione fra i battezzati in Gesù Cristo è una ferita a ciò che la Chiesa è e a ciò per cui la Chiesa esiste“.76 Viel später erschien der authentische lateinische Text mit der Formulierung: „Inter Christifideles divisio vulnus infert grave Ecclesiae mysterio“.77 Alle Getauften, auch die Anglikaner, werden hier unter die „christifideles“ eingeordnet. Im MP „Mitis Iudex Dominus Iesus“ von Papst Franziskus vom 15. August 2015 über die Reform des kanonischen Verfahrens für Ehenichtigkeitserklärungen im Codex Iuris Canonici78 werden die „christifideles“ mehrere Male genannt. Die Begrün71
In: AAS 86 (1994), S. 113 – 118. In: AAS 90 (1998), S. 457 – 461. 73 In: Com 37 (2005), S. 11 – 92. 74 In: AAS 101 (2009), S. 985 – 990, der authentische Text. 75 Die englischsprachige Version ist online auf der Website des Apostolischen Stuhles unter: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/en/apost_constitutions/documents/hf_benxvi_apc_20091104_anglicanorum-coetibus.html (eingesehen am 10. 04. 2019). 76 Die italienischsprachige Version ist online auf der Website des Apostolischen Stuhles unter: http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/it/apost_constitutions/documents/hf_benxvi_apc_20091104_anglicanorum-coetibus.html (eingesehen am 10. 04. 2019). 77 In: AAS 101 (2009), S 986. – Die offizielle Datierung der amtlichen Veröffentlichung ist am 4. Dezember 2009, vgl. S. 985. Tatsächlich ist sie aber wesentlich später erschienen. 78 In: AAS 107 (2015), S. 958 – 970. 72
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dung der Reform wird u. a. mit dem Bedürfnis der Wiederherstellung der Nähe zwischen dem Richter und den „christifideles“ begründet (Kriterium VI). Auch im MP „De concordia inter Codices“ von Papst Franziskus vom 31. Mai 2016 mit Änderung einiger Vorschriften des Codex Iuris Canonici79 werden die Bedürfnisse der orientalischen „christifideles“, hier wohl Angehörigen der katholischen Ostkirchen, genannt. Aber auch die orientalischen nicht-katholischen „christifideles“ werden genannt. Der postkodikarische Gebrauch des Begriffs „christifidelis“ bestätigt den kodikarischen Gebrauch des Begriffs. Die Benutzung des Begriffs für Nichtkatholiken, besonders für Orthodoxe, aber vielleicht auch für Anglikaner, scheint, wenn auch nicht konsequent, hinzugekommen zu sein.
VIII. Ergebnisse Der Begriff „christifidelis“ scheint ein theologisch und juridisch wichtiger und exakter, aber gleichzeitig mehrdeutiger Begriff zu sein. Die Kommission zur Reform des Codex Iuris Canonici stellte sich 1981 zu dieser Mehrdeutigkeit positiv, ohne eine Definition in den Gesetzesentwurf aufzunehmen. Das macht die Übersetzungen in moderne Sprachen sehr herausfordernd.
IX. Übersetzung in moderne nicht-deutsche Sprachen Die vatikanische Internetseite und einige andere Quellen haben folgende Übersetzungen von c. 213 CIC/1983 (Ius est christifidelibus ut ex spiritualibus Ecclesiae bonis, praesertim ex verbo Dei et sacramentis, adiumenta a sacris Pastoribus accipiant): Französisch: „Les fidèles ont le droit de recevoir de la part des Pasteurs sacrés l’aide provenant des biens spirituels de l’Église, surtout de la parole de Dieu et des sacrements“. Englisch, englisch: „Christ’s faithful have the right to be assisted by their Pastors from the spiritual riches of the Church, especially by the word of God and the sacraments“.80
79
In: AAS 108 (2016), S. 602 – 606. Translation by the Canon Law Society of Great Britain and Ireland, assisted by the Canon Law Society of Australia and New Zealand and the Canadian Canon Law Society, online unter: http://www.intratext.com/IXT/ENG0017/_PT.HTM (eingesehen am 10. 04. 2019). 80
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Englisch, amerikanisch: „The Christian faithful have the right to receive assistance from the sacred pastors out of the spiritual goods of the Church, especially the word of God and the sacraments“.81 Italienisch: „I fedeli hanno il diritto di ricevere dai sacri Pastori gli aiuti derivanti dai beni spirituali della Chiesa, soprattutto dalla parola di Dio e dai sacramenti“. Portugiesisch: „Os fiéis têm o direito de receber dos sagrados Pastores os auxílios hauridos dos bens espirituais da Igreja, sobretudo da palavra de Deus e dos sacramentos“. Spanisch: „Los fieles tienen derecho a recibir iie los Pastores sagrados la ayuda de los bienes espirituales de la Iglesia principalmente la paiabra de Dios y los sacramentos“. Niederländisch: „De christengelovigen hebben het recht uit de geestelijke goederen van de Kerk, vooral uit het woord Gods en de sacramenten, bijstand van de gewijde Herders te ontvangen“.82 Polnisch: „Wierni maja˛ prawo otrzymywac´ pomoce od swoich pasterzy z duchowych dóbr Kos´cioła, zwłaszcza zas´ słowa Boz˙ ego i sakramentów“.83 Russisch: „3Va^lV FaYbcd Y]Voc `aQS_ `aY^Y]Qcm _c bSpjV^^lf `QbclaVZ `_]_jm YX Udf_S^lf R\QT GVa[SY, `aVWUV SbVT_ YX b\_SQ 2_WYp Y YX cQY^bcS“.84 Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch und Polnisch übersetzen folglich „christifidelis“ und „fidelis“, als wären sie identische Begriffe. Dagegen probieren Englisch, Niederländisch und Russisch mehr exakte Übersetzungen zu finden. Eine weitere Frage ist, ob diese Übersetzungen reell für Interpretationsmöglichkeiten öffnen, oder zum Problem machen.
X. Deutsche Übersetzungen Die Übersetzung des Codex im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz85 hat die folgende Übersetzung des c. 213 CIC/1983: „Die Gläubigen haben das Recht, aus 81 Translation by Canon Law Society of America, online unter: https://web.archive.org/ web/ 20080219154539/http://www.vatican.va/archive/ENG1104/__PU.HTM (eingesehen am 10. 04. 2019). 82 Übersetzung in RK Documenten.nl, online unter: https://www.rkdocumenten.nl/rkdocs/ index.php?mi =600&doc=30&id=4863 (eingesehen am 10. 04. 2019). 83 Übersetzung online unter: http://www.katolicki.net/ftp/kodeks_prawa_kanonicznego.pdf (eingesehen am 10. 04. 2019). 84 Übersetzung bei Sancti Thomae Institutum, Moskau 2007, online unter: http://www.vati can.va/archive/cod-iuris-canonici/russian/codex-iuris-canonici_russian.pdf (eingesehen am 10. 04. 2019). 85 Codex des Kanonischen Rechtes, Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis, Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz u. A., Kevelaer, 5., neu gestaltete und verbesserte Auflage 2001.
Der Begriff „christifidelis“ und dessen Übersetzung in moderne Sprachen
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den geistlichen Gütern der Kirche, insbesondere dem Wort Gottes und den Sakramenten, Hilfe von den geistlichen Hirten zu empfangen.“ Die Übersetzung des Münsterischen Kommentars zum CIC hat dieser Übersetzung: „Die Christgläubigen haben das Recht, aus den geistlichen Gütern der Kirche, vor allem aus dem Wort Gottes und den Sakramenten, Hilfe von den geistlichen Hirten zu erhalten“.86 Im deutschen Herausgaben von Denzinger werden z. B. im obengenannten Text der Konstitution „Populis ac nationibus“ vom 25. Januar 1585 von Gregor XIII. die „infideles“ mit den „Ungläubigen“ und die „Christifideles“ mit den „Christgläubigen“ widergegeben.87 In seinem Wörterbuch übersetzt Rudolf Köstler „christifidelis“ mit dem Adjektiv „christgläubig“ und mit dem Substantiv „Christgläubiger“.88
XI. Schluss Das Wort „christifidelis“ hat eine so exakte und gleichzeitig zweideutige Bedeutung, dass die Übersetzung herausfordernd ist. Eine gewöhnliche Übersetzung ist nicht ohne weiteres zu empfehlen. Das lateinische Wort „christifidelis“ (zusammengeschrieben; nicht „fidelis Christi“) gehört auch zur innerkirchlichen (und sonst ungewöhnlichen) Terminologie. Es ist ein Argument, eine relativ ungewöhnliche Übersetzung zu finden. „Katholischgläubig“ wäre vielleicht in vielen Fällen die beste Übersetzung. Aber sie ist nicht gebräuchlich und deckt nicht alle Fälle. Der „Christgläubige“ in Bedeutung eines Katholiken ist nicht ohne weiteres zu empfehlen. Man könnte verschiedene Übersetzungen für verscheidende Fälle wählen. Aber solche interpretativen Übersetzungen sind auch nicht unproblematisch. Nach unserer Wahrnehmung ist die klassische deutsche Übersetzung „Christgläubig“ die am wenigsten problematische. Wie die lateinische Formulierung ist auch diese „ungewöhnlich“. Sie ist deshalb auch für verscheidende Interpretationen offen. Sie ist klar dem „Gläubigen“ vorzuziehen.
86
Heinrich J.F. Reinhardt, c. 213, Übersetzung, in: MK CIC (Stand nicht angegeben). Vgl. Henrich Denzinger, Kompendium der Glaubenserkenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, 40. Auflage 2005, Freiburg i. Br. 1991/2005, Nr. 1988, S. 606 – 607. 88 Vgl. Rudolf Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici, München 1929, S. 67. 87
„Die formale Willenserklärung zum Austritt aus der Kirche“ Ein Jahrzehnt der Rechtspraxis in Polen Von Andrzej Pastwa Als relativ kurz erwies sich die Präsenz der Formel deficere actu formali ab Ecclesia in der Rechtsprechung der lateinischen Kirche (cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC/1983), aber noch kürzer erwies sich der Zeitraum, in dem diese Formel als Ausdruck von wertvollen Freiheitsideen1 des II. Vatikanischen Konzils betrachtet wurde. Denn die Gründe2, die den kirchlichen Gesetzgeber dazu bewegt haben, von dem in der theologisch-juristischen Doktrin3 fest verankerten Axiom semel catholicus, semper catholicus abzuweichen, schienen gravierend zu sein. Aber noch bevor ein Jahrzehnt vergangen war, brachte Winfried Aymans die Stichhaltigkeit der Klausel actu formali ab Ecclesia catholica deficere, die den drei Canones des Eherechts hinzugefügt wurde, auf den Prüfstein. Keins der zuvor erbrachten „ökumenischen“ Argumente, etwa: die Reduzierung der Zahl ungültiger Ehen, Schutz des natürlichen Rechts, eine Ehe einzugehen, Glaubensschutz, ökumenische Offenheit bzw. die Affirmation des Prinzips der Glaubensfreiheit, hat standgehalten.4 Das ändert allerdings nichts daran, dass der „Zusammenprall“5 zweier Institutionen: des actus formalis defectionis und des Kirchenaustritts, die – im ersteren Fall im 1 Vgl. Willhelm Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte. Erwartungen an ein künftiges Strafrecht, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici. Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KST 67), Berlin 2017, S. 639 – 665, hier S. 642. 2 Vgl. Remigiusz Soban´ski, L’ecclésiologie du nouveau Code de Droit Canon, in: Michel Thériault/Jean Thorn (Hrsg.), Le nouveau Code de Droit Canonique. Actes de Ve Congres international de droit canonique organisé par l’Université Saint-Paul et tenu a l’Université d’Ottawa 19 – 25. 8. 1984, Ottawa 1986, S. 243 – 270, hier S. 257 – 258. 3 Vgl. Péter Erdö, Il cattolico, il battezzato e il fedele in piena comunione con la Chiesa cattolica. Osservazioni circa la nozione di „cattolico“ nel CIC (a proposito dei cc. 11 e 96), in: PRMCL 86 (1997), S. 213 – 240, hier S. 229. 4 Winfried Aymans, Die Defektionsklauseln im kanonischen Eherecht. Plädoyer für die Tilgung des Befreiungstatbestandes eines „actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica“ in den cc. 1086 § 1, 1117 und 1124 CIC, in: AfkKR 170 (2001), S. 402 – 440. 5 Vgl. Gerald Gruber, „Actu formali ab Ecclesia catholica deficere“. Zur Problematik des vor staatlicher Stelle vollzogenen Kirchenaustritt vor dem Hintergrund des Zirkularschreibens des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März 2006 und der Erklärung des Österreichischen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt vom März 2007, Bonn 2008; Georg
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Recht der lateinischen Kirche (1983 – 2009)6, und im anderen Fall im Gesetz der deutschsprachigen Länder mit Kirchensteuer- bzw. Kirchenbeitragssystemen7 auftreten – zur Emanzipation und Autonomisierung der erwähnten kirchenrechtlichen Institution8 wesentlich beigetragen hat. Heutzutage lässt sich aus einer gewissen Zeitperspektive sagen, dass zu einem solchen Stand der Dinge auch andere wesentliche Faktoren ihren genauso wirksamen Beitrag geleistet haben, und zwar diesmal in den Ländern mit steuerfreien Formen der Kirchenfinanzierung, wie etwa Polen es ist. Den Versuch, die erwähnten Faktoren zu skizzieren, und zwar vor dem Hintergrund doktrinärer Prinzipien und des Kontextes der wesentlichen gesellschaftlichkultureller und rechtlicher Determinanten (des in Polen gütigen Datenschutzgesetzes insbesondere), kündigt der Untertitel der vorliegenden Untersuchung an. Was auch einleitend erklärt werden sollte, wird die diesem Beitrag zugrunde liegende Methode der wissenschaftlichen Reflexion durch die Inhalte der konkreten Regelungen des kirchlichen Partikularrechts von 2008 bis 2018 determiniert. Auch wenn die ersten polnischen Regelungen von 2008, in denen die Hinweise des Zirkularschreibens des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März 20069 aufgenommen wurden, weitgehende Korrekturen erfahren mussten, so bietet die im Titel geführte Formel „die formale Willenserklärung zum Austritt aus der Kirche“, die in Anführungszeichen gesetzt wurde, aus dem Allgemeinen Dekret der Polnischen Bischofskonferenz (KEP) „bezüglich der Austritte aus der Kirche sowie der Rückkehr in die Kirchengemeinschaft“10 aus dem Jahr 2015, einen stichhaltigen Beweis für das oben angeBier (Hrsg.), Der Kirchenaustritt: Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung, Freiburg i. Br. 2013. 6 Benedikt XVI., Motu proprio „Omnium in mentem“ (26. 10. 2009), in: AAS 102 (2010), S. 8 – 10. 7 Vgl. Wilhelm Rees, Formen der Kirchenfinanzierung in Europa. Vergleich und Wertung einzelner Systeme, in: Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Kanonistische Klärungen zu den pastoralen Initiativen der Österreichischen Bischofskonferenz. Festschrift für Bischof DDr. Klaus Küng zur Vollendung des 70. Lebensjahres (= Die österreichischen Bischöfe, 10), Wien 2010, S. 18 – 37. 8 Vgl. Andrzej Pastwa, Discerning ,forum externum‘, ,forum internum‘ and ,forum conscientiae‘ – an indispensible criterion of legal valorization of ,actu formali ab Ecclesia catholica deficere‘ formula, in: Józef Wrocen´ski/Marek Stokłosa (Hrsg.), XIV Congresso Internazionale di Diritto Canonico. La funzione amministrativa nell’ordinamento canonico, Varsavia, 14 – 18 settembre 2011, Warszawa 2012, S. 229 – 245, hier S. 229 – 235. 9 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica (13. 03. 2006), online unter: http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/intrptxt/ documents/rc_pc_intrptxt_doc_20060313_actus-formalis_ge.html (eingesehen am 26. 03. 2019). 10 „Der Inhalt des Eintrags im Taufbuch am Rand des Taufaktes des Betroffenen soll die folgende Form haben: Am … in der Pfarrgemeinde … hat er/sie eine formale Willenserklärung zum Austritt aus der katholischen Kirche abgegeben. Ein solcher Eintrag soll künftig auf dem Taufschein vermerkt werden“. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ z Kos´cioła oraz powrotu do wspólnoty Kos´cioła (07. 10. 2015), in: Akta Konferencji Episkopatu Polski 27 (2015), S. 101 – 104, hier Nr. 10, online unter: https://episkopat.pl/de
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merkte Autonomisierungssyndrom (nota bene gemäß den Erwartungen eines solchen Kenners dieser Problematik wie Federico R. Aznar Gil11). Überlegenswert ist auch die Tatsache, dass in den einleitenden Teil des zitierten Dokuments die Berufung auf das Prinzip der Religionsfreiheit12, die in den früheren „Richtlinien für den formalen Akt des Austritts aus der katholischen Kirche“ von 200813 nicht berücksichtigt wurde, Eingang gefunden hat, und zwar im Exkurs des Gesetzgebers über die Zulässigkeit, dem Katholiken, der sich entscheidet, „sich von der Gemeinschaft mit der Kirche loszusagen“, das ihm zustehende „Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit“14 zuzuerkennen. Darüber hinaus soll ein relevanter Umstand für die vorgenommene legislative Entscheidung, die um der Qualität und Sicherheit des verabschiedeten Rechts willen getroffen wurde, nicht aus dem Blickfeld verschwinden: Im erwähnten Allgemeinen Dekret von 2015 durfte keineswegs die – erwünschte, symmetrische (!) – Formalisierung einer „Rückkehr in die Gemeinschaft der katholischen Kirche“ fehlen, was auch im Titel des Dokuments angekündigt wird, während der dieser Frage gewidmete Passus aus den Richtlinien von 200815 als prozedural inkomplett und unvollständig bezeichnet werden darf. Urbano Navarette, nota bene, indem er über das Problem der formalen Willenserklärung (mit diesem Gedanken werden auch unsere einleitenden Gedanken zum Abschluss gebracht) reflektierte, sah bereits 2002 eine Autonomisierung der Formel actu formali ab Ecclesia catholica deficere außerhalb des Bereichs des Eherechts vor. Dieser allgemein anerkannte Kanonist stellt zwar in seiner dem kret-ogolny-konferencji-episkopatu-polski-w-sprawie-wystapien-z-kosciola-oraz-powrotu-dowspolnoty-kosciola/ (eingesehen am 26. 03. 2019). 11 Federico R. Aznar Gil, La revocación de la cláusula ,actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica‘ de los cc. 1086 § 1; 1117 y 1124, in: REDC 67 (2010), S. 447 – 457, hier S. 457; s. auch Ders., El acto formal de defección de la Iglesia católica. Carta circular del Consejo Pontificio para los Textos Legislativos (13 Marzo 2006). Texto y comentario, in: REDC 63 (2006), S. 125 – 148; Ders., Anexo: Bibliografía sobre el abandono de la Iglesia por acto formal, in: REDC 63 (2006), S. 146 – 148; Ders., El abandono de la Iglesia Católica pro acto formal. Normas diocesanas Españolas, in: REDC 63 (2006), S. 149 – 166; Ders., La defección de la iglesia católica por acto formal: concepto, consecuencias canónicas y regulación en las diócesis españolas, in: Rafael Rodríguez Chacón (Koord.), Puntos de especial dificultad en derecho matrimonial canónico, sustantivo y procesal, y cuestiones actuales de derecho eclesiástico y relaciones iglesia-estado, Madrid 2007, S. 25 – 70. 12 Vgl. Montserrat Gas Aixendri, Apostasía y libertad religiosa. Conceptualización jurídica del abandono confesional, Granada 2012, S. 33 f. 13 Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania w sprawie formalnego aktu wysta˛pienia z Kos´cioła (27. 09. 2008), in: Akta Konferencji Episkopatu Polski 14 (2008), S. 89 – 91, online unter: https://episkopat.pl/zasady-postepowania-w-sprawie-formalnego-aktuwystapienia-z-kosciola/ (eingesehen am 26. 03. 2019); dt. Übers. bei Stephan Haering, Die Richtlinien der Polnischen Bischofskonferenz zum Abfall von der katholischen Kirche durch formalen Akt aus dem Jahr 2008, in: AfkKR 180 (2011), S. 514 – 528, hier S. 523 – 527. 14 Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Nr. 15 – 18. 15 Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 18.
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Disparitus cultus gewidmeten Studie fest, dass der formale Akt „eines Abfalls von der Katholischen Kirche“ („ein neuer und schwer definierbarer Begriff“) lediglich im Eherecht bestimmte, und zwar eingeschränkte16 Effekte zeitigt, doch er weist in derselben Studie auf eine unverständliche Asymmetrie hin, mit der der kirchliche Gesetzgeber die Begriffe baptisatum in Ecclesiam recipere und ab Ecclesia actu formali deficere behandelt. Aus unerklärlichen Gründen, so der Kanonist, verlange der kirchliche Gesetzgeber lediglich im letzteren Fall einen formalen Akt17. Vor diesem Hintergrund – im Bereich des partikularen Rechts – wäre es angebracht, den Wert eines zwar ein wenig verspäteten, aber doch durchaus zielgerechten und wohl überlegten legislativen Schrittes der KEP zu erblicken.
I. Doktrinäre Prinzipien der katholischen Kirche als Hintergrund des zu untersuchenden Problems 1. Zur Frage der Kirchengliedschaft (theologisch-juristische Optik) Vieles deutet darauf hin, dass der ausgezeichnete Autor Velasio De Paolis die berühmt gewordenen Worte vom crux interpretum18 vor allem in Bezug auf die gesetzlichen Mängel der Formalisierung des Aktes defectio ab Ecclesia catholica19 verwendet hat. Unterdessen bleibt, und zwar nicht nur wegen der Wichtigkeit des zu besprechenden Objekts, sondern auch wegen der offen bleibenden Fragen, die Frage nach theologisch-dogmatischem Fundament der Kirchengliedschaft immer aktuell. Es darf lediglich darauf hingewiesen werden, dass sich die kanonischen Regelungen hinsichtlich des Status eines Mitglieds der Kirchengemeinschaft direkt auf den ekklesiologischen Gedanken des Zweiten Vaticanums beziehen, was in der Praxis bedeutet, dass es sich bei deren Auslegung vom Kirchenverständnis des Konzils nicht abstrahieren lässt. Diesen Zusammenhang hat Gerhard Ludwig Müller in seinem Referat (in den Bemerkungen, die den Untertitel „Zur Frage der Kirchengliedschaft“ tragen) während des berühmt gewordenen interdisziplinären Symposions, das vom Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik in München von 11.–12. Mai 201020 organisiert wurde, treffend betont. Nach der Auffassung des künftigen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre bietet die Wahrheit vom mysterium Ecclesiae – von 16
Urbano Navarette, Disparitus cultus (can. 1086), in: Piero Antonio Bonnet/Carlo Gullo (Hrsg.), Diritto matrimoniale canonico, Bd. 1 (= Studi giuridici, 56), S. 509 – 539, hier S. 530. 17 Navarette, Disparitus cultus (Anm. 16), S. 532. 18 Velasio De Paolis, Alcune annotazioni circa la formula „actu formali ab ecclesia catholica deficere“, in: PRMCL 84 (1995), S. 579 – 608. 19 De Paolis, Alcune annotazioni (Anm. 18), S. 607. 20 Der Herder Verlag hat sich entschieden, die Symposion-Materialien einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, und zwar in der renommierten Serie „Quaestiones disputatae“: Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (Hrsg.) Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht (= Quaestiones disputatae, 243), Freiburg/Basel/Wien 2011.
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der geistlichen Gemeinschaft (communio), die das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, das irdische mit dem überirdischen (transzendenten) Element in sich verbindet, und zwar auf eine solche Art und Weise, dass deren beide Dimensionen: die menschliche und die göttliche zu einer komplexen und unauflösbaren Wirklichkeit zusammenwachsen21 – eine unerlässliche Prämisse für die Erkundung der Frage nach der Kirchengliedschaft im Bereich des kanonischen Rechts22. Diese methodologische Prämisse, die das spezifische, theologisch-juristische Profil der Untersuchung des Verlustes der (vollen) kirchlichen communio23 determiniert, prägt nicht minder ein weiteres Referat, das während des Münchner Symposions gehalten wurde. Es handelt sich um den Vortrag (der in Bezug auf das Referat von G. L. Müller polemische Züge trägt) des ehemaligen Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte, Francesco Coccopalmerio, der den markanten Titel trägt: „Die kirchliche communio. Was das Konzil sagt und worüber die Codices schweigen“24. Während die Achse des Vortrags die wichtigsten ekklesialen Konsequenzen, die die Akte der Häresie, des Schismas oder der Apostasie25 mit sich tragen, ausmachen, spielt im Gesamttext von Coccopalmerio die Idee, die seit langem mit seinem Namen assoziiert wird26, sehr deutlich vordergründige Rolle. Und was wichtig ist, unterzieht er einer überzeugenden Korrektur27 die Meinung der anerkannten Autoritäten28, die in den Untersuchungen solcher Autoren wie Georg Gänswein29 oder Re21
LG, Nr. 8,1 Gerhard Ludwig Müller, Kirchenzugehörigkeit und Kirchenaustritt aus dogmatischer Perspektive, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (Hrsg.) Der Kirchenaustritt (Anm. 20), S. 77 – 89, hier S. 84 – 89. 23 Vgl. Janusz Kowal, Comunione ecclesiastica e diritto matrimoniale, in: Piero Antonio Bonnet/Carlo Gullo (Hrsg.), Diritto matrimoniale canonico, 3. Bd.: La forma, gli effetti, la separazione, la convalida (= Studi giuridici, 63), Città del Vaticano 2005, S. 185 – 206, hier S. 187 – 194. 24 Francesco Coccopalmerio, Die kirchliche communio. Was das Konzil sagt und worüber die Codices schweigen, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (Hrsg.) Der Kirchenaustritt (Anm. 20), S. 90 – 123. 25 C. 1331 CIC/1983; c. 1434 CCEO; Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 106 ff., 116, 119; s. auch Wilhelm Rees, Der Kirchenaustritt und seine kirchenrechtliche Problematik, in: Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche (Anm. 7), S. 38 – 61; Christoph Ohly, Kirchenaustritt ohne Folgen? Kanonistische Überlegungen zu einer neu entfalteten Diskussion, in: ThGl 98 (2008), S. 24 – 36; Elmar Güthoff, Kirchenstrafrechtliche Aspekte des vor dem Staat vollzogenen Kirchenaustritts, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering/ Helmuth Pree (Hrsg.) Der Kirchenaustritt (Anm. 20), S. 124 – 144. 26 Vgl. Francesco Coccopalmerio, Quid significent verba „Spiritum Christi habentes“ Lumen gentium 14,2, in: PRMCL 68 (1979), S. 253 – 276. 27 Über die „Kraft“ der Argumentation des prominenten Autors: Helmuth Pree, Einführung, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (Hrsg.) Der Kirchenaustritt (Anm. 20), S. 10 – 18, hier S. 15. 28 Winfried Aymans, Die kanonistische Lehre von der Kirchengliedschaft im Lichte des II. Vatikanischen Konzils, in: AfKKR 142 (1973), S. 397 – 417, hier S. 409. 29 Georg Gänswein, Kirchengliedschaft. Vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum Codex Iuris Canonici. Die Rezeption der konziliaren Aussagen über die Kirchenzugehörigkeit in das 22
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nato Coronelli30 verbreitet wurde, die besagt, das Kriterium plena communio, das in der Konstitution Lumen Gentium in der Formel Spiritum Christi habentes festgehalten wurde, wäre theologisch, aber nicht kirchenrechtlich relevant. Das Resultat einer methodisch durchgeführten Falsifizierung dieser Meinung scheint konstruktiv zu sein. Die in der vorkodikarischen31 und nachkodikarischen32 kanonistischen Doktrin präsente Einstellung zum vierten wesentlichen Element der plena communio – neben Robert Bellarmins tria vincula: professio vere fidei/ v. symbolicum, sacramentorum communio/ v. liturgicum, subjectio ad legitimum pastorem romanum pontificem/ v. hierarchicum (die in den cc. 205 CIC/1983 und 8 CCEO vom kirchlichen Gesetzgeber deutlich artikuliert wurde)33 – wurde durch einen ideellen Ansatz verstärkt, der heutzutage nicht außer Acht gelassen werden darf. Dessen Autor, F. Coccopalmerio, drückt nämlich seine Überzeugung aus, dass nur ein solides theologisches Fundament ein adäquates formalrechtliches Angehen an die umfassend verstandene Frage der defectio a fide möglich macht. In dem von F. Coccopalmerio präsentierten Ansatz bildet eine Typologie der drei Arten nicht voller kirchlicher communio den letzten Angelpunkt seiner theologisch-kirchenrechtlichen Analysen. Indem der Autor den ersten Typus beschreibt, bemerkt er, dass – obwohl das ontologische Band der Taufe nie ausgelöscht werden kann – die schweren Sünden34 der Häresie, des Schisma oder der Apostasie, deren Folge die Exkommunikation ist, einen radikalen Wandel des aktuellen Status des Getauften verursachen, so dass er sich nun außerhalb der kirchlichen communio befindet.35 Der zweite Typus in der Tynachkonziliare Gesetzbuch der lateinischen Kirche (= Münchener theologische Studien 3, Kanonistische Abteilung, 47), St. Ottilien 1995; Ders., „Spiritum Christi habentes. Zur Frage von Kirchenzugehörigkeit und Heil. Ein Beitrag zum Werdegang und Interpretation einer umstrittenen Wendung der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“, in: PRMCL 86 (1997), S. 275 – 319, 397 – 418. 30 Renato Coronelli, Incorporazione alla Chiesa e comunione. Aspetti teologici e canonici dell’appartenenza alla Chiesa (= Tesi Gregoriana. Serie Diritto Canonico, 37), Roma 1999. 31 Vgl. Hubert Müller, Zugehörigkeit zur Kirche als Problem der Neukodifikation des kanonischen Rechts, in: ÖAfKR 28 (1977), S. 81 – 98. 32 Vgl. Eugenio Corecco, Die kulturellen und ekklesiologischen Voraussetzungen des neuen CIC, in: AfKKR 152 (1983), S. 3 – 30; Ders., Taufe, in: Reinhild Ahlers/Libero Gerosa/ Ludger Müller (Hrsg.), Ecclesia a Sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992, S. 27 – 36, hier S. 33; Soban´ski, L’ecclésiologie du nouveau Code (Anm. 2), S. 266; Peter Krämer, Kirchenrecht, 2. Bd.: Ortskirche – Gesamtkirche, Stuttgart/ Berlin/Köln 1993, S. 18; Alphonse Borras, Die kirchenrechtlichen Grenzen der katholischen Identität. Zu einigen problematischen Situationen, in: Concilium 30 (1994), S. 409 – 418, hier S. 410. 33 Robertus Bellarminus, De controversis christianae fidei, Liber III, Cap. 2: Definitione Ecclesiae, in: Opera omnia, Neapoli 1856, II, 75. 34 „Die Erfüllung der Grundpflichten der kirchlichen Moral ist eine Voraussetzung der vollen kirchlichen communio“, vgl. Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 106. 35 Der Autor stellt ausdrücklich fest, „dass sich jemand in diesem Status nicht mehr in der katholischen Kirche befindet, nicht mehr katholisch ist“. Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 117.
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pologie von Coccopalmerio wird folgendermaßen aufgefasst: Wenn der Getaufte eine von den im ersten Typus genannten Sünden differente schwere Sünde begeht, und in der Konsequenz exkommuniziert wird, stellt er sich zwar nicht außerhalb der Kirche, doch er verliert die volle kirchliche communio, indem ihm bestimmte Rechte und Pflichten aberkannt werden, die die cc. 1331 CIC/1983 und 1434 CCEO aufführen. Eine ähnliche Wirkung zeitigt nach der Auffassung des Autors ein Vergehen gegen fundamentale Pflichten, die sich aus der Moraldoktrin ergeben (schwere Sünde), doch in diesem Fall begleiten den Verlust des Rechts zum Empfang der Eucharistie keine wesentlichen Einschränkungen von Rechten und Pflichten36. Ohne auf die Mäander dieses mehrsträngigen und konsequent durchgeführten Diskurses einzugehen, ist noch eine Idee überlegenswert, und zwar die von vornherein „programmatisch“ vorausgesetzte Konvergenz zweier Ordnungen – der moralischen und der rechtlichen37. Es sei daran erinnert, dass die Anerkennung des forum internum als dem Bereich des Rechts38 zugehörig ein Ausdruck der Wahrheit war, dass dem kanonischen Recht, das der salus animarum dient, nicht nur die Funktion eines externen Regulativs innewohnt, sondern dass es – im Namen des bonum commune – das moralisch orientierte Gemeinschaftsleben regelt. Dieser Idee nämlich gibt F. Coccopalmerio in seiner wissenschaftlichen Reflexion Ausdruck. Die These, dass nicht nur das Bekennen gleichen Glaubens und die Annahme der kirchlichen Autorität, sondern auch die Befolgung der von der christlichen Moral auferlegten Pflichten die Voraussetzung einer kirchlichen communio ausmachen, wird vom Autor in Anlehnung an die folgende logische Kette konstruiert: Die Nicht-Befolgung fundamentaler Pflichten macht eine schwere moralische Sünde aus, eine schwere Sünde hat das Fehlen der Voraussetzung des Heiligen Geistes (der heiligen-
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Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 116 f. Helmut Pree fasst den Clou des Problems in seiner interessanten Aussage zum Thema „Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen rechtlicher und moralischer Ebene, rechtlicher Beurteilung und sittlichem Urteil (Gewissensentscheidung)“ in einer zutreffenden Synthese zusammen: „Der Anspruch und der Inhalt des Rechts dürfen nicht von ihren moralischen Grundlagen entkoppelt werden – so als beträfe das Recht nur die äußere Seite des Menschen – sondern bleiben stets auf diese Grundlage verwiesen. Im Endzweck des Kirchenrechts, der „salus animarum“, konvergieren beide Ordnungen. Im Mittelpunkt des Rechts der Kirche muß das geistliche Wohl des betroffenen Gläubigen stehen. Alle anderen Regelungsinteressen bzw. -gesichtspunkte sind dieser unhintergehbaren Ausrichtung unterzuordnen“. Helmuth Pree, Forum externum und forum internum. Zu Sinn und Tragweite einer Unterscheidung, in: Stephan Haering/Josef Kandler/Raimund Sagmeister (Hrsg.), Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. Festschrift für Gerhard Holotik zur Vollendung seines 60. Lebensjahres, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Bruxelles/New York/ Wien 1999, S. 497 – 512; hier S. 507 – 512; vgl. Ders., Forum externum und forum internum. Zur Relevanz des Gewissensurteils im kanonischen Recht, in: AfKKR 168 (1999), S. 25 – 50, hier S. 37 – 38, 43 – 50. 38 Vgl. c. 130 CIC/1983; c. 980 CCEO; s. auch Juan Ignacio Arrieta, The Internal Forum: Notion and Juridical Regime, SC 41 (2007), S. 27 – 45. 37
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den Gnade) zu Folge, was wiederum dem Verlust einer vollen kirchlichen communio gleichkommt39. Eine solche Argumentation bedeutet aber nicht, dass ein so erfahrener Experte die Nuancen einer notwendigen Differenzierung zwischen dem forum conscientiae und dem forum internum (und konsequent gedacht: dem forum externum) übersehen hat. Die potentiellen Einwände, die sich dabei ergeben und die besonders der dritte Typus nicht voller kirchlicher communio aufkommen lässt (darunter – wie ich meine – der Einwand, es müsse der Begriff „Sünde“ als eine rechtliche Kategorie von dem der Moraltheologie40 notwendig unterschieden werden), werden vom Autor mit Hilfe von zwingenden Argumenten umsichtig entkräftet und neutralisiert. Erstens sei die Behauptung unwahr, im Umkreis des Rechts würden lediglich äußerliche „Realitäten“ liegen, die von anderen Subjekten erkennbar seien, denn dem widerspricht die rechtliche Relevanz der Intention des Sakramentenspenders. Zweitens darf die Wahrheit über die Realität (Ontologie) nicht den juridischen Kriterien ihrer Beweisbarkeit (Sichtbarkeit, Erkennbarkeit)41 weichen. Aber im Kontext der Klausel von c. 96 CIC/1983: nisi obstet lata legitima sanctio42 scheint die Anknüpfung von F. Coccopalmerio an die Anwendung der Vorschriften der c. 916 CIC/1983 und c. 711 CCEO entscheidend zu sein. Der Autor erhebt das Argument, „der Heilige Geist (die heiligende Gnade) als Voraussetzung kirchlicher communio [sei] nicht nur innerlich und unsichtbar, sondern zugleicht äußerlich und sichtbar“43. Er bezieht sich dabei auf eine solche Situation, wenn die schwere Sünde den Verlust den Heiligen Geistes (der heiligenden Gnade) verursacht und in der Konsequenz, und zwar laut Lumen gentium 14,2, den Verlust voller kirchlicher communio44 darbietet. Und was nicht ohne Bedeutung ist, hat eine solche Situation ein soziologisches Profil (d. i. es handelt sich um ein äußerliches Faktum, das von der Gemeinschaft der Gläubigen erkennbar sein kann), denn die Person, die über das Recht zum Empfang der Eucharistie verfügt bzw. nicht verfügt, sich der Situation entsprechend verhalten wird, in der sie sich befindet45. Im Urteil des emeritierten Präsidenten des Päpstlichen 39
Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 106. Vgl. Rüdiger Althaus, c. 915, Rdnrn. 1 – 6, hier 4, in: MK CIC (Stand: Juli 2004); Ludger Müller, Der Kirchenaustritt – ein Delikt?, in: Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche (Anm. 7), S. 76 – 88, hier S. 78 – 81. 41 Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 109 – 115. 42 Helmuth Pree, c. 96, Rdnrn. 1 – 10, hier 8, in: MK CIC (Stand: November 1995); Remigiusz Soban´ski, Komentarz do kan. 96, in: Józef Krukowski (Hrsg.), Komentarz do Kodeksu Prawa Kanonicznego, 1. Bd., Poznan´ 2003, S. 164 – 166, hier S. 166; Bertram Zotz, Katholisch getauft – katholisch geworden. Kanonistische Kriterien für die Zugehörigkeit zur römischen Kirche (= BzMK 35), Essen 2002, S. 42 f. 43 Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 113. 44 „Dies geschieht klarer Weise auf Grund der wesentlichen Beziehung, welche zwischen der Kirche, dem mystischen Leib Christi, und der Eucharistie, dem sakramentalen Leib Christi, besteht“, vgl. Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 114. 45 Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 114; vgl. Müller, Zugehörigkeit zur Kirche (Anm. 31), S. 95 f. 40
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Rates für Gesetzestexte beweist ein solcher Umstand letztendlich die Richtigkeit der Intuition von Matthias Joseph Scheeben, es bestehe ein tiefer Zusammenhang zwischen Eucharistiefähigkeit und Kirchenzugehörigkeit, denn die Berechtigung zur Teilnahme an der Eucharistie bilde das Hauptmoment, welches die Kirchengliedschaft bestimme46. 2. Zur Frage der Formalisierung des actus defectionis – actus receptionis (juridisch-administrative Optik) Den Wert der hier angeführten wissenschaftlichen Thesen, die der Feder eines namhaften vatikanischen Experten entstammten, würdigend, scheint es mir, dass bei der Bestimmung von Grenzen des Phänomens defectio a fide (defectio ab Ecclesia catholica), die juridisch greifbar werden, noch ein weiterer Schritt getan werden sollte. Eine vertiefte Reflexion über die Vorschrift des c. 91647 CIC/1983 erweist sich als instruktiv bei der keineswegs leichten Differenzierung zwischen dem, was in der Sphäre der Moral verbleibt, und dem, was sich bereits im Bereich des Rechts situiert48. Denn die verborgenen menschlichen Akte, die sich in Bezug auf den Sünder mit der Auferlegung einer Bußdisziplin der Kirche verbinden, zeitigen gewöhnlich auch eine juridische Wirkung im forum internum. Wenn aber von dem Eigentümlichen des Bußsakraments abstrahiert wird, wäre es angebracht, unsere Aufmerksamkeit auf das Faktum zu lenken, dass die absolutio, die – theologisch aufgefasst – sich in der Sphäre einer ontologischen Wirklichkeit vollzieht, der Kategorie des forum internum notwendig nicht verlange49. Mit dieser Feststellung weist der namhafte Kenner dieser Problematik, Peter Erdö, auf eine außerordentliche Möglichkeit hin, an den Gottestisch heranzutreten, wenn die im Canon vorgeschriebene Regel erfüllt wird: der Sünder müsse „einen Akt der vollkommenen Reue“ erwecken, der „den Vorsatz miteinschließt, sobald wie möglich zu beichten“. Die angeführte Regel wirft ein neues Licht auf subtile Differenzen zwischen der Wirklichkeit, die noch in den Grenzen des forum consientiae verbleibt, und derjenigen, die bereits dem forum internum zugehört. Die erstere Ebene bezieht sich auf die ontologisch46
Vgl. Matthias Joseph Scheeben, Die Mysterien des Christentums, Freiburg 1912, S. 446; Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 115, Fn. 7. 47 C. 916 CIC/1983: „Wer sich einer schweren Sünde bewußt ist, darf ohne vorherige sakramentale Beichte die Messe nicht feiern und nicht den Leib des Herrn empfangen, außer es liegt ein schwerwiegender Grund vor und es besteht keine Gelegenheit zur Beichte; in diesem Fall muß er sich der Verpflichtung bewußt sein, einen Akt der vollkommenen Reue zu erwecken, der den Vorsatz miteinschließt, sobald wie möglich zu beichten“. 48 „Daher lässt sich keine Abgrenzung dergestalt konstruieren, dass das Recht nur das äußere Verhalten gebiete, während die Moral die innere Gesinnung verlange, oder dass das Recht nur das ethische Minimum gegenüber den Forderungen der Hochethik verlange“, vgl. Bruno Primetshofer, Recht, in: Hans Rotter/Günter Virt (Hrsg.), Neues Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck/Wien 1990, S. 634 – 641, hier S. 636 f. 49 Vgl. Peter Erdö, Foro interno e foro esterno nel diritto canonico. Questioni fondamentali, in: PRMCL 95 (2006), S. 3 – 35, hier S. 28.
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moralische Situation (Status der Sünde bzw. der Gnade), die sich ihrer Natur nach der unmittelbaren Perzeption des Menschen entzieht; immer bleibt aber das Prinzip geltend, der Status der heiligenden Gnade sei eine unerlässliche Voraussetzung für den Empfang der sakramentalen Eucharistie (von diesem Anspruch kann keine kirchliche Autorität dispensieren). Im Unterschied von reiner ontologischer Wirklichkeit (wenn auch hier das Prinzip der Verschwiegenheit seine Geltung innehat) identifiziert die zweite Ebene die in diesem Bereich sich bereits befindenden Rechte – das forum internum. In diesem Forum (bzw. auch in diesem Forum) ist die Person, die eine schwere Sünde begangen hat, verpflichtet, vor dem Empfang der Eucharistie eine Absolution zu erlangen. Der Status der heiligenden Gnade infolge eines Aktes der vollkommenen Reue reicht also nicht aus, denn c. 916 CIC/1983 bestimmt auch die Anforderung, sich der Macht der clavis Ecclesiae zu ergeben. Und wenn es sich hier lediglich um das Kirchenrecht handelt, so bleibt es im göttlichen Recht fest verankert, weil niemand sich dessen bewusst sein kann, dass seine Reue tatsächlich vollkommen sei50. Es bleibt noch selbstverständlich die dritte Ebene übrig – das forum externum, mit dem aber die hier beschriebene Situation allerdings nichts zu tun hat.51 Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein Blick aus dieser dritten Ebene auf die hier diskutierte Problematik die folgende Analogie als nutzbringend suggeriert: Genauso wie ein Sünder in der Öffentlichkeit (gewöhnlich) unschuldig zu sein scheint, und zwar unabhängig von seiner tatsächlichen ontologischen Situation, so muss, verallgemeinernd, der Rechtsstatus des Getauften im Bereich dessen (nicht vollen) kirchlichen communio, und zwar im Namen der Effektivität und Gewissheit des Rechts, den Anforderungen der äußerlich überprüfbaren Kriterien gerecht werden – mit anderen Worten, muss er die Parameter des forum externum erfüllen. Der von der Formel zusätzlich bestimmte actus formalis, die Anforderung, den Abfall von der Gemeinschaft der Kirche nach den Prinzipien eines juristischen Aktes52 zu untersuchen, situiert den Akt ab Ecclesia actu formali deficere (und – nach dem Analogieprinzip – baptisatum in Ecclesiam recipere53) im Bereich, dessen Domäne all dies ist, was öffentlich bekannt und beweisbar ist (forum externum). Dieses Kriterium ergänzt die kanonistische Charakteristik des actus defectionis. Im Allgemeinen ist sie durch die Koexistenz zweier Elemente fundiert: des internen personalen Aktes der Negation seines Glaubens – in der theologischen Dimension, sowie 50
Erdö, Foro interno (Anm. 47), S. 28 f. Erdö, Foro interno (Anm. 47), S. 29. 52 Vgl. cc. 124 – 126 CIC/1983; s. auch De Paolis, Alcune annotazioni (Anm. 18), S. 595 – 598. 53 Zu Recht merkt P. Erdö an: „La nozione della piena comunione usata nel c. 205 (cf. LG 14b) presuppone che essa sia un fatto pubblico, almeno nel senso di poter essere provato nel foro esterno (trattandosi nel contesto della Chiesa cattolica „su questa terra“). Tuttavia non è impensabile che un non cattolico dichiari pubblicamente di accettare tutto quello che è necessario per la piena comunione con la Chiesa cattolica (a tenore del c. 205), ma non sia ancora formalmente accolto in essa (nel senso del c. 11).“ Erdö, Il cattolico (Anm. 3), S. 231. 51
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der externen Manifestation dieses Aktes, gemäß Rechtsvorschriften – in der stricte kirchenrechtlichen Dimension54. Was dieses letztere Element betrifft, erwiesen sich – was die Bekanntgabe des Zirkularschreibens aus dem Jahr 2006 bewies – detaillierte Präzisierungen als unerlässlich. Eine vertiefte theologisch-juridische Reflexion, die den gesamten doktrinären Kontext des c. 205 CIC/1983 (Plene in communione Ecclesiae catholicae his in terris sunt…) umfasst, gibt auf der einen Seite genug Anlass, in solchen Formeln wie defectio a fide, defectio a communione ecclesiastica, defectio ab Ecclesia catholica, nach analogen Bedeutungen und nach ähnlicher ideell-sachlichen Tragkraft zu suchen. Auf der anderen Seite teilt der kirchliche Gesetzgeber deutlich mit, dass nicht jede externe Handlung, die die (volle) Zugehörigkeit zur katholischen Kirche zunichtemacht, gleiche rechtliche Wirkung zeitigt. Im Jahre 1995 schrieb V. de Paolis wie folgt: „weil jeder Katholik, der in der katholischen Kirche getauft ist, ein Subjekt der Kirchenrechte bleibt, sieht die kanonische Ordnung verschiedene Fälle des deficere ab Ecclesia vor, mit denen sich bestimmte rechtliche Konsequenzen verbinden: es ist von den Handlungen die Rede, die mit den Adjektiven „öffentlich“ und „notorisch“ versehen wurden […]. Die genannten Kasus unterscheidet der Gesetzgeber ganz evident von der Form des Abfalls, die mit der Formel actus formalis bestimmt wird“55. Es soll dabei daran erinnert werden, dass die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung bereits im Laufe der Arbeit der CIC-Reformkommission signalisiert wurde: vorerst 1971, als die Formel nisi publice ab Ecclesia defecerit56 abgelehnt wurde, dann 1977, als aus der Formel nec actu formali aut notorie ab ea defecerit der Ausdruck aut notorie57 weggestrichen wurde – in beiden Fällen wurde das Argument mangelnder begrifflicher Präzision vorgebracht. An dieser Stelle wäre es angebracht, sich den Vortrag des Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte in Erinnerung zu rufen. Auf der Grundlage der Regulierungen der Numeri 2 und 3 des Zirkularschreibens von 200658, in denen der enge 54 Vgl. Priamo Etsi, Considerazioni sull’„actus formalis defectionis“ di cui nei cann. 1086 § 1, 1117 e 1124 del C. I. C., in: Joan Carreras (Hrsg.) La giurisdizione della Chiesa sul matrimonio e sulla famiglia (= Monografie Giuridiche, 13), Milano 1998, S. 215 – 250, hier S. 248. 55 De Paolis, Alcune annotazioni (Anm. 18), S. 588. Außer der Formel actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica kommen in CIC/1983 folgende Bezeichungen für den Verlust der Gemeinschaft mit der katholischen Kirche vor: (1) qui ab Ecclesiae communione notorie defecit – c. 171 § 1, 48; (2) qui a fide catholica aut a communione Ecclesiae publice defecerit – c. 194 § 1, 28; (3) qui publice fidem catholicam abiecerit vel a communione ecclesiastica defecerit vel excommunicatione irrogata aut declarata irretitus sit – c. 316 § 1; (4) qui in plena communione cum Ecclesia catholica non sint – c. 383 § 3; (5) qui a fide catholica notorie defecerit – c. 694 § 1, 18; (6) qui notorie catholicam fidem abiecerit – c. 1071 § 1, 48. 56 Communicationes 8 (1976), S. 59. 57 Communicationes 10 (1978), S. 97. 58 Von besonderer Bedeutung ist hier vornehmlich der Passus: „Andererseits konstituieren formelle oder (noch weniger) materielle Häresie, Schisma und Apostasie nicht schon von selbst einen formalen Akt des Abfalls, wenn sie sich nicht im äußeren Bereich konkretisieren
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Zusammenhang von defectio Ecclesia catholica und der Apostasie59 herausgestellt wurde, berührt F. Coccopalmerio eine kirchenrechtlich heikle Frage, und zwar die Frage nach notwendigen Formalelementen des actus defectionis. In seiner durchaus berechtigten autoritativen Bewertung der Formalisierung des betreffenden Aktes erklärte der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte es für notwendig, die äußere Manifestation der vom Gläubigen getroffenen Entscheidung, den Abfall von der Kirche willentlich zu vollziehen60, sowie die Kenntnisnahme des Aktes von der zuständigen kirchlichen Autorität61 besonders zu akzentuieren. Es sollte dabei allerdings bemerkt werden, dass der kirchliche Gesetzgeber, und zwar durch Vermittlung seines Rates die jeweiligen kirchlichen Autoritäten in den Regionen/Diözesen damit beauftragt, die entsprechenden Einzelvorschriften, vorzubereiten und in die Praxis umzusetzen, was als ein durchaus berechtigter Ausdruck der Dezentralisierung der kirchlichen Legislation gedeutet werden darf. Wenngleich die allgemeinen Richtlinien des Päpstlichen Rates von 2006 sich direkt auf die Formalisierung des actus defectionis beziehen, doch suggeriert die früher erwähnte Symmetrieregel, diese Hinweise in vollem Ausmaße (und zwar analog) auf die Formalisierung des actus receptionis zu beziehen. Im Endeffekt scheint es durchaus berechtigt zu sein, dass diese Regulierungen des Partikularrechts, und zwar vor dem Hintergrund der geltenden Regeln der rechtlich-administrativen Ordnung, die folgenden Fragen umfassen sollten: Erste Frage: Die an das Kriterium aus der Zeit der Reform, und zwar auf die declaratio proprio pararocho in scripts data62, anknüpfende Anforderung dem actus und wenn sie nicht der kirchlichen Autorität gegenüber in der gebotenen Weise bekundet werden“. Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 3, 2. 59 Auf die Frage, „worin jener Akt [bestehe], mit dem eine Person ihre „defectio“ von der katholischen Kirche bewirkt und zwar so, dass diese Person auf Grund dieses Aktes nun nicht mehr in der communio mit der katholischen Kirche steht?“, gibt F. Coccopalmerio als Antwort: „Es handelt sich faktisch um eine Erklärung, mit der das römische Dikasterium beabsichtigte, die Identität bzw. die Natur des Aktes der Defektion von der katholischen Kirche zu präzisieren, und zwar besonders im Hinblick auf die Apostasie, d. h. genauer auf jeden Akt, mit dem eine Person, noch bevor sie einen Akt der Häresie oder der Schismas setzt, in allgemeiner Weise auf die Zugehörigkeit zur Kirche verzichtet“. Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 106. 60 „Es muss sich demnach um einen rechtlich gültigen Akt handeln, der von einer kanonisch rechtsfähigen Person gesetzt wird, in Übereinstimmung mit der kanonischen Norm, die ihn regelt (vgl. cc. 124 – 126). Dieser Akt muss persönlich, bewusst und frei getätigt werden“. Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 4. 61 „Es wird überdies verlangt, dass der Akt von dem Betroffenen schriftlich vor der zuständigen kirchlich katholischen Autorität bekundet wird: vor dem Ordinarius oder dem eigenen Pfarrer, dem allein das Urteil darüber zusteht, ob wirklich ein Willensakt des in Nr. 2 beschriebenen Inhalts vorliegt oder nicht“. Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 5, 1. 62 Communicationes 8 (1976), S. 57; vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, Das Konzept des „actus formalis“ in c. 1117 CIC und die Anwendungsprobleme dieser Neuregelung, in: Wilhelm Rees/Sabine Demel/Ludger Müller (Hrsg.), Im Dienst von Kirche und Wissenschaft. Fest-
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defectionis/ receptionis eine schriftliche Form zu verleihen sowie die Anforderung, das diesbezügliche Schreiben dem jeweiligen Pfarrer bzw. Ordinarius zu bekunden, könnten – unter differenten gesellschaftlichen Bedingungen – verschiedentlich ausformuliert werden.63 Immer sollte die Sorge der zuständigen kirchlichen Autorität der Teilkirchen (in den Regionen bzw. in den Diözesen) darauf hinzielen, dass solche Prozeduren bestimmt werden, die es ermöglichen, volle Sicherheit über die innere Überzeugung des Betroffenen, die Kirche zu verlassen und über die Wahrheit dieser Intention bei dem aus der Kirche Austretenden/ dem in die volle kirchliche communio Rückkehrenden zu erlangen. Zweite Frage: Objekt einer diesbezüglichen Regulation im Partikularrecht soll/ kann (unter Berücksichtigung örtlicher sozial-kultureller Realitäten) eine Defektion von der katholischen Kirche, die sich unmittelbar mit dem Übertritt in eine andere Religionsgemeinschaft verbindet (und analog: die Rückkehr in die Gemeinschaft)64 formalisiert werden; diese Frage wurde bedauerlicherweise im vorbildhaften Zirkularschreiben (2006) weder entwickelt noch im offiziellen Kommentar zu diesem Dokument berücksichtigt. Und die dritte Frage: Es besteht kein Zweifel darüber, dass Nr. 6 des Zirkularschreibens, die den Formalisierungsprozess des actus formalis defectionis/ actus formalis receptionis gleichsam krönt. Es handelt sich dabei um obligatorischen Vermerk im Taufbuch von rechtlichen Fakten: des Austritts aus der katholischen Kirche/ der Rückkehr zur vollen communio mit der Kirche. 3. Zur Frage der Freiheit des Glaubens (Menschenrechte/Christenrechte-Optik) Indem sich Professor Wilhelm Rees, dem diese Festschrift gewidmet ist, auf eine fundamentale kanonische Norm „Gemäß c. 748 § 2 CIC/1983 (vgl. c. 586 CCEO; ferner auch DH 10; c. 1351 CIC/1917) hat niemand „jemals das Recht, Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen“65 beruft, leitet er bedeutende Anmerkungen ein, die mit dem Titel „Freiheit des Glaubens“ versehen sind. Worauf dabei die Aufmerksamkeit gelenkt werden sollte, erlaubt die Reflexion, die vor dem Hintergrund der Problematik „Kirchliches (Straf) recht und Menschenrechte“66 vom Jubilar entwickelt wird, das Problem klar und entschrift für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Berlin 2007, S. 601 – 614, hier S. 606 f. 63 Vgl. Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 120. 64 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1086; Rdnrn. 1 – 13, hier 4, in: MK CIC (Stand: August 2010). 65 Willhelm Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte. Erwartungen an ein künftiges Strafrecht, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici. Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KST 67), Berlin 2017, S. 639 – 665, hier S. 650. 66 Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte (Anm. 65), S. 642 – 660.
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schieden zu stellen: „Somit muss die Annahme des Glaubens, der Empfang der Taufe und der damit verbundene Eintritt in die Kirche Jesu Christi bzw. die katholische Kirche frei sein. Wie steht es jedoch mit der Bewährung im Glauben und der Freiheit zur Abkehr von der Kirche und damit mit dem Menschenrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit?“67 Die Reflexion über die im Titel genannte Problematik „Austritt aus der Kirche“, und zwar in der Zeit, wenn sich die Kirchenrechtswissenschaft und Religionsverfassungsrecht gemeinsam vor die Aufgabe gestellt sehen, eine „Theologie der Freiheitsrechte“68 (parallel zur „Theologie der Freiheit“69 ) zu entwickeln, evoziert (weil sie evozieren muss) den Kontext der Menschenrechte/Christenrechte. Wenn in der Erklärung „Dignitatis humanae“70 des II. Vatikanischen Konzils, und in der etwas älteren berühmten Enzyklika Johannes XXIII. „Pacem in terris“71 die katholische Kirche der Wahrheit feierlichen Ausdruck verlieh, dass das Prinzip der Religionsfreiheit in seinem Wesen die Affirmation der göttlichen Gabe der Freiheit und der Würde der Person darbietet, dann – wie Péter Erdö zu Recht bemerkt – sind die vorliegenden magisterialen Enunziationen in der Tat an das weit aufgefasste Programm, die Menschenrechte/Christenrechte72 zu fördern, konsequent zu binden. Die Sicherheit bei einem solchen Vorgehen entspringt den Worten Johannes Pauls II. aus seiner ersten Ansprache an das Gericht der Rota Romana 1979, als der Papst ein eigentliches kirchliches Credo formuliert, „die Rechte der Menschen überall und jederzeit zu verteidigen und zu proklamieren“73, denn das Engagement für die Grund- und Men67
Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte (Anm. 65), S. 650. Adrian Loretan, Wahrheitsansprüche im Kontext der Freiheitsrechte (= Religionsrechtliche Studien 3), Zürich 2017, S. 142; s. auch Ders., Religionen im Kontext der Menschenrechte (= Religionsrechtliche Studien 1), Zürich 2010; Ders. (Hrsg.), Religionsfreiheit im Kontext der Grundrechte (= Religionsrechtliche Studien 2), Zürich 2011. 69 Vgl. Walter Kasper, Wahrheit und Freiheit. Die „Erklärung über die Religionsfreiheit“ des II. Vatikanischen Konzils (= Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Jahrgang 1988, Bericht 4), Heidelberg 1988. 70 DH 1 – 2, 10. 71 Johannes XXIII., Enz. „Pacem in terris“ (11. 04. 1963), in: AAS 55 (1963), S. 257 – 304, hier bes. S. 259 – 264. 72 Péter Erdö, Theologie des kanonischen Rechts. Ein systematisch-historischer Versuch, Münster 1999, S. 163. 73 Wortlaut im Original: „[…] il compito della Chiesa […] di proclamare e difendere in ogni luogo e in ogni tempo i diritti fondamentali dell’uomo […]“. Johannes Paul II, Allocutio ad Decanum Sacrae Romanae Rotae ad eiusdemque Tribunalis Praelatos Auditores, ineunte anno iudiciali (17. 02. 1979), in: AAS 71 (1979), S. 423. Bemerkenswert ist auch der dem angeführten Zitat vorausgehende Passus: „Nell’evoluzione dell’autocoscienza ecclesiale, la persona umano-cristiana incontra non sono un riconoscimento, ma anche e soprattutto una tutela aperta, attiva, armonica dei suoi diritti basilari in sintonia con quelli della comunità ecclesiale. Anche questo è un compito irrinunciabile della Chiesa, la quale sul terreno delle relazioni persona-comunità offre un modello di integrazione tra lo sviluppo ordinato della società e la realizzazione della personalità del cristiano in una comunità di fede, speranza e carità“. Ebd., S. 442. 68
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schenrechte74 gehör[e] wesentlich (!) zum Sendungsauftrag der Kirche75. Darüber hinaus fügt der unvergleichliche Lehrer des Personalismus in seiner weiteren wichtigen Ansprache vom Anfang seines Pontifikats hinzu: „Religionsfreiheit […] ist Fundament aller sonstigen Freiheiten und ist mit ihnen unzertrennlich verbunden“76. Die Betrachtung dieser Problematik kann man selbstverständlich auf die ekklesial/theologisch-rechtliche Perspektive ad intra77 akademisch zurückführen. Verständlich wäre dann eine solche Argumentation: Wenn die soziale Natur der Kirche eine Verankerung der Grund- und Menschenrechte innerhalb des ius Ecclesiae impliziert, dann geht es dabei nicht um Grundrechte im Sinne der staatlichen Rechtsordnung. Die Grundrechte, die in beiden kirchlichen Gesetzbüchern in einem eigenen Katalog (cc. 208 – 223 CIC/1983; cc. 11 – 26 CCEO) aufgelistet wurden, dürfen deswegen „nicht als subjektive Abwehrrechte gegenüber der Institution und ihren Amtlichen Organen, sondern als Rechte, die jedem Menschen als Geschöpf Gottes zukommen, seine Würde schützen und auch innerhalb der Gemeinschaft generell und umfassend gegenüber allen Gliedern und für alle Glieder der Kirche Geltung beanspruchen“78 verstanden werden. In dieser Perspektive wird die Wahrheit betont, dass dem Gläubigen in der Kirche ein Freiraum der rechtlichen Freiheit zukommt, dass er seine ihm zustehende Autonomie genießt und dass er keinen Formen des äußeren Zwanges unterliegt, selbst dann wenn sein Verhalten nicht moralisch korrekt ist.79 Neben der Erklärung, dass die Grundrechte die Position des Christen als eines aktiven Mitglieds der kirchlichen Gemeinschaft bestimmten und dass dessen Integration in die Gemeinschaft ihren tiefsten Sinn ausmacht80, erweist sich das folgende
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Neben dem erwähnten Recht auf Religionsfreiheit (DH) sollten auch – laut Normen des Zweiten Vatikanischen Konzils – das Recht auf freie Meinungsäußerung (LG 37, 1), das Recht auf Vereinigungsfreiheit (AA 19, 4), das Recht auf guten Ruf (GS 26, 2), auf geschützte Privatsphäre (GS 26, 2), das Recht auf freie Standeswahl (GS 29, 2) sowie das Recht auf Familiengründung (GS 26, 2; 87, 3) affirmiert werden. 75 Konrad Breitschnig, Menschenrechte, Grundrechte und kirchliche Rechtsordnung, in: Ders./Wilhelm Rees (Hrsg.), Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag (= KST 46), Berlin 2001, S. 191 – 221, hier S. 196. 76 Johannes Paul II., Epistula „The signal occasion“ ad Conradum Waldheim, Consilii Nationum Unitarum Virum a Secretis, XXX expleto anno a „Declaratione Universali Iurium Hominis“ (02. 12. 1978), in: AAS 71 (1979), S. 121 – 125, hier 123. 77 S. z. B. Carlos J. Errázuriz M., Esiste un diritto di libertà religiosa del fedele all’interno della Chiesa?, in: Fidelium Iura 3 (1993), S. 79 – 99; s. auch Gas Aixendri, Apostasía y libertad (Amn. 13), S. 7 ff. 78 Ilona Riedel-Spangenberger, Grundrechte und Rechtsschutzgarantien durch die zukünftige Kirche. Zur Frage der kirchlichen Adaption demokratischer Prinzipien, in: Karl Homann/Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Welt – Heuristik des Glaubens. Ernst Feil zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Gütersloh 1997, S. 76 – 92, hier S. 83. 79 Errázuriz, Esiste un diritto (Anm. 77), S. 92. 80 Vgl. Remigiusz Soban´ski, Kos´ciół jako podmiot prawa. Elementy eklezjologii prawnej, Warszawa 1983, S. 120; s. auch Peter Krämer, Das Recht auf religiöse Freiheit und seine Relevanz für die innerkirchliche Rechtsordnung, in: Libero Gerosa/Antonio Neri/Ludger
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Zitat (unter Berufung auf etwa cc. 214, 218 und 227 CIC/1983; cc. 17, 21, 402 CCEO) als durchaus begründet: „Alle diese Freiheiten sind jedoch innerhalb bestimmter juridischen Grenzen gegeben, unter denen der erste Platz derjenige nimmt, der allen Grundrechten gemeinsam ist – die Integrität des Glaubens“81. Nichtsdestotrotz darf nicht vergessen werden, dass die Kirche ihrer Natur nach ad extra besteht und wirkt. Und als solche bietet sie keine Institution dar, die lediglich dem Wohl ihrer Mitglieder dienen soll, sondern sie begibt sich in die Welt mit ihrem universalen Missionsauftrag82. Nicht nur die einzelnen Gläubigen, sondern auch die gesamte Kirchengemeinschaft machen die Teleologie des Kirchenrechts aus. Daher besteht die fundamentale Funktion der Menschenrechte/Christenrechte darin, den Raum für Freiheit zu garantieren (und zu vergrößern!), in dem die Person eines Christen sein Glaubensleben in vollem Maße in communione entwickeln, so dass die ekklesiale communio als Erlösungszeichen aufleuchten kann83. Nicht zufällig also haben die Konzilsväter den Satz: „Durch kein menschliches Gesetz können die personale Würde und die Freiheit des Menschen so wirksam geschützt werden wie durch das Evangelium Christi, das der Kirche anvertraut ist“84 als eine Einleitung zur wichtigen85 Feststellung begriffen: „Kraft des ihr anvertrauten Evangeliums verkündet […] die Kirche die Rechte des Menschen, und sie anerkennt und schätzt die Dynamik der Gegenwart, die diese Rechte überall fördert“86. Obgleich die Grundund Menschenrechte unveräußerlich, beständig und universell sind, müssen sie – auch in der kirchlichen Rechtsordnung – mit konkretem Inhalt gefüllt werden, wobei dieser konkrete Inhalt von der Dynamik der Gegenwart, d.i. von den heutzutage schnell ablaufenden gesellschaftlichen, sittlichen und kulturellen Wandlungen, abhängt. Resümierend ließe sich sagen: Genauso wie im Laufe komplexer Prozesse von Rezeption-Kreation, und zwar durch Kontakte mit der Welt pluralistischer Werte, der Rechtspolitik der modernen demokratischen Staaten ein Gepräge verliehen wird, deren fundamentalen Teil die Grundrechtspolitik ausmacht, so sollten auch die Menschenrechte in der Kirche – etwa in solch heiklen Fragen, wie die Freiheit
Müller (Hrsg.), Annuario DiReCom 5/2006: Universalità dei diritti umani. Fra cultura e diritto delle religioni, Lugano 2006, S. 137 – 152. 81 Wortlaut im Original: „Tutte queste libertà si danno però entro certi limiti giuridici, tra cui occupa il primo posto quello – comune a tutti i diritti Fondamentali – dell’integrità della fede […]“. Errázuriz, Esiste un diritto (Anm. 77), S. 93. 82 Andrzej Pastwa, The Law of the Church – the Law of Freedom, in: Ecumeny and Law 4 (2016), S. 105 – 125, hier S. 119. 83 LG 1; vgl. Remigiusz Soban´ski, Omnis institutio ecclesiasticarum legum ad salutem referenda sit animarum“. Uwagi o zbawieniu dusz jako celu prawa kos´cielnego, in: Ateneum Kapłan´skie 134/1 (2000), S. 206 – 218, hier S. 216. 84 GS 41, 2; vgl. c. 747 § 2 CIC/1983; c. 595 § 2 CCEO. 85 Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte (Anm. 65), S. 642. 86 GS 41,3.
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des Glaubens – „einen kritischen Maßstab für das kirchliche Recht darstellen“87. In der Nachfolge von Gerhard Luf darf gesagt werden, eine solche kirchliche Grundrechtspolitik sei immer „ein wichtiger Prüfstein der Glaubwürdigkeit der Kirche, die bedroht ist, wenn sie Personenrechte zwar gegenüber dem Staats propagiert, aber in ihrem Binnenraum nicht hinreichend achtet und schützt“88.
II. Rechtsstiftendes Wirken der Polnischen Bischofskonferenz (KEP) 1. Normative Auffassung des actus defectionis und des actus receptionis Zwei Annahmen lagen implicite den rechtsstiftenden Initiativen der KEP angesichts der „formalen Willenserklärung zum Austritt aus der Kirche“ zugrunde. Es ist eine Aktivität, deren fundamentalen Bezugspunkt der werte Jubilar Professor Wilhelm Rees in seinem Codex-Memento zutreffend identifiziert: „Die Wahrung der Gemeinschaft mit der Kirche zählt zu den Grundpflichten eines jeden und einer jeden Christgläubigen (vgl. c. 209 §§ 1 und 2 CIC /1983)“89. Es handelt sich dabei um das Axiom der salus animarum und das Prinzip der Religionsfreiheit, also normative Grundsätze, die nur dann die antagonistischen Positionen nicht beziehen, wenn sie – worauf bereits hingewiesen wurde – personalistisch gedeutet werden. „Als generelle Zielsetzung des kanonischen Rechts“ nennt in der Tat „der letzte Canon des Gesetzbuchs der Lateinischen Kirche das »Heil der Seelen (…), das in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muß“ (c. 1752 CIC/1983). Um das „Heil der Seelen“ geht es auch bei der Reaktion der Kirche auf das Versagen von Kirchengliedern beispielsweise durch die Aufkündigung der Gemeinschaft mit der Kirche. Aufgabe der Kirche kann es auch in dieser Situation nur sein, die Betreffenden wieder auf Gott hin auszurichten, dem sie in der Kirche begegnen können. Wie auch immer die Reaktion der Kirche auf den „Austritt“ von Katholiken aussehen mag, sie muss immer auch geeignet sein, zur Rückkehr einzuladen […] wegen des Heils jedes Einzelnen“90. Die ekklesiale Sorge um volle „freiheitliche“ Garantien für die Würde des Menschen/Christen – und zwar nach dem Paradigma: das Recht der Kirche ist ein Recht der Freiheit91 – darf keineswegs den intentionalen Akt eines Kirchenglieds, die Communio mit der Kirche zu brechen, unberücksichtigt bleiben lassen, dem (trotz der Krisensituation, die sehr ernste kanonischen Folgen nach sich zieht) „natürliches 87
Konrad Hilpert, Art. Menschenrechte, in: LKStKR 2, S. 778 – 781, hier S. 780; vgl. Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte (Anm. 65), S. 640. 88 Gerhard Luf, Rechtsphilosophische Grundlagen des Kirchenrechts, in: HdbKathKR3, S. 42 – 56, hier S. 56; s. auch Loretan, Wahrheitsansprüche (Anm. 68), S. 22 – 28. 89 Rees, Der Kirchenaustritt (Anm. 25), S. 44. 90 Müller, Der Kirchenaustritt – ein Delikt? (Anm. 40), S. 86. 91 Pastwa, The Law of the Church (Anm. 82), S. 110 – 119.
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Recht, den Lebensweg zu wählen“92 zusteht. Es reicht also aus, zu sagen, dass die heutige verantwortungsvolle Position der Seelsorger, die um die evangelischen verlorenen Schafe besorgt sind, sich jeweils im Geiste der Achtung vor der Person, die zwar diesen objektiv gesehen moralisch verwerflichen Akt unternimmt, aber auch darin, dass dieser Akt als ein in seiner subjektiven Ätiologie durchaus komplexer actus personae zu sehen ist, und darin eben besteht das Novum des modernen Zugangs zu dem Akt der Apostasie und der sonstigen Formen des Abfalls von der Katholischen Kirche93. Dabei lässt sich feststellen, dass die heutige Kirche einerseits die reale Freiheit eines jeden Gläubigen94 anerkennt, vom fundamentalen Recht des Menschen, die die Religionsfreiheit ausmacht, Gebrauch zu machen (worauf im Raum zwischen beiden Rechtssystemen [forum externum?] vor allem die Garantie vollen Schutzes von der Seite des demokratischen Rechtsstaates ihre Wirkung hat), andererseits lässt die Kirche gemäß der internen Regel der religiösen Autonomie der Glieder des Gottesvolkes95 es zu, dass sie sündhafte Akte begehen, die Abfall vom christlichen Glauben und Bruch mit der kirchlichen communio96 ausmachen, was aber das Prinzip des Seelenheils keineswegs zunichtemacht, sondern im Gegenteil es aktueller denn je macht: Die Kirche, indem sie „nach dem Vorbild des gnadenvollen Gottes mit Liebe auf diejenigen wartet, die zu ihr [zur communio, A. P.] zurückkehren“97, nimmt sie wieder auf. Die hier vorgenommene skizzenhafte (wegen des für diese Festschrift vorgesehenen Rahmens) Vorstellung der Qualität des von der KEP entworfenen Rechts darf methodologisch auf zweierlei Grundlagen gestützt werden: im allgemeinen Bereich – auf die Beurteilung des Grades der personalistischen Adaptation der erwähnten Grundsätze in den Dokumenten der KEP aus den Jahren 2008 und 2015, im Bereich der einzelnen Vorschriften – auf die Verifizierung der Tatsache, inwieweit die Regeln der rechtlich-administrativen Ordnung in diesen Dokumenten ihre Widerspiegelung finden, und zwar im Kontext der Frage, ob und in welchem Ausmaß die diesbezüglichen Regelungen des polnischen Partikularrechts die drei früher signalisierten98 Problemfelder umfassen.
92
Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 3. Can. 751 CIC/1983; vgl. can. 1436 § 1 CCEO. 94 Can. 748 § 2 CIC/1983; vgl. can. 586 CCEO. 95 Vgl. Gas Aixendri, Apostasía y libertad religiosa (Anm. 13), S. 297. 96 Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Einführung; dies., Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 3. 97 Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Einführung. 98 S. oben Abschnitt 1.2. 93
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a) „Richtlinien für den formalen Akt des Abfalls von der Kirche“ (2008)99 Das erste von den zu besprechenden Dokumenten entstand als unmittelbare Reaktion auf ein Zirkularschreiben an die Präsidenten der Bischofskonferenzen vom 13. März 2006, in dem der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte eine Klärung des Begriffes „Abfall von der Katholischen Kirche“ (actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica) vorgenommen hat. Man sollte dabei die Tatsache berücksichtigen, dass dies vom Papst Benedikt XVI. approbierte Zirkularschreiben Rechtswirksamkeit für die gesamte Weltkirche100 hat. Und weil es der Fall ist, dann war – angesichts der differierenden partikularen Praxis, die nicht selten durch das Konfessionsrecht des jeweiligen Staates101 determiniert war – die Schlussfolgerung für die polnischen Bischöfe ein wesentlicher Hinweis102, dass der Abfall (actus formalis) von der römisch-katholischen Kirche, der auf einer inneren Entscheidung beruhe, nach außen bekundet und von der zuständigen kirchlichen Autorität103 angenommen werden müsse, keinesfalls mit der Erklärung als identisch betrachtet werden könne, die vor einem zivilen Beamten bekundet werde104. In den Richtlinien vom 27. September 2008 hat die KEP eben diese Regel105 sanktioniert, indem sie die Standards, die im Zirkularschreiben106 festgelegt wurden, in extenso angenommen hat. Daher lautet die verbindliche Norm der Richtlinien: „Damit der Akt eines formalen Austritts aus der Kirche als kanonisch wirksam angesehen wird, soll er durch persönliche Einreichung eines eigenhändig unterzeichneten Schreibens erfolgen, in dem der aus der Kirche Austretende seinen Willen, die Kirche zu verlassen, deutlich bekundet“107. Die Umsicht, mit welcher die KEP dafür Sorge getragen hat, dass die erwähnte Willenserklärung (mit all den Kriterien eines wichtigen Rechtsaktes108) es allerdings
99
S. Anm. 12. Vgl. Müller, Der Kirchenaustritt – ein Delikt? (Anm. 40), S. 66. 101 Vgl. María J. Roca, La libertad religiosa negativa. La apostasía en el Derecho confesional y comparado, Valencia 2017. 102 Vgl. Rees, Der Kirchenaustritt (Anm. 25), S. 49 f. 103 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 1. 104 „Keine kanonischen Wirkungen erfolgen aus der Erklärung, die einem zivilen Beamten vorgelegt bzw. per Post oder auf elektronischem Wege übermittelt wird“. Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 7. 105 Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 16 – 17. 106 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 5. 107 „Eine solche Erklärung soll die Information darüber beinhalten, dass der Austretende den Defektionsakt freiwillig und bei vollem Bewusstsein der Konsequenzen, die dem Akt folgen, vollzieht.“ Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 6. 108 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 4. Im Zusammenhang damit darf überlegt werden, warum sich die KEP bereits bei der Arbeit an der ersten Regelung nicht entschlossen hat, statt der „Richtlinien“ das das Allgemeine Dekret (c. 455 KPK/1983) zu erlassen und die recognitio des Apostolischen Stuhls dafür zu erlangen – und 100
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erlaubte, über die innere Entscheidung und die Festigkeit der Intention des Austretenden Gewissheit zu erlangen, ließ die Bischöfe aber die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass der actus defectionis nicht nur von rechtlich-administrativem Charakter ist, sondern dass ihm auch eine relevante theologische (christologisch-personalistische) Dimension innewohnt. Er ist seinem Wesen nach nämlich ein Versuch, die ontische, in der Taufe bewirkte esse in Christo-Identität, also die unauflösbare Bindung der Person eines Christen mit der Person Christi (und mit der Kirche) zu negieren. Wenn man aber die Tatsache berücksichtigt, dass der aus der Kirche Austretende, indem er den bereits diskutierten Akt der Apostasie, Häresie oder des Schismas109 vollbringt, die Bande dieser communio (des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente, der kirchlichen Autorität110) zur Auflösung bringt und in dieser Hinsicht sich außerhalb der Katholischen Kirche stellt111, doch sollten – im Urteil der KEP (dies ergibt sich aus den normativen Vorschriften des zu besprechenden Dokuments) – die folgenden Aspekte Ausdruck der wahren ekklesialen Sorge um das „Seelenheil“ sein: Vor allem das möglichst breite Spektrum an seelsorgerischen Maßnahmen („mit Liebe und Umsicht“), „damit der Austretende von seiner Absicht abgebracht wird und damit der im Taufsakrament eingepfropfte Glaube wieder in ihm aufleben möge“112. Diese Logik befolgen die Anforderungen der Richtlinien, der Austretende solle wenigstens zweimal an einem seelsorgerischen Gespräch teilnehmen, bevor er die formale Willenserklärung vorlegt, und er solle diese vor dem eigenen Pfarrer in Anwesenheit zweier volljähriger Zeugen bekunden, und zwar mit dem Hinweis, „dass einer der Zeugen – wenn es möglich sein kann – Vater oder Mutter, bzw. Pate oder Patin des Austretenden sein sollte“113. Zum anderen – das ergibt sich aus dem Prinzip der salus animarum – lässt sich dabei eine seelsorgerische (und rechtlich-seelsorgerische – im prozeduralen Sinn114) Offenheit gegenüber denjenigen beobachten, „die als evangelische verlorene Schafe der Kirchengemeinschaft fernbleiben, damit sie auf den Weg der Einheit des Glaubens, der Sakramente und der ekklesialen Autorität wiederkehren“115.
damit jegliche Spekulationen zu unterbinden, die dem Geltungsbereich der vorgenommenen Regelegungen galten. 109 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Actus formalis (Anm. 9), Nr. 2. 110 Can. 205 CIC/1983; c. 8 CCEO; KKK Art. 815, 837; vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 2. 111 Vgl. Coccopalmerio, Die kirchliche communio (Anm. 24), S. 117. 112 Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 8. 113 Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 8. Ja, durchaus verständlich ist das andere Erfordernis, der Pfarrer sei verbunden, den Austretenden über die kanonischen strafrechtlichen Wirkungen des vorgenommenen Aktes in Kenntnis zu setzen, und zwar in erster Linie über die ihm zufallende Strafe der Exkommunikation latae sententiae (c. 1364 § 1 CIC/1983) – wodurch ihm die Rechte aberkannt werden, die in cc. 316 § 1; 874 § 1, 48; 893 § 1; 915; 1184 § 1, 18; 1331 CIC/1983 festgelegt wurden. 114 Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 18. 115 Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 22.
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Um eine kurze Zusammenfassung zu bieten: Zwei Aspekte scheinen in den Richtlinien der KEP von 2008 zweifelhaft zu sein. Zum einen handelt es sich um einen auffallenden Mangel an Symmetrie, und zwar im Bestreben, im Namen der Rechtssicherheit die ins Einzelne gehenden Prozeduren zu bestimmen, die den actus formalis defectionis und den actus formalis receptionis betreffen (es handelt sich um Prozeduren, die jeweils durch einen obligatorischen Eintrag am Rande des Aktes der betreffenden Person im Taufbuch116 finalisiert werden), wobei – dies fällt sehr leicht ins Auge117 – der Grad der Formalisierung bei dem ersteren überwiegt. Ein weiterer Zweifelsfall betrifft die früher beschriebenen formalen Anforderungen, die darauf hinzielen, die Wahrheit von der inneren Überzeugung und Festigkeit der Absicht bei dem aus der Gemeinschaft der Kirche Austretenden zu beleuchten. Man darf dabei fragen, ob die Anforderung der Teilnahme eines Elternteils oder des Paten bzw. der Patin (abgesehen von der Notwendigkeit der Teilnahme an zwei oder mehr seelsorgerischen Gesprächen) das subtile Gleichgewicht hinsichtlich der (rechtlich-)seelsorgerischer Affirmation des Prinzips der salus animarum und des Prinzips der Religionsfreiheit nicht verletzt. Davon, dass sich die obigen Zweifel schwerlich als von geringer Relevanz betrachten ließen, zeugt der ideelle und sachliche Gehalt eines weiteren (aktuell gültigen) Rechtsaktes der KEP, der sich auf die hier diskutierte Problematik bezieht. b) Allgemeines Dekret „anlässlich der Kirchenaustritte sowie der Rückkehr in die Gemeinschaft der Kirche“ (2015) „In Polen kommt es manchmal vor, dass die Katholiken, und zwar unter Berufung auf das Recht auf Gewissensfreiheit, indem sie vom christlichen Glauben abfallen, den Willen bekunden, die Gemeinschaft der Kirche zu verlassen“118. Dieser in seiner Bedeutung prägnante einleitende Satz führt unmittelbar die neuen Regelungen der zu diskutierenden Fragen ein, die im Allgemeinen Dekret der KEP vom 7. Oktober 2015 in 18 Punkten formuliert wurden. Es handelt sich um Normen des Partikularrechts, die für die gesamte kirchliche Region (das Territorium Polens)119 ihre Gültigkeit haben, und die – unveränderlich, wie im Falle des vorigen Dokuments der KEP – als Angleichung der polnischen Richtlinien an das Zirkularschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte (2006) anzusehen ist, und zwar unter Berücksichtigung der Änderungen, die vom Papst Benedikt XVI. im Motu Proprio „Omnium in mentem“ vom 26. Oktober 2009 eingeführt wurden. 116
Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 12, 14, 18. Eine nicht geringe Rolle spielte dabei die Tatsache, dass sich die Autoren der Richtlinien von den Inhalten des vorbildlichen Zirkularschreibens von 2006 (allerdings wie bereits betont: einseitig) haben inspirieren lassen. 118 Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Einführung. 119 Dieses Allgemeine Dekret der KEP trat, nachdem ihm die recognitio der Kongregation für die Bischöfe erteilt wurde, am 19. 02. 2016 in Kraft. 117
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Wie bereits signalisiert, mussten solch ein hoher Stellenwert der freiheitlichen Prärogativen der Person (Gebrauch von Recht auf Glaubensfreiheit), und die im ganzheitlichen Sinn dieser Erklärung erkennbare Affirmation des Prinzips der Religionsfreiheit (besonders dann, wenn der nähere Kontext in Betracht gezogen wird, und zwar die Worte von freier Entscheidung des Subjekts des actus defectionis) in den legislativen Einzelvorschriften sowie in den angemessenen Korrekturen gegenüber den vorigen unvollkommenen Regelungen ihre Widerspiegelung gefunden haben. Dies geschah – was angenommen werden darf – mit einer nicht geringeren Sorge um die in diesen neuen Regelungen vorgenommene Verwirklichung des Prinzips der salus animarum. Ohne auf die Einzelheiten der normativen Regelungen des Dekrets der KEP einzugehen, die nicht nur ideell, sondern auch technisch-rechtlich (was bemerkenswert ist) ausgearbeitet sind, darf man mit allem Nachdruck feststellen, dass die vorliegenden Intuitionen in konkreten Vorschriften des Dokuments ihre Widerspiegelung finden. Im Teil, der den „Austritten aus der Kirche“ gewidmet ist, wurde erstens auf die Notwendigkeit der Präsenz zweier Zeugen bei der Willensbekundung, die katholische Kirche zu verlassen, verzichtet, indem angenommen wurde, dass die Präsenz des Pfarrers des jeweiligen Austretenden ausreichend sei. Zweitens wurde das Prinzip von wenigstens zwei seelsorgerischen Gesprächen getilgt und es wurde festgelegt, dass dieser formale Akt während des Treffens vollzogen werden kann, während dessen der Austretende seinem Pfarrer seine Willenserklärung in schriftlicher Form vorlegt120. Drittens wurden die potentiellen ungünstigen Wirkungen der erwähnten prozeduralen Änderungen durch zusätzliche (neue) Elemente ausgeglichen, und zwar durch das Gebot, der zuständige Pfarrer möge die notwendige moralische Sicherheit über die Motivation des Austrittswilligen erlangen121 sowie durch die Regel einer formal-rechtlichen Verifizierung der schriftlich vorgelegten Erklärung durch den zuständigen Ordinarius, der den Vorsteher der Pfarrerei, in der der Austretende getauft wurde, beauftragt, einen diesbezüglichen Eintrag im Taufbuch122 vorzunehmen. Im zweiten Teil sorgt der polnische kirchliche Gesetzgeber, indem er die beiden Prinzipien: das des Seelenheils und das der Religionsfreiheit optimal aktualisiert, um eine komplexe Regelung der im Titel aufgeführten Widerrufung des Austrittes aus der Katholischen Kirche, also der „Rückkehr in die volle Gemeinschaft der Kirche“ (was von dem früheren Dokument nur zum Teil behauptet werden konnte). Unter den neuen Elementen, die zugunsten der Kohärenz mit den Vorschriften des Dekrets und im Geiste der Achtung vor den Regeln der rechtlich-administrativen Ordnung (dies nicht allein in Bezug auf den actus defectionis), fällt vor allem die Anforderung einer an den zuständigen Pfarrer schriftlich vorzulegenden Bitte auf, den Ausgetretenen in 120
Nr. 3. 121 122
Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Nr. 4. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Nr. 7.
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die volle Gemeinschaft der Katholischen Kirche wiederaufzunehmen. Darüber hinaus verdienen noch zwei Aspekte betont zu werden. Vorerst sollte die Tatsache hervorgehoben werden, dass der Gesetzgeber in der Prozedur des actus receptionis – analog zu den Regelungen hinsichtlich des actus defectionis – Kriterien festgelegt hat, denen die schriftliche Willenserklärung123 gerecht werden sollte. Letztendlich zeugt der den Formalisierungsprozess des actus receptionis abschließende Passus des Allgemeinen Dekrets von der legislativen Umsicht bei der Vorbereitung der neuen Normen. Er bezieht sich nicht nur auf den obligatorischen Vermerk im Taufbuch, die betreffende Person kehre in die volle Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche zurück (und zwar aufgrund der Entscheidung des zuständigen Ordinarius), sondern auch bestimmt das Dekret einen einheitlichen Wortlaut des Eintrags124 im Taufbuch. 2. Der Kontext der res mixtae – innerkirchliche Regelung des Datenschutzes Am 28. Juni 2012 wurde am Institut für Statistik der Katholischen Kirche zum ersten Mal (und bisher dem einzigen) die Statistik der formellen Austritte aus der Katholischen Kirche in Polen im Jahr 2010 präsentiert (die Statistik wurde im Jahrbuch des Instituts „Annuarium Statisticum Ecclesiae in Polonia“ nicht veröffentlicht). 2012 haben im Allgemeinen 459 Personen den Akt der Apostasie im Sinne der Richtlinien der KEP (2008) vollzogen. In absoluten Zahlen wurden lediglich auch die diesbezüglichen Daten angegeben, die die jeweiligen polnischen Metropolen betreffen. Um es bildlich darzustellen: die Metropolen mit der höchsten Zahl der Austritte aus der Katholischen Kirche sind die folgenden: die Warschauer (105), die Krakauer (74), die Ermländische (44), die Breslauer (42) und die Kattowitzer (41). Die Metropolen mit der geringsten Zahl der Austritte sind dagegen die Tschenstochauer (4), die Przemysler Metropole (4) und das Erzbistum Białystok (10). Während dieser Präsentation wurde die Meinung vertreten, es sei ein marginales Phänomen, wenn auch Untersuchungen das Bestehen eines gesellschaftlichen Phänomens bestätigen. Zur Begründung dieser Meinung wurde die Zahl der Personen, die im Laufe des Untersuchungsjahres aus der Kirche ausgetreten sind (459) mit der Zahl der Personen, die das Sakrament der Firmung („das Sakrament der Reife, der vollen Kir-
123 Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Nr. 2, 16. 124 „Über die Aufhebung der Zensur und über die Rückkehr in die volle Gemeinschaft mit der Kirche setzt der jeweilige Ordinarius den Pfarrer der Pfarrei, in der der Betroffene getauft wurde, in Kenntnis und lässt ihn den folgenden Vermerk im Taufbuch einzutragen: „ Am … ist er/sie in die volle Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche zurückgekehrt. […]“. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Nr. 18.
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chengliedschaft“) empfangen haben, kontrastiert: diese letztere Zahl belief sich auf über 380 Tausend Personen125. Im selben Jahr bezog sich Piotr Majer, der Konsultor des Juristischen Rates der KEP, während eines Interviews für die Katholische Presseagentur (KAI) anlässlich des 5. Jahrestages der Einführung der diesbezüglichen Regelungen zum actus formalis in Polen, auf das zu besprechende Problem, und zwar auf eine sachgemäße und konstruktive Weise. Indem er (damals Kanzler der Krakauer Kurie) glaubwürdige Daten für die Austritte in der Krakauer Diözese aus diesem Zeitraum angeführt hatte, wies er darauf hin, dass das untersuchte Phänomen an Stärke zunimmt126. Die Apostasie als eine Art „Modetrend“ könnte als ein vorübergehendes Phänomen von geringerer Bedeutung betrachtet werden, wenn es eine verstärke Aktivität der den Austritt propagierenden Kreise nicht gäbe, die sich vor allem im Erteilen von Ratschlägen und Hinweisen auf Internetforen manifestiert, wie man „wirksam“ aus der Kirche austreten kann (sie bieten Vorlagen für Austrittsschreiben und –formulare an). Nach der Meinung des Experten sei die präzise Fokussierung medialer Aktionen, etwa die Anforderung, die Prozedur des actus formalis defectionis schriftlich via Medien oder per Post vorlegen zu dürfen, und zwar unter Berufung auf die Vorschriften des polnischen Zivilrechts über die Willenserklärung, oder die verstärkt auftretende Aufforderung, personenbezogene Daten der Betroffenen aus den Kirchenbüchern (Taufbuch und Ehebuch) zu tilgen, ein Beweis dafür, wie ernst sich die Situation darbiete127. a) Die Richtlinien, die vom Generalinspekteur für den Schutz personenbezogener Daten und dem Sekretariat der KEP vorbereitet wurden (2009) „Dem Betroffenen sollte erklärt werden, dass die Taufe ein Ereignis ist, das sich aus der Lebensgeschichte eines Menschen nicht tilgen lässt, und dass daher auch eine Tilgung des einmal ins Taufbuch eingetragenen Taufaktes nicht möglich ist. Falls sich der Betroffene auf das Gesetz vom Schutz personenbezogener Daten berufen würde, sollte ihm/ihr erklärt werden, dass dieses Gesetz in diesem Fall nicht angewendet werden darf, weil die personenbezogenen Daten, und zwar als Dokumentation der vom Betroffenen empfangenen Sakramente, der Kirche bei der Erfüllung 125
Die neuesten Statistiken, die die religiösen Praktiken betreffen, sind auf folgender Webseite zu finden, online unter: https://www.gosc.pl/doc/1193631.Najnowsze-statystykipraktyk-religijnych (eingesehen am 26. 03. 2019). 126 Selbstverständlich sind es nicht die Zahlen allein, die ein Grund zur Beunruhigung abgeben, denn: „Eine Erklärung zum Austritt aus der Kirche haben 186 Personen vorgelegt, während 289 Personen sind im gleichen Zeitraum der Kirche infolge eines bewussten Akten beigetreten, sei es als Erwachsene, die das Taufsakrament empfangen haben, sei es als Konvertiten zum Katholizismus“. Piotr Majer, O formalnym wysta˛pieniu z Kos´cioła, online unter: https://ekai.pl/o-formalnym-wystapieniu-z-kosciola/ (eingesehen am 26. 03. 2019). 127 Majer, O formalnym wysta˛pieniu (Anm. 126).
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ihrer Aufgaben unerlässlich sind“128. Dieser wichtige Passus der Richtlinien von 2008 ist ein Beleg dafür, dass die KEP, indem sie die Landespezifik berücksichtigenden Vorschriften entworfen hatte, die Probleme, die über die kirchliche Gesetzgebung hinausgehen, weil sie den Bereich der res mixtae betrifft, mit größter Umsicht anging. Die oben angeführten Beispiele der in den polnischen sozialen Medien gestarteten diesbezüglichen Aktionen mussten die polnischen Bischöfe selbstverständlich beunruhigen. Dies war aber nicht alles. Sorge der Bischöfe galt vor allem der bewusst durchgeführten Lancierung der Apostasie als eines „Emanzipationsaktes“, und zwar unter dem Banner der staatlich garantierten Freiheitsrechte der Person (!). Ohne dabei allzu sehr auf die Einzelheiten einzugehen, darf dabei das Procedere einer selektiven Berufung auf die in Polen geltenden Gesetze erwähnt werden, und zwar auf das Datenschutzgesetz, indem als Rechtsgrundlage die Art. 47 und 51 der Verfassung der Republik Polen vom 2. April 1997129 bzw. die ausgewählten Vorschriften des Datenschutzgesetzes vom 29. August 1997130 einerseits, während andererseits Art. 5 des Konkordats zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Republik Polen vom 28. Juli 1993131 sowie Art. 2 des Gesetzes über das Verhältnis vom Staat zur Katholischen Kirche in der Republik Polen vom 17. Mai 1989132 ignoriert werden. Daher werden die Entscheidungen der kirchlichen Organe nicht selten bei dem Generalinspekteur für den Schutz personenbezogener Daten (GIODO)133 verklagt. Falls eine den Betroffenen nicht zufriedenstellende Entscheidung getroffen wird, wird die diesbezügliche Klage an polnische Verwaltungsgerichte weitergeleitet. Diese Umstände (neben anderen Prämissen) haben die polnischen Bischöfe dazu motiviert, in Sorge um die Qualität der Rechtspraxis in Polen, gemeinsam mit dem erwähnten Staatsorgan „den Zweifeln, die die Implementation des Gesetzes für den 128
Konferencja Episkopatu Polski, Zasady poste˛ powania (Anm. 12), Nr. 11. Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (02. 04. 1997), in: Dz. U. 1997, Nr. 78, Poz. 483, online unter: http://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/DocDetails.xsp?id=WDU19970780483 (eingesehen am 26. 03. 2019). 130 Ustawa o ochronie danych osobowych (29. 08. 1997), in: Dz. U. 1997, Nr. 133, Poz. 883, online unter : http ://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/DocDetails.xsp ?id= WDU19971330883 (eingesehen am 26.03. 2019). Heutzutage ist geltend: Ustawa o ochronie danych osobowych (10. 05.2018), in: Dz. U. 2018, Poz. 1000, online unter: http://prawo.sejm. gov.pl/isap.nsf/DocDetails.xsp?id=WDU20180001000 (eingesehen am 26. 03. 2019). 131 Laut Art. 5 des Konkordats bürgt der polnische Staat der Katholischen Kirche ungeachtet des jeweiligen Ritus eine uneingeschränkte und öffentliche Ausübung ihres Auftrags inklusive Ausübung der Jurisdiktion und Verwaltung aufgrund des kanonischen Rechts. Dz. U. 1998, Nr. 51, Poz. 318, online unter: http://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/DocDetails.xsp?id= WDU19980510318 (eingesehen am 26. 03. 2019). 132 Dz. U. 1989, Nr. 29, Poz. 154, online unter: http://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/DocDe tails.xsp?id=WDU19890290154 (eingesehen am 26. 03. 2019). 133 Heutzutage, und zwar gemäß dem neuen Gesetz von 2018, bekleidet dieses Amt der Präsident des Amtes für den Schutz personenbezogener Daten (Prezes UODO). 129
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Schutz personenbezogener Daten in Bezug auf personenbezogene Daten, die für die Bedürfnisse der Katholischen Kirche in Polen verarbeitet werden“134 entgegenzukommen. Am 23. September 2009 wurde die Instruktion, die vom Generalinspekteur für den Schutz personenbezogener Daten (GIODO) sowie dem Sekretariat der KEP gemeinsam vorbereitet wurde, mit dem Titel „Ochrona danych osobowych w działalnos´ci Kos´cioła katolickiego w Polsce“ (Der Schutz personenbezogener Daten im Wirken der Katholischen Kirche in Polen) veröffentlicht. Im 5. Punkt dieser Instruktion, der die gesetzliche Verpflichtung zur Registrierung von Dateien mit personenbezogenen Daten auslegt, fand sich eine wichtige Vorschrift: „Für die Bestände von personenbezogenen Daten, die von der Katholischen Kirche verarbeitet werden, und zwar solche, die sich lediglich auf die Kirchenglieder beziehen und ausschließlich der Kirche dienen, etwa die Pfarrkartothek, gilt, dass für sie keine Pflicht besteht, die Dateien mit personenbezogenen Daten bei der zuständigen Behörde (dem GIODO) registrieren zu lassen (Art. 43, Abs. 1, Pkt. 3 des Gesetzes für den Schutz personenbezogener Daten). Aus diesem Grund bestehen für den GIODO keine Kontrollbefugnisse, die Übereinstimmung der Datenverarbeitung mit dem Gesetz für den Schutz personenbezogener Daten vom 29. 08. 1997 zu überprüfen“135. Im zweiten Teil der Instruktion wurden dagegen einige wesentliche Fragen aufgeworfen, die einer rechtlichen Entscheidung bedürfen, und in zwar in Form eines Frage-Antwort-Katalogs. Darunter befindet sich die 9. Frage: „Ob der Person, die aus der Kirche austreten will, das Recht zusteht, eine Tilgung der personenbezogenen Daten in Kirchenbüchern zu verlangen?“. Die Antwort des GIODO lässt keinen Zweifel zu: „Ein solches Recht steht dem Austrittswilligen nicht zu, denn die Archivierungsprinzipien von Daten, die in Kirchenbüchern enthalten sind, anderen Regulierungen als das Gesetz für den Schutz personenbezogener Daten entspringen, und zwar der Vorschrift des CIC (c. 535 CIC/1983), die auf die Notwendigkeit hinweist, die Informationen, die mit dem Wirken der Kirche verbunden sind, aufzubewahren und sie entsprechend zu schützen. Der Akt des Austritts aus der Katholischen Kirche wird im Taufbuch vermerkt. In Bezug auf die Handlungen, die von dem oben genannten Kodex nicht geregelt werden, werden die Vorschriften angewandt, die sich aus dem Gesetz für den Schutz personenbezogener Daten ergeben, etwa das Recht, die Daten aktualisieren und berichtigen zu lassen (Art. 35, Abs. 1)“136.
134 Ochrona danych osobowych w działalnos´ci Kos´cioła katolickiego w Polsce. Instrukcja opracowana przez Generalnego Inspektora Ochrony Danych Osobowych oraz Sekretariat Konferencji Episkopatu Polski (23. 09. 2009), Warszawa 2009, S. 3. Vgl. Generalny Inspektor Ochrony Danych Osobowych (GIODO), ABC ochrony danych osobowych, Warszawa 2007, S. 16. 135 Ochrona danych osobowych w działalnos´ci Kos´cioła katolickiego w Polsce. Instrukcja (Anm. 134), S. 5. 136 Ochrona danych osobowych w działalnos´ci Kos´cioła katolickiego w Polsce. Instrukcja (Anm. 134), S. 15 f.
„Die formale Willenserklärung zum Austritt aus der Kirche“
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b) Das Allgemeine Dekret „für den Schutz natürlicher Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten in der Katholischen Kirche“ (2018) „Es wird keine Bescheinigung über den Austritt aus der Katholischen Kirche ausgestellt. Der Austretende darf aber eine Taufbescheinigung mit dem Vermerk erhalten, von der in Nr. 10 des vorliegenden Dekrets die Rede ist“137. Diese knappe Vorschrift, die sich im Allgemeinen Dekret der KEP „bezüglich der Austritte aus der Katholischen Kirche sowie der Rückkehr in die volle Gemeinschaft der Kirche“ (2015) befindet und die die oben zitierte umfassende Regulierung der Richtlinien von 2008 ersetzte, bietet eine gute Widerspiegelung der Wahrheit dar, dass sich das Kirchenrecht immer im Austausch mit der Rechtskultur des jeweiligen Landes gestalten hat und sich weiter noch gestaltet138. In der Tat habe die Kirche, indem sie ihren Auftrag in der Öffentlichkeit erfüllt, die Pflicht – so Remigiusz Soban´ski –, die Regulierungen des jeweiligen Landes zu kennen und zu achten139. Um das Problem zu konkretisieren: die Sache betrifft die Notwendigkeit, die inneren Regelungen und das autonomische System des Schutzes personenbezogener Daten (das ja nicht seit heute in der Kirche besteht), den diesbezüglichen staatlichen Vorschriften anzugleichen. In dieser Hinsicht wurde ein neuer Kontext für das gesamte Spektrum der Fragen, die sich mit der Implementation des Gesetzes über die formale Willenserklärung zum Austritt aus der Kirche verbinden, durch die Verabschiedung am 27. April 2016 einer Verordnung der Europäischen Union geschaffen, und zwar der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO, poln. RODO). Wie bekannt, hat sie nach Verlauf zweijähriger Übergangsphase die Richtlinie 95/46/EG140 ersetzt und gilt seit dem 25. Mai 2018 unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten. Ein selbstverständlicher Bezugspunkt für die KEP beim Unternehmen von legislativen Schritten war Art. 91 RODO mit dem Titel „Bestehende Datenschutzvorschriften von Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften“, in dem sich eine prägnante Regulierung befindet: „Wendet eine Kirche oder eine religiöse Vereinigung oder Gemeinschaft in einem Mitgliedstaat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung umfassende Regeln zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung an, so dürfen diese Regeln weiter angewandt werden, sofern sie mit dieser Verordnung in Einklang ge-
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Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie wysta˛pien´ (Anm. 10), Nr. 11. Vgl. Remigiusz Soban´ski, Prawo kanoniczne a kultura prawna, in: Prawo Kanoniczne 35 (1992), Nr. 1 – 2, S. 15 – 33, hier S. 25; s. auch Ders., Das Verhältnis von Kirche und Staat in Theorie und Praxis, ThQ 172 (1992), S. 285 – 294. 139 Vgl. Remigiusz Soban´ski, Prawo kanoniczne a krajowy porza˛dek prawny, in: Pan´stwo i Prawo 54 (1999) Z. 6, S. 3 – 17, hier S. 15. 140 Richtlinie 95/46/EG: Schutz von personenbezogenen Daten, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 281, online unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/LSU/?uri= celex%3A31995L0046 (eingesehen am 26. 03. 2019). 138
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bracht werden“141. Eine Reaktion der polnischen Bischöfe auf diese Vorschrift war das Einholen der recognitio bei dem Apostolischen Stuhl (2017) für den von ihr vorbereiteten neuen Rechtsakt, der den RODO-Vorschriften angepasst wurde. Am 13. März 2018 wurde das Allgemeine Dekret über den Schutz natürlicher Personen im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten in der Katholischen Kirche in Polen“ (2018)142 veröffentlicht. Was dabei wesentlich ist, hat dieses Dekret der Einberufung des kirchlichen Inspekteurs für den Datenschutz143 den Weg geebnet, des kirchlichen Pendants der profanen Institution des GIODO. Auf diese Weise ist in der polnischen Katholischen Kirche ein neues kirchliches Amt entstanden – ein unabhängiges Organ für die Überprüfung der Richtigkeit von Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Unabhängigkeit, Funktionen und Befugnisse dieses Organs wurden – in Anlehnung an die in den RODO-Vorschriften formulierten Kriterien – im Dekret präzise formuliert (eine Nicht-Einberufung eines solchen Organs würde selbstverständlich bedeuten, dass Kontrollbefugnisse und jegliche Kompetenzen in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten dem Staatsorgan, also dem GIODO, und seit kurzem: dem Präsidenten des Amtes für den Schutz personenbezogener Daten – UODO, eigen wären). Die an den GIODO bzw. weiter an die polnischen Verwaltungsgerichte144 gerichteten Klagen, die den (angeblichen) Verletzungen des Gesetzes für den Datenschutz bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in den Pfarreien gelten (dies ist der am häufigsten genannte Grund für die diesbezüglichen Klagen, der zweithäufigste ist dagegen die Weigerung der Pfarrer, „Bestätigungen“ für den Austritt aus der Kirche auszustellen), rückten ins Visier des Kirchlichen Inspekteurs für den Schutz perso141 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 119/1, Art. 91, online unter: https://eur-lex.eu ropa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3 A32016R0679 (eingesehen am 26. 03. 2019). 142 Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie ochrony osób fizycznych w zwia˛zku z przetwarzaniem danych osobowych w Kos´ciele katolickim (13. 03. 2018), in: Akta Konferencji Episkopatu Polski 30 (2018), S. 1 – 16, online unter: http://episkopat.pl/wp-con tent/uploads/2018/04/13.3. 2018.PL_.Dekret-ogolny-o-ochronie-danych-osobowych.pdf (eingesehen am 26. 03. 2019). 143 Vgl. Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie ochrony osób fizycznych (Anm. 142), Art. 35 – 40. 144 S. z. B. die Urteile des Obersten Verwaltungsgerichtes (Naczelny Sa˛d Administracyjny), die am 9. Februar 2016 gefällt wurden: Urteil des OVG, I OSK 2691/15; Urteil des OVG, OSK 1509/15; Urteil des OVG, OSK 579/15; Urteil des OVG, OSK 2585/15; Urteil des OVG, I OSK 3179/15, Urteil des OVG, I OSK 1466/15. Auf den besonderen Stellenwert dieser Entscheidungen wurde im negativ ausgefallenen Urteil des Warschauer Gerichtes hingewiesen, in dem u. a. folgendermaßen argumentiert wurde: „Die Klägerin, worauf bereits der GIODO hingewiesen hat, hat keinen juristisch rechtmäßigen ,Austrittsakt aus der Kirche‘ in der vom Kirchenrecht vorgesehenen Form vollzogen.“ Urteil des Warschauer Verwaltungsgerichtes (WSA), II SA/Wa 323/17, online unter: http://orzeczenia.nsa.gov.pl/doc/ 9BF5F0725A (eingesehen am 26. 03. 2019).
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nenbezogener Daten und wurden zum Hauptpunkt seines Interesses und seiner Aktivität, denn die formellen Klagen fanden eben in ihm den einzig kompetenten Adressaten. Er ist Garant dafür, dass das „Recht auf Vergessenwerden“ respektiert wird, indem er der Mitteilungspflicht im Zusammenhang mit der Berichtigung oder Löschung personenbezogener Daten oder im Zusammenhang mit der Einschränkung der Verarbeitung nachkommt145. Das ändert allerdings nichts an der Sache selbst, denn das „Recht auf Vergessenwerden“ gilt den Gläubigen, „die in der katholischen Kirche getauft oder in diese aufgenommen worden sind“ (c. 11 CIC/1983), und es hat keinen absoluten Charakter, weil ihm ein solcher nicht zukommen kann. Diese Wahrheit wird im Dekret der KEP von 2018 artikuliert, als die Bischofskonferenz ein Dezennium der Reflexionen, die von diversen und üblicherweise nicht zutreffenden Argumentationen geprägt und getragen wurde, „symbolisch“ zum Abschluss bringt, indem sie eine klare und einsehbare Regulierung vorlegt: „Das Recht auf Löschung von Daten gilt nicht mehr, wenn die Daten die gespendeten Sakramente betreffen bzw. sich auf den kanonischen Status der betroffenen Personen beziehen. Ein solcher Antrag soll in der Datei vermerkt werden und er verpflichtet den Verwaltenden, die Daten, denen der Antrag gilt, nicht ohne Erlaubnis des zuständigen Ortsordinarius oder des zuständigen Oberen des Instituts des geweihten Lebens bzw. der Gesellschaft des apostolischen Lebens zu verarbeiten“146.
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Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie ochrony osób fizycznych (Anm. 142), Art. 12 – 16; vgl. Datenschutz-Grundverordnung (Anm. 141), Art. 16 – 19. 146 Konferencja Episkopatu Polski, Dekret ogólny w sprawie ochrony osób fizycznych (Anm. 142), Art. 14, Nr. 4.
Synodalität in der katholischen Kirche – ein „Zeichen der Zeit“ Anmerkungen im Anschluss an ein Dokument der Internationalen Theologenkommission Von Joachim Schmiedl
I. Ein „Zeichen der Zeit“ für die Kirche Der protestantische Liedermacher Martin Gotthard Schneider (1930 – 2017), bekannt vor allem durch das Lied „Danke für diesen guten Morgen“ (1963 sechs Wochen lang in den Hitparaden platziert), komponierte und textete 1960 das Lied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“. Darin wird die Situation der Kirche beschrieben, die sich angesichts des Säkularismus und Pluralismus der Zeit wie von einem Sturm gebeutelt fühlt. Sie gewinnt ihre Zuversicht durch die Bindung an Jesus Christus und den inneren Zusammenhalt der Gemeinde. Die Kirche ist gemeinsam auf dem Weg, wie es in den Strophen 4 und 5 heißt: „4. Im Schiff, das sich Gemeinde nennt, / fragt man sich hin und her: / Wie finden wir den rechten Kurs / zur Fahrt im weiten Meer? / Der rät wohl dies, der andre das, / man redet lang und viel / und kommt – kurzsichtig, wie man ist – / nur weiter weg vom Ziel. / Doch da, wo man das Laute flieht / und lieber horcht und schweigt, / bekommt von Gott man ganz gewiss / den rechten Weg gezeigt. 5. Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, / fährt durch das Meer der Zeit. / Das Ziel, das ihm die Richtung weist, / heißt Gottes Ewigkeit. / Und wenn uns Einsamkeit bedroht, / wenn Angst uns überfällt: / Viel Freunde sind mit unterwegs / auf gleichen Kurs gestellt. / Das gibt uns wieder neuen Mut, / wir sind nicht mehr allein. / So läuft das Schiff nach langer Fahrt / in Gottes Hafen ein!“1
Schneiders evangelische Landeskirche in Baden hat eine lange Erfahrung des Miteinander-Ringens um den Weg der Kirche in der Zeit. Durch die Betonung des allgemeinen Priestertums gehört in den Kirchen der Reformation die Beratung und Beschlussfassung auf Synoden wesentlich zum Grundbestand der Kirchenstruktur 1
Vgl. EKD (Hrsg.), Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen, die Lippische Landeskirche in Gemeinschaft mit der Evangelisch-reformierten Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland). Im Gebrauch auch in den evangelischen Kirchen im Großherzogtum Luxemburg, Gütersloh 1996, lfd. Nr. 604.
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Joachim Schmiedl
dazu.2 In der katholischen Kirche beschränkte sich die Teilnahme an Synoden, die nach dem Kirchenrecht von 1917 in jeder Diözese alle zehn Jahre abzuhalten waren,3 auf Kleriker. Diese Synoden wurden „gefeiert“ durch den Weg weisende Vorträge des Bischofs und anderer Verantwortlicher in der Diözesanleitung und gemeinsame Gottesdienste. Eine Beteiligung der Gläubigen des Bistums war nicht vorgesehen. 1. Neue Impulse durch das Zweite Vatikanum Doch in den Jahren, als Schneiders Song das „Neue Geistliche Lied“ bereicherte, regte sich in auch in der katholischen Kirche etwas. Nach der Ankündigung des II. Vatikanischen Konzils waren die Bischöfe aufgefordert, ihre Anliegen zu formulieren. Einige forderten eine Einschärfung der Bestimmungen über die Diözesansynoden.4 Einigen war aber ein Anliegen, Synoden auf der Ebene der Kirchenprovinzen zu fördern, weil viele Themen über die Belange einer einzelnen Diözese hinausgingen, aber auch nicht die universale Kirche beträfen. Und nicht nur die Bischöfe brachten ihre Themen ein. Umfragen in verschiedenen Ländern machten offenbar, was die Gläubigen bewegte.5 Darunter waren viele Themen, die auf dem Konzil behandelt werden sollten. Manche Desiderate sind aber bis heute noch nicht abgearbeitet. Wichtige Veränderungen im Verständnis dessen, was in der Katholischen Kirche Mitverantwortung, Beratung und Mitbestimmung sein könne, brachte das II. Vatikanische Konzil selbst. Stimmrecht hatten etwa 2500 Konzilsväter – Kardinäle, Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe und Ordensobere – aus der ganzen Welt.6 Neu war die 2 Vgl. Peter Unruh, Synoden in der Evangelischen Kirche, in: Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg im Breisgau 2014, S. 212 – 230. 3 Can. 356 – 362 CIC/1917; vgl. Wilhelm Rees, Synoden und Konzile. Geschichtliche Entwicklung und Rechtsbestimmungen in den kirchlichen Gesetzbüchern von 1917 und von 1983, in: Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg im Breisgau 2014, S. 30 – 31. 4 Vgl. Acta et Documenta Concilio Oecumenico Vaticano II apparando. Series I (Antepraeparatoria). Appendix Voluminis II: Analyticus conspectus consiliorum et votorum quae ab episcopis et praelatis data sunt. Pars I: Doctrina capita – Normae generales C. I. C. – De personis – Disciplina cleri – De Semariis – De religiosis – De laicis, Vatikan 1961, S. 513 – 514. 5 Vgl. Umfrage zum Konzil. 81 katholische Laien und Theologen äußern sich zu den Aufgaben des kommenden Konzils. Enquête der Zeitschrift Wort und Wahrheit, Freiburg 1961. 6 Vgl. Hubert Jedin, Die Geschäftsordnung des Konzils, in: Herbert Vorgrimler (Hrsg.), Das Zweite Vatikanische Konzil. Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen. Lateinisch und Deutsch. Kommentare. Teil III (= Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg 21968, S. 610 – 623.
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Institution der Beobachter aus nichtkatholischen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Über das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen7 waren sie in alle Diskussions- und Entscheidungsprozesse eingebunden. Manche Dokumente, wie etwa die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, verdanken sich Initiativen, die über informelle Kanäle in das Konzil eingespeist wurden. Das große Interesse der katholischen und säkularen Welt manifestierte sich in der Präsenz von Journalisten. Viele überregionale Tageszeitungen hatten Sonderkorrespondenten nach Rom geschickt, Nachrichtenagenturen sorgten für ausführliche Hintergrundberichte, Vorträge von theologischen Experten brachten nicht nur die Konzilsväter auf den neuesten Stand theologischer Reflexion. Diese Interaktion zwischen Konzilsaula und medialer Öffentlichkeit brachte noch in seiner letzten öffentlichen Ansprache Papst Benedikt XVI., damals als Joseph Ratzinger ein junger aufstrebender Theologe, dazu, von zwei entgegengesetzten Konzilen zu sprechen, einem „Konzil der Medien“ und dem „wahren“ „Konzil der Väter“.8 Doch nicht nur in diesem Fall scheint Ratzinger die Dynamik des Wechselspiels zwischen Theologie und Öffentlichkeit nicht erfasst zu haben. Ausdrücklich bezog sich das Konzil in seinem Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe auf synodale Zusammenkünfte. In Christus Dominus (CD 36) werden sie als „ehrwürdige Einrichtungen“ bezeichnet. Das Konzil unterscheidet Synoden, Provinzialkonzilien und Plenarkonzilien. Die Bischöfe werden aufgefordert, „zum gemeinsamen Wohl mehrerer Kirchen“ (CD 36) zusammenzuarbeiten. Im selben Abschnitt ist auch von den Bischofskonferenzen die Rede. In Ergänzung der Herausstellung der päpstlichen Vollmacht auf dem I. Vatikanischen Konzil bindet das Zweite Vatikanum die Kollegialität der Bischöfe mit einer synodalen Ausübung ihrer Vollmacht zusammen. Hinzu kam, dass das Konzil die theologische Position der Laien stärkte. Auch sie nehmen an der Heilssendung der Kirche teil, wie die Kirchenkonstitution LG 33 hervorhebt, und üben eine „wertvolle Wirksamkeit zur Evangelisation der Welt“ (LG 35) aus.
2. Die Institution der Bischofssynode In der Diskussion um das Bischofsdekret spielte die Idee eines ständig tagenden Bischofsrats eine große Rolle. Doch noch bevor CD verabschiedet wurde, erließ Paul VI. das Motu Proprio Apostolica sollicitudo (15. September 1965), das eine Bischofssynode einführte, die „ihrem Wesen nach ständig“, aber „der Struktur nach zeitlich befristet“ arbeiten solle. In CD 5 wird diese Einrichtung als „Vertretung des gesamten katholischen Episkopates“ verankert. Entgegen der Hoffnung vieler Konzilsväter schuf er diese nicht als eine permanente Einrichtung, sondern als eine regelmäßig von ihm einzuberufende Versammlung von Kardinälen und Bischöfen zur Beratung über vom Papst festzulegende Themen. Seit 1967 beruft der Papst 7 8
Vgl. etwa Jedin, Die Geschäftsordnung (Anm. 5), S. 610 – 623. Benedikt XVI., Begegnung mit dem Klerus der Diözese Rom, 14. Februar 2013.
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im Abstand von zwei bis vier Jahren eine Synode von Bischöfen zu einem von ihm festgesetzten Thema ein. Teilnehmer sind von den Bischofskonferenzen delegierte Bischöfe und vom Papst selbst eingeladene Personen mit oder ohne Stimmrecht. Nach 50 Jahren ergibt sich ein beeindruckendes Panorama an Themen. Die Synoden behandelten die Evangelisierung und Katechese, Bischöfe, Priester und Ordensleute, Eucharistie, das Wort Gottes und 2018 Jugend und Berufung. Außerordentliche Synoden wurden durchgeführt für die Niederlande, Afrika, Asien und Europa, den Libanon, den Nahen Osten und Ozeanien. Mit Spannung erwartet werden die Ergebnisse der Synode für das Amazonasgebiet (2019). Drei Synoden (1980, 2014 und 2015) widmeten sich Ehe und Familie. Die nachkonziliaren Schreiben geben weniger Antworten auf konkrete Fragen, sondern dienen der Motivation und Stärkung des Glaubensbewusstseins der Kirche. Sie gehören zur Selbstvergewisserung einer global agierenden Glaubensgemeinschaft und sind ein wichtiger Teil des ordentlichen Lehramts der Kirche, gewonnen aus der lebendigen Auseinandersetzung mit Tradition und Gegenwart. 3. Die Rätestruktur – eine Form gelebter Synodalität? Auch auf der Ebene der Bistümer und Pfarreien kam es nach dem Konzil zu neuen Strukturen. Grundlage für die Umwandlung der in vielen Diözesen bereits im Rahmen des Vereinswesens und der Katholischen Aktion bestehenden Pfarrausschüsse war die Forderung des Dekrets zum Apostolat der Laien Apostolicam actuositatem, es sollen „nach Möglichkeit beratende Gremien eingerichtet werden, die die apostolische Tätigkeit der Kirche im Bereich der Evangelisierung und Heiligung, im caritativen und sozialen Bereich und in anderen Bereichen bei entsprechender Zusammenarbeit von Klerikern und Ordensleuten mit den Laien unterstützen. Unbeschadet des je eigenen Charakters und der Autonomie der verschiedenen Vereinigungen und Werke der Laien werden diese Beratungskörper deren gegenseitiger Koordinierung dienen können“ (AA 26). Das Konzil riet solche Gremien „auch auf pfarrlicher, zwischenpfarrlicher und interdiözesaner Ebene, aber auch im nationalen und internationalen Bereich“ (AA 26) an. 1967 legten die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken Mustersatzungen vor, wonach „das für die Apostolatsarbeit auf der Pfarrebene verantwortliche Gremium Pfarrgemeinderat heißen“9 solle. Auf der Grundlage dieser Satzungen wurden in den meisten deutschen Diözesen im Laufe des Jahres 1968 die ersten Wahlen zum Pfarrgemeinderat durchgeführt. Die Würzburger Synode legte dann in ihrem Beschluss zu den Räten und Verbänden fest: „Der Pfarrgemeinderat dient dem Aufbau einer lebendigen Gemeinde und der Verwirklichung des Heils- und Weltauftrags der Kirche. In jeder Pfarrgemeinde ist ein Pfarr9 Franz Hengsbach, Brief an alle Katholiken im Bistum Essen zum letzten Sonntag im Kirchenjahr, in: Kirchliches Amtsblatt für das Bistum Essen 10 (1967), Nr. 22, 27. November 1967, S. 207.
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gemeinderat zu bilden“.10 Seine Aufgabe ist es, „in allen Fragen, die die Pfarrgemeinde betreffen, je nach Sachbereichen und unter Beachtung diözesaner Regelungen beratend oder beschließend mitzuwirken“.11 Die Fülle der Aufgaben, die dem Pfarrgemeinderat von der Würzburger Synode zugesprochen wird und die deutlich von denen der für die Finanzen und Baufragen zuständigen Kirchenverwaltung abgehoben sind, entspricht dem in c. 536 CIC/1983 für jede Pfarrei empfohlenen Pastoralrat, dessen Funktionen für die gesamte Diözese es ist, „unter der Autorität des Bischofs all das, was sich auf das pastorale Wirken in der Diözese bezieht, zu untersuchen, zu beraten und hierzu praktische Folgerungen vorzuschlagen“ (c. 511 CIC/1983). Dass es in den letzten Jahren in vielen Pfarreien nicht einfacher geworden ist, Kandidatinnen und Kandidaten für den Pfarrgemeinderat zu finden, mag nicht nur an der dünner werdenden Personaldecke der Kerngemeinden liegen oder an einer Gruppe von Personen, die die Gremien zu lange „besetzte“, sondern auch an einer Funktionsverengung. Denn der Pfarrgemeinderat ist nach der Würzburger Synode bei weitem mehr als das Organisationsgremium für das Pfarrfest, sondern seine Aufgaben liegen auch in der Glaubensunterweisung, der Diakonie, der Mission, in der Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen und der Förderung ökumenischer Kontakte und vor allem der Kommunikation mit der Pfarrei. Ob die Möglichkeiten dieses synodalen Gremiums wirklich ausgeschöpft sind, darf angesichts der Krise des Pfarrgemeinderats bezweifelt werden. 4. Die nachkonziliaren Nationalsynoden Eine Hoch-Zeit erlebte die Synodalität in den Jahren nach dem Konzil, als sich in mehreren Ländern Mitteleuropas das Drängen nach einer nationalen Synode Bahn brach.12 Vorreiter waren die Niederlande mit ihrem Pastoralkonzil. Der auf dem Essener Katholikentag 1968 aufgestaute Unmut über die Enzyklika Humanae vitae war der Auslöser, auch für die Bundesrepublik Deutschland eine Synode zu fordern. Für den Westteil Deutschlands brachte sie eine umfassende Eindeutschung des Konzils zustande. Damit die Ergebnisse nicht auch in der DDR übernommen werden mussten, wurde dort – zunächst widerwillig – auch eine Pastoralsynode abgehalten. Die 10 Karl Lehmann (Hrsg.) Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland. Offizielle Gesamtausgabe, Neuausg, Freiburg i. Br. 2012, S. 659. 11 Lehmann, Gemeinsame Synode (Anm. 9), S. 659. 12 Vgl. die Ergebnisse aus einem mehrjährigen Forschungsprojekt: Joachim Schmiedl (Hrsg.) Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Rechtliche Grundlagen und öffentliche Meinung (= Theologische Berichte 35), Freiburg (Schweiz) 2013; Reinhard Feiter/Richard Hartmann/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Die Würzburger Synode. Die Texte neu gelesen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1), Freiburg i. Br. 2013; Joachim Schmiedl/Robert Walz (Hrsg.), Die Kirchenbilder der Synoden. Zur Umsetzung konziliarer Ekklesiologie in teilkirchlichen Strukturen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 3), Freiburg i. Br. 2015; Joachim Schmiedl/Wilhelm Rees (Hrsg.), Die Erinnerung an die Synoden. Ereignis und Deutung – im Interview nachgefragt (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 4), Freiburg i. Br. 2017.
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Schweiz mit ihrer Synode 72 und Österreich mit dem Österreichischen Synodalen Vorgang zogen nach. Mehrere Elemente verbinden diese Synoden miteinander: – In der Vorbereitung wurde durch Meinungsumfragen, Diskussionsrunden und Briefaktionen ein möglichst großer Teil des Volkes Gottes einbezogen. – Mit Ausnahme der Bischöfe, die gesetzt waren, wurden die Synodalen gewählt. Dabei wurde auf ein austariertes Verhältnis zwischen Priestern und Laien geachtet. – Regelmäßige Informationen an die Presse sicherten das Interesse der Öffentlichkeit und der Pfarreien. – Viele Entscheidungen wurden in den Ländern umgesetzt. Änderungswünsche, welche die Gesamtkirche betrafen, wurden von der Kurie nicht zur Kenntnis genommen oder abgeblockt. Zu einer Wiederholung dieser Nationalsynoden kam es nicht. Voten, alle zehn Jahre solche Synoden abzuhalten, fanden keinen Widerhall. In Deutschland gab es seit 1975 vier Diözesansynoden.13 1977 führte das Bistum Hildesheim eine Synode durch. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart ging es 1985/1986 um die „Weitergabe des Glaubens an die kommende Generation“,14 1990 in der Diözese Augsburg um „Die Seelsorge in der Pfarrgemeinde“.15 Das Abschlussdokument der Diözesansynode, die von 2012 – 2016 im Bistum Trier stattfand,16 trägt den Titel „heraus gerufen. Schritte in die Zukunft wagen“.17 Die unterschiedliche Dauer der Synoden und die jeweiligen Akzente zeigen die Entwicklung der Bistümer und der deutschen Kirche an. Synoden sind immer auch Zeitansagen. Das gilt für Synoden im kirchenrechtlichen Sinn, die ihrerseits bestimmten Regularien unterliegen, noch mehr aber für syn-
13 Vgl. Thomas Schüller, Die Rezeption der Würzburger Synode auf diözesaner Ebene. Diözesansynoden in deutschen Diözesen von 1975 bis heute, in: Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg i. Br. 2014, S. 282 – 295. 14 Dizöese Rottenburg-Stuttgart, Diözesansynode ’85. Weitergabe des Glaubens an die kommende Generation (= Materialdienst 24), Rottenburg a.N. 1986. 15 Die Seelsorge in der Pfarrgemeinde. Diözesansynode Augsburg 1990, Donauwörth 2 1992. 16 Vgl. Georg Holkenbrink, Das Wagnis einer Diözesansynode. Anmerkungen in der Zeit der Vorbereitung der Synode im Bistum Trier im Jahre 2013, in: Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg im Breisgau 2014, S. 296 – 308. 17 Heraus gerufen. Schritte in die Zukunft wagen. Abschlussdokument der Synode im Bistum Trier, Trier 2016.
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odale Prozesse, die in einem offeneren Beratungszusammenhang durchgeführt werden. Weltkirchlich betrachtet erlebten Synoden allerdings einen Boom.18 5. Papst Franziskus und die Synodalität Papst Franziskus zeigte sich seit dem Beginn seines Pontifikats als ein großer Freund von Synodalität. Im Unterschied zu seinen Vorgängern war er kein Teilnehmer am II. Vatikanischen Konzil gewesen. Aber als Jesuit hatte er die Beratungs- und Entscheidungsdynamik der Generalkongregationen kennengelernt, die wichtige Weichenstellungen für die Weiterentwicklung der Gesellschaft Jesu legten. Sein zentrales Erlebnis gelungener Synodalität war die Fünfte Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik im brasilianischen Aparecida vom 13. – 31. Mai 2007, bei der er die Kommission für die Formulierung des Schlussdokuments leitete. Das Thema „Jünger und Missionare Jesu Christi – damit unsere Völker in Ihm das Leben haben“ verwies auf die Situation der lateinamerikanischen Kirche zwischen Volksreligiosität, Urbanisierung und spirituellen Anfragen durch protestantisch-pfingstlerische Kirchen. Jorge Mario Bergoglio brachte in sein Pontifikat die Erfahrung mit, dass gemeinsame Beratung ein Plus vor einsamen Entscheidungen darstellen kann. In allen seinen Lehrschreiben seit 2013 werden deshalb Beschlüsse von Synoden und Bischofskonferenzen zitiert, und zwar bewusst auch solche „vom Ende der Welt“. Je 22 Verweise auf Publikationen von Bischofskonferenzen finden sich in Evangelii gaudium und in Laudato sì. Es sticht natürlich das Abschlussdokument der Versammlung des lateinamerikanischen Episkopats in Aparecida (2006) hervor, das unter Bergoglios Leitung verfasst wurde. Aber auch Dokumente aus dem Kongo, Indien, Paraguay, Neuseeland, Mexiko, Portugal und Bolivien werden als Referenz herangezogen. Mehr als seine Vorgänger nimmt Franziskus die lehramtlichen Stellungnahmen der regionalen Kirchen auf. Ihnen einen nicht nur geduldeten, sondern das päpstliche Lehramt ergänzenden Stellenwert zu geben, sollte der nächste Schritt der Entwicklung von Synodalität und Kollegialität sein. Für Franziskus ist dieser „Geist der Kollegialität und Synodalität“ (6. Oktober 2014) unverzichtbar. Doch um zu verstehen, in welcher Spannbreite sich dieser Geist äußert, sind zwei Aussagen von ihm gegeneinander zu halten. Bei der Feier zum 50jährigen Jubiläum der Einrichtung der Bischofssynode durch Papst Paul VI. am 17. Oktober 2015 sagte Franziskus: „Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und ihr zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet. […] Der sensus fidei (der Glaubenssinn] ver18
Vgl. Arnaud Join-Lambert, Synoden und Parasynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Neue Fragen für die Ekklesiologie und das Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche, in: Wilhelm Rees/Joachim Schmiedl (Hrsg.), Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg i. Br. 2014, S. 264 – 281.
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bietet, starr zwischen Ecclesia docens [der lehrenden Kirche] und Ecclesia discens [der lernenden Kirche] zu unterscheiden, weil auch die Herde einen eigenen ,Spürsinn‘ besitzt, um neue Wege zu erkennen, die der Herr für die Kirche erschließt.“ Auf drei Ebenen erschließe sich die Synodalität: in den Beratungsgremien des einzelnen Bistums, auf der Ebene der Bischofskonferenzen und schließlich der Universalkirche. Bei derselben Gelegenheit wies der Papst auf die Begrenzung der Synodalität durch das Amt des Papstes hin: „Und schließlich gipfelt der synodale Weg im Hören auf den Bischof von Rom, der berufen ist, als ,Hirte und Lehrer aller Christen‘ zu sprechen: nicht von seinen persönlichen Überzeugungen ausgehend, sondern als oberster Zeuge der fides totius Ecclesiae [des Glaubens der gesamten Kirche], als ,Garant des Gehorsams und der Übereinstimmung der Kirche mit dem Willen Gottes, mit dem Evangelium Christi und mit der Überlieferung der Kirche‘. Die Tatsache, dass die Synode immer cum Petro et sub Petro handelt – also nicht nur cum Petro, sondern auch sub Petro – ist keine Begrenzung der Freiheit, sondern eine Garantie für die Einheit. Der Papst ist nämlich nach dem Willen des Herrn ,das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen‘. Damit verbindet sich das Konzept der ,hierarchischen Gemeinschaft‘, das vom Zweiten Vatikanischen Konzil angewandt wurde: Die Bischöfe sind mit dem Bischof von Rom durch das Band der bischöflichen Gemeinschaft verbunden (cum Petro) und sind ihm als dem Haupt des Kollegiums zugleich hierarchisch unterstellt (sub Petro).“
Damit sind die Chancen, aber auch die Begrenzungen von Synodalität in der katholischen Kirche markiert: Synoden sind Beratungsgremien. Die Teilnehmerstruktur variiert; seit dem Zweiten Vatikanum sind Synoden, vor allem auf diözesaner und nationaler Ebene, ein Spiegel der jeweiligen Teilkirche aus Priestern und Laien, Haupt- und Ehrenamtlichen, den verschiedenen Berufsgruppen, Mitgliedern von Orden, Verbänden und geistlichen Gemeinschaften. Doch sie sind und bleiben Versammlungen, in denen zentrale Themen der jeweiligen Ortskirche behandelt werden, die letzte Entscheidung über ihre Umsetzung aber beim Bischof bzw. bei den Bischofssynoden beim Papst bleibt. Dass Papst Franziskus in diesem Zusammenhang das Erste Vatikanische Konzil zitierte, zeigt diese Spannung zwischen Beratung, Mitbestimmung und Entscheidung auf. 6. Das Papier der Internationalen Theologenkommission Parallel zu den lehramtlichen Äußerungen des Papstes erarbeitete die Internationale Theologenkommission ein ausführliches Papier zur Synodalität. Die am 2. März 2018 veröffentlichte Studie trägt den Titel „Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche“ (im Folgenden abgekürzt zitiert: Syn). Das Dokument verankert die Synodalität in seinen biblischen Wurzeln und in der Praxis der Frühen Kirche. Es sieht einen besonderen Kairos im Pontifikat von Papst Franziskus. In vier Kapiteln wird das Thema entfaltet: Synodalität in der Heiligen Schrift, der kirchlichen Tradition und der Geschichte – Eine Theologie der Synodalität – Die Ausübung von Synodalität – „Bekehrung“ zu einer erneuerten Synodalität. Auf einige spezielle Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden.
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II. Theologie der Synodalität In den christlichen Kirchen des ersten Jahrtausends waren Synoden und Konzilien der Normalfall der Ausübung von Leitung. In den Krisen des Papsttums im 14./ 15. Jahrhundert sah man im Konziliarismus eine Lösungsmöglichkeit zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit. Doch das Erstarken des Papsttums führte zu einer Schwächung der Bischöfe, was im Ersten Vatikanum in der Heraushebung der primatialen Rolle des Papstes kulminierte. Synoden dienten nach dem Konzil von Trient zur Revitalisierung der Ortskirchen, waren aber kein Steuerungsinstrument der Gesamtkirche mehr. Erst die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums eröffnete neue Wege für eine Renaissance der Synodalität in der katholischen Kirche. 1. Kirche als Abbild der Trinität Syn nimmt die Aussagen des Zweiten Vatikanums auf, wonach Kirche ein Abbild der Dreifaltigkeit ist. In der Trinität sind die Einheit und die Vielfalt, die Dynamik und die Sendung, Personalität und Gemeinschaft verwirklicht. Der Geist teilt der Kirche die Gaben mit, die vielfältig sind: „die gleiche Würde der Getauften; die universale Berufung zur Heiligkeit; die Teilnahme aller Getauften am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Jesu Christi; der Reichtum an hierarchischen und charismatischen Gaben; das Leben und die Sendung jeder lokalen Kirche“ (Syn 46). Ihren sichtbaren Ausdruck finden diese Gaben in der gemeinsamen Feier der Eucharistie und der Inthronisation des Evangeliums. Damit nimmt das Dokument die Theologie der Liturgie des Konzils ebenso auf wie den fundamentalen Stellenwert des Wortes Gottes für das Leben der Kirche. 2. Das pilgernde und missionarische Volk Gottes auf dem Weg Das Konzil hat sich im Bild des pilgernden und missionarischen Gottesvolkes neu erkannt. Statische Begriffe, wie sie sich in den ersten Strophen des Liedes „Ein Haus voll Glorie schauet“ finden, werden durch dynamische Bilder ergänzt („Gottes Zelt auf Erden“; „sein wandernd Volk“). Syn 50 sieht in der Synodalität die historische Form des Weges der Kirche durch die Zeit – bis zum Ende der Zeit (Mt 28, 20) und bis an die Enden der Erde (Apg 1, 8). Für die Theologenkommission ergibt sich daraus eine lebendige Verbindung jeder synodalen Versammlung mit der kirchlichen Tradition und der universalen Kirche. Das Glaubensprinzip des Vinzenz von Lérins („quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est“19) ist das Ergebnis synodalen Ringens um die Wahrheit und den zeitgerechten Weg der Kirche.
19 Vinzenz von Lérins, Commonitorium 2,5, hrsg. und komm. von Michael Fiedrowicz, Mülheim (Mosel) 2011.
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3. Ausdruck der Communio-Ekklesiologie Seit der Sondersynode 1985 wird die Ekklesiologie des Konzils unter dem Stichwort „Communio“20 zusammengefasst. Alle Gläubigen sind deshalb „aktive Subjekte“ (Syn 55). Sie repräsentieren durch Taufe und Firmung den „sensus fidei“, den Glaubensinstinkt, der das Volk Gottes als Ganzes unfehlbar macht im Fühlen, Prüfen und Wahrnehmen, in Harmonie mit der ganzen Kirche. Das mag in der Praxis der Kirche idealisiert erscheinen. In der Linie der Theologie von Papst Franziskus ausgedrückt geht es um die Umkehrung der Pyramide. Das Volk Gottes, das Kollegium der Bischöfe und der Papst als Garant der Einheit sind so aufeinander angewiesen, dass die Letzteren angewiesen sind auf das Mitgehen des ganzen Gottesvolkes. Die wiederholten Mahnungen von Papst Franziskus vor Karrierestreben und Klerikalismus sind in ihrer Konsequenz für die Theologie noch nicht erfasst. 4. Katholische und apostolische Communio Syn verdeutlicht diese Communio-Ekklesiologie durch Hinweise auf Prinzipien, die kirchliches, auch lehramtliches, Handeln charakterisieren. Vielfalt auf katholisch ist „nicht bloße Koexistenz, sondern Durchdringung in gegenseitiger Korrelation und Abhängigkeit“ (Syn 60). Katholische Ekklesiologie ist deshalb nur denkbar „cum Petro“ und „sub Petro“. Aufgabe des Papstes ist es, die Pluralität der Ortskirchen in ihren liturgischen Eigenheiten, ihrem theologischen Erbe, ihren spirituellen Gaben und ihren kirchenrechtlichen Besonderheiten zu schützen. „Das Petrusamt ist in den Dienst der Einheit und der Garantie der Besonderheit jeder Ortskirche gestellt.“ (Syn 61) Syn verweist auf das Zusammenspiel von „sensus fidei fidelium“ („alle“), dem Kollegium der Bischöfe und des einzelnen Bischofs mit seinem Presbyterium („einige“) und dem Amt von Bischof und Papst an der Einheit („einer“). In dieser Dynamik sind die Konsultationsprozesse des ganzen Gottesvolkes von großer Bedeutung, gemäß dem auf Kaiser Justinian zurückgehenden Rechtsgrundsatz: „Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet“21. Doch das Dokument wiegelt weitergehende Vorstellungen sofort ab: „Dieses Axiom sollte nicht im Sinne eines Konziliarismus auf der ekklesiologischen Ebene oder des Parlamentarismus auf politischer Ebene verstanden werden.“ (Syn 65) 5. Synodalität auf allen Ebenen der Kirche Synodalität, so wie sie die Internationale Theologenkommission versteht, realisiert sich auf allen Ebenen der Kirche. Und weil das ganze Volk Gottes eine ursprüng20 Vgl. Stefan Ley, Kirche Jesu Christi als Communio. Entstehung, Spezifika und Perspektiven der Ekklesiologie Walter Kaspers (= Theologie im Dialog 18), Freiburg i. Br. 2017. 21 Vgl. Jasmin Hauck, Quod omnes tangit debet ab omnibus approbari. Eine Rechtsregel im Dialog der beiden Rechte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 99 (2013), S. 398 – 417.
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liche synodale Berufung hat, ist „die Teilnahme der Laien unerlässlich. Sie sind die große Mehrheit des Gottesvolkes und man kann viel lernen von ihrer Teilnahme an den verschiedenen Ausdrucksformen des Lebens und der Mission der kirchlichen Gemeinschaften, der Volksfrömmigkeit und der allgemeinen Seelsorge sowie ihrer spezifischen Kompetenz in den verschiedenen Bereichen des kulturellen und sozialen Lebens.“ (Syn 73) Damit geht das Dokument über die bisherigen rechtlichen Bestimmungen hinaus, nach denen die Teilnahme von Laien an Synoden eher restriktiv und sekundär behandelt wurde. Die „Gleichwesentlichkeit“ von hierarchischen und charismatischen Gaben22 bedingt die Beteiligung von Gemeinschaften des geweihten Lebens, von Bewegungen und neuen kirchlichen Gemeinschaften. Konkret wird das Prinzip der Synodalität unter anderem in Diözesansynoden. Die Dynamik von „alle – einige – einer“ zeigt sich in umfassenden Konsultationen im Vorfeld der Synode, in der Auswahl der Teilnehmenden (durch Amt, Wahl oder bischöfliche Ernennung) und im Einheitsdienst des Bischofs. Syn zählt die breite Palette der Realisierung von Synodalität in den Strukturen von Diözesen und Pfarreien auf. In der Praxis wird wohl darauf zu achten sein, dass eine möglichst große Anzahl von Personen in den Räten vertreten ist und die Einhaltung von Amtszeiten mit dem entsprechenden Austausch von Mitgliedern neues Leben in die Strukturen bringen kann. Syn ist sich der wachsenden Bedeutung der Bischofskonferenzen bewusst, scheut aber davor zurück, deren Entscheidungen eine lehramtliche Qualität zuzusprechen. Die „höchste Verwirklichung der kirchlichen Synodalität“ (Syn 98) ist das Ökumenische Konzil, die Bischofssynode eine „ständige synodale Struktur“ (Syn 99). Im Dienst der synodalen Ausübung des päpstlichen Primats stehen das Kardinalskollegium und die Römische Kurie.
III. Für eine Spiritualität der Synodalität Damit Synodalität wirklich wieder zu einem Strukturelement von Kirche werden kann, braucht es eine Spiritualität – die Theologenkommission spricht von „Bekehrung“. Es geht um die Erneuerung von „Mentalitäten, Einstellungen, Praktiken und Strukturen“ (Syn 104). Dabei müssen die Gaben, Fähigkeiten und Rollen jeder und jedes Einzelnen hochgeschätzt werden, „ohne die Laien zu klerikalisieren und die Kleriker zu säkularisieren“ (Syn 104). Das Dokument betont das „Gemeinsame“, fordert zu ökumenischer Offenheit auf, zu sozialer Diakonie und einem konstruktiven Dialog mit anderen Konfessionen und Überzeugungen, zu einer Kultur der Begegnung (Syn 106). In der Dynamik der Eucharistie zwischen Beginn im Namen des 22 Syn verweist auf LG 4 und 12 sowie auf die Nr. 10 des 2016 von der Kongregation für die Glaubenslehre veröffentlichten Schreibens „Iuvenescit Ecclesia“ – Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Iuvenescit Ecclesia an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Beziehung zwischen hierarchischen und charismatischen Gaben im Leben und in der Sendung der Kirche (15. Mai 2016) (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 205), Bonn 2016.
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dreifaltigen Gottes, Versöhnung, Hören auf das Wort Gottes, Kommunion und Aussendung sieht das Dokument Quelle und Paradigma einer Communio-Spiritualität (Syn 109), die sich ihrer ökumenischen Verpflichtungen bewusst ist. Synodales Handeln kennt verschiedene Formen. Grundsätzlich unterscheidet die Theologenkommission zwischen „decision-making“ und „decision-taking“ (Syn 69). Es wird in den meisten Fällen darum gehen, eine Entscheidung vorzubereiten. Das ist Aufgabe aller Getauften. Die monarchische Struktur der katholischen Kirche überlässt die Durchführung einer Entscheidung den jeweils Zuständigen. Auf den ersten Blick mag das wenig erscheinen. Doch zeigt etwa der Verlauf des II. Vatikanischen Konzils, dass ausführliche Diskussionen Themen reifen lassen. Das große Plus des Zweiten Vatikanums war, dass in der Abfolge mehrerer Diskussionsrunden, dem Einbringen von Textänderungsvorschlägen, der Abstimmung über Teilaspekte und endlich über ein gesamtes Dokument ein Maß an Übereinstimmung und Unanimität erreicht werden konnte, das in seiner Komplexität und seinem Ergebnis ein vorbildliches Beispiel für gelungenes synodales Handeln darstellt. Nicht ohne Grund spricht das Dokument der Theologenkommission an verschiedenen Stellen von der Notwendigkeit der Unterscheidung. Der Terminus der „Unterscheidung der Geister“ ist in der spirituellen Theologie vor allem seit Ignatius von Loyola gebräuchlich23. Er zielt auf die Indifferenz gegenüber gleichwertigen möglichen Entscheidungen. Im synodalen Handeln der Kirche wird es aber oft weniger auf ein Entweder-Oder hinauslaufen, sondern auf eine Auswahl möglicher Wege, um das Leben der Kirche besser zu gestalten. Die gegenwärtig in den mitteleuropäischen Bistümern laufenden Prozesse der Transformation des katholischen Milieus des 19. und 20. Jahrhunderts in Strukturen, die einer pluralistisch-säkularisierten Gesellschaft von Missionsländern angemessen sind, werden von Diözese zu Diözese unterschiedlich durchgeführt. Sie basieren auf dem, was sich „vor Ort“ entwickelt hat. Sie sind nur selten gleich wie im Nachbarbistum. Aber bevor Entscheidungen gefällt werden können, etwa die nach der räumlichen und personellen Größe von Pfarreien, bedarf es der Beratung durch die Experten des Volkes Gottes, bedarf es der Vorbereitung einer qualifizierten Entscheidung durch amtliche, gewählte oder berufene Personen und schließlich des Mutes eines Bischofs, den für seine Diözese als richtig erkannten Weg umzusetzen. Die Internationale Theologenkommission korrigiert in der Dynamik des „alle – einige – einer“ das seit dem Ersten Vatikanischen Konzil vorherrschende Missverständnis, als habe in der Katholischen Kirche nur Einer das Sagen. Die monarchische muss ergänzt werden durch eine synodale Ekklesiologie auf allen Ebenen. Dem steht jedoch zurzeit noch das kirchliche Verfassungsrecht entgegen, das der klerikalen Schiene – Pfarrer, Bischof, Papst – das alleinige Entscheidungsrecht in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich zuspricht. Damit wird einer wirklichen Entscheidungsfähigkeit von Synoden der Boden entzogen. Synodalität wird erst dann 23 Vgl. Albert Keller, Vom guten Handeln. In Freiheit die Geister unterscheiden (= Ignatianische Impulse 45), Würzburg 2010.
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fruchtbar werden können, wenn synodale Gremien vom Pfarrgemeinderat bis zur Bischofssynode wirkliche Entscheidungsgremien sind. Das stärkt die Verantwortung dieser Gremien und entlastet den jeweiligen Pfarrer, Bischof und Papst. Immer wieder warnt Papst Franziskus vor der Gefahr des Klerikalismus auf allen Ebenen der Kirche.24 Ihr zu entgehen, bedarf nicht nur einer Mentalitätsänderung, sondern auch einer Veränderung der kirchlichen Strukturen, wie sie auch die Theologenkommission (Syn 104) einfordert. Neutestamentlich gibt es ja nicht nur das biblische Beispiel des Apostelkonzils (Apg 15) mit der Entscheidungsvollmacht der Apostel (vulgo: Bischöfe), sondern auch die – ausdrücklich als unter dem Beistand des Heiligen Geistes zustande gekommen bezeichnet – Wahl des Matthias durch etwa 120 Jünger (Apg 1, 15 – 26). An dieser Stelle ist das Kirchenrecht gefordert, die entsprechenden Strukturveränderungen im Gefüge der Katholischen Kirche durchzusetzen.
24 Vgl. Franziskus, Grußadresse an die Bischöfe in Chile, 16. Januar 2018; Franziskus, Schreiben an das Volk Gottes, 20. August 2018; Franziskus, Ansprache an die Bischöfe in Dublin, 26. August 2018.
Renaissance eines lang verschmähten Kanons – zur Seelsorge in pfarrerlosen Pfarreien Von Thomas Schüller
I. Problemhorizont Als nach der Promulgation des Codex von 1983 in den ersten deutschsprachigen Diözesen signifikante Probleme bei der Besetzung von Pfarrstellen zu verzeichnen waren, kam mit c. 517 § 2 CIC/1983 ein neuer Kanon in den Blick, der augenscheinlich Hilfestellung bieten konnte, um diese personellen Engpässe zu überbrücken und die Seelsorge vor Ort weiter zu garantieren.1 Neben Heribert Schmitz2 und Michael Böhnke3, die kirchenrechtlich Pionierarbeit bei der codexkonformen Auslegung dieser komplexen Norm geleistet haben, war es auch Wilhelm Rees, der in mehreren profunden Beiträgen4 zu diesem Kanon und seiner partikularkirchenrechtlichen Um1
Vgl. Thomas Schüller, Partikularrechtliche Umsetzung des c. 517 § 2 in den deutschsprachigen Bistümern, in: Michael Böhnke/Thomas Schüller (Hrsg.), Gemeindeleitung durch Laien? Internationale Erfahrungen und Erkenntnisse, Regensburg 2011, S. 226 – 251. 2 Vgl. Heribert Schmitz, „Gemeindeleitung“ durch „Nichtpfarrer-Priester“ oder „Nichtpriester-Pfarrer“, in: AfkKR 161 (1992), S. 329 – 361. 3 Vgl. Michael Böhnke, Pastoral in Gemeinden ohne Pfarrer. Interpretation von c. 517 § 2 CIC/1983, Essen 1994 (= BzMK12); Ders./Thomas Schüller, Zeitgemäße Nähe. Evaluation von Modellen pfarrgemeindlicher Pastoral nach c. 517 § 2 CIC, Würzburg 2011; Ders./Thomas Schüller (Hrsg.), Gemeindeleitung durch Laien? Internationale Erfahrungen und Erkenntnisse, Regensburg 2011. 4 Vgl. Wilhelm Rees, Amt – Seelsorge – Leitung. Kirchenrechtliche Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven, in: AfkKR 178 (2009), S. 92 – 124, bes. S. 117 – 123; Ders., Die Sicherung der Hirtensorge. Can. 517 § 2 CIC und die österreichischen diözesanen Rahmenordnungen, in: Johannes Panhofer/Sebastian Schneider (Hrsg.), Spuren in die Kirche von morgen. Erfahrungen mit Gemeindeleitung ohne Pfarrer vor Ort – Impulse für eine menschennahe Seelsorge (= Kommunikative Theologie 12), Ostfildern 2009, S. 156 – 174; Ders., Die Pfarrei als Ort der Seelsorge und die Möglichkeit der Teilhabe von Laien an der Gemeindeleitung. Rechtliche Grundlagen einer zukunftsorientierten Pastoral, in: Hans Paarhammer (Hrsg.), Deus caritas. Jakob Mayr. Festgabe 25 Jahre Weihbischof von Salzburg, Thaur 1996, S. 393 – 406; Ders., Mitverantwortung von Laien und Leitung einer Pfarrgemeinde. Kirchenrechtliche Anmerkungen in Zeiten eines akuten Priestermangels, in: Dominicus Meier/Peter Platen/Heinrich J. F. Reinhardt/Frank Sanders (Hrsg.), Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. Festschrift für Klaus Lüdicke zur Vollendung seines 65. Lebensjahres. Essen (= BzMK 55), S. 505 – 537; Ders., Die Mitwirkung von Laien bei der Gemeindeleitung. Kritische Überlegungen zu einem neuen kirchenrechtlichen Modell, in: FKTh 12 (1996), S. 1 – 15.
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setzung Stellung genommen hat. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass in fast allen österreichischen Bistümern mit Ausnahme von Graz-Seckau5, so zum Beispiel in Linz6, Salzburg7, Feldkirch8 und Innsbruck9, zum Teil schon recht früh von diesem Kanon Gebrauch gemacht und entsprechende Diözesangesetze erlassen wurden. Bei der Auslegung des nicht einfach zu interpretierenden Normwortlautes von c. 517 § 2 CIC/1983 verweist Rees zutreffend darauf, dass diese neue Norm hinsichtlich ihrer kirchenrechtlichen Ausgestaltung „dem teilkirchlichen Gesetzgeber überlassen“10 ist. Bei der Analyse der verschiedenen partikularkirchenrechtlichen Umsetzungen des c. 517 § 2 CIC/1983 testiert Rees zum Beispiel dem Bischof von Limburg, dass das von ihm normierte Modell „voll und ganz dem vom universalkirchlichen Gesetzgeber festgelegten Grenzwerten und Eckdaten“11 entspreche. Ausgewogen und sowohl theologisch wie kirchenrechtlich luzide benennt Rees in seinen Beiträgen aber auch Gefahren und Chancen dieses außerordentlichen Modells zur Aufrechterhaltung der Hirtensorge in pfarrerlosen Pfarreien. So sieht er die Gefahr, dass bei extensiver Anwendung dieser Norm der Zusammenhang von Vorsteheramt des Priesters bei der Eucharistie und Leitung der Pfarrei verloren gehen und die Lehre von der Einheit der sacra potestas auf dem II. Vatikanum, die den inneren Zusammenhang von Weihe- und Leitungsgewalt habe stärken wollen, drohe wieder verloren zu gehen.12 Andererseits erkennt er in diesem Kanon durchaus die Möglichkeit, in pfarrerlosen, aber lebensfähigen Pfarreien durch den Einsatz von Ständigen Diakonen und pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Seelsorge vor Ort mit einem konkreten Ansprechpartner zu gewährleisten, wenn es Priester gibt, die bereit und fähig sind, die Aufgabe des moderierenden Priesters, der nicht kanonischer Pfarrer ist, zu übernehmen. Damit kann Rees im Unterschied zu einigen kritischen Beiträgen, die sich ausschließlich auf die Leitungsfrage kaprizieren und damit weitge5 Vgl. Rees, Sicherung, (Anm. 4), S. 160 – 161, ist wohl nur in der Diözese Graz-Seckau „keine diözesane Rahmenordnung publiziert“ worden. Für die Militärdiözese ergibt sich keine Notwendigkeit der Anwendung von c. 517 § 2 CIC/1983.“ 6 Vgl. Diözesane Rahmenordnung Pfarrassisten/in vom 22. 5. 1994, in: Linzer Diözesanblatt 140 (1994), S. 64 – 66, die 2000 überarbeitet und ersetzt wurde durch die Rahmenordnung für Pfarrmoderatoren und Pfarrasissistenten/innen“, in: Linzer Diözesanblatt 146 (2000), S. 43 – 46. 7 Vgl. Rahmenordnung für Priester und Pfarrassistenten/Pfarrassistentinnen in Gemeinden ohne Pfarrer vor Ort, in: Verordnungsblatt der Erzdiözese Salzburg 9/2008, S. 98 – 103. 8 Vgl. Bistum St. Pölten, Rahmenordnung für „Pfarrbeauftragte“ in der Diözese St. Pölten vom 09. 01. 1997, in: St. Pöltner Diözesanblatt Nr. 1 vom 15. 01. 1997, S. 22. 9 Vgl. Rahmenordnung für Pfarrkuratoren/-innen und Pfarrmoderatoren, in: Verordnungsblatt der Diözese Innsbruck 71 (1996), S. 4 – 6, die 2002 unter dem Titel „Novellierung der Rahmenordnung für Pfarrmoderatoren und Pfarrkuratoren/-innen“ modifiziert erneut in Kraft gesetzt wurde, in: Diözesanblatt. Amtliche Mitteilungen der Diözese Innsbruck 77 (2002), S. 1 – 5. 10 Rees, Pfarrei (Anm. 4), S. 400. 11 Ebd. (Anm. 4), S. 401. 12 Vgl. Rees, Amt (Anm. 4), S. 119.
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hend den tiefen Sinn und Regelungsgehalt dieser Norm verkennen,13 deutlich machen, dass es bei diesem Kanon nicht primär um Leitung der Pfarrei, „sondern um die Sicherstellung der Hirtensorge in auf Dauer vakanten Pfarreien, für die der Diözesanbischof die Verantwortung trägt“14, geht. Nach der Jahrtausendwende ebbt in der kirchenrechtswissenschaftlichen Fachdiskussion die Beschäftigung mit dem c. 517 § 2 CIC/1983 deutlich ab und man findet auch bei Wilhelm Rees ab 2010 keine Beiträge mehr zu diesem Themenfeld, schlicht deshalb, weil man in den deutschsprachigen Bistümern mit regionalen Differenzierungen und Unterschieden immer mehr dazu übergeht, Pfarreien aufzulösen und zu größeren Einheiten zusammenzufassen. Beispielhaft hierfür stehen die laufenden Prozesse im ältesten Bistum in Deutschland, in der Diözese Trier, wo nach einer Diözesansynode15 Bischof Ackermann entschieden hat, aus über 800 Pfarreien 35 Großpfarreien16 entstehen zu lassen. Die ratio legis dieser Pastoralplanungen liegt in der auf Zukunft zur Verfügung stehenden Zahl leitungsfähiger Priester, die Pfarrer solcher Großpfarreien sein können. In diesem Kontext braucht es keine Bezugnahme auf c. 517 § 2 CIC/1983. Doch es gibt nun im Bistum Osnabrück eine entgegengesetze Entwicklung, denn Bischof Bode erließ zum 1. Juli 2018 ein neues „Statut für die Pfarrseelsorge nach can. 517 § 2 CIC/1983 im Bistum Osnabrück“17, das im Folgenden einer eingehenden kanonistischen Analyse unterzogen werden soll. Vorher gilt es aber, noch kurz auf die kodikarische Norm selbst einzugehen.
II. Der c. 517 § 2 CIC/1983 – eine komplexe Norm kurz erklärt Der c. 517 § 2 CIC/1983 wurde neu in den Kodex von 1983 aufgenommen und ist die rechtliche Umsetzung von positiven pastoralen Erfahrungen mit der Wahrnehmung von Hirtensorge in pfarrerlosen Pfarreien vor allem in Lateinamerika. Mit die13
Vgl. zum Beispiel Arturo Cattaneo, Die Institutionalisierung pastoraler Dienste der Laien. Kritische Bemerkungen zur gegenwärtigen Entwicklung, in: AfkKR 165 (1996), S. 56 – 79. 14 Rees, Mitverantwortung (Anm. 4), S. 526 mit Verweis auf Thomas Schüller, Hirtensorge in Pfarreien ohne Pfarrer. Der c. 517 § 2 CIC/1983 – eine kirchenrechtliche Norm für neue Formen der Gemeindeleitung?, in: Kirchliches Recht als Freiheitsordnung. Gedenkschrift für Hubert Müller, Würzburg 1997 (= FzK 27), S. 169 – 195, hier S. 176. 15 Vgl. Diözesansynode im Bistum Trier (Hrsg.), Abschlussdokument, online unter: https:// www.bistum-trier.de/fileadmin/user_upload/docs/abschlussdokument_final.pdf (eingesehen am 21. 06. 2019). 16 Vgl. Diözesansynode im Bistum Trier (Hrsg.), Erkundungsphase, online unter: https:// www.bistum-trier.de/raumgliederung/pfarreien-der-zukunft-erkundungsphase/ (eingesehen am 21. 06. 2019). Dabei werden 15 dieser Pfarreien zum 1. 1. 2020 und die restlichen 20 Pfarreien zum 1. 1. 2022 errichtet werden. 17 Kirchliches Amtsblatt Osnabrück 7/2018, S. 157 – 159.
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ser Norm wird dem Diözesanbischof ein rechtliches Instrument an die Hand gegeben, mit der Wahrnehmung der Pastoral in pfarrerlosen Pfarreien, deren rechtliche Eigenständigkeit nicht in Frage steht, verantwortlich eine Gruppe von Gläubigen oder einen einzelnen Gläubigen, die jeweils nicht Priester sind, unter der Leitung eines Priesters, der nicht Pfarrer ist, zu betrauen. Dies klingt kompliziert und kann es auch in der Praxis sein, vor allem dann, wenn die kanonistische Diskussion über diesen Kanon aus seinem Bezugsfeld im Kodex herausgenommen wird und in das Fahrwasser dogmatisch-amtstheologischer Dispute wie den über den Zusammenhang von Gemeindeleitung und Eucharistievorsitz18 bzw. die Änderung der Zulassungsvoraussetzungen zum Priesteramt19 oder pastoraltheologischer Couleur über die Zukunftsfähigkeit der Pfarrei als unterster Ebene des kirchlichen Organisationsgefüges20 gerät. Gefordert ist zunächst der Diözesanbischof, der in auf Dauer vakanten Pfarreien seines Bistums der pastor proprius ist. Da er selbst diese Aufgabe nicht wahrnehmen kann, muss er dafür sorgen, dass Hirtensorge verantwortlich in Zeiten des Priestermangels in diesen Pfarreien geschieht. Er ist rechtlich nicht gezwungen von dieser außerordentlichen Wahrnehmung von Hirtensorge Gebrauch zu machen, aber festzuhalten bleibt, dass allein ihm die Beurteilungs- wie Entscheidungskompetenz über die Anwendung des c. 517 § 2 CIC/1983 zukommt.21 Entscheidet sich der Bischof dafür, so muss er zwei Personalentscheidungen treffen: Er muss einen nebenamtlich leitenden (moderierenden) Priester ernennen22 und eine Einzelperson oder 18
Peter Walter, Gemeindeleitung und Eucharistiefeier. Zur theologischen Ortsbestimmung des Amtes, in: Bernhard Fraling/Helmut Hoping/Juan C. Scannone (Hrsg.), Kirche und Theologie im kulturellen Dialog (FS Peter Hünermann), Freiburg i. Br./Basel/Wien 1994, S. 378 – 391. 19 Vgl. Sabine Demel, „Priesterlose“ Gemeindeleitung? Zur Interpretation von c. 517 § 2 CIC/1983, in: MThZ 47 (1996), S. 65 – 76. 20 Vgl. beispielhaft Michael N. Ebertz, Neue Orte braucht die Kirche, in: LS 55 (2004), S. 7 – 12; Ders., Wider den Wohnterritorialismus, in: LS 55 (2004), S. 16 – 17; Ders., Anmerkungen zum Scheitern der Gemeindebewegung. Plädoyer für die Entflechtung von Pastoraltheologie und Gemeindetheologie, in: Pastoraltheologische Informationen 28 (2008), S. 91 – 109. 21 In manchen nachkodikarischen kurialen Schreiben und Texten konnte man den Eindruck gewinnen, dass dem Diözesanbischof nur ein geringer Spielraum bei der Entscheidung über die Anwendung des c. 517 § 2 CIC eingeräumt wird. Vgl. zum Beispiel die Instruktion mehrerer römischer Dikasterien „zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ vom 15. 08. 1997 (= VApSt 129), dort vor allem Art. 4 „Der Pfarrer und die Pfarrei“, S. 22 – 23; vgl. Kongregation für den Klerus (Hrsg.), Instruktion „Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde“ vom 04. 08. 2002 (= VApSt 157), hier die Nrn. 22 – 25, S. 40 – 44 mit interessanten Interpretationen wie dieser, dass die Anwendung von c. 517 § 2 CIC/1983 immer nur „ad tempus“ (S. 40) erfolgen könne und wenn schon von dieser Norm unbedingt Gebrauch gemacht werden müsse, Ständige Diakonen „immer der Vortritt“ (S. 43) vor nichtgeweihten Gläubigen zukomme. Davon ist im Normwortlaut des c. 517 § 2 CIC/1983 keine Rede und nur der ist nach c. 17 CIC/1983 einschlägig. 22 Trotz der Entscheidung der Österreichischen Bischofskonferenz, diesen Priester immer Moderator zu nennen (vgl. Österreichische Bischofskonferenz, Dekret über einheitliche De-
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eine Personengruppe, die nicht Priester sind. Was den Priester angeht, so moderiert er die Hirtensorge in der Pfarrei, d. h. er leitet sie, er koordiniert sie und vor allem repräsentiert er sie an Christi statt. Damit wird gewährleistet, dass die Pfarrei hierarchisch verbunden über den leitenden Priester mit dem Bischof geistlich geleitet wird, vor allem in der Feier der Eucharistie, der nach Möglichkeit der leitende Priester vorstehen sollte. Wenn Sie so wollen, ist das hierarchische Prinzip auch in dieser pfarrerlosen Situation durch den Gesetzgeber gesichert worden. Dieser Priester vertritt also den Diözesanbischof als eigentlichen pastor proprius der vakanten Pfarrei. Mit den nichtpriesterlichen anderen Gläubigen sind nun die anderen Akteure einer c. 517 § 2-Situation angesprochen. Sie werden vom Diözesanbischof beauftragt, unter der Leitung des eben beschriebenen Priesters an der Ausübung der Hirtensorge in der vakanten Pfarrei teilzuhaben. Wichtig ist: Sie wirken an der Hirtensorge mit, weil sie als getaufte und gefirmte Gläubige am Sendungsauftrag der Kirche teilhaben und eben nicht am Leitungsdienst des Priesters oder gar des nichtexistierenden Pfarrers. Sie tragen als kirchlich vom Diözesanbischof beauftragte Ansprechpartner vor Ort in den Pfarreien Verantwortung für die Seelsorge und stehen mit den Gläubigen in direktem Kontakt, die sich an sie mit ihren Sorgen und Nöten wenden. Der leitende Priester „führt die Gemeinde einerseits von außen und andererseits in der Feier der Eucharistie in ihr Zentrum, aus dem sie lebt. Er gewährleistet, daß die Pastoral im Einklang mit der kirchlichen Hierarchie und damit letztlich dem Auftrag Christi gemäß ausgeübt wird.“23 Der ehemalige Nuntius in Berlin, Erzbischof Jean-Claude Périsset24, hat als ausgebildeter Kanonist eine Unterscheidung vorgeschlagen, wie das Zueinander von leitendem Priester und beauftragten Gläubigen in der autoritanomination der Pfarrseelsorger in: Amtsblatt Österreichische Bischofskonferenz, Nr. 1 1984, S. 8), auch abgedruckt in: ÖAKR 34 (1983/84), S. 378: „Moderator a) für den Leiter einer Teampfarre (can. 517 § 1), b) für den Leiter einer Pfarre, der nicht Pfarrer ist und an deren Seelsorgsaufgaben Nichtpriester beteiligt sind (can. 517 § 2)“ und Österreichische Bischofskonferenz, Richtlinien für pastorale Dienste, in: Amtsblatt Österreichische Bischofskonferenz, Nr. 9 vom 03. 05. 1993, S. 3 – 4, hier S. 3: „Der Diözesanbischof kann bei Priestermangel nach Bestellung eines Pfarrers (Moderators) mit einem eigenen Dekret Diakone, Ordensleute oder Laien mit konkreten pastoralen Aufgaben betrauen (can 517/2 CIC).“ An dieser Norm ist so ziemlich alles falsch, denn weder ist der Priester nach c. 517 § 2 CIC/1983 Pfarrer oder Moderator noch geht es um die Betrauung mit einzelnen pastoralen Aufgaben, sondern tatsächlich um die Teilhabe an der Ausübung von Hirtensorge, darum sollte man an der verbalen Konstruktion „leitend“, darum auch leitender Priester, festhalten. Ein weiteres Argument ist aus c. 517 § 1 CIC/1983 zu entnehmen, wo der Kopf des Priesterteams, das auch mehreren Pfarrern besteht, Moderator genannt wird. Hier macht der Begriff Moderator Sinn und sollte daher auch nur in diesem Kontext verwendet werden. Vgl. auch Böhnke, Pastoral, (Anm. 1), S. 39: „Im Unterschied zu c. 517 § 1 CIC/1983 wird ,moderari‘ verbal zur Beschreibung einer Tätigkeit verwendet. In c. 517 § 1 CIC/1983 findet sich das Substantiv ,moderator‘, das einen Titel, d. h. eine Amtsbezeichnung, anzeigt. So ist es in c. 517 § 2 CIC/1983 nicht. Auch deshalb ist das Etikett ,Moderatorenmodell‘ untauglich“. 23 Böhnke, Pastoral (Anm. 3), S. 39. 24 Vgl. Jean Claude Périsset, La Paroisse. Le nouveau. Droit Ecclésial. Commentaire du Code de Droit Canonique. Commentaire des canons 515 – 572, Paris 1989, S. 179 – 207.
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tiven Wahrnehmung der Hirtensorge gedeutet werden kann, ohne die nichtpriesterlichen Gläubigen zu klerikalisieren und den Dienst des Priesters zu marginalisieren. Nach ihm „erhalten sie durch den kirchlichen Auftrag eine Handlungsvollmacht (pouvoir d’intervention), die von Leitungsvollmacht (pouvoir d’autorité) zu unterscheiden ist. Organisationspsychologisch ausgedrückt käme dem Priester Führungsund den anderen Personen Handlungsverantwortung zu.“25 Diese m. E. überzeugende Unterscheidung, die sich in der Auslegung des c. 517 § 2 CIC/1983 inzwischen auch durchgesetzt hat,26 muss allerdings in der Praxis der pfarrerlosen Gemeinden von den handelnden Personen umgesetzt und im Alltag gelebt werden. Sie setzt die Bereitschaft und Fähigkeit zur Kooperation voraus und so wird es interessant zu beobachten sein, wie diesem notwendigen Zusammenspiel von leitendem Priester und beauftragten Gläubigen in den partikularrechtlichen Normen Rechnung getragen wird. Daneben sind folgende Fragen für die Analyse der partikularrechtlichen Umsetzung von Bedeutung: Wie wird die Handlungsvollmacht im Bereich der Hirtensorge in den drei Bereichen des Leitens, Heiligens und Lehrens genau ausbuchstabiert? Welche Vollmachten und Befugnisse werden im diözesanen Recht den leitenden Priestern zugewiesen?27 Wie steht es um die pfarrgemeindlichen Gremien Pfarrgemeinderat und Vermögensverwaltungsrat? Wer ist Ansprechpartner dieser Gremien mit welchen Kompetenzen? Gibt es Amtsbezeichnungen für den leitenden Priester und die Gläubigen, die vom Diözesanbischof mit der Ausübung der Teilhabe an der Hir-
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Böhnke, Pastoral (Anm. 3), S. 47. Vgl. Schweizer Bischofskonferenz, Beauftragte Laien im kirchlichen Dienst, Freiburg (Schweiz) 2005 (= Dokumente der Schweizer Bischöfe 12), S. 18, wo es um die Teilhabe an der Ausübung der kirchlichen Leitungsvollmacht in Pfarreien geht, die nach c. 517 § 2 CIC/ 1983 geleitet werden. Die Schweizer Bischöfe erklären: „Zur Erläuterung mag eine Unterscheidung beitragen: Die eigentliche Leitungsvollmacht, die wegen ihrer Bindung an das Weiheamt nur einem Geweihten übertragen werden kann, kann von einer Handlungsvollmacht unterschieden werden, die eine konkrete Ordnung der Teilhabe an der Leitungsvollmacht meint. Laien können durch einen bischöflichen Auftrag zu solchen ,Handlungsbevollmächtigten‘ werden“. 27 Vgl. Hubert Müller, Leitung der Pfarrgemeinden bei Priestermangel – Beteiligung von Nichtpriestern an pfarrlichen Leitungsaufgaben. Kirchenrechtliche Aspekte, in: Der Priesterrat im Erzbistum Köln, Personal- und Pastoralplanung. Bericht der Tagung vom 26.–28. November 1991 in Bad Honnef, Köln o. J., S. 25 – 40, hier S. 29, wonach „die rechtliche Stellung des die Seelsorge einer vakanten Gemeinde nebenamtlich leitenden Priesters […] so zurückgehalten“ ist, „daß seine Leitungsverantwortung inhaltlich entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten und Notwendigkeiten näher umschrieben werden kann, ohne daß vom übergeordnetem Recht Hindernisse auftauchen“. Diese zutreffende Analyse, die durch die Textgeschichte des c. 517 § 2 CIC/1983 während der Arbeit der Codexreformkommission bestätigt wird, bedeutet, dass je nach diözesaner pastoraler Situation der Diözesanbischof den leitenden Priester maßgeschneidert mit den Befugnissen und Vollmachten ausstatten kann, die er in der konkreten Pfarrei, in der er seinen Dienst nebenamtlich verrichtet, braucht. Hingegen ist es nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen, den leitenden Priester mit allen Vollmachten und Befugnissen eines Pfarrers auszustatten, wie es in vielen deutschen Übersetzungen des c. 517 § 2 CIC/1983 mit dem Wort „den“ vor Vollmachten und Befugnissen unreflektiert angedeutet wird. 26
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tensorge beauftragt werden? Diesen Fragen geht es nun auch im neuen Osnabrücker Statut nachzugehen.
III. Das Bistum Osnabrück traut sich was – Kritische Analyse eines aktuellen Gesetzes zu c. 517 § 2 CIC/1983 Das Bistum Osnabrück hat in verschiedenen Etappen in den letzten Jahren aus einer Vielzahl von Pfarreien aufgrund des Priestermangels insgesamt 72 pastorale Einheiten gebildet, von denen eine ganze Reihe aus zusammengelegten Pfarreien bestehen, aber auch aus Pfarreiengemeinschaften, die aus einer Zahl von kirchenrechtlich eigenständigen Pfarreien gebildet sind. Bischof Bode kam nach eingehenden Beratungen zu dem Entschluss, dass nicht noch weniger pastorale Einheiten in seinem Bistum gebildet werden können und weiterhin auch nicht verstärkt auf das Konzept der Zusammenlegung von Pfarreien gerade in den ländlich katholischen Gebieten gesetzt werden könne. Dabei ist sich der Bischof bewusst, dass er auch für diese 72 pastoralen Einheiten nicht mehr ausreichend Priester dauerhaft zur Verfügung hat, die er als kanonische Pfarrer einsetzen kann.28 Entscheidendes pastorales Motiv ist also, dass das Bistum Osnabrück den Gläubigen seelsorglich nahe vor Ort sein möchte und nicht weiter große pastorale Einheiten schafft, wo diese Nähe droht verloren zu gehen. Ein weiterer Gedanke bei der Implementierung des c. 517 § 2 CIC/1983 ist für Bischof Bode aber auch der Gedanke, dass alle Gläubigen berufen sind, die Sendung der Kirche zu leben.29 Man wird nicht fehl gehen, dass hinter dieser Überlegung auch das von Bischof Bode und dem Münsteraner Bischof Felix Genn maßgeblich mitgestaltete Papier der Deutschen Bischöfe „Gemeinsam 28 Vgl. Ulrich Waschki/Matthias Petersen, Interview mit Bischof Franz-Josef Bode vom 08. 06. 2017 in: Kirchenbote, online unter: https://bistum-osnabrueck.de/interview-bode-kir che-der-beteiligung/ (eingesehen am 21. 06. 2019). Bischof Bode sagt hierzu: „Wir wollen den Menschen vor Ort seelsorglich nah bleiben. Das geht nicht, wenn wir die Einheiten immer größer machen. Es gibt noch einige wenige kleinere Einheiten, die man eventuell zusammenführen kann. Aber es wird bei etwa 70 in unserem Bistum bleiben. Dann muss ich aber in Kauf nehmen, dass es nicht überall vor Ort einen Pfarrer gibt, wohl aber einen zuständigen Priester. Er begleitet die Pfarreiengemeinschaft, in der ein Laie die pfarrliche Leitung hat. Das ist ein neues Modell, das aber das Kirchenrecht ausdrücklich vorsieht. Damit befassen wir uns zurzeit in der Bistumsleitung und in den Gremien. Für dieses Modell kommt aber nur ein Teil der Gemeinden in Frage“. 29 Vgl. ebd. (Anm. 28): „Der Anlass ist der Mangel, das ist richtig. Aber vielleicht will uns diese Zeit zeigen, dass wir nur noch so gemeinsam Kirche sein können. Wir müssen möglichst viele Menschen befähigen, Zeugnis zu geben, vom Glauben zu sprechen und Verantwortung zu übernehmen. Das kann nicht nur bei den Priestern liegen, sondern bei möglichst vielen – Haupt- wie Ehrenamtlichen. Die Kirche wird bunter, vielfältiger. Vielleicht entsteht aus dieser Vielfalt neu die Sehnsucht nach dem Dienst an der Einheit, den der Priester lebt. Wir hören aus anderen Teilen der Welt, dass aus Familien, die sich so einsetzen, auch wieder Priester hervorgehen. Der Dienst des Priesters wird dabei nämlich deutlicher: dass die Eucharistie sammelt und zur Einheit führt“.
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Kirche sein. Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral“ vom 1. August 201530 steht, das von den in Taufe und Firmung allen Gläubigen geschenkten Charismen und dem gemeinsamen Priestertum aller Christgläubigen (LG 10) ausgeht und von dort her ohne das geistliche Amt in seiner unersetzlichen Funktion im Dienst an der Einheit zu nivellieren oder gar zu ersetzen allen Getauften in unterschiedlichen Graden und Beauftragungen die Verantwortung für die Weitergabe des Evangeliums und das lebendige Leben der Gemeinde vor Ort zuspricht. Das Statut besteht aus einer Einleitung, einer daran angefügten Präambel und sieben Paragraphen, in denen die wichtigsten Aspekte umfänglich geregelt sind. In der Einleitung wird betont, dass die Kirche des Bistums Osnabrück „eine missionarische Kirche sein“ will, „die Gott und den Menschen nahe ist.“31 In den Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften wolle man „den Menschen seelsorglich nahe sein.“32 Mit Bezugnahme auf das Papier Gemeinsam Kirche sein, wird weiter betont, dass Leitung in der Kirche viele Gesichter habe und dass es neue Formen von Beteiligung und Verantwortung in den Pfarreien geben müsse.33 Um diese pastoralen Ziele zu verwirklichen, gibt es im Bistum Osnabrück vier Modelle der Leitung von Pfarreien: @ „den Pfarrer, der gemeinsam mit den Gremien und mit einem Pastoralteam die Pfarrei leitet, @ Die ,Pastorale Koordination‘, in der ein*e hauptamtliche*r pastorale*r Mitarbeiter*in und der Pfarrer gemeinsam Leitungsverantwortung übernehmen und gemeinsam mit den Gremien und mit einem Pastoralteam die Pfarrei leiten, @ die ,Ehrenamtlichen Gemeindeteams‘, in denen Getaufte und Gefirmte eine bischöfliche Beauftragung erhalten, um vor Ort für ihre Gemeinde eine besondere Verantwortung wahrzunehmen, @ Die Pfarreileitung nach can. 517 § 2 des kanonischen Rechts (CIC), die die Möglichkeit eröffnet, dass geeignete Laien oder Diakone vom Bischof mit der Leitung von Pfarreien oder Pfarreiengemeinschaften beauftragt werden.“34 Kirchenrechtlich betrachtet sind die beiden ersten Formen die Leitung einer oder mehrerer Pfarreien nach c. 526 CIC/1983, wobei im Detail zu schauen wäre, was pastorale Koordination genau meint und inwiefern hier Aspekte eines Leitungshandelns betroffen sein können. Bei den ehrenamtlichen Gemeindeteams zeigt schon der Begriff Gemeinde, dass es nicht um Pfarreien im kirchenrechtlichen Sinne geht, sondern Orte der Pastoral, die ehemals eigenständige Pfarreien waren und nun mit Teams vor Ort verantwortlich bespielt werden. Die vierte Variante ist die Wahrnehmung der Seelsorge nach c. 517 § 2 CIC/1983, wobei in der Begrifflichkeit stark auf den As30 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.), „Gemeinsam Kirche sein“. Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral vom 01. 08. 2015 (= DDB 100). 31 Vgl. Statut (Anm. 17), S. 157. 32 Ebd. (Anm. 17). 33 Vgl. ebd. (Anm. 17). 34 Ebd. (Anm. 17).
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pekt der Leitung abgestellt wird, was wie gesagt eine Verengung der inhaltlichen Ausrichtung dieser universalkirchlichen Norm darstellt. Die Präambel besteht aus vier Abschnitten. Im ersten Abschnitt wird betont, dass die Leitung in der Pfarrei auch immer Dienst an der Einheit der Kirche sei.35 Dieser sei untrennbar mit dem Sakrament der Einheit, der Eucharistie, verbunden, die Mittelpunkt der pfarrlichen Gemeinschaft sei. Von daher bestehe ein wesentliches Band zwischen der Leitung der Pfarrei und dem Vorsitz des Priesters bei der Feier der Eucharistie. Nach diesen dogmatischen Feststellungen im zweiten Abschnitt wird auf c. 517 § 2 CIC/1983 Bezug genommen, der dem Diözesanbischof die Möglichkeit gebe, „getaufte und gefirmte Gläubige, seien sie ehren- oder hauptamtlich tätig, mit der verantwortlichen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Pfarrseelsorge zu beauftragen.“36 Dies geschehe aber in Rückbindung an den Moderierenden Priester, „der die Hirtensorge leitend moderiert“37. In diesem Abschnitt wird deutlich, dass nicht nur Hauptamtliche, sondern auch wie schon lange im Bistum Aachen praktiziert auch Ehrenamtliche vom Bischof nach c. 517 § 2 CIC/1983 beauftragt werden können, Aufgaben in der pfarrlichen Seelsorge wahrzunehmen. Was die Kombination „leitend moderiert“ angeht, bleiben Fragen, denn Böhnke konnte schon früh durch Begriffsklärungen terminologisch nachweisen, dass im moderari des c. 517 § 1 CIC/1983 neben den Aspekten des Koordinierens und des Repräsentierens eben auch der des Leitens aufgefangen ist.38. Im vierten Abschnitt folgt dann die Feststellung, dass gemeinsame Pfarreileitung durch Priester und andere getaufte und gefirmte Gläubige gemeinsam ausgeübter Dienst an der Einheit der Kirche sei.39 Im ersten Paragraphen wird rechtlich zutreffend konstatiert, dass in Pfarreien, in denen die Seelsorge nach c. 517 § 2 CIC/1983 geordnet ist, das Amt des Pfarrers auf Dauer vakant ist. Man wird festhalten müssen, dass die Regelung nach c. 517 § 2 CIC/1983 diesen Sachverhalt aufgreift und zugleich den Übergang der Vakanz gestaltet, damit verantwortlich im Namen des Diözesanbischofs Seelsorge geschieht. Dieser Kanon gibt dem Bischof also ein Instrument in die Hand, die Zeit der Vakanz als Phase des Überganges zu gestalten mit dem Ziel, der Pfarrei wieder einen Pfarrer zu stellen, wenn sich die Situation des Priestermangels verbessert hat. Durch die Tatsache der Promulgation eines Statutes wird einerseits nachvollziehbar für Klarheit in den Rollenzuweisungen der noch vorzustellenden Akteure gesorgt, andererseits aber auch das Signal gesetzt, dass dieser Zustand der auf Dauer vakanten Pfarreien in einem Bistum doch länger, also auf unbestimmte Zeit, andauern wird. In dieser Spannung stehen alle partikularkirchenrechtlichen Regelungen zu c. 517 § 2 CIC/1983. Aus diesem Grund wurde im Bistum Limburg, das in gewisser Weise in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Vorreiter in diesem Bereich galt, bei der Pro35
Vgl. ebd. (Anm. 17). Ebd. (Anm. 17). 37 Ebd. (Anm. 17). 38 Vgl. Böhnke, Pastoral (Anm. 3), S. 40. 39 Vgl. Statut (Anm. 17), S. 157. 36
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mulgation des entsprechendes Statutes immer darauf geachtet, befristet ad experimentum auf fünf Jahre seine Rechtskraft festzulegen, um den Charakter der Vorläufigkeit zu unterstreichen.40 Eine solche Befristung findet man im Osnabrücker Statut nicht, sodass rechtspolitisch begründet anzunehmen ist, dass Bischof Bode dieses Statut für einen längeren, unbefristeten Zeitraum in Kraft gesetzt hat und somit damit rechnet, dass von diesen Regelungen längere Zeit Gebrauch gemacht werden wird. In zwei weiteren Abschnitten dieses Paragraphen werden die vom Bischof „mit der verantwortlichen Wahrnehmung von Leitungsaufgaben in der pfarrlichen Seelsorge“ beauftragten Personen „Pfarrbeauftragte“ genannt, die mit „Handlungsvollmacht ausgestattet“41 werden. Den Begriff Pfarrbeauftragte/r entlehnt der Osnabrücker Bischof aus den Regelungen zu c. 517 § 2 CIC/1983 in den Diözesen St. Pölten42 und Limburg43. In ihm sind die beiden Wortbestandteile „Pfarr“ als Beschreibung der verfassungsrechtlichen Ebene und „Beauftragte“ als Modus der bischöflichen Indienstnahme für diese verantwortungsvolle Aufgabe in der pfarrlichen Seelsorge aufgenommen. Damit werden missverständliche, weil ausschließlich auf den Leitungsaspekt Bezug nehmende Amtsbezeichnungen wie zum Beispiel Gemeindeleiter im Bistum Basel44 oder Chur45 vermieden. Weiterhin bestellt der Bischof „einen Priester zur Ausübung der geistlichen Verantwortung in der Pfarrei, indem er ihm die leitende Moderation der Hirtensorge überträgt. Dieser Priester wird ‘Moderierender Priester’ genannt. Moderierende Priester sind mit Führungsvollmacht (s. § 4) ausgestattet.“46 Die Amtsbezeichnung Moderierender Priester übernimmt wörtlich den lateinischen Wortlaut des Kanons und unterstreicht, dass dieser Priester nicht Pfarrer ist, wohl aber die Hirtensorge moderiert. Wie bereits ausgeführt ist eine Bedeutungsvariante des lateinischen moderari neben koordinieren und repräsentieren eben auch leiten. Was genau „geistliche Ver40 Vgl. Thomas Schüller, Seelsorge in Gemeinden ohne Pfarrer, Limburg 1996 (= Limburger Texte 21). 41 Statut (Anm. 17), S. 157. 42 Vgl. Bistum St. Pölten (Hrsg.), Rahmenordnung für „Pfarrbeauftragte“ in der Diözese St. Pölten vom 09. 01. 1997, in: St. Pöltner Diözesanblatt Nr. 1 ,vom 15. 01. 1997, S. 22. 43 Vgl. Amtsblatt Bistum Limburg 1995, S. 259 – 260; vgl. die letzte von Bischof Franz Kamphaus verfügte Verlängerung des Limburger Statuts, in: Amtsblatt Bistum Limburg 2006, S. 222. Sein Nachfolger, Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst verlängerte das Statut in seiner kurzen Dienstzeit nicht, führte aber im Einzelfall die Praxis der Ernennung von Pfarrbeauftragten fort und verfügte, dass auf den Beauftragungsdekreten der vollständige Text des Limburger Statutes abgedruckt wurde und als Grundlage des Dienstes galt. Bis heute gibt es in vereinzelten Situationen noch Pfarrbeauftragte im Bistum Limburg. 44 Vgl. Bistum Basel (Hrsg.), Pfarrer/Gemeindeleiter/-in. Voraussetzungen für die Übernahme der Leitungsverantwortung, online unter: http://www.bistum-basel.ch/pdf/pfarrer_ge meindeleiter_voraussetzung.pdf (eingesehen am 21. 06. 2019). 45 Vgl. Richtlinien für die Einsetzung von Gemeindeleitern und Gemeindeleiterinnen im Bistum Chur vom 10. 03. 2000, in: Schweizerische Kirchenzeitung 168 (2000), S. 200 – 201. 46 Statut (Anm. 17), S. 157.
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antwortung“ bedeutet, bleibt unklar, da ja auch der/die Pfarrbeauftragten als vom Bischof gesandte Seelsorger und Seelsorgerinnen geistliche Personen und Verantwortungsträger sind. Vielleicht meint diese ungewöhnliche Formulierung ja auch die spezifisch amtspriesterlichen Aufgaben im Bereich der Sakramentenspendung, die natürlich eine besondere geistliche Dimension aufweisen. Die Zuschreibung von Handlungsvollmacht an die Pfarrbeauftragten und Führungsvollmacht an die moderierenden Priester rezipiert die von Jean-Claude Perisset entfaltete und von Michael Böhnke fortentwickelte Begrifflichkeit. Nach ihnen „erhalten sie durch den kirchlichen Auftrag eine Handlungsvollmacht (pouvoir d’intervention), die von Leitungsvollmacht (pouvoir d’autorité) zu unterscheiden ist. Organisationspsychologisch ausgedrückt käme dem Priester Führungs- und den anderen Personen Handlungsverantwortung zu.“47 Im Vorfeld der Entscheidung, die Seelsorge nach c. 517 § 2 CIC/1983 zu regeln, werden das Pastoralteam und die pfarrlichen Gremien der betroffenen Pfarrei(en) nach § 2 Abs. 1 des Statutes beteiligt. Die Art der Beteiligung wird im Statut nicht weiter ausgeführt, daher dürfte sich dann wohl im Bereich von Information und Anhörung abspielen. Der Diözesanbischof beauftragt den moderierenden Priester und Pfarrbeauftragten und deren Ernennungen werden im Amtsblatt veröffentlicht. Ungewöhnlich ist der dritte Absatz von § 2, denn er spricht davon, dass beide seelsorglichen Akteure in einer sonntäglichen Eucharistiefeier vom Dechanten gemäß einem vom Bistum Osnabrück vorgesehenen Formular „eingeführt“48 werden. Der Begriff der Einführung ist nach c. 527 § 2 CIC/1983 für den Fall der Besetzung einer Pfarrei mit einem kanonischen Pfarrer vorgesehen.49 Der Ortsordinarius oder ein von ihm delegierter Priester wird dort verpflichtet, den Pfarrer in den Amtsbesitz unter Wahrung der Form einzuführen, die in einem partikularen Gesetz oder durch geübte Gewohnheit in der Diözese vorgesehen ist. Auch hier wäre es m. E. ratsamer gewesen, auf den Begriff der Einführung zu verzichten und dafür den Terminus der Vorstellung zu verwenden, damit der Unterschied zur Einführung eines Pfarrers rechtssprachlich gewahrt bleibt. Der umfängliche § 3 handelt über Auftrag, Aufgaben und Befugnisse des Pfarrbeauftragten. Der Pfarrbeauftragte erhält Anteil an der Leitung der pfarrlichen Hirtensorge und trägt zusammen mit dem Moderierenden Priester die Verantwortung für die Pastoral in der Pfarrei. Diese Formulierung bringt den gesetzgeberischen Willen des Papstes ohne Einschränkung zur Geltung und verdeutlicht die Bezugnahme auf verantwortliche Übernahme der Pastoral, die Leitungsfunktionen miteinschließt, die aber im Verbund mit dem Moderierenden Priester zu leisten ist. Mit ihm sorgt er für
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Böhnke, Pastoral (Anm. 3), S. 47. Statut (Anm. 17), S. 158. 49 Vgl. Christoph Freilinger, Die Amtseinführung des Pfarrers. Die liturgischen Ordnungen und ihre Bilder des Gemeindeleiters. Eine Studie zum deutschen Sprachgebiet in der Neuzeit, Regensburg 2003 (= Studien zur Pastoralliturgie 16). 48
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„die partizipative Entwicklung der Ziele und Strukturen der Seelsorge“50 und ist für deren Umsetzung verantwortlich. Im Wort „partizipativ“ kommt der bereits schon angedachte Gedanke des gemeinsam-Kircheseins zum Ausdruck, denn es wäre eine pastoraltheologisch nicht nachvollziehbare Falle, den Pfarrbeauftragten wie den Pfarrer nach altem Pfarrherrenmodell als Solitär und unverbunden mit den Gläubigen zu betrachten, die ihre Charismen und Begabungen als Subjekte des Glaubens in das Leben einer Pfarrei einbringen können und auch sollen. Der Pfarrbeauftragte unterstützt den Moderierenden Priester in dessen Verantwortung für die sakramentalen Vollzüge (§ 3 Abs. 4), so sicher in der Vorbereitung der Gläubigen auf den Empfang der Sakramente. Er ist Dienstvorgesetzter des Pastoralteams und aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pfarrei. Zu den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Pastoralteam werden im § 5 Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten und Pastoral- und Gemeindereferentinnen sowie „vor Ort eingesetzte Priester (Pastor)“51 gezählt. Er fördert die Übernahme ehrenamtlicher Verantwortung und die Weiterentwicklung entsprechender Strukturen. Er ist stimmberechtigtes Mitglied im pfarrlichen Vermögensverwaltungsrat, der im Bistum Osnabrück Kirchenvorstand heißt. Das Statut sieht vor, dass der Pfarrbeauftragte auch zum Vorsitzenden des Kirchenvorstandes ernannt werden kann. Aufgrund der durch päpstliches Indult abweichenden Regelungen in den deutschen Diözesen zu c. 537 CIC/198352, der den pfarrlichen Vermögensverwaltungsrat als reines Beratungsgremium des Pfarrers konfiguriert, der allein nach c. 532 CIC/1983 die Pfarrei in Vermögensangelegenheiten rechtsgeschäftlich vertritt, ist in einer pfarrerlosen Pfarrei die Frage des Vorsitzes zu klären. Die im Bistum Osnabrück gewählte Möglichkeit ist eine denkbare Variante, wobei sie natürlich geeignet ist, den Aspekt der Leitung einer Pfarrei zu bestärken. Im Bistum Limburg wurde bewusst darauf verzichtet und in diesen Situationen gefordert, dass der Verwaltungsrat aus seinen Reihen einen ehrenamtlichen Vorsitzenden wählt. In gleicher Weise ist der Pfarrbeauftragte auch stimmberechtigtes Mitglied im Pfarrgemeinderat und kann in „den Bereichen der Seelsorge, in denen der Pfarrbeauftragte gemäß Beauftragungsdekret Verantwortung trägt“, auch „das Widerspruchsrecht“53 gegen entsprechende Beschlüsse des Pfarrgemeinderates einlegen. Diese deutsche Besonderheit in den meisten Satzungen der Pfarrgemeinderäte54 dient der Bewahrung des katholischen Glaubens und der Einhaltung der kirchlichen Disziplin, die zu den Aufgaben eines Pfarrers gehört. Auch hier rückt das Statut den Pfarrbeauftragten nahe an die Rolle eines Pfarrers heran. Schließlich soll der Pfarrbeauftragte auch 50
Statut (Anm. 17), S. 158. Ebd. (Anm. 17), S. 159. 52 Vgl. Rüdiger Althaus, 75 Jahre Preußisches Kirchenvorstandsgesetz – Bewährung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken, in: ThGl 90 (2000), S. 274 – 298. 53 Statut (Anm. 17), S. 158. 54 Vgl. kritisch Thomas Schüller, Der Pfarrgemeinderat deutscher Prägung – contra legem?, in: Markus Graulich/Thomas Meckel/Matthias Pulte (Hrsg.), Ius canonicum in communione christifidelium. Festschrift zum 65. Geburtstag von Heribert Hallermann, Paderborn 2016 (= KStKR 23), S. 219 – 238. 51
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selbst pastoral wirken.55 Dienstvorgesetzter des Pfarrbeauftragten wie auch des Moderierenden Priesters ist der Bischof, der sich dabei durch den bischöflichen Personalreferenten unterstützen lässt. Der Pfarrbeauftragte ist zur Residenz verpflichtet, womit ein weiterer Mosaikstein der rechtlichen Pflichten eines Pfarrers aufgegriffen wird.56 Schließlich wird er zum Mitglied der Konferenz der Pfarrer im Dekanat. Wie in § 3 für den Pfarrbeauftragten so werden in § 4 der Auftrag, die Aufgaben und Befugnisse des Moderierenden Priesters statuarisch aufgelistet. Dieser ist nicht Pfarrer, hat aber Befugnisse und Vollmachten eines Pfarrers, die im Bestellungsdekret einzeln aufgelistet werden. Der Diözesanbischof kann also maßgeschneidert auf die pastorale Situation vor Ort aus dem Portfolio der Befugnisse und Vollmachten eines kanonischen Pfarrers diejenigen auswählen, die er für die Aufgabe des Moderierenden Priesters für notwendig und angemessen hält. Wieder greift § 4 Abs. 1 des Statutes in diesem Kontext das Moment der „geistlichen Begleitung der Personen und Prozesse“ auf, die dieser Priester leisten soll. Diese Terminologie insinuiert ein wenig das Bild des Spirituals in einem Priesterseminar, während der Pfarrbeauftragte eher wie der Regens einer solchen Einrichtung erscheint. Die Aussage in § 4 Abs. 1, der Moderierende Priester moderiere leitend die Seelsorge und verantwortet sie gemeinsam mit dem Pfarrbeauftragten gegenüber dem Bischof, ist in seinem letzten Teil kirchenrechtlich kongruent mit dem erläuterten Normwortlaut in c. 517 § 2 CIC/1983, in seinem ersten Teil aber redundant, da moderari leitend inhäriert. Er ist Rector ecclesiae57 der Pfarrkirche und nimmt seinen Dienst durch die Ausübung der an die Weihevollmacht gebundenen Aufgaben wahr. „Er hat die Verantwortung für die Feier der Sakramente.“58 Damit wird deutlich, dass im Bistum Osnabrück die Pfarrbeauftragten zumindest aktuell nicht die Taufe spenden59 oder der Ehe assistieren60 werden. Der Moderierende Priester ist nicht an die Residenzpflicht gebunden, kein Mitglied im Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat, hat aber in beiden Gremien Rede- und Antragsrecht. In den abschließenden Paragraphen wird das Pastoralteam vorgestellt, mit denen Pfarrbeauftragter und Moderierender Priester zusammenarbeiten, wozu auch wie gezeigt weitere Priester gehören können, die „einen besonderen Anteil am Dienst an der Einheit“61 durch ihre priesterlichen Dienste vorrangig im Bereich der Sakramentenspendung haben. Moderierender Priester und Pfarrbeauftragter führen regelmäßige Dienstgespräche, während der Pfarrbeauftragte diese regel-
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Vgl. Statut (Anm. 17), S. 158: „Der Pfarrbeauftragte sorgt gemeinsam mit dem Pastoralteam und den Gremien für die Verwirklichung der Grunddienste und ist selbst in der praktischen Pastoral tätig“. 56 Vgl. c. 533 § 1 CIC/1983. 57 Vgl. c. 556 CIC/1983. Diese Bestimmung ist notwendig, da in einer besetzten Pfarrei der Pfarrer von Rechts wegen Kirchenrektor der Pfarrkirche ist. 58 Statut (Anm. 17), S. 158. 59 Vgl. c. 861 § 2 CIC/1983. 60 Vgl. c. 1112 CIC/1983. 61 Statut (Anm. 17), S. 159.
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mäßig mit dem Pastoralteam führt, an denen der Moderierende Priester „in sinnvollen Abständen teilnimmt“62, was wohl heißt, nicht immer und zu allen Zeiten.
IV. Ausblick Das bedrängende Thema der pfarrerlosen Pfarreien in Deutschland, das insofern existenzbedrohend ist, weil die Gefahr der eucharistischen Verödung droht, die nur noch selten den Gläubigen die Feier der Eucharistie als kirchenkonstituierender Akt erfahren lässt, fordert nach Lösungen der ortsnahen Seelsorge. Wilhelm Rees hat diesen Prozess in Österreich, bei dem eine Vielzahl von Bistümern auf den c. 517 § 2 CIC/1983 zurückgriff, kritisch und wohlwollend begleitet und wesentliche Impulse für die partikularrechtliche Implementierung gegeben. Nach einer längeren Zeit, in der vorrangig verstärkt auf die Zusammenlegung von Pfarreien gesetzt wurde, kann nun im Bistum Osnabrück beobachtet werden, dass mit Hilfe dieser kodikarischen Norm Pfarreien ohne Pfarrer dennoch beauftragte Seelsorger und Seelsorgerinnen erhalten, die im Auftrag des Bischofs charismenorientiert mit den Gläubigen ihrer Pfarreien das Evangelium als befreiende Botschaft verkünden. Es ist zu schauen, welche Effekte dieser Weg pastoral generiert und welche konkreten Erfahrungen im Bistum Osnabrück gemacht werden.
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Ebd. (Anm. 17).
IV. Recht der kanonischen Lebensverbände
Der Ordensbruder in klerikalen klösterlichen Verbänden1 Von Rudolf Henseler In den männlichen Orden und Kongregationen gibt es immer weniger Brüderberufe. Ihre Zahl ist weit mehr eingebrochen als die der Ordenspriesterberufe. Dies ist zunächst einmal ein Faktum. Was die Gründe hierfür angeht, so gibt es derer zahlreiche, die weniger auf eine religiös-spirituelle, als vielmehr auf eine soziologische Erklärung hinauslaufen: Dass ein solcher Beruf bzw. eine solche Berufung als Ordensbruder eben heute – anders als früher – keinen sozialen Aufstieg mehr bedeutet und auch keine besondere gesellschaftliche Anerkennung mehr genießt,2 dass die 1 – 2-Kind-Familie weniger geistliche Berufe „produziert“ als früher,3 dass der Glaube als solcher zu verdunsten scheint und die westliche Gesellschaft immer säkularer wird, dass die Kirche immer weniger Gewicht hat in der politischen Meinungsbildung und dass schließlich die sexuelle Revolution, die mit der 68er Bewegung einherging, auch bei kirchlich sozialisierten Jugendlichen oft schon früh den Gedanken an einen geistlichen Beruf als Ordenschrist mit dem Gelübde der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen hinter sich lässt.4
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In diesem Beitrag geht es nicht um die Brüder in den Brüderorden wie etwa den Barmherzigen Brüdern von Maria Hilf mit dem Mutterhauskonvent zu Trier, sondern um Brüder in Priesterorden und -kongregationen, was kanonistisch wiederum nicht identisch ist mit der Einteilung in klerikale und laikale Institute, weil dafür bekanntlich andere Kriterien zählen (vgl. c. 588 und c. 488 n. 4 CIC/1917). Gab im alten CIC die Mehrheit an Klerikern oder Laien den Ausschlag darüber, zu welcher Kategorie ein klösterlicher Verband gehörte, so wird im CIC/1983 ein Institut als klerikal bezeichnet, das aufgrund des von seinem Gründer gewollten Zieles oder Vorhabens oder kraft rechtmäßiger Überlieferung unter der Leitung von Klerikern steht, die Ausübung der heiligen Weihe übernimmt und als solches von der kirchlichen Autorität anerkannt wird. Andernfalls ist es ein laikales Institut. 2 Was Letzteres genauso für den Priesterberuf gilt als auch für die „Wertschätzung“ der Kirche in Staat und Gesellschaft überhaupt. 3 Bei 10 Kindern ließen sich für eine Familie 1 – 2 Kinder im Priester- oder Ordensstand leichter „verkraften“. Die Eltern wurden trotzdem durch die anderen zahlreichen Kinder noch Großeltern. 4 Wer schon – mit Sicherheit anders als in früheren Jahrzehnten und in anderen Teilen der Welt heute noch – schon in sehr jungen Jahren eine feste (und in vielen Fällen auch bereits intime) Beziehung eingegangen ist, dürfte den Geschmack an einem geistlichen Beruf meist verloren oder nie kennengelernt haben.
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I. Welche Idee stand hinter dem Bruder in Priestergemeinschaften? Als Beispiel unter vielen möge die Idee des hl. Alphonso Maria de Liguori dienen, der zusammen mit Bischof Falcoja und der mittlerweile seligen Sr. Crostarosa den Orden der Redemptoristinnen (OSsR, 1731) und die Kongregation des Allerheiligsten Erlösers (Redemptoristen, CSsR, 1732) gründete.5 Die Grundidee des hl. Alphons war diese: 1. Gründung einer missionarischen Priestergemeinschaft für die seelsorglich Vernachlässigten,6 2. Eine Gemeinschaft streng klausurierter Nonnen, die durch ihr fürbittendes Gebet die Arbeit der Missionare unterstützen soll, und 3. Ordensbrüder, die durch ihre Arbeit im Kloster und um das Kloster herum den Patres sozusagen „den Rücken frei halten sollten“.7 Während aus den betenden Nonnen ein eigener Orden (im engen Sinne des Wortes) wurde, wurden die Brüder gänzlich in die Kongregation des Allerheiligsten Erlösers8 integriert. Diese Brüder nannte der Hl. Alphons meist „die dienenden Brüder“, was keineswegs diskriminierend gemeint war,9 sondern lediglich ihre Funktion bezeichnete, die sie im Klosterbetrieb innehatten, oder er nannte sie auch die Laienbrüder, jene also, die keine Ordination empfangen hatten,10 im Unterschied zu den Klerikern. Diese dienenden Brüder konnten aus allen Berufen und allen Bildungsstufen und sozialen Schichten kommen: Gelernte und Ungelernte, Heimkinder, Hilfsschüler11 (wie man früher sagte), Männer mit
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Die Anteile der drei genannten Personen an den beiden Gründungen sind verschieden, z. T. aber auch historisch umstritten; sicher ist, dass alle drei bei allen unterschiedlichen Vorstellungen über die zu stiftende(n) Gemeinschaft(en) doch diese Gründung(en) wollten und förderten und schließlich vornahmen. 6 Dies wird in der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers heute leider meist aus sozialpastoralem Blickwinkel ziemlich verengt interpretiert, und zwar auf die wirtschaftlich (sozial) Armen hin, während es dem hl. Alphons um die seelsorgliche Vernachlässigung ging, was je nach den Umständen alle möglichen gesellschaftlichen Gruppierungen betreffen kann; so etwa auch Schüler (siehe die Schularbeit des hl. Johann Nepomuk Neumann in den USA), Studenten, Akademiker und andere Gruppen (wie Prostituierte, deren sich bspw. der Sl. Gennaro Sarnelli in Neapel und Umgebung annahm). Die „Adresse“ der seelsorglich Vernachlässigten hat sich in den nunmehr 288 Jahren des Bestehens der CSsR zeitlich und räumlich immer wieder außerordentlich verändert. 7 Vgl. Apg 6, 2 – 4: „Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen (…) Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben“. 8 Nicht anders in den anderen großen Männerorden und -kongregationen. 9 Gemäß dem Wort des Herrn: „Ich bin nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen“ (nach Mk 10, 45). 10 Neuerdings gibt es sehr vereinzelt auch Brüder, welche die Diakonenweihe empfangen haben, die dann zwar noch als dienende Brüder, nicht aber mehr als Laienbrüder bezeichnet werden können, da der Klerikerstand gemäß dem CIC/1983 mit dem Empfang der Diakonenweihe beginnt (vgl. c. 266 § 1 i. V. m. c. 1009 § 1). 11 Hier gab es im Laufe der Zeit terminologische wie inhaltliche Änderungen: Hilfsschule, Sonderschule, Förderschule und heute die höchst umstrittene Inklusion.
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und ohne Schulabschluss,12 vor allem aber auch ausgebildete Handwerker, so dass sich in den Klöstern mit großem Brüderanteil13 ein vielfältiges Bild ergibt bzw. ergab: Brüder als Pförtner, als Refektoriar, als Krankenpfleger, als Sakristan, als Gärtner, als KFZ-Mechaniker, als Schlosser, Schneider oder Schreiner, als Maurer, Bäcker, Konditor oder Koch.14 Das Besondere nun ist, dass diese dienenden Brüder oder Laienbrüder in einem entscheidenden Punkt eben Mitbrüder waren und sind: Sie legen die gleiche Profess ab, die gleichen zeitlichen und ewigen Gelübde, sie leben in derselben Klostergemeinschaft und besitzen – abgesehen von dem, was sich aus der Ordination und der Jurisdiktion (siehe unten) ergibt – die gleichen Rechte und Pflichten. Hier zeigt sich nun ein gewaltiger Unterschied zu all dem, was sich sonst noch alles im Umfeld eines Klosters an Laien befindet und betätigt: FSJ-ler, die von einem Kloster angeleitet und geführt werden, Oblaten,15 neuerdings Assoziierte, Freundeskreise, Gebetsgemeinschaften und dergleichen. Der entscheidende Unterschied zu diesen Gruppen besteht bei den Ordensbrüdern also in der ganz besonderen Lebenshingabe in den Gelübden, welche die „dienenden“ Brüder oder Laienbrüder – um hier konsequent bei der Terminologie des hl. Alphons zu bleiben – mit den Ordenspriestern gemeinsam haben, dass somit ihr Engagement genauso total auf Lebenszeit ausgerichtet ist wie bei den Ordenspriestern.16 Bei den vielen Möglichkeiten, die heute Laien geboten werden, sich der Spiritualität oder gar dem missionarischen Auftrag einer Ordensgemeinschaft anzuschließen, was an sich lobenswert ist, muss man sich dennoch immer fragen, ob man dabei nicht die Begeisterungsfähigkeit der Jugend unterschätzt. Man kann einen Jugendlichen fragen: Könntest Du Dir vorstellen, mal ein Jahr nach Irland oder nach Indonesien zu gehen – etwa als Auszeit nach dem Abitur oder als FSJ-ler – was heute manche gerne vor der Aufnahme eines Studiums machen. Man könnte den Jugendlichen aber auch fragen: Kannst Du Dir vorstellen, ein Leben als Ordenspriester oder
12 Die Einrichtung einer sog. Brüderschule diente der Bildung und Weiterbildung der Brüder, sei es, ihnen bei einem noch ausstehenden Schulabschluss zu helfen, sei es, dass es darum ging, die handwerklichen genauso wie die religiösen Kenntnisse zu vertiefen. 13 So z. B. in Gars am Inn, intern scherzhaft deshalb auch „Brüderrepublik“ genannt. 14 Es kam gelegentlich auch vor, dass Klerikerstudenten, die das Theologiestudium nicht schafften, sich entschlossen, in der Kongregation zu bleiben und als dienende Brüder ihrem schon abgelegten Gelübde treu zu bleiben. 15 Es handelt sich in den meisten Fällen um verdienstvolle Wohltäter und Förderer der Kongregation, die in einer Art Gebets- und Fürbittgemeinschaft freundschaftlich mit der Kongregation verbunden sind. 16 Die Redemptoristen kennen außer den Gelübden noch den Eid der Beharrlichkeit, den Eid nämlich, lebenslang in der Kongregation zu bleiben, was die Kongregation aber genauso wenig vor Austritten (vor allem nach dem II. Vaticanum) bewahrt hat wie andere klösterliche Verbände.
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Ordensbruder in einer Klostergemeinschaft zu verbringen?17 Die Unterforderung im geistlichen Anspruch, die Ausnutzung der geistlichen Begeisterungsfähigkeit nur noch im Kleinformat in einem Engagement, das – so lobenswert es als solches ist – nur zeitlich befristet ist und ansonsten keine existenziellen Fragen aufwirft wie die nach der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, Armut und Gehorsam: Niederschwellige Angebote, das ist nicht das, worauf ein hochherziges Streben hinzielt. Man kann und darf mehr fordern. Früher wurden Juvenisten der ordenseigenen Schule vom Präfekten, vom Klassenordinarius, vom Betreuer der Messdiener oder dem Leiter der BND-Gruppe18 auf den Kopf zu gefragt: Kannst Du Dir vorstellen, Redemptorist zu werden oder in die Mission zu gehen? Nicht wenige wurden es durch diese direkte Ansprache. Solche Fragen hört man schon lange nicht mehr. Man wirbt möglicherweise noch für ein zeitliches Engagement, für die Mitarbeit hier und da, für Gebetskreise und Freundeskreise, für Spenden und Aktionen, aber für die Ganzhingabe in der Nachfolge der evangelischen Räte, in den Gelübden in der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers, in Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, ein Leben in der klösterlichen Gemeinschaft, diese Werbung, diese Berufsförderung ist zum Stillstand gekommen, man empfindet sie als peinlich, übergriffig, als Eindringen in die Intimsphäre, schon beinahe als religiöse Nötigung. Dieser Vorwurf müsste auch Jesus treffen, der einfach sagte: „Komm und folge mir nach!“.
II. Probleme, die sich stellen Die Identität einer klösterlichen Gemeinschaft muss klare (Außen)grenzen haben (siehe Corporate Identity): Wer gehört dazu, wer gehört nicht oder noch nicht dazu? Wer hat welche Rechte und Pflichten, wann beginnen sie? Sind diese Rechte nicht in der Tat abgestuft (z. B. Novizen, zeitliche Professen, ewige Professen, bestimmte Professjahre als Voraussetzung zur Erlangung eines Obernamtes)? Heute haben wir vielfach fließende Grenzen der Mitgliedschaft (Fremde auf unseren Kapiteln als Beobachter ohne oder mit Rederecht, wie bspw. Laien, Assoziierte…). Aber nur aus einer Mitgliedschaft ergeben sich – z. T. abgestufte – Rechte und Pflichten. Gewisse Prärogative haben bereits die Novizen.19 Was ist dagegen schon ein Assoziierungsvertrag? Die gerade beschriebene Problematik sei hier deshalb ver17
Wenn man einem Reitturnierpferd die Latte nur 50 cm hoch hängt, dann springt es auch nur so hoch. Doch um wieviel höher kann es springen, wenn man es nur fordert! 18 BND = Bund Neudeutschland, läuft heute meist unter dem Titel KSJ (Katholische Studierende Jugend). 19 Obwohl Novizen noch ohne Profess und somit noch keine Mitglieder sind, genießen sie schon das Privileg der persönlichen Exemtion, was zwar nur im CIC/1917 zu finden ist (in c. 615 CIC/1917 „novitiis non exclusis“), was aber gemäß c. 6 § 2 CIC/1983 weiter Geltung hat, da der neue Codex über die allgemeine Bestimmung des c. 591 hinaus bezüglich der Exemtion nichts regelt und die Canones des CIC/1983 auch unter Berücksichtigung der kanonischen Tradition zu würdigen sind (so der eben genannte c. 6 § 2).
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merkt, da die Ordensbrüder bei dieser Zerfaserung am meisten „unter die Räder kommen“: Sie sahen sich schon immer zurückgesetzt (s. u.), jetzt verschwinden sie in ihrer Sichtbarkeit auch noch hinter all den genannten Laiengruppen, die nicht Mitglieder der Kongregation sind, aber sehr hofiert werden. Wenn die Grenzen einer Gemeinschaft nun – wie gerade bemerkt – am Rande zerfasern, wenn nicht mehr klar ist, wer eigentlich dazugehört, oder wenn eine klösterliche Gemeinschaft Dauergäste hat, was nicht selten vorkommt, oder wenn sie schon von Außenstehenden ferngesteuert und die Mitglieder nicht mehr „Herr (oder Frau) im eigenen Hause sind“, dann fühlen sie sich auch nicht mehr zu Hause und nicht selten steht bald das Ende vor der Türe, sei es für den Einzelnen, sei es für die Gemeinschaft. In meinen römischen Jahren bei der Religiosenkongregation wie auch später als Ordensreferent im Erzbistum Köln habe ich diesbezüglich so manche Erfahrung sammeln müssen. Bei der innerklösterlichen Diskussion über diese Probleme muss man immer das Gesetz der sog. Schweigespirale mitbedenken. In vielen innerklösterlichen wie auch überhaupt theologischen Fragen halten nicht wenige lieber den Mund, sei es, dass sie Streit vermeiden und ihre Ruhe haben wollen oder genau wissen, dass ihre Argumente sowieso nicht durchdringen. Die Schweigespirale führt dann oft zu dem Phänomen der schweigenden Mehrheit bzw. der dominanten Minderheit.20 Seitens der Ordensbrüder in klerikalen Instituten taucht hin und wieder der Vorwurf des Klerikalismus auf. Da Papst Johannes Paul II. den Begriff des Seelsorgers bekanntlich auf die Ordinierten beschränkt hat, heißt es etwa bei einem Ordensbruder als Berufsbezeichnung in der Ernennungsurkunde nicht etwa „Krankenhausseelsorger“, sondern „Ordensbruder in der Krankenhausseelsorge“ (vgl. diese korrekte Formulierung, die auch stets im Amtsblatt des Erzbistums Köln Verwendung findet). Anders verhielte es sich, wenn der Ordensbruder die Diakonenweihe erhalten hätte, dann dürfte man vom Krankenhausseelsorger sprechen.21 20 Nicht selten habe ich als Ordensreferent Visitationen durchgeführt. Die Wahrheit über die Situation in einem Kloster trat oft erst in den Einzelgesprächen zutage, in den Gruppengesprächen sprachen meist die Oberen oder die dominanten Personen. 21 So heißt es in c. 150 CIC/1983, dass ein Amt, das der umfassenden Seelsorge („plena animarum cura“) dient, zu deren Wahrnehmung die Priesterweihe erforderlich ist, jemandem, der die Priesterweihe noch nicht empfangen hat, nicht gültig übertragen werden kann. Wenngleich die meisten Kommentatoren sich vor allem damit befassen, was mit „plena animarum cura“ gemeint ist und inwiefern es eine „non plena animarum cura“ gibt und was dies inhaltlich ist, so weisen etliche römische Dokumente doch sehr deutlich in die intendierte priesterzentrierte bzw. ordozentrierte Richtung: So die „Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ vom 15. 08. 1997, an der mehrere Kongregationen und päpstliche Räte beteiligt waren, ferner die Instruktion der Kleruskongregation „Der Priester, Hirte und Lehrer der Pfarrgemeinde“ vom 04. 08. 2002 und vor allem zeitlich früher das bedeutsame Postsynodale Apostolische Schreiben von Papst Johannes Paul II. „Pastores dabo vobis“ vom 25. 03. 1992. Zur ganzen Thematik siehe Heribert Hallermann, Seelsorger(in), Ein geschützter Begriff? Kirchenrechtliche Klärungen, in: Lebendige Seelsorge 3 (2004), S. 210 – 214.
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Historisch mag der Vorwurf des Klerikalismus seitens der Ordensbrüder berechtigt gewesen sein, aber heute ist dies nur noch ein Klischee, ebenso wie der Vorwurf der Zweiklassengesellschaft.22 Neben diesen Vorwürfen treten neuerdings aber auch Emanzipationsbestrebungen der Brüder auf.23 Es stellt sich die Frage, ob nicht auch Brüder in akademischen Berufen wie Arzt, Lehrer oder was auch immer einen Platz in einer Kongregation finden können. Wenngleich dies im Prinzip zu bejahen ist, so muss man doch sehen, dass für solche Lebensweisen der CIC/1983 ein anderes, ja weitaus passenderes Modell parat hat: nämlich das Säkularinstitut gemäß der Definition des c. 710 CIC/1983: Ein Institut, in welchem in der Welt lebende Gläubige nach Vollkommenheit der Liebe streben und sich bemühen, zur Heiligung der Welt, vor allem von innen her, beizutragen. Dieses Leben in der Welt (bleiben wir bei dem Beispiel: als Arzt oder Lehrer) führen sie gemäß c. 714 CIC/1983 unter den gewöhnlichen Bedingungen der Welt, sie leben entweder allein oder jeder in seiner Familie oder in einer „Gruppe („coetus“) brüderlichen Lebens.“ Sie übernehmen die evangelischen Räte durch heilige Bindungen („vincula sacra“), so c. 712 CIC/1983. Bleibt schließlich die Frage der Jurisdiktion für Ordensbrüder, ein landläufig bekanntes Problem; die Vorgaben des CIC/1983 sind eindeutig: Gemäß c. 596 § 2 CIC/ 1983 besitzen die Oberen (und Kapitel) in klerikalen Religioseninstituten päpstlichen Rechts (über die „potestas dominativa“ hinaus) die kirchliche Leitungsgewalt (= Hirtengewalt = „potestas iurisdictionis seu regiminis“) sowohl für den äußeren wie für den inneren Bereich. Doch zur Übernahme von Leitungsgewalt sind gemäß c. 129 § 1 CIC/1983 nur diejenigen befähigt, welche die heilige Weihe („ordo“) empfangen haben.24 Mit anderen Worten: Die Jurisdiktionsgewalt setzt Weihegewalt voraus. Aus der Kombination dieser beiden Bestimmungen ergibt sich, dass Ordensbrüder in klerikalen Instituten päpstlichen Rechts – und das sind die meisten männlichen Orden bzw. großen Kongregationen – kein Oberenamt übernehmen können. Bekannt sind Einzelfälle, wonach Ordensbrüder das Amt eines Ökonomen oder Vikars übernommen haben. Das Amt des Ökonomen dürfte dabei kein Problem darstellen, das des Vikars aber sehr wohl, es sei denn, der Ordensbruder ist zum Diakon geweiht und insofern Kleriker und damit auch gemäß c. 129 § 1 CIC/ 1983 potenzieller Träger von Leitungsgewalt. Manche Kommentatoren argumentieren hier mit c. 129 § 2 CIC/1983, wonach Laien bei der Ausübung der Leitungsgewalt nach Maßgabe des Rechts mitwirken können. 22
Eher berechtigt ist dies bei Nonnen, beim Unterschied nämlich zwischen den sog. Chorschwestern und den Außenschwestern, früher auch Windenschwestern genannt, die, wie ich es selbst erlebt habe, bis vor kurzem noch getrennte Refektorien und getrennte Kommunzimmer hatten. 23 Dieses Phänomen gibt es auch bei Ordensschwestern: So waren die Missionsschwestern vom Heiligsten Erlöser (MSsR, ehemals Garser Schwestern) in der Anfangsphase – ähnlich den Brüdern – in dienenden Berufen wie Köchin, Sekretärin u. dgl. tätig, heute sind sie selbstbewusst und selbständig und nehmen nach einer theol. Ausbildung auch pastorale Aufgaben wahr. 24 In diesen Kontext gehört auch c. 134 CIC/1983 rund um den Begriff des Ordinarius.
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III. Fazit Der Ordensbruder in klerikalen klösterlichen Verbänden ist im Schwinden, wofür weniger theologische als mehr soziologische Gründe angeführt werden müssen. Vorwürfe des Klerikalismus und der Zweiklassengesellschaft, die zuweilen von Brüdern in Priesterorden oder -kongregationen erhoben wurden oder werden, sind historisch wohl berechtigt, heute aber eher zu einem Klischee erstarrt. Ferner versuchen Emanzipationsbestrebungen der Brüder heute zuweilen, über den sogenannten „dienenden Bruder“ hinaus, auch andere Berufsfelder außerhalb des Klosters zu erobern, was aber mehr zur Gattung der Säkularinstitute passt als zu einem klassischen Religiosenverband. Vollends an den Rand gedrängt fühlt sich der Bruder heutzutage von den immer zahlreicher werdenden Laiengruppen rund um die eigentlichen Mitglieder eines Ordens oder einer Kongregation wie FSJ-ler, Assoziierte, Freundeskreise, Gebetsgruppen u. dgl., denen weitaus mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als den – heute meist schon älteren – verdienten Ordensbrüdern. Und schließlich bildet die Jurisdiktionsregelung – die Verschränkung von „potestas ordinis“ und „potestas iurisdictionis“ gemäß c. 129 § 1 i. V. m. c. 596 § 2 CIC/1983 – eine unüberwindliche rechtliche Schranke für Brüder in klerikalen Priestergemeinschaften päpstlichen Rechts, ein Oberenamt zu übernehmen. In gewisser Weise teilen die Ordensbrüder das Schicksal der Hausfrauen, deren Arbeit unschätzbar wertvoll für die Familie ist. Die Diskussion rund um das Schmähwort „Herdprämie“ zeigt aber überdeutlich, woher der Wind weht, was gesellschaftlich noch zählt und was nicht, was wertgeschätzt wird und was nicht. Und das gilt für die Familie genauso wie für die klösterliche Gemeinschaft.
Cor orans – einige Fragen an die Instruktion aus der Sicht der Ordinariate Von Elisabeth Kandler-Mayr Das Ordensleben befindet sich in einer Ära gravierenden Wandels, der nicht neu in der Geschichte der Gemeinschaften ist, aber vielleicht auffallender als früher, da die Existenz einzelner Gemeinschaften in Frage steht, nicht mehr nur ihr spezifisches Charisma und ihre Lebensform in den apostolischen Werken. Sie sind in der Regel wesentlich besser miteinander vernetzt als früher, um einander mehr an Hilfestellungen zu bieten. So haben sich die Superiorenkonferenz der Männerorden und die Vereinigung der Frauenorden in Österreich 2018 in einem Zukunftsprozess entschlossen, Schritte zu einer gemeinsamen Ebene und Organisation zu setzen, und als „Ordensgemeinschaften Österreichs“ gemeinsam agieren zu können.1 Viele Fragen stellen sich den meisten Gemeinschaften, z. B. die geringe Zahl von Neuzugängen, die auch mit dem Umstand zusammenhängt, dass Entscheidungen für ein ganzes Leben heute schwerer getroffen werden als früher, und weniger Menschen sich zu einer dauerhaften Bindung an ein Institut entscheiden können. Das braucht den Mut zu neuen Wegen, und wohl auch eine Abkehr von alten Denkweisen.2 Seitens der Kirche bleibt die große Wertschätzung bestehen, die diese Lebensform durch ihren Dienst des Betens und Daseins für die Welt und die Kirche leistet, wie dies Papst Franziskus zusammen mit römischen Stellen wiederholt ausdrückt.3 Zusätzlich bietet der kirchliche Gesetzgeber Instrumentarien, die bei der Bewältigung dieser existenziellen Fragen helfen sollen. Zusammen mit Papst Franziskus bot die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens in den letzten beiden Jahren einige Vorgaben, um mehreren großen Themenkreisen zu begegnen. Wie sorgen Gemeinschaften für die Zukunft vor, wenn Überalterung und das Ausbleiben junger Mitglieder dazu führen, dass Gemeinschaften so sehr auf dem Rückzug sind, dass sie gezwungen sind zu überlegen, welchen Weg des Verkleinerns sie wählen? Wie wird vorgesorgt für die Bedürfnisse der alten Mitglieder, wenn nicht alle durch entsprechende Versicherungen abgesichert 1 Abt em. Christian Haidinger, Gemeinsam sind wir stark, in: summa 2018, Ordensnachrichten 58 (2018) Heft 1 A, Sonderreihe Dokumentation, S. 11. 2 Bernhard A. Eckerstorfer, Mut zu neuen Wegen. Zur Zukunft der Orden. Vortrag beim Kärntner Ordenstag am 13. Oktober 2018 im Kloster Wernberg, in: summa 2018 (siehe Anm. 1), S. 68 – 79. 3 Vgl. Dominicus M. Meier, Die Apostolische Konstitution Vultum Dei quaerere. Dank und Wertschätzung für das kontemplative Leben, in: Erbe und Auftrag 2017, S. 220 – 223.
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sind? Welche finanziellen Rahmen bestehen noch für das Agieren der Gemeinschaft, und wie dürfen sie genutzt werden? Wie hoch setzt man die Mindestzahl in der Gemeinschaft an, um noch von einer Wahl sprechen zu können etc. Diese Fragen stellen sich auf dem Hintergrund eines Eigenrechts der Institute, das oft von Zahlen und Umständen ausgeht, wie man sie vor 30 – 40 Jahren hatte. Für die Anpassung an neue Umstände, z. B. eine Verringerung der Zahl der Mitglieder, braucht es Novellierungen. Der Codex Iuris Canonici 1983 bietet in Teil III, Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des Apostolischen Lebens, alle Rahmenvorgaben, zu den grundlegenden Lebensregeln ebenso wie zu Befugnissen, Wahlen, Vermögensgeschäften, Ausbildung, Zulassung und Ausschluss von Mitgliedern, grundlegend bezogen auf das Dekret Perfectae Caritatis.4 In jüngster Zeit wurde für einige der weiblichen Institute ein entscheidender und einschneidender Schritt durch die Apostolische Konstitution Papst Franziskus Vultum Dei quaerere – über das kontemplative Leben in den Frauenorden vom 29. Juni 20165 gesetzt, gefolgt durch die darin angekündigte Instruktion Cor orans vom 1. April 2018.6 Betont wird die Bereicherung der Kirche durch das kontemplative Leben in Frauenorden, die als betendes Herz in der Kirche und für die Kirche Dank und Wertschätzung verdienen. Mit dem 20. Jahrhundert kam jedoch auch für sie die Notwendigkeit, auf die deutlich veränderten Lebensverhältnisse zu reagieren und die eigenen Strukturen zu überarbeiten und neu zu finden. Mangelnder Nachwuchs führt zur Überlegung, einzelne Aufgaben abzugeben, Standorte zu schließen, Provinzen zu fusionieren und andere Maßnahmen zu setzen. Abgelöst bzw. modifiziert werden damit die Apostolische Konstitution Sponsa Christi und die dazu gehörigen Instruktionen7, soweit sie in einigen Punkten außer Kraft gesetzt werden, wie in der Einleitung von Cor orans festgehalten wird. Als geltende Normen für Nonnenklöster sind diese Dokumente daher zu betrachten und in einer einheitlichen Sichtweise weiter zu lesen.8 Einzelne Bestimmungen des Codex Iuris Canonici wurden durch Artikel von Cor orans durch die Approbation in forma specifica aufgehoben.9 4 Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens Perfectae Caritatis. 5 Papst Franziskus, Apostolische Konstitution Vultum Dei quaerere über das kontemplative Leben in Frauenorden, 29. Juni 2016; (= VApSt 208). 6 Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens, Instruktion Cor Orans zur Anwendung der Apostolischen Konstitution Vultum Dei quaerere über das weibliche kontemplative Leben, 1. April 2018; (= VApSt 214). 7 Papst Pius XII., Apostolische Konstitution Sponsa Christi Ecclesia. De sacro monialium instituto promovendo, 21. November 1950, AAS 43 (1951) S. 5 – 23 und die dazugehörige Instruktion Inter praeclara der Kongregation für die Ordensleute vom 23. November 1950 zur praktischen Anwendung der Apostolischen Konstitution Sponsa Christi, in: AAS 43 (1951) S. 37 – 44, sowie Verbi Sponsa über das kontemplative Leben und die Klausur der Nonnen vom 13. Mai 1999 der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens. 8 Auf die damit verbundenen Auslegungsfragen verweist Scholastika Häring, Cor orans, Überblick und Orientierung, in: Ordenskorrespondenz 59 (2018), S. 467 – 478.
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Ein Überblick über die neue Rechtslage mit zum Teil schwierigen Unterscheidungen muss erstellt werden, es braucht wohl noch Zeit, um hier Klarheit in allen Detailfragen zu finden. Dies ist unmittelbar notwendig, da Entscheidungen zum Teil schnell getroffen werden müssen. Dies bezieht sich auch auf den Bereich der Vermögensrechtsfragen, die zwar nicht im Zentrum der Überlegungen der Gemeinschaften stehen, wohl aber maßgebliche Begleitfunktion haben und daher gut, umfassend und zeitnah gelöst werden müssen. Grundlage dafür bleiben die Regeln über das Vermögensrecht der katholischen Kirche, die auch für Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des Apostolischen Lebens gelten (vgl. cc. 573 bis 746 CIC/1983). Die wesentlichen Angaben zum Vermögen der Orden bzw. Institute und dessen Verwaltung finden sich in Buch II, Teil III des CIC/1983 über die Institute des geweihten Lebens und Gesellschaften des apostolischen Lebens. Es finden sich Regeln zum Umgang mit dem Vermögen im Blick auf die evangelischen Räte und die Armut, der in konkreter Weise reglementiert sein muss (vgl. z. B. cc. 573 § 2 und 578 CIC/1983) betreffend das eigene Erbgut der übernommenen Regeln. C. 587 CIC/ 1983 nennt die nötigen Inhalte des Rechtsbuches, das die Eigenart der Institute festschreibt und getreu erhält, bzw. die Konstitutionen in c. 598 CIC/1983. Weiter findet sich der Verweis auf ein Leben der Armut in der Nachfolge Christi, das in Gebrauch und Verfügung über das Vermögen zum Ausdruck kommt (vgl. c. 600 CIC/1983). Zu berücksichtigen sind die Richtlinien für die Verwaltung der kirchlichen Güter der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften apostolischen Lebens vom 2. August 2014, in denen die transparente und professionelle Verwaltung als sinnvolles Mittel für die Sendung der einzelnen Institute bezeichnet wird, und die Bedeutung der Grundsätze der Unentgeltlichkeit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit als Ausdruck eines Wirtschaftens des Teilens und der Gemeinschaft im Sinne des Evangeliums verstanden werden.10 Für die Gemeinschaften ergaben sich daraus einige gravierende Fragen. Auf die ersten Entscheidungen der Kongregation zu Einzelfragen ist noch zu warten, die anzeigen werden, in welche Richtung Auslegungen und Entscheidungen führen. Fragen bestehen jedenfalls in der Praxis, z. B. zum Verständnis der Normadressaten, der kontemplativen weiblichen Orden. Trotz einer Definition kann der Eindruck bestehen, dass nicht nur strikt kontemplativ lebende Orden gemeint sind, oder das Verständnis als „kontemplativ“ vielleicht angepasst werden muss.11 In Einzelantworten 9
Zur Auflistung wird verwiesen auf Cor orans (Anm. 6), Schluss, S. 79 f. Rundschreiben der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften apostolischen Lebens, Richtlinien für die Verwaltung der kirchlichen Güter der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften apostolischen Lebens vom 2. August 2014, mit Kommentar sowie Mustern und Vorlagen veröffentlicht in: Rainer Kirchmair/ Martin van Oers/Peter Krause, Die vatikanischen Vorgaben zur Vermögensverwaltung der katholischen Orden in der Praxis, hrsg. von der Superiorenkonferenz der männlichen Ordensgemeinschaften, der Vereinigung der Frauenorden Österreichs und der DOK Deutschen Oberenkonferenz e.V., Wien 2017. 11 Vgl. Cor orans (Anm. 6), Allgemeine Normen Nr. 4, S. 8 f., Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 697. Vgl. auch Dominicus M. Meier, Die Apostolische Konstitution Vultum Dei 10
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wurde für die Qualifizierung auf die Existenz der Klausur abgestellt, um das Merkmal „kontemplativ“ zuordnen zu können.12 In diesem Fall können auch Orden bzw. Gemeinschaften erfasst sein, die neben einem gemeinschaftlichen Leben in der Klausur durchaus apostolische Tätigkeiten mit Bezug zur Außenwelt pflegen, z. B. den Betrieb von Kindergärten und Schulen. Orden dieser Art sehen sich vor dem Problem, dass sie teilweise nicht der Ansicht sind, unter den Geltungsbereich von Cor orans zu fallen, z. B. mit der Begründung, nur einfache Gelübde zu haben, während Cor orans auf die feierlichen Gelübde bezogen sei.13 Klarheit oder Einigkeit ist hier noch nicht gegeben; auf die Beantwortung konkreter Anfragen, wie Orden diese Zuordnungen für sich verstehen müssten, bleibt noch zu warten. Cor orans geht jedenfalls davon aus, dass es „Werke“ gibt14, somit Tätigkeiten außerhalb eines rein der Anbetung gewidmeten geistlichen Lebens. Unmittelbare Folge aus der Beantwortung dieser Frage wäre, wieweit die Möglichkeit des Eingriffs seitens der obersten kirchlichen Autorität tatsächlich ist, wenn einer Gemeinschaft aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl und des hohen Altersdurchschnitts z. B. nicht mehr zugetraut wird, ihre Geschäfte auf längere Sicht angemessen zu besorgen und daher der Fall eintritt, dass der Ortsordinarius in die Pflicht genommen wird und gemeinsam mit einer ad-hoc-Kommission15 dafür sorgen muss, passende Pläne für das Leben der Gemeinschaft zu entwerfen und von Rom genehmigt zu bekommen. Die Alternative wäre der Entschluss, eine Gemeinschaft oder eine Niederlassung geordnet enden zu lassen.16 Ein derartiger Schritt ist verbunden mit einer hohen Belastung der übrig gebliebenen Mitglieder, emotional ebenso wie finanziell – aus einem Leben der gottgeweihten Existenz im Vertrauen auf seine Führung herausgerissen zu werden, ist eine existentiell bedrohliche Erfahrung, deren Bedeutung und Schwere nicht gering anzusetzen ist. Dies muss in allen Schritten, bei aller nötigen Entscheidung zu schmerzhaften Schritten, beachtet werden, und auch in allen nötigen Schritten zum Ausdruck kommen. Alle an diesen Prozessen Beteiligten müssen sich diesen Themen mit Respekt und gleichzeitig Klarheit zuwenden, sei es die Frage der Übernahme von Immobilien durch eine andere kirchliche Institution, oder die Fortführung eines apostolischen Ordenswerkes wie eines Kindergartens oder einer Schule, oder in der Begleitung von Neustrukturierungen bis hin zum möglichen Abschied. So stellen sich für Diözesen ebenfalls neue Fragen, wie man Hilfestellungen bieten kann, oder in die in Cor orans vorgesehenen Kommissionen eingebunden wird, quaerere. Autonomie und Klausur, in: Erbe und Auftrag 2017, S. 463 – 469, speziell Autonomie im Bereich von Seelsorge und Apostolat, hier S. 465 – 467. 12 Gespräch in der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens am 11. Juni 2019. 13 Erklärung einiger Ordensfrauen anlässlich einer Besprechung am 13. Juli 2019 in Salzburg. 14 Vgl. Cor orans (Anm. 6), Allgemeine Normen Nr. 2. 15 Cor orans (Anm. 6), Art. 45 und Art. 56 zu verschiedenen Aspekten. 16 Cor orans (Anm. 6), Art. 55 und Art. 67, wobei die Aufhebung als „schmerzhafte, aber notwendige Lösung“ bezeichnet wird.
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oder in aktuellen Rechtsfragen im Blick auf das für das jeweilige Land geltende Zivilrecht korrekt agieren kann. Im Folgenden werden einige dieser Themen angesprochen, die zu den aktuell zu bearbeitenden Fragen in den Diözesen zählen; sie beschäftigen den Ortsordinarius und damit sein Ordinariat, das sich intensiver als bisher mit Ordensrechtsfragen befassen wird.
I. Die Föderation von Klöstern17 Ein Zusammenschluss von Klöstern desselben Instituts, der vom Heiligen Stuhl errichtet wird, soll die Isolation von Klöstern verhindern und ihnen ermöglichen, das gleiche Charisma in Treue zu bewahren und den unverzichtbaren Wert der Gemeinschaft durch gegenseitige schwesterliche Hilfe zu leben. Die Klöster sind (und bleiben) dabei autonom. Sie sollten nach Möglichkeit nicht zu weit entfernt voneinander sein, auch wenn die Föderation nicht unbedingt nach geographischen Gesichtspunkten organisiert sein muss. Diese Form eines Zusammenschlusses war bereits seit Sponsa Christi möglich gewesen und empfohlen worden, verpflichtend wurde sie mit Vultum Dei quaerere.18 Entspricht ein Kloster der Aufforderung zur Umsetzung nicht binnen eines Jahres, dann erfolgt eine Zuweisung durch die Kongregation. Das zweite Kapitel von Cor orans bietet in der Beschreibung der Föderation eine detaillierte Regelung neuer Aufgaben für die Föderationspräsidentin, deren Sekretärin, und den Assistens religiosus19, der den Hl. Stuhl gegenüber der Föderation, aber nicht gegenüber den einzelnen Klöstern repräsentiert und nicht die Position eines höheren Oberen20 hat. Zur Entwicklung der Föderationen und der zusätzlichen Formen der gegenseitigen Unterstützung zwischen den Nonnenklöstern gibt es einige Anfragen, z. B. wegen des hohen Verwaltungsaufwands für die Präsidentin mit der Schaffung 17
Vultum Dei quaerere (Anm. 5), Art. 9 § 2 sowie 28 – 30; Cor orans (Anm. 6), Art. 7 sowie 2. Kapitel, Art. 86 – 155, besonders Art. 87. Vgl. allgemein zu Zusammenschlüssen von juristischen Personen, bes. im Ordensbereich: Stephan Haering, Art. Konföderation, in: Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayr/Josef Kandler (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, St. Ottilien 2015, S. 247 – 250, Vgl. Bruno Primetshofer, Ordensrecht, 4. Auflage, Freiburg 2003, S. 48 – 50. 18 Zu den Aufgaben der Föderation vgl. Dominicus M. Meier, Die Apostolische Konstitution Vultum Dei quaerere. Die Aufgabe der Förderation, in: Erbe und Auftrag 2018, S. 91 – 94; zur Verpflichtung der Einbindung in eine Föderation vgl. Réginald-Marie Rivoire, Una lettura dell’istruzione Cor Orans sulla vita contemplativa femminile: sfide e prospettive, in: Rivista telematica nr. 24/2019, S. 17 – 38, hier S. 23 – 26. 19 Gemäß Art. 150 Cor orans muss der (geistliche) Assistent ein Priester sein. Zur Bewertung dieser nicht gänzlich neuen Position vgl. Scholastika Häring OSB, Cor orans, Überblick und Orientierung (Anm. 8), S. 467 – 478. 20 Vgl. Ulrich Rhode, Art. Oberer, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 308 – 311.
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eines Sekretariats, oder der Sorgen wegen der Möglichkeit, Klöster zuweisen zu können, und der Verpflichtung zur Schaffung einer gemeinsamen Finanzbasis, sowie zur Akzeptanz eines geistlichen Assistenten, wenn es ihn bisher nicht gab. Wo Föderationen bereits bestehen, wurden Statuten in einem früheren Zeitpunkt als angemessen und rechtskonform genehmigt; diese müssten nun novelliert werden. Von der bisherigen Freiheit, einer Föderation beitreten zu können, geht man nun offenbar ab. Dies löst zusätzliche Fragen aus: Muss eine bestehende Föderation eine Zuweisung eines Klosters in jedem Fall akzeptieren, oder aber könnte man mit gutem Grund den Neuanschluss ablehnen? Die Frage der Einbindung in eine Föderation für einzelne Klöster, die diesen Schritt bisher nicht getan hatten, zeigt ebenso eine unterschiedliche Annahmebereitschaft. Das Bestreben der gegenseitigen Stützung ist nicht zu übersehen, wenn z. B. die Beteiligung an einer Föderation vorgesehen bzw. aufgetragen wird, weil ein Kloster nur mehr sehr wenige Mitglieder hat. Was geschieht aber mit einer Gemeinschaft, die nicht andere Klöster mit ähnlicher Tradition findet? Wie wird es gewertet, wenn ein Ordenscharisma so eigengeprägt und beinahe einzigartig ist, dass es keine gleichartige Gemeinschaft gibt, sondern höchstens ähnliche Institute, die sich im weitesten Sinne auf dieselbe Gründerheilige bzw. denselben Gründer beziehen? Wie wird gewertet, wenn es zwar ein Kloster mit ähnlichem Charisma gibt, aber örtlich sehr weit entfernt, und vor allem getrennt durch verschiedene Sprachen? Welchen Vorteil könnte eine Föderation noch bieten, wenn kein Gespräch ohne Dolmetsch möglich wäre, und z. B. eine gemeinsame Ausbildung unter diesen Umständen an der fehlenden gemeinsamen Sprache scheitert? Wird gewertet, was möglich und vor allem sinnvoll ist, wenn die Möglichkeit des Art. 93 Cor orans genutzt wird, um Dispens von der Verpflichtung anzusuchen, einer Föderation angehören zu müssen, weil das betreffende Kloster einen guten Stand und viele Mitglieder aufweist? Wie diese Fragen beantwortet werden, bleibt abzuwarten; Ergebnisse bzw. Entscheidungen sind zumindest noch nicht veröffentlicht. Die Entwicklung in diesen wesentlichen Fragen wird man mit Interesse aufnehmen.
II. Fragen des Vermögensrechts 1. Unter den wesentlichen Themen, die Cor orans bietet, sind einige Passagen zu finden, die einzelnen Canones des Codex Iuris Canonici entgegenstehen.21 Eine Instruktion kann gemäß c. 34 CIC/1983 in ihrer rechtlichen Qualität Gesetze nicht aufheben, sondern erklärt und entfaltet Vorschriften und Vorgehensweisen22 ; sind einzelne Vorschriften damit nicht in Einklang zu bringen, haben sie keine Rechtskraft. Die Änderungskraft tritt nur ein, wenn eine Approbation in forma specifica ge21 Vgl. die Auflistung bei Scholastika Häring OSB, Cor orans, Überblick und Orientierung (Anm. 8), hier S. 468. 22 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Instructio, in: LKStR, 2. Bd., S. 307 – 308.
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schieht.23 Im Bereich des kodikarischen Vermögensrechts ist dies im Blick auf c. 638 § 4 CIC/1983 festzustellen: Art. 52, 81 d) und 108 Cor orans ändern die bisherige Rechtslage insofern ab, als das Erfordernis der schriftlichen Zustimmung des Ortsordinarius bei Veräußerungen und jedwedem Geschäft, das die Vermögenslage des Klosters verschlechtern könnte, durch zusätzliche Erfordernisse ergänzt und abgeändert wurde. Auf den ersten Blick könnte überraschen, dass der Einbezug des Ortsordinarius in diesem wichtigen wirtschaftlichen Bereich nun ergänzt werden muss, da er in anderen Bereichen aufgewertet bzw. wesentlich stärker in die Pflicht der Mitsorge24 genommen wird. Die wesentlichste Änderung liegt darin, dass unabhängig vom Wert der zu verkaufenden Güter in Art. 108 Cor orans für die Gültigkeit des Verkaufs der Güter aufgehobener Klöster stets und ausschließlich die schriftliche Genehmigung des Heiligen Stuhls erforderlich ist, konkret also der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens.25 2. Zu c. 638 CIC/1983 gibt es weitere Klärungen, die zu beachtet sind: Angeführt sind u. a. die Voraussetzungen für die Gültigkeit von Ausgaben und Rechtshandlungen, sei es durch Differenzierungen im Eigenrecht zu den Grenzen der ordentlichen Verwaltung, sei es durch zusätzlich erforderliche Genehmigungen. C. 638 § 3 CIC/ 1983 sah bereits bisher vor, dass zur Gültigkeit einer Veräußerung und jedweden Geschäfts, durch das sich die Vermögenslage einer juristischen Person verschlechtern kann, die mit Zustimmung seines Rates schriftlich gegebene Erlaubnis des zuständigen Oberen erforderlich ist; bei Geschäften über die sog. Romgrenze26, bei Geschenken aufgrund eines Gelübdes oder bei künstlerisch oder historisch wertvollen Sachen ist zudem die Erlaubnis des Heiligen Stuhls erforderlich.27 Zuständig dafür ist der Bischof der Diözese, in der sich der Sitz des Instituts befindet. Diese Regel kennt 23
Vgl. Cor orans (Anm. 6), Schluss, S. 79 f. Vgl. die Aufgaben in den beiden möglichen ad-hoc-Kommissionen gemäß Cor orans (Anm. 6), Art. 45 und 56. 25 Cor orans (Anm. 6), Art. 108. Ein „Wegfall der schriftlichen Zustimmung des Ortsordinarius“ gemäß c. 638 § 4 CIC/1983 in diesen Vertragsfällen kann im Blick auf den Text entgegen der Darstellung von Sr. Scholastika Häring nicht angenommen werden, vielmehr kommt ein zusätzliches Element für die Gültigkeit des Vertrags dazu. Vgl. Scholastika Häring, Cor orans, Überblick und Orientierung (Anm. 8), hier S. 468. Vgl. auch zur Zuständigkeit der genannten Kongregation Cor orans (Anm. 6), Art. 5. 26 Zur Romgrenze vgl. ABl ÖBK Nr. 77, 1. Jänner 2019, II. 1.a und 1.b, S. 5; vgl. Wilhelm Rees, Art. Romgrenze, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 428 – 432. Die Romgrenze liegt für Österreich derzeit bei 3 Mio. E, für Deutschland bei 5 Mio. E und für die Schweiz bei 5 Mio SFR. Ist die zu veräußernde Sache teilbar, oder wurden Teile schon veräußert, dann sind die bereits früher veräußerten Teile anzuführen, sonst ist die Erlaubnis ungültig (c. 1292 § 3 CIC/1983). Betreffend den Zustimmungsvorbehalt bei kunsthistorisch bedeutenden Gegenständen wird auf die Einhaltung von staatlichen Gesetzen verwiesen, d. h. einschlägige Denkmalschutzregeln. Beides gilt für alle Institute, päpstlichen wie bischöflichen Rechts, und rechtlich selbständige Klöster. 27 Vgl. Helmuth Pree/Bruno Primetshofer, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung. Handreichung für die Praxis2, Wien/New York 2010, bes. S. 99 – 105. 24
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eine Ausnahme: befindet sich der Sitz des Instituts im Ausland, ist die Lage des Objekts im Inland für die Ermittlung des zuständigen Bischofs entscheidend. Zu dieser Norm ergaben sich in der Praxis Fragen, z. B. ob nur Stammvermögen unter diese Regelungen zu zählen ist, oder auch das frei verfügbare Vermögen, zudem der Blick auf die Unterscheidung der ordentlichen und außerordentlichen Verwaltung.28 Bestimmte Rechtsgeschäfte erfordern eine erhöhte Wachsamkeit, weil besondere Umstände vorliegen, sie einen erheblichen Gegenstandswert haben oder im Negativfall daraus eine Schlechterstellung der Vermögenslage eines Institutes resultiert oder die Zweckbindung des Institutsvermögens gefährdet sein könnte. Während c. 1281 § 1 CIC/1983 zur Vornahme von Akten der außerordentlichen Verwaltung die vorgängige schriftliche Ermächtigung durch den Ordinarius als Gültigkeitsvoraussetzung für Rechtsgeschäfte vorsieht, ist die Festlegung der Gültigkeitsvoraussetzungen im Ordensrecht ganz dem Eigenrecht des jeweiligen Institutes überlassen. Nach c. 638 § 1 CIC/1983 kommt es dem Eigenrecht zu, im Rahmen des allgemeinen Rechts die Handlungen zu bestimmen, welche die Grenze und die Weise der ordentlichen Verwaltung überschreiten, und das festzulegen, was zur gültigen Vornahme einer Handlung der außerordentlichen Verwaltung notwendig ist. Bei dieser Festlegung muss der jeweils für die Ermächtigungserteilung zuständige Obere in jedem Fall benannt werden. Dieser kann seinerseits zur gültigen Erteilung der Ermächtigung an Beispruchsrechte z. B. seines Rates oder Kapitels gebunden sein (vgl. c. 127 CIC/1983).29 Eine Anfrage von Prof. Helmuth Pree zum Wirkungsbereich der Neuerungen zu c. 638 § 3 CIC/1983 führte zu einer schriftlichen Erklärung der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens.30 Nr. 81 und Nr. 90 des Dokuments der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des apostolischen Lebens „Economia a servizio del carisma e della missione. Orientamenti“31 beabsichtigten nicht, das universale Recht zu verändern, sondern einfach „einige Aspekte der kanonischen Normativen über die zeitlichen Güter mit besonderem Bezug auf die Praxis der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens zu vergegenwärtigen und ausführlich darzulegen“ (dort, n. 4). Nr. 81 der Orientamenti sieht vor, dass für alle Veräußerungsgeschäfte über der sog. Romgrenze zur Gültigkeit die Licentia der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des 28 Vgl. Dominicus M. Meier, Art. Ordentliche Verwaltung, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 354 – 356. 29 Vgl. Dominicus M. Meier, Art. Ordensvermögen – Verwaltung, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 340 – 354; vgl. auch Severin J. Lederhilger. Autonomie und Aufsicht. Vermögensverwaltung von Ordensgemeinschaften und kirchliche Sorgfaltspflicht, in: öarr 2017, S. 261 – 282, speziell S. 272 f. 30 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Helmuth Pree. 31 Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des apostolischen Lebens, Economia a servizio del carisma e della missione. Orientamenti. Libreria Editrice Vaticana März 2018.
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apostolischen Lebens gefordert ist, unabhängig von der Tatsache, ob diese Güter zum patrimonium stabile der Körperschaft gehören oder nicht: dieser Hinweis respektiert den Geist des gesamten Systems der kanonischen Kontrollen über die Akte und über die Güter der IVC und der SVA, doch mit Rücksicht auf das Prinzip der Subsidiarität und der legitimen Autonomie der Institute. Das zuständige Dikasterium übernimmt dabei die von den Bischofskonferenzen für die einzelnen Regionen festgesetzte Höchstsumme, und fordert bei Überschreitung dieses Wertes gemäß der Norm des c. 638 § 3 CIC/1983 auch die Freigabe durch die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, unabhängig davon, ob die Güter dem patrimonium stabile zugeschrieben seien oder nicht. Begründet wird dies mit der Feststellung, dass die juristische Person (Institut des geweihten Lebens oder Gesellschaft des apostolischen Lebens) auch aus der Veräußerung der Güter einen Nachteil erleiden kann, die nicht allein dem patrimonium stabile angehören. Dabei beruft man sich auf den Relator des Coetus Studii „De institutis perfectionis“ während der Arbeit der Sessio XI, der klar diese Sichtweise vertrat, bei Überschreiten der relevanten Summe habe man sich immer an den Apostolischen Stuhl zu wenden (Communicationes XXVIII (1995) p. 120). Angeführt werden die übrigen Voraussetzungen für eine Anfrage um Genehmigung des Heiligen Stuhls, die der zuständige Obere des Instituts gemäß den Normen des Eigenrechts vorlegen muss: sie muss die iusta causa ausdrücken (c. 1293 § 1 CIC/1983), die Umstände darlegen, wie der Ertrag verwendet werden soll (c. 1294 § 2 CIC/1983), eine möglichst beeidete Sachverständigendokumentation anfügen (c. 1293 § 1, 28 CIC/1983); schließlich ist für die Klöster sui iuris gemäß c. 615 CIC/1983 und für die Institute diözesanen Rechts auch die schriftliche Zustimmung des Ortsordinarius notwendig (c. 638 § 4 CIC/1983). Der Diözesanbischof gibt für die Frauenklöster, die seiner besonderen Aufmerksamkeit anvertraut sind, in Derogation des c. 638 § 4 CIC/1983 als Ortsordinarius dann den schriftlichen Konsens für besondere Akte der Verwaltung, wenn dies durch das Eigenrecht festgesetzt ist (Cor orans, n. 81). Ausgeführt wurde weiters, dass die Kongregation darüber hinaus gemäß c. 1293 § 2 CIC/1983 die Übernahme anderer Kautelen zur Vermeidung von Schäden für die Kirche anfordern kann. Im Schreiben wird schließlich ausgeführt, dass das selbe System von kanonischen Kontrollen darüber hinaus die Grundlage der Anordnung der n. 90 der Orientamenti ist, die für die Übertragung von Gütern an zivile Körperschaften gilt und ebenfalls zur Gültigkeit die Erlaubnis der genannten Kongregation erfordert, wenn der Wert des zu übertragenden Gutes die Romgrenze überschreitet, auch wenn die Juristische Person mit dem Institut des geweihten Lebens oder der Gesellschaft des Apostolischen Lebens verbunden ist. Die Orientamenti mahnen dazu ein, auch wenn es sich um rechtlich unterschiedene Subjekte handelt, rechtfertigt die Verbindung derartiger Subjekte an die Institute eine besondere Aufmerksamkeit in ihrer Konstitution und ihrer Geschäftsleitung bzw. Führung. Der gute Ruf des Instituts darf nicht gefährdet werden, vor allem wegen einer möglichen Verantwortung des Instituts für Schäden der verbundenen Körperschaft. Klar ausgesprochen wird, dass die Inanspruchnahme von zivilen Körperschaften niemals dafür genutzt werden darf, um kanonische Kontrollen zu umgehen (Orientamenti, n. 89). Empfehlenswert sei schließlich, juristischen Personen zivilen
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Rechts nach Möglichkeit auch die mögliche Anerkennung seitens der zuständigen kirchlichen Autorität zu gewähren.32 Diese Feststellungen werden in der Praxis hilfreich sein und dazu beitragen, offene Fragen rechtskonform zu lösen. 3. Die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens verfasste mit Schreiben vom 8. Februar 2005, Prot.Nr. 971/ 2004, eine Weisung für die genannten Institute, die dem Ortsordinarius im Falle von Verkaufsabsichten das Urteil über einen möglichen Verkauf bzw. Kauf eines Objektes ermöglichen sollte, um für die pastoralen Notwendigkeiten seiner Diözese einen Erwerb des Objekts überlegen zu können.33 Die Vereinigung der Frauenorden Österreichs übermittelte in der Folge ihren Mitgliedern in einem Schreiben vom 10. April 2005 die Bitte der Österreichischen Bischofskonferenz, dass sowohl die Superiorenkonferenz als auch die Vereinigung der Frauenorden Österreichs selbst auf ihre Mitglieder dahingehend einwirken möchten, dass bei Liegenschaftstransaktionen der Orden mit den zuständigen diözesanen Stellen Kontakt aufgenommen wird, ob hinsichtlich zu veräußernder Grundstücke kirchliche Interessen bestehen, und wenn ja, diese auch zu berücksichtigen.34 Diese Weisung ist im Blick auf die aktuelle Situation der Orden und der Diözesen von großer Bedeutung, da viele Orden an Umstrukturierungen denken, an die Schaffung neuer Einnahmequellen, die Versorgung von Werken, die jedenfalls weitergeführt werden sollen. Bevor Kooperationen mit anderen Partnern eingegangen werden, muss im Sinne der genannten Schreiben klargestellt werden, wieweit ein konkretes Interesse der Diözese des Ortes besteht, in dem das aufzugebende ober zu verwertende Objekt liegt. Der Charakter einer Empfehlung des Schreibens aus 2005 bringt zwar mit sich, dass eine Missachtung der Vorgabe durch beteiligte Orden nicht die Gültigkeit eines trotzdem geschlossenen Vertrages verhindern würde, auch wenn dies dem Sinne der Vorgabe diametral widerspricht; eine Nichtigkeitsfolge bei Nichteinhaltung der Empfehlung war hier nicht vorgesehen. Dennoch gibt es Möglichkeiten der Reaktion und des Agierens des übergangenen Ortsordinarius, nicht nur im Fall der verpflichtenden Anfrage um Erteilung der licentia gemäß c. 638 § 3 CIC/ 1983, sondern auch in Zusammenhang mit der sog. Ordinariatsklausel.
III. Ein Spezifikum in Österreich – die Ordinariatsklausel Das Recht der Institute zum Abschluss von Rechtsgeschäften, besonders zur Veräußerung von Liegenschaften, ist stets auf das zivile Rechtssystem verwiesen, das für 32 Schreiben der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens vom 3. Dezember 2018, Nr. 16489/2018 an Prof. Helmuth Pree. 33 Vgl. Wilhelm Rees, Art. Romgrenze, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 428 – 432, hier S. 231. 34 Vgl. Helmuth Pree, Art. Veräußerung (Alienatio), in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 478 – 488, hier S. 484 f.
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das jeweilige Land gilt, in dem sich eine Liegenschaft befindet. Das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich vom 5. Juni 1933 sieht in Art. XIII sowie dem Zusatzprotokoll zu Art. XIII § 235 für verbücherungspflichtige Rechtsgeschäfte die Beibringung der sog. Ordinariatsklausel36 als zwingend erforderlich, deren Erteilung die Gültigkeit eines jeden Vertrages aufschiebend bedingt. Diese Klausel wird auf der Urkunde erst beigesetzt nach der vorherigen Überprüfung, dass gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung bzw. Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwaltet, und dass die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hierzu berufen waren. Diese Bestätigung wird durch das jeweilige bischöfliche Ordinariat gegeben. Nach Beisetzung des Siegels des Ordinariats ist eine weitere Überbeglaubigung nicht mehr erforderlich. Diese Bestätigung kann nicht erteilt werden, wenn der Bischof nicht einbezogen war; es kann nicht bestätigt werden, es obwalte kein Anstand: denn entgegen den genannten Vorgaben wurde der Ortsordinairus nicht informiert. So wird zwar nicht die Berechtigung für die Vertreter der Vertragspartner zu ihrer Vertretung verneint, allerdings besteht ein Einwand des Ortsordinarius grundsätzlicher Art, sodass nicht bestätigt werden kann, es gäbe „keinen Anstand“ bzw. „nulla osta“ gegen das Rechtsgeschäft. Wenn die Diözese des Ortes der Liegenschaft an Verhandlungen konkret und aktiv interessiert ist, da z. B. die Fortführung kirchlicher Kindergärten oder Schulen oder Krankenhäuser im pastoralen Konzept einer Diözese von besonderer Bedeutung sind und aktiv geplant werden, wird die Möglichkeit beansprucht, in die Verhandlungen und in den vorgelegten Vertrag einzutreten, zum Teil oder zur Gänze. Ein dennoch unterzeichneter und vorgelegter Vertrag kann somit nicht in Gül35 Konkordat vom 5. Juni 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich samt Zusatzprotokoll, RGBl II Nr. 2/1934. Art. XIII garantiert den Bestand der Güter kirchlicher Rechtssubjekte im Rahmen der für alle geltenden Staatsgesetze und sieht in § 2 vor, dass dieses Vermögen durch die nach kanonischem Recht berufenen Organe verwaltet und vertreten wird. Bei Orden (…) gilt für den staatlichen Bereich (…) der Lokalobere (…) als der berufene Vertreter. Das Zusatzprotokoll, dessen Erklärungen als integrierende Bestandteile des Konkordats zu gelten haben, sieht zu Art. XIII § 2 folgendes vor: Der Heilige Stuhl wird die Diözesanordinarien anweisen, bei intabulationspflichtigen Rechtsgeschäften auf der Urkunde nach vorheriger Überprüfung eine Klausel beizusetzen, dass gegen die bücherlich einzutragende Berechtigung oder Verpflichtung kirchlicherseits kein Anstand obwaltet und dass die Vertreter der kirchlichen Rechtssubjekte, welche das Rechtsgeschäft abgeschlossen haben, hierzu berufen waren. Das Bundesministerium für Justiz und Unterricht ergänzte mit der Verordnung vom 9. Mai 1934 diesen Passus mit dem Zusatz, dass diese Klausel auch die Vorgangsweise gemäß Art. XIII § 2 (2) des Konkordats bestätigt, und die vom Ordinariat erteilte Bestätigung, wenn sie mit dessen Amtssiegel versehen ist, keiner weiteren Beglaubigung bedarf. Vgl. Verordnung der Bundesministerien für Justiz und Unterricht vom 9. Mai 1934 über die Ausstellung von Bestätigungen anlässlich der in den öffentlichen Büchern durchzuführenden Veräußerung oder Belastung von kirchlichen Vermögen, BGBl II Nr. 22/ 1934. 36 Vgl. Wilhelm Rees, Art. Ordinariatsklausel, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 356 – 359; Vgl. Helmuth Pree/Bruno Primetshofer, Das kirchliche Vermögen, seine Verwaltung und Vertretung (Anm. 27), S. 136 – 143.
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tigkeit treten, da er hinsichtlich der Erteilung der Ordinariatsklausel aufschiebend bedingt sein muss, es ist weder die Vorlage für die Romgenehmigung im Falle einer Zuständigkeit im Sinne von c. 638 § 4 CIC/1983 noch eine Übersendung an das Grundbuch für die Verbücherung möglich. Zum rechtlichen Charakter der Ordinariatsklausel und der damit verbundenen Möglichkeit der Prüfung von geplanten Rechtsgeschäften durch den Ortsordinarius finden sich in der Literatur unterschiedliche Meinungen, ob sie materiellrechtlicher oder rein formalrechtlicher Natur wäre. Als Ergebnis ergibt sich folgendes: Sinn der Norm bzw. Klausel ist grundsätzlich, dass der Grundbuchsführer von der Pflicht befreit wird, selbst Nachforschungen anstellen zu müssen, ob alle Voraussetzungen für den Vertrag eingehalten wurden, d. h. allgemeines Kirchenrecht und Eigenrecht überprüfen zu müssen. Es handelt sich laut herrschender Lehre eher um ein formelles Prüfungsrecht, nicht ein materielles. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass der Ortsordinarius durchaus das Recht hat, sich vor Erteilung der Klausel z. B. die Beschlüsse der Beispruchsberechtigten oder das Reskript des Apostolischen Stuhls bei Überschreitung der Romgrenze vorlegen zu lassen. Selbst wenn damit ein gewisser Eingriff in die Autonomie eines Verbands gegeben ist, ist dies begründet durch die Regelung des c. 3 CIC/1983, dass Vereinbarungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und einer Nation im Rahmen eines Konkordats durch den Codex Iuris Canonici 1983 nicht aufgehoben wurde, sondern dem universalen kirchlichen Recht vorgehen. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich deutlich, dass der zuständige Ortsordinarius sehr wohl die Möglichkeit hat, inhaltliche Fragen zu prüfen, da er sich z. B. Beschlüsse gemäß dem Eigenrecht vorlegen lassen kann. Erfährt der übergangene Ortsordinarius von der geplanten Veräußerung durch die Bitte des Veräußerers um Erteilung der licentia37 im Sinne des c. 638 § 3 CIC/1983, dann besteht in diesem Stadium der Verhandlungen noch die Möglichkeit, inhaltlich in Gespräche einzutreten, bevor es zu einem Vertragsabschluss mit einem anderen Partner kommt. Ein weiterer Anknüpfungspunkt besteht in der Vorlagepflicht, wenn der Wert der Transaktion die Romgrenze übersteigt. Die Kongregation muss zwar nicht die Missachtung der eigenen Vorgabe – als einer bloßen Empfehlung – zum Anlass nehmen, die erforderliche Genehmigung zu verweigern, die den Vertrag erst in Gültigkeit treten ließe. Sie kann auch die Gründe werten, die trotz der nicht korrekten Vorgangsweise für den vorgelegten Vertrag sprechen. Allerdings wird kaum zu ignorieren sein, wenn der übergangene Ortsordinarius unter Verweis auf die missachtete Empfehlung eine Beschwerde vorlegt. Konkrete Präzedenzfälle dafür sind noch nicht bekannt; auf erste Entscheidungen darf man mit Interesse warten, um daraus absehen zu können, welche Sichtweise vertreten und in welche Richtung die Entscheidung gehen wird.
37 Vgl. Josef Kandler, Art. Licentia, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht (Anm. 17), S. 291 – 294.
Cor orans – einige Fragen an die Instruktion
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IV. Abschluss Im Rechtsleben treten immer wieder neue Fragen auf. Wie diese aktuellen Fragen der Ordensgemeinschaften in nächster Zeit gelöst werden können, bietet Raum für durchaus spannende Überlegungen. Diese betreffen auch den jeweiligen Ortsordinarius und die Mitarbeiter/innen seiner Diözese, besonders der Ordinariate, und die Bischofsvikare für die Orden, die einbezogen werden und ihren Anteil an Mitarbeit oder Kontrolle korrekt kennen müssen, um bei Wahrung der gesetzlich vorgesehenen Eigenständigkeit der Vermögensverwaltung der Orden den erforderlichen Beitrag leisten zu können. Der Bischof wird zudem die Grundlagen prüfen und im Blick auf c. 1292 § 1, 2. Halbsatz CIC/1983 in den vorgesehenen Fällen den Vermögensverwaltungsrat und das Konsultorenkollegium einbeziehen. Zu bedenken ist immer, dass der Bischof die Autonomie der Institute zu wahren und zu schützen hat, und damit auch die freie Verfügung über ihr Vermögen respektieren wird. Gleichzeitig sind aber auch die gegenseitigen Beziehungen zu fördern und eine Verarmung an Kirchengut zu vermeiden. Dies gilt nach der Praxis der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens auch für Institute päpstlichen Rechts, die den Diözesanbischof von einem geplanten Verkauf ihrer Güter unterrichten müssen. Das Verhältnis zwischen Ordensinstituten und Diözesen ist in einigen Bereichen, z. B. in der Ausübung des Apostolats der Institute gemäß den cc. 673 – 683 CIC/1983, anders als noch im CIC/1917 klar geregelt, auch wenn vieles noch offen bleibt. In der Zusammenarbeit von Diözesen und Orden zeigt sich die Bedeutung des Zusammenhalts und der beiderseitigen und gegenseitigen Verantwortung aber nicht nur in Fragen des Apostolats, sondern auch in den damit oft verbundenen Vermögensrechtsfragen, die hier anhand von Einzelthemen angesprochen wurden. Der Hauptteil der Kontakte bezieht sich dabei auf Veräußerungen. Dabei muss das Vorgehen aller Beteiligten in wirtschaftlichen Fragen von dem Respekt vor der Eigenständigkeit geprägt sein, genauso aber von der Verpflichtung im Blick auf die Qualität von Kirchenvermögen als Treuhandgut, für das man Verantwortung trägt und das im Sinne der geistlichen Ziele aller Glieder der Kirche begründet ist und wirksam werden muss. Kirchenvermögen soll auch bei den notwendig werdenden Veräußerungen in Kirchenhand bleiben, wenn dies möglich ist. Die Orden selbst befassen sich intensiv mit den offenen Fragen, wie dies durch die Schaffung von neuen Vertretungsstrukturen in den „Ordensgemeinschaften Österreichs“ ausgedrückt wird, um Synergien besser zu nutzen, und ebenso durch vielfältige Ansätze von Zukunftsprozessen. Die Kunst des Aufhörens wird geübt, und darin finden sich oft neue Ansätze, die sich positiv auswirken werden, wenn die „Dringlichkeit zu neuen Wegen“ gesehen und ernsthaft überlegt wird.38
38 Vgl. Benedicta-Maria Kramer, Eine Ordensgemeinschaft hört (auf). Oder: Das Ende des einen ist der Anfang eines anderen, in: Lebendige Seelsorge 70 (2019), S. 120 – 124.
Fragen zur Anwendung der Entlassung durch Dekret gemäß c. 695 CIC/1983 auf bereits verjährte Straftaten und auf nicht-geweihte Mitglieder Von Nikolaus Schöch
I. Einführung C. 2385 CIC/1917 sah für Religiosen, welche den katholischen Glauben aufgegeben hatten,1 und c. 2386 CIC/1917 für diejenigen, die das Kloster verlassen hatten, um mit einem Partner zusammenzuleben, zwar Strafen, nicht jedoch die Entlassung aus dem Institut vor.2 C. 695 wurde als Reaktion auf schwerwiegendes Ärgernis verursachende Verfehlungen neu in den CIC/1983 eingeführt und verpflichtet die Vorgesetzten zu großer Wachsamkeit. Im Gegensatz zur von Rechts wegen eintretenden Entlassung (cf. c. 694 CIC/1983) ist die Entlassung gemäß c. 695 CIC/1983 für Religiosen nicht bloß deklaratorischer, sondern kondemnatorischer Natur.3 C. 729 CIC/1983 dehnt die Anwendung von c. 695 CIC/1983 auf alle Mitglieder von Säkularinstituten und c. 746 CIC/1983 auf alle Mitglieder der Gesellschaften des Apostolischen Lebens aus,4 wobei es gleichgültig ist, ob sie diesen nur mit zeitlicher oder bereits mit ewiger Bindung angehören. Im Folgenden wird als allgemein gebräuchlicher Begriff für alle drei Kategorien jener des kanonischen Lebensverbandes verwendet.
1 Strafen für Religiosen, die den katholischen Glauben aufgegeben hatten, waren gemäß c. 2385 CIC/1917: „exclusio ab actibus legitimis; privatio omnium privilegiorum suae religionis; privatio perpetua, etiam post reditum, vocis activae et passivae; aliis quoque poenis puniri debet ad normam constitutionum“. Vgl. Francesco D’Ostilio, De separatione sodalium ab instituto vitae consecratae, in: Zenon Grocholewski/Vicente Carcel Orti (Hrsg.), Dilexit iustitiam – Studia in honorem Aurelii Card. Sabattani (= Studi giuridici 5), Città del Vaticano 1984, S. 549 – 588, hier S. 568. 2 Strafen für Klosterflüchtlinge (fugitivi) waren gemäß c. 2386 CIC/1917: „privatio officii; suspensio proprio Superiori maiori reservata, si sit in sacris; aliae poenae iuxta constitutiones“, die erst nach der Rückkehr ins Kloster vollziehbar waren. 3 Vgl. Rudolf Henseler, c. 695, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: Februar 2009). 4 Vgl. Velasio De Paolis, La vita consacrata nella Chiesa (= Facoltà di Diritto Canonico di San Pio X, Manuali 4), Venezia 2010, S. 580 – 581; Stephan Haering, Die Entlassung aus einem kanonischen Lebensverband, in: Ludger Müller (Hrsg.), Rechtsschutz in der Kirche (= KRB 15), Zürich/Berlin 2011, S. 107 – 126, hier S. 107.
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Die obligatorische Entlassung gemäß c. 695 CIC/1983 ist sowohl von der von selbst eintretenden Entlassung (ipso facto) gemäß c. 694 CIC/1983 als auch der fakultativen Entlassung gemäß c. 696, § 2 CIC/1983, die einen Verweis auf weitere Entlassungsgründe gemäß dem Eigenrecht enthält, klar zu unterscheiden. Verschiedene Autoren betrachten die Tatbestände von c. 695 § 1 CIC/1983 als Straftaten und die obligatorische Entlassung als Strafe.5 Vertritt man die Ansicht, die obligatorische Entlassung gemäß c. 695 CIC/1983 sei strafrechtlicher Natur, so hat dies bedeutsame Folgen nicht rein theoretischer Art. Es ist daher nicht gleichgültig, ob die auferlegte Entlassung von einer kirchlichen Strafe oder von einer Disziplinarmaßnahme herrührt. Wäre sie strafrechtlicher Natur, so wäre dieser Kanon nur auf jene Mitglieder kanonischer Lebensverbände anwendbar, die wenigstens die Diakonatsweihe empfangen haben. Männliche Mitglieder, die nicht Kleriker sind, sowie weibliche Mitglieder kanonischer Lebensverbände wären nicht obligatorisch zu entlassen, obwohl sie eine schwerwiegende Straftat gegen das fünfte oder das sechste Gebot begingen und meist großes Ärgernis erregten. Zudem würde c. 695 CIC/1983 bei einer solchen Betrachtungsweise der fünfjährigen Verjährungsfrist gemäß c. 1362 § 1 Nr. 2 CIC/1983 unterliegen und es wären die strafrechtlichen Kanones (vgl. cc. 1321, 1327 CIC/1983) zur Anrechenbarkeit sowie die Gründe, die zum Ausschluss (vgl. c. 1323 CIC/1983), zur Milderung (vgl. c. 1324 CIC/1983)6 oder zur Verschärfung (vgl. c. 1327 CIC/1983) der Strafe führen, zu berücksichtigen.7 Bereits bei Vorliegen von Gründen zur Milderung der Strafe würde die Verpflichtung des Oberen zur Entlassung enden.8 Der Versuch einer solchen Straftat verpflichtet gemäß c. 1328 CIC/1983 nicht zur Entlassung.9 Dass es sich um eine offene Frage handelt, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Schreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte aus dem Jahr 2011 an die Präsidenten der Bischofskonferenzen, ob die Entlassung aus einem Ordensinstitut eine
5 Vgl. Domingo J. Andres Gutiérrez, Der Zölibat der Religiosen und die christliche Ehe. Unterschiede und Konvergenzen gemäss den Normen des CIC, in: DPM 17/18 (2010/2011) 25 – 26; Vincenzo Mosca, Le procedure per la perdita dello stato clericale, in: Gruppo italiano docenti di diritto canonico (Hrsg.), I giudizi nella Chiesa. Processi e procedure speciali, Milano 1999, S. 311 – 362, hier S. 332; Stephan Haering, Entlassung (Säkularisierung), in: Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayr/Josef Kandler (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, St. Ottilien 2015, S. 162 – 168, hier S. 164. 6 Vgl. Dominicus M. Meier, Rechtsschutz, in: Dominicus M. Meier/Elisabeth KandlerMayr/Josef Kandler (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, St. Ottilien 2015, S. 387 – 399, hier S. 396. 7 Vgl. Henseler, c. 695 (Anm. 3). 8 Vgl. Velasio De Paolis, Irregolarità e sanzioni penali; in: PerRCan 88 (1999), S. 689 – 724, hier S. 722 – 724. 9 Vgl. D’Ostilio, De separatione (Anm. 1), S. 581.
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Strafe sei oder nicht.10 Wilhelm Rees fragt zu Recht, ob sie als Strafe oder als Ordnungsmaßnahme zu betrachten ist.11
II. Die Definition von Strafe Der kanonische Begriff der Straftat (lateinisch „delictum“) hat ein objektives, die äußere Gesetzesverletzung betreffendes und ein subjektives Element, nämlich das Vorliegen einer strafrechtlich relevanten Schuld (Schuldhaftung), die in einem Tun, aber auch in einem Unterlassen des Gebotenen bestehen kann.12 Im Gegensatz zur früheren Rechtslage hat das geltende kirchliche Gesetzbuch bewusst darauf verzichtet, näher zu definieren, was unter einer Kirchenstrafe zu verstehen ist.13 Astigueta hält heute noch für die Definition des Begriffs Strafe c. 2215 CIC/ 1917 für relevant: „Poena ecclesiastica est privatio alicuius boni ad delinquentis correctionem et delicti punitionem a legitima auctoritate inflicta“. Das erste und wichtigste Element betrifft den Inhalt von Strafe: es handelt sich um den Entzug eines Gutes, welches spiritueller Natur sein kann, wie etwa das Verbot, Sakramente zu spenden oder zu empfangen, oder zeitlicher Natur, wie der Entzug eines Amtes.14 Als Zielsetzung nennt der zitierte Kanon: die „correctio delinquentis“ (Zurechtweisung des Täters) und die „punitio delicti“ (Bestrafung der strafbaren Handlung). Nur an anderen Stellen des CIC/1917 werden sonstige Strafzwecke wie die Wiederherstellung der Gerechtigkeit15 oder die Wiedergutmachung eines Ärgernisses16 genannt. Can. 1341 CIC/1983 nennt als Zwecke der Strafe: scandalum reparare, iustitiam restituere, reum emendare.17 Die Strafe ist nicht Selbstzweck, sondern hat das Ziel, das Ärgernis zu beheben, die verletzte Ordnung wiederherzustellen und die Person zu
10
Vgl. PCLT, Schreiben an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen v. 26. 07. 2011 (Prot. Nr. 13250/2011). 11 Vgl. Wilhelm Rees, Koordiniertes Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch. Die Normen der Kongregation für die Glaubenslehre über die delicta graviora vom 21. 05. 2010, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch (= WTh 9), Würzburg 2013, S. 67 – 136, hier S. 98. 12 Vgl. Wilhelm Rees, Straftat und Strafe, in: HdbKathKR3, S. 1591 – 1614, hier S. 1594. 13 Vgl. PCR, Coetus studiorum de iure poenali, in: Com 8 (1976), S. 169. 14 Vgl. Damián G. Astigueta, La pena come sanzione. Un contributo su questo concetto, in: PerRCan 101 (2012), S. 501 – 534, hier S. 504. 15 Vgl. c. 1948, n. 3; c. 1952 § 1; c. 1954 CIC/1917. 16 Vgl. c. 1935 § 1 CIC/1717, c. 1948 CIC/1917. c. 1952 § 1 CIC/1917; vgl. Alfred E. Hierold, Vom Sinn und Zweck kirchlicher Strafe, in: FS Heinemann (60), S. 331 – 341, hier S. 334 – 337. 17 Vgl. Klaus Lüdicke, vor c. 1311, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: Juli 1992).
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bessern. Diese Elemente sind in jeglicher Art von Strafe gegenwärtig und stellen das Kriterium für die Unterscheidung dar.18 Zu Recht übersetzt Klaus Lüdicke den Begriff „sanctio“ mit den allgemeinen Begriffen „Sanktion, verbietende Maßnahme“ ins Deutsche und nur im Zusammenhang mit dem Adjektiv „poenalis“ mit „Strafmaßnahme“. Der Begriff „sanctio poenalis“ findet sich ausdrücklich in c. 1311. Als kirchliche Strafen werden daher nur jene Sanktionen bezeichnet, welche direkt darauf abzielen, das Gemeinwohl zu schützen. Sie können angesichts einer Straftat auf Gläubige, die der katholischen Kirche angehören, angewandt werden. Diese Strafen sind formell im 4. Titel des VI. Buches des CIC/1983 enthalten19 und von Disziplinarmaßnahmen sowie der sakramentalen Buße im forum internum zu unterscheiden.20 Mit Ausnahme von c. 1399 CIC/1983 gilt auch im kanonischen Recht der Grundsatz: nulla poena sine lege. Die Strafe ist die Antwort auf eine Handlung, welche das Gesetz verletzt, denn ohne Verletzung des Gesetzes darf keine Strafe verhängt werden.21
III. Der Verweis auf strafrechtliche Tatbestände Bereits seit dem Schema von 1977 ist klar, dass taxativ aufgezählte Straftaten, die in den Strafgesetzen des CIC/1983 ausdrücklich genannt werden, die obligatorische Entlassung begründen.22 Der Gesetzestext von c. 695, § 1 CIC/1983 selbst spricht ausdrücklich von der obligatorischen Entlassung23 aufgrund von Straftaten („delicta“) und definiert die Tatbestände ausschließlich durch den Verweis auf die strafrechtlichen Kanones 1397, 1398 und 1395 CIC/1983.24 Straftaten, die zu einer obligatorischen oder bedingt obligatorischen Entlassung führen, sind entweder dem 5. oder dem 6. Gebot des Dekalogs zuzurechnen. Die Tatbestände gegen das fünfte Gebot umfassen Taten gegen Leben und Freiheit des Menschen wie Mord, schwere Körperverletzung, durch Gewaltanwendung oder durch arglistige Täuschung herbeigeführte Entführung (vgl. c. 1397 CIC/1983) sowie die Mitwirkung an einer vollendeten Abtreibung (vgl. c. 1398 CIC/1983). 18
Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14) S. 505 – 506. Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14) S. 522. 20 Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14) S. 505 – 506. 21 Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14) S. 505 – 506. 22 „C. A: Ob delicta de quibus in cc. 54, 84, 85, 87 et 88 (de sanctionibus) sodalis ab Instituto dimitti debet“ (Com 13 [1981], S. 341). 23 Vgl. Stephan Haering, Strafe oder Sanktion. Überlegungen zum ordensrechtlichen Institut der auferlegten Exklaustration, in: FS Müller (65), S. 515 – 532, hier S. 526 – 527; Vgl. Henseler, c. 695 (Anm. 3) Rdnr. 1; Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 726; Andres Gutiérrez, Der Zölibat (Anm. 5) S. 25 – 26. 24 Vgl. Henseler, c. 695 (Anm. 3) Rdnr. 1. 19
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Die Tatbestände gegen das sechste Gebot sind bei den Mitgliedern kanonischer Lebensverbände besonders schwerwiegend, da sie sich durch Gelübde oder sonstige Versprechen auf die Einhaltung des evangelischen Rats der ehelosen Keuschheit25 verpflichtet haben. Sie umfassen: 1. eheähnliche stabile Intimbeziehungen mit derselben Person, Konkubinat oder andere nach außen in Erscheinung tretende, Ärgernis erregende und wiederholte sexuelle Vergehen (vgl. c. 1395 § 1 CIC/1983); wiederholter Inzest, Ehebruch und homosexuelle Handlungen. Die Klausel ”cum scandalo” bedeutet, dass diejenigen, die den Täter kennen, einen negativen Eindruck haben und auf irgendeine Art und Weise in Versuchung geführt werden.26 Es genügen nicht ein oder zwei Vergehen, sondern es ist eine Serie von rechtswidrigen Handlungen erforderlich. Dabei ist es nicht notwendig, dass die Handlungen stets mit der gleichen Person begangen wurden; 2. sonstige Sexualdelikte (vgl. c. 1395 § 2 CIC/1983), d. h. sexuelle Handlungen: – mit physischer Gewaltanwendung wie etwa eine Vergewaltigung. Die physische Gewalt meint jegliche Art physischer Mittel, welche die Willensfreiheit unmittelbar einschränken; sie unterscheidet sich von der Drohung, die lediglich Furcht einflößt, insofern sie die Handlungsfreiheit der Person physisch behindert: in beiden Fällen wird eine Straftat begangen27; – unter Androhung schwerwiegender künftiger Übel wie z. B. das Haus anzuzünden oder einen Verwandten zu töten28 oder Nötigung; der Kanon handelt nicht von der Verführung, die auf Schmeicheleien und Versprechungen beruht.29 Um wirksam zu sein, muss die Drohung in ihrer Natur von jenem in die Tat umgesetzt werden können, der damit droht, oder zumindest von einem von ihm beauftragten Dritten;30 – in der Öffentlichkeit31 oder an öffentlich zugänglichen Orten (z. B. Exhibitionismus);
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Vgl. Andres Gutiérrez, Der Zölibat (Anm. 5) S. 25 – 26. Vgl. Apostolische Signatur, Endgültiges Urteil coram Coccopalmerio, 22. 06. 2002, Prot. Nr. 31290/00 CA, in: Pio Vito Pinto, Diritto amministrativo canonico, Bologna 2006, S. 511. 27 Vgl. De Paolis, La vita consacrata (Anm. 4) S. 579. 28 Vgl. Antonio Calabrese, Istituti di vita consacrata e Società di vita apostolica, Città del Vaticano 21997, S. 313; Andres Gutiérrez, Der Zölibat (Anm. 5) S. 26. 29 Vgl. Domingo Andrés Gutierrez, Le forme di vita consacrata. Commentario teologicogiuridico al Codice di diritto canonico (Institutum iuridicum Claretianum, Manualia 3), Rom 5 2005, S. 668. 30 Vgl. Claudio Papale, Il can. 1395 e la connessa facoltà speciale di dimissione dallo stato clericale in poenam, in: Ius Missionale 2 (2008), S. 39 – 58, hier S. 47 – 48. 31 Vgl. Francis G. Morrisey, c. 695, in: Comentario exegetico 21997, Bd. II/2, S. 1772 – 1775, hier S. 1773. 26
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– an einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren bzw. wenn der Täter Kleriker ist, unter achtzehn Jahren32. Die Entlassung ist auch dann obligatorisch, wenn eines der sonstigen Sexualdelikte nur einmal, durch einen einzigen Akt begangen wurde, sofern es schwerwiegend ist und nicht nur gegen das Gelübde der Keuschheit, sondern auch gegen das Naturrecht verstößt. Ihre Anwendung war von Anfang an sowohl auf Mitglieder mit zeitlichen als auch auf Mitglieder mit ewigen Gelübden vorgesehen33, ohne dass noch Ermahnungen oder eine Gelegenheit zur Besserung gewährt werden mussten. Diese sind hingegen bei der fakultativen Entlassung aufgrund des kodikarischen und des Eigenrechts erforderlich.34 Der CCEO kennt in c. 497 die Entlassung ipso facto wie in c. 694 CIC/ 1983, nicht aber die obligatorischen Entlassungsgründe gemäß c. 695 CIC/198335. Er nennt jedoch Gründe, bei denen vom Erfordernis der zwei Ermahnungen vor der Entlassung abgesehen werden kann.36 Bei der Sitzung der PCR wurden die Kanones des zweiten Teils des sechsten Buches gelesen („De poenis in singula delicta“), um zu sehen, ob man über die in den cc. 54, 84, 85, 87 e 88 des Schemas von 1977 genannten Straftaten hinaus weitere Straftaten in Betracht ziehen sollte. In Erwägung gezogen, aber wieder fallen gelassen, wurde die Straftat des Wegwerfens der eucharistischen Gestalten oder deren Entwendung in sakrilegischer Absicht sowie deren Zurückbehaltung (vgl. c. 1367 CIC/ 1983), weil sie meist im Verborgenen erfolgt und schwer nachzuweisen ist. Der fünfte Konsultor wollte als Gründe für die obligatorische Entlassung alle Delikte wählen, bei denen als Höchststrafe die obligatorische Entlassung aus dem geistlichen Stand genannt wird. Er wollte die ipso facto Folge des Gerichtsurteils der Entlassung aus dem geistlichen Stand mit der Folge der Entlassung aus dem kanonischen Lebensverband verbinden. Der Sekretär entgegnete, Verfahren, die mit der Entlassung aus dem geistlichen Stand enden, seien sehr selten. Alle Mitglieder stimmten schließlich für die Entlassung ipso facto bei öffentlichem Abfall vom katholischen Glauben und bei einer versuchten Eheschließung.37 32
Vgl. Andres Gutiérrez, Der Zölibat (Anm. 5) S. 25 – 26. Vgl. c. 82, § 1: „Delicta de quibus in cc. …… a religioso sive a votis temporalis sive a votis perpetuis commissa causa sunt dimissionis ab Instituto“ (Com 13 [1981], S. 345). 34 Vgl. c. 82, § 2: „Perpetratio aliorum delictorum sive in iure universali recensitorum a Constitutione (iure proprio) constitutorum a religioso facta causa dimissionis esse non potest nisi incorregibilitas aut contumacia in mala voluntate per duplicem saltem canonicam monitionem cum comminatione secuturae dimissionis probata fuerit“ (Com 13 [1981], S. 345). 35 Vgl. Juan Miguel Anaya Torres, La dimissione dei religiosi. Un percorso storico che mostra l’interesse pastorale della Chiesa, in: PerRCan 97 (2008), S. 283 – 324, hier S. 307; Jobe Abbass, Dismissal from Religious Institutes of the Latin and Eastern Catholic Churches, in: CRM 78 (1997) S. 361 – 392, hier S. 366. 36 Vgl. c. 500, § 2, n. 2 CCEO; Anaya Torres, La dimissione (Anm. 35) S. 304. 37 „Si esamina la questione delle cause di dimissione, ed il quarto Consultore fa notare che tra dette cause ha lasciato fuori l’eresia, lo scisma e l’apostasia, perché questi delitti vengono 33
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Im c. 621 § 1 des Schemas von 1980 wird bereits ausdrücklich von der obligatorischen Entlassung aufgrund von „delicta“ gesprochen und diese von der Entlassung ipso facto unterschieden. Der Text des Schemas von 1982 wurde dann in den CIC/ 1983 übernommen.38 Der Grund der Entlassung liegt sowohl bei der Entlassung ipso facto (vgl. c. 694 § 1 Nr. 1 CIC/1983) als auch bei der obligatorischen Entlassung (vgl. c. 695 CIC/ 1983) in einer Straftat, die formell in einem Strafgesetz des sechsten Buches des CIC/1983 enthalten und dort genauer beschrieben ist. Es besteht kein Zweifel, dass c. 695 CIC/1983 die Beschreibung der Tatbestände für Straftaten aus c. 1395 CIC/1983 übernimmt. Auf das Strafrecht verweist das Wort „zurechenbar“ („imputabilis“) in c. 695 § 2 CIC/1983 dessen Inhalt in den strafrechtlichen Canones 1321 bis 1330 genauer erklärt wird. Allerdings nennt auch c. 696 CIC/1983, der keine strafrechtlichen Tatbestände aufzählt, das Adjektiv „imputabilis“ („zurechenbar“). Sowohl c. 695 § 2 als auch c. 696 § 2 CIC/1983 verlangen schwerwiegende Gründe.39 Die Tatbestände des c. 695 § 1 CIC/1983 sind Straftatbestände. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff „delicta“ und setzt die „imputabilitas“ voraus, damit der Ausschluss aus dem kanonischen Lebensverband, eintritt.40 Da es sich in beiden Fällen um strafrechtlich
già esaminati dal Vescovo e dalla S. Congregazione per la Dottrina della Fede. Mons. Segretario: Osserva che nel suo schema ha pensato di sviluppare chiaramente le cause, nel supposto che la maggior parte delle Costituzioni non lo farà. Si leggono nello schema ,De sanctionibus in Ecclesia‘ i delitti descritti nella ,Pars Secunda: De poenis in singula delicta‘, per vedere se oltre i delitti di cui ai cc. 54, 84, 85, 87 e 88, si debbano prendere in considerazione o meno altri delitti. Sorge qualche dubbio solo se considerare il delitto della profanazione delle Sacre Specie. Ma tutto sommato si esclude anche questo caso, sia perché chi commette questo delitto è un pazzo, sia perché resta piuttosto segreto ed è difficile provarlo. Il quinto Consultore: Vorrebbe mettere come causa di dimissione tutti i delitti che comportano la dimissione dallo stato clericale, dicendo che la sentenza che porta alla dimissione dallo stato clericale comporta ipso facto la dimissione dall’Istituto religioso. Mons. Segretario: Osserva che questa norma di una dimissione ,automatica‘ dallo stato religioso sarebbe di poca utilità, perché i processi di dimissione dallo stato clericale sono molto rari. Riguardo ai delitti le cui fattispecie e relative sanzioni sono stabilite nei cc. 54 (apostata a fide, haereticus vel schismaticus), 84 (clericus matrimonium, etiam civile tantum, attentans), 85 (clericus concubinarius), 87 (qui homicidium patrat) e 88 (qui abortum procurat), non appare alcun dubbio circa la necessità di considerare tali delitti come cause di dimissione. Il Relatore: Sottolinea l’importanza di includere il c. 88 tra i delitti e tra le cause di dimissione, perché in alcuni luoghi sta venendo meno la sensibilità morale in merito. Tutti concordano“ (Com 13 [1981], S. 346); „Ipso facto: due cause a) fide catholica publice defecerit; b) matrimonium contraxerit vel, etiam civile tantum attentaverit, come nel c. 694“ (Com 13 [1981], S. 347). 38 Vgl. c. 695, § 1 Schema CIC 1982; c. 695, § 1 CIC/1983. 39 Vgl. Apostolische Signatur, Endgültiges Dekret coram Silvestrini vom 05. 05. 1990, in: ME 11 (1990) 487 – 492, hier S. 488, Nr. 5. 40 Vgl. Bruno Primetshofer, Ordensrecht auf der Grundlage des Codex Iuris Canonici 1983 unter Berücksichtigung des staatlichen Rechts der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs und der Schweiz, Freiburg i. Br. 42003, S. 283.
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relevante Tatbestände handelt, sind nicht nur die objektiven, sondern auch die subjektiven Tatbestandskriterien relevant.
IV. Die Wirkungen Die Entlassung bedeutet zweifellos einen erheblichen und immerwährenden Verlust von Rechten41, was zur Definition von Strafe gemäß c. 2215 CIC/1917 zu passen scheint. Für das Mitglied wird sie vielfach als Strafe erscheinen, da es seine materielle wie spirituelle Lebensgrundlage auf Dauer auf die Gemeinschaft gesetzt hat42 und diese ihm genommen wird. Das entlassene Miglied verliert jegliche rechtliche Bindung an die Gemeinschaft und ist nicht mehr an die Gelübde oder sonstige Versprechungen gebunden.43 Die Entlassung beinhaltet den Verlust eines Standes in der Kirche (status), mit dem Rechte und Pflichten verbunden sind, die dem Subjekt entzogen bzw. von denen es befreit wird.44 Zugleich verliert es den Anspruch auf Unterhalt. Lediglich aufgrund der kanonischen Billigkeit soll dem offensichtlich in Not geratenen Mitglied eine Unterstützung zuteil werden. Alle Formen der Entlassung von Mitgliedern aus einem kanonischen Lebensverband45 sieht das Lehrbuch von Aymans-Mörsdorf-Müller als Sühnestrafen: „Diese Maßnahme ist als Sühnestrafe für immer zu qualifizieren, wird aber – anders als ansonsten im kodikarischen Sanktionsrecht vorgesehen – nicht von einem Gericht verhängt“.46 Leider wird im zitierten Lehrbuch kein Grund für diese Betrachtungsweise angegeben, was unbedingt erforderlich wäre, da der CIC/1983 die Entlassung in der Liste der Sühnestrafen (vgl. c. 1336) nicht erwähnt. Im Lehrbuch wird weiters behauptet, die Entlassung habe zusätzlich zu anderen Sanktionen zu erfolgen, wobei allerdings unberücksichtigt bleibt, dass die in c. 1395, §§ 1 – 2 CIC/1983 angeführten Strafen nur Kleriker betreffen und auf sonstige Mitglieder der Institute nicht anwendbar sind. Die Entlassung bedeutet nicht nur den Verlust von Rechten und kann deshalb nicht einfach als Strafe für das Mitglied eines kanonischen Lebensverbandes betrachtet werden, welches grundlegende Pflichten seines Lebensstandes übertreten hat. Sie ist aufgrund der mit ihr verbundenen Dispens von den Gelübden, Versprechen und sonstigen Standespflichten auch eine Gnade.47 41
Vgl. Haering, Strafe (Anm. 23) S. 526 – 527. Vgl. Rees, Straftat (Anm. 12) S. 1603, Fn. 49. 43 Vgl. c. 701 CIC/1983; Haering, Die Entlassung (Anm. 4) S. 108. 44 Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14) S. 524. 45 Vgl. cc. 694 – 704 CIC/1983; cc. 497 – 503 CCEO. 46 So ausdrücklich Ludger Müller, in: Aymans/Mörsdorf/Müller, KanR IV, S. 190. 47 Vgl. Dariusz Borek, La dimissione dei religiosi a norma del c. 694 del Codex del 1983: è una pena espiatoria latae sententiae?, in: CRM 81 (2000) S. 67 – 95, hier S. 95. 42
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Borek folgt De Paolis und hält die Entlassung ipso facto auf Grund von c. 1394 CIC/1983 nicht für eine Sühnestrafe. Noch weniger hat sie den Charakter einer Beugestrafe. Trotz des endgültigen Verlusts der Zugehörigkeit zum kanonischen Lebensverband und auch aller damit verbundenen Rechte und Pflichten ist sie keine Strafe.48
V. Der Zweck der obligatorischen Entlassung Die Religiosenkongregation ließ sich vor In-Kraft-Treten des CIC/1983 bei der Entlassung vor allem von zwei Kriterien leiten: dem Erfordernis des Gemeinwohls des Instituts, welches ein Recht hat, den eigenen guten Namen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu wahren.49 Der Sekretär der Kommission, Rosalio Castillo Lara, erklärte, dass bei der obligatorischen Entlassung nur der Tatbestand und das Bewusstsein („consapevolezza“) festgestellt werden müssen, bevor die Entlassung ausgesprochen wird. Es handelt sich jedoch weder um eine Entlassung ipso facto, noch um eine Entlassung aufgrund von Straftaten, bei welchen auch die Hartnäckigkeit und die Unverbesserlichkeit festgestellt werden müssten.50 Die obligatorische Entlassung ist die logische Folge des offenen Widerspruchs zwischen dem Begehen schwerwiegender Handlungen gegen das fünfte oder sechste Gebot und dem Verbleib im Ordensstand.51 Der Stand des Geweihten Lebens gehört direkt zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche.52 Die in den cc. 694 und 695 CIC/1983 genannten Straftaten sind mit der Nachfolge Christi, der Auferbauung der Kirche und dem Dienst am Heil der Welt53 nicht vereinbar. 48
Vgl. Borek, La dimissione (Anm. 47) S. 94. „Le esigenze del bene comune dell’Istituto che ha ugualmente il diritto di salvaguardare il proprio buon nome, il prestigio della Chiesa su cui genericamente si riversano le critiche dei malevoli, ed infine, gli interessi spirituali“ (Giuseppe Lobina, La separazione dei religiosi dall’istituto, in: Apoll 56 [1983], S. 115 – 146, hier S. 127). 50 „Mons. Segretario: Ricordo che si tratta di delitti tassativamente configurati per i quali l’unica cosa da fare è accertare il fatto e la consapevolezza prima di procedere alla dimissione. Non è una dimissione ,ipso facto‘, e neppure un dimissione a causa di delitti per i quali è da prendersi anche in considerazione la contumacia e l’incorreggibilità“ (PCR, Ansprache des Sekretärs, Rosalio José Castillo Lara, vom 8. März 1980 zum Schema „De Institutis vitae consecratae per professionem consiliorum evangelicorum“, in: Com 13 [1981], S. 347). 51 Vgl. David-Maria A. Jaeger, Alcuni appunti sui religiosi nel Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: Kuriakose Bharanikulangara (Hrsg.), Il diritto canonico orientale nell’ordinamento ecclesiale (= Studi giuridici 34), Città del Vaticano 1995, S. 164 – 190, hier S. 189. 52 Vgl. cc. 207, § 2; 574, § 1; 607, § 1 CIC/1983; LG 44d. 53 Vgl. c. 573, § 1 CIC/1983. 49
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Der Zweck der obligatorischen Entlassung stimmt nicht mit dem Zweck von Kirchenstrafen überein. Sie möchte nicht ein schwerwiegendes Verhalten ahnden oder das Mitglied eines kanonischen Lebensverbandes zur Einsicht führen, sondern die Gemeinschaft vor dem Schaden bewahren, den ein Mitglied, das nicht nur die Gelübde bzw. Versprechen, sondern die Grundsätze der christlichen Moral überhaupt verletzt, der Gemeinschaft zufügt. Begeht ein Mitglied, selbst mit mildernden Umständen, eine Abtreibung oder gar einen Mord, dann kann wohl kaum behauptet werden, es sei in der Lage, ein Leben gemäß den öffentlichen Gelübden oder Versprechen zu führen.54 Der Gesetzgeber betrachtet nicht nur fortdauerndes Verhalten, sondern auch einzelne Akte aufgrund ihrer Natur als so schwerwiegend, dass es eine objektive Unvereinbarkeit zwischen der Vornahme einer solchen Handlung und der Zugehörigkeit zum Stand des Geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des Apostolischen Lebens bewirkt.55 Nach D’Ostilio erfolgt die Entlassung vor allem zum Wohl des kanonischen Lebensverbandes selbst, da ein Mitglied durch seine Straftaten den übrigen Mitgliedern des kanonischen Lebensverbandes ein schlechtes Beispiel gibt. Es soll vermieden werden, dass andere Mitglieder negativ beeinflusst oder Kandidaten von einem Eintritt abgehalten werden. Weiters dient die Entlassung der Behebung des Ärgernisses und der Vorbeugung eines Niedergangs des Instituts. Das Institut ist nicht verpflichtet, denjenigen zu erhalten, der seine Bindungen nicht nur vernachlässigt, sondern offen entgegengesetzt handelt.56 Bei der obligatorischen Entlassung wird deutlich, dass es nicht um die Besserung des Täters, sondern um die Aufrechterhaltung der Ordnung und um die Glaubwürdigkeit der Kirche sowie ihrer Institutionen geht. Von den von Eichmann genannten Strafzwecken bleiben bei der obligatorischen Entlassung nur Abschreckung und Genugtuung57. Die Funktion der Abschreckung ist auch die von Ludger Müller für Sühnestrafen genannte Wirkung von Kirchenstrafen.
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Vgl. De Paolis, Irregolarità (Anm. 8) S. 722 – 724. Vgl. Jaeger, Alcuni appunti (Anm. 51) S. 189. 56 Vgl. „Dimissio primario fit ad bonum religionis, cum aliquis sodalis malo suo exemplo, instigationibus, vexationibus, collocutionibus, etc. periculosus evadat, et bonum Instituti exigit ut dimittatur ne alios corrumpat vel totum Institutum maculet; quia si alii eius exemplo possint infici, si retineatur, et alii offendantur quod in religione retineatur, tum ad scandalum auferendum tum ratione corruptionis Instituti praecavendae, eici debet ut praevaricator voti et pacti sui, cum iam Institutum non teneatur ei de promisso eum secum tenendi, qui promissum suum praevaricando pluries violavit“ (D’Ostilio, De separatione [Anm. 1], S. 560). 57 Vgl. Eduard Eichmann, Lehrburch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, II. Band, Sachenrecht II–VI, Prozeßrecht, Strafrecht, Paderborn 41934, S. 341 und Dagmar Schaaf, Kirchlicher Strafanspruch. Die Begründung der kirchlichen Strafgewalt vom Ius Publicum Ecclesiasticum bis zum CIC/1983 (= AIC 43), Frankfurt a. M. 2007, S. 149 – 151. 55
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Sie sollen den Täter und mögliche weitere Täter durch Androhung, Verhängung und Vollstreckung von Rechtsminderungen vom Begehen von Straftaten abhalten.58 Das vom Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte erarbeitete Schema für die Revision des Strafrechts aus dem Jahr 201159 erwähnt als Strafzwecke jene des c. 1341 CIC/1983, allerdings in umgekehrter Reihenfolge: an erster Stelle steht die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, es folgt die Besserung des Täters und der in c. 1341 CIC/1983 an erster Stelle genannte Zweck der Behebung des Ärgernisses rückt an die letzte Stelle.60 Abschreckung und Prävention treten bei der Reform und der Anwendung des Strafrechts in jüngster Zeit immer mehr in den Vordergrund. Die Besserung des Täters bleibt außer Acht. Jedes Bemühen um eine Besserung bleibt vergebens, da sie nicht zu einer Wiederaufnahme in den Verband führt. Zur Rückkehr in den Verband wird der Beschuldigte nicht nur nicht aufgefordert, sondern im Gegenteil davon abgehalten.61 Von den von Peter Krämer genannten Zielsetzungen der kirchlichen Strafe dient die Entlassung nur der Wahrung der Identität der Kirche, ihrer Gemeinschaftsordnung und ihrer Glaubwürdigkeit62 angesichts eines möglichen Versagens einzelner Glieder. Sie zeigt dem Fehlgegangenen ebenso wie der kirchlichen Gemeinschaft, dass die Kirche ihrem Heilsauftrag treu bleibt.63 Eine Abschreckungsfunktion kommt der Entlassung aus der Ordensgemeinschaft durchaus zu. Die Strafzwecke werden mit der obligatorischen Entlassung nur teilweise erreicht, so dass ihre Wirkungen keine Einordnung unter die Strafzwecke erforderlich machen.
58 Vgl. Ludger Müller, Warum und wozu kirchliche Sanktionen?, in: Ders. (Hrsg.), Strafrecht in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch (= KRB 9), Berlin 2006, S. 183 – 202, hier S. 196 f. 59 Vgl. Elmar Güthoff, Ein Überblick über die im ersten Teil des Strafrechts des CIC (cc. 1311 – 1363) geplanten Änderungen, in: AfkKR 181 (2012), S. 75 – 89, 78; Juan Ignacio Arrieta, Il progetto di revisione del Libro VI del Codice di diritto canonico, in: AfkKR 181 (2012), S. 57 – 64. 60 Vgl. Wilhelm Rees, Strafe und Strafzwecke – Theorien, geltendes Recht und Reformen, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen der kirchlichen Strafechtsentwicklung, Paderborn 2017, S. 23 – 60, hier S. 55. 61 Vgl. Peter Krämer, Strafen in einer Kirche der Liebe, in: Ludger Müller (Hrsg.), Strafrecht in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch (= KRB 9), Berlin 2006, S. 9 – 22, hier S. 22; Vgl. Borek, La dimissione (Anm. 47) S. 93. 62 Vgl. Sabine Demel, Abtreibung zwischen Straffreiheit und Exkommunikation. Weltliches und kirchliches Strafrecht auf dem Prüfstand, Stuttgart/Berlin/Köln 1995, S. 305. 63 Vgl. Pahud de Mortanges, Zwischen Vergebung und Vergeltung. Eine Analyse des kirchlichen Straf- und Disziplinarrechts (= Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten Strafrechtswissenschaft, 3. Folge, Bd. 239), Baden-Baden 1992, S. 35 – 43.
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VI. Die Anwendung der Entlassung auf verjährte Straftaten Die Kongregation für die Institute des Geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens betrachtet in ihrer Praxis die obligatorische Entlassung nicht als Strafe und wendet diese auch auf verjährte Straftaten und auf Nichtkleriker an.64 Diese Vorgangsweise erinnert an die Disziplinarmaßnahmen des kirchlichen Dienstrechts. Der Grundsatz, dass im kirchlichen Dienstrecht Verjährungstatbestände nicht zu berücksichtigen sind, wurde in modifizierter Form im CIC/1917 (cc. 1704 Nr. 2; 2147 § 2; 2222 § 2) und im CCEO (c. 1154 Nr. 2) weitergeführt. Der CIC/1983 schweigt hingegen an diesem Punkt. Diese lacuna legis eröffnet den Interpretationsspielraum für unterschiedliche Positionen. Disziplinarmaßnahmen zum Wohl der kirchlichen Gemeinschaft, die keinen Strafcharakter haben und die verhängt werden können, ohne dass der Nachweis moralischer Schuld erbracht worden ist, unterliegen nicht der Verjährung. Die Entlassung als Disziplinarmaßnahme aus Gründen, die keine Straftaten darstellen, ist in cc. 696 – 702 CIC/1983 geregelt. Auch auf sie findet die Verjährung keine Anwendung.
VII. Die Anwendung der obligatorischen Entlassung auf Nicht-Kleriker Mit einer Sühnestrafe belegt wird nur die nicht verjährte, vorsätzliche65 und zurechenbare in c. 1397 CIC/1983 genannte Straftat eines jeglichen Mitgliedes eines kanonischen Lebensverbandes sowie mit der Exkommunikation latae sententiae jene in c. 1398 CIC/1983. Bei jenen, die zugleich dem Klerikerstand angehören, ist auch die Bestrafung mit der Suspension aufgrund von c. 1395 §§ 1 – 2 CIC/ 1983 obligatorisch.66 Nach Verwarnung können Sühnestrafen bis zur Entlassung aus dem geistlichen Stand verhängt werden. De Paolis kritisiert zu Recht, dass c. 695 § 1 CIC/1983 irreführend redigiert ist, da er bestimmt, ein Religiose müsse wegen der Straftaten, von denen in cc. 1397, 1398 und 1395 CIC/1983 die Rede ist, entlassen werden. Doch sind genau die in c. 1395 §§ 1 – 2 CIC/1983 genannten Straftaten nur auf Kleriker, nicht aber auf sonstige Mitglieder eines kanonischen Lebensverbandes anwendbar.67 64 Vgl. als Beispiele aus jüngerer Zeit können angeführt werden: Kongregation für die Institute des Geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens, Dekrete vom 18. Juli 2017 und 15. Oktober 2018 (cf. prot. n. 54615/2015 und 56209/2015) sowie Apostolische Signatur, Dekret des Präfekten im Kongress vom 9. Mai 2019 (prot. n. 53179/17 CA). Keines dieser Dekrete wurde bisher veröffentlicht. 65 Vgl. c. 1321 § 1 CIC/1983; c. 1414 § 1 CCEO. 66 Vgl. Rees, Straftat (Anm. 12) S. 1594. 67 Vgl. De Paolis, La vita consacrata (Anm. 4), S. 580 – 581.
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C. 695 § 1 CIC/1983 ist jedoch ohne jeglichen Unterschied in gleicher Art und Weise auf Männer und Frauen, auf Personen mit zeitlichen oder ewigen, einfachen oder feierlichen Gelübden bzw. Versprechen anwendbar.68 Er behauptet keineswegs, dass die in c. 1395 CIC/1983 für Kleriker aufgezählten Tatbestände auch für NichtKleriker Straftaten darstellen, sondern meint, dass für Kleriker als Straftaten aufgezählte Tatbestände auch für Nichtkleriker als Mitglieder von Lebensverbänden Gründe für die obligatorische Entlassung darstellen.69 Jene, die Taten begehen, von denen c. 1395 CIC/1983 handelt, sind zu entlassen, auch wenn es sich für sie nicht um Straftaten handelt, da sie keine Kleriker sind. Das Gewicht solcher Verhaltensweisen ist von Seiten eines Mitglieds eines kanonischen Lebensverbandes, das nicht Kleriker ist, nicht weniger schwerwiegend als jenes von Seiten eines Klerikers.70 Es kann jedoch nicht mit der in c. 1395 CIC/1983 vorgesehenen Strafe belegt werden, weil kein Delikt vorliegt. Auf dieses Mitglied kann nur die Entlassung aus der Ordensgemeinschaft Anwendung finden, die aber nur eine Sanktion im Sinne einer Disziplinarmaßnahme darstellt. Es ist auch nicht hilfreich, für die Entlassung von Mitgliedern kanonischer Lebensverbände, die nicht Kleriker sind oder zum Zeitpunkt der Tat noch nicht Kleriker waren, auf cc. 696 – 699 CIC/1983 zu verweisen71, welche sich auf die fakultative Entlassung beziehen und nur unter die bespielhaft formulierten Entlassungsgründe von c. 696 § 1 CIC/1983 fallen.
VIII. Die Autonomie der Entlassung gegenüber der möglichen Strafe Keinesfalls kann die obligatorische Entlassung als Beugestrafe (censura) verstanden werden, da diese in c. 1312 § 1 Nr. 1 CIC/1983 taxativ aufgezählt werden: Exkommunikation, Interdikt und Suspension. Handelte es sich um eine Strafe, wäre sie eine Sühnestrafe.72 Die Entlassung findet sich weder unter den in c. 1336 aufgezählten Beuge- und Sühnestrafen,73 noch in den strafrechtlichen cc. 1395, 1397, 1398 CIC/1983.
68 „Etiam dimissio obligatoria aequalis est pro omnibus sodalibus, viris et mulieribus, a votis temporariis vel perpetuis, simplicibus vel sollemnibus“ (D’Ostilio, De separatione [Anm. 1], S. 561). 69 Vgl. De Paolis, Irregolarità (Anm. 8), S. 722 – 724. 70 Vgl. De Paolis, La vita consacrata (Anm. 4), S. 580. 71 Vgl. Jean Beyer, La dimissione nella vita consacrata, in: Arcisodalizio della Curia Romana (Hrsg.), I procedimenti speciali nel diritto canonico (= Studi giuridici 27), Città del Vaticano 1992, S. 337 – 356, hier S. 349. 72 Vgl. De Paolis, Irregolarità (Anm. 8), S. 722 – 724. 73 Vgl. Haering, Strafe (Anm. 23), S. 526.
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Verletzt ein Mitglied die cc. 1397 oder 1398 CIC/1983, so muss zusätzlich zur im sechsten Buch des CIC/1983 vorgesehenen kanonischen Strafe ein Strafverfahren auf dem Verwaltungsweg geführt werden. Verletzt ein Mitglied, welches Kleriker ist, c. 1395 § 2 CIC/1983, kann es mit der im sechsten Buch vorgesehenen Strafe durch den im siebten Buch vorgesehenen Strafprozess auf dem Gerichts- oder dem Verwaltungsweg bestraft werden.74 Die in c. 694 genannten Straftaten werden gemäß c. 1364 CIC/1983, der sich sowohl auf Kleriker als auch auf Nichtkleriker bezieht, mit der Exkommunikation latae sententiae und nur bei Klerikern gemäß c. 1394 CIC/1983 mit der Suspension latae sententiae bzw. mit dem Interdikt latae sententiae geahndet, wenn das Mitglied des kanonischen Lebensverbandes nicht Kleriker ist.75 Die Beziehung zwischen dem zumindest für Kleriker strafrechtlich relevanten Tatbestand und der Entlassung gemäß c. 695 CIC/1983 ist analog zu sehen mit der Beziehung zwischen dem strafrechtlich relevanten Tatbestand des Glaubensabfalls von c. 694 § 1 Nr. 1 CIC/1983 und einer Irregularität ex delicto für Nichtkleriker und Kleriker in Bezug auf eine eventuelle künftige Weihe gemäß c. 1041 Nr. 2 und für Kleriker gemäß c. 1044 § 1 Nr. 2 CIC/1983 als Irregularität in Bezug auf die Ausübung der Weihe. Diese Irregularität ist ebenso wie jene von Rechts wegen eintretende Entlassung wegen der Delikte der Apostasie, der Häresie und des Schismas (vgl. c. 694 § 1 Nr. 1 CIC/1983) keine zur in c. 1364 CIC/1983 vorgesehenen Exkommunikation hinzukommende zusätzliche Strafe, sondern ergibt sich aus der Tatsache, dass die kanonischen Lebensverbände Gemeinschaften in der Kirche sind und mit der Trennung von der Kirche und ihrem Glauben eine Fortsetzung der Zugehörigkeit zu einer solchen Lebens- und Glaubensgemeinschaft nicht mehr möglich ist.76 Auch der vor dem Staat vollzogene Kirchenaustritt zieht die Entlassung von Rechts wegen nach sich. Die Entlassung verfügt über ihre Autonomie gegenüber der Strafe: gemeinsam ist ihr die Beschreibung des Tatbestands. Verschieden sind die Folgen, weil für den Kleriker nicht nur die Entlassung gemäß c. 695 CIC/1983, sondern ebenso ein obligatorisches Strafverfahren mit Strafen, die gemäß c. 1395 CIC/1983 bis zur Entlassung aus dem geistlichen Stand reichen, vorgesehen ist.77 Wenn ein Mitglied Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit von Menschen (c. 695 § 1 iVm. cc. 1397, 1398 CIC/1983) oder ein Kleriker die in c. 1395 CIC/1983 genannten Sexualdelikte begangen hat, muss es zusätzlich zu den in den aufgezählten Kanones vorgesehenen Strafen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens aus dem kanonischen Lebensverband entlassen wer-
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Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14), S. 526 Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14), S. 523 – 524. 76 Vgl. Haering, Die Entlassung (Anm. 4), S. 110. 77 Vgl. De Paolis, Irregolarità (Anm. 8), S. 722 – 724.
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den.78 Weiters tritt bei den ersten beiden die Irregularität gemäß c. 1041 Nr. 4 und 5 bzw. c. 1044 Nr. 3 CIC/1983 ein.
IX. Ausnahmen von der Verbindlichkeit der obligatorischen Entlassung Die Entlassung ist mit Ausnahme der Sexualdelikte mit Gewaltanwendung, Drohung, öffentlich oder mit einem Minderjährigen, bei welchen dem Oberen ein Ermessungsspielraum eingeräumt wird, obligatorisch.79 Die deutschen Bischöfe halten hingegen bei diesen Sexualdelikten ein Verfahren zur Entlassung nach c. 695 § 2 CIC/ 1983 für geboten80, räumen aber ein, dass dieses nicht in ihren Kompetenzbereich fällt. Die Höheren Oberen teilen diese Auffassung der Bischöfe nicht81. Die Verpflichtungskraft der Norm geht eindeutig aus der Formulierung „Sodalis dimitti debet“ hervor. Dies ist bei cc. 1397 und 1398 eindeutig. C. 1395 § 2 CIC/1983 schreibt zumindest die Suspension eines Klerikers obligatorisch vor. Bei der Entlassung besteht aufgrund der gleichen Tatbestände ein Ermessensspielraum82, sodass der Vorgesetzte davon absehen kann, sofern es andere effizientere Möglichkeiten gibt, um den Schuldigen zu bessern sowie für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens zu sorgen, was keineswegs Untätigkeit und Vernachlässigung der eigenen Verantwortung bedeutet.83
78 Vgl. Stephan Haering, Disziplinarmaßnahmen, in: Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayr/Josef Kandler (Hrsg.), 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, St. Ottilien 2015, S. 142 – 147, hier S. 143. 79 Vgl. Rafael Rieger, Aufarbeitung von Strafrechtsdelikten in Instituta Religiosa. Verantwortung und Zuständigkeit der Ordensoberen, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen der kirchlichen Strafechtsentwicklung, Paderborn 2017, S. 111 – 133, hier S. 123. 80 Deutsche Bischofskonferenz, Rahmenordnung Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und erwachsenen Schutzbefohlenen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz (23. 09. 2010, aktualisiert 26. 08. 2013), Nr. 35. 81 Deutsche Ordensoberenkonferenz, Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjäjhriger und erwachsenen Schutzbefohlener durch Ordenspriester, -brüder und -schwestern von Ordensgemeinschaften päpstlichen Rechts im Bereich der Deutschen Ordensoberenkonferenz sowie durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ordenseigenen Einrichtungen, online unter: http://www.orden.de/dokumente/leitlinien_zum_umgang_mit_sexuel lem_missbrauch_neufassung_dok_mv_2014_ueberarb._.pdf (eingesehen am 26.11.19); Stephan Haering, Reichweite und Grenzen des kirchlichen Strafrechts im Vorgehen gegen Sexualstraftäter. Bestandsaufnahme und Ausblick, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/ Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch (= WTh 9), Würzburg 2013, S. 67 – 136, hier S. 211 – 242, hier S. 225 – 235; Rieger, Aufarbeitung (Anm. 79), S. 125. 82 Vgl. De Paolis, Irregolarità (Anm. 8), S. 722 – 724. 83 Vgl. Beyer, La dimissione (Anm. 71), S. 350.
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Bei Sexualdelikten gemäß c. 1395 § 2 CIC/1983 kann der höhere Obere des kanonischen Lebensverbandes die Entlassung für nicht unumgänglich halten.84 Diese Annahme der Heilbarkeit der Neigung zu Sexualdelikten mit Minderjährigen hat sich im Laufe der Zeit als ein Irrtum mit gravierenden Folgen für die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Autorität gegenüber dem Missbrauch von Minderjährigen erwiesen. Andererseits kann sie bei Auferlegung rechtmäßiger Restriktionen von Seiten des höheren Oberen eine bessere Kontrolle des Täters als im Falle einer Entlassung sichern.
X. Das Erhebungsverfahren Vorstufe des Entlassungsverfahrens ist pflichtmäßig ein verbandsinternes Erhebungsverfahren,85 welches einzuleiten ist, sobald der höhere Obere glaubhafte Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der genannten Straftatbestände hat. Er muss Informationen und Beweismittel über die Tatsachen und die Zurechenbarkeit einholen, dem zu entlassenden Mitglied die Anschuldigungen bekannt geben und ihm die Möglichkeit einräumen, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen.86 Der höhere Obere sollte einen Notar zur Beglaubigung der zu sammelnden Beweismittel in Bezug auf den Tatbestand und die Anrechenbarkeit hinzuziehen.87 Ein Erhebungsverfahren ist auch dann durchzuführen, wenn der höhere Obere aufgrund eines Straftatbestandes gemäß c. 1395 § 2 CIC/1983 von Anfang an der Überzeugung ist, daß zwar eine Straftat in zurechenbarer Weise vorliegt, eine Entlassung aber nicht unbedingt nötig ist. Dies kann der Fall sein, wenn es sich um ein einmaliges Vergehen handelt, der Straftäter sich inzwischen gebessert hat oder bereits ein Strafverfahren eingeleitet und Restriktionen auferlegt wurden. Diese Beurteilung ist zu den Akten des Erhebungsverfahrens zu nehmen.88 Zu Recht bemerkt Rieger, dass für die Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC/1983 und Art. 1689 der geltenden Verfahrensnormen für graviora delicta einfach von Ordinarius die Rede ist (vgl. c. 134 CIC/1983)90. Die Ordinarien der Religioseninstitute haben sowohl die Vollmacht, ein kanonisches Erhebungsverfahren als auch eine kanonische Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC/1983 und ein kanonisches Strafver-
84 Vgl. PCLT, Schema recognitionis Libri sexti iuris canonici (reservatum), Città del Vaticano 2011, S. 39. 85 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 726. 86 Vgl. D’Ostilio, De separatione (Anm. 1), S. 582. 87 Vgl. Meier, Rechtsschutz (Anm. 6) S. 396. 88 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 726 – 727. 89 Vgl. C DocFid, „Normae de gravioribus delictis Congregationi pro Doctrina Fidei reservatis“, 21. 05. 2010, in: AAS 102 (2010), S. 419 – 434. 90 Vgl. Rieger, Aufarbeitung (Anm. 79), S. 127.
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fahren zu führen91, während den höheren Oberen der übrigen kanonischen Lebensverbände nur das Recht zu einem Entlassungsverfahren zukommt.
XI. Unterschiede zwischen einem Entlassungsverfahren und einem Strafprozess Das Entlassungsverfahren des Mitglieds eines kanonischen Lebensverbandes ist weder ein Strafprozess auf dem Gerichts- noch auf dem Verwaltungsweg.92 Es folgt daher nicht den cc. 1717 – 1728 CIC/1983.93 Die Entlassung kann aufgrund von Straftaten „ipso facto“, d. h. deklarativ erfolgen (vgl. c. 694 CIC/1983) oder durch ein obligatorisches kondemnatorisches Verfahren (vgl. c. 695 CIC/1983). Bei der obligatorischen Entlassung sind die in c. 697 Nr. 2 – 3 CIC/1983 genannten Ermahnungen und die ausdrückliche Androhung der Entlassung nicht erforderlich, da es sich meist um Delikte handelt94, die für den Gesetzgeber zu schwerwiegend sind als dass eine Besserung möglich wäre. Die strafrechtliche Norm von c. 1347 CIC/1983 sieht hingegen Ermahnungen vor der Verhängung einer Beugestrafe als verbindlich vor. Der höhere Obere hat die Beweise in Bezug auf die Tatbestände und die Zurechenbarkeit zu erheben; dem zu entlassenden Mitglied sind die Beschuldigung und die wichtigsten Beweismittel zur Kenntnis zu bringen. Weiters muss ihm Gelegenheit zur Verteidigung geboten werden.95 Die Antworten des Beschuldigten sowie sämtliche Akten sind vom Notar zu unterschreiben und an den höchsten Oberen zu übermitteln.96 Der Generalobere hat die Beweismittel sowie die Argumente der Anklage und die vom Mitglied unterschriebene Verteidigung zusammen mit seinem Rat, der aus wenigstens vier Mitgliedern bestehen muss, gemäß c. 699 § 1 CIC/1983 zu bewerten. Wenn sich die Mehrheit bei geheimer Abstimmung für die Entlassung entscheidet, dann muss der höchste Obere ein Entlassungsdekret erlassen. Zu seiner Gültigkeit muss es gemäß c. 700 CIC/1983 vom Heiligen Stuhl bestätigt werden. Handelt es sich um ein Institut oder eine Gesellschaft Apostolischen Lebens diözesanen Rechts, so ist zu dessen Bestätigung der Bischof jener Diözese zuständig, in der das Haus gelegen ist, dem das Mitglied des kanonischen Lebensverbandes zuletzt zugeschrieben war. Damit dieses Dekret gültig ist, muss es ausdrücklich auf die Mög-
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Vgl. Rieger, Aufarbeitung (Anm. 79), S. 128. Vgl. Apostolische Signatur, Endgültiges Dekret (Anm. 39), S. 489, Nr. 6; De Paolis, La vita consacrata (Anm. 4), S. 581. 93 Vgl. Borek, La dimissione (Anm. 47), S. 94. 94 Vgl. Henseler, c. 695 (Anm. 3) Rdnr. 1. 95 Vgl. Primetshofer, Ordensrecht (Anm. 40), S. 286. 96 Vgl. Meier, Rechtsschutz (Anm. 6), S. 396. 92
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lichkeit verweisen, innerhalb von zehn Tagen beim Apostolischen Stuhl eine Beschwerde einzureichen.97 Während die Entlassung obligatorisch ist, gibt c. 1341 CIC/1983 die allgemeine Richtlinie, wonach der Ordinarius einen Strafprozess auf dem Gerichts- oder dem Verwaltungsweg nur dann einleiten soll, wenn er alle zur Verfügung stehenden Mittel ausprobiert hat und feststellen musste, dass die Wiedergutmachung des Schadens, die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und die Besserung des Täters nur durch einen Strafprozess erreicht werden kann.
XII. Das Verteidigungsrecht Sowohl im ordentlichen Streitverfahren als auch im gerichtlichen Strafprozess muss den Parteien die Möglichkeit gewährt werden, bei sonstiger Nichtigkeit, in die Akten, die ihnen noch nicht bekannt sind, bei der Kanzlei des Gerichts Einsicht zu nehmen98. Um die Strafe durch ein außergerichtliches Dekret aufzuerlegen, genügt es hingegen, dass vorher dem Beschuldigten die Anklage und die Beweismittel bekanntgegeben und ihm die Möglichkeit zur Verteidigung gewährt wurde.99 Da beim Entlassungsverfahren als Beweismittel nicht nur Dokumente gesammelt, sondern auch Zeugen vernommen werden, können deren Aussagen rechtmäßig protokolliert werden und dazu dienen, die moralische Gewissheit über die begangene Tat zu erlangen. Da das Verteidigungsrecht die Möglichkeit einschließt, Argumente und Beweise vorzulegen, welche diese Aussagen als falsch erweisen, setzt es die Einsichtnahme in die Zeugenaussagen voraus. Andernfalls wäre eine Verteidigung gegen die von den Zeugen geäußerten Vorwürfe unmöglich.100 Dem beschuldigten Mitglied sind sodann die Anschuldigung und das Ergebnis der Beweiserhebung, auf die sich die Beschuldigung stützt, mitzuteilen, damit es Gelegenheit zur Verteidigung hat.101 Dieses Vorgehen setzt voraus, daß dem Beschuldigten eine ausreichende Frist gesetzt wird. Wenn die Erwiderung mündlich erfolgt, ist darüber ein Protokoll anzufertigen. Die Entlassung selbst kann weder davon abhängig gemacht werden, dass der Beschuldigte sich daran beteiligt, noch davon, dass er seine Erwiderung schriftlich abfaßt und unterschreibt.102
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Vgl. D’Ostilio, De separatione (Anm. 1), S. 582. Vgl. cc. 1598, § 1 u. 1728, § 1 CIC/1983. 99 Vgl. c. 1720, Nr. 1; Apostolische Signatur, Endgültiges Dekret (Anm. 39), S. 489, Nr. 6. 100 Vgl. Apostolische Signatur, Urteil coram Coccopalmerio, 22. 06. 2002, Prot. Nr. 31290/ 00 CA, in: Pio Vito Pinto, Diritto amministrativo canonico, Bologna 2006, S. 511. 101 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 726 – 727. 102 Vgl. ebd. 98
Fragen zur Anwendung der Entlassung durch Dekret
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XIII. Das Verbot der Auferlegung von Strafen für immer (poenae perpetuae) auf dem Verwaltungsweg Gegen die Entlassung aus dem Ordensinstitut als Strafe kann auch das Argument angeführt werden, dass ihr kein gerichtlicher Prozess, sondern lediglich ein Verwaltungsverfahren vorausgeht. Für immerwährende Strafen bedarf es hingegen eines gerichtlichen Strafprozesses gemäß cc. 1721 – 1728 CIC/1983 und eines aus mindestens drei Richtern besetzten Kollegs.103 Wäre die Entlassung eine Strafe, so könnte sie aufgrund ihrer immerwährenden Wirkung gemäß c. 1342 § 2 CIC/1983 nicht auf dem Verwaltungsweg verhängt werden.104 Da die Entlassung aus dem kanonischen Lebensverband eine in der Systematik des kirchlichen Strafrechts nicht vorgesehene Ausnahme mit Dauercharakter darstellt, jedoch nicht durch ein Gerichtsverfahren verhängt werden kann, kann es sich nicht um eine Strafe im strengen kanonischen Sinne handeln.105 Die aufschiebende Wirkung kommt der hierarchischen Beschwerde an die Kongregation nicht gemäß der strafrechtlichen Norm des c. 1353, sondern nur gemäß dem Disziplinargesetz von c. 701 CIC/1983 zu.
XIV. Die Entlassung als zusätzlich zur Strafe verhängte Sanktion bei der Glaubenskongregation vorbehaltenen Delikten Die Anhebung des Alters Minderjähriger von 16 auf 18 Jahre betrifft nur Straftaten durch Kleriker, so dass das Schutzalter für Geschädigte durch nichtgeweihte Mitglieder eines kanonischen Lebensverbandes in Hinblick auf das Verfahren zur Entlassung aus dem Lebensverband weiterhin bei 16 Jahren liegt.106 Für den Kleriker ist die Straftat gegen das sechste Gebot des Dekalogs mit einem Minderjährigen unter 18 Jahren und damit auch dessen Entlassung aus dem kanonischen Lebensverband seit dem Motu proprio Graviora delicta vom 18. Mai 2001 der Glaubenskongregation vorbehalten.107 Die Normen des Motu proprio Graviora delicta in der Fassung von 2010, welche den Missbrauch geistig Behinderter und den Erwerb, den Besitz sowie die Verbreitung von Kinderpornographie ahnden, sowie das Motu proprio Vos estis lux mundi vom 7. Mai 2019, das die Kategorie der sog. schutzbedürftigen Personen zu den gra-
103
Vgl. c. 1425, § 1, Nr. 2; § 2. Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14), S. 525. 105 Vgl. Haering, Strafe (Anm. 23), S. 526 – 527. 106 Vgl. Haering, Die Entlassung (Anm. 4), S. 111 – 112. 107 Vgl. Papst Johannes Paul II., MP Sacramentorum Sanctitatis tutela v. 30. 04. 2001, in: AAS (2001), S. 737 – 739, hier S. 738. 104
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viora delicta hinzuzählt108, erweitern nicht die in c. 695 CIC/1983 gesetzlich festgelegten Tatbestände für die obligatorische Entlassung von Nichtklerikern, sondern rechtfertigen lediglich für den Kleriker ein Strafverfahren, welches nicht nur mit der Entlassung aus dem geistlichen Stand, sondern auch mit jener aus dem kanonischen Lebensverband enden kann.
XV. Schluss Im kanonischen Recht besteht die Schwierigkeit darin, dass die Grenzen „zwischen kanonischen Strafen im strengen Sinne und anderen Formen von Sanktionen nicht scharf gezogen werden“.109 Hans Paarhammer bezeichnet es als ein „schweres Defizit“110, dass der kirchliche Gesetzgeber nicht deutlich zwischen kanonischen Strafen, welche die Rechtsstellung eines Kirchengliedes beeinträchtigen, und Disziplinarmaßnahmen, die nur die Dienststellung eines Klerikers oder jene eines ein kirchliches Amt ausübenden Laien betreffen, unterscheidet. Rees beklagt, dass weder der CIC/1983 noch der Entwurf für die Reform des sechsten Buchs des CIC eine klare Unterscheidung zwischen Straf- und Disziplinarrecht vorsehen.111 Nach Stephan Haering ist die Entlassung „eine besondere kanonische Sanktion, die zu einer Strafe hinzukommt“.112 Das Entlassungsverfahren ist „ein Verwaltungsverfahren ohne Strafcharakter im eigenen Sinne“.113 Astigueta unterscheidet zwischen Sanktionen und Strafen. Ähnlich wie die durch ein Delikt hervorgerufene Irregularität gemäß c. 1041 § 1 Nrn. 2 – 4 CIC/1983 handle es sich bei der obligatorischen Entlassung aufgrund dieser Delikte nur um Sank108 Art. 1, § 2 definiert als schutzbedürftige Person: „jede Person im Zustand von Krankheit, von physischer oder psychischer Beeinträchtigung oder von Freiheitsentzug, wodurch faktisch, auch gelegentlich, ihre Fähigkeit zu verstehen und zu wollen eingeschränkt ist, zumindest aber die Fähigkeit, der Schädigung Widerstand zu leisten“ (Papst Franziskus, MP Vos estis lux mundi, v. 07. 05. 2019, online unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/motu_ proprio/documents/papa-francesco-motu-proprio-20190507_vos-estis-lux-mundi.html [eingesehen am 26.11.19]). 109 Vgl. Haering, Strafe (Anm. 23), S. 527. 110 Hans Paarhammer, Das spezielle Strafrecht des CIC: FG Schwendenwein, S. 403 – 466, hier S. 408; ferner auch Wilhelm Rees, Art. Disziplinarrecht, kirchliches: LThK3 III, S. 273; Hugo Schwendenwein, Probleme um die disziplinäre Verantwortung im kirchlichen Dienst. Zur Frage der Unterscheidung von Straf- und Disziplinarrecht, in: FS May (80), S. 611 – 634; Richard Puza, Faut-il distinguer le droit pénal et le droit disciplinaire dans l’Église? L’exemple de l’Allemagne, in: RDC 56 (2009), S. 223 – 239. 111 Vgl. Rees, Strafe (Anm. 60), S. 56. 112 Vgl. Haering, Strafe (Anm. 23), S. 526 – 527; Haering, Die Entlassung (Anm. 4) S. 107 – 126, hier S. 112; Stephan Haering, Art. Verwaltungsverfahren. II. Kath., in: LKStKR 3, Paderborn u. a. 2004, S. 829 f. 113 Stephan Haering, Das Verfahren zur Entlassung von Professmitgliedern aus einer Ordensgemeinschaft, in: Folia theologica et canonica 1 (2012), S. 199 – 216, hier S. 205.
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tionen (Lateinisch: „sanctiones“), nicht aber um Strafen (Lateinisch: „poenae“).114 Astigueta spricht daher von einer vorbeugenden Sanktion intuitu boni communitatis inductae.115 Ist die Entlassung keine Strafe, dann muss man analog zu den Irregularitäten „ex delicto“ sagen, dass sie auf der Grundlage der moralischen Gewissheit über den Tatbestand und die Verantwortlichkeit von Seiten des Religiosen, unabhängig von den in den cc. 1324 – 1326 CIC/1983 als mildernd oder erschwerend genannten Umständen ausgesprochen werden muss.116 Die Grundlage für die obligatorische Entlassung bilden Straftaten. Handelt es sich um nicht geweihte Mitglieder kanonischer Lebensverbände, so ist bei Sexualdelikten keine Straftat Voraussetzung für die Entlassung, doch ist die Beschreibung des Tatbestands in c. 695 CIC/1983 maßgebend. Die Entlassung aus dem kanonischen Lebensverband ist nicht die im Strafgesetz vorgesehene Strafe. Da sie nicht nur die Dienststellung des Mitglieds betrifft, ist sie auch keine Disziplinarmaßnahme, sondern die außerhalb der kirchlichen Strafgesetze gesetzlich vorgesehene außergerichtliche Sanktion für ein mit der Zugehörigkeit zu einem kanonischen Lebensverband nicht vereinbares Verhalten.117 Sie hat nach Wilhelm Rees im engen Sinn keinen Strafcharakter, sondern nur einen Ordnungscharakter.118 Die Praxis der Kongregation für die Institute des Geweihten Lebens und die Gesellschaften des Apostolischen Lebens, die Entlassung auch dann zu bestätigen, wenn die zugrundeliegende Straftat verjährt ist, ist daher rechtmäßig.
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Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14), S. 528. Vgl. Astigueta, La pena (Anm. 14), S. 526 116 Vgl. De Paolis, Irregolarità (Anm. 8), S. 722 – 724. 117 Vgl. Rees, Straftat (Anm. 12), S. 1594. 118 Vgl. Rees, Straftat (Anm. 12), S. 1603, Fn. 49. 115
V. Grundvollzüge der Kirche und ihre rechtliche Ordnung
Zur Frage der Erteilung der bischöflichen Zustimmung zur „Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten“ Von Christoph Grabenwarter
I. Einleitung Wilhelm Rees hat in seinem umfangreichen Werk zahlreiche Arbeiten auch dem Staatskirchenrecht gewidmet. All diesen Arbeiten ist die profunde Einsicht in die Problemlage und den Regelungsrahmen nach kanonischem Recht eigen, auf deren Grundlage eine angemessene Analyse der eigentlichen staatskirchenrechtlichen Fragestellungen gelingt.1 Ein besonderes Augenmerk in der wissenschaftlichen Durchdringung des kanonischen Rechts galt dem kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht, dem Rees erst jüngst wieder einen vielbeachteten Vortrag im Rahmen des Sechsten Seggauer Gesprächs zu Staat und Kirche widmete.2 Um diese besonderen Merkmalen und Vorzügen der Arbeiten des Jubilars zu würdigen, sei ihm der folgende Beitrag gewidmet, der eine aktuelle Fragestellung an der Schnittstelle von staatlichem Universitätsrecht und Hochschullehrerdienstrecht einerseits und dem kanonischen Recht andererseits aufgreift. Untersucht wird im Folgenden aus Anlass von Änderungen im österreichischen Universitätsgesetz 2002 (UG) im Jahr 2016, zu welchem Zeitpunkt in der Laufbahn eines Professors das römische Nihil obstat erteilt werden muss.3 Diese Frage wirft deshalb besondere Probleme auf, weil entsprechend dem „Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten 2019“ und dem zum 1. Oktober 2016 in Kraft getretenen neuen § 99 UG ein so genannter tenure track vorgesehen werden kann, in dessen Rahmen bereits mit dem Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung zwischen der Universität und einem Assistenzprofessor der Weg in eine (unbefristete) Professur vorgesehen ist, ohne dass es einer weiteren Auswahlentscheidung im Rahmen eines Berufungsver1 Johann Bair/Wilhelm Rees, Rechtsgrundlagen des Religionsunterrichts in Österreich, in: Dies. (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog, S. 179 ff. 2 Wilhelm Rees, Der Dienst von Priestern, Diakonen und Laien. Kanonistische Anmerkungen zum innerkirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht, öarr 2016, S. 32 ff. 3 Der Beitrag geht aus einem Rechtsgutachten hervor, das der Verfasser gemeinsam mit Univ. Prof. Dr. Katharina Pabel im Jahr 2016 im Auftrag des Erzbischofs von Salzburg erstattet hat.
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fahren (vgl. § 98 UG) bedürfte. In der Manier von Wilhelm Rees gilt es zunächst, sich ein präzises Bild von der Ausgangslage im kanonischen Recht zu verschaffen.
II. Die Erteilung des Nihil obstat nach kirchenrechtlichen Bestimmungen Nach § 27 § 1 der Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana4 muss derjenige, der in Fachbereichen unterrichtet, die Glaube oder Sitte betreffen, nach Ablegung der Professio Fidei (Glaubensbekenntnis) die missio canonica erhalten. In Österreich erfasst diese Vorschrift jedenfalls die Universitätsprofessoren und anderen in der Lehre selbständig Tätigen an den Theologischen Fakultäten.5 Zu den selbständig Lehrenden gehören regelmäßig die Universitätsassistenten (mit oder ohne Doktorat), die Assistenzprofessoren, die Senior Lecturers und schließlich die Dozenten.6 Die missio canonica, genauer das Nihil obstat, erteilt oder widerruft der Ortsordinarius.7 Das einschlägige Akkomodationsdekret, das für die Katholisch-Theologischen Fakultäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz gilt, sieht vor, dass die Professoren und die anderen in der Lehre Tätigen nach den von der staatlichen Autorität erlassenen Gesetzen und der Satzung der Universität ernannt werden. Sie bedürfen der missio canonica und müssen das Glaubensbekenntnis ablegen. Das Akkomodationsdekret verweist für die Erteilung und Entziehung der missio canonica auf das Konkordatsrecht (siehe dazu sogleich). Bevor ein Dozent entweder fest angestellt wird oder zur obersten Stufe der Lehrbefähigung befördert wird, muss das Nihil obstat des Heiligen Stuhls eingeholt werden. Die Verpflichtung der Einholung der Zustimmung des Heiligen Stuhls beruht auf Art. 27 § 2 der Apostolischen Konstitution Sapientia Christiana. Sie betrifft zum einen Personen, die fest, d. h. unbefristet angestellt werden, und zum anderen Personen,
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Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Sapientia Christiana vom 15. April 1979, in: AAS 71 (1979), S. 469 – 499. 5 Ulrich Rhode, Gutachten über die Kirchliche Lehrbefugnis für Lehrende an KatholischTheologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten, S. 3. 6 Richard Potz, Gutachterliche Stellungnahme zur Frage der bischöflichen Zustimmung gemäß Artikel V § 3 Konkordat 1933 im Zusammenhang mit den Regelungen über das wissenschaftliche Personal gemäß Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten, S. 3. Die Bezeichnung „Privatdozent“ gibt an, dass eine Person die Habilitation abgeschlossen hat. Sie wird nicht (mehr) geführt, wenn Betreffende eine Professur innehat. Aus dem Titel ergibt sich nicht, welche Funktion bzw. Aufgabe der Betreffende an einer Fakultät wahrnimmt, so dass daraus nicht auf eine selbständige Lehre geschlossen werden kann. Wenn ein Privatdozent an einer Universität unterrichtet, dann regelmäßig in einer der im Text genannten Funktion und damit als selbständig Lehrender. 7 Vgl. 5 des Dekretes über die katholisch-theologischen Fakultäten in den staatlichen Universitäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz (sog. Akkomodationsdekret), ABl. der ÖBiKo Nr. 2/1984, S. 22.
„Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten“
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die zur obersten Stufe der Lehrbefähigung befördert werden.8 Der letztgenannte Fall ist jener der Habilitation. Im Ablauf des Verfahrens ist vorgesehen, dass der Ortsordinarius, bei dem das Nihil obstat beantragt wird, dieses erst erteilt, nachdem er das Nihil obstat des Heiligen Stuhls eingeholt und erhalten hat. Die Einholung der Zustimmung des Heiligen Stuhls ist ein rein innerkirchlicher Vorgang. Nach außen hat allein das Nihil obstat des Ortsordinarius Bedeutung.9 Nur der Ortsordinarius ist unmittelbar in das Verfahren mit der jeweiligen Fakultät eingebunden. Die Zustimmung des Ortsbischofs wird in den Fällen, in denen nach kirchlichem Recht die Zustimmung des Heiligen Stuhls erforderlich ist, römisches Nihil obstat genannt.
III. Das Nihil obstat nach dem Konkordat Die Notwendigkeit der Erteilung des Nihil obstat durch den Ortsordinarius ist konkordatär abgesichert (Art. 5 § 3 Konkordat).10 Danach ist die Ernennung oder Zulassung der Professoren oder Dozenten an den vom Staat erhaltenen katholisch-theologischen Fakultäten an die Erteilung der Zustimmung der zuständigen kirchlichen Behörde gebunden. Die Zuständigkeit liegt entsprechend dem oben erwähnten Akkomodationsdekret beim jeweiligen Ortsordinarius. Das Konkordat verlangt das Nihil obstat explizit für „Professoren und Dozenten“. Die Formulierung ist historisch zu verstehen. Sie erfasst jenen Personenkreis, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Konkordats zur Ausübung einer Lehrtätigkeit berechtigt war.11 Es besteht Einigkeit darüber, dass von dieser Personengruppe all jene erfasst sind, die mit der selbständigen Durchführung von Lehre betraut sind.12 Insbesondere ist der Begriff des „Dozenten“ nicht auf jene Personengruppe zu beschränken, die nach der universitätsgesetzlichen Terminologie als Dozenten bezeichnet werden. Damit entspricht die von Art. 5 § 3 des Konkordats erfasste Personengruppe, für die die Erteilung eines Nihil obstat erforderlich ist, derjenigen, für die kirchenrechtliche Bestimmungen dies vorsehen. Das Konkordat bindet in Art. 5 § 3 die „Ernennung oder Zulassung“ der Professoren und Dozenten an den theologischen Fakultäten an die Zustimmung der kirchlichen Autorität. Mit diesem Terminus ist jedenfalls die dienstrechtliche Anstellung an einer theologischen Fakultät erfasst. Man wird im Sinne einer kohärenten Auslegung des konkordatären und kirchlichen Rechts aber auch die Habilitation als „Zu-
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Vgl. Richard Potz/Brigitte Schinkele, öarr 2002, S. 436. Bruno Primetshofer, Die Bestellung akademischer Lehrer an katholisch-theologischen Fakultäten Österreichs, in: ÖAKR 39 (1990), S. 156; Potz/Schinkele (Anm. 8), S. 434. 10 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und der Republik Österreich, BGBl. II Nr. 2/ 1934. 11 Potz/Schinkele (Anm. 8), 435. 12 Primetshofer (Anm. 9), S. 154 f; Rhode (Anm. 5), S. 3. 9
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lassung der Professoren und Dozenten“ verstehen müssen,13 so dass auch hier eine Kongruenz zwischen dem Konkordatsrecht und den relevanten kirchenrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich der Erteilung des Nihil obstat anzunehmen ist. Eine solche kohärente Auslegung des Konkordatsrechts wird auch durch Art. V § 1 des Konkordats gefordert, wonach die innere Einrichtung und der Lehrbetrieb der katholischtheologischen Fakultäten grundsätzlich nach Maßgabe der Apostolischen Konstitution Deus Scientiarum Dominus und der jeweiligen kirchlichen Vorschriften zu regeln sind. Diese Verweisung des Konkordats auf das kirchliche Recht ist als dynamische Verweisung zu verstehen.14 In Bezug genommen werden somit nach geltendem Recht die Apostolische Konstitution Sapientia Christiana sowie die Bestimmungen des CIC/1983. Das Konkordat als Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Österreich differenziert nicht zwischen dem gewöhnlichen Nihil obstat und dem römischen Nihil obstat. Es sieht lediglich für bestimmte Fälle die Zustimmung der kirchlichen Behörde vor. Es ist der Kirche überlassen festzulegen, welche Voraussetzungen in materieller und prozessualer Hinsicht für die Erteilung des Nihil obstat vorliegen müssen. Insbesondere ist es im Rahmen des Konkordats möglich, für bestimmte Fälle die Einholung der Zustimmung des Heiligen Stuhls vorzusehen. Wie oben dargestellt, wirkt allein die Entscheidung des Ortsordinarius gegenüber der Universität und dem Staat.
IV. Die Erforderlichkeit des Nihil obstat für Personengruppen nach dem Kollektivvertrag 1. Die bisherige Situation Der Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen an den Universitäten 201915 sieht vor, dass Universitätsassistenten, Senior Scientists und Senior Lecturers unter anderem selbständig Lehrveranstaltungen und Prüfungen durchführen (§ 26 KV). Bei der Einstellung dieser Personen ist daher das Nihil obstat des Ortsordinarius einzuholen. Insofern ist es zunächst unerheblich, ob das entsprechende Dienstverhältnis befristet oder unbefristet abgeschlossen wurde. Für die Art der Tätigkeit (auch auf Dauer) genügt das Nihil obstat des Ortsordinarius. Sollte sich eine Person aus diesem Kreis habilitieren oder zum Professor ernannt werden, wird damit ihre Lehrbefähigung wesentlich verändert. Es bedarf aus diesem Grund der nochmaligen Zustimmung des Ortsordinarius.16 Damit hat der Ortsordinarius zu diesem Zeitpunkt (Habilitation [u. U. mit dienstrechtlichen Folgen wie 13
Potz/Schinkele (Anm. 8), S. 437. Potz/Schinkele (Anm. 8), S. 414. 15 Veröffentlicht in der Wiener Zeitung vom 15. Februar 2019. 16 Potz/Schinkele (Anm. 8), S. 438. 14
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der Entfristung eines Vertrags] oder Berufung auf eine Professur) erneut die Möglichkeit, über die Erteilung des Nihil obstat zu entscheiden und allenfalls – entsprechend den kirchenrechtlichen Erfordernissen (vgl. § 27 § 2 Sapientia Christiana) – die Zustimmung des Heiligen Stuhls einzuholen. 2. Die Neuerungen durch § 27 Kollektivvertrag Nach § 27 KV besteht nunmehr die Möglichkeit, an den Universitäten sog. Laufbahnstellen (tenure track) einzurichten. Mit der betreffenden Person wird eine sog. Qualizifierungsvereinbarung abgeschlossen; sie ist dann Assistenzprofessor bzw. Assistenzprofessorin. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Qualifizierungsphase (entspricht der Befristung des Dienstvertrags), haben die Inhaber solcher Stellen Aufgaben in Forschung und Lehre wie ein Professor. Die Qualifizierungsvereinbarung wird typischerweise durch den Abschluss der Habilitation in einem bestimmten Zeitraum erfüllt. Mit dem Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung und der Bestellung zum Assistenzprofessor ändert sich an der Art der Lehrbefugnis nichts. Sollte der betreffenden Person wegen ihrer früheren Beschäftigung, etwa als Assistent, bereits ein Nihil obstat erteilt worden sein, ist eine erneute Erteilung wegen des Abschlusses der Qualifizierungsvereinbarung und der Bestellung zum Assistenzprofessor nicht notwendig.17 Mit dem erfolgreichen Abschluss der Qualifizierungsphase wird zugleich das zunächst befristete Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Vertragszeit auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, wenn dem der Arbeitnehmer (!) nicht widerspricht (§ 27 Abs. 5 KV). Werden also die Qualifizierungsziele erreicht, wird aus dem Assistenzprofessor quasi automatisch ein assoziierter Professor mit einem unbefristeten Dienstverhältnis. Das Arbeitsverhältnis als assoziierter Professor umfasst das Recht, die wissenschaftliche Lehre eigenverantwortlich und in gleicher Weise wie Universitätsprofessoren auszuüben (§ 27 Abs. 6 KV). Entsprechend Art. 27 § 2 der Sapientia Christiana ist für Personen mit einer solchen Festanstellung die Erteilung eines römischen Nihil obstat erforderlich. Zudem ergibt sich aus der Befugnis, Lehre in gleicher Weise wie Universitätsprofessoren zu erteilen, die Notwendigkeit des römischen Nihil obstat wegen des Erwerbs der obersten Stufe der Lehrbefugnis.18 Es stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt das römische Nihil obstat zu erteilen ist. Die Festlegung des Zeitpunkts der Zustimmung der kirchlichen Autorität beurteilt sich zunächst im Rahmen des Konkordats. Nach Art. 5 § 3 des Konkordats muss das Nihil obstat vor der Ernennung oder Zulassung des Professors oder Dozenten vorliegen. Weitere Regelungen werden nicht getroffen. Die Frage, wann das römische Nihil obstat einzuholen ist, ist mangels eines dementsprechenden Übereinkommens mit dem Staat eine rein innerkirchliche Frage. Sie ist von den Bestimmungen des Konkordats nicht erfasst, sondern Teil des Selbstbestimmungsrechts der Kirche 17 18
Potz (Anm. 6), S. 5. Potz (Anm. 6), S. 5.
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(Art. 15 StGG).19 Es ist also Sache der Kirche festzulegen, zu welchem Zeitpunkt das Nihil obstat des Ortsordinarius einzuholen oder erneut einzuholen ist. Ebenfalls als Frage des rein innerkirchlichen Rechts ist zu klären, für welches Nihil obstat des Ortsbischofs die Zustimmung des Heiligen Stuhls einzuholen ist. 3. Lösungsansätze Die bereits vorliegenden Gutachten zu dieser Frage unterscheiden zwischen zwei Zeitpunkten: einem frühen (bereits bei der Ernennung zum Assistenzprofessor = Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung) und einem späten (mit der Erfüllung der Qualifikationsvereinbarung, d. h. Habilitation und der Umwandlung der Stelle in die eines Assoziierten Professors).20 Inhaltlich wäre der spätere Zeitpunkt derjenige, zu dem eine weitere Zustimmung des Ortsordinarius notwendig wäre, die auch der Zustimmung Roms bedürfte, da die höchste Stufe der Lehrbefähigung (Habilitation) erlangt würde und der Betroffene in ein unbefristetes Dienstverhältnis übergeleitet wird. Problematisch ist an dieser Sichtweise aber, dass im Falle der Versagung des Nihil obstat (sei es wegen Versagung der Zustimmung des Heiligen Stuhls oder wegen Bedenken des Ortsordinarius) nach den Bestimmungen des KV die betreffende Person bei Erfüllung der Qualifikationsvereinbarung einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung hätte mit den Aufgaben wie ein Professor. Es käme also zu einem Widerspruch zwischen dem staatlichen Recht (Beschäftigung auf einer unbefristeten Stelle mit den Aufgaben eines Professors, also selbständiger Lehre) und dem Nichtvorliegen des Nihil obstat als kirchenrechtlicher Voraussetzung für die Ausübung des Lehramts. Um einen solchen Widerspruch zu vermeiden, ist daher auf den früheren Zeitpunkt abzustellen. Bereits beim Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung ist (erneut) das Nihil obstat des Diözesanbischofs einzuholen. Dieser hat bereits zu diesem Zeitpunkt die Zustimmung Roms einzuholen. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Gutachten von Rhode. Auch wenn nach dem Akkomodationsdekret auf den Zeitpunkt der Ernennung zum Professor abgestellt werde und mit dem Eingehen der Qualifizierungsvereinbarung noch keine Ernennung zum Professor erfolge, sind die Bedingungen, unter denen der Inhaber einer tenure-track-Stelle nach der Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung nicht als Professor ernannt werde, so eng, dass das Nihil obstat des Heiligen Stuhls bereits vor der Ernennung auf die mit tenure track ausgestattete Stelle erfolgen solle.21 Dabei nimmt Rhode an, dass die Erteilung des römischen Nihil obstat zum frühen Zeitpunkt zwar sinnvoll, nicht aber rechtlich geboten sei. Wenn eine solche Erteilung des römischen Nihil obstat zum frühen Zeit-
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Rhode (Anm. 5), S. 4. Rhode (Anm. 5), S. 4. 21 Rhode (Anm. 5), S. 4.
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punkt vorgenommen wird, muss klargestellt sein, dass sich dieses auch auf die spätere Berufung zum Professor in einem unbefristeten Dienstverhältnis bezieht.22 Für die Notwendigkeit, das Nihil obstat bereits zum früheren Zeitpunkt zu erteilen, spricht auch das Konzept des tenure track, das hinter der Bestimmung des § 27 KV steht. Es zielt darauf ab, schon zu einem frühen Zeitpunkt, nämlich in der post doc-Phase, Personen, von denen man sich eine hohe wissenschaftliche Leistung und ein entsprechendes Entwicklungspotential erwartet, durch eine Qualifizierungsvereinbarung den Weg in ein unbefristetes Dienstverhältnis als Professor in Aussicht zu stellen. Den Fakultäten, die aufgrund der neuen gesetzlichen Bestimmung über die Schaffung solcher Qualifizierungsstellen beraten, ist es bewusst, dass sie mit der Vergabe solcher Stellen wesentliche Entscheidungen über künftige Professuren treffen. Das hat zum einen zur Folge, dass entsprechende Stellen im Entwicklungsplan und budgetär vorgesehen sein müssen. Zum anderen werden für die Vergabe der Qualifizierungsstellen vielfach umfangreiche Evaluationen des wissenschaftlichen Potentials der Bewerber vorgenommen. Das zeigt, dass auch die Fakultäten davon ausgehen, dass in der weitaus überwiegenden Zahl an Fällen mit der Vergabe einer Qualifizierungsstelle eine Vorentscheidung über die Professur im Anschluss gefallen ist. Diese hinter der Einführung eines tenure track stehende Logik lässt es systemadäquat erscheinen, zum Zeitpunkt der Vergabe der Qualifizierungsstelle die Frage der Erteilung des römischen Nihil obstat letztlich zu klären. Mit dem Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung wird für den Fall deren positiver Erfüllung ein Automatismus in Gang gesetzt. Der Betreffende hat einen Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung mit den Aufgaben eines Professors (und den Sitz in der Professorenkurie, siehe dazu im Einzelnen unten Punkt 7.). Anders als bei den früheren Karrieremodellen gibt es keine zwischengeschaltete Entscheidung mehr. Um dem Sinn des Nihil obstat, das konkordatär abgesichert ist, Rechnung zu tragen, ist daher die Erteilung des Nihil obstat zum Zeitpunkt der Qualifizierungsvereinbarung notwendig – genauso, wie sich die Fakultät/Universität bereits zu diesem Zeitpunkt schon entscheidet, den Betreffenden voraussichtlich auf Dauer und als Mitglied der Professorenkurie zu beschäftigen. 4. Erteilung des Nihil obstat erst nach Vergabe einer Qualifizierungsstelle? Rhode schlägt alternativ zur eben vorgestellten Lösung vor, das römische Nihil obstat erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen. Dann müsste klargestellt sein, dass das zum Zeitpunkt des Antritts der mit der Qualifizierungsvereinbarung verbundene Nihil obstat nicht die Erteilung des Nihil obstat für die spätere Berufung auf eine unbefristete Professur umfasst.23 Gegen diese Alternative ist allerdings einzuwenden, dass mit ihr die Gefahr verbunden ist, dass habilitierte Personen zwar nach dem Kollektivvertrag 22 23
Vgl. Rhode, Nachtrag zum Gutachten, S. 3. Vgl. ebd.
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einen Anspruch auf Überleitung in einen unbefristeten Dienstvertrag haben könnten, ihnen aber die Erteilung des römischen Nihil obstat verweigert würde. Das würde dazu führen, dass an der Fakultät Personen fest angestellt wären, die die kirchliche Lehrbefugnis nicht besitzen würden. Die Anwendung des Kollektivvertrags ließe sich nicht unter die Bedingung der Erteilung des römischen Nihil obstat stellen. Um diese Situation zu vermeiden, wäre eine Erteilung des römischen Nihil obstat erforderlich. Die von Rhode vorgestellte Alternative ist daher abzulehnen. 5. Nihil obstat als „fachspezifisches Ziel“ in die Qualifizierungsvereinbarung? Potz nimmt an, dass mit der Anpassung des Arbeitsvertrags der Zeitpunkt für die erneute Erteilung eines Nihil obstat erreicht sei, da die höchste Stufe der Lehrbefähigung erlangt werde. Er schlägt vor, dass das Nihil obstat als „fachspezifisches Ziel“ in die Qualifizierungsvereinbarung aufgenommen wird. Entsprechend seinem Vorschlag würde die einzelne eingegangene Qualifizierungsvereinbarung nur dann erfüllt, wenn auch das (römische) Nihil obstat erteilt würde. Durch diese Verknüpfung der Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung mit der Erteilung des Nihil obstat würde verhindert, dass Personen, denen das Nihil obstat nicht erteilt werden kann, gemäß den Vorschriften des Kollektivvertrags in ein unbefristetes Dienstverhältnis als Professor übergeleitet werden. Gleichzeitig wäre verfahrensrechtlich sichergestellt, dass die kirchliche Autorität im Rahmen der Überprüfung, ob die Qualifizierungsvereinbarung erfüllt wurde (was typischerweise nach Abschluss des Habilitationsverfahrens erfolgt), noch einmal eingebunden wird. Gegen diesen Lösungsvorschlag könnte eingewendet werden, dass die Erteilung des römischen Nihil obstat keine wissenschaftliche Leistung des Stelleninhabers und daher ein eher untypischer Inhalt einer Qualifizierungsvereinbarung ist. In dieser werden insbesondere die Abfassung einer Habilitationsschrift, Publikationen, Vorträge und sonstige wissenschaftliche Leistungen als Ausweis einer hohen wissenschaftlichen Qualifikation vereinbart. Die Erteilung des Nihil obstat erfolgt hingegen nicht nach Kriterien der wissenschaftlichen Qualität. Ob Bedingungen, die keine Kriterien zur Beurteilung der wissenschaftlichen Qualität darstellen, im Rahmen einer Qualifizierungsvereinbarung vereinbart werden können, erscheint zumindest zweifelhaft. Wollte man einen solchen Vorschlag verfolgen, müsste jedenfalls sichergestellt werden, dass im Rahmen der Überprüfung der Qualifikationsvereinbarung der zuständige Ortsordinarius eingebunden wird, der dann seinerseits das römische Nihil obstat einzuholen hätte. Die Zustimmung des Ortsbischofs muss vorliegen, bevor die Universität die Qualifizierungsvereinbarung als erfüllt ansieht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach § 27 Abs. 8 KV durch Betriebsvereinbarungen Richtlinien für den Inhalt und die Modalitäten des Abschlusses von Qualifizierungsvereinbarungen aufgestellt werden können. Es ist darauf zu achten, dass in einer solchen Betriebsvereinbarung allenfalls auch vorgesehen ist, dass zur Erfüllung der Qualifikationsvereinbarung die Erteilung
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des Nihil obstat erforderlich ist. Wichtig ist, dass eine solche Betriebsvereinbarung jedenfalls nicht einer entsprechenden Vereinbarung entgegensteht. Dieser Vorschlag scheint rechtlich gangbar zu sein, wobei ein gewisses Risiko darin besteht, dass der Gesetzgeber nicht klar sagt, was Inhalt einer Qualifizierungsvereinbarung sein kann/darf. Allerdings wird er hochschulpolitisch aus mehreren Gründen nicht leicht durchsetzbar sein: Die Aufnahme der Erteilung des Nihil obstat in die Qualifizierungsvereinbarung wird möglicherweise auf Widerstand der Mittelbauvertretung stoßen. Es wird damit gewissermaßen eine Bedingung in die Vereinbarung aufgenommen, die der Betroffene nur mittelbar aus eigenem Tun erfüllen kann. Selbstverständlich muss sich jeder, der eine Professur an einer theologischen Fakultät anstrebt, bewusst sein, dass er die Voraussetzungen für die Erteilung des Nihil obstat in seiner Person erfüllen muss. Dennoch ist es etwas anderes, wenn er formal für die Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung von der Entscheidung eines Dritten – des Ortsordinarius mit Zustimmung des Heiligen Stuhls – abhängig ist. Hinzu kommt, dass schon jetzt gelegentlich Kritik laut wird, dass die Erteilung des (römischen) Nihil obstat recht lang dauern kann. Diese mögliche Dauer wirkt sich dann aber zu einem problematischen Zeitpunkt (abgeschlossene Habilitation) auf das berufliche Fortkommen des Betroffenen aus. Diesem letzten Argument könnten sich auch die Vertreter der Professorenkurie anschließen. Nach derzeitiger Beobachtung werden Qualifizierungsstellen dort vorgesehen, wo nach der „internen Strukturplanung“ (vgl § 27 Abs 1 KV) ein Habilitand über den tenure track als zukünftiger Professor vorgesehen ist. Wenn dieser seine Habilitation abgeschlossen hat, besteht regelmäßig durchaus ein Interesse der Fakultät, ihn als Professor mit voller Lehr- und Prüfungskapazität einzustellen. 6. Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung als Erwerb der obersten Stufe der Lehrbefähigung? Eine weitere Alternative könnte sein, den Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung, die ja regelmäßig den Abschluss einer Habilitation umfasst, als Erwerb der obersten Stufe der Lehrbefähigung im Sinne des Art. 27 § 2 Sapientia Christiana zu qualifizieren. Der Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung würde dann dem Abschluss des Habilitationsverfahrens nach dem bisherigen Modell entsprechen. Wegen wesentlichen Änderung der Lehrbefugnis des Betroffenen ist nach gängiger Praxis nochmals das Nihil obstat einzuholen. Im Unterschied zur Alternative zwei (Potz) würde die Erteilung des Nihil obstat nicht ausdrücklicher Teil der Qualifizierungsvereinbarung. Dennoch würde sie entweder im Rahmen des durchgeführten Habilitationsverfahrens (wie bisher) oder im Rahmen der Überprüfung der Qualifizierungsvereinbarung aus Anlass des Erreichens der obersten Stufe der Lehrbefugnis erfolgen. Im Fall der Verweigerung der bischöflichen Zustimmung im Habilitationsverfahren hat der Rektor einen Bescheid über die Verleihung der Lehrbefugnis zu erlassen, der mit dem Zusatz versehen ist, dass die Lehrbefugnis mangels bischöfli-
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cher Zustimmung an der Fakultät nicht ausgeübt werden kann.24 Die Verweigerung des Nihil obstat hätte aber nicht zur Folge, dass die in § 27 KV vorgesehenen Rechtsfolgen des Übergangs in ein unbefristetes Dienstverhältnis mit den Aufgaben eines Professors einträten. Es entstünde wiederum die Situation, dass an einer Fakultät Professoren ohne kirchliche Lehrbefugnis fest beschäftigt wären. 7. Änderungen des UG Die Qualifizierungsstellen nach § 27 KV wurden mit einer Änderung des UG, die zum 1. 10. 2016 in Kraft getreten ist,25 auch im Universitätsrecht abgebildet. Danach gehören Personen, die eine Qualifizierungsvereinbarung erfolgreich erfüllt haben (und damit Assoziierte Professoren geworden sind), ex lege der Professorenkurie an (§ 99 Abs. 6 UG idF 2016). Damit wird auch organisatorisch der Wechsel in die Professorenkurie vollzogen, ohne dass es eines weiteren Aktes, insbesondere keines Berufungsverfahrens, bedürfte. Auch diese Regelung spricht dafür, das römische Nihil obstat bereits zu dem frühen Zeitpunkt (Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung) einzuholen. Sie zeigt, dass nach dem erfolgreichen Abschluss der Qualifizierungsvereinbarung nach dem Willen des Gesetzgebers keine weitere Entscheidungen notwendig sind, um nicht nur eine unbefristete Stelle zu erhalten, sondern auch in die Professorenkurie aufgenommen zu werden. Für die rechtliche Diskussion ergibt sich aus § 99 Abs. 6 UG nichts Neues. Die oben dargestellten Lösungsansätze werfen im Hinblick auf § 99 Abs. 6 UG keine weiteren Fragen auf.
V. Der Entwurf des Allgemeindekrets der Kongregation für das Katholische Bildungswesen Der Entwurf des Allgemeindekrets der Kongregation für das Katholische Bildungswesen im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz26 sieht in Nr. 4 und 15 eine Regelung vor, die den Zeitpunkt für die Einholung der Zustimmung des Heiligen Stuhls zur Erteilung des Nihil obstat (Art. 27 § 2 Sapientia Christiana) angepasst an die Änderungen im KV und im UG neu bestimmen soll. In Nr. 4 ist vorgesehen: „Wegen der Bedeutung der Theologie und ihrer weltkirchlichen Dimension hat der Diözesanbischof gemäß Akkomodationsdekret Nr. 7 für Professoren bzw. Professorinnen, die auf 24
Potz/Schinkele (Anm. 8), S. 438. Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002 idF BGBl. I Nr. 131/2015. 26 Entwurf des Allgemeindekrets zur Erteilung des Nihil obstat bei der Berufung von Professoren und Professorinnen der Katholischen Theologie an den staatlichen Universitäten im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz, Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Stand: 10. 05. 2016 (unveröffentlicht). 25
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Lebenszeit ernannt werden sollen, d. h. nach geltendem österreichischem Hochschulrecht für unbefristete Ernennungen, vor Erteilung seines Nihil obstat die in Art. 27 § 2 der Apostolischen Konstitution Sapientia christiana vorgeschriebene Erklärung des Heiligen Stuhles gemäß Art. 19 § 2 SapChrOrd einzuholen. Das gilt auch für die im Kollektivvertrag 2009 genannten Assoziierten Professoren bzw. Assoziierten Professorinnen, deren zunächst befristete Anstellung nach Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung in ein auf unbestimmte Zeit bestehendes Dienstverhältnis übergeleitet wird und die daraufhin ,die wissenschaftliche/künstlerische Lehre in ihrem Fach mittels der Einrichtungen der Universität eigenverantwortlich und in gleicher Weise wie Universitätsprofessoren/Universitätsprofessorinnen (KV 2009 § 27) ausüben.‘“
Unter Zugrundelegung der Begriffe des KV 2009 handelt es sich bei Assoziierten Professoren um Personen, die die getroffene Qualifizierungsvereinbarung in der vereinbarten Zeit erfüllt haben und die dann in ein Dienstverhältnis auf unbefristete Zeit übergeführt wurden (vgl § 27 Abs 5 KV). Der Entwurf stellt damit – etwas unklar – wohl auf den Überleitungszeitpunkt ab. Möglicherweise sollte hier aber der oben beschriebene frühere Zeitpunkt für die Einholung der Zustimmung des Heiligen Stuhles festgelegt werden. Dann müsste es aber Assistenzprofessor heißen (vgl § 27 Abs 3 KV). Dafür spricht der Entwurfstext, der von zunächst befristeten Arbeitsverhältnissen ausgeht, die in unbefristete übergeleitet werden können. Assoziierte Professoren haben jedoch keine unbefristeten Dienstverträge. Nr. 15 des Entwurfs lautet: „Handelt es sich um eine unbefristete Anstellung eines Professors bzw. einer Professorin, muss der Diözesanbischof vor Erteilen seines Nihil obstat die im Akkomodationsdekret Nr. 7 vorgesehene Erklärung des Heiligen Stuhles einholen. Das gilt auch für das im Kollektivvertrag 2009 genannte Anstellungsverhältnis des Assoziierten Professors bzw. der Assoziierten Professorin, der bzw. die nach Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung in ein unbefristetes Dienstverhältnis übernommen wird.“
Wie zu Nr. 4 stellt sich bzgl. Nr. 15 die Frage, ob im zweiten Satz tatsächlich Assoziierte Professoren gemeint sind. Gute Gründe sprechen dafür, dass darunter all jene Personen zu verstehen sind, die nach Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung in ein unbefristetes Dienstverhältnis übernommen wurden.
VI. Schluss Die Analyse der kanonischen Regeln des Kirchenrechts und der universitätsrechtlichen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zeigt, wie schwer es ist, bei einer komplexen Fragestellung an der Schnittstelle zwischen staatlichem Recht und kirchlichem Recht zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen. Der Entwurf des Allgemeindekrets der Kongregation für das Katholische Bildungswesen im Bereich der Österreichischen Bischofskonferenz macht deutlich, dass die Dinge noch im Fluss sind. Noch deutlicher aber wird, dass es ohne gründliche Kenntnis und Analyse des kirchlichen Rechts nicht geht. Hierin war und ist Wilhelm Rees Vorbild. Und
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vielleicht wäre es gut, würde die Bischofskonferenz den Jubilar befragen, bevor sie eine endgültige Entscheidung trifft. In diesem Sinne: Ad multos annos!
„Die Eltern haben die sehr strenge Pflicht und das erstrangige Recht […] für die sittliche und religiöse Erziehung der Kinder zu sorgen.“ (c. 1136 CIC/1983) Recht und Pflicht zur Erziehung von Kindern durch die Eltern in Auseinandersetzung mit dem kirchlichen und staatlichen Erziehungsanspruch in Österreich Von Andreas E. Graßmann Das Konzept der religiösen Bildung und Erziehung steht immer wieder im Fokus der öffentlichen Meinungsbildung. Mediale Berichterstattung über Akte von Terror und Gewalt, welche vermeintlich im Namen Gottes bzw. der Religion verübt werden, rücken Fragen nach der Stellung von Religion in der postsäkularen Gesellschaft im Allgemeinen sowie speziell nach der Rolle von religiöser Bildung im öffentlichen Bildungswesen in den Fokus der Aufmerksamkeit.1 1
Vgl. aus der reichen Diskussion bspw.: Süddeutsche Zeitung, Glaube hat in der Schule nichts verloren – Religion aber sehr wohl. 17. 06. 2016, online unter: http://www.sueddeutsche. de/bildung/religionsunterricht-glaube-hat-in-der-schule-nichts-verloren-religion-aber-sehrwohl-1.3029254 (eingesehen am 15. 11. 2017); inFranken.de, Ist Religionsunterricht noch zeitgemäß? 25. 10. 2017, online unter: http://www.infranken.de/regional/erlangenhoechstadt/ ist-religionsunterricht-noch-zeitgemaess;art215,2983962 (eingesehen am 23. 11. 2017; salto.bz, Den Religionsunterricht abschaffen! 25. 10. 2017, online unter: https://www.salto.bz/de/article/25102017/den-religionsunterricht-abschaffen (eingesehen am 23. 11. 2017); domradio.de, Katholische Schule darf Teilnahme am Religionsunterricht verlangen. 03. 11. 2017, online unter: https://www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2017-11 - 03/katholische-schuledarf-teilnahme-am-religionsunterricht-verlangen (eingesehen am 23. 11. 2017); Spiegel Online, Privatsache, aber… Solange es christlichen Religionsunterricht an staatlichen Schulen gibt, sollte es auch muslimischen geben. 08. 11. 2017, online unter: https://daily.spiegel.de/meinung/ muslimischer-religionsunterricht-eigentlich-privatsache-aber-a-47345 (eingesehen am 23. 11. 2017); ZEIT Online, Religionsunterricht. Brauchen wir „Reli“ noch? 26. 01. 2017, online unter: http://www.zeit.de/2017/03/religionsunterricht-pflichtfach-schulen-pro-contra-ethik (ein gesehen am 23. 11. 2017); standard.at, Schule ohne Religion? Keine gute Idee. 04. 09. 2017, online unter: http://derstandard.at/2000063589354/Schule-ohne-Religion-Keine-gute-Idee (eingesehen am 23. 11. 2017); Katholische Kirche Österreich, Appell an künftige Regierung: Religionsunterricht absichern. 15. 11. 2017, online unter: https://www.katholisch.at/aktuelles/ 2017/11/15/appell-an-kuenftige-regierung-religionsunterricht-absichern (eingesehen am 16. 11. 2017); kurier.at, „Brauchen Religionenunterricht für alle“. 08. 01. 2017, online unter: https:// m.kurier.at/politik/inland/brauchen-religionenunterricht-fuer-alle/239.754.032 (eingesehen am 16. 02. 2017); Hans Mendl, Kunde oder Verkündigung? Religionsunterricht im Spannungsfeld von Konfessionalität und Pluralität, in: öarr 59 (2012), S. 6 – 30, hier S. 6 f.
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Das Konzept der Erziehung gründet darin, dass der als hilfsbedürftige Person zur Welt kommende Mensch ohne das unterstützende Eingreifen von Erwachsenen seine wesensgemäßen Anlagen nicht entfalten kann. Der primäre Ort der Erziehung der Kinder ist die Familie, wobei gleichermaßen sowohl das geistig-seelische als auch das leibliche Wohl der Kinder sowie die Pflege und Entwicklung der sozialen, kulturellen, intellektuellen und sittlich-religiösen Anlagen und Fähigkeiten zu beachten sind. Dem trägt die kirchliche Rechtsordnung Rechnung, wenn sie insbesondere in c. 1136 CIC/1983 den Eltern einerseits das Recht zur Erziehung ihrer Kinder zuspricht, andererseits aber gleichzeitig auch eine dementsprechende sehr strenge Pflicht formuliert. Der Jubilar hat sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeit wiederholt zu Fragen im Zusammenhang mit religiöser Erziehung im Allgemeinen sowie dem Religionsunterricht im Besonderen gewidmet.2 Vor allem das Zusammenspiel der kirchlichen Rechtsordnung mit dem österreichischen Religionsrecht prägte seine diesbezügliche Publikationstätigkeit.3 2 Vgl. u. a.: Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986; Wilhelm Rees, Religionsunterricht und katholische Schule im Kontext religiöser Erziehung. Rechtsgrundlagen und gegenwärtige Diskussion, in: ZKTh 118 (1996), S. 187 – 204; Wilhelm Rees, Katholische Schule und Religionsunterricht als Verwirklichung von Religionsfreiheit. Kirchenrechtlicher Anspruch und staatliche Normierung, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 33), Berlin 1999, S. 367 – 390; Wilhelm Rees, Religionsunterricht in österreichischen Schulen. Rechtliche Grundlagen und aktuelle Anfragen, in: Heinrich de Wall/Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2003, S. 387 – 407; Wilhelm Rees (Hrsg.), Katholische Kirche im neuen Europa. Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder (= Austria: Forschung und Wissenschaft. Theologie 2), Wien 2007; Wilhelm Rees, „Keine Angst, bei Neuevangelisierung aus sich heraus zu gehen“ (Papst Franziskus). Neuevangelisierung und schulischer Religionsunterricht. Kirchenrechtliche Überlegungen angesichts von Säkularisierung und schwindendem Glaubensbewusstsein, in: AfkKR 183 (2014), S. 387 – 441; Wilhelm Rees, § 69 Der Religionsunterricht, in: Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 32015, S. 1018 – 1048; Wilhelm Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: Burkhard Kämper/Klaus Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (= EssGespr. 49), Münster 2016, S. 75 – 130; 3 Vgl. u. a.: Wilhelm Rees, Staat und Kirche in Österreich und Slowenien. Kirchliche Erwartungen – Entwicklungen – Zukunftsperspektiven, in: Dieter A. Binder/Klaus Lüdicke/ Hans Paarhammer (Hrsg.), Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft, Innsbruck/Wien/ Bozen 2006, S. 121 – 152; Wilhelm Rees, Beaufsichtigung und Finanzierung kirchlicher Privatschulen und die Existenz von gesetzlichen Interessenvertretungen an diesen Einrichtungen, in: Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Das kirchliche Privatschulwesen. Historische, pastorale, rechtliche und ökonomische Aspekte (= WuR 16), Frankfurt a. M. 2007, S. 345 – 416; Wilhelm Rees, Neuere Fragen um Schule und Religionsunterricht in Österreich, in: Wilhelm Rees/ María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= KStT 61), Berlin 2013, S. 499 – 534; Wilhelm Rees, Rechtliche Rahmenbedingungen für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Österreichs, in: ÖRF 26 (2018), S. 47 – 68.
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Der folgende Beitrag stellt das Konzept der religiösen Erziehung in seinen diversen Wechselwirkungen dar, indem in den ersten beiden Kapiteln zunächst die Bestimmungen zur Erziehungspflicht und dem Recht auf Erziehung der Eltern aus Sicht der kirchlichen sowie der österreichischen Rechtsordnung dargestellt werden. In Folge wird in zwei weiteren Kapiteln das elterliche Erziehungsrecht mit dem staatlichen und kirchlichen Erziehungsrecht in Verbindung gesetzt und auf etwaige Reibungsflächen hin untersucht.
I. Pflicht und Recht zur Erziehung von Kindern durch die Eltern aus Sicht der Kirche Die katholische Kirche formuliert im Zweiten Vatikanischen Konzil in der Erklärung Gravissimum Educationis (GE) in anthropologischer und naturrechtlicher Perspektive, dass aufgrund der Personenwürde jedem Menschen das Recht auf Erziehung zukommt.4 Die Getauften besitzen darüber hinaus nach Art. 2 GE das Recht auf eine dezidiert christliche Erziehung.5 1. Das Grundrecht der Gläubigen auf christliche Erziehung Christliche Erziehung wird, da sich der Gläubige von Gott in seine Existenz, welche mit dem irdischen Leben beginnt und nach dem Tode ihre eschatologische Erfüllung findet, gestellt weiß, als umfassende Bildung der menschlichen Person verstanden. Inhalt und Durchführung der christlichen Erziehung müssen sich an diesem Heilsziel des Menschen ausrichten.6 Christliche Erziehung intendiert eine ganzheitliche Erlangung der Reife der menschlichen Person, da der Mensch immer nur 4 Vgl. Paul VI., Declaratio de educatione christiana Gravissimum educationis. 28 oct. 1965, in: AAS 58 (1966), S. 728 – 739, Art. 1,1. Für eine deutsche Übersetzung vgl. online unter: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_ 19651028_gravissimum-educationis_ge.html (eingesehen am 07. 06. 2018), Art. 1, 1: „Alle Menschen, gleich welcher Herkunft, welchen Standes und Alters, haben kraft ihrer Personenwürde das unveräußerliche Recht auf eine Erziehung, die ihrem Lebensziel, ihrer Veranlagung, dem Unterschied der Geschlechter Rechnung trägt, der heimischen kulturellen Überlieferung angepaßt und zugleich der brüderlichen Partnerschaft mit anderen Völkern geöffnet ist, um der wahren Einheit und dem Frieden auf Erden zu dienen. Die wahre Erziehung erstrebt die Bildung der menschlichen Person in Hinordnung auf ihr letztes Ziel, zugleich aber auch auf das Wohl der Gemeinschaften, deren Glied der Mensch ist und an deren Aufgaben er als Erwachsener einmal Anteil erhalten soll“. 5 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 2: „Alle Christen, die, durch die Wiedergeburt aus dem Wasser und dem Heiligen Geist zu einer neuen Schöpfung geworden, Söhne Gottes heißen und es auch sind, haben das Recht auf eine christliche Erziehung“. 6 Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR III, Paderborn 2007, S. 95; Rees, Religionsunterricht (Anm. 2), S. 27.
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gleichzeitig als Person und Gläubiger gesehen werden kann,7 begnügt sich aber nicht lediglich mit der Vervollkommnung und Entfaltung der menschlichen Talente und Anlagen. Vielmehr strebt christliche Erziehung „auf ein »übernatürliches Vollendungsziel« hin, das durch ein Leben aus dem Glauben in dieser Welt erreicht werden soll.“8 Christliche Erziehung kann lediglich vor dem Horizont des Glaubens verstanden werden, wobei sie sich dadurch auszeichnet, dass sie den Glauben der Kirche voraussetzt und ebendiesen auch – im Sinne eines rational verantworteten Glaubens – zum Ziel der Erziehung hat. Sie ist somit, wie Wilhelm Rees formuliert, „Erziehung aus dem Glauben und zum Glauben.“9 Das Objekt, auf welche sich die Bemühungen zur christlichen Erziehung beziehen, ist die oder der Gläubige. Die sich aus der Würde der Person ableitende fundamentale Gleichheit aller Gläubigen10 wird im CIC/1983 insbesondere durch den Katalog der Pflichten und Rechte aller Gläubigen in den cc. 208 – 223 CIC/1983 ausgedrückt. Im Rahmen dieses Katalogs der Pflichten und Rechte aller Gläubigen wird mit c. 217 CIC/1983 erstmalig ein Grundrecht aller christifideles auf christliche Erziehung kodikarisch statuiert. Diese Bestimmung bildet den Ausgangspunkt der gesamten materiell-rechtlichen Normierung des CIC/1983 zum Bereich der christlichen Bildung und Erziehung. Als Begründung des Christenrechts auf Erziehung führt c. 217 CIC/1983 die konziliare Lehre der Wiedergeburt mit Christus in der Taufe an, welche eine neue Seinsweise des Menschen bewirkt.11 In der Taufe wird der Mensch zu einem evangeliumsgemäßen Leben berufen, wobei von diesem Ruf der ganze Mensch und sein ganzes Leben umfasst werden.12 Um in der Lage zu sein, „dieses evangeliumsgemäße Leben führen zu können, bedarf es der Erziehung im christlichen Glauben“13, weshalb die Gläubigen das subjektive Recht darauf haben, „die Heilsgeheimnisse zu erfahren und zu einem Leben danach angeleitet zu werden.“14 2. Der Erziehungsbegriff und das Erziehungsziel des CIC/1983 C. 795 CIC/1983 bietet eine Definition des Konzepts der educatio, welche jedoch nicht iSe Legaldefinition den Terminus als Rechtsbegriff bestimmt, sondern vielmehr vor dem Hintergrund der cc. 793 und 794 CIC/1983 das Ziel umschreibt, wel7 Vgl. Reinhild Ahlers, § 17 Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: HdbKathKR3 S. 289 – 301, hier S. 297. 8 Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 27. 9 Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 28 (Hervorhebung im Original). 10 Vgl. c. 208 CIC/1983. 11 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 2. 12 Vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, c. 217, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: Oktober 2018). 13 Ebd. 14 Ahlers, Grundstellung (Anm. 7), S. 297.
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ches durch das Mittel der Erziehung erreicht werden soll. In c. 795 CIC/1983 wird zu diesem Zweck die konziliare Formulierung der vera educatio aufgegriffen,15 um das Ziel der „umfassende[n] Bildung der menschlichen Person in Hinordnung auf ihr letztes Ziel und zugleich auf das Gemeinwohl der Gesellschaft“16 zu statuieren. Wahre Erziehung soll nach kirchlichem Verständnis demzufolge die ganze „Person in allen ihren Dimensionen erfassen und prägen […], insbesondere in ihrer übernatürlichen Ausrichtung auf das Heil und auf das »bonum commune« der Gesellschaft.“17 Die Definition der gesamten Gesellschaft sowie aller Menschen als Bezugsrahmen des kirchlichen Erziehungsauftrags wurzelt darin, dass das ganze irdische Leben des Menschen – insofern es mit der himmlischen Berufung verbunden ist – der kirchlichen Heilssorge überantwortet ist,18 sodass sich in Folge aus Sicht der Kirche auch die kirchliche Maßstabshoheit über die vera educatio und deren Ziele miteinschließt.19 Katholische Erziehung hat das Ziel, den Menschen zu helfen, „zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen“20. Diesbezüglich formuliert c. 217 CIC/1983 als Ziele der educatio christiana die Reifung der menschlichen Person, die Erkenntnis der Heilsgeheimnisse sowie die Lebensführung gemäß des Evangeliums. Der in c. 217 CIC/1983 verbürgte Erziehungsanspruch der Getauften findet in Übereinstimmung mit der konziliaren Lehre21 sowie der Definition der vera educatio des c. 795 CIC/1983 eine ganzheitlich, umfassende Umschreibung. Die Erziehungsziele sind nicht lediglich auf die Vermittlung der christlichen Glaubenswahrheiten beschränkt. Vielmehr gilt: „Sowie die Taufe den ganzen Menschen in eine neue Seinsweise hebt, so ist der ganze Mensch Träger dieses Erziehungsanspruchs.“22 Unter dem Konzept der educatio ist somit aus Sicht der Kirche immer zugleich die individuelle, soziale und religiöse Dimension der menschlichen Existenz erfasst,23 um die Kinder und Jugendlichen – welche in c. 795 CIC/1983 als Objekte der vera educatio explizit in den Blick genommen werden – auf eine Art und Weise zu bilden, die es ihnen ermöglicht, dass „sie ihre körperlichen, moralischen und geistigen Anlagen harmonisch zu ent15
Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 1,1. C. 795 CIC/1983. 17 Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts (= KStKR 14), Paderborn 2011, S. 128. 18 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Vorwort Abs. 3: „In der Erfüllung des Auftrags ihres göttlichen Stifters soll die heilige Mutter Kirche das Heilsmysterium allen Menschen verkünden und alles in Christus erneuern. Ihrer Sorge ist daher auch das ganze irdische Leben des Menschen aufgegeben, insofern es mit der himmlischen Berufung im Zusammenhang steht […]“. 19 Vgl. Norbert Lüdecke, § 68 Das Bildungswesen, in: HdbKathKR3, S. 989 – 1017, hier S. 995. 20 C. 794 § 1 CIC/1983. 21 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 2. 22 Reinhardt, c. 217 (Anm. 12). 23 Vgl. Meckel, Religionsunterricht (Anm. 17), S. 128. 16
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falten vermögen, tieferes Verantwortungsbewußtsein und den rechten Gebrauch der Freiheit erwerben und befähigt werden, am sozialen Leben aktiv teilzunehmen.“24 Das Bewusstsein um die Verantwortung manifestiert sich nach Auffassung des katholischen Gesetzgebers im christlichen Gehorsam gegenüber dem, was „die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer des Glaubens erklären oder als Leiter der Kirche bestimmen“25. In dieser Perspektive zeigt sich die vera educatio nicht in der Verwirklichung persönlicher Willkür, sondern vielmehr, gebunden an Recht und Lehre der Kirche, in der Orientierung „auf Gott und seine Kirche, auf die Bildung und Verwirklichung der Person und ihrer Heilsberufung in ,geistlicher Freiheit‘ durch und für die Kirche […].“26 3. Pflicht und Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder Der CIC/1983 stellt sich mit seinen Bestimmungen über die katholische Erziehung in die inhaltliche Linie des Zweiten Vatikanums, welches in seiner Erklärung über die christliche Erziehung die Eltern explizit „als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder“27 sowie die christliche Familie als fundamentalen Ort der Ersterziehung der Kinder bezeichnet.28 Dem subjektiven Recht des Kindes auf eine christliche Erziehung steht auf Seiten der Eltern sowohl das Recht als auch die Pflicht gegenüber, das Kind christlich zu erziehen und zu bilden,29 was im Rechtscorpus des CIC/1983 in cc. 793 § 1 u. 1136 CIC/1983 als sehr strenge Pflicht und erstrangiges 24 C. 795 CIC/1983. Die umfassende Förderung aller Anlagen muss auch das Wecken von Berufungen zu den verschiedenen Formen des Ordenslebens durch Eltern, Priester und christliche Erzieher zum Ziel haben. Vgl. Paul VI., Decretum de accommodata renovatione vitae religiosae Perfectae caritatis. 28 oct. 1965, in: AAS 58 (1966), S. 702 – 712, Art. 24; deutsch online unter: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/docu ments/vat-ii_decree_19651028_perfectae-caritatis_ge.html (eingesehen am 11. 07. 2018), Art. 24. In Bezug auf die Förderung der Berufungen zum Klerikerstand obliegt die Pflicht nach c. 233 § 1 CIC/19 83 der ganzen christlichen Gemeinschaft. Des Weiteren besteht darüber hinaus die Verpflichtung zur „Bekräftigung und Unterstützung in der jeweiligen Standeserziehung als Laie oder zum bzw. als Kleriker.“ (Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 996). 25 C. 212 § 1 CIC/1983. Vgl. auch: cc. 747 – 754 CIC/1983. 26 Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 996 f. 27 Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3 Abs. 1; Vgl. auch: Päpstlicher Rat für die Familie, Charta der Familienrechte. 22. Oktober 1983, online unter: http://www.vati can.va/roman_curia/pontifical_councils/family/documents/rc_pc_family_doc_19831022_fa mily-rights_ge.html (eingesehen am 11. 07. 2018), Art. 5. 28 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3 Abs. 1. 29 Vgl. Peter Krämer, Kirchenrecht I. Wort – Sakrament – Charisma (= Kohlhammer Studienbücher Theologie 24, 1), Stuttgart 1992, S. 52; Myriam Wijlens, Elternschaft und educatio, in: Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke/Matthias Pulte (Hrsg.), Kirchenrecht und Theologie im Leben der Kirche. Festschrift für Heinrich J. F. Reinhardt zur Vollendung seines 65. Lebensjahres (= BzMK 50), Essen 2007, S. 441 – 457, hier S. 442 – 453.
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Recht normiert wird. Die spezifische Pflichtenbindung des elterlichen Erziehungsrechts stellt einen gravierenden Unterschied zum staatlichen Rechtsbereich dar. Während das staatliche Recht den Eltern aufgrund der verfassungsgemäßen Neutralität des Staats in religiösen Fragen die Bestimmung der Erziehung weitestgehend frei stellt, „besteht für die Kirche naturgemäß keine derartige Beschränkung. Demgemäß bindet auch der CIC/1983 – und zwar in c. 795 – die Eltern an ein positiviertes Erziehungsziel.“30 Diese Bindung an das Erziehungsziel entspricht dem Recht des Kindes gegenüber seinen Eltern auf eine educatio christiana gemäß c. 217 CIC/ 1983.31 Beide Eltern besitzen als Rechtswirkung der Ehe in Bezug auf ihre Kinder zu gleichen Maßen das Recht sowie die Pflicht zur Erziehung,32 jedoch sind nicht lediglich Eltern in bestehender Ehe zur Erziehung ihrer Kinder verpflichtet und berechtigt. Diesbezüglich statuiert c. 226 § 2 CIC/1983 die sehr schwerwiegende Verpflichtung und das Recht zur Erziehung für alle Eltern unabhängig davon, „ob sie gültig oder ungültig oder überhaupt nicht verheiratet sind.“33 Das elterliche Erziehungsrecht sowie die diesbezügliche Pflicht erwachsen nicht aus dem Eingehen einer gültigen Ehe,34 sondern gründet vielmehr im „generativen Zusammenwirken von Mann und Frau“35. Folglich ist das Recht zur Erziehung der Kinder und Jugendlichen durch die Kirche in erster Linie den Eltern zugesprochen36 und wird kirchlicherseits als unmittelbar, unveräußerlich und unverletzbar qualifiziert.37 Die Kirche wendet sich nachdrücklich gegen Forderungen und Versuche, den Eltern die Erziehung ihrer Kinder zu entziehen38 und betont in ihrer Rechtsordnung – namentlich in den Codices von 191739 sowie 198340 und den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen 30 Dieter Weiß, Das Recht der religiösen und weltanschaulichen Kindererziehung. Staatliche und kirchliche Regelungen (= Linzer kanonistische Beiträge 5), Linz 1995, S. 201. 31 Vgl. Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 182. 32 Vgl. c. 1135 iVm c. 1055 § 1 CIC/1983, weshalb die Kindererziehung von den Eltern gemeinsam ausgeübt werden soll. Vgl. Felix Bernard, Art. Kindererziehung. II. Kath., in: LKStKR II, S. 411 f., hier S. 411. 33 Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 183. 34 Der Ehebund ist jedoch die Voraussetzung für legitime Elternschaft. Vgl. Heinrich Mussinghoff, c. 793, Rdnr. 2 in: MK CIC (Stand: Oktober 2018). 35 Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 994. 36 Vgl. die Klassifizierung als ius primarium in c. 1136 CIC/1983 sowie den Fokus auf die Eltern durch das Adverb imprimis in c. 226 § 2 CIC/1983. 37 Vgl. Leo XIII., Litterae encyclicae Rerum Novarum. 15 maii 1891, in: ASS 23 (1890/ 1891), S. 641 – 670, hier S. 646 f.; Pius XI., Litterae encyclicae Divini illius magistri. 31 dec. 1929, in: AAS 22 (1930), S. 49 – 86, hier S. 59; Pius XII., Litterae encyclicae Summi pontificatus. 20 oct. 1939, in: AAS 31 (1939), S. 413 – 453, hier S. 435; Johannes Paul II., Adhortatio apostolica Familiaris consortio. 22 nov. 1981, in: AAS 74 (1981), S. 81 – 191, hier S. 126. 38 Vgl. Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 29. 39 Vgl. u. a. cc. 1113 u. 1372 § 2 CIC/1917. 40 Vgl. v. a. cc. 226 § 2, 793 § 1 u. 1136 CIC/1983.
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Konzils41 – das elterliche Erziehungsrecht sowie die damit korrespondierende Pflicht zur Erziehung.42 Der rechtliche Anspruch auf eine educatio christiana nach c. 217 CIC/1983 entsteht grundsätzlich durch die Taufe und besteht für die Gläubigen prinzipiell lebenslang. Aus der Natur der Sache heraus wird dieses Recht jedoch primär für Kinder und Jugendliche aktuell, da diese ein eminentes Recht auf Hilfe innehaben und dieses heiligen Rechts niemals beraubt werden dürfen.43 Den subjektiven Rechtsanspruch besitzen Kinder und Jugendliche in erster Linie gegenüber ihren Eltern,44 welche ihrerseits sowohl das Recht als auch die Pflicht haben, das Kind christlich zu erziehen und zu bilden,45 sowie gegenüber der Kirche.46 Die Aufgabe der christlichen Eltern, die christliche Erziehung ihrer Kinder gemäß der Lehre der Kirche zu gewährleisten, wird als besondere Teilhabe der Eltern am munus sanctificandi der Kirche charakterisiert.47 Das Elternrecht kann aus Sicht der Kirche auch Gegenstand von Limitierungen sein, welche sich einerseits aus dem ius divinum naturale ergeben können, demzufolge auch der Kirche und dem Staat Erziehungsrechte zukommen, sowie andererseits auch durch mangelnden Erziehungswillen bzw. Erziehungsunfähigkeit der Eltern bedingt sein können.48 Letzteres gilt Rees zufolge „insbesondere dort, wo die Familie als eine der Hilfe bedürftige Gesellschaft bei wachsender Differenzierung und Steigerung der Bildungsansprüche die Leistungen nicht mehr zu erbringen vermag, die von ihr für die Erziehung ihrer Kinder an sich gefordert werden müssen.“49 In diesen Fällen ist das Erziehungsrecht der Eltern – analog zum staatlichen Rechtsbereich – nicht uneingeschränkt gewährleistet, sondern wird durch die Rechte des Kindes (auf Erziehung) begrenzt.50
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Vgl. v. a. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3. Vgl. dazu: Heinrich Mussinghoff, Familienrecht im Codex Iuris Canonici, in: ÖAfKR 34 (1983/84), S. 96 – 130, hier S. 107 – 116. 43 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 1 Abs. 3. 44 Vgl. Reinhardt, c. 217, Rdnr. 4 (Anm. 12) . Diejenigen Personen, welche an die Elternstelle treten, sind durch c. 793 § 1 CIC/1983 ebenfalls zur katholischen Erziehung der ihrem Schutz anvertrauten Kinder verpflichtet. Vgl. Weiß, Recht (Anm. 30), S. 200. 45 Vgl. Wijlens, Elternschaft (Anm. 29), S. 442 – 453; Vgl. auch: Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3 Abs.1; cc. 226 § 2 u. 1136 CIC/1983. 46 Vgl. Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 997. 47 Vgl. c. 835 § 4 CIC/1983. Vgl. dazu: Alexander Hollerbach, Art. Erziehungsrecht, in: LThK III, Sp. 855 f., hier Sp. 856; Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 182; Meckel, Religionsunterricht (Anm. 17), S. 123. 48 Vgl. Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 994. 49 Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 29. 50 Vgl. Weiß, Recht (Anm. 30), S. 204; Mussinghoff, Familienrecht (Anm. 42), S. 120. Letzterer hält a.a.O. ausdrücklich fest, dass dem „Grundrecht auf christliche Erziehung […] ein Vorrang vor dem elterlichen Sorge- und Erziehungsrecht zuerkannt [wird]“. 42
Recht und Pflicht zur Erziehung von Kindern durch die Eltern
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Von etwaigen Limitierungen zu unterscheiden ist der Strafanspruch der Kirche gemäß c. 1366 CIC/1983 in Fällen, in denen Eltern schuldhaft ihrer Pflicht zur christlichen Erziehung nicht nachkommen. Die Verpflichtung der Eltern und derjenigen, welche die Elternstelle vertreten, auf die Erziehungsziele der katholischen Kirche geht so weit, dass eine vorsätzliche Nichtwahrnehmung der Erziehungsverpflichtung universalkirchenrechtlich als Straftat geahndet werden kann. Die Existenz dieser Strafandrohung kennzeichnet einerseits den hohen Stellenwert, welchen die katholische Kirche der elterlichen Erziehung beimisst sowie andererseits deren Unverzichtbarkeit für die Entwicklung des Kindes.51 Um den diesbezüglichen Straftatbestand zu erfüllen, müssen die Eltern oder ihre Stellvertreter vorsätzlich aktiv werden, indem sie die Kinder bewusst einer nichtkatholischen Erziehung übergeben bzw. die nichtkatholische Taufe der Kinder veranlassen.52 4. Kirchliche Vorgaben zur Ersterziehung von Kindern und Jugendlichen durch die Eltern Aus Sicht der Kirche vollzieht sich die Hinführung zum sowie die Einübung in den Glauben für die Heranwachsenden in erster Linie im Rahmen der Familie. Das ganze Leben des Menschen wird dabei davon geprägt, was an diesem christlichen Lernort geschieht bzw. nicht geschieht. Das kirchliche Gesetzbuch nimmt Eltern in die Pflicht, u. a. auch für die sittliche und religiöse Erziehung ihrer Kinder zu sorgen.53 Der CIC/1983 gibt jedoch in diesem Zusammenhang nicht lediglich das Ziel der vera educatio vor,54 sondern auf dem Weg zur Erreichung des Erziehungsziels formuliert der kirchliche Gesetzgeber auch eine Reihe von Pflichten und Rechten der katholischen Eltern in Bezug auf die Erziehung ihrer Kinder. Das materielle Recht des CIC/ 1983 impliziert für die Eltern die Verpflichtung, dem kindlichen Erziehungsanspruch durch entsprechende Erziehungsmaßnahmen gemäß den Normen55 sowie dem verbindlichen Lehramt56 der Kirche zu begegnen, um die Kinder adäquat in die Gesell-
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Vgl. Krämer, Kirchenrecht I (Anm. 29), S. 52. Der notwendige Vorsatz in der Handlung wird mit dem Verbum tradere ausgedrückt. Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 203; Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (= Kanonistische Studien und Texte 41), Berlin 1993, S. 433; Mussinghoff, Familienrecht (Anm. 42), S. 115, FN 62. Das im Deutschen mit veranlassen wiedergegebene tradere des c. 1366 CIC/1983 bezeichnet keine räumliche Auslieferung des Kindes zum Zweck der nichtkatholischen Erziehung (bspw. Internatserziehung), „sondern allein die Beauftragung mit einer anderen religiösen Erziehung als der katholischen.“ (Klaus Lüdicke, c. 1366, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: Oktober 2018). 53 Vgl. c. 1136 CIC/1983. 54 Vgl. c. 795 CIC/1983. 55 Vgl. c. 209 § 2 CIC/1983. 56 Vgl. cc. 212 § 1, 226 § 2, 747 – 754 CIC/1983. 52
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schaft von Kirche und Welt einzuführen und sie zu aktiven Gliedern am Leib Christi, der Kirche, zu formen.57 Diese Elternpflicht zur Erziehung ihrer Kinder wird entsprechend den Lebensphasen bzw. dem Lebensalter der Kinder sowie den Anforderungen an die Erziehung konkretisiert. Eltern sind dementsprechend bspw. dazu verpflichtet, ihre Kinder innerhalb der ersten Lebenswochen taufen zu lassen58 sowie sie auf den Empfang der weiteren Initiationssakramente vorzubereiten.59 Hinsichtlich der Frage nach der Inkorporation der Kinder in die Kirche durch das Sakrament der Taufe liegt das Recht zur Entscheidung bei den Eltern und kann und darf von der Kirche nicht missachtet bzw. ersetzt werden, was in Spannung zu c. 868 § 2 CIC/1983 steht, demzufolge in Todesgefahr Kinder auch gegen den Willen der Eltern erlaubt getauft werden können.60 Des Weiteren sind sie als die ersten Katecheten ihrer Kinder zu einem vorbildlichen christlichen Lebensstil verpflichtet, um „durch Wort und Beispiel ihre Kinder im Glauben und in der Praxis christlichen Lebens zu bilden.“61 In der durch ihren Ehebund gestifteten Hauskirche „sollen die Eltern durch Wort und Beispiel für ihre Kinder die ersten Glaubensboten sein und die einem jeden eigene Berufung fördern, die geistliche aber mit besonderer Sorgfalt.“62 Das Fördern der Einübung in das christliche Leben der Kinder durch die Eltern manifestiert sich u. a. in der Wahl eines Namens, welcher christlichem Empfinden nicht fremd ist,63 der Wahl von Tauf- und Firmpaten,64 sowie in der Mitsorge in der Vorbereitung auf den (erstmaligen) Emp57 Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3 Abs. 1; Vgl. auch Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 998. 58 Vgl. c. 867 § 1 CIC/1983. In Todesgefahr ist ein Kind nach c. 867 § 2 CIC/1983 jedoch unverzüglich zu taufen. 59 Vgl. c. 914 CIC/1983 für den erstmaligen Empfang der Eucharistie sowie c. 890 für die Firmung. 60 Vgl. dazu Alfred E. Hierold, § 77 Taufe und Firmung, in: HdbKathKR3, S. 1152 – 1169, hier S. 1161; Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 994; Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 183, sowie v. a. Alexander Hollerbach, Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht, in: ZevKR 29 (1984), S. 145 – 169, hier S. 157 – 159, der dafür plädiert, von der Möglichkeit des c. 868 § 2 CIC/1983 keinen Gebrauch zu machen. 61 C. 774 § 2 CIC/1983. 62 Paul VI., Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium. 21. November 1964, online unter: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/ vat-ii_const_19641121_lumen-gentium_ge.html (eingesehen am 04. 07. 2018), Art. 11 Abs. 2. 63 Vgl. c. 855 CIC/1983; Vgl. hierzu: Andreas E. Graßmann, Das Patrozinium. Eine kirchenrechtliche Darstellung mit besonderer Berücksichtigung des titulus ecclesiae gemäß c. 1218 CIC/83 (= WuR 27), Frankfurt a. M. u. a. 2017, S. 293 – 311. 64 Vgl. cc. 874 § 1 18 u. 893 § 1 CIC/1983; Vgl. hierzu: Hans Paarhammer, „Speciali autem modo a patrinis“. Überlegungen zum Patenamt im geltenden Kirchenrecht, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia canonum. Festgabe für Franz Pototschnig zum 65. Geburtstag, München 1991, S. 377 – 398; Hans Paarhammer, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Patenamtes vom Trienter Konzil bis zum CIC/1917, in: ÖAfKR 44 (1995 – 97), S. 166 – 196.
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fang der Sakramente der Beichte und Eucharistie,65 der Firmung66 sowie im Einüben in eine rechte Bußgesinnung.67 Durch das Erreichen des Unterscheidungsalters68 unterliegen die Minderjährigen nach c. 11 CIC/1983 dem ius mere ecclesiasticum und sind somit von den Eltern zur Erfüllung ihrer Pflichten zu erziehen.69 Mit zunehmendem Alter der Kinder wird das elterliche Erziehungsrecht durch wachsende Teilmündigkeiten der Minderjährigen begrenzt,70 sodass sich die Eltern in diesen Bereichen „auf Ratschläge beschränken [sollen], wo sie nicht mehr bestimmen dürfen.“71 Demzufolge können Minderjährige nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres „[i]n geistlichen und mit diesen zusammenhängenden Sachen […] ohne Zustimmung ihrer Eltern oder ihres Vormundes klagen und sich verantworten, und zwar selbstständig […].“72 Ebenso können sie ab diesem Alter als Katechumenen den Ritus wählen, in welchem sie die Taufe empfangen wollen und somit auch die ecclesia sui iuris, in welche sie durch die Taufe inkorporiert werden.73 Minderjährige, welche die Taufe bereits empfangen haben, können nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres zur lateinischen Kirche zu65
Vgl. c. 914 CIC/1983; Vgl. hierzu: Ryszard Sztychmiler, L’obbligo dei genitori di educare i figli alla vita eucaristica, in: Ius Ecclesiae 2 (1990), S. 127 – 135. 66 Vgl. c. 890 CIC/1983; Vgl. hierzu: Paul E. Baillargeon, The Rights and Duties of Parents in the Sanctification of their Children, in: Canon Law Society of America Proceedings 54 (1992), S. 54 – 71; Francis G. Morrisey, The Rights of Parents in the Education of their Children (Canons 796 – 806), in: StCan 23 (1989), S. 429 – 444. 67 Vgl. c. 1252 CIC/1983; Vgl. Heinrich Mussinghoff, Ausschluss der Erziehung als Ehenichtigkeitsgrund?, in: AfkKR 156 (1987), S. 63 – 94, hier S. 83. 68 Vgl. c. 97 § 2 CIC/1983. 69 So bspw. die Sonntagspflicht (c. 1247 CIC/1983), die Pflicht zur Jahresbeichte (c. 989 CIC/1983) oder auch die Kommunionpflicht (c. 920 CIC/1983). Vgl. dazu: Reinhild Ahlers, Die Kirchengebote, in: Rüdiger Althaus/Judith Hahn/Matthias Pulte (Hrsg.), Im Dienste der Gerechtigkeit und Einheit. Festschrift für Heinrich J.F. Reinhardt zur Vollendung seines 75. Lebensjahres (= BzMK 75), Essen 2017. Wie Norbert Lüdecke unter Verweis auf eine Orientierungshilfe des damaligen Päpstlichen Rats für die Familie betont, (vgl. Päpstlicher Rat für die Familie, Menschliche Sexualität: Wahrheit und Bedeutung. Orientierungshilfen für die Erziehung in der Familie. 8. Dezember 1995, online unter: http://www.vatican.va/roman_ curia/pontifical_councils/family/documents/rc_pc_family_doc_08121995_human-sexuality_ ge.html (eingesehen am 05. 07. 2018) haben sich die Eltern entsprechend der Lehre und den Empfehlungen der Kirche „besonders um die angemessene Sexualerziehung ihrer Kinder, nämlich zur Keuschheit in Ehe oder Jungfräulichkeit [zu] bemühen. Damit und indem sie ihre Kinder bei der Entwicklung wahrer Fraulichkeit und Männlichkeit mit ihren schöpfungsmäßig vorgegebenen Rollen in Kirche und Gesellschaft unterstützen und ihnen die Bedeutung der gläubigen Gesinnungseinigkeit für eine gelingende Partnerschaft und so für die richtige Partnerwahl vermitteln, leisten sie zugleich ihren Beitrag zur entfernteren, bereits in der Familie beginnenden Ehevorbereitung und zur Einhaltung des Ideals der religiösen und konfessionellen Endogamie (cc. 1086, 1124).“ (Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 998 f.) 70 Vgl. Bernard, Art. Kindererziehung (Anm. 32), S. 412; Mussinghoff, c. 793, Rdnr. 6 (Anm. 34). 71 Lüdecke, Bildungswesen (Anm. 19), S. 999. 72 C. 1478 § 3 CIC/1983. 73 Vgl. c. 111 § 2 CIC/1983.
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rückkehren, d. h. den lateinischen Ritus wählen, wenn ihre Eltern den Rituswechsel hin zu einer orientalischen ecclesia sui iuris vollzogen haben.74 Gültig können Minderjährige nach Vollendung des siebzehnten Lebensjahres zum Noviziat zugelassen werden.75 Mit der Vollendung des 14. bzw. 16. Lebensjahres erlangen weibliche bzw. männliche Jugendliche das kirchliche Alter der Ehereife,76 sodass auch ohne Wissen oder gegen den begründeten Widerspruch der Eltern durch die Minderjährigen eine gültige Ehe geschlossen werden kann, wenn der Ortsordinarius die Trauerlaubnis erteilt.77 5. Schulen als Mittel zur Verwirklichung der elterlichen Verpflichtung zur Erziehung ihrer Kinder Um die kirchlichen Erziehungsziele zu erreichen, sind die Eltern dazu verpflichtet, sich aller verfügbaren – auch weltlicher – Hilfsmittel zu bedienen.78 Das elterliche Erziehungsrecht ist aus Sicht der Kirche kein abstraktes Recht.79 Vielmehr impliziert es für katholische Eltern das Recht, „die Mittel und Einrichtungen zu wählen, mit denen sie je nach den örtlichen Verhältnissen besser für die katholische Erziehung ihrer Kinder sorgen können.“80 Nachdrücklich betont das Zweite Vatikanum auf Basis der in der Würde der menschlichen Person grundgelegten Religionsfreiheit das Recht der Eltern, die religiöse Erziehung ihrer Kinder gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu gestalten.81 Wie Mussinghoff formuliert, stellt in Verlängerung des Zweiten Vatikanums der c. 793 CIC/1983 einerseits „die örtlichen Verhältnisse in Rechnung, da die Erziehungsmöglichkeiten und -einrichtungen auf der Erde sehr unterschiedlich zur Verfügung stehen, [andererseits] will [er] aber durch die Verankerung des Elternrechts auf religiöse Erziehung der Kinder gleichzeitig einen Anspruch verdeutlichen, der sich aus den Grundrechten Elternrecht und Religionsfreiheit herleitet.“82
Auch bei der Inanspruchnahme der Hilfen in der christlichen Erziehung iSd c. 793 § 2 CIC/1983 sind die Eltern an die kodikarischen Vorgaben gebunden. So sollen die Gläubigen allgemein gemäß c. 796 § 1 CIC/1983 die Schulen als Erziehungs74
Vgl. c. 112 § 1 38 CIC/1983. Vgl. c. 643 § 1 CIC/1983. 76 Vgl. c. 1083 CIC/1983. 77 Vgl. c. 1071 68 CIC/1983. 78 Vgl. cc. 793 u. 798 CIC/1983; Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR III, S. 97. 79 Vgl. Mussinghoff, c. 793, Rdnr. 4 (Anm. 34). 80 C. 793 § 2 CIC/1983. 81 Vgl. Paulus VI., Declaratio de libertate religiosa Dignitatis humanae. De iure personae et communitatum ad libertatem socialem et civilem in re religiosa. 7 dec. 1965, in: AAS 58 (1966), S. 929 – 946, Art. 5; deutsch online unter: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ ii_vatican_council/documents/vat-ii_decl_19651207_dignitatis-humanae_ge.html (eingesehen am 04. 07. 2018), Art. 5. 82 Mussinghoff, c. 793, Rdnr. 4 (Anm. 34). 75
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mittel hochschätzen, durch welche den Eltern bei der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgabe eine vorzügliche Hilfe geboten wird.83 Speziell die Eltern sollen nach c. 798 CIC/1983 „ihre Kinder jenen Schulen anvertrauen, in denen für die katholische Erziehung gesorgt wird.“84 Übergeben die Eltern ihre Kinder katholischen oder nichtkatholischen Schulen zur Erziehung, so bedeutet dies in beiden Fällen nicht, dass sich die Eltern in diesem Bereich nicht auch einbringen sollen. Der Gesetzgeber formuliert eine wechselseitige Verpflichtung zur Kooperation für die Lehrpersonen und die Eltern. Nach c. 796 § 2 CIC/1983 sollen die Eltern die Möglichkeiten der Mitwirkung im schulischen Bereich nutzen, indem sie mit den Lehrpersonen eng kooperieren sowie sich aktiv in Elternversammlungen und -vereinigungen engagieren. Die Lehrpersonen wiederum sollen für die Einrichtung dieser Vereinigungen und Versammlungen sorgen und sie hochschätzen.85 Die Gläubigen sollen darüber hinaus gemäß c. 799 CIC/ 1983 darum bemüht sein, dass im staatlichen Bereich die Gesetze in Bezug auf die schulische Bildung der Kinder und Jugendlichen „auch deren religiöse und sittliche Erziehung nach dem Gewissen der Eltern in den Schulen“86 beachten. Der Aufruf zur Kooperationsbereitschaft ist aus Sicht der Kirche wichtig, da in der Praxis der Einbezug der religiösen Bildung in die öffentlichen Schulsysteme bzw. die Rücksichtnahme auf religiöse Bildung im Schulwesen immer wieder Gegenstand notwendiger Kontaktaufnahmen und Verhandlungen mit den Staaten sind.87 Dabei geht es der katholischen Kirche in dieser Frage nicht lediglich um den Schutz der Rechte katholischer Eltern, was dadurch augenscheinlich gemacht ist, dass c. 796 CIC/1983 ganz allgemein von Eltern spricht und eine diesbezügliche Bestimmung auch in die kirchliche Charta der Familienrechte aufgenommen wurde. Das Elternrecht wird durch die Kirche in diesem Bereich der innerschulischen Kooperation für alle Eltern, unabhängig von der je konkreten Religionszugehörigkeit, eingemahnt.88 83 Vgl. c. 796 § 1 CIC/1983; Durch die Formulierung der Norm macht der Gesetzgeber „unmissverständlich deutlich, dass die Schule gegenüber der Erziehung durch die Eltern subsidiär zu verstehen ist und kein Erziehungsmonopol beanspruchen darf. Andererseits dürfen die Eltern diese Hilfe auch nicht ablehnen, da die Schule eigene Erziehungs- und Bildungsziele verfolgt, die von den Eltern selbst nicht erfüllt werden können, und die zu einer ganzheitlichen Erziehung der Kinder unverzichtbar sind.“ (Kerstin Schmitz-Stuhlträger, Das Recht auf christliche Erziehung im Kontext der katholischen Schule. Eine kanonistische Untersuchung unter Berücksichtigung der weltlichen Rechtslage (= Kirchenrechtliche Bibliothek 12), Berlin 2009, S. 406). 84 C. 798 CIC/1983. 85 Vgl. c. 796 § 2 CIC/1983. 86 C. 799 CIC/1983. 87 Vgl. Schmitz-Stuhlträger, Recht (Anm. 83), S. 406. 88 Vgl. Päpstlicher Rat für die Familie, Charta (22. 10. 1983), Art. 5 lit. e: „Das vorrangige Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, muss in allen Formen des Zusammenwirkens zwischen Eltern, Lehrern und Schulleitung gewahrt bleiben, insbesondere bei Mitwirkungsformen, die den Bürgern in praktischen Schulfragen und in der Formulierung und Konkretisierung von Erziehungsprogrammen eine Stimme geben wollen“.
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II. Pflicht und Recht zur religiösen Erziehung von Kindern durch die Eltern in der österreichischen Rechtsordnung In Österreich obliegt den Eltern in Bezug auf ihre Kinder die Pflicht der Obsorge, welche u. a. auch den Bereich der Erziehung umfasst. Inwiefern in der österreichischen Rechtsordnung im Kontext des elterlichen Erziehungsrechts auch der Aspekt der religiösen Erziehung von Kindern durch die Eltern Beachtung findet, soll in diesem Abschnitt analysiert werden. 1. Verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Rahmen des Elternrechts auf (religiöse) Erziehung in Österreich Für die österreichische Rechtslage ist bezüglich der Frage nach Pflicht und Recht zur Erziehung von Kindern durch die Eltern auf Verfassungsebene v. a. die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, die sog. Europäische Menschenrechtskonvention, zu beachten.89 Die EMRK ergänzt das Grundrecht auf Religionsfreiheit durch den rechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens90 sowie das im ersten Zusatzprotokoll zur EMRK formulierte Elternrecht auf Erziehung und Unterricht der Kinder entsprechend den religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern.91 Mit dem Erziehungsrecht der Eltern korreliert zunächst das Recht des Kindes auf Religionsfreiheit, mit zunehmendem Alter des Kindes tritt der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates in Verbindung mit dem Recht des Kindes auf Bildung92 hinzu.93 Somit bedarf es in Bezug auf die grundrechtliche Bewertung von Einzelfragen im Bereich der religiösen Erziehung in Österreich „einer Gesamtschau dieser Komponenten, wobei die unterschiedlichen Gewichtungen durch das Alter des Kindes wesentlich mit bestimmt werden.“94 Im Rahmen der einfachgesetzlichen Normierung wird das Recht auf religiöse und weltanschauliche Erziehung von Kindern durch das Bundesgesetz über die religiöse
89 Vgl. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten samt Zusatzprotokoll [= EMRK]. 4. November 1950, BGBL 210/1958, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1958_210_0/1958_210_0.pdf (eingesehen am 26. 03. 2018). 90 Vgl. EMRK, Art. 8. 91 Vgl. EMRK, 1. ZP Art. 2 Satz 2: „Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen“. 92 Vgl. EMRK, 1. ZP Art. 2 Satz 1: „Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden“. 93 Vgl. Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 324. 94 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 324.
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Kindererziehung95 geregelt. Während einer bestehenden Ehe kann durch keinen Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils eine Abmeldung eines Kindes vom Religionsunterricht vorgenommen werden oder das Bekenntnis eigenmächtig gewechselt werden, in welchem das Kind religiös erzogen wird.96 Die Bestimmungen des RelKEG sind dem Sinn nach, ungeachtet des Gesetzestitels, über die bekenntnisgebundene Erziehung hinaus auch entsprechend auf jedwede Erziehung der Kinder in einer nicht bekenntnismäßigen Weltanschauung bzw. in Bezug auf eine areligiöse Erziehung anzuwenden.97 Durch die Bestimmungen des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 200198 ist es auch möglich, dass nicht verheiratete Elternteile gemeinsam beantragen, dass der je andere Elternteil an der Obsorge teilnimmt und sich im Rahmen dieser Obsorge der religiösen Kindererziehung annimmt.99 Des Weiteren zu beachten sind die Bestimmungen des Kindschaftsrechts, welches v. a. in den §§ 137 – 203 ABGB formuliert ist. Das sog. Letztentscheidungsrecht des Vaters wurde im Zuge der sog. Großen Familienrechtsreform durch Änderungen des ABGB mit der Neuordnung des Kindschaftsrechts vom 30. Juni 1977 zu Gunsten des Gleichberechtigungs- und Partner-
95 Vgl. Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung 1985 [= RelKEG]. 5. April 1985, BGBL 155/1985, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1985_155_0/ 1985_155_0.pdf (eingesehen am 26. 03. 2018). 96 Vgl. RelKEG, § 2 Abs. 2: „Es kann jedoch während bestehender Ehe von keinem Elternteil ohne die Zustimmung des anderen bestimmt werden, daß das Kind in einem anderen als dem zur Zeit der Eheschließung gemeinsamen Bekenntnis oder in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen, oder daß ein Kind vom Religionsunterricht abgemeldet werden soll“. 97 Vgl. RelKEG, § 6: „Die vorstehenden Bestimmungen sind auf die Erziehung der Kinder in einer nicht bekenntnismäßigen Weltanschauung entsprechend anzuwenden“. Helmuth Pree folgert aus § 6 RelKEG, „daß keine Pflicht zur Erziehung in einem positiven Gottesglauben (Religion) besteht, sondern auch die areligiöse Erziehung zulässig ist.“ (Helmuth Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht (= Springers Kurzlehrbücher der Rechtswissenschaft), Wien u. a. 1984, S. 29) 98 Vgl. Bundesgesetz, mit dem das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, das Ehegesetz, das Unterhaltsvorschussgesetz, die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz, das Rechtspflegergesetz, die Exekutionsordnung, das Personenstandsgesetz, das Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht, das Gerichtsgebührengesetz, die Vierte Durchführungsverordnung zum Ehegesetz, das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989, das Bankwesengesetz und das Krankenanstaltengesetz geändert werden (Kindschaftsrechts- Änderungsgesetz 2001 – KindRÄG 2001) [= KindRÄG 2001], BGBL I 135/2000, online unter: https://www.ris. bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/2000_135_1/2000_135_1.pdf (eingesehen am 28. 03. 2018). 99 Bereits im Jahr 1995 sprach der OGH aus, dass die Obsorge-Regelung des § 177 ABGB (idF BGBL 162/1989) nicht gegen Art 8 EMRK verstoße. Dadurch waren einvernehmliche Übereinkünfte der Eltern nach Auflösung einer Ehe oder im Fall bestehender Trennung ermöglicht. Die Bestimmung beschränkte sich folglich darauf, für Fälle, in denen ein Einvernehmen zwischen den Eltern nicht oder nicht mehr besteht, im Zuge der Auflösung der Ehe eine klare Regelung über die Obsorge für das Kind vorzusehen. Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 325.
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schaftsprinzips100 beseitigt.101 Das Einigkeitsprinzip wurde auf die gesamte Pflege und Erziehung der Kinder ausgedehnt, sodass das Konfliktregelungsmodell der väterlichen Letztentscheidung obsolet wurde.102 2. Grundsätze des Elternrechts auf religiöse Kindererziehung a) Allgemeine Grundsätze des elterlichen Rechts auf religiöse Erziehung Das oberste Wertungs- und Auslegungskriterium des allgemeinen österreichischen Kindschaftsrechts stellt der unbestimmte Gesetzesbegriff des sog. Kindeswohls dar,103 welcher mittels der demonstrativen Aufzählung von Kriterien in § 138 ABGB durch den Gesetzgeber inhaltlich einer näheren Bestimmung zugeführt wird. U. a. nennt § 138 ABGB als für die Beurteilung des Kindeswohls relevante Kriterien die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes. Der Begriff des Kindeswohls umfasst auch die psychische Gesundheit, sodass in Belangen der religiösen Erziehung das Prinzip des Kindeswohls als Auslegungskriterium heranzuziehen ist.104 Aufgrund des fundamentalen Bekenntnisses des österreichischen Gesetzgebers zur Gewährleistung des Grundrechts auf Glaubens- und Gewissensfreiheit,105 ist jedweder durch den Staat ausgeübte Zwang in der Frage der religiösen Erziehung der Kinder unzulässig. Verschiedene Regelungen des internen Rechts von Kirchen und Religionsgesellschaften verpflichten Eltern jedoch zur bekenntnisgebundenen Erziehung ihrer Kinder. Derartige Bestimmungen sind einerseits durch die staatliche Rechtsordnung nicht durchsetzbar, andererseits sind solche Normen verfassungsrechtlich unbedenklich. Dem Grundrecht auf Religionsfreiheit ist die Möglichkeit 100 Vgl. Ferdinand Kerschner/Katharina Sagerer-Foric´, Familienrecht (= Lehrbuchreihe Bürgerliches Recht 5), Wien 62017, Rdnr. 1/20. 101 Vgl. Bundesgesetz vom 30. Juni 1977 über die Neuordnung des Kindschaftsrechts, BGBL 403/1977, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1977_403_0/ 1977_403_0.pdf (eingesehen am 28. 03. 2018). 102 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 331. 103 Vgl. Kerschner/Sagerer-Foric´, Familienrecht 2017 (Anm. 100), Rdnr. 1/20. 104 Vgl. OGH, 1 Ob 623/95. 30. Januar 1996, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/Doku mente/Justiz/JJT_19960130_OGH0002_0010OB00623_9500000_000/JJT_19960130_ OGH0002_0010OB00623_9500000_000.pdf (eingesehen am 03. 05. 2018). 105 Vgl. Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger. [= StGG], RGBL 142/1867, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnor men&Gesetzesnummer=10000006 (eingesehen am 22. 06. 2017), Art. 14: „Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig. doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntniß kein Abbruch geschehen. Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Theilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in sofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht.“
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immanent, dass die Mitglieder einer Bekenntnisgemeinschaft durch ein etwaiges innerreligiöses Normierungssystem verpflichtet werden.106 b) Die gestufte Religionsmündigkeit Das grundsätzlich unumschränkt personell gewährte Grundrecht auf Glaubensund Gewissensfreiheit wird, da ein Bekenntnis zu Glauben und Religion sowie ein Handeln aus dem Glauben ein Mindestmaß an Verstand und Urteilsfähigkeit voraussetzen,107 durch das Religionsmündigkeitsalter limitiert, einer aus der Natur des Menschen resultierenden Einschränkung.108 Bei Eltern umgreift infolgedessen das grundrechtlich gewährleistete Recht auf Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit109 auch die Gewährleistung des Rechts der religiös-weltanschaulichen Erziehung.110 Eltern betätigen bei Ausübung dieses Rechts gegenüber ihren religionsunmündigen Kindern durch das Setzen religiös-weltanschaulicher Erziehungsakte ihre eigene Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit, nicht die ihrer Kinder.111 Die erste Stufe der religiösen Mündigkeit in Österreich sieht für das Kind, insofern es das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ein zwingendes Anhörungsrecht im vor106
Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 325. Vgl. Felix Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte. Ein Kommentar zu den österreichischen Grundrechtsbestimmungen, Wien 1963, S. 364. Vgl. dazu die Regelung in Art. 4 GInterkV, welche auf die Frage des etwaig eingeschränkten Vernunftgebrauchs abstellt: „Nach vollendetem 14. Lebensjahre hat Jedermann ohne Unterschied des Geschlechtes die freie Wahl des Religionsbekenntnisses nach seiner eigenen Ueberzeugung und ist in dieser freien Wahl nöthigenfalls von der Behörde zu schützen. Derselbe darf sich jedoch zur Zeit der Wahl nicht in einem Geistes- oder Gemüthszustande befinden, welcher die eigene freie Ueberzeugung ausschließt.“ (Gesetz vom 25. Mai 1868, wodurch die interconfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger in den darin angegebenen Beziehungen geregelt werden. Giltig für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. [= GInterkV], RGBL 49/1868, online unter: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=rgb&datum= 1868&size=45&page=127 [eingesehen am 23. 06. 2017], Art. 4). 108 Vgl. Hugo Schwendenwein, Österreichisches Staatskirchenrecht (= BzMK 6), Essen 1992, S. 117. 109 Vgl. StGG, Art. 14; Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 [= StVvStGermain], StGBl 303/1920, online unter: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/ale x?aid=sgb&datum=19200004&seite=00000995, (eingesehen am 28. 03. 2018), Art. 63 Abs. 2. 110 Vgl. EMRK, 1. ZP Art. 2 Satz 2. 111 Vgl. VfGH, Erk. vom 16. Mai 1927. 800/1927, VfSlg, online unter: http://alex.onb.ac.at/ cgi-content/alex?aid=vfb&datum=0007&page=151&size=40 (eingesehen am 28. 03. 2018). Schwendenwein wendet jedoch diesbezüglich ein, dass in einzelnen Fällen die Grundrechtsverbürgung des Kindes doch zumindest tangiert werden kann. So bspw. in Fällen, in denen entgegen RelKEG, § 2 Abs. 3 u. § 3 Abs. 2 das Recht eines mindestens 10-jährigen, gehört zu werden, nicht gewährt wurde, oder wenn der Wechsel des Bekenntnisses eines mindestens 12jährigen entgegen der Bestimmung des RelKEG, § 5 gegen den Willen des Kindes vorgenommen wurde. Vgl. Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 108), S. 118. 107
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mundschaftsgerichtlichen Verfahren in Bezug auf die Zustimmung zu einem etwaigen Religions- oder Weltanschauungswechsel vor, wenn die obsorgeberechtigten Eltern zu keiner freien Einigung kommen.112 Nach Vollendung des zwölften Lebensjahres dürfen Eltern das Kind nicht gegen dessen Willen in einem anderen als dem bisherigen Bekenntnis erziehen.113 In der Lebensphase zwischen der Vollendung des zwölften und vierzehnten Lebensjahrs haben Kinder das religiöse Selbstbestimmungsrecht noch nicht erreicht und sind demnach in diesen Angelegenheiten noch von den Obsorgeberechtigten abhängig. Sie haben jedoch in Fällen, in denen „die für ihn Bestimmenden (Eltern) das Religionsbekenntnis ändern wollen, die Möglichkeit, in rechtswirksamer Weise »nein« zu sagen.“114 Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahres steht dem Kind die Entscheidung über das eigene Bekenntnis zur Gänze frei.115 Der bzw. die Jugendliche hat die religiöse Mündigkeit erreicht, womit das Recht verbunden ist, den Austritt aus einer bzw. den Eintritt in eine Kirche oder Religionsgesellschaft bzw. eine Weltanschauungsgemeinschaft zu erklären sowie selbstständig eine etwaige Abmeldung vom Religionsunterricht vorzunehmen. Das religiös mündige Kind ist in dieser freien Wahl ggf. durch den Staat zu schützen.116 Die Religionsmündigkeit fällt gemäß § 21 Abs. 2 ABGB nicht mit dem Erreichen der Volljährigkeit zusammen, wodurch die Abgrenzung zwischen dem elterlichen Recht auf (bzw. der Pflicht zu) Pflege und Erziehung auf der einen sowie dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Kindes auf der anderen Seite Schwierigkeiten mit sich bringt.117 Mit zunehmender Selbstverantwortlichkeit der Religionsmündi112
Vgl. RelKEG, § 2 Abs. 3: „Wird die Zustimmung [= zum Wechsel der Religion oder Weltanschauung bzw. zur Abmeldung vom Religionsunterricht] nicht erteilt, so kann die Vermittlung oder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden. […] Vor der Entscheidung sind die Ehegatten sowie erforderlichenfalls Verwandte, Verschwägerte und die Lehrer des Kindes zu hören, wenn es ohne erhebliche Verzögerung oder unverhältnismäßige Kosten geschehen kann. Das Kind ist zu hören, wenn es das zehnte Jahr vollendet hat“. Ähnlich auch die Bestimmung in Hinsicht auf die Festsetzung der religiösen bzw. weltanschaulichen Erziehung durch einen Vormund. Vgl. Vgl. RelKEG, § 3 Abs. 2. 113 Vgl. RelKEG, § 5 Satz 2: „Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden“. 114 Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 108), S. 121 f. 115 Vgl. RelKEG, § 5 Satz 1: „Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs steht dem Kind die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will.“ Vgl. dazu auch die Regelung in Art. 4 GInterkV, welche zusätzlich auf die Frage des etwaig eingeschränkten Vernunftgebrauchs abstellt: „Nach vollendetem 14. Lebensjahre hat Jedermann ohne Unterschied des Geschlechtes die freie Wahl des Religionsbekenntnisses nach seiner eigenen Ueberzeugung und ist in dieser freien Wahl nöthigenfalls von der Behörde zu schützen. Derselbe darf sich jedoch zur Zeit der Wahl nicht in einem Geistes- oder Gemüthszustande befinden, welcher die eigene freie Ueberzeugung ausschließt“ (GInterkV, Art. 4). 116 Vgl. Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 108), S. 120. 117 Vgl. Pree, Staatskirchenrecht (Anm. 97), S. 30.
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gen nimmt das Weiterwirken des elterlichen Erziehungsrechts bis zum Erreichen der Volljährigkeit stetig ab, so dass sich im Einzelfall die Notwendigkeit zur Abwägung zwischen den Rechten der Eltern und denen der Religionsmündigen ergibt.118 c) Die ,freie Einigung‘ der obsorgeberechtigten Eltern Den Eltern obliegt in Österreich in Bezug auf ihre Kinder119 die Pflicht der Obsorge, wobei die obsorgeberechtigten Eltern in diesen Bereichen, dem Partnerschaftsgedanken Rechnung tragend, gemäß § 137 Abs. 2 Satz 3 ABGB einvernehmlich vorgehen sollen.120 Grundsätzlich räumt § 167 Abs. 1 ABGB jedem Elternteil für den Fall, dass dem Kind noch keine eigene Geschäftsfähigkeit zukommt,121 das unbeschränkte Alleinvertretungsrecht für das Außenverhältnis ein. Ein Bündel bedeutsamer Angelegenheiten wurde hiervon jedoch ausgenommen. In § 167 Abs. 2 ABGB wird für diese die Kollektivvertretung durch die Eltern angeordnet, sodass jedenfalls die Zustimmung des anderen obsorgeberechtigten Elternteils vonnöten ist.122 Zu diesen ausgenommenen Angelegenheiten gehört u. a. auch der Eintritt in eine bzw. der Austritt aus einer Kirche oder Religionsgesellschaft.123 Einigung im Sinne der Kollektivvertretung liegt in Bezug auf die religiöse Erziehung der Kinder vor, sobald die obsorgeberechtigten Eltern „in irgendeiner Weise den übereinstimmenden Willen darüber bekunden, daß das schon lebende oder künftige Kind in einem bestimmten Bekenntnis erzogen werden soll.“124 Diese Einigung
118
Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 334. Ein Obsorgeverhältnis erstreckt sich auch auf legitimierte Kinder, Adoptivkinder sowie auf Pflegekinder, insofern für diese die Obsorge nach § 185 ABGB auf die Pflegeeltern übertragen wurde. 120 Vgl. Kerschner/Sagerer-Foric´, Familienrecht 2017 (Anm. 100), Rdnr. 3/30. 121 Vgl. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch idgF. [= ABGB], Ursprünglich: JGS 946/ 1811, online unter: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=jgs&datum=1012&size=45&pa ge=465 (eingesehen am 06. 07. 2017), §§ 21, 170, 171 u. 865. 122 Vgl. Kerschner/Sagerer-Foric´, Familienrecht 2017 (Anm. 100), Rdnr. 3/37. Des Weiteren ist gemäß § 167 Abs. 3 ABGB in einigen besonders wichtigen Angelegenheiten im vermögensrechtlichen Bereich „zusätzlich die gerichtliche Zustimmung erforderlich. Maßgeblich ist dafür, dass das Geschäft nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört.“ (Kerschner/Sagerer-Foric´, Familienrecht 2017 (Anm. 100), Rdnr. 3/37). 123 Vgl. ABGB, § 167 Abs. 2: „Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines Elternteils, die die Änderung des Vornamens oder des Familiennamens, den Eintritt in eine Kirche oder Religionsgesellschaft und den Austritt aus einer solchen, die Übergabe in fremde Pflege, den Erwerb einer Staatsangehörigkeit oder den Verzicht auf eine solche, die vorzeitige Lösung eines Lehr-, Ausbildungs- oder Dienstvertrags und die Anerkennung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind betreffen, bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des anderen obsorgebetrauten Elternteils. Dies gilt nicht für die Entgegennahme von Willenserklärungen und Zustellstücken“. 124 Pree, Staatskirchenrecht (Anm. 97), S. 29. Vgl. auch: Schwendenwein, Staatskirchenrecht (Anm. 108), S. 123. 119
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ist nach § 1 RelKEG jederzeit frei „widerruflich und wird durch den Tod eines Ehegatten gelöst.“125 3. Das Elternrecht auf religiöse Erziehung im österreichischen Schulwesen Mit dem allgemeinen Erziehungsrecht der Eltern korreliert mit zunehmendem Alter des Kindes der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates in Verbindung mit dem Recht des Kindes auf Bildung.126 Der Staat ist durch die als Achtungsanspruch formulierte Bestimmung nicht verpflichtet, ein bestimmtes Schulsystem einzuführen oder zu unterstützen bzw. ein Bildungssystem gemäß spezifischer religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen der Eltern zu gewährleisten. Ein Recht auf ein bestimmtes Schulsystem bzw. eine bestimmte Ausprägung religiöser Erziehung kann aus dem durch Art. 2 Satz 2 des 1. ZP EMRK gewährten elterlichen Erziehungsrecht nach Auffassung der Europäischen Menschenrechtskommission nicht abgeleitet werden. Von der grundrechtlichen Gewährleistung umfasst ist dagegen ein diskriminierungsfreier Zugang zu den existierenden Bildungsinstitutionen.127 Dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat Österreich ist jedoch, wenn er sich in den Bereichen von Unterricht und Erziehung betätigt, jegliche Form von religiösweltanschaulicher Indoktrination verboten. Die Grenze, welche den nicht zu überschreitenden Gestaltungsspielraum der staatlichen Organe absteckt, wird durch die Kriterien sachlich-kritisch, pluralistisch und frei von Indoktrinierung umschrieben. Da jedoch religiöse Bildung und Erziehung in einer objektiven, sachlich-kritischen und pluralistischen Form erfolgen müssen, ist es dementsprechend dem Staat nicht verwehrt, grundsätzlich religiös-weltanschauliche Fragen in der Durchführung des Unterrichts zu berühren. Das Elternrecht auf Erziehung impliziert ein Toleranzgebot des Staates in Bezug auf religiös-weltanschauliche Überzeugungen sowie die Pflicht zur Beachtung häuslicher, an abweichenden Wertvorstellungen orientierter Erziehungsansichten der Eltern, insofern diese mit der demokratischen Grundordnung, der Menschenwürde sowie dem Grundrecht des Kindes auf Bildung vereinbar sind.128
125
RelKEG, § 1. Vgl. EMRK, 1. ZP Art. 2 Satz 1: „Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden“. 127 Vgl. die Auffassung der EKMR vom 1. April 1974, abgedruckt bei: Inge Gampl/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht. Gesetze, Materialien, Rechtsprechung. Band I, Wien 1990, S. 116. 128 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 344. 126
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III. Das staatliche Erziehungsrecht und die staatliche Mitwirkung an der religiösen Erziehung im österreichischen Schulwesen Das Kind ist grundsätzlich und ursprünglich in die Erziehungsgemeinschaft der Familie gestellt, jedoch darüber hinaus auch immer Glied der Gesellschaft und Bürgerin bzw. Bürger des Staates, welcher für sich ebenfalls ein Erziehungsmandat reklamiert. Seiner Obliegenheit im Bildungsbereich kommt der Staat in Bezug auf Kinder und Jugendliche v. a. durch die Einrichtung und den Erhalt des öffentlichen Schulwesens nach, wobei sich hier Reibungsflächen zwischen dem staatlichen und dem elterlichen Recht sowie der Pflicht zur Erziehung der Kinder und Jugendlichen ausmachen lassen. In Bezug auf das Feld der schulischen Bildung korreliert das Elternrecht auf Erziehung konkret mit der verfassungsrechtlich in Art. 17 Abs. 5 StGG verankerten staatlichen Schulhoheit sowie mit dem daraus deduzierbaren staatlichen Auftrag zur Erziehung der Kinder und Jugendlichen,129 welcher im § 2 Abs. 1 SchOG, dem sog. Zielparagraphen, hinsichtlich der fundamentalen Zielsetzung der schulischen Erziehungs- und Bildungsarbeit konkretisiert wird: „Die Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen entsprechenden Unterricht mitzuwirken.“130
Am 9. Juni 2005 wurde das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz bzgl. des Schulwesens novelliert, und im Zuge dessen, in Art. 14 B-VG ein neuer Absatz 5a eingefügt. Dieser weist, indem er Werthaltungen umschreibt, die durch das österreichische Schulwesen vermittelt werden sollen, Ähnlichkeiten zu § 2 Abs. 1 SchOG auf.131 Gegenüber dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer fordert Art. 14 Abs. 5a B-VG Aufgeschlossenheit explizit ein:132
129
Vgl. StGG, Art. 17 Abs. 5: „Dem Staate steht rücksichtlich des gesammten Unterrichtsund Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu“. 130 Bundesgesetz vom 25. Juli 1962 über die Schulorganisation (Schulorganisationsgesetz) idgF. [= SchOG], Ursprünglich: BGBL 242/1962, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/ Dokumente/BgblPdf/1962_242_0/1962_242_0.pdf (eingesehen am 16. 11. 2017), §2 Abs. 1 Satz 1. 131 Vgl. Markus Juranek, Das österreichische Schulrecht. Einführung in die Praxis, Wien 2016, S. 5. Brigitte Schinkele formuliert, dass § 2 Abs. 1 SchOG durch Art. 14 Abs. 5a B-VG eine „deutliche Aufwertung erfahren [hat], indem auf Verfassungsebene im Rahmen einer umfassenden Umschreibung der schulischen Bildungs- und Erziehungsziele der religiösweltanschaulichen Dimension in beachtlicher Weise Rechnung getragen wird.“ (Brigitte Schinkele, Religions- und Ethikunterricht in der pluralistischen Gesellschaft. Überlegungen aus religionsrechtlicher Sicht, in: öarr 58 (2011), S. 13 – 24, hier S. 15). 132 Vgl. Hugo Schwendenwein, Das österreichische Katechetenrecht. Religionsunterricht in der österreichischen Schule. Eine Handreichung für Religionslehrerinnen und -lehrer (= Kirchenrecht im Taschenbuch 2), Wien u. a. 2009, S. 25.
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„Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen sind Grundwerte der Schule, […]. Im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Schülern, Eltern und Lehrern ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu […] Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen. Jeder Jugendliche soll seiner Entwicklung und seinem Bildungsweg entsprechend zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden, dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt werden, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Europas und der Welt teilzunehmen […].“133
Mit den Bestimmungen des § 2 Abs. 1 SchOG sowie Art. 14 Abs. 5a B-VG wird für das gesamte vielgliedrige österreichische Schulsystem eine einheitliche Richtung vorgegeben, wobei die Zielnormen einen gewissen Grad an Offenheit und Unbestimmtheit aufweisen, welcher zur Abstrahierung des normativen Gehalts ein höheres Maß an Interpretationsarbeit im Rahmen der Umsetzung erfordert.134 In der Festlegung der genannten Unterrichtsziele betätigt der Staat sein aus der Schulhoheit des Art. 17 Abs. 5 StGG resultierendes Recht, wobei er in diesem Bereich auf den verfassungsrechtlich definierten Rahmen, konkret auf die Limitierung durch das Erziehungsrecht der Eltern, verwiesen ist.135 Diese Interdependenz lässt sich einerseits am in § 2 Abs. 1 Satz 1 SchOG verwendeten Verbum mitwirken, sowie andererseits an der Formulierung des partnerschaftlichen Zusammenwirkens von Schülern, Eltern und Lehrern in Art. 14 Abs. 5a B-VG ablesen.136 Der Staat anerkennt durch diese Formulierungen das primäre Erziehungsrecht der Eltern und anderweitiger erziehungsberechtigter Personen.137 Die Erziehung der Schülerinnen und Schüler erfolgt in diesem Zusam133 Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes [= B-VG] hinsichtlich des Schulwesens. 9. Juni 2005, BGBL 31/2005, online unter: https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/ BGBLA_2005_I_31/BGBLA_2005_I_31.pdf (eingesehen am 16. 11. 2017), Art. 14 Abs. 5a. 134 Hinsichtlich der Frage, inwiefern diese inhaltliche Offenheit grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Legalitätsgebot in Einklang zu bringen ist, herrschen divergierende Meinungen. Befürwortend bspw.: Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 346; verneinend bspw.: Weiß, Recht (Anm. 30), S. 159. 135 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 346. 136 Auf Verfassungsebene ist in diesem Zusammenhang auf Art. 2, Satz 2 des 1. ZP EMRK zu verweisen, der davon spricht, dass der Staat bei der Erfüllung seines Auftrags zur Erziehung das elterliche Erziehungsrecht zu achten hat. Vgl. EMRK, 1. ZP Art. 2 Satz 2: „Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen“. 137 Vgl. Juranek, Schulrecht (Anm. 131), 24. Vgl. neben § 2 Abs. 1 Satz 1 SchOG und Art. 14 Abs. 5a B-VG auch: Wiederverlautbarung des Schulunterrichtsgesetzes idgF [= SchUG]. 5. September 1986, Ursprünglich: BGBL 472/1986, online unter: https:// www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1986_472_0/1986_472_0.pdf (eingesehen am 09. 05. 2018), §§ 47 u. 48.
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menspiel nicht lediglich im Interesse des Kindes und seiner Eltern, sondern auch der Staat bringt durch seine Mitwirkung an der schulischen Bildung seine diesbezüglichen Interessen zum Ausdruck.138 Das Elternrecht auf religiöse Erziehung tritt nur in wenigen Fällen in unmittelbare und exklusive Konfrontation mit dem Erziehungsanspruch des Staates. Der Staat anerkennt durch die Formulierungen von § 2 Abs. 1 SchOG und Art. 14 Abs. 5a B-VG das primäre Erziehungsrecht der Eltern und in Fragen der Kollision der Grundrechtsansprüche wird in Fällen, welche die Bereiche von Religion und Weltanschauung betreffen, das Elternrecht vor dem staatlichen Erziehungsauftrag gehen.139 Der wechselseitigen Bezugnahme und Beeinflussung von elterlichen und staatlichen Erziehungsansprüchen und der religiös-weltanschaulichen Neutralität des österreichischen Staates ist die Notwendigkeit geschuldet, dass sich der Staat im Rahmen der Abfassung von Erziehungsprinzipien in der Formulierung von Wertvorstellungen durch ein gewisses Maß an Offenheit gegenüber den religiös-weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern auszeichnet. Durch das Miteinbeziehen der religiös-weltanschaulichen Sphäre in den umfassenden schulischen Bildungsauftrag formulieren die Zielnormen des österreichischen Schulwesens einen Wertekanon, welcher iSe Grundkonsenses der religiös-weltanschaulich heterogenen österreichischen Gesellschaft verstanden werden kann.140 Der verfassungsrechtlich abgesteckte Rahmen der Wertevermittlung fordert für das österreichische Schulwesen somit keine Wertfreiheit, sondern vielmehr ein Eintreten für die Prinzipien der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung mitsamt der zu ihrer Trag- und Funktionsfähigkeit unabdingbaren rechtlich-ethischen Normen.“141 Innerhalb des von der Verfassung gespannten Rahmens bildet die religiös-weltanschauliche Perspektive des Unterrichts einen wesentlichen Bestandteil des österreichischen Schulwesens, wobei der in § 2 Abs. 1 SchOG sowie Art. 14 Abs. 5a B-VG formulierte Auftrag zu einer an Werten orientierten Erziehung nicht lediglich auf den Unterrichtsgegenstand Religion beschränkt ist. Die Argumentationsgänge zur bildungstheoretischen und demokratisch-gesellschaftlichen Legitimierung religiöser Bildungsangebote und -bemühungen durch den Staat können aufgrund der inhaltlichen Struktur des Beitrags nicht entfaltet werden.142
138
Vgl. Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 43. Vgl. Felix Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich (= Manzsche Kurzlehrbuch-Reihe 14), Wien 1988, Rdnr. 823. 140 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 93), S. 346. 141 Matthias Jestaedt, Anmerkungen zum Urteil des BVerwG vom 3. Mai 1988, in: JZ 44, S. 140 – 143, hier S. 142. 142 Vgl. dazu: Andreas E. Graßmann, Religionsunterricht als Werkzeug der Integration in einer heterogenen Gesellschaft. Mit einem Hinweis auf das gesellschaftsstabilisierende Potenzial eines interreligiös verantworteten Religionsunterrichts, in: Franz Gmainer-Pranzl u. a. (Hrsg.), Von ,schöner Vielfalt‘ zu prekärer Heterogenität. Bildungsprozesse in pluraler Gesellschaft (= Salzburger interdisziplinäre Diskurse 17) (in Druck). 139
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Andreas E. Graßmann
IV. Das kirchliche Erziehungsrecht und die kirchliche Mitwirkung an der religiösen Erziehung Die Kirche anerkennt neben dem elterlichen Recht auf Erziehung ihrer Kinder auch das staatliche Erziehungsrecht, misst sich darüber hinaus selbst jedoch ein im ius divinum gründendes Erziehungsrecht zu. 1. Recht und Pflicht der Kirche zur Erziehung Das kirchliche Recht sowie die Pflicht zur Erziehung gründen der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils Gravissimum Educationis zufolge einerseits in der Tatsache, dass die Kirche „eine zur Erziehung fähige menschliche Gemeinschaft“143 ist, andererseits jedoch v. a. im göttlichen Stifterwillen, demzufolge die Kirche originär dazu gerufen ist, „allen Menschen den Glauben und das Heil zu verkündigen und zu vermitteln“144. Das Recht der Kirche zur Erziehung ist integraler Bestandteil ihres Anspruchs auf freie und von jeder menschlichen Gewalt unabhängige Verkündigung der Lehre.145 Das kirchliche Gesetzbuch statuiert in Verlängerung des Konzils in c. 794 CIC/ 1983 das Recht und die Pflicht der Kirche zur Erziehung, wobei das Erziehungsrecht der Kirche in c. 794 § 1 CIC/1983 sendungstheologisch mit Gottes Auftrag an die Kirche begründet wird, „den Menschen zu helfen, dass sie zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen vermögen.“146 Der Rechtsanspruch und die korrespondierende Verpflichtung zur Erziehung bestehen in einzigartiger Weise, können jedoch das im Naturrecht begründete primäre elterliche Recht sowie die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder nicht verletzen.147 Korrespondierend zum Grundrecht aller Gläubigen auf Erziehung nach c. 217 CIC/1983 und dem Recht der Kirche auf Mitwirkung an Erziehung des c. 794 § 1 CIC/1983 wird in c. 794 § 2 CIC/1983 die diesbezügliche Pflicht für die Seelsorger148 konkretisiert. Die Verpflichtung fordert von den Hirten der Kirche, „alles zu
143
Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3 Abs. 3. Heinrich Mussinghoff, vor c. 793, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: Oktober 2018). Vgl. Paul VI., Gravissimum educationis (Anm. 4), Art. 3 Abs. 3. „Ein ganz besonderer Erziehungsauftrag ist der Kirche zu eigen, nicht nur weil auch sie als eine zur Erziehung fähige menschliche Gemeinschaft anzuerkennen ist, sondern vor allem deshalb, weil sie die Aufgabe hat, allen Menschen den Heilsweg zu verkünden, den Gläubigen das Leben Christi mitzuteilen und ihnen mit unablässiger Sorge zu helfen, daß sie zur Fülle dieses Lebens gelangen können“. 145 Vgl. c. 747 CIC/1983. 146 C. 794 § 1 CIC/1983. 147 Vgl. Meckel, Religionsunterricht (Anm. 17), S. 126. 148 Als pastores iSd. Kanonischen Rechts sind die Bischöfe, Pfarrer sowie deren Helfer angesprochen. 144
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tun, damit alle Gläubigen eine katholische Erziehung erhalten.“149 Objekte der Pflicht der pastores sind alle Gläubigen, was aus der Grundrechtsgewährleistung des c. 217 CIC/1983 abzuleiten ist, derzufolge alle Gläubigen durch die Taufe das Recht auf eine educatio christiana innehaben. C. 794 § 2 CIC/1983 konkretisiert somit den Grundrechtsanspruch der christifideles aus c. 217 CIC/1983, formuliert jedoch für die adressierten Hirten der Kirche keine konkrete Pflicht zur Erziehung und demzufolge auch kein unmittelbares Recht auf Erziehung hinsichtlich der einzelnen Gläubigen. Die Erziehung von Kindern kommt als vorrangiges Recht den Eltern zu. 2. Verhältnis von kirchlichem und elterlichem Erziehungsanspruch Das Erziehungsrecht der Kirche hebt die Vorrangigkeit des elterlichen Erziehungsrechts nicht auf. Auf Grundlage der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie des materiellen Rechtscorpus des CIC/1983 haben die Seelsorger weder das Recht noch die Pflicht, direkt in die Erziehung von Kindern einzugreifen. Das kirchliche Recht auf Erziehung manifestiert sich subsidiär und kann im Letzten als „Pflicht und Recht der Mitwirkung in der Erziehung“150 qualifiziert werden. Das kirchliche Erziehungsmandat gründet in der Heilssorge um den Menschen und leitet sich weder von einem staatlichen, noch von einem elterlichen Auftrag ab. Neben der Berechtigung und Verpflichtung frei und ohne staatliche Einwirkung die katholische Lehre zu verkündigen, umfasst das Recht in Korrespondenz zum Grundrecht aller Gläubigen auf Erziehung gemäß c. 217 CIC/1983 auch die besondere Erziehungsverantwortung gegenüber den christifideles, die durch das Sakrament der Taufe in die Kirche Christi eingegliedert worden sind.151 Erst mit der Taufe erhält die Kirche ein Erziehungsmandat in Bezug auf eine konkrete Person, wobei als entscheidende Schranke der kirchlichen Wirksamkeit im Erziehungswesen die persönliche Freiheit der Menschen anerkannt wird. Ein Kind kann nur mit Zustimmung der Eltern bzw. zumindest eines Elternteils erlaubterweise die Taufe emp-
149
C. 794 § 2 CIC/1983. Norbert Ruf, Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex iuris canonici. Für die Praxis erläutert, Freiburg i. Br. 31984, S. 194; Vgl. Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 185; Meckel, Religionsunterricht (Anm. 17), S. 126 f. 151 Vgl. c. 96 CIC/1983. Der kirchliche Erziehungsanspruch gilt lediglich gegenüber den Getauften. Jeder Getaufte hat jedoch – wie Papst Johannes Paul II. betont –, „gerade auf Grund seiner Taufe das Recht, von der Kirche eine Unterweisung und Bildung zu empfangen, die ihm ein echt christliches Leben ermöglichen.“ (Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae über die Katechese in unserer Zeit. 16. Oktober 1979, online unter: http:// w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/apost_exhortations/documents/hf_jp-ii_exh_16101979_ catechesi-tradendae.html (eingesehen am 31. 07. 2018), Art. 14; lat. Original: Johannes Paul II., Adhortatio apostolica Catechesi tradendae. 16 oct. 1979, in: AAS 71 (1979), S. 1277 – 1340, hier S. 1288). 150
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fangen,152 und nur durch die empfangene Taufe erhält die Kirche ein unterstützendes Erziehungsrecht in Bezug auf das Kind.153 Das originäre Erziehungsrecht kommt den Eltern aufgrund ihrer Elternschaft präpositiv zu. Auch dem Staat gesteht die Kirche ein Erziehungsrecht zu, welches wie das kirchliche lediglich ein subsidiäres ist. Das Erziehungsrecht des Staates aus Sicht der Kirche kann aufgrund der inhaltlichen Struktur des Beitrags nicht entfaltet werden.
V. Schlussbemerkungen – ein Ausblick auf den Religionsunterricht Das Recht sowie die Pflicht zur Erziehung (auch) in religiös-weltanschaulichen Belangen kommt den Eltern zu, die Erziehungsaufträge von Staat und Kirche sind als lediglich subsidiär zu qualifizieren. Die Schulen werden hierbei sowohl seitens der Kirche als auch des Staates als Mittel zur Verwirklichung des Elternrechts erachtet. Der österreichische Staat, der sich auf die Vermittlung der religiös-sittlichen Kompetenz verpflichtet hat,154 muss geeignete Wege suchen und beschreiten, um diese Werte vermitteln zu können. Hierzu bedient sich der österreichische Staat des Religionsunterrichts, welcher das Ziel hat, „die Voraussetzungen für sittlich verantwortetes Handeln zu schaffen.“155 Vor allem im Kontext des Lernfelds Schule kann diesem Bildungsauftrag dadurch entsprochen werden, wenn sich der Religionsunterricht im öffentlichen Schulwesen durch eine Grundhaltung der Toleranz und Integration auszeichnet, indem die Möglichkeiten der religiös heterogenen Klassenverbände genutzt werden.156 Aus pädagogischer und soziologischer Perspektive ist es wünschenswert, dass Kinder schon in jungen Jahren – vorzugsweise bereits im Grundschulalter157 – mit den Erfahrungen, Überzeugungen Traditionen und Praktiken anderer Kinder in Kontakt kommen, konfrontiert werden, sich Wissen darüber aneignen sowie sich daran gewöhnen können. Diese Lern- und Erfahrungsprozesse müssen bereits auch den religiösen Bereich miteinbeziehen, da durch den Kontakt mit dem heterogenen Phänomen Religion im geschützten Mikrokosmos Schule die Kinder darauf vorbereitet werden können, den Einfluss der Fragen rund um Religion und Weltanschauung auf Prozesse des gesell-
152 Vgl. c. 868 § 1 18 CIC/1983; Ausnahme von dieser Regel ist lediglich die Situation der Todesgefahr gem. c. 868 § 2 CIC/1983. 153 Vgl. Rees, Religionsunterricht 1986 (Anm. 2), S. 36. 154 Vgl. oben die Ausführungen zu § 2 Abs. 1 SchOG iVm Art. 14 Abs. 5a B-VG. 155 Brigitte Schinkele, Staatskirchenrechtliche Überlegungen zur aktuellen Diskussion um Religions- und Ethikunterricht, in: ÖAfKR 42 (1993) S. 220 – 255, hier S. 249. 156 Vgl. Friedrich Schweitzer, Die (Selbst-)Verantwortung der Kirchen für die Ausbildung eines Propriums und einer religiösen Identität für den Religionsunterricht aus religionspädagogischer Sicht (= EssGespr. 49), Münster 2016, S. 59 – 73, hier S. 61. 157 Vgl. Schweitzer, (Selbst-)Verantwortung (Anm. 156), S. 61.
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schaftlichen Makrokosmos im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich zu abstrahieren.158 Von den aktuell 16 in Österreich gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften159 machen 14 von ihrem Recht Gebrauch, im öffentlichen Schulwesen konfessionellen Religionsunterricht anzubieten.160 Die Erteilung eines interreligiösen bzw. multikonfessionellen Religionsunterrichts ist in der österreichischen Rechtsordnung grundsätzlich nicht vorgesehen, jedoch gibt es – vor dem Hintergrund des guten ökumenischen bzw. interreligiösen Klimas in Österreich161 – Projekte konfessionsübergreifender Kooperation im Religionsunterricht. Namentlich läuft seit dem Schuljahr 2008/09 in Wien das Projekt Kooperativer Konfessioneller Religionsunterricht (KoKoRu)162 sowie seit 2015/16 ebenfalls in Wien das dialogischkonfessionelle Konzept eines Religionsunterrichts dk:ru/stadt.163 158
Vgl. Siebren Miedema, Contexts, Debates and Perspectives of Religion in Education in Europe. A comparative Analysis, in: Robert Jackson u. a. (Hrsg.), Religion and education in Europe. Developments, contexts and debates (= Religious diversity and education in Europe 3), Münster u. a. 2007, S. 267 – 283, hier S. 269. 159 In Österreich sind derzeit (Stand: Mai 2019) 16 Kirchen und Religionsgesellschaften gesetzlich anerkannt. Vgl. hierzu den jeweils aktualisierten Überblick auf der Internetpräsenz des österreichischen Bundeskanzleramts: Bundeskanzleramt Österreich, Gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich, online unter: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/kirchen-und-religionsgemeinschaften (eingesehen am 16. 05. 2019); Vgl. auch Hugo Schwendenwein, Die gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften im österreichischen Staatskirchenrecht, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia canonum. Festgabe für Franz Pototschnig zum 65. Geburtstag, München 1991, S. 511 – 525. 160 Vgl. Alexander van Dellen, Ist der konfessionelle Religionsunterricht in Österreich zukunftsfähig? Einblicke in die Situation, in aktuelle Herausforderungen und mögliche Perspektiven religiöser Bildung an öffentlichen Schulen, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 15 (2016), S. 153 – 172, hier S. 160. Jedoch sind nicht alle Kirchen und Religionsgesellschaften in der Lage, Religionsunterricht ihres Bekenntnisses flächendeckend in allen österreichischen Bundesländern bzw. in allen öffentlichen Schulen zu besorgen. Dies führt in manchen Fällen aus organisatorischen und/oder personellen Gründen zur Erteilung schultypen- bzw. schulstandortsübergreifenden Organisationsformen von Religionsunterricht, teilweise auch außerhalb der Schulzeit bzw. des Schulgebäudes. Vgl. hierzu die Darstellung der Situation aus Sicht der einzelnen Kirchen und Religionsgesellschaften in den Beiträgen von: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog (= Conference series – Religion und Staat im Brennpunkt 2), Innsbruck 2017. 161 Vgl. Martin Jäggle/Philipp Klutz, Religiöse Bildung an Schulen in Österreich, in: Martin Jäggle/Martin Rothgangel/Thomas Schlag (Hrsg.), Religiöse Bildung an Schulen in Europa. Teil 1: Mitteleuropa (= Wiener Forum für Theologie und Religionswissenschaft 5,1), Göttingen 2013, S. 69 – 93, hier S. 82. 162 Vgl. überblickweise: Rees, Fragen (Anm. 3), S. 526 – 529. 163 Vgl. dazu: Manfred Göllner, Kritische Anfragen und Erwartungen an den Religionsunterricht aus Sicht der Römisch-katholischen Kirche. Das Projekt eines dialogisch-konfessionellen Religionsunterrichts in der Stadt Wien (dk:ru/stadt), in: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog (= Conference series – Religion und Staat im Brennpunkt 2), Innsbruck 2017, S. 31 – 37; Doris Lindner/Thomas Krobath, Das Modell eines dialogisch-konfessionellen Religions-
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Eine eingehende religionsrechtliche Untersuchung der Möglichkeiten der Implementierung interreligiöser Bildung als Pflichtfach im österreichischen Regelschulwesen stellt ein Desiderat dar, könnte jedoch eine Antwort auf die Herausforderungen darstellen, welchen sich der konfessionelle Religionsunterricht durch die zunehmende gesellschaftliche Heterogenität in Österreich gegenwärtig gegenübergestellt sieht. Die diesbezügliche Forderung nach einem über Konfessions- und Religionsgrenzen hinweg verantworteten Religionsunterricht hat der Jubilar bereits wiederholt ausgesprochen.164
unterrichtes in Wien. Zentrale Ergebnisse der Evaluation 2015/16, in: Doris Lindner/Elena Stadnik-Holzer (Hrsg.), Professionalisierung durch Forschung. Forschungsband 2016 (= Schriften der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems 14) 2017, S. 227 – 266; Erzbischöfliches Amt für Schule und Bildung, dk:RU – Dialogisch-konfessioneller Religionsunterricht, online unter: http://www.schulamt.at/index.php/aktuelles/archiv/1020-dk-ru-dia logisch-konfessioneller-religionsunterricht (eingesehen am 24. 01. 2018). 164 Vgl. Rees, Angst (Anm. 2), S. 439 f.; Rees, Rahmenbedingungen 2018 (Anm. 3), S. 65 – 68.
Trägt c. 844 § 4 CIC/1983 seine Interpretationen? Von Georg May
I. Die „Pastorale Handreichung“ der Deutschen Bischofskonferenz Auf der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Februar 2018 wurde der Entwurf einer „Pastoralen Handreichung“ beschlossen.1 Danach soll der nichtkatholische Ehepartner in einer konfessionsverschiedenen Ehe „im Einzelfall“ die Eucharistie in der Katholischen Kirche empfangen dürfen. Das Papier beruft sich dafür auf c. 844 § 4 CIC/1983. Es liege eine (dort angegebene) Notlage vor, wenn in einer Mischehe der „geistige Hunger“ nach dem gemeinsamen Empfang der Eucharistie so groß sei, dass die Ehe und der Glaube der Ehepartner gefährdet seien, falls dieser „Hunger“ nicht gestillt werde. Die „Pastorale Handreichung“ trug den Titel „Mit Christus gehen. Der Einheit auf der Spur. Konfessionsverschiedene Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie“. Das Papier erklärt, dass „alle, die in einer konfessionsverbindenden Ehe nach einer reiflichen Prüfung in einem geistlichen Gespräch mit dem Pfarrer oder einer mit der Seelsorge beauftragten Person zu dem Gewissensurteil gelangt sind, den Glauben der Katholischen Kirche zu bejahen sowie eine „schwere geistliche Notlage“ beenden und die Sehnsucht nach der Eucharistie stillen zu wollen, zum Tisch des Herrn hinzutreten dürfen, um die Kommunion zu empfangen“. Die Bischöfe behaupten, sie könnten sich auf c. 844 § 4 CIC/1983 berufen, der es nach ihrer Ansicht „möglich macht, dass der evangelische Ehepartner zum Tisch des Herrn hinzutritt, wenn er den katholischen Eucharistieglauben bejaht“. Nicht alle deutschen Bischöfe waren mit dem Papier einverstanden. Von den 60 anwesenden Bischöfen stimmten 13 mit Nein. Sieben deutsche Diözesanbischöfe erhoben Einspruch gegen dieses Dokument. Sie wandten sich an den Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, Erzbischof, dann Kardinal Luis Ladaria SJ, und den Vorsitzenden des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch. Sie sprachen Zweifel daran aus, dass der Entwurf der Mehrheit mit dem Glauben und der Einheit der Kirche vereinbar sei. Papst Franziskus weigerte sich, eine Entscheidung zu treffen. Er überließ es den Bischöfen, „eine mög1
Dokumentation in: FMG-Information Nr. 121 vom Mai 2018, S. 17 – 24. Eine zuverlässige Darstellung in: Ökumenischer Lagebericht des Konfessionskundlichen Instituts 2018, in: Materialdienst des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim 69 (2018), S. 117 – 134, hier S. 117 ff.
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Georg May
lichst einmütige Regelung zu finden“. Später gab der Papst dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz die Erlaubnis, die „Handreichung“ als „Orientierungshilfe“ zu veröffentlichen. Dies ist geschehen und zeitigt seine Wirkung.2 Der Vorgang war von mannigfachen Äußerungen unterschiedlichen Inhalts begleitet, die hier nicht aufgelistet werden müssen.3 Immerhin sei erwähnt, dass der Apostolische Stuhl nach der Meinung gewichtiger Personen nicht die Position einnahm, die vom obersten kirchlichen Lehramt erwartet werden darf. Kardinal Gerhard Ludwig Müller bezeichnete dessen Verhalten gegenüber dem Konflikt der deutschen Bischöfe als „armselig“.4
II. Die Aussagen des c. 844 § 4 CIC/1983 An dieser Stelle geht es um die Frage, ob c. 844 § 4 CIC/1983 die Auslegung rechtfertigt, die ihm die Mehrzahl der deutschen Bischöfe gegeben hat. Der c. 844 § 4 enthält die Anforderungen zur erlaubten Spendung der Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung an einen Christen, der einer kirchlichen Gemeinschaft angehört, die nicht von c. 844 § 3 erfasst wird. An dieser Stelle geht es allein um die Protestanten. 1. Die erste Bedingung lautet: Es muss Todesgefahr oder eine andere drängende schwere Notwendigkeit (Notlage) bestehen. Das Urteil, ob eine solche Notwendigkeit vorliegt, steht dem Diözesanbischof oder der Bischofskonferenz zu, ist also dem Sakramentenspender entzogen. Rüdiger Althaus behauptet allerdings, dass, wenn solche Bestimmungen fehlen, der Spender selbst das Urteil fällt nach Nr. 130 des Ökumenischen Direktoriums, „ohne verpflichtet zu sein, den Diözesanbischof anzugehen“.5 Der Begriff der gravis necessitas ist auslegungsbedürftig. Die Mehrheitsbischöfe gehen davon aus, „dass in konfessionsverschiedenen Ehen im Einzelfall der 2
Manfred Hauke, Kommunionspendung an Protestanten?, Augsburg 2018; Ravensburger Erklärung zur Interkommunion, in: PUR-Magazin vom November 2018, S. 3; DT Nr. 27 vom 5. Juli 2018, S. 1. 3 Johannes Stöhr, Eucharistiegemeinschaft mit Protestanten?, in: Kirche heute, Nr. 10 vom Oktober 2018, S. 20 f.; Winfried König, Die Heilige Messe als Ort ökumenischer Versöhnung?, in: Theologisches, Jg. 48, Nr. 07/08 vom Juli/August 2018, Sp. 305 – 316; Heinz-Lothar Barth, Physische Notlage, geistliche Notlage oder geistlicher Hunger?, in: Kirchliche Umschau, Jg. 21, Nr. 3 vom März 2018, S. 22 – 26; Manfred Hauke, Eucharistiegemeinschaft mit Protestanten? Zur Auseinandersetzung innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz, in: Theologisches, Jg. 48, Nr. 05/06 vom Mai/Juni 2018, Sp. 205 – 238; Ansgar Wucherpfennig, Wie hat Jesus die Eucharistie gewollt? Neutestamentliche Gedanken zur eucharistischen Gastfreundschaft, in: Stimmen der Zeit 2018, S. 855 – 860. 4 Der 13., Jg. 34, Nr. 5 vom 13. Mai 2018, S. 1. 5 Rüdiger Althaus, c. 844, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: Juli 2005).
Trägt c. 844 § 4 CIC/1983 seine Interpretationen?
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geistliche Hunger nach dem gemeinsamen Empfang der Kommunion so drängend sein kann, daß es eine Gefährdung der Ehe und des Glaubens der Ehepartner nach sich ziehen könnte, ihn nicht stillen zu dürfen“. Es liege eine „schwere geistliche Notlage“ vor. Dass die Mischehe nach Einholung der Erlaubnis des Ortsoberhirten (c. 1125 CIC/1983) eine Notlage begründen soll, ist unerfindlich. Die bekenntnisverschiedene Ehe ist keine Notlage. Ein angeblicher geistlicher Nutzen ist ebensowenig ein Notfall wie der Wunsch nach Beteiligung an einer katholischen Eucharistiefeier. Necessitas bezeichnet eine (objektiv vorliegende) Notlage, nicht ein (subjektives) Bedürfnis. Das „geistige Bedürfnis“ als „schwere Notlage“ ausgeben heißt, es dem einzelnen Protestanten überlassen, zum Empfang der heiligen Kommunion hinzuzutreten. Aber selbst das „Bedürfnis“ eines Protestanten, der in seinem Religionsverband steht und bleiben will, das katholische Altarssakrament zu empfangen, ist nicht erkennbar. Der Protestant besitzt nach seinem Verständnis alle geistlichen Mittel, um seines Heiles gewiss zu werden. Er bedarf nicht der Kommunion in der Katholischen Kirche. Das „Wort Gottes“, das ihm in seiner Konfession eröffnet wird, verschafft ihm alles, dessen er bedarf. Nach der Beschreibung, die das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Ökumenismus bietet, ist die Sorge für das Heil der Protestanten unbegründet. Danach finden sich „viele und bedeutende Elemente oder Güter“ außerhalb der Katholischen Kirche. Sie können „das Leben der Gnade zeugen“ und sind „geeignete Mittel für den Zutritt zur Gemeinschaft des Heiles“ (VatII, UR 3). Gerade im Lichte des Ökumenismus erscheint es überflüssig oder gar kränkend, den Heilsmöglichkeiten im Protestantismus aufhelfen oder sie gar ersetzen zu wollen. 2. Die zweite Bedingung dafür, dass Protestanten die katholische Kommunion sollen empfangen können, ist darin gelegen, dass sie keinen „Diener“ ihrer Gemeinschaft aufsuchen können. Mit dieser Wendung wird die Zuständigkeit des betreffenden protestantischen Religionsverbandes für die Austeilung des Abendmahls anerkannt. Der Protestant wird für das „Abendmahl“ an seine Konfession gewiesen. Wenn die Kommunion in der Katholischen Kirche nur bei Nichterreichbarkeit des Religionsdieners der eigenen Gemeinschaft erbeten werden darf, dann ergibt sich daraus, dass das (protestantische) Abendmahl und die (katholische) Kommunion in gewisser Hinsicht als gleichwertig eingestuft werden. Es fragt sich, wie hier der Vorrang des wahren Glaubens gegenüber abweichenden Vorstellungen gewahrt bleibt. Die Bedingung als solche trifft für die deutschen Verhältnisse nicht zu. Hier ist das Erreichen eines protestantischen Religionsdieners grundsätzlich überall möglich. Doch c. 844 § 4 beharrt auf dieser Bedingung, welche schon vor Jahrzehnten angefochten wurde. Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland
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wollte nämlich Protestanten den Zutritt zur katholischen Eucharistie öffnen, „selbst wenn diese die Möglichkeit zum Empfang des Abendmahls hätten“.6 Es muss nach c. 844 § 4 dem Nichtkatholiken unmöglich sein, einen „Spender“ seiner eigenen Gemeinschaft anzugehen, um von ihm das begehrte Heilsmittel zu erlangen. Das ist aber nach protestantischer Lehre gar nicht notwendig. Denn es braucht keinen bestallten oder „ordinierten“ Diener beziehungsweise eine solche Dienerin. Im Protestantismus kann grundsätzlich jedermann „Abendmahl“ halten. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass sich der protestantische Empfänger der heiligen Kommunion in einer logisch nicht zu bewältigenden Lage befindet. Der c. 844 § 4 geht davon aus, dass er normalerweise das begehrte „Sakrament“ in seiner Gemeinschaft empfängt. Nur in Ausnahmefällen findet er sich bei einem katholischen Spender ein, eben wenn ein Diener seiner eigenen Gemeinschaft nicht angegangen werden kann. Damit wird ihm zugetraut, dass er das „Sakrament“ einmal im Glauben seiner protestantischen Gemeinschaft, das andere Mal mit dem Glauben der Katholischen Kirche empfängt. Hier wird die Abwechslung beim Empfang von heiliger Kommunion und von Abendmahl durch ein und dieselbe Person von Rechts wegen zugestanden. Doch beide Vorgänge schließen sich gegenseitig aus. Katholische Eucharistielehre und protestantische Ansichten vom Abendmahl sind inkompatibel. Sie lassen sich auch psychologisch nicht vereinbaren. 3. Die dritte Bedingung für den Kommunionempfang von Protestanten besteht darin, dass der Nichtkatholik aus eigenem Antrieb (sponte) darum bitten muss, das Sakrament empfangen zu dürfen. Damit sollen wohl die Überlegtheit und die Freiheit der Bitte sichergestellt werden. Er darf also weder überrascht noch gedrängt, noch eingeladen werden. Diese Bestimmung ist angebracht. Allzu leicht bleibt bei der Aufforderung oder Einladung zum Kommunionempfang von dritter Seite das Erfordernis der Disposition oder sogar des gläubigen Verständnisses unberücksichtigt. Gründe der Konvention, der Freundschaft oder der Gesellschaft können sich vordrängen, sind aber bei dem heiligen Geschehen unangebracht. 4. Die vierte Bedingung für den Empfang der Eucharistie in der Katholischen Kirche durch einen Protestanten ist die Bekundung des katholischen Glaubens an dieses Sakrament vonseiten eines Protestanten, der Protestant ist und es bleiben will. Es stehen sich also katholischer Glaube an die Eucharistie und protestantische Ansicht in ein und derselben Person gegenüber. Der katholische Glaube bezüglich der Eucharistie hält erstens fest, dass Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, wahrhaft, 6 Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg i. Br. 1976, S. 225.
Trägt c. 844 § 4 CIC/1983 seine Interpretationen?
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wirklich und wesentlich im Altarssakrament enthalten ist. Der katholische Glaube bezüglich der Eucharistie hält zweitens fest, dass in der Eucharistie der ganze Christus mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit gegenwärtig ist. Der katholische Glaube bezüglich der Eucharistie hält drittens fest, dass die wirkliche Gegenwart durch die Transsubstantiation zustande kommt. Der katholische Glaube bezüglich der Eucharistie hält viertens fest, dass die wahre Gegenwart von Fleisch und Blut Christi in den konsekrierten Hostien die gottesdienstliche Feier überdauert. Weil der ganze Christus zugegen ist und bleibt, gebührt ihm Anbetung. Wer die Hostie essen will, muss sie auch anbeten. Der katholische Glaube bezüglich der Eucharistie hält fünftens fest, dass die Gegenwart Christi in der Eucharistie nur durch das werkzeugliche Mitwirken des rechtmäßig geweihten Priesters zustande kommt. Das katholische Verständnis der Eucharistie ist untrennbar mit dem Glauben an das Amtspriestertum verbunden. Kein Mensch kann an die wirkliche Gegenwart und Verwandlung von Brot und Wein glauben, ohne die wesensnotwendige Mitwirkung des geweihten Priesters zu bedenken. Der katholische Glaube lehrt sechstens die Heilsnotwendigkeit der Eucharistie. Die Lehre der Kirche lautet: Die Eucharistie ist den Erwachsenen wenigstens durch göttliches Gebot zum Heile notwendig. Der Glaube der Kirche umfasst siebtens auch die materiellen Gegenstände der Eucharistie. Die Materie des Altarssakraments sind nach katholischer Lehre Weizenbrot und Traubenwein. Alle diese Gegenstände muss der Protestant bejahen, wenn er zur Kommunion in der katholischen Kirche hinzutreten will. Er muss sogar hinsichtlich des erbetenen Sakraments den katholischen Glauben deutlich zeigen (manifestent). Es fragt sich, wie ein Protestant zu diesem Glauben gelangen können soll. Gehen wir einmal davon aus (positum, non concessum), dass er sich an die symbolischen Bücher seiner Konfession gebunden fühlt. Danach ergibt sich folgendes. Luther7 leugnete die Transsubstantiation, die Permanenz der wirklichen Gegenwart und das Weihepriestertum. Zwingli verwarf darüber hinaus die wirkliche Gegenwart. Calvin folgte ihm. Man muss sagen: Der gesamte Protestantismus lehnt die Realpräsenz im katholischen Verständnis ab.8 Die einen nehmen eine Kopräsenz von Brot und Leib Christi an, andere verstehen darunter die Erhebung des Herzens zum himmlischen Leib Christi oder eine Erinnerung an Christus in den Herzen oder eine Vergegenwärtigung des Geistes Christi in den Gläubigen. Wo eine Realpräsenz9 (in protestantischem Sinne) zugegeben wird, ist sie nur im Gebrauch vorhanden. Das heißt: Die Gegenwart des Leibes Christi, wie immer sie gedeutet werden mag, ist auf den Akt der Sakramentsnießung beschränkt und überdies an den Glauben des Sakramentsempfängers gebunden. Die Permanenz der wirklichen Gegenwart wird von allen Protestanten geleugnet. Es gibt daher keine kultische Verehrung des Sakra7
Luthers bedeutendste Abendmahlsschrift „Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis“ (1528): WA 26, S. 241 – 509. 8 Art. Abendmahl, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 6 Bde. und Reg.-Bd., 1. Bd., 41998, Sp. 10 – 53 (15 Autoren). 9 Notger Slenczka, Art. Realpräsenz, in: RGG (Anm. 8) 7. Bd., 42004, Sp. 81 f.
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ments.10 Alle Protestanten bestreiten entschieden die Transsubstantiation, welche die Realpräsenz heraufführt.11 Der gesamte Protestantismus lehnt den Opfercharakter der Eucharistie nach katholischem Glauben ab.12 Ebenso bestreitet er die Existenz eines neutestamentlichen Amtspriestertums. Allen Gläubigen eignet die priesterliche Würde; eine andere gibt es nicht. Jeder Getaufte kann grundsätzlich das „Wort“ verkündigen und die Sakramente spenden13. Die Abhaltung des Abendmahls ist nicht an die Anwesenheit eines (ordinierten) Pfarrers gebunden. Abendmahl halten kann jeder erwachsene Protestant. Kein Protestant gibt zu, dass die Priester bei der Darbringung des eucharistischen Opfers „in der Person Christi handeln“ (VatII, LG 10 und 28). Der Protestantismus verwirft die Aussetzung der konsekrierten Gestalten, ihre Anbetung und den mit ihnen erteilten Segen.14 Er teilt die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der Eucharistie nicht. Heilsnotwendig ist allein der (Fiduzial-) Glaube, kein Sakrament, nicht einmal die Taufe. Der Protestantismus beharrt nicht unbedingt auf der Verwendung von Wein für das Abendmahl. Er kann durch ein landesübliches Getränk ersetzt werden.15 Der katholische Eucharistieglaube stößt im Protestantismus intellektuell und emotional auf entschiedene Ablehnung. Die katholische Kirche galt und gilt nicht wenigen „aufgeklärten“ Protestanten nicht zuletzt wegen ihrer Eucharistielehre als Hort des Aberglaubens.16 Auch der Vorwurf der Magie gegen den Katholizismus und speziell in seiner Sakramentenlehre ist bis zur Stunde zu hören.17 Der c. 844 § 4 hält es für möglich, dass ein Protestant den katholischen Glauben bezüglich der Eucharistie bejaht. Nun ist aber allgemein und im Besonderen in c. 844 § 4 vorausgesetzt beziehungsweise ausdrücklich erklärt, dass es sich bei dem Protestanten, der (angeblich) den katholischen Eucharistieglauben bekundet, um einen in seinem Religionsverband beheimateten Christen handelt, der normalerweise das „Abendmahl“ in dieser Gemeinschaft empfängt, aber im Augenblick keinen Zugang zu einem Religionsdiener derselben hat. Zu diesem Akt in seinem Verband tritt er an 10 Thomas Kaufmann, Art. Abendmahl, II. Kirchengeschichtlich, 3. Reformation, in: RGG (Anm. 8) 1. Bd., Sp. 24 – 28, hier Sp. 27. 11 Johann Anselm Steiger, Art. Transsubstantiation, in: RGG (Anm. 8) 8. Bd., 42005, Sp. 539. 12 E. Kinder, Art. Opfer. IV. Dogmengeschichtlich, in: RGG (Anm. 8) 4. Bd., 31960, Sp. 1651 – 1656; H. Beintker, Art. Opfer. V. Dogmatisch-ethisch, ebd. (Anm. 8), Sp. 1656 – 1658. 13 Reinhard Brandt, Art. Priestertum, III. Christentum, 3. Evangelisch, in: RGG (Anm. 8) 6. Bd., 42003, Sp. 1656. 14 Martin Luther, Vom Anbeten des Sakraments (1523): WA 11, S. 417 – 456. 15 Wolfgang Hinz, Art. Abendmahlskelch, in: RGG (Anm. 8) 1. Bd., Sp. 54 f. 16 Gottfried Küenzlen, Art. Aberglaube, Religionswissenschaftlich, in: RGG (Anm. 8) 1. Bd., Sp. 56 f.; Walter Sparn, Art. Aberglaube, Kirchengeschichtlich und dogmatisch, ebd. (Anm. 8), Sp. 56 – 59; Fritz Stolz, Art. Aberglaube, Praktisch-theologisch, ebd. (Anm. 8), Sp. 59 – 61. 17 Ulrich Kopf, Art. Magie, IV. Kirchengeschichtlich. 2. Neuzeit, in: RGG (Anm. 8) 5. Bd., 4 2002, Sp. 672 – 674.
Trägt c. 844 § 4 CIC/1983 seine Interpretationen?
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mit dem geschilderten „Glauben“ von Luther, Zwingli und Calvin. Er empfängt die katholische Kommunion nur in einer „Notlage“, weil sein eigener Religionsdiener nicht erreichbar ist. Wenn die Notlage aufhört, geht er wieder zum Abendmahl in dem religiösen Verband, dem er zugehört. Hierin liegt ein unaufhebbarer Widerspruch. Es ist unvorstellbar, dass jemand, der Protestant ist und bleiben will, die von seiner Religionsgemeinschaft abgelehnten Glaubenslehren der Katholischen Kirche annimmt. Beides zugleich kann man als konträre Gegensätze nicht festhalten. Macht man sich die katholische Lehre zu eigen, entfernt man sich von der eigenen Gemeinschaft. Bleibt man bei seinen protestantischen Ansichten, kann man sich nicht in die Schar der Kommunikanten einreihen. Es ist logisch und psychologisch unmöglich, gleichzeitig zwei einander widersprechende, ja sich ausschließende Überzeugungen in sich zu tragen. Ein normaler Mensch kann nicht redlicherweise zu gleicher Zeit am protestantischen Abendmahl teilnehmen und die heilige Kommunion empfangen. Wer den Glauben der Katholischen Kirche an die Eucharistie bejaht, muss die protestantischen Ansichten über diesen Gegenstand verneinen: tertium non datur. So ergibt sich als Folgerung: c. 844 § 4 CIC/1983 ist in sich widersprüchlich. 5. Die fünfte Bedingung dafür, dass ein Protestant in der Katholischen Kirche kommuniziert, ist, dass er ordnungsgemäß disponiert ist. Von der Disposition für den Empfang der heiligen Kommunion handeln die cc. 842, 843, 912 – 923 CIC/1983. Sie umfasst den Empfang der Taufe, den Besitz des Gnadenstandes und die rechte, fromme Gesinnung. Bezüglich der Disposition für das Abendmahl beziehungsweise die heilige Kommunion herrscht keine Einigkeit zwischen Kirche und Protestantismus. Schon in der Lehre von der Taufe bestehen gravierende Unterschiede zwischen den Denominationen des Protestantismus und der katholischen Kirche.18 Wer die Rechtfertigung allein durch den Glauben zustande kommen lässt, entwertet die Heilsfunktion der Taufe. In manchen protestantischen Religionsverbänden ist daher Kirchenmitgliedschaft auch ohne Taufe möglich.19 Die Kontroverse ergreift sodann die Würdigkeit des Empfängers. Der katholische Glaube fordert den Gnadenstand. Der Besitz des Gnadenstandes setzt die Freiheit von schwerer Sünde voraus (cc. 915 – 916 CIC/1983). Wer im Zustand der schweren Sünde zur Kommunion geht, macht sich einer neuen schweren Sünde schuldig. Zu der Disposition gehört daher normalerweise bei denen, die sich einer Todsünde bewusst sind, der Empfang des Bußsakraments (c. 916 CIC/1983). Nach göttlichem Recht müssen die Gläubigen alle nach der Taufe begangenen schweren Sünden in der besonderen Beichte der Schlüsselgewalt der Kirche unterwerfen. Dieses Erfordernis scheint man für den kommunionwilligen Protestanten aufgegeben zu haben. Nirgends ist davon die 18
Art. Taufe, in: RGG (Anm. 8) 8. Bd., Sp. 50 – 92 (mehrere Autoren). Dieter Kraus, Art. Kirchenmitgliedschaft, II. Rechtlich, in: RGG (Anm. 8) 4. Bd., 4 2001, Sp. 1227 – 1230, hier Sp. 1228. 19
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Rede, dass die Verlangen nach der Kommunion tragenden Protestanten gehalten sind, vor der Kommunion das Sakrament der Buße zu empfangen. Protestanten sind schon bezüglich der schweren Sünde in weitem Ausmaß anderer Ansicht als die katholische Lehre. Vor allem im Bereich der geschlechtlichen Sittlichkeit halten sie vieles für erlaubt, was die Sittenlehre der Kirche als schwere Sünde eindeutig verwirft.20 Der Protestantismus bestreitet sodann, dass, wer den Leib des Herrn empfangen will, von schwerer Sünde frei sein muss. Nach protestantischer Ansicht wird man gerade durch den Empfang des Abendmahls von schwerer Sünde frei. Das Abendmahl in protestantischer Sicht ist zur Vergebung schwerer Sünden bestimmt und vertritt insofern gewissermaßen die Stelle des (vom Protestantismus aufgegebenen) Bußsakraments.21
III. Das Lehrfundament kirchenrechtlicher Regelungen Die interkonfessionelle Begegnung, die c. 844 § 4 vorsieht, unterliegt schwerwiegenden dogmatischen und kanonistischen Bedenken. Sie werden im Folgenden vertieft. 1. Die Einzelfallentscheidung Das erwähnte Papier der Deutschen Bischofskonferenz gibt die Zulassung von Protestanten, die in einer Mischehe leben, zum Empfang der heiligen Kommunion in der Katholischen Kirche als Entscheidung in Einzelfällen aus. Damit soll sie vermutlich als Ausnahme, selten und unbedenklich erscheinen. Dieser Sicht kann nicht gefolgt werden. Was im Einzelfall möglich ist, das ist grundsätzlich überhaupt möglich. Es ist nicht einsichtig zu machen, dass die in der „Handreichung“ angebotene Begründung nach dem Prinzip der Analogie nicht auf andere Fälle ausgedehnt wird. Falls die Argumentation der Deutschen Bischofskonferenz zuträfe, ist beispielsweise nicht zu verstehen, weshalb der Zugang zur Kommunion nur Gatten von Mischehen offenstehen sollte. Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland äußerte den Wunsch, Protestanten grundsätzlich, also nicht nur in einer Mischehe mit einem Katholiken lebenden, „wenn sie es wünschen, den Zutritt zur Eucharistie zu öffnen“.22 Die Einzelfallentscheidung scheint seit geraumer Zeit zu einem Mittel zu werden, allgemeine Regelungen zu durchlöchern und womöglich zu Fall zu bringen. Sie wurde auch bei der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion durch das Apostolische Schreiben „Amoris Laetitia“ angeru-
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Georg May, 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie, Bobingen 2017, S. 564 – 571. Helmut Schwier, Art. Sündenbekenntnis, in: RGG (Anm. 8) 7. Bd., Sp. 1901 f. 22 Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 6), S. 215.
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fen.23 Sie blieb nicht unbeanstandet. Nach Kardinal Walter Brandmüller ist die Einschränkung der Erlaubnis auf Einzelfälle „ein taktischer Schritt in Richtung Interkommunion mit Nichtkatholiken überhaupt“. Er spricht von „Salami-Taktik“ und unehrlicher „Masche“. Den angeblichen „eucharistischen Hunger“ des protestantischen Mischehenpartners bezeichnet er als „eine peinliche, melodramatische Inszenierung, um nicht zu sagen ,Kitsch‘“.24 Auch Kardinal Gerhard Ludwig Müller hält den Begriff „Einzelfälle“ für „einen rhetorischen Trick“.25 Firmin Udressy sprach von dem „Deckmantel einer sogenannten Einzelfallentscheidung“.26 2. Sakramente des Glaubens Die Sakramente sind „Sakramente des Glaubens“, weil sie den Glauben voraussetzen, nähren, stärken und anzeigen (VatII, SC 59). Der Glaube ist die Haltung, welche die Teilnahme trägt, bestimmt und durchdringt. Im Glauben öffnet sich der Mensch dem in der Eucharistie personal gegenwärtigen und heilsmächtig wirkenden Herrn. An der Eucharistie kann daher sinnvoll nur teilnehmen, wer ihr Wesen und ihren Inhalt im Glauben bejaht. Die Beschränkung einzig auf den Glauben an die Eucharistie ist fragwürdig. Der Glaube lässt sich nicht auf angenommene und beiseite gelassene Gegenstände abteilen. Er ist ein Ganzes, das ganz angenommen werden muss oder bei Abtrennung einer einzigen Wahrheit abgelehnt wird. In den Sakramenten verleiblicht sich der Glaube der Kirche. Die Feier der Sakramente ist eine Handlung der feiernden Gemeinschaft, die deren Einheit im Glauben, Gottesdienst und Leben zum Ausdruck bringt. Die Sakramente sind Vollzüge der Kirche und Bekenntnisse des Glaubens der Kirche (c. 840 CIC/1083). Wer nicht in der Kirche steht und wer nicht den Glauben der Kirche teilt, ist untauglich, an ihnen teilzunehmen. Es besteht eine innere Verbindung zwischen Eucharistie und Einheit der Kirche. Sakramentale Gemeinschaft ohne kirchliche Gemeinschaft ist widersprüchlich. Wer sich zum Empfang der Eucharistie in der Katholischen Kirche einfindet, muss sich auch zu der Kirche bekennen, die diese Eucharistie spendet. 3. Die sichtbare Kirche Der Empfang der Kommunion ist ein Geschehen in der sichtbaren Kirche, er ist eindeutiges Zeichen der kirchlichen Gemeinschaft. Ihn kann nur vollziehen, wer Glied der sichtbaren Kirche ist. Wer die heilige Kommunion in der Katholischen Kirche empfängt, bekundet damit öffentlich seine Übereinstimmung mit dieser Kirche. 23
Erneut subjektive Urteile in „Einzelfällen“. Mischehen-Interkommunion der deutschen Bischöfe, in: FMG-Information (Anm. 1), S. 12 – 24. 24 Kirchliche Umschau (Anm. 3), S. 14. 25 DT Nr. 9 vom 1. März 2018, S. 11. 26 Kommunionspendung an Nichtkatholiken, in: Mitteilungsblatt Nr. 171 vom April 2018, S. 11 – 13, hier S. 12.
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Diese Bekundung ist so lange widersprüchlich, als er nicht den (äußeren) Anschluss an diese Kirche vollzieht. Kircheneinheit und sakramentale Einheit dürfen nicht aufgesprengt werden. Man kann nicht so tun, als gehöre man zu dieser Gemeinschaft, ohne ihre Grundlage, den katholischen Glauben, zu teilen. Das Papier der Deutschen Bischofskonferenz widerspricht diesem Prinzip frontal. Es erklärt: Teilnahme an der heiligen Kommunion der Katholischen Kirche ist ohne kirchliche Einheit möglich. Hier wird der Anschein erweckt, man gehöre zu der Heiligen Katholischen Kirche, zu der man aber in Wirklichkeit nicht gehört. Die Eucharistie kann ihre kirchenbildende Funktion nicht an Menschen ausüben, die nicht gewillt sind, dieser Kirche zuzugehören. Der Empfang der Kommunion stärkt die Verbindung des Empfängers mit der Kirche. Diese Wirkung kann er bei dem protestantischen Kommunikanten nicht hervorbringen. Denn er gehört nicht zu der Kirche. Das eucharistische Opfer ist „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (VatII, LG 11). Die Feier des eucharistischen Opfers ist „Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der christlichen Gemeinde“ (VatII, CD 30). Es ist unerfindlich, wie Personen dieses Geschehen sollen mitvollziehen können, die der feiernden Gemeinschaft, der Katholischen Kirche, nicht angehören. 4. Zeichen der Einheit Die Eucharistie ist das „Zeichen der Einheit“ (VatII, SC 47), und zwar der bestehenden, nicht der herzustellenden Einheit. Durch das Sakrament des eucharistischen Brotes wird die Einheit der Gläubigen dargestellt und verwirklicht (VatII, LG 3 und 11; VatII, UR 2). Eine Person, die sich nicht zu dieser Einheit bekennt, kann sie nicht abbilden. In der Einheit gibt es keine Abstufungen; sie ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden. 5. Die Gewissensentscheidung Man sagt, es gehe bei der Zulassung zur Kommunion um die Anerkennung einer Gewissensentscheidung des jeweiligen evangelischen Christen. Das Prinzip bei diesem Vorgehen wird richtig beschrieben: „Verweis auf die weiterhin gültige offizielle Lehre bei gleichzeitiger Aushöhlung dieser Lehre durch die Anerkennung der Legitimität der Gewissensentscheidung des Einzelnen“.27 Seit dem II. Vatikanischen Konzil ist die Berufung auf das Gewissen in der Kirche beinahe alltäglich geworden, wenn dogmatische oder rechtliche Vorgaben lästig zu werden beginnen. Man verweist auf die gültige amtliche Lehre und bringt sie gleichzeitig zu Fall durch die Anerkennung der Berechtigung der gegenteiligen Gewissensentscheidung des Einzelnen. Im hier behandelten Fall entscheiden die Situation, der „geistliche Hunger“ und das Ehepaar, ob eine gemeinsame Teilnahme an der heiligen Kommunion mög27 Christoph Münch, Die Quadratur des Kreises, in: Vatican, Jg. 12, Heft 4 vom April 2018, S. 32 – 37, hier S. 36.
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lich ist. Der „Handreichung“ liegt eine irrige Vorstellung des Verhältnisses von Gewissen und Gesetz zugrunde. Danach hat die Kirche ein von der Norm abweichendes irriges Gewissensurteil zu akzeptieren; die Norm weicht vor dem Urteil zurück. Die Königsteiner Erklärung28 und die Würzburger Synode29 haben den Weg dafür eröffnet, das (irrige) eigene Gewissen gegen den Glauben und die Ordnung der Kirche zu stellen. Dieser Missbrauch hat sich fortgesetzt; in der Moraltheologie ist er herrschend geworden. Wo die sichtbare Kirche in Erscheinung tritt, muss sie nach dem unabänderlichen Kriterium ihrer Wahrheit handeln und darf sich nicht mit der subjektiven Entscheidung des Einzelnen zufriedengeben, wenn sie sich nicht selbst verleugnen will. Wer zu einem von den Normen abweichenden Gewissensurteil gelangt, ist zu respektieren. Aber er hat die Folgen seines Verhaltens zu tragen, das heißt, entsprechende Sanktionen hinzunehmen. 6. Die Lage der Mischehen Das Papier der Deutschen Bischofskonferenz zielt (zunächst) auf den nichtkatholischen, protestantischen Partner einer Mischehe, dem der Zugang zur Kommunion in der Katholischen Kirche eröffnet werden soll. Die „Handreichung“ sucht ihre „Orientierung“ mit der hohen Zahl von Mischehen in Deutschland zu begründen. Wie es dazu gekommen ist, wird nicht gesagt. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass die Mischehenseelsorge in den deutschen Diözesen seit dem II. Vatikanischen Konzil zusammengebrochen ist.30 Um das Desaster zu kaschieren, wählt man die weitere Aushöhlung von Glaube und Ordnung. Wenn der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz in seiner Erklärung vom 27. Juni 2018 meint, die Mischehenleute seien durch das Sakrament der Ehe „miteinander engstens verbunden“, dann ist daran zu erinnern, dass für den protestantischen Teil ein Sakrament der Ehe nicht existiert und dass sein Verständnis von Ehe fundamental von der katholischen Ehelehre abweicht. Die große Mehrzahl der Mischehenleute lebt gar nicht in einer sakramentalen Ehe, sondern lediglich in einer bürgerlichen Verbindung. Das Argumentieren mit der Quantität ist immer verdächtig. Es ist zwar meist psychologisch wirksam, aber theo28
Papst Paul VI., Enzyklika Humanae vitae über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens. Sonderdruck. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Trier 1968, S. 63 – 71. Vgl. Georg May, Der Glaube in der nachkonziliaren Kirche, Düsseldorf 1983, S. 204 – 206. 29 Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 6), S. 216. Vgl. Georg May, Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen angesichts der kanonischen Rechtsordnung, in: Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter Binder (Hrsg.), Neue Positionen des Kirchenrechts, Graz 1994, S. 49 – 79; Ders., Das Verhältnis von Gesetz und Gewissen im kanonischen Recht, dargestellt an den cc. 915/916 CIC/1983, in: Forum Katholische Theologie 9 (1993), S. 117 – 130. 30 Georg May, Das evangelische Mischehenrecht, Trier 1964; Ders., Katholische Kindererziehung in der Mischehe, Trier 1965; Ders., Mischehe und Abendmahl. Überlegungen zur kirchenrechtlichen Situation und Praxis in den evangelischen Landeskirchen Deutschlands, in: ThGl 55 (1965), S. 366 – 383; Ders., Das neue Mischehenrecht. Werdegang und Inhalt, Trier 1966.
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logisch schwach. Was falsch ist, wird auch dadurch nicht richtig, dass es in gehäufter Form auftritt. Die Bischöfe sprechen in ihrem Papier vom „gemeinsamen christlichen Glauben“ konfessionsverschiedener Ehepaare. Die hier behauptete Gemeinsamkeit ist auf schmale Sektoren beschränkt. In der ganz überwiegenden Zahl der Gegenstände bestehen schwerwiegende und unüberwindbare Unterschiede und Gegensätze.31 Das Papier der Deutschen Bischofskonferenz gibt der katholisch-protestantischen Mischehe die Bezeichnung „konfessionsverbindend“. Dieser Ausdruck ist unzutreffend. Gerade das Bekenntnis, die Konfession, ist es, worin die beiden Ehepartner getrennt sind. Selbst das Dekret über den Ökumenismus des II. Vatikanischen Konzils räumt ein, dass zwischen den protestantischen Religionsgemeinschaften und der katholischen Kirche „Widersprüche (discrepantias) von großem Gewicht“ vor allem im Glauben bestehen (VatII, UR 19). In Wahrheit sind es nur wenige Gegenstände der Glaubenslehre, in denen sich der Glaube der Katholischen Kirche und die religiösen Ansichten des Protestantismus decken.32 Wenn Gebete „für die (zu erlangende) Einheit“ verrichtet werden (VatII, UR 8), dann ergibt sich daraus, dass sie nicht vorhanden ist. Der Begriff der bekenntnisverbindenden Ehe ist daher irreführend. Er entspringt dem Wunschdenken und verschleiert die unüberbrückbare Kluft zwischen katholischem Glauben und protestantischen religiösen Anschauungen. Welche Dynamik er dennoch entwickelt, dafür ist das hier behandelte Papier der Deutschen Bischofskonferenz das vorläufig letzte Beispiel. Hier wird mit einer Art Erpressung gearbeitet: Wenn dem protestantischen Partner der Empfang der Kommunion verwehrt wird, scheitert die Ehe, heißt es. Woran Ehen „scheitern“ (falls man diesen Begriff des bürgerlichen Scheidungsrechts überhaupt für angemessen hält), darüber vermögen erfahrene und engagierte priesterliche Seelsorger Auskunft zu geben. Dass Mischehen scheitern, weil die Partner nicht gemeinsam zur Kommunion gehen dürfen, wird zwar behauptet, ist aber noch nie bewiesen worden. Selbst wenn es der Fall wäre, würde die gute Absicht nicht das schlechte Mittel erlaubt machen. Die Kommunion darf nicht als Mittel zu anderen Zwecken missbraucht werden. Wo dies geschieht – wie in der „Handreichung“ –, liegt eine irrige Moraltheologie zugrunde. Es ist die Theorie der Güterabwägung und der Teleologie. Danach kann man eine in sich schlechte Handlung setzen, wenn sie einem guten Zweck dient.33
31 Georg May, Die Ökumenismusfalle (= Brennpunkt Theologie Bd. 6), Stuttgart 2004; Ders., Die Sendung der Kirche, Köln 1999. 32 May, Die Ökumenismusfalle (Anm. 31), S. 74 – 98; Ders., Die Sendung der Kirche (Anm. 31), S. 49 – 51; Ders., 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie (Anm. 20), S. 445 – 571. 33 May, 300 Jahre gläubige und ungläubige Theologie (Anm. 20), S. 920 f.
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IV. Schluss Die Bedingungen der vollen Mitfeier des eucharistischen Opfers durch sakramentalen Empfang des Herrenleibes werden vom Glauben der Kirche, nicht bloß von ihrer Rechtsordnung aufgestellt. Der sachgerechte Umgang mit dem eucharistischen Leib des Herrn ist festgeschrieben in c. 731 § 2 CIC/1917: Es ist verboten, die Sakramente der Kirche Häretikern oder Schismatikern zu spenden, auch wenn sie sich gutgläubig im Irrtum befinden und um sie bitten, wenn sie nicht zuvor ihre Irrtümer verworfen haben und mit der Kirche ausgesöhnt worden sind. Sakramentengemeinschaft und Kirchengemeinschaft bedingen sich gegenseitig. Die Berufung der Deutschen Bischofskonferenz für ihre gegenteilige Ansicht auf c. 844 § 4 CIC/1983 ist nicht haltbar. Der c. 844 § 4 CIC/1983 ist widersprüchlich34 und darum unanwendbar. Er verlangt von dem kommunionwilligen Protestanten den ganzen und unversehrten katholischen Glauben an die Eucharistie und gesteht ihm gleichzeitig das Verharren im Zustand eines abweichenden Glaubens zu. Der c. 844 § 4 CIC/1983 ist daher als rechtliche Grundlage für den Empfang katholischer Sakramente durch einen Protestanten ungeeignet. Die Sakramente sind Vollzüge der Kirche und Bekenntnisse des Glaubens der Kirche (c. 840 CIC/1983). Wer der Kirche nicht angehört und nicht ihren gesamten Glauben teilt, ist untauglich, an ihnen teilzuhaben. Eine Stimme aus Großbritannien bemerkte richtig, die deutschen Bischöfe stellten die Gemeinschaft miteinander vor die Gemeinschaft mit Gott und mit der Kirche.35 Der punktuelle Glaube an ein Sakrament ist keine genügende Voraussetzung für dessen Empfang. Die „Handreichung“ ist theologisch und kanonistisch misslungen. Das Papier wird der katholischen Lehre von Kirche und Eucharistie nicht gerecht. Die „Handreichung“ nimmt weder den katholischen Glauben noch die religiösen Ansichten des Protestantismus ernst. Dem Papier der deutschen Bischöfe muss Realitätsferne und Wunschdenken bescheinigt werden. Die „Handreichung“ der Deutschen Bischofskonferenz fügt sich ein in eine Anzahl von bedenklichen Verordnungen oder Maßnahmen bezüglich des eucharistischen Opfersakraments, die während der letzten Jahrzehnte erlassen wurden beziehungsweise vor sich gegangen sind und die zu einer Aushöhlung des Glaubens, zu einer Minderung der Ehrfurcht und zu einer Auszehrung der Frömmigkeit geführt haben. Der konfessionell wechselnde Empfang der Eucharistie gar ist nach Leo Scheffczyk „die Preisgabe jeglichen objektiven Eucharistieglaubens zugunsten eines christlichen Eklektizismus und Synkretismus“.36
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Georg May, Kritische Bemerkungen zu dem neuen Codex Iuris Canonici, in: Theologisches, Jg. 13, Nr. 158 vom Juni 1983, Sp. 5240 – 5250, hier Sp. 5247 f.; Ders., Die Sendung der Kirche (Anm. 31), S. 59. 35 FMG-Information (Anm. 1), S. 17. 36 FMG-Information (Anm. 1), S. 24.
Ein guter Lebensstil für Priester – Impulse aus der Ratio fundamentalis sacerdotalis Von Markus Moling In diesem Artikel geht es ausgehend von der Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis um Impulse für den Lebensstil der Priester von heute. Das Dokument der Kleruskongregation ermutigt zu einer lebensnahen und dauernden Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Dimensionen der Ausbildung und des Menschseins und sieht dabei das ganze Leben als Wachstumsprozess.
I. Christlicher Lebensstil allgemein: die Entwicklung zu einem guten Menschen Der griechische Philosoph Aristoteles erinnert daran, dass sich der Mensch in seinem Leben unterschiedliche Haltungen aneignet aus denen heraus er dann handelt. Die einen sind Laster, die anderen Tugenden. Wir streben aber nach einem guten Leben, wir wollen wertvolle Menschen sein.1 Doch was ist ein gutes Leben? Wer wissen will, wie man einen guten Stuhl baut, der schaut einem guten Tischler zu, einem, der sein Handwerk versteht. Wer wissen will, was ein gutes Leben ausmacht, der schaut auf einen Menschen, der ein gutes, ein gelungenes, ein tugendhaftes Leben lebt. Es braucht also gute Vorbilder, meint Aristoteles. Wir lernen von Vorbildern. Unser Vorbild schlechthin für einen christlichen Lebensstil ist Jesus von Nazareth. Er ist das Vorbild für ein gutes, ein gelungenes Leben. Das heißt, wir müssen auf Jesus schauen, um einen christlichen Lebensstil einzuüben und im Geiste Jesu zu handeln.2 Das Vorbild Jesu, das Vorbild des guten Hirten hat in der Priesterausbildung seit jeher eine ganz wichtige Bedeutung. Diese zentrale Rolle wird auch in der neuen Ratio Fundamentalis sacerdotalis aufgegriffen. Es geht in der Priesterausbildung um eine Gleichgestaltung mit Christus, die vor allem in einer barmherzigen Nähe zu den Menschen besteht (Nr. 36).
1 Aristoteles, Nikomachische Ethik. II 1103b 27 f.: „Wir philosophieren nämlich nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sie, sondern um wertvolle Menschen zu werden“. 2 Aristoteles, Nikomachische Ethik. II 1105b 6 f.: „Indes, gerecht und besonnen ist nicht ohne weiteres jeder, der solche Handlungen vollbringt: er muss sie auch im selben Geist vollbringen wie die gerechten und besonnenen Menschen“.
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II. Auf Christus schauen Papst Benedikt XVI. hat zur Vorbildfunktion Christi ein Büchlein verfasst mit dem Titel: „Auf Christus schauen“. Zur Frage wie man einen christlichen Lebensstil einüben kann, sagt er: „Üben kann man nur etwas, was man schon irgendwie besitzt; es setzt ein gegebenes Fundament voraus.“3 Dieses gegebene Fundament für den christlichen Lebensstil ist die Taufe. Das Sakrament der Taufe ist ein Geschenk. Bevor wir etwas leisten, erbringen oder erarbeiten müssen, wird uns das Grundlegende, das Fundament unseres christlichen Lebens geschenkt. Die Taufe ist gleichsam der Anfang des christlichen Lebens. Es ist, um ein griechisches Wort der alten Philosophen einzubringen die arche, der Urgrund. Dieses Wort „arche“ bestimmt der Philosoph Martin Heidegger folgendermaßen: „Das griechische Wort arche müssen wir im vollen Sinne verstehen. Es nennt dasjenige, von woher etwas ausgeht. Aber dieses „von woher“ wird im Ausgehen nicht zurückgelassen, vielmehr wird die arche zu dem, was das Verbum archein sagt, zu solchem, was herrscht.“4 Heidegger meint: Der Urgrund von etwas, markiert nicht nur den zeitlichen Anfang, sondern er bestimmt die ganze weitere Entwicklung einer Sache. Übertragen auf die Taufe heißt das: Sie ist nicht nur der zeitliche Anfang unseres christlichen Lebens, sondern sie durchwirkt unser ganzes Leben als Christen. Die Taufe steht nicht einfach am Beginn, „wie z. B. der Operation des Chirurgen das Waschen der Hände vorausgeht.“5 Die Taufe ist Anfang und in jedem Atemzug, den wir als Christen machen, ist dieser Anfang, ist die Taufe präsent. Es ist die Tatsache von Gott umsonst geliebt zu sein und Teil der Kirche sein zu dürfen, Teil jener Gemeinschaft, die auf dieser Liebe gründet. Es ist gleichzeitig aber auch der Ruf, mit dem eigenen Leben auf diese Liebe Gottes zu antworten. „Was Gott einem Menschen in der Taufe ein für allemal zugesagt hat, das will täglich aufs Neue realisiert werden.“6
III. Das kirchliche Amt: Dienst am Leben Dem kirchlichen Amt, den geweihten Diakonen, Priestern und Bischöfen kommt die wertvolle Aufgabe zu, dem durch die Taufe begründeten gemeinsamen Priestertum zu dienen und die Menschen von heute durch den sakramentalen Dienst den Geschenkcharakter des christlichen Lebens lebendig zu halten und diesen auch zu nähren. Das Weiheamt ist ein „Zeichen dafür, dass die ganze Kirche aus der Gnade Got-
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Benedikt XVI., Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe, Freiburg/ Basel/Wien 2005, S. 11. 4 Martin Heidegger, Was ist das die Philosophie. 10. Auflage. Tübingen 1992, S. 24 f. 5 Martin Heidegger, Was ist das die Philosophie. 10. Auflage. Tübingen 1992, S. 25. 6 Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.), „Gemeinsam Kirche sein“. Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral. 2015, 1a, S. 13 f.
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tes lebt.“7 So wird deutlich, was schon in LG 10 steht, nämlich dass das gemeinsame Priestertum durch die Taufe und das Priestertum durch die Weihe einander zugeordnet sind und nicht in Rivalität oder in der Diskussion um funktionale Aspekte einander entgegengesetzt sind. Ein christlicher Lebensstil zeigt sich in der Entfaltung der Taufgnade, in einem Leben, das dem Doppelgebot der Liebe (Mt 22,37 – 40), wie es Jesus uns vorlegt, Ausdruck verleiht. Papst Franziskus hat in einer seiner Katechesen dazu gesagt, dass „die Qualität des christlichen Lebens an der Fähigkeit zu lieben bemessen ist, wie Jesus gesagt hat: Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt (Joh 13,35).“8 Damit wäre eigentlich schon alles gesagt und diese Worte können Lebensprogramm sein und auch den diakonalen und priesterlichen Dienst durch und durch prägen. Doch dieser Text von Papst Franziskus enthält noch einen wertvollen Impuls. Der Papst sagt: „Was können wir jenen antworten, die sagen, dass man nicht zur Messe zu gehen braucht, auch nicht am Sonntag, weil das Wichtigste sei, gut zu leben, den Nächsten zu lieben?“9 Der Papst antwortet: „Wie können wir das Evangelium praktizieren, ohne die notwendige Kraft zu schöpfen, Sonntag für Sonntag, aus der unerschöpflichen Quelle der Eucharistie? Wir gehen nicht zur Messe, um Gott etwas zu geben, sondern um von ihm das zu empfangen, was wir wirklich brauchen.“10 Mit anderen Worten: Wie können Diakone und Priester leben, wenn sie nicht immer wieder Kraft schöpfen von der Quelle her, die niemals versiegt. Christlicher Lebensstil braucht Nahrung, er muss genährt werden, damit er wachsen kann und sich festigt, damit er nicht einfach zu einer oberflächlichen Handlungsweise verkommt oder auf dem Feld der Pastoral und der vielen Aufgaben ausgebrannt wird. Es ist notwendig, um es in den Worten des hl. Thomas von Aquin zu sagen, dass nicht nur der äußere, sondern auch der innere Mensch genährt wird und wächst.11
7 Gerhard Schneider, Auslaufmodell Priesterseminar? Neue Konzepte für eine alte Institution. Freiburgi. Br. 2016, S. 92. 8 Papst Franziskus, Katechese zur Generalaudienz am 13. Dezember 2017, online unter: https://w2.vatican.va/content/francesco/de/audiences/2017/documents/papa-francesco_ 20171213_udienza-generale.html (eingesehen am 15. 02. 2018). 9 Ebd. (Anm. 8). 10 Ebd. (Anm. 8). 11 Thomas von Aquin, Summa theologiae III qLXXIII a1 ca: „Ed ideo sicut ad vitam spiritualem oportuit esse baptismum, qui est spiritualis generatio, et confirmationem, quae est spirituale augmentum, ita oportuit esse sacramentum Eucharistiae, quod es spirituale alimentum“.
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IV. Wachstum und Reife: Impulse aus der Ratio Fundamentalis Ich möchte nun in meinen Überlegungen auf vier Bereiche des Wachstums Bezug nehmen. Ich stützte mich dabei auf das neue Dokument für die Priesterausbildung, die „Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis“ mit dem Titel: „das Geschenk der Berufung zum Priestertum“12. Diese vier Säulen oder Dimensionen der Priesterausbildung, wie sie im Dokument genannt werden und bereits auf das von Johannes Paul II. veröffentlichte Dokument „Pastores dabo vobis“ zurückgehen, sehe ich als Orte des Wachstums. Sie sind: @ Die menschliche Dimension der Bildung, @ Die geistliche Dimension der Bildung @ Die intellektuelle Dimension der Bildung @ Die pastorale Dimension der Bildung Diese vier Dimensionen der Bildung sind konkrete Orte, um die Freundschaft mit Christus zu festigen und die im Sakrament geschenkte Beziehung zu vertiefen und so einen christlichen Lebensstil einzuüben. Das Ziel aller dieser Dimensionen der Bildung in der priesterlichen Ausbildung besteht nämlich darin, Christus dem guten Hirten ähnlicher zu werden, auf ihn hin zu wachsen. Dies ist ein kontinuierlicher gradueller Prozess der Gleichgestaltung, der „eine dauernde Herausforderung für das innere Wachstum einer Person darstellt.“ (Nr. 80) Deshalb weist das Dokument darauf hin, dass die Ausbildung und Entwicklung nicht mit der Weihe abgeschlossen ist, sondern weitergeht und zwar das ganze Leben lang. Die ständige Fort- und Weiterbildung „zielt auf die Sicherung der Treue zum priesterlichen Dienst auf einem Weg beständiger Bekehrung, um das Geschenk aus der Weihe neu zu beleben.“ (Nr. 81) Das heißt: Priester sind und bleiben als Jünger Christi in der Nachfolge Jesu Auszubildende, sie befinden sich auf dem Weg und sind eine Weggemeinschaft. Diese Sichtweise ermutigt, an sich zu arbeiten und sich auf dem Weg der Entfaltung unserer Berufung nicht als Vollendete, sondern als Wachsende zu betrachten. Aus diesem Grund können die vier Säulen einer ganzheitlich verstandenen Priesterausbildung für alle, die bereits geweihte Priester sind, wertvolle Impulse beinhalten. Diese vier Säulen können aber auch helfen, jene Engpässe auf dem Weg zu meistern, die im Dokument als Herausforderung für den Dienst und das Leben des Priesters bezeichnet werden. Diese sind die Erfahrung der eigenen Schwäche, das Auftauchen von Widersprüchen, die man angehen muss, die Gefahr sich als Funktionär des Heiligen ohne Hirtenherz zu fühlen, die Herausforderung durch die zeitgenössische Kultur, die Verlockung der Macht und des Reichtums, die Herausforderung des Zölibates, Müdigkeit, Konflikte, Enttäuschungen, Last der Routine u. a. 12 Kongregation für den Klerus, Das Geschenk der Berufung zum Priestertum. Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdotalis vom 8. Dezember 2016, Vatikanstadt 2016 (= VApSt 209).
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V. Der Humus der Gemeinschaft Bevor ich auf die vier Orte des Wachstums oder die vier Dimensionen der Bildung eingehe, möchte ich noch in einem kurzen Exkurs auf einen Schwerpunkt des Dokumentes Bezug nehmen, der gleichsam den Rahmen darstellt, in welchem sich die vier Dimensionen der Ausbildung bewähren müssen, dies ist die Gemeinschaft. Es heißt in der Nr. 90: „Der Humus der Berufung zum priesterlichen Dienst ist die Gemeinschaft, insofern der Seminarist aus dieser kommt und nach der Weihe zu ihr gesandt wird, um ihr zu dienen. Zunächst braucht der Seminarist und dann der Priester eine vitale Bindung an die Gemeinschaft.“ Und unter der Nr. 51 lesen wir, dass der Priester gerufen ist „der Mann der Gemeinschaft“ zu sein. Das Dokument ermutigt, den Blick auf die vielfältigen Formen von Gemeinschaft, die im Leben begegnen zu schärfen und über die Bedeutung von Gemeinschaft in Leben und Dienst nachzudenken. Ich möchte vier Typen von Gemeinschaft unterscheiden. Zuerst spricht das Dokument von der Gemeinschaft mit Christus (42). Dann spricht das Dokument von der Gemeinschaft, auf die hin die Priester ausgebildet und gesandt werden. Dies ist die Gemeinschaft der Kirche und darin jeweils konkrete Menschen. Im Blick auf diese Sendung auf die Gemeinschaft hin, sagt Papst Franziskus zusammenfassend: „das Volk Gottes. Wir wollen nie vergessen: Die Menschen mit den Problemen ihrer Situationen, mit ihren Fragen und Bedürfnissen, sind eine großartige „Töpferscheibe“, wo der Ton unseres Priestertums geformt wird. Wenn wir auf das Volk Gottes zugehen, uns von seinen Erwartungen formen lassen, indem wir seine Wunden berühren, dann bemerken wir, dass der Herr unser Leben verwandelt. Wie dem Hirten ein Teil des Volkes anvertraut wird, genauso wird dem Volk auch der Priester anvertraut. Und trotz der Widerstände und Missverständnisse werden wir merken, dass die Gläubigen zu überraschenden Gesten der Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit gegenüber ihren Priestern fähig sind, wenn wir mitten unter dem Volk auf dem Weg sind und uns großherzig hingeben. Es ist eine wahrhafte Schule menschlicher, geistlicher, intellektueller und pastoraler Formung“. Dann spricht das Dokument vom Presbysterium. „Kraft seiner Weihe ist der Priester Teil einer Familie, in der der Bischof der Vater ist.“ (Nr. 52) Im Dokument heißt es weiter: „Der Weg der Jüngerschaft erfordert nämlich, immer mehr in der Liebe, der Synthese der priesterlichen Vollkommenheit zu wachsen. Das aber kann nicht isoliert verwirklicht werden, weil die Priester ein Presbyterium bilden, dessen Einheit durch besondere Bande der apostolischen Liebe, des Dienstes und der Brüderlichkeit gebildet wird.“ (Nr. 87). Dann wird das Dokument sehr konkret und nennt in der Nr. 88 einige Formen gelebter Gemeinschaft zwischen Priestern: Mitbrüderliche Begegnungen zu Gesprächen, Austausch und Gebet, gegenseitige geistliche Begleitung und Beichte, geistliche Exerzitien für eine fortgeschrittene und tiefe Revision des Lebens, gemeinsamer Tisch, gemeinsames Leben (vita communis) und Priestervereine.
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Im Blick auf die Ratio fundamentalis nennt Papst Franziskus noch eine vierte Form der Gemeinschaft, nämlich die der Freundschaft. Franziskus sagt: „Mehr als von vorgefertigten Schemata wird er (der Priester) sich von einer gesunden Unruhe des Herzens führen lassen, so dass er die eigene Unvollendetheit ausrichtet auf die Freude der Begegnung mit Gott und mit den Brüdern und Schwestern. Er wird nicht die Absonderung suchen, sondern vielmehr die Freundschaft mit den priesterlichen Mitbrüdern und den Menschen seiner Umgebung suchen, weil er weiß, dass seine Berufung einer Begegnung der Liebe entspringt: der Begegnung mit Jesus und der Begegnung mit dem Volk Gottes.“13 Henri Nouwen warnt in seinem Büchlein „Sehnsucht nach lebendiger Beziehung“, dass die Situation des Seelsorgers manchmal folgendermaßen ausschauen kann: „Sehr oft hat er sein privates Leben verloren, wo er mit sich selbst sein kann: auch hat er nicht eine Hierarchie von Beziehungen, die seine Schwelle hüten. Er ist freundlich zu jedermann, aber er hat keine Freunde für sich selbst. Er gibt immer einen Rat, aber er hat niemanden, zu dem er gehen kann mit seinen Schmerzen und seinen Problemen.“14 Dass das Erleben von Gemeinschaft und Freundschaft fundamental für den priesterlichen Lebensstil ist, darüber berichtet auch der Priesterseelsorger Wunibald Müller, der viele Priester begleitet hat. „Um gesund und lebensbejahend zölibatär leben zu können, ist das Eingebundensein in ein Netz von Beziehungen notwendig. Es muss Menschen in meiner näheren und weiteren Umgebung geben, die für mich so etwas wie eine Familie, eine Gemeinschaft ausmachen. (…) Hier bin ich einfach ich, angenommen, selbstverständlich angenommen und geschätzt, ohne etwas leisten zu müssen. Hier darf ich über das sprechen, was mich bewegt (…).“ Und der Jesuitenpater Hermann Kügler schreibt: „In wirklichen Freundschaften wird der Priester seine eigenen Zweifel und Unsicherheiten ausdrücken und mit den Menschen teilen können, die ihm als Freundinnen und Freunde geschenkt sind.“15 Gemeinschaft und Freundschaft gerade auch zwischen Priestern sind also wichtige Voraussetzungen, um den Dienst in Freude leben und einen christlichen Lebensstil pflegen zu können. Ja die Sendung auf die Gemeinschaft hin ist die Ausrichtung dieses Dienstes. Alle diese Formen der Gemeinschaft, ja selbst die Ehe als Gemeinschaft, so erinnert Kardinal Martini in einem Büchlein, dürfen aber nicht zur Illusion führen, dass „man der Einsamkeit aus dem Weg gehen kann. (…) Es ist erwiesen, dass wer die Einsamkeit nicht aushalten kann, sich auch in Gemeinschaft nicht wohlfühlen wird, weil er nicht dazu fähig ist, mit seinen eigenen Problemen umzugehen
13 Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am internationalen Kongress, den die Kongregation für den Klerus organisiert hat, 7. Oktober 2017, online unter: http://w2.vatican. va/content/francesco/de/speeches/2017/october/documents/papa-francesco_20171007_conve gno-congregazioneclero.html (eingesehen am 15. 02. 2018). 14 Henri Nouwen, Nähe. Sehnsucht nach lebendiger Beziehung, Freiburgi. Br. 1991, S. 118. 15 Hermann Kügler, Neuer Mut zur Zärtlichkeit in Beziehung, Freundschaft und Seelsorge (= Ignatianische Impulse 65), Würzburg 2014, S. 72.
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und sie im Überschwang auf die anderen ablädt“, so Martini.16 Und der Mystiker Johannes vom Kreuz ermutigt von den Eigenschaften des einsamen Vogels zu lernen, wenn er schreibt, dass der kontemplative Mensch „ein großer Freund des Alleinseins und des Schweigens“17 ist. Kommen wir nun zu den vier Dimensionen der Ausbildung zurück, die Begegnungsmomente mit Jesus sein können und dadurch inneres Wachstum schenken und so den christlichen Lebensstil prägen können:
VI. Die menschliche Dimension der Bildung Auch Priester bleiben konkrete Menschen mit einer bestimmten Persönlichkeit. Für die Gläubigen, so heißt es unter der Nr. 81 ist es wichtig, dass sie Priestern begegnen können, die angemessen reif und gebildet sind. Das Dokument legt deshalb in der Ausbildung der Seminaristen einen großen Schwerpunkt auf die Eignungskriterien und sieht in der menschlichen Bildung das Fundament der ganzen Priesterausbildung (Nr. 94). Wenn dem so ist, dann spielt die menschliche Reife eine wesentliche Rolle. Benedikt XVI. hat in seinem Büchlein mit dem Titel „Auf Christus schauen“ dazu folgendes geschrieben: „Wir üben das Christsein. Weil aber Christsein nicht irgendeine Spezialkunst neben anderen meint, sondern einfach das rechtgelebte Menschsein selbst, könnten wir auch sagen: Wir wollen die Kunst des richtigen Lebens üben – wir wollen die Kunst der Künste, das Menschsein, besser erlernen.“18 Dass ein christlicher Lebensstil Ausdruck des rechtgelebten Menschsein ist, ermutigt auch die Diakone und Priester auf die menschliche Dimension ihrer Berufung zu schauen und die verschiedenen Aspekte des Menschseins zu bedenken. Dabei werden in der neuen Ratio physische, psychologische, moralische, ästhetische und soziale Aspekte des Menschseins unterschieden und es wird von menschlicher Reife gesprochen. Worin diese menschliche Reife besteht, lesen wir in der Nr. 94: „Die menschliche Bildung ist das Fundament der ganzen Priesterausbildung. Sie fördert das umfassende Wachstum der Person und ermöglicht, auf dieser Basis alle Dimensionen zu formen. Physisch geht es um Aspekte wie Gesundheit, Ernährung, Bewegung und Ruhe; psychologisch um die Bildung einer stabilen Persönlichkeit, die von affektiver Ausgeglichenheit, von Selbstbeherrschung und von einer gut integrierten Sexualität geprägt ist. Moralisch fordert sie, dass der Mensch zunehmend ein gebildetes Gewissen erlangt. (…) Der Sinn für das Schöne muss geschult werden. Auch das soziale Verhalten ist zu berücksichtigen. Es ist der Person zu helfen, ihre Beziehungsfähigkeit zu verbessern, so dass sie zum Aufbau der Gemeinschaft, in der sie 16 Carlo M. Martini, Folge mir nach. Glaube, Dienst und Zölibat, Freiburgi. Br. 1992, S. 74. 17 Johannes vom Kreuz, Merksätze von Licht und Liebe, in: Elisabeth Hense/Elisabeth Peeters (Hrsg.), Johannes vom Kreuz. Worte von Licht und Liebe. Briefe und kleinere Schriften. Freiburg i. Br. 42008, S.129. 18 Benedikt XVI., Auf Christus schauen (Anm. 3). S. 11.
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lebt, beitragen kann.“ Dabei orientiert sich das Dokument nicht nur an humanwissenschaftlichen Erkenntnissen. Orientierungspunkt des rechtgelebten Menschseins ist Christus der vollkommene Mensch, Modell und Quelle für unseren Weg und unsere Beziehungen zu den Mitmenschen. Es geht darum, dass wir die Gefühle und Einstellungen Jesu nachempfinden, um damit auch den Mitmenschen in Barmherzigkeit zu begegnen, wie Kardinal Stella, der Präfekt der Kleruskongregation die Zielrichtung des Dokumentes beschreibt.19 Dabei ist es wichtig, das Menschsein Jesu möglichst konkret zu betrachten und aus seinem befreienden Umgang mit Menschen, wie wir ihn aus den Evangelien erfahren zu lernen. Dazu schreibt der Jesuit Hermann Kügler: „Der Priester (und der Diakon) wird sich in der Weise, wie er seine Liebensfähigkeit lebt und Beziehungen gestaltet, an der Person Jesu ausrichten.“20 Und die Ordensschwester Sandra Schneiders meint: „Sowohl unsere Fähigkeit zur Intimität mit Gott, dem wir unser Leben geschenkt haben, als auch unsere Fähigkeit, entsprechend dem Evangelium zu leben und andere zu lieben, hängt von der Entwicklung unserer eigenen emotionalen Gaben ab.“21 Das Dokument ermutigt die Priester, das eigene Menschsein als eine dynamische Größe zu betrachten, die sich stets in Wachstum befindet, wenn sie es zulassen, sich damit auseinandersetzen und formen lassen. In seinem Büchlein „Mensch werden – erfüllt leben“ sagt P. Josef Maureder SJ: „Über menschliche Reife sollten wir nicht wie über ein Ideal oder über einen einmal erreichten Zustand sprechen. Menschliches Reifen ist ein Prozess, ein Weg, ständig im Werden.“22 Schon Aristoteles schreibt in seiner Nikomachischen Ethik: „Darum müssen wir unseren Handlungen einen bestimmten Wertcharakter erteilen, denn je nachdem wie sie sich gestalten, ergibt sich die entsprechende feste Grundhaltung. Ob wir also gleich von Jugend auf in dieser oder jener Richtung uns formen, darauf kommt nicht wenig an, sondern sehr vieles, ja alles.“23 Diese Überlegungen passen gut zum Grundanliegen des Dokumentes: Subjekt der ständigen Ausbildung ist der konkrete Menschen. Die Bereitschaft des Einzelnen, sich formen zu lassen, ist deshalb wesentlich. Diese Bereitschaft braucht es ein Leben lang.
19 Beniamino Stella, Benvenuto e presentazione delle linee generali della Ratio fundamentalis Institutionis Sacerdotalis, in: „Il dono della vocazione presbiterale“. Convegno internazionale sulla Ratio fundamentalis Institionalis Sacerdotalis 4 – 7 ottobre 2017. Roma 2017, S. 13: „Avere lo stesso cuore e gli stessi sentimenti di Gesù significa imparare a pensare se stessi e il ministero presbiterale come strumento della grazia e della misericordia divina“. 20 Hermann Kügler, Neuer Mut zur Zärtlichkeit in Beziehung (Anm. 15), S. 74. 21 Sandra Schneiders, Prolog, in: Wunibald Müller (Hrsg.), Liebe und Zölibat. Wie eheloses Leben gelingen kann, Mainz 1994, S. 10. 22 Josef Maureder, Mensch werden – erfüllt leben (= Ignatianische Impulse 23), Würzburg 2007, S. 10. 23 Aristoteles, Nikomachische Ethik, II 1103b 25.
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VII. Die geistliche Dimension der Bildung Die geistliche Dimension der Berufung, so die Ratio in der Nr. 89 bestimmt letztlich die Qualität des priesterlichen Dienstes. Der Priester ist ein Geistlicher, ein Mensch, der vom Geist der Innerlichkeit geprägt wird. Schon bei der Diakonenweihe wird dem Kandidaten die Frage gestellt: „Bist du bereit, aus dem Geist der Innerlichkeit zu leben und ein Mann des Gebetes zu werden?“ Das Ziel der geistlichen Bildung sieht das Dokument über die Priesterausbildung in der persönlichen Einheit mit Christus, der um es in den Worten von Augustinus und Thomas zu sagen, der innere Lehrer ist. Die Einheit mit Jesus steht unter dem Zeichen der Gabe, des Sich-Verschenkens und drückt sich in der Ganzhingabe aus. Der Zölibat, Schlichtheit und Bescheidenheit im Lebensstil und der Gehorsam sind Ausdruck dieser Hingabe. So kann unser Leben Ausdruck dessen werden, was wir selbst empfangen haben. Diese innere Beziehung zu Jesus kann uns auch als Priester und Diakone helfen, jenen Haltungen entgegenzuwirken, die das Dokument als Obsession für das Äußerliche nennt: „Überhebliche Sicherheit in Lehre und Disziplin, den Narzissmus und Autoritarismus, die Anmaßung sich aufzudrängen; die bloß äußerliche und zur Schau gestellte Pflege der Liturgie; die Eitelkeit; den Individualismus; die Unfähigkeit den anderen anzuhören, und jeden Karrierismus.“ Dafür kann die Christusbeziehung die Einfachheit, die Nüchternheit und die Authentizität stärken, wenn wir in der Schule des Meisters lernen (42). Durch die innere Beziehung zu Christus wächst auch die Gabe der Unterscheidung, die es uns ermöglicht die Welt des menschlichen Lebens mit dem Licht des Geistes zu deuten (43). Das Dokument macht deutlich, dass der priesterliche Lebensstil ein geistig genährter Lebensstil ist und nennt ganz konkrete Elemente der geistlichen Nahrung wie das Gebet, das Wort Gottes und der Eucharistie sowie der Anbetung, die Gewissensprüfung, die Beichte und die geistliche Begleitung. Der Priesterseelsorger und Therapeut, Wunibald Müller, der viele Priester begleitet hat, schreibt: „Eine intensiv gelebte, den ganzen Menschen in Beschlag nehmende, tiefe, intime und persönliche Beziehung zu Gott ist das Fundament eines (priesterlichen) zölibateren Lebens, das lebensbejahend ist und die beste Chance hat, einen entscheidenden Beitrag zu einem geglückten Leben (…) zu leisten. (…) Bei der tiefen, intimen und persönlichen Beziehung mit Gott muss es sich nicht um eine außergewöhnliche Erfahrung handeln (…). Intime Beziehung mit Gott meint, innerlich in eine tiefe Verbindung mit Gott einzutreten, eine Beziehung, die von tiefem Vertrauen getragen ist und bei der ich meine innigste Verbundenheit mit Gott spüre.“24 Dieser Aufruf zur Innerlichkeit erfordert von uns immer wieder den Blick nach innen, auf unser Herz zu richten. Und es erfordert unser oft verschüttetes Herz freizulegen, damit wir Gott im Gebet unser Herz ausschütten können, wie Karl Rahner sagt. „Erhaben ist das Gebet. Es ist ein Wert aus der Tiefe des Herzens. Und was ist auf Erden
24
Wunibald Müller, Liebe und Zölibat (Anm. 21), S. 92 ff.
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erhabener als das einfache, glaubende und liebende Herz? Es ist ein Wort gesprochen zu Gott so, dass Er es liebend anhört und es sich zu Herzen nimmt.“25
VIII. Die intellektuelle Dimension der Bildung Die intellektuelle Bildung möchte, eine solide Kompetenz im Bereich der Philosophie und Theologie und der Allgemeinbildung vermitteln (Nr. 116) Diese Kompetenz dient letztlich dazu, das Evangelium auf glaubwürdige Weise in der gegenwärtigen Welt zu verkünden. Durch das Studium soll eine forma mentis eingeübt werden, „die es erlaubt, sich den Fragen und Herausforderungen, die sich in der Ausübung des Dienstes auftun, zu stellen und sie aus der Sicht des Glaubens zu interpretieren.“ (Nr. 118). Das Theologiestudium ist nicht nur eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern bringt auch eine Reifung des eigenen Glaubens mit sich und ermöglicht eine tiefere Beziehung zu Christus. So prägt das Studium auch den christlichen Lebensstil. Dies wird besonders schön deutlich, wenn wir auf eine Predigt des Thomas von Aquin über den jungen Jesus (puer Iesus), der an Weisheit zunahm, schauen. Thomas nennt vier Bedingungen, damit auch wir an Weisheit zunehmen und durch das Studium Christus besser kennen lernen.26 Diese vier Bedingungen lauten: 1. Libenter audiat: Zuerst einmal braucht es ein offenes, freudiges, bereites Hören. Dies heißt für Thomas, dass wir in das Studium unser Herz hineinlegen sollen, dass wir nicht nur auf einen Lehrer, sondern auf viele hören sollen. Darüber hinaus ermutigt uns Thomas, dass wir ein iudex iutstus sind, d. h. dass wir das Gehörte kritisch aber nicht ungerecht beurteilen. Neben dem offenen Hören braucht es 2. Diligenter inquirat: ein gewissenhaftes Nachfragen und Erfragen. Wo können wir nachfragen und erfragen? Wir können die Weisheit von den Lehrern und Weisen erfahren, die sich selbst mit der Materie auseinandergesetzt haben. Dann können wir der Weisheit bei den Antiqui und Absentes, bei den Vätern und in der Tradition nachspüren und schließlich können wir auf die Schöpfung blicken, die so wunderbar geordnet ist und einen Ausdruck der Weisheit Gottes darstellt. 3. Prudenter respondeat: Wer sich mit der einen Theologie auseinandersetzt, so Thomas, der sollte lernen, klug zu antworten. Eine kluge Antwort überfordert nicht die Person, der man antwortet und sie stellt auch keinen nichtsagenden Wortschwall dar. 4. Attente meditetur: Schließlich führt nur jenes Studium zum Erfolg, das wie eine achtsame Meditation funktioniert. D. h. die Dinge müssen in der Tiefe des Herzens wiederholt und betrachtet werden, denn die Betrachtung ist der Schlüssel der Erinnerung. Diese vier Haltungen: das offene und auch kritische Hören, das gewissenhafte Hinterfragen, das kluge Antworten und das aufmerksame Meditieren können wir 25
Karl Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes, Innsbruck 1949, S. 62. Thomas von Aquin, Sermo Puer Jesus, online unter: http://www.corpusthomisticum.org/ hpj.html (eingesehen am 15. 02. 2018). 26
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im Studium und durch das Studium erlernen, es sind aber auch Haltungen, die Ausdruck eines christlichen Lebensstils sind und die man so auch im Alltag anwenden kann.
IX. Die pastorale Dimension der Bildung Das Dokument sieht im Priester einen hörenden Hirten, der auch bereit und fähig ist, neue Räume zu beschreiten. a) Der Hirte: Der pastorale Dienst orientiert sich am Hirtendienst Christi. Dieser Hirtendienst ist geprägt von Erbarmen, Großzügigkeit, von Leidenschaft für das Reich Gottes und Liebe vor allem für die Armen. Aufgabe der Pastoral ist es, das Wirken Gottes im Herzen und im Leben der Menschen zu entdecken. So lassen wir uns vom guten Hirten inspirieren, dann schwinden Geltungsdrang, eine übertriebene Selbstsicherheit und Gleichgültigkeit und wir schulen den Blick des guten Hirten. „Der Blick des Guten Hirten, der seine Schafe sucht, begleitet und führt, leitet ihn zu einer ruhigen, klugen und barmherzigen Sicht an. Er leistet seinen Dienst im Stile einer unbeschwerten Annahme und einer wachsamen Begleitung aller Situationen, auch der sehr komplexen, und zeigt die Schönheit und die Erfordernisse der Wahrheit des Evangeliums auf, ohne in legalistische und unerbittliche zwanghafte Verhaltensweisen zu geraten. Auf diese Weise versteht er, ein Voranschreiten im Glauben in kleinen Schritten, die besser verstanden und angenommen werden, vorzuschlagen.“ (120) b) Der Hörende: Der Hirte schult sich im Hören: „Durch das aufmerksame, respektvolle und von Vorurteilen freie Zuhören wird der Hirte fähig, das Leben der anderen nicht oberflächlich und verurteilend zu sehen. Er gewinnt nämlich den Einblick in das Herz der Menschen und die verschiedenen Lebensumstände, vor allem in die inneren und äußeren Schwierigkeiten, die ihr Verhalten bisweilen problematisch erscheinen lassen.“(Nr. 120). c) Das Beschreiten neuer Räume: Auch Nichtpraktizierende und Nichtglaubende oder Menschen aus anderen Religionen rücken durch das Dokument in den Blick der Aufmerksamkeit der Seelsorge. (121) Der pastorale Dienst besteht hier vor allem im Dialog mit allen Menschen und in der Verkündigung des Evangeliums. Dazu braucht es das Beschreiten neuer Räume.
X. Schluss Jeder christlich geprägte Lebensstil baut auf der geschenkten Zuwendung Gottes in Jesus Christus auf. Dieses Geschenk empfangen wir alle in der Taufe. Durch die Diakonen- und Priesterweihe steht der einzelne Mensch in besonderer Weise für dieses Geschenk Gottes an die Menschen. Das ganze Leben lang haben Priester die wert-
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volle Aufgabe, diese geschenkte Zuwendung Gottes im eigenen Leben durch einen christlichen Lebensstil sichtbar zu machen, zu bezeugen und zu entfalten. Dazu dürfen sie auf Christus schauen und die Freundschaft mit ihm pflegen. Diese Freundschaft lebt der Priester in Gemeinschaft mit Menschen und auf diese hin. Ein christlicher Lebensstil ist keine vorgegebene, starre Größe, sondern Ausdruck einer Haltung, in die Menschen Zeit ihres Lebens immer mehr hineinwachsen, wenn sie sich formen lassen. So können sich auch Priester als Wachsende in der menschlichen, geistlichen, intellektuellen und pastoralen Dimension ihres Dienstes verstehen und aus diesen Dimensionen heraus können sie ihr Leben christlich gestalten. Dieses Menschenbild, das auf Wachstum und Entfaltung durch Formung aufbaut und der Ratio fundamentalis zu Grunde liegt, ist anspruchsvoll, ermutigend und lebensbejahend zugleich. Davon kann sich die Priesterausbildung und Fortbildung in Zukunft inspirieren und leiten lassen. Anlässlich einer Tagung in der Kleruskongregation über die Priesterausbildung am 7. Oktober 2017 in der Sala Clementina sagte Papst Franziskus: „Gott ist der geduldige und barmherzige ,Handwerker‘ unserer priesterlichen Formung und Ausbildung und diese Arbeit dauert das ganze Leben lang (…). Jeden Tag entdecken wir wie der heilige Paulus, dass wir ,diesen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen tragen, so dass deutlich wird, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt‘ (vgl. 2 Kor 4,7). Wenn wir unsere bequemen Gewohnheiten, unsere starren Denkmuster und die Anmaßung ablegen, bereits angekommen zu sein, und wenn wir den Mut haben, uns in die Gegenwart des Herrn zu stellen, dann kann er seine Arbeit an uns wieder aufnehmen, dann formt und verwandelt er uns.“ 27
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Papst Franziskus, Ansprache (Anm. 13).
„Wie aber soll jemand verkünden, wenn er nicht gesandt ist?“ Die Missio canonica für Religionslehrer Von Stefan Mückl Im wissenschaftlichen Werk von Wilhelm Rees bildet die Befassung mit Fragen des Religionsunterrichts einen kontinuierlichen Schwerpunkt. Das in der 1986 erschienenen Dissertation1 Grundgelegte hat der Jubilar immer wieder näher ausgefächert, verfeinert und aktualisiert, sei es in Gesamtdarstellungen2, sei es in Studien zu Einzelaspekten.3 Zu den praktisch relevantesten Einzelaspekten, die zugleich auf wesentliche Grundsätze nicht nur des Religionsunterrichts, sondern des gesamten Verkündigungsrechts, verweisen, zählt das Erfordernis der kirchlichen Bevollmächtigung für Religionslehrer. Die nachfolgenden Überlegungen zum Institut der Missio canonica – ihrer Ratio, ihren Anforderungen und ihrer Effektuierung – seien dem geschätzten Kollegen Wilhelm Rees aus Anlass der Vollendung des 65. Geburtstags gewidmet.
1 Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986. 2 Zuletzt: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog, Innsbruck 2017; zuvor etwa Wilhelm Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: Burkhard Kämper/Klaus Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft. 49. Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Münster 2016, S. 75 – 106; Ders., Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, S. 1018 – 1048; Ders., Religionsunterricht in österreichischen Schulen. Rechtliche Grundlagen und aktuelle Anfragen, in: Heinrich de Wall/ Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 387 – 407. 3 Aus neuerer Zeit: Wilhelm Rees, Rechtliche Rahmenbedingungen für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Österreichs, in: Österreichisches religionspädagogisches Forum 26 (2018), S. 47 – 68; Ders. „Keine Angst, bei Neuevangelisierung aus sich heraus zu gehen“ (Papst Franziskus). Neuevangelisierung und schulischer Religionsunterricht. Kirchenrechtliche Überlegungen angesichts von Säkularisierung und schwindendem Glaubensbewußtsein, in: AfkKR 183 (2014), S. 387 – 440.
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I. Theologische Grundlegung des Erfordernisses der Missio canonica Verkündigung bedarf der Sendung. Dieser Konnex findet sich bereits in der Wendung des hl. Paulus im Römerbrief4, welche diesen Überlegungen als Titel voransteht. Das seit apostolischer Zeit Maßgebliche und Praktizierte hat später die theologische Reflexion aufgegriffen und verdichtet. Als speziell im 19. Jahrhundert die Theologie der Lehrverkündigung zu ihrer vollen Reife gelangt, schreibt Matthias Joseph Scheeben über den „Träger der Verkündigung“: „Das Wort Gottes als eine frohe Botschaft Gottes an die Menschen darf und soll nicht bloß durch beliebige Ausrufer verbreitet werden … Die Verkündigung muß vielmehr durch wahre Botschafter, d. h. mit der Macht und Gewalt Gottes ausgerüstete Gesandte ausgeführt werden“.5
Das Erfordernis der Sendung gilt stets dann, wenn die amtliche Verkündigung der Kirche in Rede steht, der Verkünder also nicht im eigenen Namen auftritt, um ein persönliches Glaubenszeugnis abzulegen, sondern im Namen Christi und der Kirche agiert. Wer an der amtlichen Lehrverkündigung der Kirche Anteil hat, muss sich notwendigerweise mit ihr und ihrer Sendung identifizieren. Ihrerseits hat sich die Kirche darüber zu vergewissern, ob der Betreffende das für die Verkündigung unabdingbare sentire cum Ecclesia aufweist, ob er über jene „qualifizierte Identifikation mit der Kirche“ verfügt, „welche daher kommt, daß er die Kirche von innen her glaubend verstanden hat“.6 Speziell für den Verkündigungsdienst der Laien hat das II. Vatikanische Konzil festgehalten, dass ihnen Aufgaben anvertraut werden, welche enger mit den Ämtern der Hirten verbunden sind. Hierfür bedürfen sie einer expliziten „Sendung“ (missio); als Beispiel wird die „Unterweisung in der christlichen Lehre“ (propositio doctrinae christianae) genannt.7 An diese Aussage knüpft der CIC/1983 in der Sache an, wenn er in c. 759 bestimmt, dass die Laien zur Mitarbeit mit dem Bischof und den Priestern „bei der Ausübung des Dienstes am Wort“ (in exercitio ministerii verbi) „berufen“ (vocari) werden können.
4
Röm 10, 15. Matthias Joseph Scheeben, Handbuch der katholischen Dogmatik (hrsg. von Martin Grabmann), Freiburg i. Br. 1948, S. 50 (Hervorhebung im Original). 6 Joseph Ratzinger, Identifikation mit der Kirche, in: Ders./Karl Lehmann, Mit der Kirche leben, Freiburg/Basel/Wien 1977, S. 11 (39). 7 II. Vatikanisches Konzil, Dekret Apostolicam actuositatem über das Laienapostolat vom 18. November 1965, Nr. 24. 5
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II. Historische Genese der Missio canonica So sehr es zutrifft, die „Notwendigkeit der missio … (als) tief verwurzelt im katholischen Verständnis von Offenbarung, Überlieferung und Verkündigung“ anzusehen8, so allmählich hat sie sich als allgemeines Institut des kanonischen Rechts erst herausgebildet. Da die Missio canonica systematisch als „Ausfluß der potestas magisterii“ erfasst wurde9, war die Problematik auf der Ebene der kirchlichen Jurisdiktion sowie ihrer Ausübung im Rahmen eines konkret übertragenen kirchlichen Amtes angesiedelt und erlangte – unbeschadet des weitgehenden kirchlichen Lehrmonopols – rechtliche Relevanz in der Epoche der katholischen Reform Mitte des 16. Jahrhunderts. Das Konzil von Trient reagierte auf die Herausforderungen des Protestantismus, zumal den Rekurs auf die Unmittelbarkeit der Heiligen Schrift, mit der Anordnung, in den Klöstern der Mönche, den Konventen anderer Ordensgemeinschaften, aber auch in den öffentlichen Gymnasien den „Vortrag der Heiligen Schrift“ abzuhalten, und zwar „zur Verteidigung und zum Wachstum des katholischen Glaubens und zur Bewahrung und Fortpflanzung der gesunden Lehre“. Um aber sicherzustellen, dass diese Unterweisung in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre erfolgte (und nicht etwa „unter dem Scheine der Frömmigkeit die Gottlosigkeit ausgesät werde“), sah das Konzil einen Sicherungsmechanismus vor: „(N)iemand (soll) zum Amt eines solchen Vortrags, weder öffentlich noch privat, zugelassen werden, der nicht zuvor vom Ortsbischof hinsichtlich seines Lebens, seines sittlichen Verhaltens und seiner Kenntnisse überprüft und zugelassen worden ist.“10
Diese Vorgabe des Tridentinums, in Deutschland durch verschiedene Partikularrechtsakte des 17. und 18. Jahrhunderts umgesetzt11, erlangte eine neue Ebene rechtlicher Relevanz, als der Staat ab Ende des 18. Jahrhunderts für sich das Schulmono-
8
Heribert Flatten, Mission canonica, in: Theodor Filthaut/Josef Andreas Jungmann (Hrsg.), Verkündigung und Glaube. Festgabe für Franz X. Arnold, Freiburg i. Br. 1958, S. 123 – 141, hier: S. 124. 9 So Wilhelm Kahl, Die Missio canonica zum Religionsunterricht und zur Lehre der Theologie an Schulen bezw. Universitäten nach dem Rechte der katholischen Kirche und dem staatlichen Rechte in Preußen, in: Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht 18 (1908), S. 349 – 393, hier: S. 350 – 351. 10 Konzil von Trient, 5. Sitzung vom 17. Juni 1546, Decretum de reformatione, caput I: De instituenda lectione sacrae Scripturae et liberalium artium: „In monasteriis quoque monachorum … etiam lectio sacrae Scripturae habeatur. … In conventibus vero aliorum regularium, in quibus studia commode vigere possunt, sacrae Scripturae similiter habeatur … In gymnasiis etiam publicis … ad catholicae fidei defensionem et incrementum, sanaeque doctrinae conservationem et propagationem instituatur … Et, ne sub specie pietatis impietas disseminetur, statuit eadem sancta Synodus, neminem ad huiusmodi lectionis officium tam publice quam privatim admittendum esse, qui prius ab episcopo loci de vita, moribus et scientia examinatus et approbatus non fuerit“. 11 Einzelheiten bei Kahl (Anm. 9), S. 358 – 359; nachgezeichnet auch bei Ilona RiedelSpangenberger, Sendung in der Kirche. Die Entwicklung des Begriffes „missio canonica“ und seine Bedeutung in der kirchlichen Rechtssprache, Paderborn 1991, S. 8.
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pol in Anspruch nahm12: Das Erfordernis einer vorgängigen (praescientia) Freigabe (licentia) der Tätigkeit als Religionslehrer durch die zuständige kirchliche Autorität betraf nicht mehr allein die innerkirchliche Ebene, sondern musste zudem (und primär) gegenüber dem (sich ihr gegenüber im 19. Jahrhundert vielfach neoabsolutistisch gerierenden13) Staat geltend gemacht und durchgesetzt werden. Nach entsprechenden Bemühungen einzelner Bischöfe in Preußen in der Vormärzzeit nutzten sämtliche deutsche Bischöfe die Beratungen der Frankfurter Nationalversammlung, um im Herbst 1848 zahlreiche Forderungen hinsichtlich der Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu erheben, darunter diese über den Religionsunterricht: „Die deutschen Bischöfe erklären, daß Niemand an irgend einer Unterrichtsanstalt katholischen Unterricht erteilen kann, dem nicht hierzu die Befugniss durch kirchliche Sendung übertragen ist“.14
Für diese Befugnis kam ab jener Epoche der Terminus „Missio canonica“ in Übung und galt nicht wenigen als „Kampfwort der katholischen Kirche … im Jahre 1848“.15 Wenn auch zögernd, griff der Staat bereits im 19. Jahrhundert diese kirchliche Forderung in seiner Schulgesetzgebung auf, so in Baden16 und in Österreich.17 Dem 20. Jahrhundert blieb die durchgängige Anerkennung des Erfordernisses der Missio canonica für die Religionslehrer vorbehalten, welche sowohl in den staatlichen Schulgesetzen als auch im Konkordats- und Vertragsrecht verankert ist. Voraussetzung hierfür war indes eine eindeutige Normierung im kirchlichen Recht, wie sie mit der Kodifikation des bereits bestehenden Rechts in Gestalt des 12 Beginnend mit § 1 II 12 des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 („Schulen … sind Veranstaltungen des Staates“). Zwar waren damit „Privaterziehungsanstalten“ nicht ausgeschlossen (§§ 3 ff. II 12 ALR), diese unterstanden aber der staatlichen Schulaufsicht. 13 Symptomatisch der bei Kahl (Anm. 9), S. 355, referierte Grundsatz „die Kirche ha nur diejenigen Rechte in jedem Staates, welche der Staat durch sein staatliches Recht gewährleistet“. 14 Die Beschlüsse der in Würzburg versammelten deutschen Bischöfe vom Oktober/November 1848 sind abgedruckt in: Hugo von Kremer-Auenrode (Hrsg.), Actenstücke zur Geschichte des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im 19. Jahrhundert, Erster Theil: Die Actenstücke bis zur Encyclica und Syllabus vom 8. Dec. 1864 enthaltend, Berlin 1873, S. 147 – 152, hier: S. 148, sub Nr. 7. 15 So erstmals Kahl (Anm. 9), S. 361; referierend Flatten (Anm. 8), S. 129; ähnlich RiedelSpangenberger (Anm. 11), S. 85: „Kampfbegriff“. 16 § 30 des badischen Gesetzes, den Elementarunterricht betreffend, vom 8. März 1868: „Die Entscheidung über die Befähigung zur Ertheilung des Religionsunterrichts steht den betreffenden Kirchen- und Religionsgemeinschaften zu und wird den Kandidaten durch Vermittlung der Oberschulbehörde eröffnet.“; Abdruck in: Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, S. 251 – 280. 17 § 6 Abs. 2 des österreichischen Schulgesetzes vom 25. Mai 1868: „Als Religionslehrer dürfen nur diejenigen angestellt werden, welche die betreffende confessionelle Oberbehörde für zulässig erklärt worden sind“; Abdruck bei von Kremer-Auenrode (Anm. 14), S. 267 – 269.
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CIC/1917 erfolgte. Ohne den Terminus „Missio canonica“ in diesem Kontext explizit zu nennen18, machte der Gesetzgeber in c. 1328 den gesamten Dienst der Verkündigung vom Bestehen einer Erlaubnis des zuständigen kirchlichen Oberen abhängig: „Nemini ministerium praedicationis licet exercere, nisi a legitimo Superiore missionem receperit, facultate peculiariter data, vel officio collato, cui ex sacris canonibus praedicandi munus inhaereat.“
Die in der Norm genannte missio zur Wahrnehmung des ministerium praedicationis war entweder an ein kirchliches Amt (officium) gebunden oder resultierte aus einer Spezialvollmacht (facultas peculiariter data). Inhaltlich war das ministerium praedicationis von der Katechese, der Predigt im engeren Sinn über die Missionen bis hin zu den Seminaren und Schulen weit gespannt. Für den Religionsunterricht (religiosa institutio) im Besonderen hatte der Gesetzgeber in c. 1381 § 3 CIC/ 1917 zudem das Recht der Ortsordinarien festgeschrieben, Lehrpersonen wie Lehrmittel zuzulassen sowie gegebenenfalls aus Gründen des Glaubens wie der Sitten ihre Entfernung zu verlangen: „Eisdem (scil.: ordinariis locorum) similiter ius est approbandi religionis magistros et libros; itemque, religionis morumque causa, exigendi ut tum magistri tum libri removeantur.“
Beachtung verdient die stringente Kontinuität von den Bestimmungen des Tridentinums bis hin zum CIC/1917: Das kirchliche Recht macht eine besondere Sendung durch die zuständige kirchliche Autorität zur Voraussetzung der Erteilung des Religionsunterrichts und bindet diese Sendung an das Vorliegen materieller Kriterien. Sind diese nicht mehr gegeben, verliert der betreffende Lehrer seine Befähigung, diesen Verkündigungsdienst weiter auszuüben.
III. Regelung im CIC/1983 Der erneuerte Codex von 1983 normiert, wie Wilhelm Rees milde angemerkt hat19, nur „gewisse Grunddaten“ hinsichtlich der Missio canonica. Anders als der CIC/1917 und entgegen der ersten Entwürfe enthält das aktuelle kirchliche Gesetzbuch keine Grundnorm für die Beauftragung zur amtlichen Verkündigung: Die im Schema zum (künftigen) III. Buch des CIC noch vorgesehene Bestimmung20, die eng an c. 1328 CIC/1917 angelehnt war21, wurde im Laufe der weiteren Beratungen
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Der Begriff findet sich allein in c. 109 CIC/1917 im Kontext des Klerikerrechts. Rees, Kirchenrechtliche Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht (Anm. 2), S. 84. 20 Pontificia Commissio Codici Iuris Canonici recognoscendo, Schema canonum libri III de Ecclesiae munere docendi (reservatum), Vatikanstadt 1977, c. 10. 21 Allein die Wendung ministerium praedicationis wurde durch die (weiter verstandene) Formulierung ministerium verbi Dei annuntiandi ersetzt. 19
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ersatzlos gestrichen22, was in der Kanonistik zutreffend als „höchst unbefriedigend“ bewertet wurde.23 Demnach beschränkt sich die – freilich nur für Laien geltende – Grundaussage des c. 759 CIC/1983 auf das Erfordernis eines Berufungsaktes (vocari … possunt). Auch hinsichtlich der Bestellung bzw. Abberufung der Religionslehrer verwendet der CIC/1983 in cc. 804 § 2, 805 allein Verbalformen (deputare, nominare, approvare, amovere, exigere ut amoveatur)24 – demgegenüber bedürfen die Dozenten an den katholischen sowie den kirchlichen Universitäten zur Aufnahme ihrer Lehrtätigkeit eines mandatum (cc. 812, 818 CIC/1983). Terminologisch ist wenig geklärt25, über die Angemessenheit des Terminus „Missio canonica“ – der im CIC/1983 überhaupt nicht vorkommt – für die Bestellung der Religionslehrer besteht unverändert keine Einigkeit.26 In der Sache selbst herrscht freilich Konsens, dass unter der Bestellung zum Religionslehrer – ob nun als „Missio canonica“ bezeichnet oder nicht – eine positiv gefasste kirchenamtliche Beauftragung zu verstehen ist, welche an die betreffende Lehrperson selbst gerichtet ist und ihre Tätigkeit zu einem amtlichen Lehren im Auftrag und im Sinne der Kirche macht.27 Wie bei sämtlichen Lehrtätigkeiten im Rahmen des kirchlichen Verkündigungsdienstes28, ist die amtliche Beauftragung eines Religionslehrers davon abhängig, dass er in seiner Person jene materiellen Kriterien erfüllt, die letztlich auf die Vorgaben des Tridentinums zurückgehen: fachliche Kompetenz, Rechtgläubigkeit, christlicher Lebenswandel (c. 804 § 2 CIC/1983). Spiegelbildlich hat der Ortordinarius das 22 Näher Christoph Ohly, Der Dienst am Wort Gottes. Eine rechtssystematische Studie zur Gestalt von Predigt und Katechese im Kanonischen Recht, St. Ottilien 2008, S. 217 f., 433 ff. 23 Statt aller Ohly (Anm. 22), S. 435. 24 Eingehend zur Interpretation der verschiedenen Termini Gerald A. Kallenbach, Ein Kirchenamt im Dienst der Verkündigung. Die Rechtsstellung des Religionslehrers, Rom 2000, S. 255 ff. 25 Für den Bereich der Universitäten: Andrea Stabellini, Mandatum e Missio canonica per la docenza accademica. Un utilizzo improprio dei termini, in: Apollinaris 89 (2016), S. 241 – 278. 26 Noch unter der Geltung des CIC/1917 wollte Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici, Paderborn 1937 (unveränderter Nachdruck 1967), S. 250, Fn. 52, bei Laien nur von einer „uneigentlichen missio“ sprechen, da missio im Rechtssinne Übertragung von Jurisdiktion meine, die Laien grundsätzlich nicht gegeben werden könne. Wohl daran anschließend, plädiert auch Ohly (Anm. 22), S. 449, dafür, den Terminus „Missio canonica“ allein für die Übertragung von Leitungsgewalt und die damit verbundene Einordnung in die kirchliche Communio zu verwenden; hingegen für den Auftrag, im Namen der Kirche einen qualifizierten Dienst zu versehen, den Begriff mandatum vorzusehen. 27 Flatten (Anm. 8), S. 132; Ohly (Anm. 22), S. 438; Herbert Kalb, Die missio canonica für Religionslehrer. Bestandsaufnahme, Überlegungen, in: ÖAKR 42 (1993), S. 16 – 45, hier: S. 29 – 30. – Demgegenüber handelt es sich beim Institut des Nihil obstat um eine bloße Unbedenklichkeitsbescheinigung, welche typischerweise an eine andere Rechtsperson (regelmäßig: die Anstellungskörperschaft) gerichtet ist. 28 S. c. 803 § 2 (Katholische Schule allgemein), c. 810 (Katholische Universität), cc. 818, 810 CIC/1983 (Kirchliche Universität und Fakultät).
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Recht – mitunter die Pflicht –, Lehrpersonen abzuberufen bzw. ihre Abberufung zu verlangen, wenn dies aus religiösen oder sittlichen Gründen erforderlich ist. 1. Ratio der Anforderungen an die Person des Religionslehrers Die Trias von fachlicher Kompetenz, Rechtgläubigkeit und christlichem Lebenswandel resultiert aus zwei unterschiedlichen, freilich aufeinander bezogenen rechtlichen Gesichtspunkten: dem inneren Wesen kirchlicher Verkündigung wie den Belangen der vom Erziehungsauftrag des Religionsunterrichts Angesprochenen. Verkündigung beschränkt sich nicht auf die Präsentation der zu verkündenden Botschaft. Sie bedarf eines Verkündigers, der sie als Person mitträgt und verkörpert, ihr gewissermaßen erst ein Gesicht gibt. Diesen Zusammenhang, auch von maßgeblichen Stimmen des staatskirchlichen Etatismus der Kaiserzeit nicht verkannt29, hat in den letzten Jahrzehnten wiederholt das kirchliche Lehramt in Erinnerung gerufen, wohl am eindringlichsten Papst Paul VI. mit seiner Mahnung, ohne eine „echte Heiligkeit unseres Lebens“ seien die „Herzen der Menschen unserer Zeit“ nur schwer zu erreichen.30 Bestellt die Kirche jemanden als amtlichen Zeugen für die „Verkündigung der christlichen Lehre“ (c. 761 CIC/1983), so kann sie berechtigterweise erwarten, dass er diese Lehre nicht nur nicht konterkariert, sondern sie bejaht, im Unterricht als vorbildhaft darlegt und im übrigen mit seinem Leben als Gläubiger bezeugt. Hinzu kommt dieser Aspekt: Der Dienst der Verkündigung ist „fremdnützig“, er erfolgt zugunsten derer, welche die Botschaft hören und ihren Glauben kennenlernen, vertiefen und stärken möchten. Die Gläubigen – Teilnehmer des Religionsunterrichts wie ihre Eltern – haben einen Rechtsanspruch auf eine christliche Erziehung (c. 217 CIC/1983). Dieser Anspruch richtet sich gegen die Kirche als solche als Trägerin des Verkündigungsdienstes (c. 747 CIC/1983). Daher ist die Kirche in Gestalt der zuständigen Autorität gehalten, entsprechende Mechanismen vorhalten und einzusetzen, welche das Recht auf Erziehung praktisch wirksam werden lassen. Dieser Zielsetzung dienen sowohl die Bestimmungen über die Missio canonica wie auch
29 Zutreffend Kahl (Anm. 9), S. 356: „Was nützt ihr (scil.: der Kirche) die theoretische Festlegung des Dogmas, was alle noch so peinliche Beobachtung alles dessen, was in der Religionsstunde gelehrt wird, wenn sie nicht über das Amt des Religionslehrers eine entscheidende Stimme hat!“. 30 Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi über die Evangelisierung in der Welt von heute vom 8. Dezember 1975, Nr. 76 (= VApSt 2). Die Passage lautet im Zusammenhang: „Betrachten wir nun die Person des Verkündigers selbst. … Glaubt ihr wirklich an das, was ihr verkündet? Lebt ihr, was ihr glaubt? Predigt ihr wirklich, was ihr lebt? Mehr denn je ist das Zeugnis des Lebens eine wesentliche Bedingung für die Tiefenwirkung der Predigt geworden. … Es ist unabdingbar, daß unser Verkündigungseifer aus einer echten Heiligkeit unseres Lebens kommt, die aus dem Gebet und vor allem aus der Eucharistie Kraft und Stärkung erhält … Ohne diese Zeichen der Heiligkeit gelangt unser Wort nur schwer in die Herzen der Menschen unserer Zeit. Es läuft Gefahr hohl und unfruchtbar zu sein“.
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über die Genehmigung der zu verwendenden Lehrmittel (c. 827 § 2 CIC/1983).31 Schüler (wie Eltern) müssen sich hingegen nicht darauf verweisen lassen, es bestünde (nach staatlichem Recht!) die Möglichkeit einer Abmeldung vom Religionsunterricht. 2. Abberufung von Religionslehrern Entfallen in der Person eines Religionslehrers nachträglich die Voraussetzungen, welche die Erteilung der Missio canonica begründet haben, hat nach dem Wortlaut von c. 805 CIC/1983 der Ortsordinarius das Recht, den betreffenden Religionslehrer abzuberufen bzw. seine Abberufung zu fordern. Rechtstechnisch handelt es sich dabei um den Entzug, noch spezifischer: den Widerruf, der Missio canonica, welcher sich (je nach Lage des Falles) zu einer Handlungspflicht verdichten kann. Vergleicht man die materiellen Voraussetzungen von Erteilung und Widerruf der Missio canonica, offenbart sich indes eine nicht unbedeutende Inkongruenz: Während die Erteilung vom Vorhandensein der Trias „fachliche Kompetenz, Rechtgläubigkeit und christlicher Lebenswandel“ abhängt (c. 804 § 2 CIC/1983), kann der Widerruf (nur) „aus religiösen und sittlichen Gründen“ erfolgen. Bei dieser Wendung des c. 805 CIC/1983 handelt es sich um eine abschließende Regelung, der Mängel im didaktischen Geschick bewusst nicht als Widerrufsgrund aufgenommen hat. Dafür spricht nicht nur die kanonische Tradition – c. 805 CIC/1983 greift wiederum auf den CIC/1917 zurück32 – sondern vor allem die Ratio des Instituts der Missio canonica: Sie verfolgt die Zielsetzung, die Kirchlichkeit des Religionsunterrichts zu gewährleisten und setzt daher die Rechtgläubigkeit sowie den rechten Lebenswandel des Religionslehrers voraus. Sinn der Missio canonica ist es hingegen nicht, einen allgemein reibungslosen Ablauf des Religionsunterrichts zu ermöglichen. Dafür stehen andere Mechanismen, namentlich des Dienst- und Arbeitsrechts, zur Verfügung. Daher verschlägt auch das von der (seltenen) Mindermeinung vorgetragene Argument nicht, das pädagogische Geschick sei für die Darlegung der christlichen Lehre „grundlegend“33. Wortlaut, Ratio und kanonische Tradition der Norm lassen demnach keinen Spielraum für eine erweiternde Auslegung.34 31 Vgl. dazu Wilhelm Rees, Religionsunterricht und katholische Schule im Kontext religiöser Erziehung. Rechtsgrundlagen und gegenwärtige Diskussion, in: ZKTh 118 (1996), S. 187 – 204, hier: S. 189 – 193; explizit zum Konnex zwischen Missio canonica und dem Recht der Schüler Kallenbach (Anm. 24), S. 250. 32 C. 1381 § 3 CIC/1917 sprach von religionis morumque causa als Widerrufsgrund. 33 So aber Kallenbach (Anm. 24), S. 251, unter Verweis auf Giorgio Feliciani, L’insegnamento della religione cattolica nel diritto della Chiesa. Profili canonistici, in: CEI/Ufficio catechistico Nazionale (a cura di), Insegnare religione nella scuola. Contributi di studio e indicazioni operative in vista della formazione dei Responsabili diocesani dell’insegnamento religioso, Leumann 1991, S. 21 – 33, hier: S. 28. 34 Ganz h.M., s. nur Rees (Anm. 1), S. 18 ff.; Ders., Religionsunterricht (Anm. 2), S. 1024; Ders., Kirchenrechtliche Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht (Anm. 2), S. 88; Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen
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IV. Partikularrechtliche Normierungen Die kodifikarische Systematik lässt hinsichtlich des Religionsunterrichts im Allgemeinen wie der Missio canonica im Besonderen hinreichenden Spielraum für partikularrechtliche Normierungen: Auf universaler Ebene hat der Gesetzgeber letztlich allein ein Rahmengesetz erlassen35, welches der ergänzenden Legislation sowohl zugänglich wie bedürftig ist. Nach c. 804 § 2 CIC/1983 hat sowohl die Bischofskonferenz die Kompetenz zum Erlass allgemeiner Normen wie auch der Diözesanbischof die Aufgabe der „Regelung“. Beide Kompetenzen sind der Sache nach Konkretisierungen der grundsätzlichen verkündigungsspezifischen Amtspflichten eines Bischofs, wie sie sich aus c. 386 §§ 1 und 2 CIC/1983 ergeben. Von diesen Kompetenzzuweisungen haben in den vergangenen Jahrzehnten die Bischofskonferenzen in Deutschland und in Österreich hinsichtlich der Missio canonica in durchaus unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht: Die Deutsche Bischofskonferenz hatte im Jahr 1973 „Rahmenrichtlinien“ sowie eine „Rahmengeschäftsordnung“ zur Erteilung der Missio canonica erlassen. Diese indes stellten und stellen als solche kein verpflichtendes Recht dar36, es sei denn, der Diözesanbischof setzte sie für seine Diözese durch einen eigenen Gesetzgebungsakt in Kraft. Dies geschah nur teilweise in der rechtlich gebotenen Weise37, mitunter mit erstaunlicher zeitlicher Verzögerung.38 Dieser aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nur wenig befriedigende Befund hat erst ab 2005 substantielle Verbesserungen erfahren, als zahlreiche Diözesen dazu übergingen, eigenständige Missio-Ordnungen zu erlassen39, an deren Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts, Paderborn 2011, S. 144; Ilona RiedelSpangenberger, Der schulische Religionsunterricht nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 und der staatlichen Rechtsordnung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in: Manfred Spieker/Friedrich Fischer (Hrsg.), Glauben – Bezeugen – Handeln in Kirche, Gesellschaft und Schule. Festschrift für Werner Arens zum 60. Geburtstag, Paderborn 1985, S. 157 – 169; Kalb (Anm. 27), S. 31; Heinrich Mussinghoff/Hermann Kahler, c. 805 Rdnr. 4, in: MK CIC. 35 Rees, Religionsunterricht (Anm. 2), S. 1022. 36 Rees, Kirchenrechtliche Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht (Anm. 2), S. 93 m. Fn. 75. 37 Eingehend zur wenig kohärenten und übersichtlichen Praxis in den Diözesen Thomas Meckel, Neuere Entwicklungen im Bereich der rechtlichen Regelung der Missio Canonica für Religionslehrer/innen und der kirchlichen Studienbegleitung in den deutschen Diözesen, in: AfkKR 180 (2011), S. 64 – 91, hier: S. 70 – 75. 38 Etwa: Dekret des Bischofs von Görlitz vom 20. Juni 2001 zur „Kirchlichen Beauftragung der Religionslehrerinnen und Religionslehrer: Missio canonica“, Abdruck in: AfkKR 170 (2001), S. 200. Der Bischof legte zum 1. Juli 2001 die „Geltung“ der Rahmenrichtlinien und der Rahmengeschäftsordnung von 1973 für seine Diözese fest, die er – wie im Dekret ausgeführt wird – im Jahr 1991 im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz eingesehen habe. 39 Die rechtliche Entwicklung bis 2011 ist dokumentiert bei Meckel (Anm. 37), S. 75 – 84; seitdem zu nennen: „Vereinbarung hinsichtlich der Beantragung und Erteilung der Kirchli-
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Rechtscharakter und -verbindlichkeit kein Zweifel besteht und die sich in der Sache mitunter von den Bestimmungen aus dem Jahr 1973 abheben. Deutlich übersichtlicher ist die partikularrechtliche Rechtslage in Österreich, wo die Bischofskonferenz eine für alle Diözesen geltende, auf c. 804 § 2 CIC/1983 gestützte „Rahmenordnung für Religionslehrer“ erlassen und im Amtsblatt der Bischofskonferenz promulgiert hat.40 Die partikularrechtlichen Normen haben sich – selbstverständlich – im universalrechtlich vorgeprägten Rahmen zu halten; sie können also das kodikarisch Geregelte näher konkretisieren, dürfen es aber nicht materiell dergestalt abändern, dass in der Sache ein Widerspruch entsteht (vgl. c. 135 § 2 CIC/1983). So ist es unbedenklich, wenn der partikulare Gesetzgeber nähere Bestimmungen dahingehend trifft, was unter den (unbestimmten) Rechtsbegriffen der Rechtsgläubigkeit und des christlichen Lebenswandels zu verstehen ist – wie es in manchen der neueren Missio-Ordnungen deutscher Diözesen durch klarstellende Kriterien (volle Initiation des Religionslehrers, Leben in gültiger kirchlicher Ehe, katholische Erziehung der eigenen Kinder) geschehen ist.41 Hingegen überschreitet der partikulare Gesetzgeber seine Befugnis, wenn er zusätzliche Erfordernisse für die Erteilung der Missio canonica oder weitere Tatbestände für ihren Entzug normiert. So verhält es sich in der österreichischen Rahmenordnung von 1998, welche – über die beiden kodikarisch geregelten Entzugsgründe hinaus, die in fünf Tatbeständen näher entfaltet werden42 – den Entzug der Missio canonica auch dann ermöglicht, wenn der Religionslehrer „seine Pflichten so gröblich vernachlässigt, daß daraus ein offenkundiger Nachteil für den Religionsunterricht entsteht“.43 Erheblich größere Spielräume hat der partikulare Gesetzgeber hingegen im Hinblick auf die nähere Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens bei der Erteilung bzw. dem Entzug der Missio canonica. Die insoweit normierten universalen Verfahrensbestimmungen (cc. 50, 51 CIC/1983) sind, zumal teilweise nur bloße „Soll“-Vorschriften, einer ergänzenden Regelung nicht nur zugänglich, sondern geradezu bechen Unterrichtserlaubnis und der Missio canonica“ vom 27. November 2013 (für die [Erz-] Diözesen in Nordrhein-Westfalen), in: ABl. des Erzbistums Köln 2014, S. 136; im Nachgang dazu „Ordnung für die kirchliche Bevollmächtigung zur Erteilung des katholischen Religionsunterrichts (Missio canonica/kirchliche Unterrichtserlaubnis) im Erzbistum Paderborn“, in: Kirchliches Amtsblatt für das Erzbistum Paderborn 2014, S. 111 – 114. 40 Die endgültige Version datiert vom 20. Mai 1998, Abdruck: Amtsblatt der ÖBK, Nr. 22 v. 20. Mai 1998, S. 10 – 13. Eine erste Fassung vom 12. Mai 1996, Abdruck: Amtsblatt der ÖBK, Nr. 17. v. 12. Mai 1996, S. 8 – 10, zu dieser Richard Potz, Zur Verfahrensordnung des Entzugs der Missio canonica in der österreichischen Rahmenordnung für Religionslehrer, in: Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz (Hrsg.), Communio in Ecclesiae Mysterio. Festschrift für Winfried Aymans zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 2001, S. 405 – 415. 41 Näher Meckel (Anm. 37), S. 79 m.w.Nachw.; zutreffend sieht er in diesen Kautelen „nur Explizierungen der Kriterien der Orthopraxie und der Orthodoxie“. 42 Nr. 7.2.1 – 7.2.5 der Rahmenordnung von 1998 (Anm. 40). 43 Nr. 7.2.6 der Rahmenordnung von 1998 (Anm. 40).
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dürftig.44 Bedenkt man die Relevanz verfahrensrechtlicher Normen in der (allgemeinen) deutschen und österreichischen Rechtstradition, erklären sich diverse Verfeinerungen in der einschlägigen Partikulargesetzgebung, wo der Codex sich eher des groben Pinsels bedient: Durchweg sind spezifische Kommissionen („Missio-Kommissionen“) vorgesehen, welche sowohl bei der gebotenen Ermittlung des Sachverhalts mitwirken als auch insbesondere die Gewährung des rechtlichen Gehörs sicherstellen (vgl. c. 50 CIC/1983). Eine vorbildliche, rechtsschutzfreundliche Normierung der Verfahrensrechte findet sich in der österreichischen Rahmenordnung von 1998, welche explizit das Recht auf Verteidigung, das Recht auf einen Rechtsbeistand45 und das Recht, von Beginn des Verfahrens an über alle möglichen Rechtsfolgen informiert zu werden, erwähnt.46 Bei allen begrüßenswerten Ansätzen und Fortschritten in der partikularrechtlichen Gesetzgebung der letzten beiden Jahrzehnte bestehen unverändert deutliche Spielräume für eine Stärkung verfahrensrechtlicher Elemente. Seit geraumer Zeit werden jedenfalls immer wieder angemahnt das Erfordernis einer Rechtsmittelbelehrung47 einschließlich der Regelung einer Sanktionierung bei ihrem Fehlen48 sowie – wenigstens de lege ferenda – die Beachtung der zentralen Verfahrensgarantien des c. 50 CIC/1983 (Schriftform und summarische Begründung) als Gültigkeitsvoraussetzungen des Dekrets.49 Die Beachtung derartiger – grundlegender – verfahrensrechtlicher Standards liegt dabei im ureigensten kirchlichen Interesse: Abgesehen, dass sie sich schon aus dem Selbstverständnis des erneuerten kirchlichen Rechts heraus ergeben (sollten), beanspruchen die dann ergehenden Sachentscheidungen (Erteilung, Versagung oder Entzug der Missio canonica) Wirkungen auch im staatlichen Rechtskreis.50 Bei allem 44
Kalb (Anm. 27), S. 44, kritisiert eine „mangelhafte prozedurale Gerechtigkeit“; auch Winfried Löffler, Missio Canonica und Nihil Obstat: Wege des Rechtsschutzes im Konfliktfall, in: Konrad Breitsching/Wilhelm Rees (Hrsg.) Tradition – Wegweisung in die Zukunft. Festschrift für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag, Berlin 2001, S. 429 – 462, hier: S. 441, hält die Bestimmungen zum Ermittlungsverfahren für „mangelhaft“. 45 Zurückhaltender hingegen die neuere Missio-Ordnungen der deutschen Diözesen, die allein von einer „Person seines/ihres Vertrauens als Beistand“ sprechen; kritisch auch Meckel (Anm. 37), S. 82. 46 Nr. 7.3.1 der Rahmenordnung von 1998 (Anm. 40). 47 Löffler (Anm. 44), S. 441 48 Nr. 7.3.7 der österreichischen Rahmenordnung von 1998 (Anm. 40) verlangt zwar, ein Dekret über den Entzug der Missio canonica mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen, lässt aber offen, welche Rechtsfolgen ihr Fehlen nach sich zieht. – Eine Gültigkeitsvoraussetzung wird sich in Anbetracht der Systematik des universalen Rechts schwerlich erblicken lassen: Da es nur im Sonderfall des c. 700 CIC/1983 einer Rechtsbehelfsbelehrung ad validitatem bedarf, verbietet sich wegen cc. 10, 124 CIC/1983 eine verallgemeinernde Auslegung. 49 Kalb (Anm. 27), S. 31, will bereits de lege lata diese Konsequenz „im Hinblick auf die zentrale Wertigkeit des Schutzes subjektiver Rechte“ ziehen. 50 In Deutschland wie in Österreich ist der Staat durch das Konkordatsrecht verpflichtet, das kirchenrechtlich determinierte Rechtsverhältnis zwischen Kirche und Religionslehrer
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Eigenstand des kanonischen Rechts werden sich derartige Wirkungen umso überzeugender begründen lassen als die kirchlichen Verfahrensgarantien in ihrer Schutzwirkung und -intensität denjenigen des staatlichen Rechts im Wesentlichen gleichartig sind.
V. Rechtsschutzfragen Bei Versagung oder der Entzug der Missio canonica ist der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet, Rechtsbehelfe gegen rein innerkirchliche Maßnahmen sind damit a limine unzulässig.51 Rechtsschutz kann in diesen Konstellationen allein vor kirchlichen Instanzen erlangt werden. Dafür stehen, den Regelungen des CIC/1983 entsprechend, zunächst der hierarchische Rekurs als Verwaltungsver-
auch für die staatliche Ebene verbindlich zu machen: Zwar ist im religiös neutralen Staat die Anstellung des Lehrpersonals an staatlichen Schulen grundsätzlich Angelegenheit des Staates, doch fehlen ihm gerade wegen seiner Neutralität die inhaltlichen Kriterien, darüber zu entscheiden, ob ein Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts geeignet oder nicht (mehr) geeignet ist. Dementsprechend ist der Staat rechtlich gehalten, nur solche Lehrer im Religionsunterricht einzusetzen, denen die Missio canonica erteilt worden ist bzw. solche Lehrer nicht (mehr) zu verwenden, die von der zuständigen kirchlichen Autorität als ungeeignet erklärt worden sind. Pars pro toto für Deutschland: Art. 5 § 2 Satz 3 des Konkordats zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staate Bayern vom 29. März 1924 (Abdruck bei Joseph Listl, Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Band I, 1987, S. 289 ff.) sowie Art. 22 des Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 (Abdruck ebd., S. 34 ff.); für Österreich: Art. I § 3 des Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen (Abdruck in: BGBl. Nr. 273/1962). Diese völkerrechtliche Verpflichtung des Staates wurde in Deutschland durch die Schulgesetze der Länder in die nationale Rechtsordnung transformiert (pars pro toto: Art. 46 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, i. d. F.d.B. vom 31. Mai 2000 [Abdruck in: GVBl. S. 414, 632]), für Österreich s. §§ 4 und 7b des Bundesgesetzes vom 13. Juli 1949 betreffend den Religionsunterricht in der Schule (Abdruck in: BGBl. Nr. 190/1949). – Mittlerweile sieht das Konkordatsrecht durchweg die Erstreckung der Wirkungen der Missio canonica auf die staatliche Rechtsordnung vor, zuletzt Art. 16 Abs. 3 und 4 des Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Kap Verde vom 10. Juni 2013 (Abdruck in: AAS 106 [2014], S. 220 – 241) sowie Art. 9 Abs. 6 des Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und der Demokratischen Republik Ost-Timor (Abdruck in: Com 49 [2017], S. 5 – 25). 51 S. dazu VG Aachen, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1974, S. 57. Eine andere Frage ist, welche dienst- oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen aus dem Entzug der Missio canonica resultieren. Auch die 2015 neu gefasste „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ (veröffentlicht in der Reihe „Die deutschen Bischöfe“, Nr. 95 A vom 27. April 2015) erwartet unverändert von Religionslehrern („Mitarbeiter, die aufgrund einer Missio canonica … tätig sind“) ein „persönliches Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre“ (Art. 4 Abs. 1) und erblickt bei entsprechenden Loyalitätsverstößen (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit c und d) einen Umstand, der in aller Regel die Weiterbeschäftigung im kirchlichen Dienst ausschließt (Art. 5 Abs. 3 Satz 4).
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fahren (cc. 1732 – 1739 CIC/1983)52 und sodann der verwaltungsgerichtliche Rekurs an die Apostolische Signatur zur Verfügung. Auch insoweit wird seit geraumer Zeit Kritik am effektiven Schutzniveau des Rechtsschutzes artikuliert.53 Das ist an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefen. Hingewiesen werden soll aber abschließend auf die seit 2013 geltende Divergenz in der Zuständigkeit für die Behandlung des hierarchischen Rekurses: Das Motu Proprio Fides per doctrinam54 hat die Zuständigkeit für die Katechese auf den 2010 neu errichteten Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung übertragen. Als „Annexmaterie“ zur Katechese unterfällt damit auch der Religionsunterricht an den nicht-katholischen Schulen der Kompetenz dieses Dikasteriums. Für den Religionsunterricht an den katholischen Schulen i. S. v. c. 803 CIC/1983 verbleibt es hingegen bei der bisherigen Zuständigkeit der Kongregation für die katholische Erziehung. Inwieweit es der Sicherstellung einer einheitlichen und kohärenten Verwaltungspraxis dient, bei der Anwendung identischer normativer Vorgaben die Zuständigkeit nach dem Kriterium des Trägers der Schule, an welcher der – in jedem Fall in alleiniger kirchlicher Verantwortung veranstaltete – Religionsunterricht stattfindet, aufzuspalten, wird die Zukunft erweisen.
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Nähere Konkretisierung der kodikarischen Vorgaben in Art. 134 – 138 des Regolamento della Curia Romana vom 30. April 1999, in: AAS 91 (1999), S. 630 – 699. 53 Statt aller Löffler (Anm. 44), S. 443 – 448, 459 – 462. 54 Benedikt XVI., Motu Proprio Fides per doctrinam vom 16. Januar 2013, in: AAS 105 (2013), S. 136 – 139.
Das neue kirchliche Hochschulrecht – wirklich eine Freude für Forschung und Lehre in der Theologie? Von Matthias Pulte In seinem breit angelegten wissenschaftlichen Oeuvre hat sich der verehrte Jubilar wiederholt mit der Frage des religiösen Lehrens unter sich verändernden rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandergesetzt. Mit seiner grundlegenden Monographie zum katholischen Religionsunterricht hat er Standards gesetzt.1 Das Buch hat über Jahrzehnte weitreichende Rezeption erfahren. Um Religion zu unterrichten, bedarf es vor allem einer gediegenen theologischen Ausbildung der Lehrkräfte und aller, die im Auftrag der kirchlichen Verkündigung stehen. Sie wird in Deutschland und Österreich insbesondere durch Institute und Fakultäten für katholische Theologie in staatlicher und kirchlicher Trägerschaft geleistet. Für diese Ausbildung hat der universalkirchliche Gesetzgeber eine neue universalkirchliche Rechtsordnung geschaffen, die seither recht ambivalente Rezeptionen erfahren hat. Einige Aspekte sollen nachfolgend in den Blick genommen werden.
I. Ausgangslage Am 8. Dezember 2017, dem Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria, hat Papst Franziskus das neue kirchliche Hochschulrecht mit der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium erlassen und zur Veröffentlichung in den Acta Apostolicae Sedis angeordnet.2 Eine Reform des kirchlichen Hochschulrechts, oder besser gesagt, eine Redaktion des inzwischen durch Einzelgesetze und Rechtsanpassungen an die Bologna-Reform weithin geänderten kirchlichen Hochschulrechts war tatsächlich überfällig und geboten.3 Außerdem möchte Papst Franziskus die Aufgaben der Theologie im 21. Jahrhundert mit seinem Konzept dieser Wissen1 Vgl. Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986. 2 Das Erscheinen des entsprechenden Faszikels (vorauss. 1/2018) steht noch aus (Stand Juli 2019). OssRom 14. 09. 2018, p. 8 e allegato = Com 50 (2018), S. 11 – 50 (= VApSt 211). 3 Vgl. die Hinweise bei: Matthias Ambros, Sendung nach innen wie nach außen. Die Zukunft der Theologie und der Theologischen [sic!] Fakultäten im Lichte der Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium, in: Stephanie von Luttitz/Ludwig Mödl (Hrsg.), Theologie. Und wie es weitergeht, Schriften des Alfons Fleischmann Vereins zur Katholischen Universität 4, Würzburg 2018, S. 43 – 70, 45.
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schaft verbinden. Kurz gefasst ist Theologie für ihn „Tun und Denken aus Glauben“.4 Dementsprechend formuliert er in VG 3: „Der gute Theologe und Philosoph hat ein offenes Denken, das heißt es ist nicht abgeschlossen, immer offen für das „maius“ Gottes und der Wahrheit (…)“. In seiner Vorstellung verbinden sich Theologie und Kultur, Theologie und Prophetie, sowie Theologie und Praxis.5 Daher sollen auch die aus dem Glauben reflektierten, gesellschaftspolitischen Akzentsetzungen von Papst Franziskus eine hochschulrechtliche Rezeption erfahren. So findet z. B. der nachdrückliche Einsatz des Papstes für Menschen in Flucht und Vertreibung seinen Niederschlag in der durchaus etwas vage gehaltenen gesetzlichen Verpflichtung an die kirchlichen Fakultäten, in ihren Statuten vorzusehen, dass diese Menschen eine Einschreibung vornehmen können, auch wenn es an den regulär erforderlichen Dokumenten mangelt (Art. 32 Abs. 3 VG). Unabhängig von den üblichen vom CIC/1983 in c. 8 § 1 vorgesehen Fristen, legt Art. 88 VG allerdings regelkonform fest, dass die Konstitution mit den beigefügten Ordinationes (d. h. Verordnungen) zum Beginn des akademischen Jahres 2018/19 in Kraft tritt. Für Deutschland bedeutet dies, dass das neue Hochschulrecht im Wesentlichen seit dem 1. Oktober 2018 für die Katholische Universität, die kirchlichen Hochschulen und die theologischen Fakultäten zumindest in jenem Bereichen gilt, die keiner Anpassung aufgrund des staatlichen Rechts bedürfen. Dabei ist zu bedenken, was der Gesetzgeber unter einer solchen katholischen, wissenschaftlichen Einrichtung versteht. Es geht hierbei nicht einfach nur um die formalrechtliche Trägerschaft, sondern eine innere Identifikation der Einrichtung mit ihrem Träger, wo Forschung und Lehre, wenn schon nicht immer in Harmonie6, so doch wenigstens in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des katholischen Glaubens (c. 750 CIC1983) betrieben werden. Das schränkt die wissenschaftliche Autonomie (c. 809 CIC/1983) dieser Einrichtungen nur insoweit ein, als dass Wissenschaft und Forschung die katholische Lehre nicht unberücksichtigt lassen dürfen (c. 810 § 2 CIC/1983). Diese zweifellos unpräzise gehaltene Bestimmung gilt nach Maßgabe des c. 809 CIC/1983 auch für die nichttheologischen Fächer. Die Anforderungen an eine Theologie, die sich als katholisch versteht und bezeichnet, weist eine stärkere Bindung an die amtliche Kirchenlehre auf, da diese an der kirchlichen Verkündigung des Glaubens mitwirkt (Art. 3 § 1 VG = Art. 3 § 1 SapChr).7 Veritatis gaudium greift hier den Gedanken des Apostolischen Schreibens Evangelii gaudium (134) auf. Die Rückbindung der Theologie und der diese Lehrenden an die amtliche Kirchenlehre findet ihren rechtlichen Ausdruck in dem Mandatum, welches der zuständige Ober-
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Felix Körner, Labor der Kulturen. Für eine gesprächsfähige Theologie, in: Anette Schavan (Hrsg.), Relevante Theologie. Veritatis gaudium – die kulturelle Revolution von Papst Franziskus, Ostfildern 2019, S. 91 – 111, hier S. 109. 5 Ebd. (Anm. 4). 6 Vgl. Georg May, Die Hochschulen, in: HdbKathKR2, S. 749 – 777, hier S. 749. 7 Vgl. Ulrich Rhode, Die Hochschulen, in: HdbKathKR3, S. 1047 – 1085, hier S. 1061.
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hirte als Lehrerlaubnis für die theologischen Fächer verleiht (c. 812 CIC/1983).8 Es wird bekräftigt durch das Glaubensbekenntnis und den Treueeid, den die Lehrenden der Theologie vor Übernahme einer Lebenszeitbestellung gem. c. 833 n. 7 CIC/1983 abzulegen haben. Die kirchenrechtlichen Grundregeln im Codex Iuris Canonic sind auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Die Kriterien der cc. 809 – 811 CIC/1983 sind nicht so eindeutig formuliert, als dass es im Einzelfall nicht auf eine am konkreten Leben orientierte Interpretation ankäme. Hier bildet die Apost. Konst. Veritatis gaudium das näher ausfüllende Gesetz und mit den Ordinationes den aktuellen verwaltungsrechtlichen Ausgestaltungsrahmen. Dabei gelten nicht nur die rechtlichen Normierungen des zweiten Teils der Konstitution, sondern auch und gerade als hermeneutischer Schlüssel zu den Normen die einleitenden Ausführungen des Papstes. In der ersten kommentierenden Literatur wurde bereits eine nicht unerhebliche Spannung zwischen diesen beiden aufeinander bezogenen Teilen ausgemacht9, die es im Rechtsanwendungsfalle miteinander ins Gleichgewicht, wenigstens aber zu einem Ausgleich zu bringen gilt. Davon unabhängig, können sich aus den staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen an eine wissenschaftspolitisch anerkannte akademische Theologie weitere Anforderungen ergeben, auf die Veritatis gaudium als universalkirchliche Ordnung nicht eingehen, sondern nur verweisen kann (Art. 8 VG; Art. 92 VG). In Deutschland lassen sich die neuen Normen des Hochschulrechts nicht ohne Anpassung an den staatlichen Rechtsrahmen anwenden. Darauf hatten sich Staat und Kirche schon vor über 90 Jahren in den Länderkonkordaten verständigt. Sie gelten in ihren überarbeiteten Fassungen bis heute. Neue Konkordate sind seither hinzugekommen.10 Sie enthalten häufig auch Bestimmungen über die kirchlichen Hochschulen und Universitäten, als besondere Instrumente der gesellschaftlichen Sendung der katholischen Kirche.11 Daher steht die Anwendung der neuen kirchlichen Vorschriften, zumindest dort, wo eine Spannung zum staatlichen Hochschulrecht angenommen werden kann, gem. Art. 8 und Art. 92 VG unter einem sog. Konkordatsvorbehalt. Art. 8 VG, wie schon Art. 8 SapChr, will die Normen von Veritatis gaudium und der beigefügten Ordinationes auch nur insoweit zur Anwendung bringen, als sie mit dem geltenden Staatskirchenrecht zu vereinbaren sind.12 Das neue Hochschulrecht konkretisiert insofern die generelle Konkordatstreue, die schon in c. 3 CIC/1983 zum Ausdruck ge-
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Vgl. zum Verhältnis von Lehramt und Theologie: Norbert Lüdecke, Die Grundnormen des katholischen Lehrrechts in den päpstlichen Gesetzbüchern und neueren Äußerungen in päpstlicher Autorität, FzKW 28, Würzburg 1997, S. 475 – 496. 9 Vgl. Benedikt Kranemann, Die Apostolische Konstitution „Veritatis Gaudium“. Kulturelles Laboratorium, in: HK 3/2018, S. 25 – 28 10 Vgl. Christian Hermes, Konkordate im Vereinigten Deutschland, Ostfildern 2009, S. 125 – 270. 11 Vgl. ebd. (Anm. 10), S. 485 – 517, hier S. 492. 12 Vgl. Christoph Ohly/Ludger Müller, Katholisches Kirchenrecht: Ein Studienbuch, Paderborn 2018, S. 121.
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bracht wird. Dass an diesem Grundsatz festgehalten werden soll, bestätigt auch das Zirkularschreiben der Kongregation von Dezember 2018.13 Diese Konkordatstreue führt aktuell allerdings zu Unsicherheiten hinsichtlich der Rechtslage, weil mit der Ablösung von SapChr auch das zugehörige Akkomodationsdekret aufgehoben ist. Dieses lässt sich trotz vielfältiger Übereinstimmungen jedoch nicht einfach auf VG übertragen, weil Grund und Gegenstand des Dekrets sich ausschließlich auf die Regelungen von SapChr beschränkt. Bis zum Erlass eines neuen Akkomodationsdekrets blieben daher insbesondere die neuen, in die Hochschulautonomie eingreifenden Bestimmungen des normativen Teils von Veritatis gaudium und den zugehörigen Ordinationes in Deutschland schwebend unwirksam.14 Das bestätigt zumindest inzident das Zirkularschreiben der Kongregation für das katholische Bildungswesen vom 8. Dezember 2018, das – lediglich etwas schwer auffindbar – auf der Homepage der Kongregation verfügbar gemacht wurde.15 Die Bischofskonferenz wird darin aufgefordert, Vorschläge für Regelungsgegenstände eines neuen Akkomodationsdekrets bis zum 8. Dezember 2019 der Kongregation für das katholische Bildungswesen vorzulegen. Das Gleiche gilt für Österreich, da auch hier bisher schon ein Akkommodationsdekret zu SapChr. bestanden hat. Das Schreiben weist von seinem Textbefund her deutlich aus, dass den Bischofskonferenzen in dieser Hinsicht lediglich eine Beratungs-, nicht aber eine (Mit-)Entscheidungskompetenz zukommt. Insofern bleibt abzuwarten, inwieweit man in der römischen Kurie die monita et proposita der Bischofskonferenzen berücksichtigt. Das sollte zumindest dort geschehen, wo Veritatis gaudium und das geltende staatliche Hochschulrecht konfligieren. Soweit an dieser Stelle einige formale Gesichtspunkte zum Stand der Geltung des neuen kirchlichen Hochschulrechts. Alles Weitere hängt von der Veröffentlichung der neuen Akkomodationsdekrete und der sich daran anschließenden Überarbeitung des jeweiligen institutionellen Satzungsrechts ab. Dabei ergibt sich für die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten aber schon das Problem, dass sie weder nach staatlichem noch nach kirchlichem Recht Rechtspersönlichkeit besitzen. Dem Problem hilft auch nicht ab, dass sie nach Art. 62 § 4 VG kirchliche Rechtspersönlichkeit erwerben können, weil darauf gegründete Satzungen nur innerkirchliche Wirkungen entfalten können. Theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten sind aber eine klassische res mixta. Staat und Kirche müssen hier zusammenwirken, damit das gemeinsame Projekt der bekenntnisgebundenen Wissenschaft an freien Hochschulen gelingen kann. 13
Vgl. Kongregation für das katholische Bildungswesen, Lettera circolare n.1 sull’implementazione della Costituzione Apostolica Veritatis gaudium vom 8. Dezember 2018, Prot. 689/2018, #4b, deutsch online unter: http://www.educatio.va/content/dam/cec/Documenti/circo lare%20tedesco.pdf (eingesehen am 01. 04. 2019). 14 Vgl. zu den angesprochenen Inkompatibilitäten: Matthias Pulte/Anna-Christina Schmees, Was ist neu an der Apostolischen Konstitution Veritatis Gaudium über das katholische Hochschulwesen?, in: Ansgar Hense/Matthias Pulte (Hrsg.), Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit, MBKR 4, Würzburg 2018, S. 241 – 272, bes. S. 260 – 267. 15 Vgl. Lettera circolare n.1, # 4 (Anm. 13).
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Es scheint so, als ob Papst Franziskus neben den vielen Reformbaustellen in der katholischen Kirche auch beim kirchlichen Hochschulrecht programmatisch ansetzen wollte. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn man den ersten Teil dieser Apostolischen Konstitution Veritatis Gaudium liest.16 Zweifellos war eine zusammenführende Überarbeitung des geltenden kirchlichen Hochschulrechts aus mehreren Gründen überfällig. Zunächst hat sich seit der Inkraftsetzung der Apost. Konstitution Sapientia Christiana17 und ihrer Nebenbestimmungen, die Bildungslandschaft global verändert. Der sog. Bologna Prozess sollte und wollte die internationale Wettbewerbsfähigkeit der akademischen Ausbildungen nachhaltig verbessern und die Vergleichbarkeit der Abschlüsse durch eine formale Standardisierung konsekutiver Studiengänge erhöhen. Sodann galt und gilt es die Möglichkeiten der akademischen Mobilität von Studierenden und Lehrenden im Zeichen fortschreitender Globalisierung zu optimieren. Die katholische Kirche und die theologischen Fakultäten und Institute haben sich von Anfang an in diesen Prozess eingebracht und die vielfältigen kanonischen sowie in Deutschland auch die nichtkanonischen Studiengänge neu aufgestellt. Dieser Prozess und seine Ergebnisse sind in der Literatur bereits erörtert worden.18 Daneben ereignete sich seit Sapientia Christiana eine reiche Gesetzgebungstätigkeit für die kanonischen Studiengänge, die etwas unübersichtlich und auch nicht einheitlich veröffentlicht wurde. Diese Gesetzgebung zusammenzuführen und im Lichte der hochschulpolitischen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts zu fördern, war überfällig. Insofern erfährt Veritatis gaudium in seinem ersten Teil von vielen Seiten Lob.19 Allerdings erstreckt sich dieses ausschließlich auf die Rezeption der Einleitung, in der Papst Franziskus programmatisch in Konturen die Herausforderungen für die katholische Theologie umreißt. Die konkreten rechtlichen Umsetzungen der weitreichenden päpstlichen Visionen, werden hingegen im Detail und mit Blick auf die innovativen Elemente eher selektiv gewürdigt.20 Liest man den ersten Teil des Gesamtwerks, ohne auf die vielfältigen, teils detaillierten normativen Konkretionen zu blicken, müsste man der Konstitution uneingeschränktes Lob zollen und feststellen, dass das kirchliche Lehramt im Hinblick auf die Verortung der akademischen Theologie in der Gegenwart angekommen und für die Zukunft gerüstet ist.21 Demgegenüber scheint ganz unvermittelt der zweite und normative Teil der Konstitution zu stehen. Zweifellos ist der hier verwendeten Rechtssprache, im Unter16
Papst Franziskus, Apostolische Konstitution Veritatis Gaudium, in: Com 50 (2018), S. 11 – 50 und 433 (= VApSt 211). 17 Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Sapientia Christiana, in: AAS 71 (1979) S. 469 – 499 (= VApSt 9). 18 Ulrich Rhode, Die Hochschulen, in: HdbKathKR3, S. 1047 – 1085 19 Vgl. Annette Schavan (Hrsg.), Relevante Theologie. „Veritatis gaudium“ – die kulturelle Revolution von Papst Franziskus, Ostfildern 2019. 20 Vgl. Christoph Ohly, Mit überlegter und prophetischer Entschlossenheit. Aspekte der Neuausrichtung kirchlicher Universitäten und Fakultäten gemäß Veritatis gaudium, in: Ordnung der Wissenschaft 2019, S. 29 – 33. 21 Ebd. (Anm. 20), S. 33.
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schied zu dem pastoralen Ton des ersten Teils, schon eine gewisse Kontrastfunktion zuzuschreiben. Das schadet nichts, solange die Inhalte der Teile dieselben Ziele verfolgen oder aber wenigstens miteinander harmonisierbar sind. Das wäre schon aus Gründen der Kongruenz einheitlicher Dokumente zu erwarten. Mit Ausnahme der Stellungnahmen offizieller Vertreter der Römischen Kurie22, wird das aber vom Fachpublikum deutscher Sprache so nicht wahrgenommen. Eine vergleichbare kritische Rezeption von Veritatis gaudium kann bisher in anderen Sprachkreisen noch nicht wahrgenommen werden. Erste Analysen markanter Textpassagen beider Teile haben aber schon deutlich werden lassen, dass diese Harmonie durch die Gegensätzlichkeiten vieler Aussagen (wenigstens ad hoc) nicht zu erreichen ist.23 An dieser Stelle soll der Blick darauf gerichtet werden, wo der erste und der zweite Teil von Veritatis gaudium miteinander konvenieren und/oder die in der Literatur schon kritisierten Dissonanzen und Inkompatibilitäten auftreten. Dass in ein und demselben Dokument, schon allein zwei schwer miteinander in Einklang zu bringenden Sprachen verwendet worden sind, kann auch so aufgefasst werden, dass man in der römischen Kurie bewusst und willentlich die Dissonanzen zwischen den päpstlichen Visionen und der eher kleinteiligen Alltagsverrechtlichung sichtbar machen wollte.
II. Programmatische Eckpfeiler Der programmatische Teil der Konstitution benennt vier programmatische Eckpfeiler kirchlicher Wissenschaftspolitik, denen sich je nach Zuständigkeit und dem eigenen wissenschaftlichen Ansatz die theologischen Fächer widmen sollen. Im Kontext zeitgemäßer Wissenschaftspolitik handelt es sich dabei weitgehend um eine Rezeption dessen, was universitäre Theologie auch heute schon leistet. Zudem finden sich die hier angesprochenen Eckpfeilern bereits in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates24, der sicherlich auch der Römischen Kurie zugänglich ist. 22
Vgl. Matthias Ambros, Ein Weg zur Profilierung theologischer Hochschulstandorte: Das Sankt Augustiner Modell, in: HK 11/2017, S. 13 – 17; Friedrich Bechina, „Veritatis gaudium – die Freude der Wahrheit“, Vortrag am Dies theologicus der KU Eichstätt am 28. 06. 2018, Bericht online unter: https://www.ku.de/kommunikation/presse/pi/einzelansicht/article/dialogals-zentrale-methode-der-theologie-ku-feierte-dies-theologicus/ (eingesehen am 15. 05. 2019). 23 Vgl. Benedikt Kranemann, Die Apostolische Konstitution „Veritatis Gaudium“. Kulturelles Laboratorium, in HK 3/2018, S. 25 – 28; Ders., Veritatis Gaudium auf dem Prüfstand, online unter: feinschwarz.net/18268 – 2 (eingesehen am 12. 05. 2019); Matthias Pulte/AnnaChristina Schmees, Was ist neu in der Apostolischen Konstitution Veritatis Gaudium über das katholische Hochschulwesen?, in: Ansgar Hense/Matthias Pulte (Hrsg.), Kirchliche Hochschulen und konfessionelle akademische Institutionen im Lichte staatlicher und kirchlicher Wissenschaftsfreiheit (MBKR 4), Würzburg 2018, S. 241 – 271. 24 Vgl. Wissenschaftsrat (Hrsg.), Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen vom 29. Januar 2010, Drs. 9678 – 10, Berlin, Eigenverlag 2010.
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Entscheidend ist an dieser Stelle aber, dass aus Empfehlungen nun verbindliche Ziele werden, deren Verwirklichung vor allem auch im Hinblick auf die Verleihung und den Entzug von Graduierungsrechten Bedeutung haben. Insofern scheint es mit der Freiheit der Kongregation, nach eigenem Gutdünken über die Verleihung oder den Entzug dieser Rechte (VG 67) doch nicht so weit her zu sein, wie eine isolierte Betrachtung des normativen Teils von Veritatis gaudium Glauben zu machen scheint. Wenn man dieser Präsumtion folgt, spricht einiges für die Annahme, dass der programmatische Einleitungsteil der Konstitution den normativen in gewissen Grenzen verstanden wissen will. Dazu ist es sinnvoll die vier programmatischen Eckpfeiler mit den entsprechenden Normen in Beziehung zu setzen. 1. Grundlegende Ausrichtung der theologischen Wissenschaft am Evangelium Wie schon die Apost. Konst. Sapientia Christiana, so hält auch das aktuelle Hochschulrecht bereits in der Einleitung über den Charakter der Theologie fest, dass es sich dabei um eine „Glaubenswissenschaft“25 handelt. Dieser Begriff ist vermittlungsbedürftig, insofern er zumindest in Teilen nicht mit dem Wissenschaftsverständnis übereinstimmt, das auf der Grundlage z. B. von Art. 5 Abs. 3 GG Forschung und Lehre Freiheitsräume gewährleistet, die so umfassend innerhalb der katholischen Kirche, insbesondere im Lichte des kanonistischen Freiheitsbegriffs in c. 218 CIC/1983, nicht gewährleistet werden. Es besteht Einigkeit in der Literatur über die Tatsache, dass Art. 5 GG Abs. 3 GG ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat zum Schutz vor Eingriffen in die Lehr- und Forschungsfreiheit aufgerichtet hat, welche lediglich verfassungsimmanenten Schranken unterworfen ist.26 Daraus ergibt sich ein umfassender Gewährleistungsanspruch zugunsten von Forschung und Lehre, die keinesfalls staatlichen Interessen unterworfen werden darf. Im Codex ist im Hinblick auf die theologischen Wissenschaften demgegenüber von ,gebührender Freiheit‘ die Rede, einem auslegungsfähigen und -bedürftigen Rechtsbegriff. Ob man in diesem Sinne von einer ,praktisch unbegrenzten Forschungsfreiheit‘ sprechen kann,27 muss angesichts der hoschschulrechtlichen Reglementierungen des katholischen Kirchenrechts angefragt werden. Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber in c. 218 CIC/1983 primär das Freiheitsrecht der Wissenschaftler*innen in der Kirche auf kirchlich-theologische Forschung feststellt 25
Bei dieser Definition darf man jedoch nicht von einem verengten Verständnis von „Glaubenswissenschaft“ als einfacher Glaubensweitergabe ausgehen, geht es doch um die verstandesmäßige Untersuchung und Erschließung des Glaubens an den sich selbst offenbarenden Gott [Anselm von Canterbury: fides quaerens intellectum] in der Vielfalt der theologischen Disziplinen. Vgl. Peter Neuner, Kompendium zur Theologie als Glaubenswissenschaft. Die „Beiträge zur Fundamentaltheologie und zur Katholischen Tübinger Schule“ von Max Seckler, in: MThZ 67 (2016) S. 83 – 90, hier S. 87. 26 Vgl. Christoph Kannengießer, Kommentar zu Art. 5 GG, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/ Franz Klein (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München 102004, S. 277. 27 So etwa: Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 106 f.
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und nicht etwa ein Abwehrrecht der Wissenschaftler gegenüber der Kirche im Sinne eines säkularen Freiheitsrechts zu manifestieren beabsichtigt.28 Diese Festlegung findet ihre Begründung in der Tatsache, dass der katholische Glaube und damit auch die katholische Theologie, in ihrer konfessionellen Gebundenheit dreifach gebunden ist an: das christliche Bekenntnis, die Anerkennung der kirchlichen Lehr- und Leitungsautorität und die Einordung des eigenen wissenschaftlichen Strebens in einen kirchlichen Gehorsam in Sinne der konziliaren Rede vom sensus fidei fidelium (LG 12,1).29 Dabei sind Spannungen zwischen dem Lehramt und der Forschung nicht ausgeschlossen, auch nicht unzulässig. Ein differenzierter Konsens sollte jedoch, vor allem unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Hierarchie der Wahrheiten (UR 11, 3) und im Lichte von c. 209 § 1 CIC/1983 (Wahrung der kirchlichen Gemeinschaft) immer möglich sein. Die Apost. Konst. Veritatis gaudium erwähnt insgesamt sechs Mal den Begriff Freiheit, dreimal in der Einleitung und dreimal im normativen Teil. In der Einleitung erscheint die Verwendung des Freiheitsbegriffs schwer fassbar zu sein. Wesentlich ist es wohl, dass Papst Franziskus die Kirche insgesamt als „Sauerteig der Einheit in Vielfalt und der Gemeinschaft in Freiheit“ versteht (VG 4d). Ihre Freiheit sollen die Wissenschaftler*innen verantwortungsvoll mit Blick auf den Fortschritt in den Wissenschaften und der menschlichen Gesellschaft wahrnehmen (VG 5 III). Die Allgemeinheit, mit der hier von wissenschaftlicher Freiheit die Rede ist, lässt sich rechtlich kaum fassen und steht in keiner direkten Beziehung zur Verwendung im normativen Teil. Theologie, als „verantwortete Rede von Gott“30, ist eine rationale Wissenschaft, der zugleich die Fähigkeit zum offenen Diskurs mit allen anderen Wissenschaften innewohnt. Insofern nimmt sie mit Blick auf ihre Prämissen eine Sonderstellung unter den Wissenschaften ein, weicht aber hinsichtlich ihrer methodischen Rationalität von jenen nicht ab.31 Wenn Veritatis gaudium in ihrem normativen Teil in Art. 38 von Freiheit spricht, geht es, wie bereits zuvor beschrieben, um eine grundlegend gebundene Freiheit der Theologie in Ausrichtung an Evangelium und Lehramt. Die Ausrichtung am Evangelium meint allerdings keine biblizistische Verkürzung der Theologie auf das geoffenbarte Wort Gottes in den kanonisierten Schriften, sondern bezieht unter Berufung auf das Lehramt auch die theologische Entwicklung und Differenzierung über den Lauf der Kirchengeschichte und die amtliche Lehrentwicklung mit ein. Eine „gebührende“ Freiheit (iusta libertas) in Forschung und Lehre ist in diesem Zusammenhang 28
Vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, c. 218, Rdnr. 3, in: MK CIC (Stand: 1987); Reinhild Ahlers, Die rechtliche Grundstellung der Christgläubigen, in: HdbkathKR3, S. 289 – 301, hier S. 298. 29 Vgl. Sabine Demel, Einführung in das Recht der katholischen Kirche. Grundlagen – Quellen – Beispiele, Darmstadt 2014, S. 109 u. 111 – 115. 30 Vgl. Frank Vogelsang, Die Rede von Gott in einer offenen Wirklichkeit. Phänomenologisch-hermeneutische Untersuchungen nach Mereleau-Ponty, Ricoer und Waldenfels, Freiburg/München 2016, S. 190 – 196. 31 Vgl. Siegfried Wiedenhofer, Theologie, in: LThK3, Bd. 9, Sp. 1435 – 1443, hier Sp. 1442.
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anzunehmen, wenn die Tradition in den Hl. Schriften und der amtlichen Lehre anerkannt wird. Art. 38 § 1 VG zitiert hier Art. 59 Gaudium et spes.32 ,Iusta libertas‘ bezeichnet dort eine Freiheit, die sich in die zweifache Ordnung der Erkenntnis des Glaubens und der Vernunft einfügt und insofern „gerechtfertigt“33 ist. Das ist schon rein rechtssprachlich mehr als nur eine „gebührende“ Freiheit, deren Beurteilung letztlich der zuständigen kirchlichen Autorität obliegt. Für die Interpretation kommt erschwerend der zweite Freiheitsbegriff Art. 38 § 1 n. 2 hinzu. Hier ist von vera libertas die Rede, die darin besteht, dass sie sich a) in den Grenzen dessen aufhält, was mit dem Wort Gottes umschrieben wird und b) von Ergebenheit gegenüber dem Lehramt (obsequenta dispositione erga Ministerium Ecclesiae) gekennzeichnet ist. Unabhängig von der heute unangemessen paternalistischen Formulierung, fällt rechtssprachlich auf, dass hier zwei unterschiedliche Freiheitsbegriffe synonym verwendet werden. Das trägt zur textlichen Unklarheit bei und erscheint zumindest gesetzgebungstechnisch misslungen. Davon abgesehen wird das Verständnis von dem was das Adjektiv „vera“ bezeichnet in der Literatur durchaus als rechtsausübungsbeschränkend wahrgenommen.34 Trotz der uneindeutigen Formulierungen von Art. 38 § 1 VG ist eine kritische Würdigung von Einzelaspekten aus der jeweiligen Fachwissenschaft, die ggf. auch eine Neubewertung der kirchlichen Doktrin im Lichte der Erkenntnisfortschritte der Wissenschaften ermöglicht, nicht ausgeschlossen. Daher kann man auch nicht jede Infragestellung bisher als sicher geglaubter Sachverhalte in Theologie und amtlicher Lehre als in Stein gemeißelt betrachten. Insofern geht es in Art. 38 § 1 VG nicht von vornherein um Beschränkung und Reglementierung, sondern um Achtung und Anerkennung der überlieferten Lehre der Kirche bei gleichzeitiger Zukunftsoffenheit. Im Lichte der Einleitung als hermeneutischem Schlüssel, geht es um ein lebendiges Verkündigen des Evangeliums, das in dieser Zeit gelebt wird. Die kerygmatische Funktion theologischer Wissenschaften erscheint insofern in VG 4 a etwas überbetont. Demgegenüber beschreibt Art. 5 Abs. 3 GG einen Freiheitsbegriff für Wissenschaft, Forschung und Lehre, der sich einerseits nach der Eigengesetzlichkeit des jeweiligen Faches richtet, zu der anderseits aber auch die Ergebnisoffenheit der Forschung in jedem Falle konstitutiv dazugehört.35 Dem widerspricht die Konzeption der Theologie, wie beschrieben nicht, obschon die Frage der Ergebnisoffenheit hier an Grenzen stößt, die aber wiederum der Eigengesetzlichkeit dieser Wissen32
Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt in dieser Zeit Gaudium et spes, in: AAS 58 (1966), S. 1080. 33 Insofern folge ich hier der Neuübersetzung der Konstitution in: Peter Hünermann (Hrsg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd.1, Freiburg 2009, S. 687. 34 Norbert Lüdecke/Georg Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, S. 57 – 76, hier S. 69. 35 Vgl. Friedhelm Hufen, Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung. Braucht Forschung Aufpasser?, in: Forschung & Lehre 2/2017, S. 118 – 120.
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schaft geschuldet sind. Diese Spannung lässt sich nicht aufheben. Hingegen ist eine gezielte Einwirkung auf Forschung und Lehre, die etwa mit dem Entzug einer Lehrerlaubnis geahndet werden könnte, Art. 5 Abs. 3 GG ebenso fremd, wie die politische Entscheidung einer Verwaltungsbehörde, ob eine Fakultät Graduierungsrechte besitzt oder nicht.36 Darüber zu entscheiden, fällt unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 3 GG, in den autonomen Entscheidungsbereich der Universitäten und Hochschulen. Gleichwohl kennt auch das weltliche Recht Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit, die nicht sogleich als Verletzung des Art. 5 GG verstanden werden können. Das gilt z. B. im Hinblick auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte, aber auch der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Eingriffe müssen hier aber stets gerechtfertigt sein. Dazu ist eine Abwägung der einzelnen Rechtsgüter erforderlich. Eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit erscheint dann umso mehr vertretbar, je höher die Gefährdung für das andere zu schützende Rechtsgut ist.37 Im Hinblick auf die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG ist es im Lichte von Art. 137 Abs. 3 WRV Sache der betreffenden Religionsgemeinschaft, hier die Gefährdungstatbestände zu benennen. Diese hat der Staat zur Kenntnis zu nehmen, will er nicht seine religionsrechtliche Neutralität aufs Spiel setzen. 2. Umfassende Dialogbereitschaft der Theologie auf allen Gebieten Der zweite Eckpfeiler der programmatischen Einleitung von Veritatis gaudium heißt Dialog auf allen Gebieten im Sinne einer Kultur echter und lebendiger Begegnung. Dieser Leitgedanke verpflichtet die theologischen Disziplinen die Frage ihrer diversen kulturellen Anschlussfähigkeit zu überprüfen und ggf. neu auszurichten. Auch hier verfolgt Veritatis gaudium 4b einen deutlich kerygmatischen Ansatz. Es geht anscheinend darum, durch dialogische Methodik das Humanum insgesamt zu fördern und dabei den besonderen Beitrag des Evangeliums und der kirchlichen Lehre bei der Suche nach der Wahrheit hervorzuheben. In diesem Zusammenhang wird an eine interreligiöse und interkulturelle Initiativen zu denken sein, denen sich die theologischen Fächer stellen sollen.38 Die konkreten Normen spiegeln das für die Theologie tatsächlich nur in Art. 55 1b OrdVG mit Bezug auf die Fundamentaltheologie wider. Alle übrigen Fächer bleiben konventionell. Deutlicher wird der dialogische Ansatz bei den Normen über die Philosophische Fakultät. Dort sieht Art. 66 OrdVG eine Weitung in viele Wissenschaften vor. Gleichwohl wird man konzedieren dürfen, dass der wissenschaftlichen Kreativität zur Zusammenarbeit durch Veritatis gaudium kaum Grenzen gesetzt werden. VG 4b kann hier als hermeneuti36 Vgl. Christoph Gröpl, in: Ders./Kay Windthorst/Christian von Coelln (Hrsg.), Grundgesetz – Studienkommentar, München 22015, S. 147 (Rn. 113). 37 Vgl. ebd. (Anm. 36) (Rn. 116). 38 Vgl. Ohly, Aspekte (Anm. 20), S. 30.
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scher Schlüssel für die gesamte Studienorganisation begriffen werden, wobei die Artt. 55 – 58 OrdVG lediglich das nicht verhandelbare Grundgerüst theologischer Studien abbilden. 3. Inter- und Transdisziplinarität der theologischen Forschung und Lehre in allen Disziplinen Besonders im Hinblick auf die Inter- und Transdisziplinarität der theologischen Forschung und Lehre in allen Disziplinen wird deutlich, wie sehr es sich bei diesem Dokument um ein universalkirchliches Schreiben handelt. Eingebettet in den großen Lehr- und Forschungszusammenhang gerade an staatlichen Universitäten, ist das aggiornamento der Theologie in Deutschland bereits seit der Gründung dieser Fakultäten mit dem frühen 19. Jahrhundert gelebte Wirklichkeit. Ob sich damit allerdings die in VG 4c zum Ausdruck kommende Wahrnehmung einer hoch diversifizierten Studien- und Forschungslandschaft überwinden lässt, kann im Lichte der Spezialisierung und Differenzierung der Wissenschaften bezweifelt werden. Die Berufung auf die Wissenschaftsideale von John Henry Newman (1801 – 1890) und Antonio Rosimini (1797 – 1855) erscheint hier, bei allem Respekt vor der Leistung und den akademischen Verdiensten der genannten Persönlichkeiten, freilich weniger geeignet, da sich das heutige Wissenschaftsverständnis deutlich von jenem unterscheidet, das das 19. Jahrhundert durchwaltet hat. Insofern kann sich eine Theologie der Gegenwart und Zukunft nicht auf ein universalgelehrtes wissenschaftliches Selbstverständnis von vor zwei Jahrhunderten zurückziehen, wenn sie im Kontext der heutigen Wissenschaften diskurs- und satisfaktionsfähig bleiben will. Theologische Forschung und Lehre, die im Kosmos der Wissenschaften auf diese Weise präsent sein will, bedarf der Differenzierung und Entgrenzung der eigenen Arbeit im Hinblick auf inter- und transdisziplinäre Kooperationen.39 Nur so vermag sie ihren akademischen Beitrag zum Fortschritt in den Wissenschaften zu leisten. Freilich bedarf es auf der anderen Seite innerhalb der Ausdifferenzierung der theologischen Disziplinen einer theologischen Interdisziplinarität in Forschung und Lehre, die für die Lehre durch den Bologna-Prozess wirksam eingeleitet und durch interdisziplinäre Kooperationen in vielen Forschungsbereichen ebenso Wirklichkeit geworden sind. Dass man es dabei nicht bewenden lassen darf, sondern sich immer wieder neuen Forschungsfragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zuwenden muss, dürfte unbestrittener Common Sense sein. Dafür bedarf es freilich auch einer weitblickenden Wissenschaftsfinanzierung, die selten in der Verantwortung der Kirche steht. Insofern bleibt die Forderung aus Art. 57 VG über die notwendige Ausstattung der Fakultäten ein Appell an die dafür verantwortlichen Instanzen. Dass die Fakultäten allerdings jährlich dem Großkanzler gem. Art. 46 § 2 OrdVG einen Wirtschaftsbericht vorzulegen haben, kann für die Fakultäten an staatlichen Universitäten, schon aus Gründen der Hochschulautonomie, nicht gelten. Wenn Veritatis gaudium es mit Inter- und Transdiszip39
Vgl. Wissenschaftsrat, Empfehlungen (Anm. 24), S. 67.
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linarität ernst meint, müsste aus wissenschaftspolitischer Perspektive der Apostolische Stuhl darauf drängen, die singulären theologischen Fakultäten aus den Priesterseminaren herauszuholen und an die Universitäten zu bringen, um so Präsenz der Theologie im Kosmos der Wissenschaften zu zeigen. Das setzt freilich bei Kirche und Staat den jeweiligen Willen zu gedeihlicher Kooperation voraus. Andernfalls bleibt die Theologie in vielen Teilen der Welt abgeschlossen in einer eigenen Welt, ohne durch ihre dialogische Kompetenz christliche Werte in den wissenschaftsethischen Diskurs einzuspeisen. Aus der Konstitution lässt sich aber nicht erkennen, dass kirchliche Universitäten und Fakultäten in diese Richtung weiterentwickelt werden sollen. Auch wenn das aufgrund der erneuerten Rechtsordnung nicht ausgeschlossen ist, lässt Veritatis gaudium in diesem Punkte Wünsche offen. 4. Wissenschaftliche Netzwerkbildung zur Verbesserung der Synergien in Forschung und Lehre Networking scheint in der Wissenschaftskultur des 21. Jahrhunderts zu einem der Schlüsselbegriffe erfolgreichen Forschens und Lehrens geworden zu sein. Was für die Humanwissenschaften und die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer schon seit Jahrzehnten zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, kann in der Theologie noch weiter ausgebaut werden. Vielfach hängt es noch von einzelnen Persönlichkeiten ab, ob und inwiefern wissenschaftliche Netzwerke geschaffen werden. Sie zu institutionalisieren und so von den Wünschen einzelner unabhängig zu machen, sie vielmehr in eine aktuelle Wissenschaftskultur einzuprägen, kann man als das Interesse des gegenwärtigen Papstes identifizieren. Dabei erkennt er eine günstige Ausgangslage darin, dass ja schon bisher ein weltweites Netz kirchlicher Universitäten und Fakultäten besteht (VG 3,5). Sie sollen sich nach dem Wunsch der Konstitution verbinden und auch gemeinsame Forschungseinrichtungen schaffen, um die gegenwärtigen Menschheitsfragen einer wissenschaftlich fundierten Antwort aus dem Glauben bzw. auf der Grundlage des Glaubens zuzuführen (VG 4d). Mit Blick auf die deutsche Wissenschaftslandschaft in der Theologie, kann man in der päpstlichen Perspektive die Aufforderung erkennen, trotz rückläufiger kirchlicher Sozialisation und der dieser folgenden Studierendenentwicklung, nicht sogleich Einrichtungen zu schließen oder aus Fakultäten nachrangige Institute zu schaffen, wie das z. B. im zurückliegenden Jahrzehnt in Bayern staatskirchenrechtlich besiegelt wurde, sondern, z. B. durch regionale Verbünde, zu einer gegenseitigen Stärkung der kooperierenden Institutionen beizutragen. Das erhält und schafft auf hohem Niveau eine Vielfalt in der Theologie, die nicht als Mangelbewirtschaftung zu deklassieren ist, sondern auch als Chance für Lehre und Forschung, sowie die Attrahierung exzellenten und vielfältigen wissenschaftlichen Nachwuchses begriffen werden kann. Bereits 2010 hatte sich der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen für die Theologien dahingehend positioniert, dass die theologischen Vollfakultäten die „entscheidenden Ankerpunkte“ für die Weiterentwicklung der theologischen Fä-
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cher sind.40 Unter diesen Voraussetzungen sind dann auch die unter 2 und 3 hervorgehobenen Eckpfeiler zu verwirklichen, damit Theologie als Wissenschaftspartner in der säkularisierten Welt auch in der sich immer weiter differenzierenden Wissenschaftswelt wahrgenommen werden kann.
III. Rechtliche Umsetzung Die rechtliche Umsetzung der programmatischen Eckpfeiler, die Papst Franziskus in der Einleitung gesetzt hat, erfolgt im normativen Teil von Veritatis gaudium nicht reibungsfrei. Das ist umso merkwürdiger, wenn der Eindruck entsteht, dass die beiden auf einander bezogenen Teile desselben Dokuments auf ganz unterschiedliche Autorenschaft schließen lassen, ohne dass der Versuch einer harmonisierenden Redaktion unternommen wurde. In der Literatur wurde schon darauf hingewiesen, dass zwischen der päpstlichen Forderung nach Offenheit der Theologie und den eher strikten und bisweilen invasiven bis rechtsgrundlosen Kontroll- und Eingriffsrechten, wie sie bspw. in Artt. 18 und 67 VG der Hochschulaufsichtsbehörde eingeräumt werden, eine schwer zu überbrückende Spannung besteht.41 Diese Wahrnehmung lässt sich auch nicht dadurch überwinden, dass kurialerseits vorgetragen wird, man würde nahezu alle eingereichten Anträge positiv bescheiden.42 Gerade das Anwendungsbeispiel der PTH Sankt Augustin zeigt, dass die berechtigten Interessen und Einwendungen der Hochschule nicht angemessen, d. h. vor allem überprüfbar im Kontext des Entzuges der Graduierungsrechte zum Magister Theologiae berücksichtigt worden sind.43 1. Kuriale Nomination oder Bestätigung von Verwaltungsämtern? Ebenso problematisch erscheint zumindest aus deutscher hochschulrechtlicher Perspektive die Regelung von Art. 18 VG, Art. 9 (3) OrdVG, dass die Ernennung oder wenigstens Bestätigung der Rektoren, Präsides und Dekane kirchlicher Universitäten und Fakultäten durch die Kongregation erfolgen müsse. Man mag es noch gelten lassen, wie es auch Art 18 SapChr bestimmte, dass die Rektoren und Vorstände kirchlicher Universitäten und katholischer Universitäten einer solchen Regelung un40
Wissenschaftsrat, Empfehlungen (Anm 24), S. 67. Vgl. Benedikt Kranemann, Veritatis Gaudium auf dem Prüfstand, 11. März 2019, online unter: feinschwarz.net/18268 – 2 (eingesehen am 15. 05. 2019); Ders., Kulturelles Laboratorium. Die Apostolische Konstitution „Veritatis Gaudium“, in: HK 72/3 (2018), S. 25 – 28. 42 Vgl. Ambros, Sendung (Anm. 3), S. 51 f. 43 Vgl. Mathias Ambros, Das Sankt Augustiner Modell, in: HK 11/2017, S. 13 – 17, hier S. 13. Der Autor weist zwar darauf hin, dass es einen Konsultationsprozess gegeben habe. Er sagt aber nichts darüber aus, ob und wie die jeweiligen Einwendungen gewichtet wurden, um zu der Entscheidung zu gelangen, die das grundständige Vollstudium auslaufen ließ. 41
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terfallen. War auch schon an der Vorgängernorm zu kritisieren, dass für Rektoren katholischer Universitäten und Fakultäten eine römische Ernennung oder deren Bestätigung erforderlich war, so gilt dies mit Blick auf die Dekane heute in der gleichen Weise. Es ist festzuhalten, dass diese Amtsträger in Deutschland als auf Lebenszeit Berufene ohnehin schon über ein römisches Nihil obstat hinsichtlich ihrer akademischen Arbeit und Lebensführung verfügen. Insofern besteht aus rein kirchenrechtlicher Perspektive bei Lehrenden der Theologie, soweit nicht ein konkreter Anlass vorliegt, kein Sachgrund, dieser Personen einer erneuten zumindest inzidenten Überprüfung zu unterwerfen. Die staatskirchenpolitischen Verwerfungen im Falle des Rektors der PTH Sankt Georgen im Jahr 2018 haben deutlich gemacht, wie negativ sich hier eine nahezu unumschränkte und sachgrundlose kuriale Prüfungsbefugnis auf die Reputation der katholischen Theologie als Wissenschaft auswirkt. Für den Fall, dass die Bildungskongregation justitiable Bedenken hinsichtlich der Anforderungen an einen Lehrenden der Theologie hat, steht es ihr frei, ein Lehrbeanstandungsverfahren zu initiieren, in dem zumindest in Grundzügen auch die Rechte des/der Beanstandeten gewahrt werden. Auch das gehört zu einer Theologie, die sich der Idee des von Papst Franziskus formulierten aggiornamento verpflichtet weiß.44 Was für die kirchlichen Wissenschaften gilt, muss erst recht für die diese beaufsichtigende Behörde gelten. In diesem Sinne schreibt Papst Franziskus in Praedicate Evangelium weiter: „Dieser Dienst der Kurie an der Mission der Bischöfe und an der Communio basiert nicht auf einer Haltung der Aufsicht oder Kontrolle und auch nicht auf der Entscheidung als übergeordnete Autorität“.45 Und weiter heißt es dort: „Die Römische Kurie will daher der gegenseitigen, affektiven und wirksamen Gemeinschaft zwischen dem Nachfolger Petri und den Bischöfen dienen.“ 46 Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist dieses neu eingeführte Direktionsrecht für die Dekaninnen bzw. Dekane theologischer Fakultäten zurückzuweisen, insbesondere, wenn sie in staatliche Universitäten eingegliedert sind und dem staatlichen Hochschulrecht unterliegen.47 Dieses setzt auf die Selbstverwaltungsautonomie der akademischen Einrichtungen, ohne dass sich die Wissenschaftsverwaltung ein-
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Einleitung VG 1 Abs. 5. „This service of the Curia to the mission of the bishops and to communio is not based on an attitude of supervision or control and neither in deciding as a superior authority“, vgl. Joshua J. McElwee, Proposed new apostolic constitution reorders Vatican’s offices, online unter: https://www.ncronline.org/news/vatican/proposed-new-apostolic-constitution-reordersvaticans-offices (eingesehen am 15. 06. 2019). 46 „The Roman Curia thus aims at serving reciprocal communion, a communion that is affective and effective, of the Successor of Peter and the Bishops“, vgl. Joshua J. McElwee, ebd. (Anm. 45). 47 Vgl. Matthias Pulte/Anna-Christina Schmees, Was ist neu? (Anm. 23), S. 266 f. 45
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mischt. Diese Autonomie ist auch durch Art. 5 Abs. 3 GG und die dazu ergangene Rechtsprechung weitreichend abgesichert.48 2. Vorlesungspflicht in der Theologie? Gem. den Artt. 33 und 41 VG ist es vorgesehen, dass die Studienordnungen den Besuch der Vorlesungen verpflichtend vorschreiben. Eine solche Verpflichtung impliziert auch die Möglichkeit oder auch die tatsächliche Durchführung der Kontrolle der Anwesenheit der Studierenden in den Vorlesungen. Das kodikarische Recht äußert sich zu dieser Detailfrage nicht. Can. 218 CIC/1983 über die Forschungsfreiheit ist hier ebenso wenig einschlägig wie c. 229 § 2 CIC/1983 über das Recht der Laien auf theologische Bildung. Insofern eröffnet sich hier für den kirchlichen Gesetzgeber ein weitgehender Gestaltungsspielraum, der im begrenzten kirchlichen Recht gegen Art. 33 VG keine Bedenken aufkommen lässt. Anders verhält es sich jedoch, wenn die kirchlichen Studien und Abschlüsse auch nach staatlichem Recht anerkannt sind. In diesem Fall dürfen kirchenrechtliche Bestimmungen dem ,für alle geltenden Recht‘ nicht widersprechen. Das ist aber in Deutschland der Fall, da die Artt. 33 und 41 VG Ordnungen erzwingen wollen, die Studierenden zum Vorlesungsbesuch verpflichten. Nach der im letzten Jahrzehnt kontinuierlichen Verwaltungspraxis der Länder und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, stellt die in ihrer Pauschalität rechtsgrundlose Anwesenheitsüberprüfung in Vorlesungen einen Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG dar.49 Ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG wird jedoch in diesem Fall nicht bejaht. Diese Rechtslage gilt es bei der Abfassung eines Akkomodationsdekrets zu berücksichtigen. Andernfalls wird man die beiden angesprochenen Artikel in diesem Land schlicht nicht anwenden. Überdies verbessert eine erzwungene Anwesenheit der Studierenden nicht unbedingt die Qualität der Lehre. Auch hier stehen Angebot und Nachfrage in einem dynamischen Verhältnis zueinander. 3. Rechtsschutz gegenüber der Kurie? In rechtssystematischer Hinsicht ist die Anmutung des weitreichenden Entgegenkommens der Behörde überdies unerheblich, weil Mängel in der Rechtsordnung 48 Vgl. Kannengießer, Kommentar zu Art. 5 GG, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, (Anm. 26), S. 277 – 280. 49 Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 21. November 2017 (Aktenzeichen 9 S 1145/16, online unter: http://www.vghmannheim.de/pb/,Lde/5005269/ (eingesehen am 29. 06. 2019); abgedruckt in: DÖV 2018, 248. Ebenso: Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Runderlass vom 9. September 2011. Umfassend die Kommentierung der Rechtslage bei: Lukas C. Gundling, Die Anwesenheitspflicht an Hochschulen. Kriterien für die Legitimität der Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen, in: Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht, 1/2016, S. 1 – 11, bes. S. 3 f.
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zwar bisweilen auf einer praktischen Ebene durch ein angemessenes Behördenverhalten auszugleichen, aber rechtlich eben nicht aufzuheben sind. Es ist rechtspolitisch nicht vertretbar, dass die der kurialen Aufsicht unterstellten Einrichtungen hinsichtlich ihrer Behandlung zumindest in Teilen von einem nicht hinreichend regelbasierten freien Ermessen der Behörde abhängig gemacht werden. Unter solchen Bedingungen steht überdies die in c. 221 § 1 CIC/1983 zugesagte Gewährleistung des Rechtsschutzes infrage. Was nach dem Wortlaut der Norm dort für natürliche Personen gewährleistet wird, muss für juristische Personen in gleicher Weise gelten.50 Dafür spricht auch die Formulierung in c. 1400 § 1 n. 1 CIC/1983, der auf prozessrechtlicher Ebene juristischen Personen entsprechenden Rechtsschutz auf allen Ebenen zuspricht. Neben einer entsprechenden Gerichtsbarkeit, die gem. Art. 123 § 1 PastBon bei der Apostolischen Signatur (sectio altera) eingerichtet ist51, bedarf es aber auch materieller Normen, die zur Entscheidungsgrundlage für das Gericht im Streitfall dienen, ansonsten bleibt auch deren Entscheidung intransparent und unüberprüfbar. Dieser Mangel an verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz steht seit Jahrzehnten in der Kritik.52 Ebenso misslich erscheint es, dass eine verwaltungsgerichtliche Klage, anders als bisweilen im weltlichen Recht (vgl. z. B. Art. 15 Abs. 1 und 2 BayAGVwGO), erst nach Ausschöpfung des Beschwerde- und Widerspruchsverfahrens zulässig ist.53 An dieser wichtigen Stelle lässt Veritatis gaudium neben den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen der katholischen Kirche eine Lücke offen. Die Konstitution verweist noch nicht einmal auf den Rechtsschutz der, der kurialen Aufsicht unterworfenen Institutionen. Einschlägig sind hier die cc. 1732 – 1739 CIC/1983. Ein solcher Hinweis wäre aber an geeigneter Stelle in der Konstitution angemessen gewesen, wenn die in Art. 67 VG angesprochenen akademischen und institutionellen Rechte tatsächlich echte Rechte der akademischen Institutionen und damit auch Abwehrrechte gegenüber der universalkirchlichen Administration sind. Aus lehrrechtlicher und auch aus kirchenverfassungsrechtlicher Perspektive erscheint es gegenwärtig ferner bedenklich, dass Veritatis gaudium der Kongregation in Art. 67 VG ganz umfassend die exklusive juridische Kompetenz über die kirchli50
Die kommentierende Literatur nimmt zu dieser Frage allerdings bisher nicht weiter Stellung. Vgl. Ludger Müller, Rechte in der Kirche. Die Begründung kirchlichen Verfahrensrechts, in: Ders. (Hrsg.), Rechtsschutz in der Kirche, KB 15, Münster 2010, S. 9 – 24, hier S. 21. 51 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1400, Rdnr. 5, in: MK CIC (Stand: 1988). 52 Vgl. pars pro toto: Domincus M. Meier, Verwaltungsgerichte für die Kirche in Deutschland? Von der gemeinsamen Synode 1975 zum Codex Iuris Canonici 1983 (= BzMK 28), Essen 2001; Matthias Pulte, The Creation of Church Administrative Tribunals on the Diocesan Level – A permanent Desideratum in the History of Codification to CIC/1983, Adrian Loretan/Felix Wilfred (Hrsg.), Revision of the Codes. An Indian-European Dialogue (= ReligionsRecht im Dialog 24), Münster 2018, S. 265 – 282. 53 Vgl. Mario Pompedda, Tribunali, IV. in: Pio Vito Pinto (a cura di), Commento alla Pastor Bonus e alle Norme sussidiare della Curia Romana, Corpus Iuris Canonici III, LibEdVat 2003, S. 177.
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chen Studien zuweist. Diese Norm hat keine Parallele in Sapientia Christiana. Auch Pastor bonus hält sich hinsichtlich des Direktionsrechts zurück und formuliert in Art. 116 § 3 eher allgemein: „Was die katholischen Universitäten anbelangt, nimmt sie die Aufgaben wahr, die dem Heiligen Stuhl zustehen.“ Was gem. c. 816 CIC/1983 sodann unter der obersten Leitung durch den Apost. Stuhl zu verstehen ist, zeigte sich bisher aus der Zusammenschau von c. 816 CIC/1983 und Art. 61 SapChr 61, Art. 46 § 1 OrdSapChr. Die dort erwähnte Beratung der römischen Kurie durch Bischofskonferenz und Ortsordinarius war als Zustimmung (consensus) zu verstehen, der die Kongregation in seiner Entscheidung gebunden hatte. Art. 67 VG verkehrt die Zustimmung zu einer rechtlich unverbindlichen Anhörung (audita sententia). Art. 67 VG steht damit auf normativer Ebene in einer Spannung zu Art. 5 VG, der im Zusammenhang mit der Errichtung oder Approbation kirchlicher Universitäten und Fakultäten, in Übereinstimmung mit c. 816 CIC/1983, lediglich von einer ,Oberaufsicht‘ nach Maßgabe des Rechts spricht. In beiden Fällen wird hier der Begriff moderari verwendet, der in anderen Zusammenhängen des CIC/1983, z. B. in cc. 517 § 1, 526 § 2, auf eine kollegial partizipative Leitung abstellt, nicht aber auf eine exklusivistisch direktivistische.54 Diese begriffliche Umschreibung entspricht auch der kanonistischen Tradition.55 In Art. 67 VG ist eine gewisse Spannung zu der Aussage des Papstes festzustellen, dass die kirchlichen Studien ein „kulturelles Laboratorium“ (VG 3 Abs. 2) seien, in dem der Heilige Geist auf verschiedene Weisen wirkt: „vom sensus fidei fidelium zum Lehramt der Hirten, vom Charisma der Propheten zu dem der Lehrer und Theologen.“56 Sicherlich spricht für eine starke Stellung der römischen Kurie, dass die akademischen Grade gem. Art. 2 § 1 VG „in der Autorität des Hl. Stuhls“ verliehen werden. Ist der kurialen Aufsicht aber nicht schon Genüge getan, indem nur Einrichtungen kanonische akademische Grade verleihen dürfen, die gem. c. 817 CIC vom Apost. Stuhl errichtet worden sind? Art. 2 § 1 VG verschärft demgegenüber das kuriale Aufsichtsrecht zulasten der originären Rechte des Diözesanbischofs, der in seinem Bistum gem. c. 381 § 1, 375 § 1 CIC/ 1983 als Lehrer des Glaubens in dieser Aufgabe erstberufen ist. In diesem Sinne wäre die Zuständigkeit der römischen Kurie als eine subsidiäre i. S. v. Quadragesimo anno 79 zu verstehen, welche die Ortskirchen dabei unterstützt ihre eigenen Problemlösungen zu finden. Auf diesen dienenden und instrumentellen Charakter hatte schon der Hl. Papst Johannes Paul II in der Apost. Konstitution Sacrae disciplinae legis (1983) hingewiesen.57 Papst Franziskus hat diese Dienstfunktion im Lichte der anstehenden Reform der Römischen Kurie mehrfach betont.58 In der Einleitung zum 54
Vgl. Reinhild Ahlers, c. 517, Rdnr. 8, 14, in: MK CIC (Stand: 2008). Vgl. Rudolf Köstler, Um Codex Iuris Canonici, München, Kempten 1927, S. 225 f. 56 Einleitung VG 3 Abs. 2. 57 Vgl. Papst Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Pastor Bonus vom 25. Juni 1988, in: AAS 80 (1988), S. 841 – 930, Art. 7, Abs. 4. 58 Vgl. bezüglich der Gottesdienst- und Sakramentenkongregation: Papst Franziskus, Motu Proprio Magnum Principum vom 3. September 2017, in: AAS 109 (2017), S. 971 – 974. In diesem Sinne auch die zu erwartende neue Apostolische Konstitution über die Ordnung der 55
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Entwurf der Konstitution Praedicate Evangelium wird es in Kontinuität zu Pastor bonus voraussichtlich heißen: „Die Kurie stellt sich nicht zwischen Papst und Bischofskollegium, sondern steht beiden zur Verfügung“.59 Was das genau für das Verhältnis von Universal- und Ortskirche bedeuten wird, bleibt bisher nicht nur mit Blick auf das Hochschulrecht offen. Fest steht allerdings, dass die in Pastor bonus vorgenommene Unterteilung in Kongregationen und Räte aufgehoben wird und es sich nunmehr einheitlich um Dikasterien handelt. Noch nicht sicher ist hingegen, welchen Einfluss das auf die Kompetenzen der jeweiligen Dikasterien haben wird. Dies bedeutet gem. Art. 12 PE-Entwurf für die Kongregationen eine Herabstufung und für die Räte eine Aufwertung der juridischen Kompetenzen, denn dort wird die rechtliche Gleichrangigkeit aller Dikasterien festgestellt.60 Es wird auf die jeweiligen Einzelbestimmungen in der Konstitution und in dem ebenfalls anzupassenden Regolamento Curiae ankommen, was das neue ,Dikasterium für das Katholische Bildungswesen und Kultur‘61 in Zukunft zu entscheiden haben wird. Jedenfalls bedarf insbesondere Art. 67 VG nach der Inkraftsetzung der Kurienreform einer Anpassung oder Änderung. Gleiches gilt selbstverständlich für alle Bestimmungen, die die Kompetenzen der bisherigen Kongregation umschreiben. Dabei spricht nach der hier vertretenen Ansicht nichts dagegen, gerade im Bereich der Lehraufsicht, die gem. c. 381 § 1 CIC/1983 verfassungsrechtlich gesicherte Bedeutung und Verantwortung der Ortsbischöfe für die Einhaltung der lehrrechtlichen Disziplin zu stärken (vgl. cc. 386 § 2, 392 CIC/1983). 4. Genehmigung nichtkanonischer Abschlüsse Gem. Art. 40 OrdVG ist die Zustimmung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen nicht nur für die kanonischen Studiengänge und Abschlüsse einzuholen, sondern auch für alle Studiengänge, die einen nichtkanonischen Abschluss an einer kirchlichen Fakultät zum Ziel haben. Diese Bestimmung ist neu im kirchlichen Hochschulrecht. Man mag sie ggf. noch für Hochschulen und Fakultäten in kirchlicher Trägerschaft gelten lassen, die der weitgehenden oder gar ausschließlichen Aufsicht der römischen Kurie unterfallen. Wie verhält es sich jedoch bei kirchlichen Fakultäten an staatlichen Universitäten? Im Hinblick auf die Lehramtsausbildung Römischen Kurie: Praedicate evangelium, vgl. Richard Gaillardetz, Francis’ draft oft he curial reform fundamentally reimagines Vatican’s role, online unter: https://www.ncronline.org/ news/opinion/francis-draft-curial-reform-fundamentally-reimagines-vaticans-role (eingesehen am 15. 06. 2019). 59 „The Curia does not place itself between the Pope and the College of Bishops, but rather is at the service of both“, vgl. Joshua J. McElwee (Anm. 45). 60 „The Roman Curia is composed of dicasteries and other bodies, all of which are legally equal“ (Article 12), in: Edwin Pentin, Draft of Vatican’s New Curial Constitution Would Reform Lines of Authority (29 May 2019), online unter: http://www.ncregister.com/dailynews/draft-of-vaticans-new-curial-constitution-would-reform-lines-of-authority (eingesehen am 25. 06. 2019). 61 Vgl. ebd. (Anm. 60).
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kommt aufgrund des staatlichen Bildungsmonopols den jeweiligen Landesministerien hier eine exklusive Zuständigkeit zu. Da die Ausbildung der Lehrenden im Fach Katholische Religionslehre ebenso wie das Schulfach eine klassische res mixta ist, müssen die Kompetenzbereiche von Staat und Kirche klar unterschieden werden. Kirchlicherseits wird man im Falle nichtkanonischer Studiengänge an theologischen Fakultäten und Instituten ein Informationsrecht und/oder Genehmigungsrecht der zuständigen kirchlichen Autorität verlangen dürfen. Das richtet sich nach den jeweiligen staatskirchenrechtlichen Bestimmungen. In der Regel ist die zuständige Instanz der betreffende Ortsordinarius. So gilt z. B. für die Johannes Gutenberg-Universität in Mainz die staatskirchenrechtliche Vereinbarung von 1946 (Art. 7), die lautet: „Der theologische Studienplan bedarf der Genehmigung des Bischofs von Mainz.“ Die Etablierung neuer nichtkanonischer Studiengänge an staatlichen Universitäten, ist in Deutschland gem. § 10 Abs. 2 HRG (z. B. § 20 HG-RLP) zudem Sache der Hochschulautonomie.62 Für Mainz bedeutet dies, dass die Fakultät vor der Einrichtung von Studiengängen mit Anteilen der katholischen Theologie, seien sie kanonischer oder nichtkanonischer Art, die Genehmigung des Ortsbischofs einholt. Art. 40 OrdVG über die römische Genehmigung kommt hier wegen Art. 8 VG nicht zur Anwendung. Dem steht auch nicht die Formel von Art. 94 Abs. 2 VG entgegen, da angesichts der besonderen Rechtslage in Deutschland Veritatis gaudium wohl beachtet, aber nicht immer befolgt werden muss. Das Beispiel zeigt, dass für die deutsche Hochschullandschaft das jeweilige Vertragsstaatskirchenrecht zu konsultieren ist, um die tatsächlich geltende Rechtslage herauszufinden. Im Übrigen gilt, aufgrund des Akkreditierungssystems in Deutschland für die nichtkanonischen Studiengänge, dass diese von einer vom Deutschen Akkreditierungsrat anerkannten Akkreditierungsagentur anerkannt werden. Dabei wirkt jeweils ein Vertreter der Kirche zustimmend mit.63
IV. Schlussfolgerungen Manche regulativen Bestimmungen des zweitens Teils der Konstitution erscheinen unspektakulär, andere als vormodern und wieder andere als schwer bis gar nicht vereinbar mit einer lebendigen Wissenschaftskultur des 21. Jahrhunderts. Veritatis gaudium bleibt vor allem mit Blick auf die regulativen und restriktiven Bestimmungen hinter den Möglichkeiten, die der erste Teil der Konstitution eröffnet deutlich zurück. Im Wege von Akkomodationsdekreten wird es sicherlich möglich sein, man62
Sie auch § 11 Abs. 5 Grundordnung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 5. Mai 2014 in der Fassung der sechsten Änderungsordnung vom 03. Januar 2019, online unter: https://organisation.uni-mainz.de/files/2019/01/grundordnung.pdf (eingesehen am 01. 07. 2019). 63 Vgl. Ulrich Rhode, Hochschulen (Anm. 3), S. 1077; Kultusministerkonferenz, Eckpunkte für die Studienstruktur in Studiengängen mit Katholischer oder Evangelischer Theologie/Religion v. 13. 02. 2007, Nr. 8, online unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/ve roeffentlichungen_beschluesse/2007/2007_12_13-Eckpunkte-Studienstruktur-Theologie.pdf (eingesehen am 01. 07. 2019).
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che dieser Überregulierungen aufzufangen und zu mildern. Das ist dann für die Fakultäten und Institute von Vorteil, die in ein entsprechendes staatskirchenrechtliches System eingebettet sind. Veritatis gaudium verfolgt jedoch einen weltweiten Geltungsanspruch. Was bleibt also jenen Institutionen, für die Veritatis gaudium unmittelbar und ohne staatskirchenrechtliche Einhegung gilt? Welchen Rang nimmt dort die Theologie im Diskurs der Wissenschaften noch ein? Im Hinblick auf die Diskursfähigkeit der Theologie, hat sich die Kirche unter dieser Rücksicht keinen besonderen Gefallen getan. Die Absonderung der Theologie von den staatlichen Fakultäten und die Präferenz der vollständig von der Kirche kontrollierten Universität, stehen unter Ideologieverdacht. Unter dieser Rücksicht weist Veritatis gaudium tatsächlich nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Durch derartige Beschränkungen der Freiheit im Rahmen gerichtlich kaum überprüfbarer Eingriffe durch die zuständige Kongregation (z. B. gem. Art. 67 VG über die Veränderung oder gar Aufhebung kirchlicher Universitäten und Fakultäten), setzt sich der kirchliche Gesetzgeber dem Verdacht aus, die Freiheit der Theologie und der kirchlichen Wissenschaften nicht wirklich zu fördern, sondern vielmehr in seinem Sinne und oft auch noch nach Gutdünken steuern zu wollen. Dieser gravierende Widerspruch zwischen der Einleitung von Papst Franziskus und dem normativen Teil erscheint unüberbrückbar und bedarf aus hochschulrechtlicher Sicht dringend der Überarbeitung. Dabei muss sich der Gesetzgeber entscheiden, was wichtiger ist, eine paternalistische Kontrolle über die kirchlichen Wissenschaften, insbesondere der Theologie, oder deren freie Entfaltung und Wirkung in die säkularen Gesellschaften hinein, im Vertrauen auf Gottes Beistand und Hilfe, damit insbesondere die Theologie im Sinne des Papstes „kerygmatische Theologie“ sein und werden kann.64 Dieser positive Ansatz findet sich bereits im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium von 2013.65 Dort weist Papst Franziskus den kirchlichen Universitäten und Fakultäten eine wichtige Funktion in der Glaubensverkündigung zu (EG 134). Freilich erscheint es in EG 133 und auch in der Literatur zu plakativ und völlig unterkomplex, den kerygmatischen Aspekt der Theologie gegen eine bisweilen sog. „Schreibtisch-Theologie“ auszuspielen.66 Diese existiert allein schon deshalb nicht, weil Theologie, als die Rede von Gott, immer die existentiellen Grunderfahrungen der Menschen im Lichte des Glaubens und der Gottesbegegnung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu ergründen bemüht ist. Wie wird nun Veritatis gaudium in der Rechtswirklichkeit wirken? Letztlich entscheidet sich viel an der tatsächlichen Vollmacht der Kontrolle des neuen Dikasteriums für Bildung und Kultur, als Nachfolgerin der Bildungskongregation. Dafür wird der finale Text von Praedicate evangelium entscheidend werden. Bleibt es bei der 64 Vgl. Ansprache von Papst Franziskus bei der Tagung: „Die Theologie nach Veritatis gaudium im Kontext des Mittelmeerraumes“ am 21. 06. 2019. Hinweis: http://kath.net/news/ 68321. 65 Papst Franziskus, Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium vom 24. November 2013, in: AAS 105 (2013), S. 1019 – 1137 (= VApSt194). 66 Vgl. Ambros, Sendung (Anm. 3), S. 47.
Das neue kirchliche Hochschulrecht
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bisher bekannt gewordenen Reduktion der Vollmachten der einzelnen Dikasterien zugunsten einer Verschiebung der Kompetenzen zum Staatsekretariat, mit dann drei Abteilungen,67 bei gleichzeitiger Stärkung der Kompetenzen der Ortskirchen, könnten sich die invasiv kontrollierenden Vollmachten der Kongregation insbesondere in den Artt. 18, 67, 89, Art. 41 OrdVG als überholt erweisen. Da aber die Kurienreform (Stand: Frühsommer 2019) noch nicht ihr finales Stadium erreicht hat, bleibt es bei Vermutungen in diesem Bereich. Allerdings stellt sich unter dieser Rücksicht die gesetzgebungsstrategische Frage, warum das neue universalkirchliche Hochschulrecht vor der Kurienreform in Kraft gesetzt wurde, wenn doch schon absehbar war, dass sich in der römischen Kurie deutliche Veränderungen hinsichtlich der Strukturen und Kompetenzen ergeben werden. Zu guter Letzt bleibt festzuhalten, dass aufgrund des in Deutschland geltenden Staatskirchenrechts eine Reihe von Normen aus Veritatis gaudium und seinen zugehörigen Ordinationes zumindest bis zum Erlass eines Akkomodationsdekrets schwebend unwirksam bleiben. Sollte des Dekret nicht alle staatskirchenrechtlich relevanten Fragen berücksichtigen, bleibt der Vorrang des Vertragsstaatskirchenrechts vor Veritatis gaudium gem. Art. 8 VG gewahrt. Insofern können die kirchlichen Institute und Fakultäten zumindest an den staatlichen Universitäten gelassen in die Zukunft blicken.
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So etwa die Aussagen bei: Edwin Pentin (Anm. 60); Joshua Mc.Elwee (Anm. 45).
VI. Kirchliches Vermögens-, Sanktionsund Verfahrensrecht
„Das kann man ihm doch (nicht) durchgehen lassen“ Aspekte eines Disziplinarrechts für Kleriker Von Rüdiger Althaus Geärgert hat man sich nicht zum ersten Mal über den Pfarrer, dass er so dickfellig ist, aber eine Straftat hat er nicht begangen. Dennoch: Dem Ansehen – besser: der Sendung der Kirche – war sein Verhalten sicher nicht zuträglich, hat zu Verstimmungen geführt, möglicherweise mit der Langzeitwirkung einer schleichenden Distanzierung von der Kirche, an deren Ende vielleicht sogar ein Kirchenaustritt steht. Wie aber soll der Bischof mit einem solchen Verhalten eines Priesters umgehen? Das Strafrecht hilft oft nicht weiter, denn dann müsste ein Straftatbestand, der in den cc. 1364 – 1398 CIC/1983 oder im Partikularrecht enthalten ist, erfüllt sein, denn an sich gilt nulla poena sine lege, weshalb von der generalklauselartigen Strafnorm des c. 1399 CIC/1983 für andere besonders schwerwiegende Fälle eigentlich kein Gebrauch gemacht werden dürfte.1 Zu denken ist nicht nur allgemein an die Verletzungen von Dienstpflichten, sondern auch an Handlungen knapp unterhalb der Strafbarkeit, z. B. wenn ein Kleriker einen gerade Volljährigen sexuell bedrängt, (kirchen-)rechtlich kundig aber die Zeit bis dahin zu „vertrauensbildenden Maßnahmen“ genutzt hat.2 Soll nun der Bischof Fehlverhalten seiner Kleriker unter dem Mäntelchen der Pastoral einfach durchgehen lassen, also letztlich diese Vorkommnisse, seine Kleriker sowie die betroffenen Gläubigen nicht ernst nehmen? Dies stünde in Spannung zu seiner eigenen Pflicht, darauf zu achten, dass sich kein Missbrauch in das kirchliche Leben einschleicht, ja er auf das Einhalten der Ordnung der Kirche und das Befolgen der kirchlichen Gesetze zu drängen hat (c. 392 CIC/1983). Aber wie soll er – materiell und verfahrenstechnisch – rechtssicher und transparent vorgehen? Das kirchliche Strafrecht, mit dem sich unser Jubilar vor nunmehr fast 30 Jahren befasst hat3,
1 Zur Problematik dieses Canons vgl. u. a. die Kommentierung von Klaus Lüdicke, c. 1399, in: MK CIC (Stand: November 1993). – Bei den nachfolgend angeführten Canones wird auf Literaturangaben verzichtet; stattdessen sei auf dieses Kommentarwerk samt Literaturverzeichnissen verwiesen. 2 Gemäß Art. 6 § 1, 18 der Normae de gravioribus delictis in der Fassung vom 21. Mai 2010, in: AAS 102 (2010), S. 419 – 430, liegt die strafrechtlich relevante Altersgrenze bei der Vollendung des 18. Lebensjahres; auch c. 1395 CIC/1983 greift hier nicht unbedingt. 3 Vgl. Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (= KStT 41), Berlin 1993.
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genügt nicht. Bedarf es also eines Disziplinarrechts auch für Kleriker?4 Oder trägt dies nur zu einer (weiteren) Verrechtlichung der Kirche bei? Vorliegender Beitrag möchte für eine Diskussion um ein solches Disziplinarrecht einige Punkte ansprechen. Ein erster Abschnitt blickt kurz auf den weltlichen Rechtsbereich, um anschließend auf das Erfordernis eines Disziplinarrechts für Kleriker zu schauen. Ferner sollen Ansätze im CIC/1983 aufgegriffen werden, um dann mögliche Disziplinarmaßnahmen sowie verfahrensrechtliche Aspekte zu thematisieren.
I. Ein kurzer Blick in das weltliche Recht Dem weltlichen Recht ist ein Disziplinarrecht seit langem bekannt.5 Es gehört zum Dienstrecht und betrifft vor allem Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, insbesondere Beamte (z. B. Polizisten, Richter), aber auch Soldaten, Zivildienstleistende sowie Strafgefangene. Aus alter Zeit, da noch dem staatlichen Konsistorium für kirchliche Angelegenheiten unterstehend, rührt ein solches Disziplinarrecht in den evangelischen Landeskirchen her.6 Aber auch katholische Diözesen verfügen in Anbetracht der dem staatlichen Beamtenrecht nachgebildeten Dienstverhältnisse über Disziplinarordnungen für Kirchenbeamte.7 Man unterscheidet zwischen dem materiellen und dem formellen Disziplinarrecht: Während ersteres insbesondere die Dienstpflichten für die entsprechende
4 In der kanonistischen Literatur wird diese Thematik nur selten behandelt. Genannt seien: Paolo Bianci, Diritto disciplinare e amministrazione della giustizia canonica, in: Quaderni di diritto ecclesiale 31 (2018), S. 279 – 319; G. Paolo Montini, Il diritto disciplinare canonico, in: ebd., S. 264 – 278; Peter Platen, Der Diözesanbischof und das Disziplinar- und Strafrecht, in: Sabine Demel/Klaus Lüdicke (Hrsg.), Zwischen Vollmacht und Ohnmacht. Die Hirtengewalt des Diözesanbischofs und ihre Grenzen, Freiburg i. Br. 2015, S. 229 – 255; Hugo Schwendenwein, Probleme um die disziplinäre Verantwortung im kirchlichen Dienst. Zur Frage der Unterscheidung von Straf- und Disziplinarrecht, in: Anna Egler (Hrsg.), Dienst an Glaube und Recht. FS Georg May, Berlin 2006, S. 611 – 634. 5 Vgl. zur Erstinformation Carl Creifelds/Klaus Weber (Hrsg.), Rechtswörterbuch, München 222017, S. 139 – 140; Janique Brüning, Das Verhältnis des Strafrechts zum Disziplinarrecht unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grenzen staatlichen Strafens, Baden-Baden 2017. 6 Vgl. Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 28. Oktober 2009 (in: ABl. EKD 2009, S. 316 ff.), zuletzt geändert am 30. Mai 2016 (in: ABl. EKD 2016, S. 146); Evangelische Kirche im Rheinland, Ausführungsgesetz zum Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 14. Januar 2011 (in: KABl. 2011, S. 184 ff.), geändert am 16. Januar 2015 (in: KABl. 2015, S. 71). 7 Vgl. z. B. Disziplinarordnung für die kirchlichen Beamten im Bistum Hildesheim vom 15. September 2015, in: Kirchl. Anz. Hildesheim 2015, S. 184 – 190; Disziplinarordnung für Kirchenbeamte des Bistums Rottenburg-Stuttgart vom 28. März 1988, in: KABl. RottenburgStuttgart 40 (1988/89), S. 105 – 121.
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Berufsgruppe z. B. im Beamtengesetz des Bundes8 und der Länder9 sowie im Soldatengesetz10 benennt, listet letzteres v. a. im Bundesdisziplinargesetz11 die möglichen Disziplinarmaßnahmen auf und regelt differenziert die Zuständigkeiten und Befugnisse der Stellen für das Vorgehen bei dem Verdacht auf ein „schuldhaftes“, d. h. zurechenbares Verstoßen gegen eine Dienstpflicht.12 Wie bereits der Name zu erkennen gibt, soll das Disziplinarrecht die Disziplin, d. h. die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit des öffentlichen Dienstes und damit letztlich der staatlichen Autorität sichern, die durch ein Fehlverhalten der in seinem Namen, d. h. hoheitlich Tätigen untergraben wird oder werden könnte. Daher stellt das Disziplinarrecht z. B. den Beamten ihre Dienstpflichten (und auch die Integrität ihrer persönlichen Lebensführung) vor Augen und verleiht mit möglichen Disziplinarmaßnahmen deren Erfüllen Nachdruck; ist dieses Ziel erreicht, bedarf es solcher nicht mehr. Das Disziplinarrecht steht zwar in einer gewissen Nähe zum Strafrecht, doch soll dieses vorrangig (repressiv) begangenes Unrecht sühnen – hier spielt der Aspekt der Vergeltung (der Bestrafung) eine wichtige Rolle – und (präventiv) durch das Androhen von Sanktionen weiteres Fehlverhalten verhindern.13 Zudem betrifft das Disziplinarrecht nur den Dienststatus, das Strafrecht oft den Rechtsstatus des Beschuldigten allgemein. Um den öffentlichen Dienst zu sichern, haben Dienstvorgesetze die Pflicht, bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für ein Vergehen ein Disziplinarverfahren einzuleiten; ein solches kann auch der Dienstnehmer selber beantragen, um sich von einem solchen Verdacht zu entlasten.14 Bei Begehen einer Straftat kann zum strafrechtlichen Verfahren noch eine disziplinarrechtliche Maßnahme hinzutreten. Weil Straf- und Disziplinarrecht unterschiedliche Intentionen verfolgen, steht dies auch nicht im Widerspruch zum Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG).
8 Vgl. Bundesbeamtengesetz vom 5. Februar 2009 (in: BGBl. I, S. 160 ff.), zuletzt geändert am 29. November 2018 (in: BGBl. I, S. 2232), v. a. der Katalog „Allgemeine Pflichten und Rechte“ (§§ 60 – 86). 9 Beispielsweise für Nordrhein-Westfalen: Landesbeamtengesetz vom 14. Juni 2016 (GV/ NW, S. 310, 642), zuletzt geändert am 17. Mai 2018 (GV/NW, S. 244). 10 Vgl. Soldatengesetz vom 19. März 1956 in der Fassung vom 30. Mai 2005 (BGBl. I, S. 1482 ff.), zuletzt geändert am 11. Dezember 2018 (BGBl. I, S. 2387), hier v. a. „Pflichten und Rechte der Soldaten“ (§§ 6 – 36). 11 Vgl. Bundesdisziplinargesetz vom 9. Juli 2001 (in: BGBl. I, S. 1510 ff.), zuletzt geändert am 19. Oktober 2016 (in: BGBl. I, S. 2362). 12 Die möglichen Disziplinarmaßnahmen unterscheiden sich hinsichtlich der Berufsgruppe, ferner ob sich der Betreffende im aktiven Dienst (als schärfste Maßnahme gilt die Entlassung aus dem Dienstverhältnis) oder im Ruhestand befindet. 13 Auf die Diskussion über Strafzwecke kann hier nicht eingegangen werden; vgl. hierzu Tatjana Hörnle, Straftheorien, Tübingen 22017. 14 Vgl. z. B. § 17 Bundesdisziplinargesetz (Anm. 11).
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II. Bedarf es eines Disziplinarrechts für Kleriker? Diese Frage mag ganz kurz beantwortet werden: Die Kirche setzt ein solches voraus. Zwar fällt ein erster Blick in den Index analytico-alphabeticus des CIC/198315 sowie in das Sachverzeichnis der offiziösen lateinisch-deutschen Ausgabe16 negativ aus; auch findet sich kein Disziplinarrecht konsequent aufbereitet. Gleichwohl verweist der kirchliche Gesetzgeber im Kontext der Predigt- (c. 764 CIC/1983), Lehr(c. 810 § 1 CIC/1983) und Beichtbefugnis (c. 974 CIC/1983) sowie einer Versetzung (translatio) gegen den Willen des Amtsinhabers (c. 190 § 2 CIC/1983) und einer Amtsenthebung (amotio) ob causas graves (c. 193 § 1 CIC/1983) auf eine Verfahrensordnung, ohne diese zu konkretisieren. Dies geschieht nur für die Versetzung (cc. 1748 – 1752 CIC/1983) und Absetzung von Pfarrern (cc. 1740 – 1747 CIC/ 1983).17 Für letztere benennt der kodikarische Gesetzgeber gar konkrete Tatbestände (c. 1741 CIC/1983)18, die gesetzessystematisch wie inhaltlich von den strafrechtlichen Bestimmungen (cc. 1364 – 1399 CIC/1983) zu unterscheiden und nicht alle (v. a. Ziff. 28 und 38) dem Pfarrer anzulasten sind: 1. für die kirchliche Gemeinschaft schwer schädliche oder Verwirrung stiftende Verhaltensweisen; 2. Unerfahrenheit oder dauernde geistige oder körperliche Schwäche, die zur nützlichen Wahrnehmung der Dienstpflichten unfähig macht; 3. Verlust des guten Rufes bei rechtschaffenen und angesehenen Pfarrangehörigen oder nicht zeitnah zu behebende Abneigung gegen den Pfarrer; 4. schwere, trotz Verwarnung andauernde Vernachlässigung oder Verletzung der Amtspflichten; 5. schlechte Vermögensverwaltung, verbunden mit einem schweren Schaden für die Kirche, sofern diesem Missstand nicht auf andere Weise abgeholfen werden kann. 15 Vgl. Pontificium Consilium de Legum Textibus interpretandis (Hrsg.), Codex Iuris Canonici auctoritate Ioannis Pauli PP. II promulgatus, fontium annotatione et indice analyticoalphabetico auctus, Rom 1990, S. 568. Hier geht es unter dem Stichwort „disciplina“ um die Ordnung der Kirche bzw. der Gerichte. – Auch der CIC/1917 enthielt kein ausgeprägtes Disziplinarrecht. 16 Deutsche Bischofskonferenz (u. a.) (Hrsg.), Codex des kanonischen Rechts. Lateinischdeutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis, Kevelaer 92018, S. 864. Auch hier betreffen die Stichworte „Disziplin, kirchliche“, „Disziplin, klösterliche“, „Disziplin, wissenschaftliche“ und „Disziplinargesetze“ nur die kirchliche Ordnung bzw. die theologischen Fächer. 17 Vgl. hierzu Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern: Eine Untersuchung des geltenden Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung der Zweiten Sektion des Höchsten Gerichts der Apostolischen Signatur (= Adnotationes in ius canonicum 16), Frankfurt a. M. (u. a.) 1999; G. Paolo Montini, La rimozione del parroco tra legislazione, prassi e giurisprudenza, in: Quaderni di diritto ecclesiale 24 (2011), S. 109 – 125. 18 Für eine Versetzung nimmt c. 1748 CIC/1983 Umstände in den Blick, die allesamt nicht negativ in der Person des Pfarrers oder einem (Fehl-)Verhalten begründet liegen: Heil der Seelen, Erfordernis, Nutzen der Kirche.
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Wenn der Gesetzgeber zudem von einer Strafe vorbeugenden Maßnahmen und von Bußen spricht (cc. 1339 – 1340 CIC/1983), handelt es sich um disziplinarische Maßnahmen. Und wenn er in mehreren Katalogen die Dienstpflichten von Amtsträgern detailliert benennt (für Kleriker: cc. 273 – 289 CIC/1983; für Bischöfe: cc. 383 – 401 CIC/1983; für Pfarrer: cc. 528 – 535 CIC/1983), impliziert dies das Erfordernis eines Vorgehens im Falle einer Nichtbeachtung. Ansonsten läuft er Gefahr, letztlich unverbindliche Paränese zu bieten. Trotz dieser positiv-rechtlichen Streiflichter bleibt die einem Disziplinarrecht vorausgehende Frage, wem und wozu eine solche Ordnung dienen kann. Diesbezüglich seien vier Punkte angesprochen: 1. Der Kirche ist das Glaubensgut (depositum fidei) anvertraut; sie hat das Evangelium allen Völkern fideliter zu verkünden (c. 747 § 1 CIC/1983). Dies verlangt nicht nur eine inhaltliche Treue zu Schrift und Tradition, sondern auch ein glaubwürdiges Auftreten ihrer Glieder und insbesondere derer, die durch das Weihesakrament beauftragt sind, dem Volk Gottes unter einem neuen und besonderen Titel zu dienen (c. 1008 CIC/1983) und in der Person Jesu Christi, des Hauptes der Kirche, zu handeln (c. 1009 § 3 CIC/1983). 2. Alle Gläubigen sind verpflichtet, in ihrem Verhalten immer die Gemeinschaft der Kirche zu wahren (c. 209 § 1 CIC/1983), vornehmlich durch Beachtung der katholischen Glaubenslehre und der kirchlichen Rechtsvorschriften (c. 212 § 1 CIC/1983). So haben sie auch Anspruch, dass ihre Hirten die Einheit der Kirche in Lehre und Leben schützen, weshalb dem Verdacht einer schwerwiegenden Verletzung einer Dienstpflicht nachgegangen und eine erwiesene Pflichtverletzung geahndet werden muss, sei es von Amts wegen oder auf Beschwerde der Gläubigen. 3. Ein Disziplinarrecht kann und darf sicher nicht die Funktion erfüllen, Kleriker minutiös zu überwachen oder einem Anschwärzen durch Gläubige Tür und Tor zu öffnen, denn es mag solche geben, die „päpstlicher sind als der Papst“. Seelsorge und auch die Feier der Liturgie können nicht positivistische Applikation von Rechtsvorschriften sein, sondern müssen die Gläubigen ernst nehmen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen, um die andere eventuell nicht wissen (vielleicht auch wegen des Schutzes der Privatsphäre [c. 220 CIC/1983] nicht wissen sollten) oder die sie in ihrer Tragweite nicht nachvollziehen können. Ständiges Beschweren und Reglementieren wegen Nebensächlichkeiten ruft die Gefahr hervor, dass Kleriker demotiviert werden und ihren Dienst nur „nach Vorschrift“ tun, was vermeintlich den Rechtsvorschriften, nicht aber der Sorge um die salus animarum gut tut. Zudem eröffnet der Katalog der Aufgaben eines Pfarrers (cc. 528, 529 CIC/1983) ein so umfangreiches Tätigkeitsfeld, das er spätestens in den heutigen Zirkumskriptionen nicht allein erfüllen kann, aus dem er vielmehr auswählen und Bereiche Mitverantwortlichen (Klerikern, Laien) übertragen muss (c. 519 CIC/1983); er benötigt also eine entsprechende Organisationsfreiheit.
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4. Auch bisher gehen Ortsordinarien möglichen Dienstvergehen ihrer Kleriker nach – mehr oder weniger. In welchen Fällen sie tätig werden und in welchen nicht, wie sie dann vorgehen und welche disziplinarischen Maßnahmen sie ergreifen, divergiert mitunter stark, denn es liegt in ihrem – freien, besser: pflichtgemäßen – Ermessen. Dies soll nicht verkennen, dass mitunter ein Ortsordinarius vor einer schweren Entscheidung steht; ein Kleriker mag sich ungerecht behandelt sehen. „Pastorale“ Lösungen können dabei in Spannung treten zu Objektivität und Rechtssicherheit. Daher bedarf es hinsichtlich des Tätigwerdens, der Verfahrensweise sowie der aufzuerlegenden Disziplinarmaßnahmen einer normativen Standardisierung.
III. Mögliche Tatbestände Der Diözesanbischof muss für ein Disziplinarvergehen relevante Tatbestände nicht erst „erfinden“. Vielmehr kann dem CIC/1983 ein breites Spektrum entnommen werden, sowohl was die Ausübung des Dienstes als auch die persönliche Lebensführung betrifft. Eine diözesane Disziplinarordnung könnte auf die einzelnen Canones verweisen, will man sie nicht unmittelbar benennen, doch könnte eine Unvollständigkeit dazu führen, unerwähnte Obliegenheiten als disziplinarrechtlich irrelevant oder schon bewusstseinsmäßig als unbedeutend einzustufen. Zumindest muss deutlich werden, dass von den Klerikern ein Befolgen des universalen und partikularen Kirchenrechts erwartet wird.19 Um dabei den Eindruck einer positivistischen Oktroyierung von Lasten zu vermeiden, empfiehlt sich, in einer Präambel oder in einem Begleittext den Zweck einer solchen Disziplinarordnung kurz zu skizzieren: dass das Nichtbeachten von Dienstpflichten das für das wirksame Erfüllen der Sendung der Kirche erforderliche Vertrauen schädigen und die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung infrage stellen kann. 1. Der Kleriker als Mitarbeiter des Bischofs20 Ein Kleriker steht aufgrund seiner Inkardination in einem besonderen Dienstverhältnis zu seinem Bischof (c. 266 § 1 CIC/1983)21 und ist seinem Ordinarius (und dem Papst) zum Gehorsam verpflichtet (c. 273 CIC/1983). Dies bezeichnet keinen 19 In Anbetracht der Fülle können nachfolgend Tatbestände aus unterschiedlichen Bereichen nur exemplarisch angesprochen werden; die Delicta graviora (vgl. die diesbezüglichen Normae [Anm. 2]) sowie das materielle Strafrecht (cc. 1364 – 1399 CIC/1983) bleiben unerwähnt. 20 Nachfolgend sei der Fokus auf Weltkleriker gerichtet, auf andere Inkardinationsverhältnisse gemäß c. 266 §§ 2 und 3 CIC/1983 nicht weiter eingegangen. 21 Zudem gilt ein Priester als Mitarbeiter des Bischofs (c. 384 CIC/1983); ein Pfarrer untersteht expressis verbis der Autorität des Diözesanbischofs (cc. 515 § 1, 519 CIC/1983).
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Kadavergehorsam; vielmehr gilt auch für Kleriker (wie für alle Gläubigen), dass sie das, „was die geistlichen Hirten […] als Lehrer des Glaubens erklären oder auch als Leiter der Kirche festlegen, […] im Bewusstsein ihrer eigenen Verantwortung, in christlichem Gehorsam zu befolgen“ haben (c. 212 § 1 CIC/1983). Das „Bewusstsein der eigenen Verantwortung“ bedeutet jedoch gerade für Kleriker kein freies Ermessen, sondern setzt ein Bemühen voraus, Anordnungen der Autorität formal und inhaltlich zu rezipieren. Sehen sie sich dazu nicht in der Lage, haben sie dies dem Ortsordinarius mitzuteilen (vgl. c. 212 § 3 CIC/1983). Dazu im Widerspruch stehen öffentliche Stellungnahmen, aber auch das Nichtverlesen von Hirtenbriefen des eigenen Diözesanbischofs oder die Weigerung, rechtmäßig erlassene Anordnungen zu beachten bzw. umzusetzen.22 Als Mitarbeiter des Bischofs haben Kleriker eine von ihm übertragene Aufgabe nicht nur zu übernehmen, sondern auch gewissenhaft zu erfüllen, sofern nicht ein rechtmäßiger Hinderungsgrund sie entschuldigt (c. 274 § 2 CIC/1983).23 Sie sind zum Gebet der Kirche und für die Kirche verpflichtet (Stundengebet: c. 276 § 2, 38 CIC/1983)24, zur vollkommenen und immerwährenden Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen sowie zu einem geziemenden Umgang mit anderen Personen (c. 277 CIC/1983)25, zur Teilnahme an diözesanrechtlich vorgeschriebenen Fortbildungen und Exerzitien (c. 279 CIC/1983), zu einem einfachen Lebensstil (c. 282 § 1 CIC/1983), zum Aufenthalt in der eigenen Diözese (c. 283 CIC/1983), zum Tragen klerikaler Kleidung; verboten sind die Übernahme weltlicher Jurisdiktion (c. 285 § 3 CIC/1983), von Bürgschaften, von weltlicher Vermögensverwaltung (c. 285 § 4 CIC/1983) sowie das Betreiben von Gewerbe und Handel (c. 286 CIC/1983). Ein Vernachlässigen oder Nichtbeachten dieser Pflichten ist geeignet, bei Gläubigen Verwunderung oder gar Ärgernis zu erwecken.
22 Sollte der Kleriker mit einer ihn betreffenden Anordnung seines Ordinarius nicht einverstanden sein, steht ihm das Rechtsmittel der Beschwerde (sog. hierarchischer Rekurs) offen (cc.1732 – 1739 CIC/1983), um diese überprüfen zu lassen. 23 Das Erfüllen dieser Pflicht steht gar an erster Stelle der Mittel zur Heiligung des Lebens (c. 276 § 2, 18 CIC/1983). 24 Vgl. hierzu Anm. 37. 25 Eine Konkretisierung könnte das diözesane Disziplinarrecht – wie der gesamtkirchliche Gesetzgeber nahelegt – im Blick auf den Umgang mit Personen vornehmen, mit denen umzugehen die Pflicht zur Bewahrung der Enthaltsamkeit in Gefahr bringen oder bei Gläubigen Anstoß erregen könnte; eine solche Regelung zeigt nicht nur prophylaktisch Grenzen auf (wobei sicher auch kulturelle Gepflogenheiten zu beachten sind), sondern lässt auch eine eventuelle Grenzüberschreitung bewertbar werden (c. 277 §§ 2 und 3 CIC/1983). Sog. Präventionsordnungen (gegen sexualisierte Gewalt) enthalten Verhaltenscodices zum Umgang mit Personen im Blick auf das Verhältnis von Nähe und Distanz. Sie bringen klar zum Ausdruck, dass ein bestimmtes Verhalten nicht dem entspricht, was die Autorität und auch Gläubige von einem Amtsträger erwarten. Dabei geht es sicher nicht allein um den Schutz der Zölibatspflicht, sondern um die Intimsphäre, d. h. die körperliche Integrität anderer Personen.
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2. Seelsorge, Gottesdienst und Sakramente Einem Pfarrer ist unter der Autorität des Diözesanbischofs die Hirtensorge für eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen anvertraut (c. 515 § 1 CIC/1983); die übrigen in der Pfarrei tätigen Priester, Diakone und Laien unterstehen der Weisungsbefugnis des Pfarrers, den sie mit ihrem Dienst unterstützen (c. 519 CIC/1983). Eine grundlegende Voraussetzung für die Erfüllung dieser Pflicht stellt die Residenzpflicht dar (c. 533 CIC/1983, für pfarrliche Kapläne c. 550 CIC/1983). Ein Überschreiten der in den diözesanen Ordnungen vorgesehenen Abwesenheits- und Urlaubszeiten lässt sich (trotz der heute aufgrund moderner Kommunikationssysteme fast weltweit möglichen Erreichbarkeit) damit nicht vereinbaren; es bedarf des Seelsorgers vor Ort. Damit die Gläubigen ihre Pflicht (besser), durch ein Leben gemäß dem Evangelium zum Wachstum der Kirche und zu deren Heiligung beizutragen (c. 210 CIC/ 1983), erfüllen können, haben sie ein Recht auf geistliche Hilfen, d. h. auf die Sakramente und das Wort Gottes (c. 213 CIC/1983). Für den Pfarrer bedeutet dies, dass er als pastor proprius seinen Pfarrangehörigen eine gottesdienstliche Handlung nicht verweigern – mitunter dienen pastorale Umstrukturierungen als Deckmantel – oder ihnen auftragen darf, sich doch selber um einen Seelsorger zu bemühen.26 Ferner haben die Gläubigen einen Anspruch auf eine Feier des Gottesdienstes gemäß dem von der zuständigen Autorität gebilligten Ritus (c. 214 CIC/1983).27 Da die liturgischen Handlungen Feier der Kirche, des Sakramentes der Einheit, sind (c. 837 § 1 CIC/1983), muss ihr Kern in allen Ländern und Sprachen gleichgestaltet und nachvollziehbar sein. Daher hat die Feier der Sakramente nach den approbierten Büchern zu erfolgen: Niemand darf eigenmächtig etwas hinzufügen, weglassen oder verändern (c. 846 § 1 CIC/198328), doch kann und soll von den in diesen vorgesehenen Auswahlmöglichkeiten Gebrauch gemacht werden.29 So scheiden ein Überlassen von dem Priester vorbehaltenen Gebeten bei der Eucharistiefeier an Diakone und Laien (c. 907 CIC/1983) sowie der Homilie an Laien (c. 767 § 1 CIC/1983) aus. Aber auch eine mangelhafte oder gar unterbleibende Vorbereitung auf Taufe (c. 851 CIC/1983), Firmung (c. 890 CIC/1983), Eucharistie (cc. 913, 914 CIC/ 1983) und Ehe (geistlich c. 1063, 28 und 38 CIC/1983, administrativ cc. 1066, 1067 CIC/1983), ein Ausfragen bei der Spendung des Bußsakramentes (c. 979 CIC/1983), ein verbales Nötigen im Kontext eines seelsorglichen Gespräches oder 26 Der Pfarrer hat das Recht (und die Pflicht) zur Spendung der Sakramente (Taufe, Notfirmung, Krankensalbung, Wegzehrung, Eheschließung: c. 530 ,18 – 48 CIC/1983) und der Sakramentalien (kirchliches Begräbnis – einschließlich Requiem – und Segnungen: c. 530, 58 und 68 CIC/1983). 27 Die Zuständigkeit regelt differenziert c. 838 CIC/1983. 28 Zur Eucharistiefeier eigens c. 928 CIC/1983, ähnlich zu Segnungen c. 1167 § 2 CIC/ 1983, zum Begräbnis c. 1176 § 2 CIC/1983. 29 An dieser Stelle sei nur hingewiesen auf das Problem, dass die offiziellen Ritualien dem mitunter stark divergierenden Kreis von Mitfeiernden und deren sehr unterschiedlichen Lebenssituationen nicht immer hinreichend gerecht werden.
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das Aufdrängen der eigenen Meinung (allgemein zum Schutz der Intimsphäre: c. 220 CIC/1983) stehen in Spannung zu den Dienstpflichten. Erinnert sei an weitere Amtspflichten des Pfarrers wie die unverfälschte Verkündigung des Wortes Gottes, die Homilie an Sonn- und gebotenen Feiertagen (c. 528 § 1 CIC/1983), die Sorge um die verschiedenen Gruppen von Gläubigen (Kinder, Jugend, Familien, Notleidende, Kranke usw.) (cc. 528 § 1, 529 § 1 CIC/1983), der persönliche Kontakt mit den Gläubigen (c. 529 § 1 CIC/1983), die Feier der Eucharistie an Sonn- und gebotenen Feiertagen (c. 530, 78 CIC/1983), die Applikation der hl. Messe für das anvertraute Volk (c. 534 CIC/1983), ein regelmäßiges Angebot zum Empfang des Bußsakramentes (c. 986 § 1 CIC/1983) sowie die ordnungsgemäße Führung und das sichere Aufbewahren der kirchlichen Bücher (cc. 535 CIC/1983, 1283, 28 und 38, 1284 § 2, 78 und 98 CIC/1983). 3. Verwaltung der zeitlichen Güter Zwar regelt der CIC/1983 die Verwaltung der zeitlichen Güter der Kirche nur rahmenrechtlich, doch enthalten diözesanrechtliche Vorschriften (z. B. Vermögensverwaltungsgesetz, Messstipendien- und Stolgebühren- sowie Spenden- und Kollektenordnungen) vielfache Konkretisierungen. Haben Gläubige (auf welche Weise auch immer) materielle Güter der Kirche zugewendet und wurden diese rechtswirksam angenommen, müssen die Geber schon aus Gründen der natürlichen Gerechtigkeit darauf vertrauen können, dass der Empfänger diese der von ihm repräsentierten Rechtsperson zuführt und nicht für private Zwecke verbraucht (c. 1267 § 1 CIC/1983). Dies bedeutet eine zweckgebundene Verwendung der Mittel allgemein im Horizont der Sendung der Kirche (c. 1254 § 2 CIC/1983), konkretisiert in der Zielsetzung der juristischen Person, möglicherweise auch in einer vorgegebenen Zweckbestimmung (cc. 1267 § 3, 1300 CIC/1983). Dem widerspricht eine widmungsfremde Verwendung solcher Zuwendungen. Auch hat die Verwaltung der zeitlichen Güter gemäß den Rechtsvorschriften zu erfolgen (detailliert z. B. in c. 1284 CIC/1983). Zudem hat ein Pfarrer vom Ortsordinarius verpflichtend vorgeschriebene Kollekten anzukündigen und (ungekürzt) abzuführen (c. 1266 CIC/1983), die Vorschriften hinsichtlich Stolgebühren und Messstipendien zu beachten (cc. 1181, 1264, 28 CIC/ 1983, zu Messstipendien cc. 945 – 958 CIC/1983), wozu z. B. das Fordern höherer Beträge im Widerspruch steht. 4. Verhalten gegenüber Christgläubigen und Mitarbeitenden Alle Gläubigen besitzen aufgrund der ihnen gemeinsamen Taufe „eine wahre Gleichheit in Würde und Tätigkeit, kraft derer alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken“ (c. 208 CIC/1983). Daher haben die Kleriker die Teilhabe der Laien an der Sendung der Kirche grundsätzlich
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anzuerkennen und zu fördern (c. 275 § 2 CIC/1983; für Pfarrer c. 529 § 2 CIC/1983): Dies verlangt ein Ernstnehmen und Wertschätzen. Andauerndes verletzendes Verhalten, ein Ablehnen oder Geringschätzen ehrenamtlichen Mitwirkens lässt sich (unbeschadet der Leitungs- und Koordinationsbefugnis des Pfarrers) hiermit nicht vereinbaren. Zudem kommt dem Pfarrer die Dienstaufsicht über die Mitarbeitenden zu. Deshalb hat er darauf zu achten, dass diese ihre Aufgaben erfüllen (und ihn so unterstützen), aber auch die Grenzen ihres Auftrags nicht überschreiten, ferner zu ermöglichen, die verpflichtend vorgesehenen Fortbildungen (fachlich, geistlich) wahrnehmen zu können. Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht hat er sich um ernsthaft Erkrankte zu sorgen.
IV. Mögliche Disziplinarmaßnahmen Eine gravierende Verletzung von Dienstpflichten führt bei den Gläubigen zu Ärgernis und ggf. zu einer Beeinträchtigung der ihnen zukommenden Rechte. Hinsichtlich der dann zu ergreifenden Disziplinarmaßnahmen mag man auf das weltliche Recht sehen, doch eröffnet der CIC/1983 selbst ein breites und Differenzierung ermöglichendes Spektrum. In vielen Fällen legt sich vorab eine sog. correctio fraterna nahe, in der der Kleriker in grundsätzlicher Wertschätzung unter vier Augen (Mt 18,15) auf sein Fehlverhalten, auf die verletzte Pflicht und die dadurch entstandenen oder möglicherweise zu befürchtenden Konsequenzen aufmerksam gemacht wird, verbunden mit der Aufforderung, sich künftig zu bessern.30 Ein solches Gespräch könnte grundsätzlich der Ortsordinarius oder ein von ihm Beauftragter führen, durchaus auch ein (ggf. im Ordinariat tätiger) Laie, doch legt sich oft ein anderer Kleriker in vergleichbarer Stellung (auch der Dekan als primus inter pares) nahe, um so eine gewisse „Augenhöhe“ zu wahren. Folgt der Kleriker jedoch der Aufforderung zu einem solchen Gespräch (ggf. innerhalb einer bestimmten Frist) nicht oder zeigt er sich uneinsichtig, kommen disziplinarische Maßnahmen in Betracht, die von Art und Dauer des Fehlverhaltens, von den dadurch entstandenen Verwunderungen bzw. Ärgernissen sowie von der Persönlichkeitsstruktur und bisherigen Amtsführung und Pflichterfüllung des Klerikers („Ersttäter“ oder „Wiederholungstäter“) abhängen:
30 Bei dieser Gelegenheit mag auch in Erfahrung gebracht werden, ob andere Gründe für ein Fehlverhalten (v. a. ein Nichttun) von Bedeutung sind, die nicht so sehr ein disziplinarrechtliches, sondern ein geistliches oder psychologisches Vorgehen (z. B. Rekreation, Sabbatzeit, therapeutische Hilfe) nahelegen. So belastet viele Priester derzeit, dass die Zahl der Messbesucher gerade an Werktagen mancherorts gegen Null tendiert, aber auch die große Distanz zur Kirche im Kontext der Missbrauchsvorwürfe.
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– Sollte dies nach einer erfolglosen correctio fraterna noch angezeigt sein, führt der Ortsordinarius (oder sein Beauftragter) mit dem Kleriker ein Gespräch, in dem er sein Fehlverhalten missbilligt mit dem Ziel, dass dieser künftig seine Pflichten erfüllt. – Der Ortsordinarius spricht expressis verbis eine Verwarnung (monitum) oder einen Verweis (correptio) aus mit der Aufforderung, die einschlägigen Vorschriften zu beachten; aus Gründen der Rechtssicherheit hat dies schriftlich zu erfolgen (c. 1339 CIC/1983).31 – Der Ortsordinarius legt dem Kleriker im äußeren Bereich eine (insbesondere Geld-) Buße auf mit der Auflage, ein Werk der Frömmigkeit oder Nächstenliebe zu verrichten (c. 1340 § 1 CIC/1983). – Der Ortsordinarius verfügt eine befristete Minderung der Besoldung des Klerikers.32 – Der Ortsordinarius verbietet dem Kleriker befristet die (öffentliche) Ausübung des geistlichen Dienstes. – Der Ortsordinarius versetzt den Kleriker auf ein anderes Kirchenamt (translatio) (c. 190 CIC/1983; für Pfarrer auch cc. 1748 – 1752 CIC/1983).33 – Der Ortsordinarius enthebt den Kleriker seines inngehabten Kirchenamtes (amotio; cc. 192 – 196 CIC/1983; für Pfarrer auch cc. 1740 – 1747 CIC/1983).34 Man mag an einen Katalog denken, der einzelne Disziplinarvergehen zu einer Disziplinarmaßnahme in Beziehung setzt35, doch vermag dies den Umständen des 31
Die diözesane Disziplinarordnung könnte sich auch lediglich mit einer Art schriftlicher Missbilligung begnügen. 32 Die diözesane Ordnung kann Höhe und Dauer dieser Maßnahme ggf. beschränken. Grundsätzlich hat ein Kleriker Recht auf eine seiner Stellung angemessene Vergütung, wobei die Art der Aufgabe und die örtlichen und zeitlichen Umstände zu berücksichtigen sind (c. 281 § 1 CIC/1983; für Diakone § 3). In Deutschland erhalten Kleriker ohne Anstellung die sog. honesta sustentatio, was das Doppelte des Sozialhilfesatzes ausmacht, sofern nicht auch diese wegen besonders schwerer Vergehen auf das Existenzminimum gekürzt wird. Man kann die honesta sustentatio als Grundeinkommen ohne zusätzliche Dotierung aufgrund eines innegehabten Kirchenamtes verstehen. Es muss klar sein, dass dies keine Strafe, sondern die Besoldung aufgrund eines Kirchenamtes ein Mehr gegenüber der honesta sustentatio darstellt. Gleichwohl darf dann auch weder ein Kirchenamt noch eine kirchliche Aufgabe übertragen werden. 33 Hierbei ist im Einzelfall zu entscheiden, ob es sich tatsächlich um eine Disziplinarmaßnahme handelt oder nur um die Übertragung eines gleichwertigen oder gar höheren Kirchenamtes zum Nutzen der Kirche (s. Anm. 18). 34 Eine Absetzung (privatio) kommt als disziplinarische Maßnahme nicht in Betracht, weil sie eine Strafe darstellt (c. 196 CIC/1983). Eine Entlassung aus dem Klerikerstand (cc. 290, 28, 1425 § 1, 28 CIC/1983) kann nicht als Disziplinarmaßnahme, sondern nur aufgrund eines Strafverfahrens verhängt werden. 35 Auch mag man (wie im weltlichen Recht) daran denken, die Disziplinarmaßnahmen dahingehend zu differenzieren, ob sich der Kleriker im aktiven Dienst oder im Ruhestand
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Einzelfalles nicht hinreichend Rechnung zu tragen. Gleichwohl sollte die Art des Fehlverhaltens mit bedacht werden: So könnte bei einem schweren liturgischen Missbrauch ein zeitweiliges Verbot der Ausübung liturgischer Dienste in Betracht kommen36, eine anteilige Kürzung des Gehaltes im Falle einer unrechtmäßigen Abwesenheit37 oder eines unentschuldigten Fernbleibens von verpflichtenden Veranstaltungen auf Dekanats- oder Bistumsebene. Ein Verstoß im Bereich der Finanzverwaltung lässt an Regressansprüche denken (c. 128 CIC/1983), die zur Sicherung der wirtschaftlichen Basis der geschädigten Rechtsperson oder zur widmungsgemäßen Verwendung der Mittel ggf. gestellt werden müssen38, doch handelt es sich hierbei nicht um eine Disziplinarmaßnahme; eine solche kann vielmehr zur „Wiedergutmachung“ hinzukommen. Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme sollte der Ortsordinarius nach sog. pflichtgemäßem Ermessen, also nicht in Ansehen der Person oder gar willkürlich fällen. Doch wenn schon die Verhängung einer Strafe immer auch mit aequitas erfolgen soll (c. 212 § 2 CIC/1983), muss dies auch bei einer Disziplinarmaßnahme Berücksichtigung finden. Schließlich sollte die Persönlichkeit und Befindlichkeit des betroffenen Klerikers einbezogen werden, damit dieser die Disziplinarmaßnahme als berechtigt nachvollziehen kann.39
V. Aspekte eines Disziplinarverfahrens 1. Grundsätzliches Mangels einer gesamtkirchlichen Ordnung bedarf es für die strukturelle Organisation und Durchführung eines Disziplinarverfahrens, beginnend mit dem Vorgehen bei Verdacht auf Vorliegen eines Disziplinarvergehens, einer Normierung durch den Diözesanbischof. Dabei kann er auf entsprechende Regelungen des weltlichen befindet, doch dient dies vor allem der Übersichtlichkeit, weil manche Disziplinarmaßnahmen (Versetzung, Amtsenthebung) aufgrund der Natur der Sache ohnehin ausscheiden. 36 Dies dürfte insbesondere bei Diakonen in Betracht kommen, denn ein Zelebrationsverbot hat für einen Priester im Gemeindedienst erhebliche Auswirkungen, weil dies den größeren und am meisten öffentlich bekannten Bereich seiner Tätigkeit betrifft. 37 Solches kannte bereits das Benefizialrecht: Bei unrechtmäßiger Abwesenheit verlor der Stelleninhaber alle Einkünfte pro rata illegitimae absentiae (c. 2381 CIC/1917). Kam er seiner Pflicht zum Breviergebet (c. 1475 § 1 CIC/1917) ohne rechtmäßige Verhinderung nicht nach, erwarb er die Benefizialeinkünfte nach dem Verhältnis der Unterlassung nicht zu eigen (c. 1475 § 2 CIC/1917). Hierzu kasuistisch: Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Canones, 2. Bd., Paderborn 21952, S. 661, bzw. 3. Bd., Paderborn 21953, S. 626 – 627. 38 Zur Rechtsgrundlage von Schadenersatzforderungen auch cc. 1281 § 2, 1289, 1296 CIC/ 1983. 39 So mag das Verbot, den priesterlichen Dienst geraume Zeit nicht (öffentlich) ausüben zu dürfen, für den einen Priester eine gewisse Entlastung bedeuten, für den anderen aufgrund seines geistlichen Lebens eine harte „Bestrafung“.
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Rechts aber auch auf das kirchliche Prozessrecht (einschließlich Strafprozessrecht) zurückgreifen, wenn die Spezifika eines kirchlichen und eines disziplinarrechtlichen Verfahrens im Blick stehen. Die Bischofskonferenz besitzt indes keine Regelungskompetenz, sofern der Apostolische Stuhl ihr diese nicht ausdrücklich zuweist (c. 455 § 1 CIC/1983). Allerdings könnte eine Bischofskonferenz (formal unverbindliche) Eckdaten absprechen, die Deutsche Bischofskonferenz eine Empfehlung verabschieden, die im Sinne ihres Statuts den einzelnen Diözesanbischöfen um eines einheitlichen Vorgehens willen dringend nahelegt, diese in diözesanes Recht zu transferieren.40 Die Ordnung muss klar benennen, für wen diese Disziplinarordnung gilt: für Kleriker, also für alle, die zumindest das Sakrament der Diakonenweihe empfangen haben (c. 266 § 1 CIC/1983)41 und in der betreffenden Diözese ein Kirchenamt (Pfarrer, Kaplan, Kirchenrektor, aber auch Generalvikar oder Domherr) innehaben oder mit bischöflichem Auftrag einen Dienst ausüben (v. a. als seelsorgliche Aushilfe). Dem Ortsordinarius kommt keine Zuständigkeit hinsichtlich solcher Kleriker zu, die sich ohne einen Auftrag erhalten zu haben, nur gastweise auf Zeit oder auf Dauer (z. B. Mitglieder exemter Orden) in seinem Gebiet aufhalten. Wird ihm jedoch ein Fehlverhalten hinsichtlich der klerikalen Lebensführung (z. B. Gewerbe- und Handelsverbot) bekannt, kann er als Ordinarius des Wohn- bzw. Aufenthaltsortes nur ein Tätigkeits- und Aufenthaltsverbot für seine Diözese aussprechen und den ordinarius proprius dieses Klerikers informieren. In jedem Stand des Verfahrens muss der beschuldigte Kleriker sich verteidigen können, was der natürlichen Gerechtigkeit entspricht.42 Dazu gehört sowohl das Recht auf Einsicht in sämtliche verfahrensrelevante Dokumente, sofern dem nicht ein sehr schwerwiegender Grund entgegensteht, als auch die Möglichkeit, eine Person des Vertrauens (möglichst mit kirchenrechtlichen Kenntnissen) hinzuzuziehen, die ihn in dieser rechtlich besonderen sowie ggf. psychisch belastenden Situation unterstützen kann.43 40
Statut der Deutschen Bischofskonferenz vom 24. September 2002, geändert am 11. März 2011, hier: § 14 Abs. 1 Buchst a, online unter: www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diver se_downloads/Statut_2011 - 04 - 15.pdf (eingesehen am 14. 04. 2019). 41 Vor einer Disziplinarordnung für Laien im pastoralen oder gar kirchlichen Dienst wäre zu prüfen, welche Dienstpflichten und welche disziplinarischen Maßnahmen in Betracht kommen und eine Verhältnisbestimmung zum kirchlichen Arbeitsrecht vorzunehmen. 42 Der CIC formuliert ein solches nicht ausdrücklich, kommt aber mehrfach darauf zu sprechen: bei der Entlassung aus einem Religioseninstitut (cc. 695 § 2, 697, 28, 699 § 1 CIC/ 1983), im ordentlichen Streitverfahren (cc. 1598 § 1, 1602, 1602 § 1, 1620, 78 CIC/1983), im Strafverfahren (cc. 1720, 18, 1725 CIC/1983), bei der Absetzung (c. 1745 CIC/1983) oder (nur in einem uneigentlichen Sinn, weil kein Vorwurf gegen ihn erhoben wird) der Versetzung von Pfarrern (c. 1749 CIC/1983). Das Verteidigungsrecht resultiert bereits aus dem Grundsatz „audiatur et altera pars“ des Römischen Rechts. 43 Wenn das kodikarische Recht einen solchen Anwalt nur für den gerichtlichen Strafprozess (nicht einmal für ein administratives Strafverfahren) vorschreibt (c. 1723 CIC/1983), bedeutet dies ein erhebliches Defizit.
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Ein Verfahren darf zudem nicht im Sand verlaufen. Der beschuldigte Kleriker hat Anspruch auf ein abschließendes, wenigstens summarisch begründetes Dekret (c. 51 CIC/1983), das ihn entweder vom Vorwurf eines Disziplinarvergehens freispricht, um seinen guten Ruf zu schützen (c. 220 CIC/1983), vom Verhängen einer Disziplinarmaßnahme absieht oder eine solche auferlegt. In letzteren Fällen besitzt der Kleriker das Recht, Beschwerde einzulegen. Bedeutung kommt auch der Verhältnisbestimmung zu einem möglichen Strafverfahren zu: So geht dieses einem Disziplinarverfahren vor, das ggf. auszusetzen ist. Der strafrechtlichen Verurteilung eines Klerikers kann ein Disziplinarverfahren folgen. Ist der Kleriker in einem Strafverfahren wegen erwiesener Unschuld freigesprochen worden, scheidet ein Disziplinarverfahren wegen desselben Tatbestandes aus. Führte das Fehlen anderer Voraussetzungen für eine Bestrafung zu einem Freispruch, kommt ein Disziplinarverfahren gleichwohl in Betracht. Für ein solches Disziplinarverfahren legen sich grundsätzlich drei Stufen nahe: 1. Vorprüfung, 2. Disziplinarmaßnahme durch den Ortsordinarius, 3. Beschwerde bei einer Disziplinarkammer und abschließende Entscheidung. Stets muss das Verfolgen eines Disziplinarvergehens zeitnah erfolgen, weil es den Kleriker ja zu einer gewissenhaften Erfüllung seines Dienstes anhalten soll; ist dieses Ziel erreicht, erübrigt sich (im Unterschied zum Strafrecht) ein weiteres Vorgehen. 2. Vorprüfung und Entscheid des Ortsordinarius Zunächst bedarf die Behauptung eines Disziplinarvergehens der Überprüfung, die mit der Voruntersuchung vor einem Strafverfahren (cc. 1717 – 1719 CIC/1983) verglichen werden kann. Dabei sollte klar sein, wer eine solche Vorprüfung einleiten bzw. beantragen kann: Grundsätzlich kommt dies dem Ortsordinarius als Disziplinarherrn zu (ggf. auf Bitten einer nachgeordneten Autorität wie dem Dekan), doch muss auch der Kleriker eine solche Vorprüfung beantragen können, um sich vor unberechtigten Vorwürfen zu schützen.44 Ein Antragsrecht seitens der Gläubigen böte den Vorteil, ein Ignorieren seitens des Ortsordinarius zu verhindern, beinhaltet aber die Gefahr eines haltlosen „Anschwärzens“; formal bleibt zu bedenken, dass Gläubige nicht in das dienstrechtliche Verhältnis von Ortsordinarius und Kleriker involviert sind, doch geht es letztlich um die salus animarum.
44 Eine solche „Selbstanzeige“ sieht beispielsweise die Verfahrensordnung zum Lehrbeanstandungsverfahren der Deutschen Bischofskonferenz in der Fassung vom 4. Mai 1981 vor (vgl. Reinhard Wenner, Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz. Partikularnormen und weitere Gesetze, Sankt Augustin 1999, Loseblattwerk, Stand: September 2016, S. 370). So kann die Eröffnung eines solchen auch ein Autor beantragen, „der sich in seiner Lehre von seiten eines Ordinarius […] zu Unrecht beanstandet sieht“ (§ 4 Buchst. b).
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Die Prüfung des Sachverhaltes (Vorliegen eines Vergehens, Ärgernis bei den Gläubigen) kann der Ortsordinarius persönlich vornehmen, doch empfiehlt sich nicht nur aus Gründen der Arbeitsentlastung, sondern auch der Professionalisierung sowie einer gewissen Unabhängigkeit, eine andere Person (Kleriker oder Laie) hiermit zu beauftragen; diese vermag sich tiefer in einen einzelnen Fall und in die Materie Disziplinarvergehen einzuarbeiten. Die Wahl eines Laien – ob Mann oder Frau – mag dem Einwand begegnen, dass in Fällen, in denen der gute Ruf eines Priesters beeinträchtigt werden könnte, selbst der Notar Priester sein muss (c. 483 § 2 CIC/ 1983). Diese Vorschrift anzuwenden, die spätestens im Zusammenhang mit der sog. MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz45 obsolet geworden sein dürfte, ruft nicht nur den Eindruck der Geheimniskrämerei hervor46, sondern dürfte sich angesichts des Mangels an Klerikern schwierig gestalten. Der Kleriker ist über die Einleitung einer solchen Vorprüfung und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu informieren, sobald dies ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich ist, und sofern es sich nicht (analog zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen) unmittelbar ergibt, dass die Anschuldigung offenkundig haltlos ist und keine weiteren Nachforschungen erfolgen. Im Rahmen der Vorprüfung sind selbstredend alle belastenden und entlastenden Umstände zur Erhellung des Sachverhaltes zu erheben, ferner solche, die für die Zumessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind. In Betracht kommen Aussagen von Zeugen, Stellungnahmen von Sachverständigen, schriftliche oder mündliche dienstliche Auskünfte, Personalakte und andere Dokumente sowie ggf. ein Ortstermin. Spätestens nach Abschluss der Ermittlung muss der Kleriker Einsicht in die aufgekommenen Dokumente erhalten, um sich auch schriftlich dazu äußern zu können. Das Ergebnis der Vorprüfung fasst ein dokumentarischer Bericht unter Beifügung der einschlägigen Unterlagen zusammen. Für die Ahndung eines Disziplinarvergehens muss sicher feststehen47, dass der Kleriker ein solches tatsächlich und zurechenbar begangen hat. Zudem sollte der Bericht (auch unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und der bisherigen Diensterfüllung des Klerikers) dem Ortsordinarius möglichst konkrete und verbindliche Vorschläge zum weiteren Vorgehen unterbreiten: – Liegen keine Anhaltspunkte für ein Disziplinarvergehen vor, hat der Ortsordinarius das Verfahren zu beenden, was aus Gründen der Rechtssicherheit schriftlich 45
Vgl. Projektstudie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ vom 24. September 2018, online unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_down loads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf (eingesehen am 03. 04. 2019). 46 Auch würde wohl der Vorwurf des „Klerikalismus“ erhoben, womit aber eher ein Strukturkonservatismus in kirchlichen Verwaltungen, geprägt von Klerikern und Laien, gemeint sein dürfte. 47 Auch eine Strafverhängung auf dem Verwaltungsweg setzt voraus, dass das Begehen einer Straftat sicher feststeht (c. 1720, 38 CIC/1983), was zumindest der für ein gerichtliches Verfahren geforderten moralischen Gewissheit entsprechen muss (c. 1608 § 1 CIC/1983).
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zu vermerken ist. Sollte der Kleriker von der Vorprüfung Kenntnis besitzen, ist er hierüber zu informieren. – Liegt ein Disziplinarvergehen vor, kommt entsprechend Tatbestand und hervorgerufenem Schaden für die kirchliche Sendung ein differenziertes Vorgehen in Betracht: – Der Ortsordinarius gelangt zu der Überzeugung, dass das Disziplinarvergehen so bedeutungslos ist, dass unter Würdigung des gesamten Verhaltens des Klerikers eine Disziplinarmaßnahme nicht oder nicht mehr angebracht erscheint oder aus einem anderen Grund unzulässig ist. Der Kleriker ist hiervon in Kenntnis zu setzen. – Der Ortsordinarius verfügt eine Disziplinarmaßnahme, was er in einem schriftlich auszufertigenden Dekret unter Angabe der Gründe rechtlicher und tatsächlicher Art dokumentiert. Diese Entscheidung kann der Ortsordinarius allein treffen, sich aber auch selber binden, sich zumindest bei schwererwiegenden Verfehlungen mit zwei weiteren Gläubigen zu beraten, analog zur Erörterung des Sachverhaltes in einem administrativen Strafverfahren (c. 1720, 28 CIC/1983) sowie bei einer Absetzung oder Versetzung eines Pfarrers (cc. 1742 § 1, 1750 CIC/1983). Der Kleriker muss gegen ein ihn belastendes Dekret innerhalb einer bestimmten Frist Beschwerde einlegen können. Grundsätzlich käme hierfür der sog. hierarchische Rekurs in Betracht, also eine Beschwerde auf dem Verwaltungsweg (cc. 1732 – 1739 CIC/1983), der zunächst auf eine Rücknahme oder Abänderung des Dekretes zielt, erst nachfolgend den Hl. Stuhl angeht.48 Um einer ortsnahen Beurteilung eines Falles sowie einer Beschleunigung des Vorgehens willen sollte jedoch eine „Beschwerdestelle“ innerhalb der Diözese eingerichtet werden.49 3. Vorgehen einer Disziplinarkammer und abschließende Entscheidung Einer solchen Stelle (hier als Disziplinarkammer bezeichnet) sollten vom Bischof auf bestimmte Zeit (z. B. ad quinquennium)50 bestellte Kleriker und Laien angehören (darunter ein Vorsitzender und ein Stellvertretender Vorsitzender); erstere wissen un48 Theoretisch kommt auch eine Verwaltungsgerichtsbarkeit in Betracht, die das gesamtkirchliche Recht bisher nicht normiert, jedoch in jüngster Zeit auch von Ortsordinarien wieder ins Gespräch gebracht wird. 49 Hier sei auf c. 1733 CIC/1983 verwiesen, doch setzt dieser voraus, dass die Bischofskonferenz für jede Diözese eine Schlichtungsstelle vorsieht. 50 Solche befristeten Bestellungen kennt das Recht auch für den Gerichtsvikar, dessen Stellvertreter und Richter; zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit können sie während ihrer Amtsperiode nur aus einem rechtmäßigen und schwerwiegenden Grund ihres Amtes enthoben werden (c. 1422 CIC/1983).
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mittelbar um Spezifika des klerikalen Dienstes, letztere können (als Glieder des Volkes Gottes: c. 204 § 1 CIC/1983) entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung die Hirten der Kirche beraten (c. 212 § 3 CIC/ 1983). Voraussetzung ist eine gediegene Kenntnis des kirchlichen und ggf. auch des weltlichen Rechts, möglichst ein Lizentiat in ersterem51; der Vorsitzende und sein Stellvertreter sollten zudem über (staatliche oder kirchliche) Gerichtspraxis verfügen. Organisatorisch könnte eine solche Disziplinarkammer beim Offizialat angesiedelt werden, um die Unabhängigkeit von der kirchlichen Verwaltung anzuzeigen; zudem ist ein kirchliches Gericht mit der Durchführung ähnlicher Verfahren vertraut. Das einzelne Verfahren sollte vom Vorsitzenden (bzw. dessen Stellvertreter) und zwei weiteren Mitgliedern geführt werden, wobei das Tätigwerden einer Person bei Vorbefassung oder Befangenheit selbstverständlich ausscheidet.52 In einem ersten Schritt hätte die Kommission zu befinden, ob die bisherige Aktenlage für eine Entscheidung ausreicht, sofern der beschuldigte Kleriker nicht zu seiner Entlastung weitere Beweise vorlegt oder deren Hinzunahme beantragt. Sollte eine (mündliche) Beweiserhebung erfolgen, sollte er zu seiner Verteidigung nach Möglichkeit daran teilnehmen und sachdienliche Fragen stellen können. Zur besseren Bewertung der Beweislage legt sich zudem eine Erörterung in mündlicher Verhandlung nahe. Die Disziplinarkammer sollte gemäß der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung eine abschließende Entscheidung treffen; sie kann wie oben dargestellt ausfallen, wobei eine nun auferlegte Disziplinarmaßnahme nicht strenger sein sollte als die in dieser Sache vorausgehende des Ortsordinarius, weil sonst eine weitere Beschwerdemöglichkeit eröffnet werden müsste. Das Vorgehen sollte kollegial sein, die beiden Mitglieder also nicht als reine Beisitzer des Vorsitzenden fungieren. Zudem sollte die Kammer kraft eigener Autorität handeln oder dem Ortordinarius eine verbindliche Empfehlung vorlegen: Dies entlastet den Ortsordinarius nicht nur arbeitstechnisch und mit Blick auf die Öffentlichkeit („nimmt ihn aus der Schusslinie“), sondern signalisiert auch dem Kleriker, dass sein Verhalten eine Missbilligung auch durch weitere Personen erfährt.53 Das schriftlich auszufertigende Dekret, das auch die Entscheidungsgründe rechtlicher und tatsächlicher Art 51 Für das kirchliche Gerichtspersonal stellt dieses Lizentiat eine Standard-Mindest-Qualifikation dar, sofern sich die Tätigkeit nicht auf den administrativen Bereich beschränkt: Gerichtsvikar und beigeordneter Gerichtsvikar (c. 1420 § 4 CIC/1983), Richter (c. 1421 § 3 CIC/1983), Kirchenanwalt und Bandverteidiger (c. 1435 CIC/1983). An dieser Stelle eröffnet sich jedoch das Problem des Vorhandenseins von geeignetem Personal: Man mag an Mitarbeiter des Offizialates denken, doch befassen sich diese bislang fast nur mit Ehenichtigkeitsverfahren. Weil ein solches (nichtgerichtliches) Disziplinarverfahren eines gediegenen Wissens in materieller und in verfahrenstechnischer Hinsicht verlangt, kommt entsprechenden Schulungen große Bedeutung zu. 52 Hier legt sich eine analoge Anwendung der cc. 1448 – 1451 CIC/1983 nahe, die über die Befangenheit von Richtern handeln. 53 Dies mag den Kleriker auch eher treffen, so dass nicht mehr die (ironische) Frage im Raum steht, die von der Belanglosigkeit von Verwarnungen zeugt: „Was mache ich mit einem monitum?“ – „Ich hefte sie zu den anderen monita!“
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benennt, ist dem Ortsordinarius mitzuteilen und dem Kleriker nachweisbar zu übersenden.
VI. Resümee Ein Disziplinarrecht für Kleriker, das dazu beiträgt, die gewissenhafte Ausübung des Dienstes um der Glaubwürdigkeit der Sendung der Kirche willen zu sichern, erscheint nur auf den ersten Blick als Neuerung. Tatsächlich setzt der kirchliche Gesetzgeber ein solches voraus, und kirchliche Autoritäten verhängen auch disziplinarrechtliche Maßnahmen, wobei die zu Grunde gelegten Kriterien, in welchen Fällen sie vorgehen und welche Disziplinarvergehen sie wie ahnden, bislang als nicht generell geregelte Entscheidungen im Einzelfall nicht immer nachvollziehbar sind. Zudem werden die Rechte des beschuldigten Klerikers nicht hinreichend deutlich. Eine förmliche Disziplinarordnung dient der Transparenz und schafft für alle Beteiligten Rechtssicherheit, sowohl hinsichtlich der materiellen als auch der formalen Dimension. Vorstehende Ausführungen wollen hierfür einen Diskussionsbeitrag leisten.
Vermögensrechtliche Lehren aus den Vereinigten Staaten von Amerika Von Martin Grichting Das Vermögensrecht der Kirche bedarf „einer theologischen Rechtfertigung, die sich aus dem Sendungsauftrag des Herrn selbst ergibt“. Deshalb muss es „stets an den der Kirche eigenen Zielsetzungen gemessen und entsprechend den konkreten Lebensbedingungen der Kirche ausgerichtet werden“.1 Dies gilt für die Kirche zuerst einmal nach innen, bezüglich der Ausgestaltung des kanonischen Rechts. Denn das Vermögensrecht und das Kirchenvermögen selbst sind Teil jener „einzigen komplexen Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“, welche die Kirche darstellt (LG 8). Damit das Bild der Kirche, die zugleich „die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi“ (ebd.) ist, nicht entstellt wird, ist es jedoch wesentlich, dass ihre vermögensrechtlichen Grundsätze auch im staatlichen Recht, also nach außen, wirksam werden. Deshalb ist die Kirche bestrebt, dass ihre kanonischen Institutionen und rechtlichen Handlungen auch im weltlichen Recht Wirksamkeit erlangen (vgl. c. 1274 § 5, c. 1284 § 2, 38 und c. 1299 § 2 CIC/1983). Konkordate und andere Staat-Kirche-Verträge dienen nicht zuletzt diesem Zweck. Nicht immer gelingt es der Kirche, ihre vermögensrechtlichen Grundsätze im weltlichen Recht zu verankern. Die Gründe sind unterschiedlich. So versuchte das kulturkämpferische Preussen mit dem „Gesetz über die Vermögens-Verwaltung in den katholischen Kirchengemeinden“ aus dem Jahr 1875 mittels der Ausgestaltung des kirchlichen Vermögensrechts, die im Widerspruch zu kirchlichen Grundsätzen stand, Klerus und Laien in Konkurrenz zu bringen. Der Autor des Gesetzes, Paul Hinschius, gab dies unumwunden zu: „Das Gesetz bietet somit den Laien die Möglichkeit, bei der Verwaltung ihrer kirchlichen Vermögensangelegenheiten sich dem alles beherrschenden Einfluss des Klerus zu entziehen, und kann der Ausgangspunkt für eine Zurückweisung der klerikalen Bevormundung auch in anderen Beziehungen werden“.2 Aus Österreich ist der zynische Vorschlag des Wiener Gauinspekteurs bekannt geworden, der im Zuge des Erlasses des Kirchenbeitragsgesetzes von 1939 dazu riet, Kirchengemeinden zu schaffen. Ihnen, und nicht den Diözesen, sollte der Kirchenbeitrag der Gläubigen zufließen. Dies sei „eine ernst zu nehmende Mög1
Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 147. Die Preussischen Kirchengesetze der Jahre 1874 und 1875 nebst dem Reichsgesetze vom 4. Mai 1874, herausgegeben mit Einleitung und Kommentar von Paul Hinschius, Berlin 1875, S. XXIII. 2
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lichkeit, die Axt an die Wurzel der katholischen Hierarchie zu legen“. Denn es müsse verhindert werden, „dass die bischöfliche Gewalt und damit die zentrale Leitung des politischen Katholizismus auf legalem Weg auch finanziell gestärkt wird“.3 Schließlich sei an das französische Gesetz über die Trennung von Staat und Kirche aus dem Jahr 1905 erinnert. Dieses ließ der Kirche nur die Alternative, ihr diözesanes und pfarreiliches Vermögen in naturgemäß demokratisch strukturierte Vereine (associations cultuelles) zu übertragen oder es an den Staat – die Gemeinden und Städte – zu verlieren. Papst Pius X. entschied sich für letzteres: „In perfider Weise vor die Wahl zwischen dem materiellen Ruin und der Zustimmung zu einer Beeinträchtigung ihrer Verfassung, die göttlichen Ursprungs ist, gestellt, hat die Kirche es selbst um den Preis der Armut abgelehnt, dass in ihr das Werk Gottes angetastet werde“.4 Nicht immer musste sich die Kirche zwischen dem „Gut“ und den „Gütern“ der Kirche entscheiden, wie Joseph Ratzinger das französische Drama resümiert hat.5 Und nicht immer war der Eingriff ins Vermögensrecht der Kirche ein Mittel, um sie an der Erfüllung ihrer Sendung zu hindern. So war etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht eine kirchenfeindliche, sondern eine kirchenferne Haltung des Staates dafür verantwortlich, dass die Kirche ernsthafte vermögensrechtliche Probleme bekam, die beträchtlichen pastoralen Schaden anrichteten.
I. Trusteeism Schon lange bevor in Frankreich mit einer strikten Trennung von Staat und Kirche experimentiert wurde, hatten sie die Vereinigten Staaten von Amerika eingeführt: Mit dem 1. Amendment zur Unionsverfassung von 1787, das am 15. Dezember 1791 in Kraft trat, wurde auf Bundesebene das Establishment – die Schaffung oder das Bestehen einer Staatskirche – verboten, was zur allmählichen Abschaffung in den einzelnen Bundesstaaten führte.6 Wenn Religionsgemeinschaften fortan kein staatliches Kleid mehr besaßen, stellte sich die Frage, wie sie im weltlichen Recht in Erscheinung treten sollten. Hierfür bot sich nur das Privatrecht an, und zwar in seiner 3
Das Schreiben des Gauinspekteurs Berner ist zitiert bei Maximilian Liebmann, Die Genese des Kirchenbeitragsgesetzes vom 1. Mai 1939, in: Hans Paarhammer (Hrsg.), Kirchliches Finanzwesen in Österreich. Geld und Gut im Dienste der Seelsorge, Thaur 1989, S. 113 – 115. 4 Pius X., Enzyklika „Une fois encore“ vom 6. Januar 1907, in: ASS 40 (1907), S. 7. 5 Vgl. Joseph Ratzinger, Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart 1996, S. 185. 6 „Congress shall make no law respecting an establishment of religion“, vgl. den Text bei Zaccharia Giacometti, Quellen zur Geschichte der Trennung von Staat und Kirche, Tübingen 1926, S. 690. Zur Entstehungsgeschichte des Wortlauts vgl. Michael Quaas, Staatliche Hilfe an Kirchen und kirchliche Institutionen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Beitrag zur historischen Entwicklung und Gegenwartsproblematik des Verhältnisses von Staat und Kirche in den USA, Berlin 1977, S. 32 – 34; vgl. auch Patrick J. Dignan, A History of the Legal Incorporation of Catholic Church Property in the United States (1784 – 1932), Washington D. C. 1933, S. 43 f.
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angelsächsischen Variante. Dies bedeutete, dass sich Religionsgemeinschaften nicht als solche am weltlichen Rechtsverkehr beteiligen konnten, sondern nur als Gesamtverband von Gläubigen, als Corporation, der Trustees als Bevollmächtigte mit weitgehenden Befugnissen über das Vermögen vorstanden. Diese naturgemäß demokratisch-vereinsrechtlich organisierten Gebilde waren nicht in Übereinstimmung zu bringen mit der hierarchischen Ordnung der katholischen Kirche. So entstand die Problematik einer doppelten Struktur: Neben der nach göttlichem und kanonischem Recht geordneten Kirche standen Vereinigungen, welchen gemäß weltlichem Recht der Besitz sowie die Verwaltung der für kirchliche Zwecke bestehenden Güter zustanden. Als Alternative dazu bot sich nur an, das kirchlichen Zwecken dienende Vermögen faktisch als Privatvermögen einer Einzelperson, eines Priesters oder Bischofs, zu halten (fee simple).7 Was in der Folge und bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts geschah, ist in die amerikanische Kirchengeschichte unter dem Titel „Trusteeism“ eingegangen8. Es artete bisweilen zur „Krankheit der Trusteemania“9 aus und war offenbar so traumatisierend, dass noch auf dem II. Vatikanischen Konzil der Erzbischof von Philadelphia, Kardinal John Krol, davor warnte10.
II. Legitimierungsversuche Der erste Bischof der Vereinigten Staaten von Amerika, der Ex-Jesuit John Carroll (1736 – 1815), stand der „Gewaltenteilung“ in geistliche Vollmacht und staatlich normierte Vermögensverwaltung durch Laien nicht prinzipiell ablehnend gegenüber. Noch in Europa im vorrevolutionären gallikanischen Geist erzogen, versuchte er, 7
Vgl. Thomas F. Donovan, The Status of the Church in American Civil Law and Canon Law, Washington D. C. 1966, S. 84. 8 Im deutschsprachigen Raum zuerst auf diese Vorgänge hingewiesen hat: Eugenio Corecco, Die synodale Aktivität im Aufbau der katholischen Kirche der Vereinigten Staaten von Amerika. Mit besonderer Berücksichtigung der kirchlichen Vermögensverwaltung, in: AfkKR 137 (1968), S. 38 – 94. Dieser Aufsatz beruhte auf seiner Dissertation: La formazione della Chiesa cattolica negli Stati Uniti d’America attraverso l’attività sinodale, 1. Auflage, Brescia 1970, 2. Auflage, Bologna 1991 (im Folgenden wird nach der 2. Auflage zitiert). Grundlegend zur vermögensrechtlichen Problematik der USA ist nach wie vor: Dignan, Legal Incorporation (Anm. 6). Das Standardwerk zum Trusteeism stellt heute dar: Patrick W. Carey, People, Priests, and Prelates. Ecclesiastical Democracy and the Tensions of Trusteeism, Notre Dame (Indiana) 1987. Für eine umfassende Darstellung des Trusteeism sowie für weitere Literatur vgl. Martin Grichting, Das Verfügungsrecht über das Kirchenvermögen auf den Ebenen von Diözese und Pfarrei, (= MthS.K 62), 2. Auflage, St. Ottilien 2012, S. 373 – 472. Der vorliegende Beitrag stützt sich auf dieses Werk und enthält einzelne Passagen daraus. 9 Vgl. Peter Guilday, The Life and Times of John England. First Bishop of Charleston (1786 – 1842), 1. Bd., New York 1927, S. 251. 10 Vgl. Acta synodalia Sacrosancti Concilii Oecumenici Vaticani II, Città del Vaticano 1970 – 1999, vol. III, pars IV, S. 903 f.
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ein labiles Gleichgewicht zwischen diesen beiden Kräften aufrecht zu erhalten.11 Gleichwohl trat bereits er dem Ansinnen der Trustees entgegen, auf der Basis des Patronatsrechts ein Wahl- oder gar Abwahlrecht des Pastors für sich zu reklamieren.12 Auch später wurde diese Prätention, die sich zumindest scheinbar immerhin noch auf dem Boden des traditionellen kirchlichen Rechts bewegte, abgelehnt. So vertrat im Jahr 1823 der Bischof von Philadelphia, Henry Conwell, die Auffassung, in den Vereinigten Staaten von Amerika existierten keine Benefizien, die den Priestern den unangefochtenen Genuss ihrer Einkünfte garantierten. Vielmehr seien sie Lohnempfänger der Trustees. Man könne deshalb kein Patronatsrecht geltend machen.13 Die I. Provinzialsynode von Baltimore machte diese Position im Jahr 1829 dann amtlich.14 Radikalere Trustees verließen dann vollends den Boden des kirchlichen Rechts und des katholischen Kirchenverständnisses. Statt in der neuen freien Welt das vorrevolutionäre europäische Staatskirchentum mit seinen Eingriffen in das kirchliche Vermögens- sowie Personenrecht zu überwinden, versuchten sie, es in einen demokratischen Kontext zu stellen. Konkret bedeutete dies, dass sie die kirchlichen Vollmachten, welche europäische Herrscher seit Jahrhunderten usurpiert hatten, nun auf die Laien zu übertragen gedachten. Die „Rechte“, welche die Fürsten für die Laien in 11
So hieß es in der maßgeblich von Carroll geprägten „Constitution oft the clergy“, mit der die Vermögenswerte der Ex-Jesuiten inkorporiert, also weltlich-rechtlich geordnet wurden: „The Person invested with Spiritual Jurisdiction in this Country, shall not in that quality have any power over or in the temporal property of the Clergy“, in: Thomas O’Brien Hanley (Hrsg.), The John Carroll Papers [JCP], Notre Dame (Indiana)/London 1976, 1. Bd., S. 71 – 77, hier S. 73 (Nr. 19). Gleichwohl erwartete Carroll später von den Congregations, dass der Senior Pastor der Präsident des Board of Trustees sein müsse: „I know not of one single instance, in which the pastor of pastors, if more than one, are not ex officio Vestrymen or Trustees, and the Senior Pastor is every where President of the board“, JCP, 3. Bd., S. 154 f. (Hervorhebung dort). Carroll versuchte dadurch, die geistlichen Vollmachten der Priester und die weltlich-rechtlichen Kompetenzen der Laien mit einander zu verbinden. Vgl. zu Carrolls Haltung auch: James Hennesey, Catholicism in an American Environment: The Early Years, in: Theological Studies 50 (1989), S. 664. 12 Vgl. JCP (Anm. 11), 1. Bd., S. 203 f. und S. 277. 13 Vgl. Address of the Trustees of St. Mary’s Church, to Their Fellow-Citizens; Containing a Correspondence between them and the Right Reverend Bishop Conwell, on a Late Attempt at a Reconciliation between the Contending Parties of the Congregation of Said Church, Philadelphia 1823, S. 13; vgl. auch schon Bischof Carrolls Generalvikar Leonard Neale, der im Jahr 1796 den Trustees von Holy Trinity in Philadelphia beschied: „The truth is: you have no Jus Patronatus: You can have none, because your Church has no Fixed, Permanent and Unalienable fund for the support of a pastor“, abgedruckt bei Peter Guilday, The Life and Times of John Carroll. Archbishop of Baltimore (1735 – 1815), New York 1922, S. 651 (Hervorhebungen dort). 14 „Hoc nostro Decreto declaramus repugnare prorsus doctrinae et disciplinae Ecclesiae jus illud a laicis assumptum instituendi, seu dimittendi Pastores: et insuper declaramus nullum jus patronatus cujuscumque generis quod sacri agnoscant Canones, competere nunc alicui personae, laicorum Congregationi, Aedituorum coetui, seu aliis quibuscumque personis in hac Provincia“, in: Collectio Lacensis. Acta et decreta sacrorum conciliorum recentiorum, Freiburg i. Br. 1875, 3. Bd., Sp. 27, Dekret VI.
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Europa mittelbar wahrnähmen, sollten die Laien nun – da sich in den USA der Staat nicht in die Kirche einmischte – unmittelbar wahrnehmen.15 So freuten sich die Trustees von Charleston im Jahr 1818 begierig auf den Tag, „an welchem ein Konkordat die jeweiligen religiösen Rechte des souveränen Volkes, das in den Vereinigten Staaten dem katholischen Glauben anhängt, und des Klerus genau bestimmen und festsetzen wird“.16 Entsprechend orientierten sie ihren Erzbischof Ambrose Maréchal von Baltimore darüber, „dass wir in der Verwaltung zeitlicher Angelegenheiten unserer Kirche keinen Oberen zulassen, der befielt oder kontrolliert. Denn wir sind betraut mit der Sorge für dieses Gut sowohl durch die Gesetze des Staates als auch durch den Willen der Congregation, für die wir handeln“.17 Und auf der Basis dieser innerkirchlichen „Gewaltenteilung“ leiteten sie weitergehende Rechte wie die Wahl und Entlassung ihres Priesters ab. Denn es sei „eine grundlegende Maxime der Billigkeit und Gerechtigkeit: ‹cujus est dare, ejus est disponere›“18, oder einfacher gesagt: Wer zahlt, befiehlt. Am weitesten ging dabei der Cheftheoretiker der Norfolker Trustees, John F. Oliveira Fernandez, indem er die Wort Jesu „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt 22,21) sowie „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36) heranzog, um eine Spaltung der Kirche in eine geistliche, dem Klerus zukommende Vollmacht, und in eine weltliche, den Laien über die Kirchengüter zukommende Vollmacht, zu rechtfertigen.19
III. Seelsorglicher Flurschaden In einem solcherart „phantastischen Gallikanismus“20 geschult, forderten Trustees im ganzen Land ihre vermeintlichen Rechte ein. Bereits unter Bischof Carroll reklamierten im Jahr 1785 Trustees in New York das Recht auf die Ernennung 15 „Your memorialists beg leave to suggest to your Reverence, that that part of the sovereign people ot these United States, in communion with his holiness the Pope, as their government interferes not in matters of religion, think, and hold themselves immediately intitled, to the same benefits and immunities in their religious concerns, as are established between the court of Rome, and the sovereigns of Europe, intermediately negotiating for the interests and religious liberties of their subjects“, Documents Relative to the Present Distressed State of the Roman Catholic Church in the City of Charleston, State of South-Carolina, Charleston, S. C. 1818, S. 10 (Hervorhebungen dort). Vgl. dazu James Hennesey, American Catholics. A History of the Roman Catholic Community in the United States, New York/ Oxford 1981, S. 95. 16 Documents Relative (Anm. 15), S. 10. 17 Ebd. (Anm. 15), S. 13 f. 18 Ebd. (Anm. 15), S. 4. 19 Vgl. Letter, Addressed to the Most Reverend Leonard Neale, Arch Bishop of Baltimore. By a Member of the Roman Catholic Congregation of Norfolk, in Virginia, Norfolk 1816, S. 30 f.; vgl. dazu Patrick W. Carey, John F. O. Fernandez: Enlightened Lay Catholic Reformer, 1815 – 1820, in: The Review of Politics 43 (1981), S. 112 – 129. 20 Vgl. Robert F. McNamara, Trusteeism in the Atlantic States, 1785 – 1863, in: The Catholic Historical Review 30 (1944), S. 144.
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und Absetzung ihres Pastors. Carroll lehnte ihr Ansinnen ab und prophezeite ihnen, ein solches Vorgehen würde die Einheit und Katholizität der Kirche zerstören.21 Er sollte Recht behalten. Denn aufgrund ihrer Position als faktische Arbeitgeber der Priester erließen verschiedene Trustees Corporations in der Folge regelrechte Stellenbeschriebe und Pflichtenhefte für ihre Seelsorger, welche den Pastor entmündigten und die Congregations – von Pfarreien sprach man damals aufgrund des Missionscharakters der Kirche noch nicht – spalteten.22 Sie wiesen Priester aus ihren Kirchen, die sich an die kirchlichen Regeln und die Anweisungen ihres Bischofs halten wollten, entzogen ihnen das Gehalt oder sperrten ihnen sowie den Gläubigen die Kirchen zu.23 Die Trustees der Kathedrale St. Mary in Philadelphia ließen gar die bischöflichen Insignien ihres Oberhirten entfernen, als dieser einen rebellischen Priester, mit dem sie zusammenarbeiteten, exkommuniziert hatte.24 Die Reaktion der Bischöfe auf solche Vorgänge ließ nicht lange auf sich warten. Sie exkommunizierten oder suspendierten fehlbare Priester und widerspenstige Trustees.25 Über Kirchen, die nicht mehr unter der Leitung eines legitimen Pastors standen, verhängten sie das Interdikt.26 Dies ging regelmäßig mit öffentlichen Tumulten27 21 „If ever the principles there laid down should become predominant, the unity and Catholicity of our Church would be at an end; & it would be formed into distinct & independent Societies, nearly in the same manner, as the Congregational Presbyterians of your neighbouring New England States“, JCP (Anm. 11), 1. Bd., S. 204; vgl. auch JCP, 2. Bd., S. 200 f. Der Norfolker Trustee John F. Oliveira Fernandez ging auch hier einen Schritt weiter und postulierte das Recht der Trustees, einen Priester abzusetzen gemäss dem Rechtsaxiom: „Cujus cumque est instituere, ejus est ablegare“ – Wem es zusteht einzusetzen, der kann auch entlassen, vgl. Letter (Anm. 19), S. 19 – 22. 22 Vgl. die 26 Artikel umfassende „Constitution or statutes drawn up by the trustees of the corporation of Holy Trinity Church, 28 Sept., A. D. 1796, for the better regulation of divine service, for the prevention of further disputes and as an inviolable rule for the Rev. Clergy of said Church“, abgedruckt bei Martin I. Griffin, The Rev. Peter Helbron, Second Pastor of Holy Trinity Church, Philadelphia, in: Records of the American Catholic Historical Society of Philadelphia 23 (1912), S. 6 – 8; vgl. ein ähnlich gelagertes Reglement von 1804 aus Norfolk: Rules, proposed for the Government of the Roman Catholic Church in Norfolk, abgedruckt in: Letter (Anm. 19), Documents, S. 39 – 47. Die Norfolker Trustees entwarfen im Jahr 1817 schliesslich sogar eine an die französische Zivilkonstitution gemahnende Kirchenverfasssung, welche die Grundzüge der Pfarreien, der Diözese, des Priesterseminars und des dortigen Lehrplans enthielt, vgl. Peter Guilday, The Catholic Church in Virginia (1815 – 1822), New York 1924, S. 53 – 59. 23 Vgl. Carey, People (Anm. 8), S. 84 f. und S. 116; vgl. auch Guilday, The Catholic Church (Anm. 22), S. 33. 24 Vgl. zu diesem Konflikt: Francis E. Tourscher, The Hogan Schism and the Trustee Troubles in St. Mary’s Church Philadelphia, 1820 – 1829, Philadelphia 1930; vgl. auch: Minute Book of St. Mary’s Church, Philadelphia, 1782 – 1811, in: Records of the American Catholic Historical Society of Philadelphia 4 (1893), S. 349. 25 Vgl. JCP (Anm. 11), 2. Bd., S. 206; vgl. auch Guilday, John England (Anm. 9), S. 182 – 184; vgl. Carey, People (Anm. 8), S. 214. 26 Vgl. Guilday, The Catholic Church (Anm. 22), S. 36; vgl. auch Carey, People (Anm. 8), S. 211.
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und Schismen der betroffenen Gemeinden einher, was der pastoralen Wirksamkeit der Kirche und ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit Schaden zufügte.28 Nicht nur Bischöfe und Priester waren die Leidtragenden dieser Konflikte. Denn die Laien-Trustees gerieten wegen der Streitigkeiten über das kirchlichen Zwecken dienende Vermögen in Konflikt mit ihren Hirten, was geeignet war, sie nicht nur in ihrer Beziehung zur Kirche zu schädigen, sondern ihren Glauben überhaupt zu unterminieren. Diesbezüglich resümierte im Jahre 1842 der Erzbischof von New York, John Hughes: „Wir haben viele Trustees gekannt, aber wir haben nie einen kennengelernt, der, nachdem er sich von diesem Amt zurückgezogen hatte, ein besserer Katholik oder ein frömmerer Mensch gewesen ist, als er es war, bevor er er das Amt antrat. Im Gegenteil: Wir haben viele kennengelernt, die, als sie von ihrem Amt zurücktraten, nicht nur viel von ihrem Sinn für die Religion, sondern auch viel von ihrem Glauben verloren haben“.29
IV. Römische Reaktion Obwohl Bischof Carroll sich bewusst war, dass die geistliche Leitung der Kirche einerseits und die Sorge für den materiellen Unterhalt der Priester sowie die Finanzierung der Seelsorge andererseits nicht sauber zu trennen waren30, sah er in den Aus27 Unvergessen bleibt eine Trustee-Wahl in Philadelphia im Jahr 1822, bei der es zu einer Strassenschlacht mit rund tausend Beteiligten und etwa zweihundert Verletzen kam, so dass die Polizei einschreiten musste, vgl. Dale B. Light, Rome and the New Republic. Conflict and Comunity in Philadelphia Catholicism between the Revolution and the Civil War, Notre Dame (Indiana) 1996, S. 144 – 146. 28 Zusammenfassend stellte der Erzbischof von Baltimore, Ambrose Maréchal, in einem im Jahr 1818 an die Kongregation de Propaganda Fide gesandten Bericht – nicht ganz ohne dabei eigene Interessen zu verfolgen – fest, sein Vorgänger, Erzbischof Carroll, habe das Trustee-System an sich gutgeheißen, zuletzt habe er jedoch bereut, es zugelassen zu haben, denn es habe zu zahlreichen Auseinandersetzungen und Schismen geführt: „Illustrissimus D. D. Carroll primus Baltimorensis episcopus, in origine rerum, existimans religionis catholicae propagatione profuturum fore, si temporales administratores, praeter meram bonarum ecclesiae administrationem (prout fit in Europa) haberent quoque titulum possessionis, huic systemati patrocinatus est per plures annos. Verum tot dissentiones et schismata ex eo nata sunt, ut paulo antequam moreretur, multum doluit quod aliquando illud admiserit“, vgl. Ratio status religionis catholicae in dioecesi Baltimorensi reddita ab Ambrosio Archiepiscopo 1818. Illustrissimo ac Eminentissimo Cardinali Litta, Praefecto Sacrae Congregationis Propagandae Fidei, in: The Catholic Historical Review 1 (1915/1916), S. 439 – 453, hier S. 450. Für eine englische Übersetzung vgl. John Tracy Ellis (Hrsg.), Documents of American Catholic History, 1. Bd., Reprint Wilmington (Delaware) 1987, S. 202 – 220, hier S. 216. 29 Lawrence Kehoe (Hrsg.), Complete Works of the Most Rev. John Hughes, D. D., Archbishop of New York, Comprising his Sermons, Letters, Lectures, Speeches, etc., 1. Bd., New York 1864, S. 320. 30 „I undertook to perform a disagreeable task; proceeding in this point farther perhaps, than properly belonged to my peculiar duty, as limited to spiritual matters; yet sensible at the same time, that these are often so blended with matters temporal, that it is impossible to move in the former, without touching on the latter“, JCP (Anm. 11), 2. Bd., S. 359 f.
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einandersetzungen zwischen Klerus und Trustees kein systemisches Problem, sondern lediglich ein solches der mangelnden theologischen Bildung der Laien. Er gedachte deshalb, dem Problem durch die Unterweisung der Trustees über die jeweiligen Kompetenzen von Klerus und Laien zu begegnen.31 In Rom war man zudem mit einem neuartigen Problem konfrontiert, dessen Tragweite man ursprünglich nicht richtig einzuschätzen wusste. So gab man Emissären der Trustees bisweilen Recht, was den amerikanischen Episkopat in Rage versetzte.32 Deshalb informierte der Erzbischof von Baltimore, Ambrose Maréchal, nun die Kurie direkt über die Vorgänge in den Vereinigten Staaten und begab sich 1821 persönlich nach Rom.33 Direkter Ausfluss dieser Intervention war das Schreiben Papst Pius VII. „Non sine magno“ vom 24. August 1822.34 Es war nicht nur an Erzbischof Maréchal und seine Suffragane gerichtet, sondern auch „an die geliebten Söhne, die Verwalter der Kirchengüter“. Dieses Dokument befasste sich nicht nur mit dem schwerwiegenden Konflikt in Philadelphia, der unter dem Titel „Hogan-Schisma“ in die Annalen eingegangen ist.35 Es war von grundsätzlicherer Natur und betraf die Zustände in den ganzen Vereinigten Staaten von Amerika. Ja, man kann mit Fug und Recht sagen, dass dieses Dokument lehramtlicher Natur ist, weil es zeitlos gültige Aussagen zur Leitung der Kirche und zum kirchlichen Vermögensrecht enthält. Ob sie denn nicht wüssten, fragte der Papst die Trustees, dass der Heilige Geist die Bischöfe dazu bestimmt habe, die Kirche Gottes zu leiten. Es sei doch hinreichend bekannt, dass nicht die Herde den Hirten führe, sondern der Hirt die Herde.36 Hinsichtlich des Kirchenvermögens stellte der Papst fest, das masslose und ungezügelte Recht, welches die Trustees sogar unabhängig von den Bischöfen für sich zu beanspruchen pflegten, schaffe nicht nur in Philadelphia, sondern auch in anderen Provinzen Probleme. Wenn dieses Recht nicht durch eine mäßigende Regelung eingeschränkt werde, sei es eine dauernde Ursache von Missbräuchen und Zwietracht. Die Trustees – sie wurden vom Papst nicht ganz sachgerecht, aber wohl absichtsvoll 31 Vgl. Patrick W. Carey, Two Episcopal Views of Lay – Clerical Conflicts: 1785 – 1860, in: Records of the American Catholic Historical Society 87 (1976), S. 86 f. 32 Vgl. Guilday, The Catholic Church (Anm. 22), S. 40 und Ders., John England (Anm. 9), S. 202 f. 33 Vgl. dazu seine „Ratio status religionis“ (Anm. 28); vgl. zur Romreise Maréchals: Thomas T. McAvoy, A History of the Catholic Church in the United States, Notre Dame (Indiana)/London 1969, S. 117 f.; vgl. auch Carey, People (Anm. 8), S. 258. 34 Vgl. das Schreiben „Non sine magno“ bei Raphael De Martinis (Hrsg.), Iuris Pontificii de Propaganda Fide, 4. Bd., Roma 1891, S. 620 – 622; vgl. auch Donald C. Shearer (Hrsg.), Pontificia Americana, Washington 1933, S. 128 – 131. Im Folgenden wird nach De Martinis zitiert. 35 Vgl. Martin Grichting, Wenn die Herde den Hirten führt, in: SKZ 175 (2007), S. 450 – 453. 36 „Ignorant ne ii, quod Spiritus Sanctus posuit Episcopos regere Ecclesiam Dei, ex quo consequitur, Episcopos esse gregis Christi pastores? Satis autem perspectum est, quod non grex pastorem ducit, sed pastor gregem“, De Martinis (Hrsg.), Iuris Pontificii (Anm. 34), 4. Bd., S. 620.
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nur als „aeditui“ (Verwalter, Pfleger) bezeichnet – müssten bedenken, dass die Güter, welche für den Gottesdienst sowie für die Kirche und den Unterhalt ihrer Diener geopfert würden, in die Verfügungsgewalt der Kirche übergingen. Und deshalb gelte: „So wie die Bischöfe aufgrund göttlicher Anordnung diejenigen sind, welche der Kirche vorstehen, können sie ebenso nicht von der Sorge sowie von der Verfügung und der Wachsamkeit über deren Güter ausgeschlossen werden“.37 Neu und in der Kirche noch nie gehört sei ferner, dass sich Trustees und andere Laien das Recht angemaßt hätten, Priester, die keine gültigen Vollmachten besäßen, anzustellen, Priester zu entlassen oder solchen Priestern den Unterhalt zu zahlen, die sie bevorzugten. Wenn es in der Kirche so weit komme, stünden nicht mehr die Bischöfe der Kirche vor, sondern die Laien. Der Hirt würde seiner Herde unterworfen. Und die Laien würden es wagen, jene Vollmacht zu usurpieren, welche den Bischöfen durch göttliche Anordnung gegeben sei.38 Um hier Abhilfe zu schaffen, übermittle er den Bischöfen „Regeln und Instruktionen“, damit Ruhe und Friede wiederhergestellt werden könnten.39 Diese von der Propaganda Fide erarbeiteten Richtlinien machten eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen den schon bestehenden Kirchen sowie Lokalitäten und den in Zukunft zu bauenden Kirchen. In Bezug auf die ersteren wählte man ein vorsichtiges Vorgehen: Es wäre zu gefährlich, die Laien aus dem Besitz, welchen sie aufgrund ziviler Rechtstitel innehätten, vertreiben zu wollen. Es gebe keinen anderen Weg, als sie zu ermahnen und zu bitten. Die Bischöfe sollten deshalb den Congregations vor Augen führen, welch schwere Schäden aus dem ungezügelten Gebrauch der zivilen Rechte durch die Trustees entstanden seien. Die Congregation, welche die Trustees wähle, möge deshalb durch geeignete Regeln deren Macht beschränken. Zudem sollten die Congregations ermahnt werden, nur jene als Trustees zu wählen, die fromm, klug und integer seien. Sie sollten ferner dafür sorgen, dass die Macht der Trustees insofern begrenzt werde, dass sie den Priester nicht entlassen oder ihm nicht das Gehalt streichen könnten. Auch dürften sie nicht die Macht besitzen, einen vom Bischof nicht zugelassenen oder suspendierten Priester anzustellen. Schließlich sollten die Congregations darauf schauen, dass die Priester bei der Ausübung ihres seelsorglichen Dienstes von den Trustees gänzlich unabhängig seien.
37 „Itaque memorare debent aeditui, bona quae ad divinum cultum nec non ad Ecclesiae eiusque ministrorum sustentationem oblata sunt, in Ecclesiae potestatem transire: sicut autem Episcopi ex ordinatione divina sunt qui praesunt Ecclesiae, ita ipsi non possunt ab eorumdem bonorum cura, dispositione ac vigilantia excludi“, ebd., S. 620 f. Der Papst erinnerte in diesem Zusammenhang an das Konzil von Trient, welches verlangt hatte, dass die Verwalter bzw. Pfleger der Kirchenfabrik dem Ordinarius jährlich Rechenschaft abzulegen hätten, vgl. Sess. 22, Cap. 9, de ref. 38 „Ita enim non Episcopi praeessent Ecclesiae, sed laici; pastor subditus gregi suo effectus esset, et laici homines potestatem illam, quae Episcopis divinitus data est, sibi usurpare conarentur“, De Martinis (Hrsg.), Iuris Pontificii (Anm. 34), 4. Bd., S. 621. 39 Vgl. ebd. (Anm. 34), S. 621 f. in nota.
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Betreffs der Kirchen, die in Zukunft gebaut würden, empfahl die Propaganda Fide, diese sollten auf den Namen des Bischofs übertragen werden (fee simple). Dies müsse in zivilrechtlich einwandfreier Weise geschehen. Es sei dann Aufgabe des Bischofs, diese Güter mittels eines Testaments an den Nachfolger im Amt weiterzugeben. Wollten die Laien das Vermögen aber selbst verwalten, so müsse der Bischof darauf achten, dass dies so geschehe, dass sie das Vermögen in keiner Weise missbrauchen könnten. Könne hier keine für die Kirche akzeptable Lösung gefunden werden, solle der Bischof die Weihe der Kirche verweigern und auch keinen Priester dorthin entsenden. So deutlich die Worte des Papstes und so klar die Anweisungen der Kongregation waren, ist doch festzuhalten, dass der Apostolische Stuhl damit das Trustee-System nicht grundsätzlich verdammte, sondern es nur in seinen Wirkungen zu beschneiden versuchte.40 Die Mitwirkung der Laien sollte auf jenes Maß zurückgeführt werden, welches das Konzil von Trient bestimmt hatte. Die Auffassung, das System hätte in dieser Form überlebt, wenn die Trustees damals auf den Papst eingegangen wären, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen.41 Das Schreiben Pius VII. und die beigefügte Instruktion vermochten indes bei überzeugten Trustees wenig Wirkung zu erzielen.42
V. Synodale Antwort der amerikanischen Bischöfe Waren die widerspenstigen Trustees an sich guten Willens und nur schlecht informiert darüber, dass sie lediglich Verwalter von Vermögen sein sollten, das für die Verfolgung von kirchlichen Zwecken bestimmt war? Bischof Carroll war – wie erwähnt – noch dieser Auffassung gewesen. Inzwischen hatte sich jedoch gezeigt, dass die Verfügungsmacht über kirchlichen Zwecken dienendes Vermögen in den Dienst anderer als der kirchlichen Interessen gestellt werden konnte. Zweifellos spielten Fragestellungen wir „konservative“ oder „progressive“ Ansichten zum Weg, den die Kirche einschlagen sollte, damals noch keine Rolle. Interessenkonflikte ergaben sich vielmehr daraus, dass die Trustees ihren Einfluss nicht selten in den Dienst nationalistischer Interessen stellten. So hatten alteingesessene Iren – schon aus sprachlichen Gründen – grundsätzliche Probleme mit französischen Geistlichen, die nach der Revolution von 1789 in die USA einwanderten.43 Deutsche und Elsässer wiederum wollten ihre nationale Eigenart in der neuen Welt bewahren und nutzten den Einfluss auf das kirchlichen Zwecken dienende Vermögen, um Gläubige anderer 40 Vgl. Chester J. Bartlett, The Tenure of Parochial Property in the United States of America, Washington D. C. 1926, S. 57. 41 Vgl. Guilday, John England (Anm. 9), 1. Bd., S. 354 f. und S. 358 f.; vgl. auch Corecco, La formazione (Anm. 8), S. 280. 42 Vgl. Carey, People (Anm. 8), S. 260. 43 Vgl. Hennesey, American Catholics (Anm. 15), S. 94 f.; vgl. McAvoy, A History (Anm. 33), S. 75 f.; vgl. Guilday, John England (Anm. 9), S. 165.
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Nationalität aus dem Feld zu schlagen.44 Noch gefährlicher war, dass Trustees das System dazu benutzten, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Sie betrachteten ihr Amt als Sprosse zum gesellschaftlichen Aufstieg und gedachten, die in der protestantisch-demokratisch geprägten Gesellschaft üblichen Vorgehensweisen und Ansichten auch in ihrer Kirche zum Durchbruch zu verhelfen, um in gesellschaftlichem Ansehen zu stehen.45 Entsprechend redeten sie einer Amerikanisierung und Demokratisierung der Kirche das Wort.46 In dieses Bild passt, dass viele Trustees zugleich Freimaurer waren und sogar dafür sorgten, dass in „ihren“ Kirchen entsprechende Symbole prangten.47 Andere Trustees wollten – an den Bischöfen und Pfarrern vorbei – die katholische Kirche in eigener Regie und nach eigenen Vorstellungen in der neuen Welt inkulturieren.48 Dazu sollten auch das hire and fire des Pastors gehören.49 Auch ökonomische Interessen spielten eine Rolle: Die Trustees suchten sich die Priester bisweilen nicht in erster Linie danach aus, ob sie fromm waren, sondern ob sie als gute Redner galten, wovon sie sich einen vermehrten Kirchenbesuch und damit höhere Einnahmen erhofften.50 Zweifellos hatte das Trustee-System zum Aufblühen des Kirchbaus und zur Bildung von Congregations geführt. Tiefer Glaube und guter Wille waren in vielen Fällen die Triebkräfte. Aber das System drohte stets, die Congregations zu spalten. Denn es schuf vier mit einander konkurrenzierende Kräfte. Und nur von der Kompatibilität der jeweiligen Persönlichkeit des Diözesanbischofs, des Priesters und der LaienTrustees sowie von der nationalen, sozialen und kulturellen Zusammensetzung der Congregation hing deren Gedeihen ab. Denn die erwähnten vier Akteure hatten 44 Vgl. Jay P. Dolan, Philadelphia and the German Catholic Community, in: Randall M. Miller/Thomas D. Marzik (Hrsg.), Immigrants and Religion in Urban America, Philadelphia 1977, S. 71; vgl. auch Andrew P. Yox, The Parochial Context of Trusteeism: Buffalo‘s St. Louis Church, 1828 – 1855, in: The Catholic Historical Review 76 (1990), S. 725 und S. 727. 45 Vgl. Carey, People (Anm. 8), S. 118 f., S. 148 und S. 151 f.; vgl. Ders., The Laity‘s Understanding of the Trustee System, 1785 – 1855, in: Catholic Historical Review 64 (1978), S. 374 f.; vgl. auch Ders., Republicanism within American Catholicism, 1785 – 1860, in: Journal of the Early Republic 3 (1983), S. 435 f. 46 Vgl. Robert F. Trisco, Democratic Influence on the Election of Bishops and Pastors and on the Administration of Dioceses and Parishes in the U.S.A., in: Giuseppe Alberigo/Anton Weiler (Hrsg.), Election and Consensus in the Church, New York 1972, S. 132. 47 Vgl. Carey, People (Anm. 8), S. 119 und S. 151 f. 48 Vgl. David A. Gerber, Modernity in the Service of Tradition: Catholic Lay Trustees at Buffalo‘s St. Louis Church and the Transformation of European Communal Traditions, 1829 – 1855, in: Journal of Social History 15 (1981 – 1982), S. 671 – 674. Auch die Bemühungen, die der Norfolker „Chefideologen“, John F. Oliveira Fernandez, mit seiner Schrift (vgl. Anm. 19) betrieb, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. 49 Vgl. James M. Woods, Art. Trusteeism, in: George H. Shriver/Bill J. Leonard (Hrsg.), Encyclopedia of religious controversies in the United States, Westport Connecticut/London 1997, S. 476. 50 Vgl. den Hirtenbrief von Erzbischof John Hughes von New York aus dem Jahr 1842, in: Kehoe (Hrsg.), Complete Works (Anm. 29), 1. Bd., S. 321 f.
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nicht in der Ekklesiologie und der kirchlichen Disziplin ihren gemeinsamen Bezugspunkt für ihr Wirken. Vielmehr lag dieser für den Klerus im kirchlichen Recht und für die Trustees sowie für die Congregation im weltlichen Recht und in säkularen gesellschaftlichen Werten. Das Trustee-System erforderte deshalb von allen Beteiligten ein überdurchschnittliches Maß an Kooperationsbereitschaft und Gesprächsfähigkeit. Angesichts der stets unvermeidlichen menschlichen Unzulänglichkeit stellte es eine Überforderung dar. Immer mehr setzte sich darum bei den Bischöfen die Überzeugung durch, die Probleme des Trustee-Systems seien nicht von Personen und ihrem prekären theologischen Bildungsstand sowie ihrer mäßigen Fähigkeit zur Zusammenarbeit abhängig, sondern dem System inhärent. Der New Yorker Erzbischof John Hughes sprach es – in Abgrenzung zu Bischof Carroll – im Jahr 1842 offen aus.51 Und die Mehrheit Bischöfe war wohl schon früher zu dieser Überzeugung gelangt. Sie suchten deshalb eine institutionelle Lösung für das Trustee-Problem, welche das kirchliche Leben von den Zufälligkeiten der Personalkonstellationen und der menschlichen Begrenztheiten so weit wie möglich unabhängig machte. Dabei ging es den Bischöfen nicht einfach um einen Machtkampf. Letztlich stand der geistliche Charakter der Kirche selbst auf dem Spiel.52 Denn es galt, das Aufgehen der Kirche in den Vereinigten Staaten von Amerika in einem republikanisch-protestantischen Milieu zu verhindern.53 Ohne dass dies beabsichtigt war, wurde das Trustee-Problem damit zum Katalysator, eine einheitliche, robuste katholische Kirche in den USA zu schmieden, die sich vom gesellschaftlichen Mainstream deutlich unterschied. Dies geschah nicht zuletzt durch das aus der Not geborene gemeinsame Vorgehen der Bischöfe. In der Zeit zwischen 1829 und 1891 fanden 34 Synoden unterschiedlicher Natur statt.54 Diese prägten das Leben der katholischen Kirche der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert nachhaltig und waren dafür verantwortlich, dass die Bischöfe die tonangebenden Kräfte wurden, nachdem die katholische Kirche noch bis ins erste Viertel des 19. Jahrhunderts eher eine lose Konföderation von lokalen Congregations gewesen war.55 Mit der Gesetzgebung des I. Provinzialkonzils von Baltimore im Jahre 1829 setzte eine rege gesetzgeberische Tätigkeit der Bischöfe ein mit dem Ziel, das Trustee-Sys51
„These evils have not arisen from the want of integrity on the part of the trustees, but appear to us to be inherent in the system, and inseparable from it“, ebd. (Anm. 29), S. 321. 52 Vgl. Carey, People (Anm. 8), S. 282. 53 Rückblickend konstatierte Erzbischof Hughes von New York im Jahr 1842: „How great has been our departure from the holy and wise provision of the Church, in relation to ecclesiastical property. Instead of taking those provisions for our model, we have imitated the secular or sectarian examples by which we are surrounded“, in: Kehoe (Hrsg.), Complete Works (Anm. 29), 1. Bd., S. 321. 54 Vgl. Corecco, La Formazione (Anm. 8), S. 127. 55 Vgl. Patrick W. Carey, The Roman Catholics, Westport (Connecticut) 1993, S. 29 – 31; vgl. Ders., Arguments for Lay Participation in Philadelphia Catholicism, 1820 – 1829, in: Records of the American Catholic Historical Society of Philadelphia 92 (1981), S. 55.
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tem zu eliminieren. So sollten künftig keine neu erbauten Kirchen mehr konsekriert werden, wenn nicht zuvor der Eigentumstitel im Sinne des fee simple an den Bischof übertragen werde.56 Hinsichtlich der bereits erbauten Kirchen blieben die Probleme freilich ungelöst, weil es den Bischöfen nicht möglich war, sich gegen die im weltlichen Recht fundierte Rechtsposition der Trustees durchzusetzen. Die Bischöfe versuchten deshalb vor allem, die Priester zu disziplinieren, welche sich bisweilen mit Trustees verbündeten. Und sie verhängten das Interdikt über Kirchen, was die Trustees wirtschaftlich schwächen sollte.57 Diese Grundsätze flossen nun in viele Diözesansynoden ein. Zudem begannen die Bischöfe, ganz im Sinne Bischof Carrolls, ihre Position durch Hirtenbriefe ins Volk zu tragen.58 Obwohl sich die Verhältnisse nach und nach verbesserten, zeigten sich die Bischöfe in ihrem Hirtenschreiben, das sie nach dem II. Provinzialkonzil von Baltimore im Jahr 1837 verfassten, weiterhin kämpferisch: „Wir haben es als unsere Verpflichtung empfunden (…), lieber – wie es viele unserer Vorgänger getan haben – unter freiem Himmel, in Privathäusern oder in bescheidenen Schuppen zu zelebrieren als in prächtigste Kirchen zu gehen und sehr reichliche Löhne zu empfangen um den Preis der Freiheit der kirchlichen Verwaltung, die wir bewahren müssen“.59
VI. Anerkennung kirchlicher Grundsätze im staatlichen Recht Entscheidende Fortschritte erzielten die Bischöfe vor allem betreffend die schon errichteten Kirchen erst, als es ihnen gelang, im weltlichen Recht die Schaffung von juristischen Personen zu erlangen, die im Einklang mit der hierarchischen Struktur der Kirche standen. Hierbei tat sich besonders der Erzbischof von New York, John Hughes (seit 1837 Koadjutor, von 1842 – 1864 Erzbischof), hervor.60 Er erreichte im Jahr 1863 vom New Yorker Gesetzgeber die Schaffung einer Corporation aggregate
56 „Cum saepius Aeditui laici abusi sint jure sibi a civili potestate tributo, in magnum Religionis detrimentum, non sine Fidelium scandalo, optamus maxime nullam in posterum erigi Ecclesiam aut consecrari, nisi fuerit Episcopo in cujus Dioecesi erigenda est, in cultum divinum et utilitatem Fidelium instrumento scripto adsignata, quandocumque id fieri poterit“, in: Collectio Lacensis (Anm. 14), 3. Bd., Sp. 27, Dekret V; vgl. dazu Bartlett, Parochial Property (Anm. 40), S. 52 – 59. 57 Vgl. dazu Grichting, Verfügungsrecht (Anm. 8), S. 439 f. 58 Vgl. die im Gefolge des Provinzialkonzils von Baltimore 1829 an die Laien und die Priester verfassten Hirtenbriefe in: Hugh J. Nolan (Hrsg.), Pastoral Letters of the United States Catholic Bishops, 1. Bd., Washington 1984, S. 35 – 49 bzw. S. 50 – 66. 59 Ebd. (Anm. 58), S. 106. 60 Vgl. zu Person und Wirken: Richard Shaw, Dagger John. The Unquiet Life and Times of Archbishop John Hughes of New York, New York/Ramsey (New York)/Toronto 1977; vgl. auch Grichting, Verfügungsrecht (Anm. 8), S. 444 – 459.
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bzw. Congregational Corporation genannten Rechtsperson.61 Dessen Board of Trustees bildeten in jeder Congregation ex officio der Diözesanbischof, der Generalvikar sowie der Pfarrer, die sodann zwei Laien als Mitglieder designieren konnten. Die Hierarchie, faktisch der Pfarrer, errang damit das Verfügungsrecht über die Kirchengüter, wurde allerdings durch die Mitwirkung von zwei Laien kontrolliert.62 Durch diesen Erfolg ermuntert, appellierten die Bischöfe anlässlich des II. Plenarkonzils der Vereinigten Staaten von 1866 an den Staat, er solle der Kirche im ganzen Land Rechtspersonen zur Verfügung stellen, mittels derer sie ihr Vermögen in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen verwalten könne: „Man kann nur dann sagen, dass diese Freiheit [Religionsfreiheit] existiert, wenn die Gesetze und Vorschriften der Kirche auch im zivilen Bereich als solche zugelassen werden, und ihnen dadurch Rechtskraft verliehen wird“.63 Und in einem Hirtenschreiben des gleichen Jahrs doppelten sie nach: „Gerade so gut könnte der Staat der Kirche die Lehren, die sie zu verkündigen hätte, oder den Gottesdienst, mit dem sie Gott verehren soll, vorschreiben, wenn er ihr ein System für das Halten ihres Vermögens aufzwingt, das ihren Grundsätzen fremd und von jenen entlehnt ist, die ihre Autorität verworfen haben“.64 Die nach wie vor von den Bischöfen geäusserte Besorgnis über die vermögensrechtliche Lage war nicht unbegründet, hatte doch das vermeintlich sichere System des fee simple ebenfalls empfindliche Nachteile. Diese wurden deutlich, als es der Bischof von Sault Saint Marie (heute Marquette, Michigan) versäumt hatte, das in fee simple quasi als Privatvermögen gehaltene Diözesanvermögen mittels eines Testaments seinem Nachfolger zu vermachen. Dessen Herkunftsfamilie, die erbberechtigt war, musste mit einer beachtlichen Summe ausgekauft werden, um zu verhindern, dass sie vor Gericht ging.65 Dieser und weitere, mit fee simple verbundene Skandale führten schließlich dazu, dass die Bischöfe anlässlich des III. Plenarkonzils von 1884 eine Art Rangliste der juristischen Personen des weltlichen Rechts aufstellten, die es seitens der Diözesen und gemäß den Gegebenheiten in den jeweiligen Bundesstaaten zu nutzen galt. Die Oberhirten leiteten ihre Entscheidung mit ekklesiologisch relevanten Überlegungen ein. Sie zogen das Bild von Leib und Seele heran und folgerten: „Deshalb muss die Kirche, welche eine Gesellschaft ist, die allen durch eine äussere Verbindung und Ordnung ihrer Glieder sichtbar erscheint, um ihr Ziel zu erreichen, zweifellos jene Mittel anwenden, die nicht nur reinen Geistern, sondern
61 Das Gesetz in seiner damaligen Fassung ist greifbar bei Frederick J. Zwierlein, The Life and Letters of Bishop McQuaid. Prefaced with the History of Catholic Rochester before His Episcopate, 1. Bd., Roma/Rochester (New York) 1925, S. 221 f.; vgl. auch Dignan, Legal Incorporation (Anm. 6), S. 207 f. 62 Vgl. Corecco, La formazione (Anm. 8), S. 248 – 250. 63 Dekret 200, in: Collectio Lacensis (Anm. 14), 3. Bd., Sp. 454. 64 Nolan, Pastoral Letters (Anm. 58), 1. Bd., S. 192; vgl. auch Collectio Lacensis (Anm. 14), 3. Bd., Sp. 1257. 65 Vgl. Dignan, Legal Incorporation (Anm. 6), S. 215.
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Menschen, die aus Leib und Seele bestehen, angemessen sind“.66 Ihre geistlichen Aufgaben könne die Kirche deshalb nicht erfüllen, wenn sie nicht auch auf sichtbare Weise „äußere Mittel“ anwende. Die damit gemeinten zeitlichen Güter seien deshalb nicht nur nützlich für die Kirche, sondern ganz und gar notwendig. War diese Grundsatzfrage geklärt, ließ sich nun das von den Trustees immer wieder postulierte Recht, unabhängig von den Bischöfen das Kirchenvermögen verwalten zu können, verurteilen: „Wir erklären deshalb die Meinung derjenigen als falsch, welche lehren, die kirchlichen Versammlungen oder Congregations, denen von der zivilen Autorität das Recht zugestanden wurde, zeitliche Güter zu erwerben, zu verwalten und zu veräussern, könnten dieses Recht unabhängig von der kirchlichen Autorität ausüben, ja sogar gegen die Canones und Dekrete der Kirche“.67 Das New Yorker Modell der Corporation aggregate, nun auch Parish Corporation genannt, setzten die Bischöfe an die erste Stelle. Überall im Land sollten die Bischöfe versuchen, es von den lokalen Gesetzgebern zu erlangen. Sie zogen – darin von der römischen Kurie unterstützt, wenn nicht gar aufgefordert – dieses Modell der Corporation sole vor, welches das Bischofamt als solches inkorporierte68, ebenfalls der Überlassung des Diözesanvermögens an den Diözesanbischof in trust. Ersteres machte den Bischof zum Alleinherrscher, ohne Kontrollrecht durch Laien. Letzteres barg die Gefahr, dass der Bischof als Treuhänder des Vermögens von der Congregation abgesetzt werden konnte. Das Modell des fee simple landete auf dem letzten Platz.69 66 „Ecclesia (…) iis procul dubio mediis uti debet ad finem suum assequendum, quae non meris purisque spiritibus, at vero hominibus ex corpore simul et anima compositis conveniant. Etsi proinde Ecclesiae est orare, praedicare, ministrare atque sacrificare, his tamen divinis muneribus, cum non solum pro hominibus, sed etiam inter homines et ab hominibus exercenda sint, spectata humana natura humanaeque societatis indole, recte fungi non potest, nisi mediis externis modisque visibilibus utatur. Externa scilicet et temporalia bona non modo Ecclesiae utilia sed omnino necessaria sunt“, Acta et Decreta Concilii Plenarii Baltimorensis Tertii. A. D. MDCCCLXXXIV, Baltimore 1886, S. 149, Dekret 264. 67 „Declaramus itaque falsam eorum sententiam qui docent coetus ecclesiasticos seu congregationes, quibus ab auctoritate civili jus bona temporalia acquirendi, administrandi et alienandi concessum est, hoc ipsum jus exercere posse independenter ab auctoritate Ecclesiae, immo contra ejusdem canones et decreta“, ebd. (Anm. 66), S. 151, Dekret 265. 68 Vgl. dazu Bartlett, Parochial Property (Anm. 40), S. 75 – 81; vgl. zur Rolle der Kurie: Corecco, Formazione (Anm. 8), S. 267. 69 „In Statibus in quibus civilis parochiarum vel coetuum ecclesiasticorum incorporatio legalis quae cum legibus ecclesiasticis concordet, non existit, Episcopus ipsemet, lege in comitiis ferenda, corpus publicum seu persona moralis (Corporation sole) constitui poterit ad bona totius dioecesis habenda et administranda; vel poterunt simili lege dioecesis bona committi Episcopi fidei (In trust) ut eadem nomine dioeceseos teneat in ejusque bonum, juxta mentem Ecclesiae, administret; vel denique Episcopus bona dioeceseos temporalia possideat et administret nomine suo proprio, illo nempe absoluto plenoque juris titulo, qui anglice vocatur in fee simple; quo in casu Episcopus omnino memor sit, se, quantumvis a potestate saeculari plenum ecclesiasticarum rerum sibi datum fuerit dominium, ex sacrorum canonum monitu dominum earum non esse, sed mere procuratorem“, Acta et Decreta (Anm. 66), S. 153, Dekret 267.
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Nachdem damit eine für das ganze Land verbindliche Vorgehensweise gefunden war und bereits verschiedene Bundesstaaten der katholischen Kirche entgegengekommen waren, so dass das Trustee-Problem zwar nicht überall gelöst, aber doch bedeutend entschärft war, lockerten die Bischöfe ihren restriktiven Kurs gegenüber der Mitwirkung von Laien an der Vermögensverwaltung.70 Sie erklärten die Mitwirkung von Laien für zulässig, sofern der betroffene Bischof zustimme. Allerdings dürften Laien nur aus einer vom Pastor vorgelegten Liste gewählt werden. Ihre kirchliche Gesinnung musste darüber hinaus erwiesen sein. Zudem verlangten die Bischöfe, der Pastor müsse immer ex officio Präsident des Vermögensverwaltungsgremiums sein. Und ohne dessen Zustimmung dürften keine Entscheidungen getroffen werden. Die vom III. Plenarkonzil erstellte Rangliste der Systeme für das Halten und Verwalten von Kirchenvermögen wurde schließlich von der Konzilskongregation in einer Entscheidung vom 29. Juli 1911 im Prinzip übernommen.71 Das römische Dikasterium gab ebenfalls der nunmehr Parish Corporation genannten Corporation aggregate den Vorzug.72 Die Bischöfe wurden aufgefordert, dieses System dort einzuführen, wo immer es die bundesstaatlichen Gesetze erlaubten. Wo dies nicht der Fall sei, sollten die Bischöfe beim Gesetzgeber vorstellig werden, damit das System ermöglicht werde (vgl. Nr. 1). Anderenfalls sei auf die Corporation sole zurückzugreifen. Der Bischof müsse dann aber die Interessierten und die Diözesankonsultoren hören, bei wichtigeren Geschäften bedürfe er der Zustimmung letzterer (vgl. Nr. 2). Das System des fee Simple sei gänzlich abzuschaffen (vgl. Nr. 3). Der Apostolische Stuhl wünschte somit als ideales Modell für die Vermögensverwaltung nicht den omnipotenten Diözesanbischof bzw. Pfarrer, sondern den Diözesanbischof und Pfarrer, der in seiner Leitungsvollmacht nicht beschnitten werden konnte, dabei aber dennoch einer Kontrolle seines Finanzgebarens durch Laien unterworfen wurde.
VII. Lehren für die Universalkirche aus dem Trustee-Problem Was als Ertrag der Auseinandersetzungen um den Trusteeism gelten kann, ist im Kern das, was die Kirche in Bezug auf das Vermögensrecht mit dem Codex Iuris Canonici von 1983 heute gesamtkirchlich vorschreibt.73 Sowohl auf der Ebene des Bistums (c. 492 § 1 und c. 493 CIC/1983) wie der Pfarrei (c. 532 und c. 537 CIC/1983) wird der Pfarrer bzw. der Bischof federführend erklärt in Bezug auf die Verfügung 70
Vgl. ebd. (Anm. 66), S. 163 – 165, Dekret 284 – 287. De Methodis possidendi et administrandi Bona Ecclesiastica in Stat. Americae Foed., abgedruckt in: The Ecclesiastical Review 45 (1911), S. 585 f. 72 Dies fiel umso leichter, als der Staat New York im Jahr 1895 das entsprechende Gesetz um die Norm ergänzt hatte, gemäß welcher die Gültigkeit von Entscheidungen der Trustees von der Zustimmung des Diözesanbischofs abhängig gemacht wurde, vgl. Dignan, Legal Incorporation (Anm. 6), S. 208 f. 73 Vgl. Grichting, Verfügungsrecht (Anm. 8), S. 647 – 665. 71
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über das Kirchenvermögen, das nur als solches gelten kann, wenn es sich im Eigentum einer kirchlichen juristischen Person befindet (c. 1257 CIC/1983). Ebenfalls wird das allgemeine Prinzip verkündet, dass die kirchliche Vermögensverwaltung derjenigen Person zusteht, welche die juristische Person, der dieses Vermögen gehört, direkt leitet (c. 1279 § 1 CIC/1983).74 Dies ist dem von Papst Pius VII. in Erinnerung gerufenen Grundsatz geschuldet, dass die Bischöfe ihrer Teilkirche vorstehen und deshalb auch in jenem Bereich der Leitungsvollmacht, der die Vermögensverwaltung betrifft, nicht ausgeschlossen werden können.75 Weltliche Grundsätze, die hemdsärmlig mit „Wer zahlt, befiehlt“ und gehobener mit „No taxation without representation“ umschrieben werden, können deshalb aus ekklesiologischen Gründen nicht auf die Kirche angewandt werden. Denn die Kirche ist keine rein irdische Organisation, sondern eine „komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (LG 8). Ihr Vermögensrecht bedarf deshalb, wie eingangs mit den Worten von Winfried Aymans erläutert, „einer theologischen Rechtfertigung“, die „stets an den der Kirche eigenen Zielsetzungen gemessen und entsprechend den konkreten Lebensbedingungen der Kirche ausgerichtet werden“ muss.76 Dazu gehört auch, dass auf die Kirche nicht der Demokratie zuzuordnende steuerrechtliche Grundsätze angewendet werden können. Gaben der Gläubigen gehen deshalb, wie Papst Pius VII. betont hat77, im Sinne einer Spende in das Eigentum der Kirche über und bilden keine Basis für die Geltendmachung von Mitbestimmungsansprüchen. Gleichwohl weiß die Kirche um die Brüchigkeit der menschlichen Existenz, vor der Kleriker genauso wenig gefeit sind wie Laien. Die Trustee-Problematik hat dies ebenfalls vor Augen geführt. Sowohl die amerikanischen Bischöfe wie der Apostolische Stuhl haben deshalb einem vermögensrechtlichen Setting zum Durchbruch zu verhelfen versucht, welches die Kleriker zwar nicht im Sinne der Checks and Balances mit einem laikalen Gegenspieler konkurrenziert. Sie haben aber auch nicht ohne Not Lösungen wie der Corporation sole den Vorzug gegeben, die den Bischof faktisch zum unhinterfragbaren Alleinentscheider macht. Hinzu kommt, dass sich die Kirche vor einem übertriebenen Spiritualismus hüten muss, der die weltliche, materielle Seite der „komplexen Wirklichkeit“ Kirche unterschätzt. Kirchengüter stellen eine weltnahe Materie dar, deren Handhabung spezifisch wirtschaftlichen und juristischen Sachverstand erfordert. Dieser mag bisweilen auch bei Klerikern vorhanden sein. Er dürfte ausbildungs- und lebenspraktisch bedingt allerdings öfter bei Laien angesiedelt sein. Sowohl auf der Ebene des Bistums (c. 492 – 494 CIC/ 1983) wie der Pfarrei (c. 537 CIC/1983) sieht das geltende Kirchenrecht deshalb – nicht unähnlich dem, was Erzbischof John Hughes von New York und später der Kon74
Vgl. zur Genese dieses Canons: ebd. (Anm. 8), S. 649 – 657. Vgl. De Martinis (Hrsg.), Iuris Pontificii (Anm. 34), 4. Bd., S. 620 f. 76 Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 147. 77 „Bona quae ad divinum cultum nec non ad Ecclesiae eiusque ministrorum sustentationem oblata sunt, in Ecclesiae potestatem transire“, De Martinis (Hrsg.), Iuris Pontificii (Anm. 34), 4. Bd., S. 620 f. 75
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sistorialkongregation mit der Corporation aggregate vorschwebte – eine faktische Kontrolle des wirtschaftlichen Gebarens der kirchlichen Leitungspersonen durch wirtschaftlich und rechtlich beschlagene Ratgeber, in der Praxis wohl meist Laien, vor. Der diözesane wie der pfarreiliche Vermögensverwaltungsrat sind dabei nach geltendem Recht nicht bloß fakultativ zu berufen, sondern zwingend. Diese Räte sind jedoch wiederum so ausgestaltet, dass sie der kirchlichen Leitungsperson eine fachliche Unterstützung geben, ohne dadurch zum Antagonisten zu werden. Deshalb sind die beiden Räte nicht als Repräsentanz der Gläubigen konzipiert, anders als der Priesterrat und der diözesane bzw. der pfarreiliche Pastoralrat. Bei diesen klingt ja das Thema der Repräsentanz zumindest an. Die mens legislatoris ist auch hierzu im V. Buch des CIC/1983 in allgemeiner Weise definiert, wenn davon gesprochen wird, dass jede juristische Person über einen Vermögensverwaltungsrat verfügen muss (nicht bloß soll) oder wenigstens über zwei Berater, die dem Verwalter bei der Erfüllung seiner Aufgabe helfen (c. 1280 CIC/1983).78 Worum es letztlich bei der ekklesiologisch angemessenen Ausgestaltung des kirchlichen Vermögensrechts geht, ist schließlich zusammengefasst in c. 1282 CIC/1983: „Alle, Kleriker oder Laien, die aufgrund eines rechtmäßigen Titels an der kirchlichen Vermögensverwaltung teilhaben, sind gehalten, ihre Aufgaben im Namen der Kirche nach Maßgabe des Rechts zu erfüllen“. Auch bei diesem Canon, der im CIC/1917 seinen Vorläufer hatte (c. 1521 § 2 CIC/1917) und der sich damals explizit nur an die Laien richtete, schimmert unter anderem die amerikanische Tragödie des Trusteeism durch.79 Denn die Trustees, welche kirchlichen Zwecken dienendes Vermögen in Eigenregie verwalteten, waren nicht im Namen der Kirche tätig, sondern im Namen eigener Interessen oder im Namen der Interessen ihrer Wähler. Und dabei wurden – wie erwähnt – allzu oft nicht nur die Ziele verfolgt, die der Kirche eigen sind, sondern kirchenfremde. Die Trustees nahmen ihre Aufgaben nicht als Glieder der Kirche, sondern als Privatleute oder Staatsbürger wahr. Ihre Stellung war nicht unähnlich derjenigen der Laien, die durch staatliche Einmischungsversuche in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien oder der Schweiz vor allem im 19. Jahrhundert in die Lage versetzt wurden oder versetzt werden sollten, im Namen des Staates, unabhängig von der kirchlichen Leitung, im Bereich des Vermögensrechts zu handeln. C. 1282 CIC/1983 betont demgegenüber, dass die kirchliche Vermögensverwaltung ein Teil der kirchlichen Leitungsvollmacht ist und deshalb innerhalb der kirchlichen Communio geleistet werden muss, wenn sie nicht – wie in den Vereinigten Staaten von Amerika geschehen – zum Spaltpilz werden soll. Nur so ist garantiert, dass zwischen den Klerikern und den Laien nicht im 78 Vgl. zum Verhältnis von Diözesanbischof bzw. Pfarrer zu ihren jeweiligen Vermögensverwaltungsräten Grichting, Verfügungsrecht (Anm. 8), S. 630 – 640, zur Ausnahmeregel von c. 1277 i.V.m. c. 127 § 2 18 CIC/1983 vgl. ebd. (Anm. 8), S. 636 f. 79 Noch der Kommission, welche den CIC/1983 erarbeitete, war das bewusst: „Rev.mus Secretarius meminit talem specialem normam in Codice Iuris Canonici (can. 1521 § 2) laicis impositam fuisse propter rationes historicas, ad tollendos nempe abusus qui in aliquibus regionibus grassabantur“, in: Communicationes 36 (2004), S. 313.
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Sinne einer gallikanisch angehauchten „Gewaltenteilung“ ein – bestenfalls geregeltes – Nebeneinander besteht, sondern im Sinne des II. Vatikanischen Konzils „eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung“ (AA, Nr. 2).
Interdiözesangerichte erster Instanz als Alternative zu den Diözesangerichten Von Elmar Güthoff
I. Die Verpflichtung zur Bestellung von Offizial und Richtern und die damit verbundene Problematik Nach dem Recht des CIC/1917 war der Bischof in seiner Diözese grundsätzlich für alle Angelegenheiten Richter erster Instanz und konnte seine Gerichtsgewalt persönlich oder durch andere ausüben, c. 1572 § 1 CIC/1917. Der Bischof war verpflichtet, einen Priester als Offizial für den gemeingerichtlichen Bereich zu bestellen, c. 1573 CIC/1917. Darüber hinaus war der Bischof zur Bestellung von Priestern zu Diözesanrichtern verpflichtet, c. 1574 § 1 CIC/1917. Für Deutschland, Österreich und die Schweiz stellte die Umsetzung dieser kodikarischen Vorgaben kein unüberwindliches Hindernis dar. In anderen Ländern hingegen war die Umsetzung vielfach angesichts der geringen Größe von Diözesen schwierig. In zahlreichen Diözesen fielen kaum Fälle an, die gerichtlich zu entscheiden waren. Vor allem aber erwies es sich als schwierig, für die Ämter des Offizials und der Richter geeignete Priester zur Verfügung zu haben. Es hatte sich deswegen in einigen Gebieten als sinnvoll erwiesen, ein gemeinsames Gericht für mehrere Diözesen zu schaffen, insbesondere zur Durchführung von Eheprozessen.1 Spätestens seit 1988 hat sich hierfür in kirchenamtlichen Texten die Bezeichnung „Interdiözesangericht“ oder „interdiözesanes Gericht“ (Art. 124, 48 PB) durchgesetzt.2 Der CIC/1917 und die Eheprozessordnung Provida Mater Ecclesiae vom 15. 08. 19363 sahen die Errichtung von Interdiözesangerichten noch nicht vor, weshalb die Errichtung letztlich nur durch den Hl. Stuhl erfolgen konnte. 1
Vgl. Zenon Grocholewski, De ordinatione ac munere tribunalium in Ecclesia ratione quoque habita iustitiae administrativae, in EphIurCan 48 (1992), S. 47 – 82, hier S. 51; Pawel Malecha, I tribunali interdiocesani alla luce dei recenti documenti della Segnatura Apostolica. Alcune considerazioni pratiche, in: Ius Ecclesiae 24 (2012), S. 192 – 208, hier S. 196 f.; José L. Méndez Rayón, Normativa procesal y tercera instancia, in: Revista Española de Derecho Canónico 52 (1995), S. 646 – 648, hier S. 646 f. 2 Zur Bezeichnung s. Cesare Zaggia, I Tribunali interdiocesani o regionali nella vita della Chiesa, in: Zenon Grocholewski/Vicente Carcel Orti (Hrsg.), Dilexit Iustitiam, FS Aurelius Card. Sabattani, Vatikanstadt 1984, S. 121 – 153, hier S. 138 f. 3 S. AAS 28 (1936), S. 313 – 361.
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II. Die Einrichtung von Interdiözesangerichten für Italien Pius XI. errichtete mit dem Motu Proprio Qua cura vom 08. 12. 1938 für Italien 18 Interdiözesangerichte erster Instanz und neun zweiter Instanz, die zuständig für die Behandlung von Ehefragen waren.4 Erstmals in den AAS ist hier von einem „regionale tribunal“ die Rede. Die Kongregation für die Sakramentendisziplin erließ am 10. 07. 1940 Ausführungsbestimmungen zum Motu Proprio Qua cura für diese Interdiözesangerichte.5 Diese Normen und die Regelungen von Qua cura traten 30 Tage nach dem Erscheinen des Heftes der AAS, in dem die Normen abgedruckt waren6, in Kraft; dieses Heft erschien am 06. 08. 1940, so dass die italienischen Interdiözesangerichte ab dem 05. 09. 1940 die Arbeit aufnehmen konnten.7
III. Ältere Interdiözesangerichte Gemeinhin gelten die italienischen Interdiözesangerichte als die ältesten.8 Wahrscheinlich gab es aber vor allem in den seinerzeit der Kongregation De Propaganda Fide unterstehenden Territorien schon eher Interdiözesangerichte als in Italien.9 Diese Gerichte werden in den AAS im zeitlichen Zusammenhang mit der Einrichtung der Interdiözesangerichte in Italien, aber in einem ganz anderen Sachzusammenhang erwähnt. Im Rahmen der einschlägigen Schreiben geht es um die Wahl eines Berufungsgerichtes, ohne dass die Errichtungsdekrete dieser Interdiözesangerichte näher umschrieben, mit verwertbaren Quellenangaben versehen oder mit abgedruckt sind. Zunächst findet man in den AAS einen Hinweis auf die Errichtung eines Interdiözesangerichtes erster Instanz in Albanien. In einem nicht datierten (nach dem 14. 11. 1939 verfassten) Schreiben der Kongregation De Propaganda Fide aus dem Jahr 1939 ist von den Bischöfen Albaniens die Rede, „quibus ex pontificia concessione 4
S. AAS 30 (1938), S. 410 – 413. S. AAS 32 (1940), S. 304 – 308. 6 „Quae supra statuta sunt necnon integrae Litterae Apostolicae Qua cura die 8 Decembris 1938 Motu Proprio datae exsecutioni mandentur trigesimo die postquam praesentes Normae per Acta Ap. Sedis publicatae erunt“, in: Kongregation für die Sakramentendisziplin (Hrsg.), Normen vom 10. 07. 1940 (Anm. 4), S. 308. 7 Vgl. Zaggia, I Tribunali interdiocesani o regionali nella vita della Chiesa (Anm. 2), S. 124; Giambattista Migliori, Il nuovo ordinamento dei Tribunali Ecclesiastici per le cause matrimoniali, Mailand 1941, 6; Manuel Ganarin, I tribunali interdiocesani secondo il m.p. Mitis Iudex Dominus Iesus. Riflessioni circa la ”sorte” del m.p. Qua cura di Papa Pio XI, in: Stato, Chiese e Pluralismo Confessionale, 11/2016, S. 1 – 94, hier S. 24 f. 8 So Malecha, I tribunali interdiocesani alla luce dei recenti documenti della Segnatura Apostolica (Anm. 1), S. 194; Zaggia, I Tribunali interdiocesani o regionali nella vita della Chiesa (Anm. 2), S. 124. 9 „Aliquae conglobationes tribunalium factae vel permissae sunt illo tempore etiam a Congregatione de Propaganda Fide“, in: Grocholewski, De ordinatione ac munere tribunalium in Ecclesia ratione quoque habita iustitiae administrativae (Anm. 1), S. 51. 5
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facultas facta erat instituendi Seodrae unicum tribunal interdioecesanum primae instantiae“10, die ein für sie zuständiges Gericht zweiter Instanz gewählt hatten. In diesem Satz ist nicht von einer nur auf Ehesachen beschränkten Zuständigkeit dieses Gerichtes die Rede, was aber nicht bedeutet, dass es tatsächlich eine weitergehende Zuständigkeit hatte. Die Existenz eines Interdiözesangerichtes erster Instanz in Albanien wird in dem Schreiben der Kongregation lediglich erwähnt. Die genaue Zuständigkeit dieses Gerichtes wird man nur dem Errichtungsdekret entnehmen können, das in den AAS aber nicht abgedruckt ist. Die Kernaussage dieses Schreibens ist eine andere: Pius XII. approbierte am 14. 11. 1939 die Wahl des Berufungsgerichtes für dieses Interdiözesangericht. Erstmals findet man an dieser Stelle in den AAS den Ausdruck „tribunal interdioecesanum“. Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf ein Interdiözesangericht in Libyen: In einem nicht datierten (nach dem 23. 01. 1940 verfassten) Schreiben der Kongregation De Propaganda Fide aus dem Jahr 1940 ist von den Bischöfen Libyens die Rede, „quibus ex pontificia concessione facultas facta erat instituendi Tripoli unicum tribunal primae instantiae pro causis matrimonialibus“11. Das Interdiözesangericht in Tripolis besaß also eine Zuständigkeit ausdrücklich nur für Ehesachen. Auch in diesem Schreiben geht es nicht um die Errichtung des Gerichtes. Es geht darum, dass Pius XII. am 23. 01. 1940 die Wahl des Berufungsgerichtes für dieses Interdiözesangericht approbierte. In Eritrea gab es ein Interdiözesangericht in Asmara, das der – wie sie seinerzeit hieß – Kongregation für die Ostkirche12 unterstand. In einem nicht datierten (und nach dem 08. 06. 1940 verfassten) Schreiben dieser Kongregation geht es um zwei Ordinarien, „quibus facta est potestas instituendi in urbe Asmara unicum tribunal primae instantiae“13. Auch in diesem Schreiben geht es um die Wahl eines Gerichtes zweiter Instanz, die Pius XII. am 08. 06. 1940 approbierte. Wie beim Interdiözesangericht in Albanien bleibt auch hier unklar, ob sich die Zuständigkeit dieses Gerichtes nur auf Ehesachen bezog. Die Interdiözesangerichte in Albanien, Libyen und Eritrea scheinen älter als die italienischen zu sein. Dies geht aus der Tatsache hervor, dass sie die von ihnen gewählte Berufungsinstanz vom Hl. Stuhl genehmigt bekamen, bevor die Interdiözesangerichte in Italien ihre Arbeit aufnahmen. Auch in Äthiopien gab es schon früh zwei Interdiözesangerichte erster Instanz und zwar in Addis Abeba und in Mogadischu. In einem nicht datierten (nach dem 10
AAS 31 (1939), S. 715. AAS 32 (1940), S. 121. 12 Diese ekklesiologisch nicht zutreffende Bezeichnung erhielt die Kongregation durch Benedikt XV., Motu Proprio Dei Providentis, 01. 05. 1917, Nr. 1, in: AAS 9 (1917), S. 529 – 531. Die Bezeichnung Congregatio pro Ecclesiis Orientalibus erhielt sie durch Paul VI., Apostolische Konstitution Regimini Ecclesiae Universae, 15. 08. 1967, Art. 41, in: AAS 59 (1967), S. 885 – 928. 13 AAS 32 (1940), S. 303. 11
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17. 10. 1940 verfassten) Schreiben der Kongregation De Propaganda Fide aus dem Jahr 1940 ist von den Bischöfen Äthiopiens die Rede, „quibus facta est potestas instituendi in urbe Addis Abeba unicum tribunal primae instantiae“ bzw. „quibus facta est potestas instituendi unicum tribunal primae instantiae in urbe Mogadiscio“14. In diesem Schreiben geht es ebenfalls um die Wahl eines Gerichtes zweiter Instanz, die Pius XII. am 17. 10. 1940 approbierte. Wann die Interdiözesangerichte in Äthiopien errichtet wurden und welche Zuständigkeiten sie besaßen, geht aus dem Schreiben der Kongregation nicht hervor. Da die päpstliche Approbation der Berufungsinstanz zunächst die Errichtung des Gerichtes, dann die Wahl eines Berufungsgerichtes und schließlich Vorlauf beim Hl. Stuhl benötigt, ist aber davon auszugehen, dass auch die Interdiözesangerichte in Äthiopien älter sind als die in Italien.
IV. Die Entwicklung von 1940 bis 2011 Unter Bezugnahme auf die Regelung für Italien durch das Motu Proprio Qua cura wurden am 20. 12. 1940 drei Interdiözesangerichte erster Instanz für die Durchführung von Ehenichtigkeitsverfahren auf den Philippinen errichtet.15 Am 28. 04. 1941 erließ die Kongregation für die Sakramentendisziplin Normen („Normae pro exsequendo“) für die philippinischen Interdiözesangerichte16, die mit den im Jahr zuvor für die italienischen Interdiözesangerichte erlassenen weitgehend übereinstimmen. Nach einer am 31. 12. 1956 vorgenommenen Reform gab es auf den Philippinen sieben Interdiözesangerichte erster Instanz für Ehenichtigkeitsverfahren.17 Die Kongregation für die Sakramentendisziplin erließ am 31. 12. 1956 präzisierende Normen für die philippinischen Interdiözesangerichte, die sich inhaltlich nicht wesentlich von den 1941 erlassenen unterschieden.18 Zwischen 1946 und 1952 wurden unter Bezugnahme auf die Einrichtung von Interdiözesangerichten für Italien und die Philippinen mehrere solcher Gerichte in Kanada für die Durchführung von Ehenichtigkeitsverfahren errichtet.19 Es gibt keine offiziellen Angaben zur Anzahl der Interdiözesangerichte weltweit.20 Laut Pawel Malecha habe es am 31. 12. 2011 weltweit insgesamt 317 Inter14
AAS 32 (1940), S. 557. S. AAS 33 (1941), S. 363 f. 16 S. AAS 33 (1941), S. 364 – 368. 17 S. AAS 49 (1957), S. 163 f. 18 S. AAS 49 (1957), S. 165 – 169. 19 S. AAS 38 (1946), S. 281 – 283, AAS 44 (1952), S. 280 – 282 und AAS 58 (1956), S. 59 – 60. Die Ausführungsbestimmungen hierzu aus dem Jahr 1946 sind abgedruckt in: AAS 38 (1946), S. 281 – 283. 20 So stellte Gordon 1967 fest: „Non est opus facile cognoscere quot TT. huius generis hodie exsistant, quia neque omnia decreta erectionis publici iuris facta sunt in Actis A. S., neque ephemerides canonicae notitias dant de omnibus”, in: Ignacio Gordon, De tribunalibus 15
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diözesangerichte gegeben und zwar in Afrika 67, in Amerika 125, in Asien und Ozeanien 61 und in Europa 70; die Gesamtzahl der Errichtungen habe bei 362 gelegen, aber 45 seien im Laufe der Zeit aufgehoben worden.21
V. Die Situation in Deutschland Für die Teilkirchen im Bereich der ehemaligen DDR wurde am 06. 12. 1978 mit Wirkung zum 01. 07. 1979 ein Interdiözesangericht erster Instanz mit Sitz in Erfurt errichtet22; die Zuständigkeit dieses Gerichts beschränkte sich nicht auf Ehenichtigkeitsverfahren, sondern erstreckte sich „ad pertractandas causas universas“23. Für den Westteil von Berlin bestand ein eigenes Gericht I. Instanz. Das Interdiözesangericht erster Instanz besteht noch heute; aus dem Jurisdiktionsbezirk wurden lediglich Schwerin und das ehemalige Ost-Berlin ausgegliedert.24 Am 11. 03. 1996 wurde ein Interdiözesangericht erster Instanz errichtet für die Erzdiözese Hamburg und die Diözese Osnabrück mit Sitz in Osnabrück, dieses Gericht wurde Zuständigkeit zugewiesen „für Streitsachen jeglicher Art“25, was über die Zuständigkeit für Ehenichtigkeitsverfahren hinausgeht.
VI. Die Zuständigkeit der Interdiözesangerichte Während die ersten Interdiözesangerichte ausschließlich zur Behandlung von Ehefragen errichtet waren, wurden in den nachfolgenden Jahren bei diversen Interdiözesangerichten die Kompetenzen auf alle Streitsachen und auf Strafsachen ausgedehnt. Dies erfolgte erstmals im Hinblick auf ein Interdiözesangericht in Madagaskar. Mit Schreiben vom 25. 01. 1957 errichtete die Kongregation De Propaganda Fide ein interdiözesanes Gericht zweiter Instanz für Madagaskar mit allgemeiner Zuständigkeit „pro causis ecclesiasticis, etiam matrimonialibus“26.
regionalibus cum respectu ad iudicum delectum et ad processus breviationem, in: Periodica 56 (1967), S. 579 – 596, hier S. 580 (Hervorhebung im Original). 21 Vgl. Malecha, I tribunali interdiocesani alla luce dei recenti documenti della Segnatura Apostolica (Anm. 1), S. 207 f. 22 S. AfkKR 148 (1979), S. 151 – 160. Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1423, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: August 1997). 23 AfkKR 148 (1979), S. 151. 24 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1423, Rdnr. 8, in: MK CIC (Stand: August 1997). 25 AfkKR 165 (1996), S. 191; vgl. Abl. Hamburg 2 (1996), S. 103 f., Abl. Osnabrück 112 (1996), S. 91 f., Abl. Hildesheim (1996), S. 129 – 136. 26 Prot.N. 5029/556, nicht in den AAS abgedruckt, wohl aber in: Xaver Ochoa (Hrsg.), Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae, 3. Bd., Rom 1972, Sp. 3912.
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Das in Toulouse am 17. 02. 1965 errichtete Interdiözesangericht hatte ursprünglich nur eine Zuständigkeit für die Durchführung von Ehenichtigkeitsverfahren.27 Aber schon am 18. 05. 1965 weitete die Konsistorialkongregation die Zuständigkeit dieses französischen Regionalgerichtes aus und zwar „ut universae causae, sive contentiosae sive criminales, quae ad eorum competens forum iure communi essent deferendae“28. Dieses Gericht war nunmehr zuständig für „universas causas, sive contentiosas sive criminales“29. Nach c. 1423 § 2 CIC/1983 können Interdiözesangerichte entweder für alle beliebigen Gerichtssachen oder nur für einzelne Arten von Prozesssachen – wie zum Beispiel Ehenichtigkeitsverfahren – eingerichtet werden.
VII. Das für die Errichtung von Interdiözesangerichten zuständige Organ des Hl. Stuhls Zuständiges Organ der Römischen Kurie für die Errichtung von Interdiözesangerichten war zunächst die Kongregation für die Sakramentendisziplin (basierend auf c. 253 § 2 CIC/1917)30, seit der Kurienreform von 1967 die Apostolische Signatur (Art. 105 der Apostolischen Konstitution Regimini Ecclesiae Universae), wobei die Entscheidung über die Bildung eines Interdiözesangerichtes letztlich beim Papst lag. Diese Zuständigkeit findet man auch in den von Paul VI. am 23. 03. 1968 erlassenen Normae speciales der Apostolischen Signatur (Art. 18 Nr. 6)31 und in den von der Apostolischen Signatur am 28. 12. 1970 erlassenen Normen für die Interdiözesangerichte (Art. 1 § 1).32 Nach c. 1423 CIC/1983 können die Diözesanbischöfe selbst einvernehmlich ein Interdiözesangericht erster Instanz einrichten. Hierzu bedürfen sie der Genehmigung der Apostolischen Signatur gemäß c. 1445 § 3, 38 CIC/1983, Art. 124, 48 PB und Art. 35, 58 Motu Proprio Antiqua ordinatione. In diesen Normen ist nicht nur von der Genehmigung der Errichtung von Interdiözesangerichten durch die Apostolische Signatur die Rede, die Errichtung dieser Gerichte soll zudem gefördert werden („promovere“), was aus den Normen von 1967, 1968 und 1970 noch nicht hervorging. Da 27 Das Errichtungsdekret und die Ausführungsbestimmungen wurden nicht in den AAS abgedruckt, wohl aber in: Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae (Anm. 26), Sp. 4630 – 4631 und 4651 – 4654. 28 AAS 57 (1965), S. 1006 f., hier S. 1007. 29 Ebd. (Anm. 28). 30 S. auch die allgemeinen Vorgaben in: Kongregation für die Sakramentendisziplin (Hrsg.), Schreiben vom 01. 07. 1931 De tractatione causarum matrimonialium, in: AAS 24 (1932), S. 272 – 274. 31 Nicht in den AAS abgedruckt, wohl aber in: Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae (Anm. 26), Sp. 5321 – 5332. 32 S. AAS 63 (1971), S. 486 – 492; vgl. Gordon, De tribunalibus regionalibus cum respectu ad iudicum delectum et ad processus breviationem (Anm. 20), S. 639 – 645.
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die Apostolische Signatur sehr auf eine geordnete Rechtspflege drängt, wurde die Bildung von Interdiözesangerichten durch sie stets gefördert. Dadurch wurde die Bildung eines Gerichtes für jene Regionen möglich oder spürbar erleichtert, in denen die Bildung von Diözesangerichten bzw. ein effizientes Arbeiten der Diözesangerichte schwer oder nicht möglich war.
VIII. Die räumliche Nähe des Richters zu den Gläubigen Papst Franziskus erließ am 15. 08. 2015 das Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus zur Reform der Ehenichtigkeitsverfahren der Lateinischen Kirche.33 Durch dieses Motu Proprio wurden die ursprünglichen cc. 1671 – 1691 CIC/1983 über die Ehenichtigkeitsverfahren ersetzt. In Kraft trat diese Neuregelung am 08. 12. 2015. Von der Förderungswürdigkeit der insgesamt viermal34 erwähnten Interdiözesangerichte ist hier nicht mehr die Rede.35 Stattdessen betont das Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus die Bedeutung der Nähe des Richters zu den Gläubigen, die ein Verfahren führen oder zu führen gedenken.36 Damit stellt sich die Frage, ob die räumliche Entfernung zwischen dem Interdiözesangericht und den an einem Verfahren interessierten Gläubigen immer größer ist, als die räumliche Entfernung zwischen dem Diözesanbischof und den betreffenden Gläubigen. Es wird sicher Fälle geben, in denen das der Fall ist, aber so allgemein wird man das nicht behaupten können. Nur wenn ein Verfahren vor dem Diözesangericht geführt wird, in dessen Diözese der Kläger und der Nichtkläger gemeinsam ihren Wohnsitz haben (c. 1672 § 2 CIC/1983), wird das Wohnsitzgericht in der Regel räumlich näher als ein Interdiözesangericht sein, sofern dieses nicht seinen Sitz in der Diözese, in der die Parteien ihren Wohnsitz haben, liegt. In allen anderen Konstellationen einer möglichen Zuständigkeit wird aber ein das Verfahren führendes Diözesangericht zumindest für eine Partei – eher für den Nichtkläger, wenn er sich am Verfahren beteiligt – in einer anderen Diözese liegen und damit nicht grundsätzlich räumlich näher als ein Interdiözesangericht sein.37 33
S. AAS 107 (2015), S. 958 – 970. S. c. 1673 § 2, Art. 8 § 2, 11 § 1 u. 19. 35 S. c. 1673 § 2, Art. 8 § 2, 11 § 1 u. 19. 36 „Die Liebe und die Barmherzigkeit machen es … erforderlich, dass die Kirche selbst sich als Mutter in die Nähe jener Kinder begibt, die sich als getrennt betrachten“ (Einführung). Als ein „Ziel“ der Reform wird „die Wiederherstellung der Nähe (proximitas) zwischen dem Richter und den Gläubigen“ (VI) bezeichnet. 37 Verfahren können nach c. 1672 auch vor dem Gericht geführt werden, in dessen Gebiet der Kläger oder der Nichtkläger Nebenwohnsitz haben, die Ehe geschlossen wurde oder die meisten Zeugen zu vernehmen sind. Wenn Kläger und Nichtkläger an diesen Gerichtsorten nicht ihren Wohnsitz haben, ist die räumliche Nähe zu dem das Verfahren führenden Gericht in der Regel zumindest für eine, vielleicht aber auch für beide Parteien größer als zu dem Gericht des Wohnsitzes. 34
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Es ist zudem im Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus ausdrücklich von der Wahlfreiheit der klagenden Partei im Hinblick auf die Wahl des Gerichtes bei mehreren Möglichkeiten und von der Gleichwertigkeit der möglichen Gerichtsstände die Rede; der Gesetzgeber läßt aber hier klar erkennen, dass er es bevorzugt, wenn das Verfahren an dem Gericht geführt wird, das für die Parteien räumlich am nächsten ist.38 Dass er die Interdiözesangerichte in diesem Zusammenhang eher als Notbehelf erachtet, geht auch aus c. 1673 §§ 2 f CIC/1983 hervor.
IX. Der Anschluss an ein anderes Diözesangericht oder Interdiözesangericht in der Nähe Nach c. 1673 § 2 CIC/1983 kann sich der Diözesanbischof, der für seine Diözese kein Diözesangericht errichtet, an ein anderes diözesanes oder interdiözesanes Gericht in der Nähe wenden. Zu beachten ist, dass das Interdiözesangericht, dem sich ein Diözesanbischof anschließen will, „in der Nähe“ („vicinus“) liegen muss.39 Wie aber ist zu verfahren, wenn sich der Diözesanbischof keinem anderen diözesanen oder interdiözesanen Gericht in der Nähe anschließen kann? Darf er dann auch ein weiter entferntes Gericht wählen? Diese Frage wird in c. 1673 § 4 CIC/1983 negativ beantwortet: Gibt es kein nahegelegenes Gericht oder Interdiözesangericht, an das sich der Bischof wenden kann, soll der Diözesanbischof die Fälle einem Kleriker als Einzelrichter übertragen.40
X. Das Ausscheiden aus dem Interdiözesangericht Das Ausscheiden aus einem Interdiözesangericht war schon vor dem Inkrafttreten des Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus möglich und zwar relativ unkompliziert. Ein solches Ausscheiden aus dem Interdiözesangericht bedurfte in Italien angesichts der durch das Motu Proprio Qua cura verbindlichen Errichtung von Interdiözesangerichten der Mitwirkung der Apostolischen Signatur41, die für die Überwachung der 38 „Die in c. 1672 angeführten Titel der Zuständigkeit sind gleichwertig, wobei soweit wie möglich das Prinzip der Nähe zwischen Richter und Parteien zu beachten ist“ (Art. 7 § 1 MIDI). 39 Gemeint ist hier die räumliche Nähe, bei der es sich aber nicht unbedingt um direkte Nachbarschaft handeln muss. Es geht hier nicht um die Zugehörigkeit zum gleichen Metropolitanverband. 40 Allgemein bedarf dies nach c. 1425 § 4 CIC/1983 der Erlaubnis der Bischofskonferenz, die nur für die Zeit der Unmöglichkeit zur Einrichtung eines Kollegialgerichtes gilt. In c. 1673 § 4 ist von dem Erfordernis einer Erlaubnis der Bischofskonferenz für die Übertragung von Ehenichtigkeitsverfahren an einen Einzelrichter nicht die Rede. 41 S. Supremo Tribunale della Segnatura Apostolica, Decreto emesso ex officio in occasione della costituzione della nuova diocese, 19. Agosto 2009 (prot. nn. 2027/1/09 SAT e 2047/ 09 SAT), abgedruckt in: Ius Ecclesiae 24 (2012), S. 189 f.; vgl. Malecha, I tribunali inter-
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geordneten Amtsführung im Gerichtsbereich und die Erteilung der Zustimmung zur Errichtung von Interdiözesangerichten zuständig ist (c. 1445 § 3, 38 CIC/1983, Art. 124, 18 u. 48 PB, Art. 35, 58 Motu Proprio Antiqua ordinatione). Ausdrücklich betont wird in Art. 8 § 2 MIDI, dass sich der Diözesanbischof von einem interdiözesanen Gericht wieder zurückziehen kann, was in den Dokumenten des Heiligen Stuhls über die Interdiözesangerichte so deutlich noch nie zuvor gesagt wurde. Nachfolgend wurde dies von Papst Franziskus zweimal klar und deutlich bekräftigt. – Am 07. 12. 2015 erklärte er das Motu Proprio Qua cura ausdrücklich für aufgehoben.42 Mit dieser ungenauen Formulierung sollte nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass die italienischen Interdiözesangerichte aufgehoben seien; vielmehr geht es darum, dass Bischöfe aus den Interdiözesangerichten ausscheiden dürfen, wenn sie eigene Diözesangerichte errichten oder sich dem Gericht eines Nachbarbischofs anschließen wollen. – Am 25. 11. 2017 erklärte er „con chiarezza“, dass Bischöfe aus den Interdiözesangerichten ohne die Erlaubnis oder Autorisierung der Apostolischen Signatur ausscheiden können: „Vorrei ribadire con chiarezza che ciò avviene senza chiedere il permesso o l’autorizzazione ad altra Istituzione oppure alla Segnatura Apostolica“43. In diese Richtung gingen nachfolgend weitere Verlautbarungen: – In dem 2016 von der Römischen Rota herausgegebenen „Sussidio applicativo del Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus” findet man ein Formblatt für ein „Dekret zur Übertragung der Zuständigkeit von einem interdiözesanen Gericht auf ein näheres Gericht“ (Formular 4.3 S. 49 f.), in das der Bischof lediglich den Namen des Interdiözesangerichtes eintragen muss, von dem er sich zurückzieht. – Der Rat für die Gesetzestexte beantwortete am 12. 02. 2016 eine Anfrage zur Errichtung des Diözesangerichts (Prot.N 15291/2016); in dieser Antwort heißt es, dass sich jeder Bischof frei aus einem Interdiözesangericht zurückziehen kann und zwar ohne Approbation der Apostolischen Signatur.44
diocesani alla luce dei recenti documenti della Segnatura Apostolica (Anm. 1), S. 207; Manuel Ganarin, I tribunali interdiocesani secondo il m.p. Mitis Iudex Dominus Iesus, S. 46 f. 42 „Le leggi di riforma del processo matrimoniale succitate abrogano o derogano ogni legge o norma contraria finora vigente, generale, particolare o speciale, eventualmente anche approvata in forma specifica (come ad es. il Motu Proprio Qua cura, dato dal mio Antecessore Pio XI in tempi ben diversi dai presenti)“, in: AAS 108 (2016), S. 5 f., hier S. 5. 43 Franziskus, Ansprache vom 25. 11. 2017 an die Teilnehmer eines Kurses, den das Gericht der Römischen Rota veranstaltet hat, in: AAS 109 (2017), S. 1313 – 1316, hier S. 1316. 44 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte (Hrsg.), Antwort, online unter: http://www.delegum textibus.va/content/dam/testilegislativi/risposte-particolari/Procedure%20per%20la%20Dichiar azione%20della%20Nullit%C3%A0%20matrimoniale/Alcune%20questioni%20sulla%20costi tuzione%20del%20tribunale%20diocesano.pdf (zuletzt eingesehen am 31. 05. 2019).
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– In einer Vereinbarung zwischen der Apostolischen Signatur, der Römischen Rota und der Italienischen Bischofskonferenz vom 06. 07. 2016 geht es auch um die Frage des Ausscheidens aus einem der italienischen Interdiözesangerichte: „Wenn ein Bischof aus einem Regionalgericht ausscheiden möchte, teilt er dies den anderen Bischöfen des Regionalgerichtes und der Apostolischen Signatur mit. Die Apostolische Signatur überprüft und bestätigt, ob die Voraussetzungen für eine funktionierende Gerichtsbarkeit gegeben sind, also ob zumindest ein Klerikerrichter, ein Bandverteidiger und ein Notar vorhanden sind“45.
XI. Die Sorge vor dem Bischof als bloßer Unterzeichner des Urteils Dass Papst Franziskus Interdiözesangerichte nicht als ideal ansieht, zeigt sich deutlich in einer Ansprache vom 25. 11. 2017 an die Teilnehmer eines Kurses, den das Gericht der Römischen Rota veranstaltet hat: „Den gesamten kürzeren Prozess dem interdiözesanen Gericht … anzuvertrauen, würde dazu führen, die Figur des Bischofs als Vater, Haupt und Richter seiner Gläubigen zu entstellen und zum bloßen Unterzeichner des Urteils herabzusetzen“46. Hier wird die Sorge von Papst Franziskus deutlich, der Bischof könne zu einem „bloßen Unterzeichner des Urteils“ werden, wenn der kürzere Prozess als ganzer einem interdiözesanen Gericht anvertraut würde. Selbstverständlich sollte der Bischof im kürzeren Prozess niemals ein „bloßer Unterzeichner des Urteils“ sein, was auch für andere Arten von Verfahren gilt, die vor dem Bischof geführt werden. Ob diese Gefahr bei der Führung des gesamten Verfahrens vor einem Interdiözesangericht in besonderer Weise berechtigt ist, soll an dieser Stelle nicht hinterfragt werden. Die Sorge des Hl. Vaters ist einfach nur ernst zu nehmen.
XII. Die Untersuchungsabteilung Wie oben aufgezeigt47 führt die Einrichtung eines Interdiözesangerichtes nicht notwendig dazu, dass sich die räumliche Entfernung zwischen dem Gericht und den Parteien vergrößert. Gleichwohl ist die Möglichkeit gegeben, dass der Weg zum Gericht für den Kläger länger wird, wenn sein Verfahren vor einem Interdiözesangericht geführt wird, das seinen Sitz in einer anderen Diözese hat. 45 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte (Hrsg.), Antwort vom 12. 02. 2016, online unter: http://www.iuscanonicum.it/wp-content/uploads/2016/08/2016.07.20-CEI.pdf (eingesehen am 31. 05. 2019). 46 ORdt (2018) Nr. 2 vom 12. 01. 2018, S. 9; s. AAS 109 (2017), S. 1313 – 1316, hier S. 1315. 47 S. oben Anm. 8.
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Hilfreich kann in diesem Zusammenhang eine Empfehlung aus der Eheprozessordnung Dignitas connubii vom 25. Januar 2005 (in Art. 23 § 2) sein: Wenn ein Interdiözesangericht erster Instanz gebildet wird, „kann der Diözesanbischof in seiner eigenen Diözese eine Sektion zur Beweiserhebung mit einem oder mehreren Vernehmungsrichtern und einem Notar einrichten, um Beweismittel zu sammeln oder Akte bekannt zu geben“.48 Das hier Beschriebene hat keine Entsprechung im CIC/1983, CIC/1917 oder in der Eheprozessordnung Provida Mater Ecclesiae aus dem Jahr 1936; diese Bestimmung schafft aber kein neues Recht, sondern enthält lediglich eine sinnvolle Empfehlung, die für alle Verfahren, die vor einem Interdiözesangericht und vor allem für die Durchführung des kürzeren Verfahrens von Bedeutung sein kann. Nach dem Einreichen der Klageschrift ist das persönliche Erscheinen des Klägers bei Gericht nur noch zu seiner Vernehmung und zur Akteneinsicht vorgesehen. Wenn das Interdiözesangericht seinen Sitz nicht in der eigenen Diözese hat, ist die räumliche Entfernung dorthin und möglicherweise auch die Hemmschwelle für den Kläger größer. Dem kann aber Abhilfe geschaffen werden und zwar durch das Einsetzen einer Untersuchungsabteilung (sectio instructoria) durch den Diözesanbischof für seine Diözese. Für diese Abteilung werden zumindest ein instructor und ein Notar benötigt, die für das Durchführen der anfallenden Vernehmungen unverzichtbar sind. Für die Akteneinsicht ist nur die Anwesenheit des Notars erforderlich. Mit dem Gerichtsvikar und den erkennenden Richtern als solchen haben die Parteien vor und während des Verfahrens keinen persönlichen Kontakt. Die Bildung einer Untersuchungsabteilung kann also für den Fall, dass sich der Bischof einem Interdiözesangericht angeschlossen hat, die Nähe des Gerichts zu den Gläubigen gewährleisten. Auch die vor der Durchführung eines Ehenichtigkeitsverfahrens sinnvolle Beratung des späteren Klägers könnte von dieser Abteilung aus geleistet oder zumindest vermittelt werden. Auf die Mitarbeiter dieser Untersuchungsabteilung wird der Bischof auch für die Durchführung des kürzeren Verfahrens in seiner Diözese zurückgreifen können: – Der instructor kann dabei problemlos die in cc. 1686 f CIC/1983 vorgesehenen Aufgaben übernehmen; einen Notar benötigt man auch für die Durchführung des kürzeren Prozesses. – Auch für die Durchführung des kürzeren Verfahrens wird ein Ehebandverteidiger benötigt (c. 1676 § 1 CIC/1983). Da dieser bei den Vernehmungen der Parteien und Zeugen nicht anwesend sein muss und in keinen persönlichen Kontakt mit den Parteien zu treten hat, könnte es sich z. B. hierbei um einen Ehebandverteidiger des Interdiözesangerichts handeln. – In einer diözesanen Untersuchungsabteilung gibt es nicht die Position des Beisitzers. Im kürzeren Verfahren benötigt man aber einen Beisitzer, der den Bischof 48 Vgl. hierzu bereits 1992 Grocholewski, De ordinatione ac munere tribunalium in Ecclesia ratione quoque habita iustitiae administrativae (Anm. 1), S. 53.
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gemeinsam mit dem Untersuchungsrichter im Hinblick auf die Entscheidung zu beraten hat (c. 1687 § 1 CIC/1983).49 Da es sich bei dem Beisitzer um einen Berater des Bischofs handelt, muss er nicht in der diözesanen Untersuchungsabteilung, am Interdiözesangericht oder in der kirchlichen Rechtsprechung tätig sein, wenngleich Kenntnisse des kanonischen Ehe- und Prozessrechtes für eine effiziente Beratung von Vorteil sind. Dieser Beisitzer kann Kleriker oder Laie sein; er muss nicht einmal in der Diözese, in der das Verfahren geführt wird, tätig sein. Es sollte sich allerdings um eine Person handeln, von der sich der Bischof beraten lässt, was nicht bedeutet, dass der Bischof diesen Rat auch anzunehmen hat. – Dieser Beisitzer muss bei der Sitzung zur Sammlung der Beweise (c. 1686 CIC/ 1983) nicht persönlich anwesend sein. Persönlicher Kontakt des Beisitzers zu den Parteien und Zeugen ist nicht vorgesehen. Er muss lediglich den Bischof im Hinblick auf die Urteilsfällung beraten. Wenn diese Beratung nur mündlich erfolgt, besteht auch nicht die Gefahr, den zur Entscheidung allein zuständigen Bischof „zum bloßen Unterzeichner des Urteils herabzusetzen“50. Es ist Sache des Gerichtsvikars, Untersuchungsrichter und Beisitzer für das kürzere Verfahren zu ernennen (c. 1685).51 Im Hinblick auf den Untersuchungsrichter empfiehlt ihm Art. 16 MIDI: „Soweit es … möglich ist, ernenne er einen Untersuchungsrichter aus der Diözese, aus welcher die Ehesache stammt“. Es wurde deutlich, dass das Einrichten einer Untersuchungsabteilung den Bischof, der sich einem Interdiözesangericht angeschlossen hat, problemlos in die Lage versetzt, das kürzere Verfahren in seiner Diözese selbst zu führen, so dass die Nähe der Parteien und Zeugen zum Gericht eher gegeben sein könnte als bei der Verfahrensführung am Sitz eines Interdiözesangerichts, das seinen Sitz außerhalb der Diözese des Bischofs hat, der einen kürzeren Prozess zu führen hat.52 Das kürzere 49
Das Gesetz stellt keine Anforderungen an den Beisitzer, der den Bischof im kürzeren Verfahren zu beraten hat. Hingegen sollen die Beisitzer, die nach Möglichkeit den Einzelrichter zu beraten haben, „probatae vitae, peritos in scientiis iuridicis vel humanis, ab Episcopo ad hoc munus approbatos“ (c. 1673 § 4) sein. Im Hinblick auf die bewährte Lebensführung und die Kenntnisse in Rechts- oder Humanwissenschaften sollte man nicht zu hohe Anforderungen stellen, da hier nicht vom Erfordernis eines akademisches Grades oder einer Hochschulzugangsberechtigung die Rede ist. Zudem ist allgemein von Rechtswissenschaften und nicht vom Kirchenrecht die Rede. Wenn der Beisitzer keine Kenntnisse der Rechtswissenschaften hat, reichen auch Kenntnisse der Humanwissenschaften aus, wobei auch hier keine Spezialkenntnisse erforderlich sind. Schließlich muss der Beratungsrichter des Einzelrichters „vom Bischof für diese Aufgabe approbiert“ bzw. „ermächtigt“ sein, was man nicht ohne Weiteres auf das kürzere Verfahren übertragen kann. 50 ORdt (2018) Nr. 2 vom 12. 01. 2018, S. 9; s. AAS 109 (2017), S. 1315. 51 Im Gesetz ist nicht gefordert, dass dies in Absprache mit dem Bischof, der das kürzere Verfahren führt, zu erfolgen hat. Allerdings ist eine solche Absprache zu empfehlen, da die Effizienz der Beratung davon abhängen kann, ob Untersuchungsrichter und Beisitzer dem Bischof als Berater genehm sind. 52 Aber auch ohne eine solche Untersuchungsabteilung könnten das Sammeln der Beweise und die Beratung des Bischofs vor der Urteilsfällung in der Diözesankurie erfolgen.
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Verfahren muss also nicht am Sitz eines Interdiözesangerichts geführt werden. Der Gerichtsvikar des Interdiözesangerichts hat als solcher nichts mit der Urteilsfällung im kürzeren Verfahren zu tun. Je weiter er von dem das Verfahren führenden Bischof entfernt ist, umso geringer ist die Gefahr, den Bischof in diesem Verfahren „zum bloßen Unterzeichner des Urteils herabzusetzen“53.
XIII. Ergebnis Da sich die Einrichtung von eigenen Gerichten oder der Anschluss an ein Nachbargericht für manche Diözesen nicht lohnt oder als problematisch erweist, stellen Interdiözesangerichte, die effizienter als Diözesangerichte arbeiten können, auch nach dem Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus eine sinnvolle Alternative zu Diözesangerichten dar.54 Den einzelnen, an dem Interdiözesangericht beteiligten Bischöfen ist aber eindringlich die Einrichtung einer Untersuchungsabteilung zu empfehlen (Art. 23 § 2 DC), um die Nähe des Gerichts zu den Gläubigen zu wahren. Von dieser Nähe wird vor allem der Kläger bei seiner Vernehmung und Akteneinsicht profitieren, wenn der Sitz des Interdiözesangerichts nicht in der Diözese ist, in der das Verfahren geführt wird. Wenn der Nichtkläger und die Zeugen in einer anderen Diözese wohnen, werden sie nicht in diesen Genuss kommen. Die Einrichtung einer Untersuchungsabteilung und ihre Nutzung im kürzeren Verfahren kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Bischof in diesem Verfahren nicht „zum bloßen Unterzeichner des Urteils herabzusetzen“.55
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ORdt (2018) Nr. 2 vom 12. 01. 2018, S. 9; s. AAS 109 (2017), S. 1315. Vgl. grundsätzlich Grocholewski, De ordinatione ac munere tribunalium in Ecclesia ratione quoque habita iustitiae administrativae (Anm. 1), S. 51; Malecha, I tribunali interdiocesani alla luce dei recenti documenti della Segnatura Apostolica (Anm. 1), S. 196 f. 55 ORdt (2018) Nr. 2 vom 12. 01. 2018, S. 9; s. AAS 109 (2017), S. 1315. 54
„… doch ganz ungestraft kann ich dich nicht lassen“ (Jer 30,11) Über die Frage nach der Bedeutung von Strafrecht und Strafe in der Lateinischen Kirche Von Gerhard Hörting Wilhelm Rees verfasste seine Habilitationsschrift im Jahr 1991 zum Thema „Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte“1. Somit gehörte er zu jener kleinen Schar deutschsprachiger Kanonisten, welche sich mit diesem Bereich des kirchlichen Rechts auseinandersetzten2 und eine Gesamtdarstellung anboten. Der Verfasser dieses Beitrages geht in den Ausführungen von seiner beruflichen Erfahrung im kirchlichen Dienst des Gerichtsvikars aus und hat somit konkrete Fälle und Fragen vor Augen, welche in der Anwendung des kirchlichen Strafrechtes mitunter Schwierigkeiten bereiten und erhebt nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise der Thematik. Wenn heute die teilweise Forderung nach Strafen, den Bereich sexuellen Missbrauchs betreffend, sich innerhalb und außerhalb der Kirche vermehrten Zuspruchs erfreuen, so ist die grundsätzliche Forderung innerhalb der Kirche, von Strafen abzusehen bzw. das Strafrecht und die im kirchlichen Gesetzbuch genannten Vergehen als hinfällig zu betrachten, in den letzten Jahren doch unverändert geblieben. „Kirchliches Strafrecht steht bei vielen unserer Zeitgenossen nicht hoch im Kurs, wie dies
1 Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (= KStT 41), Berlin 1993. 2 Vgl. Reinhold Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311 – 1399 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1992. Klaus Lüdicke/Rüdiger Althaus, Der kirchliche Strafprozess nach dem Codex Iuris Canonici und Nebengesetzen (= BzMK 61), Münster 2 2015, Einführung, 1: „Die scheinbare Irrelevanz des Strafverfahrens hatte zur Folge gehabt, dass es kaum eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema in deutscher Sprache gibt, und an Praktiker-Literatur fehlt es ganz. Das stellt deswegen ein Problem dar, weil der Gesetzgeber das Verfahren nicht detailliert regelt, sondern denselben Weg wählt, den er auch bei der Normierung des Ehenichtigkeitsprozesses geschritten hat: Wenige Spezialnormen verbindet er mit den Regeln für ein ordentliches Streitverfahren … Für den Strafprozess fehlt eine solche Instruktion, und da es in der Geschichte der Kirche dafür auch kein Vorbild gibt, wird es sie vermutlich auch künftig nicht geben“.
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allgemein insgesamt für das Kirchenrecht gilt“3. Hatte man die Notwendigkeit eines kirchlichen Strafrechts zwischendurch sogar in Frage gestellt4, wird doch spätestens seit dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche die Forderung nach einem „effizienten Strafrecht“ laut erhoben und somit erfährt – leider (!) – das nahezu vergessene oder überflüssig geglaubte VI. Buch des Codex Iuris Canonici neue Bedeutung bzw. Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt hat der oberste kirchliche Gesetzgeber diesbezüglich einige Veränderungen veranlasst5, auch wenn die Reform des Strafrechtes noch aussteht6. In diese Spannung hinein muss dennoch die Frage nach der Bedeutung des kirchlichen Strafrechtes auch heute wieder neu gestellt werden, sind doch die Vergehen, welche innerhalb der Kirche und ihrer Mitglieder begangen werden können, mannigfaltiger geworden und haben sich – je nach gesellschaftlicher Situation in welcher sich die einzelnen Glaubenden und die Amtsträger befinden – verändert, man denke z. B. an den Umgang mit Finanzen durch Bischöfe oder kirchliche Institutionen. Im Blick auf sexuellen Missbrauch wird von Opferverbänden bis zu ranghohen Vertretern der Kirche ein „Null-Toleranz-Prinzip“ gefordert, welches mit der „Höchststrafe“ für den Kleriker endet: der Entlassung aus dem Klerikerstand. Marie Collins forderte diesbezüglich im Vorfeld des Treffens der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zum Schutz von Minderjährigen im Februar 2019 in Rom: „Wir brauchen eine in der gesamten Kirche verankerte Definition davon, was genau unter sexuellem Missbrauch zu verstehen ist. Dasselbe gilt für die Konsequenzen der Taten. Franziskus verspricht „null Toleranz“. Die Öffentlichkeit versteht dar3 Wilhelm Rees, Strafe und Strafzwecke – Theorien, geltendes Recht und Reformen, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen in der kirchlichen Strafrechtsentwicklung (= KStKR 25), Paderborn 2017, S. 23 – 60, hier S. 23. 4 Vgl. exemplarisch: Alfred E. Hierold, Vom Sinn und Zweck kirchlicher Strafen, in: A. Gabriels/H. J. F Reinhardt (Hrsg.), Ministerium Iustitiae. FS Heinemann zur Vollendung des 60. Lebensjahres, Essen 1985, S. 331 – 341, hier S. 331. 5 Vgl. Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Vos estis lux mundi vom 07. 05. 2019, dt. Übers. online unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/ motu_proprio/documents/papa-francesco-motu-proprio-20190507_vos-estis-lux-mundi.html (eingesehen am 28. 05. 2019); Ders., Legge Sulla protezione dei miniori e delle persone vulnerabili, in: Sala Stampa della Santa Sede (Hrsg.), Bollettino vom 26. 03. 2019; Ders., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Come una madre amorevole vom 04. 06. 2016, in: AAS 108 (2016), S. 715 – 717; Congregatio pro Doctrina Fidei (Hrsg.), Normae de gravioribus delictis, online unter: http://www.vatican.va/resources/resources_norme_ge.html (eingesehen am 28. 05. 2019); Papst Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Sacramentorum Sanctitatis Tutela vom 30. 04. 2001, in: AAS 93 (2001), S. 785 – 788, dt. Übers. online unter: http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/motu_proprio/docu ments/hf_jp-ii_motu-proprio_20020110_sacramentorum-sanctitatis-tutela.html (eingesehen am 28. 05. 2019). 6 Vgl. exemplarisch: Markus Graulich, Die große Strafrechtsreform der Päpste Benedikt XVI. und Franziskus, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen in der kirchlichen Strafrechtsentwicklung (KStKR 25), Paderborn 2017, S. 11 – 22.
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unter die Entlassung von Priestern aus dem Priesterstand, sobald sie als Täter überführt sind. Was aber verstehen die Bischöfe oder der Papst genau unter dieser Formel? Das Ergebnis muss im Kirchenrecht festgeschrieben werden“7. Dieser Forderung kann nur beigepflichtet werden, denn es wäre wünschenswert, zur Wahrung von Recht und Gerechtigkeit ein weltweit einheitliches Strafrecht und eine einheitliche Strafbemessung im Kodex einzuführen, damit nicht in einem Land ein Straftäter nur „gerügt“ wird und in einem anderen die „Höchststrafe“ erfährt, denn: „ganz ungestraft kann ich dich nicht lassen“ (Jer 30,11).
I. Vergewisserung: der Strafanspruch der Kirche Der Strafanspruch der Kirche steht heute weniger in Frage als in den Jahren zuvor, wenngleich dieser öffentliche Gesinnungswandel nicht das gesamte Strafrecht bzw. den allgemeinen Strafanspruch der Kirche betrifft, sondern wohl eher die Kleriker, welche sich des sexuellen Missbrauchs – oder neuerdings wird auch die Frage des sogenannten „geistlichen Missbrauchs“ debattiert – schuldig gemacht haben. In c. 1311 CIC/1983 formuliert die Kirche ihr angeborenes und eigenes Recht, „straffällig gewordene Gläubige durch Strafmittel zurechtzuweisen“. Der Strafanspruch der Kirche trifft also alle Gläubigen. Hat man in den letzten Jahren darunter vor allem die Aktivitäten der Kongregation für die Glaubenslehre in Bezug auf Lehrbeanstandungsverfahren oder Feststellung von Exkommunikationen, welche mit der Tat eingetreten sind, wahrgenommen, scheinen in der heutigen Wahrnehmung all diese Vergehen hinter jenen der Kleriker in Bezug auf sexuellen Missbrauch zurückzutreten. Dies geschieht zweifelsohne zurecht, doch scheint eine bloße Reduktion des kirchlichen Strafrechtes auf die Fälle sexuellen Missbrauchs ebenfalls ungenügend. Vielleicht liegt die Ursache dafür doch auch darin mitbegründet, dass es in der Gesetzgebung in Folge des II. Vatikanischen Konzils und dessen Ekklesiologie sowie der auf die Pastoralität ausgerichteten Zielsetzung schwieriger wurde, ein Strafrecht in der Kirche fortzuschreiben bzw. zu begründen. Die Versuche, das Strafrecht in der Kirche einer theologischen Begründung zu unterziehen, erschwerte wohl die Normierung von Strafen. Dass das Seelenheil – wie in c. 1752 CIC/1983 festgelegt – stets als oberstes Gesetz in der Kirche zu gelten hat, bedeutet, dass Rechtsnorm und Rechtsprechung unter dem pastoralen, d. h. auf das Seelenheil des einzelnen gerichteten Anspruch stehen8. Im Verlauf der Neukodifzierung des aktuellen kirchlichen Gesetzbuches kam es zu einer Reduktion der Kanones von 220 auf 89, was nicht nur einer Vereinfachung 7
Marie Collins, Artikel „Der Papst hat enttäuscht“, in: Wiener Zeitung vom 19. 02. 2019, online unter: https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_no_split=1&em_ ssc=LCwsLA==&em_cnt=1018307&em_loc=1208&em_ref=/nachrichten/panorama/welt/ &em_ivw=RedCont/Nachrichten/Chronik/moewa&em_absatz_bold=0 (eingesehen am 13. 05. 2019). 8 Vgl. Rees, Strafe und Strafzwecke (Anm. 3), S. 25.
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geschuldet war, sondern einem „Zurücknehmen des Strafrechtes in der Rolle, die ihm im Leben der kirchlichen communio zugewiesen werden sollte“9. Die ersehnte Vereinfachung, welche „an die Stelle ausgefeilter Systematik und präziser, dem Normengefüge zugrunde gelegter Doktrin eine pragmatische und auf Theorie weitgehend verzichtende Normierung gesetzt hat, erstrebte die Verständlichkeit und bessere Anwendbarkeit, wurde aber um den Preis erkauft, daß das Strafrecht zum Teil funktionsunfähig geworden ist“10. Der Zurücknahme des Strafrechtes in der Gesamtbedeutung des kirchlichen Lebens ist es überantwortet, dass ein „gesetzlich vorgeschriebener Mechanismus, der aus der Tat und dem Strafanspruch der Kirche eine Pflicht zur Bestrafung machte, einem flexiblen System gewichen [ist], das ergebnisorientiert gefasst ist … Insgesamt hat das Strafrecht die Härte der Sanktionen gemildert, die Strafen abgeschwächt, die Strafminderungsgründe großzügig gefasst“11. Die oben schon genannten Veränderungen im kirchlichen Strafrecht – welche zwar zumeist im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch erlassen wurden – machen im Grunde genommen deutlich, dass im Interesse der Glaubwürdigkeit der Kirche und deren Gliedern, das korrekte Verhalten, sowohl als Staatsbürger als auch als Glieder des Volkes Gottes, geboten ist und ein Verstoß dagegen nach staatlichem wie kirchlichem Recht zu ahnden empfohlen erscheint. Der Journalist Christian Nürnberger hat kürzlich in einem Artikel festgestellt: „Viel zu selten wird gefragt, warum Gott ein eigenes Volk braucht. Die Antwort, extrem verkürzt, lautet: Gott braucht ein Volk, das den anderen Völkern dieser Welt vorlebt, wie man leben muss, damit das Leben aller gelingt. So wollte Gott die Welt heilen, das Hauen und Stechen unter den Menschen beenden, Not, Krieg, Elend und Leid aus der Welt verbannen. Deshalb hatte er sein Volk auf dem Sinai per Eid darauf verpflichtet, nach seinem Gesetz zu leben. Dann, so der Gedanke, würde alles gut werden.“12 Die Grundnorm des c. 1311 CIC/1983 im kirchlichen Strafrecht, dass es sich um ein angeborenes und eigenes Recht der Kirche handelt, ist also nicht nur eine Frage, dass die Kirche sich als Gemeinschaft von Glaubenden und als Institution ein eigenes Recht geben kann, um sich gegen Angriffe von innen zu schützen, sondern sich auch der Offenbarung Gottes verpflichtet weiß und daher hat Strafrecht auch eine gewisse Schutzfunktion, um das anvertraute Glaubensgut getreu zu bewahren.
II. Moral oder Recht? Moral oder Recht, Recht ohne Moral oder Moral ohne Recht? In den letzten Diskussionen bezüglich der Missbrauchsvorfälle sexueller Natur oder aufgrund von 9
Klaus Lüdicke, Einleitung vor 1311, Rdnr. 9, in: MK CIC (Stand: Juli 1992). Ebd. (Anm. 9). 11 Ebd. (Anm. 9). 12 Christian Nürnberger, Artikel „Was, wenn Jesus wiederkommt?“, in: Christ & Welt, 17. 04. 2019, online unter: https://www.zeit.de/2019/17/auferstehung-jesus-wiedergeburt-vision (eingesehen am 13. 05. 2019). 10
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physischer oder psychischer Gewalt durch katholische Geistliche, war als Argument immer wieder zu hören, dass die Kirche als moralische Institution bzw. als Verkündigerin von Moral, welche diese auch von anderen einfordert, in der (medialen) Öffentlichkeit streng bewertet bzw. harsch kritisiert wird. Hat doch die Kirche, was die Moral oder die Glaubenslehre betrifft, diese moralischen Vergehen auch mit Strafen geahndet, stellt sich für den außenstehenden Beobachter die Frage, wann moralisches Fehlverhalten einen Straftatbestand darstellt und warum. Die Nähe von Kirchenrecht und katholischer Moraltheologie ist also evident. Viele Jahre begleitete die Kirche und die Gesellschaft die Frage der Behandlung von Geschiedenen und Wiederverheirateten in der Kirche. In c. 915 CIC/1983 wird festgehalten, dass all jene nicht zur Kommunion zugelassen werden dürfen, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“13. Wurde das Verhalten von den Betroffenen selbst – primär oder ausschließlich – als moralischer Verstoß gegen das sechste Gebot des Dekalogs empfunden, sah die Kirche darin ein Verhalten, welches ein Verbot mit sich brachte und die Ausübung des Rechtes auf den Empfang der Sakramente (vgl. c. 213 CIC/1983) einschränkte14. Auch wenn die Problematik um Geschiedene und Wiederverheiratete sich für Sachverständige auf einer anderen – moralischen wie rechtlichen – Ebene befindet als z. B. jene des sexuellen Missbrauchs, wurde diese in so mancher öffentlichen Diskussion wie privatem Gespräch in Zusammenhang gebracht, was die sachlich differenzierte Auseinandersetzung erschwerte oder gar verunmöglichte. Die Frage von Moral und Recht wird erneut virulent und die Kirche ist aufgefordert, Rede und Antwort zu stehen. Die staatliche Strafgesetzgebung hat gegenüber der kirchlichen den Vorteil, dass hier eine Trennung von Moral und Recht leichter vollziehbar ist. Für die Frage des sexuellen Missbrauchs bedeutet dies, dass es sich um Rechtsbruch handelt und nicht nur um ein moralisches Vergehen. „Wer die Differenz von Schuld im rechtlichen Sinne und möglicher moralischer Verfehlung aufhebt, kann ein so grundlegendes Recht wie das auf ,Unschuldsvermutung‘ gar nicht mehr denken.“15 Nun kennt das allgemeine Recht der Kirche das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehaltene Recht auf Unschuldsvermutung16 nicht, was bedeutet, dass der Ankläger nach kirchlichem Recht lediglich das 13
Vgl. exemplarisch dazu: Heike Sturm, Das Verharren in objektiv schwerer Sünde als Straftat!? – Eine herausfordernde Anfrage an eine personale Ethik, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen in der kirchlichen Strafrechtsentwicklung (= KStKR 25), Paderborn 2017, S. 133 – 146. 14 Vgl. exemplarisch dazu: Reinhild Ahlers, Amtsenthebung – Strafe und/oder Disziplinarmaßnahme?, in: L. Müller/A. E. Hierold/S. Demel/L. Gerosa/P. Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= KRB 9), Berlin 2006, S. 91 – 96, hier S. 93 f. u. 96. 15 Friedrich Wilhelm Graf, Artikel „Aus dem Paradies. Wie soll die Gesellschaft mit Verfehlungen ihrer Prominenten umgehen? Über biblische Sünder und den modernen Unterschied von Recht und Moral“, in: Die Zeit, 09/2014, online unter: https://www.zeit.de/2014/09/ essay-verfehlungen-ueber-recht-und-moral/komplettansicht (eingesehen am 13. 05. 2019). 16 Vgl. C. Grabenwarter/K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention. Ein Studienbuch, München 62016, S. 548 – 552.
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Vorliegen der äußeren Tat nachweisen muss17, wenngleich „jedoch alle Umstände, die die Schuld ausschließen oder mindern, von Amts wegen zu prüfen“18 sind. Wurde in den Normen des Motu Proprio „Sacramentorum Sanctitatis Tutela“ von Papst Johannes Paul II. und dem Motu Proprio „Normae de gravioribus delictis“ von der Glaubenskongregation, welches unter Papst Benedikt XVI. erlassen wurde, lediglich auf das Päpstliche Geheimnis verwiesen, war dennoch davon auszugehen, dass die Norm des c. 1717 § 1 CIC/1983 anzuwenden war, welche die Wahrung des guten Rufes des Beschuldigten einfordert. Erfreulich ist nun, dass Papst Franziskus im Motu Proprio „Sulla protezione dei minori e delle persone vulnerabili“19 für die Römische Kurie und den Vatikanstaat, sowie im Motu Proprio „Vos estis lux mundi“ für die universale Kirche erstmals die Unschuldsvermutung explizit normiert hat20. Wurden in der ersten Phase des Bekanntwerdens von sexuellem Missbrauch – wenn man dies so bezeichnen darf – die Täter und Opfer in das Licht der Öffentlichkeit gebracht sowie auf das Vergehen an sich verwiesen, so kam in einer zweiten Phase die Verantwortlichkeit der Oberen in den Blickpunkt. Da auch bereits einige hohe Verantwortungsträger aus dem klerikalen Stand entlassen worden sind, hat sich die Aufmerksamkeit nunmehr auch auf jene gerichtet, welche Verantwortung tragen und somit wegen „Vertuschung“ einer solchen Straftat belangt werden können. Die von Papst Franziskus bereits im Jahr 2016 getroffenen Verfügungen im Motu Proprio „Come una madre amorevole“21 bezüglich einer Absetzung von Oberen bei solchen Fehlverhalten wurden nunmehr im Motu Proprio „Vos estis lux mundi“ konkretisiert, indem den Metropoliten eine größere Bedeutung und Verantwortung in solchen Situationen zuwächst und es eine Verpflichtung zur kirchlichen Strafanzeige gibt. Eine andere Frage, welche die mediale Öffentlichkeit – zumindest in Österreich und früher auch in Deutschland – beschäftigt, ist der Umgang mit Bischöfen, gegen welche eine Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC/1983 oder eine Strafanzeige bei einer Staatsanwaltschaft eingebracht wurde. Auch hier ist die Frage nach dem Zusammenhang und der Beziehung von moralischem Fehlverhalten, Disziplinarverstoß und strafrechtlicher Zurechenbarkeit relevant. Der Kodex kennt diesbezüglich keine entsprechende Norm, doch das „Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe“ nennt in Art. 73 den „Apostolischen Administrator Sede plena“, somit „ist davon auszugehen, dass sich der Heilige Stuhl hierfür nach wie vor auf die Bestimmungen der cc. 312 – 318 CIC/1917 beruft. Tatsächlich eröffnen die cc. 413, 415 und 419 – 420 dem Apostolischen Stuhl die Möglichkeit, in Ausnahmefällen auch auf andere 17
Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 71. Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 380. 19 Franziskus, Sulla protezione (Anm. 5). 20 Vgl. Franziskus, Vos estis lux mundi (Anm. 5), Art. 12 § 7. Auch wenn die Unschuldsvermutung im direkten Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen einen Bischof genannt wird, ist davon auszugehen, dass diese Norm auch für andere Betroffene Geltung hat. 21 Franziskus, Come una madre amorevole (Anm. 5). 18
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als die in der geltenden Rechtsordnung vorgesehene ordentliche Weise zu verfahren, um die Leitung einer Diözese sicherzustellen.“22 Papst Franziskus hat im Motu Proprio „Come una madre amorevole“ in Art 1, § 2 in Erinnerung gerufen, dass ein Diözesanbischof nur abgesetzt werden kann, wenn er objektiv und in sehr schwerer Weise seine Sorgfaltspflicht verletzt hat, welche ihm durch sein seelsorgliches Amt auferlegt ist, auch wenn dies ohne schwere moralische Schuld seinerseits geschieht23. Ähnlich verhält es sich mit der Maßnahme zur Absetzung eines Pfarrers in cc. 1740 – 1747 CIC/1983, welche als Voraussetzung explizit benennt, dass eine solche auch ohne „seine schwere Schuld“ vom Diözesanbischof vorgenommen werden kann, ja sogar muss24. Diese exemplarisch genannten Beispiele zeigen ein Zweifaches. Erstens die Frage nach der Verantwortung – moralisch und rechtlich – ist vom Typus her unterschiedlich zu beantworten „von denen der eine – die rechtliche Verantwortung – vor allem auf den äußeren Vollzug und die Folgen bezogen ist, während der andere – die moralische Verantwortung – primär auf die inneren Gründe und Ursachen (Absichten, Überzeugungen, Wünsche) abhebt. Diese Differenz hat mit der unterschiedlichen Zielsetzung der Normensysteme Recht und Moral zu tun: Während das Recht versucht, die äußeren Beziehungen der Menschen zueinander zu regeln und infolgedessen auf Handlungsvollzug und -erfolg achtet und seine Normen notfalls mit Sanktionen durchsetzt, geht es in der Moral um den guten Willen, die Einsicht und die innere Rechenschaft des einzelnen Subjekts vor seinem Gewissen bzw. sich selbst. … Für das Recht ist mit anderen Worten immer nur die Außenseite von Handlungen erreichbar, das also was sich beobachten lässt.“25 Zweitens wird deutlich, dass die Vermengung von Straf- und Disziplinarrecht im kanonischen Recht – gerade in der öffentlichen Wahrnehmung – besonders einladend ist, zu argumentieren, die Kirche sei an keiner lückenlosen Aufklärung oder Zur-Rechenschaft-Ziehung von Verantwortlichen interessiert, verfügt doch die katholische Kirche über kein explizites Disziplinarrecht auf universaler Ebene. Die Trennung von moralischer Verfehlung und Rechtsbruch ist im kirchlichen Raum 22 Heribert Hallermann, Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe. Übersetzung und Kommentar (KStKR 7), Paderborn 2006, S.102 – 103. 23 Franziskus, Come una madre amorevole (Anm. 5), Art. 1 § 2: „In vescovo diocesano o l’Eparca può essere rimosso solamente se egli abbia oggettivamente mancato in maniera molto grave alla diligenza che gli è richiesta dal suo ufficio pastorale, anche senza grave colpa morale da parte sua“. 24 Vgl. ausführlich dazu: Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern. Eine Untersuchung des geltenden Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung der Zweiten Sektion des Höchsten Gerichts der Apostolischen Signatur (= AIC 16), Frankfurt a. M. 1999. 25 Konrad Hilpert, Schuld und Verantwortung in moraltheologischer Sicht, in: L. Müller/A. E. Hierold/S. Demel/L. Gerosa/P. Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (KRB 9), Berlin 2006, S. 61 – 76, hier S. 73.
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schwerer zu vollziehen und für die Öffentlichkeit schwieriger nachzuvollziehen bzw. wird von dieser leichter vermischt, als im freiheitlich-säkularen Rechtsstaat. Kann der Rechtsstaat nur Gesetzesverstöße gemäß ihrer Schwere sanktionieren, gehen ihn die moralischen Motive nichts an. Inwiefern dies auch für ein kirchliches Strafrecht gilt, ist rechtstheoretisch relativ klar, wird doch die Kirche in ihrer Gesetzgebung auch immer am positiven Recht einer staatlichen Gesetzgebung gemessen. So wurde und wird die Kirche zum einen kritisiert, dass die Glaubenskongregation in besonders schweren Fällen sexuellen Missbrauchs die Verjährung gänzlich – auch rückwirkend – aufheben kann26, weil die Kirche somit nicht als Rechtsinstitut gewertet werden kann, in der Rechtssicherheit gilt. Andererseits wird immer wieder kritisiert, dass die Verjährungsfristen zu kurz seien und auch vom Staat aufgehoben werden sollten. Was moralisch wie rechtlich zu sagen ist, kann vielleicht im Begriff „Verantwortung“ zusammengefasst werden. Für das eigene Verhalten (schuldhaft oder nicht rechtskonform) die jeweilige und persönliche Verantwortung zu übernehmen, ist ein Gebot für Christen, in besonderer Weise für Verantwortungs- und Amtsträger in der Kirche. Sich dieser Verantwortung auch gemäß den moralischen Wertvorstellungen und den rechtlichen Normen der Glaubensgemeinschaft zu stellen, ist ein Beitrag zur Glaubwürdigkeit von Kirche, welcher nicht gering geschätzt werden darf. Dass diese Verantwortung im rechtlichen Sinn Konsequenzen bedeuten kann, entspricht im Grunde genommen auch dem moralischen Anspruch der Wiedergutmachung sowie der Besserung entsprechen. Daher: „doch ganz ungestraft kann ich dich nicht lassen“ (Jer 30,11).
III. Disziplinar- oder Strafrecht? Auch wenn die katholische Kirche kein explizit normiertes und so benanntes Disziplinarrecht kennt, bedeutet dies keineswegs, dass sie über keines verfügt27. Wilhelm Rees schreibt diesbezüglich: „Disziplinarrecht, kirchliches Disziplinarrecht ist die Gesamtheit der Bestimmungen über den Inhalt und die Behandlung von Dienstvergehen von Klerikern und im Dienst der Kirche stehenden Laien. Im Unterschied zum kirchlichen Strafrecht … dient kirchliches D. der Wahrung der Reinheit des kirchlichen Dienstes im Interesse von Funktionstüchtigkeit und Ansehen. Ebenso wie der Staat und die evangelische Kirche besitzt auch die katholische Kirche ein 26 Vgl. Congregatio pro Doctrina Fidei, Normae de gravioribus delicitis (Anm. 5), Art. 7 § 1. Ein solches Vorgehen auch auf staatlicher Ebene einzuführen, würde z. B. in Deutschland der Verfassung widersprechen (vgl. Bettina Ramseier, Artikel „Strafrechtler gegen Aufhebung der Verjährungsfrist“, in: Die Welt Onlineausgabe, online unter: https://www.welt.de/politik/ deutschland/article6941998/Strafrechtler-gegen-Aufhebung-der-Verjaehrungsfrist.html (eingesehen am 26. 05. 2019). 27 Vgl. exemplarisch dazu die unterschiedlichen Artikel im 3. Band des Heftes Quaderni di Diritto Ecclesiale aus dem Jahr 2018.
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ausgereiftes D. Grundsätzliche Disziplinarmaßnahmen finden sich im Buch VI des CIC, ohne dass jedoch eine explizite Trennung zwischen Strafrecht und D. erfolgt.“28 Die oben genannten Fragestellungen machen jedoch auf die Frage aufmerksam, ob eine Trennung zwischen Disziplinar- und Strafrecht für die Kirche nicht sinnvoll wäre, zumal aus der konkreten Praxis es mitunter schwer argumentierbar ist, wenn z. B. ein Pfarrer seines Amtes enthoben wird, ohne sich strafbar gemacht zu haben. Sowohl die römische Kurie29 als auch einzelne Dikasterien30 sowie manche Diözesen31 haben ein eigenes Disziplinarrecht. Selbst wenn von kirchlichen Verantwortungsträgern unter anderem von „Disziplinarmaßnahmen“32 gesprochen wird, verdeutlicht dies nur die Problematik, dass im heutigen gesellschaftlichen Kontext ein Fehlen eines expliziten Disziplinarrechtes nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit einer Institution oder Berufsgruppe beiträgt33. 28 Wilhelm Rees, Disziplinarrecht, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz, Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, S. 207. 29 Vgl. Ufficio del Lavoro della Sede Apostolica, Regolamento della Commissione Disciplinare della Curia Romana, in: Bulletino 24 (2016), ebenso online unter: http://www.ulsa.va/ content/ulsa/it/pubblicazioni/bollettini/bollettino-n-24 - 2016/regolamento-della-commissionedisciplinare-della-curia-romana.html (eingesehen am 15. 05. 2019) 30 Vgl. exemplarisch die Lex propria der Apostolischen Signatur: Papst Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben in Form eines Motu Proprio Antiqua Ordinatione, vom 30. 06. 2008, in: AAS (100) 2008, S. 513 – 538, dt. Übers. online unter: http://w2.vatican.va/content/bene dict-xvi/la/apost_letters/documents/hf_ben-xvi_apl_20080621_antiqua-ordinatione.html (eingesehen am 26. 05. 2019). 31 Wobei in Österreich keine Diözese über ein eigenes Disziplinarrecht verfügt und auch in den deutschen Diözesen das Disziplinarrecht nur auf Kirchenbeamte und Ruhestandsbeamte (vgl. z. B. Disziplinarordnung der Erzdiözese Freiburg) anzuwenden ist, wobei sich dies aus der Herkunft erklären lässt, dass Disziplinarstrafen bei Verstößen gegen Berufsordnungen zu verhängen sind. 32 So schreibt z. B. Bischof Franz-Josef Bode anlässlich des Bekanntwerdens von Missbrauchsfällen aus den 80er und 90er Jahren durch einen – heute 85-jährigen – Priester im Advent 2018 an die Gemeinde: „Die Kongregation fordert von mir als zuständigen Ortsbischof deutliche disziplinarische Maßnahmen gegen Pfarrer H. zu verhängen. Im Dekret, das Pfarrer H. inzwischen zugegangen ist, habe ich ihm folgende Sanktionen auferlegt: 1. Er hat sich in sämtlichen Zusammenhängen der Seelsorge vollständig zurückzuhalten. 2. Er darf keinerlei öffentliche liturgische Handlungen vornehmen. 3. Öffentliche Auftritte als Repräsentant der Kirche sind ihm untersagt. 4. Er darf seine frühere Pfarre in Merzen nicht aufsuchen. 5. Eine kirchliche Bestattung in Merzen wird es nicht geben.“, zit. n.: http://www.bistum. net/fix/files/990/artikel/doc/Bode-Brief_Merzen_Presse.2.pdf (eingesehen am 15. 05. 2019). 33 Vgl. Michael Prüller, Artikel „Bischöfe unter Druck“, in: Die Presse vom 15. 09. 2018, online unter: https://diepresse.com/home/meinung/cultureclash/5497245/Bischoefe-unterDruck# (eingesehen am 15. 05. 2019); vgl. Daniel Deckers, Artikel „Kirche der Mitwissern“, online unter: http://www.eckiger-tisch.de/wp-content/uploads/2019/04/20190418.pdf (eingesehen am 26. 05. 2019); vgl. P. Hans Langendörfer SJ, Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, der ein „Straf- und Disziplinarrecht“ für Deutschland forderte, zit. n.: https://www.kir che-und-leben.de/artikel/christiane-florin-streitet-mit-sekretaer-der-bischofskonferenz (eingesehen am 26. 05. 2019).
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Die Problematik ist nicht neu, sondern wurde auch im Zusammenhang mit der Kodexreform kontrovers diskutiert. „Daß die Konsultoren aber wenigstens zu diesem Zeitpunkt vermutlich keine tiefergehenden Überlegungen angestellt haben, ist insofern zu bedauern, als dadurch die Gelegenheit ausgelassen wurde, aufgrund eines kirchlichen Dienstrechtes auch ein entsprechendes Disziplinarrecht zu entwickeln, dieses vom Strafrecht zu trennen und so das Strafrecht noch mehr zu einem Recht für alle Gläubigen als vor allem für Geistliche und im besonderen Dienst der Kirche stehende Laien zu machen.“34 Wilhelm Rees wendet ein, „daß kanonische Strafen die Rechtsstellung eines Kirchengliedes beeinträchtigen, Dienststrafen bzw. Disziplinarmaßnahmen dagegen nur die Dienststellung betreffen. … Eine derartige Differenzierung der Tatbestände gestaltet sich im kirchlichen Bereich jedoch schwieriger als im weltlichen. … Dagegen bringt es die geistliche Struktur der Kirche mit sich, daß Dienstvergehen auch die allgemeinen Grundlagen der Kirche angreifen können. Zudem gilt es zu bedenken, daß es sich beim Codex Iuris Canonici um ein Weltrecht handelt, … Andererseits kann die fehlende Unterscheidung zwischen einem Strafrecht und einem Disziplinarrecht zu einem größeren Verständnis für die vielfach kritisierte Allgemeine Norm des c. 1399 führen …“35. Es ist somit sinnvoll, sich vor Augen zu führen, dass ein Disziplinarrecht kein Strafrecht darstellt, denn ein Disziplinarrecht setzt keine Verletzung einer Strafnorm voraus, lässt das Vorhandensein von Vorsatz und Schuld außen vor und kennt keine aufschiebende Wirkung einer Berufung oder einer Beschwerde gemäß c. 1353 CIC/ 1983. Auch handelt es sich beim Disziplinarrecht nicht um ein Verwaltungsstrafrecht (diritto penale amministrativo) noch um Strafverwaltungsrecht (diritto amministrativo sanzionatorio)36. Als Unterscheidung kann also angeführt werden, dass kirchliches Strafrecht alle Gläubigen als Glaubende betrifft, während ein kirchliches Disziplinarrecht nur jene bindet, welche ein kirchliches Amt erhalten haben, dieses noch besitzen und es ausüben37. Die von deutschen Diözesen getätigte Formulierung, wann ein Dienstvergehen von Kirchenbeamten vorliegt, ist allgemeiner Natur und spricht davon „wenn er innerhalb oder außerhalb des Dienstes schuldhaft, die ihm obliegenden Pflichten verletzt“38. Weiter kennt das Partikulargesetz auch Normen zur „Entlassung kraft Gesetzes“39, „Entlassung durch Verwaltungsakt“40 und den „Verlust von Kirchenbeamtenrechten“41. In diesen Verordnungen wird sichtbar, 34
Hierold, Vom Sinn und Zweck kirchlicher Strafen, (Anm. 4), S. 337. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 82 f. 36 Vgl. Gian Paolo Montini, Il diritto disciplinare canonico, in: Quaderni di Diritto Ecclesiale, XXXI (2018/3), S. 264 – 278, hier S. 268 ff. 37 Ebd. 38 Erzdiözese Freiburg, Kirchenbeamtenordnung für die Erzdiözese Freiburg (= KBO), § 21, zit. n. Verordnung vom 28. 12. 2011, Abl. S. 190 ff. 39 Erzdiözese Freiburg, KBO, § 11, zit. n. Verordnung vom 28. 12. 2011, Abl. S. 190 ff. 40 Erzdiözese Freiburg, KBO, § 12, zit. n. Verordnung vom 28. 12. 2011, Abl. S. 190 ff. 41 Vgl. Erzdiözese Freiburg, KBO, § 13, zit. n. Verordnung vom 28. 12. 2011, Abl. S. 190 ff. 35
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wie eng die Rechtsordnungen an jene des jeweiligen Staates oder eines Bundeslandes angelehnt bzw. mit Querverweisen versehen sind, sodass nur schwerlich von einem kanonischen Disziplinarrecht die Rede sein wird können. Der Anspruch des universalen kirchlichen Gesetzgebers, Normen und Vorschriften für die Weltkirche zu erlassen, wird hier zur Schwierigkeit, da die Ausformulierung eines kanonischen Disziplinarrechtes auf weltkirchlicher Ebene praktisch unmöglich erscheint. Ein weltkirchliches kanonisches Disziplinarrecht würde – so die Forderung – einen Pflichtenkodex notwendig machen, welcher vor allem zwei Schwächen aufweist42 : Es würde zu einer Professionalisierung (im negativen Sinn) der Mitarbeitenden führen, welche sich sehr an einer Bürokratisierung der pastoralen Aktivität annähern würde. Im Fall von Geistlichen könnte dies zur Undeutlichkeit führen, dass das geistliche Dienstamt nicht in einem Arbeitsverhältnis sondern in einer göttlichen Berufung gründet. Weiter könnten solche Pflichtenkodizes niemals das gesamte Spektrum kirchlichen Tuns abdecken. Aus Perspektive der Ortskirche, zumindest im deutschsprachigen Raum, bleibt der Wunsch nach Reglementierung und Rechtssicherheit verständlich, da in diesem Kulturraum die Angleichung kirchlicher Institutionen an weltliche sehr weit vorgeschritten ist und daher die zivile Rechtsprechung und Gesetzeslage nicht wenige Auswirkungen auf die Kirche hat. Wenngleich auch hier die Erfahrung zeigt, dass eine solche nie vollkommen sein wird und deutlich wird, dass überdies andere Probleme – Stichwort „kirchliches Arbeitsrecht“ in Deutschland – zu Tage gefördert werden. Zumal es sich um Konstellationen handelt – und somit ist die Debatte schon im Rahmen der Kodexreform vor 1983 wieder aufgegriffen – die der Großteil der Weltkirche nicht kennt, „[d]a Laien als hauptamtliche Mitarbeiter der Kirche, so wie wir es in den deutschsprachigen Ländern kennen, weltkirchlich gesehen die Ausnahme sind, hat das Problem ihres Fehlverhaltens keinen Eingang in das kirchliche Strafrecht gefunden“43. So betreffen z. B. auch die weltkirchlichen Normen über sexuellen Missbrauch Minderjähriger bisher nur Kleriker44, wenngleich in den Partikularnormen der deutschsprachigen Diözesen der Tatbestand auf alle kirchlich Mitarbeitenden erweitert wurde45. Die Festsetzung konkreter Disziplinarmaßnahmen müsste wohl ebenso grundsätzlich geregelt werden und dies könnte umgekehrt auch im Strafrecht erfolgen, doch gleichzeitig geht eine minutiöse Aufzählung von Disziplinarstrafen auf Kosten der aktuell vorliegenden – jedoch recht zu verstehenden und anzuwendenden – Vorteile der Flexibilität, Anpassbarkeit und Verhältnismäßigkeit46). 42
Vgl. dazu und zum Folgenden: Montini, Il diritto disciplinare canonico (Anm. 36), S. 272 f. 43 Klaus Lüdicke/Rüdiger Althaus, Der kirchliche Strafprozess nach dem Codex Iuris Canonici und Nebengesetzen (BzMK 61), Münster 22015, Einführung – 3. 44 Vgl. Congregatio pro Doctrina Fidei, Normae de gravioribus delictis (Anm. 5), Art. 6 § 2. 45 Vgl. exemplarisch: Österreichische Bischofskonferenz, Die Wahrheit wird euch frei machen. Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich, Teil C: Verfahrensordnung, § 1, Wien 22016, S. 40. 46 Vgl. Montini, Il diritto disciplinare canonico (Anm. 36), S. 274.
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Dem Faktum der Weltkirchlichkeit Rechnung tragend, kann der Umstand geschuldet werden, dass und warum sie – wie oben erwähnt – über kein universales und als solches bezeichnetes Disziplinarrecht verfügt, jedoch faktisch sehr wohl eines existiert und in Geltung ist47: Es findet sich auf den gesamten Kodex verteilt (z. B. in den Normen über die Absetzung eines Pfarrers in Fällen des c. 1741, 1o, 3o und 5o CIC/1983) als auch in den geltenden allgemeinen Normen (z. B. in den Normen bezüglich der Güterverwaltung der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen sowie auch konkordatsrechtlicher Natur. Disziplinarrecht findet sich z. B. im Spezial- oder Eigenrecht der Römischen Kurie oder einzelner Dikasterien48). Somit ist ein Punkt berührt, welcher das – eingangs schon erwähnte – allgemeine Unbehagen im Blick auf das Strafrecht in der Kirche ein kleinwenig mindern möchte, indem gerade durch eine konsequente Anwendung des kirchlichen Strafrechtes deutlich werden kann, dass ein Fehlverhalten strafrechtlich zu ahnden ist, selbst wenn es keine explizite Norm dafür gibt, sondern diese sich aus der Generalnorm des c. 1399 CIC/1983 oder aus anderen Normen ableiten lässt. Sich eines „Disziplinarrechts“ bedienen zu wollen, um das Wort „Strafrecht“ nicht in den Mund nehmen zu müssen, wird der Glaubwürdigkeit nicht mehr dienlich sein, wie umgekehrt gilt, dass ein Disziplinarrecht ebenso Anwendung finden muss, damit es nicht dasselbe Schicksal erfährt. Diese Unterscheidung zwischen Strafe und Disziplinarmaßnahme kann für die gegenwärtige und eine mögliche zukünftige Diskussion hilfreich sein, wenn über die Zielrichtung von Strafe und Disziplinarmaßnahme nachgedacht werden soll. Eines bleibt jedoch unbestritten: wenn es zu einem Fehlverhalten von Gläubigen oder kirchlichen Mitarbeitenden sowie Amtsträgern in zu bewertender und als ausreichend befundener Schwere kommt, ist eine – ob nun als disziplinar- oder strafrechtlich bezeichnete – Überprüfung der Vorwürfe gemäß c. 1717 CIC/1983 durchzuführen.
IV. Zweck, Form und Angemessenheit von Strafe Schon der Abschnitt über die Frage von Moral und Recht machte deutlich, dass zwischen Sünde und Straftat zu unterscheiden ist. „Rechtlich gesehen ist die Straftat eine Rechtsverletzung. Das kirchliche Strafrecht richtet sich nicht gegen die unmoralische Verhaltensweise schlechthin, gegen die Sünde, sondern nur gegen jene unmoralische Verhaltensweise, die die Ordnung des Gemeinschaftslebens ernstlich bedroht. Zwar ist jede Straftat zugleich Sünde, aber nicht jede Sünde stellt eine Straftat dar. … Durch eine Straftat aber wird ein göttliches Gesetz, das mit Strafe bedroht ist, oder ein kirchliches Strafgesetz äußerlich verletzt. Die Tat wird nicht als Sünde be47 48
Vgl. Montini, Il diritto disciplinare canonico (Anm. 36), S. 275 ff. Vgl. ebd. (Anm. 36).
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straft; … Strafrechtliche Schuld ist daher primär Rechtsschuld, nicht sittliche Schuld.“49 Diese erste Grundlegung ist bedeutsam, da sie im weltlichen Umfeld nicht immer Beachtung findet, wohl auch daher, da die Kirche hohe moralische Anforderungen erhebt und ein Vergehen von Amtsträgerinnen und -trägern – zumal wenn es sich um Bischöfe oder Priester handelt – vor allem moralisch bewertet wird und aus dieser Bewertung nahezu automatisch strafrechtliche Folgen deduziert werden. Doch gilt auch in der Kirche – wie im Staat – der Grundsatz: „nulla poena sine lege“50. „Dies geschieht dadurch, daß der kirchliche Gesetzgeber die Straftat als Verletzung eines schon zuvor bestehenden Gesetzes oder Verwaltungsbefehls definiert (vgl. c. 1321 §§ 1 und 2). Unter den Pflichten und Rechten der Gläubigen bringt c. 221 § 3 zum Ausdruck, daß kanonische Strafen nur nach Maßgabe verhängt werden dürfen. Die Allgemeine Norm des c. 1399 durchbricht jedoch den Nulla-poenaGrundsatz. Sie besagt, daß in allen Fällen, die im Kirchlichen Gesetzbuch oder in anderen kirchlichen Gesetzen nicht festgelegt sind, eine Bestrafung für äußerlich erkennbare Verletzungen eines göttlichen oder kirchlichen Gesetzes dann in Frage kommt, wenn ihre außerordentliche Schwere dies erfordert und die dringende Notwendigkeit zur Verhinderung oder Beseitigung eines Ärgernisses besteht (c. 1399).“51 Somit ist ein weiterer Aspekt berührt, welcher zu beachten ist, nämlich die Frage nach dem Zweck und dem Ziel von Strafen im kirchlichen Recht. Das Disziplinarrecht im öffentlichen Bereich hat ein Dienstvergehen (zumeist von Beamten im öffentlichen Dienst) zum Anlass und die Disziplinarmaßnahme dient dazu, an die Verpflichtungen des (Beamten-)Dienstrechtes zu erinnern und deren Einhaltung einzufordern, ja kann sogar die Entfernung aus dem Dienst zur Folge zu haben. Geht man im staatlichen Strafrecht zumeist von unterschiedlichen Strafzwecken z. B. Vergeltungstheorie, Sühnetheorie, Theorie vom Schuldausgleich, Prävention als relative Straftheorie etc. aus52, so geht es dem kirchlichen Gesetzgeber – ausgehend von biblischen Fundamenten – zuletzt immer um das „ewige Heil der Seelen“. Um dieses zu bewahren, kann die Kirche Strafen verhängen, welche dem Ziel der Besserung, der Wiedergutmachung, der Wiederherstellung von Gerechtigkeit und der Beseitigung öffentlichen Ärgernisses dienen. Schwierig wird dies dadurch, da im aktuellen kirchlichen Strafrecht in c. 1341 CIC/1983 die Verhängung oder Feststellung von Strafen „nur dann beschritten wird, wenn er [der Ordinarius] erkannt hat, dass weder durch brüderliche Ermahnung noch durch Verweis noch durch andere Wege des pastoralen Bemühens ein Ärgernis hinreichend behoben, die Gerechtigkeit wiederhergestellt und der Täter gebessert werden kann“. Um diese Ziele zu erreichen stehen der Kirche gemäß c. 1312 §§ 1 – 3 CIC/1983 unterschiedliche Mittel zur Verfügung: Besse-
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Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 69. Vgl. ausführlich dazu: ebd. (Anm. 1), S. 71 ff. 51 Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 75 f. 52 Vgl. exemplarisch dazu: Rees, Strafe (Anm. 3), S. 27 – 33.
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rungs- oder Beugestrafen53 (cc. 1331 – 1335 CIC/1983) welche den Besserungsgedanken des Delinquenten in den Vordergrund stellen, Sühnestrafen54 (cc. 1336 – 1338 CIC/1983) welche primär der Sühnung der Straftat zum Ziel haben und die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, sowie Strafsicherungsmittel55 (c. 1339 CIC/ 1983) welche vorbeugende Wirkung erzielen sollen als Warnung bzw. Verwarnung (monitio) oder Verweis (correptio) konkrete Gestalt gewinnen können. Diese sind „in einem Dokument festzuhalten, das im Geheimarchiv der Kurie aufzubewahren ist (c. 1339 § 3)“56. Eine weitere Möglichkeit ist die Auferlegung von Strafbußen57 (c. 1340 CIC/1983) iSv Werken „der Ausübung des Glaubens, der Frömmigkeit oder der Caritas“58 die als Ersatz für eine Strafe oder als Strafverschärfung eingesetzt werden können. „Der Ordinarius kann Strafbußen auch den Strafsicherungsmitteln hinzufügen (c. 1340 § 3)“59. Das kirchliche Strafrecht ist vom Grundsatz der Milde gekennzeichnet, „ohne dass diese Milde einen Selbstzweck darstellt“60. Das gegenwärtige Pontifikat setzt in herausragender Weise auf Barmherzigkeit, welche durch die Ausrufung eines außerordentlichen Heiligen Jahres vom Dezember 2015 bis November 2016 begangen wurde. In diesem Zusammenhang hatte Papst Franziskus einige Sondervollmachten gewährt, wie z. B. jene der Lossprechung von der Sünde der Abtreibung durch alle Priester61 oder die Möglichkeit, dass sogenannte „Missionare der Barmherzigkeit“ welche der Heilige Vater ausgesandt hat, Priester sind, „denen ich die Vollmacht geben werde, auch von den Sünden loszusprechen, die normalerweise dem Apostolischen Stuhl vorbehalten sind“62. Beide ursprünglich zeitlich befristeten Fakultäten wurden am Ende des außerordentlichen Heiligen Jahres vom Römischen Pontifex
53 Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 385 – 391; Wilhelm Rees, § 106 Straftat und Strafe, in: HdbKathKR3, S. 1591 – 1614, hier: S. 1598 – 1601. 54 Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 391 – 396; Rees, Straftat (Anm. 53), S. 1601 – 1603. 55 Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 397; Rees, Straftat (Anm. 53), S. 1604. 56 Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 397. 57 Vgl. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 397 f.; Rees, Straftat (Anm. 53), S. 1604. 58 Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 397. 59 Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 398. 60 Elmar Güthoff, Ein Überblick über die im ersten Teil des Strafrechts des CIC (cc. 1311 – 1363) geplanten Änderungen, in: AfkKR 181 (2012), S. 75 – 89, hier S. 76. 61 Papst Franziskus, Schreiben von Papst Franziskus, mit dem zum außerordentlichen Jubiläum der Barmherzigkeit der Ablass gewährt wird, 01. 09. 2015, online unter: http://w2.vati can.va/content/francesco/de/letters/2015/documents/papa-francesco_20150901_lettera-indulg enza-giubileo-misericordia.html (eingesehen am 28. 05. 2019): „[A]us diesem Grund habe ich, ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen, entschieden, für das Jubiläumsjahr allen Priestern die Vollmacht zu gewähren, von der Sünde der Abtreibung loszusprechen, die sie vorgenommen haben und reuigen Herzens dafür um Vergebung bitten.“ 62 Papst Franziskus, Verkündigungsbulle des außerordentlichen Jubiläums der Barmherzigkeit Misericordiae vultus, in: AAS 107 (2015).
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zur unbefristeten Regel erhoben63. Der Papst sieht in der „Barmherzigkeit Gottes das pulsierende Herz des Evangeliums … Durch sie soll die Barmherzigkeit das Herz und den Verstand des Menschen erreichen … Es ist entscheidend für die Kirche und für die Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung, dass sie in erster Person die Barmherzigkeit lebt und bezeugt.“64 Der Papst macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zusammengehören, es sich dabei um zwei Dimensionen einer einzigen Wirklichkeit handelt, „die sich fortschreitend entwickelt, bis sie ihren Höhepunkt in der Fülle der Liebe erreicht hat. Die Gerechtigkeit ist ein grundlegendes Konzept der Zivilgesellschaft, in der man sich normalerweise auf eine Rechtsordnung bezieht, in deren Rahmen das Gesetz angewandt wird. Unter Gerechtigkeit versteht man auch, dass einem jeden gegeben werden muss, was ihm zusteht. … Diese Sichtweise hat aber nicht selten zu einem Legalismus geführt, indem man den ursprünglichen Sinn verfälscht und den tieferen Sinn von Gerechtigkeit verdunkelt hat. Um eine legalistische Sichtweise zu überwinden ist es notwendig, sich daran zu erinnern, dass in der Heiligen Schrift die Gerechtigkeit hauptsächlich als ein sich völliges und vertrauensvolles Überlassen in den Willen Gottes verstanden wird.“65 Der Papst will hier dem Sünder seine väterliche Aufmerksamkeit zu schenken, der durch den Dienst der Beichtväter in besonderer Weise die Nähe und Liebe des göttlichen Vaters erfahren soll. Er wünscht, dass diese Eigenschaft der Kirche wieder neu belebt werde, damit die Liebe Gottes allen Menschen aufleuchten kann und betont in besonderer Weise die Umkehr des Einzelnen aufgrund des Glaubens an Gott. Diese Verkündigung der Barmherzigkeit Gottes, die geschenkte Vergebung und die Bereitschaft zur Wiedergutmachung gehören zur Bußtradition der Kirche, welche auch im Strafrecht vorhanden ist. „Wie … anhand einiger zentraler Aspekte angedeutet werden konnte, wurde das kirchliche Strafrecht in ganz entscheidender Weise von seiner Nähe zum Bußwesen geprägt, seinem Eingehen auf den einzelnen Täter und seinem Bemühen um die Besserung des Menschen zur Rettung des Seelenheils. Trotzdem kann zu keiner Zeit die Rede davon sein, daß die Kirche sich mit der Verhängung von Bußen zufrieden gab und auf die Verhängung von Strafen verzichtete um die Menschen zur Beachtung ihrer Normen und der von ihr verkündeten göttlichen Gebote zu veranlassen.“66 Die Bedeutung von Barmherzigkeit und Vergebung zeigt sich in den unterschiedlichen Delikten, wird unterschiedlich bewertet und unterliegt unterschiedlichen emotionalen Zugängen. Während Barmherzigkeit und Vergebung in Fällen des Vergehens gegen die Lehre der Kirche als Selbst63 Vgl. Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben zum Abschluss des Außerordentlichen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit Miscericordia et misera, AAS 109 (2017). 64 Franziskus, Miscericordiae vultus (Anm. 62). 65 Franziskus, Miscericordiae vultus (Anm. 62). 66 Lotte Kéry, Canonica servitas und amor correctionis. Zur Ausbildung des kirchlichen Strafrechts im Spannungsfeld zwischen Strafanspruch und Besserungsverlangen, in: L. Müller/A. E. Hierold/S. Demel/L. Gerosa/P. Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= KRB 9), Berlin 2006, S. 23 – 44, hier S. 43.
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verständlichkeit angesehen wird, sind sie im Fall des sexuellen Missbrauches nahezu inexistent. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. konstatierte: „Ein ausgewogenes Kirchenrecht, das dem Ganzen der Botschaft Jesu entspricht, muß also nicht nur garantistisch für den Angeklagten sein, dessen Achtung ein Rechtsgut ist. Es muß auch den Glauben schützen, der ebenfalls ein wichtiges Rechtsgut ist. Ein recht gebautes Kirchenrecht muß also eine doppelte Garantie – Rechtsschutz des Angeklagten, Rechtsschutz des im Spiel stehenden Gutes – beinhalten. Wenn man heute diese in sich klare Auffassung vorträgt, trifft man im allgemeinen bei der Frage des Schutzes des Rechtsgutes Glaube auf taube Ohren. Der Glaube erscheint im allgemeinen Rechtsbewußtsein nicht mehr den Rang eines zu schützenden Gutes zu haben.“67 Doch auch dieser Frage muss sich die Kirche heute stellen wie auch jener nach der Bestrafung von Rechtsbrüchen jeglicher Art. Gerade der Blick auf die kirchliche Communio, zu deren Aufbau kirchliche Sanktionen dienen, wird in der von den Missbrauchsskandalen – zurecht – erschütterten Kirche und in der Öffentlichkeit weitgehend hintangestellt. Die Infragestellung eines funktionierenden Strafrechts muss in weiterer Folge für alle Vergehen gelten. Ja, vielleicht muss es sogar auf heutige ausgedehnt werden, will die Kirche nicht als einseitig betrachtet werden und nur in Fragen des sexuellen Missbrauchs mit Strafen antworten und daher auch innerkirchlich Kritik ernten, wie sie viceversa in Kritik steht, wenn sie in Fragen der Disziplin und der Glaubenslehre Strafen verhängt.
V. Desiderate an eine Strafrechtsreform Wie eingangs schon erwähnt, wurde bereits im Jahr 1997 eine erste Erneuerung des kirchlichen Strafrechts auf Initiative des Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Kardinal Ratzinger, in die Wege geleitet68. In den Jahren 2001 und 2010 erfolgten weitere Maßnahmen, welche die Vergehen gegen die Heiligkeit der Sakramente und des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker betrafen. Schließlich gab Papst Benedikt XVI. – nachdem schon zuvor unterschiedliche Adaptierungen vorausgegangen waren69 – im September 2007 den entscheidenden Impuls zur Revision des kirchlichen Strafrechtes70. Im Juli 201171 kommt es zu einem 67 Papst Benedikt XVI., Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs, II. 2, online unter: https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/benedikt-xvi-68er-sind-verantwortlich-fur-missbrauchsskandal (eingesehen am 24. 05. 2019). 68 Vgl. Juan Ignacio Arrieta, Kardinal Ratzinger und die Revision der kirchlichen Strafrechtsordnung. Eine entscheidende Rolle, online unter: http://www.vatican.va/resources/resources_arrieta-20101202_ge.html (eingesehen am 26. 05. 2019); vgl. Juan Ignacio Arrieta, Der Einfluss Kardinal Ratzingers bei der Revision der kirchlichen Strafrechtsordnung, online unter: http://www.vatican.va/resources/resources_arrieta-20101204_ge.html (eingesehen am 26. 05. 2019). 69 Vgl. dazu Graulich, Die große Strafrechtsreform (Anm. 6), S. 13 – 16. 70 Vgl. Arrieta, Ratzinger (Anm. 68); Arrieta, Einfluss (Anm. 68); Graulich, Die große Strafrechtsreform (Anm. 6), S. 16 f.
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ersten Schema und im Jahr 2015 zu einem weiteren72. Doch seither ist es ruhig geworden um die Reform des kirchlichen Strafrechtes. Moral hat andere Maßstäbe als das Recht, doch muss – gerade die Kirche – moralische Maßstäbe unter Umständen stärker in ihrem Strafrecht bedenken. Moral hat andere Maßstäbe als das Recht, doch muss – gerade die Kirche – moralische Maßstäbe unter Umständen stärker in ihrem Strafrecht bedenken. Dem Staat fällt es zweifelsohne leichter die Trennung dieser beiden Sphären zu vollziehen und zu vermitteln als der Kirche. Gilt für den rechtsstaatlichen Bereich, dass der Rechtsbrecher bestraft wird, „und wenn er die Strafe abgebüßt hat, ist der Rechtsfrieden wieder hergestellt. Er ist dann, selbst wenn er als vorbestraft gilt, kein Täter mehr, sondern wieder freier Bürger. Das Recht kann rechtliche Schuld in geordneten Bahnen zum Verschwinden bringen. Moralische Schuld aber bleibt, ist sehr viel schwerer zu tilgen. Sie wirkt lange nach.“73 Mit diesen Auswirkungen muss die Kirche umgehen lernen. Stellt sich also die Frage, wie dieser – von Marie Collins geforderte – Niederschlag von „Null-Toleranz“ in einem erneuerten kirchlichen Strafrecht einzubeziehen ist. Ab welcher Schwere eines Vergehens, wird die Entlassung aus dem Klerikerstand verhängt (z. B. bei Verurteilung durch ein staatliches Gericht)? Doch ist die Beurteilung von „Sünde“ dem „letzten Gericht“ anheimzugeben, denn: „Wenn dereinst … ein gütiger Gott sein kompetentes Urteil sprechen wird, sind wir davon entlastet, hier und heut schon zu richten und falsche moralische Eindeutigkeit zu erzeugen. Man darf Rechtsbrüche nicht verharmlosen. Aber man muss sie mit Recht und nicht mit sich selbst absolut setzender Selbstgerechtigkeit bearbeiten. … So bleibt nur die Hoffnung auf eine Vergebung, die wir selbst nicht zu garantieren vermögen.“74 Die Frage nach der Bedeutung eines Straf- und/oder Disziplinarrechts hat sich in diesen Jahren zweifelsohne nicht beruhigt, wie sowohl öffentlich erhobene Forderungen als auch die in der letzten Zeit getätigten Entwicklungen in der kirchlichen Gesetzgebung gesetzten Maßnahmen gezeigt haben. Doch bleibt eines vordringlich: das kirchliche Strafgesetz muss einfacher angewandt werden können75. Und das kirchliche Strafrecht muss überhaupt angewandt werden. Diesem Bedürfnis der Ortskirchen will die Reform entgegenkommen: „Hauptanliegen der Reform ist es, Wirk71 Vgl. Pontificium Consilium de Legum Textibus, Schema Recognitionis Libri VI Codices Iuris Canonici (Reservatum) Typis Vaticanis MMXI, online unter: https://www.iuscangreg.it/ pdf/SchemaRecognitionisLibriVI.pdf (eingesehen am 24. 05. 2019); vgl. erklärend dazu: Güthoff, Ein Überblick (Anm. 60), S. 75 – 89; Elmar Güthoff, Ein Überblick über die im zweiten Teil des Strafrechts des CIC geplanten Änderungen, in: E. Güthoff/S. Korta/A. Weiß (Hrsg.), Clarissimo Professori Doctori Carlo Giraldo Fürst. Gedenkschrift für Carl Gerold Fürst (= AIC 50), Frankfurt a. M., 2013, S. 157 – 165. 72 Vgl. zu diesem Stand: Graulich, Die große Strafrechtsreform (Anm. 6), S. 16 – 21. 73 Friedrich Wilhelm Graf, Artikel „Aus dem Paradies. Wie soll die Gesellschaft mit Verfehlungen ihrer Prominenten umgehen? Über biblische Sünder und den modernen Unterschied von Recht und Moral“, in: Die Zeit, 09/2014, online unter: https://www.zeit.de/2014/09/ essay-verfehlungen-ueber-recht-und-moral/komplettansicht (eingesehen am 13. 05. 2019). 74 Vgl. ebd. 75 Diesbezüglich positiv gestimmt: Güthoff, Ein Überblick (Anm. 60), S. 89.
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samkeit und Wertigkeit des kirchlichen Strafrechtes zu stärken. Es gilt, das Strafrecht wieder als ordentliches Instrument der Leitung in der Kirche hervortreten zu lassen. … Schon früher hätte die Kenntnis und die zeitgerechte Anwendung des Strafrechts entsprechend seiner Zielsetzung (der Besserung des Straftäters, der Wiederherstellung der Gerechtigkeit und der Behebung des Skandals) in vielen Fällen Schlimmeres verhindern können.“76 Ein Gedanke, welcher in der Rechtsprechung und der Konzeption von Strafrecht überlegt werden könnte, ist der Gedanke von einer Spezialprävention, der sich im staatlichen Strafrecht immer mehr etabliert hat und als relative Straftheorie bezeichnet wird. Dieser Aspekt, welcher im kirchlichen Strafrecht unter „Besserung des Täters“ verstanden wird, könnte in der Anwendung des kanonischen Strafrechts in der Rechtsprechung dahingehend Verwirklichung finden, dass sich die kirchliche Gemeinschaft dieser Herausforderung stellt und Maßnahmen beinhaltet, die durch psychiatrisch-medizinische Hilfe geleistet werden könnte, welche der Prävention dienen und auch der Verantwortung der Kirche für schuldig gewordene Mitglieder stärker Rechnung tragen könnte77. Eine weitere Frage, welche in der Öffentlichkeit ebenfalls heftig diskutiert und vor allem von Opferverbänden stark kritisiert wird, ist jene, ob es für die Kirche nicht eine Anzeigepflicht gegenüber staatlichen Behörden geben sollte, wobei Verantwortungsträger in der Kirche strafrechtlich belangt werden können, wenn sie die-
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Graulich, Die große Strafrechtsreform (Anm. 6), S. 17 f. Dabei könnte an eine Zusammenarbeit mit Einrichtungen gedacht werden, wie es sie z. B. in Deutschland in Gestalt der Initiative „Kein Täter werden“ gibt und die seit 2005 diesbezüglich zu wirken versucht: Prof. Dr. Klaus Michael Beyer formuliert es so: „Es geht darum, Pädophilen ein Leben in der Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen und Kinder auf diese Weise vor sexualisierter Gewalt zu schützen. … 80 % der sogenannten Kernpädophilen, also derjenigen, die sich ausschließlich zu Kindern hingezogen fühlen, werden ohne Behandlung rückfällig. … Wir ermutigen die Betroffenen, soziale Beziehungen auszubauen, denn sie sind oft sehr isoliert und vereinsamt, was auch immer ein Risikofaktor ist. Als eine der Behandlungsstrategien versucht man, das soziale Back-Up zu erweitern, um die Bindungsdimension auf diese Weise erfüllbar zu machen. Es geht im Endeffekt darum, dass man einer klinisch bekannten Gruppe von Menschen Hilfen anbietet, die sie im Leben stabilisieren und ihre psychischen Belastungen verringern sollen, mit dem Ziel, dass sie niemals Kindern schaden. Und zwar weder durch sexuelle Übergriffe noch durch die Nutzung von Missbrauchsabbildungen. Wir kennen inzwischen die Risikofaktoren, die dazu führen, dass jemand mit pädophiler Neigung sein Verhalten in diesem Sinne nicht kontrollieren kann. Also beeinflussen wir diese Risikofaktoren und helfen den Betroffenen, ihre pädophile Sexualpräferenz adäquat in ihr Selbstkonzept zu integrieren und ihre Bindungswünsche in einer Weise zu erfüllen, die Kindern nicht schadet. … Das Projekt selbst, aber auch die Nachuntersuchungen zeigen, dass es für die Betroffenen eine Richtung gibt, die sie einschlagen können und die zu einem lebenswerten Leben führt, sie also von diesen Symptomen entlastet. Sie haben dann nicht mehr das Gefühl, von ihren Phantasien dominiert zu werden, sondern diese eingrenzen zu können.“, zit. n.: https://www.galore.de/interviews/people/prof-dr-med-dr-phil-klaus-micha el-beier/2017 - 03 - 14/all (eingesehen am 26. 05. 2019). 77
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ser staatliche verordneten oder frei gewählten Anzeigepflicht nicht nachkommen78. Mit Rücksicht auf die weltkirchliche Dimension des kirchlichen Strafrechtes hat der Papst wohl auf eine solche Verordnung verzichtet und sie dort vorgeschrieben, wo dies in den staatlichen Gesetzen vorgeschrieben ist; der Anzeigepflicht gilt es jedoch ausnahmslos nachzukommen79. Offen bleibt, ob und wie die schon erwähnten unterschiedlichen weltkirchlichen Bestimmungen in das neue kirchliche Strafrecht Eingang finden werden. Die Auseinandersetzung zwischen Disziplinar- und Strafrecht zeigt, dass es ein Für und Wider gibt, welches abzuwiegen ist. Die Argumente, die von Befürwortern wie Skeptikern vorgebracht werden, sind nachvollziehbar. Das brennende Plädoyer80 für die korrekte und konkrete Anwendung des kanonischen Rechts durch die kirchliche Autorität, setzt voraus, dass es eine ausreichend große Anzahl an gelehrten Kanonisten – wie Wilhelm Rees – gibt, welche für die Applikation des Rechtes zur Verfügung stehen. Denn es besteht – unabhängig von der Frage Disziplinar- und/oder Strafrecht – in der – katholischen – kanonistischen Literatur doch Einhelligkeit darüber, dass kirchliches Strafrecht notwendig ist und Anwendung finden soll81. Dies insbesondere, da 78 So verweist z. B. P. Bernd Hagenkord SJ darauf, dass auch der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bundesregierung sich gegen eine mit Strafe versehene Anzeigepflicht zeigt und begründet dies so: „Der Runde Tisch ,Sexueller Kindesmissbrauch‘ hat sich mit der Thematik der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden intensiv befasst und sich gegen eine allgemeine strafbewehrte Pflicht zur Anzeige von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen ausgesprochen. Damit soll weiterhin ermöglicht werden, dass Betroffene insbesondere in Beratungsstellen vertraulich Hilfe erhalten. Bei einer strafbewehrten Anzeigepflicht hingegen wären alle, die von möglichen Fällen sexuellen Missbrauchs erfahren, zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet, um sich nicht selbst strafbar zu machen.“, zit. n.: https://paterberndhagenkord.blog/anzeigepflicht/ (eingesehen am 26. 05. 2019). Ähnlich zeigen sich Expertinnen auch in Bezug auf die Reform des Österreichischen Strafrechts, welches Verschärfungen im Strafrahmen von Sexualdelikten vorsieht, skeptisch: „Experten und Expertinnen zeigen sich gegenüber den Plänen der Regierung skeptisch. Der höhere Strafrahmen bei Sexualdelikten würde die Hemmschwelle der Opfer erhöhen, Übergriffe anzuzeigen, da die meisten Vergewaltigungen im Bekanntenkreis stattfinden, ist die Juristin Katharina Beclin im ,Standard‘-Interview überzeugt. Ein Verfahren zur Abklärung ohne zwingende Anzeigepflicht könne mehr Taten verhindern, so Beclin.“, zit. n.: https://orf. at/stories/3110979/ (eingesehen am 26. 05. 2019). 79 Vgl. Franziskus, Vos estis lux mundi (Anm. 5), Art. 19. 80 So z. B. Montini, Il diritto disciplinare canonico (Anm. 36), S. 276: „Non si può negare che la carenza di un quadro generale di un diritto disciplinare universale canonico e l’assenza di una normativa specifica per determinati ambiti pastorali, renderà a volte impegnativo conoscere e individuare gli obblighi violati, gli illeciti compiuti, la procedura da seguire e le sanzioni da applicare, ma il diritto canonico non è nuovo a queste sfide per l’autorità ecclesiale e esistono troppi frammenti e riferimenti nel diritto canonico codificato perché si possa ritenere il disciplinare de iure condendo. Questa ultima sarebbe una posizione più comoda per l’autorità ecclesiale, ma non la più confacente alla sua missione, anche in riferimento alla ricerca della norma da applicare“. 81 Vgl. exemplarisch: Peter Krämer, Strafen in einer Kirche der Liebe, in: L. Müller/A. E. Hierold/S. Demel/L. Gerosa/P. Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Not-
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dies seit dem II. Vatikanischen Konzils immer wieder in Frage gestellt wurde. Papst Benedikt XVI. erinnert an ein Gespräch mit dem damaligen Erzbischof von Dublin, bei dem ihm dieser sagte, „dass das kirchliche Strafrecht bis in die späten 50er Jahre hinein funktioniert hat; es war zwar nicht vollkommen – vieles ist daran zu kritisieren –, aber immerhin: Es wurde angewandt. Doch seit der Mitte der 60er Jahre wurde es einfach nicht mehr angewandt. Es herrschte das Bewusstsein, die Kirche dürfe nicht Rechtskirche, sondern müsse Liebeskirche sein; sie dürfe nicht strafen. So war das Bewusstsein dafür, dass Strafe ein Akt der Liebe sein kann, erloschen.“82 Liebe ist nicht einseitig und behält Opfer wie Täter im Blick: Wiedergutmachung ebenso wie Besserung, Behebung von Ärgernis ebenso wie Buße, Gerechtigkeit ebenso wie Barmherzigkeit. Aus dieser Perspektive der Liebe, welche in der Liebe Gottes zu den Menschen ihren Ursprung hat, gilt es auch für die Kirche, denn: „doch ganz ungestraft kann ich dich nicht lassen“ (Jer 30,11).
wendigkeit oder Widerspruch? (= KRB 9), Berlin 2006, S. 9 – 22; Ludger Müller, Warum und wozu kirchliche Sanktionen?, in: L. Müller/A. E. Hierold/S. Demel/L. Gerosa/P. Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= KRB 9), Berlin 2006, S. 183 – 202. 82 Benedikt XVI., Licht der Welt. Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Freiburg/Basel/Wien 22010, S. 42 f.
Buße statt Strafe Ein wenig beachtetes Rechtsinstitut als Handlungsalternative im Strafrecht Von Stefan Ihli Der mit vorliegender Festgabe zu Ehrende hat mit seiner Habilitationsschrift1 ein Standardwerk des kirchlichen Strafrechts vorgelegt. Möglicherweise geht es zu weit zu postulieren, dass letzteres im CIC/1983 „esclude per principio l’inflizione della pena; a questa fa ricorso, esauriti, e vanificati tutti i tentativi possibili, come extrema ratio. Quel ,tunc tantum‘ del canone [sc. 1341 CIC/1983] è vincolante, categorico, inderogabile. Al punto, a me sembra, che il mancato adempimento possa essere denunciato e suscettibile di censura o di sanzione, quanto meno con la caducità del provvedimento adottato“.2 Dennoch ist nicht zu leugnen, dass c. 1341 CIC/1983 eine Strafverhängung oder -feststellung nur als eine ultima ratio vorsieht. Selbst falls es zu einem Gerichtsverfahren kommt, kann der Richter gemäß c. 1344 n. 2 CIC/ 1983 „[a]uch wenn das Gesetz anordnende Worte verwendet (…) nach seinem Gewissen und klugem Ermessen (…) eine Buße auferlegen (…).“ Dies entspricht dem dritten der principia quae der Codex-Reform3 und geht neben dem biblischen Prinzip der correctio fraterna4 auf eine Bestimmung des Trullanum zurück, die das Tridentinum aufgriff.5 Demnach hat „das ganze Strafsystem der Kirche Bußcharakter (…). 1 Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht dargestellt auf der Grundlage seiner Entstehungsgeschichte (Kanonistische Studien und Texte, Band 41), Berlin 1993. 2 Giuseppe Di Mattia, Il diritto penale canonico a misura d’uomo, in: Apol 64 (1991), S. 747 – 770, hier S. 765. 3 „(…) deshalb sollen zu strenge Normen vermieden werden; vielmehr soll lieber auf Ermahnungen und Empfehlungen zurückgegriffen werden, wo nicht wegen des Gemeinwohls und der allgemeinen kirchlichen Disziplin die Notwendigkeit besteht, strenges Recht anzuwenden“ (Codex des kanonischen Rechts. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis, Kevelaer 82017, S. XXXV). 4 Mt 18, 15 – 17. 5 „Eadem sancta Tridentina Synodus in Spiritu Sancto legitime congregata (…) primum eos [sc. episcopos] admonendos censet ut se pastores non percussores esse meminerint atque ita praeesse sibi subditis oportere ut non in eis dominentur sed illos tanquam filios et fratres diligant elaborent que ut hortando et monendo ab illicitis deterreant ne ubi deliquerint debitis eos poenis coercere cogantur. Quos tamen si quid per humanam fragilitatem peccare contigerit illa apostoli est ab eis servanda praeceptio ut illos arguant obsecrent increpent in omni bonitate et patientia cum saepe plus erga corrigendos agat benevolentia quam austeritas plus exhortatio quam comminatio plus charitas quam potestas. Sin autem ob delicti gravitatem virga opus
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Jede kanonische Sanktion (…) wird nur in sehr schwerwiegenden Fällen und stets im Dienst der Sinnesänderung und des Heils des Delinquenten verhängt“.6 Ausgehend von dieser Grundhaltung des kanonischen Strafrechts kann man berechtigterweise festhalten: „If penalties are a last resort for the Church to use in order to counter sin, which is manifested through offences; and if, starting out from this consideration, the legislative apparatus of the penal law in the Code has undergone a notable shrinking, then one would have expected a corresponding development of the use of all those forms that could be presented as alternatives to the infliction of penalties – among which are the penal remedies and penances. However, this does not happen if these juridical instruments are themselves shrunk to a level lower than that which they had in the Pio-Benedictine Code“.7
Die hier beklagte, nur marginale Bedeutung der Strafsicherungsmittel und Strafbußen, die sich schon daran ablesen lässt, dass diese kaum Niederschlag in der Literatur gefunden haben, kann zudem deswegen erstaunen, weil im Umgang mit Straftaten teilweise Strafen wegen Verjährung oder anderer Gründe nicht in Betracht kommen, andererseits aber eine Straffreiheit unangemessen erscheinen muss, sodass eine Alternative nottut. So hat auch Papst Franziskus jüngst in seiner Eröffnungsansprache bei der vom 21. bis 24. Februar 2019 im Vatikan abgehaltenen Konferenz „Der Schutz Minderjähriger in der Kirche“ betont: „Das heilige Volk Gottes (…) erwartet von uns (…) konkrete und wirksame Maßnahmen (…)“.8 Dass Strafsicherungsmittel und Strafbußen derartige Maßnahmen darstellen können, soll im Folgenden anhand eines Beispielfalls erläutert werden.
fuerit tunc cum mansuetudine rigor cum misericordia iudicium cum lenitate severitas adhibenda est ut sine asperitate disciplina populis salutaris ac necessaria conservetur et qui correpti fuerint emendentur aut si resipiscere noluerint caeteri salubri in eos animadversionis exemplo a vitiis deterreantur cum sit diligentis et pii simul pastoris officium morbis ovium lenia primum adhibere fomenta; post ubi morbi gravitas ita postulet ad acriora et graviora remedia descendere (…)“ (Concilium Tridentinum, sessio XIII, de ref., cap. 1). Diese Regelung zitierte c. 2214 § 2 CIC/1917 und wurde auch in den Entwurf der LEF aufgenommen. 6 Libero Gerosa, Exkommunikation und freier Glaubensgehorsam. Theologische Erwägungen zur Grundlegung und Anwendbarkeit der kanonischen Sanktionen, Paderborn 1995, S. 285. 7 Velasio De Paolis, Penal Sanctions, Penal Remedies and Penances in Canon Law, in: Patricia Dugan (Hrsg.), The Penal Process and the Protection of Rights in Canon Law, Montréal 2005, S. 145 – 182, hier S. 181 – 182. 8 L’Osservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache 49 (2019), Nr. 9/10 vom 1. März 2019, S. 7.
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I. Strafsicherungsmittel und Strafbußen im CIC/1983 Neben den Strafmitteln der Kirche – Beugestrafen9 und Sühnestrafen10 – nennt c. 1312 § 3 CIC/1983 unter dem Titel „Bestrafung von Straftaten im allgemeinen“ auch die Strafsicherungsmittel und Strafbußen. Dementsprechend stehen diese innerhalb des Titels IV „Strafen und andere Maßregelungen“ des I. Teils des VI. Buches des CIC/1983 in Kapitel III gleichberechtigt als eine „dritte Art von Strafen“11 neben den in den Kapiteln I und II behandelten Strafmitteln, was auch deswegen konsequent ist, weil sie gemäß c. 1344 n. 2 CIC/1983 jederzeit eine Alternative zu einer Bestrafung darstellen können. Allerdings würde dies für eine Charakterisierung zu kurz greifen, was schon daran deutlich wird, dass c. 1312 § 3 CIC/1983 als primären Zweck der Strafsicherungsmittel die Vorbeugung von Straftaten und als jenen der Strafbußen den Ersatz oder die Verschärfung von Strafen nennt. Auch die Normen, die auf die Strafsicherungsmittel und Strafbußen Bezug nehmen12, bestätigen diesen Befund und machen deutlich, dass deren Zweck ein dreifacher je nach den Umständen ihrer Anwendung sein kann, nämlich Strafverhinderung vor Begehung einer Straftat sowie nach Begehung einer Straftat Strafverschärfung bei gleichzeitiger Verhängung einer kanonischen Strafe oder Strafminderung bzw. -ersatz anstelle von kanonischen Strafen.13 Sie sind damit im Normalfall „nicht Strafen wegen einer Straftat, sondern sie haben nur eine Verbindung zu einer möglichen oder schon begangenen Straftat“.14 Obwohl sich in der Literatur die Aussage findet, die Strafsicherungsmittel hätten „their origins in civil legal systems and are quite recent“15, lassen diese sich nicht nur auf die oben angeführte Bestimmung des Trullanum16 zurückführen, sondern finden sich auch in anderen Vorschriften des vorkodikarischen kanonischen Rechts.17 Wäh9
C. 1312 § 1 n. 1 CIC/1983. C. 1312 § 1 n. 2 CIC/1983. 11 Reinhold Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311 – 1399 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1992, S. 100. Rees, Strafgewalt (Anm. 1), S. 397, sieht diese auch im CIC/1917 angelegte „Koordination“ im CIC/1983 dagegen „aufgegeben“. 12 Cc. 1324 § 1, 1326 § 2, 1328 § 2, 1341, 1342 § 1, 1343, 1344 n. 2, 1348, 1358 § 2, 1395 § 1, 1396, 1741 n. 4 CIC/1983. 13 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 170 f.; Klaus Lüdicke, c. 1339, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: April 1993); Hugo Schwendenwein, Probleme um die disziplinäre Verantwortung im kirchlichen Dienst. Zur Frage der Unterscheidung von Straf- und Disziplinarstrafrecht, in: Anna Egler/Wilhelm Rees (Hrsg.), Dienst an Glaube und Recht. Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag, Berlin 2006, S. 611 – 634, hier S. 620. 14 Sebott, Strafrecht (Anm. 11), S. 100 f. (Hervorhebung im Original). 15 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 169. Die Strafsicherungsmittel seien erstmals strukturiert 1893 im Projekt eines Schweizer Strafgesetzbuches aufgetaucht (ebd., Fn. 20). 16 S. Anm. 5. 17 Als Quellen für die einschlägigen cc. 2306 – 2313 CIC/1917 werden im Quellencodex u. a. angeführt: D. 50 cc. 4, 10, 34, 41; D. 55.13; D. 81.15; C. 27 q. 4 cc. 8, 22; C. 33 q. 2 c. 15; 10
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rend die Materie im CIC/1917 noch breiter behandelt worden war18, wurde sie im Rahmen der Codex-Reform knapper gefasst und dabei zunächst unter die den Strafcharakter der Strafsicherungsmittel und Strafbußen verdeutlichende Überschrift „De aliis punitionibus“ gestellt, was für einige Mitglieder der Reformkommission einen zu negativen Klang hatte19, so dass man nach ansonsten knapper Diskussion20 zum ursprünglichen Titel „De remediis poenalibus et paenitentiis“ zurückkehrte. Gleichwohl haben die Strafsicherungsmittel nach wie vor „a penal character and are called punishments“.21 1. Verwarnungen Nach den kodikarischen Bestimmungen kann der Ordinarius jemanden, „der sich in nächster Gelegenheit befindet, eine Straftat zu begehen oder auf den aufgrund einer erfolgten Untersuchung der schwerwiegende Verdacht einer begangenen Straftat fällt“, verwarnen.22 Diese Verwarnung dient also zum einen präventiv zur Vermeidung von Straftaten und zum anderen als Ersatz für Strafen insbesondere dann, wenn eine begangene Straftat nicht zu beweisen ist23, wobei die Verwarnung „nicht nur als pastoraler Hinweis, als Aufforderung zu rechtmäßigem Handeln zu verstehen [ist], sondern als formalisierter Akt, der mit der Strafgewalt des Oberen im Zusammenhang steht“.24 „Die kanonische Verwarnung hat drei Eigenschaften: a) sie ist vom Gesetz vorgesehen; b) sie geschieht kraft der ausführenden Leitungsvollmacht; c) sie hat eine juridische Auswirkung im äußeren Bereich“.25 Demzufolge handelt es D. 1 c. 23 de paen.; X 1.11.17; X 4.13.2; X 5.28.2; X 5.34.2; X 5.38.6 – 8; Congregatio episcoporum et regularium, Instructio, 11. Juni 1880. 18 Cc. 2306 – 2313 CIC/1917. 19 „Nonnulli conquesti sunt de rubrica ex eo quod vox ,punitio‘ male sonat“: Communicationes 9 (1977), S. 159. 20 Com 9 (1977), S. 158 – 160; Com 16 (1984), S. 44. 21 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 170. 22 C. 1339 § 1 CIC/1983. 23 Wenn der Codex hier von einem (bloßen) schwerwiegenden Verdacht einer begangenen Straftat spricht, so sind damit offenbar Fälle gemeint, in denen dieser Verdacht in einer Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC/1983 nicht zu erhärten war; vgl. De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 172. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass c. 1718 § 1 n. 2 i. V. m. 1341 CIC/ 1983 selbst für Fälle, in denen potentiell ausreichende Anhaltspunkte für die Einleitung eines Strafverfahrens vorhanden wären, andere Optionen vorzieht. Das hängt mit der momentanen Grundkonzeption des kodikarischen Strafrechts zusammen, nach der es in widersinniger Weise „nicht um Strafen, sondern um die Vermeidung von Strafen geht“ (Klaus Lüdicke, c. 1341, Rdnr. 4, in: MK CIC [Stand: November 1993]), sodass Strafen nur eine ultima ratio darstellen; vgl. Schwendenwein, Probleme (Anm. 13), S. 616. Selbst bei einer bewiesenen Straftat ist daher die Anwendung von ersatzweisen Strafsicherungsmitteln denkbar; ob sie auch sinnvoll ist, kann nur im Einzelfall beantwortet werden. 24 Schwendenwein, Probleme (Anm. 13), S. 620; vgl. Lüdicke, c. 1339 (Anm. 13), Rdnr. 8. 25 Sebott, Strafrecht (Anm. 11), S. 103.
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sich um einen Verwaltungsbefehl für Einzelfälle26, der seiner generellen Natur nach möglichst nur nach Einholung notwendiger Erkundigungen und Beweismittel sowie Anhörung derjenigen, deren Rechte verletzt werden könnten, erlassen werden soll27 und wenigstens summarisch begründungspflichtig28 ist29; zu beachten sind auch die weiteren Formvorschriften für Dekrete.30 Für die Erteilung eines Verweises ist der Ordinarius des Tatortes, gegebenenfalls unter Information des eigenen Ordinarius des Beschuldigten, zuständig, da er am ehesten eine vorgängige Untersuchung der Tatumstände durchführen kann.31 Auch wenn in c. 1339 § 1 CIC/1983 nur im Hinblick auf eine begangene Straftat explizit von einer derartigen Untersuchung die Rede ist, auf deren Basis der Verweis erteilt wird, wird man auch hinsichtlich einer möglicherweise bevorstehenden Straftat festhalten können, dass „the alleged delict is to be carefully investigated, and the rights of the alleged offender are to be duly protected, especially the right to reputation (…). This is true even given the right of the community to protect itself against serious violations of its integrity and mission and damage to its most vulnerable members, such as minors“.32 Ein Verweis kommt nicht zwingend nur „im Rahmen der gemäß can. 1341 vor einem Strafprozeß anzustellenden Überlegungen“33 in Betracht. Gleichwohl wurde selbst im Rahmen der Codex-Reform festgehalten, eine explizite Hinzufügung der Notwendigkeit der Begründung der Ermahnung und der Möglichkeit der Verteidigung des Beschuldigten sei „[n]on (…) necessarium, nam monitio non potest consistere sine indicatione motivorum“.34 Das verdeutlicht, dass in jedem Fall vor der Erteilung eines Verweises die Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu eruieren sind35, weil nur auf dieser Basis eine Begründung möglich erscheint, wobei aber – wie bei der Voruntersuchung vor einem Strafprozess36 – der gute Ruf des Beschuldigten37 und sein Verteidigungsrecht zu wahren sind.38 26
C. 49 CIC/1983. C. 50 CIC/1983. 28 C. 51 CIC/1983. 29 Thomas Green, Delicts and Penalties in General (cc. 1311 – 1363), in: John Beal/James Coriden/Thomas Green (Hrsg.), New Commentary on the Code of Canon Law, New York/ Mahwah 2000, S. 1533 – 1574, hier S. 1557; Lüdicke, c. 1339 (Anm. 13), Rdnr. 4. Demzufolge reicht es nicht aus, wenn Lüdicke ebd. davon spricht, die Mahnung könne inhaltlich konkretisiert sein, vielmehr muss sie dies sein. 30 Cc. 35 – 58 CIC/1983. 31 György Lefkánits, Observations sur le canon 1312 § 3, et le canon 1339 §§ 1 – 3. Note neuves, in: Folia theologica et canonica 5 Suppl. (2016), S. 183 – 190, hier S. 187. 32 Green, Delicts (Anm. 29), S. 1557. 33 Schwendenwein, Probleme (Anm. 13), S. 620. 34 Com 16 (1984), S. 44. 35 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 174; Lefkánits, Observations (Anm. 31), S. 187 – 188. 36 C. 1717 § 2 CIC/1983. 27
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„Par cette enquête l’Ordinaire possède donc toutes les informations qui lui permettent de décider de l’imposition d’un remède pénal. Mais du point de vu de la personne intéressée cette enquête, est également importante, parce qu’elle représente pour lui, une sorte de garantie contre l’arbitraire de l’Ordinaire et même contre une accusation, un soupçon injuste“.39
Die erteilte Verwarnung kann öffentlich sein, falls es sich um eine bewiesene oder eingestandene Straftat handelt, oder auch geheim, muss aber jedenfalls „aufgrund irgendeines Dokumentes feststehen, das im Geheimarchiv der Kurie aufzubewahren ist“40, zumal sie Gültigkeitsvoraussetzung für die Verhängung von Beugestrafen ist41 und auch davon abgesehen in einem eventuellen späteren Strafprozess strafverschärfende Bedeutung wegen widersetzlichen Verharrens in einem strafbaren Verhalten42 haben kann.43 Eine Verwarnung kann einmal oder mehrmals erteilt werden.44 2. Verweise Diese gesamten Rahmenbedingungen gelten auch für den Verweis, der „den besonderen Verhältnissen der Person und der Tat“ entsprechend vom Ordinarius demjenigen erteilt werden kann, „aus dessen Lebenswandel ein Ärgernis oder eine schwere Verwirrung der Ordnung entsteht“.45 Im Gegensatz zur Verwarnung geht es hier also nicht um ein vermutlich begangenes oder bevorstehendes Verbrechen, sondern um „habitual conduct (conversatio) which is harmful to ecclesiastical discipline, and which even though it may not actually constitute an offence itself, can lead to an offence, and in any event gives rise to scandal among the faithful“46, also potentiell, aber nicht notwendigerweise um ein Verbrechen. Durch einen Verweis kann auch ein anderes tadelnswertes, Ärgernis erregendes Verhalten erfasst werden, das mangels Straftatbestands nicht Gegenstand eines Strafverfahrens sein könnte. Der Verweis kann frei ausgestaltet und beispielsweise mit einer Verwarnung kombiniert
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C. 220 CIC/1983. Sebott, Strafrecht (Anm. 11), S. 102. Auch der CCEO verweist in c. 1427 § 2 ausdrücklich auf die Wahrung des guten Rufs des Beschuldigten, allerdings bezüglich des Verweises, da die Verwarnung im CCEO nicht existiert. 39 Lefkánits, Observations (Anm. 31), S. 188. 40 C. 1339 § 3 CIC/1983. 41 C. 1347 § 1 CIC/1983. 42 C. 1326 § 1 n. 1 CIC/1983. 43 Green, Delicts (Anm. 29), S. 1557. 44 Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Möglichkeit einer mehrmaligen Erteilung von Verwarnung oder Verweis, die in c. 2309 § 6 CIC/1917 noch explizit vorgesehen war, heute aber im CIC/1983 nicht mehr enthalten ist, weggefallen sein sollte. 45 C. 1339 § 2 CIC/1983. 46 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 172 (Hervorhebung im Original). 38
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werden. Dagegen gibt es keine Anhaltspunkte für die These, ein Verweis könne nur nach Erteilung einer Verwarnung erteilt werden.47 Der Verweis hat einen schwerwiegenderen Charakter als eine Verwarnung.48 Allerdings waren die im CIC/1917 darüber hinaus enthaltenen, heute weggefallenen Strafsicherungsmittel – das Strafgebot (praeceptum)49, durch das jemand unter Strafandrohung etwas zu tun oder unterlassen aufgetragen bekam, sowie die Strafaufsicht (vigilantia)50 – noch gravierender.51 Ob die Streichung dieser beiden Strafsicherungsmittel im CIC/1983, die wohl im Kontext von dessen strafvermeidendem Charakter zu verstehen ist, bedeutet, dass diese unanwendbar sind, ob also der heutige Katalog der Strafsicherungsmittel abschließend oder lediglich beispielhaft zu verstehen ist, ist umstritten: Während die Position vertreten wird, die Aufzählung der Strafsicherungsmittel in c. 1339 CIC/1983 sei lediglich demonstrativer Natur und nicht taxativ52, ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei der Lektüre von c. 1312 § 3 CIC/1983 „on peut poser la question, si le législateur voulait laisser à l’Ordinaire la possibilité d’inventer les nouveaux remèdes pénaux, pourquoi il n’a pas utilisé la même structure que dans le § précédent? S’il voulait vraiment réserver à l’Ordinaire le pouvoir d’inventer d’autres remèdes pénaux, il aurait dû le signaler, comme dans le cas des peines expiatoires“.53 Auch die zu erwartende Rechtsentwicklung spricht dafür, dass die in c. 1339 §§ 1 – 2 CIC/1983 genannten Strafsicherungsmittel abschließend zu verstehen sind, denn die geplante Strafrechtsreform wird ausweislich ihres letzten Schemas von 2015 die im CIC/1983 gegenüber dem CIC/1917 entfallenen Strafsicherungsmittel wieder einführen.54 47 So aber ebd. (Anm. 7), S. 173. Eine Bestimmung wie c. 1347 § 1 CIC/1983, der zufolge zur gültigen Verhängung einer Beugestrafe verlangt wird, dass „vorher der Täter mindestens einmal verwarnt worden ist, seine Widersetzlichkeit aufzugeben, und ihm eine entsprechende Zeitspanne zum Sinneswandel gewährt wurde“, fehlt jedoch für das Strafsicherungsmittel des Verweises. 48 Ebd. (Anm. 7). 49 C. 2310 CIC/1917. 50 C. 2311 CIC/1917. Erstaunlicherweise enthält c. 1428 CCEO weiterhin die Strafaufsicht. Selbst falls das bedeuten sollte, dass der Gesetzgeber zumindest im Nachhinein deren Streichung im CIC/1983 bedauerte, bleibt das Faktum bestehen, dass sie sich dort momentan nicht findet. 51 Deren Wegfall sei bezüglich des Strafgebots „gerechtfertigt, weil es keine Strafmaßnahme, sondern das von der Hirtenverantwortung gebotene Mittel der Strafandrohung war. Die Unterstellung unter eine besondere Aufsicht galt primär als Verwaltungs- und erst in zweiter Linie als Strafmaßnahme“ (Rees, Strafgewalt [Anm. 1], S. 398). 52 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 172; Lefkánits, Observations (Anm. 31), S. 184. 53 Lefkánits, Observations (Anm. 31), S. 186. Gemeint ist bezüglich der Sühnestrafen die Öffnungsklausel „außer anderen, die etwa ein Gesetz festgelegt hat“ in c. 1336 § 1 CIC/1983. In der Tat wäre nicht erklärlich, weshalb Strafgebot und Strafaufsicht bei der Codexreform gestrichen wurden, falls die neue Aufzählung in c. 1339 CIC/1983 nicht taxativ wäre. 54 Das Strafgebot (c. 2310 CIC/1917) findet sich in c. 1339 § 4 des Strafrechtsschemas von 2015: „Si, semel vel pluries, monitiones vel correptiones inutiliter alicui factae sint, vel si ex
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3. Strafbußen Kombiniert mit Verwarnung oder/und Verweis55 oder auch separat kann der Ordinarius einem Beschuldigten als Strafbuße im forum externum auferlegen, „irgendein Werk des Glaubens, der Frömmigkeit oder der Caritas zu verrichten“.56 Gerade weil es um das forum externum geht, handelt es sich dabei wiederum um ein Dekret, das aber konsequenterweise nicht bei geheimen Übertretungen Anwendung finden darf.57 Die schon sprachliche Nähe zum Sakrament der Buße verweist auf den historischen Ursprung der Strafbußen58 und darauf, dass die „verschiedenen Sanktionen der Kirche (…) sich im Grunde als eine besondere Kategorie der sogenannten ,poenitentiae canonicae‘ betrachten [lassen]. Obwohl diese eine gewisse ,acceptatio‘ von seiten des schuldigen Gläubigen erfordern, werden sie jedoch stets ,in foro externo‘ und vom legitimen Oberen ,vi potestatis iurisdictionalis coactivae‘ auferlegt“.59 „Zwar stimmt es, daß die Buße als Pflicht (c. 1340) und die Buße als Bekehrungstat (c. 981) zwei verschiedene Dinge sind. Trotzdem haben sie geschichtlich und theologisch so vieles gemeinsam, daß die Entgegensetzung von ,via poenalis‘ und ,via poenitentialis‘ auch vom kanonistischen Standpunkt aus als etwas Gekünsteltes erscheint. In der Kirche gibt es eine einzige ,via poenitentialis‘, die sich auf verschiedenen Ebenen verwirklicht: auf der Ebene der persönlichen Umkehr, die veranlassen kann, einen ,actus perfectae contritionis‘ zu vollziehen (c. 916), auf der sakramentalen Ebene, welche die tragende Achse jedes Bußweges darstellt, und schließlich in den schwersten Fällen und als ,extrema ratio‘ auf der Ebene der kanonischen Sanktionen“.60
Bei den Strafbußen gemäß c. 1340 CIC/1983 handelt es sich somit um eine Mischung aus sakramentalen Bußen und Sühnestrafen: „[T]he vindictive/expiatory penance is different form the vindictive/expiatory penalty because of its characteristic feature, namely that the penance needs to be ,accepted‘, even though it is imposed by the superior. Penances, insofar as they are applied within the ambit of penal law and by virtue of coercive power in the external forum, have the special aim of repairing scandal and of obtaining proof of the offender’s change of heart (…)“.61
iis effectus expectari non liceat, Ordinarius det praeceptum poenale, in quo accurate praescribat quid agendum vel vitandum sit.“ Die Strafaufsicht (c. 2311 CIC/1917) ist in c. 1339 § 5 des Strafrechtsschemas von 2015 wie folgt umschrieben: „Si casus gravitas ferat, ac praesertim si quis versetur in periculo relabendi in delictum, eum Ordinarius, etiam praeter poenas ad normam iuris irrogatas vel declaratas per sententiam vel decretum, submittat vigilantiae modo per decretum singulare determinato.“ Beide Bestimmungen waren fast identisch bereits im Strafrechtsschema von 2011 enthalten. 55 C. 1340 § 3 CIC/1983. 56 C. 1340 § 1 CIC/1983. 57 C. 1340 § 2 CIC/1983. 58 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 170. 59 Gerosa, Exkommunikation (Anm. 6), S. 286. 60 Ebd. (Anm. 6), S. 320. 61 De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 175 (Hervorhebungen im Original).
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„Bußen im inneren Bereich beziehen sich auf die Sünde, Strafbußen im äußeren Bereich beziehen sich auf die Straftat. Bußen im inneren Bereich werden freiwillig übernommen, Strafbußen werden zwangsweise auferlegt. Beide Arten von Bußen kommen darin überein, daß sie zur Besserung des Sünders beitragen wollen“.62
Dass der CIC/1917 als einen Zweck der Strafbußen noch eine „absolutio poenae contractae“ genannt hatte63 – während der CIC/1983 von Strafersatz oder -verschärfung spricht64 –, verdeutlicht nochmals die enge wesensmäßige Nähe der Strafbußen zur sakramentalen Buße. Diese könnte zu der Auffassung verleiten, Strafbußen passten nicht in das Strafrecht65, weil „sie nicht eigentlich Strafen sind“66 ; „Werke der Gottesverehrung oder der Frömmigkeit (…), also Werke, deren Sinn nur erfüllt sein kann, wenn sie gerade nicht nur in foro externo vollzogen werden“, seien als Strafbußen nicht am Platze.67 Dies würde allerdings nicht ausreichend berücksichtigen, dass es im forum externum im Gegensatz zum Bußsakrament nicht auf eine Fruchtbarkeit ankommt, zumal der Gesinnungswandel des Beschuldigten nicht überprüfbar ist. Trotz der Nähe zur sakramentalen Buße haben die Strafbußen in erster Linie einen strafenden Charakter68, selbst wenn sie vom kodikarischen Strafrecht primär als ein Strafersatz konzipiert sind.69 Im Gegensatz zum CIC/1983 hatte der CIC/1917 konkrete Strafbußen aufgeführt, nämlich Gebete, Wallfahrten, Werke der Frömmigkeit, Fasten, Almosen für fromme Zwecke und mehrtägige geistliche Exerzitien in einer kirchlichen Einrichtung.70 Es ist davon auszugehen, dass diese beispielhaft aufgezählten Strafbußen weiterhin zur Anwendung kommen können, da sie ohne weiteres unter die heute genannten Werke des Glaubens, der Frömmigkeit oder der Caritas subsumierbar sind.71 Auch andere Strafbußen, auf die das zutrifft und die im forum externum überprüfbar sind, kommen in Betracht, wie beispielsweise die im CIC/1917 noch explizit genannten72 Geldbußen bzw. -strafen73, insoweit der Betrag einem caritativen Zweck zufließt. 62
Sebott, Strafrecht (Anm. 11), S. 105. C. 2312 § 1 CIC/1917. 64 C. 1312 § 3 CIC/1983. 65 Lüdicke, c. 1339 (Anm. 12), Rdnr. 1. 66 Ebd. (Anm. 12), Rdnr. 8. 67 Ders., c. 1312, Rdnr. 15, in: MK CIC (Stand: Juli 1992; Hervorhebung im Original). 68 Das verdeutlicht auch c. 1426 § 1 CCEO, der die Strafbußen des CIC/1917 – mit der Qualifikation, es müsse sich um schwere Werke des Glaubens, der Frömmigkeit oder der Caritas handeln – enthält, diese jedoch als Strafen „gemäß den alten Traditionen der orientalischen Kirchen“ bezeichnet. Wenn das orientalische Kirchenrecht ein und dieselbe Sache als Strafe bezeichnet, lässt sich kaum leugnen, dass diese auch im lateinischen Kirchenrecht Strafcharakter hat. 69 Vgl. cc. 1324 § 1, 1326 § 2, 1328 § 2, 1343, 1344 § 2, 1357 § 2, 1358 § 2 CIC/1983. 70 C. 2313 § 1 CIC/1917. 71 Diesen Befund bestätigt die Tatsache, dass c. 1426 § 1 CCEO die aufgezählten Strafbußen weiterhin nennt, auch wenn sie dort als Strafen bezeichnet werden. 72 C. 2313 § 1 n. 4 CIC/1917. 63
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Gerade derartige Geldbußen zeigen, dass sie ihren Platz aufgrund der fehlenden Vollstreckbarkeit kirchlicher Urteile im staatlichen Rechtsbereich74 einerseits und der Möglichkeit der Einbehaltung von Gehalt(sbestandteilen) andererseits vor allem hinsichtlich Klerikern oder anderer kirchlicher Mitarbeiter, also eines Disziplinarstrafrechts haben, wobei der Codex eigentlich „kein geschlossenes einigermaßen vollständiges Disziplinar- und Disziplinarstrafrecht“75 kennt und „ein disziplinäres Verfahren mit vergleichbarem Rechtsschutz nicht vor[sieht], bei disziplinären Vorgangsweisen spielt das Ermessen des kirchlichen Vorgesetzten eine sehr wesentliche Rolle“.76
II. Ein Beispielfall der Anwendung von Verweis und Strafbuße Diese kodikarischen Bestimmungen können am besten anhand eines Beispiels aus der Praxis der Diözese Rottenburg-Stuttgart illustriert werden. Da es sich dabei um ein Vorgehen im Rahmen einer Voruntersuchung gemäß c. 1717 § 1 CIC/1983 gehandelt hat und sich die einschlägigen Akten deswegen gemäß c. 1719 CIC/1983 im bischöflichen Geheimarchiv befinden, kann daraus zwar nicht näher zitiert werden; andererseits kann darüber referiert werden, weil es – was den Fall auch staatskirchenrechtlich interessant macht – parallel zu verschiedenen staatlichen Gerichtsverfahren kam, deren Entscheidungen publiziert wurden. 1. Ausgangslage 2010 wurde einem pensionierten Priester vorgeworfen, er habe in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre mehrere minderjährige männliche Jugendliche im Alter von über 16 Jahren sexuell missbraucht77, ein Straftatbestand, der bereits während der Geltungsdauer des CIC/1917 längst verjährt war.78 Nachdem sich im Rahmen der durchgeführten Voruntersuchung gemäß c. 1717 CIC/1983 die Vorwürfe auf73 Hans Paarhammer, Das spezielle Strafrecht des CIC, in: Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer/Dieter Binder, Recht im Dienste des Menschen. Eine Festgabe. Hugo Schwendenwein zum 60. Geburtstag, Graz/Wien/Köln 1986, S. 403 – 466, hier S. 406. 74 Zur staatlichen Vollstreckung kirchlicher Ansprüche s. aber jetzt positiv BVerwG, Urteil vom 25. November 2015, Az. 6 C 21.14. 75 Schwendenwein, Probleme (Anm. 13), S. 613. 76 Ebd. (Anm. 13), S. 633; vgl. Paarhammer, Strafrecht (Anm. 73), S. 405. 77 Vgl. c. 2359 §§ 2 – 3 CIC/1917. 78 Die Verjährungsfrist betrug gemäß c. 1703 n. 2 CIC/1917 fünf Jahre. Auch nach der aktuell gültigen Rechtslage wäre die Straftat zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung verjährt gewesen; Art. 7 der Normae de delictis Congregationi pro Doctrina Fidei reservatis seu Normae de delictis contra fidem necnon de gravioribus delictis vom 21. Mai 2010 (= Normae/2010, in: AAS 102 [2010], S. 419 – 430) legt für hier einschlägige Verbrechen eine Verjährungsdauer von 20 Jahren nach dem 18. Geburtstag des Opfers fest.
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grund von Zeugenaussagen erhärtet hatten, stellte sich die Frage, ob der Diözesanbischof bei der Kongregation für die Glaubenslehre den Antrag stellen sollte, diese möge gemäß Art. 7 Abs. 1 Normae/2010 von der eingetretenen Verjährung derogieren. Weil das als schwerer Eingriff in Rechtssicherheit und Rechtsfrieden aus rechtsdogmatischen Erwägungen prinzipiell problematisch erscheint, entschied man sich dagegen und stattdessen in Analogie zum Vorgehen in früheren, vergleichbaren Fällen dafür, gemäß c. 1348 CIC/1983 auf Strafsicherungsmittel zurückzugreifen. Dem beschuldigten Priester wurde mit bischöflichem Dekret vom 22. Juni 2011 ein Verweis gemäß c. 1339 § 2 CIC/1983 erteilt, der gemäß c. 1340 § 3 CIC/1983 mit der Auferlegung einer Strafbuße verbunden wurde. Konkret wurden die Ruhegehaltsbezüge des Priesters ab dem 1. August 2011 für einen Zeitraum von drei Jahren um 20 % gekürzt; die einbehaltene Summe wurde einem Fonds zugeführt, aus dessen Mitteln Leistungen an Opfer sexuellen Missbrauchs bezahlt werden. Als Rechtsgrundlage dafür griff man – da die Priesterbesoldungsordnung der Diözese79 keine einschlägigen Vorschriften enthält – gemäß der Vorschrift des c. 19 CIC/1983, Rechtslücken seien u. a. „unter Berücksichtigung von Gesetzen, die für ähnlich gelagerte Fälle erlassen worden sind“, auf die Regelungen der diözesanen Disziplinarordnung für Kirchenbeamte80 zurück.81 Diese sieht in § 7 Abss. 1 – 2 eine Kürzung des Gehalts oder Ruhegehalts „um höchstens ein Fünftel und auf längstens fünf Jahre“ vor.82 De facto verblieben dem Priester nach Kürzung der Ruhegehaltsbezüge (aus Besoldungsgruppe A 14) monatlich noch ca. 2.200 Euro. 2. Hierarchischer Rekurs Gegen das ihm am 27. Juni 2011 übergebene Dekret legte der Priester durch einen Rechtsanwalt am 29. Juni 2011 gemäß cc. 1734 – 1739 CIC/1983 Beschwerde beim Diözesanbischof ein, beantragte die Aussetzung des Vollzugs des Dekrets gemäß cc. 1736 § 2 CIC/1983 und begründete den Rekurs am 19. August 2011. Am 30. September 2011 wurde die Beschwerde durch den Diözesanbischof zurückgewiesen, wogegen sich ein hierarchischer Rekurs vom 14. Oktober 2011 an die Kleruskongregation richtete, der am 27. Mai 2014 durch die Kongregation für die Glaubenslehre, an die die Angelegenheit aufgrund des Sachverhalts zwischenzeitlich weitergeleitet 79 KABl. Rottenburg-Stuttgart 124 (2017), S. 503; KABl. Rottenburg-Stuttgart 110 (2003), S. 604 – 611. 80 KABl. Rottenburg-Stuttgart 95 (1988), S. 105 – 121. 81 Die Berechtigung dieses Vorgehens könnte angesichts der Einschränkung des c. 19 CIC/ 1983, die Vorschriften zur Füllung von Rechtslücken gälten, „wenn es nicht eine Strafsache ist“, theoretisch hinterfragt werden, da es sich vorliegend gerade um eine Strafsache handelt; allerdings ist zu berücksichtigen, dass es nur um einen Anhaltspunkt für die Auferlegung einer Strafbuße gemäß c. 1340 § 3 CIC/1983 ging, bei deren Bemessung der Ordinarius ausweislich des gänzlich unbestimmten Gesetzestextes ohnehin freie Hand hat. 82 Die Bestimmung orientiert sich an § 29 Abss. 1 – 2 LDG-BW, geht aber bezüglich der Dauer der Kürzung darüber hinaus, da die landesrechtliche Bestimmung eine solche lediglich „um höchstens 20 Prozent für längstens drei Jahre“ ermöglicht.
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worden war, zurückgewiesen wurde. Hiergegen erhob der Rechtsanwalt am 22. August 2014 einen hierarchischen Rekurs an die Feria IV der Kongregation für die Glaubenslehre, der am 16. Dezember 2016 abschließend durch Papst Franziskus abgewiesen wurde, nachdem der Rechtsanwalt als Alleinerbe des mittlerweile verstorbenen Priesters am 19. Mai 2015 gemäß c. 1518 n. 1 CIC/1983 in eigenem Namen in den Rechtsstreit eingetreten war. Den diesbezüglichen Antrag hatte die Kongregation für die Glaubenslehre am 19. Oktober 2015 zugelassen und dem Rechtsanwalt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
3. Verwaltungsgerichtliches Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Noch namens des Priesters hatte der Rechtsanwalt parallel zum anhängigen hierarchischen Rekurs am 3. Mai 2012 beim VG Stuttgart einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen das bischöfliche Dekret vom 22. Juni 2011 gestellt mit dem Ziel, die Ruhegehaltsbezüge des Priesters wieder ungekürzt auszahlen zu lassen; dieser Antrag wurde vom VG mit Beschluss83 abgewiesen. Wenn auch der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten bei innerkirchlichen Streitigkeiten aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abss. 1 und 3 WRV grundsätzlich nicht gegeben sei, trete die staatliche Justizgewährungspflicht nur insoweit hinter die kirchliche Autonomie zurück, als es um geistliche Aufgaben, das kirchliche Selbstverständnis oder statusrechtliche Streitigkeiten kirchlicher Amtsträger gehe. Soweit die Kirchen dagegen vom Staat verliehene Befugnisse ausübten, ihre Maßnahmen den kirchlichen Bereich überschritten oder in den staatlichen Bereich hineinreichten, betätigten sie mittelbar staatliche Gewalt, wodurch ihr Selbstbestimmungsrecht eingeschränkt werde. Vorliegend gehe es um vermögensrechtliche Ansprüche und damit nur mittelbar um den Bereich kirchlicher Autonomie. Der Verwaltungsrechtsweg sei darum eröffnet, zumal die Diözese als Antragsgegnerin eine Körperschaft öffentlichen Rechts sei. Der Priester habe jedoch keinen Grund glaubhaft gemacht, weswegen der Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendig wäre, nachdem der ihm nach Ruhegehaltskürzung verbleibende monatliche Betrag nicht so gering sei, dass er als für die allgemeine Lebensführung völlig unzumutbar erscheine. Das bischöfliche Dekret, das der Ruhegehaltskürzung zugrunde liege, sei eine rein innerkirchliche Maßnahme, deren materielle Rechtmäßigkeit staatlich-gerichtlicher Überprüfung entzogen sei. Die beim VGH Baden-Württemberg am 10. August 2012 eingelegte Beschwerde hiergegen wies dieser mit Beschluss84 zurück. Den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften sei zwar aufgetragen, die staatlichen beamtenrechtlichen Vorschriften über den Verwaltungsrechtsweg in den Regelungen der Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger für anwendbar zu erklären, was vorliegend nicht erfolgt sei. 83 84
VG Stuttgart, Beschluss vom 3. Juli 2012, Az. 12 K 1513/12. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2012, Az. 4 S 1540/12.
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Ein innerkirchlicher Rechtsweg – nämlich der hierarchische Rekurs – sei jedoch gegeben, von dem der Antragsteller auch Gebrauch gemacht habe. In den Bereichen, in denen die Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV genössen, unterlägen sie nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Obschon Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 VwGO einen Rechtsschutz gegen Akte staatlicher Gewalt eröffneten, sei kirchliche zwar öffentliche, nicht aber staatliche Gewalt, und zwar auch dann nicht, wenn die Kirche einen öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus innehabe. Bei rein innerkirchlichen Maßnahmen seien diese selbst in dem Fall vor staatlicher Einflussnahme geschützt, dass sich im öffentlichen oder gesellschaftspolitischen Bereich mittelbare Folgen ergäben. Erst wenn es dort zu unmittelbaren Auswirkungen komme, gelte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht mehr. Auch der Vorbehalt des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, dass die Ordnung der eigenen kirchlichen Angelegenheiten in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu erfolgen habe, beschneide das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nur insoweit, als das fragliche Gesetz die Kirche nicht als Einschränkung ihres geistlich-religiösen Auftrags, sondern nur wie jeden anderen Gesetzesunterworfenen treffe. Deswegen sei die Art und Weise, wie die Kirche ihren geistlich-religiösen Auftrag erfülle, keinesfalls staatlicher Reglementierung zugänglich, wozu auch die Amtsverleihung und -entziehung im seelsorglichen Bereich zähle. Diesbezügliche Entscheidungen seien daher staatlicherseits hinzunehmen. Vorliegend handele es sich nicht um eine rein vermögensrechtliche, sondern um eine disziplinarische Maßnahme, und zwar unabhängig von der de facto verhängten Strafbuße, die das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletze. Die Disziplinargewalt der Kirchen aber sei nicht staatlich verliehen, sondern wurzele als Teil ihres Amtsrechts in ihrem geistlichen Wesen und bilde damit einen Kernpunkt ihres Selbstbestimmungsrechts.
4. Verwaltungsgerichtliches Hauptsacheverfahren Bereits zuvor, am 10. Juli 2012, hatte der Rechtsanwalt in der Hauptsache Klage vor dem VG Stuttgart erhoben, die das VG ohne mündliche Verhandlung mit Urteil eines Einzelrichters85 unter ausdrücklicher Berufung auf den gerade referierten Beschluss des VGH Baden-Württemberg abwies. Da dieses Urteil keine Berufung zugelassen hatte, beantragte der Rechtsanwalt am 18. April 2013 beim VGH Baden-Württemberg die Zulassung der Berufung. Nachdem diesem Antrag mit Beschluss86 stattgegeben worden war und der Rechtsanwalt am 10. Juni 2014 Berufung eingelegt hatte, wies der VGH Baden-Württemberg diese mit Urteil87 zurück. Auch ohne eine kirchenrechtliche Rechtswegzuweisung an die staatlichen Verwaltungsgerichte sei zwar der Rechtsweg zu diesen eröffnet, da der staatliche Justizgewährungsanspruch gemäß Artt. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 85
VG Stuttgart, Urteil vom 12. Februar 2013, Az. 12 K 2291/12. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Mai 2014, Az. 4 S 603/13. 87 Ders., Urteil vom 10. November 2015, Az. 4 S 901/14.
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GG dies gewährleiste, wenn und soweit eine Verletzung staatlichen Rechts geltend gemacht werde. Dem stehe das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nicht entgegen, sondern bestimme nur Umfang und Intensität der staatlich-gerichtlichen Überprüfung. Dennoch sei die Berufung unbegründet, da der innerkirchliche Rechtsweg noch nicht erschöpft sei. Dessen Erschöpfung sei notwendig, weil sowohl der Anspruch als auch die Kürzung des Ruhegehalts dem Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften zuzurechnen seien. Dagegen sei der Kläger durch das bischöfliche Dekret nicht in einem staatlich verliehenen subjektiven Rechtsanspruch verletzt. Beim Dekret des Bischofs handele es sich nicht um eine rein vermögensrechtliche, sondern um eine disziplinarische Maßnahme. Das Disziplinarrecht wurzele aber im geistlichen Wesen der Kirche und bilde damit einen Kernpunkt ihres Selbstbestimmungsrechts. Damit gehöre es zu den eigenen Angelegenheiten, die die Kirchen selbstständig regelten. In diesem Bereich habe der Staat zwar darauf zu achten, dass es nicht zu einer Verletzung fundamentaler Verfassungsprinzipien gemäß Art. 79 Abs. 3 GG88 komme, müsse sich aber aufgrund seiner Neutralität weitestgehend zurückhalten. Darum könne ein staatliches Gericht keinesfalls vor Erschöpfung des innerkirchlichen Rechtswegs entscheiden, dessen Etablierung zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gehöre. Staatliche Gerichte seien überdies nicht befugt, Urteile kirchlicher Gerichte aufzuheben oder an deren Stelle zu entscheiden. Die staatlich-gerichtliche Kontrolle müsse sich vielmehr darauf beschränken, ob ein für alle geltendes Gesetz im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV oder – im Kernbereich der kirchlichen Selbstverwaltung wie vorliegend – verfassungsrechtliche Essentialia verletzt seien. Diese würden durch die Ruhegehaltskürzung nicht tangiert. Der ungekürzte Betrag der Ruhegehaltsbezüge könne zudem nicht – wie vom Kläger behauptet – als Existenzminimum angesehen werden. Eine vorgetragene Verjährung sei dem staatlichen Disziplinarrecht ebenso fremd. Weil das Urteil die Revision nicht zugelassen hatte, legte der Rechtsanwalt am 28. Januar 2016 eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BVerwG ein und begründete diese am 29. Februar 2016, woraufhin sie mit Beschluss89 zurückgewiesen wurde. Revisionszulassungsgründe in erforderlichem Maße seien keine dargelegt worden. Abgesehen davon komme eine Inanspruchnahme eines staatlichen Rechtsschutzes in kirchlichen dienstrechtlichen Angelegenheiten allenfalls subsidiär in Betracht, nämlich erst nach Erschöpfung des innerkirchlichen Rechtswegs und auch dann nur inhaltlich eingeschränkt darauf, ob grundlegende Verfassungsprinzipien gewährleistet seien. Es liege auf der Hand, dass als glaubwürdig angesehene Vorwürfe sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch einen Priester das originäre Recht 88
Dazu gehören die Menschenwürde (Art. 1 GG) und die sich daraus ergebenden Grundrechte (Artt. 2 – 19 GG), die staatliche Ordnung (Art. 20 GG) insbesondere in der Form eines Bundesstaates einzelner Länder (Art. 79 Abs. 3 GG), das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), das Sittenwidrigkeitsverbot (§ 138 Abs. 1 BGB) und der ordre public (u. a. Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). 89 BVerwG, Beschluss vom 4. Januar 2017, Az. 2 B 23.16.
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einer Religionsgemeinschaft berührten, selbst darüber zu entscheiden, ob dieser Priester noch tragbar sei oder mit innerkirchlichen Maßnahmen belegt werden müsse. Fragen der Richtigkeit der Anwendung innerkirchlichen Rechts seien staatlich-gerichtlicher Überprüfung entzogen, sofern kein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Essentialia gegeben sei, was vorliegend nicht ersichtlich sei. Kirchenrechtliche Entscheidungen könnten ohnehin nicht am staatlichen Beamtenrecht gemessen werden, doch ergebe sich auch dort eine Verjährung disziplinarischer Maßnahmen nicht schon kraft Verfassungsrechts, sondern allenfalls aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen, die vorliegend fehlten. Bei vergleichbarer Sachlage wäre darum auch ein staatlicher Dienstherr zu einem disziplinarischen Vorgehen berechtigt gewesen. Überdies sei nicht ersichtlich, dass dem Kläger durch die kritisierte Dauer des kirchenrechtlichen Verfahrens gewichtige Nachteile entstanden wären.90 5. Verwaltungsgerichtliche Untätigkeitsklage Aufgrund der – tatsächlich sehr langen – Bearbeitungszeit des hierarchischen Rekurses durch die römischen Dikasterien legte der Rechtsanwalt am 18. Oktober 2016 eine Untätigkeitsklage gegen den Papst vor dem VG Stuttgart ein, die er am 28. Februar 2017 – nachdem der Rekurs abschließend beschieden und ihm mitgeteilt worden war – in eine Feststellungsklage dahingehend abänderte, nach Erschöpfung des innerkirchlichen Rechtswegs solle festgestellt werden, dass der Rekurs willkürlich entschieden worden sei, weil dieser unbegründet beschieden wurde. Zudem erweiterte der Rechtsanwalt die Klage aus nicht ersichtlichen Gründen gegen die Diözese Rottenburg-Stuttgart. In seinem Urteil91, mit dem die Klage zurückgewiesen wurde, führte das VG aus, zwar sei mittlerweile der verwaltungsgerichtliche Klageweg prinzipiell eröffnet, da der innerkirchliche Rechtsweg erschöpft sei. Dennoch sei die Klage unabhängig von der Frage eines etwa bestehenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da staatliche Gerichte nicht befugt seien, innerkirchliche Entscheidungen aufzuheben, und die Streitsache vor staatlichen Gerichten bereits formell und materiell rechtskräftig entschieden worden sei. Überdies sei die Klage unbegründet, weil die streitgegenständliche Maßnahme dem Kernbereich der kirchlichen Selbstverwaltung zuzurechnen und damit staatlicher Kontrolle weitestgehend entzogen sei sowie fundamentale Verfassungsprinzipien gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht verletze. Ob der Rechtsanwalt gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem augenblicklich (Mai 2019) nicht rechtskräftigen Urteil Beschwerde an den VGH Baden-Würt-
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Die hier referierten Gerichtsentscheidungen basieren höchstrichterlich auf BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014, Az. 2 C 19.12, sowie BVerfG, Beschluss vom 18. September 1998, Az. 2 BvR 1476/94. 91 VG Stuttgart, Urteil vom 16. Januar 2019, Az. 15 K 6804/16.
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temberg einlegen und wie sich der Rechtsstreit insgesamt weiterentwickeln wird, bleibt abzuwarten.
III. Fazit Wegen Verjährung oder bestimmter anderer Umstände können Kirchenstrafen im Einzelfall ungeeignet sein, adäquat mit einem strafbaren Verhalten umzugehen. Das stellt gerade dann eine Herausforderung dar, wenn eine Straffreiheit des Beschuldigten sowohl vor dem Hintergrund einer Wiedergutmachung, aber auch einer Behebung des verursachten Skandals nicht angemessen wäre: „[W]here penal measures are not viable, the competent authority cannot regard itself as exempt from the duty to provide for the common good and the good of the individual. Where the salus animarum is involved, the Church should always have suitable instruments at her disposal to provide for it“.92
Gerade Strafbußen, die gegebenenfalls mit Verwarnung oder Verweis kombiniert werden, können derartige alternative Instrumente darstellen, die sehr flexibel auf den Einzelfall angepasst werden können und den Vorteil der Rechtssicherheit bieten, weil sie sowohl im kanonischen Recht grundgelegt sind als auch von staatlichen Gerichten nicht in Frage gestellt werden, wie sich im vorliegenden Beispiel gezeigt hat. Dass man darum in den Strafbußen für Fälle der Nichtanwendbarkeit von Kirchenstrafen das Mittel der Wahl zu sehen hat, hat offensichtlich auch der kirchliche Gesetzgeber erkannt, der in der zu erwartenden Strafrechtsreform in größerem Umfang Bußgeldzahlungen vorsieht.93 Dies wird ein Baustein einer strikteren Anwendung des kano92
De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 176 (Hervorhebung im Original). C. 1336 § 2 n. 2 des Strafrechtsschemas von 2015 führt – deckungsgleich mit dem Strafrechtsschema von 2011 – neu eine Geldbuße als mögliche Sühnestrafe ein: „solvendi mulctam pecuniariam seu summam pecuniae in fines Ecclesiae, iuxta rationes ab Episcoporum conferentia definitas et Status legibus consentaneas“. Diese Geldbuße wird – neben den Fällen, wo die Art der Strafe im freien Ermessen des Richters steht – vom Strafrechtsschema bezüglich vieler Delikte durch Verweis auf die Sühnestrafen ausdrücklich als eine mögliche (gegebenenfalls zusätzliche) Bestrafung genannt: cc. 1364 § 1 (Häresie, Apostasie und Schisma), 1365 (Vertretung bzw. Ablehnung sonstiger Lehren nach cc. 750 § 2, 752 CIC/1983), 1371 § 1 (Ungehorsam), 1371 § 4 (Verletzung des päpstlichen Geheimnisses), 1372 n. 1 (Beeinträchtigung der kirchlichen Gewalt), 1372 n. 2 (Beeinträchtigung der Freiheit einer Wahl), 1376 § 2 (Handeln aus schuldhafter Nachlässigkeit), 1377 § 1 (Bestechung und Bestechlichkeit), 1378 § 1 (unerlaubte Veräußerung von Kirchenvermögen), 1379 § 4 (Sakramentenspendung an Empfänger, denen der Empfang verboten ist), 1380 (Sakramentenspendung aufgrund von Simonie), 1383 (unrechtmäßige Gewinnerzielung aus Messstipendien), 1390 § 2 (verleumderische Anzeige und sonstige Rufschädigung), 1391 (Urkundenfälschung), 1392 § 1 (Treiben von Handel und Gewerbe), 1392 § 2 (unrechtmäßige Abwesenheit vom Amt), 1393 (Verletzung von Strafauflagen), 1399 (allgemeine Norm). Besonders hervorzuheben ist c. 1377 § 2 des Strafrechtsschemas von 2015, der im Zusammenhang mit der Bestechlichkeit bestimmt: „Qui in officio vel munere exercendo stipem ultra definitam aut summas adiunctivas requirit, congruenti mulcta pecuniaria vel aliis poenis puniatur.“ 93
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nischen Strafrechts sein, die angesichts dessen wichtig erscheint, dass der Ansatz eines insgesamt strafvermeidenden Strafrechts in kontraproduktiver Weise offensichtlich eher zu einer „general crisis of respect and proper appreciation for public order, which penal law is there to safeguard (…), to a dangerous underestimation of the value of safeguarding public order, whether by penal or extra-penal means, with grave consequences for the good of the person“94 geführt hat, wie nicht zuletzt die Missbrauchskrise schmerzlich gezeigt hat.
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De Paolis, Penal Sanctions (Anm. 7), S. 182.
Nicht nur Worte, sondern Taten Desiderate zum rechtlichen Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche1 Von Klaus Lüdicke Der sexuelle Missbrauch durch Kleriker in Australien, in Deutschland, in Irland, in den USA ist in allen Medien mehr als präsent. Selbst dem Papst werden Vorwürfe der Vertuschung gemacht, und alle Stellungnahmen aus dem Munde von Verantwortlichen werden als unzulänglich bezeichnet: Es müsse durchgegriffen werden, Worte reichten nicht. Alles müsse auf den Tisch, alle Täter müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist eine Binsenweisheit, dass man eine Sünde nicht durch eine andere Sünde wiedergutmachen kann, auch nicht im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch durch Kirchenbedienstete. Wenn es dennoch versucht wird, dann aus mangelnder Einsicht, dass die andere Sünde überhaupt eine solche ist. Das erstaunt, weil die Wurzel beider Sünden dieselbe ist: das Bemühen, die Kirche gut aussehen zu lassen, oder kirchensprachlicher gesagt: die Kirche als heilig und makellos darzustellen. Die erste Sünde, die aus Selbstschutz der Kirche begangen wurde, ist in aller Munde: Die Kirchenoberen haben sexuellen Missbrauch in eigenen Reihen und bei ihren Untergebenen wenn nicht gedeckt, so doch vertuscht, um Schaden vom Bild der Kirche bei ihren Gläubigen und in der Öffentlichkeit abzuwenden. Dabei hatte man auch im Sinn, Tätern durch Versetzung einen neuen Anfang zu ermöglichen, weil man den Missbrauch als rein willensgesteuertes Verhalten angesehen hat. Die Reaktion auf die Aufdeckung dieses Verhaltens und das Maß des begangenen Missbrauches war nun aber ebenfalls von dem Bemühen geprägt, in den Medien gut dazustehen: Das Schlagwort von der Null-Toleranz wurde nicht nur auf den künftigen Umgang mit diesem Problem bezogen – da ist es ohne Abstriche am Platze und geboten –, sondern auch auf die Behandlung der Täter schon begangener Taten. Dieselben Menschen, die sich von ihren Vorgesetzten geschützt erfahren hatten, wurden jetzt ungeprüft vorverurteilt. Bereits der unbewiesene Vorwurf, ein Priester sei in der Vergangenheit übergriffig geworden, löste Suspension, Zelebrationsverbote, Aufenthaltsverbote aus – und die Unschuldsvermutung blieb, wenn überhaupt erwähnt, reine Theorie. 1 Redaktionsschluss für diesen Beitrag war der 1. Juni 2019. Danach erfolgte Rechtsänderungen konnten nicht berüchsichtigt werden.
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Man mag die panikartige Reaktion der Kirchenoberen damit erklären, dass sie mit der Aufdeckung der Missbrauchsfälle überfordert waren, dass sie keine Erfahrungen mit solchen Straftaten hatten, dass sie – und nicht nur sie, sondern auch die kirchlichen Gerichte – nie mit kirchlichen Strafprozessen zu tun gehabt hatten. Das Bemühen der deutschen Bischöfe – auf ihren Amtsbereich sollen sich die folgenden Ausführungen beschränken – um eine rechtliche Ordnung des Umgangs mit dem Problem durch Verabschiedung von Leitlinien „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ am 26. September 2002 ist anzuerkennen. Rüdiger Althaus stellt aber fest: „Im ersten Halbjahr 2010 häuften sich Meldungen über (behauptete) Fälle sexuellen Missbrauches Minderjähriger durch Priester. Zudem hatten einige Regelungen der bisherigen Leitlinien aus kanonistischer Sicht Fragen aufgeworfen, andere sich in der praktischen Umsetzung schwierig gestaltet“.1 Daher verabschiedete der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz am 23. August 2010 eine Neufassung mit Geltung vom 1. September 2010 ad experimentum bis zum 31. August 2013. Unter Berücksichtigung von Anregungen der Glaubenskongregation vom 16. Januar 2013 (Prot. Nr. 545/2010 – 414566) verabschiedete die DBK am 26. August 2013 die derzeit geltenden „Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“.2 Diese Leitlinien sind keine Partikularnorm der DBK, sie erlangten ihre Geltung also nur durch Inkraftsetzung durch die Bischöfe für ihre jeweiligen Diözesen. Und welche rechtsbegründende Kraft Leitlinien allein aufgrund ihres juridischen Genus haben können, bedürfte einer gesonderten Debatte. Die folgenden Beobachtungen und Desiderate halten sich nicht im Rahmen des geltenden Rechtes, weder des CIC/1983 noch der Leitlinien. Sie wollen vielmehr ins Bewusstsein heben, was zu einem rechtlich verantwortbaren Umgang mit dem Missbrauchsproblem zu regeln wäre. Als Kriterien rechtlicher Verantwortbarkeit denke ich dabei an die Berücksichtigung der Menschenrechte, der rechtlichen Maßstäbe einer modernen Demokratie und der juristischen Grundsätze eines humanen Rechtsverständnisses.
1 Rüdiger Althaus, Kommentar zu den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz „für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ vom 23. 08. 2010 in: Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke (Hrsg.), Der kirchliche Strafprozess nach dem Codex Iuris Canonici und Nebengesetzen. Normen und Kommentar, Essen 2011 (BzMK 61), Leitlinien DBK – 1. 2 Die Leitlinien wurden ad experimentum für fünf Jahre in Kraft gesetzt und diese Laufzeit wurde um noch ein Jahr verlängert. Abgedruckt sind die Leitlinien in den Amtsblättern der deutschen Diözesen und in: Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke (Hrsg.), Der kirchliche Strafprozess nach dem Codex Iuris Canonici und Nebengesetzen. Normen und Kommentar, Essen 2 2015 (BzMK 61, zweite vollständig überarbeitete Auflage).
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I. Tatbestand – Was soll bestraft werden? Das kirchliche Strafrecht zeigt ein Dilemma, das sich ein weltlicher Jurist gar nicht vorstellen kann: Es gibt keinen gültig normierten Tatbestand, aufgrund dessen z. B. ein Priester wegen sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen verurteilt werden könnte. Das gesamtkirchliche Recht bietet c. 1395 § 2 CIC: „Ein Kleriker, der sich anders [als durch Konkubinat] gegen das Sechste Gebot des Dekalogs vergeht, wird, wenn die Tat mit Drohungen oder öffentlich oder mit einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren begangen wurde, mit gerechten Strafen bestraft, nicht ausgeschlossen, wenn der Fall es erfordert, die Entlassung aus dem Klerikerstand.“ Die „Normae de gravioribus delictis“ der Cfid vom 21. Mai 20102 sprechen in Art. 6 vom „delictum contra sextum Decalogi praeceptum cum minore infra aetatem duodeviginti annorum a clerico commissum; in hoc numero minori aequiparatur persona quae imperfecto rationis usu habitu pollet.“ Damit haben die Normae die Altersgrenze der Opfer auf 18 Jahre angehoben und Personen einbezogen, die „andauernd eingeschränkten Vernunftgebrauch“ haben. Sie haben den „Erwerb oder die Aufbewahrung oder die Verbreitung pornographischer Bilder Minderjähriger unter dem Alter von vierzehn Jahren auf jedwede Art und mit jedwedem Mittel durch einen schamlos handelnden Kleriker“ als delictum gravius aufgenommen. Die Strafdrohung für diese Delikte lautet: „Ein Kleriker, der die Straftaten nach § 1 begangen hat, soll je nach Schwere des Verbrechens bestraft werden, nicht ausgeschlossen die Entlassung oder Absetzung“. Die Leitlinien (2013) der DBK definieren den Gegenstand ihrer Befassung durch einen umfänglichen Verweis auf „die Bestimmungen sowohl des kirchlichen wie auch des weltlichen Rechts“ (Nr. 2). Die überaus differenzierte Beschreibung dessen, was die Leitlinien unter sexuellem Missbrauch verstehen, schließt schon als solche die Charakterisierung als Straftatbestand aus, selbst wenn es sich um eine partikulare Strafnorm im Sinne des c. 1315 CIC handeln sollte. Der Straftatbestand des c. 1395 § 2 CIC/1983 erfasst, wenn er den Regeln der Auslegung seiner unmissverständlichen Aussage entsprechend verstanden wird, nur den Ehebruch – diesen allein verbietet das Sechste Gebot des Dekalogs. Die Praxis des kirchlichen Strafrechts, darin eine Strafbarkeit jedweden unerlaubten Verhaltens im Bereich der Sexualität zu sehen4, verlässt den Grundsatz, dass keine Verurteilung ohne vorherige Strafdrohung möglich ist (nulla poena sine lege praevia), der auch im kirchlichen Recht als Grundrecht aller Gläubigen kodifiziert ist (c. 221 § 3 CIC/1983).
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In: AAS 102 (2010), S. 419 – 431 Näheres zum bunten Bild der Meinungen bei der Auslegung des c. 1395 bei Klaus Lüdicke, c. 1395, Rdnr. 4a in: MK CIC (Stand: November 2015). 4
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Ein weiteres Grundproblem der Straftatbestandsfassung ist, dass das Recht des CIC nicht die Opfer sexuellen Missbrauchs schützt, sondern das Wohlverhalten der Kleriker sichern soll. Der Verstoß gegen die „perfekte und immerwährende Enthaltsamkeit des Himmelreiches wegen“ (c. 277 § 1 CIC/1983) ist Schutzgut des c. 1395 CIC/1983. Bedauerlicherweise scheint die in Arbeit befindliche Reform des kirchlichen Strafrechtes nichts daran ändern zu wollen, zumal sie sich, soweit erkennbar, nicht ausdrücklich mit dem Zweck des kirchlichen Strafrechts auseinandergesetzt hat.5 Folge der Ausrichtung des c. 1395 CIC/1983 auf die Disziplin des Klerus ist, dass es im allgemeinen kirchlichen Strafrecht überhaupt keine Strafdrohung für Laien wegen sexuellen Missbrauchs gibt. Wenn die deutschen Bischöfe in ihren Leitlinien auch Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter erfassen, schaffen sie damit noch keine Grundlage für ein innerkirchliches Strafverfahren. Ohne gesetzlichen Straftatbestand gibt es keine Verurteilung, die nicht dem Verdacht der Willkürjustiz unterliegt. Es ist daher dringend erforderlich, dass sich die Kirche – damit sind die partikularkirchlichen Gesetzgeber gemeint, die deutschen Bischöfe – der Frage stellt, welche Tatbestände sie als Kirche bestrafen will. Dabei wird auch darüber nachgedacht werden müssen, welchen Part bereits das staatliche Strafrecht übernimmt und ob die Kirche mit ihren wenigen und schwachen Sanktionsmöglichkeiten dieselben Schutzgüter strafrechtlich sichern will. Dabei darf nicht populistisch vorgegangen, d. h. dem (durchaus verständlichen) Schrei nach Bestrafung der Missbraucher blind gefolgt werden. Der Unrechtsgehalt des sexuellen Missbrauchs muss im System des kirchlichen Strafrechtes exakt bezeichnet werden können, was in diesem Zusammenhang bedeuten dürfte, die Schutzwürdigkeit der Opfer gleichrangig mit dem Funktionieren des kirchlichen Dienstes zu fokussieren. Das Spezifikum des kirchlichen Strafrechtes könnte etwa dadurch erkennbar gemacht werden, dass sexueller Missbrauch im Zusammenhang mit der Ausübung kirchlicher Dienste durch Laien oder Kleriker oder als durch die kirchliche Amtsstellung ermöglicht kirchenrechtlich strafbar gemacht wird, während ein davon unabhängiger Missbrauch in die ausschließliche Zuständigkeit der staatlichen Strafverfolgung fiele.
5 Es ist zu kritisieren, dass sich das PCLT den Einwänden gegen die Tatbestandfassung zu verschließen scheint. Im „Schema recognitionis Libri VI Codicis Iuris Canonici“ von 2011 sollte c. 1395 § 2 dem Text des CIC/1983 gleichen bis auf die Erhöhung der Altersgrenze Minderjähriger auf 18 Jahre. Der „Textus emendatus schematis (cum mutationibus probatis usque ad diem 15 septembris 2015)“ nennt die Altersgrenze nicht mehr – sie stimmt ja mit der Definition der Minderjährigkeit in c. 97 § 1 CIC/1983 überein – und bleibt bei der Formel vom Sechsten Gebot.
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II. Gerichtsorganisation Nach staatlich-rechtlichen Grundsätzen hat ein Straftäter das Recht auf den gesetzlichen Richter. Auch das kirchliche Recht kennt Gerichtszuständigkeiten für Strafverfahren – das Gericht des Tatortes, c. 1412 CIC/1983 – und im Prinzip auch einen Geschäftsverteilungsplan, c. 1425 § 3 CIC/1983. Nach herrschender Meinung kann eine Person auch vor dem Gericht ihres Wohnortes (c. 1408 CIC/1983) angeklagt werden. Für Fälle des sexuellen Missbrauchs hingegen, die unter die graviora delicta fallen, deren Bearbeitung der Glaubenskongregation vorbehalten ist, ist die kodikarische Zuständigkeit suspendiert: Der Ordinarius muss eine wenigstens wahrscheinliche schwerere Straftat der Glaubenskongregation anzeigen, die entscheidet, ob sie den Fall an sich zieht oder den Ordinarius mit dem weiteren Vorgehen beauftragt (Art. 16 Normae), wobei angeordnet wird, ob auf dem Gerichts- oder Verwaltungsweg vorgegangen werden soll. Die CFid ist auch frei, ein anderes Gericht als das des anzeigenden Ordinarius zu bestimmen, und das geschieht u. a. auf Bitten solcher Ordinarien, die das Verfahren nicht in der eigenen Diözese geführt wissen wollen.6 Wenn die CFid den Fall an den Ordinarius zu gerichtlicher Behandlung zurückgibt, wird dieser seinen Kirchenanwalt mit der Erhebung der Strafklage beauftragen (c. 1721 § 1 CIC/1983). Als die ersten Fälle dieser Art auf die Bischöfe zukamen, gab es in kaum einer Diözese einen Kirchenanwalt, der eine solche Aufgabe schon einmal hat erfüllen müssen. Möglicherweise hatte einer von ihnen pro forma in einem Ehenichtigkeitsverfahren die Klägerrolle zu übernehmen gehabt, aber in Strafsachen waren sie absolut unerfahren. Nicht besser stand es mit den Diözesangerichten, die sich nahezu ausschließlich mit Ehenichtigkeitsverfahren beschäftigt hatten und sich auch nur in dieser Materie auskannten. Sie waren mit der Führung von Strafverfahren völlig überfordert, zumal die Normae der CFid verlangten, dass alle am Prozess beteiligten Amtsträger Priester sein mussten. Es konnte also nicht einmal auf eine eventuelle juristische Bildung von Gerichtsmitarbeitern zurückgegriffen werden. Vergleichbares galt für die Anwälte, die ebenfalls ohne Dispens der CFid (nach Art. 15 Normae) nur Priester sein durften, so wie auch die Notare. Um diesen Mängeln, denen die Beschuldigten in Missbrauchsfällen ohne jede eigene Einflussmöglichkeit ausgesetzt sind, ein Ende zu bereiten, sind mehrere Änderungen notwendig: @ Die freie Wahlmöglichkeit der CFid zwischen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren muss beendet werden und festgelegten Kriterien folgen. @ Es müssen spezialisierte Strafgerichte geschaffen werden mit entsprechendem Personal. 6 In der Regel vergibt die CFid die Verfahren an den Inkardinationsordinarus, hilfsweise an den des Tatortes und den des Wohnortes des Beschuldigten.
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@ Das Kleriker-Monopol bei der Gerichtsbesetzung muss ein Ende haben. Dazu Näheres wie folgt: In Übereinstimmung mit c. 1342 § 2 CIC/1983 sagt Art. 21 § 1 Normae, dass „die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltenen schwererwiegenden Straftaten … in einem kanonischen Strafprozess untersucht“ werden müssen. Derr CFid steht jedoch nach § 2 frei, „in einzelnen Fällen von Amts wegen oder auf Antrag des Ordinarius (…) zu entscheiden, gemäß c. 1720 CIC (…) auf dem Weg eines außergerichtlichen Dekrets vorzugehen; unbefristete Sühnstrafen können jedoch nur im Auftrag der Kongregation für die Glaubenslehre verhängt werden.“ Damit ist es einer keinen überprüfbaren Kriterien folgenden Entscheidung der Kongregation überlassen, ob ein Beschuldigter die verfahrensrechtlichen Garantien des gerichtlichen Strafprozesses genießt oder mittels eines Verwaltungsdekrets bestraft wird, gegen das nicht einmal die Verwaltungsbeschwerde nach cc. 1732 – 1739 CIC/1983 möglich ist und damit, nach Ausschöpfung des Beschwerdewegs, die Klage bei der Apostolischen Signatur. Vielmehr behält sich die CFid die Entscheidung über eine Beschwerde gegen ein Strafdekret selbst vor.7 Es kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, dass das Dekretverfahren dem Beschuldigten nur unwirksame Verteidigungsmöglichkeiten bietet.8 Es sei aber bedacht, dass die Wahrheitsermittlung in Missbrauchsverfahren auf ganz spezifische Probleme stößt: Die meisten angeklagten Taten sind ohne Zeugen begangen, Aussage steht gegen Aussage, die Taten liegen oft lange Zeit zurück, so dass die Verlässlichkeit eventueller Zeugenaussagen noch geringer anzusetzen ist als üblich. Eine Verwaltungsentscheidung durch einen Mitarbeiter des Ordinarius, der möglicherweise kein Kanonist ist und dem kein Anwalt des Beschuldigten kritisch gegenübersteht, ist ein Risiko für den Beschuldigten, aber auch für das Bild des kirchlichen Umgangs mit dem Recht. Es springt ins Auge, dass bei dieser Lage der rechtlichen Regelung von einem „gesetzlichen Richter“ nicht die Rede sein kann, dass vielmehr ein Beschuldigter sich mit einer Reihe von Entscheidungen konfrontiert sieht, die für den Ausgang seines Verfahrens mitbestimmend sind, auf die er aber keinerlei Einfluss hat, zu denen er nicht einmal angehört wird. Die Garantien eines gerichtlichen Prozesses haben allerdings nur dann Wert, wenn das Strafgericht kompetent und unabhängig ist. Die deutschen Bischöfe sind sich durchaus bewusst, dass sie (jeder in seiner Diözese) nicht über ausreichendes 7 Art. 27 Normae ermöglicht die Beschwerde an die Feria IV der CFid, die unter Ausschluss jeden weiteren Rekurses an die Apostolische Signatur entscheidet. Völlig rechtlos ist ein Beschuldigter, wenn die CFid nach Art. 21 § 2, 28 Normae dem Papst selbst die Entscheidung über die Entlassung aus dem Klerikerstand oder über die Absetzung vorlegt. Dass die begangene Straftat offenkundig sein muss und dem Beschuldigten die Möglichkeit zur Verteidigung gegeben gewesen sein muss, ist eine durch niemanden überprüfbare Voraussetzung. 8 Es sei nur darauf hingewiesen, dass das Strafdekretverfahren in der Codex-Reform in einem Stadium konzipiert wurde, in dem ein solches Dekret durch Klage bei einem diözesanen Verwaltungsgericht angefochten werden können sollte (vgl. c. 1750 Schema Novissimum).
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und kompetentes Personal verfügen, um gerichtliche Strafprozesse zu führen. So haben einzelne Bischöfe, um fachlich hinreichend erarbeitete Urteile zu bekommen, Priester aus anderen Diözesen berufen, um ein Richterkollegium zu bilden.9 Das Interesse an einer Rechtsprechung durch dazu fähige Personen ist zu begrüßen, die mit dieser Methode verbundene Zufälligkeit der Gerichtsbesetzung allerdings ist abzulehnen. Zwei Maßnahmen sind am Platze, um das Problem sachgerechter Strafgerichtsbarkeit zu lösen: die Bildung von Interdiözesangerichten und die Aufhebung des Kleriker-Vorbehalts. Die niederländische Kirchenprovinz hat im Jahre 2011 eine landesweite Strafgerichtsbarkeit eingerichtet durch Schaffung eines erstinstanzlichen und eines zweitinstanzlichen Gerichtshofes.10 Damit wurde das verfügbare sachkundige (und klerikale) Personal strukturell zusammengefasst und eine klare Gerichtszuständigkeit für alle Fälle von sexuellem Missbrauch geschaffen, die in den Niederlanden zu verhandeln sind. Es ist ratsam, diesen Weg auch für Deutschland zu gehen, wobei zu entscheiden wäre, ob es mehr als ein Interdiözesanes Strafgericht geben sollte. Das Berufungsgericht jedenfalls sollte für die gesamte Republik tätig werden.11 Das Verfahren zur Errichtung solcher interdiözesaner Spezialgerichte ergibt sich aus cc. 1423 und 1439 CIC/1983, die Kompetenzen liegen bei den beteiligten Diözesanbischöfen für das erstinstanzliche, bei der Bischofskonferenz für das zweitinstanzliche Gericht. Die Leitung solcher interdiözesaner Gerichte hat, wie die genannten Canones sagen, der Coetus der beteiligten Bischöfe bzw. ein von ihnen designierter Diözesanbischof, in späteren Dokumenten Episcopus moderator genannt. Er ist Leiter der Gerichtsverwaltung, aber in seiner Person wird nicht die richterliche Gewalt gebündelt, die die jeweiligen Diözesanbischöfe als Leiter ihrer Diözesen besitzen. Vielmehr wird diese richterliche Gewalt durch die am interdiözesanen Gericht tätigen Richterkollegien ausgeübt. Wann wird das Gericht tätig? Im bisherigen Verfahren setzt ein Strafprozess eine Anklage durch den Kirchenanwalt des zuständigen Ordinarius voraus. Dabei sollte es bleiben, nur dass die Anklageschrift sich nicht an das Diözesangericht richtet, sondern an das interdiözesane Strafgericht. Der jeweilige Ordinarius bliebe berechtigt, seinen Kirchenanwalt zur Zurücknahme der Anklage zu verpflichten (c. 1724 CIC/ 9 Die Notwendigkeit, die Prozesse von erfahrenen und sachkundigen Personen führen zu lassen, wird schließlich nicht durch die Vollmacht der CFid überflüssig, im Berufungsverfahren Verletzungen von Verfahrensregeln durch die untergeordneten Gerichte zu heilen (Art. 18 Normae). 10 Die Apostolische Signatur erteilte die Genehmigung unter den Aktenzeichen 4590/1/11 SAT und 4590/2/12 SAT. Die Errichtungsdekrete – sie sind in den Analecta das Bistums Rotterdam 57. Jg Nrn. 3 – 4 veröffentlicht – nehmen nicht zu den Vorbehalten der CFid bei delicta graviora Stellung noch verweisen die Genehmigungsdekrete der Ap. Signatur auf eine Konsultation der CFid. 11 Muster für eine solche Konstruktion können die Kirchlichen Arbeitsgerichte und der Kirchliche Arbeitsgerichtshof sein.
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1983). Zu überlegen wäre, ob nicht alle beteiligten Diözesanbischöfe dieselbe(n) Person(en) zu ihrem Kirchenanwalt bestellen sollten, um dieses Amt wirklich sachkundig geführt zu wissen. Das Personal für ein solches Interdiözesangericht zu finden, dürfte möglich sein. Entscheidend ist dabei aber, dass der Klerikervorbehalt aufgehoben wird, den Art. 14 Normae für die Richter, Kirchenanwälte, Notare und Anwälte aufstellt. In seinem Brief vom 20. August 2018 an alle Gläubigen nach dem Bericht der Grand Jury über die Missbrauchsuntersuchung in mehreren amerikanischen Diözesen erklärt Papst Franziskus den Klerikalismus für einen notwendig zu behebenden Missstand.12 In der Tat ist es dringend erforderlich, dass der Missbrauch durch Kleriker – die Leitlinien der DBK haben den Fokus auf Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter erweitert – nicht länger durch den Klerus „unter sich ausgemacht“ wird. Als Straftäter genießen Kleriker keine weitergehenden Rechte als Laien: Vor dem Strafgesetz sind alle Gläubigen gleich. Die Schaffung der vorgeschlagenen Interdiözesangerichte sollte damit einhergehen, dass die Glaubenskongregation auf die nach Art. 21 § 2 gegebene Möglichkeit, den Verwaltungsweg vorzuschreiben, verzichtet.13
III. Verfahren So verständlich es ist, wenn Menschen, die ein Leben lang unter den Beeinträchtigungen leiden, die der an ihnen verübte sexuelle Missbrauch verursacht hat, fordern, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden, so wenig ist es richtig, das Strafrecht als Mittel dieser Rechenschaft zeitlich unbegrenzt einzusetzen. Das Institut der Verjährung, das im kirchlichen wie in den zivilen Rechten existiert, hat gute Gründe, die nicht zuletzt in der Chancenlosigkeit liegen, nach Verstreichen langer Zeiträume seit der Tat noch belastbare Beweise zu finden.14 Die Regelfrist der Ver-
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Franziskus charakterisiert als Klerikalismus eine „anomale Verständnisweise von Autorität in der Kirche … jene Haltung, die nicht nur die Persönlichkeit der Christen zunichtemacht, sondern dazu neigt, die Taufgnade zu mindern und unterzubewerten, die der Heilige Geist in das Herz unseres Volkes eingegossen hat. Der Klerikalismus, sei er nun von den Priestern selbst oder von den Laien gefördert, erzeugt eine Spaltung im Leib der Kirche, die dazu anstiftet und beiträgt, viele der Übel, die wir heute beklagen, weiterlaufen zu lassen. Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen“, vgl. hierzu online unter: https://www.vaticannews.va/de /papst/news/2018 – 08/papstfranziskus-missbrauch-schreiben-leiden-volltext-deutsch.html (eingesehen am 10. 09. 2018). 13 In Fällen, in denen der Täter seine Tat eingesteht und keine Beweisaufnahme erforderlich ist, kann es im Interesse des Täters sein, seine Sache schnell erledigt zu sehen. Es wäre zu überlegen, ob der Beschuldigte das Recht haben soll, ein Verwaltungsverfahren anstelle eines Prozesses zu beantragen. 14 Jedem mit Gerichtsverfahren Vertrautem ist bekannt, dass der Zeugenbeweis nur in seltenen Fällen zur wirklich geschehenen Tat führt. Wenn Fachgutachter von „Schein-Erin-
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jährung nach kirchlichem Recht, die c. 1362 nennt, ist mit drei Jahren natürlich viel zu kurz. Seit die Normae über die delicta graviora klargestellt haben, dass die hier angesprochenen Straftaten in die Kompetenz der Glaubenskongregation fallen, gelten die in diesen Normen (Art. 7) genannten Fristen: Bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger sowie im Vernunftgebrauch dauerhaft eingeschränkter Erwachsener tritt die Verjährung nach 20 Jahren ein, bei Minderjährigen gerechnet ab der Vollendung des 18. Lebensjahres. Man kann darüber diskutieren, ob das eine sachgerechte Verjährungsfrist ist. Eine Verjährung aber gänzlich auszuschließen, würde nur zu Prozessen führen, in denen kein Beweis mehr zu erbringen ist. Gänzlich abzulehnen ist die Vollmacht der Glaubenskongregation, die sie sich in Art. 7 § 1 Normae hat erteilen lassen, „a praescriptione derogandi pro singulis casibus“, von der Verjährung in einzelnen Fällen abzusehen. Unbeschadet einer rechtsdogmatischen Diskussion, welche Wirkung die Verjährung auf den Strafanspruch der jeweiligen Obrigkeit hat und ob es überhaupt möglich ist, eine verjährte Straftat noch anzuklagen15, ist festzustellen, dass damit in einer nach zivilem Rechtsverständnis unzulässigen Weise in die Rechtsstellung eines Beschuldigten eingegriffen wird.16 Selbstverständlich kann man sich auch in der Gemeinschaft der Gläubigen nicht darauf berufen, dass jede Schuld ihre Vergebung verdient und auch solche gravierenden Taten einmal der Gnade Gottes anheimgestellt und der menschlichen Justiz entzogen gehören: Ein solches Argument würde zynisch wirken. Bedenkenswert ist aber der Kontext des Gesamtgeschehens: Diejenigen, die seinerzeit die Bestrafung von Klerikern verhindert haben, indem sie die Taten deckten oder vertuschten, greifen Jahrzehnte nach den Taten zu den Maßnahmen, die sie damals schuldhaft unterlassen haben – durch einen Antrag an die Glaubenskongregation auf Aufhebung der Verjährung. Hier wird das Fehlverhalten von damals mit einem neuen Fehlverhalten auszugleichen versucht. Auch mit einem anderen Grundsatz demokratischer Rechtssysteme tut sich die Praxis des kirchlichen Strafrechtes nicht leicht: mit der Unschuldsvermutung. In der Normierung des CIC/1983 wirkt sie sich so aus, dass die Voruntersuchung nach c. 1717 wirklich eine Vor-Untersuchung ist. Auf eine als wahrscheinlich begründet zu beurteilende Information über eine Straftat ermittelt der Ordinarius (oder ein Beauftragter) caute, also vorsichtig die Voraussetzungen einer Strafbarkeit: Tatsachen, Umstände, Schuld. Dabei achtet er darauf, dass niemandes guter Ruf geschädigt wird, auch nicht der des Verdächtigten. Dieser selbst wird in die Vorunter-
nerungen“ sprechen, nehmen sie das Phänomen in den Blick, dass Menschen gutgläubig und überzeugt Geschehnisse berichten können, die niemals stattgefunden haben. 15 C. 1362 § 1 CIC/1983 formuliert: „Actio criminalis praescriptione extinguitur …“. 16 Ein Prozess, der sich mit einer Jahrzehnte zurückliegenden Tat zu befassen hat, wird kaum zu einer Klärung der erhobenen Vorwürfe kommen, sondern, da auch nicht zu verifizieren ist, dass die angebliche Tat nicht begangen wurde, lediglich zu einem Freispruch mangels Beweises führen. Damit bleibt als einzige Folge der gute Ruf des (möglicherweise zu Unrecht) Beschuldigten beschädigt.
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suchung nicht einbezogen. Das geschieht vielmehr erst in dem Strafverfahren, das einer entsprechend verlaufenen Voruntersuchung folgt. Für eine Verurteilung fordert das kirchliche Recht die moralische Gewissheit des Richters über die Strafbarkeit des Angeklagten, die moralis certitudo circa rem sententia definiendam (c. 1608 § 1 CIC/1983). Wenn er diese, jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Überzeugung nicht gewinnen kann, muss er erklären, dass die Anklage nicht bewiesen ist, non constare de iure actoris, das ist im Strafprozess der Kirchenanwalt. Und der Angeklagte ist freigesprochen zu entlassen (c. 1608 § 4 CIC/ 198317). Die Vermutung, die durch den Prozess mit seiner Beweisaufnahme zu widerlegen ist, ist also die Unschuld des Angeklagten. Er braucht sich im Prozess nicht zu der Anklage zu äußern, schon gar nicht zu gestehen, und er darf nicht vereidigt werden (c. 1728 § 2 CIC/1983). Die Unschuldsvermutung kollidiert beim sexuellen Missbrauch mit der Erwartung an die Oberen eines Verdächtigten, ihn sofort aus seinem Wirkungsbereich herauszunehmen und ihm möglichst jeden geistlichen Dienst, vor allem die Feier der Eucharistie, zu verbieten. Das Recht des CIC/1983 erlaubt aber solche Maßnahmen nicht, um den Erwartungen der kirchlichen oder gar weltlichen Öffentlichkeit zu entsprechen, sondern „um Ärgernis zuvorzukommen, die Freiheit der Zeugen zu schützen und die Arbeit des Gerichtes sicherzustellen“, und das nach Anhörung des Kirchenanwalts und Ladung des Beschuldigten. Und zulässig sind diese Maßnahmen (erst) „in jedem Stadium des Prozesses“, nicht schon aufgrund einer Anzeige. Art. 19 Normae zieht das Recht des Ordinarius zu Maßnahmen im Sinne des c. 1722 CIC/1983 auf den Beginn der Voruntersuchung vor (, womit deren Sinn konterkariert wird). Nach Nr. 36 der Leitlinien DBK kann der Ordinarius (wohl nach entsprechendem Ergebnis der Voruntersuchung) Maßnahmen anordnen, wobei als Beispiele für die in c. 1722 CIC/1983 genannten die Freistellung vom Dienst, das Fernhalten vom Dienstort bzw. Arbeitsplatz, das Fernhalten von Tätigkeiten, bei denen Minderjährige gefährdet werden könnten, aufgeführt werden. Die Unschuldsvermutung steht in Nr. 28 der Leitlinien unverbunden daneben. Die Leitlinien haben sich in ihren verschiedenen Fassungen mit der Koordination zwischen weltlichen und kirchlichen Normen, vor allem hinsichtlich der Voruntersuchung, schwer getan. So ist aus dieser Voruntersuchung in Nr. 32 der Leitlinien eine „Anhörung der beschuldigten Person“ geworden, die das kirchliche Recht eigentlich dem Strafprozess vorbehält, denn in der Kirche gibt es keine Polizei und keine Staatsanwaltschaft. Es scheint, dass die kanonische Voruntersuchung keinen Platz im deutschen Verfahren hat. Wenn die Kenntnis von einer Missbrauchs-Beschuldigung an die kirchlichen Stellen gelangt, nachdem bereits Strafanzeige bei 17
Die CFid differenziert in ihren Auftragsschreiben: „Bei der Abfassung des Urteils möge das Gericht darauf achten, klar zu unterscheiden zwischen a) einer sententia absolutoria, durch die die Unschuld des Angeklagten festgestellt wird, b) einer sententia condemnatoria, durch die der Angeklagte für schuldig befunden wird, und c) einer sententia dimissoria, die aufgrund nicht ausreichend bewiesener Anschuldigungen erfolgt“.
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der Staatsanwaltschaft erstattet worden ist, ist eine Voruntersuchung nicht erforderlich – „omnino superflua“ (c. 1717 § 1 CIC/1983). Wenn der Verdacht einer Missbrauchs-Straftat direkt an die kirchlichen Stellen gelangt ist, sehen die Leitlinien in Nr. 22 eine Anhörung des Beschuldigten durch den Ordinarius oder Dienstgeber vor. Hat diese stattgefunden, werden bei „tatsächlichen Anhaltspunkten“ die staatlichen Behörden, insbesondere die Staatsanwaltschaft informiert (Leitlinien Nr. 29). Eine Voruntersuchung, die Nr. 32 dann noch in den Ablauf einbaut, hat keine Funktion, schon gar nicht die, die der CIC/1983 gemeint hatte. Sie sollte unter bewusster Abweichung vom (vorprozessualen) Verfahrensrecht des Codex gestrichen werden.
IV. Weitere Desiderate de lege ferenda Die Meinungsäußerungen zum kirchlichen Umgang mit dem sexuellen Missbrauch, die sich in den diversen Kommunikations-Medien finden, beklagen immer wieder die mangelnde Bereitschaft der Kirche zur Transparenz ihres Umganges mit dem Problem. Das liegt auch daran, dass das kirchliche Gerichtsverfahren nicht öffentlich ist und selbst die durch sexuelle Straftaten Geschädigten keinen Zugang zu den Ergebnissen dieser Verfahren haben. Es wurde oben schon das Interesse von Opfern sexuellen Missbrauchs erwähnt, dass ihre Peiniger zur Rechenschaft gezogen werden, auch von der Kirche. Daraus ergibt sich die Frage, in welcher Weise diese Personen in das kirchliche Vorgehen gegenüber Beschuldigten einbezogen werden können und sollen. Selbstverständlich ist, dass sie gehört werden, da ihre Aussage die Basis für die weitere Beweisaufnahme im Verfahren ist. Bei einer Anzeige an die kirchlichen Ansprechpersonen (Leitlinien Nr. 4) hören diese das Opfer an (Leitlinien Nr. 17). Gelangt die Kenntnis von einer Missbrauchstat auf andere Weise an die Kirche, wird das Opfer offenbar auch von einer der Ansprechpersonen angehört. Die Leitlinien geben keine Auskunft, welche Rolle das Opfer in einem späteren Strafverfahren spielt. Nach den Normen des Strafprozesses ist das Opfer eine Zeugin/ein Zeuge der Anklage. Der Kirchenanwalt als Ankläger wird das Zeugnis dieser Person als Beweismittel einführen. Ob das Opfer daraufhin gerichtlich angehört wird – eine „Hauptverhandlung“, an der alle drei Richter und der Kirchenanwalt beteiligt wären, gibt es nicht – oder ob auf das Protokoll der Anhörung durch die Ansprechperson zurückgegriffen wird, ist nicht festgelegt. (Eine solche gerichtliche Anhörung ist aber erforderlich, weil der Fokus ein anderer ist: Die Anhörung durch die Ansprechperson handelt von den Erfahrungen des Opfers, während die gerichtliche Anhörung das Handeln des Beschuldigten zum Gegenstand hat.) Das geltende Recht sieht keine Information des Opfers – prozessual: des Zeugen/ der Zeugin – vor über das Beweisergebnis und über das Urteil. Dem Interesse des Opfers, seinen Peiniger zur Rechenschaft gezogen zu wissen, wird nur abstrakt Rechnung getragen: Es weiß, dass ein Verfahren geführt wird, aber es erfährt nichts über sein Ergebnis und dessen Begründung.
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Die einzige Möglichkeit, die das geltende Prozessrecht bietet, ist die Schadensersatzklage nach c. 1729 CIC/1983: Die verletzte Person kann einen Schadensersatzanspruch innerhalb des Strafprozesses geltend machen, muss das aber im erstinstanzlichen Verfahren tun. Damit wird das Opfer Partei und hat Recht auf Akteneinsicht nach c. 1598 CIC/1983. Da der Wunsch nach Einsicht in die Akten, wenigstens in das Urteil, bei einem nicht anwaltlich beratenen Opfer wohl meistens erst nach Abschluss des Verfahrens geäußert wird, ist mit dem Instrument der Schadensersatzklage dem Problem nicht abzuhelfen. Es ist ferner zu realisieren, dass das kirchliche Strafrecht seinen generalpräventiven Zweck – potentielle Täter von Straftaten abzuschrecken – in keiner Weise erreichen kann, wenn die Spruchpraxis der Kirche nicht öffentlich bekannt wird. Kirchliche Urteile gegen Missbrauchstäter sind unter diesem Gesichtspunkt völlig wirkungslos. Es ist daher grundsätzlicher zu überlegen, welches Maß an Öffentlichkeit kirchliche Gerichtsurteile in Fällen sexuellen Missbrauchs haben sollen, wessen schutzwürdige Interessen dabei zu wahren sind. Es kann dabei nicht außer Acht bleiben, dass sowohl die Verfahren wie die Urteile der staatlichen Strafgerichte – Verfahren nach Jugendstrafrecht ausgenommen – öffentlich sind und dass darin kein Verstoß gegen die Rechte von Täter, Opfer und Zeugen gesehen wird. Unbedingt zu beseitigen ist Art. 30 Normae, der die Verfahren wegen delicta graviora generell dem päpstlichen Amtsgeheimnis (secretum pontificium) unterwirft. Hier muss für die Fälle des sexuellen Missbrauchs eine Ausnahme gemacht werden.18 Andererseits kommt es nicht in Frage, das gesamte kirchliche Gerichtsverfahren öffentlich zu machen, wie es Strafprozesse beim Staat sind. Das ist schon deswegen ausgeschlossen, weil es sich um ein schriftliches Verfahren handelt (c. 1472 CIC/ 1983), das keine „Termine“ kennt, die öffentlich stattfinden könnten. Öffentlich zugänglich gemacht werden können aber die Urteile in solchen Verfahren, nicht nur im Interesse der Opfer, sondern auch zur Dokumentation des rechtlichen Umgangs vor der kirchlichen und zivilen Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit der Urteile würde auch die Chance bieten, das kirchliche (Gerichts-)Verfahren in diesen Fällen verständlich zu machen und so den Schleier der Geheimhaltung zu beseitigen, der bislang über dem kirchlichen Handeln liegt. Schließlich muss, um den Verdacht der Vertuschung und Verheimlichung von Sexual-Straftaten durch Kleriker zu widerlegen – mit Straftaten von Laien wird aufgrund der Geltung weltlichen Arbeitsrechts anders umgegangen –, die Verwahrung von Akten darüber im Geheimarchiv der Kurie (c. 489 § 1 CIC/1983) beendet werden, ebenso wie die Norm, dass solche Akten zehn Jahre nach einer Verurteilung des 18 Dass die Vorwürfe, die in kirchlichen Strafprozessen zu verhandeln sind, meistens bereits öffentlich bekannt sind, macht eine Aufhebung des secretum pontificium nicht überflüssig: Es wird als Versuch der Kirche wahrgenommen, sich nicht überprüfbar zu verhalten, ein Arcanum zu wahren, das aber auf kein Verständnis mehr hoffen kann.
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Täters oder seinem Tod zu vernichten sind (c. 489 § 2 CIC/1983). Die Bischöfe haben im Zuge der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe auf äußeren Druck hin ihre Geheimarchive geöffnet. Sie dürfen nicht wieder zu Verstecken für Straftaten und Straftäter werden.
V. Zusammenfassend Ein sachgerechter strafrechtlicher Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der Kirche setzt zuerst einen korrekten Straftatbestand voraus. Es muss geklärt werden, welches Schutzgut eine solche Strafnorm begründet, welche Taten nach kirchlichem Recht strafbar gemacht werden sollen, welche persönlichen Voraussetzungen den möglichen Täterkreis definieren, welche Tatumstände für die Strafbarkeit maßgebend sein sollen und wie die Bestrafung erfolgen soll. Ein sachgerechter Umgang kann sodann nur ein gerichtlicher Prozess sein, kein Verwaltungsverfahren. Die Entscheidungsbefugnis der Glaubenskongregation über den Verfahrensweg und die Beauftragung von Ordinarien oder Gerichten durch die Kongregation muss beendet werden. Für die gerichtlichen Prozesse muss es kompetente, unabhängig vom Einzelfall existierende Gerichte geben anstelle unerfahrener Diözesangerichte oder ad hoc zusammengestellter Richterkollegien. Die Schaffung von interdiözesanen Gerichten für die erste und die zweite Instanz wäre ein Weg zu verantwortungsvoller Rechtsprechung. Die bislang geltende Regel, dass nur Priester als Richter, Kirchenanwalt, Notar und Anwalt tätig sein können, muss aufgehoben werden. Das kirchliche Gerichtsverfahren darf nicht länger ein Klerus-internes Geschehen sein. Die vom Strafrecht vorgesehenen Verfahrenshindernisse, insbesondere die Verjährung, sind zu beachten. Es widerspricht dem Sinn der Verjährung, nach Ablauf vorgegebener Zeiten keine beweistechnisch aussichtslosen Verfahren mehr zu führen, wenn die Glaubenskongregation eine bereits eingetretene Verjährung aufhebt. Und es verstärkt den Verdacht, dass der Fehler der damaligen Vertuschung durch einen erneuten Rechtsbruch wiedergutgemacht werden soll. Die Unschuldsvermutung ist ernst zu nehmen, von Maßnahmen gegen Verdächtigte, die, ohne die Berechtigung eines solchen Verdachtes geprüft zu haben, ergriffen werden, ist abzusehen. Die Voruntersuchung nach c. 1717 CIC/1983 sollte aus dem Verfahren gestrichen werden, weil sie ihre spezifische Funktion, die Voraussetzungen für eine Beschuldigung eines Verdächtigten zu klären, in Fällen des sexuellen Missbrauchs nicht mehr erfüllen kann. Was die Leitlinien als Voruntersuchung bezeichnen, ist nicht das Institut des c. 1717 CIC/1983.
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Das secretum pontificium hinsichtlich der kirchengerichtlichen Strafprozesse ist aufzuheben, den Opfern wie der Öffentlichkeit das Ergebnis solcher Prozesse zugänglich zu machen und das Verstecken von Informationen über Sexualdelikte von Priestern im Geheimarchiv zu beenden.
Die Würdigung von Handlungen im Zusammenhang von pornographischen Darstellungen von Minderjährigen im geltenden kirchlichen Strafrecht Von Peter Platen
I. Einleitung In der Regel dürfte die Kirche vom Vorwurf von Handlungen im Zusammenhang von pornographischen1 Darstellungen2 von Minderjährigen durch einen ihrer Mitarbeiter dadurch erfahren, dass staatliche Ermittlungsbehörden auf den zuständigen kirchlichen Dienstgeber zugehen oder dadurch, dass der Beschuldigte von sich aus – der nach Maßgabe der Präventionsordnung vorgenommenen Selbstverpflichtungserklärung entsprechend3 – auf den kirchlichen Dienstgeber zukommt und über das laufende Verfahren berichtet. Es dürfte weiter deliktspezifisch sein, dass die Kirche in diesem Fall faktisch keine Möglichkeit besitzt, eigene Ermittlungen durchzuführen, sondern für eine kirchenrechtliche Würdigung der Vorgänge weitgehend dar1 Unter Bezugnahme auf das in Deutschland geltende Strafrecht stellt Klaus Laubenthal fest, dass der in § 184 StGB verwendete Begriff der „Pornographie“ gegenüber dem dort früher verwendeten Begriff der „unzüchtigen Schrift“ kaum klarer erscheine. „Nach h. M. gilt eine Darstellung als pornographisch, die unter Ausklammerung sonstiger emotional-individualisierter menschlicher Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt, die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt ist und sich dabei außerhalb allgemeiner gesellschaftlicher Wertvorstellungen bewegt“, in: Klaus Laubenthal, Handbuch Sexualstraftaten. Die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Heidelberg u. a. 2012, Rdnr. 900. Siehe zur Fassung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Pornographie auch Thomas Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. München 2018, § 184 Rdnr. 5 – 7. Nach Johannes Gründel ist unter Pornographie die sprachliche oder bildliche Darstellung sexueller Akte unter einseitiger, z. T. perverser Betonung des genitalen Bereichs zu verstehen, vgl. Johannes Gründel, Art. Pornographie, LThK3, Bd. 8, Sp. 427 f., hier Sp. 427. Vgl. zudem Géza Kuminetz, Erwägungen über die Pornographie – Katholisch betrachtet, in: Folia theologica et canonica 2016, S. 132 – 135; Jaime Nubiola/José Bernal, Art. Pornografía, in: Diccionario General de Derecho Canonico, Bd. 6, Pamplona 2012, S. 262 – 265. 2 Das StGB verwendet im Zusammenhang der strafrechtlichen Pornographieverbote (vgl. §§ 184 – 184c StGB) den Begriff der pornographischen Schrift, wobei „Schriften“ stellvertretend für die in § 11 Abs. 3 StGB genannten Medien steht und „Darstellung“ den Oberbegriff bilde, vgl. Laubenthal, Handbuch (Anm. 1), S. 894 f. 3 Vgl. hierzu § 6 der Ordnung zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen (Präventionsordnung), in: Amtsblatt Limburg 2011, S. 50 – 53.
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auf angewiesen ist, auf Antrag Zugang zu den staatlichen Verfahrensakten zu erhalten. Hierbei kann nun der Fall eintreten, dass sich der kirchliche Mitarbeiter nicht allein Handlungen im Zusammenhang pornographischer Bilder von Kindern schuldig gemacht hat, sondern ebenfalls im Kontext pornografischer Bilder von Jugendlichen, mithin Personen von vierzehn bis achtzehn Jahren. Letzteres ist nach § 184c StGB strafbar.4 Wie steht es aber um die Strafbarkeit von Handlungen im Zusammenhang pornographischer Bilder von Jugendlichen im Kirchenrecht? Können diese Handlungen auch innerhalb eines kirchenrechtlichen Strafverfahrens Berücksichtigung finden und falls ja, in welcher Weise? Vor dem Versuch der Beantwortung dieser Fragen bedarf es zunächst der Skizzierung der „Architektur“ der in diesem Deliktsbereich einschlägigen kirchenrechtlichen Normen.
II. Sexueller Missbrauch Minderjähriger und Delikte im Zusammenhang pornographischer Darstellungen von Minderjährigen im kirchlichen Strafrecht bis zum MP VELM Im CIC/1983 findet sich in c. 1395 § 2 die Vorschrift, dass ein Kleriker, der andere Straftaten gegen das sechste Gebot des Dekalogs begangen hat, wenn nämlich die Straftat mit Gewalt oder mit Drohungen oder öffentlich oder mit einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren begangen worden ist, mit gerechten Strafen zu bestrafen ist, nicht ausgeschlossen, wenn der Fall es erfordert, die Entlassung aus dem Klerikerstand.5 Zudem wurde mit den durch das MP Papst Johannes Pauls II. „Sacramentorum sanctitatis tutela“6 vom 30. April 2001 promulgierten „Normae de gravioribus delictis“ der Kongregation für die Glaubenslehre in Art. 4 folgende Zuständigkeit übertragen:
4 Abs. (1) von § 184c StGB lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine jugendpornographische Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; jugendpornographisch ist eine pornographische Schrift (§ 11 Absatz 3), wenn sie zum Gegenstand hat: a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person oder b) die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung, es unternimmt, einer anderen Person den Besitz an einer jugendpornographischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zu verschaffen, eine jugendpornographische Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder eine jugendpornographische Schrift herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diese Schrift ein- oder auszuführen, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder 2 oder des § 184d Absatz 1 Satz 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist“. 5 Vgl. hierzu die Übersetzung von c. 1395 § 2 CIC/1983 durch Klaus Lüdicke, c. 1395, in: MK CIC (Stand: November 2012). 6 AAS 93 (2001), S. 737 – 739.
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§ 1 Der Vorbehalt der Kongregation für die Glaubenslehre wird auch ausgeweitet auf Delikte gegen das 6. Gebot des Dekaloges, die ein Kleriker mit Minderjährigen unter 18 Jahren begangen hat. § 2 Wer ein Delikt gemäß § 1 begangen hat, wird entsprechend der Schwere des Verbrechens bestraft, Entlassung oder Absetzung nicht ausgeschlossen.7
In der Neufassung der „Normae de gravioribus delictis“ vom 21. Mai 20108 lautet die hier einschlägige Passage (nunmehr Art. 6) wie folgt: § 1. Die der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehaltenen schwerwiegenderen Vergehen gegen die Sitten sind: 18 Die von einem Kleriker begangene Straftat gegen das sechste Gebot mit einem Minderjährigen unter achtzehn Jahren; bezüglich dieser Straftat wird dem Minderjährigen eine Person gleichgestellt, deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist. 28 Der Erwerb, die Aufbewahrung und die Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen unter vierzehn Jahren in jedweder Form und mit jedwedem Mittel durch einen Kleriker in übler Absicht. § 2. Ein Kleriker, der die Straftaten nach § 1 begangen hat, soll je nach Schwere des Verbrechens bestraft werden, die Entlassung oder Absetzung nicht ausgeschlossen.9
Bereits mehrfach ist mit deutlichen Worten Kritik daran geübt worden, dass der Gesetzgeber mit dem wiederholten Abstellen auf eine „Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs“ bei der gesetzlichen Fassung des Tatbestandes einen eklatanten Missgriff unternommen hat.10 Neben der Frage, ob diese Formulierung einen Verstoß
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Deutsche Übersetzung nach Rüdiger Althaus. Art. 4 MP SST lautete: § 1 Reservatio Congregationi pro Doctrina Fidei extenditur quoque ad delictum contra sextum Decalogi praeceptum cum minore infra aetatem duodeviginti annorum a clerico commissum. § 2 Qui delictum de qua in § 1 patraverit, pro gravitate criminis puniatur, non exclusa dimissione vel depositione. 8 Vgl. AAS 102 (2010), S. 419 – 430; nachfolgend zitiert als MP SST 2010. 9 Die dt. Übersetzung folgt der Dokumentation auf der Homepage des Apostolischen Stuhles, online unter: http://www.vatican.va/resources/resources_norme_ge.html (eingesehen am 18. 01. 2020). Die lateinische Fassung lautet: „§ 1. Delicta graviora contra mores, Congregationi pro Doctrina Fidei cognoscendo reservata, sunt: 18 delictum contra sextum Decalogi praeceptum cum minore infra aetatem duodeviginti annorum a clerico commissum; in hoc numero minori aequiparatur persona quae imperfecto rationis usu habitu pollet; 28 comparatio vel detentio vel divulgatio imaginum pornographicarum minorum infra aetatem quattuordecim annorum quovis modo et quolibet instrumento a clerico turpe patrata. § 2. Clericus qui delicta de quibus in § 1 patraverit, pro gravitate criminis puniatur, non exclusa dimissione vel depositione“. 10 Siehe hierzu Klaus Lüdicke, Sexueller Missbrauch und kirchliches Strafrecht – eine neue Herausforderung für die kirchlichen Gerichte, in: DPM 11 (2004), S. 71 – 92, hier S. 73 ff.; Klaus Lüdicke, c. 1395, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: November 2012), Heribert Schmitz, Sexueller Missbrauch durch Kleriker nach kanonischem Strafrecht, in: AfkKR 172 (2003), S. 380 – 391, hier S. 383 – 388; Wilhelm Rees, Sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker, in: AfkKR 172 (2003), S. 392 – 426, hier S. 402.
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gegen den Grundsatz der inhaltlichen Bestimmtheit des (Straf-)Gesetzes darstellt11, wird in diesem Zusammenhang zudem darauf aufmerksam gemacht, dass die Platzierung von c. 1395 § 2 CIC/1983 innerhalb des Titels „Straftaten gegen besondere Verpflichtungen“ den sexuellen Missbrauch zunächst als einen besonders schweren Fall eines Zölibatsverstoßes vor Augen stellt und nicht als Verbrechen gegenüber den Opfern oder – um die mit Blick auf den CIC/1983 in Frage kommende Kategorie zu benennen – als Vergehen gegen Leben und Freiheit des Menschen.12 Es ist daher ein drängendes Desiderat, dass die Revision des kirchlichen Strafrechts dazu genutzt wird, durch die Platzierung und textliche Fassung dieser leider praxisrelevanten Norm erkennen zu lassen, welche Rechtsgüter durch dieses Strafgesetz geschützt werden sollen. Diesen Vorwurf der mangelnden inhaltlichen Bestimmtheit kann man der gesetzgeberischen Fassung der erstmals in der 2010er-Fassung der Normae angeführten Tatbestände des Erwerbes, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen unter 14 Jahren in jedweder Form und mit jedwedem Mittel durch einen Kleriker in übler Absicht (vgl. Art. 6 § 1 n. 2 der Normen in der Fassung vom 21. Mai 2010) nicht machen13, obschon das Aufstellen der von den sonstigen Delikten in diesem Bereich nach unten abweichenden Altersgrenze von 14 Jahren eigene Fragen aufwirft.14 Erfasst werden mit dieser Norm laut Rüdiger Althaus folgende Sachverhalte: 11
Es soll nicht unterschlagen werden, dass die Auffassung einer mangelhaften Bestimmtheit des Gesetzes nicht von allen geteilt wird, vgl. Bernd Eicholt, Geltung und Durchbrechung des Grundsatzes „Nullum crimen nulla poena sine lege“ im kanonischen Recht, insbesondere in c. 1399 CIC/1983 (= AIC, Bd. 39), Frankfurt a. M. u. a. 2006, hier S. 99. 12 Vgl. hierzu Ludger Müller, Sexueller Missbrauch in der Kirche. Kirchenrechtliche Aspekte, in: ThPQ 149 (2011), S. 611 – 70, hier S. 63 f. Siehe auch Norbert Lüdecke, Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester. Statement aus kirchenrechtlicher Sicht. Erweiterte und um Belege ergänzte Fassung eines Kurzvortrags beim „Podium: Sexueller Missbrauch von Kindern in pädagogischen Einrichtungen. Informationen aus der Wissenschaft“, das am 07. Mai 2010 vom „Zentrum für Religion und Gesellschaft“ der Universität Bonn veranstaltet wurde, im Internet verfügbar, S. 11, online unter: https://www.zerg.unibonn.de/veranstaltungen-de/zerg-aktuell/sexueller-missbrauch-von-kindern-und-jugendlichendurch-priester.-statement-aus-kirchenrechtlicher-sicht-fussnoten (eingesehen am 18. 01. 2020). Siehe zudem ausführlich Stephan Ernst, „Ein Kleriker, der sich auf andere Weise gegen das sechste Gebot des Dekalogs verfehlt …“ – Anmerkungen aus moraltheologischer Sicht, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch, Würzburg 2012, S. 185 – 209. 13 Für die hier aufgestellten Delikte siehe vor allem Varuvel G. Dhas, Il Delitto di pornografia minorile da parte di un chierico. In: Apollinaris 87,1 (2014) S. 149 – 170, sowie Mark L. Bartchak, Child pornography and the grave delict of an offense against the sixth commandment of the decalogue committed by a cleric with a minor, in: Periodica 99 (2011), S. 285 – 380, Nachdruck in: Jurist 72 (2012), S. 178 – 239. 14 Vgl. Dhas, Il Delitto (Anm.13): „La seconda osservazione riguarda l’eta del minore. Nella Legge civile in diversi Paesi, as esempio Italia, Stati Unitit d’America, Inghilterra, India, ecc., il minore, sia nel Delitto di abuso sessuale che in quello di pedopornografia, è colui che è al di sotto dei diciotto anni. Nella Legge ecclesiatica, per quanto riguardo il Delitto d’abuso
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@ „comparatio, also der Erwerb dieser Bilder auf jedwede Art (Kauf, Tausch, unentgeltliche Entgegennahme usw.); @ detentio, also der Besitz und die Aufbewahrung solcher Bilder, auch wenn diese nicht ständig verwendet werden; @ divulgatio, also die Verbreitung der Bilder auf jedwede Weise (v. a. durch Verkauf, unentgeltliche Weitergabe, Vervielfältigung, Aushang bzw. Vorführung)“.15 Dass diese Tatbestände überhaupt Aufnahme in die Normae de gravioribus delictis gefunden haben, ist für sich genommen ein eindeutiger Beleg für die Problematik des Abstellens auf eine „Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs“. So wurden bis zur Änderung der Normen durch Entscheidung vom 21. Mai 2010 in der Praxis der Kongregation für die Glaubenslehre nach Auskunft des damaligen Promotor Iustitiae dieser Kongregation verschiedene, als „indirekter Missbrauch“ qualifizierte Sachverhalte wie die Vorführung von Pornographie gegenüber Minderjährigen oder sich selbst in schamverletzender Weise vor Minderjährigen zeigen16 ebenso als delictum gravius bewertet wie der Besitz oder der Internet-Download von Kinderpornographie.17 Obschon diese Hinweise vor allem für die Praktiker des kirchlichen Strafrechts hilfreich gewesen sein dürften, stellen sie im Grunde dem kirchlichen Strafrecht mit Blick auf die hier einschlägigen Delikte ein schlechtes Zeugnis aus. Sie liefern einen Beleg dafür, dass die bisherige Bestimmung der erfassten Tatbestände außerhalb der Kongregation für die Glaubenslehre bislang nicht in der intendierten Deutlichkeit wahrgenommen wurde. Konkret dürfte diese mangelnde Klarheit über die tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen dazu geführt haben, dass an sich notwendige Voruntersuchungen unterblieben sind, verbunden mit dem Ausfall der strafrechtlichen Würdigung des strafbaren Verhaltens. Es steht zu befürchten, dass eine vergleichbare Problematik der Nichtkenntnis und damit einhergehenden Nichtanwendung der strafrechtlichen Bestimmungen auch für die anderen durch sessuale di minori di parte dei chierici, il minore è al di sotto dei diciotto anni d’età, ma per quanto riguarda il Delitto die pornografia minorile, il minore è al di sotto dei quattordici anni. Questa diversità nel definire il minore suscita qualche perplessità, in quanto tutti e due I Delitti riguardano il campo morale e hanno un nesso fra loro.“ Siehe hierzu auch Bartchak, Child pornography (Anm. 13), S. 318 f. 15 Rüdiger Althaus, Kommentar zu Art. 6 MP SST 2010, Rdnr. 4 (Normae de gravioribus delictis 21 f.), in: Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke, Der kirchliche Strafprozess nach dem Codex Iuris Canonici und Nebengesetzen. Normen und Kommentar (= BzMK 61), 2. vollständig überarbeitete Auflage, Essen 2015. 16 Vgl. Charles J. Scicluna, The Procedure and Praxis of the Congregation for the Doctrine of the Faith Regarding Graviora Delicta, in: Patricia M. Dugan (Hrsg.), The Penal Process and the Protection of Rights in Canon Law, Montréal 2005, S. 235 – 243, hier S. 238. 17 Vgl. Scicluna, Procedure (Anm. 16), S. 238. John A. Renken, Normae de gravioribus delictis: 2010 Revised Version. Text and Commentary, in: Studies in Church Law 6 (2010) S. 51 – 116, hier S. 81, formuliert durchaus präzise wenn er darauf abstellt, dass Art. 6 § 1 n. 2 SST 2010 den Erwerb, den Besitz und die Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen unter vierzehn Jahren als delictum gravius aufstellt und sich damit der Wertung enthält, ob diese Handlungen zuvor gemäß c. 1395 § 2 CIC/1983 strafbar gewesen sind.
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den früheren Promotor Iustitiae angeführten Formen eines sogenannten „indirekten Missbrauchs“ – etwa Vorführung von Pornographie gegenüber Minderjährigen oder sich selbst in schamverletzender Weise vor Minderjährigen zu zeigen – weiter gegeben ist. Auf diese Weise verkehrt sich der vermeintliche Vorzug des Abstellens auf eine Sünde gegen das sechste Gebot, wonach diese Formulierung eine „pragmatische Weite“ besitze und alle in diesem Kontext sündhaften Handlungen als kirchenrechtliche Straftaten fassbar mache, ohne sich der Mühe einer exakten und dem – im Kirchenrecht angesichts c. 1399 CIC/1983 bedauerlicherweise ohnehin nur eingeschränkt geltenden – Bestimmtheitsgebots entsprechenden Strafgesetzgebung unterziehen zu müssen, in sein Gegenteil und führt faktisch zum Ausfall der strafrechtlichen Ahndung strafwürdiger Handlungen. Dieser Problematik kann nur durch eine eindeutige Fassung der Tatbestände begegnet werden, so wie dies für weltlich-rechtliche Strafgesetze üblich ist und übrigens auch in dem für den Vatikanstaat seit längerem geltenden Strafrecht umgesetzt ist.18 Das Minimum wäre die Fassung der jeweiligen Natur der hier gegebenen Delikte, die Beschreibung der spezifischen Kategorien, die die Begehung dieser Delikte ausmachen, wobei hier physische Übergriffe, Akte der Grenzüberschreitung und der Belästigung genannt werden könnten.19
18 Siehe hierzu vor allem das Gesetz des Staates der Vatikanstadt Nr. VIII vom 11. Juli 2013, das „Ergänzende Normen im Bereich des Strafrechts“ enthält, vgl. online unter: http:// www.vaticanstate.va/phocadownload/leggi-decreti/normativa-penale/Legge%20n.%20VIII% 20-%20Norme%20complementari%20in%20materia%20penale.pdf (eingesehen am 18. 01. 2020). 19 Vgl. Ronny E., Jenkins, Nulla lex satis commoda omnibus est: The implementation of the penal law of the 1983 Codex Iuris Canonici in light of four principles of modern legal codification, in: Jurist 69 (2009), S. 615 – 645, hier S. 635. Es ist leider nicht erkennbar, dass diese Desiderate bislang bei der Revision des kirchlichen Strafrechts Berücksichtigung finden. So findet sich die einschlägige Norm in der aus dem Jahre 2015 stammenden Fassung des Strafrechtsschemas wiederum im Kapitel „De delictis contra speciales obligationes“ und nicht im Zusammenhang der Delikte „contra hominis vitam et libertatem“, auch wird weiterhin auf ein Delikt gegen das sechste Gebot abgestellt, statt die Kategorien der erfassten Tathandlungen näher zu fassen. Lediglich hinsichtlich der Tatbestände des Erwerbs, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen unter 14 Jahren ist es aktuell vorgesehen, bei der Fassung der Tatbestände „Klartext“ zu schreiben, vgl. Schema recognitionis Libri VI Codicis Iuris Canonici – textus emendatus schematis cum mutationibus probatis usque ad diem 15 septembris 2015), S. 25. Für die Revision des kirchlichen Strafrechts vgl. ausführlich Markus Graulich, Die große Strafrechtsreform der Päpste Benedikt XVI. und Franziskus, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen der kirchlichen Strafrechtsentwicklung, Paderborn 2017 (= KStKR 25), S. 11 – 21. Der Wortlaut der geplanten Norm lautet: „Can. 1395 – § 1. Clericus concubinarius, praeter casum de quo in can. 1394, et clericus in alio peccato externo contra sextum Decalogi praeceptum cum scandalo permanens, suspensione puniantur, cui persistente post monitionem delicto, aliae poenae gradatim addi possunt usque ad dimissionem e statu clericali. § 2. Clericus qui aliter contra sextum Decalogi praeceptum deliquerit, si quidem delictum vi vel minis vel publice vel cum minore patratum sit, iustis poenis puniatur, non exclusa, si casus ferat, dimissione e statu clericali. In hac paragrapho minori aequiparatur persona quae imperfecto rationis usu habitu pollet. § 3. Iisdem poenis de quibus in § 2 puniatur clericus qui turpiter comparat vel tenet vel divulgat imagines pornographicas minorum infra aetatem quattuordecim annorum quovis modo et quolibet instrumento. § 4. Alia quaeli-
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Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und von Personen, deren Vernunftgebrauch habituell eingeschränkt ist20, war bislang zu unterscheiden, ob eine konkrete Handlung nach den Bestimmungen des CIC/1983 strafbar war, oder ein Sachverhalt gegeben war, der nach Maßgabe des MP SST der Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre unterfällt. Obschon in Art. 6 MP SST 2010 kein Bezug auf die Gesetzbücher genommen wird, wird ein Ausschnitt aus dem Tatbestand des c. 1395 § 2 CIC/1983 (bzw. des c. 1453 § 1 CCEO) angezielt. Anderseits erfolgte durch das MP SST bereits im Jahre 2001 eine Erweiterung dahingehend, als dass das Schutzalter von 16 auf 18 Jahre angehoben wurde, ohne dass es bislang zu einer Änderung von c. 1395 § 2 CIC/1983 gekommen ist, wodurch in dieser kodikarischen Norm weiterhin das Schutzalter von 16 Jahren vorgesehen ist. Dieser Umstand hat konkrete Auswirkungen für die strafrechtliche Relevanz des Erwerbs, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen über 14 Jahren: Das MP SST sieht eine Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre nur für entsprechende Handlungen mit Blick auf Bilder von Minderjährigen unter 14 Jahren vor. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Tatbestände bereits von c. 1395 § 2 CIC/1983 erfasst sind, wobei hier die Bedeutung der Klausel „cum minore“ problematisiert werden kann21, führt die von c. 1395 § 2 CIC/1983 hinsichtlich des Schutzalters von 16 Jahren gezogene Grenze zu dem Befund, dass der Erwerb, die Aufbewahrung und die Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen über 16 Jahren kirchenrechtlich bislang nicht strafbar war.22 Aufgrund der Nichtzuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre für die strafrechtliche Würdigung von Handlungen eines Klerikers im Kontext jugendpornographischer Bilder von Minderjährigen über 14 Jahren aber unter 16 Jahren liegt die Zuständigkeit bei dem aufgrund von Tatort oder des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes des Beschuldigten zuständigen Ordinarius, es sei denn, dass dem Beschuldigten zugleich auch Taten vorgeworfen werden, die in die Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre fallen.23 Es ist zu fragen, ob die mit der Ausbet persona, dignitatem, officium vel munus habens in Ecclesia, quae aliqua delicta de quibus in §§ 2 – 3 patrat, puniri debet ad normam can. 1336.“ 20 Diese Klausel wurde neu in die Bestimmungen des MP SST 2010 aufgenommen, vgl. hierzu Renken, Normae (Anm.17), S. 79. 21 Vgl. Jenkins, Nulla lex (Anm. 19), S. 633: „In other words, in cases of possession or distributing we need to read the phrase cum minore, ,with a minor.‘ in other than a physical sense since the possessor or distributor is not literally cum minore“. 22 Im Unterschied hierzu waren Handlungen im Kontext pornographischer Darstellungen Minderjähriger unter achtzehn Jahren im Geltungsbereich des Gesetzes des Staates der Vatikanstadt Nr. VIII vom 11. Juli 2013 (vgl. oben Anm. 18) bereits als Delikt erfasst. 23 Vgl. Art. 8 § 2 MP SST 2010. Wenn einem Kleriker der neben dem Besitz von pornographischen Bildern Minderjähriger über vierzehn, aber unter sechzehn Jahren auch der Besitz von pornographischen Bildern unter vierzehn Jahren vorgeworfen wird, liegt die Zuständigkeit für die strafrechtliche Würdigung aller Tatvorwürfe bei der Kongregation für die Glaubenslehre. In einem solchen Fall hat sich die kirchenrechtliche Voruntersuchung nicht nur auf die delicta graviora zu beziehen, sondern auf die Gesamtheit der Tatvorwürfe.
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klammerung aus dem Bereich der graviora delicta einhergehende Zuständigkeit des Ordinarius geeignet ist, für einen adäquaten strafrechtlichen Schutz Jugendlicher zu sorgen.24 Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich die Verjährung von Delikten eines Klerikers im Kontext jugendpornographischer Bilder von Minderjähren über 14 Jahren aber unter 16 Jahren nicht nach den Regeln des MP SST, sondern nach der Vorschrift des c. 1362 § 1 CIC/1983 bemisst, wonach diese Delikte eine Verjährungsfrist von fünf Jahren besitzen.25
III. Delikte im Kontext pornographischer Bilder von Minderjährigen nach Maßgabe des MP VELM An dieser Stelle kann nicht umfassend auf die zum 01. Juni 2019 in Kraft getretenen Regelungen des Motu proprio „Vos estis lux mundi“ eingegangen werden, das von Papst Franziskus am 07. Mai 2019 erlassen und durch Veröffentlichung im L’Osservatore Romano promulgiert wurde.26 In Titel 1 – Allgemeine Bestimmungen, Art. 1 – Anwendungsbereich, wird in § 1 ausgesagt, dass diese Normen neben qualifizierten Amtspflichtverletzungen durch Leitungsverantwortliche27 Anwendung finden im Fall von Meldungen in Bezug auf Kleriker oder auf Angehörige von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens, die Straftaten gegen das sechste Gebot des Dekalogs begangen haben, „nämlich: I.
unter Gewalt oder Drohung oder durch Amtsmissbrauch erfolgter Zwang, sexuelle Handlungen zu vollziehen oder zu erleiden;
II. der Vollzug sexueller Handlungen mit einer minderjährigen oder mit einer schutzbedürftigen Person;
24
Vgl. Bartchak, Child pornography (Anm.13), S. 375. Zur Frage der Verjährungsfristen vgl. ausführlich Peter Platen, Das kirchliche Strafrecht – eine (leider?) vernachlässigte Disziplin. Überlegungen zur kirchenrechtlichen Ahndung des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche. In: Kirche und Recht 2010, S. 192 – 208 (330), hier S. 203 – 208. 26 Vgl. Papst Franziskus, Motu Proprio Vos estis lux mundi v. 07. 05. 2019, in: OR v. 10. 05. 2019. Ausweislich der „Nota esplicativa“ des Sekretärs des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Bischof Juan Ignacio Arrieta, ist das MP als konkrete Konsequenz der Kinderschutzkonferenz vom 21.–24. 02. 2019 im Vatikan zu verstehen, vgl. online unter: http://www. delegumtextibus.va/content/testilegislativi/it/eventi/nota-esplicativa-vos-estis-lux-mundi-dalmons-juan-igancio-ar.html (eingesehen am 18. 01. 2020). 27 Nach Art. 1 § 1 b) MP VELM finden die Bestimmungen des MP auch Anwendung bei Verhaltensweisen, die von den in Artikel 6 des bezogenen MP genannten leitungsverantwortlichen Personen verwirklicht werden und in Handlungen oder Unterlassungen bestehen, die darauf gerichtet sind, die zivilen Untersuchungen oder kirchenrechtlichen Untersuchungen verwaltungsmäßiger oder strafrechtlicher Natur gegenüber einem Kleriker oder einer Ordensperson bezüglich der unter dem Art. 1 § 1 a) genannten Vergehen zu beeinflussen oder zu umgehen. 25
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III. die Herstellung, die Darbietung, der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornographischem Material auch auf telematischem Weg sowie die Anwerbung oder Verleitung einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person, an pornographischen Darbietungen teilzunehmen.“28 Es kann durchaus diskutiert werden, ob Papst Franziskus an dieser Stelle lediglich bereits bestehende strafrechtliche Bestimmungen referiert oder ob mit diesem Motuproprio die Aufstellung neuer materiell-strafrechtlicher Bestimmungen verbunden ist.29 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für Kleriker der hinsichtlich der mit kinderpornographischen Material zusammenhängenden Handlungen statt bislang auf den Erwerb, die Aufbewahrung und die Verbreitung abgestellt wird, nunmehr die Herstellung, die Darbietung, der Besitz oder die Verbreitung von kinderpornographischem Material für tatbestandsmäßig erklärt wird und zudem die Anwerbung oder Verleitung einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person, an pornographischen Darbietungen teilzunehmen, ebenfalls als Delikt benannt wird.30 In Art. 1 § 2 c) des MP VELM wird zudem eine Definition des Begriffs „kinderpornographisches Material“ vorgenommen. Demnach handelt es sich hierbei um „jede Darstellung einer minderjährigen Person, die unabhängig vom verwendeten Mittel in explizite sexuelle Handlungen, seien sie real oder simuliert, verwickelt ist, oder jede Darstellung der Geschlechtsorgane von Minderjährigen zu vorwiegend sexuellen Zwecken.“ Durch diese Begriffsbestimmung, die übrigens dem Strafrecht des Staates der
28 Art. 1 § 1 a) MP VELM. Papst Franziskus nimmt in der o. g. Benennung von Straftatbeständen eine zu begrüßende Klarstellung vor, insofern hier zwar unter der Überschrift „Straftaten gegen das sechste Gebot“ nunmehr deutlich ausgesagt wird, dass es hier um sexuelle Handlungen mit einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person geht. Eine solche Klarstellung findet sich ebenfalls im jüngst überarbeiteten Strafgesetz für den Vatikanstaat, was Bischof Arrieta zu der Feststellung führt, das MP VELM sei in mancher Hinsicht „in logical consistency with the three provisions adopted by the Holy Father last March 26 for the Vatican City State and for personnel dependent on the Holy See concerning the Protection of minors and vulnerable persons“ Arrieta, Nota esplicativa (Anm. 26). 29 An dieser Stelle danke ich für den Austausch, den ich hinsichtlich des MP VELM mit Herrn Univ.-Prof. em. Dr. Klaus Lüdicke und Herrn Offizial Prälat Dr. Georg Holkenbrink führen konnte. 30 Durch diese gegenüber dem MP SST 2010 veränderte Nennung tatbestandsmäßiger Handlungen dürfte der sich in der strafrechtlichen Praxis der Kirche erweisenden Bandbreite der in diesem Deliktsbereich erfolgenden Untaten Rechnung getragen worden sein. Für die Herausforderungen bei der Bestimmung des Strafmaßes in diesbezüglichen kirchlichen Strafverfahren vgl. Peter Fabritz, Die „iusta poena“ im Strafprozess wegen sexuellen Missbrauchs. Ein Workshopbericht, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/ Matthias Pulte (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch, Würzburg 2012, S. 367 – 377, sowie Matthias Pulte, Strafzumessung in Fällen des c. 1395 § 2 CIC, unter Berücksichtigung der Bestimmungen des MP SST 2010 und der Leitlinien DBK 2010/2013, in: Thomas Schüller/Martin Zumbült (Hrsg.), Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi, Festschrift für Klaus Lüdicke zum 70. Geburtstag (= BzMK 70), Essen 2014, S. 275 – 294.
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Vatikanstadt entspricht31, wird das Schutzalter bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ausgedehnt32, das – wie oben gezeigt wurde – hinsichtlich dieses Deliktsbereiches bislang bei 16 Jahren lag. Als weitere Neuerung wird man zu werten haben, dass durch das Abstellen auf reale oder simulierte sexuelle Handlungen auch fiktive oder virtuelle Darstellungen tatbestandsmäßig sind.33 Unterstellt, dass mit dem hier gegenständlichen Normtext der Erlass materiellen Strafrechts verbunden ist, wird die Verbreitung pornographischen Materials, das Minderjährige nach vollendetem 16. Lebensjahr oder schutzbedürftige Personen zum Gegenstand hat, mit dem Inkrafttreten des MP Vos estis lux mundi durch einen Kleriker oder Angehörigen eines Institutes des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens34 zum Delikt nach Maßgabe des universalen Kirchenrechts.35 31 Vgl. das Gesetz des Staates der Vatikanstadt Nr. VIII vom 11. Juli 2013 (vgl. Anm. 18), Titulo II, Articulo 4d): „materiale pedopornografico“: qualsiasi rappresentazione di un minore, indipendentemente dal mezzo utilizzato, coinvolto in attivita` sessuali esplicite, reali o simulate, e qualsiasi rappresentazione di organi sessuali di minori a scopi prevalentemente sessuali.“ Dieses Abstellen auf die „vorwiegend sexuellen Zwecke“ dürfte hierbei das Pendant zu der im MP SST wie Strafrechtsschema von 2015 zu findenden Formulierung „turpe patrata“ sein, wodurch etwa das ggf. erforderliche Betrachten solcher Bilder durch einen Kleriker als Kirchenanwalt oder Richter im Rahmen eines kirchlichen Straf- oder Disziplinarverfahrens als nicht tatbestandsmäßig zu fassen ist. 32 Die Aufstellung dieser Altersgrenze weicht damit auch ab von der bislang im Strafrechtsschema aus dem Jahr 2015 genannten Grenze von 14 Jahren, die sich an SST orientiert. Allein von hier aus ergibt sich, dass dieses MP konkrete Auswirkungen auf die Revision des kodikarischen Strafrechts haben dürfte, die bislang die jüngeren Normierungen des Strafrechtsgesetzgebers für den Staat der Vatikanstadt offensichtlich nicht berücksichtigt hat. 33 Für die vor Geltung des MP VELM diskutierte Rechtslage vgl. José Bernal, Cuestiones canónicas sobre los delitos más graves contra el sexto mandamiento del Decálogo, in: IusCan 54 (2014), S. 145 – 183, hier S. 179: „Algu´n canonista opina que la adquisicio´n, posesio´n o distribucio´n de pornografi´a de menores ,virtual‘ caeri´a fuera del tipo delictivo. Siendo desde luego una accio´n moralmente reprobable y punible bajo el c. 1395 § 2, no encajari´a dentro de los delicta graviora, ya que no hay un nin˜o real involucrado. De todos modos, habri´a que estar atento a la legislacio´n estatal, que si´ podri´a considerarlo delito, pudie´ndose originar un conflicto entre ambos fueros.“ 34 Eine Erweiterung ist nicht nur hinsichtlich des Schutzalters ausgesprochen, sondern auch hinsichtlich des Kreises der Täter, da nun auch nichtklerikale Mitglieder von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens als mögliche Täter einbezogen werden. Dies stellt auch Bischof Arrieta fest: „It is therefore a norm that surpasses the subjects bound in this matter by the delicta graviora as described in the motu proprio Sacramentorum sanctitatis tutela, which are only for clerics“, in: Arrieta, Nota esplicativa (Anm. 26). 35 Im Ergebnis kommt es hierdurch zu einem gewissen Lückenschluss des kirchlichen Strafrechts im Vergleich zu den Bestimmungen des bundesdeutschen StGB (vgl. §§ 184b und 184c), der zwar Delikte im Kontext kinderpornographischer Schriften von denen im Kontext jugendpornographischer Schriften unterscheidet. Insofern sich die geltende Fassung des § 184c StGB verschiedenen überstaatlichen Beschlüssen und Übereinkommen verdankt, vgl. mit entsprechenden Nachweisen Laubenthal, Handbuch (Anm. 1), S. 1065, war dieses Nachziehen des kirchlichen Strafgesetzgebers überfällig.
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Es gibt aber auch Argumente, die gegen die Aufstellung neuen materiellen Strafrechts durch das MP VELM angeführt werden können. Neben der Formulierung in Art. 1 § 1 a) MP VELM, die mit dem Adverb „nämlich“36 bereits anderweitig normierte Delikte referiert, spricht gegen die These einer Aufstellung neuer Delikte, dass hinsichtlich der Handlungen, die gemäß c. 1395 § 2 CIC/1983 und MP SST bislang noch nicht strafbar waren, keine Strafe angedroht ist.37 Verbietet es sich, hier ein Versäumnis im Sinne eines bloßen Vergessens der Aufstellung konkreter Strafdrohungen anzunehmen? Auch die „Auffangklausel“ des c. 1399 CIC/1983 bietet für diese Problematik keine Lösung, da es bei der hier vorliegenden Frage gerade nicht um die fehlende Fassung bestimmter Handlungen als Straftatbestand geht – wofür c. 1399 CIC/1983 eine fragwürdige Lösung anbietet, sondern „nur“ um die fehlende Strafdrohung. Weiter findet sich im MP VELM kein Hinweis darauf, wer für die kirchenrechtliche Ahndung der in Art. 1 § 1 a) aufgeführten Delikte zuständig ist. Es findet sich auch keine Aussage dazu, wie sich diese Normen zu den Bestimmungen des c. 1395 § 2 CIC/1983, c. 1453 § 1 CCEO und zum MP SST 2010 verhalten, konkret zu der Frage, ob und wenn ja welche Straftatbestände der Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre unterfallen. Aus dem diesbezüglichen Schweigen des Gesetzgebers wird man daher schließen können, dass durch das MP VELM keine veränderte Zuständigkeit für die strafrechtliche Würdigung gegeben ist. Es bleibt mithin entweder bei der Zuständigkeit der Glaubenskongregation nach Maßgabe des MP SST 2010 oder der des Ordinarius bzw. Hierarchen nach Maßgabe des CIC/1983 bzw. CCEO. Und schließlich dürfte der Umstand, dass die Normen des MP VELM ausweislich der unmittelbar vor den Bestimmungen zum Promulgationsmodus und zum Inkrafttreten für die Dauer von drei Jahren ad experimentum approbiert sind38, im Zusammenhang des Erlasses materiellen Strafrechts wenigstens ungewöhnlich sein – allein aus dem Umstand der Befristung der Normen kann aber nicht geschlossen werden, dass hier kein neues Strafrecht gesetzt wurde. 36 In der promulgierten italienischen Fassung dieses MP lautet die entsprechende Passage: „delitti contro il sesto comandamento del Decalogo consistenti“, vgl. online unter: http://w2. vatican.va/content/francesco/it/motu_proprio/documents/papa-francesco-motu-proprio20190507_vos-estis-lux-mundi.html (eingesehen am 18. 01. 2020). 37 In diese Richtung kann auch der Sekretär des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte verstanden werden, der über das MP VELM wie folgt ausführt: „It is a pontifical law of universal scope, valid for the Latin Church and for the Eastern Churches sui iuris, which imposes obligations on certain subjects and on others it confers jurisdictional faculties with regard to the collection, transmission and first evaluation of potentially criminal reports. It is a text that is procedural in nature that does not characterize new offenses“, vgl. Arrieta, Nota esplicativa (Anm. 26). 38 Weiter mag es als ungewöhnlich beschrieben werden, dass ein Normierungsvorhaben, das in der Normtypik eines Motu proprio ergeht – mithin auf eigenen Antrieb des Papstes – von einer päpstlichen Approbation spricht. Es mag dahin stehen, dass der Verweis auf die (befristete) Approbation ein redaktionelles Versehen ist und deutlich werden lässt, dass dieses Normwerk zunächst in der Autorität eines anderen Urheber als dem Papst – zum Beispiel die Kongregation für den Glaubenslehre oder ein sonstigen Dikasterium des Apostolischen Stuhles – erlassen werden sollte.
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IV. Änderung der „Normae de gravioribus delictis“ zum 01. 01. 2020 und bleibende Anfragen Im Ergebnis bleibt mit Blick auf das MP VELM aus einer gesetzgebungstechnischen Perspektive und aus Gründen des Rechtsschutzes Beschuldigter (vgl. c. 221 § 3 CIC) ein zwiespältiger Befund zu konstatieren, der in einem kirchlichen Strafverfahren zu einer kontroversen Beurteilung der Strafbarkeit des Erwerbs, der Aufbewahrung und der Verbreitung pornographischer Darstellungen von Minderjährigen über 16 Jahren durch Kleriker oder Angehörige von Instituten des geweihten Lebens oder Gesellschaften des apostolischen Lebens führen dürfte. Anders zu beurteilen wären entsprechende Handlungen eines Klerikers mit Blick auf pornographisches Material Minderjähriger über 14, aber unter 16 Jahren, da dies von c. 1395 § 2 CIC erfasst und daher strafbar ist. Die wohl einfachste und naheliegende Auflösung dieser Problematiken dürfte mit einer Änderung der Normen des MP SST zu erreichen sein, bei der die über die bisherige Normierung hinausgehenden Fassungen der Tatbestände mit Strafandrohungen versehen werden. Auf diese Weise wären die Aussagen des MP VELM in Art. 1 § 1 tatsächlich nur das Referat („nämlich“) anderweitig aufgestellten Strafrechts. In der Tat wurde unter dem Datum 3. Dezember 2019 nun ein Rescriptum ex Audientia SS.mi veröffentlicht, durch das Papst Franziskus in der dem Kardinalstaatssekretär und dem Kardinalpräfekten der Kongregration für die Glaubenslehre am 4. Oktober 2019 gewährten Audienz festgelegt hat, dass es zu Änderungen der „Normae de gravioribus delictis“ kommt und diese Änderungen zum 1. Januar 2020 in Kraft treten.39 Die hier interessierende Änderung betrifft Art. 6 § 1 n. 2 SST, der künftig folgende Fassung erhält: „Der Erwerb, die Aufbewahrung und die Verbreitung pornographischer Bilder von Minderjährigen unter achtzehn Jahren in jedweder Form und mit jedwedem Mittel durch einen Kleriker in u¨ bler Absicht.“40 Fraglos wird durch diese Änderung des MP SST die Anpassung an die durch das MP VELM vorgegebene altersmäßige Tatbestandsfassung vorgenommen, einschließlich der damit einhergehenden Erstreckung der Strafdrohung wie der Zuständigkeitsregelung nach Maßgabe des MP SST. Diese jüngste Änderung des MP SST ist allerdings nicht dazu genutzt worden, sämtliche kirchenrechtliche Delikte im Kontext kinderpornographischen Materials – in der Reichweite der Definition des MP VELM – als delicta graviora aufzustellen. 39 Das Recriptum ex Audientia SS.mi wurde zunächst auf der Homepage des Apostolischen Stuhles dokumentiert einschließlich des Hinweises, dass der Papst Franziskus dessen Veröffentlichung in L’Osservatore Romano (inzwischen erfolgt: OR 159 (2019) n. 288 v. 18. 12. 2019, 4) wie auch in den AAS angeordnet hat. Insofern die veränderten Normen in italienischer Sprache vorgelegt wurden, liegt da MP SST gegenwärtig in einer lateinisch-italienischen Mischfassung vor, was aber auch für die AK Pastor Bonus über die Römische Kurie der Fall ist. 40 Die verbindliche Fassung der Norm lautet: „l’acquisizione o la detenzione o la divulgazione, a fine di libidine, di immagini pornografiche di minori di diciotto anni da parte di un chierico, in qualunque modo e con qualunque strumento“.
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So fällt auf, dass es bei der Änderung des MP SST nicht zu einer Anpassung an die im MP VELM vorgelegte Fassung der als tatbestandlich erfassten Handlungen mit pornographischem Material gekommen ist. Auch hier stellt sich die Frage, was die Nichtaufnahme in das MP SST für die nach dem MP VELM tatbestandsmäßigen Handlungen der Herstellung und der Darbietung von kinderpornographischem Material sowie die für die Anwerbung oder Verleitung einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person, an pornographischen Darbietungen teilzunehmen bedeutet. In gleicher Weise ist zu fragen, welche strafrechtliche Verbindlichkeit der Begriffsbestimmung des „kinderpornographischen Materials“ durch Art. 1 § 1 c) MP VELM zukommt, wonach es um jede Darstellung einer minderjährigen Person geht, die unabhängig vom verwendeten Mittel in explizite sexuelle Handlungen, seien sie real oder simuliert, verwickelt ist, oder jede Darstellung der Geschlechtsorgane von Minderjährigen zu vorwiegend sexuellen Zwecken. Bedeutet diese Nicht-Rezeption im geänderten MP SST, dass diese Handlungen nicht als reservierte Delikte zu betrachten sind? Sollte diese Deutung zutreffend sein, bliebe es hinsichtlich dieser durch das MP VELM als Straftaten gegen das sechste Gebot ausgeflaggten Handlungsweisen bei der oben bereits beleuchteten Problematik einer fehlenden Strafdrohung. Lediglich die Zuständigkeitsfrage dürfte in der Weise geklärt sein, dass für diese Tatbestände keine Reservation der Kongregation für die Glaubenslehre aufgestellt ist. Auch wenn die Herstellung von kinderpornographischem Material ebenso wie dessen Darbietung regelmäßig mit dessen Aufbewahrung bzw. Verbreitung einhergehen dürfte (womit auch eine Strafbarkeit nach MP SST gegeben wäre), dürfte es als aber ausgeschlossen gelten, dass ausgerechnet die Handlungen der Herstellung wie der Darbietung von kinderpornographischem Material durch einen Kleriker nicht unter den Zuständigkeitsvorbehalt der Kongregation für die Glaubenslehre fallen sollen. Ähnliches dürfte für die Anwerbung oder Verleitung einer minderjährigen oder schutzbedürftigen Person, an pornographischen Darbietungen teilzunehmen, gelten. Weiter ist zu bemängeln, dass die Änderung des MP SST nicht dazu genutzt wurde, von der oftmals kritisierten Fassung der Delikte als Verstöße gegen das sechste Gebot des Dekalogs abzurücken. Hier war der Gesetzgeber des MP VELM auf dem richtigen Weg, insofern dort nicht der Verstoß gegen eine Standesverpflichtung, sondern der Vollzug sexueller Handlungen mit minderjährigen oder schutzbedürftigen Personen im Vordergrund steht. Mithin ist diese jüngste Änderung des kirchlichen Strafrechtes als ein Rückschritt zu werten. Auch wurde hinsichtlich der Täterqualifikation keine Anpassung vorgenommen, da das MP SST weiterhin allein auf Kleriker als Täter abstellt, während das MP VELM hinsichtlich der Täterschaft auf Kleriker und Angehörige eines Institutes des geweihten Lebens oder einer Gesellschaft des apostolischen Lebens gerichtet ist. Im Ergebnis bleibt daher ein problematischer Befund zu konstatieren. Ausgerechnet in diesem besonders praxisrelevanten Feld des kirchlichen Strafrechts ist es dem kirchlichen Gesetzgeber wiederum nicht gelungen, Strafrecht in einer eindeutigen Weise zu setzen. Die sprachliche und vor allem hinsichtlich der Fassung der Tatbestände aufweisbare Vielgestaltigkeit strafrechtlicher Normen ist in diesem Bereich in
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besonderer Weise kritikwürdig, da auf diese Weise der mögliche Beitrag der kirchlichen Strafrechtspflege zum Schutz Minderjähriger weiter hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Auch in einer anderen Hinsicht ist ein zwiespältiger Befund zu konstatieren: So ist zu begrüßen, dass in Folge der Neufassung von Art. 13 MP SST nunmehr kanonistisch qualifizierte Laien als Anwalt und Prozessvertreter in den nach den Normae de gravioribus delictis behandelten Fällen zugelassen sind. Dass aber der Gesetzgeber diese Anpassung der Normen nicht dazu genutzt hat, die nach Art. 15 SST 2010 ohnehin dispensable Einschränkung der Übertragung der Ämter des Richters, Kirchenanwalts und Notars auf Priester aufzuheben (vgl. Art. 14 MP SST 2020), mutet geradezu verstörend an. Hier ist eine Gelegenheit versäumt worden, um den überfälligen Perspektivwechsel weg vom Schutz klerikaler Standespflichten hin zu einer Orientierung auf die Opfer sexuellen Missbrauchs41 wahrnehmbar zu machen.
41 Vgl. Heribert Hallermann, Die Rolle des Anwalts im kirchlichen Strafprozess, in: Matthias Pulte (Hrsg.), Tendenzen der kirchlichen Strafrechtsentwicklung, Paderborn 2017 (= KStKR 25), S. 81 – 109, hier S. 89.
Überlegungen zur Relevanz des Interdikts als Beugestrafe im Kanonischen Recht Von Matthias Rauch
I. Einleitung „Die Notwendigkeit eines kirchlichen Strafrechts ergibt sich aus der Sorge um das Heil des/der einzelnen Gläubigen (vgl. c. 1752 CIC/1983) und aus der Notwendigkeit der äußeren und inneren Ordnung der Kirche im Sinn des Auftrags Jesu.“1 Mit diesen Worten fasst Wilhelm Rees die Begründung des kirchlichen Strafanspruchs zusammen. Er stellt aber auch fest: „Ein funktionierendes Strafrecht hat sich immer den sich wandelnden Verhältnissen anzupassen.“2 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden ein Überblick über die gegenwärtige Ausgestaltung des Interdikts gegeben werden, mit dem sich auch der zu ehrende Kanonist im Rahmen seiner umfassenden Beschäftigung mit dem kirchlichen Strafrecht befasst hat.3 Es folgen einige Gedanken, welcher Platz dem Interdikt in einem den heutigen Verhältnissen angepassten Strafrecht zukommen könnte.
II. Rechtshistorische Bemerkungen Zunächst ist ein Blick auf die historischen Grundlagen4 des heute gebräuchlichen Interdikts angebracht. Diese liegen im Lokalinterdikt, welches die Vornahme sämtlicher gottesdienstlicher Handlungen in einer Kirche, an einem Ort oder innerhalb eines bestimmten Gebietes verbot und ab dem 11. Jahrhundert als eigenständige 1
Wilhelm Rees, Grundfragen des kirchlichen Strafrechts, in: HdbKathKR3, S. 1569 – 1590, hier S. 1575. 2 Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht. Dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte (= KST 41), Berlin 1993, S. 493. 3 Vgl. beispielsweise Wilhelm Rees, Art. Interdikt, in: LKStKR II, S. 309; Ders., Strafgewalt (Anm. 2), S. 388 – 390; Ders., Straftat und Strafe, in: HdbKathKR3, S. 1591 – 1614, hier S. 1599 f. 4 Vgl. dazu Georg May, Art. Interdikt, in: TRE 16, S. 221 – 226; Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 130 – 135, 206 – 215; Hartmut Zapp, Art. Interdikt, in: LexMA 5, Sp. 466 f., sowie Alban Haas, Das Interdikt nach geltendem Recht mit einem geschichtlichen Überblick (= KST 2), Bonn 1929, S. 1 – 15.
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Strafe begegnet. Es erfasste mit seinen Rechtswirkungen gleichermaßen Schuldige wie Unschuldige. Das Personalinterdikt (interdictum ab ingressus ecclesiae oder arceri ab ingressu ecclesiae; Corp. iur. can. X, 5, 38, 12.13)5 hingegen traf nicht ein bestimmtes Territorium, sondern entweder eine bestimmte Personengruppe (allgemeines Personalinterdikt) oder einzelne Personen (besonderes Personalinterdikt). Es war insbesondere durch den Ausschluss von der Teilnahme am Gottesdienst gekennzeichnet und rückt damit stark in die Nähe der Exkommunikation, die jedoch weitreichendere Folgen nach sich zieht. Der Codex Iuris Canonici von 1917 kennt das allgemeine (Lokal-)Interdikt über ein bestimmtes Gebiet und das besondere (Lokal-)Interdikt über einen Ort (interdictum locale generale bzw. particulare; cc. 2271 – 2272 CIC/1917) sowie das persönliche Interdikt einzelner physischer Personen, aber auch einer Personengemeinschaft als Ganzer (interdictum in singulas personas delinquentes, vel in communitatem, uti talem, vel in personas delinquentes et in communitatem; cc. 2274 – 2275 CIC/1917). Das Interdikt in all seinen Formen konnte im Gesetzbuch von 1917 sowohl Beuge- als auch Sühnestrafe sein (c. 2255 § 2, c. 2291 nn. 1 – 2 CIC/1917). Verboten war im Falle des persönlichen Interdikts die Vornahme gottesdienstlicher Handlungen und die Teilnahme an ihnen, insbesondere der Feier der Eucharistie mit Ausnahme der Anhörung der Predigt, sowie die Spendung und der Empfang von Sakramenten und Sakramentalien (c. 2275 CIC/1917). Weitere Folgen waren etwa der Ausschluss von bestimmten kirchlichen Gliedschaftsrechten, wie dem aktiven und passiven Wahlrecht (c. 2275 n. 3 i. V. m. c. 2265 CIC/1917), und bei festgestelltem oder verhängtem Interdikt auch der Ausschluss vom kirchlichen Begräbnis (c. 2275 n. 4 i. V. m. c. 1240 § 1 n. 2 CIC/1917).6
III. Das Interdikt im Codex Iuris Canonici von 1983 1. Wesen und Einordnung In durchaus neu akzentuierter Form hat das Interdikt auch Eingang in das Strafrecht des CIC/1983 gefunden.7 Dieser kennt es nur mehr in der Form des persönli5
Vgl. May, Interdikt (Anm. 4), S. 225. Vgl. dazu Haas, Interdikt (Anm. 4), S. 109 – 116; Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 214 f. 7 Auf das Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen kann hier nicht eingegangen werden. Der CCEO kennt das Interdikt im wörtlichen Sinne nicht, unterscheidet aber zwischen einer excommunicatio minor, die in ähnlicher Weise wie das lateinische Interdikt jedenfalls den Empfang der Eucharistie verbietet (c. 1431 CCEO) und der excommunicatio maior (c. 1434 CCEO), bei der auch der Empfang der übrigen Sakramente verboten ist und die insgesamt ähnliche Folgen wie die Exkommunikation des CIC/1983 zeitigt. Sämtliche Strafen des CCEO treten nur ein, wenn sie durch Urteil oder Dekret verhängt worden sind. Vgl. Rees, 6
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chen Interdikts (c. 1332 CIC/1983), während das Lokalinterdikt abgeschafft wurde, da es neben den Schuldigen auch Unschuldige betraf. Darüber hinaus ist das Interdikt im geltenden Codex immer Beugestrafe und nicht mehr als Sühnestrafe vorgesehen (vgl. c. 1312 § 1 n. 1 CIC/1983). Nach dem Zweck der Strafe unterscheidet c. 1312 § 1 n. 1 und n. 2 CIC/1983 zwischen Sühnestrafen (poenae expiatoriae) und Besserungs- oder Beugestrafen, die auch Zensuren genannt werden (poenae medicinales seu censurae).8 Während erstere die Sühne einer begangenen Straftat bezwecken, wollen zweitere eine Besserung bewirken, also einen Sinneswandel und die Änderung des Verhaltens. Darüber hinaus soll es zur Reue über die begangene Tat, einer Wiedergutmachung der schädlichen Folgen und zur Behebung des entstandenen Ärgernisses kommen (c. 1347 § 2 CIC/ 1983). Die Besserungsstrafen richten also den Blick mehr auf das Individuum, während Sühnestrafen stärker auf die Communio der Gläubigen und die Ordnung der Kirche abzielen. Wie Wilhelm Rees die kanonistische Diskussion zusammenfasst,9 sind die kirchlichen Strafen heute nicht mehr vorwiegend oder gar ausschließlich als Zwangsmaßnahmen zu verstehen, um ein Wohlverhalten der Gläubigen zu erreichen. Vielmehr soll durch die Reaktion der Communio in Form der Strafe der betreffenden Person vor Augen geführt werden, dass sie durch ihr Verhalten die kirchliche Gemeinschaft verlassen hat, und an ihr Gewissen appelliert werden, dass sie ihre Entscheidung überdenkt. Grundsätzlich kommen Beuge- und Sühnestrafen als besonders schwere Strafen (vgl. c. 1349 CIC/1983)10 nur bei schweren Vergehen in Betracht. Als Beugestrafen bzw. Zensuren sind im CIC/1983 Exkommunikation, Interdikt und Suspension vorgesehen. Exkommunikation (c. 1331 CIC/1983) „ist der einstweilige Ausschluss eines schwer straffällig gewordenen Kirchengliedes aus der aktiven kirchlichen Gemeinschaft mit den gesetzlich festgelegten Rechtswirkungen“11,
Grundfragen (Anm. 1), S. 1572 f. m.w.M., sowie Ders., Unterschiedliche Strafen in der einen katholischen Kirche? Ein Vergleich zwischen CCEO und CIC, in: Hartmut Zapp/Andreas Weiß/Stefan Korta (Hrsg.), Ius Canonicum in Oriente et Occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag (= AIC 25), Frankfurt 2003, S. 939 – 958, hier S. 951 f. 8 Vgl. dazu etwa Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 91 – 94; 173 – 177; Klaus Lüdicke, c. 1312, Rdnrn. 3 – 6, in: MK CIC (Stand: Juli 1992); Wilhelm Rees, Art. Beugestrafe, in: LKStKR I, S. 247 f.; Ders., Grundfragen (Anm. 1), S. 1577 f.; Ders., Strafgewalt (Anm. 2), S. 102 – 106, 369 f.; Ders., Straftat und Strafe (Anm. 3), S. 1598 – 1603. 9 Vgl. Wilhelm Rees, Katholische Kirche und Menschenrechte. Erwartungen an ein künftiges Strafrecht, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici. Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KST 67), Berlin 2017, S. 639 – 666, hier S. 651 f., m. w. N. 10 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1349, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: November 1993); Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 401. 11 Wilhelm Rees, Art. Exkommunikation, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg 2004, Sp. 277 f., hier Sp. 277; vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 177 – 180; Klaus Lüdicke,
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hebt aber die in der Taufe begründete Zugehörigkeit zur Kirche nicht auf. Sie verbietet jedenfalls den Dienst bei der Feier des eucharistischen Opfers oder bei irgendwelchen anderen gottesdienstlichen Feiern, das Spenden von Sakramenten und Sakramentalien und den Empfang von Sakramenten sowie die Ausübung jedweder kirchlichen Ämter, Dienste oder Aufgaben und das Setzen von Akten der Leitungsgewalt. Das Interdikt (c. 1332 CIC/1983) ist, wie noch zu zeigen sein wird, in seinen Rechtswirkungen auf den gottesdienstlichen Bereich beschränkt. Suspension (cc. 1333 – 1334 CIC/1983)12 schließlich kann nur Kleriker treffen und verbietet alle oder einige Akte der Weihe- und Leitungsgewalt sowie die Ausübung aller oder einiger der mit einem Amt verbundenen Rechte oder Aufgaben. Die Strafen des Codex Iuris Canonici begegnen je nach der Form ihrer Verhängung als Tat- oder Spruchstrafen (vgl. c. 1314 CIC/1983).13 Spruchstrafen (poenae ferendae sententiae) werden durch Strafurteil bzw. Verwaltungsdekret nach Durchführung eines geregelten Verfahrens ausgesprochen. Entsprechend ihrem Zweck muss der Verhängung einer Beugestrafe wenigstens eine Verwarnung vorausgehen, sodass binnen angemessener Frist ein Sinneswandel möglich ist (c. 1347 § 1 CIC/ 1983). Erst das Verharren in der Widersetzlichkeit führt zur Verhängung der Strafe. Tatstrafen (poenae latae sententiae) hingegen treten unmittelbar mit der Begehung der Tat von selbst ein, wenn dies im Gesetz oder Strafgebot ausdrücklich festgelegt ist. Wird danach in einem förmlichen Verfahren eine Tatstrafe festgestellt, treten in der Regel weitere Wirkungen hinzu. 2. Rechtsfolgen Was die Rechtsfolgen des Interdikts14 betrifft, verweist c. 1332 CIC/1983 auf einzelne Bestimmungen des c. 1331 CIC/1983 zur Exkommunikation, die den liturgisch-sakramentalen Bereich betreffen. Demnach ist einer Person, bei der das Interdikt als Tatstrafe eingetreten ist, jeglicher Dienst bei der Feier des eucharistischen Opfers oder bei irgendwelchen anderen gottesdienstlichen Feiern untersagt (c. 1332 i. V. m. c. 1331 § 1 n. 1 CIC/1983). Ihr ist verboten, Sakramente oder Sakrac. 1331, in: MK CIC (Stand: April 1993); Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 86 – 88, 385 – 388; Ders., Straftat und Strafe (Anm. 3), S. 1598 f. 12 Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 181 f.; Karl-Theodor Geringer, Art. Suspension, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg 2004, Sp. 927 f.; Klaus Lüdicke, cc. 1333 – 1334, in: MK CIC (Stand: April 1993); Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 390 f.; Ders., Straftat und Strafe (Anm. 3), S. 1600. 13 Vgl. dazu Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 140 – 155; Klaus Lüdicke, c. 1314, in: MK CIC (Stand: Juli 1992); Rees, Grundfragen (Anm. 1), S. 1583 f.; Ders., Strafgewalt (Anm. 2), S. 371 f. 14 Vgl. dazu Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 175 – 181; Klaus Lüdicke, cc. 1331 und 1332, in: MK CIC (Stand: April 1993); Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 388 – 390; Ders., Straftat und Strafe (Anm. 3), S. 1599 f.
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mentalien zu spenden und Sakramente zu empfangen (c. 1332 i. V. m. c. 1331 § 1 n. 2 CIC/1983). Das Interdikt wird daher auch als Gottesdienstsperre bezeichnet. Was c. 1331 § 1 n. 1 CIC untersagt, ist allerdings nicht jede participatio actuosa (c. 835 § 4 CIC/1983; vgl. Vat II SC, Art. 14), sondern die participatio ministerialis am Gottesdienst. Darunter ist die Wahrnehmung einer Funktion im Auftrag der Kirche zu verstehen und damit nicht nur die Vorsteherfunktion, sondern beispielsweise auch ein Dienst als Akolyth oder Lektor, Kantor, Vorbeter oder Ministrant (vgl. c. 230 CIC/1983).15 Wurde das Interdikt förmlich festgestellt bzw. verhängt, entfaltet es weitere Wirkungen, insbesondere im äußeren Rechtsbereich. Dann kommt hinzu, dass der Täter von der Vornahme einer liturgischen Handlung ferngehalten werden muss, ansonsten darf der Gottesdienst nicht abgehalten werden, es sei denn, es steht ein schwerwiegender Grund16 dagegen (c. 1332 i. V. m. c. 1331 § 2 n. 1 CIC/1983). Nach Verhängung oder Feststellung der Strafe können Interdizierte zwar (nicht ministerialiter) an der Eucharistiefeier teilnehmen, dürfen aber ausdrücklich nicht zur heiligen Kommunion zugelassen werden (c. 915 CIC/1983).17 Sie können kein Tauf- oder Firmpatenamt übernehmen (c. 874 § 1 n. 4; c. 893 § 1 CIC/1983) und es besteht ein Trauungsverbot (c. 1071 § 1 n. 5 CIC/1983). Die sakramentale Absolution beim Bußsakrament ist erst möglich, wenn zugleich von der Strafe befreit wird (vgl. cc. 987 und 988 § 1 CIC/1983).18 Wenn der Ortsordinarius oder Ortspfarrer durch Urteil oder Dekret interdiziert bzw. bei diesem das als Tatstrafe eingetretene Interdikt festgestellt wurde, kann er einer Eheschließung nicht gültig assistieren (c. 1109 CIC/1983). Seine Trauungsvollmacht wird also ausgesetzt. Die als Folgen der Exkommunikation vorgesehenen Einschränkungen der Ausübung kirchlicher Ämter, Dienste und Aufgaben sowie der Ausübung von Leitungsgewalt (c. 1331 § 1 n. 3, § 2 nn. 2 – 5 CIC/1983) kommen für das Interdikt hingegen nicht zur Anwendung. Sofern es sich beim mit der Beugestrafe Belegten um einen Kleriker handelt, wird das Verbot, Sakramente und Sakramentalien zu spenden gemäß c. 1335 CIC/1983 ausgesetzt, sooft es für das Heil von Gläubigen notwendig ist, die sich in Todesgefahr befinden. Außerdem wird das Verbot im Fall einer nicht festgestellten Tatstrafe sus15 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1331, Rdnr. 6, in: MK CIC (Stand: April 1993); Heribert Schmitz, La Partecipazione dei fedeli all’eucaristia, in: Winfried Schulz/Giorgio Feliciani (Hrsg.), Vitam impendere vero. Studi in onore di Pio Ciprotti (= Utrumque ius 14), Vatikan 1986, S. 235 – 247, hier S. 244 – 246. 16 Als solcher käme nach Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 179 „beispielsweise in Betracht, dass es den Gläubigen einer Gemeinde erheblich erschwert oder sogar unmöglich gemacht würde, ihre Sonntagspflicht zu erfüllen.“ 17 Vgl. dazu insbesondere Schmitz, Partecipazione (Anm. 15). 18 Dies wird nach Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 180 f. auch ohne ausdrückliche Anordnung „als selbstverständlich vorausgesetzt“.
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pendiert, sooft ein Gläubiger um die Spendung eines Sakramentes oder Sakramentale nachsucht; das zu erbitten, ist aus jedwedem gerechten Grund erlaubt. Diese Regelung kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn den Gläubigen nicht erkennbar ist, dass sich der Kleriker eine Tatstrafe zugezogen hat, denn: „Wer sich eine Zensur zugezogen hat, ist nicht verpflichtet, dies nach außen hin zu erkennen zu geben“19 (vgl. auch c. 1352 § 2 CIC/1983). Wenngleich das Interdikt den Empfang von Sakramenten verbietet, wird dieses Verbot gemäß c. 1352 § 1 CIC/1983 ausgesetzt, solange sich der Täter in Todesgefahr befindet. Hier geht also die Sorge um das ewige Heil dessen, der sich die Beugestrafe zugezogen hat, dem Ziel der Änderung seines irdischen Verhaltens vor (vgl. c. 1752 CIC/1983). Kirchliche Sanktionen werden grundsätzlich auf unbestimmte Zeit angedroht bzw. verhängt, sodass sie auch nicht von selbst wegfallen. Dies kann nur durch hoheitlichen Nachlass geschehen,20 der gegebenenfalls mit der Auferlegung eines Strafsicherungsmittels oder einer anderen pastoralen Maßnahme verbunden werden kann (c. 1358 § 2; c. 1348 CIC/1983). Sofern das Interdikt als Tatstrafe eingetreten, aber nicht festgestellt ist, kann jeder Beichtvater im inneren sakramentalen Bereich davon absolvieren. Voraussetzung ist, dass es für den Pönitenten hart ist, so lange im Stand schwerer Sünde zu verbleiben, bis der zuständige Obere Vorsorge treffen kann. Es besteht jedoch Rekurspflicht, sodass auch in diesem Fall die formelle Aufhebung erforderlich ist. Wenn der Pönitent sich nicht innerhalb eines Monats an den zuständigen Oberen oder an einen mit der Befugnis ausgestatteten Priester wendet und dessen Auflagen nachkommt, tritt die Strafe wieder ein (c. 1357 CIC/1983).21 Ausnahmen bilden der Nachlass durch den Bußkanoniker nach Maßgabe des c. 508 CIC/1983 sowie die Absolution bei Todesgefahr von jedweder Beugestrafe durch jeden Priester gemäß c. 976 CIC/1983. Im letztgenannten Fall muss allerdings nach Genesung der vorgesehene Rekurs erfolgen (c. 1357 § 3 CIC/1983). Das Aufgeben der Widersetzlichkeit ist Voraussetzung für den Erlass einer Beugestrafe und führt umgekehrt auch zu einem Anspruch auf Befreiung von dieser Strafe (c. 1358 § 1 CIC/1983). Gemäß c. 1347 § 2 CIC/1983 ist davon auszugehen, dass ein Täter von der Widersetzlichkeit abgelassen hat, wenn er die Straftat wirklich bereut hat und er außerdem eine angemessene Wiedergutmachung der Schäden und eine Behebung des Ärgernisses geleistet oder zumindest ernsthaft versprochen hat.
19
Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 176. Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 174; Klaus Lüdicke, Einführung und Übersicht vor c. 1354, in: MK CIC (Stand: November 2001); Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 407 – 413; Ders., Straftat und Strafe (Anm. 3), S. 1610 – 1613. 21 Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 162 – 164; Klaus Lüdicke, c. 1357, in: MK CIC (Stand: November 1993); Rees, Straftat und Strafe (Anm. 3), S. 1611 – 1613, m. w. N.; Ders., Strafgewalt (Anm. 2), S. 409 – 412. 20
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3. Tatbestände Voraussetzung für die Strafverhängung bzw. den Eintritt einer Tatstrafe bildet neben der Verwirklichung eines strafbaren Tatbestandes immer auch das Vorliegen einer strafrechtlich relevanten Schuld, was durch Strafausschließungs-, Strafmilderungs- oder Strafverschärfungsgründe beeinflusst werden kann (cc. 1321 – 1330 CIC/1983; vgl. c. 1341 – 1350 CIC/1983). In den im Folgenden beschriebenen Fällen ist unter den Strafen für einzelne Straftaten in Teil II des VI. Buches des CIC/1983 die Beugestrafe des Interdikts vorgesehen.22 a) Anwendung physischer Gewalt gegen einen Bischof (c. 1370 § 2 CIC/1983) In Titel II sind Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche geregelt. Wenngleich das privilegium canonis des c. 119 CIC/1917 nunmehr aufgegeben ist, welches den tätlichen Angriff auf Kleriker als sakrilegisches Delikt verstanden hat, soll die Anwendung physischer Gewalt gegen den Papst, einen Bischof oder einen Kleriker als Ausdruck der Missachtung des Glaubens, der Kirche, der kirchlichen Gewalt oder eines kirchlichen Amtes sanktioniert werden (c. 1370 §§ 1 – 3 CIC/1983). Dieses vim physicam adhibere meint „jede Art von ungerechter Beeinträchtigung der körperlichen Integrität, der Freiheit oder der Würde durch äußere Gewalteinwirkung“23 sowie „jede Form eines Attentats“24. Die hier besprochenen Strafen treten darüber hinaus auch bei Tötung der genannten Personen ein (vgl. c. 1397 CIC/1983). Wer gegen einen Bischof – gleich ob Diözesan- oder Titularbischof (qui episcopali charactere pollet) – physische Gewalt anwendet, zieht sich nach c. 1370 § 2 CIC/ 1983 die Strafe des Interdikts als Tatstrafe zu. Bei Klerikern als Tätern kommt zusätzlich die Suspension hinzu. Auch diese verschärfende Strafe tritt von selbst ein (latae sententiae). b) Öffentliche Aufhetzung und Aufruf zum Ungehorsam gegen die kirchliche Autorität (c. 1373 CIC/1983) In c. 1373 CIC/1983 ist der Fall geregelt, dass jemand öffentlich wegen irgendeiner Maßnahme der kirchlichen Gewalt oder eines kirchlichen Amtes Streit der Untergebenen oder Hass gegen den Apostolischen Stuhl oder den Ordinarius hervorruft 22
Vgl. dazu die einschlägigen Kommentierungen in Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 197 – 249; Klaus Lüdicke, in: MK CIC; Wilhelm Rees, Einzelne Straftaten, in: HdbKathKR3, S. 1615 – 1643; Ders., Strafgewalt (Anm. 2), S. 42 – 486. 23 Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 224. 24 Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 440.
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bzw. die Untergebenen zum Ungehorsam gegen diese auffordert. Diese Person soll mit dem Interdikt oder anderen gerechten Strafen belegt werden. Weil hier ausdrücklich Öffentlichkeit gefordert ist, erfüllt ein Handeln, das bloß untergründig oder im Stillen geschieht, den Tatbestand nicht,25 vielmehr müssen die Umstände „die Kenntnisnahme von beliebigen Personen ermöglichen“26. Hier handelt es sich um eine Spruchstrafe, die erst durch die formale Verhängung eintritt. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber mit dem imperativischen Konjunktiv puniatur, der in der von den Bischöfen beauftragten deutschen Übersetzung mit „soll“ wiedergegeben wird, hier stets ein Müssen meint27 und es sich somit um eine obligatorische Strafe handelt. Ob der Richter jedoch das Interdikt oder eine andere gerechte Strafe verhängt, bleibt seinem klugen Ermessen überlassen. Unter Umständen kann von der Strafverfolgung auch ganz abgesehen werden (vgl. etwa c. 1323 und c. 1324 § 3 sowie insgesamt cc. 1341 – 1350 CIC/1983). c) Förderung bzw. Leitung kirchenfeindlicher Vereinigungen (c. 1374 CIC/1983) Gemäß c. 1374 CIC/1983 ist mit dem Interdikt zu bestrafen, wer eine Vereinigung (consociatio), die gegen die Kirche Machenschaften betreibt, fördert oder leitet. Über den bloßen Beitritt hinaus, der eine gerechte Strafe nach sich ziehen soll, wird hier auf eine herausgehobene Stellung bzw. die aktive Unterstützung abgestellt, weil dies auf die besondere Identifikation mit den kirchenfeindlichen Zielen schließen lässt. Anders als in c. 2335 CIC/1917 ist die Freimaurerei im geltenden Codex nicht mehr ausdrücklich genannt, wobei die Kongregation für die Glaubenslehre mit Erklärung vom 26. November 1983 klargestellt hat, dass die freimaurerischen Vereinigungen weiterhin als kirchenfeindlich anzusehen sind.28 d) Simulation der Eucharistie durch Laien (c. 1378 § 2 n. 1 CIC/1983) Die Feier des eucharistischen Opfers setzt zwingend die Priesterweihe voraus. Wer sakramental nicht dazu befähigt ist, simuliert die Eucharistie und versucht sie bloß zu feiern (attentat). Weil dies jedoch ein schwerwiegendes Vergehen gegen 25
Vgl. Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1624. Klaus Lüdicke, c. 1373, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: November 1993); vgl. ebd. c. 1369, Rdnr. 2. 27 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1315, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: Juli 1992), unter Hinweis auf Com 9 (1977), S. 306, wo der Wechsel von puniri potest zu puniatur gerade als Ausdruck der obligatorischen Strafverhängung beschrieben wird. 28 Vgl. C DocFid, Decl. de associationibus massonicis v. 26. 11. 1983, in: AAS 76 (1984), S. 300; vgl. zur Kritik dieses Schreibens Klaus Kottmann, Die Freimaurer und die katholische Kirche (= AIC 45), Frankfurt 2008, S. 271 – 299. 26
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die Sakramente der heiligen Weihe und der Eucharistie, sowie gegen die Communio der Gläubigen darstellt,29 wird es gemäß c. 1378 § 2 n. 1 CIC/1983 sanktioniert. Da es sich bei diesem Versuch, das eucharistische Opfer zu feiern, gemäß Art. 3 § 1 n. 2 der Normen der Kongregation für die Glaubenslehre vom 21. Mai 2010 (Normae 2010)30 um eine der schwerwiegenderen Straftaten (delicta graviora) handelt, ist ihre verfahrensmäßige Behandlung der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehalten. Die Erfüllung des Tatbestands konkretisiert sich im Sprechen des Eucharistischen Hochgebets, insbesondere der Wandlungsworte, in einer Weise, die aufgrund der äußeren Umstände für eine Eucharistiefeier gehalten werden kann. Während Klaus Lüdicke die „Anwesenheit von wenigstens einem Gläubigen […], der die Handlung für eine gültige Eucharistiefeier halten soll“31 voraussetzt und damit auf den Schaden an der Gemeinschaft abstellt, ist nach Aymans-Mörsdorf-Müller der Tatbestand „grundsätzlich […] auch dann als erfüllt anzusehen, wenn niemand die Tat beobachtet hat“32, weil nicht in erster Linie das Ärgernis bei den Gläubigen, sondern die Würde des Sakraments den Grund für die Sanktionierung darstelle. Letzteres scheint vor dem Hintergrund der Bewertung durch die Kongregation für die Glaubenslehre als eine der schwerwiegenderen Straftaten gegen die Heiligkeit des eucharistischen Opfers und Sakraments (vgl. Art. 3 § 1 Normae 2010) überzeugender. Bei den Rechtsfolgen unterscheidet der Codex zwischen Laien und Klerikern, wobei es sich bei den Klerikern hier nur um Diakone handeln kann. Während bei Laien mit der Tat das Interdikt eintritt, kommt es bei Klerikern stattdessen zur Suspension.33 In besonders schweren Fällen können weitere Strafen hinzugefügt werden, die Exkommunikation nicht ausgenommen (c. 1378 § 3 CIC/1983). e) Ungültige Spendung des Bußsakraments (c. 1378 § 2 n. 2 CIC/1983) In ähnlicher Weise wird durch c. 1378 § 2 n. 2 CIC/1983 das Bußsakrament geschützt. Neben der Weihegewalt muss zur gültigen Absolution auch die erforderliche Vollmacht (facultas) vorhanden sein (c. 966 CIC/1983). Wer jedoch die sakramen29
Vgl. Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1627; Ders., Strafgewalt (Anm. 2), S. 453. C DocFid, Normae de gravioribus delictis v. 21. 05. 2010, in: AAS 102 (2010), S. 419 – 430; dt.: ORdt 40 (2010) Nr. 29, S. 7 – 9, AfkKR 179 (2010), S. 169 – 179; vgl. dazu Wilhelm Rees, Delicta graviora im Recht der römisch-katholischen Kirche und der katholischen Ostkirchen, in: Elmar Gu¨ thoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (Hrsg.), Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fu¨ rst. In memoriam Carl Gerold Fu¨ rst (= AIC 50), Frankfurt 2013, S. 467 – 506; Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1627; Ders., Grundfragen (Anm. 1), S. 1584 – 1588. 31 Klaus Lüdicke, c. 1378, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: November 2012). Dies führt auch dazu, dass er mit Hinweis auf c. 1024 CIC/1983 eine Frau als Täterin ausschließt. 32 Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 216 f. 33 Zur Bewertung dieser Ungleichbehandlung von Klerikern und Laien siehe unten, V. 30
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tale Beichte hört oder die sakramentale Absolution zu erteilen versucht, obwohl er diese nicht gültig erteilen kann, zieht sich die Tatstrafe des Interdikts bzw. bei Klerikern der Suspension zu, die um weitere Strafen verschärft werden kann (c. 1378 § 3 CIC/1983). Dieses Delikt stellt gemäß Art. 4 § 1 n. 2 der Normae 2010 eine der schwerwiegenderen Straftaten gegen die Heiligkeit des Bußsakraments dar und ist daher der Kongregation für die Glaubenslehre vorbehalten. Nicht von der Norm des c. 1378 § 2 n. 2 CIC/1983 erfasst ist die (versuchte, weil ungültige) Absolution des Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs (c. 977 CIC/1983), weil dafür nach c. 1378 § 1 CIC/1983 die schärfere Sanktion der dem Apostolischen Stuhl vorbehaltene Exkommunikation als Tatstrafe vorgesehen ist (vgl. Art. 4 § 1 n. 1 Normae 2010). f) Spendung und Empfang eines Sakraments aufgrund von Simonie (c. 1380 CIC/1983) Wer aufgrund von Simonie ein Sakrament spendet oder empfängt, soll mit dem Interdikt oder der Suspension bestraft werden (c. 1380 CIC/1983). Eine Legaldefinition dieses Begriffes findet sich im geltenden Codex nicht mehr (vgl. c. 727 CIC/1917), doch bezeichnet „Simonie“ nach herrschender Ansicht „das Abhängigmachen der Spendung eines Sakramentes bzw. der Übertragung eines kirchlichen Amtes von einer weltlichen Gegenleistung […], wobei die Rechtswidrigkeit bewusst ist.“34 Im Kontext der Übertragung eines Kirchenamtes führt Simonie zur Ungültigkeit (c. 149 § 3 CIC/1983). Dies wird aber durch c. 1380 CIC nicht mehr strafrechtlich sanktioniert (vgl. dagegen c. 2392 CIC/1917). Wer in simonistischer Absicht eine Zahlung leistet, damit einem Dritten ein Sakrament gespendet wird, ist nach Aymans-Mörsdorf-Müller ebenfalls von der Sanktion des c. 1380 CIC/1983 betroffen.35 Ob das Interdikt oder die Suspension verhängt wird, liegt im richterlichen Ermessen (interdicto vel suspensione puniatur) und ist in diesem Fall nicht einfach an der Unterscheidung von Klerikern und Laien festzumachen. Die Suspension kann freilich nur Kleriker treffen. „Wenn aber nicht der Grad der Schuld deutlich unterschiedlich ist, sollte aufgrund der unterschiedlichen Härte dieser Sanktionen nicht bei ein und demselben Delikt der eine (z. B. der priesterliche Sakramentenspender) mit der Suspension, der andere aber mit dem Interdikt sanktioniert werden.“36
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Wilhelm Rees, Art. Simonie, in: LKStKR III, S. 551 f., hier S. 551 und 552. Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 219 f. Anderer Meinung ist Klaus Lüdicke, c. 1380, Rdnr. 5, in: MK CIC (Stand: November 1993) mit Verweis auf Arias, in: Código Navarra zu c. 1380. 36 Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 220. 35
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g) Falschanzeige eines Beichtvaters wegen angeblicher Verführung (c. 1390 § 1 CIC/1983) Wenn ein Beichtvater bei der Spendung des Bußsakramentes oder bei Gelegenheit oder unter dem Vorwand der Beichte einen Pönitenten zu einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs zu verführen versucht (sollicitatio), ist er nach c. 1387 CIC/1983 mit einer Strafe bis hin zur Entlassung aus dem Klerikerstand zu belegen. Hierfür ist wiederum die Kongregation für die Glaubenslehre zuständig (Art. 4 § 1 n. 4 Normae 2010). Wie Wilhelm Rees betont, meint die Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs „nicht nur den Ehebruch, sondern jede Verfehlung im sexuellen Bereich.“37 Daher sei die in c. 1458 CCEO verwendete Bezeichnung als „Sünde gegen die Keuschheit“ zutreffender. Eine fälschliche, also unbegründete Anzeige (falsa denuntiatio) einer solchen Straftat beim kirchlichen Oberen führt nach c. 1380 CIC/1983 zur Tatstrafe des Interdikts, bei Klerikern zusätzlich auch zur Suspension. Gemäß c. 982 CIC/1983 darf ein Pönitent, der eine solche Falschanzeige bekennt, erst absolviert werden, wenn er vorher in aller Form die falsche Anzeige zurückgezogen hat und bereit ist, angerichteten Schaden wiedergutzumachen.38 Der Verleumder kann auch gezwungen werden, eine angemessene Wiedergutmachung zu leisten (c. 1390 § 3 CIC/1983). Grund für die Sanktionierung ist ein besonderer Schutz für den Beichtvater, der sich gegen solche Anschuldigungen nur schwer verteidigen kann, weil der Raum der sakramentalen Beichte besonders geschützt ist (vgl. cc. 983 und 984 CIC/1983). h) Versuchte Eheschließung eines laikalen Religiosen mit ewigen Gelübden (c. 1394 § 2 CIC/1983) Als Straftat gegen besondere Verpflichtungen wird in c. 1394 CIC/1983 der Eheschließungsversuch eines Klerikers oder Ordensangehörigen sanktioniert, weil diese ein zölibatäres Leben versprochen haben. Es handelt sich zudem bloß um einen Versuch, weil der Empfang der heiligen Weihe und das öffentliche und ewige Gelübde der Keuschheit in einem Ordensinstitut ein trennendes Ehehindernis darstellen (c. 1087 bzw. c. 1088 CIC/1983). Ein Ordensangehöriger mit ewigen Gelübden,39 der nicht Kleriker ist, zieht sich die Tatstrafe des Interdikts zu, wenn er dennoch versucht, eine Ehe in kirchlicher,
37 Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1630; vgl. Ders., Delicta graviora (Anm. 30), S. 485 f. 38 Wie Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 468 feststellt, ist dies der einzige Fall, in dem der kirchliche Gesetzgeber die Lossprechung ausdrücklich untersagt. 39 „Bei Ordensleuten mit zeitlichen Gelübden geht der kirchliche Gesetzgeber davon aus, dass sie im Falle einer beabsichtigten Eheschließung um eine vorzeitige Befreiung von den Gelübden nachsuchen oder bis zum Ablauf der zeitlichen Gelübde warten.“ Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 475.
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aber auch bloß in ziviler Form zu schließen.40 Darüber hinaus gilt das Mitglied durch diese Tat als ohne weiteres aus dem Institut entlassen (c. 694 § 1 n. 2 CIC/1983) und wird für den Empfang der Weihen irregulär (c. 1041 n. 3 CIC/1983). Bei einem Kleriker tritt allerdings im Fall einer versuchten Eheschließung gemäß c. 1394 § 1 CIC/ 1983 die Suspension als Tatstrafe ein.41 Das Interdikt trifft nach c. 1394 § 2 CIC/1983 laikale, sowohl männliche als auch weibliche Religiosen.42 Der Partner bzw. die Partnerin der versuchten Eheschließung ist als im Gesetz nicht genannter Mittäter, ohne dessen Handeln die Straftat nicht begangen worden wäre, (c. 1329 § 2 CIC/1983) zu qualifizieren. Das Wissen um die Eigenschaft des Partners als Ordensangehöriger mit ewigen Gelübden vorausgesetzt, zieht sich demnach auch diese Person das Interdikt als Tatstrafe zu.43 i) Weitere Fälle Über diese im Codex selbst festgelegten Tatbestände hinaus, kann jeder, der Gesetzgebungskompetenz besitzt, gemäß c. 1315 CIC/1983 weitere Strafgesetze erlassen und darin auch Strafen androhen, soweit sie wirklich erforderlich sind, um die kirchliche Disziplin in möglichst geeigneter Weise sicherzustellen (c. 1317 CIC/ 1983). Beugestrafen darf der Gesetzgeber gemäß c. 1318 CIC/1983 jedoch nur mit allergrößter Zurückhaltung und nur für schwerere Straftaten aufstellen. Unter diesen Voraussetzungen könnte also auch das Interdikt angedroht werden. Die Strafverhängung nach der Generalnorm des c. 1399 CIC/1983 für Fälle, die nicht in Gesetzen geregelt sind, scheidet in Bezug auf das Interdikt aus, weil hier nur iustae poenae möglich sind. Allzu schwere Strafen sind nach c. 1349 CIC/1983 jedenfalls ausgeschlossen, wozu die Beugestrafen in der Regel zu zählen sind.44 4. Zusammenfassung der kodikarischen Regelungen Das Interdikt begegnet im Codex Iuris Canonici von 1983 nur mehr in der persönlichen Form. Es ist als Medizinal-/Beugestrafe oder Zensur auf die Änderung des
40
„Der Tatbestand ist erfüllt, wenn in irgendeiner Weise, sei es kirchlich gegebenenfalls unter Vorlegen eines gefälschten Taufscheins –, sei es standesamtlich, sei es in sonst einer öffentlichen Form, eine Zeremonie vollzogen wird, die zu einer Ehe führen würde, wenn kein Ehenichtigkeitsgrund vorläge.“ Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 241. 41 Vgl. dazu unten, V. 42 Vgl. Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1634, sowie zur Diskussion des Wortlauts dieses Canons Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 242, FN 6, m. w. N. 43 Vgl. Klaus Lüdicke, c. 1394, Rdnrn. 4 – 6, in: MK CIC (Stand: November 1993), sowie im Blick auf die geplante Strafrechtsreform unten, IV. 44 Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 249.
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Verhaltens des Straftäters gerichtet, der sich durch sein hartnäckiges Verhalten aus der Communio der Gläubigen herausgegeben hat.45 Weil das Interdikt wesentliche Einschränkungen im liturgisch-sakramentalen Bereich mit sich bringt, wird es auch als Gottesdienstsperre bezeichnet. Anders als bei Exkommunikation und Suspension sind hingegen etwa das Setzen von Akten der Leitungsgewalt und die Ausübung von Rechten und Privilegien nicht betroffen. Wie die Zusammenstellung gezeigt hat, wird das Interdikt bei sieben Straftatbeständen im CIC/1983 obligatorisch angedroht. Zudem ist es im Fall der öffentlichen Aufhetzung bzw. dem Aufruf zum Ungehorsam gegen die kirchliche Autorität (c. 1373 CIC/1983) exemplarisch als gerechte Strafe genannt. Es tritt davon fünfmal als Tatstrafe latae sententiae ein (cc. 1370 § 2, 1378 § 2 nn. 1 und 2, 1390 § 1, 1394 § 2 CIC/1983). Als Spruchstrafe ferendae sententiae ist es gemäß cc. 1374 und 1380 CIC/1983 zu verhängen bzw. kann nach c. 1373 CIC/1983 verhängt werden. Das Interdikt kann sowohl Kleriker als auch Laien treffen. Bei Klerikern ist es gelegentlich mit Suspension verbunden (cc. 1370 § 2; 1390 § 1 CIC/1983) oder wird durch diese ersetzt (cc. 1378 § 2; 1394 §§ 1 – 2 CIC/1983) bzw. wird in c. 1380 CIC/1983 als Alternative genannt.
IV. Geplante Änderungen Eine Reform dieser kodikarischen Bestimmungen des kirchlichen Strafrechts wurde mit Unterstützung von Papst Benedikt XVI. durch den Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte im Jahr 2007 formell begonnen und mündete im Juli 2011 in ein Schema recognitionis Libri VI Codicis Iuris Canonici (Schema 2011).46 Die vorgeschlagenen Änderungen sind bisher nicht in Kraft getreten, sollen hier aber im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung kurz vorgestellt werden. Der einschlägige c. 1332 Schema 2011 über das Interdikt besteht aus vier Paragraphen. Während §§ 1 und 3 im Wesentlichen den bisherigen Bestand wiedergeben, wird in § 4 die Möglichkeit (wieder-)eingeführt, das Interdikt über auch Personen zu verhängen, insofern sie einem bestimmten Kreis oder einer bestimmten Vereinigung angehören (ratione earum adscriptionis cuidam coetui vel consociationi; vgl. 45
Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 91; Rees, Grundfragen (Anm. 1), S. 1573 – 1578, sowie oben, III. 2. 46 PCLT (ed.), Schema recognitionis Libri VI Codicis Iuris Canonici. Città del Vaticano 2011. Vgl. dazu Elmar Gu¨ thoff, Ein Überblick über die im ersten Teil des Strafrechts des CIC (cc. 1311 – 1363) geplanten Änderungen, in: AfkKR 181 (2012), S. 75 – 89; Ders., Ein Überblick über die im zweiten Teil des Strafrechts des CIC (cann. 1364 – 1399) geplanten Änderungen, in: Ders./Stefan Korta/Andreas Weiß (Hrsg.), Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst (= AIC 50), Frankfurt 2013, S. 157 – 165; Rees, Grundfragen (Anm. 1), S. 1588 – 1590; Ders., Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1642 f., sowie zu Entstehung und Grundzügen des Schemas Juan Ignacio Arrieta, Il progetto di Revisione del Libro VI del Codice di diritto Canonico, in: AfkKR 181 (2012), S. 57 – 74.
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c. 2274 CIC/1917). Die Erweiterung durch § 2 ist bedeutungsvoll, denn dadurch wird das Interdikt zu einer flexibel androhbaren Strafe. Dies führt zwar nicht zu einer Verschärfung des Strafrechts, aber erschwert im Ergebnis die Anwendung in der Androhung und Verhängung des Interdikts.47 Die Rechtsfolgen des c. 1332 § 1 i. V. m. c. 1331 § 1 nn. 1 – 4 Schema 2011 wurden textlich neu gefasst. Das Schema verwendet nicht mehr vetare, sondern prohibere. Bei der Feier von Sakramenten, Sakramentalien und anderen gottesdienstlichen Feiern ist die aktive Teilnahme untersagt (ullam partem activam habere). Mit Recht fragt Elmar Güthoff, ob demnach dem Exkommunizierten oder Interdizierten in Zukunft auch die actuosa participatio verboten sein solle.48 Nach Feststellung bzw. Verhängung des Interdikts braucht der Täter nach c. 1332 § 3 i. V. m. c. 1331 § 2 n. 1 Schema 2011 nicht mehr von der Ausübung eines liturgischen Dienstes abgehalten werden. Die Feier ist erst abzusagen, wenn eine Mahnung fruchtlos bleibt.49 In Titel II des zweiten Teiles des Strafrechts, der neben Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten nicht mehr die Freiheit der Kirche, sondern die Ausübung der Aufgaben (munerum exercitium) sicherstellen soll, wurde c. 1378 Schema 2011 in Vergleich zu c. 1377 CIC/1983 deutlich erweitert. Nicht nur, wer ohne die erforderliche Erlaubnis Kirchenvermögen veräußert, sondern auch, wer auf andere Weise die ordnungsgemäße Vermögensverwaltung schwerwiegend vernachlässigt, ist mit einer Sühnestrafe gemäß c. 1336 Schema 2011 zu belegen. Zur Rückgabe oder einer angemessenen Wiedergutmachung kann jeweils auch durch Auferlegung des Interdikts gemäß c. 1332 § 2 Schema 2011 gezwungen werden (c. 1378 § 2 Schema 2011). Bei Vorliegen des Straftatbestandes der Simonie (c. 1380 Schema 2011) sollen künftig nicht nur Interdikt oder Suspension, sondern auch Sühnestrafen möglich sein; die Rückgabe bzw. Wiedergutmachung wird als Voraussetzung für den Straferlass genannt.50 Der neue § 3 des c. 1394 Schema 2011 stellt nun ausdrücklich klar, dass auch diejenigen Personen, welche mit Ordensangehörigen mit ewigen Gelübden eine Eheschließung versuchen, sich das Interdikt als Tatstrafe (latae sententiae) zuziehen.51 Insgesamt lässt sich feststellen, dass die geplante Strafrechtsreform zu einer leichteren praktischen Handhabung führen könnte, aber in gewisser Hinsicht auch eine
47
Vgl. Güthoff, Überblick I (Anm. 46), S. 82. Vgl. dazu Güthoff, Überblick I (Anm. 46), S. 88, sowie zur geltenden Rechtslage oben, III. 2. 49 Vgl. Güthoff, Überblick I (Anm. 46), S. 84 f. 50 Vgl. Güthoff, Überblick II (Anm. 46), S. 164; Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1628, FN 54. 51 Vgl. Güthoff, Überblick II (Anm. 46), S. 163. 48
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Verschärfung darstellen. Das kirchliche Strafrecht versteht sich jedenfalls wieder mehr als positives „Mittel der Pastoral“.52
V. Zur bleibenden Relevanz des Interdikts Während der Reform des kirchlichen Gesetzbuches im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils war das Interdikt nicht unumstritten. Vor dem Hintergrund der Rechtslage des CIC/1917 forderte etwa Audomar Scheuermann im Jahr 1962 eine weitgehende Vereinfachung der Gesetzgebung über das Interdikt und plädierte für eine Abschaffung des persönlichen Interdikts, das fast identisch mit der Exkommunikation sei.53 Als das Schema 1973 zum erneuerten Strafrecht vorlag, erkannte Scheuermann im dort umschriebenen persönlichen Interdikt „eine um einige Wirkungen geringere Exkommunikation“ und konstatierte eine „Konzeptionslosigkeit der also umschriebenen Strafe des Interdikts“.54 Die Strafe sei in sich widersprüchlich, da sie von Eucharistie, Gottesdienst und Weiheempfang ausschließe, gleichzeitig aber die Ausübung kirchlicher Ämter und geistlicher Leitungsvollmacht zulasse, ebenso die Erlangung von Würde, Amt, Versorgungsanspruch und kirchlichen Einkünften. Durch die bei Klerikern erforderliche Koppelung mit der Suspension käme diese Strafe noch mehr der Exkommunikation nahe.55 Ein Antrag, das Interdikt als Zensur überhaupt zu beseitigen, wurde auch auf der Plenaria 1981 gestellt, da es nur noch einen minimalen Unterschied des Interdikts zur Exkommunikation gebe. Dies wurde abgelehnt und vom Sekretariat damit begründet, dass das vorgesehene Interdikt nahezu dieselben Wirkungen habe wie das Interdikt des CIC/1917 und eben nicht wie die Exkommunikation.56 Damit stellt sich die Frage nach einem rechten Verhältnis von Exkommunikation, Interdikt und Suspension. Die Rechtseinschränkungen durch das Interdikt des CIC/1983 betreffen eindeutig und ausschließlich den gottesdienstlichen Bereich. Untersagt sind die Ausübung eines besonderen Dienstes bei der Feier der Liturgie, die Spendung von Sakramenten 52
Rees, Einzelne Straftaten (Anm. 22), S. 1643; vgl. Arrieta, Progetto (Anm. 46), S. 68 f.; Güthoff, Überblick I (Anm. 46), S. 89; Ders., Überblick II (Anm. 46), S. 164 f. 53 Vgl. Audomar Scheuermann, Erwägungen zur kirchlichen Strafrechtsreform, in: AfkKR 131 (1962), S. 393 – 415, hier S. 399 und 407. 54 Audomar Scheuermann, Das Schema 1973 für das kommende kirchliche Strafrecht, in: AfkKR 143 (1974), S. 3 – 63, hier S. 21. 55 Vgl. Scheuermann, Schema (Anm. 54), S. 22, sowie die Stellungnahme der „Tagung katholischer Kirchenrechtler 1974“ zum Entwurf für die Neuordnung des kirchlichen Strafrechts, in: Heribert Schmitz, Reform des kirchlichen Gesetzbuches. 15 Jahre Päpstliche CICReformkommission (= Canonistica 1), Trier 1979, S. 90 – 93, hier S. 92, Nr. 6. 56 Vgl. Com 16 (1984), S. 42, und zur Kritik Klaus Lüdicke, c. 1332, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: April 1993).
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und Sakramentalien sowie der Empfang von Sakramenten (c. 1332 i. V. m. c. 1331 § 1 nn. 1 und 2 CIC/1983) sowie bei verhängtem oder festgestelltem Interdikt die Zulassung zur heiligen Kommunion (c. 915 CIC/1983). Dies ist auch bei der Exkommunikation der Fall, wobei hier zudem verboten ist, jedwede kirchlichen Ämter, Dienste oder Aufgaben auszuüben oder Akte der Leitungsgewalt zu setzen (c. 1331 § 1 n. 3 CIC/1983). Nach Feststellung bzw. Verhängung der Exkommunikation sind diese Akte auch ungültig (c. 1331 § 2 n. 2 CIC/1983), während beispielsweise die Sakramentenspendung durch einen Interdizierten grundsätzlich gültig, wenn auch, von den besprochenen Ausnahmen abgesehen, unerlaubt wäre.57 Einen wesentlichen Unterschied zur Exkommunikation macht Wilhelm Rees deutlich, wenn er bemerkt: „Die mit dem Interdikt bestraften Gläubigen werden jedoch nicht aus der aktiven Kirchengemeinschaft ausgestoßen.“58 Alle mit einer Beugestrafe Belegten bleiben – durch die Taufe begründet und unwiderruflich – konstitutionelle Glieder der Kirche. Im Bereich der tätigen Gliedschaft ergeben sich jedoch Differenzierungen, weil (nur) der Exkommunizierte nicht mehr aktives, sondern bloß passives Glied ist. Am heilsmittlerischen Wirken der Kirche, das sich in Wort und Sakrament vollzieht, hat er entsprechend seiner durch die Exkommunikation grundlegend geminderten Rechtsstellung nur mehr in sehr engen Grenzen teil (vgl. c. 96 CIC/1983).59 Während durch die Exkommunikation auch die Rechte aller Gläubigen (cc. 208 – 223 CIC/1983) und jene der Laien (cc. 224 – 231 CIC/1983) ruhen, weil sie sinnvollerweise nur in der Communio stehend ausgeübt werden können,60 gibt die Stellung der Interdizierten dafür keinen Anlass. Das Interdikt schränkt eben nur die in c. 1332 CIC/1983 bzw. an anderen Stellen des Codex61 genannten Rechte im Gottesdienst ein. Dies alles führt dazu, dass das Interdikt einen wesentlich anderen Charakter hat als die Exkommunikation und sich der Unterschied nicht einfach im Umfang der Rechtswirkungen erschöpft. Die Suspension, die nur Kleriker treffen kann, entfaltet ihre Rechtswirkungen ausschließlich im Bereich der Weihe- und kirchlichen Leitungsgewalt und verbietet zudem die Ausübung aller oder einiger der mit einem Amt verbundenen Rechte oder Aufgaben (c. 1333 § 1 CIC/1983). Der Umfang wird gemäß c. 1334 § 1 CIC/ 57 Die einzige Ausnahme bildet die Trauung durch den interdizierten Ortsordinarius oder Ortspfarrer, die gemäß c. 1109 CIC ungültig wäre. 58 Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 88, vgl. ebd., S. 87 f., m. w. N. 59 Zur Unterscheidung von konstitutioneller und tätiger Gliedschaft vgl. grundlegend Klaus Mörsdorf, Die Kirchengliedschaft nach dem Recht der katholischen Kirche, in: HdbStKirchR1, 1. Bd., S. 615 – 634, erneut in: Ders., Schriften zum Kanonischen Recht. Hrsg. v. Winfried Aymans/Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz, Paderborn 1989, S. 148 – 167; vgl. auch Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 289 – 295; Nils Petrat, Wer gehört wirklich zur katholischen Kirche? Kirchenzugehörigkeit zwischen Kanonistik und Dogmatik (= Paderborner Theologische Studien 57), Paderborn 2018, S. 183 – 227. 60 Vgl. Rüdiger Althaus, Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR3, S. 268 – 288, hier S. 276. 61 Siehe dazu oben, III. 2.
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1983 entweder durch Gesetz oder Verwaltungsbefehl oder durch Strafurteil bzw. Strafdekret festgelegt. Im Hinblick auf Kleriker hat der Gesetzgeber erkannt, dass die Verhängung des Interdikts allein zu einem unbefriedigenden Ergebnis führt: sie sind zwar an den gottesdienstlichen Funktionen großteils gehindert, können aber Akte der Weihe- und vor allem Leitungsgewalt weiter setzen.62 Aus diesem Grund werden gelegentlich Interdikt und Suspension kombiniert (cc. 1370 § 2; 1390 § 1 CIC/1983). Dadurch kann auch für Kleriker jene umfassende Rechtsminderung erreicht werden, die eine Änderung des Verhaltens als Ziel der Beugestrafe herbeiführen soll. Festzuhalten ist, dass auch die Suspension nicht zum Verlust der aktiven Kirchengliedschaft führt und somit ein wesentlicher Unterschied auch dieser kombinierten Strafe zur Exkommunikation besteht. Problematisch ist allerdings, wenn im kirchlichen Gesetzbuch für das selbe Delikt für Laien das Interdikt und für Kleriker (allein) die Suspension angedroht werden (cc. 1378 § 2; 1394 §§ 1 – 2; möglicherweise auch c. 1380 CIC/1983). „Da der Kleriker eine höhere Verantwortung trägt, wäre nicht nur der Ersatz des Interdikts durch die Suspension angebracht, sondern die Verhängung der Suspension zusätzlich zum Interdikt, also eine Verschärfung der Sanktion.“63 Untersucht man die Tatbestände des Codex Iuris Canonici von 1983, für die der Eintritt bzw. die Verhängung des Interdikts vorgesehen ist, so ergibt sich kein einheitliches Bild.64 Die Anwendung physischer Gewalt gegen einen Bischof (c. 1370 § 2 CIC/1983), öffentliche Aufhetzung und Aufruf zum Ungehorsam gegen die kirchliche Autorität (c. 1373 CIC/1983) und Förderung bzw. Leitung kirchenfeindlicher Vereinigungen (c. 1374 CIC/1983) sind aus dem Titel über die Straftaten gegen die kirchlichen Autoritäten und die Freiheit der Kirche entnommen. Im oben angesprochenen Schema zur Reform des kirchlichen Strafrechts wird das Interdikt zudem als spezielle Zwangsmaßnahme angeführt, um die Rückgabe veruntreuten Kirchenguts oder eine angemessene Wiedergutmachung zu erreichen (c. 1378 § 2 Schema 2011). Die übrigen Delikte, die im CIC/1983 mit dem Interdikt sanktioniert werden, betreffen den gottesdienstlichen Bereich im weitesten Sinne: Simulation der Eucharistie durch Laien (c. 1378 § 2 n. 1 CIC/1983), ungültige Spendung des Bußsakraments (c. 1378 § 2 n. 2 CIC/1983), Spendung und Empfang eines Sakraments aufgrund von Simonie (c. 1380 CIC/1983), Falschanzeige eines Beichtvaters wegen angeblicher Verführung (c. 1390 § 1 CIC/1983) und versuchte Eheschließung eines laikalen Religiosen mit ewigen Gelübden (c. 1394 § 2 CIC/1983). Dafür scheint eine Strafe, die besonders im sakramentalen Bereich Wirkungen zeitigt, durchaus angemessen. Aufgrund des sakramentalen Charakters der kirchli62
Vgl. Scheuermann, Schema (Anm. 54), S. 22. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 217; vgl. ebd., S. 242, wo für die Fälle des cc. 1394 §§ 1 bzw. 2 CIC/1983 auf die wohl ungewollten Folgen hingewiesen wird: „Für den Mittäter bzw. die Mittäterin hat das die Konsequenz, dass im Falle der standesamtlichen Eheschließung mit einem Ordenskleriker eine Sanktion nur fakultativ zu verhängen ist, während die Eheschließung mit einem laikalen Religiosen mit ewigen Gelübden auch für den Mittäter die Tatsanktion des Interdikts nach sich zieht.“ 64 Vgl. dazu auch die Übersicht bei Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 493 – 496. 63
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chen Communio muss sich ein hartnäckiges gemeinschaftsstörendes Verhalten aber auch ganz allgemein im sakramentalen Bereich auswirken.65 Durch die Einschränkungen in diesem Kernbereich des kirchlichen Lebens kann dessen hoher Wert auch subjektiv wieder deutlich bewusst werden. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Beugestrafen wie des Interdikts ist freilich, dass der Täter die dadurch eingetretenen Rechtseinbußen tatsächlich als solche wahrnimmt und etwa den Ausschluss vom Gottesdienst nicht vielmehr „als angenehme Pflichtentlastung“66 versteht. Nur dann wird es in Folge der Strafe zu einem Umdenken des Täters, zum Ablassen von der Widersetzlichkeit (vgl. c. 1347 CIC/1983) kommen. Doch auch eine „Strafe, die beim Bestraften ihr Ziel verfehlt, kann bei anderen die Wirkung der Abschreckung besitzen.“67 Aus diesem Grund kann der Anspruch der Kirche, auf objektiv rechtswidrige Tatbestände zu reagieren, die zur Communio in schwer störender Weise im Widerspruch stehen,68 dennoch nicht aufgegeben werden.
VI. Schluss Im System des kirchlichen Strafrechts stellt das Interdikt als Sanktion für bestimmte schwere Straftaten einen bedeutsamen Baustein dar. Es stellt eine angemessene Reaktion der kirchlichen Gemeinschaft auf ein Fehlverhalten einzelner Gläubiger dar, durch das sie sich von dieser Communio entfernt haben. Das Interdikt bringt gerade keinen Ausschluss aus der aktiven Kirchengemeinschaft mit sich, wie dies bei der Exkommunikation der Fall wäre. Im Blick auf Kleriker als Täter scheint allerdings eine deutlichere Koppelung mit der Suspension angemessen, weil wohl nur so ein den Laien vergleichbares Ausmaß der Rechtseinschränkung erreicht werden kann. Mit seinen einschneidenden Wirkungen im gottesdienstlich-sakramentalen Bereich will das Interdikt als Beugestrafe oder Zensur die Besserung des Täters bewirken und ihm damit zu seinem Heil dienen, wie es auch die Bezeichnung als Medizinalstrafe (poena medicinalis) ausdrückt. Darüber hinaus ist das Interdikt auch ein wichtiges Instrument für die Ordnung und zur Leitung der Kirche und könnte in dieser Hinsicht an Bedeutung gewinnen, wenn die vorgesehene Flexibilisierung (vgl. c. 1332 § 2 Schema 2011) kommt.
65
Vgl. Ludger Müller, Warum und wozu kirchliche Sanktionen?, in: Ders./Alfred E. Hierold/Sabine Demel/Libero Gerosa/Peter Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= Kirchenrechtliche Bibliothek 9), Münster 2006, S. 183 – 202, hier S. 201. 66 Scheuermann, Erwägungen (Anm. 53), S. 406. 67 Rees, Strafgewalt (Anm. 2), S. 68; vgl. zu diesem Gedanken der generellen Prävention auch Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 85, sowie Klaus Lüdicke, Einl. vor c. 1311, Rdnrn. 13 – 24, in: MK CIC (Stand: April 1993). 68 Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 92.
Die „actio libera in causa“ im kirchlichen und weltlichen Strafrecht Eine Skizze zur Genese des c. 1325 CIC/1983 Von Martin Rehak „Nulla poena sine culpa“ lautet eine der grundlegenden Maximen des Strafrechts: Keine Strafe ohne Schuld, d. h. ohne zurechenbares (vorwerfbares) Verschulden.1 Es handelt sich hierbei um die Kurzfassung der im Anhang der Dekretalensammlung Bonifaz VIII. überlieferten Rechtsregel „Sine culpa, nisi subsit causa, non es aliquis puniendus“.2
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Vgl. dazu für den Bereich des kirchlichen Rechts Velasio de Paolis, De sanctionibus in Ecclesia. Adnotationes in codicem, liber VI, Rom 1986, S. 55 – 63; Helmuth Pree, Imputabilitas – Erwägungen zum Schuldbegriff des kanonischen Strafrechts, in: ÖAKR 38 (1989), S. 226 – 243, hier S. 235 – 238; Klaus Lüdicke, Einführung vor 1321, hier bes. Rdnrn. 1 – 3, 8 – 15, in: MK CIC. Für den Bereich des weltlichen Rechts vgl. etwa Walter Gropp, Strafrecht Allgemeiner Teil (Springer-Lehrbuch), Berlin/Heidelberg 42015, S. 117 f. u. 268 – 278; Volker Krey/Robert Esser, Deutsches Strafrecht. Allgemeiner Teil, Stuttgart 62016, S. 305 – 307 (Rdnrn. 687 – 692); ferner Arthur Kaufmann, Unrecht und Schuld beim Delikt der Volltrunkenheit, in: Juristenzeitung (JZ) 18 (1963), S. 425 – 433; Ders., Das Schuldprinzip. Eine strafrechtlich-rechtsphilosophische Untersuchung (= Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, NF 9), Heidelberg 21976; Heinrich A. Wolff, Der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ als Verfassungsrechtssatz, in: Archiv des öffentlichen Rechts 124 (1999), S. 55 – 86; Ulrich H. J. Körtner, Muss Strafe sein? Menschenbild und Strafrecht aus theologischer Sicht, in: ZEE 54 (2010), S. 105 – 120. Gegen Ansätze, das Schuldprinzip im Sinne ethischer Vorwerfbarkeit zu erodieren („Schuld als Begrenzung statt Begründung von Strafe“) und rein generalpräventiv zu begründen, verteidigt das Schuldprinzip mit überzeugenden Argumenten Winfried Hassemer, Alternativen zum Schuldprinzip?, in: Hans Michael Baumgartner/Albin Eser (Hrsg.), Schuld und Verantwortung. Philosophische und juristische Beiträge zur Zurechenbarkeit menschlichen Handelns, Tübingen 1983, S. 89 – 107, der S. 107 zusammenfasst: „Es gilt seine unverzichtbaren Aufgaben zu erklären und zu verteidigen: die Möglichkeit subjektiver Zurechnung, den Ausschluß einer Haftung für Zufall, die Unterscheidung und Bewertung von Stufen innerer Beteiligung an äußeren Geschehen und die Sicherung verhältnismäßiger Strafrechtsfolgen“. 2 Reg. iur. XXIII in VI8. Vgl. dazu auch Detlef Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 72007, S. 160 u. 220; Martin Rehak, Regulae iuris und allgemeine Rechtsprinzipien im kanonischen Recht, in: Thomas Schüller/Thomas Neumann (Hrsg.), Kirchenrecht im Dialog. Tagungsband zur Tagung des Instituts für Kanonisches Recht, 18.–20. Februar 2019 (= KuR Beihefte 2), Berlin 2020 (im Druck).
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Diese Maxime lässt sich dahingehend konkretisieren und ausdifferenzieren, dass die Strafe für eine Straftat der dadurch verwirkten Schuld angemessen sein muss; so dass Gründe, die die Schuld des Täters vermindern oder erhöhen, bei der Strafzumessung entsprechend zu berücksichtigen sind. Ist hingegen der Täter bei Begehung der Straftat schuldunfähig oder unzurechnungsfähig, so ist gemäß der Kurzfassung dieser Maxime an sich von einer Bestrafung des Täters abzusehen; oder es bedarf zumindest, wie die Langfassung andeutet, einer besonderen Begründung. Eine rechtspolitische und ethische Herausforderung für unsere Maxime stellen jene Fälle dar, in denen ein Straftäter in der Absicht (bzw. unter billigender Inkaufnahme der wahrscheinlichen Möglichkeit), im Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit (im Folgenden auch: Defektzustand) eine Straftat (Defekttat) zu begehen, zunächst selbst die eigene Schuldunfähigkeit bzw. verminderte Schuldfähigkeit schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, herbeiführt. Hier erhebt sich insbesondere die Frage, ob das Schuldprinzip im Sinne der „nulla poena sine culpa“-Maxime nach einer zeitlichen Koinzidenz oder Simultanität von Schuld und Tathandlung verlangt,3 oder ob auch der im Zeitpunkt der Tat objektiv schuldunfähige (bzw. nur vermindert schuldfähige) Täter wegen der Zurechenbarkeit eines ethisch und/oder strafrechtlich zu missbilligenden Vorverhaltens – nämlich dem Herbeiführen der eigenen Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit – für die in diesem Zustand begangene Tat zur strafrechtlichen Verantwortung gezogen werden kann. In der zeitgenössischen weltlichen Strafrechtswissenschaft wird dieses Problem unter dem Stichwort „actio libera in causa“ (a.l.i.c.) kontrovers diskutiert. Das kodikarische Strafrecht enthält – ebenso wie einige ausländische weltliche Rechtsordnungen4 – hierzu in c. 1325 CIC/1983 eine ausdrückliche Regelung.5 Der folgende 3
Zum so genannten Koinzidenzprinzip vgl. Ulfrid Neumann, Neue Entwicklungen im Bereich der Argumentationsmuster zur Begründung oder zum Ausschluß strafrechtlicher Verantwortlichkeit, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW) 99 (1987), S. 567 – 594, hier S. 574 – 587; Joachim Hruschka, Probleme der actio libera in causa heute, in: Juristenzeitung (JZ) 44 (1989), S. 310 – 316, hier S. 315 f.; Günter Jerouschek, Die Rechtsfigur der actio libera in causa: Allgemeines Zurechnungsprinzip oder verfassungswidrige Strafbarkeitskonstruktion?, in: Juristische Schulung (JuS) 37 (1997), S. 385 – 389; Ders./ Ralf Kölbel, Zur Bedeutung des so genannten Koinzidenzprinzips im Strafrecht, in: JuS 41 (2001), S. 417 – 424; Franz Streng, Wie weit reicht das Koinzidenzprinzip? Aspekte des Zusammenhangs von Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, in: Christian Fahl/ Eckhart Müller/Helmut Satzger/Sabine Swoboda (Hrsg.), Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2015, S. 313 – 325; Wolfgang Schild, § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen, in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Bd. 1, Baden-Baden 52017, S. 940 – 1021, hier S. 1016 – 1020. 4 Vgl. z. B. Art. 87 Codice penale (Italien); § 81 Abs. 2 StGB (Österreich); Art. 31 § 3 StGB (Polen); Art. 20 Abs. 3 Código penal (Portugal); Art. 19 Abs. 4 StGB (Schweiz); Art. 20 Nr. 2 Codigo penal (Spanien). Eine rechtsvergleichende Analyse dieser Regelungen ist im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht möglich. 5 Den Begriff „actio libera in causa“ verwenden bezüglich c. 1325 CIC/1983 (nur) René Pahud de Montanges, Das Schuldprinzip im CIC, in: Ludger Müller/Alfred E. Hierold/Sabine
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Beitrag möchte die Entstehung des Konzepts der „actio libera in causa“ im kirchlichen und weltlichen Strafrecht beleuchten und die rechtsgeschichtlichen Entwicklungslinien skizzieren, welche zum heutigen c. 1325 CIC/1983 geführt haben.
I. Die Lösungsansätze zur Schuldzurechnung bei Defektzuständen im geltenden Recht 1. Die Rechtsfigur der „actio libera in causa“ im deutschen Recht In Anwendung des Schuldprinzips wird im deutschen Strafrecht der Vorwurf schuldhaften Handelns grundsätzlich nur dann erhoben,6 wenn der Täter schuldfähig war, d. h. „bei Begehung der Tat“ (§ 20 StGB) das Unrecht der Tat einsehen konnte und nach dieser Einsicht anders hätte handeln können. Fehlen Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit, so gilt der Täter als schuldunfähig (vgl. § 20 StGB); sind sie erheblich vermindert, so ist entsprechend auch die Schuldfähigkeit vermindert (vgl. § 21 StGB). Vor diesem Hintergrund spielt in der deutschen Strafrechtswissenschaft in der Diskussion um die actio libera in causa – neben der Frage nach Existenz und Bedeutung eines etwaigen Koinzidenzprinzips, so dass es also für die Bestrafung nur auf die im Zeitpunkt der Tathandlung vorwerfbare Schuld ankommt –, der Umstand eine zentrale Rolle, dass diese Rechtsfigur nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist, sondern lediglich von der Lehre und der Rechtsprechung7 tradiert wird. Dabei Demel/Libero Gerosa/Peter Krämer (Hrsg.), „Strafrecht“ in einer Kirche der Liebe. Notwendigkeit oder Widerspruch? (= Kirchenrechtliche Bibliothek 9), Berlin 2006, S. 77 – 86, hier S. 78; Klaus Lüdicke, Einführung vor 1321, Rdnrn. 12 – 13, 15; c. 1325, Rdnr. 5, in: MK CIC. 6 Als Schuldformen kennt das deutsche Strafrecht Vorsatz und Fahrlässigkeit, was sich auf die Rechtsfigur der a.l.i.c. übertragen lässt. Im Falle einer vorsätzlichen a.l.i.c. wären sowohl die Herbeiführung des Defektzustands als auch die Defekttat vom Vorsatz umfasst. Im Falle einer fahrlässigen a.l.i.c. wäre jeweils der Vorwurf der Fahrlässigkeit zu erheben. Nach herrschender Meinung bedarf es im Rahmen der Strafbarkeit von Fahrlässigkeitsdelikten indes keines Rückgriffs auf die Lehre von der a.l.i.c., wenn und weil bereits die Herbeiführung des Defektzustands als vorwerfbare Pflichtwidrigkeit im Sinne der Lehre von der Fahrlässigkeitsschuld aufgefasst werden kann. 7 Die deutsche Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, nimmt eine differenzierte Haltung zur Verschuldenszurechnung nach den Grundsätzen einer a.l.i.c. ein. In Bezug auf Fahrlässigkeitsdelikte und bei reinen Tätigkeitsdelikten, insbesondere Verkehrsstrafsachen, wird ein Rückgriff auf diese Rechtsfigur (in Abkehr von älterer Judikatur) abgelehnt, vgl. BGH, Urteil v. 22. 08. 1996, Az.: 4 StR 217/96, in: BGHSt 42, 235 – 243 = Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 50 (1997), S. 138 – 141 = Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 17 (1997), S. 228 – 230; dazu Kai Ambos, Der Anfang vom Ende der actio libera in causa?, in: NJW 50 (1997), S. 2296 – 2298. Dagegen wird in anderen Fallkonstellationen an der Rechtsfigur der a.l.i.c. festgehalten, vgl. BGH, Beschluss vom 19. 02. 1997, Az.: 3 StR 632/96, in: NStZ 17 (1997), S. 230 – 232; BGH, Beschluss v. 07. 06. 2000, Az.: 2 StR 135/00, in: NStZ 20 (2000), S. 584 f.; zustimmend Franz Streng, Actio libera in causa und verminderte Schuldfähigkeit – BGH, NStZ 2000, 583,
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kommt erschwerend hinzu, dass das deutsche Strafrecht mit § 323a StGB den Straftatbestand des Vollrauschs kennt – dessen gesetzliches Höchststrafmaß von fünf Jahren Freiheitsstrafe indes für jene Fälle, in denen es sich bei der Rauschtat um ein Schwerverbrechen handelt, von den Befürwortern der actio libera in causa als nicht mehr schuldangemessen angesehen wird. Die Gegner der actio libera in causa bestreiten daher vor allem die Vereinbarkeit jener Rechtsfigur mit der anerkannten weiteren strafrechtlichen Maxime „nulla poena sine lege (scripta) – keine Strafe ohne (schriftliches) Strafgesetz“,8 und weisen eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa als verfassungswidrig zurück.9 Unter den Befürwortern einer Strafbarkeit in Fällen schuldhaft herbeigeführter Schuldunfähigkeit bzw. verminderter Schuldfähigkeit werden unterschiedliche Begründungsansätze vertreten.10
in: JuS 41 (2001), S. 540 – 545; BGH, Beschluss v. 13. 09. 2001, Az.: 331/01, in: NStZ 22 (2002), S. 28. 8 Vgl. dazu Liebs, Rechtsregeln (wie Anm. 2), S. 160. Zur neuzeitlichen Rechtsgeschichte vgl. Hans-Ludwig Schreiber, Gesetz und Richter. Zur geschichtlichen Entwicklung des Satzes nullum crimen, nulla poena sine lege, Frankfurt a. M. 1976; Volker Krey, Keine Strafe ohne Gesetz. Einführung in die Dogmengeschichte des Satzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“, Berlin/New York 1983. Zur Vereinbarkeit des Satzes mit der a.l.i.c. vgl. Burkhard Jähnke, Zur Frage der Geltung des „nullum-crimen-Satzes“ im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, in: Karlmann Geiß/Kay Nehm/Hans Erich Brandner/Horst Hagen (Hrsg.), Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, Köln u. a. 2000, S. 393 – 407, hier S. 403 – 405. 9 Vgl. etwa Eckhard Horn, Actio libera in causa – eine notwendige, eine zulässige Rechtsfigur?, in: Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (GA) 116 (1969), S. 289 – 306; Michael Hettinger, Die „actio libera in causa“: Strafbarkeit wegen Begehungstat trotz Schuldunfähigkeit? Eine historisch-dogmatische Untersuchung (= Schriften zum Strafrecht 76), Berlin 1988, S. 436 – 465; Hannskarl Salger/Norbert Mutzbauer, Die actio libera in causa – eine rechtswidrige Rechtsfigur, in: NStZ 13 (1993), S. 561 – 565; Dorothee Sydow, Die actio libera in causa nach dem Rechtsprechungswandel des Bundesgerichtshofs (= Schriften zum Strafrecht und Strafprozeßrecht 59), Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 78 – 164. 10 Für einen Gesamtüberblick vgl. statt anderer Franz Streng, „actio libera in causa und Vollrauschstrafbarkeit – rechtspolitische Perspektiven, in: JZ 55 (2000), S. 20 – 27; Ders., § 20, in: Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 1. Bd., München 32017, S. 952 – 1045, hier S. 1016 – 1029 (Rdnrn. 114 – 150); HansUllrich Paeffgen, Vorbermerkungen zu § 232 a: Die actio libera in causa, in: Kindhäuser/ Neumann/ders. (Hrsg.), Strafgesetzbuch (wie Anm. 3), Bd. 3, S. 1809 – 1841. Nach der Vorverlagerungstheorie („Tatbestandsmodell“) soll bereits das Herbeiführen des Defektzustands als Tathandlung gelten; vgl. dazu statt anderer Eberhard Schmidhäuser, Die actio libera in causa: ein symptomatisches Problem der deutschen Strafrechtswissenschaft, Hamburg 1992; Ellen Schlüchter, Zur vorsätzlichen actio libera in causa bei Erfolgsdelikten, in: Thomas Weigend/Georg Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag am 11. April 1999, Berlin/News York 1999, S. 345 – 361. Diese Theorie kann nur bei reinen Erfolgsdelikten, nicht jedoch bei so genannten Tätigkeitsdelikten funktionieren. Problematisch ist der Wertungswiderspruch, der sich aus der Hochstufung einer Vorbereitungshandlung zum Ansetzen zur Tat ergibt.
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2. Die Konzeption des kanonischen Strafrechts Anders sind insoweit die Gegebenheiten im kanonischen Strafrecht. Es folgt im Grundsatz gleichfalls dem Schuldprinzip (vgl. c. 1321 CIC/1983),11 und kennt demgemäß auch Strafausschließungsgründe (vgl. cc. 1322, 1323 CIC/1983) sowie Strafmilderungsgründe (vgl. c. 1324 CIC/1983) ebenso wie Strafverschärfungsgründe (vgl. c. 1326 CIC/1983).12 Darüber hinaus wird jedoch der im weltlichen Strafrecht unter dem Stichwort der actio libera in causa verhandelte Sachverhalt ausdrücklich in c. 1325 CIC/1983 angesprochen. Den Normen der cc. 1323, 1324 CIC/1983 wird die Anwendbarkeit u. a. in jenen Fällen versagt, in denen der Täter seine Trunkenheit oder eine andere Geistestrübung final in der bösen Absicht herbeigeführt hat, die Straftat zu begehen oder zu entschuldigen.13 Umgekehrt ist dem geltenden kanonischen Recht ein dem § 323a StGB vergleichbarer Straftatbestand fremd. Eine Variante der Vorverlagerungstheorie stellt die Ausdehnungstheorie dar, gemäß welcher für die Schuldprüfung nicht der Zeitpunkt der Deliktsbegehung, sondern der Zeitpunkt der Herbeiführung des Defekts maßgeblich sein soll; vgl. dazu Streng, Schuldfähigkeit (wie Anm. 7). Eine andere Ausprägung des Tatbestandsmodells ist die Werkzeugtheorie, bei der sich der Täter im schuldfähigen Zustand selbst zum späteren Werkzeug der Tatausführung macht und so die Tat in mittelbarer Täterschaft begeht; vgl. dazu statt anderer Claus Roxin, Bemerkungen zur actio libera in causa, in: Wilfried Küper (Hrsg.), Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag am 18. Februar 1987, Berlin/New York 1987, S. 307 – 323; Wolfgang Mitsch, Actio libera in causa und mittelbare Täterschaft, in: Michael Hettinger u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2007, S. 347 – 361; Dennis Dold, Die actio libera in causa als Sonderfall der mittelbaren Täterschaft, in: GA 155 (2008), S. 427 – 441. Nach der Ausnahmetheorie soll es in Fällen der a.l.i.c. eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme von den Normen der §§ 20, 21 StGB geben; vgl. dazu Joachim Hruschka, Der Begriff der actio libera in causa und die Begründung ihrer Strafbarkeit – BGHSt. 21,381, in: Juristische Schulung 8 (1968), S. 554 – 559. 11 Vgl. oben Anm. 1. Bezüglich der Systematik und Rechtssprache des kodikarischen Rechts sei darauf hingewiesen, dass gemäß c. 1321 CIC/1983 unter den Oberbegriff der Zurechenbarkeit (imputabilitas) die zwei Schuldformen des Vorsatzes („dolus“) und der Fahrlässigkeit (culpa) subsumiert werden. Sehr kritisch zur gesetzgeberischen Differenzierung zwischen graviter imputabilis (c. 1321 § 1 CIC/1983) und schlichter „imputabilitas“ (c. 1321 § 3 CIC/1983) sowie zum im Hintergrund stehenden Konzept der „imputabilitas moralis“ (c. 2195 § 1 CIC/1917) sowie der Vermengung von forum internum und forum externum bzw. via paenitentialis und via poenalis äußerte sich Pree, Imputabilitas (wie Anm. 1). 12 Vgl. für einen summarischen Überblick Wilhelm Rees, Straftat und Strafe, in: HdbKathKR3, S. 1591 – 1614, hier bes. S. 1594 – 1596; Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 112 – 124. 13 Vgl. c. 1325 CIC/1983: „Ignorantia crassa vel supina vel affectata numquam considerari potest in applicandis praescriptis cann. 1323 et 1324; item ebrietas aliave mentis perturbationes, si sint de industria ad delictum patrandum vel excusandum quaesitae, et passio, quae voluntarie excitata vel nutrita sit“. Als gemeinsamen Nenner der drei hier zusammengestellten Themen benennt Ángel Marzoa, c. 1325, in: Commentario exegetico, Bd. IV/1, S. 325 f., hier S. 325, zutreffend „la peculiar voluntariedad“, wie sie in den Wendungen „crassa vel supina vel affectata“, „de industria“ und „voluntarie excitata vel nutrita“ zum Ausdruck kommt.
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II. Probleme der Schuldzurechnung im decretum Gratiani und bei den Dekretisten In seiner Concordia discordantium canonum (decretum Gratiani) geht Magister Gratian in der Causa XV als erstes der Frage nach, ob das, was ohne klaren Verstand (mente alienata) geschieht, dem Handelnden zugerechnet werden kann.14 In der Diskussion dieser Frage hebt der Meister in seinem dictum vor C. 15 q. 1 c. 1 im Anschluss an Augustinus vor allem die Bedeutung des freien Willens hervor.15 Im Widerspruch hierzu lehrte jedoch ein Kanon der Synode von Worms (868), dass auch den geistesgestörten Täter eine – wenn auch mildere – Bestrafung ereilen müsse:16 Nach Stephan Kuttner haben hier germanische Rechtsanschauungen, näherhin das Konzept „der Erfolgshaftung, mit nur dem Grade nach von der Willenshaftung unterschiedenen Rechtsfolgen,“17 das kanonische Recht beeinflusst. Eine eventuelle Harmonisierbarkeit mit dem Konzept der Haftung nur für eigene, willentliche Schuld sah Magister Gratian darin, dass die Erfolgshaftung den geisteskranken Täter nur dann treffen solle, wenn er seine Geistesstörung durch eigene Schuld herbeigeführt hätte.18 In der nach Gratian aufblühenden Kirchenrechtswissenschaft haben sodann u. a. Rolandus, Rufin, Stephan von Tournai, Johannes Faventinus und der Verfasser der Summa Coloniensis diesen Gedanken zur Lehre von der culpa praecedens weiterentwickelt.19 Dagegen hat Huguccio die Ansicht vertreten, dass im Falle einer mens alie14
Vgl. C. 15 pr.: „Queritur autem, an ea, quae mente alienata fiunt, sint imputanda?“ C. 15 q. 1 § 1: „Ex voluntate itaque peccata procedunt, quae libero mentis arbitrio et deliquendi proposito committuntur.“ 16 Von Gratian rezipiert in C. 15 q. 1 c. 12: „Si quis insaniens aliquem occiderit, si ad sanam mentem pervenerit, levior ei penitentia iniungenda est.“ 17 Stephan Kuttner, Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX. (= Studi e Testi 64), Vatikanstadt 1935, S. 103. 18 Vgl. dictum Gratiani post C. 15 q. 1 c. 15: „Sed hoc forte de eo intelligitur, quem propria culpa ad furorem perduxit.“ 19 Vgl. Kuttner, Schuldlehre (wie Anm. 17), S. 104 – 106. Das Konzept einer culpa praecedens entstammt dem sich an D. 6 c. 1 anschließenden Diskurs, ob unbewusste nächtliche sexuelle Aktivitäten dem Schlafenden zugerechnet werden können oder nicht, vgl. dazu Michael Müller, Ethik und Recht in der Lehre von der Verantwortlichkeit. Ein Längsschnitt durch die Geschichte der katholischen Moraltheologie, Regensburg 1932, S. 89 – 98 u. 151 – 161; Kuttner, Schuldlehre (wie Anm. 17), S. 110 – 116. Dabei hat sich vor allem Huguccio als entschiedener Gegner dieses Konzepts profiliert, vgl. Müller, Verantwortlichkeit, S. 96, demzufolge Huguccio den Grundsatz „quod dormiendo non peccat quis (dt.: Wer schläft, sündigt nicht)“ geprägt hat. Ähnlich wurde bereits in frühmittelalterlichen Bußbüchern und bei Peter Abaelard die Strafbarkeit jener Eltern erörtert, die schlafend ihr im selben Bett liegendes Kind erdrücken oder ersticken, vgl. Müller, Verantwortlichkeit, S. 65 f.; Kuttner, Schuldlehre (wie Anm. 20), S. 116 – 119. Diese Fallkonstellation bot später Clemens III. mit der Dekretale Quaesitum (X 5.38.7) die Gelegenheit, die Fallgruppen des vorsätzlichen (procurans) und grob fahrlässigen (studiose negligens) Herbeiführens des Todes des Kindes einerseits, des einfach fahrlässigen (ex incuria) Verschuldens andererseits zu unterscheiden und eine bloße 15
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nata die Tat dem Täter nie zugerechnet werden könne, egal ob der Täter den entschuldigenden bzw. schuldmindernden Geisteszustand selbst schuldhaft herbeigeführt hat oder nicht.20 Diese Auffassung hat sich in der Folge in der Dekretistik durchgesetzt und wurde sowohl von Laurentius Hispanus in der Glossa Palatina als auch von Johannes Teutonicus in der Glossa Ordinaria übernommen.21 Eine Strafbarkeit des schuldunfähigen Täters wurde jedoch aufgrund generalpräventiver Erwägungen verteidigt.22 Was nun die Strafbarkeit Betrunkener anbelangt, so hatten sich in der patristischen Literatur sowohl Ambrosius als auch Augustinus in ihren Betrachtungen zu Gen 19,31 – 36, wo der inzestuöse Verkehr der Töchter Loths mit ihrem Vater geschildert wird, dafür ausgesprochen, einen betrunkenen Straftäter milder, d. h. gleichsam nur wegen Fahrlässigkeit (levitas) zu bestrafen; also im gegebenen Beispiel den Loth nicht wegen Inzests, sondern wegen Trunkenheit.23 Beide Quellenstücke sind von Magister Gratian als C. 15 q. 1 c. 7 bzw. C. 15 q. 1 c. 9 in seine Sammlung des kirchlichen Rechtsstoffs aufgenommen worden. In der kanonistischen Erörterung dieser Quellenstücke unterschieden die Dekretisten danach, ob die Trunkenheit dazu führt, dass der Täter überhaupt nicht mehr weiß, was er tut („nescit quod agat“); oder nur dazu, dass er aufgrund einer Trübung des Bewusstseins nicht mehr alle strafrechtlichen relevanten Einzelheiten seines Tuns wahrnimmt („sentit et intellegit, licet minus discrete“).24 Im ersten Fall sollte die Tat dem Täter nicht mehr zurechenbar sein, im zweiten Fall hingegen (und so auch im Beispiel des Loth) eine gemilderte Schuld vorliegen. Hinsichtlich der Begründung der Strafbarkeit – wegen der Rauschtat (in Verbindung mit einer culpa praecedens); wegen der Trunkenheit (in Verbindung mit einer Erfolgshaftung); oder wegen beidem? – wurden in der Dekretistik unterschiedliche Auffassungen ver-
Verdachtsstrafe bzw. schlichte Erfolgshaftung abzulehnen. Vgl. Kuttner, Schuldlehre (wie Anm. 20), S. 117 f. 20 Vgl. Huguccio, Summa decretorum, ad C. 15 q. 1 pr., hier zitiert nach Kuttner, Schuldlehre (Anm. 12), S. 107 mit Anm. 2: „et indistincte dico, quod non [sint imputanda], dummodo ita sit mens alienata, quod homo nesciat (…) quid agat. (…) nec recipio illam distinctionem, sc. an sua culpa quis devenerit in talem alienationem vel non: (…)“. 21 Vgl. Kuttner, Schuldlehre (Anm. 12), S. 108 f. 22 Vgl. Kuttner, Schuldlehre (Anm. 12), S. 109 f., der hier den nachwirkenden Einfluss der Schuldlehre Peter Abaelards vermutet. 23 Ambrosius Mediolanensis, Abr I,6,57 (= Franco Gori [Hrsg.], Sant’Ambrogio. Opere esegetiche II/II: Abramo, Mailand/Rom 1984, hier S. 90 u. 92): „Sane discimus vitandam ebrietatem, per quam crimina cavere non possumus (…). Ideoque si qua per vinum deliquerint, apud sapientes judices venia quidem facta donantur, sed levitatis notantur auctores“. Augustinus, contra Faustum XXII,44 (ed. Josef Zycha, CSEL 25/1, S. 636): „(…) inebriaverunt eum [sc.: Loth filiae eius] et se nescienti miscuerunt. Quapropter culpandus est quidem, non tamen quantum ille incestus, sed quantum illa meretur ebrietas“. 24 Vgl. Kuttner, Schuldlehre (Anm. 12), S. 119 – 121; die lateinischen Zitate aus der dort abgedruckten Kommentierung Huguccios ad C. 15 q. 1 c. 7 bzw. c. 9.
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treten,25 wobei sich am Ende der Epoche mit Huguccio und Johannes Teutonicus jene Ansicht durchsetzte, die im Anschluss an Ambrosius und Augustinus die Trunkenheit selbst als Grund der Strafbarkeit ansah. Die ebenfalls von Huguccio und Johannes Teutonicus vorgelegte Unterscheidung des „nescire“ nach vier Objekten des Irrtums (Verbotsirrtum, Eigenschaftsirrtum, Irrtum über Kausalverlauf, fehlendes Bewusstsein) hatte „die Möglichkeit eines Systems der gesamten Zurechnungslehre, einer einheitlichen Betrachtung aller Teilgebiete des Schuldproblems enthalten“26, wurde jedoch tatsächlich nicht für eine entsprechende Systembildung genutzt. In der als liber extra bekannten, im Jahre 1234 promulgierten Dekretalensammlung Gregors IX. sind, soweit ersichtlich, keine Dekretalen aufgenommen, in denen die Problematik der (verminderten) Schuldfähigkeit infolge einer Störung von Verstand und Bewusstsein eine Rolle spielte. Dies scheint – zusammen mit dem prägenden Einfluss des Thomas von Aquin auf die kirchliche Morallehre – dazu beigetragen zu haben, dass sich in späteren Jahrhunderten die Erörterung der Thematik von der Kanonistik zur Moraltheologie verlagert hat.
III. Probleme der Schuldzurechnung in der Aristoteles-Rezeption der Hochscholastik und der neuzeitlichen Moraltheologie In seiner Nikomachischen Ethik hatte Aristoteles zur Frage der Zurechnung ausgeführt,27 dass grundsätzlich der Mensch selbst der Ursprung seiner Handlungen sei, 25 Vgl. Kuttner, Schuldlehre (Anm. 12), S. 123 f.; für Strafbarkeit wegen der Rauschtat: Stephan von Tournai, Johannes Faventinus; für Strafbarkeit wegen Trunkenheit: Simon von Bisignano, Summa Lipsiensis, Huguccio, Johannes Teutonicus. Auf anonym bleibende Vertreter für eine doppelte Strafbarkeit weist Johannes Teutonicus hin; hier könnte an die Summa Lipsienis, ad C. 15 q. 1 c. 9 (vgl. Peter Landau/Waltraud Kozur/Katrin Miethaner-Vent (Hrsg.), Summa ,omnis qui iuste iudicat‘ sive Lipsiensis [= Monumenta Iuris Canonici A 7], Bd. 3, Vatikanstadt 2014, S. 172: „sed lex dicit, quia debitum non minuit delictum, item qui ex pluribus peccant plus peccant“), sowie an Magister Honorius zu denken sein, der sowohl in seiner Dekretsumme zu C. 15 q. 1 c. 9 (vgl. Peter Landau/Waltraud Kozur (Hrsg.), Magistri Honorii Summa ,De iure canonico tractaturus‘, Bd. 2, Vatikanstadt 2010, hier S. 231) als auch in seiner Quästionensumme, dort D. 1 tit. 8 q. 2, an Dig. 47.1.2 („neque enim delictum ob aliud delictum minuit poenam“) erinnert und in der Quästionensumme, D. 1 tit. 8 q. 2, am Ende ebenfalls aus D. 13 c. 1 folgert: „qui ex pluribus delinquit, plus delinquit“. Frau Waltraud Kozur und Herrn Niels Becker, den Editoren der Quästionensumme, sei für die freundliche Vorabmitteilung des Editionstextes gedankt. 26 Kuttner, Schuldlehre (Anm. 12), S. 179; zu den besagten Distinktionen vgl. ebd., S. 175 – 179. 27 Vgl. zum Folgenden Aristoteles, Nikomachische Ethik III, 7 (= Olof Gigon/Rainer Nickel (Hrsg.), Aristoteles. Nikomachische Ethik (= Sammlung Tusculum), Düsseldorf 22007, S. 108 – 115, hier bes. S. 109 u. 111; dazu ausführlich Richard Loening, Geschichte der strafrechtlichen Zurechnungslehre. Die Zurechnungslehre des Aristoteles, Jena 1903, S. 130 – 245; ferner Klaus Ebel, Die strafrechtliche Bewertung der Trunkenheitsdelikte in der italienischen Wissenschaft bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert. Studien zur Rezeption kanonis-
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so dass also diese, sofern sie auf keinen anderen Ursprung zurückgeführt werden können, als freiwillig anzusehen seien; umgekehrt werde üblicherweise derjenige nicht bestraft, der schuldlos unwissend ist; soweit es aber Unwissenheit infolge Trunkenheit oder infolge Nachlässigkeit anbelangt, strafe man durchaus, denn in einem solchen Fall wäre die Unwissenheit ja selbstverschuldet. In diesem Zusammenhang erinnerte Aristoteles an das Gesetz des Pittakos von Mytilene aus dem 6. Jh. v. Chr., wonach angesichts der enthemmenden Wirkung des Alkohols, also aus Gründen der Generalprävention, Betrunkene doppelt so hart bestraft werden sollten wie Nüchterne. An der Interpretation dieser Stelle scheiden sich die Geister. Während Richard Loening hier die Anfänge der actio libera in causa erkannte,28 lehnen andere Autoren ein solches Verständnis als verfehlt ab.29 Ins Grundsätzliche geht dagegen die Kritik von Michael Müller; Aristoteles habe sich volkstümlichen Anschauungen gebeugt und so zugegeben, dass schon die Tatsache, dass jemand Ursache seiner Unkenntnis ist, genügen müsse, um ihn für sämtliche sich hieraus ergebenden Folgen verantwortlich zu machen: „Vom sittlichen Standpunkt aus aber kann die Frage in dieser Allgemeinheit nicht bejaht werden. Denn ist der Wille der einzige ethische Werte bildende Faktor und steht andererseits fest, daß der Wille doch nur erstreben kann, was ihm der Verstand als Objekt darbietet, so ist klar, daß Unbekanntes unmöglich begehrt sein kann. Die Behauptung, dass etwas Unbewußtes gewollt sei, enthält also einen Widerspruch in sich.“30
tisch-scholastischen Gedankenguts durch das weltliche Strafrecht im speziellen Bereich der Trunkenheitsdelikte, Marburg (Univ.-Diss.) 1968, S. 32 – 38; Pascal Gläser, Zurechnung bei Thomas von Aquin. Eine historisch-systematische Untersuchung mit Bezug auf das aktuelle deutsche Strafrecht (= Symposion 124), Freiburg i. Br./München 2005, S. 88 – 94 u. 177 – 186; Christoph Rapp, Freiwilligkeit, Entscheidung und Verantwortlichkeit (III 1 – 7), in: Otfried Höppe (Hrsg.), Aristoteles. Nikomachische Ethik (Klassiker Auslegen 2), Berlin 32010, S. 109 – 133, hier S. 127 – 133; Ursula Wolf, Aristoteles ,Nikomachische Ethik‘, Darmstadt 3 2013, S. 134 – 139; Ulrich Kinzler, Rechtliche Argumentationsfiguren in der Nikomachischen Ethik. Gerechtigkeit des Rechts als minimales, starkes Konzept (= Studien zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie 65), Baden-Baden 2016, S. 246 – 259. 28 Vgl. Loening, Geschichte (Anm. 27), S. 234; zustimmend Joachim Hruschka, Der Einfluß des Aristoteles und der Aristoteles-Rezeptionen auf die Bildung heutiger Rechtsbegriffe am Beispiel der „actio libera in causa“, in: Heinrich de Wall/Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2003, S. 687 – 704, hier S. 691, der ausdrücklich darauf hinweist, dass Aristoteles im Rahmen seiner Prämissen dann auch die Rauschtat als vom freien Willen getragene bejahen muss, weil anders eine Bestrafung doch nicht zu rechtfertigen wäre; Kinzler, Argumentationsfiguren (Anm. 27), S. 248 – 251. 29 Vgl. Ebel, Bewertung (Anm. 27), S. 36 f.; Hettinger, Untersuchung (Anm. 9), S. 61 f.; Gläser, Zurechnung (Anm. 27), S. 185 f., für den stattdessen feststeht, „daß schon Thomas von Aquin die Zurechnung im Sinn der heutigen a.l.i.c. kennt, wenn auch nicht unter diesem Namen“ (S. 193). 30 Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 174.
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Thomas von Aquin hat sowohl in seinem Sentenzenkommentar, als auch in seiner 1260 verfassten Einleitung zur Nikomachischen Ethik, sowie zuletzt in seiner theologischen Summe das Problem der Unwissenheit des Täters näher analysiert.31 Während im Allgemeinen Unwissenheit zu Unfreiwilligkeit führt, gelte – so Thomas – dies dann nicht, wenn der Täter selbst die Ursache der Unwissenheit ist, d. h. mit anderen Worten: wenn die Unwissenheit auf Freiwilligkeit beruht.32 Dabei unterscheidet Thomas zwischen einer direkt freiwilligen Unwissenheit (ignorantia affectata)33 und einer indirekt freiwilligen Unwissenheit.34 Die indirekte Unwissenheit begegnet entweder als absichtslos auf Fahrlässigkeit und Pflichtverletzung beruhende Unwissenheit (ignorantia negligentiae)35 oder als auf freiwilligem Vorverhalten beruhende Unwissenheit (ignorantia per accidens)36. Soweit es die Strafbarkeit des Rauschtäters anbelangt, vertritt Thomas die Auffassung, dass die rauschbedingte ignorantia regelmäßig als ignorantia per accidens die Schuld (peccatum) des Täters mindert.37 Zugleich sieht er das Problem, dass ein Täter die Unwissenheit direkt und willentlich anstreben könnte, um in diesem Zustand leichter zu sündigen; in diesem Fall scheint es Thomas so zu sein, dass eine solche Unwissenheit die Schuld erhöht.38 Das Problem, ob eine unter dem Einfluss einer Leidenschaft oder Trunkenheit begangene Handlung, bei der der Vernunftgebrauch vollständig ausgeschaltet ist, als freiwillig oder unfreiwillig zu klassifizieren sei, führt Thomas einer differenzierten Antwort zu. Er unterscheidet zwischen jenem Handeln, das „voluntarium secundum se“ ist; und jenem, das „voluntarium secundum suam causam“ ist.39 Der zweite Fall, d. h. eine Freiwilligkeit im Hinblick auf die Ursache, sei beispielsweise dann gegeben, wenn sich jemand freiwillig betrinkt. In einem solchen Fall sei ihm eine spätere Rauschtat als „quasi voluntarium“, d. h. 31 Zum Gesamtkontext der Zurechnungslehre des Aquinaten vgl. ausführlich Gläser, Zurechnung (Anm. 27). 32 Vgl. Thomas Aquinatus, S.Th. I/II, q. 76 art. 3 co.; art. 4 co. 33 Für Thomas ist die ignorantia affectata regelmäßig durch den Wunsch motiviert, sich einen Entschuldigungsgrund zu verschaffen, vgl. eingehend Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 177 – 179. 34 Vgl. Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 170 – 184; Joachim Hruschka, Conscientia erronea und ignorantia bei Thomas von Aquin, in: Günter Stratenwerth u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag, Berlin/New York 1974, S. 115 – 149, hier S. 137 – 146; Ders., Einfluß (wie Anm. 28), S. 692 – 694. 35 Vgl. dazu Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 179 – 181. 36 Vgl. dazu Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 181 – 184. 37 Vgl. Thomas Aquinatus, S.Th. I/II, q. 76 art. 4 co. 38 Vgl. Thomas Aquinatus, S.Th. I/II, q. 76 art. 4 co.: „Contingit autem quandoque quod talis ignorantia directe et per se est voluntaria, sicut cum aliquis sua sponte nescit aliquid, ut liberius peccet. Et talis ignorantia videtur augere voluntarium et peccatum (…)“. 39 Vgl. Thomas Aquinatus, S.Th. I/II, q. 77 art. 7 co.: „(…) aliquid potest esse voluntarium vel secundum se, sicut quando voluntas directe in ipsum fertur, vel secundum suam causam, quando voluntas fertur in causam et non in effectum, ut patet in eo qui voluntarie inebriatur; ex hoc enim quasi voluntarium ei imputatur quod per ebrietatem committit.“
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wie eine freiwillige zuzurechnen. Daher folgt Thomas hinsichtlich Trunkenheit zwar einerseits dem aristotelischen Ansatz einer doppelten Strafbarkeit,40 kommt jedoch in der Bewertung schließlich zu einer Unterscheidung zwischen dem actus praecedens und dem defectus consequens,41 und tradiert dabei die aus der Kanonistik stammende Idee einer culpa praecedens. In der neuzeitlichen Theologie wurden die vorstehenden Überlegungen über das Verhältnis von Unwissenheit und Unfreiwilligkeit etwa in der Theologia Moralis des auch als Kanonist bekannten Anaklet Reiffenstuel aufgegriffen. Er unterscheidet zunächst Freiwilligkeit im aktiven Tun von der Freiwilligkeit durch Unterlassen, obwohl man handeln könnte und müsste.42 Für den zweiten Fall greift er die schon von Thomas verwendete Unterscheidung von „voluntarium in se“ und „voluntarium in sua causa“ auf, wobei letzteres dadurch gekennzeichnet ist, dass der Wille zwar nicht die (sekundären) Wirkungen, wohl aber deren Ursache intendiert.43 Eine Erfolgshaftung für Wirkungen, die nur virtuell freiwillig sind, setzt dann aber voraus, dass der Handelnde erkennt, dass die besagten Wirkungen drohen;44 alles andere wäre unvereinbar mit dem Axiom: „Nihil est volitum, quin praecognitum“.45 Die 40 Vgl. die argumentative Bezugnahme auf das Gesetz des Pittakos bei Thomas Aquinatus, S.Th. I/II, q. 76 art. 4 ad 4; II/II, q. 150 art. 4 ad 1. Dabei betont Thomas jedoch gemäß dem zuvor entwickelten Grundsatz, dass der Defektzustand infolge Trunkenheit die Schuld der Rauschtat mindert. Über diesen wesentlichen Gesichtspunkt geht die Darstellung bei Hruschka, Einfluß (Anm. 28), S. 693, hinweg, anders Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 181 – 184. 41 Vgl. Thomas Aquinatus, S.Th. II/II q. 150 art. 4 co.: Der Defektzustand als solcher begründet je nach Schweregrad eine verminderte Schuldfähigkeit (oder deren Fehlen). Aus der Perspektive des actus praecedens hingegen scheint dem Aquinaten folgende Unterscheidung angezeigt: Nur ein schuldlos herbeigeführter Defektzustand vermag von einer Defekttat zu entschuldigen; ein schuldhaft herbeigeführter Defektzustand hingegen führt nur zu einer Schuldminderung. Vgl. dazu auch Müller, Verantwortlichkeit (Anm. 19), S. 182 f.; sowie das ausführliche Thomas-Referat bei Ebel, Bewertung (Anm. 27), S. 50 – 73; ferner Gläser, Zurechnung (Anm. 27), S. 76 – 97 u. 176 – 198. 42 Vgl. Anaklet Reiffenstuel, Theologia Moralis, 1. Bd., Mutina 1745, S. 2 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 1, Rdnr. 6). 43 Vgl. Reiffenstuel, Theologia Moralis (Anm. 42), S. 2 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 1, Rdnr. 7): „(…) Voluntarium in sua causa (quod et virtuale appellatur) illud censetur, quod non in se, sed solum in sua causa cuipiam est voluntarium, in quantum voluntas, etsi non intendat effectum, vult tamen causam illius effectus; unde et hic saltem virtualiter, seu in sua causa censetur esse voluntarius“, nebst praktischem Beispiel: Wer sich betrinkt, obwohl er weiß, dass er in diesem Zustand sich üblicherweise in Schlägereien verwickelt, dem ist die im betrunkenen Zustand begangene Körperverletzung als freiwillige Tat zuzurechnen. 44 Vgl. Reiffenstuel, Theologia Moralis (Anm. 42), S. 2 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 2, Rdnr. 9): „(…) ut effectus virtualiter atque in causa censeatur esse voluntarius, et cuipiam imputetur ad culpam, omnino requiritur, quod operans advertit periculum secuturi effectus ad positionem illius causae (…)“. 45 Daraus folgert Reiffenstuel, Theologia Moralis (wie Anm. 42), S. 2 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 2, Rdnr. 10), dass unvorhersehbare Wirkungen gerade nicht als eigene Schuld zuzurechnen sind: „(…) illi eventus, qui raro contigunt, nec fuerunt praevisi, ad culpam non
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bei Thomas vorhandenen Ansätze, das Thema Unwissenheit in Relation zum Willen differenziert zu betrachten, begegnen bei Reiffenstuel in der zwischenzeitlich geprägten Unterscheidung zwischen der ignorantia antecedens, der ignorantia concomitans, und der ignorantia consequens.46 In der additio des Massaeus Kresslinger findet sich zur letzteren noch der Hinweis auf die beiden Ausgestaltungen als ignorantia crassa oder als ignorantia affectata;47 dabei sieht Kresslinger (im Anschluss an die thomistische Tradition) ein typisches Motiv für eine ignorantia affectata darin, dass der Handelnde einen Entschuldigungsgrund schaffen oder Gewissensbisse vermeiden möchte.48
IV. Exkurs: Streiflichter zur Entwicklung im weltlichen Strafrecht Hinsichtlich der Schuldzurechnung bei Defektzuständen im Bereich der weltlichen Rechtswissenschaft des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit lässt sich zusammenfassend sagen, dass das kanonische Recht bzw. die scholastische Schuldlehre die gedankliche Weiterbearbeitung der spärlichen römischrechtlichen Quellen maßgeblich beeinflusst hat.49 Als Meilenstein für die Entwicklung der Lehre von der actio libera in causa im weltlichen Recht gilt die Naturrechtslehre von Samuel Pufendorf, der ebenfalls im Anschluss an die Nikomachische Ethik zwischen dem „involuntarium in se et in imputentur“; insofern habe Augustinus den Loth, der den Inzest als Folge seiner Trunkenheit nicht habe vorhersehen können, zu Recht entschuldigt. Bei der weitergehenden Erörterung durch Reiffenstuel, a. a. O., Rdnr. 12, in welchen Fällen trotz Vorhersehbarkeit eine teleologische Reduktion des Schuldvorwurfs vorzunehmen sei, begegnet der Terminus „actio libera“: „Nihilominus sola advertentia effectus pravi ex actione libera secuturi non semper sufficit, ut is cuipiam imputetur ad culpam, et hoc tunc verificatur, quando ejusmodi actio ceteroquin licita est, et necessaria, vel utilis, simulque effectus ille pravus non intenditur, neque in eo habetur complacentia.“ 46 Vgl. Reiffenstuel, Theologia Moralis (Anm. 42), S. 6 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 5, Rdnr. 39). 47 Vgl. Reiffenstuel, Theologia Moralis (Anm. 42), S. 7 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 5, Rdnr. 41): „(…) Ignorantia crassa, seu supina dicitur illa, qua quis non curat scire ea, quae communiter homines sui status et conditionis sciunt. Ignorantia affectata vocatur ea, cum quis data opera vult ignorare, et non inquirere veritatem. (…)“. 48 Vgl. Reiffenstuel, Theologia Moralis (Anm. 42), S. 7 (= tract. 1, dist. 1 quaest. 5, Rdnr. 41): „(…) ut ratione talis ignorantiae circa legis obligationem habitae vel excusationem aliquam mereatur a transgressione legis, vel liberius ac sine remorsu conscientiae peccare possit (…)“. 49 Vgl. dazu etwa Woldemar Engelmann, Die Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung. Eine historisch-dogmatische Untersuchung der kriminellen Schuldlehre der italienischen Juristen des Mittelalters seit Accursius, Leipzig 21895 (ND Aalen 1965), S. 27 f. u. 30 – 32; Ebel, Bewertung (Anm. 27), S. 90 – 129; Hettinger, Untersuchung (Anm. 9), S. 63 f.
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sua causa“ und dem „involuntarium in se, sed non in sua causa“ unterscheidet.50 Aber auch Immanuel Kant bejaht die Zurechnung von Taten, die im Zustand fehlender aktueller Willensfreiheit begangen werden, wenn dieser Zustand freiwillig und „gesetzwidrig“, d. h. unter Verletzung eigener Obliegenheiten, herbeigeführt wurde.51 Gegen Ende des 18. Jh. setzt sich dann in der deutschen Strafrechtswissenschaft in der Lehre von der Zurechnung die Redeweise von der „actio libera in causa“ zur Bezeichnung der im Zustand freiwillig herbeigeführter Trunkenheit (oder allgemeiner: während eines freiwillig herbeigeführten geistigen Defektzustands) begangenen Taten durch.52 Vor diesem begriffsgeschichtlichen Hintergrund, wie er auch schon von Thomas von Aquin her angelegt ist, sei daher an dieser Stelle ausdrücklich festgehalten: Es mag bisweilen die Fehlvorstellung begegnen, der Terminus „actio libera in causa“ bezeichne die für sich genommen (straf-)freie Aktion des Sich-Betrinkens (bzw. allgemeiner: des Herbeiführens eines Defektzustands). Diesem irrigen Begriffsverständnis ist entgegenzutreten. Der Begriff der „actio libera“ bezieht sich vielmehr auf die im Defektzustand begangene Tat, die zwar isoliert betrachtet nicht mehr vom freien Willen getragen ist, wohl aber unter Einbeziehung einer freiwillig initiierten unmittelbar kausalen Vorgeschichte („in causa“).53 Während das nach langen Vorarbeiten 1794 in Kraft gesetzte Preußische Allgemeine Landrecht eine gesetzliche Regelung der Strafbarkeit wegen einer actio libera in causa enthielt,54 gestaltete sich die weitere Entwicklung in den strafrechtlichen Kodifikation verschiedener deutscher Länder in der 1. Hälfte des 19. Jh. uneinheitlich.55 Unter dem Einfluss Friedrich Carl von Savignys enthielten jedoch weder das preußische Strafgesetzbuch von 1851, noch das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 eine gesetzliche Regelung der actio libera in causa.56
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Vgl. Joachim Hruschka, Ordentliche und außerordentliche Zurechnung bei Pufendorf. Zur Geschichte und zur Bedeutung der Differenz von actio libera in se und actio libera in causa, in: ZStW 96 (1984), S. 661 – 702, hier bes. S. 665 – 672; Ders., Problem (Anm. 3), S. 310; Ders., Einfluß (Anm. 28), S. 698; Kiehnle, Zivilrecht (Anm. 35), S. 828 – 832. 51 So die Interpretation von Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Königsberg 1793, S. 39, bei Hruschka, Einfluß (Anm. 28), S. 699 f. 52 Vgl. Hruschka, Pufendorf (Anm. 50), S. 666 mit Anm. 10, unter Verweis auf Karl Anton von Martini und Christoph Hupka; ferner Ders., Einfluß (Anm. 28), S. 700 f. 53 So nachdrücklich bereits Hruschka, Einfluß (Anm. 28), S. 702 – 704. 54 Vgl. PrALG II, 20, § 22. 55 Vgl. für Einzelheiten Hettinger, Untersuchung (Anm. 9), S. 100 – 164. 56 Vgl. Hettinger, Untersuchung (Anm. 9), S. 240 – 249. Zur Auffassung Savignys vgl. Henning Leupold, Die Tathandlung der reinen Erfolgsdelikte und das Tatbestandsmodell der „actio libera in causa“ im Lichte verfassungsrechtlicher Schranken (= Schriften zum Strafrecht 169), Berlin 2005, S. 205.
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V. Probleme der Schuldzurechnung im Codex Iuris Canonici von 1917 Sofern sich die kirchenrechtlichen Hand- und Lehrbücher des 19. Jh. bzw. des frühen 20. Jh. überhaupt mit dem kirchlichen Strafrecht befassen, ist auffällig, dass die Thematik der Schuld(formen) und der Zurechnung dort regelmäßig nicht behandelt wird.57 Der im Jahre 1899 vom Eichstätter Kirchenrechtler Joseph Hollweck vorgelegte Kommentar zu den kirchlichen Strafgesetzen, mit dem zugleich der Versuch unternommen war, den einschlägigen kirchlichen Rechtsstoff im modernen juristischen Gewand der Kodifikation zu präsentieren, hat sich in der Folge als eine wichtige Vorarbeit für die Kodifizierung des Strafrechts im pio-benediktinischen Kodex von 1917 erwiesen. Hollwecks Kodifikation bekennt sich (nur) implizit zum Schuldprinzip, insofern auf die Freiwilligkeit der strafbaren Handlung abgestellt wird,58 während Bewusstlosigkeit und eine den freien Willen ausschließende Geistesstörung zur Unzurechnungsfähigkeit führen.59 Zum Problem von Unwissenheit und Rechtsirrtum lehrte Hollweck, dass dies zur Straflosigkeit führe, sofern sie nicht auf grober Nachlässigkeit beruhten.60 In seiner Kommentierung zu § 16 seiner Strafgesetze, der sich mit 57
Vgl. etwa Ferdinand Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts aller christlichen Confessionen, Bonn 131861, S. 416 – 439; Isidor Silbernagl, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts. Zugleich mit Rücksicht auf das im jetzigen deutschen Reiche geltende Staatskirchenrecht, Regensburg 1880, S. 351 – 371 u. 375 – 402, der immerhin S. 376 darauf hinweist, dass „die That und der Schuldige gewiß“ sein müssen, wobei ignorantia facti immer, ignorantia iuris im Rahmen der Festlegungen aus VI 1.2.2, also nicht bei „ignorantia crassa aut supina“, entschuldige; Johann Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, Bd. 2, Freiburg i. Br. 31914, S. 329 – 336 u. 346 – 388. Als Ausnahmen von dieser Regel erweisen sich Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, Bd. 5, Berlin 1895, S. 916 – 930; Franz Xaver Wernz, Ius decretalium ad usum praelectionum in scholis textus canonici sive iuris decretalium, Bd. 6, Rom 1913, S. 24 – 35; dort S. 27 auch der Hinweis (unter Verweis auf Franz Xaver Schmalzgrueber und Franz Egon von Boenninghausen), dass Personen, die des Vernunftgebrauchs entbehren, nicht deliktsfähig sind, „nisi forte quoad ebrietatem haec fuerit directe procurata ad delictum patrandum vel ad obtinendam ex ea excusationem“. 58 Vgl. Joseph Hollweck, Die kirchlichen Strafgesetze, Mainz 1899, S. 5 bzw. S. 74 f.: „§ 13. Eine Gesetzesverletzung ist nur dann strafbar, wenn sie der Thäter freiwillig, d. h. mit der zum menschlichen Handeln nothwendigen Ueberlegung vollzogen hat. Den zum Thatbestand eines Verbrechens nothwendigen Grad der Ueberlegung (Fahrlässigkeit, Leidenschaft, Vorsatz) bestimmt das einzelne Gesetz“. 59 Vgl. Hollweck, Strafgesetze (Anm. 58), S. 5 bzw. S. 76: „§ 14. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter zur Zeit der Begehung der Handlung sich im Zustand der Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. (…)“ In seinem Kommentar bringt Hollweck u. a. das Beispiel schwerer Betrunkenheit, wofür er sich ausdrücklich auf C. 15 q. 1 c. 7 beruft, vgl. a. a. O., S. 76. 60 Vgl. Hollweck, Strafgesetze (Anm. 58), S. 5 f. bzw. 76 f.: „§ 15. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Thäter entweder gar keine Kenntniß vom Gesetz hatte (ignorantia juris) oder von der irrigen Annahme sich leiten ließ, seine Handlung verstoße
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dem Irrtum über Tatsachen befasst, erörtert Hollweck schließlich noch das Problem der Zurechnung im Falle von ignorantia facti affectata.61 Zur Thematik der actio libera in causa im Speziellen äußerte sich Hollweck nicht. Im Kodex von 1917 sind die im vorliegenden Beitrag beleuchteten Problemfälle der Schuldzurechnung in drei getrennten Kanones erörtert worden.62 Im Titel De imputabilitate delicti (lib. 5, pars I, tit. 2; cc. 2199 – 2211 CIC/1917) befasste sich zunächst c. 2201 § 3 CIC/1917 mit der Deliktsbegehung im Zustand der Trunkenheit, und differenzierte grundlegend danach, ob ein Fall von ebrietas voluntaria oder involuntaria vorliege. Bei unfreiwilliger Trunkenheit oder sonstiger Geistesstörung war, je nach Grad der Beeinträchtigung des Vernunftgebrauchs, die Verantwortlichkeit des Täters gänzlich aufgehoben oder wenigstens vermindert. Bei freiwilliger Trunkenheit hingegen wurde eine verminderte Zurechnungsfähigkeit immer bejaht; eine volle Zurechnung jedoch in den Fällen, in denen die Trunkenheit in der Absicht herbeigeführt wurde, das Delikt zu begehen oder zu entschuldigen. Ergänzend hierzu thematisierte c. 2206 CIC/1917 die Frage, welchen Einfluss Leidenschaft, d. h. Handeln im Affekt, auf die Schuldzurechnung hat. Hier wurden drei Fallgruppen gebildet und differenziert bewertet.63 Schließlich wurde im Titel De subiecto coactivae potestati obnoxio (lib. 5, pars 2, tit. 6; cc. 2226 – 2235 CIC/1917) in c. 2229 § 1 die ignorantia (juris) affectata in Bezug auf Tatstrafen als Entschuldigungsgrund abgelehnt,64 und ebenso gemäß c. 2229 § 3 Nr. 1 CIC/1917 die ignorantia crassa vel supina. Bei der Revision des Kodex sind die vorgenannten Normen (cc. 2201 § 3, 2206, 2229 §§ 1 u. 3 Nr. 1 CIC/1917) zum jetzigen c. 1325 CIC/1983 zusammengefasst worden.
nicht gegen das ihm bekannte Gesetz (error juris), es sei denn die Unwissenheit oder der Irrthum hätten ihren Grund in grober Nachlässigkeit. (…)“ In seinem Kommentar hierzu erläutert Hollweck (unter Bezugnahme auf Francesco Suarez), dass mithin also die „ignorantia crassa et supina“ nicht entschuldigt, vgl. a. a. O., S. 76 f. 61 Vgl. Hollweck, Strafgesetze (Anm. 58), S. 78. 62 Zum Schuldbegriff und zur Zurechnungslehre des CIC/1917 im Allgemeinen vgl. Norbert Ruf, Die Strafzumessung im kanonischen Recht auf Grund der allgemeinen Lehre und Sonderbestimmungen. Mit einem Vergleich zum deutschen Recht, Freiburg i. Br. (Univ.-Diss.) 1968, S. 31 – 54 u. 142 – 145. 63 Im Falle vorsätzlich herbeigeführter oder geförderter Leidenschaft wurde keine Verminderung, sondern im Gegenteil eine Steigerung der Verantwortlichkeit angenommen; im Falle einer Leidenschaft, die die freie Willensbildung nur graduell beeinträchtigt, wurde eine entsprechend verminderte Verantwortlichkeit angenommen; und im Falle einer den freien Willen aufhebenden Leidenschaft wurde Unzurechnungsfähigkeit bejaht. 64 Vgl. dazu auch Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones, Bd. 3, Paderborn 21953, S. 489, mit der Notiz: „Die ignorantia affectata ist also in sich gewollt, während die übrigen Arten der Ungewißheit ,in causa‘ gewollt sind“.
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VI. Reflexionen Im Lichte der vorstehenden Untersuchung kann man sagen, dass das kirchliche Strafrecht mit seiner differenzierten Regelung zur Straffreiheit bei Deliktsbegehung in einem schuldlosen Defektzustand (vgl. c. 1323 Nr. 6 CIC/1983); zur Strafmilderung im Falle eines schuldhaft (culpabilis) herbeigeführten Defektzustands (vgl. c. 1324 § 1 Nr. 2 CIC/1983); und der vollen Strafbarkeit im Falle eines vorsätzlich im Hinblick auf die Defekttat herbeigeführten Defektzustands (vgl. c. 1325 CIC/ 1983) eine Schuld- und Zurechnungslehre tradiert, die im Ansatz insbesondere schon bei Thomas von Aquin zu finden ist. Zugleich wird strukturell jener Forderung des Schuldprinzips entsprochen, wonach die Strafe der Schuld angemessen sein müsse. Betrachtet man die Norm des c. 1325 CIC/1983, soweit es dort um die Zurechnung bei dolosen Defektzuständen geht, im Lichte der Theoriebildung in der weltlichen deutschen Strafrechtswissenschaft,65 so lässt sich die kanonische Regelung in etwa als eine Kombination aus dem Ausdehnungs- und dem Ausnahmemodell beschreiben. Dabei kommt dem kanonischen Recht zunächst zugute, dass anders als in § 20 StGB den strafrechtlichen Kanones ein expliziter Verweis auf ein Koinzidenzbzw. Simultanitätsprinzip nicht zu entnehmen ist. Dank c. 1325 CIC/1983 steht die Ausnahme von diesem Prinzip auch nicht auf gewohnheitsrechtlicher, sondern auf gesetzlicher Grundlage. Im Sinne des Ausdehnungsmodells genügt daher für die Zurechnung, dass ein Defektzustand vorsätzlich herbeigeführt wurde. Dabei statuiert c. 1325 CIC/1983 jedoch keine allgemeine Erfolgshaftung, sondern verlangt volle Zurechnung nur in den Fällen, in denen der Vorsatz bei Herbeiführen des Defektzustands gleichsam einen Vorsatz in Bezug auf die Defekttat miteinschließt. Auf diese Weise wird einerseits dem Schuldprinzip Rechnung getragen, andererseits der rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung desselben ein Riegel vorgeschoben. In diesen Fällen wird also der Vorsatz, obwohl er im Defektzustand so nicht mehr vorhanden ist, in der rechtlichen Wertung gleichsam aus dem Zustand voller Zurechnungsfähigkeit in den Defektzustand mit hineingenommen und bewahrt, wodurch die Defekttat zu einer actio libera in causa wird; sie war in ihrer kausalen Ursache vom freien Willen des Täters getragen und bleibt dies in der rechtlichen Gesamtbetrachtung des Geschehens. Das Konzept der actio libera in causa provoziert dabei schon begrifflich die unter Philosophen, Humanwissenschaftlern (insbesondere Neurobiologen) und Juristen durchaus umstrittene Frage nach der Willensfreiheit des Menschen.66 Soweit es 65
Vgl. dazu oben I.1, dort bes. Anm. 10. Für einen ersten Überblick über die seit Eduard Dreher, Die Willensfreiheit. Ein zentrales Problem mit vielen Seiten, München 1987, zwischen Deterministen (u. a. Grischa Merkel, geb. Detlefsen, Gunnar Spilgies, Jürgen Tiemeyer), Indeterministen (u. a. Anton Griffel, Ernst-Joachim Lampe) und Vertretern vermittelnder Positionen (u. a. Jürgen Habermas, Rolf Dietrich Herzberg, Günther Jakobs, Michael Pauen, Gerhard Roth) geführte Debatte vgl. Thomas Hillenkamp, Hirnforschung, Willensfreiheit und Strafrecht – Versuch einer 66
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indes speziell die Regelung des c. 1325 CIC/1983 anbelangt, bedarf diese Frage allerdings vielleicht gar keiner Entscheidung. Denn die volle Zurechnung wird hier ja an die Absicht geknüpft, eine Straftat als Defekttat zu begehen oder zu entschuldigen. Insofern wird dem Täter als zurechenbare Schuld letztlich vorgeworfen, dass er eine finale Zweck-Mittel-Relation zwischen Defektzustand und Defekttat hergestellt hat. Dies hinwiederum ist aber – nach meinem Verständnis – weniger eine Frage des Willens, als vielmehr des Intellekts. Damit ist jedoch die Ebene von Gründen und Folgen erreicht, die gegenüber einer naturgesetzlich determinierten Ebene der Ursachen und Wirkungen transzendent ist.
Zwischenbilanz, in: ZStW 127 (2015), S. 10 – 96, hier S. 10 – 82; ferner Gropp, Strafrecht (Anm. 1), S. 276 – 278; Schild, § 20 (Anm. 3), S. 940 – 955.
Die „Invocatio divini Nominis“ im Rubrum kirchlicher Gerichtsurteile Von Klaus Zeller Ein Urteil beschließt ein gerichtliches Verfahren.1 Dabei kann es sich um Streitverfahren, insbesondere solche, die den Personenstand betreffen, oder um Sanktionsverfahren handeln.2 Das Urteil „ist die Entscheidung, die in Anwendung des objektiven Rechts auf einen konkreten Fall durch den Einzelrichter oder das Kollegialgericht gefällt wird.“3 Der sowohl im Codex Iuris Canonici (CIC/1983) als auch im Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) hierfür gebräuchliche Fachausdruck ist wie im klassischen Latein sententia.4 Als Synonym hierzu kann aber auch mitunter das in beiden Gesetzbüchern mehrmals vorkommende iudicium verstanden werden.5 In dessen breitem technischen wie nichttechnischen semantischen Spek-
1 Vgl. Libero Gerosa, Das Recht der Kirche (= AMATECA 12), Paderborn 1995, S. 149; Judith Hahn, Das kirchliche Richteramt. Rechtsgestalt, Theorie und Theologie (= BzMK 74), Essen 2017, S. 619 u. 698 – 700. 2 Vgl. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 264. 3 Paul Wirth, Art. Urteil, in: LKR (2004), Sp. 970 f., hier 970. Die entsprechende Legaldefinition des can. 1868 § 1 CIC/1917 (bzw. Art. 196 § 1 PM) ist in den geltenden Gesetzbüchern und in DC nicht mehr enthalten. Vgl. außerdem Benno Grimm, Die Ausfertigung eines Ehenichtigkeitsurteils in Langform, in: DPM 2 (1995), S. 261 – 272, hier 262; Stefan Rambacher, Art. Urteil, in: LKStKR III (2004), S. 736 – 738; Christian Grüneberg, Art. Urteil, in: Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, München 32001, S. 4378 – 4380, hier 4378. 4 Vgl. Rudolf Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici, München/Kempten 1927, S. 325, Nr. 3; Klaus Mörsdorf, Die Rechtssprache des Codex Juris Canonici (= unveränd. Nachdr.), Paderborn 1967, S. 347 – 349; Klaus Lüdicke, Terminologische Einführung vor 1400, in: MK CIC (Stand: Juli 2004); Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 2 (= Nachdr.), Hannover 1976, Sp. 2694; Johanna Filip-Fröschl/Peter Mader, Latein in der Rechtssprache. Ein Studienbuch und Nachschlagewerk, Wien 31999, S. 163. 5 Siehe Xaverius Ochoa, Index Verborum ac locutionum Codicis Iuris Canonici, Città del Vaticano 21984, S. 246 f.; Ivan Zˇ uzˇek, Index Analyticus Codicis Canonum Ecclesiarum Orientalium, Roma 1992, S. 164. Vgl. Nikolaus Benke/Franz-Stefan Meissel, Juristenlatein. 2800 lateinische Fachausdrücke und Redewendungen der Juristensprache, Wien 32009, S. 175; Filip-Fröschl/Mader, Latein in der Rechtssprache (Anm. 4), S. 98 u. 163, wo auch noch „iudicatum“ als Synonym genannt wird. Sententia und iudicium entsprechen in ihrer Bedeutung dem Gebrauch im klassischen Latein: s. Otto Schönberger, Lateinische Phraseologie, Heidelberg 62011, S. 120; Christina Meckelnborg, Lateinische Phraseologie, Darmstadt 62015, S. 189.
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trum ist auch die Bedeutung Richterspruch/Urteil enthalten.6 Im geltenden Verfahrensrecht wird iudicium jedoch in den zwei Hauptbedeutungen, „nämlich Verfahren und Gericht“ gebraucht.7 Das Urteil ist im kanonischen Recht eine von zwei Möglichkeiten richterlicher Entscheidungen. Bei der Bezeichnung „Richterliche Entscheidungen“ („iudicis pronuntiationes“) handelt es sich um einen Oberbegriff, der als Überschrift des Titels VII mit den cc. 1607 – 1618 CIC/1983 des kanonischen Prozessrechtes dient. Die hierunter voneinander begrifflich abzuhebenden Entscheidungen können nämlich als Dekrete (Beschlüsse) oder Urteile ergehen.8 Ungeachtet dieser Unterscheidung sind sie Bestandteil der in einem gerichtlichen Verfahren aufkommenden Akten. Sie unterliegen als solche deshalb dem in c. 1472 § 1 CIC/1983 (Art. 88 DC; c. 1131 § 1 CCEO) statuierten generellen Schriftlichkeitsgebot für Gerichtsakten („acta iudicialia“). Diese sind aufgrund derselben Norm in Sachakten („acta causae“) und prozessleitende Verfahrensakten („acta processus“) zu unterscheiden. Außer der Vorschrift des c. 1472 § 1 CIC/1983 besteht ferner aufgrund von c. 1429 i. V. m. c. 1610 §§ 1 u. 2 CIC/1983 ein ausdrückliches Schriftlichkeitsgebot für kirchliche Gerichtsurteile.
I. Gestaltungsvorschriften Außer dem schon genannten Schriftlichkeitsgebot enthält das kirchliche Gesetzbuch genauere Gestaltungsvorschriften für die Ausfertigung von Gerichtsentscheidungen, insbesondere für Endurteile („sententiae definitivae“).9 Hierfür einschlägig ist c. 1612 § 1 CIC/1983 (bzw. wortgleich Art. 253 § 1 DC und c. 1295 § 1 CCEO). Aufgrund von c. 1613 CIC/1983 sind die dort enthaltenen Bestimmungen ebenso bei Zwischenurteilen („sententiae interlocutoriae“) anzuwenden. Diese Formvorgaben betreffen sowohl inhaltliche Anforderungen als auch den äußeren Aufbau des Urteils. Bei der hier zu erörternden Thematik soll es vor allem um den letzteren gehen. Demzufolge muss das Urteil (c. 1612 § 1 CIC/1983) „nach der Anrufung des Namens Gottes der Reihe nach den Richter oder das Gericht, weiterhin den Kläger, die 6 Vgl. Köstler, Wörterbuch (Anm. 4), S. 202, Nr. 4; Mörsdorf, Die Rechtssprache (Anm. 4), S. 290; Manfred Marquardt/Christof Voigt, Wörterbuch Latein für Philosophie und Theologie, Darmstadt 2009, S. 101. 7 Vgl. Lüdicke, Terminologische Einführung vor 1400, Rdnr. 7 (Anm. 4). In anderen Zusammenhängen ist „iudicium“ als Urteil im Sinne von Einschätzung oder Dafürhalten zu verstehen. 8 Vgl. c. 1617 CIC/1983. Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 477 f.; Mörsdorf, Die Rechtssprache (Anm. 4), S. 347 f. 9 Vgl. Klaus Zeller, Mit Unterschrift und Siegel. Echtheitsvorschriften im kanonischen Recht (= KB 19), Wien 2020, S. 128 – 130; Elisabeth Kandler-Mayr, Rechtsschutz im Ehenichtigkeitsverfahren, in: Ludger Müller (Hrsg.), Rechtsschutz in der Kirche (= KB 15), Wien/Berlin 2011, S. 126 – 143, hier 138.
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belangte Partei und den Prozessbevollmächtigten mit Angabe von Namen und Wohnsitz sowie, falls sie am Verfahren beteiligt waren, den Kirchenanwalt und den Bandverteidiger bezeichnen.“ Gemäß § 2 ist kurz der Sachverhalt10 darzulegen „mit dem Parteivorbringen und den formulierten Streitfragen“. Darauf folgt (§ 3) „nach Darlegung der Gründe, der Urteilstenor.“ In Übereinstimmung mit § 4 wird das Urteil „mit Angabe von Tag und Ort der Urteilsfällung und der Unterschrift des Richters oder, wenn es sich um ein Kollegialgericht handelt, aller Richter sowie des Notars“ abgeschlossen. In c. 1612 § 1 CIC/1983 finden sich also die formalen Erfordernisse, die den sog. Urteilskopf oder das Urteilsrubrum bilden. Diese Bezeichnung ist sowohl in der weltlichen wie auch in der kirchlichen Rechtswissenschaft gebräuchlich. Der Urteilskopf wurde früher mit roter Tinte geschrieben. Obgleich dies längst nicht mehr üblich ist, hat sich dennoch bis heute der Ausdruck „Rubrum“11 gehalten. Ein Bestandteil des Urteilskopfes auf kirchlichen Gerichtsurteilen ist die „Invocatio divini Nominis“12.
II. Überlegungen zur „Invocatio divini Nominis“ Der für die hier anzustellenden Überlegungen zentrale Passus lautet: „Sententia, post divini Nominis invocationem, exprimat …“ Der formgerecht zu gestaltende Urteilskopf enthält also eine Formulierung, aus der hervorgeht, dass der Urteilsfällung eine „Anrufung des göttlichen Namens“ („post divini Nominis invocationem“) vorausgegangen ist. Eine solche kann mit einer sog. „Invocatio-Dei-Formel“13 ausge10 Statt „Tatbestand“ für „facti species“ wie bspw. auch bei Köstler, Wörterbuch zum Codex Iuris Canonici (Anm. 4), S. 158 unter Nr. 3. „Facti species“ ist die Bezeichnung in der lateinischen Rechtssprache für Sachverhalt. Vgl. Georg May/Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, S. 238, 255 – 269; Klaus Lüdicke, c. 1612, Übersetzung von § 2 u. Rdnr. 6, in: MK CIC (Stand: April 1990): „Die facti species ist der unstreitige Sachverhalt.“; Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 488; Gerhard Köbler, Art. Tatbestand, in: Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, München 32001, S. 4096: „Tatbestand … ist die Summe der Merkmale oder Umstände, welche eine Rechtsnorm für ihre Rechtsfolge voraussetzt. Damit ist der Tatbestand Teil des Rechtssatzes.“ Christian M. Piska, Art. Sachverhalt, in: Ders./Jutta Frohner (Hrsg.), Fachwörterbuch Einführung in die Rechtswissenschaften, Wien 2009, S. 143: „Der tatsächliche, konkrete Vorgang, auf den eine Rechtsnorm angewendet wird.“; Heinz Krejci/Peter Pieler/Richard Potz/Bernhard Raschauer, Jus in Wien, Wien 32009, S. 20 f. 11 Vgl. Gerhard Köbler, Art. Rubrum, in: Lexikon der europäischen Rechtsgeschichte, München 1997, S. 511; Filip-Fröschl/Mader, Latein in der Rechtssprache (Anm. 4), S. 163; Christian Grüneberg, Art. Rubrum, in: Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, München 32001, S. 3587 f.; Heinz Pack, Methodik der Rechtsfindung im staatlichen und kanonischen Recht. Relations- und Urteilstechnik im kanonischen Recht (= BzMK 38), Essen 2004, S. 55. 12 Die „invocatio Nominis divini“ findet sich ansonsten noch in c. 1199 § 1 CIC/1983 in Buch IV, Kapitel II über den Eid. 13 Vgl. Alexander Hollerbach, Art. Invocatio Dei-Formel, in: LKStKR II (2002), S. 319 f. Hier wird allerdings die „Invocatio Dei“ nur mit Blick auf deren Bedeutung in staatlichen Verfassungen behandelt.
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drückt werden. Solche Formeln waren „seit dem frühen Mittelalter fester Bestandteil der Einleitung von urkundlich niedergelegten Texten“ und finden sich auch heute noch in Präambeln staatlicher Verfassungen.14 Zu unterscheiden sind dabei „förmliche, gebetsartig-bekenntnishafte“ Anrufungen Gottes (z. B. „Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ in der irischen Verfassung von 1937) von der bloßen „Bezugnahme auf Gott“ (z. B. „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott …“ im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland).15 In der offiziösen lateinisch-deutschen Ausgabe des Codex Iuris Canonici16 wie auch in der vom Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte beigegebenen deutschen Übersetzung der Instruktion „Dignitas Connubii“17 wird das Erfordernis der Invokation mit der „Anrufung des Namens Gottes“ wiedergegeben. Dies ist zusammen mit c. 1609 § 3 CIC/1983 zu lesen, wonach die Urteilssitzung, in welcher die einzelnen richterlichen Voten vorzutragen, zu beraten und die Entscheidung zu fällen ist, „post divini Nominis invocationem“ beginnt. Im Vergleich mit den Formulierungen in den ersten beiden Schemata zu c. 1609 § 3 CIC/1983 lässt sich nur eine geringfügige sprachliche Änderung feststellen. Dort nämlich wurde die Verpflichtung der Richter mit „postquam divinum Nomen invocatum sit“ ausgedrückt.18 Die Bestimmung des c. 1612 § 1 CIC/1983 geht auf c. 1874 § 1 CIC/1917 zurück. Nach der dort in einen Ablativus absolutus gekleideten Vorschrift hatte die Urteilsfällung „divino Nomine ab initio semper invocato“ zu erfolgen.19 Diese Formulierung wurde sodann wortwörtlich auch in Art. 202 § 1 der Eheprozessordnung „Provida Mater“ von 193620 übernommen.
14 Hollerbach, Art. Invocatio Dei-Formel (Anm. 13), S. 319; Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 1, Berlin 41969, S. 47. 15 Hollerbach, Art. Invocatio Dei-Formel (Anm. 13), S. 319. 16 Codex Iuris Canonici. Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit Sachverzeichnis. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, der Österreichischen Bischofskonferenz, der Schweizer Bischofskonferenz, der Erzbischöfe von Luxemburg und von Straßburg sowie der Bischöfe von Bozen-Brixen, von Lüttich und von Metz, Kevelaer 82017. 17 Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Dignitas Connubii. Instruktion, die von den diözesanen und interdiözesanen Gerichten bei Ehenichtigkeitsverfahren zu beachten ist. Offizieller Text in lateinischer Sprache mit deutscher Übersetzung, Città del Vaticano 2005 (Abgedruckt in: Leges Ecclesiae 10 [2010], Nr. 6218, Sp. 17991 – 18041). 18 Vgl. Eduardus N. Peters, Incrementa in Progessu 1983 Codicis Iuris Canonici (= Collection Gratianus Series), Montréal 2005, S. 1365. 19 „Sententia ferri debet, divino Nomine ab initio semper invocato.“ 20 Sacra Congregatio de Disciplina Sacramentorum, Instructio servanda a tribunalibus dioecesanis in pertractandis causis de nullitate matrimoniorum „Provida Mater“ (15. Aug. 1936), in: AAS 28 (1936), S. 313 – 361, Appendix, S. 362 – 370, Index, S. 371 f. Auch abgedruckt bei Joseph Wenner (Hrsg.), Kirchliche Eheprozeßordnung, Paderborn 31956, S. 17 – 93, Appendix, S. 93 – 104.
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1. Unterschiedliche Invokationsformeln Die an sich klare Bestimmung, dass eine richterliche Entscheidung stets nach der vorherigen Anrufung des göttlichen Namens zu ergehen hat, scheint jedoch in der kirchlichen Gerichtspraxis nach wie vor auf verschiedene Weise gehandhabt zu werden. Festzustellen ist jedenfalls, dass der Ablativus absolutus „divino Nomine … invocato“, soweit ersichtlich, nicht unmittelbar als Einleitungsformel des Urteilsrubrums dient. Es scheint bis heute den einzelnen Gerichten überlassen zu sein, mit welcher Formulierung zum Ausdruck zu bringen ist, dass die „Invocatio divini Nominis“ vor dem Urteilsspruch stattgefunden hat. Tatsächlich geschah und geschieht dies auch in sehr unterschiedlichen Formeln, wie z. B. „Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ oder „Im Namen Gottes“.21 Mitunter wird auch auf eine Invokationsformel verzichtet.22 2. Die Invokation in kirchenrechtlichen Lehr- und Handbüchern Insbesondere die Formel „Im Namen Gottes“ findet sich auch in Lehr- und Handbüchern zum CIC/1917 als Vorschlag für die Überschrift zu Beginn eines kirchlichen Urteils. In diesem Sinne stilbildend dürften die einschlägigen Ausführungen des ehemaligen Inhabers des österreichisch-ungarischen Auditorats an der Römischen Rota, Anton Perathoner, im deutschen Sprachraum gewirkt haben, wonach „in formeller Hinsicht … das Urteil im Namen Gottes gefällt werden“ muss.23 Auch Albert M. Koe niger war der Ansicht, dass „der Form nach … jedes Urteil mit der Wendung ,im Namen Gottes‘ (oder der allerheiligsten Dreifaltigkeit)“ beginnt.24 In gleicher Weise lehrten Godehard Josef Ebers und Klaus Mörsdorf kurz und bündig, dass
21 So auch Josef Weber, Die Ausfertigung eines Ehenichtigkeitsurteils in Kurzform, in: DPM 2 (1995), S. 273 – 281, hier 272. 22 Beispielsweise in den Urteilen der Metropolitan- und Diözesangerichte Salzburg und Wien. Hugo Schwendenwein, Das neue Kirchenrecht. Gesamtdarstellung, Graz/Wien/Köln 1983, S. 497 führt bei den Bestandteilen der Urteilsausfertigung gemäß c. 1612 CIC/1983 die Invokation nicht an. 23 Anton Perathoner, Das kirchliche Gesetzbuch (Codex juris canonici). Sinngemäß wiedergegeben und mit Anmerkungen versehen, Bressanone 51931, S. 597. Zu diesem Verfasser (1864 – 1930; Rota-Auditor 1909 – 1914), ebd., S. VII f. 24 Albert Michael Koeniger, Katholisches Kirchenrecht mit Berücksichtigung des deutschen Staatskirchenrechts, Freiburg i. Br. 1926, S. 420. In der von Koeniger herausgegebenen lateinisch-deutschen Textausgabe (Die Eheprozessordnung für die Diözesangerichte. Text mit Übersetzung und Erläuterungen [= KStT 11], Nachdr. v. 1937, Amsterdam 1964, S. 112 f. m. Fußn. 199, S. 182) heißt es: „Gewöhnlich lautet die Formel deutsch: ,Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit‘.“
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das Urteil „Im Namen Gottes“ ergeht bzw. beginnt.25 Diese Auffassung findet sich außerdem, um ein Beispiel aus der englischsprachigen Kanonistik anzuführen, in dem Kommentarwerk „Canonical Procedure in Matrimonial Cases“ von William J. Doheny, der Art. 202 § 1 PM folgendermaßen interpretiert: „The sentence must always be given with the invocation of the Divine Name at the beginning e. g. In Nomine Domini. Amen.“26 Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Doheny als Advokat und Prokurator bei der Apostolischen Signatur und an der Sacra Romana Rota fungierte.27 Eine solche Urteilsüberschrift scheint, wie noch auszuführen ist, aber nicht ganz unproblematisch zu sein. Ein diesbezügliches Problembewusstsein findet sich bei dem ehemals im schweizerischen Freiburg lehrenden Kanonisten, Dominicus M. Prümmer, der sich 1920 dafür ausgesprochen hatte, die kirchlichen Urteile einfach mit „Invocato divino nomine“ zu beginnen. Unter Hinweis, daß die Urteile weltlicher Gerichte „in nomine regis“ zu beginnen pflegen, schien es ihm für kirchliche Urteile angemessener, diese schlicht mit der eben genannten Invokation, wie in c. 1874 § 1 CIC/1917 vorgeschrieben, zu überschreiben.28 Auch Franciscus Roberti ist 1926 in der Auslegung zu c. 1874 § 1 CIC/1917 vorsichtiger gewesen, indem er ausführte, daß das schriftliche Urteil als erste Angabe die „Invocatio Divini Nominis“ enthalten muss,29 ohne dafür einen anderen Formulierungsvorschlag zu machen. Nach den bei Felix Cappello aufgeführten Erfordernissen für die Abfassung („conscriptio“) des Urteils ist dieses „divino Nomine invocato“ zu fällen30 und, wie in diesem Zusammenhang geschlossen werden darf, wohl auch so zu überschreiben. Schließlich sei beispielsweise noch Heribert Jone angeführt, der in seiner „Erklärung der Kanones“ 1940 diese Vorschrift in c. 1874 § 1 CIC/1917 zunächst einmal auch so auffasste, „daß das Urteil gefällt werden muß im Namen Gottes“31. Jone scheint aber in dem 1955 erschienenen lateinischen Kommentar insofern zu einer dif25 So auch bei Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, Bd. III, Paderborn u. a. 1979, S. 181: „Das Urteil beginnt ,Im Namen Gottes‘ …“; Godehard Jos. Ebers, Grundriß des Katholischen Kirchenrechts, Wien 1950, S. 428: „Das Urteil … ergeht im Namen Gottes“. 26 William J. Doheny, „Canonical Procedure in Matrimonial Cases. Formal Judicial Procedure, Volume I, Milwaukee 21948, S. 484. 27 Vgl. ebd. (Anm. 26), Titelblatt. 28 Vgl. Dominicus M. Prümmer, Manuale Iuris Ecclesiastici in usum clericorum praesertim illorum qui ad ordines religiosos pertinent, Freiburg i. Br. 21920, S. 575: „Sententia ferri debet … divino nomine ab initio semper invocato. Sententiae tribunalium civilium solent incipere: in nomine regis. Valde decet et nunc est praescriptum [sc. Can. 1874 § 1 CIC/1917], ut sententiae tribunalis ecclesiastici incipiant: ,Invocato divino nomine‘“. 29 Vgl. Franciscus Roberti, De Processibus, Vol. II, Romae 1926, S. 186, Nr. 457, 1. 30 Felix M. Cappello S. I., Summa Iuris Canonici in usum scholarum concinnata, Vol. III, Romae 41955, Nr. 328, S. 298. 31 Heribert Jone, Gesetzbuch des kanonischen Rechtes. Erklärung der Kanones, Bd. III., Prozeß- und Strafrecht, Paderborn 1940, S. 208. 11
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ferenzierteren Einsicht gelangt zu sein, als er dort die Formel „Christi nomine invocato“ als „invocatio divini nominis“ zu favorisieren scheint, mit welcher zum Ausdruck gebracht werde, dass die Richter nur Gott vor Augen haben.32 Eine sogar höchstlehramtliche Bestätigung für ein solches Verständnis kann darin gesehen werden, dass Papst Paul VI. in seiner Rota-Ansprache des Jahres 1973 die Richter daran erinnert hat, „solum Deum prae oculis habentes“, ihre Urteile zu fällen.33 Diese Formulierung findet sich bereits im zweiten Buch des Liber Sextus im ersten Kapitel des 14. Titels „De sententia et re iudicata“, wo den kirchlichen Richtern eingeschärft wird, „in allem, … besonders beim Konzipieren und Fällen des Urteils nur Gott vor Augen zu haben.“34 Papst Paul VI. spricht hier vor der Römischen Rota also keineswegs davon, dass kirchliche Urteile „im Namen Gottes“ gefällt werden. 3. Invokationsvorschrift und Usus der Rota Romana In Art. 97 § 1 der geltenden Fassung der Normen der Rota Romana (NRRT) von 199435 heißt es „Sententia ferri36 debet, Divino nomine invocato …“, worauf der Name des amtierenden Papstes zu folgen hat. Diese Invokationsvorschrift ist bis auf die Auslassung „ab initio semper“ wortgleich mit c. 1874 § 1 CIC/1917 bzw. Art. 202 § 1 PM. Demgegenüber ist festzustellen, dass sich in der Lex propria Sacrae Romanae Rotae et Signaturae Apostolicae von 190837 wie auch in den Regulae Servandae in Iudiciis apud Sacrae Romanae Rotae Tribunal (RegServ) von 191038 noch 32 Heribert Jone, Commentarium in Codicem Iuris Canonici, Bd. III, Paderborn 1955, S. 217. 33 Paul VI., Ad Praelatos Auditores et Officiales Tribunalis Sacrae Romanae Rotae, a Beatissimo Patre novo litibus iudicandis ineunte anno coram admissos. Die 8 mensis februarii a. 1973 (ital. Originaltext), in: AAS 65 (1973), S. 95 – 103, hier 103: „E voi, pronunziando le vostre sentenze solum Deum prae oculis habentes servite e adorate proprio questo Dio d’amore.“ In deutscher Übersetzung von Heinz Maritz, in: AfkKR 142 (1973), S. 111 – 119, hier 118. Vgl. zu dieser Formel Gian Paolo Montini, „Solum Deum prae oculis habentes“. Il significato di una formula, in: G. Dalla Torre/C. Gullo/G. Boni (Hrsg.), Veritas non auctoritas facit legem. Studi di diritto matrimoniale in onore di Pietro Antonio Bonnet (= StudG 99), Città del Vaticano 2012, S. 363 – 374 m. weiterer Literatur. 34 „… ut in omnibus, quae in causis agenda fuerint, praesertim in concipiendis sententiis et ferendis, prae oculis habeant solum Deum …“ (Papst Innozenz IV. beim 1. Konzil von Lyon 1245), in: VI, 2, 14, 1 (bei Emil Friedberg, Corpus Iuris Canonici, Bd. II, Leipzig 1881, Sp. 1007). 35 Romanae Rotae Tribunal, Normae, in: AAS 86 (1994), S. 508 – 540 (vom 18. 04. 1994). Siehe auch Art. 130 PastBon. 36 Vgl. Schönberger, Lateinische Phraseologie (Anm. 5), S. 120: „sententiam ferre (dicere, pronuntiare)“ – „ein Urteil fällen“; Meckelnborg, Lateinische Phraseologie (Anm. 5), S. 189. 37 AAS 1 (1909), S. 20 – 35. 38 AAS 2 (1910), S. 783 – 850. § 181 RegServ: „1. Sententiae definitivae complecti debent: a) Nomen, cognomen, et personarum litigantium qualitatem, eo modo in citationis actu descriptae sunt: nec non nomen et cognomen earundem procuratorum; b) Intentionem actoris,
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keine entsprechende Bestimmung findet. Nach § 189 RegServ war zu Beginn des Urteilskopfes der Name des regierenden Papstes anzuführen, sodann die Namen der beteiligten Rota-Richter.39 Erstmals ist dieser Gestaltungsvorschrift ausweislich des sechsten Bandes der Decisiones seu Sententiae 1914 entsprochen worden.40 Dort ist auch bei „Decisio I“ der Hinweis abgedruckt, dass alle Urteile – mutatis mutandis – mit dieser Formel beginnen. Eine „Invocatio divini Nominis“, geschweige deren Verbalisierung im Urteilskopf war also nach den Regulae Servandae nicht vorgesehen, wohl aber seit 1918 aufgrund von c. 1874 § 1 CIC/1917. Die Invokationsformel „In Nomine Domini“ auf Rota-Urteilen scheint erstmals 1933 bzw. „In nomine Domini. Amen.“ 1935 aufgekommen zu sein.41 Möglicherweise ist dies im Zusammenhang mit den Vorbereitungsarbeiten für die Eheprozessordnung „Provida Mater“ von 1936 erklärlich. Die Partizipialkonstruktion „Divino nomine invocato“ in Art. 97 § 1 NRRT, mit welcher die Vorzeitigkeit des Vorganges eindeutig zum Ausdruck kommt, dient dem bis heute herrschenden Usus der Rota Romana zufolge aber nach wie vor nicht unmittelbar als Urteilsüberschrift. Die tatsächliche Invokationsformel auf den Urteilen („Sententiae definitivae“) der Rota Romana lautet „In Nomine Domini“ und dem darauffolgenden, in den Genitiv gesetzten Namen des regierenden Papstes samt der Angabe des jeweiligen Jahres seines Pontifikates.42 Angesichts der nach Art. 126 PastBon dem Gericht der Römischen Rota zukommenden Aufgabe, mit ihren eigenen Urteilen für die Einheitlichkeit der kirchlichen
seu actionem iudicialem …; e) Indicationem diei, mensis, anni et loci in quo decisio prolata fuit; f) Subsriptionem iudicum, qui sententiam protulerunt, et notarii…“ 39 § 189 RegServ: „Exemplar authenticum [sc. sententiae] inscriptionem referet nominis Summi Pontificis pro tempore regnantis, et nomina geret Auditorum …“ 40 Sacrae Rotae Romanae Tribunal, Decisiones seu sententiae quae iuxta Legem Propriam et const. „Sapienti consilio“ PII PP. X prodierunt anno 1914, Vol. VI, Romae 1922. Vermerk bei Decisio I vom 14. 01. 1914, ebd., S. 1: „Sententiae omnes hac formula, mutatis mutandis incipiunt.“: „Pio Papa X feliciter regnante …“ 41 Siehe Sacrae Rotae Romanae Tribunal, Decisiones seu sententiae („Quae Prodierunt Anno 1933“), Decisio I: „In Nomine Domini. Pio Pp. XI feliciter regnante anno Pontificatus Dominationis Suae undecimo, die 11 ianuarii 1933, …“, in: Vol. 25 (1941), S. 1 und auch (Anno 1935) Decisio I: „In Nomine Domini. Amen.“ „Pio Pp. XI feliciter regnante …“, in: Vol. 27 (1943), S. 1. 42 [Sacrae] Rotae Romanae Tribunal, Decisiones seu sententiae (Anm. 40). Vgl. auch Weber, Die Ausfertigung eines Ehenichtigkeitsurteils in Kurzform (Anm. 21), S. 273 u. 279; Heinrich Mussinghoff, „Il vostro lavoro è giudiziario, ma la vostra missione è evangelica, ecclesiale e sacerdotale, rimanendo nello stesso tempo umanitaria e sociale“ – Reflexionen zum Dienst des kirchlichen Richters, in: DPM 8/1 (2001), S. 59 – 76, hier 67: Dort ist folgende Einleitungsformel der Rota-Urteile zitiert: „in nomine Christi“ und als Schlußformel derselben: „Solum Deum prae oculis habentes et nomine Christi invocato pronuntiamus, sententiamus et definitive decernimus …“
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Rechtsprechung an allen kirchlichen Gerichten weltweit zu sorgen,43 wirkt sich diese Vorbildfunktion der Rota-Urteile selbstverständlich auch bei den Formalitäten und somit auch in der förmlichen Gestaltung des Urteilskopfes aus. Ein Beispiel hierfür ist zu Beginn eines jeden Bandes der von dem 1908 durch Papst Pius X. wiedererrichteten Tribunal der (Sacra) Rota Romana publizierten „Decisiones seu Sententiae“ nach dem Index Omnium Sententiarium beim ersten Urteil abgedruckt, beginnend mit den Worten: „Sententia definitiva diei … In Nomine Domini …“ Beigefügt ist der herkömmliche Hinweis, dass alle in dem jeweiligen Band publizierten Urteile „mutatis mutandis“ so begonnen werden.44 Wohl in Anlehnung daran schlagen auch neuere italienische Publikationen ausdrücklich die lateinischen Formeln „In Nomine Dei. Amen“ und „In Nomine Domini. Amen“ bzw. das italienische Äquivalent „Nel nome del Signore. Amen.“ vor, worauf sogleich die Angabe des Namens des Papstes und das Jahr seines Pontifikates zu folgen pflege.45 Auch in dem umfangreichen spanischen Kommentar zum Prozeßrecht „Tratado de Derecho Procesal Canónico“ begnügt sich Juan José García Faílde zu c. 1612 CIC/1983 mit einigen kurzen Bemerkungen und dem Vorschlag, dass das Urteil mit der Invokation „En el nombre de Dios Amén“ beginnt.46 Diese Form der Invokation dürfte hauptsächlich mit dem Beharrungsvermögen der vom Gerichtsbrauch der Römischen Rota geprägten Formel zu erklären sein. 4. Kritische Betrachtung Soweit ersichtlich, wird die im Urteilskopf zu erwähnende „Invocatio divini Nominis“ nur von wenigen Autoren, die sich mit dem geltenden Recht befassen, aus-
43 Vgl. hierzu auch Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 340 f.; Heiner Grote, Was verlautbart Rom wie? Eine Dokumentenkunde für die Praxis (= Bensheimer Hefte 76), Göttingen 1995, S. 94, Rn. 9.5. 44 Z. B. Vol. XCII, Libreria Editrice Vaticana 2007, S. 1: „Omnes sententiae, mutatis mutandis, sic exordiuntur.“ 45 So Luigi Chiappetta, Il Codice di Diritto Canonico, Bd. 3, Bologna 32011, S. 176, Rn. 5582; Carlo Gullo/Alessia Gullo, Prassi processuale nelle cause canoniche di nullità del matrimonio (= StudG LXX), Città del Vaticano 22005, S. 256: „La sentenza consta di un preambolo, da cui devono risultare: a. che è data ,In nomine Domini‘ …“ und S. 258 das „Specimen“ des „Vicariatus Urbis Tribunal Regionale Latii“: „Sentenza definitiva emessa in primo grado di giurisdizione [–] Nel nome del Signore. Amen.“ Ebenso auch die Urteilsvorlage bei Claudio Papale, Formulario commentato del processo penale canonico (= Studia 62), Città del Vaticano 2012, S. 86, lfd. Nr. 50: Sentenza di condanna: „Nel nome del Signore. Amen“. 46 Juan José García Faílde, Tratado de Derecho Procesal Canónico. Comentario al Código de Derecho Canónico vigente y a la instrucción „Dignitas Connubii“ del 25 de enero de 2005 del Pontificio Consejo para los textos legislativos, Salamanca 22007, S. 375: „No voy a comentar largamente el can. 1612 que no está necesitado de un comentario extensor; haré solamente algunas reflexiones …“ sowie in dem Urteilsmuster auf S. 655 in Anhang LXIX: Sentencia Definitiva: „… En el nombre de Dios. Amen.“
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führlicher behandelt und die in der gerichtlichen Praxis gebräuchlichen Formeln einer notwendigen kritischen Betrachtung unterzogen. Heinrich Mussinghoff hebt hervor, dass „die richterliche Gewalt in der Kirche … von Christus her[kommt]“ und die Richter folglich „nicht ,im Namen des Gottesvolkes‘, nicht ,im Namen des Bischofs‘, nicht im Namen einer abstrakten Gerechtigkeitsidee [richten], sondern kraft der ihnen von Christus zukommenden, durch den Bischof übertragenen Gewalt.“47 Bemerkenswert scheint hier, dass dieser adversative Nebensatz nun aber gerade nicht mit der Formulierung „sondern im Namen Christi“ weitergeführt ist. Insofern darf nicht übersehen werden, daß ein semantischer Unterschied darin besteht, ob die kirchliche Rechtsprechung einfachhin „im Namen Christi“ geschieht oder aber aufgrund seiner an die Richter durch den Bischof verliehenen Vollmacht. Eingedenk der Bestimmungen der cc. 381 und 391 CIC/1983 steht die ordentliche, eigenberechtigte und unmittelbare richterliche Vollmacht des Bischofs außer Frage. Klaus Lüdicke gibt zu bedenken, dass nämlich diese und ähnliche Formeln in ihrer Parallelität zu der in weltlichen Gerichtsurteilen gebräuchlichen Formel „Im Namen des Volkes“48 oder „Im Namen der Republik“49 nach wie vor „den fälschlichen Eindruck“ erwecken, „es handele sich um Entscheidungen an Gottes Statt.“50 Die Fragwürdigkeit einer solchen Urteilsüberschrift dürfte sich spätestens bei zwei „im Namen Gottes“ gefällten gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen unterschiedlicher Instanzen in ein und derselben Sache aufdrängen. Bei der Invokationsformel gilt es daher nach Aymans/Mörsdorf/Müller unbedingt den Eindruck zu vermeiden, „daß das Gericht sich an die Stelle Gottes setzte und für ihn handelte“.51 Zu Recht macht Lüdicke deshalb darauf aufmerksam, „darauf zu achten, dass es sich auch für den Leser des Urteils erkennbar um ein dokumentiertes Gebet handelt und nicht um eine Formel, die an die Stelle des zivilgerichtlichen ,Im Namen des Volkes‘ tritt“52. Auch Josef Weber äußert sein Unbehagen und plädiert dafür, „den irre47
Mussinghoff, Reflexionen zum Dienst des kirchlichen Richters (Anm. 42), S. 59 – 76, hier 57. Zum Verständnis und zur Problematik des Bischofs als Richter in frühchristlichen Quellen, vgl. Mathias Schmoeckel, Die Jugend der Justitia. Archäologie der Gerechtigkeit im Prozessrecht der Patristik, Tübingen 2013, S. 60 – 63, bes. 62 u. 88 – 94. 48 Vgl. Creifelds, Art. Urteilskopf, München 212014, S. 1328; Pack, Methodik der Rechtsfindung (Anm. 11), S. 55. 49 So in Österreich gem. Art. 82 Abs. 2 B-VG: „Die Urteile und Erkenntnisse werden im Namen der Republik verkündet und ausgefertigt.“ 50 Klaus Lüdicke, c. 1609, Rdnr. 7, in: MK CIC (Stand: April 1990). 51 Aymans-Mörsdorf-Müller, KanR IV, S. 487. Vgl. auch Audomar Scheuermann, Vorschläge zum kirchlichen Eheprozeßrecht, in: AfkKR 136 (1967), S. 4 – 45, hier S. 33: „Die Anrufung des göttlichen Namens bei der Urteilsfällung (…) darf nicht als die anmaßende Behauptung verstanden werden, daß hier im Namen Gottes geurteilt würde. In Wirklichkeit ergeht das Urteil im Namen des Bischofs unter Anrufung des Namens Gottes.“ 52 Klaus Lüdicke, Aufbau des Urteils, c. 1612, in: Rüdiger Althaus/Klaus Lüdicke, Der kirchliche Strafprozess nach dem Codex Iuris Canonici und Nebengesetzen. Normen und
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führenden Anklang“ zu dieser „zivilgerichtlichen Formel … zu vermeiden und den eigentlich intendierten Gebetscharakter der Einleitung besser zu verdeutlichen“, ohne jedoch konkreter zu werden, indem er diese durch „andere geläufige Gebetsanfänge“ zu ersetzen vorschlägt.53 Einer missverständlichen Invokationsformel läßt sich dadurch vorbeugen, dass die Richter schlicht mit dem korrekten Zitat des entsprechenden lateinischen Gesetzespassus „post divini Nominis invocationem …“ oder aber mit der prägnanteren Formulierung des CIC/1917 „Divino Nomine invocato“54 bzw. in deutscher Version „Nach Anrufung des Namens Gottes …“ im Rubrum deutlich machen, dass sie dieser in c. 1609 § 3 i. V. m. c. 1612 § 1 CIC/1983 statuierten Verpflichtung im Sinne eines vorgängigen Gebetes vor der Urteilsfällung nachgekommen sind.55 Diese Einleitungsformel bedarf dann einer Fortführung, wie sie sich beispielsweise bei Rüdiger Althaus findet, der in seinen Vorlagen sowohl für das Protokoll der Urteilssitzung als auch für das Urteil entsprechende Formulierungsvorschläge vorgelegt hat, die für Missverständnisse keine Grundlage bieten.56 Diese lauten: „Nach Anrufung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit haben in der Sitzung vom … für Recht erkannt: …“ bzw. „Nach Anrufung der Allerheiligsten Dreifaltigkeit haben … die … Richter … in der oben genannten Strafsache nachstehendes Urteil in der I. Instanz gesprochen“. Gerade aus c. 1609 § 3 CIC/1983 wird deutlich, dass sich die Richter mit dieser Invocatio in einem „Kontext des Gebetes“57 ihrer Verantwortung vor Gott zu Beginn der Urteilssitzung versichern. Und in der Tat gibt es hierfür eine „Oratio pro Iudicibus“ in Form des traditionellen Gebetes „Adsumus, Domine Sancte Spiritus“58, mit der die Richter sich ins Bewußtsein rufen, „vor dem Heiligen Geist zu stehen und um ihre Hilfsbedürftigkeit zu wissen“, weshalb sie ihn bitten, „der Recht und Güte über Kommentar (= BzMK 61), Essen 22015, S. 339, Rn. 3; Ders., Aufbau des Urteils, ebd., 1612, Rn. 4; Ders., „Dignitas Connubii“. Die Eheprozeßordnung der katholischen Kirche. Text und Kommentar (= BzMK 42), Essen 2005, S. 320, Rn. 2. 53 Weber, Die Ausfertigung eines Ehenichtigkeitsurteils in Kurzform (Anm. 21), S. 273 f. 54 So bereits Prümmer, Manuale Iuris Ecclesiastici (Anm. 28), S. 575: „Valde decet et nunc est praescriptum [sc. Can. 1874 § 1 CIC/1917], ut sententiae tribunalis ecclesiastici incipiant: ,Invocato divino nomine‘“. 55 So geschieht dies beispielsweise in den Urteilen des Erzbischöflichen Konsistoriums und Metropolitangerichts München sowie des Bischöflichen Konsistoriums Augsburg; in ähnlicher Weise auch des Erzbischöflichen Offizialates Freiburg i. Br.: „In Verantwortung vor Gott und nach Anrufung seines Beistandes …“ 56 Vgl. Althaus, Vorlagen, in: Althaus/Lüdicke, Der kirchliche Strafprozess (Anm. 52), Anhang: Vorlagen S. 41 f. Vorlage 26 (Protokoll der Urteilssitzung); Vorlage 27 (Urteil). 57 Vgl. Craig A. Cox, c. 1609, in: J. P. Beal/J. A. Coriden/Th. Green (Hrsg.), New Commentary on the Code of Canon Law, New York/Mahwah 2000, S. 1718. 58 Text in: Pontificale Romanum (1962), Ordo ad Synodum, S. 234. Zu Überlieferung, Stil, Inhalt und Verfasserschaft dieser Oration vgl. Martin Klöckener, Die Liturgie der Diözesansynode. Studien zur Geschichte und Theologie des „Ordo ad Synodum“ des „Pontificale Romanum“ (= LQF 68), Münster 1986, S. 146 – 154 u. passim; außerdem Gian Paolo Montini, „Adsumus, Domine Sancte Spiritus, adsumus“. La preghiera nella sessione per la decisione giudiziale (can. 1609 § 3), in: QDE 16 (2003), S. 164 – 194.
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alles liebt, in sie einzudringen und sie zur rechten Entscheidung zu führen, Fehler zu vermeiden sowie der Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet zu bleiben.“59
III. Zusammenfassende Würdigung Bei der „Invocatio divini Nominis“ im Rubrum kirchlicher Gerichtsurteile handelt es sich um ein der Urteilsfällung vorausgehendes geistliches Geschehen, das als direkte Bezugnahme auf Gott zu verstehen ist. Somit hat die Anrufungsformel auch den Zweck, die kirchliche Entscheidung als eine „religiös relevante“ auszuweisen.60 Gemäß c. 221 § 2 CIC/1983 haben die Gläubigen in kirchlichen Gerichtsverfahren, die gegen sie von der zuständigen kirchlichen Autorität angestrengt worden sind, einen Rechtsanspruch darauf, daß hierbei nach Recht und Billigkeit verfahren und entschieden wird.61 In diesem Zusammenhang erfüllt die vorgängige Anrufung des Namens Gottes einen bedeutsamen Zweck, zumal durch das gesetzliche Gestaltungserfordernis der „Invocatio divini Nominis“ ein wichtiges Recht der Urteilsadressaten gewährleistet wird, nämlich das implizite Recht, zu wissen und darauf vertrauen zu können, dass ihre Angelegenheit von den kirchlichen Richtern in ihrer je eigenen Verantwortung vor Gott entschieden worden ist. Sinn und Zweck der Invokationsformel ist es also, gleich zu Beginn eines Urteils zu dokumentieren, dass die erkennenden Richter bei ihrer Entscheidungsfindung nur Gott vor Augen gehabt haben („solum Deum prae oculis habentes“) und im Vertrauen auf seinen Beistand allein vor ihm im Gewissen (c. 1608 § 3 CIC/1983) verantwortlich sind. Der Anrufung des Namens Gottes kommt daher als Einleitungsformel auf kirchlichen Gerichtsurteilen, insbesondere bei Ehenichtigkeitsverfahren, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, vorausgesetzt, dass sie durch die Wahl einer geeigneten Formulierung von den Urteilsadressaten (klagende und nichtklagende Partei) richtig verstanden wird. Das dient letztlich auch der Akzeptanz kirchlicher Gerichtsentscheidungen. Auf die Invokationsformel zu verzichten, um Missverständnisse auszuschließen, mag durchaus etwas für sich haben, entspräche jedoch nicht der Intention des Gesetzes und dürfte deshalb keine ideale Lösung sein. Im Sinne der Verwirklichung einer kommunikativen Rechtsordnung62 ist es notwendig, dass die Invoka59
Stefan Killermann, Vorwort, in: Bischöfliches Offizialat Eichstätt, Jahresbericht 2015. Hahn, Das kirchliche Richteramt (Anm. 1), S. 670. 61 Vgl. Wilhelm Rees, Rechtsschutz im kirchlichen Strafrecht und in kirchlichen Strafverfahren, in: Müller (Hrsg.), Rechtsschutz in der Kirche (Anm. 9), S. 75 – 105, hier 81 – 84. 62 Vgl. Ludger Müller, Kirchenrecht als kommunikative Ordnung, in: AfkKR 172 (2003), S. 353 – 379, hier bes. 376 – 379. Zur Notwendigkeit der Verständnisorientierung bei der sprachlichen Vermittlung kirchenhoheitlichen Handelns vgl. Judith Hahn, Recht verstehen. Die Kirchenrechtssprache als Fachsprache: rechtslinguistische Probleme und theologische Herausforderung, in: Thomas Schüller/Martin Zumbült (Hrsg.), Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi. FS Lüdicke (= BzMK 70), Essen 2014, S. 163 – 198 bes. 171, 176 – 198. 60
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tionsformel aus sich heraus für die Parteien verständlich sein muss, weil im Rahmen der Verkündung, d. h. der Aushändigung bzw. Zustellung des Urteils keine Besprechung desselben stattfindet, bei der allfällige Erläuterungen gegeben werden könnten. Wenn beim Abfassen des Urteils vor allem auf den Verständnishorizont der Parteien Rücksicht genommen werden soll,63 gilt dies bereits für die Formulierung der erfolgten Anrufung des Namens Gottes.
63 Vgl. Grimm, Die Ausfertigung eines Ehenichtigkeitsurteils in Langform (Anm. 3), S. 266.
VII. Recht der orientalischen Kirchen und ökumenische Fragestellungen
Die staatskirchenrechtliche Stellung katholischer orientalischer Christen in der Bundesrepublik Deutschland Von Michael Benz
Einleitung Aufgrund der weltweiten Wanderungsbewegungen und Flüchtlingsströme kommen zunehmend Katholiken nach Deutschland, die nicht der lateinischen Rituskirche, sondern einer orientalischen Rituskirche angehören. Dass Katholiken sich bei ihrer Anmeldung an den zuständigen staatlichen Stellen als römisch-katholisch (rk) bezeichnen müssen, um ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bekennen zu können, bereitet einigen dieser Christen Schwierigkeiten.1 Nach wie vor gilt, dass die Frage der Rechtsstellung von Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht der lateinischen Rituskirche angehören, wesentlich durch die „durch mehrere Homonyme und Synonyme stark belastete staatskirchenrechtliche und kirchenrechtliche Terminologie nicht wenig erschwert ist.“2 Deshalb muss einer Interpretation der Normen ein Blick auf die Begriffsgeschichte und die Verwendung der entscheidungsrelevanten Begriffe sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in den Rechtsgrundlagen voraus gehen.
I. Begriffe und ihr geschichtlicher Wandel 1. Katholische, römisch-katholische, lateinische, griechisch-katholische und orthodoxe Kirche sowie Ostkirche im allgemeinen Sprachgebrauch Im Verständnis des 19. Jh. war die „Römisch-katholische Kirche, seit der großen Kirchenspaltung von 1054 … die ganze christlich-katholische Kirche des Abendlandes, nach der für den Kultus von allen zu ihr gehörigen Landeskirchen angenomme1 Helmut Pree, Die „Apostolische Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien“ und ihr rechtliches Verhältnis zur Römisch-katholischen Kirche in Deutschland, in: FS Fürst (70), S. 421 – 440, hier S. 436. 2 Carl Gerold Fürst, Zur Frage der Kirchensteuerpflicht von „griechisch-katholischen“ in Bayern, in: ÖAKR 43 (1994), S. 209 – 224, hier S. 209.
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nen lateinischen Sprache auch lateinische Kirche genannt, im Gegensatz zu der griechisch-katholischen oder morgenländischen Kirche“3. Der Lexikonartikel über die „Katholische Kirche, eigentlich die ,allgemeine‘ christliche Kirche, im Gegensatz zu den Sekten oder Häresien …; sodann die gemeinschaftliche Bezeichnung der griechisch-katholischen und der römisch-katholischen Kirche …; im gemeinen Leben endlich nur die letztere im Gegensatz zu der protestantischen“4 lässt die zukünftige Begriffsentwicklung erahnen. Unter „Griechische Kirche (griechisch-katholische oder wie sie sich selbst gern nennt, orientalisch-orthodoxe Kirche)“5 versteht man im 19. Jh. jene Kirche der byzantinischen Tradition, die den Papst nicht als Oberhaupt der Kirche anerkennt. Mitte des 20. Jh. steht dann „katholische Kirche (römisch-katholische Kirche)“6 für jene Kirche, die den Papst zum Oberhaupt hat. Katholisch und römisch-katholisch werden als Synonyme gebraucht und „griechisch-katholisch (griechisch-orthodox), frühere Bez. der orth. Kirche (Ostkirche)“7 wird zumindest noch erwähnt. Griechisch-uniert war die Bezeichnung „für die unter der Jurisdiktion des röm. Papstes stehenden griech. Riten, i. w. S. alle mit Rom unierten Christen der verschiedenen oriental. Riten.“8 Demgegenüber ist „orthodoxe Kirche, Sammel-Bez. für die auf den altkirchlichen Bischofskirchen mit deren apostol. Tradition fußenden, aus der byzantin. Reichskirche hervorgegangenen autokephalen ostkirchl. National- und deren Tochterkirchen“9. „Ostkirche (orientalische Kirche, morgenländische Kirche, anatolische Kirche) Sammel-Bez. für die aus der Osthälfte des Röm. Reichs erwachsenen christlichen Kirchen im Ggs. zur lat. Westkirche (kath. Kirche)“10 umfasst sowohl die orthodoxe Kirche wie auch die altorientalischen Kirchen und die mit Rom unierten Kirchen der verschiedenen orientalischen Riten. Der aktuelle, nach wie vor uneinheitliche Sprachgebrauch ergibt sich exemplarisch aus dem Eintrag der Internet-Enzyklopädie Wikipedia: „Die römisch-katholische Kirche oder nur katholische Kirche (von griechisch jahokij|r katholikós „das Ganze betreffend, allgemein, durchgängig“) ist die größte Kirche innerhalb des Christentums. Sie umfasst 24 Teilkirchen eigenen Rechts mit eigenem Ritus: einerseits die lateinische Kirche (oder Westkirche) als nach Mitgliederzahl die mit Abstand größte, zum anderen die zusammenfassend als katholische Ostkirchen bezeichneten 23 weiteren Rituskirchen. Nach anderem, beispielsweise in Österreich vorherr3 Meyers Konversations-Lexikon, 5. Auflage, Leipzig/Wien, 1896 Bd. XIV, S. 896 – 898, hier S. 896. 4 Meyers Konversations-Lexikon, 5. Auflage, Leipzig/Wien, 1895 Bd. IX, S. 1032. 5 Meyers Konversations-Lexikon, 5. Auflage, Leipzig/Wien, 1894 Bd. VII, S. 961 – 964, hier S. 961. 6 Der große Knaur, 4 Bde., 2. Auflage, Stuttgart/Hamburg 1967, hier, Bd. 2, S. 637. 7 Der große Knaur (Anm. 6), Bd. 2, S. 302, griechisch-katholisch. 8 Der große Knaur (Anm. 6), Bd. 2, S. 302, griechisch-uniert. 9 Der große Knaur (Anm. 6), Bd. 3, S. 462, orthodoxe Kirche. 10 Der große Knaur (Anm. 6), Bd. 3, S. 472, Ostkirche.
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schenden Sprachgebrauch wird die Gesamtheit „katholische Kirche“ genannt, „römisch-katholische Kirche“ hingegen eingeschränkt auf die lateinische Kirche verwendet und den anderen, etwa „griechisch-katholischen“ oder „armenisch-katholischen“ Riten gegenübergestellt.“11 Im allgemeinen Sprachgebrauch haben die Begriffe in den letzten etwa 120 Jahren zum Teil einen nicht unerheblichen Wandel erfahren. Sie sind oft mehrdeutig und der Sprachgebrauch ist uneinheitlich. 2. Katholische, römisch-katholische, lateinische, griechisch-katholische und orthodoxe Kirche sowie Ostkirche im Sprachgebrauch der Katholischen Kirche Die vom Papst und den Bischöfen in Gemeinschaft mit dem Papst geleitete „Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist in der katholischen Kirche verwirklicht“ (c. 204 § 2 CIC/1983 und c. 7 § 2 CCEO). Diese Normen des lateinischen wie des orientalischen Kirchenrechts belegen, dass mit der Bezeichnung katholische Kirche die ganze Kirche und nicht nur ein Teil der Kirche bezeichnet wird. Dass selbst der amtliche Sprachgebrauch in der katholischen Kirche variiert, belegt zum einen die Bezeichnung der Gemeinde für die rumänischen griechisch-katholischen Christen als „Rumänische Griechische Kath. Gemeinde München“12 und zum anderen die wenige Jahre später erfolgte Festlegung der amtlichen Bezeichnung für die Rituskirche als „Rumänische griechisch-katholische Kirche“13. Dies müsste eine Bezeichnung der Gemeinde für die rumänischen griechisch-katholischen Christen als Rumänische griechisch-katholische Gemeinde München zur Folge haben. Die Bezeichnung griechisch-katholisch entstammt der „staatskirchenrechtlichen Terminologie in den ehemaligen habsburgischen Territorien“14 und diente der Unterscheidung zwischen den orthodoxen Christen einerseits und „den Angehörigen anderer in den habsburgischen Territorien bestehender Zweige der katholischen Kirche, nämlich dem lateinischen Ritus (der auch, später nahezu ausschließlich, als römischkatholischer Ritus bezeichnet wurde) und dem armenisch-katholischen Ritus.“15 Heute ist die Bezeichnung griechisch-katholisch ein in der katholischen Kirche amtlich anerkannter Bestandteil des Namens jener Rituskirchen, die der konstantinopo11
Wikipedia, die freie Enzyklopädie (Hrsg.), Artikel „Römisch-katholische Kirche“, online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Römisch-katholische_Kirche (eingesehen am 02. 05. 2019). 12 ABl. für das Erzbistum München und Freising (2014), S. 52. 13 ABl. für das Erzbistum München und Freising (2018), S. 589. 14 Fürst, Kirchensteuerpflicht (Anm. 2), S. 213. 15 Ebd. (Anm. 2), S. 214.
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litanischen bzw. byzantinischen Tradition angehören16 und den Papst als Oberhaupt der Kirche anerkennen. Auch in der Kirchenrechtswissenschaft wird die Bezeichnung römisch-katholisch ambivalent gebraucht. So wird ausgeführt, das Zweite Vatikanische Konzil lehre die Heilsnotwendigkeit der Kirche, „doch nicht in dem Sinne, dass es außerhalb der römisch-katholischen Kirche keine wahre Heilsmöglichkeiten gäbe.“17 An anderer Stelle wird das Verhältnis „der römisch-katholischen zu den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften“18 erwähnt. Beides belegt die Verwendung von „katholisch“ und „römisch-katholisch“ als Synonyme. Andererseits wird aber auch die lateinische Rituskirche als römisch-katholische Kirche bezeichnet.19 3. Der Sprachgebrauch in den Konkordaten und Kirchenverträgen mit dem Heiligen Stuhl In der folgenden Durchsicht der im Bereich des Deutschen Reichs oder der Bundesrepublik Deutschland mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen Konkordate und Verträge ist zu prüfen, welcher Sprachgebrauch in diesem Bereich besteht. Um gegebenenfalls auch eine Begriffsentwicklung feststellen zu können, werden die Konkordate und Verträge in der Reihenfolge ihres Abschlusses behandelt. Wenn jedoch mit dem gleichen Vertragspartner weitere Vereinbarungen geschlossen wurden, werden diese im unmittelbaren Anschluss an den ersten Vertrag behandelt. Das Bayerische Konkordat vom 29. März 1924 spricht von der „katholischen Kirche“ (z. B. Art. 1 § 3; Art. 10 § 1 BayK) oder auch einfach der „Kirche“ (z. B. Art. 1 § 2; Art. 8 § 1 und Art. 13 § 1 BayK). Die Regierungsbegründung zum Konkordat20 verwendet durchgängig die Bezeichnung „katholische Kirche“, dies schon deshalb, weil in der gleichen Regierungsbegründung auch die Verträge mit den evangelischen Kirchen behandelt werden und so der Bezug auf die jeweilige Kirche hergestellt werden muss21. Der Hinweis in der Regierungsbegründung, mit Art. 14 § 1 BayK beschränke „das Oberhaupt der katholischen Kirche die ihm nach dem Cod. iur. can. c. 329 § 2 an sich zustehende freie Auswahl hinsichtlich der Besetzung der erzbi-
16 Vgl. Helmuth Pree, Eine Kirche in vielen Völkern, Sprachen und Riten, in: AfkKR 178 (2009), S. 396 – 426, hier S. 405 – 411; ABl. für das Erzbistum München und Freising (2018), S. 588 f. 17 Felix Bernard, Die Berufung zur Kirche, in: HdbkathKR3, S. 255 – 267, hier S. 259. 18 Ebd. (Anm. 17), S. 260. 19 Pree, Apostolische Exarchie (Anm. 1), S. 433. 20 Regierungsbegründung zum Gesetz, zum Konkordat und zu den Kirchenverträgen, abgedruckt in: Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde., Berlin 1987, hier 1. Bd., S. 303 – 319. 21 Ebd. (Anm. 20), S. 311 – 314.
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schöflichen und bischöflichen Stühle“22, bestätigt, dass für den Freistaat Bayern Vertragspartner die Gesamtkirche und nicht allein die lateinische Kirche ist. Im Preußischen Konkordat vom 14. Juni 1929 finden sich die „katholische Kirche Preußens“ (Art. 2, Abs. 1 PreußK), die „katholische Religion“ (Art. 1 PreußK) und die „katholisch-theologischen Fakultäten“ (Art. 12 PreußK), jeweils ohne nähere Bestimmung, was mit katholisch gemeint ist. Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932 spricht von „Katholischer Kirche“ (z. B. Art. IV, Abs. 3; Art. V, Abs. 1 BadK) oder auch einfach „der Kirche“ (z. B. Art. V, Abs. 2 und 3 BadK). In der Regierungsbegründung zum Badischen Konkordat wird ausschließlich im geschichtlichen Rückblick erwähnt, dass „der Römisch-katholischen Kirche und der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche“23 im Gesetz vom 9. Oktober 1860 das Recht der öffentlichen Gottesverehrung gewährleistet wurde, ansonsten wird auch in der Regierungsbegründung von der katholischen Kirche oder einfach der Kirche gesprochen. Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 verwendet „katholische Kirche“ (z. B. Art. 1; Art. 2; Art. 11 RK) oder einfach nur „Kirche“ (z. B. Art. 14; Art. 20 RK). Der Vertrag des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Heiligen Stuhl vom 19. Dezember 1956 greift anlässlich der Errichtung des Bistums Essen Art. 2, Abs. 9 PreußK auf24, ohne die Worte katholisch oder katholische Kirche zu verwenden. Der Vertrag vom 26. März 198425 regelt Fragen des Hochschulrechts. Aus der Bezugnahme im Schlussprotokoll zu Artikel I auf das „Lehramt der Katholischen Kirche“26 geht hervor, dass Katholische Kirche die Gesamtkirche bezeichnet. Das Niedersachsenkonkordat vom 26. Februar 1965 regelt im Wesentlichen Fragen des Hochschulrechts und spricht deshalb von „Katholischer Theologie“ (z. B. Art. I; Art. II, Abs. 2 NdsK), aber auch von „Katholischer Kirche“ (Art. III, Abs. 2 NdsK). Der Vertrag mit Rheinland-Pfalz vom 29. April 1969 verwendet das Adjektiv „katholisch“ und bezeichnet damit zum einen die „katholische Theologie“ (Art. 1, Abs. 1, Nr. 1 Rheinl.-Pfälz. K), zum anderen die Verpflichtung zur Erfüllung des Auftrags „im Geiste der katholischen Lehre“ (Art. 1, Abs. 1, Nr. 2 Rheinl.-Pfälz.
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Ebd. (Anm. 20), S. 310. Regierungsbegründung zum Badischen Konkordat, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 1. Bd., S. 151 – 172, hier S. 155. 24 Vertrag des Landes Nordrhein-Westfalen mit dem Heiligen Stuhl über die Errichtung des Bistums Essen vom 19. Dezember 1956, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 230 – 233, hier S. 230. 25 Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Heiligen Stuhl nebst Schlussprotokoll vom 26. März 1984, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 297 – 306. 26 Ebd. (Anm. 20), S. 304. 23
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K). Der Vertrag vom 15. Mai 197327 nennt als Motiv für den Vertragsabschluss „die bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und dem Land aufrechtzuerhalten und zu fördern“28. Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Saarland vom 12. November 196929 erwähnt katholische Lehrer, katholische Schüler und katholische Theologie (Art. 1, Abs. 2.; Art. 2). Im Vertrag vom 21. Februar 197530 wird die katholische Kirche (z. B. Art. 1; Art. 4.) genannt, ohne das Adjektiv „katholisch“ näher zu bestimmen. Gleiches gilt für den Vertrag vom 12. Februar 1985.31 Der Vertrag zur Errichtung des Erzbistums Hamburg und der Kirchenprovinz Hamburg vom 22. September 199432 enthält lediglich zu Beginn den Hinweis auf das Bemühen der katholischen Kirche um Verbesserung der pastoralen Situation; im weiteren Text kommen „katholische Kirche“ oder „Kirche“ nicht vor. Der Vertrag mit der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 200533 spricht zunächst von „der Katholischen Kirche“, um dann festzulegen, dass diese „im Folgenden: die Kirche“ genannt werde (Art. 1. HambK). Im Vertrag mit dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 199634 ist durchgängig von „katholischer Kirche“ (z. B. Art. 1, Abs. 2; Art. 4 SächsK) die Rede. So verpflichtet sich die Kirche dazu, für die Anliegen der Sorben einzutreten mit den Worten: „Die katholische Kirche wird das katholisch geprägte sorbische Kulturgut bewahren und schützen.“ (Art. 10 SächsK)
27 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Rheinland-Pfalz über Fragen des Schulwesens und der Lehrerfort- und -weiterbildung nebst Schlußprotokoll vom 15. Mai 1973, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 438 – 449. 28 Ebd. (Anm. 20), S. 439. 29 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Saarland über die Lehrerbildung nebst Zusatzprotokoll vom 12. November 1969, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 571 – 575. 30 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Saarland über die Privatschulen in Trägerschaft der katholischen Kirche nebst Zusatzprotokoll vom 21. Februar 1975, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 585 – 591. 31 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Saarland über die Ausbildung von Lehrkräften für das Fach Katholische Religion und über die Erteilung katholischen Religionsunterrichts an den Schulen im Saarland nebst Zusatzprotokoll vom 12. Februar 1985, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 620 – 628. 32 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und dem Land Schleswig-Holstein vom 22. September 1994 über die Errichtung von Erzbistum und Kirchenprovinz Hamburg, abgedruckt in: AfkKR 163 (1994), S. 570 – 576. 33 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005, abgedruckt in: AfkKR 174 (2005), S. 626 – 640. 34 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vom 2. Juli 1996, abgedruckt in: AfkKR 165 (1996), S. 603 – 632.
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Im Vertrag mit dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 199735 wird die „Katholische Kirche“ ohne weitere Präzisierungen erwähnt (z. B. Art. 1, Abs. 2; Art. 9 – 11 ThürK). Der Vertrag mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 199736 hält sich mit einer Ausnahme an die Sprachregelung, wonach die „katholischen Kirche (im Folgenden: die Kirche)“ (Art. 1 Meckl.-Vorp. K) genannt wird. Die Landesregierung verpflichtet sich, „die Erzbischöfe von Gesetzesvorhaben und Programmen, die Belange der Kirche unmittelbar berühren“ (Art. 3, Abs. 2 Meckl.-Vorp. K) zu unterrichten und zu hören. In diesem Zusammenhang werden die Erzbistümer Berlin und Hamburg verpflichtet, „ihre Angelegenheiten gegenüber dem Land einheitlich“ (Art. 3, Abs. 3 Meckl.-Vorp. K) zu vertreten. Der Vertrag mit dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 199837 spricht durchgängig von Katholischer Kirche (z. B. Art. 1, Abs. 2; Art. 6, Abs. 1; Art. 7, Abs. 1 u. 2 Sachs.-Anh. K). Für die zukünftige Zusammenarbeit wird vereinbart: „Bei Gesetzgebungsvorhaben und Programmen auf Sachgebieten, die die Belange der Katholischen Kirche unmittelbar betreffen, wird die Landesregierung die Katholische Kirche angemessen beteiligen.“ (Art. 2, Abs. 2 Sachs.-Anh. K) Hierzu bestellen „die Diözesanbischöfe einen Beauftragten und richten am Sitz der Landesregierung ein Katholisches Büro als Kommissariat der Bischöfe im Land Sachsen-Anhalt ein.“ (Art. 2, Abs. 3 Sachs.-Anh. K) Im Vertrag mit dem Land Brandenburg vom 12. November 200338 wird durchweg die Bezeichnung „katholische Kirche“ (z. B. Art. 1, Abs. 2; Art. 3; Art. 5, Abs. 1; Art. 7 BrandenbK) gebraucht. In der Vereinbarung mit der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 200339 findet sich durchgängig „Katholische Kirche“ (z. B. Art. 3; Art 4, Abs. 1 u. 3; Art. 11 BremK). Die Landesregierung verpflichtet sich, zur „Klärung von Fragen, die das Verhältnis von Staat und Katholischer Kirche betreffen,“ (Art. 22 BremK) regelmäßige Gespräche mit den Bischöfen zu führen und bei „Rechtsetzungsvorhaben und Programmen, die kirchliche Belange berühren, ist die Katholische Kirche angemessen zu berücksichtigen.“ (Art. 22, Abs. 2 BremK) Um dies zu gewährleisten, „bestellt die Katholische Kirche einen Beauftragten und richtet ein Katholisches Büro als Kommissariat der Bischöfe ein.“ (Art. 22, Abs. 3 BremK) 35
Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen vom 11. Juni 1997, abgedruckt in: AfkKR 166 (1997), S. 214 – 247. 36 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1997, abgedruckt in; AfkKR 166 (1997), S. 616 – 632. 37 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt vom 15. Januar 1998, abgedruckt in: AfkKR 167 (1998), S. 253 – 277. 38 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003, abgedruckt in: AfkKR 172 (2003), S. 543 – 570. 39 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien Hansestadt Bremen vom 21. November 2003, abgedruckt in; AfkKR 172 (2003), S. 571 – 588.
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Der Vertrag mit dem Land Schleswig-Holstein vom 12. Januar 200940 gebraucht konsequent die Bezeichnung „Katholische Kirche“ (z. B. Art. 1; Art. 7, Abs. 1; Art. 14 Schlesw.-Holst.K). Im Hinblick auf die zukünftige Zusammenarbeit mit der Landesregierung wird vereinbart, dass diese den Erzbischof von Hamburg „von ihren Gesetzgebungs- und anderen Vorhaben, welche die Belange der Katholischen Kirche unmittelbar berühren“ unterrichtet und hört (Art 4, Abs. 3 Schlesw.-Holst.K). Durchweg geht es in den Verträgen mit dem Heiligen Stuhl um die Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen Staat und katholischer Kirche, ohne erkennbare Begrenzung auf die lateinische Rituskirche bzw. die Angehörigen der lateinischen Rituskirche. Insbesondere aus Bestimmungen in Verträgen, die nach der Wiedervereinigung geschlossen wurden, geht zweifelsfrei hervor, dass nach gemeinsamer Auffassung von Heiligem Stuhl und Staat die katholische Kirche und deren Interessen gegenüber dem Staat allein durch die lateinischen (Erz-)Bistümer vertreten werden (Art. 3 Meckl.-Vorp. K, Art. 2, Abs. 2 und 3 Sachs.-Anh. K, Art. 22 BremK, Art 4, Abs. 3 Schlesw.-Holst.K). Die Verwendung der Bezeichnung römisch-katholische Kirche in der Regierungsbegründung zum Badischen Konkordat folgt dem Wortgebrauch, wie er von Meyers Konversations-Lexikon41 referiert wird und dient der Kennzeichnung der katholischen Kirche in Abgrenzung von der evangelischen Kirche. Weiter ist festzustellen, dass in keiner der Vereinbarungen auch nur ein Hinweis auf eine Unterscheidung der Angehörigen der katholischen Kirche nach ihrem Ritus zu finden ist. Dies ist insofern bemerkenswert, als zum einen im Vertrag mit dem Freistaat Sachsen ausdrücklich die Gruppe der Sorben erwähnt wird (Art. 10 SächsK), Minderheiten also durchaus im Blick waren, und zum anderen in Verträgen mit anderen Staaten die verschiedenen Riten und deren Angehörige ausdrücklich von den Regelungen der jeweiligen Konkordate mitumfasst sind.42 Insgesamt ist unstrittig, dass Konkordate mit dem Papst nicht als Oberhaupt der lateinischen Rituskirche „sondern mit dem Völkerrechtssubjekt „Heiliger Stuhl“ als Repräsentant der katholischen Gesamtkirche geschlossen werden.“43 4. Der Sprachgebrauch in Vereinbarungen der Länder mit katholischen Bistümern Die Vereinbarung des Freistaates Bayern mit den bayerischen Diözesen vom Februar 1963 legt eingangs fest, dass die Vertragspartner Staat und Kirche genannt wer40 Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und dem Heiligen Stuhl vom 12. Januar 2009, abgedruckt in: AfkKR 178 (2009), S. 246 – 254. 41 Vgl. Anm. 3. 42 Vgl. Fürst, Kirchensteuerpflicht (Anm. 2), S. 215, Anm. 24. 43 Pree, Apostolische Exarchie (Anm. 1), S. 433.
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den,44 so dass ausschließlich im Titel der Vereinbarung die katholischen Diözesen genannt werden. Der am 23. März 2017 geschlossene Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und den sieben römisch-katholischen (Erz-)Diözesen in Bayern über den Vollzug der staatlichen Baupflicht an kircheneigenen Kirchengebäuden, der als Vertragspartner die „sieben römisch-katholischen (Erz-)Diözesen in Bayern“45 nennt, spricht dann unmittelbar im Anschluss daran von den „sieben katholischen (Erz-)Diözesen in Bayern“46. In den Vertragswerken zwischen dem Land Hessen und den Bistümern Fulda, Limburg und Mainz sowie dem Erzbistum Paderborn47 wird vorrangig von den Bistümern bzw. dem jeweiligen Bistum gesprochen. Der Vertrag zwischen dem Land Hessen einerseits und den Bistümern Fulda, Limburg und Mainz sowie dem Erzbistum Paderborn andererseits zur Ergänzung des Vertrages des Landes Hessen mit den Katholischen Bistümern in Hessen vom 9. März 1963 nebst Schlussprotokoll vom 29. März 197448 regelt in den Artikeln 6 und 7 das Recht der Bistümer auf Erhebung von Kirchensteuern49. In der Regierungsbegründung zum Gesetz und Vertrag wird ausgeführt, der Vertrag von 1963 „bezweckte die Neuordnung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Staat und der Katholischen Kirche im Lande Hessen“50, was darauf schließen lässt, dass das Land Hessen durch die vertragsschließenden lateinischen Bistümern die Katholische Kirche und nicht nur die lateinische Rituskirche in Hessen vertreten sieht. In den Vereinbarungen des Landes Rheinland-Pfalz mit dem Erzbistum Köln und den Bistümern Limburg, Trier, Mainz und Speyer51 ist entweder von der Kirche52 oder auch den Kirchen53 sowie von „der Katholischen Kirche“54 die Rede. 44 Vereinbarung zwischen dem Freistaat Bayern und den sieben katholischen Diözesen in Bayern über die Erfüllung der staatlichen Baupflicht an Pfarrgebäuden nebst Protokollnotizen sowie Anlagen 1 bis 3 vom 5./6./28. Februar 1963, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 1. Bd., S. 325 – 357, hier S. 325. 45 Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und den sieben römisch-katholischen (Erz-) Diözesen in Bayern über den Vollzug der staatlichen Baupflicht an kircheneigenen Kirchengebäuden: ABl für das Erzbistum München und Freising (2017), S. 226 – 238, hier S. 226. 46 Ebd. (Anm. 45), S. 227, § 1, Abs. 1. 47 Siehe Konkordate (Anm. 20), 1. Bd., S. 743 – 800. 48 Vertrag zwischen dem Land Hessen einerseits und den Bistümern Fulda, Limburg und Mainz sowie dem Erzbistum Paderborn andererseits zur Ergänzung des Vertrages des Landes Hessen mit den Katholischen Bistümern in Hessen vom 9. März 1963 nebst Schlussprotokoll vom 29. März 1974, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 1. Bd., S. 766 – 774. 49 Ebd. (Anm. 20), S. 769, Art. 6 und 7. 50 Regierungsbegründung zum Gesetz und Vertrag, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 1. Bd., S. 775 – 781, hier 775. 51 Siehe Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 405 – 411, 414 – 420, 453 – 459, 461 f., 464 – 469 und 479 f. 52 Vereinbarung zwischen dem Lande Rheinland-Pfalz und dem Erzbistum Köln, dem Bistum Limburg, dem Bistum Trier, dem Bistum Mainz, dem Bistum Speyer über den Ab-
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Die Vereinbarung des Saarlandes mit den Bistümern Trier und Speyer vom 13./ 16. Oktober 196955 nennt durchgängig die „Kirche“ ohne ein näher qualifizierendes Adjektiv56, während im Vertrag vom 10. Februar 1977 weder die Worte „Kirche“ noch „katholisch“ vorkommen und durchgängig von Bistümern die Rede ist57. Auch dieser nur exemplarische Blick in einige Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche auf der Ebene der Bundesländer und Bistümer zeigt, dass katholisch und römisch-katholisch Synonyme sind, die gerade nicht dazu dienen, innerhalb der einen katholischen Kirche den Unterschied zwischen lateinischer Rituskirche und orientalischen Rituskirchen zum Ausdruck zu bringen.
II. Der Sprachgebrauch in drei Anwendungsfeldern staatskirchenrechtlicher Bestimmungen 1. Religionsunterricht und Missio canonica Das Recht zur Erteilung katholischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen ist Gegenstand zahlreicher Konkordate und Staatskirchenverträge. Oft wird erwähnt, dass der katholische Religionsunterricht in Übereinstimmung mit der Lehre der katholischen Kirche zu erteilen ist (Art. XI BadK, Art. 21 RK, Art. VII, Abs. 1 NdsK, Art. 5, Abs. 1 HambK, Art. 12, Abs. 2 ThürK, Art. 4, Abs. 2 Meckl.-Vorp. K, Art. 4, Abs. 4 Sachs.-Anh. K, Art. 4, Abs. 1 BrandenbK, Art. 5, Abs. 1 Schlesw.-Holst. K.). Voraussetzung für die Erteilung des katholisches Religionsunterrichts ist die Erteilung der Missio canonica durch den zuständigen Diözesanbischof (Art. 5, § 2 BayK, Art. VII, Abs. 3 NdsK, Art. 3 Vertrag mit dem Saarland58, Art. 3, Abs. 3 schluß von Gestellungsverträgen für Religionslehrer vom 1. April 1964, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 405 – 411, hier S. 407 § 1, Abs. 1, 2. Satz. 53 Vereinbarung zwischen dem Lande Rheinland-Pfalz und dem Erzbistum Köln, dem Bistum Limburg, dem Bistum Trier, dem Bistum Mainz, dem Bistum Speyer über die Erteilung des katholischen Religionsunterrichts an Volksschulen durch Geistliche und Katecheten und über sein Vergütung vom 26. August 1964, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 414 – 402, hier S. 415, § 2, Abs. 2. 54 Vertrag zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Erzbistum Köln sowie den Bistümern Limburg, Mainz, Speyer und Trier über Fragen der Rechtsstellung und Vermögensverwaltung der Katholischen Kirche nebst Schlussprotokoll vom 18. September 1975, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 464 – 469, hier S. 464. 55 Vereinbarung des Saarlandes mit den Bistümern Trier und Speyer über die Erteilung des katholischen Religionsunterrichts, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 563 – 568. 56 Z. B. ebd. (Anm. 20), S. 565, § 9, Abs. 1; § 10. 57 Vertrag zwischen dem Saarland und den Bistümern Trier und Speyer über Fragen der Rechtsstellung der Bistümer Speyer und Trier und ihrer Vermögensverwaltung nebst Schlußprotokoll vom 10. Februar 1977, abgedruckt in: Konkordate (Anm. 20), 2. Bd., S. 594 – 599. 58 Vertrag Saarland 1969 (Anm. 29), S. 573.
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SächsK, Art. 12, Abs. 4 ThürK, Art. 4, Abs. 3 Meckl.-Vorp. K, Art. 4, Abs. 3 Sachs.Anh. K, Art. 4, Abs. 2 BrandenbK). Ausdrücklich wird der Erzbischof von Hamburg als zuständige Autorität für die Erteilung der Missio canonica im Vertrag mit der Freien und Hansestadt Hamburg (Art. 5, Abs. 2 HambK) sowie im Vertrag mit dem Land Schleswig-Holstein (Art. 5, Abs. 2 Schlesw.-Holst. K) genannt. 2. Schaffung kirchlicher Organisationsstrukturen Immer wieder wird festgehalten, dass die bestehende kirchliche Struktur, die Diözesen und Kirchenprovinzen, mit Ausnahme der im jeweiligen Vertrag vereinbarten Veränderungen unverändert bestehen bleiben (Art. 12 BayK, Art. 2, Abs. 1 PreußK, Art. II, Abs. 1 BadK, Art. 11 RK, Art. 2 NdsK, Art. 4 ThürK). Zukünftige Veränderungen werden ausdrücklich unter den Vorbehalt einer in diesem Fall zu schließenden Vereinbarung gestellt (Art. 2, Abs. 9 PreußK, Art. 11 RK, Art. 2, Abs. 4 NdsK, Art. 15 SächsK, Art. 4 ThürK). Der Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Heiligen Stuhl zur Errichtung des Bistums Essen im Jahr 1956 wird ausdrücklich als „eine ergänzende Vereinbarung“59 gem. Art. 2, Abs. 9 PreußK angesehen. Auch der Vertrag zur Errichtung des Erzbistums Hamburg wird unter Anerkennung der Weitergeltung des Preußen Konkordats und Reichskonkordats geschlossen.60 3. Kirchensteuer61 In einigen Konkordaten wird der Kirche allgemein das Recht zugestanden, auf der Grundlage der bürgerlichen Steuerlisten Umlagen zu erheben (Art. 10, § 5 BayK, Art. IV, Abs. 4 BadK, Art. 21, Abs. 1 SächsK, Art. 25, Abs. 1 ThürK, Art. 19, Abs. 1 Sachs.-Anh. K, Art. 19, Abs. 1 BremK) und im Schlussprotokoll zum Reichskonkordat wird zugesichert, „dass das Recht der Kirche, Steuern zu erheben, gewährleistet bleibt.“ (Schlußprotokoll zu Art. 13 RK) In anderen Verträgen wird präzisiert, dass die Kirche das Recht zur Erhebung von Kirchensteuern von den „Angehörigen der Katholischen Kirche“ (Art. 14, Abs. 1 NdsK) oder auch von „ihren Mitgliedern“ (Art. 16, Abs. 1 HambK, Art 18, Abs. 1 Meckl.-Vorp. K, Art. 16, Abs. 1 Schlesw.-Holst. K) hat. Eine Verständigung der im jeweiligen Land beteiligten Bistümer auf einen einheitlichen Steuersatz wird teilweise ausdrücklich verlangt (Art. 21, Abs. 2 SächsK, 59
Vertrag Nordrhein-Westfalen 1956, vor § 1 (Anm. 24). Vgl. Anm. 32. 61 Vgl. hierzu Till Hünermund, Kirchensteuer und Kapitalertragsteuer. Die Auswirkungen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 im System der Kirchensteuererhebung (= BzMK 73) Essen 2016, S. 19 – 31. 60
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Art. 25, Abs. 2 ThürK, Art. 18, Abs. 2 Meckl.-Vorp. K, Art. 19, Abs. 2 Sachs.Anh. K, Art. 17, Abs. 2 BrandenbK, Art. 19, Abs. 2 BremK). Während in den Konkordaten und Verträgen mit dem Heiligen Stuhl nur von Kirche oder katholischer Kirche gesprochen wird, stellt Fürst nach Durchsicht der landesrechtlichen Bestimmungen fest, dass die „Identität römisch-katholische Kirche“ und „katholische (= Katholische) Kirche“ aus den Kirchensteuergesetzen der Bundesländer abzuleiten ist, die, wenn sie überhaupt die Katholische Kirche ausdrücklich erwähnen, nur zufällig nach dem Erarbeiter der Gesetzesvorlage entweder den Begriff „Katholische Kirche“ (so z. B. Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) oder den Begriff „Römisch-katholische Kirche“ (so z. B. Bayern und Saarland) verwenden.“62 Diesem Befund entspricht, dass für die Erfassung der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche im staatlichen Bereich einzig und allein das Merkmal rk63 zur Verfügung steht. In einer aktuellen Darstellung zur Kirchensteuer werden die verschiedenen Rituskirchen in der katholischen Kirche allein im Kontext der Kirchensteuer bei Asylsuchenden und Flüchtlingen erwähnt. Wenn auch durchaus in kritikwürdiger Wortwahl wird dazu ausgeführt: „Eine etwas größere, aber gegenüber Orthodoxen und Orientalen immer noch marginale Gruppe sind die Katholiken bzw. die mit der katholischen Kirche unierten orthodoxen Christen, die kirchenrechtlich dann der römisch-katholischen Kirche zugehören.“64 Da das Kirchensteuerrecht „zu den sogenannten gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche“65 gehört, ist der innerkirchliche Sprachgebrauch ebenso in den Blick zu nehmen, wie der Sprachgebrauch in den Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche und in den Bestimmungen des staatlichen Rechts.
III. Zur staatskirchenrechtliche Stellung von Angehörigen katholischer orientalischer Kirchen ohne eigenen Oberhirten 1. Kirchenrechtliche Bestimmungen über katholische orientalische Christen ohne eigenen Oberhirten Ob in der Bundesrepublik Deutschland lebende katholische Christen, die nicht der lateinischen Rituskirche angehören, vom Staat als Glieder der katholischen Kirche anzusehen sind, die bzw. deren Interessen gegenüber dem Staat durch die Diözesanbischöfe der lateinischen Diözesen vertreten werden, richtet sich in erster Linie nach 62
Fürst, Kirchensteuerpflicht (Anm. 2), S. 216. Vgl. Pree, Apostolische Exarchie (Anm. 1), S. 436; Jens Petersen, Kirchensteuer kompakt, Wiesbaden 32017, S. 299 – 306. 64 Petersen, Kirchensteuer (Anm. 63), S. 97. 65 Ebd. (Anm. 63), S. 11. 63
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dem kirchlichen Selbstverständnis und dem kirchlichen Recht, denn es ist unstrittig, dass die Frage der Kirchenzugehörigkeit im Wesentlichen nach kirchlichem Recht zu beurteilen ist.66 Oberhaupt der katholischen Kirche ist der Papst; er verfügt „kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann.“ (c. 331 CIC/1983 i. V. m. c. 43 CCEO). Der Papst ist der „Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden“ (c. 331 CIC/1983 i. V. m. c. 43 CCEO). „In organisatorischer Hinsicht ist die fundamentale Gliederung der katholischen Gesamtkirche diejenige nach autonomen Rituskirchen. Dabei stehen die katholisch-orientalischen Rituskirchen prinzipiell gleichberechtigt neben der lateinischen Kirche des Westens.“67 Zur katholischen Kirche gehören alle Getauften, die „durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung“ (c. 205 CIC/1983 i. V. m. c. 8 CCEO) verbunden sind. An der Zugehörigkeit der katholischen orientalischen Christen zur katholischen Kirche kann angesichts dieser Normen kein Zweifel bestehen.68 Ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nach kirchlichem Recht ist von den staatlichen Stellen anzuerkennen. Die Instruktion „Erga migrantes caritas Christi“ des Päpstlichen Rates der Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs vom 3. Mai 200469, betont die Verantwortung des Diözesanbischofs in Art. 1 § 2 der rechtlich-pastoralen Weisungen unter Bezug auf die beiden Codices: „Da die Migranten durch den Wohnsitz oder Nebenwohnsitz kirchenrechtlich zu einer Pfarrei und zu einer Diözese/Eparchie gehören (CIC can. 100 – 107; CCEO can. 911 – 917), ist es Aufgabe des Pfarrers und des Diözesan- oder Eparchialbischofs, ihnen die gleiche Seelsorge zukommen zu lassen, die sie ihren eigenen, einheimischen Untergebenen schulden.“70 Hieraus ergibt sich unter den derzeit herrschenden Gegebenheiten in der Bundesrepublik Deutschland die Zuordnung und Einbindung der orientalischen Katholiken in die jeweilige lateinische Diözese71. Der lateinische Bischof ist der für sie zuständige Oberhirte, er „erhält dadurch jurisdiktionelle Gewalt über die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen der anderen Ecclesia sui iuris, die aber deshalb gleichwohl, wie gesagt, nicht dem lateinischen Recht insgesamt unterstellt werden. Das Weisungs66
Vgl. ebd. (Anm. 63), S. 91; Axel Frhr. von Campenhausen, Die staatskirchenrechtliche Bedeutung des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts, in: HdbStKirchR2, S. 755 – 775. 67 Winfried Aymans, Gliederungs- und Organisationsprinzipien, in: HdbKathKR3, S. 430 – 441, hier S. 433. 68 Rüdiger Althaus, Zugehörigkeit zur Kirche, in: HdbKathKR3, S. 268 – 288, hier S. 274. 69 Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, Instruktion Erga migrantes caritas Christi (Die Liebe Christi zu den Migranten) (= VApSt 165). 70 Ebd. (Anm. 69), Art. 1, § 2. 71 Der staatskirchenrechtliche Status der Angehörigen der Apostolischen Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien bedarf einer eigenen Erörterung und kann an dieser Stelle nicht behandelt werden.
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recht der lateinischen Bischöfe über Orientalen muss sich in den Grenzen des CCEO, des CIC, des sonstigen für die jeweilige Kirche hier geltenden Rechts einschließlich spezieller Verfügungen der Orientalenkongregation bewegen.“72 Aus Sicht der Kirche selbst kann die Zugehörigkeit zur Kirche „nicht widerrufen werden, weil die gültig empfangene Taufe ein unauslöschliches Prägemal (character indelebilis) bewirkt. Somit bleibt der in der katholischen Kirche Getaufte oder in sie Aufgenommene aufgrund des ekklesiologischen Selbstverständnisses der katholischen Kirche untrennbar ihr Glied entsprechend dem Grundsatz semel catholicus, semper catholicus. Keine wie auch immer geartete Erklärung durch eine strafbare Handlung kann daran etwas ändern.“73 2. Konsequenzen der kirchenrechtlichen Bestimmungen im Bereich des Staatskirchenrechts und des staatlichen Rechts Wenn und insoweit die Kirchenzugehörigkeit Wirkungen im Bereich des staatlichen Rechts entfaltet, beansprucht jedoch auch der Staat als Herr „der weltlichen Rechtsordnung eine Regelungskompetenz“74. Dies zeigt sich insbesondere in der Gesetzgebung zum Kirchenaustritt, denn das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG) „schließt die Anerkennung solcher Mitgliedschaftsregelungen von Religionsgemeinschaften aus, die Menschen gegen deren Willen als Religionsgenossen in Anspruch nehmen oder keinen Austritt zulassen. Das staatliche Recht kann mit anderen Worten nur solche Regelungen anerkennen, die auf den freien Willen des Betroffenen abstellen und diesen nicht einseitig „ohne Rücksicht auf seinen Willen … eingliedern“. Für den internen Bereich bleibt es den Religionsgemeinschaften unbenommen, auch solche Personen als Religionsgenossen zu behandeln, die davon nichts wissen oder nichts wissen wollen.“75 Aus dem Widerspruch zwischen der staatlichen Regelung zum Kirchenaustritt und dem kirchlichen Selbstverständnis ergibt sich: „Von der Kirchenzugehörigkeit nach kirchlichem Verständnis ist diejenige nach Maßgabe des weltlichen Rechts zu unterscheiden.“76 Die Zugehörigkeit nach weltlichem Recht und eine gegebenenfalls davon abweichende Zugehörigkeit nach kirchlichem Recht kann ihre Ursache jedoch nicht in der Zugehörigkeit zu verschiedenen Rituskirchen innerhalb der katholischen Kirche haben, sondern allein in dem vor der zuständigen Stelle erklärten Kirchenaustritt. Die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lebenden Angehörigen der orientalischen Rituskirchen sind Angehörige der katholischen Kirche, die in ihrer Rechts72
Pree, Kirche in vielen Völkern (Anm. 16), S. 421. Althaus, Zugehörigkeit (Anm. 68), S. 280. 74 Campenhausen, Mitgliedschaftsrecht (Anm. 66), S. 757. 75 Ebd. (Anm. 66). 76 Althaus, Zugehörigkeit (Anm. 68), S. 268. 73
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stellung gegenüber dem Staat und auch im Bereich des Staatskirchenrechts alle Recht und Pflichten haben, die Katholiken zukommen. a) Religionsunterricht und Missio canonica77 Nach kirchlichem Recht (c. 229 § 1 CIC/1983 i. V. m. c. 404 § 1 CCEO) sind katholische Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme am schulischen Religionsunterricht verpflichtet. Durch staatskirchenrechtliche wie auch verfassungsrechtliche Bestimmungen ist den katholischen Schülerinnen und Schülern der Besuch des katholischen Religionsunterrichts zu ermöglichen, dessen Erteilung ebenfalls sowohl staatskirchenrechtlich78 wie auch verfassungsrechtlich abgesichert ist. Würden katholische Schülerinnen und Schüler, die nicht der lateinischen Rituskirche angehören, vor dem Staat nicht als Angehörige der katholischen Kirche gelten, wäre für den Besuch des katholischen Religionsunterrichts gegebenenfalls ein Verfahren einzuhalten, wie es für die Teilnahme von Nichtkatholiken erforderlich ist.79 Die bischöfliche Bevollmächtigung oder Missio canonica ist nach kirchlichem Recht Voraussetzung für die Erteilung katholischen Religionsunterrichts (c. 805 CIC/1983 i. V. m. c. 636 CCEO). Für den Bereich der öffentlichen Schulen kommen staatskirchenrechtliche Vereinbarungen hinzu80, aus denen hervorgeht, dass der jeweilige lateinische Diözesanbischof die zuständige Autorität für die Erteilung der Missio canonica ist. Dies hat zur Folge, dass Angehörige einer katholischen orientalischen Kirche, welche als Religionslehrerin oder Religionslehrer an öffentlichen Schulen tätig werden wollen, die Missio canonica des zuständigen lateinischen Bischofs benötigen. b) Kirchensteuer Zur Klärung der Frage, ob in der Bundesrepublik Deutschland lebende katholische Christen, die nicht der lateinischen Rituskirche angehören, kirchensteuerpflichtig sind, ist zu prüfen, ob sie alle jene Kriterien erfüllen, die nach der geltenden Rechtslage den Eintritt der Kirchensteuerpflicht begründen. Für das Entstehen der Kirchensteuerpflicht „sind in allen Kirchensteuergesetzen zwei Kriterien entscheidend, die Kirchenangehörigkeit (Kirchenmitgliedschaft) und 77 Vgl. Heinrich Mussinghoff/Hermann Kahler, Vor c. 804, in: MK CIC; Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbkathKR3, S. 1018 – 1048. 78 Siehe oben II, 1. 79 Siehe z. B. § 27, Abs. 4 Schulordnung für schulartübergreifende Regelungen an Schulen in Bayern (Bayerische Schulordnung – BaySchO) vom 1. Juli 2016. 80 Vgl. oben II, 1; Heike Künzel, Die „Missio Canonica“ für Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Kirchliche Bevollmächtigung zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen (= BzMK 39), Essen 2004.
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der Wohnsitz bzw. der gewöhnliche Aufenthaltsort (Territorialitätsprinzip).“81 Eine Zuständigkeit aufgrund des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes ist schon nach kirchlichem Recht die Voraussetzung für die Unterstellung unter den lateinischen Diözesanbischof.82 Diese Voraussetzung ist somit erfüllt. Das Recht zur Erhebung von Kirchensteuern ist aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Status der Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts gebunden (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV). Dies „führt notwendigerweise zu einer juristischen Präzisierung: Nicht „die Kirche“ als solche ist Gläubigerin der Kirchensteuer (denn sie ist allein eine ekklesiologische, nicht aber staatskirchenrechtliche Kategorie), sondern eine ihrer (innerkirchlichen) Organisationsformen, welcher auch nach dem deutschen staatlichen Recht der Körperschaftsstatus zukommt. Die Entscheidung darüber ist als eine Frage des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV) von der Kirche selbst zu treffen.“83 Dass Christen, die einer katholischen orientalischen Kirche angehören, in der Bundesrepublik Deutschland Angehörige der jeweiligen lateinischen Organisationsform sind, der das Recht zur Erhebung der Kirchensteuer zukommt, wurde oben bereits aufgezeigt. Orientalischen Katholiken haben im lateinischen Bischof ihren Oberhirten und unterstehen seiner Jurisdiktionsgewalt, sofern seine Anordnungen nicht mit dem Recht der katholischen orientalischen Kirchen oder dem jeweiligen Eigenrecht unvereinbar sind. Würde durch das Recht der katholischen orientalischen Kirchen die Erhebung von Steuern von den Gläubigen untersagt, könnte die vom lateinischen Oberhirten auferlegte Kirchensteuerpflicht nicht greifen. Ausdrücklich eröffnet jedoch c. 1012 § 2 CCEO die Möglichkeit, den Gläubigen auf der Grundlage des eigenen Rechts Steuern aufzuerlegen. Somit steht fest, dass katholische orientalische Christen in der Bundesrepublik Deutschland auch im Bereich des Kirchensteuerrechts den lateinischen Christen gleichgestellt und kirchensteuerpflichtig sind.
IV. Ausblick auf zukünftige Entwicklungen Sollte in Zukunft aufgrund der zunehmenden Zahl orientalischer Katholiken die Schaffung eigener kirchlicher Strukturen beabsichtigt werden, durch welche die Einordnung dieser Gläubigen in die jeweilige lateinische Diözese aufgehoben werden soll, kann dies unter Wahrung der geltenden staatskirchenrechtlichen Vereinbarungen mit Wirkung gegenüber dem deutschen Staat nur geschehen, wenn zuvor ent81
Ebd. (Anm. 80), S. 89. Vgl. Instruktion Erga migrantes, (Anm. 69), Art. 1, § 2. 83 Stefan Mückl, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, in: HdbKathKR3, S. 1532 – 1548, hier S. 1537. 82
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sprechende Vereinbarungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den betroffenen Ländern bzw. der Bundesrepublik Deutschland geschlossen werden.84 Die Errichtung einer kirchlichen Struktur, durch welche die Einordnung orientalischer Katholiken in die jeweilige lateinische Diözese auch mit Wirkung gegenüber dem Staat aufgehoben würde, ohne zugleich in Vereinbarungen mit dem Staat die Anerkennung dieser neu geschaffenen Strukturen als Diözesen im Sinne der Staatskirchenverträge zu gewährleisten und zu regeln, könnten zur Folge haben, dass Schülerinnen und Schüler der betroffenen Rituskirche nicht mehr ohne weiteres am katholischen Religionsunterricht teilnehmen, Angehörige dieser Rituskirche nicht mehr als katholische Religionslehrerinnen oder Religionslehrer an öffentlichen Schulen tätig werden könnten und die Kirchensteuerpflicht entfiele.
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Siehe oben II, 2.
Das Verfahren der Bischofswahl in den anglikanischen Kirchen Von Hanns Engelhardt
I. Geschichte Der altkirchliche Grundsatz, dass der Bischof von Klerus und Volk seiner Diözese gewählt und von den Bischöfen der benachbarten Diözesen bestätigt wird, hatte sich in England schon in der Zeit der angelsächsischen Königreiche dahin entwickelt, dass dem König bei der Wahl ein entscheidender Einfluss zukam, wenn auch für den altkirchlichen Grundsatz weiterhin Lippenbekenntnisse abgelegt wurden.1 Auch im weiteren Mittelalter, nach der normannischen Eroberung, hatte das Domkapitel kaum mehr als eine nominelle Rolle bei der Bischofswahl.2 Der Einfluss der Päpste nahm zu; den Königen gelang es aber, die staatlichen Interessen bei der Auswahl der Bischöfe zu wahren. Diese Interessen ergaben sich daraus, dass die Bischöfe über zeitliche Güter verfügten, die sie zu militärischen Diensten oder entsprechenden Geldleistungen verpflichteten; auch saßen sie in England von Alters her als Lords spiritual im Großen Rat des Königs und später im Oberhaus des Parlaments.3 Nach dem Rückgang der Mitwirkung des Kirchenvolkes bei der Bischofswahl lag schließlich die einzige Beteiligung des Laienelements in dem Recht des Königs, die Erlaubnis zur Wahl zu erteilen und das Ergebnis der Wahl zu bestätigen,4 wie etwa König Johann in seiner Ecclesiastical Charter von 12145 es bestimmte. Einer solchen Regelung hatte Papst Alexander III. schon 1169 zugestimmt.6 Im Laufe des 15. Jahrhunderts zeichnete sich ein ständiges Anwachsen des Einflusses
1
Robert E. Rodes Jr., Ecclesiastical Administration in Medieval England. The AngloSaxons To The Reformation, Notre Dame/London 1977, S. 11 f. 2 Rodes (Anm. 1), S. 101 f. 3 Waldo E. L. Smith, Episcopal Appointments and Patronage in the Reign of Edward II. (Studies in Church History Vol. III), Chicago Illinois 1938, S. 1. 4 Smith, Episcopal Appointments (Anm. 3), S. 3. Vgl. ausführlich Laurentius de Somercote in Alfred von Wretschko (ed.), Der Traktat des Laurentius de Somercote Kanonikus von Chichester über die Vornahme von Bischofswahlen entstanden im Jahre 1254, Weimar 1907. 5 Abgedruckt bei: Henry Gee/William John Hardy, Documents Illustrative of English Church History, London 1896, S. 77. 6 Smith, Episcopal Appointments (Anm. 3), S. 3.
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der Krone auf die Besetzung der Bischofsstühle ab,7 so dass die völlige Ausschaltung der päpstlichen Beteiligung durch Heinrich VIII. nur noch ein kleiner Schritt war.8 Die weitere verfassungsrechtliche Entwicklung in Großbritannien, insbesondere seit dem 18. Jahrhundert, führte dann dazu, dass für die Nominierung der Bischöfe durch den König der Vorschlag des Premierministers maßgebend wurde. In der Church of Ireland, neben der Church of England der ältesten, schon seit dem 16. Jahrhundert als solche bestehenden anglikanischen Kirche, die nur von 1800 bis Ende 1870 mit der Kirche von England verfassungsmäßig zur „United Church of England and Ireland“ verbunden war, wurden die bischöflichen Stühle bis ins 19. Jahrhundert hinein durch königliche Letters Patent besetzt.9 Die Geschichte des Bischofswahlverfahrens in Schottland, wo später die – nach England und Irland – dritte unabhängige anglikanische Kirche entstand, vom Hohen Mittelalter bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. wurde von John Dowden, einem (anglikanischen) Bischof von Edinburgh, ausführlich dargestellt.10 Nach seiner Zusammenfassung der Entwicklung11 besteht zwar eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Durchführung der Bischofswahl in der Zeit des Übergangs von der keltischen zur anglo-normannischen Form. Danach galt für lange Zeit das Wahlrecht des jeweiligen Domkapitels. Dann kam es indes auch dort allmählich und stufenweise dazu, dass dieses Recht des Kapitels zurückgedrängt und die Ernennung vom Willen des Papstes abhängig wurde, der seinerseits diskret auf den Willen des Königs Rücksicht nahm. Am Ende stand praktisch ein Nominationsrecht des Königs. In der in USA beheimateten Episcopal Church12, der ältesten rechtlich selbstständigen anglikanischen Kirche außerhalb der Britischen Inseln, wurde über die Bischofswahl in Art. 4 der Verfassung von 1789 zunächst nur bestimmt, dass sie nach den von der Convention13 des Bundesstaates14 festgelegten Regeln erfolgen 7 A. Hamilton Thompson, The English Clergy and Their Organisation in the Later Middle Ages, Oxford 1947, S. 31. 8 Vgl. Thompson, (Anm. 7), S. 13 – 38, insb. S. 38. 9 Richard Burn, The Ecclesiastical Law, Bd. 1, hrsg. von Robert Phillimore, London 91842, S. 199. 10 John Dowden, The Medieval Church in Scotland. Its Constitution, Organisation and Law, Glasgow 1910, Kap. II. 11 Dowden, The Medieval Church in Scotland (Anm. 10), S. 18. 12 Nachdem in der offiziellen Praxis dieser Kirche der Zusatz „in the United States of America“ nicht mehr geführt wird, ist eine sie von den anderen sich „episcopal“ nennenden Kirchen (z. B. die Scottish Episcopal Church oder die Episcopal Church in Jerusalem and the Middle East) unterscheidende Bezeichnung schwierig. In englischen Texten wird vielfach die Bezeichnung „US-based Episcopal Church“ gebraucht. 13 Was in anderen Kirchenprovinzen Diocesan Synod oder General Synod heißt, wird in der Episkopalkirche aus historischen Gründen Convention (Annual Convention oder General Convention) genannt. In den – erst 1913 eingerichteten – internen Provinzen trägt diese Körperschaft allerdings durchgängig die Bezeichnung Provincial Synod (vgl. Can. I.4.1. (d), (i), I.9.5, 7(a), 8).
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solle.15 Daran änderte sich im 19. Jahrhundert grundsätzlich nichts. Erst die General Convention von 1901 fügte in Abs. 2 des Artikels die Bestimmung ein, die Bischofswahl bedürfe der Zustimmung der Mehrheit der Standing Committees aller Diözesen und der Bischöfe, die Jurisdiktion innerhalb der Vereinigten Staaten ausübten.
II. Allgemeine Grundsätze Da es in der Anglikanischen Kirchengemeinschaft kein allgemein verbindliches Kirchenrecht gibt, an das alle Provinzen gebunden sind, ist auch das Verfahren der Bischofswahl durch das Recht der einzelnen Provinzen geregelt.16 Diese Regelungen sind in Einzelheiten verschieden, folgen aber allgemeinen Grundsätzen, die in den „Principles of Canon Law Common to the Churches of the Anglican Communion“ niedergelegt sind. Diese Principles, zusammengestellt vom Anglican Communion Legal Advisers Network, sind keine verbindlichen Rechtssätze. Zur Aufstellung solcher Rechtssätze würde dem Network jegliche kanonische Autorität fehlen. Sie beschreiben lediglich die Rechtslage in den Provinzen der Gemeinschaft. Wenn eine Provinz sich entschließt, eine davon abweichende Regelung zu treffen, dann bedeutet das lediglich, dass die Principles insoweit nicht mehr „common“ sind. Mit der Aufnahme in das Bischofskollegium (Admission to the order of bishops) befasst sich zunächst Principle 35. Danach kommen als Kandidaten für die Aufnahme nur Priester in Betracht, die die (provinzial)gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen einer angemessenen Ausübung des Bischofsamtes, insbesondere hinsichtlich ihres Alters, der Wählbarkeit, Eignung, Bildung, geistigen Gesundheit und moralischen Lebensführung, erfüllen (§ 1). Die Aufnahme wird vollzogen durch die Bischofsweihe (lawful consecration) (§ 2). Die Bischofsweihe darf nur vollzogen werden, wenn die Bestellung (appointment) von der zuständigen kirchlichen Autorität (competent lawful authority) zuvor bestätigt (confirmed) worden ist (§ 3). Angeordnet wird die Bischofsweihe durch den Erzbischof oder leitenden Bischof17 (§ 5). Sie besteht in der Erfüllung der Absicht der universalen Kirche und wird entsprechend den vorgeschriebenen liturgischen Formeln durch die Handauflegung seitens dreier gültig geweihter Bischöfe unter Rezitierung der Weiheformel und der An14 Die Bezeichnung Diözese wurde erst 1838 eingefügt. Bis dahin erstreckte die Amtsgewalt der Bischöfe sich jeweils auf das Gebiet ihres Bundesstaates. 15 Vgl. Edwin Augustine White/Jackson A. Dykman, Annotated Constitution and Canons for the Government of the Protestant Episcopal Church in the United States of America, Greenwich Connecticut 21954, S. 40. 16 Schon aus Platzgründen ist es unmöglich, die Regelungen aller Provinzen hier umfassend zu beschreiben. Die dargestellten provinzialen und diözesanen Regelungen sind daher nur als Beispiele für verschiedene Regelungsmöglichkeiten zu betrachten. 17 Damit wird Rücksicht genommen auf die Tatsache, dass nicht in allen Provinzen die Bezeichnung Erzbischof üblich ist, so nicht z. B. in der in USA beheimateten Episkopalkirche (dort stattdessen: Presiding Bishop, neuerdings auch Presiding Bishop and Primate) oder auch in der Scottish Episcopal Church (dort: Primus).
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rufung des Heiligen Geistes um Verleihung von Gnade für die Ausübung des Bischofsamtes vollzogen (§ 6). Während dies alles für jeden Bischof gilt, befasst Principle 36 sich mit der Berufung zum Diözesanbischof (Admission to the office of diocesan bishop). Danach wird der Diözesanbischof durch ein Wahlkollegium oder eine andere Körperschaft gewählt, die aus Vertretern des Episkopats, des Klerus und des Kirchenvolks (laity) besteht (§ 1); eine solche Körperschaft kann – wie die Praxis zeigt – auch die Diözesansynode sein. Eine Bischofswahl kann, wenn und soweit das Kirchenrecht es vorsieht, aus materiellen oder Verfahrensgründen angefochten werden (§ 2). Die Befugnis, eine Bischofswahl zu bestätigen oder zu verwerfen, liegt bei einem Erzbischof, einer Bischofsversammlung oder einer anderen dafür zuständigen Stelle (§ 3). Der Bischofsweihe folgt die Amtseinführung (inauguration) in der Diözese (§ 4). Hat die zum Diözesanbischof berufene Person schon früher die Bischofsweihe empfangen, so kann der Bestätigung (confirmation) der Wahl eine Inthronisation (enthronement) oder eine andere Einsetzung (installation) in der Diözese folgen (§ 5). Eine kanonisch dafür zuständige kirchliche Instanz (designated ecclesiastical authority) kann, wenn das kirchliche Recht das vorsieht, einen coadjutor cum jure successionis bestellen (Principle 38 § 1). Einem Diözesanbischof kann mit Zustimmung der dafür vorgesehenen Instanz ein Hilfsbischof (assistant bishop) ohne das Recht der Nachfolge beigegeben werden (§ 2). Für Gemeinden, die aus Gewissensgründen den Dienst des Diözesanbischofs nicht akzeptieren wollen, können besondere Regelungen getroffen werden, nach denen bischöfliche Aufgaben für sie im Einvernehmen mit dem Diözesanbischof von einem anderen Bischof wahrgenommen werden können (§ 5); solche Regelungen bestehen aber keineswegs in allen Provinzen. Die vorstehende Beschreibung zeigt, dass diese „Prinzipien“ nicht nur der formellen Inkraftsetzung in den einzelnen Provinzen, sondern auch inhaltlich der Konkretisierung bedürfen.
III. Positivrechtliche Regelungen 1. Regelungskompetenz Die Kompetenz zur Regelung des Verfahrens zur Wahl der Bischöfe und Erzbischöfe sowie des jeweiligen Primas ist in den einzelnen Provinzen der Anglikanischen Gemeinschaft unterschiedlich geregelt. Sie kann vollständig bei Organen der jeweiligen Kirchenprovinz liegen oder, mindestens teilweise, den einzelnen Diözesen überlassen sein. In den größeren Kirchenprovinzen, die in mehrere interne Provinzen eingeteilt sind, kann die Kompetenz auch ganz oder teilweise bei diesen internen Provinzen liegen. So ist in der Church of England die Bischofswahl vollständig auf der Ebene der Gesamtprovinz geregelt. Das gleiche gilt in der Church of Ireland, der Church in Wales und der Scottish Episcopal Church.
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In der in USA beheimateten Episkopalkirche ist die Regelungskompetenz zwischen Diözesen und Gesamtprovinz aufgeteilt. Die eigentliche Wahl der Diözesanbischöfe ist im Diözesanrecht geregelt (Art.18 II Sec. 1), die überdiözesane Bestätigung der Wahl und entsprechend der Natur der Sache die Wahl des Presiding Bishop and Primate im Recht der Gesamtprovinz. Die auch in der in USA beheimateten Episkopalkirche seit 191319 bestehenden internen Provinzen sind bei der Bestellung der Bischöfe grundsätzlich nicht beteiligt. Dagegen gehört in der Anglican Church of Canada, in der die internen Provinzen auf Grund der historischen Entwicklung der Kirche eine starke Stellung innehaben, die Regelung der Bestätigung der Wahl (confirmation), der Konsekration und des Amtsverzichts (resignation) der Bischöfe sowie die Wahl der Metropoliten und die Definition ihrer Rechte und Pflichten grundsätzlich zur Zuständigkeit der Provinzialsynoden der internen Provinzen (Sec. 7 subsec. b) iv), v) der Verfassung der Generalsynode); lediglich die Wahl des Primas und der Bischöfe für die indigenen Völker und für die Streitkräfte ist in der Gesamtprovinz geregelt. Ähnlich ist, aus historischen sowohl als auch aus geographischen Gründen, die Rechtslage in der Anglican Church of Australia. 2. Verfahrensarten Bei der Einteilung der Wahlverfahren ist zunächst zu unterscheiden danach, ob es sich um Bischöfe handelt, die nur auf diözesaner Ebene tätig werden, um Metropoliten interner Provinzen, soweit solche bestehen, oder um den Primas einer unabhängigen Kirchenprovinz.20 a) Bischöfe in der Diözese Bei den in einer einzelnen Diözese tätigen Bischöfen unterscheiden viele Provinzen auch danach, ob es sich um die Bestellung des Diözesanbischofs oder die eines Hilfsbischofs (suffragan bishop, assistant bishop) oder Koadjutors handelt.
18 „Art.“ ohne nähere Bezeichnung bezieht sich im Folgenden auf die Verfassung der betreffenden Provinz oder Diözese. 19 Vgl. Annotated Constitution and Canons for the Government of the Protestant Episcopal Church in the United States of America otherwise known as The Episcopal Church, 1981 edition (im Folgenden: AnCandC), S. 323, 331. Die verfassungsmäßige Möglichkeit zu ihrer Einführung bestand seit 1901; AnCandC, 1981, S. 105. 20 Besondere Vorschriften können darüber hinaus auch bestehen für Bischöfe mit kategorialem Aufgabenbereich, etwa in der Militär- oder Anstaltsseelsorge.
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aa) Diözesanbischof Die Bestellung eines Diözesanbischofs kann grundsätzlich auf ausschließlich diözesaner Ebene, auf einer übergeordneten Ebene, vor allem der einer Kirchenprovinz oder internen Provinz, oder unter Beteiligung beider Ebenen erfolgt. Eine Bestellung auf diözesaner Ebene, völlig ohne Beteiligung einer höheren Ebene, kommt, soweit ersichtlich, nicht vor. Selbst bei extraprovinzialen Diözesen, die keiner Kirchenprovinz angehören, ist regelmäßig die Bestätigung der Wahl durch eine höhere Instanz, etwa den Erzbischof von Canterbury oder eine Kommission leitender Bischöfe benachbarter Provinzen, vorgesehen. Dagegen kommt die Entscheidung lediglich auf höherer Ebene durchaus vor. In der Church of Nigeria werden die Bischöfe durch die Bischofssynode (Episcopal Synod) der Gesamtprovinz gewählt, der alle Diözesanbischöfe sowie Suffragan- und Hilfsbischöfe angehören (Ch. II.8). In Schottland ist eine Entscheidung auf provinzialer Ebene für den Fall vorgesehen, dass es der Wahlsynode der Diözese in zwei vollständigen Wahlverfahren nicht gelingt, zu einer gültigen Wahl zu kommen. In diesem Fall geht das Wahlrecht auf die Bischofssynode über (Can. 4 Sec. 29 Satz 2). Sind zwei Ebenen an der Bischofswahl beteiligt, dann kann das Verfahren entweder ein- oder zweistufig ausgestaltet sein. Bei dem einstufigen Verfahren entscheidet über die Bischofswahl ein Wahlgremium, das von mehreren, in aller Regel zwei Ebenen besetzt wird. Bei dem zweistufigen Verfahren trifft zunächst eine Ebene eine Entscheidung, die dann durch die andere Ebene bestätigt werden muss; das kann dann allerdings zu einem hin und her wie bei zwei Kammern eines Parlaments oder bei Synodalentscheidungen führen, bei denen Kleriker und Laien je für sich mehrheitlich zustimmen müssen.21 Einstufig ist das Verfahren in der Church of England, wobei zu beachten ist, dass sich aus der Stellung dieser Kirche als „established church“ nach wie vor Besonderheiten ergeben. Nach dem geltenden Recht liegt die Entscheidung noch immer bei dem Monarchen, der dabei allerdings durch Verfassungskonvention22 an den Vorschlag des Premierministers gebunden ist. Praktisch ist das Verfahren aber durch eine Konvention geregelt, nach der es sich in vier Abschnitten vollzieht: Nomination, Wahl, Bestätigung (confirmation) und Konsekration23. Dabei liegt das Schwergewicht der Entscheidung nicht etwa bei der Wahl, sondern schon bei der Nominierung;
21 Letzteres kann beiBischofswahlen leicht vorkommen, da bei synodalen Wahlentscheidungen in aller Regel nach orders abgestimmt wird, und zur Wahl die Mehrheit sowohl bei den Klerikern als auch bei den Laien erforderlich ist. 22 Verfassungskonventionen (constitutional conventions) sind „Rules of constitutional practice that are regarded as binding in operation but not law“ (The Cabinet Manual. A guide to laws, conventions and rules on the operation of government, 1st edition October 2011, S. 100). 23 Diese außer im Fall einer Translation, wenn also ein Kandidat gewählt wird, der bereits früher zum Bischof geweiht wurde.
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die weiteren Abschnitte sind im Regelfall formaler Natur. Zunächst24 macht das in jeder Diözese bestehende Vacancy in See Committee, in dem Klerus und Laien der Diözese vertreten sind, Vorschläge an die Crown Nominations Comission. Diese besteht aus den Erzbischöfen von Canterbury und York, je drei Klerikern und drei Laien aus der Generalsynode und der betroffenen Diözesansynode sowie (ohne Stimmrecht) den Appointments Secretaries des Premierministers und des Erzbischofs von Canterbury. Die Kommission wählt unter den vorgeschlagenen Kandidaten zwei zur Vorlage an den Premierminister aus, von denen der erste als empfohlen gilt.25 Der Premierminister gibt den Namen des empfohlenen Kandidaten an den Monarchen weiter, der nun dem Domkapitel in zwei förmlichen Briefen die Wahl erlaubt (congé d’élire) und gleichzeitig den zu Wählenden benennt (letter missive). Die vollzogene Wahl bestätigt der zuständige Erzbischof durch das Gericht seines Generalvikars. Die Church of Ireland musste sich nach der Trennung von der Church of England und der damit verbundenen Entstaatlichung (disestablishment) im 19. Jahrhundert eine neue Verfassung geben. Die Besetzung der bischöflichen Stühle ist in Ch. VI Part I geregelt. Für die Wahl der Bischöfe wird ein Episcopal Electoral College gebildet (Sec. 3), das aus dem Erzbischof der Provinz, in der die Vakanz eingetreten ist oder bevorsteht (Sec. 4(a))26 als Präsidenten, drei Mitgliedern des House of Bishops der General Synod, die von diesem nominiert werden (Sec. 4(b)), je 12 Klerikern und Laien aus der Diözese, in der die Vakanz eingetreten ist (Sec. 4 (c)), im Fall einer Vakanz in der Provinz Armagh je zwei (Sec. 4(d)(i)) und in der Provinz Dublin je drei (Sec. 4(d)(i)) Klerikern und Laien aus jeder anderen Diözese dieser Provinz besteht. Im Falle einer durch die Wahl zum Erzbischof von Armagh entstandenen Vakanz darf die Diözese Armagh, die bei der Wahl dieses Erzbischofs nicht beteiligt ist, unabhängig von der Provinzzugehörigkeit der Diözese je sechs Kleriker und Laien entsenden (Sec. 4(e)).27 Auch in der Church in Wales werden die Diözesanbischöfe durch ein Bischofswahlkollegium gewählt (Ch. V Part III Sec. 10 para. 1), das aus dem Erzbischof von Wales und den übrigen Diözesanbischöfen, sechs Klerikern und sechs Laien aus der Diözese, deren bischöflicher Stuhl vakant ist, sowie aus den jeweils ersten drei Klerikern und drei Laien aus den Bischofswählerlisten aller übrigen Diözesen besteht (Sec. 10 para. 2).
24
Zum Folgenden vgl. Mark Hill, Ecclesiastical Law, Oxford 42018, 4.62 – 4.64. Der zweite Name hat nur Bedeutung, wenn der erste aus irgendeinem Grund nicht mehr zur Verfügung steht. 26 Im Fall der Wahl des Erzbischofs von Dublin ist der Erzbischof von Armagh Präsident. 27 Durch die letztgenannte Regelung soll die Diözese Armagh einen Ausgleich dafür erhalten, dass sie bei der Wahl ihres (Erz-)Bischofs als Primas von ganz Irland nicht beteiligt ist (dazu siehe unten b) aa) (1)). 25
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In Südafrika wird in Diözesen mit mindestens zehn lizenzierten Klerikern der Diözesanbischof von einer Elective Assembly gewählt (Can. C4 Sec. 4(a)); sie besteht aus @ dem Metropoliten oder seinem Vertreter, der den Vorsitz führt, @ allen in der Diözese aktiven Suffragan- und Assistenzbischöfen, @ allen in der Diözese lizenzierten Klerikern mit Ausnahme derjenigen im Ruhestand ohne Seelsorgeauftrag, @ Laienvertretern, die in der gleichen Weise wie Laienvertreter zur Diözesansynode gewählt werden, @ Laienvertretern, die die Diözesansynode in das Provincial Advisory Committee, das aus von der Provinzialsynode und den Diözesansynoden gewählten Mitgliedern besteht, gewählt hat und die nicht schon nach Can. C4 Sec. 7(a)(v) der Wahlversammlung angehören, und @ von der Provinzialsynode in das Advisory Committee gewählten Mitgliedern (Can. C4 Sec. 9 (a)(i)) ohne Stimmrecht (Can. C4 Sec. 7(a)). In der Wahlversammlung stimmen nach ausführlich geregelter Debatte Bischöfe und Klerus gemeinsam ab, die Laien für sich; für die Wahl ist in beiden Gruppen eine 2/3-Mehrheit der Teilnehmer an der Abstimmung erforderlich (Can. C4 Sec. 12 (r)). Wenn in drei Wahlgängen die erforderliche Mehrheit nicht erreicht wird, scheidet in jedem folgenden Wahlgang der Kandidat mit der geringsten Stimmenzahl aus; dieses Verfahren wird fortgesetzt bis zum siebten Wahlgang oder dem Verbleiben von nur noch zwei Kandidaten oder der Wahl eines Bischofs je nach dem, welcher dieser Fälle zuerst eintritt (Can. C4 Sec. 12 (t)). Nach dem siebten Wahlgang wird die Wahl unterbrochen und entschieden, ob noch ein achter Wahlgang durchgeführt werden soll. Lehnt das Wahlkollegium das ab oder führt auch dieser Wahlgang nicht zu einer Wahl, dann devolviert die Wahl an die Bischöfe der Provinz (Can C4 Sec. 12 (u), (v). Das Wahlkollegium kann aber schon früher mit 2/3-Mehrheit die Bischofswahl an die Bischöfe der Provinz delegieren (Can. C4 Sec. 12(i)). Gehören zu der Diözese weniger als zehn lizenzierte Kleriker, dann wird ein Diözesanbischof stets von den Bischöfen der Kirchenprovinz gewählt (Can. C4 Sec. 4(b)). Zweistufig – und trotzdem immer noch unterschiedlich geregelt – ist das Verfahren in der großen Mehrzahl der Provinzen. Die zweite Stufe kann neben der Diözese die Kirchenprovinz als Ganzes oder, wenn vorhanden, die zuständige interne Provinz sein. In Schottland sind auf provinzialer Ebene ein Vorbereitungsausschuss (Preparatory Committee) und das Bischofskollegium beteiligt. Nach der Anordnung der Wahl durch den Primus (Can. 4 Sec. 4) wird zunächst ein Vorbereitungsausschuss gebildet, der aus dem Primus, einem weiteren, vom Bischofskollegium nominierten Bischof, fünf vom Ständigen Ausschuss der Generalsynode gewählten Mitgliedern des ständigen Provincial Panel for Episcopal Elections (dem mindestens je zwei Kleriker
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und Laien und auch die zwei Vertreter der betroffenen Diözese angehören) sowie je zwei weitere Kleriker und Laien gehören, die von der Diözesansynode gewählt werden (Can. 4 Sec. 5 Abs. 1). Der Vorbereitungsausschuss bereitet eine Liste von Kandidaten vor, die mindestens drei und höchsten fünf Namen enthält (Can. 4 Sec. 9 Abs. 2). Vor der Sitzung des Vorbereitungsausschusses, in der die endgültige Kandidatenliste aufgestellt wird, ist das Bischofskollegium zu konsultieren (Can. 4 Sec. 10 Satz 1); keine Person, die von dem Bischofskollegium nicht als annehmbar anerkannt wird, darf in die Kandidatenliste aufgenommen werden (Can. 4 Sec. 10 Satz 2). Über die Kandidatenvorschläge des Vorbereitungsausschusses entscheidet eine Wahlsynode. Sie besteht aus den Mitgliedern der letzten Diözesansynode, die vor der Anordnung der Wahl stattgefunden hat; ausgeschlossen sind Kleriker, die ihre Stelle in der Diözese aufgegeben haben und nicht wieder auf eine andere Stelle in der Diözese ernannt worden sind (Can. 4 Sec. 12 Abs. 1) oder die als Kandidaten für die Bischofswahl aufgestellt sind (Can. 4 Sec. 12 Abs. 2). Gewählt ist, wer die absolute Mehrheit der Stimmen in den Kammern der Kleriker sowohl als auch der Laien erhält (Can. 4 Sec. 25). Die Stimme kann außer für einen Kandidaten auch auf „Niemand“ („None“) lauten; überschreitet die Zahl der so gekennzeichneten Stimmen ein Drittel der insgesamt abgegebenen Stimmen, dann wird die Wahl für ungültig erklärt (Can. 4 Sec. 25 Satz 2). Erreicht keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit, dann wird ein zweiter Wahlgang nach denselben Regeln durchgeführt (Can. 4 Sec. 22 Abs. 2). Führt auch der zweite Wahlgang nicht zu einer absoluten Mehrheit, dann wird ein dritter Wahlgang durchgeführt, bei dem die Wähler eine Präferenzreihe aufzustellen haben (Can. 4 Sec. 23 Satz 1). Nun werden zunächst die Erstplatzierungen gezählt; ergibt sich dabei keine absolute Mehrheit für einen Kandidaten, dann wird der Kandidat mit den wenigsten Erstplatzierungen ausgeschlossen und die für ihn abgegebenen Stimmen nach den Zweitplatzierungen auf die übrigen Kandidaten verteilt (Can. 4 Sec. 23 Satz 2). Dementsprechend wird erforderlichenfalls verfahren, bis nur noch zwei Kandidaten vorhanden sind (Can. 4 Sec. 23 Satz 3). Erreicht auch keiner dieser beiden Kandidaten eine absolute Mehrheit, dann wird der ganze dritte Wahlgang wiederholt (Can. 4 Sec. 23 Satz 4). Bleibt auch der wiederholte Wahlgang ohne Ergebnis, dann wird die Wahl für ungültig erklärt, und der Primus erlässt eine neue Wahlanordnung (Can. 4 Sec. 29). Führt auch sie nicht zu einer gültigen Wahl, dann devolviert das Wahlrecht an die Bischofssynode. In der Anglican Church of Australia, in der die Rechtsstellung der einzelnen Diözesen traditionell besonders stark ist,28 wird der Diözesanbischof nach den verfassungsmäßigen Bestimmungen der jeweiligen Diözese gewählt (Ch. III.8 Abs. 1); neben der Diözese ist im Regelfall nicht die Gesamtprovinz (Australien) an der 28 Z. B. können die einzelnen Diözesen frei entscheiden, ob sie durch die Generalsynode beschlossene Regelungen, die sich auf das innere Leben der Diözese auswirken, für sich übernehmen.
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Wahl beteiligt, sondern die jeweilige interne Provinz, der sie angehört; nur wenn die Diözese keiner internen Provinz angehört,29 ist die Wahl auf gesamtprovinzialer Ebene zu bestätigen. Die Bestätigung kann nur verweigert werden, wenn der oder die Gewählte nicht die „canonical fitness“ besitzt. „Canonical fitness“ setzt voraus, dass der Gewählte ein Mindestalter von 30 Jahren erreicht hat, getauft ist und dem Priesterstand angehört (Ch. XII Nr. 74). Das Bestätigungsverfahren ist in der internen Provinz Victoria zum Beispiel, die das Gebiet des Bundesstaates Victoria umfasst, in der Canonical Fitness of Bishops Ordinance30 1979 geregelt; sie gilt für die Wahl der Diözesanbischöfe außer dem Metropoliten (dem Erzbischof von Melbourne) und für die Bestellung von Assistenzbischöfen. Nach ihr hat der Administrator31 der Diözese dem Metropoliten den Namen des Gewählten und ein Zertifikat seiner kanonischen Wahl zuzuleiten (n. 2). Der Metropolit teilt die Einzelheiten der Wahl den anderen Diözesanbischöfen mit; wenn die Mehrheit derselben von der „canonical fitness“ des Gewählten überzeugt ist, bestätigt er die Wahl (n. 3). Wird die Bestätigung nicht innerhalb einer bestimmten Frist erteilt, so gilt sie als verweigert; in diesem Fall muss neu gewählt werden. In der in USA beheimateten Episkopalkirche wird zunächst in der einzelnen Diözese – ohne Beteiligung einer höheren Ebene – ein Bischof gewählt (Art. II Sec. 1). In der Regel wird zunächst ein Ausschuss gebildet, der zu Vorschlägen auffordert und aus den vorgeschlagenen Namen eine Liste der ihm am besten geeignet erscheinenden Kandidaten zusammenstellt; nach Veröffentlichung der Liste und auch noch in der Wahlsitzung der Synode können weitere Vorschläge eingereicht werden (vgl. z. B. Diözese Albany Rule 1 A Sec. 1 – 8). Die Regelungen der Diözesen sehen in aller Regel vor, dass „by orders“ abgestimmt wird, also die Stimmen der Kleriker und der Laiendelegierten getrennt gezählt werden (vgl. z. B. Diözese Albany Art. VIII; Arizona Art. VII Sec. 2). Erforderlich ist in der Regel die absolute Mehrheit der Stimmen in beiden Gruppen.32 Wird eine solche Doppelmehrheit nicht erreicht, muss ein weiterer Wahlgang durchgeführt werden, notfalls mehrere bis zur gleichzeitigen Erreichung der erforderlichen Mehrheiten. Anstatt selbst einen Bischof zu wählen, kann die Convention einer Diözese allerdings auch beantragen, dass die Wahl für sie vom House of Bishops der internen Provinz, zu der sie gehört, 29
In Australien gegenwärtig nur die Diözese Tasmanien. Ordinance ist die übliche Bezeichnung für Regelungen der internen Provinzen in der australischen Kirche. 31 Im Falle der Ernennung eines Assistenzbischofs der Diözesanbischof. 32 In Arkansas ist in einer Gruppe, in der weniger als zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind, eine Mehrheit von zwei Dritteln erforderlich (Art. V Sec. 1 Satz 3). Ähnlich ist in der Diözese Bethlehem eine 2/3-Mehrheit erforderlich, wenn nicht die Hälfte der Kleriker anwesend ist und zwei Drittel aller stimmberechtigten Gemeinden vertreten sind (Art. XI); unklar bleibt, ob diese Regelung nur für die Gruppe gilt, in der das Quorum nicht erreicht wird, oder in jedem Fall für alle. Für letzteres spricht die Verwendung des Wortes „and“ zwischen den beiden Quoren. Klargestellt ist dies in der Diözese Connecticut, wo bei Anwesenheit von weniger als 3/5 der Stimmberechtigten in einer Gruppe eine 2/3-Mehrheit „in that order“ erforderlich ist (Art. III Sec. 2 Satz 4). 30
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oder vom House of Bishops der Episkopalkirche vorgenommen wird; im ersten Fall bedarf die Wahl dann der Bestätigung durch die Provinzialsynode der internen Provinz (Can. III.11 Sec. 1 (b)). An das Verfahren auf Diözesanebene schließt sich das Zustimmungsverfahren auf der Ebene der Gesamtprovinz an. Eine Bischofsweihe auf Grund der Wahl darf nur stattfinden, wenn die Mehrheit der Bischöfe, die in dieser Kirchenprovinz Jurisdiktion ausüben, und die Mehrheit der Standing Committees aller ihrer Diözesen ihr ausdrücklich zustimmt (Art. II Sec. 2 Satz 1); das Ausbleiben eines Widerspruchs reicht nicht aus. In Melanesien wird der Diözesanbischof zunächst von einer Diözesanwahlkommission gewählt. Diese Kommission besteht aus je fünf Klerikern und Laien, die von der Diözesansynode zusammen mit je einem Ersatzdelegierten beider Gruppen gewählt werden (Art. 13 A 1) sowie aus je drei Klerikern und Laien, die von der Generalsynode, ebenfalls zusammen mit je einem Ersatzdelegierten beider Gruppen gewählt werden (Art. 13 A 2). Ein auffälliger Unterschied zwischen den beiden Ständen besteht darin, dass die geistlichen Ersatzmitglieder, wenn auch ohne Rede- und Stimmrecht, an den Sitzungen der Wahlkommission teilnehmen dürfen, die Laienersatzmitglieder indes erst, wenn ein Vertretungsfall eingetreten ist (Art. 13 C 6, 7). Wenn ein Mitglied einer der beiden Gruppen an dem Verfahren nicht teilnehmen kann, tritt für es der Ersatzdelegierte der Gruppe ein (Art. 13 C). Wenn mehr als ein Kleriker aus der Kommission ausscheidet, weil er für die Bischofswahl nominiert worden ist, reduziert sich die Zahl der Kleriker in der Kommission; an der Notwendigkeit von 12 Stimmen für die Wahl ändert sich dadurch nichts (Art. 13 C 4). Der Fall, dass mehr als ein Kleriker aus einem anderen Grund oder mehr als ein Laie an der Teilnahme verhindert sind, ist in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Den Vorsitz in der Wahlkommission führt der Erzbischof oder ein von ihm bestimmter Diözesanbischof (Art. 13 B 1 Satz 1) – ohne Stimmrecht (Art. 13 D). Den Namen des gewählten Kandidaten teilt die Wahlkommission dem Erzbischof mit; dieser erörtert das Wahlergebnis mit dem Bischofsrat (Council of Bishops), der aus dem Erzbischof und allen übrigen Bischöfen der Kirchenprovinz besteht (Art. 10 A); stimmen sie der Wahl nicht zu, dann muss die Wahlkommission eine neue Wahl vornehmen (Art. 13 E 1). Trifft die Wahlkommission nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem von dem Erzbischof bestimmten Termin für die Sitzung der Wahlkommission (Art. 13 B 1 Satz 2) eine dem Bischofsrat annehmbare Wahl, dann devolviert das Wahlrecht auf den Bischofsrat (Art. 13 E 2). Wirksam wird die Ernennung mit der Konsekration oder, wenn der Gewählte schon Bischof ist, mit der Inthronisierung.33
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Westafrika Const. Art. VII.5.
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bb) Hilfsbischöfe In der Church of England gilt für die Ernennung von Suffraganbischöfen, deren Amt in etwa dem eines Bischofsvikars in der römisch-katholischen Kirche entspricht, noch immer der Suffragan Bishops Act von 153434. Danach wählt der Diözesanbischof den Suffragan aus und übermittelt heute dem Premierminister zwei Namen, die dieser dem Monarchen oder der Monarchin vorlegt; ernannt wird regelmäßig der erstgenannte Kandidat. In der Church in Wales teilt der Diözesanbischof, der einem Priester das Amt eines Hilfsbischofs in seiner Diözese übertragen sehen möchte, dessen Namen dem Erzbischof mit. Dieser legt ihn den amtierenden Bischöfen der Provinz vor. Wenn deren Mehrheit von der Eignung des Kandidaten überzeugt ist, erklärt er ihn zum designierten Hilfsbischof und veranlasst seine Bischofsweihe (Ch. V Sec. 15 (4)); andernfalls hat der Diözesanbischof nur die Möglichkeit, einen anderen Namen vorzuschlagen (Ch. V Sec. 15 (5)). In der in USA beheimateten Episkopalkirche kann die Convention einer Diözese auf Antrag des Diözesanbischofs höchstens zwei Suffraganbischöfe ohne Nachfolgerecht wählen (Art. II Sec. 4). Die Voraussetzungen der Bischofsweihe sind dieselben wie bei den Diözesanbischöfen. In der Provinz Westindien muss, wenn Bischof und Synode einer Diözese die Wahl eines Suffraganbischofs wünschen, müssen zunächst die Bischöfe der Provinz diesem Anliegen zustimmen (Can. 11 Sec. 2). Bei der darauf folgenden Wahl steht dem Diözesanbischof das Recht der Nomination zu (Can. 11 Sec 4). Die vollzogene Wahl bedarf wiederum der Bestätigung durch die Mehrheit der Bischöfe der Provinz (Can. 11 Sec. 5). Auch in der Provinz Southern Africa bedarf die Einrichtung des Amtes eines Suffraganbischofs der vorherigen Zustimmung der Bischofssynode der Provinz, die der Diözesanbischof mit Zustimmung der Diözesansynode beantragt (Can. C10 Sec. 2); ausdrücklich ist bestimmt, dass die Bischofssynode auch zu prüfen hat, ob nicht die Teilung oder Neuabgrenzung der Diözese vorzuziehen sei (Can. C10 Sec. 3). Auch die Neuwahl bei einer Vakanz bedarf der vorherigen Zustimmung der Bischofssynode (Can. C10 Sec. 4). Für die Wahl in der Diözesansynode gelten grundsätzlich die gleichen Bestimmungen wie für die Wahl des Diözesanbischofs (Can. C10 Sec. 5). Eine ganz ähnliche Regelung hat auch die Provinz Melanesien; hier können auch Nominierungen aus der Diözesansynode kommen, über die aber nur abgestimmt wird, wenn der Diözesanbischof zustimmt (Art. 14 insb. Sec. B2).
34 26 Henry VIII c. 14; abgedruckt bei Gee/Hardy, Documents, (Anm. 5) S. 253; dazu Hill, Ecclesiastical Law (Anm. 24), Rn. 4.70.
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b) Primas und Erzbischöfe aa) Primas In allen selbstständigen Kirchenprovinzen gibt es einen Primas, dessen Position aus der der anderen Bischöfe herausgehoben ist, wenn er auch nicht immer diesen Titel führt. Das Wahlverfahren ist unterschiedlich je nach dem, ob der Primat mit einem bestimmten Bischofssitz verbunden ist, dessen Inhaber also automatisch die Primatialstellung innehat, oder ob das Amt des Primas unabhängig von der Innehabung eines bestimmten Bischofsstuhles besetzt wird. (1) Fester Sitz Mit einem bestimmten Bischofssitz verbunden ist die Primatialstellung in England, Irland, Melanesien und Südafrika. In der Kirche von Wales wird darüber diskutiert, ob das Amt des Erzbischofs von Wales, der als solcher Primas der Kirche in Wales ist, mit einem bestimmten Bischofssitz, dem von Llandaff, verbunden werden solle; eine dahingehende Entscheidung ist aber bisher nicht getroffen worden. Die Kirche von England beobachtet auch hier ein durch ihre staatsrechtliche Stellung bedingtes besonderes Verfahren, wie es in keiner anderen Kirchenprovinz vorkommt. Das Verfahren unterscheidet sich aber bei der Besetzung des Erzstuhls von Canterbury nur geringfügig von dem der Ernennung anderer Diözesanbischöfe. In der Church of Ireland wird der Erzbischof von Armagh als Primas von Irland vom House of Bishops der Generalsynode aus dem Kreis seiner Mitglieder gewählt (Ch. VI Part I Sec. 2). Die Diözese Armagh hat dabei kein Mitspracherecht. In der Anglican Church of Melanesia ist der Bischof der Diözese Central Melanesia (in der Honiara, die Hauptstadt der Solomon Islands liegt) immer auch Primas (Art. 8 Sec. A). Seine Wahl unterscheidet sich von der der anderen Diözesanbischöfe dadurch, dass an die Stelle der Diözesanwahlkommission eine Provinzialwahlkommission tritt, der außer der von der Diözese Central Melanesia wie in den anderen Diözesen gewählten Diözesanwahlkommission die Mitglieder des Bischofsrates – außer dem amtierenden Erzbischof – und je ein von den anderen Diözesen gewählter Kleriker und Laie angehören (Art. 8 Sec. B). In ihr stimmen Bischöfe, Kleriker und Laien getrennt ab; eine gültige Wahl bedarf der einfachen Mehrheit in allen drei Gruppen (Art. 8 Sec. C). Einer (nochmaligen) Bestätigung der Wahl durch den Bischofsrat bedarf diese Wahl nicht. In Südafrika ist der Erzbischof von Kapstadt Metropolit und als einziger Metropolit auch Primas der Kirchenprovinz (Can. 2 Sec. 1). Für seine Wahl gelten grundsätzlich die allgemeinen Regelungen für die Bischofswahl (Can. 5 Sec. 1). Hinsichtlich der das Wahlverfahren abschließenden Bischofsweihe, falls der Gewählte sie nicht schon früher empfangen hat, ist in Can. 8 Sec. 1 Satz 3 ausdrücklich festgehalten, die Synode halte es für angemessen (expedient), dass sie, um die fortdauernde
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Verbindung der Provinz mit der Church of England darzustellen, durch den Erzbischof von Canterbury oder in seinem Auftrag vollzogen wird. (2) Variabler Sitz Der Erzbischof von Wales wird von einem Electoral College (Ch. V.5 (1)) gewählt, das aus den Bischöfen der Church in Wales sowie den jeweils drei ersten Klerikern und Laien auf der Bischofswählerliste jeder Diözese besteht (Ch. V.5 (2)). In Kanada wird der Primas von der Generalsynode gewählt (Can. III Sec. 13). Wenn eine Vakanz mehr als zwölf Monate vor einer ordentlichen Sitzung der Generalsynode eintritt, und der Rat der Synode nichts anderes bestimmt, wird der Primas in einer außerordentlichen Sitzung der Generalsynode gewählt, deren Zeit und Ort der amtierende Primas nach Konsultation mit dem Rat der Generalsynode bestimmt (Ch. III Sec. 14 Buchst. b). Die Kammer der Bischöfe in der Generalsynode versammelt sich höchsten 120 und mindestens 30 Tage vor dem festgesetzten Wahldatum und schlägt der Generalsynode mindestens drei Bischöfe als Kandidaten für das Primasamt vor (Ch. III Sec. 15). Unmittelbar danach teilt der Generalsekretär der Generalsynode allen Mitgliedern der Klerus- und der Laienkammer die Namen der Kandidaten und biografische Informationen über sie mit (Ch. III Sec. 16). Den Vorsitz bei der Wahl führt der Prolocutor der Generalsynode (Ch. III Sec. 17). Am Wahltag findet zunächst eine Feier der Eucharistie statt (Ch. III Sec. 18). Sodann wird die Beschlussfähigkeit festgestellt; danach ziehen die bischöflichen Mitglieder der Generalsynode sich zurück und sitzen getrennt (Ch. III Sec. 20). Sodann schreiten Klerus und Laienmitglieder alsbald – es findet also keine Aussprache statt – zur Wahl, die geheim und nach den genannten Gruppen getrennt durchgeführt wird (Ch. III Sec. 21 Buchst. a) und b). In Nigeria wird der Primas von der Bischofssynode gewählt (Can. II.1 (2)). Zunächst berät ein Advisory Committee, das aus je einem Kleriker und Laien aus jeder Diözese besteht, die Episcopal Synod über die Eigenschaften, die für das Primasamt erforderlich sind (Can. II 3). Sodann können in der Synode bis zu vier Kandidaten aus ihrer Mitte nominiert werden. Sie müssen nicht schon Erzbischof einer internen Provinz sein (vgl. Can. II 6 (3)). Um gewählt zu sein, muss ein Kandidat zwei Drittel der Stimmen der gesamten Mitglieder der Bischofssynode erhalten (Can. II 4 (2)). Wird diese Mehrheit nicht erreicht, so finden zwei weitere Wahlgänge statt (Can. II.7 (3)). Am insgesamt vierten Wahlgang nehmen nur noch die beiden Kandidaten mit den höchsten Stimmenzahlen im dritten Wahlgang teil (Can. II.7 (4)). Bleibt auch dieser Wahlgang ohne Ergebnis, so entscheidet im fünften Wahlgang die einfache Mehrheit aller abgegebenen Stimmen (Can. II.7 (5) Satz 1); bei Stimmengleichheit ist der Kandidat gewählt, der die Bischofsweihe früher empfangen hat (Can. II.7 (5) Satz 2). In der in USA beheimateten Episkopalkirche fiel das Amt des Presiding Bishop – die Bezeichnung Primas wurde damals noch nicht gebraucht – bis 1919 automatisch
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dem nach dem Datum der Konsekration dienstältesten Bischof zu.35 In diesem Jahr wurde das Amt des Presiding Bishop wählbar gemacht. Die erste Wahl fand 1925 statt. Der Presiding Bishop wird von dem House of Bishops der General Convention aus dem Kreis der Bischöfe für eine Amtszeit von neun Jahren (Can. I.2 Sec. 2 ) gewählt (Art. 1 Sec. 3). Vor der Wahl wird ein Nominierungsausschuss gebildet, dem je ein Bischof, Kleriker und Laienvertreter aus jeder internen Provinz angehören. Die Vorschläge dieses Ausschusses werden in einer gemeinsamen Sitzung des House of Bishops und des House of Deputies der General Convention erörtert, in der auch ergänzende Vorschläge gemacht werden können. Die anschließende Wahl durch das House of Bishops bedarf der Bestätigung durch das House of Deputies. Eine ausdrückliche Bestimmung über die Zulässigkeit einer Wiederwahl enthält die Bestimmung nicht; die Formulierungen der Regelung des Amtsübergangs lassen vermuten, dass an eine Wiederwahl nicht gedacht ist. bb) Erzbischöfe Neben dem Primas gibt es in einer Reihe größerer Kirchenprovinzen – wie England, Australien, Kanada, Nigeria und Westafrika – Erzbischöfe, die internen Provinzen vorstehen, in die diese Kirchenprovinzen gegliedert sind.36 Auch hier gibt es die beiden Möglichkeiten: Bindung an einen bestimmten Bischofssitz oder nicht. (1) Fester Sitz In Australien ist das erzbischöfliche Amt in den internen Provinzen auf Grund des Rechts dieser Provinzen an einen bestimmten Bischofssitz gebunden. Dementsprechend ist die Bischofswahl im Recht der Diözese dieses Bischofssitzes geregelt. So wählt im Recht der Diözese Melbourne,37 deren Bischof zugleich Erzbischof der internen Provinz Victoria ist, die Diözesansynode schon (vorsorglich) in der ersten Sitzung jeder Amtsperiode einen „Board of Nominators“, der aus je neun Klerikern und Laienmitgliedern der Synode besteht (Sec. 4). Er stellt nach Eintritt der Vakanz eine Kandidatenliste von drei bis sechs Priestern oder Bischöfen (clerks in full orders) auf (Sec. 16). Vor der Aufstellung der Liste soll er sich mit den Bischöfen der Provinz beraten (Sec. 19). Die Kandidatenliste wird zusammen mit Informationen über die Kandidaten den Mitgliedern der Diözesansynode vorgelegt, die zunächst über die Annahme jeder einzelnen Nomination entscheidet (Sec. 29). Über die zugelassenen Kandidaten stimmt die Synode – Kleriker und Laienmitglieder getrennt – ab (Sec. 36). Gewählt ist ein Kandidat, wenn er oder sie gleichzeitig mindestens zwei Drittel der Stimmen der Kleriker und der Laien erhält (Sec. 37). Erhält ein Kandidat 35
Vgl. AnCandC (Anm. 19), Bd. 1 S. 23 – 26. Die in USA beheimatete Episkopalkirche ist zwar auch in interne Provinzen gegliedert. Ihnen stehen aber keine Erzbischöfe vor; die Provinzialsynode wählt einen Präsidenten und Vizepräsidenten, von denen einer, nicht notwendig der Präsident, ein Bischof sein muss, der aber keine Metropolitanfunktionen hat. 37 Archbishop Election Act 1988 (Stand von 06. 10. 2005). 36
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in beiden Gruppen die absolute Mehrheit der Stimmen, dann findet eine Abstimmung darüber statt, ob er oder sie damit gewählt sein soll (Sec. 38). Die Synode kann schließlich auch die Wahl dem Board of Nominators übertragen (Sec. 42). Ist durch die Synode oder den Board ein Erzbischof gewählt worden, so bedarf diese Wahl noch der Bestätigung durch die Mehrheit der Bischöfe der (internen) Provinz, die sich aber auf die canonical fitness des Gewählten beschränkt (Sec. 46). (2) Variabler Sitz In Kanada wird der Metropolit auf Grund von Regelungen der internen Provinzen aus der Zahl der Diözesanbischöfe gewählt, und zwar entweder von einem Wahlkollegium, das aus den Diözesanbischöfen, den Mitgliedern des Executive Council der (internen) Provinz und dem Primas besteht, wenn dieser eine entsprechende Einladung annimmt (British Columbia Can. 3 (a)(f); ähnlich Canada38 Can. 6), oder von der Synode der Provinz, wobei die Bischöfe getrennt von Klerikern und Laien (Rupert’s Land Can. III)39 oder aber Bischöfe und Kleriker gemeinsam getrennt von den Laien (Ontario Can. II s. 3, 4) abstimmen. In dem abstimmenden (Teil-)körper ist jeweils eine absolute Mehrheit erforderlich.40 In Nigeria werden die Erzbischöfe der internen Provinzen ebenfalls von der Bischofssynode der Gesamtprovinz gewählt; wählbar sie die Bischöfe, deren Sitz in der jeweiligen Provinz liegt (Can. III.1(2)). Im übrigen gelten die Bestimmungen für die Primaswahl entsprechend (vgl. Can. III.7)
38 Zur Vermeidung von Missverständnissen: innerhalb der kanadischen Gesamtprovinz (Anglican Church in Canada) gibt es eine interne Provinz Canada. 39 Wenn das Amt des Metropoliten mehr als sechs Monate vor dem nächsten Zusammentreten der Synode vakant wird, kann der Executive Council nach Beratung mit den der Synode angehörenden Bischöfen bestimmen, dass der Metropolit von einem Wahlkollegium gewählt wird (Constitution s. 6.32), das aus den Bischöfen der Provinz, dem Prolocutor der Provinzialsynode und je zwei Klerikern und Laien aus jeder Diözese besteht (Constitution s. 4.15) und in dem die Bischöfe getrennt von Klerikern und Laien abstimmen. 40 Was in Ontario „clear majority“ (Can. II s. 4) bedeutet, erscheint unklar.
Kommuniongemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft? Von Heribert Hallermann Herr Kollege Wilhelm Rees, der vor allem als Fachmann im Bereich des kirchlichen Strafrechts bekannt ist, hat sich im Lauf seiner reichen kirchenrechtlichen Forschungs- und Publikationstätigkeit immer wieder auch mit Fragen der Ökumene und der ökumenischen Praxis beschäftigt.1 Anlässlich der Vollendung seines 65. Lebensjahres sei ihm daher dieser kirchenrechtliche Beitrag aus ökumenischer Perspektive gewidmet.
I. Der Eucharistieempfang nichtkatholischer Ehepartner als Streitpunkt Spätestens seit dem Frühjahr 2017 lag die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen nichtkatholische Ehepartner in einer konfessionsverschiedenen Ehe gemeinsam mit ihren katholischen Ehepartnern die Eucharistie empfangen könnten, offen auf dem Tisch. Kurz vor der Frühjahrs-Vollversammlung der DBK 2017 war ihr Vorsitzender Kardinal Reinhard Marx gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, dem bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und einer Delegation des Rates der EKD in Rom gewesen. Während der Privataudienz bei Franziskus wurde diese Frage von Bedford-Strohm ausdrücklich thematisiert. Nach einem weiteren gemeinsamen Gespräch mit Kardinal Kurt Koch, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, war von einer mögli1 Vgl. etwa Wilhelm Rees, Communicatio in sacris und consortium totius vitae. Kirchenrechtliche Überlegungen im Blick auf die konfessionsverschiedene Ehe, in: DPM 7 (2000), S. 69 – 98; Ders., Taufe, Ökumene, Kirchenrecht. Von den Ansätzen des Zweiten Vatikanischen Konzils hin zu neueren Texten und Aussagen, in: Karl-Theodor Geringer/Heribert Schmitz (Hrsg.), Communio in Ecclesiae Mysterio. FS Aymans (65) Sankt Ottilien 2001, S. 481 – 502; Ders. Kirchenrecht und Eucharistiegemeinschaft. Kirchenrechtliche Vorgaben für ein ökumenisches Anliegen, in: Silvia Hell/Lothar Lies (Hrsg.), Taufe und Eucharistiegemeinschaft. Ökumenische Perspektiven und Probleme, Innsbruck 2002, S. 87 – 108; Ders., Ordination in der römisch-katholischen Kirche. Anmerkungen aus rechtshistorischer und aktuell kirchenrechtlicher Perspektive, in: Konrad Huber/Andreas Vonach (Hrsg.), Ordination – mehr als eine Beauftragung? (= Synagoge und Kirchen 3), Münster/Berlin/Hamburg/London/ Wien 2010, S. 145 – 182; Ders., (Hrsg.), Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= Kirchenrechtliche Bibliothek 13), Münster/Berlin/Hamburg/London/Wien 2014; Ders., Kirchenrechtliche Anmerkungen zur ökumenischen Gemeinschaft in der Feier der Sakramente und in anderen liturgischen Feiern, in: Ders. (Hrsg.), Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= Kirchenrechtliche Bibliothek 13), Münster/Berlin/Hamburg/London/Wien 2014, S. 161 – 174.
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chen nationalen Lösung dieses Problems die Rede.2 Im Anschluss an die FrühjahrsVollversammlung der DBK hat ihr Vorsitzender die Suche der Bischöfe nach einer nationalen Lösung bestätigt. Demnach sei ein Text in Vorbereitung, der als Hilfestellung für entsprechende seelsorgliche Gespräche gedacht sei, kasuistische Lösungen vermeiden und nachvollziehbare Kriterien vorlegen wolle.3 Bereits im Herbst 2017 hatte sich Kardinal Rainer Maria Woelki gegen die von Kardinal Marx angekündigte pastorale Lösung ausgesprochen. Er wies darauf hin, dass bis „zur Leuenberger Konkordie von 1973 … nicht nur auf Seiten der katholischen und orthodoxen, sondern auch für alle protestantischen Bekenntnisgemeinschaften klar [war], dass die Einheit des Bekenntnisses der Zulassung zum Sakrament des Altares bedingend vorausgeht“.4 Das bedeutet, dass eine Kommuniongemeinschaft ohne bestehende Kirchengemeinschaft nicht möglich ist. Und so folgerte Kardinal Woelki mit Blick auf die vor allem von protestantischer Seite oft geforderte so genannte „eucharistische Gastfreundschaft“: „Eine Konfession kann die andere nicht zur Feier der Einheit in Christus einladen, solange sie ihr eigenes Christusbekenntnis von dem Christusbekenntnis der von ihr eingeladenen Konfession unterscheidet! Christusbekenntnisse, die getrennte Kirchen bedingen, werden nicht durch einseitige oder wechselseitige Gastfreundschaft, sondern durch Bekehrung aller Beteiligten zu Christus versöhnt“.5 Dennoch sieht Kardinal Woelki auch gewisse Möglichkeiten für konfessionsverschiedene Eheleute, denn solche Eheleute, „die täglich gemeinsam beten, gelangen nicht selten auch zur Überwindung des Trennenden. Dann ist die eucharistische Einheit die Frucht eines zuvor gegangenen Weges“.6 Trotz offenkundig bestehender Meinungsunterschiede in ihren eigenen Reihen hatte die DBK bei ihrer Frühjahrs-Vollversammlung 2018 in Ingolstadt eine so genannte „pastorale Handreichung“ diskutiert und mit Zweidrittelmehrheit beschlossen, deren Veröffentlichung allerdings erst einige Wochen später erfolgen sollte, damit eventuelle Änderungswünsche einzelner Bischöfe noch eingearbeitet werden 2 Vgl. Benjamin Lassiwe, Eucharistie: Kommt die nationale Sonderregelung, in: HK 3/ 2017, S. 25. 3 Vgl. hierzu den kritischen Beitrag von Heribert Hallermann, Dringende Notwendigkeit: Eucharistie bei konfessionsverschiedenen Ehepaaren, in: HK 5/2017, S. 25 – 26. 4 Rainer Maria Woelki, Ehrlichkeit in der Ökumene, in: HK 10/2017, S. 13 – 16, hier: S. 14. 5 Ders., ebd. (Anm. 4), S. 15. – In ganz ähnlicher Weise argumentiert Gerhard Ludwig Müller, Eine Ehe ist keine Notlage: HK 7/2018, S. 15 – 17, wenn er ebd., S. 15 ausführt: „Der Zusammenhang von Kirche und Eucharistie ist konstitutiv für das katholische Glaubensbekenntnis. Die eucharistischen Gaben bedeuten und bewirken Teilhabe am Leib und Blut Christi, so dass die vielen Gläubigen durch den sakramentalen Leib des Herrn zu dem einen ekklesialen Leib Christi aufgebaut werden (vgl. 1 Kor 10,16 f.). Darum können prinzipiell nur solche Getaufte die sakramentale Communio empfangen, die in voller sichtbarer Communio mit der katholischen Kirche stehen“. 6 Woelki (Anm. 4), S. 16. – Müller, Eine Ehe ist keine Notlage (Anm. 5), S. 16 sieht den Kommunionempfang von nichtkatholischen Christen einzig im Fall der Todesgefahr als möglich an.
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könnten.7 Tatsächlich haben aber sieben Mitglieder der DBK diese Zeit genutzt, um in einem gemeinsamen Brief an verschiedene römische Dikasterien um Klärung ihres Zweifels zu bitten, ob es sich bei der von der DBK beschlossenen Regelung tatsächlich um eine pastorale oder nicht doch um eine lehramtliche Frage handle, für deren Lösung nicht eine Bischofskonferenz, sondern die Gesamtkirche zuständig sei.8 Der Präfekt der Glaubenskongregation hat in einem Schreiben vom 10. 04. 2018 die Auffassung des Papstes zum Ausdruck gebracht, „dass er die Veröffentlichung des genannten Dokuments jetzt nicht für angebracht hält.“9 Gleichzeitig lud er die Adressaten zu einem baldigen Treffen nach Rom ein, das am 03. 05. 2018 stattfand. In einem weiteren Schreiben vom 25. 05. 2018 hat der Präfekt der Glaubenskongregation bestätigt, dass es „bei der Frage der Kommunionzulassung von evangelischen Christen in konfessionsverschiedenen Ehen um ein Thema [geht], das den Glauben der Kirche berührt und von weltkirchlicher Relevanz ist“.10 Zugleich unterstrich er, dass das Urteil über das Vorliegen einer „drängenden schweren Notlage” den einzelnen Diözesanbischöfen überlassen werden müsse.11 Im Anschluss an ein persönliches Gespräch hielt Kardinal Marx in einer Note für den Heiligen Vater fest, dass der von der DBK beschlossene Text als Orientierungshilfe für die einzelnen Bischöfe dienen solle und als solcher auch veröffentlicht werden könne.12 In einer Pressemitteilung vom 27. 06. 2018 wurde eine Erklärung des Ständigen Rates der DBK bekannt gemacht, wonach das von der Frühjahrs-Vollversammlung der DBK (19. – 22. 02. 2018) beschlossene Papier „Mit Christus gehen – Der Einheit auf der Spur. Konfessionsverbindende Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie“ als pastorale Handreichung und nicht als Dokument der Bischofskonferenz veröffentlicht werde. Der Text und der Umgang damit lägen somit in der Verantwortung der einzelnen Diözesanbischöfe.13 Ausdrücklich bekannte sich der Ständige Rat 7
Vgl. Stefan Orth, Nicht nur symbolisch, in: HK 4/2018, S. 7. Vgl. Claudia Keller/Benjamin Leven, Woelki-Brief: Franziskus lädt zur Klärung nach Rom, in: HK 5/2017, S. 11 – 12. Der Brief vom 22. 03. 2018 ist online zugänglich unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/01-DokumentBrief-_Erz-_Bischoefe-nach-Rom-vom-22. 03. 2018.pdf (eingesehen am 12. 03. 2019). 9 Luis F. Ladaria S. I., Brief an Kardinal Marx, Kardinal Woelki und Bischof Genn vom 10. 04. 2018, online unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dos siers_2018/03-Dokument-Brief-Kongregation-Glaubenslehre-vom-10. 04. 2018.pdf (eingesehen am 12. 03. 2019). 10 Ders., Brief an Kardinal Marx vom 25. 05. 2018, online unter: https://www.dbk.de/filead min/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/05-Dokument-Brief-Kongregation-Glaubens lehre-25. 05. 2018.pdf (eingesehen am 12. 03. 2019). 11 Vgl. ebd. – Vgl. zu diesem Vorgang auch Benjamin Leven, Kommunion: Noch nicht einmütig, in: HK 6/2018, S. 9 – 10. 12 Reinhard Marx, Note für den Heiligen Vater vom 12. 06. 2018, online unter: https://www. dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/06-Dokument-Note-Vorsitzen der-an-den-Heiligen-Vater-vom-12. 06. 2018.pdf (eingesehen am 12. 03. 2019). 13 Vgl. Erklärung des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz vom 27. 06. 2018, Pressemitteilung der DBK 107, online unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_ downloads/presse_2018/2018 - 107-Erklaerung-des-Staendigen-Rates-zur-Frage-konfessionsver 8
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zu dem Grundsatz, „dass Eucharistiegemeinschaft und Kirchengemeinschaft zusammengehören“14, wollte aber gleichzeitig Möglichkeiten eröffnen „für die Gewissensentscheidung in seelsorglich begleiteten Einzelfällen für konfessionsverbindende Ehepaare, die ein ernsthaftes geistliches Bedürfnis haben, die Eucharistie zu empfangen.“ Ob im Einzelfall nichtkatholische Partner in konfessionsverschiedenen Ehen zum Eucharistieempfang zugelassen werden oder nicht,15 hängt nach der von der DBK beschlossenen Regelung von den Maßgaben des jeweiligen Diözesanbischofs ab.
II. Im Spannungsfeld von Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft Das ausdrückliche Bekenntnis des Ständigen Rates der DBK, „dass Eucharistiegemeinschaft und Kirchengemeinschaft zusammengehören“,16 markiert den eigentlichen Streitpunkt, um den es bei der Frage nach der Zulassung von konfessionsverschiedenen Ehepartnern zur Eucharistie geht: Ist, wie Kardinal Walter Kasper fragt, „eine solche Lösung im Einzelfall theologisch überhaupt möglich, solange die Kirchen sich nicht oder nicht voll geeinigt haben?“17 Oder, um es mit Blick auf die von der DBK gefundene Lösung anders zu formulieren: Es scheint „der Streit darum zu gehen, ob eine pastorale Zulassung im Einzelfall die Lehre in Frage stellt“.18 Von denen, die eine solche Lösung für den Einzelfall ablehnen, wird gerne argumentiert, dass die fehlende Kirchengemeinschaft ganz generell jede Kommuniongemeinschaft ausschließe, Kommuniongemeinschaft also an die bestehende Kirchengemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung gebunden sei. Relevant ist bei dieser Sichtweise ausschließlich die ekklesiale Ebene, nicht jedoch die Situation des einzelnen Gläubigen. Jede Einzelfallregelung sei eine Gefahr für den Glauben und für die Einheit der Kirche und nehme unerlaubterweise einen Zustand vorweg, „auf den die getrennten Kirchen gemeinsam als Ziel unterwegs sind“.19 In dieser Perspektive muss jede auf einzelne Gläubige bezogene Ausnahmeregelung ekklesiologisch verunklarend wirken und den Anspruch der katholischen Kirche, dass alleine in bindender-Ehen-und-gemeinsamer-Teilnahme-an-der-Eucharistie.pdf (eingesehen am 12. 03. 2019). 14 Ebd. (Anm. 13). 15 Zum problematischen Begriff der „Zulassung zur Eucharistie“ vgl. Heribert Hallermann, Abgewiesen – geduldet – eingeladen? Zur Rechtsstellung von geschiedenen und zivil wiederverheirateten Katholiken, in: Dominik Burkard (Hrsg.), Die christliche Ehe – erstrebt, erlebt, erledigt? Fragen und Beiträge zur aktuellen Diskussion im Katholizismus, Würzburg 2016 (= WTh 15), S. 183 – 216, hier: S. 201 – 204. 16 Ständiger Rat der DBK, Erklärung vom 27. 06. 2018 (Anm. 13). 17 Walter Kasper, Eine Lösung ist möglich, in: HK 7/2018, S. 13 – 14, hier: S. 13. 18 Klaus Unterburger, Protestanten sind Kirche, in: HK 3/2019, S. 22 – 25, hier: S. 22. 19 Brief vom 22. 03. 2018 (Anm. 8).
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ihr die im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche bekannte Ecclesia Christi voll verwirklicht wird,20 in Frage stellen. Übersehen wird dabei möglicherweise, dass die Dogmatische Konstitution über die Kirche, die im Brief einiger Mitglieder der DBK implizit zitiert wird,21 nicht von einem statischen sondern vielmehr von einem dynamischen Verhältnis zwischen den christlichen Kirchen und somit von einem gestuften Kirchenbegriff ausgeht. So anerkennt die Konstitution, dass auch in den getrennten Kirchen „vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen“.22 Dass folglich der Begriff „Kirche“ nicht exklusivistisch für die katholische Kirche vereinnahmt werden kann und dass die Communio fidelium als eine alle christlichen Konfessionskirchen umfassende, allen anderen Ebenen vorgeordnete organische Wirklichkeit und folglich als eine gestufte Gemeinschaft verstanden werden muss,23 bekennt das Konzil ebenfalls in der Dogmatischen Konstitution: „Mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind, den vollen Glauben aber nicht bekennen oder die Einheit der Gemeinschaft unter dem Nachfolger Petri nicht wahren, weiß sich die Kirche aus mehrfachem Grunde verbunden“.24 Das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und nichtkatholischen Christen und ihren jeweiligen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften kann daher nicht einfach im Sinne eines „drinnen“ oder „draußen“ bestimmt werden, sondern nur im Sinne einer mehr oder weniger vollen Gemeinschaft. Dabei muss die in der Taufe sakramental begründete Gemeinschaft im Sinne der Teilhabe aller Gläubigen an Gott und an den der Kirche anvertrauten Heilsgütern stets als grundlegend vorausgesetzt werden.25 Die innere, auf die katholische Einheit hindrängende Dynamik,26 zu deren Förderung und aktiver Mitgestaltung sich die katholische Kirche verpflichtet hat,27 erweist sich auch im Fortschreiten der ökumenischen Dialoge in den vergangenen Jahrzehnten, die „zu erheblichen Annäherungen vor allem an die anglikanische und an die lutherische Position geführt“28 haben. Insofern wäre es unredlich, wenn man in ökumenischer Hinsicht stets nur auf die noch nicht bestehende Kircheneinheit verweisen, die tatsächlich erreichten Fortschritte im gegenseitigen Verständnis aber nicht
20
Vgl. LG 8. Vgl. Brief vom 22. 03. 2018 (Anm. 8). 22 LG 8. 23 Vgl. Thomas Meckel, Art. Communio – katholisch, in: LKRR I, S. 518 – 520. 24 LG 15. 25 Vgl. Meckel, Art. Communio (Anm. 23). 26 Vgl. LG 8. 27 Vgl. UR 1, 4, 5, 24; vgl. auch Johannes Paul II., AK Sacrae disciplinae leges vom 25. 01. 1983, in: CIC/1983 lateinisch-deutsch, Kevelaer 82017, S. X – XXIII, hier: S. XVIII und XIX. 28 Kasper, Eine Lösung ist möglich (Anm. 17), 13. 21
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entsprechend werten wollte.29 Zu bedenken ist ferner, dass gerade auch diese erreichten Fortschritte und die oft daraus resultierende gemeinsame geistliche Praxis30 insbesondere bei Gläubigen, die in konfessionsverschiedenen oder konfessionsverbindenden Ehen und Familien leben, zu Ungeduld, angesichts bestehender Verbote aber auch zu wachsendem Unverständnis führt.31 Die Väter des II. Vatikanischen Konzils haben sich ganz bewusst in das Spannungsfeld von Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft gestellt, indem sie im Dekret über den Ökumenismus grundlegende Prinzipien zu dieser Frage formuliert haben. Dabei wird – wenigstens eine gewisse – communicatio in sacris bzw. communicatio in spiritualibus32 als gegeben vorausgesetzt. Eine solche gegenseitige Teilhabe an den geistlichen Gütern darf gemäß VatII UR 8 nicht allgemein und ohne jede Unterscheidung als gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen angesehen und praktiziert werden. Die communicatio in sacris bzw. die communicatio in spiritualibus kann demnach ein legitimes und wirksames Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen sein, wenn die notwendigen Unterscheidungen getroffen werden. Diese werden im Folgenden in Form von zwei Prinzipen genannt: Sakramentale Gottesdienstgemeinschaft – vor allem in der Feier der Eucharistie – bezeugt die Einheit der Kirche, die allerdings im Verhältnis zu den nichtkatholischen Kirchen nicht in vollem Maße verwirklicht ist. Insofern würde eine unterschiedslose Teilhabe und Teilgabe an der Eucharistie in sich widersprüchlich sein, weil die sakramental bezeichnete Einheit nicht tatsächlich besteht. Daher ist die sakramentale Gottesdienstgemeinschaft plerumque, meistens, verboten – aber eben nicht immer.33 Denn, so sagt das zweite Prinzip, manchmal kann sie empfohlen sein, als Mittel der Gnade, das Gläubigen zugänglich gemacht werden muss. Diese beiden Prinzipien, die nicht voneinander getrennt werden können und stets in ihrer wechselseitigen Beziehung zu betrachten und anzuwenden sind,34 schließen
29 DirOec/1993 Nr. 104 c) verlangt, dass bei der Teilhabe an geistlichen Gütern sowohl die tatsächlich schon erreichte Gemeinschaft als auch die Unvollständigkeit dieser Gemeinschaft zum Ausdruck kommen müssen. 30 Vgl. Thomas Meckel/Vincent Jünger, Art. Communicatio in sacris – katholisch, in: LKRR I, S. 514 – 518. 31 Vgl. Sekretariat der DBK (Hrsg.), Orientierungshilfe „Mit Christus gehen –Der Einheit auf der Spur. Konfessionsverbindende Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie“, Bonn 20. 02. 2018, S. 9 sowie Kasper, Eine Lösung ist möglich (Anm. 17), 13. 32 Vgl. Bernd Jochen Hilberath, Theologischer Kommentar zum Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, in: HThK-VatII Bd. 3, S. 69 – 223, hier: S. 140 – 141. 33 Vgl. ebd. (Anm. 32), S. 141. 34 Vgl. ebd. (Anm. 32), S. 141 – 142. Vgl. auch DirOec/1993 Nr. 129: „Im Lichte dieser beiden Grundprinzipien, die stets zusammen gesehen werden müssen, gewährt die katholische Kirche im allgemeinen den Zutritt zur eucharistischen Gemeinschaft und zu den Sakramenten der Buße und der Krankensalbung einzig jenen Gläubigen, die mit ihr in der Einheit des Glaubens, des Gottesdienstes und des kirchlichen Lebens stehen. Aus denselben Gründen erkennt sie auch an, dass unter gewissen Umständen, in Ausnahmefällen und unter gewissen
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jeden Rigorismus und alle nur generellen Lösungen aus, denn stets müssen alle Umstände der Zeit, des Ortes und der Personen berücksichtigt werden.35 Zuständig und kompetent hierfür sind in der Regel die jeweiligen Ortsbischöfe.36
III. Zwischen Bezeugung der Einheit und individuellem Heil Mit den beiden in VatII UR 8 genannten Prinzipien eröffnet sich ein weiteres Spannungsfeld zwischen der Bezeugung der – noch nicht in vollem Sinn verwirklichten – ekklesialen Einheit und dem individuellen Heil der Gläubigen.37 Beide Gesichtspunkte können nicht gegeneinander ausgespielt werden, denn die salus animarum der Gläubigen, die gemäß c. 1752 CIC/1983 stets das oberste Gesetz in der Kirche sein muss, kann grundsätzlich nicht gegen die Einheit und die Integrität der Kirche und ihrer Ordnung verwirklicht werden. Allerdings dient das in c. 1752 CIC/ 1983 formulierte Axiom der Konkretisierung und Applikation von Recht in der Kirche, der die Grundaufgabe zukommt, dem von Gott in Jesus geschenkten Heil zu dienen. Insofern folgt daraus der „Anspruch auf Verwirklichung von Einzelfallgerechtigkeit für den einzelnen Gläubigen wie auch für eine Gruppe von Gläubigen. Diese Gerechtigkeit ist dabei stets in Relation zur Forderung nach einer Billigkeit und Barmherzigkeit (misericordia) entsprechenden Rechtsanwendung zu setzen“.38 Schon VatII UR 3 deutet auf dieses Spannungsfeld zwischen der ekklesialen Wirklichkeit und der Situation der einzelnen Gläubigen hin. Dort wird gefordert, dass den Menschen, „die jetzt in solchen Gemeinschaften geboren sind und in ihnen den Glauben an Christus erlangen, … die Schuld der Trennung nicht zur Last gelegt werden [darf] – die katholische Kirche betrachtet sie als Brüder, in Verehrung und Liebe.“ Trotz aller noch bestehender Trennung werden solche Gläubige zu Recht von den katholischen Christen als Schwestern und Brüder im Herrn anerkannt.39 Im Blick auf nichtkatholische Christen, die in einer konfessionsverschiedenen oder –verbindenden Ehe leben, kann daraus gefolgert werden, dass diesen einzelnen Christen nicht die ganze Last der noch bestehenden Trennung auferlegt werden darf, weil sie nicht die Verursacher dieser ekklesialen Situation sind. Auch für Bedingungen der Zutritt zu diesen Sakramenten Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften gewährt oder sogar empfohlen werden kann“. 35 Vgl. UR 8. 36 Vgl. in diesem Sinne auch Ladaria., Brief an Kardinal Marx vom 25. 05. 2018 (Anm. 10). Vgl. auch DirOec/1993 Nr. 130: „In anderen Fällen wird streng empfohlen, dass der Diözesanbischof allgemeine Normen aufstellt, die dienlich sind, um zu beurteilen, welche Situationen als ernste und dringende Notwendigkeiten zu bewerten und ob die unten (Nr. 131) genannten Bedingungen als gegeben anzusehen sind“. 37 Vgl. Hilberath, Theologischer Kommentar (Anm. 32), S. 141. 38 Thomas Schüller, Art. Salus animarum, in: LKStKR Bd. 3, S. 491 – 492, hier: S. 492. 39 Vgl. UR 3.
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nichtkatholische Christen sind die Feier und der Empfang der Eucharistie „eine geistliche Nahrung, die sie befähigt, die Sünde zu überwinden, vom Leben Christi selbst zu leben, immer tiefer in seinen Leib eingegliedert zu werden und immer intensiver an der ganzen Heilsökonomie des Geheimnisses Christi teilzuhaben“.40 Auch wenn die katholische Kirche nichtkatholischen Gläubigen nicht generell und unterschiedslos Zutritt zum Empfang der Sakramente gewährt, erkennt sie doch an, „dass unter gewissen Umständen, in Ausnahmefällen und unter gewissen Bedingungen der Zutritt zu diesen Sakramenten Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften gewährt oder sogar empfohlen werden kann“.41 Solche Umstände und Ausnahmefälle ergeben sich nicht primär in ekklesialer Perspektive, sondern vor allem im Blick auf das individuelle Heil der Gläubigen und bedürfen insofern stets der Entscheidung im Einzelfall. Während die Situation der Todesgefahr objektiv und ohne Weiteres im Sinne solcher Umstände und Ausnahmefälle zu werten ist, ist im Blick auf alle anderen möglichen Situationen der jeweilige Diözesanbischof aufgefordert, dass er „allgemeine Normen aufstellt, die dienlich sind, um zu beurteilen, welche Situationen als ernste und dringende Notwendigkeiten zu bewerten und ob die unten (Nr. 131) genannten Bedingungen als gegeben anzusehen sind“.42 Mit diesen Bestimmungen macht das Ökumenische Direktorium deutlich, dass es bei den genannten Situationen sowohl um den Fall der Todesgefahr für den betreffenden Gläubigen geht als auch um andere Situationen, die entweder vom zuständigen Diözesanbischof oder vom jeweiligen katholischen Spender als ernste und dringende Notwendigkeit (gravis necessitas) bewertet werden. Es widerspricht folglich sowohl dem Wortlaut als auch der Intention des kirchlichen Gesetzgebers, wenn man den Fall der ernsten und dringenden Notwendigkeit auf den Fall der Todesgefahr oder anderer, in der Tragweite und Unausweichlichkeit mit der Todesgefahr strikt vergleichbarer Fälle reduzieren wollte. Dies wird durch eine lehramtliche Interpretation43 des Begriffs „gravis necessitas“ bestätigt. So hat Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Ut unum sint“ vom 25. 05. 1995 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die einschlägigen Passagen des Ökumenischen Direktoriums ausgeführt: „Ein Grund zur Freude ist in diesem Zusammenhang, daran zu erinnern, dass die katholischen Priester in bestimmten Einzelfällen die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung anderen Christen spenden können, die zwar noch nicht in voller Gemeinschaft mit der katho40 DirOec/1993, Nr. 129. In diesem Zusammenhang ist nicht nur von Mitgliedern anderer Kirchen die Rede, womit gewöhnlich orthodoxe Christen bezeichnet werden, sondern auch von Mitgliedern kirchlicher Gemeinschaften, womit regelmäßig protestantische Christen bezeichnet werden. 41 Ebd. (Anm. 40). 42 DirOec/1993, Nr. 130. Mit dieser expliziten, an die jeweiligen Diözesanbischöfe adressierten Aufforderung widerspricht das Ökumenische Direktorium der Auffassung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der allgemeine Regelungen für den Ausnahmefall als einen Widerspruch in sich betrachtet. Vgl. Müller, Eine Ehe ist keine Notlage (Anm. 5), S. 15. 43 Vgl. Kasper, Eine Lösung ist möglich (Anm. 17), S. 14.
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lischen Kirche stehen, aber sehnlich den Empfang der Sakramente wünschen, von sich aus darum bitten und den Glauben bezeugen, den die katholische Kirche in diesen Sakramenten bekennt“.44 Anstatt von einer „gravis necessitas“ spricht Johannes Paul II. von einem sehnlichen Wunsch nach dem Empfang der Sakramente (qui ardenter cupiunt illa recipere). In seiner letzten Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ vom 17. 04. 2003 wiederholt Johannes Paul II. in Nr. 46 diese Interpretation mit Hilfe des wörtlichen Zitats aus „Ut unum sint“ Nr. 46.45 Zwei Gesichtspunkte fallen bei dieser lehramtlichen Interpretation besonders auf: Erstens wird die Praxis, dass katholische Priester erlaubterweise in bestimmten Einzelfällen die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung Christen spenden können, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, von Papst Johannes Paul II. nicht als ein die Lehre der Kirche gefährdendes Zugeständnis, sondern als ein Grund zur Freude qualifiziert. Zweitens tritt als rechtfertigendes Moment für diese Praxis an die Stelle einer ernsten und dringenden Notwendigkeit der sehnlich Wunsch der betreffenden Gläubigen, eines dieser Sakramente empfangen zu können. So stellt Kardinal Walter Kasper zu Recht fest: „Es sind nicht in erster Linie irgendwelche äußeren Notsituationen entscheidend und schon gar nicht der bloße Wunsch, nicht allein in der Bank zurückbleiben zu müssen, sondern die innere Sehnsucht des Herzens und das Bekenntnis des katholischen Glaubens hinsichtlich der genannten Sakramente“.46 Papst Johannes Paul II. löst mit seiner positiven Wertung der ökumenischen Praxis und mit seiner lehramtlichen Interpretation den Spannungsbogen zwischen der Bezeugung der Einheit und dem individuellen Heil nicht einseitig auf, setzt aber doch einen klaren Akzent zugunsten des individuellen Seelenheils der betroffenen Gläubigen.
IV. Die notwendige Unterscheidung zwischen Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft Ebenfalls in der Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ trifft Papst Johannes Paul II. eine bemerkenswerte und für die Fragestellung dieser Untersuchung notwendige Unterscheidung zwischen der Kirchengemeinschaft einerseits und der Eucharistiegemeinschaft andererseits, ohne dass er diese beiden Aspekte damit auseinanderreißt. So stellt er in Nr. 45 der Enzyklika fest: „Wenn die volle Gemeinschaft fehlt, ist die Konzelebration in keinem Fall statthaft. Dies gilt nicht für die Spendung der Eucharistie unter besonderen Umständen und an einzelne Personen, die zu Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften gehören, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der 44 Johannes Paul II., Enzyklika Ut unum sint, Nr. 46, in: AAS 87 (1995), S. 921 – 982, hier: S. 948. Deutsche Übersetzung online unter: http://w2.vatican.va/content/john-paul-ii/de/ency clicals/documents/hf_jp-ii_enc_25051995_ut-unum-sint.html (eingesehen am 14. 03. 2019). 45 Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia Nr. 46, in: AAS 95 (2003), S. 433 – 475, hier: S. 463. 46 Kasper, Eine Lösung ist möglich (Anm. 17), 14.
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katholischen Kirche stehen. In diesem Fall geht es nämlich darum, einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis einzelner Gläubiger im Hinblick auf das ewige Heil entgegenzukommen, nicht aber um die Praxis einer Interkommunion, die nicht möglich ist, solange die sichtbaren Bande der kirchlichen Gemeinschaft nicht vollständig geknüpft sind“.47 Die nicht bestehende oder noch nicht vollendete Kirchengemeinschaft verbietet demzufolge eine Konzelebration oder Interzelebration48 von katholischen Amtsträgern mit nichtkatholischen Amtsträgern ebenso wie eine unterschiedslose Interkommunion, sie verbietet aber nicht die Praxis, nichtkatholischen Gläubigen die Eucharistie zu spenden, wenn es darum geht, einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis einzelner Gläubiger im Hinblick auf ihr Heil entgegenzukommen. Mit dieser Unterscheidung nimmt Papst Johannes Paul II. eine weitere Interpretation des Begriffs „gravis necessitas“ vor, die er als „gravis necessitas spiritualis“ verstanden wissen will.49 In diesem Zusammenhang will er ein weiteres mögliches Missverständnis ausschließen, indem er darauf hinweist, dass diese Praxis zwar vom Umgang mit getrennten orientalischen Christen abgeleitet ist, dass sie mit entsprechenden Anpassungen aber auch für die übrigen Christen gilt, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen.50 Die von Papst Johannes Paul II. vorgenommene Differenzierung zwischen Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft ist möglicherweise von den Opponenten im Streit um die Zulassung von nichtkatholischen Christen, die in einer konfessionsverschiedenen oder –verbindenden Ehe leben, nicht oder zu wenig berücksichtigt worden. Dies gilt wohl auch für die Interpretation des Begriffs „gravis necessitas“ als dem entscheidenden rechtfertigenden Grund für die oben geschilderte und von Papst Johannes Paul II. ausdrücklich gut geheißene Praxis, nichtkatholischen Gläubigen im Einzelfall und unter besonderen Umständen den Empfang der Eucharistie zu ermöglichen.
47 Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 45 (Anm. 45), S. 462 – 463 (Kursive Hervorhebung im Original). Deutsche Übersetzung online unter: http://w2.vatican.va/content/ john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_20030417_eccl-de-euch.html (eingesehen am 14. 03. 2019). 48 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Interzelebration II. kath., in: LKStKR Bd. 2, S. 315. Vgl. auch Friedrich-Otto Scharbau, Art. Interkommunion II. Ev., in: LKStKR Bd. 2, S. 310 – 311. In diesem Art. wird deutlich, dass auch die protestantischen Kirchen die Interzelebration nur für die volle Abendmahlsgemeinschaft und somit für eine bestehende Kirchengemeinschaft vorsehen. 49 Vgl. Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 45 (Anm. 45), S. 463: „His enim in casibus propositum est gravi spirituali necessitati pro-spicere de aeterna singulorum fidelium salute (…)“. 50 Vgl. ebd. (Anm. 45): „Hanc in partem sese Concilium Vaticanum II movit, cum mores statueret cum Orientalibus observandos, qui bona quidem fide ab Ecclesia Catholica separati sua sponte Eucharistiam a ministro catholico recipere cupiunt et bene sunt dispositi. Haec agendi via deinceps rata habita est in utroque Codice, inquo etiam aptandis aptatis casus aliorum christianorum non orientalium respicitur, qui non fruuntur plena cum Ecclesia Catholica communione“.
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V. Die kirchenrechtliche Normierung des Eucharistieempfangs durch Nichtkatholiken Zweifelsfrei ist eine allgemeine Eucharistiegemeinschaft, ob sie nun beispielsweise als Interkommunion, offene Kommunion oder eucharistische Gastfreundschaft bezeichnet wird, nach katholischer Lehre ohne bestehende Kirchengemeinschaft nicht möglich. Allerdings kann die Spendung der Eucharistie an einzelne nichtkatholische Gläubige erlaubt oder sogar geboten sein, wenn es darum geht, einem dringenden geistlichen Bedürfnis der betreffenden Gläubigen entgegenzukommen. Dem entspricht auch die geltende kirchenrechtliche Normierung. Grundlegend ist der kodikarische Kirchenbegriff. Gemäß c. 204 § 1 CIC/198351 und c. 7 § 1 CCEO umfasst der Begriff „Kirche“ die Gemeinschaft aller auf den Namen des dreifaltigen Gottes getauften Menschen, die als christifideles, Gläubige, bezeichnet werden.52 Sie alle sind Subjekte der kirchlichen Rechtsordnung und als solche Träger von Rechten und Pflichten in der Kirche.53 Auch wenn die Rechtsausübung gewöhnlich in der jeweils eigenen Konfessionskirche erfolgt und in der Regel nur die je eigenen Gläubigen durch die kirchenrechtlichen Normen verpflichtet werden,54 werden auch nichtkatholischen Gläubigen aus übergeordneten Gründen, also insbesondere dann, wenn es um das Heil dieser Gläubigen geht, bestimmte Rechtsansprüche in der katholischen Kirche eröffnet. So sprechen cc. 213 CIC/198355 und 16 CCEO allen christifideles und somit nicht nur katholischen, sondern auch nichtkatholischen Gläubigen das Recht zu, aus den geistlichen Gütern der Kirche, insbesondere aus dem Wort Gottes und aus den Sakramenten, Hilfe von den geistlichen Hirten empfangen zu können. Die der Kirche anvertrauten geistlichen Güter werden als Hilfen für das geistliche Leben der Gläubigen qualifiziert56 und somit als unabdingbare Elemente für das geistliche Wachstum der Gläubigen. Der Rechtsanspruch 51 Vgl. c. 204 § 1 CIC/1983: „Christifideles sunt qui, utpote per baptismum Christo incorporati, in populum Dei sunt constituti, atque hac ratione muneris Christi sacerdotalis, prophetici et regalis suo modo participes facti, secundum propriam cuiusque condicionem, ad missionem exercendam vocantur, quam Deus Ecclesiae in mundo adimplendam concredidit.“ – „Gläubige sind jene, die durch die Taufe Christus eingegliedert, zum Volke Gottes gemacht und dadurch auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden sind; sie sind gemäß ihrer je eigenen Stellung zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat“. 52 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Gläubige II. Kath., in: LKStKR Bd. 2, S. 154 – 156. 53 Vgl. c. 204 § 1 i. V. m. c. 96 CIC/1983. 54 Vgl. c. 11 CIC/1983 und c. 1490 CCEO. 55 Vgl. c. 213 CIC/1983: „Ius est christifidelibus ut ex spiritualibus Ecclesiae bonis, praesertim ex verbo Dei et sacramentis, adiumenta a sacris Pastoribus accipiant.“ – „Die Gläubigen haben das Recht, aus den geistlichen Gütern der Kirche, insbesondere dem Wort Gottes und den Sakramenten, Hilfe von den geistlichen Hirten zu empfangen“. 56 Dementsprechend bezeichnet Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 9 (Anm. 45), S. 438 die Eucharistie als „spiritalis alimonia“ (geistliche Nahrung). Vgl. auch DirOec/1993 Nr. 129.
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der Gläubigen richtet sich an die pastores,57 also an die Hirten der Kirche und somit nicht nur an die unmittelbaren Verkündiger und Spender der Sakramente. Dieser Rechtsanspruch umfasst auch den Anspruch, dass die zuständigen Hirten wie etwa die Bischöfe entsprechende Regelungen treffen,58 damit auch für die nichtkatholischen Gläubigen die erforderlichen geistlichen Hilfen verlässlich und auf einer sicheren Grundlage zugänglich sind. Die in c. 842 § 1 CIC/198359 normierte Grundvoraussetzung für die gültige Zulassung zum Empfang weiterer Sakramente, nämlich dass die christliche Taufe gültig empfangen wurde, erfüllen auch nichtkatholische Christen. Dem entsprechend stellt Rüdiger Althaus zutreffend fest: „Keine Bedeutung kommt im Kontext der Gültigkeit des Empfanges eines weiteren Sakraments dem Faktum zu, … in welcher Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft er die Taufe empfangen hat“.60 Mit c. 843 § 1 CIC/198361 wird der in c. 213 CIC/1983 normierte Rechtsanspruch der Gläubigen auf Sakramentenempfang konkretisiert: „Bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen … liegt es … nicht im Ermessen des Spenders, ein Sakrament zu spenden; vielmehr ist er im Zweifelsfall dazu verpflichtet“.62 Vorausgesetzt wird die gelegene Bitte des Empfängers, also vor allem sein eigener Wunsch nach Sakramentenempfang.63 Gefordert wird ferner die rechte Disposition des Empfängers, deren Beurteilung allerdings primär bei dem betreffenden Gläubigen liegt.64 Zudem darf kein rechtlicher Hinderungsgrund bestehen. Als einen möglichen rechtlichen Hinderungsgrund nennt Meckel „das Fehlen eines vinculums und die daraus resultierende communio non plena mit der katholischen Kirche“65 gemäß c. 205 CIC/ 1983, jedoch kann die communio non plena nicht in einem absoluten Sinn als rechtlicher Hinderungsgrund für den Sakramentenempfang, auch nicht für den Eucharistieempfang verstanden werden. In den in cc. 912 – 923 CIC/1983 normierten Voraussetzungen für die Teilnahme an der Eucharistie wird nämlich erstens die bestehende plena communio mit der katholischen Kirche nicht gefordert. Zweitens fällt die 57
168. 58
Vgl. Ilona Riedel-Spangenberger, Art. Pastores animarum, in: LKStKR Bd. 3, S. 167 –
Vgl. z. B. c. 844 § 4 CIC/1983 und c. 671 § 4 CCEO. Vgl. c. 842 § 1 CIC/1983: „Ad cetera sacramenta valide admitti nequit, qui baptismum non recepit.“ – „Wer die Taufe nicht empfangen hat, kann zu den übrigen Sakramenten nicht gültig zugelassen werden“. 60 Rüdiger Althaus, c. 842, Rdnr. 2, in: MK CIC (Stand: Juli 2005). 61 Vgl. c. 843 § 1 CIC/1983: „Ministri sacri denegare non possunt sacramenta iis qui opportune eadem petant, rite sint dispositi, nec iure ab iis recipiendis prohibeantur.“ – „Die geistlichen Amtsträger dürfen die Sakramente denen nicht verweigern, die gelegen darum bitten, in rechter Weise disponiert und rechtlich an ihrem Empfang nicht gehindert sind“. 62 Althaus, c. 842, Rdnr. 2 (Anm. 60). 63 Vgl. Johannes Paul II., Ut unum sint, Nr. 46 (Anm. 44). 64 Vgl. Thomas Meckel, Art. Disposition – katholisch, in: LKRR Bd. 1, S. 652 – 653. 65 Meckel/Jünger, Art. Communicatio in sacris (Anm. 30), S. 515. Vgl. in diesem Sinne auch Rüdiger Althaus, c. 843, Rdnr. 3 c), in: MK CIC (Stand: Juli 2005). 59
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communio non plena nicht unter die in cc. 915 und 916 CIC/1983 genannten rechtlichen Ausschlussgründe. Und drittens ist in c. 921 § 1 i. V. m. c. 844 § 4 CIC/1983 der Begriff „christifideles“ im umfassenden Sinne aller Getauften und nicht nur der Katholiken zu verstehen. Mit c. 844 § 4 CIC/198366 und c. 671 § 4 CCEO wird es unter den dort genannten Voraussetzungen auch Angehörigen nichtkatholischer kirchlicher Gemeinschaften – gemeint sind damit insbesondere protestantische Christen – ermöglicht, erlaubt die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung von einem katholischen Spender zu empfangen. Im Blick auf das Spannungsfeld zwischen der Bezeugung der – noch nicht in vollem Sinn verwirklichten – ekklesialen Einheit und dem individuellen Heil der Gläubigen ist der folgende Hinweis zu beachten: „Diese drei Sakramente dienen in besonderer Weise dem einzelnen Christen zu seinem persönlichen Heil. Der kirchliche Gesetzgeber sieht dieses als vorrangig vor dem Erfordernis der Zugehörigkeit zur plena communio“.67 Als Erlaubtheitsvoraussetzungen, die vom jeweiligen Spender anhand der rechtlichen Maßgaben zu bewerten sind, werden die Situation der Todesgefahr68 sowie eine alia gravis necessitas69 genannt. Nach dem Wortlaut der Norm ist nicht gefordert, dass eine solche necessitas ebenso schwerwiegend und unausweichlich sein muss wie die Situation der Todesgefahr. Insofern muss die im Auftrag der DBK gefertigte Übersetzung des Begriffs „necessitas“ mit „Notfall“ nicht nur als interpretierend,70 sondern als bewusst einschränkend gewertet werden.71 Es fällt im Vergleich hierzu auf, dass im Zusammenhang der in c. 844 § 2 CIC/1983 getroffenen Regelung derselbe Begriff „necessitas“ mit „Notwendigkeit“ und somit viel offener übersetzt 66 Vgl. c. 844 § 4 CIC/1983: „Si adsit periculum mortis aut, iudicio Episcopi dioecesani aut Episcoporum conferentiae, alia urgeat gravis necessitas, ministri catholici licite eadem sacramenta administrant ceteris quoque christianis plenam communionem cum Ecclesia non habentibus, qui ad suae communitatis ministrum accedere nequeant atque sponte id petant, dummodo quoad eadem sacramenta fidem catholicam manifestent et rite sint dispositi.“ – „Wenn Todesgefahr besteht oder wenn nach dem Urteil des Diözesanbischofs bzw. der Bischofskonferenz eine andere schwerwiegende Notwendigkeit dazu drängt, spenden katholische Spender diese Sakramente erlaubt auch den übrigen nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehenden Christen, die einen Spender der eigenen Gemeinschaft nicht aufsuchen können und von sich aus darum bitten, sofern sie bezüglich dieser Sakramente den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sind“. 67 Rüdiger Althaus, c. 844, Rdnr. 4, in: MK CIC (Stand: Juli 2005). 68 Vgl. Heinrich J. F. Reinhardt, Art. Todesgefahr, in: LKStKR Bd. 3, S. 690 – 691. 69 Vgl. Georg Holkenbrink, Art. Necessitas, in: LKStKR Bd. 3, S. 8 – 10. 70 Vgl. Althaus, c. 844, Rdnr. 8 a) (Anm. 67). Sachlich gerechtfertigt ist diese Interpretation allenfalls im Blick auf die von Althaus verwiesenen Dokumente, zu denen aber weder das geltende Ökumenische Direktorium noch die weiter oben genannten Enzykliken von Papst Johannes Paul II. gehören. 71 Eine solche einschränkende, auf Verhinderung zielende Tendenz wird auch erkennbar, wenn Kardinal Gerhard Ludwig Müller den Eucharistieempfang durch nichtkatholische Christen ausschließlich auf den Fall der Wegzehrung begrenzt wissen will. Vgl. Müller, Eine Ehe ist keine Notlage (Anm. 5), S. 16.
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wird. Holkenbrink jedenfalls will den in c. 844 § 1 CIC/1983 und 671 § 4 CCEO verwendeten Begriff „necessitas“ im Sinne einer necessitas spiritualis vel pastoralis verstanden wissen. Auch Papst Johannes Paul II. spricht in seiner Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ Nr. 45 von einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis einzelner Gläubiger im Hinblick auf das ewige Heil, dem man entgegenkommen müsse.72 Auf Seiten des nichtkatholischen Gläubigen wird als Bedingung zur Erlaubtheit gefordert, dass dieser – aus physischen oder moralischen Gründen – einen Spender der eigenen Gemeinschaft nicht aufsuchen kann. Er muss von sich aus, also freiwillig und wissentlich, um den Empfang des betreffenden Sakraments bitten. Ebenso muss er bezüglich des betreffenden Sakraments den katholischen Glauben bekunden und in rechter Weise disponiert sein. Mit den letztgenannten drei Bedingungen werden keine einseitigen und besonders für Nichtkatholiken aufgestellten Voraussetzungen formuliert, sondern sie gelten gemäß c. 843 CIC/1983 für alle potentiellen Sakramentenempfänger. In ganz anderer und betont restriktiver Weise normieren die beiden Codices die Frage der Gottesdienstgemeinschaft zwischen getrennten Kirchen und die damit verbundene Frage der Interzelebration. Gemäß c. 908 CIC/198373 und c. 702 CCEO ist es katholischen Priestern verboten, mit Priestern und Amtsträgern anderer christlicher Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften, die nicht in plena communio mit der katholischen Kirche stehen, die Eucharistie zu konzelebrieren.74 Die Konzelebration ist in besonderer Weise ein Ausdruck der bestehenden kirchlichen Communio75 und wäre im Fall der Zelebration mit nichtkatholischen Priestern oder Amtsträgern ein kontradiktorisches Zeichen, weil die Communio mit den von den jeweiligen Amtsträgern repräsentierten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nur teilweise und in unvollkommener Weise verwirklicht ist. Die verbotene Gottesdienstgemeinschaft wird als eine Straftat gegen die Religion und die Einheit der Kirche gewertet.76
72 Vgl. Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 45 (Anm. 45), S. 463: „gravi spirituali necessitati prospicere de aeterna singulorum fidelium salute.“ Dem entsprechend spricht auch DirOec/1993 Nr. 130 nicht von Notfällen, sondern, viel offener, von ernsten und dringenden Notwendigkeiten. 73 Vgl. c. 908 CIC/1983: „Sacerdotibus catholicis vetitum est una cum sacerdotibus vel ministris Ecclesiarum communitatumve ecclesialium plenam communionem cum Ecclesia catholica non habentium, Eucharistiam concelebrare.“ – „Katholischen Priestern ist es verboten, zusammen mit Priestern oder Amtsträgern von Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, die Eucharistie zu konzelebrieren“. 74 Vgl. auch Johannes Paul II., Ecclesia de Eucharistia, Nr. 45 (Anm. 45), S. 462: „Si numquam concelebratio permittitur, deficiente plena communione (…)“. 75 Vgl. Heribert Hallermann, Art. Konzelebration, in: LKStKR Bd. 2, S. 639 – 641. 76 Vgl. Überschrift vor c. 1364 CIC/1983.
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Dem entsprechend wird, wer diesem Verbot zuwider handelt, gemäß c. 1365 CIC/ 198377 mit der Verhängung einer gerechten Strafe bedroht. Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft werden in den geltenden Codices trotz ihrer inneren Bezogenheit ganz unterschiedlich normiert: Im Blick auf das individuelle Heil der Gläubigen wird auch nichtkatholischen Christen, die sich in einer besonderen Situation befinden, der Empfang der Sakramente der Buße, der Krankensalbung und der Eucharistie erlaubt. Ein Verstoß gegen die hierfür zu beachtenden Voraussetzungen ist nicht strafbewehrt. Gottesdienstgemeinschaft und Interzelebration mit nichtkatholischen Amtsträgern hingegen ist verboten und strafrechtlich geschützt, weil hierdurch eine Kirchengemeinschaft ausgedrückt würde, die tatsächlich nicht besteht.
VI. Wider das kirchenrechtliche Analphabetentum Ist für nichtkatholische Partner in einer konfessionsverschiedenen oder -verbindenden Ehe eine Teilnahme an der Eucharistie möglich? Sofern die in c. 844 § 4 CIC/1983 641 § 4 CCEO normierten Voraussetzungen beachtet werden, ja. Das hat weder etwas mit konfessionellem Relativismus noch mit einer willkürlichen Ausdehnung des Begriffs gravis necessitas in den beiden genannten Canones zu tun. Wer dies behauptet, erweist sich als kirchenrechtlicher Analphabet,78 denn er stützt sich weder auf den verpflichtenden lateinischen Wortlaut der Rechtsnorm, sondern auf eine einschränkend-interpretierende Übersetzung und er entspricht in seiner Auslegung der Norm auch nicht den kodikarischen Regeln der Gesetzesinterpretation.79 Uneingeschränkt zuzustimmen ist daher der These, „Eine Ehe ist keine Notlage“80 – auch nicht eine konfessionsverschiedene Ehe. Es kann sich aus einer solchen Ehe allerdings eine urgens et gravis spiritualis necessitas ergeben, wie Walter Kasper überzeugend darlegt: Wenn die konfessionsverschiedenen Ehepartner „das, was sie durch die beiden Sakramente der Taufe und der Ehe sind, auch gemeinsam leben, wenn sie gemeinsam beten und ihre Kinder im christlichen Glauben erziehen, dann bilden sie nach katholischem Verständnis eine Hauskirche (LG 11; AA 11). 77 Vgl. c. 1365 CIC/1983: „Reus vetitae communicationis in sacris iusta poena puniatur.“ – „Wer sich verbotener Gottesdienstgemeinschaft schuldig macht, soll mit einer gerechten Strafe belegt werden.“ Vgl. sinngemäß c. 1440 CCEO. 78 Vgl. Müller, Eine Ehe ist keine Notlage (Anm. 5), S. 16 – 17, der ebd., S. 15 von theologischem Analphabetentum spricht. 79 Vgl. c. 17 CIC/1983: „Leges ecclesiasticae intellegendae sunt secundum propriam verborum significationem in textu et contextu consideratam; quae si dubia et obscura manserit, ad locos parallelos, si qui sint, ad legis finem ac circumstantias et ad mentem legislatoris est recurrendum.“ – „Kirchliche Gesetze sind zu verstehen gemäß der im Text und im Kontext wohl erwogenen eigenen Wortbedeutung; wenn sie zweifelhaft und dunkel bleibt, ist zurückzugreifen auf Parallelstellen, wenn es solche gibt, auf Zweck und Umstände des Gesetzes und auf die Absicht des Gesetzgebers.“ Vgl. c. 1499 CCEO. 80 Müller, Eine Ehe ist keine Notlage (Anm. 5), S. 15.
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Nichts ist dann verständlicher, als dass solche Eheleute den inneren Wunsch und die Sehnsucht haben, nicht nur das tägliche Brot, sondern auch das eucharistische Brot zu teilen, um daraus Kraft zu schöpfen für den Alltag ihres gemeinsamen Lebens. Wenn sie gemeinsam den eucharistischen Glauben der Kirche teilen, was hindert dann, das sie auch gemeinsam zur Eucharistie hinzutreten? Man kann sogar fragen, ob in diesem Fall nicht eher der Ausschluss von der Kommunion als die Zulassung zur Kommunion begründungsbedürftig sind“.81
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Kasper, Eine Lösung ist möglich (Anm. 17), S. 14.
Kommunion für Kinder Kanonistische und liturgiewissenschaftliche Überlegungen zur Sakramentenpraxis in der lateinischen Kirche und in den katholischen Ostkirchen Von Liborius Olaf Lumma Die Existenz katholischer Ostkirchen dürfte selbst unter Katholiken im deutschen Sprachraum wenig bekannt sein, auch wenn es in Deutschland immerhin in Petro Kryk einen eigenen Bischof (Apostolischen Exarchen) für die etwa 50.000 griechisch-katholischen Ukrainer gibt,1 der auch der Deutschen Bischofskonferenz angehört. In Österreich, wo die Geschichte des habsburgischen Vielvölkerstaats, Fluchtbewegungen vor dem sowjetischen Kommunismus, Verschleppung osteuropäischer Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus, die Balkankriege der 1990er-Jahre und gegenwärtige Arbeitsmigration zu einem deutlich höheren Anteil ostkirchlicher Katholiken beigetragen haben, ist der Erzbischof von Wien, Christoph Kardinal Schönborn OP, zugleich Ordinarius für die Angehörigen aller katholischen Ostkirchen (bis 2018 nur für diejenigen der byzantinischen Tradition): eine Personengruppe im niedrigen fünfstelligen Bereich.2 In Innsbruck, wo der Geehrte dieser Festschrift seit 1996 als Universitätsprofessor tätig ist, feierte die Gemeinde der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, die eng mit der Geschichte ukrainischer Studenten an der Katholisch-Theologischen Fakultät verbunden ist, im Jahr 2019 ihr 120-jähriges Bestehen; ihr gehörten und gehören auch Doktoranden von Wilhelm Rees an. Die eher schwache Wahrnehmung der katholischen Ostkirchen im deutschen Sprachgebiet spiegelt sich auch darin wider, dass nur wenig einschlägige kanonistische Fachliteratur in deutscher Sprache zu finden ist – man muss hier eher ins Italienische, Englische und Französische oder natürlich in die Sprachen der Ostkirchen ausweichen –, dass das Recht der katholischen Ostkirchen in theologischen Studiengängen nur eine untergeordnete Rolle spielt und nicht zuletzt auch darin, dass bis heute ein passendes Adjektiv für diese Kirchen fehlt, jedenfalls wenn man den zumeist pejorativ gedeuteten Terminus „uniert“ vermeiden möchte. Solange kein Be1
Die Zahl entnehme ich der im Allgemeinen gut informierten Website „Catholic Hierarchy“, online unter: http://www.catholic-hierarchy.org/diocese/ddeuk.html (eingesehen am 03. 02. 2020). 2 Siehe die Angaben auf der Homepage der Erzdiözese Wien, online unter: https://www.erz dioezese-wien.at/unit/katholischeostkirchen/ordinariatderkatholischen (eingesehen am 03. 02. 2020).
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griff wie „ostkatholisch“ oder „östlich-katholisch“ etabliert ist („orientalisch-katholisch“ sollte man besser für jene katholischen Ostkirchen reservieren, die in keinem historischem Verwandtschaftsverhältnis zu einer orthodoxen Kirche stehen), wird man wohl meist von „griechisch-katholisch“ sprechen. Doch das wäre als pars pro toto wenig sachgerecht, sind doch die „Griechen“, also die Katholiken byzantinischer Tradition, zwar in unseren Breiten der häufigste Fall katholischer Ostkirchen, aber dennoch nur eine unter mehreren vom II. Vatikanischen Konzil in SC 4 und OE 1 – 4 als theologisch gleichwertig anerkannten östlichen Traditionen unter dem verbindenden Dach des katholischen Verbandes. Ich werde es im Folgenden mit „östlich-katholisch“ versuchen, um nicht immer auf Wortungetüme mit mühsam integrierten Substantiven ausweichen zu müssen.
I. Kommunionzulassung im Wechselspiel von CIC/1983 und CCEO Zu den Besonderheiten der Sakramentenpraxis der lateinischen Kirche gehört die Beschränkung der Kommunionzulassung für getaufte Kinder auf solche, die gemäß c. 913 § 1 CIC/1983 „eine hinreichende Kenntnis und eine sorgfältige Vorbereitung erhalten haben, so dass sie das Geheimnis Christi gemäß ihrer Fassungskraft begreifen und den Leib des Herrn gläubig und andächtig zu empfangen in der Lage sind“.3 Dies ist die rechtliche Grundlage für eine der größten mystagogischen, katechetischen und liturgiepraktischen Herausforderungen in römisch-katholischen Kirchengemeinden: die Erstkommunionfeier. Diese Entwicklung ist den Ostkirchen – auch den katholischen – unbekannt, außer in manchen römisch-katholische Praxis imitierenden Fällen, die mit der Promulgation des CCEO abzuschaffen waren.4 Eine in mehreren Stufen über viele Jahre hinweg erfolgende Initiation wäre auch sakramententheologisch kaum zu begründen:5 c. 697 CCEO verlangt schnellstmöglich (quam primum) nach Taufe und My3
Vgl. die Bestimmungen des IV. Laterankonzils zur Sakramentendisziplin ab den anni discretionis in DH 812, siehe dazu die Erläuterungen durch Rüdiger Althaus, c. 913, Rdnr. 2, in MK CIC (Stand: Juli 2004). 4 Siehe dazu Victor J. Pospishil, Eastern Catholic Church Law. Revised and Augmented Edition, New York 1993, S. 399 – 400. 5 Siehe einführend Metropolit Hilarion (Alfeyev), Geheimnis des Glaubens. Einführung in die orthodoxe dogmatische Theologie, 3. Auflage, Münster 2019, S. 147, der auch die kognitiven Voraussetzungen und das existenziell-liturgische Potenzial bei Kindern anders deutet: „Im Unterschied zur Römischen Kirche, wo die Myronsalbung (Firmung) und die Erstkommunion vom erreichten siebten Lebensjahr an erfolgen, sind in der Orthodoxen Kirche die Kinder vom frühesten Alter an zu diesen Sakramenten zugelassen, damit ihnen die lebendige, wenn auch noch nicht vollkommen bewusste Verbindung mit Christus nicht genommen wird.“ Noch pointierter in Sergius Heitz (Hrsg.), Christus in euch: Hoffnung auf Herrlichkeit. Orthodoxes Glaubensbuch für erwachsene und heranwachsende Gläubige, 3. Auflage, Göttingen 2002, S. 119: „Es gibt nach orthodoxer Auffassung […] keinen theologischen Grund, Kinder
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ronsalbung (Firmung) den erstmaligen Empfang der Eucharistie und damit die Vollendung der sakramentalen Initiation.6 Aus diesen Bestimmungen entsteht nun eine rechtliche und liturgiepraktische Herausforderung, die nicht ins Gewicht fällt, solange lateinische und östlich-katholische Kirchen als zwar Kirchengemeinschaft bildende, aber doch voneinander getrennt existierende Welten verstanden werden: Solange Lateiner unter sich sind, ist die Sakramentenpraxis eindeutig normiert, solange die Angehörigen katholischer Ostkirchen unter sich sind, ebenso. Auch ein sich in verschiedenen Riten bewegender Sakramentenspender wird jeweils eindeutige Praktiken vorfinden und ihnen entsprechend handeln können. Anders verhält es sich, wenn katholische Kinder mal in diesem, mal in jenem Ritus die Eucharistie mitfeiern. Diese Praxis ist keineswegs nur hypothetisch, sie ist auch im CIC/1983 eigens bedacht.7 Die Angehörigen kleiner östlich-katholischer Gemeinden in Österreich wie in Deutschland haben aufgrund der weiten Entfernungen und der geringen Zahl Eucharistie feiernder Presbyter keineswegs an jedem Sonn- und Festtag die Möglichkeit, die Eucharistie in ihrem eigenen Ritus mitzufeiern und weichen dann auf eine Liturgie des lateinischen Ritus aus. Möglicherweise nehmen sie ohnehin mehr als römisch-katholischen Gemeindeleben als an dem ihres eigenen Ritus teil und sind dort sozial eingebunden. Auch sind in der römisch-katholischen Pastoral Katholiken östlicher Riten tätig: Das können verheiratete Presbyter sein – solche werden besonders im Osten und Süden Österreichs verstärkt im römisch-katholischen Pfarrdienst eingesetzt –, daneben gibt es auch Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten in österreichischen Diözesen, Religionslehrerinnen von der Taufgnade auszuschließen. Da aber Taufe, Myronsalbung und Kommunion an Leib und Blut Christi nicht zu trennen sind, kann man den getauften und mit dem Heiligen Geist versiegelten Kindern auch die Teilnahme an der Kommunion nicht versagen, umso weniger als nach orthodoxem Verständnis der menschliche Entschluß und die Bußgesinnung nicht als Vorleistung für das Erbarmen und die Gnade Gottes verstanden werden, sondern umgekehrt: der unbeständige menschliche Wille muß erst durch die Gnade des Heiligen Geistes und die Vereinigung mit Ihm gefestigt werden, ehe er zu wirklicher Buße fähig ist.“ Für das Recht der katholischen Ostkirchen erläutert George Nedungatt, A Guide to the Eastern Code. A Commentary on the Code of Canons of the Eastern Churches, Rom 2002, S. 510 – 511: „Christian initiation is a single and indivisible act which introduces a person fully into the mystery of salvation. The Eucharist is the fulfilment of baptism and chrismation that brings about communion with the divine life of the Holy Trinity and belonging to the eschatological community. A single celebration of Christian initiation, therefore, signifies this single, indivisible work of the Father, the Son, and the Spirit […]. In the Eastern tradition, this intimate unity of the three sacraments of Christian initiation is signified and manifested liturgically by their celebration together with respect to both children and adults […]. The expression quam primum refers to the closest possible time; certainly, it does not mean the age of discretion or the time when children possess a sufficient knowledge of and an adequate preparation for reception oft he Eucharist, as is required by CIC 913 § 1“. 6 Siehe Rüdiger Althaus, c. 912, Rdnr. 5 sowie c. 913, Rdnr. 3 in: MK CIC (Stand: Juli 2004). 7 Siehe c. 923 CIC/1983.
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und Religionslehrer, die entweder selbst oder in ihren familiären Wurzeln aus der Ukraine, aus Rumänien oder Ungarn stammen und mittlerweile aufgrund Ausbildung, Dienstvertrag und alltäglicher Praxis weitgehend in der römisch-katholischen Kirche integriert (um nicht zu sagen: assimiliert) sind, selber aber mitsamt ihren Kindern unverändert einem östlichen Ritus angehören. Sind nun östlich-katholische Kinder in einer römisch-katholischen Eucharistiefeier zum Empfang der Kommunion zuzulassen? Grundlegend für die Beantwortung dieser Frage ist c. 912 CIC/1983: „Jeder Getaufte, der rechtlich nicht daran gehindert ist, kann und muss (potest et debet) zur heiligen Kommunion zugelassen werden.“ – Das Grundrecht auf Sakramentenempfang,8 dessen Verweigerung begründungspflichtig ist, verpflichtet den Spender: Er darf die Kommunion nur verweigern, wenn eine rechtmäßige Begründung vorliegt. Im Fall eines östlich-katholischen getauften (und damit eo ipso auch gefirmten) Kindes kann sich der Spender jedoch nicht auf die Anforderungen von c. 913 § 1 CIC/ 1983 berufen, da gemäß cc. 1 und 12 § 1 CIC/1983 das Kind diesen Anforderungen nicht unterliegt, da es nicht dem lateinischen Ritus angehört. Im umgekehrten Fall ist aber einem noch nicht voll initiierten Kind, das dem lateinischen Ritus angehört, die Kommunion in einer östlich-katholischen Eucharistiefeier zu verweigern: Das Kind erfüllt nicht die Voraussetzungen seiner eigenen Rituskirche (c. 913 § 1 CIC/1983) und – wenn man mit der Integrität des Ritus argumentieren wollte, in dem die Liturgie gefeiert wird – auch nicht die der östlich-katholischen Kirche, denn c. 697 CCEO impliziert, dass die Eucharistie erst nach vollendeter Initiation durch Taufe und Firmung (Myronsalburg) empfangen wird; ein Kind des lateinischen Ritus, das noch keine Erstkommunion hatte, ist aber im Allgemeinen nur getauft, nicht gefirmt. Unter kirchenrechtlichem Aspekt dürfte die eingangs gestellte Frage also einfach zu beantworten sein: Ein östlich-katholisches Kind, das in seiner Rituskirche voll initiiert ist, hat einen Anspruch darauf, in einer römisch-katholischen Eucharistiefeier die Kommunion zu empfangen. Umgekehrt sind Kinder des lateinischen Ritus in einer östlich-katholischen Liturgie nicht berechtigt, die Kommunion zu empfangen.
II. Pastoralliturgische Folgeüberlegungen Jenseits dieser kanonistischen Überlegungen wirft der ritusabhängige Umgang mit getauften Kindern bei der Sakramentenzulassung jedoch erhebliche pastorale bzw. pastoralliturgische Fragen auf. Viele christliche Kirchen sind dazu übergegangen, zumindest alle Getauften – gleich welcher Kirchenzugehörigkeit – zu ihren Sakramenten zuzulassen. Vor diesem Hintergrund ist die restriktive katholische Praxis 8 Siehe cc. 213 und 843 § 1 CIC/1983, sowie etwa den pointierten Kommentar bei Heinrich J. F. Reinhardt, c. 213, Rdnrn. 1 und 5, in: MK CIC (Stand: November 2000).
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gemäß cc. 844 CIC/1983 selbst bei äußerst liberaler Auslegung der dort genannten Kriterien für die Zulassung von Nichtkatholiken zu den katholischen Sakramenten der inner- wie außerkirchlichen Öffentlichkeit nur schwer vermittelbar. Dies gilt besonders gegenüber Menschen, die mit katholischen Gewohnheiten, Zeremonien und Rechtsbestimmungen weniger vertraut sind und nachvollziehbarerweise die katholische Kirche an diesem Punkt als Menschen ausgrenzend und herabwürdigend wahrnehmen.9 Auch kollidiert der Ausschluss von Kindern von sinnlicher liturgischer Symbolik wie dem Essen und Trinken der Eucharistie mit der gesellschaftspolitisch verankerten Zielsetzung der Inklusion, die in staatliche Gesetzgebung einfließt und beispielsweise auch von Papst Franziskus angemahnt wird.10 Was unter den Bedingungen der sogenannten „Volkskirche“ noch als eingespieltes Verhaltensmuster des in biographischen Schritten vollzogenen Hineinwachsens in das (römisch-katholische) Erwachsenenleben vertraut war11 und um dessen genaue Ausgestaltung allenfalls in Fachzirkeln diskutiert wurde, hat unter derzeitigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seine Plausibilität fast vollständig verloren. Unverständnis und Fehlinterpretationen treffen dann die in der Pastoral Tätigen, die für die kirchlichen Normen geradestehen oder aber sich für individuell verantwortete vom kanonischen Recht abweichende Praktiken rechtfertigen müssen. In Bezug auf die katholischen Ostkirchen bzw. die parallele Anwendung von CIC/ 1983 und CCEO im katholischen Kirchenverband kommt nun noch ein weiterer, pastoral und ekklesiologisch durchaus bedeutsamer Aspekt hinzu. Es ist ja, wie schon einleitend erwähnt, in der römisch-katholischen Welt keineswegs als bekannt vorauszusetzen, dass es die katholischen Ostkirchen überhaupt gibt, dass es sich bei ihnen nicht einfach um „Orthodoxe“ handelt und dass sich ihre Eigenheiten nicht nur auf liturgische Formen beschränken, sondern auch zahlreiche andere Elemente umfassen: von der Verwendung des julianischen oder des meletianischen Kalenders über Fastenpraktiken, theologische Schwerpunktsetzungen bis eben hin zum Sakra-
9 Bezeichnend und durchaus in der medialen Öffentlichkeit herausfordernd sind durch diese Praxis provozierte Stellungnahmen wie die des deutschen Moderators und Autors Micky Beisenherz angesichts seines von der Kommunion zurückgewiesenen Kindes, online unter: https://www.facebook.com/micky.beisenherz/posts/10157646825171535 (eingesehen am 03. 02. 2020); siehe dazu auch die Replik von Maurus Runge, online unter: https://www.katho lisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/lieber-herr-beisenherz-die-kommunion-bedeutet-uns-katholi ken-viel (eingesehen am 03. 02. 2020). 10 „Jedes Leben ist wertvoll, jeder Mensch ist ein Geschenk, und die Inklusion bereichert jede Gemeinschaft und Gesellschaft. Dies ist Ihre Botschaft für die Welt, für eine Welt ohne Grenzen und ohne Ausschließung.“ Franziskus, Ansprache an die Delegation der „Special Olympics Weltwinterspiele“ vom 16. Februar 2017. Deutsche Fassung online auf der Homepage des Heiligen Stuhles unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2017/febru ary/documents/papa-francesco_20170216_special-olympics-international.html (eingesehen am 03. 02. 2020). 11 Siehe dazu die beispielhafte Analyse der historischen Entwicklung in Klaus Peter Dannecker, Taufe, Firmung und Erstkommunion in der ehemaligen Diözese Konstanz. Eine liturgiegeschichtliche Untersuchung der Initiationssakramente (= LQF 92), Münster 2005.
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mentenrecht.12 Für katholischen Religionsunterricht, Kinder- und Jugendarbeit und die Gemeindepastoral verlangt das nun, vermitteln zu müssen, warum die Kinder aus den Familien der eigenen römisch-katholischen Pfarrgemeinde erst nach der Erstkommunion mit ihrer mehr oder weniger aufwändigen Vorbereitung zum Empfang der Eucharistie zugelassen sind, Kinder aus östlich-katholischen Familien aber schon als 2- oder 5-Jährige oder als Grundschulkinder vor den Augen ihrer römisch-katholischen Mitschülerinnen und Mitschüler ohne jede weitere Vorbereitung die Kommunion empfangen dürfen. Dieser Fall ist nicht so selten wie es scheint, und er wird in Anbetracht mittel- und langfristiger Migrationsentwicklungen vermutlich in Zukunft noch häufiger auftreten. Man denke auch an östlich-katholische Priester im römischkatholischen Pfarrdienst, die in römisch-katholischen Eucharistiefeiern ihren eigenen Kindern die Kommunion spenden dürfen (und müssen!), den Kindern der römisch-katholischen Pfarrgemeinde jedoch nicht. Die Signalwirkung, die von solchen kirchenrechtlich einwandfreien Verhaltensweisen ausgeht, dürfte verheerend sein, jedenfalls wenn es sich nicht um eine Pfarrgemeinde handelt, die ausschließlich aus kanonistisch spezialisierten Personen besteht. Meiner Vermutung und zum Teil auch eigenen Beobachtung nach verzichten östlich-katholische Familien in römisch-katholischen Eucharistiefeiern daher darauf, ihre Kinder zum Kommunionempfang mitzunehmen oder für ihr Kind die Kommunion zu verlangen. Das mag diesen Kindern vielleicht noch einigermaßen leicht zu vermitteln sein, nämlich als Besonderheit des lateinischen Ritus, die es eben zu respektieren gilt, genau wie dies die römisch-katholischen Kinder auch tun. Jedoch läuft diese Praxis auf einen Selbstausschluss von den Sakramenten hinaus, der vor dem Hintergrund der vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausgedrückten Gleichwertigkeit der Riten und dem Grundrecht auf Sakramentenempfang, das dann durch eine Form gutmeinenden sozialen Drucks ausgehebelt wird, ekklesiologisch, liturgisch und kanonistisch inakzeptabel ist.
III. Historische Anmerkungen Zu dieser eigenartigen Gemengelage wäre es nie gekommen, wenn nicht die Kirche des Westens in einem schleichenden Prozess, der schon im 1. Jahrtausend einsetzt, von der liturgisch erlebten Einheit der Initiationssakramente abgekommen
12 Um Aufklärung bemüht sind einige durchaus hilfreiche Publikationen, deren Verbreitungsgrad aber nicht zu hoch angesetzt werden dürfte, etwa die einschlägigen Passagen in Johannes Oeldemann, Die Kirchen des christlichen Ostens. Orthodoxe, orientalische und mit Rom unierte Kirchen, Kevelaer 2016, Andriy Mykhaleyko, Die katholischen Ostkirchen (Die Kirchen der Gegenwart 3), Göttingen 2012, oder in englischer Sprache Edward Faulk, 101 Questions & Answers on Eastern Catholic Churches, New York/Mahwah 2007.
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wäre. Die Praxis aus c. 697 CCEO beschreibt ja unumstritten die ältere Initiationsform auch des Okzidents.13 Die Genese der heutigen westlichen Praxis mag in jedem ihrer Einzelschritte plausibel nachvollziehbar sein, doch in der Gegenwart dürfte sie mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Entscheidend hierfür waren drei Grundentscheidungen: Den Normalfall des Eintritts in die katholische Kirche stellte die Säuglingstaufe dar, die möglichst bald nach der Geburt zu erfolgen hatte (und sich damit, nebenbei gesagt, auch aus dem Kontext der Gemeindeliturgie entfernte),14 die Firmspendung sollte dem Bischof vorbehalten bleiben und musste daher von der Taufe getrennt werden,15 die Zulassung zur Kommunion war zudem nicht mehr automatisch mit der Taufe gegeben.16 Dass die nun entstehende – in der Reihenfolge zur antiken Praxis teilweise vertauschte – Trias aus Säuglingstaufe, Erstkommunion und Firmung dann katechetisch in Jahrgänge oder schulischen Religionsunterricht eingebettet und so zu einer gestuften Initiation vom Säugling bis zum Jugendlichen oder jungen Erwachsenen wurde, ist bekanntermaßen eine vergleichsweise junge Entwicklung, die den Katholizismus seit der Aufklärung entscheidend geprägt hat.17 Die heutigen Diskussionen in der römisch-katholischen Kirche fokussieren sich nach meinem Eindruck auf pastoralpraktische Fragestellungen, die sich aus der nunmehr pastoral-katechetisch motivierten Deutung der Initiationssakramente ergeben: Wie soll die Erstkommunion vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden angesichts der Tatsache, dass viele Kinder (und ihre Eltern), die zur Erstkommunion gehen, weder zuvor noch danach Anschluss an ihre Pfarrgemeinden haben, die Pfarrliturgie regelmäßig (oder überhaupt jemals) mitfeiern und wenig mit Glaubensinhalten und -praktiken vertraut sind? Welches Alter ist für die Firmung angemessen, wenn diese als letzter Schritt und vor allem als bewusste persönliche Entscheidung für die Zugehörigkeit zur Kirche erlebt und in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Firmliturgie in Szene gesetzt wird – insbesondere: Soll dafür ein deutlich höheres Alter als in den letzten 100 Jahren üblich als Normalfall angesetzt werden?18 Schließlich: Soll die Reihenfolge der Initiationssakramente wieder restau13 Siehe dazu umfassend Bruno Kleinheyer, Sakramentliche Feiern I. Die Feiern der Eingliederung in die Kirche (= Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 7,1), Regensburg 1989. 14 Bekanntlich verlangt (!) auch das aktuell geltende Recht die Taufe möglichst bald nach der Geburt, siehe c. 867 § 1. 15 Siehe dazu ganz kurz und mit weiterführenden Literaturhinweisen Josef Zerndl, Art. Firmung, II. Historisch-theologisch, in: LThK3 III, Sp. 1299 – 1301. 16 Zur Geschichte der über die Vorschriften für die Erstkommunion hinausreichenden Regeln für den Kommunionempfang siehe die epochalen Studien von Peter Browe, Die häufige Kommunion im Mittelalter, Münster 1938; Ders., Die Pflichtkommunion im Mittelalter, Münster 1940; Ders., Die Kommunionvorbereitung im Mittelalter, in: ZKTh 56 (1932), S. 375 – 415. 17 Siehe Andreas Heinz, Art. Erstkommunion, II. Liturgisch, in: LTHK3 III, Sp. 835. 18 Aufmerksamkeit erhielten zuletzt zwei Bistümer im deutschsprachigen Raum, die das Mindestalter für die Firmung auf 16 Jahre heraufsetzen werden, nämlich Bozen-Brixen, online
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riert werden, also die Firmung vor der Erstkommunion erfolgen (welches auch immer dann das passende Alter für beide sein mag)?19 Diese Fragestellungen sind von großer Bedeutung und sie haben erhebliche Brisanz vor dem Hintergrund eingespielter Gewohnheiten und Erwartungshaltungen kirchlich zugehöriger, aber womöglich eher kirchenfremder Eltern und Familien. Zudem stellt die regelmäßige Vorbereitung von Kindern, Jugendlichen und Familien auf Erstkommunion- und Firmfeiern ein umfangreiches Arbeitsfeld pastoral und religionspädagogisch tätiger Frauen und Männer, Haupt- wie Ehrenamtlicher dar. Bei diesen an konkreten Erfahrungen und neuen Konzepten orientierten Diskussionen werden manche – meines Erachtens grundlegendere – sakramententheologische, liturgietheologische sowie kanonistische Fragen nur peripher berührt, von denen aber viele Folgeentscheidungen abhängen könnten. Ich möchte im Folgenden einige davon kurz skizzieren.
IV. Theologische Optionen Die Antike verstand die (Erwachsenen-)Taufe als Abschluss eines Prozesses der Entscheidung für und des Vertrautwerdens mit der Kirche. Der Initiationsakt war ein einziger, er begründete die Vollmitgliedschaft in der Kirche, die nicht mehr gestuft eingegangen werden konnte.20 Mit welchem Recht bzw. welchem sakramententheologischen und ekklesiologischen Paradigma soll überhaupt begründet werden können, dass Getauften die Firmung und die Teilnahme an der Kommunion verweigert werden kann? Welches Verständnis der Taufe zeigt sich, wenn Mitgliedschaft in der Kirche nun doch gestuft eingenommen und abgeschlossen wird – und ist ein solches Taufverständnis, wonach der Taufe noch etwas „fehlt“, das dann erst später, und zwar nur bei Vorliegen bestimmter Bedingungen, ergänzt wird, überhaupt vor dem biblischen Befund etwa von Röm 6, 3 – 11 zu rechtfertigen? Die heutige Situation bedeutet ja nichts anderes als dass die römisch-katholische Kirche Säuglinge zunächst durch die Taufe aufnimmt, sie dann aber de facto sofort exkommuniziert, weil der Kommunionempfang an zusätzliche (und zwar nicht zuletzt kognitive, siehe c. 913 § 1 CIC/1983) Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen stellen heute eine vertrauten und gewachsenen Brauch dar, sie entsprechen auch scholastischen unter: http://www.bz-bx.net/home_deu/ordinariat/00038651_Neue_Firmung_ab_Herbst_2022_ Mindestalter_16_Jahre.html (eingesehen am 03. 02. 2020) und Passau, online unter: https:// www.bistum-passau.de/firmung-ab-16 (eingesehen am 03. 02. 2020). 19 So entschied sich der Bischof von Gallup in New Mexico (USA), das Firmalter in einer mehrjährigen Anpassung der pastoralen Konzepte erheblich herabzusetzen, so dass die Firmung in Übereinstimmung mit der älteren und bei Erwachseneninitiationen auch heute weltweit geübten Reihenfolge vor der Erstkommunion stattfindet, siehe online unter: https://dioce seofgallup.org/restoring-the-order-of-the-sacraments-of-initiation (eingesehen am 03. 02. 2020). 20 Siehe dazu mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen Reinhard Meßner, Einführung in die Liturgiewissenschaft, 2. Auflage, Paderborn u. a. 2009, S. 70 – 112.
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Vorstellungen, wonach die Sakramente mit Entwicklungsschritten des Menschen korrelieren,21 und mögen daher plausibel erscheinen. Konsequent angewendet werden sie dann aber doch nicht, denn die katholische Kirche verweigert ja auch dementen oder kognitiv eingeschränkten Menschen die Kommunion nicht. Mit anderen Worten: Die Trennung der Taufe von der Erstkommunion erlegt Kindern zusätzliche Bedingungen für den Sakramentenempfang auf, die sich nicht aus der Taufe selbst erschließen lassen und die auch bei Erwachsenen nicht in derselben Strenge angewendet werden. Wenn auch nicht de jure (siehe c. 849 CIC/1983), sondern versetzt die Taufe das Kind doch de facto in eine nur eingeschränkte Zugehörigkeit zur Kirche. Die Taufe nimmt in der Biographie des Kindes jene Stellung ein, die in der Antike dem Katechumenat zukam, das auf die Taufe überhaupt erst vorbereitete. Aber verfehlt das nicht die theologische Bedeutung und Dignität der Taufe? Eine ähnliche Frage stellt sich beim nur genetisch, aber nicht sakramententheologisch begründeten Auseinanderfallen von Taufe und Firmung. Zweifellos erfolgte in antiken Vorbildern die Salbung, die heute als Firmung bezeichnet und als eigenes Sakrament gezählt wird, erst im Anschluss an die Wassertaufe, aber beides bildete trotzdem einen großen rituellen Akt der Initiation.22 Die historische Bindung der Firmung an die Spendung durch den Bischof (die in den Ostkirchen nie bestand und in der lateinischen Kirche nach c. 884 § 1 CIC/1983 heute nicht mehr zwingend ist) machte es notwendig, den einen Initiationsritus für längere Zeit zu unterbrechen – nämlich bis ein Bischof erreichbar war – und dann erst fortzusetzen. Auch hier sind alle heute vertrauten Interpretationen (etwa die Säuglingstaufe als Gnadengeschenk, dagegen die Firmung als persönliche Entscheidung oder Auftrag zum öffentlichen Bekenntnis23) mitsamt ihrer katechetischen Einbettung in bestimmte Altersstufen wiederum nicht aus der Sache selbst (sprich: dem liturgischen Vollzug) zu begründen, sondern es handelt sich nur um post factum entstandene Deutungen. Meines Erachtens ergeben sich daraus aber mehr Fragen als Antworten: Wie begründen sich die doch recht willkürlichen Zuschreibungen der Firmung zu bestimmten biographischen Lebens- und Glaubensvollzügen bzw. innerkirchen Rollenzuschreibungen, wenn diese im antiken Initationsritual nicht erkennbar waren? Inwiefern kann überhaupt ein Getauftsein ohne Vollmitgliedschaft zur Kirche möglich sein – mit allen Rechtsfolgen, die sich darauf ergeben, etwa die Zulassung zur Ordination?24 Eine weitere Anfrage betrifft die Abfolge der Initiationssakramente. Wie ist die Änderung der Reihenfolge der Initiationselemente in Taufe – Erstkommunion – Firmung begründbar? Versteht man die Firmung als Abschluss der Taufe, dann folgt 21
Siehe Thomas von Aquin, Summa Contra Gentiles, IV. Buch, Kap. 58. Siehe auch dazu Meßner, Einführung (Anm. 20), mit den entsprechenden patristischen Belegen und weiterführender Literatur. 23 So z. B. Peter Knauer, Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie, 7. Auflage, Norderstedt 2015, S. 234 – 235. 24 Siehe c. 1033 CIC/1983. 22
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daraus doch sachlogisch, dass die Taufe eine noch unvollständige Initiation darstellt – wie rechtfertigt sich dann, dass unvollständig Initiierte zur Kommunion zugelassen werden? Auch hier zeigt sich, dass die kanonischen Kriterien für die Zulassung zu diesen Sakramenten sowie die gewachsene katechetische Praxis der Hinführung zu Erstkommunion und Firmung letztlich keine Apologie der geänderten Reihenfolge darstellen, sondern allenfalls eine aitologische Weiterführung und tiefere Interpretation einer vorausgesetzten, historisch gewachsenen Praxis. Anders gesagt: Die Begründungsfiguren, man müsse nach der Taufe erst noch über die kognitive Fähigkeit verfügen, um als Kind zur Kommunion zugelassen zu werden und man müsse zu einer gewissen Persönlichkeitsreife gelangt sein, um die Firmung empfangen zu können, ließen sich genauso anwenden, wenn – durch andere historische Umstände bedingt – die Firmung für Volksschulkinder und die Erstkommunion für Jugendliche und junge Erwachsene zur Gewohnheit geworden wäre. All diese Argumentationslinien ergeben sich nicht aus der Sache selbst, nicht aus dem liturgischen Ritual der Initiation bzw. der regelmäßig von der Kirche gefeierten Eucharistie, sondern sie werden – katechetisch oder disziplinarisch motiviert – von außen durch eine systematisch entwickelte Vorstellung vom Wesen der einzelnen Sakramente an den liturgischen Vollzug herangetragen und machen dann im nächsten Schritt entsprechende katechetische Bemühungen notwendig.
V. Zusammenfassung und Ausblick für die lateinische Kirche In der zunächst ausschließlich kirchenrechtlich gestellten Frage nach der Kommunionzulassung römisch- bzw. östlich-katholischer Kinder in Eucharistiefeiern eines anderen Ritus kulminiert die historisch gewachsene Entfremdung westlicher und östlicher Initiationspraktiken. Wäre die Kirche des Westens nie von der (im rituellen Vollzug tatsächlich erlebten) Einheit der Initiationselemente Taufe, Salbung, Kommunionempfang abgewichen, um sie über einen Zeitraum von etlichen Jahren zu verteilen, dann wären scholastische Parallelisierungen von Initiationssakramenten und Lebensvollzügen nie entstanden, es hätten sich auch keine katechetischen Praktiken rund um Erstkommunion und Firmung entwickeln können und die Initiationssakramente wären nie an das Erfordernis bestimmter biographischer oder kognitiver Fähigkeiten gebunden worden. Auch die Fragestellung, die den Ausgang meines Beitrags bildete, wäre schnell zu beantworten gewesen: Alle Getauften wären zugleich gefirmt und voll initiiert (möglicherweise wäre man nie auf die Idee gekommen, Taufe und Firmung als zwei unterschiedliche Sakramente zu zählen25) und zur Eucharistie zugelassen.
25 Siehe dazu etwa die orthodoxen Deutungen der vom Westen übernommenen Zählung von sieben Sakramenten bei Hilarion (Alfeyev), Geheimnis des Glaubens (Anm. 3), S. 142, und Heitz, Christus in euch (Anm. 3), S. 130 – 131.
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Gewiss kann diese Erkenntnis keinen Beitrag dazu leisten, in einem konkreten kulturellen Umfeld das passende Alter für die Vorbereitung und Feier der Firmung sowie für die Vorbereitung und Feier der Erstkommunion sinnvoll zu bestimmen. Vor genau dieser Aufgabe stehen aber die Bischöfe und die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Rahmen gewachsener Traditionen und normativer Rechtsbestimmungen pastorale und pastoralliturgische Entscheidungen treffen, Konzepte umsetzen und damit verbundene Herausforderungen und Konflikte meistern müssen. Möglicherweise ist es aber für die Orientierung in derartigen Diskussionen um neue pastorale Konzepte hilfreich, im Blick auf die historische Genese zu erkennen, dass mit der zeitlichen Trennung von Taufe, Firmung und Erstkommunion – die aus ihrer historischen Gemengelage heraus verständlich gewesen sein mag – eine sakramententheologische „Büchse der Pandora“ geöffnet wurde, die nun kaum noch geschlossen werden kann: Den drei Initiationssakramenten können immer wieder je neue systematisch-theologische Bedeutungen zugeschrieben werden, die sie weder in der Antike hatten noch die ihrer liturgischen Gestalt zwingend entnommen werden könnten. Je nach anthropologischem, psychologischem oder pastoralem Paradigma können dann auch die Prioritäten für die katechetische Hinführung und die liturgische Umsetzung gesetzt werden, und damit stehen unterschiedliche Vorstellungen z. B. vom idealen Firm- oder Erstkommunionalter oder von der Intensität der Vorbereitung auf diese Sakramente weitgehend unvermittelt, ja konkurrierend nebeneinander. Vor diesen Herausforderungen stehen die Ostkirchen – auch die katholischen Ostkirchen – nicht. Sie kennen die Initiation nicht in abgestufter Form: Die Taufe wird nicht ohne Firmung (Myronsalbung) gespendet und alle Getauften und Gefirmten sind zur Kommunion zugelassen. Mehr noch: Da für Kinder nicht dieselben disziplinarischen Regeln gelten wie für Erwachsene (in Bezug auf den Kommunionempfang sind vor allem Fastenregeln zu nennen), wird man in vielen Ostkirchen die liturgische Praxis genau umgekehrt erleben wie in der römisch-katholischen Kirche: Ausschließlich die Kinder empfangen die Kommunion, die Erwachsenen tun dies womöglich nur selten und nur nach besonderer asketischer Vorbereitung. Selbstverständlich besteht auch in Ostkirchen der Bedarf nach Liturgie- und Sakramentenkatechese. Auch die Ostkirchen stehen vor der Herausforderung, angemessene pastorale und katechetische Formen für verschiedene Altersstufen zu entwickeln. Aber: Diese Fragen sind nicht mit sakramententheologischen und sakramentenrechtlichen Fragen vermischt wie im Westen. Treffen nun unter dem einen katholischen Dach westliche und östliche Praxis aufeinander, dann wird die historische Auseinanderentwicklung besonders drastisch erfahrbar. Das kanonische Recht kann hier zwar Normen interpretieren und damit Eindeutigkeit schaffen – und nichts schützt bekanntlich gegen so nachhaltig gegen Willkür wie eine funktionierende Rechtsordnung –, doch bildet es an dieser Stelle Entwicklungen ab, die einer grundlegenderen Aufarbeitung bedürfen. An einem Dialog über die kirchliche Sakramentenpraxis müssen sich viele theologische Disziplinen
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beteiligen. Taufe, Firmung und Eucharistie werden kaum sachgerecht gedeutet werden können ohne ein Ineinandergreifen bibelwissenschaftlicher, historisch-, systematisch- und praktisch-theologischer Methoden und Erkenntnisse: eine Zusammenarbeit, für die an der Innsbrucker Katholisch-Theologischen Fakultät nicht zuletzt Wilhelm Rees steht, zu dessen Würdigung dieser Artikel entstanden ist.
„Ein Schatz in irdenen Gefäßen“ Der „Otto-Larsen-Fall“ und andere: Lutherische Lehrzucht in skandinavischen Volkskirchen? Von Martin Otto
I. Einführung und Fragestellung Die evangelischen Kirchen besitzen kein Lehramt. Dies ist angesichts ihrer Herkunft aus einem Lehrkonflikt auch nicht überraschend. Gleichwohl blieben innerprotestantische Lehrkonflikte nicht aus, die frühesten in der Reformationszeit.1 Das damit verbundene Paradoxon wurde von Wolfgang Huber mit „Lehrbeanstandung in der Kirche der Lehrfreiheit“ beschrieben.2 Waren die Lehrkonflikte in einer Zeit des Staatskirchentums und der „Religionspolicey“ im Grunde nur ein Unterfall des Disziplinarrechts, wurden sie ab dem 19. Jahrhundert zunehmend als Sonderfall angesehen. Dazu trugen eine sich allmählich abzeichnende Verselbständigung der Kirchen vom Staat und der Bedeutungsgewinn der liberalen Theologie bei, worin Konflikte mit eher traditionell geprägten Eliten angelegt waren. Im Laufe des Jahrhunderts traten diese Konflikte etwa in den Apostolikumsstreitigkeiten zu Tage3 ; ein auf Adolf von Harnack zurückgehendes preußisches Lehrbeanstandungsgesetz trat erst 1910 in Kraft4 und kam im Grunde bereits zu spät; für die Mehrheit der kulturprotestantischen Intellektuellen waren Lehrzucht und Protestantismus ein Wider-
1 Beispiele bei Albrecht Beutel, Zensur und Lehrzucht im Protestantismus. Ein Prospekt, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 28 (2009), S. 99 – 116. 2 Wolfgang Huber, Lehrbeanstandung in der Kirche der Lehrfreiheit, in: Gerhard Rau/ Hans-Richard Reuter/Klaus Schlaich, K. (Hrsg.), Das Recht der Kirche, 3. Bd.: Zur Praxis des Kirchenrechts, Gütersloh 1994, S. 118 – 137; ähnlich bereits ders., Die Schwierigkeit evangelischer Lehrbeanstandung. Eine historische Erinnerung aus aktuellem Anlaß, in: Evangelische Theologie 40 (1980), S. 517 – 536. 3 Grundlegend Julia Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten. Diskussionen um Liturgie, Lehre und Kirchenverfassung in der preußischen Landeskirche 1871 – 1914 (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 44), Leipzig 2016. 4 Adolf von Harnack, Das neue kirchliche Spruchkollegium, in: Preußische Jahrbücher 138 (1909), S. 389 – 396; Ernst Rudolf Huber/Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, 3. Bd.: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfes bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Berlin 1983, S. 736.
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spruch.5 Deutlich wurde dies in dem öffentlichkeitswirksam ausgetragenen Lehrkonflikt um den Kölner Pfarrer Carl Jatho.6 Die Voraussetzungen für derartige Lehrbeanstandungsverfahren bestanden auch in anderen Staaten mit nennenswerter evangelischer Bevölkerung. Insbesondere der Vergleich mit einem skandinavischen Staat wie Dänemark bietet sich an. Der dortige Protestantismus der lutherischen Volkskirchen stand von Anfang an in einer engen Wechselwirkung mit Deutschland. Dänen, Norweger oder Schweden studierten an deutschen Universitäten, lasen deutsche Theologen nicht nur in Dänemark häufig im Original, viele dänischen Theologen veröffentlichten auf Deutsch, der bis 1914 führenden Wissenschaftssprache.7 Die große Mehrheit der „gebildeten“ Skandinavier beherrschte die deutsche Sprache, wenn sich allerdings in Dänemark aufgrund des Deutsch-Dänischen Krieges ein erheblicher Teil der deutschen Kultur nicht mehr uneingeschränkt verbunden fühlte, im kirchlichen Bereich insbesondere die Anhänger des nationalkirchlich-volkstümlichen Theologen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig (1783 – 1872).8 Aber an der Bedeutung der deutschen evangelischen Theologie für Skandinavien änderte dies nichts. Umgekehrt wurden auch dänische Theologen im deutschen Sprachraum rezipiert, an vorderster Stelle im 20. Jahrhundert sicher Søren Kierkegaard9 oder Vilhelm Grønbech10, der nationalistische Grundtvig allerdings erheblich weniger.11 In den Teilen Deutschlands die bis 1866 von den dänischen Königen regiert worden waren, bestand ohnehin eine gewisse wechselseitige Vertrautheit; beispielhaft sind 5 Hinweise auch bei Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994. 6 Hierzu nur Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 4. Bd.: Struktur und Krisen des Kaiserreichs, Stuttgart u. a. 1969, S. 530; Winnebeck (Anm. 3), S. 318 – 344. 7 Deutlich und zeitgenössisch: Knud Hee Andersen, in: Præsteforeningens Blad 22 (1932), S. 317 (eigene Übersetzung des Autors): „Eines der merkwürdigsten Kennzeichen des letzten halben Jahrhunderts Kirchengeschichte in Dänemark ist, dass wir in dieser Periode so gut wie alle unsere Theologie aus Deutschland importiert haben, überwiegend von der liberalen Schule, ohne dass hier – wie sonst in allen protestantischen Staaten – eine theologisch-liberale Bewegung entstanden ist. Eine ganzes Theologengeschlecht hat zu Füßen von Ritschl, Harnack, Wellhausen, Troeltsch usw. gesessen (…)“, Knud Hee Andersen, liberaler Pfarrer und Schriftsteller, auch zahlreiche Übersetzungen aus dem Englischen. 8 Eine deutschsprachige Biographie fehlt. Vgl. Christian Thodberg, in: TRE, 14. Bd., Berlin/New York 1985, S. 284 – 289; Jens Holger Schjørring, in: RGG, 3. Bd., Tübingen 4 2000, Sp. 1311 f. 9 Für die zahlreichen Belege nur Matthias Wilke, Die Kierkegaard-Rezeption Emanuel Hirschs. Eine Studie über die Voraussetzungen der Kommunikation christlicher Wahrheit (= Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 49), Tübingen 2005. 10 Martin Otto, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Bd., Berlin 22012, Sp. 559 – 561. 11 Allerdings etwa Theodor Heuss, durchaus repräsentativ für das protestantische Bildungsbürgertum seiner Zeit in einem Tagebuchbrief an Toni Stolper vom 8. November 1958 anlässlich des Besuchs einer „Bauernhochschule“: „(…) diese Dinge gehen ja auf den Dänen Grundtvig zurück, und da keiner von ihm sprach, habe ich das nachgeholt.“ Theodor Heuss, Tagebuchbriefe 1955/1963, Tübingen/Stuttgart 1970, S. 365.
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etwa die aus Nordschleswig stammenden Gebrüder Julius und Theodor Kaftan.12 Allerdings wurden innerskandinavische Debatten im deutschen Sprachraum wenig zur Kenntnis genommen; die Rezeption verlief einseitig. Auch die kirchlichen Strukturen waren nicht völlig vergleichbar. Dänemark etwa besaß bis 1928 lediglich eine theologische Fakultät in Kopenhagen.13 Es bestand eine Staatskirche mit teilweise erheblich engeren Verknüpfungen als in vielen deutschen Staaten, so durch das Fehlen einer Synode. Eine skandinavische Besonderheit ist zudem, dass die Staatskirchen sich seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr als solche verstanden. In Dänemark war seit der Verfassung von 1849 der König nicht mehr Oberhaupt der Kirche, die sich seitdem „Volkskirche“ nennt.14 Der durchaus theologisch konnotierte Begriff wird im skandinavischen Diskurs nicht ausdrücklich auf Schleiermacher zurückgeführt.15 Kirchenpolitisch war die Parteibildung, bei einer viel kleinteiligeren Gemeindestruktur auf dem Land, stärker als in Deutschland ausgeprägt.16 Wichtigste Gruppen waren im 19. Jahrhundert die nationalprotestantischen „Grundtvigianer“ und die pietistische „Innere Mission“. Daneben spielten die Sozialdemokraten eine relativ große Rolle, da es eine Kirchenaustrittsbewegung nicht gab und auch die Unterschichten und städtische Intellektuelle in der Kirche verblieben. Aber auch dialektische Theologie oder Neuluthertum hatten ihre Anhänger. Auf kirchlicher Seite bestand eine intakte Diözesanstruktur, die mit einigen Neugründungen die Reformation überdauert hatte.17 Neben ausgesprochenen Gemeinsamkeiten bestanden also auch ausgesprochene Unterschiede. Die theoretischen Voraussetzungen für Lehrkonflikte bestanden aber. Zu hinterfragen wäre, inwieweit es Lehrkonflikte in Skandinavien gegeben hat und wie diese gelöst wurden, insbesondere auch, ob sich eine besondere skandinavische Form der Lösung herausgebildet hatte. Im Folgenden wird sich die Untersuchung auf drei Fälle aus Dänemark und dem historisch diesem sehr nahen Norwegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschränken. Die Vergleichbarkeit mit den deutschen Fällen ist so am ehesten gegeben. Eine enzyklopädische Darstellung aller Lehrbeanstandungsverfahren fehlt für den skandinavischen Raum ebenso wie für den deutschen Sprachraum, wobei auch die Grenzziehung im Einzelfall erschwert ist.
12 Zu diesen nur: Walter Göbell (Hrsg.): Kirche, Recht und Theologie in vier Jahrzehnten. Der Briefwechsel der Brüder Theodor und Julius Kaftan, München 1967. 13 Martin Schwarz Lausten, Kopenhagen, Universität, in: RGG, 4. Bd., Tübingen 42001, Sp. 1668 – 1670. 14 Martin Schwarz Lausten, Dänemark I, in: TRE, 8. Bd., Berlin/New York 1981, S. 300 – 317, hier insb. S. 309. 15 Zu der deutschsprachigen Begriffsgeschichte demnächst: Benedikt Brunner, Volkskirche – zur Geschichte eines schillernden Begriffs. 1918 – 1960 (im Erscheinen). 16 Knud Hee Andersen, „Skatten i Lerkar“, in: Præsteforeningens Blad 22 (1932), S. 317 – 320, hier S. 317. 17 Mark Hallett, Staat und Kirche in Dänemark (= Europäische Hochschulschriften 3072), Frankfurt a. M. u. a. 2001.
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II. Lehrkonflikte in Dänemark In Dänemark setzten öffentliche Lehrkonflikte gegenüber Deutschland geringfügig zeitversetzt mit der Rezeption liberaler deutscher Theologie, insbesondere Adolf von Harnacks, ein18. Harnacks Besuch im Jahre 1910 in Kopenhagen und Oslo wurde von den skandinavischen Theologen umfassend wahrgenommen.19 Es war auch zu einer Rezeption von Rudolph Sohm gekommen.20 Bezeichnend ist für Dänemark bis heute die Bedeutung der Kirchspiele („sogn“) als auch für die staatliche Raumordnung grundlegende kleinste Einheit.21 Darüber bestanden „provstien“ (Propsteien) und acht (ab 1922: neun) weitgehend autonome „stifter“ (Bistümer).22 Es gab oberhalb der Gemeindeebene keinen Gleichklang von politischen und kirchlichen Grenzen. Obwohl die Volkskirche sich nicht mehr als Staatskirche verstand, waren die Verflechtungen teilweise enger als zeitgleich im Deutschen Reich.23 Es gab kein gesondertes Disziplinarrecht der Pfarrer; in Disziplinarangelegenheiten außerhalb Kopenhagens bestanden als besondere geistliche Gerichte die „provsterette“ (Propsteigerichte) und nächstinstanzliche „landmode“ (Bistumsgerichte). In der letzten Instanz entschied der seit 1661 bestehende ordentliche oberste Gerichtshof („Danmarks Højestret“) in Kopenhagen.24
18 Martin Schwarz Lausten, Reaktioner i Danmark på den tyske liberalteologi i 1908, in: Stephan Michael Schröder/Martin Zerlang (Hrsg), 1908. Et snapshot af de kulturelle relationer mellem Tyskland og Danmark, Hellerup 2011, S. 90 – 110, hier S. 91. 19 Ebd., S. 104; einschränkend und wohl zu eng Gerhard Staats, Adolf von Harnack in Schweden und Norwegen, in: Kurt Nowak/Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Adolf von Harnack. Theologe, Historiker, Wissenschaftspolitiker, Göttingen 2001, S. 343 – 364, hier S. 344; das „Wesen des Christentums“ erschien bereits 1900 in einer für Dänemark und Norwegen „autorisierten“ dänischen Übersetzung des dänischen Religionswissenschaftlers Edvard Lehmann, die Apostolikumsschrift erschien 1893 in der Übersetzung von Emil Christiani auf Dänisch. 20 Kristine Garde, Præsteløftet. En retsteologisk og kirkeretlig undersøgelse af præsteløftets status og betydning, København 2008, S. 259. Zur zeitgenössischen dänischen SohmRezeption etwa der Nachruf von Frantz Dahl, Tidsskrift for Retsvidenskab XXX (1917), S. 398 – 395; Ders., in Salmonsens Konversationsleksikon, XXI. Bd., København 21926, S. 892. 21 Seit 1803 fielen staatliche Verwaltung und Kirchengemeinde aber nicht immer zwingend zusammen, etwa in der Armenfürsorge. 22 Kopenhagen, Roskilde, Aarhus, Aalborg, Fünen (Odense), Viborg, Ribe, Lolland-Falster (Maribo). 1922 wurde für Nordschleswig das Bistum Haderslev (Hadersleben) gebildet. Kopenhagen (vormals zu Roskilde) und Lolland-Falster (vormals zu Fünen) sind ebenfalls nachreformatorische Gründungen. 1961 wurde das Bistum Helsingør gegründet (vormals zu Kopenhagen). 23 Zahlreiche Beispiele für eine fortschreitende Trennung von Staat und Kirche lange vor 1918 bei: Fabian Wittreck, Bonn ist doch Weimar. Die Religionsfreiheit im Grundgesetz als Resultat von Konflikt und Kontroverse, in: Hans G. Kippenberg/Astrid Reuter (Hrsg.), Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Göttingen 2010, S. 66 – 92. 24 Per Magid/Torben Melchior/Jon Stokholm/Ditlev Tamm (Hrsg.), Højesteret – 350 år, København 2011.
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1. Der Fall Niels Peter Arboe Rasmussen Der erste medienwirksame Lehrkonflikt trug sich in Dänemark im Vergleich zum Deutschen Reich verspätet zu, nämlich 1911 in der dörflichen Landgemeinde Skibsted im Norden Jütlands (Bistum Viborg), die fast nur aus Bauern bestand und auch von Landstädten weit entfernt war.25 Der Gemeindepfarrer war seit 1897 Niels Peter Arboe Rasmussen.26 Die kirchenpolitischen Fronten des 19. Jahrhunderts hatten sich wieder verschärft.27 a) Der Fall: „Die Dogmenkirche und der Weg vorwärts“ Arboe Rasmussen wurde 1866 in Holbæk auf der Insel Seeland als Sohn eines Oberlehrers geboren, nicht weit von der Hauptstadt Kopenhagen. Er entstammte also einem städtisch-akademischen Milieu; ab 1890 versah er Pfarrstellen in der tiefen Provinz der Halbinsel Jütland, die von Kopenhagen nur mit Fähren erreicht werden konnte. Ursprünglich Grundtvigianer, fand Arboe Rasmussen zu der liberalen Theologie Harnacks.28 Er war Harnack selbst bei einem Kongress 1910 in Berlin begegnet.29 Arboe Rasmussen betätigte sich auch als Landpfarrer schriftstellerisch. 1902 und 1903 veröffentlichte er erste Texte, in denen er die unbefleckte Empfängnis Mariens anzweifelte, die einer anderen „religiösen Sphäre“ als das Christentum entstamme.30 Ab 1904 wurden erstmals Vorwürfe gegen ihn wegen seiner liberalen Theologie erhoben, doch der zuständige Bischof von Viborg, Alfred Sveistrup Poulsen31, wollte zunächst nicht disziplinarisch einschreiten und wertete den Vorgang als kurzzeitige „Erkrankung“ („sygdomstilfælde“), die hoffentlich vorbeigehe. Im 25 1830 bestand Skibsted 181 aus 24 Bauernhöfen und 20 Häusern; Christian Bagge Jense, Provincial-Leksikom over Danmark, Odense 1830. Die Städte Aalborg und Mariager waren jeweils 3 12 Meilen (ungefähr 26 Kilometer; eine dänische Meile entsprach 7532 Metern) entfernt. Eine Eisenbahnanbindung gab es nicht. 26 Niels Peter Arboe Rasmussen, geboren 1866 Holbæk (Seeland), Gymnasium Roskilde, 1890 cand. theol., Pfarrer in Gjøl (Vendsyssel), ab 1897 in Skibsted (Hellum Herred); 1915 Amtsverlust, der 1916 Højesteret aufgehoben wurde; Pfarrstelle in Vålse; 1920 Abschied Pfarramt und Bibliothekar Königliche Bibliothek Kopenhagen; gestorben 1944 in Kopenhagen. Vgl. P. G. Lindhardt, N.P. Arboe Rasmussen, in: Dansk Biografisk Leksikon, 3. udg., København 1979 – 1984. 27 Martin Schwarz Lausten, Danmarks kirkehistorie, København 1983, S. 292. 28 Kristine Garde, To læresager i Folkekirken, København 2006, S. 21. 29 Garde, Præsteløftet (Anm. 20), S. 43. 30 Niels Peter Arboe Rasmussen, Daab og Trosbekendelse (Taufe und Glaubenbekenntnis), 1906; Ders., De sidste Blade af Jesu Livshistorie (Die letzten Seiten des Lebens Jesu) København 1906. 31 Alfed Sveistrup Poulsen, geboren 1854 Roskilde, cand. theol. 1878, Studienaufenthalt in der Schweiz, Italien und Deutschland, 1880 Pfarramt Roskilde, 1883 Hofprediger Christiansborg Schlosskirche Kopenhagen, 1896 Dompropst Roskilde, Privatdozent an der Universität Kopenhagen, 1901 Bischof von Viborg, dort 1921 gestorben. Theologisch ein Anhänger der konservativen Mittelpartei um Mynster-Martensen (Gegner von Grundtvig).
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Pfarramt konnte Arboe Rasmussen ohne Einschränkungen verbleiben. Arboe Rasmussen war Mitglied des „Sankt Hans konvent“, ein Zusammenschluss liberaler Theologen, und war im linksliberalen Spektrum engagiert. Teilweise konnte er sich aufgrund des theologischen Prinzips einer „duldsamen (sc. weitgehend bekenntnislosen) Volkskirche“ („den taalsomme folkekirke“) der Protektion des rechtsliberalen („Venstre“) Kultusministers Jacob Appel32, eines Linksgrundtvigianers, erfreuen. Nach der Folketingwahl (Parlamentswahl) 1913 wurde die „duldsame Volkskirche“ zum offiziellen kirchenpolitischen Programm der linksliberalen Regierung von Carl Theodor Zahle.33 Hinzu kam, dass Arboe Rasmussen deutlich sozialpolitische Ambitionen erkennen ließ, so dass er von Sozialdemokraten und Linksliberalen („Radikale Venstre“) gegen Konservative und Rechtsliberale, aber auch von einem Großteil der volkskirchlichen Grundtvigianer unterstützt wurde. Eng befreundet war Arboe Rasmussen mit dem linksgrundtvigianisch-rationalistischen Pfarrer Morten Pontoppidan34, ein Bruder des Literaturnobelpreisträgers Henrik. 1910 hielt Arboe Rasmussen in der Kopenhagener „Studentforeningen“ (Studentenverein) den Vortrag „Dogmekirken – og vejen frem“35, der mindestens die Trinität ablehnte. Der Vortrag existierte zunächst nicht in Schriftform, doch bald zirkulierte eine „Harnack-inspirierte“ Mitschrift, die von der Inneren Mission und der Mittelpartei „Kirkeligt Centrum“ aufgegriffen und kritisiert wurden. Erneut wurde die auch politisch motivierte Entfernung aus dem Pfarramt gefordert. Es kam zu einer Unterredung mit Bischof Sveistrup Poulsen, der 1911 die Angelegenheit nach einigem Zögern zunächst als erledigt betrachtete.36 Dem schloss sich 1911 Kultusminister Appel an. Auch in den Phasen relativer Ruhe blieb Arboe Rasmussen ein wichtiger Repräsentant eines dänischen Kulturprotestantismus, auf den sich Intellektuelle beriefen, was aus einem Brief des Schriftsteller Henrik Pontoppidan an Georg Brandes aus dem Jahr 1912 deutlich wird: „Was ich weitaus erschütternder finde, ist ein Fall wie der von Arboe-Rasmussen. Mit Freudengeheul wird dieser von unseren radikalsten Freidenkern gefeiert, weil er, obwohl Pastor, begann, Zweifel an der unbefleckten
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Jacob Christian Lindberg Appel, geboren 1866 Rødding Højskole (Jütland); aus der Volkshochschulbewegung Grundtvigs, Lehrer an Landvolkshochschulen, Politiker der Rechtsliberalen (Venstre); 1910 bis 1913 Kirchen- und Erziehungsminister, 1920 bis 1924 Erziehungsminister, 1922 bis 1924 Kirchenminister; gestorben 1931 Askov Nørregaard (Jütland). 33 Schwarz Lausten, Danmarks kirkehistorie (Anm. 27), S. 292. 34 Morten Pontoppidan, geboren 1851 Ribe (Jütland); aus Pfarrhaus; bildungsbürgerliches Elternhaus, zwei Brüder berühmte Ärzte; 1872 cand. theol., 1878 Leiter Landvolkshochschule Frerslev (Nordseeland, ab 1880 Hjørlunde), die er bis 1891 zu einer der bekanntesten des Landes machte, Anhänger Grundtvigs aber Gegner einer Bekenntniskirche, ab 1891 rationalistisch-liberaler Publizist und Schriftsteller; 1894 bis 1821 verschiedene Pfarrstellen auf Seeland. Gestorben 1931 in Hadersleben. Sein Bruder war der Schriftsteller Henrik Pontoppidan (Nobelpreis für Literatur 1917). 35 Deutsch: „Die Dogmenkirche – und der Weg vorwärts.“ 36 Garde, To læresager (Anm. 28), S. 22.
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Empfängnis zu hegen. Da glimmt ein Funke im Dunklen!“37 1913 ersuchte Arboe Rasmussen um Versetzung in die Gemeinde Vålse im Nordwesten der südlichsten dänischen Insel Falster (Bistum Lolland-Falster), wo er von der Mehrheit des Kirchenvorstands gewünscht wurde, wohl auch als Provokation. Der linksliberale Kultusminister Søren Keiser-Nielsen38 befürwortete diesen Wechsel, der in Maribo amtierende Bischof Caspar Wegener39 lehnte aber ab und verweigerte die erforderliche Zustimmung. Keiser-Nielsen, um einen innerkirchlichen Burgfrieden bemüht, regte eine disziplinarische Untersuchung der Vorwürfe an. Darauf wurde noch im gleichen Jahr vom Bischof von Viborg ein „provsteret“ für Hellum-Hindsted-Herred eingesetzt und ein Disziplinarverfahren wegen Pflichtverstößen eingeleitet, das Arboe Rasmussen 1914 freisprach.40 1915 sprach ihn die zweite Instanz, das „landmode“ für Aalborg, schuldig und erkannte auf Amtsverlust.41 Zwischenzeitig hatte Arboe Rasmussen ab 1913 gemeinsam mit Morten Pontoppidan die theologische Zeitschrift „Frit Vidnesbyrd“ („Freies Zeugnis“), ein dänisches Pendant zur „Christlichen Welt“, bis 1915 herausgegeben. 1916 endete das Verfahren vor dem Højesteret Kopenhagen mit einem von der Staatskirche nicht gewünschten Freispruch.42 Das Gericht äußerte sich nicht zu theologischen Fragen, aber hielt Arboe Rasmussen zugute, im guten Glauben gehandelt zu haben; es war keine Entscheidung über „Ketzerei“, sondern die Anwendbarkeit des Strafrechts. Die Regierung wollte nun die Ernennung in Vålse durchsetzen, obwohl sich Bischof Wegener weiter verweigerte. Die Konfliktlösung war aus deutscher Sicht ungewöhnlich. Arboe Rasmussen wurde durch ein mit Hilfe der Sozialdemokraten beschlossenes Einzelfallgesetz („lex Vålse“) Pfarrer von Vålse und direkt dem Kirchenministerium unterstellt. Allerdings nahm Arboe Rasmussen, der in dem äußerst ländlichen und dörflichen Vålse43 nicht nur intellektuell sehr isoliert war, 1920 doch seinen Abschied aus dem Pfarramt und wurde Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen. Dort starb er 1944. 37
Henrik Pontoppidan an Georg Brandes, „16/2 1912 Müllerstrasse 6 Wiesbaden“; Københavns Bibliotek, Brandes-Arkivet. 38 Geboren 1856 Besser (Insel Samsø), cand. theol. 1882, 1891 bis 1893 Pfarramt TågerupTorslunde (Lolland), 1909 bis 1920 Mitglied des Folketing für die Linksliberalen (Radikale Venstre), 1913 bis 1916 Erziehungs- und Kirchenminister, 1916 bis 1920 Erziehungsminister; verstorben 1926 Kopenhagen. 39 Caspar Frederik Johansen Wegener, geboren 1851 Halsted (Lolland), 1907 bis 1922 Bischof von Lolland-Falster; besonders an dem Schulwesen interessiert; Anhänger der konservativen Mittelpartei, Sympathien für die Innere Mission und Distanz zu Grundtvig, allerdings entschiedener Befürworter der Volkskirche; gestorben 1930 Nykøbing (Falster). 40 Garde, To læresager (Anm. 28), S. 29. 41 Ebd., S. 31. 42 Ebd., S. 37. 43 Vålse (alte Schreibweise: Vaaelse) auf der Insel Falster, 2 34 Meilen oder knapp über 20 Kilometer von der größten Stadt Nykøbing (Sitz und Wohnort des Bischofs, Kathedrale aber in Maribo) entfernt, 49 Höfe, 33 Häuser; Christian Bagge Jense, Provincial-Leksikom over Danmark, Odense 1830.
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b) Die Folgen: Kirchenministerium und exemte Pfarrstelle Der „Arboe-Rasmussen-Fall“ hat über das Lehrbeanstandungsverfahren hinaus grundsätzliche Bedeutung. Zum einen führte er zur Verselbständigung der Staatskirche, indem 1916 ein eigenes Kirchenministerium eingeführt wurde – bislang hatte nur ein Kultusministerium bestanden. Der Fall hatte eine politische und eine kirchliche Seite. Arboe Rsamussen wurde von den Sozialdemokraten und den Linksliberalen unterstützt, seine Gegner von den Rechtsliberalen und den Konservativen. Der rechte theologische Flügel schloss sich in dieser Auseinandersetzung enger zusammen. Er forderte eine strengere Ordinationsverpflichtung („præsteløftet“) und theologische Mindestgarantien gegenüber der Kompetenz der Kirchenvorstände. 1911 hatte sich bereits mit unmittelbarem Bezug auf Arboe Rasmussen unter dem charismatischen Kanzelredner Henry Ussing44 der bekenntnisorientierte „Kirchliche Landbund“ (Kirkeligt Landsforbund) gebildet, um konservative Theologen zu unterstützen. Als Reaktion entstand 1920 der tendenziell eher liberal-volkskirchliche „Landesverband der Kirchenvorstände“ (Landsforeningen af Menighedsraad“).45 Im Ergebnis ging aus dem Konflikt die „duldsame Volkskirche“ als Sieger hervor. Auf dem rechten Flügel der Kirche wurde ab 1912 eine Trennung von Staat und Kirche gefordert, neben Ussing von konservativen Intellektuellen Harald Westergaard46, Hans Ostenfeld Lange47, Johannes Oskar Andersen48 und Frederik Torm49. Auch ein Gesetzvorschlag für eine „friedliche“ Trennung wurde formuliert.50 Mit einer zunehmenden Befriedung der Situation nach dem Ersten Weltkrieg wurde er nicht mehr verfolgt. 2. Der Fall Otto Larsen Nicht minder prominent war der Lehrkonflikt des lutherischen Pfarrers Otto Larsen im Sommer 1932.
44 Henry Ussing, geboren 1855 Kopenhagen; ab 1891 Pfarrstellen an der Jesuskirche Valby und ab 1895 dem Dom von Kopenhagen (Bischofsvikar); charismatischer Prediger mit zahlreichen Anhängern, innerhalb der Volkskirche stand er der Erweckungsbewegung nahe; zahlreiche Veröffentlichungen; gestorben 1943 in Frederiksberg. 45 Schwarz Lausten, Danmarks kirkehistorie (Anm. 27), S. 293. 46 Geboren 1853 Kopenhagen, dort 1936 gestorben; Nationalökonom, Professor für Statistik. 47 Geboren 1863 Aarhus, Bibliothekar und Ägyptologe; gestorben 1943. 48 Geboren 1866 Frederiksberg, dort 1959 gestorben; Pfarrer und Privatdozent, unter anderem in christlicher Archäologie. 49 Geboren 1870 in Tschifu (China; Vater Schiffsreeder); Professor für Neues Testament in Kopenhagen, 1933 einer der ersten Beobachter des Kirchenkampfes in Deutschland, gestorben 1953 in Kopenhagen. 50 Schwarz Lausten, Danmarks kirkehistorie (Anm. 27), S. 293.
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a) Der Fall: „Der Schatz im Tonkrug“ Der 1902 in der jütländischen Bischofsstadt Ribe geborene Larsen51, der als Sohn eines Gymnasiallehrers ebenfalls aus dem Bildungsbürgertum stammte, war Pfarrer in der besonders ländlichen Kirchengemeinde Øster Ulslev-Godsted52 in einem großen Zuckerrübenanbaugebiet auf der Insel Lolland, also erneut in der Provinz und an der Peripherie. Er hatte 1932 das Buch „Skatten i lekrar“53 mit dem Untertitel „zur Beleuchtung der gegenwärtigen religiösen Krise“ verfasst.54 Larsen war kein charismatischer Prediger wie der Deutsche Carl Jatho oder netzwerkender Intellektueller wie Arboe Rasmussen, eher ein skrupulöser Schreibstubengelehrter. In zeitgenössischen Quellen war die Rede von einem hochsensiblen Pfarrer, der sich „einsam in einer Wüste“ fühlte55 und seine existenzialistischen Zweifel öffentlich machte. Larsen wurde für sein Buch durch die „Innere Mission“ und die ihr nahestehende Kopenhagener Tageszeitung „Kristeligt Dagblad“ kritisiert, die seine Absetzung forderten. Die Presse berichtete ausführlich, die Verteidigung Larsens übernahm die (von Georg Brandes gegründete) linksliberale Kopenhagener Tageszeitung „Politiken“.56 b) Die Verteidigung: Kaj Munk und seine Gegner Der „Otto-Larsen-Fall“ war ein Medienereignis, das allerdings außerhalb Dänemarks wohl auch wegen der Sprachbarriere kaum wahrgenommen wurde. Höhepunkt war die Verteidigung Larsens durch den damals bereits sehr bekannten Pfarrer und Dramatiker Kaj Munk57, die mit einer Besprechung am 22. Mai 1932 in der 51 Otto Johannes Larsen, geboren 1902 in Ribe (Jütland), Vater Katechet und Oberlehrer, 1926 cand. theol., bis 1928 Sekretär in christlichen Studentenbund, ab 1928 Gemeindepfarrer, ab 1934 Bibliotheksschule Lyngby, 1936 Bibliotheksassessor, wissenschaftlicher Bibliothekar. Zuletzt Erster Bibliothekar bei der Königlichen Bibliothek Kopenhagen; 1972 in Kopenhagen verstorben. Vgl. S. Houmøller/T. Palsbo, Den danske bibliotekarstand, 2.udg. København 1963. 52 Im Musse Herred auf der Insel Lolland, die nächste städtische Siedlung Nysted 1 Meile oder knapp 7,5 km südöstlich, 1830 insgesamt 400 Einwohner und eine Mühle; zu dem Kirchspiel gehörte der Weiler Godsted; westlich davon das kirchlich selbständige und geringfügig größere Vester Ulslev. Christian Bagge Jense, Provincial-Leksikom over Danmark, Odense 1830. 53 Otto Larsen, Skatten i Lerkar. Til Belysning af vor Tids religiøse Krise, København 1932. Wörtlich: „Der Schatz in dem Tonkrug“; bezieht sich auf das Pauluswort 2 Kor 4, 7, von Luther mit „Schatz in irdenen Gefäßen“ übersetzt. Zu dem „irdenem Gefäß“ rechnete Larsen Jungfrauengeburt und Auferstehung. 54 Jørgen Stenbæk, Otto Larsen-sagen. En præstesag fra Lolland-Falster stift, in: Stiftsbog og landmode-akt for Lolland-Falster stift 2003, S. 91 – 118, hier S. 94. 55 Ebd., S. 97. 56 Ebd., S. 98. 57 Munk wurde 1944 als Widerstandskämpfer von der Gestapo bei Silkeborg erschossen. Seit seinem 1925 uraufgeführten Schauspiel „Ordet“ (Das Wort, 1955 von Carl Theodor
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rechtliberalen Tageszeitung „Jyllands Posten“ (Aarhus) begann.58 Munk bestritt keine theologischen Differenzen zu Larsen, protestierte damit aber auch gegen den pietistischen Einfluss in der Volkskirche.59 Er bezeichnete die den Pietisten nahestehende Tageszeitung „Kristeligt Dagblad“ ironisch als „der Oberbischof, Dänemarks Erzbischof“.60 Der bekannte Munk provozierte andere Kritik, so von dem Propst Poul Helweg-Larsen61, der in der konservativen Zeitung „Berlingske Aftenavis“ Larsen, aber auch Munk in dem Artikel „Kirke og Religionsanstalt“ am 29. Juli 1932 angriff.62 Der Vorwurf war vorhersehbar: eine Kirche ohne Bekenntnis drohe zur Religionsanstalt zu verkommen. Im Laufe des Jahres erschienen mehrere Artikel von Munk und Helweg-Larsen, in denen es auch um Grundsätzliches und Persönliches ging. Dabei griff Munk auch Schriftstellerkollegen wie Karl Gustav Brøndsted an.63 Es wurde zunächst ein anderer Lösungsweg als bei Arboe Rasmussen gesucht. Der Bischof von Lolland-Falster, John Ammundsen64, regte auf dem „Bischofstreffen“ in Viborg einen „Hirtenbrief“ an, der ohne Larsen zu erwähnen vor Lehrabweichungen warnte und indirekt eine Amtsenthebung befürwortete.65 Der tatsächlich so benannte Brief, formal zur 800-Jahr-Feier des Doms von Viborg, wurde veröffentlicht und wiederum von Kaj Munk angegriffen, der vor Polemik und persönlichen Angriffen nicht zurückschreckte. Larsen sei als „Sünder“ unbegabt und habe nur den Fehler, nicht der Schwiegersohn eines Bischofs zu sein.66 Zudem spielte Munk darauf an, dass die Bischöfe von Lolland-Falster und Hadersleben Brüder waren („Da ist Brüderchen auf Lolland, dem muss geholfen werden“). Mit dem Bi-
Dreyer verfilmt) galt Munk als Apologet des Wunders; sein Einsatz für den Wunder ablehnenden Larsen hatte so besonderes Gewicht. Vgl. auch Alf Christohersen, Kaj Munk, in: RGG, 5. Bd., Tübingen 42002, Sp. 1581 f. 58 Stenbæk, Otto Larsen-sagen (Anm. 54), S. 105. 59 Per Stig Møller, Munk, København 2000, S. 194 f. 60 Anders als Norwegen, Schweden und Finnland kennt die dänische Volkskirche keinen Erzbischof mehr; das ehemalige dänische Erzbistum Lund gehört seit 1658 zu Schweden. 61 Poul Helweg-Larsen, geboren 1877 Vedbæk (Nordseeland), dänischer Theologe und Pfarrer, aus Pfarrersfamilie (Vater Bischofsvikar in Viborg), letzter Propst der dänischen Kolonie St. Thomas in der Karibik, Gemeindepfarrer in Kopenhagen, Autor und Redakteur des „Kristeligt Dageblad“; gestorben 1958 in Kopenhagen. 62 Knud Erik Andersen/Jon Høgh, Skatten i Lerkar, Otto Larsen–sagen og Kaj Munks rolle i den, in: Munkiana 22 (2018), S. 29 – 37, hier S. 30 ff. 63 Møller, Munk (Anm. 59), S. 194. Karl Gustav Brøndsted (1851 – 1945) war ein politisch konservativer Verfasser beliebter Romane (teilweise auch auf Deutsch übersetzt), die 1932 als altmodisch galten. 64 Johan John Aschlund Ammundsen, geboren 1872 Fjellerup (Fünen), Hauslehrer, Pfarrstellen auf Jütland, zuletzt ab 1914 Silkeborg, 1908 Propst Tyrsting-Vrads, 1923 bis 1942 Bischof von Lolland-Falster, gestorben 1959 Morud (Fünen). 65 „En fællesudtalelse af landets biskopper skrevet i Viborg den 12. september 1932. Udsendt den 14. september 1932“ (Ein gemeinsames Wort der Bischöfe des Landes, geschrieben zu Viborg am 12. September 1932. Ausgesendet am 14. September 1932“). 66 Andersen/Høgh, Skatten (Anm. 62), S. 34.
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schof von Hadersleben Valdemar Ammundsen67 war Munk seit seiner Studentenzeit freundschaftlich verbunden, da er bei ihm Kirchengeschichte gehört hatte. Möglicherweise kam Munk der öffentliche Streit gelegen. Für den September 1932 stand im Kopenhagener Betty-Nansen-Theater eine Aufführung seines Theaterstückes „Das Wort“ (Ordet) bevor, in dem es zahlreiche Anspielungen an das Neue Testament, innerkirchliche dänische Konflikte und auch ein Wunder, eine Auferweckung von den Toten, gab. Larsens Gemeinde wurde um eine Stellungnahme zu ihrem Pfarrer gebeten; sie stand zunächst hinter Larsen, wenn auch der Vorsitzende des Kirchenvorstandes wahrscheinlich für die meisten Gemeindemitglieder sprach, indem er erklärte, das Buch seines Pfarrers zwar gelesen, aber nicht verstanden zu haben.68 Während der Dauer des Konfliktes war Larsen krankgeschrieben und hielt sich nicht in seiner Gemeinde auf. Ohnehin war die gesetzlich nicht geregelte Mitwirkung des Kirchenvorstandes umstritten. Am Ende einigten sich der Bischof und der sozialdemokratische Kirchenminister, Pfarrer Niels Peter Lorentsen Dahl.69 Eine von ihnen verfasste Verfügung König Christians X. vom 22. September 1932 galt als „salomonisch“. Die Pfarrstelle Øster Ulslev/Godsted wurde zum 30. September 1932 aufgehoben.70 Zum gleichen Zeitpunkt wurde Larsen „ehrenhaft“ mit Ruhegehalt entlassen. Wie Arboe Rasmussen wurde er Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek. Die Kirchengemeinde wurde zum 1. Oktober 1932 geteilt und den Nachbargemeinden zugeschlagen.71 Kaj Munk verfasste für die konservative Kopenhagener Tageszeitung „Dagens Nyheder“ am 2. Oktober 1932 noch einmal eine abschließende Verteidigung Larsens, in der er Larsens Kritiker scharf angriff, wenig Pointen verschenkte („man kann in Øster und Vester Ulslev verschiedenes sagen und doch der gleichen Kirche Christi angehören“) und mit einem pathetischen Gruß an den Amtsbruder endete: „Heil Ihrer Seele, Kollege! Ich ernenne Sie zu Dänemarks Gewissen!“72 Otto Larsen verfasste noch 1935 eine sehr wohlwollende Besprechung des Theaterstücks „Kærligheden“ (Die Liebe) von Kaj Munk für die „Berlingske Aftenavis“.73 Wie in dem Fall Arboe Rasmussen hatte der Fall auch 67
Ove Valdemar Ammundsen, geboren 1875 Nørre Felding (Jütland), Pfarrer, 1901 Professor für Kirchengeschichte in Kopenhagen, Mitarbeiter von Nathan Söderblom in der ökumenischen Bewegung, ab 1923 erste Bischof der neuerrichten Diözese Haderslev (Hadersleben) für Nordschleswig, dort 1936 verstorben. 68 Stenbæk, Otto Larsen-sagen (Anm. 54), S. 108. 69 Niels Peter Lorentsen Dahl, geboren 1869 Sønder Bjert (Kolding), 1896 cand. theol., bis 1924 verschiedene Pfarrstellen auf Seeland und in Jütland, 1913 bis 1918 sozialdemokratisches Mitglied des Folketing, 1924 bis 1926 Kirchenminister in der ersten sozialdemokratischen Regierung Dänemarks unter Thorvald Stauning; 1929 – 1935 erneut Kirchenminister, gestorben 1936 Hellerup. 70 Der Vorgang ist auch erwähnt bei: Paul Nedergaard, Personalhistoriske, sognehistoriske og statistiske bidrag til ein dansk præste og sognehistorie (Kirkelig geografi) 1849 – 1949 (1957), IV. bd. (Lolland-Falster stift), København 1957, S. 196 f. 71 Stenbæk, Otto Larsen-sagen (Anm. 54), S. 92. 72 Kaj Munk, Skatten i Lerkar. Pastor Otto Larsens Forsvar, in: Dagens Nyheder, Ausgabe vom 2. Oktober 1932. 73 Møller, Munk (Anm. 59), S. 201 f.
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etwas von einer Auseinandersetzung um intellektuelle und politische Grundsatzpositionen. Der „Otto-Larsen-Fall“ verdeutlichte aber auch die Unzulänglichkeit des staatlichen Disziplinarrechts als Lösung für Lehrkonflikte, weshalb künftig davon Abstand genommen wurde. Erst 1992 wurde ein „Lehrstreitigkeitengesetz“ verabschiedet und die bisherige geistliche Gerichtsbarkeit aufgehoben.
III. Lehrkonflikt in Norwegen: Der Fall Carl Konow Eine andere Form der Lösung eines Lehrkonfliktes war der „Fall Carl Konow“ in Norwegen.74 Auch hier gab es eine Volkskirche mit diözesanen Strukturen und einer einzigen, 1811 gegründeten Universität in der Hauptstadt Kristiania (ab 1925 Oslo).75 Davor studierten norwegische Theologen gewöhnlich in Kopenhagen. 1. Der Fall: „Christus in der Gegenwart“ Der 1863 geborene Carl Konow76, wie Arboe Rasmussen ein Hörer Harnacks, war seit 1889 einer der Pfarrer der Kirchengemeinde des Stadtteils Sandviken in der zweitgrößten Stadt des Landes Bergen; anders als die dänischen Fälle spielt er also in einem durchaus großstädtischen Milieu. Ursprünglich hatte Konow der Erweckungsbewegung nahegestanden, die auch seinen Entschluss zum Pfarramt beeinflusste. Konow gehörte zu einer Gruppe jüngerer Pfarrer in Bergen, die in der dortigen Kreuzkirche oder der Freimaurerloge Vorträge gegen eine traditionalistischpietistische Theologie hielten. Innerhalb der norwegischen Volkskirche gab es in dieser Zeit einen ausgeprägten Richtungskampf zwischen Liberalen und Pietisten. Ausgeprägte Volkskirchler wie die Grundtvigianer und auch Sozialdemokraten spielten anders als in Dänemark keine Rolle. Die Spaltung ging auch durch die Kirchengemeinden. Eine weitere Pfarrstelle in Sandviken bekleidete gleichzeitig der pietisti74
Garde, Præsteløftet (Anm. 20), S. 136. Zu der religiösen Situation insgesamt Inger Montgomery, Norwegen, in: TRE, 24. Bd., Berlin/New York 1994, S. 643 – 659 (die Auseinandersetzung um die liberale Theologie, S. 653 f.). 75 G. R. Hauge, Oslo, in: RGG, 4. Bd., Tübingen 31960, Sp. 1731 – 1733 (die aktuelle Auflage enthält keinen entsprechenden Artikel). Theologische Spannungen führten 1907 zur Gründung der privaten, aber staatlich anerkannten „Menighetsfakultet“ (ursprünglich pietistisch). 76 Carl Konow, geboren 1863 in Bergen; aus alter führender Familie (Vater Großkaufmann und Vizekonsul; Großvater Großkaufmann und Politiker, Mitglied des Storting), Kathedralschule, ab 1881 Theologiestudium in Bergen, 1886 theologisches, 1887 praktisches Examen, danach längerer Studienaufenthalt in Deutschland (u. a. bei Ernst Ritschl), nach der Rückkehr 1889 persönlicher Vikar („personellkaplan“) bei Pfarrer Mowinckel an der Gemeinde Sandviken in Bergen, 1892 dessen Nachfolger als Gemeindepfarrer; 1894 ernannter Repräsentant des Bischofs in der Schulverwaltung (1908 Abberufung vom Bischof, aber danach direkt gewähltes Mitglied), gestorben 1923 in Bergen.
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sche Pfarrer Ole Kristian Grimnes.77 Konow hatte 1906 in dem in der Kreuzkirche von Bergen gehaltenen öffentlichen Vortrag „Kristus i Nutiden“ („Christus in der Gegenwart“) eher allgemein die christlichen Dogmen kritisiert und eine „Modernisierung“ des Christentums gefordert. Das „Übernatürliche“ solle gegen das „Ethische“ ausgetauscht werden. Das sorgte für einige Unruhe in der Gemeinde. Der in Bergen amtierende Bischof von Bjørgvin, Johan Willoch Erichsen78 hatte einen Gegenvortrag gehalten und Konow um eine Konkretisierung gebeten.79 Dieser reagierte mit zwei weiteren Vorträgen, darunter einem über den Unterschied zwischen älterem und jüngerem Christentum. Darin distanzierte er sich von der Jungfrauengeburt, der Erbsünde, der leiblichen Auferstehung, der Dreifaltigkeit und der Erlösung durch Christus. Der Vortrag wurde bekannt und vorhersehbar von konservativer Seite kritisiert. Auch Konows Entfernung aus dem Pfarramt wurde gefordert. Verschiedene Pfarrer aus Bergen reagierten mit Gegenvorträgen, 1907 forderte ein Treffen von 38 Pfarrern Konow auf, auf sein Pfarramt zu verzichten. Konow wurde auf Weisung des Bischofs in das Kirchenministerium einbestellt. Konow wandte sich an das norwegische Parlament Storting. Gleichzeitig wurden in der Gemeinde 2700 Unterschriften für den Verbleib von Konow gesammelt. Zwar wurde weder von Bischof Erichsen noch von der Regierung eine disziplinarische Entscheidung gewünscht, aber Konow wurde aufgefordert, freiwillig auf das Pfarramt zu verzichten, was er ablehnte. Stattdessen wurde ein Vikar (Stiftskapellan) in die Kirchengemeinde entsandt, der einen Teil von Konows Aufgaben übernahm. Auf Beschwerden aus der Gemeinde wurde Konow 1907 der größte Teil der Gemeindearbeit untersagt, er durfte aber weiter Gottesdienste halten und predigen. Konow wurde im liberalen Bürgertum Bergens zu einer Berühmtheit, doch Bischof Erichsen wollte „mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel“ ein Exempel gegen den „breiten Strom des Zeitgeistes“ statuieren. Konow wollte nicht seinen Abschied als Pfarrer nehmen, das Kirchenministerium ihm nicht sein Amt endgültig entziehen. 1910 und 1913 nahm Konow an dem „Weltkongress für freies Christentum und religiösen Fortschritt“ in Berlin teil. 1916 wurde Konow wieder in den Pfarrverein des Bistums Bjørgvin (Bergen) aufgenommen, aus dem er zeitweilig ausgeschlossen war Bei Konows frühem Tod 1923 galt der Konflikt als einvernehmlich gelöst.
77 Ole Kristian Grimnes, geboren 1849 i Vestre Moland, traditionalistisch-pietistischer Pfarrer in Ålesund, Bergen og Skedsmo, gestorben 1932 Sarpsborg. 78 Johan Willoch Erichsen, geboren 1842 Kristiansand (Vest-Agder), Schuldienst und Pfarrämter, 1899 bis 1916 Bischof von Bjørgvin (Bergen), versuchte sich von theologischen Streitigkeiten fernzuhalten, traditioneller Theologe; gestorben 1916 Gol (Buskerud). 79 Vidar L. Haanes, Carl Konow (2), in: Norsk biografisk leksikon. Dort auch weitere Literaturhinweise.
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IV. Zusammenfassung und Schluss Die drei Fälle Arboe Rasmussen, Larsen und Konow fanden in einem Zeitraum von weniger als dreißig Jahren statt. Sie waren exemplarisch für die Richtungskämpfe dieser Zeit in den Volkskirchen von Dänemark und Norwegen. Eine theologische Lösung im Sinne einer Lehrzucht wurde in allen Fällen vermieden. Alle drei Pfarrer, die dänischen aber besonders, profitierten von der besonderen staatskirchenrechtlichen Situation. Bei einer konsequenteren Trennung von Staat und Kirche, bereits nach dem preußischen Modell vor 1918, wäre eine Entfernung aus dem Amt wahrscheinlich gewesen. Das faktische Staatskirchentum führte aber auch zu einer Vermischung theologischer und politischer Standpunkte. Im Ergebnis hatte sich in Dänemark und Norwegen eine besondere obrigkeitliche Form der Lösung von Lehrkonflikten herausgebildet, bei der eine theologische Festlegung vermieden wurde und die staatliche Dezision entschied. In dem sehr duldsamen Umgang mit der Bekenntnisfrage mag ein Spiegelbild des besonderen gleichzeitigen Engagements skandinavischer Theologen in der Ökumene gesehen werden. Insgesamt erwies sich das Volkskirchentum angesichts dieser Lehrkonflikte als stabil. Die wachsende Entkirchlichung konnte es aber kaum aufhalten.
Das Ordinariat für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich Von Helmuth Pree Am 20. 07. 2018 hat Papst Franziskus angeordnet, das bisherige „Ordinariat für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Österreich“ in das „Ordinariat für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich“ umzuwandeln und den Erzbischof von Wien Kardinal Schönborn O. P. zum Ordinarius des neu formierten Ordinariates zu ernennen.1 Um die Bedeutung und Tragweite dieser päpstlichen Verfügung erkennbar zu machen, soll in einem ersten Schritt die faktische Situation der in Österreich derzeit präsenten orientalischen Kirchen überblicksartig dargestellt werden (I.). Der zweite Abschnitt zeigt in groben Zügen die kirchenrechtliche Rechtslage der orientalischen Katholiken in Österreich bis zur Neuregelung 2018 auf (II.). Der dritte Teil (III.) schließlich ist direkt den beiden Dekreten der Kongregation für die Orientalischen Kirchen vom Juli 2018 gewidmet und versucht deren rechtliche Konsequenzen sowie einige der bislang offenen bzw. sich daraus für die künftige kirchenrechtliche Gestaltung ergebenden Fragen aufzuzeigen.
I. Überblick über die faktischen Verhältnisse2 Bis zur großen Migrationswelle etwa ab Beginn der 1990er Jahre waren die wenigen Tausenden orientalischer Katholiken in Österreich nahezu ausschließlich Angehörige der Kirchen des byzantinischen Ritus, und dabei ganz überwiegend Gläubige der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK).3 In den letzten Jahren hat sich das Zahlenverhältnis gravierend verändert. Gegenwärtig leben schät-
1 Die beiden mit 26. Juli 2018 datierten Dekrete der Kongregation für die Orientalischen Kirchen (Prot. N. 181/90) wurden im ABl Wien, Jg. 156, Nr. 10/2018, S. 91 f. publiziert. 2 Für zahlreiche wertvolle Hinweise zur gegenwärtigen Lage gilt der aufrichtige Dank des Verfassers dem Hwst. Herrn Erzpriester Yuriy Kolasa, Protosyncellus/Generalvikar des Ordinariates. 3 Vgl. Willibald M. Plöchl, St. Barbara zu Wien. Die Geschichte der griechisch-katholischen Kirche und Zentralpfarre St. Barbara, 2. Bd., Wien 1975 (Kirche und Recht 13 und 14); Helmuth Pree, Zur Rechtsstellung der Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche in Österreich, in: Brigitte Schinkele/René Kuppe/Stefan Schima/Eva M. Synek/Jürgen Wallner/ Wolfgang Wieshaider (Hrsg.), Recht-Religion-Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Wien 2014, S. 663 – 678.
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zungsweise4 zwischen 12.000 und 15.000 orientalischer Katholiken in Österreich, die sich in etwa verteilen wie folgt: Ca. 7.500 Gläubige, die einer der insgesamt 14 Ecclesiae sui iuris der byzantinischen Ritusfamilie angehören: ca. 6.500 Gläubige der UGKK (mit derzeit 16 Priestern); ca. 500 Gläubige der Rumänischen Griechisch-katholischen Kirche (mit derzeit 8 Priestern); die übrigen Gläubigen der byzantinischen Tradition gehören kleineren Ecclesiae sui iuris an, wie der Ungarischen Griechisch-katholischen oder der Melkitischen Kirche (mit je einem Priester der eigenen Kirche). Mehrere dieser Kirchen haben „Gemeinden“5: die UGKK sechs, die Rumänische Griechisch-katholische Kirche sieben; die Slowakische Griechisch-katholische Kirche, die Melkitische Kirche und die Griechisch-katholische Kirche je eine in Wien.6 Die Gesamtzahl der Katholiken, die einer Ecclesia sui iuris der vier nicht-byzantinischen Ritusfamilien (Hauptriten)7 zugehören, beläuft sich auf rund 4.000 Gläubige, von denen die größte Anzahl auf die Syro-Malabaren (ca. 2.650) entfällt, gefolgt von der Armenisch-katholischen Kirche (Mechitharisten8) mit ca. 500 und der Chaldäischkatholischen Kirche mit rund 350 Gläubigen. Die „Gemeinden“ verteilen sich wie folgt: Chaldäische Kirche (2: Wien und Linz), Maroniten, Syro-Malabaren, Syro-Malankaren und Armenier (Mechitharisten) mit je einer Gemeinde in Wien.
II. Die kirchenrechtliche Rechtslage der orientalischen Katholiken in Österreich vor der Neuregelung 2018 Kaiser Joseph II. errichtete im Jahre 1784 für die Katholiken des byzantinischen („griechischen“) Ritus die Pfarre St. Barbara in Wien.9 De facto handelte es sich bei 4 Die Zahlen können mangels amtlicher Erfassung der Kirchen- bzw. Rituszugehörigkeit nur geschätzt werden. 5 „Gemeinden“ als vorläufige Struktur, da es noch keine durchgehende Pfarrorganisation gibt. Die einzige Pfarre ist die Zentralpfarre (für alle Gläubigen einer Kirche des byzantinischen Ritus in ganz Österreich). Dazu unten II. 6 Dazu kommen: ein byzantinisches Gebetszentrum in Salzburg, ein Universitätscampus mit byzantinischer Liturgie in Trumau und das Prämonstratenserstift Geras, in dem byzantinische Liturgien gefeiert werden. 7 Dabei handelt es sich um den Alexandrinischen, Antiochenischen (Westsyrischen), Armenischen und Chaldäischen (Ostsyrischen) Ritus. Vgl. c. 28 § 2 CCEO. AnPont 2018, S. 1126 – 1132 und S. 1770 – 1772. Vgl. Carl Gerold Fürst, Die Bedeutung des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium für die ostkirchliche Diaspora, in: ÖAKR 42 (1993), S. 345 – 375, hier: S. 347 – 357; Ders., Art. Katholische Ostkirchen, in: LKStKR II (2002), S. 404 – 406. 8 Vgl. Karl Pinggéra, Art. Mechitharisten, in: Hubert Kaufhold (Hrsg.), Kleines Lexikon des christlichen Ostens, Wiesbaden 2007, S. 344 f.; Mari Kristin Arat, Art. Mechitharisten, in: LThK 3VII, Sp. 24. 9 Plöchl, St. Barbara zu Wien (Anm. 3), 1. Bd., S. 66.
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der ganz überwiegenden Mehrheit dieser Gläubigen um Ukrainer (Ruthenen). Die Kongregation für die Orientalischen Kirchen löste per Dekret vom 20. Dezember 1935 die Pfarre St. Barbara aus ihrem bisherigen Jurisdiktionsbereich der Erzdiözese Lemberg (L’viv)10 und übertrug die Jurisdiktion dem Erzbischof von Wien „tamquam Sanctae Sedis specialiter Delegato“.11 Dem Dekret zufolge erstreckte sich der Jurisdiktionsbereich des Erzbischofs von Wien als Delegat des Hl. Stuhles wie auch der Pfarre St. Barbara „in omnes fideles ritus byzantini intra fines Reipublicae Austriacae commorantes“. St. Barbara wurde als Pfarre nicht in die Erzdiözese Wien eingegliedert, sondern war und blieb stets direkt dem Hl. Stuhl untergeordnet. Das Dekret der Kongregation für die Orientalischen Kirchen vom 3. Oktober 1945 übertrug dem Erzbischof von Wien bis auf Weiteres alle Gewalten „sicut habeat pro fidelibus ritus latini eiusdem Archidioecesis Vindobonensis“, d. h. alle einem Diözesanbischof zukommenden Gewalten.12 Das Dekret derselben Kongregation vom 13. Juni 1956 gewährte dem Erzbischof von Wien bis auf Weiteres die „iuridsictio ordinaria et exclusiva“ für die Gläubigen des byzantinischen Ritus „in universa Austria commorantes“ und es wird erstmals bezüglich der nicht-byzantinischen Orientalen festgestellt, diese unterstünden der „competentia sui cuiusque Ordinarii“.13 Das folgende Dekret der Kongregation für die Orientalischen Kirchen vom 21. Februar 198714 bestimmt, für den nunmehr namentlich genannten Amtsnachfolger Hans Hermann Groer: „Wie alle wissen, ist mit dem Amt des Erzbischofs von Wien jenes des Ordinarius für die Gläubigen des byzantinischen Ritus, die sich in Österreich aufhalten, verbunden“; und: Erzbischof Groer „munere Ordinarii pro fidelibus ritus Byzantini in Austria commorantibus augeretur, cum omnibus iuribus et officiis tali muneri adnexis“. Kard. Schönborn wurde per Dekret der Kongregation für die Orientalischen Kirchen vom 9. November 1995 in das Amt des Ordinarius für die Gläubigen des byzantinischen Ritus in Österreich berufen „cum omnibus iuribus et officiis tali muneri adnexis“.15 Das so umschriebene Amt des Ordinarius16 bestand bis zur Neuregelung 2018.
10 Ein Teil der Westukraine mit den Eparchien Lemberg und und Przemysl (heute in Polen) war im Jahre 1772 als „Königreich Galizien und Lodomerien“ an Österreich gefallen. 11 Vgl. Wiener Diözesanblatt 74 (1936) Nr. 3/4 vom 28. 04. 1936, S. 59 f. Abgedruckt auch: Fürst, Die Bedeutung des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (Anm. 7), S. 368. 12 Der Wortlaut des Dekrets ist abgedruckt: Fürst, Die Bedeutung des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (Anm. 7), S. 369. 13 Vgl. Wiener Diözesanblatt 94 (1956) Nr. 8 vom 01. 08. 1956, S. 48; auch abgedruckt: Fürst, Die Bedeutung des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (Anm. 7), S. 369. 14 Nicht amtlich veröffentlicht; abgedruckt: Fürst, Die Bedeutung des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (Anm. 7), S. 370. 15 Decretum, Prot. N. 296/74. Vgl. Pree, Zur Rechtsstellung (Anm. 3), S. 668. 16 Der „Ordinarius“ eines Ordinariates für orientalische Gläubige ist begrifflich zu unterscheiden vom „Ordinarius“ gem. c. 134 CIC/1983 iVm. c. 984 § 1 CCEO. Während Ersterer
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Ebenso bestand (und besteht) die Zentralpfarre St. Barbara in Wien mit Zuständigkeit für alle Gläubigen, die einer Ecclesia sui iuris des byzantinischen Ritus angehören, weiter. Das Pfarrterritorium ist in diesem Fall identisch mit dem Jurisdiktionsbereich des Ordinarius für diese Gläubigen. Als Ordinarius für die byzantinischen Katholiken hatte er diesen gegenüber die Autorität ihres „Hierarcha proprius“ (vgl. c. 984 §§ 1 und 2 CCEO) mit der einem Diözesanbischof/ Eparchialbischof entsprechenden Leitungsgewalt17 in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung (vgl. c. 985 § 1 CCEO). Daraus resultierte ein erheblicher Unterschied in der Rechtsstellung der Katholiken einer byzantinischen Kirche einerseits und jenen mit Zugehörigkeit zu einer Kirche eines anderen Hauptritus: Während für die Ersteren ein eigener „Ordinarius“ mit den Gewalten eines Diözesanbischofs etabliert war18, kam für die Letzteren nur c. 916 § 5 CCEO zum Tragen: Wo nicht einmal ein Exarchat für die Gläubigen einer bestimmten Ecclesia sui iuris eingerichtet ist, gilt als Hierarcha loci (Ortsordinarius) ersatzweise der Ortsordinarius einer anderen Ecclesia sui iuris, auch ein solcher der Ecclesia latina. Das traf auf die nicht-byzantinischen Katholiken in Österreich zu, so dass diese, abgesehen vom Ap. Stuhl und der aufrecht bleibenden Zugehörigkeit zu ihrer Kirche, nur dem Ortsordinarius der Römisch-katholischen Kirche ihrer Wohnsitzdiözese unterstanden. 19 Für die byzantinischen Katholiken war und ist hingegen von einer kumulativen Zuständigkeit des Ordinarius des Ordinariates und des Ortsordinarius des Wohnsitzes auszugehen.20 Darauf wird noch zurückzukommen sein.
ein konkretes Amt mit bestimmten Befugnissen verkörpert, handelt es sich bei Letzterem um einen Oberbegriff für verschiedene Ämter. 17 „Nell’esercizio del suo ufficio è equiparato quanto alle facoltà ad un Vescovo eparchiale (diocesano).“ Dimitrios Salachas/Krzysztof Nitkiewicz, Rapporti interecclesiali tra cattolici orientali e latini. Sussidio canonico-pastorale, Roma 2007, S. 127. Ausführlicher zur potestas des Ordinarius für die Byzantiner in Österreich: Pree, Zur Rechtsstellung (Anm. 3), S. 670 – 674. 18 Das Ordinariat und alle ihm Zugehörigen unterstehen direkt dem Hl. Stuhl (Kongregation für die Orientalischen Kirchen), nicht dem Oberhaupt der eigenen Ecclesia sui iuris. Die Gewalt des Ersthierarchen einer jeden Ecclesia sui iuris ist auf das Territorium seiner Kirche beschränkt (c. 78 § 2 CCEO) und kann außerhalb desselben nur dann gültig ausgeübt werden, wo sich dies aus der Natur der Sache ergibt oder im ius commune (CCEO) oder in dem vom Papst approbierten Partikularrecht ihrer Kirche ausdrücklich vorgesehen ist. Zu den im CCEO vorgesehenen Befugnissen zählen z. B. cc. 82 § 1, 28 und 38; 829 § 3 CCEO. 19 Zu beachten ist, dass bei dem Tatbestand des c. 916 § 5 CCEO nicht auch der römischkatholische Ortspfarrer zuständiger „parochus proprius“ für die Angehörigen einer orientalischen Ecclesia sui iuris ist. D. h. für die Vornahme hoheitlicher Befugnisse, wie etwa einer Eheschließung zweier Orientalen, bedarf er einer Delegation durch den Ortsordinarius. 20 Pree, Zur Rechtsstellung (Anm. 3), S. 673 f.
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III. Die Neuformierung des Ordinariates durch die Dekrete vom Juli 2018 1. Die Dekrete vom Juli 2018 Die Kongregation für die Orientalischen Kirchen erließ am 26. Juli 2018 unter derselben Prot.N. 181/90 zwei Dekrete: 1. Pastoralis cura christifidelium orientalium catholicorum, Hierarcha propriae Ecclesiae sui iuris carentium, Ordinariis loci domicilii Supremi Legislatoris voluntate concreditur (cf. can. 916 § 5 CCEO). Apostolica Sedes Ordinariatus autem erexit, ubi iidem fideles plures ac stabiles sunt. Chrisitifideles catholici ritus byzantini ab Ucraina oriundi et in Austriam migrati Archiepiscopi Vindobonensis curae die 3 mensis Octobris A. D. 1945 concrediti sunt, idque die 13 mensis Iunii A. D. 1956 confirmatum est. Christifideles quoque orientales catholici plurium Ecclesiarum sui iuris una cum fidelibus ritus byzantini in Austria nunc commorantur. Summus Pontifex Franciscus PP., ad eorum pastoralem curam promovendam, die 20 mensis Iulii A. D. 2018, Austriae Ordinariati iurisdictionem omnibus christifidelibus orientalibus catholicis, Hierarcha propriae Ecclesiae sui iuris carentibus, extendere dignatus est. Contrariis quibuscumque, etiam speciali mentione dignis, minime obstantibus. Datum Romae, ex Aedibus Congregationis pro Ecclesiis Orientalibus, die 26 mensis Iulii A. D. 2018. Leonardus Card. Sandri (Praefectus) P. Laurentius Lorusso, O. P. (Subsecretarius) 2. Cum christifideles orientales catholici plurium traditionum in recenti tempore sedem in Austria sibi constituissent et Hierarcha propriae Ecclesiae sui iuris nunc carerent, Summus Pontifex Franciscus PP., Sua totius Dominici gregis sollicitudine ductus, die 20 mensis Iulii A. D. 2018, Austriae Ordinariati iurisdictionem, christifidelibus ritus byzantini destinati, omnibus christifidelibus orientalibus catholicis plurium rituum ab Ecclesia recognitorum extendere voluit (cf. can. 28 CCEO) atque Christophorum S.R.E. Cardinalem Schönborn, O. P., Archiepiscopum Vindobonensem, Ordinarium pro christifidelibus orientalibus in Austria commorantibus nominare dignatus est, eidem tribuens omnia iura, officia facultatesque huic muneri adnexa. Contrariis quibuscumque, etiam speciali mentione dignis, minime obstantibus. Datum Romae, ex Aedibus Congregationis pro Ecclesiis Orientalibus, die 26 mensis Iulii A. D. 2018 Leonardus Card. Sandri (Praefectus) P. Laurentius Lorusso. O. P. (Subsecretarius)
Kardinal Schönborn hat als Ordinarius für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich den Erzpriester Mag. Lic. theol. Yuriy Kolasa zum Protosyncellus/ Generalvikar, sowie Mag. Andreas Lotz, LL.M. zum Kanzler des Ordinariates für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich, beide mit Wirksamkeit vom
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1. Oktober 2018, ernannt.21 „Das Ordinariat nimmt für ganz Österreich seine Tätigkeit mit 1. Oktober 2018 in Wien auf.“22 2. Der historische und rechtliche Kontext Um die kirchenrechtliche Bedeutung dieser Anordnungen einschätzen zu können, ist es nützlich, wenigstens kurz den historischen Entstehungszusammenhang dieser Art von „Ordinariaten“ als kirchenverfassungsrechtlicher Strukturen mit sehr spezieller Charakteristik in Erinnerung zu rufen. Sie verdanken ihre Entstehung der Praxis23 des Ap. Stuhles, der dadurch den pastoralen Bedürfnissen der Gläubigen der orientalischen Kirchen außerhalb des Territoriums ihrer Kirche mit einer der jeweiligen Situation angepassten Lösung begegnete.24 Diese Praxis wurde bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Weder der CIC/1917 noch der CIC/1983 noch auch der CCEO erwähnen diese Ordinariate auch nur mit einem Wort. Sie sind strukturell inhomogen, so dass es schwerfällt, ihre gemeinsamen rechtlichen Wesensmerkmale zu identifizieren.25 Es gab und gibt solche, die nur für die Gläubigen bestimmter Ecclesiae sui iuris errichtet wurden und solche, die für alle katholischen Orientalen in dem betreffenden Land zuständig sind; zumeist (aber nicht immer) ist der „Ordinarius“ ein 21 Vgl. ABl Wien Okt. 2018, S. 92 und S. 100. Erzpriester Yuriy Kolasa hatte bislang das Amt des Protosyncellus im Ordinariat für die Gläubigen des byzantinischen Ritus in Österreich inne. 22 ABl Wien Okt. 2018, S. 92 23 Es handelte sich um eine neue, im Kirchenrecht nicht vorgesehene Struktur, so dass Marco Brogi zurecht von einer Entstehung praeter ius sprechen kann: Marco Brogi, Cura pastorale di fedeli di altra Chiesa „sui iuris“, in: REDC 53 (1996), S. 119 – 131, hier: 130. 24 Als Beginn dieser Praxis gilt das Ap. Schreiben Officium supremi Apostolatus Papst Pius‘ X. vom 15. Juli 1912, in welchem er für die Gläubigen des ruthenischen Ritus in Kanada einen Bischof dieses Ritus mit „plenam iurisdictionem personalem“ einsetzte: AAS 4 (1912), S. 555 f. Vgl. AnPont 2018, S. 1764. Es folgte darauf die Errichtung eines Ordinariates für die Ruthenen in den USA im Jahre 1913: AAS 6 (1914), S. 458 – 463. Zur Entwicklung der Ordinariate: Peter Stockmann, Die Ordinariate für Gläubige eines orientalischen Ritus – ein Rechtsinsitut praeter legem, in: Ulrich Kaiser/Ronny Raith/Peter Stockmann (Hrsg.), Salus animarum suprema lex. FS für Max Hopfner zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 431 – 448; Federico Marti, Rutheni negli Stati Uniti. Santa Sede e mobiltà umana tra ottocento e novecento, Milano 2009; Ders., Gli ordinariati per i fedeli di rito orientale: una ricostruzione storico-giuridica, in: Quaderni di Diritto Ecclesiale 28 (2015), S. 16 – 37; Astrid Kaptijn, Gli ordinariati per i fedeli cattolici orientali privi di gerarchia propria, in: Pablo Gefaell (Hrsg.), Cristiani orientali e Pastori latini. Atti del XIV Convegno Internazionale di Diritto Canonico, Milano 2012, S. 234 – 267; Juan Ignacio Arrieta, La costituzione di Ordinariati nella prassi pastorale dell’attenzione dei fedeli orientali, in: Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (Hrsg.), Clarissimo Professori Doctori Carolo Geraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst, Frankfurt a. M. 2013, S. 55 – 69; Ders., Gli ordinariati per i fedeli orientali. Profili istituzionali di una struttura inter-rituale personale, in: Elmar Güthoff/Stephan Haering (Hrsg.), Ius quia iustum. FS für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag, Berlin 2015, S. 265 – 279. 25 Vgl. Helmuth Pree, Gli Ordinariati „latini“ per fedeli orientali sprovvisti di gerarchia propria – in cerca della caratteristica giuridico-canonica (im Druck).
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bischöflicher Amtsträger der Lateinischen Kirche; in zwei Errichtungsdekreten wurde dessen Jurisdiktion als „exclusiva“ bezeichnet (so für den Erzbischof von Wien im Dekret 1956, aber auch für den Erzbischof von Buenos Aires im Dekret vom 19. 02. 195926), wovon in allen später errichteten Ordinariaten nicht mehr die Rede ist. Gleichwohl lässt sich, wenn man die Dekrete von Beginn bis zur Gegenwart – zuletzt Spanien per Dekret vom 09. 06. 201627 – vergleicht, ein gewisser Konsolidierungsprozess28 feststellen, der jedoch erst dann einen nennenswerten Abschluss erreicht, wenn es gelingt, dem Rechtsinstitut der Ordinariate für orientalische Katholiken durch eine Rahmenregelung über die wesentlichen Strukturmerkmale eine verbindliche und greifbare rechtliche Gestalt zu geben. Bislang fehlt es an einem solchen Rahmengesetz (vergleichbar mit Spirituali militum curae29 oder Anglicanorum coetibus30). Das hat zur Folge, dass konkrete Fragen, etwa ob das Ordinariat Rechtspersönlichkeit besitzt, ob es die Qualität einer Teilkirche hat, ob es Kleriker inkardinieren kann, wie sich die Zuständigkeit des Ordinarius für die orientalischen Gläubigen zu jener der Ortsordinarien des Wohnsitzes dieser Gläubigen verhält usw., von den Vorgaben des ius commune abgesehen, nur aus dem jeweiligen Errichtungsdekret bzw. Ernennungsdekret für den Ordinarius zu beantworten sind. Diese Dekrete geben aber auf derartige Frage zumeist keine Antwort. Das macht die Notwendigkeit eines Rahmengesetzes umso dringlicher, zumal sich die angedeuteten Fragen heute in gehäuftem Maße stellen. Von den gegenwärtig bestehenden neun Ordinariaten31 sind sechs für die orientalischen Katholiken aller Ecclesiae sui iuris zuständig, darunter jenes für Österreich seit 2018, neben Brasilien, Frankreich, Argentinien, Polen und Spanien. 26
SC pro Ecclesia Orientali, Dekret vom 19. 02. 1959: AAS 54 (1962), S. 49 f. Congregatio pro Ecclesiis Orientalibus, Dekret vom 09. 06. 2016, Prot.N. 70/2010; vgl. Ius Canonicum 56 (2016), S. 769 f. Astrid Kaptijn, Ordinariato Apostólico para la atención de los orientales en España, ebd. S. 771 – 781. 28 Ein überaus beachtlicher Schritt in dieser Richtung war die Erklärung der Orientalenkongregation zum Dekret vom 27. 07. 1954, mit dem das Ordinariat für Frankreich errichtet worden war, und das von einer „kumulativen“ Jurisdiktion des Ordinarius für die Orientalen mit jener der Ortsordinarien gesprochen hatte: Congregatio pro Ecclesiis orientalibus, Declaratio qua ambitus canonicae potestatis Ordinarii pro fidelibus orientalibus ecclesiasticum Superiorem proprii ritus non habentibus pressius determinatur: AAS 78 (1986), S. 784 – 786. Diese Erklärung präzisiert, was unter der „kumulativen“ Zuständigkeit zu verstehen ist und klärt einige weitere Detailfragen (dazu unten 3.). Es bleibt aber das Problem, ob bzw. inwieweit diese Erklärung (deren Inhalt weithin in das Dekret für Spanien 2016 aufgenommen wurde) als Interpretationshilfe oder zur Lückenschließung bei anderen Ordinariaten herangezogen werden kann, für die diese Fragen nicht oder nicht so deutlich geregelt sind. Zu diesem Problem: Pree, Gli Ordinariati (Anm. 25) sowie unten Anm. 46. 29 Constitutio apostolica qua nova cononica ordinatio pro spirituali militum curae datur: AAS 78 (1986), S. 481 – 486. 30 Apostolische Konstitution Anglicanorum coetibus: AAS 101 (2009), S. 985 – 990. 31 Vgl. AnPont 2018, S. 1018 – 1021. Es handelt sich um Griechenland, Rumänien, Österreich, Brasilien, Frankreich, Argentinien, Polen, Europa Orientale und Spanien. Im AnPont werden sie zusammen mit den Exarchaten genannt, was aber den beachtlichen Unterschied 27
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Zum rechtlichen Kontext, in dem das neu formierte Ordinariat zu sehen ist, gehört auch die geltende Regelung der Fragen, welcher Kirche die orientalischen Gläubigen in der Diaspora zugehören und welchem Recht sie unterstehen. Die orientalischen Gläubigen bleiben in der Diaspora (d. h. außerhalb des Territoriums ihrer Ecclesia sui iuris) ihrer Ecclesia sui iuris zugehörig, selbst wenn sie ersatzweise der Hirtensorge eines Hierarchen/Ordinarius einer anderen Kirche, etwa der lateinischen, anvertraut sind (c. 38 CCEO). Alle Gläubigen sind verpflichtet, ihren Ritus überall zu beachten, soweit nicht ausnahmsweise anderes vorgesehen ist (c. 40 § 3 CCEO).32 Alle katholischen Orientalen unterstehen dem orientalischen Rechtskreis, d. h. für sie gilt das ius commune (gem. c. 1493 CCEO)33 sowie das liturgische Recht ihrer Ecclesia sui iuris (c. 150 § 2 CCEO).34 Die partikularen Gesetze disziplinären Charakters hingegen, die von der Synode der Bischöfe ihrer Kirche erlassen worden sind, ebenso wie andere Entscheidungen dieser Synode gelten nur innerhalb der territorialen Grenzen ihrer Kirche, nicht aber in der Diaspora, es sei denn, ein solches Gesetz oder eine solche Entscheidung wäre ausnahmsweise vom Apostolischen Stuhl approbiert worden; in diesem letzten Fall käme ihnen weltweite Geltung für die Gläubigen der betreffenden Ecclesia sui iuris zu (c. 150 §§ 2 und 3 CCEO). Die Eparchialbischöfe in der Diaspora sind eingeladen („velint“), diese Gesetze und Entscheidungen, soweit die Materie in ihre Kompetenz fällt, in ihrem Jurisdiktionssprengel in Kraft zu setzen (c. 150 § 3 Satz 1 CCEO). Diese Regeln betreffend die Gesetzesunterworfenheit der orientalischen Katholiken sind von jedem lateinischen Ordinarius, dessen Sorge orientalische Gläubige anvertraut sind (vgl. c. 193 CCEO, c. 383 § 2 CIC/1983), auch von den Ordinarien für die Gläubigen orientalischer Kirchen, zu beachten.
verwischt, der darin besteht, dass die Exarchate, anders als die Ordinariate, im kanonischen Recht geregelte Verfassungsstrukturen sind. 32 Eine Ausnahme ist z. B. dann gegeben, wenn die Kongregation für die Orientalischen Kirchen einem Kleriker oder Religiosen das Indult der Ritusanpassung (adattamento di rito) gewährt. Vgl. Salachas/Nitkiewicz, Rapporti interecclesiali (Anm. 17), S. 14 f. 33 Vgl. cc. 1; 1491 § 1; 1492, 1493 CCEO. Zum ius commune gehören jene rechtlichen Bestimmungen, die für die katholische Gesamtkirche gelten (z. B. AK „Pastor Bonus“) sowie jene, die für alle orientalischen Kirchen gelten, wie hauptsächlich der CCEO: c. 1493 CCEO. Die in Österreich wohnhaften Orientalen sind nicht „peregrini“ im Sinne von cc. 911, 1491 § 3 CCEO! 34 Die weltweite Geltung des liturgischen Rechts für die Gläubigen jedweder Ecclesia sui iuris wird zusätzlich verbürgt durch weitere Bestimmungen im CCEO: cc. 17, 40, 657, 674. Zu Begriff und Tragweite des „ius liturgicum“ gemäß CCEO: Helmuth Pree, Fragen um Begriff und rechtliche Bedeutung des „ius liturgicum“ gemäß Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: Ostkirchliche Studien 66 (2017) Heft 2, S. 236 – 255.
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3. Gegenwärtiger Rechtsstatus – ausgewählte Fragen a) Zum rechtlichen Wesen des „Ordinariates“ Fraglich ist, ob das Ordinariat eine kirchenverfassungsrechtliche Zirkumskription, vergleichbar einer Exarchie gem. cc. 311 – 321 CCEO oder einer anderen „portio populi Dei“ mit Teilkirchencharakter, oder lediglich der Jurisdiktionssprengel des Ordinarius ist. Es fällt auf, dass keines der Errichtungsdekrete der Ordinariate bisher eine Gleichstellung mit der Diözese anordnet. Auf den ersten Blick könnten die Wesenselemente der Teilkirche (portio populi Dei, Bischof, Presbyterium) als gegeben angesehen werden. Bei näherer Betrachtung jedoch erhebt sich eine Reihe von Fragen, von denen mehrere bislang ungelöst sind. Sie hängen zusammen u. a. mit dem grundsätzlich provisorischen Charakter des Ordinariates (es steht immer unter dem Vorbehalt: solange eine Ecclesia sui iuris keine eigene Hierarchie am Orte hat35); mit dem meta-rituellen Charakter, da die Ordinariate grundsätzlich offen sind für die Gläubigen der orientalischen Kirchen aller Riten36 ; mit den verschiedenen Zugehörigkeiten der einem Ordinariat angehörenden Gläubigen, worüber noch zu sprechen sein wird; kann von einem Presbyterium des Ordinariates gesprochen werden, wenn diesem kein einziger Kleriker inkardiniert (adskribiert) ist?; und anderen Besonderheiten. Im AnPont lautet die Beschreibung der Ordinariate unspezifisch: strutture ecclesiastiche geografiche stabilite per le comunità cattoliche orientali che non hanno gerarchia propria nel luogo.37 Lorenzo Lorusso ordnet die Ordinariate den Strukturen der personal umschriebenen Zirkumskriptionen zu (neben Personaldiözese, Perso35 In dem Dekret für Österreich aus dem Jahre 2018 ergibt sich dieser Vorbehalt daraus, dass die Jurisdiktion des Ordinariates Österreichs auf alle katholischen Orientalen erstreckt wird „Hierarchia propriae Ecclesiae sui iuris carentibus“; d. h. sobald für eine dieser Kirchen eine eigene Hierarchie eingerichtet wird, fällt diese aus dem Zuständigkeitsbereich des Ordinariates heraus. 36 Während man nicht in Abrede wird stellen können, dass sich eine Teilkirche (Eparchie) aus Gläubigen mehrerer Ecclesiae sui iuris, auch verschiedener Riten, zusammensetzen kann (da in der Teilkirche die Gesamtkirche präsent ist, LG 23/1), ist nicht geklärt, ob es eine Ecclesia sui iuris geben kann, der Gläubige verschiedener Riten angehören. Die Frage dürfte zu verneinen sein: vgl. Ivan Zuzek, Presentazione del „Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium“, in: Ivan Zuzek (Hrsg.), Understanding the Eastern Code, Roma 1997 (Kanonika 8), S. 110 – 135, hier: S. 123. Demgegenüber ist unstrittig, dass es mehrere Ecclesiae sui iuris geben kann, die denselben Ritus teilen (ebd. 122 f.). Die Frage der Meta-Ritualität setzt sich auf der Ebene der Pfarre fort: Kann es Pfarren geben, die aus Gläubigen verschiedener Ecclesiae sui iuris bestehen, besonders wenn diese auch verschiedenen Riten zugehören? Auf der Ebene der Pfarre würde diese Möglichkeit die Pflicht zur Pflege und Aufrechterhaltung des eigenen Ritus (cc. 39 – 41 CCEO) konterkarieren. Die Homogenität des Ritus des Pfarrvolkes ist zumindest indirekt zum Ausdruck gebracht, wenn sowohl der CCEO als auch der CIC/1983 bei der Regelung der Möglichkeit von Personalpfarren das Kriterium des Ritus bzw. der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ecclesia sui iuris nennen: c. 280 § 1 CCEO, c. 518 CIC/1983. 37 AnPont 2018, S. 1764.
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nalprälatur und Militärordinariaten) und bezeichnet sie als „veri coetus fidelium delimitati secondo un criterio personale … hanno un proprio diritto speciale che determina gli elementi specifici propri; richiedono una forma di collaborazione e di coordinamento con le gerarchie territoriali locali … sono tenute alla visita ad limina, alla relazione quinquennale, ecc.“.38 Doch unterscheiden sie sich von den im orientalischen Kirchenrecht vorgesehenen Zirkumskriptionen, „le quali riguardano sempre fedeli appartenenti ad una concreta Chiesa sui iuris“.39 Die Ordinariate sind jedoch typischerweise für mehrere, ja letztlich alle orientalischen Riten und Ecclesiae sui iuris offen, und in diesem Sinne meta-rituell.40 Ob ein Ordinariat Teilkirchencharakter besitzt, wird nicht geklärt, ebensowenig wie in den für Österreich erlassenen Dekreten, die von „Ordinariat“41 und von einer „Jurisdiktion des Ordinariates“ sprechen, ohne jedoch irgendeine weitere Präzisierung zu geben. Solange es keine Klärung durch ein Rahmengesetz gibt, ist davon auszugehen, dass dem Ordinariat der Charakter einer Teilkirche sowie die Rechtspersönlichkeit42 nicht zukommen.43 Gleichwohl hat die oberste Kultusbehörde am 21. 03. 2019 die Hinterlegung des Errichtungsdekrets der Kongregation für die Orientalischen Kirchen vom 26. 07. 2018 und den damit erfolgten Erwerb der Rechtspersönlichkeit im staatlichen Recht gem. Art. XV § 7 Konkordat 1933 bestätigt (BKA-KA13.800/0003-IV/11/ 2019).
38 Lorenzo Lorusso, Gli orientali cattolici e i pastori latini. Problematiche e norme canoniche, Rome 2003 (Kanonika 11), S. 83. 39 Lorusso, Gli orientali cattolici (Anm. 38), S. 84. 40 Vgl. Pablo Gefaell, Enti e Circoscrizioni meta-rituali nell’organizzazione ecclesiastica, in: Elmar Güthoff/Karl-Heinz Selge (Hrsg.), Ius canonicum in Oriente et Occidente. FS für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M. u. a. 2003 (= Adnotationes in Ius Canonicum 25), S. 493 – 508. 41 In allen für den Erzbischof von Wien diesbezüglich ergangenen Dekreten wird erstmals in denen von 2018 das Wort „Ordinariatus“ verwendet. Alle früheren Dekrete sprechen ausschließlich von den Befugnissen des Erzbischofs von Wien als Delegierter des Hl. Stuhles bzw. später als „Ordinarius“ für die Katholiken byzantinischer Kirchen. 42 Fehlt es aber an der Rechtspersönlichkeit, so ist der Charakter als Inkardinationsverband von vornherein in Abrede zu stellen. Ein nicht rechtsfähiges und folglich nicht vermögensfähiges Gebilde kann nicht geistlicher Heimatverband im Sinne von cc. 265 – 272 CIC/1983 i. V. m. cc. 357 – 366 CCEO mit den sich daraus ergebenden Verpflichtungen gegenüber den inkardinierten („adskribierten“) Klerikern sein. 43 Davon zu unterscheiden ist die Rechtspersönlichkeit der Zentralpfarre St. Barbara in Wien. Sie ist als Pfarre juristische Person des kanonischen Rechts (vgl. c. 280 § 3 CCEO). Da sie bei Inkrafttreten des österreichischen Konkordates 1933 am 01. 05.1934 bereits bestand, ist sie gem. dessen Art. II auch mit Rechtspersönlichkeit im staatlichen Recht, und zwar mit der Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ausgestattet. Dies wird bei einer Neuorganisation der Pfarrstruktur im nunmehrigen Ordinariat zu berücksichtigen sein.
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b) Die Jurisdiktion des Ordinarius In seiner Eigenschaft als Ordinarius für die in Österreich wohnhaften („commorantes“) katholischen Orientalen aller Riten werden dem Kardinal Schönborn „omnia iura, officia facultatesque huic muneri adnexa“ zugesprochen. Was unter diesen Rechten und Pflichten, Zuständigkeiten und Befugnissen näherhin zu verstehen ist, bleibt offen. Es gibt keine diesbezügliche allgemein geltende Regel. Die Errichtungsdekrete bedienten sich verschiedenster Formeln. Die Dekrete für Brasilien, Frankreich, Argentinien und Spanien nennen nahezu wortgleich folgende Befugnisse und Aufgaben des Ordinarius: „Ordinarius sedulo curabit (Frankreich: „audito Ordinario loci“) paroecias constituere, ecclesias aedificare, iuvenes in sortem Domini vocatos istituere, genuinos ritus ac disciplinam integer ab omnibus servari, Sacerdotes pro cura animarum deputare, et cetera omnia fovere quae in Domino agenda prudenter iudicaverit.“ Die Existenz dieser Aufzählung zeigt, dass eine völlige Gleichstellung mit der Gewalt eines Eparchialbischofs offenbar nicht gewollt war. Andererseits aber öffnet die Generalklausel den Umfang der Befugnisse auf alles, was als angebracht erachtet wird. Man wird nicht fehlgehen, die zitierte Aufzählung in einem lediglich demonstrativen oder exemplifikativen Sinn zu verstehen, so dass eine Beschränkung auf bestimmte Befugnisse nicht intendiert war. Das würde auch der unbezweifelten Auffassung entsprechen, der zufolge die Gewalt des Ordinarius für die Orientalen jener eines Diözesan-/ Eparchialbischofs gleichkommt.44 Lorusso nennt als beispielhaft die in der Declaratio der Kongregation für die Orientalischen Kirchen im Jahre 1986 betreffend das Dekret für Frankreich (1954) aufgezählten fünf Kompetenzen des Ordinarius: u. a. Zustimmung zur Gründung neuer Gemeinschaften innerhalb der orientalischen Kirchen, nachdem deren übergeordnete Autorität angehört worden ist; Bau von Kirchen und anderen Gottesdienststätten für die Orientalen; Errichtung von Pfarren und Ernennung der Pfarrer und anderen Priester für Aufgaben in den orientalischen Gemeinden, nach Anhörung der Autorität der jeweiligen Kirche bzw. auf deren Vorschlag.45 Da das Dekret, welches dem Erzbischof von Wien die Zuständigkeit für alle katholischen Orientalen in Österreich gewährt, seine Amtsbefugnisse generalklauselartig umschreibt, ist nach allem, was bisher gesagt wurde, davon auszugehen, dass im Zweifel über das Bestehen einer Befugnis (z. B. zur Errichtung von Personalpfarren) vom Bestehen dieser Befugnis auszugehen ist, soweit es sich um Agenden handelt, die überhaupt in die Kompetenz eines Eparchialbischofs fallen. Die exemplarische
44 So ausdrücklich: Salachas/Nitkiewicz, Rapporti interecclesiali (Anm. 17), S. 127; Lorusso, Gli orientali cattolici (Anm. 38), S. 85: „Nell’esercizio delle sue funzioni, l’Ordinario è investito delle attribuzioni proprie di un Vescovo diocesano, quali costituire Chiese, erigere parrocchie orientali, nominare sacerdoti che debbano averne cura …, curare la formazione dei seminaristi, provvedere alle necessarie opere educative ed assistenziali, ecc.“ 45 Kongregation für die Orientalischen Kirchen, Declaratio (Anm. 28); vgl. Lorusso, Gli orientali cattolici (Anm. 38), S. 85 f.
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Nennung konkreter Befugnisse in den erwähnten Dokumenten kann als Anhaltspunkt auch für Österreich dienen.46 Die Dekrete aus 2018 für Österreich zeigen, dass der Ap. Stuhl, wie bereits bisher, das Amt des Ordinarius nicht mit dem Amt des Erzbischofs von Wien vereinigt bzw. mit dem Erzbischöflichen Sitz von Wien verbunden, sondern es wiederum getrennt von der Verleihung des Amtes des Erzbischofs von Wien ad personam übertragen hat. Das bedeutet für den Fall der Vakanz des Erzbischöflichen Stuhles u. a., dass es in dieser Zeit für Österreich dieses Amt nicht gibt, mit den entsprechenden Konsequenzen etwa für die Vertretungsorgane. Die Gewalt des Erzbischofs ist zweifellos als potestas ordinaria zu qualifizieren; ob sie propria oder vicaria ist, lässt sich dem Wortlaut der Dekrete nicht entnehmen. Jedoch scheinen die jüngeren Regelungen durch die Kongregation – Frankreich gemäß der Declaratio 1986 und Spanien 2016 – eher für die potestas ordinaria propria zu sprechen.47 Auch in diesem Punkt bedarf es einer Festlegung durch ein Rahmengesetz. Eine weitere zentrale Frage ist jene nach dem Verhältnis der Kompetenzen des Ordinarius des Ordinariates für die orientalischen Katholiken zur Gewalt der (lateinischen) Ortsordinarien. Die Dekrete aus 2018 haben diesbezüglich für alle orientalischen Katholiken in Österreich dieselbe Rechtslage hergestellt. Im Unterschied zu den anderen Regelungen aus jüngerer Zeit findet sich in den Dekreten für Österreich keine direkte Aussage dazu. 48 Daher ist auf das ius commune (CCEO) und ergänzend 46
Da die Verwaltungspraxis der Römischen Kurie („praxis Curiae Romanae“, c. 19 CIC/ 1983, vgl. c. 1501 CCEO) zur Schließung von Gesetzeslücken per Analogie herangezogen werden kann, und „loci paralleli“ (c. 17 CIC/1983, c. 1499 CCEO) ein legitimes Interpretationsmittel (analoge Interpretation) sind, erscheint es als gerechtfertigt, nach dem Grundsatz „ubi eadem ratio, ibi eadem iuris dispositio“ fehlende Regelungen in den Dekreten für Österreich durch Lückenschließung im Wege der Analogie aus anderen vergleichbaren Dekreten zu ergänzen und allgemeine Ausdrücke durch analoge Interpretation im Blick auf andere vergleichbare Dekrete zu präzisieren. Der Grundgedanke der Analogie ist nicht auf das Verständnis von Gesetzesinhalten beschränkt, sondern dem Recht insgesamt immanent und kann daher auf die Interpretation von Dekreten der vorliegenden Art sinngemäß angewendet werden. Dazu kommt, dass die Verwaltungspraxis der Römischen Kurie unter dem Anspruch einer gerechten (vgl. Art. 15 PastBon) und daher rationalen, sachlichen, an bleibenden gemeinsamen Grundwerten orientierten und folglich nicht willkürlichen (vgl. Principium nr. 6, Communicationes 1 (1969), S. 82 f.) Handlungsorientierung steht. Diese verlangt eine in den wesentlichen Punkten gleichbleibende, verlässliche, kohärente Entscheidungspraxis. Daher wäre es z. B. nicht vertretbar, wenn in einem Ordinariat die Errichtung von Pfarren zu den Kompetenzen des Ordinarius gerechnet würde, während es in einem anderen Fall, bei im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen, in Abrede gestellt würde. Zur Relevanz der (gleichförmigen) Entscheidungspraxis der Kurialorgane vgl. Georg May, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, S. 245 – 247; Markus Graulich, Art. Kurialstil, in: LKStKR II (2002), S. 662; John J. Coughlin, Art. Stylus Curiae, in: DGDC VII, S. 414 f. 47 Vgl. Pree, Gli ordinariati latini (Anm. 25), III.1 (im Druck). 48 Das Dekret, welches sich direkt auf die Kompetenzerweiterung des Ordinariates bezieht, stellt einleitend fest, dass bei Fehlen einer eigenen Hierarchie die orientalischen Gläubigen den Ortsordinarien des Wohnsitzes anvertraut werden (c. 916 § 5 CCEO), und fährt fort:
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im Wege der Analogie auf die angesprochenen Regelungen aus jüngster Zeit zurückzugreifen. Die verbindlichen Vorgaben des CCEO sind diesbezüglich: (1) Die orientalischen Gläubigen des Ordinariates bleiben ihrer Ecclesia sui iuris adskribiert (c. 38 CCEO), d. h. das rechtliche Band zu ihrer Kirche ist keineswegs zertrennt, wenngleich die potestas der hierarchischen Autoritäten dieser Kirche über die Gläubigen in der Diaspora drastisch reduziert ist (vgl. cc. 78 § 2, 82, 148, 152, 157 § 2 CCEO); die Gläubigen sind daher gehalten, ihren Ritus überall auf der Welt zu pflegen und aufrechtzuerhalten („nisi iure aliquid excipitur“): c. 40 § 3 CCEO. Sie bleiben dem liturgischen Recht ihrer Kirche und dem orientalischen ius commune unterworfen. (2) Sie gehören auch zur lateinischen Diözese ihres Wohnsitzes: cc. 107 § 1, 383 § 2 CIC/1983; cc. 916 § 1, 193 CCEO.49 (3) Sie unterstehen dem Ordinarius des Ordinariates als ihrem Hierarcha proprius kraft der Dekrete der Kongregation für die Orientalischen Kirchen. Daraus resultiert, dass der Gläubige eines Ordinariates zwei Hierarchen hat: den eigenen Ordinarius des Ordinariates und den Wohnsitzordinarius. Er untersteht dem einen und dem anderen jedoch nicht in gleicher Weise, sondern unter verschiedenen Gesichtspunkten. Die Zuordnung zu den genannten drei Verfassungsebenen (Ordinariat, Wohnsitzdiözese und Ecclesia sui iuris) verkörpert drei auch inhaltlich verschiedene Rechtsbeziehungen; sie beruhen auf unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen. Daraus ergibt sich bereits, dass die Gewalt des Ordinarius in irgendeiner Weise kumulativ mit jener der Ortsordinarien besteht. In der Declaratio 1986 wurde dafür folgende Lösung gefunden, die sich im Dekret für Spanien (2016) in ähnlicher Gestalt findet: Der Ordinarius übt seine Jurisdiktion kumulativ mit jener der Ortsordinarien aus. Die beiden Jurisdiktionen liegen jedoch nicht auf der gleichen Ebene; jene des Ordinarius ist die hauptsächliche („principale“), die der Ortsordinarien subsidiär. Der Ordinarius bedarf zur Vornahme der im Folgenden aufgezählten Befugnisse (u. a. Gründung neuer Gemeinschaften orientalischer Gläubiger, Bau von Kirchen für die Orientalen, Errichtung von Pfarren und Ernennung der Pfarrer und weiterer Seelsorger) der vorherigen Zustimmung des betroffenen Ortsordinarius „ad validitatem“.50 Das Dekret für Spanien weist ebenfalls die hauptsächliche Jurisdiktion dem Ordinarius zu, den Ortsordinarien die subsidiäre, und verpflichtet die Ortsordinarien, den Ordinarius für die Orientalen „de rebus maioris momenti quae egerint“ zu informieren („certiorem reddant“), ohne Nichtigkeitssanktion.51
„Apostolica Sedes Ordinariatus autem erexit, ubi iidem fideles plures ac stabiles sunt.“ Das könnte wegen der Gegenüberstellung („autem“) so verstanden werden, als sei mit der Errichtung des Ordinariates keinerlei Zuordnung zu den Ortsordinarien mehr gegeben. Dem ist aber nicht so. 49 Arrieta, Gli ordinariati (Anm. 24), S. 275. 50 AAS 78 (1986), S. 784 – 786, hier: 785 f. 51 Vgl. Ius Canonicum 56 (2016), S. 769 f.
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Demnach wird man, solange keine andere Festlegung durch ein Rahmengesetz ergeht, die Rechtslage in puncto kumulativer Jurisdiktion für das österreichische Ordinariat dahingehend präzisieren können, dass @ der Ordinarius für die orientalischen Katholiken für diese der primär Zuständige im Verhältnis zu den Ortsordinarien ist; er ist allein zuständig zur Setzung von Maßnahmen, die das Ordinariat als solches betreffen, z. B. dessen Pfarrorganisation zu regeln; soweit Maßnahmen des Ordinarius für die Orientalen die lateinischen Diözesen betreffen, ist der Ordinarius zur vorherigen Herstellung des Einvernehmens der Ortsordinarien verpflichtet, allerdings nicht „ad validitatem“ (da eine Nichtigkeitssanktion immer ausdrücklich angeordnet sein muss52, was hier nicht der Fall ist); @ die Ortsordinarien dann, wenn sie Maßnahmen für die in ihrer Diözese wohnhaften orientalischen Katholiken zu setzen gedenken, zur vorherigen Information des Ordinarius verpflichtet sind (nicht „ad validitatem“, mangels ausdrücklicher Anordnung der Nichtigkeitssanktion im Dekret); @ die Ortsordinarien nicht gültig Maßnahmen setzen können, welche das Ordinariat als solches betreffen oder in seine Struktur eingreifen würden. c) Fragen der Pfarrstruktur Die Ausdehnung der Jurisdiktion des Ordinariates auf die Gläubigen aller katholischen Ostkirchen führt auch zur Frage nach der künftigen Pfarr-Organisation. Der Bestand der Zentralpfarre St. Barbara wurde durch die Dekrete aus dem Jahre 2018 nicht berührt. Mangels irgendeiner diesbezüglichen Anordnung in den Dekreten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Ausdehnung der Jurisdiktion des Ordinarius und der Zuständigkeit des Ordinariates auf alle katholischen Orientalen automatisch auch die Zuständigkeit der Zentralpfarre dementsprechend erweitert worden wäre. Davon abgesehen wurde bereits vor dem Erlass der Dekrete 2018 die Errichtung von Pfarren innerhalb des Ordinariates ins Auge gefasst. Damit wird ein komplexes Problem berührt, dessen Einzelheiten darzustellen den gegebenen Rahmen sprengen würde. Es soll nur auf einige Fragen mehr grundsätzlicher Natur hingewiesen werden. Dass die Befugnis zur Errichtung von Personal-Pfarren in den „iura, officia facultatesque“ des Erzbischofs von Wien als Ordinarius enthalten ist, steht außer Zweifel.53 Gleichwohl sollen dazu einige Fragen aufgeworfen werden, die sich aus kir52
C. 10 CIC/1983; c. 1495 CCEO. Auf eine diesbezügliche Anfrage antwortete die Kongregation für die Orientalischen Kirchen: „L’Arcivescovo di Vienna è Ordinario per i fedeli bizantini residenti in Austria, e, pertanto, può erigere parrocchie personali per i fedeli bizantini in tutto il Paese.“ Prot.N. 181/ 90. Die Antwort ist mit dem 30. 01. 2018 datiert, d. h. sie wurde mehrere Monate vor der Ausweitung der Jurisdiktion des Erzbischofs von Wien auf alle orientalischen Katholiken gegeben. 53
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chenrechtlich-systematischer Sichtweise stellen. Die Pfarre gilt im kanonischen Recht, gleichsam von ihrem Wesen her, als Untergliederung einer Teilkirche (cc. 374 § 1, 515 § 1 CIC/1983; c. 279 CCEO). Wenn das Ordinariat nicht den Charakter einer Teilkirche hat, erscheint es als schwer erklärbar, wie es in Pfarren untergliedert werden kann.54 Dazu kommt, dass die Pfarre ipso iure Rechtspersönlichkeit besitzt (c. 515 § 3 CIC/1983; c. 280 § 3 CCEO). Dies ist schwer vereinbar mit der rechtlichen Natur des Ordinariates als einer nicht-rechtsfähigen Struktur. Zu klären ist auch, ob es multi-rituelle Pfarren geben kann. Man wird wohl nicht fehlgehen zu behaupten, dass eine Pfarre von Angehörigen verschiedener Ecclesiae sui iuris zusammengesetzt sein kann, wenn diese Kirchen demselben Hauptritus (vgl. c. 28 CCEO), z. B. dem byzantinischen, angehören; dass es jedoch wegen der Pflicht zur Aufrechterhaltung des eigenen Ritus, zu dessen Kern die Liturgie gehört (vgl. cc. 28 § 1, 38 – 41 CCEO), als nicht zulässig anzusehen ist eine Pfarre mit Gläubigen von Ecclesiae sui iuris verschiedener Riten zu errichten. Eine auf die neue Situation abgestimmte Pfarrorganisation wird nicht möglich sein ohne ein unter Beteiligung aller Betroffenen erarbeitetes Gesamtkonzept, das die Situation in ganz Österreich und aller hier präsenten Ecclesiae sui iuris sowie die derzeitige Zentralpfarre (welche direkt dem Apostolischen Stuhl untersteht) mitberücksichtigt, wie auch alle rechtlichen und faktischen Grundvoraussetzungen und Konsequenzen miteinbezieht. Zu den letzteren sei das Thema der Matrikenführung55 und der Finanzierung (wie etwa: Unterhalt der Seelsorger einschließlich ihrer sozialversicherungsrechtlichen Stellung, Unterhalt der Gebäude und sonstigen Einrichtungen) besonders erwähnt. Manche der dabei zu lösenden Fragen berührt auch das österreichische staatliche Recht. Alles in allem erweist sich ein Rahmengesetz als ein dringendes Postulat, um in zahlreichen Punkten – hier konnten nur wenige, ausgewählte angesprochen werden – die erforderliche rechtliche Klarheit und Rechtssicherheit herzustellen.
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Jedoch beweist das Beispiel der Zentralpfarre St. Barbara, dass eine Pfarre auch unmittelbar dem Apostolischen Stuhl unterstellt sein und somit existieren kann, ohne in eine Diözese eingegliedert zu sein. 55 Zur bisherigen Matrikenführung vgl. Pree, Zur Rechtsstellung (Anm. 3), S. 675 – 677. Einer Information des Ordinariates für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich zufolge soll in der Übergangszeit – d. h. bis der Status der bisherigen „Seelsorgestellen“ an den Orten, in denen es Gemeinden orientalischer Gläubiger gibt, geklärt ist – dem Ordinariat eine neue Matrikennummer für die orientalischen Katholiken im elektronischen System der Erfassung der Gläubigen der katholischen Kirche gegeben werden.
Über die Selbstverpflichtung „Vorurteile abzubauen“ und den Dialog mit den „Freikirchen“ Von Karl W. Schwarz „Vorurteile abzubauen“, ist ein Punkt der Selbstverpflichtungen, welche die Unterzeichnerkirchen der Charta Oecumenica auf sich nehmen. So heißt es dort im 4. Abschnitt unter der Überschrift „Gemeinsam handeln“:1 „Wir verpflichten uns, die Rechte von Minderheiten zu verteidigen und zu helfen, Missverständnisse und Vorurteile zwischen Mehrheits- und Minderheitskirchen (…) abzubauen.“ In meiner Lehrtätigkeit an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien bin ich deshalb bemüht, in kirchenrechtlichen Lehrveranstaltungen nicht nur die Charta Oecumenica als fragiles Element eines visionären ökumenischen Kirchenrechts zu thematisieren2, sondern die Teilnehmer, zumeist Studierende der evangelischen Kirchen, mit Freikirchen zu konfrontieren, um sie auf die Dialogverpflichtung im späteren Berufsleben vorzubereiten und dabei behilflich zu sein, wenn es gilt, „Missverständnisse und Vorurteile“ abzuwehren. Anknüpfend an frühere Projekte3 wählte ich im Wintersemester 2018/19, veranlasst durch Seminarteilnehmer, den Baptismus, eine klassische Freikirche, als Thema einer Seminarsequenz.
I. Die Charta Oecumenica Auszugehen ist von der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz (1997), bei der ein gemeinsames Dokument grundlegender ökumenischer Pflichten, Rechte und Richtlinien ins Auge gefasst wurde4, die späterhin als „Leitli1
Abgedruckt in: Ökumenisches Forum 23/24 (2000/2001) S. 389 – 398. Karl W. Schwarz, Ökumenisches Kirchenrecht – Anmerkungen aus evangelischer Perspektive, in: Dieter A. Binder/Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer (Hrsg.), Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft (Festschrift für Hugo Schwendenwein), Innsbruck u. a. 2006, S. 457 – 467. 3 Karl W. Schwarz, Protestantische Freikirchen in Österreich – von der Toleranz (1781) bis zur gesetzlichen Anerkennung, in: FreikirchenForschung 25 (2016) S. 216 – 235 – Nachdruck in: Ders., Der österreichische Protestantismus im Spiegel seiner Rechtsgeschichte (= Jus Ecclesiasticum 117), Tübingen 2017, S. 284 – 303. 4 Rüdiger Noll/Stephan Vesper (Hrsg.), Versöhnung, Gabe Gottes und Quelle neuen Lebens. Dokumente der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz, Graz 1998 – Handlungsempfehlungen: Schlussdokument 3 Punkt 1.2 – abgedruckt auch in: Ökumenisches Forum 20 (1997) S. 35. 2
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nien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“ bezeichnet und nach einer intensiven Vorbereitungs- und Konsultationsphase am 22. April 2001 von den Repräsentanten des Rates der Europäischen römisch-katholischen Bischofskonferenzen (CCEE) und der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in Straßburg unterzeichnet5 und im Rahmen der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Hermannstadt/Sibiu rezipiert wurden.6 Das war ein kirchenhistorischer Vorgang sensationeller Art, denn erstmals in der Geschichte der Ökumenischen Bewegung war ein solcher gemeinsamer Basistext von erheblicher Tragweite offiziell unterschrieben worden – unter Beteiligung der römisch-katholischen Mehrheitskirche in Europa7, auf Augenhöhe mit den Minderheitskirchen und ohne die belastende Differenzierung zwischen Kirche und kirchliche Gemeinschaften (c. 364 n8 6 CIC/1983).8 Auch wenn das Dokument ausdrücklich einen kirchenrechtlichen Charakter zurückweist9, so drängt sich dennoch die Vermutung auf, dass sich darin einzelne Elemente eines ökumenischen Kirchenrechts festmachen lassen. Denn es stellt „Verpflichtungen“ der unterzeichnenden Kirchen zusammen und schafft einen „verbindlichen Maßstab“ für eine „ökumenische Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit“, wobei die Verbindlichkeit „in der Selbstverpflichtung der europäischen Kirchen und ökumenischen Organisationen“ zutage tritt. Dies im Blick auf eine „einheitsstiftende Beziehung unter den Kirchen sichtbar zu machen“ und in einer Zeit fehlender Einheit im Bekenntnis „zu einer Einheit im Handeln“ zu verhelfen, ist eine angemessene ökumenische Perspektive.10 Sie sollte auch im Falle konfessionell verbindender Ehen zum Tragen kommen – insbesondere durch den Verzicht der Mehrheitskirche auf das Versprechen römisch-katholischer Kindererziehung und die Strafandrohung des c. 1366 CIC/1983.11 5 Johannes Oedemann, Charta Oecumenica, in: Lexikon der Ökumene und Konfessionskunde, Freiburg i. Br. 2007, S. 218 f.; Grigorios Larentzakis, Charta Oecumenica, in: Begegnung und Inspiration. 50 Jahre Ökumene in Österreich, Wien/Graz/Klagenfurt 2008, S. 170 – 178. 6 Karl W. Schwarz, Sibiu/Hermannstadt im Lichte der Charta Oecumenica. Vom visionären Anspruch zum ökumenischen Realismus, in: Jürgen Henkel/Daniel Buda (Hrsg.), Neue Brücken oder neue Hürden? Eine Bilanz der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung (EÖV 3), Wien u. a. 2008, S. 167 – 171. 7 Dietrich Pirson, Die Mitwirkung der römisch-katholischen Kirche an der Charta Oecumenica, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Festschrift für Joseph Listl zum 75. Geburtstag, Berlin 2004, S. 261 ff. 8 Ulrich H. J. Körtner, Gegenseitige Anerkennung der Kirchen nach evangelischem Verständnis, in: Begegnung und Inspiration, S. 111 – 116, hier S. 113. 9 Dietrich Pirson, Rechtliche Implikationen der Charta Oecumenica, in: ZevKR 50 (2005) S. 307 – 323; Ulrich H. J. Körtner, Ökumenische Kirchenkunde (= Lehrwerk Evangelische Theologie 9), Leipzig 2018, S. 299. 10 Pirson, Rechtliche Implikationen (Anm. 7), S. 323. 11 Heribert Hallermann, Diskussionsbeitrag (Würzburg 15. 02. 2012); Ders., Die Bestimmungen zur Vorbereitung und Feier von konfessionsverschiedenen Eheschließungen, in: Ders. (Hrsg.), Ökumene und Kirchenrecht, Mainz 2000, S. 140 ff.; Karl W. Schwarz, Ökumenischer Dialog und ökumenische Praxis – aus evangelischer Perspektive, in: Wilhelm Rees (Hrsg.),
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II. Das Anerkennungsverfahren der Freikirchen Im Zuge des Anerkennungsverfahrens der Freikirchen ist deutlich geworden, dass das beachtliche Engagement der etablierten Kirchen und deren solidarische Begleitung auf die Charta Oecumenica zurückzuführen waren.12 Der Vorsitzende der römisch-katholischen Bischofskonferenz veranlasste einen seiner Ständigen Diakone zur Teilnahme an diesem Prozess.13 Dass dieser 2013 mit einer „gesetzlichen Anerkennung“14 der Freikirchen abgeschlossen werden konnte15, war nur möglich geworden, weil das Kultusamt eine freikirchliche Union16 von fünf unterschiedlichen Glaubensbünden täuferischer, evangelikaler, pfingstlerischer und charismatischer Prägung als anerkennungswerbende Antragsteller akzeptierte. Diese waren als religiöse Bekenntnisgemeinschaften i. S. des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes (1998) staatlich registriert worden17, scheiterten aber bei der gesetzlichen Anerkennung an der Zweipromille-Klausel des Gesetzes.18 Das vielfach kritisierte Gesetz (BekGG)19 hatte diese Klausel 1998 eingeführt, um die Kooperationsfähigkeit gesetzlich anerkannter Kirchen (auch im Blick auf schul- und bildungspolitische Konsequenzen der Anerkennung) sicherzustellen. Es sollte die „Gewähr der Dauer“ (so Art. 140 GG iVm Art 137 WRV) gewährleistet sein. Daher wurde eine Mitgliedschaftsdichte von zwei Promille der österreichischen Bevölkerung (ca. 16.000) gefordert und somit ein mathematischer Maßstab eingeführt, den Kritiker des Gesetzes als übertrieben hoch („unverschämte Zahl von 2 Promille“20) bezeichneten. Es wurde diesem sogar unterstellt, dass es das intendierte Ziel der Anerkennung in ihr GegenÖkumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= Kirchenrechtliche Bibliothek 13), Wien u. a. 2014, S. 243 – 253, 250 ff. 12 Hans-Peter Lang, Freikirchen auf dem Weg zur staatlichen Anerkennung, in: Johannes Fichtenbauer/Lars Heinrich/Wolf Paul (Hrsg.), Meilensteine auf dem Weg der Versöhnung. 20 Jahre „Ökumene der Herzen“ am Runden Tisch für Österreich, Wien 2018, S. 265 – 274. 13 Christoph Schönborn, Vorwort, in: Meilensteine auf dem Weg der Versöhnung, S. 1 – 4, 3; Johannes Fichtenbauer, Eine katholische Position zur Anerkennung der Freikirchen, in: öarr 60 (2013) S. 374 – 378. 14 Dazu Lukas Wallner, Die staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Die historische und aktuelle Umsetzung der religiösen Vereinigungsfreiheit in Österreich unter Berücksichtigung des deutschen Religionsrechts, Frankfurt a. M. 2007, S. 173 ff. 15 BGBl. II Nr. 250/2013. 16 Walter Fleischmann-Bisten, Kirchenunionen im Bereich der Freikirchen, in: Una Sancta 72 (2017) S. 62 – 69. 17 Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht. Anerkennung und Eintragung, Wien 1998; Dies., Österreichisches Religionsrecht in der jüngsten Straßburger Rechtssprechung, in: öarr 56 (2009) S. 400 – 432. 18 Wallner, Die staatliche Anerkennung, S. 211 ff. 19 Rüdiger Noll, Religionsfreiheit. Entwicklungen und neuere Diskussionen in Europa, in: Ök. Forum Nr. 22/1999, S. 133 ff.; Brigitte Schinkele, Religiöse Bekenntnisgemeinschaften und verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz, in: JBl 2002, S. 498 – 509; Wallner, Die staatliche Anerkennung, S. 286 ff. 20 Walter Klimt, Stellungnahme aus der Sicht der Baptisten, in: öarr 57 (2010) S. 224 – 226, 226.
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teil verkehre. Dennoch wurde diese Klausel vom Verfassungsgerichtshof wiederholt (2001, 2009, 2010) bestätigt.21 Auf einem Studientag der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht (18. 10. 2010) zum Thema „Religionsfreiheit in Österreich – zwischen Privilegierung und Diskriminierung“22 wurde ausgesprochen, dass das Anerkennungsrecht die bestehenden gesetzlich anerkannten Kirchen als „beati possidentes“ privilegiere, während es die Anerkennungswerber pro futuro diskriminiere.23 Einer traditionsreichen Freikirche war zudem in konsequenter Umsetzung des Gesetzes (§ 11a Abs. 1 Ziff. 2 BekGG 1998 i. d. F. BGBl. I Nr. 78/2011) mangels einer bestehenden Gemeinde im Rechtsgebiet die gesetzliche Anerkennung aberkannt worden.24 Damit erfolgte freilich eine Klarstellung, dass es zur Anerkennung auch einen actus contrarius gibt, also die Aberkennung des Anerkennungsstatus – aus gesetzlich geregelten Gründen. Die fünf freikirchlichen Gemeindebünde, nämlich der Bund der Baptistengemeinden (BBGÖ), die Mennonitische Freikirche (MFÖ), der Bund evangelikaler Gemeinden (BEGÖ), die Freie Christengemeinde-Pfingstgemeinde (FCG) und die Elaia-Christen-Gemeinde (ECG) scheiterten auch in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte25, sodass sie ihre Strategie völlig veränderten und den Weg zu einer „Union“ der betroffenen freikirchlichen Bekenntnisgemeinschaften einschlugen. Durch kontinuierliche Lehrgespräche gelang es, einen bemerkenswerten Integrationsprozess zu gestalten.26 Sie wurden auf eine Vielzahl an Übereinstimmungen aufmerksam, an denen sie ihre Zusammengehörigkeit festmachen konnten:27 Christologie (solus Christus), freiwillige Mitgliedschaft, Glaubenstaufe, Distanz zum Staat, evangelikale Grundstimmung. Auf dieser Grundlage gelang es ihnen, einen gemeinsamen Anerkennungsantrag zu stellen. Ihre Rechtsver21 Dazu kritische Kommentare von Brigitte Schinkele, in: öarr 48 (2001) S. 239 ff.; Stefan Hammer, öarr 57 (2010) S. 286 – 302; Gerhard Luf, ebd. S. 319 – 327. 22 Dokumentiert in: öarr 57 (2010) Heft 2. 23 Brigite Schinkele, Privilegierte und diskriminierte Religionen – korporative Religionsfreiheit in europäischer Perspektive, in: öarr 57 (2010) S. 180 – 197. 24 BGBl. II Nr. 31/2012 – dazu Richard Potz, Österreich, wie hast du’s mit den Freikirchen? Überlegungen aus Anlass der Aufhebung der Herrnhuter Brüdergemeinde, in: Michael Bünker/Ernst Hofhansl/Raoul Kneucker (Hrsg.), Donauwellen. Zum Protestantismus in der Mitte Europas. Festschrift für Karl W. Schwarz, Wien 2012, S. 183 – 193; Stefan Schima, Die Aufhebung der Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Anmerkungen zum neu erlassenen § 11a des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes, in: Brigitte Schinkele u. a. (Hrsg.), Recht – Religion – Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Wien 2014, S. 745 – 773. 25 EGMR 26. 02. 2009, 76.581/01 (Verein der Freunde der Christengemeinschaft ua /. Österreich) – dazu Kalb/Potz/Schinkele, Österreichisches Religionsrecht in der jüngsten Straßburger Rechtssprechung (Anm. 17), S. 417 ff. 26 Edwin Jung, Die Freikirchen in Österreich. Selbst- und Sendungsverständnis eines neuen Gemeindebundes, in: FF 27 (2018) S. 101 – 109. 27 Franz Graf-Stuhlhofer, Freikirche zwischen Volkskirche und Sekte – Versuch einer Definition anhand dreier Kennzeichen, in: FF 17 (2008) S. 290 – 296; Martin Podobri, Transformation in Österreich. Kultur- und gesellschaftsrelevanter Bau des Reiches Gottes im freikirchlichen Kontext, Bonn 2011, S. 115 ff.
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tretung nahm ein prominenter Rechtsanwalt wahr28, der als Präsident der Generalsynode der Evangelischen Kirche A.u.H.B. wirkt und im Rahmen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) in der Kommission für Religionsfreiheit im europäischen Horizont mitarbeitet29; die Vertreter der etablierten Kirchen beriefen sich auf die Charta Oecumenica, um ihre Beteiligung und ihre besondere Sensibilität für das Verhältnis zwischen Mehrheits- und Minderheitskirchen zu begründen.
III. „Versöhnte Verschiedenheit“ Dieser 2013 abgeschlossene Anerkennungsprozess30 ist gekennzeichnet durch einen atmosphärischen Wandel im Beziehungsfeld zwischen den etablierten Kirchen, dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) und den Freikirchen. Im ÖRKÖ wurde ein Gedanke erkenntnisleitend, der im päpstlichen Dokument „Ut unum sint“ als gegenseitiges Schenken und Tauschen der Gaben („exchange of gifts“) angesprochen wird und damit einen anzustrebenden Modus der zwischenkirchlichen Beziehungen in der versöhnten Verschiedenheit kennzeichnet.31 Es hat aber auch eine wichtige Rolle gespielt, dass den Kirchen in den 2010er-Jahren ein heftiger laizistischer Wind entgegenblies, der in einem Volksbegehren gegen die Privilegien der Kirche im April 2013 gipfelte.32 Er ließ die Kirchen zusammenrücken und schärfte deren Sensibilität für die Religionsfreiheit der anderen33 und für wechselseitige Solidarität – gerade auch gegenüber jenen Minderheitskirchen, die sich als Freiwilligkeitskirchen verstanden und von ihren Mitgliedern eine erhöhte Bekenntnisbereitschaft einforderten. Ein wichtiger Impuls war von dem Beschluss der 11. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) am 22. Juli 2010 in Stuttgart ausgegangen, der zur Versöhnung mit dem „linken Flügel der Reformation“ (Heinold Fast) aufgerufen 28 Peter Krömer, Zur Problematik unterschiedlicher Rechtsvorschriften für Religionsgemeinschaften, in: öarr 57 (2010) S. 198 – 221. 29 Peter Krömer, Kirchen für Religionsfreiheit und Minderheitenschutz in Europa, in: Michael Bünker (Hrsg.), Evangelische Kirchen und Europa, Wien 22006, S. 73 – 89; Ders., The Fundamental Right to Freedom of Religion, in: Elizabeth Kitanovic´ (Hrsg.), European Churches Engaging in Human Rights, Brüssel 2012, S. 26 – 32. 30 BGBl. II Nr. 250/2013 – dazu Stefan Schima, Die wichtigsten religionsrechtlichen Regelungen des Bundesrechts und des Landesrechts, Jahrgang 2013, in: öarr 65 (2018) S. 45 – 90, hier S. 83 f. 31 Helmut Nausner, Können Landeskirchen und Freikirchen voneinander lernen? In: Michael Bünker (Hrsg.), Evangelische Kirchen und Europa, S. 107 – 111, 111; Körtner, Ökumenische Kirchenkunde (Anm. 9), S. 336 ff. 32 Walter Hagel/Raoul Kneucker/Christine Mann, Privilegien? Stellungnahme zum sogenannten „Antikirchenvolksbegehren“, in: HK 67 (2013) S. 221 f. 33 Dieter Witschen, Kirche: Akteurin dank Religionsfreiheit – Anwältin für Religionsfreiheit, in: MThZ 61 (2010) S. 108 – 119; Heinrich Schneider, Begrüßungsworte, in: öarr 57 (2010) S. 178 f.
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hatte34 und auch hierzulande die Evangelische Kirche zu einer umfassenden historischen, theologischen und soziologischen Analyse ihrer Beziehungen, besser: ihres „Unverhältnisses“35 zu den Freikirchen veranlasste – nota bene mit Ausnahme der Baptisten, zu denen im Rahmen der Evangelischen Diakonie eine langjährige Partnerschaft besteht, die nun auch auf der Ebene der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) theologisch vertieft werden konnte.36 Schwieriger gestaltete sich das Gespräch mit dem Bund evangelikaler Gemeinden, der sich mit Nachdruck auf seine freikirchlichen Wurzeln im 16. Jahrhundert beruft37, obwohl der Evangelikalismus aus entschieden anderen theologiegeschichtlichen Bedingungen erwachsen ist.38 Er bedient sich dabei des ihm nahe stehenden „Hutterischen Geschichtsvereins“, der diese täuferische Tradition pflegt und sowohl in Tirol (Jakob Hutter)39 als auch in Niederösterreich (Täufermuseum Niedersulz40) und Wien (Gedenktafeln für Balthasar Hubmaier41 und Konrad Grebel) auf diese freikirchliche Kontinuität verweist.
34
VELKD-Informationen Nr. 130/2010, S. 68 – 70. Walter Fleischmann-Bisten, Landeskirchen und Freikirchen in Deutschland. Veränderungen und Herausforderungen eines Unverhältnisses, in: MD 60 (2009) 1, S. 3 – 9. 36 Uwe Swarat, Zusammenarbeit in Zeugnis und Dienst. Die Europäische Baptistische Föderation (EBF) und die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) beschließen Kooperation, in: ÖR 60 (2011) S. 207 – 211. 37 Fritz Börner, Freikirchlicher Gemeindebau in Österreich: Eine Untersuchung der Gemeinden der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Gemeinden in Österreich (ARGEGÖ), mit einem historischen Rückblick in Kirchengeschichte und die Geschichte der Bekennergemeinden auf österreichischem Boden, Linz 1989. 38 Erich Geldbach, Evangelikalismus. Versuch einer historischen Typologie, in: Reinhard Frieling (Hrsg.), Die Kirche und ihre Konservativen. „Traditionalismus“ und „Evangelikalismus“ in den Konfessionen, Göttingen 1984, S. 52 – 83; Siegfried Hermle, Die Evangelikalen als Gegenbewegung, in: Ders./Claudia Lepp/Harry Oelke (Hrsg.), Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er- und 1970er-Jahren, Göttingen 2007, S. 325 – 352; Frank Hinkelmann, Die Evangelikale Bewegung in Österreich. Grundzüge ihrer historischen und theologischen Entwicklung 1945 – 1998, Bonn 2014, S. 12 ff.; Ders., Die Evangelikale Bewegung in Österreich – ihre historische und theologische Entwicklung seit 1945, in: FF 27 (2018) S. 82 – 100. 39 Astrid von Schlachta/Elinor Forster/Giovanni Marola (Hrsg.), Verbrannte Visionen? Erinnerungsorte der Täufer in Tirol (= Series. Die Geschichte der „Anderen“ 1), Innsbruck 2007. 40 Reinhold Eichinger/Josef F. Enzenberger, Täufer, Hutterer und Habaner in Österreich, Nürnberg 22011. 41 Franz Graf-Stuhlhofer (Hrsg.), Frisches Wasser auf dürres Land. Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Bundes der Baptistengemeinden in Österreich (= Baptismus-Studien 7), Kassel 2005, S. 207. 35
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Eine solche Kontinuität zum 16. Jahrhundert kann aber nur die Mennonitische Freikirche beanspruchen42, denn auch der Baptismus leitet sich nicht vom Täufertum des 16. Jahrhunderts ab.43 Die von Joseph II. in den 1780er-Jahren in Galizien angesiedelten Mennoniten stammten aus der Kurpfalz, ursprünglich aus der Schweiz44, sie waren reichsrechtlich nicht geschützt, denn das Reichsreligionsrecht verbat eine weitere Aufsplitterung der Religion (IPO VII § 2). Galizien lag außerhalb des Reiches, sodass deren Ansiedlung gegen den Willen der Wiener Hofkanzlei auf ausdrückliche Befürwortung des Kaisers erfolgte. Die Mennoniten hatten sich durch ihre Ablehnung der Eidesleistung und des Kriegsdienstes an den Rand der Gesellschaft manövriert, ja durch die Verweigerung der Kindertaufe die gesellschaftliche Ordnung an einer äußerst sensiblen Stelle aufgehoben, denn die Taufe war ein konstituierendes Element der Reichsbürgerschaft. Deshalb wurden die Täufer aus politischen Gründen verfolgt – und zwar sowohl von den Altgläubigen als auch den Neugläubigen, die durch die Radikalität der täuferischen Forderungen ihren Weg der Reformation kompromittiert sahen und deshalb die staatlichen Verfolgungsmaßnahmen unterstützten. Ein Reichsmandat verhängte 1528 die Todesstrafe auf die „Wiedertaufe“.45 Der bedeutendste Theologe Balthasar Hubmaier, der mit seiner Schrift „Vom christlichen Tauf der Gläubigen“ (1525) die Einführung der Glaubens- und Bekenntnistaufe theologisch untermauert hatte und aufgrund seiner Schrift „Von Ketzern und ihren Verbrennern“ (1524) als einer der Väter des modernen Toleranzgedankens anzusprechen ist, er wurde 1528 beim Wiener Stubentor hingerichtet.46 Die josephinische Toleranz gegenüber den Mennoniten beschränkte sich auf deren theologische Sonderlehren, die um den Preis eines Milizgeldes bzw. eines Handschlags (als eidesstattliche Erklärung) gewährt wurde, nicht jedoch die rechtliche Konstituierung einer selbständigen Kultusgemeinde umfasste; sie wurden vielmehr zu den evangelischen Religionsverwandten gezählt, deren Pastor für die Matrikenführung verantwortlich war. Am 24. November 1908 erfolgte die staatliche Genehmigung eines Gemeindestatuts der Mennoniten durch den Kultusminister, sozusagen der erste Schritt eines Anerkennungsverfahrens, aber eine gesetzliche Anerkennung war damit noch nicht verbunden. Der Versuch, an diesem Punkt anzu-
42 Karl W. Schwarz, Sie reden „fast ganz in den Ausdrücken der Bibel“: Mennoniten in Galizien und Österreich, in: Ulrike Aichhorn/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia Iuris et Historia. Festschrift für Peter Putzer zum 65. Geburtstag, Egling/Paar 2004, S. 1039 – 1064. 43 Andrea Strübing/Martin Rothkegel (Hrsg.), Baptismus. Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, S. VIII. 44 Isabel Röskau-Rydel (Hrsg.), Galizien – Bukowina – Moldau (= Deutsche Geschichte im Osten Europas), Berlin 1999, S. 63. 45 Astrid von Schlachta, Die Täuferbewegung in Österreich, in: FF 27 (2018) S. 26 – 38, hier S. 28. 46 Martin Rothkegel, Von der Schönen Madonna zum Scheiterhaufen. Gedenkrede auf Balthasar Hubmaier, verbrannt am 10. März 1528 in Wien, in: JGPrÖ 120 (2004) S. 49 – 73.
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knüpfen und das Anerkennungsverfahren fortzusetzen, schlug fehl.47 Denn Kultusamt und Verwaltungsgerichtshof folgten dieser Überlegung nicht48, sondern lehnten eine gesamtösterreichische Relevanz der auf Galizien bezogenen Toleranz ab und erblickten in der Mennonitengemeinde eine autokephale Bildung innerhalb der Evangelischen Kirche, die sich in korporativer Hinsicht nicht verfestigt hatte.
IV. Die gesetzliche Anerkennung der Freikirchen Mit seinem Schriftsatz konnte Peter Krömer 2012 die Bedingungen der gesetzlichen Anerkennung (§ 11 Abs. 1 – 4 BekGG) nachweisen (bei einem Mitgliederbestand von insgesamt knapp 20.000 Mitgliedern), die positive Grundeinstellung gegenüber der Gesellschaft und dem Staat Österreich garantieren und ein störungsfreies Verhältnis zu den übrigen Kirchen und Religionsgesellschaften in Österreich behaupten, das im Rahmen eines durchgeführten Begutachtungsverfahrens auch bestätigt wurde. Kritisiert wurde lediglich der Name dieser nunmehr anerkannten Kirche.49 Im Unterschied zu den Vorschlägen des Kultusamtes („Verband täuferischer, pfingstlerischer und evangelikaler Freikirchen“ oder „Vereinigung protestantischer Freikirchen“) verlangten die Anerkennungswerber als Name lediglich den Gattungsbegriff „Freikirchen“ im Plural, um die Polyphonie des Zusammenschlusses kenntlich zu machen. Dadurch wurde freilich eine erhebliche Verwechslungsgefahr geschaffen, denn sie übersieht ganz bewusst, dass es auch außerhalb dieser exklusiven Neugründung Freikirchen gibt. Hier ist auf den Adventismus hinzuweisen, der seit 1903 in Wien seine Wirksamkeit entfaltet und in Bogenhofen/Oberösterreich eine anerkannte konfessionelle Privatschule unterhält.50 In Deutschland haben sich die Adventisten der Vereinigung Evangelischer Freikirchen angeschlossen, aber hierzulande wurde eine Mitwirkung in der freikirchlichen Union nicht erwogen.51
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Karl W. Schwarz, Die Mennonitische Freikirche und ihre historische Anerkennung, in: öarr 51 (2004) S. 149 – 165. 48 Erk VwGH 20. 9. 2012, 2010/10/0230 – mit Kommentar von Karl W. Schwarz, in: öarr 60 (2013) S. 197 – 206. 49 Brigitte Schinkele, Gesetzliche Anerkennung der „Freikirchen in Österreich“ aus religionsrechtlicher Sicht, in: öarr 60 (2013) S. 357 – 363, hier S. 360. 50 Daniel Heinz, Repression, Toleranz und Legalität: Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich. Geschichte, Organisation und Wachstum einer Minderheitenkirche, in: öarr 48 (2001) S. 323 – 344; Ders., Kein Platz zwischen Thron und Altar. Freikirchliche Mission in Altösterreich (bis 1918) am Beispiel der Adventisten, in: FF 27 (2018) S. 39 – 54. 51 Oliver Fichtenberger, Die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich und die Frage der gesetzlichen Anerkennung, in: öarr 60 (2013) S. 389 – 394.
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V. Zum Selbstverständnis der Freikirchen Von den bestimmenden Elementen, welche die Integration der fünf Gemeindebünde zur freikirchlichen Union beförderten, ist hier vornehmlich die freiwillige Mitgliedschaft, die Ablehnung der Kindertaufe sowie die Distanz zum Staat ins Auge zu nehmen. Geben diese das Selbstverständnis einer Freikirche wieder? Der Rückbezug auf die Geschichte der Täufer im 16. Jahrhundert mag eine Wurzel freilegen, ist aber kein notwendiges konstitutives Merkmal der Freikirchen.52 Begrifflich oszilliert er zwischen der Freiheit und Ungebundenheit gegenüber dem Staat und der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft.53 Konnte eine Allianzkonferenz der Prediger der freien reformierten Kirche, der Baptisten und Methodisten am 15. März 1900 in Wien vollmundig proklamieren, dass eine Kirche mit der staatlichen Anerkennung „alles [verliere], was ihr Kraft verleiht“54, um die Schlussfolgerung zu ziehen:55 „Einer Kirche Christi sei es unwürdig staatliche Anerkennung nachzusuchen“, so haben zahlreiche Versuche, diese Anerkennung zu erlangen, das zitierte Anliegen der Allianzkonferenz konterkariert. Die Reformierte Freikirche in Böhmen, die nach dem Vorbild der Free Presbyterian Church of Scotland gebildet wurde56, hat sofort nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie im neuen tschechosloˇ eskobratrská erhalten.57 Die Mewakischen Staat diese Anerkennung als Jednota C thodisten hatten schon 1892 einen Antrag gestellt, der mit Bescheid vom 30. 6. 1896 aber abgelehnt wurde, weil im 20. Artikel ihres von John Wesley nach anglikanischem Vorbild und dem Heidelberger Katechismus erarbeiteten Bekenntnis eine abfällige Bemerkung über das Messopfer der römisch-katholischen Kirche enthalten war und dies als „Beleidigung einer gesetzlich anerkannten Kirche“ zu bewerten war. 1906 stellten die Baptisten erstmals einen Antrag, er verlief aber wie etliche andere im Sand. Die Freikirchen wurden nicht nur als landfremd und abhängig von einer im Ausland befindlichen Kirchenleitung stigmatisiert, sie wurden vom langjäh-
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So Christoph Raedel, Die evangelisch-methodistische Kirche ist eine Freikirche, in: FF 27 (2018) S. 68 ff. gegen die These von Helmut Nausner, Die Evangelisch-methodistische Kirche ist keine Freikirche, ebd. S. 55 ff. – dazu auch Körtner, Ökumenische Kirchenkunde (Anm. 9), S. 241 ff. 53 Martin Rothkegel, Freikirchen. Zur Entwicklung eines Begriffs, in: Ralf Dziewas/Sebastian Gräbe/Andrea Klimt (Hrsg.), Nah bei den Menschen. Impulse für Gemeindetheologie, Gemeindeentwicklung und Seelsorge (Festschrift für Olaf Kormannshaus zum 65. Geburtstag), Kassel 2015, S. 36 – 42. 54 Alois Adlof, Gesetzliche Stellung der staatlich nicht anerkannten Religionsgesellschaften in Österreich, Budapest 1900, S. 6. 55 Ebd. (Anm. 54). 56 Pavel Filipi, Die Erweckungsbewegung in Ostmitteleuropa, in: Ulrich Gäbler (Hrsg.), Der Pietismus im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 359 – 369. 57 ˇ eské republice/Die Brüderkirche in der Tschechischen Pavel Cˇ erny´, Cirkev bratrské v C Republik, in: Johannes Demandt (Hrsg.), Freie Evangelische Gemeinden, Göttingen 2012, S. 149 – 158.
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rigen Leiter der Kultusverwaltung Max Hussarek als „unerwünschter Import“ des Getriebes „amerikanischen Sektenunwesens“ denunziert.58 Auf der einen Seite dominierten die Frustrationserlebnisse, die dazu führten, dass die Freikirchen gegen das österreichische Kultusrecht opponierten und auf die grundlegenden Freiheitsrechte in den USA verwiesen, ja mit missionarischem Eifer die dortige „Trennung von Staat und Kirche“ als Lösung anpriesen. Mit dieser Prägung hing auch zusammen, dass eine neu gewählte Bundesleitung der Baptisten ein kurz vor dem Abschluss stehendes Anerkennungsverfahren, dem praktisch nur mehr die ministerielle Signatur fehlte, stoppte.59 Plötzlich war in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Vorstellung lebendig, die zu finalisierende gesetzliche Anerkennung wäre der perhorreszierte „Sündenfall“ einer Freikirche. Nun erhebt sich natürlich die Frage, ob die gesetzliche Anerkennung und damit verbunden der Erwerb der Körperschaftsqualität öffentlichen Rechts mit der von den Freikirchen propagierten „Distanz zum Staat“ vereinbar ist – oder ob ihr ein Kompromiss zugrunde liegt, der aus pragmatischen Gründen zu schließen war, um die faire Chance wahrzunehmen, jenes „Privilegienbündel“ (in der Sprache des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: „substantive privileges“60) in Anspruch zu nehmen, welches den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften vorbehalten ist – in erster Linie: die Erteilung des Religionsunterrichts an den österreichischen Schulen.61
VI. Anmerkungen zum Baptismus Die betroffenen Baptisten verloren ihre oben beschriebene Pole-Position, als das BekGG 1998 die Rahmenbedingungen für das Anerkennungsverfahren veränderte und sämtliche Ansuchen rückwirkend in ein zweistufiges Verfahren presste, ihnen 58 Max von Hussarek-Heinlein, Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Republik Österreich, in: Alois Hudal (Hrsg.), Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken, Kämpfen und Hoffen, Innsbruck u. a. 1931, S. 27 – 40, hier S. 29. 59 Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser auf dürres Land (Anm. 41), S. 207 ff., hier S. 211; Ders., Baptisten und Österreicher – ein Widerspruch?, in: öarr 47 (2000) S. 127 – 144, 138. 60 Straßburger Leiturteil EGMR 31.7. 2008, 40.825/98 (Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas und andere/Österreich) – dazu Brigitte Schinkele, Die öffentlich-rechtliche Stellung von Religionsgemeinschaften, in: öarr 56 (2009) S. 358 ff., 363. 61 Brigitte Schinkele, Religionsunterricht – ein Privileg der Kirchen und Religionsgesellschaften? In: Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Historische und rechtliche Aspekte des Religionsunterrichts, Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 191 – 208; Werner Jisa, Freikirchen in Österreich und Schule, in: öarr 60 (2013) S. 364 – 373; Armin Wunderli, Kritische Anfragen und Erwartungen an den Religionsunterricht aus Sicht der Freikirchen in Österreich, in: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog (= Religion und Staat im Brennpunkt 2), Innsbruck 2017, S. 139 – 146; Wilhelm Rees, Rechtliche Rahmenbedingungen für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Österreichs, in: ÖRF 26 (2018) 2, S. 47 – 68, hier S. 51 ff.
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zunächst den Status einer staatlich registrierten Bekenntnisgemeinschaft einräumte, dem nach einer Beobachtungsphase bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen (Zweipromille-Klausel62) die gesetzliche Anerkennung folgen sollte. Da nutzte es nichts, auf die große weltweite Verbreitung des Baptismus hinzuweisen63, auf die bewegende Geschichte, die mit dieser Glaubensgemeinschaft verbunden ist. Sie reicht vom englischen Nonkonformismus, dem linken Flügel des Puritanismus über Separatisten wie John Smyth und Thomas Helwys, die im Amsterdamer Exil 1609 die erste baptistische Gemeinde gründeten, über die Pilgerväter (Pilgrim Fathers), die auf der Mayflower 1620 in die neue Welt emigrierten, weil sie in Europa den Glaubenszwang nicht länger ertrugen, bis zu Roger Williams. Sie vertraten eine konsequent kongregationalistische Lehre, lehnten jedwede der versammelten Gemeinde (congregation) übergeordnete kirchliche Autorität (Bischof in der römisch-katholischen Kirche und in der anglikanischen Kirche, aber auch die Synode in der Reformierten und Presbyterianischen Kirche) ab, ebenso die von katholischer und anglikanischer Seite vertretene successio apostolica. Sie vollzogen die Glaubenstaufe, verstanden das Abendmahl als Erinnerungsmahl und legten großen Wert auf die Kirchenzucht, sie wehrten sich gegen jedweden staatlichen Einfluss auf die Kirche und sahen in der Einzelgemeinde die Versammlung der Gläubigen, die durch die gemeinsame Auslegung der Hl. Schrift und im Vertrauen auf die Führung durch den Hl. Geist in der Lage ist, autonome Kirche zu sein. Auf den Dissenter Roger Williams geht die amerikanische Trennungsphilosophie zurück.64 Der erste Zusatz zur Verfassung der USA (First amendment), dass der Kongress kein Gesetz erlassen dürfe, das die Etablierung einer Religion zum Gegenstand habe (establishment clause) oder die freie Religionsausübung verbiete (free exercise clause), folgte seinen Überlegungen. In Österreich waren Handwerker die ersten Boten65, die den Baptismus in Hamburg nach der Brandkatastrophe 1842 beim Wiederaufbau kennen gelernt hatten und als Missionare nach Wien zurückkehrten und hier in geheimen Hausversammlungen (erste baptistische Haustaufe 1847) wirkten, bis sie ausgewiesen wurden. Als wichtiger Gemeindegründer wird in der Literatur Edward Millard, Direktor der British
62 Karl W. Schwarz, Das Anerkennungsrecht aus der Sicht der Kultusbehörde, in: öarr 57 (2010) S. 228 – 236. 63 Erich Geldbach, Baptisten, in: Markus Mühling (Hrsg.), Kirchen und Konfessionen (= Grundwissen Christentum 2), Göttingen 2009, S. 132 – 152; Körtner, Ökumenische Kirchenkunde (Anm. 9), S. 236 – 240. 64 Thomas Gerrith Funke, Die Religionsfreiheit im Verfassungsrecht der USA (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 45), Berlin 2006. 65 Gottfried Rabenau, Österreichischer Baptismus. Von der Wegbereitung durch kirchliche Reformbewegungen zur Entstehung und Entwicklung der österreichischen Baptistengemeinden, masch. Abschlussarbeit theol. Seminar Hamburg 1981, S. 29 ff.; Emanuel Wieser/Franz Graf-Stuhlhofer, „Die Baptisten“, in: Johann Hirnsperger u. a. (Hrsg.), Wege zum Heil (= Theologie im kulturellen Dialog 7), Graz 2001, S. 25 – 42.
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and Foreign Bible Society und Mitglied der Evangelischen Allianz genannt66, der 1849 nach Wien kam, um die Bibelverbreitung aufzubauen. Die Erlaubnis dazu wurde aber zurückgezogen und die Behörden ließen die Bibeldepots schließen, Millard des Landes verwiesen, nachdem zu Ostern 1851 eine Hausdurchsuchung in Wien die Beschlagnahmung von Bibeln und Literatur und die Inhaftierung der Teilnehmer zur Folge hatte. Erst 1861 wurde infolge des Protestantenpatents evangelisch-religiöse Literatur erlaubt. Im Jahr 1867 erfolgte aufgrund der verfassungsrechtlich gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 16 StGG: häusliche Religionsübung67) die Gründung der ersten „Gemeinde getaufter Christen in Wien“. Die Eröffnung eines Betsaales wurde allerdings behördlich untersagt und erst nach Intervention im Kultusministerium eine außerhäusliche Religionsübung mit Beschränkung auf geladene Gäste und unter Ausschluss schulpflichtiger Kinder erlaubt. Der Friedensvertrag von St. Germain erbrachte 1919 zwar die Aufhebung von Art. 16 StGG und damit die öffentliche Religionsübung für jedermann auf individualrechtlicher Ebene, aber keine korporationsrechtliche Anerkennung (Art. 15 StGG), um die seit 1906 angesucht wurde.68 Immerhin konnte der Hilfsverein der Baptisten Österreichs gegründet werden, eine vereinsrechtliche Hilfskonstruktion, auf der die 1924 gebildete Baptistengemeinde Mollardgasse basierte.69 Die Lehre der Baptisten baut sich auf sechs Prinzipien (Baptist Principles) auf, zu ersehen an der in den 70erJahren erarbeiteten „Rechenschaft vom Glauben“.70 Sechs Prinzipien (Baptist Principles): 1. Orientierung an der Bibel als einziger Quelle der Gotteserkenntnis sowie Regel und Richtschnur für Glauben und Leben. – 2. Aufnahme von Mitgliedern nur aufgrund eines Bekenntnisses zu Jesus Christus. – 3. Ablehnung der Kindertaufe, nur Glaubenstaufe; Verbindung von Taufe und Gemeindemitgliedschaft; Wassertaufe [Untertauchen] und Geisttaufe gehören zusammen. – 4. Hochschätzung des Priestertums der Gläubigen, daher keine Hierarchie trotz geistlicher Dienste und Ämter, von denen Frauen vielfach noch ausgeschlossen sind („mulier taceat in ecclesia“), auch wenn sie zu öffentlichen Reden beim Glaubens- und Sündenbekenntnis und Zeugnis befugt werden; es besteht der Dienst männlicher und weiblicher Diakone, auch die Ordination der Frauen in einzelnen Gemeinden.71 – 5. Die Selbständigkeit der Ortsgemeinde (= Kirche) wird betont, daher gibt es keinen mit besonderen Befugnissen ausgestatteten „kirchlichen Überbau“, aber doch gemeindeübergreifende Strukturen aus unvermeidlichen orga66 Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser auf dürres Land (Anm. 41), S. 18 ff.; Frank Hinkelmann, Geschichte der Evangelischen Allianz in Österreich (= Studien zur Geschichte christlicher Bewegungen reformatorischer Tradition in Österreich 1), Bonn 2006, S. 24. 67 Christoph Grabenwarter, Kommentar zu Art. 16 StGG, in: Karl Korinek/Michael Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 7. Lieferung, Wien 2005. 68 Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser auf dürres Land (Anm. 41), S. 143. 69 Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser auf dürres Land (Anm. 41), S. 38. 70 Graf-Stuhlhofer, Baptisten und Österreicher (Anm. 59), S. 133 ff. 71 Graf-Stuhlhofer, Frisches Wasser auf dürres Land (Anm. 41), S. 144 f. – zur Frauenordination als Streitfrage.
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nisatorischen Gründen. Alle der Kirche Christi verliehenen Vollmachten sind in der Gemeinde vorhanden. – 6. Forderung nach Glaubens-, Gewissens- und Versammlungsfreiheit für jedermann – Trennung von Kirche und Staat. Der Einsatz für die Religionsfreiheit gilt als ein spezielles Identitätsmerkmal des Baptismus.72 Der Baptismus versteht sich als evangelische kongregationalistische Freikirche73, in der theologisch ausgebildete Pastoren wirken, die entweder die Hochschule in Elstal bei Berlin absolvieren oder neuerdings an der Freien Universität in Amsterdam, aber auch an der Wiener Evangelisch-theologischen Fakultät ihren Studien obliegen. Die Mitgliedschaft erfolgt aufgrund einer Glaubenstaufe und persönlichen Bekenntnisses zum erfahrenen Heil in Jesus Christus, durch Aufnahme oder Überweisung durch bekenntnisverwandte Gemeinden. Ein Ende der Mitgliedschaft wird durch Überweisung, Austritt, Ausschluss, Streichung aufgrund eines Beschlusses der örtlichen Gemeinde oder durch Tod gesetzt. Frauen können Ältestenamt wahrnehmen, sind jedoch in Österreich noch nicht als Pastoren tätig. Als Vertretungs- und Verwaltungsorgane sind die Gemeindeversammlung, der die Genehmigung des Haushaltsplanes obliegt, und die Gemeindeleitung tätig. Der von der örtlichen Gemeinde nach Anhörung der Bundesleitung berufene Pastor leistet gemeinsam mit den Gemeindeältesten den Predigt- und Lehrdienst, Seelsorge, die Krankenbesuche und den Religionsunterricht. Die Ordination wird als Akt der Fürbitte, der Segnung und des Zeichens für die herausgehobene Verantwortung dieses Dienstes vollzogen. Die aus Ältesten und Diakonen bestehende Gemeindeleitung wird von der Gemeindeversammlung gewählt. Die Ausgaben der Gemeinde und die Entlohnung der Mitarbeiter werden durch freiwillige Beiträge der Mitglieder finanziert. Der „Zehnte“ (10 % des Einkommens) gilt als biblische Regel, wird aber nicht eingefordert, sondern nur empfohlen. Baptisten waren an der Gründung der Evangelischen Allianz 1846 beteiligt74, sie arbeiten in freikirchlichen Zusammenschlüssen mit, in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland, in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die Baptist World Alliance ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und führt Dialoge auf Weltebene mit dem Reformierten Weltbund (RWB: 72 Andrea Strübind/Martin Rothkegel (Hrsg.), Baptismus: Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2011, S. IX; Martin Rothkegel, Freiheit als Kennzeichen der wahren Kirche. Zum baptistischen Grundsatz der Religionsfreiheit und seinen historischen Ursprüngen, in: Strübind/Rothkegel, Baptismus (Anm. 72), S. 201 – 225; Anthony Peck, Grußwort, in: Michael Bünker/Bernd Jäger (Hrsg.), Frei für die Zukunft. Evangelische Kirchen in Europa/Free for the Future. Protestant Churches in Europe. Texte der 7. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (…) in Florenz 2012, Leipzig 2013, S. 165 – 168, hier S. 167. 73 Verfassung des Bundes der Baptistengemeinden, in: öarr 47 (2000) S. 103 – 126; Revision 2000, in: öarr 47 (2000) S. 500 – 501 – dazu Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 662 f. 74 Dietrich Fischer-Dörl, Baptisten als Teil der Christenheit, in: öarr 47 (2000) S. 145 – 149.
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1973 – 1977), mit der Römisch-katholischen Kirche (1984 – 1988, sowie 2006 – 2010), mit dem Lutherischen Weltbund (LWB 1986 – 1989 – mit der Empfehlung einer wechselseitigen Anerkennung als Gemeinschaften innerhalb der Kirche Christi), der Weltkonferenz der Mennoniten (1989 – 1992) und der Anglikanischen Gemeinschaft (2000 – 2005). In Österreich sind die Baptisten mit beratender Stimme im ÖRKÖ vertreten und wirken bei der Diakonie Österreich mit. Bei den Dialoggesprächen der Europäischen Baptistischen Föderation mit der GEKE 2002 – 2004 wurde über Wunsch der Baptisten eine assoziierte Mitgliedschaft in der GEKE verhandelt, sie wurde von dieser (Brüssel 2007) aus Gründen ihres Selbstverständnisses als Kirchengemeinschaft zurückgewiesen. Es kam aber in Rom 2010 eine Vereinbarung zwischen EBF und GEKE zustande, „miteinander kooperierende Körperschaften zu werden“75 – ein theologisches Anliegen, dem mit einem Agreement of Mutual Cooperation Rechnung getragen wurde.76 Ein Konsens in der Sakramentstheologie steht aber noch aus. Wie schon im Falle der Leuenberger Konkordie, dem Kerndokument der GEKE77, und der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre könnte die Methode des differenzierten Konsenses auch bei der Suche nach einem Konsens in der gegenseitigen Taufanerkennung zur Anwendung kommen. Sie geht davon aus, dass traditionelle konfessionelle Gegensätze nicht länger als sich gegenseitig ausschließend angesehen werden müssen, wenn eine Vereinbarkeit der theologischen Anliegen auf beiden Seiten erkennbar ist und wenn gezeigt werden kann, dass sich die traditionellen Gegensätze als legitime Unterschiede auf Basis des Gemeinsamen relativieren lassen.78 Das muss keineswegs bedeuten, dass einem Relativismus das letzte Wort überlassen wird, vielmehr ist im Dialog mit dem Baptismus auf europäischer Ebene eine jener herausfordernden Selbstverpflichtungen zu erkennen, die den beteiligten Kirchen aufgetragen sind, um der Charta Oecumenica gerecht zu werden.79 In diesem Zusammenhang muss wohl auch die dringliche Aufforderung an die Adresse der Freikirchen verstanden werden, dass sie ihre gelegentlich artikulierten Vorbehalte gegen den Ökumenismus nach ihrer gesetzlichen Anerkennung überwinden und die Charta Oecumenica als Basistext des interkonfessionellen Miteinanders rezipieren.
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Martin Friedrich/Tony Peck, Cooperation in Witness and Service. Europe’s Baptists and the CPCE (Community of Protestant Churches in Europe = GEKE) agree to become mutually cooperating bodies, in: focus 12 (2010) 4, S. 2 – 4. 76 Michael Bünker/Bernd Jäger (Hrsg.), Frei für die Zukunft. Evangelische Kirchen in Europa/Free for the Future. Protestant Churches in Europe, Leipzig 2013, S. 208 – 214. 77 Körtner, Ökumenische Kirchenkunde (Anm. 9), S. 305 ff. 78 Dazu Ulrich H. J. Körtner, Wohin steuert die Ökumene? Vom Konsens- zum Differenzmodell, Göttingen 2005, S. 15 ff. 79 Michael Bünker, Wegweiser in die Zukunft, in: Begegnung und Inspiration, S. 268 – 274, hier S. 273.
VIII. Vergleichendes Religionsrecht und das Verhältnis von Staat und Kirche
Neueste Judikatur zum EU-Beihilfenrecht: keine Berücksichtigung religiöser Besonderheiten Von Burkhard Josef Berkmann Der Jubilar, dem dieser Beitrag gewidmet ist, begleitete in den Jahren 2002 – 2006 mit Engagement eine Doktorarbeit des Verfassers, die sich mit dem Verhältnis von Kirche und EU befasste. Unvergesslich sind die Forschungsseminare, in denen unter anderem darüber diskutiert wurde, ob die These Robbers’, dass die EU staatskirchenrechtlich blind sei,1 noch aufrechterhalten werden könne oder zumindest in Zukunft revidiert werden müsste. Es handelte sich damals um eine Zeit, in der die EU noch Beitritte verzeichnen konnte und ein Austritt fern jeder Vorstellungskraft lag. Vor allem aber gab das Projekt eines EU-Verfassungsvertrags Anlass zu der Hoffnung, dass sich die EU noch mehr von einer reinen Wirtschafts- zu einer Wertegemeinschaft weiterentwickeln würde und das Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften darin seinen Platz fände. In der Tat ist das EU-Recht in dieser Hinsicht seither beachtlich gewachsen. Durch den Vertrag von Lissabon vom 13. 12. 2007 fand das religiöse Erbe Europas Erwähnung in der Präambel des EUV, wurde ein neuer Kirchen- und Religionsartikel im AEUV geschaffen und wurde die GRCH mit ihrer Verbürgung der Religionsfreiheit und der religiösen Vielfalt ins Primärrecht aufgenommen. Somit bietet es sich nun an, erneut zu fragen, ob die EU ihre Kirchenblindheit abgelegt hat. In jüngster Zeit wurden besonders jene Urteile des EuGH kritisch beleuchtet, die das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland2 bzw. das Feiertagsrecht in Österreich3 betrafen. Oft wird übersehen, dass ein weiterer Sektor des EURechts das kirchliche Wirken massiv beeinflusst: das Wettbewerbsrecht. Dieses hat nämlich starke Auswirkungen auf die gemeinnützigen Dienste und karitativen Tätigkeiten der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Auch dazu liegen zwei rezente Urteile des EuGH vor, die in diesem Aufsatz näher untersucht werden.
1 Gerhard Robbers, Europarecht und Kirchen, in: HdbStKR2 I, S. 315 – 332, hier S. 318: „die Gefahr unbemerkter oder zu spät entdeckter Überwucherung des gewachsenen Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland durch staatskirchenrechtsblinde Regelungen der Europäischen Union. Die Kirchen haben es auf dieser Ebene keineswegs mit einem kirchenfeindlichen, wohl aber mit einem kirchenindifferenten Normgeber zu tun“. 2 EuGH Rs. C-414/16 Egenberger (17. 04. 2018) und Rs. C-68/17 Chefarzt (11. 09. 2018). 3 EuGH Rs. C-193/17 Cresco Investigation GmbH/Markus Achatzi (22. 01. 2019).
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I. Vielfalt der Sozialsysteme in europäischen Ländern Die Sozialsysteme sind in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr unterschiedlich gestaltet. Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder werden soziale Dienste von privaten Unternehmen („économie sociale“) oder durch staatliche Einrichtungen erbracht. Deutschland beschritt mit dem System der freien Wohlfahrtspflege einen Mittelweg. Soziale Dienste werden hier zu einem großen Teil von gemeinnützigen Wohlfahrtsträgern erbracht, die eine relativ große Autonomie genießen, aber auch staatlich rückgebunden sind.4 Hier existiert also neben dem öffentlichen und dem privaten Sektor ein dritter – eben gemeinnütziger – Sektor.5 Dieser bietet religiös motivierten Organisationen ein weites Betätigungsfeld.6 Zum Beispiel wird in Deutschland ein Drittel aller Krankenhäuser von Kirchen betrieben.
II. Religiöse Motivation für soziales Engagement Religiöse Organisationen bringen eine besondere Motivation zur Ausübung sozialer Tätigkeiten mit.7 Als Beispiel kann das theologische Verständnis der römisch-katholischen Kirche genannt werden, demzufolge die karitative Tätigkeit einen Grundvollzug des Glaubens darstellt.8 Sie lässt ihre sozialen Dienste allen Be4 für Deutschland: Evangelisch-katholische Arbeitsgruppe (Hrsg.), Der Dritte Sektor unter dem EU-Recht – Überlegungen zu aktuellen Herausforderungen im Bereich sozialer Dienstleistungen in Europa, in: KuR 140, S. 59 – 68, hier S. 66; für Österreich: Petra Gantner, Die verbandliche Caritas in Österreich – eine staatskirchenrechtliche Bestandsaufnahme, Linz 1998, S. 135 f. 5 Vgl. John Temple Lang, Privatisation of Social Welfare: European Union Competition Law Rules, in: Eleanor Spaventa/Michael Dougan (Hrsg.), Social Welfare and EU Law, Oxford 2005, S. 45 – 77, hier S. 77. 6 Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahtspflege (Hrsg.), Memorandum „Zivilgesellschaftlicher Mehrwert gemeinwohlorientierter sozialer Dienste“, online unter: https://www.bagfw.de/fileadmin/user_upload/Europa/Publikationen/2004_10_Memoran dum.pdf, S. 3 – 4: „Die Wertgebundenheit der Wohlfahrtsverbände und ihrer Dienste und Einrichtungen stellt den Kern des zivilgesellschaftlichen Mehrwerts gemeinwohlorientierter sozialer Dienste dar. Sie ist Ausdruck einer Verfassungspraxis, in der der Staat humanitär, weltanschaulich und religiös geprägten gesellschaftlichen Gruppen und damit einer unterschiedlich motivierten sozialen Praxis breiten Raum gibt“ (eingesehen am 23. 07. 2019). 7 BAGFW, Memorandum (Anm. 6), S. 3: „Soziale Dienste der Wohlfahrtsverbände unterscheiden sich vor allem durch die Wertgebundenheit der Träger und ihrer Verbände von den sonstigen Anbietern sozialer Dienste. Sie sind geprägt durch das breite Spektrum ihrer unterschiedlichen humanitären, weltanschaulichen und religiösen Zielsetzungen. […] Die Wertgebundenheit der Wohlfahrtsverbände und ihrer Dienste und Einrichtungen stellt den Kern des zivilgesellschaftlichen Mehrwerts gemeinwohlorientierter sozialer Dienste dar“. 8 Benedikt XVI., MP Intima Ecclesiae natura. De caritate ministranda, in: OssRom 02. 12. 2012, S. 6 – 7 (= VApSt 195), Einleitung: „Auch der Dienst der Liebe ist ein konstitutives Element der kirchlichen Sendung und unverzichtbarer Ausdruck ihres eigenen Wesens“.
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dürftigen ohne Diskriminierung nach der Religionszugehörigkeit zukommen.9 Im Europarecht ist anerkannt, dass karitative Tätigkeit Teil der Religionsausübung im Sinne des Art. 9 EMRK ist.10 Im Unterschied zu profitorientierten oder öffentlichen Organisationen sind Menschen bei religiösen Organisationen wegen deren idealistischer Einstellung bereit, ihnen Geld zu spenden oder ehrenamtlich11 für sie zu arbeiten, wodurch der öffentliche Haushalt entlastet wird. Allerdings steigen die Kosten im sozialen Bereich immer mehr, so dass auch religiöse Organisationen zunehmend staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen müssen.
III. Problematik des EU-Rechts 1. Das Problem Die Europäische Union hat keine Kompetenz zur Vereinheitlichung der sozialen Systeme der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 153 und 156 AEUV). Sie verfügt aber in anderen Bereichen über rechtliche Instrumente, die sich auch auf den sozialen Bereich auswirken, ohne jedoch die Vielfalt die nationalen Systeme und die Besonderheiten der religiösen Organisationen zu berücksichtigen.12 Beispielsweise könnte eine finanzielle Unterstützung solcher Organisationen durch den Staat leicht als verbotene Beihilfe gemäß Art. 107 AEUV angesehen werden. 2. Gegenmaßnahmen Um solche Auswirkungen in Grenzen zu halten, wurden im EU-Recht in den letzten zehn Jahren verschiedene Maßnahmen gesetzt. Der Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, brachte in Art. 14 AEUV und dem dazugehörenden Protokoll Nr. 26 eine klarere Regelung hinsichtlich der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Außerdem führte der Vertrag von Lissabon einen neuen Art. 17, den so genannten „Religionsartikel“, in den AEUV ein. Die EU achtet demzufolge den Status, den Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten genießen (Abs. 1), und erkennt die Identität und den besonderen Beitrag der Religionsgemeinschaften an (Abs. 3). 9 Vgl. Burkhard Josef Berkmann, Nichtchristen im Recht der katholischen Kirche, Wien 2017, S. 498. 10 Gantner, Caritas (Anm. 4), S. 125. 11 BAGFW, Memorandum (Anm. 6), S. 10: „Der Einsatz von Freiwilligen ist ein wesentliches Element gemeinwohlorientierter sozialer Arbeit. Viele Initiativen und Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen sind ohne freiwilliges Engagement nicht denkbar. Freiwillige können eine rein fachlich-monetäre Betrachtung sozialer Arbeit korrigieren und zu deren Innovation beitragen“. 12 Burkhard Josef Berkmann, Österreichische Caritas im europäischen Wettbewerb. Gemeinnützige soziale Dienste im EU-Recht, in: öarr 55 (2008), S. 462 – 493, hier S. 466 – 474.
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Zudem verabschiedete die Europäische Kommission in den Jahren 2011 und 2012 das so genannte Almunia-Paket bezüglich der Finanzierung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse.13 Es besteht aus einer Mitteilung über Schlüsselkonzepte bei der Beihilfenkontrolle14, einem Freistellungsbeschluss15 einem EURahmen für staatliche Beihilfen16 und einer Verordnung über De-Minimis-Beihilfen17. Dazu kam im Jahr 2014 eine neue Gruppenfreistellungsverordnung.18
IV. Bleibende Problematik Alle diese Maßnahmen bewirkten eine spürbare Entschärfung der Problematik hinsichtlich sozialer Dienste.19 Dennoch birgt das EU-Beihilfenrecht weiterhin gewisse Unsicherheiten für religiöse Organisationen, die dem Gemeinwohl dienen, wie zwei neue Urteile zeigen, die im Folgenden besprochen werden.
13 Vgl. Arnd Bühner/Nicolas Sonder, Die Finanzierung von Sozialdienstleistungen nach den neuen Regelungen des EU-Beihilfenrechts über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse („Almunia“ – Paket), in: NZS 2012, S. 688 – 694, hier S. 689. 14 Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (20. 12. 2011), K(2011) 9404 endgültig, in: OJ C 8, 11. 01. 2012, S. 4 – 14. 15 Beschluss der Kommission vom 20. 12. 2011 über die Anwendung von Artikel 106 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, K(2011) 9380 endgültig, in: ABl. L 7 vom 11. 01. 2012, S. 3. 16 Mitteilung der Kommission – Rahmen der Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (20. 12. 2011), in: OJ C 8, 11. 01. 2012, S. 15 – 22. 17 Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen, in: OJ L 352, 24. 12. 2013, S. 1 – 8. 18 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AGVO), in: ABl. L 187 vom 26. 06. 2014, S. 1. 19 Vgl. Michael Müller, Europäische Kommission lockert Beihilferegeln, in: Neue Caritas 3/2012, S. 22 – 23.
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V. EuGH C-74/16 vom 27. 06. 2017 Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania gegen Ayuntamiento de Getafe 1. Anwendung des Beihilfenrechts Dieses Urteil wurde am 27. Juni 2017 vom EuGH in der Sache C-74/16 erlassen und betrifft eine Ordensschule in Spanien. Die Schulträgerin, eine religiöse Kongregation, beantragte die Erstattung einer Gemeindesteuer auf Bauwerke, nachdem sie Baumaßnahmen am Schulgebäude durchgeführt hatte. Die Frage war, ob der Steuernachlass eine verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 107 AEUV darstellt. Die Schule bot zwei Typen von Unterricht an: erstens vom Staat subventionierten und in dessen Schulsystem integrierten Primar- und Sekundarunterrichts, zweitens aber auch Vorschulunterricht, außerschulischen Unterricht und Unterricht im Anschluss an die Schulpflicht, für den sie keine Unterstützung vom Staat erhielt. Um festzustellen, ob diese Angelegenheit unter das EU-Beihilfenrecht fällt, wandte der EuGH den klassischen Test an, der auf dem Kriterium beruht, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Für den ersten Bereich verneinte er dies (§ 56), für den zweiten Bereich bejahte er es hingegen (§ 57). Das bedeutet, dass eine Steuerbefreiung, soweit sie den zweiten Bereich betrifft, eine verbotene Beihilfe darstellen würde. Dass die Organisation nicht gewinnorientiert arbeitet, schließt nicht aus, sie als Unternehmen im Sinne des Art. 107 AEUV einzustufen. Keinen der beiden Bereiche qualifizierte der EuGH als „strikt religiös“ (§ 52). Die scharfe Zweiteilung in wirtschaftlich und nichtwirtschaftlich lässt keinen Platz für einen dritten Sektor, geschweige denn für die Besonderheit religiös motivierter Tätigkeiten.20 2. Keine Berücksichtigung des „Religionsartikels“ Folglich muss konstatiert werden, dass Art. 17 AEUV keine Änderung in der Rechtsprechung des EuGH zum Beihilfenverbot bei religiösen Organisationen brachte. Die Generalanwältin ging durchaus auf Art. 17 AEUVein. Sie stellte korrekt fest, dass Art. 17 keine Bereichsausnahme darstellt, dass aber bei der Auslegung und der Anwendung von Unionsrecht der Status der Kirchen zu achten ist und nicht beeinträchtigt werden darf.21 Allerdings machte sie nicht deutlich, in welcher Weise 20 Erika Szyszczak, Article 263(4) TFEU and the Impossibility of Challenging Recovery Decisions in State Aid Annotation on the Judgments of the General Court of 15 September 2016 in T-219/13 Pietro Ferracci v European Commission and T-220/13 Scuola Elementare Maria Montessori v European Commission, in: EStAL 4 (2016), S. 637 – 641, hier S. 640: „This aspect of the ruling shows the tension between the EU level approach of defining an undertaking and economic activity according to a functional set of criteria and what appears to operate in practice; deciding cases in the national context in determining whether there is a market and that economic activity takes place“. 21 Generalanwältin Juliane Kokott, Schlussanträge zu C 74/16 Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania gegen Ayuntamiento de Getafe (16. 2. 2017), §§ 32 f.
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dieser Artikel die Behandlung des Beihilfenrechts verändert, sondern gelangte zum selben Ergebnis wie ohne den Artikel. Der EuGH selbst fand Art. 17 nicht einmal einer Erwähnung wert.22 3. Keine Berücksichtigung des Altvertrags Außerdem hätte es noch eine weitere Rechtsgrundlage gegeben, die eine Sonderbehandlung der Ordensschule verlangt hätte. Die Steuerbefreiung von Organisationen der katholischen Kirche beruht nämlich auf einem völkerrechtlichen Vertrag, den der Spanische Staat im Jahr 1979 mit dem Heiligen Stuhl geschlossen hatte. Es handelt sich daher um einen so genannten „Altvertrag“, weil er vor dem Beitritt Spaniens zur EU im Jahr 1986 abgeschlossen worden war. Gemäß Art. 351 Abs. 1 AEUV werden die Rechte und Pflichten eines Mitgliedstaats, die sich aus einem solchen Vertrag ergeben, durch das Unionsrecht nicht berührt. Die Generalanwältin ging auf diesen Aspekt durchaus ein, ließ aber offen, ob aus dem Abkommens von 1979 zwingend folgt, dass die katholische Kirche für alle ihre Gebäude in Spanien – auch solche, die ganz oder teilweise einer wirtschaftlichen Betätigung gewidmet sind – generell von der Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen befreit werden muss. (§ 99). Der EuGH versäumte es in seinem Urteil hingegen, auf Art. 351 AEUV überhaupt einzugehen.23 4. Vergleich mit einer Entscheidung der EKMR Die Einseitigkeit dieses Urteils tritt besonders deutlich zutage, wenn man es mit einer Entscheidung vergleicht, welche die Europäische Kommission für Menschenrechte bereits im Jahr 1992 zu demselben völkerrechtlichen Vertrag gefällt hat.24 Die spanische Baptistenkirche „El Salvador“ erhob Beschwerde, weil sie für ihr Kultgebäude Grundsteuer zahlen musste, während die Gottesdienstgebäude der römischkatholischen Kirche in Spanien von der Grundsteuer befreit waren. Die EKMR erblickte darin aber nicht einmal den Anschein einer Diskriminierung, weil die Steuerbefreiung, die der katholischen Kirche in Spanien durch die Verträge von 1979 gewährt wurde, beiden Parteien wechselseitige Verpflichtungen für auferlegen. Die 22 Vgl. Alice Neffe, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania v Ayuntamiento de Getafe (Case C-74/16): Tax Exemption for Church Non-religious Activity as Unlawful State Aid, in: Oxford Journal of Law and Religion 7 (2018), S. 143 – 152, hier S. 150. 23 Vgl. Joris Luts, Congregación De Escuelas Pias Provincia Betania: Tax Exemption for Education Services by Religious Congregation Not Sacrosanct from State Aid Perspective, in: EC Tax Review (2017), S. 292 – 302, hier S. 299: „Although the CJ tends to avoid this issue by deeming the cause of the aid to be the 2001 Order instead of the 1979 Agreement (see supra), AG Kokott seemed to accept that the latter constituted the aid measure, and did not shy away from giving her opinion in that respect.“ Vgl. auch Neffe, Congregación (Anm. 22), S. 147. 24 Iglesia Bautista „El Salvador „and Ortega Moratilla v. Spain (dec.), no. 17522/90, Commission decision of 11 January 1992.
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Steuerbefreiung wurde also in einem Austauschverhältnis gesehen zu Verpflichtungen, welche die katholische Kirche zu Gunsten der Allgemeinheit erbringt. Als Beispiel wurde die Verpflichtung genannt, das historische, künstlerische und dokumentarische Erbe in den Dienst des spanischen Volkes zu stellen. Gewiss darf nicht übersehen werden, dass die beiden Entscheidungen auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhen. Die EKMR hatte die Vereinbarkeit mit Art. 9 und 14 EMRK zu prüfen, während der EuGH den strengen Maßstab des Art. 107 AEUV anlegen muss. Dennoch wäre zu wünschen, dass auch der EuGH eine ganzheitlichere Sicht einnähme, wenn er prüft, ob eine äquivalente Gegenleistung vorliegt. Weder spezifiziert der EuGH, dass andere Unternehmen, welche die Steuer entrichten müssen, mit der Kongregation vergleichbar sind, noch erklärt er, dass die Anwendungsbedingungen der Maßnahme – nämlich die Beschränkung der Steuerbefreiung auf die katholische Kirche – eine Diskriminierung darstellen ausdrücken.25 5. Diskrepanz zwischen EuGH und EGMR Der vorangegangene Abschnitt weist auf noch größere Divergenzen zwischen der Rechtsprechung von EuGH und EGMR hin. Das EU-Recht bindet die Mitgliedstaaten in vielen Bereichen durch immer engmaschigere Regelungen, während die EMRK den Konventionsstaaten lediglich einen Grundrechtsrahmen vorgibt, innerhalb dessen sie einen weiten Gestaltungsspielraum genießen. Daher ist es bis zu einem gewissen Grad verständlich, dass die Urteile des EuGH für das nationale Recht oft einschneidendere Wirkungen hervorbringen als jene des EGMR. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass der EuGH verpflichtet, die Grundrechtecharta der EU zu berücksichtigen (Art. 51 Abs. 1 GRCH), wobei deren Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie jene der EMRK (Art. 52 Abs. 3 GRCH). Die GRCH darf nur einen höheren, aber keinen geringeren Schutz bieten als die EMKR (Art. 52 Abs. 3 und Art. 53 GRCH). Daher ist es verwunderlich, dass der EuGH im vorliegenden Fall, der eine kirchliche Einrichtung betraf, die die Religionsfreiheit, wie sie in Art. 10 GRCH und Art. 9 EMRK verankert ist, nicht in Erwägung gezogen hat. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist das Steuerrecht eine Materie, die einen Einfluss auf die korporative Religionsfreiheit von Religionsgemeinschaften haben kann.26 Gemäß dem gemeinsamen Dokument von OSZE und Venedig-Kommission des Europarats steht es den Staaten frei, Religionsgemeinschaften steuerliche Vorteile zu gewähren, solange sie keine ungerechtfertigte Diskriminierung darstellen.27
25
Luts, Congregación (Anm. 23), S. 296. EGMR, Nr. 8916/05 Zeugen Jehovas/Frankreich (30. 09. 2011), § 53; EGMR, Nr. 7552/ 09 Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage/Vereinigtes Königreich (04. 03. 2014); 27 Venice Commission/OSCE/ODIHIR, Joint Guidelines on the Legal Personality of Religious or Belief Communities (13.-14. 06. 2014), § 38. 26
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Der EGMR ist vorsichtig gegenüber einer zu engen Definition von Religion und geht dabei vom Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften aus.28 Nach katholischem Selbstverständnis stellen karitative Tätigkeiten einen kirchlichen Grundvollzug dar.29 Das eben genannte Dokument erwähnt die Errichtung und den Betrieb von Schulen als einen Aspekt der Religionsfreiheit von Religionsgemeinschaften.30 Demgegenüber maßt sich der EuGH im vorliegenden Judikat ohne weitere Begründung ein Urteil darüber an, was „strikt religiöse“ Tätigkeiten sind und scheidet den Unterricht aus. Hier wird ein Religionsverständnis sichtbar, das sich auf geistliche, innerliche Formen von Religion konzentriert und damit vielen Religionen nicht gerecht wird.31 Damit soll nicht gesagt werden, dass das EuGH-Urteil die Religionsfreiheit verletzen würde, doch wäre eine umfassendere Würdigung des Falls zu wünschen, die auch den Aspekt der Religionsfreiheit einbezieht. Die Diskrepanz zwischen EuGH und EGMR ließe sich durch den Beitritt der EU zur EMRK überwinden, wie er von Art. 6 Abs. 2 EUVohnehin vorgesehen wäre, aber vom EuGH bekanntlich durchkreuzt wurde.32 6. Lösung des Falls dank De-Minimis-Verordnung Letzten Endes kam der EuGH aber doch zu einem für die Ordensschule erfreulichen Ergebnis. Die Höhe der Steuerbefreiung war nämlich so gering, dass sie unter die De-Minimis-Verordnung fiel.33 Es wird davon ausgegangen, dass Beihilfe, die einen bestimmten Betrag nicht übersteigen, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen und den Wettbewerb nicht verfälschen oder zu verfälschen drohen, so dass solche Maßnahmen vom Begriff der staatlichen Beihilfen ausgenommen sind (§ 82).
28
Vgl. EGMR, Nr. 49327/11 Gough/Vereinigtes Königreich (28. 10. 2014), § 188: Damit eine Auffassung unter den Schutz der Religionsfreiheit fällt, muss sie den Anforderungen an Nachhaltigkeit, Ernsthaftigkeit, Kohärenz und Bedeutung entsprechen. 29 Das deutsche BVerfG entschied ausdrücklich, dass die Ausübung einer religiös motivierten karitativen Tätigkeit durch einen Verein von der Religionsfreiheit geschützt ist und zwar auch dann, wenn sie im Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen steht, die dadurch einen Nachteil erleiden: BVerfG, Nr. 1 BvR 241/66 Rumpelkammer (16. 10. 1968). 30 Venice Commission/OSCE/ODIHIR, Joint Guidelines, § 20. 31 Vgl. Rike Sinder, Körperlicher Glaube unter dem Grundgesetz, in: ZevKR 63 (2018), S. 170 – 208, hier S. 203. 32 EuGH, Gutachen 2/13 (18. 12. 2014). 33 Damals stand in Kraft: Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission vom 15. Dezember 2006 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf De-minimis-Beihilfen, in: ABl. L 379 vom 28. 12. 2006, S. 5 – 10. Sie sah eine Grenze von 200000 Euro in drei Jahren vor. Die heute geltende Verordnung (siehe oben) sieht eine Grenze von 500.000 Euro vor.
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VI. EuGH C-622/16 P bis C-624/16 P vom 8. November 2018: Scuola Elementare Maria Montessori gegen Europäische Kommission 1. Verfahrensgang Der zweite hier zu besprechende Fall nimmt seinen Ausgangspunkt in einem Beschluss der Europäischen Kommission, der feststellte, dass die damals in Italien geltende Regelung der kommunalen Immobiliensteuer („imposta comunale sugli immobili“, kurz: „ICI“) dem Beihilfenverbot widerspricht.34 Die Regelung gewährte nämlich eine Befreiung von dieser Steuer für Einrichtungen, die nicht überwiegend gewerblichen Tätigkeiten nachgehen, sowie eine Ausnahme für kirchliche Einrichtungen und Amateursportvereine. Laut Kommission schließt ein soziales Ziel nicht aus, dass es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt (Erwägungsgrund 105). Im Ergebnis erwies sich die Ausnahme für kirchliche Einrichtungen und Amateursportvereine zwar nicht als selektiv (Erwägungsgrund 159), doch erfüllt die Steuerbefreiung als solche alle Merkmale einer verbotenen Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV (Erwägungsgrund 136). Da allerdings eine Rückforderung der Begünstigung unmöglich gewesen wäre, sah die Kommission davon ab, eine solche anzuordnen (Erwägungsgrund 200). Als der Beschluss erging, hatte Italien die ICI bereits abgeschafft und durch die „Imposta Municipale Propria“ (IMU) ersetzt. Auch von der neuen Steuer ist eine Befreiung vorgesehen, doch wird diese nicht mehr an die Art der Einrichtung, sondern an die Art der Tätigkeit geknüpft – je nachdem, ob diese gewerblich ist oder nicht. Wird dieselbe Immobilie sowohl für gewerbliche als auch für nicht-gewerbliche Tätigkeiten genutzt, so erfolgt eine anteilige Zahlung (Erwägungsgrund 85). Da die eng definierten nicht-gewerblichen Tätigkeiten keine wirtschaftlichen Tätigkeiten darstellen, fällt die Befreiung von der IMU nicht in den Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 1 AEUV (Erwägungsgrund 202). Gegen diesen Beschluss der Kommission erhoben der Inhaber einer Frühstückspension sowie eine Montessori-Schule Nichtigkeitsklage beim EuG, weil sie gegenüber steuerbegünstigten Einrichtungen, die ähnliche Dienstleistungen – Beherbergung bzw. Bildung – erbringen, Wettbewerbsnachteile erleiden.35 Sie rügten den Verzicht auf die Rückforderung sowie die Feststellungen, dass die Ausnahme bezüglich der kirchlichen Einrichtungen nicht selektiv sei und dass die neue IMU keine verbotene Beihilfe darstelle. Das EuG bejahte die Zulässigkeit der Klagen, wies sie in der 34 Europäische Kommission, Beschluss Nr. C(2012) 9461 über die staatliche Beihilfe SA.20829 (C 26/2010, ex NN 43/2010 (ex CP 71/2006)), Regelung über die Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer im Falle von Immobilien, die von nichtgewerblichen Einrichtungen für besondere Zwecke genutzt werden, die Italien eingeführt hat (19. 12. 2012), in: ABl. EU L 166/24 – 54 vom 18. 06. 2013. 35 Vgl. Thomas Jaeger, Verhaltener Quantensprung im Beihilferechtsschutz: Das Urteil Montessori, in: EuZW 2019, S. 194 – 200, hier S. 196.
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Sache jedoch ab.36 Der entscheidende Unterscheid der IMU gegenüber der ICI bestehe darin, dass sich die Befreiung nicht auf überwiegend nicht-gewerbliche Einrichtungen einschließlich kirchlicher Einrichtungen als ganze erstreckt, sondern nur auf deren tatsächlich nicht-gewerbliche Tätigkeiten (§ 137).37 Diese Tätigkeiten dürfen nicht gewinnorientiert sein und ihrer Natur nach nicht im Wettbewerb mit gewinnorientierten Marktteilnehmern stehen, müssen sich aber an die Grundsätze der Solidarität und der Subsidiarität halten (§ 139). Gegen dieses Urteil legte die MontessoriSchule ein Rechtsmittel an den EuGH ein. Dieser entschied, dass die Rückforderung der steuerlichen Begünstigung anzuordnen ist, bestätigte im Übrigen aber das Urteil des EuG.38 Das heißt konkret, dass die Befreiung von der IMU keine verbotene Beihilfe darstellt (§§ 106 – 108). 2. Bedeutung Positiv zu würdigen ist, dass nach der vom EuGH bestätigten Rechtsprechung des EuG diejenigen Tätigkeiten näher bestimmt wurden, für die eine Steuerbefreiung keine verbotene Beihilfe darstellt. Das EuGH-Urteil C-74/16 zum spanischen Fall hinterließ eine gewisse Unsicherheit, weil es konstatierte, dass eine Steuerbefreiung unter das Verbot von Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen kann, wenn zumindest ein Teil der Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung als wirtschaftlich einzustufen sind. Bedeutet dies, dass schon die geringste wirtschaftliche Teiltätigkeit die gesamte Einrichtung steuerpflichtig macht? Da das spanische EuGH-Urteil nach den EuG-Urteilen zum italienischen Steuerrecht erging, hätte darin eine Verschärfung der Rechtsprechung erblickt werden können.39 Nachdem der EuGH im Urteil C-622/16 P bis C6 – 624/16 P nun aber die EuG-Judikatur bestätigt hat, ist klar, dass eine Regelung wie die italienische zulässig ist, die auch im Hinblick auf ein und dieselbe Einrichtung nur die wirtschaftlichen Tätigkeiten besteuert (§§ 106 und 108). In der Praxis kann es freilich Schwierigkeiten bereiten, die oft komplex miteinander verwobenen Tätigkeiten genau auseinanderzuhalten.40 Dennoch bleibt auch dieses neue EuGH-Urteil dem Grundsatz verhaftet, dass das EU-Beihilfenrecht unterschiedslos auf Einrichtungen von Religionsgemeinschaften anzuwenden ist, ohne deren Spezifika zu beachten. Auch dieses Urteil schränkt den Blick auf das Wettbewerbsrecht der EU ein, während es mehrere andere rechtlich re36
EuG, Urteile T 219/13 (Ferracci) und T 220/13 (Scuola Elementare Maria Montessori), beide vom 15. 09. 2016. 37 Vgl. Szyszczak, Article 263(4) TFEU (Anm. 20), S. 640; Marco Allena, Imu, enti ecclesiastici e aiuti di Stato: riflessioni a margine delle sentenze del Tribunale UE di primo grado, in attesa della decisione della Corte di Giustizia, in: Stato, Chiese e pluralismo confessionale 8 (2017), S. 1 – 36, hier S. 6. 38 EuGH, Urteil C-622/16 P bis C-624/16 P Scuola Elementare Maria Montessori gegen Kommission und Italien (06. 11. 2018). 39 Vgl. die Befürchtung bei Neffe, Congregación (Anm. 22), S. 149. 40 Vgl. Allena, Imu (Anm. 37), S. 8; Neffe, Congregación (Anm. 22), S. 149.
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levante Faktoren ausblendet. So kommen Art. 17 AEUV und die korporative Religionsfreiheit im Kommissionsbeschluss und in den betreffenden Urteilen ebenso wenig vor wie im EuGH-Urteil zum spanischen Fall. Das war auch nicht zu erwarten, weil die Steuerbefreiung für kirchliche Einrichtungen im Gerichtsverfahren bezüglich Italien zwar eingehend untersucht wurde, aber keine einzige solche Einrichtung am Verfahren beteiligt war, so dass sie die rechtlichen Argumente zu ihren Gunsten hätte vorbringen können.41 Nichtsdestoweniger sind es gerade diese Einrichtungen, die vom endgültigen Urteil besonders hart getroffen werden, weil der EuGH anordnete, dass die steuerliche Begünstigung zurückzufordern sei, während die Kommission ausnahmsweise wegen Unmöglichkeit davon abgesehen hätte.42 Das Vertrauen der steuerlich Begünstigten auf die nationale Rechtslage findet keinen Schutz. Lediglich wenn die Kommission durch eigene Äußerungen Vertrauen in die Rechtslage erweckt hätte, wäre dies geschützt.43 Hinzu kommt, dass die Begünstigten verfahrensmäßig schlechter gestellt sind als die Benachteiligten.44
VII. Schlussbetrachtung Obwohl sich im spanischen Fall eine angemessene Lösung finden ließ und im italienischen Fall die neue Regelung EU-rechtskonform ist, bleibt anzumerken, dass der EuGH weiterhin alle Phänomene allein durch die Brille des einheitlichen Marktes und des Wettbewerbsrechts betrachtet, ohne einen eigenen Sektor der Gemeinnützigkeit45 anzuerkennen. Insofern ist er „kirchenblind“ geblieben. Seine Rechtsprechung ist funktional spezialisiert, ohne dass er andere Gesichtspunkte einbezöge.46 Das verwundert umso mehr, als durch den Vertrag von Lissabon religionsrechtliche Bestimmungen in das Primärrecht aufgenommen wurden, das zu judizieren seine ureigene Aufgabe wäre. Stattdessen versucht er weiterhin, das EU-Recht auf Kosten des nationalen Rechts zu stärken, und sieht sich als Motor einer europäischen Integration, 41 Lediglich am Verfahren der Kommission beteiligten sich achtzig derartige Einrichtungen durch eine Stellungnahme (vgl. Anhang I des Beschlusses). 42 Es kommt ohnehin nur sehr selten vor, dass die Kommission davon absieht. Das Urteil liegt auf der bekannten harten Linie des EuGH bezüglich Rückforderung, vgl. Ulrich Soltész, Wichtige Entwicklungen im Europäischen Beihilferecht im Jahre 2018, in: EuZW 2019, S. 53 – 60, hier S. 58. 43 Vgl. Erwägungsgrund 188 des Beschlusses. 44 Vgl. Jaeger, Quantensprung (Anm. 35), S. 199. Andere bezweifeln freilich, ob die Einräumung einer Klagsbefugnis für die Benachteiligten wirklich eine verfahrensmäßige Erleichterung darstellt: Arno Petzold/Nina Schmidt-Carstens, Immer noch: Offene Fragen zu Art. 263 Abs. 4 AEUV? – Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 06. 11. 2018, verb. Rs. C-622/ 16 P bis C-624/16 P (Scuola Elementare Maria Montessori u. a./ Kommission), in: EuR 2019, S. 132 – 147, hier S. 145 f. 45 Vgl. Bühner/Sonder, Finanzierung (Anm. 13), S. 693. 46 Vgl. Szyszczak, Article 263(4) TFEU (Anm. 20), S. 640; Lars Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus. Zur Entwicklung eines transnationalen Kollisionsrechts, in: Der Staat 51 (2012) S. 559 – 580, hier S. 569.
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die durch wirtschaftliche Mechanismen vorangetrieben wird. Indessen leisten die Kirchen und Religionsgemeinschaften einen unersetzlichen Beitrag zur europäischen Integration auf der sozialen Ebene. „Die Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Ressourcen ist ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit Europas. Sie ist weder durch den Staat noch durch den Markt möglich, sondern nur durch gemeinwohlorientierte Organisationen.“47 Der erste Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, hat erkannt: „Die Zukunft Europas liegt in den Händen seiner Bürger. Die Gestaltung dieser Zukunft ist unsere gemeinsame Verantwortung, unsere gemeinsamen Werte sind unser Kompass. Der regelmäßige Dialog mit konfessionellen wie auch mit nicht-konfessionellen Organisationen ermöglicht uns, das Thema unserer gemeinsamen Zukunft aus verschiedenen Perspektiven anzugehen.“48
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BAGFW, Memorandum (Anm. 6), S. 12. Siehe online unter: offizielle Webseite der Europäischen Union, http://europa.eu/rapid/ press-release_IP-17 – 4342_en.htm (Übersetzung des Verfassers) (eingesehen am 23. 07. 2019). 48
„Ewige Schulden“ – das Problem mit den Staatsleistungen Anmerkungen dazu aus niedersächsischer Perspektive Von Felix Bernard Im 30. Jahr des Mauerfalls hat eine Fernsehreportage des Mitteldeutschen Rundfunks für Irritationen bei den Kirchen gesorgt. „Ewige Schulden – Ostdeutschlands Kirchen und die Staatsleistungen“ lautete der Titel dieser in der ARD ausgestrahlten Dokumentation, in der die Zahlung der Staatsleistungen im Kontext der relativ niedrigen Anzahl von Kirchenmitgliedern kritisiert wurde.1 Die finanziellen Leistungen des Staates an die Kirchen werden – abgesehen von diesem Fernsehbeitrag – in regelmäßigen Abständen angefragt, von Kirchenkritikern2 wie auch von Politikerinnen und Politikern3 – meist aus den kleineren politischen Parteien.4 Aber auch „unverdächtige“ Juristen nehmen sich dieses Themas 1 Karin Wollschläger, Umstrittener MDR-Film zu Staatsleistungen an die Kirchen, in: KNA v. 18. 02. 2019, S. 43 f. 2 Vgl. z. B. Horst Herrmann, Die Kirche und unser Geld: Daten, Tatsachen, Hintergründe, Hamburg 1990; Carsten Frerk, Violettbuch Kirchenfinanzen. Wie der Staat die Kirchen finanziert, Aschaffenburg 2010; Eva Müller, Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt, Köln 2013. 3 In Niedersachsen z. B.: Kleine Anfrage MdL Manfred Sohn v. 03. 08. 2010, LT-Drs. 16/ 2833; Kleine Anfrage v. MdL Renate Geuter v. 11. 08. 2010, LT-Drs. 16/2695; Kleine Anfrage MdL Frauke Heiligenstadt v. 25. 03. 2011, LT-Drs. 16/3652; Kleine Anfrage MdL Ina Korter v. 19. 04. 2011, LT-Drs. 16/3684. Vgl. zum Ganzen auch Felix Bernard, Anmerkungen zu den Staatsleistungen an die katholische Kirche in Niedersachsen, in: NdsVBl. 19 (2012), S. 128 – 130. 4 Vgl. Matthias Kamann, Eine halbe Milliarde für die Kirchen – vom Steuerzahler, in: Die Welt (Hrsg.), Onlineausgabe, online unter: http://welt.de/politik/deutschland/article188436565/ Staatsleistungen-500-Milli… (eingesehen am 11. 03. 2019). Derzeit beabsichtigen sowohl die FDP-Bundestagsfraktion als auch die AfD-Bundestagsfraktion eine politische Initiative zur Ablösung von Staatsleistungen auf den Weg zu bringen. Vgl. Domradio.de Onlineausgabe (Hrsg.), online unter: https://www.domradio.de/print/themen/kirche-und-politik/2019 - 02 - 08/ historisch-begr… (eingesehen am 06. 03. 2019). Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA-Consulere sprechen sich 59 Prozent der Bevölkerung in Deutschland dafür aus, dass die katholische und evangelische Kirche freiwillig auf die historisch entstandenen Staatsleistungen verzichten sollten. 58 Prozent der katholischen sowie 53 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder sind für einen Verzicht der Kirchen auf Staatsleistungen. Vgl. Domradio.de Onlineausgabe, online unter: https://www.domradio.de/print/themen/kircheund-politik/2018 - 10 - 31/umfrage-mehrh… (eingesehen am 06. 03. 2019).
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unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten an und weisen u. a. auf Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV hin, der für die Staatsleistungen einen Ablösungsauftrag an die Landesgesetzgebung erteilt,5 wobei die Grundsätze dafür der Bund aufzustellen hat.6 Die Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen in Deutschland sind historisch begründet. Sie sind dazu da, die Säkularisierungen7 von Kirchengut, hauptsächlich während der Reformationszeit, durch den Westfälischen Frieden und durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803, auszugleichen. Der Staat eignete sich kirchliches Vermögen und geistliches Territorium an, übernahm aber gleichzeitig die Gewähr für die finanzielle Ausstattung der Kirche. Diese Leistungen des Staates haben sich über die Weimarer Republik bis zum heutigen Tag erhalten.
I. Zum Begriff „Staatsleistungen“ Zu den Staatsleistungen, die nicht selten auch Dotationen genannt werden,8 zählen i. S. des Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Satz 1 WRV alle Zuwendungen von vermögenswerten Vorteilen, die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhen und vorkonstitutionell aus einer historischen Entschädigungsmotivation heraus begründet worden sind. Es muss sich hierbei um wiederkehrende Leistungspflichten handeln, die nicht nur in Geldzahlungen, sondern auch in Naturalleistungen liegen können. Einmalzahlungen lassen sich nicht unter den Begriff subsumieren. Die verfassungsrechtliche Staatsleistung unterscheidet sich von der Subvention 5 Vgl. z. B. Josef Isensee, Staatsleistungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: HdbStKirchR2 1. Bd., S. 1034 – 1043; Axel. v. Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, München 42006, S. 281 – 289; Volker Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot der Staatsleistungen nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV, in: ZevKR 58 (2013), S. 188 – 200; Christian Waldhoff, Staatsleistungen an die Kirchen – Gerechtfertigtes Institut oder überholtes Relikt?, in: Karlies Abmeier/Petra Bahr/Thomas Volk (Hrsg.), Monitor Religion und Politik, Sankt Augustin/Berlin 2015, S. 81 – 92; Diana zu Hohenlohe, Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen: Der unerfüllte Verfassungsauftrag des Art. 138 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG, in: ZevKR 62 (2017), S. 178 – 196. 6 Die Länder können aber mit den Kirchen vertragliche Vereinbarungen über die Beendigung von Staatsleistungen treffen, ohne durch ein fehlendes Grundsätzegesetz des Bundes daran gehindert zu sein (vgl. zu Hohenlohe, Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen (Anm. 5), S. 193 f.). 7 Zu den begrifflichen Facetten der Säkularisierung s. Horst Dreier, Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, München 2018, bes. S. 19 – 35. 8 S. z. B. Ernst Kastner, Artikel „Dotation (katholisch)“, in: LKStKR 1. Bd., S. 475 f.; vgl. zu den Staatsleistungen auch Michael Droege, Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften im säkularen Kultur- und Sozialstaat, Berlin 2004; Ansgar Hense, Hinweise zur aktuellen Lage und Diskussion über die Staatsleistungen an die Kirchen, Statement (Langfassung) beim Pressegespräch am 22. September 2010 in Fulda, in: Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 22. 09. 2010/150; ders., Eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Was sich hinter den Staatsleistungen an die Kirchen verbirgt, in: Herder-Korrespondenz 64 (2010), S. 562 – 566.
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durch den historischen Entstehungszusammenhang und der damit verbundenen Funktion als Ausgleichs- bzw. Ersatzleistung.9 So sind z. B. staatliche Zuschüsse im Rahmen der Krankenhausfinanzierung10 oder für kirchliche Großereignisse wie Katholiken-, Kirchentage oder den Weltjugendtag nicht als Staatsleistung im Sinne des Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV zu qualifizieren, auch nicht die Landeszuwendungen an den Landesverband der Jüdischen Gemeinden und den Landesverband Israelischer Kultusgemeinden sowie die Evangelisch-methodistische Kirche in Norddeutschland und den Humanistischen Verband Niedersachsen.11
II. Zu den Staatsleistungen an die niedersächsischen Diözesen Im Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Niedersachsen vom 26. Februar 1965 ist in Art. 15 Abs. 1 geregelt, dass das Land Niedersachsen an die niedersächsischen Diözesen ab dem 1. Januar 1965 als Staatsleistung (Dotation und Zuschuss für Zwecke der Pfarrbesoldung und -versorgung) jährlich 3,25 Millionen DM zahlt.12 Der Betrag ist nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 in seiner Höhe laufend den Veränderungen der Besoldung der Landesbeamten anzupassen. Aufgrund dieser Anpassungsklausel hat die katholische Kirche in Niedersachsen mittlerweile für das Haushaltsjahr 2018 9,355 Millionen Euro erhalten (37,288 Millionen Euro gingen an die evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen).13 Nach der in § 9 der Anlage zum Niedersachsenkonkordat genannten Vereinbarung der Diözesen über die Aufteilung der Staatsleistung geschieht diese nach der Zahl der Katholiken in den niedersächsischen Diözesen. Danach erhielt für das Jahr 2018 die Diözese Hildesheim 9 Isensee, Staatsleistungen (Anm. 5), S. 1009 u. S. 1020 f.; vgl. auch Dirk Ehlers, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz – Kommentar, München 82018, Art. 140 (138 WRV) Rdn. 2 f. 10 Die Refinanzierung bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen ist keine Spezialität zugunsten der Kirche. Sowohl alle Träger der Freien Wohlfahrtspflege als auch private Anbieter können an staatlichen Refinanzierungsmöglichkeiten und Infrastrukturförderungen partizipieren (vgl. Ansgar Hense, Soziale Infrastrukturen – der stationäre Sektor (am Beispiel Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, in: Michael Fehling/Matthias Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, Tübingen 2010, S. 863 – 950. 11 Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen erhielt im Jahre 2018 vom Land Niedersachsen einen Zuschuss in Höhe von 2,514 Millionen Euro; der Landesverband Israelischer Kultusgemeinden 407.000 Euro; die Evangelisch-methodistische Kirche in Norddeutschland 3.000 Euro; der Humanistische Verband in Niedersachsen 257.000 Euro. Vgl. Land Niedersachsen (Hrsg.), Haushaltsplan für die Haushaltsjahre 2017 und 2018, Einzelplan 07, Kultusministerium, S. 142, online unter: https://www.mf.niedersachsen.de/startsei te/themen/haushalt/haushaltsrecht_inklusive_haushaltsplaene/haushaltsplanentwurf_2017_ 2018/haushaltsplanentwurf-20172018 - 146640.html (eingesehen am 19. 03. 2019). 12 Vgl. Dieter Radtke, Zum Niedersächsischen Konkordat in: NdsVBl. 4 (1997), S. 56. 13 Vgl. Land Niedersachsen (Hrsg.), Haushaltsplan (Anm. 11).
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4,032 Mill. Euro; die Diözese Osnabrück 3,511 Mill. Euro; der Offizialatsbezirk Oldenburg (niedersächsischer Teil der Diözese Münster) 1,812 Mill. Euro. Die Staatsleistungen stellen in Niedersachsen rund 2 % der Einnahmen der Diözesen dar. Bei den Staatsleistungen handelt es sich im gesamten kirchlichen Einnahmespektrum um „eher bescheidene Dimensionen“,14 so dass auch kirchenkritische Autoren einräumen, dass rein faktisch die Staatsleistungsproblematik „von untergeordneter Bedeutung“15 sei. Für die Diözesen sind diese Staatsleistungen wichtig, um sich weiterhin im gewünschten Umfang auch im Bereich der Caritas und sozialen Dienste sowie im Bildungsbereich engagieren zu können. Die niedersächsischen Diözesen machen jedes Jahr ihre Haushalte transparent und zeigen auf, in welche Bereiche wie viel Geld fließt.16
III. Zur Frage der Ablösung der Staatsleistungen an die niedersächsischen Diözesen Nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Satz 1 sind die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen durch die Landesgesetzgebung abzulösen. „Ablösung“ bedeutet aber nicht, dass die überkommenen Staatsleistungen ersatzlos wegfallen oder eingestellt werden dürfen. Ablösung der Staatsleistungen meint Aufhebung der Staatsleistungen gegen Entschädigung.17 Nach allgemeiner Rechtauffassung lässt daher das Grundgesetz die Aufhebung der Staatsleistungen nur gegen eine angemessene Entschädigung zu18 und weist dem Bund die Zuständigkeit zur Festlegung von Grundsätzen für die Ablösung durch die Landesgesetzgebung zu. Nach herrschender Meinung setzt eine Ablösung durch die Länder erst eine bundesrechtliche Grundsatzregelung im Sinne des Art. 138 Abs. 1 Satz 2 WRV voraus.19 Der Bund hat bisher eine solche Grundsatzregelung nicht erlassen. „Dabei waren vor allem folgende Überlegungen maßgebend: In den neueren Kirchenverträgen der Länder sind die Staatsleistungen einvernehmlich neu in vereinfachter Form geregelt. Insoweit wird für den Bundesgesetzgeber kein Handlungsbe14
Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer (= JusEccl 66), Tübingen 2002, S. 81. Gerhard Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, Berlin/Heidelberg 2008, Rdn. 356. 16 Entsprechende Informationen bzw. Broschüren können bei den Diözesen (Bistümern) bzw. beim Bischöflich Münsterschen Offizialat für den Offizialatsbezirk Oldenburg angefordert werden. 17 Vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Anm. 5), S. 287. 18 Vgl. Isensee, Staatsleistungen (Anm. 5), S. 1034 – 1036. 19 Vgl. ebd. S. 1039 – 1041. Auch wenn die Ablösungsinitiative dem Bund zusteht, hat das die Länder nicht daran gehindert, Staatsleistungen im Wege der Vereinbarung mit den Kirchen abzulösen (vgl. ebd. S. 1049 f.; zu Hohenlohe, Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen (Anm. 5), S. 194). 15
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darf gesehen. Die finanziellen und volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten einer Ablösung sind nicht zu unterschätzen. Die Länder haben es bei der Anwendung ihrer Pflicht zur Rückgabe von säkularisiertem Grundvermögen stets vorgezogen, eine Geldrente zu leisten.“20 So auch das Land Niedersachsen, und zwar in Form einer „kirchenvertraglichen De-facto-Ablösung“21 wie sie für die katholische Kirche in Art. 15 und 16 des Niedersachsenkonkordates geregelt ist.22 Die Landesregierung stellt die durch Anpassungsklausel jährlich leicht steigenden Staatsleistungen an die Kirchen nicht in Frage. Im Gegenteil. „Angesicht der Kirchenleistungen besonders im karitativen Bereich für alle Bürgerinnen und Bürger hält die Landesregierung … diesen Betrag für gut angelegtes Geld.“23
IV. Zum Appell des Verzichts auf weitere Staatsleistungen In der öffentlichen Diskussion ist immer wieder zu hören, die Kirchen sollten von sich aus auf die Staatsleistungen verzichten.24 Manche haben auch Papst Benedikt XVI. bei seiner Begegnung mit engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft in Freiburg am 25. September 2011 in diesem Sinne verstanden, als er folgendes sagte: „Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden … Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder Ähnliches – bedeuteten nämlich jedes Mal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt … Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein.“25 Diese Aussagen des Papstes haben nicht we20
Antwort der Bundesregierung v. 16. 12. 2009 auf die Anfrage des Abgeordneten Raju Sharma, wann die Bundesregierung beabsichtige, den seit 1919 bzw. 1949 bestehenden Verfassungsauftrag des Artikels 140 GG i. V. m. Artikel 138 WRV zu erfüllen (BT – Drs. 17/191, Frage 99); vgl. v. Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht (Anm. 5), S. 287 f. 21 Isensee, Staatsleistungen (Anm. 5), S. 1049, Anm. 155. 22 Vgl. für die evangelischen Kirchen in Niedersachsen Artikel 16 und 17 des Niedersächsischen Kirchenvertrages vom 19. März 1955 (auch Loccumer-Vertrag genannt). 23 Antwort des Kultusministeriums auf die Frage der Abgeordneten Renate Geuter nach den staatlichen Zuschüssen an die Kirchen (Niedersächsischer Landtag: Stenografischer Bericht, 79. Sitzung, 19. 08. 2010, Mündliche Anfragen – Dr. 16/2695, Anlage 26). 24 Vgl. z. B. Hannoversche Allgemeine Zeitung v. 09. 01. 2012, S. 7: „Unerhörte Gebete im Landtag“. 25 Benedikt XVI., In Gott ist unsere Zukunft. Ansprachen & Predigten während seines Besuchs in Deutschland, Leipzig 2011, S. 146 f. In ähnliche Richtung zielen neuerdings z. B. auch die Aussagen des Eichstätter Bischofs Gregor Maria Hanke, der davon spricht, „eine ärmere Kirche zu wagen“, weil echte Reformen aus „mehr Nachfolge Jesu“ und „mehr Zeu-
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nige irritiert. Es war sogar die Rede von einem „designierten Kronzeugen all jener politischen Kräfte, die das Staatskirchenrecht abschaffen und die Stellung der beiden Kirchen in der Gesellschaft schwächen wollen.“26 Der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. R. Zollitsch, hat bereits 3 Tage später beim St. Michael-Jahresempfang für Politikerinnen und Politiker in Berlin darauf hingewiesen, dass es dem Papst bei seinem Deutschlandbesuch „ganz elementar um den christlichen Glauben“ ging und nicht um „eine Änderung des bewährten Gefüges der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland.“27 Aus Anlass der Überreichung des Beglaubigungsschreibens des neuen Botschafters der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl hat Papst Benedikt XVI. die langjährigen und einvernehmlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl gewürdigt und dabei folgendes herausgestellt: „Es ist erfreulich, dass die katholische Kirche in Deutschland ausgezeichnete Möglichkeiten des Wirkens hat, dass sie das Evangelium frei verkünden und in zahlreichen sozialen und karitativen Einrichtungen bedürftigen Menschen helfen kann. Für die konkrete Unterstützung dieser Arbeit seitens des Bundes, der Länder und der Gemeinden bin ich wirklich dankbar. Unter den vielen Aspekten einer dankenswert positiven Zusammenarbeit zwischen dem Staat und der katholischen Kirche will ich nur als Beispiel den Schutz des kirchlichen Arbeitsrechts durch das staatliche Recht anführen sowie des Weiteren die Unterstützung der katholischen Schulen wie auch der kirchlichen Einrichtungen im karitativen Bereich, deren Arbeit ja letztlich dem Wohl aller dient.“28 Der Papst sieht also das in Deutschland bestehende auf Kooperation hin angelegte Verhältnis von Staat und Kirche positiv. Dass sich der neutrale Staat kooperativ für Religionsgemeinschaften öffnet, trägt nicht unerheblich zum menschlichen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bei. Mit Kooperation ist ja nicht eine Vermischung von Staat und Kirche gemeint. Kooperation bedeutet vielmehr das „Zusammenwirken unter Achtung der Unabhängigkeit, der Identität des Anderen, bedeutet …, den anderen zu konsultieren, bevor man handelt, miteinander zu reden, sich aber auch mit wechselseitigen Pflichten zu binden.“29 Im Niedersachsenkonkorgenschaft und vielleicht weniger Institution und Verfasstheit“ wachse (Gregor Maria Hanke, „Über die Kirchensteuer nachdenken“, in: KNA v. 21. 01. 2019, S. 4). Papst Franziskus, der sich eine arme Kirche für die Armen wünscht, kritisiert in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ v. 24. 11. 2013 in den Nrn. 93 – 97 vor allem eine spirituelle Weltlichkeit (vgl. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194, hrsg. v. Sekretariat der DBK, Bonn 2013, S. 72 – 75). 26 Daniel Deckers, Professor Papst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27. 09. 2011, S. 10. 27 Ansprache des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz am 28. September 2011 in Berlin „Der Papstbesuch in Deutschland – eine erste Nachlese“, in: Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz v. 28. 09. 2011/143a. 28 Ansprache von Papst Benedikt XVI. beim Empfang des neuen Botschafters der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl am 7. November 2011, in: L’Osservatore Romano (deutsche Ausgabe) v. 11. 11. 2011 (Nr. 45), S. 9. 29 Udo Di Fabio, Gewissen, Glaube, Religion. Wandelt sich die Religionsfreiheit? Berlin 2008, S. 118.
„Ewige Schulden“ – das Problem mit den Staatsleistungen
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dat wird dieses auch für die Staatsleistungen an die katholische Kirche konkretisiert. Bezüglich einer Totalablösung der Staatsleistungen gilt nach Art. 15 Abs. 2 des Konkordates neben der bisherigen maßgebenden Rechtslage auch weiterhin Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 WRV. Danach ist es Aufgabe des Staates, sich Gedanken über die Ablösung der Staatsleistungen zu machen bzw. entsprechende Rechtsgrundlagen für eine Ablösung zu schaffen.30 Das Verfassungsgebot zur Ablösung der Staatsleistungen enthält keine moralische Aufforderung zum Verzicht.31 Auch das Argument, dass inzwischen durch die im Laufe der letzten 200 Jahre gezahlten Staatsleistungen eine ausreichende Entschädigung erreicht sei, zieht nicht. Staatsleistungen sind keine Tilgungszahlungen, sondern eher im Sinne von Mietzahlungen zu verstehen.32 Ebenso ist die Auffassung nicht haltbar, dass Verpflichtungen des Staates aus dem 19. Jahrhundert oder der Zeit davor einfach durch Zeitablauf wegfallen würden. Das Alter einer Rechtsverpflichtung führt aber nicht automatisch zur Delegitimierung einer Rechtsposition. Rechtsverpflichtung bleibt Rechtsverpflichtung.33 Somit haben die Kirchen einen Anspruch auf Ablösungsleistung, nicht aber auf den Vollzug der Ablösung.34 Die Verständigung zwischen Staat und Kirche über die Höhe der Ablösesumme und deren Zahlungsweise35 stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar, besonders für den Staat, der das Geld für die Ablösung in einem überschaubaren Zeitraum bereitstellen müsste. Das eine Lösung der „Ablösefrage“ in den letzten 100 Jahren noch nicht gefunden wurde, liegt an der Komplexität und Kompliziertheit
30 Die Fraktion DIE LINKE hat z. B. im Jahre 2012 einen konkreten Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der zur Ablösung der Staatsleistungen eine einmalige Entschädigung in Höhe des Zehnfachen des zuletzt gezahlten Jahresbetrages vorsah (vgl. Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode, Drucksache 17/8791). Dieser Gesetzentwurf wurde im Bundestag mit einer eindeutigen Mehrheit abgelehnt. – Würde man sich an der preußischen Ablösungsgesetzgebung des 19. Jahrhunderts orientieren, käme ein Kapitalisierungsfaktor von 20 bis 25 in Betracht (vgl. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot (Anm. 5), S. 198). 31 Vgl. Hense, Hinweise zur aktuellen Lage (Anm. 8), S. 20. Das Land Niedersachsen versuchte 1994/95 die Bereitschaft der katholischen und evangelischen Kirche zu erlangen, „mit einer Verringerung oder einem Einfrieren der Staatsleistungen einverstanden zu sein. Dies wurde nicht erreicht. Die Kirchen wiesen auf die Rechtslage und auf die sich verschlechternde Entwicklung bei ihren eigenen Einnahmen hin“ (Radtke, Zum Niedersächsischen Konkordat (Anm. 12), S. 56). 32 Vgl. Gerhard Hartmann/Jürgen Holtmann, Die Kirche und das liebe Geld. Fakten und Hintergründe, Kevelaer 2015, S. 175. 33 Hense, Eine Frage von untergeordneter Bedeutung (Anm. 8), S. 565; vgl. Waldhoff, Staatsleistungen an die Kirchen (Anm. 5), S. 89. 34 Vgl. Werner Weber, Die Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, Stuttgart 1948, S. 50; Hartmann/Holtmann, Die Kirche und das liebe Geld (Anm. 32), S. 180. 35 Hierzu gibt es verschiedene Vorschläge. Neben Geldzahlungen und Wertpapieren auch die Möglichkeit einer Mischfinanzierung, die neben einer Geldleistung auch Grundstücke und Gebäude einschließt (vgl. z. B. Hohenlohe, Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen (Anm. 5), S. 191).
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des Themenfeldes Staatsleistungen.36 Die Kirchen jedenfalls sind grundsätzlich bereit, darüber fair zu verhandeln.37 Das zeigt sich auch daran, dass im Jahr des 100jährigen Jubiläums der Weimarer Reichsverfassung (1919 – 2019) wieder informelle Gespräche über ein Grundsätzegesetz für die Ablösung von Staatsleistungen zwischen Kirchenvertretern beider Konfessionen und kirchenpolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen aufgenommen wurden. Ein Ziel des Bundesgesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen könnte sinnvollerweise sein, einen weiten, allgemeinen Rahmen zu schaffen, in dem die verschiedenen Bundesländer ihre konkreten Ablösungsmodalitäten mit den Kirchen vereinbaren könnten. Da die Staatsleistungen auf katholischer Seite Konkordatsmaterie sind, muss beim Abschluss der Vereinbarungen der Heilige Stuhl adäquat beteiligt werden. Staatsleistungen können und sollten abgelöst werden. Sie müssen keine „ewigen Schulden“ bleiben.
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Vgl. Hense, Eine Frage von untergeordneter Bedeutung (Anm. 8), S. 566. Vgl. Knöppel, Aktuelle Überlegungen zum Ablösegebot (Anm. 5), S. 200; vgl. z. B. auch Hense, Eine Frage von untergeordneter Bedeutung (Anm. 8), S. 565 f. 37
„Aggiornamento made in Europe“ – Neujustierung des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts durch den EuGH Von Andrea Edenharter
I. Einführung „Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums deuten“1 – so lautet der Titel eines Beitrags, den Wilhelm Rees im Jahr 2014 für die Zeitschrift für katholische Theologie verfasst hat und in dem er u. a. eine Änderung der Position der katholischen Kirche beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen einfordert. Wenngleich die katholische Kirche selbst trotz gewisser punktueller Reformansätze der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), etwa bei der Zulassung zu Beichte und Eucharistie2 sowie im kirchlichen Arbeitsrecht3, einen solchen Schritt bislang nicht gegangen ist, wird sie auf Grund von Einflüssen des staatlichen Rechts nunmehr von außen dazu gezwungen, ihre Haltung zu überdenken. Primäres Referenzgebiet für diese Entwicklung ist das kirchliche Arbeitsrecht, das sich bisher dadurch auszeichnet, dass die Kirchen in Deutschland an ihre Beschäftigten besondere Loyalitätsanforderungen stellen können, zu denen beispielsweise die Kirchenzugehörigkeit oder der nach katholischer Glaubens- und Sittenlehre unzulässige Abschluss einer Zivilehe nach Scheidung der ersten Ehe gehören.4 Grund für die Notwendigkeit einer Kurskorrektur ist jedoch nicht etwa das Bundesverfassungsgericht, sondern vielmehr der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, der in zwei Leitentscheidungen aus dem Jahr 2018 das durch das Grundgesetz garantierte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften vor dem Hintergrund des europäischen Antidiskriminierungsrechts beschränkt hat. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Religionsgemein1
Wilhelm Rees, Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums deuten. Kritische Anfragen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: ZKTh 136 (2014), S. 135 – 145, hier S. 135. 2 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), „Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche“, (= Arbeitshilfen 104), Bonn 2017, S. 12 f. 3 Art. 5 Abs. 2 u. 3 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse idF. des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015. 4 Art. 5 Abs. 2 u. 3 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse idF. des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015.
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schaften, also auch die katholische und evangelische Kirche, bei der Aufstellung von Loyalitätsanforderungen an Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen die Art der jeweiligen Tätigkeit sowie die Umstände ihrer Ausübung berücksichtigen müssen, was eine Unterscheidung von „verkündigungsnahen“ und „verkündigungsfernen“ Tätigkeiten impliziert.5 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Vorgaben des EuGH inzwischen umgesetzt, was wiederum einen Konflikt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV heraufzubeschwören droht. Es ist daher zu untersuchen, inwiefern die Entscheidungen aus Luxemburg das deutsche kirchliche Arbeitsrecht verändern werden und was die Kirchen ihrerseits unternehmen können, um potentielle Konflikte schon im Vorfeld zu verhindern. Letztlich geht es dabei um das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften, welches ein zentraler Gegenstand der Forschungstätigkeit von Wilhelm Rees ist.6 Tangiert sind dadurch auch die wechselseitigen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und Europa, denen sich der Jubilar ebenfalls immer wieder gewidmet hat.7
II. Loyalitätsanforderungen der katholischen und evangelischen Kirche Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche stellen in Deutschland an ihre Beschäftigten besondere Loyalitätsanforderungen, die im Hinblick auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in den Rechtssachen Obst8, Schüth9 und Siebenhaar10 in den Jahren 2015 bzw. 2016 neu gefasst wurden. Für die katholische Kirche ergeben sich die entsprechenden Loyalitätsanforderungen nunmehr aus Art. 4 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im
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Vgl. Abbo Junker, Gleichbehandlung und kirchliches Arbeitsrecht – Ein deutscher Sonderweg endet vor dem EuGH, in: NJW 2018, S. 1850 – 1853, hier S. 1852; Julia Suttorp/ Andreas Braun, Europäisierung des kirchlichen Arbeitsrechts? – Anmerkung zu den EuGHEntscheidungen Egenberger und Chefarzt, in: KuR 2018, S. 270 – 276, hier S. 274. 6 S. beispielsweise Wilhelm Rees, Religion-Staat-Politik. Anmerkungen aus religions- und kirchenrechtlicher Perspektive, in: Monika Datterl/Wilhelm Guggenberger/Claudia Paganini (Hrsg.), Glaube und Politik in einer pluralen Welt, Innsbruck 2017, S. 91 – 109 zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften in Österreich. 7 So etwa Wilhelm Rees, Art. Kirche und Europa, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/ Basel/Wien 2004, Sp. 489 – 490. 8 EGMR, Urt. v. 23. 09. 2010, Obst/Deutschland, Nr. 425/03, in: EuGRZ 2010, S. 571 ff. 9 EGMR, Urt. v. 23. 09. 2010, Schüth/Deutschland, Nr. 1620/03, in: EuGRZ 2010, S. 560 ff. 10 EGMR, Urt. v. 03. 02. 2011, Siebenhaar/Deutschland, Nr. 18136/02, in: NZA 2012, S. 199 ff.
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Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO).11 Danach müssen die katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die katholische Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten, wobei die auf Grund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung tätigen Beschäftigten sowie die leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im erzieherischen Dienst ein persönliches Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre erbringen müssen. Nichtchristliche Beschäftigte hingegen müssen lediglich bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen. Von allen Beschäftigten, mithin auch von den nichtchristlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wird nach der Neufassung der Grundordnung verlangt, dass sie kirchenfeindliches Verhalten unterlassen und in ihrer persönlichen Lebensführung und ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit ihres Arbeitgebers nicht gefährden. Eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen sieht Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) GrO bei katholischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Fall des Kirchenaustritts vor. Entsprechendes gilt nach Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. c) GrO im Fall des kirchenrechtlich unzulässigen Abschlusses einer Zivilehe, wenn diese Handlung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Eine solche Eignung wird bei pastoral oder katechetisch tätigen Beschäftigten sowie bei Beschäftigten, die auf Grund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet. Art. 5 Abs. 3 GrO enthält Vorgaben für eine etwaige Weiterbeschäftigung trotz Vorliegens eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes. Während bei pastoral oder katechetisch Beschäftigten sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auf Grund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung angestellt sind, eine Weiterbeschäftigung im Falle eines Loyalitätsverstoßes in der Regel ausgeschlossen ist, ist bei den übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in derartigen Fällen eine Abwägung durchzuführen, bei der dem Selbstverständnis der Kirche ein besonderes Gewicht beizumessen ist, bei dem aber auch die Belange des betroffenen Arbeitnehmers, etwa dessen Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes sowie das Alter und die Beschäftigungsdauer, hinreichend berücksichtigt werden müssen. Auch die evangelische Kirche verlangt von ihren Beschäftigten eine besondere Loyalität zum Arbeitgeber. So setzt nach § 3 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie des Rates über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie (Loyalitätsrichtlinie)12 die berufliche Mitarbeit in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie grundsätzlich die Zugehörigkeit zu einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer Kirche vo11 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse idF. des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 27. April 2015. 12 Richtlinie des Rates über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie v. 9. 2016, ABl. EKD 2017, S. 11.
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raus, mit der die Evangelische Kirche in Deutschland in Kirchengemeinschaft verbunden ist. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen Aufgaben der Verkündigung, der Seelsorge und der evangelischen Bildung übertragen sind, gilt dies sogar uneingeschränkt. Ausnahmen bezüglich des Erfordernisses der Kirchenbzw. Religionszugehörigkeit ergeben sich lediglich aus § 3 Abs. 2 S. 3 der Loyalitätsrichtlinie. Nach § 5 Abs. 2 S. 1 der Loyalitätsrichtlinie kommt für den weiteren Dienst in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie nicht in Betracht, wer während des Arbeitsverhältnisses aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, ohne die Mitgliedschaft in einer anderen Kirche zu erwerben, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland oder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen angehört. Bei sonstigen Verstößen gegen die kirchlichen Anforderungen an Beschäftigte kommt nach § 5 Abs. 1 S. 2 der Loyalitätsrichtlinie als ultima ratio nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Dies knüpft an § 4 Abs. 2 der Loyalitätsrichtlinie an, welcher sämtliche in der evangelischen Kirche Beschäftigten dazu verpflichtet, sich innerhalb und außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung ihres jeweiligen Dienstes nicht beeinträchtigt wird. Hintergrund der Loyalitätsanforderungen der katholischen und evangelischen Kirche ist das Leitbild der Dienstgemeinschaft, die ungeachtet der konfessionellen Unterschiede im theologischen Amtsverständnis der beiden Kirchen im Wesentlichen gleich begründet wird.13 Dabei geht es darum, dass der Auftrag Jesu Christi, ihm im Dienst der Versöhnung nachzufolgen, nicht auf die dienende Nachfolge des Einzelnen beschränkt bleibt, sondern vielmehr auch ein Zusammenstehen Vieler in einer „Gemeinschaft des Dienstes“14 erfordert.15 Nach dem Selbstverständnis der Kirchen umfasst dieser Dienst die Verkündigung des Evangeliums, den Gottesdienst sowie den aus dem Glauben entspringenden Dienst am Mitmenschen.16 Wer in den zur Erfüllung des Dienstes am Nächsten geschaffenen Einrichtungen beschäftigt ist, trägt dazu bei, dass die jeweilige Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kir-
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S. Reinhard Richardi, Kirchliches Arbeitsrecht, 7. Aufl., München 2015, § 4 Rn. 10 ff.; Jacob Joussen, Grundlagen, Entwicklungen und Perspektiven des kollektiven Arbeitsrechts der Kirchen, in: Burkhard Kämper/Hans-Werner Thönnes (Hrsg.), Das kirchliche Arbeitsrecht vor neuen Herausforderungen, Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 46 (2012), S. 53 – 107, hier S. 55 ff.; Axel Freiherr von Campenhausen, Die Verantwortung der Kirche und des Staates für die Regelung von Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 18 (1984), S. 9 – 39, hier S. 21; Marius Schäfer, Kirchliches Arbeitsrecht im Wandel, Hamburg 2018, S. 76 ff. 14 2 Kor 8, 4. 15 Hermann Reichold, Grundlagen des kirchlichen Arbeitsrechts, in: Heinrich Kiel/Stefan Lunk/Hartmut Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 2: Individualarbeitsrecht II, 4. Aufl., München 2018, § 158 Rn. 56. 16 Reichold, Grundlagen des kirchlichen Arbeitsrechts (Anm. 15), § 158 Rn. 56.
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che erfüllen kann.17 Die Dienstgemeinschaft wird grundsätzlich nicht dadurch beeinträchtigt, dass in kirchlichen Einrichtungen auch nichtchristliche Beschäftigte eingesetzt werden, da in einer kirchlichen Einrichtung alle Beschäftigten mit ihrer Arbeit gleichermaßen einen Beitrag zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags leisten18 und unabhängig von der Verkündigungsnähe der konkreten Tätigkeit „Zeugnis für die Kirche und für Christus“ ablegen.19
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften Die Religionsgemeinschaften können ihren Beschäftigten nur deshalb wirksam Loyalitätsanforderungen auferlegen, weil sie nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV das Recht auf selbstbestimmte Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten genießen. Nach der Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall Rommelfanger aus dem Jahr 1985 gehört zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, dass diese allein bestimmen können, was „die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert“, was sie als „spezifisch kirchliche Aufgaben“ ansehen, was „Nähe“ zu ihnen bedeutet, welches die „wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre“ sind und was als – gegebenenfalls schwerer – Verstoß – gegen diese anzusehen ist.20 Diese Position hat das Gericht in seinem Beschluss zum sog. Chefarzt-Fall aus dem Jahr 2014 noch einmal ausdrücklich bestätigt.21 Damit bleibt sowohl die nähere Ausgestaltung der Loyalitätsanforderungen als auch deren Sanktionierung den Kirchen überlassen, so dass allein diese über das „Ob“ und „Wie“ einer möglichen Abstufung der den kirchlichen Arbeitnehmern abverlangten Loyalitätsobliegenheiten entscheiden können.22 Für die Gerichte sind die entsprechenden kirchlichen Vorgaben nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bindend, außer wenn sie sich durch deren Anwendung in Widerspruch zu Grundprinzipien der Rechtsordnung setzen würden, wie sie im allgemeinen Willkür17 Vgl. Art. 1 S. 1 GrO; Reichold, Grundlagen des kirchlichen Arbeitsrechts (Anm. 15), § 158 Rn. 56. 18 BVerfGE 137, 273 Rn. 104; Art. 3 u. 4 GrO; §§ 3, 4 der Loyalitätsrichtlinie; Reichold, Grundlagen des kirchlichen Arbeitsrechts (Anm. 15), § 158 Rn. 57. 19 Näher dazu Wolfgang Rüfner, Das kirchlich rezipierte und adaptierte Dienst- und Arbeitsrecht der übrigen kirchlichen Bediensteten, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR2, Bd. II, 1996, S. 877 – 900, hier S. 892 ff.; Christian Waldhoff, Kirchliche Selbstbestimmung und Europarecht, JZ 2003, S. 978 – 986, hier S. 983; krit. zur fehlenden Abstufung Martin Morlok, Die korporative Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG/Art. 137 Abs. 3 WRV einschließlich ihrer Schranken, in: Hans Michael Heinig/Christian Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, Tübingen 2007, S. 185 – 210, hier S. 206 ff. 20 BVerfGE 70, 138, 167 f. 21 BVerfGE 137, 273 Rn. 100 ff. u.112 ff. 22 BVerfGE 70, 138, 168 f.
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verbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie in den Begriffen der „guten Sitten“ (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 6 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben.23
IV. Die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Egenberger und IR und ihre Rezeption durch das Bundesarbeitsgericht Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ist im Jahr 2018 durch zwei wegweisende Entscheidungen des EuGH zum kirchlichen Arbeitsrecht (Rechtssachen Egenberger und IR) erheblich unter Druck geraten. 1. Rechtssache Egenberger a) Sachverhalt In der Rechtssache Egenberger24 hatt sich die konfessionslose Klägerin Vera Egenberger bei der Diakonie auf eine Referentenstelle beworben. In der Stellenanzeige wurde die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder einer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche vorausgesetzt. Vera Egenberger bekam die Stelle nicht, was ihrer Ansicht nach daran lag, dass sie keiner Religionsgemeinschaft angehört. Sie erhob daraufhin Klage vor den deutschen Arbeitsgerichten auf Zahlung einer Entschädigung von knapp 10.000 E wegen Diskriminierung aus Gründen der Religion. Das BAG legte schließlich dem EuGH die Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (Antidiskriminierungsrichtlinie)25 zur Auslegung vor, da die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit davon abhing, ob die von der Diakonie vorgenommene Differenzierung nach der Religionszugehörigkeit gemäß § 9 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zulässig war. Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG können die Mitgliedstaaten in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen vorsehen, die einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Re23 BVerfGE 137, 273 Rn. 118; Andrea Edenharter, Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen – Eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit, in: NZA 2014, S. 1378 – 1381, hier S. 1378. 24 Ausführlich dazu Andrea Edenharter, „Doomsday“ für das kirchliche Arbeitsrecht?, Verfassungsblog v. 18. 04. 2018, online unter: https://verfassungsblog.de/doomsday-fuer-daskirchliche-arbeitsrecht/ (eingesehen am 28. 02. 2019). 25 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG 2000, Nr. L 303, 16.
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ligion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Der in Umsetzung des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG ergangene § 9 Abs. 1 AGG hingegen erlaubt eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch dann, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Folglich obliegt es nach § 9 Abs. 1 1. Var. AGG den Religionsgemeinschaften, selbst zu entscheiden, ob eine bestimmte Religion eines Beschäftigten eine berufliche Anforderung angesichts ihres Ethos darstellt, zumal nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts26 in Bezug auf das in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV verankerte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften eine Überprüfung der Einhaltung der in § 9 Abs. 1 AGG genannten Kriterien auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkt ist. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG hingegen stellt für die Frage der Zulässigkeit einer Unterscheidung aus Gründen der Religion allein auf die – einer objektiven gerichtlichen Überprüfung zugänglichen – Art der konkreten Tätigkeit des betroffenen Beschäftigten unter Berücksichtigung des kirchlichen Ethos ab. Außerdem wollte das BAG wissen, ob § 9 Abs. 1 1. Var. AGG, falls der EuGH ein letztverbindliches Entscheidungsrecht der Kirchen bezüglich der Religionszugehörigkeit als Beschäftigungsanforderung verneine, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten unangewendet bleiben müsse. b) Urteil des EuGH Der EuGH entschied, dass die Kontrolle der Einhaltung der Kriterien des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG ins Leere ginge, wenn sie nicht den staatlichen Gerichten, sondern den Kirchen selbst obläge,27 wobei zu berücksichtigen sei, dass die Richtlinie 2000/78/EG in dem von ihr erfassten Bereich das in Art. 21 der Grundrechte-Charta (GRC) verankerte allgemeine Diskriminierungsverbot konkretisiere.28 Zugleich erinnerte der Gerichtshof daran, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/ EG auch dem in Art. 17 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geschützten Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften Rechnung tragen solle, woraus folge, dass im Falle eines Konflikts zwischen dem Recht der Arbeitnehmer auf Schutz vor Diskriminierungen aus religiösen Gründen 26
BVerfGE 70, 138, 163 ff.; 137, 273 Rn. 112 ff.; s. dazu oben, III. EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 46. 28 EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 47.
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und der Selbstbestimmungsgarantie der Religionsgemeinschaften ein angemessener Ausgleich herzustellen sei.29 Diese Abwägung müsse jedoch von einem staatlichen Gericht überprüft werden können, zumal auch Art. 17 AEUVeine solche gerichtliche Kontrolle nicht ausschließe.30 Im Anschluss daran legte der EuGH dar, anhand welcher Kriterien die Einhaltung der Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/ EG im Einzelfall zu prüfen sein soll. Dabei hob der Gerichtshof zunächst hervor, dass die staatlichen Gerichte im Regelfall nicht über das der in Rede stehenden beruflichen Anforderung zugrunde liegende religiöse oder weltanschauliche Ethos als solches entscheiden dürften,31 sondern sie vielmehr darüber zu befinden hätten, ob die drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ auf Grund der Art der fraglichen beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung im Hinblick auf das kirchliche Ethos im Einzelfall erfüllt seien.32 In diesem Zusammenhang hätten die staatlichen Gerichte zu prüfen, ob die fragliche Anforderung notwendig und angesichts des kirchlichen Ethos aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung auch objektiv geboten sei.33 Außerdem müsse der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden.34 Abschließend wandte sich der EuGH der Frage zu, ob ein nationales Gericht bei einem Rechtsstreit zwischen Privaten verpflichtet sei, eine nationale Vorschrift, die Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/ EG widerspricht, unangewendet zu lassen. Der Gerichtshof bejahte dies,35 womit er eine unmittelbare Privatrechtswirkung des Diskriminierungsverbots des Art. 21 GRC annimmt, welche geeignet ist, die Ausgestaltung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland tiefgreifend zu beeinflussen.36 c) Umsetzung durch das Bundesarbeitsgericht Es oblag nunmehr dem BAG, die Vorgaben aus Luxemburg in seiner Entscheidung in dem fraglichen Fall umzusetzen. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass § 9 Abs. 1 1. Var. AGG, wonach es in dem Fall, dass eine Religionsgemeinschaft, kirchliche Einrichtung oder Vereinigung ihr Selbstbestimmungsrecht ausgeübt und die Zugehörigkeit zu einer Kirche als berufliche Anforderung bestimmt hat, für die Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen der Religion weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankommt, mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG unvereinbar ist und mangels Möglichkeit einer uni29
EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 50 f. EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 56 ff. 31 EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 61 u. 64. 32 EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 62 f. 33 EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 65 f. 34 EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 67 ff. 35 EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 79. 36 Näher dazu Andrea Edenharter, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-414/16, Egenberger, in: DVBl. 2018, S. 867 – 870, hier S. 869 f. 30
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onsrechtskonformen Auslegung unangewendet bleiben muss.37 Daraus folgt, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion ohne Berücksichtigung der konkreten Tätigkeit des oder der Beschäftigten nicht mehr verlangt werden kann. § 9 Abs. 1 2. Var. AGG hingegen, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, muss unionsrechtskonform ausgelegt werden. Das bedeutet, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen oder Vereinigungen zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung nach Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige oder gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.38 Damit verlangt auch das BAG einen direkten, gerichtlich überprüfbaren Zusammenhang zwischen der vom kirchlichen Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der konkreten Tätigkeit des Beschäftigten.39 Zudem muss die Religionszugehörigkeit auf Grund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit nach Auffassung des BAG „wesentlich“ sein,40 wobei das Gericht in Übereinstimmung mit den Vorgaben des EuGH eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornimmt41 und so insbesondere nach der Angemessenheit der Forderung nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion im Falle einer konkreten Tätigkeit fragt. 2. Rechtssache IR a) Sachverhalt In der Rechtssache IR, besser bekannt als „Chefarzt-Fall“, ging es um ein katholisches Krankenhaus in Düsseldorf, das von einer GmbH betrieben wird, die der Aufsicht des Erzbistums Köln unterliegt. Der Chefarzt dieses Krankenhauses, selbst katholischer Konfession, hatte nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau nach Zivilrecht erneut geheiratet, ohne dass die erste Ehe annulliert worden war. Damit war die zweite Ehe nach dem Kirchenrecht ungültig. Als die Klinik von der erneuten Eheschließung erfuhr, kündigte sie ihm mit der Begründung, dass er damit in erheblicher 37
BAG, Urt. v. 25. 10. 2018 – 8 AZR 501/14, Rn. 24 ff. BAG, Urt. v. 25. 10. 2018 – 8 AZR 501/14, Rn. 62. 39 BAG, Urt. v. 25. 10. 2018 – 8 AZR 501/14, Rn. 65. 40 BAG, Urt. v. 25. 10. 2018 – 8 AZR 501/14, Rn. 67. 41 BAG, Urt. v. 25. 10. 2018 – 8 AZR 501/14, Rn. 69 f. 38
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Weise Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt habe. Als leitender Mitarbeiter eines katholischen Krankenhauses müsse sein Lebenszeugnis der katholischen Glaubens- und Sittenlehre entsprechen, so dass sein Handeln als schwerer Verstoß gegen Loyalitätsobliegenheiten einzustufen sei. Das Bundesarbeitsgericht42 hielt die Kündigung für unwirksam, da das Krankenhaus nicht-katholischen Arbeitnehmern in vergleichbaren Fällen nach einer Wiederheirat nicht gekündigt habe, aber das Bundesverfassungsgericht43 hob das Urteil des BAG im Jahr 2014 auf: Die staatlichen Gerichte hätten zu überprüfen, ob es auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche plausibel erscheint, dass eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhat und eine bestimmte Loyalitätsobliegenheit Ausdruck eines kirchlichen Glaubenssatzes ist und welches Gewicht es nach dem kirchlichen Selbstverständnis hat, wenn gegen sie verstoßen wird. Der Fall ging daraufhin an das BAG zurück, das zu der Auffassung kam, dass wegen der Ungleichbehandlung des Chefarztes im Verhältnis zu nicht-katholischen Arbeitnehmern in vergleichbaren Fällen die Frage nach der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 der Richtlinie 2000/78 EG dem EuGH vorzulegen sei. b) Urteil des EuGH Der EuGH lehnte sich in seinem Urteil in der Rechtssache IR44 eng an seine Entscheidung in der Rechtssache Egenberger an und betonte, dass die dort aufgestellten Kriterien nicht nur für konfessionsbezogene Einstellungsentscheidungen, sondern auch für konfessionsbezogene Loyalitätsobliegenheiten gölten.45 Während der Gerichtshof in der Egenberger-Entscheidung nur am Rande auf Art. 17 AEUV, der den Status der Kirchen achtet, einging, behandelte er die Vorschrift im IR-Urteil ausführlicher, kam jedoch zum Ergebnis, dass die Neutralität der EU gegenüber den nationalen staatskirchenrechtlichen Modellen nicht dazu führe, dass die Kirchen und die ihnen gleichgestellten Organisationen von Bindungen an das europäische Antidiskriminierungsrecht freigestellt werden müssten.46 Der EuGH verlangte außerdem, dass die entsprechende Loyalitätsanforderung nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG vor dem Hintergrund von Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 „wesentlich“ ist, was dann der Fall sei, wenn sie auf Grund der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für die Bekundung des Ethos oder für die Ausübung der Kirchenau-
42
BAGE 139, 144 Rn. 42. BVerfGE 137, 273 Rn. 113. 44 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696. 45 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 45. 46 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 48; krit. dazu Claus Dieter Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck – Anmerkungen zu den Urteilen des EuGH (jeweils GK) vom 17. 04. 2018 in der Rs. C.-414/16 (Egenberger) und vom 11. 09. 2018 in der Rs. C-68/17 (IR), in: EuR 2018, S. 752 – 768, hier S. 760 f. 43
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tonomie notwendig erscheine.47 Zudem müsse die entsprechende Anforderung „rechtmäßig“, mithin frei von sachfremden Zielen sein.48 Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion komme weiterhin nur in Betracht, wenn die entsprechende Loyalitätsanforderung durch ein nationales Gericht überprüfbar sei und ohne die Anforderung Ethos oder Kirchenautonomie wahrscheinlich und erheblich beeinträchtigt würden.49 Schließlich verlangte der EuGH auch im Fall IR eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, d. h. die nationalen Gerichte müssen die Angemessenheit der beruflichen Anforderung prüfen.50 Über die Auslegung des Unionsrechts hinaus gab der EuGH dem BAG noch Auslegungshinweise für den konkreten Fall an die Hand, indem er das kirchliche Eheverständnis für die Tätigkeit eines Chefarztes der Inneren Medizin nicht als wesentliche Voraussetzung der beruflichen Tätigkeit im Sinne der Richtlinie ansah.51 Die Letztentscheidung überlässt der EuGH jedoch dem nationalen Gericht, das zu prüfen habe, ob in Anbetracht der konkreten Umstände des Ausgangsverfahrens für den kirchlichen Arbeitgeber die Gefahr einer Beeinträchtigung seines Ethos oder seiner Autonomie wahrscheinlich und erheblich sei.52 c) Umsetzung durch das Bundesarbeitsgericht Das BAG53 entschied auf Grundlage der Vorgaben aus Luxemburg, dass der Chefarzt mit seiner Wiederverheiratung weder eine wirksam vereinbarte Loyalitätspflicht noch eine berechtigte Loyalitätserwartung der katholischen Kirche verletzt habe. Die Vereinbarung im Dienstvertrag sei gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam, soweit dadurch das Leben in kirchlich ungültiger Ehe als schwerwiegender Loyalitätsverstoß eingestuft wird, da diese Regelung den betroffenen Chefarzt gegenüber nicht der katholischen Kirche angehörenden leitenden Mitarbeitern wegen seiner Religionszugehörigkeit benachteilige, ohne dass eine Rechtfertigung nach § 9 Abs. 2 AGG, der grundsätzlich die Aufstellung von Loyalitätsanforderungen durch kirchliche Arbeitgeber erlaubt, möglich sei. Das BAG nahm dabei eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 9 Abs. 2 AGG vor und betonte, dass sein Ergebnis jedenfalls aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts folge. Die Loyalitätspflicht, keine nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der katholischen Kirche ungültige Ehe zu schließen, sei im Hinblick auf die Art und Tätigkeit des Chefarztes und die Umstände ihrer Ausübung keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung. Quasi zur eigenen Absicherung betonte das BAG, dass auch nationales Verfassungsrecht, mithin die Rechtsprechung des Bundesverfas47
EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 51. EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 52. 49 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 53. 50 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 54. 51 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 57 f. 52 EuGH, Rs. C-68/17, IR, ECLI:EU:C:2018:696, Rn. 60. 53 BAG, Urt. v. 20. 02. 2019 – 2 AZR 746/14.
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sungsgerichts, seiner Entscheidung nicht entgegenstehe. Der EuGH habe mit seiner Auslegung der Richtlinie 2000//78/EG seine Kompetenz nicht überschritten, so dass das Urteil des Luxemburger Gerichtshofs keinen Ultra-vires-Akt darstelle und auch die Verfassungsidentität des Grundgesetzes nicht berührt sei.
V. Folgen für das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland Die beiden Entscheidungen des EuGH sowie ihre Umsetzung durch das BAG dürften richtungsweisend sein für das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland, da sie die Personalautonomie der kirchlichen Arbeitgeber empfindlich beschneiden und künftig eine echte Rechtmäßigkeitskontrolle durch staatliche Gerichte erlauben.54 Dies erfordert einerseits ein Handeln der beiden Kirchen als Arbeitgeber, gleichzeitig aber könnte sich ein Konflikt zwischen dem EuGH und dem Bundesverfassungsgericht anbahnen, welches das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften bislang vehement verteidigt hatte. 1. Handlungsbedarf seitens der katholischen und evangelischen Kirche Während die EuGH-Entscheidung im Fall IR für die evangelische Kirche mangels Vorgaben der Loyalitätsrichtlinie zum Eheleben leichter umzusetzen sein wird, bedarf die Grundordnung der katholischen Kirche insoweit der Anpassung. Die Egenberger-Entscheidung dagegen tangiert beide Kirchen in ähnlicher Weise, da sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche, obwohl sie ihre Regelwerke bereits liberalisiert haben, für bestimmte Positionen nach wie vor die Zugehörigkeit zur jeweiligen Konfession verlangen. Die Loyalitätsrichtlinie der evangelischen Kirche bedarf der Änderung, da sie, wenngleich § 3 Abs. 2 S. 3 nunmehr eine Öffnung gegenüber Nichtchristen vorsieht, in § 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 für die berufliche Tätigkeit in der Kirche und ihrer Diakonie weiterhin grundsätzlich und pauschal die Konfessionszugehörigkeit bzw. zumindest die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche verlangt.55 Angepasst werden muss auch die Grundordnung der katholischen Kirche, die in Art. 3 Abs. 2 für pastorale und katechetische Positionen zwingend und für erzieherische und leitende Aufgaben „in der Regel“ die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche vorsieht. Allerdings ist hervorzuheben, dass die beiden EuGH-Entscheidungen die Voraussetzung einer bestimmten Kirchenzugehörigkeit und die Aufstellung von Loyalitätsanforderungen durch kirchliche Arbeitgeber keineswegs 54
Vgl. Michael Fuhlrott, Eine zweite Ehe ist kein Kündigungsgrund, Legal Tribune Online v. 20. 02. 2019, online unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bag-2azr74614-zweiteehe-chefarzt-kirche-krankenhaus-unwirksam/ (eingesehen am 04. 03. 2019). 55 Hermann Reichold/Peter Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen, in: NZA 2018, S. 681 – 686, hier S. 683; dazu auch Junker, Gleichbehandlung und kirchliches Arbeitsrecht (Anm. 5), S. 1853.
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allgemein verbieten, sondern erst dann entstehen, wenn die fraglichen Vorgaben eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Religion darstellen. Bei der Voraussetzung der Konfessionszugehörigkeit liegt ein Widerspruch zu den Vorgaben des EuGH vor, wenn nach dem von der Kirche entwickelten Stellenprofil kein hinreichender Bezug zum kirchlichen Ethos vorliegt. Ein gewichtiges Indiz dafür ist, wenn auf vergleichbaren Positionen auch anders oder nicht konfessionell gebundene Arbeitnehmer beschäftigt werden.56 Die Kirchen müssen ihre Regelwerke dementsprechend dahingehend reformieren, dass die pauschale Voraussetzung der Konfessionsoder Religionszugehörigkeit für Positionen außerhalb des pastoralen und katechetischen Bereichs aufgegeben und stattdessen die Konfessions- oder Religionszugehörigkeit nur noch in Abhängigkeit vom Profil der konkret ausgeschriebenen Stelle verlangt wird.57 Im Fall von Loyalitätsanforderungen kann es zu einem Konflikt mit der Rechtsprechung des EuGH kommen, wenn die entsprechende Vorgabe nur für die katholischen, evangelischen bzw. überhaupt für die christlichen Beschäftigten, nicht aber für alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt. Die Kirchen, insbesondere die von der Problematik besonders betroffene katholische Kirche, könnten die Diskriminierungsproblematik umgehen, indem sie für alle Beschäftigten weniger strikte, einheitliche Loyalitätsobliegenheiten formulieren,58 welche dann lediglich den Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung, d. h. dem Willkürverbot, dem Sittenwidrigkeitsverbot sowie dem ordre-public-Vorbehalt Rechnung tragen müssen.59 Ein derartiges Vorgehen wird für die Kirchen jedoch regelmäßig unbefriedigend sein, wenn in Bezug auf die fragliche Stelle ihr Ethos aus ihrer Sicht von besonderer Bedeutung ist. Bei solchen Positionen dürfen nach Auffassung des EuGH striktere Loyalitätsanforderungen gestellt werden, wenn diese aus objektiv nachvollziehbaren und gerichtlich überprüfbaren Gründen für das Ethos der Kirche oder für ihre Autonomie erforderlich sind und sie sich auch als verhältnismäßig erweisen. Die Erforderlichkeit strikterer Loyalitätsanforderungen für konfessionell gebundene Mitarbeiter ist mit dem EuGH jedoch zu verneinen, wenn auf vergleichbaren Stellen auch Arbeitnehmer ohne konfessionelle Bindung beschäftigt werden. Keine Probleme ergeben sich, wenn bestimmte Stellen ausschließlich konfessionsbezogen besetzt werden, wie dies im „verkündigungsnahen“ Bereich regelmäßig der Fall sein wird. Ist bereits bei der Einstellung die Konfessionszugehörigkeit auch auf Grundlage der EuGHRechtsprechung ein unabdingbares Kriterium, lassen sich angesichts des Gleichlaufs der Entscheidungsbegründungen in den Rechtssachen Egenberger und IR auch entsprechende Anforderungen an die Lebensführung mit der Art der Tätigkeit rechtfer-
56 Stefan Greiner, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten nach dem „IR“-Urteil des EuGH, in: NZA 2018, S. 1289 – 1294, hier S. 1293. 57 Vgl. Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck (Anm. 46), S. 756. 58 So auch Greiner, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten (Anm. 56), S. 1293. 59 BVerfGE 70, 138, 168.
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tigen.60 Konkret gilt dies für den pastoral-katechetischen Bereich, so dass etwa von Gemeindereferentinnen und –referenten in der katholischen Kirche weiterhin die Beachtung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlangt werden kann. Insoweit bedarf die Grundordnung keiner Korrektur.61 Etwas anders stellen sich die Dinge hingegen für solche Beschäftigte dar, bei denen zwar, wie bei leitenden Beschäftigten im karitativen Bereich, die Konfessionszugehörigkeit auch nach den Grundsätzen des EuGH weiterhin ein Einstellungskriterium sein darf, die jedoch nicht im Kernbereich der Verkündigung tätig werden. Für solche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer muss auf die Aufstellung strikterer Loyalitätsanforderungen künftig verzichtet werden, da in derartigen Fällen der vom EuGH vorausgesetzte, unmittelbare Bezug zur konkreten Tätigkeit in der Regel zu verneinen sein dürfte. So wird kaum zu begründen sein, warum ein katholischer Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus im Fall einer Wiederheirat nach Scheidung und ohne Annullierung der ersten Ehe entlassen werden muss, wenn konfessionslosen Chefärzten in dem fraglichen Krankenhaus in einer vergleichbaren Situation nicht gekündigt würde. Diese Logik gilt erst recht bei Beschäftigten, bei denen die Konfessionszugehörigkeit schon bei der Einstellung kein Kriterium war. Daher muss die Grundordnung künftig noch klarer erkennen lassen, welche Funktionsträger im karitativen Bereich aus Sicht der Kirche in einer derart engen Beziehung zum Sendungsauftrag stehen, dass die Aufstellung strikterer Loyalitätsanforderungen jenseits der gegenüber allen Beschäftigten eingeforderten Verhaltensweisen ihnen gegenüber gerechtfertigt ist.62 Dies läuft im Ergebnis auf eine gerichtlich voll nachprüfbare Differenzierung in „verkündigungsnahe“ und „verkündigungsferne“ Tätigkeiten hinaus, wie sie bislang vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich abgelehnt wurde.63 Die katholische Kirche selbst hat mit der Änderung ihrer Grundordnung im Jahr 2015 schon Schritte in Richtung einer solchen Differenzierung unternommen, indem sie auch im Falle eines schwerwiegenden Loyalitätsverstoßes nach Art. 5 Abs. 3 GrO eine Einzelfallabwägung vorsieht. Die jüngsten Vorgaben des EuGH werden dadurch jedoch nicht hinreichend umgesetzt, da die Wiederheirat nach Scheidung ohne Eheannullierung oder das Eingehen einer homosexuellen Ehe danach grundsätzlich auch weiterhin für alle Beschäftigten arbeitsrechtliche Verfehlungen bleiben.64 Um den Schritt zur Umsetzung der EuGH-Urteile zu gehen, bedarf es einer eingehenden theologischen Reflexion, die der EuGH den Kirchen ausdrücklich gestattet,65 da insoweit das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaf60 Greiner, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten (Anm. 56), S. 1293; Andreas Schneedorf, Diskriminierungsschutz nach dem EuGH – Bröckelt das Fundament des kirchlichen Arbeitsrechts?, in: NJW 2019, S. 177 – 181, hier S. 180. 61 So auch Reichold/Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen (Anm. 55), S. 683. 62 Reichold/Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen (Anm. 55), S. 683. 63 S. nur BVerfGE 137, 273 Rn. 115 u. 168. 64 Fuhlrott, Eine zweite Ehe ist kein Kündigungsgrund (Anm. 54). 65 Reichold/Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen (Anm. 55), S. 683.
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ten auch vom Luxemburger Gerichtshof respektiert wird.66 Abzuwarten bleibt, ob die Grundsätze der Entscheidungen Egenberger und IR auch auf den Fall des Kirchenaustritts übertragbar sind, für den beide Kirchen in ihren Regelwerken eine (Weiter-) Beschäftigung ausschließen.67 Dafür spricht jedenfalls, dass auch in derartigen Konstellationen eine Diskriminierung aus Gründen der Religion gegeben sein kann, falls auf vergleichbaren Positionen auch konfessionslose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden.68 Für die Kirchen kann die Notwendigkeit der Überarbeitung ihrer Einstellungsvoraussetzungen und Loyalitätsobliegenheiten aber auch eine Chance darstellen, da sie nunmehr gezwungen sind, das spezifisch Kirchliche ihrer Einrichtungen auch für Außenstehende widerspruchsfrei sichtbar werden zu lassen und so ihr Profil zu schärfen.69 Dies kann etwa dadurch geschehen, dass in kirchlichen Seniorenheimen spezifisch religiöse Angebote bereit gehalten werden und/oder eine dem Individuum gerecht werdende Betreuung auf Grundlage der christlichen Glaubenslehre garantiert wird, welche sich von der Betreuung in vergleichbaren Einrichtungen erkennbar unterscheidet. Zur Definition des kirchlichen Propriums muss jedenfalls zunächst die Art und Weise der Teilhabe am Sendungsauftrag der Kirche konkretisiert werden, bevor der spezifische Beitrag der einzelnen Beschäftigten untersucht wird und auf dieser Grundlage gegebenenfalls abgestufte Loyalitätsanforderungen entwickelt werden können.70 Ist eine entsprechende Profilbildung hingegen nicht gewollt oder auf Grund eines Mangels an konfessionell gebundenem Personal nicht möglich, können an die Beschäftigten auch keine entsprechenden Anforderungen bezüglich Konfessionszugehörigkeit und Loyalität gestellt werden. Dies kann letztlich bedeuten, dass sich die Kirchen aus Gründen der Glaubwürdigkeit besser aus bestimmten Bereichen zurückziehen sollten, wenn andere Träger bereit stehen, die die fraglichen Aufgaben übernehmen können.71 Vorher müssten aber Möglichkeiten ausgelotet werden, ob gerade karitative Einrichtungen nicht auch mit nicht-konfessionsgebundenem Personal, das den kirchlichen Sendungsauftrag unterstützt, ohne zugleich die entsprechende Glaubens- und Sittenlehre zu übernehmen, ihr Ethos überzeugend vermitteln können,72 etwa durch das Zeugnis gelebter Fürsorge und Solidarität. Der Verzicht auf pauschale hartherzige Sanktionen im Falle eines Loyalitätsversto66
Dies betont auch Jacob Joussen, § 9 Abs. 1 AGG – Der EuGH und die Kirchenzugehörigkeit von Beschäftigten, in: EuZA 2018, S. 421 – 435, hier S. 431 f. 67 Art. 3 Abs. 4 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) GrO schließt in diesem Fall eine Beschäftigung zwingend aus, während § 3 Abs. 3 der Loyalitätsrichtlinie diesbezüglich immerhin eine Regelvorgabe enthält. 68 In diese Richtung auch Greiner, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten (Anm. 56), S. 1293; Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck (Anm. 46), S. 766 f. 69 Schneedorf, Diskriminierungsschutz nach dem EuGH (Anm. 60), S. 180; Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck (Anm. 46), S. 766. 70 Reichold/Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen (Anm. 55), S. 685. 71 Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck (Anm. 46), S. 766. 72 Suttorp/Braun, Europäisierung des kirchlichen Arbeitsrechts? (Anm. 5), S. 275.
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ßes durch Beschäftigte außerhalb des „verkündigungsnahen“ Kernbereichs kann jedenfalls auch dazu beitragen, dass die Kirche die Botschaft des Evangeliums, welche eine Botschaft der Mitmenschlichkeit ist, in der Welt glaubwürdiger verkünden kann.73 2. Potentieller Konflikt zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht Ob die Kirchen durch die beiden EuGH-Entscheidungen wirklich zu einer Änderung ihrer Vorgaben gezwungen werden, hängt, nachdem die evangelische Kirche Verfassungsbeschwerde gegen das BAG-Urteil in der Rechtssache Egenberger eingelegt hat, nunmehr noch vom Bundesverfassungsgericht ab. Die Egenberger-Entscheidung des EuGH (und ebenso die Chefarzt-Entscheidung des Luxemburger Gerichtshofs) steht nämlich zumindest teilweise in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Arbeitsrecht, so dass das Bundesverfassungsgericht zumindest theoretisch prüfen kann, ob die Rechtsprechung des EuGH einen Ultra-vires-Akt darstellt oder die nationale Verfassungsidentität verletzt.74 In einem derartigen Fall müsste die fragliche EuGH-Entscheidung in Deutschland unangewendet bleiben.75 Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kommt allerdings nur in Betracht, wenn ersichtlich ist, dass Maßnahmen von Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sind.76 Ersichtlich ist ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung freilich nur dann, wenn der EuGH die Grenzen seiner Kompetenzen in einer das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung spezifisch verletzenden Art überschritten hätte (Art. 23 Abs. 1 GG), der Kompetenzverstoß mit anderen Worten hinreichend qualifiziert ist.77 Dies bedeutet, dass das kompetenzwidrige Handeln offensichtlich sein muss und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht zu fallen hat,78 also strukturell bedeutsam sein muss.79 Mit der Identitätskontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die durch Art. 23 Abs. 1 S. 3 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze verletzt wurden.80 Da 73
So auch Greiner, Kirchliche Loyalitätsobliegenheiten (Anm. 56), S. 1294. Zum Verhältnis der beiden Kontrollvorbehalte s. BVerfGE 142, 123 Rn. 121; ausdrücklich offen gelassen hingegen das Verhältnis von Identitätskontrolle und Solange-Vorbehalt in BVerfGE 140, 317 Rn. 34. 75 BVerfGE 123, 267, 354; 126, 286 Rn. 68; 140, 317 Rn. 40. 76 Peter Michael Huber, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl., München 2018, Art. 19 EUV Rn. 82. 77 Huber, in Streinz, EUV/AEUV (Anm. 76), Art. 19 EUV Rn. 82. 78 BVerfGE 134, 366 Rn. 24. 79 BVerfGE 123, 267, 400. 80 BVerfGE 134, 366 Rn. 27; 140, 317 Rn. 41 ff. 74
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die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 der Richtlinie 2000/78/EG und damit auch der Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie zugestimmt hatte, das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 21 GRC verankert ist und der Ansatz des EuGH keineswegs neu ist, sondern zuvor schon so vom BAG vertreten worden war,81 wird man kaum von einem ausbrechenden Rechtsakt oder einer Verletzung der nationalen Verfassungsidentität sprechen können.82 Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die katholische Kirche ihre Grundordnung selbst im Jahr 2015 für eine gewisse Differenzierung zwischen „verkündigungsnahen“ und verkündigungsfernen“ Tätigkeiten geöffnet hat. Die Annahme eines Ultra-vires-Akt des EuGH dürfte schließlich schon deshalb ausscheiden, weil kaum zu begründen sein wird, dass nur mit einem Vorrang des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts der dem Diskriminierungsschutz die Selbstbestimmung der politischen Gemeinschaft gewährleistet werden kann.83 Deshalb wäre das Bundesverfassungsgericht gut beraten, in der Rechtssache Egenberger nicht die Konfrontation mit dem EuGH zu suchen, zumal das Gericht zuletzt auch in einem anderen Fall auf die Aktivierung seiner Identitätskontrolle verzichtet hatte.84 Vorzugswürdig ist dementsprechend, dass das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung in dem vom EuGH gezogenen Rahmen fortentwickelt,85 was für die Kirchen bedeutet, dass sie eine Änderung ihrer Einstellungsvoraussetzungen bzw. Loyalitätsanforderungen vornehmen müssen, um Konflikte mit dem staatlichen Recht zu vermeiden.
VI. Fazit und Ausblick Die Entscheidungen Egenberger und IR des EuGH erfordern einen Paradigmenwechsel beim kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland, ohne das kirchliche Arbeits81
BAGE 139, 144 Rn. 41 ff. Mike Wienbracke, Anmerkung zu EuGH (Große Kammer), Urt. v. 17. 4. 2018 – C-414/ 16 (Vera Egenberger / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung eV), in: NZA-RR 2018, S. 349 – 350, hier S. 350; Mehrdad Payandeh, Europarecht: Grenzen des Selbstbestimmungsrechts von Religionsgemeinschaften, in: JuS 2018, S. 593 – 596, hier S. 596; Schneedorf, Diskriminierungsschutz nach dem EuGH (Fn. 60), S. 180; Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck (Anm. 46), S. 765 f.; Kyra Klocke/Hendrik Wolters, Die Reichweite der Religionsfreiheit im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, in: BB 2018, S. 1460 – 1465, hier S. 1464; a. A. aber wohl Michael Lysander Fremuth, Das letzte Amen ist noch nicht gesprochen, in: EuZW 2018, S. 723 – 731, hier S. 730. 83 Heiko Sauer, Kirchliche Selbstbestimmung und deutsche Verfassungsidentität: Überlegungen zum Fall „Egenberger“, Verfassungsblog v. 03. 05. 2019, online unter: https://verfas sungsblog.de/kirchliche-selbstbestimmung-und-deutsche-verfassungsidentitaet-ueberlegungenzum-fall-egenberger/ (eingesehen am 14. 05. 2019). 84 BVerfGE 147, 364 Rn. 36; Adam Sagan, Anmerkung zu EuGH (Große Kammer), Urt. v. 17. 4. 2018 – C-414/16 (Vera Egenberger / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung eV), in: EuZW 2018, S. 386 – 387, hier S. 387. 85 Wienbracke, Anmerkung zu EuGH (Große Kammer), Urt. v. 17. 4. 2018 – C-414/16 (Anm. 82), S. 350. 82
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recht als solches in Frage zu stellen. Die beiden Kirchen tun gut daran, die Vorgaben aus Luxemburg zum Anlass zu nehmen, um ihre bisherige Praxis bezüglich der Aufstellung von Einstellungsvoraussetzungen und Loyalitätsanforderungen im Sinne der Stärkung ihrer Glaubwürdigkeit zu korrigieren. Im Fall der katholische Kirche könnte ein solcher Paradigmenwechsel langfristig auch zu einer grundlegenden Reform der Glaubens- und Sittenlehre beitragen, durch die u. a. die Diskriminierung von Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen beendet wird. Eine solche Reform ist längst überfällig, nicht nur mit Blick auf das Europarecht, sondern vor allem vor dem Hintergrund des Glaubwürdigkeitsverlusts, unter dem die katholische Kirche schon länger leidet und der durch den aktuellen Missbrauchsskandal noch verstärkt wird. Wenn die Kirche weiterhin ein relevanter Akteur in Gesellschaft und Politik sein möchte, muss sie sich den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit stellen und kann etwa auf das Scheitern von jeder dritten Ehe in Deutschland86 nicht weiterhin mit der pauschalen Ausgrenzung Betroffener sowohl im Arbeitsleben als auch beim Sakramentenempfang antworten. „Die Kirche scheitert wohl dann, wenn sie das Scheitern von Menschen nicht wahrnimmt.“87 – so brachte unser Jubilar die wohl größte Herausforderung für die katholische Kirche in der heutigen Zeit auf den Punkt. Als Einzelherausforderungen machte er dabei den Umgang mit Scheidung und Wiederheirat, das Spannungsfeld zwischen Freiheit und (Glaubens-)Gehorsam, den Zölibat, den Umgang mit Homosexualität sowie die Art und Weise der Gemeideleitung aus.88 In Bezug auf das kirchliche Arbeitsrecht hat der EuGH mit seinem „Aggiornamento made in Europe“ auf dem Weg zu Reformen einen entscheidenden Beitrag geleistet. Nun ist es an der Kirche, „die Zeichen der Zeit“89 zu erkennen.
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Statistisches Bundesamt, Deutlich weniger Ehescheidungen im Jahr 2017, Pressemitteilung Nr. 251 vom 10. 07. 2018, online unter https://www.destatis.de/DE/PresseService/Pres se/Pressemitteilungen/2018/07/PD18_251_12631.html (eingesehen am 05. 03. 2019). 87 Rees, Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums deuten (Anm. 1), S. 137. 88 Rees, Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums deuten (Anm. 1), S. 137 ff. 89 Vgl. Mk 13, 24 – 29; Lk 12, 54 – 57.
„Ehe für alle“ und naturrechtlich-christliches Eheverständnis in der Schweiz: einige historisch-rechtliche Überlegungen Von Gabriela Eisenring
I. Einführung Ab 1. Januar 2019 hat Österreich1 nach Deutschland2 die zivilrechtliche Ehe für alle eingeführt. Mit dieser Gesetzgebung hat auch Österreich mit dem christlichen Eheverständnis, das die eheliche Rechtstradition in Europa während praktisch zweitausend Jahren geprägt hat, gebrochen. Europa ist sich über das, was die Ehe ist, schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr einig. Im Jahr 2001 erlaubte die Niederlande als erstes Land der Welt den gleichgeschlechtlichen Paaren die standesamtliche Ehe. Mittlerweile sind viele EU-Mitgliedstaaten diesem Weg gefolgt.3 Andere EU-Staaten sehen hingegen die Ehe weiterhin als Gemeinschaft von einem Mann und einer Frau, haben für Homosexuelle aber das Rechtsinstitut der Eingetragenen Partnerschaft geschaffen.4 Einige der 2004 und 2007 beigetretenen EU-Mitglieder kennen bisher keinerlei Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Paare: Lettland, Bulgarien, Litauen, Polen und die Slowakei. Vier EU-Staaten haben die Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau sogar verfassungsrechtlich geschützt: Kroatien, Ungarn, Bulgarien und die Slowakei. Auch wenn Stellungnahmen des Europäischen Parlaments und EUKommissaren regelmäßig das Gegenteil suggerieren: Die EU beansprucht keine Kompetenz im Ehe-und Standesrecht. Auch jenseits der EU-Grenzen herrscht in Europa ein Dissens in der Frage der Homo-Ehe: Norwegen und Island kennen eine solche, die Schweiz hingegen die Ein1
In Österreich im Gegensatz zu Deutschland lehnte das Parlament zwar die Ehe für alle ab. Der Verfassungsgerichtshof erließ hingegen am 4. Dezember 2017 ein Urteil, wo sie sich zum Gesetzgeber aufschwangen. Anders als in Rechtsstaaten üblich, haben die Höchstrichter mit ihrem Urteil rechtsschöpferisch gewirkt und das Standesrecht in Österreich revolutioniert. 2 Die Ehe für alle wurde am 30. Juni 2017 im Bundestag genehmigt. 3 Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Malta, Portugal, Spanien, Schweden und Deutschland. In Grossbritannien ebenfalls, abgesehen jedoch von Nordirland, wo den Homosexuellen nur eine Eingetragene Partnerschaft offensteht. 4 Slowenien, Kroatien, Griechenland, Ungarn, Italien, Estland, Tschechien.
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getragene Partnerschaft, während Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Albanien keinerlei Anerkennung homosexueller Partnerschaften kennen. Nun folgt auch die Schweiz den Schritten ihrer deutschsprachigen Nachbarsländer. Es ist zurzeit eine parlamentarische Initiative „Ehe für alle“ in der Vernehmlassung. Dieser Vorstoss wirft nicht wenige ethische und rechtliche Fragen auf. In diesem Artikel sollen anhand eines kurzen geschichtlichen Abrisses die Veränderungen des Ehebegriffs in der Schweiz aufgezeigt werden. Danach wird aufgezeigt, in welcher Weise die Einführung der «Ehe für alle“einen Bruch mit dem christlichen Eheverständnis bedeuten würde. Tatsache ist, dass Ehe und Familie in unserer Zeit wie keine andere gesellschaftliche Realität einen grossen Wandel erlebt haben, sowohl kulturell als auch im Rechtssystem, das immer von einem sogenannten konkreten Menschenbild ausgeht. Die Grundauffassung der Ehe wirkt sich natürlich auf ihre rechtliche Behandlung aus. Wandlungen der Ehevorstellung spiegeln sich im Eherecht wieder, und umgekehrt prägen Wandlungen des Eherechts auch das Bild, das eine Gesellschaft von der Ehe hat. Dieser Wandel soll nachfolgend in einem kurzen historischen Abriss nachgezeichnet werden.
II. Historischer Abriss des Eherechts in der europäischen Rechtskultur Bekanntlich stützt sich das europäische auf das christliche Eherecht, das seine Wurzel vor allem im römischen Eherecht hat. Dieses verstand den Konsens als konstitutives Element der Ehe.5 Weder das Zusammenleben noch die Beiwohnung, sondern der Ehewille ist das begründende Element der Ehe. Dieses Prinzip prägte dann auch das kanonische Eherecht. Die ersten Christen, die römische Bürger waren, heirateten nach römischen Recht, d. h. in der Form des iustum matrimonium, das ab dem 2. Jh. v. Chr. die alten römischen Eheschliessungsformen ersetzte (Ehe mit manus, d. h. wenn der Ehemann die Familiengewalt (manus) über die Frau erhielt, d. h. die confarreatio, coemptio und usus).6 Schon in der Zwölftafelzeit konnte eine Ehe durch bloße Bestätigung des beidseitigen Ehewillens begründet werden. Daneben sind uns auch einige Hochzeitsbräuche überliefert wie z. B. das feierliche Geleit der Braut in das Haus des Mannes, die sogenannte deductio in domum, was aber rechtlich nie wesentliches Element für die
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Vgl. Gabriela Eisenring, Die römische Ehe als Rechtsverhältnis, Wien/Köln/Weimar 2002, S. 37 – 66. 6 Zu den verschiedenen Formen der Eheschliessung im römischen Recht siehe Theo Mayer-Maly, Römisches Recht, 2. erw. Aufl., Wien/New York 1999, S. 47.
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Eheschließung war, wie viele klassische Texte bezeugen. Die Vorstellung eines „Vollzugs“ der Ehe durch Beiwohnung war den Römern fremd.7 Die Ehe war im römischen Recht eine auf Dauer angelegte Ehegemeinschaft consortium omnis vitae, die auf dem Ehewillen (consensus, affectio maritalis) beruhte und für welche die Nachkommenschaft ganz wesentlich war. Die römische Ehe war eine Einehe zwischen einem Mann und einer Frau, grundsätzlich auf Dauer und Nachkommenschaft angelegt. In diesem Sinne heirateten die ersten Christen nach römischen Recht, liessen sich aber nicht mehr scheiden, obwohl sie es nach dem römischen Recht konnten. In der justinianischen Zeit wird allmählich die Frage aufgeworfen, ob es notwendig sei, eine Form vorzusehen.8 Es gibt eine gewisse Tendenz zu einem stärkeren Öffentlichkeitscharakter. Aber der schriftliche Ehevertrag, wie ihn die Juden kannten, war nie wesentlicher Bestandteil der römischen Ehe. Die Römer kannten zwar Eheurkunden, aber sie spielten für die Gültigkeit der Ehe keine Rolle.9 Diese schriftliche Festlegung war noch aus einem anderen Grund nicht notwendig: Das römische Recht hatte eine genaue Regelung des ehelichen Güterrechts, was einen schriftlichen Ehevertag deshalb entbehrlich machte. In der manus-Ehe war die Situation folgende: War die Frau bisher gewaltfrei, fiel ihr Vermögen mit dem manus-Erwerb durch den Mann an diesen oder dessen paterfamilias, wenn der Mann selber noch unter patria potestas stand. Stand die Frau bisher unter der Hausgewalt ihres Vaters, so war sie ohnedies vermögenslos. In diesem Fall setzte häufig ihr bisheriger Gewalthaber eine Mitgift (dos) aus. Hingegen in der gewaltfreien Ehe herrschte das Gütertrennungsprinzip. Jeder behielt sein Vermögen, wie er es vor der Eheschliessung besaß. In der Regel aber beauftragte die Frau den Mann mit der Verwaltung des Vermögens. Dann galten die allgemeinen Regeln der Geschäftsführung im Auftragsverhältnis, der Mann haftete als Verwalter.10 Das römische Recht kannte zudem die Mitgift (dos). Sie war ein Vermögenswert, der aus Anlass der Eheschließung zur Erleichterung der ehelichen Lasten von Seiten der Frau in das Vermögen des Mannes gebracht wurde.11 Das Prinzip der auf Lebenszeit angelegten Einehe im römischen Recht wurde freilich durch die leichte Scheidbarkeit relativiert. Hier ist das christliche Eherecht einen 7
Vgl. ebd (Anm. 6). Vgl. Eisenring (Anm. 5), S. 334. 9 In diesem Sinn äußert sich Quintilian in Inst. Orat. 5, 11, 32: …nihil obstat, quo minus iustum matrimonium sit mente coeuntium, etiamsi si tabulae signatae non fuerint; nihil enim proderit signasse tabulas, si mentem matrimonii non fuisse constabit. …Es besteht kein Hindernis, dass eine gültige Ehe auch dann nach dem Willen der sie Eingehenden besteht, wenn keine Eheurkunde unterzeichnet wird; denn es wird nichts nützen, eine Urkunde unterzeichnet zu haben, wenn feststeht, dass keine Eheabsicht bestanden hatte. 10 Vgl. Ulp. Dig. 23, 3,9,3 (31 ad Sab.). 11 Dies drückt Paulus in D. 23, 3, 56, 1 (Paul. 6 ad Plaut.) folgendermaßen aus: Ibi dos esse debet, ubi onera matrimonii sunt. 8
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anderen Weg als das hebräische und römische gegangen. Im römischen Recht gab es wie bei den Juden die Möglichkeit der Scheidung. Die Kirche hingegen vertrat von Beginn weg die Unauflösbarkeit. Der Apostel Paulus gibt uns ein frühes Zeugnis davon: Er verkündet die absolute Unauflösbarkeit der Ehe zwischen Christen. Er beruft sich auf die Worte Jesu, der die Ehescheidung abgelehnt hatte.12 Dieser hatte das ursprüngliche Verständnis der Ehe als unauflösliche, gottgewirkte Einheit von einem Mann und einer Frau wiederhergestellt. Die im Alten Testament unter Umständen mögliche Scheidung sah er als pragmatisches Zugeständnis an die „Herzenshärte“ der Juden.13 Er nannte zwar eine Ausnahme vom Scheidungsverbot, nämlich die Unzucht der Frau14, aber die traditionelle Auslegung verstand darunter eheliche Untreue und die Möglichkeit der Trennung des unschuldigen Teils. Keiner aber konnte eine neue Ehe eingehen. Paulus stellte beide Ehepartner gleich; weder die Frau noch der Mann konnten die Ehe auflösen. Das Eheband wird allein durch den Tod eines Ehepartners aufgelöst, und erst dann kann der überlebende Partner eine neue Ehe eingehen.15 Bei Ehebruch ist eine Trennung erlaubt, aber die Ehepartner bleiben solche und können gültig keinen anderen Partner heiraten. Sie sind zur Enthaltsamkeit in der Trennung oder zur Versöhnung aufgerufen. Auf der Basis dieser paulinischen Aussagen sieht später das klassische Kirchenrecht die Möglichkeit einer Trennung von Tisch und Bett vor. Was die Ehe eines Christen mit einem Heiden angeht, so anerkennt Paulus hingegen in gewissen Fällen eine wirkliche Auflösbarkeit der Ehe (Privilegium Paulinum). In den Texten der Evangelisten Lukas und Markus findet man dieses Grundprinzip ohne Ausnahme dargestellt. Schon der Pastor Hermas bestätigt die Unauflösbarkeit.16 Er sagt dem Ehemann, dass er allein bleiben soll, wenn er seine Frau weggeschickt hat. Falls er aber eine neue heiraten würde, wäre dies ein Ehebruch. Die Kirchenväter und andere christliche Schriftsteller dieser Zeit (2. – 3. Jahrhundert) drücken dieselbe Überzeugung aus.17 Sie unterstrichen, dass die Auflösung der Ehe im Gegensatz zum göttlichen Gesetz steht. Sie zitierten die biblischen Texte und verneinten bei Ehebruch die Möglichkeit der Wiederverheiratung. Justinus versucht in seiner Apologie, nachdem er die christliche Lehre über die Keuschheit anhand der Matthäustexte erläutert hat, die Nachteile der Scheidung aufzuzeigen18. Klemens von Alexandrien behandelt in seinem zweiten Buch der Stromata die Einheit und Unauf12
1 Kor 7, 10 ff. und Mk 10, 6 – 9; Mt 19, 4 ff. und Lk 16, 18. Mk 10, 5; Mt 19, 8. 14 Mt 5, 32 und 19, 9. 15 1 Kor 7, 39 und Röm 7, 2 – 3. 16 Mand. IV 1, 4 ff, in: Die Apostolischen Väter I: Der Hirt des Hermas (hrsg. von Molly Whittaker), Berlin 1956, S. 25 ff. 17 Vgl. auch Klemens von Alexandrien, Stromata II, 183 – 186 (PG 8, 1086 – 1098); siehe auch Tertullian, De monogamia 10 (PL 2, 992 – 993). 18 Justinus, Apologia prima pro Christianis, I, 15 (PG 6, 350 – 351). 13
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lösbarkeit der Ehe. Pastorale Kompromisslösungen werden in der frühen Patristik keine sichtbar. Auch die Päpste betonten die Unauflösbarkeit der Ehe. Sie mussten es gegen weniger strikte Vorgehensweisen lokaler Hierarchien immer wieder anmahnen.19 Die so eindeutige Position zur Unauflöslichkeit führte dazu, dass die Eheauflösungstatbestände im Lauf der Zeit viel weniger und enger ausgelegt wurden. Die Kirche kannte verschiedene Strafen und Bußen.20 In seinen ersten Jahrhunderten hatte das Christentum noch kein systematisches eigenes Eherecht. Es brauchte gewisse Rechtsformeln und die Kirche griff dazu auf das römische Recht zurück, namentlich in zweierlei Hinsicht: Einerseits wurde das römische Recht ganz einfach als gültiges Recht auf die Christen angewandt. Andererseits nahm die Kirche für die Entwicklung ihres eigenen Rechts Rechtsstrukturen, Rechtstechnik und gewisse Institutionen des römischen Rechts auf.21 Man brauchte somit in der damaligen Zeit noch keinen religiösen Akt für die Eheschließung. Die Christen heirateten gemäß dem römischen Recht, wenn sie römische Bürger waren. Schon bald aber entstanden gewisse Hochzeitsriten. Dies ist nicht erstaunlich, denn alle Völker des Altertums hatten ein religiöses Brauchtum und Riten rund um die Eheschliessung. Neben vom Judentum beeinflussten Hausriten kam nach und nach die Segnung durch einen Geistlichen in Gebrauch. Der Bischof oder ein Priester war bei der Trauung anwesend; er erteilte einen Segen und legte den Brautleuten die Hände auf. In Rom belegen erste Quellen vom Ende des 4. Jahrhunderts diese Zeremonie.22 Neben dem Segen war auch die Auflegung des Schleiers üblich. Bezüglich des Schleiers -velum- gab es zwei Formen: Entweder werden beide unter den Schleier getan oder nur die Verlobte. Diese letztere Form wurde vom römischen Brauchtum übernommen. So greift nun das erste Mal ein Kleriker in die Ehe ein. Sein Segen muss sehr häufig gewesen sein, da viele Autoren davon berichten. Jedoch hatten diese Zeremonien im Westen keine rechtliche Verbindlichkeit. Neben diesem Segen gab es noch weitere Riten, die ihn begleiten konnten, wie z. B. tabulae nuptiae, deductio in domum, die dos, der Kuss, die iunctio dextrarum, etc. Das Halten der rechten Hand wurde oft über dem Evangelium gemacht, und es konnte dabei auch noch eine Ansprache geben. Einige Bräuche kamen aus dem römischen Recht. Mit der Zeit wurde die deductio in domum von der Kirche immer mehr kritisiert, da sie oft von schlüpfrigen Gesängen und anderen Ausartungen begleitet war. Neben der Eheschließung findet dann auch noch das Fest als gesellschaft19
Innozenz I., Ep. 6 ad Exuperatius, c. 6 (PL 20, 500 – 501). Vgl. Ch. Munier, L’Église dans l’Empire romain (IIe – IIIe siècles). Église et cité (Histoire du Droit et des Institutions de l’Église en Occident, Tome II, Volume III., hrsg. von Gabriel Le Bras/Jean Gaudemet, Paris 1979, S. 54. 21 Eisenring, Die römische Ehe (Anm. 5), S. 238. 22 Ambrosius, ep. 19, 7 (PL 16, 984); Petrus Chrysologus, Sermo 157 (PL 52, 614 – 616); Siricus an Himerius, Ep. I, 4 (PL 13, 1136); Innozenz I, Ep. 2, 6, (PL 20, 474 – 475). 20
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lich wichtiges Ereignis statt. Das Konzil von Laodicea verbot in seinem Canon 52 die Eheschließung in der Fastenzeit.23 Immer wieder setzte sich die Kirche für eine stärkere Öffentlichkeit der Eheschließung ein, um ihre Gültigkeit sicherzustellen. Aber auch sie sprach sich nie für die Form als wesentliches Element der Entstehung der Ehe aus: Es musste sich einfach der Ehewille irgendwie äußerlich manifestieren. Die Kirche versuchte, Konflikte mit dem Staat zu vermeiden. Mit diesem klugen Vorgehen gelang es ihr, das die Zuständigkeit in Ehesachen vom Staat nach und nach an sie überging.24 Im Unterschied zur Kirche war die Scheidung im römischen Recht ein anerkanntes Rechtsinstitut, und auch das hebräische Recht erlaubte sie unter gewissen Bedingungen. Zwar wurde die Ehe bei den Römern grundsätzlich für das ganze Leben geschlossen, also nicht auf tempus und auch nicht mit einer Resolutivbedingung, dennoch war sie auflösbar. Sie konnte nicht nur durch Tod oder Scheidung aufgelöst werden, sondern auch durch Gefangenschaft oder eine andere Sklaverei von einem der beiden Ehegatten. Die Kirche hat solche Scheidungsgründe nie übernommen. Das kanonische Eherecht übernahm aus dem römischen Recht das Prinzip consensus facit nuptias.25 Dieser Konsenstheorie stand die mehr jüdische, aber auch germanische Kopulationstheorie gegenüber, wonach erst die copula carnalis, d. h. die vom Ehewillen getragene geschlechtliche Vereinigung die Ehe begründet.26 Diese Theorie beeinflusste dann die kirchliche Regelung insofern, als in ihr eine nicht vollzogene Ehe durch den Papst aufgelöst werden kann. Die Kirche übernahm also die römisch definierte Ehe als eine naturrechtlich begründete Institution27, deren Sinn es ist, die Zeugung und die Erziehung der Kinder und das Wohl der Ehepartner zu garantieren. Sie hat aber immer betont, dass die Ehe zwischen Getauften zugleich auch ein Sakrament ist. Wie erwähnt, trat durch die Kirche, obschon ihr Eherecht auf dem römischen Recht aufbaut, eine Veränderung im Grundverständnis der Ehe ein. Dieses christliche Grundverständnis hat das moderne Eherecht der west- und mitteleuropäischen Staaten auch in seiner weltlichen Ausprägung bis Mitte 20. Jahrhundert geprägt. Die Ehe 23 H. Th. Bruns, Canones Apostolorum et conciliorum saec. IV – VII, 2 vol. Berlin 1839, reprod. in 1 vol. Turin 1958, S. 78. 24 „È quest’ultimo il fenomeno più importante verificatosi in questo periodo, in quanto la Chiesa venne a comporre la propria dottrina matrimoniale non solo con materiali tratti dal diritto romano, ma entro gli stessi schemi romani che essa finì per fare propri, in gran parte in maniera definitiva” (Ebd. 287). 25 Vgl. Rudolf Weigand, Die Durchsetzung des Konsensprinzips im kirchlichen Eherecht, in ÖAKR 38 (1989), S. 301 – 314. 26 Vgl. die Auffassungen der Schule von Paris und Bologna, Voz ”inconsumación del matrimonio”. in: A. A.V. V., Diccionario General de Derecho canonico. Volumen IV, Navarra 2012, S. 520 – 522. 27 Zur Frage des Naturrechts siehe Gabriela Eisenring, Il diritto naturale nella visione dei giuristi romani, in: Veritas et Jus, 11 (2015), S. 105 – 121.
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bekommt einen institutionellen religiösen Charakter. Neben dem Einfluss des Rechtscharakters der römischen Ehe wurden die Grundlagen dazu schon im 3. Jahrhundert geschaffen. Es gab im Evangelium und in der Apostelgeschichte auffindbare Rechtsgrundsätze, doch kannte die Kirche in dieser Zeit noch kein eigenes systematisches Eherecht28 und hatte keine eigene bindende Formvorschrift. Insofern das staatliche Eherecht nicht im Widerspruch zu den christlichen Grundsätzen stand, fand es daher volle Anerkennung bei den Christen. Im 6. Jahrhundert setzte eine konziliare Gesetzgebung ein. In dieser Zeit entwickelten sich einige Merkmale des Eherechts, aber erst im 9. Jahrhundert macht sich dieser Einfluss bemerkbar. Im 11. Jahrhundert bestand bereits ein geschlossenes zentrales kirchliches Eherecht. Im 13. Jahrhundert setzte sich dann das kanonische Recht gegen das staatliche durch. Die Kirche nahm – wie sie es bis heute tut – die rechtliche Regelung der Ehe für sich in Anspruch. Diese Herrschaft des kanonischen Rechts währte bis zur Reformation und sogar noch bis zur Verweltlichung des Eherechts in der Französischen Revolution. Seit der Jahrtausendwende wurde die Ehe nicht mehr vom weltlichen-nationalen Recht, sondern vom kirchlich-übernationalen Recht geregelt. Und dieses stellte hohe religiöse Anforderungen. Die Kirche ging von einem institutionellen Gedanken aus: Die Ehe ist eine Institution des Naturrechts mit einem konkreten Eheinhalt: Die Ehe ist die rechtmäßige Verbindung eines Mannes und einer Frau zur ungeteilten Lebensgemeinschaft. Im 11. Jahrhundert kommen die eherechtlichen Materien und die Jurisdiktion nicht mehr dem Staat zu, sondern der Kirche, was sich im Ausbau des Kirchenrechts durch Gesetzgebung und Lehre spiegelt. Gerade der Sakramentscharakter ist einer der Gründe, warum die Kirche die Jurisdiktion nun exklusiv an sich zieht. Das kanonische Recht geht dabei trotz der Herausbildung des Vertragsdenkens von einer eher öffentlich-rechtlichen Auffassung aus. Mit der Glaubensspaltung in der Reformation wird die Ehe „entsakramentalisiert“, und die einheitliche Auffassung vom Wesen der Ehe und von dem sie beherrschenden Recht geht verloren29. Luther verstand die Ehe als ein „weltlich Ding“; die positivrechtliche Ordnung wurde dem Staat zugesprochen. Es entstanden territorial begrenzte reformierte Ehegesetze30, die von vielen protestantischen Nationalstaaten übernommen wurden.31 In den katholischen Nationalstaaten blieb materiell weiterhin das kirchliche Recht bestehen. Hingegen fehlte nun die feste dogmatische Bindung an die Hierarche der universellen Schöpfungsordnung.32 Die Familie wurde 28
Vgl. Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 1. Bd., Das Recht der ersten christlichen Jahrhunderts, 2. Aufl., Wien/München 1960, S. 89 ff. 29 Vgl. Wolfram Müller-Freienfels, Ehe und Recht, Tübingen 1962, S. 18 ff. 30 Ebd. (Anm. 29), S. 19. 31 Die reformierten Kirchen entwickelten daraufhin aus der Bibel ein selbständiges Scheidungsrecht, gestützt auf einzelne schuldhafte Eheverletzungen. 32 Vgl. Müller-Freienfels, Ehe und Recht, (Anm. 29), S. 20.
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immer weniger in eine gestiftete Weltordnung eingegliedert und daher das Eherecht immer stärker von Zeitströmungen und pragmatischen Zweckmäßigkeiten beeinflusst. So begann der Dualismus Kirche-Staat auch das Eherecht zu beeinflussen. Dieser Prozess der Verweltlichung des Eherechts wird auch Eherecht des verweltlichten Naturrechts genannt. Dessen Träger waren der Gallikanismus, die Aufklärung und der Individualismus. Die Ehegerichtsbarkeit wurde rein weltlichen Instanzen übertragen und nicht mehr mit einer Religion oder einem Bekenntnis verbunden. Im Jahr 1792 wurde in Frankreich die obligatorische Zivilehe eingeführt. Es kam ein individualistisch geprägtes, aufklärerisches Eherecht zum Zug. Es herrschte die Auffassung vor, dass die Ehe ein Rechtsverhältnis ist. Leitbild war nicht mehr das einheitliche, transpersonale Idealbild der Ehe, das vor allem institutionell orientiert ist, sondern die weltliche Durschnittsehe unter staatlichen Nützlichkeitsgesichtspunkten und dem Humanitätsgedanken nach rational-zweckhaftem Leitbild.33 Der zivile Vertragsgedanke wird immer stärker. Aus dem Prinzip consensus facit nuptias als wesentliches Eheschließungselement erwächst die Form des im staatlichen Gesetz gegründeten weltlichen Vertrags mit einem geschuldeten Vertragsinhalt als Zentralpunkt der rechtlichen Behandlung. An Hand des Vertragsbegriffs wurde ein Netz von Rechtsbeziehungen im Zuge der Individualisierung konstruiert. Im „aufgeklärten“, autoritären Polizeistaat reglementierte der Staat auch im Eherecht die persönlichen Elemente. Diese Tendenz ist vor allem im 19. Jahrhundert ersichtlich. In mehreren Schweizer Kantonen wurden bis 1874 kraft Gesetzes von Amtes wegen von Sittengerichten das persönliche Verhalten der Ehepartner kontrolliert. Der Staat war von der Bevormundung des gemeinschaftsverbindenden Individuums überzeugt und regelte somit im Eherecht die persönlichen Dinge.34 Die Beziehung zwischen Kirche und Staat hat das schweizerische Eherecht besonders stark geprägt. Bis 1874 war die Ehe Sache der Kantone. Deshalb gab es je nach katholischen oder protestantischen Kantonen ganz verschiedene Regelungen. Für die Katholiken galt in manchen Kantonen das kanonische Recht unter Ausschluss des staatlichen. Somit galt in den katholischen Kantonen das kanonische Recht und die kirchliche Gerichtsbarkeit.35 Das staatliche Eherecht beschränkte sich darauf, gewisse für die Eheschliessung erforderliche zusätzliche Bedingungen administrativer Art zu fordern und die Ehetrennung. Aus diesem kurzen historischen Abriss wird ersichtlich, dass bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz und auch in vielen andern europäischen Rechtssystemen eine einheitliche Grundauffassung von Ehe und Familie galt, die sich auf Erkenntnisse der Biologie, der Anthropologie und der Natur des Menschen gestützt 33
Vgl. in diesem Sinn den Inhalt des Preussischen Landrechts 1794. Vgl. Müller-Freienfels, Ehe und Recht, (Anm. 39), S. 21. 35 Für Beispiele der Kantone im Konkreten vgl. Peter Jäggi, Das verweltliche Eherecht, Fribourg 1955, S. 9 ff. 34
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hatte: ein Begriff der Ehe als naturrechtliche, vorstaatliche Institution, die von einer christlichen Auffassung der Ehe geprägt war. Die Ehe wurde als heterosexuelle Lebensgemeinschaft von Mann und Frau angesehen, gegründet auf dem Konsens, sich gegenseitig und exklusiv (monogam) hinzugeben, ausgerichtet auf das Wohl der Ehegatten und die Zeugung und Erziehung der von Nachkommenschaft. Das waren die wesentlichen Elemente der Ehe, die in der europäischen Rechtskultur anerkannt waren, sowohl vom Staat als auch von der Kirche. Staat wie Kirche entwickelten ihr jeweiliges Rechtssystem im Bewusstsein, dass die Ehe eine natürliche Realität ist, eine Beziehung zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts mit einer Rechtsdimension, die von der Kirche und vom Staat zu regeln ist. Es war unbestritten, dass Ehe und Familie in der Natur des Menschen und daher eine naturrechtliche Realität ist, die vor jeglicher kirchlichen oder staatlichen Gesetzgebung besteht. Staat und Kirche haben wohl die Aufgabe, diese zu regeln, aber nicht, sie selber gesetzgeberisch zu schaffen. Bei allen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Kirche und Staat und der verschiedenen gesetzlichen Ausformungen war man sich über den naturrechtlichen Charakter und die Wesenselemente der Ehe einig, die vom Staat und der Kirche nur zu schützen und zu regeln war.
III. Der Ehebegriff im aktuellen kanonischen Recht Dieses naturrechtlich-christliche Eheverständnis hat im Codex 1983 der Lateinischen Kirche (CIC) wie auch im Codex von 1990 der Orientalischen Kirchen (CCEO) seinen Niederschlag gefunden. Hier soll als Beispiel die Regelung des CIC/1983 aufgezeigt werden. Der c. 1055 CIC/1983 muss im Zusammenhang mit dem c. 1057 CIC/1983 gelesen werden, der für die römisch-katholischen Gläubigen bindend ist. Es handelt sich nicht um eine eigentliche Definition, aber um eine Beschreibung dessen, was die Ehe beinhaltet: „Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hin geordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakraments erhoben“ (c. 1055 § 1 CIC/1983). Die katholische Kirche hat aus diesem Grund für sich die Jurisdiktion in Anspruch genommen, wenn mindestens einer von den beiden katholisch ist.36 Der kirchliche Gesetzgeber hält fest, dass die Ehe sowohl nach dem Naturrecht als auch nach kirchlichem Recht eine Lebensgemeinschaft für das ganze Leben von einem Mann und einer Frau ist, ausgerichtet auf das Wohl der Ehegatten Zeugung und Erziehung der Nachkommenschaft. Zwischen Getauften ist sie Sakrament. § 2 desselben Canons hält außerdem fest, dass es deshalb zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben kann, der nicht zugleich Sakrament ist. Diese Aussage der 36
Vgl. auch cc. 776 und 777 des CCEO.
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Untrennbarkeit von natürlicher Ehe und Sakrament ist dann gegeben, wenn beide getaufte Christen sind. Zum richtigen Verständnis des Ehebegriffs im kanonischen Recht muss, wie schon erwähnt, auch c. 1057 CIC/1983 herangezogen werden: Er besagt in § 1: „Die Ehe kommt durch den Konsens der Partner zustande, der zwischen rechtlich dazu befähigten Personen in rechtmässiger Weise kundgetan wird; der Konsens kann durch keine menschliche Macht ersetzt werden“. In § 2 erklärt er, was unter Ehekonsens verstanden wird: „Der Ehekonsens ist ein Willensakt, durch den Mann und Frau sich in einem unwiderruflichen Bund gegenseitig schenken und annehmen, um eine Ehe zu gründen“. In c. 1056 CIC/1983 werden dann die Wesenseigenschaften der Ehe festgelegt: Es sind dies „die Einheit und die Unauflöslichkeit, die in der christlichen Ehe im Hinblick auf das Sakrament eine besondere Festigkeit erlangen“.
IV. Der Ehebegriff im schweizerischen Eherecht Wie schon gezeigt worden ist, hat der Dualismus Kirche-Staat das schweizerische Eherecht stark geprägt. Bis 1874 hatte jeder Kanton je nach Konfession ein sehr unterschiedliches Eherecht. Das gab Probleme für die immer häufigeren Mischehen. Obwohl also der Bund eigentlich nicht befugt war, in Ehesachen gesetzgeberisch tätig zu sein, zog er dennoch die Ehegesetzgebung an sich unter Berufung auf den Art. 44 der Bundesverfassung von 1848. Ab 1874 ging das Eherecht dann auch formell in die Kompetenz des Bundes über. Es wurde eine obligatorische Zivilehe eingeführt, auf dem Hintergrund der Säkularisierung und im Interesse der zivilstaatlichen Rechtssicherheit. Am 1. Januar 1912 trat das Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1907 in Kraft. Seine Gliederung folgte dem Vorbild des modernen Privatrechtssystems, d. h. dem Pandektensystem des 19. Jahrhunderts.37 Anfang 20. Jahrhundert war das Menschenbild noch christlich geprägt. Daher stellte die obligatorische Zivilehe vor der kirchlichen Heirat für die Katholiken kein großes Problem dar, denn mit Ausnahme der Scheidungsmöglichkeit deckten sich die beiden Ehebegriffe: Heterosexualität, Monogamie, Garantie der Ehefreiheit, Hinordnung auf die Gründung einer Familie. Das Zivilgesetzbuch von 1907 gibt zwar keine Definition der Ehe. Diese wird jedoch von der Rechtsprechung und von Art. 159 ZGB im Besonderen abgeleitet. Wie Jäggi in seiner immer noch lesenswerten Studie zeigt, war das Eherecht der damaligen Zeit von einem äußeren und inneren Merkmal geprägt38 : Das äußere Merkmal betrifft das Verhältnis von Kirche und Staat, das von der Kompetenzfrage in Ehesa37 Vgl. Wolfram Müller-Freienfels, Familienrechtliche Kodifikationen im Wandel der Anschauungen, in: Familienrecht im In-und Ausland, 2. Bd., Frankfurt a. M. 1986, S 87 ff. 38 Vgl. Jäggi, (Anm. 35), S. 16.
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chen dominiert wird: Gemäß dem ZGB kennt das Eherecht kein Zusammenwirken des Staates mit der Kirche. Das staatliche Eherecht ist inhaltlich unabhängig von der Lehre der Kirche. Der Staat regelt alle eherechtlichen Funktionen selbständig. Er regelt den Inhalt des Eherechts nach seinen Gutdünken. Das innere Merkmal bezieht sich hingegen auf die Grundhaltung des Staates bezüglich der Ehe. Hier gibt es gewisse Ähnlichkeiten mit den Grundsätzen des kanonischen Rechts. Der Staat geht davon aus, dass Ehe und Familie vorstaatlich sind. Er ist sich bewusst, dass er ihre naturrechtlichen Inhalte grundsätzlich nicht ändern kann, aber sie zu schützen hat. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine starke Tendenz zur Veränderung des Eherechts in Europa. Auch in der Schweiz fand eine Eherechtsreform statt. 1968 beschloss der Bundesrat, das Familienrecht etappenweise zu revidieren. Am 1. April 1973 trat das revidierte Adoptionsrecht in Kraft, das auf den 1. Januar 2018 ein zweites Mal revidiert wurde. Am 1. Januar 1978 trat das das Kindesrecht und am 1. Januar 1988 das revidierte Eherecht (Wirkungen der Ehe und allgemeines Ehegüterrecht) in Kraft, wie es in der Volksabstimmung vom 22. September 1985 angenommen worden war. Am 1. Januar 2000 folgte noch ein neues Scheidungsrecht und am 1. Januar 2007 das Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare (Partnerschaftsgesetz, PartG) in Kraft. Über das Partnerschaftsgesetz hinaus wurde in den letzten Jahren immer wieder die Forderung nach einer Ehe für alle laut. Am 05. 12. 2013 reichte die grünliberale Fraktion des Nationalrates die parlamentarische Initiative „Ehe für alle“ ein. Sie will aufgrund von Art. 160 Abs. 1 der Bundesverfassung und von Art. 107 des Parlamentsgesetzes den Art. 14 der Bundesverfassung über das Recht auf Ehe und Familie ändern und die Ehe für alle unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung öffnen.39 Die Initiative wurde von der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats geprüft und ihr am 20. 05. 2015 Folge grünes Licht gegeben. Am 01. 09. 2015 gab auch die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats ihre Zustimmung Am 16. 06. 2017 beschloss der Nationalrat eine Fristverlängerung für die Vernehmlassung bis 21. 06. 2019.40 In Umsetzung der genannten parlamentarischen Initiative präsentierte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats an ihrer Sitzung vom 14. Februar einen Vorentwurf, der am 14. 03. 2019 in die Vernehmlassung 39 Der Text der parlamentarischen Initiative lautet folgendermassen: „Gestützt auf Artikel 160 Absatz 1 der Bundesverfassung 160 Absatz 1 und Artikel 107 des Parlamentsgesetzes reichen wir folgende parlamentarische Initiative ein: Die Bundesverfassung ist wie folgt zu ändern: Art. 14 Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft (neu) und Familie / Abs. 1 / Das Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft (neu) und Familie ist gewährleistet. / Abs. 2 / Die gesetzlich geregelten Lebensgemeinschaften stehen Paaren unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung offen. / Art. 38 Abs. 1 erster Satz Der Bund regelt Erwerb und Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, (,Heirat‘ streichen) gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft (neu) und Adoption (…)“. Siehe die Vernehmlassungsunterlagen, online unter: http://www.admin.ch/ch/d/gg/pendent.htlm (eingesehen am 28. 05. 2019). 40 Vgl. ebd (Anm. 39).
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ging. In der Begründung wird gefordert, dass alle gesetzlich geregelten Lebensgemeinschaften, also auch die Ehe, für alle zu öffnen seien, ungeachtet des Geschlechtes oder der sexuellen Orientierung. Man verlangt, dass der Begriff „Ehe“ durch den umfassenderen Begriff „Lebensgemeinschaft“ in Artikel 14 Abs. 2 ersetzt werden solle. Bemerkenswerterweise wird dabei beteuert: „Die Bestimmung verpflichtet den Gesetzgeber nicht, homosexuellen Paaren die Adoption zu ermöglichen“. Weiter beabsichtige die parlamentarische Initiative auch nicht, den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften vorzuschreiben, wer bei ihnen „vor den Altar treten“ darf; das würden diese weiterhin selber bestimmen.41 Dieser Vorentwurf hat den Vorschlag der parlamentarischen Initiative einer Verfassungsänderung nicht aufgenommen. Die Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts soll auf dem Weg der Gesetzesänderung erfolgen. Das hat zur Folge, dass es kein obligatorisches, sondern nur noch ein fakultatives Referendum gibt42, bei welchem zudem nur ein Volks-, aber kein Ständemehr erforderlich ist, so dass die als konservativer geltenden kleinen Kantone viel weniger ins Gewicht fallen. Es ist hier nicht der Ort, den Vorentwurf und die Erläuterung der Rechtskommission im Einzelnen zu analysieren. Doch wollen wir auf die wichtigsten Punkte eingehen. Die Ehe behält im Vorentwurf ihren Namen und wird nicht durch „gesetzliche Lebensgemeinschaft“ ersetzt. Das wäre eigentlich viel angebrachter, da unter „Ehe“ seit 2000 Jahren ausschließlich eine heterosexuelle Verbindung verstanden worden ist. Darin spiegelt sich die in den letzten Jahren aufgekommene Rede von der „gleichgeschlechtlichen Ehe“. Hinzu kommt, dass bei Annahme des Gesetzesentwurfs nach der Öffnung der Ehe keine neuen eingetragenen Partnerschaften mehr eingegangen werden können, sondern nur noch Ehen. Bereits bestehende Partnerschaften könnten jedoch weitergeführt oder auch in eine Ehe umgewandelt werden. Die Einführung der „Ehe für alle“ hätte auch zur Folge, dass viele andere Bestimmungen geändert werden müssten. Im Vorentwurf wird daher vorgeschlagen, diese ebenfalls zu revidieren, mit dem Zusatz, dass auch der Zugang zur Samenspende für gleichgeschlechtliche weibliche Ehepaare geöffnet werden solle. Anpassungen braucht es in all jenen Bereichen, wo das geltende Recht eine Unterscheidung nach dem Geschlecht der Eheleute trifft oder voraussetzt. Geändert werden müsste das Zivilgesetzbuch, da die Ehe dort als Verbindung von „Ehemann“ und „Ehefrau“ definiert wird. Auch braucht es eine Anpassung bei der Zivilstandsordnung, die von „Braut“ und „Bräutigam“ spricht. Weitere Modifikationen betreffen beispielsweise die Alters- und Hinterlassenenversicherung oder den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin. Manche dieser Anpassungen würden erst später vorgenommen. Das Bundesamt für Justiz nimmt also temporäre Diskrepanzen zwischen den Rechtsbereichen in 41
Vgl. die Vernehmlassungsunterlagen, online unter: in http://www.admin.ch/ch/d/gg/pen dent.htlm oder https://www.parlament.ch/de/organe/kommission/sachbereichskommission/kom missionen-rk/berichte-Vernehmlassungen-rk (eingesehen am 28. 05. 2019). 42 Siehe Schweizerische Bundesverfassung, Art. 140.
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Kauf, wohl um eine Verfassungsänderung mit obligatorischem Referendum zu vermeiden. Dennoch wird es wahrscheinlich zu einer Volksabstimmung kommen. Die Hürde wäre dann größer wegen des Gewichts der Kleinkantonen. Eine Verfassungsänderung bräuchte es laut Bundesamt für Justiz aber auf jeden Fall für den Zugang aller zur Fortpflanzungsmedizin. Überhaupt müssen manche Fragen noch rechtlich geprüft werden. Ein grosser Knackpunkt in der Debatte um die Ehe für alle ist die Frage der Adoption, denn ein Ja zur Ehe für alle hieße auch ein Ja zur Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. In der Begründung der parlamentarischen Initiative hieß es noch, dass dies vom Gesetzgeber nicht gefordert werde, wohl wissend, dass dies in der Bevölkerung auf verbreiteten Widerstand stößt, da ein Kind das Recht auf einen Vater und Mutter hat, was ein eigenständiges Recht ist. Gemäß der Vorlage aber, die von der Rechtskommission des Nationalrats in die Vernehmlassung geschickt wurde, hat die Einführung der „Ehe für alle“ auch die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare zu Folge. Die Befürworter der Initiative beteuern, dass mit der Einführung der Ehe für alle den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften nicht vorgeschrieben werde, wer bei ihnen „vor den Altar treten“ darf. Der Staat soll also nicht in die religiöse Ehe eingreifen. Ob er sich wirklich daran halten wird, muss sich allerdings erst noch zeigen. In diesem Zusammenhang wurde noch eine weitere, sehr grundsätzliche Frage aufgeworfen. Wenn die Ehe und ihre Gestaltung allein auf dem Willen der Heiratswilligen, ob hetero- oder homosexuell, beruht, dann ist sie keine vorgegebene, naturrechtliche Institution mehr. Dann aber ist es in einem pluralistischen Staat letztlich nicht mehr gerechtfertigt, die Zivilehe obligatorisch vorzuschreiben. Kritiker sehen es in der Tat als Verstoß gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit an, dass Bürger zu einer Ehe gezwungen werden, die für sie gar keine Ehe ist.43 Im Jahr 2000, als das Parlament das neue Scheidungsrecht einführte, stand die obligatorische Zivilehe bereits zur Debatte. Man wollte sie aber trotz eingereichter parlamentarischer Vorstöße nicht abschaffen. Im 19. Jahrhundert als die obligatorische Zivilehe eingeführt wurde, stimmten die Ehebilder von Staat und Kirche, wie erwähnt, noch weitgehend überein. Deshalb war die obligatorische Zivilehe für die Kirche annehmbar, zumal nach der zivilen stets eine kirchliche Heirat stattfinden konnte. Diese Übereinstimmung ist inzwischen zerbrochen, vor allem mit der katholischen und der orthodoxen Auffassung. Eine „Ehe für alle“ höhlt den Ehebegriff voll43 Nationalrat Claudio Zanetti hält dies für eine Diskriminierung und fordert, dass bei einer Einführung der Ehe für alle die obligatorische Zivilehe im Namen der Glaubensfreiheit abgeschafft wird. Er schlug dies in einer parlamentarischen Initiative vor. Nationalrat PierreAndré Page andererseits betont, die religiöse Ehe bleibe ein Wunsch, die respektiert werden sollte. Seine Motion ist aber zurückgewiesen worden mit der Begründung, es gebe in gewissen gesellschaftlichen Kreisen die Zwangsehe, und diese müsse in einem demokratischen Staat vermieden werden.
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ends aus. Anders wäre es, wenn man für die nicht-heterosexuellen Lebensgemeinschaften einen anderen Begriff verwenden würde, etwa „gesetzliche Lebensgemeinschaft“, und „Ehe“ weiterhin im Sinne der fast 2000-jährigen Rechtskultur definieren würde. Dagegen wurde eingewendet, dass damit Zwangsehen legitimiert würden. Ein gewisses Risiko in dieser Hinsicht mag bestehen. Aber oft werden Zwangsehen im Ausland abgeschlossen. Und ohnehin besteht gerade bei der katholischen, kanonischen Ehe diese Gefahr nicht, denn das Heiratsmindestalter ist dem zivilen Eherecht angepasst, und vor allem ist die Freiheit zur Eheschliessung als ius connubii eine wichtige Voraussetzung für eine gültige Ehe nach dem katholischen Kirchenrecht. Es wäre gerade die Einführung der „Ehe für alle“, die Katholiken und Orthodoxe zu einer „Ehe“ zwingen würde, die für sie keine Ehe ist. Ist dies auch mit einem pluralistischen Staat vereinbar, der statt eine gewisse Neutralität hat, aufgrund der Mehrheit alle Werte in Frage stellt? Kann sich der Staat überhaupt einfach über eine auf der Menschennatur gründende Einrichtung hinwegsetzen und es durch ein Konstrukt ersetzen, das er allen Bürgern auferlegt? Kann er das Menschenrecht des Kindes auf Vater und Mutter ausser Kraft setzen? Jedenfalls würde eine Einführung der „Ehe für alle“ komplexe Fragen in Bezug auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit aufwerfen.
V. Abschliessende Würdigung Wie aufgezeigt, haben sich das staatliche und das kanonische Eheverständnis in der europäischen Rechtskultur nach einer fast 2000 Jahre langen Übereinstimmung weit voneinander entfernt. Die Postmoderne hat sich die „Dekonstruktion“ von Ehe und Familie zum Ziel gesetzt. So viel heute von Ehe und noch mehr von Familie die Rede ist, so uneinheitlich ist die Auffassung darüber, was denn eigentlich damit gemeint ist. Der eigentliche Inhalt von Ehe und Familie würde im schweizerischen Recht mit der Einführung der „Ehe für alle“ verloren gehen, weil der Staat die Institution Ehe nicht mehr als vorstaatliche Realität und Keimzelle der Gesellschaft garantiert und fördert. Das Gebäude der Ehe und Familie würde dann endgültig zusammenbrechen, denn an alle ihren Grundpfeilern wird gerüttelt, wenn sie nicht bereits umgestossen worden sind: Monogamie, Heterosexualität, Stabilität, Unauflöslichkeit, sich äußerlich manifestierender Ehewille, Recht auf eine naturrechtliche Ehe, ius connubii, Hinordnung auf Nachkommenschaft. Dieser kulturelle Wandel zeigt sich in den Eherechtssystemen Europas und im genannten Gesetzesentwurf einer „Ehe für alle“. Der Inhalt der Ehe geht verloren, eine klare Definition gibt es nicht mehr. Sogar der Ausdruck „Ehe für alle“ ist irreführend, denn in Wirklichkeit werden nie „alle Menschen“ heiraten können. Die Voraussetzungen für die Ehe werden immer geringer, da ihr Inhalt immer diffuser wird. Es
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ist keineswegs auszuschließen, dass die „Ehe für alle“ in Zukunft auch auf Beziehungen mit mehr als zwei Personen ausgedehnt wird; einen Grund dagegen gibt es in der Logik von De- und Neukonstruktion nicht. Es ist das Dilemma aller philosophischen Positionen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse nur als Konstrukt der gesellschaftlich Mächtigen betrachten. Dazu nur eine Aussage in einem Gutachten von 2013 über die Ehehindernisse: „Das Verbot der Kinderehe ist zweifellos aus Gründen des Kindeswohls aufrecht zu erhalten. Auch Urteilsfähigkeit ist grundsätzlich beizubehalten, auch wenn schon von der Rechtsprechung die Anforderungen an diese erheblich herabgesetzt worden sind. Das Eheverbot der Verwandtschaft in gerader Linie dient ebenfalls dem Kindeswohl. Kritisch zu betrachten ist das Inzestverbot zwischen Geschwistern bzw. Halbgeschwistern, vor allem, wenn die Verwandtschaft insoweit auf Adoption gründet. Verhandelbar wird auch das Verbot polygamer Ehen werden, auch wenn es bis heute fest in christlich-abendländischer Tradition verankert ist“.44
Es würde somit auch die Möglichkeit der polygamen Ehe als Möglichkeit in Betracht gezogen, was neben der Monogamie auch das Gleichheitsprinzip umstiesse. Der Grund für diese Entwicklungen im Recht liegt m. E. darin, dass das Recht sein letztes Fundament nicht mehr in der vorgegeben Realität erkennt, sondern dem freien Gutdünken des Gesetzgebers überlassen ist. Der Rechtspositivismus hat den Rechtsrealismus ersetzt. So wird auch jedes Menschenrecht vom positiven Gesetz abhängig gemacht und ist deshalb auch kein Menschenrecht im ursprünglichen Sinn mehr. Denn der Mensch hat keine Rechte mehr auf Grund seiner Natur und Würde, also weil er Mensch ist, sondern nur noch solche, die der Gesetzgeber ihm zubilligt. Wenn keine religiöse oder naturrechtliche Gegebenheit mehr als Bezugsrahmen akzeptiert wird, dann sind die gesellschaftliche Moral und die darauf gründenden Institutionen, so auch die Ehe, beliebig formbar.45 Man endet in einem moralischen Relativismus: Alles kann moralisch sein und das Gegenteil davon, je nach Machtverhältnissen. Die Gerechtigkeit wird zur puren Legalität: Der Staat will nicht den Unterschied von Ehe und andere Form von Zusammenleben unterscheiden, dann respektiert er nicht, wie die Dinge sind, sondern sagt, man kann kein Modell auferlegen, weil alles relativ ist. Er wechselt was Ehe ist und reduziert sie auf ein einfaches Zusammenleben. Das verletzt das Recht auf die Ehe. Das Gesetzt ist richtig, wenn es promulgiert ist und gesetzmäßig. Es wird nicht gefragt, ob es eine Beziehung mit dem Gerechten und der Gerechtigkeit hat. konkret heißt das, dass die Minderheit bestimme, was die Ehe ist, ein Konstrukt der Gesellschaft. Die Frage der Realität und Wahrheit wird nicht mehr gestellt. Das ist das heutige Argument der öffentlichen Meinung. 44
Ingeborg Schwenzer, Gutachten „Zeitgemässes kohärentes Zivil- insbesondere Familienrecht“ im Auftrag des Bundesamt für Justiz zum Postulat 12.3607 Fehr, Nr. 46, August 2013. 45 Siehe zur Frage des Fundaments des Rechts die immer noch aktuelle Rede des emeritierten Papstes Benedikt XVI. an den Deutschen Bundestag vom 22. 09. 2011, in: AAS 103 (2011), S. 663 – 669.
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Ehe ist ein Konstrukt des Menschen, der Inhalt könne vieles bedeuten, jegliche Form des Zusammenlebens. Überhaupt wird die Gerechtigkeit auf pure Legalität reduziert. Ein Gesetz ist gerecht allein auf Grund der Tatsache, dass es durch die vorgesehenen institutionalisierten Prozeduren zu Stande gekommen ist, aber in keiner Weise mehr, ob es der menschlichen Gerechtigkeit entspricht. Urgrund dieser Auffassung ist das Prinzip der absoluten Selbstbestimmung, das einen inhaltlich leeren Freiheitsbegriff voraussetzt. „Freiheit“ bedeutet, alles wählen und auch wieder verwerfen können, was man will – nicht das Gute, sondern irgendetwas, unabhängig von der Wahrheit, vor allem von der Wahrheit über den Menschen. Das ist u. a. natürlich unvereinbar mit einer unwiderruflichen Entscheidung, die für eine christliche Ehe konstitutiv ist. Dieses Weltbild ist allerdings sehr zweischneidig, denn gerade es hat zum Rechtspositivismus geführt, und dieser trägt den Keim des staatlichen Totalitarismus in sich, der die Selbstbestimmung der Person immer mehr aushöhlt und sie schließlich aufhebt. Abschließend lässt sich folgendes sagen: Wie sich die Gesellschaft auch immer fortentwickelt, der Mensch bleibt Mensch, und Ehe und Familie sind in seiner Natur grundgelegt und können in ihrem Wesen durch keine Rechtsordnung eliminiert oder umdefiniert werden. Der Staat muss deshalb das Grundrecht seiner Bürger auf die Ehe anerkennen, deren Inhalt er nicht selber bestimmt. Er ist verpflichtet, „das Recht auf Ehe und Familie“ zu gewährleisten (BV, Art. 14), wie es ursprünglich vom Souverän gemeint war; es darf nicht durch eine gesellschaftliche Minderheit aufgehoben werden. Sollte daher die „Ehe für alle“ eingeführt werden, dann muss besonders der Bürger geschützt werden, der eine religiöse Ehe eingehen will. Ein Schritt in diese Richtung wäre dann die Abschaffung der obligatorischen Zivilehe, die mit dem christlichen Eheverständnis nicht vereinbar ist. Andererseits könnte der Staat ohne weiteres die staatlichen Rechtsfolgen einer religiösen Ehe anerkennen. Das kanonische Recht würde sein Eherechtssystem beibehalten und die naturrechtlich-christliche Ehe in ihrer Rechtsordnung unabhängig vom Staat regeln. Der Staat darf die Kirche nicht zwingen, seine Vorstellungen von Ehe zu übernehmen; dies verstieße gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Er könnte stattdessen neben der standesamtlichen Eheschließungsform eine Alternative anbieten, wo nur ein Formular zu unterschreiben wäre. Die Zukunft wird uns zeigen, in welche Richtung sich der staatliche Gesetzgeber bewegt. Sicher ist, dass die „Ehe für alle“ noch manche rechtlichen und ethischen Fragen aufwerfen wird.
Rechtsgrundlagen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg Von Michael Frisch Der Jubilar hat sich in über dreißig Jahren seines wissenschaftlichen Wirkens immer wieder mit den Rechtsfragen des Religionsunterrichts1 und der Ökumene2 be1 Vgl. nur Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986; Wilhelm Rees, Religionsunterricht in der Schule. Rechtliche Grundlagen und neuere Fragestellungen aus katholischer Sicht, in: KuR 730 S. 15 – 30 = 1996, S. 99 – 114; Wilhelm Rees, Religionsunterricht und katholische Schule im Kontext religiöser Erziehung. Rechtsgrundlagen und gegenwärtige Diskussion, in: ZKTh 118 (1996), S. 187 – 204; Wilhelm Rees, Katholische Schule und Religionsunterricht als Verwirklichung von Religionsfreiheit. Kirchenrechtlicher Anspruch und staatliche Normierung, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 33), Berlin 1999, S. 367 – 390; Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR2, S. 734 – 749; Wilhelm Rees, Art. Religionsunterricht, katholisch, in: LKStKR III, S. 421 – 423; Wilhelm Rees, Religionsunterricht in österreichischen Schulen. Rechtliche Grundlagen und aktuelle Anfragen, in: Heinrich de Wall/ Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2003, S. 387 – 407; Wilhelm Rees, Art. Religionsunterricht, in: Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Lexikon des Kirchenrechts (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004, Sp. 842 f.; Wilhelm Rees, Das Verhältnis von Staat und Kirche und die Bereiche Religionsunterricht, Kirchenfinanzierung und Eherecht aus theologisch-kirchenrechtlicher Sicht, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Katholische Kirche im neuen Europa. Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder (= Austria: Forschung und Wissenschaft – Theologie 2), Münster/Hamburg/ Berlin/Wien/London/Zürich 2007, S. 1 – 48; Wilhelm Rees, Neuere Fragen um Schule und Religionsunterricht in Österreich, in: Wilhelm Rees/Maria Roca/Balazs Schanda (Hrsg.) Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= Kanonistische Studien und Texte 61), Berlin 2013, S. 499 – 534; Wilhelm Rees, „Keine Angst, bei Neuevangelisierung aus sich heraus zu gehen“ (Papst Franziskus). Neuevangelisierung und schulischer Religionsunterricht. Kirchenrechtliche Überlegungen angesichts von Säkularisierung und schwindendem Glaubensbewusstsein, in: AfkKR 183 (2014), S. 387 – 440; Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, S. 1018 – 1048; Wilhelm Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: Burkhard Kämper/Klaus Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (= Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 49), Münster 2016, S. 75 – 106; Johann Bair/Wilhelm Rees, Rechtsgrundlagen des Religionsunterrichts in Österreich, in: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog (= Religion und Staat im Brennpunkt 2), Innsbruck 2017, S. 179 – 301.
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schäftigt. Beide Themenfelder verbinden sich im konfessionell-kooperativen Religionsunterricht. Daher versucht der Verfasser, im folgenden Beitrag die Rechtsgrundlagen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg darzustellen.
I. Die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts in Baden-Württemberg 1. Staatliches Recht a) Bundesrecht Das Bundesrecht regelt den Religionsunterricht in Art. 7 Abs. 2 und 3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland [GG] und in § 2 Abs. 2 Gesetz über die religiöse Kindererziehung. Nach dem grundlegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1987 unterliegen „Ziel und Inhalt“ des Religionsunterrichts dem „in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gewährleistete[n] Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“3 über deren Grundsätze. „Dafür, wie“ „die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ „als bestehende Wahrheiten“ vermittelt werden, „sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich.“4 Dieses Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über die Vorgaben für „Inhalt“ und „Ziel“ des Religionsunterrichts ist ein Spezialfall des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgesellschaften nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 [WRV].5 „Ändert sich deren Verständnis vom Religionsunterricht, muß der religiös neutrale Staat dies hinnehmen“.6 Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über deren Grundsätze gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG erstreckt sich insbesondere 2
Vgl. nur Wilhelm Rees, Der Kirchenbegriff in katholischem und evangelischem Verständnis – Verbindendes und Trennendes aus kanonistischer Sicht, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. Festschrift für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 42), Berlin 2003, S. 681 – 710; Wilhelm Rees (Hrsg.), Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= Kirchenrechtliche Bibliothek, 13), Münster/Hamburg/Berlin/Wien/London/Zürich 2014. 3 BVerfGE 74, 244 (254). – Stellen aus dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden bei wiederholter Bezugnahme nur beim ersten Zitat mit der Fundstelle nachgewiesen, aber bei allen Zitaten kenntlich gemacht. 4 BVerfGE 74, 244 (252). 5 Michael Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles zur Garantie des Religionsunterrichts im Grundgesetz, in: ZevKR 49 (2004), S. 589 – 638, hier S. 603 f.; gekürzt unter dem Titel: Grundsätzliche und aktuelle Aspekte der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, in: DÖV 57 (2004), S. 462 – 471, hier S. 465. 6 BVerfGE 74, 244 (252).
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auf Vorgaben für die Unterrichtsgestaltung, den Unterrichtsstoff und die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses, wobei die Vorgaben sich gegenseitig beeinflussen. Für die Unterrichtsgestaltung, die sich nach den Vorstellungen der Religionsgemeinschaften richtet, nennt das Bundesverfassungsgericht die „Verkündigung und Glaubensunterweisung“ sowie die „Wissensvermittlung“.7 Für den Unterrichtsstoff, der sich ebenfalls nach den Vorstellungen der Religionsgemeinschaften richtet, nennt das Bundesverfassungsgericht die „Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“, den „Bekenntnisinhalt“8, „die Lehre eines Bekenntnisses“, „vergleichende[…] Hinweise[…]“9, „Information auch über andere Bekenntnisse“10 sowie die Erörterung „grundsätzliche[r] Lebensfragen“.11 Auch die Entscheidung über die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses am Religionsunterricht steht den Religionsgemeinschaften zu.12 Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über deren Grundsätze gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG findet seine Schranken nicht nur an dem für alle geltenden Gesetz im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV13, sondern wird auch durch die besondere „Prägung“ des Fachs, also den „verfassungsrechtlich bestimmten Kern“14 des Verfassungsbegriffs des Religionsunterrichts15 begrenzt. Die „Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession ist der unveränderliche Rahmen, den die Verfassung vorgibt.“16 Die „Glaubenssätze[…] der jeweiligen Konfession“ müssen also Maßstab für die Beantwortung der Wahr-
7
BVerfGE 74, 244 (253). BVerfGE 74, 244 (252). 9 BVerfGE 74, 244 (253). 10 BVerfGE 74, 244 (254). 11 BVerfGE 74, 244 (253). 12 BVerfGE 74, 244 (254). 13 Anders wohl Stefan Korioth, Der Auftrag des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG, in: Kämper/Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (Anm. 1), S. 7 – 33, hier S. 18: Der Staat dürfe „gemeinsam formulierte Grundsätze“ von Religionsgemeinschaften, die ihre Lehrunterschiede zwar als kirchentrennend, aber nicht mehr als religionsunterrichtstrennend ansehen, nicht zurückweisen, da er andernfalls das Selbstbestimmungsrecht der beteiligten Religionsgemeinschaften beschränke, „ohne den Anforderungen des für alle geltenden Gesetzes im Sinne des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV zu genügen.“ M. E. vernachlässigt Korioth an dieser Stelle, dass es nicht um die Schranken des für alle geltenden Gesetzes im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, sondern um die Grenzen, die dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über ihre Grundsätze gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG durch den „verfassungsrechtlich bestimmten Kern“ des Verfassungsbegriffs des Religionsunterrichts vorgegeben sind, geht (so auch Korioth, a. a. O., S. 17, der in diesem Zusammenhang von „Bekenntnisbezug“ spricht). 14 BVerfGE 74, 244 (253). 15 Der „Verfassungsbegriff ,Religionsunterricht‘“ selbst ist wandelbar (BVerfGE 74, 244 [252 f.]). 16 BVerfGE 74, 244 (253). 8
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heitsfrage im Religionsunterricht sein.17 Nur so ist der Religionsunterricht integraler Bestandteil der religionsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes18 : Weil sich der weltanschaulich-religiös neutrale Staat „die Entscheidung der religiösen Wahrheitsfrage konstitutionell versagt“19, darf die Beantwortung der religiösen Wahrheitsfrage im Religionsunterricht „um der negativen und positiven Religionsfreiheit willen zwingend“20 nur in Übereinstimmung mit den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession erfolgen. Die Religionsgemeinschaften können sich demnach für verschiedene idealtypische Formen des Religionsunterrichts entscheiden. Diese Formen unterscheiden sich zum einen hinsichtlich der Vorgaben der jeweiligen Religionsgemeinschaft bezüglich der Unterrichtsgestaltung, der Unterrichtsstoffe und der Teilnehmer und zum anderen bezüglich der Ausrichtung des Religionsunterrichts „an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“. Die Unterschiede hinsichtlich der Vorgaben bewegen sich zwischen zwei Extremen: Zum einen dem Typus der konfessionellen Homogenität der Vorgaben, bei dem sich die Unterrichtsgestaltung auf die „Verkündigung und Glaubensunterweisung“, die Unterrichtsstoffe auf die „Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“, den „Bekenntnisinhalt“, „die Lehre eines Bekenntnisses“ und die Teilnehmer auf die Angehörigen des eigenen Bekenntnisses beschränken. Zum anderen dem Typus der konfessionellen Heterogenität der Vorgaben, bei dem sich die Unterrichtsgestaltung auf die „Wissensvermittlung“, die Unterrichtsstoffe auf „vergleichende[…] Hinweise[…]“, Information „über andere Bekenntnisse“ sowie die Erörterung „grundsätzliche[r] Lebensfragen“ beschränken; hier können in unbegrenztem Maße Schüler anderer Bekenntnisse am Religionsunterricht teilnehmen. Beide Extreme werfen aus verfassungsrechtlichen Gründen Fragen auf: Beim Typus der konfessionellen Homo17 Zur Bedeutung der Maßstäbe und der Wahrheitsfrage Martin Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand: Konfessionell – unkonfessionell – interreligiös – interkonfessionell – konfessionell-kooperativ? Der rechtliche Rahmen des Religionsunterrichts im säkularen Verfassungsstaat, in: ZThK 102 (2005), S. 246 – 292, hier S. 261 – 263, 267 – 272, 280; Martin Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? Konfessionell – unkonfessionell – interreligiös – bikonfessionell – „für alle“ – konfessionell-kooperativ? in: Rainer Grote/Ines Härtel/ Karl-E. Hain/Thorsten Ingo Schmidt/Thomas Schmitz/Gunnar Folke Schuppert/Christian Winterhoff (Hrsg.), Die Ordnung der Freiheit. Festschrift für Christian Starck zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2007, S. 1093 – 1128, hier S. 1097 – 1101, 1107 f., 1121, auch in: Martin Heckel, Gesammelte Schriften, Staat, Kirche, Recht, Geschichte, Bd. 6, Tübingen 2013, S. 379 – 418, hier S. 384 – 387, 395 f., 410 f. 18 Hierzu allgemein Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 610 – 612 bzw. S. 466. 19 Martin Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem des Grundgesetzes (I. Teil), in: ZThK 96 (1999), S. 525 – 554, hier S. 529, auch in: Martin Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem, Tübingen 2002, S. 1 – 37, hier S. 6 (Hervorhebung im Original). 20 Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts (I. Teil) (Anm. 19), S. 542 bzw. S. 23. – Ähnlich Hinnerk Wißmann, Religionsunterricht für alle? Zum Beitrag des Religionsverfassungsrechts für die pluralistische Gesellschaft, Tübingen 2019, S. 55.
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genität der Vorgaben ist fraglich, ob es sich um staatlichen Religionsunterricht handelt21, der der Kulturstaatsverantwortung und dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der staatlichen Schule entspricht.22 Beim Typus der konfessionellen Heterogenität der Vorgaben ist fraglich, ob es sich um staatlichen Religionsunterricht handelt, der hinreichende Anknüpfungspunkte für die „Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ bietet.23 Beide Fragen brauchen hier nicht weiter vertieft zu werden, da die Extreme in der Praxis in Baden-Württemberg nicht vorkommen. Die zwischen diesen Extremen liegenden Ausprägungen können dem Typus der konfessionellen Inhomogenität der Vorgaben zugeordnet werden.24 Hier tritt bei der Unterrichtsgestaltung in unterschiedlichem Maße neben die „Verkündigung und Glaubensunterweisung“ die „Wissensvermittlung“. Hier sind Unterrichtsstoffe des Religionsunterrichts nicht nur die „Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“, der „Bekenntnisinhalt“ und „die Lehre eines Bekenntnisses“, sondern in verschiedener Ausprägung auch „vergleichende[…] Hinweise[…]“, „Information auch über andere Bekenntnisse“ sowie die Erörterung „grundsätzliche[r] Lebensfragen“. Hier können neben den Angehörigen des eigenen Bekenntnisses in unterschiedlichem, aber begrenztem Maße auch Schüler anderer Bekenntnisse am Religionsunterricht teilnehmen. Maßgeblich für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit sind jedoch nicht nur die Vorgaben für den Unterricht, sondern insbesondere, dass der gesamte Unterricht ausschließlich an den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ ausgerichtet ist, diese also der alleinige Maßstab für die Beantwortung der Wahrheitsfrage sind. Während die Vorgaben auf den Unterricht einwirken, verweist die Ausrichtung über den Unterricht hinaus auf das religiöse Leben insgesamt.
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Eine „sich auf Gebet, Ritus, Kult oder Meditation beschränkende Veranstaltung“ ist sicher kein Unterricht im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG, vgl. Peter Badura, in: Theodor Maunz/ Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, München, 74. Lfg. Mai 2015, Art. 7, Rdnr. 70. 22 Martin Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem des Grundgesetzes (II. Teil), in: ZThK 97 (2000), S. 128 – 146, hier S. 133, auch in: Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem (Anm. 19), S. 39 – 62, hier S. 46, verlangt deshalb „hinreichende Information auch über die fremden Religionen“ (Hervorhebung im Original). 23 Kritisch Hinnerk Wißmann, in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Heidelberg, 172. Aktualisierung Mai 2015, Art. 7 Abs. 3, Rdnr. 144: „Auch wäre die Einführung einer auf bloße Wissensvermittlung zielenden Religionskunde im Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 3 GG selbst dann unzulässig, wenn eine Religionsgemeinschaft dies verlangen würde.“ – Um Religionskunde handelt es sich sicher bei „prinzipielle[r] Äquidistanz zu allen Religionen“, vgl. Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 51 (Hervorhebung im Original). 24 Von der „Verbindung bekenntnismäßiger und religionskundlicher“ Elemente spricht Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 262; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1108 bzw. S. 396.
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Auch die Unterschiede bezüglich der Ausrichtung lassen sich drei Typen zuordnen. Im Falle der konfessionellen Homogenität der Ausrichtung ist der Religionsunterricht an den „Glaubenssätze[n] der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ ausgerichtet, die in sich homogen sind25; dieser Unterricht wird von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts zweifelsfrei geschützt. Im Falle der konfessionellen Inhomogenität der Ausrichtung ist der Religionsunterricht entweder an den „Glaubenssätze[n] der jeweiligen Religionsgemeinschaft“, die in sich inhomogen sind26, oder an den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“, die in sich inhomogen sind27, ausgerichtet. Die Inhomogenität der Ausrichtung wird nicht nur für den Religionsunterricht in Anspruch genommen, sondern realisiert sich im gesamten religiösen Leben der Religionsgemeinschaft oder der Konfession.28 Auch dieser Unterricht wird von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts geschützt. Im Falle der konfessionellen Heterogenität der Ausrichtung ist die „Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession” aufgegeben; dieser Unterricht wird von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts nicht geschützt.29 Die Abweichung kann in zweierlei Richtungen erfolgen, denen gemeinsam ist, dass die „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession” nicht alleiniger Maßstab für die Beantwortung der Wahrheitsfrage sind. Im einen Fall30 richtet sich der Religionsunterricht nicht an der „Gesamtheit der Glaubenssätze“31 einer Konfession, sondern nur an einem Teil dieser Glaubenssätze, an „Religionsunterrichtsgrundsätzen“32 aus. Dies ist problematisch, da der Religionsunterricht der positiven Religionsfreiheit des Schülers zur umfassenden und
25 Beispiele sind die römisch-katholische Kirche, evangelisch-lutherische, evangelisch-reformierte und bekenntnisunierte evangelische Kirchen; vgl. unten zu Anm. 102. 26 Beispiele sind verwaltungsunierte evangelische Kirchen mit evangelisch-lutherischen und evangelisch-reformierten Gemeinden in einer Religionsgemeinschaft; vgl. unten zu Anm. 102, 113. 27 Beispiele sind Kirchen, die untereinander Kirchengemeinschaft haben, deren Lehrunterschiede nicht kirchentrennend sind, die also keine fremden Wahrheitsansprüche erheben; vgl. unten zu Anm. 108. 28 Zur umfassenden Tatbestands-, Ermöglichungs- und Bindungswirkung der Kirchengemeinschaft vgl. Hendrik Munsonius, Die Erklärung von Kirchengemeinschaft und das Kirchenrecht, in: ZevKR 58 (2013), S. 78 – 84, hier S. 81 ff. 29 So auch Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 58: „Daher wären eigenständige religionspädagogische Glaubenssätze unzulässig“ (Hervorhebung im Original); ähnlich S. 77. 30 Vgl. hierzu unten zu Anm. 115 bis 120. 31 Walter Landé, Die Schule in der Reichsverfassung. Ein Kommentar, Berlin 1929, S. 201. 32 So die Formulierung bei Christoph Link, Konfessioneller Religionsunterricht in einer gewandelten sozialen Wirklichkeit? – Zur Verfassungskonformität des Hamburger Religionsunterrichts „für alle“, in: ZevKR 46 (2001), S. 257 – 285, hier S. 268.
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nicht nur zur partiellen Entfaltung der eigenen Religion dient.33 Der positiven Religionsfreiheit des Schülers wird der vom religiös-weltanschaulich neutralen Staat veranstaltete Religionsunterricht durch inhaltliche Verkürzung der Glaubensätze seiner Konfession nicht gerecht. Der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates wird ein solcher Unterricht nicht gerecht, da er sich nicht unverkürzt an den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession” ausrichtet, sondern dem umfassenden Wahrheitsanspruch der eigenen Konfession nur eingeschränkt Raum gibt, ohne dass dies für den Schüler – wie bei einem völligen Verzicht auf Wahrheitsansprüche im Religionskunde- oder Ethikunterricht – augenscheinlich ist. Im anderen Fall34 richtet sich der Religionsunterricht nicht nur an den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“, sondern darüber hinaus an anderen Wahrheitsansprüchen aus.35 Dies ist problematisch, da der Religionsunterricht auch der negativen Religionsfreiheit des Schülers dient und ihn vor mit Geltungsanspruch vorgetragenen Wahrheitsansprüchen fremder Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen „als bestehende Wahrheiten“ im Religionsunterricht schützt.36 Der negativen Religionsfreiheit des Schülers wird der vom religiös-weltanschaulich neutralen Staat veranstaltete Religionsunterricht daher durch inhaltliche Erweiterungen der Wahrheitsansprüche über die Glaubenssätze seiner Konfession hinaus nicht gerecht. Der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates wird ein solcher Unterricht nicht gerecht, da er sich nicht nur an den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ ausrichtet, sondern auch fremden Wahrheitsansprüchen im staatlichen Unterricht Raum gibt, ohne dass dies für den Schüler – wie bei der Teilnahme am fremdkonfessionellen oder fremdreligiösen Religionsunterricht – augenscheinlich ist. Die Heterogenität der Ausrichtung bewirkt, dass „der Unterricht […] seine besondere Prägung als konfessionell gebundene Veranstaltung verliert“, da er sich entweder an weniger oder an mehr als den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ ausrichtet. Zu betonen sind demnach mit dem Bundesverfassungsgericht zwei Perspektiven, die der Ordnung des Grundgesetzes entsprechen: Zum einen: Die Vorgaben der Religionsgemeinschaften für den Religionsunterricht nach den „Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung“ bestimmen den Religionsunterricht. Zum anderen: Der Religionsunterricht ist ausgerichtet an den „Glaubenssätzen 33 Vgl. Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 272: „säkularisierende Verkürzung“. 34 Vgl. hierzu unten zu Anm. 109. 35 Beispiele sind unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen, aber auch unterschiedliche Konfessionen, also Kirchen, die untereinander keine Kirchengemeinschaft haben, deren Lehrunterschiede im gesamten religiösen Leben kirchentrennend sind. In allen Fällen werden auch fremde Wahrheitsansprüche erhoben. Zur m. E. nicht sachgerechten Grenzziehung zwischen Konfessionen und Religionen vgl. unten Anm. 109. 36 Vgl. Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 272: „fremdreligiöse Verfälschung“.
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der jeweiligen Konfession”. Beide Perspektiven, Inhalt und Rahmen37, kommen in der von Gerhard Anschütz38 geprägten und vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffenen Formel zum Ausdruck, nach der der Religionsunterricht „in ,konfessioneller Positivität und Gebundenheit‘ zu erteilen ist“.39 Während üblicherweise das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV seine Schranken an staatlichen Normen findet, die nicht ihrerseits wieder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften verweisen, ist dies beim Religionsunterricht der Fall: Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über deren Grundsätze gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG wird durch den „verfassungsrechtlich bestimmten Kern“ des Verfassungsbegriffs des Religionsunterrichts begrenzt. Diese Schranke verlangt die „Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“, verweist also wieder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Diese doppelte Funktion des Selbstbestimmungsrechts hat unterschiedliche Wirkungsfelder: Während das Selbstbestimmungsrecht bezüglich der Vorgaben auf den Unterricht einwirkt, verweist die Ausrichtung über den Unterricht hinaus auf das Selbstbestimmungsrecht, das das religiöse Leben insgesamt prägt. Zu beachten ist ferner, dass das Bundesverfassungsgericht zu Recht bei den Vorgaben auf die Religionsgemeinschaften, bei der Ausrichtung aber auf die Konfessionen abstellt, also auch die Ausrichtung an den Glaubensätzen mehrerer Religionsgemeinschaften einer Konfession zulässt.40 Entscheidend ist auch insoweit, dass das Spannungsverhältnis zwischen Rahmen und Inhalt, zwischen Vorgaben für den Religionsunterricht und Ausrichtung des Religionsunterrichts nicht einseitig aufgelöst wird.41 b) Landesrecht Das Landesrecht in Baden-Württemberg regelt den Religionsunterricht in Art. 16 Abs. 1 Satz 2, Art. 18 Verfassung des Landes Baden-Württemberg [LV] und § 38 Abs. 2 Satz 4, §§ 96 bis 100 Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG), in der Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“42 und in Nr. 6.2 der Verwal-
37 Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 594 ff., 602 ff., 623 ff. bzw. S. 463 f., 465, 468 f. 38 Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Auflage, Berlin 1933, Art. 149 Nr. 4. 39 BVerfGE 74, 244 (252). 40 Vgl. hierzu unten zu Anm. 52, 104, 107, 109, 113 f. 41 Zum Spannungsverhältnis von Rahmen und Inhalt vgl. Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 593 f., 596 bzw. S. 463 f. – Gegen eine Verengung der Argumentation auf eine Wortlautauslegung des Verfassungsbegriffs des Religionsunterrichts zu Recht Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 281 Anm. 47; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1119 Anm. 47 bzw. S. 408 Anm. 47. 42 Vgl. unten Anm. 54.
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tungsvorschrift des Kultusministeriums über Zeugnisse, Halbjahresinformation, Lernentwicklungsbericht und Schulbericht (VwV Zeugnisse).43 Art. 18 Satz 2 LV und § 96 Abs. 2 SchG bestimmen, dass der Religionsunterricht von den „Beauftragten“ der Religionsgemeinschaften „erteilt und beaufsichtigt“ wird. Die frühere Streitfrage, ob mit diesen Vorschriften „der Religionsunterricht zu einer kirchlichen Veranstaltung wird“44, die durch die Vorgängerbestimmungen genährt wurde45, kann unter der Geltung von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG, der klarstellt, dass die Erteilung des Religionsunterrichts „staatliche Aufgabe und Angelegenheit“46 ist, bei grundgesetzkonformer Auslegung eindeutig verneint werden.47 Durch diese Vorschriften „soll gewährleistet werden, dass der Unterricht – so Art. 18 S. 2 HS. 1 LV – ,nach den Grundsätzen‘ der Religionsgemeinschaften erteilt wird“.48 Sie stellen deshalb klar, „daß die Erteilung des Religionsunterrichts einer besonderen Beauftragung durch die Kirchen bedarf“.49 Nach § 97 Abs. 1 SchG müssen die Religionslehrer daher von der Religionsgemeinschaft zur Erteilung des Religionsunterrichts „bevollmächtigt“ sein. Gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 SchG werden die „Voraussetzungen für die Bevollmächtigung der Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichts […] von den Religionsgemeinschaften bestimmt.“ Durch solche Regelungen kann gewährleistet werden, dass der Religionslehrer nicht nur an die Vorgaben der Religionsgemeinschaft für den Religionsunterricht, sondern vor allem an die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ gebunden ist. Der Religionsunterricht wird gemäß Art. 18 Satz 2 LV „nach den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ und gemäß § 96 Abs. 2 SchG „in Übereinstimmung mit den Lehren und Grundsätzen der betreffenden Religionsgemeinschaft“ „erteilt und beaufsichtigt“. Mit dem Verweis nicht nur auf die auf die „Grundsätze[…]“, sondern 43
Vom 21. Februar 2019 (Kultus und Unterricht, S. 27). Paul Feuchte, in: Ders. (Hrsg.), Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Kommentar, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1987, Art. 18, Rdnr. 8. 45 Vgl. Klaus Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart/München/Hannover 1984, Art. 18, Rdnr. 3; Michael Frisch, Zur christlichen Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg, in: VwBlBW 26 (2005), S. 268 – 274, hier S. 273 Anm. 79; Johanna Bäcker, Die christliche Gemeinschaftsschule in Baden. Historie und Rechtsprobleme, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2012, S. 272 f. 46 BVerfGE 74, 244 (251). 47 Ebenso Braun (Anm. 45), Art. 18, Rdnr. 3; Martin Heckel, Staatskirchenrecht, in: Hartmut Maurer/Reinhard Hendler, Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt a. M. 1990, S. 580 – 599, hier: S. 590; Carolin Elisabeth Dürig, Die negative Religionsfreiheit und christlich geprägte Gehalte des Landesverfassungsrechts, Baden-Baden 2018, S. 124. 48 Felix Ebert, in: Volker M. Haug (Hrsg.), Verfassung des Landes Baden-Württemberg, Handkommentar, Baden-Baden 2018, Art. 18, Rdnr. 28. 49 Braun (Anm. 45), Art. 18, Rdnr. 3; vgl. auch Ebert (Anm. 48), Art. 18, Rdnr. 28 f.; Dürig (Anm. 47), S. 123 44
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auch auf die „Lehren“ der „betreffenden Religionsgemeinschaft“ wird deutlich, dass nicht nur die Vorgaben der Religionsgemeinschaft für den Religionsunterricht, sondern auch die „Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession” beachtlich sind.50 Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 LV wird der Unterricht in christlichen Gemeinschaftsschulen „mit Ausnahme des Religionsunterrichts gemeinsam erteilt.“ § 96 Abs. 2 SchG regelt, dass der Religionsunterricht „nach Bekenntnissen getrennt“ „erteilt und beaufsichtigt“ wird. „Mit dieser Formulierung soll nach allgemein herrschender Meinung die Bekenntnisgebundenheit des Religionsunterrichts betont werden. Dies basiert auf der Annahme, dass der Begriff Religionsunterricht – wie er nach der Verfassung zu verstehen ist – von der konfessionellen Homogenität von Lehrinhalt, Lehrer und Schülern ausgeht. Damit sollte vor allem auch dem Verkündungscharakter, der neben der Wissensvermittlung Wesensmerkmal des Religionsunterrichts ist, Rechnung getragen werden“.51 Die Trennung nach Bekenntnissen schließt nicht aus, dass sich der Religionsunterricht an den Glaubensätzen mehrerer bekenntnisverwandter Religionsgemeinschaften einer Konfession ausrichtet.52 Da die Entscheidung über die Teilnahme von Schülern eines anderen Bekenntnisses am Religionsunterricht den Religionsgemeinschaften zusteht, „solange der Unterricht dadurch nicht seine besondere Prägung als konfessionell gebundene Veranstaltung verliert“, ist diese Vorschrift grundgesetzkonform so auszulegen, dass sie nicht einen Religionsunterricht nach dem Typus der konfessionellen Homogenität verlangt und damit das Bestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften hinsichtlich der Vorgaben für den Religionsunterricht über der Bundesverfassung hinaus begrenzt. Umgekehrt stellt die Vorschrift klar, dass den Religionsgemeinschaften „kein Angehöriger einer anderen Konfession gegen ihren Willen aufgedrängt werden“53 kann. Eine Verwaltungsvorschrift regelt im Einzelnen, in welchen Fällen ein Schüler anstelle des Religionsunterrichts der eigenen Religionsgemeinschaft den Religionsunterricht einer anderen Religionsgemeinschaft mit gleichen Rechten und Pflichten besuchen kann.54 50 Vgl. oben zu Anm. 38 bis 41. – Zu der Formulierung „Lehren“ bereits im Jahre 1919 im Verfassungsausschuss vgl. Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 590 ff. bzw. S. 462 f. 51 Roland Wörz/Dieter von Alberti/Marc Falkenbach, Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG). Kommentar, Wiesbaden, 19. Nachlieferung November 2018, § 96 Nr. 2. – Bei Herbert Hochstetter/Eckart Muser/Eckhart Seifert, Schulgesetz für Baden-Württemberg. Erläuterte Textausgabe, 21. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 2005, § 96, Rdnr. 2, wird ebenfalls auf die konfessionelle Homogenität der Schüler und die Möglichkeit der Ausnahmen mit Zustimmung der Religionsgemeinschaft hingewiesen. – Als klaren Ausdruck der konfessionellen Ausrichtung versteht diese Vorschrift zu Recht Uwe Kai Jacobs, Religion in der öffentlichen Schule. Was ist in Baden-Württemberg erlaubt? in: A. Katarina Weilert/Philipp W. Hildmann (Hrsg.), Religion in der Schule. Zwischen individuellem Freiheitsrecht und staatlicher Neutralitätsverpflichtung, Tübingen 2018, S. 199 – 213, hier S. 202 Anm. 25. 52 Vgl. oben Anm. 40. 53 BVerfGE 74, 244 (254). 54 Nr. 1.2 Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“ vom 12. August 1993 (K.u. U. S. 411), neu erlassen durch Verwaltungsvorschrift vom 21. Dezember 2000
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Nach § 96 Satz 1 SchG stellt die Religionsgemeinschaft den Lehrplan für den Religionsunterricht auf und bestimmt die Religionsbücher für die Schüler; die Bekanntgabe besorgt das Kultusministerium. Durch diese Vorschrift werden die Möglichkeiten der Religionsgemeinschaften, Vorgaben für den Religionsunterricht hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung und der Unterrichtsstoffe zu machen, konkretisiert. Eine Verwaltungsvorschrift regelt, dass in Zeugnisformularen unter oder neben „der Bezeichnung ,Religionslehre‘ […] in einem Klammerzusatz zu vermerken [ist], in welcher Religionslehre […] der Schüler unterrichtet wurde; dies gilt nicht für Abschluss und Abgangszeugnisse“.55 In den Zeugnissen wird durch die konfessionsbezogene Kennzeichnung der konfessionellen „Positivität und Gebundenheit“ des Religionsunterrichts Rechnung getragen und ihr Ausdruck verliehen. 2. Kirchliches Recht a) Römisch-katholisches Kirchenrecht Das Gesetzbuch der lateinischen Kirche regelt den römisch-katholischen Religionsunterricht56 in cc. 761, 804, 805, 827 § 2 CIC/1983. Der römisch-katholische Religionsunterricht wird in c. 804 § 1 CIC/1983 der kirchlichen Autorität unterstellt.57 (K. u. U. 2001 S. 16); zu einer späteren Änderung hinsichtlich des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts vgl. unten Anm. 128. – Sabine Andrä, in: Felix Ebert (Hrsg.), Schulrecht Baden-Württemberg. Kommentar, 2. Aufl., Stuttgart/München/Hannover/Berlin/Weimar/ Dresden 2017, § 96, Rdnr. 7, weist im Hinblick auf diese Verwaltungsvorschrift zu Recht darauf hin, dass es problematisch ist, „dass der Staat die Fälle beschränkt, in denen der Besuch des Religionsunterrichts einer anderen Religionsgemeinschaft zulässig ist, obwohl diese Entscheidung nach dem BVerfG […] allein den Religionsgemeinschaften zusteht.“ Die Problematik wird dadurch gemildert, dass die Kirchen „zur Ausführung der Regelungen über den Besuch des Religionsunterrichts“ eine Vereinbarung getroffen haben. – Entstehungsgeschichtlich dürfte es sich so verhalten, dass die Einigung der Kirchenleitungen der „Billigung“ und Bekanntmachung des Kultusministeriums vom 7. Juli 1976 (K.u. U. S. 1430) vorausging; vgl. Feuchte (Anm. 44), Art. 18, Rdnr. 14; ferner Wilhelm Holfelder/Wolfgang Bosse/Stefan Reip, Schulrecht Baden-Württemberg. Kommentar zum Schulgesetz, 13. Aufl., Stuttgart/ München/Hannover/Berlin/Weimar/Dresden 2005, § 96, Anm. 3. Diese Bekanntmachung wurde durch die Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“ vom 31. März 1983 (K. u. U. S. 423) und die entsprechende Vereinbarung der Kirchenleitungen (vgl. hierzu unten Anm. 90), ersetzt. Diese Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 1983 wurde später durch o. g. Verwaltungsvorschrift aus dem Jahr 1993 ersetzt. – Vgl. ferner § 11 Absatz 2 und 3 Abiturverordnung Gymnasien der Normalform vom 19. Oktober 2018 (GBl. S. 388). 55 Nr. 6.2 Satz 1 VwV Zeugnisse (Anm. 43); vormals Nr. 7 Satz 3 Verwaltungsvorschrift „Zeugnisse, Halbjahresinformation und Schulbericht“ vom 3. Januar 2002 (K. u. U. S. 73); zu einer späteren Änderung hinsichtlich des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts vgl. unten Anm. 128. 56 Der Zusatz „catholica“ in c. 804 § 1 CIC/1983 („institutio et educatio religiosa catholica“) stellt die konfessionelle Prägung und Bindung des römisch-katholischen Religionsunterrichts klar, vgl. Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Paderborn/München/Wien/Zürich 2011,
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Von den Religionslehrern, die vom Ortsordinarius nach c. 805 CIC/1983 ernannt oder approbiert werden58, wird in c. 804 § 2 CIC/1983 erwartet, dass sie sich unter anderem durch Rechtgläubigkeit (vgl. c. 750 CIC/1983) auszeichnen.59 Aufgrund der Regelungsbefugnis des Diözesanbischofs gemäß c. 804 § 1 CIC/1983 wurde für die Erzdiözese Freiburg und die Diözese Rottenburg-Stuttgart jeweils eine Missio-Ordnung60 erlassen. Nach den Missio-Ordnungen ist die „Übereinstimmung mit der Lehre der [römisch-]katholischen Kirche“61 Kennzeichen der „im strengen Sinn konfessionelle[n] Institution“62 römisch-katholischer Religionsunterricht und Voraussetzung für die Erteilung der Missio canonica; Mitglieder einer evangelischen Landeskirche dürfen demnach nicht als Religionslehrer römisch-katholischen Religionsunterricht erteilen.63 Gemäß c. 827 § 2 CIC/1983 wurde die Verfahrensordnung für die kirchliche Zulassung von Unterrichtswerken für den [römisch-]katholischen Religionsunterricht erlassen, die u. a. sicherstellen soll, dass Lehrbücher und Lehrerkommentare „mit der Lehre der Kirche in Einklang stehen“.64 Durch diese Vorgaben wird die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Glaubenssätzen der römisch-katholischen Kirche sichergestellt. Damit ist ein römisch-kaS. 133, 139; Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3 (Anm. 1), S. 1022; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 86. 57 Hierzu Matthias Pulte, Ökumenischer Religionsunterricht? – Möglichkeiten und Grenzen aus der Perspektive von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht, in: AfkKR 173 (2004), S. 441 – 464, hier S. 447 f.; Meckel (Anm. 56), S. 136 – 139; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 85 f. 58 Neben der Ernennung oder Approbation nennt die Vorschrift auch die Abberufung oder die Forderung nach Abberufung; hierzu Meckel (Anm. 56), S. 137 f., 139 – 144; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 87 f. 59 C. 804 § 2 CIC/1983: „recta doctrina“; hierzu Pulte (Anm. 57), S. 449 f., 457, 460; Meckel (Anm. 56), S. 140, 143 f. – Auf die umstrittene Frage, ob es sich beim Religionslehrer um ein Kirchenamt im Sinne von c. 145 § 1 CIC/1983 handelt und der Religionslehrer deshalb gemäß c. 149 § 1 CIC/1983 in der Gemeinschaft der Kirche stehen muss, kommt es nicht an; hierzu differenzierend Meckel (Anm. 56), S. 144 – 147. 60 Ordnung für die Verleihung, die Rückgabe und den Entzug der Missio canonica für Lehrkräfte des Faches Katholische Religionslehre in der Erzdiözese Freiburg (Missio-Ordnung) vom 10. Januar 2005 (ABl. S. 13); Ordnung für die Verleihung, die Rückgabe und den Entzug der Missio canonica für Lehrkräfte des Faches Katholische Religionslehre in der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Missio-Ordnung) vom 19. Juli 2005 (ABl. S. 244). 61 Vgl. jeweils Abs. 3 der Präambel der in Anm. 60 genannten Missio-Ordnungen. 62 Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3 (Anm. 1), S. 1025; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 89. 63 Vgl. Pulte (Anm. 57), S. 449, 455 f.; Dietmar Konrad, Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts im Verständnis der evangelischen und katholischen Kirche, Tübingen 2010, S. 450; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 87 Anm. 48. 64 Art. 8 Abs. 1 Verfahrensordnung für die kirchliche Zulassung von Unterrichtswerken für den katholischen Religionsunterricht vom 1. August 2002 i. V. m. Nr. 1 Abs. 2 Kriterienkatalog zur Verfahrensordnung, in: ABl. Erzdiözese Hamburg S. 127, 130.
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tholischer Religionsunterricht, der sich nicht an den Glaubenssätzen der römisch-katholischen Kirche ausrichtet, nach kanonischem Recht unzulässig.65 Eine ökumenische Offenheit des römisch-katholischen Religionsunterrichts66 ist damit ebenso wenig ausgeschlossen wie die begrenzte Teilnahme konfessionsloser oder konfessionsfremder Schüler am römisch-katholischen Religionsunterricht.67 b) Evangelisches Kirchenrecht Das Kirchenrecht der Evangelischen Landeskirche in Baden regelt den Religionsunterricht in Art. 10 Abs. 2, Art. 49 Abs. 2, Art. 99 Grundordnung (GO)68, im Religionsunterrichtsgesetz (RUG)69, in der Vocationsordnung70 und in der Schulbuchzulassungs-RVO.71 Das Kirchenrecht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg enthält für den Religionsunterricht wichtige Bestimmungen in § 1 Kirchenverfassungsgesetz72, in der Vokationsordnung73, in den Ausführungsbestimmungen zur Vokationsordnung74 und in der Schulbuchzulassungsverordnung.75 Nach diesen Bestimmungen ist der evangelische Religionsunterricht in Baden „gebunden an das im Vorspruch der Grundordnung festgelegte Bekenntnis der Evangelischen Landeskirche in Baden“.76 In Württemberg hat der evangelische Religionsunterricht die Aufgabe, „mitzuhelfen, dass das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und in den Bekenntnissen der Reformation bezeugt ist, aller Welt verkündigt wird“.77 Die Erteilung der Vocatio setzt die Mitglied65 Heinrich Mussinghoff/Hermann Kahler, vor c. 804, Rdnr. 1, in: MK CIC (Stand: Dezember 2002); zu pauschal und weitgehend ist jedoch m. E. die dortige Schlussfolgerung, damit sei ein „konfessionell-kooperativer Religionsunterricht ausgeschlossen.“ 66 Hierzu Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 89. 67 Meckel (Anm. 56), S. 139; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 90. 68 Vom 28. April 2007 (GVBl. Baden [GVBl.] S. 81), zuletzt geändert durch Kirchliches Gesetz vom 23. Oktober 2019 (GVBl. 2020 S. 10). 69 Vom 15. April 2000 (GVBl. S. 114), zuletzt geändert durch Kirchliches Gesetz vom 19. Oktober 2016 (GVBl. S. 228). 70 Vom 12. Mai 2009 (GVBl. S. 78), geändert durch Rechtsverordnung vom 20. Januar 2015 (GVBl. S. 69). 71 Vom 11. Dezember 2007 (GVBl. 2008 S. 31). 72 Vom 24. Juni 1920 (Abl. 19 S. 199), zuletzt geändert durch Kirchliche Gesetze vom 22. November 2016 (Abl. 67 S. 269, 270). 73 Vom 20. November 1990 (Abl. 54 S. 589), geändert durch Kirchliche Verordnung vom 23. November 2010 (Abl. 64 S. 280). 74 Vom 13. August 1991 (Abl. 54 S. 592), zuletzt geändert durch Erlass vom 7. September 2010 (Abl. 64 S. 281). 75 Vom 22. Januar 2008 (Abl. 63 S. 9). 76 § 2 Abs. 2 RUG (Anm. 69); hierzu Konrad (Anm. 63), S. 451. 77 § 2 Abs. 2 Vokationsordnung (Anm. 73); vgl. auch § 1 Kirchenverfassungsgesetz (Anm. 72).
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schaft in einer evangelischen Landeskirche78 oder in bestimmten evangelischen Freikirchen79 und die Bereitschaft voraus, „den Religionsunterricht nach Bekenntnis und Ordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden zu erteilen“80 oder „die mit der Wahrnehmung eines Lehrauftrags im evangelischen Religionsunterricht verbundenen Verpflichtungen zu übernehmen“81, insbesondere die Verpflichtung, „den Religionsunterricht nach dem Bekenntnis und der Ordnung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zu erteilen“.82 Die Bevollmächtigung in einer anderen Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland83 oder in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg bestimmter evangelischer Freikirchen84 wird anerkannt, wenn die Bereitschaft besteht, den Religionsunterricht nach den Grundsätzen und der Ordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden oder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zu erteilen. Mitglieder der römisch-katholischen Kirche dürfen demnach nicht als Religionslehrer evangelischen Religionsunterricht erteilen, da ihnen weder eine Vocatio erteilt noch die Missio canonica anerkannt werden darf.85 78 § 2 Abs. 1 Nr. 1 Vocationsordnung (Anm. 70); § 2 Abs. 1 Nr. 1 Vokationsordnung (Anm. 73). 79 § 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 Vocationsordnung (Anm. 70). Die Mitglieder der Freikirchen müssen sich verpflichten, den Religionsunterricht nach Bekenntnis und Ordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden zu erteilen und sich jeglicher Sonderlehre zu enthalten, vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 3 Vocationsordnung (Anm. 70). – § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Vokationsordnung (Anm. 73). Voraussetzung ist die Verpflichtung, „den Religionsunterricht nach dem Bekenntnis und der Ordnung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg zu erteilen“, vgl. unten Anm. 82. 80 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Vocationsordnung (Anm. 70). 81 § 2 Abs. 1 Nr. 3 Vokationsordnung (Anm. 73). 82 Nr. 9 Satz 3 und 4 Ausführungsbestimmungen zur Vokationsordnung (Anm. 74). 83 § 3 Vocationsordnung (Anm. 70); § 1 Abs. 3 Nr. 3 Vokationsordnung (Anm. 73); klarstellend: Nr. 1 Vereinbarung zur wechselseitigen Anerkennung der Vocatio durch die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 1. Juli 2010 (ABl. EKD 2011 S. 61); hierzu Martin Richter, Schulische Bildung, in: HevKR § 20, Rdnr. 10. 84 § 3 Abs. 2 Vokationsordnung (Anm. 73); Abschnitt I A Nr. 4 Vereinbarung über die Erteilung des Unterrichtsfachs Evang. Religionslehre durch die Mitglieder einer Freikirche und über die Teilnahme von Schülern, die einer Freikirche angehören, am evangelischen Religionsunterricht vom 1. Januar 1984 (Abl. 51 S. 24); Nr. 9 Satz 3 Ausführungsbestimmungen zur Vokationsordnung (Anm. 74); klarstellend: Nr. 4 Vereinbarung zur wechselseitigen Anerkennung (Anm. 83). – Die Evangelische Landeskirche in Baden beabsichtigt den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung im Jahr 2020. Zu solchen Vereinbarungen vgl. Nikolaus Ukert, Das Recht der Evangelisch-methodistischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, München 1993, S. 159 f.; Claudia Maria Corlazzoli, Religionsunterricht von kleineren Religionsgemeinschaften an öffentlichen Schulen in Deutschland, Frankfurt a. M./ Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2009, S. 40 – 42; Andreas Weiss, Kirchenrecht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und ausgewählter evangelischer Freikirchen. Ein Rechtsvergleich, Tübingen 2012, S. 302 f., 306; Richter (Anm. 83), Rdnr. 10; Stefan Mückl, Religionsunterricht bikonfessionell, ökumenisch, multireligiös, in: ZevKR 64 (2019), S. 225 – 256, hier S. 248. 85 Konrad (Anm. 63), S. 451. – Nicht haltbar demgegenüber Stefanie Becker, Die Rechtsstellung des evangelischen Religionslehrers in der öffentlichen Schule am Beispiel der
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Die Schulbücher für das Fach Evangelische Religionslehre werden zugelassen, wenn sie mit den Bekenntnisgrundlagen und den kirchlichen Ordnungen der Evangelischen Landeskirche in Baden beziehungsweise der Evangelischen Landeskirche in Württemberg übereinstimmen.86 Durch diese Vorgaben wird die Ausrichtung des Religionsunterrichts am Bekenntnis der Evangelischen Landeskirche in Baden oder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sichergestellt. Damit ist ein evangelischer Religionsunterricht, der sich nicht entweder am Bekenntnis der Evangelischen Landeskirche in Baden oder am Bekenntnis der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ausrichtet, nach dem in Baden-Württemberg geltenden evangelischen Kirchenrecht unzulässig. Evangelischer Religionsunterricht wird in ökumenischer Offenheit erteilt.87 Die Teilnahme konfessionsloser oder konfessionsfremder Schüler am evangelischen Religionsunterricht ist möglich.88 c) Recht der Verträge zwischen den Kirchen Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und die Evangelische Landeskirche in Baden haben die Gemeinsame Religionspädagogische Kommission der Evangelischen Oberkirchenräte in Karlsruhe und Stuttgart und den Koordinierungsausschuss für das Lernmittelbegutachtungsverfahren vereinbart.89 Die Erzdiözese Freiburg, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Evangelische Landeskirche in Baden und die Evangelische Landeskirche in Württemberg haben über die ausnahmsweise Teilnahme von evangelischen und römisch-katholischen Schülern in bestimmten Fällen am Religionsunterricht der anderen Kirche eine Vereinbarung getroffen.90 Evangelischen Landeskirche in Baden, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2011, S. 272: „Das gegenwärtige Kirchenrecht der Landeskirche ignoriert die Problematik einer Lehrberechtigung zugunsten katholischer Lehrkräfte, indem es auf eine Regelung in der Vocationsordnung verzichtet und den Einsatz des katholischen Religionslehrers auf Grundlage der Vereinbarung über die konfessionelle Kooperation vornimmt“. 86 § 4 Nr. 1 Schulbuchzulassungs-RVO (Anm. 71); § 4 Nr. 1 Schulbuchzulassungsverordnung (Anm. 75). 87 § 1 Abs. 5 RUG (Anm. 69). 88 Art. 10 Abs. 2 GO (Anm. 68); § 7 Abs. 2 bis 6 RUG (Anm. 69); hierzu Jörg Winter, Die Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden. Kommentar für Praxis und Wissenschaft, Köln 2011, S. 196 f. 89 Vgl. § 6 Abs. 2 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Kooperationsvereinbarung – KoV) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. 2008 S. 1; Abl. 63 S. 2), zuletzt geändert durch Vereinbarung vom 18. März 2013 (GVBl. S. 148; Abl. 65 S. 527). 90 Vereinbarung zwischen den evangelischen und katholischen Kirchen in Baden-Württemberg vom 31. März 1983 (K.u. U. S. 424) zu Nr. 1.2 Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“ vom 31. März 1983 (Anm. 54; dort auch zur Vorgängervereinbarung). – Vgl. hierzu auch § 7 Abs. 4 Satz 2 RUG (Anm. 69). – Hierzu auch unvollständig referierend
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Zudem hat die Evangelische Landeskirche in Württemberg mit dem Bund Freier evangelischer Gemeinden, dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und der Evangelisch-methodistischen Kirche eine Vereinbarung über die Erteilung des Unterrichtsfachs Evangelische Religionslehre durch die Mitglieder einer Freikirche und über die Teilnahme von Schülern, die einer Freikirche angehören, am evangelischen Religionsunterricht geschlossen.91 3. Recht der Verträge zwischen Staat und Kirche Artt. 21, 22 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich [Reichskonkordat]92 und Art. XI Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Freistaate Baden [Badisches Konkordat] regeln den [römisch-]katholischen Religionsunterricht.93 Art. 7 Abs. 2 Satz 2, Art. 8 Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg (Evangelischer Kirchenvertrag Baden-Württemberg – EvKiVBW) regeln den evangelischen Religionsunterricht.94 Diese unterschiedlichen Regelungen bringen die jeweilige konfessionelle Bindung des evangelischen und römisch-katholischen Religionsunterrichts zum Ausdruck.
II. Der Stand des wissenschaftlichen Schrifttums zu Formen des Miteinanders von Religionsgemeinschaften bezüglich des Religionsunterrichts Das Miteinander von Religionsgemeinschaften bezüglich des Religionsunterrichts ist in der Praxis reich an Varianten; die Zulässigkeit ist in der Literatur umstritten. Die Stimmen lassen sich mit Peter Unruh95 drei Auffassungen zuordnen. Die eine Auffassung betont das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und kommt zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Typus der konfessionellen Heterogenität nicht nur der Vorgaben, sondern auch der Ausrichtung und damit jeder Form des Miteinanders von Religionsgemeinschaften bezüglich des Re-
Nr. 1 Vereinbarung (Anm. 123); diese Vereinbarung aus dem Jahr 2005 versteht sich nach Nr. 3 Vereinbarung (Anm. 123) als Ergänzung der Vereinbarung aus dem Jahr 1983 bezüglich des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts, vgl. unten zu Anm. 151. 91 Vgl. oben Anm. 84. 92 Hierzu Pulte (Anm. 57), S. 453; Ebert (Anm. 48), Art. 18, Rdnr. 8. 93 Hierzu Feuchte (Anm. 44), Art. 18, Rdnr. 13; Ebert (Anm. 48), Art. 18, Rdnr. 8. 94 Hierzu Michael Frisch/Uwe Kai Jacobs, Evangelischer Kirchenvertrag Baden-Württemberg, in: ZevKR 54 (2009), S. 290 – 327, hier S. 311, 314; Ebert (Anm. 48), Art. 18, Rdnr. 8. 95 Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2018, S. 267 f.
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ligionsunterrichts.96 Die andere Auffassung betont den Verfassungsbegriff des Religionsunterrichts und kommt zum verfassungsrechtlichen Gebot des Typus der konfessionellen Homogenität wenn nicht bereits der Vorgaben, so doch jedenfalls der Ausrichtung und damit zur Unzulässigkeit enger Formen des Miteinanders von Religionsgemeinschaften bezüglich des Religionsunterrichts.97 Die dritte, vorzugswürdige Auffassung98 differenziert zwischen Kooperations-, Delegations- und Fusionsvarianten und ordnet diese auch nach den Kriterien der religionsgemeinschaftstrennenden und religionsunterrichtstrennenden99 Lehrunterschiede dem unzulässigen Typus der konfessionellen Heterogenität wenn nicht bereits der Vorgaben so doch jedenfalls der Ausrichtung oder dem unter bestimmten Bedingungen zulässigen Typus der konfessionellen Inhomogenität nicht nur der Vorgaben, sondern auch der Ausrichtung zu. 1. Kooperationsvariante Bei der Kooperationsvariante gibt es verschiedenste Spielarten.100 In den engsten Formen der Kooperation einigen sich die kooperierenden Religionsgemeinschaften auf die Vorgaben der einen Religionsgemeinschaft bezüglich der Unterrichtsgestaltung, der Unterrichtsstoffe und der Teilnehmer des Religionsunterrichts dieser Religionsgemeinschaft und auf die Vorgaben der anderen Religionsgemeinschaft bezüglich der Unterrichtsgestaltung, der Unterrichtsstoffe und der Teilnehmer des Religionsunterrichts jener Religionsgemeinschaft. Diese Vorgaben können auch für den Religionsunterricht dieser und jener Religionsgemeinschaft ganz oder teilweise identisch sein, wenn sie sich auch an den Glaubensätzen dieser und jener Religionsgemeinschaft orientieren. Einigkeit besteht zudem und entscheidend darüber, dass sich der Religionsunterricht der einen Religionsgemeinschaft an den Glaubenssätzen dieser Religionsgemeinschaft und der Religionsunterricht der anderen Religionsgemeinschaft an den Glaubenssätzen jener Religionsgemeinschaft ausrichten. Die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Glaubenssätzen dieser oder jener Religionsgemeinschaft wird durch die Verpflichtung der Religionslehrer allein auf die Glaubenssätze dieser oder jener Religionsgemeinschaft sichergestellt. 96
Bodo Pieroth, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Öffnung des Religionsunterrichts, in: ZevKR 38 (1993), S. 189 – 202, hier S. 201; Korioth (Anm. 13), S. 18. 97 So wohl Johannes Rux, Schulrecht, 6. Aufl., München 2018, S. 83, sobald „die wesentlichen Glaubensgrundsätze vermittelt werden“, also es sich nicht nur um die ersten Schuljahre handelt. 98 Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 623 ff. bzw. S. 468 f.; Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 272 ff.; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1112 ff. bzw. S. 401 ff. – Im Grundsatz ähnlich, aber weiter Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 58 f. 99 Begriff bei Link, Konfessioneller Religionsunterricht (Anm. 32), S. 267. 100 Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 623 bzw. S. 468; Richter (Anm. 83), Rdnr. 21 f.; Mückl, Religionsunterricht (Anm. 84) S. 234.
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Diese Kooperationsvariante wird beispielsweise in der Kooperation zwischen der bekenntnisunierten Evangelischen Landeskirche in Baden und der lutherischen Evangelischen Landeskirche in Württemberg praktiziert. Beide Kirchen einigen sich auf – weitgehend – identische Vorgaben für den Religionsunterricht durch die Einigung auf gemeinsamen Lehrpläne und überwiegend gemeinsame Religionsbücher. Sie verpflichten gleichzeitig die Religionslehrer jeweils allein auf das Bekenntnis und die Ordnung entweder der Evangelischen Landeskirche in Baden oder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.101 Die Kooperationsvariante ist dem Typus der konfessionellen Inhomogenität der Vorgaben und der konfessionellen Homogenität der Ausrichtung zuzuordnen und verfassungsrechtlich und kirchenrechtlich zulässig, da die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Glaubenssätzen der Evangelischen Landeskirche in Baden oder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gewährleistet ist und die Bevollmächtigungen der Religionslehrer den Vokationsordnungen entsprechen. Trotz der Kirchengemeinschaft, nach der die Lehrunterschiede zwischen den beiden Landeskirchen nicht religionsgemeinschaftstrennend sind, werden diese Lehrunterschiede von den beteiligten Landeskirchen als religionsunterrichtstrennend behandelt102, da durch die unterschiedliche Ausrichtung (trotz einheitlicher, der Konfession entsprechenden Bezeichnung als evangelischer Religionsunterricht) ein bekenntnisunierter evangelischer Religionsunterricht und ein evangelisch-lutherischer Religionsunterricht vorliegen. Möglich wäre in Anbetracht der nicht religionsgemeinschaftstrennenden Lehrunterschiede verfassungsrechtlich freilich auch eine andere kirchenrechtliche Regelung, wie sie in anderen Bundesländern praktiziert wird103, nach der die Ausrichtung an den Glaubensätzen mehrerer Religionsgemeinschaften einer Konfession erfolgt.104 2. Delegationsvariante Bei der Delegationsvariante sind sich die kooperierenden Religionsgemeinschaften darüber einig, dass die Vorgaben der einen Religionsgemeinschaft bezüglich der Unterrichtsgestaltung, der Unterrichtsstoffe und der Teilnehmer des Religionsunterrichts dieser Religionsgemeinschaft auch als Vorgaben der anderen Religionsgemeinschaft gelten. Einigkeit besteht zudem und entscheidend darüber, dass sich 101
Vgl. oben zu Anm. 80 und 82. Wie oben dargelegt (vgl. zu Anm. 83 f.) verpflichten die Landeskirchen in BadenWürttemberg die Religionslehrer trotz Kirchengemeinschaft und gegenseitiger Anerkennung der vocatio auf ihr jeweiliges Bekenntnis; sie stellen also nicht „die Bekenntnisverschiedenheiten zu Gunsten des gemeinsamen biblischen Fundaments“ zurück. So aber Link, Konfessioneller Religionsunterricht (Anm. 32), S. 270; vgl. auch Wißmann, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Anm. 23), Art. 7 Abs. 3, Rdnr. 142 Anm. 419; Richter (Anm. 83), Rdnr. 21; Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 52 f. – Auch bei verwaltungsunierten Kirchen (vgl. unten zu Anm. 113) liegt kein Teil-, sondern ein Gesamtreligionsunterricht vor. 103 Vgl. unten zu Anm. 113. 104 Vgl. oben Anm. 40. 102
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der Religionsunterricht der einen Religionsgemeinschaft an den Glaubenssätzen dieser Religionsgemeinschaft und nicht an den Glaubenssätzen der anderen Religionsgemeinschaft ausrichtet. Die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Glaubenssätzen dieser Religionsgemeinschaft wird durch die Verpflichtung der Religionslehrer allein auf die Glaubenssätze dieser Religionsgemeinschaft sichergestellt. Die Delegationsvariante wird beispielsweise in der Kooperation zwischen der Evangelisch-methodistischen Kirche in Baden, der Evangelisch-methodistischen Kirche in Württemberg, der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg praktiziert. Beide evangelisch-methodistische Kirchen einigen sich mit den beiden Landeskirchen darauf, dass die Vorgaben der Landeskirchen für den Religionsunterricht auch als Vorgaben der evangelisch-methodistischen Kirchen gelten.105 Die Landeskirchen verpflichten gleichzeitig die Religionslehrer jeweils allein auf das Bekenntnis und die Ordnung entweder der Evangelischen Landeskirche in Baden oder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.106 Die Delegationsvariante ist dem Typus der konfessionellen Inhomogenität der Vorgaben und der konfessionellen Homogenität der Ausrichtung zuzuordnen und verfassungsrechtlich zulässig, da die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Glaubenssätzen der Evangelischen Landeskirche in Baden oder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg gewährleistet ist. 3. Fusionsvariante Bei der Fusionsvariante können zwei Spielarten unterschieden werden: a) Gesamtreligionsunterricht Bei der einen Spielart der Fusionsvariante (Gesamtreligionsunterricht) einigen sich die kooperierenden Religionsgemeinschaften über im Ganzen oder in Teilen identische Vorgaben bezüglich der Unterrichtsgestaltung, der Unterrichtsstoffe und der Teilnehmer des Religionsunterrichts der kooperierenden Religionsgemeinschaften, die sich auch an den Glaubensätzen dieser und jener Religionsgemeinschaft orientieren. Einigkeit besteht zudem und entscheidend darüber, dass sich der gemein105
Die Evangelisch-methodistische Kirche in Baden und die Evangelisch-methodistische Kirche in Württemberg haben dem Kultusministerium mit Zustimmung der Evangelischen Landeskirche in Baden und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg mitgeteilt: „Nachdem […] Kanzel und Abendmahlsgemeinschaft besteht, erklären wir die Lehrpläne für das Fach Evangelische Religionslehre in Baden-Württemberg als mit unseren Glaubensgrundsätzen übereinstimmend und anerkennen den im landeskirchlichen Auftrag erteilten Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach für Kinder, die unserer Kirche angehören.“ (Nr. 1 Bekanntmachung des Kultusministeriums vom 10. Februar 1989 [K. u. U. S. 39]); hierzu Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 626 Anm. 226; Mückl, Religionsunterricht (Anm. 84) S. 248. 106 Vgl. oben zu Anm. 80 und 82.
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same Religionsunterricht an den gemeinsamen Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften und an den unterschiedlichen Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften ausrichtet. Die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den gemeinsamen und den unterschiedlichen Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften wird durch die Verpflichtung der Religionslehrer auf die gemeinsamen Glaubenssätze beider Religionsgemeinschaften und auf die unterschiedlichen Glaubenssätze beider Religionsgemeinschaften sichergestellt. Er ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn er der positiven und negativen Religionsfreiheit und der religiös-weltanschaulichen Neutralität gerecht wird. Der positiven Religionsfreiheit wird er gerecht, da dieser Religionsunterricht der umfassenden und nicht nur partiellen Entfaltung der eigenen Religion dient. Der negativen Religionsfreiheit und der religiös-weltanschaulichen Neutralität wird er bei nicht religionsgemeinschaftstrennenden Lehrunterschieden gerecht, da in diesem Religionsunterricht zwar nicht nur die Wahrheitsansprüche der eigenen Religionsgemeinschaft, sondern auch die Wahrheitsansprüche der anderen Religionsgemeinschaft vertreten werden, diese teilweise unterschiedlichen Wahrheitsansprüche aber nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften im gesamten religiösen Leben keine religionsgemeinschaftstrennende Bedeutung haben, sondern einer Konfession zuzuordnen sind.107 Daher wird den Schülern auch nicht die Konfrontation mit fremden Wahrheitsansprüchen zugemutet, die ihre negative Religionsfreiheit und die religiös-weltanschaulichen Neutralität beeinträchtigen könnte. Diese Fusionsvariante ist dem Typus der konfessionellen Inhomogenität der Vorgaben und wegen der Ausrichtung an der „Gesamtheit der Glaubenssätze“ beider Religionsgemeinschaften einer Konfession der konfessionellen Inhomogenität der Ausrichtung zuzuordnen. Die konfessionelle Inhomogenität der Ausrichtung ist verfassungsrechtlich zulässig108 ; diese Lehrunterschiede können zwar, müssen aber nicht religionsunterrichtstrennend sein. Liegen dagegen nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften für das gesamte religiöse Leben außerhalb des Religionsunterrichts religionsgemeinschaftstrennende Lehrunterschiede vor, handelt es sich also um verschiedenen Konfessionen oder gar Religionen, so wird den Schülern die Konfrontation mit fremden Wahrheitsansprüchen im Religionsunterricht zugemutet; dieser Religionsunterricht wird ihrer negativen Religionsfreiheit und der religiös-weltanschaulichen Neutralität nicht gerecht. Diese Fusionsvariante ist dem Typus der konfessionellen Inhomogenität der Vorgaben und wegen der Ausrichtung an der „Gesamtheit der Glaubenssätze“ verschiedener Konfessionen oder Religionen der konfessionellen Heterogenität der Ausrichtung zuzuordnen. Die konfessionelle Heterogenität der Ausrichtung ist 107
Vgl. oben Anm. 40. Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 626 bzw. S. 469; Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 280 f.; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1118 f. bzw. S. 407 f.; Sigrid Boysen, in: Ingo v. Münch (Begr.)/ Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 6. Auflage München 2012, Art. 7, Rdnr. 80; Unruh (Anm. 95), S. 267 f. – vgl. oben zu Anm. 27. 108
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verfassungsrechtlich unzulässig109 ; die religionsgemeinschaftstrennenden Lehrunterschiede sind zugleich religionsunterrichtstrennend.110 Der Gesamtreligionsunterricht wird (unabhängig von seiner differenziert zu beurteilenden verfassungsrechtlichen Zulässigkeit) in Baden-Württemberg nicht praktiziert und ist kirchenrechtlich unzulässig, da die gemeinsame Beauftragung und Verpflichtung der Religionslehrer auf die gemeinsamen Glaubenssätze beider Religions109
Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 626 f. m. w. N. bzw. S. 469; Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 281 – 283; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1119 – 1121 bzw. S. 408 – 410; Boysen, in: v. Münch (Begr.)/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar (Anm. 108), Art. 7, Rdnr. 80; Hans Michael Heinig, Religionsunterricht nach Art. 7. 3 des Grundgesetzes – Rechtslage und Spielräume, in: Bernd Schröder (Hrsg.), Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, Neukirchen-Vluyn 2014, S. 141 – 154, hier S. 149, unter dem Titel: Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG – Rechtslage und Spielräume, auch in: Hans Michael Heinig, Die Verfassung der Religion. Beiträge zum Religionsverfassungsrecht, Tübingen 2014, S. 338 – 351, hier S. 346; Unruh (Anm. 95), S. 268. – Ebenso im Ergebnis Pulte (Anm. 57), S. 450; Bernd Christian Schneider, Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht, in: SchulVerwaltung BW 2006, S. 111 f., hier S. 111; Stefan Mückl, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII: Freiheitsrechte, 3. Aufl., Heidelberg 2009, S. 831 – 873, hier S. 850; Stefan Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? in: Gerrit Manssen/Monika Jachmann/Christoph Gröpl (Hrsg.), Nach geltendem Verfassungsrecht. Festschrift für Udo Steiner zum 70. Geburtstag, Stuttgart/München/Hannover/Berlin/Weimar/ Dresden 2009, S. 542 – 562, hier S. 556 f.; Konrad (Anm. 63), S. 449 – 452; Mückl, Religionsunterricht (Anm. 84), S. 249; a. A. Frauke Brosius-Gersdorf, in: Horst Dreier (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Auflage, Tübingen 2013, Art. 7, Rdnr. 84; Korioth (Anm. 13), S. 18; Gerhard Robbers, in: Hermann v. Mangoldt (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Auflage, München 2018, Art. 7, Rdnr. 127. – Andere wollen hingegen die Grenze nicht bei den unterschiedlichen Konfessionen, sondern bei verschiedenen Religionen ziehen; sie halten daher einen multikonfessionellen, nicht aber einen multireligiösen Religionsunterricht für zulässig, vgl. Link, Konfessioneller Religionsunterricht (Anm. 32), S. 267 f., 270; Max-Emanuel Geis, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Berlin, 11. Erg.-Lfg. XII/04, Art. 7, Rdnr. 63; Jörg Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen, 2. Aufl., Köln 2008, S. 138 f.; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Auflage, Tübingen 2015, S. 228; Markus Thiel, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Auflage, München 2018, Art. 7, Rdnr. 40. Hiergegen vgl. oben zu Anm. 40, 52, 104, 107 und unten zu Anm. 113 f. – Nach Wißmann, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Anm. 23), Art. 7 Abs. 3, Rdnr. 144 kann „auf die Zurechnung eines jeden Inhalts zu einem bestimmten Grundsatz einer bestimmten Religionsgemeinschaft […] nicht verzichtet werden.“ – Vgl. oben zu Anm. 34 ff. 110 Landé (Anm. 31), S. 201: „Interkonfessioneller Religionsunterricht ist […] grundsätzlich ausgeschlossen. Nur wenn und soweit etwa die ,Grundsätze‘ einer einzelnen Religionsgesellschaft es gestatten oder vorschreiben sollten, religiöse Unterweisung Schülern in Gemeinschaft mit Schülern anderer Religionsgesellschaften auf einer irgendwie gearteten gemeinsamen Grundlage zu geben, wäre solch Religionsunterricht mit der Verfassung vereinbar.“ – Zu Recht nehmen Unzulässigkeit bei religionsgemeinschaftstrennenden Lehrunterschieden an Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 280; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1118 f. bzw. S. 407; Konrad (Anm. 63), S. 449 f.
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gemeinschaften und auf die unterschiedlichen Glaubenssätze beider Religionsgemeinschaften den Missio-Ordnungen und den Vokationsordnungen widerspricht.111 Erklärungen der Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat, dass sich der Religionsunterricht an der Gesamtheit ihrer jeweiligen Glaubenssätze ausrichtet, wären widerspruchsvoll112, da das Recht der beteiligten Religionsgemeinschaften eine gemeinsame Beauftragung der Lehrkräfte verbietet. Möglich wäre bei bestehender Kirchengemeinschaft freilich auch eine andere kirchenrechtliche Regelung, wie sie in anderen Bundesländern praktiziert wird113, nach der die Ausrichtung an den Glaubensätzen mehrerer Religionsgemeinschaften einer Konfession erfolgt.114 b) Teilreligionsunterricht Bei der anderen Spielart der Fusionsvariante (Teilreligionsunterricht) einigen sich die kooperierenden Religionsgemeinschaften über identische Vorgaben bezüglich der Unterrichtsgestaltung, der Unterrichtsstoffe und der Teilnehmer des Religionsunterrichts, die sich auch an den gemeinsamen Glaubensätzen dieser und jener Religionsgemeinschaft orientieren.115 Einigkeit besteht zudem und entscheidend darüber, dass sich der gemeinsame Religionsunterricht allein an den gemeinsamen 111
Vgl. oben zu Anm. 83 f., 102; ferner Richter (Anm. 83), Rdnr. 25. Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 283; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1121 f. bzw. S. 411. 113 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2, § 3 Abs. 2, § 5 Abs. 2 Gemeinsame Vokationsordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche vom 11. Mai 2001 (ABl. Rheinland 2002 S. 10)/29. März 2001 (ABl. Westfalen S. 378)/13. Dezember 2000 (Ges. u. VOBl. Lippe Bd. 12 S. 122): „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelischen Kirche“; hier handelt es sich freilich um verwaltungsunierte Kirchen; vgl. hierzu ferner Richter (Anm. 83), Rdnr. 33; Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 56, Anm. 42. – Zu einem gemeinsamen orthodoxen Religionsunterricht mehrerer orthodoxer Kirchen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen Corlazzoli (Anm. 84), S. 299 f.; zu Baden-Württemberg vgl. die Regelungen zum Fach Orthodoxe Religionslehre, Erlass des Kultusministeriums vom 21. Dezember 2016, in: K.u. U. 2017, S. 35. 114 Vgl. oben Anm. 40. 115 Die Möglichkeit und Notwendigkeit der Beschränkung der Unterrichtsstoffe durch die Vorgaben der Religionsgemeinschaften betonen Winter, Staatskirchenrecht (Anm. 109), S. 138, und Konrad (Anm. 63), S. 455; ähnlich Ebert (Anm. 48), Art. 18, Rdnr. 12: Die Religionsgemeinschaften sollen sich „im Blick auf den Religionsunterricht auf einen gemeinsamen Kern ihres jeweiligen Bekenntnisses einigen“ können. Nach Andrä (Anm. 54), § 96, Rdnr. 8, handelt es sich „um eine theologische Auffassung, die der Staat zu respektieren hat“, wenn „verschiedenen Religionsgemeinschaften der Auffassung sind, so viele Grundsätze gemeinsam zu haben, dass sie diese dem Religionsunterricht zu Grunde legen können, und die Unterschiede geringer gewichten“. – Vernachlässigt wird m. E. bei einer Konzentration auf die Vorgaben bezüglich der gemeinsamen Unterrichtsstoffe die „Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“, und zwar an der „Gesamtheit der Glaubenssätze“ dieser Religionsgemeinschaften. Ebenso mit der Unterscheidung von Unterrichtsgegenständen und Maßstäben Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 283 f.; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1121 bzw. S. 410. 112
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Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften und nicht an den unterschiedlichen Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften ausrichtet. Der Religionsunterricht soll sich an „Religionsunterrichtsgrundsätzen“116, also „gemeinsam formulierte[n] Grundsätze[n]“117 für den Religionsunterricht, nicht an der „Gesamtheit der Glaubenssätze“118 beider Religionsgemeinschaften ausrichten. Die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den gemeinsamen Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften und die Verhinderung der Ausrichtung an den unterschiedlichen Glaubenssätzen beider Religionsgemeinschaften wird durch die entsprechende Verpflichtung der Religionslehrer allein auf die gemeinsamen Glaubenssätze und nicht auf die unterschiedlichen Glaubenssätze beider Religionsgemeinschaften sichergestellt. Diese Fusionsvariante ist dem Typus der konfessionellen Heterogenität der Ausrichtung zuzuordnen und verfassungsrechtlich119 unzulässig, da die Ausrichtung des Religionsunterrichts an den Glaubenssätzen der kooperierenden Religionsgemeinschaften nur teilweise gewährleistet ist und der Unterricht dadurch der positiven Religionsfreiheit der Schüler und der religiös-weltanschaulichen Neutralität nicht gerecht wird. Der Teilreligionsunterricht wird auch nicht praktiziert und ist nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch kirchenrechtlich unzulässig, da beschränkte Verpflichtungen der Religionslehrer allein auf die gemeinsamen Glaubenssätze den MissioOrdnungen und den Vokationsordnungen widersprechen. Erklärungen der Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staat, dass sich der Religionsunterricht an ihren jeweiligen Glaubenssätzen ausrichtet, wären widerspruchsvoll120, da das Recht der beteiligten Religionsgemeinschaften eine Beschränkung der Beauftragung der Lehrkräfte auf einen Teil der Grundsätze der Religionsgemeinschaften verbietet.
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Vgl. oben Anm. 32. Korioth (Anm. 13), S. 18. 118 Landé (Anm. 31), S. 201. 119 Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 626 f. m. w. N. bzw. S. 469; Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 283 f.; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1121 bzw. S. 410. – Ebenso wohl Pulte (Anm. 57), S. 457; etwas weiter Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 57: „… dabei kann und muss gegebenenfalls auch eine gewisse Reduktion auf Gemeinsamkeiten (statt einer zwingenden Betonung von Unterschieden) hingenommen werden“, unzulässig sei aber „eine gemeinsame Schnittmenge von Glaubensanschauungen“, ein „Amalgam“ (S. 77); a. A. Winter, Staatskirchenrecht (Anm. 109), S. 137 – 139; Konrad (Anm. 63), S. 455; Korioth (Anm. 13), S. 18. – Vgl. auch oben zu Anm. 31 f. 120 Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 283; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1121 f. bzw. S. 411; a. A. Winter, Staatskirchenrecht (Anm. 109), S. 138. 117
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III. Die spezifischen Rechtsgrundlagen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg 1. Recht der Verträge zwischen den Kirchen Nach Projektversuchen seit dem Schuljahr 1996/97 und einer wissenschaftlichen Auswertung121 haben auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1998122 die Erzdiözese Freiburg, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Evangelische Landeskirche in Baden und die Evangelische Landeskirche in Württemberg am 1. März 2005 zur konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen eine Vereinbarung getroffen.123 Einzelheiten wurden durch übereinstimmende Erklärungen der Schulverantwortlichen der Kirchen festgelegt124, die in den Jahren 2009125 und 2015126 durch neue Festlegungen ersetzt wurden. 121 Friedrich Schweitzer/Albert Biesinger, Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden. Erfahrungen und Perspektiven zum konfessionell-kooperativen Religionsunterricht, Gütersloh/Freiburg i. Br. 2002. Vgl. auch Friedrich Schweitzer/Albert Biesinger/Jörg Conrad/Matthias Gronover, Dialogischer Religionsunterricht. Analyse und Praxis konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts im Jugendalter, Gütersloh/Freiburg i. Br. 2006. 122 „Zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht“, abgedruckt in: Reinhard Freiling/Christoph T. Scheilke (Hrsg.), Religionsunterricht und Konfessionen, Göttingen 1999, S. 124 – 127. 123 Vereinbarung zwischen der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart zur konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen vom 1. März 2005 (K.u. U. S. 64). – Hierzu Schneider (Anm. 109); Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 554 – 561; Konrad (Anm. 63), S. 453 – 456; Meckel (Anm. 56), S. 223 – 226; Heinig (Anm. 109), S. 149 f. bzw. S. 347; Becker (Anm. 85), S. 269 – 280; Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 103 f.; Uwe Kai Jacobs, Wie viel christliche Prägung ist dem öffentlichen Schulwesen in Baden-Württemberg erlaubt? in: VwBlBW 38 (2017), S. 16 – 19 (16); Richter (Anm. 83), Rdnr. 24; Mückl, Religionsunterricht (Anm. 84) S. 239 – 242. 124 Verbindlicher Rahmen für den Konfessionell-Kooperativen Religionsunterricht an Grundschulen vom 1. März 2005 (K.u. U. S. 65); Verbindlicher Rahmen für den Konfessionell-Kooperativen Religionsunterricht an Hauptschulen und Hauptschulen mit Werkrealschulen vom 1. März 2005 (K.u. U. S. 66); Verbindlicher Rahmen für den Konfessionell-Kooperativen Religionsunterricht an Realschulen vom 1. März 2005 (K.u. U. S. 68); Verbindlicher Rahmen für den Konfessionell-Kooperativen Religionsunterricht an allgemein bildenden Gymnasien vom 1. März 2005 (K.u. U. S. 70). 125 Verbindlicher Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht an Grundschulen vom 1. August 2009, in: Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen, Stuttgart 2009, S. 11; Verbindlicher Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht an Hauptschulen und Hauptschulen mit Werkrealschulen vom 1. August 2009, a. a. O., S. 15; Verbindlicher Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht an Realschulen vom 1. August 2009, a. a. O., S. 21; Verbindlicher Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht an allgemein bildenden Gymnasien vom 1. August 2009, a. a. O., S. 27.
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Der konfessionell-kooperativ erteilte Religionsunterricht „zielt darauf, ein vertieftes Bewusstsein der eigenen Konfession zu schaffen, die ökumenische Offenheit der Kirchen erfahrbar zu machen und den […] Schülern beider Konfessionen die authentische Begegnung mit der anderen Konfession zu ermöglichen“. Er „bedarf der Genehmigung durch den Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe und das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg, bzw. durch den Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart und das Bischöfliche Ordinariat Rottenburg“, die „nur befristet und für bestimmte Klassenstufen“ und nur bei „Teilnahme der beteiligten Lehrkräfte an begleitender Fortbildung“ erteilt wird. Die „Aufsicht über die vereinbarte Kooperation [wird] von den Kirchlichen Beauftragten beider Kirchen gemeinsam wahrgenommen“. Zur Evaluation ist eine wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen.127 2. Staatliches Recht Das staatliche Recht hat den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht im Jahre 2009 durch Verwaltungsvorschriften128 geregelt. 3. Veränderungen Die genannten Änderungen in den Jahren 2009129 und 2015130 bezogen sich auf verschiedene Aspekte. Im Jahr 2015 erfolgten erhebliche praktische Vereinfachungen.131 Von den Änderungen im Jahr 2009 ist neben der Klarstellung der Notwendig-
126 Verbindlicher Rahmen für den konfessionell[-]kooperativ erteilten Religionsunterricht an Grundschulen, Hauptschulen/Werkrealschulen, Realschulen, Gemeinschaftsschulen und allgemein bildenden Gymnasien vom 1. Dezember 2015 (GVBl. 2016 S. 81). 127 Nr. 2.2 Vereinbarung (Anm. 123). – Vgl. Lothar Kuld/Friedrich Schweitzer/Werner Tzscheetzsch/Joachim Weinhardt (Hrsg.), Im Religionsunterricht zusammenarbeiten. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg, Stuttgart 2009; ferner Joachim Weinhardt, Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht in BadenWürttemberg, in: Schröder (Hrsg.), Religionsunterricht – wohin? (Anm. 109), S. 19 – 30; Friedrich Schweitzer, Die (Selbst)Verantwortung der Kirchen für die Ausbildung eines Propriums und einer religiösen Identität für den Religionsunterricht aus religionspädagogischer Sicht, in: Kämper/Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (Anm. 1), S. 59 – 70, hier S. 68. 128 Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“ vom 15. Mai 2009 (K. u. U. S. 77), hierdurch wurde die in Anm. 54 genannte Verwaltungsvorschrift geändert; Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Verwaltungsvorschrift „Zeugnisse, Halbjahresinformation und Schulbericht“ vom 15. Mai 2009 (K. u. U. S. 78), hierdurch wurde die in Anm. 55 genannte Verwaltungsvorschrift geändert. 129 Vgl. oben Anm. 125 und 128. 130 Vgl. oben Anm. 126. 131 Insbesondere: Verringerung der schulartspezifischen Differenzierungen, Erweiterung der Standardzeiträume, Flexibilisierung des Zeitpunkts des obligatorischen Lehrerwechsels, Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens.
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keit des Einverständnisses der Eltern132 besonders die Regelung bezüglich der Notengebung hervorzuheben. Für die Notengebung im Zeugnis ist im Fall der ausnahmsweisen Zulassung konfessionsfremder Schüler im Rahmen der Vereinbarung aus dem Jahre 1983 „die Konfession der unterrichtenden Lehrkraft maßgebend“.133 Im Fall der Zulassung konfessionsfremder Schüler im Rahmen des konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterrichts war demgegenüber in den Jahren 2005 bis 2009 „die Religionsnote im Zeugnis entsprechend der Konfessionszugehörigkeit […] des jeweiligen Schülers versehen mit dem Zusatz: ,Der Religionsunterricht wurde konfessionell-kooperativ erteilt‘“134 erschienen. Seit dem Jahre 2009 richtet sich im konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht der Vermerk im Zeugnis darüber, „in welcher Religionslehre […] der Schüler unterrichtet wurde“, „nach der Konfessionszugehörigkeit der jeweiligen Lehrkraft“. „In dem Klammerzusatz ist ,ev‘ oder ,rk‘ zu vermerken und unter Bemerkungen der Zusatz anzubringen: ,Der Religionsunterricht wurde konfessionell-kooperativ erteilt‘“.135 IV. Rechtliche Bewertung des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg 1. Gemeinsame Vorgaben, keine gemeinsame Ausrichtung „Der konfessionell-kooperativ erteilte Religionsunterricht ist konfessioneller Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG, für den die Lehren und Grundsätze der Evangelischen Kirche beziehungsweise der Katholischen Kirche maßgeblich sind.“ Die Genehmigung setzt die Erarbeitung „eines gemeinsamen Unterrichtsplans auf der Basis der Vorgaben der Bildungspläne für Evangelische Religionslehre und für Katholische Religionslehre“ voraus.136 Daraus ergibt sich einerseits die Vorgabe gemeinsamer Unterrichtsstoffe für den Religionsunterricht, anderseits aber die Ausrichtung an den Lehren und Grundsätzen jeweils einer Kirche.137 Der konfessionell132
Vgl. unten zu Anm. 153 f. Nr. 1 Vereinbarung (Anm. 123). 134 Jeweils Nr. 1.8 Verbindlicher Rahmen vom 1. März 2005 (Anm. 124); fehlerhaft für die Grundschule, vgl. Schneider (Anm. 109), S. 112, Anm. 1; Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 555, Anm. 54. 135 Nr. 6.2 Satz 1 bis 3 VwV Zeugnisse (Anm. 43); vormals ähnlich Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Verwaltungsvorschrift „Zeugnisse, Halbjahresinformation und Schulbericht“ vom 15. Mai 2009 (Anm. 128); ferner jeweils (außer Grundschule) Nr. 1.10 Verbindlicher Rahmen vom 1. August 2009 (Anm. 125); Nr. 1.6 Verbindlicher Rahmen vom 1. Dezember 2015 (Anm. 126). 136 Nr. 2.2 Vereinbarung (Anm. 123). 137 Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 290 f.; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1126 f. bzw. S. 416 f.; Mückl, Konfessionalität 133
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kooperative Religionsunterricht ist kein sog. ökumenischer Religionsunterricht138 und richtet sich nicht an gemeinsamen Grundsätzen139, sondern für einen bestimmten Zeitraum – je nach unterrichtender Lehrkraft – erkennbar jeweils allein an den Glaubenssätzen einer Religionsgemeinschaft aus.140 2. Obligatorischer Lehrerwechsel Die gemischt-konfessionelle Lerngruppe wird „im Wechsel von einer Lehrkraft des Unterrichtsfaches Evangelische Religionslehre und Katholische Religionslehre unterrichtet“. Diese Lehrkräfte sind entweder durch die Missio canonica oder durch die Vocatio jeweils allein auf die Lehren und Bekenntnisse der sie beauftragenden Kirchen verpflichtet.141 Die Fachaufsicht „über die Lehrkräfte“ wird „durch die Kirchlichen Beauftragten ihrer Konfession“ wahrgenommen.142 Auch dadurch, dass der Vermerk im Zeugnis darüber, in welcher Religionslehre der Schüler unterrichtet wurde, sich seit dem Jahre 2009 rechtlich korrekt143 nach der Konfessionszugehörigkeit des Lehrers144 und damit nach der verantwortlichen Religionsgemeinschaft richtet, wird deutlich, dass sich der konfessionell-kooperative Religionsunterricht für einen bestimmten Zeitraum erkennbar jeweils allein an den Glaubenssätzen einer Kirche ausrichtet und welche Kirche dies ist.145 Umgekehrt konnte die Regedes Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 557; Mückl, Religionsunterricht (Anm. 84) S. 233 f. 138 Schneider (Anm. 109), S. 111; so aber Jakob Julius Nolte, Islamische Theologie an deutschen Hochschulen? in: DÖV 61 (2008), S. 129 – 138, hier S. 136; Wißmann, Religionsunterricht für alle? (Anm. 20), S. 53: „kooperativer gemeinchristlicher Religionsunterricht“. 139 Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 557; Anders wohl Winter, Staatskirchenrecht (Anm. 109), S. 138 mit Anm. 414; Konrad (Anm. 63), S. 454 f., die jedoch m. E. den gemeinsamen Vorgaben im Verhältnis zur unterschiedlichen Ausrichtung zu große Bedeutung beimessen, vgl. oben Anm. 115. 140 Jacobs, Religion in der öffentlichen Schule (Anm. 51), S. 202 f. – Auch Norbert Lüdecke/Georg Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, S. 215: „Abwechselnd wird also katholischer und evangelischer Religionsunterricht für alle Schüler erteilt“; ferner wohl ähnlich Pulte (Anm. 57), S. 455, 456 f., 460 f. 141 Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 290; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1126 bzw. S. 415 f. 142 Nr. 2.2 Vereinbarung (Anm. 123). – Hierzu Becker (Anm. 85), S. 276 – 278. 143 Vgl. Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 291 f.; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1128 bzw. S. 418; Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 558 – 560; Heinig (Anm. 109), S. 150 bzw. S. 347; Mückl, Religionsunterricht (Anm. 84), S. 241 f. Anders Jörg Winter, Diskussionsbeitrag, in: Kämper/Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (Anm. 1), S. 48; hiergegen Michael Frisch, Diskussionsbeitrag, a. a. O., S. 119. 144 Vgl. oben zu Anm. 135. 145 Auch die neueren kirchenamtlichen Dokumente bestätigen dies: Für die römisch-katholische Kirche: Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht, Bonn 2016, S. 36 f.; hierzu: Thomas Meckel, „Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts“. Die Kon-
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lung zum Vermerk im Zeugnis zwischen 2005 und 2009 zu dem Missverständnis führen, dass es sich trotz „der Erteilung des Religionsunterrichts abwechselnd von jeweils einer katholischen bzw. evangelischen Lehrkraft […] um einen Unterricht handeln [soll], der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft, deren Konfession der Schüler angehört, erteilt wird“.146 Dies ist nur möglich, wenn der Religionsunterricht als „Arrangement der individuellen Lernprozesse“147 verstanden wird, in dem die Schüler „ihre Religion bekenntnisgebunden, also als für sie ,bestehende Wahrheit‘ erlernen, auch wenn die Lehrkraft einer anderen Religion“ angehört.148 Gegenüber dieser Sicht auf den Lernprozess des einzelnen Schülers betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Aufgabe des Religionsunterrichts darin besteht, „die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ „als bestehende Wahrheiten zu vermitteln“. Vermittlung ist mehr als das „Arrangement der individuellen Lernprozesse“; die Bevollmächtigung des vermittelnden Religionslehrers sichert die Ausrichtung an den Glaubenssätzen der bevollmächtigenden Kirche. 3. Gemischt-konfessionelle Lerngruppen Beim konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht werden „gemischtkonfessionelle Lerngruppen gebildet“.149 Durch diese Vereinbarung wurde im Jahre 2005 die Vereinbarung der Kirchen über die ausnahmsweise Teilnahme von evangelischen und römisch-katholischen Schülern in bestimmten Fällen am Religionsunterricht der anderen Kirche aus dem Jahre 1983150 ergänzt151, zunächst jedoch nicht die entsprechende Verwaltungsvorschrift.152
fessionalität des Religionsunterrichts aus der Sicht des Kirchenrechts und des Religionsrechts, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici, Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KStT 67), Berlin 2017, S. 825 – 847, hier S. 844. Für die evangelische Kirche: Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2014, S. 99; Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht. Grundlagen, Standards und Zielsetzungen (= EKD Texte 128), Hannover 2018, S. 13. 146 Becker (Anm. 85), S. 271. 147 Jochen Bauer, Die Weiterentwicklung des Hamburger Religionsunterrichts in der Diskussion zwischen Verfassungsrecht und Schulpädagogik, in: ZevKR 59 (2014), S. 227 – 256, hier S. 254. 148 Bauer (Anm. 147), S. 256. 149 Nr. 2.2 Vereinbarung (Anm. 123). 150 Vgl. oben Anm. 90. 151 Nr. 3 Vereinbarung (Anm. 123). 152 Vgl. oben Anm. 54.
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Während im Jahre 2005 problematischer Weise die Information der Eltern genügen sollte153, ist seit dem Jahre 2009 zu Recht das Einverständnis der Eltern zur Bildung gemischt-konfessioneller Lerngruppen erforderlich.154 Im Jahre 2005 war die ausnahmsweise Zulassung konfessionsfremder Schüler im Rahmen der Vereinbarung aus dem Jahre 1983 gegenüber der Zulassung konfessionsfremder Schüler im Rahmen des konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterrichts hinsichtlich des Vermerks im Zeugnis darüber, in welcher Religionslehre der Schüler unterrichtet wurde, unterschiedlich geregelt.155 Erst seit dem Jahre 2009 richtet sich dieser Vermerk in allen Fällen nach der Konfessionszugehörigkeit des Lehrers.156 Mit der jetzigen Regelung wird verdeutlicht, dass es sich für den Teil der Schüler, der nicht die Konfession des Lehrers teilt, beim Besuch des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts um eine Form der ausnahmsweisen Teilnahme am fremdkonfessionellen Religionsunterricht157 handelt. Daher erfolgte im Jahre 2009 auch eine entsprechende Ergänzung von Nr. 1.2 der Verwaltungsvorschrift „Teilnahme am Religionsunterricht“.158 Ein Unterschied besteht freilich insofern, dass im Rahmen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts ein Recht des Schülers auf Teilnahme am fremdkonfessionellen Religionsunterricht besteht.159 4. Ergebnis Der konfessionell-kooperativ erteilte Religionsunterricht in Baden-Württemberg ist rechtlich jedenfalls seit dem Jahre 2009 nicht zu beanstanden, da es sich bei ihm um eine verfassungs- und kirchenrechtlich zulässige Kooperationsvariante handelt, die dem Typus der konfessionellen Inhomogenität der Vorgaben und der konfessionellen Homogenität der Ausrichtung zuzuordnen ist.
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Jeweils Nr. 1.4 Verbindlicher Rahmen vom 1. März 2005 (Anm. 124); hiergegen zu Recht Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 558. 154 Jeweils Nr. 1.5 Verbindlicher Rahmen vom 1. August 2009 (Anm. 125); Nr. 1.3 Verbindlicher Rahmen vom 1. Dezember 2015 (Anm. 126). 155 Vgl. oben zu Anm. 133 und 134. 156 Vgl. oben zu Anm. 135. 157 Zur Zulässigkeit des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in der Form der vereinbarten Zulassung Konfessionsfremder Frisch, Grundsätzliches und Aktuelles (Anm. 5), S. 624 f. m. w. N. bzw. S. 468; Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand (Anm. 17), S. 289; Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts? (Anm. 17), S. 1125 bzw. S. 415. 158 Vgl. oben Anm. 128. 159 Mückl, Konfessionalität des Religionsunterrichts im Wandel? (Anm. 109), S. 561.
Islam-bezogene Konflikte um die Religionsfreiheit Kopftuch und Niqab im öffentlichen Raum sowie islamischer Religionsunterricht in staatsrechtlicher Perspektive Von Lothar Häberle Während bis zum Jahrtausendwechsel Konflikte um die Religionsfreiheit sich im Wesentlichen als Konfessionskonflikte – innerhalb christlicher Konfessionen – darstellten, ist spätestens nach dem Jahr 2000 zunehmend der Islam in den Mittelpunkt religionsfreiheitlicher Auseinandersetzungen gerückt.1 Dabei ging es um viele konkrete Einzelfragen, die derzeit kein großes Konfliktpotenzial mehr in sich zu bergen scheinen. Sie sind durch Gerichte und/oder durch den Gesetzgeber (etwa aufgrund des sogenannten „Kölner Beschneidungsurteils“ durch eine Änderung des BGB)2 zumindest vorerst entschieden, wenngleich nicht immer befriedigend.3 Unter den im Thema bezeichneten Konflikten werden gewaltsame hier nicht behandelt. Damit scheidet die Thematik Islamismus oder gar islamisch motivierter Terrorismus aus der Betrachtung hier aus. Das ermöglicht die Konzentration auf Teilthemen rechtlich konfigurierter Konflikte, soweit sie mit Religionsfreiheit und Islam verbunden sind. Somit wird im Folgenden das Kopftuch in der öffentlichen Schule, im Kindergarten, der Justiz und in der Wirtschaft (alles unter I.), Niqab (und Burka) in verschiedenen Konfliktbereichen (II.) sowie der Islamische Religionsunterricht in der öffentlichen Schule (III.) behandelt. Nicht zuletzt gehört der Religionsunter1
Ausführlich dazu Udo Steiner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der Religions- und Glaubensfreiheit. Vom „Aktion Rumpelkammer“-Beschluss zu den „Kopftuch“-Entscheidungen, in: Lothar Häberle (Hrsg.), Islam – Meinungsfreiheit – Internet. Staatsrechtliche Aspekte zur Religions-, Meinungs- und Medienfreiheit, Berlin/Heidelberg i. E. 2 Auflistung solcher Fragen und bisherige Antwort durch Gerichtsentscheidungen etwa bei Stefan Muckel, Antworten des staatlichen Religionsrechts auf Herausforderungen durch den Islam, in: Lothar Häberle/Johannes Hattler (Hrsg.), Islam – Säkularismus – Religionsrecht. Aspekte und Gefährdungen der Religionsfreiheit, Berlin/Heidelberg 2012, S. 61 ff. – Bzgl. der Beschneidung männlicher Kinder LG Köln, Urteil v. 07. 05. 2012, in: NJW (Neue Juristische Wochenschrift) 2012, S. 2128 f. Sodann hat der Gesetzgeber in § 1631d BGB (n. F.) die elterliche Personensorge explizit auf die kunstgerechte Beschneidung erstreckt, in den ersten sechs Monaten auch durch einen Nicht-Arzt. 3 Diverse Verfassungsverstöße dieser Neuregelung (§ 1631d BGB) sieht Andreas Manok, Die medizinisch nicht indizierte Beschneidung des männlichen Kindes, Berlin 2015, S. 109 ff.
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richt – allerdings nur selten in islamischer Spezifizierung – schon seit langem zu den besonderen wissenschaftlichen Interessen des hier zu Feiernden.4
I. Das Kopftuch im öffentlichen Raum Wie wichtig vielen Menschen Symbole im öffentlichen Raum – gerade etwa das islamische Kopftuch – sind, mag man daran erkennen, wie lange um sie nun schon vor Behörden und Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gerungen wird: rund 30 Jahre, stammt doch die erste Entscheidung des BVerfG aufgrund einer Verfassungsklage einer Muslima, die ja erst nach Durchlaufen des Instanzenzugs der Fachgerichte eingereicht werden kann,5 bereits aus dem Jahre 2003.6 Religiös und/oder kulturell konnotierte Symbole wie das Kopftuch berühren bei vielen Menschen Emotionen – positive wie negative –,7 lassen sich deshalb ausschließlich rechtlich kaum wirklich befriedend regeln, bedürfen besonderer Sensibilität seitens aller drei staatlichen Gewalten. Will der Staat „Heimstatt aller Bürger“ sein, für den alle Religionsgemeinschaften „gleicher Ehre“ sind, ist hier auch die Verfassungstugend der Unparteilichkeit als Konkretisierung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates gefragt.8
4 S. nur Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986; Ders., Katholische Schule und Religionsunterricht als Verwirklichung von Religionsfreiheit. Kirchenrechtlicher Anspruch und staatliche Normierung, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, S. 367 ff.; Ders., Religionsunterricht in österreichischen Schulen. Rechtliche Grundlagen und aktuelle Anfragen, in: Heinrich de Wall/Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 387 ff.; Ders., Neuere Fragen um Schule und Religionsunterricht in Österreich, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balász Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, Berlin 2013, S. 499 ff.; Ders., Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, S. 1018 – 1048; Ders., Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: Essener Gespräche 49 (2016), S. 75 ff. 5 Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 II S. 1 BVerfGG (BVerfGGesetz). 6 BVerfGE (Entscheidungen des BVerfG) 108, 282 (Bd. 108, S. 282 ff.). 7 Die vom damaligen Senatsvorsitzenden gegebenen Kostproben von Art und „Niveau“ der Zuschriften, die vor und nach dem Urteil das BVerfG erreichten…, ebenso von Zeitungs- und Zeitschriftenkommentaren zum Urteil, waren mehr von Emotionalität und Aggressivität als von Ausgewogenheit geprägt. Winfried Hassemer, Religiöse Toleranz im Rechtsstaat. Das Beispiel Islam, München 2004, S. 8 ff., 14 ff. 8 Hierzu sehr differenziert Stefan Magen, Neutralität und negative Religionsfreiheit im staatlich verantworteten öffentlichen Raum, in: Häberle/Hattler (Hrsg.), Islam (Anm. 2), S. 95 – 109, hier S. 104 ff.
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1. Zum Kopftuch in der öffentlichen Schule Zum Kopftuch in der öffentlichen Schule hat das BVerfG 2003 und 2015 Entscheidungen gefällt, die recht unterschiedlich ausfielen.9 200310 wurde das Kopftuchverbot für eine muslimische Lehrerin aufgehoben, weil es sich auf eine unzureichende Rechtsgrundlage stütze. Die Senatsmehrheit des BVerfG wollte verdeutlichen, über eine gesellschaftspolitisch so delikate Frage zu befinden sei „zuerst einmal Sache des Volkes und der von ihm gewählten Vertreter, nicht aber der Behörden und Gerichte“.11 Dabei könne die erforderliche landesgesetzliche Regelung auch einer strikteren, distanzierenden Neutralität des Staates in religiös-weltanschaulichen Fragen Ausdruck verleihen mit der Folge, religiöse Bekleidung in der öffentlichen Schule ganz zu verbieten.12 Aufgrund dieser Anregung änderten mehrere Bundesländer ihre Schulgesetze auch in diesem Sinne. Die Entscheidung von 201513 zielte in eine andere Richtung.14 Da – auch 2003 unbestritten – das Tragen des islamischen Kopftuchs, das eine Lehrerin als religiös geboten ansieht (und ggf. vor Gericht auch begründen können müsste), vom Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 4 I, II GG umfasst wird, würde dessen Verbot in der öffentlichen Schule einen Eingriff darstellen. Gerechtfertigt wäre dieser, so die 2015-Entscheidung, nur bei einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens, nur dann könne er das auch der Lehrerin zustehende Grundrecht der Religionsfreiheit verdrängen. Eine bloß abstrakte, durch allgemeines Gesetz dekretierte Gefährdung des Schulfriedens jedoch könne eine derartige Grundrechts-Verdrängung gegenüber der Lehrerin nicht rechtfertigen – hierin liegt der erhebliche Unterschied zur Entscheidung von 2003. In der Schule sei die distanzierende strikte Neutralität nicht angezeigt, sondern die offene Neutralität, bei der Religion (allerdings ohne staatliche Bewertung oder gar Förderung) Platz haben darf. Dem Einwand, das Kopftuch der Lehrerin verstoße gegen die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates, entgegnete das BVerfG mit dem Hinweis, mit dem Tragen eines Kopftuches durch einzelnen Lehrerinnen sei keine Identifizierung des ganzen Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden, hier handele es sich vielmehr um eine erkennbar individuelle Grundrechtsausübung einzelner Personen. Auch läge durch 9 Ausführlich Lothar Häberle, Religionsfreiheit und Toleranz. Herausforderungen durch Islam, Relativismus und Säkularismus, in: Der Staat 57 (2018), S. 35 – 76, hier S. 53 ff. 10 Zur sehr umfangreichen Literatur statt aller Axel v. Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. München 2006, S. 72 f., zu Ergänzungen seitdem Hans Michael Heinig, Ein neues Kapitel in einer unendlichen Geschichte?, RdJB (Recht der Jugend und des Bildungswesens) 2015, S. 217 – 232, hier S. 217. 11 Hassemer, Religiöse Toleranz (Anm. 7), S. 26. 12 BVerfGE 108, 282 (310) (Kopftuch I). 13 BVerfGE 138, 296 (Kopftuch II). 14 Statt vieler Lothar Häberle, Vor einer „Kopftuch-III“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nach der öffentlichen Schule nun in der Justiz – oder in beidem?, in: DVBl (Deutsches Verwaltungsblatt) 2018, S. 1263 – 1268, hier S. 1264 m. w. N. (mit weiteren Nachweisen).
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das Kopftuchtragen kein Eingriff in die negative Religionsfreiheit der Schüler oder in das Erziehungsrecht von deren Eltern vor, da das Kopftuch nicht vom Staat angeordnet, sondern von der Lehrerin in Ausübung ihrer Freiheit getragen werde (jeder Eingriff setzt zwingend das Handeln des Staates voraus). Wenn aber kein Eingriff durch das Handeln der Lehrerin vorliegt, braucht er nicht gerechtfertigt zu werden. Ein generelles Kopftuch-Verbot beseitigt kein Problem, da es kein Problem gibt. Zudem würde durch ein allgemeines Kopftuch-Verbot muslimischen Lehrkräften, die das Kopftuch-Tragen als religiös geboten ansehen, de facto ein Berufsverbot ausgesprochen angesichts der kaum vorhandenen islamischen Privatschulen. Stattdessen könnten akademisch ausgebildete Musliminnen als Vorbild dafür dienen, dass sozialer Aufstieg durch Bildung erstrebenswert und erreichbar ist.15 Die Entscheidung von 2015 wurde mit dem Einwand konfrontiert,16 aufgrund der nun notwendigen Einzelfall-Prüfung die einzelne Schule in ihren Lösungsmöglichkeiten zu überfordern, falls es zum Konflikt in einer Klasse oder gar einer ganzen Schule über das Kopftuch-Tragen einer Lehrerin kommen sollte.17 In der Tat kann es Schulen in „sozialen Brennpunkten“ etwa in Berlin, Duisburg und anderswo geben, in denen derartige Konflikte vorkommen. Deshalb hatte das BVerfG die Möglichkeit für einzelne Schulen oder Schulbezirke eröffnet, „aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten (…) in einer beachtlichen Zahl von Fällen“18 religiöse Bekundungen nicht erst im Einzelfall, sondern allgemein zu unterbinden.19 Das dürfte hinreichen.20 15
Heinig, Ein neues Kapitel (Anm. 10), S. 221. S. etwa Christine Langenfeld, Fängt der Streit um das Kopftuch jetzt erst an? Anmerkungen zur 2. Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: ZevKR (Z. f. evangelisches Kirchenrecht) 60 (2015), S. 420 – 434, hier S. 428 ff. Die Autorin ist inzwischen selbst Richterin des Zweiten Senats des BVerfG. 17 Mindestens 14 Lehrerinnen unterrichteten ohne Probleme 2006 in NRW mit Kopftuch. Hinnerk Wißmann, Religiöse Symbole im öffentlichen Dienst, in: ZevKR 52 (2007), S. 51 – 75, hier S. 69. – Von konkret aufgetretenen Konflikten um das Tragen eines Kopftuchs ist dem Autor bisher in Deutschland nichts bekannt geworden. 18 BVerfGE 138, 296 (Kopftuch II), Rn. 114. 19 Derartige Schulen bzw. Schulbezirke sind meist in sich schon problematisch – und auch als solche bekannt –, sie werden es nicht (wesentlich) mehr durch ein Kopftuchverbot. A. A. (andere Ansicht) Langenfeld, Fängt der Streit (Anm. 16), S. 429 f. 20 Fehlkonstruiert ist jedoch die vom BVerfG geforderte Kollisionslösung (BVerfGE 138, 296, Rn. 113): Hat eine kopftuchtragende Lehrkraft längere Zeit ohne Probleme unterrichtet und treten plötzlich Probleme für den Schulfrieden auf, wären diese prima facie kaum der Lehrerin, sondern überwiegend oder ausschließlich den Störern (Schüler, Eltern, andere Lehrer) anzulasten. Entsprechend wäre eine Verhaltensänderung zuerst von den Störern zu verlangen. Sollte sich auch das anhaltend nicht als zielführend herausstellen, wäre erst danach auch von der Lehrerin zu verlangen, auf das Kopftuch-Tragen zu verzichten oder sich an eine andere Schule bzw. in einen anderen Schulbezirk versetzen zu lassen. Ähnlich auch Langenfeld, Fängt der Streit (Anm. 16), S. 427, 429; Sarah Röhrig, Religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen als Grundrechtseingriffe, Tübingen 2017, S. 273 und öfter; Ute Sacksofsky, Kopftuch als Gefahr – ein dogmatischer Irrweg, in: DVBl 2015, S. 801 – 808, hier S. 806. 16
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2. Das Kopftuch im Kindergarten Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat am 18. 10. 2016 der Verfassungsbeschwerde einer muslimischen Erzieherin an einer Kindertagesstätte in kommunaler Trägerschaft stattgegeben, durch die von ihrem Arbeitgeber erteilte Abmahnung wegen Tragens eines islamischen Kopftuchs im Dienst sowie den in diesem Zusammenhang ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen in ihrem Grundrecht nach Art. 4 I, II GG verletzt worden zu sein. Das BVerfG habe „die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden“.21 Die Begründung stützt sich im Wesentlichen auf die Senatsentscheidung von 2015 – u. a. könne nur eine hinreichend konkrete Gefahr für den Frieden in einer derartigen Einrichtung ein Kopftuchverbot rechtfertigen –, wobei einige Besonderheiten von KiTa/Kindergarten gegenüber der öffentlichen Schule aufgezeigt werden: Eine Pflicht zum Besuch einer derartigen Einrichtung bestehe nicht, zudem gebe es vielerorts eine Vielfalt an Einrichtungen; dies „könnte gegen das Bestehen einer mit der Schule vergleichbaren unausweichlichen Situation sprechen“.22 Wie im Kammerbeschluss präziser als in der Senatsentscheidung von 2015 für die Schule ausgeführt, spiegele sich „auch in Kindertagesstätten die religiös-pluralistische Gesellschaft wider“.23 3. Das islamische Kopftuch in der Justiz a) Ein Kammer-Beschluss des BVerfG von 2017 2017 hat eine Kammer des BVerfG24 den Eilantrag einer Rechtsreferendarin abgelehnt, ständig mit Kopftuch ihrem Referendardienst nachzukommen. In einer Hauptsache-Entscheidung sei zu klären, ob und unter welchen Umständen das Tragen religiöser Symbole Rechtsgüter mit Verfassungsrang (Neutralitätspflicht, Unabhängigkeit der Justiz usw.) berühre. Die dagegen abzuwägende Position bestehe in der positiven Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Referendarin, der hinreichend Rechnung zu tragen sei.25
21 BVerfG (K) (Kammer), Beschluss vom 18. 10. 2016 – 1 BvR 354/11, Rn. 44, auch 1, in: NJW 2017, S. 381 ff. 22 Ebd., Rn. 54 (Hervorhebung durch LH), in: NJW 2017, S. 382 f. 23 Ebd., Rn. 65, in: NJW 2017, S. 384. 24 BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. 06. 2017 – 2 BvR 1333/ 17, in: NJW 2017, S. 2333 ff. 25 Zur Kritik an diesem Kammer-Beschluss Häberle, Vor einer „Kopftuch-III“-Entscheidung (Anm. 14), S. 1265.
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b) Überlegungen zu einer „Kopftuch-III“-Entscheidung des BVerfG Grundsätzlich betrachtet26 nimmt der Staat in der öffentlichen Schule diesen Bereich des gesellschaftlichen Lebens in seine Obhut, indem er ihm u. a. einen rechtlichen Rahmen gibt. Auf die Schule wirken aber insgesamt viele unterschiedliche Einflüsse ein, was sie prinzipiell pluralistisch prägt. Im Justizwesen hingegen – als dritte Gewalt des Staates eine Kernfunktion desselben – begegnet der Bürger staatlicher Entscheidungsgewalt. Sie hat nur Gesetz und Recht verpflichtet, von sachfremden Gesichtspunkten unabhängig und unparteiisch zu sein. Anders als in der Schule ist hier auf die distanzierende, strikte Neutralität zu rekurrieren. Zudem geht hoheitliches Handeln des Staates einher mit dessen Selbstdarstellung, die sich in der Ausstattung der Gerichtssäle sowie in der Verpflichtung zum Tragen einer Robe bei öffentlichen Verhandlungen manifestiert. „Nur vor einem Publikum kann von staatlicher Selbstdarstellung die Rede sein“.27 Diese unterschiedliche Neutralität hat entscheidende Auswirkungen auf die Abwägung: Auch wenn das Kopftuch einer Richterin (ähnlich Staatsanwältin, Rechtsreferendarin) nicht als vom Staat veranlasst gelten kann, würde es hier die Selbstdarstellung des Staates, die außerdem durch das verpflichtende Tragen von Roben – als Ausdruck der Regel „Funktion vor Person“28 – über das Erscheinungsbild des Gerichtssaals hinaus unterstrichen wird, erheblich stören. Das würde der hier geforderten strikten Neutralität, zu der die Selbstdarstellung des Staates zu rechnen ist, widersprechen. Diese Neutralität würde in diesem Fall das Grundrecht der Richterin überwiegen.29 Im Gerichtssaal müsste mithin bei öffentlichen Verhandlungen das Kopftuch-Tragen verboten werden. Um gemäß praktischer Konkordanz einen möglichst schonenden Ausgleich herbeizuführen und das Grundrecht der Richterin soweit möglich sich auch noch durchsetzen zu lassen, wäre das Kopftuch-Verbot auf den Gerichtssaal und andere Termine mit Öffentlichkeit zu beschränken, würde ihre übrige Tätigkeit im Gerichtsgebäude folglich nicht betreffen. Zu wünschen ist, dass die rechtliche Regelung des Kopftuch-Tragens in den beiden Bereichen Schule und Justiz so erfolgt, dass sie stimmig ist. Dazu wären auch die beiden auf die Schule bezogenen Entscheidungen zu korrigieren. Das dürfte nur unter Anrufung des Plenums des BVerfG möglich sein.30
26 Zum folgenden Ernst-Wolfgang Böckenförde, Kreuze (Kruzifixe) in Gerichtssälen? Zum Verhältnis von staatlicher Selbstdarstellung und religiös weltanschaulicher Neutralität des Staates, in: ZevKR 20 (1975), S. 119 – 147, hier S. 130 f. 27 Ebd., S. 127. 28 Udo Di Fabio, Begegnung mit dem Absoluten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22. 12. 2016, S. 6. 29 Hierzu ausführlich Häberle, Vor einer „Kopftuch-III“-Entscheidung (Anm. 14), S. 1265 ff. 30 Hierzu ebd., S. 1268 m. w. N.
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4. Zum Kopftuch in der Wirtschaft Die bisher behandelten Fallkonstellationen bezogen sich auf den Bereich des öffentlichen Dienstes. Zur Frage, welche Änderungen im Bereich der Wirtschaft anzutreffen sind für Ergebnis und Begründung eines Kopftuchverbots, liegen aus den letzten Jahren vor allem Entscheidungen von EGMR und EuGH (Europäischer Gerichtshof) vor, die bekanntlich auch die deutsche Rechtsprechung zu beachten hat.31 a) Neuland für den EGMR Der EGMR wertete 2013 in den Fällen Eweida und andere (u. a.)32 Beschränkungen der Religionsfreiheit im Arbeitsverhältnis, wozu auch der erzwungene Verzicht auf das Tragen religiöser Symbole wie Kopftuch, Turban oder Halskette mit Kreuz zählen, als Eingriff in das in Art. 9 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) garantierte Grundrecht der Religionsfreiheit. Damit ein solcher konventionskonform ist, muss er eine entsprechend tragfähige Rechtfertigung aufweisen. Es bedarf also einer auf die Verhältnismäßigkeit abzielenden Güterabwägung, einer „fair balance“ zwischen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmerinteressen. Nach welchen Kriterien der EGMR im Einzelnen die Abwägung vornimmt, lässt sich angesichts der noch wenigen arbeitsrechtlichen Konstellationen nicht verlässlich abschätzen. Allerdings erscheint schon feststellbar, dass der EGMR gleichheitsrechtliche Gesichtspunkte und Diskriminierungsverbote nur am Rande behandelt – insbesondere die Unterbelichtung von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) überrascht.33 b) „Unternehmerische Neutralitätspolitik“ – neu beim EuGH Der EuGH hingegen legt seinen Fokus sehr auf das Gleichbehandlungsrecht. Dabei untersagt der Diskriminierungsschutz, wie er in Art. 19 AEUV (Vertrag zur Arbeitsweise der EU) niedergelegt ist, dem Arbeitgeber sowohl eine Benachteiligung als auch eine Bevorzugung aus religiösen Gründen. Beschränkungen der Religionsausübung sind danach zulässig, solange sie nicht auf eine Ungleichbehandlung 31 Statt aller Hans-Jürgen Papier, Umsetzung und Wirkung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus der Perspektive der nationalen deutschen Gerichte, in: EuGRZ (Z. f. europäische Grundrechte) 2006, S. 1 – 3; Thilo Rensmann, BVerfGE 111, 307 – Görgülü. Das „letzte Wort“ zwischen Karlsruhe und Straßburg, in: Jörg Menzel/Ralf Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, Tübingen 32017, S. 725 – 733 sowie umfassend Thomas Giegerich, Wirkung und Rang der EMRK in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, in: Oliver Dörr u. a. (Hrsg.), EMRK/GG. Konkordanzkommentar, Tübingen 22013, Kap. 2 Rn. 10 ff., 20 ff. und öfter. 32 EGMR, Entscheidung vom 15. 01. 2013 – Nr. 48420 u. a. (Eweida u. a./UK). 33 So zurecht die Kritik an der Entscheidung bei Walter Berka, Das islamische Kopftuch: Antidiskriminierung und Religionsfreiheit in den Rechtssachen Achbita und Bougnaoui, in: EuZA (Europäische Z. f. Arbeitsrecht) 2017, S. 465 – 484, hier S. 471 f.
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wegen eines der untersagten Kriterien hinauslaufen. Die freie Ausübung des Glaubens ist durch den Diskriminierungsschutz nicht nur nicht gewährleistet, dieser Schutz kann der Religionsfreiheit sogar zuwider laufen, besonders dann, wenn vom Arbeitgeber eine gezielte Antidiskriminierungspolitik verfolgt wird.34 Auch dem Arbeitgeber steht das Grundrecht auf Religionsfreiheit zu, gleichwohl darf er bei der Einstellung nicht zwischen den Stellenbewerbern nach dem Kriterium der Religion differenzieren, weil das als verbotene Diskriminierung verurteilt würde.35 Aktuelle Entscheidungen der Großen Kammer des EuGH von 2017 gehen auf Vorabentscheidungs-Anträge je eines französischen (Fall Bougnaoui) und eines belgischen Gerichts (Fall Achbita) im Kontext einer Ungleichbehandlung von aus religiösen Gründen Kopftuch tragenden Arbeitnehmerinnen zurück.36 Die Software-Designerin Bougnaoui war bereits ein Jahr ohne Probleme mit Kopftuch in einem Unternehmen tätig, als ein Kunde von ihr verlangte das Kopftuch abzulegen. Auf ihre Weigerung hin wurde sie entlassen. Eine Entlassung könne gerechtfertigt werden, wenn es sich dabei um eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ handelt, die von der Art der betreffenden Tätigkeit bzw. den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben sei. Den Wünschen eines Kunden nachzukommen, der am Kopftuch Anstoß genommen hat, beruhe jedoch auf ausschließlich subjektiven Erwägungen. Dies ist – auch wenn der EuGH das offen gelassen hat – eher als unmittelbare Diskriminierung zu beurteilen und kann nur unter strengen Bedingungen gerechtfertigt werden. Dies zu beurteilen sei jedoch, so der EuGH, Sache des vorlegenden französischen Gerichts. Die Rezeptionistin Achbita arbeitete in einem Unternehmen, in dem die erst ungeschriebene, später verschriftlichte Regel galt, dass Arbeitnehmer am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen tragen dürfen. Der Arbeitgeber verfügte also (religions-)neutrale Beschränkungen, die der EuGH nicht als unmittelbare, sondern nur als mittelbare Diskriminierung wertete. Eine solche liege vor, wenn Mitarbeiter einer bestimmten Religion, hier des Islam, gegenüber anderen Personen faktisch in besonderer Weise benachteiligt werden. Eine derartige mittelbare Diskriminierung lässt sich leichter rechtfertigen als eine unmittelbare, nämlich dann, wenn das Verbot einem legitimen Ziel dient und dieses mit angemessenen und erforderlichen Mitteln verfolgt wird. Hat der Arbeitgeber etwa den Wunsch, seinen Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehöre das zur in Art. 16 GrCh (Charta der Grundrechte) anerkannten unternehmerischen Freiheit, sei nach EuGH mithin rechtmäßig. Eine solche betriebliche Neutralitätspolitik mache ein Kopftuchverbot jedoch nur insofern erforderlich, als es sich auf die mit Kunden in Kontakt tretenden Arbeitnehmerinnen bezieht. Bevor es sie entlässt, hätte das Unternehmen der Kopftuchträgerin einen Arbeitsplatz ohne Sichtkontakt mit Kunden anzubieten. Dies sowie die Angemessenheit der betrieblichen 34
Vgl. ebd., S. 473. Ebd., S. 473. 36 EuGH, Entscheidungen v. 14. 03. 2017 – C-188/15 (Bougnaoui) und C-157/15 (Achbita). 35
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Bekleidungsordnung im Konkreten müssten, so der EuGH, die nationalen Gerichte beurteilen.37 Zurecht ist in beiden Fällen zu kritisieren, dass die in Art. 10 GrCh verbürgte religiöse Betätigungsfreiheit in der Abwägung wie der Begründung des EuGH unterbelichtet ist. So entsteht eine „wertungsmäßige Schieflage“: „Denn wenn bereits jede Form einer betrieblichen Neutralitätspolitik eine ausreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung religiös oder weltanschaulich motivierter Manifestationen darstellt, läuft das auf einen Freibrief hinaus“38, auf „ein Feigenblatt für unzulässige mittelbare Diskriminierung“.39 Jedoch sind beide Seiten grundrechtlich geschützt. Gerade bei einer mittelbaren Diskriminierung müssten durch eine „fair balance“ (praktische Konkordanz) die Unternehmensinteressen und die Interessen der Arbeitnehmerinnen an ihrer Religionsausübung ausbalanciert werden. Denn das Recht garantiert nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern auch religiöse (und weltanschauliche) Betätigungsfreiheit.40 Hier hingegen räumt der EuGH den Unternehmen einen zu großen Spielraum für deren Unternehmenspolitik ein.41 So wird Unternehmen sogar die Chance gegeben, diskriminierenden Kundenwünschen (wie bei Bougnaoui) mit einer neutralen Unternehmenspolitik nachzukommen – die Diskriminierung durch den Kunden wird über die Hintertür „neutrale Politik“ und über Art. 16 GrCh legalisiert.42 Es ist zudem problematisch, wenn der EuGH den Unternehmen das gewährt, was bisher nur Staaten zukommt: die „parlamentarisch-hoheitliche Entscheidung über die Neutralitätskonzeption und die Ausbalancierung gesellschaftlicher Anliegen mit der Religionsfreiheit“, denn das hinterlässt ein Legitimationsdefizit des damit verbundenen Grundrechtseingriffs.43 Gerade im Fall Achbita lässt sich eine Parallele zum Kopftuchbeschluss des BVerfG von 2015 aufzeigen: Eine umfassende und durchgreifende Neutralität – im einen Fall des Staates, im anderen von Unternehmen – führt zu einseitiger Verdrängung religiöser Betätigungsfreiheit und beschränkt Grundrechte, hier die Religionsfreiheit von Kopftuchträgerinnen, in unzulässiger Weise.
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Skizze der Entscheidungen bei Berka, Das islamische Kopftuch (Anm. 33), S. 477, 480,
Ebd., S. 482. Ebd., S. 483. 40 Vgl. ebd., S. 482. 41 Armin Steinbach, Religion und Neutralität im privaten Arbeitsverhältnis, in: Der Staat 56 (2017), S. 621 – 651, hier S. 641. 42 Ulrich Preis/Kai Morgenbrodt, Religiöse Symbole am Arbeitsplatz zwischen Gleichbehandlung und unternehmerischer Freiheit, in: ZESAR (Z. f. europäisches Sozial- und Arbeitsrecht) 2017, S. 309 – 318, hier S. 315. 43 Steinbach, Religion und Neutralität (Anm. 41), S. 644. 39
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II. Zu Niqab (und Burka) in verschiedenen Konfliktbereichen 1. Kopftuch und Vollverschleierung Anders als beim islamischen Kopftuch (Hidschab) handelt es sich bei Niqab und Burka um einen Schleier, der auch das Gesicht verhüllt. Was manche für eine Burka halten, ist meist ein schwarzer Niqab, der bis auf einen Schlitz für die Augen das Gesicht verdeckt; er wird zusammen mit einem langen schwarzen Kleid (Abaya) getragen.44 Die Zahl der in Deutschland wohnenden Trägerinnen eines Niqab scheint sehr überschaubar zu sein.45 2. Das EGMR-Urteil von 2014 zum französischen „Burka-Verbot“ in der Kritik In Frankreich wurde 2010 gesetzlich verboten, in der Öffentlichkeit gesichtsverhüllende Kopfbedeckungen zu tragen;46 die Ausnahmeregelungen für Helme etc. ließen den Schluss zu, dass das Gesetz auf Niqab und Burka abzielte. In Österreich gibt es seit 2017 ein ähnliches Gesetz gegen die Verhüllung der Gesichtszüge – so „dass sie nicht mehr erkennbar sind“ – an öffentlichen Orten und in öffentlichen Gebäuden einschließlich des gesamten „Bus-, Schienen-, Flug- und Schiffsverkehrs“,47 auch dort mit großzügig bemessenen Ausnahmen.48 Die Große Kammer des EGMR hat 2014 das französische „Burka-Verbot“ mit 15:2 Richterstimmen dahingehend bestätigt, dass Art. 8 und 9 EMRK nicht verletzt seien. An der Kritik zu diesem Urteil wird deutlich, welche Besonderheiten es aufweist. Hier ist Beschränkung auf drei Aspekte angezeigt:
44 Im Folgenden wird dieses Kleid, wenn vom Niqab die Rede ist, nicht erwähnt, aber immer mitgemeint. 45 Siehe hierzu, dort mit weiteren Differenzierungen und Abbildungen, Mathias Rohe, Der Islam in Deutschland, München 2016, S. 199 ff. Ihre Zahl wurde 2011 für Deutschland auf „allenfalls ein Dutzend geschätzt“ (Tristan Barczak, „Zeig mir dein Gesicht, zeig mir, wer du wirklich bist“. Zur religionsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Burka-Verbots unter dem Grundgesetz, in: DÖV (Die Öffentliche Verwaltung) 2011, S. 54 – 61, hier S. 61). 46 Ausführlicher: Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages (WD-BT) v. 27. 05. 2015, Verbot der Vollverschleierung, WD 3 – 3000 – 082/15, S. 12 f. (im Internet als pdf). 47 Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit, § 2 I. 48 Ebd., § 2 II.
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a) Legitimes Ziel Als legitimes Ziel eines solchen generellen Verbotes akzeptiert der EGMR49 die Bewahrung des Zusammenlebens (living together) als „Achtung der Minimalanforderungen des Lebens in einer Gesellschaft“; dies könne als Teil des „Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer“ im Sinne von Art. 8 II und Art. 9 II EMRK angesehen werden. Diese Subsumtion der französischen Regierung erscheint wenig überzeugend angesichts des abschließenden Charakters der Aufzählungen in diesen beiden Schranken50 sowie der restriktiven Auslegung der genannten Ziele durch den EGMR selbst.51 Bereits im Sondervotum wird diese französische Konstruktion als „sehr allgemeines Konzept“ sowie „weit hergeholt und vage“ bezeichnet.52 Ein abstraktes Prinzip wie „Zusammenleben“ oder „Minimalanforderungen“ lässt sich nicht gut als Teil des „Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer“ einordnen, wo es um konkrete Rechte Einzelner oder von Personengruppen geht.53 Zudem gibt Art. 9 EMRK kein Recht auf Nichtkonfrontation mit einem religiösen Symbol.54 b) Verhältnismäßigkeitsprüfung Wenn schon das legitime Ziel wenig – eigentlich keine – Substanz aufweist, kann es auch nur wenig Gewicht bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einbringen. Statt guter Gründe für ein absolutes Verbot des Ganzkörperschleiers, die nun anzuführen und zu gewichten wären, gibt es hingegen diverse gute Gründe gegen ein solches umfassendes Verbot: Es müsste als „Zeichen eines selektiven Pluralismus und einer eingeschränkten Toleranz gewertet werden“, wie im Sondervotum mit feiner Ironie angemerkt wird.55 Denn der französische Gesetzgeber habe nicht versucht, Toleranz zwischen der großen Mehrheit und der kleinen Minderheit zu sichern, sondern pauschal verboten, was er für einen Spannungsfaktor hält. Angesichts der geringen Zahl von Frauen, die von dem Verbot betroffen sind, wie der EGMR selbst einräumt, dürfte die Konfrontation mit Niqab oder Burka in der Öffentlichkeit und bei „anderen“ sehr überschaubar sein, der Einschnitt für die betroffenen Frauen jedoch erheblich: Entweder sie bleiben zu Hause, was sie aus der Gesellschaft stärker ausschließt, oder sie müssen mit ihrem glaubensgeleiteten bzw. 49
Bei diesem Fall ist im Folgenden mit EGMR die Mehrheit des Gerichtshofs gemeint, wenn es keinen Zusatz gibt. 50 Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München/Basel/Wien, 6. Aufl. 2016, § 18 Rn. 12 f. 51 Christoph Grabenwarter/Katharina Struth, Das französische Verbot der Vollverschleierung, in: EuGRZ (Europäische Z. f. Grundrechte) 2015, S. 1 – 8, hier S. 3. 52 EGMR (GK) (Große Kammer), Urteil v. 01. 07. 2014 – Nr. 43835/11 (S.A.S./Frankreich), Sondervotum Angelika Nußberger/Helena Jäderblom, Z. 5, in: EuGRZ 2015, S. 27 – 29. 53 Grabenwarter/Struth, Das französische Verbot (Anm. 51), S. 3. 54 Ebd., S. 4. 55 EGMR (GK), Sondervotum Nußberger/Jäderblom (Anm. 52), Z. 14, S. 28.
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traditionellen Verhalten brechen.56 „Des Weiteren hat die Regierung nicht dargelegt, warum es unmöglich war, mildere Mittel als die Strafbewehrung der Verschleierung des Gesichts im gesamten öffentlichen Raum anzuwenden“.57 Dementsprechend erscheint dieses Verbot gar nicht verhältnismäßig zum angestrebten Ziel, dessen Schwäche schon unter a) beleuchtet wurde. c) Kontrolldichte Wenn es so steht, stellt sich nachhaltig die Frage der Kontrolldichte, die der EGMR hier zur Anwendung bringt. Sollte eine Regelung in einem Staat (Frankreich) vom europäischen Konsens abweichen, ist es angezeigt, dass der EGMR hier genauer prüft als bei einem mangels europäischen Konsenses großen Ermessensspielraum („margin of appreciation“) der Staaten. 45 von 47 Mitgliedstaaten des Europarates hielten es bis dahin nicht für angezeigt oder gar nötig, diesen Bereich gesetzlich zu regeln – ein Konsens existiert mithin durchaus (anders als vom EGMR behauptet), von dem jedoch Frankreich abweicht.58 Zudem stützte sich der Gesetzgeber trotz der großen Mehrheit in der französischen Nationalversammlung auf gar nicht nachvollziehbare Wertungen und Annahmen. Umso mehr wäre es Aufgabe des EGMR gewesen, diese kleine Minderheit „gegen unverhältnismäßige Eingriffe zu schützen“.59 Wenn der EGMR die Doktrin der „margin of appreciation“ inhaltlich auch in Zukunft so „blauäugig“ anwendet wie in diesem Fall, wird diese europarechtlich wichtige Rechtsfigur an Konturenschärfe deutlich verlieren und beschädigt. 3. Zur rechtlichen Bewertung von Niqab und Burka in Deutschland Hätte ein derartiges absolutes Verbot, Niqab oder Burka in der Öffentlichkeit zu tragen, in Deutschland Chancen sich verfassungsrechtlich durchzusetzen? Für den öffentlichen Dienst gibt es ein solches Verbot seit 2017 bereits.60 Der Schutzbereich von Art. 4 GG bzw. Art. 9 EMRK kann als eröffnet gelten, wenn die Trägerin glaubwürdig aufzeigen kann, dass sie den Schleier aus Glaubensgründen und freiwillig trägt.61 Ein staatliches Verbot stellt einen Eingriff dar. 56
Ebd., Z. 21 ff., S. 29. Ebd., Z. 24, S. 29. 58 Ebd., Z. 19, S. 29; Grabenwarter/Struth, Das französische Verbot (Anm. 51), S. 8. 59 EGMR (GK), Sondervotum Nußberger/Jäderblom (Anm. 52), Z. 20, S. 29; Grabenwarter/Struth, Das französische Verbot (Anm. 51), S. 8. 60 Dazu Jens Reisgies, Verbot der Vollverschleierung für Verfahrensbeteiligte im Gerichtssaal, in: ZevKR 62 (2017), S. 271 – 292, hier S. 287 ff. 61 Vgl. auch Barczak, „Zeig mir“ (Anm. 45), S. 56 f. – Da die Familien von Trägerinnen eines Gesichtsschleiers einem Kulturkreis angehören, bei dem die Selbstbestimmung der Frau nicht durchgängig üblich ist und praktiziert wird, ist die Freiwilligkeit keinesfalls selbstverständlich. 57
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a) Legitimität des Ziels Zur Rechtfertigung ist zuerst nach dem legitimen Ziel zu fragen. Dabei muss es sich, sofern in das Recht aus Art. 4 GG eingegriffen wird, um ein Grundrecht Dritter oder ein Rechtsgut mit Verfassungsrang handeln. Vorher jedoch gilt es zu reflektieren, was das Unterscheidende dieses religiösen Symbols im Vergleich zum islamischen Kopftuch ausmacht. Einer Trägerin eines schwarzen Niqab zu begegnen, löst oft nicht nur vorübergehende, sondern bleibende Eindrücke aus. Man kann es dahinstehen lassen, ob dieser Eindruck nur an dessen Seltenheit liegt oder an dessen außerordentlicher Fremdheit, an einem gewissen Mitgefühl der Trägerin gegenüber oder an einem beklemmenden Sicherheitsgefühl. Man kann es dahinstehen lassen, denn die rechtliche Konsistenz derartiger Gefühle kann nur als unbedeutend bewertet werden – Gefühle sind überaus divers und lassen sich schon deshalb rechtlich nicht schützen.62 Ein Gefühlsschutz kann mithin als Ziel nicht dienen. Ein Ziel „öffentliche Sicherheit“ würde ein Gesetz voraussetzen, was vermutlich erst dann ernsthaft diskutiert würde, wenn ein solcher Schleier mehrfach in Deutschland oder in unmittelbaren Nachbarstaaten für Anschläge missbraucht worden wäre. Ein legitimes Ziel zu benennen, dürfte ansonsten nicht leicht fallen; auch die negative Religionsfreiheit anderer trägt in der Öffentlichkeit nicht, weil sie keinen Konfrontationsschutz beinhaltet.63 b) Milderes Mittel statt eines umfassenden Niqab-Verbots Damit bliebe für eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung kein Raum. Umso dringlicher stellt sich die Frage nach einem milderen Mittel statt eines absoluten und umfassenden Verbots, z. B. ein auf Funktion, Ort und Zeit beschränktes Verbot: aa) Das könnte etwa darin bestehen, dass aus Gründen der öffentlichen Sicherheit – ein entsprechendes Gesetz vorausgesetzt – in gefährdeten Bereichen wie bspw. in Flughäfen, Bahnhöfen, ggf. auch im ÖPNV das Tragen des Gesichtsschleiers verboten würde. bb) Für Kontrollzwecke64 (Pass und Personalausweis, Führerschein, Grenz- und Transitkontrollen, Einlass in bestimmte Gebäude oder zu Veranstaltungen mit wichtigen Funktionsträgern) – dazu bedarf es keiner neuen rechtlichen Grundlage – müsste eine Niqabträgerin bereit sein, ihren Niqab zumindest während der Kontrolle selbst abzunehmen. cc) Einschneidender wirken beim Führen eines Fahrzeugs dürfte das in § 23 I 1 StVO verankerte Verbot einen Gesichtsschleier zu tragen: „Wer ein Kraftfahrzeug 62 Statt vieler: Barbara Rox, Vom Wert der freien Rede – zur Strafwürdigkeit der Blasphemie, in: JZ (Juristenzeitung) 2013, S. 30 – 34. 63 Vgl. auch Barczak, „Zeig mir“ (Anm. 45), S. 57 ff. 64 WD-BT (Anm. 46), S. 10.
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führt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist.“ dd) Im Bereich der öffentlichen Schule hat der BayVGH (Bayrischer Verwaltungsgerichtshof) 2014 unanfechtbar entschieden,65 das Verbot, während des Unterrichts einen Niqab zu tragen, begrenze das Recht einer Schülerin auf freie Religionsausübung nicht in unzulässiger Weise. Der Glaubensfreiheit der Schülerin gemäß Art. 4 I GG stünde das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen (Art. 7 I GG), dem ebenfalls Verfassungsrang zukomme, gegenüber. Letzteres erlaube dem Staat, in inhaltlich-didaktischer Ausgestaltung des Schulwesens auch die Unterrichtsmethode festzulegen, hier die seit vielen Jahren übliche offene Kommunikation, die effizienter sei und die Möglichkeit biete, auch auf Schüler individuell einzugehen. Diese Methode sei auch auf nonverbale Elemente wie Mimik, Gestik und die übrige Körpersprache angewiesen, was durch die gesichtsverhüllende Verschleierung einer Schülerin gravierend behindert werde. Da ein Methodenwechsel für die Schule nicht hinnehmbar sei, müsse die Niqabträgerin auf diese Ausdrucksform ihrer Glaubensfreiheit verzichten, zumal anderenfalls ja auch andere Schülerinnen in gleicher Weise von ihrer Glaubensfreiheit Gebrauch machen könnten.66 ee) Erscheint hier im Fall einer Gesichtsschleier tragenden Schülerin ein Verbot nicht zwingend, wohl aber begründet, wäre es im Fall einer derartigen Lehrerin unvermeidbar: Denn die für diese Unterrichtsmethode notwendige Kommunikation wäre bei einer lehrenden Niqabträgerin gravierend gestört. Allerdings müsste die staatsrechtliche Begründung hier einen anderen Weg einschlagen: Weil die Lehrerin aufgrund der gravierenden Kommunikationsstörung ihrem Dienstauftrag nicht nachkommen könnte, müsste sie entweder auf das Tragen des Niqab verzichten oder aus dienstrechtlichen Gründen entlassen werden.67 Da das Niqab-Tragen der Lehrerin nicht dem Staat zugerechnet werden kann, geschweige denn von ihm angeordnet wurde, und es sich mithin gar nicht um einen Eingriff handelt,68 greift das Eingriff-Rechtfertigungs-Schema der Verhältnismäßigkeitsprüfung hier nicht. ff) Die erhebliche Einschränkung des kommunikativen Prozesses im Gerichtsverfahren spricht auch für ein Verbot des Gesichtsschleiers für Richterinnen, Staatsanwältinnen und z. T. auch für Rechtsanwältinnen vor allem im Gerichtssaal.69 Der 65
BayVGH, Beschluss vom 22. 04. 2014 – 7 CS 13.2592 und 7 C 13.2593, Rn. 28. Ebd., Rn. 18 f., 21. 67 Lehrkräfte in der öffentlichen Schule stehen im Dienst des Landes (so etwa § 57 IV SchulG NW). Damit unterliegen sie den Bestimmungen des Bundesbeamtengesetzes, wo in § 61 I 4 BBG festgelegt ist: Beamte „dürfen ihr Gesicht bei Ausübung des Dienstes oder der Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug nicht verhüllen“. – Diese 2017 eingefügte „vollständige anlassunabhängige“ Verbotsnorm stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit dar (Reisgies, Verbot der Vollverschleierung [Anm. 60], S. 290 f.). Diese Norm ist zu undifferenziert. 68 Siehe oben unter I.1. zur Kopftuch tragenden Lehrerin. 69 Vgl. auch Reisgies, Verbot der Vollverschleierung (Anm. 60), S. 282 f., hier S. 284. 66
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BayVGH hat 2018 entschieden, dass dies auch für Referendarinnen gilt.70 Auch für Angeklagte und sogar Zeugen ließe sich ein Verschleierungsverbot während der mündlichen Gerichtsverhandlung rechtfertigen, könnte jedoch außerhalb von Strafprozessen auf die Dauer der eigenen Aussagen reduziert werden.71 Zudem ließen sich die Betroffenen dadurch schützen, dass Unbeteiligten die Sicht auf diese Personen versperrt wird.72 gg) Für Erzieherinnen in Kindertagesstätten dürfte ähnliches gelten. Auch sie würden, wenn sie Niqab tragen, wegen gravierender Kommunikationsstörung ihrem Dienstauftrag nicht hinreichend nachkommen können, zumal ein solches Kleidungsstück auf kleine Kinder, sofern diese durch ihre Mütter daran nicht gewöhnt sein sollten, eine besonders ängstigende und verstörende Wirkung auslösen würde. – Selbst Niqab tragende Mütter, die ihre Kinder von einer Kindertagesstätte abholen, verängstigten andere Kinder so sehr, dass sogar kopftuchtragende Mütter gegen diesen Auftritt protestierten. „Zudem ist es nicht denkbar, ein minderjähriges Kind an eine nicht hinreichend erkennbare Person zu übergeben.“73 hh) Im Bereich der Wirtschaft dürfte das große Aufmerksamkeit auf sich ziehende religiöse Symbol des Gesichtsschleiers „in den allermeisten Konstellationen mit den Erfordernissen eines Arbeitsplatzes nicht vereinbar“ sein.74 Wegen der kaum vorhersehbaren Reaktionen von Kunden dürften Niqabträgerinnen auf Arbeitsplätzen mit Kundenkontakten kaum zum Zuge kommen. Auf anderen Arbeitsplätzen hängt das davon ab, ob das Rechtsgut des Betriebsfriedens ernsthaft gefährdet ist oder nicht. Wie gezeigt gibt es also diverse mildere Mittel, um ein allgemeines umfassendes Verbot zu vermeiden. Nur durch bereichsweise Einschränkung könnte ein Verbot, Niqab oder Burka zu tragen, verfassungsrechtlich korrekt gestaltet werden. Insgesamt ist in sehr vielen Fällen das Tragen von Niqab oder Burka rechtlich durchwegs einschränkender zu bewerten als das Tragen eines Kopftuchs. Obwohl es in beiden Fällen der Islam ist, der einem in den jeweiligen religiösen Symbolen begegnet, schlägt hier die Einstellung der Menschen gegen ein so fremdartiges Symbol durch. Zudem sollte man, solange keine strikte Notwendigkeit besteht, auf rechtliche Regelungen generell verzichten, umso mehr auf umfassende Verbote. Frankreich gibt in dieser Hinsicht diesmal ein schlechtes Beispiel, Österreich hat sich dem in diesem Bereich angeschlossen.
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BayVGH, Entscheidung vom 07. 03. 2018 – 3 BV 16.2040. Reisgies, Verbot der Vollverschleierung (Anm. 60), S. 274 ff. 72 Ebd., S. 279. 73 Rohe, Der Islam (Anm. 45), S. 202, auch zu dem geschilderten Fall. 74 Berka, Das islamische Kopftuch (Anm. 33), S. 480 (dortige Fn. 43). 71
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III. Islamischer Religionsunterricht 1. Staatsrechtliche Grundlagen In Art. 7 III GG sind wichtige Eckpunkte für den Religionsunterricht in öffentlichen Schulen ausgeflaggt:75 Er ist ordentliches Lehrfach, hat mithin eine gewisse Bedeutung in der Schule. Religionsunterricht kann nur durch Lehrer erfolgen, die das freiwillig tun. Das dritte Kriterium sorgt, bezogen auf den islamischen Religionsunterricht (IRU), für anhaltend ungelöste Schwierigkeiten: „Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ (Art. 7 III GG). Der eine Partner der hier geforderten Zusammenarbeit ist der Staat, der das Organisatorische regelt, die Lehrer bezahlt und die Aufsicht dahingehend führt, dass etwa durch die Lehrpläne – aber auch durch das, was in diesem Unterricht faktisch gelehrt zu werden pflegt – die rechtlichen Grundsätze (Staatsgrundlagen [wie Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung] gemäß Art. 20 I-III GG, das konkrete Schulgesetz etc.) nicht verletzt werden. Diese „weltliche Intendanturfunktion“76 ist bereits eingespielt. Als problematisch hingegen erweisen sich die geforderten Religionsgemeinschaften, denn bisher sind in keinem Bundesland sunnitische oder schiitische anerkannt, da im Islam keine kirchen-ähnlichen Strukturen (u. a. mit eindeutig zu diesen gehörigen Mitgliedern) ausgebildet werden. Die schulpolitische Praxis sucht deshalb nach Wegen, wie dieses Verfassungsgebot in „substituierter Form“77 erfüllt werden kann – deshalb das Bemühen um Beiräte, Kommissionen etc. –, sonst fehlte es an Grundsätzen, nach denen unterrichtet werden kann. 2. Zur Situation in Österreich In Österreich, auf das zu blicken nicht nur als Reverenz auf den Wohn- und Wirkort des Jubilars lohnt, erscheint dieses Problem seit langem gelöst:78 1912 wurden die Anhänger des Islam nach hanafitischem Ritus als Religionsgemeinschaft anerkannt. 1979 ist die „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGiÖ) für (prinzipiell alle) Muslime gegründet und ebenso anerkannt worden, 1987 wurde durch den Verfassungsgerichtshof die Beschränkung auf die hanafitische Rechtsschule aufgehoben, sodass seither Muslime aller Richtungen dazugehören. 1988 erließ der zuständige Bundesminister eine Islam-Verordnung, die für die Verfassung der 75 Vgl. Hinnerk Wißmann, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 7 (Stand 2015), III. Rn. 131 – 188, hier 163 – 169; Peter Badura, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Art. 7 (2015) Rn. 63 – 91, hier 89; Martin Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem, Tübingen 2002, S. 42 – 46. 76 Heckel, Der Rechtsstatus (Anm. 75), S. 40. 77 Wißmann, Art. 7 Rn. 164. 78 Zum folgenden Rees, Neuere Fragen um Schule (Anm. 4), S. 517 – 520; Werner T. Bauer, Der Islam in Österreich. Ein Überblick, o. O. 2016 (als Pdf im Internet), S. 15 ff.
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IGGiÖ bestimmte Mindesterfordernisse festlegte. Die unmittelbare Organisationsform der meisten Muslime dort ist nicht die IGGiÖ, sondern ein meist nach herkunftsstaatlichen oder ethnischen, auch politischen Kriterien strukturierter Verein, der einen Gebetsraum betreibt. Viele solche Vereine haben sich zu Dachverbänden zusammengeschlossen; die meisten gehören der IGGiÖ an.79 Bzgl. IRU wirkt der IGGiÖ an der Ausbildung eines Teils der Lehrer mit und übt die fachliche Beaufsichtigung des IRU aus.80 Für die Ausbildung von IRU-Lehrern an weiterführenden Schulen ist in der Universität Wien ein Masterkurs eingerichtet worden. 2009 hatte der Befund für Irritation gesorgt, dass 21,9 % der IRU-Lehrkräfte Demokratie ablehnen, weil sie sich mit dem Islam nicht vereinbaren lasse, und 29 % dieser Lehrer der Meinung sind, eine Integration der Muslime in Österreich sei nicht möglich, ohne die islamische Identität zu verlieren. Zudem haben 18,2 % dieser Lehrkräfte Verständnis für die Todesstrafe bei Abfall vom Islam.81 Auch wenn die große Mehrzahl (meist über 65 %) der Lehrkräfte für IRU derartige Positionen entschieden ablehnen, zeigt sich hierin nicht nur die große Spannweite von im Islam vertretenen Ansichten – deshalb ist von „dem“ Islam zu sprechen oft nicht sinnvoll. Hier offenbaren sich vor allem erhebliche Defizite bzgl. der Inhalte, die im IRU von einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Lehrkräfte gelehrt werden. Durch Lehrer-Fortbildung und Verbesserungen im Islam-Studium könnte dieses Defizit verkleinert werden. Die Abmeldequote vom IRU ist im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften mit etwa 50 % relativ hoch. Viele schiitische und alevitische Eltern melden ihre Kinder ab, bei den sunnitischen empfinden ihn manche als zu wenig traditionell, andere als zu konservativ. Dass der IRU nicht selten erst nachmittags nach Schulschluss angeboten wird, fördert die Akzeptanz sicher auch nicht.82 Auch dieser Befund untermauert die große Positionsbreite im Islam und zeigt zugleich auf, dass auch das Zusammenführen aller Muslime im IGGiÖ seinen Preis hat, der beim IRU in Form der Abmeldungen zu zahlen ist. Gleichwohl ist das österreichische Modell mit dem IGGiÖ interessant, hat man dort doch schon Jahrzehnte – Österreich war das erste EU-Land mit einem IRU83 – praktische Erfahrungen sammeln können, wo deren großer Nachbar im Norden immer noch bei Modellversuchen oder sehr kompromisshaften Übergangslösungen84 bisher nur schwer voran kam. 79
Bauer, Der Islam (Anm. 78), S. 23 ff. Richard Potz u. a., Islamischer Religionsunterricht in Österreich und Deutschland, Ergebniszusammenfassung, Wien 2005, S. 3. 81 Mouhanad Khorchide, Der islamische Religionsunterricht in Österreich, ÖIF-Dossier N8 5, o. O. 2009, S. 41 ff. 82 Bauer, Der Islam (Anm. 78), S. 20. 83 Rees, Neuere Fragen um Schule (Anm. 4), S. 519. 84 Überblick über die Situation in einzelnen Bundesländern bei Janbernd Oebbecke, Die rechtliche Ordnung des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland – Stand und Perspektiven, in: Essener Gespräche 49 (2016) (Anm. 4), S. 153 – 175, hier S. 156 ff. 80
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3. Zur Neuregelung von 2019 in NRW In Nordrhein-Westfalen (NRW) ist 2019 eine Übergangsregelung zum IRU, bei der 2011 ein – vor allem staatsrechtlich kritisierter85 – Beirat gebildet wurde, ausgelaufen. Im Juni 2019 wurde mit großer Mehrheit im NRW-Landtag dieser durch eine Kommission ersetzt: Während der Beirat aus je einem Vertreter der 4 großen islamischen Religionsgemeinschaften (IRG) sowie 4 von der Landesregierung ausgewählten Vertretern – Hauptkritik: wegen Staats-Nähe der Hälfte des Beirats Verstoß gegen die religiös-weltanschauliche Neutralität86 – gebildet wurde, soll die Kommission zahlenmäßig nicht begrenzt sein, sodass auch muslimische Organisationen und Vereine über den Kreis der 4 IRG hinaus mitarbeiten können. In der Kommission wird jede Organisation – größenunabhängig – eine Stimme besitzen. Auf Antrag befindet die Landesregierung über die Aufnahme. Dabei ist wichtig, dass nicht die theologisch-religiöse Ausrichtung des Kandidaten über die Aufnahme entscheidet – der religiös neutrale Staat könnte und dürfte darüber auch nicht urteilen –, sondern säkulare Kriterien wie Eigenständigkeit, Staatsunabhängigkeit, Achtung der Verfassungsprinzipien und der Grundrechte aller die Schule Besuchenden sowie die absehbar dauerhafte Kooperationsfähigkeit.87 Eine Verfassungsmäßigkeit dieses Modells setzt die Einhaltung dieser Kriterien und die rechtliche Gleichbehandlung aller Antragsteller voraus. Angesichts der großen Spannweite theologischer und gesellschaftlicher Positionen im Islam ist die Einbeziehung auch anderer Kräfte als die der 4 großen IRG zu begrüßen, damit der IRU für alle Muslime prinzipiell attraktiv sein kann. Allerdings besuchten einer Studie von 2006 zufolge 80 % der Muslime Moscheen der 4 großen IRG88 – auch dieses Kriterium sollte in der Zusammensetzung der Kommission (als Gremium der Selbstkoordination) berücksichtigt werden. Dazu wird hier vorgeschlagen, in Anlehnung an die Sitzverteilung im Bundesrat – in dem jedes Land mindestens 3 Sitze hat, größere Länder bis zu 6 Sitzen (Art. 51 II GG) – gemäß der Zahl von Moscheegemeinden jedem Kandidaten nach einem festen Schlüssel zwischen einem und vier Stimmen zukommen zu lassen. So würde beiden Kriterien – Vielfalt von Positionen sowie bestehende Gemeindestruktur in NRW – Rechnung getragen.89 85 Zur Kritik an einem ähnlichen Beiratsmodell (bezogen auf Islam-Studien an Universitäten) s. nur Muckel, Antworten (Anm. 2), S. 74 ff. 86 Erinnert sei daran, dass „die Spannungen zwischen den Religionsgruppen, nicht die Inhalte des Religiösen“ neutralisiert werden sollen – dem Staat ist es verboten, die religiösen Inhalte der Grundrechtsträger selbst zu „neutralisieren“, vielmehr soll er „neutrale Rechtsformen“ schaffen, „welche die unverfälschte Entfaltung ihrer religiösen Eigenart achten und schützen lassen“. Heckel, Der Rechtsstatus (Anm. 75), S. 30. 87 Jan F. Engelhardt, Stellungnahme der aiwg (Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft) zu den Gesetzentwürfen 17/5638 und 17/5618 (Landtag NRW), Frankfurt a. M. o. J. (2018 oder 2019), S. 7. 88 Ebd., S. 7. 89 Über diese zentralen Diskussionspunkte hinaus kann hier auf weitere nicht mehr eingegangen werden.
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Insgesamt hat das NRW-Modell von 2019 gegenüber dem Vorgängermodell wichtige Vorzüge. Es erscheint auch verfassungskonform anwendbar; nur dann könnte es sich als echte Alternative zum Modell in Österreich erweisen.
Heiliger Stuhl Ein Begriff des Kirchenrechts und des internationalen Rechts1 Von Stephan Haering In der Berichterstattung der Medien, selbst in den Produkten des kirchlichen Journalismus, ist häufig vom „Vatikan“ die Rede, um die (irdische) Leitung der katholischen Kirche2 zu bezeichnen. Das ist zwar nicht ganz korrekt, denn der Vatikan ist einer der sieben Hügel in der Stadt Rom. Doch jedermann weiß, dass man es hier mit einer Metonymie zu tun hat, und ist sich im Klaren darüber, was mit „Vatikan“ an dieser Stelle wirklich gemeint ist, nämlich der Papst und die ihm zugehörigen römischen Einrichtungen. Gerade in Texten über politische Themen und Institutionen begegnen häufig derartige Ausdrücke, etwa das „Weiße Haus“, womit der amerikanische Präsident und seine Regierung gemeint sind, oder der „Kreml“, der für die Regierung Russlands steht. Die Liste ließe sich fortsetzen mit dem „Ballhausplatz“ in Wien, dem „Hôtel Matignon“ in Paris, der „Downing Street“ in London oder auch – wenngleich sie längst der Geschichte angehört – der „Hohen Pforte“ in Istanbul, worunter man die Regierung des Sultans über das osmanische Reich versteht. Der „Heilige Stuhl“ hat indes nur bedingt seinen Platz in dieser Reihe. Zwar besteht insoweit eine Parallele, als man mit dem „Heiligen Stuhl“ nicht etwa eine besonders kostbare oder gar sakrale Sitzgelegenheit für eine exponierte Persönlichkeit bezeichnet. Doch im Unterschied zu den vorgenannten Beispielen, die zwar allgemein geläufig, aber keineswegs amtlich sind, ist der „Heilige Stuhl“ auch eine offizielle Bezeichnung für das dahinterstehende Amt bzw. die bezeichnete Institution. „Sancta Sedes“, häufig auch italienisch „La Santa Sede“ – diese Wörter findet man auf offiziellen Briefköpfen und in amtlichen Dokumenten. Wenn sie gebraucht werden, hat man es in irgendeiner Weise mit dem Amt des Papstes bzw. der universalen katholischen Kirche, deren sichtbares Haupt der Papst ist, zu tun. Der vorliegende Beitrag soll den „Heiligen Stuhl“ in großen Zügen beschreiben und deutlich machen, was an konkreten Institutionen alles davon erfasst wird und wie 1 Der Beitrag geht auf den Vortrag zurück, den der Verfasser am 22. Februar 2019 beim Akademischen Forum in Augsburg gehalten hat. 2 Vgl. Jürgen Werbick/Helmuth Pree/Andreas Rogozinski, Art. Katholische Kirche, in: Staatslexikon, 8., völlig neu bearb. Aufl., Bd. III, Freiburg/Basel/Wien 2019, Sp. 618 – 638 (Lit.).
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der Heilige Stuhl agiert.3 Das ist insofern nicht ganz einfach, als der Ausdruck in verschiedenen Rechtskreisen seine Verwendung findet, nämlich zum einen im kanonischen Recht, zum anderen aber auch im internationalen Recht. Es gibt zwar nur den einen „Heiligen Stuhl“, aber in den verschiedenen Bereichen erhält der Begriff doch unterschiedliche Akzente. Hinzu kommt noch, dass im internationalen Recht der Heilige Stuhl und der vor neun Jahrzehnten durch die sogenannten Lateranverträge4 begründete Staat der Vatikanstadt5 voneinander zu unterscheiden sind, obwohl die beiden Größen doch wesentlich zusammengehören. Der Heilige Stuhl ist also in seiner aktuellen Existenz ein höchst komplexes Phänomen und man muss sich, um es recht verstehen zu können, eine differenzierte Gemengelage aus historischen, rechtlichen und theologischen Daten vor Augen führen.
I. Kanonischer Rechtsbereich Das geltende Gesetzbuch der lateinischen Kirche enthält eine Bestimmung, die für den kanonischen Bereich definiert, was unter dem Heiligen Stuhl zu verstehen ist. Es handelt sich hier um eine der wenigen begrifflichen Abgrenzungen, die im Gesetz selbst vorgenommen werden. In c. 361 CIC/1983 heißt es: „Unter der Bezeichnung Apostolischer Stuhl oder Heiliger Stuhl ist in diesem Gesetzbuch nicht nur der Papst zu verstehen, sondern auch, wenn nicht aus der Natur der Sache oder aus dem Kontext anderes offensichtlich ist, das Staatssekretariat, der Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche und andere Einrichtungen der Römischen Kurie.“6
Der Gesetzgeber stellt zunächst klar, dass die Bezeichnungen „Apostolischer Stuhl“ und „Heiliger Stuhl“ synonym sind und für ein und denselben Begriffsinhalt stehen. Wenn an dieser Stelle vom Papst die Rede ist, ist damit natürlich das Petrusamt gemeint und nicht die wechselnde Person des Inhabers dieses Amtes.7 Auf die
3 Vgl. Stefan Mückl, Art. Heiliger Stuhl, in: Staatslexikon, 8., völlig neu bearb. Aufl., Bd. II, Freiburg/Basel/Wien 2018, Sp. 1586 – 1589 (Lit.). Es fällt auf, dass ein großes kanonistisches Lexikon wie das DGDC dem Heiligen Stuhl keinen eigenen Artikel widmet, sondern die einschlägige Materie unter dem Lemma Apostolischer Stuhl abhandelt; vgl. Antonio Viana, Art. Sede Apostólica, in: DGDC VII, S. 209 – 212. 4 AAS 21 (1929), S. 209 – 295; vgl. dazu Konrad Repgen, Die Außenpolitik der Päpste im Zeitalter der Weltkriege, in: HKG VII, S. 36 – 96, hier S. 51 – 58. 5 Vgl. Stephan Haering, Art. Vatikanstaat, in: LKR, Sp. 971 f.; Ders., Art. Vatikan II. Rechtlich, in: RGG4 VIII, Sp. 914 (Lit.); Norbert Witsch, Der Vatikanstaat, in: HdbKathKR3, S. 538 – 542. 6 C. 361 CIC/1983: „Nomine Sedis Apostolicae vel Sanctae Sedis in hoc Codice veniunt non solum Romanus Pontifex, sed etiam, nisi ex rei natura vel sermonis contextu aliud appareat, Secretaria Status, Consilium pro publicis Ecclesiae negotiis, aliaque Romanae Curiae Instituta“. 7 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 200 – 216; Hugo Schwendenwein, Der Papst, in: HdbKathKR3, S. 447 – 468.
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Einrichtungen der Römischen Kurie, die gleichfalls von dem Ausdruck erfasst werden, ist später noch im Einzelnen einzugehen. Im CIC/1983 selbst wird dem Ausdruck „Apostolischer Stuhl“ eher der Vorzug vor dem Terminus „Heiliger Stuhl“ gegeben. Auch das eigene Amtsblatt des Papstes und der Römischen Kurie, in welchem gemäß c. 8 § 1 CIC/1983 (bzw. c. 1489 § 1 CCEO) die allgemeinen kirchlichen Gesetze veröffentlicht und auf diese Weise promulgiert werden8, trägt den Titel „Acta Apostolicae Sedis“9 und deutet damit die Präferenz für diesen Ausdruck an. Es ist im Sprachgebrauch des kanonischen Rechts dennoch kein konsequentes System für die Verwendung der beiden synonymen Termini „Apostolischer Stuhl“ und „Heiliger Stuhl“ zu erkennen. Allenfalls besteht eine gewisse Tendenz, dann bevorzugt vom Heiligen Stuhl zu sprechen, wenn es um die kirchlichen Beziehungen zu außerkirchlichen Akteuren geht. Eine ähnliche Norm wie c. 361 CIC/1983 zur inhaltlichen Bestimmung des „Heiligen Stuhls“ enthält übrigens auch das Gesetzbuch für die katholischen Ostkirchen, wo in c. 48 CCEO, weithin wortgleich zu c. 361 CIC/1983, festgelegt wird, dass unter dem Apostolischen bzw. dem Heiligen Stuhl nicht nur der Papst, sondern regelmäßig auch die Dikasterien und anderen Einrichtungen der Römischen Kurie zu verstehen sind.10 1. Zur Rechtspersönlichkeit des Heiligen Stuhls Im kanonischen, d. h., dem innerkirchlichen Rechtsbereich haben wir also von der gleichwertigen Verwendung der Ausdrücke „Apostolischer Stuhl“ und „Heiliger Stuhl“ auszugehen. Die besondere rechtliche Eigenart des Heiligen Stuhls kommt nicht zuletzt in seiner Beschreibung als Rechtssubjekt zum Ausdruck. An dieser Stelle ist wiederum der CIC/1983 zu zitieren, der in c. 113 § 1, im Abschnitt über die juristischen Personen, wörtlich festhält:
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C. 8 § 1 CIC/1983: „Leges ecclesiasticae universales promulgantur per editionem in Actorum Apostolicae Sedis commentario officiali, nisi in casibus particularibus alius promulgandi modus fuerit praescriptus, et vim suam exserunt tantum expletis tribus mensibus a die qui Actorum numero appositus est, nisi ex natura rei illico ligent aut in ipsa lege brevior aut longior vacatio specialiter et expresse fuerit statuta.“ – Vgl. Lothar Wächter, Art. Promulgation, in: LKStKR III, S. 304; Javier Otaduy, Art. Promulgación de la ley, in: DGDC VI, S. 567 – 575 (Lit.). 9 Vgl. Franz Kalde, Art. Acta Apostolicae Sedis, in: LKR, Sp. 15; Beatrice Serra, Art. Acta Apostolicae Sedis, in: DGDC I, S. 147 – 151; Markus Graulich, Art. Acta Apostolicae Sedis, in: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht, Bd. I, Paderborn u. a. 2019, S. 45. – Das Vorgängerorgan, das von 1865 bis 1908 erschien, trug den Namen „Acta Sanctae Sedis“; vgl. Franz Kalde, Art. Acta Sanctae Sedis, in: LKR, Sp. 16 f. 10 C. 48 CCEO: „Nomine Sedis Apostolicae vel Sanctae Sedis in hoc Codice veniunt non solum Romanus Pontifex, sed etiam, nisi aliter iure cavetur vel ex natura rei constat, Dicasteria aliaque Curiae Romanae instituta“.
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„Die katholische Kirche und der Apostolische Stuhl haben aufgrund göttlicher Anordnung den Charakter einer moralischen Person.“11
Der Heilige Stuhl und daneben die katholische Kirche sind rechtlich gesehen „moralische Personen“ und werden damit als Rechtssubjekte in gewisser Weise von den sonstigen kirchlichen juristischen Personen abgehoben.12 Denn im anschließenden § 2 desselben Kanons heißt es dann: „In der Kirche gibt es außer physischen Personen auch juristische Personen, d. h. Träger von ihrer Eigenart entsprechenden Pflichten und Rechten im kanonischen Recht.“13
Mit den juristischen Personen hat der Heilige Stuhl die Fähigkeit gemein, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Während die gewöhnlichen juristischen Personen aber einen irdischen Entstehungsgrund haben, sei es dass sie entweder aufgrund gesetzlicher Vorschrift bestehen oder als juristische Personen errichtet worden sind, sind der Heilige Stuhl und die katholische Kirche als Rechtspersonen gewissermaßen vom Himmel gefallen, denn sie sind „moralische Personen“ kraft göttlicher Anordnung. Was für manchen etwas sonderbar klingen mag, bringt nichts anderes zum Ausdruck als die Tatsache, dass die katholische Kirche eine göttliche Stiftung (und keine menschliche Erfindung) ist und dass sie als solche mit Wesensnotwendigkeit auch Rechtsfähigkeit besitzt. Zu dieser göttlichen Stiftung gehört der Heilige Stuhl, das Petrusamt, und auch dieser Institution kommt mit ihrer göttlich verursachten Existenz die Rechtsfähigkeit zu. Denn wer sonst in der Kirche sollte dem Heiligen Stuhl die Rechtsfähigkeit vermitteln? In gewisser Weise kommt in c. 113 CIC/1983 dasselbe Faktum zum Ausdruck, welches im Prozessrecht des CIC/1983 im lateinischen Originaltext so formuliert wird: „Prima Sedes a nemine iudicatur.“ (c. 1404 CIC/1983) Die offiziöse deutsche Übersetzung gibt diese Bestimmung sachlich zutreffend wieder, wenn es heißt: „Der Papst kann von niemandem vor Gericht gezogen werden.“ Doch ganz wörtlich übersetzt müsste man sagen: „Der Erste Stuhl“ – und damit ist der Heilige Stuhl gemeint – „wird von niemandem gerichtet“. Auf die damit zusammenhängende Problematik einer (rechtlichen) Kontrolle des Heiligen Stuhls wird am Ende dieses Beitrags noch kurz zurückzukommen sein. Die in c. 113 § 1 CIC/1983 angesprochene besondere Grundlage der Rechtspersonalität des Heiligen Stuhls ist im Hinblick auf die Eigenart der Kirche als göttlicher Stiftung gewissermaßen systemgerecht, darf aber in ihrer theologischen Bedeutung nicht überspannt werden. Zwar fußt das Recht der Kirche ganz wesentlich auch auf 11 C. 113 § 1 CIC/1983: „Catholica Ecclesia et Apostolica Sedes, moralis personae rationem habent ex ipsa ordinatione divina.“ – Das katholische Ostkirchenrecht geht in seinen Bestimmungen zu den juristischen Personen (vgl. cc. 920 – 930 CCEO) nicht auf die Rechtspersonalität des Heiligen Stuhls ein. 12 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 313. 13 C. 113 § 2 CIC/1983: „Sunt etiam in Ecclesia, praeter personas physicas, personae iuridicae, subiecta scilicet in iure canonico obligationum et iurium quae ipsarum indoli congruunt“.
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ihrem Glauben bzw. ihrem im Glauben begründeten Selbstverständnis, aber die rechtlichen Normen sind nicht dazu da, den Glauben der Kirche vollständig abzubilden. Es wäre auch eine etwas bizarre Vorstellung zu meinen, man könnte auf das Glaubensbekenntnis, lehramtliche Dokumente und den Katechismus verzichten, wenn man nur den CIC/1983 zur Verfügung habe. In vielen Rechtsnormen der Kirche kommt zwar auch der katholische Glaube zum Ausdruck, aber das kirchliche Recht hat nicht zuletzt eine Ordnungsfunktion, die sich weithin an Zweckmäßigkeit und Angemessenheit orientiert und bei den Bestimmungen zu vielen Sachbereichen nicht unmittelbar auf den Maßstab des Glaubens rekurrieren muss. Im Hinblick auf die Eigenart und Struktur der in der katholischen Kirche voll verwirklichten Kirche Jesu Christi lehrt das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965), dass diese „in und aus Teilkirchen“ bestehe.14 Der CIC/1983 nimmt diese Aussage in c. 368 auf.15 Theologisch steht jedenfalls fest, dass es Teilkirchen, d. h. im Regelfall Diözesen, innerhalb der Kirche geben muss und die Kirche nicht anders als in dieser Form existieren kann. Ebenso wie dem Heiligen Stuhl kommt demnach auch dem teilkirchlichen Stuhl bzw. Leitungsamt eine Existenz „ex ipsa ordinatione divina“ zu. Da aber theologisch nur auf die Teilkirche als Abstraktum Bezug genommen werden kann, die konkrete Teilkirche aber in irgendeiner Weise der rechtlichen Errichtung durch eine zuständige Autorität bedarf, hat beispielsweise die Kirche von Augsburg bzw. der Stuhl von Augsburg nicht die Qualität einer moralischen Person, sondern gilt einfach als juristische Person kraft gesetzlicher Bestimmung. 2. Was umfasst „Heiliger Stuhl“? Wie bereits erwähnt, bezeichnet gemäß c. 361 CIC/1983 bzw. c. 48 CCEO der Begriff „Heiliger Stuhl“ nicht nur den Papst, d. h. das Petrusamt und seinen rechtmäßigen Inhaber, sondern auch alle Dikasterien und übrigen Einrichtungen der Römischen Kurie.16 Damit können viele verschiedene Behörden und Ämter unter der Bezeichnung Heiliger Stuhl gemeint sein und als solcher tätig werden.
14 VatII, LG 23: „Collegialis unio etiam in mutuis relationibus singulorum Episcoporum cum particularibus Ecclesiis Ecclesiaque universali apparet. Romanus Pontifex, ut successor Petri, est unitatis, tum Episcoporum tum fidelium multitudinis, perpetuum ac visibile principium et fundamentum. Episcopi autem singuli visibile principium et fundamentum sunt unitatis in suis Ecclesiis particularibus, ad imaginem Ecclesiae universalis formatis in quibus et ex quibus una et unica Ecclesia catholica exsistit. […]“. 15 C. 368 CIC/1983: „Ecclesiae particulares, in quibus et ex quibus una et unica Ecclesia catholica exsistit, sunt imprimis dioeceses, quibus, nisi aliud constet, assimilantur praelatura territorialis et abbatia territorialis, vicariatus apostolicus et praefectura apostolica necnon administratio apostolica stabiliter erecta.“ – Vgl. Franz Kalde, Diözesane und quasidiözesane Teilkirchen, in: HdbKathKR3, S. 585 – 592. 16 Vgl. Niccolò Del Re, La Curia Romana. Lineamenti storico-giuridici, quarta edizione aggiornata ed accresciuta, Città del Vaticano 1998; Heribert Schmitz, Römische Kurie, in: HdbKathKR3, S. 494 – 528.
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Bevor wir diese im Einzelnen in den Blick nehmen, ist noch klarzustellen, dass eines der beiden Subjekte der kirchlichen Höchstgewalt nicht unter „Heiliger Stuhl“ zu verstehen ist, nämlich das Bischofskollegium, d. h. jene Gemeinschaft, in der die apostolische Körperschaft, das Apostelkollegium, von den Anfängen der Kirche bis heute fortdauert.17 Haupt dieses Kollegiums ist der Papst, der Nachfolger des Apostels Petrus (vgl. c. 336 CIC/1983). Der Heilige Stuhl steht jedoch nur für das Petrusamt allein und auch die kurialen Organe, die unter dem Namen Heiliger Stuhl firmieren, sind allein dem Papst und nicht dem Bischofskollegium zugeordnet. Dies kommt auch in c. 360 CIC/1983, wo die Römische Kurie beschrieben wird, zum Ausdruck. Wörtlich lautet dieser Kanon: „Die Römische Kurie, durch die der Papst die Geschäfte der Gesamtkirche zu besorgen pflegt und die ihre Aufgabe in seinem Namen und seiner Autorität zum Wohl und zum Dienst an den Teilkirchen ausübt, besteht aus dem Staatssekretariat oder Päpstlichen Sekretariat, dem Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche, den Kongregationen, den Gerichtshöfen und anderen Einrichtungen, deren Ordnung und Zuständigkeit durch besonderes Gesetz festgelegt sind.“18
Das besondere Gesetz über die Kurie liegt derzeit noch in der Apostolischen Konstitution Pastor bonus vor, die durch Papst Johannes Paul II. (1978 – 2005) im Jahre 1988 erlassen worden ist.19 Allerdings hat die nachfolgende päpstliche Gesetzgebung, vor allem unter Papst Franziskus, dieses Gesetz schon mehrfach novelliert20. Auch durch außerkodikarische Gesetze, die nicht direkt in den Wortlaut von Pastor bonus eingegriffen haben, wurden sachliche Änderungen vorgenommen.21 Gegen17 Vgl. Winfried Aymans, Art. Bischofskollegium, in: LKR, Sp. 114 – 116; José R. Villar, Art. Colegio episcopal, in: DGDC II, S. 233 – 238. 18 C. 360 CIC/1983: „Curia Romana, qua negotia Ecclesiae universae Summus Pontifex expedire solet et quae nomine et auctoritate ipsius munus explet in bonum et in servitium Ecclesiarum, constat Secretaria Status seu Papali, Consilio pro publicis Ecclesiae negotiis, Congregationibus, Tribunalibus, aliisque Institutis, quorum omnium constitutio et competentia lege peculiari definiuntur“. 19 AAS 80 (1988), S. 841 – 934; vgl. Stephan Haering, Art. Pastor bonus, in: LKR, Sp. 722 f. 20 Siehe den doppelsprachigen lat.-dt. Abdruck der Apostolischen Konstitution „Pastor bonus“ nach dem novellierten Stand vom 31. Oktober 2016 in: Codex Iuris Canonici – Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, 9., aktualisierte und verbesserte Aufl., Kevelaer 2018, S. 775 – 831. 21 Vgl. Ulrich Rhode, Wie Papst Franziskus die Kurie reformiert: Der Kardinalsrat und die schrittweise Umsetzung, in: AfkKR 185 (2016), S. 42 – 61; Heribert Hallermann, Die Reform der Römischen Kurie. Ein aktueller Zwischenbericht, ebd., S. 405 – 438, hier S. 422 – 437; Thomas Schüller, Kurie im Werden – Papst Franziskus und sein Projekt der Reform der Römischen Kurie, in: Rüdiger Althaus/Judith Hahn/Matthias Pulte (Hrsg.), Im Dienste der Gerechtigkeit und Einheit. Festschrift für Heinrich J. F. Reinhardt zur Vollendung seines 75. Lebensjahres (= BzMK 75), Essen 2017, S. 401 – 414; Wilhelm Rees, Reformen in der römisch-katholischen Kirche. Kirchenrechtliche Neuerungen und Visionen von Papst Franziskus, in: ÖARR 64 (2017), S. 410 – 427, hier S. 413 – 416; Stephan Haering, Änderungen des Kirchenrechts unter Papst Franziskus, in: KlBl. 99 (2019), S. 28 – 35, hier S. 32 f.
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wärtig erwartet man ein gänzlich neues Gesetz des Papstes über die Kurie. Dessen Erarbeitung ist eine der Hauptaufgaben des bereits 2013 durch Papst Franziskus eingesetzten Kardinalsrates.22 Nach mehr als sechs Jahren sollte ein solches Projekt allmählich zu seinem Abschluss finden. Gegenwärtig gehören zur Römischen Kurie das in drei Sektionen gegliederte Staatssekretariat, das 2013 eingerichtete Wirtschaftssekretariat, neun Kongregationen, drei Dikasterien (Kommunikation, Laien/Familien/Leben, ganzheitliche Entwicklung), fünf Päpstliche Räte und drei Gerichte sowie verschiedene weitere Ratsorgane und Behörden. Sie alle firmieren unter dem Titel „Heiliger Stuhl“. In kirchlichen Rechtstexten, auch im Gesetzbuch CIC/1983, wird sehr häufig allgemein vom Heiligen bzw. Apostolischen Stuhl gesprochen, wenn es um eine Zuständigkeit auf der Ebene der Römischen Kurie geht. Welches Organ dann für eine konkrete Angelegenheit zuständig ist, als Heiliger Stuhl aufzutreten, ergibt sich aus den Kompetenzregelungen der Apostolischen Konstitution Pastor bonus oder aus einer speziellen päpstlichen Zuweisung. Ein konkretes Beispiel aus dem Bereich des kirchlichen Strafrechts kann dies verdeutlichen. C. 1388 § 1 CIC/1983 bestimmt, dass ein Beichtvater, der das Beichtsiegel direkt verletzt, sich die Tatstrafe der Exkommunikation zuzieht.23 Das bedeutet, dass der betreffende Priester unmittelbar mit Begehen dieser Straftat exkommuniziert wird. Er ist im Gewissen verpflichtet, sich dieser Strafe entsprechend zu verhalten und deren Wirkungen zu beachten. Es macht aber einen Unterschied im weiteren Vorgehen, ob der Beichtsiegelbruch tatsächlich öffentlich bekannt wird mit der Folge, dass der zuständige Oberhirte förmlich feststellen wird, dass der betreffende Priester exkommuniziert ist, oder ob dies nicht der Fall ist. Denn es kann durchaus sein, dass der Beichtsiegelbruch nur gegenüber einer einzigen Person erfolgt ist, die darüber ihrerseits völlig verschwiegen bleibt. An der Tatsache der eingetretenen Strafe der Exkommunikation ändert dies aber nichts. Der genannte c. 1388 § 1 CIC/1983 besagt auch, dass bei direktem Bruch des Beichtsiegels die Exkommunikation dem Apostolischen Stuhl vorbehalten ist. Demnach kann ein teilkirchlicher Oberhirte, welchem in der Regel auch die Aufhebung von Kirchenstrafen möglich ist, in einem solchen Fall nicht tätig werden. Der exkommunizierte Priester muss sich also persönlich oder indirekt an den Apostolischen (Heiligen) Stuhl wenden, um von der Strafe der Exkommunikation loszukommen und seinen Dienst wieder ausüben zu können. Ist der Eintritt der Exkommunikation geheim geblieben, ist die Apostolische Pönitentiarie24 für die Behandlung des Falles zuständig. Wenn die 22 Vgl. Rhode, Papst Franziskus (Anm. 21), S. 46 – 48; Haering, Änderungen (Anm. 21), S. 29 f. 23 C. 1388 § 1 CIC/1983: „Confessarius, qui sacramentale sigillum directe violat, in excommunicationem latae sententiae Sedi Apostolicae reservatam incurrit; qui vero indirecte tantum, pro delicti gravitate puniatur.“ – Vgl. Wilhelm Rees, Einzelne Straftaten, in: HdbKathKR3, S. 1615 – 1643, hier S. 1630 f. 24 Vgl. Del Re, La Curia Romana (Anm. 16), S. 199 – 211; Egidio Miragoli, Art. Penitenciaría Apostólica [Tribunal de la], in: DGDC VI, S. 105 – 109.
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Straftat aber bekannt geworden ist, liegt die Zuständigkeit bei der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung25. Beide kuriale Dikasterien werden unter dem Begriff „Apostolischer Stuhl“ bzw. „Heiliger Stuhl“ erfasst. In kirchenrechtlichen Texten kommt der Ausdruck „Apostolischer Stuhl“ bzw. „Heiliger Stuhl“ übrigens häufig dann vor, wenn es um Reservationen bestimmter Rechtshandlungen zugunsten dieser obersten kirchlichen Ebene geht. Die kanonische Ordnung sieht auch die Rückbindung des Handelns bedeutenderer partikularer kirchlicher Organe, die über einzelne Teilkirchen hinausreichen, an den Apostolischen Stuhl vor. So muss etwa die Durchführung von Plenarsynoden vom Apostolischen Stuhl genehmigt werden (c. 439 § 1 CIC/1983). Außerdem bedürfen die Beschlüsse jeglicher Partikularkonzilien, also neben den Plenarsynoden auch jene der Provinzialsynoden, sowie die Beschlüsse der Bischofskonferenzen der Überprüfung (recognitio) durch den Apostolischen Stuhl, bevor sie Rechtskraft erlangen können (cc. 446, 455 § 2 CIC/1983).26 Hier wird besonders deutlich erkennbar, dass der Heilige Stuhl als Garant der kirchlichen Einheit eine überaus wichtige Funktion für die universale Kirche besitzt.
II. Der Heilige Stuhl im internationalen Recht Der Heilige Stuhl ist völkerrechtlich ein allgemein anerkanntes Subjekt und als solches ein gleichberechtigter Partner etwa der souveränen Staaten oder auch internationaler Organisationen.27 Dieser Status des Heiligen Stuhls ist gegenwärtig weitestgehend akzeptiert und wird kaum in Frage gestellt. Die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls in ihrer heutigen rechtlichen Gestalt geht im Wesentlichen auf das 19. Jahrhundert zurück. Allerdings ist der Papst schon seit der Spätantike über den engeren kirchlichen Bereich hinaus als Akteur auf öffentlicher Bühne aufgetreten und hat Gesandte nicht nur zu kirchlichen Adressaten, sondern auch zu weltlichen Machthabern geschickt. Im Okzident haben Päpste wiederholt verbindlich Streitigkeiten zwischen weltlichen Herrschern entschieden. Die Anfänge eines wechselseitigen Austauschs von ständigen Botschaftern zwischen dem Heiligen Stuhl und einigen Staaten sind jedoch erst im 15. Jahr25 Vgl. Del Re, La Curia Romana (Anm. 16), S. 118 – 126; Pietro Amenta, Art. Congregación para el Culto Divino y Disciplina de los Sacramentos, in: DGDC II, S. 535 – 537. 26 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 270 – 308; Wilhelm Rees, Plenarkonzil und Bischofskonferenz, in: HdbKathKR3, S. 543 – 576; Georg Bier, Die Kirchenprovinz, ebd., S. 577 – 584, hier S. 582 f. 27 Vgl. Heribert Franz Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls. Dargestellt an seinen Beziehungen zu Staaten und internationalen Organisationen, Berlin 1975; Romuald R. Haule, Der Heilige Stuhl/Vatikanstaat im Völkerrecht, Lohmar/Köln 2006, S. 83 – 93; Friedrich Germelmann, Heiliger Stuhl und Vatikanstaat in der internationalen Gemeinschaft. Völkerrechtliche Praxis und interne Beziehungen, in: Archiv des Völkerrechts 47 (2009), S. 147 – 186, hier S. 151 – 158; Marcus Wandinger, Der Hl. Stuhl als Völkerrechtssubjekt und die Sektion 2 des Staatssekretariats, in: Alt und Jung Metten 76 (2009/2010), S. 261 – 299.
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hundert auszumachen. Das Rechtsinstitut der (ständigen) Nuntien in einzelnen Ländern ist also erst ein neuzeitliches Phänomen und unterscheidet sich von früheren Formen des päpstlichen Gesandtschaftswesens bzw. es entwickelte ältere Formen weiter. Die diplomatische Vertretung des auf Anfänge im 8. Jahrhundert zurückgehenden Kirchenstaates spielte dabei gegenüber der offiziellen Repräsentanz des Papsttums stets eine nachgeordnete Rolle.28 Als Europa nach einer krisenhaften historischen Phase aufgrund der Französischen Revolution und der napoleonischen Dominanz auf dem Wiener Kongress 1814/15 neu geordnet werden sollte, war auch der Heilige Stuhl ein willkommener Akteur, der helfen sollte, die Sache der Restauration zu stützen. Jedenfalls gewährleistete der Kongress die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls und gewährte dem päpstlichen Nuntius im diplomatischen Korps eines Staates sogar die Ehrenstellung des Doyens. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts weitete der Heilige Stuhl seine diplomatischen Aktivitäten aus und nahm neue Kontakte auf. Dass die päpstlichen Vertreter nicht als Botschafter des Kirchenstaats, sondern als Vertreter des eigenständig existenten Heiligen Stuhls angesehen wurden, zeigte sich nach der Beseitigung des Kirchenstaats durch die Kräfte der italienischen Einigung nach 1870 deutlich. Das päpstliche Gesandtschaftswesen wurde in der Phase von 1870 bis zur Lösung der sogenannten Römischen Frage 1929 keineswegs in seiner Existenzberechtigung in Zweifel gezogen, sondern ohne wesentliche Beeinträchtigung fortgeführt.29 Durch die Lateranverträge wurde der fast sechs Jahrzehnte bestehende Konflikt zwischen dem Königreich Italien und dem Papsttum überwunden und mit dem Stato della Città del Vaticano (Staat der Vatikanstadt) ein neuer Kirchenstaat in Miniaturform geschaffen.30 Dieser kleine Bereich territorialer Souveränität des Papsttums bildet allerdings nicht eine international-rechtlich notwendige Voraussetzung für die Existenz des Heiligen Stuhls als Völkerrechtssubjekt, sondern gewährleistet lediglich mittelbar dessen Unabhängigkeit. Denn indem der Heilige Stuhl, der für sich besteht und selbst keines Territoriums bedarf, von einem bestimmten Gebiet aus agieren kann, dessen Souverän der Papst selbst ist, wird ihm die gebührende Unabhängigkeit in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht gewährleistet. Mit der Gründung des Staates der Vatikanstadt, der einen eigenen souveränen Staat bildet, ist aber neben dem Heiligen Stuhl vor neun Jahrzehnten ein neues Völkerrechtssubjekt entstanden, welches der Papst international vertritt. Beide Entitäten sind formal zwar streng zu unterscheiden, bleiben aber doch eng aufeinander hingeordnet, weil – spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil – der Staat der Vatikanstadt nicht ohne den Heiligen Stuhl denkbar und gerechtfertigt wäre.
28 Vgl. Haule, Der Heilige Stuhl/Vatikanstaat (Anm. 27), S. 69 – 73; Germelmann, Heiliger Stuhl und Vatikanstaat (Anm. 27), S. 147 – 150. 29 Vgl. Haule, Der Heilige Stuhl/Vatikanstaat (Anm. 27), S. 73 – 83. 30 Siehe oben Anm. 5.
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In den letzten Jahrzehnten sind manche internationalen Organisationen und Gemeinschaften eingerichtet worden, die völkerrechtlich anerkannt sind und eine die Staaten übergreifende Zusammenarbeit in institutionalisierter Weise fördern. Als Völkerrechtssubjekt beteiligt sich der Heilige Stuhl auch an solchen Foren und entsendet seine Vertreter dorthin. Beispielhaft sei hier nur der Europarat31 genannt, bei dem der Heilige Stuhl einen Beobachterstatus innehat und an bestimmten gemeinsamen Unternehmungen teilhat. Auch an den Weltklimakonferenzen war der Heilige Stuhl als Teilnehmer vertreten.32 Insgesamt ist das internationale Wirken des Heiligen Stuhls ganz darauf ausgerichtet, Frieden und Gerechtigkeit auf Erden zu fördern.33 Besonders wahrnehmbar tritt der Heilige Stuhl als Völkerrechtssubjekt in Erscheinung, wenn er Konkordate oder andere Verträge mit völkerrechtlicher Qualität abschließt.34 Der Vertragspartner auf kirchlicher Seite ist dabei jeweils ausdrücklich der Heilige Stuhl. Zwar ist in c. 3 CIC/1983, der den Vorrang des Konkordatsrechts vor dem kodikarischen Recht festschreibt, von Verträgen des Apostolischen Stuhls die Rede35, aber in den Verträgen selbst wird bis in die Gegenwart herauf der Heilige Stuhl als kirchlicher Vertragspartner genannt.36 Im katholischen Ostkirchenrecht gebraucht c. 4 CCEO, der sachlich c. 3 CIC/1983 entspricht, dagegen den Ausdruck „Sancta Sedes“, um den kirchlichen Akteur solcher Vertragsschlüsse zu bezeichnen.37 Das orientalische Gesetzbuch spiegelt damit die geübte Praxis treffender wider als sein lateinisches Pendant. 31 Vgl. Katharina Pabel, Art. Europarat, in: Staatslexikon, 8., völlig neu bearb. Aufl., Bd. II, Freiburg/Basel/Wien 2018, Sp. 492 – 495. 32 Vgl. dazu den durch eigene Erfahrungen als Mitglied der Delegation des Heiligen Stuhls bei Klimakonferenzen geprägten Beitrag von Marcus Wandinger, Klimaschutz – ein wichtiges Anliegen bei der Bewahrung der Schöpfung. Eindrücke von UN-Klimakonferenzen und die Rolle des Hl. Stuhles bzw. der katholischen Kirche, in: Alt und Jung Metten 77 (2010/2011), S. 228 – 261. 33 Vgl. Andreas Sommeregger, Soft Power und Religion. Der Heilige Stuhl in den internationalen Beziehungen, Wiesbaden 2011. 34 Vgl. Stephan Haering, Art. Konkordat, in: Staatslexikon, 8., völlig neu bearb. Aufl., Bd. III, Freiburg/Basel/Wien 2019, Sp. 990 – 996 (Lit.). 35 C. 3 CIC/1983: „Codicis canones initas ab Apostolica Sede cum nationibus aliisve societatibus politicis conventiones non abrogant neque iis derogant; eaedem idcirco perinde ac in praesens vigere pergent, contrariis huius Codicis praescriptis minime obstantibus.“ (Hervorhebung S. H.). 36 Vgl. die Abdrucke der Verträge in den neueren Textsammlungen: José T. Martín de Agar, Raccolta di concordati. 1950 – 1999 (= Collectio Vaticana 3), Città del Vaticano 2000; Enchiridion dei concordati. Due secoli di storia dei rapporti Chiesa–Stato, Bologna 2003; José T. Martín de Agar, I concordati dal 2000 al 2009 (= Collectio Vaticana 6), Città del Vaticano 2010; die Texte späterer Konkordate in AAS. 37 C. 4 CCEO: „Canones Codicis initas aut approbatas a Sancta Sede conventiones cum nationibus aliisve societatibus politicis non abrogant neque eis derogant; eaedem idcirco perinde ac in praesens vigere pergent contrariis Codicis praescriptis minime obstantibus.“ (Hervorhebung S. H.) – Vgl. dazu Lorenzo Lorusso, Il Codice dei canoni delle Chiese Orien-
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Die Konkordate und sonstigen Verträge des Heiligen Stuhls mit Staaten oder anderen völkerrechtlichen Partnern lassen übrigens deutlich erkennen, dass die völkerrechtliche Entität „Heiliger Stuhl“ ganz im Dienst der katholischen Kirche steht. Denn diese Verträge gehen inhaltlich auf kirchliche Themen ein und sichern der Kirche regelmäßig die erforderlichen Felder des Wirkens für ihren Dienst der Verkündigung des Evangeliums und der Heiligung der Seelen.
III. Päpstliches Gesandtschaftswesen Der Papst unterhält ein dichtes Netz von eigenen Gesandtschaften, das über den ganzen Globus hin ausgespannt ist. Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Kirche war zum einen die Zahl der Teilkirchen, mit denen der Papst in lebendigem Kontakt bleiben will, als auch die Zahl der Staaten bzw. der internationalen Organisationen, mit denen der Heilige Stuhl in diplomatischen Beziehungen steht bzw. an denen er mitarbeitet, so groß wie heute.38 Generell kann man freilich die Frage stellen, ob in Zeiten technisch erheblich verbesserter und unglaublich schneller Kommunikationsmöglichkeiten das traditionelle Botschafterwesen überhaupt noch erforderlich ist und fortgeführt werden soll. Darauf kann und muss an dieser Stelle keine Antwort gegeben werden. Es scheint jedenfalls, dass gegenwärtig im politischen Bereich wenigstens bedeutende Fragen im direkten Gespräch der Staatsspitzen oder Regierungen geklärt werden, ohne den Weg über die Botschaften zu nehmen. Dennoch scheint international die Notwendigkeit oder Nützlichkeit des Gesandtschaftswesens nicht angezweifelt zu werden. Im päpstlichen Gesandtschaftswesen berühren sich jedenfalls die beiden Rechtssphären, in denen der Heilige Stuhl eine Rolle spielt, besonders deutlich. Denn die päpstlichen Gesandten nehmen zumeist sowohl eine innerkirchliche Funktion als auch eine diplomatische Mission auf völkerrechtlicher Ebene wahr.39 Das kommt schon in der einleitenden Bestimmung des entsprechenden Kapitels des CIC/1983 zum Ausdruck, wo beide Aspekte benannt werden. In c. 362 CIC/1983 heißt es: „Der Papst besitzt das angeborene und unabhängige Recht, seine Gesandten zu ernennen und sie zu den Teilkirchen in den verschiedenen Nationen oder Regionen wie auch zugleich zu den Staaten und öffentlichen Autoritäten zu entsenden, desgleichen sie zu versetzen oder tali e il diritto concordatario. Commento a un canone (can. 4), in: FolCan 9 (2006), S. 157 – 175. 38 Eine aktuelle Liste der päpstlichen Vertretungen in den verschiedenen Ländern in: AnPont 2019, S. 1275 – 1297. 39 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 265 – 269; Wilhelm Rees, Päpstliche Legaten. Diplomaten und Berater, in: Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Leitungsstrukturen der katholischen Kirche. Kirchenrechtliche Grundlagen und Reformbedarf (= QD 198), Freiburg/ Basel/Wien 2002, S. 145 – 178; Yves Kingata, Die päpstlichen Gesandten, in: HdbKathKR3, S. 529 – 537; Roman Walczak, Papal Diplomacy – Characteristics of Key Issues in Canon Law and International Law, in: Jurist 76 (2016), S. 489 – 529.
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abzuberufen, allerdings unter Wahrung der Normen des internationalen Rechts, soweit es die Entsendung und Abberufung von Gesandten bei den Staaten betrifft.“40
Es gibt allerdings auch Ausnahmen von der Doppelfunktion der päpstlichen Gesandten als sowohl kirchliche als auch diplomatische Vertreter. Denn in manchen Ländern, in denen der Heilige Stuhl keine diplomatischen Beziehungen zu den betreffenden Regierungen unterhält, konnten bzw. können die Gesandten nur die ihnen übertragenen kirchlichen Aufgaben wahrnehmen. So war lange Zeit der päpstliche Gesandte in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington D. C. nur ein Vertreter für die kirchlichen Angelegenheiten (Apostolischer Delegat), weil die USA wegen des Prinzips der strengen Trennung von Staat und Religion die Aufnahme förmlicher diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl abgelehnt haben. Seit 1984 aber gibt es nun einen amerikanischen Botschafter beim Heiligen Stuhl und einen Apostolischen Nuntius in Washington.41 Andererseits gibt es aber auch päpstliche Gesandte, die nur eine diplomatische und keine im engeren Sinn kirchliche Funktion wahrnehmen. Zu denken ist vor allem an die päpstlichen Vertreter bei den internationalen Organisationen.42 Für sie kann aber ein gesonderter Auftrag im Hinblick auf den Kontakt zu Teilkirchen in Betracht kommen. Im Hinblick auf den kirchlichen Bereich beschreibt das Gesetzbuch die Funktion des päpstlichen Gesandten in c. 364 CIC/1983 einleitend in folgender Weise: „Hauptaufgabe eines päpstlichen Gesandten ist es, die Bande der Einheit, welche zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Teilkirchen bestehen, ständig zu stärken und wirksamer zu gestalten.“43
Es geht also, mit anderen Worten, um die Einheit von Gesamtkirche und Teilkirchen sowie um die Pflege eines intensiven Austauschs zwischen den kirchlichen Verfassungsebenen. In vielen Fällen wird auch die konkrete Unterstützung der Teilkirchen durch den Apostolischen Stuhl bzw. den päpstlichen Gesandten gefragt sein. Dies spielt vor allem in jenen Regionen eine wichtige Rolle, in denen die kirchlichen 40 C. 362 CIC/1983: „Romano Pontifici ius est nativum et independens Legatos suos nominandi ac mittendi sive ad Ecclesias particulares in variis nationibus vel regionibus, sive simul ad Civitates et ad publicas Auctoritates, itemque eos transferendi et revocandi, servatis quidem normis iuris internationalis, quod attinet ad missionem et revocationem Legatorum apud Res Publicas constitutorum.“ – Das orientalische Kirchenrecht kennt nur einen knappen Hinweis auf die Existenz des Gesandtschaftswesens in c. 46 § 1 CCEO. 41 Vgl. Tassilo Wanner, Heilige Allianz? Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl, Wiesbaden 2017. 42 Listen der internationalen Organisationen, bei denen der Heilige Stuhl vertreten ist, sind zusammengestellt bei Wandinger, Hl. Stuhl (Anm. 27), S. 279 – 282; Walczak, Papal Diplomacy (Anm. 39), S. 519 – 521; aktuell: AnPont 2019, S. 1298 – 1302. 43 C. 364 CIC/1983: „Praecipuum munus Legati pontificii est ut firmiora et efficaciora in dies reddantur unitatis vincula, quae inter Apostolicam Sedem et Ecclesias particulares intercedunt. […].“ – Vgl. Timothy P. Broglio, The Pastoral Dimension of the Office of Papal Representatives, in: Jurist 75 (2015), S. 297 – 311.
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Strukturen noch schwach, die personelle Ausstattung bescheiden und die finanziellen Möglichkeiten dürftig sind. Bei solchen Bedingungen kann die Beratung der örtlichen kirchlichen Amtsträger durch den Apostolischen Nuntius oder die Vermittlung konkreter Hilfen durch ihn von großer Bedeutung sein. Es kam sogar schon vor, dass päpstliche Gesandte vorübergehend als Ordinarien für Teilkirchen in ihrem Bereich eingesetzt worden sind und so unmittelbar die oberhirtliche Verantwortung ausgeübt haben. In dem oben zitierten c. 362 CIC/1983 wird lediglich darauf abgestellt, dass die Gesandten den Papst kirchlich und international vertreten; es ist aber nicht von einer diplomatischen Vertretung des Staats der Vatikanstadt durch die päpstlichen Gesandten die Rede. Tatsächlich sind die päpstlichen Gesandtschaften nur Vertretungen des Papstes bzw. des Heiligen Stuhls. Der Staat der Vatikanstadt unterhält keine eigenen diplomatischen Vertretungen.44 Das geltende Grundgesetz des Staates der Vatikanstadt ist – gewiss mit Bedacht – am 22. Februar 2001, also am Fest Kathedra Petri, in Kraft gesetzt worden.45 Es umschreibt diesen Staat als eine Wahlmonarchie mit dem Papst als absolutem Alleinherrscher und bestimmt in seinem Artikel 2, dass die Vertretung des Vatikanstaates gegenüber dem Ausland und anderen Völkerrechtssubjekten durch den Papst wahrgenommen wird, der diese Vertretung durch das Staatssekretariat ausübt. Somit kann ohne Mühe eine Verknüpfung zum sonstigen päpstlichen Gesandtschaftswesen erfolgen, denn das Staatssekretariat ist auch die vorgesetzte kuriale Behörde für die päpstlichen Gesandten. Es ist also leicht möglich, bei entsprechendem Bedarf die päpstlichen Gesandten über ihre genuine Funktion hinaus mit einzelnen Akten der Vertretung des Staats der Vatikanstadt zu betrauen, selbst wenn er nicht als Botschafter dieses Staates bei dem nichtkirchlichen Partner akkreditiert ist. Tatsächlich beschränken sich der Papst und das Staatsekretariat weitgehend darauf, den Heiligen Stuhl völkerrechtlich auftreten zu lassen, während man eigene diplomatische Beziehungen des Staats der Vatikanstadt für nicht erforderlich hält. Mit anderen Worten ausgedrückt: der Papst will ganz offensichtlich weniger als ein Staatsoberhaupt denn als der Inhaber des Petrusamtes auftreten und öffentlich wahrgenommen werden. Der Staat der Vatikanstadt tritt als internationaler Partner lediglich dann in Erscheinung, wenn es um die Regelung von Fragen technischen Charakters geht (z. B. Telekommunikation, Post- und Fernmeldewesen).46
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Vgl. Haule, Der Heilige Stuhl/Vatikanstaat (Anm. 27), S. 228 – 239. Grundgesetz vom 26. 11. 2000, in: AAS Supplemento 71 (2000), S. 75 – 83 (mit Anhängen); der Verfassungstext auch in: Apoll 75 (2002), S. 85 – 89; dt.: AfkKR 170 (2001), S. 136 – 140. 46 Vgl. Germelmann, Heiliger Stuhl und Vatikanstaat (Anm. 27), S. 168 – 180. 45
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Stephan Haering
IV. Abschließende Bemerkungen Wer schon einmal an einem 22. Februar, also am liturgischen Festtag Kathedra Petri47, in Rom gewesen ist und sich an diesem Tag in die Basilika St. Peter begeben hat, konnte dort die große Thronnachbildung von Gian Lorenzo Bernini (1598 – 1680) über dem Altar der Hauptapsis in reichem Lichterschmuck sehen. Warum dieser besondere Platz und dazu noch der spezielle Schmuck für ein überdimensioniertes und damit praktisch unbrauchbares Möbelstück? – so könnte man etwas spitz und zugleich unbedarft fragen. Das Fest Kathedra Petri gilt weder einem Heiligen noch einem mit der Lebensgeschichte des Herrn Jesus selbst verbundenen Heilsgeheimnis oder einer göttlichen Person. Historisch reicht es weit zurück, denn es wurde wohl seit dem 4. Jahrhundert begangen. Sachlich gilt es der Übernahme des römischen Bischofsamtes durch den Apostel Petrus. Die Kathedra steht dabei in besonderer Weise für die Aufgaben des Lehrens und des Leitens, die wesentlich zum bischöflichen Amt gehören und dessen Kern ausmachen. Der Stuhl des Bischofs ist zum einen ein Lehrstuhl, dessen Inhaber dazu beauftragt und in der Lage ist, den christlichen Glauben recht dar- und auszulegen und ihn auf diese Weise authentisch zu bezeugen. Der Stuhl deutet zugleich an, dass der Bischof dies mit einer besonderen Vollmacht tut. Die bischöfliche Kathedra steht zugleich auch für einen Richterstuhl, also für eine Stelle, an der verbindliche Urteile und Entscheidungen getroffen und verkündet werden. Dies gilt für jeden Bischof, der eine Kirche leitet, also auch für den Vorsteher einer Teilkirche, eines Bistums. Die Kathedra Petri, der Stuhl des Apostels Petrus, ist auch ein bischöflicher Stuhl und bezeichnet insoweit ein Amt und eine Aufgabe, die inhaltlich mit Amt und Aufgabe eines jeden Bischofs übereinstimmt. Dennoch kommt dieser Kathedra, dem Apostolischen oder Heiligen Stuhl, ein besonderer Rang in der Kirche zu. Denn der Heilige Stuhl steht für das Petrusamt. Der Herr selbst hat dem Apostel Petrus im Kreis der übrigen Apostel eine besondere Stellung anvertraut und ihn zum Felsen gemacht (vgl. Mt 16, 18). Diese Verfügung hebt Petrus und seine Nachfolger über die anderen Apostel und Bischöfe heraus und macht ihn zum ersten der Apostel, nicht im Sinne eines primus inter pares, sondern im Sinne eines realen, auch rechtlichen Vorrangs. Damit sind wir bei der Frage einer rechtlichen Kontrolle der Ausübung des Petrusamtes angelangt. Eine rechtliche Überprüfung durch formalisierte Verfahren und bevollmächtigte Instanzen scheidet aus, denn es gibt niemand in der Kirche, der über dem Papst steht. Die bereits zitierte prozessrechtliche Norm fasst das knapp zusammen: „Prima Sedes a nemine iudicatur“. Während alle übrigen katholischen Bischöfe ihren Gerichtsstand beim Heiligen Stuhl haben (vgl. c. 1405 CIC/1983), gibt es keinen Gerichtsstand für den Papst selbst. Zwar kann es im Hinblick auf die päpstlichen 47
Vgl. Rupert Berger, Art. Kathedra, in: LThK3 V, Sp. 1336 f. (Lit.).
Heiliger Stuhl
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Stellvertretungsorgane, die auch zum Heiligen Stuhl gehören, noch Verfahren der Überprüfung geben; zu denken ist etwa an die verwaltungsgerichtliche Klage gegen eine Entscheidung eines kurialen Dikasteriums beim Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur.48 Doch wenn am Ende der Papst selbst hinter einer getroffenen Entscheidung steht, ist eine Sache endgültig rechtskräftig geordnet und unterliegt keiner weiteren Überprüfung mehr. Als Subjekt des Völkerrechts steht der Heilige Stuhl ganz im Dienst der kirchlichen Sendung. Gleichzeitig können sich aber aus der Tatsache, dass der Heilige Stuhl ein völkerrechtlicher Akteur ist, auch Rückwirkungen auf die Kirche ergeben. Darauf ist sorgsam Rücksicht zu nehmen. Um das Szenario zu vermeiden, dass an die Kirche ihr fremde Maßstäbe angelegt und unpassende Kontrollmechanismen eingerichtet werden, verzichtet der Heilige Stuhl auf die (Voll-)Mitgliedschaft in manchen internationalen Organisationen. Freilich sollte man nicht meinen, das Petrusamt bzw. der Heilige Stuhl unterliege gar keiner Begrenzung und Kontrolle. In seiner Amtsführung ist der Papst gebunden an den Glauben und die Tradition der Kirche. Daraus ergeben sich inhaltliche Schranken für die päpstliche Verkündigungs- und Leitungstätigkeit. Es handelt sich dabei jedoch nicht um formale rechtliche Begrenzungen und juridische Kontrollinstrumente, denn solche lassen sich nicht benennen. Vielmehr gibt es die Beobachtung und Kommentierung der päpstlichen Amtsführung durch eine kritische Öffentlichkeit. Ferner gibt es die Beratung durch die Mitbischöfe, die theologische Begleitung und Bewertung von Vorgängen durch Fachleute und den sensus fidelium in Fragen des Glaubens und der Sitten.49 Jeder Papst, der mit seiner Botschaft gehört werden und sein Amt zum Wohle der Kirche wirksam ausüben will, wird darauf in einer angemessenen Weise Rücksicht nehmen. Das bedeutet nicht Anpassung an die jeweils gerade aktuellen Strömungen und Meinungen des Zeitgeistes, denn der Fels, auf den die Kirche gegründet ist, darf nicht wanken im Bekenntnis der Erlösung in Christus, wie die kirchliche Überlieferung bezeugt. Letztlich liegen die Begrenzung und Kontrolle der Vollmacht des Heiligen Stuhls im Vertrauen darauf, dass der Herr selbst es ist, der seine Kirche leitet, wie er den Seinen gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 20).
48
Vgl. Del Re, La Curia Romana (Anm. 16), S. 212 – 225; Kurt Martens, Art. Signatura Apostólica [Supremo Tribunal de la], in: DGDC VII, S. 310 – 314. 49 Vgl. Christoph Ohly, Sensus fidei fidelium. Zur Einordnung des Glaubenssinnes aller Gläubigen in die Communio-Struktur der Kirche im geschichtlichen Spiegel dogmatischkanonistischer Erkenntnisse und der Aussagen des II. Vaticanum (= MThS.K 57), St. Ottilien 2000; Antionio Miralles, Art. Sensus fidei, in: DGDC VII, S. 250 – 253.
Kirchensteuer und Konkordate Von Felix Hammer
I. Rechtsquellen der Kirchensteuer in Deutschland Die in Deutschland nicht nur von den katholischen (Erz-)Diözesen und den evangelischen Landeskirchen, sondern auch von jüdischen Religionskörperschaften, der altkatholischen Kirche sowie einigen weiteren religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften, die öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus besitzen, erhobene1 Kirchensteuer2 gründet sich auf eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die sich in ganz unterschiedlichen Regelungskontexten finden.3 So müssen die Voraussetzungen, unter denen der Staat das Steuererhebungsrecht zur Verfügung stellt, in dessen Recht geregelt sein. Denn als hoheitliche Abgabe greift die Erhebung in Grundrechte der Steuerpflichtigen ein, so dass Voraussetzungen, wesentliche Konturen und Aus1 Die meisten kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften und deren Kirchensteuerrecht sind dokumentiert bei Jens Petersen, Kirchensteuergesetze der Länder, Kirchensteuerordnungen und Kirchensteuerbeschlüsse, online unter: http://www.steuer-forum-kirche.de/ (eingesehen am 02. 05. 2019); dort finden sich auch (Gliederungspunkt F.): Kirchensteuerordnungen und Kirchensteuerbeschlüsse der Altkatholischen Kirche, Jüdischen Kultusgemeinden, Freireligiösen Gemeinden. 2 Neuere Literatur: Jens Petersen, Kirchensteuer kompakt. Strukturierte Darstellung mit Berechnungsbeispielen, 3. Aufl. Wiesbaden 2017; Dieter Birk/Dirk Ehlers (Hrsg.), Aktuelle Rechtsfragen der Kirchensteuer (= Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft N. F. 16), Baden-Baden 2012; Karl Kardinal Lehmann, Vom ABC der Kirchensteuer. Eine kleine Einführung, in: Barbara Nichtweiß (Red.), Planen im Sparen. Zu Fragen der Kirchensteuer, Haushaltsbilanz 2009, Jahresrückblick 2010, Haushaltsplan 2011, das Bistum Mainz in Zahlen (= Mainzer Perspektiven. Berichte und Texte aus dem Bistum 18), Mainz 2011, S. 7 – 17; Stephan A. Schoppe, Die Kirchensteuer versus Trennung von Staat und Kirche. Eine Analyse verfassungs- und steuerrechtlicher Aspekte unter spezieller Berücksichtigung des Besonderen Kirchgeldes (= Ökonomie in Staat, Kirche und Gesellschaft 1), Hamburg 2008; Heiner Marré/Josef Jurina, Die Kirchenfinanzierung in Kirche u. Staat d. Gegenwart (= BzMK 4), 4. Aufl., Essen 2006; Georg Fischer, Finanzierung der kirchlichen Sendung. Das kanonische Recht u. d. Kirchenfinanzierungssysteme in d. Bundesrep. Deutschland u. d. USA (= KStKR 5), Paderborn/München/Wien/Zürich 2005, S. 209 – 247; Roman Seer/Burkhard Kämper (Hrsg.), Bochumer Kirchensteuertag. Grundlagen, Gestaltung u. Zukunft d. Kirchensteuer (= Bochumer Schriften z. Steuerrecht 1), Frankfurt a. M. u. a. 2004; Felix Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer (= Jus Ecclesiasticum 66), Tübingen 2002. 3 Übersicht bei Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 121 – 139; sehr umfangreiche Dokumentation des Kirchensteuerrechts der Länder und vieler Religionsgemeinschaften bei Petersen, Kirchensteuergesetze (Anm. 1).
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Felix Hammer
maß der Besteuerung nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Rechtsstaatsprinzip folgt und im Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung des § 3 Abs. 1 AO eine spezielle Ausprägung gefunden hat, gesetzlich fixiert sein müssen.4 Diese Gesetzesgrundlage bilden die Kirchensteuergesetze der Länder, präzisiert noch durch Rechtsverordnungen und durch Erlasse der Finanzverwaltung.5 Da der Staat der Kirchensteuer als wichtigem Bestandteil des Staatskirchenrechts und seit vielen Jahrzehnten bewährter Grundlage6 der Kirchenfinanzierung in Deutschland7 erhebliche Bedeutung beimisst, wird sie – wie die Grundzüge des Staatskirchenrechts insgesamt – in den Verfassungen des Bundes8 und vieler Länder9 den Kirchen und Religionsgemeinschaften verfassungskräftig garantiert. Dabei kommt den Landesnormen durchaus eigene, die grundgesetzliche Gewährleistung ergänzende und selbständig absichernde Bedeutung zu.10 Weil das Kirchensteuererhebungsrecht nur ein Angebot des freiheitlichen, religiös neutralen Staates an Kirchen und Religionsgemeinschaften bildet, sich durch eine hoheitliche Abgabe zu finanzieren, das von diesen nach ihrer freien Entscheidung – in Übereinstimmung mit ihren Glaubensüberzeugungen – anzunehmen, umzusetzen sowie auszufüllen ist, sind zahlreiche wichtige Voraussetzungen und Merkmale der Besteuerung in kirchlichen Rechtsvorschriften zu regeln. Dies geschieht – sowohl bei evangelischen Landeskirchen als auch katholischen Diözesen – vor allem in zwei verschiedenen Normgattungen, nämlich Kirchensteuerordnungen und -beschlüssen. Dies hat historische Gründe. Weil die Kirchensteuer zunächst nur als sub4
Speziell zur Kirchensteuer eingehend Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 148 ff. Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 130 f. 6 Felix Hammer, Aspekte der Sachgerechtigkeit der Kirchensteuer, DÖV 2008, S. 975 – 982 (976 f., 980 ff.); Ders., Zur Kirchlichkeit der Kirchensteuer, StuW 2009, S. 120 – 127 (121 f.). 7 Zu dieser: Burkhard Kämper/Hans-Werner Thönnes (Hrsg.), Die finanziellen Rahmenbedingungen kirchlichen Handelns (= Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 47), Münster 2013, dort insb.: Ferdinand Kirchhof, Grundlagen und Legitimation der deutschen Kirchenfinanzierung, S. 7 – 35; Marré/Jurina, Kirchenfinanzierung (Anm. 2), S. 45 – 61; Fischer, Finanzierung (Anm. 2), S. 77 – 110, 215 – 220; Arnd Uhle (Hrsg.), Kirchenfinanzen in der Diskussion. Aktuelle Fragen der Kirchenfinanzierung und der kirchlichen Vermögensverwaltung (= Wissenschaftl. Abh. u. Reden z. Philosophie, Politik u. Geistesgeschichte 82), Berlin 2015; Ludger Müller/Wilhelm Rees/Martin Krutzler (Hrsg.), Vermögen der Kirche – Vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, Paderborn 2015; Karlies Abmeier (Hrsg.), Geld, Gott und Glaubwürdigkeit (= Religion – Staat – Gesellschaft 3), Paderborn 2016, insb. S. 219 – 327. 8 Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV; obwohl das GG nur auf den Text der WRV verweist, handelt es sich um vollgültiges, allen anderen GG-Normen gleichwertiges Verfassungsrecht: BVerfGE 19, 206 (219). 9 Art. 5 Bad.-Württ. i. V. m. Art. 140 GG; Art. 143 Abs. 3, 145 Abs. 2 Bayern; Art. 36 Abs. 4 Brandenb.; Art. 51 Abs. 3 Hessen; Art. 9 Abs. 1 Meckl.-Vorp. i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV; Art. 22 Nordrh.-Westf. i. V. m. Art. 140 GG; Art. 43 Abs. 3 Rhld.-Pf.; Art. 37 Abs. 3 Saarland; Art. 109 Abs. 4 Sachsen i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV; Art. 32 Abs. 5 Sachs.-Anh. i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV; Art. 40 Thüringen i. V. m. Art. 140 GG. 10 Dazu Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 121 – 126. 5
Kirchensteuer und Konkordate
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sidiäres Finanzierungsinstrument konzipiert war, musste für jede Etatperiode der durch Steuern zu finanzierende Bedarf besonders festgestellt werden. Längst avancierte aber die Kirchensteuer zum tragenden Fundament der Kirchenfinanzierung und wird in festen Prozentanteilen an staatlichen Steuern erhoben, womit diese Zweiteilung eigentlich überholt ist. Das Kirchensteuerrecht umfasst also eine Vielzahl staatlicher wie kirchlicher Normen. Zudem finden sich – in der Summe sogar sehr viele – Bestimmungen zur Kirchensteuer in Konkordaten und anderen Verträgen11, sowohl des Staates mit der katholischen Kirche als auch mit evangelischen Landeskirchen12, seltener auch mit jüdischen Gemeinden.13 Ihnen kommt die Aufgabe zu, dem Rechtsinstitut der Kirchensteuer neben der verfassungs- noch eine vertragsrechtliche Absicherung zu bieten. Hier sollen die Kirchensteuerregelungen in Konkordaten und Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und deutschen Staaten und Ländern sowie in mit Billigung des Heiligen Stuhls zwischen Bistümern und deutschen Ländern abgeschlossenen Verträgen untersucht und ihre Bedeutung im Konzert der unterschiedlichen Kirchensteuernormen ergründet werden. Die Ergebnisse lassen sich – wegen der besonderen 11 Die Texte älterer Konkordate und Verträge mit Kirchen und Religionsgemeinschaften bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe, 2 Bde., Berlin 1987; im Internet sind Vertragstexte dokumentiert bei: Ulrich Rhode/Thomas Meckel, Kirchenrecht online: https://www.kirchenrecht-online.de/ relrecht/stkvertraege.html, sowie: Richard Puza/Stefan Ihli, Nomok@anon, online unter: http://www.nomokanon.de/quellen/index.html. Zu ihren Kirchensteuernormen: Christian Hermes, Konkordate im vereinigten Deutschland, Ostfildern 2009, S. 579 – 588; Hans Ulrich Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des staatskirchenvertraglichen Gestaltungsinstruments (= Jus Ecclesiasticum 62), Tübingen 2000, S. 78 – 82, 273 f., 367 f., 392 f.; Ders., „Praktizierbar im Alltag, einklagbar im Konfiktsfall“. Die finanziellen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften in den Kirchenverträgen des Freistaates Sachsen in: Arnd Uhle (Hrsg.), 20 Jahre Staatskirchenverträge in Sachsen (= SKA 55), Berlin 2016, S. 109 – 162 (123 – 132); Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 127 f., 235 – 240; Ders., Verfassungs- und Kirchenvertragsgrundlagen der Kirchenfinanzierung und des Kirchenvermögens in Deutschland, in: Abmeier, Geld (Anm. 7), S. 245 – 255 (insb. 248 f.); Holger Kremser, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl u. d. Land Mecklenburg-Vorpommern vom 15. 09. 1997, LKV 1998, S. 300 – 305 (302). 12 Nur als Beispiele seien genannt: Vertrag d. Landes Baden-Württemberg mit d. Evang. Landeskirche in Baden und mit d. Evang. Landeskirche in Württemberg v. 17. 10. 2007 (GBl. 2008 S. 1), Art. 22 f.; Vertrag zw. d. Freien u. Hansestadt Hamburg u. d. Nordelbischen Evang.-Lutherischen Kirche v. 29. 11. 2005 (HambGVBl. 2006 S. 429), Art. 13 f.; Vertrag zw. d. Freistaat Baden u. d. Vereinigten Evang.-protestantischen Landeskirche Badens v. 14. 11. 1932 (GVBl. 1933 S. 31), Art. II Abs. 5; Michael Frisch/Uwe Kai Jacobs, Evangelischer Kirchenvertrag Baden-Württemberg, in: ZevKR 54 (2009), S. 290 – 327 (311, 320 f.); Hartmut Maurer, Das neue Vertragsstaatskirchenrecht in Baden-Württemberg, in: Harald Derschka/ Rainer Hausmann/Martin Löhnig (Hrsg.), Festschrift für Hans-Wolfgang Strätz zum 70. Geburtstag, Regenstauf 2009, S. 381 – 398 (394). 13 Vertrag zw. d. Land Brandenburg u. d. Jüdischen Gemeinde – Land Brandenburg v. 11. 01. 2005 (GVBl. I S. 158), Art. 13 f. sowie Schlussprotokoll; Vertrag zw. d. Freien u. Hansestadt Hamburg u. d. Jüdischen Gemeinde in Hamburg v. 20. 06. 2007 (HambGVBl. S. 407), Art. 10; in der Regel widmen sich diese Verträge anderen Fragenkomplexen.
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Verfassungsstruktur der katholischen Kirche – zwar nicht vollständig auf Verträge mit evangelischen Landeskirchen und jüdischen Gemeinschaften übertragen, wohl aber in ihren ganz wesentlichen Merkmalen.
II. Die Kirchensteuerregelungen der Konkordate und Verträge 1. Konkordate der Weimarer Zeit und Reichskonkordat Bereits die Konkordate, die unter der Weimarer Reichsverfassung14, die eine – abgemilderte – Trennung oder Verselbständigung von Staat und Kirche begründete15, in Verfolgung einer systematischen, aber nur teilweise erfolgsgekrönten16 Konkordatspolitik des Heiligen Stuhls geschlossen wurden, enthalten zumeist Bestimmungen zur Kirchensteuer, so 1924 das Bayerische Konkordat17 und 1932 das Badische Konkordat18, ebenso ist sie Gegenstand des Reichskonkordats von 1933.19 Eine Ausnah14
Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. 08. 1919 (RGBl. S. 1383). Dazu und zur Struktur dieses Trennungsmodells: Christoph Link, Kirchliche Rechtsgeschichte. Kirche, Staat und Recht in der europäischen Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, 2. Aufl. München 2010, S. 174 ff.; Reinhold Zippelius, Staat und Kirche. Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Aufl. Tübingen 2009, S. 164 – 173; Martin Heckel, Vom Religionskonflikt zur Ausgleichsordnung. Der Sonderweg des deutschen Staatskirchenrechts vom Augsburger Religionsfrieden 1555 bis zur Gegenwart (= Bayer. Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Abhandlungen, N. F. Heft 130), München 2007, S. 41, 46 – 49. 16 Antonius Hamers, Die Beziehungen zwischen Staat und kath. Kirche in Württemberg von 1919 bis 1932 nach Lage der Akten in den Vatikanischen Archiven. Ein Beitrag zur Konkordatspolitik Eugenio Pacellis in Deutschland, in: Römische Quartalschrift für christl. Altertumskunde u. Kirchengeschichte, 102 (2007), S. 76 – 140; Ders., Die Beziehungen zwischen Staat und kath. Kirche in Württemberg zw. 1919 u. 1932 nach Lage der Akten in den Vatikanischen Archiven, in: RJKG 27 (2008), S. 265 – 280; Ders., Zur Konkordatspolitik Eugenio Pacellis. Die nicht vollendeten Konkordate mit Württemberg und Hessen, in: Thomas Brechenmacher (Hrsg.), Das Reichskonkordat 1933. Forschungsstand, Kontroversen, Dokumente (= Veröff. d. Kommission f. Zeitgesch., Reihe B Forschungen 109), Paderborn u. a. 2007, S. 115 – 128; Patrick Stauss, „In Stuttgart machen sie eher ein Konkordat mit dem Teufel als mit dem Papst“ (Eugen Bolz). Das Scheitern der Pläne für ein württ. Landeskonkordat in der Weimarer Zeit, in: RJKG 27 (2008), S. 243 – 264. 17 Konkordat zw. Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. u. d. Staate Bayern v. 29. 03. 1924 (GVBl. 1925 S. 53), Art. 10 § 5; zum Konkordat: Florian Heinritzi, Das Bayerische Konkordat von 1924/25. Entstehung und Bedeutung, in: zur debatte, 39 (2009)/7, S. 10 – 12; Fischer, Finanzierung (Anm. 2), S. 197 – 199. 18 Konkordat zw. d. Heiligen Stuhle u. d. Freistaate Baden v. 12. 10. 1932 (GVBl. 1933, S. 19), Art. IV Abs. 4; Alexander Hollerbach, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932, in: Ders., Ausgewählte Schriften, hrsg. von Gerhard Robbers, Berlin 2006, S. 401 – 421; Susanne Plück, Das Badische Konkordat vom 12. Oktober 1932 (= Veröff. d. Kommission f. Zeitgesch., Reihe B Forschungen 41), Mainz 1984; Fischer, Finanzierung (Anm. 2), S. 202 – 204. 15
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me bildet nur das Preußenkonkordat von 192920, wohl weil anderer Klärungsbedarf zwischen Staat und Kirche im Vordergrund stand und die Kirchensteuer ohnehin durch die Reichsverfassung garantiert war. Jedenfalls wurden zur Zeit des Abschlusses dieses Konkordats in Preußen auch von der katholischen Kirche Steuern erhoben21 und das Konkordat enthält nichts auch nur zu deren Einschränkung. Damit billigte der Heilige Stuhl als Vertragspartei ganz offensichtlich die bestehende Praxis der Kirchensteuererhebung und sah hier keinen Regelungsbedarf. 2. Konkordate und Verträge unter dem Grundgesetz Im Gegensatz zu einigen Verträgen zwischen deutschen Ländern und evangelischen Landeskirchen existiert aus der Frühzeit des Grundgesetzes lediglich ein einziges Konkordat, das Niedersachsenkonkordat von 1965, das freilich eine sehr ausführliche Vorschrift zur Kirchensteuer enthält, die einige wesentliche Voraussetzungen und Modalitäten ihrer Erhebung definiert und weitere einer Vereinbarung zwischen Landesregierung und Diözesen überlässt.22 Nach der Wiedervereinigung Deutschlands schlossen innerhalb recht kurzer Frist alle neu der Bundesrepublik beigetretenen Länder neben Verträgen mit den auf ihrem Gebiet gelegenen evangelischen Landeskirchen auch Verträge mit dem Heiligen Stuhl, die allerdings nicht als Konkordate bezeichnet wurden, obwohl sie diesen inhaltlich entsprechen, weil sie die Gesamtheit der zwischen Staat und Kirche relevanten Probleme einer Regelung unterzogen.23 Beginnend mit Sachsen (1996)24, über Thüringen (1997)25, Meck-
19 Konkordat zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Deutschen Reich v. 20. 07. 1933 (RGBl. II S. 679), Schlussprotokoll zu Art. 13; Fischer, Finanzierung (Anm. 2), S. 204 – 206. 20 Vertrag des Freistaates Preußen mit d. Heiligen Stuhle v. 14. 06. 1929 (GS S. 152); Fischer, Finanzierung (Anm. 2), S. 199 – 202. 21 Zeitgenössisch: Leo Groener/Dominikus Zorn, Das Besteuerungsrecht der kath. Kirchengemeinden, Gemeindeverbände u. Diözesen in Preußen unter Ber. d. Ges. z. Änderung des Kirchensteuer- und Umlagerechts der kath. Kirche v. 3. Mai 1929, Köln 1929; Georg Paul/ Johannes Hosemann/Georg Banasch/Walter Koch, Die Kirchensteuer in Preußen für das Rechnungsjahr 1926. Prakt. Leitfaden, Berlin 1926; Kurt Perels, Die Kirchensteuerpflicht der kath. Ehefrau bei gemischter Ehe nach preuß. Recht, AfkKR 108 (1928), S. 87 – 96; bereits älter: ohne Autor, Die neue Kirchensteuergesetzgebung für die kath. Kirchengemeinden und Gesamtverbände in Preußen und f. d. Kirchengemeinden u. Parochialverbände d. evang. Landesk. d. älteren Provinzen d. preuß. Monarchie, Düsseldorf 1906. 22 Konkordat zw. d. Heiligen Stuhle u. d. Lande Niedersachsen v. 26. 02. 1965 (GVBl. S. 191), Art. 14. 23 Zu diesen umfassend Hermes, Konkordate (Anm. 11); Anke, Neubestimmung (Anm. 11). 24 Vertrag zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Freistaat Sachsen v. 02. 07. 1996 (GVBl. 1997, S. 17), Art. 21, 22 sowie Schlussprotokoll zu diesen Artikeln. 25 Vertr. zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Freistaat Thüringen v. 11. 06. 1997 (GVBl. S. 266/LTDrucks. 2/2100), Art. 25, 26 sowie Schlussprotokoll.
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lenburg-Vorpommern (ebenfalls 1997)26 und Sachsen-Anhalt (1998)27 bis hin zu Brandenburg (2003)28 enthalten diese Verträge ausnahmslos eine oder – jedenfalls wenn man die Schlussprotokolle hinzurechnet – sogar mehrere Vorschriften zur Kirchensteuer. Zeitlich ihnen nachfolgend, aber durch ihren Abschluss motiviert, wurden noch drei Verträge westlicher Länder – nämlich Bremen (2003)29, Hamburg (2005)30 und zuletzt Schleswig-Holstein (2009)31 – mit dem Heiligen Stuhl geschlossen. Auch sie enthalten alle Kirchensteuernormen. Sämtliche seit 1924 zwischen dem Heiligen Stuhl und deutschen Staaten und Ländern abgeschlossenen Konkordate und diesen inhaltlich entsprechenden Verträge mit der einzigen Ausnahme des Preußenkonkordats besitzen also Bestimmungen zur Kirchensteuer, deren Garantie und deren Erhebung. 3. Verträge zwischen Bistümern und deutschen Ländern Außer in Konkordaten und Verträgen zwischen dem Heiligen Stuhl und deutschen Ländern finden sich Kirchensteuernormen sodann in zwei Verträgen, die, weil sie lediglich Einzelaspekte regeln und damit nicht dem Heiligen Stuhl selbst vorbehalten waren, mit seiner ausdrücklichen Billigung zwischen Bundesländern und Bistümern geschlossen wurden, nämlich 1974 in Hessen32 und 1975 in Rheinland-Pfalz.33 Eine ähnliche Vereinbarung in Baden-Württemberg34 beschränkt sich auf den Bereich der Staatsleistungen und kann deshalb keine Kirchensteuernorm enthalten. Bemerkenswert erscheint, dass auch diese Vereinbarungen einschließlich ihrer Kirchensteuer26 Vertr. zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Land Mecklenburg-Vorpommern v. 15. 09. 1997 (GVOBl. M-V 1998, S. 2), Art. 18 (das Schlussprotokoll enthält hier keine weiteren Vorschriften). 27 Vertr. zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Land Sachsen-Anhalt v. 15. 01. 1998 (GVBl. LSA S. 160), Art. 19 sowie Schlussprotokoll. 28 Vertr. zw. d. Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg v. 12. 11. 2003 (GVBl. I 2004, S. 223), Art. 17, 18 sowie Schlussprotokoll. 29 Vertr. zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Freien Hansestadt Bremen v. 21. 11. 2003 (BremGBl. 2004, S. 151), Art. 19, 20 (keine Vorschriften im Schlussprotokoll). 30 Vertr. zw. d. Heiligen Stuhl u. d. Freien u. Hansestadt Hamburg v. 29. 11. 2005, Art. 16 (keine Vorschriften im Schlussprotokoll). 31 Vertr. zw. d. Land Schleswig-Holstein u. d. Heiligen Stuhl v. 12. 01. 2009 (GVOBl. Schl.– H. S. 264/LT-Drucks. 16/2245), Art. 16 (der Vertrag besitzt kein Schlussprotokoll). 32 Vertr. zw. d. Land Hessen einerseits u. d. Bistümern Fulda, Limburg u. Mainz sowie d. Erzbistum Paderborn andererseits z. Ergänzung d. Vertr. d. Landes Hessen m. d. Kath. Bistümern in Hessen v. 09. 03. 1963 nebst Schlussprot. v. 29. 03. 1974 (GVBl. I S. 389), Art. 6, 7 sowie Schlussprotokoll. 33 Vertr. zw. d. Land Rheinland-Pfalz u. d. Erzbistum Köln sowie d. Bistümern Limburg, Mainz, Speyer und Trier über Fragen der Rechtsstellung und Vermögensverwaltung der Kath. Kirche v. 18. 09. 1975 (GVBl. S. 398), Art. 6, 7 sowie Schlussprotokoll. 34 Vereinbarung des Landes Baden-Württemberg mit der Erzdiözese Freiburg u. m. d. Diözese Rottenburg-Stuttgart v. 31. 10. 2007 (GBl. 2008 S. 1).
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bestimmungen die Billigung des Heiligen Stuhls erfuhren und damit seinem Willen und seinen kirchenrechtlichen wie pastoralen Prinzipien nicht widersprechen können.
III. Regelungsgehalt der Konkordatsbestimmungen 1. Knapp formulierte Kirchensteuergarantien in den älteren Konkordaten Die vor dem II. Weltkrieg geschlossenen Konkordate enthalten nur ganz knapp formulierte Kirchensteuerbestimmungen, die allein die Kirchensteuergarantie der Weimarer Verfassung wiederholen. Das Bayernkonkordat35 sagt: „Die Kirche hat das Recht, auf der Grundlage der bürgerlichen Steuerlisten Umlagen zu erheben“, und das Reichskonkordat36 stellt fest: „Es besteht Einverständnis darüber, dass das Recht der Kirche, Steuern zu erheben, gewährleistet bleibt“. Etwas ausführlicher ist ausschließlich das Badische Konkordat37, das dieses Recht lediglich nach Maßgabe der Verfassungen des Deutschen Reichs und des Freistaats Baden38 sowie der landesrechtlichen Bestimmungen zusichert. Diese Regelungen reichen damit nicht über die Gewährleistungen der Verfassungen des Reichs und verschiedener Länder39 hinaus, wobei nur eine begrenzte Zahl von Länderverfassungen überhaupt Normen zu den Grundrechten und zum Verhältnis von Staat und Kirchen enthielt, weil diesen neben den reichsrechtlichen Normen keine eigenständige Bedeutung zukommen konnte.40
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Art. 10 § 5 (Anm. 17). Schlussprotokoll zu Art. 13 (Anm. 19). 37 Art. IV Abs. 4 (Anm. 18). 38 § 18 Abs. 3 S. 2 Gesetz, die badische Verfassung betreffend v. 21. 03. 1919 (GVBl. S. 279), auch bei: Fabian Wittreck (Hrsg.), Weimarer Landesverfassungen, Tübingen 2004, S. 79 ff. 39 § 18 Abs. 3 S. 2 Baden (Anm. 38); §§ 17 Abs. 4, 18 Abs. 3 Verfassungsurkunde des Freistaates Bayern v. 14. 08. 1919 (GVBl. S. 531) = Wittreck (Anm. 38), S. 106 ff.; 17 Abs. 5 Verfassung des Freistaates Mecklenburg-Schwerin v. 17. 05. 1920 (Reg.-Bl. S. 653) = Wittreck (Anm. 38), S. 387 ff.; §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 2 Nr. 1 Verfassung für den Freistaat Oldenburg v. 17. 6. 1919 (GBl. S. 391) = Wittreck (Anm. 38), S. 444 ff.; Art. 76 Abs. 1 S. 2 Verfassung des Freistaats Preußen v. 30. 11. 1920 (GS S. 543) = Wittreck (Anm. 38), S. 466 ff.; § 20 Abs. 2 Verfassungsurk. d. freien Volksstaates Württemberg v. 20. 5. 1919 (Reg.Bl. S. 85) = Wittreck (Anm. 38), S. 698. 40 Art. 13 Abs. 1 und (speziell für Religionsgemeinschaften) Art. 10 Nr. 1 WRV. 36
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2. Weitreichende Absicherung in den jüngeren Konkordaten Nach 1945 wurden nicht nur in das Grundgesetz und viele Länderverfassungen Garantien der Kirchensteuer aufgenommen, sie war ebenfalls in allen seither vom Heiligen Stuhl mit deutschen Ländern abgeschlossenen Konkordaten und Verträgen Gegenstand sehr ausführlicher41 manchmal sogar in zwei Normen niedergelegter Regelungen42, teils ergänzt noch durch die Schlussprotokolle.43 So fand die verfassungsrechtliche ihre Ergänzung in vertragsrechtlichen Absicherungen. Erfasst werden von den Vertragsnormen vielfältige Aspekte: Neben der grundsätzlichen Garantie des Steuererhebungsrechts44, durchweg unter dem ausdrücklichen Vorbehalt „nach Maßgabe der Gesetze“, „der landesrechtlichen Bestimmungen“ oder vergleichbarer Wendungen45, werden die Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung der Steuer durch staatliche Finanzbehörden gegen Vergütung durch die Kirche46, die Möglichkeit, Festsetzung und/oder Einziehung örtlicher Kirchensteuern auf Gemeinden oder Gemeindeverbände zu übertragen47, das Recht der Kirche, auf die Vollstreckung zu verzichten48, die Inpflichtnahme der Arbeitgeber für die Abführung der Kirchenlohnsteuer49, die Pflicht zur Auskunftserteilung durch staatliche und die Wahrung des Steuergeheimnisses oder des Datenschutzes durch kirchliche Stellen50, die Verpflich-
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Hamburg (Anm. 30), Art. 16; Meckl.-Vorp. (Anm. 26), Art. 18; Nieders. (Anm. 22), Art. 14; Sachs.-Anh. (Anm. 27), Art. 19; Schlesw.-Holst. (Anm. 31), Art. 16. 42 Brandenb. (Anm. 28), Art. 17, 18; Bremen (Anm. 29), Art. 19, 20; Sachsen (Anm. 24), Art. 21, 22; Thüringen (Anm. 25), Art. 25, 26. 43 Brandenburg (Anm. 28); Sachsen (Anm. 24); Sachsen-Anhalt (Anm. 27); Thüringen (Anm. 25). 44 Art. 17 Abs. 1 S. 1 Brandenb.; Art. 19 Abs. 1 Bremen; Art. 16 Abs. 1 Hamburg; Art. 18 Abs. 1 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 S. 1 Nieders.; Art. 21 Abs. 1 S. 1 Sachsen; Art. 19 Abs. 1 Sachs.-Anh.; Art. 16 Abs. 1 Schlesw.-Holst.; Art. 25 Abs. 1 Thür. 45 Art. 17 Abs. 1 S. 1 Brandenb.; Art. 19 Abs. 1 Bremen; Art. 16 Abs. 1 Hamburg; Art. 18 Abs. 1 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 S. 1 Nieders.; Art. 21 Abs. 1 S. 1 Sachsen; Art. 19 Abs. 1 Sachs.-Anh.; Art. 16 Abs. 1 Schlesw.-Holst.; Art. 25 Abs. 1 Thür. 46 Art. 18 Abs. 1 S. 1 und 3, Abs. 2, Schlußprot. Brandenb.; Art. 20 Abs. 1 und 3 Bremen; Art. 16 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 Hamburg; Art. 18 Abs. 4 S. 1, Abs. 6 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 u. 3 Nieders.; Art. 22, Schlußprot. Sachsen; Art. 19 Abs. 4 u. 5, Schlußprot. Sachs.-Anh.; Art. 16 Abs. 3 Schlesw.-Holst.; Art. 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 u. 3 Thür. 47 Nur in einigen Verträgen: Art. 14 Abs. 2 Nieders.; Art. 16 Abs. 5 u. 6 Schlesw.-Holst.; Art. 26 Abs. 3 Thür. 48 Schlußprot. zu Art. 18 Abs. 2 Brandenb.; Art. 20 Abs. 3 S. 2 Bremen; Art. 18 Abs. 6 S. 2 Meckl.-Vorp.; in Sachsen Schlußprot. zu Art. 22: Recht der Kirche zu abweichender Festsetzung, Stundung, Erlass oder Niederschlagung aus Billigkeitsgründen bleibt unberührt. 49 Art. 18 Abs. 1 S. 2 Brandenb.; Art. 16 Abs. 3 S. 2 Hamburg; Art. 18 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 Meckl.-Vorp.; Art. 22 S. 2 Sachsen; Art. 19 Abs. 4 S. 2 Sachs.-Anh.; Art. 16 Abs. 4 Schlesw.Holst.; Art. 26 Abs. 1 S. 2 Thür. 50 Art. 18 Abs. 1 S. 4 Brandenb.; Art. 20 Abs. 2 Bremen; Art. 16 Abs. 4 S. 2 u. 3 Hamburg; Art. 18 Abs. 5 S. 2 u. 3 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 S. 4 Nieders.; Schlußprot. zu Art. 22
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tung der beteiligten Bistümer, Steuerordnungen als Grundlage der Steuererhebung zu schaffen51 und sich auf einen einheitlichen Steuersatz zu einigen (jedenfalls wenn die Kirchensteuern von Landesfinanzbehörden verwaltet werden)52, die Notwendigkeit staatlicher Anerkennung oder Genehmigung von Kirchensteuerordnungen und -beschlüssen und die Voraussetzungen hierfür53 wie auch für Genehmigungsfiktionen54 und schließlich Modalitäten der Abführung der Kirchensteuererträge an die Kirche55 geregelt. Etliche Verträge zählen die steuererhebungsberechtigten Körperschaften auf56, einige auch mehr oder minder genau die zulässigen Kirchensteuerarten57, gelegentlich sehen sie ein Recht der Kirche vor, Mindestbeträge und Obergrenzen für Kirchensteuern festzulegen.58 Wenn auch nicht alle diese Aspekte in sämtlichen Konkordaten Erwähnung fanden, so enthalten sie doch ausnahmslos eine Vielfalt kirchensteuerlicher Regelungen. Damit sind nicht wenige Elemente des Kirchensteuerrechts vertraglich abgesichert, bei weiteren ergibt sich eine mittelbare Absicherung, weil sie die notwendigen Voraussetzungen oder Konsequenzen vertraglich geregelter Bestandteile des Kirchensteuerrechts bilden. Dies gilt etwa für das Erfordernis der Schaffung von Kirchensteuerordnungen als Grundlage der Steuererhebung, wenn es nicht, wie verschiedentlich, bereits ausdrücklich im Vertrag niedergelegt ist. Denn ohne ausreichende kirch-
Sachsen; Schlußprot. zu Art. 19 Abs. 4 Sachs.-Anh.; Art. 16 Abs. 7 Schlesw.-Holst.; Art. 26 Abs. 2 S. 3 u. Schlußprot. Thür. 51 Art. 17 Abs. 1 S. 1 Brandenb.; Art. 14 Abs. 1 S. 1 Nieders.; Art. 19 Abs. 1 Sachs.-Anh.; Art. 25 Abs. 1 S. 1 Thür. 52 Art. 17 Abs. 2 Brandenb.; Art. 19 Abs. 2 Bremen; Art. 18 Abs. 2 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 3 Nieders.; Art. 21 Abs. 2, Schlußprot. Sachsen; Art. 19 Abs. 2 Sachs.-Anh.; Art. 25 Abs. 2 Thür., vgl. dazu das Schlußprot. mit einer verfassungsrechtl. problematischen Regelung. 53 Art. 17 Abs. 1 S. 2, Schlußprot. Brandenb.; Art. 19 Abs. 3 Bremen; Art. 16 Abs. 2 Hamburg; Art. 18 Abs. 3 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 S. 2 Nieders.; Art. 21 Abs. 3, Schlußprot. Sachsen; Art. 19 Abs. 3, Schlußprot. Sachs.-Anh.; Art. 16 Abs. 2 Schlesw.-Holst.; Art. 25 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 1 Thür. 54 Art. 17 Abs. 3 S. 1, Schlußprot. Brandenb.; Art. 16 Abs. 2 S. 3 Hamb.; Art. 18 Abs. 3 S. 3 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 3 Nieders.; Schlußprot. zu Art. 21 Abs. 3 Sachsen; Schlußprot. zu Art. 19 Abs. 3 Sachs.-Anh.; Art. 25 Abs. 3 S. 2 Thür. 55 Art. 14 Abs. 3 Nieders.; Schlußprot. zu Art. 22 Sachsen; Schlußprot. zu Art. 19 Abs. 4 Sachs.-Anh. 56 (Erz-)Bistümer, Kirchengemeinden, (Gesamt-)Verbände: Art. 17 Abs. 1 S. 1 Brandenb.; Art. 19 Abs. 1 Sachs.-Anh.; Art. 25 Abs. 1 S. 1 Thür.; Diözesen und Kirchengemeinden: Art. 18 Abs. 1 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 Nieders. 57 Meist erfolgt nur die Nennung von Kirchensteuer und Kirchgeld: Art. 16 Abs. 1 Hamburg (hier zusätzlich noch Gebühren); Art. 18 Abs. 1 Meckl.-Vorp.; Art. 19 Abs. 1, Schlußprot. Sachs.-Anh.; Art. 25 Abs. 1 S. 1 Thür.; detaillierter Art. 21 Abs. 1 S. 2 u. 3 Sachsen. 58 Schlußprot. zu Art. 21 Abs. 1 Sachsen; Schlußprot. zu Art. 19 Abs. 1 Sachs.-Anh.; Art. 25 Abs. 2 Thür.
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liche Rechtsgrundlage kann der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, den die Verträge vorsehen, nicht gewahrt werden.59 3. Konkordatäre Bestätigung der Kirchensteuer als zentrales Kirchenfinanzierungsinstrument in Deutschland Allein schon durch die Zahl der Kirchensteuernormen, die sich in Konkordaten und Verträgen zwischen Heiligem Stuhl und deutschen Staaten und Ländern finden, mehr aber noch durch die Deutlichkeit, mit der der Heilige Stuhl sich die Kirchensteuer seit 1924 garantieren ließ, und die Ausführlichkeit, mit der Kirchensteuerfragen seit 1965 hier geregelt wurden, zeigt sich, welche Bedeutung dieser der Kirchensteuer als Rückgrat der Kirchenfinanzierung und als materielle Grundlage des Wirkens der Kirche in Deutschland beimisst. Dabei wird die Kirchensteuer nicht nur beiläufig in anderen Kontexten erwähnt, sondern jeweils zum Gegenstand besonderer Zusicherungen gemacht – sehr bewusst, weil beide Vertragspartner davon ausgingen, dass mit einem Wegfall der Kirchensteuer das öffentliche Wirken der Kirche in Staat und Gesellschaft mindestens empfindlich beeinträchtigt oder – eher – in seinen Fundamenten getroffen und erschüttert würde.60 Angesichts des Regelungswortlauts, des erkennbaren Sinns und Zwecks der Kirchensteuernormen und des historischen Hintergrunds, vor dem sie geschlossen wurden, insbesondere der Kenntnis beider Vertragspartner um die Bedeutung der Kirchensteuer für die Kirche in Deutschland, kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Heilige Stuhl einerseits, die deutschen Regierungen andererseits die Kirchensteuer nicht lediglich als bestehendes Phänomen hinnehmen, sondern sie als zentrales Kirchenfinanzierungsinstrument festschreiben und auf Dauer absichern wollten, um der Kirche ein Wirken im öffentlichen Raum im bisherigen Ausmaß und Rahmen zu ermöglichen. 4. Konkordatäre Bestätigung des Kirchensteuerrechts im Gesamten Angesichts der Ausgestaltung jedenfalls der neueren Konkordatsvereinbarungen zur Kirchensteuer, die zahlreiche ganz unterschiedliche, für die Erhebung der Kirchensteuer wichtige Aspekte regeln, erfassen diese das deutsche Kirchensteuerrecht zumindest in seinen wesentlichen Grundzügen insgesamt. Auch wenn das Kirchensteuerrecht der Gesetzgebung der Länder unterfällt, ist der Regelungsgehalt aller Kirchensteuergesetze doch weitgehend identisch: Die gemeinsame Verfassungsgrund-
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Dazu Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 148 ff., 227 f., 241 ff., 390 f. Zum Stellenwert der Kirchensteuer bei der Kirchenfinanzierung in Deutschland: Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 78 – 89, vgl. dort auch, S. 45 – 49, 53 f., zu ihrer Bedeutung für die Beratungen der Weimarer Nationalversammlung und im Regelungsgefüge der WRV. 60
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lage im Grundgesetz61, die Anlehnung der Kirchensteuer an Steuern, die auf bundesrechtlicher Grundlage erhoben werden62, und die umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG und des Bundesfinanzhofs zur Kirchensteuer63 lassen hier gar keine andere Möglichkeit zu. Die allgemeinen Grundzüge des Kirchensteuerrechts waren dabei den Vertragspartnern bei den Vertragsverhandlungen zweifellos bekannt. Besitzt aber das Kirchensteuerrecht in Deutschland eine feste Rechtsgestalt, kann angesichts der Vertragsbestimmungen, die zum einen eine generelle Bestätigung des Kirchensteuererhebungsrechts, zum anderen Regelungen diverser wichtiger Fragen enthalten, fraglos davon ausgegangen werden, dass damit das bestehende Kirchensteuerrecht insgesamt, mit seinen wesentlichen Merkmalen, Gegenstand der Konkordate und Verträge geworden ist. Damit wurden auch die Regelungen zur Kirchensteuerpflicht und deren Beendigung von den Vertragspartnern den konkordatären Vereinbarungen zugrunde gelegt. Die kirchliche Seite akzeptiert insbesondere, dass – entsprechend den vom BVerfG festgelegten Leitlinien64 – die Steuerpflicht mit einem Kirchenaustritt endet.65 Andererseits ist der Charakter der Kirchensteuer als Pflichtabgabe, die alle Katholiken zu erbringen haben, bei denen der gesetzliche Steuertatbestand erfüllt ist66, Gegenstand der Vereinbarungen. Damit können sich Steuerpflichtige der Kirchensteuer nur dadurch entziehen, dass sie ins Ausland abwandern, keine Einkünfte beziehen, aus anderen Gründen nicht zur staatlichen Einkommensteuer herangezogen werden, aus der Kirche austreten, was nach weltlichem Recht als Ausdruck der Glaubensfreiheit jederzeit möglich ist, nach kirchlichem Recht aber einen Akt der Trennung von der
61 Diese beschränkt sich keineswegs auf die Kirchensteuergarantie des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV, sondern wird gleichermaßen durch die das Besteuerungsrecht einschränkende oder bestimmten Bedingungen unterwerfende Vorschriften des Grundgesetzes gebildet und ausgeformt; zu diesen Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 249 – 396. 62 Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 420 – 426. 63 Zu deren Grundlinien Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 251 – 254, vgl. dort auch S. 554 f., sowie S. 556 – 558, das Verzeichnis wichtiger Entscheidungen dieser Gerichte; weiterhin: Heinrich List, Kirchensteuer. Rechtsgrundlagen und neuere Rechtsprechung, BB 1997, S. 17 – 24; Joseph Listl, Das kirchliche Besteuerungsrecht in der neueren Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Dieter Schwab u. a. (Hrsg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift z. 65. Gebtg. von Paul Mikat, Berlin 1989, S. 579 – 610; Siegfried Grundmann, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Kirchensteuersachen und das Staatskirchenrecht, JZ 1967, S. 193 – 198. 64 Zu diesen Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 251 – 254. 65 In einigen Konkordaten wird dies dadurch zum Ausdruck gebracht, dass – entgegen dem weiteren Wortlaut des Art. 137 Abs. 6 WRV – ausdrücklich festgelegt ist, dass die Katholische Kirche berechtigt ist, von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben, so: Art. 16 Abs. 1 Hamburg; Art. 18 Abs. 1 Meckl.-Vorp.; Art. 14 Abs. 1 S. 1 Nieders.; Art. 16 Abs. 1 Schlesw.-Holst. 66 Hierzu und zum folgenden Hammer, StuW 2009 (Anm. 6), S. 124 – 126.
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Kirche und der amtlich und mit öffentlicher Wirkung erklärten Lossagung von ihr bildet.67 Der in allen Verträgen seitens der staatlichen Seite eingefügte Vorbehalt der Garantie der Kirchensteuer „nach Maßgabe der Gesetze“, „der landesrechtlichen Bestimmungen“ oder ähnlichem68 kann nicht bedeuten, dass ihre Gewährung nach der freien Entscheidung des Landesgesetzgebers erfolgen würde. Vielmehr ist trotz dieser Einschränkung die Kirchensteuer in ihrem wesentlichen Bestand, vorbehaltlich notwendiger Korrekturen aufgrund der Weiterentwicklung des Gesamtgefüges der Verfassung (konkretisiert auch durch neue Erkenntnisse des BVerfG), gewährleistet. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass bereits aufgrund der Kirchensteuernormen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen die Kirchensteuer als ergiebiges und nicht nur als leerlaufendes Finanzierungsinstrument, das einseitig hoheitlich fest- und durchsetzbar sein muss und das sich an die staatliche Steuererhebung anlehnen kann, garantiert ist.69 Es kann nicht Sinn und Anliegen der Verträge sein, hinter dieser verfassungsrechtlichen Garantie zurückzubleiben. Zum anderen wären die ausdifferenzierten Regelungen der Verträge überflüssig und sinnlos, wäre die Kirchensteuer zur freien Disposition des Landesgesetzgebers gestellt. Vielmehr bilden diese Eckdaten, die der Landesgesetzgebung vorgegeben sind. Der Vorbehalt des geltenden Rechts kann demnach nur bedeuten, dass erstens, soweit nicht bindende Vorgaben aus Verfassung und Kirchenvertrag vorliegen, dem Landesgesetzgeber die Aufgabe zukommt, das Kirchensteuerrecht nach pflichtgemäßem Ermessen zu konkretisieren und weiterzubilden, und dass zweitens die Kirche an dieses geltende Landesrecht gebunden ist und es bei der Kirchensteuererhebung zu beachten hat. Die überkommene Gestalt und der wesentliche Gesamtbestand des Kirchensteuerrechts sind somit für die Zukunft garantiert und stehen nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers. 5. Vorrang konkordatärer Normen gegenüber den Regelungen des CIC/1983 im Kirchenrecht Bedeutung für das Gesamtgefüge des Kirchenrechts besitzen die konkordatären Kirchensteuernormen vor allem deshalb, weil nach c. 3 CIC/1983 vom Apostolischen Stuhl mit Nationen oder anderen politischen Gemeinschaften eingegangene Vereinbarungen durch den CIC/1983 weder ganz noch teilweise aufgehoben werden; sie sollen ohne die geringste Einschränkung durch entgegenstehende Vorschriften des CIC/1983 weiterhin fortgelten. Damit kommt dem Konkordatsrecht Vorrang 67
Vgl. dazu und zum Allgemeinen Dekret der DBK von 2012 Ludger Müller/Christoph Ohly, Katholisches Kirchenrecht. Ein Studienbuch, Paderborn 2018, S. 247 ff., S. 333 (m. weiterf. Nachw.). 68 Nachw. Anm. 45. 69 Dazu eingehend Hammer, Rechtsfragen (Anm. 2), S. 219 ff. (219 f.).
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vor dem CIC/1983 vor, seine Regelungen verdrängen diejenigen des CIC/1983. Demnach war die Vorschrift des c. 1263 CIC/1983, die sogenannte clausula teutonica70, zur Legitimierung des Kirchensteuerrechts in Deutschland im Grunde überflüssig: Weil dieses vom Reichskonkordat deutschlandweit vertraglich geregelt war, sofern nicht anderen, vor allem jüngeren Konkordaten und Verträgen des Heiligen Stuhls mit deutschen Regierungen vorrangige Geltung zukommt, konnte der CIC/ 1983 nach seiner eigenen Konzeption die Prinzipien des Kirchensteuerrechts ohnehin nicht berühren – dessen konkordatäre Grundlagen werden von ihm nicht beeinflusst. Daher lässt sich nicht vertreten, das deutsche Kirchensteuerrecht verstoße gegen römisches Kirchenrecht – dies verkennt zum einen, dass die Konkordate die Kirchensteuer in Deutschland garantieren, und zum anderen, dass diese nach dem CIC/1983 vorrangig gelten. 6. Außerkraftsetzung von Konkordats- und Kirchenvertragsrecht durch nachfolgende staatliche Gesetze Inwieweit Konkordate und Verträge im staatlichen Bereich – ähnlich der Verfassung – Schutz gegen beliebige Änderungen der Rechtslage durch die staatliche Gesetzgebung bieten können, ist nach einer neueren Entscheidung des BVerfG71 sehr zweifelhaft geworden. Diese ist zwar zu Doppelbesteuerungsabkommen ergangen, also zu für die Rechtsordnung nicht fundamentalen Regelungen, doch weist – die sehr ausführliche – Begründung weit über diese Materie hinaus und enthält grundsätzliche Erwägungen zu Geltung und Bestand völkerrechtlicher Vereinbarungen, die auch für Konkordate und ähnliche Verträge Geltung beanspruchen dürften. So führt das BVerfG aus, dass völkerrechtliche Verträge unter dem Grundgesetz meist nur den Rang einfacher Bundesgesetze hätten und nach dem lex-posteriorGrundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden könnten.72 Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG bestimme auch den Rang, der dem für anwendbar erklärten Völkervertragsrecht in der nationalen Rechtsordnung zukomme. Der Rechtsanwendungsbefehl i. S. v. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG räume einem völkerrechtlichen Vertrag in der Normenhierarchie keinen Rang über den Gesetzen ein.73 Dem stehe der Grundsatz pacta sunt servanda, der zwar eine allgemeine Regel des Völkerrechts bilde und – völkerrechtliche – Pflichten des Staates gegenüber seinen Vertragspartnern begründe, nicht entgegen, weil er innerstaatliche Geltung und Rang völkerrechtlicher Verträge nicht regle. Er bewirke auch nicht, dass der Gesamtinhalt völkerrechtlicher Verträge zu allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. v. Art. 25 70
Marré/Jurina, Kirchenfinanzierung (Anm. 2), S. 10; Hammer, StuW 2009 (Anm. 6), S. 124. 71 BVerfG, Beschl. v. 15. 12. 2015, BVerfGE 141, 1 = NJW 2016, 1295 = DVBl 2016, 503, m. Anm. Walter Frenz = JZ 2016, 625, m. Anm. Ulrich Fastenrath – Treaty Override. 72 BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 33, 49. 73 BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 46.
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GG werde.74 Aus dem Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Einheit der Rechtsordnung, könne nicht die Verfassungswidrigkeit einer etwaigen Abkommensüberschreibung (Treaty Override) abgeleitet werden.75 Sie führe zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie der lex-posterior- und der lex-specialis-Regel allgemein immanent sei.76 Selbst wenn man davon ausginge, dass es für die Zulässigkeit einer Abkommensüberschreibung entscheidend auf die Möglichkeit des Gesetzgebers ankomme, sich im Einklang mit dem Völkerrecht von einem (teilweise) nicht mehr gewollten Vertrag zu lösen, führe dies nicht zur Unzulässigkeit einer Überschreibung. Denn der Gesetzgeber sei unabhängig davon, ob eine Kündigung völkerrechtlich zulässig sei, verfassungsrechtlich zur Kündigung eines völkerrechtlichen Abkommens nicht befugt (Art. 59 Abs. 1 GG). Die Kündigung eines Vertrags zum Zweck der Neuverhandlung und vertraglichen Durchsetzung eigener Absichten sei insoweit, verglichen mit einer Abkommensüberschreibung kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel, um dem Demokratieprinzip gerecht zu werden, und deshalb auch nicht vorzugswürdig.77 Auch aus Sicht des Vertragspartners sei die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrags nicht unbedingt ein milderes Mittel, sich vom völkerrechtlich Vereinbarten zu lösen, weil das Abkommen infolge der Kündigung regelmäßig insgesamt wegfalle. Dies nähme ihm die völkerrechtlich vorgesehene Möglichkeit, den Inhalt oder zumindest die Auslegung eines Abkommens durch die Praxis seiner Anwendung in Übereinstimmung mit der anderen Vertragspartei in ganz bestimmten Punkten (konkludent) zu ändern.78 Mag auch die in diesen Überlegungen zum Ausdruck kommende Stärkung des Demokratieprinzips prima facie begrüßenswert erscheinen, so ist es doch eine – notwendige – Konstante in der Rechtsprechung des BVerfG, den Gesetzgeber an materiell vorrangige Werte, die der Verfassung entstammen, zu binden. Oft wird dieser – etwa in Entscheidungen zum Wahl- oder Steuerrecht – an fein ausdifferenzierte Erwägungen des BVerfG gebunden, ohne dass weite Gestaltungsfreiheit respektiert würde. Dass die Vertragstreue bei internationalen, völkerrechtlichen Vereinbarungen, die gemäß den Vorgaben der Verfassung zustande kamen, kein Wert sein soll, der durch das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG mit seinen vielfältigen Facetten und Garantiewirkungen – etwa auch zugunsten der Einhaltung rechtlich vorgegebener Verfahrensschritte und –sicherungen – geschützt ist79, vielmehr der Vertrags- und Rechtsbruch ins Belieben des – wenn auch demokratisch legitimierten – Gesetzgebers gestellt wird, erscheint unter der wertegebundenen Ordnung, wie sie das Grundgesetz konstituiert hat, ausgesprochen verstörend und fügt sich so gar nicht in die übrige Rechtsprechung des BVerfG ein. Vor allem ist vor deren Hinter74
BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 47. BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 87. 76 BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 88. 77 BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 89. 78 BVerfG, 15. 12. 2015 (Anm. 71), Tz. 90. 79 Vgl. Hammer, in: Abmeier (Anm. 11), S. 254 f. (m. weiterf. Nachw.).
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grund die – im Grunde einschränkungslose – Bevorzugung des Demokratieprinzips vor anderen grundlegenden Verfassungswerten sehr irritierend. So bleibt nur die Hoffnung, dass das BVerfG seine rechtsdogmatischen Aussagen zur Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge bei ihnen widersprechendem neuerem Gesetzesrecht bald korrigieren oder wenigstens präzisieren wird.80 Selbst wenn aber diese Rechtsprechung Bestand hat, muss sich der Gesetzgeber hier doch dem Vorwurf des Vertragsbruchs und damit widerrechtlichen Handelns ausgesetzt sehen. 7. Vertragliches Gefüge von Rechten und Pflichten zur Erhaltung der Kirchensteuer Durch die Vertragsform, die wechselseitige und -bezügliche Rechte und Pflichten beider oder aller beteiligter Partner statuiert, die integraler Bestandteil eines Gesamtgefüges sind, wird nicht allein das Recht der deutschen (Erz-)Diözesen begründet und dauerhaft abgesichert, ihren Finanzbedarf ganz wesentlich durch Steuererhebung zu decken, vielmehr erwächst aus ihr zugleich eine Pflicht, diesen Weg zu gehen. Das ist deshalb von hoher Bedeutung, weil die großen Kirchen in Deutschland in vielfältiger Weise und großem Umfang Aufgaben der Kulturpflege (etwa im Bildungs-, und Denkmalwesen)81 und der Sozialfürsorge (besonders durch Caritas und Diakonie) erfüllen, aber auch ihre pastorale Tätigkeit – nach wie vor – im staatlichen Interesse liegt, was sich etwa an (oft ökumenischen) Gottesdiensten bei außergewöhnlichen Ereignissen (so bei Terroranschlägen oder Katastrophen) zeigt. Der staatliche Wunsch nach wirksamer Erfüllung dieser Aufgaben, ohne die Kirchen intensiv durch Zuschüsse unterstützen zu müssen, der den vertraglichen Regelungen zur Kirchensteuer – für die kirchliche Seite erkennbar – zugrunde liegt, führt dazu, dass aus dem Gesamtgefüge der Verträge eine Pflicht der deutschen Diözesen resultiert, die Kirchensteuer als zentrale Finanzierungsform einzusetzen und dauerhaft zu nutzen. Da Konkordate und konkordatsähnliche Verträge vom Heiligen Stuhl geschlossen werden, sind nicht nur die jeweils von ihnen begünstigten Diözesen, sondern auch der Heilige Stuhl selbst vertraglich verpflichtet, ihr Recht so auszugestalten, dass eine Kirchensteuererhebung dauerhaft und ertragreich möglich bleibt. Damit würden universalkirchliche Rechtsnormen, die einen weitgehend rechtsfolgenlosen Kirchenaustritt für Katholiken in Deutschland erlaubten und es ihnen so problemlos ermöglichten, sich – bei bestehender Leistungsfähigkeit – ihrer Steuer-
80 Noch anhängig beim BVerfG ist ein vergleichbares Normenkontrollverfahren (2 BvL 21/ 14) auf Antrag des BFH, Beschl. v. 20. 08. 2014, I R 86/13, BStBl II 2015, 18 = BFHE 246, 486. 81 In Deutschland entsprechen die Aufwendungen der Kirchen für die Kultur im Vergleich der öffentlichen Ebenen denjenigen von Ländern und Gemeinden: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, Deutscher Bundestag, Drucks. 16/7000 v. 11. 12. 2007, S. 145.
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pflicht zu entziehen82, und die dadurch die Kirchensteuer nachhaltig beschädigten oder gar zerstörten, zu einer Verletzung der vertraglich übernommenen Pflicht zu ihrer Aufrechterhaltung und so mittelbar zum Vertragsbruch führen.
IV. Fazit Die Kirchensteuer ist Gegenstand fast aller Konkordate und konkordatsartigen Verträge des Heiligen Stuhls mit deutschen Staaten und Ländern, ebenso von zwei Verträgen zwischen Bistümern und Ländern. Sie wird damit von den Vertragspartnern je für ihren Rechtsbereich als Instrument der Kirchenfinanzierung mit vertraglicher Bindungswirkung garantiert bzw. akzeptiert. Für das katholische Kirchenrecht sieht c. 3 CIC/1983 eine vorrangige Geltung der konkordatären Kirchensteuernormen vor den Vorschriften des CIC vor. Im weltlichen Rechtsbereich sind Wert und Geltung vertraglicher Garantien durch die Treaty-Override-Entscheidung des BVerfG etwas fraglich geworden, das Odium des für einen Rechtsstaat unerhörten Vorwurfs des Vertragsbruchs würde einer Konkordatsverletzung aber allemal anhaften. So bewirken die vertraglichen Kirchensteuernormen eine wichtige, stabile und klare rechtliche Absicherung der Kirchensteuer als zentraler Grundlage der Kirchenfinanzierung in Deutschland.
82 Zur heftigen Diskussion zu dieser Problematik in jüngerer Zeit bspw.: Georg Bier (Hrsg.), Der Kirchenaustritt. Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung (= Theologie kontrovers), Freiburg/Basel/Wien 2013; Georg Dietlein/Jan-Gero Alexander Hannemann, Katholisch ohne Kirchensteuer? Bleibende Unklarheiten nach dem Allgemeinen Dekret der Deutschen Bischofskonferenz vom 15. März 2011, AfkKR 181 (2012), S. 467 – 486; Markus Graulich, Der Kirchenaustritt und seine Folgen im kanonischen Recht, in: Adrian Loretan (Hrsg.), Religionsfreiheit im Kontext der Grundrechte (= Religionsrechtl. Studien 2), Zürich 2011, S. 331 – 359; Elmar Güthoff/Stephan Haering/Helmuth Pree (Hrsg.), Der Kirchenaustritt im staatlichen und kirchlichen Recht (= Quaestiones disputatae 243), Freiburg/ Basel/Wien 2011; René Löffler, Ungestraft aus der Kirche austreten? Der staatliche Kirchenaustritt in kanonistischer Sicht (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 38), Würzburg 2007; Stefan Muckel, Körperschaftsaustritt oder Kirchenaustritt? Der sogenannte Kirchenaustritt im Schnittfeld von staatlichem Verfassungsrecht und katholischem Kirchenrecht, JZ 2009, S. 174 – 182.
Einheitlichkeit in kirchlicher Rechtssetzung und Rechtsanwendung? Vorläufige Überlegungen zu einer Thematik aus deutscher Perspektive Von Ansgar Hense
I. Fragestellung Eine Meldung der Katholischen Nachrichtenagentur titelte unter dem 13. Oktober 2015: „Neues katholisches Arbeitsrecht gilt ab 1. Januar bundesweit“. Hinter der für Außenstehende unspektakulär wirkenden Nachrichtenmeldung lugt nicht nur eine kontroverse Beurteilung der Modifizierung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ infolge eingehender Reformüberlegungen – zuletzt im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Düsseldorfer Chefarztfall – hervor, sondern auch eine rechtsgrundsätzliche Frage danach, wie einheitlich müssen Diözesen innerhalb eines Staatsgebietes ihr Recht setzen. Die dissentierenden Bischöfe lenkten, weil sie sich der Einheit verpflichtet fühlten, ein und setzten die Grundordnung letztlich doch für ihren jeweiligen Jurisdiktionsbereich um, wenngleich sie ihre prinzipiellen Bedenken aufrecht erhielten und eine entsprechende Neukonfiguration des kirchlichen Arbeitsrechts anregten.1 Ausgehend von diesem Vorkommnis sollen hier aber nicht die aktuellen Herausforderungen des kirchlichen Arbeitsrechts, dem der Jubilar eine umfassende kirchenrechtliche Reflexion gewidmet hat,2 auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des 1 Diese grundsätzlichen Überlegungen zu einer weiteren Reform des kirchlichen Arbeitsrechts firmieren unter dem Label „vom personen- zum institutionenorientierten Verständnis“. Grundlegend dazu das Format der „Hirschberger Gespräche“ – bisher sind drei Tagungsdokumentationen erschienen: Hermann Reichold (Hrsg.), Führungskultur und Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen. Von der Personen- zur Institutionenorientierung der Grundordnung, Regensburg 2017; Ders. (Hrsg.), Loyalität und Konfessionsbindung in der Dienstgemeinschaft. Wege zu einer glaubwürdigen Unternehmenskultur in katholischen Einrichtungen, Regensburg 2018; Ders. (Hrsg.), Tendenz- statt Transzendenzschutz in der Dienstgemeinschaft? Aktuelle Anstöße zur Loyalitätsfrage durch den Europäischen Gerichtshof, Regensburg 2019. 2 Wilhelm Rees, Der Dienst von Priestern, Diakonen und Laien. Kanonistische Anmerkungen zum innerkirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht, in: ÖARR 63 (2016), S. 33 – 87.
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Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts beleuchtet, sondern vielmehr die rechtsgrundsätzliche Frage nach der Einheit und Einheitlichkeit aufgeworfen werden. Die Beschränkung auf das Aufwerfen von Fragen ist ernst zu nehmen. Intendiert ist mit diesem Beitrag ein erstes, eher versuchsweises Arrondieren eines Problems. Magistrale Antworten sind ebenso wenig zu erwarten wie die Ausarbeitung in sich geschlossener Forschungsprogramme. Die fragenden, tastenden Überlegungen gehen vielmehr von – auch eigenen – Beobachtungen aus und sollen in Fragestellungen münden, über die weiter nachgedacht werden könnte. Damit soll auch gleich dem verbreiteten Theorie-Praxis-Einwand begegnet werden. Die Überlegungen sind nämlich keine „hoch-theoretischen“, sondern sie basieren auf praktischen Erfahrungen und Wahrnehmungen.
II. Einige illustrative Ergänzungen aus der Praxis Um der Gefahr des Theoretisierens zu entgegen, seien einige weitere Beobachtungen aus der Praxis ergänzt, die die Fragestellung noch näher illustrieren sollen. Wenn weltliche Juristen Kirchenrechtler beobachten, gehen sie nicht selten von der Annahme aus, dass doch gerade in der katholischen Kirche und in ihrem Eigenrecht alles klar geregelt sei. Mitunter wird der Rechtskorpus gerade wegen des universalkirchlichen Gesetzbuches als monolitisch wahrgenommen. Das katholische Kirchenrecht erscheint „als etwas fest Gegebenes, für den Rechtsanwender im fertigen System Abgeschlossenes“.3 Rechtsanwender verbinden mit diesem „Wunschbild eines geschlossenen Systems“ eine „Entlastungsvorstellung, die wohltätige Fraglosigkeit verspricht, von eigener, risikobeladener Verantwortung befreit“.4 Man muss zur Illustration dessen nicht in den – angesichts der Kirchenkrise(n) – hochgeforderten Risikobereich des kirchlichen Strafrechts blicken, dem Wilhelm Rees mit seiner Habilitation ein so wichtiges rechtsdogmatisches Fundament verschafft hat,5 sondern kann auch auf das mit nicht weniger mit Krisenphänomenen verbundene kirchliche Vermögensrecht rekurrieren. Das im Liber V CIC/1983 normierte kircheneigene Vermögensrecht ist grundsätzlich ein Rahmenrecht und zeigt exemplarisch wie paradigmatisch das Zusammenspiel von Universalität und Partikularität 3 So aus einem anderen Kontext die Formulierung des ungemein gedankenreichen und inspirierenden, wenngleich vorrangig auf den evangelischen Rechtskreis bezogenen Aufsatzes von Richard Bäumlin, Gangbare und ungangbare Wege zum kirchlichen Verwaltungsrecht, in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (242). Speziell zum katholischen Rechtskreis dann aber Bäumlin: „Gerade beim Codex wird sodann auch der Zusammenhang zwischen dem Systemdenken und einem im Grund absolutistischen Ordnungsmodell deutlich“ (ebd., S. 244). 4 Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (244). 5 Wilhelm Rees, Die Strafgewalt der Kirche. Das geltende kirchliche Strafrecht – dargestellt auf der Grundlage seiner Entwicklungsgeschichte, Berlin 1993; Ders., Evolution im Strafrecht der römisch-katholischen Kirche mit besonderem Blick auf die delicta graviora und die von Papst Benedikt XVI. in die Wege geleitete Strafrechtsreform, in: Martin Schulte (Hrsg.), Politik, Religion und Recht, Berlin 2017, S. 165 – 209.
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kirchlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung ist.6 Verbunden ist mit dem kirchlichen Vermögensrecht ein durchaus komplexes Mehrebenenrecht von Kodex-Generaldekret-Diözesanrecht, welches einen guten Eindruck vom Rechtsnormenpluralismus verschafft, worin letztlich dann auch eine grundsätzliche Absage an ein geschlossenes System kirchlichen Vermögensrechts liegt.7 Ein Dementi auf das Bild „wohltätiger Fraglosigkeit“ ist die kirchenvermögensrechtliche Kategorie des Stammvermögens (c. 1291 CIC/1983). Meinungsvielfalt à la „ein Jurist – drei Rechtsauffassungen“ und Anwendungsunsicherheiten scheinen die kirchliche Verwaltungspraxis zu beherrschen. Zwischen wohlfeilen Definitionen und Praxis klafft ein garstig breiter Graben, der sich leicht mit der Frage verbinden lässt, ob eine solche Rechtskategorie noch Sinn macht bzw. ihre Funktion erreichen kann. Es lassen sich im kirchlichen Vermögensrecht aber auch explizite Vereinheitlichungsaspekte wahrnehmen: Im Schatten der kirchenrechtlich aufgegebenen Konkretisierungen in Form von Generaldekreten (vgl. cc. 1277, 1291 § 1, 1295 und 1297 CIC/1983)8 zeigt sich auf überdiözesaner Ebene, dass durch Empfehlungen der Bischofskonferenz gemeinsame Festlegungen der Rechtsgeschäfte vorgenommen werden sollen, die überhaupt der kirchenaufsichtlichen Genehmigung bedürfen.9 Hier soll im Wege eines Selbstbindungsmechanismus (weitgehende) kirchenvermögensrechtliche Einheitlichkeit generiert werden. Aktuell interessant zu beobachten sind die Vorgänge im Sektor des kircheneigenen Datenschutzrechts. Dieses durch Art. 91 DS-GVO ermöglichte, im Wege einer Musterregelung des Verbands der Diözesen Deutschlands bundeseinheitlich für alle Diözesen gleich konzipierte Recht war eine „Simultangesetzgebung“, zu der sich alle deutschen Diözesanbischöfe für jeweils ihren Jurisdiktionsbereich verpflichtet hatten.10 Mittlerweile zeigt sich, dass vereinzelte Diözesangesetzgebung anfängt, kreativ die an und für sich bundeseinheitlichen Regelungen des Kirchlichen Datenschutzgesetzes (KDG) zu ergänzen: aus genuin kirchenrechtlicher Perspektive mag dies mangels entgegenstehender, z. B. höherrangiger kirchlicher Vorgaben unproblematisch erscheinen, gleichwohl stellt sich die Frage, ob ein solches „Abweichen“ im 6
Rechtsgrundsätzlich austariert bei Michael Werneke, Ius universale – Ius particulare: Zum Verhältnis von Universal- und Partikularrecht in der Rechtsordnung der lateinischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung des Vermögensrechts, Paderborn 1998. 7 Zu dem Scheitern eines geschlossenen Systems an einem „Pluralismus der Rechtsquellen“ auch Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (246). 8 Siehe dazu die Partikularnorm Nr. 18 und 19 der Deutschen Bischofskonferenz, die gegenwärtig überarbeitet werden. 9 Zum Themenkreis instruktiv Rüdiger Althaus, Wi(e)der den Partikularismus. Zur Problematik der Partikularnorm Nr. 19 der Deutschen Bischofskonferenz zu c. 1292 § 1 CIC, in: ThGl 87 (1997), S. 409 – 422. 10 Vgl. dazu Ansgar Hense, in: Gernot Sydow (Hrsg.), Europäische Datenschutzgrundverordnung. Handkommentar, 2. Aufl., Baden-Baden 2018, Art. 91 Rdn. 32 unter Hinweis auf die Kreation dieses Topos in anderem Zusammenhang bei Walter Klappstein, Möglichkeit und Grenzen einer Simultangesetzgebung, in: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 12 (1997), S. 126 – 134.
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Kontext des weltlichen Rechtskreises und dessen Vorgaben an die kirchliche Rechtssetzung11 so einfach kirchenrechtlich puristisch beantwortet werden kann oder nicht doch in der normativen Zusammenhang und Wechselbezüglichkeit von weltlichem und kirchlichem Recht zu betrachten ist. Dies könnte dann zur Konsequenz haben, dass eine solche diözesane Kreativität vielleicht eher zu unterlassen ist.
III. Staatskirchenrechtliche Anmerkungen zur Einheitlichkeit Die Kirche lebt und wirkt nicht losgelöst von der staatlichen Rechtsordnung. Das Staatskirchenrecht mit seinen Grundgewährleistungen Religionsfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht ermöglicht kirchliche Eigenrechtsmacht,12 weil der freiheitliche Verfassungsstaat nicht für sich beansprucht, „fons et origo omnis iuris“ zu sein, sondern vielmehr durchaus anerkennt: „ecclesia vivit iure proprio“.13 Die staatliche Rechtsordnung findet ihre ausschließliche Funktion aber nicht nur in dieser Ermöglichungsfunktion, sondern hat ebenso disziplinierenden, schrankenziehenden Charakter, wenn es beispielsweise zu Konflikten zwischen Rechtspositionen kommt. So weit so gut. Was hat dies mit Einheitlichkeit kirchlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung zu tun? Vielleicht mehr als auf den ersten Blick erscheinen will. Die Rechtsordnung legt dem religiösen Akteur Kirche für die Wahrnehmung der freiheitsrechtlichen Gewährleistungen des Staates die Obliegenheit auf, dass sie bei der Inanspruchnahme der jeweiligen Freiheitsoption plausibel machen muss, dass es sich ihrem Selbstverständnis nach um einen Akt der Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) oder des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) handelt.14 In diesem Kontext wird dann relevant 11
Hinsichtlich des Datenschutzrechts siehe dazu etwa Hense (Anm. 10), Art. 91 Rdn. 17 – 24 und passim. 12 Zu dieser Eigenrechtsmacht der Kirche die grundlegenden Untersuchungen des akademischen Lehrers von Wilhelm Rees: Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978; siehe auch Ders., Aufgabe und Bedeutung der kanonischen Teildisziplin des Ius Publicum Ecclesiasticum: Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, hg. von Josef Isensee/Wolfgang Rüfner, 2. Hbd., Berlin 1996, S. 989 – 1031. Und aus der Feder des Jubilars: Wilhelm Rees, Joseph Listl (1929 – 2013), in: Philipp Thull (Hrsg.), 60 Porträts aus dem Kirchenrecht, St. Ottilien 2017, S. 567 – 576. 13 In Anlehnung an Formulierungen von Alexander Hollerbach, Die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Essener Gespräche zum Thema von Staat und Kirche, Bd. 1 (1969), S. 46 (51). 14 Ein Versuch, das Plausibilitätskriterium über die bloße Nachvollziehbarkeit hinaus näher zu konturieren, findet sich bei Ansgar Hense, Möglichkeiten und Grenzen der Mitarbeit von anders- und nichtgläubigen Personen in katholischen Einrichtungen aus der Sicht des Staatskirchenrechts, in: Hermann Reichold (Hrsg.), Loyalität und Konfessionsbindung in der Dienstgemeinschaft, Regensburg 2018, S. 65 (S. 80 – 97).
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wer Grundrechtsträger bzw. Träger des religionsgesellschaftlichen Selbstbestimmungsrechts ist. Formal betrachtet ist es nicht „die katholische Kirche an sich“. Dem deutschen weltlichen Staatskirchenrecht wird diesbezüglich eine gewisse „Weltkirchenrechtsblindheit“ (Matthias Jestaedt) attestiert, die dann zur Folge hat, dass nur die in einem Land bzw. einem Landesteil existente „oberste Organisation“ als Rechtssubjekt insbesondere des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Betracht kommt.15 Für Deutschland sind dies die einzelnen Diözesen. Staatskirchenrechtlich könnte man bei sehr formaler Betrachtungsweise dann zu dem Ergebnis kommen, dass unter Umständen in dem eingangs erwähnten Fall des kirchlichen Arbeitsrechts die „dissentierenden“ Bischöfe möglicher Weise mit Recht für sich reklamierten, die überdiözesan getroffene Absprache der Reform des kirchlichen Arbeitsrechts für ihren Jurisdiktionsbereich nicht zu übernehmen. Für eine derart formale Betrachtungsweise spricht möglicherweise ein Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Religionsfreiheit, in dem klargestellt wird, dass für die Plausibilisierung des Selbstverständnisses „nicht notwendigerweise die jeweilige Religion im Ganzen“ Bezugspunkt ist, sondern „abzustellen ist, auf die konkrete, gegebenenfalls auch innerhalb einer Glaubensrichtung bestehende Religionsgemeinschaft“.16 In diesem Sinne könnte dann zum Tragen kommen, dass das deutsche Staatskirchenrecht als Rechtsträgerin des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV gerade die jeweilige Diözese als oberste Teil-Organisation der Gesamtstruktur katholische Kirche auf deutschem Territorium ansieht. Einen anderen Akzent schlägt aber wohl die Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung zum Düsseldorfer Chefarztfall an, die gerade hervorhebt, dass die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts hinsichtlich der Loyalitätspflichten sich gerade „der Gesamtheit der katholischen Bischöfe in Deutschland“ verdankt, die diese „übereinstimmend verabschiedet und promulgiert und damit für ihren jeweiligen Bereich als kirchliches Gesetz in Kraft gesetzt“ hätten.17 Aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich zwar keine eindeutige oder absolute Verpflichtung zur Einheitlichkeit kirchlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung ableiten, gleichwohl zeigt sich die Tendenz, dass Uneinheitlichkeit durchaus geeignet ist, Irritationen zu verursachen, ob ein religionsgesellschaftliches Vorbringen und Agieren den Plausibilitätsanforderungen genügt. Im Grunde führt dies zu einer Rechtfertigungsverpflichtung der Kirche – genauer: der Diözese –, die auch der religiös-weltanschaulich neutrale Staat im Rahmen seiner Plausibilitätskontrolle auslösen darf und staatliche Stellen durchaus in die Lage versetzen, zum einen Rückfragen zu stellen oder zum anderen in Zweifelsfällen sogar externen theologischen Sachverstand einzuholen.18 Im Sinne eines verhaltensökonomischen „Nudging“ wird damit staatskirchenrechtlich eigentlich der Anreiz gesetzt 15 Vgl. Godehard Josef Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930, S. 168. 16 BVerfG (K), EuGRZ 2016, 474 (482) – Krypta-Fall. 17 BVerfGE 137, 276 (331; 336: „flächendeckende Promulgation“). 18 Vgl. BVerfGE 137, 276 (315 f.); BVerfG (K), EuGRZ 2016, 474 (482).
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so einheitlich wie möglich zu agieren. Gerade in all den Fragen, die mit den Missbrauchsskandalen zusammenhängen und eine besondere Dimension der Kirchenkrise19 markieren, zeigt sich das Einheitlichkeitspostulat – neben anderen Aspekten – sehr deutlich: Regularien wie „Präventionsordnungen“ müssen nicht nur gewissen Normsetzungsstandards genügen, sondern müssen auch Ausdruck einheitlicher kirchlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung sein. Eine bemerkenswerte kirchenvermögensrechtliche Unitarisierungsverpflichtung enthält § 8 Abs. 2 Satz 4 der Anlage des Niedersächsischen Konkordats von 1965. In dieser Bestimmung heißt es: „Die Diözesen werden sich über einheitliche Bestimmungen für das Gebiet des Landes Niedersachsen verständigen“. Während diese staatskirchenvertragsrechtliche Bestimmung die kirchlichen Akteure explizit auf eine Einheitlichkeit verpflichtet, wird in Art. 91 DS-GVO zwar formal keine ausdrückliche Einheitlichkeit kirchlicher Datenschutzgesetzgebung postuliert, aber materiell lässt sich der Einheitlichkeitsaspekt wohl in die Voraussetzung hineinlesen, dass die kirchlichen Bestimmungen mit den weltlich-rechtlichen Datenschutzstandards in Einklang zu bringen sind. Ausgehend von der staatskirchenvertragsrechtlichen Formel, dass der kirchliche Datenschutz zwar kein dem staatlichen gleichartiger, aber gleichwohl gleichwertiger sein muss,20 wohnt demzufolge der den Kirchen eingeräumten Eigenrechtsoption vielleicht kein striktes Einheitlichkeitserfordernis, aber doch eine nicht unerhebliche Einheitlichkeitstendenz inne. Aus den vorstehenden Indizien lässt sich ablesen, dass die kirchliche Eigenrechtsmacht nicht losgelöst von den staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen ist. Eine Exemtion aus dem weltlichen Rechtskontext erfolgt nicht. Freiheitsermöglichung bedeutet nicht Herauslösung aus staatlich-normativen Bedingungen. Bindung und Freiheit sind kein widersprüchliches Dual, sondern ein Wechselseitigkeitszusammenhang. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass der weltliche Rechtskreis den innerkirchlichen, wenn auch nicht staatshoheitlich vollständig regelt21, so doch etwa mit einem impliziten oder expliziten Einheitlichkeitspostulat dirigiert und damit Anforderungen, Erwartungen an die kirchliche Selbstregulierung formuliert. Im Datenschutzrecht muss der Staat um der grundrechtlich fundierten staatlichen Schutzverpflichtung hinsichtlich der Datensicherheit willen, 19 Sehr aufschlussreich Franz Xaver Kaufmann, Dimensionen der Kirchenkrise, in: Schweizerische Kirchenzeitung (SKZ) 179 (2011), S. 587 – 592. 20 Vgl. dazu Art. 19 Abs. 2 des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg vom 29. November 2005, in: HmbGVBl. 2006, S. 436 (= AAS 98 [2006], S. 825): „Die Übermittlung der Daten setzt voraus, dass bei der Kirche ausreichende Datenschutzmaßnahmen getroffen sind. Sie erlässt ein die Grundrechte beachtendes eigenes kirchliches Datenschutzrecht, das dem staatlichen gleichwertig ist.“ 21 Das Preußische Gesetz über die Verwaltung des katholischen Kirchenvermögens vom 24. Juli 1924 ist mittlerweile ein Solitär, der nur noch die Diözesen im Bundesland NordrheinWestfalen betrifft und dessen Ablösung und Ersetzung durch kircheneigene Regelungen gegenwärtig angedacht wird. Es handelt sich bei diesem Gesetz um eine lex canonizata (c. 26 CIC/1983). Siehe nur Rüdiger Althaus, 75 Jahre Preußisches Kirchenvorstandsgesetz – Bewährung trotz verfassungsrechtlicher Bedenken, in: ThGl 90 (2000), S. 274 – 298.
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gewährleisten können, dass bei aller Selbstregelungsmacht der Kirche die für den Datenschutz erforderlichen Standards eingehalten werden. Auch eine Einheitlichkeit der Vermögenrechtsregelungen – insbesondere innerhalb eines Bundeslandes – liegt im kirchlichen Eigeninteresse,22 aber eben auch im Interesse der Rechtssicherheit im allgemeinen Rechtsverkehr, wenn es etwa um Rechtsformvorschriften geht, die die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften betreffen (z. B. Vertretungsregelungen, Genehmigungserfordernisse u. a.).23
IV. Kirchenrechtliches zur Einheitlichkeit in fragenden Andeutungen Einheitstopoi sind dem innerkirchlichen Rechtsdenken keineswegs fremd. Wie dem Lehramt eine besondere Verantwortung für die kirchliche Bekenntniseinheit zukommt, so lassen sich auch Einheitsaspekte im Kirchenrecht identifizieren. Die Primatialgewalt des Papstes ist natürlich mit dem Topos „Einheit der Kirche“ verbunden,24 ebenso wie die Kollegialität der Bischöfe „als Prinzip und Fundament der Einheit“ (LG 18)25 oder der Topos „communio“.26 Im Übrigen müsste mal untersucht werden, welche Rechtsthemen durch das kirchliche Gesetzbuch abschließend normativ vorgespurt sind, so dass es universalkirchlich einheitliche Vorgaben gibt, und welche gerade nicht. Grundsätzlich ist einer Kodifikation an sich schon ein großes Maß an Rechtseinung eigen.27 Und selbst dann gibt es immer noch die Frage, ob 22 Dass dies durchaus mit Schwierigkeiten verbunden ist, zeigt sich daran, dass Kirchengrenzen und Staatsgrenzen nicht (mehr) kongruent sind und es somit keinesfalls ausgeschlossen ist, dass eine Diözese sich über mehrere Bundesländer territorial erstrecken kann. Der präformierende und letztlich auch vorrangige Charakter des weltlichen Rechtskreises zeigt sich ggf. dann darin, dass es nicht um die Einheitlichkeit etwa des kirchlichen Vermögensrechts innerhalb einer Diözese geht, sondern der Bezugspunkt das jeweilige Bundesland ist, so dass der einheitlichen Rechtslage im äußeren weltlichen Rechtskreis die innerkirchlich differente korrespondiert. 23 Eine bloße Publizität entsprechender kirchlicher Formvorschriften (z. B. in staatlichen Publikationsorganen wie Gesetz- und Verordnungsblätter, Staatsanzeiger u. ä.) mag formal betrachtet ausreichen, eine zu große innerkirchliche Diversität an Regelungen, die letztlich dieselben oder ähnliche Lebenssachverhalte betreffen, kann sich aber durchaus nachteilig auswirken und den allgemeinen Rechtsverkehr zuungunsten der Kirche irritieren. Welche rechtlichen Konsequenzen dies im Allgemeinen wie im Besonderen haben mag, sei an dieser Stelle ausgeklammert. 24 Vgl. Aymans-Mörsdorf, KanR II, S. 204, 208. 25 Näher Thomas Meckel, Artikel ,Bischofskollegium‘, in: LKRR, 1. Bd., hrsg. von Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Michael Droege/Heinrich de Wall, Paderborn/München/ Wien/Zürich 2019, S. 423 (424 f.). 26 Thomas Meckel, Artikel ,Communio‘, ebd., S. 518 – 520. Andere Aspekte wie die Einheit der Kirchengewalt, dazu Aymans-Mörsdorf, KanR I, S. 399, ließen sich ergänzen. 27 Sehr aufschlussreich aus weltlicher Perspektive Wolfgang Kahl/Patrick Hilbert, Die Bedeutung der Kodifikation im Verwaltungsrecht, in: Rechtswissenschaft 3 (2012), S. 453 – 488.
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diese Vorgaben wirklich „eindeutig“ sind oder nicht doch immer noch ggf. ein Rest an Konkretisierungsspielräumen offen lassen, so dass Normanwendung durchaus eine Form von Rechtserzeugung inhärent ist, die sich als Rechtsetzung beschreiben lässt.28 Selbst ein „abgeschlossen vorhandener Normenbestand“ konstituiert möglicherweise nicht einfach eine „Einheit des Rechts“.29 Es stellt sich die Frage, ob nicht auch im innerkirchlichen Rechtskreis die strikte Unterscheidung von Gesetzgebung und Verwaltung ihre entgegensetzende Schärfe verloren hat und – um mit Richard Bäumlin zu sprechen – die Verwaltung das Werk des Gesetzgebers fortsetzt?30 Eine Kirchenrechtsdogmatik, die sich nicht nur auf das ideale Sollen beschränkt, sondern vermehrt die Lebenssachverhalte und Anwendungspraxen in den Blick nähme, indem sie diese empirisch erschlösse, könnte vielleicht zu aufschlussreichen Ergebnissen gelangen, wie eine kirchliche Praxis im Umgang mit Einheit und Unterschiedenheit aussieht, aber ggf. auch aussehen könnte. Einheitlichkeit als Problem oder Herausforderung wird besonders signifikant in den Fällen, bei denen es zu einer Mehrebenenverschränkung des Kirchenrechts kommt, weil die universalkirchlichen Vorgaben eben nur ein Rahmenrecht konstituieren. Das kirchliche Vermögensrecht ist hierfür das plastische Beispiel. Einerseits gibt es konkrete Rechtssetzungsaufträge, etwa in der Form, Partikularrecht zu schaffen, andererseits dirigiert und determiniert das kodikarische Vermögensrecht nicht zuletzt aufgrund des stark finalen Charakter des Kirchenrechts überhaupt diesen Rechtssektor. Universalität und Partikularität sind auszutarieren. Es fällt dabei auf, dass es im Vergleich zum weltlichen Rechtskreis keine wirklich ausgearbeitete Aufbereitung des Themas Aufsicht gibt.31 Bedacht werden könnten darüber hinaus auch die Einheitlichkeitsherausforderungen oder auch -aufgaben bzw. Differenzierungstendenzen aufgrund des Subsidiaritätsprinzips, des Aspekts Dezentralisierung32 u. a. m. Diese zugegeben abstrakten, anfragenden Hinweise zur Lage des Kirchenrechts verleugnen nicht, dass sie gerade nicht von einem Kanonisten gestellt werden, sondern von einem weltlichen Juristen. Dies ist Absicht. Die damit verbundene Intention ist nicht reine Provokation, sondern vor allem, immer wieder bewusst zu halten, dass gerade das Staatskirchenrecht sich der Aufgabe wie Herausforderung verpflichtet 28
Siehe nur sehr konzise dazu Oliver Lepsius, Normenhierarchie und Stufenbau der Rechtsordnung, in: Juristische Schulung (JuS) 2018, S. 950 (953). 29 So Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (249). 30 Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (247). 31 Siehe zu diesem Aspekt einige tastende Versuche bei Ansgar Hense, Aufsicht und Überwachung im kirchlichen Bereich – vorläufige rechtsdogmatische und verwaltungswissenschaftliche Überlegungen aus katholischer Perspektive, in: Markus Graulich/Thomas Meckel/Matthias Pulte (Hrsg.), Ius canonicum in communione christifidelium. Festschrift zum 65. Geburtstag von Heribert Hallermann, Paderborn/München/Wien/Zürich 2016, S. 665 – 684. Bemerkenswert auch dazu Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (249). 32 Burkhard Josef Berkmann, Dezentralisierung – mehr als ein Schlagwort?, in: MThZ 68 (2017), S. 203 – 223.
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fühlt, sowohl den Rechtskreis des Kirchenrechts als auch den des weltlichen Rechts miteinander in Beziehung zu setzen und die Dualität der Normen nicht allein in eine Entgegengesetztheit münden zu lassen, sondern um ihre je eigene Effizienz und Effektivität willen „zu konkordieren“.33
V. Lässt sich der Topos „Einheitlichkeit“ konturieren? Oder: Einheit als (Rechts-)Problem Bei unbefangener Lesart wird mit dem Topos „Einheitlichkeit“ sicherlich sehr schnell die Annahme von Uniformität, Homogenität o. ä. verbunden. Was heißt aber überhaupt Einheit bzw. Einheitlichkeit? Gibt es „Wege zur Einheit ohne Verkennung der Vielheit“34 oder einer Unterschiedenheit? Die Fragen sind nicht unvorbelastet, sondern können – zumindest von rechtswissenschaftlicher Seite – auf teilweise hochelaborierte rechtsgrundsätzliche Diskussionen zurückgreifen, die besonders zu dem Aspekt „Einheit der Rechtsordnung“ geführt werden,35 aber auch die Aspekte System und Systembildung36 oder Kohärenz und Konsistenz37 betreffen.
33 Auch dieser Topos wird übernommen von Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (246). Es ließe sich auch die Kategorie „praktische Konkordanz“ von Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rdn. 72, 308, heranziehen, zu der Konrad Hesse nicht zuletzt durch Richard Bäumlin inspiriert worden ist. Für Hesse ist damit die Aufgabe bezeichnet, Rechtsgüter einander so zuzuordnen, „dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt.“ Beiden müssen „Grenzen gesetzt werden, damit beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen können“. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang auch Matthias Friehe, Religionsverfassungsrecht als Kollisionsrecht, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Heribert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität. Handbuch, Wien 2018, S. 285 – 302. 34 So die treffende Überschrift bei Philipp Reimer, Einheit und Vielheit der Verfahrensrechtswissenschaft(en): Einsichten der Rechtswissenschaftstheorie, in: Daniel Effer-Uhe/Elisa Hoven/Simon Kempny/Luna Rösingen (Hrsg.), Einheit der Prozessrechtswissenschaft?, Stuttgart u. a. 2016, S. 263 (267). 35 Das Schrifttum zu diesem Punkt ist unüberschaubar. Exemplarisch sei nur auf Folgendes hingewiesen: Manfred Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung. Bedeutungen einer juristischen Formel in Rechtstheorie, Zivil- und Staatsrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 1995; Dagmar Felix, Einheit der Rechtsordnung. Zur verfassungsrechtlichen Relevanz einer juristischen Argumentationsfigur, Tübingen 1998. Aus der Lehrbuch-Literatur seien genannt: Bernd Rüthers/Christian Fischer/Axel Birk, Rechtstheorie, 9. Aufl., München 2016, Rdn. 145 ff., 270 ff., 744 ff., 774 ff.; Thomas M. J. Möllers, Juristische Methodenlehre, München 2. Aufl. 2019, § 4 Rdn. 92 ff., 125 f., § 6 Rdn. 17 ff.; Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. Köln/München 2008, S. 451 ff. 36 Dazu nur Patrick Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, Tübingen 2015. Siehe auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, in: Dirk Ehlers/Walter Krebs (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und des Kommunalrechts, Berlin/New York 2000, S. 1 – 19.
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Der juristische Sprachgebrauch erschließt dabei eine Vielzahl von Bedeutungsvarianten der Topoi Einheit und Einheitlichkeit. Dass diese „weltlichen“ Diskussionen auch für kirchenrechtliche Zusammenhänge bemerkenswert sind, ist nicht nur dem vorstehend angedeuteten staatskirchenrechtlichen „Konkordanz-Ansatz“ geschuldet, sondern auch der Frage – wie sie prominent schon vor einem halben Jahrhundert – Peter Häberle gestellt hat: Gibt es „gemeinrechtliche“ Gemeinsamkeiten zwischen staatlichem und kirchlichem Recht?38 Damit soll nicht voreiligen Analogien zum staatlichen Bereich das Wort geredet werden. Solchen Staatsanalogien ist mit Hinblick auf das kirchliche Recht mit Vorsicht zu begegnen. Beispielsweise ist die Übernahme der aus dem weltlichen Bereich stammenden verwaltungsrechtlichen Unterscheidung von Rechts- und Fachaufsicht im Sektor des kirchlichen Vermögensrechts erst einmal mit einem Fragezeichen zu versehen. Zeigt sich in dem Ausweichen auf weltliche Kategorien als Lösungsoptionen nicht etwa, dass den kircheneigenen Rechts- und Handlungsoptionen zu wenig vertraut wird? Ungeachtet dessen stellt sich natürlich die Frage nach solchen Gemeinsamkeiten, in denen sich Kirchenrecht und weltliches Recht begegnen. Es fragt sich aber auch, ob und wie „einheitlich“ das Kirchenrecht selbst sein muss. In welchem Maße sind Unterschiede zulässig, wieviel Einheit und Einheitlichkeit der Rechtsetzung und Rechtsanwendung bedarf es? Für den praktisch relevanten Sektor des kirchlichen Arbeitsrechts ist den Kirchen aufgeben, dass die Rechtsanwendung nicht willkürlich sein darf. Um dem zu begegnen, sucht die 2015 modifizierte Grundordnung der deutschen Diözesen explizit die einheitliche Rechtsanwendung durch eine diözesane „zentrale Stelle“ sicherzustellen (Art. 5 Abs. 4).39 Wenn der Staatskirchenrechtler hier die Frage nach der Einheitlichkeit als Anforderung an kirchliche Rechtssetzung und Rechtsanwendung aufwirft, intendiert dies keine ausschließliche Suche nach der einen Grundaporie kirchlicher Rechtsordnung, der gleichsam Ewigkeitscharakter zukommt. Die Frage setzt sicherlich insofern weit unterhalb der rechtstheologischen Fragenstellung an. Sie betrifft vielmehr tragende Grundprinzipien kirchlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung, die sich darum bemühen, juridische Differenzierungen, Kategorien, Institute herauszukristallisieren. Die Frage nach Einheit und Einheitlichkeit sucht Zusammengehöriges zu identifizieren, indem es in Beziehung setzt.40 Einheit und Einheitlichkeit sind nicht zwin37 Hier ließe sich anführen Eberhard Schmidt-Aßmann, Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes: Herausforderungen angesichts vernetzter Verwaltungen und Rechtsordnungen, Tübingen 2015. 38 Peter Häberle, ,Gemeinrechtliche‘ Gemeinsamkeiten der Rechtsprechung staatlicher und kirchlicher Gerichte?, in: JZ 1966, S. 384 – 389. Auch dazu Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238 (246). 39 Hieran zeigt sich auch noch einmal der Umstand, dass – ungeachtet dessen, dass auch mehrere Diözesen eine solche zentrale Stelle bilden können – „Zurechnungsendsubjekt“ des deutschen Staatskirchenrechts in der Form Religionsgesellschaft nach den inkorporierten Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung die jeweilige Diözese ist. 40 In Übernahme eines Gedankens von Schmidt-Aßmann, Kohärenz und Konsistenz (Anm. 36), S. 9.
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gend ein geschlossenes, ideales Ganzes, sondern z. B. auch offen für Binnendifferenzierungen.41 Einheit und Einheitlichkeit fungieren eher als Reflexionskategorien, die in dem Kraftfeld von Staat und Kirche einschließlich beispielsweise der innerkirchlichen Binnendifferenzierung (etwa zwischen den Diözesen innerhalb eines Staates) rechtliche Partikularität, Unterschiedlichkeit der Rechtsanwendung u. v. a. m. sichtbar machen sollen. Ein Wahrnehmungs- bzw. Reflexionsergebnis kann dabei u. U. auch sein, dass Rechtsetzungsaufgaben bzw. -herausforderungen adressiert werden, weil Abstimmungsdefizite, Harmonisierungserfordernisse, aber ggf. auch Entwicklungsoptionen deutlich gemacht würden. Es stellt sich etwa hinsichtlich des kirchlichen Vermögensrechts und der gegenwärtigen Konzeption der beiden Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 18 und Nr. 19 die Frage, ob es nicht eines Empfehlungsteils42 zu der partikularrechtlichen Regelungsbedürftigkeit des Vermögensrechts bedarf, der anstatt sich in punktuellen Details zu rechtsgeschäftlichen Genehmigungsbedürftigkeiten zu verlieren,43 vielmehr einen gesamtperspektivischen Ordnungsentwurf konzeptionell erarbeitet, der Orientierung und Stabilität bietet?44 Eine wohltemperierte kodifizierende Rechtsvereinheitlichung mit Augenmaß, die Ordnungsstandards (z. B. hinsichtlich des Aufsichtsverständnisses, aber auch der Feststellung von Begriffsverständnissen etc.) verallgemeinerungsfähig umschreibt, wäre doch vielleicht ein Beitrag zur kirchlichen Rechtskultur und ein Beitrag, das schwierige Verhältnis zwischen Aufwand und Effizienz kirchlichen Verwaltungshandelns auszutarieren. Auch Verhaltenserwartungen würden dabei transparenter gemacht. Eine derartige konkretisierende „unechte45 Teil-Kodifikation“ kirchlichen Vermögensrechts würde nicht nur die Konsistenz dieses Teilrechtsgebiets deutlich(er) machen, indem die innere Stimmigkeit herausgearbeitet würde. Vielmehr würde vielleicht auch die Kohärenz dieses Rechtsgebiets mit universalkirchenrechtlichen Vorgaben deutlicher und darüber hinaus der Zusammenhang und die Verschränkungen etwa mit weltlich-rechtlichen Ordnungsgefügen, auf die die kirchliche Rechtsordnung durchaus reagieren muss, weil diese normativen Rahmenbedingungen eben keine zu vernachlässigende Größe sind,
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Vgl. Hilbert, Systemdenken (Anm. 35), S. 9 f. Art. 14 Abs. 1 lit. a Statut der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Regelungsgehalt, dass solche Empfehlungen, wenngleich ihnen im strikten Sinn keine Rechtsverbindlichkeit zukommt, doch der Gemeinsamkeit und Gleichmäßigkeit des Vorgehens dienen. 43 Es wird hiermit keineswegs in Frage gestellt, dass es solche Detailregelungen geben kann und darf. Es sei aber ausdrücklich die Frage aufgeworfen, ob sich die Regelungstätigkeit – die sich in der Regel gewissen Zufälligkeiten bei der Entstehung verdankt – darin erschöpfen sollte. 44 Dies kann dann die dem Diözesanbischof verbleibende Rechtssetzungszuständigkeiten und -befugnissen anleiten, aber auch diözesane Rechtsanwendungen stabilisieren. 45 Unecht deshalb, weil ihr nur ein geringerer Verbindlichkeitsgrad wie „moralische Verpflichtung“ zukäme. 42
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sondern konstitutiver Bestandteil der Gewährleistungsreichweite der Kirchenfreiheit in der staatlichen Rechtsordnung.46
VI. Nur ein kleiner Ausblick Die vorstehend nur kursorisch47 behandelte Frage nach der Einheitlichkeit kirchlicher Rechtsetzung und Rechtsanwendung will jenseits aller Ausdifferenzierung in die Fachsektoren Kirchenrecht und Staatskirchenrecht gerade eine „Überdifferenzierung“ und einen garstig breiten Graben zwischen diesen beiden Fachdisziplinen im Besonderen vermeiden, sondern statt dessen sowohl fachübergreifend als auch jeweils fachintern Herausforderungen formulieren, die offen zu Tage treten, aber vielleicht doch auch immer wieder bewusst gehalten werden müssen, weil es ansonsten nur zu „selbstreferentiellen Fachbruderschaften“ (Wolfgang Kahl) kommt. Staatskirchenrecht ist immer auch Kirchenrecht! Der Dialog erschöpft sich aber nicht in rein theoretischem Räsonieren. Es sei an dieser Stelle, da nichts so praktisch ist wie gute theoretische Überlegungen, auch ein sehr nachdrückliches Plädoyer dafür geführt, der Analyse des Realbereichs kirchlicher Verwaltung eine größere, empirische Aufmerksamkeit zuzuwenden, weil alle Grundfragen der Methodik und Dogmatik letztlich mit einer Analyse der Fakten und Bedürfnisse der Verwaltungspraxis einzusetzen haben.48 Juridischen Versteinerung durch einmal fixierte Grundannahmen sind 46 Ein Optieren für Bereichsausnahmen wurzelt in obsoleten Rechtsvorstellungen, die z. B. mit der Koordinationslehre verbunden wurden, seit langem aber nicht mehr den wissenschaftlichen Stand der Diskussion und schon gar nicht der Rechtsprechung repräsentieren. Vgl. nur Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, 4. Aufl., Baden-Baden 2018, Rdn. 44 f. Wesentliche Grundinformation auch bei Michael Germann, Artikel ,Koordinationslehre‘, in: RGG, Bd. 4, 42001, Sp. 1668. 47 Die Komplexität ließe sich auch noch organisationsrechtlich steigern, wenn sie etwa um Facetten wie z. B. sind Kirchengemeinden und Diözesen beihilferechtlich als separate Zuwendungsempfänger zu qualifizieren oder handelt es sich möglicherweise um ein „einheitliches Unternehmen“ (im Sinn des Art. 2 Abs. 2 der EU-Verordnung Nr. 1407/2013 [ABl. EU, L 351]: „ein einziges Unternehmen“)? Es zeigt sich hier wie auch in anderen Bereichen, dass das Verhältnis Kirchenrecht und Ökonomie in einem weit verstandenen Sinne, Staatskirchenrecht und Europarecht noch weitere, neue, noch nicht abschließend arrondierte Fragen und Herausforderungen parat hält. 48 Auch dies wiederum im Anschluss an Bäumlin (Anm. 3), in: ZevKR 13 (1967/68), S. 238. „Rechtstheorie im allgemeinen und juristische Methodik im besonderen müssen ihre Utilität in den concreta und concretissima erweisen“ (so Bäumlin, ebd. S. 239). Es sei in diesem Kontext auch an das Loseblatt-Lexikon des Bischöflichen Instituts für kirchliche Verwaltung und Finanzwirtschaft (zwei Bände, die einzelnen Lieferungen erschienen zwischen 1937 – 1942) erinnert. Zu dem Herausgeber dieses Lexikons, Heinrich Weber (1888 – 1946), dem Institut u. a., siehe Manfred Hermanns, Heinrich Weber: Sozial- und Caritaswissenschaftler in einer Zeit des Umbruchs. Leben und Werk, Würzburg 1998. Aus eigener praktischer Tätigkeit sei darüber hinaus mitgeteilt, dass es teilweise frappierend ist, wie vor einigen Jahren noch vorhandenes Institutionen- und Organisationswissen über kirchliche Strukturen mittlerweile verloren gegangen ist und nur durch mühsame Einzeluntersuchungen – verbunden in der Regel mit intensiven Archivstudien – wieder gehoben bzw. rekon-
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ebenso wenig das Anliegen wie konturlose Anpassungen und standpunktlose Offenheit. Es gilt vielmehr die sich immer wieder zeigenden Spannungen zwischen Unterschiedenheit und Einheit sowie zwischen Unterschiedlichkeit und Einheitlichkeit produktiv auszuhalten und zu gestalten. Eine Unterscheidung der Geister tut immer wieder not. Das Oeuvre des Jubilars ist hierfür Exempel. Mögen die vorstehenden eher essayistischen, schwerpunktmäßig durchaus bewusst aus weltlich-rechtlicher Perspektive geschriebenen Ausführungen einen Ansatzpunkt dafür bieten, den Dialog zwischen Kirchenrecht und Staatskirchenrecht fortzusetzen. Sie sind dem Jubilar auch in menschlich verbindender Intention zugedacht.
struiert werden kann. So etwas wie eine kirchliche Verwaltungswissenschaft könnte zur Sicherung von Realbereichsanalysen durchaus nicht ungewichtige Hinweise geben und Wissensbestände speichern.
Kirche und Staat in Bayern nach der Verfassung von 1919 Von Alfred E. Hierold Das Verhältnis von Kirche und Staat erlebte in Bayern nach dem Ende des 1. Weltkrieges einen gewaltigen Umbruch; denn der eine Partner, der Staat, hatte sich erheblich verwandelt. Aus dem Königreich wurde eine parlamentarische Demokratie, und der Souverän war nun nicht mehr ein König, sondern das Volk selbst, vertreten durch seine Abgeordneten. Dies erforderte eine neue Ordnung, die mit der neuen Verfassung von 1919 ihren Niederschlag fand. Die Frage war jetzt, wie sich die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften in diese neue Ordnung einfügen sollten und konnten. Um den Unterschied deutlich zu machen, ist es notwendig, einen Rückblick zu unternehmen.
I. Die Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 18181 Schon in der Einleitung der Verfassung, die der König Maximilian I. erließ, wurde jedem Bürger die „Freyheit des Gewissens und gewissenhafte Scheidung und Schützung dessen, was des Staates und der Kirche ist“, zugesichert. Diese Gewährleistung wird in Teil IV § 9 noch einmal wiederholt und angefügt: „die einfache Haus-Andacht darf daher Niemanden, zu welcher Religion er sich bekennen mag, untersagt werden.“ Etwas Anderes ist die öffentliche Ausübung der Religion. Hier genießen „die in dem Königreiche bestehenden drey christlichen Kirchen-Gesellschaften … gleiche bürgerliche und politische Rechte“ (Abs. 2). Gemeint sind die Römisch-Katholische Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche und die Evangelisch-Reformierte Kirche. „Die nicht christlichen Glaubens-Genossen haben zwar vollkommene Gewissens-Freyheit, sie erhalten aber an den Staatsbürgerlichen Rechten nur in dem Maaße einen Antheil, wie ihnen derselbe in den organischen Edicten über ihre Aufnahme in die Staats-Gesellschaft zugesichert ist“ (Abs. 3). In Abs. 4 wird allen Religionsteilen, ohne Ausnahme, das Eigentum der Stiftungen und der Genuss ihrer Renten nach den ursprünglichen Stiftungs-Urkunden und dem rechtmäßigen Besitze vollständig gesichert, „sie seyen für den Cultus, den Unterricht oder die Wohlthätigkeit bestimmt“. Die Verfassung gesteht in Abs. 5 zwar zu, dass die geistliche Gewalt in ihrem eigentlichen Wirkungskreis nie gehemmt werden darf und die weltliche Re1
Alfons Wenzel, Bayerische Verfassungsurkunden, Stamsried 32000.
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gierung sich nicht in rein geistliche Gegenstände der Religions-Lehre und des Gewissens einmischen darf, aber wenn das Obersthoheitliche Schutz- und AufsichtsRecht eintritt, dürfen keine Verordnungen und Gesetze der Kirchen-Gewalt ohne vorgängige Einsicht und das Placet des Königs verkündet und vollzogen werden. Gegen die von den Kirchen beanspruchte Immunität ist Abs. 6 gerichtet: „Die Kirchen und Geistlichen sind in ihren bürgerlichen Handlungen und Beziehungen wie auch bezüglich des ihnen zustehenden Vermögens den Gesetzen des Staates und den weltlichen Gerichten untergeben; auch können sie von öffentlichen Staatslasten keine Befreiung beanspruchen.“ Zu diesen Verfassungsnormen kommen noch die besonderen Edikte, auf die nicht näher eingegangen werden soll. Jedoch behielt das Konkordat, das am 5. Juni 1817 zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian Joseph abgeschlossen wurde, seine Geltung.
II. Das Bayerische Konkordat von 18172 Das Konkordat von 1817 bildet einen gewissen Abschluss der Säkularisation und bringt Kirche und Staat wieder in eine größere Nähe. Zunächst werden die territoriale Gliederung der Diözesen in Bayern und die Errichtung der beiden Kirchenprovinzen mit Sitz in München und Bamberg vereinbart (Nr. 2) und die entsprechenden Domkapitel errichtet (Nr. 3). So wurde das frühere Bistum Chiemsee als aufgelöst erklärt und dessen Gebiet dem neuen Erzbistum München-Freising zugeschlagen. Es werden schließlich die finanziellen Fragen der Bischöfe und Domkapitel geregelt (Nr. 4). Es wird die Errichtung von Priesterseminaren und theologischen Ausbildungsstätten zugesichert (Nr. 5), ebenso die Versorgung der pensionierten Priester (Nr. 6). Auch dürfen wieder neue Ordenshäuser errichtet werden (Nr. 7), nachdem im Zuge der Säkularisation viele Klöster aufgehoben worden waren, und der kirchliche Besitz, der aus der Säkularisatin noch übrig geblieben war, wird gewährleistet (Nr. 8). Dem König und seinen katholischen Nachfolgern wird das Recht eingeräumt, die Männer, die nach den kirchlichen Normen für dieses Amt geeignet sind, für das Bischofsamt zu nominieren (Nr. 9), ebenso die Dompröpste (Nr. 10). Die Könige haben dieses Recht mit großer Verantwortung wahrgenommen, auch wenn es manchmal Schwierigkeiten gab, z. B. bei der Nominierung von Maximilian Lingg3, dem Professor für Kirchenrecht am Lyceum in Bamberg. Es wird die Verleihung der bepfründeten Kirchenämter geregelt (Nr. 11) und den Bischöfen die Freiheit bei der Ausübung ihres Dienstes zugesichert (Nr. 12). Die Verbreitung von Büchern, die dem Glauben, den guten Sitten und der kirchlichen 2
Angelo Mercati (Hrsg.), Raccolta di Concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sege e le Autorità Civili, Vatikan 1954, S. 591 – 596. 3 Engelbert Buxbaum, Maximilian Lingg. 1842 – 1930. Leben und Wirken eines Bischofs nach eigenen und zeitgenössischen Dokumenten, St. Ottilien 1982.
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Disziplin widerstreiten, werden von der staatlichen Regierung verhindert (Nr. 13). Der König selbst wird sich als Schutzherr der Kirche und ihrer Amtsträger erweisen (Nr. 14). Dies alles ist um einen teuren Preis erkauft; denn die neuen Bischöfe und Erzbischöfe haben einen besonderen Treueid vor dem König zu leisten, der lautet: „Ich schwöre und verspreche bei den heiligen Evangelien Gottes Gehorsam und Treue gegenüber der königlichen Majestät; ebenso verspreche ich, dass ich keine Gemeinschaft haben, an keinem Rat teilnehmen und mit keiner verdächtigen Vereinigung innerhalb oder außerhalb Verbindung halten werde, die der öffentlichen Ruhe schaden. Und ich werde es Seiner Majestät anzeigen, wenn ich in meiner Diözese oder anderwärts erfahre, dass etwas zum Schaden des Staates gehandelt wird“ (Nr. 15).
III. Die Verfassung des Freistaates Bayern von 19194 Die Revolution von 1918 brachte auch eine entscheidende Veränderung in dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat; denn der eine Partner, der Staat, war ein anderer geworden. Der König wurde für abgesetzt erklärt und die Monarchie abgeschafft. Nun galt es auch, das Verhältnis zwischen der neuen Demokratie und den Religionsgemeinschaften zu klären. Der Erzbischof von Bamberg Jakobus von Hauck erklärte bereits im November 1918, dass es nicht Aufgabe der Kirche sei, zu entscheiden, welche Staatsform besser sei oder mit welchen besonderen Einrichtungen ein christliches Staatswesen zu führen sei. Zum anderen erinnerte Weihbischof und Generalvikar Adam Senger am 3. April 1919 an das am 28. Juni 1917 erlassene päpstliche Verbot, auf der Kanzel politische Dinge zu behandeln. So akzeptierte man von Seiten der katholischen Kirche die neue Verfassung vom 15. September 1919, die von dem großen Staatsrechtler Robert Piloty und dem Ministerialrat Josef von Graßmann erarbeitet und vom Landtag in Bamberg beschlossen wurde, da aufgrund der Revolutionswirren der Landtag von München in das ruhige Bamberg gezogen war. Ja, man erwies sich als Verteidiger der neuen Demokratie. Als in München die Räterepublik ausgerufen wurde, wandte sich Adam Senger mit Hinweis auf die Gefahr für das öffentliche Wohl am Karsamstag, dem 19. April 1919, telegraphisch mit einem dramatischen Appell an alle katholischen Pfarrämter Bayerns: „Unser geliebtes Vaterland befindet sich in größter Gefahr. Ein Haufen von Ausländern hat sich der Hauptstadt München bemächtigt, übt daselbst eine Schreckensherrschaft aus. … Die rechtmäßig bestehende Regierung hat einen Aufruf zur Bildung von Freicorps ergehen lassen. Von seinem Erfolg hängt Wohl und Wehe des Vaterlandes ab. Wir ersuchen die Geistlichen, durch Hausbesuche und auch von der Kanzel 4
Alfons Wenzel, Verfassungsurkunden (Anm. 1), S. 175 – 186. Vgl. dazu Christian Georg Ruf, Die Bayerische Verfassung vom 14. August 1919 (= Schriften zum Landesverfassungsrecht), Baden-Baden 2015; Karl Möckl, Monarchie und Republik Bayern. Zur Bedeutung der Bayerischen Verfassung 1919, in: Theo Stammen (Hrsg.), Politik-Bildung-Religion. Festschrift für Hans Maier zum 65. Geburtstag, Paderborn u. a. 1996, S. 177 – 196.
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aus kräftigst dafür einzutreten, dass möglichst viele tüchtige Gemeindeangehörige dem Rufe folgen.“ Die Verfassung von 1919 und deren Normen in Bezug auf die Religionsgemeinschaften müssen auch gelesen werden in Zusammenhang mit der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, die in Weimar erarbeitet und beschlossen worden war. Denn die Verfassung selbst verweist auf die Vorschriften der Verfassung des Deutschen Reiches in den Artikeln 135 bis 141 und versteht sich so als Ergänzung zur Weimarer Reichsverfassung (= WRV). Nun zu den Einzelbestimmungen: Die Bayerische Verfassung gewährleistet in § 17 (1) die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit; dies ohne jede Einschränkung. Absatz 2 dieses Paragraphen regelt die Zugehörigkeit von Kindern zu einer Religionsgemeinschaft und bestimmt: „Die Entscheidung über die Zugehörigkeit der Kinder zu einer Religionsgesellschaft steht bis zu deren vollendeten sechzehnten Lebensjahre den Erziehungsberechtigten zu. Bis zu diesem Zeitpunkte können die Eltern die Zugehörigkeit ihrer Kinder zu einer Religionsgesellschaft auch durch Vertrag regeln. Ein solcher Vertrag bedarf der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung; er wird durch den Tod der Eltern nicht berührt. Ist ein Kind mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten vor Vollendung des sechzehnten Lebensjahres durch einen Kultusakt einer Religionsgemeinschaft endgültig in diese aufgenommen worden, so kann hieran durch die Erziehungsberechtigten nichts mehr geändert werden. Von diesem Alter an hat das Kind selbst die Freiheit der Entschließung über sein Verbleiben in der Religionsgesellschaft.“ Die Verfassung, die die Religionsfreiheit gewährleistet, muss auch etwas über den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft bestimmen, da die Religionsgemeinschaften selbst keinen Austritt kennen, allenfalls Konsequenzen für einen solchen Austritt vorsehen, z. B. zu keinen Leistungen mehr heranziehen oder von kirchlichen Ämtern und Sakramenten ausschließen. So heißt es in § 17 Abs. 3: „Der Austritt aus einer Religionsgesellschaft kann mündlich oder schriftlich bei dem Standesamte des Wohnsitzes oder ständigen Aufenthaltsortes erklärt werden. Die schriftliche Erklärung bedarf der Beglaubigung durch eine öffentliche Behörde.“ Etwas unsystematisch werden in § 17 Abs. 4 gleich finanzielle Fragen angesprochen, wenn es heißt: „Neue freiwillige Leistungen des Staates, der bürgerlichen Gemeinden und Gemeindeverbände an eine Religionsgemeinschaft werden durch Zuschläge zu den Staatssteuern und Umlagen der Angehörigen dieser Religionsgemeinschaften aufgebracht.“ Dies entspricht Art. 137 Abs. 6 WRVund ist die Rechtsgrundlage für unsere Kirchensteuer. So bestimmen auch heute noch die Länder die Höhe der Kirchensteuer. Um die Religionsgemeinschaften selbst und ihre Organisation geht es in § 18. So heißt es in Abs. 1: „Die Vereinigung von Religionsgenossen zu gemeinsamer Hausandacht oder zu öffentlichen Kultushandlungen, zu Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden oder geistlichen Gesellschaften ist innerhalb des Gesetzes freigege-
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ben.“ Damit ist ein Gesetzesvorbehalt angebracht, der dem Staat noch eine gewisse Kontrolle zuspricht. Um deren rechtliche Position geht es in Abs. 2: „Bestehende Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden oder geistliche Gesellschaften, dann ihre Anstalten, Stiftungen oder sonstigen Einrichtungen bleiben rechtsfähig, soweit sie es bisher waren. Neue können die Rechtsfähigkeit nach Maßgabe der geltenden Rechte erwerben. Ihr Eigentum und ihre anderen Rechte sowie ihr Bekenntnisgepräge werden gewährleistet.“ Parallel zu Art. 137 Abs. 3 WRV bestimmt auch § 18 Abs. 3 BV: „Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden und geistlichen Gesellschaften wird die selbständige Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten“ gewährleistet. Was den Umfang ihrer Angelegenheiten betrifft, so gab es eine umfangreiche Diskussion, die hier nicht nachgezeichnet werden kann. Ebenso wird „den Religionsgesellschaften und Religionsgemeinden, welche die Rechtsstellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts besitzen, auch die Besteuerung ihrer Mitglieder auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten innerhalb der Schranken des Gesetzes gewährleistet“. Einen wichtigen Punkt berührt Abs. 4, der besagt: „Bis zur Ablösung der Staatsleistungen gemäß Art. 138 der Verfassung des Deutschen Reiches bleiben die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften aufrechterhalten.“ Zu einer Ablösung der Staatsleistungen gemäß Art. 138 WRV ist es bis heute nicht gekommen. Ebenso wird eine weitere Vergünstigung in Abs. 5 fortgeführt, in dem es heißt: „Bis zu dem gleichen Zeitpunkte dürfen Gebäude und Grundstücke des Staates, die derzeit irgendwelchen Kultuszwecken dienen, diesen gegen den Willen der Beteiligten nicht entzogen werden.“ Mit diesen verfassungsrechtlichen Normen sind zusammen mit den Bestimmungen der Weimarer Verfassung die Grundlinien des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften gelegt, aber andere Fragen sind damit noch offen geblieben. Diese sollten durch Verträge gelöst werden.
IV. Das Bayerische Konkordat von 19245 So eröffnete noch im Herbst 1919 der damalige Nuntius in Bayern, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., Verhandlungen mit dem neuen bayerischen Ministerpräsidenten, dem Sozialdemokraten Johannes Hoffmann. Die oft jahrelang unterbrochenen Verhandlungen wurden ausschließlich zwischen dem Nuntius und den wechselnden Münchner Kabinetten geführt. Der bayerische Episkopat hatte daran ebenso wenig Anteil wie der bayerische Gesandte beim Vatikan. Bei den Verhand5 Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd., Berlin 1987, S. 289 – 302.
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lungen bereitete die Schulfrage die größten Schwierigkeiten. Am 29. März 1924 konnte das Konkordat unterzeichnet werden. Um dem Paritätsgebot zu genügen, aber auch um die protestantischen Abgeordneten für eine Annahme des Konkordats zu gewinnen, hatte das Kabinett von Knilling an diesem Tag auch entsprechende Verträge mit der evangelischen Kirche rechts des Rheins und mit der Pfälzischen Landeskirche unterzeichnet. Am 15. Januar 1925 stimmte der Landtag den drei Kirchenverträgen mit einer Mehrheit von 73 gegen 52 Stimmen zu. Mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden trat das Konkordat am 24. Januar 1925 in Kraft. Das Konkordat war schweren Belastungen ausgesetzt. Den meisten Konfliktstoff boten die Bestimmungen für das Schul- und Hochschulwesen, für die Staatsleistungen an die Kirche und für die Besetzung der kirchlichen Ämter. Was die Volksschulen betrifft, so wurde die Bekenntnisschule zur Regelschule erklärt und der Staat hatte für eine entsprechende Lehrerbildung zu sorgen. Bei den Hochschulen räumte das Konkordat den Bischöfen ein besonderes Vetorecht ein, und zwar für die Ernennung aller Professoren an den Katholisch-Theologischen Fakultäten der Universitäten und an den Philosophisch-Theologischen Hochschulen. Darüber hinaus bestimmt der einschlägige Art. 3, dass die Bischöfe einen akademischen Lehrer an den genannten Fakultäten und Hochschulen „wegen seiner Lehre oder wegen seines sittlichen Verhaltens“ beanstanden und die Amtsenthebung oder Versetzung des Betroffenen verlangen können. Außerdem verpflichtete sich der Staat, sogenannte Weltanschauungsprofessuren für Philosophie und Geschichte an den Universitäten München und Würzburg zu errichten, die nur mit Professoren besetzt werden durften, gegen die hinsichtlich ihres „katholisch-kirchlichen Standpunkts keine Erinnerung“ zu erheben sei. Für die Besetzung der geistlichen Ämter sollte die Kirche künftig völlig freie Hand haben. Der Staat verzichtete auf das frühere Ernennungsrecht für die Erzbischöfe und Bischöfe und auf das Präsentationsrecht für die Pfarreien. Was die Wahl der Bischöfe durch das Domkapitel betraf, wie dies im preußischen und badischen Konkordat vorgesehen war, konnte sich die bayerische Regierung nicht durchsetzen. Die Domkapitel können nur entsprechend den gesamtkirchlichen Normen bei Vakanz des Bischofsstuhls eine Dreierliste beim Papst einreichen, die aber für diesen nicht verbindlich ist. Was die vom Staat zu erbringenden Dotationspflichten betrifft, wurden diese aus dem Konkordat von 1817 durch neue, für die Kirche vorteilhafte Vereinbarungen abgelöst. Außerdem verpflichtete sich der Staat, die katholische Kirche zu schützen und zu fördern, wenn es um die Amtspflichten und die Ausübung des Gottesdienstes geht. Als eine Art Gegenleistung versicherte die Kirche im Artikel 13 des Konkordats, dass nur Personen in das geistliche Amt berufen werden dürfen, die „die bayerische oder eine andere deutsche Staatsangehörigkeit“ besitzen, ein deutsches Humanistisches Gymnasium absolviert haben und ein in Deutschland oder in Rom erworbenes theologisches Abschlusszeugnis vorweisen können.
Kirche und Staat in Bayern nach der Verfassung von 1919
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Ein Überbleibsel aus der alten Ordnung ist Artikel 14: Die bayerische Regierung ist vor der Ernennung der Bischöfe und Erzbischöfe zu fragen, ob keine „Erinnerungen politischer Natur obwalten“. Dabei wird ausdrücklich erklärt, dass es sich nicht um Einwände parteipolitischer Art handeln darf. Ein weiteres Relikt aus alter Zeit ist der Amtseid, den ein neu ernannter Bischof aufgrund Art. 16 des Reichskonkordats vor dem Ministerpräsidenten eines Landes zu leisten hat, der lautet: „Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, dem Deutschen Reich und dem Lande … Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmäßigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte.“ Um das Konkordat gab es in den Jahren danach heftige parlamentarische und außerparlamentarische Auseinandersetzungen. Kardinal Faulhaber, der zunächst mit dem Erreichten nicht zufrieden war, pries später das Konkordat als ein „Jahrhundertwerk“. Faulhaber, der letzte Kirchenfürst, war zunächst geschockt durch die Revolution und bezeichnete in seiner Silvesterpredigt 1918 die neu durch die Revolution etablierte Herrschaft im Land eine „Regierung von Jehovas Zorn“. In spektakulärer Weise hat der Kardinal Ende August 1922 seinen Vorbehalten gegenüber der Weimarer Republik Ausdruck verliehen beim 62. Deutschen Katholikentag auf dem Königsplatz in München. Es kam zu einer Kontroverse mit dem Präsidenten des Katholikentags, dem 46-jährigen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der nach den negativen verfassungspolitischen Wertungen des Kardinals Wert auf die Feststellung legte, dass hinter diesen Worten „die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht stehe“. Obwohl Faulhaber noch dem monarchistischen Gedanken nachhing, bejahte er später die neue Ordnung und wandte sich in seinen viel beachteten Predigten zum Papstsonntag, zu Allerheiligen und Silvester gegen die aufsteigenden nationalsozialistischen Tendenzen. Das Konkordat ist bis heute noch in Kraft, auch wenn es inzwischen viele Änderungen erfahren hat, z. B. durch die Umgestaltung des Schulwesens im Jahr 1968 von der Konfessionsschule zur christlichen Gemeinschaftsschule und mit der damit einhergehenden Änderung der Lehrerausbildung oder durch die Neustrukturierung des Hochschulwesens mit der Neukonstituierung von Theologischen Fakultäten, die jetzt wieder vor einer Änderung stehen. Zu den hier aufgezeigten Entwicklungen gehören auch die Verträge des Freistaates Bayern mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins6 und mit der Vereinigten protestantisch-evangelischen-christlichen Kirche der
6 Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins vom 15. 11. 1924, in: Listl (Anm. 5), S. 508 – 516. Vgl. dazu Ulrich Scheuner, Evangelische Kirchenverträge I und II, in: Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 337 – 346.
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Pfalz7 vom 15. November 1924. Die Verträge sollen hier nicht weiter erörtert werden, da sie in der Struktur und Tendenz dem Konkordat entsprechen. Sie haben auch eine ähnliche Entwicklung genommen. Dieses Corpus von Normen zwischen Staat und Kirche findet sich im Wesentlichen in der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946 wieder. Das Konkordat von 1924 gilt mit den Änderungen bis heute, und die Normen der Reichsverfassung von 1919 sind im Art. 140 ohnehin in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eingegangen. Das bedeutet, dass wir es mit einem ausgewogenen Staat-Kirche-Verhältnis zu tun haben, das sich nun, gerade auch durch die Anpassungen, bewährt hat.
7 Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz (Pfälzischen Landeskirche) vom 15. 11. 1924, in: Listl (Anm. 5), S. 517 – 523.
Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz und der Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften Zu einem Grazer Forschungsprojekt Von Johann Hirnsperger Der österreichische Bundesgesetzgeber hat mit dem das Gesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften vom 9. Jänner 19981 (BekGG) das neue Rechtsinstitut der staatlichen Eintragung geschaffen und ermöglicht damit den auch in Österreich zahlreich vertretenen mitgliedermäßig kleineren Religionsgemeinschaften den Erwerb eines speziellen Rechtsstatus. Anders als bei der staatlichen Anerkennung, welche die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verleiht, entsteht bei der Eintragung eine juristische Person privaten Rechts. Die mit der Eintragung gegebene rechtliche und gesellschaftliche Aufwertung schafft verbesserte Voraussetzungen für das Wirken in der Öffentlichkeit. Dies führt zu verstärkter Präsenz konkurrierender religiöser Angebote, eröffnet aber auch neue Möglichkeiten von Begegnung und Gespräch zwischen den Religionsgemeinschaften in Österreich.2 1
BGBl. I Nr. 19/1998 i. d. F. BGBl. I Nr. 75/2013. Zur einschlägigen Literatur siehe bes. Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Die Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich oder: Wie geht der Staat mit Religionen um?, in: ThPQ 146 (1998), S. 173 – 186; Herbert Kalb/Richard Potz/ Brigitte Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht. Anerkennung und Eintragung. Stand: 1. Juni 1998, Wien 1998; Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Eintragung und Anerkennung von Religionsgemeinschaften nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, in: ÖAKR 45 (1998), S. 58 – 111; Hugo Schwendenwein, Das neue österreichische Gesetz über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (= SKRA 33), Berlin 1999, S. 309 – 338; Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003 (mit weiteren Literaturangaben); Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht im Überblick (Manual), 2., überarb. Aufl., Wien 2007; Lukas Wallner, Die staatliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Die historische und aktuelle Umsetzung der religiösen Vereinigungsfreiheit in Österreich unter Berücksichtigung des deutschen Religionsrechts (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Salzburg 18), Frankfurt a. M. 2007; Georg Lienbacher, Gesetzliche Anerkennung als Religionsgesellschaft ohne Erwerb der Rechtspersönlichkeit nach Bekenntnisgemeinschaftengesetz?, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (Hrsg.), In mandatis meditari. Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (= KStT 58), Berlin 2012, S. 913 – 928; Alfred Rinnerthaler, Kirche und Staat in Österreich, in: HdbKathKR3, S. 1866 – 1887, bes. 1877 – 1879; Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Staat2
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Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz, das eine bedeutende Zäsur in der jüngeren Entwicklung des österreichischen Religionsrechts markiert, verdient daher auch unter diesem Gesichtspunkt besondere Beachtung, vor allem von den Religionsgemeinschaften, die sich so wie die katholische Kirche der Ökumene und dem interreligiösen Dialog verpflichtet wissen. Unter der gewählten Fragestellung sind die Bestimmungen des BekGG zu den Bedingungen für die staatliche Eintragung und die Mitteilungs- und Auskunftspflichten besonders relevant und sollen daher zuerst rekapituliert werden. Anschließend wird ein einschlägiges Forschungsprojekt an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Graz in seinen Grundzügen präsentiert. Die Schlussreflexion thematisiert die Frage, wieweit sich aus der staatlichen Eintragung konkrete Hilfestellungen für das Gespräch zwischen den Konfessionen und Religionen in Österreich ergeben.
I. Die religiöse Bekenntnisgemeinschaft 1. Der weit gefasste Religionsbegriff Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz steht in der Tradition des österreichischen Staatskirchenrechts, für das die grundsätzlich religionsfreundliche Tendenz kennzeichnend ist. Dieser Tendenz entsprechend geht der Gesetzgeber von einem weit gefassten Religionsbegriff aus. Er versteht gemäß § 1 BekGG unter der religiösen Bekenntnisgemeinschaft allgemein die Vereinigung von Anhängern einer Religion, die gesetzlich in Österreich nicht anerkannt sind. Dem Grundsatz der religiösen Neutralität verpflichtet und jede Nähe zu einem konfessionellen Verständnis vermeidend unterlässt es das Gesetz, den Begriff „Religion“ durch Vorgabe einschlägiger Kriterien inhaltlich näher zu definieren. Nach der Regierungsvorlage ist Religion „ein historisch gewachsenes Gefüge von inhaltlich darstellbaren Überzeugungen, die Mensch und Welt in ihrem Tranzendenzbezug deuten sowie mit spezifischen Riten, Symbolen und den Grundlehren entsprechenden Handlungsorientierungen begleiten“3. An der bisher maßgeblichen Gleichsetzung von Religion und Gottesglaube hält der Gesetzgeber nicht mehr fest, da diese Definition für manche Weltreligionen im Sinn der Wissenschaften nicht zutreffend ist. Der Verzicht auf den Gottesglauben als Wesensmerkmal von Religion kann aber dazu führen, dass eindeutige begriffliche Abgrenzungen zu Weltanschauungsgemeinschaften, wenn auch diese Tranzendenzbezüge für sich beanspruchen, kaum mehr möglich sind.4 Die Gesetzgebung will offensichtlich den Religionsgemeinschaften in ihrer bunten Vielfalt Rechnung tragen und möglichst vielen den Zugang zur Eintragung eröffnen. Der Spielraum in der lich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich (= Conference Series: Religion und Staat im Brennpunkt 3), Innsbruck 2018. 3 RV, Beilagen 938/XX GP, Erläuterungen (III), S. 8. 4 Siehe dazu bes. Schwendenwein, Das neue österreichische Gesetz (Anm. 2), bes. S. 321 – 323.
Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz
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praktischen Umsetzung des Gesetzes ist groß und er ist im Hinblick auf die Verwirklichung des verfassungsrechtlich geschützten Grundrechts auf Religionsfreiheit von der Verwaltung auszuschöpfen. Der weit gefasste Religionsbegriff verbietet jedwede rechtsbegriffliche Engführung. Außer Frage steht jedoch, dass die Intention des Gesetzgebers sich auf wirkliche Religionsgemeinschaften richtet, sodass die staatliche Eintragung zu versagen ist, wenn das Bestehen einer solchen zweifelsfrei verneint werden kann. Dies ist z. B. der Fall, wenn sicher feststeht, dass die Gemeinschaft ausschließlich Ziele nicht religiöser Art verfolgt oder sie sich nur zum Schein oder Scherz als Religionsgemeinschaft bezeichnet. 2. Grenzziehungen Eine Abgrenzung grundsätzlicher Art nimmt der Gesetzgeber insofern vor, als Weltanschauungsgemeinschaften nicht erfasst werden und daher von der staatlichen Eintragung ausgeschlossen bleiben. Diese Ungleichbehandlung stößt auf verfassungsrechtliche Bedenken, die aber dadurch gemildert werden, dass Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit haben, sich nach dem Vereinsgesetz5 zu konstituieren. Eine weitere Abgrenzung ergibt sich aus der Bestimmung, wonach die Bekenntnisgemeinschaft erst eingetragen werden kann, wenn ihr mindestens 300 Personen angehören. Diese müssen in Österreich den Wohnsitz haben und dürfen nicht Mitglieder in einer anderen religiösen Bekenntnisgemeinschaft oder in Österreich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft sein (vgl. § 3 Abs. 3 BekGG). Die Mindestanzahl von 300 Mitgliedern ist eine Hürde und stellt Religionsgemeinschaften mit weniger Mitgliedern rechtlich schlechter, was aber wieder dadurch abgemildert wird, dass auch ihnen die Möglichkeit zur Konstituierung nach dem Vereinsrecht offensteht. Für die Gründung eines Vereins sind bereits zwei Personen ausreichend (vgl. § 1 Abs. 1 Vereinsgesetz). Allein schon aufgrund der erforderlichen höheren Mindestanzahl an Mitgliedern eignet eingetragenen Bekenntnisgemeinschaften eine höhere rechtliche Stabilität als Vereinen. Indirekte Grenzziehungen nimmt das BekGG insofern vor, als es gesetzliche Standards hinsichtlich Lehre und Organisation formuliert. Wie noch zu zeigen sein wird, ergibt sich aus den Bestimmungen zu den Statuten, dass die Eintragung nur zulässig ist, wenn die Bekenntnisgemeinschaft einen eigenen Namen hat, über eine selbständige Religionslehre verfügt, klar umschriebene Zwecke und Ziele kennt und der Kreis der Rechte und Pflichten der Mitglieder definiert ist (vgl. § 4 Abs. 1 Z. 1–4 BekGG). Da es sich um Religionsgemeinschaften handelt, liegt es nahe, an spezifische Aufgaben und Pflichten im Konnex von Gottesdienst und Kult bzw. der Religionslehre und ihrer praktischen Realisierung zu denken. Außerdem ist gesetzlich 5
Bundesgesetz über die Vereine vom 1. Juli 2002. BGBl. I. Nr. 66/2002 i. d. g. F.
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gefordert, dass die Gemeinschaft amtliche Organe besitzt und die notwendigen materiellen Mittel vorhanden sind (vgl. § 4 Abs. 1 Z. 5–7 BekGG). Ein gewisses Mindestmaß an doktrineller Eigenständigkeit und Konsolidierung sowie eine bereits etablierte organisatorische Minimalstruktur sind daher gesetzliche Mindeststandards für die staatliche Eintragung. Diese Voraussetzungen werden Religionsgemeinschaften unschwer erfüllen können, wenn sie schon länger bestehen, eine höhere Mitgliederzahl erreicht haben und sich bereits stabile Formen in der Gemeinde- und Glaubenspraxis herausgebildet haben, neu gegründete Gemeinschaften aber erst, nachdem die Unsicherheiten der Gründungsphase endgültig überwunden worden sind und sie im Bestand gefestigt erscheinen. 3. Versagensgründe Die gravierendste negative Abgrenzung nimmt der Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 BekGG vor, der die Gründe benennt, bei deren Vorliegen der Erwerb der Rechtspersönlichkeit ausgeschlossen ist. Der zuständige Bundesminister hat die Eintragung zu versagen, „wenn dies im Hinblick auf die Lehre und ihre Anwendung zum Schutz der in der demokratischen Gesellschaft gegebenen Interessen der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist; dies ist insbesondere bei Aufforderung zu einem mit Strafe bedrohtem gesetzwidrigen Verhalten, bei einer Behinderung der psychischen Entwicklung von Heranwachsenden, bei Verletzung der psychischen Integrität und bei der Anwendung von psychotherapeutischen Methoden, insbesondere zum Zweck der Glaubensvermittlung, gegeben“ (Z. 1). Die Eintragung ist außerdem zu versagen, „wenn die Statuten dem § 4 nicht entsprechen“ (Z. 2). Das BekGG übernimmt als Versagensgrund im Wesentlichen die Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention6, die in Österreich im Verfassungsrang steht. Die angefügte Konkretisierung, die der Gesetzgeber durch die demonstrative Aufzählung auf einfachgesetzlicher Ebene vornimmt, geschieht offensichtlich unter dem Eindruck und als Reaktion auf Vorwürfe, die gegenüber neuen Religionen oder religiösen Bewegungen häufig erhoben werden. Er macht damit deutlich, wo er Gefahrenmomente erblickt und bringt der Behörde gegenüber zum Ausdruck, auf welche Aspekte bei der Untersuchung von Lehre und Praxis besonders zu achten ist. Der Passus ist aber auch im Konnex mit der gesetzlichen Determinierungspflicht zu sehen, die bei eingriffsnahen Gesetzen, zu denen das Bekenntnisgemeinschaftengesetz zweifellos zählt, gegeben ist. Der Gesetzgeber schiebt so der Aushöhlung verfassungsrechtlich geschützter Grundrechte einen Riegel vor.7 Die Versagung ist nur zulässig, wenn nach Durchführung aller notwendigen Untersuchungen, bei welchen den Fachgutachten in der Regel großes Gewicht zu6 Europäische Menschenrechtskonvention. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. BGBl. Nr. 210/1958 i. d. g. F. 7 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 2), S. 123.
Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz
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kommen wird, für die Behörde zweifelsfrei feststeht, dass ein gesetzlicher Versagensgrund vorliegt. Dabei richtet sich der Fokus auf die Praxis, sodass der Konkretisierung der Lehre primäre Prüfungsrelevanz zukommt. Die Gefahrenmomente sind zu spezifizieren und plausible Prognosen sind zu erstellen.8 Bei Religionsgemeinschaften, die staatlich eingetragen worden sind, ist daher davon auszugehen, dass die Behörde nach sorgfältiger Prüfung zum Ergebnis gelangt ist, dass von Lehre und Praxis Gefahren gemäß § 5 Abs. 1 Z. 1 BekGG nicht ausgehen, zumindest nicht in dem Maße, dass die gesetzliche Schutzpflicht zum Tragen käme und die Eintragung zu versagen wäre. Die Aufgabe der Behörde besteht darin, sowohl Lehre als auch Praxis auf die im Gesetz genannten Gefahren hin zu überprüfen und, sofern solche gegeben sind, die Eintragung zu versagen. Sie inkludiert keine weitergehende Prüfung, z. B. hinsichtlich Art und Qualität der theologischen Lehren, der anthropologischen Implikationen oder der gesellschaftspolitischen Ausrichtung. Dennoch stellt die staatliche Eintragung zweifellos eine bedeutende Hilfe für die qualitative Bewertung von Religionsgemeinschaften dar.9 Sie darf aber in dieser Hinsicht nicht überinterpretiert werden. Die in der Literatur anzutreffende Aussage, wonach die Eintragung gleichsam ein staatliches „Gütesiegel“ darstelle, ist insofern sachlich zutreffend, als sich an die Qualifikation als Religionsgemeinschaft spezifische staatsrechtliche Folgen knüpfen.10 Sie kann aber leicht zu Fehlschlüssen und Missverständnissen führen, erweckt doch der Terminus „Gütesiegel“ den Eindruck, Lehre und Praxis der Religionsgemeinschaft seien einer umfassenden staatlichen Prüfung unterzogen worden und diese habe zu einem insgesamt positiven Ergebnis geführt. Die amtliche Registrierung kann jedoch keine Gewähr dafür bieten, dass Lehre und Praxis nicht Elemente aufweisen, die Fragen aufwerfen oder sogar als destruktiv zu qualifizieren sind.
II. Die Statuten der Bekenntnisgemeinschaften Zu den Voraussetzungen für die ökumenische Begegnung und den interreligiösen Dialog zählt eine gewisse Kenntnis von Lehre und Organisation der Gemeinschaft, mit welcher der Dialog gesucht wird. Die Statuten, die dem Antrag auf Erwerb der Rechtspersönlichkeit gemäß § 4 BekGG beizulegen sind, enthalten einschlägige authentische Informationen, die zwar nicht umfassend sind, aber doch zentrale Fragen beantworten.
8
Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 2), S. 122. In der Parlamentsdebatte über das BekGG betonte die ressortzuständige Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Elisabeth Gehrer, dass ein Hauptziel des neuen Gesetzes sei, Orientierungshilfen den Menschen in Österreich zu geben. Vgl. Sten Prot v. 10. 12. 1997/XX GP (102. Sitzung), online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/ XX/NRSITZ/NRSITZ_00102/fname_114193.pdf, S. 134 – 135 (eingesehen am 01. 04. 2019). 10 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht (Anm. 2), S. 25. 9
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1. Name Die Statuten haben gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 BekGG den Namen der religiösen Bekenntnisgemeinschaft zu enthalten. Er muss so beschaffen sein, dass er mit der Lehre der Bekenntnisgemeinschaft in Zusammenhang gebracht werden kann und Verwechselungen mit bestehenden religiösen Bekenntnisgemeinschaften und gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften oder deren Einrichtungen ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber übernimmt hier im Wesentlichen einschlägige Regelungen in § 1 Anerkennungsgesetz11 und § 4 Abs. 1 Vereinsgesetz. Wenn der gewählte Name nicht geeignet ist, die gesetzlichen Erfordernisse hinreichend zu erfüllen, ist die Gemeinschaft gehalten, die Selbstbezeichnung entsprechend zu adaptieren, was in der Regel unschwer durch Hinzusetzen differenzierender Attribute geschehen kann. Die der Kultusbehörde zukommende Prüfungskompetenz berechtigt nicht dazu, eigenmächtig Änderungen vorzunehmen. Sie muss gegebenenfalls Hilfestellung bei der Suche nach einer Bezeichnung leisten, welche den rechtlichen Erfordernissen entspricht. Der behördliche Ermessensspielraum darf so wie insgesamt bei der Umsetzung des Gesetzes nicht zum Nachteil der Bekenntnisgemeinschaft ausgenützt werden.12 2. Religionslehre Die Statuten müssen die Darstellung der Religionslehre enthalten, welche sich von der Lehre staatlich eingetragener religiöser Bekenntnisgemeinschaften sowie von den Lehren der in Österreich gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften unterscheidet (vgl. § 4 Abs. 1 Z. 2 BekGG). In der Darstellung ist daher ersichtlich zu machen, dass es sich um eine Religion und nicht um eine Weltanschauung handelt und dass die Gemeinschaft insofern über Eigenständigkeit in der Lehre verfügt, als diese nicht deckungsgleich ist mit der einer anderen eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft oder anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft. Zu Umfang und Art der Unterschiede äußert sich das Gesetz nicht näher. Die Darstellung muss jedenfalls so sein, dass die Lehrunterschiede für die Behörde eindeutig erkennbar sind. In diesem Konnex ist auf § 3 Abs. 2 BekGG hinzuweisen, der vorsieht, dass den Statuten weitere Unterlagen beizufügen sind, die Aufschluss über Inhalt und Praxis des Religionsbekenntnisses geben. Einschlägiges Schrifttum und fachliche Gutachten sind diesbezüglich hilfreich und können in der Regel Klarheit schaffen. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Religionslehre stellen die mit dem Vollzug betraute Kultusbehörde u. U. vor schwierige Probleme, ergibt sich doch daraus die Notwendigkeit, über die Abgrenzung von Religion und Weltanschauung hinaus zu 11 Gesetz vom 20. Mai 1874, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften. RGBl. Nr. 68/1874. 12 Vgl. u. a. Johann Hirnsperger, Die Statuten der staatlich eingetragenen Bekenntnisgemeinschaften in Österreich. Überlegungen aus katholischer Perspektive zu ihrer ökumenischen und interreligiösen Relevanz, in: ÖARR 55 (2008), S. 14 – 29.
Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz
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Differenzen zwischen Religionslehren Stellung zu nehmen. „Dabei könnte der religiös-neutrale Staat unter Umständen an seine Grenzen stoßen, wenn er festzustellen hat, ob bzw. inwieweit zwischen zwei Bekenntnissen Unterschiede bestehen. Es sei hier beispielsweise auf die besonderen Probleme hingewiesen, die sich im Bereich der Evangelischen Kirche im Hinblick auf die Existenz von landeskirchlichen und freikirchlichen Organisationen mit gleichem oder doch sehr ähnlichem Glaubensbekenntnis ergeben können.“13 Wie der Blick in die Geschichte zeigt, entwickeln sich neue Religionslehren nicht selten in einem längerdauernden, oftmals nicht linear verlaufenden Klärungsprozess, sodass es selbst für die Religionsgemeinschaft lange Zeit nicht klar ist, ob eine neue Lehre gegeben ist oder nicht. Der in der Literatur gemachte Vorschlag, bei der Eintragung nicht auf die Differenzierung in der Lehre abzustellen, sondern auf den Nachweis der organisatorischen Eigenständigkeit, würde die Administrierung des Gesetzes erleichtern und zugleich die Möglichkeiten erweitern, vom Grundrecht auf Religionsfreiheit konkret Gebrauch zu machen.14 3. Zwecke und Ziele, Rechte und Pflichten Über die Religionslehre hinaus wird gemäß § 4 Abs. 1 Z. 3 BekGG die Darstellung der sich aus der Religionslehre ergebenden Zwecke und Ziele der Bekenntnisgemeinschaft sowie der Rechte und Pflichten der Mitglieder gefordert. Dieses gesetzliche Erfordernis kann insofern zu Problemen führen, als sich der umfassende Anspruch, wie er für Religionsgemeinschaften charakteristisch ist, kaum erschöpfend umschreiben lässt. Bei selektiven Darstellungen ist darauf zu achten, dass die Statuten die Zwecke und Ziele bzw. Rechte und Pflichten, denen zentrale Bedeutung zukommt, erfassen und als solche benennen. In diesem Zusammenhang ist wieder an § 3 Abs. 2 BekGG zu erinnern, der dazu verpflichtet, mit den Statuten ergänzende Unterlagen einzureichen, die Aufschluss über Lehre und Praxis der Religionsgemeinschaft geben. Die Bekenntnisgemeinschaft hat die Möglichkeit, in einer eigenen Statutenbestimmung festzuhalten, dass sie und ihre Mitglieder die österreichischen Gesetze befolgen, und kann auf diese Weise Bedenken hinsichtlich der Rechtstreue und Vereinbarkeit mit der staatlichen Rechtsordnung begegnen.15 4. Mitgliedschaft Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 4 BekGG muss die Bekenntnisgemeinschaft in ihren Statuten den Beginn und die Beendigung der Mitgliedschaft normieren. Das Mitglied13
Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 2), S. 119. Vgl. bes. Richard Potz, Kommentar zur Entscheidung des EGMR 16. 3. 2005, 39.023/97 (Oberster Heiliger Rat der Islamischen Gemeinschaft/Bulgarien), in: ÖARR 53 (2006), S. 237 – 263. 15 Vgl. z. B. Verfassung der Islamisch-Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia). Präambel, in: ÖARR 60 (2013), S. 148 – 196, hier S. 148. 14
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schaftsrecht ist grundsätzlich gemeinschaftsintern zu ordnen, wobei zur Gewährleistung der Religionsfreiheit die Austrittsmöglichkeit mit Wirkung für den staatlichen Bereich sicherzustellen ist. Gemäß § 8 Abs. 1 BekGG kann die Mitgliedschaft jederzeit durch Erklärung des Austritts vor der Bezirksverwaltungsbehörde beendet werden. Gebühren anlässlich des Austritts zu fordern, ist nicht zulässig (vgl. Abs. 2). Die gesetzlich gesicherte Austrittsmöglichkeit ist besonders relevant, wenn die Statuten keine Austrittsregelungen enthalten, weil nach der eigenen Lehre die Trennung von der Gemeinschaft nicht möglich ist. Selbst bei Bestehen gemeinschaftsinterner Regelungen sind Mitglieder berechtigt, den Austritt vor der staatlichen Behörde zu erklären, und können so der Konfrontation mit der eigenen Glaubensgemeinschaft und möglicher Beeinflussung aus dem Weg gehen. 5. Organe und Vertretung Die Statuten müssen gemäß § 4 Abs. 1 Z. 5 u. 6 BekGG Bestimmungen zu den Organen und zur Außenvertretung der Bekenntnisgemeinschaft enthalten. Zu normieren sind die Art der Bestellung der Organe, der sachliche und örtliche Wirkungskreis, der Sitz und die Verantwortlichkeit für den staatlichen Bereich. „Entscheidend ist, dass die Statuten darüber Auskunft geben müssen, welches Verhalten einer Person oder einer Mehrheit von Personen der Gemeinschaft als juristischer Person zuzurechnen ist.“16 6. Örtliche Teilbereiche Die Statuten können vorsehen, dass örtliche Teilbereiche der religiösen Bekenntnisgemeinschaft eigene Rechtspersönlichkeit erwerben (vgl. § 4 Abs. 2 BekGG). In diesem Fall müssen die Statuten die Bezeichnung des örtlichen Teilbereichs angeben, dessen eigene vertretungsberechtigte Organe bestimmen und Regelungen betreffend den Rechtsübergang bei Auflösung dieses Rechtsträgers enthalten. Darüber hinaus enthält das Gesetz keine weiteren Vorgaben, sodass die Bekenntnisgemeinschaften bei der Bildung lokaler Bereiche große Spielräume vorfinden. Die gesetzliche Möglichkeit zur Schaffung von Teilbereichen mit eigener Rechtspersönlichkeit kommt besonders den Religionsgemeinschaften entgegen, deren Organisationsstruktur den lokalen Gemeinden eine bedeutende Rolle zuweist, wie es z. B. bei christlichen Gemeinschaften häufig der Fall ist. 7. Materielle Mittel Beim Stellen des Antrags auf staatliche Eintragung sind die Bekenntnisgemeinschaften gemäß § 4 Abs. 1 Z. 7 BekGG verpflichtet, Angaben zur Art der Aufbrin16
Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 2), S. 120.
Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz
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gung der Mittel zu machen, die für ihre wirtschaftlichen Bedürfnisse erforderlich sind. Diese Vorschrift will zunächst sicherstellen, dass Gemeinschaften nur eingetragen werden, wenn sie über ausreichende materielle Mittel verfügen, sodass ihr Fortbestand gesichert erscheint. Das Offenlegen der finanziellen Quellen dient aber auch dazu, etwaige Missbräuche mittels der Gründung „religiöser Tarnorganisationen“ hintanzuhalten, und allgemein zur notwendigen Abgrenzung zu wirtschaftlichen Unternehmungen. Nach § 4 Abs. 1 Z. 8 BekGG sind in die Statuten Bestimmungen für den Fall der Beendigung der Rechtspersönlichkeit aufzunehmen. Sicherzustellen ist, dass Forderungen gegen die religiöse Bekenntnisgemeinschaft ordnungsgemäß abgewickelt werden und ihr Vermögen nicht für Zwecke verwendet wird, die der Zielsetzung der betreffenden Gemeinschaft widersprechen. 8. Ergebnis Sobald das staatliche Eintragungsverfahren positiv abgeschlossen ist, sind die Religionsgemeinschaften gemäß § 2 Abs. 6 BekGG berechtigt, sich offiziell als „staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft“ zu bezeichnen. Wenn Gemeinschaften diese Bezeichnung führen, steht fest, dass sie sich dem in Österreich vorgesehenen Prüfverfahren stellten und dieses zu einem positiven Ergebnis geführt hat. Sie sind staatlich überprüfte eigenständige religiöse Bekenntnisgemeinschaften und unterscheiden sich in dieser Hinsicht von anderen Religionsgemeinschaften, die nicht eingetragen worden sind, und natürlich auch von Weltanschauungsgemeinschaften. Eingetragene Bekenntnisgemeinschaften besitzen private staatliche Rechtsfähigkeit, tragen einen eigenen Namen, haben die erforderliche Mindestanzahl an Mitgliedern, folgen der eigenen Religionslehre, sind mit den gesetzlich vorgesehenen Organen ausgestattet und verfügen über die erforderlichen materiellen Mittel. Der Kreis der Rechte und Pflichten der Mitglieder ist eindeutig umschrieben. Die von den staatlichen Behörden durchgeführte Prüfung von Lehre und Praxis hat zum Ergebnis geführt, dass von der Bekenntnisgemeinschaft keine der in § 5 Abs. 1 Z. 1 BekGG genannten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Gesundheit und Moral oder für die Rechte und Freiheiten anderer ausgehen, sodass ein die Untersagung rechtfertigendes öffentliches Schutzbedürfnis nicht gegeben ist. Die staatliche Prüfung geschieht unter sehr spezifischen Fragestellungen und zielt keineswegs auf die Gesamtbegutachtung ab, sodass ihr Aussagewert begrenzt ist und nicht überinterpretiert werden darf.
III. Mitteilungs- und Auskunftspflichten Religiöse Bekenntnisgemeinschaften und ihre Teilbereiche, die Rechtspersönlichkeit besitzen, sind gemäß § 7 BekGG verpflichtet, Namen und Anschriften der jeweiligen vertretungsbefugten Organe sowie Änderungen der Statuten dem zustän-
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digen Bundesministerium bekanntzugeben. Die Kenntnisnahme ist durch Bescheid zu versagen, wenn die statutenwidrige Bestellung der Organe der Behörde zur Kenntnis gelangt ist bzw. die Statutenänderung einen Grund für die Versagung nach § 5 BekGG darstellen würde. Diese Norm gewährleistet die Evidenzhaltung der für den außerreligionsgemeinschaftlichen Bereich vertretungsbefugten Organe und stellt sicher, dass bei Statutenänderungen geprüft werden kann, ob die Änderungen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.17 Gemäß § 10 Abs. 1 u. 2 BekGG hat der Bundesminister ein laufend zu aktualisierendes öffentliches Register über die religiösen Bekenntnisgemeinschaften zu führen, in welches einzutragen sind: 1. Name der religiösen Bekenntnisgemeinschaft; 2. Rechtspersönlichkeit für Teilbereiche; 3. Geschäftszahl und Datum des Feststellungbescheids über den Erwerb der Rechtspersönlichkeit; 4. vertretungsbefugte Organe und Zeichnungsberechtigung; 5. bei Beendigung der Rechtspersönlichkeit der Grund dafür. Die Behörde ist gemäß § 10 Abs. 3 BekGG verpflichtet, auf Verlangen jedermann Auskunft über die Anschrift der religiösen Bekenntnisgemeinschaft und über deren nach außen vertretungsbefugten Mitglieder zu erteilen. Auf Antrag der religiösen Bekenntnisgemeinschaft selbst oder von anderen Personen oder Institutionen, die ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen können, ist die Bestätigung darüber auszustellen, wer nach den aktuellen Statuten sowie nach den Meldungen gemäß § 7 BekGG zur Vertretung der Bekenntnisgemeinschaft nach außen befugt ist.
IV. Zum Grazer Forschungsprojekt 1. Ziele und Stand Das Institut für Kanonisches Recht und das Institut für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz haben sich zum Ziel gesetzt, im Rahmen eines langfristig angelegten interdisziplinären Forschungsprojekts die religiösen Bekenntnisgemeinschaften, die in Österreich staatlich eingetragen worden sind, in einer Reihe von in losen zeitlichen Abständen erscheinenden Büchern vorzustellen. Die Bekenntnisgemeinschaften werden eingeladen, die eigenen Statuten bzw. Verfassungen und die Darstellung der Glaubenslehre sowie weitere rechtlich relevante Texte zur Verfügung zu stellen, damit sie publiziert werden und so auch für die wissenschaftliche Forschung zugänglich sind. Neben dem primären Ziel von Dokumentation und Publikation bietet das Forschungsprojekt ein Forum, das der Pflege des Gesprächs zwischen den Religionsgemeinschaften in Österreich dient sowie Dialog, Begegnung, Austausch und Kooperation auf theologisch wissenschaftlicher Ebene ermöglicht und fördert. 17
Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 2), S. 120.
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In den bisher erschienenen fünf Büchern wurden die Statuten bzw. Verfassungen von allen eingetragenen Bekenntnisgemeinschaften abgedruckt, ausgenommen die Vereinigungskirche in Österreich und die Vereinigte Pfingstkirche Österreichs.18 Bei diesen Bekenntnisgemeinschaften wurden die Eintragungsbescheide zu einem Zeitpunkt ausgestellt, als die Drucklegung des fünften Bandes bereits vorbereitet wurde und sie daher nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Beide Gemeinschaften sagten zu, ihre Statuten bzw. Verfassungen für die Veröffentlichung im geplanten sechsten Band zur Verfügung zu stellen. Die ersten neun Bekenntnisgemeinschaften, die in Österreich staatlich registriert worden sind, waren ursprünglich Anerkennungswerber nach dem Anerkennungsgesetz von 1874. Ihre Anträge wurden gemäß § 11 Abs. 2 BekGG von der Behörde als Anträge auf staatliche Eintragung gemäß § 3 BekGG gewertet und der Erwerb der Rechtspersönlichkeit mit 11. Juli 1998 für jede dieser Bekenntnisgemeinschaft ausgesprochen.19 Das sind (alphabetisch gereiht): Bahái-Religionsgemeinschaft Österreich; Bund der Baptistengemeinden in Österreich; Bund Evangelikaler Gemeinden in Österreich; Die Christengemeinschaft – Bewegung für religiöse Erneuerung in Österreich; Freie Christengemeinde – Pfingstgemeinde; Jehovas Zeugen; Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich; Koptisch-Orthodoxe Kirche in Österreich; Vereinigte Pfingstkirche Österreichs20. Aufgrund eigener Anträge erwarben folgende Bekenntnisgemeinschaften die staatliche Rechtspersönlichkeit (Stand: April 2019): Hinduistische Religionsgesellschaft in Österreich (HRÖ) am 10. Dezember 199821; Mennonitische Freikirche in Österreich am 4. Juli 200122; Pfingstkirche Gemeinde Gottes in Österreich am
18 Vgl. Johann Hirnsperger/Christian Wessely/Alexander Bernhard (Hrsg.), Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Selbstdarstellung und theologische Reflexion (= ThkD 7), Graz/Wien/Köln 2001; Johann Hirnsperger/Christian Wessely (Hrsg.), Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Verfassungen und Statuten (= ThkD 7a), Graz/Wien/Köln 2002; Johann Hirnsperger/Christian Wessely (Hrsg.), Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Mennonitische Freikirche und Pfingstkirche Gemeinde Gottes. Ökumenische und interreligiöse Perspektiven (= ThkD 7b), Innsbruck/Wien 2005; Johann Hirnsperger/Christian Wessely (Hrsg.), Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Elaia Christengemeinden (ECG) und Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IAGÖ). Mit Beiträgen aus anderen Religionsgemeinschaften (= ThkD 7c), Innsbruck/Wien 2014; Johann Hirnsperger/Christian Wessely (Hrsg.), Wege zum Heil? Religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich: Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) und IslamischeSchiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia). Mit Beiträgen aus anderen Religionsgemeinschaften (= ThkD 7d), Innsbruck/Wien 2018. 19 Bescheide vom 20. Juli 1998, GZ 7836/18 – 9c/98. 20 Die Vereinigte Pfingstkirche Österreichs erwarb die Rechtspersönlichkeit am 11. Juli 1998. Der Bescheid wurde verspätet ausgestellt und datiert vom 17. April 2018, GZ BKA-KA 12.056/0005-Kultusamt/2017. 21 Bescheid vom 15. April 1999, GZ BMUkA-13.486/2 – 9c/99. 22 Bescheid vom 30. Juli 2001, GZ 12.056/1-Ka/c/01.
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13. Oktober 200123 ; ELAIA Christengemeinden (ECG) am 13. April 200624 ; Islamische Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IAGÖ) am 13. Dezember 201025; Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia) am 1. März 201326 ; Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ) am 23. August 201327; Vereinigungskirche in Österreich am 15. Juni 201528. Mehrere Bekenntnisgemeinschaften sind nach der Eintragung als Kirchen bzw. Religionsgesellschaften staatlich anerkannt worden und erlangten gemäß Art. 15 Staatsgrundgesetz von 186729 die öffentlich-rechtliche Stellung. Die Koptisch-orthodoxe Kirche erhielt die Anerkennung gemäß § 1 Abs. 2 Orientalengesetz vom 25. April 200330. Bei Jehovas Zeugen geschah die Anerkennung durch Verordnung der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur vom 7. Mai 200931. Die Alevitische Glaubensgemeinschaft wurde durch Verordnung vom 22. Mai 201332 staatlich anerkannt. Die Anerkennung der Anhänger des Bundes der Baptistengemeinden, des Bundes Evangelikaler Gemeinden, der ELAIA Christengemeinden, der Freien Christengemeinde-Pfingstgemeinde und der Mennonitischen Freikirche als Kirche (Religionsgesellschaft) mit der Bezeichnung „Freikirchen in Österreich“ wurde durch Verordnung vom 26. August 201333 ausgesprochen. Als Zusammenschluss erreichten die fünf Gemeinschaften die Mitgliederzahl von 2 Promille der Bevölkerung Österreichs, die gemäß § 11 BekGG für die staatliche Anerkennung erforderlich ist. 2. Methodische Grundsätze Die Herausgeber versuchen, Begegnung und Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften in der Weise zu initiieren und zu realisieren, dass sie die Bekenntnisgemeinschaften einladen, in jedem Buch einen fachlichen Beitrag zu veröffentlichen. Die anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften werden nicht ausgeschlossen, im Fokus des Forschungsprojekts stehen jedoch die eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften. Die Religionsgemeinschaft wählt das Thema des Beitrags jeweils selbst frei aus, sodass gewährleistet ist, dass jene Fragen und The23
Bescheid vom 21. Dezember 2001, GZ BMBWK-T12.056/0004-KA/c/2001. Bescheid vom 15. Mai 2006, GZ 12.056/0003-Ka/b/2006. 25 Bescheid vom 16. Dezember 2010, GZ BMUKK-12.056/0005-KA/2010. 26 Bescheid vom 28. Februar 2013, GZ BMUKK-12.056/0005-KA/2012. 27 Bescheid vom 23. August 2013, GZ BMUKK-12.056/0006-KA/2012. 28 Bescheid vom 9. Juni 2015, GZ BKA-KA 12.052/0001-Kultusamt/2014. 29 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867. RGBl. 1867/142 i. d. g. F. 30 Bundesgesetz über äußere Rechtsverhältnisse der orientalisch-orthodoxen Kirchen in Österreich. BGBl. I Nr. 20/2003. 31 BGBl. II Nr. 139/2009. 32 BGBl. II Nr. 133/2013. 33 BGBl. II Nr. 250/2013. 24
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men zur Sprache kommen, die aus Sicht der betreffenden Gemeinschaft aktuell und wichtig erscheinen und von denen sie meint, dass sie im interkonfessionellen bzw. interreligiösen Diskurs aufgegriffen werden sollten. Dieses methodische Vorgehen, das nicht starr, sondern entwicklungsoffen konzipiert ist, lässt die gewünschte breite thematische Vielfalt zu und respektiert die Intentionen und Wünsche der Religionsgemeinschaften. Die Möglichkeit, die Themen frei wählen zu können, wird allgemein sehr begrüßt und macht es für die Gemeinschaften leichter, Beiträge zu verfassen. Sie scheint eine entscheidende Voraussetzung dafür zu sein, dass die kooperative Dimension des Projekts, das den Bekenntnisgemeinschaften viel an Einsatz abverlangt, auf längere Sicht zum Tragen kommen kann. Kennzeichnend ist die offene, einladende und von gegenseitiger Wertschätzung getragene Dialogstruktur und -kultur. Die Beiträge sollen die spezifischen Lehrpositionen möglichst objektiv darstellen, gegebenenfalls die Unterschiede zu Lehre und Praxis anderer Religionsgemeinschaften thematisieren und die Fragepunkte nach Möglichkeit auch für theologisch nicht oder nur wenig vorgebildete Leserinnen und Leser verständlich machen. Kontroverstheologische Polemiken sind ebenso zu vermeiden wie sachlich unzutreffender Indifferentismus. Der Dialog verfolgt keine missionarische Zielsetzung, soll aber doch die jeweilige Position als Orientierungsund Optionsmöglichkeit zur Diskussion stellen. Bedacht ist darauf zu nehmen, dass jede Gemeinschaft hinreichend Möglichkeiten hat, ihre Lehre in die Diskussion einzubringen. Das Beachten der skizzierten methodischen Grundsätze ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Vertrauen und gegenseitiges Verständnis der Religionsgemeinschaften wachsen, die gemeinsam erarbeiteten Bücher Orientierungs- und eventuell auch Entscheidungshilfen für theologisch und religiös Suchende bieten können und das Projekt insgesamt gelingt. Ziel ist, Informations- und Gesprächsprozesse zwischen den in Österreich tätigen Religionsgemeinschaften in Gang zu setzen und zu fördern und so auch einen spezifischen Beitrag dafür zu erbringen, dass Spannungen vermindert werden und gute menschliche Beziehungen entstehen. Die Untersuchung und Klärung theologischer Fachfragen stehen nicht im Vordergrund und sind auf anderen Dialogebenen mit einschlägiger Zielsetzung zu leisten. Schließlich will das Forschungsprojekt am Praxismodell ausloten, wie weit innovative Formen interkonfessionellen und interreligiösen Forschens und Publizierens zu Themen aus dem Recht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Österreich in längerfristigen Perspektiven sinnvoll und fruchtbar realisiert werden können.
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V. Das Bekenntnisgemeinschaftengesetz – eine Hilfe für den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften 1. Dialogpartner Die staatliche Eintragung tangiert die staatsrechtliche Stellung der religiösen Bekenntnisgemeinschaften in Österreich und hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gestaltung der Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften. Indirekt bewirkt die mit der staatlichen Registrierung gegebene gesellschaftliche Aufwertung und der höhere Grad an öffentlicher Bekanntheit, dass eingetragene Bekenntnisgemeinschaften das Interesse der anderen Glaubensgemeinschaften verstärkt auf sich ziehen und sie als mögliche Dialogpartner deutlicher wahrgenommen werden. Bekenntnisgemeinschaften mit missionarischem Charakter, wie es bei einem christlichen Hintergrund häufig der Fall ist, werden versuchen, die neue Stellung in der Gesellschaft dafür zu nutzen, verstärkt in der Öffentlichkeit zu wirken, und wahrscheinlich von sich aus auch auf offizieller Ebene das Gespräch mit anderen Glaubensgemeinschaften suchen. Selbst binnenorientierte Gemeinschaften werden sich gegen Kontaktwünsche und Anfragen von außen nicht ganz verschließen wollen und können. Wesentliche Bedingungen für den interkonfessionellen und interreligiösen Dialog sind das geklärte doktrinelle Profil und gefestigte Organisationsformen einschließlich vertretungsbefugter Organe. Beides ist nach der Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft in Österreich ohne Zweifel gegeben. Staatlich eingetragene Bekenntnisgemeinschaften verfügen daher über die rechtlich-formalen und die inhaltlichen Voraussetzungen für das Gespräch mit anderen Religionsgemeinschaften. Die bisherigen Erfahrungen beim Forschungsprojekt zeigen, dass jede Bekenntnisgemeinschaft auf Anfrage und Einladung hin bereit war, sich zumindest partiell aktiv am Projekt zu beteiligen, und die Statuten bzw. Verfassungen für die Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. Ohne dieses kooperative Verhalten überinterpretieren zu wollen, scheint es nicht ganz verfehlt zu sein, wenn man darin einen Ausdruck der grundsätzlichen Offenheit und Bereitschaft dafür erkennt, Kontakte mit anderen Glaubensgemeinschaften aufzunehmen. Einige Gemeinschaften, vor allem freikirchlicher Art, zeigten von Anfang an Interesse an tiefer reichenden Begegnungen und legten ihre Positionen in z. T. umfangreichen und theologisch anspruchsvollen Beiträgen dar. Die Annahme, die staatliche Eintragung biete Gewähr dafür, dass Bekenntnisgemeinschaften ein grundsätzlich positives Verhältnis zu den anderen Religionsgemeinschaften anstreben oder von sich aus Gespräch oder Kooperation suchen, bestätigte sich im Forschungsprojekt bisher nicht. Erst die konkreten Erfahrungen bzw. die Reaktionen auf diesbezügliche Einladungen lassen Rückschlüsse auf die tatsächliche Haltung zu, die meistens nicht starr festgelegt ist, sondern je nach agierenden Personen flexibel gehandhabt zu werden scheint.
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2. Kontakte Aufgrund der gesetzlich vorgesehenen behördlichen Auskunftspflichten ist die Kontaktaufnahme mit eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften sehr viel leichter möglich als bei Religionsgemeinschaften, die vom Institut der Eintragung keinen Gebrauch machen bzw. auf staatliche Rechtsstrukturen gänzlich verzichten. Die gesetzlich vorgeschriebenen Meldepflichten gemäß § 7 BekGG und die Führung des Registers nach § 10 gewährleisten, dass die Behörde stets über auf den aktuellen Stand gebrachte Daten verfügt, die u. a. Angaben zu Name und Anschrift der vertretungsbefugten Organe der Bekenntnisgemeinschaft enthalten. Für das Finden von Ansprechpersonen ist die Weisung in § 10 Abs. 3 BekGG besonders relevant, wonach die Behörde verpflichtet ist, auf Verlangen Auskunft über die Anschrift der Bekenntnisgemeinschaft und die nach außen vertretungsbefugten Mitglieder zu geben. Bisher trat beim Grazer Forschungsprojekt keine Situation ein, die notwendig gemacht hätte, um Auskunftserteilung nach § 10 Abs. 3 BekGG zu ersuchen. Die einschlägigen amtlichen Mitteilungen auf der Homepage des Bundeskanzleramts bzw. des zuständigen Bundesministeriums boten hinreichende Informationen, sodass die Aufnahme der gewünschten Kontakte in der Regel ohne größere Probleme gelang.34 Gerade diese vom Geist des Gesetzes getragene offene Kommunikationspraxis der Behörde ist sehr hilfreich für jeden, der versucht, mit den Bekenntnisgemeinschaften in Kontakt zu treten. Wie zu erwarten war, zeigte sich in der Praxis, dass die Organe der Außenvertretung für Fragen, welche die Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften betreffen, meistens nicht selbst zuständig bzw. entscheidungsbefugt waren. Unsere Anfragen wurden aber stets aufmerksam wahrgenommen und an die zuständigen Personen bzw. Gremien weitergeleitet. 3. Statuten Für den interkonfessionellen und interreligiösen Dialog, dessen Förderung eines der Hauptziele des Forschungsprojekts ist, spielen die gemäß § 4 BekGG beim Ansuchen um Eintragung vorzulegenden Statuten eine zentrale Rolle, geben sie doch Einblick in Religionslehre und Organisation der Bekenntnisgemeinschaft. Das Offenlegen der Inhalte der religiösen Lehren und Kenntnisse über die organisatorischen Strukturen sind Voraussetzungen, ohne die der intendierte Dialog kaum sinnvoll realisiert werden kann. Die vollständige Publikation der Statuten bzw. Verfassungen zählt daher zu den vorrangigen Zielen des Projekts. Da als Bedingung für die Eintragung u. a. die Unterschiede zu den Lehren anderer religiöser Bekenntnisgemeinschaften bzw. der in Österreich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften deutlich zu machen sind, genügt es in der Regel 34 Vgl. dazu u. a. online unter: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/religiose-bekenntnisgemeinschaften (eingesehen am 01. 04. 2019).
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nicht, nur die Grundsätze der eigenen Religionslehre zu referieren. Die bei der Eintragung vorgelegten Darstellungen sind z. T. bemerkenswert differenziert und beschreiben Lehre und Praxis besonders eingehend, wenn doktrinelle Abgrenzungen zu anderen Gemeinschaften dies erfordern. Die Texte sind im Wortwahl und Stil durchwegs so verfasst bzw. mit den erforderlichen Kommentaren versehen, sodass die Inhalte auch für Nichtmitglieder hinreichend verstehbar sind. Die eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften zählen zu den zahlenmäßig kleinen Glaubensgemeinschaften in Österreich. Manche sind erst in der jüngeren Vergangenheit gegründet worden. Nicht selten fehlen fundierte einschlägige literarische Veröffentlichungen, sodass die Statuten sogar den Charakter von Erstinformationen über die betreffende Glaubensgemeinschaft und ihre Tätigkeit in Österreich annehmen können. Selbst bei Bekenntnisgemeinschaften, deren Mitglieder einer der Weltreligionen angehören, darf man auf den Blick in die Statuten nicht verzichten, weil sich Lehre und Praxis, wie sie in Österreich vertreten und gelebt werden, von jener in anderen Ländern erheblich unterscheiden können. Die Statuten sind offizielle Texte der Bekenntnisgemeinschaften, besitzen verbindlichen Charakter, bieten authentische Informationen und verdienen daher besondere Aufmerksamkeit. 4. Herausforderung Wie sich beim Forschungsprojekt zeigte, ließ die Antwort auf die Bitte, Beiträge zu verfassen, manchmal länger auf sich warten bzw. wurde diese z. T. abschlägig beantwortet. Das überrascht nicht, handelt es sich doch um Religionsgemeinschaften mit in der Regel begrenzten Ressourcen. Absagen machen aber auch bewusst, dass der Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften in Österreich noch keineswegs selbstverständlich ist. Bei den Glaubensgemeinschaften nichtchristlicher Provenienz ist die Zurückhaltung besonders deutlich spürbar. Für die katholische Kirche und die anderen in Österreich vertretenen Religionsgemeinschaften tut sich hier ein Arbeitsfeld auf, das in vielem neu, ungewohnt und manchmal auch steinig ist und das nicht zuletzt die wissenschaftliche Theologie in spezifischer Weise herausfordert. Die praktischen Auswirkungen des Bekenntnisgemeinschaftengesetzes sind vieldimensional und aus Sicht der in Österreich etablierten Religionsgemeinschaften keineswegs nur positiv. Außer Zweifel steht, dass die staatliche Eintragung die Aufnahme und Pflege des Dialogs mit den betreffenden Glaubensgemeinschaften sehr erleichtert. Dieser Aspekt ist für die katholische Kirche besonders wichtig, gehört es doch zu ihrem Auftrag, im ökumenischen Dialog mit den christlichen Konfessionen sich um die Herstellung der Einheit der Kirche zu mühen. Sie begegnet aber auch den nichtchristlichen Religionen mit Interesse und Aufmerksamkeit, anerkennt deren geistliche Güter und die sozial kulturellen Werte, weiß sich aber stets verpflichtet, die eigenen Heilsgüter allen Menschen bekannt zu machen und Jesus Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14, 6) zu verkünden (vgl. VatII. NA 2, 2 – 3).
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Positive Beziehungen und der Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften sind aber auch wichtige Voraussetzungen für den Erhalt von Frieden und Zusammenhalt in der Gesellschaft und leisten so einen nicht geringen Beitrag dazu, dass der Staat seine Aufgabe, das Zusammenleben der Bürger in Frieden und Sicherheit zu gewährleisten, erfüllen kann. Im Bekenntnisgemeinschaftengesetz fehlt zwar ein einschlägiger Hinweis; dass aber der österreichische Gesetzgeber Erwartungen dieser Art mit dem Gesetz verbindet, darf angenommen werden.
Das christliche Menschenbild in der Pflege Von Burkhard Kämper Die Gesellschaft wird immer älter. Nach Angabe des Bundesgesundheitsministeriums1 wird nach den Vorausschätzungen zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland die Anzahl älterer Personen (67 Jahre und älter) bis zum Jahr 2040 voraussichtlich auf knapp 21,5 Millionen steigen. Sie wird damit um 6,3 Millionen oder um 42 Prozent höher sein als die Anzahl der über 67-Ja¨ hrigen im Jahr 2013. Diese positive Entwicklung hat jedoch auch ihre Kehrseite, denn ab dem 80. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, rapide an – auf rund 32 Prozent. Das heißt, dass mit zunehmendem Alter der Bevölkerung zugleich die Zahl der Pflegebedürftigen ansteigt. Damit verbunden sind große physische, psychische und finanzielle Belastungen für Betroffene wie auch für ihre Angehörigen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Familienstrukturen verändert haben: Es gibt weniger Kinder, oft sind diese berufstätig und können sich nicht so intensiv um ihre Eltern kümmern, wie dies früher der Fall war. Dieser Befund verpflichtet zunächst und vor allem den Staat als den Garanten sozialer Daseinsvorsorge zum Handeln.2 Gefragt sind aber auch die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände und nicht zuletzt die Angehörigen selbst.
I. Die Rahmenbedingungen des Sozialstaats Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland nicht nur ein demokratischer, sondern auch ein sozialer Bundesstaat. Aus dieser Grundsatzentscheidung des Verfassungsgebers resultieren allerdings keine konkreten Handlungspflichten. Es besteht kein subjektiver Anspruch auf konkrete Maßnahmen, um einen bestimmten Status an sozialer Sicherheit zu erlangen. Die Entscheidung zugunsten der Sozialstaatlichkeit hat vielmehr den Charakter einer Staatszielbestimmung, die der kon1 Vgl. zum Folgenden die Begründung des Bundesministeriums für Gesundheit für die Pflegeversicherung, online unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pfle ge/online-ratgeber-pflege/die-pflegeversicherung.html#c4179 (eingesehen am 21. 08. 2019). 2 Vgl. zu den von Seiten des Staates bereits unmittelbar gezogenen Konsequenzen der demographischen Alterung Matthias von Schwanenflügel, Pflege im demographischen Wandel, ZRP 2018, S. 114 ff., sowie zu den im weiteren Sinne gebotenen Folgen Stephan Rixen, Gestaltung des demographischen Wandels als Verwaltungsaufgabe, VVDStRL 74 (2015), S. 293 (300 ff.).
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kretisierenden Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf.3 Dabei führen die ständig in Bewegung befindlichen Wirklichkeiten zu immer neuen Anfragen an die Zielverwirklichung und damit zu einem dynamischen Verständnis des Sozialstaatsprinzips.4 Das soziale Staatsziel ist entwicklungsfähig und zukunftsoffen sowohl für Änderungen des Lebensstandards wie auch des Risikobewusstseins angesichts eines beschleunigten sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Wandels.5 1. Die Einführung der Pflegeversicherung In diesem Sinne ist mit der Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland vor 25 Jahren eine Lücke im Netz der sozialen Sicherungen geschlossen worden.6 Das Risiko einer eintretenden Pflegebedürftigkeit hat durch die Schaffung einer Pflichtversicherung als eigenständiger Teils der Sozialversicherung und Aufnahme in das Sozialgesetzbuch als SGB XI nach einer längeren Vorlaufzeit die gebotene gesetzliche Absicherung erfahren.7 Dabei war allen damals maßgeblich Beteiligten klar, dass mit der gesetzlichen Einführung einer neuen Versicherung nicht das gesamte Risiko abgesichert werden kann. Die primäre Eigenverantwortung und das nach wie vor erforderliche Engagement von Familienangehörigen sollte lediglich durch einen neuen institutionalisierten Baustein in der sozialen Infrastruktur ergänzt wer-
3
Bernd Grzeszick, in: GG, Kommentar, begr. von Theodor Maunz/Günter Dürig, hrsg. von Roman Herzog/Rupert Scholz/Matthias Herdegen/Hans H. Klein, München, Stand: 86. Lfg. Januar 2019, Art. 20 VIII Rdnrn. 17 ff.; Michael Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, Kommentar, 8. Aufl. München 2018, Art. 20 Rdnrn. 47, 50. 4 Karl-Peter Sommermann, in: Grundgesetz, Kommentar, begr. von Hermann von Mangoldt, fortgef. von Friedrich Klein und Christian Starck, hrsg. von Peter M. Huber und Andreas Voßkuhle, Bd. 2, 7. Aufl. München 2018, Art. 20 Rdnr. 103. 5 Sommermann, ebd. (Anm. 4), Rdnr. 106. 6 Nach Fabian Wittreck, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 (Sozialstaat) Rdnr. 12, handelt es sich um eine „echte Erweiterung des Tableaus“ im Rahmen einer „konzeptionellen Entfaltung des real existierenden bundesdeutschen Sozialstaats bzw. seiner einfachgesetzlichen Ausgestaltung“. Vgl. dazu die Problembeschreibung im damaligen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP vom 24. 06. 1993, BTDrucks. 12/5262, S. 61 ff., bzw. im gleichlautenden Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 12/5617. Der wesentliche Inhalt dieses Gesetzentwurfs wie auch weiterer alternativer Gesetzentwürfe ist ebenso wie der politische Beratungsverlauf zusammengefasst im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 21. 10. 1993, BT-Drucks. 12/5952. 7 Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014, in Kraft getreten am 1. Januar 1995 gemäß Artikel 68 Abs. 1. Vgl. zur Entstehung exemplarisch Jörg Alexander Meyer, Der Weg zur Pflegeversicherung: Positionen – Akteuere – Politikprozesse, Frankfurt a. M. 1996; Gerhard Naegele, 20 Jahre Verabschiedung der Gesetzlichen Pflegeversicherung: eine Bewertung aus sozialpolitischer Sicht, Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschaft und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2014. Die wesentlichen Inhalte sind anschaulich beschrieben bei Peter Axer, § 95 Gesundheitswesen, in: HdbStR, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhof, 4. Bd., Heidelberg 2006, S. 1005 (1037 ff.), Rdnrn. 33 ff.
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den.8 Denn – so einer der „Väter der Pflegeversicherung“, der damalige Bundesgesundheitsminister Dr. Norbert Blüm, am Tag der Verabschiedung des Gesetzes im Deutschen Bundestag: „Das Gesetz ist auf den guten Willen und das Engagement vieler angewiesen. Nächstenliebe und Barmherzigkeit lassen sich nicht durch Paragraphen kommandieren; sie lassen sich überhaupt nicht kommandieren. … Die Pflegeversicherung ersetzt nicht die Hilfsbereitschaft; sie stützt sie und schützt sie vor Überforderung.“9 Ähnliches gilt für die Finanzierung: trotz aller seit dem Beginn erfolgten stufenweisen Verbesserungen garantiert die Pflegeversicherung bis heute keine vollkommene Kostendeckung. Eine menschenwürdige Pflege setzt nach wie vor eine – je nach Art der in Anspruch genommenen Leistungen abgestufte – nicht unbeträchtliche Eigenbeteiligung voraus, weshalb die Pflegeversicherung auch durchaus treffend als „Teilkaskoversicherung“ bezeichnet worden ist.10 2. Gesetzes-Novellierungen Auch wenn die Einführung der Pflegeversicherung an sich schon als ein wirklicher Meilenstein in der Infrastruktur der sozialen Daseinsvorsorge anzusehen ist, war von Beginn an klar, dass dies nur ein Anfang sein konnte. Durch einige Novellierungen ist seitdem versucht worden, diesen Teil der gesetzlichen Pflichtversicherung weiter zu optimieren. Eine erste Anpassung wurde durch das sog. „Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz“11 vorgenommen, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist. Mit ihm wurden vor allem verbesserte Bedingungen für die Pflege im häuslichen Bereich geschaffen durch Einführung eines zusätzlichen Leistungsanspruchs für Pflegebedürftige mit erheblichem Bedarf an Betreuung im häuslichen Bereich und Ermöglichung beratender Hilfen durch zusätzliche Hausbesuche. Darüber hinaus wurden Nichtkrankenversicherten für einen befristeten Zeitraum der Beitritt zur sozialen oder privaten Pflegeversicherung und die Mitfinanzierung der qualifizierten ehrenamtlichen Sterbebe gleitung im Rahmen ambulanter Hospizdienste durch die Krankenkassen ermöglicht.
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In diesem Sinne hat sich auch der damals federführende Bundesminister Norbert Blüm bei der zweiten und dritten Beratung der Gesetzentwürfe sowie der Beschlussempfehlung und des Ausschussberichts im Deutschen Bundestag am 22. 10. 1993 geäußert: Plenarprot. 12/183, S. 15848 f. 9 Plenarprot. 12/223, S. 19279. 10 Stephan Rixen, Gesundheit im Sozialstaat. Zukunftsfragen des Gesundheitswesens, Nr. 457 der Reihe Kirche und Gesellschaft, hrsg. von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, Köln 2019, S. 9. 11 Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz – PflEG) vom 14. Dezember 2001, BGBl. I S. 3728.
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Eine weitere Ergänzung ist mit dem sog. „Pflege-Neuausrichtungsgesetz“12 erfolgt. Neben Übergangsregelungen insbesondere mit Leistungsverbesserungen für Versicherte, deren Alltagskompetenz eingeschränkt ist (also vor allem für Demenzerkrankte), waren weitere Schwerpunkte die Flexibilisierung der Leistungsinanspruchnahme, die Entlastung der Angehörigen, die Beratung der Pflegebedürftigen und die Betreuung der Pflegebedürftigen in Wohngruppen. Es folgten schließlich die drei sog. „Pflegestärkungsgesetze“. Mit dem ersten Gesetz13 wurden mit Beginn des Jahres 2015 insbesondere für Pflegebedürftige und deren Angehörige die Leistungsbeträge wie auch die Anspruchsmöglichkeiten sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich (Erhöhung der Anzahl der Pflegekräfte) ausgeweitet und ein Pflegevorsorgefonds etabliert. Das zweite Gesetz14, das größtenteils Anfang 2016 in Kraft getreten ist, führte vor allem zu einer Änderung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit und der Ermittlung ihrer Voraussetzungen. Anstelle der bisherigen drei Pflegestufen, die allein auf den körperlichen Zustand abstellten, gab es fortan fünf Pflegegrade, mit deren Hilfe insbesondere die immer größer werdende Zahl an weniger körperlich, sondern kognitiv oder psychisch beeinträchtigten Personen erfasst werden können. Das weitgehend Anfang 2017 in Kraft getretene dritte Gesetz15 hat schließlich einige Handlungsanweisungen und Zuständigkeiten nach dem PSG II konkretisiert. 3. Reaktionen auf den Pflegenotstand Aber auch die Errungenschaft der Pflegeversicherung kann nicht über nach wie vor bestehende Defizite sowohl in der häuslichen wie auch in der stationären Pflege hinwegtäuschen.16 Dazu zählen neben einem nicht unerheblichen Anteil an Gewalt gegenüber zu Hause betreuten Menschen mit Demenz beispielsweise durch Vernachlässigung und Gleichgültigkeit, Beschimpfungen und Beleidigungen, Fixierung und Freiheitsberaubung oder auch unzureichend qualifizierte Pflegepersonen zum Teil menschenunwürdige Lebensbedingungen in Pflegeheimen aufgrund systemischer 12 Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) vom 23. Oktober 2012, BGBl. I S. 2246. 13 Erstes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetz – PSG I) vom 17. Dezember 2014, BGBl. I S. 2222. 14 Zweites Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II) vom 21. Dezember 2015, BGBl. I S. 2424. 15 Drittes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3191. 16 Ausführlich zu den Missständen in Pflegeheimen und ihren Ursachen insbes. Susanne Moritz, Staatliche Schutzpflichten gegenüber pflegebedürftigen Menschen, Baden-Baden 2013, S. 17 ff.
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Unzulänglichkeiten.17 Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegen den Pflegenotstand (der sog. „Pflegeverfassungsbeschwerde“) durch das Bundesverfassungsgericht18 in der Fachliteratur heftig kritisiert worden ist.19 Es sei höchst bedauerlich, dass der Erste Senat die Gelegenheit nicht genutzt hat, dem in der Antragsschrift skizzierten „pflegerischen Existenzminimum“ Konturen zu geben, obwohl schon einige wenige grundsätzliche Aussagen des Gerichts entscheidend dazu hätten beitragen können, die Situation von pflegebedürftigen Menschen in Heimen zu verbessern.20 Einen weiteren Schritt in diese Richtung ist aber der Gesetzgeber mit dem Pflegeberufegesetz21 gegangen, das zum größten Teil zu Beginn des Jahres 2020 in Kraft getreten ist. Mit dem Gesetz soll der Grundstein für eine zukunftsfähige und qualitativ hochwertige Pflegeausbildung für die Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege gelegt werden. Dabei besteht der Kern der Neuregelung vor allem darin, dass die bisher in getrennten Gesetzen geregelten Pflegeausbildungen zusammengeführt werden (sog. Generalistik in der Pflegeausbildung). Die Attraktivität der Ausbildung wird zudem dadurch erhöht, dass nicht nur künftig das bisherige Schulgeld entfällt, sondern zudem für die Auszubildenden ein Anspruch auf eine angemessene Ausbildungsvergütung eingeführt wird. 4. Konzertierte Aktion Pflege Abgerundet werden die Bemühungen des Sozialstaats durch ein Maßnahmenbündel, das im Juni 2019 von einer gemeinsam von Bund, Ländern und relevanten Akteuren in der Pflege initiierten Aktion vorgestellt worden ist.22 Unter der Federführung des Bundesministers für Gesundheit, der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Bundesministers für Arbeit und Soziales sind verbindliche Ziele vereinbart worden, „um den Arbeitsalltag und die Arbeitsbedingungen von beruflich Pflegenden spürbar zu verbessern, sie zu entlasten und die Ausbildung in der Pflege zu stärken“23. Dazu zählen beispielsweise eine Steigerung der Ausbildungszahlen, hö17 Christoph Goos, Die Idee der Menschenwürde. Ursprung, Positivität und gegenwärtige Entfaltung (= EssGespr. 51), S. 5 (25 f.) m. w. N. 18 BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2016 – 1 BvR 2980/14 -, Rdnrn. 1 – 26. 19 Vgl. etwa Goos, Menschenwürde (Anm. 17), S. 26 ff.; Ders., Die Nichtannahme der Pflegeverfassungsbeschwerde. Eine kritische Analyse aus verfassungsprozessualer Sicht, in: Christian Helmrich (Hrsg.), Die Verfassungsbeschwerden gegen den Pflegenotstand – Dokumentation und interdisziplinäre Analysen, Baden-Baden 2017, S. 167 ff. 20 Goos, Menschenwürde (Anm. 17), S. 28. 21 Gesetz zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) vom 17. Juli 2017, BGBl. I S. 2581. 22 Vgl. dazu den Abschlussbericht der Bundesregierung „Gemeinsam für Pflege“: Konzertierte Aktion Pflege – Vereinbarungen der Arbeitsgruppen 1 bis 5, Berlin 2019. 23 Auszug aus dem Vorwort des Abschlussberichts (Anm. 22).
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here Löhne für beruflich Pflegende24, eine verbesserte und am Bedarf ausgerichtete Personalausstattung in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, die Anwerbung von zusätzlichem qualifizierten Personal aus dem Ausland, mehr Gesundheitsförderung und mehr Verantwortung für pflegerisches Fachpersonal. Dieses Maßnahmenpaket wird von den Beteiligten im Sinne ihrer gemeinsamen Bereitschaft und Absicht verstanden, „Verantwortung für eine bessere Pflege in Deutschland zu übernehmen“25. Es liegt auf der Hand, dass der Erfolg dieses Anspruchs an ganz vielen Stellen von der konkreten Umsetzung der getroffenen Absichtserklärungen abhängt. In jedem Fall ist die Aktion mit ihren zahlreichen Vereinbarungen ein weiterer wichtiger und richtiger Schritt, um die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern und damit nicht zuletzt auch dem zuvor beschriebenen Pflegenotstand entgegenzuwirken.
II. Der spezifisch christliche Anspruch Schon lange vor der Schaffung des Sozialstaatsprinzips und auch bevor die Verfassungsgeber die unantastbare Würde des Menschen ganz bewusst an den Anfang unserer Verfassung gestellt haben, lag unserem Gemeinwesen die vorkonstitutionelle Erkenntnis vom Menschen als Ebenbild Gottes zugrunde. Von dieser Grundüberzeugung ließ sich auch Papst Benedikt XVI. Weihnachten 2005 in seiner Enzyklika Deus Caritas Est leiten. Der frühere Papst entwickelt dort einen Humanismus als Handlungsmaxime, der dem Menschen helfen will, „ein Leben gemäß dieser seiner Würde zu verwirklichen“.26 Für das spezifische Profil praktizierter christlicher Nächstenliebe folgert er daraus zunächst, dass die Kraft des Christentums über die Grenzen des christlichen Glaubens hinausreichen und kirchliche Liebestätigkeit mehr sein müsse als eine Variante im allgemeinen Wohlfahrtswesen. Nach dem Vorbild des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter müsse sie ganz schlicht die Antwort auf das geben, was in einer konkreten Situation Not tut. Dazu gehört auch die Pflege derjenigen Menschen, die im Alter oder aber aufgrund einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung zur Bewältigung ihres Alltags auf fremde Hilfe angewiesen sind. Ganz in diesem Sinne haben sich auch die deutschen Bischöfe vor einigen Jahren in ihrer Frühjahrs-Vollversammlung mit den Herausforderungen der demographischen Entwicklung für Gesellschaft und Kirche befasst und auf die gemeinsame Verantwortung von Staat, sozialen Diensten und Familien für eine Weiterentwicklung der Infrastruktur für die Pflege von Menschen im Alter hingewiesen. Damit das Leben auch unter den Bedingungen der Abhängigkeit von fremder Hilfe bis hin zur Pflegebedürftigkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit gelingen 24 Vgl. hierzu die kritische Bewertung von Steffen Roth, Bedenkliche Abschottung des Pflegemarktes, FAZ v. 20. 10. 2017, S. 16. 25 Vorwort (Anm. 23). 26 In: AAS 98 (2006), S. 217 – 252 (= VApSt 171, hier S. 44).
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könne, bedürfe es vertrauensstiftender und tragfähiger Beziehungen und Netzwerke.27 Dabei haben die Bischöfe die besondere Verantwortung betont, die im Umgang mit dieser Herausforderung aus dem christlichen Menschenbild erwächst. 1. Anreize für die Pflege durch Familienangehörige Der größte Pflegedienst der Nation ist nach Ansicht der Bischöfe nach wie vor die Familie.28 Die Familienangehörigen können, sofern die Rahmenbedingungen es zulassen, am ehesten sicherstellen, dass pflegebedürftige Menschen – idealerweise in ihrer vertrauten Umgebung – ein Leben führen können, das ihren Bedürfnissen und ihrer Würde in der letzten Lebensphase entspricht. Daher ist es sehr zu begrüßen, wenn Staat und Gesellschaft Anreize für pflegende Familienangehörige schaffen, z. B. im Arbeitsrecht durch flexiblere Arbeitszeitmodelle oder im Renten- und Arbeitslosenversicherungsrecht.29 2. Die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen § 2 Abs. 2 SGB XI gewährt den Pflegebedürftigen – natürlich auf der Grundlage der für alle Einrichtungen geltenden pflegerischen Mindeststandards sowie unter dem Vorbehalt der Angemessenheit im Leistungsrecht – mit Blick auf stationäre Einrichtung oder ambulanten Dienst ein grundsätzliches Wahlrecht zwischen den verschiedenen Trägern. Dabei ist nach § 2 Abs. 3 SGB XI insbesondere auch die religiöse Dimension zu berücksichtigen, so dass nach Satz 2 die stationäre Leistung bei einem entsprechen Wunsch in einer Einrichtung stattfinden soll, in der die seelsorgliche Betreuung durch Geistliche ihres Bekenntnisses sichergestellt ist.30 Dabei dürfen Pflegekassen und Leistungserbringer nicht lediglich auf entsprechend geltend gemachte Wünsche reagieren, sondern haben nach § 2 Abs. 4 SGB XI die Pflegebedürftigen von sich aus auf die Möglichkeit hinzuweisen, entsprechende Wünsche äußern zu können.31 27 Die Zukunft der Pflege im Alter – ein Beitrag der katholischen Kirche, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2011, S. 21 ff. 28 Ebd. (Anm. 27), S. 24. 29 In dem Zusammenhang weist von Schwanenflügel, Pflege (Anm. 2), S. 116 f., beispielhaft auf die mit dem Pflegezeitgesetz und dem Familienpflegezeitgesetz geschaffenen Möglichkeiten einer Freistellung von der Arbeit für pflegende Angehörige hin. 30 Dazu näher Steffen Roller, Religiös gepflegte Pflege, in: Harald Derschka/Rainer Hausmann/Martin Löhnig (Hrsg.), Festschrift für Hans-Wolfgang Strätz zum 70. Geburtstag, Regenstauf 2009, S. 433 (434 ff.). Vgl. auch die grundsätzlichen Darstellungen von Stephan Rixen, Das Grundrecht auf glaubenskonforme Gewährung von Sozialleistungen – Zugleich ein Beitrag zu den Leistungsgrundrechten des Grundgesetzes, DVBl. 2018, S. 906 ff., sowie von Andreas Unrau/Frank Garlich, Das sozialhilferechtliche Wunsch- und Wahlrecht des konfessionell gebundenen Heimbewohners, ZevKR 47 (2002), S. 38 ff. 31 Darauf weist auch Roller, ebd. (Anm. 30), S. 437, ausdrücklich hin.
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3. Die religiösen Pflegeeinrichtungen im Wettbewerb Den auf pflegende Hilfe Angewiesenen wie auch ihren Angehörigen kommt eine funktionsfähige Pflege-Infrastruktur zugute. In diesem Sektor entwickelt sich naturgemäß ein im Wachstum begriffener Markt, bei dem die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände neben einer immer größer werdenden Zahl von privaten Dienstleistern noch immer zu den Marktführern gehören. Dabei garantiert § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB XI zunächst ganz grundsätzlich die Trägervielfalt sowie das jeweilige Selbstverständnis und die Unabhängigkeit der einzelnen Träger. Ihr Verhältnis zueinander wird sodann in Satz 2 dahingehend konkretisiert, dass dem nach dem Selbstverständnis bestehenden Auftrag kirchlicher Träger und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege zur Pflege, Betreuung und Begleitung pflegebedürftiger Menschen Rechnung zu tragen ist.32 Satz 3, der als spezialgesetzliche Ausprägung des aus der katholischen Soziallehre abgeleiteten Subsidiaritätsgrundsatzes anzusehen ist, räumt diesen Trägern schließlich einen Vorrang gegenüber öffentlichen Trägern ein. Eher selbstverständlich fordert der Papst in seiner bereits erwähnten Enzyklika zunächst als elementare Voraussetzung für jeglichen Dienst an hilfsbedürftigen Menschen eine auf einer angemessenen Ausbildung beruhende ausreichende berufliche Kompetenz. Es kann daher nicht wirklich überraschen, wenn er sodann fortfährt: „Berufliche Kompetenz ist eine erste, grundlegende Notwendigkeit, aber sie allein genügt nicht. Es geht ja um Menschen, und Menschen brauchen immer mehr als bloß technisch richtige Behandlung. Sie brauchen Menschlichkeit. Sie brauchen die Zuwendung des Herzens. Für alle, die in den karitativen Organisationen der Kirche tätig sind, muss es kennzeichnend sein, dass sie nicht bloß auf gekonnte Weise das jetzt Anstehende tun, sondern sich dem anderen mit dem Herzen zuwenden, so dass dieser ihre menschliche Güte zu spüren bekommt. Deswegen brauchen diese Helfer neben und mit der beruflichen Bildung vor allem Herzensbildung.“33
Wenn man diese Wunschvorstellung nun ganz konkret auf den Pflegebereich herunterbricht, kann man zunächst feststellen, dass in den religiös geprägten ambulanten und stationären Diensten eine große Zahl an hochengagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeitet, die sich exakt diesem vom Papst formulierten Ideal verpflichtet 32 Zur Sicherung dieses Selbstverständnisses wird in der Literatur etwa die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses entwickelt, sofern eine Pflegeleistung zur Begleitung eines mit den Vorstellungen der jeweiligen Religion unvereinbaren Behandlungsabbruchs erfolgen soll. Hierfür wird als Beispiel angeführt, wenn sich der begehrte Abbruch bei einer katholischen Pflegeeinrichtung nicht erst auf die Sterbephase bezieht, sondern schon vorher auf eine passive Sterbehilfe im weitesten Sinne gerichtet ist. Vgl. dazu Franziska M. Buchwald, Zwischen Religion und Selbstbestimmung. Karitative Tätigkeit der Religionsgemeinschaften vor neuen Herausforderungen anlässlich der gesetzlichen Regelungen zur Patientenverfügung, Berlin 2013, S. 155 ff.; Dies., Die Sicherstellung des Selbstverständnisses in karitativen Pflegeeinrichtungen – anlässlich der gesetzlichen Regelung zur Patientenverfügung, in: Bernd Grzeszick (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen des Kirchen- und Staatskirchenrechts, Berlin 2014, S. 9 (13 ff.). 33 Deus Caritas Est (Anm. 26), (in: VApSt 171, hier S. 45 f.).
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fühlen. Aber die wünschenswerte Vermittlung von menschlicher Wärme kostet Zeit. Und Zeit ist nicht nur in dieser Branche ein kostspieliges Gut. Es kommt hinzu – und auch das gehört zum christlichen Menschenbild –, dass kirchliches Personal im Gegensatz zu manch anderen privaten Trägern nach Tarif vergütet wird. Dies kann – auch wenn die Wirtschaftlichkeit einer Einrichtung unter Hinweis auf die mitunter höheren kircheneigenen Tarife von Gesetzes wegen nicht angezweifelt werden darf – in Einzelfällen durchaus zu Wettbewerbsnachteilen führen. Und so bewegen sich die kirchlichen Anbieter und mit ihnen ihre Mitarbeitenden tagtäglich in dem nahezu unauflösbaren Spannungsfeld zwischen dem eigenen ethischen Anspruch und einem Wettbewerbs- und Kostendruck.34 Das aber kann und darf nicht sein! In einem Sozialstaat müssen rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen möglich sein, in denen persönliche Zuwendung und die Vermittlung von Geborgenheit nicht als wettbewerbsschädliche Kostenfaktoren gelten, sondern als selbstverständlicher Bestandteil zum refinanzierten Leistungsspektrum in der Pflege gehören!35 4. Palliativversorgung und Hospizarbeit Jede noch so wirkungsvolle Pflege stößt an ihre Grenzen, wo die Nähe zum Tod erfahrbar wird. Zum christlichen Menschenbild gehört es aber auch, Schmerzen und Leid zu lindern und letztlich auch den Tod zuzulassen. Ein würdevolles Sterben kann aber nur in einem Klima gewährleistet werden, in dem sich Sterbende nicht als Last empfinden. Wer ihre Eigenverantwortlichkeit wahren will, muss Raum schaffen für palliativmedizinische Betreuung und liebende Zuwendung. Aus christlicher Sicht soll der Tod eines Menschen nicht künstlich hinausgezögert werden, wenn es keine Chance mehr gibt auf Heilung oder ein erträgliches Leben. Sterben in Würde zu ermöglichen, bedeutet aus christlicher Sicht, dass der Sterbende an der Hand eines Menschen stirbt und nicht durch sie.36 Gerade in seinem letzten Lebens34 Eingehend zu diesem Spannungsverhältnis u. a. in der Pflege Matthias Hartwig, Korporative Religionsfreiheit und soziale Tätigkeit, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven, Berlin u. a. 2001, S. 509 (521 ff.).Weiterführend hierzu Traugott Jähnichen, Im Spannungsfeld von Professionalisierung, Ökonomisierung und religiöser Pluralisierung – Konflikte um die evangelische Identität der Diakonie, in: Ders./Alexander-Kenneth Nagel/Katrin Schneiders (Hrsg.), Religiöse Pluralisierung: Herausforderung für konfessionelle Wohlfahrtsverbände, Stuttgart 2016, S. 46 (52 ff.); Peter Neher, Der Dienst am Menschen. Caritas als Träger des Sozialstaats, in: Karlies Abmeier/Michael Borchard/Matthias Riemenschneider (Hrsg.), Religion im öffentlichen Raum, Paderborn 2013, S. 163 (166 f.). 35 Unbefriedigend daher insoweit Roller, Pflege (Anm. 30), S. 443, der zwar einerseits das durchaus höhere Niveau einer christlich ausgerichteten Pflege anerkennt, sie aber zugleich darauf verweist, sich ohne Vorzüge der Qualitätsdiskussion und dem Wettbewerb stellen zu müssen. 36 Einen pflegepädagogischen Impuls gibt Gertrud Hundenborn, Begleitung im Sterben – eine Hilfe zum Leben, in: Manfred Nicht/Armin Wildfeuer (Hrsg.), Person – Menschenwürde – Menschenrechte im Disput, Münster u. a. 2002, S. 403 ff.; vgl. zum Gesamtkomplex die
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abschnitt braucht der Mensch Zuwendung, Schutz und Trost. Hier leisten die christlichen – häufig auch ökumenisch betriebenen – Hospize einen segensreichen Dienst. Ein Sterben in Würde für jeden Menschen zu ermöglichen, ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.37 Es ist daher sehr zu begrüßen, dass die Palliativversorgung und die Hospizarbeit inzwischen auch eine Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung erfahren haben.38 Den Tod aber willentlich herbeizuführen oder dabei zu assistieren, kann aus christlicher Perspektive keine Alternative zu einer mitfühlenden Begleitung sein. Daher ist auch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abzulehnen, wonach das Betäubungsmittelgesetz in extremen Ausnahmesituationen die Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zwecke der Selbsttötung nicht ausschließt.39 Kritik ruft dabei insbesondere der im Leitsatz 2 erfolgte Tabubruch hervor, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen umfasse, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll. Ein im Auftrag des beklagten Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte erstelltes Rechtsgutachten gelangt folgerichtig zu dem Ergebnis, dass das Urteil verfassungsrechtlich nicht haltbar ist.40 Insbesondere fehle es bei der vom Beklagten verweigerten Befreiung vom gesetzlich angeordneten Erwerbsverbot an einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht von Sterbewilligen.
III. Ein Schlussgedanke Der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat seine Antworten auf die Frage nach einem Lebensende in Würde und Selbstbestimmung als ein – in seine Deutsche Bischofskonferenz, Sterben in Würde, online unter: https://www/dbk.de/themen/ster ben-in-wuerde (eingesehen am 21. 08. 2019). 37 Über aktuelle Entwicklungen informiert der Internetauftritt des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes, eines Dachverbandes von über 1.000 Hospizvereinen und Palliativeinrichtungen, online unter: https://www.dhpv.de/index.html (eingesehen am 21. 08. 2019). In dem Zusammenhang beklagt Rixen, Demographischer Wandel (Anm. 2), S. 319 f., eine noch immer nicht ausreichende Vernetzung entsprechender Angebote. 38 Durch das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) vom 1. Dezember 2015, BGBl. S. 2114. Vgl. auch beispielhaft für die Situation in einzelnen Bundesländern den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen „Hospizarbeit und Palliativversorgung in Nordrhein-Westfalen – das Lebensende menschenwürdig und angstfrei gestalten“ vom 18. 06. 2019, Drucks. 17/6593. 39 BVerwG, Urt. vom 2. März 2017, 3 C 1915, NJW 2017, S. 2215 ff.; vgl. dazu die ausführliche und kritische Anmerkung von Andreas Jurgeleit, KuR 2017, S. 239 ff. 40 Udo Di Fabio, Erwerbserlaubnis letal wirkender Mittel zur Selbsttötung in existenziellen Notlagen, Rechtsgutachten zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 – 3 C 19/15 – im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, November 2017.
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Amtszeit fallendes – gesetzgeberisches Gesamtpaket umschrieben. Dabei hat er seine christlich begründete Motivation deutlich erkennen lassen und insbesondere die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Pflegebedürftige, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte sowie die Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung hervorgehoben.41 Die abschließende Mahnung des früheren Diakonie-Präsidenten nimmt noch einmal Bezug auf die besondere Bedeutung des christlichen Menschenbildes für die Pflege: Johannes Stockmeier stellt zunächst fest, dass die Qualität, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Rahmenbedingungen in der Pflege möglich ist, in einem deutlichen Spannungsverhältnis steht zu dem am christlichen Menschenbild orientierten Anspruch. Grundlage der diakonischen Pflegekonzeption sei der Auftrag des Evangeliums. Würdevolle Pflege brauche Zeit und Zuwendung. Allerdings seien die in der Pflegeversicherung erstattungsfähigen Entgelte nicht an den tatsächlichen Kosten orientiert, so dass die Schere zwischen den Entgelten und den Qualitätsanforderungen immer größer werde.42
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Hermann Gröhe, Die Würde des Menschen ist unantastbar – bis zuletzt!, Freiburg i. Br. 2017, S. 51 ff. 42 Johannes Stockmeier, Der Dienst am Menschen. Diakonie als Träger des Sozialstaats, in: Religion im öffentlichen Raum (Anm. 34), S. 157 (160 f.).
Religiöse Symbole in pädagogischen Einrichtungen – eine immerwährende Frage Von Gerlinde Katzinger „Ein Kreuz muss hängen! Dies ist ein Erlass!“: Dieses markante Zitat legt der Kabarettist Christian Springer dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder anlässlich des viel diskutierten „Kreuzerlasses“ in den Mund1 und leitet damit seine Auseinandersetzung mit § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern ein, der seit 24. April 2018 folgenden Wortlaut trägt: „Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen.“2 Dieses Beispiel steht stellvertretend für die Auseinandersetzung rund um die Präsenz und Akzeptanz von religiösen Symbolen3 in öffentlichen Einrichtungen, sei es das Kreuz, die Kippa oder das Kopftuch, um stellvertretend die bekanntesten Beispiele zu nennen, und greift ein Thema auf, das gesellschaftlich und politisch sehr intensiv, kontroversiell und emotional diskutiert wird. Dies gilt nicht nur auf nationaler Ebene, sondern bewegt die Gesetzgebung und Rechtsprechung der Staaten quer
1 Christian Springer, Die Antwort auf Söders Kreuz … ist 240 Jahre alt, München 2018 (Rückseite Cover). Vgl. Ursula Nothelle-Wildfeuer, Das Kreuz – Bayernlogo oder Heilszusage?, in: feinschwarz.net. Theologisches Feuilleton, 7. Mai 2018, online unter: www.fein schwarz.net (eingesehen am 08. 05. 2019). Vgl. Hans-Joachim Sander, Christlicher Widerstand gegen Behördenkreuze. Ruhm und Fluch, in: Herder Korrespondenz 8 (2018), S. 49 – 51. 2 Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) vom 12. Dezember 2000 (GVBl. S. 873; 2001 S. 28 BayRS 200 – 21-I), die zuletzt durch Bekanntmachung vom 24. April 2018 (GVBl. S. 281) geändert worden ist. Eine ähnliche Diskussion gab es im Jahr 2002 in Italien, als unter der Regierung Berlusconi eine Verordnung geplant wurde, wonach in Schulen und öffentlichen Gebäuden Kreuze angebracht werden sollten. Vgl. Auch italienische Bischöfe gegen staatliche Kruzifix-Verordnung, in: KathpressTagesdienst Nr. 418, 20. 09. 2002, S. 11. Italien: Doch keine Kruzifix-Verordnung für staatliche Schulen, in: Kathpress-Tagesdienst Nr. 424, 27. 09. 2002, S. 9 f. Wilhelm Rees, „Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ – und den Menschen von heute? Schulkreuze, religiöse Übungen und Schulgebet in Geschichte und Gegenwart, in: Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Historische und rechtliche Aspekte des Religionsunterrichts (Wissenschaft und Religion Bd. 8), Frankfurt am Main 2004, S. 259 – 295, hier S. 259 f. 3 Auf eine Auseinandersetzung mit dem Symbolbegriff und seiner rechtlichen Relevanz wird in diesem Beitrag verzichtet. Vgl. Daniel Krausnick, Symboltheorie aus juristischer Perspektive, in: Rudolf Schlögl/Bernhard Giesen/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften, Konstanz 2004, S. 135 – 156.
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durch Europa, wie zahlreiche einschlägige Entscheidungen des EGMR deutlich machen.4 Dieser Beitrag erhebt keinerlei Anspruch auf eine umfassende Bearbeitung dieses Themas, das in der Literatur bereits intensiv aufbereitet worden ist, sondern will lediglich einige Schlaglichter auf die Diskussion zur Präsenz von Kreuz und Kopftuch in pädagogischen Einrichtungen werfen.
I. Kreuze in öffentlichen pädagogischen Einrichtungen 1. Ausgewählte Fallbeispiele Eine Schlüsselrolle kommt in diesem Zusammenhang sicherlich dem sogenannten „Lautsi-Fall“ zu.5 Die Beschwerde der italienischen Staatsbürgerin Soile Lautsi, wonach die Anwesenheit religiöser Symbole, insbesondere von Kreuzen, in den Klassenzimmern ihrer Söhne, ein Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität in Religionsfragen sei, wurde von der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mit einer Mehrheit von 15 zu 2 Stimmen abgewiesen. Der Europäische Gerichtshof konnte im Aufhängen von Kreuzen in Klassenzimmern keine Verletzung von Art. 2 Zusatzprotokoll Nr. 1 EMRK (Recht auf Bildung, Wahrung des Elternrechts) erkennen. Weiters wurde keine Notwendigkeit gesehen, diesen Fall einer eigenen Prüfung unter Art. 9 (Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) zu unterziehen. Der Gerichtshof weist dem Kreuz v. a. eine religiöse Bedeutung zu, allerdings wird festgestellt, dass der Beweis, religiöse Symbole in Klassenzimmern hätten einen Einfluss auf Schüler/innen, nicht erbracht werden kann. Eine davon abweichende subjektive Wahrnehmung ist nicht ausreichend, um eine Verletzung von Art. 2 Zusatzprotokoll Nr. 1 EMRK zu begründen.6 Es liegt im Ermessen des jeweiligen Staates, ob in staatlichen Schulen Kreuze aufgehängt werden. Das Kreuz an der Wand wurde als passives Symbol eingestuft, dessen Einfluss nicht mit dem einer Teilnahme an religiösen Aktivitäten gleichgesetzt werden kann. Im Urteil wird angemerkt, dass hinsichtlich des Vorhandenseins religiöser Symbole in pädagogischen Einrichtungen unter den europäischen Staaten kein Konsens besteht. In der Mehrheit
4 Eine Auswahl einschlägiger Entscheidungen findet sich in: Sarah Röhrig, Religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen als Grundrechtseingriffe (Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht 30), Tübingen 2017, S. 1. 5 EGMR (Große Kammer) 18. 03. 2011, 30814/06. RIS Bsw30814/06. 6 Vgl. Stephan G. Hinghofer-Szalkay, Das Kreuz und islamische Symbole in Klassenzimmern im Licht von Art. 9 EMRK und Art. 2 ZEMRK, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, Wien 2018, S. 587 – 612, hier S. 593.
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der Europaratsstaaten gibt es keine einschlägigen Regelungen.7 In drei Staaten sind religiöse Symbole in Schulen ausdrücklich verboten (z. B. Frankreich), in fünf Staaten (z. B. Österreich und Italien8) ausdrücklich vorgeschrieben.9 Aus dem Bereich der österreichischen Rechtsprechung ist auf eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. März 2011 zu verweisen.10 Der Verfassungsgerichtshof wies das Begehren der beiden Antragsteller, eines bekennenden Atheisten und seiner Tochter, auf Aufhebung der § 3 Abs. 1 und § 12 Abs. 2 des niederösterreichischen Kindergartengesetzes wegen Verfassungswidrigkeit ab.11 Der Erstantragsteller fühlte sich durch die Vorbereitung und Veranstaltung religiöser Feiern sowie durch das Vorhandensein eines Kreuzes im Aufenthaltsraum des Kindergartens „in der von ihm für sein Kind gewünschten konfessionslosen Erziehung gestört“ und befürchtete, dass seine Tochter aufgrund ihrer Alters durch das Kreuz „in eine bestimmte, religiös eindeutig geprägte Richtung nachhaltig beeinflusst werde.“12 Durch die angefochtenen Bestimmungen erachtete sich der Erstantragsteller in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art. 2 Zusatzprotokoll Nr. 1 EMRK iVm. Art. 9 EMRK verletzt. Für seine Tochter als Zweitantragstellerin brachte er zusätzlich die Verletzung von Art. 14 StGG ein.13 Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass der Verfassungsgerichtshof zusätzlich zur Niederösterreichischen Landesregierung auch den anderen Landesregierungen sowie dem Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst die Möglichkeit einräumt, zum Fall Stellung zu beziehen. Die unterschiedlichen Positionen sollen an dieser Stelle kompakt referiert und zusammengefasst werden.14 7 In Spanien und Griechenland sind z. B. religiöse Symbole in pädagogischen Einrichtungen vorhanden, obwohl es keine einschlägigen Bestimmungen gibt. Vgl. Rees, Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (Anm. 2), S. 270. 8 Artikel 118 Königliches Dekret Nr. 965 vom 30. April 1924 (interne Vorschriften der Mittelschulen) und Artikel 119 Königliches Dekret Nr. 1297 vom 26. April 1928 (Annahme der allgemeinen Vorschriften für den Grundschulunterricht). Vgl. Herbert Kalb, Das „Schulkreuz“ vor dem EGMR. Kommentar zum Urteil der Großen Kammer im Fall Lautsi, in: ÖARR Heft 3 (2010), S. 384 – 394. 9 EGMR (Große Kammer) 18. 03. 2011, 30814/06. RIS Bsw30814/06. 10 VfSlg 19.349/2011. 11 NÖ Kindergartengesetz 2006 LGBl. 5060 – 2. § 3 Abs. 1: „Der Kindergarten hat durch das Kindergartenpersonal die Aufgabe, die Familienerziehung der Kinder zu unterstützen und zu ergänzen. Insbesondere ist die körperliche, seelische und geistige Entwicklung der Kinder durch Bildungsangebote, geeignete Spiele und durch die erzieherische Wirkung, welche die Gemeinschaft bietet, zu fördern, zu unterstützen, ein grundlegender Beitrag zu einer religiösen und ethischen Bildung zu leisten und die Erreichung der Schulfähigkeit zu unterstützen.“ § 12 Abs. 2: „In allen Gruppenräumen jener Kindergärten, an denen die Mehrzahl der Kindergartenkinder einem christlichen Religionsbekenntnis angehört, ist ein Kreuz anzubringen“. 12 VfSlg 19.349/2011, III. 1.2. und 2.3. Vgl. Nikolaus Blum, Die Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 19), Berlin 1990, S. 55 f. 13 VfSlg 19.349/2011, III. 2. 14 Ebd. III. 3 und 4.
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Die niederösterreichische Landesregierung unterscheidet in ihren Ausführungen zu § 3 Abs. 1 des Kindergartengesetzes religiöse Erziehung, der sie eine konfessionelle Gebundenheit zuschreibt, von religiöser Bildung, für die eine offene Vermittlung charakteristisch ist. Das Kreuz sei ein Glaubenssymbol des Christentums und habe darüber hinaus eine kulturelle, „multivalente“ Bedeutung, weshalb es der Interpretation bedürfe. Durch die bloße Konfrontation werde die Grenze zur Grundrechtserheblichkeit nicht überschritten. Ähnlich argumentieren die Salzburger, die Oberösterreichische und die Kärntner Landesregierung, wonach das Kreuz Kinder in pädagogischen Einrichtungen weder einem Glaubenszwang noch einer Pflicht zur Identifikation aussetze. Weiters gäbe es kein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, in staatlichen Räumen vor der Begegnung mit anderen Religionen und Weltanschauungen geschützt zu werden.15 Die Tiroler Landesregierung bezieht sich in ihrer Stellungnahme darauf, dass der Begriff „Freiheit“ gerade beinhalte, dass auch das Anbringen religiöser Symbole zulässig sein müsse. Das Aufhängen eines Kreuzes hindere niemanden daran, seinen Glauben oder Nichtglauben auszuleben. Die Landesregierung Vorarlberg verweist auf die bisherige Rechtsprechung des EGMR, der in der Frage der religiösen Symbole in Bildungseinrichtungen den Rahmen weit gesteckt habe. Wenn den Kindern kein konkretes religiöses Verhalten abverlangt werde, sei durch die bloße Anwesenheit eines Kreuzes nicht von einer nachhaltigen Beeinflussung auszugehen. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes greift dieses Argument ebenfalls auf und stützt sich wesentlich auf Positionen, die in der herrschenden Lehre vertreten werden.16 Demnach kann aus der Verpflichtung zum Aufenthalt in einem Schulzimmer mit einem Kreuz an der Wand kein Eingriff in die negative Religionsfreiheit abgeleitet werden. Weiters sei speziell in Kindergärten nicht von einer hohen Eingriffsintensität durch ein Kreuz auszugehen, da die Ausgestaltung der Gruppenräume von der von Schulklassen abweicht und damit der Blick auf das Kreuz leicht vermieden werden kann. Grundsätzlich wurde vom Verfassungsdienst die Wirkung des Anblicks eines Kreuzes auf die religiöse bzw. areligiöse Einstellung von Kindergartenkindern maximal in einer sehr reduzierten Weise angenommen und eine Beeinflussung, Verunsicherung oder Verstörung der Kinder als wenig plausibel erachtet.17
15 Vgl. Christoph Grabenwarter in: Karl Korinek/Michael Holoubek u. a. (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Textsammlung und Kommentar, Bd. III. 7. Lfg., Wien 2005, Art 9 EMRK Rz 22. Vgl. Hinghofer-Szalkay, Das Kreuz und islamische Symbole in Klassenzimmern (Anm. 6), S. 598. 16 Vgl. Christoph Grabenwarter, in: Korinek/Holoubek Art 9 EMRK Rz 22. Herbert Kalb/ Richard Potz/Brigitte Schinkele, Das Kreuz in Klassenzimmer und Gerichtssaal, Religionsrechtliche Studien Bd. 1, Freistadt 1996. 17 Vgl. Hinghofer-Szalkay, Das Kreuz und islamische Symbole in Klassenzimmern (Anm. 6), S. 594 f.
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2. Einschlägige Rechtsgrundlagen Die zentrale Rechtsgrundlage für das Vorhandensein von Kreuzen in Schulen ist § 2 b Abs. 1 des Religionsunterrichtsgesetzes (RUG).18 Die Rechtsgrundlagen für Kindergärten finden sich in den jeweiligen Landesgesetzen.19 Gemäß § 2 b Abs. 1 RUG ist in Schulen, die unter § 1 Abs. 1 RUG fallen,20 in denen Religion ein Pflichtfach ist und in denen die Mehrheit der Schüler/innen einem christlichen Religionsbekenntnis angehört, in allen Klassenräumen ein Kreuz anzubringen. Zusätzlich zu dieser einfachgesetzlichen Regelung findet sich in Z 2 lit b des Schlussprotokolls des sogenannten Schulvertrages21 eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung, wonach der Heilige Stuhl von der Regelung des § 2 Abs. 1 RUG Kenntnis nimmt und vereinbart wird, dass eine Änderung dieses Zustandes nicht ohne Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl stattfinden wird. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl das RUG als auch der Schulvertrag den Terminus „christlich“ verwenden. In der Frage der religiösen Symbole enthält das RUG, welches sonst eindeutig konfessionell ausgerichtet ist, eine interkonfessionelle Regelung. Interessant ist weiters die Frage, nach welchem Modus die Schüler/ innenzahl berechnet wird. Da weder das RUG noch der Schulvertrag eine Einschränkung auf gesetzlich anerkannte christliche Religionsbekenntnisse enthalten, ist davon auszugehen, dass auch Schüler/innen, die einem gesetzlich nicht anerkannten christlichen Religionsbekenntnis angehören, einzuberechnen sind. Werden die österreichischen Regelungen zum Schulkreuz unter der Lupe der Verfassungskonformität betrachtet, muss der Blick v. a. auf das Grundrecht der Religionsfreiheit und die religiöse Neutralität des Staates gerichtet werden. Art. 14 StGG, Art. 63 Staatsvertrag von St. Germain und Art. 9 EMRK22 regeln das Grundrecht auf Religionsfreiheit. Gewährleistet wird v. a. die positive Religions- und Weltanschau18 Bundesgesetz vom 13. Juli 1949, betreffend den Religionsunterricht in der Schule. BGBl. Nr. 190/1949 idgF. Zur Geschichte dieser Regelung vgl. Hugo Schwendenwein, Das österreichische Katechetenrecht. Religionsunterricht in der österreichischen Schule. Eine Handreichung für Religionslehrerinnen und -lehrer, Wien/Berlin 2009, S. 147 f. Herbert Kalb/ Richard Potz/Brigitte Schinkele, Das Kreuz im Klassenzimmer. Darstellung der österreichischen Rechtslage aus Anlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995, 1 BvR 10 87/91, in: ÖAKR 43 (1994/95), S. 24 – 29. 19 Gemäß Art. 14 Abs. 4 lit b fallen die elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen in die Zuständigkeit der Länder. 20 Das sind alle öffentlichen und mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen. 21 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlußprotokoll. BGBl. Nr. 273/1962 idF. BGBl. Nr. 289/1972. Vgl. Hugo Schwendenwein, Kirche und Schule im Österreichischen Konkordat und im Schulvertrag, in: Hans Paarhammer/Franz Pototschnig/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), 60 Jahre Österreichisches Konkordat (Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaften Bd. 56), München 1994, S. 505 – 528, hier S. 514 f. 22 Vgl. Nikolaus Blum, Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1990.
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ungsfreiheit. Die älteste der drei Bestimmungen, Art. 14 StGG, beinhaltet allerdings auch die Dimension der negativen Religionsfreiheit.23 Die bisherige Rechtsprechung vertritt die Position, wonach jeder Zwang zur Teilnahme an religiösen Zeremonien abzulehnen ist, hat aber die negative Religionsfreiheit nie im Sinne einer Freiheit von Religion, konkreter einer Freiheit von der Begegnung mit religiösen Symbolen verstanden.24 In der Rechtsprechung und Literatur wird hinsichtlich der Schüler/innen, die den Anblick des Kreuzes ablehnen, zwar das Vorliegen eines minimalen Zwanges angenommen, dem allerdings aufgrund des geringen Ausmaßes – mit dem bloßen Vorhandensein eines Kreuzes wird keine Verehrung oder Identifikation verknüpft – keine Grundrechtsrelevanz zukommt.25 Für besonders gelagerte Einzelfälle muss auf der Basis des Toleranzprinzips26 ein Ausgleich gesucht werden, wobei weder einem Mehrheitsprinzip noch der negativen Religionsfreiheit ein automatischer Vorrang eingeräumt werden darf.27 Hans Maier verwendet in diesem Zusammenhang die Formulierung vom „empfindlichen Lebensraum der Schule“, in dem dem „Prinzip des schonenden Ausgleichs“ große Bedeutung zukommt.28 Die religiöse und weltanschauliche Neutralität gilt als eine Grundlage des freiheitlichen Verfassungsstaates.29 Sie ist auch in Österreich unumstritten und basiert auf der umfassenden Garantie von Religions- und Weltanschauungsfreiheit. In Kalb/Potz/Schinkele wird der Terminus der „hereinnehmenden Neutralität“ verwendet, was bedeutet, dass sich der Staat Religion gegenüber nicht völlig gleichgültig verhält, sondern im Rahmen eines umfassenden Erziehungsauftrages die religiöse Dimension eingeschlossen wissen will.30 Religiöse Neutralität meint demnach 23 Vgl. Art. 14 Abs. 3 StGG: „Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Theilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, in sofern er nicht der nach dem Gesetze hiezu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht.“ 24 Schwendenwein, Das österreichische Katechetenrecht (Anm. 18), S. 148. 25 Kalb/Potz/Schinkele, Das Kreuz im Klassenzimmer (Anm. 16), S. 67. Zu den Auswirkungen einer Konfrontation mit religiösen Symbolen vgl. Röhrig, Religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen als Grundrechtseingriffe (Anm. 4), S. 22 f. 26 Vgl. Bernd Rüthers, Toleranz im demokratischen Verfassungsstaat – Folgeprobleme religiöser und weltanschaulicher Konkurrenzen, in: zur debatte 32. Jg., 2/2002, S. 9 – 11. 27 Vgl. Burkhard Josef Berkmann, Das Urteil Lautsi des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und seine Bedeutung für Kreuze in österreichischen Schulen und Kindergärten, NomoK@non-Webdokument, online unter: http://www.nomokanon.de/abhandlungen/ 027.htm, Rdnr. 1 – 516, hier Rdnr, 23 – 25, 29. (eingesehen am 29. 04. 2019). Herbert Kalb/ Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 42, S. 374. 28 Hans Maier, Geschichtsblind und schulfremd. Zur kulturpolitischen Bedeutung der „Kreuz-Entscheidung“, in: Schule ohne Kreuz (Kirche und Gesellschaft. Sonderheft), Köln 1995, S. 9 – 15, hier S. 11. 29 Rees, Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit, S. 284. 30 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 27), S. 374. Vgl. Theodor Maunz, der Desinteresse eines Staates an religiösen Belangen als „einseitige Stellungnahme des Staates zugunsten der Areligiosität“ und „Bruch der Neutralität“ interpretiert. Theodor Maunz, Die religiöse Neutralität des Staates, in: AfkKR 139 (1970), S. 427 – 442, hier S. 439 f. Vgl. Barbara
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nicht die Privatisierung und Ausgrenzung von Religion, sondern stellt den Religionsgemeinschaften einen rechtlichen Rahmen zur Verfügung, ohne aber inhaltlichen Einfluss zu nehmen.31 Bezogen auf die Präsenz religiöser Symbole heißt das, dass es dem Betrachter überlassen bleibt, welche Bedeutung er dem Kreuz beimisst.32 In diesem Sinn kann das Aufhängen eines Kreuzes als „Grundrechtsangebot“ bzw. als Anerkennung des in Art. 2 Zusatzprotokoll Nr. 1 EMRK gewährleisteten Anspruches auf Achtung von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen im Rahmen der vom Staat in Erziehung und Unterricht übernommenen Aufgaben interpretiert werden. Eine Verletzung des Grundrechts auf Religionsfreiheit und der religiös-weltanschaulichen Neutralitätsverpflichtung des Staates könne nur dann festgestellt werden, wenn zur bloßen Anbringung religiöser Symbole die Verpflichtung der Schüler/ innen zu einer aktiven Ehrerbietung gegenüber diesen Symbolen sowie zu einem Zwang zur Religionsausübung käme.33 Grundsätzlich ist der österreichischen Regelung zum Schulkreuz zu attestieren, dass sie den Forderungen des Grundrechts auf Religionsfreiheit, des Elternrechts sowie der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates entspricht. Hinsichtlich der Frage, ob angesichts einer immer stärkeren religiösen und weltanschaulichen „Durchmischung“ der Schüler/innen eine rechtliche Regelung, die ausschließlich auf das Symbol einer einzigen Religion, nämlich das Christentum, abstellt, noch sachgerecht ist,34 wäre eine intensive Diskussion, die neben rechtlichen Aspekten auch religionspädagogische Ansätze sowie solche des interreligiösen Lernens miteinbezieht, wünschenswert und geboten. Diskussionsbedarf besteht weiters hinsichtlich der rechtlichen Vorgabe, die Regelungen zum Schulkreuz nicht in Bezug auf die unterschiedliche Zusammensetzung einzelner Schulklassen, sondern schulbezogen zu definieren – ein Ansatz, der – vorsichtig formuliert – zu fragwürdigen Situationen führen kann.35 Gartner, Aktuelle Herausforderungen für den Rechtsstaat in einer plurireligiösen Gesellschaft, in: ÖARR Heft 1 57 (2010), S. 37 – 65, hier S. 39. 31 Vgl. Rees, Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (Anm. 2), S. 285. Vgl. Joseph Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 1), Berlin 1971, S. 5 – 10, hier S. 7. Vgl. Gerhard Luf, Religionsunterricht – ein Privileg der Kirchen?, in: Peter Leisching/Franz Pototschnig/Richard Potz (Hrsg.), Ex aequo et bono. Festschrift für Willibald M. Plöchl zum 70. Geburtstag, Innsbruck 1977, S. 457 – 471, hier S. 471. 32 Vgl. Berkmann, Das Urteil Lautsi des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Anm. 27), Rdnr. 19 – 22. 33 Vgl. Rees, Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit (Anm. 2), S. 289. Vgl. Röhrig, Religiöse Symbole in staatlichen Einrichtungen als Grundrechtseingriffe (Anm. 4), S. 229 f. 34 Vgl. Helmut Lecheler, der sich gegen die Parität religiöser Symbole in der Schule ausspricht, weil diese nicht durch den Grundsatz der Neutralität geboten wäre. Vgl. Helmut Lecheler, Kirchen und staatliches Schulsystem, in: HdbStKirchR2, Bd. 2, S. 415 bis 437, hier S. 436. 35 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 27), S. 374.
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II. Religiöse Kopfbedeckungen in pädagogischen Einrichtungen 1. Aktuelle Diskussion in Österreich Die Diskussion rund um religiöse Kopfbedeckungen in pädagogischen Einrichtungen wird nahezu ausschließlich am Beispiel des Kopftuches ausgetragen. Die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs spielen im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle. Daher wird auch in diesem Beitrag das Hauptaugenmerk auf das als muslimisches Symbol eingeordnete Kopftuch36 gelegt. In Österreich wird aktuell eine intensive Diskussion rund um die Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit eines Kopftuchverbotes für Schülerinnen an Volksschulen geführt.37 Das Kopftuchverbot in Kindergärten wurde im Rahmen einer sogenannten „15a-Vereinbarung“38 rückwirkend mit ersten September 2018 in Kraft gesetzt und trägt folgenden Wortlaut: „… Um die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Kinder sicherzustellen, ist in elementaren Bildungseinrichtungen Kindern das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung zu verbieten, die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist. Dies dient der erfolgreichen sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau.“39 Dieser Vereinbarung, die gegen die Stimmen der grünen Fraktion beschlossen worden ist, sind intensive Diskussionen voran gegangen. Vor allem von Seiten der FPÖ-Fraktion wurde ein solches Verbot mit dem Argument gefordert, Unterdrückung und Stigmatisierung von Mädchen müsse verhindert werden. Die Vertreter der SPÖ haben der Vereinbarung zwar zugestimmt, allerdings mit dem Hinweis, es gehe hauptsächlich um die Dringlichkeit der Finanzierungszusage, die ebenfalls Teil dieser Vereinbarung sei. Im Hinblick auf die Diskussion zum Kopftuch wird die Notwendigkeit eines Verbotes sehr in Frage gestellt, da keine Fälle von Kopftuch tra36
Zur Bedeutung des Kopftuches im Koran und im Islam vgl. Akif Hilal Öztürk, Das Kopftuch. Rechtliche Hindernisse in der Berufswahl und -ausübung und ihre Rechtfertigung anhand eines Vergleiches des deutschen, türkischen und europäischen Rechts, Frankfurt a. M. 2006, S. 84 – 95. Amani Abuzahra (Hrsg.), Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort, Innsbruck/Wien 2017. Vgl. Doris Strahm, Konflikt-Stoff: Debatten um das Kopftuch, 2001. Der Beitrag ist erschienen in: Brigitta Gerber/Damir Skenderovic (Hrsg.), Wider die Ausgrenzung – Für eine offene Schweiz, Bd. 2, Debatten, Zürich 2011, S. 49 – 82, online unter: https://interrelthinktank.ch/index.php/component/k2/item/29-konflikt-stoff-feministische-debat ten-um-das-kopftuch (eingesehen am 08. 05. 2019). 37 ORF (Hrsg.), Artikel „Kopftuchverbot in Schulen soll kommen – IGGiÖ dagegen“, online unter: https://religion.orf.at/stories/2980101/ (eingesehen am 08. 05. 2019). 38 So werden Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern über Angelegenheiten des jeweiligen Wirkungsbereiches bezeichnet. 39 Art. 3 Abs. 1 Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Elementarpädagogik für die Kindergartenjahre 2018/19 bis 2021/22. BGBl I Nr. 103/ 2018.
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genden Kindern im Kindergarten bekannt seien und hier ein Thema künstlich aufgeblasen werde.40 Von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) wird das Kopftuchverbot in Kindergärten und Schulen als diskriminierend und bevormundend abgelehnt. Weiters sei mit einem solchen Verbot ein Eingriff in die Grundrechte auf Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern zu befürchten. Zusätzlich wurde kritisiert, dass seitens der Politik der innermuslimische Konsens, wonach das Selbstbestimmungsrecht von Mädchen und Frauen auf jeden Fall zu beachten sei, außer Acht gelassen und ein Randthema mit wenigen Einzelfällen aufgebauscht werde.41 Auch seitens des Generalsekretariats der Österreichischen Bischofskonferenz wird die Maßnahme eines Kopftuchverbotes kritisch angefragt. So sieht die Bischofskonferenz die Frage, ob das Problem des Kopftuches in Kindergärten tatsächlich in einem Ausmaß vorhanden ist, dass ein Regelungsbedarf besteht, in den erläuternden Bemerkungen zum Regierungsentwurf nicht ausreichend beantwortet. Das Kopftuchverbot tangiere neben dem Grundrecht auf Religionsfreiheit auch das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie das Erziehungsrecht der Eltern, das sind Grundrechtseingriffe, die nur zulässig sind, wenn legitime Gründe bestehen, wie sie in Art. 9 Abs. 2 EMRK genannt sind. Die Erläuterungen zum Begutachtungsentwurf erfüllen diese Kriterien nach Meinung der Bischofskonferenz nicht. Die Hinweise, dass das „geplante Verbot der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung dienen soll“, dass das Tragen des islamischen Kopftuches „zu einer frühzeitigen geschlechtlichen Segregation führen“ könne und „im Widerspruch zu den Zielen der staatsbürgerlichen Erziehung stehe“ sind nicht mit näheren Erläuterungen versehen, daher sind aus der Sicht des Generalsekretariates der Bischofskonferenz „keine ausreichenden Informationen vorhanden, um von der rechtlichen Zulässigkeit des Grundrechtseingriffes überzeugt sein zu können.“ Aufgrund der festgestellten Defizite kommt das Generalsekretariat zum Schluss, dass weder der Begutachtungsentwurf noch die Erläuterungen hinreichend überzeugende Argumente enthalten, wonach das geplante Kopftuchverbot eine geeignete Maßnahme zur Förderung der Integration darstelle. Im Sinne einer pluralen Gesellschaft, in der Segregation vermieden und die Gleichstellung der Geschlechter unterstützt werden, fordert das Generalsekretariat Aufklärung, pädagogische Begleitung und einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Abschließend wird an40
Vgl. Parlamentskorrespondenz Nr. 1311 vom 21. 11. 2018. Parlamentskorrespondenz Nr. 1453 vom 06. 12. 2018, online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2018/ PK1311/ (eingesehen am 09. 05. 2019). 41 Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Hrsg.), Artikel „Stellungnahme der IGGiÖzur Forderung der Regierung ein Kopftuchverbot für Kindergärten und Volksschulen einzuführen“, online unter; http://www.derislam.at/iggo/?f=news&shownews=2110 (eingesehen am 09. 05. 2019). Vgl. Wiener Zeitung (Hrsg.), Artikel „Kein Kopftuch im Kindergarten“, online unter: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/998066-Kein-Kopf tuch-im-Kindergarten.html (eingesehen am 09. 05. 2019).
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geregt, die langjährige österreichische Tradition eines kooperativen Umgangs des Staates mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zu wahren und zumindest das Einvernehmen mit der betroffenen Religionsgemeinschaft herzustellen.42 Für mindestens ebenso intensive Debatten sorgt das Kopftuchverbot an Volksschulen, das am 15. Mai 2019 mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ im Nationalrat, gemeinsam mit zwei Stimmen der Fraktion JETZT, als einfachgesetzliche Regelung beschlossen wurde, da sich für eine Verfassungsbestimmung nicht die erforderliche Mehrheit fand. Rechtssystematisch ist das Kopftuchverbot eine Novelle zum Schulunterrichtsgesetz. Die jüdische Kippa und die Patka der Sikhs wurden vom Verbot ausdrücklich ausgenommen. Adressatinnen des Kopftuchverbotes sind muslimische Mädchen, die das elfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben.43 Seitens der Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ wird das Kopftuchverbot als Symbol gegen den politischen Islam und gegen die Unterdrückung von Mädchen deklariert, sowie als Maßnahme, die die Integration in der Volksschule fördere. Die Oppositionsparteien lehnen diese Begründungen als verfehlt und unzureichend ab, da sich die Frage der Integration nicht an einzelnen Symbolen und Maßnahmen festmachen lasse.44 Die islamische Glaubensgemeinschaft ortet im neu beschlossenen Kopftuchverbot an Volksschulen eine Diskriminierung und Verletzung mehrerer Grundrechte und kündigt an, diese Gesetzesnovelle vom VfGH überprüfen zu lassen.45 2. Das Kopftuch in pädagogischen Einrichtungen: Rechtliche Anmerkungen Verbote von religiösen Kopfbedeckungen müssen – genauso wie beim Kreuz – dahingehend überprüft werden, ob sie nicht eine Verletzung des Grundrechtes auf Religionsfreiheit, des Elternrechts oder der religiösen Neutralität des Staates darstellen. Das Anlegen einer religiösen Kopfbedeckung fällt grundsätzlich in den Schutzbereich des Grundrechts auf Religionsfreiheit, wenn dieses aufgrund eines religiösen Bekenntnisses erfolgt. Im schulischen Kontext ist zu unterscheiden, ob das Kopftuch von Lehrerinnen oder von Schülerinnen getragen wird. Beim Kopftuch der Lehrerin ist noch einmal auseinanderzuhalten, ob dieses ausschließlich im Rahmen des Religionsunterrichts 42
Österreichische Bischofskonferenz (Hrsg.), Stellungnahme vom 16. 10. 2018, online unter: https://www.bischofskonferenz.at/dl/NtpqJKJKkLLmoJqx4KJK/2018_10_16_BMBWF_ Art15aB-VGVereinbarungsentwurfElementarp_dagogik_Stellungnahme_PDF.pdf (eingesehen am 09. 05. 2019). 43 Parlamentskorrespondenz Nr. 535 vom 15. Mai 2019, online unter: https://www.parla ment.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2019/PK0535/index.shtml (eingesehen am 16. 05. 2019). 44 Ebd. 45 ORF (Hrsg.), Artikel „Kopftuchverbot: IGGÖ spricht von ,schwarzem Tag‘“, online unter: https://religion.orf.at/stories/2981876/ (eingesehen am 16. 05. 2019).
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oder generell getragen wird. Klar geregelt ist die Rechtslage im Hinblick auf den Religionsunterricht. In diesem Fall ist das Kopftuch als innere Angelegenheit vom Schutzbereich des Art. 15 StGG erfasst, d. h. dass die IGGiÖ über die Zulässigkeit des Kopftuches nach ihren Grundsätzen entscheidet.46 Nach Auffassung der IGGiÖ ist das Tragen eines Kopftuches ein religiöses Gebot,47 das – im Unterschied zu Rechtsvorschriften – aber auch abgelehnt werden könne, allerdings nicht von Religionslehrerinnen. Aufgrund der besonderen Funktion, die diesem Berufsstand zukomme, sei das Tragen eines Kopftuches für Religionslehrerinnen verpflichtend, so der Präsident der IGGiÖ in einem ORF-Interview. Allerdings sei der innerislamische Diskurs im Hinblick auf Religionslehrerinnen, die kein Kopftuch tragen wollen, noch ausständig und werde für die Zukunft auch nicht ausgeschlossen.48 Die Frage, ob eine Lehrerin das Kopftuch während ihrer gesamten Unterrichtstätigkeit, d. h. auch außerhalb des Religionsunterrichts, tragen darf, ist in Österreich nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt.49 Wie bei der Frage nach dem Kreuz in pädagogischen Einrichtungen sind in die Diskussion das Grundrecht auf Religionsfreiheit sowohl in der positiven als auch in der negativen Dimension einzubeziehen, ebenso wie das Elternrecht50 und die Verpflichtung des Staates zur Neutralität. Eine bloße Konfrontation mit dem Kopftuch ist nicht automatisch ein Eingriff in die negative Religionsfreiheit der Schüler/innen. Es gibt in der Rechtsprechung aber die Tendenz, dem Kopftuch eine höhere Eingriffsintensität als dem Kreuz zuzusprechen. Im Fall Dahlab versus Schweiz51 stellte der EGMR fest, dass das Kopftuch ein „starkes religiöses Symbol“ sei und eine bekehrende Wirkung nicht von vorneherein ausgeschlossen werden könne, vor allem bei Kindern im Kindergarten und in der Grundschule, die leichter zu beeinflussen seien als ältere Kinder und Jugendliche. Weiters wurde in diesem Urteil das Tragen eines Kopftuches als problematisch im Hinblick auf die Verpflichtung zur Toleranz und zur Gleichberechtigung der Ge-
46 Barbara Gartner, Islam und Recht in Österreich, in: Alexander Janda/Mathias Vogl (Hrsg.), Islam in Österreich, o. O., o. J., S. 19 – 52, hier S. 31. Österreichischer Integrationsfonds (Hrsg.), Publikation „Islam in Österreich“, online unter: https://www.integrationsfonds. at/publikationen/monographien/islam-in-oesterreich/?L=2 (eingesehen am 13. 05. 2019). 47 Die entsprechende Fatwa wurde am 16. Februar 2017 vom Mufti der IGGiÖ veröffentlicht. 48 Ümit Vural im ORF-Interview vom 19. Mai 2019, online unter: https://religion.orf.at/sto ries/2981823/ (eingesehen am 19. 05. 2019). 49 Zur Situation in Deutschland vgl. Nina Coumont, Islam und Schule, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates, Berlin 2008, S. 440 – 581. 50 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 27), S. 343. 51 EGMR 15. 02. 2001, 42393/98. Vgl. Georg Tafner, Das islamische Kopftuch. Brennpunkt des verschleierten Kampfes um die europäische Identität. Eine europäische Kurzbetrachtung, in: ÖARR Heft 1 57 (2010), S. 98 – 110, hier S. 103 f.
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schlechter erachtet. Nach Auffassung des EGMR habe das Kopftuch das Potential, den religiösen Frieden in der Schule zu gefährden.52 Auch die Verpflichtung des Staates zur religiös-weltanschaulichen Neutralität kann nach der bisherigen Interpretation nicht als Grundlage für ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen herangezogen werden, da gerade im Bildungsbereich von einem System einer hereinnehmenden Neutralität auszugehen ist, auf deren Basis religiöse Bezüge möglich sind.53 Ebenso wenig ist das bloße Tragen eines Kopftuches, v. a. wenn es nicht mit aktiver Werbung für eine Religion oder Weltanschauung verbunden ist, als parteiisches Verhalten im Sinne von § 43 BDG54 oder als ein Verstoß gegen die guten Sitten gem. Art. 63 Abs. 2 Staatsvertrag von St. Germain zu werten.55 Für Kinder in Kindergärten gibt es seit 1. September 2018 ein gesetzliches Kopftuchverbot. Für Schülerinnen an Volksschulen wurde das Kopftuchverbot am 15. Mai 2019 im Nationalrat beschlossen. Beide Entscheidungen werden heftig kritisiert und diskutiert. Aus rechtlicher Sicht ist das Tragen eines Kopftuches vom Schutzbereich der positiven Religionsfreiheit sowie vom Elternrecht geschützt. Im Hinblick auf die negative Religionsfreiheit der Mitschüler/innen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Tragen eines Kopftuches keinen Grundrechtseingriff darstellt.56 Im Jahr 2004 wurde ein Erlass des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur verabschiedet, wonach das Tragen von Kopftüchern als religiös motivierte Bekleidungsvorschrift vom Schutzbereich des Art. 14 StGG bzw. des Art. 9 EMRK erfasst ist und eine Einschränkung religiöser Gebote außerkirchlichen Stellen nicht zusteht. Beschlüsse durch Schulgemeinschaftsausschüsse und Schulforen, die dieses Recht einschränken, werden durch diesen Beschluss als rechtswidrig qualifiziert.57 Mit dem Kopftuchverbot in Volksschulen sind die Regierungsparteien von dieser Haltung abgewichen.
52 Vgl. Öztürk, Das Kopftuch (Anm. 36), S. 306 f. Vgl. Evelyn von Bülow, Das Kopftuchurteil des EGMR (Linzer Schriften zur Frauenforschung 39), Linz 2008, S. 101 f. 53 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 27), S. 374. Vgl. Gartner, Islam und Recht in Österreich (Anm. 46), S. 34 f. 54 Bundesgesetz vom 27. Juni 1979 über das Dienstrecht der Beamten (Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 – BDG 1979), BGBl. Nr. 333/1979 idgF. 55 Gartner, Islam und Recht in Österreich (Anm. 46), S. 34 stellt zu Recht fest, dass eine religiöse Tradition einer Religionsgesellschaft, die seit 1912 gesetzlich anerkannt ist, nur schwerlich als Verstoß gegen die guten Sitten qualifiziert werden kann. 56 Ebd. 57 Erlass des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 23. Juni 2004, Zl. 20.251/3-III/3/2004 betreffend das Tragen von Kopftüchern von Schülerinnen mit islamischem Glaubensbekenntnis.
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III. Ausblick Die skizzierten Auseinandersetzungen rund um religiöse Symbole in pädagogischen Einrichtungen sind ein Beispiel für das Ringen um folgende exemplarische Fragen: „Wieviel sichtbare Religion verträgt die österreichische Gesellschaft?“ bzw. „Wie halten wir es in Österreich mit der religiösen Pluralität?“ Diese Fragen werden sowohl auf der politischen und rechtlichen Ebene als auch im Bereich der Pädagogik, speziell der Religionspädagogik, intensiv diskutiert. Die Religionen sind gefordert, ihre Fähigkeit zu einem reflektierten Umgang mit Vielfalt weiter zu entwickeln, um den Anforderungen eines friedlichen Zusammenlebens in einer komplexen pluralistischen Gesellschaft gerecht zu werden.58 Für den Bereich der Schule müssen pädagogische Konzepte entwickelt und Lernumgebungen geschaffen werden, die die Akzeptanz von Heterogenität fördern und die Schüler/innen beim Erwerb der dafür notwendigen Kompetenzen unterstützen.59 Die Religionsgemeinschaften sind in die Pflicht zu nehmen, ihren Beitrag zu einer positiven Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft, gerade im Bereich von Bildungseinrichtungen zu leisten. Politik und Gesellschaft sind gefordert, den Diskurs sachlich und unabhängig von der Aufregung rund um Einzelfälle zu führen. Offensive Religiosität wird nach Doris Strahm häufig als Irritation einer säkularen Gesellschaft wahrgenommen.60 Religion muss als zentraler gesellschaftlicher Faktor wahrgenommen werden, der sich durch Verbote nicht verdrängen lässt. Entgegen vieler Voraussagen von Religionskritikern und Säkularisierungstheoretikern ist Religion nicht verschwunden61 und wird von den Schüler/innen in unterschiedlicher Weise in die Schule eingebracht. Insofern gehen Forderungen nach einer „Schule als religionsfreiem Raum“, wie sie in der aktuellen Kopftuchdebatte z. B. von der Liste JETZT erhoben werden,62 an der Realität vorbei und stehen in Widerspruch zum Grundrecht auf Religionsfreiheit, zu den 58 Vgl. Ednan Aslan, Pluralität als Wille Gottes, in: Zekirija Sejdini (Hrsg.), Islamische Theologie und Religionspädagogik in Bewegung. Neue Ansätze in Europa, Bielefeld 2016, S. 33 – 50, hier S. 33 f. 59 Vgl. Bernhard Grümme, Heterogenität in der Religionspädagogik. Grundlagen und konkrete Bausteine, Freiburg i. Br. 2017, S. 13. 60 Strahm, Konflikt-Stoff (Anm. 36), S. 11. 61 Vgl. ebd. S. 319. 62 Parlamentskorrespondenz des Nationalrates der Republik Österreich (Hrsg.): „Grundsätzlich sollten öffentliche Schulen ein religionsfreier Raum sein, die keine sichtbaren religiösen Symbole enthalten“, in: Parlamentskorrespondenz Nr. 535 vom 15. 05. 2019, online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2019/PK0535/index.shtml (eingesehen am 19. 05. 2019). Vgl. Der Standard (Hrsg.), Artikel „Liste Jetzt gegen Kreuze in Schulen“: „Im Zuge der Debatte über das Kopftuchverbot in der Volksschule werde ihre Fraktion im Nationalrat einen Entschließungsantrag für ein Verbot von sichtbaren religiösen Symbolen in der Schule einbringen, kündigte Bildungssprecherin Stephanie Cox am Dienstag an. Davon betroffen wären auch Kreuze, diese sollten abgehängt werden.“ Online unter: https://derstan dard.at/2000103107449/Liste-Jetzt-gegen-Kreuze-in-Schulen (eingesehen am 19. 05. 2019).
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Grundwerten der österreichischen Schule63 und zu der in Österreich herrschenden Interpretation der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, die im Rahmen eines umfassenden Erziehungsauftrages die religiöse Dimension eingeschlossen wissen will.64
63 Art. 14 Abs. 5a B-VG: „Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen sind Grundwerte der Schule, auf deren Grundlage sie der gesamten Bevölkerung, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund, unter steter Sicherung und Weiterentwicklung bestmöglicher Qualität ein höchstmögliches Bildungsniveau sichert. Im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Schülern, Eltern und Lehrern ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen. Jeder Jugendliche soll seiner Entwicklung und seinem Bildungsweg entsprechend zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden, dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt werden, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Europas und der Welt teilzunehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.“ § 2 Abs. 2 Schulorganisationsgesetz: „Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.“ 64 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 27), Wien 2003, S. 42, S. 374.
Wenn Unionsrecht, nationales Recht und kirchliches Recht kollidieren – eine Relecture des sogenannten „Chefarztfalles“ Von Andreas Kowatsch
I. Einleitung 1. Erster Überblick über den Gang und die Bedeutung des Verfahrens Am 2. Juli 2019 gab die Pressestelle des Erzbistums Köln entgegen wohl nicht nur vereinzelter Erwartungen in der Fachwelt bekannt, auf eine (weitere) Verfassungsbeschwerde im schon lange so bezeichneten Chefarztfall zu verzichten.1 Mit diesem Verzicht erwuchs einerseits das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. Februar 20192 in Rechtskraft, andererseits endete damit eines der instanzenreichsten und bemerkenswertesten staatskirchenrechtlichen Gerichtsverfahren seit dem Inkrafttreten des dt. Grundgesetzes (GG).3 Der EuGH bestätigte im Rahmen des vom BAG initiierten Vorabentscheidungsverfahrens seine erst wenige Monate zuvor ergangene Rechtsprechung in der Sache Egenberger:4 Wenn eine Kirche, so der Gerichtshof, bzw. eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, zur Begrün1 Vgl. die Meldung, online auf der Webseite des Erzbistums Köln unter: https://www.erzbis tum-koeln.de/news/Keine-Verfassungsbeschwerde-im-Chefarzt-Fall/ (eingesehen am 10. 09. 2019). 2 2 AZR/746/14. 3 Das Erzbistum gab als Grund für diesen Verzicht an, dass sich nach der geltenden, im Jahr 2015 novellierten Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) der Sachverhalt rechtlich keine Relevanz mehr hatte. Die Begründung erstaunt insofern, als es in dem Rechtsstreit längst nicht mehr um eines von vielen Kündigungsschutzverfahren im Rahmen des kirchlichen Arbeitsrechts ging, sondern um die grundsätzliche Frage der Reichweite des Einflusses des Unionsrechts auf das nationale Religionsverfassungsrecht. Darum behält das Erzbistum sich auch ausdrücklich vor, seine Rechtsauffassung zu den auch aus seiner Sicht klärungsbedürftigen Grundsatzfragen des Verhältnisses von Religionsverfassungsrecht und Unionsrecht durch eine Stellungnahme in das Verfahren Egenberger der evangelischen Kirche einzubringen, das zurzeit beim BVerfG anhängig ist. Siehe folgende Anm. 4 EuGH (Große Kammer), Urteil vom 17. April 2018, C-414/16, „Vera Egenberger gegen Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.“, u. a. in: NJW 2018, S. 1896.
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dung einer Handlung oder Entscheidung geltend mache, die Religion eines Mitarbeitenden sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation,“ dann müsse ein solches Vorbringen gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können.5 Konkret war es im Fall Egenberger um die Nichtberücksichtigung der konfessionslosen Klägerin im Bewerbungsverfahren für eine Stelle der evangelischen Diakonie gegangen, für welche die Stellenausschreibung die Mitgliedschaft „in einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche“ gefordert hatte.6 Das Postulat der staatlichen Überprüfbarkeit der Entscheidung einer Kirche oder sonstigen Religionsgemeinschaft, für die Besetzung eines bestimmten Arbeitsplatzes nur auf die eigenen Gläubigen zurückzugreifen, bedeutet trotz notwendiger und im Urteil auch angedeuteter Differenzierungen letztlich die staatliche Überprüfbarkeit einer Entscheidung, die wenigstens nach der bisherigen deutschen (wie auch österreichischen7) Rechtsprechung eine genuin innerkirchliche Angelegenheit betrifft. Das gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV verbürgte Recht der Kirchen und Religionsgesellschaften, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten, umfasst die Errichtung, Umschreibung und die konkrete Besetzung von Ämtern und Arbeitsstellen, die an der Sendung der Kirche bzw. Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft mitwirken sollen.8 Das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht steht zwar im Gegensatz zum wenigstens dem Wortlaut nach schrankenlos normierten Grundrecht auf Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG unter der Schranke der „allgemeinen Gesetze“. Diese wurde jedoch bislang nicht so gedeutet, dass die staatliche Gerichtsbarkeit jenseits der aus Rechtsschutzgründen 5
Der EuGH gab auch den Maßstab der Überprüfbarkeit an: Bei einer der in Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78 genannten „wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen“ müsse es sich, so der EuGH, um eine solche handeln, die notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist. Sachfremde Erwägungen ohne Bezug zu diesem Ethos oder dem Recht dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie dürfen nicht umfasst sein. Die Anforderung müsse darüber hinaus mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen. 6 Im Rahmen einer Referentenstelle sollte ein Parallelbericht zum Internationalen Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung erstellt werden. Mit dieser Tätigkeit wäre ein Auftreten für die Diakonie verbunden gewesen. 7 So urteilte der österr. OGH, dass die Kündigung eines in einer katholischen Erziehungseinrichtung beschäftigten Lehrers wegen seiner öffentlichen Ablehnung der kirchlichen Lehre zur Empfängnisverhütung rechtens ist: „Nach österreichischem Recht erstreckt sich die kirchliche Autonomie auf die selbständige Beurteilung der Frage, ob ein an einer konfessionellen Privatschule beschäftigter Lehrer aus religiösen Gründen tragbar ist“: OGH, 12. 04. 1995, 9ObA 31/95 (=SZ 68/76). 8 Vgl. ganz ähnlich Art. 15 österr. StGG.
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unaufgebbaren Grenzen der Überprüfbarkeit für den staatlichen Rechtsbereich wirksamer kirchlicher Handlungen, nämlich der Grundprinzipien der Rechtsordnung, des staatlichen ordre public und der guten Sitten, gegen genuin religiös motivierte Entscheidungen angerufen werden kann.9 Diese Zurückhaltung ist eine unmittelbare Folge der weltanschaulich-religiösen Neutralität eines säkularen Staatswesens, welches das Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht nur den einzelnen Bürgern gewährt, sondern sich von vornherein als inkompetent in der Beurteilung religiöser Wahrheitsfragen versteht. Ein über die Grenzen der Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie beispielsweise im Willkürverbot zum Ausdruck kommen, hinausgehende Überprüfbarkeit religionsgemeinschaftlicher Handlungen innerhalb der eigenen Angelegenheiten erinnert an das staatskirchenhoheitliche Instrument des „recursus ab abusu“.10 Dieses setzte freilich systematisch eine enge institutionelle Verbindung von Kirche und Staat voraus und diente aus der Sicht des Staates deren rechtlicher Bewältigung. Die Anrufung der staatlichen Instanzen zur Überprüfung von Akten der kirchlichen (Hoheits-)Gewalt war eines der klassischen Mittel im System der Staatskirchenhoheit zur Durchsetzung einer rein auf den Staat bezogenen, etatistisch verengten Sicht von Souveränität gegenüber der jeweiligen Landeskirche.11 Dieses Rechtsmittel an die staatliche Behörde richtete sich dabei keineswegs nur gegen Akte in Bereichen, in denen eine Kirche als (beliehener) Träger staatlicher Hoheitsgewalt agierte. Auch Handlungen, die sich allein nach dem kanonischen Recht, ja sogar rein geistlich wirkende Sanktionen, waren mancherorts von diesem Rekurs umfasst.12
9 An dieser Stelle kann auf die Reichweite der Schrankenregelung in Art. 137 Abs. 3 WRV nicht näher eingegangen werden. Ihre Interpretation ist mehr als manch andere Verfassungstexte historischen Schwankungen unterworfen gewesen und bildet den anschaulichen Beleg für das legendäre Diktum Rudolf Smends am Beginn der ersten Nummer der ZevKR: „Wenn zwei Grundgesetze dasselbe sagen, meinen sie nicht dasselbe.“ Jedenfalls sind jedoch Rechtsnormen, die direkt oder auch indirekt die Religionsgemeinschaften in einer besonderen Weise betreffen, keine allgemeinen Staatsgesetze. Da die korporative Religionsfreiheit in ihren Grundbestandteilen bereits durch das Grundrecht auf religiöse Freiheit (Art. 4 GG) gewährleistet ist, kommen weithin nur gleichrangige Verfassungsnormen als Schranken der Kirchenautonomie in Frage. 10 Gebräuchlich ist auch die französische Bezeichnung „appel comme d’abus“. Diese erinnert an den historischen Ursprung dieses Mittels der Staatskirchenhoheit zur Durchsetzung der „Gallikanischen Freiheiten“ der Französischen Kirche, genauer: der Souveränitätsanspruches des Königreichs Frankreich auch in weiten Bereichen des inneren Kirchenregiments. 11 Aus diesem Grund war die katholische Kirche auch stärker betroffen. Vgl. Preußisches ALR II, 11, §§ 50 – 57. Anschaulich kommt das allumfassende Hoheitsrecht des Staates in § 57 des Bayerischen Religionsedikts 1818 zum Ausdruck: „Da die hoheitliche Oberaufsicht über alle innerhalb der Grenzen des Staates vorfallende Handlungen, Ereignisse und Verhältnisse sich erstreckt, so ist die Staatsgewalt berechtigt, …“ In den §§ 52 und 53 ist der Rekurs an die staatliche Behörde normiert, sollte sich ein „Genosse einer Religionsgesellschaft“ durch Akte der geistlichen Gewalt gegen die festgesetzte Ordnung beschwert fühlen. 12 Vgl. Christoph Link, Staatskirchenhoheit, in: ZevKR 20 (1975) S. 1 – 42, insbes. S. 32 – 42.
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Dieser Rechtsbehelf teilte wenigstens bis dato das Schicksal des staatskirchenhoheitlichen Systems. Mit dessen Abschaffung wurde dem Instanzenzug von der Kirche an den Staat in geistlichen Angelegenheiten der rechtliche Boden entzogen. So bestimmt seit mittlerweile 100 Jahren Art. 137 Abs. 1 WRV: „Es besteht keine Staatskirche.“ Aufbauend auf dieser grundsätzlichen Scheidung von Staat und Religionsgemeinschaften erfolgt das verfassungsmäßige Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Regelung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten. Ausdrücklich erwähnt der durch Art. 144 GG zum vollgültigen Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland erhobene Verfassungstext die Verleihung der Ämter ohne Mitwirkung des Staates als vom Selbstbestimmungsrecht umfasst. In Österreich gewährleistet Art. 15 des Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Bürger von 1867 (StGG) das Selbstbestimmungsrecht, schränkt dieses aber aus heutiger Sicht in bedenklicher Weise auf die anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften ein. „Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, […] ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.“13 Die Bedeutung des hier zu Ehren des Jubilars einer umfangreichen Relecture unterzogenen Chefarztfalles liegt zum einen in der Vertiefung und Festigung der Rechtsprechung durch den EuGH. Während das Urteil in der Rechtssache Egenberger von den Kirchen und Religionsgemeinschaften – vorbehaltlich der weiteren Entscheidung durch das BVerfG – abverlangt, bereits in den Stellenbeschreibungen plausibel zu machen, warum das religiöse Bekenntnis eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstellt, hat das Urteil im Chefarztfall ganz unabhängig davon, dass sich in der Zwischenzeit das Arbeitsrecht der katholischen Kirche geändert hat,14 noch weitreichendere Konsequenzen. Die Frage, welche persönlichen Anforderungen eine Kirche mit einem Amt bzw. einer Aufgabe, die der Verwirklichung der kirchlichen Sendung dient, verbindet, reicht ins Herzstück der inneren Angelegenheiten und bildet eine genuin religiöse Entscheidung.15 13 Dass ein Unterschied zwischen der Formulierung des StGG, das von den „inneren Angelegenheiten“ spricht und der WRV besteht, die auf den ersten Blick weiter von „ihren Angelegenheiten“ handelt, hält einer historischen Interpretation der Textwerdung des StGG nicht stand. Die Formulierung „innere“ Angelegenheiten entsprach dem staatskirchenhoheitlichen Denken der Zeit. Vgl. Richard Potz, Die inneren Angelegenheiten der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften als Problem der Grundrechtsinterpretation, in: Peter Leisching/Franz Potoschnig/Richard Potz (Hrsg.), Ex Aequo et Bono, Willibald Plöchl zum 70. Geburtstag, Innsbruck 1977, S. 409 – 422. 14 Diese Änderung ist bei ehrlichem Hinsehen keiner Veränderung des kirchlichen Selbstverständnisses im Sinn einer neuen Morallehre zu verdanken, sondern stellt eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Plausibilitätsdruck dar, der durch die europäische Rechtsprechung noch verstärkt wurde. 15 Dementsprechend prognostizierte Fuhlrott noch vor der Entscheidung durch den EuGH: „Würde der EuGH auch in diesem Verfahren [im Chefarztfall, Anm.] eine staatliche Kontrolle einziehen und den Kirchen aufgeben, auch durch staatliche Gerichte prüfen zu lassen, welche jeweiligen Anforderungen an eigene Beschäftigte verlangt werden dürfen, wäre dies ein un-
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Der EuGH setzte sich darüber hinaus mit den Urteilen Egenberger und Chefarzt in einen bewussten und aktiv herbeigeführten Gegensatz zur bisherigen, ganz gefestigten Rechtsprechung des BVerfG über die Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.16 War im Fall Egenberger die Kompetenz der Kirche, für bestimmte Stellen eigenverantwortlich festzulegen, dass die Zugehörigkeit zur Kirche ein notwendiges Kriterium für die Besetzung darstellt, so stand im Chefarztfall die Frage im Mittelpunkt, inwieweit die Kirche oder jede andere Religionsgemeinschaft von ihren Mitarbeitenden eine Konvergenz zwischen dem persönlichen Zeugnis und der beruflichen Arbeit fordern kann. Aus der Sicht des Klägers ging es um die Bekämpfung seiner Kündigung (Kündigungsschutzklage) als Chefarzt in einem Düsseldorfer Krankenhaus in katholischer Trägerschaft aufgrund des Verstoßes gegen die besondere Loyalitätsobliegenheit des kirchlichen Arbeitsrechts, während aufrechter (katholischer) Ehe keine zweite (zivile) Ehe einzugehen.17 Der Kläger begründete die soziale Unverträglichkeit der Kündigung mit einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, da die zivile Wiederheirat nur für katholische Angestellte einen kündigungsrelevanten Verstoß gegen die Loyalitätserwartungen des kirchlichen Dienstgebers bildete. Verfahrensrelevant war daher nicht nur die Frage nach spezifisch kirchlichen Loyalitätsbindungen allgemein, sondern insbesondere, ob die Kirche die Entscheidungsmacht besitzt, an die eigenen Gläubigen andere, im Regelfall strengere Kriterien anzulegen als an nichtkatholische Christen oder an Ungetaufte, auch wenn es sich funktional betrachtet um dieselben Tätigkeiten handelt. In allen drei Instanzen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens hatte die Kündigungsschutzklage des Arztes Erfolg. Gegen das Urteil des BAG vom 8. September 201118 erhob die Erzdiözese Köln jedoch Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG hob das Urgleich größerer Paukenschlag im kirchlichen Arbeitsrecht, der zurecht die Bezeichnung ,Umbruch‘ oder ,Paradigmenwechsel‘ verdient hätte“: Michael Fuhlrott, Unterschiedliche Behandlung von Bewerbern wegen ihrer Konfession im Stellenbesetzungsverfahren eines kirchlichen Arbeitgebers, NZA 2018, S. 569 – 575, hier S. 575. 16 Grabenwarter und Pabel betonen in einem gemeinsamen Beitrag, dass die bisherige Rechtslage aufgrund der gesicherten Rechtsprechung des BVerfG eine deutliche Friedensfunktion ausüben konnte, die seit bald 30 Jahren einen Ausgleich zwischen den Interessen der Bediensteten und dem verfassungsrechtlich verbürgten und grundrechtlich radizierten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht bewirkt habe: „Das hat dazu geführt, dass sich innerhalb des insofern gesteckten Rahmens ein zwischen kirchlichen Arbeitnehmern und Arbeitgebern austariertes System entwickelt hat, das – bei aller Kritik im Einzelfall – für beide Seiten zur vorhersehbaren Ergebnissen unter Berücksichtigung der divergierenden Interessen führt“: Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Das kirchliche Arbeitsrecht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in: KuR 17 (2011), S. 55 – 70, hier S. 57. 17 Der Kläger hatte sich 2005 von seiner Frau getrennt, mit der er in einer nach katholischem Ritus geschlossenen (und in weiterer Folge des Verfahrenslaufes auch nicht im Rahmen eines kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahrens erfolgreich als nichtig festgestellten) Ehe verbunden ist. Von seiner Frau hatte er sich jedoch getrennt und zwei Jahre lang mit seiner jetzigen Frau zusammengelebt, bevor er diese 2008 zivil geheiratet hat. 18 2 AZR 543/10, BAGE 139, 144.
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teil des obersten Arbeitsgerichts in weiterer Folge wegen offenkundiger Verstöße gegen das gem. Art. 144 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgesellschaften auf19 und verwies die Sache zurück zum BAG. Das BAG legte seiner neuerlichen rechtlichen Beurteilung aber nicht etwa den Beschluss des BVerfG zugrunde, in dem dieses die ständige Rechtsprechung zu den besonderen Loyalitätsobliegenheiten im kirchlichen Arbeitsrecht und deren Überprüfbarkeit durch die staatlichen Gerichte bekräftigt hatte. Das BAG fasste vielmehr einen Beschluss nach Art. 267 AEUV und legte dem EuGH – grob vereinfacht – die Frage vor, ob § 9 des dt. Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), der Voraussetzungen für unterschiedliche Behandlungen aufgrund des religiösen Bekenntnisses von Arbeitnehmern aufstellt, den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 EG („Antidiskriminierungsrichtlinie“) entspricht, bzw. wie im Fall eines auch durch eine richtlinienkonforme Interpretation nicht aufhebbaren Normkonflikts vorzugehen sei. Der EuGH beantwortete die Vorlagefragen im Urteil vom 11. September 2018.20 Art 4 Abs. 2 RL 2000/78 EG verlange demnach die Überprüfbarkeit der durch eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Überzeugungen beruht, normierten unterschiedlichen Loyalitätserwartungen ihrer Mitarbeiter je nach deren Bekenntnis durch eine „wirksame gerichtliche Kontrolle“ – gemeint ist: durch die staatlichen Gerichte. Darüber hinaus stünden Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten, die nach der Konfessionszugehörigkeit differenzieren, nur dann mit der Richtlinie im Einklang, „wenn die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche oder Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht“. Die Überprüfbarkeit all dieser Kriterien unterliege der staatlichen Gerichtsbarkeit. Der EuGH beantwortete darüber hinaus auch die Frage des BAG, wie im Falle eines nicht mit den herkömmlichen Methoden der Rechtsauslegung bewältigbaren Normkonfliktes zwischen der RL und dem AGG vorzugehen sei. In diesem Fall müsse das nationale Gericht, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit der RL auszulegen, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts wie insbesondere dem nunmehr in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) niedergelegten Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung erwachsenden Rechtsschutz gewährleisten und für die volle Wirksamkeit der sich daraus ergebenden Rechte sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Auf der Grundlage dieser Vor-
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2 BvR 661/12, BVerfGE 137, 273. EuGH, Urteil vom 11. September 2018, IR gegen JQ (Chefarzt), C-68/17, NJW 2018, 3086. 20
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lageentscheidung erging das anfangs erwähnte abschließende arbeitsgerichtliche Urteil. 2. Die Vielfalt der rechtlichen Problemstellungen Der eben skizzierte Prozesslauf des Chefarztfalls bildete den Gegenstand einer reichhaltigen Diskussion der arbeitsrechtlichen, europarechtlichen, staatskirchenrechtlichen und kirchenrechtlichen Fachwelt. Trotz markanter Unterschiede in der Sache – einmal handelt es sich um den Beginn, das andere Mal um das Ende eines Arbeitsverhältnisses – wirft er gemeinsam mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Egenberger systematische Fragen auf, die in die Mitte des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zielen: Wie weit dürfen die Religionsgemeinschaften eigenverantwortlich bestimmen, welche Kriterien sie bei der Auswahl ihrer Amtsträger ansetzen? Wie weit reicht die Kompetenz eines säkularen Staatswesens, religiös motivierte Entscheidungen der Kirchen und Religionsgemeinschaften einer inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen? Ist die Autonomie der Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihren eigenen Angelegenheiten nicht die Konsequenz einer institutionellen Trennung von Kirche und Staat, wie sie im Verfassungsprinzip der weltanschaulich-religiösen Neutralität zum Ausdruck kommt? Ist die Überprüfbarkeit kirchlicher Entscheidungen als religiös motivierte Akte vereinbar mit Art. 137 Abs. 1 WRV („Es besteht keine Staatskirche.“)? Führt die neue Judikatur des EuGH auf unionsrechtlichem Umweg gar zur Wiederbelebung des staatskirchenhoheitlichen Instituts eines „recursus ab abusu“? Über diese primär religionsrechtlichen Problematiken hinaus berührt die Judikatur des EuGH auch die Frage, ob nicht die kompetenzrechtlichen Grenzen für das rechtmäßige Handeln der Organe der Union überschritten wurden. Ob ein unzulässiges Handeln ultra vires vorliegt, hängt hier auch von der richtigen Auslegung des Art. 17 AEUV ab, mit dem die „Amsterdamer Kirchenerklärung“ in den Rang des unionalen Primärrechts gehoben wurde,21 auf dessen Basis das Sekundärrecht steht, zu dem neben Verordnungen und Entscheidungen insbesondere auch die prinzipiell ins nationale Recht transformationsbedürftigen Richtlinien zählen.22 Wie jede 21
Art. 17 AEUV lautet: (1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. (2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen. (3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog. 22 Die Rechtsprechung des BVerfG zur Möglichkeit einer Kontrolle von ultra vires ergangenen Rechtsakten der Union ist umstritten. Sie drängt das BVerfG in eine Konkurrentenrolle zum EuGH. Allerdings beschränkt sich das BVerfG selbst, indem es nur „offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitungen durch Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union“ als relevant erachtet. Vgl. BVerfG, Urteil des 2. Senats
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internationale Organisation erhielt auch die Europäische Union ihren Wirkungskreis durch die Verträge zwischen den Staaten, durch welche sie gegründet bzw. reformiert oder erweitert wurde. Das geflügelte Wort von den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ besagt zweierlei. Einerseits kann die Union keine unilateralen Kompetenzverschiebungen oder -erweiterungen entgegen dem Wortlaut der Verträge durchführen.23 Andererseits ist das legitime und damit auch für die Mitgliedstaaten bzw., je nach Sachlage, unmittelbar für die Unionsbürger rechtsverbindliche Handeln begrenzt durch die Kompetenzen der Union. Handeln die Organe der Union, einschließlich des Gerichtshofes, ultra vires, so mag dies mit dem Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit erfolgen. Tatsächlich erfolgt diese Berufung jedoch ohne normative Grundlage und läuft daher ins Leere. Aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts stellen sich freilich diffizile Abgrenzungsfragen, deren Lösung nicht schematisch für jeden Mitgliedsstaat dieselbe ist, sondern von den jeweiligen Verfassungsordnungen abhängt. Tatsächliches Handeln ultra vires ist jedoch jedenfalls innerstaatlich rüg- und überprüfbar, da die Mitgliedstaaten dann ihrerseits nicht in eine der Union übertragene Kompetenz eingreifen, sondern sozusagen „im eigenen Haus“ handeln. Ein Handeln ultra vires der Union liegt dann vor, wenn diese durch ihre Organe außerhalb der ihr durch den Vertrag von Lissabon zugewiesenen Kompetenzen tätig wird.24 Jedenfalls außerhalb dieser Kompetenzen liegen Materien, die in keiner Weise einen Widerhall in den Verträgen gefunden haben. Denkbar ist aber auch, dass in den Verträgen bestimmte Bereiche von Unionskompetenzen der einzelstaatlichen Zuständigkeit reserviert bleiben, auch wenn die Materie an sich eine Gemeinschaftskompetenz bildet. vom 21. Juni 2106, 2 BvR 2728/13, 2 BvE 13/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR 2729/13, OMT, Rn. 115. Stellvertretend für verschiedene Stimmen der Literatur zu verschiedenen Zeiten der Rechtsprechungsentwicklung in dieser Frage seien genannt: Jens Uwe Flick, Handeln „ultra vires“ der Europäischen Gemeinschaft. Eine Darstellung der Rechtsfolgenaus der Sicht des Völkerrechts, des Europäischen Unionsrechts und des deutschen Verfassungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten, Frankfurt a. M. u. a. 2001; Franz C. Mayer/Maja Walter, Die Europarechtsfreundlichkeit des BVerfG nach dem Honeywell-Beschluss, in: JURA 7 (2011), S. 532 – 542; Robert Chr. van Ooyen, Mit „Mangold“ zurück zu „Solange II“. Das Bundesverfassungsgericht nach „Lissabon“, in: Der Staat 50 (2011), S. 45 – 59; Christoph Möllers, German Federal Constitutional Court: Constitutional Ultra Vires Review of European Acts Only Under Exceptional Circumstances; Decision of 6 July 2010, 2 BvR 2661/06, Honeywell, in: European Constitutional Law Review, 7 (2011), S. 161 – 167. 23 Vgl. die Ausführungen des dt. BVerfG über die Frage, ob mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Gemeinschaft eine Kompetenz-Kompetenz verfüge: BVerfGE 89, 155 (194 ff.). Die Frage, wer über die „Kompetenz-Kompetenz“ verfügt ist die rechtliche Kehrseite der staatstheoretischen Frage nach der Souveränität. Als Bund von Staaten ist die Europäische Union zwar die bislang höchstentwickelte supranationale Organisation mit einer eigenständigen Rechtsordnung, die Anspruch auf Anwendung und Effektivität hat, sie ist jedoch kein föderaler Bundesstaat nach dem Vorbild etwa der USA, in dem einzelne Staaten ihre Souveränität auf den Dachstaat übertragen haben. 24 Vgl. Flick, Handeln „ultra vires“ (Anm. 22), S. 7.
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Das nationale Religionsrecht und das in diesem normierte Verhältnis zwischen dem einzelnen Mitgliedstaat und den Kirchen und Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften wurde bislang nicht „vergemeinschaftet“. Schließlich stellt sich die Frage, ob die Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung vor dem Hintergrund der bisherigen gefestigten Judikatur des BVerfG zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht das religionsverfassungsrechtliche System des dt. GG so weit verschieben, dass vor dem Hintergrund der Art. 4, 20 und 79 Abs. 3 GG eine unzulässige Beeinträchtigung der nationalen (dt.) Verfassungsidentität vorliegen könnte.25 Sowohl ein Handeln ultra vires wie auch eine letztlich nur durch das BVerfG mögliche „Identitätskontrolle“ führen nicht dazu, Unionsrecht als solches zu bekämpfen. In beiden Fällen wäre jedoch der prinzipiell anerkannte und durch Art. 23 GG gedeckte Anspruch des Unionsrechts auf Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht jeder Stufe nicht von den „grundgesetzlichen Grenzen offener Staatlichkeit“26 gedeckt, sodass ausnahmsweise das nationale (Verfassungs-)Recht Vorrang genösse. Die folgende Relecture kann nicht auf alle skizzierten Fragen eine Antwort geben, da diese weit über das erwartbare Maß einer Festgabe hinausführten. Der Verfahrenslauf, insbesondere das Urteil des EuGH, wirft jedoch Fragen auf, die sich in das Werk des Jubilars als Kanonisten und ausgewiesenen Experten für religionsrechtliche Fragen nahtlos einfügen. Der vorliegende Beitrag widmet sich daher den kirchenrechtlichen Fragen, die mit der skizzierten Rechtsprechung verbunden sind. Ausgehend von der Frage nach der verfassungsrechtlichen Legitimität kirchlicher Loyalitätserwartungen im Arbeitsrecht folgt eine kanonistische Begründung, warum aus der Sicht der katholischen Kirche Differenzierungen dieser Erwartungen je nach dem religiösen Bekenntnis geboten sind. Dieses Recht infrage zu stellen, bedeutete nicht nur einen Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, sondern führte auch zu Widersprüchen in Bezug auf die konkrete Religionszugehörigkeit der Bewerber und Mitarbeiter.
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Der Respekt und die Sicherung der Verfassungsidentitäten der Mitgliedstaaten ist kein auf die Rechtsprechung des BVerfG beschränkter Topos. Vielmehr verpflichtet Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV die Union, die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Liest man diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 17 AEUV, dann zählt auch das nationale Religionsrecht, wenigstens in seinen grundsätzlichen Markierungen, zur mitgliedstaatlichen Identität, die die Organe der Union, Gesetzgeber, Vollziehung und Rechtsprechung, zu achten haben. Auch wenn sich daraus keine direkte Auswirkung auf die Anwendung sekundären Gemeinschaftsrechts ergibt, muss im Fall mehrerer Interpretationsmöglichkeiten jener Lösung der Vorzug gegeben werden, die geringere Auswirkungen auf das nationale Religionsrecht zeitigt. 26 BVerfG, OMT (Anm. 22), Rn. 137. Das Urteil setzt sich ausführlich mit der Frage der Identitätskontrolle durch das BVerfG auseinander.
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II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft und besondere Loyalitätserwartungen 1. Die Dienstgemeinschaft als religiös-rechtliches Konzept Im Jahr 2015 beschlossen die dt. Bischöfe eine Neufassung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO).27 Nach anfänglichen Widerständen aus einigen südlichen Diözesen wurde diese mittlerweile in allen dt. Bistümern in Kraft gesetzt. Die Bewertung eheähnlicher Verhältnisse und insbesondere die zivile Wiederheirat trotz aufrechten kirchlichen Ehebandes wurden in einer Weise modifiziert, die es erlaubt und auch gebietet, auf die Umstände des Einzelfalles Rücksicht zu nehmen.28 Der GrO liegt die Sicht aller kirchlichen Mitarbeiter, unabhängig von ihrer amtlichen Stellung und ihrer konkreten Aufgabe, als „Dienstgemeinschaft“ zugrunde. Dieses Konzept übersetzt wesentliche Elemente der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils in das kirchliche Arbeitsrecht und ist Ausdruck des kirchlichen Selbstverständnisses, das der Staat vorfindet und aufgrund seiner Neutralität bzw. Inkompetenz in religiösen Fragen inhaltlich nicht weiter beurteilen kann. Der Gedanke der Dienstgemeinschaft knüpft an die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Einheit der kirchlichen Sendung an. Eine der theologisch folgenschwersten Entscheidungen des bislang letzten Konzils war die Wiederbesinnung auf die Teilhabe aller Getauften an der Sendung der Kirche. Besonders anschaulich kommt dies im Dekret über den Laienapostolat zum Ausdruck, wo es heißt: „Es besteht in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung. Den Aposteln und ihren Nachfolgern wurde von Christus das Amt übertragen, in seinem Namen und in seiner Vollmacht zu lehren, zu heiligen und zu leiten. Die Laien hingegen, die auch am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhaben, verwirklichen in Kirche und Welt ihren eigenen Anteil an der Sendung des ganzen Volkes Gottes“ (AA 2).
Gemessen an der tauftheologisch fundierten Einsicht, dass es in der Kirche zwar unterschiedliche Dienste gibt, von denen einige unverzichtbar zur sakramentalen Verfassung zählen, andere ganz von den persönlichen Begabungen und Charismen abhängen, alle Dienste gemeinsam aber die kirchliche Sendung verwirklichen, verlangt das Konzept der Dienstgemeinschaft, dass die Kirche das Recht haben muss, deren Glaubwürdigkeit nach außen und ihren Zusammenhalt nach innen durch die verbindliche Erwartung eines an den Grundsätzen des kirchlichen Ethos orientierten Verhaltens aller MitarbeiterInnen zu gewährleisten. Dies kann durch besondere ka27 Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, i. d. F. 1993, u. a. in: ABl. Erzbistum Köln, S. 222. Die novellierte Fassung findet sich u. a. in: ABl. Erzbistum Köln 7/2015, S. 146 – 148. 28 Soweit es im Folgenden um den konkreten Fall geht, ist freilich auf die alte Fassung der GrO zu verweisen.
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nonische Gehorsamsbindungen im Bereich der Ordensleute und Kleriker geschehen oder aber durch die arbeitsvertragliche Verpflichtung von Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen, die an der Sendung der Kirche teilhaben und diese ein Stück weit verwirklichen. In beiden Fällen unterwirft sich der Einzelne jeweils freiwillig einer besonderen Bindung, die über die allgemeine Pflicht aller Gläubigen, in ihrem Verhalten immer die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren (c. 209 § 1 CIC/1983), hinausgeht. Die Kirche, so Beer in einer Bewertung der Rechtssache Egenberger, verliere ihre Wirkkraft und verfehle damit auch ihren Zweck, wenn innerhalb der Dienstgemeinschaft zwischen wichtigen oder weniger wichtigen Personen, zwischen oben und unten, zwischen besonders beachtet und vernachlässigbar unterschieden würde: „Anders ließe sich wohl auch kaum vom Zeichen für das ,Reich Gottes‘ sprechen, von Gerechtigkeit, Freude usw. In der echten Dienstgemeinschaft geht es gar nicht anders, als dass jeder und jede als unverwechselbare Person zählt.“29 Die Koppelung von religiösem Bekenntnis und konkreter Tätigkeit bereitet bei Ordensleuten und Klerikern keine größeren Schwierigkeiten, da es sich beide Male um spezifisch religiös geprägte Lebensformen in derselben Kirche handelt, für die man auch „arbeitend“ tätig wird. Nicht anders verhält es sich jedoch auch bei katholischen Christen, die sich arbeitsvertraglich zur Mitarbeit in der Kirche binden. Eine Trennung von religiösem Bekenntnis und kirchlicher Tätigkeit ist innerhalb einer bestimmten Kirche oder Religionsgemeinschaft für jene logisch nicht möglich, die eben dieser Kirche bzw. Religionsgemeinschaft angehören. Aus der Sicht des staatlichen Religionsrechts ist die Zugehörigkeit zu einer Religion in jeder einzelnen Phase freiwillig. Ebenso freiwillig ist der Abschluss eines Arbeitsvertrages. Ein Katholik akzeptiert mit den vertraglich vorgesehenen Loyalitätserwartungen nichts, was seinem nach außen hin wahrnehmbaren Bekenntnis widersprechen würde. Der Vertragsabschluss selbst ist ebenso ein freier Akt. Weder ist der Einzelne noch der kirchliche Träger einer Einrichtung gesetzlich verpflichtet, mit einer konkreten Person einen Vertrag zu schließen.30 Die kirchlicherseits erwartete Loyalität erstreckt sich über die bloßen Dienstpflichten hinaus auch auf Lebensäußerungen der menschlichen Person außerhalb des eigentlichen Arbeitsumfeldes. Die kirchliche Erwartungshaltung einer Übereinstimmung von religiöser Sendung und funktionaler Tätigkeit kollidiert aber angesichts einer in den letzten Jahrzehnten massiv gesteigerten Präsenz kirchlicher Orga-
29 Hermann Reichold/Peter Beer, Eine „Abmahnung“ des EuGH mit Folgen, NZA 37 (2018), S. 681 – 686, hier S. 684. 30 Freilich stellt sich die moralische Frage, ob dann, wenn in einer Region überwiegend oder sogar ausschließlich Einrichtungen der sozialen Wohlfahrtspflege einer bestimmten Kirche bestehen, die Vertragsabschlussfreiheit des Einzelnen merklich zusammenschrumpft.
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nisationen am Arbeitsmarkt31 nicht selten mit grundrechtlich geschützten Bereichen des Privat- und Familienlebens. Soweit diese von den Loyalitätserwartungen erfasst sind, handelt es sich nicht um einklagbare Rechtspflichten.32 Eine vertragliche Bindung zu einem bestimmten Verhalten im Privatleben ist im Normalfall nur dann möglich, wenn das Verhalten direkt die Interessen des Arbeitgebers berührt. Dies ist etwa der Fall, wenn vertraglich ein Nebenbeschäftigungs- bzw. Konkurrenzverbot normiert ist. Weicht das Verhalten eines kirchlichen Arbeitnehmers in der privaten Lebensführung jedoch in gravierender Weise vom kirchlichen Ethos ab, so berührt dieser Widerspruch die Konsistenz und Glaubwürdigkeit der kirchlichen Dienstgemeinschaft als solcher, und zwar aufgrund der gemeinsamen Teilhabe aller an der Sendung der Kirche prinzipiell unabhängig davon, ob es sich um die katholische Reinigungskraft oder eine Gemeindereferentin mit bischöflicher missio canonica handelt. Da fraglos zwischen den Aufgaben dieser beiden Beispiele Unterschiede in der Außenwahrnehmung bestehen, wie weit diese jeweils „kirchliche“ Tätigkeiten sind, muss in einem zweiten Schritt differenziert werden, sodass „verkündigungsnähere“ Tätigkeiten einer gesteigerten Loyalitätspflicht unterliegen. In besonderer Weise wirkt sich dies auf die Frage aus, ob nur Katholiken, Getaufte allgemein oder jedermann als Stelleninhaber in Frage kommt. Der Verstoß gegen die Loyalitätsverpflichtung kann dazu führen, dass es für den kirchlichen Arbeitgeber unzumutbar wird, die betreffende Person weiterhin beruflich an der Verwirklichung der kirchlichen Sendung teilhabenzulassen. Zwänge das staatliche Recht die Kirche bzw. eine Religionsgemeinschaft dazu, trotz eines eklatanten Widerspruchs zwischen dem gemeinsamen Ethos und dem individuellen Verhalten weiterhin mit der betreffenden Person zusammenzuarbeiten, käme dies einer durch das staatliche Recht verordneten Ämterbesetzung gleich. Das BVerfG sieht im Konzept der „Dienstgemeinschaft“ eine kirchenspezifische Besonderheit, in der sich „die gemeinsam getragene Verantwortung aller im kirchlichen Dienst Tätigen – sei es als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, leitend oder untergeordnet, verkündigungsnah oder unterstützend – für den Auftrag der Kirche“ verdeutlicht.33 Ausdrücklich verweist das BVerfG auf das kirchliche Selbstverständnis und zitiert sogar AA 2. Wer in Einrichtungen tätig ist, die für die Erfüllung eines oder mehrerer der „christlichen Grunddienste“ (Verkündigung/Zeugnis des Evangeliums, 31
Christoph Schmitz-Scholemann, Zwischenruf zur Chefarzt-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: ZAT 2015, 43: „Obwohl die Akzeptanz christlichen Glaubens in den letzten 30 Jahren massiv zurückgegangen ist, hat die Zahl der kirchlichen Arbeitnehmer exponentiell zugenommen. Die Folge ist, dass es für Caritas und Diakonie immer schwieriger wird, christliches Personal zu rekrutieren. Am deutlichsten ist das in den Städten im Westen und in allen neuen Bundesländern, in denen der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung unter 5 % liegt.“ 32 Vgl. BVerfGE 138, 141. 33 BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014, 2 BvR 661/12, Rn. 4. Vgl. auch BVerfGE 53, 366 (403 – 404); BVerfGE 70, 138 (165).
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Feier des Gottesdienstes und aus dem Glauben erwachsender Dienst am Mitmenschen) geschaffen sind, trage dazu bei, dass diese Einrichtungen ihren Teil des Sendungsauftrag der Kirche erfüllen können.34 Nach Reichold und Beer bedarf die Kirche, wenn sie ihren Sendungsauftrag in der Welt als Werkzeug erfüllen möchte, sowohl kompetenter wie auch glaubwürdiger Mitarbeiter.35 Während Kompetenz sich wenigstens teilweise aufgrund objektiv überprüfbarer Merkmale wie einer absolvierten Aus- oder Weiterbildung etc. feststellen lasse, sei die Frage, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein konkreter Mitarbeiter in und durch seine Arbeit glaubwürdig das kirchliche Ethos vertreten kann, ungleich schwerer zu beantworten: „Im Grunde geht es bei der Glaubwürdigkeit im Kern um die Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) des Handelns und Sprechens und die Konvergenz (Übereinstimmung) von Reden und Tun.“36 Die „Glaubwürdigkeit“ der Kirche hängt davon ab, wieweit zwischen der – nach außen wahrnehmbaren – Gesinnung und dem auf dieser aufbauenden Verhalten ein Zusammenhang wahrnehmbar ist, der zu einer zumindest widerspruchsfreien Wahrnehmung eines grundsätzlich positiv eingestellten unvoreingenommenen Beobachters führt. Das bedeutet einerseits nicht, dass jeder Mitarbeiter innerhalb und noch einmal weniger außerhalb seiner Arbeit in allem und jedem zu einhundert Prozent als Idealverwirklichung eines „homo catholicus“ auftreten müsse. Eine solche Maximalforderung ginge an der Wirklichkeit vorbei und entspräche ihrerseits nicht der kirchlichen Botschaft. Diese bildet sich in der Dienstgemeinschaft ja nicht zuletzt auch durch den Umgang mit „irregulären“, sprich: unter dem Höchstniveau des Idealen verbliebenen Situationen ab. Andererseits bedeutet dies aber, dass das persönliche Verhalten eines Mitarbeiters auch außerhalb der Arbeitszeit nicht in einem so eklatanten Widerspruch zum kirchlichen Ethos stehen darf, dass die betreffende Person entweder als bloßer Funktionär erscheint, dessen innere Haltung und äußere Tätigkeit in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen, oder ein Verhalten setzt, das in einem diametralen Gegensatz zu Grundwerten der biblischen Botschaft steht. Kein Dienstnehmer kann einen Arbeitsvertrag mit einer kirchlichen Einrichtung schließen, ohne über die Loyalitätserwartungen informiert zu sein und diese als Vertragsgrundlage zu akzeptieren. Mit dem Eingehen des Arbeitsverhältnisses stimmt der Dienstnehmer der GrO ausdrücklich zu.37 Soweit die kirchlichen Loyalitätserwartungen die Art und Weise der Erbringung der Arbeit bzw. das Verhalten im direkten Zusammenhang mit der Arbeit bzw. dem Arbeitsplatz betreffen, unterscheiden diese sich nicht von auch sonst arbeitsrechtlich geschützten allgemeinen Loyalitätspflichten von Dienstnehmern bzw. gesteigerten Loyalitätserwartungen in sog. „Tendenzbetrieben“ (Parteien, Gewerkschaften etc.). Mehr noch als diese ragen allerdings die spezifisch kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten in das Privatleben der 34
2 BvR 661/12, Rn. 5. Reichold/Beer, Abmahnung (Anm. 29), 685. 36 Ebd. 37 Grabenwarter/Pabel, Das kirchliche Arbeitsrecht (Anm. 16), S. 56.
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Dienstnehmer hinein und betreffen auch das grundrechtlich geschützte Privat- und Familienleben. Daher können sie nicht als strenge Rechtspflichten qualifiziert werden und lassen sich im Regelfall auch nicht gerichtlich durchsetzen. Die „Obliegenheiten“ bilden aber einen transparenten Maßstab, unter welchen Umständen die Kirche einen Arbeitnehmer als geeignet erachtet, über die bloß funktionale Arbeit hinaus auch als Mitarbeiter an der kirchlichen Sendung aufzutreten. 2. Differenzierungen innerhalb der Dienstgemeinschaft Das Konzept der Dienstgemeinschaft ist ein ausgesprochen egalitäres, da es jeder Aufgabe innerhalb einer Organisation, die der Verwirklichung eins Stücks der kirchlichen Sendung dient, prinzipiell denselben Rang und Stellenwert zumisst.38 Unabhängig von selbstverständlich auch in kirchlichen Einrichtungen bestehenden Unterschieden in der effektiven und funktionalen Bedeutung der einzelnen Stellen bekennt sich die Sicht aller Mitarbeiter als Dienstgemeinschaft zu jener Gleichheit, die auch am Beginn des Zweiten Buches des CIC über das Volk Gottes zum Ausdruck kommt: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken“ (c. 208 CIC/1983).
Bereits c. 204 § 1 CIC/1983 bestimmt, dass alle Gläubigen, nicht etwa nur die geistlichen Amtsträger, gemäß ihrer je eigenen Stellung zur Ausübung der Sendung, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat, berufen sind. Auf der Basis der gleichen Würde jeder Tätigkeit in der Kirche unterscheidet allerdings bereits das universalkirchliche Recht zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Mitwirkung an der kirchlichen Sendung „gemäß der je eigenen Stellung“. Die GrO 1993 knüpfte daran in zweifacher Hinsicht an, die novellierte GrO vertieft die Differenzierungen noch: Die Mitwirkung an der kirchlichen Sendung im strengen und eigentlichen Sinn ist nicht möglich, wenn ein Arbeitnehmer nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche steht. Aufgrund der Vielfalt der Aufgaben und der gerade für die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch für Österreich, kennzeichnenden intensiven Präsenz kirchlicher Einrichtungen auf dem Feld der sozialen und gesundheitlichen Fürsorge sind kirchliche Einrichtungen oftmals auch auf die Mitarbeit von Nichtchristen angewiesen. Da ohne die Taufe eine Mitwirkung an der Sendung 38
Vgl. Art. 1 GrO 2015: „Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft). Alle Beteiligten, Dienstgeber sowie leitende und ausführende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, müssen anerkennen und ihrem Handeln zugrunde legen, dass Zielsetzung und Tätigkeit, Organisationsstruktur und Leitung der Einrichtung, für die sie tätig sind, sich an der Glaubens- und Sittenlehre und an der Rechtsordnung der katholischen Kirche auszurichten haben.“ Art 1 GrO 1993 war gleichlautend.
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der Kirche im religiösen Sinn nicht möglich ist, erwartet die Kirche als Dienstgeber von diesen Mitarbeitern nicht mehr, als es einem allgemeinen Tendenzschutz entsprechen würde.39 Die Möglichkeit, gewisse Stellen – unter Umständen auch solche mit Leitungsverantwortung – auch nichtkatholischen Christen anzuvertrauen, ist hingegen eine praktische Konsequenz der Lehre über die gestufte Kirchengliedschaft. Die GrO differenziert daher zwischen Katholiken und nichtkatholischen Christen. Getaufte Mitarbeiter, die nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, wirken niemals bloß funktional in einer kirchlichen Einrichtung mit. In abgestufter Weise haben auch sie teil an der Verwirklichung eines Stücks der Sendung der Kirche. Die GrO nimmt auf die besondere Situation von nichtkatholischen Christen Rücksicht, indem von ihnen erwartet wird, „dass sie die Wahrheiten und Werte des Evangeliums achten und dazu beitragen, sie in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.“40 Katholische Christen können nicht anders als auf der Grundlage ihres Bekenntnisses bzw. ihrer Kirchengliedschaft in ihrer Kirche tätig sein. Von ihrer Kirche zu verlangen, an katholische Christen dasselbe Maß an Loyalität dem katholischen Glauben und dem kirchlichen Ethos gegenüber an den Tag zu legen wie gegenüber nichtkatholischen Christen oder Ungetauften, würde die Lehre über die Mitverantwortung aller Getauften für die Sendung der Kirche untergraben. Katholiken sind im Konzept der Dienstgemeinschaft die erstberufenen Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen. Dies ist von selbst einsichtig, sofern es sich um geweihte Amtsträger handelt, da diese notwendigerweise katholischen Bekenntnisses sind. Aber auch für die Mitarbeit aufgrund eines zivilrechtlich begründeten Arbeitsvertrages gilt, dass Glaube und Bekenntnis des katholischen Mitarbeiters nicht an der Stechuhr oder in der Garderobe abgegeben werden können. Aus der Sicht der Kirche stellt es von vornherein keinen gewollten Akt der Diskriminierung dar, wenn in katholische Mitarbeiter andere Erwartungen gesetzt werden als in nichtkatholische. Dies gilt auch dann, wenn es sich beide Male um dieselbe Art der Tätigkeit handelt, da es bei der Beurteilung der Legitimität von Loyalitätspflichten nur zum Teil auf die funktionale Beschreibung einer Tätigkeit ankommt. Aus der Sicht der Kirche im Sinn der Dienstgemeinschaft mindestens ebenso wichtig ist der personale Aspekt, da sich das christliche Zeugnis nicht anders verwirklichen 39 Art. 4 Abs. 3 GrO 1993/2015: „Nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bereit sein, die ihnen in einer kirchlichen Einrichtung zu übertragenden Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen.“ Von ihnen wird wie von allen übrigen Mitarbeitern darüber hinaus verlangt, sich jedes kirchenfeindlichen Verhaltens zu enthalten. Darüber hinaus dürfen sie in ihrer persönlichen Lebensführung und in ihrem dienstlichen Verhalten die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden: Art. 4 Abs. 4 GrO 1993/2015. Die Differenzierungen der Abs. 1 – 3 hätten keinen Sinn, wenn nicht auch diese allgemeinen Obliegenheiten je nach Grad der Kirchenzugehörigkeit unterschiedlich intensiv gelten würde. 40 Art. 4 Abs. 2 GrO 1993 und 2015.
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lässt als durch das Einstehen für die kirchliche Botschaft durch ganz konkrete Menschen. Es wäre dabei verfehlt, an nichtkatholische Christen oder, sofern auch Nichtchristen für eine Stelle in Frage kommen, an diese, Maßstäbe zu legen, die von deren religiösen Bekenntnis nicht gedeckt sind. Auch wenn die katholische Kirche die Ehe unter Getauften grundsätzlich als Sakrament betrachtet, wäre eine arbeitsrechtliche Gleichbehandlung von Katholiken, die wenigstens formal den Glauben ihrer Kirche teilen, und Christen aus der Reformation, die die Sakramentalität der Ehe ablehnen, nicht nur eine Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte, sondern auch ein respektloses Verhalten gegenüber dem anderen Bekenntnis. Die Differenzierung zwischen katholischen und nichtkatholischen Mitarbeitern kann daher aus Gründen der Religionsfreiheit geboten sein. Haering und Wollbold, die sich in einem gemeinsamen Beitrag ausdrücklich dem Beispiel der unterschiedlichen Behandlung zivil wiederverheirateter Mitarbeiter widmen, bringen es auf den Punkt: „Wer als Katholik in einer Dienstgemeinschaft der Kirche deren Sendung mitträgt, kann sich nicht in seiner Lebensführung sichtbar und dauerhaft von seiner Kirche distanzieren.“41 Im Chefarzt-Fall spielt der Umstand eine besondere Rolle, dass im Gegensatz zu katholischen Mitarbeitern eine Wiederverheiratung bei sonstigen Mitarbeitern, mögen diese auch als Getaufte einer anderen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft angehören, im Normalfall nicht als kündigungsrelevantes Verhalten angesehen wurde. Vor dem Maßstab des weltlichen Gleichheitssatzes liegt der Verdacht einer diskriminierenden Ungleichbehandlung daher auf der Hand. Da die Ungleichbehandlung sich auf die Tatsache der Religion, näherhin der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur katholischen Kirche bezieht, handelt es sich um eine (direkte) Ungleichbehandlung aufgrund der Religion. Die Kirche ist aber wie jeder Arbeitgeber nicht gezwungen, mit einer konkreten Person einen Arbeitsvertag abzuschließen. Tut sie dies mit Christen anderer Konfessionen, so wäre es ein antiökumenischer Übergriff und gleichzeitig ein Eingriff in die individuelle Religionsfreiheit, wenn sie von diesen Christen verlangen würde, ihr Leben exakt so zu führen, wie es von Katholiken, die in Übereinstimmung mit der Lehre ihrer Kirche leben, erwartet wird.42 Die persönliche Lebensführung eines Nichtkatholiken kann per definitionem nicht auf denselben Überzeugungen aufbauen wie jene von Katholiken. Dies respektiert die Kirche solange, als nicht aufgrund der unterschiedlichen religiösen Prägung ein Ver-
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Stephan Haering/Andreas Wollbold, Nichtkatholische wiederverheiratete Geschiedene und das Arbeitsrecht der katholischen Kirche, AfkKR 182 (2013), S. 484 – 491, hier S. 485. 42 Haering und Wollbold weisen in diesem Zusammenhang auf die für den kirchlichen Arbeitgeber unbedingt verpflichtende Kraft von c. 748 § 2 CIC/1983 hin. „Niemand hat jemals das Recht, Menschen zur Annahme des katholischen Glaubens gegen ihr Gewissen durch Zwang zu bewegen.“ Das Abverlangen einer privaten Lebensführung in Übereinstimmung mit katholischen Grundsätzen, die von der nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaft nicht geteilt werden, könnte im Kontext des kirchlichen Arbeitsrechts durchaus als eine Art Zwang erscheinen, nämlich dann, wenn der nichtkatholische Arbeitnehmer sein Verhalten gegen die eigene religiöse Überzeugung an der katholischen Norm ausrichten müsste, um einer möglichen Kündigung zu entgehen. Vgl. ebd., S. 487.
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halten gesetzt wird, das sich gegen grundsätzliche Wertvorstellungen der katholischen Kirche richtet.43 Diese Sicht wird durch die Judikatur des BVerfG gestützt. Die Abstufung der Loyalitätsobliegenheiten nach der Konfession ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.44 Loyalitätserwartungen gegenüber den Mitgliedern der eigenen Kirche haben eine besondere Bedeutung,45 denn „für die Kirchen kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, dass gerade ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung – auch die ihrer Lebensführung – respektieren.“46 Katholische Mitarbeiter, die die vertraglichen Loyalitätsobliegenheiten verletzen, seien nicht mit anderskonfessionellen Mitarbeitern zu vergleichen. Unabhängig von der Frage, ob in Ausnahmefällen auch Nichtkatholiken beschäftigt würden, hätten katholische Mitarbeiter ihre Stelle auch gerade wegen (und nicht trotz) ihres Bekenntnisses erhalten. Ein Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten durch diese sei über die rein zivilrechtliche Problematik hinaus auch ein Verstoß gegen die Pflichten, die einem Mitglied der Kirche als solchem zukommen.47 Neben der Differenzierung nach der persönlichen, objektiv feststellbaren Nähe der Mitarbeiter zur Kirche lassen sich Loyalitätserwartungen nach der Art der Tätig43 Dies., ebd., S. 489. Beide Autoren lehnen die Möglichkeit ab, dass ein katholischer Mitarbeiter unter Berufung auf seine Religionsfreiheit zu einer evangelischen Kirche konvertiert, um von den „abgemilderten“ Loyalitätserwartungen an nichtkatholische Christen profitieren zu können. Die Konversion setzt einen formalen Abfall von der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche voraus, was aus theologischer Sicht einen mindestens ebenso gravierenden Widerspruch zum kirchlichen Ethos wie eine Wiederheirat bei aufrechter Ehe bedeutet. Zwar lasse sich die Situation eines evangelischen Christen und eines von der katholischen Kirche in eine evangelische Gemeinschaft konvertierten Katholiken materiell vergleichen. Es bestehe jedoch ein Unterschied, ob jemand zu keinem Zeitpunkt in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche gestanden hat oder ob jemand zuerst aufgrund eines Aktes formaler Distanzierung die volle Gemeinschaft aufkündigt. Gerade hierin unterscheide sich das gegenwärtige, nachkonziliare Kirchenrecht deutlich von der Rechtslage des CIC/ 1917. Nichtkatholische Christen können aufgrund der Lehre über die gestufte Kirchengliedschaft positiv als getrennte Brüder und Schwestern, die in der Gemeinschaft, wenn auch nicht der vollen, mit der katholischen Kirche stehen, erfasst werden. Ein Katholik, der sich in einem formalen Akt von seiner Glaubensgemeinschaft trennt, erlange denselben Status aber erst durch die Straftat des Schismas, indem die Grundpflicht jedes Gläubigen, in allem die Gemeinschaft mit dem Volk Gottes zu wahren, zwar nicht aufgegeben, aber doch merklich verletzt wird. Ebd. S. 490. 44 2 BvR 661/12, Rn. 161. 45 So die ständige Judikatur seit BVerfGE 70, 138 (166). 46 2 BvR 661/12, Rn. 161. Das BVerfG verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass nur Katholiken durch das kirchliche Recht verpflichtet werden (c. 11 CIC/1983). 47 Ebd., Rn. 166. An dieser Stelle freilich stellt sich die Frage, inwiefern nicht auch kirchenrechtlich zwischen echten Rechtspflichten und bloß moralischen Pflichten differenziert werden muss. Während jede rechtlich normierte Pflicht eine moralische Hinterlage hat, vorausgesetzt, die Grenzen der Gerechtigkeit werden nicht überschritten, korrespondiert bei weitem nicht jeder moralischen Verpflichtung ein rechtliches Gebot. Arbeitsrechtlich relevant können freilich nur rechtliche Obliegenheiten und Pflichten werden.
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keit abstufen. Von allen katholischen Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Mitarbeiter im Dienst der Verkündigung, der Liturgie, der Bildung und Erziehung unterliegen noch einmal gesteigerten Loyalitätspflichten.48 Auch leitende Mitarbeiter sowie Mitarbeiter im erzieherischen Dienst unterliegen „in der Regel“ dieser Loyalitätsbindung.49 Stellen mit Leitungsverantwortung werden nur in Ausnahmefällen an Nichtkatholiken vergeben, da leitende Mitarbeiter den Gedanken der Dienstgemeinschaft mehr als andere auch nach außen hin transportieren und in der Öffentlichkeit als Vertreter der Einrichtung wahrgenommen werden, für die sie tätig sind. 3. Mögliche Konsequenzen von Loyalitätsverletzungen Die Verletzung der kirchlicherseits erwarteten Loyalität führt jedenfalls dazu, dass aus der Sicht des Arbeitgebers der betreffende Mitarbeiter mehr oder weniger vom Idealfall des „Mitverkünders“ der biblischen Botschaft abweicht. Der Dienstgeber ist verpflichtet, mit dem Betroffenen das Gespräch und nach einer Überwindung der Situation („auf Dauer“) zu suchen (Art. 5 Abs. 1 GrO). Die Kündigung ist prinzipiell erst die letzte Möglichkeit, seitens des Dienstgebers auf die Situation zu reagieren. Art. 5 Abs. 2 GrO 1993 definierte aber eine Reihe von Verhaltensweisen als „schwerwiegende Verstöße“ gegen die Loyalität, bei deren Vorliegen weder eine Versetzung noch eine sonstige Weiterbeschäftigung in Betracht kamen, sofern es sich um Mitarbeiter handelte, die pastorale, katechetische oder leitende Aufgaben erfüllten bzw. aufgrund einer missio canonica beauftragt waren, amtlich im Namen der Kirche tätig zu sein (Art. 5 Abs. 3).50 Bei leitenden Funktionen konnte von der generell vorgesehenen Kündigung im Ausnahmefall abgesehen 48 „Im pastoralen und katechetischen Dienst sowie bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund einer Missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung tätig sind, ist das persönliche Lebenszeugnis im Sinne der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre erforderlich“: Art. 4 Abs. 1 GrO 1993/2015. Bei Klerikern und bei Ordensleuten verdichten sich diese noch einmal zur Loyalität in der gesamten Lebensführung aufgrund der freiwillig übernommenen besonderen Gehorsamsbindungen, die aus der Inkardination bzw. Profess erwachsen. In kirchlichen Einrichtungen werden Kleriker und Ordensleute für gewöhnlich jedoch nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages tätig. Inwieweit Diakone im Kirchendienst zugleich Arbeitnehmer im Sinn des staatlichen Rechts sein können, bedürfe einer eingehenderen Darstellung. 49 Art. 4 Abs. 1 GrO 1993/2015 a. E. 50 Kirchenaustritt, öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze des kirchlichen Ethos (ausdrücklich benannt ist die Lehre der Kirche zur Abtreibung), schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen, Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe und Handlungen, die kirchenrechtlich als eindeutige Distanzierung von der katholischen Kirche anzusehen sind (z. B. Gotteslästerung oder sakrilegische Handlungen). Die neue GrO spricht ergänzend zur Abtreibung auch von Fremdenhass.
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werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen ließen. Ein Kirchenaustritt hingegen bildete einen absoluten Kündigungsgrund. Der Abschluss einer nach der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe bildete jedenfalls dann ein Hindernis für eine Weiterbeschäftigung, wenn er unter Umständen erfolgte, die öffentliches Ärgernis erregten oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigten, etwa weil zuvor der Partner und die Kinder böswillig verlassen worden waren.51 Die Neuerungen der GrO 2015 betreffen vor allem die Beurteilung des kirchenrechtlich unzulässigen Abschlusses einer Zivilehe. Die Wiederheirat ist nunmehr nur mehr dann als schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu sehen, der eine Kündigung rechtfertigt, wenn sie nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen.52 Ausdrücklich wird damit die kirchliche Öffentlichkeit und in besonderer Wiese die Dienstgemeinschaft als „Resonanzraum“ definiert. Bei vielen Mitarbeitern wird in Zukunft daher die bloße Wiederheirat allein keinen tauglichen Kündigungsgrund abgeben. Allerdings engt die GrO die eben erfolgte Liberalisierung sogleich wieder ein, indem definiert wird, dass die Eignung, Ärgernis zu erregen oder die Glaubwürdigkeit der Kirche negativ zu treffen, bei pastoral oder katechetisch tätigen Mitarbeitern sowie bei Mitarbeitern, die aufgrund einer missio canonica oder einer sonstigen schriftlich erteilten bischöflichen Beauftragung beschäftigt werden, unwiderlegbar vermutet wird.53 Das Eingehen einer eingetragenen Partnerschaft wird in lit. d) der zivilen Wiederverheiratung gleichgestellt.54 Die eigentliche Reform der entsprechenden Bestimmungen liegt aber nicht in den Kriterien für die Feststellung einer „schwerwiegenden“ Verfehlung, sondern in der einzelfallbezogenen Handhabung der arbeitsrechtlichen Folgen. Gem. Art. 5 Abs. 3 GrO fließt in die Beurteilung des Einzelfalls das kirchliche Selbstverständnis, d. h. die objektive Qualifikation einer persönlichen Situation als irregulär im Verhältnis 51
Als Maßstab für die Öffentlichkeit des Ärgernisses kann in diesem Zusammenhang nicht die säkulare Öffentlichkeit, sondern nur die Gemeinschaft der Glaubenden selbst gelten, da ansonsten ein nichtkirchlicher Aspekt für die kirchliche Beurteilung eines religiösen Umstands herangezogen werden müsste. 52 Art. 5 Abs. 2 lit. c GrO 2015. 53 Da wesentlich mehr Mitarbeiter aufgrund einer allgemeinen schriftlichen Beauftragung als aufgrund einer missio canonica tätig sind, ist die geltende Bestimmung in diesem Punkt restriktiver als die alte. Insbesondere die Normierung einer unwiderlegbaren Vermutung ist darüber hinaus sehr schablonenhaft, da sie keinen Ermessensspielraum lässt und jede andere Bewertung seitens der verantwortlichen Dienstgeber ihrerseits als Amtspflichtverletzung qualifiziert werden muss. Vermutet wird aber nicht das Ärgernis, sondern die Eignung, ein solches hervorzurufen. 54 Das bedeutet aber auch, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht anders – auch nicht strenger – beurteilt werden dürfen als die zivile, kirchlich ungültige und unerlaubte Ehe.
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zum Ideal der kirchlichen Lehre ein. „Die Interessen der Kirche“ sind dabei nicht automatisch schwerwiegender als die individuellen55 Arbeitnehmerinteressen.56 Pastorale, katechetische und sonstige besonders bischöflich beauftragte Mitarbeiter können zwar in der Regel nicht im kirchlichen Dienstverhältnis bleiben. Im Gegensatz zur GrO 1993 kann nun aber von einer Kündigung ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen. Selbst der Austritt aus der katholischen Kirche unterliegt nunmehr einer eventuell milderen Beurteilung aufgrund besonders schwerwiegender Umstände des Einzelfalls. Nach der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des BVerfG fällt es in den Anwendungsbereich des verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, eigenständig festzulegen, was die Glaubwürdigkeit der Kirche betrifft und welche Tätigkeiten als spezifisch kirchliche anzusehen sind. Auch die Beurteilung der Frage, in welcher Nähe einzelne Tätigkeiten zum kirchlichen Kernauftrag stehen und welche Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre für die Kirche wesentlich sind, fällt grundsätzlich in die alleinige Kompetenz der betreffenden Kirche. Die Rechtsprechung des BVerfG garantiert, dass das kirchliche Proprium insofern geschützt ist, als dass die Beschreibung von Anforderungen konkreter Stellen im Dienst der Kirche und ihrer Sendung niemand anderem als der jeweiligen Kirche selbst zukommen muss. Die staatlichen Stellen sind dabei an das Vorbringen der nach innerkirchlichem Recht zuständigen Stelle gebunden57, Eine inhaltliche Überprüfung hieße, sich an die Stelle der Kirchenbehörde zu setzen und an ihrer Stelle inhaltlich über eine spezifisch religiöse Frage zu befinden. Den staatlichen Gerichten ist dabei jedoch nicht jede Kompetenz entzogen, da diese das Recht und gegebenenfalls auch die Pflicht haben, festzustellen, inwieweit die Beurteilung der Kirche plausibel ist. Soweit Loyalitätserwartungen gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie insbesondere in der Generalklausel der guten Sitten und des ordre public zum Ausdruck kommen,58 verstoßen, sind staatliche Instanzen nicht an sie ge55
„Angemessen zu berücksichtigen sind unter anderem das Bewusstsein der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters für die begangene Loyalitätspflichtverletzung, das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung.“ GrO Art. 5 Abs. 3 i. d. g. F. 2015. 56 Problematisch erscheint die allgemeine Formulierung „Interessen der Kirche“. Der Schutz der Dienstgemeinschaft und die Sorge der Glaubwürdigkeit der Verkündigung stellen zweifellos wichtige kirchliche Interessen dar. Allerdings könnte man auch daran denken, im individuellen Umgang mit „irregulären“ Situationen unter dem Maßstab der kanonischen Billigkeit einen genuin kirchlichen Ausdruck aktiver Barmherzigkeit zu sehen, der die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht beschädigt, sondern vielmehr stärkt. Entscheidend ist freilich, dass transparent und ohne Willkür gehandelt wird, um Laxismus oder gar Günstlingswirtschaft zu verhindern. 57 Vgl. zuletzt BVerfG 22. 10. 2014 (Chefarztfall) – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387 Rn. 114; BAG 25.4. 2013 (Sozialpädagogenfall) – 2 AZR 579/12, NZA 2013, 1131 Rn. 21. 58 2 BvR 661/12, Rn,. 81; vgl. BVerfGE 70, 138 (168). Besonders deutlich ist die Formulierung in Rückgriff auf von Campenhausen in 2 BvR 661/12, Rn. 89: „Fragen der Lehre, der
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bunden. Die staatliche Plausibilitätskontrolle ist dabei keine Bewertung, inwiefern eine bestimmte Tätigkeit das kirchliche Proprium in die Tat umsetzt, sondern markiert lediglich die äußerste Grenze, offensichtlich nicht religiös konnotierte Tätigkeiten, die rechtsmissbräuchlich aber als solche verschleiert werden, aus dem Schutzbereich der korporativen Religionsfreiheit auszuschließen.59 Indem der Staat die kirchliche Beurteilung übernimmt, verstößt er nicht gegen seine religiös-weltanschauliche Neutralität, weil er je nach Glaubensgemeinschaft in ähnlichen Fragen zu unterschiedlichen Lösungen kommt. Die Enthaltung einer eigenständigen inhaltlichen Urteilsbildung ist vielmehr die logische Voraussetzung, als säkulares Gemeinwesen wirklich religiös neutral sein zu können. Ein laizistisches Verständnis der Trennung von Religion und Staat setzt die Bevorzugung eines für alle geltenden zivilreligiösen Neutralitätskonzepts voraus, das im Bereich des staatlichen Rechts sich an die Stelle der religiösen Anschauungen setzt. Die Grundrechte des Klägers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit60 und auf religiöse Freiheit61 und der besondere Schutz der Ehe, unter den auch die freie Möglichkeit einer erneuten zivilen Eheschließung fällt62 können zugunsten des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts eingeschränkt werden. Selbst schrankenlos gewährte Grundrechte unterliegen der verfassungsimmanenten Beschränkung, im Kollisionsfall mit gleichwertigen Verfassungsgütern im Rahmen der Abwägung einem schonenden Ausgleich zugeführt werden zu müssen. Auch wenn das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Normalfall außerhalb des Arbeitskontextes sich gegen Interessen des Arbeitgebers, die bis in die Privatsphäre des Arbeitnehmers reichen, durchsetzt, überwiegen die Interessen der Kirche als Gemeinschaft im Regelfall den Individualinteressen. Dies lässt sich ohne weiteres mit dem Faktum begründen, dass niemand, auch kein katholischer Christ, gezwungen wird, mit einer Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft in ein arbeitsvertragliches Verhältnis zu treten. Auch gibt es keinen Überrumpelungseffekt wie etwa bei versteckten nachteiligen Klauseln in AGB. Die Arbeitsverträge verweisen ausdrücklich auf die GrO, auf Seiten des Dienstgebers bildet die Erwartungshaltung, wie sie in der GrO zum Ausdruck kommt, die Geschäftsgrundlage, ohne deren Akzeptanz kein Arbeitsvertragsverhältnis begründet werden kann. Auf Seiten des Dienstnehmers freilich bedeutet Religion und des kirchlichen Selbstverständnisses gehen den Staat grundsätzlich nichts an. Er ist vielmehr verpflichtet, auf die Grundsätze der Kirchen und Religionsgemeinschaften Rücksicht zu nehmen und keinen eigenen Standpunkt in der Sachen des Glaubens zu formulieren. Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung hat er zu akzeptieren.“ 59 Die Plausibilitätskontrolle setzt freilich ein staatliches Vorverständnis dessen, was als „Religion“ bzw. als „religiöse“ Tätigkeit gelten kann, voraus. Da es aber nicht zu einer inhaltlichen Bewertung verdichtet, ist diese Kompetenz des Staates sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gewährung der Religionsfreiheit als auch unter der grundsätzlichen staatsrechtlichen Perspektive einer möglichen Unvereinbarkeit mit dem säkularen Charakter des religiös-neutralen Staates unbedenklich. 60 Art. 2 Abs. 1 GG. 61 Art. 4 GG. 62 Art. 6 Abs. 1 GG.
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die Akzeptanz der GrO zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die verbindliche und durch eine drohende Kündigung wenigstens indirekt sanktionsbewehrte freiwillige Übernahme der Verpflichtung, sein Privat- und Familienleben in einer Weise zu gestalten, die zwar moralisch auch jeden anderen Katholiken verpflichtet, allerdings seitens der Glaubensgemeinschaft abgesehen von möglichen geistlichen Sanktionen nicht erzwingbar ist. Durch den Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts entsteht dabei im Effekt die Möglichkeit der Erzwingbarkeit „kirchengemäßen“ Verhaltens, zwar nicht durch direkten staatlichen Zwang (im Sinn des alten „brachium saeculare“), aber doch indirekt durch die Aussichtslosigkeit einer gegen andere Arbeitgeber wohl erfolgreichen Kündigungsschutzklage. Dieser auf den ersten Blick für säkulare Ohren vielleicht anstößig klingende Befund ist aber von der freien Entscheidung des Arbeitnehmers, als Katholik in einer kirchlichen Einrichtung zu arbeiten, mit umfasst.63
III. Die Reaktion des BverfG auf das erste Urteil des BAG Das erste BAG-Urteil gab der Kündigungsschutzklage statt, obwohl das Gericht das Recht der Kirche bejaht hatte, spezielle Loyalitätserwartungen arbeitsvertraglich zu normieren. Diese habe der Kläger auch in „unverkennbarer Schwere“ verletzt. Die vom Gericht durchgeführte Rechtsgüterabwägung führte jedoch zum Ergebnis, dass eine Weiterbeschäftigung dem kirchlichen Krankenhaus zumutbar sei. Ausschlaggebend war nach Ansicht des BAG, dass Art. 3 Abs. 2 GrO es ermöglicht, auch nichtkatholische Christen mit leitenden Funktionen zu betrauen. Die Kirche habe in der Vergangenheit auch tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die differenzierte Handhabung von Loyalitätspflichten würde das kirchliche Ethos somit nicht zwingend gefährden. Das Krankenhaus habe schließlich nicht unverzüglich mit einer Kündigung reagiert, nachdem die Vorgesetzten bereits zwei Jahre vor der Wiederheirat vom eheähnlichen Zusammenleben des Klägers mit seiner späteren zweiten Frau erfahren hatten. Mit dieser Einschätzung sah das BAG somit die zivile Wiederheirat und ein eheähnliches Zusammenleben in gleicher Weise als schwer63 Auch der EGMR sieht in der freiwilligen Bindung des Arbeitnehmers den rechtlichen Anknüpfungspunkt für die prinzipielle Rechtmäßigkeit von kirchlichen Verhaltenserwartungen, die in den privaten Bereich hineinragen. Entscheidend sei, dass der Arbeitnehmer vorhersehen konnte, was von ihm im Rahmen seiner Beschäftigung erwartet wird. Vgl. EKMR, Rommelfänger gegen Deutschland, Kommissionsentscheidung vom 6. September 1989, Nr. 12242/86; Zur Vorhersehbarkeit vgl. EGMR, Urteil vom 12. Juni 2014, Fernández-Martínez gegen Spanien, Nr. 56030/07, § 117. Im Einzelfall dürften die Kirchen und Religionsgemeinschaften freilich keine unannehmbaren Anforderungen stellen, die mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren wären. Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Februar 2011, Siebenhaar gegen Deutschland, Nr. 18136/02, §§ 45 – 46. Eine willkürliche kirchliche Entscheidung hätte vor der Rechtsprechung des EGMR keinen Bestand. Vgl. Rs. FernándezMartínez gegen Spanien, § 132.
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wiegenden Loyalitätsverstoß im Sinn des kirchlichen Selbstverständnisses und ersetzte somit die Beurteilung durch die Kirche selbst. Eben darin sah das BVerfG einen Verstoß gegen die Verfassung. Diese habe seine eigenen säkularen Maßstäbe an die Stelle der kirchlichen gesetzt und damit das Selbstbestimmungsrecht der Kirche verletzt.64 Das BAG stellte die Einschätzung der katholischen Kirche infrage, derzufolge Loyalitätsverstöße katholischer Mitarbeiter schwerer wiegen als jene von Nichtkatholiken. Unter Übergehung der kirchlichen Einschätzung habe das BAG zwei Tatbestände gleichgesetzt, die für die katholische Kirche von ganz unterschiedlichem Gewicht sind: „Für ihre Glaubwürdigkeit, die Integrität der Dienstgemeinschaft und die Vertrauensbasis der Mitarbeiterschaft hat es ein signifikant anderes Gewicht, ob in Ausnahmefällen in leitenden Funktionen auch Personen beschäftigt werden, die aus kirchenrechtlichen Gründen von Beginn an nur verminderten Loyalitätsobliegenheiten unterliegen oder ob Personen weiterbeschäftigt werden müssen, die gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche bevorzugt diese Positionen erhalten haben und daher erhöhten Loyalitätsbindungen unterliegen, diese aber bewusst brechen und damit nicht nur gegen ihre arbeitsvertraglichen Obliegenheiten, sondern auch gegen ihre Pflichten als Mitglied der Kirche verstoßen.“65
IV. Das Urteil des EuGH vom 13. September 2018 Nachdem das BVerfG das Verfahren an das BAG zurückverwiesen hatte, schloss sich dieses nicht etwa der wiederholt vorgetragenen Judikatur der Karlsruher Verfassungshüter an, sondern fasste den bereits eingangs erwähnten Beschluss, den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Vereinbarkeit des deutschen AGG mit den europarechtlichen Vorgaben indirekt auch die Reichweite der kirchlichen Bestimmungsmacht hinsichtlich der Loyalitätserwartungen gegenüber katholischen Mitarbeitern überprüfen zu lassen. Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist nach dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) zur Wahrung des Unionsrechts bei dessen Anwendung und Auslegung berufen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EUV). Die Zuständigkeiten des EuGH sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) enumerativ aufgeführt. Die Verfahrensarten sind das Vertragsverletzungs-
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BVerfG 2 BvR 661/12, Rn. 163 ff. Das BVerG legt ausführlich dar, warum es für den kirchlichen Dienstgeber einen Unterschied macht, ob jemand zivil von neuem heiratet oder lediglich in einer Partnerschaft außerhalb der kirchlichen Ehe lebt. Mit der Wiederheirat werde der Bruch der nach kirchlichem Recht weiterhin gültigen Ehe offiziell dokumentiert und perpetuiert: Ebd., Rn. 174. 65 2 BvR 661/12, Rn. 166.
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verfahren66, die Nichtigkeitsklage67, die Untätigkeitsklage68 und das Vorabentscheidungsverfahren69. Das Vorabentscheidungsverfahren bezweckt einerseits die Wahrung der Rechtseinheit in der Union, indem einerseits die einheitliche Anwendung des Unionsrechts sichergestellt wird und andererseits verhindert wird, dass 28 nationale Gerichtsbarkeiten die Interpretation des gemeinsamen Unionsrechts zersplittern. Das Vorabentscheidungsverfahren gewährleistet aber auf indirektem Weg auch den Schutz der individuellen Rechte, da keine abstrakten Vorlagen erfolgen, sondern diese Teil eines konkreten Rechtsstreites sind. Gegenstand des Verfahrens sind dabei nur Fragen der Auslegung bzw. der Gültigkeit des Unionsrechts. Im Wege des Vorabentscheidungsverfahren lässt sich nicht feststellen, ob und inwieweit nationales Recht dem Unionsrecht widerspricht. Zwar gibt der EuGH immer wieder Hinweise in die entsprechende Richtung,70 die Beurteilung Frage nach der Gültigkeit des nationalen Rechts aufgrund eines Widerspruchs zum Unionsrecht liegt aber ausschließlich auf nationaler Ebene. Nach der Auffassung des EuGH könne der kirchliche Arbeitgeber nicht verbindlich selbst bestimmen, ob die Zugehörigkeit eines Bewerbers zur Religionsgemeinschaft, innerhalb der die berufliche Tätigkeit ausgeübt wird, nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Damit ließ der Gerichtshof die einst von Isensee prophezeite „supranationale Walze“71 über die ständige Rechtsprechung des BVerfG rollen. Die bislang aufgrund des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts als ausreichend bewertete staatliche Plausibilitätskontrolle muss 66
Art. 258 – 260 AEUV. Art. 263 – 264 (266) AEUV. 68 Art. 265 – 266 AEUV. 69 Art. 267 AEUV. 70 Dass die nationalen Gerichte durch gezielte und geschickte Fragestellung das Ergebnis der Vorabentscheidung beeinflussen können, zeigt dass der EuGH nicht selten gezwungen ist, auch die Frage der Unionsrechtswidrigkeit des nationalen Rechts wenigstens aufzuwerfen, um so Hinweise zur rechten Anwendung des Unionsrechts zu geben. Junker weist für unsere Fragestellung durchaus nicht ohne Relevanz darauf hin, dass gerade das deutsche BAG es meisterlich verstehe, das Urteil des EuGH durch gezielte Fragestellung voraussehbar zu machen. Vgl. Abbo Junker, Kooperation oder Konfrontation der obersten Instanzen in Deutschland und Europa – Dargestellt am Beispiel des Streikrechts und der Kirchenautonomie, in: EuZA 11 (2018), S. 304 – 326, hier S. 306. 71 Josef Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts – Gegenwärtige Legitimationsprobleme, in: Josef Isensee/Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. Festschrift für Joseph Listl zum 70. Geburtstag, Berlin 1999, S. 67 – 90, hier S. 73. Es bewahrheitet sich auch die Einschätzung Junkers, derzufolge dem deutschen Staatskirchenrecht nicht so sehr die Rechtsprechung des EGMR, sondern eigentlich nur jene des EuGH gefährlich werden könne. Der EuGH dringe „als Hüter des Unionsrechts“ auf die Durchsetzung dessen Vorranges auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht. Vgl. Abbo Junker, Kooperation oder Konfrontation (Anm. 70), S. 318. 67
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im Anwendungsbereich des europäischen Antidiskriminierungsrechts in Zukunft einer umfassenden staatlichen, d. h. weltlichen Bewertungskompetenz gegenüber dem kirchlichen Selbstverständnis weichen. Ein religiöses Selbstverständnis zu haben, also eine bestimmte religiöse Lehre zu vertreten, wird den Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht untersagt. Dieser Lehre aber in der Einstellungspraxis konkrete Folgen zukommen zu lassen, wird damit jedenfalls dann versagt, wenn die Kirche oder Religionsgemeinschaft in der Darlegung ihrer Entscheidung nicht den Kriterien des Gerichtshofes genügt.72 Ob gewollt oder lediglich als in Kauf genommene Konsequenz, die Entscheidung des EuGH entzieht den Religionsgemeinschaften die Kompetenz, eigenverantwortlich zu bestimmen, wo die Grenze ihres in die Welt wirkenden Sendungsauftrages verläuft. Damit reicht die Entscheidung über den Rahmen des Gleichbehandlungsrechts hinaus und führt zu einer Neujustierung der durch das Grundgesetz bzw., analog angewandt auf Österreich, durch Art. 15 StGG garantierten Verhältnisbestimmung von Staat und Kirchen/Religionsgemeinschaften, in deren Zentrum die Garantie der eigenverantwortlichen Normierung und Verwaltung der eigenen (inneren) Angelegenheiten steht. Die Festlegung, welche Folgen das religiöse Proprium für die Anforderungen an eine konkrete Tätigkeit innerhalb der Kirche hat, gehört dabei zweifellos in den Kernbereich des Schutzbereiches der korporativen Freiheit. Die kirchliche Einschätzung, dass die Zugehörigkeit zur Kirche innerhalb der Dienstgemeinschaft für eine bestimmte Stelle erforderlich oder wenigstens solange wünschenswert ist, solange eigene Gläubige als Mitarbeiter zur Verfügung stehen, reicht nun nicht mehr aus. Es reicht noch nicht einmal, dass die Kirche Kriterien vorgibt, welche die Notwendigkeit der Religionszugehörigkeit objektiv darlegen, denn ob diese Kriterien dem Antidiskriminierungsrecht genügen, obliegt einer staatlichen Überprüfung. Im Ergebnis wird damit der Unterschied zwischen dem im Grundrecht der korporativen Religionsfreiheit garantierten und institutionellen abgesicherten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und einem bloßen Tendenzschutz, wie er auch etwa für Gewerkschaftsbetriebe oder politische Parteien gilt, verwischt. Zuzugestehen ist freilich, dass der Gerichtshof die Möglichkeit von kirchlichen Arbeitgebern ein dem Ethos der Religionsgemeinschaft entsprechendes Verhalten abzuverlangen, nicht grundsätzlich verwarf. Der EuGH schloss sich vielmehr dem hauptsächlichen Argument des klagenden Arztes an, dass für vergleichbare Stellen auch Arbeitnehmer eingestellt wurden, die nicht der katholischen Kirche angehören. Indem die Kirche an diese andere Loyalitätsmaßstäbe setze, bestehe der letztlich al-
72 Über die in der RL normierten Kriterien „wesentlich“, „rechtmäßig“ und „gerechtfertigt“ hinaus fordert der EuGH die zusätzliche Überprüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Damit lässt der Gerichtshof sich eine weitergehende Überprüfungsmöglichkeit offen, obwohl Verhältnismäßigkeitsüberlegungen bereits in den genannten Kriterien enthalten sind.
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lein von den nationalen Gerichten entscheidbare Verdacht, dass ein Verstoß gegen das europäische Antidiskriminierungsrecht vorliegt. In seiner kritischen Sicht der unterschiedlichen Behandlung von Katholiken und Nichtkatholiken bleibt der Gerichtshof methodisch auf der Linie seiner Rechtsprechung, die im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme den Grundsatz der Kohärenz heranzieht. Die praktische Handhabung in der Vollziehung von Vorschriften müsse eine gewisse Widerspruchsfreiheit aufweisen, sodass Maßnahmen auch dann unverhältnismäßig sein können, wenn sie zwar grundsätzlich vom Wortlaut einer Norm gedeckt sind, ähnliche Fälle in der Praxis aber anders entschieden werden.73 Das Prinzip der Kohärenz verdient solange Zustimmung, solange es sich tatsächlich um vergleichbare Sachverhalte handelt. Betrachtet man die Besetzung einer Chefarztstelle in einem Krankenhaus in katholischer Trägerschaft aus einer bloß funktionalen Sicht, die auf die Kompetenzen der Bewerber in der ärztlichen Kunst und auf einschlägige fachliche Erfahrungen abzielt, dann ist tatsächlich schwer nachvollziehbar, warum ein Arzt katholischen Bekenntnisses geeigneter sein soll als ein Nichtkatholik. Tatsächlich ist es, sieht man vielleicht von ganz subjektiven Erwartungen besonders frommer Patienten ab, letztlich gleichgültig, ob der Chirurg, der das Skalpell führt, oder der Anästhesist, der die Narkose durchführt und begleitet, als Privatperson sich zu diesem oder jenem religiösen Glauben bekennt und danach handelt, oder ob es sich dabei um einen Agnostiker oder Atheisten handelt. Diese Sicht freilich blendet bewusst den Grund aus, warum überhaupt ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft gegründet wird. Das Bewusstsein der Kirche, durch die Hinwendung zum Kranken einen wesentlichen Teil der christlichen Sendung zu vollziehen, wird ignoriert. Letztlich bedeutet eine solche Sicht, kirchliche Einrichtungen und Einrichtungen in privater Trägerschaft, die der Gewinnerzielung dienen, auf eine Stufe zu zwingen. Diese Sicht vermag aber aus grundrechtlicher Sicht nicht zu überzeugen. Zwar stehen kirchliche und sonstige Krankenanstalten in einer gewissen Konkurrenz und sind denselben staatlichen Hygiene-, Ausbildungs-, Vergabe- und sonstigen Vorschriften unterworfen. Im Gegensatz zu rein zivilrechtlichen Gesellschaften sind die kirchlichen Träger aber als Repräsentanten einer Glaubensgemeinschaft Träger des Grundrechts74 auf korporative Religionsfreiheit.75 73 Vgl. Claus Dieter Classen, Das kirchliche Arbeitsrecht unter europäischem Druck – Anmerkungen zu den Urteilen des EuGH (jeweils GK) vom 17. 04. 2018 in der Rs. C-414/16 (Egenberger) und vom 11. 09. 2018 in der Rs. C-68/17 (IR), in: EuR 2018, S. 752 – 768, hier S. 758 m. w. N. 74 Soweit eine Organisation nicht ganz überwiegend mit Gewinnerzielungsabsicht auftritt, können sich alle der Kirche nach ihrer eigenen Beurteilung zugeordnete Organisationseinheiten und Institutionen unabhängig von ihrer kanonischen bzw. staatlichen Rechtsform auf das Selbstbestimmungsrecht berufen. Vgl. zuletzt BVerfG 2 BvR 661/12, Rn. 96. 75 Kreß sieht in der Entscheidung (zustimmend) eine „substanzielle Infragestellung“ des korporativen Selbstbestimmungsrechts der Kirchen. Vgl. Hartmut Kreß, Der Chefarztfall vor dem EuGH. Eine Richtungsentscheidung zum Arbeitsrecht der Kirchen im Gesundheits- und Sozialwesen der Bundesrepublik Deutschland, in: MedR 37 (2019), S. 25 – 31, hier S. 27.
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Die Union ist entgegen der Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 EUV zwar bislang nicht der EMRK beigetreten, doch gehören die dort kodifizierten Grundrechte gem. Art. 6 Abs. 3 EUV zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts. Art. 10 der GRCh bindet den Gerichtshof und alle anderen Organe im Vollzug des Unionsrecht direkt (Art. 6 Abs. 1 EUV). Die Zurückhaltung des Gerichtshofes in der Berücksichtigung der Kirchen als selbständige Grundrechtsträger und in der Abwägung der korporativen Religionsfreiheit mit dem Unionsrecht auf Nichtdiskriminierung,76 bildet die große Schwäche beider Entscheidungen. Nicht nur das nationale Recht ist im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen. Auch das Unionsrecht selbst unterliegt einer Bindung an höherrangiges Recht. Sekundäres Gemeinschaftsrecht darf dem Primärrecht, also in erster Linie den Verträgen, nicht widersprechen. Die GRCh steht gem. Art. 6 Abs. 1 EUV auf einer rechtlichen Stufe mit den Verträgen, sodass die Sicherung der Unionsgrundrechte nicht nur durch die Vollziehung in der Rechtsanwendung zu geschehen hat, sondern auch durch eine grundrechtskonforme Interpretation des Unionsrechts. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umgang des EuGH mit Art. 17 AEUV. Die Europäische Union hatte in ihrer der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt. Die Mitgliedstaaten können in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können. Durch Art. 17 AUEV wurde die „Amster-
Freilich bewertet Kreß juristische Sachverhalte nicht ganz unvoreingenommen aus der Sicht eines evangelischen Sozialethikers, wenn er allgemein, also auch für die katholische Kirche behauptet, medizinische Tätigkeit sei noch nicht einmal entfernt eine religiöse Tätigkeit (ebd., S. 29). Darüber hinaus bilde das Nein der Kirche zu einer zweiten Eheschließung einen schweren Eingriff in die Privatsphäre und sei mit heutigen menschenrechtlichen, zivilrechtlichen und ethischen Maßstäben nicht vereinbar (ebd., S. 28); kirchliche Arbeitnehmer hätten ein Recht auf Kirchenaustritt (ebd., S. 30). 76 Fälle, in denen der Arbeitgeber selbst besonders privilegierter Grundrechtsträger ist, wie eine Religionsgemeinschaft oder eine kirchlich getragene Schule, sind, so Preis, komplex: „Hier kollidieren Grundrechte strukturell, konzeptionell und prinzipiell. Auch hier muss der Staat ausgleichend wirken, insbesondere wenn es um Ausprägungen der gelebten Religionsgemeinschaften geht, die so gar nicht mit dem allgemeinen Verständnis selbstbestimmter Freiheitsansprüche einhergehen wollen. Zu erinnern sei hier nur an die die schwierigen Debatten um die Ansprüche der katholischen Kirche an das außerdienstliche Verhalten ihrer Mitarbeiter (Stichworte: Wiederverheiratung Geschiedener, homosexuelle Partnerschaft u. a. m.).“ Preis spricht von einem „Diskriminierungsprivileg“. Vgl. Ulrich Preis, Religionsfreiheit im Arbeitsverhältnis zwischen säkularem Staat, Freiheitsrechten und Diskriminierungsverboten, in: KuR 17 (2011), S. 33 – 54, hier S. 35.
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damer Kirchenerklärung“, deren Rechtsnatur stets umstritten war, in den Rang des vollgültigen Primärrechts gehoben. Der Gerichtshof übergeht aber Art. 17 AEUV mehr oder weniger elegant durch den Hinweis, die Amsterdamer Erklärung sei beim Erlass des Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78 hinreichend berücksichtigt worden.77 Mag dieser Hinweis noch für den Gesetzwerdungsprozess der RL richtig sein, so übersieht er, dass nunmehr Art. 17 AEUV als primärrechtliche Bestimmung Art. 4 Abs. 2 RL insofern überlagert, als dass die sekundärrechtliche Bestimmung im Licht des Art. 17 AEUV und nicht etwa umgekehrt dieser im Licht der RL interpretiert werden muss. Einen Zirkelschluss stellt daher die Ansicht dar, eine Auslegung des Art. 17 AEUV, die im Ergebnis das nationale Religionsverfassungsrecht für „unionsfest“ erklärt, stehe im Widerspruch zum Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts. Die „Amsterdamer Erklärung“ war gerade deshalb ausgehandelt worden, weil der Anwendungsvorrang des Gemeinschafts-/Unionsrechts zu Eingriffen in die nationalen religionsrechtlichen Ordnungen führen kann, auch wenn die Union eine eigenständige religionsrechtliche Kompetenz gerade nicht besitzt. Die „Achtung des Status, den Kirchen oder religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedsstaaten haben“ und die Verpflichtung, diesen nicht zu beeinträchtigen, ist keine bloße Wiederholung einer negativen Feststellung, dass die Union keine eigene religionsrechtliche Kompetenz hat. Unter dem Regime der begrenzten Einzelermächtigung wäre eine solche Primärrechtsbestimmung bloße Höflichkeitsrhethorik. Art. 17. AEUV muss demgegenüber als negative Kompetenzbestimmung gelesen werden. In den Bereichen, für die eine unionale Rechtssetzungsbefugnis besteht, müssen die Organe der Gemeinschaft ausdrücklich auf den mitgliedstaatlichen Status der Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften Rücksicht nehmen. Dies kann ausdrücklich durch die Normierung von Ausnahmebestimmungen erfolgen. Die „Achtung“ kann aber auch im Wege einer primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts sichergestellt werden. Beide Wege hat der der EuGH mit seiner nonchalanten Feststellung, Art. 17 AEUV stehe seinen Schlussfolgerungen nicht im Wege, mehr oder weniger holprig nicht beschritten. 77
EuGH (Große Kammer), Urteil vom 11. September 2018, Rs. C 68/17, IR gegen JQ [Chefarztfall], Rn. 48: „Art. 17 AEUV vermag diese Schlussfolgerung nicht in Frage zu stellen. Zum einen entspricht der Wortlaut dieser Bestimmung nämlich im Kern dem der Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften, die der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügt ist. Die ausdrückliche Bezugnahme auf diese Erklärung im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 macht deutlich, dass der Unionsgesetzgeber sie beim Erlass dieser Richtlinie und insbesondere ihres Art. 4 Abs. 2 berücksichtigt haben muss, da diese Vorschrift gerade auf die zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften und einzelstaatlichen Gepflogenheiten verweist. Zum anderen bringt Art. 17 AEUV zwar die Neutralität der Union demgegenüber, wie die Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu den Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften gestalten, zum Ausdruck, doch kann dieser Artikel nicht bewirken, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 genannten Kriterien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, EU:C:2018:257, Rn. 56 bis 58)“.
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Bereits im Fall Egenberger78 versuchte der Gerichtshof, auf die Problematik einzugehen. Die Erwähnung der Amsterdamer Kirchenerklärung – der AEUV war im Jahr 2000, als die Antidiskriminierungsrichtlinie beschlossen wurde, noch nicht existent – im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie mache deutlich, dass der Unionsgesetzgeber diese beim Erlass dieser Richtlinie und insbesondere der Ausnahmebestimmung des Art. 4 Abs. 2 berücksichtigt haben musste. Der Erwägungsgrund 24 spricht allerdings nicht davon, dass mit dem Erlass der RL das nationale Religionsrecht hinfällig sei, da Art. 4 Abs. 2 gewissermaßen vergemeinschaftet. Ganz im Gegenteil bekennt sich der Gemeinschaftsgesetzgeber dort dazu, dass die Mitgliedstaaten nicht nur „spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können,“ beibehalten, sondern solche auch vorsehen können. Bei der Umsetzung der RL ins nationale Recht verbleibt den Mitgliedstaaten daher ein Ermessensspielraum, innerhalb dessen das bis dahin geltende nationale Religionsrecht Berücksichtigung finden muss. Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts besteht zwar auch gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht. Auch Richtlinien, die grundsätzlich für ihre Anwendbarkeit der Umsetzung ins nationale Recht bedürfen79, sind aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes unter Umständen unmittelbar anwendbar, insbesondere wenn die Umsetzung fehlt oder für den Rechtsunterworfenen benachteiligend ist. Allerdings lässt der Unionsgesetzgeber mit der Wahl der Rechtsform der Richtlinie erkennen, dass die nationalen Gesetzgeber auf bestimmte Umstände Rücksicht nehmen können. Von der direkt anwendbaren gesetzesgleichen Verordnung unterscheidet sich die Richtlinie gerade darin, dass die Umsetzung ins nationale Recht Ermessensspielräume im Rahmen des Rechts eröffnet. Die Rücksichtnahme auf die Besonderheiten der nationalen religionsrechtlichen Systeme bildet ein Paradebeispiel für mögliche Unterschiede.80 Der Gerichtshof betont zwar, dass Art. 17 AEUV die Neutralität der Union demgegenüber, wie die Mitgliedstaaten ihre Beziehungen zu den Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften gestalten, zum Ausdruck bringe. Gleichzeitig führt er aber aus, dass eine Bestimmung des AEUV nicht bewirken könne, dass die Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 genannten Kriterien einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle entzogen wird.81 Im Ergebnis bedeutet 78
Rn. 57. Art. 288 Abs. 3 AEUV: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“ 80 Der EuGH anerkennt an sich die Pflicht zur Berücksichtigung nationaler Besonderheiten. Vgl. EuGH, Rs. C-322/01, Doc Morris, Slg. 2003, I/14887; Rs. C-41/02, Kommission gegen Niederlande, Slg. 2004, I-11375; Das Primärrecht nimmt auch anderen Stellen als in Art 17 AEUV Bezug auf die Bewahrung nationaler Besonderheiten. Vgl. Art. 52 Abs. 1, 65 Abs. 1, 191 Abs. 2 und 3. 107 Abs. 2c AEU. 81 Rs. Egenberger, Rn. 58. 79
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dies aber eine Verneinung des unmittelbar zuvor Zugegebenen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG hingegen handelt es sich sowohl bei der Verknüpfung einer Stelle mit dem Religionsbekenntnis als auch bei der Umschreibung von Anforderungen, die eine bestimmten Stelle innerhalb der kirchlichen Dienstgemeinschaft an den Stelleninhaber stellt, um innerkirchliche bzw. religiöse oder weltanschauliche Fragen, für die der Staat nur innerhalb sehr enger Grenzen eine Jurisdiktion besitzt.
V. Schlussbemerkung Die Große Kammer des EuGH urteilte am 18. 07. 2017, die Entscheidung des kirchlichen Arbeitgebers, die Zugehörigkeit zur eigenen Kirche als Voraussetzung für die Besetzung der Stelle zu machen, müsse gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können. Damit stellte sich der EuGH in einem ersten wesentlichen Punkt gegen die bisher einhellige Judikatur des dt. Bundesverfassungsgerichts, derzufolge die Beschreibung des Stellenprofils durch den kirchlichen Arbeitgeber von dessen verfassungsmäßig verbürgten Selbstbestimmungsrecht umfasst sei. Die Entscheidung, ob für eine bestimmte Stelle die Kirchenzughörigkeit verlangt werde, falle in den Kernbereich kirchlicher Autonomie. Aus der ebenfalls verfassungsmäßig gewährleisteten Justizgewährungspflicht, so das BVerfG, folge allerdings, dass kircheninterne Entscheidungen dann gegenüber der staatlichen Rechtsordnung keine Bindungswirkung entfalten, wenn diese mit den Grundprinzipien der (staatlichen) Rechtsordnung unvereinbar sind. Die Entscheidung, inwieweit eine bestimmte Tätigkeit zur Verwirklichung der des kirchlichen Sendungsauftrages beiträgt und wie diese genau umschrieben werden kann, liegt aber außerhalb des staatlichen Kompetenzbereiches. Im Chefarztfall vertiefte der EuGH den Graben zum religionsrechtlichen System des GG noch einmal, indem ein zweiter wesentlicher Punkt des religionsgemeinschaftlichen Autonomiebereichs von den weiten Grenzen der Überprüfbarkeit anhand der Grundprinzipien der Rechtsordnung in die Mitte staatlicher Jurisdiktion gezogen wurde. Nunmehr ist auch die Ungleichbehandlung von Mitgliedern der eigenen Kirche im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern anhand der Kriterien der RL und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründungspflichtig und gegebenenfalls staatlich kassierbar. Nicht nur aus der Perspektive der korporativen Religionsfreiheit erscheint dies problematisch. Auch die individuelle Religionsfreiheit wird überstrapaziert und damit letztlich nicht respektiert. Dem Arbeitnehmer wird nämlich ermöglicht, einerseits für den staatlichen Bereich Mitglied seiner Kirche zu sein, gegenüber dieser aber als Staatsbürger Verhaltensweisen zu setzen, die ihm als Gläubigen nicht zustehen. Die bloß funktionale Betrachtung der kirchlichen Arbeitsplätze ersetzt die religiöse Bewertung durch ein rein säkulare Sicht der Arbeit. Der EuGH definiert damit, wo die Grenzen der kirchlichen Sendung verlaufen. Das BVerfG war in seiner Rechtsprechung bislang penibel darauf bedacht, zwischen dem grundrechtlich verbürgten und durch Art, 137 Abs. 3 WRV institutionell
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abgesicherten Selbstbestimmungsrecht und den grundrechtlichen Positionen der einzelnen Bürger im Konfliktfall einen schonenden Ausgleich herzustellen. Überall dort, wo der Einzelne durch eine freie Entscheidung sich einer kirchlichen Entscheidung entziehen kann, dort komme dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften ein besonderes Gewicht zu. Diese Gewichtung ist keine Umkehrung des an sich das deutsche Grundgesetz prägenden Prinzips des Vorranges individueller Freiheitsrechte vor institutionellen Rechten. Die Frage, wer in innerreligionsgemeinschaftlichen Angelegenheiten das letztentscheidende Deutungsrecht hat, berührt vielmehr das Wesen des liberalen Verfassungsstaates selbst. Dessen weltanschaulich-religiöse Neutralität verbietet ihm, religiöse Fragen inhaltlich zu kommentieren oder zu bewerten. Das Grundgesetz ist ebensowenig wie die anderen Verfassungen der Unionsstaaten kein zivilreligiöser Entwurf, der für eine bestimmte religiöse Tradition Partei ergreifen würde.82 Die Säkularität des Staates gehört in der freiheitlichen Demokratie geradezu zu den Urvoraussetzungen für das Gelingen eines friedlichen Miteinanders unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Positionen. In diesem Sinn urteilt auch der EGMR in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass das Konventionsrecht auf religiöse Freiheit (Art. 9 EMRK) über den individualrechtlichen Aspekt hinaus auch die korporative Freiheit der den einzelnen religiösen Bürgern vorausliegenden Religionsgemeinschaften garantiert. Dies macht einerseits die individualrechtliche Verwirklichung des religiösen Lebens nach der eigenen Religion in Gemeinschaft erst möglich. Andererseits ist die korporative Freiheit der Religionsgemeinschaften aber auch staatstheoretisch eine Voraussetzung für den Pluralismus im demokratischen Rechtsstaat. In diesem Punkt greift das Urteil im Fall Egenberger und im Chefarztfall somit nicht nur in eine speziell kirchenfreundliche Tradition des deutschen BVerfG ein. Weit über die regionale Bedeutung hinaus bedeutet der Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der inneren Angelegenheiten eine Verschiebung vom liberalen Staat hin zu einem Staatswesen, das sich selbst das Recht zuspricht, materiell religiöse Fragen wenigstens für den – letztlich zwangsbewehrten – Geltungsbereich des eigenen Rechts letztverbindlich zu entscheiden. Die auf den ersten Blick so grundrechtsfreundlichen Entscheidungen erweisen sich damit bei genauerem Hinsehen als bedenkliche Ausweitung des unionsrechtlichen Geltungsvorranges. Machte dieser bislang schon in Gestalt des Anwendungsvorranges keinen Halt vor nationalem Recht jeder Stufe – die Verfassungen inbegriffen – so greift er nun in den staatsfreien Bereich religiöser Entscheidungsmacht ein. Die innere Plausibilität, dass ein Arbeitsplatz zur Verwirklichung eines Teilbereiches des Sendungsauftrages der katholischen Kirche mit der Zugehörigkeit zur katholi82 Gewisse Ausnahmen bestehen für jene europäischen Länder, die Reste eines staatskirchlichen Systems bewahrt haben, etwa das Vereinigte Königreich oder Griechenland. Auch diese Staaten jedoch respektieren das korporative Freiheitsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften.
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schen Konfession, ein evangelischer mit der Mitgliedschaft in einer Kirche der ACK, ein jüdischer mit dem Bekenntnis zum mosaischen Glauben und ein Arbeitsplatz bei der Humanistischen Union mit dem positiven Bekenntnis zur Konfessionslosigkeit verknüpft werden kann, wird geopfert zugunsten eines ausgreifenden Individualrechts auf Einstellung. Dieses mutiert im Fall der Diskriminierung dann sogar zu einer gleichheitswidrigen Bevorzugung des andersgläubigen Bewerbers, da es ungleich schwerer sein wird, bei Vorleigen gleicher fachlicher Qualifikation, sich für einen Angehörigen der eigene Religion zu entscheiden, um nicht in den Verdacht der rechtswidrigen Ungleichbehandlung zu geraten. Beer, der als Generalvikar der Erzdiözese München und Freising unmittelbar oder mittelbar Dienstherr einer Vielzahl von kirchlich Beschäftigten war, gewinnt der EuGH-Rechtsprechung83 durchaus Positives ab. Der EuGH fordere etwas von der Kirche, was diese entsprechend ihrer ureigensten Anliegen schon länger hätte tun können und sollen.84 Die mit dem Urteil eingeforderte durchgehende Begründung des Zusammenhangs von Ethos und Arbeitsaufgabe bedeute nicht in erster Linie eine Einschränkung der Freiheitsrechte der Kirchen als vielmehr die Möglichkeit, den tieferen Sinngehalt des eigenen Tuns in Folge des Sendungsauftrags der Kirche jeweils positiv herauszuarbeiten und (auch sich) neu zu verdeutlichen.85 Demgegenüber stellt sich allerdings die Frage, ob die Kirchen und Religionsgemeinschaften die staatliche Judikatur in innerreligiösen Angelegenheiten tatsächlich brauchen, um ihr Selbstbestimmungsrecht verfassungs- und europarechtskonform ausüben zu können. Es stellt den Kirchen kein gutes Zeugnis aus, wenn sie zuerst des Drucks der staatlichen Rechtsordnung bedürfen, um sich ihres Propriums gewahr zu werden. Darüber hinaus ist eine solche Einschätzung außerhalb der Kirche, für die man selbst amtlich zu sprechen vermag, nicht gerade zurückhaltend gegenüber anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Beizupflichten ist allerdings der Schlussfolgerung, dass in Zukunft ein stärkeres Zusammenspiel von Theologie und kirchlichem Arbeitsrecht notwendig sein wird, als dies unter dem bloßen Verweis auf ein selbstbestimmtes institutionelles Handeln erforderlich ist. Die Herausarbeitung, inwieweit eine Tätigkeit weltgestaltend im Sinn des christlichen Ethos ist, mag, so Reichold/ Beer, ein Wettbewerbsvorteil sein. Freilich kann dieser im Wettbewerb um die am besten fachlich qualifizierten Mitarbeiter auch ein Nachteil sein, wenn diese sich dezidiert nicht in den Kontext der kirchlichen Sendung einordnen lassen wollen. Die zum Ende gelangte Relecture sah im abschließenden Urteil des BAG und in der dieser zugrundeliegenden Rechtsprechung des EuGH Anzeichen jener „suprana83 Die Bewertung bezieht sich auf den Fall Egenberger, lässt sich aber auch auf die Problematik im Chefarztfall übertragen. 84 Reichold/Beer, Abmahnung (Anm. 29), S. 683. Wenn dort eine Bewertung aus katholischer Perspektive unternommen wird, befremdet der allgemeine Verweis auf „die Kirche“, da sich der Fall Egenberger gegen des Selbstverständnis der Evangelischen Kirche richtet. 85 Reichold/Beer, Abmahnung (Anm. 29), S. 686. Das BAG zitiert diesen Beitrag in seiner letzten Entscheidung zu 2 AZR 746/14 in Rn. 62.
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tionalen Walze“, deren Hinwegfegen über das deutsche (und österreichische86) Religionsrecht Isensee einst befürchtet hatte. Allerdings besteht trotz der angebrachten Kritik kein Grund zum Alarmismus. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften laufen zumindest in jenen Ländern, die vom Grundsatz einer kooperativen Trennung von Staat und Kirche geprägt sind, nicht Gefahr, ihre Freiheit zu verlieren, auch wenn ihre Entscheidungen durch die staatliche Gerichtsbarkeit anhand von Kriterien überprüft werden können, die einerseits im Vorhinein bekannt sind und die andererseits die Kirchen mit sanftem Druck daran erinnern, dass der verfassungsrechtlich gewährleiste Raum der Selbstbestimmung kein rechtsfreier Raum überkommener Privilegien ist. Der Staat freilich wird um seiner eigenen Sendung willen gut daran tun, in der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung keine Einladung zur erneuten „Verstaatlichung“ des Religiösen zu sehen. Ein solches Ansinnen würde letztlich zu keinem Freiheitsgewinn führen, sondern in der Marginalisierung kirchlicher Wohlfahrtseinrichtungen das pluralistische Gemeinwesen schwächen. Dem Jubilar gebührt Anerkennung für seine intensiven kanonistischen und religionsrechtlichen Bemühungen, die Freiheit der Einzelnen und die Freiheit der Glaubensgemeinschaften gemeinsam zu stärken.
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Angesichts eines bereits in der Vergangenheit im Vergleich mit Deutschland wesentlich großzügiger gehandhabten Verständnisses von Loyalität im (angewandten) österreichischen kirchlichen Arbeitsrecht werden die praktischen Auswirkungen der EuGH-Judikatur in Österreich wohl weniger auffallend sein. Am Eingriff ins religionsrechtliche System auch in Österreich ändert diese Prognose allerdings nichts.
Konfessioneller Religionsunterricht in öffentlichen Schulen unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts Von Georg Manten
I. Aktuelle Situation des Religionsunterrichts Der Religionsunterricht hat es nicht leicht. Dieser Befund mag auf den ersten Blick erstaunen, denn seine formalen Rahmenbedingungen sind denkbar günstig. Nimmt man das Grundgesetz zum Maßstab, hat er als einziges Fach Verfassungsrang: Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist er in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Die herrschende Meinung interpretiert dies – zu Recht – als institutionelle Garantie, die den Religionsunterricht, um den sich auch der zu ehrende Kirchenrechtslehrer Wilhelm Rees verdient gemacht hat,1 hervorhebt und verfassungsrechtlich absichert.2 Lässt man die Länder außer Betracht, in denen die Bremer Klausel (Art. 141 GG) Anwendung findet,3 ist also zu 1
An erster Stelle ist zu nennen: Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986 (= Diss. Universität Augsburg 1985/86); aus jüngerer Zeit ferner u. a. Ders., Rechtliche Rahmenbedingungen für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Österreichs, in: Österreichisches religionspädagogisches Forum 26/2, S. 47 – 68; Ders., Rechtsgrundlagen des Religionsunterrichts in Österreich; in: Johann Bair/Ders. (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog (= Religion und Staat im Brennpunkt, 2), Innsbruck 2017, S. 179 – 301; Ders., Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: EssGespr 49, S. 75 – 106; Ders., Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, S. 1018 – 1048; Ders., „Keine Angst, bei Neuevangelisierung aus sich heraus zu gehen“ (Papst Franziskus). Neuevangelisierung und schulischer Religionsunterricht. Kirchenrechtliche Überlegungen angesichts von Säkularisierung und schwindendem Glaubensbewusstsein, in: AfkKR 183/2 (2014), S. 387 – 440; Ders., Neuere Fragen um Schule und Religionsunterricht in Österreich, in: Ders./ Maria Roca/Balazs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= KStT 61), Berlin 2013, S. 499 – 534. 2 Gerhard Robbers, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 7. Auflage, München 2018, Art. 7 Abs. 3 Rn. 119, siehe auch Christoph Link, in: HdbStKirchR2, S. 439, skeptisch Frauke Brosius-Gersdorf, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Auflage, Tübingen 2013, Art. 7 Rn. 87 m. w. N. 3 Siehe hierzu sowie zur Praxis in Brandenburg, wo das Pflichtfach „LebensgestaltungEthik-Religion“ (LER) unterrichtet wird, Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1028 f., sowie Stefan Korioth, Der Auftrag des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG, in: EssGespr 49, S. 7 – 33, hier S. 24, jeweils m. w. N.
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konstatieren: Die Verfassungslage ist eindeutig; am Religionsunterricht führt prinzipiell kein Weg vorbei. Gleichwohl bläst dem Religionsunterricht – zumindest mancherorts – ein eher ungemütlicher Wind ins Gesicht.4 Das hängt vor allem mit den religionssoziologischen Entwicklungen in Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zusammen. Der Mitgliederschwund der beiden großen christlichen Kirchen macht sich – aufgrund der Koppelung von Kirchenmitgliedschaft und verpflichtender Teilnahme – auch in Gestalt zurückgehender Schülerzahlen bei den entsprechenden Religionsunterrichten bemerkbar. Hinzu kommt eine zunehmende religiöse Pluralität. Diese hat in manchen Ländern dazu geführt, dass neben dem gewissermaßen seit Menschengedenken existierenden evangelischen und katholischen Religionsunterricht noch weitere Religionsunterrichte eingerichtet wurden, darunter auch solche, die nicht-christlichen Bekenntnissen folgen.5 Dies mag einerseits den Religionsunterricht als Institution insofern gestärkt haben, als die konfessionelle Basis des Fachs Religion verbreitert und konsolidiert wurde. Andererseits ist es auf diese Weise zu einer konfessionellen Zersplitterung des Fachs Religion gekommen, welche weder von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes noch von den Urhebern des Art. 149 WRV vorhergesehen worden sein dürfte und die im Alltag der Schulen und Schulaufsichtsbehörden nicht immer leicht zu handhaben ist.6 Vor diesem Hintergrund dieser Entwicklungen hat in der jüngeren Vergangenheit die Zahl derer zugenommen, die dafür plädieren, den konfessionellen Religionsunterricht in seiner bisherigen Form ganz oder teilweise durch andere Unterrichtskonzepte zu ersetzen, sei es in Gestalt unterschiedlicher Formen konfessioneller Kooperation (insbesondere) zwischen dem evangelischen und dem katholischen Religionsunterricht, sei es durch verschiedene transkonfessionelle Unterrichtsmodelle, in 4 Vgl. hierzu sowie zur „Geschichte der Krisen des Religionsunterrichts“ etwa Korioth (Anm. 3), S. 12 f. 5 In Hessen beispielsweise sind derzeit (Stand: 15. Dezember 2019) zwölf konfessionelle Religionsunterrichte eingerichtet: evangelisch, katholisch, alt-katholisch, orthodox, syrischorthodox, mennonitisch, jüdisch und alevitisch, ferner unitarischer und freireligiöser Religionsunterricht (Humanistische Lebenskunde) sowie die beiden islamischen Religionsunterrichte in Kooperation mit Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland K. d. ö. R. bzw. DI˙TI˙B Landesverband Hessen e. V. 6 Näher hierzu Hans Michael Heinig, Religionsunterricht nach Art. 7 III GG – Rechtslage und Spielräume, in: Bernd Schröder (Hrsg.), Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, Neukirchen-Vluyn 2014, S. 141 ff., sowie jüngst Stefan Mückl, Religionsunterricht bikonfessionell, ökumenisch, multireligiös, in: ZevKR 64 (2019), S. 225 – 256, hier S. 226 ff. Zu den gegenwärtigen Rahmenbedingungen des Religionsunterrichts vgl. auch Korioth (Anm. 3), S. 14 ff., sowie Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 78 f., sowie schon früher Martin Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand: Konfessionell – unkonfessionell – interreligiös – interkonfessionell – konfessionell-kooperativ? Der rechtliche Rahmen des Religionsunterrichts im säkularen Verfassungsstaat, in: ZThK 102 (2005), S. 246 – 292, hier S. 246 f.
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denen – mit Unterschieden im Detail – die Schülerinnen und Schüler ohne Rücksicht auf ihre je individuelle Zugehörigkeit zu Religionen, Konfessionen oder Weltanschauungen gemeinsam über die Vielfalt religiösen und weltanschaulichen Lebens informiert werden und der gleichzeitig der Wertevermittlung dient. Über den pädagogischen Wert und Nutzen solcher Überlegungen soll hier nicht gesprochen werden; dass ein wie auch immer organisiertes nicht-konfessionelles religiös-weltanschauliches Unterrichtsangebot den Schülerinnen und Schülern dienlich sein kann, steht außer Frage. Im vorliegenden Beitrag soll es – neben anderen verfassungsrechtlichen, insbesondere grundrechtlichen Fragestellungen – lediglich um die Rechtsform7 des Religionsunterrichts gehen, d. h. um die Grenzen, die Art. 7 Abs. 3 GG setzt, aber auch und gerade um die Möglichkeiten, die er eröffnet, und die – selbstverständlich – ausgeschöpft werden sollen, damit es gelingt, den Religionsunterricht als konfessionellen Unterricht zukunftsfähig zu erhalten.
II. Der Religionsunterricht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Als zentrale Leitentscheidung – mittlerweile deutlich über 30 Jahre alt, aber schon damals zukunftsweisend formuliert und weiterhin aktuell – gilt nach wie vor der Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1987.8 In formaler Hinsicht unterstreicht das Gericht der Sache nach die staatliche Unternehmerschaft im Hinblick auf den Religionsunterricht, indem es ihn als „Bestandteil der Unterrichtsarbeit im Rahmen der staatlichen Schulorganisation“ und seine Erteilung als „staatliche Aufgabe und Angelegenheit“ bezeichnet sowie darauf verweist, dass er „staatlichem Schulrecht und staatlicher Schulaufsicht unterworfen“ ist. Gleichzeitig wird der Religionsunterricht aufgrund der gebotenen „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ im „Verantwortungsbereich der Kirchen“ verortet. 9 Im Ergebnis gelangt das Bundesverfassungsgericht so zur Einordnung als klassische res mixta, d. h. es zählt den Religionsunterricht 7 Vgl. bereits Heckel (Anm. 6), S. 247 mit Fn. 3, der zu Recht anmerkt, die Rechtsform des Religionsunterrichts müsse „der religiösen und pädagogischen Sachgesetzlichkeit des Religionsunterrichts gerecht werden, die nicht durch falsche oder unpassende Strukturen beeinträchtigt oder verfremdet werden darf“. Der Sache nach wird hier die Ermöglichungsfunktion des Rechts angesprochen; in der Tat will auch Art. 7 Abs. 3 GG nicht in erster Linie etwas verhindern, sondern etwas ermöglichen, nämlich Religionsunterricht. Diese Funktion kann das Recht – hier Art. 7 Abs. 3 GG – aber nur erfüllen, indem es auch Grenzen setzt, d. h. seine Steuerungsfunktion wahrnimmt. Zum Verhältnis dieser aufeinander bezogenen, teilweise gegenläufigen Wirkungsprinzipien siehe etwa Gertrude Lübbe-Wolff, Das Dilemma des Rechts. Über Strenge, Milde und Fortschritt im Recht (= Jacob Burckhardt-Gespräche auf Castelen, 32), Basel 2017, S. 19 mit Fn. 18. 8 1 BvR 47/84; BVerfGE 74, 244 – 256. 9 BVerfGE 74, 244, 251.
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zu jenen „gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, bei denen die Verantwortungsbereiche beider Institutionen eng miteinander verknüpft sind“. Hieraus leitet das Bundesverfassungsgericht zweierlei ab, nämlich einerseits eine „Pflicht zur Kooperation und gegenseitigen Rücksichtnahme“ sowie andererseits das Erfordernis, „die jeweiligen Zuständigkeiten streng voneinander“ zu scheiden.10 In materieller Hinsicht ist das Übereinstimmungsgebot von zentraler Bedeutung. Die berühmte Formulierung von Gerhard Anschütz11 aufgreifend, führt das Gericht aus, der Unterricht sei „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ zu erteilen, weshalb sein Gegenstand „der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ seien, die es „als bestehende Wahrheiten zu vermitteln“ gelte.12 Hierfür seien „grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich“, so dass der religiös neutrale Staat es auch hinnehmen müsse, wenn sich „deren Verständnis vom Religionsunterricht“ ändere. Allerdings sei der Staat „nicht verpflichtet, jede denkbare Definition der Religionsgemeinschafften als verbindlich anzuerkennen“, vielmehr sei die Grenze „durch den Verfassungsbegriff ,Religionsunterricht‘ gezogen“. Dieser Verfassungsbegriff sei also „nicht in jeder Hinsicht festgelegt“, sondern müsse „in die Zeit hinein offen bleiben“.13 Ausgeschlossen sei aber „eine Veränderung des Fachs in seiner besonderen Prägung, also in seinem verfassungsrechtlichen Kern“. Die „Ausrichtung [des Religionsunterrichts] an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ sei „der unveränderliche Rahmen, den die Verfassung vorgibt“ und innerhalb dessen „die Religionsgemeinschaften ihre pädagogischen Vorstellungen über Inhalt und Ziel des Religionsunterrichts entwickeln, denen der Staat aufgrund des Übereinstimmungsgebots des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG Rechnung tragen“ müsse.14 Sowohl der Staat als auch die Religionsgemeinschaften haben ein je eigenes legitimes Interesse daran, den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen zukunftsfähig zu erhalten: der Staat insoweit, als der Religionsunterricht eine Teilfunktion des ganzheitlich ausgerichteten staatlichen Bildungsund Erziehungsauftrags15 bildet, in dessen Rahmen die Schülerinnen und Schüler 10
BVerfGE 74, 244, 251. Siehe Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, zuletzt 14. Auflage, Berlin 1933, Anm. 4 zu Art. 149 WRV. 12 BVerfGE 74, 244, 252 m. w. N. 13 BVerfGE 74, 244, 252. 14 BVerfGE 74, 244, 253. Vgl. auch Heckel (Anm. 6), S. 266 f. mit Fn. 31 (dort m. w. N. auch zu anderslautenden Thesen), der davor warnt, dass Art. 7 Abs. 3 GG nicht „nach Sinn, Wortlaut und Systemzusammenhang unterlaufen“ werden dürfe, weshalb die staatlichen Behörden „keineswegs alles unbesehen umzusetzen [haben], was [ihnen] durch die Religionsgemeinschaften als ,ihre Grundsätze‘ zu Art. 7 III GG dargeboten werden mag“. Eine „Entkonfessionalisierung“ der Grundsätze im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG durch die Religionsgemeinschaften selbst wird daher mit Heckel (a. a. O., S. 267) als verfassungsrechtlich bedenklich anzusehen sein. 15 Vgl. Link (Anm. 2), S. 453. 11
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in die Gesamtheit der Kultur eingeführt werden, wobei der religiöse Sektor der Erziehung weder ausgeklammert noch säkularisierend verfälscht werden soll, gleichzeitig aber die staatlichen Erziehungsfunktionen nach Inhalt, Ziel und Grenzen bestimmt und beschränkt sind, weil der Religionsunterricht um der Religionsfreiheit willen, als institutionelle Hilfe zu deren Entfaltung geschaffen ist,16 die kooperierenden Religionsgemeinschaften deshalb, weil sie auf diese Weise die Möglichkeit erhalten, ihrem Selbstverständnis gemäß wahrnehmbar in der öffentlichen Sphäre zu wirken.17 Daher sind – ganz im Sinne des Religionsunterrichts als res mixta – Staat und Religionsgemeinschaften aufeinander verwiesen: Soweit es um die – wie auch immer zu verstehende – konfessionelle Authentizität des Religionsunterrichts im Sinne der Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften geht, hat die jeweils kooperierende Religionsgemeinschaft das letzte Wort. Die Letztverantwortung hinsichtlich des Verfassungsbegriffs „Religionsunterricht“ hingegen liegt beim Staat,18 der freilich seinerseits aufgrund des Kooperationsverhältnisses verfassungsrechtlich verpflichtet ist, die jeweiligen Vorstellungen der Religionsgemeinschaften zu bedenken und mit ihnen über die sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen und religionspädagogischen Fragen im Gespräch zu bleiben und 16
So ausdrücklich Heckel (Anm. 6), S. 248 f. (siehe auch S. 253 f. und S. 256). Der Religionsunterricht dient also – wie die Bezeichnung es nahelegt – in erster Linie der religiösen Bildung als solchen und erst mittelbar und aufgrund seiner Einbettung in den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag auch der Erziehung der Schülerinnen und Schüler zur Pluralismusfähigkeit und noch mittelbarer dem religiösen Frieden im Lande. Auch das Bundesverwaltungsgericht bejaht ein „öffentliches Interesse daran […], im Religionsunterricht Wissen zu vermitteln und die Schüler zu verantwortungs- und wertbewusstem Handeln anzuleiten“ (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2005, 6 C 2.04, BVerwGE 123, 49, 53). Zum genuinen Eigeninteresse des religiös neutralen Staates an einem konfessionellen Religionsunterricht siehe ferner Korioth (Anm. 3), S. 31, der den Religionsunterricht freilich auch als „Dienst für die Religion“ sieht, Thomas Meckel, Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Die Konfessionalität des Religionsunterrichts aus der Sicht des Kirchenrechts und des Religionsrechts, in: Christoph Ohly/Wilhelm Rees/Libero Gerosa (Hrsg.), Theologia Iuris Canonici, Festschrift für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Berlin 2017, S. 825 – 847, hier S. 845, sowie Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 75 f. und 91, auf S. 76 m. w. N. Dies alles ist auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu sehen, wonach „die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität […] nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen ist“, da „Art. 4 Abs. 1 und 2 GG […] auch in positivem Sinn [gebietet], den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003, 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282, 300 m. w. N.). 17 Das BVerwG (Urteil vom 16. April 2014, 6 C 11.13, NVwZ 2014, 1163) spricht mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 GG davon, dass den Religionsgemeinschaften „als außerstaatlichen Bildungs- und Erziehungsträgern die Möglichkeit schulbezogener Mitwirkung im Interesse der Religionsfreiheit“ eingeräumt werde (a. a. O., 1165). 18 Siehe auch Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1047 m. w. N., sowie Korioth (Anm. 3), S. 18.
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sein eigenes – abstraktes – Verständnis des Religionsunterrichts kritisch zu reflektieren.
III. Die gegenwärtige Situation – radikalere Strategien 1. Zukunftsgerichtetheit des Religionsunterrichts Mitunter ist die Behauptung zu vernehmen, konfessioneller Religionsunterricht sei unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr zeitgemäß. Das läuft der Sache nach darauf hinaus, die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 GG entweder ignorieren zu wollen oder dessen Abschaffung anzustreben. Nun dürfte außer Frage stehen, dass der Religionsunterricht – ganz gleich welchen Bekenntnisses – auf die eingangs geschilderten religionssoziologischen Veränderungen reagieren und mit ihnen umgehen muss. Ein „aus der Zeit gefallener“ Religionsunterricht wäre nicht nur pädagogisch verfehlt, sondern auch mit der sanften Mahnung des Bundesverfassungsgerichts zu einem „in die Zeit offenen“ Verständnis des Religionsunterrichts kaum zu vereinbaren. Dem Religionsunterricht die Dialog- und Pluralitätsfähigkeit schlechterdings absprechen zu wollen, erscheint allerdings ebenfalls unangemessen; jedenfalls sind sachliche Argumente, die ein solch pauschales Urteil tragen könnten, nicht ersichtlich. Daher ist es prinzipiell richtig, wenn diejenigen, die ihn gemeinsam verantworten und ein Interesse seinem Fortbestand haben, Strategien entwickeln, um den Religionsunterricht zukunftsfähig zu erhalten. 2. Modelle jenseits des Art. 7 Abs. 3 GG Eine radikale Lösung besteht darin, den (mono)konfessionellen Religionsunterricht durch einen – womöglich im Klassenverband erteilten – polykonfessionellen Unterricht zu ersetzen, in dem alle in einer Lerngruppe vertretenen oder gesellschaftlich relevanten Religionen und Konfessionen gleichberechtigt behandelt werden. Dass in einem solchen Unterricht der für den Religionsunterricht nicht nur charakteristische, sondern nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts19 geradezu wesensnotwendige Wahrheitsanspruch eingelöst wird, erscheint kaum vorstellbar. Hinzu kommt die praktische Schwierigkeit, dass es schwerlich möglich sein wird, fachlich – d. h. theologisch und pädagogisch – kompetente Lehrkräfte zu finden, die an einem solchen Unterricht mitwirken könnten, schon gar nicht in ausreichender Zahl. Es könnte sich also jedenfalls de facto, mit einiger Wahrscheinlichkeit aber auch de iure nur um einen religionskundlichen Unterricht handeln. Nun mag ein solcher Unterricht durchaus pädagogisch wertvoll sein und sowohl bei den Schülerinnen 19
Siehe oben Abschnitt B.
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und Schülern als auch bei der Elternschaft auf einige Akzeptanz stoßen. Er ist allerdings kein Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes; die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG wird also nicht eingelöst.20 Auf ein ähnliches Ergebnis liefe es hinaus, ausschließlich auf die derzeitigen Ersatzfächer – mit den landesrechtlichen Bezeichnungen „Ethik“, „Philosophie“, „Werte und Normen“ etc. – zu setzen, d. h. unter gänzlichem Verzicht auf das Fach Religion einen verpflichtenden „Ethikunterricht für alle“ vorzusehen, der dann – neben anderem – auch religions- und weltanschauungskundliche Elemente enthielte. Auch ein solcher Unterricht wäre grundsätzlich geeignet, den Schülerinnen und Schülerinnen wertvolle Kenntnisse zu vermitteln und das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb des Klassenverbandes zu stärken. Um Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG würde es sich offenkundig aber nicht handeln. 3. Religionsunterricht in Hamburg Einen Sonderfall, der schon der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben soll, stellt das Hamburger Modell „Religionsunterricht für alle“ dar, bei dem – in seiner ursprünglichen Variante „in evangelischer Verantwortung“ – einerseits die Unterrichtsinhalte zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften in Zusammenarbeit mit der Landesschulbehörde informell abgestimmt werden, andererseits aber – da die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland als Rechtsnachfolgerin der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche bescheinigt, dieser Unterricht entspreche ihren Grundsätzen im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG – konfessioneller (evangelischer) Religionsunterricht erteilt wird.21 Dieses Modell wird vor dem Hintergrund der besonderen Gegebenheiten eines Stadtstaates betrach20 Entsprechendes gilt für das im Land Brandenburg eingerichtete Pflichtfach „Lebensgestaltung-Ethik-Religion“ (LER); siehe hierzu die Nachweise in Anm. 3. Vgl. auch Heckel (Anm. 6), S. 256 ff., der einen Verstoß gegen Art. 4, Art. 7 Abs. 3 und Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV annimmt, einen allgemeinen religionskundlichen Unterricht im Hinblick auf die Funktion der Religion für Staat und Gesellschaft für „kulturell kontraproduktiv“ hält (a. a. O., S. 260) und in aller Klarheit feststellt: „Religionskunde ist ein aliud und wird von diesem Begriff [scl. Religionsunterricht] nicht umfasst.“ (a. a. O., S. 256 – Hervorhebung im Original). Zur Abgrenzung von Religionsunterricht und Religionskunde anhand der Maßstäbe, Ziele und Verantwortung des Unterrichts siehe ebenfalls Heckel, a. a. O., S. 261 ff., der im Übrigen einen religionskundlichen Unterricht anstelle des konfessionellen Religionsunterrichts zu Recht auch aufgrund seiner „antireligiösen“ und „kulturell kontraproduktiven“, „die positive wie die negative Religionsfreiheit als subjektives Recht und objektives Rechtsprinzip entscheidend“ mindernden Wirkungen ablehnt (a.a.O, S. 260). Zu Tendenzen im Bereich europäischer Organisationen, konfessionellen Religionsunterricht durch eine in ausschließlich staatlicher Verantwortung erteilte allgemeine Religionskunde zu ersetzen, sowie zu Entwicklungen in Dänemark, Norwegen und der Schweiz siehe Mückl (Anm. 6), S. 255 f. 21 Siehe hierzu Hinnerk Wißmann, Religionsunterricht für alle? Zum Beitrag des Religionsverfassungsrechts für die pluralistische Gesellschaft, München 2019, S. 32 und 59 f. m. w. N.
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tet werden müssen; die nicht unumstrittene Frage seiner Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 3 GG kann und soll an dieser Stelle ebenso wenig abschließend erörtert werden wie die verfassungsrechtliche Bewertung einer zwischenzeitlich in den Blick genommenen Fortentwicklung zu einem „Religionsunterricht für alle 2.0“, dem eine religionsübergreifende Einigung auf „Grundsätze“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG zugrunde läge.22
IV. Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht 1. Grundsätzliches „Konfessionelle Kooperation“ meint grundsätzlich eine teilweise Verschränkung zweier Religionsunterrichte (hier: des evangelischen und des katholischen Religionsunterrichts), indem die beiden kooperierenden Religionsgemeinschaften gemeinsam an der Konzeption, Durchführung und Weiterentwicklung von Religionsunterricht mitwirken, ohne die prinzipielle Eigenständigkeit der beiden Religionsunterrichte vollständig aufzugeben.23 Diese Verschränkung ergibt sich aus einer Vielzahl von Maßnahmen und Vorgehensweisen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen.
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Zum „Religionsunterricht für alle“ in seiner ursprünglichen Organisationsform siehe Christoph Link, Über die Vereinbarkeit des Hamburger Modells eines „Religionsunterricht für alle im evangelischer Verantwortung“ mit Artikel 7 Abs. 3 GG. Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der (seinerzeitigen) Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, online unter: https://www.pti.nordkirche.de/fileadmin/user_upload/hauptbereich1/PTI/Link-Gutachten.pdf (eingesehen am 05. 12. 2019), sowie Ders., Konfessioneller Religionsunterricht in einer gewandelten sozialen Wirklichkeit? Zur Verfassungskonformität des Hamburger Religionsunterrichts „für alle“, in: ZevKR 46 (2001), S.257 – 285. Zu den Überlegungen hinsichtlich einer Fortentwicklung („2.0“) siehe das aktuelle Rechtsgutachten von Wißmann (Anm. 21), insbesondere S. 32 und S. 61 ff. Kritisch zu interreligiösen Religionsunterrichten „für alle“ im Allgemeinen und zum Hamburger „Religionsunterricht für alle“ im Besonderen Mückl (Anm. 6), S. 246 ff., sowie Heckel (Anm. 6), S. 272 ff. bzw. S. 275 ff., der im Übrigen zutreffend darauf hinweist, dass ein solcher Religionsunterricht – unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Übrigen – zwar „für alle“ angeboten, nicht aber staatlich verordnet und durchgesetzt werden kann. Zu den Möglichkeiten, vor dem Hintergrund verwandter Bekenntnisse gemeinsame Grundsätze für den Religionsunterricht zu entwickeln, siehe unten Abschnitt E. 2. 23 Ähnlich Clauß Peter Sajak, Art. Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht, in: Das wissenschaftlich-religionspädagogische Lexikon im Internet (WiReLex) – Jahrgang 2016; erstellt: Februar 2017; letzte Änderung: März 2018, S. 1. Heckel (Anm. 6), S. 261, weist zu Recht darauf hin, dass die in verschiedener Gestalt unternommenen Versuche, „die Konfessionsbindung des Religionsunterrichts aufzubrechen oder doch aufzulockern, ohne ihn etwa in bloße Religionskunde aufzulösen, zu einem Verschwimmen der Konturen führen und infolgedessen eine verfassungsrechtliche Beurteilung erschweren.
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2. Entwicklungslinien a) Kirchenamtliche Dokumente aus den 1990er Jahren Die Idee einer konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht ist – aus heutiger Sicht betrachtet – nicht neu. Erste Ansätze finden sich bereits in einer Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahre 1994.24 Diese ging freilich über eine Kooperation zwischen evangelischem und katholischem Religionsunterricht hinaus und enthielt dezidiert Vorschläge für eine kooperative Elemente innerhalb der gesamten Fächergruppe Religion/Ethik.25 Die Erwiderung der Deutschen Bischofskonferenz von 199626 fiel eher reserviert aus; der Schwerpunkt möglicher Kooperationsformen wurde – nachdem schon im Untertitel die (mono)konfessionelle Prägung deutlich akzentuiert worden war27 – auf den außerunterrichtlichen Bereich gelegt. So wurden als denkbare Elemente einer Zusammenarbeit die „Berücksichtigung paralleler Elemente in den konfessionellen Lehrplänen“, die „wechselseitige Verwendung von Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien für bestimmte Unterrichtsvorhaben“, eine „partielle Zusammenarbeit der Fachkonferenzen, Absprachen über gemeinsame, zeitlich begrenzte Unterrichtsphasen und -projekte“, die „Planung und Durchführung außerunterrichtlicher Veranstaltungen, bestimmte Angebote der Schulpastoral“ sowie eine „projektbezogene Zusammenarbeit bei der Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer“ diskutiert.28 Auf diese Weise solle der Weg „zu einem begrenzten konfessionell-kooperativen Religionsunterricht unter Wahrung der konkreten kirchlichen Bindung“ eröffnet werden, der auch den „Austausch einzelner Unterrichtseinheiten, gemeinsame Projekte oder auch eine zeitlich begrenzte Teilnahme unter bestimmten Bedingungen am Unterricht der anderen Konfession“ umfassen könne.29 Das an die beiden Schriften anknüpfende, mit gerade einmal drei Druckseiten vergleichsweise knapp angelegte gemeinsame Papier beider Kirchen von 199830 veror24
Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1994. 25 Näher hierzu Sajak (Anm. 23), S. 1 f., sowie Mückl (Anm. 6), S. 235. 26 Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts (27. September 1996), herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, 5. Auflage, Bonn 2009. Zur Vorgeschichte dieses Dokuments siehe etwa Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1039 f., sowie Ders., Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 92 ff. 27 Vgl. zur Bedeutung der Konfessionalität sowie allgemein zum Inhalt des Dokuments Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1040, sowie Mückl (Anm. 6), S. 236. 28 Vgl. Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (Anm. 26), S. 59. 29 Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (Anm. 26), S. 59. Vgl. auch Sajak (Anm. 23), S. 2. 30 Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD): Zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht, Würzburg und
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tete die Kooperation beider Religionsunterrichte ebenfalls schwerpunktmäßig im außerunterrichtlichen Bereich: „gemeinsame Elternabende zum Religionsunterricht, wechselseitiger Gebrauch von Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern zu bestimmten Themen, Zusammenarbeit bei Stoffverteilungsplänen, Zusammenwirken der Fachkonferenzen, Einladung der Religionslehrerin bzw. des Religionslehrers der je anderen Konfession in den eigenen Religionsunterricht zu bestimmten Themen und Fragestellungen, zeitweiliges team-teaching von bestimmten Themen oder Unterrichtsreihen, gemeinsame Unterrichtsprojekte und Projekttage, Einladung der Pfarrerin bzw. des Pfarrers oder anderer Vertreter der je anderen Konfession in den Religionsunterricht, Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Schulpastoral/Schulseelsorge, gemeinsame Gestaltung von schulischen und kirchlichen Feiertagen, von Schulgottesdiensten, Andachten, Schulfeiern u. a. sowie konfessionell-kooperative Arbeitsgemeinschaften auf freiwilliger Basis als zusätzliches Angebot“, dazu einige weitere Kooperationselemente auf der Ebene der Schulverwaltungen und in der Lehrerbildung.31 In einem weiteren, 2005 veröffentlichten Dokument32 bekräftigte die Deutsche Bischofskonferenz unter Hinweis auf die früheren einschlägigen Veröffentlichungen das Konfessionalitätsprinzip. Gleichzeitigt wurde betont, dies schließe „Formen konfessioneller Kooperation im Religionsunterricht keineswegs aus“; insbesondere könne „die phasenweise und didaktisch reflektierte Kooperation mit dem evangelischen Religionsunterricht ein Gewinn für beide Unterrichtsfächer sein“.33 b) Bisherige Kooperationsformen in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Einige in der Folgezeit geschlossene regionale Vereinbarungen34 – Niedersachsen 199835 und Baden-Württemberg 200536 (novelliert 2009 und 2015) – gingen gleichHannover 1998, online unter http://www.konfessionelle-kooperation.info/wp-content/uploads/ 2019/04/konfkoop-dbk-ekd_1998.pdf (eingesehen am 05. 12. 2019). 31 Zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht (Anm. 30), S. 1 f.; näher hierzu Sajak (Anm. 23), S. 2, sowie Mückl (Anm. 6), S. 236. 32 Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2016. 33 Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen (Anm. 32), S. 10 f. Näher hierzu Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1044, sowie Ders., Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 98. 34 Zum Projekt „Kooperativer Konfessioneller Religionsunterricht“ in Österreich siehe Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1042 f. m. w. N. 35 Die 1998 zwischen der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen und den dortigen Katholischen Diözesen getroffene Vereinbarung hat Eingang gefunden in den Runderlass des Niedersächsischen Kultusministeriums „Regelungen für den Religionsunterricht und den Unterricht Werte und Normen“ vom 10. Mai 2011 – 33 – 82105 (SVBl. S. 226). Siehe auch die unter: https://www.kirche-schule.de/themen/religionsunterricht (eingesehen am 05. 12. 2019) online abrufbaren Materialien. 36 Vereinbarung zwischen der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart
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wohl in einigen Punkten über den 1998 gefundenen und formulierten Konsens hinaus. Unter anderem war – und ist – dort unter bestimmten Bedingungen der gemeinsame Religionsunterricht evangelischer und katholischer Schülerinnen und Schüler vorgesehen, die im Wechsel von Lehrkräften beider Konfessionen unterrichtet werden. Je nach der Konfession der Lehrkraft wird der Unterricht schulrechtlich als evangelisch oder katholisch betrachtet.37 Die ebenfalls 2005 geschlossene Vereinbarung zwischen dem Erzbistum Paderborn und der Lippischen Landeskirche hingegen war einerseits auf den Primarbereich und andererseits im Wesentlichen auf die Bildung gemischt-konfessioneller Lerngruppen beschränkt. In diesen Lerngruppen sollten bei der Auswahl der Unterrichtsinhalte die Besonderheiten der jeweils anderen Konfession aufgenommen sowie die konfessionellen Besonderheiten und Prägungen mit dem Ziel gegenseitigen Verstehens behandelt werden; die Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an einem für sie bekenntnisfremden Religionsunterricht war ausdrücklich als freiwillig gekennzeichnet.38 Die seit 2017 durch Verwaltungsvorschrift39 in ganz Nordrhein-Westfalen und für alle Schulformen als alternative „Organisationsform des evangelischen und des katholischen Religionsunterrichts“ zugelassene konfessionelle Kooperation wiederum zur konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen vom 1. März 2005; Verbindlicher Rahmen für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht an Grundschulen, Hauptschulen/Werkrealschulen, Realschulen, Gemeinschaftsschulen und allgemeinbildenden Gymnasien vom 1. Dezember 2015; online unter: https://www.kir che-und-religionsunterricht.de/schulleitungen/konfessionelle-kooperation-koko/ (eingesehen am 05. 12. 2019). 37 Zur konfessionellen Kooperation in Baden-Württemberg und Niedersachsen siehe auch Sajak (Anm. 23), S. 2 ff. m. w. N., sowie Mückl (Anm. 6), S. 237 ff. 38 Vereinbarung zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht zwischen dem Erzbistum Paderborn und der Lippischen Landeskirche vom 16. März 2005; Ges. u. VOBl. (der Lippischen Landeskirche) Band 13 S. 39. Der Unterricht nach dieser Vereinbarung ähnelt dem in Hessen seit 1999 durch Erlass unter bestimmten Bedingungen zugelassenen konfessionellen Religionsunterricht in gemischt-konfessionellen (evangelisch/ katholisch) Lerngruppen. Siehe zuletzt den Erlass Religionsunterricht vom 3. September 2014 (ABl. S. 685), Abschnitt VII. Nicht ausdrücklich geregelt ist die Zustimmung der Schülerinnen und Schüler oder – bei fehlender Religionsmündigkeit – ihrer Eltern, soweit der Religionsunterricht für sie bekenntnisfremd ist. Nach dem klaren Wortlaut des Erlasses ist die Teilnahme evangelischer und katholischer Schülerinnen und Schülern an dem jeweils anderen Religionsuntericht aber nicht verpflichtend, sondern fakultativ ausgestaltet. Im Übrigen liegt den im hessischen Erlass Religionsunterricht getroffenen Regelungen, soweit die aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG resultierenden religionsgemeinschaftlichen Mitwirkungsrechte betroffen sind, offenkundig ein (materieller) Konsens zwischen den Evangelischen Landeskirchen und den Katholischen Diözesen in Hessen zugrunde, auch wenn dieser nicht in eine formelle und öffentliche Vereinbarung gegossen worden ist. 39 Religionsunterricht an Schulen. Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 20. Juni 2003 (ABl. NRW. S. 232) in der Fassung, die durch den Runderlass vom 15. August 2017 (ABl. NRW. 09/17 S. 34) entstanden ist. Die bereinigte Fassung ist online unter: https://bass.schul-welt.de/5125.htm#pgfId-1011105 (eingesehen am 05. 12. 2019).
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sieht – an die Kooperationserfahrungen aus Niedersachsen und Baden-Württemberg anknüpfend und über das lippische Modell hinausgehend – die Bildung gemischtkonfessioneller Lerngruppen vor, die im Wechsel von evangelischen und katholischen Lehrkräften unterrichtet werden, ohne die Eigenständigkeit der Fächer „Evangelische Religionslehre“ und „Katholische Religionslehre“ aufzuheben.40 Vorausgesetzt wird – neben einem Antrag der Schule – eine Vereinbarung zwischen der örtlich zuständigen Evangelischen Landeskirche und dem örtlich zuständigen katholischen (Erz-)Bistum;41 derartige Vereinbarungen sind inzwischen durch alle nordrheinwestfälischen Landeskirchen und Diözesen mit Ausnahme der Erzdiözese Köln abgeschlossen worden.42 Schließlich haben zu Beginn des Jahres 2019 die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens und die Diözese Bistum Dresden-Meißen ein gemeinsames Positionspapier43 zur Konfessionellen Kooperation vorgestellt, das an eine frühere Vereinbarung aus dem Jahre 200244 anknüpfen soll. Auch hier sind, ohne dass an der prinzipiellen Konfessionalität des Religionsunterrichts gerüttelt werden soll, konfessionell gemischte Lerngruppen vorgesehen, die auf der Grundlage von „Varianten“ der konfessionellen Lehrpläne in jährlichem Wechsel von evangelischen und katholischen Lehrkräften unterrichtet werden sollen.45 Ausdrücklich ist vorgesehen, die Zustimmung der Schülerinnen und Schüler oder, soweit diese noch nicht religionsmündig sind, der Eltern einzuholen.46 Den örtlichen Gegebenheiten entsprechend soll es verschiedene Varianten konfessioneller Kooperation geben, welche „die kon40 Religionsunterricht an Schulen (Anm. 39), Nr. 6.1. Die Zulassung anderskonfessioneller Schülerinnen und Schüler zum konfessionellen Religionsunterricht bleibt davon unabhängig und begründet für sich genommen noch keine konfessionelle Kooperation (a. a. O., Nr. 6.2 Satz 2). 41 Religionsunterricht an Schulen (Anm. 39), Nr. 6.3. 42 Vgl. die Darstellung „Gute Praxis – Konfessionelle Kooperation als ein Zukunftsmodell des Religionsunterrichts“ im Internetauftritt des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder, online unter: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/bp/Leh rer/SchuleNRW-Amtsblatt/Ausgabe_6_2019/Gute-Praxis_KoKoRu/index.html (eingesehen am 05. 12. 2019). 43 Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen. Gemeinsames Positionspapier der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche und des Bistums Dresden-Meißen vom 7. Januar 2019, online unter https://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_en gagiert/E._Materialien/PDF_Materialien/Positionspapier-Konfessionelle-Kooperation-im-Reli gionsunterricht-07-01-2019.pdf, sowie https://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_ engagiert/E._Materialien/PDF_Materialien/Positionspapier-Konfessionelle-Kooperation-im-Re ligionsunterricht-07-01-2019.pdf (jeweils eingesehen am 05. 12. 2019). 44 Abgedruckt im Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Jahrgang 2002, Nr. 7 A 73, sowie im Kirchlichen Amtsblatt für das Bistum Dresden-Meißen, 12. Jahrgang, Nr. 9, 27. Mai 2002. 45 Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43), S. 5 f. 46 Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43), S. 6.
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fessionelle Prägung einer Region sowie gewachsene Traditionen“ berücksichtigen.47 Die weiteren Einzelheiten bleiben einer Aktualisierung, Vertiefung und Anpassung der Vereinbarung von 2002 vorbehalten, die derzeit noch aussteht. Es ist daran gedacht, den konfessionell-kooperativen evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht zunächst an ausgewählten Standorten allgemein bildender Schulen einzurichten.48 3. Kirchenamtliche Äußerungen aus jüngerer Zeit a) Historische Entwicklung In den vergangenen Jahren sind die Überlegungen zur konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht durch neue kirchenamtliche Dokumente intensiviert worden. Zunächst war es der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, der 2014 in einer neuen Denkschrift49 die Grundlinien des Vorgängerdokuments von 1994 sowie der 2006 erschienenen veröffentlichten „10 Thesen zum Religionsunterricht“50 bestätigte, sich für „einen konfessionell-kooperativen, dialogisch ausgerichteten Religionsunterricht“ einsetzte und auch den Wunsch nach einer Kooperation mit dem Ethikunterricht bekräftigte.51 Sodann empfahl die Deutsche Bischofskonferenz 2016 in dem Papier „Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts“52 erstmals ausdrücklich eine verstärkte konfessionelle Kooperation zwischen dem katholischen und dem evangelischen Religionsunterricht, freilich weiterhin mit einem gewissen Maß an Zurückhaltung.53 Hierauf reagierte wiederum die Evangelische Kirche in Deutschland 2018 mit dem Dokument „Konfessionell-kooperativ erteilter Religionsunterricht“54, das aus evangelischer Sicht Grundlagen, Standards und Zielsetzungen dieser Praxis formulierte und dabei einen besonderen Akzent hinsichtlich der Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen Religionen setzte. Weiterhin 47
S. 4. 48
S. 5.
Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43), Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43),
49 Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 2014. 50 Religionsunterricht. 10 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Hannover 2006, online unter: https:// www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/religionsunterricht.pdf (eingesehen am 05. 12. 2019). 51 Religiöse Orientierung gewinnen (Anm. 49), S. 14. 52 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2016. 53 Ausführlich hierzu Meckel (Anm. 16), S. 839 ff. 54 Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht, herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hannover 2018.
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plädierte die Evangelische Kirche zwecks Förderung der Dialog- und Pluralitätsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler dafür, die Zusammenarbeit der Religionsunterrichte mit dem Ethik-, Lebenskunde- und Philosophieunterricht, aber auch mit anderen Fächern zu suchen.55 Im Detail zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden zuletzt veröffentlichen kirchenamtlichen Dokumenten. Dies wird schon auf den Titelseiten deutlich. Während die Deutsche Bischofskonferenz unter dem Motto „Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts“ das grundgesetzliche Modell des wesensmäßig konfessionellen Religionsunterrichts deutlich akzentuiert und, wie sich dem Untertitel entnehmen lässt, ausdrücklich Empfehlungen für die Kooperation zweier eigenständiger Religionsunterrichte gibt, erscheint im Titel der Veröffentlichung der Evangelischen Kirche der Religionsunterricht bereits im Singular. Auch wenn die Evangelische Kirche im weiteren Verlauf des Dokuments an der Eigenständigkeit der beiden Religionsunterrichte festhalt, ist die Signalwirkung der im Dokumententitel gewählten Perspektive doch kaum zu übersehen. b) Deutsche Bischofskonferenz 2016 Das katholische Papier von 2016 legt die Fragestellung zugrunde, „welche Formen der Kooperation mit dem evangelischen Religionsunterricht theologisch zu verantworten sind, wie eine Kooperation religionspädagogisch zu gestalten ist und welche rechtlichen Vorgaben dabei zu beachten sind“.56 Hiervon ausgehend wird eine eher vorsichtige Vorgehensweise an den Tag gelegt: Auf eine konkrete Aufzählung und Beschreibung bestimmter Elemente der Konfessionellen Kooperation verzichtet das Dokument, da ein „bundeseinheitliches Modell der Kooperation von katholischem und evangelischem Religionsunterricht“ wegen „der sehr unterschiedlichen Situation des Religionsunterrichts in den verschiedenen Regionen Deutschlands“ als untunlich angesehen wird.57 Vielmehr konzentriert sich das Dokument auf eher abstrakte Umschreibungen der Ziele einer Kooperation zwischen katholischem und evangelischem Religionsunterricht, ihrer Didaktik und der daraus abzuleitenden Anforderungen an die Lehrkräfte. Der Blick auf die Kooperation geschieht unter dem Aspekt eines konfessionellen Religionsunterrichts in konfessionell hetereogenen Lerngruppen, wobei die „Erfahrungen und Einsichten der konfessionellen Minderheit“ – aus katholischer Perspektive dürften die evangelischen Schülerinnen und Schüler gemeint sein sein – sowie die Belange der Schülerinnen und Schüler ohne Religionszugehörigkeit angemessene Berücksichtigung erfahren sollen.58 Hinsichtlich der curricularen Grundlagen wird die konfessionelle Unterscheidung ausdrück55
Siehe Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 18. Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 24, 26. 57 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 25 (vgl. auch S. 6 und 9). 58 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 32. 56
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lich beibehalten; auch bei den nach Landesrecht gegebenenfalls vorgesehenen Schulcurricula59 wird lediglich auf die Möglichkeit der Hilfestellung bei der Entwicklung solcher Dokumente durch die Schulabteilungen der Diözesen und Landeskirchen verwiesen, ohne aber „ökumenische“ Schulcurricula explizit oder implizit einzufordern.60 Eher skeptisch steht das Dokument auch einer unkritischen Übertragung der in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen entwickelten Modelle auf andere Bundesländer gegenüber, wenngleich es die Erfahrungen als „wertvolle Hilfe“ bezeichnet.61 Das Papier geht davon aus, dass sich die Kooperation teilweise auf den eher schmalen Kompromiss des gemeinsamen Kirchenpapiers von 1998 beschränken wird, während anderenorts die „Einrichtung gemischt-konfessioneller Lerngruppen über mehrere Schuljahre“ für möglich gehalten wird. Für manche, nicht näher spezifizierte Regionen und Schulformen wird auch damit gerechnet, dass über eine ganze Schullaufbahn hinweg nur entweder evangelischer oder katholischer Religionsunterricht angeboten werden kann, der dann auch den Schülerinnen und Schülern der jeweils anderen Konfession offenstehen soll.62 c) Evangelische Kirche in Deutschland 2018 Die Reaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland erweckt den Eindruck, angesichts der nach wie vor spürbaren Zurückhaltung der katholischen Seite auf ebenso energische wie konkrete Schritte drängen zu wollen. So werden ausdrücklich „Eckpunkte“ der Konfessionellen Kooperation formuliert, nämlich „gemeinsam arbeitende Fachkonferenzen der evangelischen und katholischen Lehrkräfte einer Schule“, den „Einsatz von Lehrkräften beider Konfessionen im Wechsel in einer Klasse oder Lerngruppe“, die „Erarbeitung eines eigenständigen Schulcurriculums für den konfessionell-kooperativ erteilten Religionsunterricht auf der Basis der Kerncurricula für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht der jeweiligen Schulform“ sowie ein teamorientiertes Arbeiten und Selbstverständnis der Lehrkräfte („verstehen sich als Team und treten als Team auf“), ferner die Zustimmung der gemeinsamen Fachkonferenz sowie der „übrigen schulischen Entscheidungsgremien“ einschließlich der Elternvertretung sowie eine „vorbereitende und begleitende
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So beispielsweise in Hessen, siehe § 4 Abs. 4 des Hessischen Schulgesetzes. Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 32. 61 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 25 f. 62 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 25. Diese Bemerkung lässt sich insbesondere die ostdeutschen Länder oder andere Diasporasituationen beziehen. Siehe zur Lage in Ostdeutschland aus religionspädagogischer Perspektive Frank Lütze/ Monika Scheidler, Ökumenisch sensibler Religionsunterricht im säkularen Kontext. Perspektiven aus den ostdeutschen Bundesländern, in: Konstantin Lindner/Mirjam Schambeck/Henrik Simojoki/Elisabeth Naurath (Hrsg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, Freiburg i. Br. 2017, S. 281 – 296. 60
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Fortbildung“; außerdem sollen die Lehrkräfte „die Zusammenarbeit mit den evangelischen und katholischen Gemeinden und Einrichtungen“ suchen.63 4. Anmerkungen aus staatskirchenrechtlicher Sicht Da sich die konfessionelle Kooperation bislang – soweit zu sehen ist – praktisch auf den evangelischen und den katholischen Religionsunterricht beschränkt, bleiben – grundsätzlich vorstellbare – Kooperationen mit und zwischen anderen Religionsunterrichten im Folgenden außer Betracht. Als wesentlicher Maßstab wird heranzuziehen sein, ob der Rahmen des Verfassungsbegriffs „Religionsunterricht“ eingehalten oder überschritten wird.64 Zudem müssen die aus Art. 7 Abs. 3 GG sowie aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG resultierenden grundrechtlichen Positionen der Beteiligten, insbesondere der Schülerinnen und Schüler gewürdigt werden.65 a) Konstante personelle Zusammensetzung der Lerngruppe Eines der Grundprinzipien konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts besagt, dass die Lerngruppen sowohl aus evangelischen als auch aus katholischen Schülerinnen und Schülern bestehen. Gegebenenfalls gehören ihnen auch andersgläubige sowie solche Schülerinnen und Schüler an, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Aus staatskirchenrechtlicher Sicht – d. h. aus der Perspektive des Art. 7 Abs. 3 GG – wird dies in der Regel kein Problem darstellen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob aus der wesensmäßigen Konfessionalität des Religionsunterrichts auch ein verfassungsrechtliches Homogenitätsgebot hinsichtlich der Schülerschaft abzuleiten sei, als solche offengelassen.66 Allerdings hat das Gericht den kooperierenden Religionsgemeinschaften unter Hinweis auf die in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG verankerten religionsgemeinschaftlichen Mitwirkungsrechte67 63
Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 14 ff. Vgl. Heckel (Anm. 6), S. 261, der zu Recht betont, ein konfessionell-kooperativer Religionsunterricht müsse stets „ein konfessioneller Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 III GG sein“ (a. a. O., S. 288, Hervorhebung im Original). 65 Im Folgenden werden einige aus den einschlägigen kirchlichen Verlautbarungen und Kooperationsvereinbarungen hervorgehende Elemente konfessioneller Kooperation auf ihre Verfassungskonformität hin untersucht. Weitere, gegenwärtig noch nicht konkret ins Auge gefasste Entwicklungsperspektiven werden in Abschnitt E. behandelt. 66 BVerfGE 74, 244, 254. Ausführlich zur Frage, ob sich das Homogenitätsprinzip unmitttelbar aus Art. 7 Abs. 2 und 3 GG herleiten lässt, Link (Anm. 2), S. 493 f. m. N. zu beiden Auffassungen. 67 Das Gericht spricht von dem „in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gewährleistete[n] Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften über Ziel und Inhalt des Unterrichts“, BVerfGE 74, 244, 254. 64
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die Befugnis zuerkannt, über die Zulassung bekenntnisfremder Schülerinnen und Schüler zu befinden. Denn da sich die konfessionelle Zusammensetzung einer Lerngruppe insofern unmittelbar auf die Unterrichtsgestaltung auswirkt, als „die Vermittlung von Glaubenssätzen gegenüber Angehörigen eines fremden Bekenntnisses inhaltlich und didaktisch einen anderen Ablauf der Lehrveranstaltung erfordern kann als bei Konfessionszugehörigen“68, sind die Grundsätze im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG berührt.69 Den Religionsgemeinschaften dürfen keine Angehörigen anderer Konfessionen „gegen ihren Willen aufgedrängt werden“.70 Der Zustimmung derjenigen Religionsgemeinschaften, welchen die bekenntnisfremden Schülerinnen und Schüler angehören, bedarf es nach überwiegender und zutreffender Auffassung hingegen nicht.71 Zwar hält das Bundesverfassungsgericht die „geordnete Teilnahme“ konfessionsfremder Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht nur solange für verfassungsrechtlich unbedenklich, wie „der Unterricht dadurch nicht seine besondere Prägung als konfessionell gebundene“ Veranstaltung verliert“.72 Allerdings erkennt das Gericht den Religionsgemeinschaften einen nicht unerheblichen Regelungsspielraum zu. Denn Art. 7 Abs. 3 GG sei offen dafür, „Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen“ und infolgedessen „unter dem Einfluss neuerer religionspädagogischer Ansätze die Information auch über andere Bekenntnisse als Bestandteil des schulischen Bildungsauftrages“ zu betrachten.73 Daher stehe es den Religionsgemeinschaften frei, „eine diesem Ziel entsprechende beweglichere Form der Darbietung des Religionsunterrichts“ zu befürworten.74 Die weiten Grenzen religionsgemeinschaftlicher Regelungsmacht werden also erst dann überschritten sein, wenn die seitens der Religionsgemeinschaften gestellten Anforderungen nicht die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts betreffen75 oder die – nicht zur Disposition stehende – prinzipielle Konfessionalität des Religionsunterrichts tangiert würde.76 Die Feststellung, dass etwa „durch personelle Überfremdung auf Schülerseite die Bekenntnisbindung nicht mehr gewahrt“77 sein sollte, wird sich allerdings mangels hinreichend klarer Kriterien in der Praxis schwerlich treffen lassen.
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BVerfGE 74, 244, 254. Vgl. Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 3 Rn. 127: „ihren Grundsätzen gemäß“. 70 BVerfGE 74, 244, 254. 71 Brosius-Gersdorf (Anm. 2), Art. 7 Rn. 99 m. w. N. (auch zur Gegenauffassung); Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 3 Rn. 127; offengelassen in BVerfGE 74, 244, 255. 72 BVerfGE 74, 244, 254. 73 BVerfGE 74, 244, 254. 74 BVerfGE 74, 244, 254 f. m. w. N. 75 Es handelt sich dann nicht um „Grundsätze“ im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG; BVerfGE 74, 244, 255. 76 BVerfGE 74, 244, 255 f. 77 So Link (Anm. 2), S. 495. 69
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Art. 7 Abs. 3 GG lässt also – auch wenn es sowohl aufgrund der religionsgemeinschaftlichen Befugnisse als auch wegen des allgemeinen schulrechtlichen Ressourcenvorbehalts78 kein subjektives Recht von Schülerinnen und Schülern oder deren Elteren auf Teilnahme an einem fremdkonfessionellen Religionsunterricht geben kann79 – konfessionell gemischte Lerngruppen grundsätzlich zu. Die Möglichkeit der Unterrichtsteilnahme bekenntnisfremder Schülerinnen und Schüler ist aber nur eine Seite der Medaille. Sie ist zu unterscheiden von der Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht. Aus dessen Pflichtfachcharakter folgt, dass zur Teilnahme nur – aber immerhin – diejenigen Schülerinnen und Schüler verpflichtet sind, welche der Religionsgemeinschaft angehören, deren Bekenntnis der betreffende Religionsunterricht folgt.80 In einer konfessionell heterogenen Lerngruppe, wie sie für die konfessionelle Kooperation charakteristisch ist, trifft die Teilnahmeverpflichtung nur diejenigen Schülerinnen und Schüler, die das Bekenntnis der unterrichtenden Lehrkraft teilen, denn hiervon hängt die konfessionelle Prägung des konkret erteilten Religionsunterrichts ab. Hingegen sind Schülerinnen und Schüler mit einem abweichenden Bekenntnis oder ohne Religionszugehörigkeit zur Teilnahme nicht verpflichtet, sondern lediglich berechtigt und auch dies nur unter den oben geschilderten Bedingungen. Diese Gegebenheiten staatlicherseits zu respektieren, gebieten sowohl Art. 7 Abs. 3 GG – Pflichtfachcharakter und Konfessionalität des Religionsunterrichts – als auch die in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verankerte negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der jeweils bekenntnisfremden Schülerinnen und Schüler sowie das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.81 78
Siehe beispielsweise § 69 Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Schulgesetzes. Wie hier im Ergebnis BVerfGE 74, 244, 255 f., sowie Link (Anm. 2), S. 495 m. w. N., und Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 3 Rn. 125. 80 Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 3 Rn. 136. Das Bundesverwaltungsgericht hat es in seiner Entscheidung zum Anspruch (islamischer) Dachverbände auf Einrichtung eines Religionsunterrichts ausreichen lassen wollen, dass nicht die Schülerin oder der Schüler, sondern ein Elternteil förmliches Mitglied (im vereinsrechtlichen Sinne) der Religionsgemeinschaft oder des örtlichen Moscheevereins ist. Außerdem sollen Moscheegemeinden auch ein ihrem Selbstverständnis entsprechendes, von der förmlichen Vereinsmitgliedschaft unabhängiges Kriterium für die Zugehörigkeit zu ihnen vorsehen dürfen (BVerwGE 123, 49, 71 f.). Inwieweit dies mit dem Pflichtfachcharakter des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar ist, erscheint fraglich, kann hier aber nicht näher untersucht werden. Problematisch wäre es jedenfalls, wenn das alternative Zugehörigkeitskriterium allein dazu diente, die Teilnahme am Religionsunterricht zu bewirken, da es sich dann um eine verkappte Anmeldung zum Religionsunterricht handelte, die gerade nicht dem Pflichtfachcharakter des Art. 7 Abs. 3 GG entspricht (a. A. wohl Ulf Häußler, Religiosität in Pluralität, NVwZ 2005, 1396 – 1397, hier 1397). 81 Vgl. hierzu Mückl (Anm. 6), S. 237 f. (mit Anmerkungen zur Praxis in Niedersachsen), sowie Heckel (Anm. 6), S. 291, demzufolge der Staat „als Veranstalter des Religionsunterrichts […] die Bürger darüber informieren [muss], dass ihre Kinder im konfessionell-kooperativen Religionsunterricht dem Einfluss eines fremden Bekenntnisses unterliegen, mit dem sie im traditionellen Religionsunterricht nicht unmittelbar konfrontiert sind“, da er „die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht des Eltern in seinen staatlichen Institutionen peinlich zu respektieren hat“. Die pragmatische Lösung, die jeweils betroffenen Schülerinnen und 79
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Zu bedenken ist ferner, dass denjenigen Schülerinnen und Schülern, die mit ihrer Zustimmung an einem für sie bekenntnisfremden Religionsunterricht teilnehmen, für diesen Zeitraum typischerweise der Besuch eines ihrem eigenen Bekenntnis folgenden Religionsunterrichts versagt wird. Ihnen bleibt also nur die Wahl zwischen dem zwar in ökumenischem Geist erteilten, rechtlich allerdings dezidiert anderskonfessionellen Religionsunterricht und dem Ersatzfach, soweit ein solches nach dem einschlägigen Landesrecht eingerichtet ist.82 Dies berührt den aus Art. 7 Abs. 3 GG abzuleitenden grundrechtlichen Anspruch dieser Schülerinnen und Schüler auf Religionsunterricht der eigenen Konfession im Rahmen der verfügbaren Ressourcen.83 Zwar ist dieser Anspruch nach allgemeinen Regeln durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkbar; auch können die Schülerinnen und Schüler freiwillig darauf verzichten, ihn geltend zu machen, indem sie von der eingeräumten Möglichkeit der Teilnahme an einem bekenntnisfremden Religionsunterricht Gebrauch machen. Im Konfliktfall dürfte die verfassungsrechtliche Rechtfertigung Schüler auf die Möglichkeit der Abmeldung zu verweisen, überzeugt nicht. Zwar müssten die betreffenden Schülerinnen und Schüler, meldeten sie sich ab, im Ergebnis nicht an dem für sie bekenntnisfremden Religionsunterricht teilnehmen. Indes setzt – dies folgt aus dem Charakter des Religionsunterrichts als „Pflichtfach mit Abmeldemöglichkeit“, Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 2 Rn. 110 m. w. N. – die Abmeldung vom Religionsunterricht denknotwendig voraus, dass zuvor eine Teilnahmeverpflichtung bestanden hat, ansonsten liefe die Abmeldung ins Leere. Vor diesem Hintergrund ist für die Teilnahme an einem bekenntnisfremden Religionsunterricht eine entsprechende Erklärung der Schülerinnen und Schüler oder – bei fehlender Religionsmündigkeit – der Eltern unabdingbar die bloße Information der Schülerinnen und Schüler oder ihrer Eltern genügt vor dem Hintergrund der betroffenen Grundrechtspositionen nicht, wie auch Mückl (Anm. 6, S. 254) zu Recht anmerkt. 82 In Hessen ist dies das Fach Ethik, siehe § 8 Abs. 4 des Hessischen Schulgesetzes. Soweit ein Ersatzfach nicht eingerichtet oder nicht erteilt ist, bleibt diesen Schülerinnen und Schülern nur der Verzicht auf jegliche Teilnahme an schulischem Religionsunterricht. 83 Für einen solchen grundrechtlichen Anspruch sowie allgemein für einen subjektivrechtlichen Gehalt des Art. 7 Abs. 3 GG zugunsten nicht nur der Religionsgemeinschaften, sondern auch der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern ausdrücklich Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 3 Rn. 123 ff. m. w. N. (auch zu abweichenden Auffassungen), insbesondere Rn. 125. Gegen einen subjektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 7 Abs. 3 GG in jüngerer Zeit Korioth (Anm. 3), S. 26 ff. m. w. N. (ebenfalls auch zu abweichenden Auffassungen). In der vorliegenden Konstellation geht es nicht darum, einen (nicht eingerichteten) konfessionellen Religionsunterricht gegen den Willen der Religionsgemeinschaft durchzusetzen, ohne deren Bereitschaft zur Kooperation der Unterricht schlechterdings nicht erteilt werden kann; in einer solchen Konstellation stößt der grundrechtliche Anspruch der Schülerinnen, Schüler und Eltern in der Tat an Grenzen. Vielmehr geht es um die tatsächliche Erteilung allgemein eingerichteter Religionsunterrichte, an deren prinzipieller Eigenständigkeit ja unter den hier untersuchten Bedingungen konfessioneller Kooperation ausdrücklich festgehalten werden soll. Dies zeigt entgegen den Zweifeln Korioths (a. a. O., S. 28), dass „ein selbständiges Religionsunterrichts-Grundrecht der Eltern und Schüler neben dem der Religionsgemeinschaften“ durchaus Sinn haben kann. Als Grundrechtsverpflichteter auf staatlicher Seite wird das Land als Unternehmer des Religionsunterrichts anzusehen sein, nicht hingegen der (in der Regel kommunale) Schulträger. Die Formulierung bei Link (Anm. 2), S. 497, ist insoweit missverständlich. Mit dem grundrechtlichen Anspruch korrespondiert der einfachgesetzliche, ebenfalls unter Ressourcenvorbehalt stehende schulrechtliche Anspruch auf Unterricht nach Maßgabe der Stundentafeln. Siehe hierzu bereits oben bei Anm. 78.
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des Grundrechtseingriffs indes schwerfallen, wenn die verfügbaren personellen Ressourcen auch so eingesetzt werden können, dass alle Schülerinnen und Schüler Religionsunterricht ihres jeweiligen Bekenntnisses erhalten.84 Hierbei kann auch die verschiedentlich verwendete Formulierung, konfessionellkooperativ erteilter Religionsunterricht sei eine „Regelform“ des konfessionellen Religionsunterrichts85, nur eingeschränkt weiterhelfen. Denn sie kann die fortbestehende Eigenständigkeit des evangelischen und des katholischen Religionsunterrichts – bislang eine fundamentale Prämisse sämtlicher Konzepte konfessioneller Kooperation – nicht überbrücken. Aufgrund des Konfessionalitätsprinzips kann der in konfessioneller Kooperation erteilte evangelische Religionsunterricht nur eine Form des evangelischen, der in konfessioneller Kooperation erteilte katholische Religionsunterricht nur eine Form des katholischen Religionsunterrichts sein. Das eingangs erwähnte Konzept, eine sowohl aus evangelischen als auch aus katholischen sowie ggf. weiteren Schülerinnen und Schülern bestehende Lerngruppe abwechselnd von evangelischen und katholischen Lehrkräften unterrichten zu lassen, mag daher zwar einen pädagogisch wertvollen Unterricht ermöglichen. Die konstante personelle Zusammensetzung einer Lerngruppe beruht aber auf der freiwilligen Teilnahme (auch) der jeweils bekenntnisfremden Schülerinnen und Schüler.86 84 Etwas anderes mag gelten, wenn die personellen Ressourcen zwar zu einem bestimmten Zeitpunkt hierfür ausreichen, über einen absehbaren Zeitraum hinweg aber vernünftigerweise nicht mit ausreichenden Personalkapazitäten gerechnet werden kann. In einer solchen Konstellation wird der Schule die Befugnis einzuräumen sein, eine längerfristige Personalplanung unter Beachtung pädagogischer Erfordernisse vorzunehmen und sich in diesem Rahmen auf ein Konzept konfessioneller Kooperation im Religionsunterricht zu stützen. Die jüngeren kirchenamtlichen Verlautbarungen haben freilich eine prinzipielle Entkoppelung von konfessioneller Kooperation und personellen Ressourcen im Blick. Vgl. hierzu Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 23, sowie Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 14; ebenso Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43), S. 4. Auch den Verwaltungsvorschriften und Kooperationsvereinbarungen in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (siehe die Nachweise in Anm. 35, 36 und 39) lässt sich kein Junktim zwischen konfessioneller Kooperation und Lehrerversorgung entnehmen, anders noch in der lippischen Kooperationsvereinbarung (Anm. 38, dort S. 1 im Abschnitt „Allgemeines“). 85 Siehe etwa Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 14, sowie Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43), S. 5. Ähnlich der nordrhein-westfälische Runderlass „Religionsunterricht an Schulen“ (Anm. 39), Nr. 6.1 („Organisationsform“). 86 Vgl. zuletzt Mückl (Anm. 6), S. 231: Dem Staat „fehlt das Mandat, einem Schüler die Teilnahme am konfessionsfremden Religionsunterricht anzusinnen“. Für die der jeweiligen Konfession zugehörigen Schülerinnen und Schüler ergibt sich die Freiwilligkeit materiell aus der Möglichkeit der Abmeldung. Vgl. zum Prinzip der Freiwilligkeit allgemein Heckel (Anm. 6), S. 280. In Sachsen ist die Zustimmung der Schülerinnen und Schüler oder – bei fehlender Religionsmündigkeit – der Eltern ausdrücklich vorgesehen, vgl. Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen (Anm. 43), S. 6. Inwieweit sich dies im Schulalltag angesichts einer wohl unvermeidlichen personellen Fluktuation in Lerngruppen umsetzen lässt, bleibt abzuwarten; der Grundsatz, dass niemand zur Teilnahme an einem
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Erzwingen lässt sich diese personelle Konstanz nicht.87 Im Übrigen muss der prinzipielle grundrechtliche Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf Religionsunterricht des eigenen Bekenntnisses beachtet werden; dieser Anspruch kann nicht durch die Gelegenheit zur Teilnahme an einem bekenntnisfremden Religionsunterricht erfüllt werden. b) Verpflichtender Lehrerwechsel Der zumindest aus evangelischer Perspektive88 charakteristische und auch in regionalen Kooperationsvereinbarungen vorgesehene verpflichtende Lehrerwechsel – eine Lerngruppe soll abwechselnd von einer evangelischen und einer katholischen Lehrkraft unterrichtet werden – ist auch unabhängig von der fehlenden Durchsetzbarkeit personell konstanter Lerngruppen nicht ohne verfassungsrechtliche Brisanz. So stellt sich die Frage, ob der Unterricht in der Gesamtbetrachtung noch als konfessioneller Religionsunterricht wahrnehmbar ist. Das hängt nicht zuletzt mit der Frequenz des Lehrerwechsels zusammen. Erfolgt der Lehrerwechsel (nur) zum Beginn eines Schul- oder Schulhalbjahres, so wird man den Schülerinnen und Schülern sowie ggf. ihren Eltern noch ohne größere Schwierigkeiten vermitteln können, dass in einem bestimmten Zeitraum evangelischer oder katholischer Religionsunterricht erteilt wird. In diesen Fällen wird es auch keine Schwierigkeiten bereiten, den besuchten Unterricht einschließlich seiner konfessionellen Prägung – soweit dies nach den einschlägigen schulrechtlichen Bestimmungen vorgesehen ist89 – auf den Zeugnissen korrekt auszuweisen.
bekenntnisfremden Religionsunterricht verpflichtet werden darf, gilt individuell für jede Schülerin und jeden Schüler. 87 Die Aussage in den kirchenamtlichen Verlautbarungen, wonach die Schülerinnen und Schüler, welche nicht der Konfession der Lehrkraft angehören, „mit allen Rechten und Pflichten am Religionsunterricht teilnehmen“, wird folglich dahingehend zu interpretieren sein, dass dies dann gilt, wenn sich die fraglichen Schülerinnen und Schüler freiwillig für die Teilnahme an dem jeweils bekenntnisfremden Unterricht entscheiden. Vgl. hierzu Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 37, sowie Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 16. Die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen stehen nicht zur Disposition des Landesgesetzgebers, so dass der Spielraum für eine Revision schulrechtlicher Bestimmungen über Modalitäten der Teilnahme am Religionsunterricht von vornherein begrenzt ist. Mückl (Anm. 6), S. 241 f., legt zu Recht dar, dass sich diese Problematik auch nicht umgehen lässt, indem man die Konfessionalität des Religionsunterricht nach der Bekenntniszugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler bemisst, so dass ein- und derselbe Unterricht für unterschiedliche Teile der Lerngruppen gleichzeitig evangelischer und katholischer Religionsunterricht wäre. 88 Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 15. 89 Siehe etwa für Niedersachsen die Regelungen für den Religionsunterricht und den Unterricht Werte und Normen (Anm. 35), Nr. 4.5.2 Satz 1. Hingegen ist beispielsweise in Hessen die Angabe der konfessionellen Prägung des besuchten Religionsunterrichts nur auf den Zeugnissen vorgesehen, die nach der hessischen Oberstufen- und Abiturverordnung erteilt werden.
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Nicht ganz so einfach stellt sich die Situation dar, wenn Lehrkraft und konfessionelle Prägung mit höherer Frequenz wechseln. Zwar ist es bei rein formaler Betrachtung möglich, jeden noch so kurzen Unterrichtsabschnitt allein aufgrund des Umstands, dass er von einer mit staatlicher Unterrichtsbefähigung (Fakultas) und kirchlicher Bevollmächtigung (Vocatio, Missio canonica) ausgestatteten Lehrkraft verantwortet wird, jeweils als konfessionellen Religionsunterricht zu begreifen. Freilich wird dieses zentrale Wesensmerkmal des Religionsunterrichts90 so auf ein rein formales Konstrukt reduziert; der Religionsunterricht ist – bildlich gesprochen – nur noch mit der Lupe zu erkennen. Denn wenn man den Religionsunterricht in seiner Gesamtheit, d. h. einschließlich der abwechselnden konfessionellen Ausrichtung in den Blick nimmt, so erscheint er als ein Unterricht, für den nicht die Konfessionalität im Sinne der Bindung an die Grundsätze einer kooperierenden Religionsgemeinschaft91, sondern der Wechsel der konfessionellen Prägung das maßgebliche Strukturprinzip darstellt. Ob dies mit Blick auf die Leitlinien, die das Bundesverfassungsgericht 1987 formuliert hat, noch mit Art. 7 Abs. 3 GG zu vereinbaren ist, erscheint zweifelhaft. Zumindest besteht die Gefahr, dass ein solcher Unterricht in der Praxis – entgegen den rechtlichen Gegebenheiten sowie der erklärten Absicht der kooperierenden Kirchen – nicht als die Vermittlung von Glaubenswahrheiten nach Maßgabe des jeweiligen Bekenntnisses, mithin als konfessioneller Religionsunterricht, sondern als ein konfessionsübergreifender Unterricht wahrgenommenen würde, dessen Gegenstand die mehr oder minder äquidistante Darstellung von Glaubenslehren92, der Sache nach also eine vergleichende Konfessionskunde wäre.93 Ein solches Missverständnis wäre wiederum geeignet, das Verständnis des Religionsunterrichts als eines wesensmäßig konfessionellen Unterrichts zu untergraben und sich auf die schulische und gesellschaftliche Akzeptanz des Religionsunterrichts insgesamt perspektivisch gesehen nachteilig auszuwirken.94 Ob das Bundesverfassungsgericht 1987 mit seiner Absage an Unterrichtskonzepte, denen ein äquidistanter Blick auf Religion ohne Wahrheitsanspruch zugrunde liegt, mittelbar eine „Kooperation in der Abfolge zwischen evangelischem und ka90
BVerfGE 74, 244, 252 f. Siehe hierzu bereits oben Abschnitt B. Möglich ist auch die Bindung an die zumindest teilweise übereinstimmenden Grundsätze mehrerer Religionsgemeinschaften, die sich aufgrund der Verwandtschaft ihrer jeweiligen Bekenntisse darauf verständigt haben, einen gemeinsamen Religionsunterricht mitzuverantworten. Ausführlich hierzu sogleich in Abschnitt E. 2. 92 Vgl. Wißmann (Anm. 21), S. 75. 93 Heckel (Anm. 6), S. 290, betont zu Recht, dass konfessionell-kooperativer Unterricht „gerade kein bikonfessioneller Untericht beider Religionsgemeinschaften ,zur gesamten Hand‘ ist.“ Kritisch gegenüber der Einrichtung eines konfessionsübergreifenden Unterrichtsfachs im Sinne einer vergleichenden Religionskunde mit Recht wohl auch Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 106, unter Hinweis auf Dietmar Konrad, Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts im Verständnis der evangelischen und katholischen Kirche (= Jus Ecclesiasticum, Band 93), Tübingen 2010, S. 454. 94 Vgl. zur Gefahr von Missverständnissen bei Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern auch Heckel (Anm. 6), S. 289. 91
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tholischem Religionsunterricht […] jenseits konfessioneller Positivität und Gebundenheit […]“ gebilligt hat95, ist ebenfalls zu bezweifeln. Denn die seinerzeit maßgebliche, auf eine Übereinkunft evangelischer Landeskirchen und katholischer Diözesen in zurückgehende rheinland-pfälzische Verwaltungsvorschrift96 betraf kein Kooperationsmodell, bei dem die Alternation in der konfessionellen Prägung zum Strukturmerkmal des Religionsunterrichts erklärt worden wäre, sondern vielmehr die staatliche Sanktionierung einer individualisierenden Zulassungsbeschränkung in Gestalt der begrenzten Gewährung und Gestattung wechselseitiger ökumenischer Gastfreundschaft im Religionsunterricht, und zwar in Abhängigkeit davon, wie lange die einzelne Schülerin oder der einzelne Schüler bereits am Religionsunterricht des jeweils anderen Bekenntnisses teilgenommen hatte.97 Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts beruht erkennbar auf der Annahme, dass es sich um zwei getrennte (mono)konfessionelle Religionsunterrichte handelt und Schülerinnen und Schüler grundsätzlich den Religionsunterricht zu besuchen haben, der ihrem Bekenntnis entspricht. Von einer institutionellen Verschränkung zweier Religionsunterrichte im Sinne moderner Vorstellungen von konfessioneller Kooperation kann mit Blick auf 1977 noch nicht die Rede sein. c) „Ökumenische“ Schulcurricula Die Frage, ob konfessionsübergreifende Schulcurricula98 mit Art. 7 Abs. 3 GG vereinbar sind, lässt sich ebenfalls nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Es kommt vielmehr auf Struktur und Inhalt deartiger Dokumente sowie insbesondere darauf an, ob die prinzipielle Konfessonalität des Unterrichts auch auf der Ebene der einzelnen Schule gewahrt bleibt.99 Aufgrund des Übereinstimmungsgebots (Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG) muss die curriculare Grundlage eines jeden Religionsunterrichts den Grundsätzen derjenigen Religionsgemeinschaft entsprechen, deren Bekenntnis der in Rede stehende Unterricht folgt. Ist der Religionsunterricht in diesem Sinne 95
So Wißmann (Anm. 21), S. 74. Religionslehre/Ethikunterricht in der refomierten Oberstufe (Mainzer Studienstufe). Rundschreiben des Kultusministeriums vom 20. Februar 1977 – 944 C –: 51 346/64 –, Amtsblatt des Kultusministeriums von Rheinland-Pfalz S. 66 f. 97 Vgl. BVerfGE 74, 244, 255. Der seinerzeit entschiedene Fall betraf den individuellen Wunsch einer (katholischen) Schülerin, ihre Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht nicht nur in der 11., sondern auch in der 12. und 13. Jahrgangsstufe gewissermaßen in atypischer Weise – nämlich durch Besuch des evangelischen Religionsunterrichts – zu erfüllen. Diesem Wunsch standen die Bestimmungen des einschlägigen Rundschreibens (Anm. 96) entgegen, wonach – entsprechend den Vorstellungen der kooperierenden Kirchen – mindestens drei der fünf zu besuchenden Halbjahreskurse im Religionsunterricht der eigenen Konfession zu belegen waren. 98 Vgl. etwa Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 16. 99 Vgl. Heckel (Anm. 6), S. 289, der zu Recht darauf hinweist, ein konfessionell-kooperativer Religionsunterricht müsse in allen Teilen „von jeder der beteiligten Religionsgemeinschaften jeweils selbständig im Sinne ihrer Bekenntnisbestimmtheit gestaltet und verantwortet werden, damit er als ihr echter Religionsunterricht gelten kann“ (Hervorhebung im Original). 96
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monokonfessionell, muss also auch die curriculare Grundlage monokonfessionell sein, mögen auch die Grundsätze der betreffenden Religionsgemeinschaft – aus ihrer konfessionellen Perspektive heraus, d. h. ohne den eigenen Wahrheitsanspruch zu negieren – eine gewisse Offenheit für andere Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen mit sich bringen. Diese prinzipielle Monokonfessionalität, welche für die landesweit verbindlichen Kerncurricula oder Lehrpläne selbstverständlich erscheint, darf auf der Ebene der einzelnen Schule nicht unterlaufen werden. Auch ein Schulcurriculum, das konfessionell-kooperativen Unterrichtsformen Rechnung tragen will, hat also die Unterscheidung der beiden Religionsunterrichte zu wahren; es muss stets erkennbar sein, welche Ausführungen sich auf den evangelischen und welche sich auf den katholischen Religionsunterricht beziehen. Im Zweifel wird an getrennten Schulcurricula für evangelischen und katholischen Religionsunterricht festzuhalten sein.100 d) Sonstige Merkmale der konfessonellen Kooperation Die übrigen Merkmale konfessioneller Kooperation, die im Papier der Evangelischen Kirchen in Deutschland aus dem Jahr 2018 als „Eckpunkte“ erwähnt werden, sind aus rechtlicher Sicht insofern unproblematisch, als sie – recht verstanden und praktiziert – die Konfessionalität des Religionsunterrichts nicht berühren. Dies gilt etwa für das teamorientierte Arbeiten und Selbstverständnis der Lehrkräfte: Auch Religionslehrerinnen und -lehrer verschiedener Konfessionen dürfen im Hinblick auf die bestehenden Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Religionsunterrichte sich als Team verstehen, teamorientiert handeln und auftreten sowie – unter Beachtung der jeweiligen konfessionellen Spezifika – auch eine gemeinsame Fachkonferenz bilden. Bei aller Akzentuierung verbindender Elemente werden sie freilich ihre „konfessionelle Identität“ als evangelische oder katholische Religionslehrkräfte weder innerhalb noch außerhalb des Unterrichts – beispielsweise in schulischen Entscheidungsgremien einschließlich der Elternvertretungen – verleugnen dürfen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil ihre Bekenntniszugehörigkeit für die konfessionelle Prägung des erteilten Unterrichts einschließlich des damit verbundenen Wahrheitsanspruchs entscheidend ist.
100 So im Ergebnis wohl auch (aus katholischer Perspektive) Winfried Verburg, Zwei Fächer – zwei Curricula – ein Lehrbuch? Praxisorientierte Voraussetzungen für konfessionellkooperativen Religionsunterricht, in: in: Konstantin Lindner/Mirjam Schambeck/Henrik Simojoki/Elisabeth Naurath (Hrsg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, Freiburg im Breisgau 2017, S. 383 – 395, hier S. 386 ff. Siehe zur Konfessionalität der curricularen Grundlagen im konfessionell-kooperativ erteilten Unterricht auch Heckel (Anm. 6), S. 290 f.
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Die Zusammenarbeit von Lehrkräften beider Konfessionen sowohl mit evangelischen als auch katholischen Gemeinden und Einrichtungen101 dürfte im Regelfall von vornherein nicht geeignet sein, die Konfessionalität des Religionsunterrichts in Frage zu stellen. Sie betrifft eher den generellen Auftrag der Schule, sich ihrem Umfeld gegenüber zu öffnen,102 und ist als solche nicht zuletzt im Interesse der Schülerinnen und Schüler zu begrüßen. e) Fazit Im Ergebnis ist festzuhalten: Eine pauschale juristische Bewertung jedweder konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht ist weder möglich noch sachgerecht; dafür sind die vorstellbaren Konstellationen zu zahlreich und zu unterschiedlich. Die verfassungsrechtlich vorgegebene prinzipielle Freiwilligkeit103 der Teilnahme an einem bekenntnisfremden Religionsunterricht sowie den grundrechtlichen Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf Religionsunterricht ihres Bekenntnisses gilt es jedoch im Blick zu behalten. Letztendlich kommt es stets auf die konkreten Modalitäten an. Ob alle maßgeblichen Fragen nicht nur in theologischer und religionspädagogischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht104 bedacht und gelöst sind, muss jeweils im Einzelfall geklärt werden.
V. Weitere Entwicklungsperspektiven 1. Mögliche verfassungs- und integrationspolitische Konsequenzen Jenseits aller Überlegungen zu den rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen konfessioneller Kooperation im Religionsuntericht stellt sich die Frage nach den verfassungs- und integrationspolitischen Konsequenzen. Wird einerseits an der prinzipiellen Eigenständigkeit der beiden Religionsunterrichte festgehalten, andererseits aber die konfessionelle Prägung im schulischen Alltag so weitgehend auf formale Ele101 Vgl. etwa Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 16. Dass etwa „[g]egenseitige Unterrichtsbesuche, Einladung von Amtsträgern und sonstigen Vertretern des anderen Bekenntnisses oder gemeinsame Unterrichtsprojekte […] die Konfessionalität des Religionsunterrichts“ nicht berühren, betont zu Recht Mückl (Anm. 6), S. 233 f. 102 Die Öffnung der Schule gegenüber ihrem Umfeld betrifft gewiss nicht nur den Religionsunterricht, muss diesen aber nicht etwa aussparen. Vgl. etwa § 16 Abs. 1 und 2 des Hessischen Schulgesetzes. 103 Allgemein und pointiert zur Freiwilligkeit als Konkretisierung der Religionsfreiheit in Art. 7 Abs. 3 GG Heckel (Anm. 6), S. 249. 104 Zu weiteren schulrechtlichen Fragen wie beispielsweise Benotung und Ausweisung des Religionsunterrichts in Zeugnissen siehe die skizzenhaften Andeutungen bei Heckel (Anm. 6), S. 291 f.
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mente reduziert, dass sich die Konfessionalität des Religionsunterricht gewissermaßen nur noch Kennern der Materie erschließt, so ist damit zu rechnen, dass sich die Praxis des in konfessioneller Kooperation erteilten Religionsunterrichts nach und nach aus dem rechtlichen Kontext löst und schließlich verselbständigt. Wird aber der Religionsunterricht faktisch selbst dann nicht mehr als konfessioneller Religionsunterricht im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GG verstanden, wenn er es formal noch ist, dürfte sich die eingangs beschriebene Akzeptanz- und Legitimationskrise des Religionsunterrichts weiter zuspitzen. Der Druck auf den verfassungsändernden Gesetzgeber, Art. 7 Abs. 3 GG den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen und letztendlich eine Überwindung des vermeintlich nicht mehr zeitgemäßen konfessionellen Religionsunterrichts zu ermöglichen, wird zunehmen. Nicht nur für den evangelischen und katholischen Religionsunterricht wäre dies eine ausgesprochen ungünstige Entwicklung, sondern auch für die Religionsunterrichte anderer Bekenntnisse, die in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Zahl eingerichtet sind.105 In staatskirchenrechtspolitischer sowie integrationspolitischer Hinsicht wäre dies auch deswegen zu bedauern, weil sich an der konfessionellen Vielfalt der Religionsunterrichte die Elastizität und Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts insofern erwiesen hat, als die Einrichtung von Religionsunterrichten, die nicht-christlichen Bekenntnissen folgen, den Religionsunterricht weitgehend von dem Vorwurf entlastet hat, ein faktisches Privileg der beiden großen christlichen Kirchen zu sein.106 Auch für die in nicht wenigen Ländern seit geraumer Zeit unternommenen Bemühungen, in Übereinstimmung mit Art. 7 Abs. 3 GG auch Religionsunterrichte in Kooperation mit islamischen Religionsgemeinschaften einzurichten, würde eine Abschaffung des Art. 7 Abs. 3 GG einen herben Rückschlag bedeuten. 2. Möglichkeiten eines gemeinsam mitverantworteten Religionsunterrichts Die Abschaffung von Art. 7 Abs. 3 GG und damit das Ende des konfessionellen Religionsunterricht erscheint aber keineswegs vorgezeichnet. Ein möglicher Ausweg aus der Krise könnte sich aus den „Grundsätzen“ ergeben, von denen in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG die Rede ist. a) Voraussetzungen einer gemeinsamen Mitverantwortung Diese Grundsätze hängen zwar, wie das Bundesverfassungsgericht 1987 betont hat,107 mit den Glaubenssätzen einer Religionsgemeinschaft zusammen, sind aber nicht gleichzusetzen mit der Gesamtheit der dogmatischen Lehrsätze. Vielmehr 105
Siehe bereits oben bei Anm. 5. Vgl. hierzu auch Meckel (Anm. 16), S. 847. 107 BVerfGE 74, 244, 252. 106
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meint Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG diejenigen Grundsätze, die eine Religionsgemeinschaft aus der Gesamtheit ihrer Glaubenssätze im Hinblick auf den Religionsunterricht ableitet, d. h. ihre bekenntnisgeprägten Vorstellungen von konfessionellem Religionsunterricht.108 Daher setzt ein von mehreren Religionsgemeinschaften gemeinsam mitverantworteter Religionsunterricht aus staatskirchenrechtlicher Sicht weder eine vollständige Homogenität oder gar Identität der jeweiligen Bekenntnisse voraus noch eine „Kircheneinheit“ oder „Kirchengemeinschaft“ im theologischen oder juristischen Sinne.109 Es genügt, wenn die fraglichen Religionsgemeinschaften zu der Einschätzung gelangen, ihre jeweiligen Bekenntnisse seien derart verwandt, dass die hieraus jeweils abgeleiteten Grundsätze für den Religionsunterricht übereinstimmen und ein gemeinsamer Religionsunterricht möglich erscheint. Dabei handelt es sich, auch wenn es um die Anwendung verfassungsrechtlicher Begrifflichkeiten geht, um eine nach theologischen Maßstäben zu beantwortende Frage. Eine solche Entscheidung für einen gemeinsam mitverantworteten Religionsunterricht, die also eine hinreichende Homogenität der Bekenntnisse110, kongruente 108 Zur Differenzierung zwischen Glaubenslehre und Grundsätzen im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG vgl. auch Rees, Der Religionsunterricht (Anm. 1), S. 1027, sowie Korioth (Anm. 3), S. 17. 109 Vgl. auch Korioth (Anm. 3), S. 18. Enger hingegen Heckel (Anm. 6), S. 280 m. w. N., demzufolge ein gemeinsamer Religionsunterricht erst in Betracht kommen soll, „[w]enn sich zwei Religionsgemeinschaften auf gemeinsamer Bekenntnisgrundlage verschmolzen oder doch so weit angenähert haben, dass sie die Differenz ihrer Bekenntnisse nicht mehr als ,trennend‘ verstehen“ (Hervorhebung im Original). Konsequenterweise steht Heckel einer Unterscheidung zwischen „allgemeinen religiösen Grundsätze[n] der Religionsgemeinschaften, wie sie die Kirchen auch sonst als Glaubensbotschaft und Richtmaß der christlichen Existenz vertreten“ und besondere[n], von Religionspädagogen und Schulmännern“ erfundenen Religionsunterrichts-Grundsätze[n]“ ablehnend gegenüber (a. a. O., S. 284 m. w. N., Hervorhebungen im Original). Abseits der – weder hier noch unten (Abschnitt 3.) – zu beantwortenden – Frage einer weiteren ökumenischen Annäherung zwischen evangelischer und katholischer Kirche erscheint es aber – auf der Grundlage der hier vertretenen begrifflichen Unterscheidung von „Bekenntnis“ und „Grundsätzen“ – zumindest theoretisch denkbar, dass sich zwei Religionsgemeinschaften vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Bekenntnisse auf übereinstimmende Grundsätze für einen gemeinsam mitverantworteten Religionsunterricht verständigen, ohne dass der Verwandtschaftsgrad dieser beiden Bekenntnisse den Grad erreicht hätte, der etwa die von Heckel als Beispiel angeführte „Leuenberger Konkordie“ vom 16. März 1973 ermöglicht hätte. Dies alles ist letztendlich auch eine Frage des Bekenntnisbegriffs, der freilich an dieser Stelle schon aus Raumgründen leider nicht nachgegangen werden kann. 110 Vgl. BVerwGE 123, 49, 75. Ähnlich Ulf Häußler, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die Einrichtung islamischen Religionsunterrichts, in: ZAR 2000, S. 255 – 264, hier S. 261, der von „Bekenntnisidentität“ spricht, darunter aber – wie der Hinweis auf die Praxis innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt – keine vollständige Identität sämtlicher Glaubenssätze, sondern eher eine Übereinstimmung hinsichtlich jener Lehrsätze versteht, welche die Quintessenz, den Kern, das Wesen einer religiösen Lehre ausmachen. Im praktischen Ergebnis dürfte es den beteiligten Religionsgemeinschaften bei einem derart engen „Verwandtschaftsgrad“ der Bekenntnisse regelmäßig nicht schwerfallen, sich auf kongruente Grundsätze für einen gemeinsam mitverantworteten Religionsunterricht
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Grundsätze hinsichtlich des Religionsunterrichts und einen Willen zur gemeinsamen Kooperation erfordert, ist für den Staat grundsätzlich verbindlich.111 Denn sie ist Ausfluss der positiven Religionsfreiheit der beteiligten Religionsgemeinschaften; die für den Religionsunterricht charakteristische und verfassungsrechtlich vorgegebene Arbeitsteilung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften wird hierdurch nicht beeinträchtigt.112 b) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen eines von mehreren Religionsgemeinschaften gemeinsam mitverantworteten Religionsunterrichts ergeben sich unmittelbar von Verfassungs wegen: Der Unterricht ist Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler, die Mitglied einer der beteiligten Religionsgemeinschaften sind; es kommt – auch im Hinblick auf die Mindestschülerzahl113 – nicht darauf an, um welche der beteiligten Religionsgemeinschaften es sich handelt.114 Die unterrichtende Lehrkraft muss über eine religionsgemeinschaftliche Bevollmächtigung verfügen, wobei es im Ermessen der beteiligten Religionsgemeinschaften liegt, ob sie die durch die jeweiligen Autoritäten der Religionsgemeinschaften erteilten Bevollmächtigungen wechselseitig anerkennen oder ob eine durch ein gemeinsames Gremium aller beteiligten Religionsgemeinschaften verliehene Bevollmächtigung an deren Stelle tritt. Auch die übrigen aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG resultierenden religionsgemeinschaftlichen Mitwirkungsrechte müssten die beteiligten Religionsgemeinschaften gemeinsam wahrnehmen; je nach den konkreten Umständen sind unterschiedliche Verfahrensweisen denkbar. Beispielsweise kommt die Schaffung einer durch die Religionsgemeinschaft legitimierten Zwischeninstanz in Betracht, die als konkreter Ansprechpartner gegenüber dem Staat dient.115 zu verständigen, sofern sie dies wünschen. Siehe zu dieser notwendigen Einschränkung die Ausführungen unten in Abschnitt c). 111 Vgl. Robbers (Anm. 2), Art. 7 Abs. 3 Rn. 127. 112 BVerwGE 123, 49, 75. 113 In Hessen beispielsweise setzt die Einrichtung von Religionsunterricht in einer Schule voraus, dass mindestens acht Schülerinnen und Schüler teilnehmen und – ggf. jahrgangs-, schulform- oder standortübergreifend – zu einer pädagogisch und schulorganisatorisch vertretbaren Lerngruppe zusammengefasst werden können. Siehe Abschnitt V Nr. 1 des Erlasses Religionsunterricht vom 3. September 2014 (ABl. S. 685). 114 Hieran knüpfen sich weitere Fragen insbesondere datenschutzrechtlicher Art, denen hier nicht nachgegangen werden kann. Fraglich ist beispielsweise, ob in einer solchen Konstellation das Datum der konkreten Bekenntniszugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler – es fällt in den Anwendungsbereich des Art. 9 DSGVO, der die zulässige Verarbeitung personenbezogener Daten u. a. mit Bezug zu religiösen Überzeugungen stark einschränkt – noch gespeichert werden darf, oder ob die Schule allein das Datum erheben und verarbeiten darf, eine Schülerin oder ein Schüler gehöre einer der relevanten Religionsgemeinschaften an. 115 Diese Zwischeninstanz muss nicht über eigene Rechtspersönlichkeit verfügen, typischerweise wird dies auch nicht der Fall sein. Vielmehr reicht die Bildung einer Kommission oder Arbeitsgemeinschaft aus. Vgl. auch Thorsten Anger, Islam in der Schule. Rechtliche
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c) Keine Verpflichtung zur gemeinsamen Mitverantwortung Umgekehrt gilt freilich: Selbst bei Identität oder hinreichender Homogenität der Bekenntnisse sowie übereinstimmenden Vorstellungen vom Religionsunterricht besteht keine Verpflichtung der Religionsgemeinschaften, sich auf die Mitwirkung an einem gemeinsamen Religionsunterricht zu verständigen. Der Staat kann dies zwar vorschlagen oder aus praktischen Gründen anraten, nicht aber erzwingen. Bestehen die Religionsgemeinschaften – aus welchen Motiven auch immer – auf getrennten Religionsunterrichten, so ist dies staatlicherseits zu respektieren; hier setzt sich das religionsgemeinschaftliche Selbstbestimmungsrecht durch. Freilich kann das Beharren auf getrennten Religionsunterrichten je nach den Umständen dazu führen, dass mangels ausreichender Schülerzahlen ein Religionsunterricht nicht allgemein eingerichtet werden kann oder trotz erfolgter Einrichtung Lerngruppen im Einzelfall nicht gebildet werden können. d) Möglichkeiten und Grenzen einer staatlichen Überprüfung Allerdings wird anzunehmen sein, dass die Feststellung, es handle sich um verwandte Bekenntnisse, jedenfalls in einem ganz geringen Maße staatlicherseits überprüfbar sein muss. Zwei oder mehr religiöse Bekenntnisse können einen so geringen Grad an Verwandtschaft aufweisen, dass die Schlussfolgerung der betreffenden Religionsgemeinschaften, aus ihren grundverschiedenen Lehrsätzen ließen sich gleichwohl kongruente Grundsätze für den Religionsunterricht ableiten, gänzlich unplausibel erscheint. In einer solch extremen Konstellation würde der Verfassungsauftrag, wonach Religionsunterricht „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ zu erteilen ist und Glaubenssätze als „bestehende Wahrheiten“ vermittelt werden müssen, womöglich verfehlt.116 Dies wäre jedenfalls dann anzunehmen, wenn der betreffende Unterricht formal oder faktisch als konfessionskundlich einzuordnen wäre.117 Der Rahmen des Verfassungsbegriffs „Religionsunterricht“ wäre dann überschritten.118 Hier kommt also zum Tragen, dass der Staat nicht „jede denkbare Definition der ReWirkungen der Religionsfreiheit und der Gewissensfreiheit sowie des Staatskirchenrechts im öffentlichen Schulwesen, Berlin 2003, S. 379. 116 Vgl. auch Wißmann (Anm. 21), S. 74, der zu Recht die Frage aufwirft, wie in einem bekenntnispluralen Religionsunterricht „Glaubenswahrheit bei gerade unterschiedlichen Glaubenswahrheiten der Beteiligten“ vermittelt werden solle und zu der Einschätzung gelangt, dieser Beweis müsse (noch) erbracht werden. Ähnlich Heckel (Anm. 6), S. 271, demzufolge ein „einheitlicher gemeinsamer Religionsunterricht für alle Religionen“ schon „angesichts ihrer Divergenz und Konkurrenz“ nicht verfassungsgemäß erteilt werden kann, „solange und soweit die Wahrheitsfrage des Glaubens nicht im Konsens der Betroffenen entschieden ist“. 117 Siehe bereits oben Abschnitt B. Ausführlich hierzu Wißmann (Anm. 21), S. 72 ff. (mit Blick auf die Weiterentwicklung des Hamburger „Religionsunterrichts für alle“). 118 Vgl. Heckel (Anm. 6), S. 261.
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ligionsgemeinschaften als verbindlich“ anerkennen muss119 und die Kultusbehörden „keineswegs alles unbesehen umzusetzen“ haben, was ihnen „durch die Religionsgemeinschaften als ,ihre Grundsätze‘ […] dargeboten werden mag“.120 Wo die Grenze zwischen einer verfassungskonformen Fortentwicklung des Religionsunterrichts im Geiste dessen, was das Bundesverfassungsgericht 1987 an Spielräumen aufgezeigt hat, und einer verfassungsrechtlich bedenklichen oder unzulässigen Aushöhlung oder Umgehung von Art. 7 Abs. 3 GG im Einzelnen zu ziehen ist, kann hier nur abstrakt umschrieben, nicht aber abschließend ausgelotet werden. Denn es kommt entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls, d. h. die Spezifika der jeweils relevanten religiösen Lehren an. e) Weitere Differenzierungsmöglichkeiten Unabhängig davon sind im Falle eines von zwei oder mehr Religionsgemeinschaften gemeinsam mitverantworteten Religionsunterrichts durchaus differenzierte Lösungen denkbar. Insbesondere kommt es in Betracht, dass die beteiligten Religionsgemeinschaften im Hinblick auf den Grad der Verwandtschaft ihrer jeweiligen Bekenntnisse keine vollständige, sondern nur eine teilweise Übereinstimmung ihrer Grundsätze für den Religionsunterricht annehmen. Diese partielle Kongruenz könnte sich etwa auf bestimmte Schulformen, Schul- oder Jahrgangsstufen beziehen. Dies hätte zur Folge, dass beispielsweise in der Primarstufe, in einzelnen Bildungsgängen der Sekundarstufe I, in bestimmten Formen berufsbildender Schulen121 oder an einzelnen Arten von Förderschulen ein gemeinsamer Religionsunterricht erteilt, in den übrigen Schulformen und -stufen aber an der Verschiedenheit der Religionsunterrichte festgehalten wird.122 In einer solchen Konstellation träten die oben geschilderten Rechtsfolgen nur ein, soweit die Kongruenz der Grundsätze reicht und infolgedessen ein einheitlicher Religionsunterricht besteht; im Übrigen verbliebe
119 Vgl. BVerfGE 74, 244, 252. Dogmatisch handelt es sich um einen zwecks Verwirklichung des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG vorgenommenen staatlichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der beteiligten Religionsgemeinschaften, der den Anforderungen des für alle geltenden Gesetzes im Sinne des Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV zu genügen hat. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass diese Rechtfertigung gelingt. Siehe allgemein zur Handhabung der Schrankenregelung Stefan Muckel, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattausgabe, Stand: 2019, Teil C, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rn. 48 ff., besonders Rn. 51. Prinzipiell gegen eine staatliche Prüfungskompetenz bei der Formulierung gemeinsamer Grundsätze Korioth (Anm. 3), S. 18 f., sowie Häußler (Anm. 110), S. 261. 120 Vgl. Heckel, (Anm. 6), S. 266 Fn. 31. 121 Soweit dort Religionsunterricht im Sinne von Art. 7 Art. 3 GG erteilt wird, vgl. Link (Anm. 2), S. 466. 122 Weitere Differenzierungen sind denkbar; etwa könnte ein gemeinsamer Religionsunterricht in der Grundschule auf die erste(n) Jahrgangsstufe(n) beschränkt werden.
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es bei der Zwei- oder Mehrzahl der Religionsunterrichte und den damit verbundenen Rechtsfolgen.123 Ob sich solche partiell kongruenten Grundsätze im Sinne von Art. 7 Abs.3 Satz 2 GG in plausibler Weise aus den Bekenntnisinhalten der beteiligten Religionsgemeinschaften herleiten lassen, wird sich nur im Einzelfall beantworten lassen. Auch hier kommt es entscheidend darauf an, wie die betroffenen Religionsgemeinschaften vor dem Hintergrund ihrer Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) sowie ihres religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) theologisch zu dieser Frage stehen. Aus den gleichen Gründen kann aber auch aus der Annahme partiell kongruenter Grundsätze keine Verpflichtung der Religionsgemeinschaften erwachsen, sich in entsprechendem Umfang auf die gemeinsame Mitwirkung an einem einheitlichen Religionsunterricht einzulassen. 3. Perspektiven für die Annäherung von evangelischem und katholischem Religionsunterricht Was die wechselseitige Annäherung von evangelischem und katholischem Religionsunterricht betrifft, so hat die staatliche Seite – selbstverständlich – die Positionen der beiden Kirchen zu respektieren. Insbesondere hat die Deutsche Bischofskonferenz 2016 festgestellt, angesichts fortbestehender ekklesiologischer Differenzen sei „ein von beiden Kirchen gemeinsam verantworteter christlicher Religionsunterricht auch angesichts der religionsdemographischen Entwicklung noch nicht möglich“; die bedeutsamen „Fortschritte in der Ökumene der vergangenen Jahrzehnte“ gestatteten lediglich „eine erweiterte Kooperation von katholischem und evangelischem Unterricht, wenn die Unterschiede im Kirchenverständnis und in der Kirchenpraxis respektiert und für den Unterricht fruchtbar gemacht werden“.124 Unabhängig davon haben beide Kirchen schon seit längerem betont, dass sowohl evangelischer als auch katholischer Religionsunterricht „in ökumenischem Geist“ stattfinden sollen.125 Ob und ggf. wann die beiden großen Kirchen gemeinsam befinden werden, dass die Zeit für einen gemeinsam mitverantworteten Religionsunterricht reif sei, bleibt 123 Gegen einen nur teilweise gemeinsam mitverantworten Religionsunterricht implizit Heckel (Anm. 6), S. 283 (dort unter 5.), der – ohne die Möglichkeit einer partiell kongruenter Grundsätze im hier ausdrücklich zu untersuchen – annimmt, ein „gemeinsamer Religionsunterricht zweier Religionsgemeinschaften“ müsse „auch – als Ganzes – von beiden gemeinsam autorisiert und verantwortet werden können“ (siehe auch – a. a. O. – unter 6., wo Heckel von Übereinstimmungserklärungen „zur Gesamtheit ihrer religiösen Grundsätze“ spricht). 124 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 28 f. 125 Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (Anm. 52), S. 10 ff., unter Verweis auf Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (Anm. 26), S. 76, sowie Konfessionellkooperativer Religionsunterricht (Anm. 54), S. 12 f.; siehe auch Zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht (Anm. 30), Abschnitt I Nr. 2.
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abzuwarten. Dabei sind weitere Entwicklungen – schon aufgrund der unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten, aber auch aus kirchenrechtlichen Gründen126 – vornehmlich auf oder unterhalb der Länderebene zu erwarten, d. h. als Frucht laufender und zukünftiger Verständigungsprozesse zwischen einzelnen oder mehreren evangelischen Landeskirchen und katholischen Diözesen. Nun dürfte eine vollständige Identität der beteiligten Bekenntnisse auf absehbare Zeit nicht realistisch sein. Prinzipiell vorstellbar ist indes die Annahme zumindest partiell kongruenter Grundsätze im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG.127 Der entscheidende Impuls hierfür muss aber von den Kirchen selbst kommen; es steht dem Staat, der aufgrund seiner säkularen Natur keine eigene ökumenische Agenda hat und verfolgt, nicht zu, die Kirchen aus welchen Motiven auch immer in diese Richtung zu drängen.128 Die Prognose, dass eine eventuelle zukünftige Verständigung auf einen gemeinsam mitverantworteten Religionsunterricht – und sei es in Teilbereichen des öffentlichen Schulwesens – nicht am staatlichen Einwand fehlender Plausibilität scheitern wird, erscheint allerdings nicht allzu gewagt.
126 Zur Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen (katholischer) Bischofskonferenz und Ortsordinarius siehe etwa Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen (Anm. 1), S. 86 ff., zur maßgeblichen Zuständigkeit der evangelischen Landeskirchen und zur eher zurückgenommenen Rolle der Evangelischen Kirche in Deutschland und anderer Zusammenschlüsse von Landeskirchen nach evangelischem Kirchenrecht Martin Richter, § 20 Schulische Bildung, in: Hans Ulrich Anke/Heinrich de Wall/Hans Michael Heinig (Hrsg.), Handbuch des Evangelischen Kirchenrechts, Tübingen 2016, S. 726 – 747, hier S. 727 ff., insbesondere Rn. 6 ff. Kritisch gegenüber einer „regionalen Fragmentierung“ aus religionspädagogischer Sicht Henrik Simojoki, Königsweg oder Sargnagel? – Chancen und Grenzen der regionalen Kontextualisierung des Religionsunterrichts, in: Konstantin Lindner/Mirjam Schambeck/Ders./Elisabeth Naurath (Hrsg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell, Freiburg i. Br. 2017, S. 101 – 119, hier insbesondere S. 114 ff. 127 So auch Anger (Anm. 115), S. 379. Zarte Ansätze im Hinblick auf eine partielle Kongruenz von Grundsätzen nach Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG finden sich in dem Positionspapier „Konfessionelle Kooperation im Religionsunterricht im Freistaat Sachsen“ (Anm. 43), S. 5, wo von einer (zumindest perspektivischen) Verständigung „über die gemeinsamen Grundsätze“ sowie von einem Sorgen „für Transparenz in den differenten Grundsätzen“ die Rede ist. Strenger wiederum Heckel (Anm. 6), der für einen gemeinsamen Religionsunterricht der evangelischen und katholischen Kirchen ein „einheitliches evangelisch-katholisches Bekenntnis“, d. h. eine „ökumenische Vereinigung“ für nötig hält, die sich „auf ein eindeutiges gemeinsames Verständnis der Kirche, der kirchlichen Einheit und des kirchlichen Amtes“ erstreckt; hierfür seien „pauschale Einigungserklärungen“ unzureichend (a. a. O., S. 281 f. mit Fn. 46). Auch eine „Beschränkung der beiden Kirchen auf den Bereich ihrer Teil-Gemeinsamkeiten unter Ausklammerung ihrer fundamentalen Lehr-Differenzen“ hält Heckel „aus Sach- und Rechtsgründen“ für „ausgeschlossen“, da die „äußere Abschichtung von Gegenständen“ nicht dazu führe, dass die „Differenz der Maßstäbe und Ziele“ eliminiert werde (a. a. O., S. 283 f.). Letztendlich werden diese Fragen nur theologisch geklärt werden können. 128 Vgl. zur fehlenden staatlichen Kompetenz auch Korioth (Anm. 3), S. 18, Heckel (Anm. 6), S. 282, sowie Meckel (Anm. 16), S. 845.
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VI. Resümee und Ausblick Der Religionsunterricht mag es in der Tat nicht leicht haben unter den religionssoziologischen Bedingungen des 21. Jahrhunderts. Angesichts seiner starken verfassungsrechtlichen Stellung und – bislang – allenfalls vereinzelter politischer Ambitionen, daran etwas zu ändern, besteht aber derzeit keine Veranlassung, den Abgesang auf den Religionsunterricht anzustimmen. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ist weder ein „Relikt vergangener Zeiten“ noch ein „Gedanke, der sich überlebt hat“.129 Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Art. 7 Abs. 3 GG für den Religionsunterricht zur Verfügung stellt, sind einerseits stabil und andererseits elastisch genug, um dem konfessionellen Religionsunterricht Entwicklungsperspektiven zu bieten und ihn zukunftsfähig zu erhalten. Dies gilt erst recht, wenn man die kluge und weitsichtige, „in die Zeit hinein offene“ Interpretation zugrunde legt, die das Bundesverfassungsgericht Art. 7 Abs. 3 GG 1987 hat angedeihen lassen. Insbesondere lässt Art. 7 Abs. 3 GG unterschiedliche Modelle konfessioneller Kooperation zu, die sowohl diesseits als auch jenseits der Grenze zwischen einer vollständigen oder partiellen Verschmelzung zweier oder mehrerer eigenständiger Religionsunterrichte einerseits sowie einer bloßen Verschränkung von Religionsunterrichten unter Beibehaltung der jeweiligen Eigenständigkeit andererseits zu verorten sind. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit jedweder konfessionellen Kooperation steht unter dem selbstverständlichen Vorbehalt, dass Religionsunterricht „in konfessioneller Positivität und Gebundenheit“ zu erteilen ist; die „Ausrichtung an den Glaubenssätzen der jeweiligen Konfession“ – hierunter können auch zwei oder mehr verwandte Bekenntnisse zu verstehen sein – „ist der unveränderliche Rahmen, den die Verfassung vorgibt“.130 Des Weiteren sind die positive Religionsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der kooperierenden Religionsgemeinschaften sowie – im Hinblick auf die Teilnahmeverpflichtung, die Möglichkeit der Abmeldung und den Anspruch auf Religionsunterricht des eigenen Bekenntnisses – die grundrechtlichen Positionen der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern zu beachten. Ferner wird dem gelegentlich vermittelten Eindruck entgegenzuwirken sein, allein der in konfessioneller Kooperation erteilte Religionsunterricht sei dialog- und pluralitätsfähig und werde den Anforderungen an einen modernen und zeitgemäßen Religionsunterricht gerecht. Denn es ist nirgends dargetan, dass einem Religionsunterricht, der außerhalb ausdrücklich so gekennzeichneter konfessioneller Kooperati129
Korioth (Anm. 3), S. 32. Vgl. auch Heckel (Anm. 6), S. 255, der mit dem zutreffenden Hinweis auf die prinzipielle Offenheit des Instituts „Religionsunterricht“ für kleinere Religionsgemeinschaften anmerkt, (selbst) der „Schwund der Volkskirchen“ habe die „Verfassungsgrundlage und Legitimität“ des Religionsunterricht habe entfallen lassen. 130 Ausführlich hierzu oben in Abschnitt B. Vgl. in aller Deutlichkeit auch Heckel (Anm. 6), S. 261: „Die entscheidende Frage lautet, ob die neuen Gestaltungen als bloße Modifkation im Rahmen des Verfassungsbegriffs ,Religionsunterricht‘ bleiben oder diesen überschreiten.“ Für einen ernsthaften und glaubwürdigen Umgang mit dem Konfessionalitätsprinzip plädiert auch Korioth (Anm. 3), S. 13, 26.
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onsformen erteilt wird, die Dialog- und Pluralitätsfähigkeit schlechterdings abzusprechen wäre. Im Übrigen steht mit Blick auf den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag heutzutage jeglicher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen unabhängig von Bekenntnis und Organisationsform unter dem selbstverständlichen Anspruch, dialog- und pluralitätsfähig zu sein.131 Die Legitimation des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts in seiner ursprünglichen Organisationsform darf auch deswegen nicht untergraben werden, weil dann indirekt auch andere Religionsunterrichte, die in der klassischen monokonfessionellen Form erteilt werden, prinzipiell in Frage gestellt wären. Eine solche Entwicklung wiederum könnte – perspektivisch gesehen – den verfassungsrechtlichen Status des Religionsunterrichts insgesamt gefährden. Das von Martin Heckel mit Blick auf das Verhältnis von evangelischem und katholischem Religionsunterricht 2005 formulierte Leitprinzip „Fusion nein, Kooperation ja!“132 wird daher, wenn man den Blick über das evangelische und das katholische Bekenntnis hinaus erweitert, mit dem zeitlichen Abstand von rund anderhalb Dekaden in generalisierender, präzisierender und wohl auch komlizierender Weise wie folgt fortzuschreiben sein: Kooperation ja, vollständige oder teilweise Fusion gegebenenfalls – dies alles unter selbstverständlicher und transparenter Beachtung der jeweils einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Dabei wird es insbesondere darauf ankommen, die Konfessionalität des Religionsunterrichts als dasjenige Strukturprinzip, das den Religionsunterricht überhaupt erst zum Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG werden lässt, im öffentlichen Bewusstsein zu halten oder erforderlichenfalls dort neu zu verankern. Insgesamt gilt es, das durch Art. 7 Abs. 3 GG bereitgestellte Potential des Religionsunterrichts im Interesse aller Beteiligten, vor allem der Schülerinnen und Schüler, möglichst vollständig und dauerhaft auszuschöpfen. Die Verantwortlichen auf staatlicher und auf kirchlicher oder religionsgemeinschaftlicher Seite tun also gut daran, die ebenso zahlreichen wie komplexen inhaltlichen und strategischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der res mixta Religionsunterricht unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts stellen, gemeinsam, mit großer Sorgfalt sowie unter Einbeziehung interdisziplinären Sachverstands zu bedenken. Gelingt dies, wird einem um Zustand und Zukunft des Religionsunterrichts nicht bange sein müssen.
131 Vgl. etwa § 2 Abs. 2 Nr. 3, 4 und 7 des Hessischen Schulgesetzes. Danach sollen die Schülerinnen und Schüler befähigt werden, in Anerkennung der Wertordnung des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Hessen unter anderem „die christlichen und humanistischen Traditionen zu erfahren, nach ethischen Grundsätzen zu handeln und religiöse und kulturelle Werte zu achten“, „die Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz, der Gerechtigkeit und der Solidarität zu gestalten“ sowie „Menschen anderer Herkunft, Religion und Weltanschauung vorurteilsfrei zu begegnen“. 132 Heckel (Anm. 6), S. 288.
Kirchliche Körperschaft mit zivilrechtlicher Anerkennung in Italien Von Michael Mitterhofer Mit der staatskirchenrechtlichen Vereinbarung des Accordo di Villa Madama vom 18. 02. 1984 wurde das Konkordat vom 11. 02. 1929 zwischen dem Staat und der katholischen Kirche in Italien revidiert, wobei unter anderem auch die Stellung der kirchlichen Einrichtungen in der staatlichen Ordnung geklärt werden. Im Laterankonkordat vom 11. 02. 19291 wird in Art. 29 bestätigt, dass die Rechtspersönlichkeit der bisher anerkannten kirchlichen Einrichtungen (Diözesen, Seminarien, Pfarreien, öffentlich zugängliche Kirchen und kirchliche Einrichtungen) weiterhin im zivilen Bereich anerkannt bleibt. Zugleich wird die Rechtspersönlichkeit der religiösen Vereinigungen, die ihren Hauptsitz in Italien haben und von italienischen Staatsbürgern gesetzlich vertreten werden, anerkannt sowie jene der italienischen Ordensprovinzen und deren Häuser. Im Accordo vom 18. 02. 1984 wird ebenfalls die Rechtspersönlichkeit der bisherigen kirchlichen Einrichtungen im zivilen Bereich bestätigt und gleichzeitig darauf verwiesen, dass diese weiterhin anerkannt sind, sofern sie ihren Sitz in Italien haben und die zuständige kirchliche Autorität um die zivilrechtliche Anerkennung ansucht.2 Im Folgenden soll nun genauer auf die Besonderheiten der kirchlichen Körperschaften in Italien, auf deren zivilrechtliche Anerkennung und auf die daraus sich ergebenen Folgerungen eingegangen werden. Dabei soll zunächst die kirchliche Körperschaft im Codex Iuris Canonici in ihren Grundzügen charakterisiert und dann die staatskirchenrechtlichen Regelungen und deren Folgerungen erörtert werden.
1 AAS 21 (1929), S. 275 – 294; Legge n. 810/27. 05. 1929: Esecuzione del Trattato, dei quattro allegati annessi e del Concordato, sottoscritti in Roma, tra la Santa Sede e l’Italia, l’11 febbraio 1929: Gazzetta Ufficiale del Regno d’Italia, n. 13, 08. 06. 1929. 2 Art. 7, Abs. 2, Legge 25 marzo 1985, n. 121 – Ratifica ed esecuzione dell’accordo, con protocollo addizionale, che apporta modificazioni al Concordato lateranense dell’11 febbraio 1929, tra la Repubblica italiana e la Santa Sede, 18. 02. 1984: G. U. Suppl.ord. 10. 04. 1985, n. 85 bzw. AAS 77 (1985) S. 521 ff.
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I. Die kirchliche Körperschaft im CIC/1983 Die Kirche Jesu Christi, welche sich gemäß dem Sendungsauftrag als „Weltkirche“ versteht (Mt 28, 16 – 20) und deshalb in der katholischen, d. h. „allumfassenden“ Kirche eine weltweite Gemeinschaft von Menschen bildet, ist nicht an ein bestimmtes Volk oder an ein umgrenztes Gebiet oder an eine konkrete Einrichtung gebunden. Das personale Prinzip ist jedenfalls vorrangig, auch wenn diese Gemeinschaft sich dann in verschiedene, genauer definierte Gemeinschaften gliedert, die gewöhnlich an ein bestimmtes Territorium oder an einen bestimmten Ort gebunden sind und insofern eine Art „Gebietskörperschaft“ bilden oder aber sich in „Einrichtungen“ manifestieren, die eine rechtliche Relevanz haben und dadurch das Profil bzw. die Struktur und Verfassung der Kirche charakterisieren.3 Auf jeden Fall sind im Codex Iuris Canonici die Bestimmungen zur Rechtsstellung der physischen Person vor jenen zur juristischen Person angeordnet, auch wenn die juristische Person verfassungsrechtlich von einigem Gewicht ist und sich darin das inkarnatorische Prinzip mit den konstitutiven Strukturelementen von Wort und Sakrament auswirkt (z. B. in der Rechtsperson der Diözese). 1. Kirchliche Rechtspersonen Im CIC wird das Wort „Körperschaft“ nicht verwendet, sondern man spricht von juristischer Person (c. 114 CIC/1983) als Gesamtheit von Personen (universitas personarum) oder Gesamtheit von Sachen (universitas rerum), welche zur Erfüllung eines Zweck, den ein Einzelner nicht erfüllen kann, errichtet werden und wobei es konstitutiv ist, dass dieser Zweck mit der Sendung der Kirche übereinstimmt.4 Und der Sendung der Kirche entsprechen die geistlichen oder zeitlichen Werke der Frömmigkeit, des Apostolates und der Caritas (c. 114 § 2 CIC/1983: ad opera pietatis, apostolatus vel caritatis sive spiritualis sive temporalis), welche damit prinzipiell die institutionellen Zwecke vorgeben. Eine Gesamtheit von Personen (universitas personarum) also eine Körperschaft, wird gemäß c. 115 § 2 CIC/1983 unterschieden a) in kollegiale Körperschaften, in denen die Entscheidungen von den Mitgliedern gemeinsam getroffen werden, wie z. B. im Domkapitel, oder b) in nichtkollegiale Körperschaften, in denen die Entscheidungen von jenen getroffen werden, die dazu bevollmächtigt sind (z. B. der Diözesanbischof in seiner Diözese). Eine Gesamtheit von Sachen (universitas rerum), also eine Stiftung, Einrichtung oder Anstalt, besteht aus Gütern oder Sachen, verbunden mit Vollmachten oder Rechten, und wird von einer oder mehreren physischen Personen oder von einem Kollegium geleitet (c. 115 § 3 CIC/1983). 3 Vgl. Winfried Aymans, Gliederungs- und Organisationsprinzipien, in: HdbKathKR3, S. 437 f. 4 Vgl. c. 115 §1; c. 114 § 1 CIC/1983; vgl. dazu cc. 920 und 921 § 1 CCEO.
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Der Aspekt der Sendung der Kirche und des Handelns im Namen der Kirche wird durch die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten juristischen Personen unterstrichen, wobei aber „Kirche“ und „juristische Person“ bzw. „öffentlich rechtliche Körperschaft“ sehr wohl auseinanderzuhalten sind. Dies soll wohl auch im CIC/ 1983 durch die Verwendung des Begriffs „persona moralis“ für die katholische Kirche und für den Apostolischen Stuhl zum Ausdruck kommen (c. 113 CIC/1983).5 2. Errichtung kirchlicher Rechtspersonen Die öffentlichen juristischen Personen werden von der zuständigen kirchlichen Autorität errichtet, um im Namen der Kirche eine Aufgabe gemäß den kirchlichen Zwecken und im Hinblick auf das öffentliche Wohl zu erfüllen (c. 116 § 1 CIC/ 1983). Dementsprechend ist das Vermögen dieser öffentlichen juristischen Personen als „Kirchenvermögen“ zu betrachten und unterliegt sowohl den eigenen Statuten als auch den Normen des kanonischen Rechts (c. 1257 § 1 CIC/1983).6 Die privaten juristischen Personen hingegen entstehen aufgrund der Vereinigungsfreiheit, mit dem Zweck, gemeinsam geistliche oder zeitliche Werke der Frömmigkeit, des Apostolates oder der Caritas im Sinne von c. 298 CIC/1983 zu verwirklichen. Sie erwerben die Rechtspersönlichkeit durch hoheitliche Verleihung (c. 322 CIC/1983) und handeln in ihrem eigenen Namen im Hinblick auf die Erfüllung der ihr eigenen, anerkannten kirchlichen Zwecke, wobei die vermögensrechtlichen Aspekte durch die eigenen Statuten geregelt sind (c. 1257 § 2 CIC/1983). In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Kirche, wie das II. Vatikanische Konzil sagt, zur Erfüllung ihrer geistlichen Sendung die sichtbare und irdische Seite braucht, die nicht ausgeblendet werden darf, sondern vielmehr Teil der komplexen Wirklichkeit ist, „die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (LG 8, 1).7 Deshalb hat die Kirche auch das geborene Recht, zur Erfüllung ihrer ureigenen Zwecke zeitliche Güter zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern (c. 1254 CIC/1983)8, was eben auch in der zivilen Rechtsordnung zu regeln 5
Vgl. die Anmerkung von Kurt Koch, zitiert in HdbKathKR3, S. 1910, in der hingewiesen wird, dass die kirchlichen öffentlich-rechtlichen Körperschaften in der Schweiz im Sinne von „Unternehmungen“ (c. 216/1983) zu verstehen seien. 6 C. 1009 § 2 CCEO betrachtet die Güter aller juristischen Personen als Kirchenvermögen. 7 LG 8,1: „… Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. …“ 8 Seit den ältesten Zeiten der Kirche spielt der Umgang mit Geld und Gut eine entscheidende Rolle. Stellvertretend sei auf folgendes hingewiesen: 2 Kor 8, 6 – 15; Lk 10, 25 – 37, kirchliche Güter als „patrimonia pauperum“ (Ambrosius), Benefizien-Pfründenwesen, II. Vat. Konzil, PO 17,3, 20, 21, c. 1272, c. 1274 CIC/1983: allmählich Überwindung des Benefizialwesens und Schaffung besonderer Institute.
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ist, um wirksam ausgeübt werden zu können. Insofern sieht das kanonische Recht auch die Übernahme ziviler Gesetze in die kirchliche Rechtsordnung vor (c. 22 CIC/1983: canonizatio) und verweist auf das territoriale ius civile, wenn es um Verträge und Veräußerungen geht (c. 1290 CIC/1983).9
II. Die staatskirchenrechtlichen Regelungen in Italien Die staatskirchenrechtliche Regelung im Hinblick auf die Einstufung kirchlicher Einrichtungen in die staatliche Rechtsordnung erfolgt in Italien erst mit den staatskirchlichen Verträgen, unterzeichnet am 11. 02. 1929 im Lateran (patti lateranensi), mit denen die „Römische Frage“ geklärt werden konnte, die seit der Eingliederung des ehemaligen Kirchenstaates in das Königreich Italien mit der Eroberung Roms (20. 09. 1870) offen war.10 Da bis zum Beginn des 19. Jh. die kirchlichen Einrichtungen in ihrer Autonomie einzig vom kirchlichen Recht bestimmt sind, gibt es gewöhnlich auch keine staatliche Anerkennung, was sich nach der Französischen Revolution mit der nun einsetzenden Sichtweise ändert, da die aufkommenden Nationalstaaten für sich sämtliche Zuständigkeiten beanspruchen. 1. Das Laterankonkordat vom 11. 02. 1929 Mit dem Laterankonkordat vom 11. 02. 1929 wird in Italien die Haltung einer eher passiven Duldung der kirchlichen Rechtspersonen abgelöst, so dass den kirchlichen Einrichtungen (Heiliger Stuhl, Diözesen, Seminare, Pfarreien usw.) die Rechtspersönlichkeit auch im staatlichen Bereich zuerkannt wird (Concordato, Art. 29, Abs. a).11 Dies hat zur Folge, dass die Rechtsakte, die ohne Beachtung der staatlichen Normen gesetzt wurden, saniert werden (Art. 29, Absatz f). Ebenso wird die bisherige steuerrechtliche Behandlung beibehalten und die institutionellen Zwecke der Religi9 Vgl. Mauro Rivella, Enti e beni: Rivista telematica, online unter: https://www.stato echiese.it/images/uploads/articoli_pdf/rivella_enti.pdf?pdf=enti-e-beni (eingesehen am 05. 02. 2019). 10 Die Lateranverträge vom 11. 02. 1929 bestehen aus dem Staatsvertrag (Trattato, mit dem Lageplan des Vatikanstaates und dem Verzeichnis der Immobilien und ihrer steuerrechtlichen Behandlung), dem Finanzabkommen und dem eigentlichen Konkordat (Concordato). 11 Art. 29, a) Ferma restando la personalità giuridica degli enti ecclesiastici finora riconosciuti dalle leggi italiane (Santa Sede, diocesi, capitoli, seminari, parrocchie, ecc.), tale personalità sarà riconosciuta anche alle chiese pubbliche aperte al culto, che già non l’abbiano, comprese quelle già appartenenti agli enti ecclesiastici soppressi, con assegnazione, nei riguardi di queste ultime, della rendita che attualmente il Fondo per il Culto destina a ciascuna di esse.
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on und des Kultus jenen der Wohltätigkeit und des Unterrichts gleichgestellt (Art. 29, Absatz h).12 Festgehalten wird, dass die Aufsicht über die Güterverwaltung über kirchliche Institute und religiöse Vereinigungen der jeweiligen kirchlichen Autorität zusteht (Art. 30) und dass die Errichtung neuer kirchlicher Einrichtungen (enti ecclesiastici) und religiöser Vereinigungen Sache der kirchlichen Autorität gemäß den kirchenrechtlichen Normen ist, hingegen die zivilrechtliche Anerkennung von Seiten der zivilen Autorität erfolgt (Art. 31).13 Diese Bestimmung wird in Gesetz 848/27. 05. 1929: Disposizioni sugli enti ecclesiastici e sulle amministrazioni civili dei patrimoni destinati a fini di culto, genauer geregelt (art. 4) wobei auch klar gestellt wird, dass die Tätigkeiten, die nicht Religions-und Kultuszwecke verfolgen, den entsprechenden staatlichen Gesetzen unterworfen sind (Art. 5).14 In Konkordat von 11. 02. 1929 werden bereits jene technischen Begriffe gebraucht, die dann Eingang finden in die Konstitution der Republik Italien (27. 12. 1947)15 und die in der Revision des Konkordates durch den Accordo di Villa Madama vom 18. 02. 1984 weiterhin verwendet und bestätigt werden. Es handelt sich vornehmlich um den Begriff des „ente ecclesiastico“ (kirchliche Einrichtung) die Zweckbestimmung „fine di culto o di religione“ (Zweck des Kultus oder der Religion) und die Formel „riconoscimento agli effetti civili“ (zivilrechtliche Anerkennung).
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Art. 29, h) Ferme restando le agevolazioni tributarie già stabilite a favore degli enti ecclesiastici dalle leggi italiane fin qui vigenti, il fine di culto o di religione è, a tutti gli effetti tributari, equiparato ai fini di beneficenza e di istruzione. 13 Art. 31 L’erezione di nuovi enti ecclesiastici od associazioni religiose sarà fatta dall’autorità ecclesiastica secondo le norme del diritto canonico: il loro riconoscimento agli effetti civili sarà fatto dalle autorità civili. 14 Legge 848/1929, Art. 4: Gli istituti ecclesiastici di qualsiasi natura e gli enti di culto possono essere riconosciuti agli effetti civili con regio decreto, udito il parere del Consiglio di Stato. Tale riconoscimento importa la capacità di acquistare e di possedere. Parimenti con regio decreto, udito il parere del Consiglio di Stato, deve essere riconosciuto agli effetti civili ogni mutamento sostanziale nel fine, nella destinazione dei beni e nel modo di esistenza degli istituti e degli enti suddetti. Art. 5: Gli istituti ecclesiastici, civilmente riconosciuti, in quanto esercitino attività di carattere educativo, assistenziale o, comunque, di interesse sociale a favore di laici, sono sottoposti alle leggi civili concernenti tali attività. 15 Costituzione della Repubblica Italiana, Art. 20. Il carattere ecclesiastico e il fine di religione o di culto d’una associazione od istituzione non possono essere causa di speciali limitazioni legislative, ne’ di speciali gravami fiscali per la sua costituzione, capacità giuridica e ogni forma di attività.
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2. Der Accordo di Villa Madama vom 18. 02. 1984 Im Accordo di Villa Madama vom 18. 02. 1984 (Accordo di revisione del Concordato Lateranense tra la Santa Sede e la Repubblica Italiana) wird das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Italien neu geregelt und die Bestimmungen des Laterankonkordates von 1929 überarbeitet.16 Dabei wird zunächst im Rückgriff auf Art. 20 der Konstitution der Republik Italien festgehalten, dass der kirchliche Charakter und die Zweckbestimmung von Religion und Kultus einer Vereinigung oder einer Einrichtung nicht Grund für besondere gesetzliche Einschränkungen oder Erschwernisse im Hinblick auf ihre Errichtung, auf die rechtlichen Befugnisse und hinsichtlich jeglicher Tätigkeit sein können. Zudem wird der Ablauf der zivilrechtlichen Anerkennung grundsätzlich festgelegt, die Gleichstellung mit Wohltätigkeits- und Unterrichtseinrichtungen im steuerrechtlichen Bereich bestätigt wie auch die Freiheit der Veröffentlichung von Mitteilungen im kirchlichen Bereich (in den Kultusbauten und deren Eingangsbereich) und bei den Geldsammlungen für kirchliche Zwecke. In den Bestimmungen hinsichtlich der kirchlichen Einrichtungen und Güter, festgelegt mit Gesetz 222/20. 05. 1985, werden die verschiedenen Gesichtspunkte präzisiert, wobei sich der Begriff „ente ecclesiastico civilmente riconosciuto“ – „kirchliche Einrichtung mit zivilrechtlicher Anerkennung“ zum Fachbegriff herausbildet, wenn von den kirchlichen Einrichtungen gesprochen wird, deren kanonische Rechtspersönlichkeit im zivilrechtlichen Bereich anerkannt ist. Einrichtungen, die im kirchlichen Bereich Institutionen des öffentlichen Rechts gemäß dem kanonischen Recht sind (c. 114 CIC/1983) sind, werden durch die zivilrechtliche Anerkennung im staatlichen Bereich aber nicht als öffentlichen Körperschaften des Zivilrechts eingestuft.17 Sie gelten auch nicht als Körperschaften des zivilen Privatrechtes, so dass man vielfach von einem „quid medium“ spricht18 und die 16 Legge 121/1984, Art. 7. – 1. La Repubblica italiana, richiamandosi al principio enunciato dall’art. 20 Cost., riafferma che il carattere ecclesiastico e il fine di religione o di culto di una associazione o istituzione non possono essere causa di speciali limitazioni legislative, né di speciali gravami fiscali per la sua costituzione, capacità giuridica e ogni forma di attività. 17 Im Gesetz 222/1985, Art. 2 wird von Einrichtungen gesprochen, die von vorneherein Kultus- und Religionszweck haben, da sie zur hierarchischen Konstitution der Kirche gehören, wie die Italienische Bischofskonferenz, Kirchenregionen, Kirchenprovinzen, Diözesen, Abteien, Dekanate, Kapitel, Pfarreien, Kirchen, Kaplaneien. Zudem die Ordensgemeinschaften mit den Provinzen, Niederlassungen und Säkularinstitute sowie die Seminarien mit den Fakultäten, Kollegien. Sollten diese im Zivilrecht anerkannt werden, dann muss nach deren kirchenrechtlicher Errichtung um die Anerkennung angesucht werden. 18 Im Gutachten des Staatsrates n. 66/89 vom 31. 1. 1989 wird auf die verschiedenen rechtlichen Einstufungen eingegangen und schlussendlich im Blick auf das Gesetz 222/ 1985, das den Eintrag in das Register der Juristischen Personen vorsieht, festgestellt, dass sie im Hinblick auf die zivilrechtlichen Wirkungen als Personen des Privatrechtes einzustufen sind („vanno qualificati, agli effetti civilistici, come persone giuridiche private“), online unter: https://www.chiesadibologna.it/allegati/125085/27.%20Consiglio%20di%
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kirchliche Institution mit zivilrechtlicher Anerkennung als eigene Kategorie führt, unter Berücksichtigung der Struktur und der Zweckbestimmung dieser Einrichtungen („nel rispetto della struttura e della finalità di tali enti“ so in Art. 7, Abs. 3, Gesetz 121/1985). 3. Kultus- und Religionszwecke Im Hinblick auf die Kultus- und Religionszwecke wird im Gesetz 222/1985, Art. 2, Absatz 1 von Einrichtungen gesprochen, bei denen diese Zweckbestimmung von ihrem Wesen her gegeben ist, da sie zur hierarchischen Verfassung der Kirche gehören. Dies trifft z. B. auf die Italienische Bischofskonferenz, Kirchenregionen, Kirchenprovinzen, Diözesen, Abteien, Dekanate, Kapitel, Pfarreien und Kirchen zu, wie auf die Ordensgemeinschaften mit den Provinzen und Niederlassungen und auf die Säkularinstitute sowie auf die Seminarien, Fakultäten und Kollegien. Für alle anderen kirchlich errichteten Rechtspersonen wie etwa kirchliche Gesellschaften, Vereinigungen, Stiftungen usw. ist aber eine genaue Überprüfung ihrer Ausrichtung erfordert, wobei in besonderer Weise auf das Vorhandensein des Religions- und Kultuszweckes geachtet wird, da dieser konstitutiv ist (Gesetz 222/1985, Art. 2, Abs. 2 und 3). In diesem Zusammenhang wird im Gesetz 222/1985, Art. 16 zudem präzisiert, dass als Kultus-und Religionszwecke jene Tätigkeiten gelten, welche im Dienste des Kultus und der Pastoral stehen sowie jene, die für die Aus- und Weiterbildung des Klerus und der Ordensleute, für Missionszwecke, für die Katechese und die christliche Erziehung durchgeführt werden. Steuerrechtlich gesehen sind die Institutionen und Tätigkeiten mit Kultus- und Religionszweck den Einrichtungen mit Wohltätigkeit- und Unterrichtszwecken gleichgestellt (Gesetz 121/1985, Art. 7, Abs. 3a). Nicht zu den Kultus- und Religionszwecken hingegen gehören Tätigkeiten im Wohltätigkeits- und Assistenzbereich, in der Ausbildung, Erziehung, Kultur und in jedem Fall kommerzielle und auf Gewinn ausgerichtete Tätigkeiten.19 Die steuerrechtliche Behandlung richtet sich nach den jeweils geltenden Bestimmungen in den entsprechenden Tätigkeitsbereichen (Gesetz 121/1985, Art. 7, Abs. 3b).
20stato%20parere%2066 - 1989 %20-%20Oneri%20deducibili%20per%20restauro.pdf (ein gesehen am 11. 02. 2019). 19 Legge 222/1985, Art. 16: Agli effetti delle leggi civili si considerano comunque: a) attività di religione o di culto quelle dirette all’esercizio del culto e alla cura delle anime, alla formazione del clero e dei religiosi, a scopi missionari, alla catechesi, all’educazione cristiana; b) attività diverse da quelle di religione o di culto quelle di assistenza e beneficenza, istruzione, educazione e cultura e, in ogni caso, le attività commerciali o a scopo di lucro.
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4. Die zivilrechtlicher Anerkennung Wie eine Münze, deren zwei Seiten untrennbar miteinander verbunden sind, so ist es auch die kirchliche Einrichtung mit zivilrechtlicher Ankerkennung, die vorrangig eine Einrichtung kirchlichen Rechts ist und zugleich, wenn auch nachgeordnet, eine Einrichtung in der staatlichen, zivilen Rechtsordnung.20 Nach der Übereinkunft über die Grundlinien, war es Aufgabe der im beiderseitigen Einvernehmen eingesetzten Paritätischen Kommission, vorgesehen von Art. 14, Gesetz 121/1985, die genaueren Details der zivilrechtlichen Anerkennung kirchlicher Einrichtungen festzulegen. Dazu wird in der technischen Vereinbarung vom 18. 02. 199721 festgehalten, dass die kirchlichen Einrichtungen im Respekt ihrer ursprünglichen Merkmale, die vom kanonischen Recht erfordert sind, zivilrechtlich anerkannt werden, mit der Folge, dass die Normen des zivilen Gesetzbuches hinsichtlich der Errichtung, Struktur, Verwaltung und Aufhebung nicht Anwendung finden und deshalb kein öffentlicher Akt für die Errichtung und ebenso kein Statut vonnöten sind. Die staatliche Behörde überprüft bei der Behandlung des Ansuchens um zivilrechtliche Anerkennung, das vom gesetzlichen Vertreter der kirchlich errichteten Körperschaft gestellt wird und dem die zuständige kirchliche Autorität zustimmt, lediglich das Vorhandensein der vorgesehenen Erfordernisse. Dazu gehören der Nachweis, dass der Rechtsitz der Institution in Italien ist und der gesetzliche Vertreter die italienische Staatsbürgerschaft innehat sowie dass die Errichtung durch die zuständige kirchliche Autorität erfolgt ist und die Zwecke der Religion und des Kultus gegeben sind. Andere Angaben, wie z. B. jene hinsichtlich der Vermögensverwaltung, sind für die Eintragung in das Register der juristischen Personen erfordert, da dort unter anderem die grundsätzliche Verwaltungsbefugnis und deren Grenzen vermerkt werden. Bei Vorhandensein aller Voraussetzungen und nach der erfolgten Überprüfung wird mit staatlichem Dekret die zivilrechtliche Anerkennung der kirchlichen Einrichtung bestätigt. Die kirchliche Autorität hat nach wie vor die Befugnisse des kanonischen Rechts, die von ihr errichtete kirchliche Institution in ihrer Struktur zu modifizieren, die Art und Weise ihres Handelns hinsichtlich der Religions- und Kultuszwecke zu präzisieren oder abzuändern bis hin zur Aufhebung bzw. Unterdrückung dieser Einrichtung. Die staatliche Autorität hingegen hat die Befugnis, jene Bereiche
20 Lorenzo Simonelli, Introduzione all’ente ecclesiastico civilmente riconosciuto, online unter: https://www.chiesadimilano.it/avvocatura/files/2019/02/4-Simonelli-Riforma-TerzoSettore-ed-enti-religiosi-il-ramo-ed-il-regolamento-exLege-gennaio-2018.pdf (eingesehen am 11. 02. 2018). Siehe zur ganzen Thematik: Ders., Ente ecclesiastico civilmente riconosciuto e il mondo dei professionisti: Ex Lege 2011/4, S. 15 – 37 und Ex Lege 2012/1, S. 13 – 44. 21 Intesa tecnica interpretativa ed esecutiva dell’Accordo modificativo dal Concordato Lateranense, elaborata dalla Commissione Paritetica Italia-Santa Sede e sottoscritta in data 18. 02. 1997, entrata in vigore il 30. 04. 1997
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zu regeln, welche nicht den Religions- und Kultuszweck betreffen, allerdings unter Beachtung der primären Zweckbestimmung der jeweiligen Einrichtung.
III. Konkrete Folgerungen Die Italienische Bischofskonferenz (CEI) verweist in ihrer Instruktion zur Verwaltungstätigkeit22 auf die Erfordernisse, die bei der Errichtung einer juristischen Person in der kirchlichen Rechtsordnung (Nr. 11) gegeben sein müssen. Dabei wird im Einzelnen festgelegt, dass im kirchlichen Bereich der Heilige Stuhl für die Errichtung jedweder juristischen Person zuständig ist, die Bischofskonferenz für die Errichtung öffentlicher Vereinigungen von Gläubigen auf nationaler Ebene (c. 312 CIC/1983) sowie für die Verleihung der Rechtspersönlichkeit an private Vereinigungen (c. 322 § 1 CIC/1983). In die Kompetenz des Diözesanbischofs fällt die Errichtung der Rechtspersonen in seinem Jurisdiktionsbereich (unter Wahrung der Zuständigkeit des Heiligen Stuhles gemäß c. 579 CIC/1983), und die Höheren Ordensoberen der Institute päpstlichen Rechts sind zuständig für die Errichtung der Provinzen und Ordenshäuser ihres Institutes. Ist die Institution kirchenrechtlich errichtet, erfolgt nach der gebotenen Überprüfung deren Anerkennung als juristische Person mit den zivilrechtlichen Wirkungen durch staatliches Dekret, wobei Gesetz 222/1985, Art. 1 ein Dekret des Staatspräsidenten vorsieht, hingegen die CEI-Instruktion von einem Dekret des Innenministeriums spricht (Nr. 12), was mit Gesetz 13/12. 01. 1991 festgelegt wurde. In der Praxis ist folgender Ablauf vorgesehen: 1. Errichtung der juristischen Person gemäß dem kanonischen Recht durch die zuständige Autorität a) Feststellung der Zwecke (fines; c. 114 § 2 CIC/1983) und deren nutzbringenden Wirkungen (c. 114 § 3, a CIC/1983) b) Nachweis der vorhandenen Mittel zur Zweckerfüllung (c. 114 § 3 b CIC/1983) c) Vorlage der Satzungen (c. 117; cc. 94 – 95; c. 304 CIC/1983), die, in Paragraphen gegliedert, u. a. folgende Elemente enthalten: Name und Sitz; Rechtsstellung (z. B. öffentlicher Verein von Gläubigen), Zweckbestimmung und Tätigkeit, Organisation, mit Angabe der Aufgaben der jeweiligen Organe, gesetzliche Vertretung und Angaben zur Vermögenslage. Zudem Bestimmungen zu Haushaltsvoranschlag und Jahresabschlussrechnung, sofern andere Tätigkeiten wahrgenom-
22 Conferenza Episcopale Italiana, Istruzione in materia amministrativa: Notiziario CEI n. 8/9 (01. 09. 2005), S. 325 – 427.
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men werden (z. B. Pflegeanstalten, Schulen) sowie Angabe über die Abtretung des Vermögens im Falle von Auflösung, usw.23 d) Konsultation anderer zuständiger Gremien oder Einrichtungen e) Errichtungsdekret der zuständigen kirchlichen Autorität (c. 114 § 1 CIC/1983) mit Genehmigung der Statuten und der Einsetzung der Leitung.
2. Ansuchen um zivilrechtliche Anerkennung f) Das bischöfliche Errichtungsdekret sowie die approbierten Satzungen werden vor dem Notar als öffentliche Urkunde ausgefertigt, und zwar in sechsfacher beglaubigter Abschrift (zwei jeweils auf Stempelpapier) g) Bescheinigung des Diözesanordinarius als Bestätigung der Übereinstimmung der Stiftung mit den religiösen Anliegen der Bevölkerung. h) Der gesetzliche Vertreter der errichteten kirchlichen Institution (z. B. bei Stiftungen der Vorsitzende des Stiftungsrates) stellt den Antrag an das Regierungskommissariat um zivilrechtliche Anerkennung (Stempelpapier) mit Angabe der Personalien des gesetzlichen Vertreters, der Rechtsstellung der Körperschaft, der Benennung und des Sitzes und dem Verzeichnisses der beigeschlossenen Unterlagen. Die beigelegten Unterlagen betreffen die Satzung, das Errichtungsdekret, den Bericht über die konkret ausgeübte Tätigkeit mit Angabe des (unbeweglichen und beweglichen) Vermögens und die Finanzierungsmittel. Zudem eine kurze Entstehungsgeschichte der Körperschaft, Angaben zu den eventuellen abhängigen Tätigkeiten (z. B. Schulen u. a.) und Nachweis der Verfügbarkeit des Sitzes. Ebenso beigefügt werden der Haushaltsplan über die Einnahmen und Ausgaben, die Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben der letzten Jahre, die Bestätigung des Kreditinstitutes über das verfügbare Vermögen der Körperschaft sowie die Aufstellung des Immobiliarvermögen mit dem Bericht eines befähigten Technikers (Ingenieur, Architekt, Geometer, etc.).
3. Zivilrechtliche Anerkennung i) Das Ansuchen mit den Unterlagen wird dem Regierungskommissariat bzw. der Präfektur übermittelt, welche die Überprüfung in die Wege leitet bzw. vornimmt. j) Nach der Überprüfung der Unterlagen und der positiven Erledigung wird vom Innenministerium das Dekret ausgestellt, mit dem die Rechtspersönlichkeit der Institution in der italienischen Rechtsordnung anerkannt wird.
23 Siehe die Anweisungen des Regierungskommissariats Bozen, online unter: http:// www.prefettura.it/bozen/contenuti/Katholischer_konfession-43057.htm (eingesehen am 18. 02. 2019).
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k) Mit der Veröffentlichung des Dekretes im Amtsblatt der Republik (Gazzetta Ufficiale) erhält die staatliche Anerkennung Rechtskraft und es greifen die entsprechenden zivilrechtlichen Wirkungen. l) Durch die Eintragung der anerkannten Institution in das Register der juristischen Personen, das bei der staatlichen Behörde (Regierungskommissariat, Präfektur) geführt wird, ist die Institution durch den gesetzlichen Vertreter nun rechtlich geschäftsfähig. Fehlt hingegen die zivilrechtliche Anerkennung, so wird diese Institution im staatlichen Bereich als „ente di fatto“24 bzw. als nicht anerkannte Vereinigung angesehen und unterliegt ausschließlich den staatlichen Gesetzen. Insgesamt kann gesagt werden, dass das Leitprinzip des überarbeiteten Konkordates, durch welches die Beziehung zwischen der Katholischen Kirche und der Republik Italien geregelt werden, auch in diesem wichtigen Bereich der gesetzlichen Handlungsfähigkeit kirchlicher Institutionen durch die zivilrechtliche Anerkennung gewahrt bleibt. Das heißt, dass Staat und katholische Kirche jeweils in ihrem Bereich unabhängig und souverän sind und dass beide in ihrer gegenseitigen Zusammenarbeit für die Förderung des Menschen und das Wohl des Landes dieses Prinzip umfassend respektieren.25
24 Als „ente di fatto“ wird eine Gesamtheit von Personen oder Sachen verstanden, welche keine Rechtspersönlichkeit haben. Dazu gehören Gruppen und Komitees, die sich für bestimmte Anlässe oder zur Durchführung von Vorhaben bilden, wobei dann die beteiligten Personen u. a. direkt verantwortlich sind und bei Schadensfällen haften (ZGB Art. 36 – 42). 25 Accordo Gesetz 121/25. 03. 1985, Art. 1: La Repubblica italiana e la Santa Sede riaffermano che lo Stato e la Chiesa cattolica sono, ciascuno nel proprio ordine, indipendenti e sovrani, impegnandosi al pieno rispetto di tale principio nei loro rapporti ed alla reciproca collaborazione per la promozione dell’uomo e il bene del Paese.
Deutsches Staatskirchenrecht als Integrationschance für islamische Religionsgemeinschaften Von Stefan Muckel
I. Einführung Wilhelm Rees hat in seiner vielfältigen Forschungsarbeit auf religionsrechtlichem Gebiet auch die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse, namentlich den religiösen Pluralismus in Mitteleuropa, intensiv untersucht.1 Dabei hat er zu Recht Fragen mit Blick auf Muslime in der Vordergrund der Überlegungen gestellt.2 In Deutschland geht es insoweit immerhin um etwa 4,5 bis 5 Millionen Menschen.3 Schenkt man der Untersuchung des US-amerikanischen Pew Research Center aus dem Jahre 2017 Glauben, ist von einem weiteren Wachstum der muslimischen Bevölkerung in Deutschland auszugehen.4 Die Untersuchung berechnet den voraussichtlichen Anteil der muslimischen Bevölkerung in Europa bis zum Jahre 2050 anhand von drei unterschiedlichen Szenarien. Dabei ergibt sich, was den wachsenden Anteil der islamisch Gläubigen angeht, eine Spannbreite von 7,4 bis 14,0 Prozent. Der Studie schlug unmittelbar Kritik entgegen und zwar nicht nur mit den Bedenken, sie überziehe die Wirklichkeit. Vielmehr wurde eingewandt, dass aufgrund des rechtlich häufig unklaren Aufenthaltsstatus mit wesentlich höheren Zahlen zu rechnen sei.5 Zugleich wird kontinuierlich die Befürchtung geäußert, der Islam in Europa insbesondere in Deutschland, werde zunehmend fundamentalistisch. So stelle der islamische Fundamentalismus zwar eine globale Herausforderung dar, jedoch sei er auch und insbesondere in den westlichen Ländern auf dem Vormarsch.6 1 Wilhelm Rees, Religion – Staat – Politik. Anmerkungen aus religions- und kirchenrechtlicher Perspektive, in: Datterl/Guggenberger/Paganini (Hrsg.), Glaube und Politik in einer pluralen Welt, 2017, S. 91 ff. 2 Ebd. (Anm. 1), S. 96 ff. 3 Vgl. zu den Angaben der Anzahl der Gläubigen die Statistik von Statistika „Anzahl der Mitglieder in Religionsgemeinschaften in Deutschland“, online unter: https://t1p.de/ddry (eingesehen am 31. 05. 2019). 4 Die Studie ist online unter: https://t1p.de/efx8 zugänglich (eingesehen am 31. 05. 2019). 5 So der niederländische Sozialwissenschaftler Ruud Koopmans (der inzwischen an der Humboldt-Universität in Berlin arbeitet) laut einem Bericht des ZDF v. 30. 11. 2017, vgl. online unter: https://t1p.de/0naf (eingesehen am 31. 05. 2019). 6 Epoch Times v. 26. 02. 2018, online unter: https://t1p.de/na6p (eingesehen am 31. 05. 2019).
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Ob Europa nun tatsächlich „muslimischer“ und zudem noch fundamentalistischer wird, bleibt fraglich. Andere Studien meinen, eine gegenteilige Tendenz nachweisen zu können. Besondere Beachtung hat dabei die Veröffentlichung von Michael Blume „Islam in der Krise“ gefunden.7 Danach besteht in Deutschland kein deutliches Wachstum islamischer Religiosität, sondern vielmehr ein „stiller Rückzug“ vieler Muslime aus ihrer Religion.8 Blume sieht die Gründe dafür in der Eigenheit des Islam, da er anders als das Christentum keine Entscheidungsreligion9 sei. Tatsächlich wird man in der Regel nicht durch eine bewusste Entscheidung zu einem Muslim. Für Konvertiten gilt insoweit freilich etwas anderes. Muslim ist man grundsätzlich als Kind muslimischer Eltern. Einer religiösen Handlung, wie etwa einer Taufe, bedarf es dafür nicht. Bereits aus diesem Grund ergibt sich für Muslime keine Beitrittspflicht zu einer religiösen Organisation. Der Mensch muslimischen Glaubens hat eine unvermittelte und persönliche Beziehung zu seinem Gott. Auch deshalb bedarf es keiner Mitgliedschaft in einem religiösen Verband. Die geringe institutionelle Vertretung durch islamische Religionsverbände findet ihre Ursache somit in den religiösen Grundvoraussetzungen des Islam. Sie geht für viele deutsche Muslime auf eine freiheitlich getroffene Entscheidung zurück.10 Sie lehnen gerade wegen ihrer religiösen Grundüberzeugung die Mitgliedschaft in einem Verband ab. Die geringe institutionelle Organisation allein vermag somit nicht die These von Michael Blume zum „Islam in der Krise“ zu belegen. Denkbar wäre allerdings auch, dass die Verbände für viele Muslime eine unwesentliche Rolle spielen, weil die Religion für sie als solche an Bedeutung verliert. Für Blume begründet die fehlende institutionelle Vertretung ein Dilemma, in dem der Islam in Deutschland sich befinde. Die religionsbedingte Schwäche der Verbände habe einen wesentlichen Anteil daran, dass viele Muslime eine stetig wachsende innere Distanz zu einem Islam in seiner organisierten Form entwickeln. Daraus folge wiederum, dass der Islam zwar kulturell identitätsstiftend wirke, religiös aber an Bedeutung für die Menschen verliere.11 Ein Mittel, um dem entgegen zu wirken und zugleich anderen, öffentlichen Interessen Rechnung zu tragen, können möglicherweise Verträge mit muslimischen Verbänden sein. Solche Vereinbarungen könnten die Verbände stärken, ihnen Rechtspositionen einräumen und ihnen so zu größerem Gewicht und Ansehen in der muslimischen Bevölkerung verhelfen. Zugleich kann der staatlichen Seite gelingen, muslimische Verbände zu Zusagen zu bewegen, die auf andere Weise nicht zu erreichen sind. Allerdings stellen sich einige Fragen. Bereits die Frage, welche Verbände zu einem Vertragsabschluss berechtigt sind, ist keiner einfachen Antwort zugänglich. Dem Staat steht aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aufgrund der re7
Michael Blume, Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug, 22017. 8 Ebd. (Anm. 7), S. 13 ff. 9 Ebd. (Anm. 7), S. 14 – auch zum Folgenden. 10 Dies wurde mir in den Gesprächen mit Vertretern muslimischer Verbände vielfach so geschildert. 11 Blume, Islam (Anm. 7), S. 29.
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ligionsrechtlichen Parität und dem Gleichbehandlungsgebot, kein Wahlrecht bezüglich seines Vertragspartners zu. Er kann nicht Verbände, die ihm aus (gesellschafts-) politischen Gründen zusagen, als Vertragspartner auswählen und andere, die ihm nicht genehm sind, zurückweisen. Die Auswahl seiner potentiellen Vertragspartner muss vielmehr stets auf sachlichen Gründen basieren. Solche Gründe sind unter anderem die Größe einer Religionsgemeinschaft, die gesellschaftliche Bedeutung der Verbände und auch religiöse Eigenheiten, welche der Staat als solche wiederum nicht zu bewerten hat.12 Problematisch ist in dieser Hinsicht die Vielgestaltigkeit des Islam in Deutschland13 und die Tatsache, dass er sich nicht ohne weiteres in den Strukturen des herkömmlichen Staatskirchenrechts erfassen lässt. Diese Schwierigkeiten sind unter anderem dafür verantwortlich, dass in den letzten 50 Jahren, in denen der Islam in Deutschland beständig an Bedeutung gewonnen hat, nicht sehr viel erreicht wurde, um den religiösen Bedürfnissen von muslimischen Gläubigen angemessen Rechnung zu tragen. Das erfordert dringend einen grundlegenden Wandel in der Politik, denn der Islam wird in all seinen in Deutschland vorhandenen Ausprägungen in Deutschland bleiben. Noch in den 1990er Jahren wurde der religiöse Unterricht für muslimische Kinder von Migranten, welche damals noch als „Gastarbeiter“ angesehen wurden, im sog. muttersprachlichen Ergänzungsunterricht damit gerechtfertigt, dass die Kinder nach ihrer Rückkehr in ihr muslimisches Herkunftsland keine oder nur geringe Probleme mit der Sprache und Religion haben sollten. Dies erscheint für den größten Teil der Muslime in Deutschland heute geradezu abwegig. Die muslimischen Einwanderer früherer Jahrzehnte, erst recht ihre Kinder und deren Kinder werden nicht in ihr historisch-biographisches Herkunftsland zurückkehren. Die weitaus überwiegende Zahl der in Deutschland lebenden Muslime ist hier und bleibt hier. Es handelt sich immerhin zu einem ganz erheblichen Teil um deutsche Staatsbürger.14 Trotz der auftretenden Schwierigkeiten im Umgang mit dem Islam muss man sich auf politischer Seite daher die Frage stellen, wie man mit ihm umgeht.
12 So erscheint es z. B. problematisch Aleviten als Muslime zu behandeln, wie dies nicht selten geschieht. Sie verstehen sich zumindest zu einem erheblichen Teil als Angehörige einer eigenständigen Religion. 13 Schon vor Jahrzehnten schrieb ein ausgewiesener Kenner der Materie: „Es gibt kaum eine islamische oder pseudoislamische Richtung oder Sonderheit, die im heutigen Deutschland nicht vertreten wäre.“ So Muhammad Salim Abdullah, Was will der Islam in Deutschland?, 1993, S. 19. 14 Im Jahr 2014 sollen es ca. 45 % der (damals) hier lebenden 3,8 bis 4,3 Mio. Muslime gewesen sein. Vgl. die Publikation des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: Muslimisches Leben in Deutschland, im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz, S. 80, online unter: https://t1p.de/x2sj (eingesehen am 31. 05. 2019).
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II. Das deutsche Religionsverfassungsrecht als Grundlage für gelungene Integration Es ist im Ansatz nicht die Aufgabe des säkularen Staates, besondere religiöse Bedürfnisse in der Bevölkerung zu befriedigen. Der säkulare Staat, wie er durch das Grundgesetz geformt wurde, ist rein weltlich und nicht religiös geprägt.15 Aber er ist nicht laizistisch oder auch nur laikal. Das Grundgesetz sieht einen in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht neutralen Staat vor, der sich als solcher mit keiner bestimmten Religion oder Weltanschauung identifiziert. Dieser Staat favorisiert und begünstigt keine Religion, auch nicht das Christentum, obwohl es das Christentum war, welches im Wesentlichen die wertprägenden Grundlagen der Verfassungsordnung hervorgebracht hat.16 Die Neutralität des Staates in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht ist, nach zeitweilig wohl etwas schwankender, aber heute wieder gefestigt erscheinender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen, die nicht eine distanzierende, die strikte Trennung von Staat und Religion fordernde Grundeinstellung des Staates verlangt.17 In dieser fördernden Haltung liegt der Schlüssel, welchen das Grundgesetz zur Lösung des inzwischen offenkundigen religiösen Pluralismus bereithält. Der neutrale, säkulare, aber auf Offenheit für Religion hin angelegte Staat darf grundsätzlich mit allen Religionsgemeinschaften und anderen religiösen Verbänden zusammenarbeiten. Die Grundlage für eine solche unbefangene Kooperation wird durch das Religionsverfassungsrecht des deutschen Grundgesetztes zuverlässig geschützt.18 In diesem Punkt besteht ein entscheidender Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich. Die französische Laicité lässt sich mit der Geschichte des Landes erklären.19 Sie erweist sich allerdings mittlerweile als Integrationshindernis. Nicht zuletzt deshalb wird Präsident Macron verlangt und angekündigt haben, sie anders auszurichten.20 15 Vgl. bereits Heinrich de Wall/Stefan Muckel, Kirchenrecht, 52017, § 13, Rn. 3; grundlegend in jüngerer Zeit Horst Dreier, Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, 2018. 16 Vgl. Stefan Muckel, Zur christlich-abendländischen Tradition als Problem für den Islam in deutschen Verfassungen und Gesetzen, in: Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, 22010, S. 252 ff. m. w. N. 17 Das dürfte vor allem die Rechtsprechung zum Kopftuch muslimischer Lehrerinnen und Erzieherinnen verdeutlichen: ein distanzierendes Neutralitätsverständnis hielt BVerfGE 108, 282 (132) für verfassungsrechtlich möglich, während BVerfG NJW 2015, 1359 (Lehrerin) und BVerfG NJW 2017, 381 (Erzieherin) allein auf ein offenes, förderndes Verständnis von staatlicher Neutralität abstellen. 18 Axel Frhr. von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, 42006, S. 356; Jörg Ennuschat, Militärseelsorge, 1996, S. 221; Ders., „Gott“ und Grundgesetz, NJW 1998, 953 (955). 19 Vgl. dazu Volker Wick, Die Trennung von Staat und Kirche. Jüngere Entwicklungen in Frankreich im Vergleich zum deutschen Kooperationsmodell, 2007, S. 29 ff. m. w. N. 20 So eine Meldung v. 11. 02. 2018 u. a. online unter: Islamiq.de. Grundlegend zur Trennung von Staat und Religion in Frankreich Wick (Anm. 19).
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Insoweit erweisen sich die religionsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes als vorzugswürdig gegenüber solchen, die eine strenge Trennung von Staat und Religion vorschreiben. Geht man nun also davon aus, dass die Regelungen des Grundgesetzes hinreichend belastbar und flexibel sind, ergibt sich daraus eine bedeutende Integrationschance unter anderem für die in Deutschland lebenden Muslime. Das Grundgesetz enthält vielerlei Regelungen zum Thema Religion und Staat. Die Verfassung trifft zu keinem anderen Bereich des gesellschaftlichen Lebens so viele Regelungen wie zum Thema der Religion. Indem das Grundgesetz der institutionalisierten Religion Entfaltungsräume im Rahmen der Bildung und Erziehung, im karitativen Handeln, in der Denkmal- und Kulturpflege und auch im Gesundheitswesen und im Bestattungsrecht einräumt und zuweist, werden Verfassungserwartungen deutlich.21 Insoweit ermöglicht bzw. erwartet das Grundgesetz eine „Politik der ausgestreckten Hand“22 von den Religionsgemeinschaften. Jahrzehntelang setzte man mit dem Begriff der Religionsgemeinschaften die christlichen Kirchen gleich. Heute, in Zeiten eines weitreichenden religiösen Pluralismus, gewinnt die Wortwahl der Reichsverfassung von 1919, die gem. Art. 140 GG bis heute geltendes Verfassungsrecht normiert, Bedeutung. Es ist dort nicht von den „Kirchen“ die Rede. Die Weimarer Verfassung geht vielmehr neutral und paritätisch von „Religionsgesellschaften“ aus. Das Grundgesetz selbst verwendet den synonymen Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG hinsichtlich des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen. Vor diesem Hintergrund ist eine Politik, die sich um eine Einigung mit muslimischen Verbänden bemüht, auf diese zugeht und ihnen Angebote macht, angesichts der gewünschten Integration eines großen Bevölkerungsanteils nicht nur mutig und sinnvoll, sie erscheint vielmehr verfassungsgeboten. Auf staatskirchenrechtlichen Tagungen und in der Literatur wird seit vielen Jahren, gerade im Hinblick auf die immer weiter wachsende religiöse Vielgestaltigkeit des gesellschaftlichen Lebens, die Zukunftsfähigkeit des deutschen Religionsverfassungsrechts beteuert.23 Das deutsche Recht zum Verhältnis von Staat und Religion
21 Vgl. Josef Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Heinrich Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 25, 1991, S. 104 ff.; ferner Stefan Muckel, Das deutsche Staatskirchenrecht als Rahmen für den Auftrag der Kirchen im freiheitlichen Verfassungsstaat, in: Burkhard Kämper/Klaus Pfeffer (Hrsg.), Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 48, 2015, S. 107 (109 ff.). 22 Felix Bernard, Die Verträge mit den muslimischen Verbänden – eine Konsequenz und Ermöglichung von Religionsfreiheit, Integration und Kooperation?, in: Björn Thümler (Hrsg.), Wofür braucht Niedersachsen einen Vertrag mit muslimischen Verbänden?, Vechta 2016, S. 421 (435). 23 Vgl. etwa Josef Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts – Gegenwärtige Legitimationsprobleme, in: Ders./Wilhelm Rees/Wolfgang Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist (= FS Listl 70), S. 67 ff.; ferner die Nachw. bei Stefan Muckel, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum GG, 33. Lfg. 2011, Art. 140, Rn. 66.
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ist, obwohl es älter ist als das Grundgesetz24 und aus einer Zeit stammt, in der Religion noch mit dem Christentum gleichgesetzt werden konnte, als überaus integrativ, zeitgemäß und zukunftsfähig anzusehen. Es eröffnet heutzutage deutlich weiter reichende Möglichkeiten als bei der Verfassunggebung bedacht. Von den daraus erwachsenden Chancen sollte Gebrauch gemacht werden, um die im religionsrechtlichen Bereich bestehenden Nachteile für Minderheiten dauerhaft zu beseitigen. Diese Erwägungen müssen dazu anregen, insbesondere mit islamischen Verbänden eine Einigung anzustreben, die den Abschluss von religionsrechtlichen Verträgen ermöglicht, so wie dies mit den christlichen Kirchen längst und in großem Maße geschehen ist. Verträge zwischen dem Staat und den Kirchen bestehen mittlerweile in großer Zahl. Eine vertragliche Einigung mit muslimischen Vereinigungen, stellt für den Staat dagegen ein vergleichsweise neues Vorgehen dar. Die ersten Verträge dieser Art konnten 2012 in Hamburg und Bremen geschlossen werden.25 Weitere Länder haben daraufhin einen Vertragsschluss erwogen, zum Teil in Einzelheiten erarbeitet und mit muslimischen Verbänden ausgehandelt.26 Die reichhaltigen Erfahrungen aus den Verhandlungen und Vertragsschlüssen mit den christlichen Kirchen sorgen dabei innerhalb des neuartigen Vorgehens für eine rechtliche Grundlage, die Rechtssicherheit gewährleistet. Neben diesen Bemühungen ist es zudem an der Zeit, die nicht mehr zeitgemäße Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ durch „Religionsrecht“ oder etwas Vergleichbares zu ersetzen, um die entsprechende Rechtsmaterie angemessen zu bezeichnen und eine formale Diskriminierung der nicht christlichen Religionsgemeinschaften zu vermeiden.27
24 Zum Weimarer Staatskirchenrechts vgl. statt vieler Heinrich de Wall, Aufbruch zu neuen Ufern. Die Weimarer Reichsverfassung und ihre Religionsartikel, in: zeitzeichen 3/2019, S. 27 ff. 25 Dazu Gritt Klinkhammer/Heinrich de Wall, Staatsvertrag mit Muslimen in Hamburg: Die rechts- und religionswissenschaftlichen Gutachten, 2012; vgl. auch den Überblick bei Uwe Kai Jacobs, Staatsverträge mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften – Chancen und Grenzen, in: KuR 2016, S. 1 (5 ff. m. w. N.). 26 Auch dazu Jacobs (Fn. 25). 27 Vgl. aus jüngerer Zeit Mathias Pulte, Grundfragen des Staatskirchen- und Religionsrechts, 2016, S. 202, der allerdings für die Bezeichnung „Religionsrecht“ plädiert; grundlegend Christian Heinig/Hans M. Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? Ein begriffspolitischer Grundsatzstreit, 2007.
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III. Staatsverträge mit muslimischen Religionsgemeinschaften als Grundlage für die gemeinsame Lösung bestehender Probleme 1. Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften im Allgemeinen28 Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften im modernen Sinne29 sind hierzulande zulässig, soweit beide Institutionen keine rechtliche Einheit bilden. Dies ist in Deutschland seit 1918 mit dem Ende der Monarchie und der Beseitigung des Staatskirchentums der Fall. Seitdem wurde diese Vertragsabschlussmöglichkeit insbesondere von den christlichen Kirchen in einem erheblichen Umfang genutzt. Gleichwohl steht es grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften offen, Verträge mit dem Staat abzuschließen, wobei dies besonders bei muslimischen Vereinigungen zum Teil mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. 2. Verträge mit muslimischen Verbänden als Regelwerk, das Probleme aufzeigt und gemeinsame Lösungsansätze ermöglicht Obschon das deutsche Religionsverfassungsrecht auf die unbefangene Kooperation mit den Religionsgemeinschaften angelegt ist, hat es bislang wie angedeutet, nur wenige Verträge mit muslimischen Verbänden ermöglichen können. Nur die Stadtstaaten Hamburg und Bremen haben vor einigen Jahren (2012) Verträge mit muslimischen Vereinigungen, die darin ausdrücklich als Religionsgemeinschaften bezeichnet werden, geschlossen.30 Die von Seiten des Staates herrschende Zurückhaltung in diesem Bereich findet ihren Grund bei formaler Betrachtung darin, dass es an einem vielfach geforderten „Ansprechpartner“ fehlt. Insoweit bestehen zum Teil auch heute noch dieselben Schwierigkeiten, die schon Wilhelm Rees in seiner Dissertation aus dem Jahre 1986 beschäftigten.31 Da der Islam als Religion keine Organisationen und Institutionen erfordert, lässt er sich vertraglich schwer fassen. Hinzu kommt, dass auch der Islam als Glaubensrichtung in Deutschland Gründe bereithält, weshalb bislang nur so wenige Verträge mit muslimischen Verbänden bestehen. Keine andere Religion stellt sich derart vielfältig dar wie der Islam. Er ist höchst heterogen und innerhalb der verschiedenen Ausprägungen stark umstritten. Er ist die 28
Näher Heinrich de Wall/Stefan Muckel, Kirchenrecht, 52016, § 15. Zu den historischen Entwicklungen vgl. nur David Wengenroth, Die Rechtsnatur der Staatskirchenverträge und ihr Rang im staatlichen Recht, 2001, S. 25 ff.; Gerhard Czermak/ Erik Hilgendorf, Religions- und Weltanschauungsrecht, 22018, Rn. 362 ff. 30 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucks. 20/5830 v. 13. 11. 2012, S. 4 ff.; Bremische Bürgerschaft, Drucks. 18/693 v. 11. 12. 2012, S. 1 ff. 31 Vgl. seine Ausführungen zur Erteilung von Religionsunterricht „berechtigter Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften“ in: Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, 1986, S. 163 f. 29
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Grundlage für einen Islamismus, dessen Gewaltausbrüche weltweit Angst und Schrecken verbreiten. Dieser Hintergrund trägt dazu bei, dass demokratische Politiker zurückhaltend und vorsichtig, vielleicht übervorsichtig agieren. Dessen ungeachtet oder gerade angesichts all dieser Schwierigkeiten, die der staatliche Umgang mit dem Islam in Deutschland aufwirft, sind Verträge mit muslimischen Verbänden geboten. Ein Vertrag als Rechtsinstitut bildet das Instrument, um Interessen, auch solche, die erheblich voneinander abweichen, zu bezeichnen und zu einem Ausgleich zu führen. Die islamischen Glaubensinhalte beschäftigen die Rechtsprechung hierzulande seit Jahrzenten in einem erheblichen Umfang. Es haben sich zahlreiche Probleme entwickelt, welche zum Teil gesellschaftliche Spannungen hervorrufen. Viele dieser Probleme finden sich in den Verträgen und den Vertragsentwürfen, die in manchen Bundesländern entstanden sind, wieder. Nimmt man etwa den Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen, der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB Niedersachsen und Bremen e. V. und der Islamischen Religionsgemeinschaft SCHURA Niedersachsen – Landesverband der Muslime e. V. zur Hand, dann geht es darin unter anderem um den Bau und Betrieb von Moscheen, um islamische Schulen in privater Trägerschaft, aber auch um die Schulpflicht bei dem Besuch staatlicher Schulen. Es geht um den in Art. 7 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach und darum, wann Schulkinder in der Schule beten dürfen und dass Lehrerinnen islamischen Glaubens berechtigt sind, während ihrer Arbeit ein Kopftuch zu tragen. Darüber hinaus geht es um den Eigentumsschutz der islamischen Religionsgemeinschaften und ihrer Mitgliedsgemeinden, um die Bestattung nach islamischen Traditionen in Deutschland, um muslimische Feiertage, um islamische Theologie an der staatlichen Universität, um religiöse Betreuung von Muslimen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Hospizen. Zudem sind finanzielle Zuwendungen beabsichtigt und es wird das Bestreben der muslimischen Vertragspartner, sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu organisieren, vertraglich festgehalten, wobei die Umsetzung der Organisationsform nicht zugesichert ist. Zu betonen ist im Übrigen, dass im Rahmen der ersten Vertragsbestimmungen die Werte und Ziele des Grundgesetzes als Grundstein des Vertrags ausgewiesen werden.32 Mit verschiedener Schwerpunktsetzung werden die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die negative Religionsfreiheit, die Toleranz gegenüber anderen Kulturen sowie die Ächtung von Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientie-
32 Vgl. den Entwurf des Vertrags zwischen dem Land Niedersachsen, der Islamischen Religionsgemeinschaft DITIB Niedersachsen und Bremen e. V. und der Islamischen Religionsgemeinschaft SCHURA Niedersachsen – Landesverband der Muslime e. V. (Stand: 14. 06. 2016) online auf der Internetseite des niedersächsischen Kultusministeriums: www.mk.nieder sachsen.de; Würdigung u. a. bei Riem Spielhaus/Martin Herzog, Religionspolitische Ansätze und Maßnahmen zur rechtlichen Anerkennung des Islams, in: KuR 2016, S. 14 (21 f.).
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rung, Glauben oder religiöser oder politischer Anschauungen als Vertragsgrundlage herausgestellt.33 Insoweit stellen die Verträge mit muslimischen Verbänden eine Zusammenfassung des bestehenden Konfliktfeldes dar und bezeichnen darüber hinausgehend eindeutig das verfassungsrechtliche Fundament, auf dem sich die Vertragspartner bewegen. Die Verträge ermöglichen es, die beidseitig als Probleme wahrgenommenen Umstände, welche für den Islam in Deutschland und im Umgang mit ihm zu bewältigen sind, in einem geschützten Raum anzusprechen und gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten. Auf dieser Basis können sie die rechtliche Grundlage für eine Problemlösung bieten. Um auch dauerhaft von diesen Einigungen zu profitieren schreibt Art. 13 des hamburgischen Vertrags mit DITIB, SCHURA und VIKZ eine erneute Verhandlung nach Ablauf von zehn Jahren vor. Im Lichte der gewonnenen Erfahrungen soll dann die Notwendigkeit von Änderungen erörtert werden.
3. Die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit als Integrationshindernis? Des Weiteren darf auch die verfassungsrechtliche Ursache dafür, dass die Probleme mit dem islamischen Glauben und dessen Praktiken als besonders schwerwiegend empfunden werden, nicht übersehen werden. Bei der grundrechtlichen Religionsfreiheit, welche durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet wird, handelt es sich nach der ganz gefestigten Rechtsprechung des BVerfG um ein sog. vorbehaltloses Grundrecht.34 Ein solches Grundrecht kann nicht durch Regelungen des einfachen Gesetztes, seien es etwa baurechtliche Vorschriften,35 wenn es um den Bau einer Moschee geht, oder durch immissionsrechtliche Normen in Bezug auf den Ruf des Muezzins, eingeschränkt werden. Aus diesem Grund wurde zum Beispiel nach der Entscheidung des BVerfG zum Schächten, also zum betäubungslosen Töten von Tieren zum glaubenskonformen Genuss von Fleisch,36 das Grundgesetz geändert und der Tierschutz in Art. 20a GG mit Verfassungsrang ausgestattet. Es bedarf stets eines 33 Vgl. ergänzend zum Entwurf in Niedersachsen (Anm. 32): Art. 2 des Vertrags zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren vom 14. 08. 2012. 34 Zu einem Gegenentwurf in der Lit. vgl. Edzard Schmidt-Jortzig, Bedingungen der Religionsfreiheit im toleranzverpflichteten Staat, in: Andreas Hoyer/Hans Hattenhauer/Rudolf Meyer-Pritz/Werner Schubert (Hrsg.), Gedächtnisschrift f. Jörn Eckert, 2008, S. 823 (829 ff.); Stefan Muckel, Religionsfreiheit gestern, heute, morgen, 2017, S. 23 ff. m. w. N. zum Gesetzesvorbehalt aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV. 35 Sehr ungenau und in dieser Form, soweit ersichtlich, einmalig in der Rspr. des BVerfG allerdings das Judikat der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG, NVwZ 2016, 1804 (1806 Rn. 53): „Zu den immanenten Schranken der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gehören für die Errichtung von Kultusstätten anerkanntermaßen die Beschränkungen, die im Bauordnungs- und Bauplanungsrecht ihren Ausdruck finden …“. 36 BVerfGE 104, 337.
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Grundrechtes Dritter oder eines anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswertes, welches bzw. welcher eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigt. Dies ist grundsätzlich auch praktisch umsetzbar. Verträge, welche die wichtigen muslimischen Verbände binden, können jedoch in diesem Rahmen eine bedeutende Erleichterung bewirken. Sie ermöglichen einvernehmliche Lösungen in einem Bereich, in dem ansonsten eine komplexe Abwägung durch die Gerichte getroffen werden müsste, die für alle Beteiligten schwer vorhersehbar ist. 4. Die mangelnde Repräsentation der deutschen Muslime durch Dachverbände als Vertrags- und Integrationshindernis Zugleich darf der eingeschränkte Organisationsgrad der in Deutschland lebenden Muslime nicht außer Acht gelassen werden. Aufgrund der im Islam grundsätzlich nicht vorgesehenen formellen Organisation, wie wir sie aus dem Christentum kennen, repräsentieren die muslimischen Verbände bei weitem nicht alle hier lebenden Menschen islamischen Glaubens. Diese geringe Repräsentation gilt dabei für alle Vereinigungen, selbst für diejenigen mit einer Mitgliederzahl im fünfstelligen Bereich. Auch wenn man, wie das BVerwG davon ausgeht, dass für eine ausreichende Mitgliederstruktur die förmliche Mitgliedschaft eines Familienmitgliedes für die ganze Familie ausreicht,37 und die Mitgliederzahlen deshalb vervierfacht werden können, wird nur ein kleiner Teil der rund fünf Millionen deutscher Muslime durch die Verbände repräsentiert. Aufgrund der begrenzten Vertretung und der geringen Repräsentanz wird in der Politik und innerhalb der rechtswissenschaftlichen Literatur eingewandt, dass derartige Verbände als Vertragspartner ausscheiden müssen.38 Diese Annahme kann jedoch nicht überzeugen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb Vereinigungen mit mehreren tausend Mitgliedern und anderen zugehörigen Personen, welche regelmäßig die Angebote der Gemeinschaften nutzen, nicht auch Vertragspartner des Staates sein dürfen. Schließlich bestehen hierzulande weitaus kleinere Religionsgemeinschaften, mit denen der Staat längst Verträge abgeschlossen hat.39 Die Notwendigkeit, die Besonderheiten des Islams im Rahmen des Vertragsschlusses zu berücksichtigen, da er an sich keine mitgliedschaftlich strukturierte Organisation kennt und eine solche erst für das deutsche Religionsverfassungsrecht aufbaut, übersteigt nicht die Grenzen des rechtlich Zulässigen. Die Vertragsschlüsse 37
BVerwG, NJW 2005, 2101 (2107). Vgl. etwa B. Lindner, Verträge als Zwischenschritt zum Körperschaftsstatus?, in: Björn Thümler (Hrsg.), Wofür braucht Niedersachsen einen Vertrag mit muslimischen Verbänden?, 2016, S. 346 (352 f.); schon zuvor Ansgar Hense, Staatsverträge mit Muslimen – eine juristiche Unmöglichkeit?, in: Stefan Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge. Colloquium aus Anlaß des 75. Geburtstags von Alexander Hollerbach, 2007, S. 115 (170 f.). 39 Vgl. nur den Überblick bei U. K. Jacobs, Staatsverträge mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften – Chancen und Grenzen, in: KuR 2016, S. 1 (3 ff. m. w. N.). 38
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können die Attraktivität der Verbände für die Gläubigen, die sich bislang noch keiner Organisation förmlich angeschlossen haben, steigern. Insbesondere die Errichtung und die Berechtigung zur Teilnahme an einem islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen begründen einen großen Beitrittsanreiz. Viele Eltern könnten sich dadurch zu einem Verbandsbeitritt motivieren lassen. Darüber hinaus sollte in diese Überlegung miteinbezogen werden, dass vergleichsweise kleine Religionsgemeinschaften in jedem Fall einen besseren Gesprächs- und Verhandlungspartner darstellen als Beiräte, die, abgesehen von wesentlichen verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Religionsunterrichts,40 wohl auch von den Muslimen überwiegend als zu paternalistisch empfunden werden. Solange die Vereinigungen genügend Mitglieder haben, um in den erforderlichen Bereichen arbeitsfähig zu sein, sollte eine niedrige Repräsentanz innerhalb der Glaubensgemeinschaft einem Vertragsschluss nicht entgegenstehen. 5. Vertragspartner der Staatsverträge im Rahmen des Religionsverfassungsrechts a) Auf staatlicher Seite Die Berechtigung zum Abschluss von Staatsverträgen mit Religionsgemeinschaften richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung und somit nach Art. 30, 70, 83 GG. Im Hinblick auf die erforderliche Umsetzung des Vertragsinhaltes im Wege der Transformation durch Parlamentsgesetz, richtet sich die Befugnis zum Vertragsschluss nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung.41 Daraus ergibt sich, dass die Vertragsabschlusskompetenz des Bundes auf die Regelungsmaterie der Art. 73 und 74 GG beschränkt ist und den Ländern nahezu sämtliche Regelungsbefugnisse42 im Bereich des Religionsrechts zustehen. Insoweit sind es auf staatlicher Seite regelmäßig die Länder, welche als Vertragspartner gegenüber den Religionsgemeinschaften auftreten. b) Auf Seite der religiösen Verbände Auf Seiten der Religionsgemeinschaften kommt ein Vertragsschluss besonders im Hinblick auf das Ziel, den islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach zu ermöglichen, nur mit Verbänden in Betracht, die Religionsgemeinschaften sind. Die Frage danach, ob eine Religionsgesellschaft gegeben ist, stellt in der Regel das größte Problem bei der Frage nach einer Legitimation zum 40 Vgl. die Untersuchung von Karoline Schweizer, Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nach dem Beiratsmodell in Nordrhein-Westfalen. Diss. Köln 2016, online unter: https://t1p.de/i3fo (eingesehen am 31. 05. 2019). 41 Vgl. zu den Einzelheiten und dem Verfahren Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rn. 285 ff. 42 Mit Ausnahme der von Art. 73 Nr. 1 GG erfassten Militärseelsorge.
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Vertragsschluss dar. Denn die Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft im Sinne der Vorschriften des Religionsverfassungsrechts, z. B. hinsichtlich des Art. 7 Abs. 3 GG, sind nicht eindeutig. Der Begriff der Religionsgemeinschaft wird auch heute noch, 100 Jahre nach Erlass und Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung mit Rücksicht auf den wohl bedeutsamsten Kommentator dieser Verfassung, Gerhard Anschütz, ausgelegt. Angesichts der Tatsache, dass das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes nicht nur auf der Weimarer Verfassung basiert, sondern es in seinem Kern übernommen hat, erscheint diese Herangehensweise schlüssig. Anschütz’ Ausführungen zugrunde zu legen ist gleichwohl problematisch, da seine Erörterungen aus einer Zeit stammen, in der eine religiös pluralistische Gesellschaft nicht im Ansatz vorhanden war. Der dennoch immer wieder hergestellte Bezug basiert letztlich darauf, dass bislang keine andere, juristisch stimmiger erscheinende Begriffsbestimmung besteht. Nach Gerhard Anschütz ist unter einer Religionsgemeinschaft ein Verband zu verstehen, der die Angehörigen eines und desselben oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse für ein Gebiet zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst.43 Auf der Grundlage dieser Definition kommt es insbesondere im Hinblick auf die hierzulande neuartigen Verträge mit muslimischen Verbänden zu Unsicherheiten. Aus der Definition sind daher nähere Voraussetzungen abgeleitet worden. Danach muss insbesondere ein weitreichender, aber nicht vollkommener Konsens über religiöse Inhalte bestehen. Das Religiöse muss im Zentrum der Verbandstätigkeit stehen, die der Religion als Ganzes dient und nicht nur ausgewählte Bereiche einer umfangreicheren religiösen Lehre ausübt. Daneben bedarf es einer Organisationsstruktur, die eine ausreichende Anzahl an Mitgliedern vorweisen kann. Im Rahmen der Organisation muss nicht nur die Zuordnung der dem Verband angehörigen Personen, sondern auch eine hinreichend nachvollziehbare Willensbildung sowie eine Vertretung nach außen gewährleistet sein. Dass auch Dachverbände, die nicht unmittelbar aus natürlichen Personen bestehen sondern ihrerseits aus Verbänden gebildet werden, Religionsgemeinschaften sein können, hat das BVerwG44 bereits im Jahre 2005 im Hinblick auf zwei muslimische Organisationen entschieden. Voraussetzung sei lediglich, „dass für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden“45 und der Dachverband nicht nur für die Koordinierung der Aktivitäten von angeschlossenen Verbänden zuständig ist. Eine solche identitätsstiftende Aufgabe könnte beispielsweise die Festlegung von Feiertagen, die Organi43 Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl. 1933, Art. 137 Anm. 2 (S. 633). 44 BVerwG NJW 2005, 2101 ff.; anders nun im Einzelnen wieder OVG NRW, Urt. v. 9. 11. 2017 – 19 A 997/02, juris; dagegen wiederum BVerwG NVwZ 2019, 236. 45 BVerwG NJW 2005, 2101 (2104); mit beachtlichen Erwägungen krit. Hans Michael Heinig, „Religionsgemeinschaft/Religionsgesellschaft“: Herkunft, aktuelle Bedeutung und Zukunft einer religionsverfassungsrechtlichen Zentralkategorie, ZevKR 64 (2019), S. 1 (15 ff.).
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sation von Fortbildungen für Geistliche und Jugendliche oder auch Vergleichbares sein.46 Es muss nicht Lehrautorität für die angeschlossenen Unterverbände und die zu ihnen gehörenden Gläubigen ausgeübt werden.47 Mit der Entscheidung, Dachverbände als Religionsgemeinschaften anzusehen, ist das BVerwG den islamischen Verbänden weit entgegen gekommen.48 Es berücksichtigt damit die Schwierigkeiten, welche für die islamischen Glaubensgemeinschaften seit Jahrzehnten aufgrund der Strukturen des traditionellen Staatskirchenrechts bestehen. Das Entgegenkommen erscheint angesichts der vielen betroffenen Personen und hinsichtlich der Lösbarkeit der praktischen Probleme besonders angebracht. Soweit die muslimischen Verbände in Deutschland tätig werden wollen, müssen sie sich selbstverständlich an das geltende Recht halten.49 Sofern jedoch Spielräume bei der Frage, ob eine Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft angesehen werden kann, bestehen, sollten sie ausgeschöpft und zugunsten der Verbände genutzt werden. Es darf nach einem sich jahrzehntelang entwickelten umfangreichen und hochausdifferenzierten muslimischen Leben in Deutschland nicht darum gehen, die staatskirchenrechtlichen Begriffe so eng auszulegen, dass sie eine Anpassung an die entstandenen Umstände verhindern. Ein solcher Dogmatismus wäre auf Ausgrenzung angelegt. Ausgrenzung führt zu Segregation im gesellschaftlichen Leben, die wiederum die Grundlagen für unfriedliche Tendenzen in sich birgt.50 Insofern sollte es vielmehr darum gehen, die Offenheit des deutschen Religionsverfassungsrechts auch in Bezug auf die muslimischen Glaubensvorstellungen und Vereinigungen unter Beweis zu stellen. Dadurch kann zugleich die Zukunftsfähigkeit des deutschen Religionsverfassungsrechts gesichert werden. Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Bemühungen um Verträge zwischen dem Staat und den muslimischen Religionsgemeinschaften.
46 Näher bereits Stefan Muckel, Muslimische Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Peter Antes/Rauf Ceylan (Hrsg.), Muslime in Deutschland. Historische Bestandsaufnahme, aktuelle Entwicklungen und zukünftige Forschungsfragen, 2017, S. 77 (88). 47 A. A., aber unrichtig OVG NRW, Urt. v. 9. 11. 2017 – 19 A 997/02, juris. Die Entscheidung wurde zu Recht vom BVerwG aufgehoben: BVerwG NVwZ 2019, 236. 48 BVerwG NJW 2005, 2101 ff. 49 Vgl. Bernd Lindner, Verträge als Zwischenschritt zum Körperschaftsstatus?, in: Björn Thümler (Hrsg.), Wofür braucht Niedersachsen einen Vertrag mit muslimischen Verbänden?, 2016, S. 346 (361). 50 Vgl. nur Reinhard Merkel, Wir können allen helfen. Wie man das Gute will, aber das Böse schafft: Die deutsche Flüchtlingspolitik ist ein moralisches Desaster, in: F. A. Z. v. 22. 11. 2017, S. 9.
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IV. Der Vertrag mit einer Religionsgemeinschaft als Staatsvertrag? Sofern die Länder mit muslimischen Verbänden Einigungen erreichen und diese vertraglich festhalten, kann dieses Übereinkommen durchaus als „Staatsvertrag“ bezeichnet werden. Entgegen abweichenden Überzeugungen besteht kein verbindlicher Begriff eines Staatsvertrages, der, wie zum Teil vertreten wird,51 auf die Übereinkunft zwischen zwei Staaten, also beispielsweise zwischen zwei Ländern, beschränkt ist. Diese sogenannten interföderalen Staatsverträge existieren vielmehr bereits in einem erheblichen Umfang. Beispielhaft dafür sind insbesondere die Staatsverträge zu Rundfunk und Fernsehen. Auch weitere Abkommen, die sich nicht auf reine Verwaltungsabkommen beschränken, werden gelegentlich als Staatsverträge bezeichnet. Dieser Begriff ist ein „sinnvariierender Sammelbegriff für verschiedene Arten von Verträgen“52. Von einem „Staatsvertrag“ spricht man daher sowohl in einem allgemeinen als auch in einem politischen Kontext auch dann, wenn der Staat einen Vertrag mit einer gesellschaftlichen Organisation schließt. So wurde auch das 2018 getroffene Übereinkommen zwischen dem Freistaat Bayern und dem Landesverband der Sinti und Roma nicht nur von der Süddeutschen Zeitung als „Staatsvertrag“ bezeichnet.53 Im Rahmen des Vertragsschlusses zwischen dem Land Hessen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen aus dem Jahre 1986 war sogar in der amtlichen Begründung zu dem Zustimmungsgesetz des Landtags ausdrücklich davon die Rede, dass „dieser Staatsvertrag der Zustimmung des Landtages“ bedürfe.54 Gleichwohl ist bei Verträgen zwischen dem Staat und einer Organisation nicht stets von einem Staatsvertrag die Rede. So werden die in großer Zahl abgeschlossenen Übereinkommen zwischen den Ländern und der evangelischen Kirche in Deutschland bzw. zwischen den Ländern und der katholischen Kirche nicht als „Staatsvertrag“ tituliert.55 Sie werden regelmäßig schlicht als „Verträge“, oder auf katholischer Seite als Konkordate bezeichnet. Wählt man diesen Weg auch bei der Bezeichnung von Vertragsschlüssen mit muslimischen Religionsgemeinschaften,
51 Vgl. etwa Uwe Kai Jacobs, Staatsverträge mit nichtchristlichen Religionsgemeinschaften – Chancen und Grenzen, in: KuR 2016, S. 1 (10). 52 David Wengenroth, Die Rechtsnatur der Staatskirchenverträge und ihr Rang im staatlichen Recht, 2001, S. 209. 53 SZ v. 21. 02. 2018, S. 32: „Zeichen der Wertschätzung. Bayern schließt Staatsvertrag mit dem Landesverband der Sinti und Roma. Noch immer gibt es Diskriminierung“; vgl. zudem BR v. 07. 06. 2018: „Staatsvertrag zwischen Bayern und Sinti & Roma ratifiziert“, online unter: https://t1p.de/ohf4 (eingesehen am 31. 5. 2019). 54 Abgedruckt bei Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd., 1987, S. 862. 55 Es sei zur Veranschaulichung nur auf die Veröffentlichung von Joseph Listl (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, 1987, verwiesen.
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können sich in dieser Hinsicht keine juristischen Differenzen ergeben, welche eine Einigung in überflüssiger Weise erschweren würden.56
V. Schluss Betrachtet man nun die sich aus einem Vertragsschluss zwischen den Ländern und den muslimischen Verbänden ergebenden Chancen, sollte entschlossen auf einen solchen hingearbeitet werden. Der Spielraum den die Möglichkeit zum Vertragsabschluss bietet, sollte dazu genutzt werden, um möglichst viele beiderseitigen Interessen in Einklang zu bringen. Das Instrument des Vertrags ermöglicht es, Nachteile für die hier lebenden und überwiegend über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügenden Muslime zu beseitigen. Man könnte darin nun einen Beitrag zur Integration sehen, vorzugswürdig erscheint es jedoch, dies als einen wichtigen Schritt zu einer religionsverfassungsrechtlichen Normalität zu verstehen. Gelungene Integration erfordert, wie auch Wilhelm Rees mit Recht unlängst herausstellte, neben einem Übereinkommen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften einen offenen und ehrlichen Beitrag von Kirche, Staat, Politik und Gesellschaft.57 Verträge zwischen muslimischen Verbänden und den Ländern sollten dabei in der Tat einen festen Platz einnehmen.
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Das dürfte auch gegenüber der in der Literatur vorgeschlagenen Bezeichnung „religionsverfassungsrechtlicher Vertrag“ vorzugswürdig sein, wofür Ansgar Hense, Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit?, in: Stefan Mückl (Hrsg.), Das Recht der Staatskirchenverträge, 2007, S. 115 (146), in Anlehnung an Christian Walter plädiert und im Übrigen einräumt, dass Verträge mit muslimischen Verbänden „in die Nähe von Staatsverträgen“ gelangen, ebd. S. 145. 57 Wilhelm Rees, Religion – Staat – Politik. Anmerkungen aus religions- und kirchenrechtlicher Perspektive, in: Monika Datterl/Wilhelm Guggenberger/Claudia Paganini (Hrsg.), Glaube und Politik in einer pluralen Welt, 2017, S. 91 (102).
Geistliches und Weltliches aus der Sicht des katholischen Kirchenrechts Von Ludger Müller Wie verhalten sich weltliche und geistliche Ordnung zueinander? Sind gegenseitige Einflussnahmen zulässig oder ausnahmslos abzulehnen? Darf sich die weltliche Autorität zu religiösen Fragen äußern und einen Einfluss auf die inneren Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften ausüben? Sind – umgekehrt – politische Stellungnahmen religiöser Amtsträger zulässig? Wer sich wie Wilhelm Rees häufig mit Fragen des geltenden Rechts der Kirche beschäftigt, kommt nicht daran vorbei, auch die weltliche Ordnung in den Blick zu nehmen, zumal es Fragen gibt, die das weltliche in derselben Weise wie das kirchliche Recht betreffen (sog. „res mixtae“).1 Das Problem des Verhältnisses zwischen geistlichem und weltlichem Bereich ist spätestens seit der islamischen Revolution im Iran, seit der Zeit der Herrschaft der Taliban in Afghanistan und seit den Umsturzbewegungen im arabisch-afrikanischen Raum in besonderer Weise ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten. Wie Libero Gerosa festgestellt hat, „neigt man nach den Ereignissen des 11. September 2001 und 1 Genannt sei der Themenbereich des Religionsunterrichts, dem sich Rees seit seiner Promotion (Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986) immer wieder zugewandt hat, aber auch andere Schnittstellen von kirchlichem und weltlichem Recht (vgl. z. B. Katholische Kirche im neuen Europa. Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder, hrsg. von Wilhelm Rees, Wien/Berlin 2007) sowie Denkmalschutz (Denkmalschutz in Österreich. Rechtliche Vorgaben der römisch-katholischen Kirche und der Republik Österreich, in: Auf der Klaviatur der Rechtsgeschichte. Festgabe für Kurt Ebert zum 75. Geburtstag. In zwei Bänden. hrsg. von Andreas Raffeiner, Hamburg 2019 (= Rechtsgeschichtliche Studien 84), S. 689 – 730), sexueller Missbrauch (Koordiniertes Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch. Die Normen der Kongregation für die Glaubenslehre über die delicta graviora vom 21. 05. 2010, in: Heribert Hallermann/Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch, Würzburg 2012 (= WTh 9) S. 67 – 135) sowie der Umweltschutz (Katholische Kirche und Umweltschutz: Berührungspunkte zum Bergbau), in: Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamo/Johann Bair (Hrsg.), Bergbau und Umwelt. 15. Internationaler Montanhistorischer Kongress in Sterzing, Hall in Tirol, Schwaz 2016, 1. Bd., Hall in Tirol/Wien 2017, S. 255 – 299). Erwähnt sei zudem die kirchenrechtliche Tagung vom Februar 2016, die (auch) unter der Verantwortung von Wilhelm Rees stattgefunden hat; vgl. hierzu die Publikation der wichtigsten Tagungsergebnisse: Wilhelm Rees/Ludger Müller/Christoph Ohly/Stephan Haering (Hrsg.), Religiöse Vielfalt. Herauforderungen für das Recht, Berlin 2019 (KStT 69).
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vor dem Hintergrund der in der Folgezeit steigenden Zahl terroristischer Akte in verschiedenen europäischen Städten, die alle in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit religiösen Fundamentalismen von islamischem Zuschnitt stehen, dazu, sofort und ohne Hinterfragen dem Beispiel der radikalsten Laizisten zu folgen und die strikte Trennung von Politik und Religion zu fordern, um das Gemeinwohl einer Gesellschaft zu sichern und einen langanhaltenden Frieden zwischen den Völkern sowohl in Europa als auch in der restlichen Welt zu gewährleisten“.2 Im Zusammenhang des Kampfes islamistischer Kräfte gegen die von ihnen als „gottlos“ empfundenen westlichen Gesellschaftssysteme und gegen die dahinter stehenden Werte wird der Versuch der Errichtung eines islamischen „Gottesstaats“ unter Geltung der Scharia, des religiösen Gesetzes des Islams, weithin als Bedrohung für die in langen und harten Auseinandersetzungen erreichten Freiheiten und Menschenrechte erkannt. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden einige grundlegende Hinweise zur Beziehung von Weltlichem und Geistlichem aus der Sicht des kanonischen Rechts und v. a. der kanonistischen Tradition vorgelegt werden.
I. Volk Gottes – Staatsreligion – Politische Religionen Die Verbindung von religiöser und weltlicher Sphäre ist keineswegs ein ausschließliches Merkmal islamischer Überzeugungen. Schon der Gott des Alten Testaments erschien als der Gott eines Volkes, als der Gott Israels, der sein Volk durch Mose und andere menschliche Diener leitete und es aus der ägyptischen Zwangsherrschaft in das gelobte Land führte. Im Alten Testament gab es also eine enge Verbindung zwischen einem bestimmten Volk und seinem Gott, zwischen Religion und öffentlicher Ordnung. Und das Faktum, dass das Neue Volk Gottes, d. h. die Kirche, ein Volk aus allen Nationen ist,3 hat nicht verhindert, dass es im Laufe der Geschichte zu einer engen Verbindung zwischen weltlicher und religiöser Ordnung, zwischen Thron und Altar, zwischen Staat und Kirche kam. Die gemeinsame Verehrung derselben Götter bzw. desselben Gottes stellte im Römischen Reich geradezu ein konstitutives Element der Einheit des Reiches dar.4 „Stoische Philosophie verstand das Reich als Ausdruck der Einheit einer pantheis2
Libero Gerosa, L’identità laica dei cittadini europei: inconciliabile con il monismo islamico? Implicazioni giuridico-istituzionali del dialogo interreligioso, Soveria Mannelli 2009, S. 9 f. 3 Vgl. z. B. LG 13, 2: „In allen Völkern der Erde wohnt also dieses eine Gottesvolk, da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt, Bürger eines Reiches freilich nicht irdischer, sondern himmlischer Natur“. 4 Vgl. hierzu z. B. Joseph Listl, Der Wandel vom christenverfolgenden zum ketzerverfolgenden spätantiken römischen Staat. Kirche und Staat bei Bischof Optatus von Mileve, in: Winfried Aymans, Karl-Theodor Geringer (Hrsg.), Iuri Canonico Promovendo. Festschrift für Heribert Schmitz, Regensburg 1994, S. 645 – 673, hier bes.: S. 645 f.
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tisch aufgefaßten Welt. Diese Einheit war sichtbar und verbürgt in der Person des Caesar Augustus, des ,verehrungswürdigen Kaisers‘. Politische Philosophie, das Vorbild östlichen Herrscherkults, überhaupt antike Religiosität, die gern bereit war, in gewaltigen Ereignissen oder übermächtigen Menschen die Epiphanie des Göttlichen zu verehren, – alles zusammen ließ schon beim ersten Augustus und im steigenden Maße bei seinen Nachfolgern dem Genius des Kaisers religiöse Verehrung zukommen und forderte alsdann von allen Bürgern den Kult des Kaisers als Zeichen der Treue zu Volk und Staat.“5 Neben der offiziellen Staatsreligion waren zwar andere „private“ Kulte möglich, allerdings nur sofern sie nicht – wie dies jedoch jüdischer und christlicher Glaube taten – einen Ausschließlichkeitsanspruch erhoben, der die Anbetung der Staatsgötter untersagte. Das war der Grund für die Christenverfolgungen. Das Ende der Christenverfolgung musste sodann geradezu dazu führen, dass das Christentum an die Stelle der bisherigen Staatsreligion trat, denn ein Auseinanderklaffen von religiöser und staatlicher Ordnung erschien im Römischen Reich undenkbar.6 Das Miteinander von geistlicher und weltlicher Sphäre galt in der Folgezeit für das Frankenreich7 ebenso wie für das Deutsche Reich des Hohen und Späten Mittelalters – bei allen Auseinandersetzungen zwischen imperium und sacerdotium.8 Erst die Reformation beseitigte diese umfassende religiöse Einheit und ersetzte sie in Deutschland durch ein System von religiöser Parität auf der Ebene des Reiches und konfessioneller Einheitlichkeit auf Landesebene nach dem Grundsatz „cuius regio eius est religio“.9 Auf territorialer Ebene lebte der Grundsatz der Verbindung von weltlicher und geistlicher Ordnung weiter. Das Ende der religiös legitimierten Herrschaft führte sodann zu einer Entwicklung ganz eigener Art. In Bezug auf die totalitären Systeme von Nationalsozialismus, Faschismus und Bolschewismus wurde nämlich in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts der Begriff der „politischen Religion“ entwickelt, um zu verdeutlichen, dass sich diese Bewegungen zu ihrer Legitimation auf eine Art von innerweltlicher „Religiosität“ stützten, auf selbstgeschaffene Mythen und eine quasi-religiöse Verehrung der jeweiligen Führerpersönlichkeit. In dieser innerweltlichen Religion wird Gott entthront und an seine Stelle das Kollektiv, vor allem der Staat gesetzt, vertreten
5 Karl Hermann Schelkle, Theologie des Neuen Testaments, III: Ethos, Düsseldorf 1970 (Kommentare und Beiträge zum Alten und Neuen Testament), S. 328. 6 Vgl. hierzu auch Reinhold Zippelius, Staat und Kirche. Eine Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1997 (Becksche Reihe 1209), S. 13 f. 7 Vgl. Christoph Link, Kirchliche Rechtsgeschichte. Kirche, Staat und Recht in der europäischen Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert. Ein Studienbuch, München 3 2017, S. 32 f. 8 Vgl. hierzu z. B. Zippelius (Anm. 6), S. 66 – 69. 9 Vgl. Joachim Stephani, Institutiones Iuris Canonici. Primum editis Casparis Ziegleri, Iuris-Consulti et Consiliarii sax. Annotationibus illustratae, Dresden 1699, Lib. I, cap. 7, n. 52, S. 86; vgl. zum Ganzen Dietrich Pirson, Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Bd., Berlin 21994, S. 3 – 46, hier: S. 8 f.
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durch seinen Führer.10 Auch hier gab es also eine Verbindung von weltlicher Ordnung mit einer Art von „Religion“. Die historische Erfahrung lehrt jedoch: Wenn die auf einer göttlichen Offenbarung beruhende Religion aus dem öffentlichen Bereich der Gesellschaft ausgeschlossen wird, besteht die Gefahr, dass sich Ideologien an ihre Stelle setzen, die vielleicht auch gefährlich, nämlich totalitaristisch sein können. Nach Hans Maier steht fest, „daß sich Religion nicht beliebig aus der Gesellschaft vertreiben läßt, daß sie, wo es versucht wird, in oft unberechenbaren, pervertierten Gestalten zurückkommt“.11 Wie jede Vermengung von Weltlichem und Geistlichem birgt gerade die Erscheinung „politischer Religionen“ die Tendenz einer totalitaristischen Fehlentwicklung in sich. Hier zeigt sich nämlich, wie gefährlich es ist, wenn ein und dieselbe Instanz die Menschen als geistliche und als politische Autorität in Anspruch nimmt, wenn staatliche Institutionen auf die Menschen total zugreifen, auch in religiös-weltanschaulicher Hinsicht. Der Beweis für diese Erkenntnis ist in Ost und West ohne weiteres zu führen.
II. Kirchen- und kirchenrechtsgeschichtliche Aspekte In der christlichen Lehre gibt es von allem Anfang an die Überzeugung von der Notwendigkeit der weltlichen neben der geistlichen Autorität: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“ (Lk 20, 25 parr.), wobei in der Sicht des Evangelisten das Wichtige darin liegt, Gott gehorsam zu sein.12 „Kaiser und Staat haben ihr Recht. Doch Recht und Forderungen des Staates finden an Gottes Recht und Forderung ihre Grenze“.13 Und in Übereinstimmung damit fordert auch Paulus die Unterordnung des Christen unter die (weltliche) Macht, denn auch diese stammt von Gott (Röm 13, 1). Daraus folgt: „Ungehorsam gegen die politischen Gewalthaber ist Widerstand gegen Gottes Anordnung“.14 Paulus argumentiert 10 Vgl. zum Ganzen v. a. Eric Voegelin, Die politischen Religionen (1938), hrsg. v. Peter J. Opitz, München 1993, bes. S. 63 – 65. 11 Hans Maier, Politische Religionen – ein Begriff und seine Gegenwart, in: Karl Homann/ Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Festakt zur Übergabe einer Festschrift an Ernst Feil am 30. Mai 1997 in Benediktbeuern, Privatdruck München 1997, S. 14 – 36, hier: S. 36. 12 François Bovan, Das Evangelium nach Lukas (Lk 19, 28 – 24,53), Neukirchen-Vluyn/ Düsseldorf 2008 (Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament III/4), S. 97. 13 Schelkle, Theologie des Neuen Testaments, III: Ethos (Anm. 5), S. 331. Vgl. hierzu – insbesondere in der Sicht des Johannesevangeliums: Heinrich Schlier, Der Staat nach dem Neuen Testament, in: Ders., Besinnung auf das Neue Testament. Exegetische Aufsätze und Vorträge II, Freiburg/Basel/Wien 21967, S. 193 – 211. 14 Heinrich Schlier, Der Römerbrief. Auslegung, Freiburg i. Br./Basel/Wien 2002 (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Apostelgeschichte und Briefe. Ungekürzte Sonderausgabe), S. 388; vgl. ebd. S. 391 – 393. Zur Wirkungsgeschichte von Röm 13, 1 – 7 vgl. Ulrich Wilkens, Der Brief an die Römer (Röm 12 – 16), Zürich/Einsiedeln/Köln/Neukirchen-Vluyn 1982 (Evangelisch-katholischer Kommentar VI/33), S. 43 – 66.
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weiter: „Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre“ (Rom 13, 6 f.). Hier schlägt sich eine positive Sichtweise weltlicher Herrschaft nieder. Der Staat und der Inhaber staatlicher Gewalt ist „Gottes Diener, nicht“ aber „selbstmächtiger Herrscher“.15 Paulus spricht einerseits von der Legitimität weltlicher Gewalt, andererseits aber auch von ihrer Begrenzung durch das Wort Gottes. Zugleich lehrt er die Autonomie weltlicher und geistlicher Gewalt je in ihrem Bereich. Diese Grundsätze haben sich im Laufe der Kirchengeschichte so ausgewirkt, dass es zu einer klaren Scheidung des weltlichen vom geistlichen Bereich kam. Geradezu berühmt ist das Capitulum „Duo sunt genera christianorum“ aus dem Decretum Gratiani: „Klerikern und Gott Geweihten ist es nicht erlaubt, Prozesse zu führen noch Eigenes zu besitzen. Derselbe Hieronymus an einen gewissen Leviten, über die zwei Arten der Menschen. Es gibt zwei Arten von Christen. Die eine Art aber ist die, der es zukommt, dem göttlichen Dienst verpflichtet und hingegeben der Kontemplation und dem Gebet, sich von allem Getöse der weltlichen Dinge fern zu halten, nämlich die Kleriker und die Gott durch Gelübde Geweihten bzw. die Konversen. Jkgq|r (kleros) bedeutet nämlich im Griechischen so viel wie lateinisch sors (Los). Von daher werden derartige Menschen Kleriker genannt, d. h. durch das Los erwählte. Alle hat nämlich Gott zu den Seinigen erwählt. Diese nämlich sind Herrscher, d. h. solche, die über sich und andere in den Tugenden herrschen, und so in Gott die Herrschaft haben. Und dies bezeichnet die Krone (Tonsur) auf ihrem Kopf. Diese Krone haben sie von der Anordnung der Römischen Kirche her zum Zeichen der Herrschaft, die in Christus erwartet wird. Das Scheren des Kopfes ist das Ablegen alles Zeitlichen. Jene nämlich sollen, zufrieden mit Nahrung und Kleidung und ohne Eigentum untereinander, alles gemeinsam haben. Es gibt aber die andere Art der Christen, nämlich die Laien. Ka|r (laos) nämlich heißt Volk. Diesen ist es erlaubt, Zeitliches zu besitzen, aber nur zum Gebrauch; denn nichts ist erbärmlicher als um des Geldes willen Gott zu verachten. Diesen ist eingeräumt zu heiraten, die Erde zu bebauen, untereinander Richter zu sein, Prozesse zu führen, Opfergaben auf die Altäre zu legen, den Zehnten zu zahlen und so können sie zum Heil kommen, wenn sie die Laster durch Gutestun meiden“.16
Nach diesem Capitulum, das Gratian einem Brief des Hieronymus an einen seiner Leviten zuschreibt, werden die Kleriker ausschließlich der geistlichen Sphäre zugeordnet. Durch das Scheren des Haupthaares bei der ersten Tonsur legen sie alles Weltliche ab. Den Laien dagegen wird die Möglichkeit weltlichen Eigentums und weltlicher Geschäfte zugestanden, „aber nur zum Gebrauch“. Auch die Laien dürfen 15
Schelkle, Theologie des Neuen Testaments, III: Ethos (Anm. 5), S. 334. Decretum Gratiani c. 7 C. XII q. 7, in: Corpus Iuris Canonici. Editio Lipsiensis secunda post Aemilii Ludovici Richteri, curas ad librorum manu scriptorum et ed. Romanae fidem recognovit et adnotatione critica instruxit Aemilius Friedberg, Bd. I, Leipzig 1879 (Nachdruck: Graz 1955), S. 678. 16
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weltliche Dinge jedoch in keiner Weise Gott vorziehen. Hier findet sich ein für die folgende kanonistische Tradition wichtiger Beleg für die klare Scheidung von weltlichem (Laien) und geistlichem Bereich (Klerus). Über die Tätigkeit von Klerikern in weltlichen Dingen regelte das Dritte Laterankonzil das Folgende: „Kleriker vom Subdiakonat an aufwärts sowie Kleriker der niederen Grade, die von kirchlicher Besoldung leben, dürfen nicht vor einem weltlichen Richter als Rechtsanwalt in einem Prozess auftreten, es sei denn, sie verfolgen ihre eigene Sache oder die ihrer Kirche oder sie streiten für hilfsbedürftige Leute, die ihre eigene Sache nicht betreiben können. Kein Kleriker darf die Finanzverwaltung eines Ortes oder auch die weltliche Rechtsprechung bei Fürsten oder Weltleuten übernehmen und deren Richter werden. Wer dem zuwiderhandelt, verstößt gegen die Lehre des Apostels, der sagt: ,Keiner, der für Gott streitet, lässt sich in weltliche Geschäfte verwickeln.‘17 Ein solcher handelt weltlich und wird deshalb aus dem kirchlichen Dienst entfernt. Er vernachlässigt ja seine Klerikerpflicht und stürzt sich in die Fluten der Welt, um den Mächtigen der Welt zu gefallen. Nach unserer Entscheidung muss zu einer noch härteren Strafe gegriffen werden, wenn ein Religiose so etwas zu tun wagt“.18
Das Dritte Laterankonzil beruft sich für das Verbot der Ausübung weltlicher Geschäfte durch Kleriker und Religiosen auf den Vergleich im 2. Timotheusbrief (2, 4): „Keiner, der in den Krieg zieht, lässt sich in Alltagsgeschäfte (negotia saecularia) verwickeln, denn er will, dass sein Heerführer mit ihm zufrieden ist.“ Hinter dieser strikten Trennung von weltlichen Geschäften und – auf die Kirche bezogen – geistlichem Amt steht also die Sorge um den hinreichenden Einsatz der Kleriker für das Reich Gottes. Die Inhaber von Leitungsämtern in der Kirche sollen sich nicht mit den in eschatologischer Sicht indifferenten weltlichen Angelegenheiten befassen, sondern mit den entscheidenden Fragen des Glaubens und des Heils. Ähnlich forderte das Vierte Laterankonzil unter der Überschrift „Weltliche Gerechtigkeit“: „Wie sich nach unserem Willen die Laien nicht die Rechte der Kleriker anmaßen dürfen, so muss es auch unser Wille sein, dass die Kleriker nicht die Rechte der Laien für sich beanspruchen. Deshalb untersagen wir allen Klerikern, in Zukunft ihre Jurisdiktion unter dem 17
2 Tim 2, 4. Concilium Lateranense III (1179), can. XII: „Clerici in subdiaconatu et supra et in minoribus quoque ordinibus si stipendiis ecclesiasticis sustentantur coram iudice saeculari advocati in negotiis fieri non praesumant, nisi propriam vel ecclesiae suae causam fuerint prosecuti aut pro miserabilibus forte personis, quae proprias causas administrare non possunt. Sed nec procurationes villarum aut iurisdictiones etiam saeculares sub aliquibus principibus vel saecularibus viris, ut iustitiarii eorum fiant, clericorum quisquam assumere praesumat. Si quis adversus hoc tentaverit, quoniam contra doctrinam Apostoli est dicentis Nemo militans Deo implicat se negotiis saecularibus, et saeculariter agit, ab ecclesiastico fiat ministerio alienus, pro eo quod, officio clericali neglecto, fluctibus saeculi, ut potentibus saeculi placeat, se immergit. Districtius autem decrevimus puniendum, si religiosorum quisquam aliquid praedictorum audeat attentare“ (Istituto per le scienze religiose Bologna/Josef Wohlmuth (Hrsg.), Conciliorum Oecumenicorum Decreta. Dekrete der Ökumenischen Konzilien, 2. Bd., Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 218). 18
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Vorwand kirchlicher Freiheit zum Schaden der weltlichen Gerechtigkeit auszudehnen. Vielmehr soll sich jeder Kleriker zufrieden geben mit den schriftlich festgelegten Bestimmungen und bisher anerkannten Gewohnheiten, so dass in rechter Verteilung, dem Kaiser gegeben wird, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist‘„.19
Ebenso wie die Laien nicht in die Rechte der Kleriker eingreifen dürfen, ist es auch den Klerikern streng untersagt, sich um die den Laien zustehenden weltlichen Dinge zu kümmern. Wenn das Vierte Laterankonzil hier ebenso wie zuvor schon das Decretum Gratiani die Begriffe „Kleriker“ und „Laien“ verwendet, ist das etwas irreführend. Es geht hier nicht so sehr um Christgläubige, von denen die einen das Sakrament der Weihe empfangen haben und die anderen nicht, sondern grundsätzlich um die Unterscheidung zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Bereich.20 Diese beiden Bereiche dürfen nicht miteinander vermischt werden. Daraus ergibt sich, dass, wer ein geistliches Amt innehat, keine weltlichen Aufgaben übernehmen darf und umgekehrt. Das kanonische Recht kennt also schon seit langer Zeit Regelungen hinsichtlich der Unterscheidung von weltlichem und geistlichem Bereich. So dürfen nach geltendem Recht geistliche Amtsträger – von ständigen Diakonen einmal abgesehen (vgl. c. 288 CIC/1983) – beispielsweise keine weltlichen Geschäfte treiben (vgl. c. 286 CIC/1983), sie dürfen weder parteipolitisch noch gewerkschaftlich in leitender Position tätig sein (vgl. c. 287 § 2 CIC/1983) noch auch ein öffentliches Amt übernehmen, durch das sie an der Ausübung weltlicher Gewalt Anteil haben (vgl. c. 285 § 3 CIC/1983). Ausnahmen von dieser Regelung kann es nach geltendem katholischem Kirchenrecht dann geben, wenn wichtige Gründe es erforderlich zu machen scheinen, dass ein Kleriker ein politisches Amt übernimmt. Auf diese Weise, also im Wege von Ausnahmeregelungen, war es möglich, dass in der Weimarer Republik katholische Geistliche eine entscheidende Rolle in der Politik spielten; erwähnt sei nur Prälat Ludwig Kaas, zeitweise Parteivorsitzender des Zentrums.21 Die politische Tä-
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Concilium Lateranense IV (1215), Const. XLII: „Sicut volumus ut iura clericorum non usurpent laici, ita velle debemus, ne clerici iura sibi vindicent laicorum. Quocirca universis clericis interdicimus ne quis praetextu ecclesiasticae libertatis suam de caetero iurisdictionem extendat in praeiudicium iustitiae secularis, sed contentus exsistat constitutionibus scriptis et consuetudinibus hactenus approbatis ut quae sunt Caesaris reddantur Caesari, et quae sunt Dei Deo recta distributione reddantur“ (Conciliorum Oecumenicorum Decreta (Anm. 18), S. 253, mit Zitat von Mt 22, 21; Mk 12, 17; Lk 20, 25). 20 In der Geschichte der Bischofswahl hat sich dieses Verständnis von Klerikern und Laien so ausgewirkt, dass es zu einem Ausschluss „der Laien“ von der Bischofswahl gekommen ist. Hubert Müller spricht in diesem Zusammenhang von der „unheilvollen Zuordnung der Laien ausschließlich zum Staat und der Kleriker ausschließlich zur Kirche“ (Hubert Müller, Der Anteil der Laien an der Bischofswahl. Ein Beitrag zur Geschichte der Kanonistik von Gratian bis Gregor IX., Amsterdam 1977 [KStT 29], S. 248). 21 Vgl. zu diesem: Georg May, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, 3 Bde., Amsterdam 1981.
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tigkeit von Klerikern in Deutschland wurde letztlich durch das Reichskonkordat von 1933 beendet.22
III. Unterscheidung von Weltlichem und Geistlichem – Miteinander von Kirche und Welt In der heutigen Situation gewinnt der im CIC/1983 aufrechterhaltene Grundsatz der Nichtbeteiligung geistlicher Amtsträger an der weltlichen Gewalt neue Bedeutung im Sinne eines Prinzips der grundsätzlichen Unterscheidung von geistlicher und weltlicher Autorität. Dieses Prinzip bedeutet zweierlei: Zum einen darf weltliche Macht nicht dafür missbraucht werden, die Untergebenen zu einer bestimmten religiösen Überzeugung zu bringen – was angesichts der notwendigen Freiheit des Glaubensaktes (vgl. DH 10) ohnedies zum Scheitern verurteilt wäre und nur ein äußerliches „Lippenbekenntnis“ zur Folge haben könnte. Zum anderen darf geistliche Autorität nicht zur Erzielung bestimmter politischer Ziele missbraucht werden. Erforderlich ist vielmehr eine klare Unterscheidung, ja sogar Trennung beider Bereiche: des Weltlichen und des Geistlichen. Denn nur eine starke religiöse Autorität, die nicht zugleich politische Autorität ist, kann – als ein Gegenüber zur Politik – totalitaristischen Ansprüchen entgegenwirken und nur ein System, in dem die Inhaber weltlicher Gewalt nicht zugleich religiöse Führer sind, ermöglicht freie Religionsausübung. So ist aus der Sicht der katholischen Kirche die Lehre von der Religionsfreiheit für das Verhältnis von Kirche und Politik von höchster Bedeutung. Zu diesem Themenbereich hat sich das Zweite Vatikanische Konzil neben der Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatits humanae“ vor allem in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ geäußert.23 In Art. 76, Abs. 3 dieses Dokuments lehrt das Konzil: „Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller umso wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berück22 vgl. hierzu Winfried Becker, Das Reichskonkordat von 1933 und die Entpolitisierung der deutschen Katholiken. Verhandlungen, Motive, Interpretationen, in: AfkKR 177 (2008), S. 353 – 393. Zur ähnlichen Situation in Österreich vgl. Dieter A. Binder, 1918 und der politische Katholizismus. Ein Fresko in Schwarz, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees, In mandatis meditari. Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag, Berlin 2012 (KStT 58), S. 127 – 148. 23 Vgl. hierzu Andreas Kowatsch, Freiheit in Gemeinschaft – Freiheit der Gemeinschaft. Das geltende Kirchenrecht und die alte Lehre von der „libertas Ecclesiae“. Zugleich ein kanonistischer Beitrag zur Einordnung der Institutionalität der Kirche in die Communio-Ekklesiologie, Berlin 2015 (KRB 17), S. 78 – 91.
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sichtigen. Der Mensch ist ja nicht auf die weltliche Ordnung beschränkt, sondern inmitten der menschlichen Geschichte vollzieht er ungeschmälert seine ewige Berufung“.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass Kirche und Staat denselben Menschen dienen, werden im soeben zitierten Text zwei Prinzipien bezüglich des Miteinanders von (katholischer) Kirche und politischer Ordnung entwickelt: 1. Unterschiedenheit und Autonomie auf ihrem jeweiligen Gebiet, 2. Zusammenarbeit von Kirche und politischer Gemeinschaft. Der Dienst beider Ordnungen, der weltlichen wie der geistlichen Ordnung, an den Menschen geschieht „a titolo diverso“, woraus sich die Forderung nach Autonomie nicht nur der Kirche vom Staat, sondern beider Ordnungen, der geistlichen und der weltlichen, voneinander ergibt. Daraus ergibt sich im Blick auf die Kirche die Forderung, dass die „Kirche … in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf“ und ebensowenig „an irgendein politisches System gebunden ist“ (GS 76, 2).
Das Prinzip der Kooperation fordert jedoch von der weltlichen Ordnung die Anerkennung der Kirche als Partner in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit; ein System der kirchenfeindlichen Trennung von Staat und Religion ist mit dieser Forderung ebensowenig zu vereinbaren wie die Inanspruchnahme von überkommenen Privilegien durch die Kirche. Im Gegenteil hat schon das Zweite Vatikanische Konzil gelehrt: „Doch setzt sie ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, dass durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern“ (GS 76, 5).24
Im – selbst unfreiwilligen – Verlust von materiellen Mitteln, politischen Möglichkeiten und wohlerworbenen Privilegien ist nach der Ansicht von Papst Benedikt XVI. eine „tiefgreifende Entweltlichung der Kirche“ zu erkennen, die es ihr ermöglicht, ihre Sendung überzeugender zu leben: „Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und 24 Hier stellt sich die Frage nach der Fortführung der Kirchenfinanzierungssysteme in Deutschland und Österreich, die heute – in Verkennung der historischen Tatsachen – als vielleicht sogar nicht begründete Privilegien, als unberechtigte Bevorzugung, erscheinen können; vgl. hierzu: Ludger Müller/Wilhelm Rees/Martin Krutzler (Hrsg.), Vermögen der Kirche – Vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, Paderborn 2015; Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Kanonistische Klärungen zu den pastoralen Initiativen der Österreichischen Bischofskonferenz, hrsg. vom Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz (Die österreichischen Bischöfe 10), Wien 2010, hieraus bes. die Beiträge von Wilhelm Rees.
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zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar. Sie öffnet sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie zu dem führt, von dem jeder Mensch mit Augustinus sagen kann: Er ist mir innerlicher als ich mir selbst“.25
Im Sinne der zitierten Lehre von Gaudium et spes hatte derselbe Papst bei seiner Frankreichreise im Jahr 2008 über das Thema „Politik und Religion“ gesagt: „In der Tat ist es grundlegend, einerseits auf die Unterscheidung zwischen politischem und religiösem Bereich zu bestehen, um sowohl die Religionsfreiheit der Bürger als auch die Verantwortung des Staates, die er ihnen gegenüber hat, zu gewährleisten, und sich andererseits deutlicher der unersetzlichen Funktion der Religion für die Gewissensbildung bewusst zu werden und des Beitrags, den die Religion gemeinsam mit anderen zur Bildung eines ethischen Grundkonsenses innerhalb der Gesellschaft erbringen kann“.26
Religion ist keine reine Privatangelegenheit.27 Das ergibt sich schon daraus, dass der Religionsfreiheit auch eine kollektive Dimension zukommt. Aber eben wegen desselben Rechts auf (individuelle und kollektive) religiöse Freiheit kann nicht eine bestimmte Religion das Leben in der Gesellschaft dominieren. Die Trennung von weltlicher und geistlicher Sphäre bringt jedoch keineswegs die Forderung mit sich, dass sich die Angehörigen einer Religion aus politischer Tätigkeit heraushalten sollten und dass es dem kirchlichen Lehramt oder, allgemein formuliert, religiösen Autoritäten verwehrt sei, sich zu politischen Fragen zu äußern. Im Gegenteil formuliert das Gesetzbuch der Lateinischen Kirche die besondere Pflicht der Laien, „die Ordnung der weltlichen Dinge im Geiste des Evangeliums zu gestalten und zur Vollendung zu bringen und so in besonderer Weise bei der Besorgung dieser Dinge und bei der Ausübung weltlicher Aufgaben Zeugnis für Christus abzulegen“ (c. 225 § 2 CIC/1983). Diese Pflicht setzt das Recht der Laien voraus, „dass ihnen in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens jene Freiheit zuerkannt wird, die allen Bürgern zukommt“, und c. 227 CIC/1983 schließt daran die doppelte Mahnung an: „beim Gebrauch dieser Freiheit haben sie jedoch dafür zu sorgen, dass ihre Tätigkeiten vom Geist des Evangeliums erfüllt sind, und sich nach der vom Lehramt der Kirche vorgelegten Lehre zu richten; dabei haben sie sich jedoch davor zu 25 Benedikt XVI., Iter apostolicum in Germaniam: in urbe Friburgo Brisgavorum ad catholicos christifideles rem pastoralem curantes, in: AAS 103 (2011), S. 674 – 679, hier S. 677, mit Zitat von Aurelius Augustinus, Confessiones 3, 6, 11. 26 Benedikt XVI., Grußwort im Eliséepalast am 12. 09. 2008, in: L’Osservatore Romano vom 13. 09. 2008, S. 8. 27 Carlos Corral Salvador bezeichnet die öffentliche Dimension der Kirche als ein praktisches Prinzip der Beziehungen zwischen Kirche und Staat: Relacion Iglesia – Europa como comunidades, in: Alfonso Carrasco Rouco/Javier Prades López (Hrsg.), „In communione Ecclesiae“. Miscelánea en honor del Cardenal Antonio Ma Rouco Varela, con ocasión del XXV8aniversario de su consagración episcopal, Madrid 2003 (Studia Theologica Matritensia 2), S. 35 – 55, hier S. 50.
Geistliches und Weltliches aus der Sicht des katholischen Kirchenrechts
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hüten, in Fragen, die der freien Meinungsbildung unterliegen, ihre eigene Ansicht als Lehre der Kirche auszugeben“. Zum einen verlangt die Tätigkeit von Katholiken im weltlichen Bereich das Bemühen um Orientierung am Wort Gottes, und zum anderen dürfen sie hierbei nicht zu Unrecht die Kompetenz in Anspruch nehmen, für das kirchliche Lehramt sprechen zu können – auch diese Mahnung ist wieder ein Zeichen dafür, dass es nach der Absicht des kirchlichen Gesetzgebers eine Trennung von weltlicher und geistlicher Autorität geben soll – auch dann, wenn Christen an der Ausübung politischer Autorität beteiligt sind und versuchen, Politik aus christlicher Überzeugung zu verwirklichen. Was die Möglichkeit einer Äußerung des kirchlichen Lehramts zu Fragen der weltlichen Ordnung28 angeht, stellt c. 747 § 2 CIC/1983 die Forderung auf: „Der Kirche kommt es zu, immer und überall die sittlichen Grundsätze auch über die soziale Ordnung zu verkündigen wie auch über menschliche Dinge jedweder Art zu urteilen, insoweit die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen dies erfordern“. Zum einen beansprucht die Kirche die Kompetenz zur Verkündigung der „sittlichen Grundsätze“ über die soziale, und damit auch über die politische Ordnung, und zum anderen spricht sie sich, was ebenfalls den Bereich der Politik angeht, eine Urteilskompetenz bezüglich der Menschenrechte zu. Man kann daher festhalten, dass die Kirche im weltlichen Bereich nicht parteipolitisch tätig sein kann und will, die Kirche ist jedoch stets parteiisch in dem Sinne, dass sie immer Partei ergreift für die Menschen aus der Perspektive des Glaubens. Hinsichtlich des Verhältnisses von Weltlichem und Geistlichem darf der kanonistische Aspekt nicht übersehen werden, wenn man nicht grundsätzlich der Ansicht ist, dass das Recht keinen Beitrag zur Lösung der Probleme von Kirche und Gesellschaft liefern kann. Zwar kann das Recht allein Frieden und Sicherheit unter den Menschen nicht gewährleisten, doch ist diese Garantie in einem rechtsfreien oder rechtlosen System schlicht nicht möglich. „Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ sagt der Psalmist (Ps 85, 11). Religionen müssen zu einem auf Gerechtigkeit aufbauenden Frieden ebenso beitragen wie die Inhaber weltlicher Autorität. Nach der Tradition des kanonischen Rechts ist aber die Forderung einer klaren Trennung von weltlichem und geistlichem Bereich zu beachten. Daraus ergibt sich: Einerseits dürfen sich weltliche Führungskräfte nicht als Religionsführer verstehen und dürfen geistliche Amtsträger ihre religiöse Autorität nicht politisch missbrauchen, andererseits aber kann das Geistliche nicht aus dem öffentlichen Raum des Weltlichen verdrängt werden. Wenn daher Libero Gerosa im Titel eines Buches die Frage stellt, ob die laikale Identität der Bürger in Europa mit einem islamischen Allzuständigkeitsanspruch vereinbar ist oder nicht29, wird 28
Zur Frage der Äußerung des kirchlichen Lehramtes in politischen Fragen vgl. aus sozialethischer Sicht z. B. Walter Kerber, Was hat die katholische Kirche zu politischen Fragen zu sagen?, in: Hans F. Zacher (Hrsg.), Kirche und Politik. Ein notwendiges Spannungsfeld in unserer Demokratie, Düsseldorf 1982, S. 103 – 117. 29 Gerosa, L’identità laica dei cittadini europei: inconciliabile con il monismo islamico? (Anm. 2).
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man sicher zu einer negativen Antwort kommen müssen. Ein religiös-weltanschaulicher Allzuständigkeitsanspruch ist in unserer westlichen Gesellschaft nicht möglich. Was aber geradezu notwendig ist, ist ein System des freien Wettbewerbs von konkurrierenden Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen, eines Wettbewerbs, der nicht im privaten, sondern im öffentlichen Raum stattfindet, wodurch klargestellt wird, dass das religiöse Element eine Bedeutung für die Gesellschaft insgesamt hat und nicht nur für jede einzelne private Person als Einzelperson.30
30 Vgl. hierzu auch Ludger Müller, Freiheit, Kooperation, Vielfalt. Prinzipien des Verhältnisses von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Berechtigte Hoffnung. Über die Möglichkeit, vernünftig und zugleich Christ zu sein. Antwort auf Edgar Dahl (Hg.): Die Lehre des Unheils, Paderborn 1995, S. 275 – 290, hier S. 289 f.
Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Tschechischen Republik im Lichte der Beziehungen zwischen Staat und Kirche Von Damián Neˇ mec
Einleitung Durch diesen Beitrag1 wollen wir die aktuelle Lage der Frage des Eigentumsvergleichs des Staates mit Kirchen und Religionsgesellschaften (weiter nur „KRG“)2 vorstellen, u.zw. mit Akzent an die Staat – Kirche Beziehung im Gebiet der aktuellen Tschechischen Republik. Der Wahrheit nach ist zu sagen, dass wir dieses Thema schon mehrmals erwähnt oder bearbeitet haben.3 Nachdem das kommunistische Regime in der ehemaligen Tschechoslowakei 1989 untergegangen war, wurde die Notwendigkeit der Demokratisierung deutlich spürbar. Dabei ging es auch darum, die Frage der Restitution der Güter zu klären, zu denen unter anderem das Vermögen der Kirchen und Religionsgemeinschaften zählt.
1 Im Beitrag werden folgende Abkürzungen verwendet: Abg. = Abgeordnete; AbgH = Abgeordnetenhaus; Cˇ SSD = Tschechische Sozialdemokratische Partei (auf Tschechisch: Cˇ eská strana sociálneˇ demokratická); EVKRGG = das tschechische Gesetz über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften aus dem Jahr 2012; KRG = Kirchen und Religionsgemeinschaften; ODS = Demokratische Bürgerpartei (tschechisch: Obcˇ anská demokratická strana); Sb. z. a. n., Sb. = tschechoslowakische bzw. tschechische Sammlung der Gesetze und Verordnungen; VerfG = Verfassungsgericht; VV = die politische Partei „Öffentliche Angelegenheiten“ (tschechisch: Veˇ ci verˇejné); Z. z. = slowakische Sammlung der Gesetze und Verordnungen. 2 Der Ausdruck „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ gehört in der tschechischen (und auch in der slowakischen) Rechtssprache dank dem österreichischen Rechtserbe zu den traditionellen Fachtermini und wird bis heute in der Legislative verwendet. 3 Frühere kürzere Beiträge: Damián Neˇ mec, La questione dell’espropriazione e della restituzione delle proprietà delle Chiese nell’Europa centro-orientale, Interventi di Damián Neˇ mec/Michał Rynkowski/Balázs Schanda/Emanuel Ta˘ vala˘ , in: Quaderni di diritto e politica ecclesiastica 17 (2010), S. 341 – 382. Ders., The 2008 Proposal of the Law on the Property of Churches and Religious Communities in the Czech Republic in the Light of Valid Concordat Treaties with Post-Communist Countries: Marek Sˇ mid/Michaela Moravcˇ íková (Hrsg.), Clara pacta – boni amici, Zmluvné vztˇahy medzi sˇtátom a cirkvami – Contractual Relations between State and Churches, Bratislava 2009, S. 227 – 254. Eine ausführliche Studie: Ders., Das tschechische Gesetz über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften aus dem Jahr 2012, in: AfkKR 182 (2013), S. 161 – 200.
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Die Angelegenheit der kirchlichen Güter in der Tschechoslowakei (bis 1992) und anschließend in der Tschechischen Republik (ab 1. Januar 1993) war sehr kompliziert, bevor sie 2012 legislativ gelöst wurde. Daher bietet das erste Kapitel zunächst einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der erfolglosen Versuche bis zum Untergang des kommunistischen Regimes in 1989, das zweite Kapitel danach die Influenz der Demokratisierung seit 1990 bis heutzutage. Nach dieser historischen Einleitung folgt das Hauptthema des Beitrages: im dritten Kapitel wird der rechtliche Inhalt des tschechischen Gesetzes über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften Nr. 428/2012 Sb. vom 5. Dezember 2012 (weiter nur „EVKRGG“) und im vierten Kapitel der politische und rechtliche Widerstand gegen das Gesetz bis Ende 2013 vorgestellt. Da sich die Geschichte auch weiterhin dramatisch entwickelt, ist es notwendig, im fünften Kapitel die bisher nicht abgeschlossene Geschichte zu besprechen: die weiteren Versuche um Änderung der finanziellen Kompensation durch (im Grunde der Sache politische) Behandlung in einer Expertenkommission in 2013 – 2014, und nach Beendigung der Verhandlungen eine Novellierung des EVKRGG von 2019, die Besteuerung der finanziellen Kompensation einführt. Nachdem es sich bei dieser Problematik um einen relativ neuen Sachverhalt handelt, muss man sich ziemlich oft mit Informationen von den Internetseiten der betreffenden Institutionen begnügen.4
I. Beziehungen Staat und Kirche in der Tschechoslowakei/Tschechischen Republik von 1918 bis 1989 und die Frage des kirchlichen Vermögens 1. Staat und Kirche seit 1918 bis 1938 Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Oktober 1918 wurde in den tschechischen Landesteilen das österreichische und in den Slowakei sowie der Subkarpaten-Ukraine das ungarische Rechtssystem beibehalten.5 Der neue Staat bemühte sich, eine neutrale Stellung zu KRG zu bauen, obgleich aber die Reste der Staatsaufsicht über KRG geblieben sind. So könnte man vom Aufbau des Kooperationsmodells sprechen, aber dabei bemühte sich die neue Staatsführung bis 1925 um Trennung 4
Z. z. besteht schon reiche Fachliteratur zum Thema des EVKRGG, bes. in verschiedenen Zeitschriften. Man sollte vor allem zwei Kommentare nennen: erstens Jakub Krˇízˇ/Václav Valesˇ, Zákon o majetkovém vyrovnání s církvemi a nábozˇ ensky´mi spolecˇ nostmi. Komentárˇ (Gesetz über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgesellschaften. Kommentar), Praha 2013 – dem Rechtstand noch vor wichtigen Urteile des VerfG i. J. 2013 entsprechend, zweitens Petr Jäger/Alesˇ Chocholácˇ , Zákon o majetkovém vyrovnání s církvemi a nábozˇ ensky´mi spolecˇ nostmi. Komentárˇ (Gesetz über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgesellschaften. Kommentar), Praha 2015. 5 Gesetz Nr. 11/1918 Sb. z. a. n., über die Errichtung des selbständigen tschechoslowakischen Staates, § 2: „Alle bisherigen Landes- und Reichsgesetze und Verordnungen behalten vorläufig ihre Gültigkeit“.
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zwischen Staat und Kirche, aber erfolglos, was zur Spannung besonders mit der Katholischen Kirche führte. In diesem Rahmen wurden die KRG, insbesondere die Katholische Kirche, von der ersten Bodenreform (Gesetz Nr. 215/1919 Sb. z. a. n.) seit 1919 spürbar getroffen: Die Katholische Kirche hat damals 16 % des Grundstückvermögens verloren, wobei die Kompensation, basierend auf dem Entschädigungsgesetz Nr. 329/1920 Sb. z. a. n., keinesfalls äquivalent war. Daneben gab es in der Tschechoslowakei für die KRG im beschränkten Maß staatliche Subventionen, u. a. als Dotierungskirchen oder als Kongrualkirchen. Die kirchenrechtlich-politische Lage beruhigte sich 1928 durch Verabschiedung eines provisorischen Konkordatsvertrages, der zum ersten Mal in der Kirchengeschichte den Namen modus vivendi getragen hat. Seine Realisation hat lange gedauert: erst am 2. September 1937 wurden durch die apostolische Konstitution Ad ecclesiastici regiminis incrementum in den meisten Fällen die Grenzen der katholischen Diözesen und apostolischen Administraturen mit der Staatsgrenze verglichen.6 2. Staat und Kirche in Verbindung mit dem 2. Weltkrieg 1938 – 1945 Seit Oktober 1938 (nach dem Münchener Abkommen) und vor allem während des Zweiten Weltkrieges war die Situation noch komplizierter: Das Sudetenland ist Teil des „Dritten Reiches“ geworden, in den ungarisch gewordenen Gebieten der Slowakei galt das ungarische Recht, im „Protektorat Böhmen und Mähren“ das modifizierte tschechische (bzw. ursprünglich österreichische) Recht. Im Reste des slowakischen Gebiets wurde der Slowakische Staat gebildet, der sich bemühte, sein eigenes Rechtssystem zu bilden und dazu noch ein Konkordat mit dem Hl. Stuhl abzuschließen, in dem zweiten Falle erfolglos. All diese Modifikationen wurden nach dem Krieg zumeist wieder rückgängig gemacht. Während des 2. Weltkrieges hat das kirchliche Vermögen mehrere Schäden erlitten, insbesondere gegen Ende des Krieges. So haben die KRG den Los mit der ganzen Bevölkerung geteilt.7
6 Siehe Stanislav Prˇibyl, Die Rechtstellung der Kirchen und Religionsgesellschaften in Tschechien, Prag 2018, S. 46 – 53; Stanislav Prˇibyl, Tschechisches Staatskirchenrecht nach 1989, Brno 2010, S. 138 – 139; Jirˇí Rajmund Tretera/Záboj Horák, Konfesní právo (Staatskirchenrecht), Praha 2015, S. 326, 328, 333; Stanislav Prˇibyl, Konfesneˇ právní studie (Staatskirchenrechtliche Studien), Brno 2007, S. 37 – 41; Jirˇí Rajmund Tretera, První republika a otázka odluky státu a církví (Erste Republik und die Frage der Trennung zwischen Staat und Kirche), in: Karel Maly´/Ladislav Soukup (Hrsg.), Cˇ eskoslovenské právo a právní veˇ da v meziválecˇ ném období 1918 – 1938 a jejich místo ve strˇední Evropeˇ (Tschechoslowakisches Recht und Rechtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit 1918 – 1938 und ihr Platz in Mitteleuropa), Bd. 1, Praha 2010, S. 432 – 446, hier S. 400 – 446. 7 Siehe bes. Krˇízˇ/Valesˇ, Zákon o majetkovém vyrovnání (Anm. 4), S. 20 – 21; Tretera/ Horák, Konfesní právo (Anm. 6), S. 336 – 339; Prˇibyl, Die Rechtstellung der Kirchen und Religionsgesellschaften in Tschechien (Anm. 6), S. 55 – 59.
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3. Staat und Kirche nach dem 2. Weltkrieg bis die „samtene Revolution“ 1945 – 1989 In der Tschechoslowakei herrschte nach dem 2. Weltkrieg nur eine limitierte Demokratie, die sogenannte Volksdemokratie. Auch die Aussiedlung der meisten deutschsprachigen Populationen führte zur riesigen, meistens negativen Änderungen im sozialen und religiösen Leben. Da die erste Bodenreform in der Zwischenkriegszeit nicht vollständig realisiert worden war, kam es 1947 zu einer Revision der Reform durch das neue Gesetz Nr. 142/1947 Sb., dessen Applikation jedoch erst im März 1948 begann. Aufgrund dieses Gesetzes wurden alle Grundstücke über 50 Hektar beschlagnahmt.8 Am 25. Februar 1948 ergriff die kommunistische Partei die Macht,9 und sie begann, ein neues System der Staat-Kirche-Beziehungen zu bauen: die „Staatsreligion“ war der Marxismus-Leninismus, deswegen spricht man vom konfessionellem Staat à rebours.10 Bis Mitte der 1950er Jahre war dann der Aufbau eines einheitlichen tschechoslowakischen Rechtssystems beendet – die sogenannte „sozialistische Gesetzlichkeit“. Dazu gehörte auch ein neues Staatskirchenrecht, das einerseits zu rechtlicher Diskontinuität geführt, andererseits aber auch viele lacunae legis gelassen hat, die sodann bis 1989 mit administrativer Willkür ausgefüllt wurden. So wurden schon am 21. März 1948 aufgrund des Gesetzes bezüglich der zweiten Bodenreform fast alle Grundstücke der KRG beschlagnahmt: Im Besitz der KRG verblieben nur Kirchen, Pfarrgebäude und eventuelle Gärten im Ausmaß von 1 – 2 Hektar. Obgleich das Gesetz die Promulgation eines Entschädigungsgesetzes vorgesehen hatte, ist ein solches Gesetz nie erlassen worden; die Beschlagnahmungen wurden also nie entschädigt. So ist die materielle Basis der KRG nahezu liquidiert worden. Nachdem die Verhandlungen zwischen den Repräsentanten des kommunistischen Regimes und den Vertretern der Katholischen Kirche 1949 gescheitert waren, hat das Regime neue Gesetze verabschiedet, die seine Macht sichern sollten. Unter anderem auch das Gesetz Nr. 218/1949 Sb. von Oktober 1949 über die wirtschaftliche Absicherung der KRG mit anschließenden Regierungsverordnungen.11 Diese Norm be8 Tretera/Horák, Konfesní právo (Anm. 6), S. 340 – 341; Prˇibyl, Konfesneˇ právní studie (Anm. 6), S. 140. 9 Dieser Tag ist für die andere rechtliche Geschichte sehr wichtig, er bildet mehrmals die Rolle des Stichtages. 10 Tretera/Horák, Konfesní právo (Anm. 6), S. 342. 11 Das Gesetz stellt im Staatskirchenrecht der Tschechoslowakei einen vollständigen Bruch der Gesetzgebung dar, insofern in § 14 lakonisch gesagt wird: „Alle Vorschriften, die die Rechtslage der Kirchen und Religionsgemeinschaften regeln, werden aufgehoben“. Des Weiteren hatte das Gesetz nicht bloß ökonomischen Charakter, es befinden sich in ihm andere, der staatlichen Kontrolle der KRG dienende Maßnahmen, vor allem das Institut der staatlichen Zustimmung zur Ausübung der geistlichen Tätigkeit (§ 7 Abs. 1) und das Institut der Zwangsbesetzung der kirchlichen Ämter, wenn sie nach ihrer Vakanz innerhalb der Frist von
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kräftigte und festigte die Abhängigkeit der KRG vom Staat, weil sie alle Einkommensquellen (mit Ausnahme der Gaben der Gläubigen) an den Staat übertrug, inklusive des Patronatsrechts.12 Einen weiteren erheblichen Vermögensverlust bedeutete die Beschlagnahmung der Männer- und Frauenklöster der katholischen Kirche im April bzw. im Herbst 1950 (die der Frauenklöster setzte sich in den darauffolgenden Jahren noch weiter fort), diesmal jedoch nicht nur ohne jede rechtliche Basis, sondern sogar – der damaligen Rechtslage entsprechend – verfassungswidrig. Das Vermögen wurde teilweise gestohlen, teilweise in die Verwaltung des Religionsfonds übergeben, der, trotz fehlender Berechtigung, in manchen Fällen die Güter entweder verkaufte oder sogar verschenkte. Im selben Jahr 1950 kehrte die griechisch-katholische Kirche durch einen illegitimen und inszenierten Sobor (Konzil) in die Orthodoxe Kirche „heim“, wobei ihr Vermögen größtenteils der Orthodoxen Kirche zufiel oder gestohlen wurde. Die Beschlagnahmung kulminierte 1960 schließlich in der Verstaatlichung der verbliebenen caritativen und sozialen Einrichtungen der KRG (von den früher blühenden caritativen und diakonischen Tätigkeiten sind nur wenige, für die Pflege älterer und gebrechlicher Ordensleute und Priester bestimmte Institutionen geblieben). Die kurze Periode des sog. Prager Frühlings im Jahr 1968 konnte nicht zu wesentlichen gesetzlichen Modifikationen führen, und seit 1971 die Periode der Normalisation (tatsächlich einer Restalinisierung) bis die „samtene Revolution“ im November 1989 dauerte.13
II. Influenz der Demokratisierung seit 1990 auf die Frage des kirchlichen Vermögens 1. Die Tschechoslowakei nach der „samtenen Revolution“ bis zur Trennung des Staates (1990 – 1992) Mit der Jahreswende 1989/90 begann das riesige Projekt der Demokratisierung des Staates, vor allem durch Novellierungen der geltenden Normen. Es gelang, das Verfassungsrecht nicht nur durch die Verankerung der Verpflichtungen des Staates, die sich aus internationalen Verträgen ergeben wesentlich zu verbessern, sondern 30 Tage nicht besetzt werden, d. h. mit einer Person, die vorher die staatliche Zustimmung dazu erhalten hat (§ 7 Abs. 3). 12 Die ausführliche Regelung des Patronatsrechtes befindet sich im § 30 Abs. 1 der Regierungsverordnung für die römisch-katholische Kirche Nr. 219/1949 Sb.: „Der Staat übt das Patronat so aus, dass er dem zuständigen Ordinarius geeignete Kandidaten für leerstehende Benefizien präsentiert“. Es wird hier also mit keinem Wort die mit dem Patronat verbundene Pflicht der Sorge um sakrale Immobilien und Mobilien auf eigene Kosten erwähnt. 13 Tretera/Horák, Konfesní právo (Anm. 6), S. 342. 349 – 352; Stanislav Prˇibyl, Die Rechtstellung der Kirchen und Religionsgesellschaften in Tschechien (Anm. 6), S. 52 – 53.
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auch durch die Verabschiedung der Urkunde der Grundrechte und Grundfreiheiten in Gestalt des Verfassungsgesetzes 1991. Zum Unterschied von den früheren Perioden, in der Beziehungen Staat – KRG wurde das Kooperationssystem real und breit entfaltet. Die notwendige Restitution des beschlagnahmten Vermögens bildete einen wesentlichen Teil der Demokratisierung. Es zeigte sich aber sehr bald, dass die Wiedergutmachung bezüglich der kirchlichen Güter (ebenso diejenige zugunsten anderer juristischer Personen) nicht so einfach sein würde. Zuerst – als provisorische und einmalige Notlösung – wurden den katholischen Orden und religiösen Kongregationen sowie dem Erzbistum Olmütz 1990 und 1991 etwa 170 Gebäude durch die Aufzählungsgesetze Nr. 298/1990 Sb. und Nr. 338/1991 Sb. zurückgegeben, um ihr bloßes Gemeinschaftsleben und ihre elementare Tätigkeit zu ermöglichen. Um das früher den KRG zugehörige Vermögen vor der Privatisierung zu schützen, hat man in zwei Gesetzen, nämlich in Gesetz Nr. 92/1991 Sb. über die Bedingungen für eine Übereignung von Staatsvermögen an andere Personen und in das Bodengesetz Nr. 229/1991 Sb., Sperrparagrafen inkorporiert. Die Sperrung verpflichtete nicht nur die staatlichen Institutionen, sondern auch Selbstverwaltungseinheiten (Gemeinden, Bezirke und Kreise). Diese Maßnahme wurde deswegen eingeführt, weil man eine baldige systematische Lösung der Restitution des Kirchenvermögens erwartete. Dennoch scheiterten alle in dieser kurzen Zeitspanne unternommenen Versuche. Einer davon war die Gesetzesvorlage, die 1992 der Föderalversammlung vorgelegt worden war, um nicht nur durch die Rückgabe der Gebäude, sondern auch die der mit ihnen verbundenen Grundstücke, eine materielle Basis für die zukünftige selbstständige Finanzierung der KRG zu schaffen. Der Verfahren im Parlament scheiterte aufgrund des Widerstandes eines Teiles der slowakischen politischen Repräsentation.14 Des Weiteren – und auch deshalb – blieb das System der staatlichen Finanzierung der KRG aufgrund des (novellierten) Gesetzes Nr. 218/1949 Sb. weiterhin gleich.15 2. Die Tschechische Republik bis zum Versuch der systematischen gesetzlichen Lösung (1993 – 2006) Es zeigte sich schnell und sehr klar, dass das Problem der Restitution des Kirchenvermögens nicht einfach zu lösen sein würde. Diese Problematik wurde wiederholt 14 Paradoxerweise hat gerade der slowakische Teil der Nationalkammer der Föderalversammlung das Scheitern der Gesetzesvorlage verursacht. Sehr bald nach der Entstehung der Slowakischen Republik (01. 01. 1993) hat der Slowakische Nationalrat (das Parlament) ein ähnliches Gesetz Nr. 282/1993 Z. z. verabschiedet. Allerdings führte es nicht zur selbstständigen Kirchenfinanzierung. 15 Tretera/Horák, Konfesní právo (Anm. 6), S. 368 – 374; Prˇibyl, Die Rechtstellung der Kirchen und Religionsgesellschaften in Tschechien (Anm. 6), S. 52 – 53.
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im Rahmen der politischen Auseinandersetzung, insbesondere im Parteienwahlkampf genutzt (oder eher missbraucht). In einer solchen Situation versuchte die Regierung 1996 einen anderen Weg zu beschreiten. Einige Gebäude sollten, aufgrund eines Regierungsbeschlusses als Exekutivrestitution, zusammen mit den Grundstücken, auf denen sie standen, in administrativer Weise rückerstattet werden, aber unter der Bedingung, dass die Gebäude zu sozialen, caritativen, erzieherischen oder Bildungszwecken bestimmt waren, sofern kein öffentliches Interesse dem widersprach. Das Verfahren war aber kompliziert und langwierig, weshalb die Zahl der rückerstatteten Güter sehr gering war. Als dann aber die Tschechische Sozialdemokratische Partei (in weiterem nur „Cˇ SSD“) 1998 nach der vorzeitigen Wahl ins Abgeordnetenhaus (in weiteten nur „AbgH“)16 die neue Minderheitsregierung bildete,17 hat diese den Regierungsbeschluss aufgehoben. Die Cˇ SSD erklärte wiederholt, dass sie die Restitution des Kirchenvermögens realisieren wolle. Sie hatte jedoch nicht die Form einer allgemein formulierten Norm gewählt, sondern, zugunsten der Rechtssicherheit, die eines Aufzählungsgesetzes. Diese Lösung wurde sowohl von Seiten der KRG als auch von den Fachleuten stark kritisiert: Ein solches Gesetz müsste aus tausenden Positionen bestehen, die sicher Fehler beinhalten würden; außerdem wäre es unvorstellbar lang. So hat die Sozialdemokratische Partei dem Parlament während zwei Regierungsmandaten (1998 – 2006) keine solche Gesetzesvorlage präsentiert. Unter solchen Umständen wurde in dieser langen Periode nur ein Restitutionsgesetz verabschiedet: Gesetz Nr. 212/ 2000 Sb. über Linderung der vom Holocaust verursachten Vermögensunrechte im maßgebenden Zeitraum vom 29. September 1938 bis 8. Mai 1945. 3. Erster Versuch der systematischen gesetzlichen Lösung (2007 – 2009) Die Abgeordnetenhauswahl im Juni 2006 hat mit einem Patt geendet: Sowohl die Rechte als auch die Linke hatten im AbgH 100 Abgeordnete (in weiterem nur „Abg.“). In dieser Situation versuchte der Vorsitzende der größten Partei „Bürgerliche Demokratische Partei“ (im Weiteren nur „ODS“), Mirek Topolánek, im September 2006 eine Regierung, bestehend aus Mitgliedern seiner Partei und Parteilosen, zu bilden. Das AbgH sprach dieser im Oktober 2006 jedoch nicht sein Vertrauen aus. Deswegen hat Mirek Topolánek eine neue rechtszentrale Koalitionsregierung aus ODS, Christlicher und Demokratischer Union – Tschechoslowakische Volkspartei 16 Die Tschechische Republik hat ein Zweikammerparlament. Das Abgeordnetenhaus (die untere Kammer) wird von 200 Abg. gebildet, die alle für dieselbe Amtsperiode von vier Jahre proportional gewählt werden; der Senat (die obere Kammer) besteht aus 81 Senatoren, die für eine Amtsperiode von sechs Jahren durch Mehrheitswahlsystem bestimmt werden, wobei alle zwei Jahre ein Drittel der Senatoren durch Wahl ausgetauscht wird. 17 Die Minderheitsregierung entstand und funktionierte auf der Basis einer ganz ungewöhnlichen Maßnahme – des sogenannten „Oppositionsvertrags“ zwischen Cˇ SSD und ODS.
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und der Partei der Grünen gebildet. Die Regierung wurde am 9. Januar 2007 ernannt ˇ SSD und erhielt das Vertrauen des AbgH am 24. März 2007, nachdem ein Abg. der C seine Partei verlassen hatte. Die Regierung hat den Eigentumsvergleich mit KRG in die Regierungsprogrammerklärung einbezogen. Nach der Vorbereitungsphase vom Mai 2007 bis Januar 2008 sendete sie den Gesetzesentwurf im April 2008 ins AbgH. Es war absehbar, dass das Verfahren in der Situation so instabiler Unterstützung der Regierung im AbgH kompliziert werden würde.18 Es zeigte sich dazu aber eine innere Opposition von drei Abg. der ODS. Nach einer Unterbrechung des Verfahrens entzog am 24. März das AbgH der Regierung das Vertrauen. Die Regierung trat zurück und wurde am 8. Mai 2009 durch eine Interimsregierung ersetzt. Obwohl daraufhin noch 2009 eine vorzeitige Wahl erwartet worden war, fand diese nicht statt, sondern erst am ordentlichen Termin im Mai 2010. Aufgrund der neuen politischen Situation wurde der Entwurf nicht mehr weiter im AbgH verhandelt. Sehr wichtig aber war, dass der Gesetzesentwurf eine von den früheren Entwürfen abweichende Konzeption aufwies:19 Das Gesetz definiert den Anspruch (nur!) der Katholischen Ordensinstitute auf physische Restitution aus dem Eigentum des Staates und der Staatsinstitutionen in der geschätzten Höhe von 51 Milliarden Kronen (etwa 2,04 Milliarden Euro),20 die Frist für die Einreichung von Forderungen beträgt ein Jahr. Der Staat leistet finanzielle Kompensation für nicht ausgegebenes Vermögen in Höhe von 83 Milliarden Kronen (etwa 3,32 Milliarden Euro) in 60 Jahresraten, die mit 4,85 % jährlich valorisiert werden (also insgesamt 272 Milliarden Kronen, etwa 10,88 Milliarden Euro). Die Kompensation wird auf 83 % für die RömischKatholische Kirche und 17 % für die übrigen KRG festgelegt (obgleich 98,5 % des Vermögens ursprünglich der römisch-katholischen Kirche gehörten). Die Regierung sollte in neun Monaten mit den betroffenen KRG zivilrechtliche Verträge schließen, in denen sich der Staat in der Rolle des Schuldners und die KRG in der Rolle des Darleihers befinden. Die Unterschiede ihrer Systeme im Vergleich zum Bürgerlichen Gesetzbuch werden im Gesetz enumerativ definiert. Nachdem damit 85 % der Kompensation gedeckt werden, tritt die Aufhebung der Sperrparagrafen in Kraft. Die bisherigen staatlichen Zuschüsse zu den Löhnen des kirch-
18 Die Geschichte des Verfahrens des Gesetzesentwurfes wird bis Ende 2008 ausführlich in folgendem geschrieben: Jakub Krˇízˇ, Postup zpracování návrhu zákona o majetkovém vyrovnání s církvemi a nábozˇ ensky´mi spolecˇ nostmi (Das Verfahren zur Ausarbeitung eines Gesetzes über den Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgesellschaften), in: Petr Kolárˇ/Jakub Krˇízˇ (Hrsg.), Narovnání vztahu mezi církvemi a státem (Vergleich der Beziehungen des Staates mit Kirchen und Religionsgesellschaften), Praha 2009, S. 52 – 59. In diesem Buch findet man viele wichtigen Texte einschl. Expertsbegutachtungen. 19 Texte bezüglich des Gesetzesentwurfs befinden sich auf den Internetseiten des AbgH, online unter: https://www.psp.cz/sqw/historie.sqw?o=5&T=482) und des Kultusministeriums, online unter: https://www.mkcr.cz/historie-a-priprava-majetkoveho-vyrovnani-452.html) (beide eingesehen am 31. 01. 2020). 20 Der Wechselkurs war damals bei etwa 25 Kronen für einen Euro.
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lichen Personals dauern noch 20 Jahre fort, aber sie werden jedes Jahr um 5 Prozentpunkte reduziert. Man kann sagen, dass sich der Gesetzesentwurf mehr an der Zukunft als an der Vergangenheit orientiert. Sein Ziel war die vollständige ökonomische Trennung von Staat und KRG, wobei die wirtschaftliche Basis dafür aus dem enteigneten Vermögen geschaffen werden sollte, deren Kompensation zugunsten der nichtkatholischen KRG geteilt wurde. Dies geschah zum ersten Mal auf der Grundlage eines breiten Konsenses zwischen allen betroffenen KRG, sodass daher das zuteilgewordene Unrecht teilweise wiedergutgemacht wurde. Für die zivile Gesellschaft sind der endgültige Vergleich der Kirchenansprüche und die Aufhebung der Sperrparagrafen von sehr großer Bedeutung. Der Gesetzesentwurf kombiniert also die physische Restitution und die finanzielle Kompensation sowie die verschiedenen Rechtsformen von Gesetz und Vertrag.21 4. Erfolgreicher Gesetzesentwurf von 2011/2012 Die Abgeordnetenhauswahl im Mai 2010 führte zu einem überraschenden Ergebˇ SSD, aber sie war nicht imstande, nis: Die größte Zahl der Stimmen erhielt zwar die C eine Regierungskoalition zu bilden. Außerdem trat ihr Präses, Jirˇí Paroubek, nach einer Woche vom Parteivorsitz zurück. Man kann also sagen, dass diese Partei einen bitteren Sieg erzielt hat. Schließlich wurde eine Koalitionsregierung, bestehend aus ODS, TOP 09 und der Partei „Öffentliche Angelegenheiten“ (im Weiteren nur „VV“) gebildet. Auch diese Regierung hat den Eigentumsvergleich mit KRG in die Regierungsprogrammerklärung einbezogen.22 Diese Stellungnahme entspricht der Judikatur des Verfassungsgerichtes (weiter nur „VerfG“), insbesondere seinem Urteil vom 1. Juli 2010, in dem die lang andauernde Inaktivität des Parlamentes als verfassungswidrig bezeichnet worden ist.23 Die Vorbereitungskommission hat Anfang 2011 den Gesetzentwurf aus dem Jahr 2008 als Handout für ihre Tätigkeit und zugleich für die Besprechungen mit den KRG akzeptiert, aber mit einem wesentlichen Unterschied. Man rechnet mit einer größeren physischen Restitution in Höhe von 75 Milliarden tschechische Kro21 Ausführlich zu diesem Gesetzesentwurf siehe: Damián Neˇ mec, The 2008 Proposal of the Law on the Property of Churches and Religious Communities in the Czech Republic in the Light of Valid Concordat Treaties with Post-Communist Countries (Anm. 3), S. 227 – 254; Damián Neˇ mec, Das tschechische Gesetz über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften aus dem Jahr 2012 (Anm. 3), S. 167 – 170. 22 Die ganze komplizierte Geschichte der Vorbereitung des Gesetzes befindet sich in Damián Neˇ mec, Das tschechische Gesetz über Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften aus dem Jahr 2012 (Anm. 3), S. 170 – 178. 23 Urteil des VerfG Aktenzeichen Pl. ÚS 9/07 vom 01. 07. 2010, in der tschechischen Fassung online unter: http://nalus.usoud.cz/Search/GetText.aspx?sz=Pl-9 – 07_2 (eingesehen am 27. 06. 2019).
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nen (etwa 3 Milliarden Euro), d. h. 56 % des ehemaligen Eigentums, und mit kleinerer finanziellen Kompensation in Höhe von 59 Milliarden tschechische Kronen (etwa 2,3 Milliarden Euro). Die Repräsentanten der KRG haben den Vorschlag am 30. August 2011 gebilligt. Nach weiteren Verhandlungen wurde der Gesetzesentwurf von der Regierung verabschiedet und im Januar 2012 an das AbgH übergeben.24 Die Politisierung der Frage des Eigentumsvergleiches setzte sich weiter fort. Eine Opposition fand sich sowohl in der zivilen Gesellschaft als auch in den politischen Linken, Tschechische Sozialistische Partei und die Kommunisten, aber auch aus der Seite des damaligen Staatspräsident Václav Klaus. Zusätzlich kam es zu einer unerwarteten Situation im Rahmen der Regierungskoalition: Die kleinste Regierungspartei VV spaltete sich im April 2012 – ein Teil der Abg. gründete neue Partei LIDEM, die in der Regierungskoalition geblieben ist, und der Rest der Partei ist in die (starke) Opposition übergangen. Danach kam die Verhandlung im AbgH vom Februar bis Juli 2012, als der Entwurf nach mehreren Schwierigkeiten gebilligt wurde. Die Sache war ohnehin schon offensichtlich spannend und unruhig. Hinzu kamen dann noch die Wahlkampagnen vor der Senatswahl (in Oktober 2012). Diese wurde vor allem von der Cˇ SSD besonders negativ offensiv geführt, die ganz klar die Politik der Regierung (und besonders die der ODS) attackierte und erregte durch ihre klare antiklerikale Prägung in der Bevölkerung Hass und Neid. Es war klar, dass der Gesetzentwurf vom Senat nicht gebilligt ˇ SSD angehörte, und es bewahrwerden würde, weil die Mehrheit der Senatoren der C 25 heitete sich im August 2012. Die Abweisung des Senates kann im AbgH überstimmt werden, aber mit einer Mehrheit aller Abg, d. h. mindestens mit 101 Stimmen. Zusätzlich kam es wiederholt zu Schwierigkeiten aus der Prager Burg: Der Staatspräsident Václav Klaus verlangte in einem Brief an den Ministerpräsidenten vom 29. August eine klare Garantie, dass die Kompensation mit den KRG die Restitutionsgrenze vom 25. Februar 1948 nicht überschreiten werde; diese wurde am 3. September 2012 schriftlich vom Ministerpräsidenten gegeben sowie anschließend auch von den KRG. Am selben Tag wurde veröffentlicht, dass das VerfG, ausgehend von der unsicheren Rechtslage, am 29. August 2012 entschieden hatte, dass die ordentlichen Gerichte über Eigentumsansprüche der Kirchen vor der legislativen Verabschiedung des Restitutionsgesetzes urteilen müssen.26 Das AbgH hat die Verhandlung zweimal verschoben. Die politische Lage in der ODS war inzwischen aber sehr kompliziert: Es kam wieder zu einer Rebellion von drei Abg. dieser Partei, diesmal aufgrund von Unstim24 Siehe offizielle Internetseite des AbgH, Drucksache des AbgH N. 580, online unter: www.psp.cz/sqw/historie.sqw?o=6&T=580 (eingesehen am 27. 06. 2019). 25 Siehe die offizielle Internetseite des Senates, online unter: www.senat.cz/xqw/xervlet/pssenat/hlasy?G=13186&O=8 (eingesehen am 27. 06. 2019). 26 Urteil des VerfG, Aktenzeichen I. ÚS 562/09 vom 29. 8. 2012, in der tschechische Fassung) online unter: http://nalus.usoud.cz/Search/GetText.aspx?sz=1 – 562 – 09_1 (eingesehen am 27. 06. 2019).
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migkeiten wegen des Vorschlags einer neuen Steuerregulation. Es schien sich die Geschichte des Jahres 2009 zu wiederholen, aber der Präses der ODS und Ministerpräsident Petr Necˇ as fand im Rahmen des Kongresses der ODS eine andere Lösung: Der Kongress verpflichtete alle Abg. der Partei dazu, die Mehrheitsstellung des Abgeordnetenklubs der ODS im Parlament zu respektieren. Die Rebellen verzichteten daraufhin auf ihr Abgeordnetenmandat und wurden im Parlament ersetzt.27 Es ist klar, dass dies nicht ganz selbstlos geschah, denn die Ex-Abg. erhielten Posten in Aufsichtsräten staatlicher oder halbstaatlicher Gesellschaften – so wurde jedoch die Rebellion beruhigt.28 Nach der Überwindung des Aufstandes in der ODS wurde die Gesetzvorlage schon am 8. November 2012 um 0.30 Uhr29 im AbgH mit 102 positiven Stimmen zu einer negativen Stimme definitiv approbiert. Die Opposition hatte den Saal vor der Abstimmung demonstrativ verlassen. In einer solchen Situation fehlte für ein gültiges Gesetz nur noch die Unterschrift des Staatspräsidenten Václav Klaus. Er wählte in dieser zweifelhaften Situation den mittleren Weg: Er hat das Gesetz weder unterzeichnet noch dem AbgH mit seinem Einspruch zurückgegeben, sondern erklärte am 22. November 2012 öffentlich seine Distanz zu diesem, ohne eine offizielle Geste in Richtung AbgH zu machen.30 So konnte das Gesetz schlussendlich am 5. Dezember 2012 in der Sammlung der Gesetze und Verordnungen mit der Bezeichnung Nr. 428/ 2012 Sb. promulgiert werden. Die meisten Bestimmungen des Gesetzes traten am 27 Die Ersetzung ist leider rechtlich prekär. Einer der Ersatzmänner, Roman Pekárek, wurde schon im Mai 2012 in einem Korruptionsfall von 2009 bisher nicht rechtskräftig zu sechsjähriger Haft verurteilt. Er wurde am 09. 11. 2012 von seiner Mitgliedschaft in der ODS suspendiert, nachdem das Obere Gericht zu Prag seine Auslieferung vom AbgH gefordert hatte. Am 04. 12. 2012 wurde ihm seine Immunität entzogen, am 18. 12. 2012 verurteilte ihn das Obere Gericht zu Prag zu fünfjähriger Haft und am 18. 02. 2013 trat er die Strafe an. Weil diese Situation nicht von der Verfassung vorgesehen ist, und weil Roman Pekárek auf sein Mandat nicht verzichten wollte, befand sich, bis zur Auflösung des AbgH durch Staatspräsident Milosˇ Zeman am 28. 08. 2013, ein aktiver Abg. im Gefängnis. 28 Diese Kompromisslösung war zwar pragmatisch, aber sie wurde sofort kritisiert und sogar, vor allem von der politischen Opposition, als verdeckte Korruption bezeichnet. Die Vizevorsitzende der ODS und Präsidentin des AbgH Miroslava Neˇ mcová hat sich dafür am 06. 02. 2013 öffentlich entschuldigt, siehe hierzu online unter: http://zpravy.idnes.cz/nemcovase-omluvila-za-trafiky-dza-/domaci.aspx?c=-A130206_195401_domaci_jj (eingesehen am 27. 06. 2019). Dadurch ist das Problem aber nicht gelindert worden, sondern wurde zuletzt mit Verdacht auf indirekte Korruption von der Kriminalpolizei untersucht und führte, unter Anderem, zum Fall der Regierung im Juni 2013, und bleibt bis heute, d. h. Juli 2019, Gegenstand von Gerichtsverfahren. 29 Beide Daten, sowohl der 07. 11. als auch der 08. 11., sind für die tschechische Geschichte wichtig: Das Erstere ist der Gedenktag der sogenannten Oktoberrevolution in Petersburg 1917 (das i. J. 1948 – 1989 staatlich gefeiert wurde), deren Folgen die Geschichte der Tschechoslowakei später so stark beeinflussten, und der Letztere ist der Gedenktag der Schlacht am Weißen Berg bei Prag (jetzt schon in Prag) 1620, die sehr wichtig für die weitere Geschichte nicht nur des Dreißigjährigen Krieges, sondern auch der Religionslage in den Ländern der tschechischen Krone war. 30 Siehe z. B. die Nachricht online unter: http://zpravy.e15.cz/domaci/udalosti/klaus-nepo depsal-cirkevni-restituce-zakon-presto-plati-934518 (eingesehen am 27. 06. 2019).
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1. Januar 2013 in Kraft insgesamt mit der Aufhebung der Sperrparagraphen;31 nur § 13 war bereits ab dem Tag der Promulgation wirksam.32
III. Grundrisse des Eigentumsvergleiches vom 2012 1. An der Zukunft orientierte Lösung Der Inhalt des Gesetzes unterscheidet sich nicht wesentlich von dem vorherigen Gesetzesentwurf von 2008.33 Sein Ziel ist dasselbe geblieben: die ökonomische Trennung der KRG vom Staat in der nahen Zukunft. So ist das Gesetz in seinem Wesen kein gewöhnliches Restitutionsgesetz. 2. Kombination der physischen Restitution und der finanziellen Kompensation, ökumenische Aspekte Wie schon gesagt worden ist, wurde die physische Restitution wird von 51 Milliarden Kronen auf 75 Milliarden Kronen (auf etwa 3 Milliarden Euro) erhöht, die Kompensation wird von 83 Milliarden Kronen um 59 Milliarden Kronen (auf etwa 2,36 Milliarden Euro) reduziert. Die physische Restitution wird nun für alle KRG bestimmt. Die Kompensation wird statt 60 Jahre nur 30 Jahre bezahlt und während dieser Zeit nicht mit einem ständigen Koeffizienten von 4,85 %, sondern mit dem aktuellen Inflationskoeffizienten valorisiert. Die Kompensation wird statt mit 83 % nur mit 80 % für die Römisch-Katholische Kirche festgelegt, demgegenüber steigt der Anteil der übrigen KRG von 17 % auf 20 %. 3. Übergangsperiode und Fristen Die Übergangsperiode der Staatsbeiträge zu den Löhnen des kirchlichen Personals wird statt 20 Jahre nur 17 Jahre dauern, wobei die ersten drei Jahre dieselbe Rate wie 2012 bezahlt und diese dann jedes Jahr um fünf Prozentpunkte reduziert wird – alles jedoch ohne Valorisation. Die Frist für die Einreichung von Forderungen für physische Restitution beträgt ein Jahr. Daneben wäre es möglich, in der Frist von drei Jahren Feststellungsklagen zu präsentieren, wenn die juristische Person einer KRG überzeugt wird, dass ein Besitzwechsel in Widerspruch zum Sperrparagraphen 31 Siehe in Kapitel II. Influenz der Demokratisierung seit 1990 auf die Frage des kirchlichen Vermögens Punkt 1. Die Tschechoslowakei nach der „samtenen Revolution“ bis zur Trennung des Staates (1990 – 1992). 32 Es handelt sich bei § 13 um das Verbot der Alienationen der ehemaligen kirchlichen Güter, die sich aktuell im Eigentum des Staates befinden. 33 Siehe in Kapitel II. Influenz der Demokratisierung seit 1990 auf die Frage des kirchlichen Vermögens Punkt 3. Erster Versuch der systematischen gesetzlichen Lösung (2007 – 2009).
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von 1991 vollzogen wurde. Wenn ein Gericht über die Ungültigkeit des Wechsels entscheidet, demzufolge das Eigentum im Besitz des Staates bleibt, kann man eine Forderung in der Frist von einem Jahr von Rechtskraft des Verdikts einreichen.34 4. Kombination eines Gesetzes mit Verträgen Die Regierung soll mit den KRG innerhalb einer Frist von neun Monaten Auseinandersetzungsabkommen abschließen.35 Die Unterschiede ihrer Natur im Vergleich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch werden im Gesetz enumerativ definiert.36 Die in einer gemischten Kommission vorbereiteten Verträge wurden schon am 22. Februar 2013 mit allen entsprechenden KRG unterzeichnet, aber mit einer Ausnahme: der außergewöhnliche Kongress der Zapatistischen Union der Tschechischen Republik hat am 19. Januar entschieden, keine Finanzkompensierung vom Staat anzunehmen, und deswegen erklärte die Union im April 2013, dass sie kein Auseinandersetzungsabkommen unterzeichnen wird.37 Der entsprechende Teil der finanziellen Kompen34 Es ist zu bemerken, dass solche Verfahren meistens zuungunsten der KRG entschieden werden – so ist die Höhe der physischen Restitution hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Es besteht sogar ein Fall der Zisterzienser aus Hohenfurth (auf Tschechisch Vysˇsˇí Brod), dessen Eigentum während des zweiten Weltkrieges vom Nazi-Regime beschlagnahmt wurde, und sofort nach dem Krieg aufgrund der Staatspräsidentendekreten als einem deutschen Subjekt (sic!) verstaatlicht wurde (mit formellen Fehlern) – die rechtliche Verteidigung gegen die Verstaatlichung kam bis Liquidation des Monasteriums i. J. 1950 nicht zu Ende. Das Kreisgericht zu Böhmisch Budweis hat nach langem Verfahren i. J. 2015 entschieden, dass die Verstaatlichung rechtswidrig war, und so hat das Monasterium mehr als 3.500 Hektare des Waldes rechtskräftig gewonnen. Das Obere Gericht zu Prag äußerte aber im Februar 2019 gegenseitige Meinung, deswegen das Monasterium davon etwa 2.000 Hektar den Wäldern der Tschechischen Republik sofort rücksetzen musste (weil das Oberste Gericht zu Brünn die Bitte um Verzögerung der Ausübung des Urteiles abgelehnt hat, obgleich das Monasterium zu ihm schnell Appellation einreicht hatte), daneben andere solche Rechtssachen dieses Monasteriums nochmal revidiert werden sollen. Siehe hierzu die Nachricht online unter: www.novin ky.cz/domaci/508662-cisterciaci-musi-vratit-statu-tisice-hektaru.html (eingesehen am 29. 06. 2019). Dieser Fall könnte in der Zukunft als Präzedent benutzt werden. 35 Die Verträge wurden kurz danach, am 22. Februar 2013, feierlich unterzeichnet, und das sogar trotz starkem Widerstand der politischen Opposition. 36 Die Rechtsnatur dieser Abkommen ist nicht ganz klar; in der Gesetzesbegründung ist sie als „Vertrag sui generis von diesem Gesetz geregelt“. Siehe Richard Pomahacˇ , K povaze smluv o vyporˇádání s církvemi (Zur Natur der Auseinandersetzungsabkommen mit Kirchen), Právní rozhledy (Juristische Rundschauen), Nr. 11, S. 387 – 392, und Krˇízˇ/Valesˇ, Zákon o majetkovém vyrovnání s církvemi a nábozˇ ensky´mi spolecˇ nostmi. Komentárˇ, (Anm. 5), S. 284 – 285. 37 Siehe die Information des Exekutivkomitees der Baptistischen Union der Tschechischen Republik vom 18. Februar 2013 auf ihrer offiziellen Internetseite, online unter: www.bjb.cz/ bjb/informace-vv/566-2013-02-27-17-54-47 (eingesehen am 29. 06. 2019), die die endgültige Entscheidung für den Kongress der Delegierten am 20. 04. 2013 reservierte. Der Kongress hat den Vorschlag des Exekutivkomitees gebilligt, aber eine ausführliche Nachricht befindet sich nur auf der Internetseite der Gemeinde zu Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou) von 25. 05. 2013 befindet, siehe online unter: www.bjbjablonec.cz/news/ohlednuti-za-odmitnutimcirkevnich-restituci/ (eingesehen am 29. 06. 2019).
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sation ist deswegen in den Händen des Staates geblieben. Man kann sagen, dass die Realisierung des EVKRGG für die KRG anspruchsvoller und komplizierter ist (im vorherigen Gesetzesentwurf sollten die meisten KRG und auch die Diözesen der Römisch-Katholischen Kirche nur die finanzielle Kompensation erhalten). Zwar wird die Kompensation den Staat so nun weniger und auch nur kürzere Zeit belasten, allerdings verlangt die Umsetzung des EVKRGG von den Staatsbehörden mehr Arbeit.
IV. Staatsrechtliche und politische Aspekte 1. Rechtlicher Widerstand – Verfassungsklagen Schon im September 2012 hat ein Abg. der früheren Koalitionspartei VV (die im April 2012 in die Opposition übergangen ist) Verfassungsklage erhoben, dass seine Rechte während der dritten Lesung im AbgH beschädigt wurden, weil die Vorsitzende der Sitzung ihm nach einer Ermahnung das Wort entzogen hat, nachdem er die Kirchengeschichte der tschechischen Länder seit dem 9. Jahrhundert vorgelesen hatte. Das VerfG verhandelte diese Klage vorrangig im Plenum am 9. Oktober 2012 und wies sie mit der Begründung ab, dass auf den Legislativprozess nicht durch ein anderes Organ der öffentlichen Macht zugegriffen werden dürfe, weshalb das Gericht nicht dafür zuständig sei, eine solche Klage zu behandeln.38 Die erste Verfassungsklage von der VV selber wurde am 31. Dezember 2012 eingereicht. Die Kläger waren: erstens die Partei als Gesamtheit; zweitens der Abgeordnetenklub dieser Partei; drittens elf Abg. (überwiegend Mitglieder dieser Partei); viertens ein Senator des Parlamentes der Tschechischen Republik (zwar parteilos, ˇ SSD). Die Kläger ersuchten die Aufheaber gewählt auf der Kandidatenliste der C bung des Beschlusses des AbgH vom 8. November 2012 zum Entwurf des EVKRGG, Verbot seiner Realisierung und Aufhebung des Gesetzes. Das VerfG lehnte die Klage am 15. Januar 2013 mit der Begründung ab, dass erstens die Kläger die Bedingungen für eine Verfassungsklage nicht erfüllt hätten, und dass zweitens die Klage gegen einen Beschluss im Rahmen des Legislativprozesses, nicht aber gegen die Applikation des Gesetzes gerichtet wird, und deswegen das VerfG nicht dafür zuständig sei, eine solche Klage zu behandeln.39 Zunächst wurde im Februar 2013 eine zweite Klage der VV eingereicht, unterzeichnet von 18 Senatoren des Parlamentes der Tschechischen Republik. Diese Klage unterschied sich bezüglich der Argumentation nicht allzu sehr von der ersten. Eine andere Klage wurde ein paar Tage später von 47 Abg., überwiegend Mitglieder ˇ SSD, eingereicht. Sie ersuchte die Aufhebung des EVKRGG. Die dritte Klage, der C mit gleichem Ziel wie die zweite, wurde am 21. Februar 2013 von 45 Abg., überwie38 Urteil des VerfG Aktenzeichen Pl. ÚS 31/12 vom 15. 01. 2013, siehe online unter: http:// nalus.usoud.cz/Search/GetText.aspx?sz=Pl-31-12_1 (eingesehen am 29. 06. 2019). 39 Ebd.
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gend Mitglieder der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens, eingereicht. Das VerfG hat seiner Geschäftsordnung nach einerseits die zwei letztgenannten Klagen wegen der Litispendenz abgelehnt, anderseits hat es die Kläger als Nebenintervenienten zum Prozess hinzugezogen, obwohl ihre Argumentationsweise im Vergleich zu der ersten, zugelassenen Klage ziemlich unterschiedlich war. Das Urteil des VerfG war überwiegend negativ, nur aus der Bestimmung in § 5 Buchst. i) wird das Wort „gerechter“ ab der Promulgation des Urteils in der Sammlung der Gesetze und Verordnungen gestrichen. Damit wurde die Möglichkeit der Einforderung der Restitution eingeschränkt: Sie wird nun nämlich durch jede beliebige Entschädigung ausgeschlossen, auch wenn sie lediglich symbolisch erfolgt wäre.40 Diese Modifikation führte zur Reduktion der physischen Restitution der kirchlichen Güter, etwa um 5 – 7 %. Sofort nachdem die Regierung am 20. Februar 2013 den Text der Verträge mit den KRG gebilligt und ihre Unterzeichnung für den 22. Februar 2013 bekanntgegeben hatte, stellte eine Gruppe der Abg. der Cˇ SSD am folgenden Tag, dem 21. Februar 2013, einen Antrag an das VerfG, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, die der Regierung die Unterzeichnung der angekündigten Verträge verbiete. Das hat die Regierung nicht daran gehindert, die Verträge am 22. Februar zu unterzeichnen. Das VerfG verhandelte diese Klage vorrangig am 5. März 2013, lehnte sie aber aufgrund fehlender Zuständigkeit ab, da es damals nur dann berechtigt war, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, wenn im Rahmen der Verhandlung eine Verfassungsbeschwerde erfolgte.41 2. Frage gesetzlicher Novellierungen i. J. 2012/2013 Als Kompromiss für den Erfolg der Wiederabstimmung über den Gesetzesentwurf im AbgH, die anfangs November 2012 stattfinden sollte, kam es ziemlich problemlos dazu, aufgrund einer vorherigen politischen Zustimmung, eine kleine Novellierung anzunehmen. Sie bestand in einer Steueränderung: Der erste Verkauf der restituierten Güter (von Seiten der kirchlichen Institutionen) sollte nicht mehr steuerfrei sein, sondern müsse der gewöhnlichen Körperschaftssteuer unterstellt werden. Der Gesetzentwurf wurde am 6. Dezember 2013 vorgelegt, zusammen mit dem Vorschlag, das Gesetz in verkürztem Verfahren zu behandeln: Es sollte bloß eine einzige Vorlesung im AbgH genügen. Nachdem der Gesetzentwurf am 21. Dezember von der Regierung gebilligt worden war, stimmte das AbgH ihm, in der verkürzten Prozedur, am 12. Februar 2013 zu. Der Senat approbierte, ebenfalls sehr schnell, die Gesetzvorlage schon am 13. März 2013. Der Staatspräsident unterzeichnete das Ge40
Urteil des VerfG Aktenzeichen Pl. ÚS 10/13 vom 29. 05. 2013, siehe online unter: http:// nalus.usoud.cz/Search/GetText.aspx?sz=Pl-10-13_4 (eingesehen am 29. 06. 2019). 41 Siehe die Nachricht online unter: http://zpravy.idnes.cz/ustavni-soud-rozhodl-o-smlouv ach-mezi-cirkvemi-a-vladou-p2 l-/domaci.aspx?c=A130123_110005_domaci_hv (eingesehen am 29. 06. 2019). Die Entscheidung wurde in den Urteil des VerfG vom 29. 05. 2013, Aktenzeichen Pl. ÚS 10/13 integriert (siehe Anm. 40).
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setz am 18. März 2013 und der Ministerpräsident am 28. März. So wurde die Novellierung am 3. April 2013 unter der Nr. 80/2013 Sb. veröffentlicht; sie trat noch am selben Tag in Kraft. Andere Vorschläge blieben erfolglos: Am 21. März 2012, ein Entwurf eines Verfassungsgesetzes bezüglich Referendum über das EVKRGG von der Seite der Kommunisten, der aber am 16. Dezember 2012 in der ersten Verlesung im AbgH abgelehnt wurde. Am 4. Dezember 2012, kurz vor der Promulgation des EVKRGG, ein Entwurf von radikaler Modifikation der finanziellen Parameter des Gesetzes durch Novellierung des EVKRGG. Der Entwurf kam nach der ersten Verlesung nicht mehr in das Plenum zurück und seine Verhandlung wurde mit dem Ende der Amtsperiode des AbgH (am 28. August 2013) endgültig beendet. Am 17. Mai 2013, ein Entwurf einer Novellierung des EVKRGG, der Verpflichtung zu Online-Veröffentlichungen der Bitten um physische Restitution aus der Seite der Berechtigen als auch der Entscheidung aus der Seite der Pflichtperson in der Frist von 15 Tagen einführen wollte. Das AbgH übergab den Entwurf im Juni 2013 in den verfassungsrechtlichen Ausschuss, von dem bis zum Ende der Amtsperiode des AbgH (bis 28. August 2013) keine Antwort kam, und so wurde die Verhandlung dieses Entwurfes endgültig beendet. Am 3. Juni 2013, ein Entwurf einer Novellierung des Einkommenssteuer- und Körperschaftssteuergesetz (Nr. 586/1992 Sb.), die alle steuerlichen Vorteile der KRG in diesem Gesetz abbauen wollte. Der Entwurf wurde am 17. Juli 2013 in den Budgetausschuss übergeben, von dem bis zum Ende der Amtsperiode des AbgH (bis 28. August 2013) keine Antwort kam, und so wurde die Verhandlung dieses Entwurfes endgültig beendet.
V. Eigentumsvergleich als ständig heißes politisches Thema – unbeendete Geschichte bis 2019 Die Politisierung der Frage des Eigentumsvergleiches setzte sich immer fort, traf verschiedene Einzelfragen und ist bis heute (Anfang Juli 2019) nicht beendet. Deswegen ist es notwendig nur einige Ereignisse und Aspekte vorzustellen, die rechtlich äußerst relevant sind.42 1. Sturz der Regierung im Juni 2013 Es könnte so wirken, als ob die Situation nach dem Urteil des VerfG vom Mai 2013 ruhiger geworden wäre. Jedoch kam es vollkommen unerwartet zu einer großen, mit 42
Deswegen werden im Folgenden auch nur die wichtigsten Hinweise angegeben.
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dem Regierungspräsidenten Petr Necˇ as in Verbindung stehenden Affäre.43 Ein ungewolltes Vorspiel ereignete sich am 11. Juni 2013 mit der Erklärung Petr Necˇ as, dass er sich nach 27 Jahren Ehe scheiden lassen werde. Die Presse spekulierte über eine Beziehung mit der Chefin des Verwaltungsamtes der Regierung, Jana Nagyová.44 In den folgenden sechs Tagen kam zu einer polizeilichen Untersuchung auch im Verwaltungsamt der Regierung, Verhaftung der Chefin und der drei ehemaligen Abg. der ODS, die im November 2013 zurücktraten, zu ihrer Beschuldigung vom Amtsmissbrauch oder Korruption,45 ihrer nachfolgender Inhaftierung und letztlich zur Rücktrittserklärung des Ministerpräsidenten (und deswegen der ganzen Regierung), der vom Staatspräsidenten beauftragt wurde, die Regierung bis zur Ernennung einer neuen zu leiten. Die neue Regierung wurde (nach komplizierten Verhandlungen) am 10. Juli als Regierung der Fachleute ernannt – man bezeichnete sie aber oft als „Staatspräsidentenkameradenregierung“. Sie erhielt am 7. August 2013 nicht das Vertrauen des AbgH, weshalb sie am 13. August zurücktrat. Der Staatspräsident beauftragt sie, den Staat bis zur Ernennung einer neuen Regierung zu leiten (was bis Januar 2014 dauerte).46
43 Die Angaben wurden von mehreren Internetseiten zusammengetragen, überwiegend stammen sie aber von folgender Website, online unter: www.parlamentnilisty.cz/arena/moni tor/Pad-vlady-ve-ctyrech-dnech-Co-se-povedlo-Jane-Nagyove-275886 und https://www.idnes. cz/zpravy/domaci/policiste-zacali-stihat-expremiera-necase.A140211_192727_domaci_hv (eingesehen am 31. 01. 2020). 44 Ex-Premier Necˇ as hat die Beziehung anfangs nicht zugegeben, erst im Juli stand er schließlich dazu. Am 06. 08. 2013 war die Scheidung vollzogen, und am 21. 09. 2013 heiratete er Jana Nagyová. 45 Ex-Premier Necˇ as wurde dazu als Zeuge befragt. Das Oberste Gericht hat am 16. 07. 2013 die Beschwerde der Abg. gegen die Strafverfolgung anerkannt, und zwar deshalb, weil auch nach ihrem Rücktritt noch die Abgeordnetenimmunität wirksam gewesen sei. Schließlich wurde Ex-Premier Necˇ as am 11. 02. 2014 wegen ihrer Bestechung beschuldigt, doch stritt er jede Beteiligung ab. Siehe hierzu die Nachricht online unter: https://www.idnes.cz/zpravy/dom aci/policiste-zacali-stihat-expremiera-necase.A140211_192727_domaci_hv (eingesehen am 31. 01. 2020). Die ganze Angelegenheit bleibt mit mehreren Fragen verbunden: Wo befindet sich die Grenze zwischen der ordentlichen politischen Arbeit und der Korruption? Soll diese Grenze von der Legislative oder von der Justiz bestimmt werden? Welcher ist der aktuelle Umfang der Immunität der Abg., und welcher sollte er in der Zukunft sein? Handelt es sich im Fall des Ex-Premiers Necˇ as wirklich um organisierte Kriminalität oder geht es im Gegenteil eher um den Missbrauch der polizeilichen Vollmacht, in politischem Auftrag? usw. 46 Siehe die offizielle Internetseite der Regierung, online unter: www.vlada.cz/cz/clenovevlady/historie-minulych-vlad/prehled-vlad-cr/1993-2013-cr/jiri-rusnok/prehled-clenu-vlady-ji riho-rusnoka-13-07-2013-29-01-2014-115419/ (eingesehen am 26. 06. 2019).
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2. Auflösung des Abgeordnetenhauses (August 2013) – Kampagne vor der vorzeitigen Wahl (Oktober 2013) Die politische Opposition verlangte unter solchen Umständen dringend die vorzeitige Wahl, die Koalitionspartei TOP 09 trat dazu bei. Das AbgH bot durch seinen Beschluss vom 20. August 2013 dem Staatspräsidenten seine eigene Auflösung an. Der Präsident löste das AbgH am 28. August auf. Die vorzeitige Wahl wurde für den 25. und 26. Oktober 2013 angekündigt.47 Das Problem der Kirchenfinanzierung war im Rahmen eines so kurzen Wahlkampfes sehr häufig auf der Tagesordnung; fast jede Partei hatte sich dazu geäußert. Die Kommunisten verlangten nochmal ein Referendum. Die Cˇ SSD versprach, dass sie den Eigentumsvergleich entweder allein oder durch Besprechungen mit den KRG ändern wird. Die Revision wurde auch von zwei neuen, agilen politischen Gruppierungen verlangt, nämlich der Bewegung ANO (d. h. „ja“) des Unternehmers Andrej Babisˇ, dem aber in der Slowakei (aus der er stammt) die Zusammenarbeit mit der kommunistischen Geheimpolizei vorgeworfen wurde, und der Bewegung Tagesanbruch der direkten Demokratie des Tschecho-Japaners, Politikers und Senators Tokio Okamura. 3. Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl im Oktober 2013 und die neue Regierung im Januar 2014 Die vorzeitige Wahl hat die politische Landkarte der Tschechischen Republik einerseits sehr verändert, anderseits nicht klarer gemacht. In das neue AbgH zogen 50 Abg. der Sozialisten, 47 der ANO, 33 der Kommunisten, 26 von TOP 09, nur 16 der ODS, 14 vom Tagesanbruch der direkten Demokratie und 14 Abg. der Volkspartei ein.48 In einer solchen Situation war es schwierig, eine Mehrheitsregierung zu bilden. Dazu destabilisierte ein innerparteilicher Putsch gegen den Vorsitzenden der ˇ SSD, Bohuslav Sobotka, die Situation zusätzlich: Es stellte sich heraus, dass die C Aufwiegler ihr Vorgehen am 26. Oktober, dem zweiten Tag der Wahl, abends mit Staatspräsident Zeman besprochen hatten. Nach überstandener Revolte führte Bohuslav Sobotka ab 10. November weiterhin offiziell die Verhandlungen der Regierungsbildung im Auftrag der Cˇ SSD, und schließlich beauftragte ihn am 21. November 2013 der Staatspräsident offiziell mit der Regierungsbildung. Es wurde mit der Bewegung ANO und der Volkspartei eine Koalition ausgehandelt, wobei der schwierigste Punkt für die Verhandlungen mit der Volkspartei gerade der Eigentumsver-
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Siehe die offizielle Internetseite des AbgH, online unter: www.psp.cz/sqw/cms.sqw?z= 5827 (eingesehen am 24. 06. 2019). 48 Siehe die offizielle Internetseite des AbgH, online unter: www.volby.cz/pls/ps2013/ ps53?xjazyk=CZ&xv=1 (eingesehen 24. 06. 2019).
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gleich mit den KRG war. Letztendlich wurde am 6. Januar 2014 der Koalitionsvertrag unterzeichnet.49 Der Staatspräsident hatte zunächst mit jedem einzelnen proponierten Minister persönlich gesprochen. Zuerst ernannte er am 17. Januar 2014 Sobotka als Premier, zuletzt am 29. Januar 2014, d. h. 93 Tage nach der Wahl, die ganze Regierung, wenn auch mit Vorbehalten.50 Am 12. Februar 2014 billigte die neue Regierung ihre Regierungsprogrammklärung. Es findet sich dort kein Wort zu den KRG.51 ˇ SSD und der ANO 4. Bemühungen der C um Modifizierung des Eigentumsvergleichs ˇ SSD, hat Schon im November 2013, nach der Überwindung des Bruches in der C ihr Vorsitzender Bohuslav Sobotka mit Mitarbeitern des Erzbischofpalasts sowie mit Vertretern der Bischofskonferenz und des Ökumenischen Rates debattiert. Das öfˇ SSD war die Zustimmung der KRG zur Reduktion fentlich deklarierte Ziel der C und anderen Änderungen des Eigentumsvergleiches. Die Diskussion hatte einen einzigen gemeinsamen Erfolg: die Einigung über die Gründung einer Expertenkommission, die die Vorschläge der sozialistischen Partei verhandeln sollte.52 Die Kommission hat nur dreimal getagt: am 17. Dezember 2013, am 7. Februar 2014 und am 25. März 2014. Das erste Treffen diente überwiegend zum gegenseitigen Kennenlernen und der Bildung einer Arbeitsgruppe, die einige einzelne Fragen ˇ SSD klären sollte. Das zweite Treffen zur Höhe der finanziellen Kompensation, wo C und ANO ihre Reduktion um 13 Milliarden Kronen (etwa 500 Millionen Euro) vorschlugen. Die KRG stimmten nicht zu. Beide Seiten präsentierten ihre Vorlagen zur Berechnung der Kompensation und die KRG stimmten mit der Veröffentlichung der jährlichen Rechnungsabschlüsse zu.53 Das dritte Treffen behandelte die Frage der Forderung eines Vorkaufrechtes des Staates an verkauftes restituiertes Eigentum. 49 Siehe die offizielle Internetseite der Regierung, online unter: www.vlada.cz/cz/clenovevlady/historie-minulych-vlad/prehled-vlad-cr/1993-2017-cr/andrej-babis-i/prehled-clenu-vladyandreje-babise-13-12-2017-27-06-2018-166989/ (eingesehen am 24. 06. 2019). 50 Siehe die offizielle Internetseite der Regierung, online unter: www.vlada.cz/cz/clenovevlady/historie-minulych-vlad/prehled-vlad-cr/1993-2013-cr/bohuslav_sobotka/prehled-clenuvlady-bohuslava-sobotky-29-01-2014-trva-124534/ (eingesehen am 24. 06. 2019). 51 Siehe die offizielle Internetseite der Regierung, online unter: www.vlada.cz/cz/mediacentrum/aktualne/novym-premierem-byl-dnes-jmenovan-predseda-cssd-bohuslav-sobotka115271/, www.vlada.cz/scripts/detail.php?pgid=215&conn=1317&pg=2 und www.vlada.cz/ cz/media-centrum/dulezite-dokumenty/programove-prohlaseni-vlady-cr-115911/ (eingesehen am 28. 06. 2019). 52 Siehe die spezielle Internetseite der Bischofskonferenz zum Eigentumsvergleich, online unter: www.sluzbaverejnosti.cz/news/expertni-komise-poprve-jednala-o-majetkovem-vyrovn ani/ (eingesehen am 28. 06. 2019). 53 Siehe die Nachrichten, online unter: http://aktualne.centrum.cz/domaci/politika/euro volby/cesko/-clanek.phtml?id=801138 und www.sluzbaverejnosti.cz/news/expertni-komisednes-jednala-v-liboci/ (beide eingesehen am 28. 06. 2019).
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Während des dritten Treffens erklärten die KRG, dass sie die Verhandlungen weiter zum Thema des Kooperationsmodelles nicht in dieser Kommission, sondern auf der Ebene der Regierung führen wollen. Deswegen haben sie ihren Anteil an der Kommission beendet, ohne Zustimmung in mehreren Fragen in der Kommission zu erringen,54 was die Vorsitzenden der Tschechischen Bischofskonferenz, des Ökumenischen Rates der Kirchen und der Föderation der jüdischen Gemeinden in einem gemeinsamen Kommunikee am 28. März 2014 gebilligt haben.55 Die Materiellen der gemischten Kommission wurden am 25. März 2014 veröffentlicht.56 5. Novellierung des Gesetzes in 2019 Die Politisierung der Frage des Gesetzes ist im Jahre 2018 gewachsen. Nach der Abgeordnetenhauswahl vom Oktober 2017 wurde Andrej Babisˇ, Leiter des politischen Bewegung ANO, im Dezember 2017 zum Ministerpräsidenten ernannt; seine Regierung hatte aber die Vertrauensäußerung im AbgH im Januar 2018 nicht erhalten, deswegen demissionierte die Regierung schnell. Der Staatspräsident Zeman ließ sie bis Juni 2018 vorläufig regieren. Die zweite Regierung von Babisˇ wurde im Juni 2018 ernannt, und zwar als Minderheitsregierung in der Koalition ˇ SSD und mit der Toleranz von der Kommunistischen Partei von Böhmen mit C und Mähren (die Vertrauensäußerung des AbgH erhielt sie am 12. Juli 2018). Die Toleranz wurde mit Bedingungen verbunden, demnach sich die Regierung verpflichtete, einige Programmpunkte der kommunistischen Partei zu realisieren –auch die Versteuerung der finanziellen Kompensation dem EVKRGG nach.57 Eine Gruppe von 15 Abg. hat den Vorschlag eines Novellierungsgesetzes58 im Dezember 2017 vorbereitet und ins AbgH gesandt. Die Regierung hat den Vorschlag im Januar 2018 unterstützt. Das AbgH hat das Gesetz nach komplizierten Verhandlungen im Juni 2018 gebilligt. Der Senat des tschechischen Parlamentes hat das Gesetz im Februar 2018 abgelehnt. Das AbgH hat das Veto des Senates in April 2019 überstimmt, der Staatspräsident hat das Gesetz im Mai 2019 unterzeichnet. Das Gesetz wurde unter Nr. 125/2019 Sb. promulgiert. Die Novellierung unterwirft die finanzi-
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Siehe online unter: www.cirkev.cz/archiv/140325-komunike-k-ukonceni-cinnosti-cirkcasti-expert-komise (eingesehen am 28. 06. 2019). 55 Siehe online unter: www.cirkev.cz/archiv/140328-prohlaseni-cbk-erc-a-fzo-k-ukonceniprace-expert-skupiny (eingesehen am 28. 06. 2019). 56 Siehe online unter: www.cirkev.cz/archiv/140325-materialy-expertni-komise (eingesehen am 28. 06. 2019). 57 Siehe z. B. die offizielle Internetseite der Regierung, online unter: www.vlada.cz/cz/cle nove-vlady/historie-minulych-vlad/prehled-vlad-cr/1993 - 2017-cr/andrej-babis-i/prehled-clenuvlady-andreje-babise-13 - 12 - 2017 - 27 - 06 - 2018 - 166989/ (eingesehen am 28. 06. 2019). 58 Dia Daten schöpfen wir aus der offiziellen Internet Seite des AbgH zu dieser Novellierung, siehe online unter: www.psp.cz/sqw/historie.sqw?o=8&t=38 (eingesehen am 29. 06. 2019).
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elle Kompensation der Einkommensteuer in der Höhe von 19 % mit Wirkungskraft vom 1. Januar 2020. Die Novellierung verursachte widersprüchliche Reaktionen von der Seite der KRG und der Opposition (und vieler Experten), die scharf und kritisch waren. Erstens haben die Bischofskonferenz zusammen mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen Tschechiens und der Föderation der jüdischen Gemeinschaften eine gemeinsame Deklaration zu Ende April 2019 veröffentlicht.59 Zweitens sind nach und nach 3 Klagen dem VerfG übergeben worden: die erste am 24. Mai 2019 von 42 Senatoren ˇ SSD!), die zweite am 6. Juni 2019 von 62 Abg. von Oppositi(dazwischen 3 von C onsparteien, die dritte am 12. Juni 2019 von anderen 19 Senatoren. Das VerfG hat seiner Geschäftsordnung nach die zwei letztgenannten Klagen wegen der Litispendenz abgelehnt, aber der gewöhnlichen Praxis nach ist zu erwarten, dass es die zwei Kläger als Nebenintervenienten zum Prozess hinzieht.60 Die Entscheidung wurde am 1. Oktober 2019 im Plenum des Verfassungsgerichts getroffen und am 15. Oktober 2019 verkündet. Die Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Besteuerung des finanziellen Ausgleichs wurde durch diese Entscheidung aufgehoben; dagegen wurde die Änderung des Gesetzes über den Eigentumsvergleich, mit der die Bestimmungen, die diese Entschädigung ausschließen, von der Besteuerung gestrichen wurden, nicht aufgehoben. Zunächst stellte das Verfassungsgericht fest, dass es sich bei der angefochtenen Gesetzesänderung nicht um eine Steuer handelt, sondern um eine faktische Kürzung des finanziellen Ausgleichs. Gegen den Grundsatz der pacta sunt servanda haben die KRG einen Anspruch gegenüber dem Staat nach dem Vergleichsgesetz, es handelt sich also nicht um ein Einkommen im Sinne der Steuergesetzgebung und die Novelle führt eine unzulässige falsche Rückwirkung ein.61
VI. Resümee und Ausblick Der Artikel stellt das komplizierte Problem des Eigentumsvergleichs mit den KRG aus historischer, rechtlicher und politischer Sicht dar. Es zeigte sich, dass der Misserfolg der Restitution des Kirchenvermögens in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts paradoxerweise dazu beigetragen hat, dass man eine komplexe Lösung vorbereitete, die nicht nur die bruchstückhafte Entschädigung, sondern auch die zukünftige Lösung der Finanzierung der KRG regelt und damit die ökonomische Trennung anstrebt.
59 Siehe online unter: www.cirkev.cz/cs/aktuality/190423zdaneni-penezitych-nahrad-cir kvim-schvalila-poslanecka-snemovna (eingesehen am 29. 06. 2019). 60 Siehe offizielle Internetseite des VerfG – Verhandelte Plenarthemen, online unter: www. usoud.cz/projednavane-plenarni-veci/ (eingesehen am 29. 06. 2019). 61 Verfassungsgericht der Tschechischen Republik. Entscheidung Aktenzeichen Pl ÚS 05/ 19 vom 01. 10. 2019, online unter http://nalus.usoud.cz/Search/ResultDetail.aspx?id= 109087&pos=1&cnt=1&typ=result (eingesehen am 31. 01. 2020).
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Zum ersten Mal ist ein solcher Gesetzentwurf 2008 vorgelegt worden, aber die dramatischen politischen Umstände des Jahres 2009 verhinderten seine Verabschiedung. Der andere, ziemlich ähnliche Gesetzesentwurf von 2012 ist schließlich im Parlament verabschiedet worden, wenn auch mit großen Schwierigkeiten. Das Gesetz sollte helfen, die ökonomische Basis für eine selbstständige Finanzierung der KRG vorzubereiten und zu ermöglichen. Man muss zugeben, dass der Beitrag weniger den Eigentumsvergleich mit den KRG von 2012 selbst beschreibt als die politischen Umstände. Das ist einerseits eine unvermeidliche Folge der enormen Politisierung des Problems des Kirchenvermögens, anderseits spiegelt es die gesellschaftliche Realität der Tschechischen Republik authentisch wider: Sehr oft geht es dort nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern eher (oder primär) um politischen Einfluss und Gewinn. Trotzdem kann der Ausgang optimistisch stimmen: Das verabschiedete Gesetz bietet trotz allem eine Plattform für die notwendige innenkirchliche, ökumenische und gesellschaftliche Zusammenarbeit.
VII. Zusammenfassung Im Jahr 2012 ist es trotz großen politischen Widerstands gelungen, das Gesetz über den Eigentumsvergleich mit Kirchen und Religionsgemeinschaften im tschechischen Parlament zu verabschieden, nachdem mehrere Versuche seit 1990 erfolglos waren. Das Gesetz orientiert sich mehr an der Zukunft: Es zielt auf eine ökonomische Trennung des Staates und der Kirchen ab, deren wirtschaftliche Basis vom Staat durch Teilrestitution der ehemaligen kirchlichen Güter und finanzielle Kompensation gebildet werden soll. Das Problem wurde aber stark politisiert, was zu einem starken politischen und rechtlichen Kampf (auch vor dem Verfassungsgericht) führte. Obgleich das Gesetz schon seit 2013 in Kraft ist, setzt sich der politische Kampf weiter fort, sogar durch eine ganz jüngst vergangene und kontroverse Novellierung vom April 2019, die nochmal Gegenstand der Verfassungsklagen geworden ist. Tatsächlich lehnte das Verfassungsgericht diese Novellierung ab, indem es die Änderung des Einkommensteuergesetzes als zweckbestimmt und rechtlich irreführend abschaffte und unter anderem die Einhaltung des Grundsatzes pacta sunt servanda betonte.
Der Sonntag – Tag der Arbeitsruhe und des Einkaufserlebnisses? Zum bundesweit ersten Bürgerbegehren für den freien Sonntag Von Martin Ötker Am 5. Februar 2019 jährte sich zum hundertsten Mal der Tag des Verbots der Sonntagsarbeit im Einzelhandel.1 Nachdem die in Handwerk und Industrie Tätigen den arbeitsfreien Sonntag bereits 18912 bekommen hatten, erhielten diesen nun auch die Arbeiter im Handel. Das war keine freigiebige Wohltat der Verkaufsstelleninhaber, sondern eine sozialpolitische Errungenschaft, die hart erkämpft werden musste und deren Wurzeln bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Im Zuge der Industrialisierung war es im 19. Jahrhundert durchaus üblich, dass in vielen Berufen am Sonntag gearbeitet werden musste. Dadurch wurde für viele der sonntägliche Kirchgang in Frage gestellt. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts setzten Bestrebungen kirchlich gesinnter Kreise ein, die sich eine Verbesserung des bestehenden Sonntagsschutzes zum Ziel setzten, der schließlich in die Reichsgewerbeordnung aufgenommen wurde. Mit Art. 139 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 (sog. Weimarer Verfassung) erhielt der Schutz des Sonntag Verfassungsrang. Über Art. 140 GG ist diese Verfassungsbestimmung in das Grundgesetz übernommen worden und somit auch heute noch unmittelbar geltendes Recht. Dadurch war die Sieben-Tage-Woche verfassungsrechtlich verankert. Bis zum Jahre 2006 waren die Ladenöffnungszeiten bundeseinheitlich geregelt.3 Im Rahmen der in diesem Jahr durchgeführten Föderalismusreform wurde das Ladenschlussrecht auf die Bundesländer übertragen. Bis auf den Freistaat Bayern, haben die Länder hierfür eigene Gesetze erlassen. Alle Ladenöffnungsgesetze halten grundsätzlich daran fest, dass an Sonn- und Feiertagen die Verkaufsstellen geschlossen bleiben müssen, allerdings werden bisweilen großzügige Ausnahmen gewährt. 1 Verordnung über Sonntagsruhe im Handelsgewerbe und in Apotheken vom 05. 02. 1919 (RGBl., S. 176 – 177). 2 Gesetz, betreffend Veränderung der Gewerbeordnung. Vom 01. 06. 1891 (RGBl, S. 261 – 290). 3 Gesetz über den Ladenschluss vom 28. 11. 1956 (BGBl. I, S. 875 – 881) in der Fassung vom 02. 06. 2003 (BGBl. I, S. 744 – 749).
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Eine Gefährdung des arbeitsfreien Sonntags geht vom Verlust der Sonntagskultur in weiten Teilen der Bevölkerung aus. Die verschiedenen Interessen treffen sich darin, endlich vermeintlich überholte Bestimmungen des Sonntagsschutzes aufzuheben.4 Der stationäre Einzelhandel beklagt seit einiger Zeit einen Umsatzrückgang, wofür u. a. die Konkurrenz des Onlinehandels verantwortlich ist. Händler verlangen zusehends nach immer mehr Möglichkeiten, am Sonntag ihre Läden öffnen zu können. Von politischer Seite wurde diese Anregung gerne aufgegriffen und diesbezüglich in Aussicht gestellt, den Einzelhandel zu stärken.5 Das geschah durch die Vermehrung der Sonntage, die für den Verkauf freigegeben werden dürfen. Als im Jahre 2015 in Nordrhein-Westfalen 1742 und in der Stadt Münster 10 verkaufsoffene Sonntage stattfanden6, erfreute das sicher nicht alle Menschen. Als ein Jahr später erneut Sonntage für die Öffnung von Verkaufsstellen durch Verordnungen freigegeben werden sollten, war offensichtlich eine Grenze überschritten. Ein Kreis Gleichgesinnter fand sich, der das bundesweit erste Bürgerbegehren für den freien Sonntag lancieren sollte. Für viele Menschen ist der Sonntag ein Tag ohne Erwerbstätigkeit. Das war nicht immer so. Erst seit der Konstantinischen Sonntagsgesetzgebung7 (3. März 321) ist dieser Tag mehrheitlich arbeitsfrei. Aber es gab auch immer wieder Zeiten, in denen der freie Sonntag zweckentfremdet wurde. Deswegen ist die aus der Geschichte gewonnene Erfahrung nach wie vor aktuell, dass der Sonntag als Wert an sich immer wieder verteidigt werden muss. Dieser Artikel will das an einem aktuellen Beispiel demonstrieren. Abgeschlossen wird der Beitrag durch einen Ausblick.
I. Verfassungsrechtliche Grundlage Bevor auf die Ladenöffnungsgesetze und das Bürgerbegehren näher eingegangen werden soll, ist zuerst einmal die verfassungsrechtliche Grundlage des Sonntags und seines Schutzes darzulegen.
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Michael Gassmann, Der verzweifelte Kampf um den verkaufsoffenen Sonntag, in: Die Welt online vom 07. 04. 2017, online unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article163485427/ der-verzeifelte-kampf-um-den-verkaufsoffenen-sonntag.html; Ders., Jeder Sonntag soll verkaufsoffen werden, in: Die Welt online vom 29. 05. 2017, online unter: https://www.welt.de/ wirtschaft/article165049743/jeder-Sonntag-soll-verkaufsoffen-werden.html (eingesehen am 15. 01. 2019). 5 Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen 2017 – 2022, S. 43, online unter: https://www. cdu-nrw.de/sites/default/files/media/docs/nrwkoalition_koalitionsvertrag_fuer_nordrhein-west falen_2017_-_2022.pdf (eingesehen am 15. 1. 2019). 6 LT-NRW, Vorlage 16/3832, S. 6 – 7. 7 C III, 12, 2, in: Paul Krüger (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Vol. II, Berlin 1954.
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Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat in Art. 140 GG einige Artikel8 aus der sog. Weimarer Reichsverfassung inkorporiert, die dadurch die gleiche Normqualität wie die sonstigen Bestimmungen des Grundgesetzes erlangt haben.9 Dazu zählt in Art. 139 WRV auch der Sonn- und Feiertagsschutz. 1. Sonn- und Feiertage Die für den Sonn- und Feiertagsschutz zentrale Formulierung in Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV lautet: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt“.
Durch Art. 139 WRV erhielten der Sonntag und die Feiertage erstmalig Verfassungsrang. Allerdings gibt es für sie eine unterschiedliche verfassungsrechtliche Gewährleistung. Der erstgenannte wird durch Art. 139 WRV, unabhängig von einer besonderen gesetzlichen Anerkennung, absolut garantiert. Da der Sonntag ausdrücklich genannt wird, besteht für ihn ein ganzheitlicher Schutz durch eine Status-quoGarantie.10 Dagegen hängt der gesetzliche Schutz der Feiertage davon ab, ob sie staatlich anerkannt sind.11 Das bedeutet dann aber auch, dass der einem Feiertag gewährte Schutz diesem ebenso durch einfache Gesetzgebung wieder entzogen werden kann.12 Die Aussage in Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV hat nicht die Qualität eines mehr oder minder unverbindlichen Programmsatzes13, sondern stellt vielmehr unmit-
8 Das sind die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919. 9 BVerfG, Urteil vom 09. 06. 2004 – 1 BvR 636/02, S. 1 – 36, hier S. 32, Rdnr. 177, online unter: http://www.bverfg.de/e/rs2004 0609_1bvr 063602.html (eingesehen am 15. 03. 2019); BVerfG Urteil vom 01. 12. 2009 – 1 BvR 2857/07; 1 BvR 2858/07, in: NVwZ 29 (2010) S. 570 – 579, hier S. 573, Rdnr. 138. 10 Gebhard Dirksen, Das Feiertagsrecht, Göttingen 1961, S. 16; Karl-Hermann Kästner, Sonn- und Feiertage zwischen Kultus, Kultur und Kommerz, in: DÖV 47 (1994) S. 464 – 472, hier S. 466. 11 Frank Stollmann, Der Sonn- und Feiertagsschutz nach dem Grundgesetz (= Boorberg Wissenschaftsforum Bd. 10), Stuttgart 2004, S. 85. 12 Das ist 1995 mit der Einführung der Sozialen Pflegeversicherung geschehen. Zur Refinanzierung des Arbeitgeberbeitrags wurde in allen Bundesländern außer Sachsen der Bußund Bettag gestrichen. 13 Programmsätze gehören zu den Verfassungsaufträgen im weiteren Sinn, die inhaltlich so vage gefasst sind, dass konkrete Rechtsfolgen daraus nicht entnommen werden können und die sich vornehmlich an die staatlichen Organe wenden, denen sie eine Richtlinie für deren Tätigkeit an die Hand geben, ohne konkrete Massnahmen zu fordern, vgl. Siegfried Jutzi, Landesverfassungsrecht und Landesrecht (= Schriften zu öffentlichen Recht Bd. 411), Berlin 1982, S. 46.
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telbar geltendes Recht dar.14 Insofern beinhaltet dieser Artikel eine objektiv-rechtliche Verfassungsgarantie, die den Gesetzgeber verpflichtet, neben dem Sonntag eine angemessene Zahl auch religiöser Feiertage staatlich anzuerkennen und gesetzliche Regelungen zu gewährleisten, dass sie den in Art. 139 WRV genannten Zwecken dienen können.15 Mit dem Sonntag ist auch die Sieben-Tage-Woche16 sowie der Wechsel von Werkund Sonntagen durch das Grundgesetz gesichert.17 Der garantierte Sonntagsschutz statuiert ein Regel-Ausnahme-Verhältnis von Ruhe und Arbeit.18 Dabei geht es nicht um eine allgemeine Ruhe im Sinne des „Englischen Sonntags“19, sondern jede nach außen als typische werktäglich erkennbare Geschäftigkeit soll am Sonntag ruhen. Denn diese beeinträchtigt an Sonn- und Feiertagen das als schützenswert anerkannte Gefühl des Einzelnen, dass es sich um einen verbindlichen Ruhetag handelt. Eine Ausnahme kommt nur für Tätigkeiten in Betracht, die sonn- und feiertäglichen Bedürfnissen dienen (Arbeit für den Sonntag) oder die durch Gesetz besonders zugelassen sind20 (Arbeit trotz Sonntag). Einer sich am Arbeitsaufkommen orientierenden oder einem branchenspezifisch variablen Ruhetag sowie einer flexiblen Lösung wie die gesetzliche Regelung in Belgien, wo einzelne Gewerbetreibende jeweils individuell eine Ruhetag festsetzen kön-
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Reinhard Richardi, Grenzen industrieller Sonntagsarbeit (= Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung Reihe Arbeit Sonderheft 14), Bonn 1988, S. 44. 15 Ute Mager, in: Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Bd., München 62012, Art. 140, Rdnr. 86 mit weiteren Nachweisen. Das objektive Recht definiert man auch als unmittelbar geltendes Recht. Eine objektiv-rechtliche Norm verpflichtet den Staat, eine bestimmte Institution zu schützen und zu erhalten. Wenn die Norm auch eine subjektiv-rechtliche Komponente hat, dann ist der Staat dem begünstigten Rechtsträger gegenüber verpflichtet, die Institution zu schützen und zu erhalten, gleichzeitig hat der Rechtsträger dem Staat gegenüber einen Anspruch auf Schutz und Erhaltung der Norm, vgl. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 582), Frankfurt a. M. 42001, S. 444. 16 BVerfG (Anm. 9), S. 574, Rdnr. 154; Stefan Muckel, in: Karl-Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.) Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 5. Bd., (Loseblattwerk), Berlin 2018, Rdnr. 9. 17 Peter Unruh, Die Kirchen und der Sonntagsschutz – Zur Ladenöffnung an kirchlich besonders bedeutsamen Sonntagen, in: ZevKR 52 (2007), S. 1 – 29, hier S. 11. 18 BVerfG (Anm. 9), S. 574, Rdnr. 152; Dirk Ehlers, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München 82018, Art. 139 WRV, Rdnr. 2. 19 Die Redewendung vom „Englischen Sonntag“ geht zurück auf das Sonntagsverständnis im Puritanismus in England. Das Ideal der Sonntagsheiligung wurde staatlicherseits durch zahlreiche Verbote reglementiert und sanktioniert, so dass das öffentliche Leben so gut wie zum Erliegen kam. Jegliche Arbeit war verboten, es sei denn sie geschieht aus Barmherzigkeit oder aufgrund unbedingter Notwendigkeit. Vgl. Markus Thiel, Der Tag des Herrn – ein Stein des Anstoßes? in: NWVbl 23 (2009), S. 134 – 140, hier S. 137 mit Anm. 42. 20 Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Bd., Tübingen 3 2018, Art. 139 WRV, Rdnr. 11.
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nen, steht in Deutschland das Verfassungsrecht entgegen.21 Bei einer solchen Freigabe wäre der Sonntag als allgemeiner Ruhetag gefährdet. Für diesbezügliche Regelungen bedarf es einer Verfassungsänderung, damit diese rechtmäßig sind. 2. Arbeitsruhe und seelische Erhebung In Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV wird für den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage eine programmatische Aussage formuliert: sie seien Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Damit werden sowohl sozialpolitische als auch religiös-christliche bzw. weltanschauungs-politische Motive miteinander verknüpft.22 Artikel 139 WRV ist somit ein religiöser, in der christlichen Tradition wurzelnder Gehalt eigen, der mit einer dezidiert sozialen, weltlich-neutral ausgerichteten Zwecksetzung einhergeht.23 a) Arbeitsruhe Mit der Gewährleistung von Arbeitsruhe ist nicht primär eine Zeitspanne individueller Gestaltungsfreiheit gewährleistet, sondern eine bestimmte Erscheinungsform der öffentlichen Ordnung. Der Staat sichert äußere Bedingungen zur Regeneration der physischen Arbeitskraft.24 Die Sonn- und Feiertage sollen für den Einzelnen frei von Arbeit und vom Druck zur Erhaltung seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage sein.25 Er soll in seinem Gefühl, dass es sich um einen für alle verbindlichen Ruhetag handelt, nicht durch eine nach außen erkennbare, üblicherweise an Werktagen stattfindende gewerbliche Tätigkeit anderer gestört werden.26 Die durch die Arbeitsruhe vermittelte Ruhe bewirkt eine synchrone Taktung des sozialen Lebens, die den Menschen in die Lage versetzt, Zeit zu haben für Freundschaft, Verein, Religion sowie Ehe und Familie.27 Es besteht auch ein enger Bezug zur Menschenwürde, weil die Sonn- und Feiertagsgarantie „dem ökonomischen Nut-
21 Christian Hufen, Der Ausgleich verfassungsrechtlich geschützter Interessen bei der Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes (= Augsburger Rechtsstudien 76), BadenBaden 2014, S. 431. 22 Karl-Hermann Kästner, Der Sonntag und die kirchlichen Feiertage, in: HdbStKirchR2, Bd. 2, S. 337 – 368, hier S. 341 – 342. 23 BVerfG (Anm. 9), S. 573, Rdnr. 141. 24 BVerfG (Anm. 9), S. 574, Rdnr. 146; Manfred Baldus, Art. Sonn- und Feiertage II., Bd. 4 (1988), Sp. 1197 – 1201, hier Sp. 1200. 25 Peter Unruh, in: Hermann von Mangold/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 3. Bd., München 72018, Art. 139 WRV, Rdnr. 27. 26 BVerfG, Beschluss vom 24. 11. 1986 – 1 BvR 317/86, in: GewArch 34 (1988), S. 188 – 192, hier. S. 188. 27 Vgl. Peter Häberle, Der Sonntag als Verfassungsprinzip (= Schriften zum öffentlichen Recht Bd. 551), Berlin 22006, S. 73.
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zendenken eine Grenze zieht und dem Menschen um seiner selbst willen dient“.28 Indem der Sonn- und Feiertagsschutz in allen Lebensbereichen einen Zeitrhythmus als verbindlichen Ordnungsrahmen vorgibt, kommt ihm eine gemeinschaftsstiftende, sozialintegrative Funktion zu.29 Damit ist der Sonntag ein Stück Verfassungskultur unseres Verfassungsstaates.30 b) Seelische Erhebung Mit dem Begriff der „seelischen Erhebung“ hat der historische Verfassungsgeber eine Wendung gewählt, „die Belange von Gläubigen und Nichtgläubigen in gleicher Weise erfasst“.31 Durch die neutrale Wendung soll der Blick auf die geistigen und geistlichen Bedürfnisse des Menschen gelenkt werden.32 Unter Letzterem ist auch die Religionsausübung zu verstehen. Darüber hinaus zielt dieses Merkmal in einer säkularisierten Gesellschaft auch auf die Verfolgung profaner Zwecke wie die persönliche Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung.33 Dabei handelte es sich bislang vorwiegend um den Besuch von Sportereignissen oder Veranstaltungen kultureller Natur wie der Besuch von Konzerten, Theater, Oper, Ausstellungen und Kino, aber auch das Lesen ist hier zu nennen. Schon seit einiger Zeit lässt sich ein nachhaltiger Wandel des Freizeitverhaltens in weiten Teilen der Bevölkerung beobachten. Ruhe und Muße werden vermehrt von einem Bedürfnis nach aktiver und konsumorientierter Freizeitbetätigung abgelöst, das wiederum mit einer gesteigerten Nachfrage nach dementsprechenden Dienstleistungen verbunden ist.34 Der Einzelhandel bewirbt den verkaufsoffenen Sonntag u. a. mit den Slogans „Entspanntes Shoppen in der City“35, „Erlebniseinkauf“36 oder „Erlebniskonsum“37;
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BVerfG (Anm. 9), S. 574, Rdnr. 144. Armin Pahlke, Sonn- und Feiertage als Verfassungsgut, in: Heiner Marré/Johannes Stüting (Hrsg.), Der Schutz der Sonn- und Feiertage (= Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 24), Münster 1990, S. 53 – 86, hier S. 64. 30 Peter Häberle, Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätsmerkmale des Verfassungsstaates, (= Schriften zum Öffentlichen Recht Bd. 521), Berlin 1987, S. 59. Thorsten Kingreen/ Bodo Pieroth, Personale und kalendarische Arbeitszeitbeschränkungen (= Schriften der HansBöckler-Stiftung Bd. 65), Baden-Baden 2007, S. 66 – 67. 31 Dietrich Pirson, Art. Sonn- und Feiertage II. in: EvStL3 Bd. 2 (1987), Sp. 3149 – 3155, hier Sp. 3150. 32 Michael Germann, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz, München 22013, Art. 139 WRV, Rdnr. 135. 33 BVerfG (Anm. 9), S. 32, Rdnr. 180. 34 Gerhard Webers, Ladenschluss und Sonntagsschutz, in: GewArch 51 (2005), S. 60 – 62, hier S. 60. 35 So das 42. Grevener Cityfest vom 16. 09. 2018, Anzeigen-Sonderveröffentlichung in den Westfälischen Nachrichten Nr. 227 vom 14. 09. 2018. 29
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Events, moderne Einkaufszentren mit Kinderbetreuung und ein wachsendes Gastronomieangebot sollen die Menschen in die Innenstädte locken.38 3. Eingriffe Auch wenn die Institution des Sonntags unmittelbar durch die Verfassung garantiert ist, bedarf die Art und das Ausmaß seines Schutzes eine auf seinen spezifischen Charakter ausgerichtete sachgemäße und effektive gesetzliche Ausgestaltung.39 Ein Eingriff in den (äußeren) Schutzbereich des Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV liegt nach Peter Unruh dann vor, „wenn und soweit die Möglichkeit beeinträchtigt wird, den Sonntag oder die gesetzlichen Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu begehen“.40 Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu: „Der verfassungsrechtlich garantierte Sonn- und Feiertagsschutz ist nur begrenzt einschränkbar. Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe sind zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich. Diese Ausnahmen sind nur verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen“,41 die Schutzzwecke des Art. 139 WRV hinreichend berücksichtigen und verhältnismäßig sind. Solche Ausnahmen finden sich u. a. in den Sonn- und Feiertags- sowie in den Ladenöffnungsgesetzen der Bundesländer.
II. Ladenöffnungsgesetze Im Zuge der Föderalismusreform42 (2006) ist das Recht des Ladenschlusses aus dem Katalog der Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) herausgenommen und die Gesetzgebungs-
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VG Arnsberg, Beschluss vom 27. 04. 2018 – 1 L 714/18, Rdnr. 6, in: BeckRS 2018, S. 7544; Jens Dirk Wohlfeil, Geschlossene Läden am Sonntag zeitgemäß?, in: ZRP 50 (2017), S. 190. 37 Holger Schmitz, Die Ladenöffnung nach der Föderalismusreform, in: NVwZ 27 (2008), S. 18 – 24, hier S. 24. 38 Gemäß einer Umfrage der Initiative Starke Innenstadt (ISI) wünschen „Münster-Besucher keine weiteren Events in der Stadt“. Befragt wurden 1565 Menschen aller Altersklassen, die „tiefe und repräsentative Einblicke in die Erwartungen von Münster-Innenstadtbesuchern erlaubt“ (in: Westfälische Nachrichten Nr. 141 vom 21. 06. 2018). 39 Hans Hofmann, in: Ders./Hans-Günter Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Köln 142018, Art. 140 GG, Rdnr. 52; Karl-Hermann Kästner, Art. Sonntag II. in: LKStKR Bd. 3 (2004), S. 564 – 567, hier S. 567. 40 Unruh, Kommentar (Anm. 25), Rdnr. 29. 41 BVerfG (Anm. 9), S. 574, Rdnr. 152. 42 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. 08. 2006, in: BGBl. I. S. 2034 – 2038, hier S. 2035. Vgl. zu den Details Friedrich Kühn, Öffnen ja, Arbeiten nein? in: AuR 54 (2006), S. 418 – 422, hier S. 418 – 419.
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kompetenz auf die Länder übertragen worden. Somit haben fast alle Bundesländer43 eigene Gesetze verabschiedet, die in bewusster Abkehr vom Titel des Bundesgesetzes (Ladenschlussgesetz) nun Ladenöffnungsgesetze heißen. 1. Das Ladenöffnungsgesetz NRW 2006 Demnach hat auch der Landtag Nordrhein-Westfalens ein solches Gesetz beschlossen.44 In § 4 Abs. 1 LöG NRW 2006 wird festgelegt, dass Verkaufsstellen mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage von 0 bis 24 Uhr geöffnet sein dürfen. Ein Verkauf von Waren an jedermann außerhalb der allgemeinen Ladenöffnungszeit ist verboten (§ 4 Abs. 2 LöG NRW). Damit entspricht diese Norm der grundgesetzlich verbürgten Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen. Darüber hinaus gibt es jedoch zahlreiche Ausnahmen45, u. a. für die Ladenöffnung am Sonntag. Die aus § 6 Abs. 1 und 4 LöG NRW hervorgehenden Ausnahmen lauten wie folgt: „(1) An jährlich höchstens 4 Sonn- oder Feiertagen dürfen Verkaufsstellen bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein“. „(4) Die zuständige örtliche Ordnungsbehörde wird ermächtigt, die Tage nach Absatz 1 und 2 durch Verordnungen freizugeben. Die Freigabe kann sich auf bestimmte Bezirke, Ortsteile und Handelszweige beschränken. Bei der Festsetzung der Öffnungszeiten ist auf die Zeit des Hauptgottesdienstes Rücksicht zu nehmen. Von der Freigabe der Tage nach Absatz 1 sind drei Adventssonntage, 1. und 2. Weihnachtstag, Ostersonntag, Pfingstsonntag sowie die stillen Feiertage im Sinne des Feiertagsgesetzes NW ausgenommen“.
Im Vergleich mit dem bis 2006 geltenden Ladenschlussgesetz, das aus besonderem Anlass an jährlich höchstens vier Sonn- und Feiertagen eine Ladenöffnung vorsah (§ 14 Abs. 1 LadschlG), ist im Ladenöffnungsgesetz NRW 2006 die Anzahl dieser Tage gleichgeblieben, aber zwischen den Bundesländern gibt es gewisse Abweichungen.46 Auffällig ist auch, dass es die Öffnung der Läden nicht vom Vorliegen 43 Allein in Bayern gibt es bislang noch kein Ladenöffnungsgesetz. Das lag daran, dass es hierfür in der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag keine Mehrheit gab. Vgl. Sarah Schierack, Warum Bayern nicht am Ladenschluss rüttelt, in: Augsburger Allgemeine vom 04. 12. 2016, online unter: https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/warum-bayern-nicht-amLadenschluss-ruettelt-id39894092.html (eingesehen am 05. 06. 2018). 44 Z. B. Gesetz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten (Ladenöffnungsgesetz – LöG NRW) vom 16. November 2006, in: GV.NRW 2006, S. 516 – 518. 45 Ausnahmen gibt es für bestimmte Warengruppen (Blumen, Zeitungen und Bachwaren [§ 5 Abs. 1 Nr. 1 LöG NRW], Veranstaltungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 LöG NRW), landwirtschaftliche Betriebe (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 LöG NRW), für Apotheken § 7 LöG NRW), Tankstellen (§ 8 LöG NRW) und Flughäfen sowie Bahnhöfe (§ 9 LöG NRW). 46 Anzahl der jährlichen Ausnahmen: § 8 Abs. 1 LöG BW 3 Sonn- und Feiertage; § 6 Abs. 1 und 2 LöG Berl 10; § 5 Abs. 1 und 2 LöG Bra 6. Alle anderen Bundesländer begnügen sich mit 4 Sonn- und Feiertagen: § 10 Abs. 1 LadSchlG Bre; § 8 Abs. 1 LöG HH; § 6 Abs. 1 LöG He; § 6 Abs. 1 LöG MV; § 5 Abs. 1 LöG Nds; § 10 Satz 1 LöG RhPf; § 8
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bestimmter anlassbezogener Voraussetzungen47 abhängig macht, z. B. „aus besonderem Anlass“.48 Eine Begründung dafür ist nicht ersichtlich.49 Auch der Zeitrahmen von fünf Stunden ist gegenüber dem Ladenschlussgesetz unverändert. Bei der Festsetzung der Öffnungszeiten hat die entsprechende Behörde auf die Zeiten der Gottesdienste50 Rücksicht zu nehmen. Die Freigabe kann sich auch auf bestimmte Bezirke, Ortsteile und Handelszweige beschränken (§ 6 Abs. 4 LöG NRW 2006). Einige Sonn- und Feiertage sind nach § 6 Abs. 4 LöG NRW 2006 von der Ladenöffnung grundsätzlich ausgenommen.51 Was die Adventssonntage angeht, hatte das Bundesverfassungsgericht die Öffnung der Läden an allen vier Adventssonntagen in Berlin (§ 3 Abs. 1 LöG Berl 2006) für verfassungswidrig52 erklärt. Abs. 1 LöG Saar; § 8 Abs. 1 LöG Sa; § 7 Abs. 1 LöG SA; § 5 Abs. 1 LöG SH; § 10 Abs. 1 LöG Thü; § 14 Abs. 1 LadSchlG (Bayern). 47 Ohne Anlassbezug auch in vier weiteren Bundesländern: § 5 Abs. 1 LöG Nds; § 10 S. 1 LöG RhPf; § 8 Abs. 1 LöG Saar; § 8 Abs. 1 LöG Sa (2007). 48 „Aus besonderem Anlass“ findet sich in fünf Ladenöffnungsgesetzen: § 6 Abs. 1 LöG MV; § 7 Abs. 1 LöG SA; § 5 Abs. 1 LöG SH; § 10 Abs. 1 LöG Thü; § 8 Abs. 1 Sa (2010); ein bloßes „öffentliches Interesse“ (§ 6 Abs. 1 LöG Berl; § 6 Abs. 1 LöG NRW (2018); „aus Anlass besonderer Ereignisse“ (§ 8 Abs. 1 LöG HH); „aus Anlass von Märkten, Messen, örtlichen Festen und ähnlichen Veranstaltungen“ (§ 10 Abs. 1 LadschlG Bre; § 6 Abs. 1 LöG He; § 6 Abs. 1 LöG NRW (2013); § 8 Abs. 1 LöG BW; § 14 Abs. 1 LadschlG. 49 Günter Haurand (LöG NRW, in: PdK Nordrhein-Westfalen, o. O. und Jahr, S. 2) weist nur darauf hin, dass die in § 14 Abs. 1 LadSchlG noch nötige Anknüpfung der Verkaufstage an einen besonderen Anlass, nämlich Märkte, Messen oder ähnliche Veranstaltungen vom Landesgesetzgeber nicht mehr übernommen wurde. 50 Wie in § 6 Abs. 4 LöG NRW verwenden auch weitere Feiertags- und Ladenöffnungsgesetze den Begriff „Hauptgottesdienstzeit“, um für den Vormittag der Sonn- und Feiertage einen qualifizierten Schutz zu gewährleisten (§ 8 Abs. 2 LöG BW; § 7 Abs. 1 LöG HH; § 6 Abs. 1 LöG Hes; § 9 Abs. 1 LöG RhPf; § 8 Abs. 1 LöG Saar; § 7 Abs. 1 LöG Sa; § 5 Abs. 1 LöG SH; § 14 Abs. 2 LadSchlG; § 5 Abs. 2 FtG NRW; § 5 Abs. 1 FtG RhPf; § 7 Abs. 2 FtG BW; § 4 Abs. 1 BerlFSchVO; Art. 2 Abs. 2 FtG Bay; § 6 Abs. 2 FtG Saar; § 4 Abs. 1 FtG SA.). Die Gesetzgeber bedienen sich hier einer einseitig konfessionellen Ausdrucksweise, denn dieser Begriff bezeichnet im deutschen Protestantismus den öffentlichen Gottesdienst am Vormittag der Sonn- und Feiertage. Der katholischen Kirche ist dieser Ausdruck jedoch fremd. Er taucht erstmals in der „Agende für die evangelische Kirche in Königlich Preussischen Landen“ (1822) auf und gelangte dann später auch in verschiedene Gesetze, vgl. Frieder Schulz, Was ist ein Hauptgottesdienst? in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 25 (1981), S. 82 – 89, hier S. 82. Allerdings ist der Gesetzgeber zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Das bedeutet u. a., dass Gesetze, Verordnungen und sonstige Vorschriften von einseitig konfessionellen Begriffen frei sein müssen. Von den genannten Gesetzen kann das jedoch nicht behauptet werden. Deshalb ist es unabdingbar notwendig, dass die betroffenen Gesetze, welche den Begriff „Hauptgottesdienstzeit“ verwenden, diesen z. B. durch „Zeit des Gottesdienstes“ oder „Gottesdienstzeit“ o. ä. ersetzen. 51 Stille Feiertage im Sinne des § 2 Abs. 2 FtG NRW sind der Volkstrauertag (zweiter Sonntag vor dem ersten Advent) und der Totensonntag (letzter Sonntag vor dem ersten Advent). 52 Das Gericht hatte die Zulassung der Öffnung von Verkaufsstellen an vier hintereinander folgenden Sonntagen als Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i. V. m. Art. 140 GG i. V. m.
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Diesbezüglich besteht in Nordrhein-Westfalen eine Öffnungsmöglichkeit an irgendeinem Adventssonntag53 (§ 6 Abs. 4 Satz 4 LöG NRW 2006). Was die zeitliche Erstreckung des Ladenöffnungsgesetzes 2006 betrifft, enthält § 14 LöG NRW 2006 eine Verpflichtung zur Überprüfung des Gesetzes mit anschliessender Unterrichtung des Landtags.54 Die in einem Bericht zusammengetragenen Erkenntnisse sollten Eingang finden in ein revidiertes Ladenöffnungsgesetz. 2. Das Ladenöffnungsgesetz 2013 Mit Datum vom 30. April 2013 ist das Gesetz zur Änderung des Ladenöffnungsgesetzes erlassen worden.55 Gegenüber dem LöG NRW 2006 ist in der revidierten Fassung die allgemeine Ladenöffnungszeit nur insoweit geändert worden, dass die Läden samstags nur noch bis 22 Uhr geöffnet sein dürfen (§ 4 Abs. 1 LöG NRW 2013). a) Sonntage mit Ladenöffnung Da § 6 Abs. 1 und 4 LöG NRW 2013 weitgehend neu gefasst wurden, seien diese nachstehend dokumentiert: „(1) An jährlich höchstens 4 Sonn- oder Feiertagen dürfen Verkaufsstellen aus Anlass von örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein. (4) Die zuständige örtliche Ordnungsbehörde wird ermächtigt, die Tage nach Absatz 1 und 2 durch Verordnungen freizugeben. Die Freigabe kann sich auf bestimmte Bezirke, Ortsteile und Handelszweige beschränken. Innerhalb einer Gemeinde dürfen nach Absatz 1 insgeArt. 139 WRV angesehen, weil die sonntägliche Ruhe in „einem Zeitblock von etwa einem Zwölftel des Jahres“ aufgehoben werde, vgl. BVerfG (Anm. 9), S. 577, Rdnr. 175). 53 Eine generelle Freigabe des ersten Adventssonntags gibt es in Mecklenburg-Vorpommern (§ 6 Abs 2 LöG MV) und im Saarland (§ 8 Abs. 2 LöG Saar); in Brandenburg, SachsenAnhalt, Berlin, Sachsen und Thüringen können allgemein zwei Adventssonntage freigegeben werden (§ 5 Abs. 2 LöG Bra; § 5 Abs. 1 LöG SA), wobei diese in Sachsen aufeinander (§ 8 Abs. 1 LöG Sa), in Berlin aber nicht nacheinander folgen dürfen (§ 6 Abs. 3 LöG Berl [2010]) und in Thüringen besteht für eine weitere Öffnung die Möglichkeit zwischen dem ersten und zweiten Adventssonntag zu wechseln (§ 10 Abs. 2 LöG Thür [2011]); wenn der erste Adventssonntag im November liegt, besteht in Rheinland-Pfalz eine Öffnungsmöglichkeit der Läden, (§ 10 S. 2 LöG RhPf); jedoch ist in Baden-Württemberg (§ 8 Abs. 3 LöG BW, Bremen (§ 10 Abs. 3 LadschlG Bre), Hamburg (§ 8 Abs. 1 LöG HH), Hessen (§ 6 Abs. 3 LöG He), Niedersachsen (§ 5 Abs. 1 LöG Nds) und Schleswig-Holstein (§ 5 Abs. 3 LöG SH) sowie in Bayern (§ 14 Abs. 3 S. 1 LadSchlG) eine Ladenöffnung am Adventssonntag generell nicht gestattet. 54 Evaluierung des Gesetzes zur Regelung der Ladenöffnungszeiten (Ladenöffnungsgesetz – LöG NRW), Bericht an den Landtag, Juli 2011, LT-NRW, Vorlage 15/824. 55 Gesetz zur Änderung des Ladenöffnungsgesetzes vom 30. 04. 2013, in: GV.NRW 2013, S. 208 – 210.
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samt nicht mehr als elf Sonn- und Feiertage je Kalenderjahr freigegeben werden. Erfolgt eine Freigabe nach Absatz 1 für das gesamte Gemeindegebiet, darf dabei nur ein Adventssonntag freigegeben werden. Erfolgt die Freigabe nach Absatz 1 beschränkt auf bestimmte Bezirke, Ortsteile und Handelszweige, darf nur ein Adventssonntag je Bezirk, Ortsteil und Handelszweig freigegeben werden, insgesamt dürfen jedoch nicht mehr als zwei Adventssonntage je Gemeinde freigegeben werden. Bei der Festsetzung der Öffnungszeiten ist auf die Zeit des Hauptgottesdienstes Rücksicht zu nehmen. Vor Erlass der Rechtsverordnung zur Freigabe der Tage nach Absatz 1 sind die zuständigen Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände und Kirchen, die jeweilige Industrie- und Handelskammer und die Handwerkskammer anzuhören“.56
Über die in § 6 Abs. 4 LöG NRW 2006 nicht zur Freigabe stehenden Sonntag- und Feiertage hinaus, werden im Ladenöffnungsgesetz 2013 noch zwei Adventssonntage erwähnt sowie der 1. Mai, der 3. Oktober und der 24. Dezember, die ebenfalls nicht für eine Ladenöffnung freigegeben werden können, wenn dieser Tag auf einen Sonntag fällt (§ 6 Abs. 5 LöG NRW 2013). b) Der weitere Fortgang Im November 2015 fällte das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil zum Ladenschlussrecht, dem ein Fall aus Bayern zugrunde lag. Darin hat das Gericht seine Rechtsprechung zu § 14 Abs. 1 LadSchlG (weitere Verkaufssonntage) fortentwickelt, indem es formuliert: „Die Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen mit uneingeschränktem Warenangebot ,aus Anlass‘ eines Markts ist nach § 14 Abs. 1 LadSchlG nur zulässig, wenn die prägende Wirkung des Markts für den öffentlichen Charakter des Tages gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung überwiegt, weil sich letztere lediglich als Annex zum Markt darstellt. Das setzt regelmäßig voraus, dass die Ladenöffnung räumlichen Bezug zum konkreten Marktgeschehen steht und prognostiziert werden kann, dass der Markt für sich genommen einen beträchtlichen Besucherstrom anzieht, der die bei einer alleinigen Öffnung der Verkaufsstellen zu erwartende Zahl der Ladenbesucher übersteigt“.57
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hatte für die Praxis erhebliche Bedeutung erlangt, da sie einerseits den Kreis derjenigen, die die Einhaltung des La56 Zur Begründung wird angeführt: Mit der Neuregelung wird diese Anhörung vor der kommunalen Festlegung der verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage im Jahr nun verpflichtend. (LT-NRW, Drs. 16/2704 vom 23. 04. 2013, S. 2). Da es sich in § 6 Abs. 4 Satz 7 LöG NRW um eine Rechtsverordnung auf der kommunale Ebene handelt, wären regelmäßig die örtlichen Kirchen anzufragen. Je nach Größe der Städte wären demnach der Stadtdechant, der Stadtpfarrer oder der Ortspfarrer zu konsultieren. In der Stadt Münster nimmt diese Aufgabe das Stadtkomitee der Katholiken war. Dieses ist ein freiwilliger Zusammenschluss aus delegierten Mitgliedern katholischer Verbände, anderen Organisationen des Laienapostolats, den Räten der Pfarrgemeinden und Seelsorgeeinheiten sowie von weiteren katholischen Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft im Stadtdekanat. 57 BVerwG, Urteil vom 11. 11. 2015 – 8 CN 2/14, Leitsatz zwei, in: NVwZ 35 (2016), S. 689 – 694, hier S. 690 (Fortentwicklung von BVerwG, Beschluss vom 18. 12. 1989 – 1 B 153/89, in: NVwZ 9 [1990], S. 761 – 762).
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denöffnungsgesetzes einfordern können, ausweitet58 (z. B. auf die Gewerkschaften), aber andererseits die Kriterien für die Gestattung einer Ladenöffnung am Sonntag deutlich enger fasst, so dass Alibimärkte59 zur Legitimation einer auf andere Weise rechtskonform nicht erreichbaren Ladenöffnung zwar erschwert, wenn auch nicht ausgeschlossen werden können.60 Denn die Kreativität der Veranstalter61 ist wohl unbegrenzt, wenn es darum geht, Anlässe zu kreieren, die eine Ladenöffnung am Sonntag begründen sollen.62 Vor dem Hintergrund, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Durchbrechungen des Sonn- und Feiertagsschutzes nur im Interesse anderer Rechtsgüter mit gleich- oder höherwertigem Verfassungsrang zulässig sind, ist es fraglich, ob die Anlässe immer einen hinreichenden Grund darstellen. Viele Kommunen taten sich schwer mit der Erstellung einer Prognose der Besucherströme und übernahmen bisweilen die Angaben der Veranstalter, so dass eine Fülle kommunaler Ladenöffnungsverordnungen, sogar mit sachlicher Unterstützung des Wirtschaftsministeriums63, sei es aus Unfähig- oder Unwilligkeit64, einer gericht58 BVerwG, Urteil vom 11. 11. 2015, Leitsatz eins (Anm. 57), S. 690 (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 26. 11. 2014 – 6 CN 1/13, in: NVwZ 34 [2015], S. 590 – 596). 59 Zu den Ereignissen, die keinen besonderen Anlass für Sonntagsöffnungen im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG darstellen, zählen z. B. eine Autoparade, das Motto „Welcome Winter“ oder „Jahresausklang“, ein sogenannter „Mantelsonntag“, ein auf einem Möbelmarktparkplatz stattfindender Trödelmarkt und ähnliche Veranstaltungen (Friedrich Kühn, Stellungnahme zur Evaluierung von § 6 LöG NRW, in: LT-NRW, Stellungnahme 16/408, S. 6). Vgl. dazu auch VGH Mannheim, Urteil vom 26. 10. 2017 – 6 S 2322/16, in: BeckRS 2017, 133743. 60 Robert Seegmüller, Zulassung von verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen aus Anlass von Märkten, Messen und ähnlichen Veranstaltungen, in: jurisPR-BVerwG 14/2016 Anm. 2, S. 1 – 5, hier S. 5. 61 Die Antragsteller für Rechtsverordnungen zur Freigabe von Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen sind u. a. Wirtschaftsverbünde, Wirtschaftsverbände sowie die Stadtwerbung der Städte. 62 Einige interessante Anlässe seien genannt: Der Frühling wird vielfach thematisiert als Altstadtfrühling am 07. 04. 2019 in Soest; ein E-Bike-Festival am 07. 04. 2019 in Dortmund; es gab am 07. 04. 2019 einen Mobilitätstag in Hamm; ein Sattelfest am 07. 04. 2019 in Haltern am See; Warendorfer Weihnachts-Plätzchen am 10. 12. 2017; ein Panhasfest am 01. 10. 2018 in der Hattinger Innenstadt; ein Knollenfest am 30. 09. 2018 in Euskirchen; sowie eine AprèsSki-Party am 02. 12. 2018 in Willich. 63 Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes NRW vom 20. 11. 2015 III B 2-26-01. 64 Im Zuge der Diskussion um starre Ladenschlusszeiten, hat sich im Jahre 1999 vor allem in den neuen Bundesländern und Berlin eine Front von Wirtschafts- und Konsuminteressen gegen die eindeutigen Regelungen des bundeseinheitlichen Ladenschlussrechts (§ 3 LadSchlG) sowie den Sonn- und Feiertagsschutz gebildet. Begünstigt wurde dieses Vorgehen u. a. durch rechtswidrige Ausnahmebewilligungen für sonntägliche Ladenöffnungen und fehlerhafte „Bäder- und Fremdenverkehrsregelungen“. Vgl. dazu Jochen Rozek, Vorsprung durch Rechtsbruch? Zur Erosion des Ladenschlussrechts durch sogenannte „Fremdenverkehrsregelungen“, in: NJW 52 (1999), S. 2921 – 2929, hier S. 2921.
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lichen Prüfung nicht standhielten.65 Dadurch mussten oftmals geplante Sonntagsöffnungen kurzfristig abgesagt werden, was regelmässig zu Verärgerung der Verkaufsstelleninhaber und Kunden führte, die ihrerseits ungehalten über den Initiator der gerichtlichen Überprüfung waren. Aber dagegen ist einzuwenden, dass jeder das Recht hat, Verordnungen zur Ladenöffnung verwaltungsgerichtlich prüfen zu lassen, wenn er sich beschwert fühlt.66 Damit ist der Hintergrund skizziert vor dem es im Jahre 2016 in der Stadt Münster zu einem Bürgerbegehren für den freien Sonntag kam.
III. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid für den freien Sonntag in Münster Über verkaufsoffene Sonntage wurde im Rat der Stadt Münster schon häufiger diskutiert. Zu den lokalen Besonderheiten in dieser Angelegenheit gehört es, dass die grösste Ratsfraktion, die der CDU, lange Zeit in ihrer Einschätzung der besonders umstrittenen Ladenöffnung im Advent gespalten war. Verkaufsoffene Sonntage ausserhalb der Adventszeit finden nicht selten eine Mehrheit, aber für die Adventssonntage wird es schwierig. Erst im Mai 2015 einigte man sich nach langem Ringen auf zwei verkaufsoffene Adventssonntage.67 Als im Folgejahr die Sonntage mit Ladenöffnung für die nächsten Jahre beschlossen werden sollten, kam ihnen ein Bürgerbegehren in die Quere.
65 OVG NRW, Beschluss vom 01. 12. 2017 – 4 B 1504/17, in: BeckRS 2017, 134495; vgl. Wolf Sarnighausen, Rechtssicherheit beim Sonntagseinkauf, in: NWVBl 32 (2018), S. 221 – 226, hier S. 221. 66 Als das Berliner Ladenöffnungsgesetz (2006) vorsah, dass Läden an allen vier Adventssonntagen von 13 bis 20 Uhr geöffnet haben dürfen, erhoben die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin dagegen Verfassungsbeschwerde. Darin rügen sie eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV durch die Regelung u. a. in § 3 Abs. 1 BerlLadöffG. Gestützt auf die genannten Artikel des GG bestätigte das BVerfG (Anm. 9) den Kirchen ihr Beschwerderecht, aber nicht nur denen, sondern „jedermann“. Vgl. Christoph Goss, Die Kirchen, der Sonntagsschutz und das Bundesverfassungsgericht, in: StudZR 7 (2010), S. 479 – 491, hier S. 490 – 491. 67 Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 8 vom 15. Mai 2015, S. 73 – 76, hier S. 73: Stadtbezirk Münster-Mitte/Bahnhofsviertel am 13. 12. 2015 (3. Advent); dass., S. 75: Stadtbezirk Münster Hiltrup am 29. 11. 2015 (1. Advent). Es waren die ersten verkaufsoffenen Sonntag seit den 50er-Jahren. Vgl. Gabriele Hillmoth, Goldener Sonntag vor Weihnachten, in: Westfälische Nachrichten vom 14. 12. 2015, online unter: https://www.wn.de/muenster/2015/12/2206766verkaufsoffen-schon-in-den-50er-jahren-goldener-sonntag-vor-weihnachten (eingesehen am 10. 01. 2019).
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1. Allgemeines Entsprechend Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 78 Abs. 1 LV NRW gilt auch für Gemeinden der Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Das bedeutet, dass die Bürgerschaft in den Kommunalwahlen Rat und Bürgermeister wählt und durch diese vertreten wird. Im Rahmen der Kommunalverfassungsreform68 im Mai 1994 ist die Gemeindeordnung durch die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid um ein Element unmittelbarer Demokratie ergänzt worden.69 Inzwischen ist dieses Rechtsinstitut in allen Bundesländern geltendes Recht. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid haben sich in den vergangenen mehr als 20 Jahren zu wichtigen und unverzichtbaren Instrumenten entwickelt, die der Verbesserung der bürgerschaftlichen Beteiligung an der kommunalen Selbstverwaltung dienen.70 Allerdings wird dadurch nicht unbedingt das Meinungsbild eines wirklichen Querschnitts der Bevölkerung abgebildet.71 Durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid haben die Bürger das Recht, in einer Vielzahl kommunaler Angelegenheiten selbst zu entscheiden. Dabei tritt die Entscheidung der Bürgerschaft an die Stelle einer solchen des Rates mit der Wirkung eines Ratsbeschlusses (§ 26 Abs. 8 Satz 1 GO NRW). Das Verfahren der direkten kommunalen Bürgerbeteiligung ist im Normalfall zweistufig72 und besteht aus einem Antrag (Bürgerbegehren) (erste Stufe) sowie der eigentlichen Entscheidung der Bürger (Bürgerentscheid) (zweite Stufe). 2. Rechtliche Grundlagen Die Bürger können beantragen, dass sie an Stelle des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst entscheiden (§ 26 Abs. 1 GO NRW). Damit ist das Bürgerbegehren der Antrag auf einen Bürgerentscheid.73 Antragsberechtigt ist jeder Bür-
68 Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) vom 21. Oktober 1952 (GV. NRW S. 269 – 281) in der Neufassung vom 17. Mai 1994 (GV. NRW S. 270 – 312) in der Neubekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV. NRW S. 666 – 689). 69 Franz Brunner, in: Klaus-Viktor Kleerbaum/Manfred Palmen (Hrsg.), Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen, Recklinghausen 32017, S. 279. 70 Johannes Winkel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – ein kurzer Rückblick in: StuGR 5/2016, S. 8 – 9, hier S. 9. 71 Eckhard Hien (Bürgerbeteiligung im Spannungsfeld der Gewaltenteilung, in: DVBl 129 [2014] S. 495 – 498, hier S. 498) verweist darauf, dass jüngere Untersuchungen ergeben hätten, dass bei Bürgerbeteiligungen in der Regel nur eine „soziale Schrumpfform“ der Bevölkerung abstimme, insbesondere also die besser Situierten und Informierten. 72 Bei einem Ratsbürgerentscheid (§ 26 Abs. 1 Satz 2 GO NRW), also wenn der Rat beschließt, dass in einer wichtigen gemeindlichen Angelegenheit, ein Bürgerentscheid durchgeführt werden soll, dann kann auf die erste Stufe, das Bürgerbegehren verzichtet werden. 73 OVG NRW, Urteil vom 23. 04. 2002 – 15 A 5594/00, in: DÖV 55 (2002), S. 961 – 962.
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ger.74 Dieses Bürgerbegehren wird durch den Oberbürgermeister entgegengenommen.75 Zum Zweck der Prüfung der Zulässigkeit leitet der Oberbürgermeister das Bürgerbegehren an die Verwaltung weiter, die hierfür zwei Monate Zeit hat (§ 2 Satzung). Weitere Bedingungen sind: @ Das Bürgerbegehren ist schriftlich einzureichen und muss die „zur Entscheidung zu bringende Frage“ sowie eine Begründung enthalten; auch sind bis zu drei Bürger zu benennen, die berechtigt sind die Unterzeichnenden zu vertreten (Vertretungsberechtigte); es muss eine Kostenschätzung der Kommune enthalten (§ 26 Abs. 2 GO NRW). @ Wenn sich ein Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Rates richtet, der auch der Bekanntmachung76 bedarf, dann muss es innerhalb von sechs Wochen nach seiner Verlautbarung eingereicht sein (§ 26 Abs. 3 Satz 1 GO NRW).77 @ Es muss in Gemeinden mit bis zu 500.000 Einwohner von 4 % der Bürger unterzeichnet (Name, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift, Unterschrift) sein (§ 26 Abs. 4 GO NRW). @ Sofern das Bürgerbegehren zulässig ist und der Rat diesem entspricht, findet kein Bürgerentscheid statt. Im gegenteiligen Fall hat innerhalb von drei Monaten ein Bürgerentscheid stattzufinden (§ 26 Abs. 6 Satz 3 GO NRW; § 4 Abs. 1 Satzung). Dieser ist an einem Sonntag in der Zeit zwischen 8.00 und 18.00 Uhr durchzuführen (§ 4 Abs. 1 Satzung). @ Anlässlich eines Bürgerentscheids, kann über die Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden. Die Mehrheit muss mindestens 10 % der Wahlberechtigten auf sich vereinen (Quorum), wenn die Gemeinde mehr als 100.000 Einwohner zählt (§ 26 Abs. 7 GO NRW). Einige Angelegenheiten sind von einem Bürgerentscheid ausgenommen: die innere Organisation der Gemeindeverwaltung, alle Personalangelegenheiten, Haushalt und Gebühren der Gemeinde, Angelegenheiten, die im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens oder eines abfallrechtlichen, immissionsschutzrechtlichen, wasser74
Bürger ist, wer bei den Gemeindewahlen wahlberechtigt ist (§ 21 Abs. 2 GO NRW), die deutsche (Art. 116 Abs. 1 GG) oder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzt, das 16. Lebensjahr vollendet hat und mindestens seit dem 16. Tag vor der Wahl in dem Wahlgebiet seine Wohnung, bei mehreren Wohnungen seine Hauptwohnung hat (§ 7 KWahlG NRW). 75 § 1 der Satzung der Stadt Münster über das Verfahren zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden vom 13. 12. 2007, in: Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 19 vom 21. 12. 2007, S. 162 – 164, nachfolgend Satzung genannt. 76 Verordnung über die öffentliche Bekanntmachung von kommunalem Ortsrecht (Bekanntmachungsverordnung – BekanntmVO) vom 26. 08. 1999, in: GV.NRW 1999, S. 516 – 518. 77 Das fristgebundene kassatorische Bürgerbegehren erfordert die Beseitigung des Ratsbeschlusses. Dieser wird gewissermassen „kassiert“, damit die Zielsetzung des Bürgerbegehrens erreicht werden kann. Vgl. Brunner, Gemeindeordnung (Anm. 69), S. 314.
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rechtlichen Zulassungsverfahren zu entscheiden sind, Bauleitpläne (§ 26 Abs. 5 GO NRW).78 Innerhalb einer Frist von zwei Jahren kann ein Bürgerentscheid lediglich auf Initiative des Rates durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden (§ 26 Abs. 8 GO NRW). Die Abstimmungsberechtigten werden anhand eines Informationsblattes der Stadt Münster über die Auffassung der Vertretungsberechtigten informiert. Es enthält auch kurze sachliche Begründungen der im Rat vertretenen Fraktionen, die das Bürgerbegehren abgelehnt oder zugestimmt haben (§ 5 Abs. 1 und 2 Satzung). Ratsbeschlüsse sind gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 GO NRW vom (Ober)Bürgermeister durchzuführen. Dazu gehören auch Bürgerentscheide als Ratsbeschlüsse ersetzende Entscheidungen. 3. Anlass des Bürgerbegehrens Obwohl die CDU bei der Kommunalwahl im Mai 2014 einen Verlust an Stimmen hinnehmen musste79, blieb sie größte Fraktion im Rat, war aber auf einen oder mehrere Koalitionspartner angewiesen.80 SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN, durch einen Stimmenzuwachs gestärkt, sahen die Gelegenheit gekommen, die Regierung der Stadt zu übernehmen, jedoch fehlten ihnen vier Sitze zur Mehrheit.81 Eine Zeit lang regierten sie und die SPD mit wechselnden Mehrheiten. Jedoch schlossen CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN im April 2016 einen Bündnisvertrag.82 Hinsichtlich der Ladenöffnung am Sonntag wird darin festgehalten: „CDU und GRÜNE unterstützen die Gewerbevereine in den Stadtteilen. Die Münsteraner Innenstadt wird von CDU und GRÜNEN als ,Einkaufsstadt‘ weiterentwickelt; dabei soll ein 78 Vgl. zu den vom Bürgerbegehren ausgeschlossenen Angelegenheiten Rudolf Wandsleben, in: Friedrich Wilhelm Held/Johannes Winkel (Hrsg.), Gemeindeordnung NordrheinWestfalen, Wiesbaden 42018, S. 162 – 165. 79 Ergebnisse der Kommunalwahl in Münster: Stadtratswahl 2014 in Prozent: CDU 35,2; SPD 27; GRÜNE 20,1; FDP 5,9; Linke 5; AfD 2,6; Piraten 2,1; ÖDP 1,2; Sonstige 0,9: Sitze im Rat inklusive Überhang- und Ausgleichsmandate 72, davon entfallen auf die CDU 25, SPD 19, GRÜNE 14, FDP 4, Linke 4; UWG-MS 1; Piraten 2; ÖDP 1; AfD 2, vgl. online unter: https://www.stadt-muenster.de/ms/wahlen/ergebnisse/wahlen2014/rat/index.html (eingesehen am 04. 01. 2019). 80 Martin Kalitschke, Frustgefühle bei den Verlierern des Wahlabends, in: Westfälische Nachrichten vom 26. 05. 2014, online unter: https://www.wn.de/muenster/2014/05/1573236schwarz-gelb-trauert-frustgefuehle-bei-den-verlierern-des-wahlabends (eingesehen am 07. 01. 2019). 81 Klaus Baumeister, Jubelnde SPD und Grüne greifen nach der Macht, in Westfälische Nachrichten vom 26. 05. 2014, online unter: https://www.wn.de/muenster/2014/05/1573225kommunalwahl-jubelnde-spd-und-gruene-greifen-nach-der-macht (eingesehen am 04. 01. 2019). 82 Dirk Anger/Klaus Baumeister/Günter Benning, CDU und Grüne nicken Partnerschaft ab, in: Münstersche Zeitung vom 26. 05. 2016, online unter: https://www.muensterschezeitung.de/ lokales/staedte/muenster/2346301-cdu-und-gruene-nicken-partnerschaft-ab (eingesehen am 07. 01. 2019).
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fußläufiges Einkaufen in den Quartieren und den Ortsteilen gestärkt werden. Der Onlinehandel im Internet ist neben dem Verdrängungswettbewerb durch Ketten für den klassischen Einzelhandel eine große Herausforderung. Die Händler in den Innenstädten können nur mit Service und Erlebnis bestehen. Einkaufen in der Wirklichkeit wird immer mehr zu Shopping, Begegnung und Beratung, Kaffee und Kauflaune sind die Konzepte mit Erfolg. Diese Stärken kann der stationäre Einzelhandel nur ausspielen, wenn die Menschen Zeit haben. Die Bündnispartner unterstützen den Handel durch die Freigabe verkaufsoffener Sonntage im Rahmen des Ladenöffnungsgesetzes NRW“.83
Mit Blick auf die im Bündnisvertrag getroffene Vereinbarung für verkaufsoffene Sonntage erklärte ein Gewerkschaftsvertreter: „Wir müssen den beiden zeigen: Das geht so nicht!“.84 Am 11. 05. 2016 fasste der Rat der Stadt Münster85 in öffentlicher Sitzung zwei Beschlüsse86 drei Ordnungsbehördliche Verordnungen87 zu erlassen, durch die eine Ladenöffnung an bestimmten Sonntagen für spezielle Stadtbezirke freigegeben wird. Davon lautet einer wie folgt: „Ordnungsbehördliche Verordnung über das Offenhalten der Verkaufsstellen im Stadtbezirk Münster-Mitte, Altstadt/Bahnhofsviertel für den 04. 12. 2016 (2. Advent) und für die Kalenderjahre 2017 bis 2019 vom 13. 05. 2016 §1 Die Verkaufsstellen im Stadtbezirk Münster-Mitte, Altstadt/Bahnhofsviertel, die in dem im Einzelhandelskonzept Münster – Leitlinien der räumlichen Entwicklung ausgewiesenen Standortbereich ,Typ A: City/Innenstadt‘ liegen, dürfen an den folgenden Sonntagen jeweils in der Zeit von 13.00 bis 18.00 Uhr geöffnet sein: 04. 12. 2016 (2. Advent) anlässlich der Veranstaltung ,Weihnachtsmärkte in Münster‘; 10. 12. 2017 (2. Advent) anlässlich der Veranstaltung ,Weihnachtsmärkte in Münster‘; 09. 12. 2018 (2. Advent) anlässlich der Veranstaltung ,Weihnachtsmärkte in Münster‘; 08. 12. 2019 (2. Advent) anlässlich der Veranstaltung ,Weihnachtsmärkte in Münster‘; 07. 05. 2017 anlässlich der Veranstaltung ,Hansetag‘; 06. 05. 2018 anlässlich der Veranstaltung ,Hansetag‘; 05. 05. 2019 anlässlich der Veranstaltung ,Hansetag‘; 29. 10. 2017 anlässlich der Veranstaltung ,Herbstsend‘; 28.10. 2018 anläss83 Bündnisvertrag 2016 – 2020 zwischen CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN, S. 14, online unter: https://www.grüne-muenster.de/buendnisvertrag-cdu-gruene (eingesehen am 04. 01. 2019). 84 Dirk Anger, Verdi kämpft gegen verkaufsoffene Sonntage, in: Westfälische Nachrichten vom 10. 05. 2016, online unter: http://www.wn.de/muenster/2016/052366108-buergerbegehrenverdi-kaempft-gegen-verkaufsoffene-sonntage (eingesehen am 07. 01. 2019). 85 Ratsvorlage V/0255/2016. Bei der Ratsfrau Angela Stähler (CDU) habe ich mich herzlich zu bedanken, die mir verschiedene Dokumente zugänglich machte. 86 Beide Beschlüsse wurden mit Mehrheit gefasst: OB, CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN/ GAL, FDP sowie zwei Einzelmitglieder, die aus einer Fraktion ausgetreten waren; Gegenstimmen von SPD, Die Linke, Piraten, ÖDP und AfD (Abstimmungsverhalten zu den verkaufsoffenen Sonntagen 2013 – 2016). 87 Antragsteller der Verordnungen waren der Handelsverband Nordrhein-Westfalen, Westfalen-Münsterland in Verbindung mit der Initiative starke Innenstadt (ISI) (Anlage 4 zur Beschlussvorlage V/0255/2016); Aktions- und Werbegemeinschaft Hammer Straße e. V. (Anlage 5 zur Beschlussvorlage V/0255/2016); und der Wirtschaftsverbund Hiltrup e. V. (Anlage 6 zur Beschlussvorlage V/0255/2016).
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lich der Veranstaltung ,Herbstsend‘; 27. 10. 2019 anlässlich der Veranstaltung ,Herbstsend‘“.88
Bereits einen Tag vor der genannten Ratsabstimmung hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di das Bürgerbegehren89 „Freier Sonntag für Münster“ im Beisein von Kirchenvertretern vorgestellt. Für den Fall, dass der Rat weitere Verkaufssonntage zulasse, werde sich die „Initiative für den freien Sonntag“90 konstituieren, die ein Bürgerbegehren organisieren würde.91 Das Bürgerbegehren „Freier Sonntag Münster“ richtet sich gegen die verkaufsoffenen Sonntage. Es ist von einem evangelischen Pastor, einem katholischen Pfarrer und einem Gewerkschaftler unterschrieben und am 20. Mai 2016 bei der Stadtverwaltung eingereicht worden. Die durch das Bürgerbegehren zur Entscheidung zu bringende Frage lautet wie folgt: „Soll der Beschluss des Rates der Stadt Münster vom 11. 5. 2016 über das Offenhalten der Verkaufsstellen aufgehoben werden und damit am 2. Advent der Jahre 2016 bis 2019 in der Altstadt/Bahnhofsviertel und entlang eines Teils der Hammer Straße, und am 1. Advent des Jahres 2016 in Teilen des Ortsteils Hiltrup, und anlässlich von Hansetag und Herbstsend in den Jahren 2017 – 2019 in der Altstadt/Bahnhofsviertel eine Öffnung von Verkaufsstellen am Sonntag in der Zeit von 13 – 18 Uhr nicht erlaubt werden?“.92 Auch ist das Bürgerbegehren begründet: „Die Entscheidung des Rates vom 11. 05. 2016 über das Offenhalten von Verkaufsstellen ist eine falsche Entscheidung. ,Leben ist mehr als Arbeit!‘ Diese Botschaft erfahren wir an jedem Sonntag, wenn die Gesellschaft innehält und aufatmet, Der Sonntag ist der Tag in der Woche, an dem die Bedürfnisse der Kultur und der Religion, der Familie, der Vereine und des Einzelnen vor den Interessen der Wirtschaft stehen. Ein in der Gesellschaft fest vereinbarter Ru88
Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 10 vom 20. Mai 2016, S. 92 – 95, hier S. 92 – 94. Die zwei Ordnungsbehördliche Verordnungen über das Offenhalten der Verkaufsstellen im Stadtbezirk Münster-Mitte, Bereich Hammer Straße sowie im Stadtbezirk Münster-Hiltrup, Ortsteil Hiltrup, sind gleichlautend. 89 Das Bürgerbegehren mit nachfolgendem Bürgerentscheid über den freien Sonntag ist nur eines von mehreren in den letzten Jahren. Erstmals fand ein Bürgerentscheid am 17. 11. 1996 statt, wodurch eine Gesamtschule verhindert wurde; der zweite war am 16. 06. 2002 und hatte die Frage zum Gegenstand, ob die Stadt Münster alleiniger Gesellschaft der Stadtwerke Münster GmbH bleiben solle. Die Frage wurde bejaht. Sechs Jahre später ist auf diesem Wege eine Musikhalle abgelehnt (27. 04. 2008) worden. Über die Umbenennung einer innerstädtischen Freifläche von Hindenburg- zu Schlossplatz stimmten die Einwohner am 16. 09. 2012 bejahend ab. Das zeigt zweifelsohne eine wachsame Bürgerschaft, die nicht alle Entscheidungen der Lokalpolitik kritiklos hinnimmt. Vgl. (dpa) Bürgerentscheid: Fünf Mal entscheiden Münsteraner, in: Westfälische Nachrichten Nr. 232 vom 05. 12. 2018. 90 Unterstützer des Bürgerbegehrens bzw. Mitglieder der Initiative für den freien Sonntag sind der Evangelische Kirchenkreis Münster, das Stadtkomitee der Katholiken, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Gewerkschaft ver.di, die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) im Bistum Münster sowie zahlreiche Parteien und Einzelpersonen. 91 Anger, Verdi kämpft (Anm. 84). 92 Anlage 2 zur Vorlage Nr. V/0622/2016.
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hetag ist eine der ältesten Traditionen der Menschheit. Und er ist gerade in unserer heutigen, hektischen Zeit besonders wertvoll“.93 Nach wenigen Tagen wurde den Vertretungsberechtigten die Kostenschätzung94 der Verwaltung zugestellt (24. 05. 2016), die Gegenstand der Unterschriftenliste sein muss. Damit begann am 25. Mai 2016 die Unterschriftensammlung, die in der Öffentlichkeit, in Vereinen und Verbänden, in Betrieben sowie in Familien und Freundeskreisen stattfand.95 Innerhalb von sechs Wochen müssen ca. 10.000 gültige Unterschriften von Wahlberechtigten gesammelt werden, die in Münster ihren Hauptwohnsitz haben, um zu erreichen, dass sich der Rat erneut mit seiner Entscheidung zu weiteren verkaufsoffenen Sonntagen befasst und vielleicht dem Begehren zustimmt. Obwohl die meisten Termine für verkaufsoffene Sonntage bereits gerichtlich untersagt worden waren96, warben die Initiatoren dennoch weiter für die Eintragung in die Unterschriftenlisten. Sollte der Bürgerentscheid tatsächlich zustande kommen, könnten die Bürger dadurch ein deutliches Signal für künftige Entscheidungen setzen.97 Am 6. Juli 2016 übergaben die Vertretungsberechtigten dem Oberbürgermeister knapp 11.000 Unterschriften98.
93
Anlage 2 zur Vorlage Nr. V/0622/2016. „Kostenschätzung der Verwaltung: ,Es entstehen keine Kosten für den Haushalt der Stadt Münster‘“ (Anlage 2 zur Vorlage Nr. V/0622/2016). Im Original kursiv. 95 Ralf Repöhler, Unterschriften gegen verkaufsoffene Sonntage, in: Westfälische Nachrichten vom 27. 05. 2016, online unter: http://www.wn.de/muenster/2016/05/2387154-buerger begehren-freier-sonntag-unterschriften-gegen-verkaufsoffene-sonntage (eingesehen am 07. 01. 2019). 96 S. hierzu nachstehend Pt. 6. Außervollzugsetzung der Ordnungsbehördlichen Verordnung über das Offenhalten der Verkaufsstellen im Stadtbezirk Münster Mitte, Bereich Hammer Straße, am 2. Advent für die Kalenderjahre 2016 bis 2019, in: Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 18 vom 16. September 2016, S. 157. 97 Klaus Baumeister, Gerichtsurteile ersetzen keinen Bürgerentscheid, in: Westfälische Nachrichten vom 30. 10. 2016, online unter: https://www.wn.de/muenster/2016/10/2582781-in itiative-freier-sonntag-weiter-aktiv-gerichtsurteile-ersetzen-keinen-buergerentscheid (eingesehen am 10. 01. 2019). 98 Bei der Entgegennahme der Unterschriftenlisten sicherte der Oberbürgermeister den Initiatoren ein „faires Verfahren“ zu. Er selbst brauche keine offenen Sonntage und nutze sie auch nicht. Zugleich zeigte er aber Verständnis für die Kaufmannschaft, die sich in der Konkurrenz zu anderen Städten und zum Onlinehandel befänden (Martin Kalitschke, 10792 Unterschriften gegen verkaufsoffene Sonntage, in: Münstersche Zeitung online vom 06. 07. 2016, online unter: https:// www.muensterschezeitung.de/lokales/staedte/muenster/2448213-geplan tes-buergerbegehren-10-792-unterschriften-ge gen-verkaufsoffene-sonntage (eingesehen am 08. 01. 2019)). 94
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4. Zulässigkeit des Bürgerbegehrens In formeller Hinsicht erfüllt das Bürgerbegehren „Freier Sonntag Münster“ alle Voraussetzungen99, so dass die Verwaltung zu dem Ergebnis kam, dass das eingereichte Bürgerbegehren zulässig ist.100 Der Stichtag für die Feststellung der erforderlichen Zahl der Unterzeichnenden des Bürgerbegehrens ist die am 31.12. des Vorjahres ermittelte Zahl der Bürger. Zum Stichtag (31. 12. 2015) wurden 246.890 Wahlberechtigte ermittelt. Auf der Grundlage dieser Zahl beträgt das erforderliche 4 %-Quorum 9.876 Bürger.101 Die Überprüfung der eingereichten Unterschriftenlisten durch die Verwaltung kam zu folgendem Ergebnis: „Zahl der Unterzeichnenden: 10.942, davon ungültige Unterschriften: 1.035102, gültige Unterschriften: 9.907“.103 Das erforderliche Quorum ist mit einer Mehrheit von 31 Unterzeichnenden deutlich erfüllt. Die Prüfung der Unterschriften des Bürgerbegehrens „Freier Sonntag Münster“ wurde am 27. 07. 2016 abgeschlossen, so dass der Rat in einer Sondersitzung am 31. 08. 2016 über die Zulässigkeit sowie über die Sachentscheidung einen Beschluss fassen kann. 5. Die Sitzung des Stadtrats vom 31. August 2016 Kurz vor der Ratssitzung vom 31. 08. 2016 kam es im Büro des Oberbürgermeisters zu einem Gipfeltreffen zwischen Vertretern der Kaufmannschaft und der Gewerkschaft ver.di, um für den geldintensiven Bürgerentscheid eventuell eine andere Lösung zu finden. Im Vorfeld soll es Überlegungen für einen Kompromiss gegeben haben, der dahin ging, dass der Rat dem Bürgerbegehren zustimmt. Dadurch würden die Beschlüsse vom 11. 05. 2016 aufgehoben, die Kosten für den Bürgerentscheid und eine zweijährige Sperrzeit entstünden bzw. träten nicht ein. Im Gegenzug würde die Gewerkschaft alle noch anhängigen einstweiligen Anordnungen bei den Verwaltungsgerichten zurücknehmen. Dann könnte die Stadt mit der Kaufmannschaft neue rechtskonforme Anträge auf Genehmigung verkaufsoffener Sonntage planen. Jedoch ließ sich die Kaufmannschaft nicht darauf ein. Ihrer Meinung
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S. dazu oben Pt. 2. Ratsvorlage V/0622/2016, S. 3. 101 Ratsvorlage V/0622/2016, S. 5. 102 Mit 1035 war der Anteil ungültiger Stimmen überraschend hoch. Darunter waren u. a. 418 die keinen Hauptwohnsitz in Münster hatten, 102 nur eine Nebenwohnung, 166 Mehrfachunterschriften und 123 Unterzeichner machten unleserliche Angaben (Ratsvorlage V/ 0622/2016, S. 5). 103 Ratsvorlage V/0622/2016, S. 5; vgl. Bürgerbegehren nimmt nächste Hürde, in: Münstersche Zeitung vom 27. 07. 2016, online unter: https://www.muensterschezeitung.de/loka les/staedte/muenster/2473692-buergerbegehren-freier-sonntag-nimmt-naechste-huerde (eingesehen am 08. 01. 2019). 100
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nach, gehörten verkaufsoffene Sonntage zu einer lebendigen Stadt.104 Offensichtlich spekulierte die Kaufmannschaft auf einen erfolglosen Ausgang des Bürgerentscheids. Anlässlich der Sitzung des Rates vom 31. 08. 2016 stand die Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Freier Sonntag Münster“ an vierter und die Sachentscheidung zum weiteren Verfahren hierzu an fünfter Stelle der Tagesordnung.105 Hinsichtlich des Tagesordnungspunktes 4 beschloss der Rat einstimmig, „dass das am 06. 07. 2016 eingereichte Bürgerbegehren ,Freier Sonntag Münster‘ rechtlich zulässig ist“.106 Bevor der Rat über das weitere Vorgehen zu diesem Bürgerbegehren beraten und Beschluss fassen konnte, bekam ein Vertretungsbevollmächtigter die Möglichkeit, hierzu Erläuterungen abzugeben. Dagegen empfiehlt die Verwaltung dem Rat, dem Bürgerbegehren aus folgenden Gründen nicht zu entsprechen: „Grundlage dieser Empfehlung ist die fachliche Einschätzung zur Entwicklung Münsters als Oberzentrum mit attraktiven Großveranstaltungen von regionaler und überregionaler Reichweite und Einzelhandelsstandort. Entscheidend für die Empfehlung ist die Tatsache, dass die Feste, Märkte oder Veranstaltungen an den von der Stadt Münster für Ladenöffnungen freigegebenen Sonntagen in den jeweiligen Quartieren die Hauptattraktion sind. Beim Send und den Weihnachtsmärkten ist es ganz offensichtlich so, dass die Menschen von weit her gerade wegen dieser Veranstaltungen nach Münster kommen. Während der Send auf dem Schlossplatz stattfindet, verteilen sich die Weihnachtsmärkte auf fünf Standorte über das ganze Altstadtgebiet (Aegidii, Rathaus, Lamberti, Kiepenkerl und Überwasser) mit insgesamt 300 Ständen. Diese Großveranstaltungen sind auch nicht erfunden worden, um sonntags Geschäfte öffnen zu können, sondern haben eine lange Tradition. Ein ganz besonderer Fall sind die Münsteraner Hansetage, deren Reiz gerade darin liegt, die historisch begründete Verbindung Münsters zu den anderen Hansestädten zu pflegen und Menschen aus diesen anzuziehen. Hier richten die Kaufleute der Altstadt ein festliches Hansemahl auf dem Prinzipalmarkt für die Bürgerschaft der Stadt Münster und der anderen historischen Hansestädte aus und erinnern mit einer ,Geste für die Gäste‘ daran, dass die Hanse ein internationales Handelsbündnis war, das nicht zuletzt von der Gastfreundschaft der Händler und Kunden seiner Mitglieder geprägt war. Einer Großstadt wie Münster per Bürgerentscheid kategorisch die Möglichkeit des Attraktivitätserhalts zu nehmen, entspricht nicht den Stadtzielen“.107
104 Ralf Repöhler, Münsteraner sollen am 6. November entscheiden, in: Westfälische Nachrichten vom 26. 08. 2016, online unter: http://www.wn.de/muenster/2016/08/2508663-mu ensteraner-sollen-am-6.-november-entscheiden-verkaufsoffene-sonntage-gipfeltreffen-geschei tert (eingesehen am 11. 01. 2019). Dokumentiert: Bürgerbegehren, Offener Brief und Angebot von verdi, online unter: https://www.gruene-muenster.de/2016/dokumentiert-buergerbegehrenoffener-brief-und-angebot-von-verdi/ (eingesehen am 10. 01. 2019). 105 Niederschrift über die 18. Sitzung (öffentlicher Teil) des Rates am Mittwoch, den 31. 08. 2016 – vom 14. 09. 2016, S. 3. 106 Niederschrift über die 18. Sitzung, S. 4. 107 Beschlussvorlage V/0677/2016, S. 2 – 4.
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In der anschließenden Abstimmung wird mit Mehrheit beschlossen108, dem Bürgerbegehren „Freier Sonntag Münster“ nicht zu entsprechen und den Ratsbeschluss vom 11. 05. 2016 nicht aufzuheben. Somit kommt es zu einem Bürgerentscheid.109 Der Abstimmungsleiter beabsichtigt, den 06. 11. 2016 als Abstimmungstag für den Bürgerentscheid festzusetzen.110 Die Durchführung des Bürgerentscheids kostet die Stadt 342.000 E.111 6. Die Strategie der Gewerkschaft Die Gewerkschaft ver.di verfolgte eine Doppelstrategie, einerseits unterstützte sie das Bürgerbegehren und den nachfolgenden Bürgerentscheid massiv, konnte sich aber andererseits nicht sicher sein, ob letzterer erfolgreich sein würde. Weil sie die Verordnungen des Stadtrats vom 11. 05. 2016 für unrechtmässig erachtete, hat sie gewissermaßen zusätzlich einstweilige Anordnungen gegen Ladeöffnungen am Sonntag erwirkt.112 Damit beabsichtigte die Gewerkschaft, die Neufassung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu erreichen.113 108
Die Ratsvorlage V/0677/2016 Bürgerbegehren „Freier Sonntag Münster“ – Entscheidung zum weiteren Verfahren – wird vom Rat mit Mehrheit beschlossen (OB, CDU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN/GAL, FDP, Piraten, UWG, [ein fraktionsloser Ratsherr] bei Gegenstimmen [SPD, DIE LINKE, ÖDP, AfD]) (Niederschrift über die 18. Sitzung, S. 5). 109 Klaus Baumeister, Die Bürger sollen entscheiden, in: Münstersche Zeitung online vom 31. 08. 2016, online unter: https://www.muensterschezeitung.de/lokales/staedte/muenster/ 2513947-verkaufsoffene-sonntage-sondersitzung-des-rates-am-mittwoch-die-buerger-sollen-ent scheiden (eingesehen am 10. 01. 2019). 110 Niederschrift über die 18. Sitzung, S. 5; Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 18 vom 16. September 2016, S. 155 – 156. 111 Von den aufkommenden Kosten entfallen 80.000 E auf Personalkosten und 262.000 E sind Sachkosten (Porto, Drucklegung, Erfrischungsgeld etc.) (Niederschrift über die 18. Sitzung, S. 5). Vgl. dazu Klaus Baumeister/Ralf Repöhler, Pro und Contra: Bürgerentscheid im November, in: Westfälische Nachrichten vom 2. September 2016, online unter: https://www. wn.de/muenster/2016/ß09/2517204-verkaufsoffene-sonntage-pro-und-contra-buergerentscheidim-november (eingesehen am 10. 01. 2019). 112 Insgesamt sind im Jahre 2016 fünf einstweilige Anordnungen gegen Ladenöffnungsverfügungen der Stadt Münster erfolgreich gewesen: VG Münster Beschluss vom 08. 08. 2016 – 9 L 1100/16, in: BeckRS 2016, 50010, Stadtbezirk Münster-Hiltrup Ladenöffnung am Sonntag, den 27. 11. 2016 anlässlich des 11. Hiltruper Lichterfestes; vom 30. 08. 2016 – 9 L 1186/16, in: BeckRS 2016, 53671, Stadtbezirk Münster Mitte, Bereich Hammer Str., Ladenöffnung am 04. 12. 2016, 10. 12. 2017, 09. 12. 2018 und 08. 12. 2019 (2. Advent); vom 27. 09. 2016 – 9 L 1187/16, in: BeckRS 2016, 52370, Stadtbezirk Münster Mitte, Altstadt/Bahnhofsviertel, Ladenöffnung am 08. 05. 2016 „Hansetag“ und am 30. 10. 2016 „Herbstsend“ (Kirmes); vom 17. 10. 2016 – 9 L 1000 /16, in: BeckRS 2016, 106435, Stadtbezirk Münster Mitte, Altstadt/Bahnhofsviertel, verkaufsoffenen Sonntage am 04. 12. 2016, 10. 12. 2017, 09. 12. 2018 und 08. 12. 2019 (2. Advent). OVG NRW, Beschluss vom 15. 08. 2016 – 4 B 887/ 16, in: BeckRS 2016, 50443, Stadtbezirk Münster Hiltrup, Ladenöffnung anlässlich des 23. Hiltruper Frühlingsfestes am 22. 05. 2016 und wegen des 6. Hiltruper Weinfestes am 21. 08. 2016.
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7. Der Bürgerentscheid vom 6. November 2016 Nach einem von beiden Seiten erbittert geführten Kampf über pro und contra der verkaufsoffenen Sonntage, der schon Züge eines Straßenwahlkampfs trug, kam es am 6. November 2016 zur Abstimmung über diese Frage: „Soll der Beschluss des Rates der Stadt Münster vom 11. 05. 2016 über das Offenhalten der Verkaufsstellen aufgehoben werden und damit am 2. Advent der Jahre 2016 bis 2019 in der Altstadt/Bahnhofsviertel und entlang eines Teils der Hammer Straße, und am 1. Advent des Jahres 2016 in Teilen des Ortsteils Hiltrup, und anlässlich von Hansetag und Herbstsend in den Jahren 2017 – 2019 in der Altstadt/Bahnhofsvierteleine Öffnung von Verkaufsstellen am Sonntag in der Zeit von 13 – 18 Uhr nicht erlaubt werden?“.114
Trotz erheblicher medialer Unterstützung der Gegner des Bürgerentscheids konnten diese ihre Klientel nur in geringem Umfang zur Abstimmung motivieren. Weil der herkömmliche freie Sonntag nicht gerade dem Zeitgeist entspricht, war es für Aussenstehende überraschend, dass sich die Abstimmungsberechtigten für die Aufhebung des Ratsbeschlusses und gegen die Ladenöffnung an bestimmten Sonntagen in dem genannten Zeitraum aussprachen. Auf der Basis der Summe aller Abstimmungsbezirke und der Briefabstimmung ergab sich für die Stadt Münster folgendes Abstimmungsergebnis: „Abstimmungsberechtigte: 247.124; Abstimmende: 55.232 (= 22,3 %); Ungültige Stimmen: 126; Gültige Stimmen: 55.106. Davon entfielen auf JA: 29.107 (= 52,8 %); auf NEIN: 25.999 (= 47,2 %)“.115 Das Quorum von 10 % – 24.712 Stimmen – wurde erreicht. Damit war das Bürgerbegehren mit nachfolgendem Bürgerentscheid erfolgreich.116
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Ralf Repöhler, Gravierende Konsequenzen für den Einzelhandelsstandort Münster, in: Westfälische Nachrichten vom 08. 11. 2016, online unter: http://www.wn.de/muenster/2016/ 11/2593440-nach-dem-buergerentscheid-gravierende-konsequenzen-fuer-den-einzelhandels standort-muenster (eingesehen am 18. 01. 2019). 114 Online unter: https://www.stadt-muenster.de/fileadmin//user_upload/stadt-muenster/33_ wahlen/pdf/stimmzettel-buergerentscheid-2016-muster.pdf (eingesehen am 11. 01. 2019). Die Geschäftsführerin der Gesellschaft für verständliche Sprache an der Universität Bochum, Michaela Blaha, zeigte sich im Gespräch mit den Westfälischen Nachrichten wütend über die aus 81 Wörtern bestehende Abstimmungsfrage. Diese müsse anders formuliert werden, vgl. online unter: https://www.wn.de/ muensterland/2016/11/2587672-buergerentscheid-zu-ver kaufsoffenen-sonntagen-frage-aus-81-woertern-macht-expertin-wuetend (eingesehen am 11. 01. 2019). Aus rechtlichen Gründen muss die Abstimmungsfrage aus einem Satz bestehen. 115 Stadt Münster, Bürgerentscheid 6. November 2016, Beiträge zur Statistik 120, S. 13, online unter: https://www.stadt-muenster.de/fileadmin//user_upload/stadt-muenster/61_stadtent wicklung/pdf/beitraege/beitraege_zur_statistik_nr_120.pdf (eingesehen am 15. 03. 2019). 116 Dirk Anger, Münster lehnt Verkauf am Sonntag ab, in: Westfälische Nachrichten vom 06. 11. 2016, online unter: https://www.wn.de/muenster./2016/11/2592235-geringes-interessean-buergerentscheid-muenster-lehnt-verkauf-am-sonntag-ab (eingesehen am 11. 01. 2019); dpa/ mak, Münsteraner stimmen gegen verkaufsoffene Sonntage, in: die Welt vom 06. 11. 2016, online unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article159306650/muensteraner-stimmen-gegenverkaufsoffene-sonntage.html (eingesehen am 11. 01. 2019).
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Allerdings ist die Anzahl der Einwohner, die an dem Bürgerentscheid teilgenommen haben, mit 22,3 % zweifellos enttäuschend. Hierfür war die mangelnde Erreichbarkeit der Menschen sicher nicht der Hauptgrund. Vielmehr wird die Ursache für die geringe Beteiligung darin zu suchen sein, dass die Gewerkschaft ver.di die Ladenöffnung an den in Rede stehenden Sonntagen gerichtlich hat untersagen lassen. Dadurch wurde der Bürgerentscheid in den Augen vieler Bürger sinnlos, und sie blieben deshalb zu Hause. Auch empfanden viele Kritiker ihn als unnötig und überteuert, wenn über etwas abgestimmt werden soll, worüber Gerichte bereits entschieden hätten. Der Oberbürgermeister gibt am 20. 11. 2016 bekannt, dass die Beschlüsse des Rates der Stadt Münster vom 11. 05. 2016, die die Ordnungsbehördlichen Verordnungen über das Offenhalten von Verkaufsstellen zum Gegenstand hatten, durch den Bürgerentscheid vom 06. 11. 2016 aufgehoben werden.117 8. Reaktionen auf den Bürgerentscheid Als sich das Ergebnis des Bürgerentscheids abzeichnete, waren die Kaufleute darüber ziemlich entsetzt. Dagegen zeigten sich die Initiatoren, vor allem die Gewerkschaft ver.di und die weiteren Mitglieder der „Initiative für den freien Sonntag“, über das Abstimmungsergebnis hocherfreut. Es sei gelungen, die Diskussion um den freien Sonntag in die Öffentlichkeit zu tragen. Auswirkungen für ganz Deutschland seien möglich. Kritik aus Reihen der Kaufmannschaft, der Bürgerentscheid führe zu einer wirtschaftlichen Schieflage im Einzelhandel, begegneten sie mit den Worten: „Der freie Sonntag schade Münster nicht“. Darüber hinaus erneuerte die Gewerkschaft das Angebot an Kaufmannschaft und Stadt, gesprächsbereit für neue rechtskonforme Verordnungen zu sein.118 Von evangelischer Seite sei man froh über den Ausgang, auch wenn man ein deutlicheres Ergebnis gewünscht hätte, erklärt Pfr. Martin Mustroph. Es zeige, dass man den Menschen nicht nur unter ökonomischen Aspekten sehen dürfe: „Sonntage sollen Tage sein, die die Menschen wirklich selbstbestimmt gestalten“. Der münstersche Stadtdechant, Jörg Hagemann, empfand Freude wegen des Ergebnisses, streckte aber zugleich seine Hand den Unterlegenen aus und erklärte: „Nun sollten wir gemeinsam überlegen, Ideen zu entwickeln, die der Stadt gut tun“.119 117 Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 23 vom 25. 11. 2016, S. 203. Mit Datum vom 16. 12. 2016 werden alle regelmäßig stattfindende Veranstaltungen mit sonntäglicher Ladenöffnung, die nicht vom Bürgerentscheid betroffen waren, aufgehoben. Offensichtlich sollten diese nicht einer Neuausrichtung in dieser Angelegenheit im Wege stehen (Amtsblatt der Stadt Münster Nr. 25 vom 23. 12. 2016, S. 222 – 223). 118 Klaus Baumeister, Münster nimmt sich sonntags frei, in: Westfälische Nachrichten vom 06. 11. 2016, online unter: https://www.wn.de/muenster/2016/11/2592438-verdi-jubelt-ueberabstimmungserfolg-kaufmannschaft-ernüchtert-muenster-nimmt-sich-sonntags-frei (eingesehen am 12. 01. 2019). 119 Martin Kalitschke, Sonntag ist eben kein Alltag, in: Westfälische Nachrichten vom 06. 11. 2016, online unter: https://www.wn.de/muenster/2016/11/2592336-reaktionen-der-kir chen-sonntag-ist-kein-alltag (eingesehen am 12. 01. 2019).
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IV. Zur Zukunft des Sonntags Es ist inzwischen eine Tatsache, dass dem Sonntag von vielen Seiten Gefahr droht. Schon seit einigen Jahren ist seine schleichende Aushöhlung feststellbar. Diese erfolgt u. a. durch die Industrie, indem immer häufiger Ausnahmen vom Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen (§ 9 Abs. 1 ArbZG) beantragt und auch gewährt120 werden, so dass ständig mehr Menschen an diesen Tagen arbeiten müssen.121 Auch der Handel trägt dazu bei, weil anhaltend eine grössere Anzahl Ladenöffnungen am Sonntag durch entsprechende ordnungsrechtliche Verfügungen freigegeben wird. An jedem Sonntag lässt sich leicht eine Gemeinde finden, in der die Verkaufsstelleninhaber potentiellen Kunden ihre Waren feilbieten.122 Ebenfalls ist seit geraumer Zeit das Bewusstsein um den Sonntag, sein religiöser Sinn sowie sein kultureller Wert in weiten Teilen der Bevölkerung verloren gegangen. Inzwischen hat sich eine weitgehende Sonntagsvergessenheit ausgebreitet. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Auch diese Entwicklung begünstigt die von mehreren Seiten betriebene Aushöhlung des Sonntags. Die aus CDU und FDP 2017 gebildete Landesregierung hat im Rahmen eines Gesetzes „zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften – Entfesselungspaket I“ auch das Ladenöffnungsgesetz, trotz erheblicher externer Bedenken123, grundlegend
120 Im Bundesland Niedersachsen gab es 2017 3.462 erteilte Ausnahmegenehmigungen, zehn Jahre zuvor waren es noch 2.192, also 1.270 oder 57,9 % weniger. Inzwischen gibt es den entsprechenden Antrag als Vordruck im Internet. Aus Behördenkreisen heißt es, die Genehmigung sei ein Selbstläufer. Es werde kaum Zeit auf eine Prüfung verwendet, vgl. Dirk Fisser, Immer mehr Anträge für Sonntagsarbeit in Niedersachsen, in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 16. 02. 2018, online unter: https://www.noz.de/deutschland-welt/wirtschaft/artikel/1021185/im mer-mehr-antraege-für-sonntagsarbeit-in-nie dersachsen (eingesehen am 12. 01. 2019). 121 Was die Sonntagsarbeit angeht, sind aktuelle Zahlen folgendem Dokument zu entnehmen: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage verschiedener Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE vom 09. 11. 2018 (BT-Drs. 19/5657, Atypische Arbeitszeiten in Deutschland S. 14): Abhängig Beschäftigte mit Sonn- und Feiertagsarbeit (Voll- und TeilzeitBeschäftigte): 2007: Von den 33.606 Millionen abhängig Beschäftigten arbeiteten ständig bzw. regelmäßig 4.256 Millionen – 12,7 % sonn- und feiertags, Männer 2.174 Millionen – 12,1 %, Frauen 2.082 Millionen – 13,3 %; 2017: Von den 37.395 Millionen abhängig Beschäftigten arbeiteten regelmäßig 4.728 Millionen bzw. 12,6 % sonn- und feiertags, Männer 2.348 Millionen – 12,1 %, Frauen 2.380 – 13,3 %. 122 Die Landesregierung NRW antwortet auf die Kleine Anfrage zweier Abgeordneter der SPD bezüglich der Bilanz bei der Ladenöffnung in Nordrhein-Westfalen 2018 wie folgt: Hinsichtlich der Zahl der genehmigten Sonntagsöffnungen wurden im Jahre 2018 insgesamt 1.298 verkaufsoffene Sonn- und Feiertage durchgeführt, davon 989 nach dem LöG NRW 2013 (bis 21. 03. 2018) und 309 nach dem LöG NRW 2018 (ab 22. 03. 2018). Im Vorjahr waren es immerhin noch 1.380 gewesen (LT-NRW, Drs. 17/5395 vom 13. 03. 2019, S. 3). Bei Zugrundelegung von 365 Tagen im Jahr ergibt das durchschnittlich drei Kommunen mit Ladenöffnungen je Sonntag. 123 Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren die Stellungnahmen der Kirchen (LT-NRW, Stellungnahme 17/201), der Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk NRW (LT-NRW, Stellungnahme 17/199), der Allianz für den freien Sonntag (LT-NRW, Stellungnahme 17/192) sowie der
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reformiert.124 Neben dem Ziel, den kommunalen Verordnungsgeber mehr Rechtssicherheit bei der Gestattung von Sonn- Feiertagsöffnungen zu verschaffen, sollte der stationäre Einzelhandel u. a. erweiterte Möglichkeiten der sonntäglichen Ladenöffnung im zunehmenden Wettbewerb insbesondere mit dem Onlinehandel125 sowie mit der Konkurrenz im benachbarten Ausland erhalten.126 In diesem Zusammenhang wurde der sogenannte Anlassbezug127 für eine Verkaufsstellenöffnung an Sonnund Feiertagen gestrichen und durch eine nicht abschließende Aufzählung sehr allgemein gehaltener Sachgründe ersetzt, die ein öffentliches Interesse begründen sollen. Neben der schon bisher gegeben Möglichkeit bei örtlichen Veranstaltungen auch sonn- und feiertags Ladenöffnungen zu gestatten (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LöG NRW), liegt ein öffentliches Interesse nun vor, wenn die Öffnung der Geschäfte dem Erhalt, der Stärkung bzw. der Entwicklung eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LöG NRW) oder zentraler Versorgungsbereiche (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LöG NRW) sowie der Belebung der Ortszentren dient (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 LöG NRW) oder die überörtliche Sichtbarkeit der jeweiligen Kommune steigert (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 LöG NRW). Zugleich ist die Zahl zulässiger verkaufsoffener Sonntage im öffentlichen Interesse auf höchstens 8 (§ 6 Abs. 1 LöG NRW) und innerhalb jeder Gemeinde insgesamt auf nicht mehr als 16 Sonn- und Feiertage je Kalenderjahr erhöht worden, wenn die Ladenöffnung nur in Teilen des Gemeindegebietes zugelassen wird (§ 6 Abs. 4 Satz 3 LöG NRW). Damit hat sich die Anzahl der Sonntage, die für einen Verkauf freigegeben werden können, verdoppelt bzw. ist im Laufe der Jahre auf das Vierfache gestiegen: Waren es vor und nach 2006 vier, ab dem Jahre 2013 ebenfalls 4 bzw. 11, sind es jetzt 8 respektive 16 mögliche verkaufsoffene Sonntage. Bei Zugrundelegung von 52 Sonntagen im Jahr sind das immerhin ein Sechstel bzw. ein Drittel mehr. Angesichts dieser Entwicklung wird die Frage, ob das vom Bundesverfasberatenden Rechtsanwälte Wilhelm Achelpöhler (LT-NRW, Stellungnahme 17/216) und Friedrich Kühn (LT-NRW, Stellungnahme 17/199, S. 11 – 32). 124 Gesetz zum Abbau unnötiger und belastender Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen – Entfesselungspaket I, Artikel 1, Änderung des Ladenöffnungsgesetzes, in: GV. NRW 2018, Nr. 8 vom 29. 03. 2018, S. 171. 125 Dem HDE Zahlenspiegel 2018 ist für den Umsatz des Einzel- und Onlinehandels bezogen auf das Jahr 2017 folgendes zu entnehmen: Einzelhandel (ohne KFZ, Tankstellen und Apotheken) 52, 2 Mrd. Euro (S. 20); Onlinehandel 48, 7 Mrd. Euro (S. 30). 126 In seinem Beschluss vom 07. 12. 2017 hat das OVG NRW (4 B 1538/17, Rdnr. 14, in: BeckRS 2017, 134500) den Landesgesetzgeber indirekt angesprochen als es ausführte: „Der Senat merkt zudem an, dass gerade das vielfach festzustellende politische Bestreben, dem Handel jenseits rechtfertigender Sachgründe und konkreter Anlässe einen zusätzlichen Umsatz am Sonntag zu verschaffen, ohne Änderung der Verfassung unzulässig ist. Der Gesetzund Verordnungsgeber ist durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV aufgerufen, den Sonntag gegenüber dem Alltag an sechs Wochentagen ,gesetzlich‘ vor bloßen Umsatzinteressen zu ,schützen‘, nicht aber hierfür zu öffnen“. 127 Vgl. zum Anlassbezug: BVerwG, Urteil vom 11. 11. 2015, Rdnr. 23 – 24 – oben II, Pt. 2.2.
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sungsgericht geforderte Regel-Ausnahmeverhältnis noch gewahrt wird, sicher bei Gelegenheit einmal gerichtlich entschieden werden.128 Das Ziel mehr Richtsicherheit zu gewährleisten, wurde jedoch nicht ganz erreicht.129 Deshalb musste sich das OVG NRW im Jahre 2018 mehrfach mit dem Ladenöffnungsgesetz befassen. Diesbezüglich hat das Gericht die Voraussetzungen, unter denen die Verkaufsstellenöffnung an Sonn- und Feiertagen zulässig ist, näher präzisiert. Grundsätzlich hält das Gericht fest: „Das durch das Grundgesetz gewährleistete Mindestniveau des Sonn- und Feiertagsschutzes wird nur gewahrt, wenn die sehr weit gefassten gesetzlichen Voraussetzungen für Ladenöffnungsfreigaben an Sonn- und Feiertagen nach § 6 Abs. 1 LöG NRW einschränkend ausgelegt werden. Das stets zu wahrende Regel-Ausnahme-Verhältnis beim Sonn- und Feiertagsschutz wird nicht schon eingehalten, wenn nur irgendeiner der gesetzlich bezeichneten Sachgründe gegeben ist, weil dies – auch nach Einschätzung des Gesetzgebers – ,regelmäßig‘ der Fall ist“.130
Hinsichtlich des zu stärkenden stationären Einzelhandels macht es deutlich: „Die allgemeine, für den stationären Einzelhandel einer jeden Kommune ganzjährig bestehende Konkurrenzsituation zum Online-Handel ist für sich genommen nicht geeignet, unter den Gesichtspunkten des Erhalts, der Stärkung oder der Entwicklung eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LÖG NRW) ein öffentliches Interesse an einer Ladenöffnung zu begründen“.131 „Das generelle Bestreben des Gesetzgebers, einen vielfältigen stationären Einzelhandel angesichts eines sich verschärfenden Wettbewerbs zu sichern und zu stärken, hat in seiner Allgemeinheit nicht das erforderliche Gewicht zur Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutzes“.132 128 Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil zum Berliner Ladenöffnungsgesetz vom 01. 12. 2009 eine Freigabe der Ladenöffnung an acht Sonn- und Feiertagen nicht beanstandet ([Anm. 9] S. 579, Rdnr. 193). Für Johannes Dietlein ist mit dieser Zahl keinesfalls das Höchstmaß verkaufsoffener Sonn- und Feiertag erreicht und könnte „womöglich deutlich gesteigert werden, soweit es um die Verfolgung besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter geht oder die Ladenöffnungen „womöglich zeitlich, räumlich oder auch gegenständlich näher umgrenzt werden“ (Johannes Dietlein, „Verkaufsoffene Sonntage“ in der Diskussion – zu den legislativen Gestaltungsspielräumen in Fragen der sonn- und feiertäglichen Ladenöffnung, in: GewArch Beilage WiVerw Nr. 2/2018, S. 153 – 180, hier S. 177). 129 Die mangelnde Rechtssicherheit lag insbesondere an den zahlreichen Unbestimmtheiten innerhalb der einzelnen Regelungen, aber auch die Ausblendung der verfassungsrechtlichen Vorgaben führte dazu, dass sich wieder vermehrt Verwaltungsgerichte mit Fragen der Sonntagsöffnungen beschäftigten, vgl. Friedrich Kühn, „Keine verlässliche Grundlage für gesetzliche Spielräume“, S. 12, online unter: http://www.sonntagsallianz-hessen.de/2018/alli anz-gutachten_dr_f_kuehn_zu_dietlein-position-januar_2018.pdf (eingesehen am 16. 01. 2019). 130 OVG NRW, Beschluss vom 02. 11. 2018 – 4 B 1580/18, Leitsatz 1 und 2. in: DÖV 72 (2019), S. 243. 131 OVG NRW, Beschluss vom 27. 04. 2018 – 4 B 571/18, Leitsatz 6, in: DÖV 71 (2018), S. 672. 132 OVG NRW, Beschluss vom 02. 11. 2018, Leitsatz 7, in: DÖV 72 (2019), S. 243.
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Außerdem ist es fraglich, ob eine Erweiterung der Einkaufsmöglichkeiten an einzelnen Sonn- und Feiertagen die Nachteile ausgleichen kann, die dem stationären Einzelhandel durch den Onlinehandel entstanden sind. Anstatt die Städte um immer mehr Freigaben zum Sonntagseinkauf zu drängen, wäre es für den inhabergeführten Facheinzelhandel vermutlich profitabler, wenn sie auch einen Onlinehandel unterhalten würden. Denn von einem ausnahmsweise gewährten verkaufsoffenen Sonntag profitieren in erster Linie die großen Ketten und Kaufhauskonzerne. Im Beschluss vom 26. 10. 2018 hatte das OVG NRW formuliert: „Ladenöffnungen als Maßnahme insbesondere zur Belebung von Innstädten, zur Stärkung zentraler Versorgungsbereiche und zum Erhalt eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebots (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LöG NRW) sind grundsätzlich während der allgemeine Ladenöffnungszeit (24 Stunden werktags) durchzuführen“.133
In den vergangenen Jahren ist es zu einer starken Konzentration der Unternehmen im Einzelhandel gekommen“.134 Ein Blick in die Innenstädte zeigt, dass dort überwiegend Läden größerer Ketten präsent sind, während die Geschäfte des Einzelhandels immer weniger werden. Das hängt auch wesentlich damit zusammen, dass der inhabergeführte Facheinzelhandel personell nicht in der Lage ist angesichts der erweiterten Öffnungszeiten mit den großen Ketten mitzuhalten.135 Wo Geschäfte nicht weiter vermietet werden, droht Leerstand, die Innenstädte veröden und deren Attraktivität sinkt mit der Zeit. Deshalb wollte der Gesetzgeber durch die Sachgründe in § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 – 4 LöG NRW solchen Entwicklungen entgegenwirken.136 Ob eine gelegentliche und zeitlich befristete Ladenöffnung am Sonntag das Ziel der Belebung der Innenstädte, Ortskerne, Stadt- oder Ortsteilzentren dienen kann, ist jedoch zweifelhaft.137 Nach den vorstehenden Darlegungen sehen die Gerichte die Möglichkeiten der Ladenöffnung am Sonntag, die das LöG NRW bietet, überwiegend kritisch. Außer den Gewerkschaften und den Kirchen hat der Sonntag im Vergleich zu Handel und Industrie bislang keine weiteren Fürsprecher. Deshalb ist es durchaus 133
OVG NRW, Beschluss vom 26. 10. 2018 – 4 B 1546/18 Leitsatz 3, in: DÖV 72 (2019), S. 117. 134 Michael Gassmann, Konzentration im Einzelhandel setzt sich fort, in: Die Welt online vom 26. 06. 2017, online unter: https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article165930606/ konzentation-im-einzelhandel-setzt-sich-fort.html (eingesehen am 05. 02. 2019). 135 Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesbezirk NRW, LT-NRW, Stellungnahme 17/199, S. 7. 136 Vgl. Alexander Schink, Neues Ladenöffnungsgesetz NRW – Aktuelle Rechtsprechung, in: GewArch 65 (2019), S. 89 – 96, hier S. 95. 137 Das OVG NRW sieht in der Ladenöffnung aufgrund dieses Sachgrunds kein über das bloße Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das Erwerbsinteresse potentieller Käufer hinausgehendes öffentliche Interesse (OVG NRW, Beschluss vom 05. 04. 2018 – 4 B 590/18, Rdnr. 6, in: BeckRS 2018, 8078). Das trifft auch für die Steigerung der überörtlichen Sichtbarkeit der jeweiligen Kommune zu (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 LöG NRW) (VG Münster, Beschluss vom 30. 04. 2018 – 9 L 442/18, Rdnr. 31, in: BeckRS 2018, 9377).
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zu begrüßen, dass sich im Jahre 2006 die „Allianz für den freien Sonntag“ gegründet138 hat. Deren „Engagement steht im Zeichen der Bekräftigung einer erneuten Sonntagskultur, die auf einen breiten Konsens in unserer Gesellschaft bauen will. Es geht darum, den kulturellen Rhythmus zwischen Arbeit und Ruhe um der Menschen willen zu erhalten und den Menschen eindeutig in den Mittelpunkt allen Wirtschaftens zu stellen. Die Respektierung des Sonntags spiegelt die Wertordnung einer Gesellschaft sowie jener Akteure, die sie maßgeblich gestalten können. Wir alle stehen in der Verantwortung, uns für den Erhalt des Sonntags zum Wohle einer humanen Gesellschaft einzusetzen“.139 Kurz vor dem Verstreichen der Sperrfrist (07. 11. 2018) des bundesweit ersten Bürgerentscheids für den freien Sonntag, veranstaltete eine Zeitung in Münster eine nicht repräsentative Internet-Umfrage zur Stadtentwicklung. Gefragt wurde u. a.: „2016 sprachen sich die Münsteraner per Bürgerentscheid gegen verkaufsoffene Sonntage in der Innenstadt aus. Vermissen Sie verkaufsoffene Sonntage?“ Diese Frage beantworteten 61 Prozent mit Nein, während 37 Prozent sie bejahten und die restlichen 2 Prozent die Frage nicht zu beantworten wussten.140 Jedoch lassen sich die Kaufleute von derartigen Umfragen nicht irritieren und wollen auch weiterhin auf Ladenöffnungen am Sonntag nicht verzichten, nur an welchen Sonntagen sie öffnen wollen, steht noch nicht fest. Zunächst beabsichtigen sie mit der Gewerkschaft und den Kirchen zu sprechen. Zu dem Vorhaben der Kaufleute hat sich die „Initiative für den freien Sonntag Münster“ bislang noch nicht geäußert.141 Ein Ergebnis des Bürgerentscheids ist sicher auch, dass die beteiligten Akteure miteinander sprechen, anstelle einseitig Entscheidungen durchzusetzen zu wollen. Der Kampf um den freien Sonntag wird jedoch weitergehen. Das Bürgerbegehren mit nachfolgendem Bürgerentscheid hat gezeigt, dass Fehlentwicklungen auf kommunaler Ebene bisweilen korrigierbar sind, auch wenn der Aufwand dafür nicht gerade gering ist.
138 Die „Allianz für den freien Sonntag“ wurde am 29. 09. 2006 in Berlin von Vertretern kirchlicher Einrichtungen und der Gewerkschaft ver.di gegründet. Ihr gehören neben der Gewerkschaft die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), die Katholische Betriebsseelsorge und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) (evangelisch) an. Inzwischen gibt es diese Allianz nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern europaweit. 139 Vgl. die Internetpräsenz der „Allianz für den freien Sonntag“, online unter: https:// www.allianz-fuer-den-freien-sonntag.de/nc/ueber/uns (eingesehen am 18. 01. 2019). 140 Westfälische Nachrichten Nr. 301 vom 29. 12. 2018. Der Zeitraum erstreckte sich vom 05.09. bis 18. 12. 2018; abgegebene Stimmen 93.814. 141 Bekommt Münster neue verkaufsoffene Sonntage, in: Münstersche Zeitung vom 07. 11. 2018, online unter: https://www.Muensterschezeitung.de/lokales/staedte/muenster/3539268-ein kaufsbummel-bekommt-muenster-neue-verkaufsoffene-sonntage (eingesehen am 18. 01. 2019).
Propuesta de modificación de la Ley Orgánica de Educación en España: consecuencias sobre el derecho de los padres a elegir la formación religiosa y moral de sus hijos Von María J. Roca
Introducción La enseñanza de la religión y el derecho a la educación, pertenece a uno de los ámbitos en los que el Autor homenajeado con este libro ha dedicado relevantes trabajos1 que han contribuido a conformar la doctrina sobre la materia en las últimas décadas. Por otra parte, el Prof. Wilhelm Ress ha tenido influencia en España, parece oportuno que este trabajo se dedique a uno de sus temas de investigación (la enseñanza de la religión) y referido a uno de los Estados en los que ha tenido influencia su obra (España).2 La Constitución española de 1978, garantiza en el art. 27, 3 que “los poderes públicos garantizan el derecho que asiste a los padres para que sus hijos reciban la formación religiosa y moral que esté de acuerdo con sus propias convicciones”.3 Este es uno de los preceptos constitucionales a los que se presentaron más enmiendas y que tuvo una discusión parlamentaria más laboriosa. A ello hay que añadir que de los Acuerdos con la Santa Sede firmados por el Estado Español, es el Acuerdo entre la Santa Sede y el Estado Español sobre Enseñanza y Asuntos
1 Desde su promoción, con la obra Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986, hasta su ponencia Wilhelm Rees, Die Kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, EssGespr. 49 (2016), págs. 75 – 112. 2 Wilhelm Rees, La protección del patrimonio en Austria. Régimen jurídico de la Iglesia católica y de la República austríaca, en María José Roca / María Olaya Godoy (coords.), Patrimonio histórico-Artístico de la Iglesia católica. Régimen jurídico de su gestión y tutela. Valencia 2018, págs. 73 – 126. 3 Carlos Vidal Prado, Presente y futuro del derecho a la educación en España, en Benigno Pendás García (dir.), España constitucional (1978 – 2018): trayectorias y perspectivas / vol. 3, Tomo 3, 2018, págs. 2297 – 2309.
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Culturales, y más concretamente, lo que se refiere a las clases de religión, el aspecto que mayor número de sentencias4 ha ocasionado. En este contexto, el Gobierno ha presentado el Anteproyecto de Ley Orgánica5 que modifica la ley de Educación y contiene una regulación que afecta a tres aspectos relevantes acerca del derecho de los padres a que sus hijos reciban la educación religiosa y moral que esté de acuerdo con sus propias convicciones: la enseñanza de la Religión (apartado I), los conciertos educativos (apartado II) y la previsión de una nueva asignatura con carácter obligatorio para todos los alumnos, denominada educación cívica (apartado III). No se mencionarán aquí los aspectos derivados del régimen jurídico de los profesores de Religión en las escuelas públicas, que ha sido también objeto de numerosos recursos judiciales en todas las instancias6, en unos casos debido al declaración de idoneidad por parte del Obispo de la Diócesis7, y en otros por reconocimiento de sus derechos de tipo laboral, sin que la doble dependencia (canónica y secular sea un impedimento parar ello).8 Ninguno de estos tres aspectos es nuevo.9 Ya hubo anteriormente otros intentos de alcanzar los mismos objetivos. En consecuencia, hay jurisprudencia (en ocasiones contradictora entre sí, aunque provenga del mismo órgano jurisdiccional) y estudios doctrinales abundantes sobre estos aspectos.10 Se expone a continuación una síntesis de los argumentos principales, fundamentada en la mencionada 4 El pasado 29 de mayo de 2019, La Sección Cuarta de la Sala de lo Contencioso-Administrativo del Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Valenciana ha estimado un recurso del Arzobispado de Valencia contra la exclusión de la asignatura de Religión de las materias específicas que deben ofrecerse en el segundo curso de Bachillerato. En cambio, deniega otras pretensiones planteadas por los recurrentes como ampliar la oferta para aumentar las horas de clase en primero y segundo de Enseñanza Secundaria Obligatoria (ESO). El Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Valenciana ha aplicado la jurisprudencia del Tribunal Supremo, concretamente la sentencia del 11 de julio de 2018, en la se pronunció sobre un decreto de la Junta de Extremadura similar al Decreto 51/2018 del Consell valenciano. 5 Anteproyecto de ley orgánica por la que se modifica la Ley Orgánica de educación 2/ 2006, de 3 de mayo. 6 Zoila Combalía Solís, La contratación de profesorado de Religión en la escuela pública, Valencia 2013. 7 María José Roca Fernández, Cambio de sexo e idoneidad para impartir clases de religión católica en el derecho español, en Revista Española de Derecho Canónico, Vol. 74, N8 183, 2017, págs. 447 – 458. 8 Jorge Otaduy Guerin, El discutido alcance de la “propuesta” de los profesores de religión, en Actualidad jurídica Aranzadi, N8 611, 2004, págs. 1 – 6; Idem, Relación laboral y Dependencia Canónica de los profesores de religión: STSJ Murcia 25 julio 2000 (AS 2000, 2811). Aranzadi social N8 3, 2000, págs. 2947 – 2951. 9 Un buen estudio comparativo entre los principales problemas en España y Alemania, puede verse en: Sarah Messinger, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Spanien und Deutschland. Jus Ecclesiasticum 116 (2016). 10 Isabel Cano Ruiz (ed. lit.), La enseñanza de la religión en la escuela pública. Actas del VI Simposio Internacional de Derecho Conrdatario, Granada 2014.
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jurisprudencia y doctrina.11 Cuanto se expone es conocido, pero parece necesario volverlo a recordar a los responsables actuales de la política educativa. Si se confirma la investidura del actual Presidente de Gobierno, parece improbable que la reforma de esta ley orgánica pueda llegar a término, porque –como se sabe- requiere la aprobación del Senado, de modo que, si se aprobase en el Congreso de los Diputados, debido a la nueva composición del Senado, después de las elecciones del pasado 28.IV.201, éste ya no ejercería su derecho a veto.12 El Anteproyecto de Ley Orgánica se plantea como una reforma para hacer más efectivo el derecho de participación en el ámbito escolar y para que se ofrezca “una educación basada en la combinación de los principios de calidad y equidad”13; sin embargo, algunas de las medidas novedosas que introduce reducen la facultad de hacer efectivo el derecho de los padres a elegir para sus hijos la formación religiosa y moral conforme a sus propias convicciones, reconocido en el art. 27, 3 de la CE.14 Por lo que se refiere a las previsiones relativas a la enseñanza de la Religión, se oponen abiertamente a lo previsto en el Acuerdo sobre Enseñanza y Asuntos culturales firmado entre la Santa Sede y el Estado Español. Es difícil sostener estas medidas como más garantes del derecho de participación y de la igualdad entre todos los escolares, como se expone a continuación.
I. La enseñanza de la Religión El Anteproyecto de modificación de la Ley Orgánica de Educación no trata la Religión como ‘disciplina fundamental’ en “condiciones equiparables a las demás 11 Antonio María Rouco Varela, El derecho a la educación: ¿de nuevo a debate?, en Ius communionis, Vol. 1, N8. 2, 2013, págs. 185 – 202. 12 El Senado incluso puede aprobar un veto a un proyecto o proposición de ley orgánica, cuyo levantamiento requiere en todo caso la ratificación del texto inicial por la mayoría absoluta de los miembros del Congreso, según prescribe el artículo 132.18 del Reglamento del Congreso, con lo que no sería posible el levantamiento por mayoría simple transcurridos dos meses que permite el artículo 90.2 de la Constitución: “El Senado en el plazo de dos meses, a partir del día de la recepción del texto, puede, mediante mensaje motivado, oponer su veto o introducir enmiendas al mismo. El veto deberá ser aprobado por mayoría absoluta. El proyecto no podrá ser sometido al Rey para sanción sin que el Congreso ratifique por mayoría absoluta, en caso de veto, el texto inicial, o por mayoría simple, una vez transcurridos dos meses desde la interposición del mismo, o se pronuncie sobre las enmiendas, aceptándolas o no por mayoría simple”. 13 Exposición de motivos. 14 María Elena Olmos Ortega, El derecho de los padres a decidir la formación religiosa y moral de sus hijos, en Isabel Cano Ruiz (ed.), La enseñanza de la religión en la escuela pública: Actas del VI Simposio Internacional de Derecho Concordatario Granada 2014, págs. 19 – 41. Lourdes Ruano Espina, El derecho de los padres a elegir la educación religiosa y moral de sus hijos conforme a sus convicciones, en la jurisprudencia del TEDH, en Derecho y Religión, N8. 9, 2014 (Ejemplar dedicado a: La libertad religiosa en la jurisprudencia del Tribunal Europeo de Derechos Humanos / coord. por Isidoro Martín Sánchez, Marcos González Sánchez), págs. 59 – 84.
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disciplinas fundamentales”, que ha de ofrecerse en todos los niveles educativos y que ha de ser evaluable y computable a todos los efectos, como pide el Acuerdo sobre Enseñanza y Asuntos Culturales. Esta es la postura que ha mantenido siempre la Conferencia Episcopal Española.15 Las “condiciones equiparables” se concretan en que quienes no elijan Religión cursen una disciplina alternativa, y en que la Religión sea evaluable. Ambos aspectos quedan lesionados en el Anteproyecto de modificación de la Ley Orgánica de Educación. La jurisprudencia del TS interpreta que el término ‘equiparables’ ha de entenderse como ‘equivalentes’, ‘no idénticas’ se verá en los apartados siguientes (cfr. infra). A la enseñanza de la Religión afectan diversos preceptos16 cuyos efectos principales son los que se abordan en los dos apartados siguientes: 1. Suprime la obligación de cursar una materia alternativa para quienes no elijan Religión Esta modificación lesiona el carácter de “disciplina fundamental” de la materia de Religión, tal como se recoge en el Acuerdo sobre Enseñanza y Asuntos culturales: art. 2, 1, a tenor del cual ha de impartirse “en condiciones equiparables a las demás disciplinas fundamentales”. Además, lesiona el principio de igualdad (art. 14 de la Constitución) entre todos los escolares, elijan o no la disciplina de Religión, y contraviene asimismo el art. 2, 3 del AEAC de la Santa Sede y el Estado: “Las autoridades académicas adoptarán las medidas oportunas para que el hecho de recibir o no recibir la enseñanza religiosa no suponga discriminación alguna en la actividad escolar”. Se vuelve a producir la misma situación que ya se dio a finales de la década de los ochenta, en la que la doctrina advertía: “Los alumnos cuyos padres hicieron opción por la formación religiosa, de no arbitrarse un sistema de compensación, se verán sometidos a un plan, en su actividad escolar, más gravoso que el resto de sus compañeros, libres del estudio y horas de ocupación escolar que lleve consigo la enseñanza de la religión y moral católicas. Tal diversidad de tratamiento de unos y otros alumnos, cuando deben quedar todos situados en el plano de una igualdad radical en los centros de enseñanza en que se hallen, podría significar una discriminación en perjuicio precisamente de los alumnos cuyos padres decidieron que sus hijos reciban enseñanza católica; quedarán estos más gravados en horas de estudio y en responsabilidades escolarees, pues tal enseñanza la reciben además con 15 Cfr.: Nota Informativa de la Comisión Episcopal de Enseñanza y Catequesis, de 26 de Noviembre de 1982, en “Documentos colectivos del Episcopado español sobre formación religiosa y educación, 1981 – 1985”, Madrid 1986, p. 86. 16 (Disposición adicional 2a, 3; art. 18, 3 b y c; art. 24, 4 b y c; art. 25, 6 b y c, 9; art. 29, 1 c; art. 34 bis, 4, b, 7 y 34 ter, 4 j; art. 36 bis 1 c).
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aquellas condiciones que la hagan equiparable a las demás disciplinas fundamentales”.17 La situación entonces era que las actividades alternativas a la enseñanza de la Religión podían ser lúdicas y no eran evaluables, por ello, varias asociaciones religiosas interpusieron el correspondiente recurso. El Tribunal Supremo18 desestimó el recurso y avaló la constitucionalidad de la norma que en 1994 ofrecía como alternativa asignaturas obligatorias de tipo cultural y lúdico. La sentencia afirma que ”constituiría una carga desproporcionada para los alumnos no inscritos en la enseñanza religiosa que, además de ver intensificado su horario lectivo con las actividades alternativas, se les impusiera la evaluación de las mismas”. Estima el TS en este pronunciamiento que el apartado 3 del art. 27 de la CE no crea “un derecho fundamental a que se les imponga a terceros una obligación de tal naturaleza, en el caso de que consideren que el contenido ordinario y obligatorio de la enseñanza es suficiente para atender a las exigencias de conducta y conocimientos morales que quieran para sus hijos”. (…) “Por eso, puede concluirse que no es vulnerador del art. 27, 3 de la Constitución que, al disciplinar reglamentariamente la enseñanza religiosa, la Administración haya optado porque las actividades de estudio alternativas para quienes no quieran cursar aquélla no sean de un contenido total y estrictamente dirigido a la docencia moral”. (…) “No es razonable aceptar que quien desee valerse de una garantía constitucional de formación religiosa, no obligada para quien no se acoja voluntariamente a ella, tenga un derecho constitucional a imponer que las condiciones pactadas para su prestación en orden a la evaluación se extiendan a actividades alternativas no cubiertas con dicha garantía”. Esta STS, de 31 de enero de 1997 declara asimismo: “es evidente que las actividades alternativas no sería necesario programarlas si no fuese preciso que los poderes públicos estuvieran obligados constitucionalmente a atender a la enseñanza religiosa en los términos que hemos indicado”; por su parte, la STS de 1 de abril de 1998 que declara: ”Pues en el supuesto de que no se les impusiese tales actividades alternativas, ello supondría una penalización de la Religión y un motivo disuasorio en contra de ella pues se dejaría a los alumnos que no opten por ninguna enseñanza religiosa en una situación ventajosa respecto de aquéllos, pues evidentemente tendrían menos horas de clases, y menos actividades a realizar con la posibilidad de dedicar esas horas a juegos y ocio, lo que atraería a la mayoría de alumnos a no optar por ninguna clase de Religión, de lo cual se desprende que no existe la discriminación descrita por los recurrentes”. 17
Carmelo De Diego Lora, La igualdad constitucional, en los escolares, opten o no por la enseñanza religiosa, en Anuario de Derecho Eclesiástico del Estado, Vol. V, 1989, pág. 126. 18 STS, de 31 de enero de 1997. Ésta es la Sentencia más relevante. Sin embargo, sobre los Reales Decretos que privaban a la enseñanza de la Religión católica y sus calificaciones de efectos académicos ya hubo pronunciamientos anteriores: STS de 3 de febrero de 1994 y STS de 9 de junio de 1994, STS de 30 de junio de 1994 y STS de 17 de marzo de 1994.
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Las Sentencias posteriores al respecto reiteran esta doctrina. Así la STS de la Sala de lo contencioso-administrativo, Sección 3a, de 26 de enero de 1998, que remite a la mencionada STS de 31 de enero de 1997, en la que se concluyó (Fundamento Jurídico 28) que la exigencia de unas enseñanzas alternativas que deban versar sobre contenidos relacionados con la cultura religiosa no se deriva de la Constitución. En el mismo sentido la STS, de 14 de abril de 1998. La jurisprudencia del TC sobre el art. 14 de la CE exige que “en los supuestos de hecho de las normas de cualquier especie no se introduzcan elementos de diferenciación que puedan considerarse discriminatorios o que carezcan de justificación razonable en relación con las finalidades que con ellos se pretende lograr y exige asimismo que tales finalidades se ajusten a los bienes y valores que la constitución proclama y protege”.19 Parece claro que la supresión de una materia alternativa para quienes no cursen Religión introduce un elemento de diferenciación (entre los alumnos respecto al tiempo de recreo y el tiempo lectivo) no justificado. Así lo ha declarado el mismo Tribunal. El Tribunal Constitucional mediante Auto de 22 de febrero de 1999 inadmitió un recurso de amparo interpuesto contra la sentencia del Tribunal Supremo de 1 de abril de 1988 y que se refería a una cuestión planteada en relación con el Real Decreto 2438/94 que regulaba la alternativa a la religión. En este Auto, citando su doctrina anterior20 declaraba que el art. 3 del Real Decreto 2438/1994 – donde se regulaba el ejercicio del derecho de opción a favor de la enseñanza religiosa, ordenándose a los centros educativos que organicen, para los alumnos que no hubieran ejercido esa opción, unas actividades de estudio alternativas, como enseñanzas complementarias, en horario simultáneo a las enseñanzas de Religiónpersigue garantizar el derecho de todos a la educación, que “se ejerce en el marco de un sistema educativo en el que los poderes públicos determinan los currículos de los distintos niveles, etapas, ciclos y grados de enseñanza, las enseñanzas mínimas y las concretas áreas o materias objeto de aprendizaje organizando asimismo su desarrollo en los distintos Centros docentes” (SSTC 337/1994, FJ noveno y 134/ 1997, FJ cuarto) por lo que, en principio y desde esta perspectiva general, ningún reproche ni inconstitucionalidad cabe hacer a las mismas. Otro tanto puede afirmarse tras analizar la finalidad y el contenido concreto de esas actividades alternativas y complementarias. No pudiendo calificarse como discriminatorio el hecho de que, quienes no han ejercido expresamente su derecho de opción a favor de la enseñanza religiosa, reciban unas enseñanzas alternativas y complementarias, que no son objeto de evaluación”. La aplicación de la doctrina del TS y del TC acerca de la alternativa de la clase de Religión es, por tanto, que resulta constitucionalmente exigible que se programe 19 20
STC 162/1985, de 29 de noviembre, y constante jurisprudencia posterior. STC 5/1981 (RTC 19815), FJ 10.
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esa alternativa, pero no que tenga contenido moral, ni que sea evaluable. Es decir, la situación planteada por el Anteproyecto sometido a dictamen sería inconstitucional, porque no prevé alternativa alguna a la clase de Religión. ¿Hay algún dato jurídico relevante posterior a la jurisprudencia del TS y del TC con base al cual se pueda argumentar en favor de la alternativa a la clase de Religión y de que sea evaluable? A mi parecer, hay dos: la Jurisprudencia del TEDH y la ley de Tratados. El TEDH21, ante el recurso de unos padres que consideraban discriminatorio que su hijo no recibiera enseñanza de Ética, mientras sus compañeros recibían clases de Religión católica, estimó que las peticiones de los padres de los alumnos eran tratadas de forma diferente sin que existieran elementos objetivos que justificaran dicho tratamiento desigual. Si se suprime la alternativa a la clase de Religión, tal como se prevé en el Anteproyecto de Ley Orgánica, se produciría esta situación, que el TEDH consideró contraria el CEDH. Es doctrina común que las sentencias del TEDH deben ser acatadas por los Estados que son parte del Convenio aunque no hayan sido Estado-demandado, en la medida en que Tribunal marca estándares mínimos en la interpretación del Convenio. Es lo que se denomina “impacto” de las Sentencias, menos vinculante que el concepto de “ejecución” de las Sentencias, pero también con efectos jurídicos, especialmente en el ordenamiento jurídico español, en virtud de lo previsto en el art. 10, 2 de la CE. Los Acuerdos con la Santa Sede son Tratados Internacionales. En ocasiones se ha dicho que a ellos no puede aplicárseles el Convenio de Viena sobre Derecho de los Tratados, porque entraron en vigor antes de que en España entrara en vigor el mencionado Convenio de Viena. Incluso en este supuesto, España no puede unilateralmente modificar su contenido. Como consecuencia de la falta de respeto a los Acuerdos con la Santa Sede se lesiona lo previsto en Ley 25/2014, de 27 de noviembre, de Tratados y otros Acuerdos Internacionales, acerca de la eficacia y observancia de los Tratados en el Derecho español: Artículo 28: 1. Las disposiciones de los tratados internacionales válidamente celebrados solo podrán ser derogadas, modificadas o suspendidas en la forma prevista en los propios tratados o de acuerdo con las normas generales de Derecho Internacional. 2. Los tratados internacionales válidamente celebrados y publicados oficialmente producirán efectos en España desde la fecha que el tratado determine o, en su defecto, a partir de la fecha de su entrada en vigor. Artículo 29. Todos los poderes públicos, órganos y organismos del Estado deberán respetar las obligaciones de los tratados internacionales en vigor en los que España sea parte y velar por el adecuado cumplimiento de dichos tratados.
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Sentencia de 15 de junio de 2010, que resuelve el caso Grzelak c. Polonia.
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2. La Religión deja de ser una materia específica en 188 y 288 de Bachillerato En consecuencia, no cuenta en el cálculo de la media para la entrada en la Universidad ni para la obtención de becas. Se produciría, por tanto, una situación de desventaja de aquellos estudiantes que han dedicado tiempo y esfuerzo a una disciplina que, sin embargo, no computa en el curriculum. La Jurisprudencia del TS ha rechazado tanto que la alternativa deba tener un contenido determinado como que ese contenido haya de ser superado con una calificación positiva. Así la STS, de 26 enero de 1998, Fundamento Jurídico 38, declara “que lo prohibido por el ordenamiento jurídico no es tanto la desigualdad de trato, como la desigualdad carente de una justificación razonable. La complejidad inherente a la regulación de una materia como [la enseñanza de la Religión y la materia alternativa], en la que no se enfrentan situaciones jurídicas iguales, sino distintas, y en la que deben conjugarse mandatos diversos, determina la imposibilidad de un trato milimétricamente igual, y la aceptación como constitucionalmente válida de una regulación en la que las diferencias (…) no incidan o afecten sobre aquello que necesariamente ha de ser salvaguardado, que lo es, en dicha materia, la libertad de opción entre unos y otros estudios”. El último pronunciamiento del Tribunal Supremo, de 20 de marzo de 2018,22 considera que el artículo II del Acuerdo sobre Asuntos Culturales, “no entra en los detalles relativos a los concretos cursos en los que se debe ofrecer la Religión ni mucho menos en las horas semanales en las que debe impartirse. Sí sienta unas reglas claras: el deber del Estado de ofrecerla a quienes deseen cursarla en todos los niveles de la enseñanza no universitaria, la libertad de seguirla o no y, ya sobre su régimen, la garantía de que sea equiparable a las demás disciplinas fundamentales. Esas exigencias del Acuerdo se proyectan sobre el legislador que las recibe expresamente no sólo en la disposición adicional segunda de la Ley Orgánica 2/ 2006 sino, sobre todo, en sus concretos preceptos en los que se integra la Religión entre las materias que componen el currículo de cada etapa o nivel, las cuales, ciertamente, no son ya las mencionadas en 1979 sino las correspondientes en la actualidad. Tampoco explica el Acuerdo en qué consisten las condiciones equiparables ni cuáles son las disciplinas fundamentales a las que debe equipararse su tratamiento educativo. El Acuerdo ofrece, pues, conceptos jurídicos indeterminados que se han concretado por el legislador y por la jurisprudencia y en lo que al presente litigio importa bastará con recordar, de un lado, que no está en discusión la inclusión de la Religión entre las asignaturas específicas ni tampoco se discute que deba tener un preciso horario que no pueda ser objeto de variación y, en particular, de reducción. Como bien recuerdan las partes y la sentencia, esta Sala ha dicho reiteradamente que condiciones equiparables no significa condiciones idénticas. Pues bien, a nuestro juicio, la precisión de esas nociones debe hacerse atendiendo 22
STS 1063/2018, de 20 de marzo de 2018 (ECLI: ES:TS:2018:1063), F. J. 4.
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principalmente a elementos cualitativos, no a los cuantitativos pues el carácter fundamental de una materia es en sí mismo un factor de cualidad. En este caso, los criterios determinantes En este caso, los criterios determinantes de esa dimensión son los que se aceptan pacíficamente por las partes: la Religión – como su alternativa – es una asignatura obligatoria en la Educación Secundaria Obligatoria y de necesaria oferta en el Bachillerato, debe ser superada para pasar al siguiente curso y se computa a efectos de becas y del acceso a Universidad”. El TEDH en la Sentencia antes mencionada consideró en su parágrafo 87 que los alumnos que optasen por la alternativa a la Religión (en el caso de Polonia, la Ética), pero que no pudieran cursarla tendrían menos posibilidades que los demás alumnos para mejorar su curriculum académico, y esta situación se produciría por el hecho de tener unas creencias religiosas o por carecer de las mismas. El supuesto de hecho de resuelto por el TEDH en la Sentencia mencionada, no es exactamente el mismo que la situación que se plantearía por la supresión del carácter de materia específica. Allí lo que se considera discriminatorio es que habiendo alternativa, no se imparta, porque los alumnos tienen una nota menos. En España, sería igualmente discriminatorio que los que reciban Religión (dedicando tiempo y esfuerzo), no puedan tener nota. Por ello, la conclusión que más se ajusta al estándar garantizado en el CEDH es que haya alternativa, y que ambas sean evaluables.
II. Enseñanza concertada 1. Sobre el gobierno de los centros concertados Por lo que se refiere a la enseñanza concertada23, algunas modificaciones de la nueva propuesta legislativa disminuyen la capacidad de decidir y gobernar el centro escolar a los titulares del centro. Se aumentan las competencias del Consejo Escolar, en el que habrá un representante del Ayuntamiento (art. 127), los directores de los centros tendrán menos competencias (art. 132), y se prevé mayor participación de todos los sectores en los centros concertados (Disposición final 1a). La modificación sin embargo, no es muy relevante, en la medida en que ya existían previsiones muy similares.
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Se designa como enseñanza concertada en España a la impartida por colegios que son de titularidad no estatal (ni de ningún otro poder público, p. ej.: Comunidades Autónomas o Municipios), pero que reciben fondos públicos mediante conciertos concedidos por las Administración pública educativa. Un buen número de colegios con enseñanza concertada, son de titularidad confesional.
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2. Sobre los criterios de admisión de alumnos Entre los criterios de baremación nuevos para la admisión de alumnos, se tendrán en cuenta las familias monoparentales, y las víctimas de violencia de género y terrorismo. Lógicamente, esto disminuye la capacidad de decidir de los centros sobre las familias que tienen, pero es doctrina jurisprudencial reiterada que la admisión de alumnos en los centros concertados no forma parte del contenido esencial del derecho a la dirección del centro.24 No parece que frente a este aspecto pueda argumentarse con base en la jurisprudencia constitucional. 3. Elimina las referencias a la demanda social entre los criterios para concesión de conciertos (nueva redacción del art. 116) Esta es la reforma más lesiva del derecho de los padres a elegir la educación que quieren para sus hijos, si los centros educativos de su elección no reciben conciertos y no disponen de ingresos necesarios para pagarlos. El TC ha declarado que “el art. 27, 9 de la Constitución no puede interpretarse como una afirmación retórica, de manera que quede en manos del legislador la posibilidad de conceder o no esta ayuda (…) pero tampoco puede aceptarse el otro extremo, que del art. 27, 9 se desprenda un deber de ayudar a todos y cada uno de los centros docentes por el solo hecho de serlo pues la remisión a la ley que se efectúa en el art. 27, 9 de la Constitución puede significar que esa ayuda se realice teniendo en cuenta otro principios, valores o mandatos constitucionales”.25 “El principio de subsidiariedad (…) no puede aceptarse (…), de forma que existiendo oferta de enseñanza básica suficiente en centros públicos la misma es preferente a la existente en los centros privados que reúnan los requisitos legales que, en esos casos, no tendrán derecho al concierto”.26
La concesión de conciertos27 no es una decisión discrecional de la Administración pública, sino un acto reglado. Es decir, si los centros educativos cumplen los requisitos para la concesión del concierto, la administración pública tiene obligación de concedérselos; tampoco pueden retirarlos o no renovarlos arbitrariamente. La supresión del requisito de la demanda social va en contra del derecho de 24 STS (Sala de lo Contencioso-administrativo, sección 7a), de 28 de mayo de 2007 FJ 68 (RJ 2007 5060); STS (Sala de lo Contencioso-administrativo, sección 7a), de 23 de junio de 2008 (RJ 2007 6497). 25 STC 77/1985, de 25 de junio, FJ 118. 26 STS (Sala de lo Contencioso Administrativo, sección 4a), de 6 de noviembre de 2008, FJ 78. 27 Sobre los conciertos educativos, véase por todos: Jorge Otaduy Guerín, Los conciertos educativos en la jurisprudencia española, en L. Ruano Espina / A. M. López Medina, Antropología cristiana y Derechos fundamentales. Algunos desafíos del S. XXI al Derecho canónico y Derecho Eclesiástico del Estado, Madrid 2018, págs. 127 y ss.
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participación que se pretende con la reforma. Parece claro que con la supresión del requisito de la demanda social para la concesión de los conciertos lo que se acaba produciendo es una reducción de la posibilidad real de que los padres puedan elegir, lo que supondría una desnaturalización del derecho a la educación y la libertad de enseñanza. Como ha declarado un tribunal de Barcelona, “no cabe desnaturalizar los derechos fundamentales, de modo que no se reconozca en ellos su fisonomía propia, como ocurre, sin duda, cuando el derecho a elegir un centro que responda al ideario religioso y moral de los padres se reduce a la nada, al imponerse a los padres una plaza en el centro que a la administración le conviene y que ni por aproximación ofrece lo se buscaba en el centro elegido”.28 La supresión del criterio de la demanda social iría en detrimento del régimen de enseñanza concertada, y, en consecuencia, del pluralismo escolar.29 La exigencia del pluralismo escolar es necesaria para el mantenimiento de una sociedad democrática, como ha declarado el TEDH desde el año 197630: lo dispuesto en el art. 2 del Protocolo Adicional n. 1 (texto del Convenio Europeo de Derechos Humanos donde se garantiza el derecho a la educación), tiende a “proteger la posibilidad de un pluralismo educativo, esencial para la preservación de la sociedad democrática, tal como la concibe el Convenio”. Sin pluralismo escolar, es difícil garantizar el derecho de los padres a elegir la educación que quieren dar a sus hijos.31
III. Educación en valores cívicos y éticos Se introduce esta disciplina con carácter obligatorio para todos los alumnos. Esta nueva asignatura recuerda a la llamada “Educación para la Ciudadanía”32, que fue objeto de rechazo33 y de fundamentadas objeciones34, por incluir contenidos que 28 Juzgado de lo Contencioso-administrativo núm. 8 de Barcelona, Sentencia núm. 247/ 2008 de 10 de septiembre (JUR 2008 334833). 29 Carlos Vidal Prado, Educación diferenciada y Tribunal Constitucional, en “Revista general de derecho constitucional”, N8. 29, 2019. 30 STEDH de 7 de diciembre de 1976, caso Kjeldsen, Busk Madsen y Peedersen, n. 50. 31 Alejandro González Varas Ibáñez, Parents’ Right to Educate their Children in Spain: Religious Contents in Public Schools and financing of Private Ones, en Wilhelm Rees / María Roca / Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten, Berlin 2013, págs. 243 – 266. 32 Antonio María Rouco Varela, La educación para la ciudadanía, en Anales de la Real Academia de Ciencias Morales y Políticas, N8 84, 2007, págs. 375 – 390. 33 La reiterada jurisprudencia de la Sala 3a del Tribunal Supremo, desde las sentencias del Pleno de 11 de febrero de 2009 (recurso 905/2008, 948/2008 y 1013/2008) hasta las posteriores del año 2010, la Sección 7 de esa Sala (14 de enero, recurso 4441/2008; 5383/2008 y 6155/2008) (con votos particulares en contra), sostienen que no cabe interponer objeción de conciencia a la Educación para la Ciudadanía para que sus hijos no reciban esta disciplina. “El problema planteado en estos recursos de casación es si los demandantes tienen o no un dere-
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iban en contra de la educación religiosa y moral que los padres querían transmitir a sus hijos. El Tribunal Constitucional no llegó a pronunciarse. La Sentencia del TC 41/2014, de 24 de marzo de 201435, declaró la inadmisión del recurso de amparo frente a la alegada vulneración de los derechos a la libertad ideológica y a la educación, por falta de agotamiento de la vía judicial previa, al no haberse promovido incidente de nulidad de actuaciones. Las Sentencias del Tribunal Supremo36, declararon que los padres no pueden oponerse a que sus hijos reciban esta disciplina, sin demostrar que ha habido adoctrinamiento (a través del material educativo, de la explicación del personal docente, etc.). Por tanto, sobre esta disciplina, con carácter preventivo, no parece que se pueda argumentar ahora en contra. Parece oportuno recordar lo que en día dijo el Dictamen del Consejo de Estado sobre los reales Decretos que regulaban la Educación para la Ciudadanía. Esos Dictámenes del Consejo de Estado que precedieron a la aprobación de los Reales Decretos que regulan las enseñanzas mínimas de la Educación Primaria y Secundaria obligatoria, advirtieron al Gobierno de que “no puede formar parte de los aspectos básicos del sistema educativo, sustraídos a la libertad de enseñanza garantizada en el artículo 27 de la Constitución, la difusión de valores que no estén consagrados en la propia Constitución o sean presupuesto o corolario indispensables en el orden constitucional”.El panorama europeo acerca de la enseñanza de la Religión en las escuelas públicas presenta un resultado más bien positivo, pues en buena parte de los Estados se ofrece a los padres esta posibilidad.37 A este balance no se llega sin frecuentes controversias judiciales y doctrinales.
cho a la objeción de conciencia frente a la materia Educación para la Ciudadanía y, por consiguiente, si su hijo puede o no quedar eximido de cursarla” (FJ 48). 34 Alejandro González-Varas Ibáñez, La educación para la ciudadanía: entre la objeción de conciencia y recursos contencioso-administrativos, en Anuario de derechos humanos, N8. 10, 2009, págs. 331 – 388, fundamenta con argumentos sólidos que hubiera sido oportuno el planteamiento de recurso contra la legalidad del reglamento que desarrolló la enseñanza de esa materia, antes de interponer objeciones de conciencia. 35 “BOE” núm. 87, de 10 de abril de 2014, págs. 66 a 76. 36 Lourdes Ruano Espina, Sentencias del Tribunal Constitucional 28/2014, de 24 de febrero (BOE n.8 73, de 25-III-2014) y 41/2014, de 24 de marzo de 2014 (BOE n.8 87, de 10-IV-2014): Objeción de conciencia a Educación para la Ciudadanía, en Ars Iuris Salmanticensis Vol. 2, N8. 2, 2014, págs. 257 – 261. 37 Alejandro González-Varas Ibáñez, La enseñanza de la religión en Europa, Digital Reasons, 2018.
Staatskirchenrechtliche Kontexte des Religionsunterrichts in Ungarn Von Balázs Schanda Wilhelm Rees hat die kirchenrechtliche, sowie staatskirchenrechtliche Bedeutung des Religionsunterrichts unterzeichnet und umfangreich bearbeitet.1 Zweifelsohne ist der Religionsunterricht von zentraler Bedeutung für die Vermittlung der Botschaft der Kirche und seine Rolle für das Gemeinwohl und für die Erneuerung der moralischen und kulturellen Grundlagen der Gesellschaft ist nicht zu unterschätzen. Während der sozialistischen Herrschaft wurde der Religionsunterricht in Ungarn stark eingeschränkt. Die Kirchen konnten mit der wiedererlangten Freiheit nach der Wende nur bedingt von den personellen, pädagogischen und gesellschaftlichen Herausforderungen Gebrauch machen. Vor der Wende galt der schulische Religionsunterricht als Randerscheinung und Kirchen konnten nur in sehr eingeschränkter Form Träger für Schulen werden. Nach 1990 wurde der fakultative schulische Religionsunterricht erleichtert und schrittweise gelangten immer mehr Schulen in kirchliche Trägerschaft. 2012 wurde das Modell des schulischen Religionsunterrichts wieder geändert: Seit dem gilt dieser in den Grundschulen nicht mehr als Wahlfach, sondern als Pflichtwahlfach, d. h. Nichtteilnehmer erhalten Ethikunterricht. Während in vielen Ländern Europas konfessioneller Religionsunterricht mehr und mehr an den Rand gedrängt und von Religionskunde oder durch säkulare Inhalte ersetzt wird, ist die Stellung des Religionsunterrichts und auch die des kirchlichen Schulwesens in Ungarn in den letzten Jahren deutlich stärker geworden. 1
Wilhelm Rees, Die Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in die kirchliche und staatliche Rechtsordnung, Regensburg 1986. Neulich: Wilhelm Rees, Rechtliche Rahmenbedingungen für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Österreichs, in: Österreichisches religionspädagogisches Forum 26/2, S. 47 – 68.; Johann Bair/Wilhelm Rees, Rechtsgrundlagen des Religionsunterrichts in Österreich, in: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog, Innsbruck (= Religion und Staat im Brennpunkt, 2); Wilhelm Rees, Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: Burkhard Kämper/Klaus Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (= Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, 49), S. 75 – 106.; Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, S. 1018 – 1048.; Wilhelm Rees, „Keine Angst, bei Neuevangelisierung aus sich heraus zu gehen“ (Papst Franziskus). Neuevangelisierung und schulischer Religionsunterricht. Kirchenrechtliche Überlegungen angesichts von Säkularisierung und schwindendem Glaubensbewusstsein, in: AfkKR 183/2, S. 387 – 440.
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I. Historische Grundzüge des ungarischen Staatskirchenrechts Die Reformation breitete sich in Ungarn rasch aus, große Teile der Bevölkerung schlossen sich erst der lutherischen, später der calvinischen Reformation an. Indes blieb die Gegenreformation keinesfalls erfolglos. In der Folgezeit wurde die Geschichte des Landes jahrhundertelang durch ein Tauziehen zwischen (habsburgischer) Zentralmacht und (protestantischen) Ständen geprägt. Die reformierte (calvinische) Kirche bildete dabei die Wiege der modernen nationalen Identität: Die ungarische Sprache und Kultur wurde durch Bibelübersetzungen und Literatur bereichert und durch Schulen gefördert. Nach den Türkenkriegen war Ungarn ein zwar selbständiges, jedoch nicht unabhängiges Land, in dem die ethnischen Ungarn in eine Minderheit gerieten. Das 19. Jahrhundert brachte sodann gegensätzliche ethnische Bestrebungen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Land erneut zersplittert: Mehr als zwei Drittel des Gebiets, in dem etwa 3 Millionen ethnische Ungarn lebten, wurde den Nachfolgestaaten zugesprochen. In diesen befanden sich die Ungarn in der Minderheit, im neuen ungarischen Staat hingegen waren aber kaum sprachliche Minderheiten verblieben. Das Land konnte die Verwicklung in den Zweiten Weltkrieg nicht vermeiden und wurde schließlich am 19. März 1944 von deutschen Truppen besetzt. In den darauffolgenden Monaten wurden etwa zwei Drittel der ungarischen Juden ermordet. In dem von der sowjetischen Militärmacht besetzten Land ergriffen die Kommunisten 1948 die Macht. In der Auffassung der Kommunisten galten die Kirchen – besonders die katholische Kirche – als Hauptfeind. Die Verfolgung des Kardinalprimas Mindszenty erregte weltweit Aufmerksamkeit, die kirchlichen Schulen wurden verstaatlicht, kirchliche Verbände und die Orden aufgelöst. Trotz der massiven Verfolgung blieb die Kirche praktisch der einzige soziale Faktor, der von der Staatsmacht nicht (völlig) gleichgeschaltet wurde.2 Nach der Wende entstand in Ungarn ein neues Staatskirchenrecht, das wenig mit den historischen Vorbildern gemein hatte3. Das neue Staatskirchenrecht stellte die individuelle Freiheit (und nicht institutionelle Fragen) in den Mittelpunkt. Seither hat eine organische Entwicklung, die religionsrechtlichen Konflikte zu vermeiden versuchte, schrittweise neue Akzente gesetzt und für die institutionelle Zusammenarbeit von Staat und Kirche einen breiteren Raum geschaffen. Über die konfessionelle Zugehörigkeit der Bevölkerung geben die Volkszählungsdaten des Jahres 2001 und 2011 gewissermaßen Auskunft. Die Beantwortung 2
Daten bei Miklós Tomka/Paul M. Zulehner, Religion in den Reformländern Ost(Mittel) Europas, 1999; Gergely Rosta, Church and Religion in Hungary, in: Detlef Pollack/Olaf Müller/Gert Pickel (Hrsg.), The Social Significance of Religion in the Enlarged Europe: Secularization, Individualization and Pluralization, Surrey 2012, S. 187 – 205. 3 Péter Erdo˝ , Aktuelle staatskirchenrechtliche Fragen in Ungarn, ÖAKR 1991, S. 387 – 397.
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der Frage über die Religionszugehörigkeit war offen formuliert (d. h., es gab keine vorgegeben Antworten), und die Beantwortung war freiwillig. Katholiken machten mit 50 – 55 % die Mehrheit aus (3 % von ihnen sind griechisch-katholisch), etwa 15 – 18 % reformiert (evangelisch HB), 3 % lutherisch und 1 – 2 % zählten sich zu kleineren Religionsgemeinschaften. Etwa 20 – 25 % gaben an konfessionslos zu sein. Die große Mehrheit der Bevölkerung Ungarns verfügt über eine konfessionelle Identität, dennoch kann Ungarn im Hinblick auf den persönlichen Glauben und die gelebte Religiosität nicht als besonders frommes Land bezeichnet werden. Religionssoziologische Forschungen haben ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich zwar als gläubig bezeichnet, dies jedoch „auf eigene Weise“ versteht. Die Lehre einer Kirche wird von nicht mehr als 10 – 15 % der Bevölkerung angenommen, was im Hinblick auf den Religionsunterricht bedeutet, dass viele Kinder, die am Religionsunterricht teilnehmen (besonders in den Gemeindeschulen, weniger in den kirchlichen Schulen und noch weniger in den Pfarreien), keine religiöse Erziehung vom Elternhaus aus mitbringen.
II. Rechtliche Grundlagen des ungarischen Staatskirchenrechts Während in Ländern mit einer organischen Rechtsentwicklung Traditionen Schritt für Schritt an neue Realitäten angepasst werden und das Staatskirchenrecht durch Kontinuität gekennzeichnet ist, wurde es in den postsozialistischen Ländern nach der Wende neu etabliert. So wurde unmittelbar nach der Wende das Staatskirchenrecht in Ungarn neu gestaltet, wobei sich diese neue Regelung nicht nur durch die Ablehnung der kommunistischen Periode, sondern auch durch das Außerachtlassen der Rechtslage der Zwischenkriegszeit auszeichnete. Wie das Verfassungsgericht in der Grundsatzentscheidung zur Religionsfreiheit im Jahre 1993 feststellte, musste „[…] der Staat in religiösen und in anderen Fragen der Gewissensüberzeugung eine neutrale Stellung einnehmen. Aus dem Recht auf Religionsfreiheit folgt die Verpflichtung des Staates, die Möglichkeit der freien Bildung der individuellen Überzeugung zu sichern. Die Trennung von Kirche und Staat bedeutet nicht, dass der Staat die Eigenarten der Religion und der Kirche unberücksichtigt lassen muss.“4. Aus dem Prinzip der Trennung (festgelegt in der Verfassung) folgte, dass der Staat weder mit den Kirchen noch mit einer Kirche institutionell verflochten werden kann, sich nicht mit der Lehre einer Kirche identifizieren darf und sich andererseits weder in die inneren Angelegenheiten der Kirchen einmischen noch in Fragen der Glaubenswahrheit Stellung nehmen kann. Der Inhalt des Prinzips der Trennung ist von historischen Gegebenheiten bestimmt. Die heutige Bedeutung der 4 Im Tenor der Entscheidung 4/1993 (II. 12.) AB. In deutscher Sprache: Georg Brunner/ László Sólyom (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn. Analysen und Entscheidungssammlung 1990 – 1993, Baden-Baden 1995, S. 421.
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Verfassungsbestimmung über die Trennung ist also in Hinblick auf die Rolle der Kirchen in der Geschichte Ungarns unter Berücksichtigung der Säkularisierung und ihrer gegenwärtigen Rolle auszulegen. In den Aufgaben, die ehemals zum kirchlichen Betätigungsfeld gehörten, aber zur Zeit vom Staat wahrgenommen werden (Erziehung, Krankenpflege, Sozialarbeit), schließt die Trennung die Zusammenarbeit nicht aus, wenn auch rigorose Garantien der Trennung erforderlich sind. Die Gleichbehandlung aller eingetragenen Kirchen sollte die Berücksichtigung der tatsächlichen gesellschaftlichen Rolle der einzelnen Kirchen gleichfalls nicht außer Acht lassen5. Mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wende wurde am Ostermontag 2011 eine neue Verfassung, das Grundgesetz Ungarns, verabschiedet, das am 1. Januar 2012 in Kraft trat. Zwar war die kommunistische Verfassung von 1949 in den Jahren 1989 und 1990 einer Generalrevision unterzogen worden, doch blieb das Desiderat nach einer vollständig neuen, unter demokratischen Verhältnissen verabschiedeten Verfassung bis zum Erdrutschsieg des Mitte-Rechts-Parteienbündnisses im Jahre 2010 unerfüllt. Erst als die Wahlsieger die verfassunggebende Mehrheit im Parlament erlangten, konnte die anhaltende Kompromissunfähigkeit der politischen Elite überwunden werden6. Das Grundgesetz brachte eine grundlegende Erneuerung des Rechtssystems mit sich und damit auch eine Neuregelung der Rechtstellung der Kirchen. Das Grundgesetz sorgte für eine neue Rhetorik im Verfassungsrecht. Der Text beginnt mit einer langen Präambel, dem sogenannten „Nationalen Glaubensbekenntnis“. Ihr Motto „Gott, segne die Ungarn!“ entstammt aus den ersten Wortes von einem Gedicht aus dem Jahre 1823, das seither (auch während der kommunistischen Herrschaft) als Nationalhymne gilt, welche alle Ungarn verbindet. In der Präambel wird das Christentum zweimal erwähnt, beide Formulierungen sind in die Vergangenheit gerichtet: „Wir sind stolz darauf, dass unser König Stephan der Heilige vor tausend Jahren den ungarischen Staat auf feste Grundlagen gebaut hat und unsere Heimat zu einem Teil des christlichen Europas machte. (…) Wir erkennen die die Nation erhaltende Kraft des Christentums an. Wir achten die verschiedenen religiösen Traditionen unseres Landes.“7
5
Entscheidung 4/1993. (II. 12.) AB, VerfGE 1993, S. 48, 52. Frühere Bestrebungen, wie jene der gleichfalls mit Zweidrittelmehrheit regierenden sozialliberalen Koalition (1994 – 1997) oder der Mitte-Rechts-Regierung (2000), die in den Jahren 1989/1990 geschaffene Rechtslage für „endgültig“ zu erklären und den Übergangscharakter der Verfassung zu tilgen, scheiterten am Widerstand der Sozialisten. Demgegenüber waren es jetzt die Sozialisten, die sich an den Kompromiss von 1989 halten wollten. Gegensätzliche Interessen von Regierung und Opposition ließen die erforderliche Mehrheitsbildung im verfassungsgebenden Prozess scheitern, s. György Kovács, Ungarns neue Verfassung – In Kraft 1. Januar 2012, Osteuropa-Recht 57 (2011), S. 253 – 261. 7 Die Zitate aus dem Grundgesetz entstammen der Übersetzung aus Herbert Küpper, Ungarns Verfassung vom 25. April 2011. Einführung – Übersetzung – Materialien, 2012, 6
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Diese Hinweise wollen die historische Tatsache anerkennen, dass es Ungarn ohne das Christentum nicht gäbe. Es geht dabei weder um die heutige noch um die religiöse Relevanz des Christentums, sondern allein um seine historische Rolle. Die Präambel der Verfassung dient zwar als Auslegungsmaßstab, ihre Formulierungen sind jedoch deskriptiv und nicht präskriptiv.8 Nach den Änderung des Grundgesetzes im Juni 2018 sind alle Staatsorgane verpflichtet die christliche Kultur des Landes zu verteidigen.9 Diese Vorschrift zielt eher auf die Verteidigung der bestehenden Kultur des Landes, als auf die Verstärkung religiöser Werte der Gesellschaft ab. Das Gesetz CCVI/2011 über die Freiheit des Gewissens und der Religion sowie über die Rechtsstellung der Kirchen, Konfessionen und Religionsgemeinschaften trat zeitgleich mit dem neuen Grundgesetz in Kraft. Es löste das zur Zeit der Wende entstandene Gesetz IV/1990 ab. Zudem haben zahlreiche weitere Gesetze staatskirchenrechtliche Relevanz, wie das Unterrichtsgesetz, das Hochschulgesetz und andere mehr. Die kirchliche Autonomie und die Kooperation zwischen Staat und Kirche sind seit 1990 feste Bestandteile des Systems; neu ist ihre ausdrückliche Erwähnung in der Verfassung. Neben der schon früher verankerten Trennung wird nunmehr auch auf Verfassungsebene das Gewicht auf Autonomie und Zusammenarbeit gelegt. Während die Trennung im Verfassungstext von 1949 ausdrücklich kirchenfeindlich formuliert war, brachte 1989 eine Wende hin zur Neutralität. Die Trennung nach dem neuen Grundgesetz (2011) ist ausgesprochen kirchenfreundlich. Sie dient ausdrücklich der Gewährleistung der kirchlichen Autonomie und der Zusammenarbeit mit dem Staat.
III. Schulwesen und Religionsunterricht 1. Kirchen als Schulträger Wie im übrigen Europa entstanden die Schulen auch in Ungarn zuerst als kirchliche Einrichtungen: als Klosterschulen (z. B. Pannonhalma) und bischöfliche/erzbischöfliche Schulen.10
S. 199 – 260. Der letzte Satz ist ein Zitat aus der Proklamation vom 15. März 1848 anlässlich des Ausbruchs des Aufstands in Ungarn. 8 Dazu: Balázs Schanda, Christlich oder neutral? Die Identität des neuen ungarischen Grundgestzes, in: Herbert Küpper/Zoltán Csehi/Csaba Láng (Hrsg.), Vier Jahre ungarisches Grundgesetz, Frankfurt a. M. 2016, S. 53 – 64. 9 Art R) Abs (4) 10 Pulánszky Béla/Németh András, Neveléstörténet. Nemzeti Tankönyvkiadó, Budapest 1997, S. 107.
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Der Humanismus und die Reformation brachten gewaltige Änderungen im Schulwesen. Die Konkurrenz von protestantischen Schulen einerseits und neuen Orden anderseits (vor allem durch die Jesuiten und später die Piaristen, die in Ungarn bis heute eine besondere Rolle einnehmen) werteten das Schulwesen auf und verhalfen der Entwicklung zu einem neuen Schub: Von Schulen im heutigen Sinne können wir eigentlich erst seit dieser Epoche sprechen.11 Auch die Volksschulung entwickelte sich rasch – Kardinal Péter Pázmány (1570 – 1637), Erzbischof von Gran (Esztergom – wegen der türkischen Besetzung residierte er in Tirnau (Nagyszombat/Trnava) zeichnete sich auch in dieser Hinsicht aus: Eine Reihe von Gymnasien wurde gegründet, das Netz katholischer Volksschulen erweiterte sich und Nonnenorden siedelten sich an um Mädchenerziehung zu betreiben.12 Das Schulwesen wird mit Maria Theresia, die auf die kirchlichen Schulen bauen kann, zur staatlichen (oder gemischt staatlich-kirchlichen) Angelegenheit (Ratio Educationes 1777). Die staatliche Regelung bedeutet jedoch keinen Zweifel an dem konfessionellen Charakter des Schulwesens. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt das Ringen um die Trägerschaft der Schulen.13 Das System der Gemeindeschulen, Realschulen und Fachschulen wurde mit Ende des 19. Jahrhunderts ausgebaut, um die Lücken des kirchlichen Schulsystems zu schließen. Die Kirchen waren bis zur Verstaatlichung des Schulwesens mit Ende des Schuljahres im Sommer 1948 die wichtigsten Schulträger. Etwa zwei Drittel aller Grundschulen und ein Drittel aller Mittelschulen – insgesamt über 6500 Schulen – waren bis zur Verstaatlichung in kirchlicher Trägerschaft. Gleichzeitig hatte die Regierung mit der reformierten Kirche, der evangelischen Kirche und der jüdischen Glaubensgemeinschaft Abkommen unterzeichnet, in denen die Verstaatlichung zur Kenntnis genommen wurde, die reformierte Kirche konnte jedoch vier Gymnasien, die evangelische zwei und die jüdische Glaubensgemeinschaft ein Gymnasium behalten und der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Pflichtfach wurde an allen Schulen garantiert. Zwar wurde mit der eindeutigen kommunistischen Machtübernahme bereits ein Jahr später der Religionsunterricht zum Wahlfach abgestuft und die protestantischen Kirchen gaben 1951 die Schulen mit Ausnahme des reformierten Gymnasiums in Debrecen aus finanziellen Gründen auf, dennoch blieben diese von den Kirchen getragene Schulen als einzigartige Träger Zeichen der Erinnerung an den früheren Pluralismus. Nach der Verhaftung von Kardinal Mindszenty wurde auch die Bischofskonferenz im Jahre 1950 gezwungen ein Abkommen zu unterzeichnen, in dem acht Gymnasien den Orden (je zwei den Benediktinern, Franziskanern, Piaristen und Schulschwestern) rückerstattet wurden. Die insgesamt zehn, von den Kirchen unter schwersten Bedingungen getragenen Schulen erfüllten in Ungarn eine ganz besondere Rolle.
11
Pulánszky, Neveléstörténet (Anm. 10), S. 161. Pulánszky, Neveléstörténet (Anm. 10), S. 217. 13 Pulánszky, Neveléstörténet (Anm. 10), S. 366. 12
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Seit der Wende 1990 haben die Kirchen – wie auch andere freie Träger – wieder das Recht, eigene Schulen zu unterhalten.14 Die kirchlichen Schulen sind aber keine Privatschulen in engerem Sinne: Zwar sind die von den Kirchen getragenen Schulen wie auch andere private Schulen nicht an das Prinzip der weltanschaulichen Neutralität gebunden, in anderer Hinsicht (so etwa finanziell) stehen Kirchen jedoch den öffentlichen Trägern näher als den privaten. Religionsunterricht kann in kirchlichen Schulen Pflichtfach sein, Schulgebet und andere religiöse Übungen sind zulässig – können sogar erfordert werden, die Identität der Institution kann auch visuell – etwa durch religiöse Symbole – zum Ausdruck gebracht werden und schließlich können Schüler und Lehrkräfte nach konfessionellen Aspekten aufgenommen werden, wobei die Reichweite des Antidiskriminierungsgesetzes15 in dieser Hinsicht umstritten ist. Die kirchlichen Schulen werden aus öffentlichen Mitteln in gleichem Maße wie die öffentlichen Schulen finanziert.16 Die meisten kirchlichen Schulen sind im Rahmen der partiellen Entschädigung der Kirchen wieder kirchliche Schulen geworden, es handelt sich also nicht um Neugründungen im engeren Sinne. Der Anteil der kirchlichen Schulen hat kräftig zugenommen, besonders auf Ebene der Gymnasien (hier ist über ein Viertel der Schulen in kirchlicher Trägerschaft und etwa 23 % der Schüler besuchen kirchliche Gymnasien). Dies erklärt sich daher, dass nicht nur traditionelle kirchliche Schulen wieder in kirchliche Trägerschaft geführt werden, sondern auch zahlreiche Gemeinden, die durch die Lasten der Trägerschaft überfordert waren und ihre Schulen an die Kirchen übergegeben hatten.
2. Religionsunterricht a) 1949 – 1990 Bis 1949 galt in Ungarn Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach. Als sich die kommunistische Diktatur in Ungarn etablierte, wurde der Religionsunterricht ab 1949 in Grundschulen und an Gymnasien als fakultativ ausgewiesen (in Fachschulen war der Religionsunterricht nicht mehr vorgesehen). Eltern mussten ihre Kinder jedes Jahr anmelden und nahmen damit Schikanen am (verstaatlichten) Arbeitsplatz in Kauf. Auch von Seiten der Schulen wurde versucht den Religionsunterricht zu verunmöglichen, Schuldirektoren mussten stets sinkende Anmeldezahlen für Religionsunterricht melden. Die Beteiligung am schulischen Religionsunterricht blieb trotz größtem Druck seitens der Machthaber in 14 Gesetz IV/1990. (Gesetz über die Freiheit des Gewissens und der Religion, sowie über die Kirchen) § 17 (1); Gesetz LXXIX/1993. (Unterrichtsgesetz) § 3 (2). 15 Gesetz CXXV/2003. 16 Zuerst Gesetz IV/1990. § 19. (1); Gesetz CXXIV/1997. (Kirchenfinanzierungsgesetz) §§ 5 – 6. Die Finanzierung kirchlicher Schulen wurde durch das Abkommen mit dem Heiligen Stuhl bestätigt AAS 90 (1998), S. 330 – 341, und im neuen Religionsgesetz wiederholt: Gesetz CCVI/1997 § 19 (2).
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den fünfziger Jahren relativ hoch. Nach 1956 jedoch, als der Widerstand der Bevölkerung sank, nahmen die Zahlen rapide ab, sodass der Religionsunterricht aus den städtischen Schulen praktisch verschwand. In den siebziger und achtziger Jahren wurde Religionsunterricht nur noch in Dorfschulen in einigen ländlichen Gebieten, insgesamt für weniger als 5 % aller Schulkinder erteilt. Die rechtliche Möglichkeit des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen ist jedoch geblieben und die anfallenden Kosten wurden vom Staat getragen. Als der Religionsunterricht von den Schulen faktisch verdrängt wurde, begannen die Kirchen, Religionsunterricht anfangs in Kirchen und später in den Pfarrhäusern zu erteilen, dies zunächst als Vorbereitung für den Empfang von Sakramenten. Diese Praxis wurde anfänglich verfolgt, später jedoch geduldet und schließlich erlaubt und vielerorts ausgebaut. Von den Siebzigerjahren an erreichte der Religionsunterricht in dieser Form mehr Kinder als der Unterricht an den staatlichen Schulen: Diese Tätigkeit wurde aber als seelsorgliche und nicht als Unterrichtstätigkeit gewertet.17 Zum größten Teil wurde der Religionsunterricht von Geistlichen erteilt. Die katholische Kirche konnte in den Siebziger- und Achtzigerjahren neue Lehrbücher veröffentlichen, sie genoss allerdings keine vollständige Freiheit, nicht einmal bei der Gestaltung des Religionsunterrichts in der Pfarrei. b) 1990 – 2011 Das Religionsgesetz von 1990 bestätigte das Recht der Kirchen fakultativen Religionsunterricht an allen öffentlichen Schulen anzubieten: „Kirchliche juristische Personen sind berechtigt, in staatlichen Einrichtungen des Bildungs- und Unterrichtswesens je nach Wunsch der Eltern und Schüler Religionsunterricht als Wahlfach und ohne Pflichtcharakter zu erteilen.“18 Mit der erneuten Gewährung der Religionsfreiheit versuchten die Kirchen mit der neuen Freiheit zu leben und gewisse verlorene Stellungen wiederzuerlangen. Dabei mussten sie ebenso gesellschaftliche Änderungen in Betracht nehmen, wie auch die eigenen Kräfte realistisch einschätzen: Für die Herstellung vorkommunistischer Verhältnisse war die Situation keinesfalls geeignet. Zwar ist etwa die Hälfte der Kinder auch heute getauft, aber nur wenige erhalten eine religiöse Erziehung in der Familie. Mit der Wende wendeten sich jedoch viele mit großen Erwartungen an die Kirchen und auch das Interesse am Religionsunterricht ist deutlich gestiegen. Seit der Wende wird die Administration des Religionsunterrichtes ausschließlich von den Kirchen unternommen. Über die Teilnahme entscheiden jedes Jahr die Eltern. Die konfessionelle Zugehörigkeit des Kindes hat dabei keine rechtliche Bedeu17 Ohne Autorenangabe, Kirchliche Veränderungen (1975), S. 180 – 187, 184; Religionsunterricht und Evangelisation (1977), S. 278 – 300, in: Emmerich András/Julius Morel (Hrsg.), Kirche im Übergang. Die katholische Kirche in Ungarn 1945 – 1982, Gesammelte Studien des Ungarischen Kirchensoziologischen Instituts, Wien 1982. 18 Gesetz IV/1990. § 17 (2); Gesetz LXXIX/1993. § 4 (4).
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tung: Ungetaufte Kinder können den Religionsunterricht ebenso besuchen wie Kinder einer anderen Konfession. Liegt zwischen den Eltern bzw. ihnen und dem Kind keine Übereinstimmung vor, so enthält sich der Staat einer Stellungnahme. Die Religionslehrer werden von den Kirchen entlohnt; hierfür enthalten die Kirchen jedoch einen staatlichen Zuschuss. Es ist nicht unerwünscht – und kommt auch immer häufiger vor -, dass Lehrer, die anderer Fächer in einer Schule unterrichten, im Auftrag der Kirche auch Religionsunterricht erteilen: So ist es möglich, dass der Religionslehrer auch in nicht-kirchlichen Schulen Mitglied des Lehrkörpers wird, nicht jedoch in seiner alleinigen Eigenschaft als Religionslehrer. Für den fakultativen Religionsunterricht gewährt die Schule nur den Raum sowie die notwendige Infrastruktur (Heizung, Beleuchtung, pädagogische Hilfsmittel). In vielen Schulen war die Einordnung des Religionsunterrichts – zwei Wochenstunden – in den Stundenplan insofern problematisch, als ihm zumeist die frühen Morgenstunden oder die Nachmittagsstunden (jedoch vor 15 Uhr) zugewiesen wurden. Der Stundenplan muss mit der entsprechenden kirchlichen juristischen Person (normalerweise mit der Pfarrei) abgestimmt werden, wobei auch die Elternvertretung gehört werden muss; rechtlich handelt es sich dabei um ein gesetzlich auferlegtes Zusammenarbeitsgebot.19 Es hängt von der Kirche ab, ob sie von den zwei Wochenstunden tatsächlich Gebrauch macht, auf eine verzichtet, bzw. die zwei Stunden zusammen in Anspruch nimmt. In der Praxis sind es die katholische und die reformierte (bzw. in manchen Ortschaften die lutherische) Kirche, die den Religionsunterricht in den Schulen anbieten. Kleinere Religionsgemeinschaften können von diesem Recht aus praktischen Gründen kaum Gebrauch machen. Eine Alternative (etwa Ethikunterricht) wurde bereits in den Neunzigerjahren oft diskutiert, bis 2012 wurden aber nur Pilotprojekte gestartet. Der Religionsunterricht in der Schule muss – ebenso wie die Katechese in der Pfarrei – nicht auf das neutrale Informieren beschränkt werden, vielmehr handelt es sich dabei um eine durch die Kirche im Auftrag der Eltern vorgenommene Einführung in den Glauben und nicht bloß um die Vermittlung von Kenntnissen. Anders ausgedrückt: Nicht nur über Religion wird unterrichtet, sondern Religion als solches sollte unterrichtet werden. Dies beinhaltet zum Beispiel, dass in der Religionsstunde auch gebetet werden und die Identifikation mit dem Gelehrten eingefordert werden kann. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine Kirche sich auf das bloße Informieren beschränkt. Da die Bestimmung der Inhalte des Religionsunterrichts ausschließlich den Kirchen obliegt, gibt es in dieser Hinsicht keine staatskirchenrechtlichen Vorschriften. Vielfältiges Informieren über Religionen sollte Teil des Lehrprogramms der neutralen Schulen sein und darf nicht mit Religionsunterricht verwechselt werden.
19 Verordnung 11/1994. (VI. 8.) MKM (über die Tätigkeit der Erziehungs- und Bildungsanstalten) 2. § (6).
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Kirchliche Schulen haben auch das Recht, allein den Religionsunterricht der eigenen Konfession anzubieten bzw. vorzuschreiben. In der Praxis gibt es Schulen, an die nur Kinder der betreffenden Konfession aufgenommen werden, wie auch solche, die weitgehend offen sind und Religionsunterricht für mehrere Konfessionen anbieten. In diesen Schulen ist der Religionslehrer ordentliches Mitglied des Lehrkörpers; die Leistungen der Schüler im Fach Religion können benotet werden (die Noten werden ins Zeugnis aufgenommen) und Religionslehre kann auch Wahlfach im Abitur sein.20 Dadurch, dass kirchliche Schulen im Mittelschulbereich am stärksten vertreten sind, wird der mit dem Alter sinkenden Teilnahme am Religionsunterricht gewissermaßen entgegengewirkt. Da der von den Kirchen erteilte Religionsunterricht einen Wert für die Gesellschaft beinhaltet, wird er von der öffentlichen Hand finanziert. Die Finanzierung kommt den Religionsgemeinschaften zugute, die für die zweckmäßige Verwendung Sorge tragen müssen. Wie erwähnt sind die Kirchen die Arbeitgeber der Religionslehrer; diese erhalten ihren Lohn von den Kirchen (die auch die Lohnnebenkosten tragen). Für das Arbeitsverhältnis zwischen Kirche und Religionslehrer ist es nicht von Bedeutung, dass die Kirche die Löhne der Bediensteten aus Mitteln zahlt, die aus öffentlichen Quellen stammen. Für die Finanzierung des schulischen Religionsunterrichts (sei er fakultativ oder in den kirchlichen Schulen Pflichtunterricht) sowie des Religionsunterrichts in kircheneigener Veranstaltung (z. B. in der Pfarrei) gilt dasselbe: Alle Formen werden als finanzierungsberechtigt anerkannt. c) 2011 – heute Seit 2012 hat sich die Stellung des Religionsunterrichtes in den öffentlichen Schulen deutlich geändert. In vier Jahren wurde an allen Grundschulklassen (1 – 8) Ethik (mit einer Wochenstunde) eingeführt und den Eltern das Recht eingeräumt, ihre Kinder statt für Ethik an von Kirchen angebotenem, konfessionellem Religionsunterricht anzumelden. Zwar haben sich die Vorschriften für den Religionsunterricht nicht geändert, der Rahmen aber schon: Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen von einem Wahlfach zu einem Wahlpflichtfach geworden, ohne jedoch den Freiraum der Kirchen in der Gestaltung des Unterrichts einzuengen. Über die Teilnahme wird weiterhin durch Anmeldung (und nicht durch Konfessionszugehörigkeit) entschieden. Nach Angaben der Kirchen ist ein beträchtlicher Teil (20 – 30 %) der Schüler in den Religionsklassen ungetauft und der Anteil der Elternhäuser, die sonst keine religiöse Erziehung gewährleisten, ist noch höher. Die pädagogische Herausforderung ist also gewaltig. Mit großen regionalen Unterschieden nimmt etwa die Hälfte der Grundschulkinder (der Klassen 1 – 8) an einer Form des Religionsunterrichts teil, was sonst etwa dem Prozentsatz der getauften Kinder entspricht (es gibt weiterhin 20 Für diesen Fall wurden die Erfordernisse einerseits für katholische, anderseits für reformierte und evangelische Studierende von der Regierung festgesetzt: Verordnung 100/1997. (VI. 13.) Korm. (über die Abiturerfordernisse). Vom Gesichtspunkt der Neutralität her ist es fraglich, ob der Staat befugt ist, solche Angelegenheiten zu regeln.
Staatskirchenrechtliche Kontexte des Religionsunterrichts in Ungarn
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getaufte Kinder, die Ethikunterricht besuchen, wie auch ungetaufte, die sich für Religionsunterricht entscheiden). Parallel zur Stärkung der Stellung der Rolle des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen ist auch die Rolle der Kirchen als Schulträger gewachsen, wie bereits oben erwähnt. Auf Gymnasialebene besuchen über 20 % der Schüler von Kirchen getragene Schulen (mit Religionsunterricht als Pflichtfach). Als Nebenwirkung ist zu vermerken, dass der pfarreigene Religionsunterricht in den letzten Jahren an Gewicht verloren hat. Während die kirchengebundeneren Familien – besonders in Städten, wo mehrere Schulen zur Verfügung stehen – ihre Kinder zu kirchlichen Schulen schicken, werden kachektische Unterweisungen in den Pfarreien (was während des Sozialismus zum Leben der stätischen Minderheiten der Kirchengemeinden gehört hatte) weniger besucht. Sakramentsvorbereitung, Erwachsenenkatechese findet weiterhin in der Pfarrei statt, und die Jugend wird durch verschiedensten Aktivitäten angesprochen (Bewegungen, Pfadfinder, Ministranten usw.), weniger aber durch Religionsunterricht. Umfassende Daten zum Religionsunterricht stehen nicht zur Verfügung. Religionsgemeinschaften können Religionsunterricht erteilen ohne statistische Daten zu melden. Wenn sie aber staatliche Zuschüsse für Religionsunterricht beanspruchen, müssen die Schülerzahlen und der Zahl der Studiengruppen angegeben werden. Es kann sich dabei um jede Altersgruppe handeln, vom Kindergarten bis zum Abiturienten und eventuell sind auch Schüler dabei, die parallel in Pfarrgemeinden und auch in ihren Schulen an Religionsunterricht teilnehmen. Insgesamt erreicht Religionsunterricht etwas weniger als die Hälfte der Grundschulkinder. Etwa 50 % der Schulkinder besuchen den schulischen Religionsunterricht: Die Teilnahmequote schrumpft leicht von Jahrgang zu Jahrgang. Fast 15 % der Schulkinder in Grundschulen besuchen von Kirchen getragene Schulen – für sie ist die Wahl des Religionsunterrichts bereits mit der Schulwahl entschieden, während sich in den staatlichen Schulen über ein Drittel der Schüler für Religionsunterricht anmeldet. Von 1,160 Millionen Schulkindern (2018) besuchten etwa 305000 fakultativen Religionsunterricht und weniger als 300000 der 720000 Grundschulkinder das Wahlfach Religion.21 Etwa 62 % derjenigen, die schulischen Religionsunterricht besuchen, nehmen an römisch-katholischem, 3 – 4 % an griechisch-katholischem, 28 % an reformiertem, 4 % an lutherischem und fast 2 % an den Unterweisungen der Glaubensgemeinde (eine charismatische protestantische Gemeinschaft) teil. Etwa zehntausend Kinder besuchen den fakultativen (nicht schulischen) Religionsunterricht der Baptisten, 2500 Kinder jüdischen Religionsunterricht, 1200 den der Adventisten, 6500 den der Pfingstler und 300 Kinder muslimischen Religionsunterricht – so die zur Förderung gemeldeten Schülerzahlen.
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Angaben des Ministeriums zuständig für die Zuschüsse für Religionsunterricht.
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3. Theologische Bildung Religionslehrer werden infolge der verfassungsrechtlich gebotenen Neutralität an Bildungsstätten in kirchlicher Trägerschaft ausgebildet, da es in Ungarn an den staatlichen Universitäten keine theologischen Fakultäten gibt. Die theologischen Hochschulen und Fakultäten stehen also in kirchlicher Trägerschaft. Für die Akkreditierung kirchlicher Institutionen (was für die Anerkennung der Institutionen und der akademischen Grade notwendig ist) wurden spezielle Regeln vorgesehen, wobei der Inhalt der religionsgebundenen Veranstaltungen nicht überprüft werden kann. Als Universitäten wurden neben der Katholischen Universität zwei calvinistische und eine lutherische Fakultät für Theologie anerkannt, sowie das Jüdische Rabbiseminar. Außerdem wurden zahlreiche theologische Hochschulen akkreditiert, darunter über zehn katholische Einrichtungen. Aber auch Buddhisten, Baptisten, Adventisten, Pfingstler und neuere protestantische Gruppen unterhalten theologischer Hochschulen. Kirchliche Hochschulen können mit den staatlichen Universitäten bezüglich der Lehrerausbildung zusammenarbeiten. So können Lehramtsstudenten staatlicher Universitäten parallel an einer kirchlichen Hochschule immatrikuliert sein und dort zum Religionslehrer ausgebildet werden.
IV. Zusammenfassung Den allgemeinen, in Ungarn geltenden staatskirchenrechtlichen Prinzipien entsprechend genießen die Kirchen im Bereich des Religionsunterrichts staatliche Unterstützung und zugleich vollständige Unabhängigkeit vom Staat. Der Religionsunterricht erreicht etwa die Hälfte aller Schulkinder. Den rechtlichen Rahmen des Religionsunterrichts ist stabil, die Finanzierung ist gesichert. In den letzen Jahren ist die Rolle des kirchlichen Schulwesens gestiegen und die Einführung des Ethikunterrichts in Grundschulen bewirkte eine deutliche Zunahme an Interessenten für konfessionellen Religionsunterricht. Die gegenwärtigen Herausforderungen sind nicht von staatskirchenrechtlicher, sondern von pastoraler Natur.
Etablierung eines Staatschristentums? Aspekte der aktuellen religionsrechtlichen Entwicklung Österreichs Von Stefan Schima
I. Einleitung Aktuelle Entwicklungen lassen im Hinblick auf das Religionsrecht Österreichs die Frage aufkommen, inwieweit das Christentum gegenüber anderen Religionen einen rechtlichen Vorzug genießt. Dabei hat man vorab zu berücksichtigen, dass eine Rechtsordnung, die stark auf die Anerkennung von Religionsgemeinschaften fokussiert ist, dazu tendiert, den Interessen hierarchisierter Religionen bzw. religiöser Strömungen mehr entgegenzukommen als dies gegenüber anderen Religionen der Fall ist. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang von „Verkirchlichung“ gesprochen, ohne dass freilich damit eine inhaltliche Zwangschristianisierung gemeint wäre.1 Insbesondere die Erlassung des IslamG 20152 hat gezeigt, dass nichtchristliche Religionsgemeinschaften formell insofern benachteiligt werden können, als es bei der Ordnung der Rechtsverhältnisse zu staatlichen Eingriffspotentialen kommt, die vergleichsweise intensiv sind. Doch auch aus anderen Gründen ist nach allfälligen – zumindest formellen – Bevorzugungen des Christentums zu fragen.
II. Der Begriff „Staatschristentum“ Der Begriff des Staatschristentums spielt bei dem im Jahr 1932 verstorbenen deutschen evangelischen Kirchen-,Straf- und Staatsrechtsgelehrten Wilhelm Kahl eine bedeutende Rolle. Kahl, der auch Mitglied der Weimarer Nationalversammlung 1
Zum Begriff siehe etwa Barbara Gartner, Das neue österreichische Israelitengesetz: Eine historische Annäherung, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= KStT 61), S. 183 – 211, hier S. 184. Zur Problematik der mangelnden Applikabilität des Anerkennungsrechts auf nichtchristliche Religionsgemeinschaften in Deutschland siehe etwa Ansgar Hense, Kirche und Staat in Deutschland, in: HdbKathKR3, S. 1830 – 1865, hier S. 1832; zur Problematik in zahlreichen Schweizer Kantonen: Lorenz Engi, Islamische Religionsgemeinschaften öffentlich-rechtlich anerkennen?, in: Aktuelle juristische Praxis 26 (2017), S. 1210 – 1221, hier S. 1217 f. 2 BGBl. I Nr. 39/2015.
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war, hat Systeme des Staat-Kirche-Verhältnisses benannt und analysiert. Unter zahlreichen Werken ragt v. a. das im Jahr 1894 erschienene „Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik“ heraus.3 Kahl benannte zunächst die Systemgruppe der „Einheit und Verbindung“, der er die Systemgruppe der „Verschiedenheit und Lösung“ gegenüberstellte. Zur ersten Gruppe zählte er „Kirchenstaatstum“, „Staatskirchentum“ und „Staatschristentum“, zur zweiten die Systeme der „Koordination“, der „Staatskirchenhoheit“ und der „Trennung von Staat und Kirche“. Kahls Schema ist aus mehreren Gründen deutlicher Kritik unterzogen worden: Zum einen ist die Auswahl des untersuchten geographischen Raumes und der Perioden eingeschränkt.4 Zum Zweiten tritt bei Kahl eine Teleologie der Modelle der Staat-Kirche-Beziehung zu Tage, die sich im Rahmen einer Entwicklung von der ursprünglichen Einheit von Staat und Kirche zur immer schärfer konturierten Lösung dieses Verhältnisses sichtbar entfaltet.5 Dem liegt seiner Ansicht nach „eine gewisse natürliche Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche“ zugrunde, die „je und je bestanden hat, also auch ferner bestehen wird“.6 Wiederholt gab Kahl in aller Deutlichkeit zu erkennen, dass er das System staatlicher Kirchenhoheit als das für seine Zeit angemessenste hielt.7 Diese Teleologie setzt sich freilich der Gefahr unzulässiger Verallgemeinerung aus. In diesem Sinne wurde an Kahls Thesen kritisiert, dass sich die natürliche Gesetzmäßigkeit der einschlägigen Entwicklung nicht einmal in den in Rede stehenden Gebieten schlüssig nachweisen lasse.8 Aus heutiger – und v. a. österreichischer – Sicht ist zu ergänzen, dass es bei den dem Staat gegenübertretenden Akteuren nicht bloß um Kirchen im Sinne von Religionsgemeinschaften, die sich als christlich verstehen, geht, sondern es ist vom Verhältnis zwischen dem Staat auf der einen Seite und den – v. a. gesetzlich anerkannten – Religionsgemeinschaften auf der anderen Seite die Rede. Ferner ist insbesondere für das 21. Jh. eine Konvergenz religionsrechtlicher Systeme festzustellen, die
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Es handelt sich genau genommen um Wilhelm Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik. Erste Hälfte. Einleitung und allgemeiner Teil, Freiburg i. Br. 1894, S. 248 – 309, und somit nur um einen Teil eines größer angelegten Vorhabens. Im Wesentlichen beibehalten ist die Kategorisierung etwa auch bei Wilhelm Kahl, Über das Verhältnis von Staat und Kirche in Vergangenheit und Gegenwart, in: Bernhard Harms (Hrsg.), Recht und Staat im Neuen Deutschland. Vorlesungen gehalten in der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung, 1. Bd., Berlin 1929, S. 353 – 389. Zu weiteren Werken: Klaus Achenbach, Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl. Eine Darstellung seines kirchenrechtlichen und staatsrechtlichen Werks samt einem Überblick über seine Tätigkeit im Dienste der Strafrechtsreform und sein politisches Wirken, Bonn 1972. 4 Achenbach, Recht, Staat und Kirche (Anm. 3), S. 154. 5 Siehe ebd., S. 150 – 154. 6 Kahl, Über das Verhältnis (Anm. 3), S. 354. Siehe dazu Achenbach, Recht, Staat und Kirche (Anm. 3), S. 151. 7 So etwa Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 308. 8 Achenbach, Recht, Staat und Kirche (Anm. 3), S. 154.
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die Kahlsche Lehre immer mehr in den Hintergrund treten lässt.9 Trotzdem können Kahls Einteilungen in gewisser Weise als Richtungsvektoren herangezogen werden, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass auch in der zeitgenössischen österreichischen Literatur eine ähnliche Systematisierung anzutreffen ist.10 Der Begriff des Staatschristentums wird von Kahl mit der im Jahr 1815 abgeschlossenen „Heiligen Allianz“ und deren Programmatik in Verbindung gebracht, und steht aus seiner Sicht für ein (christlich-)konfessionell paritätisches System.11 Es bildet bei ihm eine Art Übergangssystem zwischen Staatskirchentum und Systemen der Verschiedenheit und Lösung, wobei – wie der Name verrät – dem Christentum bzw. der „Pflege des Gemeinsam-Christlichen“ ein dominanter Stellenwert zukommt. Man darf sich das Kahlsche Verständnis von Staatschristentum nicht als real umgesetzte festgefügte Ordnung vorstellen. Kahl konzediert, dass einerseits darunter ein mit evangelischen Staatsrechtsgedanken identifiziertes Modell verstanden würde, andererseits ein von grundsätzlicher christlich-bekenntnispflichtiger Bevölkerung getragenes System, ferner eben ein vom Gedanken christlich-konfessioneller Koordination getragenes Modell.12 Im Wesentlichen sei das Christentum Staatsreligion, Nichtchristen könnten keine öffentlichen Ämter bekleiden, die Staatsgewalt sei christlich.13 Insbesondere das Eherecht, das Schulwesen und die Feiertagsordnung sei christlich geprägt.14 Gedanken des Staatschristentums könnten sich auch innerhalb der Strafrechtspflege entfalten, wobei Kahl hier eine ethische Seite der christlichen Offenbarung (etwa biblische Gerechtigkeits- und Vergeltungsmaximen) vor Augen steht.15 Der hier dargestellten Konzeption eines Staatschristentums steht Kahl kritisch gegenüber. Es gäbe eben eine nicht zu ignorierende spezifisch christliche Auffassung, wonach sich die Verbindung zwischen Staat und Religion nicht vereinbaren lasse.16 Eine gewisse Rolle spielte der staatschristliche Gedanke im Sinne der Bevorrechtung des Christentums im autoritären österreichischen Staat, wie er zwischen März 9
Vgl. Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsrecht, Wien 2003, S. 15 f. Hier ist v. a. Max von Hussarek (1865 – 1935) zu nennen: Inhaltliche Anklänge finden sich etwa in der im Jahr 1908 in Leipzig erschienenen zweiten Auflage von Max von Hussarek, Grundriß des Staatskirchenrechts, Berlin 1908, S. 3 – 6. Vgl. auch Max von Hussarek, Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Republik Österreich, in: Alois Hudal (Hrsg.), Der Katholizismus in Österreich. Sein Wirken, Kämpfen und Hoffen, Innsbruck 1931, S. 27 – 40, hier S. 28, wo der Autor meint, dass sich in der frühen Ersten Republik Tendenzen einer Trennung von Staat und Kirche zwar bemerkbar gemacht hätten, sich grundsätzlich an der bestehenden Staatskirchenhoheit aber nichts geändert habe. 11 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 271 – 275; 301 – 303. Vgl. auch Ders., Über das Verhältnis (Anm. 3), S. 365 f. 12 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 272 f. 13 Ebd., S. 273. 14 Ebd., S. 274. 15 Ebd., S. 275. 16 Ebd., S. 275. 10
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1933 und März 1938 etabliert war. In diese Richtung weist die Präambel der Verfassung von 193417: Sie bezeichnete Österreich als „christlichen deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage“. In sichtbarer Weise ist die Diskriminierung „Konfessionsloser“ in dieser Zeit dazu geeignet, einen „christlichen“ Charakter des autoritären Staates zu unterstreichen.18 Aus der Sicht der damaligen Machthaber diente auch der Abschluss des Konkordats 1933/34,19 das in vielen Teilen heute noch in Geltung steht, als Untermauerung eines christlichen Staatsgedankens.20 Dabei ist allerdings zu beachten, dass es bei Konkordaten um die Stellung der Katholischen Kirche im Bereich des jeweiligen Vertragspartners des Heiligen Stuhles geht und grundsätzlich keine gesamtchristliche Perspektive zum Ausdruck gebracht wird. Das zum großen Teil noch vor Etablierung des autoritären Regimes ausgehandelte Konkordat enthält kein Gedankengut, das speziell autoritäre Tendenzen widerspiegeln würde und ist dem unten näher zu besprechenden Koordinationssystem zuzurechnen.
III. Die anderen Systeme des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften und die Frage ihrer Anwendung im Verlauf der österreichischen Rechtsentwicklung 1. Weitere Systeme der Einheit und Verbindung von Staat und Religionsgemeinschaften a) Kirchenstaatstum: Dieses System bezog Kahl im Wesentlichen auf mittelalterliche päpstliche Herrschaftslehren, in denen das quasistaatliche Element durch die Herrschaft einer bzw. der einen Kirche dominiert wurde.21 b) Staatskirchentum: Diesen Begriff applizierte Kahl v. a. auf europäische Staaten der frühen Neuzeit, bei denen in Umkehrung der genannten mittelalterlichen Vorstellungen der Staat den Willen jener Kirche beherrschte, die in ihrer Bedeutung zentral im Vordergrund des öffentlichen Lebens stand.22 Dabei konnte es zu Beeinträchtigungen der Religionsfreiheit – insbesondere der Gewissensfreiheit von Angehörigen religiöser Minderheiten – kommen. Die Stellung von Staatskirchen kann als ambi17
BGBl. II Nr. 1/1934. Zur damaligen Rechtsstellung religiöser und weltanschaulicher Minderheiten siehe Stefan Schima, Die Entfaltung der Religionsfreiheit in Österreich von der Dezemberverfassung bis heute. Einblicke in die letzten 150 Jahre, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität. Handbuch, Wien 2018, S. 3 – 47, hier S. 32 – 34. 19 BGBl. II Nr. 2/1934. 20 Hierzu und zum Folgenden Stefan Schima, Überschätzt von Freund und Feind? Das österreichische Konkordat 1933/34, in: Ilse Reiter-Zatloukal/Christiane Rothländer/Pia Schölnberger (Hrsg.), Österreich 1933 – 1938. Interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime, Wien 2012, S. 42 – 57. 21 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 256 – 261. 22 Siehe ebd., S. 261 – 271. 18
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valent betrachtet werden. Einerseits genießen diese Kirchen eine dominante Stellung im Rechtsgefüge des betreffenden Staates, andererseits sind an sie gewisse Fesseln gelegt, die offiziell durch das entsprechende kirchliche „Selbstverständnis“ sanktioniert sind. Was Österreich betrifft, war das Staatskirchentum bis zum Jahr 1850 formell maßgeblich, und dies mit der Katholischen Kirche als Staatskirche. Damals entfiel für sie das Erfordernis des placetum regium, dem zufolge grundsätzlich die Kundmachung vom päpstlichen Stuhl erlassener Verfügungen durch den Landesfürsten zu genehmigen war.23 Allerdings blieb es bei markanten Bindungen zwischen Staat und Katholischer Kirche, von denen v. a. das bis zum Ende der Monarchie maßgebliche „kaiserliche Nominationsrecht“ bei der Besetzung von Bischofs- bzw. Erzbischofsstühlen hervorzuheben ist.24 In engem Zusammenhang mit dem System des Staatskirchentums sah Kahl das landesherrliche Kirchenregiment.25 Damit wird die Leitungsgewalt des Landesherrn über das evangelische Kirchenwesen bezeichnet.26 Eine solche musste nicht notwendig einem evangelischen Landesherrn zukommen, wie sich an der Bedeutsamkeit dieses Systems zwischen der Alleinregierung Josephs II. (1780 – 1790) und der Erlassung des ProtestantenG 196127 ermessen lässt. Aspekte des landesherrlichen Kirchenregiments wies das im Jahr 1861 erlassene Protestantenpatent auf,28 das formell bis zum Inkrafttreten des ProtestantenG 1961 in Geltung stand. Das System des Staatskirchentums ist auch heute in einigen Staaten der Europäischen Union anzutreffen. Die Religionsfreiheit ist grundsätzlich unbeeinträchtigt, wobei sich allerdings Spannungsverhältnisse zwischen dem griechischem Recht und einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – sie wurde durch alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet, und im österreichischen Recht nimmt sie sogar Verfassungsrang ein29 – aufgetan haben. Wie die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgehalten haben, stellt der Bestand des Staatskirchentums als solches keinen Verstoß gegen den die Religionsund Weltanschauungsfreiheit verbürgenden Art. 9 EMRK dar, wobei aber etwa nie23
Reichsgesetzblatt Nr. 156/1850. Dabei ging es v. a. um das Recht des Kaisers, dem Papst bei der Besetzung der meisten Bischofs- und Erzbischofssitze Kandidaten namhaft zu machen, wobei der Papst grundsätzlich gehalten war, keine anderen als die genannten Kandidaten zu bestellen. 25 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 271. 26 Siehe Martin Heckel, Religionsbann und Landesherrliches Kirchenregiment, in: HansChristoph Rublack (Hrsg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 197), Heidelberg 1992, S. 130 – 162. 27 Stammfassung: BGBl. Nr. 182/1961. 28 RGBl. Nr. 41/1861. Siehe dazu Inge Gampl, Staat und evangelische Kirche in Österreich von der Reformation bis zur Gegenwart, in: ZRG.K 83 (1966), S. 299 – 331, hier S. 317 – 320. 29 Übernahme durch Österreich im Jahr 1958: Vgl. BGBl. Nr. 210/1958. Rückwirkende Zuerkennung des Verfassungsranges: BGBl. Nr. 59/1964. 24
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mand zum Eintritt in die Staatskirche gezwungen werden oder jemand der Austritt aus derselben verwehrt werden darf.30 2. Systeme der Verschiedenheit und Lösung von Staat und Religionsgemeinschaften a) Koordinationssystem: Gekennzeichnet ist dieses System durch rechtliche Gleichordnung von Staat und Kirche, die sich am ehesten durch Verträge entfaltet.31 Staat und Kirche treten einander als „gleichberechtigte souveräne Gemeinschaften“ gegenüber.32 Bedenkt man die Bedeutung von Konkordatsabschlüssen im 19. Jh., nimmt es nicht Wunder, dass dieses System mit katholischen Ansprüchen in Verbindung gebracht wird. Im österreichischen Kontext ist zunächst an das Konkordat von 185533 zu denken, das im Jahr 1870 einseitig gekündigt wurde. In vielerlei Hinsicht wurde die Stellung der Katholischen Kirche bestätigt bzw. in Richtung rechtlicher Dominanz ausgebaut, ohne dass diese dabei im Wesentlichen an staatskirchliche Fesseln gebunden gewesen wäre. Beibehalten wurde allerdings das erwähnte kaiserliche Nominationsrecht. Mit seiner Bezogenheit auf Konkordate war das Koordinationssystem aus der Perspektive Kahls auf evangelische Kirchen nicht anwendbar. Diese Sichtweise ist insbesondere in Anbetracht der Bedeutung des deutschen Vertragsstaatskirchenrechts nicht mehr aktuell – als Stichwort sei hier das „Loccumer Modell“ genannt, das den „Loccumer Vertrag“ aus dem Jahr 1955 zum Gegenstand hat. Deutsche Evangelische Landeskirchen schließen mit dem betreffenden Bundesland einen öffentlichrechtlichen Vertrag, und treten diesem viel eher auf Augenhöhe gegenüber als dies zur Zeit der Weimarer Kirchenverträge der Fall war.34 Im österreichischen Recht ist die Koordination von Staat einerseits und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften anderseits unübersehbar. Sie hat sich aus dem katholisch konnotierten Background insofern verabschiedet, als nicht nur Konkordatsrecht eine Rolle spielt, sondern auch die Tatsache zu beachten ist, dass fast alle religionsrechtlichen Sondergesetze der Zweiten Republik im breiten Einvernehmen zwischen dem Staat und den betroffenen gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften entstanden sind. Die einzige Ausnahme bildet dabei offensichtlich das IslamG 2015. Das solcherart erweiterte Koordinationsverständnis, das dem reli30
EKMR 23. 10. 1990, 11.581/85 (Darby vs. Schweden), Series A-187, § 45; EGMR 18. 09. 2012, 22.897/08 (Ásatrúarfélagid vs. Island), Z 27. 31 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 275 – 278. 32 Ebd., S. 276. 33 RGBl. Nr. 195/1855. Siehe Erika Weinzierl, Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933 (= Österreich Archiv, Schriftenreihe des Arbeitskreises für österreichische Geschichte 9), Wien 1960, S. 60 – 98. 34 Siehe Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht. Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa. Ein Studienbuch, München 42006, S. 45 – 50.
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giösen Paritätsgedanken grundsätzlich in besonderer Weise gerecht wird, lässt sich heute unter dem Gedanken der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften zusammenfassen. Darüber hinaus wurde im 21. Jh. von anderen gesetzliche anerkannten Religionsgemeinschaften verstärkt die Gelegenheit genutzt, Vereinbarungen mit staatlichen Stellen zu schließen.35 Es ist durchaus berechtigt, wenn zu Beginn dieses Jahrhunderts das in Österreich maßgebliche System mit der Bereitstellung eines entsprechenden rechtlichen Rahmens „für die pluralistische Hereinnahme von Religion in die gesellschaftliche Öffentlichkeit“ in Verbindung gebracht wurde.36 b) System der Staatskirchenhoheit: Dieses System ist für Kahl v. a. aus der Sicht des zu Ende gehenden 19. Jh. das Bedeutendste.37 Dabei ist zu beachten, dass Kahl dieses System wiederholt als „Kirchenhoheit des Staats“ bezeichnet, bzw. auch von „staatlicher Kirchenhoheit“ gesprochen werden kann. Durch derartige Ausdrücke wird das Missverständnis vermieden, wonach „Staatskirchenhoheit“ mit dem Bestehen einer Staatskirche in Zusammenhang zu bringen ist. Wesentlich an diesem System ist die mannigfaltige Unterscheidung zwischen Staat und Kirche, und diese Unterscheidung geschieht nicht im Vertragsweg sondern – einseitig – im Wege staatlicher Gesetzgebung. Der Staat erkennt dabei einen Bestand innerer Angelegenheiten (sacra interna) an, die er eingriffsfrei halten will. Seine Kirchenhoheit beschränkt sich auf äußere Kirchenangelegenheiten (sacra externa).38 Auch wenn der Staat in der Grenzziehung zwischen diesen Bereichen frei ist, ist er doch an den Paritätsgrundsatz gebunden.39 Die „Kirchen“ – in dem im vorliegenden Beitrag gebrauchten Verständnis: gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften – sind als „qualifizierte Korporationen“ zu betrachten,40 und damit sind sie aus dem Kreis öffentlicher Korporationen herausgehoben. Eine wichtige Rolle spielen staatliche Kontroll- und Aufsichtsrechte, die über die bloße Vereinsaufsicht hinausgehen, dem besonderen Status der betroffenen Religionsgemeinschaften geschuldet sind und mit der Bezeichnung
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Zu Vereinbarungen zwischen dem Staat Österreich bzw. staatlichen Stellen einerseits und der evangelischen Kirchenleitung andererseits siehe Raoul Kneucker, Verträge mit Kirchenleitungen, in: Österreichisches Archiv für Recht und Religion 58 (2011), S. 293 – 327; zu einer Vereinbarung aus dem Jahr 2009 zwischen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) und der damaligen Unterrichtsministerin Claudia Schmied betreffend den islamischen schulischen Religionsunterricht siehe „Der Standard“ vom 02. 02. 2009, online unter: https://www.derstandard.at/story/1233309409016/hintergrund-das-fuenf-punkte-programm (eingesehen am 02. 07. 2019). 36 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 9), S. 16. 37 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 278 – 294 und S. 309 – 412. Siehe auch – unter Berücksichtigung anderer Literatur von Kahl – Achenbach, Recht, Staat und Kirche (Anm. 3), S. 139 – 150. 38 Zur Unterscheidung von inneren Angelegenheiten von anderen siehe auch Achenbach, Recht, Staat und Kirche (Anm. 3), S. 141 – 149. 39 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 394 – 412. 40 Ebd., S. 340.
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ius inspeciendi in Verbindung zu bringen sind.41 Aus dem alten Begriff der Kirchenvogtei leitet Kahl ferner einen Schutzgedanken ab:42 Dabei schwebt ihm v. a. die staatliche Behördenfunktion kirchlicher Ämter vor Augen – ein Gedanke, der sich freilich nur bedingt auf österreichische historische Gegebenheiten und gar nicht auf das aktuelle Religionsrecht beziehen lässt.43 Ein bedeutsamer Stellenwert in dieser Konzeption staatlicher Kirchenhoheit kommt auch der Bekenntnisfreiheit zu. Sie lässt sich in der Kahlschen Begrifflichkeit in die individuell bezogene Gewissensfreiheit und die korporativ bezogene Kultusfreiheit aufschlüsseln.44 Dem System der Staatskirchenhoheit kam in Österreich zwischen 1867 und 1918 Bedeutung zu. Es nahm seinen Ausgang von einem bestimmten Verständnis des Art. 15 des Staatsgrundgesetzes über die Allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG), das seinerseits Teil der so genannten „Dezemberverfassung“ von 1867 war und in seinen meisten Bestimmungen noch heute in Geltung steht. Nicht zuletzt Art. 15 ist heute durch nachfolgende grundrechtliche Verbürgungen zu einem großen Teil überlagert. Er regelt die Stellung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften, wobei deren unstrittige öffentlich-rechtliche Korporationsqualität nicht ausdrücklich erwähnt wird.45 Aus dieser Stellung wird das so genannte Ausschließlichkeitsrecht abgeleitet, das sich exklusiv auf die Namensführung, die Religionslehre, den Gottesdienst, die Verfassung und die seelsorgliche Betreuung der Mitglieder bezieht.46 Den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften wird das Recht zugesichert, „ihre inneren Angelegenheiten selbständig“ zu ordnen und zu verwalten. Eine Definition der „inneren Angelegenheiten“ findet sich in Art. 15 nicht, wobei Ende des 19. Jh. dogmatische, rituelle und religionsgemeinschaftliche Angelegenheiten hierher gerechnet wurden. Doch auch die Gestaltung des schulischen Religionsunterrichts – seine Abhaltung ist im Ergebnis Recht und Pflicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Art. 17 Abs. 4 StGG) – und das religionsgemeinschaftliche
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Siehe ebd., S. 349 – 380. Ebd., S. 380 – 394. 43 Hoheitliche Aufgaben konnten gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften im Rahmen der Matrikenführung zukommen. Dies war grundsätzlich bis zum Jahr 1938 relevant, wobei heute bestimmte gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften im Rahmen der so genannten „Altmatrikenführung“ zwar genau genommen hoheitlich tätig werden können, damit aber offensichtlich keine Bescheiderlassungsbefugnis verbunden ist: Siehe Stefan Schima, Die wichtigsten religionsrechtlichen Regelungen des Bundesrechts und des Landesrechts, Jahrgang 2013, in: ÖARR 65 (2018), S. 45 – 90, hier S. 57. 44 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 289 – 294. 45 Im Rahmen der vorliegenden Ausführungen kann auf den Inhalt des Art. 15 StGG nicht zur Gänze eingegangen werden. Siehe Schima, Die Entfaltung (Anm. 18), S. 18 – 22. 46 Siehe Richard Potz, Das Ausschließlichkeitsrecht. Zur aktuellen Bedeutung einer traditionellen dogmatischen Figur des österreichischen Religionsrechts, in: Clemens Jabloner/ Gabriele Kucsko-Stadlmayer/Gerhard Muzak/Bettina Perthold-Stoitzner/Karl Stöger (Hrsg.), Vom praktischen Wert der Methode, Festschrift Heinz Mayer zum 65. Geburtstag, Wien 2011, S. 555 – 573. 42
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Sammlungswesen wurden damals zu den inneren Angelegenheiten gerechnet.47 Damit ist das damalige Verständnis der inneren Angelegenheiten vom heutigen nicht stark unterschieden, mit guten Gründen wird die Vermögensverwaltung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften an sich ebenfalls zu den inneren Angelegenheiten gerechnet.48 Was die Abgrenzung der inneren zu den äußeren Angelegenheiten betrifft, so ist auch zu beachten, dass mit Art. 15 StGG das Gebot der Gleichbehandlung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften in Verbindung gebracht wird. Denn der am Ende von Art. 15 zum Ausdruck gebrachte Vorbehalt, dass diese „wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“ sind, bedeutet, dass alles unterverfassungsgesetzliche Recht „von den Prinzipien der Allgemeinverbindlichkeit, Gleichheit und Publizität“ getragen sein muss.49 Aus Art. 15 StGG selbst kann aus dem Kontext der damaligen Zeit einiges bezüglich eines allfällig maßgeblichen Typs des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften abgeleitet werden. Es geht um ein System der Verschiedenheit und Lösung, wobei die Trennung von Staat und Kirche wegen der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsqualität ausgeschlossen ist. Gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften wurde nämlich eindeutig öffentlich-rechtlicher Charakter zuerkannt, doch inwieweit man sich für ein System der Koordination oder ein System staatlicher Kirchenhoheit entschieden hatte, bleibt dabei offen. Klarheit brachte erst die Ausführungsgesetzgebung, und hier v. a. die Ausführungsgesetzgebung des Jahres 1874,50 und dies im Sinne der Staatskirchenhoheit. Dieses System war umfassend bis zum Ende der Monarchie und in Ausläufern bis in die beginnende Zweite Republik maßgeblich. Doch wies die Ausführungsgesetzgebung des Jahres 1874 einen eindeutigen Weg der staatlichen Kirchenhoheit. Bei konfessionellen Gesetzen des Jahres 1874 handel-
47 Anton Pace (Hrsg.), Ernst Mayrhofer‘s Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern, 4. Bd., Wien 1898, S. 8 f. 48 Siehe Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 9), S. 65 – 69; Stefan Schima, Wiederaufbau auf rechtlicher Ebene: Die Behandlung der Frage der Weitergeltung des Konkordats seit dem Jahr 1945 unter besonderer Berücksichtigung des Vermögensvertrages von 1960, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Kirchlicher Wiederaufbau in Österreich (= WuR 26), S. 271 – 375, hier S. 345 f. 49 Walter Berka, Das allgemeine Gesetz als Schranke der grundrechtlichen Freiheit, in: Heinz Schäffer/Walter Berka/Harald Stolzlechner/Josef Werndl (Hrsg.), Staat – Verfassung – Verwaltung. Festschrift anläßlich des 65. Geburtstages von Friedrich Koja, Wien 1998, S. 221 – 244, hier S. 222. 50 Zur Ausführungsgesetzgebung vor 1874 siehe Peter Leisching, Die Römisch-Katholische Kirche in Cisleithanien, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, 4. Bd., Die Konfessionen, Wien 1985, S. 57 – 63; Schima, Die Entfaltung (Anm. 18), S. 23 – 26. Einschlägige Materialien sind abgedruckt bei Paul Gautsch von Frankenthurn (Hrsg.), Die confessionellen Gesetze vom 7. und 20. Mai 1874 mit Materialien und Anmerkungen, Wien 1874.
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te es sich um das KatholikenG vom 7. Mai,51 das ReligionsfondsG vom selben Tag52 und das AnerkennungsG vom 21. Mai.53 Durch das KatholikenG wurde das im Jahr 1870 einseitig durch die Donaumonarchie gekündigte Konkordat 1855 auf innerstaatlicher Ebene formell aufgehoben (Art. 1), und ein gewisses Anknüpfen an josephinische Rechtstraditionen überrascht nicht. Der Staat nahm das ausschließliche Recht der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der in Art. 15 StGG angesprochenen „inneren Angelegenheiten“ für sich in Anspruch.54 Auch der Grundtenor staatlicher Kirchenhoheit des formell durch das Konkordat 1933/34 aufgehobenen Gesetzes kann nicht überraschen. Es war vom Geist der Kontrolle getragen, wobei auch die staatliche Einbeziehung in kirchliche Ämterbesetzungen eine intensive war. Aus damaliger Sicht waren diese staatlichen Eingriffsrechte in vielerlei Hinsicht eher zu begründen als dies heute der Fall ist. So war das damalige staatliche Eherecht konfessionell geprägt, und dies sollte bis zur Einführung der obligatorischen Ziviltrauung durch das EheG 193855 so bleiben.56 Seelsorgern kam somit in gewisser Weise standesamtliche Funktion zu. Ein gewisser Grad an Notwendigkeit staatlicher Kirchenhoheit wird auch in Anbetracht des damals maßgeblichen Systems der Finanzierung der katholischen Kirche evident.57 Mit der Finanzierung der Katholischen Kirche stand auch das ReligionsfondsG in Zusammenhang, das ebenfalls durch das Konkordat 1933/34 außer Geltung gesetzt wurde, wobei die Religionsfonds bis 1940 Bestand hatten. Noch heute formell in Geltung steht das AnerkennungsG. Allerdings ist es durch Bestimmungen des im Jahr 1998 erlassenen Gesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (BekGG)58 überlagert. Diese Überlagerung betrifft v. a. die Erweiterung der Anerkennungsvoraussetzungen durch das zweitgenannte Gesetz (§ 11). Im AnerkennungsG ist lediglich gefordert, dass Religionslehre, Gottesdienst, Verfassung und gewählte Benennung der betreffenden Religionsgemeinschaft nicht rechtswidrig sind bzw. nichts sittlich Anstößiges enthalten (§ 1 Z 1) und dass Errichtung und Bestand zumindest einer Kultusgemeinde gesichert sind (§ 1 Z 2). Doch abgesehen davon, dass die staatliche Anerkennungspraxis grundsätzlich sehr zurückhaltend war, ist das Gesetz von einer deutlichen Note staatlicher Kirchenhoheit getragen. So ist hier etwa die staatliche Befugnis zur Erhebung von Einwendungen bei der Anstellung eines Seelsorgers ver51
RGBl. Nr. 50/1874. RGBl. Nr. 51/1874. 53 RGBl. Nr. 68/1874. Zur geplanten Erlassung eines Klostergesetzes ist es nicht gekommen: Erst im Jahr 1876 kam es zu entsprechenden Beschlüssen im Reichsrat, doch fehlte es an der kaiserlichen Sanktion: Leisching, Die Römisch-Katholische Kirche (Anm. 50), S. 58. 54 Ebd., S. 58. 55 Dt. RGBl. I S. 807/1938. 56 Zur Bedeutung der Ziviltrauung vor 1938 siehe Stefan Schima, Die religionsrechtliche Dimension des ABGB von 1811 bis heute, in: Barbara Dölemeyer/Heinz Mohnhaupt (Hrsg.), 200 Jahre ABGB (1811 – 2011). Die österreichische Kodifikation im internationalen Kontext (= StERG 267), S. 299 – 352. 57 Siehe Schima, Wiederaufbau (Anm. 48), insb. S. 295 – 305. 58 BGBl. I Nr. 19/1998 i. d. F. I Nr. 75/2013. 52
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ankert (§ 11 Abs. 3), was in der religionsrechtlichen Literatur des späten 20. Jh. als gegenstandslos angesehen wurde.59 Jene Regelung, in der Vereinigungen mehrerer Kultusgemeinden zu einer gemeinsamen Tätigkeit – sofern nicht bereits in der betreffenden religionsgemeinschaftlichen Verfassung vorgesehen – staatlicher Gestattung bedarf (§ 13), wurde als nicht mehr geltend betrachtet.60 In der Zeit der Monarchie wurden schließlich noch zwei Gesetze erlassen, die deutlich im Zeichen der Staatskirchenhoheit standen, nämlich das IsraelitenG 189061 und das IslamG 1912.62 Letzteres musste v. a. deswegen in Gesetzesform erlassen werden, weil der im AnerkennungsG geforderte Bestand einer Kultusgemeinde nicht gegeben war. Aus unterschiedlichen Gründen erwiesen sich diese Gesetze teils von Beginn an, teils während der folgenden Jahrzehnte als zu einem großen Teil nicht anwendbar: In Bezug auf das IsraelitenG 1890 spielte diesbezüglich der Holocaust eine bedeutende Rolle, in Bezug auf das IslamG 1912 das lange währende Ausbleiben der Gründung einer entsprechenden Kultusgemeinde. Das IsraelitenG wurde im Jahr 2012 durch eine völlig neue Fassung ersetzt,63 das IslamG 1912 durch das IslamG 2015 aufgehoben. c) Trennungssystem: Religionsgemeinschaften sind auf das Vereinsrecht verwiesen, es fehlt an einer spezifischen religionsrechtlichen Gesetzgebung bzw. Staatsaufsicht.64 Dass Kahl aus der Sicht des Jahres 1894 dieses System am ehesten in den USA verwirklicht sah, vermag nicht zu verwundern.65 In Österreich war das Trennungssystem nie verwirklicht. Wiederholt erreichte das Trennungssystem das Stadium konkreter Gesetzes- bzw. Verfassungsentwürfe, doch selbst in der Zeit des Nationalsozialismus kam es zu keiner Realisierung.
59 So bei Inge Gampl/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht. Gesetze, Materialien, Rechtsprechung, 1. Bd., Wien 1990, S. 153, Anm. 51, wo diese Bestimmung mit der damaligen staatlich relevanten Matrikenführungsbefugnis gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften in Zusammenhang gebracht wird. 60 Ebd., S. 154, Anm. 55. 61 Stammfassung: RGBl. Nr. 57/1890. Siehe ausführlich Gampl/Potz/Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 59), S. 418 – 439; Jens Budischowsky, Die staatskirchenrechtliche Stellung der österreichischen Israeliten (= Österreichische rechtswissenschaftliche Studien 32), Wien 1995. 62 Stammfassung: RGBl. Nr. 159/1912. Siehe ausführlich Gampl/Potz/Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht (Anm. 59), S. 458 – 463; Stefan Schima, Das Islamgesetz im Kontext des österreichischen Religionsrechts, in: ÖARR 59 (2012), S. 225 – 250. 63 BGBl. I Nr. 48/2012. 64 Kahl, Lehrsystem (Anm. 3), S. 294 – 297. 65 Zu seiner Sicht des im Jahr 1905 eingeführten französischen Trennungssystems siehe Kahl, Über das Verhältnis (Anm. 3), S. 369.
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IV. Staat und gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften seit 1945: Intensive Kooperation auf gleicher Augenhöhe – aber nicht ausnahmslos 1. Einschlägige verfassungsrechtliche Vorgaben Dass fast das gesamte StGG – und damit etwa auch dessen Art. 15 – auch heute noch Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung ist, verdankt sich mehreren Mechanismen der Rechtsüberleitung.66 Religionsrechtlich bedeutsam sind auch Grundrechtsbestimmungen des Staatsvertrags von Saint Germain aus dem Jahr 1919,67 von denen im vorliegenden Kontext einzig Art. 66, der das Prinzip der Gleichbehandlung u. a. im Hinblick auf Religion und Weltanschauung zum Ausdruck bringt, genannt sei. Dies war auch bereits für Art. 7 Abs. 1 der Stammfassung des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 (B-VG)68 der Fall. Die Übernahme der EMRK im Jahr 1958, die – wie bereits erwähnt – in Österreich Verfassungsrang genießt, trug zu einer wesentlichen Bereicherung der Grundrechtslandschaft bei.69 Der in Art. 15 StGG den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften gewährte Schutz der „inneren Angelegenheiten“ ist bis zu einem bestimmten Grad auch durch Art. 9 EMRK abgedeckt, wobei dieser Schutz grundsätzlich unabhängig vom Status gewährt wird, der der Religionsgemeinschaft im jeweiligen nationalen Recht eingeräumt ist.70 Dabei wird nicht nur der Anspruch von Religionsgemeinschaften auf Erlangung von Rechtspersönlichkeit im staatlichen Recht,71 sondern auch deren Selbstverwaltungsrecht bzw. autonome Existenz geschützt,72 wobei die Rechtsprechung des EGMR hier insbesondere den Schutz organisatorischer Strukturen anspricht. Dies ist insofern bemerkenswert, als Art. 9 EMRK ursprünglich nur individueller Schutzcharakter zugemessen worden war. Von religionsrechtlicher Tragweite ist auch Art. 2 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK:73 Demnach hat der Staat im Zuge der „Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiö66
Siehe Schima, Die Entfaltung (Anm. 18), S. 29 und 36. StGBl. Nr. 303/1920. 68 Stammfassung: StGBl. Nr. 450/1920. 69 Zum grundsätzlichen religionsrechtlichen Gehalt und zum Verhältnis zu anderen Grundrechtsquellen siehe Schima, Die Entfaltung (Anm. 18), S. 36 – 39. 70 Siehe Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München 62016, S. 366 f. 71 EGMR 13. 12. 2001, 45701/99 (Metropolitan Church of Bessarabia u. a. vs. Republik Moldau), Z 105; EGMR 05. 10. 2006, 72881/01 (The Moscow Branch of the Salvation Army vs. Russland), Z. 71. 72 EGMR 26. 10. 2000, 30985/96 (Hasan u. Chaush vs. Bulgarien), Z. 62; EGMR 13. 12. 2001, 45701/99 (Metropolitan Church of Bessarabia u. a. vs. Republik Moldau), Z. 118; EGMR 22. 01. 2009, 412/03 u. a. (Holy Synod of the Bulgarian Orthodox Church u. a.), Z. 103. 73 BGBl. Nr. 210/1958. 67
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sen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen“. Schließlich ist Art. 14 EMRK zu beachten, wonach der Genuss der in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung insbesondere der Religion zu gewähren ist. Das hier verankerte Diskriminierungsverbot ist somit akzessorisch, und dies nach heutigem Verständnis in der Weise, „dass der einer möglichen Diskriminierung zugrunde liegende Sachverhalt in den Regelungsbereich eines Konventionsrechts fällt“.74 2. Religionsrechtliche Sondergesetze als Belege für die Dominanz des Kooperationsgedankens Im religionspolitischen Bereich stand zunächst vor allem die Frage nach der Weitergeltung des Konkordats 1933/34 im Vordergrund. Diese Weitergeltung wurde auf völkerrechtlicher Ebene schließlich vollends bejaht, während auf innerstaatlicher Ebene das Konkordat teilweise als durch nachfolgende Gesetze durchbrochen angesehen wurde. Durch Zusatzkonkordate kam es während der frühen Sechzigerjahre weitgehend zu einem Ausgleich zwischen völkerrechtlichen und innerstaatlichen Disharmonien.75 Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Staat und Katholischer Kirche war von Koordination bzw. Kooperation gekennzeichnet. Durch Erlassung des ProtestantenG 1961 wurde schließlich ein durch ein Jahrhundert währender Prozess in Richtung der Erlangung voller Gleichberechtigung mit der Katholischen Kirche abgeschlossen. Das gemeinsame Vorgehen von Staat und Kirche im Zuge der Gesetzeswerdung stellt einen der deutlichsten Belege für das Kooperationssystem dar.76 Es war durchaus kein Willkürakt, wenn die grundsätzliche Position der Evangelischen Kirche nun in der Weise geregelt wurde, dass man die Existenz einer Evangelischen Kirche A. u. H. B., die aus den Evangelischen Kirchen A. B. und H. B. besteht – somit unterliegen dem ProtestantenG genau genommen drei Kirchen – im Gesetz verankerte (§ 1 Abs. 1 – einzige Bestimmung des Gesetzes, der Verfassungsrang zukommt!). Wie in Art. II des Konkordats in Bezug auf die Katholische Kirche wird im ProtestantenG zum Ausdruck gebracht, dass die Evangelische Kirche „die Stellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts […] genießt“ (§ 1 Abs. 2 I). Ähnlich dem Konkordat wird dies auch in Bezug auf die Kirchengemeinden zum Ausdruck gebracht (§ 3), und von großer Bedeutung sind die einschlägigen Ausführungen in den Erläu-
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Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention (Anm. 70), S. 38. Siehe Schima, Wiederaufbau (Anm. 48), S. 324 – 356. Konkordatswidrig ist genau genommen das bestehende staatliche Eherecht, das auf dem in der Zeit des Nationalsozialismus übernommen Prinzip der obligatorischen Ziviltrauung beruht, wo sich Österreich in Art. VII § 1 des Konkordats verpflichtet hatte, gemäß katholischem Kirchenrecht geschlossenen Ehen „die bürgerlichen Rechtswirkungen“ zuzuerkennen. 76 Zur Genese des Gesetzes siehe Otto Fischer, Das Protestantengesetz 1961. Mit Erläuternden Bemerkungen (= KuR 3), Wien 1962. 75
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ternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage:77 Die Wortfolge „genießen die Stellung von Körperschaften öffentlichen Rechts“ wird damit begründet, dass Kirchengemeinden „ihren rechtlichen Bestand nicht vielleicht vom Staat als dessen juristische Geschöpfe ableiten, sondern vielmehr als Teile der Evangelischen Kirche an deren präpositiver Existenz teilhaben“. Bloß im Hinblick auf „die Bewertung ihres äußeren Rechtsstatus im Rahmen der staatlichen Rechtsordnung“ seien sie „als den Körperschaften des öffentlichen Rechts gleichstehend“ zu respektieren. Damit kommt in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, dass es sich bei den Kirchengemeinden um keine staatlichen Institutionen bzw. besonders staatsnahe Einrichtungen handelt. Sie sind eben „Korporationen sui generis“.78 Mit seiner Maximalgewährung von Kirchenfreiheit ist das ProtestantenG als „religionsrechtliches Mustergesetz der 2. Republik“ zu betrachten.79 In der Tat geht es diesbezüglich insofern über das Konkordat 1933/34 hinaus, als kirchliche Sprengelbildungen und Ämterbesetzungen völlig frei erfolgen (vgl. v. a. §§ 4, 7 und 8).80 Selbst die Bestellung evangelischer Militärseelsorger erfolgt frei von staatlicher Einflussnahme (§ 17). Der Kooperationsgedanke wird v. a. durch jene Bestimmung unterstrichen, in der das Recht der Evangelischen Kirchenleitung zur Abgabe von Stellungnahmen bei Gesetzesvorhaben, die Religionsgemeinschaften „im allgemeinen oder den Wirkungsbereich der Evangelischen Kirche im besonderen berühren“ (§ 14 Abs. 1).81 In gleichheitsrechtlicher Hinsicht stellt die einfachgesetzliche Verankerung des so genannten „Meistbegünstigungsprinzips“ ein sichtbares Signal für den Willen des Staates nach paritätischer Behandlung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften dar. Damit wird etwas, das aus Art. 15 StGG abgeleitet wird, explizit geäußert: Bei Setzung sämtlicher Hoheitsakte ist der Gleichheitsgrundsatz im Verhältnis zur rechtlichen und tatsächlichen Stellung aller anderen gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften zu beachten (§ 1 Abs. 2 III). Ungeachtet dessen, dass die Praxis im Umgang mit dieser Bestimmung eher von Zurückhaltung geprägt sein dürfte, was die Gewährung eines durchsetzbaren Anspruchs betrifft, so geht man 77 448 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, IX. Gesetzgebungsperiode, online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/IX/I/I_00448/imfname_330595.pdf (eingesehen am 24. 06. 2019). 78 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 9), S. 71 f. 79 Ebd., S. 546. 80 Vgl. dagegen für die Katholische Kirche die Diözesanerrichtungsbestimmungen (Art. III § 1) und die Regelungen des „Verfahrens der politischen Klausel“ (Art. IV § 2) des Konkordats. Für Änderungen im Bestand der Kirchenprovinzen und Diözesen und wesentlichen Grenzänderungen derselben ist ein einvernehmliches Vorgehen zwischen Staat und Katholischer Kirche notwendig (Art. III § 1). Bei der Bestellung von Metropoliten, Diözesanbischöfen und Koadjutoren besteht insofern eine staatliche Ingerenz, als die Bundesregierung berechtigt ist, Bedenken „allgemein politischer Natur gegen die Ernennung“ des in Aussicht genommenen Kandidaten geltend zu machen. 81 Das ist heute insofern beachtlich, als auch Rechtssetzungsvorhaben betroffen sein können, die ihren Weg nicht über einen Ministerialentwurf gehen, der heute üblicherweise ohnehin einem öffentlich zugänglichen Stellungnahmeverfahren unterzogen wird.
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nicht fehl, hierin eine Verheißung religionsrechtlicher Gleichbehandlung zu erkennen, die allen gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften zukommen soll.82 Dies würde etwa im Sinne formeller Parität die gleiche Behandlung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften als Einrichtungen betreffen, die die Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts genießen. Im Sinne des Kooperationsgedankens gestaltet ist auch das OrthodoxenG 1967.83 Es enthält zahlreiche Verweisungen auf Regelungen des ProtestantenG. Wenn freilich für den Fall, dass Mängel der Satzung einer Kirchengemeinde auch nach Setzung einer Nachfrist nicht behoben oder vertretungsbefugte Organe trotz Aufforderung nicht bestellt werden, die Bestellung eines Kurators vorgesehen wird (§ 12 Abs. 2), so lassen sich Anklänge staatlicher Kirchenhoheit erkennen. Dies erscheint mit Blick auf die Religionsfreiheit allerdings insofern nicht problematisch, als man mit Blick auf den so genannten „Cäsaropapismus“, wie er in der orthodoxen Tradition üblich war, einen derartigen Schritt als mit orthodoxem Selbstverständnis vereinbar halten kann. Dem folgte im Jahr 2003 das Orientalisch-Orthodoxe Kirchengesetz.84 Es regelt die Rechtsstellung dreier altorientalischer Kirchen, wobei zwei davon schon bisher anerkannt gewesen waren. Auch dieses Gesetz ist vom Geist der Kooperation getragen. Neu anerkannt wurde die Koptisch-orthodoxe Kirche, wobei diese das für eine im allgemeinen Anerkennungsweg mittlerweile erforderliche Mindestmitgliederzahlkriterium nicht erfüllte. Diese Anerkennungsvoraussetzung war durch das BekGG 1998 samt weiteren eingeführt worden (§ 11). Während diese gleich zu besprechende Erweiterung der Anerkennungsvoraussetzungen eine staatskirchenhoheitliche Note in sich trägt, zeigt sich im Willen des Gesetzgebers, die erstmalige Anerkennung einer christlichen Kirche an den allgemeinen Anerkennungsvoraussetzungen vorbei vorzunehmen, nicht nur ein Wille zur Kooperation, sondern auch ein Hang im Sinne der Erleichterung des Wirkens christlicher Kirchen.
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Vgl. Kalb/Potz /Schinkele, Religionsrecht (Anm. 9), S. 549 f. BGBl. Nr. 229/1967 idF. I Nr. 68/2011. 84 BGBl. I Nr. 20/2003. Zum Inhalt des Gesetzes und zur rechtlichen Situation vor Erlassung desselben siehe Brigitte Schinkele, Die Rechtsstellung der Orientalisch-orthodoxen Kirchen in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der Koptisch-orthodoxen Kirche, in: Hartmut Zapp/Andreas Weiß/Stefan Korta (Hrsg.), Ius Canonicum in oriente et occidente. Festschrift für Carl Gerold Fürst zum 70. Geburtstag (= AIC 25), Frankfurt a. M. 2003, S. 1041 – 1062. 83
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3. Die Erlassung des BekGG im Jahr 1998. Rückkehr staatlicher Kirchenhoheit? Im Jahr 1997 war eine Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs (VwGG) ergangen,85 aus der sich ableiten lässt, dass bei Vorliegen der im Anerkennungsgesetz 1874 geforderten Voraussetzungen die zuständige Behörde verpflichtet ist, eine Anerkennung auszusprechen. Als Reaktion darauf wurde im Jahr 1998 das BekGG erlassen, in dem die Anerkennungsvoraussetzungen erheblich vermehrt wurden.86 Zwar bildet der neu geschaffene Rechtspersonentyp der eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaft – er war als eine Art Vorstufe zur gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft konzipiert – den Hauptregelungsgegenstand des Gesetzes, doch wurden in § 11 zusätzliche Anerkennungsvoraussetzungen geschaffen und das Anerkennungsrecht somit erheblich rigoroser gestaltet als es zuvor der Fall gewesen war. Rechtstechnisch ist dieser Weg als abwegig zu beurteilen, legistisch korrekt wäre eine Novellierung des AnerkennungsG von 1874 gewesen.87 Während die Stammfassung des § 11 als erste Voraussetzung den „Bestand als Religionsgemeinschaft durch mindestens 20 Jahre, davon mindestens 10 Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes“ vorsah (ursprünglich Abs. 1 Z 1), wurde dies schließlich in einer Novelle aus dem Jahr 2011 in differenzierter Weise geregelt.88 In weiterer Folge wird als Anerkennungsvoraussetzung die Mindestzahl von zwei Promille der österreichischen Wohnbevölkerung vorgesehen (§ 11 Z 1 lit. d), was heute einer Zahl von etwas über 17.000 Mitgliedern entspricht. Ungeachtet der Bedenken, die sich aus einer derart hoch angesetzten Latte ergeben,89 hat man festzuhalten, dass das Bestreben des Gesetzgebers, die mit der gesetzlichen Anerkennung verbundenen Privilegien numerisch gering vertretenen Religionsgemeinschaften nicht zukommen zu lassen, sich nicht mit einem speziellen religionsrechtlichen Modell in Verbindung bringen lässt. Wenn als weitere Anerkennungsvoraussetzung die Gewissheit darüber normiert wurde, dass die Verwendung der Einnahmen und des Vermögens der betreffenden Religionsgemeinschaft religiösen Zwecken zukommen muss (§ 11 Z 2), so ist diese Bestimmung insofern vom Ge85
VwGH 28. 04. 1997, 06/10/0049. Zu Vorgeschichte und Inhalt siehe Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht. Anerkennung und Eintragung, Wien 1998, S. 70 – 75. 86 Zu diesen Anerkennungsvoraussetzungen siehe Stefan Schima, Neuerungen im österreichischen Anerkennungsrecht, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= KStT 61), S. 617 – 637, hier S. 624 – 628. 87 Kalb/Potz/Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht (Anm. 85), S. 110. 88 Bundesgesetzblatt I Nr. 78/2011. Einschlägig ist nunmehr § 11 Z 1, die Fristen sind nun flexibel gestaltet, und ein der Anerkennung vorausgehender Bestand als eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft ist nicht mehr zwingend gefordert. Zu Vorgeschichte und Inhalt dieser Bestimmung siehe Stefan Schima, Die wichtigsten religionsrechtlichen Regelungen des Bundesrechts und des Landesrechts, Jahrgang 2011, in: ÖARR 62 (2015), S. 70 – 125, hier S. 82 – 85. 89 Vgl. Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht (Anm. 9), S. 98.
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danken staatlicher Kirchenhoheit geprägt, als die Praxis der vorangehenden Jahrzehnte gezeigt hatte, dass die vermögensrechtliche Gebarung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften grundsätzlich dem Bereich innerer Angelegenheiten zugeordnet worden war. Aus eher unbestimmt gehaltenen Worten schimmert hier offensichtlich die Absicht durch, den Begriff der „inneren Angelegenheiten“ wieder enger auszulegen. Derselbe Trend wird aus jener damals neu normierten Anerkennungsvoraussetzung sichtbar, wonach die betreffende Religionsgemeinschaft eine „positive Grundeinstellung gegenüber Staat und Gesellschaft“ aufweisen muss (§ 11 Z 3). Offensichtlich sollte diese Vorschrift die Anerkennung von „Jehovas Zeugen“ verhindern helfen – ein Schritt, der dann allerdings im Jahr 2009 erfolgt ist –, und es ist unübersehbar, dass durch die Einführung dieser Anerkennungsvoraussetzung ein höheres Maß von Staatsnähe gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften eingefordert wurde.90 Keinem Modell der Staat-Religionsgemeinschaften-Beziehung zuzuordnen ist dagegen die im Jahr 1998 eingeführte Anerkennungsvoraussetzung, wonach „keine gesetzwidrige Störung des Verhältnisses“ zu anderen Religionsgemeinschaften bestehen darf (§ 11 Z 4).91 4. Die Neufassung des IsraelitenG 1890 im Jahr 2012: Ansätze staatlicher Kirchenhoheit Die im Jahr 2012 erlassene Neufassung des IsraelitenG 1890 ist in mehrfacher Weise von Gedanken staatlicher Hoheit über gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften durchdrungen, und dies ungeachtet dessen, dass die Führungsspitze der Israelitischen Religionsgesellschaft in die Genese dieser Neufassung einbezogen war.92 Die Israelitische Religionsgesellschaft „ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts“ (§ 1) und dasselbe wird in Bezug auf jede Kultusgemeinde ausgesagt (§ 5 Abs. 1). Damit wird jener Gedanke verlassen, der v. a. in Zusammenhang mit der Erlassung des ProtestantenG 1961 eingehend reflektiert worden war: Dass eben gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften keine Körperschaften öffentlichen Rechts im herkömmlichen Sinn sind, sondern die entsprechende Stellung „genießen“. Die Formulierungen des neu gefassten IsraelitenG lassen gesetzlich anerkannte Religi90 Dies hat auch in Anbetracht der Tatsache zu gelten, dass die Erläuternden Bemerkungen zur einschlägigen Regierungsvorlage zum BekGG, Nr. 938 der 20. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates diese Anerkennungsvoraussetzung mit den Worten „Akzeptanz des pluralistischen Rechtsstaates“ und „Bejahung der grundsätzlichen staatlichen Ordnung“ sinngemäß abschwächen. 91 Zu Recht wurde in der Literatur festgehalten, dass davon nicht jede gesetzwidrige Störung betroffen sein kann, sondern insbesondere strafrechtliche Tatbestände zum Schutz des religiösen Friedens: Kalb/Potz/Schinkele, Religionsgemeinschaftenrecht (Anm. 85), S. 117. 92 Zu dieser „Novelle“, bei der es sich in Wahrheit um eine „Totalrevision“ handelt, siehe Gartner, Das neue österreichische Israelitengesetz (Anm. 1), S.183 – 211, wobei der Begriff der „Totalrevision“ auf S. 183 gebraucht wird; siehe ferner Richard Potz/Brigitte Schinkele, Das neue Israelitengsetz 2012, in: ÖARR 60 (2013), S. 303 – 335; Schima, Neuerungen (Anm. 86), S. 635 – 637.
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onsgemeinschaften und deren Gemeinden in einer engeren Anbindung an den Staat erscheinen, als dies bisher der Fall gewesen war. Damit wird nicht nur der Gedanke, dass es sich bei gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften um „Körperschaften sui generis“ handelt, verlassen, sondern auch die von Wilhelm Kahl dargelegte Konzeption der „qualifizierten Korporation“. Der Gedanke staatlicher Hoheit führt hier somit noch weiter.93 Überraschend mutet ferner jene Bestimmung an, der zufolge sowohl die Religionsgesellschaft als auch die Kultusgemeinden ihre Funktionsträger – auch die „religiösen“ – abzuberufen haben, wenn diese „durch ein inländisches Gericht wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind oder durch ihr Verhalten die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit und Moral oder die Rechte und Freiheiten anderer nachhaltig gefährden“ (§ 13). Zwar gab es in der Stammfassung des IsraelitenG 1890 eine ähnliche Regelung (§ 31), doch stellte die Bestimmung aus dem Jahr 2012 einen Fremdkörper in der religionsrechtlichen Landschaft der Zweiten Republik dar.94 Man geht nicht fehl, hier eine Benachteiligung gegenüber christlichen Kirchen zu konstatieren. Ferner ist die Möglichkeit der Wahlaufsichtsbeschwerde zu nennen. Für den Fall der Wahl außenvertretungsbefugter Organe oder von Religionsdienern wird jedem (potentiell) aktiv Wahlberechtigtem das Recht zuerkannt, nach Ausschöpfung der innerreligionsgemeinschaftlichen Möglichkeiten eine Wahlaufsichtsbeschwerde an den zuständigen Bundesminister zu erheben (§ 20 Abs. 2). Zu Recht wurde in der Literatur die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer auf innerreligionsgemeinschaftliche Wahlen bezogene Beschwerdemöglichkeit v. a. im Hinblick auf Art. 15 StGG in Frage gestellt.95
93 In ausführlicher Weise hat sich Wolfgang Wieshaider, Zur Rechtspersönlichkeit gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften, in: ÖARR 60 (2013), S. 336 – 346, mit den einschlägigen Gesetzesformulierungen befasst. Sinngemäß kommt er zu dem Schluss, dass Körperschaften öffentlichen Rechts in typischer Ausformung gar nicht existieren, was wiederum die Konzeption gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften als öffentlich-rechtliche Korporationen sui generis in Frage stellt. Die Diskussion sollte damit nicht beendet sein: Vielleicht bietet sich die Antwort an, den „sui generis“-Charakter insofern zu bejahen, als es bei den „inneren Angelegenheiten“ um Belange geht, die typischerweise in einem Spannungsverhältnis zu allgemeinen staatlichen Vorgaben stehen können. 94 Das OrthodoxenG 1967 enthält eine Bestimmung, wonach die Bestellung von Personen, die „wegen eines Verbrechens rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden sind“, nicht als vertretungsbefugte Organe für den staatlichen Bereich bestellt werden können (§ 9 Abs. 2). Hier geht es also lediglich um Vertretungsorgane nach staatlichem Recht und nur um eine negative Bestellungsvoraussetzung. Weder das ProtestantenG 1961 noch das Orientalischorthodoxe KirchenG 2003 enthalten eine derartige Bestimmung. In Bezug auf Rechtsquellen des 20. Jh. wäre noch auf das Konkordat 1933/34 hinzuweisen, die in eine ähnliche Richtung wiesen (Art. XI § 2 und Art. XX Abs. 3), doch wurden diese durch den Vermögensvertrag 1960 außer Geltung gesetzt (Art. VIII Abs. 2). 95 Gartner, Das neue österreichische Israelitengesetz (Anm. 1), S. 209 f.
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Auf Kritik stieß schließlich die Möglichkeit der Kuratorenbestellung (§ 21).96 Demnach ist für den Fall, dass die Funktionsperiode der zur Außenvertretung befugten Organe der Religionsgemeinschaft oder der Kultusgemeinde zumindest um sechs Monate überschritten ist oder aus anderen Gründen keine Handlungsfähigkeit der Religionsgemeinschaft oder der betreffenden Kultusgemeinde mehr besteht, nach Erfüllung weiterer Voraussetzungen ein staatlicher Kurator zu bestellen. Diese Vorschrift ist der im OrthodoxenG vorgezeichneten Kuratorenstruktur nachgebildet, wobei allerdings nicht übersehen werden darf, dass derartige staatliche Ingerenzrechte dem Selbstverständnis der Orthodoxen Kirche eher entsprechen als dem Judentum. Dieser „staatskirchenhoheitliche“ Zug erscheint hier eher als problematisch als im Kontext mit dem OrthodoxenG.
5. Die Anerkennung der „Freikirchen in Österreich“: Aufbäumen des Kooperationsgedankens, Ausdrucksform staatlicher Kirchenhoheit oder angewandtes Staatschristentum? Im Jahr 2013 erfolgte die Anerkennung der „Freikirchen in Österreich“.97 Es handelt sich um eine gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft, die sich in Wahrheit aus insgesamt fünf Freikirchen zusammensetzt. Die Anerkennung erfolgte im Verordnungsweg und dabei wären die Voraussetzungen des AnerkennungsG 1874 und des § 11 BekGG zu erfüllen gewesen. Für sich alleine wären diese Kirchen nicht in der Lage gewesen, das für die Anerkennung erforderliche Kriterium der Mindestmitgliederzahl von zwei Promille der österreichischen Wohnbevölkerung zu erfüllen. Rege staatliche Mithilfe unter dem Beistand des Wiener katholischen Metropoliten und Führungspersonen der Evangelischen Kirche waren dafür maßgeblich, dass dieser ungewöhnliche Schritt erfolgen konnte. Die Bezeichnung „Freikirchen in Österreich“ gibt insofern zu Missverständnissen Anlass, als sie einen gewissen Exklusivitätsanspruch nahelegt. Doch gibt es in Österreich Religionsgemeinschaften mit freikirchlichem Selbstverständnis, die nicht zu den „Freikirchen in Österreich“ gehören. Nachdem im Schuljahr 2014/15 der schulische Religionsunterricht aufgenommen wurde, zeigte sich in gewisser Weise eine mangelnde Integrationsfähigkeit innerhalb der neu anerkannten Religionsgemeinschaft: So konnte es vorkommen, 96
Siehe etwa Potz/Schinkele, Das neue Israelitengesetz (Anm. 92), S. 332 f. Verordnung der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend die Anerkennung der Anhänger des Bundes der Baptistengemeinden, des Bundes Evangelikaler Gemeinden, der ELAIA Christengemeinden, der Freien Christengemeinde – Pfingstgemeinde und der Mennonitischen Freikirche in Österreich als Kirche (Religionsgesellschaft), BGBl. II Nr. 250/2013. Siehe dazu Brigitte Schinkele, Gesetzliche Anerkennung der „Freikirchen in Österreich“ aus religionsrechtlicher Sicht, in: ÖARR 60 (2013), S. 357 – 363; Karl W. Schwarz, Der österreichische Protestantismus im Spiegel seiner Rechtsgeschichte (= JusEccl 117), Tübingen 2017, S. 284 – 286 und S. 299 – 303; Stefan Schima, Die wichtigsten religionsrechtlichen Regelungen des Bundesrechts und des Landesrechts, Jahrgang 2013, in: ÖARR 65 (2018), S. 45 – 90, hier S. 83 f. 97
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dass Eltern, die sich einer baptistischen Richtung zugehörig fühlten, nicht damit einverstanden waren, dass ihre Kinder den Religionsunterricht einer Lehrkraft besuchten, die einer Pfingstgemeinde zuzurechnen war. Im Fall der Anerkennung der „Freikirchen in Österreich“ hat der Staat dazu beigetragen, sich einen Kooperationspartner im Bereich der Freikirchen geradezu selbst zu erschaffen, was einen Aspekt herausragender staatlicher Kirchenhoheit darstellt. Dass dies in Kooperation mit den entsprechenden Freikirchen erfolgte, kann allerdings ebenso wenig in Abrede gestellt werden wie die einschlägige Kooperationsbereitschaft katholischer und evangelischer Kirchenvertreter. Doch muss in Anbetracht dessen, dass bereits im Oktober des darauffolgenden Jahres ein Ministerialentwurf veröffentlicht wurde, der die Rechtsstellung gesetzlich anerkannter islamischer Religionsgemeinschaften zum Gegenstand hatte,98 ohne den üblichen Grad von Kooperation mit den betreffenden Gemeinschaften zustande kam und zumindest in formeller Hinsicht Benachteiligungen für diese enthielt, gefragt werden, inwieweit hier staatschristliche Konturen zum Vorschein kommen. Dieser Ministerialentwurf hatte formell zwar nur eine Novelle des IslamG 1912 intendiert, inhaltlich handelt es sich allerdings um den Ministerialentwurf zu einem neuen Gesetz – dem IslamG 2015.
V. Staatschristentum in Österreich? Versuch einer Fragenbeantwortung unter Berücksichtigung der Rechtsstellung des Islams 1. Ansätze einer gewissen Vorrangstellung des Christentums gegenüber anderen Religionen a) Einführende Bemerkungen: Nach Schilderung der korporativ einschlägigen Religionsrechtsentwicklung bis 2015 darf ein kurzer Überblick über jene Aspekte nicht fehlen, die das Christentum in gewisser Weise als bevorrechtet gegenüber anderen Religionen erscheinen lassen. Zu dem eingangs erwähnten Vorteil der vergleichsweise hohen Organisationsdichte von Kirchen, die diese in Bezug auf die Strukturen eines Anerkennungsrechts genießen, darf hier zunächst auf den breiten Umfang des in Österreich vorfindlichen sozialen Engagements hingewiesen werden, das v. a. in der katholischen „Caritas“ und der evangelischen „Diakonie“ zum Ausdruck kommt. Auch wenn sozial ausgerichtete muslimische Einrichtungen in Österreich immer mehr an Bedeutung gewinnen, wird hier doch ein Traditionsstrang sichtbar, der mit dazu beigetragen hat, dass sich katholische und evangelische Stellen bzw. Einrichtungen in Gesetzesbegutachtungsverfahren wesentlich mehr eingebracht haben als dies bei muslimischen Einrichtungen der Fall war. Ferner sind Aspekte der Staatssymbolik zu nennen, die in Österreich sichtbar werden: so etwa das 98 Ministerialentwurf Nr. 69, 25. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates, online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00069/index.shtml (eingesehen am 04. 07. 2019).
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Kreuz in Wappen von Bundesländern. Hier kann man davon ausgehen, dass keine religiösen Äußerungen impliziert sind, sondern im Wesentlichen die kultur-historische Dimension eines Staates zum Ausdruck kommt.99 b) Christliche Prägung der staatlichen Feiertagsordnung: Die staatliche Feiertagsordnung ist eindeutig christlich geprägt.100 Staatliche Feiertage zeichnen sich gemäß dem ArbeitsruheG101 durch den grundsätzlichen Anspruch auf Arbeitsruhe aus, wobei für den Fall trotzdem erbrachter Arbeitsleistungen dem betroffenen Arbeitnehmer bzw. der betroffenen Arbeitnehmerin erhöhtes Entgelt gebührt (§ 9 Abs. 5). Dass sowohl das IsraelitenG in seiner Fassung vom Jahr 2012 (§ 10) als auch das IslamG 2015 (§§ 13 und 20) Bestimmungen betreffend staatlich anerkannte Feiertage der jeweiligen Religionsgesellschaft kennen, darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die staatliche Anerkennung dieser Feiertage grundsätzlich nicht auf den Bereich der Arbeitsruhe erstreckt. Gerade diese Regelungen bilden somit einen Beleg für eine gewisse Vorrangstellung des Christentums vor anderen Religionen. Eine gewisse Neuakzentuierung bzw. Abmilderung hat die Frage der christlichen Note des staatlichen Feiertagsrechts durch die Einführung eines so genannten „persönlichen Feiertages“ als Ergebnis des in den ersten Monaten des Jahres 2019 ausgetragenen Konflikts um den Rang des Karfreitags in der österreichischen Rechtsordnung mit sich gebracht: In durch die jüngste Novelle des ArbeitsruheG eingefügten Bestimmungen wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Recht zugestanden, innerhalb des Urlaubskontingents einseitig einen Tag zu bestimmen, der arbeitsfrei ist, wobei für den Fall an diesem Tag erbrachter Arbeitsleistungen doppeltes Entgelt gebührt (§ 7a). Es verwundert nicht, wenn diese Neuregelung von muslimischer Seite begrüßt wurde: Denn damit kann ein „Rechtsanspruch der Muslime“ 99 Anders verhält es sich offensichtlich mit dem Beschluss des bayrischen Landeskabinetts, wonach seit 1. Juni 2018 im Eingangsbereich aller Dienstgebäude des Freistaats Bayern Kreuze anzubringen sind: Siehe online unter: https://www.welt.de/regionales/bayern/arti cle175763272/Bekenntnis-zu-Grundwerten-Bayern-beschliesst-Kreuz-Pflicht-fuer-Behoerden. html (eingesehen am 25. 06. 2019). Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, in seiner Betonung der religiösen Bedeutung des Kreuzes Töne der Einmahnung religiöser Neutralität anklingen ließ: Vgl. „Der Tagesspiegel“ vom 30. 04. 2018, online unter: https://www.nzz.ch/international/russland-men schenrechtsgerichtshof-als-stachel-im-fleisch-ld.1491542 (eingesehen am 26. 06. 2019). Nicht näher eingegangen werden kann auf die so genannte „Präambelthematik“. In Präambeln österreichischer Landesverfassungen spielt das Christentum per se keine Rolle. Wenn allerdings in der Präambel zur Tiroler Landesordnung, LGBl. Nr. 61/1988idF Nr. 71/2019, ein Gottesbezug enthalten ist, ist dies zweifelsohne ein Hinweis auf die historische christliche Prägung des Landes. Zu den Hintergründen siehe Peter Pernthaler, Gott in der Verfassung, in: ÖARR 47 (2000), S. 177 – 201. Zu religiösen Bezügen in Präambeln von EU-Rechtsquellen siehe Stefan Schima, Die wichtigsten religionsrechtlichen Regelungen des Bundesrechts und des Landesrechts, Jahrgang 2009, in: ÖARR 59 (2012), S. 346 – 390, hier S. 371 f. 100 Dass insbesondere der Fronleichnamstag (60 Tage nach Ostern) und das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariä (8. Dezember) katholisch konnotiert sind, muss an dieser Stelle nicht näher vertieft werden. 101 BGBl. Nr. 144/1983 idF I Nr. 22/2019.
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auf einen arbeitsruhefreien Feiertag in Verbindung gebracht werden.102 Die weitgehend christliche Prägung der staatlichen Feiertagsordnung wird man mit Blick auf die bedeutende Rolle des nationalstaatlichen Beurteilungsspielraums (margin of appreciation) insbesondere in kulturellen bzw. kulturhistorischen Fragen (was auch in den religionsrechtlichen Bereich ausschlagen kann)103 nicht als diskriminierend gegenüber anderen Religionen bzw. Weltanschauungen werten können. c) Vorschriften betreffend die Anbringung von Kreuzen in Gerichtssälen, Klassenzimmern, Kindergärten und Horten.104 Dass sie in einem Spannungsverhältnis zu der v. a. durch Art. 9 EMKR gewährleisteten Religions- und Weltanschauungsfreiheit zum elterlichen Erziehungsrecht im Sinne des Art. 2 1. ZP EMRK und zum Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK stehen, ist unbestritten. In Österreich gibt es zwar unterschiedliche Gruppen von Kreuzanbringungsvorschriften in Schulen, doch hervorgehoben sei die in § 2b Abs. 1 ReligionsunterrichtsG 1949105 geregelte Konstellation, die durch das Schlußprotokoll zum Schulvertrag 1962106 – dieser ist eines der Zusatzkonkordate aus der Zeit der frühen Zweiten Republik – eine Bekräftigung erfuhr und für die meisten Schultypen maßgeblich ist: Demnach sind an den entsprechenden Schulen, in denen die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler einem christlichen Bekenntnis angehört, in allen Klassenzimmern ein Kreuz anzubringen. Diese Rechtslage entspricht zwar damit nicht mehr der vergleichsweise zwingenden italienischen, die Gegenstand von Entscheidungen des EGMR war,107 doch erging im Jahr 2011 ein Erkenntnis des VfGH,108 das die Kreuzanbringungspflicht in niederösterreichischen Kindergärten zum Gegenstand hatte und die in gleicher Weise gegeben ist, wie die Kreuzanbringungspflicht im Sinne des ReligionsunterrichtsG bzw.
102 So Ümit Vural, Präsident der IGGÖ, vgl. die ORF-Meldung online unter: https://religi on.orf.at/stories/2966925/ (eingesehen am 04. 07. 2019). 103 Vgl. etwa EGMR (Große Kammer) 18. 03. 2011, 30814/06 (Lautsi vs. Italien), Z. 68 – 71, 73 und 76. 104 Siehe Herbert Kalb/Richard Potz/Brigitte Schinkele, Das Kreuz in Klassenzimmer und Gerichtssaal (= RrSt 1), Freistadt 1996. Für Gerichtssäle ist die Rechtslage etwas diffus: Siehe auch Stefan Schima, Staat und Religionsgemeinschaften in Österreich – Wo stehen wir heute? (Versuch eines Vergleichs mit der Zeit Konstantins, genannt „der Große“, in: Christian Wagnsonner/Karl-Reinhart Trauner/Alexander Lapin (Hrsg.), Kirchen und Staat am Scheideweg? 1700 Jahre Mailänder Vereinbarung, Wien 2015, S. 111 – 161, hier S. 135. Was Klassenzimmer betrifft, sei hier lediglich auf § 2b Abs. 1 ReligionsunterrichtsG 1949 (BGBl. Nr. 190/1949 idF I 2017/138) und das Schlussprotokoll zum Schulvertrag 1962 (BGBl. Nr. 273/1962 idF Nr. 289/1972) hingewiesen. Zu weiteren Vorschriften und landesrechtlichen Regelungen betreffend Kindergarten und Horte siehe die Beiträge in ÖARR 57 (2010), S. 353 – 416. 105 BGBl. Nr. 190/1949 idF I Nr. 138/2017. 106 BGBl. Nr. 273/1962. 107 EGMR (Große Kammer) 18. 03. 2011, 30814/06 (Lautsi vs. Italien); diesem Urteil, in dem die italienische Rechtslage als EMRK-konform angesehen wurde, war im selben Fall ein EMRK-Urteil am 03. 11. 2009 vorangegangen, dessen Ergebnis konträr gewesen war. 108 VfSlg 19349/2011.
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des Schlußprotokolls zum Schulvertrag in Bezug auf Klassenräume.109 Die Kreuzanbringungsvorschriften in Kindergärten und Schulen erweisen sich nun in Anbetracht der kürzlich ergangenen so genannten „Kopftuchverbote“ als noch problematischer. Österreich ist eben kein Trennungsstaat, und das Kopftuchverbot für Kindergartenkinder und Volksschülerinnen110 trägt zu einer Asymmetrie bei, die auf eine Verletzung religiöser Neutralität hindeutet, und dafür bildet nicht zuletzt die Rechtsprechung des EGMR einen Beleg.111 d) Nachrangige Stellung islamisch geprägter Vorschriften im Internationalen Privatrecht: Wenn es um die Anwendbarkeit ausländischen Rechts in Österreich geht, bildet § 6 des Internationalen PrivatrechtsG112 eine Schranke: Gemäß der so genannten ordre-public-Klausel ist eine ausländische Regelung nicht zu beachten, wenn ihre Anwendung zu einem mit den „Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung“ unvereinbaren Ergebnis führen würde. Betroffen sind dabei etwa islamisch geprägte Vorschriften betreffend die Zulässigkeit der Polygamie, der einseitigen Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann oder die Religionsverschiedenheit als Ehehindernis.113 Christlich geprägte Eherechtsvorschriften sind weniger geeignet, mit den hier genannten „Grundwertungen“ in ein Spannungsverhältnis zu geraten. e) Hindernisse beim Minarettbau: Die Diskussionen um „Minarettbauverbote“ sind an Österreich nicht spurlos vorbeigegangen.114 In den Bundesländern Kärnten und Vorarlberg war ursprünglich ein absolutes Minarettbauverbot geplant. Ein sol109 Kritik an diesem Erkenntnis etwa bei Bernd-Christian Funk, Kreuze in niederösterreichischen Kindergärten. Kommentar zum Erkenntnis des VfGH vom 9. März 2011, in: ÖARR 57 (2010), S. 413 – 416. 110 In beiden Fällen handelt es sich um das Verbot des Tragens „weltanschaulich und religiös geprägter Bekleidung […] die mit einer Verhüllung des Hauptes verbunden ist“. Grundlage des Verbots in Kindergärten bildet zunächst eine Vereinbarung gemäß Art. 15a BVG zwischen dem Bund und den Ländern, BGBl. I Nr. 103/2018 (Art. 3 Abs. 1), wobei der entsprechende Stand der Landesgesetzgebung hier nicht näher untersucht werden muss. Für die Volksschulen ist die Novelle BGBl. I Nr. 54/2019 zum SchulunterrichtsG, BGBl. Nr. 472/ 1986, maßgeblich (neu eingefügter § 43a). 111 EGMR (Große Kammer) 18. 03. 2011, 30814/06 (Lautsi vs. Italien), Z. 74. Im vorliegenden Beitrag kann nicht auf das im Anti-GesichtsverhüllungsG, BGBl.I Nr. 68/2017 eingegangen werden: Es beinhaltet das Verbot der Gesichtsverhüllung an öffentlichen Orten und betrifft damit etwa Burka und Niqab: Siehe dazu Alina Schmidt/Marianne Höhl/Marianne Hrdlicka, Vollverschleierungsverbot und Verteilaktionen aus Sicht der Verwaltung, in: Hinghofer-Szalkay/Kalb, Islam, Recht und Diversität. Handbuch, Wien 2018, S. 435 – 454, hier: S. 436 – 451. 112 BGBl. Nr. 304/1978 idF I 58/2018. 113 Siehe Willibald Posch, Spannungsfelder zwischen Scharia und österreichischem Zivilrecht, in: ÖARR 57 (2010), S. 66 – 89. Auf später erlassene EU-Regelungen muss hier nicht eingegangen werden. 114 Zum Folgenden siehe auch Susanne Heine/Rüdiger Lohlker/Richard Potz, Muslime in Österreich. Geschichte. Lebenswelt. Religion. Grundlagen für den Dialog, Innsbruck 2012, S. 131 – 133; Wolfang Wieshaider, Ums Minarett, in: Hinghofer-Szalkay/Kalb, Islam, Recht und Diversität. Handbuch, Wien 2018, S. 423 – 433, hier S. 425 – 429.
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ches wäre mit Art. 9 EMRK zweifelsohne nicht in Einklang zu bringen. Man behalf sich unter Berufung auf den Stellenwert örtlicher Bautradition mit Regelungen des Bau- und Raumplanungsrechts und des Ortsbildschutzes, um im Ergebnis den Bau von Minaretten zu erschweren. f) Bevorzugte Vermittlung christlicher Bräuche in Kindergärten: In Oberösterreich wurde die Schaffung einer landesgesetzlichen Grundlage für die Vermittlung christlicher Werte in Kindergärten diskutiert. Im Ergebnis kam es dann im Jahr 2016 zu einer Novelle des Oberösterreichische KindergartenG,115 in der als Aufgabe von Kindergärten die Bedachtnahme „auf die traditionellen Feste und Feiern im Jahreskreis“ und Vermittlung von regionalem Brauchtum (§ 4 Abs. 3 Z 4a) formuliert wurde.116 Nicht zu Unrecht lässt sich hier erahnen, dass es dabei v. a. um die Bedachtnahme auf christliche Feste geht.117 2. Weisen Inhalte des IslamG 2015 in Richtung einer Bevorzugung des Christentums? Das in einigen Regelungen dem IsraelitenG in seiner Fassung vom Jahr 1912 nachgebildete IslamG 2015 – es regelt v. a. die Rechtsstellung gesetzlich anerkannter islamischer Religionsgemeinschaften – enthält zahlreiche Ansätze der „Staatskirchenhoheit“.118 Dass darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass gesetzlich anerkannten islamischen Religionsgesellschaften nun in vielerlei Bereichen eine im Vergleich zu vorangehenden Zeiten gesicherte Position eingeräumt wurde. Hier ist etwa an eine ausführliche legistische Grundlegung kategorialer Seelsorge zu denken, durch die gleichzeitig die staatliche Finanzierung der Militärseelsorge garantiert wird (§§ 11 und 18). Ferner wird die Stellung und Finanzierung islamisch-theologischer Studien an der Universität Wien geregelt (§ 24).119 115
Stammfassung: LGBl. Nr. 39/2007. Landesgesetzblatt Nr. 33/2016. 117 Siehe „Die Presse“ vom 29. 03. 2016, online unter: https://diepresse.com/home/bildung/ erziehung/4955883/Kindergarten_Nikolaus-kommt-per-Gesetz (eingesehen am 26. 06. 2019). 118 Siehe etwa die Kritik von Richard Potz, Eine „Polizei“ für die Religion(en)?, in: Wochenzeitung „Die Furche“ 37 (2017), S. 13. Zum Gesetz siehe auch Richard Potz/Brigitte Schinkele, Die Genese des österreichischen Islamgesetzes 2015, in: ÖARR 62 (2015), S. 303 – 385; Stefan Schima, Der Staat mischt sich ein: Das österreichische Islamgesetz, in: Georg Wenz/André Ritter (Hrsg.), Deutschland, die Kirchen und der Islam – über Sichtbarkeit und Bedeutungsverlust der Religionen, Landau in der Pfalz 2018, S. 45 – 63. Auf die Tatsache, dass das Gesetz eigene Bestimmungen über die Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften enthält, muss hier nicht näher eingegangen werden – im Ergebnis unterscheiden sich diese Regelungen nicht wesentlich von anderen Anerkennungsvorschriften. 119 Auf das Zusammenspiel der entsprechenden Bestimmungen – v. a. hinsichtlich der geforderten Ausbildung der betreffenden Seelsorgerinnen und Seelsorger und auf die Frage allfälliger Benachteiligungen der betroffenen Religionsgemeinschaften im Vergleich zur Rechtsstellung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten – kann hier nicht näher eingegangen werden. 116
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Doch nun zu den „staatskirchenhoheitlichen“ Ansätzen: Bereits die erläuternden Bemerkungen zum erwähnten Ministerialentwurf120 lassen ein derartiges Verständnis anklingen, und dies schon zu Beginn: Die etwas belehrend anmutende Art der Benennung maßgeblicher Ziele und Werte geht sogar über das hinaus, was in den Materialein zu den konfessionellen Gesetzen von 1874 zum Ausdruck gebracht wird.121 Gleich wie im IsraelitenG in der Fassung von 2012 die Israelitische Religionsgesellschaft mit ihren Kultusgemeinden werden im IslamG 2015 die gesetzlich anerkannten islamischen Religionsgesellschaften und ihre Kultusgemeinden vorbehaltlos unter den Begriff der Körperschaft öffentlichen Rechts subsummiert (§§ 1 und 8 Abs. 1). Wenn schließlich eigens die Beachtung staatlicher Gesetze durch gesetzlich anerkannte islamische Religionsgemeinschaften, ihre Einrichtungen und ihre Mitglieder eingemahnt wird (§ 2 Abs. 2), so verschwimmen die Konturen des Begriffs der „allgemeinen Staatsgesetze“, wie er in Art. 15 StGG gebraucht wird, und es wird damit eine vergleichsweise hohe staatliche Eingriffsbereitschaft signalisiert. Wenn das Gesetz Regelungen enthält, wonach Vereine aufzulösen sind, wenn ihr Zweck in der Verbreitung der Religionslehre einer anerkannten islamischen Religionsgemeinschaft besteht (§§ 3 Abs. 4 und 31 Abs. 3), ist hier ein Ausfluss des aus Art. 15 StGG abgeleiteten Ausschließlichkeitsrechts anzutreffen. Dass dies in einem krassen Spannungsverhältnis zur Religionsfreiheit aber auch der etwa durch Art. 11 EMRK gewährten Vereinigungsfreiheit steht, braucht nicht näher erläutert zu werden. Derartige Bestimmungen stärken die Stellung gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften und tragen in gewisser Weise zur „Zentralisierung“ bei. Für den Staat hat dies den großen Vorteil, dass ihm eine Übersicht über islamische Vereinigungen in wirksamer Weise eingeräumt ist. Auch wird damit die Rolle der gesetzlich anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften als Ansprechpartnerinnen des Staates gestärkt. In diesen Bestimmungen wird man eher einen Ausfluss staatlicher Hoheit über Religionsgemeinschaften zu erblicken haben als eine Benachteiligung islamischer gegenüber christlichen Religionsgemeinschaften. Auffällig ist ferner jene Bestimmung, wonach es im Ergebnis erforderlich ist, dass gesetzlich anerkannte islamische Religionsgemeinschaften im Zuge der Darstellung ihrer Lehre gegenüber der zuständigen staatlichen Behörde u. a. den Text einer deutschsprachigen Koranübersetzung beizulegen haben (§ 6 Abs. 1 Z 5).122 Dies ist dem österreichischen Religionsrecht deswegen systemfremd, weil eher darauf ab120 Siehe oben Anm. 98. Zum Folgenden siehe auch meine Stellungnahme zu diesem Entwurf vom 28. 10. 2014, online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ SNME/SNME_02194/imfname_372317.pdf (eingesehen am 06. 07. 2019). 121 Vgl. Gautsch von Frankenthurn, Die confessionellen Gesetze (Anm. 50). 122 Dieses Verständnis ergibt sich mit einer Zusammenschau mit den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, Nr. 446 der 25. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates, online unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_00446/index.shtml (eingesehen am 05. 07. 2019).
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zustellen ist, wie eine Lehre heute praktiziert wird, als auf den Text der „Urschriften“ selbst.123 Viel diskutiert wird auch das so genannte „Auslandsfinanzierungsverbot“ (§ 6 Abs. 2):124 „Die Aufbringung der Mittel für die gewöhnliche Tätigkeit zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder hat durch die Religionsgesellschaft, die Kultusgemeinden bzw. ihre Mitglieder im Inland zu erfolgen.“ Dass sich diese Bestimmung v. a. gegen die Finanzierung von in Österreich tätigen Imamen durch andere Staaten richtet, ist unzweifelhaft. Der Wortlaut weist freilich in die Richtung, dass unter den gegebenen Voraussetzungen auch jede private ausländische Finanzierung verboten ist. Entgegen diesem Wortlaut hat der VfGH unter Berufung auf „verfassungskonforme Auslegung“ am 13. März 2019 entschieden, dass private Auslandsfinanzierung nicht unbedingt betroffen sein muss.125 Nach Ansicht des VfGH ist die Regelung „auf Zuwendungen von Seiten anderer Staaten und deren Einrichtungen, nicht jedoch auf Zuwendungen durch ausländische Private“ anzuwenden, wenn diesen privaten Zuwendungen keine „autonomiebeschränkende Wirkung […] zukommt“. Insgesamt ist festzuhalten: Mit der Verhinderung „autonomiebeschränkender Wirkung“ durch Dritte hat der VfGH den Eingriff in die korporative Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9 EMRK gerechtfertigt, und damit tritt der österreichische Staat als eine Institution auf, die beurteilt, welche Dritte dazu geeignet sind, die Autonomie einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft zu beeinträchtigen. Das ist durchaus im Sinne staatlicher Hoheit über Religionsgemeinschaften gedacht, und gegenüber christlichen Religionsgemeinschaften findet sich dieser Gedanke jedenfalls nicht in dieser Intensität. Wie das IsraelitenG in seiner Fassung von 2012 enthält auch das IslamG 2015 die Möglichkeit von Wahlaufsichtsbeschwerden (§ 28), und auch hier ist eine Bedenklichkeit im Hinblick auf den Schutz der „inneren Angelegenheiten“ im Sinne des Art. 15 StGG zu konstatieren. Dasselbe gilt für die Möglichkeit von Kuratorenbestellungen (§ 29). Wie bereits oben ausgeführt, entspricht der im Zusammenhang mit der Orthodoxen Kirche eingeführte Mechanismus der Kuratorenbestellung deren innerem Selbstverständnis, was weder hinsichtlich der Israelitischen Religionsgesellschaft noch hinsichtlich gesetzlich anerkannter islamischer Religionsgemeinschaften der Fall ist. Darüber hinaus enthält das IslamG 2015 ähnliche Bestimmungen 123 Auf Ebene der EMRK im Zusammenhang mit dem Auftreten einer politischen Partei vgl. EGMR 23. 02. 2003, 41340/98 u. a. (Refah partisi u. a. vs. Türkei). Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass im Islam der Koran in der Originalsprache von exklusiver Bedeutung ist und Übersetzungen grundsätzlich kein Stellenwert eingeräumt wird. 124 Siehe Stefan Schima, Das im Islamgesetz 2015 verankerte Verbot der Auslandsfinanzierung. Anmerkungen vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität. Handbuch, Wien 2018, S. 369 – 398. 125 VfGH 13. 03. 2019, E 3830 – 3832/2018 – 24, E 4344/2018 – 20, Z 73; online unter: https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_E_3830-3832_2018_E_4344_2018_13.03.2019.pdf (eingesehen am 06. 07. 2019).
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über die Enthebung religiöser Funktionsträger infolge der Begehung strafbarer Handlungen (§ 14), wie diese beim IsraelitenG in seiner Fassung von 2012 der Fall ist.
VI. Schluss Das österreichische Religionsrecht bietet zahlreiche Hinweise auf staatschristliche Ansätze. Die einschlägigen Aspekte erwiesen sich als derart vielfach, dass sich die entsprechenden Bemerkungen eher nur auf formelle Ansätze unterschiedlicher Behandlung des Christentums und von Kirchen einerseits und anderen Religionen bzw. nichtchristlichen Religionsgemeinschaften andererseits beziehen konnten. Aspekte der Rechtfertigungsebene konnten nur in geringem Umfang Behandlung finden, was im Ergebnis nicht zu Missverständnissen Anlass geben darf. Auch die politologische Seite der Betrachtungen konnte kaum Raum finden, und so wäre durchaus eine eigenständige religionsrechtlich grundierte Analyse des im Jahr 2017 verkündeten Programms der von ÖVP und FPÖ gestellten Bundesregierung mit dem wiederholt bekräftigten Vorhaben des „Kampfes gegen den politischen Islam“ von Interesse.126 Mittlerweile ist das „Regierungsprogramm 2020 – 2024“ an die Stelle des Programms von 2017 getreten.127 Ungeachtet dessen, dass statt der FPÖ nun „Die Grünen“ der Juniorpartner der ÖVP in der neu gebildeten Koalition geworden sind, hat sich an den entsprechenden Konturen nichts geändert. Die Frage nach der Etablierung eines Staatschristentums bleibt somit aktuell.
126 Vgl. das Regierungsprogramm auf der Website der Österreichischen Volkspartei, online unter: https://www.dieneuevolkspartei.at/download/Regierungsprogramm.pdf (eingesehen am 06. 07. 2019). 127 Siehe https://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_wzo/2020/01/02/200102-1510_regie rungsprogramm_2020_gesamt.pdf (eingesehen am 06. 01. 2020).
Die Integration jüdischer und muslimischer Gemeinschaften in die religionsverfassungsrechtlichen Ordnungsgefüge Deutschlands und Österreichs – einige rechtsvergleichende Gedanken Von Markus Schulten
I. Einleitung Der moderne Staat als souveräne Entscheidungseinheit beansprucht für sich das Recht, sein Verhältnis zur Religion und zu den Religionsgemeinschaften ausschließlich seiner Ordnungsgewalt zu unterwerfen.1 Dabei beschränkt er sich nicht nur darauf, die Formen rechtlicher Präsenz – etwa die Rechtsformen für den weltlichen Rechtsverkehr – auszugestalten, sondern macht seinerseits auch integrative Angebote, damit sich Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Gemeinwesen mit ihrem spirituellen und nicht zuletzt karitativen Engagement entfalten können. Die maßgeblichen religionsrechtlichen Weichenstellungen und Festlegungen genießen dabei nicht selten Verfassungsrang, wenngleich in Bezug auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchaus erhebliche Unterschiede in der näheren Ausgestaltung bestehen können.2 Dabei werden einseitig hoheitliche Gestaltungswege (Gesetze, Verordnungen etc.) ebenso beschritten wie kontraktuell-kooperative (Konkordate, Staatskirchenverträge, Verwaltungsabkommen usw.). Der religionsrechtlich-rechtsvergleichende (z. T. auch kontinentalübergreifende3), informativ-kritische4 Blick auf die damit in Verbindung stehenden Fragestellun1 Bernd Jeand’Heur/Stefan Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts (= Rechtswissenschaft heute), Stuttgart/München/Hannover (u. a.) 2000, § 5 Rn. 59. 2 Für einen ersten rechtsvergleichenden Überblick immer noch sehr hilfreich: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, Baden-Baden 22005. Jüngst erschienen: Stefan Mückl (Hrsg.), Kirche und Staat in Mittel- und Osteuropa. Die Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den Transformationsländern Mittel- und Osteuropas seit 1990 (= Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 56), Berlin 2017. 3 Wilhelm Rees (Hrsg.), Katholische Kirche im neuen Europa. Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder (= Forschung und Wissenschaft 2), Wien/Berlin 2007; Ders., Formen der Kirchenfinanzierung in Europa. Vergleich und Wertung einzelner Systeme, in: Die österreichischen Bischöfe 10 (2010), S. 18 ff.; Ders., Religionsfreiheit und religiös-weltanschauliche
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gen nimmt einen breiten Rahmen im wissenschaftlichen Œuvre von Wilhelm Rees ein.5 Themen wie etwa der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen6 nehmen dabei zugleich den Status wissenschaftlicher „Lebensthemen“ ein. Seinen Forschungen und Beiträgen inhärent ist die Suche nach den Hintergründen bestehender Zustände, stets im Blick ist der internationale Rechtsvergleich. Unterschiedliche Verfassungstraditionen, Denkschulen und politische Entwicklungen haben mitunter singuläre Regelungssysteme und religionsrechtliche Besonderheiten in den einzelnen europäischen Staaten geschaffen, die – trotz mancher inhaltlicher Parallelen im Einzelfall – in anderen religionsrechtlichen Gefügen in der gleichen Form deplatziert erschienen bzw. nicht übertragbar wären. Mit Blick auf die persönliche Herkunft und den beruflichen Wirkbereich des Jubilars bietet sich für die Neutralität des Staates in der Republik Frankreich und in der Republik Österreich, in: Marie L. Frick/Pascal Mbongo/Florian Schallhart (Hrsg.), Pluralismus Konflikte – Le pluralisme en conflicts. Österreichisch-Französische Begegnungen (= Forschung und Wissenschaft – Philosophie 13), Münster/Hamburg/Berlin (u. a.) 2010, S. 189 ff.; Ders., Staat und Kirche in Österreich und Slowenien. Kirchlicher Erwartungen – Entwicklungen – Zukunftsperspektiven, in: Dieter Binder/Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer (Hrsg.), Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft, Innsbruck 2006, S. 121 ff. 4 Wilhelm Rees, Religion-Staat-Politik. Anmerkungen aus religions- und kirchenrechtlicher Perspektive, in: Monika Datterl/Wilhelm Guggenberger/Claudia Paganini (Hrsg.), Glaube und Politik in einer pluralen Welt (=Theologische Trends 27), Innsbruck 2017, S. 91 ff. 5 Auswahl jüngerer Publikationen: Wilhelm Rees, Kirchenrechtliche Aspekte der Kirchenfinanzierung und das Kirchenbeitragssystem in Österreich, in: Ludger Müller/Ders./ Martin Krutzler (Hrsg.), Vermögen der Kirche – vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, Paderborn 2015, S. 17 ff.; Ders., Die katholische Militärseelsorge in Österreich als kirchliche und staatliche Einrichtung, in: Christian Wagnsonner/Karl-Reinhart Trauner/Alexander Lapin (Hrsg.), Kirche und Staat am Scheideweg? 1700 Jahre Mailänder Vereinbarung, Wien 2015, S. 173 ff.; Ders., Religionsund Meinungsfreiheit in Österreich mit Blick auf die Rechtsprechung, in: Brigitte Schinkele u. a. (Hrsg.), Recht – Religion – Kultur. Festschrift für Richard Potz zum 70. Geburtstag, Wien 2014, S. 705 ff.; Ders., Grundlagen und neuere Entwicklungen in der Verhältnisbeziehung von Staat und Religionsgemeinschaften in der Republik Österreich, in: Franz Matscher (u. a.) (Hrsg.), Eine Leben für Recht und Gerechtigkeit. Festschrift für Hans R. Klecatsky zum 90. Geburtstag, Wien/Graz 2010, S. 585 ff.; Ders., Theologische Fakultäten als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Vorgaben für die Neuordnung des theologischen Studiums, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrum für Grundlagenforschungen der Wissenschaften Salzburg 78), Bern/Frankfurt a. M./Berlin (u. a.), 2001, S. 443 ff. 6 Siehe nur: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog, Innsbruck 2017; Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986; Ders., Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR3, S. 1018 ff.; Ders., Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen für den katholischen Religionsunterricht, in: Burkhard Kämper/Klaus Pfeffer (Hrsg.), Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft. Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (= EssGspr. 49), Münster 2016, S. 75 ff.
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nachfolgende Betrachtung ein besonderer rechtsvergleichender Blick auf die religionsrechtlichen Systeme Deutschlands und Österreichs an, inklusive der Frage, wie diese beiden Staaten ihr Verhältnis zu den jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften ausgestalten. In Österreich wie in Deutschland haben sich die religionsrechtlichen Systeme und Garantien, insbesondere die individuelle wie kollektive Religionsfreiheit, aufgrund eines jahrhundertelangen Wechselspiels zwischen dem Staat und den christlichen Kirchen entwickelt und dabei (aus vielen Gründen) durchaus unterschiedliche Wege eingeschlagen. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in der Frage wider, wie das staatliche Recht auch kleineren oder jüngeren Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften begegnet. So spielen Akzente der staatlichen Förderung jüdischer Gemeinschaften in Deutschland7 freilich eine andere, prägnantere Rolle als in Österreich; umgekehrt bereitet die Integration muslimischer Gemeinschaften in Staat und Gesellschaft in Deutschland ganz erhebliche Probleme, welche Österreich in dieser Form nicht kennt, da insbesondere Fragen der rechtlichen Verfasstheit und auch Gleichstellung dieser Gemeinschaften dort seit über 100 Jahren rechtlich geregelt sind.
II. Rechtliche und kulturelle Integration als Mehrebenenarrangement 1. Verfassungsrechtliche Verankerungen – ein gemeinsamer Nenner im österreichischen und im deutschen Recht a) Rechtslage in Deutschland Die wesentlichen Leitentscheidungen des Verhältnisses von Staat und Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften genießen in der Bundesrepublik Deutschland Verfassungsrang.8 Viele bereits im Grundrechtsteil des Grundgesetzes normierte Garantien und subjektive Rechtspositionen sind integraler Bestandteil des deutschen Staatskirchen- bzw. Religionsverfassungsrechts.9 Neben dem allgemeinen und be7 Siehe dazu: Michael Demel, Gebrochene Normalität. Die staatskirchenrechtliche Stellung der jüdischen Gemeinden in Deutschland (= Ius ecclesiasticum 97), Tübingen 2011; Renate Penßel, Jüdische Religionsgemeinschaften als Körperschaften des Öffentlichen Rechts: von 1800 bis 1919 (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 33), Köln/Weimar/Wien 2014. 8 Für eine umfassende, einführende Darstellung des deutschen Staatskirchenrechts sei auf die Standardwerke von Peter Unruh, Religionsverfassungsrecht, Baden-Baden 42018; Claus Dieter Classen, Religionsrecht, 2. Aufl., Tübingen/Mohr/Siebeck 2015 sowie Axel von Campenhausen/Heinrich de Wall, Staatskirchenrecht, München 42006 verwiesen. 9 Zu diesem Grundsatzstreit: Ansgar Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht – mehr als ein Streit um Begriffe?, in: Andreas Haratsch u. a. (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat: 41. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und
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sonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 und 3 GG ist insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu nennen, welcher die Religions- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit der Religionsausübung schützt. Das BVerfG versteht die ersten beiden Absätze in ständiger, sehr extensiver Rechtsprechung als einheitliches Grundrecht der schrankenlos gewährten Religionsfreiheit und schreibt Art. 4 Abs. 2 GG insoweit eher deklaratorische Bedeutung zu.10 Die individuelle wie kollektive Religionsfreiheit wirkt dabei ausdrücklich auch zum Schutz von Minderheiten.11 Auch der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen genießt in Deutschland via Art. 7 Abs. 3 GG Verfassungsrang.12 Seine Bedeutung ist nicht zuletzt aus integrationspolitischen Aspekten nicht zu unterschätzen. Unter der grundsätzlichen Aufsicht des Staates (Art. 7 Abs. 1 GG) obliegt es danach den Religionsgemeinschaften, den Religionsunterricht in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen zu erteilen. Historisch betrachtet ist diese Garantie auf die christlichen Großkirchen zugeschnitten, aber nicht auf sie begrenzt.13 Erforderlich ist keine hierarchische Struktur des Anbieters, sondern eine Verlässlichkeit im Rechtsverkehr, d. h. es muss sich um einen berechenbaren Partner mit der Fähigkeit zu verbindlicher und hinreichend legitimierter Artikulation von Grundsätzen für den Religionsunterricht gegenüber dem Staat und zur Wahrnehmung der Aufgaben aus Art. 7 Abs. 3 GG handeln.14 Mit Blick auf die jüdischen Gemeinschaften ist dies im Wesentlichen unproblematisch möglich. So existiert in einigen deutschen Bundesländern das Angebot jüdischen Religionsunterrichts. Die konkrete Ausgestaltung vor Ort (Nutzung schulischer Räume, Unterrichtszeiten, Verfügbarkeit ausgebildeter Rabbiner und Religionslehrer usw.) kann dabei deutlich variieren. Unterschiedlich hohe Schülerzahlen kommen als faktisches Problem hinzu. Der besondere Stellenwert, den der deutsche Staat dem jüdischen Religionsunterricht beimisst, ergibt sich nicht zuletzt aus entsprechenden Garantien in den zwischen den Bundesländern und den jüdischen Gemeinschaften abgeschlossenen religionsverfassungsrechtlichen Verträgen.15 Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“ – Potsdam 2001, Stuttgart/München/Hannover u. a. 2001, S. 9 ff.; Hans Michael Heinig/Christian Walter (Hrsg.), Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? Ein begriffspolitischer Grundsatzstreit, Tübingen 2007. Eine vergleichbare Grundsatzdebatte ist auch in Österreich geführt worden. Dort neigt man zunehmend zu der Bezeichnung „Religionsrecht“, vgl. Alfred Rinnerthaler, Kirche und Staat in Österreich, in: HdbKathKR3, S. 1866. 10 BVerfGE 24, 236 (245 f.); 108, 282 (297). 11 BVerfGE 32, 98 (106). 12 Dazu: Stefan Korioth, Der Auftrag des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3, in: EssGspr. 49 (2016), S. 7 ff.; Thomas Meckel, Religionsunterricht im Recht. Perspektiven des katholischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts (= Kirchen- und Staatskirchenrecht 14), Paderborn/München/Wien (u. a.) 2011. 13 Dazu und zum Folgenden: Thiel, in: Sachs (Hrsg.), GG8, Art. 7 Rn. 41. 14 BVerwGE 123, 49 (54 ff.). 15 Siehe etwa: Art. 4 des Vertrags des Landes Baden-Württemberg mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden und der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs vom 18. Januar 2010 (GBl. BW 2010, Nr. 5, S. 301) oder auch Art. 2 Vertrag zwischen dem
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Hinsichtlich der muslimischen Glaubensgemeinschaften ergeben sich nach deutschem Recht eine Vielzahl rechtlicher wie tatsächlicher Probleme, die nachfolgend nur überblicksweise angedeutet werden können.16 Hauptstreitpunkt ist die Frage, ob die muslimischen Gemeinschaften nach deutschem Recht „Religionsgemeinschaften“ sind. Nach der klassischen – auch von den Gerichten verwendeten – Formulierung des Weimarer Staatsrechtslehrers Gerhard Anschütz handelt es sich (in Abgrenzung zu den religiösen Vereinen) bei einer Religionsgemeinschaft um einen Verband, der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensverhältnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst.17 Allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft sei eine Religionsgemeinschaft, reichen nicht aus; vielmehr muss es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine solche handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliegt den staatlichen Gerichten. Das BVerwG hat hier zugunsten von religiösen Dachverbänden angenommen, dass die „allseitige Erfüllung“ der Aufgaben durchaus auch auf verschiedenen Verbandsebenen erfolgen könne. Ferner sei keine formale Mitgliedschaft erforderlich; es könne auch ein sonstiges Zugehörigkeitskriterium genügen18. Für den Islam in seiner Eigenschaft als weltumfassende Gemeinschaft (umma) wie auch für die konfessionellen Ableger in der Bundesrepublik Deutschland bestehen erhebliche Bedenken, ob die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. So werden Zweifel nicht nur mit Blick auf die organisatorische Verfestigung19 oder die unklaren
Freistaat Bayern und dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern vom 14. August 1997 (Bay. GVBl. 1997, S. 30). Zum Terminus „religionsverfassungsrechtlicher Vertrag“: Unruh, Religionsverfassungsrecht (Anm. 8), Rn. 328 f. 16 Aus der kaum noch zu überblickenden Fachliteratur siehe etwa: Martin Heckel, Religionsunterricht für Muslime?, JZ 1999, S.741 ff.; Ismail H. Yavuscan, Muslimische Erwartungen an einen Religionsunterricht in Deutschland und ihre religionspädagogische Umsetzung, in: EssGspr. 49 (2016), S. 135 ff.; Janbernd Oebbecke, Die rechtliche Ordnung des islamischen Religionsunterrichts in Deutschland – Stand und Perspektiven, ebd., S. 153 ff.; Thorsten Anger, Zur rechtlichen Legitimation des Islamischen Religionsunterrichtes, in: Bülent Ucar/ Danja Bergmann (Hrsg.), Islamischer Religionsunterricht in Deutschland. Fachdidaktische Konzeptionen: Ausgangslage, Erwartungen und Ziele (=Veröffentlichungen des Zentrums für Internationale Islamstudien der Universität Osnabrück 2), Göttingen/Osnabrück 2010, S. 43 ff. 17 Dazu und zum Folgenden: BVerwGE 123, 49 (54 ff. – dort auch zu den Anforderungen an einen muslimischen Dachverband). 18 Siehe dazu BVerwGE 123, 49 (57, 59). 19 Hier wird ein Bestand von 30 – 80 Jahren gefordert, vgl. die Nachweise bei Tarik Tabbara, Rechtsfragen der Einführung einer muslimischen Krankenhausseelsorge, in: ZAR 29 (2009), 254 (258); Andreas Wallkamm, Muslimische Gemeinden in Deutschland im Lichte des Staatskirchenrechts (= Boorberg Wissenschaftsforum 21), Stuttgart/München/Hannover (u. a.) 2012, S. 22.
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mitgliedschaftlichen Strukturen20 formuliert. Auch bleibt strittig, ob die deutschen Ableger, d. h. die Dachverbände, nicht eher muttersprachlich-national denn konfessionell-homogen verfasst sind.21 Für den Bereich des Religionsunterrichts wirkt besonders eklatant das Fehlen einer religionsgemeinschaftlichen Institution, welche letztverbindlich die Glaubens- und damit auch die Lehrinhalte vorgeben könnte. Da die staatliche Schulverwaltung wie auch die Politik zu Recht ein enormes Unterrichtspotential und eine –notwendigkeit erkennen, man überdies die schulpflichtigen Kinder nicht in die Obhut unzureichend oder überhaupt nicht kompetent ausgebildeter Religionslehrer oder Prediger übergeben möchte, werden verschiedene Anstrengungen unternommen, um eine Unterweisung in islamischer Religion zu bewerkstelligen. Diese tragen dann – je nach Bundesland und in unterschiedlicher, verfassungsrechtlich nicht immer unheikler Gestalt – Namen wie „Islamische Unterweisung“, „Islamkunde“ oder „Islamischer Unterricht“. § 132a SchulG NRW spricht ausdrücklich vom „Islamischen Religionsunterricht“.22 Es bleibt abzuwarten, ob wirklich mit der Verleihung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus‘ an die Reformgemeinschaft der „Ahmadiyya Muslim Jamaat“ in den Bundesländern Hessen (2013) und Hamburg (2016) ein allmählicher Wandel in Richtung einer Einordnung als „Religionsgemeinschaft“ eingesetzt hat.23 Aufgrund nicht unerheblicher theologischer Abweichungen werden die Ahmadiyyas nämlich vom Rest der muslimischen Community nicht als Muslime anerkannt. Der Staat tut daher gut daran, in innermuslimischen Streitigkeiten Zurückhaltung zu üben. Auch in weiteren verfassungsrechtlich determinierten Bereichen (Militär- und Gefängnisseelsorge, Feiertagsschutz, Bestattungsrecht) unternimmt der deutsche Gesetzgeber deutliche Schritte, die auf eine noch bessere Integration jüdischen und muslimischen Lebens hinwirken. Dies reicht von der Arbeitsfreistellung an religiösen Feiertagen bis hin zur Beachtung spezieller Ernährungs- oder auch Bestattungsvorgaben. Nicht zuletzt ermöglicht das deutsche Verfassungsrecht allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei Vorliegen aller geschriebenen und ungeschriebenen Voraussetzungen in den Rang einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu gelangen, um weitere Gestaltungsoptionen ihrer Binnen- und Außenverhältnisse zu erlangen (etwa: Steuererhebungsrecht, Widmungsbefugnis zu res sacrae 20
Stefan Muckel, Islamischer Religionsunterricht und Islamkunde an öffentlichen Schulen in Deutschland, JZ 2001, 58 (60 f.); Ders., Muslimische Gemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, DÖV 1995, 311 (315). 21 Volker Beck/Cem Özdemir, Der Islam und andere Religionen der Einwanderer ins deutsche Religionsverfassungsrecht integrieren – Gleiche Rechte für Muslime, Aleviten und Jeziden, KuR 2015, S. 129 (139). 22 Aufgrund der rechtlichen Einschätzung, dass es sich beim muslimischen Verband DITIB sowie der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Hessen um Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes handelt, wird dort sogar förmlich Islamischer Religionsunterricht i. S. v. Art. 7 Abs. 3 GG aufgrund von mit dem Kultusministerium abgestimmter Kerncurricula erteilt. 23 So Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG8, Art. 4 Rn. 42.
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etc.). Jüdische Gemeinschaften haben diesen Status bereits vielfach erworben, bei muslimischen Gemeinschaften bestehen erhebliche Probleme (s. o.). b) Rechtslage in Österreich Auch die Republik Österreich ist konstituiert als religiös-weltanschaulich neutrales Gemeinwesen, welches zugleich ein wohlwollend-freundliches Verhältnis zu den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften pflegt, basierend auf dem Menschenrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit sowie besonderen Garantien hinsichtlich deren korporativen Wirkens.24 Anders als in der Bundesrepublik Deutschland ruht das Religions(verfassungs)recht hier gleichsam auf mehreren normativen Schultern, sog. Verfassungsgesetzen. Nach wie vor in Geltung25 sind zunächst die Vorgaben des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger v. 21. 12. 1867 (StGG), welches in den Artikeln 14 – 17 grundsätzliche Freiheits- und institutionelle Rechte normiert: die „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit“ (Art. 14 Abs. 1), das kirchliche Selbstbestimmungsrecht26 nebst einer Kirchenguts – bzw. Vermögensgarantie27 (Art. 15) sowie die Garantie des Religionsunterrichts (Art. 17 Abs. 4). Bereits in diesen Vorschriften findet sich ein besonderes Merkmal des österreichischen Religionsrechts: die Unterscheidung in gesetzlich anerkannte und gesetzlich nicht anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften. Mit der gesetzlichen Anerkennung ist der Genuss eines öffentlich-rechtlichen Status verknüpft.28 Weitere religionsrechtlich bedeutsame Vorschriften enthält das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG). Art. 14 Abs. 5 S. 1, 3 B-VG erklärt auch die religiöse Toleranz zu einem schulischen Erziehungsziel, Art. 14a Abs. 3 lit. a) legt den Religionsunterricht in die Kompetenz der Länder.29 Anders als in Deutschland sind die Religions24
Vgl. etwa Rees, in: FS Klecatsky (Anm. 5), S. 585 (589 f., 610). Vgl. Art. 149 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) v. 1. 10. 1920 (StGBl. Nr. 450/ 1920), in der aktuell geltenden Fassung online unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000138 (eingesehen am 29. 01. 2020). 26 Der VfGH, VfSlg 6102/2001, erkennt das umfassende Recht auf Ordnung und Verwaltung der inneren Ordnung ohne staatliche Inferenz und Aufsicht unter Berufung auf Art. 15 StGG alleine den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften zu. Kritisch dazu: Richard Potz, Staat und Kirche in Österreich, in: Gerhard Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, Baden-Baden 22005, S. 425 (436). 27 Rees, in: FS Klecatsky (Anm. 5), S. 585 (590); Potz, Staat und Kirche in Österreich (Anm. 26), S. 425 (446). 28 Karl W. Schwarz, Das Verhältnis von Kirche und Staat in Österreich, in: ZevKR 52 (2007), S. 464 (467); Rinnerthaler, in: HdbKathKR3, S. 1866 (1874). 29 Gem. § 2 des sog. Religionsunterrichtsgesetzes (BGBl. 1949/190 i. d. F. BGBl. I 2017/ 138) wird der Religionsunterricht durch die betreffende gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgemeinschaft besorgt, geleitet und unmittelbar beaufsichtigt. Dem Bund steht das Recht zu, durch seine Schulaufsichtsorgane den Religionsunterricht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht zu beaufsichtigen. 25
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gemeinschaften die Unternehmer des Religionsunterrichts, der Staat ist mithin nicht gehalten, an der Ausbildung der Religionslehrer in irgendeiner Art und Weise mitzuwirken.30 Art. 14 Abs. 10 S. 1 B-VG normiert einen rechtlichen Statusschutz besonderer Art für die Kirchen und Religionsgemeinschaften, wenn er für Bundesgesetze in Angelegenheiten des Verhältnisses von Staat und Kirchen eine qualifizierte Mehrheit von 2/3 der Stimmen des Nationalrates fordert. Weiterhin von Bedeutung sind – nicht zuletzt hinsichtlich der Grundrechtsschranken – der Staatsvertrag von St. Germain-en-Laye vom 10. 9. 191931 sowie Art. 9 EMRK, welcher nach erfolgter Ratifikation32 gem. Art. II Ziff. 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 196433 Verfassungsrang genießt.34 Auffallend ist, dass bestimmte – und durchaus wesentliche – Regelungsbereiche des Verhältnisses von Staat und Kirchen bzw. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gerade nicht bzw. nicht expressis verbis auf Ebene der Verfassungsgesetze, sondern vor allem durch einfaches Gesetzesrecht ausgestaltet werden. Dies betrifft etwa die konkrete rechtliche Verfasstheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften, Strukturen der Kirchenfinanzierung oder auch den Sonn- und Feiertagsschutz. Demgegenüber wird man wohl auch ohne ausdrückliche Garantie der Militärseelsorge eine verfassungsrechtliche Verankerung durch eine Zusammenschau mehrerer Vorschriften annehmen können. So leitet etwa der Jubilar eine solche aus Art. 9 a Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 1 B-VG i. V. m. Art. 14 StGG und Art. 9 EMRK ab.35 Für die katholische Militärseelsorge besteht dabei freilich noch eine besondere völkerrechtliche Garantie gem. Art. VIII des Konkordats aus dem Jahr 1934. Bereits aus Paritätsgründen wird man anderen Religionsgemeinschaften die Installierung einer eigenen Militärseelsorge nicht verweigern können.
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Wilhelm Rees, Islam und Christentum in Österreich und Europa. Kirchenrechtliche und religionsrechtliche Anmerkungen aus römisch-katholischer Perspektive, in: Daniela Kästle/ Martina Kraml, Hamideh Mohagheghi (Hrsg.), Heilig – Tabu. Christen und Muslime wagen Begegnungen (= Kommunikative Theologie 13), Mainz 2009, S. 55 (61). 31 StGBl. Nr. 303/1920 i. d. F. BGBl. III Nr. 179/2002 (DFB). 32 BGBl. 1958, Nr. 210, S. 1927 ff. 33 BGBl. 1964, Nr. 59, S. 623 ff. 34 Potz, Staat und Kirche in Österreich (Anm. 26), S. 425 (427); Inge Gampl/Richard Potz/ Brigitte Schinkele, Österreichisches Staatskirchenrecht (= Rechts- und Staatswissenschaften 23), 1. Bd., Wien 1990, S. 86; s. a. Walter Berka, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die österreichische Grundrechtstradition, in: ÖJZ 34 (1979), 428 ff. 35 Wilhelm Rees, „Übt an niemand Gewalt noch Erpressung seid zufrieden mit eurem Sold“ (Lk 3, 14). Militärseelsorge in Österreich mit einem Ausblick auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: Ders./Sabine Demel/Ludger Müller (Hrsg.), Im Dienst von Kirche und Wissenschaft. Festschrift für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= Kanonistische Studien und Texte 53), Berlin 2007, S. 830 (858 ff.).
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2. Sicherung freiheitlichen Wirkens und Integration auf einfach-gesetzlicher Ebene Mit Blick auf die einfach-gesetzliche Ausgestaltung des Wirkens der Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften bestehen mitunter signifikante Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich. Bereits erwähnt wurde der in Österreich im Verfassungsrang befindliche Status der „anerkannten Religionsgemeinschaft“. Bestimmte Vorrechte, etwa das Recht auf Grundsteuerbefreiung, das Recht zur Errichtung von Privatschulen, das Recht zur Militär- und Krankenhausseelsorge sowie jenes zur Erteilung von Religionsunterricht in öffentlichen Schulen steht ausschließlich Kirchen und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit diesem Status zu.36 Mit dem sog. Anerkennungsgesetz vom 20. Mai 187437 wurde es auch den nicht historisch tradierten Religionsgemeinschaften möglich – bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen –, derjenigen Rechte teilhaftig zu werden, „welche nach den Staatsgesetzen den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften zukommen“ (§ 2 Abs. 2 AnerkG). Wenngleich dieses Gesetz mit einem hohen Maß an Kirchenaufsicht versehen war, so steht es doch prinzipiell allen unterschiedlichen Religionen offen und enthält kein Prä für eine bestimmte Konfession. Durch förmliches Gesetz in diesem Sinne anerkannt wurden etwa die Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses (Protestantengesetz 196138), die griechisch-orientalische Kirche39 (1967), die Israelitische Religionsgesellschaft (189040/2012) oder auch – hier allerdings nur im Verordnungswege – die Zeugen Jehovas41. Sehr früh wurden bereits die methodistische Freikirche 195142 sowie die Kirche der Mormonen 195543 gesetzlich anerkannt. Mit der gesetzlichen Anerkennung durch den Staat untrennbar verbunden ist die Bereitschaft der Religionsgemeinschaften, die Verfassungserwartungen des Staates zu erfüllen.44 Die Religionsgemeinschaften haben den demokratischen Rechtsstaat 36
Rees, in: FS Klecatsky (Anm. 5), S. 585 (591). Gesetz vom 20. 5. 1874, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl. Nr. 68/1874. 38 Bundesgesetz vom 6. Juli 1961 über die äußeren Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche, BGBl. Nr. 182/1961. 39 Bundesgesetz vom 23. Juni 1967 über äußere Rechtsverhältnisse der griechisch-orientalischen Kirche in Österreich, BGBl. Nr. 229/1967. 40 Gesetz betreffend die äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft, RGBl. Nr. 57/1890. 41 Verordnung der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur betreffend die Anerkennung der Anhänger von Jehovas Zeugen als Religionsgesellschaft, BGBl. II Nr. 139/ 2009. 42 BGBl. Nr. 74/1951. 43 BGBl. 229/1955. 44 Dazu und zum Folgenden: Richard Potz, Das Islamgesetz 1912 – eine österreichische Besonderheit, in: SIAK-Journal 1 (2013), S. 45 (52). 37
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zu akzeptieren und mit dem gesellschaftlichen Grundkonsens übereinzustimmen. Überdies äußert der Staat Erwartungen an das gesellschaftlich-karitative Engagement der Religionsgemeinschaften, etwa im schulischen Bereich, aber auch bei der Kranken- und Gefangenenseelsorge. Das sog. Bekenntnisgemeinschaftengesetz45 (BekGG) hat das Anerkennungsrecht verändert und fortgeschrieben46, wobei dies – etwa mit Blick auf den § 11 BekGG – von der Fachwissenschaft durchaus kritisch begleitet wurde. Regelungsgegenstand sind gem. § 1 BekGG „religiöse Bekenntnisgemeinschaften“ im Sinne von Vereinigungen von Anhängern einer Religion, die gesetzlich nicht anerkannt sind. Das BekGG ermöglicht diesen Gemeinschaften einen an das staatliche Vereinsrecht angelehnten47 Status einer juristischen Person privaten Rechts.48 Nicht zugesprochen wird der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus. Wesentliche Voraussetzungen sind das Vorliegen von mindestens 300 Mitgliedern mit Wohnsitz in Österreich, die keiner anderen Kirche, Religionsgesellschaft oder eingetragenen Bekenntnisgemeinschaft angehören dürfen sowie Statuten, aus denen sich Bekenntnisinhalt und Bekenntnispraxis ergeben. Die Kombination von AnerkG und BekGG eröffnet auch Minderheitenreligionen nicht nur die Möglichkeit, als Korporation im Rechtsverkehr aufzutreten und gewisse – je nach Rechtsform – weitere Gestaltungsoptionen wahrzunehmen, sondern bewirkt eine nicht unerhebliche Statuserhöhung. In Österreich gibt es derzeit neun staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften, u. a. die Bahá’í @ Religionsgemeinschaft Österreich oder die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Österreich (Kirche der STA).49 In der Bundesrepublik Deutschland gibt es kein vergleichbares förmliches Anerkennungsverfahren, welches in einem staatlichen „Anerkennungsakt“ mündet. Das Vorliegen der von der Verfassung und insbesondere durch die Rechtsprechung des
45 Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, BGBl. I Nr. 19/1998. 46 Karl W. Schwarz, Das Verhältnis von Staat und Kirche in Österreich, in: ZevKR 52 (2007), S. 464 – 494 (468 m. w. N.). 47 Schwarz, (Anm. 46), S. 464 (472), spricht von „Sondervereinsrecht“. 48 Potz, Staat und Kirche in Österreich (Anm. 26), S. 425 (434). 49 Darüber hinaus sind anerkannt die Alt-Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (AAGÖ), die Christengemeinschaft – Bewegung für religiöse Erneuerung in Österreich, die Hinduistische Religionsgesellschaft in Österreich (HRÖ), die Islamische-Schiitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia), die Pfingstkirche Gemeinde Gottes in Österreich (Pfk Gem.Gottes iÖ), die Vereinigte Pfingstkirche Österreichs (VPKÖ) sowie die Vereinigungskirche in Österreich (s. die Übersicht des Digitalen Amtes Österreichs (Hrsg.), „Staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften“, online unter https://www.oesterreich.gv.at/ themen/leben_in_oesterreich/kirchenein___austritt_und_religionen/3/Seite.820016.html) (eingesehen im Januar 2020). Näher: Johann Bair/Wilhelm Rees (Hrsg.), Staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich (= Conference series Religion und Staat im Brennpunkt 3), Innsbruck 2018.
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BVerfG herausgearbeiteten Merkmale ist vielmehr im konkreten Streitfall von den staatlichen Gerichten zu prüfen.50 3. Das österreichische Islamgesetz (1912/2015) Insbesondere anhand des Beispiels der Integration der Anhänger islamischer Gemeinschaften lassen sich die Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich veranschaulichen. Bereits 1912 wurden die Muslime des sogenannten hanefitischen Ritus durch ein eigenes – dezidiert integrativ wirkendes – Gesetz als Religionsgemeinschaft anerkannt. Dies bewirkte eine umfassende Gleichstellung mit den anderen anerkannten Religionsgemeinschaften.51 Prägnante Rechtsfolge war die Erlangung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus.52 Durch die Besetzung (1878) und Annexion (1908) Bosniens war es für Österreich bereits damals politisch notwendig, sich mit den muslimischen Gläubigen nicht nur gesellschaftlich, sondern auch rechtlich zu arrangieren, wurden doch durch die Annexion knapp eine halbe Million Muslime Bestandteil des katholisch dominierten Vielvölkerstaates.53 1987 hat der Österreichische Verfassungsgerichtshof die Wendung „nach hanefitischem Ritus“ aufgehoben und das Islamgesetz (1912) auf alle Muslime erstreckt.54 Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) mit Sitz in Wien wurde 1979 als Körperschaft des öffentlichen Rechts konstituiert.55 Folgerichtig erteilt die IGGÖ gem. § 17 Abs. 4 StGG in Österreich seit dem Schuljahr 2003/04 an öffentlichen Schulen Religionsunterricht.56 Ihre Religionslehrer werden durch die private Islamische Religionspädagogische Akademie sowie durch die Pädagogische Akademie des 50
Unruh, Religionsverfassungsrecht (Anm. 8), Rn. 153. Das Bundesland NordrheinWestfalen hat 2014 in einer bemerkenswerten, die Fraktionen des Landtags übergreifenden, Gesetzesinitiative das sog. „Gesetz zur Regelung der Verleihung und des Entzugs der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen (Körperschaftsstatusgesetz)“ erlassen, welches allen Antragsberechtigten nunmehr Rechtssicherheit gibt. 51 Rees, in: FS Klecatsky (Anm. 5), S. 585 (594); instruktiv: Johann Bair, Rechtshistorische Grundlagen des Islamgesetzes 2015, in: Stephan Hinghofer-Szalkay/Herbert Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität, Wien 2018, S. 49 ff. 52 Potz, Das Islamgesetz 1912 (Anm. 44), S. 45. 53 Cathrin Kahlweit, Experiment mit dem Islam, SZ v. 26. 02. 2015, S. 4; Potz, Das Islamgesetz 1912 (Anm. 44), S. 45 (47 f.); Schwarz, (Anm. 46), S. 464 (480). 54 VerfGH, Erk. v. 10. 12. 1987, Az. G 146/87, G 147/87, in: ÖAKR 37 (1987/88), S. 353 ff.; Bair, Rechtshistorische Grundlagen (Anm. 51), S. 49 (58 ff.); Christoph Grabenwarter/Barbara Gartner-Müller, Das österreichische Islamgesetz 2015 und seine rechtliche Genese, in: KuR 21 (2015), S. 47 (50). 55 Vgl. Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich (Hrsg.), Geschichte der IGGÖ, online unter: http://www.derislam.at/iggo/?c=content&cssid=Geschichte&navid=94&par=100 (eingesehen im Januar 2019). 56 Siehe dazu: Richard Potz, Der islamische Religionsunterricht in Österreich, in: Heinrich de Wall/Michael Germann (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung, Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 345 ff. (346).
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Bundes in Wien ausgebildet. Trotz vereinzelter Problemfälle (fundamentalistische Lehrinhalte, polizeiliche Ermittlungen gegen islamische Religionslehrer) überwiegt wohl das positive Bild der „österreichischen Lösung“.57 Anders als dies in der Bundesrepublik Deutschland derzeit (noch) der Fall ist58, wirkt die IGGÖ auch als Partner im Bereich der Militärseelsorge. Die von Militärimamen wahrgenommenen Aufgaben der islamischen Militärseelsorge für Angehörige des Bundesheeres umfassen insbesondere die berufsethische Aus- und Weiterbildung (lebenskundlicher Unterricht), die seelsorgliche Betreuung, Einsatzbegleitung und Gemeinschaftsgebete sowie die Beratung der Kommandanten in islamischen Religionsfragen.59 Nach mehrjähriger intensiver Debatte wurde 2015 ein neues Islamgesetz60 in Österreich verabschiedet. Die signifikantesten Neuerungen sind sicherlich das Verbot der Auslandsfinanzierung der Moscheegemeinden (§ 6 Abs. 2), die staatliche Unterschutzstellung islamischer Feiertage (§ 13), die Garantie durch den Bund finanzierter islamisch-theologischer Ausbildung sowie separater muslimischer Friedhöfe (§ 22). Darüber hinaus besteht ein ausdrücklicher Anspruch auf islamische Seelsorge in öffentlichen Anstalten (§ 11) sowie ein Anrecht auf die Beachtung religionsgemeinschaftlicher Speisevorschriften ebendort (§ 12 Abs. 2). Bemerkenswert sind aber auch weitere, tendenziell eher restriktivere Vorgaben des Gesetzes: So dürfen Einnahmen und Vermögen ausschließlich für religiöse Zwecke verwendet werden (§ 4 Abs. 2) und die Gemeinschaft muss eine „positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“ haben (§ 4 Abs. 3).61 Neben der IGGÖ, die seit April 2015 Religionsgesellschaft gem. § 9 IslamG ist62, wurde auch der „Islamisch Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich“ die gleichrangige Anerkennung zuteil.63
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Schwarz, (Anm. 46), S. 464 (481). Siehe dazu etwa das Abschlussdokument „Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen als Thema der Deutschen Islam Konferenz“ vom 14. 3. 2017, S. 11 ff., online unter: http://www. deutsche-islam-konferenz.de (eingesehen im Januar 2020); s. a. Thomas R. Elßner, Militärseelsorge für Muslime in der Bundeswehr. Eine Skizze, in: Cibedo – Beiträge 4/2018, S. 170 ff.; zu den jüngeren Entwicklungen in Deutschland s. a. https://www.bmvg.de/de/aktuel les/tagesbefehl-zur-weiterentwicklung-der-militaerseelsorge-37952 (eingesehen im Januar 2020). 59 Islamische Glaubensgemeinschaft in Östereich (Hrsg.), Artikel Militärseelsorge, online unter: http://www.derislam.at/iggo/?c=content&cssid=Milit%E4rseelsorge&navid=281&par= 300&par2=253 (eingesehen im Januar 2020). 60 BGBl. I Nr. 39/2015; dazu Grabenwarter/Gartner-Müller, in: KuR 2015, S. 47 ff. 61 Zur Kritik am IslamG etwa Rees, Religion-Staat-Politik (Anm. 4), S. 91 (98); umfassend: Grabenwarter/Gartner-Müller, in: KuR 2015, S. 47 ff. 62 Verordnung des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien betreffend die Feststellung des Bestandes der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich als Religionsgesellschaft, BGBl. II Nr. 76/2015. 63 Grabenwarter/Gartner-Müller, in: KuR 2015, S. 47 (52 ff.). 58
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Erste öffentliche Reaktionen aus Deutschland waren zunächst durchaus positiv, das Islamgesetz wurde als „vorbildhaft“64 oder auch als „Schritt in die richtige Richtung“65 gewürdigt, da es einen verbindlichen Rahmen für das religiöse Leben der Muslime und ihre Integration in die österreichische Gesellschaft schaffe. Die Reaktionen der deutschen und österreichischen islamischen Gemeinschaften und Verbände waren eher verhalten und reichten bis hin zu Skepsis und offener Ablehnung. Wenig überraschend lehnte auch die türkische Regierung das Islamgesetz umgehend ab. Nach Ansicht des damaligen Chefs des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) werfe das Islamgesetz Österreich um 100 Jahre zurück.66 Der türkische Staatspräsident erkennt einen Verstoß gegen europäisches Recht und einen Beleg für islamophobe Vorurteile.67 Mehrere österreichische Verbände haben unmittelbar die Möglichkeit einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ins Spiel gebracht.68 Der österreichische Politikwissenschaftler Farid Hafez kritisiert, dass das Islamgesetz alle Muslime unter Generalverdacht stelle und eher sicherheitspolitische Aspekte und integrationspolitische Ambitionen als freiheitliche Elemente in den Normtext eingeflossen seien.69 4. Vorbildwirkung des Islamgesetzes für Deutschland? Rechtsvergleichend stellt sich die Frage, ob das österreichische Gesetz Vorbildwirkung für Deutschland entfalten kann.70 Die seit geraumer Zeit geführte Diskussion um einen spezifischen Islam „deutscher“ Prägung (sogenannter „TeutoIslam“), das vermeintliche Stocken der Beziehungen im Kontext der Deutschen Islamkonferenz sowie vereinzelte Vorgänge rund um den größten muslimischen Dachverband Ditib werfen auch hierzulande die Frage nach einer Machbarkeit einer gesetzlichen oder anderweitigen Regelung auf.71 64 So etwa der Münsteraner Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, vgl. Ursula Rüssmann, Muslime sind Partner, in: Frankfurter Rundschau v. 09. 03. 2015, S. 11. 65 Rainer Herrmann, Islam in unserer Mitte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26. 02. 2015, S. 1. 66 Vgl. Das Erste/Tagesschau (Hrsg.), Onlineangebot tagesschau.de, Beitrag „Umstrittenes Islamgesetz beschlossen“ (eingesehen am 25. 02. 2015). 67 Michael Martens, In der Tradition des Sultans, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02. 03. 2015, S. 5. 68 Tagesschau.de v. 25. 2. 2015 (Anm. 66); Christian Geinitz, Habsburg war gestern. Ein neues Gesetz für den österreichischem Islam, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26. 02. 2015; Grabenwarter/Gartner-Müller, in: KuR 2015, S. 47 (48); s. a. Navideh Maleki, Ein mögliches Islamgesetz in Deutschland, ZRP 2019, S. 19 ff. 69 Farid Hafez, „Der Islam ist keine Religion mehr, sondern ein Politikum“, Christ & Welt v. 05. 03. 2015, S. 3 f. 70 Grundlegend: Katharina Pabel, Das Islamgesetz in rechtsvergleichender Perspektive, in: Hinghofer-Szalkay/Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität (Anm. 51), S. 341 ff. 71 So sprach sich im April 2017 etwa die CDU-Politikerin Julia Klöckner für ein umfassendes Islamgesetz auch in Deutschland aus, vgl. Die Zeit (Hrsg.), Artikel CDU Wahlpro-
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Das deutsche Religionsverfassungsrecht verfolgt einen sehr freiheitlichen Ansatz, um das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften auszugestalten. Grundstatus, Grundrechte und Grundpflichten sind für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gleichrangig und gleichartig auf Ebene des Grundgesetzes geregelt. Für den Kontext eines „Islamgesetzes“ maßgeblich sind dabei die via Art. 140 GG inkorporierte Vorschrift der Art. 137 Abs. 3 S. 1 sowie Abs. 5 S. 2 WRV. Gem. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV „ordnet und verwaltet“ jede Religionsgesellschaft „ihre Angelegenheiten“ selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bestimmen autonom über ihr „Proprium“, über das, was sie selbst bzw. „ihre Angelegenheiten“ wesensmäßig ausmacht. Die Formulierung des „für alle geltenden Gesetzes“ schließt nach deutscher Verfassungstradition nicht nur spezifische „Sondergesetze“ gegen Kirchen und Religionsgemeinschaften aus72, sondern unterbindet auch solche staatlichen Vorschriften, die ihre Adressaten zwar formal gleichbehandeln, Religionsgemeinschaften in ihrer Besonderheit aber anders und härter als „alle anderen“ betreffen, indem sie deren Selbstbestimmung in ihren spezifischen, über die Interessen anderer Normadressaten hinausgehenden Entfaltungsbedürfnissen beeinträchtigen.73 Gem. Art. 137 Abs. 5 S. 2 WRV sind anderen als den überkommenen Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, „wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.“ Liegen diese Voraussetzungen vor, haben die antragstellenden Gemeinschaften einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Verleihung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus‘. Die konkrete, auf Landesebene zu vollziehende, Umsetzung kann dann freilich differenzieren. In Betracht kommen Statusverleihungen durch Verwaltungsakt, Rechtsverordnung oder auch durch Gesetz. Parlamentsgesetze für einzelne Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in toto, welche zahlreiche religionsgemeinschaftliche Handlungsfelder ausdrücklich ausgestalten, entsprechen nicht der bundesrepublikanischen Verfassungstradition und würden zudem auch nicht unheikle paritätsrechtliche Anfragen aufwerfen, sofern einer (christlichen?) Religionsgemeinschaft ein „Privileg“ gewährt oder eine Befugnis erteilt würde, der anderen (einer muslimischen?) hingegen nicht. Schließlich – und noch gravierender – würde ein Bundes-Islamgesetz die grundgesetzliche Kompetenzordnung verletzen, da das Staatskirchenrecht überwiegend in die Regelungskompetenz der einzelnen Bundesländer fällt. gramm – Spitzenpolitiker der Union fordern Islamgesetz, online unter: https://www.zeit.de/po litik/deutschland/2017 - 04/cdu-wahlprogramm-islamgesetz-julia-kloeckner-wahlkampf (eingesehen im Januar 2019). Davor sorgte bereits der damalige Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, mit der Forderung nach einem deutschen Islamgesetz für Aufsehen, vgl. Til Huber, Vorbild Österreich?, in: Münchner Merkur v. 14. 04. 2016, S. 2; Claudia Keller, Der Traum vom Staats-Imam, in: Der Tagesspiegel v. 14. 04. 2016, S. 6. 72 Stefan Mückl, in: HStR3 VII, 2009, § 159, Rn. 84. 73 Michael Germann, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG, 2. Aufl., Art. 140 GG, Rn. 42 (m. w. N.); s. a. Ehlers, in: Sachs (Hrsg.), GG8, Art. 140/Art. 137, Rn. 13.
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Drei Aspekte des österreichischen Islamgesetzes erscheinen nach „deutscher“ Lesart besonders konfliktträchtig. a) Staatsloyalität oder Rechtstreue? § 4 Abs. 3 IslamG fordert für den Erwerb der Rechtspersönlichkeit der islamischen Antragsteller eine „positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“. Legt man den Wortlaut weit aus, bestünden – zumindest nach deutschem Religionsverfassungsrecht – nicht unerhebliche Bedenken. Ein distanziertes, gegebenenfalls sogar aggressiv-kritisches Verhältnis zum Staat ist grundsätzlich folgenlos, sofern und soweit dieses nicht in handfeste Taten mündet und sich die Gemeinschaft aktiv rechtswidrig oder dezidiert verfassungsfeindlich verhält. Versuche des BVerwG, eine „Staatsloyalität“ für Religionsgemeinschaften festzuschreiben74, hat das BVerfG zurückgewiesen und alleine das Kriterium der „Rechtstreue“ als sachangemessen bewertet.75 So erfordere die Verleihung von Hoheitsrechten an die Religionsgemeinschaften, dass diese „die in Art. 79 Abs. 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts nicht gefährde[n]“.76 Die Regierungsbegründung zum IslamG 2015 legt den Fokus verstärkt auf das Tatbestandsmerkmal „Grundeinstellung“ und definiert deren positive Stoßrichtung als „Akzeptanz des pluralistischen Rechtsstaates, die Bejahung der grundsätzlichen staatlichen Ordnung“, wobei „auf die Zielsetzung der Gemeinschaft als Ganzes abzustellen ist.“77 So verstanden gibt es Schnittmengen mit dem hiesigen Kriterium der „Rechtstreue“. Die österreichische Regelung kann den Eindruck aber nicht gänzlich entkräften, Wohlverhalten gleichsam mit rechtlichen Privilegien „honorieren“ zu wollen – ein derartiger „Erziehungsgedanke“ ist dem deutschen Recht fremd. b) Interner Aufbau der Gemeinschaft In § 6 Abs. 1 IslamG macht der Normtext gewisse Vorgaben zur inneren Verfasstheit einer islamischen Religionsgemeinschaft. Dazu zählt u. a. eine innere Organisation, die „zumindest Kultusgemeinden“ vorsehen muss (Ziff. 6) und alle innerhalb der Religionsgemeinschaft bestehenden Traditionen „angemessen berücksichtigen“ muss (Ziff. 7). Insofern trifft es wohl nicht zu, wenn vereinzelt betont wird, das Gesetz regele keine religionsgemeinschaftlichen Interna.78 Die amtliche Erläuterung zum IslamG betont, dass es um die Wahrung der rechtlichen Kontinuität zu der 74
BVerwGE 105, 117. BVerfGE 102, 370 (390). 76 BVerfGE 102, 370 (392). 77 Erläuterungen zum Islamgesetz, Beilagen XXV.GP – Regierungsvorlage, S. 1 (3). 78 So Pabel, Islamgesetz (Anm. 70), S. 341 (353). 75
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im Anerkennungsgesetz von 1874 als Grundtypus vorgesehenen Kultusgemeinde gehe.79 Für eine Religionsgemeinschaft mit starken zentralistischen Strukturen dürfte dies eine relevante Einschränkung sein, die nach Maßgabe des deutschen Verfassungsrechts wohl nur schwerlich mit dem Selbstorganisationsrecht der Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften vereinbar wäre.80 Mit der „angemessenen Berücksichtigung“ aller religionsgemeinschaftlicher Traditionen dürfte der österreichische Gesetzgeber indes die Grenze zum religiösen Binnenbereich überschritten haben.81 Es dürfte durchaus der religionsgemeinschaftlichen Profilschärfung dienen, sich von bestimmten Strömungen bzw. Traditionen auch zu emanzipieren oder klar abzugrenzen. c) Verbot der Auslandsfinanzierung Rechtlich wie praktisch durchaus heikel82 ist die Vorschrift des § 6 Abs. 2 IslamG, wonach die Religionsgemeinschaften gehalten sind, die für ihre „gewöhnliche Tätigkeit“ notwendigen Mittel alleine im Inland zu erwirtschaften. Primär normiert ist damit der dem österreichischen Religionsrecht inhärente Grundsatz der Selbsterhaltungsfähigkeit83, doch zumindest sekundär stellt dies eine hochsensible religionspolitische Regelung dar, da natürlich potentielle ausländische Einflussnahmen auf lokale Religionsgemeinschaften vermieden werden sollen. Die Norm schließt indes nicht jeden Finanzzuschuss ausländischer Herkunft aus, sondern solche, die gleichsam den laufenden Betrieb ermöglichen. Wobei die Vorschrift aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite sicherlich stark auslegungsbedürftig ist. Dem österreichischen Gesetzgeber geht es um den Schutz der inländischen islamischen Religionsgemeinschaften vor ausländischer Einflussnahme und Steuerung, wobei der Normtext dies nicht expressis verbis formuliert.84 Fraglich ist indes, ob diese Form der (vielleicht auch eher symbolischen) Gesetzgebung dem Anliegen gerecht wird und verfassungskonform ausgestaltet wurde mit Blick auf Art. 15 StGG und Art. 9 EMRK, denn die Vermögensverwaltung zählt auch nach österreichischem Verfassungsrecht
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Erläuterungen zum Islamgesetz, Beilagen XXV.GP – Regierungsvorlage, S. 1 (4). Diese Klausel erscheint einem „äußeren“ Betrachter auch insofern heikel, als dass religionsgemeinschaftsinterne Entwicklungen/Restrukturierungsmaßnahmen behindert werden könnten. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind im Rahmen ihrer grundrechtlichen Freiheiten durchaus dazu berechtigt, die „weltliche“ Form ihrer religiösen Auftragserfüllung kritisch zu hinterfragen und ggf. neu zu konzeptionieren. 81 Auf die Notwendigkeit einer entsprechend „weiten“ Auslegung des Tatbestandsmerkmals weisen Grabenwarter/Gartner-Müller, in: KuR 2015, S. 47 (57) hin. 82 Instruktiv Stefan Schima, Das im Islamgesetz 2015 verankerte Verbot der Auslandsfinanzierung. Anmerkungen vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Religionsfreiheit, in: Hinghofer-Szalkay/Kalb (Hrsg.), Islam, Recht und Diversität (Anm. 51), S. 369 ff.; Grabenwarter/Gartner-Müller, in: KuR 2015, S. 47 (64). 83 Vgl. Erläuterungen zum Islamgesetz, Beilagen XXV.GP – Regierungsvorlage, S. 1 (4). 84 Vgl. Pabel, Islamgesetz (Anm. 70), S. 341 (351). 80
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zu den „inneren Angelegenheiten“ einer Religionsgemeinschaft.85 Spenden aus dem arabischen Raum bleiben zudem ebenso möglich wie eine Finanzierung/ergänzende Förderung über Stiftungen im Ausland.86 Darüber hinaus kann das Verbot der Auslandsfinanzierung dadurch „umgangen“ werden, dass ein Verband/eine Religionsgemeinschaft vom Körperschaftsstatus Abstand nimmt.87 Ungeklärt dürften schließlich paritätsrechtliche Fragen sein, denn für christliche oder jüdische Gemeinschaften gilt dieses Verbot nicht.88
III. Staatskirchenvertragliche Ausgestaltung der wechselseitigen Beziehungen Signifikante religionsrechtliche Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich bestehen hinsichtlich der Bedeutung von Konkordaten und Staatskirchenverträgen zur Regelung der gemeinsam bestehenden Aufgaben sowie von Rechten und Pflichten. Gibt es in Deutschland ein flächendeckendes Netz unterschiedlicher vertraglicher Vereinbarungen zwischen Bund/Bundesländern und den Religionsgemeinschaften, besteht in Österreich nur ein größeres Vertragsarrangement mit der Katholischen Kirche: grundlegend dabei ist das Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich samt Zusatzprotokoll vom 5. Juni 1933.89 Das Konkordat kann dabei auf eine bewegte Geschichte zurückblicken: Nach dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland sollte Österreich entkonfessionalisiert werden. Das Konkordat wurde für erloschen erklärt, das Reichskonkordat nicht auf Österreich angewendet, ein „konkordatsloser Zustand“ trat ein.90 Erst 1957 ist die Gültigkeit des Konkordates ausdrücklich von der österreichischen Bundesregierung wieder anerkannt worden. Auf Grundlage von Art. VI § 1 des österreichischen Konkordats i. V. m. Art. 17 Abs. 4 StGG wurde zur weiteren Ausgestaltung des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen am 09. 07. 1962 zwischen dem Heiligen Stuhl und 85 OGH, 30. 1. 2007, AZ. 10 Ob 66/06p, RZ 2007, S. 103; s. a. Grabenwarter/GartnerMüller, in: KuR 2015, S. 47 (64 m. w. N.). 86 So lag der Fall wohl bei der Finanzierung von Atib-Imamen über eine belgische Stiftung, vgl. Stephan Löwenstein, Gehaltsschecks aus der Türkei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09. 06. 2018, S. 2. 87 Hans Michael Heinig, Welcher Weg?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05. 03. 2015, S. 6. 88 Ebenfalls in dieses Richtung Pabel, Islamgesetz (Anm. 70), S. 341 (351); deutliche Kritik bei Fatih Vural, Das Islam-Gesetz unter dem Blickwinkel des Art. 9 EMRK, Saarbrücken 2016, S. 42 ff. 89 BGBl. II Nr. 2/1934. Dazu: Wilhelm Rees, Das österreichische Konkordat: was steht eigentlich drin?, online unter: https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/925.html (eingesehen im Januar 2019). 90 Potz, Staat und Kirche in Österreich (Anm. 26), S. 425 (426).
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der Republik Österreich ein separater „Schulvertrag“ abgeschlossen.91 Weitere Verträge treffen ergänzende vermögensrechtliche Regelungen, wie etwa der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von vermögensrechtlichen Beziehungen vom 23. Juni 196092 i. d. F. des 6. Zusatzvertrages v. 5. März 200993, welcher die jährlichen Staatsdotationen, die als Entschädigung für das erlittene NS-Unrecht gewährt werden, nochmalig erhöht hat.94 Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsjuristen haben Schwierigkeiten, im geltenden Recht eine Grundlage für ein eigenes österreichisches Vertrags(staats)kirchenrecht zu finden.95 Die vertraglichen Absprachen mit dem Heiligen Stuhl spiegeln insofern weniger die besondere historische Situation der Katholischen Kirche und die einst bestehenden tatsächlichen konfessionellen Verhältnisse wieder, sondern tragen dem Umstand Rechnung, dass es sich beim Heiligen Stuhl um ein Völkerrechtssubjekt handelt und völkerrechtliche Verträge von Verfassungs wegen zulässig sind. Mit den Evangelischen und Altkatholischen Kirchen, mit der israelitischen Religionsgemeinschaft oder der IGÖÖ wurden keine Verträge abgeschlossen, sondern auf gesetzliche Regelungen zurückgegriffen (s. o.).96 Diese werden allerdings als „paktierte Gesetze“97 bezeichnet, da ihr Inhalt mit den Religionsgemeinschaften wie ein Vertrag verhandelt wird.98 Insofern verschafft sich der kooperative Charakter des österreichischen Rechts auf einfach-gesetzlicher Ebene Geltung. Dennoch dürfte wohl nicht abzustreiten sein, dass die Vertragsebene den religionsgemeinschaftlichen Partner auf Augenhöhe mit dem Staat bringt und das insoweit paktierte Ergebnis vielleicht doch von einer höheren rechtlichen und sozialen Dignität ist. Die Religionsgemeinschaften sind in diesem Modell Partner des Staates und nicht das Objekt seiner Gesetzgebung. Insbesondere für die jüdischen Gemeinschaften in Deutschland sind vertragliche Vereinbarungen von besonderer Bedeutung. Nicht zuletzt durch die Gewähr und regelmäßige Erhöhung erheblicher finanzieller Zuschüsse ermöglicht der deutsche Staat das Wiedererstarken jüdischen Lebens in Deutschland. 91 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Österreich zur Regelung von mit dem Schulwesen zusammenhängenden Fragen samt Schlussprotokoll (BGBl. Nr. 273/1962); Änderung: BGBl. Nr. 289/1972. 92 BGBl. 1960, Nr. 195. 93 BGBl. III 2009, Nr. 120. 94 Darüber hinaus gibt es noch weitere, sehr spezielle Diözesanerrichtungsverträge, die hier nicht weiter von Bedeutung sind. 95 Potz, Staat und Kirche in Österreich (Anm. 26), S. 425 (429); Schwarz (Anm. 46), S. 464 (477). 96 Potz, Staat und Kirche in Österreich (Anm. 26), S. 425 (446 f.). 97 Potz, Das Islamgesetz 1912 (Anm. 44), S. 45 (46); Schwarz (Anm. 46), S. 464 (477). 98 So wurde im Rahmen der Verhandlungen zum Protestantengesetz durchaus diskutiert, ob ein Vertrag nicht die geeignetere Regelungsoption sei. Der Gedanke wurde aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken aber verworfen, s. Georg May, Unerledigte Wünsche im Protestantengesetz, in: Willibald M. Plöchl/Inge Gampl (Hrsg.), Im Dienste des Rechtes in Kirche und Staat. Festschrift zum 70. Geburtstag von Universitätsprofessor Prälat Dr. theol. et Dr. iur. Franz Arnold (= Kirche und Recht 4), Wien 1963, S. 150 (152).
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IV. Ausblick Sowohl der österreichische als auch der deutsche Staat nehmen ihre religionsrechtlichen Grundentscheidungen ernst und ermöglichen kooperativ-wohlwollend die Integration auch kleinerer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Aufgrund unterschiedlicher Verfassungsrechtstraditionen werden dabei unterschiedliche Gestaltungswege beschritten, die nicht ohne weiteres im jeweiligen Nachbarland rechtlich umsetzbar wären. Mit Blick auf das österreichische Islamgesetz bleibt festzuhalten, dass sich dessen tatsächliche Praxistauglichkeit freilich erst noch erweisen muss. Gibt es auch einige strittige Punkte, für deren umfangreiche Bearbeitung hier nicht der Ort war, so enthält es doch einige wichtige Marker zur Integration muslimischer Gemeinschaften in die Gesellschaft. In jedem Fall ist zu konstatieren, dass Österreich deutlich weniger „Berührungsängste“ hat, sich der Grundsatzproblematik des Rechtsstatus von islamischen Gemeinschaften zu stellen. Doch auch ohne förmliches Islamgesetz scheint Deutschland hier auf einem guten Weg. Als Stichworte mögen genügen: islamische Theologie an staatlichen Universitäten, die Anfänge einer muslimischen Krankenhaus- und Gefängnisseelsorge sowie viele erfolgreiche Projekte einer religiösen Unterweisung der Muslime im staatlich-schulischen Kontext. Dies dürfte nicht zuletzt auch den Jubilar erfreuen.
Schwindende Gemeinsamkeiten Aktuelle Entwicklungstendenzen im Verhältnis von kanonischem und staatlichem Eherecht Von Arnd Uhle In dem weit gespannten wissenschaftlichen Œuvre von Wilhelm Rees nehmen Fragestellungen, die das Verhältnis von Staat und Kirche betreffen, einen breiten Raum ein. Neben Abhandlungen zum Religionsunterricht oder zur Kirchenfinanzierung finden sich hier auch Reflektionen zum Verhältnis von kanonischem und staatlichem Eherecht.1 Dieses Verhältnis befindet sich seit geraumer Zeit in Bewegung, weil zahlreiche Reformen des staatlichen Rechts dazu geführt haben, dass die Gemeinsamkeiten von kirchlichem und weltlichem Eherecht geringer werden. Standen hierbei über lange Jahre Änderungen des staatlichen Eherechts im Zentrum, die aus Sicht des Gesetzgebers die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe stärken sollten, ist Gegenstand jüngerer gesetzgeberischer Aktivitäten das Verhältnis der Ehe zu anderen Formen menschlicher Partnerschaft sowie der Ehebegriff als solcher, der mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Personen eine tiefgreifende Erweiterung erfahren hat. Dem sich hierin manifestierenden Auseinanderstreben des kirchlichen und des staatlichen Eherechts sowie den hieraus resultierenden Konsequenzen für das kanonische Recht wie auch für das Staatskirchenrecht der Gegenwart gelten die nachfolgenden Ausführungen.
1 Stellvertretend sei hier hingewiesen auf Wilhelm Rees, Das Verhältnis von Staat und Kirche und die Bereiche Religionsunterricht, Kirchenfinanzierung und Eherecht aus theologisch-kirchenrechtlicher Sicht, in: Ders. (Hrsg.), Katholische Kirche im neuen Europa. Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder, Münster/Hamburg/Berlin/Wien/London/Zürich 2007, S. 1 – 48. Aus den kirchenrechtlichen Arbeiten zum Eherecht sei hier nur hervorgehoben Wilhelm Rees, Communicatio in sacris und consortium totius vitae. Kirchenrechtliche Überlegungen im Blick auf die konfessionsverschiedene Ehe, in: DPM 7 (2000), S. 69 – 95. – Das vorliegende Manuskript wurde am 15. September 2019 abgeschlossen.
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I. Einleitung: Die Ehe als Gegenstand von kanonischem und staatlichem Eherecht Die Ehe ist heute sowohl Gegenstand des kanonischen als auch des staatlichen Rechts; sie wird auf der einen Seite von Vorschriften des Codex Iuris Canonici,2 auf der anderen Seite von Normen des staatlichen Verfassungs- und Zivilrechts erfasst.3 Charakteristisch für das Verhältnis dieser Bestimmungen ist, dass sie parallel gelten, die Ehe aus verschiedenen Perspektiven und in Verfolgung divergenter Zwecke regeln, inhaltlich voneinander unabhängige Regelungen treffen und zudem unterschiedliche Schwerpunkte setzen.4 Die parallele Geltung ehebezogener Bestimmungen gründet darauf, dass das kanonische und das staatliche Recht die Ehe auf unterschiedlicher Grundlage regeln: Die Normierung der sakramentalen Dimension der Ehe ist für die katholische Kirche Ausfluss ihrer korporativen Religionsfreiheit und ihres Selbstbestimmungsrechts,5 die Gesetzgebung über die weltlichen Bezüge der Ehe für den Staat Teil seiner allgemeinen politischen Ordnungsaufgabe und seines besonderen verfassungsrechtlichen Schutzauftrags.6 Hierbei verzichten sowohl die kirchliche als auch die staatliche Rechtsordnung darauf, Gestaltungswirkung für den jeweils anderen Rechtsbereich zu beanspruchen. Daher entfalten die Normen des staatlichen Eherechts grundsätzlich keine Relevanz für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse nach kirchlichem Recht, während umgekehrt von den Bestimmungen des kirchlichen Eherechts prinzipiell keine Wirkungen auf den Bereich des staatlichen Rechts ausgehen.7 2 Zur Ehe in der Gesetzgebung der Kirche eingehend Nikolaus Schöch, Die Ehe in der kirchlichen Rechtsordnung, in: Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (Hrsg.), HKKR3, Regensburg 2015, § 84, S. 1243 – 1267, hier S. 1245 ff. 3 Zur Ehe im staatlichen Verfassungs- und Zivilrecht näher Arnd Uhle, Eheschließung und Ehescheidung im staatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland, in: Stephan Haering/ Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (Hrsg.), HKKR3, Regensburg 2015, § 92, 1404 – 1432, hier S. 1405 ff. 4 Hierzu näher Arnd Uhle, Zweierlei Recht – Die Ehe als Gegenstand des kanonischen und des staatlichen Rechts, in: Markus Graulich/Thomas Meckel/Matthias Pulte (Hrsg.), Ius canonicum in communione christifidelium, Festschrift zum 65. Geburtstag von Heribert Hallermann, Paderborn 2016, S. 727 – 750, hier S. 733 ff., 737 ff. 5 Der Erlass kirchenrechtlicher Bestimmungen über das katholische Verständnis der Ehe genießt zum einen den Schutz der gem. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Religionsfreiheit, zum anderen den des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, das unter der Geltung des Grundgesetzes durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV anerkannt und verbürgt wird. Dieses Recht gewährleistet der Kirche innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes die selbständige Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten. Hierzu gehören namentlich die Ausformung der kirchlichen Lehre und deren Umsetzung durch das kanonische Recht. Das gilt in besonderer Weise für die Theologie der Ehe sowie das kirchliche Eherecht. 6 Siehe hierzu Art. 6 Abs. 1 GG. 7 Für das staatliche Eherecht folgt dies aus § 1588 BGB, der bestimmt, dass die „kirchlichen Verpflichtungen in Ansehung der Ehe […] durch die Vorschriften dieses Abschnitts nicht berührt [werden].“ Mit dieser Vorschrift nimmt der Staat zwar weder den Anspruch auf seine
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Eng verbunden mit der parallelen Geltung des kirchlichen wie des staatlichen Rechts ist der Umstand, dass beide Rechtsordnungen die Ehe aus divergierenden Perspektiven und in Verfolgung jeweils unterschiedlicher Zwecke erfassen.8 So besteht das Anliegen des kanonischen Rechts in der Entfaltung und Gewährleistung des kirchlichen Eheverständnisses. Seine Intention ist es, die Wesenseigenschaften der Ehe zu sichern, die der Ehe als von Gott geschaffener Institution9 und als Sakrament entsprechen,10 weshalb seine Vorschriften der Entfaltung jener Vorgaben dienen, die das ius divinum im Hinblick auf die Ehe enthält.11 Das schließt zwar nicht aus, dass das kirchliche Recht die sozialpolitische Bedeutung der Ehe berücksichtigt,12 hat aber doch zur Folge, dass diese nicht im Vordergrund des kanonischen Rechts steht. Demgegenüber erfasst das staatliche Recht die Ehe als Zivilehe und damit ausschließlich aus einer „verweltlichten“ Perspektive. In der Konsequenz liegt sein Fokus gerade auf der sozialpolitischen Funktion der Ehe: Sein Anliegen besteht darin, diese soziale Funktion unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit zu stärken und damit nicht nur der allgemeinen politischen Ordnungsaufgabe des Staates, sondern auch dem in Art. 6 Abs. 1 GG positivierten verfassungsrechtlichen Auftrag des „besonderen“ Schutzes der Ehe zu entsprechen. alleinige Zuständigkeit für die Ordnung der weltlichen Bezüge der Ehe zurück noch schwächt er seinen Anspruch auf die Regelung der Zivilehe als Ordnungselement des weltlichen Gemeinschaftslebens ab. Gleichwohl notifiziert er mit ihr, dass er keinen Übergriff in den Bereich des religiösen Eherechts intendiert und von seinen Regelungen keine Gestaltungswirkung auf den Bereich des kirchlichen Eherechts ausgeht (hierzu Hans-Jürgen Becker, Der so genannte Kaiser-Paragraph [§ 1588 BGB], in: Sibylle Hofer/Diethelm Klippel/Ute Walter (Hrsg.), Perspektiven des Familienrechts. Festschrift für Dieter Schwab zum siebzigsten Geburtstag am 15. August 2005, Bielefeld 2005, S. 269 – 285). – Dem korrespondiert für das kanonische Recht c. 1059 CIC/1983, der anordnet, dass sich die Ehe von Katholiken „unbeschadet der Zuständigkeit der weltlichen Gewalt hinsichtlich der rein bürgerlichen Wirkungen dieser Ehe“ nach göttlichem und kirchlichem Recht richtet. Mit dieser Regelung stellt die katholische Kirche klar, dass die eherechtlichen Bestimmungen des CIC/1983 die Unterscheidung zwischen staatlicher und religiöser Sphäre achten und das staatliche Eherecht weder zu verdrängen noch in dieses überzugreifen beabsichtigen. 8 Zur prinzipiellen Perspektiv- und Zweckdivergenz des kirchlichen und des staatlichen Eherechts Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 4), S. 745 f. 9 Vgl. Vatikanum II, Pastorale Konstitution Gaudium et spes, in: AAS 58 (1966), S. 1025 – 1115, hier S. 1067, Art. 48 Abs. 1); Pius XI., Enzyklika Casti connubii, in: AAS 22 (1930), S. 539 – 592, hier S. 541. 10 Hierzu cc. 1055 f., 1099 sowie 1134 CIC/1983; vgl. auch Vatikanum II, Gaudium et spes (Anm. 9), S. 1068 f., Art. 48 Abs. 2; Pius XI., Casti connubii (Anm. 9), S. 583; Schöch, Ehe (o. Anm. 2), S. 1249 ff. Zusammenfassende Darstellung der theologisch-kanonistischen Grundlagen des Ehesakraments bei Ludger Müller/Christoph Ohly, Katholisches Kirchenrecht, Paderborn 2018, § 23, S. 185 – 211. 11 Wie hier auch Dietrich Pirson, Staatliches und kirchliches Eherecht, in: Joseph Listl/ Dietrich Pirson (Hrsg.), HdbStKirchR2, Berlin 1994, § 28, S. 787 – 825, hier S. 800 f. 12 S. hierzu c. 1055 § 1 CIC/1983: Wohl der Ehegatten sowie Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft. – Die traditionelle Lehre von den Ehezwecken unterscheidet proles, fides und sacramentum: Augustinus, De bono coniugali, cap. 24 n. 32, in: PL 40, S. 373 – 396, hier S. 394 f. Vgl. dazu Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht7, Freiburg i. Br. 1988, S. 36 ff.
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Mit dieser Perspektiv- und Zweckdivergenz geht einher, dass das Verhältnis des kirchlichen und des staatlichen Eherechts von gegenseitiger inhaltlicher Unabhängigkeit geprägt ist.13 Verfassungsrechtlich wird diese Unabhängigkeit dadurch geschützt, dass der kirchlichen Ehegesetzgebung ein Freiraum verbürgt ist, der nicht auf den Erlass von Regelungen beschränkt ist, die mit dem staatlichen Eherecht übereinstimmen. So enthält das kanonische Recht etwa umfangreiche eigene, sich von den Anforderungen des Zivilrechts unterscheidende Voraussetzungen für die Gültigkeit einer Ehe, kennt aber im Gegensatz zum bürgerlichen Recht keine Regelungen über eine Scheidung, da es der Unauflöslichkeit einer gültig geschlossenen Ehe verpflichtet ist.14 In der Konsequenz dieses Umstands ist der Bestand einer Ehe nach kirchlichem Recht grundsätzlich unabhängig von der Existenz einer Ehe nach staatlichem Recht, weshalb das Bestehen einer Ehe aus kirchenrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sein kann als aus der Perspektive des staatlichen Eherechts.15 Das zeigt sich an Ehen, deren Gültigkeit zwar nach staatlichem Recht keinem Zweifel unterliegt, nach katholischem Kirchenrecht indes nicht zu bejahen ist; exemplarisch gilt dies in Fällen der standesamtlichen Wiederverheiratung nach staatlicher Scheidung einer ersten, kirchenrechtlich gültigen Ehe. Ausfluss der gegenseitigen inhaltlichen Unabhängigkeit des kanonischen und des staatlichen Eherechts ist schließlich, dass die eherechtlichen Regelungen divergierende Schwerpunktsetzungen aufweisen. So sind die Anforderungen an eine gültige Ehe – ergänzt um Regelungen zum Verhältnis der Ehegatten zueinander – zentraler Gegenstand des kanonischen Rechts.16 Dagegen fehlen hier, wie erwähnt, Bestimmungen über die Scheidung,17 weshalb sich das kirchliche Recht auf Regelungen über die Aufhebung bzw. die Nichtigerklärung einer Ehe aufgrund von Mängeln beschränkt, die bei der Eheschließung vorhanden sind.18 Zur Klärung der (Un-)Gültigkeit eines Eheschlusses enthält es Bestimmungen für die Überprüfung, ob die erforderlichen Anforderungen im Einzelfall eingehalten sind; hierzu gehört insbesondere
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Siehe hierzu BVerfGE 137, 273 (342: „[…] aus Sicht des Grundgesetzes ist […] das Bild einer ,verweltlichten‘ bürgerlich-rechtlichen Ehe [maßgeblich], das durch das christliche Eheverständnis traditionell geprägt, aber mit diesem nicht inhaltlich identisch ist.“); dazu auch Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 4), S. 742 ff. 14 So zählt c. 1056 CIC/1983 die Unauflöslichkeit der Ehe zu deren Wesenseigenschaften, während c. 1141 CIC/1983 bestimmt, dass eine gültige und vollzogene Ehe zwischen Getauften „durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden [kann].“ Die Unauflöslichkeit als Konsequenz der Sakramentalität der Ehe betonen Müller/Ohly, Katholisches Kirchenrecht (Anm. 10), S. 190. 15 So bereits zutreffend Knut Wolfgang Nörr, Bürgerliches Eheauflösungsrecht und Religion, in: JZ 1966, S. 545 – 549, hier S. 546 f. Zuletzt so auch BVerfGE 137, 273 (342 f.). 16 Wie hier auch Pirson, Staatliches und kirchliches Eherecht (Anm. 11), S. 801; näher Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 4), S. 739 f. m. w. N. 17 Zur Festlegung auf die Unauflöslichkeit der Ehe cc. 1056 und 1141 CIC/1983; vgl. auch c. 1134 CIC/1983. 18 Vgl. hierzu cc. 1057 f., 1073 – 1094, 1095 ff., 1108 ff. CIC/1983.
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die Ausgestaltung eines eigenen kirchengerichtlichen Ehenichtigkeitsverfahrens.19 Das staatliche Eherecht weist demgegenüber eine geradezu entgegengesetzte Schwerpunktsetzung auf. Zwar sind Voraussetzungen, Verfahren und Rechtsfolgen der Eheschließung, wie dargelegt, auch staatlicherseits zu regeln und folglich Gegenstand des staatlichen Eherechts,20 doch die Intensität dieser Bestimmungen divergiert deutlich. So erfasst das staatliche Recht die persönlichen Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung nur in verhältnismäßig knapp gehaltenen Bestimmungen,21 ebenso und erst recht die rechtliche Ausgestaltung der ehelichen Beziehung als solcher. Demgegenüber enthält es detaillierte Regelungen zu Verfahren, Voraussetzungen und Folgen einer Ehescheidung. Vor dem vorstehend skizzierten Hintergrund wird das Verhältnis von kanonischem und staatlichem Eherecht von der parallelen Geltung, der Perspektiv- und Zweckdivergenz, der materiellen Unabhängigkeit sowie von unterschiedlichen Regelungsschwerpunkten der einschlägigen Normen geprägt. Trotz der unveränderten Aktualität dieser verhältnisbestimmenden Charakteristika wandelt sich das Verhältnis zwischen beiden Rechtsordnungen dadurch, dass diese seit geraumer Zeit auseinanderstreben. Erkennbar ist das zum einen an Änderungen des staatlichen Rechts, die die Eheschließung und die Ehescheidung betreffen, da durch sie nicht nur die gegenseitige Unabhängigkeit von kirchlichem und weltlichem Eherecht akzentuiert, sondern auch – und vor allem – das Eheverständnis des staatlichen Rechts in einer Weise fortentwickelt worden ist, die mit dem kanonischen Recht nicht mehr kompatibel ist (hierzu sub II.); ablesbar ist dies zum anderen daran, dass durch das sog. Lebenspartnerschaftsgesetz im Jahre 2001 zunächst auf Seiten des staatlichen Rechts der privilegierte Status der Ehe relativiert und durch die Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts im Jahre 2017 dann auch der Ehebegriff des Bürgerlichen Gesetzbuches so umgestaltet worden ist, dass sich dieser heute von dem des kanonischen Rechts deutlich unterscheidet (hierzu sub III.). Eine Abschwächung, ein Ende oder gar eine Umkehr der sich hierin manifestierenden Auseinanderentwicklung ist gegenwärtig nicht zu erwarten (hierzu sub IV.). Dieses Auseinandertreten stellt sowohl für die gesellschaftliche Akzeptanz als auch für die gesellschaftliche Relevanz des kanonischen Rechts eine Bewährungsprobe dar, bietet zugleich indes auch die Chance, das Proprium des kirchenrechtlich normierten katholischen Eheverständnisses deutlicher als in der Vergangenheit hervortreten 19 Siehe hierzu cc. 1671 ff. CIC/1983. Siehe ferner die Instruktion Dignitas connubii des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 25. Januar 2005; zu ihr Klaus Lüdicke, „Dignitas Connubii“. Die Eheprozeßordnung der katholischen Kirche (= BzMK 42), Essen 2005. 20 So erfordert etwa das staatliche Eherecht für die Eheschließung die Mitwirkung eines Standesbeamten, vor dem die Eheschließenden erklären müssen, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Siehe dazu §§ 1303 ff. BGB. Zur Mitwirkung des Standesbeamten Wilfried Schlüter, BGB-Familienrecht14, Heidelberg/München/Landsberg/Frechen/Hamburg 2012, Rdnr. 24; Dieter Schwab, Familienrecht26, München 2018, Rdnr. 67 f. Zum Ehekonsens Nina Dethloff, Familienrecht32, München 2018, § 3, Rdnr. 15; Joachim Gernhuber/Dagmar Coester-Waltjen, Familienrecht6, München 2010, § 11, Rdnr. 44 ff. 21 §§ 1303 ff. BGB.
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zu lassen. Im Verhältnis von Kirche und Staat schließlich ist der Rückgang an Gemeinsamkeiten zwischen der kirchlichen und der weltlichen Rechtsordnung Probierstein staatskirchenrechtlich gesicherter Freiheitlichkeit, die der Kirche das Recht einer vom Staat unabhängigen und auch materiell eigenständigen Ehegesetzgebung verbürgt (hierzu sub V.).
II. Eheschließung und Ehescheidung als Gegenstand gesetzlicher Änderungen des staatlichen Rechts 1. Änderungen bei der Eheschließung als Indiz wachsender Distanz von kanonischem und staatlichem Eherecht Ein erstes Indiz für eine zunehmende Distanz von kanonischem und staatlichem Eherecht folgt aus der zum 1. Januar 2009 erfolgten Änderung des staatlichen Personenstandsrechts. Dieses enthält seither das umstrittene,22 früher in § 67 PStG verankerte allgemeine Verbot der kirchlichen Voraustrauung nicht mehr. Brautleute können hiernach heute – sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet haben23 – grund22
Zur Diskussion um dessen Verfassungskonformität Michael Coester, Standesbeamter und Eheschließung, in: StAZ 1996, S. 33 – 40, hier S. 39 f.; Reiner Tillmanns, Die Unvereinbarkeit des § 67 PStG mit dem Grundgesetz, in: NVwZ 2003, S. 43 – 49, hier S. 44 ff.; Dirk Ehlers, Die Rechtmäßigkeit des Verbots kirchlicher Voraustrauungen, in: Joachim Bohnert/ Christof Gramm/Urs Kindhäuser/Joachim Lege/Alfred Rinken/Gerhard Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, Berlin 2001, S. 811 – 833, hier S. 819 ff.; Klaus Rasquin, Das Voraustrauungsverbot des § 67 Personenstandsgesetz 1937/1957, 1985, S. 240 ff. 23 Seit dem Erlass des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2429) untersagt das Personenstandsgesetz in seiner geltenden Fassung sowohl eine „religiöse oder traditionelle Handlung, die darauf gerichtet ist, eine der Ehe vergleichbare dauerhafte Verbindung zweier Personen zu begründen, von denen eine das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat“ (§ 11 Abs. 2 Satz 1 PStG) als auch den „Abschluss eines Vertrages, der nach den traditionellen oder religiösen Vorstellungen der Partner an die Stellung der Eheschließung tritt“ (§ 11 Abs. 2 Satz 3 PStG). Das Verbot ist an Geistliche, Sorgeberechtigte und bestimmte weitere Mitwirkende adressiert und als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bewehrt (§ 70 PStG, zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. Bertold Gaaz, in: Berthold Gaaz/Heinrich Bornhofen (Hrsg.), Personenstandsgesetz. Handkommentar4, Frankfurt a. M./ Berlin 2018, § 11, Rdnr. 10 f.). Auch wenn sich dieses Verbot vor allem gegen „rituelle und traditionelle Formen anderer Kulturkreise“ richtet und insofern insbesondere auf die Verhinderung der in anderen Kulturkreisen vorkommenden Zwangsverheiratung Minderjähriger abzielt, erfasst es doch sämtliche „religiöse Formen der Eheschließung“ (BT-Drucks. 18/ 12086, S. 24 f.). Daher entfaltet es auch für kirchliche Eheschließungen Relevanz. Näher zum Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen Josef Bongartz, Zur gebotenen rechtlichen Behandlung von Ehen unter Beteiligung Minderjähriger, NZFam 2017, S. 541 – 546, hier S. 545; Katharina Lohse/Thomas Meysen, Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen: Rechtliche Behandlung von Minderjährigenehen, in: JAmt 2017, S. 345 – 349, hier S. 348; Thomas Rauscher, Rechtskolonialismus oder Zweckverfehlung? Auswirkungen des Kinderehebekämpfungsgesetzes im IPR, in: Alexander R. Markus/Stephanie Hrubesch-Millauer/Rodrigo Ro-
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sätzlich kirchlich heiraten, ohne vorher eine Ehe nach staatlichem Recht einzugehen;24 erfolgt eine solche, ausschließlich kirchliche Trauung, wird diese im staatlichen Recht als Nichtehe behandelt, bis es auch nach staatlichem Recht zu einer Eheschließung gekommen ist.25 In der Konsequenz kann ein Ehepaar nach kirchlichem Recht verheiratet, nach staatlichem Recht indessen unverheiratet sein und umgekehrt.26 Auf diese Weise sind standesamtliche Eheschließung und kirchliche Trauung in ein Verhältnis prononcierter Unabhängigkeit gebracht worden,27 so dass kirchlich geschlossene Ehen nunmehr prinzipiell beziehungslos neben staatlich geschlossenen Ehen stehen.28 Zwar lässt sich argumentieren, dass diese gegenseitige Unabhängigkeit zu den eingangs geschilderten, hergebrachten Charakteristika des Verhältnisses von kanonischem und staatlichem Eherecht zählt29 und die Neuregelung insofern ohne weiteres mit den Grundsätzen, nach denen dieses Verhältnis geordnet ist, vereinbar sei; auch lässt sich erwägen, dass das Auseinanderfallen von staatlicher und kirchlicher Ehe angesichts einer beträchtlichen Anzahl von Scheidungen mit nachfolgender Neueingehung einer Zivilehe bei gleichzeitigem kirchenrechtlichem Fortbestand der ursprünglichen Ehe keinesfalls eine neue Erscheinung darstellt. Gleichwohl kommt es in der Konsequenz der Änderung des Personenstandsrechts zu einer nunmehr prinzipiellen Entkopplung von kirchlicher und staatlicher Ehe, die bis zu der Aufhebung des Verbots der Voraustrauung nicht bestanden hat, da eine kirchliche Trauung Ende 2008 erst nach einer standesamtlichen Eheschließung erfolgen konnte. Das nunmehr staatlich ermöglichte Auseinanderfallen von kirchlicher und ziviler Ehe bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung stellt daher eine Entwicklung der jüngeren Zeit dar. Um ein solches Auseinanderfallen nach Möglichkeit zu verhindern, hat zwar die Deutsche Bischofskonferenz – ausgehend vom Fortbestand der einschlägigen Regedriguez (Hrsg.), Zivilprozess und Vollstreckung national und international – Schnittstellen und Vergleiche, Festschrift für Jolanta Kren Kostkiewicz, Bern 2018, S. 245 – 268, hier S. 251 f. 24 Zum Entfall des Verbots der kirchlichen Voraustrauung Dieter Schwab, Kirchliche Trauung ohne Standesamt, in: FamRZ 2008, S. 1121 – 1124; Richard Puza, Zum neuen Personenstandsgesetz: Kirchliche Trauung ohne vorhergehende standesamtliche Eheschließung, in: KuR 2008, S. 207 – 216; Heribert Schüller, Die verblüffende Aufhebung des Voraustrauungsverbots und ihre Auswirkungen, in: NJW 2008, S. 2745 – 2749; Hans Michael Heinig, Keine Trauung ohne Eheschließung, in: FamRZ 2010, S. 81 – 84; Ders., Neuere Entwicklungen im Eherecht an der Schnittfläche von staatlicher und kirchlicher Rechtsordnung, in: ZevKR 55 (2010), S. 20 – 45, hier S. 23 f. und 36 ff.; vgl. auch Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1416 f. 25 Zur ausschließlich kirchlich geschlossenen Ehe als Nichtehe Schlüter, BGB-Familienrecht (Anm. 20), Rdnr. 24; Dethloff, Familienrecht (Anm. 20), § 3, Rdnr. 8. 26 Schwab, Familienrecht (Anm. 20), Rdnr. 59. 27 Zu der Relativierung dieses beziehungslosen Nebeneinanders von kirchlich und staatlich geschlossenen Ehen durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 siehe oben Anm. 23. 28 Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1416 f. 29 Hierzu vorstehend sub I.
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lung des Reichskonkordats30 und vor dem Hintergrund der Bestimmungen des CIC/ 198331 – bereits 2008 beschlossen, dass eine kirchliche Trauung ohne vorherige Eheschließung nach staatlichem Recht auch nach dem Entfall des Verbots kirchlicher Voraustrauungen nur ausnahmsweise ermöglicht werden soll.32 Dementsprechend betonen die auf der Grundlage dieses Beschlusses geschaffenen und in den Bistümern in Kraft gesetzten kirchlichen Ordnungen, dass der Kirche daran gelegen ist, dass auch eine zivilrechtliche Ehe geschlossen wird, „damit den Gläubigen deren Rechtswirkungen gewährleistet werden und sie auf diese Weise besser im Stande sind, die Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, die mit der kirchlichen Trauung verbunden sind“; auch wird ausdrücklich notifiziert, dass eine kirchliche Trauung ohne vorhergehende zivile Eheschließung „nur im Ausnahmefall“ erfolgen soll, „wenn eine standesamtliche Eheschließung für die Brautleute unzumutbar ist“33 und dass hierfür das Nihil obstat des zuständigen Ortsbischofs erforderlich ist.34 Gleichwohl kann der sich hierin widerspiegelnde Versuch, die staatliche Aufhebung des Verbots der Voraustrauung kirchlicherseits gleichsam zu kompensieren, nicht überdecken, dass die Änderung des staatlichen Rechts eine prinzipielle – lediglich durch das Trauungsver-
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Vgl. dazu die Deutsche Bischofskonferenz, Pressebericht des Vorsitzenden, Pressemeldung Nr. 9 vom 14. Februar 2008, sub I.; Alfred E. Hierold, Ehe und Eherecht nach katholischem Verständnis, in: FamRZ 2011, S. 6 – 8, hier S. 8. – Art. 26 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 (RGBl. II 1933, S. 679, 686) enthält auf der Grundlage des seinerzeitigen Verbots der kirchlichen Voraustrauung Ausnahmen bei der lebensgefährlichen Erkrankung eines Verlobten und im Fall eines „schweren sittlichen Notstandes“. Für dessen Gegenstandslosigkeit nach Entfall des Voraustrauungsverbots Frank Sanders, Die rein kirchliche Trauung ohne zivilrechtliche Wirkung (= BzMK 32), Essen 2001, S. 105; Schüller, Aufhebung (Anm. 24), S. 2747. Zur Fortgeltung des Reichskonkordats BVerfGE 6, 309 (332 ff.). 31 Vgl. c. 1071 § 1 Nr. 2 CIC/1983. – Aus dem CIC/1983 folgt hierbei keine Vorgabe über die zeitliche Abfolge von staatlicher und kirchlicher Eheschließung, Rasquin, Voraustrauungsverbot (Anm. 23), S. 38; vgl. auch Klaus Lüdicke, c. 1071, Rdnr. 6 ff. in: MK CIC (Stand: März 2019). 32 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz, Pressebericht des Vorsitzenden, Pressemeldung Nr. 50 vom 26. September 2008, sub II. Vgl. dazu unter dem Aspekt des Brautexamens Müller/Ohly, Katholisches Kirchenrecht (Anm. 10), S. 192. 33 Wann diese Voraussetzung vorliegt, wird nicht ausdrücklich spezifiziert. Erfasst werden sollen vor allem Einzelfälle, in denen eine bürgerliche Eheschließung in wirtschaftlicher Hinsicht mit unannehmbaren Nachteilen verbunden wäre. 34 Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1417. – Bei der Einholung des Nihil obstat müssen die Brautleute angeben, warum sie auf eine standesamtliche Eheschließung verzichten, sie müssen ferner bestätigen, dass sie die kirchliche Trauung in dem Bewusstsein erbitten, dass diese keine rechtlichen Wirkungen im staatlichen Bereich entfaltet und müssen schließlich versprechen, alle Pflichten zu übernehmen und gewissenhaft zu erfüllen, die mit der kirchlichen Trauung verbunden sind; hierzu wird ausdrücklich auch die materielle Fürsorge füreinander und für die aus der Ehe hervorgehenden Kinder gezählt. Vgl. dazu die inhaltlich gleichlautenden „Ordnung[en] für kirchliche Trauungen bei fehlender Zivileheschließung“. Exemplarisch für das Erzbistum Köln, Amtsblatt des Erzbistums Köln 2008, S. 305; Erzbistum Freiburg, Amtsblatt der Erzdiözese Freiburg 2008, S. 453; Erzbistum Paderborn, Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn 2008, S. 165.
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bot bei Minderjährigen eingeschränkte35 – Entkopplung von ziviler und kirchlicher Ehe bewirkt und beide in ein Verhältnis prononcierter Beziehungslosigkeit gesetzt hat.36 Auch wenn dies im Unterschied zu anderen Reformen nicht mit einem materiellen Auseinanderstreben der einschlägigen eherechtlichen Bestimmungen – etwa hinsichtlich des Eheverständnisses – verbunden ist, wird auf diese Weise doch eine wachsende Distanz zwischen kanonischem und staatlichem Eherecht indiziert. Das wird deutlich, wenn die Aufhebung des Verbots der Voraustrauung in den Kontext der weiteren Rechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte wie auch der jüngeren Zeit gestellt wird. 2. Änderungen des Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts als Indikatoren eines zunehmenden Auseinandertretens von kirchlichem und staatlichem Eheverständnis Zu diesem Kontext zählt an zentraler Stelle die Rechtsentwicklung im Bereich des staatlichen Ehescheidungs- und Unterhaltsrechts. Durch sie ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur eine Vielzahl zivilrechtlicher Einzelregelungen verändert worden; vielmehr ist auch das diesen Bestimmungen zugrunde liegende Eheverständnis in einer mit dem kanonischen Recht nicht mehr kompatiblen Weise modifiziert worden. Seinen Ausgangspunkt hat diese Entwicklung in dem bereits erwähnten Umstand, dass das staatliche Recht im Unterschied zum kirchlichen Recht Scheidungen ermöglicht.37 Zwar geht es – insofern wie das kanonische Eherecht – von dem Grundsatz aus, dass die Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird,38 doch verzichtet es im Gegensatz zu diesem auf die strikte, d. h. ausnahmslose Verwirklichung dieses Prinzips. Daher eröffnen die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Fall des Scheiterns einer Ehe ausnahmsweise die Möglichkeit einer Auflösung. Art. 6 Abs. 1 GG steht einer solchen Auflösbarkeit nicht entgegen, sofern deren Regelung im einfachen Recht die institutionelle Garantie der Ehe und die diesbezügliche grundgesetzliche Wertentscheidung wahrt.39 In der Konsequenz bilden heute Bestimmungen über Vorausset35
Siehe hierzu die Nachweise in Anm. 23. Schwab, Familienrecht (Anm. 20), Rdnr. 59; Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1416 f. 37 §§ 1564 ff. BGB. 38 So ausdrücklich § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB. Auch im verfassungsrechtlichen Begriff der Ehe ist deren Anlage auf Dauer enthalten, dazu BVerfGE 115, 1 (19); Arnd Uhle, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz3, München 2020, Art. 6, Rdnr. 8. Monographisch dazu zuletzt Christopher Marx, Die Ehe auf Lebenszeit. Ein unverbindlicher Programmsatz?, Baden-Baden 2015, S. 20 ff., 176 ff., 283 ff, 289 ff. und passim. 39 BVerfGE 53, 224 (245 ff.); vgl. auch BVerfGE 62, 323 (329 f.); Betonung des Ausnahmecharakters einer Scheidung bei Peter J. Tettinger, Der grundgesetzlich gewährleistete besondere Schutz von Ehe und Familie, in: EssGespr. 35 (2001), S. 117 – 157, hier S. 139; wie hier auch Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1420 f.; Christian von Coelln, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar8, München 2018, Art. 6, Rdnr. 5; Ger36
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zungen, Verfahren und Folgen einer Scheidung einen wesentlichen Teil des staatlichen Eherechts.40 Demgegenüber ist das kanonische Recht dem biblischen Scheidungsverbot verpflichtet.41 Daher ist es dezidiert auf die Unauflöslichkeit einer wirksam zustande gekommenen Ehe festgelegt, die es zu den Wesenseigenschaften der Ehe zählt; ausdrücklich ordnet es an, dass eine gültige und vollzogene Ehe zwischen Getauften „durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden [kann]“.42 hard Robbers, in: Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz7, Bd. 1, München 2018, Art. 6, Rdnr. 62 ff. 40 Überblick über die eine Scheidung regelnden Bestimmungen des staatlichen Rechts bei Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1420 ff., v. a. 1422 ff. 41 Vgl. Mk 10, 2 – 12; Lk 16, 18; Mt 5, 27 – 32; 19, 3 – 12; 1 Kor 7, 10 – 16; Röm 7, 2 f. 42 Siehe hierzu c. 1141 CIC/1983; vgl. auch cc. 1056 und 1134 CIC/1983. Vgl. auch den Katechismus der Katholischen Kirche, 1993, Nr. 1649 f. Stellvertretend dazu Müller/Ohly, Katholisches Kirchenrecht (Anm. 10), S. 189 f. – Die Bischofssynoden von 2014 und 2015 haben an dieser kirchlichen Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe nichts geändert. Kontrovers diskutiert worden ist in ihrem Kontext ausschließlich die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion. Siehe hierzu einerseits Walter Kardinal Kasper, Das Evangelium von der Familie, Freiburg i. Br. 2014, S. 54 ff.; andererseits Juan José Pérez-Soba/Stephan Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Illertissen 2014; Robert Dodaro (Hrsg.), „In der Wahrheit Christi bleiben“: Ehe und Kommunion in der katholischen Kirche, Würzburg 2014. Dazu auch Markus Graulich/Martin Seidnader (Hrsg.), Zwischen Jesu Wort und Norm. Kirchliches Handeln angesichts von Scheidung und Wiederverheiratung, Freiburg i. Br. 2014; Andreas Wollbold, Pastoral mit wiederverheirateten Geschiedenen – gordischer Knoten oder ungeahnte Möglichkeiten?, Regensburg 2015. Dokumentation der kirchlichen Lehre bei Rudolf Voderholzer (Hrsg.), Zur Seelsorge wiederverheirateter Geschiedener. Dokumente, Kommentare und Studien der Glaubenskongregation, Würzburg 2014. Zur Situation wiederverheirateter Geschiedener auch das Nachsynodale Apostolische Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus vom 19. März 2016 (= VApSt 204), Nr. 291 ff. Das Schreiben stellt zunächst klar, dass die christliche Ehe „voll verwirklicht [wird nur] in der Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die sich in ausschließlicher Liebe und freier Treue einander schenken, einander gehören bis zum Tod, sich öffnen für die Weitergabe des Lebens und geheiligt sind durch das Sakrament“ (Rdnr. 292). Hierbei stellt es fest, dass zwar andere Formen der Vereinigung diesem Ideal von Grund auf widersprechen, manche es indes „zumindest teilweise und analog“ verwirklichen können (Rdnr. 292). Angesichts der vielfältigen Unterschiede der hierbei anzutreffenden konkreten Lebenssituationen stellt es klar, „dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten [dürfe].“ Eine pastorale Lösung für wiederverheiratete Geschiedene könne vielmehr nur im Blick auf den jeweiligen Einzelfall erfolgen, wobei die hierbei vorzunehmende Unterscheidung anerkennen müsse, „dass die Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm nicht notwendig immer dieselben sein [müssten]“ (Rdnr. 300), auch „nicht auf dem Gebiet der Sakramentenordnung“ (Rdnr. 300, Anm. 336). Zur Interpretation der päpstlichen Ausführungen aus dem kaum überschaubaren Schrifttum Gerhard Ludwig Kardinal Müller, Barrieren abbauen (Interview), in: HerKorr 70 (6/2016), S. 17 – 22; Ders., Was dürfen wir von der Familie erwarten? Eine Kultur der Hoffnung für die Familie ausgehend vom Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Amoris Laetitia, in: Die Tagespost Nr. 54 vom 7. Mai 2016, S. 6; Walter Kardinal Kasper, „Amoris laetitia“. Bruch oder Aufbruch? Eine Nachlese, in: StdZ 234 (2016), S. 723 – 732; Andreas Wollbold, Ermutigung zur Seelsorge. „Amoris Laetitia“ bringt keine Änderung des Lehrgebäudes, in: HerKorr 70 (2016), S. 13 – 14; Rainer Bucher, Mehr als Stellschrauben. „Amoris Laetitia“ ist Aus-
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Trotz dieser im Ausgangspunkt seit langem bestehenden Unterschiede zwischen dem kanonischen Eherecht auf der einen und den zivilrechtlichen Regelungen des Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts auf der anderen Seite sind die Diskrepanzen zwischen beiden Rechtsordnungen in den letzten Jahrzehnten zunehmend deutlich hervorgetreten. Seinen Grund hat dies vor allem in der Entwicklung des staatlichen Rechts. Das gilt zunächst für die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer Scheidung. Zwar entspricht das staatliche Recht im Hinblick auf sie nach wie vor der grundgesetzlichen Vorgabe, dass eine Ehe weder durch schlichtes Einvernehmen der bisherigen Ehegatten noch durch einseitige Kündigung eines Ehegatten ohne staatliche Mitwirkung beendet werden kann, weil eine Ehe nach bürgerlichem Recht auf Antrag eines oder beider Ehegatten „nur durch richterliche Entscheidung“ geschieden werden kann.43 Gleichwohl ist die Ehescheidung namentlich durch das zum 1. Januar 1977 in Kraft getretene „Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts“44 im Interesse der Rechtssicherheit und des Verzichts auf eine gerichtliche Ausforschung der ehelichen Privat- und Intimsphäre so umgestaltet worden, dass Scheidungen erleichtert worden sind und für sie im Rahmen des seither geltenden Zerrüttungsprinzips heute nur noch formelle Hürden bestehen.45 In der Konsequenz treten im staatlichen Scheidungsrecht der Gegenwart zunehmend Züge einer Konventionalscheidung zutage. So ist für eine Scheidung heute allein das Scheitern der Ehe entscheidend, das dann vorliegt, „wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen“.46 Gesetzlich unwiderleglich vermutet wird ein solches Scheitern bedruck eines pastoralen Lehramts, ebd., S. 15 – 16; Reinhard Kardinal Marx, Amoris laetitia als Herausforderung für die Kirche. Vortrag beim Internationalen Symposium „A point of No Return? Amoris laetitia on Discernment and Conscience for Divorced and Remarried Couples, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2018 (Reihe „Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz“, Nr. 30). Siehe dazu auch Josef Seifert, Die Freude der Liebe: Freuden, Betrübnisse und Hoffnungen, in: AEMAET Bd. 5 (2016), S. 2 – 84; Robert Spaemann, Das Chaos zum Prinzip erhoben (Interview), in: Die Tagespost Nr. 51 vom 30. April 2016, S. 6. Siehe ferner die mit Schreiben („Klarheit suchen: eine Bitte, die Knoten in,Amoris Laetitia’ zu lösen“) vom 19. September 2016 geäußerten fünf Dubia der Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond Leo Burke, Carlo Caffarra und Joachim Meisner abgedruckt in: Die Tagespost Nr. 137 vom 17. November 2016, S. 5. Zusammenfassende Analyse bei Christoph Ohly, Ehe – Sakrament – Glaube. Eine postsynodale Bestandsaufnahme, in: DPM 23 (2016), S. 179 – 199. Pastorale Sicht auf Ehe und Familie bei Winfried Aymans (Hrsg.), 11 Kardinäle zu Ehe und Familie. Essays aus pastoraler Sicht, Freiburg i. Br. 2015; Stefan Mückl (Hrsg.), Ehe und Familie. Die „anthropologische Frage“ und die Evangelisierung der Familie, Berlin 2015. 43 Vgl. dazu § 1564 S. 1 BGB. 44 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976, BGBl. I, S. 1421. 45 Zu den gesetzgeberischen Motiven für den Übergang vom Schuld- zum Zerrüttungsprinzip Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1422 f. – Zur Vereinbarkeit des Zerrüttungsprinzips mit Art. 6 Abs. 1 GG BVerfGE 53, 224 (Ls. 1 und 245 ff.). 46 § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB. Dazu näher Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1423 ff.
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reits dann, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt, spätestens aber, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.47 Das gilt auch bei einem einseitigen Scheidungsbegehren.48 Ein katholischer Ehepartner, der die kirchliche Lehre von der Sakramentalität und Unauflöslichkeit der Ehe bejaht und eine Scheidung ablehnt, kann diese daher nicht verhindern.49 Erheblich verstärkt worden sind die Diskrepanzen zwischen staatlichem und kanonischem Recht durch jüngere Entwicklungen im Scheidungsfolgenrecht, die das Eheverständnis ebenfalls mittel- und langfristig verändert haben bzw. verändern werden. So hat sich im Unterhaltsrecht eine Tendenz Bahn gebrochen, die Ehegatten zunehmend weniger als Gemeinschaft und verstärkt als Individuen in den Blick zu nehmen.50 Das hat zu einer Gesetzgebung geführt, die nicht nur eine Schwächung der nachehelichen Solidarität bewirkt, sondern die auch in bestehende eheliche Gemeinschaften hineinwirkt, indem sie Ehegatten dazu anhält, sich der Möglichkeit einer Trennung bewusst zu sein und sich hierfür, gleichsam präventiv, durch individuelle ökonomische Unabhängigkeit zu wappnen. Das staatliche Scheidungsfolgenrecht zieht daher mit seiner Akzentuierung der individuellen Eigenverantwortung der Ehegatten nicht nur Konsequenzen für gescheiterte Ehen nach sich, sondern zeitigt auch Rückwirkungen auf bestehende eheliche Lebensgemeinschaften – und dies nicht nur als unbeabsichtigte faktische Nebenfolge, sondern als unausgesprochen verfolgtes Ziel gesetzgeberischen Handelns. Auf diese Weise ist eine grundlegende Veränderung des Eheverständnisses intoniert worden, die im Gegensatz zum katholischen Kirchenrecht nicht nur die Auflösbarkeit der Ehe betont, sondern sich auch vom Bild einer auf Lebenszeit eingegangenen Lebensgemeinschaft zunehmend löst
47 § 1566 BGB. Dazu Marx, Ehe auf Lebenszeit (Anm. 38), S. 183 ff.; Gernhuber/CoesterWaltjen, Familienrecht (Anm. 20), § 27, Rdnr. 29 ff.; Karlheinz Muscheler, Familienrecht4, München 2017, Rdnr. 403 ff.; Schlüter, BGB-Familienrecht (Anm. 20), Rdnr. 178 ff.; Überblick über die eine Scheidung regelnden Bestimmungen des staatlichen Rechts bei Uhle, Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1426 f. 48 Vgl. hierzu auch BGH, in: FamRZ 1979, S. 285 (287); in: FamRZ 1979, S. 1003 (1003); ebenso Muscheler, Familienrecht (Anm. 47), Rdnr. 405; Klaus-Peter Blank, in: Harm Peter Erman (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch15, Bd. 2, Köln 2017, § 1566, Rdnr. 4. 49 Die Härteklausel des § 1568 BGB, der in der Praxis ohnehin kaum Bedeutung zukommt, steht dem nicht entgegen, weil sie von der Rechtsprechung im Regelfall nicht zur Anwendung gebracht wird, wenn einer der Ehegatten die Scheidung aus religiösen Gründen ablehnt; vgl. dazu OLG Stuttgart, in: FamRZ 1991, S. 334; hierzu die Anmerkungen von Friedrich Wilhelm Bosch, in: FamRZ 1991, S. 334 – 335 und S. 951 – 952; ebenso AG Schorndorf, in: FamRZ 1992, S. 568 – 569, hier S. 568 f. Ausnahmefall: OLG Stuttgart, in: NJW-RR 2002, S. 1443 – 1444, hier S. 1444. 50 Vgl. das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21. Dezember 2007, BGBl. I, S. 3189. Dazu Werner Gutdeutsch, Nachrangiger Unterhalt des früheren Ehegatten nach neuem Recht, in: FamRZ 2008, S. 661 – 664; Winfried Born, Das neue Unterhaltsrecht, in: NJW 2008, S. 1 – 8, hier S. 2; monographisch Marx, Ehe auf Lebenszeit (o. Anm. 38), S. 225 ff.
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und statt dessen dem Bild eines temporären Miteinanders zweier Individuen zustrebt.51
III. Ehestellung und Ehebegriff als Gegenstand gesetzlicher Änderungen des staatlichen Rechts Neben den Änderungen im staatlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsrecht ist die Auseinanderentwicklung von kanonischem und staatlichem Eherecht auch an weiteren Indikatoren abzulesen. Das gilt zunächst für die Relativierung des privilegierten Status der Ehe durch das sog. Lebenspartnerschaftsgesetz und die damit einhergehende Staatspraxis in Deutschland zwischen den Jahren 2001 und 2017, noch deutlicher indes für den im Jahre 2017 artikulierten Anspruch des einfachen Gesetzgebers, den Ehebegriff in einem seiner Wesensmerkmale verändern zu können. 1. Relativierung der privilegierten Stellung der Ehe als Ausdruck eines zunehmenden Auseinandertretens von kirchlichem und staatlichem Eheverständnis Für die Beantwortung der Frage, welche Stellung der Ehe im Verhältnis zu anderen Formen menschlicher Gemeinschaft beigelegt wird, enthält das staatliche Recht mit Art. 6 Abs. 1 GG, der neben der Familie auch die Ehe unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stellt, eine ausdrückliche Regelung. Aus ihr folgt bereits der Formulierung nach die verfassungsrechtliche Vorgabe, der Ehe im Verhältnis zu anderen Formen menschlicher Partnerschaft eine exklusive Stellung einzuräumen, also zwischen ihr und allen sonstigen Formen von Lebensgemeinschaften einen rechtlichen Abstand einzuhalten (sog. „Abstandsgebot“).52 Trotz des eindeutigen Wortlauts hat sich diese Position bekanntlich im Fall der sog. eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Personen nicht durchgesetzt. Ihr ist weder der einfache Gesetzgeber gefolgt, der im Jahre 2001 das Rechtsinstitut für Personen gleichen Geschlechts eingeführt hat,53 noch das Bundesverfassungsgericht in seiner hernach entfalteten Judikatur, in der zwar zunächst die Verfassungskonformität des neuen Instituts mit der Erwägung bestätigt worden ist, dass es sich bei diesem 51 Der Formulierung wie der Sache nach so bereits Christian Seiler, Ehe und Familie – noch besonders geschützt?, in: Arnd Uhle (Hrsg.), Zur Disposition gestellt?, Berlin 2014, S. 37 – 58, hier S. 46 f. Vgl. zu den Auswirkungen auf das Lebenszeitprinzip zusammenfassend Marx, Ehe auf Lebenszeit (Anm. 38), S. 292 f. 52 Martin Burgi, Schützt das Grundgesetz die Ehe vor der Konkurrenz anderer Lebensgemeinschaften?, in: Der Staat 39 (2000), S. 487 – 508, hier S. 492; Rupert Scholz/Arnd Uhle, „Eingetragene Lebenspartnerschaft“ und Grundgesetz, in: NJW 2001, S. 393 – 400, hier S. 398; Seiler, Ehe (Anm. 51), S. 43; aus der Kommentarliteratur von Coelln, in: Sachs (o. Anm. 39), Art. 6, Rdnr. 50; Uhle, in: BeckOK Grundgesetz (Anm. 38), Art. 6, Rdnr. 36. 53 Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001, BGBl. I, S. 266.
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um „ein aliud zur Ehe“ handle,54 hernach jedoch dessen weithin ehegleiche Ausgestaltung eingefordert worden ist.55 So ist das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, dass zwischen der Ehe und eingetragenen Lebenspartnerschaften eine Differenzierung unstatthaft sein soll, wenn „die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher[geht], obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind“.56 Diese Judikatur hat dem „besonderen Schutz“ der Ehe im Ergebnis seine Besonderheit genommen.57 Auch wenn sie im Schrifttum zu Recht auf vielfältigen Widerspruch gestoßen ist,58 hat die für sie kennzeichnende Nivellierung der Unterschiede von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft ihre Wirkung im politischen Raum nicht verfehlt. Demgegenüber liegt dem kanonischen Eherecht das Bild einer nicht nur prononciert hervorgehobenen, sondern gegenüber anderen Partnerschaftsformen einzigartigen Stellung der Ehe zugrunde. Zwar enthält das kirchliche Recht keine ausdrückliche Bestimmung, die wie Art. 6 Abs. 1 GG die Stellung der Ehe im Verhältnis zu anderen menschlichen Lebensgemeinschaften determinieren würde, indem sie eine explizite Wertentscheidung zugunsten der Ehe trifft. Gleichwohl lassen es die kirchenrechtlichen Bestimmungen an Deutlichkeit nicht fehlen. Das lässt sich bereits anhand des Umstands ablesen, dass das kanonische Recht ausschließlich die sakramentale Qualität der Ehe, nicht aber sonstiger Formen menschlicher Lebensgemeinschaft anerkennt.59 Folglich erscheint die Ehe hier von vornherein als Solitär, auch und gerade im Verhältnis zu anderen denkbaren, kirchenrechtlich nicht behandelten Partnerschaftsformen. Bereits dies verdeutlicht, dass dem kirchlichen Recht ein Verständnis zugrunde 54 BVerfGE 105, 313 (351). – (346 f.) mit abw. Meinung der Richter Papier und Haas (357 und 359). 55 BVerfGE 124, 199 (225 f.); 126, 400 (420 f.); 131, 239 (259 ff.); BVerfGE 132, 179 (191 f.); BVerfGE 133, 59 (96); anders noch BVerfGK 12, 169 (175 ff.); BVerfGK 13, 501 (504). Zu dieser Rechtsprechung ausführlich Uhle, in: BeckOK Grundgesetz (Anm. 38) Art. 6, Rdnr. 36.1 ff.; von Coelln, in: Sachs (Anm. 39) Art. 6, Rdnr. 6; Hans Hofmann, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Hans Hofmann/Hans-Günter Henneke (Hrsg.), GG. Kommentar zum Grundgesetz14, Köln 2018, Art. 6, Rdnr. 9 f. 56 BVerfGE 124, 199 (Ls. 2 und 226); vgl auch BVerfGE 126, 400 (414 ff.); 131, 239 (256 f. und 259 ff.); 132, 179 (191 f., Rdnr. 39); 133, 59 (96, Rdnr. 98); 133, 377 (410 f., Rdnr. 83). 57 Zutreffende Charakterisierung der Judikatur bei Heinig, Entwicklungen (Anm. 24), S. 26. 58 Kritik bei Klaus Ferdinand Gärditz, Verfassungsgebot Gleichstellung?, in: Arnd Uhle (Hrsg.), Zur Disposition gestellt?, Berlin 2014, S. 85 – 131, hier S. 89 ff., v. a. 97; Seiler, Ehe (Anm. 51), S. 55 ff.; von Coelln, in: Sachs (Anm. 39), Art. 6, Rdnr. 50; Uhle, in: BeckOK Grundgesetz (Anm. 38), Art. 6, Rdnr. 36.3 ff. 59 Vgl. cc. 1055, 1134 CIC/1983. Vgl. auch das Apostolische Schreiben Familiaris Consortio von Papst Johannes Paul II., in: AAS 74 (1982), S. 81 – 191, hier S. 93. Vgl. ferner die von der Kongregation für die Glaubenslehre vorgelegten „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“, in: AAS 96 (2004), S. 41 – 49 (Nr. 3).
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liegt, das von einer exklusiven Stellung der Ehe ausgeht. Im Kontext der Einführung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften haben dies auch die 2003 von der Kongregation für die Glaubenslehre vorgelegten „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“ hervorgehoben. In ihnen wird betont, dass nach der Lehre der Kirche die Ehe „vom Schöpfer mit einer eigenen Natur sowie eigenen Wesenseigenschaften und Zielen begründet [worden sei]“ und ihr „eine besondere Teilhabe an seinem Schöpfungswerk“ dadurch gegeben sei, dass nach dem Schöpferplan „die Komplementarität der Geschlechter und die Fruchtbarkeit zum Wesen der ehelichen Institution“ gehörten.60 Angesichts dessen gebe es „keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn. Die Ehe ist heilig, während die homosexuellen Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen;“61 derartige Beziehungen seien „in keinem Fall zu billigen“.62 Daraus folge, dass nur Ehepaaren die Aufgabe zukomme, die Generationenfolge zu garantieren und nur sie deshalb „von herausragendem öffentlichen Interesse“ seien, weshalb ihnen das bürgerliche Recht auch eine entsprechende institutionelle Anerkennung gewähre. Demgegenüber bedürften homosexuelle Lebensgemeinschaften „keiner spezifischen Aufmerksamkeit von Seiten der Rechtsordnung, da sie nicht die genannte Aufgabe für das Gemeinwohl [besäßen]“. Es sei „eine schwerwiegende Ungerechtigkeit, das Gemeinwohl und die authentischen Rechte der Familie zu opfern,“ um gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften die wirksame Anerkennung der allgemeinen Rechte, die sie als Personen und als Bürger hätten, zu ermöglichen.63 Demgemäß handle der Staat willkürlich, wenn er homosexuelle Lebensgemeinschaften auf eine rechtliche Ebene stelle, die jener der Ehe und Familie analog sei.64 Vor diesem Hintergrund nehmen das kanonische Recht und die kirchliche Lehre auf der einen Seite und das staatliche Recht auf der anderen Seite in der Frage der Stellung der Ehe gegenüber anderen, namentlich gleichgeschlechtlichen, Lebensgemeinschaften geradezu konträre Positionen ein. Während die katholische Kirche an der Anerkennung der Einzigartigkeit der Ehe im Verhältnis zu homosexuellen Partnerschaften dezidiert festhält, haben das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 und die hieran über mehr als ein Jahrzehnt hinweg anknüpfende Rechtsprechung des 60
Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 2 und 3. 61 Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 4. 62 Katechismus der Katholischen Kirche (Anm. 42), Nr. 2357; in Bezug genommen durch die Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 4. 63 Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 9. 64 Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 8.
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Bundesverfassungsgerichts zu einer Relativierung der besonderen Stellung der Ehe geführt. Man wird nicht fehlgehen, in dieser Nivellierung der Unterschiede von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft einen Wegbereiter jener rechtspolitischen Entwicklung zu sehen, die schließlich der einfachgesetzlichen Erweiterung des Ehebegriffs auch auf Personen gleichen Geschlechts den Weg bereitet hat.65 2. Änderung des einfachgesetzlichen Ehebegriffs als Ausdruck des Auseinanderstrebens von kanonischem und staatlichem Eherecht Diese Erweiterung ist durch das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017 vorgenommen worden,66 durch das § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB geändert worden ist. Dieser formuliert in Abweichung von seiner bisherigen, die Geschlechtsverschiedenheit der Brautleute akzentuierenden Fassung nunmehr, dass die Ehe „von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts geschlossen [wird].“ Auf diese Weise ist das Prinzip der Geschlechtsverschiedenheit auf einfach-gesetzlicher Ebene aufgegeben worden (sog. „Ehe für alle“).67 Diese Entwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf das Verhältnis von kanonischem und staatlichem Eherecht, sondern erweist sich zuvörderst als konfliktreich unter dem Aspekt der innerstaatlichen Normenhierarchie. Das gründet in dem Umstand, dass dem Grundgesetz in seinem Art. 6 Abs. 1 ein Verständnis zugrunde liegt, das die Ehe als eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts: „als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut“ – begreift.68 Für den verfassungsrechtlichen Ehebegriff ist die Geschlechtsverschiedenheit demgemäß ein Essential der Ehe, auf
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Hierzu nachfolgend sogleich sub III. 2. Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017, BGBl. I, S. 2787. 67 Siehe hierzu § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB n. F.: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts geschlossen“. 68 So wörtlich BVerfGE 131, 239 (259); 133, 377 (409). – Zu den Begriffsmerkmalen der Ehe BVerfGE 10, 59 (66); 29, 166 (176); 49, 286 (300); 53, 224 (245); 62, 323 (330); 103, 89 (101); 105, 313 (345); 115, 1 (19); 121, 175 (193 und 198); 131, 239 (259); 133, 377 (409); 137, 273 (342); aus dem Schrifttum Arnd Uhle, Ehe (Rechtswissenschaft), in: StL8, Bd. 1, 2017, Sp. 1510 – 1513, hier Sp. 1510 f.; Ders., Eheschließung und Ehescheidung (Anm. 3), S. 1405 f.; aus der Kommentarliteratur so auch von Coelln, in: Sachs (Anm. 39), Art. 6, Rdnr. 6; Uhle, in: BeckOK Grundgesetz (Anm. 38), Art. 6, Rdnr. 2 ff., v. a. Rdnr. 4 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Anm. 55), Art. 6, Rdnr. 9 f.; Martin Burgi, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Losebl., Berlin Stand: 1/19 (Juli 2019), Art. 6, Rdnr. 18 f.; Peter Badura, in: Theodor Maunz/ Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz. Kommentar, Losebl., München Stand: 88. Erg.-Lfg. (August 2019), Art. 6, Rdnr. 42. 66
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das einfachgesetzlich nicht ohne weiteres verzichtet werden kann.69 In der Konsequenz führt die Dynamik der Fortentwicklung des einfachen Rechts daher zum Konflikt mit der Kontinuität des Ehebegriffs im Grundgesetz. Dies zieht mangels Vorliegens eines Verfassungswandels – den auch das Bundesverfassungsgericht zu Recht verneint hat70 – nicht nur eine flagrante Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG nach sich,71 69 Zur Verschiedengeschlechtlichkeit als Strukturmerkmal der Ehe BVerfGE 105, 313 (345 f.); 131, 239 (259); BVerwGE 100, 287 (294); 129, 129 (131); vgl. auch BFHE 212, 236 (238). Peter J. Tettinger, Der grundgesetzlich gewährleistete besondere Schutz von Ehe und Familie, in: EssGespr. 35 (2001), S. 117 – 157, hier S. 128 und 133 f.; Uhle, in: BeckOK Grundgesetz (Anm. 38), Art. 6, Rdnr. 4 f.; Badura, in: Maunz/Dürig (Anm. 68), Art. 6, Rdnr. 58. Zu ihrer Infragestellung Michael Germann, Dynamische Grundrechtsdogmatik von Ehe und Familie?, in: VVDStRL 73 (2014), S. 257 – 295, hier S. 284 ff.; Alexandra Maschwitz, Die Form der Eheschließung, Göttingen 2014, S. 306 ff. 70 Einen Verfassungswandel des Merkmals der Geschlechtsverschiedenheit hat das BVerfG im Lichte der Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften negiert, siehe dazu BVerfGE 105, 313 (345); vgl. auch BVerfGE 131, 239 (259); ebenso zuvor bereits BVerfG (K), NJW 1993, 3058; BVerwGE 100, 287 (294); aus dem Schrifttum so auch Jörn Ipsen, Ehe und Familie, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR3, Bd. VII, Heidelberg/München/ Landsberg/Frechen/Hamburg 2009, § 154, Rdnr. 9. 71 Aus dem kaum überschaubaren Schrifttum wie hier für die Verfassungswidrigkeit der einfachgesetzlichen Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Christopher Schmidt, „Ehe für alle“ – Ende der Diskriminierung oder Verfassungsbruch?, in: NJW 2017, S. 2225 – 2228, hier S. 2228; Jörn Ipsen, Ehe für alle – verfassungswidrig?, in: NVwZ 2017, S. 1096 – 1099, hier S. 1097 ff.; Judith Froese, Die „Ehe für alle“: mehr Symbolik als Kohärenz, in: DVBl. 2017, S. 1152 – 1155, hier S. 1153 f.; Sina HaydnQuindeau, Die „Ehe für alle“ – ein Verstoß gegen die Institutsgarantie des Art. 6 I GG? Zugleich eine Analyse der Lehre von den Einrichtungsgarantien, in: NJOZ 2018, S. 201 – 206, hier S. 205; Christian von Coelln, Wenn, dann richtig: „Ehe für alle“ nur per Verfassungsänderung, in: NJ 2018, S. 1 – 7; Ders., in: Sachs (Anm. 39), Art. 6, Rdnr. 6; Uhle, in: BeckOK Grundgesetz (Anm. 38), Art. 6, Rdnr. 4 ff., v. a. 4.2; bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes das Erfordernis einer Verfassungsänderung akzentuierend Christian Hillgruber, Eingetragene Lebenspartnerschaft, in: StL8, Bd. 2, 2018, Sp. 25 – 27, hier Sp. 27. Differenzierend Carsten Bäcker, Begrenzter Wandel. Das Gewollte als Grenze des Verfassungswandels am Beispiel des Art. 6 I GG, in: AöR 143 (2018), S. 339 – 392 (gegen einen Verfassungswandel des Ehebegriffs, für eine analoge Anwendung von Art. 6 Abs. 1 GG auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften); Jan Philipp Schaefer, Die „Ehe für alle“ und die Grenzen der Verfassungsfortbildung, in: AöR 143 (2018), S. 393 – 436 (für den herkömmlichen Ehebegriff, zugleich für die verfassungsrechtliche Abstützung der „Ehe für alle“ auf Art. 2 Abs. 1 GG). Im Ergebnis a. A. Ferdinand Wollenschläger, Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus verfassungsrechtlicher Perspektive, in: Ders./Dagmar Coester-Waltjen, Ehe für Alle, Tübingen 2018, S. 129 – 131 (Zusammenfassung); zu dem sich anschließenden Verzicht auf eine bundesverfassungsgerichtliche Überprüfung Wolfgang Hecker, Ehe für alle – Ende des Streits über die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung, in: NJOZ 2018, S. 641 – 643; weiterhin a. A. Maik Bäumerich, Einfachrechtliche Öffnung der Ehe – ein Verfassungsverstoß?, in: DVBl. 2017, S. 1457 – 1463; Thomas Blome, Die Geschlechtsverschiedenheit der Ehegatten – Kerngehalt der Ehe nach Art 6 I GG?, in: NVwZ 2017, S. 1658 – 1663; Dagmar Kaiser, Gleichgeschlechtliche Ehe – nicht ganz gleich und nicht für alle, in: FamRZ 2017, S. 1889 – 1899, hier S. 1890 f.; Stephan Mayer, Gleichgeschlechtliche Ehe unabhängig vom Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsmäßig, in: FamRZ 2017, S. 1281 – 1284; vor der Verabschiedung des Gesetzes so auch bereits Frauke Brosius-Gersdorf, Die Ehe für alle durch Änderung des BGB, in: NJW 2015, S. 3557 – 3561; Nina Dethloff, Ehe für alle, in: FamRZ
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sondern vor allem eine Verunklarung des staatlichen Ehebegriffs, da die Ehebegriffe des Grundgesetzes und des einfachen Rechts nunmehr auseinandertreten. Für das Verhältnis von kirchlichem und weltlichem Recht markiert die Einführung des Rechts zur Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts symbolkräftig wie kaum eine andere Entwicklung der jüngeren Vergangenheit eine wachsende Distanz. Zwar weisen die Ehebegriffe beider Rechtsordnungen jenseits des Essentials der Geschlechtsverschiedenheit nach wie vor Gemeinsamkeiten auf, weil sie davon ausgehen, dass unter einer Ehe die auf freiem Entschluss der Ehepartner beruhende, also konsensuale Verbindung zweier Menschen zu einer grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft zu verstehen ist und sie insofern hinsichtlich Ehekonsens, Monogamie und prinzipieller Unauflöslichkeit als grundlegenden Wesenszügen der Ehe übereinstimmen. Doch auch die verbleibenden Gemeinsamkeiten können nicht überdecken, dass die einfach-gesetzliche Aufgabe der Geschlechtsverschiedenheit als konstitutives Merkmal des staatlichen Ehebegriffs die Grundfeste der Kompatibilität des staatlichen Rechts mit dem kanonischen Recht berührt, für das die Geschlechtsverschiedenheit unverzichtbares Wesenselement der Ehe bleibt.72 Dies ist zuletzt durch das vom 19. März 2016 datierende nachsynodale Apostolische Schreiben „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus bekräftigt worden, der unter ausdrücklicher Anknüpfung u. a. an die 2003 von der Kongregation für die Glaubenslehre vorgelegten Erwägungen wiederholend formuliert: „Was die Pläne betrifft, die Verbindungen zwischen homosexuellen Paaren der Ehe gleichzustellen, gibt es ,keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinne.‘“73 Bereits die solchermaßen in Bezug genommenen Erwägungen der Kongregation für die Glaubenslehre hatten einer solchen rechtlichen Gleichstellung entgegen gehalten, dass die Ehe „nicht eine beliebige Gemeinschaft von menschlichen Personen“ darstelle und klargestellt, „dass es eine Ehe nur zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts gibt.“74
2016, S. 351 – 354; monographisch Norman Koschmieder, Grundrechtliche Dynamisierungsprozesse. Zur verfassungsrechtlichen Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen von Partnerschaft und Familie durch grundrechtliche Tatbestände, Berlin 2016, S. 176 ff., 226 ff., 246 ff. 72 Siehe c. 1055 § 1 CIC/1983; vgl. ferner cc. 1057 § 2, 1061, 1083, 1084 § 1, 1089, 1093, 1096 CIC/1983. Vgl. auch das Nachsynodale Apostolische Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus vom 19. März 2016 (Anm. 42), Nr. 292, in dem betont wird, dass die Ehe „voll verwirklicht [wird] in der Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die sich in ausschließlicher Liebe und freier Treue einander schenken, einander gehören bis zum Tod, sich öffnen für die Weitergabe des Lebens und geheiligt sind durch das Sakrament“. 73 Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus vom 19. März 2016 (Anm. 42), Nr. 251. 74 Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 2.
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IV. Zwischenergebnis: Entwicklungsstand und Entwicklungsperspektiven des Verhältnisses von kanonischem und staatlichem Eherecht In der Zusammenschau der vorstehend nachgezeichneten Entwicklungen werden die Gemeinsamkeiten des kirchlichen und des staatlichen Eherechts erkennbar geringer. Das gilt zunächst in ebenso symbolkräftiger wie grundsätzlicher Weise für den Ehebegriff. Freilich ist die diesbezügliche Lage differenzierter als sie prima facie erscheinen mag. So besteht zwischen den Ehebegriffen des kanonischen Kirchenrechts und des Grundgesetzes ein Verhältnis der Kompatibilität, weil diese hinsichtlich grundlegender Wesenszüge der Ehe – namentlich hinsichtlich Monogamie, Geschlechtsverschiedenheit und prinzipieller Unauflöslichkeit – übereinstimmen. Prinzipiell anderes gilt für das Verhältnis von kirchlichem Eherecht und einfachem Gesetzesrecht, da durch die Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts auf Seiten des staatlichen Rechts die Geschlechtsverschiedenheit als Essential des zivilrechtlichen Ehebegriffs aufgegeben worden ist. Dies hat nicht nur zu einer verfassungswidrigen Überwältigung von Art. 6 Abs. 1 GG,75 sondern auch zu einem den Ehebegriff im Grundsätzlichen tangierenden Auseinanderstreben des kanonischen und des staatlichen Rechts geführt. Hiermit sind notwendigerweise Konsequenzen für die Stellung der Ehe gegenüber anderen Formen menschlicher Gemeinschaft – namentlich zu Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts – verbunden. Während kirchliches Recht und Grundgesetz übereinstimmend von der Vorstellung einer singulären Stellung der Ehe geprägt sind, ist für das Verhältnis des kanonischen Rechts und dem auf Gleichstellung abzielenden einfachen Gesetzesrecht ein fundamentaler Unterschied festzustellen, der die schwindenden Gemeinsamkeiten beider Rechtsordnungen markant verdeutlicht. Wachsende Diskrepanzen ergeben sich indes nicht alleine hinsichtlich des Ehebegriffs und des Verhältnisses der Ehe zu anderen Formen menschlicher Partnerschaft, sondern auch bei Eheschließung und Eheauflösung. So sind standesamtliche Eheschließung und kirchliche Trauung durch die Aufhebung des Verbots der kirchlichen Voraustrauung in grundsätzlicher Weise voneinander entkoppelt worden. Hinzu kommt ein wachsendes Auseinandertreten zwischen staatlichem und kirchlichem Eherecht hinsichtlich der Auflösung einer Ehe. Sie resultiert aus der Fortentwicklung des staatlichen Scheidungsrechts, aber auch aus neueren Entwicklungen im Unterhaltsrecht, durch die die individuelle Eigenverantwortung der Ehegatten akzentuiert worden ist. Auf diese Weise ist eine grundlegende Veränderung der Vorstellungen über die Ehe eingeleitet worden, die im Gegensatz zum katholischen Kirchenrecht verstärkt von einer jederzeit bestehenden Auflösbarkeit der Ehe ausgeht, dadurch dem Verständnis der Ehe als eines Miteinanders auf Zeit Raum gibt und so
75
Siehe hierzu oben sub III.2. m. w. N.
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das Bild einer auf Lebenszeit eingegangenen Lebensgemeinschaft zunehmend zurücktreten lässt. Jenseits der genannten Felder zeigen sich erste – derzeit noch rechtspolitische76 – Ansätze zu einer auseinanderstrebenden Entwicklung auch im Hinblick auf die Ausgestaltung des elterlichen Erziehungsrechts, das ebenfalls Gegenstand staatlicher und kirchlicher Bestimmungen ist. Bislang enthalten etwa das Zivilrecht sowie das kanonische Recht nahezu gleichlautende Formulierungen über das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder,77 ohne dass sich aus dieser Parallelgeltung bislang prinzipielle Konflikte ergeben hätten.78 Indes erscheint nicht ausgeschlossen, dass kirchenrechtliche und staatliche Vorgaben über das elterliche Erziehungsrecht zukünftig auseinandertreten, sofern sich die in jüngerer Zeit abzeichnende Tendenz des staatlichen Rechts fortsetzen und verstärken sollte, die Verantwortung für das Kindeswohl nicht mehr vorrangig der Familie, sondern zunehmend auch dem Staat zu überantworten: In diesem Falle geriete das Kindeswohl, entgegen dem abwehrrechtlichen Gehalt des Art. 6 Abs. 1 GG, zum staatlichen Eingriffstitel in die Familie und die Rechte der Eltern. Anhaltspunkte für eine solche Entwicklung finden sich etwa in der einfachen Gesetzgebung,79 aber auch in verfassungspolitischen Vorhaben. Soweit durch sie der Vorrang des Elternrechts bei der 76
Zum Abschluss des Manuskripts siehe o. Anm. 1 a. E. Siehe Art. 6 Abs. 2 GG sowie §§ 1626, 1631 BGB. Siehe ferner c. 1136 CIC/1983; vgl. in diesem Kontext auch c. 1055 § 1 CIC/1983. – Allerdings ist das elterliche Erziehungsrecht nach deutschem Zivilrecht, gesetzessystematisch betrachtet, nicht Bestandteil des Eherechts, während es namentlich im kanonischen Recht zu den Wirkungen der Ehe gerechnet wird (Buch IV, Teil I, Titel VII, Kap. VIII CIC/1983: „Wirkungen der Ehe“). Inhaltliche Auswirkungen folgen aus der systematisch divergierenden Regelung als solcher jedoch nicht. 78 Das resultiert daraus, dass die staatlichen Regelungen, beginnend mit der grundrechtrechtlichen Verbürgung des Elternrechts in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, die Freiheit der Eltern gewährleisten, die Erziehung ihres Kindes nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Dazu gehört auch die elterliche Freiheit, über die religiöse und weltanschauliche Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden und sich hierbei von kirchenrechtlich positivierten Verpflichtungen leiten zu lassen. Die Vorschriften des einfachen Rechts gewährleisten eine solche religiöse Kindererziehung nach Maßgabe der elterlichen Einigung ausdrücklich (§ 1 RKEG; zur religiösen Kindererziehung als Bestandteil der elterlichen Sorge Dieter Schwab, Elterliche Sorge und Religion, in: FamRZ 2014, S. 1 – 11). Freilich bestehen für das staatlich gewährleistete Elternrecht auch Schranken. Diese ergeben sich aus dem Wohl des Kindes. Dessen gesetzliche Konkretisierung zieht der elterlichen Erziehung im Allgemeinen wie der religiösen Erziehung im Besonderen indes nur äußerste Grenzen, weil hiernach Voraussetzung für einen staatlichen Eingriff ist, dass das „körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes“ gefährdet wird und „die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage [sind], die Gefahr abzuwenden“ (so § 1666 Abs. 1 BGB). Diese Grenzen werden bei einer christlichen Kindererziehung, die die im kanonischen Recht positivierte „sehr strenge Pflicht und das erstrangige Recht“ ernst nimmt, „nach Kräften sowohl für die leibliche, soziale und kulturelle als auch für die sittliche und religiöse Erziehung der Kinder zu sorgen“ (so die Formulierung in c. 1136 CIC/1983; vgl. dazu Lüdicke, c. 1136, Rdnr. 1 in: MK CIC (Stand: März 2019), in aller Regel keine Aktualisierung finden. Das staatliche Recht hindert daher die Eltern nicht daran, ihrer kirchenrechtlichen Verpflichtung zur Kindererziehung nachzukommen. 79 Dazu m. w. N. Christian Seiler, Ehe (Anm. 51), S. 47 ff. 77
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Kindererziehung in grundsätzlicher Weise – etwa durch eine entsprechend ausgestaltete Einführung sog. Kinderrechte in das Grundgesetz80 – in Frage gestellt würde, dürfte hierin ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial zwischen staatlichem und kirchlichem Recht liegen, da abnehmende (verfassungs-)politische Bedenken, das Kindeswohl und Kinderrechte als Eingriffstitel gegen das Elternrecht zu wenden, dann auf den dem kanonischen Recht zugrunde liegenden Vorrang des Elternrechts stoßen würden, der aus c. 1136 CIC/1983 abgeleitet wird.81 Indessen sind entsprechende verfassungspolitische Bestrebungen bislang nicht in geltendes Recht überführt, sondern derzeit noch eine Frage der Rechtspolitik; sie sind freilich auf Bundesebene bereits Gegenstand der 2018 von CDU, CSU und SPD geschlossenen Koalitionsvereinbarung.82 Insgesamt ist zu bilanzieren, dass die festzustellende Tendenz eines Auseinanderstrebens von kanonischem und staatlichem Eherecht zwar nicht neu ist, sondern spätestens seit der Einführung der obligatorischen Zivilehe bestanden hat, dass sie indessen durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und namentlich der jüngeren Vergangenheit eine neue Dynamik gewonnen hat. Eine Abschwächung, ein Ende oder gar eine Umkehr dieses Prozesses ist gegenwärtig nicht abzusehen. Wahrscheinlicher erscheint eine weiter wachsende Distanznahme von kirchlichem und zivilrechtlichem Eherecht.
V. Schwindende Gemeinsamkeiten zwischen kanonischem und staatlichem Eherecht als Bewährungsprobe und als Chance des Kirchen- und Staatskirchenrechts Auch wenn das kanonische und das staatliche Recht heute hinsichtlich des Ehebegriffs, der privilegierten Stellung der Ehe, des Eheverständnisses und der Möglich80 Aus der Diskussion um die Einführung von Kinderrechten stellvertretend die Beiträge in: Arnd Uhle (Hrsg.), Kinder im Recht. Kinderrechte im Spiegel der Kindesentwicklung, 2019. 81 Für einen nach c. 1136 CIC/1983 allenfalls subsidiären Charakter jedweder Mitwirkung Dritter – und damit auch des Staates – Aymans-Mörsdorf, KanR III, Paderborn 2007, S. 514; für einen Vorrang des Elternrechts auch Zapp, Eherecht (Anm. 12), S. 211. 82 Der Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 dokumentiert den politischen Willen der Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD, besondere Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen (siehe hierzu: Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (19. Legislaturperiode), S. 11 [Zeile 322 f.] und S. 21 [Zeile 801 ff.]. Beabsichtigt ist namentlich, ein neu zu schaffendes Kindergrundrecht in die Verfassung einzufügen. Siehe hierzu Arnd Uhle, Kinderrechte zu Lasten der Eltern? Die Koalition will Rechte von Kindern ausdrücklich im Grundgesetz verankern. So können Befugnisse der Eltern auf den Staat verlagert werden, in: FAZ Nr. 201 vom 30. August 2018, S. 6 (Staat und Recht); zuletzt Ders., Der Verfassungstrojaner. Der Gesetzesentwurf zu Kinderrechten gibt vor, die Rechtslage nicht ändern zu wollen – er ist aber gefährlich für die Rechte der Eltern, in: FAZ Nr. 283 vom 5. Dezember 2019, S. 7 (Staat und Recht).
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keit einer Ehescheidung zunehmend und grundsätzlich divergieren, lässt sich das Gewicht dieser Divergenz in mehrfacher Hinsicht durch eine differenzierende, den Konflikt auf theoretischer Ebene entflechtende Betrachtung mildern. Maßgeblich hierfür ist zunächst, dass das staatliche Recht Katholiken, die sich dem kirchlichen Eherecht und der kirchlichen Lehre verpflichtet wissen, auch weiterhin nicht daran hindert, ihre Ehe als Sakrament und als eine personale, unauflösbare sowie auf der Komplementarität der Geschlechter beruhende Lebensgemeinschaft zu verstehen und auszugestalten. Hinzu kommt, dass die sich in den oben genannten Aspekten manifestierende Divergenz zwischen kanonischem und staatlichem Eherecht weniger Ausdruck einer prinzipiellen Konkurrenz oder Rivalität beider Rechtsordnungen als vielmehr Ausfluss ihrer prinzipiellen Perspektiv- und Zweckdivergenz ist. So ist die Ehe der staatlichen Regelungsmacht vor allem um ihrer sozialpolitischen Funktion willen unterstellt, während das kanonische Recht, auch wenn es soziale Zwecke der Ehe durchaus einberechnet, vor allem der Sicherung der sakramentalen Dimension der Ehe dient. Schließlich ist Ausfluss der trennungsbasierten Parallelgeltung von kanonischem und staatlichem Eherecht, dass beide Rechtsordnungen ihren Geltungsanspruch – auch im Hinblick auf den Ehebegriff, die Stellung der Ehe, das Eheverständnis oder in concreto die Scheidung einer gültig geschlossenen Ehe – nur für den jeweils von ihnen erfassten Bereich erheben. In der Folge resultiert hieraus, dass etwa eine Ehescheidung nach staatlichem Recht lediglich Auswirkungen im bürgerlichrechtlichen Bereich entfaltet, aber einem kirchlichen Festhalten an der Lehre von der Sakramentalität und Unauflöslichkeit der Ehe nicht entgegensteht; insbesondere bleibt es dem katholischen Kirchenrecht daher unbenommen, eine nach staatlichem Recht aufgelöste Ehe kirchenrechtlich als fortbestehend anzusehen. Damit spiegelt sich am Exempel der Scheidung wider, dass das heutige Nebeneinander von Bestimmungen des kirchlichen und des staatlichen Eherechts dadurch charakterisiert und zugleich moderiert wird, dass beide Eherechtsordnungen darauf verzichten, Gestaltungswirkung für den jeweils anderen Rechtsbereich zu entfalten. Unabhängig davon, ob diese Selbstbeschränkung ausdrücklich normativ erklärt oder stillschweigend zugrunde gelegt wird, tritt in ihr ein institutionelles Arrangement von Kirche und Staat zutage – ein Arrangement, das die beiderseitige Anerkennung der Wesensverschiedenheit von kirchlicher und staatlicher Ordnung sowie der Befugnis der jeweils anderen Potenz zur rechtlichen Ordnung ihrer Sphäre und die grundsätzliche Hinnahme einer inhaltlich unabhängigen Ehegesetzgebung der jeweils anderen Seite zum Ausdruck bringt. Diese wechselseitige Anerkennung bewahrt Kirche und Staat nicht nur davor, die Inanspruchnahme der eherechtlichen Regelungsbefugnis durch die jeweils andere Potenz als Infragestellung der eigenen Rechtsetzungskompetenz zu interpretieren. Vielmehr entlastet sie zugleich auch beide Rechtsordnungen von den Aufgaben der jeweils anderen: die kirchliche Ordnung von weltlichen Ordnungsaufgaben, die staatliche von der Letztentscheidung in religiösen Fragen.83 Auf diese Weise ermöglicht sie den Eheordnungen eine Konzen83
Zu dieser „doppelten Entlastungswirkung“ Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 4), S. 750.
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tration auf die Erfüllung ihrer unterschiedlichen Aufgaben. So kann das kanonische Recht die spezifisch sakramentale Qualität des Ehebundes hervortreten lassen und das staatliche Recht eine gemeinwohladäquate Regelung der Voraussetzungen und Folgen der Zivilehe vornehmen. Das gestattet nicht zuletzt, das jeweilige Proprium des kanonischen und des staatlichen Eherechts zu verdeutlichen. Trotz des Umstands, dass die Divergenzen zwischen staatlichem und kanonischem Eherecht vor diesem Hintergrund einer differenzierenden Abmilderung auf theoretischer Ebene zugänglich sind, bleiben sie im praktischen Verhältnis von Staat und Kirche sensibel. Denn auch wenn das staatliche Eherecht nicht in die kirchliche (Rechts-)Sphäre übergreift, sondern deren Eigenständigkeit formal unangetastet lässt, wirkt es über die fundamentale Veränderung des Ehebegriffs, die Nivellierung der Stellung der Ehe, die niederschwellige Möglichkeit einer Scheidung sowie ein divergierendes Verständnis der Ehe auf das allgemeine Rechtsbewusstsein ein und vermag so das gesellschaftliche Verständnis für das Ehebild des kanonischen Rechts – auch unter Katholiken – relativierend zu beeinflussen. Auch dies lässt sich am Exempel der Ehescheidung nach staatlichem Recht verdeutlichen, da eine solche Scheidung der kirchlich geschlossenen Ehe, auch wenn diese aus der Perspektive des kanonischen Rechts unverändert fortbesteht, den gesellschaftlichen Resonanzboden nimmt. Auf diese Weise bewirkt sie, dass aus einer ausschließlich kirchenrechtlich fortbestehenden Ehe faktisch ein „Rechtsverhältnis ohne gesellschaftliche Relevanz“ wird.84 In vergleichbarer Weise wirkt etwa die staatliche Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts auf das gesellschaftliche Bewusstsein ein, mit der Folge, dass die kirchenrechtliche Beschränkung der Ehe auf Mann und Frau und damit das kanonische Eheverständnis auch insofern an gesellschaftlichem Halt zu verlieren droht. Diese Exempel zeigen an, dass die zunehmende Desynchronisation von kirchlichem und staatlichem Eherecht für die Vermittlung der inhaltlichen Regelungen wie für die Akzeptanz des kanonischen Rechts in einer säkularisierten Gesellschaft unverkennbar erhebliche Herausforderungen birgt. Gleichwohl lässt sich das zunehmende Auseinandertreten von kanonischem und staatlichem Eherecht nicht nur als Bewährungsprobe des kanonischen Rechts begreifen. Vielmehr bietet der Rückgang an Gemeinsamkeiten auch die Chance, das Proprium des kirchenrechtlich positivierten Eheverständnisses der katholischen Kirche deutlicher als in der Vergangenheit hervortreten zu lassen. Gerade weil das kirchliche Eherecht mit seinem sakramentalen Verständnis der Ehe sowie mit dem ihm eigenen Bild einer unauflöslichen Lebensgemeinschaft von zwei Personen verschiedenen Geschlechts, die durch die Hervorbringung und Erziehung neuen Lebens Teil am göttlichen Schöpfungswerk haben,85 heute ein Eheverständnis zum Ausdruck bringt, 84
So auch Pirson, Staatliches und kirchliches Eherecht (Anm. 11), S. 815. Vgl. zusammenfassend Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen (Anm. 59), Nr. 2. 85
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das deutlich von dem des staatlichen Rechts abweicht, werden die Essentialia einer kirchlichen Ehe stärker als in früheren Zeiten zum Gegenstand einer bewussten Entscheidung der Nupturienten: Die Entscheidung, zusätzlich zur Begründung einer Zivilehe auch eine Ehe nach Lehre der Kirche eingehen zu wollen, setzt vorbereitend eine entsprechende Selbstvergewisserung der beiden Brautleute voraus. Diese Vergewisserung führt im Falle ihres positiven Ausgangs dazu, die Charakteristika der kirchlichen Ehe prononciert zu bejahen und im gemeinsamen Bewusstsein der (zukünftigen) Eheleute zu verankern, im Falle eines negativen Ausgangs, also bei dem Absehen von einem kirchlichen Eheschluss, zu einer ebenso bewussten Entscheidung und zu einem Schutz vor einer letztlich nicht intendierten unauflösbaren Bindung mit sakramentaler Qualität. Beides hilft nicht nur, das Proprium des kirchlichen Eherechts zur Geltung zu bringen, sondern entspricht auch dem Anliegen, eine kirchliche Trauung (nur) dann vorzunehmen, wenn der Eheentschluss in seiner Tiefe reflektiert und gründlich geprüft ist. Die zunehmende Divergenz zwischen dem kanonischen und dem staatlichen Eherecht stellt indes nicht nur einen Probierstein für das kirchliche Recht, sondern auch für das freiheitliche Staatskirchenrecht des Grundgesetzes dar. Dieses ermöglicht die vorstehend nachgezeichnete Parallelgeltung der eherechtlichen Ordnungen nicht nur in Anerkennung der Wesensverschiedenheit von religiösem und staatlichem Bereich,86 sondern vor allem um der Religionsfreiheit und um der kirchlichen Selbstbestimmung willen. Deshalb ist das Nebeneinander des kirchlichen und des staatlichen Eherechts Ausdruck einer freiheitlichen verfassungsstaatlichen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche.87 Diese Freiheitlichkeit der staatskirchenrechtlichen Ordnung manifestiert sich darin, dass der Kirche das Recht einer vom Staat unabhängigen, auch materiell eigenständigen Ehegesetzgebung verbürgt ist und dem kanonischen Recht die Möglichkeit offengehalten wird, mit seinen eherechtlichen Bestimmungen von denen des staatlichen Rechts abzuweichen; sie zeigt sich zudem darin, dass den katholischen Bürgern das Recht gewährleistet ist, der kirchenrechtlich entfalteten Eheauffassung zu folgen. Der Rückgang an Gemeinsamkeiten zwischen den Bestimmungen des kirchlichen und des weltlichen Eherechts stellt diese Freiheitlichkeit auf die Probe. Sie zu bestehen, verlangt vom Staat, seiner verfassungsrechtlichen Inpflichtnahme zu entsprechen und die durch die korporative Religionsfreiheit sowie das Selbstbestimmungsrecht geschützte Befugnis der Kirche zur Positivierung und Anwendung eines eigenen Eherechts auch dort zu respektieren, 86
Dazu Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 4), S. 738. Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 4), S. 749 f. – Dieses Nebeneinander verdeutlicht prägnant, dass das geltende Staatskirchenrecht zwar von einer Trennung von Staat und Kirche ausgeht, diese Trennung aber nicht laizistisch ausgestaltet und nicht als Mittel nutzt, um religiöse Positionen und Religionsgemeinschaften aus der Gesellschaft zu verdrängen. Damit gliedert sich die Parallelgeltung von staatlichem und kirchlichem Eherecht jedenfalls in ihren Grundzügen in ein staatskirchenrechtliches System ein, das seinerseits von einer „hinkenden“ Trennung von Staat und Kirche (Ulrich Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII., Berlin 1926, S. 54, Anm. 2.), kurz: von einer „Trennung zur Freiheit“ gekennzeichnet ist (Arnd Uhle, Staat – Kirche – Kultur, Berlin 2004, S. 55). 87
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wo dessen Unterschiede zum staatlichen Eherecht von grundsätzlicher Bedeutung sind. Auch für die grundgesetzliche Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche gilt indes, dass in der wachsenden Distanz zwischen dem kanonischen und dem staatlichen Eherecht nicht nur eine Bewährungsprobe, sondern zugleich eine Chance liegt: Denn die zunehmende Divergenz zwischen beiden Rechtsordnungen gibt dem Staatskirchenrecht der Gegenwart nicht nur die Gelegenheit, sich in seiner Freiheitlichkeit zu bewähren, sondern auch die Möglichkeit, die Grundlagen seiner gesellschaftlichen Akzeptanz zu pflegen.
„Ehe für Alle“? Bemerkungen zum staatlichen „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ vom 1. Oktober 2017 Von Andreas Weiß Wilhelm Rees hat sich in seinem umfangreichen wissenschaftlichen Œvre oft mit Fragen an der Schnittstelle von Staat und Kirche befasst, sog. res mixtae. Eines dieser Felder ist die Ehe, für die aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für das Leben der Menschen Staat wie Kirche eine Zuständigkeit beanspruchen. Zu seinem 65. Geburtstag sei dem Jubilar dieser Beitrag über eine neue Form derselben in Deutschland gewidmet. Ad multos annos!
I. Einleitung Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet, mit Ablauf desselben Tages trat es in Kraft. Über die Feierlichkeiten zum 70. Geburtstag hinaus steht die Frage nach seiner Stabilität und Dynamik im Raum – eine grundlegende Frage des Verfassungsverständnisses zu allen Zeiten. Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik in dem am 30. Juni 2017 vom Deutschen Bundestag (BT) verabschiedeten „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“.1 Es ermöglicht, wie schon der Name verrät, seit 1. Oktober 2017 die Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts2, wozu am ersten Geltungstag – einem Sonntag – einige Standesämter eigens geöffnet hatten und medienwirksam diese standesamtlichen Trauungen inszenierten. Doch war die Gesetzgebung in der vorgenommenen Weise verfassungsrechtlich auch zulässig? Dies hängt v. a. von der Frage ab, ob Art. 6 Abs. 1 GG die Geschlechtsverschiedenheit als Strukturmerkmal der Ehe verbindlich vorgibt oder nicht. Lautet die Antwort auf die gestellte Frage positiv, wäre der Gesetzgebungsakt 1
Abgekürzt EheÖffnungsG. Fertigstellung des Beitrags am 01. 06. 2019. Meist plakativ als „Ehe für Alle“ bezeichnet, was insofern irreführend ist, als damit keineswegs die Ehe für alle Personen geöffnet wurde. Nur die Geschlechtsverschiedenheit als Ehevoraussetzung entfällt seitdem, alle anderen Voraussetzungen (Mindestalter, Geschäftsfähigkeit, Ledigenstand, Nicht-Verwandtschaft etc. nach §§ 1303 ff. BGB) bleiben bestehen. 2
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zur Einführung der „Ehe für Alle“ verfassungswidrig erfolgt. Das würde allerdings noch nicht bedeuten, dass ein solcher Schritt gar nie erfolgen könnte – er wäre über den Weg der Verfassungsänderung, konkret des Art. 6 Abs. 1 GG, nach Art. 79 GG möglich. Der Gesetzgeber ist diesen Weg nicht gegangen, sondern hat mit dem EheÖffnungsG in einfach-gesetzlicher Regelung Personen gleichen Geschlechts den Zugang zur Ehe eröffnet. Ob er damit die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat, ließe sich auf dem Weg einer abstrakten Normenkontrollklage beim BVerfG klären, allerdings wurde in Karlsruhe bisher keine Klage hinsichtlich der Verfassungskonformität des in Rede stehenden Gesetzes anhängig gemacht. Auch wenn in Art. 93 GG dafür keine Antragsfrist vorgesehen ist, erscheint eine Anrufung der Verfassungsrichter in diesem Punkt als sehr unwahrscheinlich.3 Gleichwohl spaltet die Frage, ob die erfolgte einfach-gesetzliche Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Beziehungen mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht, nach wie vor die Fachwelt, ja selbst die Mitglieder der Bundesregierung.4 Einerseits hält das BVerfG trotz seiner Akzeptanz des gesellschaftlichen und rechtlichen Wandels am Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG bis heute fest, der Verfassungsgeber verstand die Ehe als eine Verbindung von Mann und Frau. Auf der anderen Seite hat der bundesdeutsche demokratisch legitimierte Gesetzgeber mit der „Ehe für Alle“ die Geschlechtsverschiedenheit aus dem Kerngehalt des Ehebegriffs entfernt. Sie ist seither nicht mehr Strukturmerkmal der Ehe im staatlichen Rechtsbereich Deutschlands. Das zeigt unübersehbar an, „dass sich die spätestens seit Einführung der obligatorischen Zivilehe zu konstatierende Tendenz eines Auseinandertretens von kanoni-
3 Die Bundesregierung oder 14 der Mitglieder des BT haben nicht geklagt, eine Landesregierung tat dies ebenso nicht. Die Hoffnung auf eine Verfassungsklage aus Bayern hat sich zerschlagen, da die Bayerische Staatsregierung nach anfänglichen Überlegungen in diese Richtung dann doch nicht agierte, vgl. online unter: http://www.bayern.de/bericht-aus-der-kabi nettssitzung-vom-6-maerz-2018 (eingesehen am 23. 05. 2019). Eine konkrete Normenkontrollklage, die jeder mit einer gleichgeschlechtlichen Ehe befasste Richter dem BVerfG zur Vorabklärung der Verfassungskonformität der „Ehe für Alle“ vorlegen könnte, dürfte an der sehr hohen Darlegungs- und Begründungsanforderung scheitern. Auch ein einzelner Bürger könnte theoretisch nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Karlsruhe sein subjektives aus der Ehegarantie abgeleitetes Recht auf Erhalt der Exklusivität der Ehe einklagen, wenn er deswegen in einem ihm zukommenden Grundrecht verletzt wäre. Dies erscheint schwer vorstellbar; denn kein Ehewilliger – ob er eine Ehe oder die „Ehe für Alle“ intendiert –, auch kein Verheirateter, erleidet einen persönlichen Nachteil durch das EheÖffnungsG. 4 Nachweise bei Ferdinand Wollenschläger, Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Ferdinand Wollenschläger/Dagmar Coester-Waltjen (Hrsg.), Ehe für Alle. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Perspektive, Tübingen 2018, S. 1 – 131. Zuvor Ferdinand Wollenschläger, Rechtsgutachten für die Bayerische Staatsregierung zur Frage der verfassungsrechtlichen Bewertung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 22. Januar 2018, online unter: https://www.bayern.de/ wp-content/uploads/2018/03/gutachten-ehe-fuer-alle-prof.-wollenschlaeger-1.pdf (eingesehen am 23. 05. 2019). Diesem Beitrag liegt die gedruckte Version des Gutachtens zugrunde.
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schem und staatlichem Eherecht in jüngerer Zeit verfestigt und vertieft“.5 Denn nach cc. 1055 § 1 CIC/1983 und 776 § 1 CCEO ist die Ehe in katholischer Sicht die umfassende Lebens- und Schicksalsgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die „indole sua naturali“ auf das Wohl der Gatten und die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist. In diesem Beitrag sollen nach einer kurzen Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens der „Ehe für Alle“ die Normativität der Verfassung und die Tragweite der Rechtsprechung des BVerfG in punkto Geschlechtsverschiedenheit der Ehegatten untersucht werden.
II. Gesetzgebungsverfahren Obwohl § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB a. F. zur Geschlechtszugehörigkeit der Gatten nichts sagte6, verstand man bis 2017 unter einer Ehe die auf Lebenszeit geschlossene umfassende Schicksals- und Verantwortungsgemeinschaft eines Mannes und einer Frau. Zwei Personen gleichen Geschlechts konnten seit 1. August 2001 das Institut der Eingetragenen Lebenspartnerschaft wählen, das freilich – obwohl rechtliches Aliud zur Ehe – sowohl durch den Gesetzgeber als auch durch die Rechtsprechung des BVerfG immer mehr der Ehe angenähert wurde. Am 30. Juni 2017 hat der 18. Deutsche Bundestag nach einer angesichts der gesellschaftspolitischen Tragweite der Thematik an diesem Tag sehr knappen Diskussion7 in namentlicher Abstimmung mit einer Mehrheit von 63 % „den vom Bundesrat 5 Arnd Uhle, Zweierlei Recht. Die Ehe als Gegenstand des kanonischen und des staatlichen Rechts, in: Markus Graulich/Thomas Meckel/Matthias Pulte (Hrsg.), Ius canonicum in communione christifidelium. Festschrift zum 65. Geburtstag von Heribert Hallermann (= KStKR 23), Paderborn 2016, S. 727 – 750, hier S. 749. 6 § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB a. F. lautete: „Die Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen.“ 7 Laut BT, Stenografischer Bericht, 244. Sitzung am 30. 06. 2017, Plenarprotokoll 18/244, S. 25105 – 25115 standen an diesem Morgen (Sitzungsbeginn 8 Uhr) 38 Minuten Diskussionszeit zur Verfügung, vgl. online unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18244.pdf (eingesehen am 23. 05. 2019), zuvor war die Thematik im Plenum des BT allerdings schon fünfmal behandelt worden. Peter Graf Kielmansegg, 30. Juni 2017 – Vom familienpolitischen Versagen des Parlaments, in: Karl-Heinz B. van Lier (Hrsg.), Ohne Familie ist kein Staat zu machen. Zeit zum Umdenken, Freiburg/Basel/Wien 2018, S. 78 – 82, hier S. 82 (= Nachdruck eines Artikels der FAZ vom 01. 02. 2018) spricht von einem „kulturrevolutionären Akt“. Matthias Pulte, Ehe für alle? Theologisch-kirchenrechtliche Beobachtungen aus katholischer Perspektive, in: Karl-Heinz B. van Lier (Hrsg.), Ohne Familie ist kein Staat zu machen. Zeit zum Umdenken, Freiburg/Basel/Wien 2018, S. 213 – 231, hier S. 213 bezeichnet den Vorgang als „Angela Merkels Husarenstück des Frühsommers 2017“: Sie hatte nach den Beratungen im Rechtsausschuss den Fraktionszwang in den Reihen der CDU/CSU-Abgeordneten aufgehoben und so deren Stimmabgabe als persönliche Gewissensentscheidung ermöglicht, was dazu führte, dass ca. 14 der Unionsmitglieder in der Schlussabstimmung für das Gesetzesvorhaben votierten. Der Dresdner Staatsrechtler Arnd Uhle nennt den Gesetzgebungsakt eine „parlamentarische Sturzgeburt“, vgl. online unter: https://www.die-tagespost.de/politik/pl/Parlamen
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eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts – Drucksache 18/6665 – unverändert angenommen“.8 § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB erhielt dadurch die neue Fassung: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Der Bundesrat, von dem die Gesetzesinitiative am 11. November 2015 ausgegangen war und dem hier ein Einspruchsrecht nach Art. 77 Abs. 3 GG zukommt, hat das EheÖffnungsG – wenig verwunderlich – in seiner 959. Sitzung am 7. Juli 2017 passieren lassen.9 Es wurde am 28. Juli 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet10 und erlangte am 1. Oktober 2017 Rechtskraft.
III. Geschlechtsverschiedenheit als Strukturmerkmal der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“, so lautet Art. 6 Abs. 1 GG. Unbestreitbar gibt die wertentscheidende Grundnorm der Verfassung Deutschlands damit einen besonderen Schutz von Ehe und Familie vor. Das BVerfG begründet diesen mit der Singularität der beiden Institute. Ehe und Familie sind „die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft, deren Bedeutung mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden kann“.11 Das Grundgesetz von 1949 stand dabei in guter deutscher Verfassungstradition, hatte doch bereits Art. 119 Abs. 1 WRV bestimmt: „Die Ehe steht als Grundlage des Familienlebens und der Erhaltung und Vermehrung der Nation unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Sie beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“ Art. 6 Abs. 1 GG beinhaltet nach allgemeiner Auffassung verschiedene Gewährleistungsfunktionen, zuvorderst eine Institutsgarantie von Ehe und Familie. Über den abstraktarische-Sturzgeburt;art315,179745 (eingesehen am 23. 05. 2019). Man wird nicht fehlgehen, wenn man im Hinblick auf den Zeitpunkt (letzte Sitzung des BT vor der Sommerpause, per Geschäftsordnungsantrag vom gleichen Tag auf die TO gesetzt) das Vorgehen als stark rechts politisch motiviert ansieht: Ein insbesondere für die Unionsparteien gefährliches Thema – das Meinungsbild der Beratungen im federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hatte die Spaltung der CDU/CSU-Fraktion deutlich aufgezeigt – sollte so dem Wahlkampf zur Bundestagswahl im Herbst 2017 entzogen werden. 8 BR-Drs. 539/17. Zwei Entwürfe einzelner Abgeordneter sowie der Fraktionen DIE LINKE (Oktober 2013) und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Juni 2015) wurden anschließend für erledigt erklärt. 9 BR-Drs. 539/17(B); Diskussion BR-Plenarprotokoll 959, TOP 104, S. 329B – 339 A. 10 BGBl. I 2017, S. 2787. 11 BVerfG, Beschluss v. 17. 01. 1957 (Steuersplitting), in: BVerfGE 6, S. 55 – 84, hier S. 71; bekräftigt z. B. durch BVerfG, Beschluss v. 29. 07. 1968 (Adoption I), in: BVerfGE 24, S. 119 – 155, hier S. 149 und BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Katholischer Chefarzt), in: BVerfGE 137, S. 273 – 345, hier S. 342. Zur theologischen Begründung der Zweigeschlechtlichkeit der Ehegatten vgl. bes. Pulte, Ehe für alle? (Anm. 7), S. 221 – 225 (mit Verweis auf die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre, „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“ v. 03. 06. 2003).
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ten Bestand der beiden Rechtsinstitute hinaus umfasst die Grundgesetznorm auch deren wesentliche Strukturprinzipien und verwehrt eine Modifikation ihres Kerngehalts.12 Auch wenn das Grundgesetz keine Definition des Ehebegriffs enthält und dessen Kerngehalt im Wege der Verfassungsinterpretation zu ermitteln ist, verstand der Verfassungsgeber zweifelsohne die Ehe als Verbindung von Mann und Frau13 – §§ 175, 175a StGB a. F. stellte homosexuelle Handlungen seinerzeit noch unter Strafe. Der Verfassungsgeber dachte 1949 ausschließlich an verschiedengeschlechtliche Ehen und Eltern, etwas anderes lag „schlicht außerhalb des damaligen Vorstellungshorizonts“.14 Eine grundgesetzliche Modifikation dieses Strukturprinzips der Ehe ist bislang nicht erfolgt, eine Neuinterpretation des Kerngehalts der Ehe bedürfte hinreichend gewichtiger Gründe. Maßgeblich aus der Sicht des Grundgesetzes ist freilich „das Bild einer ,verweltlichten‘ bürgerlich-rechtlichen Ehe …, das durch das christliche Eheverständnis traditionell geprägt, aber mit diesem nicht inhaltlich identisch ist“15, wie der Beschluss „Katholischer Chefarzt“ des BVerfG vom 22. Oktober 2014 unterstreicht.
IV. Geschlechtsverschiedenheit der Ehegatten in der Rechtsprechung des BVerfG Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung die Geschlechtsverschiedenheit als Kernelement des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs – erstmals expressis verbis im Urteil vom 29. Juli 195916 – bis heute hochgehalten. Besondere Beachtung verdient dabei der Kammerbeschluss vom 4. Oktober 1993, in dem das BVerfG ein Eheschließungsrecht für gleichgeschlechtliche Paare wegen Art. 6 Abs. 1 GG verneinte und ebenso Anhaltspunkte für einen grundlegenden Wandel des Eheverständnisses in dem Sinne, dass „der Geschlechtsverschiedenheit keine prägende Bedeutung mehr zukäme“.17 Auch in seiner Rechtsprechung zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft (ELP) hat das BVerfG am überkommenen Ehebegriff festgehalten. Bereits im ersten Urteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz vom 17. Juli 2002 betonte das BVerfG die aus dem verfassungsrechtlichen Ehebegriff folgenden Schranken zur inhaltlichen 12
Vgl. Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 18; ebenso BVerfG, Urteil v. 17. 07. 2002 (Lebenspartnerschaftsgesetz), in: BVerfGE 105, S. 313 – 365, hier S. 350 („unter Wahrung ihrer wesentlichen Grundprinzipien“). 13 In zeitlicher Nähe entstandene Landesverfassungen nennen explizit die Heterosexualität der Gatten, z. B. Art. 124 Abs. 2 BayVerf. 14 BVerfG, Urteil v. 19. 02. 2013 (Sukzessivadoption), in: BVerfGE 133, S. 59 – 100, hier S. 79. 15 BVerfG, Beschluss „Katholischer Chefarzt“ (Anm. 11), S. 342. 16 Vgl. BVerfG, Urteil v. 29. 07. 1959 (Elterliche Gewalt), in: BVerfGE 10, S. 59 – 89, hier S. 66. Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 22 listet 13 weitere Entscheidungen auf. 17 BVerfG (K) v. 04. 10. 1993, in: NJW 46 (1993), S. 3058 f., hier S. 3058.
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Ausgestaltung des Instituts der ELP: Die Ehe als „Form einer engen Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau [zeichnet] eine personelle Exklusivität aus“.18 Sie kann demgemäß „nur mit einem Partner des jeweils anderen Geschlechts geschlossen werden, da ihr als Wesensmerkmal die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner innewohnt … Zum Gehalt der Ehe, wie er sich ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung bekommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft ist …“.19 Das BVerfG hat in dieser Entscheidung die Verfassungskonformität der ELP gerade damit begründet, dass sie wegen der Geschlechtsverschiedenheit als Aliud zur Ehe konzipiert sei. Weil der Gesetzgeber also ein eigenes Institut neu geschaffen und die Ehe nicht für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet habe, sah das Karlsruher Höchstgericht die Institutsgarantie der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG gewahrt. Diese Position ist auch im Urteil vom 19. Februar 2013 durchgehalten, obgleich das Höchstgericht dort gleichgeschlechtliche Partner mit Kind(ern) als Familie i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG und als mögliche Träger des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG qualifizierte.20 Auch die jüngere Rechtsprechung des BVerfG hat also, wie das letztgenannte Urteil zeigt, nicht an der Geschlechtsverschiedenheit 18
BVerfG, Urteil v. 17. 07. 2002 (Anm. 12) (Lebenspartnerschaftsgesetz), S. 343. BVerfG, Urteil v. 17. 07. 2002 (Anm. 12), S. 342, 345. Auch die abweichenden Meinungen des Richters Hans-Jürgen Papier und der Richterin Evelyn Haas zum Urteil des Senats unterstreichen die Geschlechtsverschiedenheit der Partner einer Ehe; vgl. BVerfGE 105, S. 313 – 365, hier S. 358 bzw. 361 f. Aus der Literatur vgl. z. B. Peter J. Tettinger, Der grundgesetzlich gewährleistete besondere Schutz von Ehe und Familie, in: EssGespr. 35 (2001), S. 117 – 153, hier S. 128 u. 133 f.; Arnd Uhle, Art. 6, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 2. Aufl., München 2013, S. 239 – 285, hier S. 243, Rdnr. 4; Michael Germann, Dynamische Grundrechtsdogmatik von Ehe und Familie?, in: VVDStRL 73 (2014), S. 257 – 321, hier S. 284 ff.; Frauke Brosius-Gersdorf, Die Ehe für alle durch Änderung des BGB. Zur Verfassungsmäßigkeit der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, in: NJW 68 (2015), S. 3557 – 3561; Tobias Blome, Die Geschlechtsverschiedenheit der Ehegatten – Kerngehalt der Ehe nach Art. 6 I GG?, in: NVwZ 36 (2017), S. 1658 – 1663; Kay Windthorst, Art. 6, in: Christoph Gröpl/Kay Windthorst/Christian von Coelln (Hrsg.), Grundgesetz. Studienkommentar, 3. Aufl., München 2017, S. 159 – 182, hier S. 162 f., Rdnr. 16; Jörn Ipsen, Öffnung der Ehe – verfassungswidrig?, in: NVwZ 36 (2017), S. 1096 – 1099; Christopher Schmidt, „Ehe für Alle“ – Ende der Diskriminierung oder Verfassungsbruch?, in: NJW 70 (2017), S. 2225 – 2228; Markus Kotzur/Johann J. Vasel, Art. 6, in: Klaus Stern/Florian Becker (Hrsg.), Grundrechte-Kommentar. Die Grundrechte des Grundgesetzes mit ihren europäischen Bezügen, 3. Aufl., Köln 2018, S. 699 – 766, hier S. 712, Rdnr. 17; Christian von Coelln, Art. 6, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl., München 2018, S. 356 – 400, hier S. 360 ff., Rdnr. 6; Peter Badura, Kommentar zu Art. 6 GG, in: Roman Herzog/Rupert Scholz/Matthias Herdegen/Hans H. Klein (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, begr. v. Theodor Maunz/Günter Dürig, Rdnr. 58 (Stand: 86. Erg.-Lfg., Januar 2019). 20 Vgl. BVerfG, Urteil v. 19. 02. 2013 (Anm. 14) (Sukzessivadoption), S. 83 f. Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 94 urteilt: „Anders als die Ehe hat das Bundesverfassungsgericht die Elternschaft zu keiner Zeit als Institutsgarantie mit einem nur durch Verfassungsänderung modifizierbaren Strukturmerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit verstanden“. 19
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als Strukturmerkmal der Ehe gerüttelt. Dieses ist in ständiger Rechtsprechung seit den 1950er Jahren klar verfestigt, sie wäre nur durch eine Verfassungsänderung modifizierbar. Einen sog. „schleichenden Verfassungswandel“ in der Form einer Änderung des Ehebegriffs durch das neue Rechtsinstitut der ELP haben die Karlsruher Richter ebenso wenig bisher festgestellt, obwohl sie die gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen in der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sicher beobachtet haben. Auf der anderen Seite sah das BVerfG im besonderen Schutz der Ehe keinen hinreichenden Sachgrund mehr für deren Besserstellung gegenüber der ELP21, weshalb es auf der Basis des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG sukzessiv deren Privilegierung abgebaut22 hat. Geblieben war bis 2017 nur noch die einem Ehepaar vorbehaltene gemeinschaftliche Adoption nach § 1741 Abs. 2 BGB. Im Schrifttum ist von einer „verfassungsrechtlich katalysierten Parallelgesetzgebung“23, ja sogar von einem „verfassungsgerichtlich vollzogenen Verfassungswandel“24 die Rede. Mit der „Ehe für Alle“ hat der Gesetzgeber nun auch die Geschlechtsverschiedenheit der Ehepartner als Verfassungshürde aufgegeben. Die Rechtslage ist seither paradox: Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind Ehe und ELP nach wie vor zwei unterschiedliche Rechtsinstitute; aber die Geschlechtsverschiedenheit der Gatten, die nach dem Verständnis des Grundgesetzes und der konstanten Rechtsprechung des BVerfG als Wesensmerkmal zur Ehe gehört, ist nach dem Gesetzgeber plötzlich nicht mehr dieser wesentlich, kann die Ehe als Lebensform seit Oktober 2017 doch auch von zwei gleichgeschlechtlichen Partnern gewählt werden. Wie passt das zusammen? Lässt sich der besondere Schutz der heterosexuellen Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG noch rechtfertigen? Oder gilt dieser nun auch für die „Ehe für Alle“?
21 Gegenüber weniger verbindlich gefassten Lebensgemeinschaften ist die Ehe aufgrund der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten besonderen Schutzpflicht des Staates nach wie vor einfachgesetzlich privilegierungsfähig, so mit Recht Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 131. Vgl. dazu BVerfG, Beschluss v. 07. 05. 2013 (Ehegattensplitting), in: BVerfGE 133, S. 377 – 443, hier S. 410: „Die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Differenzierungsgrund, der in erster Linie zur Rechtfertigung einer Besserstellung der Ehe gegenüber anderen, durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägten Lebensgemeinschaften geeignet ist“. 22 Z. B. BVerfG, Beschluss v. 07. 07. 2009 (Gleichbehandlung ELP), in: BVerfGE 124, S. 199 – 235, hier S. 226 f.; BVerfG, Beschluss v. 21. 07. 2010 (Steuerliche Diskriminierung ELP), in: BVerfGE 126, S. 400 – 433, hier S. 419 ff.; BVerfG, Beschluss v. 19. 06. 2012 (Lebenspartnerschaft von Beamten), in: BVerfGE 131, S. 239 – 267, hier S. 261 ff.; BVerfG, Beschluss v. 07. 05. 2013 (Anm. 21) (Ehegattensplitting), S. 413 ff. 23 Klaus F. Gärditz, Gemeinsames Adoptionsrecht Eingetragener Lebenspartner als Verfassungsgebot?, in: JZ 66 (2011), S. 930 – 939, hier S. 934. 24 Klaus Stern, § 100 Der Schutz von Ehe, Familie und Eltern/Kind-Beziehung, in: Klaus Stern/Michael Sachs/Johannes Dietlein (Hrsg.), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland IV/1, München 2006, S. 315 – 649, hier S. 490.
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V. Begründung des „besonderen“ Schutzes der herkömmlichen Ehe Warum schützt das GG die überkommene Ehe mit ihrem Strukturmerkmal Geschlechtsverschiedenheit besonders? Warum kann die Bedeutung der Ehe „mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden“25? Rekurriert werden kann zum einen auf ihren Status als dauerhafte, umfassende Schicksalsgemeinschaft in gegenseitiger Verantwortung, den die Ehe freilich inzwischen mit der ELP teilt. Darin liegt kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Der besondere Schutz der Ehe rechtfertigt sich auch und vor allem aus ihrem Familienbezug, der markante Unterschiede zu jeder anderen Verantwortungsgemeinschaft unter Menschen aufweist. „Die Ehe genießt besonderen Schutz, weil nur aus der Gemeinschaft von Mann und Frau neues menschliches Leben hervorgehen kann“.26 Der Schutz besteht normativ in den Aspekten „Gewährleistung eines rechtlich gesicherten Rahmens für die Familiengründung, Kindeswohldienlichkeit27 und Angelegtsein auf Familie“.28 Dieser besondere Familienbezug ist – mitunter angezweifelt – auch empirisch belegt. Selbst nach jüngeren Entscheidungen der Karlsruher Verfassungshüter stellt die Ehe „nach wie vor in signifikantem Umfang [die] Grundlage für ein ,behütetes‘ Aufwachsen von Kindern“29 dar, sie ermöglicht aufgrund ihrer Stabilität „eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern“.30 In der Chefarzt-Entscheidung vom 22. Oktober 2014 werden Ehe und Familie in einem Atemzug „als die Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft“31 bezeichnet. Denn nur einer verschiedengeschlechtlichen Beziehung liegt ein „natürliches Fortpflanzungspotential“32 zugrunde33, was nach überwiegender Auffassung in der Literatur eine Privilegierung der Ehe gegenüber der ELP rechtfertigt.34 25
BVerfG, Beschluss v. 17. 01. 1957 (Anm. 11) (Steuersplitting), S. 71. Graf Kielmansegg, Familienpolitisches Versagen (Anm. 7), S. 79. Ähnlich Pulte, Ehe für alle? (Anm. 7), S. 214. 27 Vgl. Art. 6 Abs. 2 GG. 28 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 72. 29 BVerfG, Beschluss v. 19. 06. 2012 (Anm. 22) (Lebenspartnerschaft von Beamten), S. 260; BVerfG, Beschluss v. 07. 05. 2013 (Anm. 21) (Ehegattensplitting), S. 411. 30 BVerfG (K) v. 04. 10. 1993 (Anm. 17), S. 3058. 31 BVerfG, Beschluss v. 22. 10. 2014 (Anm. 11) (Kath. Chefarzt), S. 342. 32 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 113. 33 Vgl. Art. 119 Abs. 1 Satz 1 WRV; Abweichende Meinung der Verfassungsrichterin Evelyn Haas zu BVerfG, Urteil v. 17. 07. 2002 (Anm. 12) (Lebenspartnerschaftsgesetz), S. 362; Abweichende Meinungen des Verfassungsrichters Herbert Landau und der Verfassungsrichterin Sibylle Kessal-Wulf zu BVerfG, Beschluss v. 07. 05. 2013 (Anm. 21) (Ehegattensplitting), S. 427. 34 Statt vieler von Coelln, Art. 6 (Anm. 19), S. 361: Die Finalität der Ehe als Institut auf potentiell aus ihr hervorgehende Nachkommen schließt eine Öffnung der Ehe auf gleichgeschlechtliche Paare aus. Vgl. auch BVerfG, Urteil v. 19. 06. 2012 (Anm. 22) (Lebenspartnerschaft von Beamten), S. 259 f. Dass nach Art. 6 Abs. 5 GG unehelichen Kindern die gleichen 26
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Dennoch hat das BVerfG in seinem Urteil zur Sukzessivadoption vom 19. Februar 2013 die auch von ihm nicht bestreitbaren Unterschiede zwischen Ehe und ELP als nicht hinreichend gewichtig erachtet, um die Ehe weiterhin zu privilegieren. Es hat z. B. die Kinderfrage als diskriminierende Typisierung nach Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt, da Kinder heute zum einen auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Patchworkfamilien etc. geboren werden und aufwachsen, oft nur bei einem Elternteil, und es daneben auch gewollt kinderlose Ehen gibt. Diese grundsätzlich zutreffenden Beobachtungen müssen jedoch in den richtigen Maßstab gesetzt werden. Denn fast 70 % aller minderjährigen Kinder in Deutschland lebten 2017 mit verheirateten Eltern in einem Haushalt, 11,4 % in fast ausschließlich (!) gemischtgeschlechtlichen nichtehelichen Lebensgemeinschaften und 18,9 % bei einem alleinerziehenden Elternteil.35 Den empirisch nicht bestreitbaren Zusammenhang des Angelegt-Seins der Ehe auf Familie hin unterstreicht der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio markant: Damit die Zukunftsfähigkeit von Staat und Gesellschaft erhalten bleibe, damit auch weiterhin Menschen „sich in Solidarität beistehen und die Werte des Grundgesetzes bejahen, damit aus Kindern selbstbewusste und moralisch kompetente Bürger werden, braucht es die Lebensgemeinschaft der Ehe als Regelform. Die Ehe ist ein Spezialfall der Familie, die typische Form der rechtlich anerkannten ursprünglichen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, die geordnete regelmäßige Grundlage für ihre Erweiterung zu der mit Kindern bereicherten Familie. …“.36 Aus dem Gesagten lässt sich daher nicht folgern, dass durch den Wegfall der Privilegierungen der Ehe gegenüber der ELP und der einfach-gesetzlich ausgestalteten Gleichstellung der „Ehe für Alle“ mit der herkömmlichen Ehe die Geschlechtsverschiedenheit als Strukturprinzip der Ehe an Bedeutung verloren habe. Denn die gleichgeschlechtliche „Ehe für Alle“ oder eine ELP sind nur dann „geeignet, Voraussetzung für die Begründung von Elternschaft zu sein … und taugliche Grundlage einer Familie“37, wenn das Kind in einer heterosexuellen Beziehung gezeugt wurde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass nationale Verfassungsgerichte anderer Länder der „Exklusivität eines verschiedengeschlechtlichen Eheverständnis-
Bedingungen für ihre Entwicklung durch den Gesetzgeber zu ermöglichen sind wie ehelichen, belegt die positive Konnotation des Zusammenhangs von Ehe und Familie im GG. 35 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Familien und Familienmitglieder mit minderjährigen Kindern in der Familie im Jahr 2017 nach Lebensform und Gebietsstand, online unter: https:// www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Haushalte-Familien/Tabel len/2-6-familien.html;jsessionid=7D1272ED214B77488AAEA600EFB1E4F9.internet74 (eingesehen am 13. 06. 2019). Dabei sticht der Unterschied zwischen dem früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) und den Neuen Bundesländern (mit Berlin) ins Auge. 36 Udo Di Fabio, Der Schutz von Ehe und Familie: Verfassungsentscheidung für die vitale Gesellschaft, in: NJW 56 (2003), S. 993 – 998, hier S. 994. 37 BVerfG, Beschluss v. 07. 05. 2013 (Anm. 21) (Ehegattensplitting), S. 414 f.
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ses qua natürlicher Fortpflanzungsfähigkeit“38 entgegengetreten sind und kein Gericht bisher die Öffnung der Ehe für unzulässig erklärt hat – eine Öffnung39 des bisherigen verschiedengeschlechtlichen Eheverständnisses, die insbesondere auf europäischer Ebene zu beobachten ist. Die „Ehe für Alle“ ist wie die ELP wegen des genuin fehlenden Angelegt-Seins auf eigene Nachkommenschaft qua natürlicher Fortpflanzung ein Aliud zur herkömmlichen Ehe, mag sie auch rechtlich unter demselben Namen firmieren und dieser in ihrer Ausgestaltung gleichgestellt sein. Die Geschlechtsverschiedenheit ist und bleibt ein exklusives Differenzierungsmerkmal zwischen der herkömmlichen Ehe und der „Ehe für Alle“.
VI. Also doch verfassungswidrig? – Brüche im Gutachten Wollenschlägers Wieso kam es aber dennoch zur „Ehe für Alle“ ohne Verfassungsmodifikation? Aus dem bisher Gesagten seien zunächst folgende Positionen festgehalten, die auch Wollenschläger in seinem Rechtsgutachten bis zur vorletzten Seite teilt, wobei er gegenläufige Tendenzen bei den einzelnen Punkten sorgfältig erörtert und gewichtet: – Der Verfassungsgeber verstand die Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG als Gemeinschaft von Mann und Frau. Dies stellt in den Augen des BVerfG eine vorrangige Wertentscheidung dar. – Für die Ehe liegt in Art. 6 Abs. 1 GG eine Institutsgarantie vor, was bei deren inhaltlichen Füllung durch Interpretation besonders bedeutsam ist. – Das BVerfG hat an der Geschlechtsverschiedenheit als Strukturmerkmal der Ehe festgehalten und gerade deswegen die ELP als Aliud zur Ehe für verfassungskonform erachtet. Seine auf der Basis des GG über Jahrzehnte gefestigte Rechtsprechung ist in diesem Punkt besonders zu beachten. 38
Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 96. Vgl. dazu Dagmar Coester-Waltjen, Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus rechtsvergleichender Sicht, in: Ferdinand Wollenschläger/Dagmar Coester-Waltjen (Hrsg.), Ehe für Alle. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aus verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Perspektive, Tübingen 2018, S. 133 – 252. Zuvor Dagmar Coester-Waltjen, Rechtsvergleichendes Gutachten über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in ausgewählten Rechtsordnungen v. 22. 01. 2018, online unter: https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2018/03/gut achten-ehe-fuer-alle-prof.-coester-waltjen.pdf (eingesehen am 23. 05. 2019). Diesem Beitrag liegt die gedruckte Version des Gutachtens zugrunde. 39 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil v. 24. 06. 2010 gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Ehen unter Art. 12 EMRK für subsumierbar erachtet, sofern für sie eine Eheschließung nach dem jeweiligen nationalen Recht möglich ist. Neben Deutschland haben bis heute (Stand: 23. 05. 2019) 17 weitere Mitgliedstaaten der EU die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, wobei sich eine Spaltung in Ost- und Westeuropa zeigt; vgl. online unter: https://www.nzz.ch/international/europa/wo-in-europadie-gleichgeschlechtliche-ehe-erlaubt-ist-ld.1303058 (eingesehen am 23. 05. 2019).
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– Der Schutz der Ehe rechtfertigt sich insbesondere aus dem Familienbezug, d. h. ihrem Hingeordnet-Sein auf eigen gezeugte Nachkommenschaft; der Familienbezug ist normativ und empirisch signifikant gesichert, er begründet die Sonderrolle der Ehe. – Geänderte Sichtweisen, die heute zweifelsohne in der gesellschaftlichen Akzeptanz und rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen festzustellen sind, begründen noch keinen Verfassungswandel. Vielmehr bedarf die Modifikation der Geschlechtsverschiedenheit als eines Strukturmerkmals der Ehe hinreichend gewichtiger Gründe. – Die Ermöglichung der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch Art. 9 Grundrechtecharta der EU sowie einen seit 2010 zu beobachtenden Rechtsprechungswandel des EMGR zu Art. 12 EMRK gebietet kein auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften erweitertes Eheverständnis, zumal die meisten der sie nutzenden Staaten in ihrer nationalen Verfassung keinen besonderen Eheschutz analog Art. 6 Abs. 1 GG kennen. – Die Divergenz von verfassungsrechtlichem und einfach-gesetzlichem Ehebegriff, die durch das EheÖffnungsG noch vertieft wurde, bedeutet „einen Bruch mit dem der Institutsgarantie … innewohnenden Ausgestaltungsauftrag, nach dem der Gesetzgeber zu einer Definition der Ehe im Rahmen der grundgesetzlichen Strukturvorgaben berufen ist“.40 Der Begriff „Ehe“ in Art. 6 Abs. 1 GG ist eine „verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts“.41 Im Gesetz „Ehe für Alle“ hingegen heißt auch die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft Ehe und wird wie diese behandelt, obwohl dieselbe gleichgeschlechtliche Partnerschaft in der Form einer ELP expressis verbis keine Ehe ist. Danach leitet Wollenschläger in systematischer Perspektive aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG das Erfordernis einer „(nahezu) vollständigen Gleichbehandlung“42 der Institute Ehe und ELP ab. Die Judikatur des BVerfG impliziert nach ihm zugleich, dass der Gesetzgeber beide Institute inhaltlich identisch ausgestalten dürfe, was auch der Auslegung der Ehegarantie entspreche. Die verfassungsrechtlich entscheidende Frage reduziert sich dann darauf, „ob der Gesetzgeber befugt ist, zwei inhaltlich identische Rechtsinstitute unter der Bezeichnung ,Ehe‘ zusammenzufassen“43, so der Gutachter. Hier stellen sich zwei Fragen: 1. Die Rechtsprechung des BVerfG vermittelt keineswegs das Bild einer identisch möglichen Ausgestaltung der beiden Rechtsinstitute Ehe und ELP, sondern geht von einem Aliud der ELP im Vergleich zur Ehe aus – so hat Wollenschläger zuvor selbst zutreffend analysiert. 2. Der Gutachter folgert: 40
Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 117. BVerfG, Urteil v. 17. 07. 2002 (Anm. 12) (Lebenspartnerschaftsgesetz), S. 346. 42 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 130. 43 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 130.
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Wenn schon Ehe und ELP bei grundgesetzlich nur „(nahezu) vollständiger Gleichbehandlung“ einfachgesetzlich identisch ausgestaltet werden dürfen, müssen umgekehrt die beiden inhaltlich identischen Institute Ehe und „Ehe für Alle“ doch auch unter dem gemeinsamen Begriff „Ehe“ des Art. 6 Abs. 1 GG zu versammeln sein. Diese Folgerung verwundert. Zum einen hat Wollenschläger selbst zuvor auf die durch das EheÖffnungsG bedauerlich größer gewordene Divergenz zwischen verfassungsrechtlichem und einfach-gesetzlichem Ehebegriff hingewiesen.44 Und wenn Ehe und ELP aufgrund der Geschlechterfrage zwei unterschiedliche Realitäten sind, dann doch wohl aus demselben Grund auch Ehe und „Ehe für Alle“. Wollenschläger kann diese Aussage nur treffen unter der Annahme, dass das „überkommene Begriffsmerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit jedenfalls insoweit an Eindeutigkeit verloren [hat], dass es noch ein exklusives Strukturmerkmal der Ehe mit Sperrwirkung gegenüber einer Öffnung der Ehe“45 durch den Gesetzgeber darstellt. Dafür fehlt im GG und in der Rechtsprechung des BVerfG aber jeglicher Anhaltspunkt. Wollenschläger fährt fort: Es „spricht mehr dafür, dass der Gesetzgeber die Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften öffnen darf. Denn das überkommene Strukturmerkmal der Verschiedengeschlechtlichkeit hat infolge des vorstehend entwickelten Befunds an Eindeutigkeit und Exklusivität verloren: Erstens haben die zunehmende rechtliche und auch gesellschaftliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften die Bedeutung des historischen und tradierten Eheverständnisses für die Verfassungsinterpretation relativiert. Zweitens legen Wortlaut, EU-/ EMRK-grundrechtliche sowie rechtsvergleichende Perspektive die Möglichkeit eines weiten Ehebegriffs nahe. Drittens und vor allem haben die hinter dem besonderen Eheschutz stehenden Gründe (Charakter der Ehe als dauerhafte, umfassende und rechtlich verbindliche Lebens- und Verantwortungsgemeinschaft; Familienbezug der Ehe) namentlich infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an Unterscheidungskraft gegenüber identisch verfassten gleichgeschlechtlichen Partnerschaften verloren“.46 Diese Schlussfolgerungen überzeugen nicht. – Zum einen widerspricht Wollenschläger darin zentralen Ausführungen im Gutachten zuvor. Beispiel: Die Geschlechtsverschiedenheit als überkommenes Strukturmerkmal der Ehe habe an „Eindeutigkeit und Exklusivität“ verloren – unter „VI. Konsequenzen“ steht noch deutlicher, es spreche mehr dafür, „dass die Verschiedengeschlechtlichkeit kein Strukturmerkmal des Ehebegriffs mehr dar-
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Vgl. Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 117. Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 115. Man merkt an der Formulierung dieser Stelle die Vorsicht des Autors, ebenso aaO. S. 110 („… spricht mehr dafür, dass die Verschiedengeschlechtlichkeit kein Strukturmerkmal des Ehebegriffs mehr darstellt …“), was sich in den Schlussfolgerungen (S. 130 f.) ändert. 46 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 130 f. 45
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stellt“47, vorher wird sie vielerorts in Übereinstimmung mit dem BVerfG als Kernmerkmal der Ehe bezeichnet, gerade ihr Fehlen legitimiert ja die ELP als Aliud zur Ehe. – Wo sind die hinreichend gewichtigen Gründe, die Wollenschläger selbst zur Modifikation dieses Essentials der Ehe fordert? Stellt die Geschlechtsverschiedenheit deshalb kein Strukturmerkmal der Ehe mehr dar, weil sie in der sehr überschaubaren Zahl der Personen, die eine ELP oder „Ehe für Alle“ als Aliud zur Ehe eingehen, definitionsgemäß nicht vorkommt? Diese Argumentation ist abwegig. – Inwiefern relativiert die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften „die Bedeutung des historischen und tradierten Eheverständnisses für die Verfassungsinterpretation“48? Dies wird einfach in den Raum gestellt. Im Gutachten ist von geänderten Sichtweisen die Rede, die heute zweifelsohne in der gesellschaftlichen Akzeptanz und rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen festzustellen sind, die aber noch keinen Verfassungswandel begründen. – Nach Wollenschläger legen Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 GG, „EU-/EMRK-grundrechtliche sowie rechtsvergleichende Perspektive die Möglichkeit eines weiten Ehebegriffs nahe“.49 Zuvor hatte die Formulierung gelautet, dass der Rechtsprechungswandel des EMGR zu Art. 12 EMRK kein erweitertes Eheverständnis gebietet. Auch hier ist also eine nicht abgesicherte Zuspitzung der Argumentation festzustellen. – Es ist empirisch widerlegt und schlichtweg falsch, dass der Familienbezug der Ehe „an Unterscheidungskraft gegenüber identisch verfassten gleichgeschlechtlichen Partnerschaften verloren“50 hat. Letztendlich spürt Wollenschläger das dünne Eis unter seiner Argumentation, wenn er abschließend einräumt: „Es liegt auf der Hand, dass eine stärkere Gewichtung des historischen Arguments sowie der Änderungsresistenz von Institutsgarantien und eine Akzentuierung der nach wie vor signifikanten Unterschiede im Angelegtsein auf Nachwuchs zum gegenteiligen Ergebnis führte“.51 Umso mehr überrascht die Tatsache, dass die Bayerische Staatsregierung aufgrund der Gutachten von Herrn Ferdinand Wollenschläger und Frau Dagmar Coester-Waltjen – aus dem Rechtsvergleich in letzterem lässt sich wenig ableiten – sich nicht zu einer Normenkontrollklage in Karlsruhe durchringen konnte. Denn mit Vernunftargumenten nicht zu bestreiten ist, „dass nach der Entstehungsgeschichte des Art. 6 GG, der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und der – nahezu – einhelligen Auffassung in der Literatur der grundgesetzliche Ehebegriff die Geschlechtsverschiedenheit der Ehe47
Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 110. Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 130 f. 49 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 131. 50 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 131. 51 Wollenschläger, Öffnung der Ehe (Anm. 4), S. 131, fast wortgleich ebenfalls S. 115.
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partner voraussetzt“.52 Bei Licht besehen überwiegt also das Gewicht der Argumente, die für ein verfassungsrechtlich unzulässiges Vorgehen bei der Verabschiedung des Gesetzes „zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ sprechen. § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB n. F. verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 GG, weil die am 30. Juni 2017 beschlossene Novelle den Ehebegriff definitorisch erweitert. Man wird den Verdacht nicht los, dass die damaligen Überlegungen der Bayerischen Staatsregierung ein taktisches Manöver im Hinblick auf die Bundestagswahl im Oktober 2017 gewesen sind.
VII. Schluss Das kirchliche Eherecht beansprucht nach c. 1059 CIC/1983 nicht, im staatlichen Rechtsbereich Geltungs- oder gar Gestaltungswirkung zu entfalten, wie auch die im Staat ausschließliche Form der Zivilehe nach § 1588 BGB nicht die religiös-kirchliche Dimension der Ehe tangiert. In beiden Rechtsordnungen hat die Ehe freilich eine besondere Bedeutung. Beide Ordnungssysteme verbindet das Bestreben, das Zusammenleben der Partner in der Ehe als einer dauernden und umfassenden Lebensgemeinschaft ordnen zu wollen. Und beide Rechtsbereiche schätzen die mit der Ehe „generell verbundene familiäre Finalität“.53 Wegen ihrer Bedeutung für die Gesamtgesellschaft erfährt die Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG sogar den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, der mehrdimensional54 ausgestaltet ist. Das „Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ manifestiert deutlich die inhaltliche Divergenz zwischen staatlichem und kirchlichem Eherecht. Die „Ehe für Alle“ ist neben dem gänzlich unterschiedlichen Umgang mit einer zerbrochenen Ehe der wohl prägnanteste Ausdruck gegenseitiger Unabhängigkeit von staatlichem und kanonischem Eherecht. Erstmals ist dabei die Geschlechtsverschiedenheit aus dem historisch gemeinsamen Kerngehalt der Ehe herausgebrochen worden. Auch wenn die neue Eheform, „geprägt von der Säkularität des Verfassungsstaates“55, nicht in die kirchenrechtliche Sphäre übergreift, wirkt sie dennoch auf das allgemeine Rechtsbewusstsein ein und hat insofern Potential, das bisher in der deutschen Gesellschaft breite Verständnis der Ehe als einer Gemeinschaft von Mann und Frau zu relativieren. Auch wenn noch grundlegende Gemeinsamkeiten im Kerngehalt dessen bestehen, was Ehe ist, driften staatlicher
52 Jörn Ipsen, Ehe für alle – verfassungswidrig?, in: NVwZ 36 (2017), S. 1096 – 1099, hier S. 1098. 53 Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 5), S. 736. 54 Neben der Institutsgarantie zugunsten des Rechtsinstituts Ehe begründet Art. 6 Abs. 1 GG teilweise staatliche Schutzpflichten, teilweise subjektive Abwehrrechte gegenüber hoheitlichen Eingriffen (Grundrecht). Die Norm stellt aber ebenso eine wertentscheidende Grundsatznorm dar. 55 Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 5), S. 738.
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und kirchlicher Ehebegriff doch immer weiter auseinander.56 Gewiss ist zweierlei Recht in ehebezogenen Normen „Ausdruck einer freiheitlichen Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche“57 und ermöglicht beiden Institutionen in ihrem Arrangement eine „Konzentration auf die Erfüllung ihrer unterschiedlichen Aufgaben“.58 Ob aber hier Klientelpolitik im deutschen staatskirchenrechtlichen System einer „Trennung zur Freiheit“59 nicht Vorschub leistet, um bisher allgemein anerkannte eherechtliche Essentials zu untergraben? Die Geschlechtsverschiedenheit der Ehepartner war und ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern des europäischen Kulturkreises eine tief verwurzelte Selbstverständlichkeit. Wenn der staatliche Gesetzgeber diese aufgeben und damit seinen Ehebegriff ändern wollte, wäre es im Hinblick auf Art. 6. Abs. 1 GG angesagt gewesen, diesen Akt von einer „Zwei-Drittel-Mehrheit förmlich als Verfassungsänderung ratifizieren zu lassen. … [Das] hätte gerade denen, die ihn wollten, wichtig sein müssen“.60 Mit der „Ehe für Alle“ ist jedenfalls die Konvergenz im Kerngehalt des Ehebegriffs zwischen staatlichem und kanonischem Rechtsbereich noch geringer geworden. Das in der Schöpfungsordnung verankerte Eheverständnis – und dazu zählt nach katholischer Lehre die Geschlechtsverschiedenheit der Eheleute – ist kein disponibles Rechtsgut. Da die Katholische Kirche – wie übrigens auch die gesamte Orthodoxie – in cc. 1055 § 1 CIC/1983 bzw. 776 § 1 CCEO an der Geschlechtsverschiedenheit der Gatten festhält, ist es ausgeschlossen, dass sie die „Ehe für Alle“ als im staatlichen Bereich zwar gleichnamige, aber keinesfalls gleichinhaltliche Entsprechung dem eigenen Institut Ehe gleichstellt.61
56
Die sang- und klanglose Streichung des Verbots der kirchlichen Voraustrauung in §§ 67, 67a PStG zum 1. Januar 2009 machte staatliche und kirchliche Eheschließung auch zeitlichoptisch voneinander unabhängiger. 57 Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 5), S. 749. 58 Uhle, Zweierlei Recht (Anm. 5), S. 750. 59 Arnd Uhle, Staat – Kirche – Kultur, Berlin 2004, S. 55. 60 Graf Kielmansegg, Familienpolitisches Versagen (Anm. 7), S. 82. 61 Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris Laetitia v. 19. 03. 2016, Nr. 52, dt. in: VApSt 204, S. 43. Zu den kirchenrechtlichen Konsequenzen daraus vgl. Martin Zumbült, „Ehe für Alle“ und „Drittes Geschlecht“ – (k)ein Thema für die kirchenrechtliche Praxis?, in: KuR 24 (1018), S. 66 – 87, bes. S. 71 – 80.
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44. Datos Básicos De Las Relaciones Iglesia-Estado En La República De Austria, in: Javier Martínez-Torrón/Santiago Canamares Arribas (Hrsg.), Tensiones Entre Libertad De Expresión Y Libertad Religiosa, Valencia 2014, S. 144 – 164. 45. Häresie, Apostasie und innerchristliche Gewalt in kirchenrechtlicher Sicht, in: Georg Plasger/Heinz-Günter Stobbe (Hrsg.), Gewalt gegen Christen. Formen, Gründe, Hintergründe, Leipzig 2014, S. 295 – 327. 46. Kirchenrechtliche Anmerkungen zur ökumenischen Gemeinschaft in der Feier der Sakramente und in anderen liturgischen Feiern, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= KRB 13), Wien/Berlin 2014, S. 161 – 174. 47. Neuere Fragen um Schule und Religionsunterricht in Österreich, in: Wilhelm Rees/María Roca/Balázs Schanda (Hrsg.), Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= KStT 61), Berlin 2013, S. 499 – 534. 48. Der Österreichische Synodale Vorgang (1973/74). Vorgeschichte und kirchenrechtlicher Status, in: Joachim Schmiedl (Hrsg.), Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Rechtliche Grundlagen und öffentliche Meinung (= ThB 35), Freiburg i. d. Schweiz 2013, S. 116 – 198. 49. Delicta graviora im Recht der römisch-katholischen Kirche und der katholischen Ostkirchen, in: Elmar Güthoff/Stefan Korta/Andreas Weiß (Hrsg.), Gedenkschrift Clarissimo Professori Doctori Carolo Giraldo Fürst. In memoriam Carl Gerold Fürst (= AIC 50), Frankfurt a. M. u. a. 2013, S. 467 – 506. 50. Koordiniertes Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch. Die Normen der Kongregation für die Glaubenslehre über die delicta graviora vom 21. 05. 2010, in: Heribert Hallermann/ Thomas Meckel/Sabrina Pfannkuche/Matthias Pulte (Hrsg.), Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch (= WTh 9), Würzburg 2012, S. 67 – 135. 51. Römisch-katholische Kirche und Bewahrung der Schöpfung. Kirchenrechtliche Impulse und konkrete Umsetzung mit einem besonderen Blick auf die Erzdiözese Salzburg, in: Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger/Wilhelm Rees (Hrsg.), In mandatis meditari. FS für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (= KStT 58), Berlin 2012, S. 299 – 337. 52. Faire Verfahren in der Kirche. Rechtsschutz in der römisch-katholischen Kirche, besonders in kirchlichen Strafverfahren, in: Martha Heizer/Peter Hurka (Hrsg.), Mitbestimmung und Menschenrechte. Plädoyer für eine demokratische Kirchenverfassung (= TTB 763), Kevelaer 2011, S. 255 – 295. 53. Strafrechtliche Aspekte im Blick auf die Priesterbruderschaft St. Pius X. mit besonderem Blick auf die Aufhebung der Exkommunikation, in: Bernd Dennemarck/Heribert Hallermann/Thomas Meckel (Hrsg.), Von der Trennung zur Einheit. Das Bemühen um die PiusBruderschaft (= WTh 7), Würzburg 2011, S. 143 – 179. 54. Schöpfungsverantwortung konkret: Wie sich die römisch-katholische Kirche der ökologischen Herausforderung stellt. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: Simone Paganini/Johannes Panhofer (Hrsg.), Schöpfung – Evolution – Verantwortung. Vorträge der 11. Innsbrucker Theologischen Sommertage 2010 (= ThTr 20), Innsbruck 2011, S. 168 – 187.
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55. Sexuelle Übergriffe durch Kleriker. Die Rechte von Opfern und Tätern gemäß dem Strafrecht der römisch-katholischen Kirche und neuere Entwicklungen, in: Adrian Loretan (Hrsg.), Religionsfreiheit im Kontext der Grundrechte (= RrSt 2), Zürich 2011, S. 287 – 330. 56. Das Selig- und Heiligsprechungsverfahren der römisch-katholischen Kirche. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: Józef Niewiadomski/Roman A. Siebenrock in Zusammenarbeit mit Hüseyin I. Cicek und Mathias Mosbrugger (Hrsg.), Opfer – Helden – Märtyrer. Das Martyrium als religionspolitologische Herausforderung (= ITS 83), Innsbruck/Wien 2011, S. 341 – 349. 57. Religionsfreiheit und religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates in der Republik Frankreich und in der Republik Österreich, in: Marie-Luisa Frick/Pascal Mbongo/Florian Schallhart (Hrsg.), PluralismusKonflikte – Le pluralisme en conflicts. ÖsterreichischFranzösische Begegnung (= Austria: Forschung und Wissenschaft – Philosophie 13), Wien/Berlin 2010, S. 189 – 220. 58. Rechtsschutz im kirchlichen Strafrecht und in kirchlichen Strafverfahren, in: Ludger Müller (Hrsg.), Rechtsschutz in der Kirche (= KB 15), Wien/Berlin 2010, S. 75 – 105. 59. Grundlagen und neuere Entwicklungen in der Verhältnisbeziehung von Staat und Religionsgemeinschaften in der Republik Österreich, in: Franz Matscher/Peter Pernthaler/Andreas Raiffeiner (Hrsg.), Ein Leben für Recht und Gerechtigkeit. FS für Hans R. Klecatsky zum 90. Geburtstag, Wien/Graz 2010, S. 585 – 611. 60. Formen der Kirchenfinanzierung in Europa. Vergleich und Wertung einzelner Systeme, in: Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz (Hrsg.), Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Kanonistische Klärungen zu den pastoralen Initiativen der Österreichischen Bischofskonferenz (= Die österreichischen Bischöfe 10), Wien 2010, S. 18 – 37. 61. Der Kirchenaustritt und seine kirchenrechtliche Problematik, in: Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz (Hrsg.), Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche. Kanonistische Klärungen zu den pastoralen Initiativen der Österreichischen Bischofskonferenz (= Die österreichischen Bischöfe 10), Wien 2010, S. 38 – 61. 62. Ordination in der römisch-katholischen Kirche. Anmerkungen aus rechtshistorischer und aktuell kirchenrechtlicher Perspektive, in: Konrad Huber/Andreas Vonach (Hrsg.), Ordination – mehr als eine Beauftragung? (= Synagoge und Kirchen 3), Wien/Berlin 2010, S. 145 – 182. 63. Nikolaus Nilles. Akademischer Lehrer und Priestererzieher in Innsbruck, in: Symbolae. Ways of Greek Catholic heritage research. Papers of the conference held on the 100th anniversary of the death of Nikolaus Nilles SJ/Vie della ricerca del patrimonio greco-cattolico. Atti del simposio in occasione del primo centenario della morte di Nikolaus Nilles SJ/ Wege der Erforschung des griechisch-katholischen Erbes. Akten der Konferenz zum Andenken an den 100. Todestag von Nikolaus Nilles SJ. Nyíregyháza, 23.–24. November 2007. Edited by/a cura di/hrsg. v. Tamás Véghseö (= Collectanea Athanasiana 1), Nyíregyháza 2010, S. 15 – 35. 64. Nikolaus Nilles, az innsbrucki egyetemi tanár és papnevelö, in: Symbolae. Ways of Greek Catholic heritage research. Papers of the conference held on the 100th anniversary of the death of Nikolaus Nilles SJ/Vie della ricerca del patrimonio greco-cattolico. Atti del sim-
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posio in occasione del primo centenario della morte di Nikolaus Nilles SJ/Wege der Erforschung des griechisch-katholischen Erbes. Akten der Konferenz zum Andenken an den 100. Todestag von Nikolaus Nilles SJ. Nyíregyháza, 23.–24. November 2007. Edited by/a cura di/hrsg. v. Tamás Véghseö (= Collectanea Athanasiana 1), Nyíregyháza 2010, S. 35 – 52. 65. Islam und Christentum in Österreich und Europa. Kirchenrechtliche und religionsrechtliche Anmerkungen aus römisch-katholischer Perspektive, in: Daniela Kästle/Martina Kraml/Hamideh Mohagheghi (Hrsg.), Heilig – Tabu. Christen und Muslime wagen Begegnung (= Kommunikative Theologie 13), Ostfildern 2009, S. 55 – 65. 66. Reaktionen des Kirchenrechts auf das Böse, in: Christoph J. Amor/Gertraud Ladner (Hrsg.), Die Macht des Bösen. Vorträge der neunten Innsbrucker Theologischen Sommertage 2008 (= ThTr 18), Innsbruck 2009, S. 179 – 203. 67. Die Sicherung der Hirtensorge. Can. 517 § 2 CIC und die österreichischen diözesanen Rahmenordnungen, in: Johannes Panhofer/Sebastian Schneider (Hrsg.), Spuren in die Kirche von morgen. Erfahrungen mit Gemeindeleitung ohne Pfarrer vor Ort – Impulse für eine menschennahe Seelsorge (= Kommunikative Theologie 12), Ostfildern 2009, S. 156 – 174. 68. Ämter und Dienste. Kirchenrechtliche Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven, in: Walter Krieger/Balthasar Sieberer (Hrsg.), Ämter und Dienste. Entdeckungen – Spannungen – Veränderungen, Linz 2009, S. 189 – 228. 69. „Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen“ (Lk 8,3). Kirchenfinanzierung im europäischen Vergleich. Rechtsgrundlagen, Traditionen und Tendenzen, in: Hans Paarhammer/Gerlinde Katzinger (Hrsg.), Kirche und Staat im Horizont einer globalisierten Welt (= VIKZ 21), Frankfurt a. M. u. a. 2009, S. 67 – 117. 70. Mitverantwortung von Laien und Leitung einer Pfarrgemeinde. Kirchenrechtliche Anmerkungen in Zeiten eines akuten Priestermangels, in: Dominicus M. Meier/Peter Platen/Heinrich J. F. Reinhardt/Frank Sanders (Hrsg.), Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils in Theologie und Kirchenrecht heute. FS für Klaus Lüdicke zur Vollendung seines 65. Lebensjahres (= BzMK 55), Essen 2008, S. 505 – 537. 71. Sakramente und Kirchenrecht – Gelöste und ungelöste Fragen ihrer Spendung, in: Wilhelm Guggenberger/Nikolaus Wandinger (Hrsg.), Sakramente – Tote Riten oder Quelle der Kraft? Vorträge der achten Innsbrucker Theologischen Sommertage 2007 (= ThTr 17), Innsbruck 2008, S. 225 – 269. 72. Können nur Priester leiten? Kirchenrechtliche Anmerkungen zum Leitungsverständnis der römisch-katholischen Kirche, in: Johannes Panhofer/Matthias Scharer/Roman Siebenrock (Hrsg.), Erlöstes Leiten. Eine kommunikativ-theologische Intervention (= Kommunikative Theologie 8), Ostfildern 22008, S. 181 – 197. 73. Knappen, Klöster, Pfarre und Diözese. Kirchenrechtliche Problemfelder eines besonderen Beziehungsverhältnisses in Tirol vom 15. Jahrhundert bis heute, in: Wolfgang Ingenhaeff/ Johann Bair (Hrsg.), Bergbau und Religion. Schwazer Silber. 6. Internationaler Montanhistorischer Kongress Schwaz 2007. Tagungsband, Innsbruck/Wien 2008, S. 233 – 257. 74. „Übt an niemand Gewalt noch Erpressung und seid zufrieden mit eurem Sold“ (Lk 3,14). Militärseelsorge in Österreich mit einem Ausblick auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: Wilhelm Rees/Sabine Demel/Ludger Müller (Hrsg.), Im Dienst von Kir-
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Bibliographie Wilhelm Rees che und Wissenschaft. FS für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KStT 53), Berlin 2007, S. 831 – 891.
75. Religionsfreiheit als Grundlage freiheitlicher Demokratie. Anmerkungen zu einem neuen Gesetz in der Republik Slowenien, in: Borut Holcmann/Gernot Kocher (Hrsg.). Kirche und Staat. FS für Stanislav Ojnika zum 75. Geburtstag – Cerkev in Drzava, Zbornik ob 75-letnici rojstva Stanislava Ojnika, Maribor 2007, S. 241 – 265. 76. Beaufsichtigung und Finanzierung kirchlicher Privatschulen und die Existenz von gesetzlichen Interessenvertretungen an diesen Einrichtungen, in: Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Das kirchliche Privatschulwesen – historische, pastorale, rechtliche und ökonomische Aspekte (= WuR 16), Frankfurt a. M. u. a. 2007, S. 345 – 416. 77. Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Innsbruck, in: Dominik Burkard/ Wolfgang Weiß (Hrsg.), Katholische Theologie im Nationalsozialismus, Bd. 1/1: Institutionen und Strukturen, Würzburg 2007, S. 511 – 544. 78. Das Verhältnis von Staat und Kirche und die Bereiche Religionsunterricht, Kirchenfinanzierung und Eherecht aus theologisch-kirchenrechtlicher Sicht, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder, Wien/Münster 2007, S. 1 – 48. 79. Staat und Kirche in Österreich und Slowenien. Kirchliche Erwartungen – Entwicklungen – Zukunftsperspektiven, in: Dieter A. Binder/Klaus Lüdicke/Hans Paarhammer (Hrsg.), Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft, Innsbruck/Wien/Bozen 2006, S. 121 – 152. 80. Katholisch-Theologische Fakultäten und Studium der Katholischen Theologie in der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich, in: Anna Egler/Wilhelm Rees (Hrsg.), Dienst an Glaube und Recht. FS für Georg May zum 80. Geburtstag (= KStT 52), Berlin 2006, S. 723 – 789. 81. Der Diözesanbischof in kollegialer Verantwortung. Seine Mitwirkung im Bischofskollegium und in den Teilkirchenverbänden, in: Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Rechtskultur in der Diözese. Grundlagen und Perspektiven (= QD 219), Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 72 – 119. 82. Bischofsprofil. Kanonische Eignung und Bestellung, in: Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Rechtskultur in der Diözese. Grundlagen und Perspektiven (= QD 219), Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 120 – 162. 83. Krankensalbung, Buße und Firmung. Neure Fragestellungen und kirchenrechtliche Lösungen, in: Manfred Hauke/Michael Stickelbroek (Hrsg.), Donum Veritatis. Theologie im Dienst an der Kirche. FS zum 70. Geburtstag von Anton Ziegenaus, Regensburg 2006, S. 171 – 208. 84. Karl Rahner und das Kirchenrecht, in: Ulrich Kaiser/Ronny Raith/Peter Stockmann (Hrsg.), Salus animarum suprema lex. FS für Offizial Max Hopfner zum 70. Geburtstag (= AIC 38), Frankfurt a. M. u. a., 2006, S. 359 – 398. 85. Kirchenrecht – Wegweisung zur ewigen Glückseligkeit? Zur Bedeutung rechtlicher Normen für das Heil des Menschen und der Kirche, in: Thomas H. Böhm/Nikolaus Wandinger (Hrsg.), Wenn alles aus ist – Christliche Hoffnung angesichts von Tod und Weltende. Vor-
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träge der fünften Innsbrucker Theologischen Sommertag 2004 (= ThTr 14), Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 111 – 146. 86. Patronatsrechte im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche und zur Religionsfreiheit? Entwicklung und Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag (= KStT 48), Berlin 2004, S. 283 – 311. 87. Amt und Eucharistie. Anmerkungen aus katholisch-kirchenrechtlicher Sicht, in: Silvia Hell/Lothar Lies (Hrsg.), Amt und Eucharistiegemeinschaft. Ökumenische Perspektiven und Probleme, Innsbruck/Wien 2004, S. 45 – 96. 88. „Den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ – und den Menschen von heute? Schulkreuze, religiöse Übungen und Schulgebet in Geschichte und Gegenwart, in: Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Historische und rechtliche Aspekte des Religionsunterrichts (= WuR 8), Frankfurt a. M. u. a. 2004. S. 259 – 295. 89. Der Kirchenbegriff in katholischem und evangelischem Verständnis, in: Stefan Muckel (Hrsg.), Kirche und Religion im sozialen Rechtsstaat. FS für Wolfgang Rüfner zum 70. Geburtstag (= SKRA 42), Berlin 2003, S. 681 – 710. 90. Kirche, Kommunikation und (Neue) Medien. Kirchenrechtliche Grundlagen und Aspekte, in: Stefan Ihli/Andreas Weiß (Hrsg.), Flexibilitas Iuris Canonici. FS für Richard Puza zum 60. Geburtstag (= AIC 28), Frankfurt a. M. u. a. 2003, S. 261 – 287. 91. Religionsunterricht in österreichischen Schulen. Rechtliche Grundlagen und aktuelle Anfragen, in: Heinrich de Wall/Michael German (Hrsg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. FS für Christoph Link zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 387 – 407. 92. Unterschiedliche Strafen in der einen katholischen Kirche? Ein Vergleich zwischen CCEO und CIC, in: Hartmut Zapp/Andreas Weiß/Stefan Korta (Hrsg.), Ius Canonicum in Oriente et Occidente. FS für Carl Gerold Fürst (= AIC 25), Frankfurt a. M. u. a. 2003, S. 939 – 958. 93. Vom unbequemen Gott zur unbequemen Kirche. Bergpredigt contra Strafrecht?, in: Willibald Sandler/Nikolaus Wandinger (Hrsg.), Der unbequeme Gott. Vorträge der zweiten Innsbrucker Theologischen Sommertage 2001 (= ThTr 11), Thaur 2002, S. 135 – 159. 94. Päpstliche Legaten. Diplomaten und Berater, in: Ilona Riedel-Spangenberger, Leitungsstrukturen der katholischen Kirche. Kirchenrechtliche Grundlagen und Reformbedarf (= QD 198), Freiburg i. Br. 2002, S. 145 – 178. 95. Kirchenrecht und Eucharistiegemeinschaft. Kirchenrechtliche Vorgaben für ein ökumenisches Anliegen, in: Silvia Hell/Lothar Lies (Hrsg.), Taufe und Eucharistiegemeinschaft. Ökumenische Perspektiven und Probleme, Innsbruck 2002, S. 87 – 108. 96. Glaubensschutz durch Strafmaßnahmen und andere Rechtsinstitute. Zur neueren Entwicklung kirchlicher Bestimmungen, in: Winfried Aymans/Stephan Haering/Heribert Schmitz (Hrsg.), Iudicare inter fideles. FS für Karl-Theodor Geringer zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 2001, S. 367 – 390. 97. Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck. Kirchenrechtler und Selbstverständnis des Faches in Vergangenheit und Gegenwart, in: Konrad Breitsching/Wilhelm
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Bibliographie Wilhelm Rees Rees (Hrsg.), Tradition – Wegweisung in die Zukunft. FS für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag (= KStT 46), Berlin 2001, S. 317 – 341.
98. Theologische Fakultäten als gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Vorgaben für die Neuordnung des theologischen Studiums, in: Hans Paarhammer/Alfred Rinnerthaler (Hrsg.), Österreich und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Internationalen Forschungszentrums für Grundlagenforschungen der Wissenschaften Salzburg, N. F. 78), Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 443 – 469. 99. Taufe, Ökumene, Kirchenrecht. Von den Ansätzen des Zweiten Vatikanischen Konzils hin zu neueren Texten und Aussagen, in: Communio in Ecclesiae Mysterio. FS für Winfried Aymans zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 2001, S. 481 – 502. 100. Umwelt und Schöpfungsverantwortung. Zum Beitrag von Staat und Kirche, in: Clemens Breuer (Hrsg.), Ethik der Tugenden. Menschliche Grundhaltungen als unverzichtbarer Bestandteil moralischen Handelns. FS für Joachim Piegsa zum 70. Geburtstag (= Moraltheologische Studien – Systematische Abteilung 26), St. Ottilien 2000, S. 167 – 189. 101. Konkordate und Kirchenverträge als sachgerechte Form der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Kirchenrechtliche Anmerkungen in Blick auf die Europäische Union, in: Fritz Reichert-Facilides (Hrsg.), Recht und Europa 3. Ringvorlesung am Zentrum für Europäisches Recht, Wien 1999, S. 115 – 138. 102. Katholische Schule und Religionsunterricht als Verwirklichung von Religionsfreiheit. Kirchenrechtlicher Anspruch und staatliche Normierung, in: Wilhelm Rees (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. FS für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (= SKRA 33), Berlin 1999, S. 367 – 390. 103. Der Religionsunterricht, in: HdbKathKR2, S. 734 – 749. 104. Die einzelnen Straftaten, in: HdbKathKR2, S. 1138 – 1149. 105. Grundfragen des kirchlichen Strafrechts, in: HdbKathKR2, S. 1117 – 1125. 106. Straftat und Strafe, in: HdbKathKR2, S. 1125 – 1138. 107. Hat die Kirche ihr Strafrecht suspendiert? Anspruch und Wirklichkeit kirchlicher Strafen, in: Franz Breid (Hrsg.), Kirche und Recht. Referate der „Internationalen Theologischen Sommerakademie 1998“ des Linzer Priesterkreises in Aigen/M., Steyr 1998, S. 101 – 133. 108. Wer allen vorstehen will, soll von allen gewählt werden. Kirchenrechtliche Überlegungen zur Bischofsbestellung oder Bischofsbestellungen – gestern, heute und morgen, in: Katholische Aktion Österreichs/Sekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz (Hrsg.), Kirche zwischen Anspruch und Praxis, Wien 1998, S. 143 – 166. 109. Katholische Schule im Kontext religiöser Erziehung. Kirchliche Stimmungen und Erwartungen, in: Bischöfliches Kollegium und Gymnasium Johanneum Schloß Loburg (Hrsg.), Die Loburg. 50 Jahre Collegium Johanneum Ostbebern, Ostbebern 1998, S. 10 – 14. 110. Die Pfarrei als Ort der Seelsorge und die Möglichkeit der Teilhabe von Laien an der Gemeindeleitung. Rechtliche Grundlagen einer zukunftsorientierten Pastoral, in: Hans Paarhammer (Hrsg.), Deus Caritas. Jakob Mayr. Festgabe 25 Jahre Weihbischof von Salzburg, Innsbruck 1996, S. 393 – 406.
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111. Katholische Schulen – Notwendige oder überflüssige Wahrnehmung eines Grundrechts?, in: Katholisches Schulwerk in Bayern (Hrsg.), Schulen in katholischer freier Trägerschaft, München 1995, S. 1 – 22. 112. Die Bischofskonferenzen – Entwicklungen, Tendenzen, Kontroversen, in: Heinrich J. F. Reinhardt (Hrsg.), Theologia et Ius Canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres, Essen 1995, S. 325 – 338. 113. Bestrafung ohne Strafgesetz. Die strafrechtliche Generalklausel des c. 1399 des Codex Iuris Canonici, in: Winfried Aymans/Karl-Theodor Geringer unter Mitwirkung von Peter Krämer u. Ilona Riedel-Spangenberger (Hrsg.), Iuri Canonico Promovendo. FS für Heribert Schmitz zum 65. Geburtstag, Regensburg 1994, S. 373 – 394.
Zeitschriftenbeiträge 1.
Was ist und was sein soll – Zur Ahndung sexuellen Missbrauchs minderjähriger Personen im Recht der römisch-katholischen Kirche, in: ThQ 199 (2019), S. 138 – 207.
2.
Mit Martina Kraml/Zekirija Sejdini/Wolfgang Weirer, Editorial, in: Zukunftsperspektiven für den konfessionellen Religionsunterricht in Österreich, in: ÖRF 27 (2018), S. 5 – 8.
3.
Rechtliche Rahmenbedingungen für einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen Österreichs, in: ÖRF 27 (2018), S. 47 – 68.
4.
Strukturveränderungen in der Kirche. Am 13. März vor fünf Jahren wurde Kardinal Jorge Maria Bergoglio als Nachfolger auf den Stuhl Petri gewählt. Wie weit hat er seine radikalen Reformpläne umgesetzt? Was steht noch aus? Eine Zwischenbilanz, in: SKZ 186 (2018), S. 92 – 93.
5.
Reformen in der römisch-katholischen Kirche. Kirchenrechtliche Neuerungen und Visionen von Papst Franziskus, in: öarr 64 (2017), S. 410 – 427 (= FS für Herbert Kalb zum 60. Geburtstag).
6.
The Rights to Religious Freedom and Beliefs – Development, Legal Foundations, and Recent Trends in Austria, in: Ecumeny and Law 4 (2016), S. 181 – 219.
7.
Der Dienst von Priestern, Diakonen und Laien. Kanonistische Anmerkungen zum innerkirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht, in: öarr 63 (2016), S. 32 – 87.
8.
Kriterien für die Anwendung des Motu proprio Omnium in mentem in den deutschen und österreichischen Diözesen, in: DPM 21/22 (2014/2015), S. 255 – 295.
9.
„Keine Angst bei Neuevangelisierung aus sich heraus zu gehen“ (Papst Franziskus). Neuevangelisierung und schulischer Religionsunterricht, in: AfkKR 183 (2014), S. 387 – 440.
10. Die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums deuten. Kritische Anfragen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: ZKTh 136 (2014), S. 135 – 145. 11. Prof. P. Dr. Joseph Listl SJ (1929 – 2013), in: AfkKR 182 (2013), S. 498 – 507. 12. „Macht Euch die Erde untertan“ (Gen 1,28) – Zur Schöpfungsverantwortung der Römisch-katholischen Kirche aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: IThE 17 (2008 – 2013), S. 37 – 70.
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13. Partikularnormen der Österreichischen Bischofskonferenz und der Diözesen Österreichs. Ein Überblick über die Gesetzgebung des Jahres 2009, in: öarr 59 (2012), S. 405 – 445. 14. Zur Novellierung des kirchlichen Strafrechts im Blick auf sexuellen Missbrauch einer minderjährigen Person durch Kleriker und andere schwerwiegendere Straftaten gegen die Sitten. Gesamtkirchliches Recht und Maßnahmen einzelner Bischofskonferenzen, in: AfkKR 180 (2011), S. 466 – 513. 15. Zur Aktualität des kirchlichen Strafrechts. Sexuelle Übergriffe durch Kleriker, Kirchenaustritt und Priesterbruderschaft St. Pius X. – mit einem Blick auf den actus formalis, in: öarr 58 (2011), S. 156 – 191. 16. Partikularnormen der Österreichischen Bischofskonferenz und der Diözesen Österreichs. Überblick über die Gesetzgebung des Jahres 2008, in: öarr 57 (2010), S. 120 – 175. 17. Die römisch-katholische Kirche und das Böse. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Perspektive, in: FKTh 26 (2010), S. 24 – 49. 18. Amt – Seelsorge – Leitung. Kirchenrechtliche Standortbestimmung und Zukunftsperspektiven, in: AfkKR 178 (2009), S. 90 – 123. 19. Kanonistische und Europäische Aspekte von Religionsfreiheit (I), in: SKZ 42 (2009), S. 696 – 700. 20. Kanonistische und Europäische Aspekte von Religionsfreiheit (II), in: SKZ 43 (2009), S. 719 – 723. 21. Partikularnormen der Österreichischen Bischofskonferenz und der Diözesen Österreichs. Überblick über die Gesetzgebung des Jahres 2007, in: öarr 56 (2009), S. 117 – 175. 22. „Die Beurteilung der kirchenrechtlichen Folgen bezüglich Ehesakrament (Can. 1117) obliegt dem Diözesangericht.“ Kirchenbeitrag, Kirchenaustritt, Actus formalis und die diesbezüglichen Regelungen der Österreichischen Bischofskonferenz und der jeweiligen österreichischen Diözesanbischöfe, in: DPM 15/16 (2008/2009), S. 245 – 291. 23. Partikularnormen der Österreichischen Bischofskonferenz und der Diözesen Österreichs, Überblick über die Gesetzgebung des Jahres 2006, in: öarr 54 (2007), S. 478 – 522. 24. Das Fach Kirchenrecht und rechtliche Fragen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Ein Rückblick, in: ZKTh 129 (2007), S. 367 – 396. 25. Die Verantwortung des Diözesanbischofs für die Pfarrgemeinden, in: Der Auftrag 99 (2007), S. 4 – 6. 26. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland und Österreich im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils. Vortrag beim Dies academicus der Pontificia Universitas „Antonianum“ Facultas Iuris Canonici am 7. März 2005, in: Antonianum 81 (2006), S. 339 – 379. 27. Sexueller Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht, in: AfkKR 172 (2003), S. 392 – 426. 28. Scheidung und Wiederheirat und die (Un-)Möglichkeit einer liturgischen Feier. Anmerkungen aus kirchenrechtlicher Sicht, in: forum iuridicum 2 (2003), S. 189 – 207. 29. Communicatio in sacris und consortium totius vitae. Kirchenrechtliche Überlegungen im Blick auf die konfessionsverschiedene Ehe, in: DPM 7 (2000), S. 69 – 95.
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7.
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Ulrich Rhode, Kirchenrecht (= KStTh 24), Stuttgart 2015, in: ZKTh 139 (2017), S. 459 f.
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98. Stephan Haering/Josef Kandler/Raimund Sagmeister (Hrsg.), Gnade und Recht. Beiträge aus Ethik, Moraltheologie und Kirchenrecht. FS für Gerhard Holotik zur Vollendung des 60. Lebensjahres, Frankfurt a. M. u. a. 1999, in: DPM 8/2 (2001), S. 479 – 481. 99. Hugo Schwendenwein, Ius et Iustitia. Kirchenrechtliche und staatskirchenrechtliche Aufsätze (= FVKS 45), Freiburg/Schweiz 1996, in: öarr 47 (2000), S. 173 – 175. 100. Torbjorn Olsen, Die Natur des Militärordinariats. Eine geschichtlich-juridische Untersuchung im Blick auf die Apostolische Konstitution „Spirituali Militum Curae“ (= KStT 45), Berlin 1998, in: FKTh 16 (2000), S. 230 – 232. 101. Christian Huber, Papst Paul VI. und das Kirchenrecht (= BzMK 21), Essen 1999, in: FKTh 16 (2000), S. 229 – 230. 102. Karoline Kerber, Die vorübergehende Schutzgewährung in der Europäischen Union. Völkerrechtliche Grundlagen, innerstaatliches Recht und Harmonisierung unter besonderer Berücksichtigung der Harmonisierungsperspektiven, Leipzig 1998, in: DVBl 12/ 15. Juni 2000, S. 942 f. 103. Karl Doehring, Völkerrecht. Ein Lehrbuch (= C. F. Müller. Großes Lehrbuch), Heidelberg 1999, in: DVBl 6/15. März 2000, S. 437 f. 104. Gerald A. Kallenbach, Ein Kirchenamt im Dienst der Verkündigung. Die Rechtsstellung des Religionslehrers (= TG 42), Roma 2000, in: AfkKR 169 (2000), S. 652 – 654. 105. Peter Krämer/Sabine Demel/Libero Gerosa/Ludger Müller (Hrsg.), Universales und partikulares Recht in der Kirche. Konkurrierende oder integrierende Faktoren? Paderborn 1999, in: AfkKR 168 (1999), S. 604 – 606. 106. René Pahud de Mortanges (Hrsg.), Religiösen Minderheiten und Recht – Minorités religieuses et droit (FVRR 1), Fribourg 1998, in: ZKTh 121 (1999) S. 334 – 336. 107. Cesare Mirabelli/Giorgio Feliciani/Carl Gerold Fürst/Helmuth Pree (Hrsg.), Winfried Schulz in Memoriam. Schriften aus Kanonistik und Staatskirchenrecht, 2 Teile (AIC 8), Frankfurt a. M. u. a. 1999, in: ZKTh 121 (1999) S. 331 – 334. 108. Willibald Hermsdörfer, Geschichte und Gegenwartsgestalt des Verhältnisses von Staat und Kirche in Belgien (BzMK 19), Essen 1998, in: ZKTh 121 (1999) S. 329 – 331. 109. Gruppo Italiano Docenti di Diritto Canonico (Hrsg.), Le sanzioni nella Chiesa. XXIII Incontro di Studio Abbazia di Maguzzano – Lontato (Brescia) 1 luglio – 5 Iuglio 1996 (= QdM 5), Milano 1997, in: öarr 46 (1999), S. 333 – 335. 110. Martin Grichting, Kirche oder Kirchenwesen? Zur Problemantik von Kirche und Staat in der Schweiz, dargestellt am Beispiel des Kantons Zürich (= FVKS 47), Freiburg/Schweiz 1997, in: FKTh 15 (1999), S. 317 – 319. 111. Wolfgang Beinert/Konrad Feiereis/Hermann Josef Röhrig (Hrsg.), Unterwegs zum einen Glauben. FS für Lothar Ullrich zum 65. Geburtstag (= EThSt 74), Leipzig 1994, in: FKTh 15 (1999), S. 79 f. 112. Kirchliches Recht als Freiheitsordnung. Gedenkschrift für Hubert Müller (= FzK 27), Würzburg 1997, in: FKTh 15 (1999), S. 71 – 73. 113. Richard Puza/Andreas Weiß (Hrsg.), Justitia in caritate. Festgabe für Ernst Rößler zum 25jährigen-Dienstjubiläum als Offizial der Diözese Rottenburg-Stuttgart (= AIC 3), Frankfurt a. M. u. a. 1997, in: ZKTh 120 (1998), S. 355 – 357.
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114. Winfried Aymans/Klaus Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, 13. völlig neu bearbeitete Aufl., Bd. 2, Verfassungs- und Vereinigungsrecht, Paderborn 1997, in: ZKTh 120 (1998), S. 353 – 355. 115. Norbert Lüdecke, Die Grundnormen des katholischen Lehrrechts in den päpstlichen Gesetzbüchern und neueren Äußerungen in päpstlicher Autorität (= FzK 28), Würzburg 1997, in: ZKTh 120 (1998), S. 351 – 353. 116. Heinz Schütte, Ziel: Kirchengemeinschaft. Zur ökumenischen Orientierung, 5. Aufl., Paderborn 1997, in: DPM 6 (1998), S. 434 f. 117. Felix Bernard, Grundkurs Kirchenrecht (= KNA – Sonderdienst), Bonn 1997, in: DPM 5 (1998), S. 285 – 288. 118. Josef Kremsmair/Helmuth Pree (Hrsg.), Ars boni et aequi. Gesammelte Schriften von Bruno Primetshofer (= KStT 44), Berlin 1997, in: FKTh 14 (1998) S. 78 – 80. 119. Andrea D’Auria, L’Imputabilità nel diritto Penale Canonico (= TG 15), Roma 1997, in: AfkKR 166 (1997), S. 312 – 314. 120. Volker Drehsen/Hermann Häring/Karl-Josef Kuschel/Helge Siemers in Zusammenarbeit mit Manfred Baumotte (Hrsg.), Wörterbuch des Christentums. Sonderausgabe, München 1995, in: DPM 4 (1997), S. 404 f. 121. René Pahud de Mortanges (Hrsg.), Ökumene im Kirchenrecht? Grundlagen und Berührungspunkte evangelischen und katholischen Kirchenrechts. Mit Beiträgen von Dieter Kraus und Urs Cavelti, Freiburg/Schweiz 1996, in: ZkTh 119 (1997), S. 360. 122. Richard Puza/Abraham Peter Kustermann (Hrsg.), Synodalrecht und Synodalstrukturen. Konkretionen und Entwicklungen der „Synodalität“ in der katholischen Kirche (= FVKS 44), Freiburg/Schweiz 1966, in: ZkTh 119 (1997), S. 359 f. 123. Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. grundlegend neu bearbeitete Auflage, Bde. 1 u. 2, Berlin 1994/95, in: ZKTh 119 (1997), S. 357 – 359. 124. Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. 2. grundlegend neu bearbeitete Auflage, Bd. 2, Berlin 1995, in: FKTh 13 (1997), S. 234 f. 125. Reinhold Sebott, Ordensrecht. Kommentar zu den Kanones 573 – 746 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1995, in: FKTh 13 (1997), S. 75 f. 126. Gerhard Schmied/Wolfgang Wunden, Gotteslästerung? Umgang mit Blasphemien heute. Blasphemie in der modernen Gesellschaft zwischen Kunst und Kitsch, Satire und Entgleisung, Aggression und Verteidigung (= Mainzer Perspektiven: Orientierungen 3), Mainz 1996, in: AfkKR 165 (1996), S. 311 f. 127. Lorenz Wachinger, Geschiedene begleiten (= begleiten – beraten – heilen), Mainz 1995, in: DPM 3 (1996), S. 444 – 446. 128. Klaus Lüdicke, Der kirchliche Ehenichtigkeitsprozeß nach dem Codex Iuris Canonici von 1983. Normen und Kommentar (= BzMK 10), Essen 1994, in: FKTh 12 (1996), S. 303 f. 129. Elmar Güthoff, „Consensus“ und „consilium“ in c. 127 CIC/1983 und c. 934 CCEO. Eine kanonistische Untersuchung zur Normierung der Beispruchsrechte im Recht der Lateini-
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Bibliographie Wilhelm Rees schen Kirche und der Orientalischen Kirchen, 2. Aufl. (= FzK 18), Würzburg 1994, in: FKTh 12 (1996), S. 148.
130. Elfriede Glaubitz, Der christliche Laie. Vergleichende Untersuchung vom Zweiten Vatikanischen Konzil zur Bischofssynode (= FzK 20), Würzburg 1995, in: FKTh 12 (1996), S. 147 f. 131. Herwald Janssen, Die juridische Form der kanonischen Eheschließung (= Deutsche Hochschulschriften 473), Egelsbach/Köln/New York 1993, in: FKTh 11 (1995), S. 312 f. 132. Eugenio Corecco, Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. v. Libero Gerosa/Ludger Müller, Paderborn u. a. 1994, in: FKTh 11 (1995), S. 311 f. 133. Joseph Listl/Dietrich Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2., grundlegend neubearbeitete Aufl. Bd. 1, Berlin 1994, in: FKTh 11 (1995), S. 74 f. 134. Sabine Demel, Abtreibung zwischen Straffreiheit und Exkommunikation. Weltliches und kirchliches Strafrecht auf dem Prüfstand, Stuttgart/Berlin/Köln 1995, in: AfkKR 164 (1995), S. 647 – 650. 135. Hans D. Diekmann, Religion und Konfession. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts, Hildesheim/Berlin 1994, in: AfkKR 163 (1994), S. 290 – 293. 136. Ulrike Marga Dahl-Keller, Der Treueid der Bischöfe gegenüber dem Staat. Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige staatskirchenrechtliche Bedeutung (= SKRA 23), Berlin 1994, in: FKTh 10 (1994), S. 313 f. 137. Hans Heimerl/Helmuth Pree unter Mitwirkung von Bruno Primetshofer (Hrsg.), Handbuch des Vermögensrechts der katholischen Kirche unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsverhältnisse in Bayern und Österreich, Regensburg 1993, in: DVBl 109 (1994), S. 1163. 138. Gerald Göbel, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983 (= SKRA 21), Berlin 1993, in: FKTh 10 (1994), S. 232 f. 139. Reinhold Sebott, Fundamentalkanonistik. Grund und Grenzen des Kirchenrechts, Frankfurt a. M. 1993, in: FKTh 10 (1994), S. 230 – 232. 140. Susanne Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge. Möglichkeiten und Grenzen des Zusammenwirkens von Staat und Kirche im Strafvollzug (= SKRA 22), Berlin 1993, in: AfkKR 162 (1993), S. 670 – 672. 141. Reinhold Sebott, Das kirchliche Strafrecht. Kommentar zu den Kanones 1311 – 1399 des Codex Iuris Canonici, Frankfurt a. M. 1992, in: FKTh 9 (1993), S. 154 f. 142. Winfried Aymans/Anna Egler/Joseph Listl (Hrsg.), Fides et Ius. FS für Georg May zum 65. Geburtstag, Regensburg 1991, in: ZRG.K 79 (1993), S. 532 – 536. 143. Roland Scheulen, Das Amt des „Vicarius Episcopalis“. Ein kirchenrechtlicher Beitrag zur Ämterstruktur in der Partikularkirche (= FzK 11), Würzburg 1991, in: ZRG.K 79 (1993), S. 523 – 526. 144. Stephan Haering, Die Bayerische Benediktinerkongregation 1684 – 1803. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung der Verfassung eines benediktinischen Klösterverbandes unter Berücksichtigung rechtlicher Vorformen und rechtssprachlicher Begriffe (= Studien und
Bibliographie Wilhelm Rees
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Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Jg. 1989, Heft I/II), in: ZRG.K 79 (1993), S. 517 – 521. 145. Werner Kundert, Die Koajutoren der Bischöfe von Chur. Eine historische und juristische Studie zum Bischofswahlrecht im „letzten Reichsbistum“ (= Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht 13), Basel 1990, in: ZRG.K 79 (1993), S. 507 – 509. 146. Winfried Aymans/Anna Egler/Joseph Listl (Hrsg.), Fides et Ius, FS für Georg May zum 65. Geburtstag, Regensburg 1991, in: ThR (1992), S. 319 – 321. 147. Winfried Aymans/Anna Egler/Joseph Listl (Hrsg.), Fides et Ius, FS für Georg May zum 65. Geburtstag, Regensburg 1991, in: FKTh 2 (1992), S. 147. 148. René Pahud de Mortanges, Zwischen Vergebung und Vergeltung. Eine Analyse des kirchlichen Straf- und Disziplinarrechts (= Rechtsvergleichende Untersuchungen zur gesamten Strafrechtswissenschaft, 3. F., 23), Baden-Baden 1992, in: AfkKR 161 (1992), S. 649 – 652. 149. Hans-Ferdinand Angel, Naturwissenschaft und Technik im Religionsunterricht (= RSTh 37), Frankfurt a. M. u. a. 1988, in: AfkKR 159 (1990), S. 672 f. 150. Rudolf Morsey (Hrsg.), Katholizismus, Verfassungsstaat und Demokratie. Vom Vormärz bis 1933 (= Beiträge zur Katholizismusforschung, Reihe A: Quellentexte zur Geschichte des Katholizismus 1), Paderborn u. a. 1988, in: FKTh 5 (1989), S. 71 f. 151. Franz Haunschmidt, Das Arbeitsrechtsverhältnis der Laienmitarbeiter im Bereich der katholischen Kirche (= Dissertation der Johannes-Kepler-Universität Linz 82), Wien 1989, in: AfkKR 158 (1989), S. 659 – 661. 152. Norbert M. Borengässer/Friedrich Hainbuch (Hrsg.), Krankenpflege im Kriegsfall. Die Verhandlungen des deutschen Episkopats mit der Reichsregierung 1936 bis 1940 (= Beiträge zur Geschichte der Medizin und ihrer Nebengebiete 2), Bonn 1987, in: FKTh 4 (1988), S. 306.
Lexikonartikel Lexikon für Kirchen und Religionsrecht. Hrsg. v. Heribert Hallermann/Thomas Meckel/ Michael Droege/Heinrich de Wall, I. Bd., Paderborn 2019 = LKRR 1.
Absolutio complicis – Katholisch, in: LKRR I, S. 22 f.
2.
Amtsenthebung – Katholisch, in: LKRR I, S. 120 f.
3.
Apostasie – Katholisch, in: LKRR I, S. 186 f.
4.
Beugestrafe – Katholisch, in: LKRR I, S. 389 f.
5.
Blasphemie – Katholisch, in: LKRR I, S. 445.
6.
Brachium saeculare – Historisch, in: LKRR I, S. 456.
1296
Bibliographie Wilhelm Rees
Lexikon für Kirchen und Religionsrecht. Hrsg. v. Heribert Hallermann/Thomas Meckel/ Michael Droege/Heinrich de Wall, II. Bd., Paderborn 2019 = LKRR 1.
Fälschungsdelikt – Katholisch, in: LKRR II, S. 10.
2.
Gesetzesfähigkeit – Katholisch, in: LKRR II, S. 308 f.
3.
Gesetzesverpflichtung – Katholisch, in: LKRR II, S. 324 f.
4.
Gesetzesvollzug – Katholisch, in: LKRR II, S. 325.
5.
Häresie – Katholisch, in: LKRR II, S. 492 – 494.
6.
Infamie – Historisch, in: LKRR II, S. 599 f.
7.
Interdikt – Katholisch, in: LKRR II, S. 624 f.
8.
Kanon – Historisch, in: LKRR II, S. 722 – 724.
9.
Kasuistik – Historisch, in: LKRR II, S. 751.
10. Kirchenstrafe – Katholisch, in: LKRR II, S. 892 – 894. 11. Klerikerstrafen – Katholisch, in: LKRR II, S. 948. 12. Konkubinat – Katholisch, in: LKRKR II, S. 1035 f. 13. Konzilsappellation – Katholisch, in: LKRR II, S. 1069 f. 14. Körperverletzung – Katholisch, in: LKRR II, S. 1079 f.
Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft. 8. Auflage. Hrsg. v. Heinrich Oberreuter, 5 Bde., Freiburg i. Br. 2019 f. 1.
Kirche und Europa. II. Kanonistische Perspektive, in: Staatslexikon III, Sp. 719 – 721.
100 Begriffe des Ordensrechts. Hrsg. v. Dominicus M. Meier/Elisabeth Kandler-Mayer/ Josef Kandler, St. Ottilien 2015 1.
Außerordentliche Verwaltung, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 76 – 81.
2.
Baulast, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 85 – 93.
3.
Betreuungsverfügung/Patientenverfügung, b) Österreich, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 122 – 127.
4.
Einreise eigener, ausländischer Ordensangehöriger, b) Österreich, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 157 – 162.
5.
Ordinariatsklausel, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 356 – 359.
6.
Romgrenze, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 428 – 432.
7.
Stammvermögen, in: 100 Begriffe aus dem Ordensrecht, S. 441 – 449.
Bibliographie Wilhelm Rees
Lexikon des Kirchenrechts. Hrsg. v. Stephan Haering/Heribert Schmitz (= Lexikon für Theologie und Kirche kompakt), Freiburg/Basel/Wien 2004 = LKR 1.
Apostolischer Vikar bzw. Präfekt, in: LKR, Sp. 60.
2.
Aschenbrenner, Beda, in: LKR, Sp. 1042.
3.
Brachium saeculare, in: LKR, Sp. 133 f.
4.
Disziplinarrecht, kirchliches Disziplinarrecht, in: LKR, Sp. 207.
5.
Erziehung, Erziehungsrecht, religiöse Erziehung, in: LKR, Sp. 266 – 268.
6.
Exkommunikation, in: LKR, Sp. 277 f.
7.
Gemeindeleitung, in: LKR, Sp. 322 f.
8.
Index (I.) der verbotenen Bücher, in: LKR, Sp. 404 – 406.
9.
Interdikt, in: LKR, Sp. 420 f.
10. Islam, in: LKR, Sp. 431 f. 11. Kirche und Europa, in: LKR, Sp. 489 f. 12. Kirchenzucht, in: LKR, Sp. 553 f. 13. Konfinierung, in: LKR, Sp. 579. 14. Leisching, Peter, in: LKR, Sp. 1114. 15. Religionsdelikte, in: LKR, Sp. 833 – 835. 16. Religionsunterricht, in: LKR, Sp. 842 f. 17. Sakrileg, in: LKR, Sp. 873 f. 18. Schule, in: LKR, Sp. 884 f. 19. Sollizitation, in: LKR, Sp. 900 f. 20. Verbrechen, in: LKR, Sp. 972 f. 21. Wilhelm v. Drogheda, in: LKR, Sp. 1172.
Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht. Hrsg. v. Axel Frhr. v. Campenhausen/Ilona Riedel-Spangenberger/ Reinhold Sebott, 3 Bde., Paderborn u. a. 2000 – 2004 = LKStKR 1.
Absolutio complicis, in: LKStKR I, S. 12 – 13.
2.
Bekenntnisschule, in: LKStKR I, S. 231 – 233.
3.
Beugestrafe, in: LKStKR I, S. 247 – 248.
4.
Brachium saeculare, in: LKStKR I, S. 299 – 300.
5.
Cavagnis, Felix, in: LKStKR I, S. 333 – 334.
6.
Ehre, in: LKStKR I, S. 568 – 570.
1297
1298
Bibliographie Wilhelm Rees
7.
Fälschungsdelikt, in: LKStKR I, S. 680.
8.
Gesetzesfähigkeit, in: LKStKR II, S. 108 – 109.
9.
Gesetzesverpflichtung, in: LKStKR II, S. 115.
10. Gesetzesvollzug, in: LKStKR II, S. 115. 11. Häresie; in: LKStKR II, S. 211 – 212. 12. Imputation, in: LKStKR II, S. 281. 13. Infamie, in: LKStKR II, S. 283. 14. Interdikt, in: LKStKR II, 309. 15. Johannes Soglia, in: LKStKR II, S. 346. 16. Jugendkatechese, in: LKStKR II, S. 353 – 354. 17. Kanon, in: LKStKR II, S. 366 – 368. 18. Kasuistik, in: LKStKR II, S. 388. 19. Kinderkatechese, in: LKStKR II, S. 413. 20. Kirchenabfall, in: LKStKR II, S. 462. 21. Konzilsappelation, in: LKStKR II, S. 646. 22. Nuntiatur, in: LKStKR III, S. 48 – 49. 23. Nuntius, in: LKStKR III, S. 49 – 51. 24. Prokurator, in: LKStKR III, S. 303. 25. Realinjurie, in: LKStKR III, S. 332 – 333. 26. Religionslehrerinnen u. -lehrer, katholisch in: LKStKR III, S. 414 – 415. 27. Religionsunterricht, katholisch, in: LKStKR III, S. 421 – 423. 28. Schisma, in: LKStKR III, S. 507 – 508 29. Schismatiker, in: LKStKR III, S. 508 – 510. 30. Schulgebet, katholisch, in: LKStKR III, S. 524 – 525. 31. Simonie, in: LKStKR III, S. 551 – 552. 32. Sperre, in: LKStKR III, S. 578 – 579. 33. Spruchstrafe, in: LKStKR III, S. 581. 34. Strafbefehl, in: LKStKR III, S. 618. 35. Strafbindung, in: LKStKR III, S. 619. 36. Straferlass in: LKStKR III, S. 622. 37. Straftat, in: LKStKR III, S. 626. 38. Strafverhängung, in: LKStKR III, S. 627 – 628. 39. Strafverschärfung, in: LKStKR III, S. 628 – 629. 40. Verwarnung, in: LKStKR III, S. 831.
Bibliographie Wilhelm Rees 41. Zensur, in: LKStKR III, S. 901 – 903. 42. Zwangsaufenthalt, in: LKStKR III, S. 916.
Religion in Geschichte und Gegenwart. 4. Aufl. Hrsg. v. Hans Dieter Betz/Don S. Browning/ Bernd Janowski/Eberhard Jüngel, 8 Bde., Tübingen 1998 – 2005 + 1 Reg.-Bd., Tübingen 2007 = RGG 1.
Abiuratio, in: RGG I, Sp. 65
2.
Aequitas canonica, in: RGG I, Sp. 133.
3.
Affiliierte, in: RGG I, Sp. 135.
4.
Anathema, in: RGG I, Sp. 457.
5.
Antistes, in: RGG I, Sp. 574.
6.
Approbation, in: RGG I, Sp. 657.
7.
Audientia episcopalis, in: RGG I, Sp. 911.
8.
Auxiliarbischof, in: RGG I, Sp. 1020.
9.
Bination, in: RGG I, Sp. 1599.
10. Bischof, in: RGG I, Sp. 1618 – 1621. 11. Delegation, in: RGG II, Sp. 641 f. 12. Devolutionsrecht, in: RGG II, Sp. 775. 13. Entweihung, in: RGG II, Sp. 1335. 14. Exemtion, in: RGG II, Sp. 1805. 15. Exklaustration, in: RGG II, Sp. 1818. 16. Exspektanzen, in: RGG II, Sp. 1840 f. 17. Gemeinde. VIII. Kirchenrechtlich, in: RGG III, Sp. 616. 18. Generalabsolution, in: RGG III, Sp. 661. 19. Häresie: IV. Kirchenrechtlich, in: RGG III, Sp. 1451. 20. Hauptkirchen, kirchenrechtlich: I. Katholische H in: RGG III, Sp. 1473. 21. Indult, in: RGG IV, Sp. 120. 22. Inkardination, in: RGG IV, Sp. 139. 23. Kirchenprovinz/Kirchenregion, in: RGG IV (2001), Sp. 1268. 24. Kirchenrektor, in: RGG IV, Sp. 1294. 25. Kirchenstrafen, in: RGG IV, Sp. 1302. 26. Klausur, in: RGG IV, Sp. 1408. 27. Konstitutionen, in: RGG IV, Sp. 1638. 28. Konsultation, in: RGG IV, Sp. 1640.
1299
1300
Bibliographie Wilhelm Rees
29. Konsultorenkollegium, in: RGG IV, Sp. 1640. 30. Kumulation, in: RGG IV, Sp. 1857. 31. Legaten, in: RGG V, Sp. 175. 32. Lehrverpflichtung/Lehrfreiheit: II. katholisch, in: RGG V, Sp. 214. 33. Liturgisches Recht: I. katholisch, in: RGG V, Sp. 214. 34. Mensa/Mensal- oder Tafelgut, in: RGG V, Sp. 1045. 35. Mission: II. Christentum, 7. Rechtlich, a) katholisch, in: RGG V, Sp. 1291. 36. Nuntien, in: RGG VI, Sp. 435. 37. Ordinariat, in: RGG VI, Sp. 617. 38. Ordinarius, in: RGG VI, Sp. 617. 39. Pfarradministrator, in: RGG VI, Sp. 1189. 40. Provision, in: RGG VI, Sp. 1749 – 1750. 41. Quinquenalfakultäten, in: RGG VI, Sp. 1870. 42. Reservation, in: RGG VII, Sp. 455 f. 43. Scharnagl, Anton, in: RGG VII, Sp. 868. 44. Suffragan. Suffraganbistum, in: RGG VII, Sp. 1841. 45. Taxen, in: RGG VIII, Sp. 99. 46. Tonsur/Tonsura (Corona) clericalis, in: RGG VIII, Sp. 474 f. 47. Wahlrecht, kirchliches, in: RGG VIII, Sp. 1240 f. 48. Zelebret, in: RGG VIII, Sp. 1830.
Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Aufl. Hrsg. v. Walter Kasper u. a., 11 Bde. Freiburg u. a. 1993 – 2001 = LThK 1.
Apostolischer Vikar bzw. Präfekt, in: LThK I, Sp. 878
2.
Aschenbrenner, Beda, in: LThK I, Sp. 1058
3.
Brachium saeculare, in: LThK II, Sp. 625
4.
Disziplinarrecht, kirchliches, in: LThK III, Sp. 273.
5.
Exkommunikation, in: LThK III, Sp. 1119 f.
6.
Index librorum prohibitorum, II. Kirchenrechtlich, in: LThK V, Sp. 446 – 448
7.
Interdikt, in: LThK V, Sp. 556 f.
8.
Kirchenzucht, in: LThK VI, Sp. 82 – 84.
9.
Konfinierung, in: LThK VI, Sp. 241.
10. Religionsdelikte, in: LThK VIII, Sp. 1044 f.
Bibliographie Wilhelm Rees
1301
11. Sakrileg, III. Kirchenrechtlich, in: LThK VIII, Sp. 1464 12. Sollizitation, in: LThK IX, Sp. 713. 13. Verbrechen, II. Rechtlich und kirchenrechtlich, in: LThK X, Sp. 608. 14. Wilhelm v. Drogheda, in: LThK X, Sp. 1177.
Lexikon des Mittelalters. Hrsg. von Norbert Angermann u. a., München. 1980 – 1998 = LexMA 1.
Schuld. II. Kanonisches Recht, in: LexMA VII, Sp. 1577 f.
2.
Sexualdelikte, in: LexMA VII, Sp. 1811 f.
3.
Strafe, Strafrecht, in: LexMA VIII, Sp. 196 f.
4.
Verbrechen, B. Kanonisches Recht, in: LexMA VIII, Sp. 1491 f.
5.
Zensur, in: LexMA IX, Sp. 533 f.
Herausgebertätigkeit Reihe 1.
Gemeinsam mit Anna Egler u. Christoph Ohly: Kanonistische Studien und Texte, Berlin 2000 ff.
Einzelwerke 1.
Gemeinsam mit Johann Bair: Fundamentalismus (= Conference Series: Religion und Staat im Brennpunkt 4), Innsbruck 2019.
2.
Gemeinsam mit Ludger Müller/Christoph Ohly/Stephan Haering: Religiöse Vielfalt. Herausforderungen für das Recht (= KStT 69), Berlin 2019.
3.
Gemeinsam mit Johann Bair: Staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften in Österreich (= Conference Series: Religion und Staat im Brennpunkt 3), Innsbruck 2018.
4.
Gemeinsam mit Martina Kraml/Zekirija Sejdini/Wolfgang Weirer: Zukunftsperspektiven für den konfessionellen Religionsunterricht in Österreich (= ÖRF 27 [2018]).
5.
Gemeinsam mit Joachim Schmiedl: Die Erinnerung an die Synoden. Ereignis und Deutung – im Interview nachgefragt (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 4), Freiburg/Basel/Wien 2017.
6.
Gemeinsam mit Johann Bair: Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im ökumenischen und interreligiösen Dialog (= Conference Series: Religion und Staat im Brennpunkt 2), Innsbruck 2017.
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Bibliographie Wilhelm Rees
7.
Gemeinsam mit Anna Egler: Georg May, Schriften zu Staat und Kirche. Ausgewählte Aufsätze (= KStT 66), Berlin 2017.
8.
Gemeinsam mit Christoph Ohly/Libero Gerosa: Theologia Iuris Canonici. FS für Ludger Müller zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KStT 67), Berlin 2017.
9.
Gemeinsam mit Ludger Müller: Synodale Prozesse in der römisch-katholischen Kirche (= Edited volume series), Innsbruck 2016.
10. Gemeinsam mit Johann Bair: Anerkannte Religionsgemeinschaften in Österreich und ihre Erwartungen an das Staat-Kirche-Verhältnis (= Conference Series: Religion und Staat im Brennpunkt 1), Innsbruck 2016. 11. Gemeinsam mit Elmar Güthoff/Stephan Haering: Ius quia iustum. FS für Helmuth Pree zum 65. Geburtstag (= KStT 65), Berlin 2015. 12. Gemeinsam mit Stephan Haering/Heribert Schmitz: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl., Regensburg 2015. 13. Gemeinsam mit Anna Egler: Schriften zur Rechtsgeschichte. Ausgewählte Aufsätze von Georg May (= KStT 64), Berlin 2014. 14. Gemeinsam mit Ludger Müller: Geist – Kirche – Recht. FS für Libero Gerosa zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KStT 62), Berlin 2014. 15. Gemeinsam mit Ludger Müller/Martin Krutzler: Vermögen der Kirche – Vermögende Kirche? Beiträge zur Kirchenfinanzierung und kirchlichen Vermögensverwaltung, Paderborn 2014. 16. Gemeinsam mit Joachim Schmiedl: Unverbindliche Beratung oder kollegiale Steuerung? Kirchenrechtliche Überlegungen zu synodalen Vorgängen (= Europas Synoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil 2), Freiburg/Basel/Wien 2014. 17. Ökumene. Kirchenrechtliche Aspekte (= KRB 13), Wien/Berlin 2014. 18. Gemeinsam mit María Roca/Balázs Schanda: Neuere Entwicklungen im Religionsrecht europäischer Staaten (= KStT 61), Berlin 2013. 19. Gemeinsam mit Stephan Haering/Johann Hirnsperger/Gerlinde Katzinger: In mandatis meditari. FS für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (= KStT 58), Berlin 2012. 20. Gemeinsam mit Sabine Demel/Ludger Müller: Im Dienst von Kirche und Wissenschaft. FS für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres (= KStT 53), Berlin 2007. 21. Katholische Kirche im neuen Europa. Religionsunterricht, Finanzierung und Ehe in kirchlichem und staatlichem Recht – mit einem Ausblick auf zwei afrikanische Länder (= Austria: Forschung und Wissenschaft – Theologie 2), Wien/Münster 2007. 22. Gemeinsam mit Anna Egler: Dienst an Glaube und Recht. FS für Georg May zum 80. Geburtstag (= KStT 52), Berlin 2006. 23. Gemeinsam mit Konrad Breitsching: Recht – Bürge der Freiheit. FS für Johannes Mühlsteiger SJ zum 80. Geburtstag (= KStT 51), Berlin 2006. 24. Recht in Kirche und Staat. Joseph Listl zum 75. Geburtstag (= KStT 48), Berlin 2004. 25. Gemeinsam mit Anna Egler: Georg May, Schriften zum Kirchenrecht. Ausgewählte Aufsätze (= KStT 47), Berlin 2003.
Bibliographie Wilhelm Rees
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26. Gemeinsam mit Konrad Breitsching: Tradition – Wegweisung in die Zukunft. FS für Johannes Mühlsteiger SJ zum 75. Geburtstag (= KStT 46), Berlin 2001. 27. Gemeinsam mit Wolfgang Rüfner/Josef Isensee: Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. FS für Joseph Listl zum 70. Geburtstag (= SKRA 33), Berlin 1999. 28. Gemeinsam mit Wolfgang Rüfner/Josef Isensee: Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht von Joseph Listl (= SKRA 25), Berlin 1996.
Zeitungsbeiträge 1.
„Visionen sollten geltendes Recht werden“, in: Die Furche 48, 30. November 2017, S. 4 f.
2.
Das Konkordat: Was steht eigentlich drin?, in: Tiroler Sonntag. Kirchenzeitung der Diözese Innsbruck, 22. Mai 2011, Nr. 20, S. 6 f.
3.
Islam und Christentum müssten beide an einem Strang ziehen, in: Diözese Innsbruck/Erzdiözese Salzburg (Hrsg.), Moment. Kirche und Gesellschaft – Themen der Zeit. Sonderbeilage der Tiroler Tageszeitung Nr. 64, Jänner 2010, S. 1.
4.
Offen gesagt: neue Strafmaßnahmen. Könnte der Papst den Lefebvre-Bischof Williamson wieder exkommunizieren?, in: Sonntagsblatt für Steiermark, Nr. 7, 15. Februar 2009, S. 2.
5.
Die Suche nach geeigneten Bischofskandidaten: Kriterien und Wege – Wie wird wer Bischof?, in: Kirchenzeitung Diözese Linz, Nr. 9, 26. Februar 2009, S. 10; Tiroler Sonntag. Kirchenzeitung der Diözese Innsbruck, 1. März 2009, S. 6; Kirchenblatt Vorarlberg, Nr. 9, 1. März 2009, S. 10.
6.
Pfarrer will weiter mit Frau leben. Zölibatsverletzung. Neues Gespräch zwischen Josef Friedl und Bischof ohne Erfolg, in: Die Presse, Mittwoch, 22. April 2009, S. 10.
7.
Kirchenrecht im Wandel. Der Fachvertreter und seine Projekte an unserer Fakultät, in: Baustelle Theologie (= Fakultätszeitung der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck), 10. Jg., Innsbruck 2007, S. 6.
Leseraum der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck 1.
Hundert Tage – Chance, in die Tiefe zu gehen, Bewährtes zu bewahren und Veränderungen herbeizuführen. Sponsionen und Promotionen am 13. Juli 2013 (22. 07. 2013), unter: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/1013.html.
2.
Scheitern: kirchenrechtliche Annäherung (15. 05. 2013), unter: http://www.uibk.ac.at/ theol/leseraum/pdf/dies2013-rees.pdf.
3.
Das österreichische Konkordat (25. 06. 2011): Was steht eigentlich drin?, unter: http:// www.uibk.ac.at/theol/leseraum/autoren/3448.
4.
Laizismus im Vordringen? – Islam und Christentum müssten beide an einem Strang ziehen (17. 02. 2010), unter: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/853.html.
5.
Ist mit der Aufhebung der Exkommunikation die Spaltung überwunden? (03. 02. 2009), unter: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/795.html.
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Bibliographie Wilhelm Rees
6.
Möglichkeiten kooperativer Seelsorge aus kanonistischer Perspektive – Pastoral ohne Pastor? (27. 11. 2008), unter: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/784.html.
7.
Interview „konfessionsverschiedene Ehe“ (18. 08. 2008), unter: http://www.uibk.ac.at/ theol/leseraum/texte/767.html.
8.
Scheidung und Wiederheirat und die (Un-)Möglichkeit einer liturgischen Feier (19. 12. 2002), unter: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/artikel/322.html.
9.
Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Innsbruck. Kirchenrechtler und Selbstverständnis des Faches in Vergangenheit und Gegenwart (18. 11. 2002), unter: http://www. uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/297.html.
10. Gemeinsam mit Konrad Breitsching, Apostolischer Stuhl und Friedensmission. Seine Verantwortung als Völkerrechtssubjekt (30. 3. 2002), unter: http://www.uibk.ac.at/theol/lese raum/texte/163.html.
Autorenverzeichnis Althaus, Rüdiger, Dr. theol. habil., Lic. iur. can., Professor des Kirchenrechts an der Theologischen Fakultät Paderborn, Lehrbeauftragter am Institut für Kanonisches Recht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Domkapitular, Vizeoffizial. Avsenik Nabergoj, Irena, Dr. Dr., Professorin an der Theologischen Fakultät der Universität Ljubljana, Slowenien, Redakteurin des Slowenischen Biographischen Lexikons für den Bereich der Religion und Theologie, Leiterin des Forschungsprogramms zu den jüdisch-christlichen Quellen und Dimensionen der Gerechtigkeit. Bair, Johann, Mag. Dr. iur., Ass.-Professor, Institut für Römisches Recht und Rechtsgeschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Benz, Michael, Lic. iur. can., Leiter der Abteilung Kirchenrecht im Erzbischöflichen Ordinariat München, nebenamtlich tätig als Anwalt im Kirchenrecht, München. Berkmann, Burkhard Josef, Dr. theol. habil., Dr. iur., Lic. iur. can., Mag., Professor für Kirchenrecht, insbesondere für Theologische Grundlegung des Kirchenrechts, allgemeine Normen und Verfassungsrecht sowie für orientalisches Kirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bernard, Felix, Dr. theol., Leiter des Katholischen Büros Niedersachsen, Honorarprofessor für Kirchenrecht an der Universität Osnabrück, Diözesanrichter am Interdiözesanen Offizialat für das Erzbistum Hamburg und das Bistum Osnabrück. Breitsching, Konrad, Dr. theol., Ass.-Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Edenharter, Andrea, Dr. iur. habil., Professorin für Verwaltungsrecht, insb. Wirtschaftsverwaltungsrecht sowie Allgemeine Staatslehre an die Fernuniversität Hagen. Eicholt, Bernd, Dr. iur., Verwaltungsbeamter, Köln. Eisenring, Gabriela, Dr. iur. can, Lic. iur. habil., Professorin für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät Lugano, Schweiz, Gastprofessorin an der Fakultät für Kanonisches Recht der Päpstlichen Universität Santa Croce, Rom. Engelhardt, Hanns, Dr. iur., Richter am Bundesgerichtshof a. D., Karlsruhe. Ernesti, Jörg, Dr. Dr., Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Frisch, Michael, Dr. iur., Oberkirchenrat, Stuttgart. Grabenwarter, Christoph, Dr. iur., Dr. rer. soc. oec., Univ.-Professor für Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Völkerrecht am Institut für Europarecht und internationales Recht, Wirtschaftsuniversität Wien, Vizepräsident des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, Präsident des österreichischen Juristentages, Mitglied der Venedig-Kommission des Europarates, Mitveranstalter der Seggauer Gespräche, Wien.
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Autorenverzeichnis
Graßmann, Andreas E., Dr. theol., Lic. iur. can., Universitätsassistent, Organisationsentwickler & Gemeindeberater, Salzburg. Grichting, Martin, Dr. iur. can. habil., Delegierter des Apostolischen Administrators des Bistums Chur (Ständiger Vertreter). Güthoff, Elmar, Dr. iur. can., Dr. theol., Professor für Kirchenrecht, insbesondere für Ehe-, Prozess- und Strafrecht sowie Staatskirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Häberle, Lothar, Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirt, stv. Direktor des Lindenthal-Instituts in Köln, Generalsekretär der Lindenthal-Stiftung, Köln. Haering, Stephan Bernhard, OSB, Dr. theol., Dr. iur. can. habil., M. A., Professor für Kirchenrecht, insbesondere Verwaltungsrecht sowie kirchliche Rechtsgeschichte am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München, Richter am Erzbischöflichen Konsistorium und Metropolitangericht München und am Kirchlichen Arbeitsgerichtshof Bonn, Berater der Kommission II (Ökumene) der Deutschen Bischofskonferenz, Dekan der Historischen Sektion der Bayerischen Benediktinerakademie. Hahn, Judith, Dr. theol. habil., Lic. iur. can., Professorin für Kirchenrecht an der Ruhr-Universität Bochum, ehrenamtliche Richterin mit der Befähigung zum kirchlichen Richteramt am Kirchlichen Arbeitsgerichtshof in Bonn, ehrenamtliche Ehebandverteidigerin am Bischöflichen Offizialat Münster. Hallermann, Heribert, Prof. Dr. theol. habil., em. Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Julius-Maximilians-Universität, Würzburg. Hammer, Felix, Dr. iur., Justitiar der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Kanzler der Diözesankurie, apl. Prof. an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen, Rottenburg/Tübingen. Hartmann, Richard, Dr. theol. habil., Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Fakultät Fulda, Lehrbeauftragter für den Ständigen Diakonat, Vorsitzender der Fuldaer Tafel e. V. Hense, Ansgar, Dr. iur., apl. Professor an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, Fachbereich Rechtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Direktor des Instituts für Staatskirchenrecht des Diözesen Deutschlands, Bonn. Henseler, Rudolf, CSsR, Dr. iur. can., Professor em. für Kirchenrecht an der PhilosophischTheologischen Hochschule SVD Sankt Augustin (1980 – 2017). Hierold, Alfred E., Dr. iur. can., em. Professor für Kirchenrecht an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Rektor a. D., Mitglied des Verwaltungsrates des Jurisdiktionsbezirks des Kath. Militärbischofs. Hillgruber, Christian, Dr. iur., Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Kirchenrecht an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen. Hirnsperger, Johann, Mag., Dr. theol., o. Univ.-Professor für Kirchenrecht, Katholisch-Theologische Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz. Hörting, Gerhard Klaus, Mag., Dr. iur. can., Offizial und Stellvertreter des Generalvikars der Diözese Graz-Seckau.
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Ihli, Stefan, Dr. theol. habil., J. C. L., Ehebandverteidiger am Bischöflichen Offizialat Rottenburg, Verantwortlicher des Sachgebiets Rechtsdokumentation am Bischöflichen Ordinariat Rottenburg, Geschäftsführer des Kirchlichen Arbeitsgerichts Rottenburg und der Einigungsstelle am Bischöflichen Ordinariat Rottenburg, Privatdozent an der Professur für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Rottenburg am Neckar. Kalb, Herbert, Dr. phil., Dr. iur., Univ.-Professor und Vorstand des Instituts für Kanonistik, Europäische Rechtsgeschichte und Religionsrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes-Kepler-Universität Linz. Kämper, Burkhard, Dr. iur., Justitiar und stellvertretender Leiter des Katholischen Büros Nordrhein-Westfalen, Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Düsseldorf/Bochum. Kandler-Mayr, Elisabeth Anna, Dr. iur., Lic. iur. can., Ordinariatskanzler der Erzdiözese Salzburg, Richterin am Diözesan- und Metropolitangericht Salzburg, Datenschutzreferentin der Erzdiözese Salzburg. Katzinger, Gerlinde, MMag. Dr. theol., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Religionspädagogische Bildung der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein, Religionslehrerin, Salzburg Kiss, Gábor, Dr. iur. can., Lic. theol., Richter im Erzbischöflichen Offizialat Kalocsa-Kecskemét (Ungarn), Präsident der Abteilung für Theologie des Landesvereins der PhD-Studenten, Promovend in Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Kowatsch, Andreas, Dr. iur., Dr. theol., Lic. iur. can., LL. M., Professor für Kirchenrecht und Religionsrecht, Priester der Diözese Graz-Seckau, Universität Wien. Loretan, Adrian, Dr. iur. can., Lic. theol., Univ.-Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern, Rechtsberatungen für Kirchen und Religionsgemeinschaften, für staatskirchenrechtliche Körperschaften und für staatliche Institutionen. Lüdicke, Klaus, Dr. iur. can, Lic. theol., Ass. iur., em. Univ.-Professor für Kirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte, Diözesanrichter, Münster. Lumma, Liborius Olaf, Dr. theol., Privatdozent, Universitätsassistent am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie der Universität Innsbruck (Fachbereich Liturgiewissenschaft), Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich und der Ökumenekommission der katholischen Bischofskonferenz Österreichs, Leiter des universitären Forschungszentrums „Synagoge und Kirchen“, Innsbruck. Manten, Georg, Dr. iur., LL. M. (Georgetown), Referent für Kultusangelegenheiten und Staatskirchenrecht im Hessischen Kultusministerium, Berater der Kommission für Erziehung und Schule der Deutschen Bischofskonferenz, Wiesbaden. May, Georg, Dr. theol., Lic. iur. can., em. ordentlicher Universitätsprofessor für Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz. Meckel, Thomas, Dr. theol. habil., Lic. iur. can., M. A., Professor für Kirchenrecht, Religionsrecht und kirchliche Rechtsgeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule
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Autorenverzeichnis
Sankt Georgen in Frankfurt am Main, Diözesanrichter im Bistum Limburg, Ehebandverteidiger im Bistum Würzburg. Mitterhofer, Michael, Dr. iur. can., Mag. Theol., Leiter des Verwaltungsamtes am Bischöflichen Ordinariat, Diözese Bozen-Brixen, Professor für Katholisches Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen. Moling, Markus, Dr. phil., Regens am Priesterseminar Brixen und Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen. Muckel, Stefan, Dr. iur., Dr. h. c., Univ.-Professor für öffentliches Recht und Religionsrecht, Institut für Religionsrecht, Universität zu Köln. Mückl, Stefan, Dr. iur., Dr. iur. can., Professor für Staatskirchenrecht und Verkündigungsrecht an der Fakultät für Kanonisches Recht der Päpstlichen Universität Santa Croce, Rom. Müller, Ludger, Dr. theol., Dr. iur. can. habil., M. A., Univ.-Professor (i. R.) für Kirchenrecht an der Katholischen-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Hochschul-Professor für Kirchenrecht an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz, Diakon der Diözese St. Pölten, Konsultor des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Diözesanrichter in St. Pölten. Neˇ mec, Damián, OP, Dr. theol. habil., Dozent an der Theologischen Kyrill und Method-Fakultät der Palacky´-Universität in Olomouc (Olmütz), Tschechien, Leiter des Lehrstuhles für Kirchengeschichte und Kirchenrecht, Spezialisation Kirchenrecht und Staatskirchenrecht. Ohly, Christoph, Dr. theol. habil., Lic. iur. can., Professor für Kirchenrecht und Kommissarischer Rektor an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) – St. Augustin (vormals: Philosophisch-Theologische Hochschule SVD St. Augustin), Gastprofessor an der Kanonistischen Fakultät der Universität San Dámaso in Madrid, Kirchlicher Anwalt am Bischöflichen Offizialat Trier, Priester der Erzdiözese Köln. Olsen, Torbjørn, Dr. iur. can., Dipl. theol., Cand. theol. (evangelisch-lutherische Theologie, Oslo), Pfarrer, Bischöflicher Vikar (Militärseelsorge; Übersetzung liturgischer Bücher), Fachmitarbeiter der Bischofskonferenz in Kanonistischen Fragen, Hønefoss und Oslo. Ötker, Martin, Lic. iur. can., Lic. theol., Dipl. theol., Ehebandverteidiger am Bischöflichen Diözesangericht Chur und St. Gallen. Otto, Martin, Dr. iur., Akademischer Rat a. Z. an der Fakultät Rechtswissenschaften der Fernuniversität Hagen, Habilitand an der Universität Bayreuth, Hagen. Pastwa, Andrzej, Dr. iur. can. habil., Leiter des Lehrstuhls für Kanonisches Recht und Ökumenische Theologie, Theologische Fakultät, Schlesische Universität in Katowice. Platen, Peter, Dr. theol., Lic. iur. can., apl. Professor für Kirchenrecht am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster, Ltd. Rechtsdirektor i. K., Leiter der Abteilung Kirchliches Recht in der Zentralstelle des Bischöflichen Ordinariates Limburg, Diözesanrichter am Bischöflichen Offizialat Limburg, Beisitzender Richter (Dienstgeberseite) des Kirchlichen Arbeitsgerichts erster Instanz für die Bistümer Limburg, Mainz, Speyer und Trier. Pree, Helmuth, Dr. iur., Dr. iur. can., Mag. Theol., Professor für Kirchenrecht i. R. (bis 30. 09. 2015) Inhaber des Lehrstuhls für Kanonisches Recht, insbeondere für Theologische Grundlegung, Allgemeine Normen, Kirchliches Verfassungsrecht und Orientalisches Kirchenrecht am Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik der Ludwig-Maximilians-Universität München,
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Konsultor des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte, Diözesanrichter (Bistum Passau und Bistum Augsburg). Pulte, Matthias, Dr. phil. habil., Lic. iur. can., Dipl. theol., Univ.-Professor für Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht sowie Vorstand des Zentrums für interdisziplinäre Studien zu Religion und Recht (ZiRR) an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; Gastprofessor an der Canon Law Faculty der KU Leuven (BE); Gastprofessor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule SVD St. Augustin; Diözesanrichter in Köln und Mainz, Diakon des Erzbistums Köln. Rauch, Matthias, Mag., Dr. theol., Vizekanzler im Bischöflichen Ordinariat der Diözese GrazSeckau, Graz. Rehak, Martin, Dr. iur. can. habil., Dipl. theol., Ass. iur., Univ.-Professor für Kirchenrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Diözesanrichter in Würzburg und Beisitzender Richter am Interdiözesanen Datenschutzgericht, Würzburg. Rhode, Ulrich, SJ, Dr. iur. can., Professor für Kirchenrecht, Pontificia Università Gregoriana, Rom. Rinnerthaler, Alfred, Dr. iur., ao. Univ.-Professor i. R., Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Universität Salzburg. Roca, María J., Dr. iur., Dr. iur. can., Professorin für Verfassungsrecht an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universidad Complutense, Konsultorin des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, Beraterin der Bischofskommission für rechtliche Angelegenheiten der Spanischen Bischofskonferenz, Madrid. Schanda, Balázs, Univ.-Professor und Verfassungsrichter, Katholische Péter-Pázmány-Universität, Budapest. Schima, Stefan, MMag., Dr. iur., MAS, a. o. Univ.-Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Institut für Rechtsphilosophie. Schmiedl, Joachim, Dr. theol. habil., Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar, Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentags (2017 – 2020). Schöch, Nikolaus, OFM, Dr. iur. can., Dr. theol. habil., Ehebandverteidiger (Defensor vinculi) am Höchstgericht der Apostolischen Signatur, Professor für Ehe- und Prozessrecht an der Päpstlichen Universität Antonianum, Rom. Schüller, Thomas, Dr. theol., Lic. iur. can., Professor für Kirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte und Direktor des Instituts für kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schulten, Markus, Dr. iur., Juristischer Referent, Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands. Schwarz, Karl W., Dr. theol. habil., Dr. phil. h. c., Ministerialrat im Kultusamt der Republik Österreich (1998 – 2018), Professor für Kirchenrecht an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Gastprofessor an der Comenius-Universität Bratislava. Tripp, Harald, Militärerzdekan, Lic. iur. can., Dr. theol., LL. M., Ordinariatskanzler im Militärordinariat der Republik Österreich, Diözesanrichter am Bischöflichen Gurker Diözesange-
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Autorenverzeichnis
richt in Klagenfurt, Militärpfarrer beim Militärkommando Wien und Leiter des International Operations Chaplain Service im Österreichischen Bundesheer, Wien. Uhle, Arnd, Dr. iur., Professor für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie an der Juristenfakultät der Universität Leipzig sowie geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für „Recht und Politik“, Richter des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen. Walser, Markus, Dr. iur. can., Lic. theol., B.A. phil., Generalvikar des Erzbistums Vaduz, Gerichtsvikar (Offizial) des Erzbistums Vaduz, Diözesanrichter des Bistums Chur, Dozent für Kirchenrecht an der Theologischen Hochschule Chur, Anwalt in kirchlichen Strafverfahren, Prälat, Vaduz. Weiß, Andreas, Dr. iur. can., Dr. theol. habil., DEA (Strasbourg), Diakon, Professor für Kirchenrecht und Kirchliche Rechtsgeschichte an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Vorsitzender Richter am Bischöflichen Offizialat Rottenburg, Mitglied des Disziplinargerichts der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Kirchenanwalt am Bischöflichen Offizialat Eichstätt. Zeller, Klaus, Mag. theol., Dr. iur. can., LL. M., Anwalt/Prokurator an kirchlichen Gerichten, Wien.