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German Pages 1556 [1560] Year 1977
UM RECHT UND FREIHEIT Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte Erster Halbband
Um Recht und Freiheit Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte zur Vollendung des 70. Lebensjahres
dargebracht von Freunden, Schülern und Kollegen
herausgegeben von Heinrich Kipp, Franz Mayer, Armin Steinkamm
DUNCKER &
HUMBLOT I
BERLIN
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1977 Duncker & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1977 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03862 2
INHALT DES ERSTEN HALBBANDES
Geleitwort
IX
Erster Teil Völkerrecht, Ausländisches Öffentliches Remt Internationales Privatrecht
1
Rainer Arnold Probleme der Fakultativklausel in der Internationalen Gerichtsbarkeit
3
Rudolf L. Bindschedler Die völkerrechtliche Regelung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte ..............................................................
21
Horst Blomeyer-Bartenstein Die Vorbehaltsrechte des Generalgouverneurs von Australien ......
33
Dieter Blumenwitz Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975
47
Giacinto Bosco Diritto delle genti e diritto internazionale ..........................
85
Georg Brunner Ursprünge der sowjetischen Verwaltungsrechtspflege .............. 103 Giorgio Cansacchi di Amelia Les vehicules spatiaux et le droit international .................... 123 Karl Doehring Verfassungsrecht und Völkerrecht als Friedensordnungen .......... 133 Felix Ermacora Geiselbefreiung als humanitäre Intervention im Lichte der UN-Charta 147
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Inhalt des Ersten Halbbandes
Ernst-Werner Fuß Zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über die Gemeinschaftshaftung für rechtswidrige Verordnungen .................... 173 Franz Gamillscheg Betriebliche Vertretungswahlen in den Vereinigten Staaten .......... 191 Walther Habscheid Der deutsche Richter und der Europäische Gerichtshof .............. 205 Hugo Hahn Der Atlantische Festlandssockel der Vereinigten Staaten und das Amerikanische Verfassungsrecht ........................................ 223 Edvard Hambro The antarctic treaty after fifteen years ............................ 243 Heinrich Kipp Pax et securitas oder pax et iustitia im Völkerrecht ................ 253 Hans Klecatsky und Norbert Wimmer Verwaltungsreform in Südtirol .................................... 279 Boris Meissner Der Krieg in sowjetischer Sicht .................................... 295 Friedrich Merzbacher Kirchenrecht und Völkerrecht ...................................... 315 Herbert Miehsler The European Convention for the peaceful settlement of disputes .. 335 Fritz Münch Vertrag und Gesetz: Einige aktuelle und historische Randbemerkungen ................................................................ 363 Kar! H. Neumayer über den Schutz bedrängter Sprachminderheiten .................. 395 Daniel O'Connell A Cause Celebre in the Law of Maritime NeutraIity: Hague Convention No. XIII ...................................................... 437
Inhalt des Ersten Halbbandes
VII
Thomas Oppermann Parlamentarisierung der Europäischen Gemeinschaft? .............. 449
Paul de Geouffre de la Pradelle Les perspectives d'avenir du droit humanitaire .................... 461
Albrecht Randelzhofer Flächenbombardement und Völkerrecht ............................ 471
Hermann Raschhofer Die deutsche Reparationsregelung und die Reparationsposition der Tschechoslowakei .................................................. 495 Ulrich Scheuner Die Haltung dritter Staaten im Bürgerkrieg ...................... 515 Rudolf Schiedermair Das Einheits-übereinkommen über Suchtstoffe -
Single Convention 535
Dietrich Schindler Der "Kriegszustand" im Völkerrecht der Gegenwart .............. 555
Ludwig Schnorr von Carolsfeld Der Adressat der Vorschriften des Normengrenzrechts, entwickelt aus dessen Wesen ...................................................... 577 Ignaz Seidl-Hohenveldern Der Begriff der Neutralität in den bewaffneten Konflikten der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 593 Bruno Simma Zum Rücktrittsrecht wegen Vertragsverletzung nach der Wiener Konvention von 1969 .............................................. 615 Istvan Szaszy The concept and the various forms of the legal Rule, of the legal Relationship and of the Subject at Law in the domain of Private International Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. 631
VIII
Inhalt des Ersten Halbbandes
Camilo Barcia Trelles U.S.A.: DeI Aislacionismo al Globalismo .......................... 655 Theodor Veiter Die neuere Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts der Völker .. 675 Alfred Verdross Die völkerrechtliche und politische Souveränität der Staaten ........ 703 Stephan Verosta Die Völkerrechtswidrigkeit der Annexion Kurhessens (1866) und die Denkschrift des Kurfürsten gegen Preußen (1868) .................. 711 Wilhelm Wengier Die Geltung von Kollektivverträgen im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und DDR ............................................ 727 B. A. Wortley Some Jurisprudential Reflections 'on Human Rights and Self-Defence 751 Karl Zemanek Neutralität und Außenhandel ..................................... : 759
GELEITWORT Wenn sich die Herausgeber mit zahlreichen Persönlichkeiten des Inund Auslandes als Mitarbeiter zusammengefunden haben, um Friedrich August von der Heydte aus Anlaß der Vollendung seines siebzigsten Lebensjahres diese Festschrift darzubringen, so gilt diese Ehrung selbstverständlich zunächst dem liebenswürdigen Menschen, dem hochgeschätzten Kollegen, dem verehrten Lehrer, dem treuen Freund. In unlöslicher Verbindung mit dem Menschen von der Heydte aber soll hier der Gelehrte, der forschend und lehrend in zahllosen Veröffentlichungen Bedeutsames und Wegweisendes zur modernen Rechtslehre beigetragen hat, gewürdigt werden. Drei Hauptgebieten des Rechts galt und gilt insbesondere das Interesse des Jubilars. Zum ersten ging es ihm darum, nach einer Zeit, in der das Recht in furchtbarer Weise zum Unrecht pervertiert worden war, in bedeutsamen rechtsphilosophischen Untersuchungen den Weg zur Erkenntnis von überpositiven Grundlagen des Rechts wieder aufzudekken, d. h. darauf hinzuweisen, daß ohne transpositive Begründung das positive Recht stets in der Gefahr steht zu entarten. Zum zweiten wandte er seine Aufmerksamkeit dem modernen Verfassungs- und Staatsrecht zu, ohne allerdings die historischen Grundlagen außer acht zu lassen. Zum dritten hat er das Völkerrecht in überaus grundlegenden Abhandlungen erforscht und Wesentliches zur Fortentwicklung gewisser Zweige dieser Rechtsordnung beigetragen. Wenn schon der junge Gelehrte sich früh Gedanken über den Verpflichtungsgrund des Völkerrechts gemacht hat 1, so erweist dieser Umstand das große Interesse, das Friedrich August von der Heydte in rechtsphilosophischer Fragestellung der Grundlegung des Rechts zugewandt hat und in späteren Zeiten stets gewahrt hat. Aus dem Verzeichnis seiner Schriften ist zu ersehen, daß immer wieder die Begriffe Naturrecht, überstaatliches Recht, Menschenrechte, Grundrechte, Freiheit, Ordnung, Widerstand erscheinen, mit deren Problematik sich der Jubilar intensiv beschäftigte. Seine besondere Aufmerksamkeit galt in diesem Zusammenhang der Wiedergeburt des Naturrechtsgedankens nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit Sorgfalt hat er die verschiedenen naturrechlichen Strömungen dieser Zeit beobachtet, mag es sich um 1
Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 11, 1931, S. 52 ff.
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die Renaissance der auf peripatetisch-scholastischer Grundlage entwikkelten katholischen Naturrechtslehre handeln, mag es die naturrechtliche Richtung sein, die auf einer protestantischen Rechtstheologie gründet, oder mögen es die Lehren sein, die im Neukantianismus, Neuhegelianismus, in der Phänomenologie und in der Existenzphilosophie wurzeln. Er selbst hat auf dem Boden eines christlichen Existentialismus eingehend dargetan, daß nach seiner Überzeugung alles Recht in einem vom göttlichen Schöpfer der Natur ausgehenden Naturrecht gründet, und daß diese Rechtsordnung aus dem Wesen der Schöpfung für die menschliche Vernunft erkennbar ist, wenngleich er nicht verkennt, daß der richtigen Erkenntnis auch große Schwierigkeiten entgegenstehen. Er sieht - die scholastische Antithese von Form und Materie aufgreifend - daß dieses Naturrecht und das positive Recht in der Einheit des Rechts unlösbar verbunden sind, und zwar so, daß das Naturrecht nicht etwa neben dem positiven Recht steht, sondern in ihm, analog dem Verhältnis von Seele und Körper. Verdeutlicht wird dieses wesenhafte Erscheinen des Naturrechts im positiven Recht am Völkerrecht und am Staatsrecht. Für das Völkerrecht erweist sich dem Jubilar dieses Erscheinen vor allem in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen als dem Inbegriff der Normen, die mit dem Begriff des Rechts schlechthin gegeben sind und die ein Minimum an sittlichen Werten darstellen. Auf sie weist auch das positive Völkerrecht im Statut des Internationalen Gerichtshofes ausdrücklich als Entstehungsquelle des Völkerrechts hin. Auch der das ganze Völkerrecht durchziehende Gedanke der bona fides, ohne dessen Geltung das Gebäude des positiven Völkerrechts zusammenbrechen würde, wie auch der Satz pacta sunt servanda werden zu diesen Grundlagen für das positive Völkerrecht gerechnet, ohne deren Geltung ein geordneter Verkehr der Staaten unmöglich würde. Die Erkenntnis, daß der rechtsphilosophische Positivismus, der nur im Staat die letzte Quelle des Rechts sieht, durch die totalitären Systeme ad absurdum geführt worden ist, hat nach dem Jubilar dazu geführt, daß die Frage nach den Grenzen des Staates und seiner staatlichen Befehls- und Zwangsgewalt erneut gestellt wurde. Mit Recht hebt er hervor, daß nach einer Wiederbesinnung auf die transpositiven Grundlagen des Rechts in neu gegebenen Verfassungen der Gedanke von unbedingt zu schützenden, aus der Würde des Menschen erkennbaren und daher im übergesetzlichen Recht wurzelnden Grundrechten aufscheint. Das Problem der verfassungswidrigen weil im Widerspruch zu solchen überpositiven mit der Verfassung unlösbar verbundenen Normen stehend - Verfassungsnorm steht ihm im Zusammenhang der Fragestellung nach dem Verhältnis von positivem und transpositivem Recht. Auch das Widerstandsrecht gegen eine ungerechte Staatsgewalt zeigt ihm das natur rechtliche Element besonders
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deutlich, insbesondere dann, wenn das positive Verfassungs recht ein Notstandsrecht nicht ausdrücklich enthält. Das Ausnahmerecht im Notfall ist ihm in jeder Rechtsordnung mitgegeben. Es enthält allerdings auch die Grenzen des Notrechts, die nicht überschritten werden rlürfen 2 • Mit dem letzterwähnten Problemkreis ist schon das zweite Hauptgebiet des Rechts gestreift, mit dem sich Friedrich August von der Heydte intensiv beschäftigt hat: Das Verfassungs- und Staatsrecht. Sein überall nach den Grundlagen suchender Geist hat sich hier nicht damit begnügt, das geltende Recht darzustellen und zu analysieren. Er hat versucht - ein Tun, das dem Menschen als einem in der Geschichte existierenden Wesen entspricht - den ursächlichen Zusammenhängen des modernen Rechts in und mit der Geschichte nachzuspüren. Aus diesem Bestreben heraus ist sein bedeutsames als Habilitationsschrift eingereichtes Werk "Die Geburtsstunde des souveränen Staates" als "Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts, der allgemeinen Staatslehre und des politischen Denkens" entstanden3 • Seine Deutung, daß die Idee des modernen souveränen Staates im gewaltigen geistigen Umbruch des ausgehenden 13. und 14. Jahrhunderts, als in den folgereichen Geisteskämpfen des mittelalterlichen Universalienstreites sich die Waage vom Realismus zum Nominalismus neigte, als in Konsequenz sich der neuzeitliche Individualismus gegen den mittelalterlichen Universalismus durchzusetzen begann, in einer offensichtlich dialektischen Spannung zur alten Reichsidee entstand, dürfte erwägenswert sein und bleiben. Die Kritik, die von der "reinen" Geschichtswissenschaft insbesondere gegen gewisse Einzelheiten sicherlich auch berechtigt vorgetragen wurde, scheint dem geisteswissenschaftlichen Gesamtkonzept des Werkes mehr oder weniger verständnislos gegenübergestanden zu haben. Aus der Fülle wesentlicher Äußerungen des Jubilars zum Verfassungsrecht sei vor allem auf die Gedanken hingewiesen, die er in seiner Mainzer Antrittsvorlesung zur Frage des "stillen Verfassungswandels" ausgeführt hat4, in denen er diesen Begriff als eine Möglichkeit der Verfassungsentwicklung neben formaler Verfassungsänderung und Verfassungsbruch in die Staatstheorie eingeführt hat. In gedanklichem Zusammenhang mit Art. 79 Abs. 3 GG, der ja gewisse Änderungen des Grundgesetzes für unzulässig erklärt, gibt er zu erwägen, ob man mit dieser Bestimmung nicht einem Wunschtraum folge. Unter Hinweis 2 Vom Wesen des Naturrechts, in Archiv f. Rechts- und Sozialphilosophie, 43. Jahrg. 1957, S. 211 ff.; ferner die zusammenfassende Darstellung im Artikel Naturrecht, im Staatslexikon der Görresgesellschaft, 6. Aufl. 1960. 3 Die Geburtsstunde des souveränen Staates, Regensburg, 1952. 4 Stiller Verfassungswandel und Verfassungsinteroretation. in Archiv f. Rechts- und Sozialphilosophie, Bd. 39, S. 469 ff.
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auf die Auffassung von Erich Kaufmann, wonach Inhalt und Grenze eines innerstaatlichen Rechtsinstituts sich nur durch die Eigenart der Verhältnisse bestimmen lassen, in die dieses Institut hineingestellt sei, gibt der Jubilar zu bedenken, daß die c1ausula rebus sic stantibus als Rechtsgrundsatz zwingenden Rechts ohne weitere Positivierung unmittelbar geltendes Recht sei, solle nicht aus dem summum ius summa iniuria werden können. Das gelte auch für das Rechtsgesetz der Verfassung. Neben förmlicher Verfassungsänderung und revolutionärem Umbruch sei der stille Verfassungswandel ein dritter Weg, auf dem sich die c1ausula Wirkung verschaffe, indem ohne Änderung des Verfassungswortlauts sich der Sinn einer Verfassungsnorm wesentlich verändern könne. Als bedeutsames Beispiel aus der deutschen Verfassungsgeschichte wird auf den Art. 48 Weimarer Verfassung hingewiesen, der durch unklare und dehnbare Formulierung den seinerzeitigen verhängnisvollen Verfassungswandel durch Uminterpretierung ermöglicht habe, eine Neuauslegung, die in Sinnänderung des Artikels die stufenförmige Ordnung der Verfassung geändert habe. Auch die Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika wird als klassischer Fall möglichen stillen Verfassungswandels durch Interpretation herausgestellt. Die extensive Auslegung, insbesondere durch den Supreme Court, habe es ermöglicht, die kürzeste und deshalb klügste moderne Verfassung durch 170 Jahre hindurch jung zu erhalten. Für das GG glaubte der Verfasser auf ein still sich wandelndes Verhältnis des Art. 118 GG (Neugliederung des Bundesgebietes im Südwestraum) zu den Artikeln 29 GG (Allgemeine Neugliederung des Bundesgebietes) und 20 hinweisen zu können, eine Wandlung, deren Ursachen unter anderem auch darin zu finden seien, daß der föderalistische Gedanke schon damals an Boden verloren habe. Als bedeutsame Träger der Aufgabe der Interpretation im Rahmen des stillen Verfassungswandels werden in erster Linie die Verfassungsgerichte, aber auch die Politiker und die Rechtswissenschaft herausgestellt. Eine besondere Problematik, die sich aus der politischen Entwicklung nach 1945 ergab, war mit der Rechtslage Deutschlands gegeben. Der Jubilar hat ihr in mehrfachen Abhandlungen seine volle Aufmerksamkeit gewidmet und versucht, in einer überraschenden, aber durchaus einleuchtenden These die verworrene Situation, wie sie vor Abschluß der Ostverträge bestand, einer rechtlichen Klärung zuzuführena• Er war von der Auffassung ausgegangen, daß sich innerhalb des fortbestehenden deutschen Gesamtstaates als gleichsam eines gesamtdeutschen Daches, d. h. einer zwar rechts-, aber nicht handlungsfähigen Gesamt ordnung, zwei Teilordnungen, eben Bundesrepublik Deutschland 5 Vgl. insbes.: Die Entwicklung der deutschen Rechtslage, in JIR, Bd. XI, 1962 (Festschrift für Laun), S. 137 ff.
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und Deutsche Demokratische Republik gebildet hatten, wobei allerdings bedeutsame Unterschiede zwischen diesen beiden Ordnungen nicht übersehen werden dürfen. Während die Bundesrepublik Deutschland als souverän gewordener Staat sowohl Verfassungs autonomie wie Völkerrechtsunmittelbarkeit besitze, könne man dies von der Deutschen Demokratischen Republik nicht sagen. Die Deutsche Demokratische Republik stehe in bezug auf ihre innere Selbstbestimmung wie auf ihre Unabhängigkeit nach außen in einem Satellitenverhältnis zu einem Weltstaat. Prototyp für einen solchen Satellitenstaat sei der Sekundogeniturstaat des Absolutismus, dessen Selbständigkeit nach Innen und Außen durch die Primogenitur beschränkt sei. An die Stelle der Primogenitur trete im modernen Satellitenverhältnis in den durch dieses Verhältnis verbundenen Staaten des Einparteien- oder Parteienblocksystems die herrschende Partei des mächtigsten Staates, die das Handeln der gleichgeordneten Parteien der Satellitenstaaten bestimme, damit aber auch das Verhalten der von diesen Parteien beherrschten Staaten. Die Stellung der Deutschen Demokratischen Republik unterscheide sich dann noch von der rechtlichen Situation der übrigen Satellitenstaaten des Ostblocks dadurch, daß letztere als schon bestehende souveräne Staaten in das Satellitenverhältnis abgeglitten seien. Die Deutsche Demokratische Republik sei hingegen als Satellitenstaat gleichsam geboren worden. Sie habe nur als solcher Existenz. Der Hinweis, daß Berlin als die in vier Sektoren aufgeteilte und besetzte Stadt gleichsam auf kleinstem Raum noch einen gewissen Fortbestand der nach Kriegsende fortexistierenden deutschen Gesamtstaatlichkeit darstellt, dürfte auch noch heute gültig sein. Wie für den Bereich des Staatsrechts kann auch für den des Völkerrechts aus einer großen Fülle, für die das Literaturverzeichnis Zeugnis ist, nur auf einige der bedeutsamen Beiträge des Jubilars hingewiesen werden. Daß der engagierte Soldat von der Heydte sich insbesondere auch intensiv mit Problemen des Kriegsvölkerrechts befaßt hat, mit einer Materie also, mit der er in stärkster Berührung mit der Praxis stand, erscheint nicht verwunderlich. Als ordentliches Mitglied des Institut de Droit International hat er initiierend und entscheidend an der Edinburgher Resolution vom September 1969 mitgewirkt, mit der das Institut versucht hat, auf dem Hintergrund der Entwicklung atomarer, bakterieller und chemischer Massenvernichtungswaffen eine Begrenzung des Wettrüstens auf diesen Gebieten anzuregen, indem es eine Einschränkung des Begriffs der militärischen Objekte vorschlug. Gleichzeitig ist der Versuch gemacht worden, zum Schutze der von der modernen Kriegführung schwerst betroffenen Zivilbevölkerung die sogenannten nichtmilitärischen Objekte nicht nur im Sinn dieses Begriffes Ilegativ zu umschreiben, sondern diese Objekte inhaltlich posi-
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tiv zu definieren, sie damit als von allem Militärischen positiv ausgeschieden zu deklarieren. Beachtung der Normen des Kriegsvölkerrechts und Humanisierung des Krieges sind die Ziele, denen der Jubilar gerade auch im Rahmen des Institut zu dienen sich bemüht hat 6 • Die die Kriegführung revolutionierende moderne Waffentechnik, die den Soldaten gezwungen hat, auf dem Gefechtsfeld Deckung gegen Sicht wie gegen die immer stärkere Waffenwirkung zu suchen, hat für einen besonderen Teil des Kriegsstandes, für den irregulären, aber nicht notwendig illegitimen Kombattanten eine rechtliche Problematik geschaffen, der sich insbesondere der Jubilar zugewandt hat, damit gleichzeitig die Rechtslage im modernen Kleinkrieg kennzeichnend 7 • Auf die besonderen Bedingungen hinweisend, die das Völkerrecht hinsichtlich der Legitimität des Freischärlers, des Partisanen, fordert, vertritt er zu Recht den Standpunkt, daß der Partisan rechtlich nicht schlechter gestellt sein dürfe als der normale Kriegsstand. Er versucht daher, die rechtlichen Anforderungen für die Legitimität des Freischärlers - insbesondere aus der Ferne erkennbares Abzeichen, offene Führung der Waffen, verantwortliche Führungsspitze - so zu interpretieren, daß eine rechtliche Diskriminierung des Partisanen ausgeschlossen wird. Der dem normalen Soldaten zustehende rechtliche Schutz soll auch dem irregulären, aber legitimen Kombattanten zustehen. Bei der wachsenden Bedeutung, die dem Kleinkrieg - bei möglichster Vermeidung des umfassenden Groß kriegs durch die Weltmächte wegen der Wirkung der modernen Vernichtungswaffen - zukommt, ist das Verdienst des Jubilars, sich diesem Problemkreis wohl als erster gewidmet zu haben, besonders herauszustellen. Es erstaunt nicht, daß der Jubilar im Anschluß an diese erste Studie dem modernen Kleinkrieg ein umfassendes Werk gewidmet hat, das allerdings weit über die völkerrechtliche Problematik hinaus geht und dieses moderne Instrument der Gewaltanwendung nach den verschiedensten Richtungen untersucht, sei es in rechtlicher, insbesondere auch in wehrwissenschaftlicher Blickrichtung8 • Neben diesen speziellen Fragestellungen des Kriegsrechts hat der Jubilar keineswegs andere vernachlässigt. Schon in seinem 1958 und 1960 herausgegebenen doppelbändigen Lehrbuch des Völkerrechts gilt der letzte Teil des zweiten Bandes einer grundlegenden Darstellung des gesamten Kriegsrechts. Immer wieder greift er aber Probleme heraus, 6 Die Auswirkungen der Resolution des Institut de Droit International im Bereich des Kriegsrechts auf die Fortentwicklung des Kriegsvölkerrechts, in Justitia et Pace, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Institut de Droit International, Berlin, 1974, S. 31 ff. 7 Die Rechtsstellung des Partisanen, in Festschrift für Ulrich Stock, Würzburg, 1966, S. 253 ff. 8 Der Moderne Kleinkrieg, Würzburg, 1972.
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die mit der Entwicklung der modernen Kriegstechnik sich auf dem Gebiet des Völkerrechts ergeben, so etwa Rechtsfragen der atomaren Kriegführung oder des Atomversuchsstopps 9. Seine rastlos den Grundlagen allen Rechts zugewandte Forschungstätigkeit läßt ihn auch die Fragestellung "Naturrecht und modernes Kriegsrecht" überdenken 1o• Seine Feststellung, daß die technische Entwicklung der Sittennorm davongelaufen ist, daß ein Mißverhältnis zwischen technischem und sittlichem Fortschritt besteht, sollte den politisch höchste Verantwortung Tragenden drängendste Warnung sein. Die Notwendigkeit, daß alles positive Recht, hier das ius in beUo, nur von einem den ganzen Menschen und die menschliche Gemeinschaft berücksichtigenden Menschenbild, d. h. vom Naturrecht her, getragen werden soll, ist für ihn tragender Grundsatz. Auch und gerade die technischen Möglichkeiten moderner Kriegführung unterstehen in bezug auf ihre Anwendung letzten und höchsten Normen eines göttlichen Gesetzgebers. Sich mit Begriff und Wesen des Kriegsrechts allgemein befassend, hat Friedrich August von der Heydte eine bedeutsame Unterscheidung, die schon in den kriegsrechtlichen rechtsphilosophischen Abhandlungen der Spätscholastik eine Rolle spielte, erneuert, indem er neben dem ius ad bellum und dem ius in bello auf die Existenz eines ius post bellum hinwies ll . Letzteres enthalte die Normen, die die Folgen der übertretung der im ius ad bellum enthaltenen Verbote der Herbeiführung des Sachverhalts Krieg zum Inhalt haben, die also dem durch die Völkerrechtsverletzung der verbotenen Kriegseröffnung Geschädigten Rechtsansprüche gegen den Schädiger gewähren. Man denke in diesem Zusammenhang an die Nürnberger Prozesse, in denen der Versuch gemacht wurde, ein solches Recht anzuwenden. In diesem Gesamtzusammenhang wäre auch der Begriff der flexiblen Neutralität zu erwähnen, den der Jubilar wohl als erster in die Theorie eingeführt hat12 • Er weist darauf hin, daß im Rahmen des modernen Völkerrechts, wie es durch die UN-Charta geschaffen worden ist, das leitende Prinzip des Neutralitätsrechts nicht mehr der Gedanke der absoluten Unparteilichkeit sei. Der neutrale Staat sei heute mitunter zu einseitiger Stellungnahme für oder gegen eine der Kriegsparteien nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, wenn der Sicherheitsrat 9 Atomare Kriegführung und Völkerrecht, in Archiv des Völkerrechts, Bd. 9, 1961, S. 162 ff. Gedanken zum Atomversuchsstoppvertrag vom 5. 8. 1963, in Jur. Blätter, 87. Jahrg., 1965, S. 542 ff. 10 Naturrecht und modernes Kriegsrecht, in Österr. Zeitschrift f. öffentl. Recht, Bd. 13 (n. F.), 1964, S. 91 ff. 11 Völkerrecht, Köln, Berlin, 1960, S. 193. 12 fl.a.(). S. 280 f. u. S. 268 f.
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Zwangsmaßnahmen wirtschaftlicher oder politischer Art gegen einen kriegführenden Staat angeordnet habe. Das Völkerrecht lasse heute zu, daß ein Neutraler im Krieg Partei ergreift, ohne seine Neutralität zu verletzen. Umgekehrt dulde es, daß der Kriegszustand den Neutralen empfindlicher berühre, als zur Zeit des klassischen Neutralitätsrechts. Ob und inwieweit die Haltung einer flexiblen Neutralität als einer legitimen auch die bis zur "hilfsweisen Kriegführung" reichende "wohlwollende Neutralität" einbegreift, dürfte nur von Fall zu Fall entschieden werden können. Es bedarf kaum des Hinweises, daß der Jubilar sich nicht nur den hier herausgegriffenen Fragen des Kriegs- und Neutralitätsrechts zugewandt hat. Ein Blick auf das Literaturverzeichnis genügt, um zu sehen, in welch vielfältiger Weise er sich immer wieder neu auftauchenden Fragen des Völkerrechts wie den Problemen des Staatsrechts und der Rechtsphilosophie gestellt hat. Mit Dankbarkeit gedenken seine Schüler, seine Kollegen heute den vielfältigen Lehren und Anregungen, die Friedrich August von der Heydte immer wieder zu geben bereit und in der Lage war und ist. Wenn die Herausgeber sich entschlossen haben, dieser Festgabe an den Jubilar den Titel "Um Recht und Freiheit" voranzustellen, so haben sie es in dem Wissen getan, daß das ganze Streben Friedrich August von der Heydtes darauf gerichtet war und ist, im Dienst vor Gott an den Menschen dafür einzutreten, daß das soziale Leben in der vom transpositiven, und dem auf seiner Grundlage stehenden positiven, Recht geordneten Freiheit sich entwickeln möge. Innsbruck, Regensburg, München im Januar 1977
Die Herausgeber
ERSTER TEIL
Völkerrecht, Ausländisches Offentliches Recht Internationales Privatrecht
PROBLEME DER FAKULTATIVKLAUSEL IN DER INTERNATIONALEN GERICHTSBARKEIT Zur eingeschränkten Erklärung des Staates zu Art. 36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes Von Rainer Arnold 1.
Die Internationale Gerichtsbarkeit, die gekennzeichnet ist durch die Freiwilligkeit ihrer Inanspruchnahme, steht im Spannungsfeld zwischen einzelstaatlicher Souveränität und justizförmiger Konzentration internationaler Streitschlichtung. Eines der wichtigen Probleme ergibt sich in diesem Zusammenhang aus dem Umfang der Unterwerfungserklärung eines Staates unter die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH) nach Art. 36 Abs. 2 des IGH-Statuts. Entsprechend ihrer spezifischen, konsensual bestimmten Struktur gestattet es Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut ausdrücklich, diese Fakultativklausel mit Vorbehalten zu versehen, deren Kreis über die in dieser Norm genannten Formen weit hinausreicht. Die Staatenpraxis kennt eine Vielzahl solcher Vorbehalte, die die Effektivität der Gerichtsbarkeit des IGH beeinträchtigen oder sogar entwerten. Diese Wirkung wird noch verstärkt, wenn ein Staat den in Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut vorgesehenen Vorbehalt der Gegenseitigkeit ausspricht; er kann sich dadurch auf sämtliche von der Gegenpartei angebrachten Vorbehalte berufen 1 • Bei unterschiedlichen Vorbehalten der Parteien reduziert sich die Zuständigkeit des IGH auf das von beiden Staaten akzeptierte Minimum 2 • 1 Rosenne, The Law and Practice of the International Court, I, 1965, 384 ff. (386); Dahm, Völkerrecht, H, 1961, 500. 2 " ••• that the present case has been brought before it (d. h. the Court, Anm. d. Verf.) on the basis of Article 36, paragraph 2, of the Statute and of the corresponding Declarations of äcceptance of compulsory jurisdiction; Declarations made by the Parties in accordance with Article 36, paragraph 2, of the Statute on condition of reciprocity; and that, since two unilateral declarations are involved, such jurisdiction is conferred upon the Court only to the extent to which the Declarations coincide in conferring it. A comparison between the two Declarations shows that the French Declaration accepts the Court's jurisdiction with narrower limits than the Norwegian Declaration; consequently, the common will of the Parties, which is the basis of the Court's jurisdiction, exists within these narrower limits indicated by the French reservation". "Certain Norwegian Loans"-Fall, 1. C. J. Rep. 1957, 9 ff. (23); umfassend Rosenne, a.a.O., 384 ff. ("Reciprocity"); Dahm, a.a.O., 503.
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Rainer Arnold
Die verschiedenen Arten der Vorbehalte 3 werfen oftmals erhebliche Rechtsprobleme auf, die insbesondere bei solchen Vorbehalten zu Schwierigkeiten führen, in denen der Staat es sich reservieren will, den ausgenommenen Bereich festzustellen und damit insoweit die Zuständigkeit des IGH auszuschließen. Die in Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut ausdrücklich festgelegte "Kompetenz-Kompetenz" des IGH4 scheint hierdurch auf den Staat verlagert. Ob eine solche Staatenpraxis mit dem Völkerrecht in Einklang steht, bedarf näherer Untersuchung. Dieses Problem, dem sich verschiedene Richter des IGH in viel beachteten Äußerungen und ein Teil des Schrifttums angenommen haben, ist nach wie vor kontrovers. Die Zulässigkeit eines solchen "subjektiven"5, "automatischen"6 - so die Terminologie von Sir Herseh Lauterpaeht7 - , "doppelten"8 Vorbehaltes ("Bestimmungsvorbehalt") steht weiterhin in Frage und hat durch den Beitritt der Bundesrepublik zu der Organisation der Vereinten Nationen wiederum aktuelle Bedeutung erlangt 9 • Sie ist damit gemäß Art. 93 Abs. 1 Satzung der Vereinten Nationen (SVN) auch Vertragspartei des IGH-Statuts geworden und nunmehr in der Lage, sich 3 Vgl. dazu v. d. Heydte, Völkerrecht H, 1960, 82 f.; Waldock, Decline of the Optimal Clause, BYIL 32 (1955 - 6), 244 ff.; Maus, Les Reserves dans les declarations d'aeeeptation de la juridietion obligatoire de la Cour Internationale de Justiee, 1959, 67 ff.; Anand, Compulsory Jurisdietion of the International Court of Justiee, 1961, 187 ff.; Wittmann, Das Problem des Obligatoriums in der internationalen Gerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung von Artikel 36 Absatz 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, Diss. München 1963, 318 ff., 356 ff., 422 - 458; Rosenne, a.a.O., 388 ff. 4 Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut lautet: "In the event of a dispute as to whether the Court has jurisdietion, the matter shall be settled by the decision of the Court." "En eas de eontestation sur le point de savoir si la Cour est eompetente, la Cour decide." 5 Rosenne, a.a.O., 395 ff. e Sir Herseh Lauterpacht in seiner "separate opinion" im "Certain Norwegian Loans"-Fall, 1. C. J. Rep. 1957, 34: "In this Separate Opinion I propose, for the sake of abbreviation, to use the term ,automatie reservation' to indicate the French reservation of ,matters which are essentially within the national jurisdietion, as understood by the Government of the French Republie'. That deseription expresses the automatie operation of that reservation in the sense that, by virtue of it, the function of the Court is eonfined to registering the decision made by the defendant Government and not subject to review by the Court." 7 Vgl. neben 1. C. J. Rep. 1957,34 auch 1. C. J. Rep. 1959, 103. 8 Dahm, H, a.a.O., 502. ~ Niedermeier, Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Statut des Internationalen Gerichtshofes unter besonderer Berücksichtigung der obligatorischen Gerichtsbarkeit, 1975; Graf v. Baudissin u. Platzöder, Modalitäten für die Unterwerfung der Bundesrepublik Deutschland unter die obligatorische Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs unter besonderer Berücksichtigung der bisherigen Staatenpraxis, AöR 99 (1974), 32 ff.
Probleme der Fakultativklausel
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der Gerichtsbarkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut zu unterwerfen lO • Es entsteht die Frage, ob eine solche Erklärung mit Vorbehalten versehen werden solle, die der rechtlichen und politischen Situation der Bundesrepublik entsprächen l l • Die wissenschaftliche Diskussion beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch mit der Aufnahme eines "automatischen Vorbehaltes" in die Unterwerfungserklärung der Bundesrepublik und mit dessen verfassungsrechtlicher Beurteilung, insbesondere der Vereinbarkeit mit Art. 24 Abs. 3 GG12. Kann dieser speziellen Fragestellung hier nicht weiter nachgegangen werden, so dokumentiert sie doch das aktuelle Bedürfnis, das Problem dieses "subjektiven Vorbehalts" allgemein zu vertiefen. Hinzu kommt, daß eine Anzahl von Staaten ihre Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGHStatut in dieser Weise eingeschränkt haben, meist in Verbindung mit dem "Vorbehalt der domestic jurisdiction"13. Wird dieser Vorbehalt in der Staatenpraxis oft auch "objektiv", d. h. ohne den - subjektiven "Bestimmungsvorbehalt" des erklärenden Staates l 4, erklärt, so liegt gerade in dessen subjektiver Ausformung ein besonders kritischer Punkt im Bereich der Fakultativklausel, der Bezug zu ihren Grundproblemen aufweist. Die Zuständigkeitsprüfung durch den IGH spielt in der Praxis des Gerichtshofs eine erhebliche Rolle und hat ihn in einer Anzahl von Fällen veranlaßt, diese Frage vertieft zu behandeln15. Das Fehlen von Prozeßvoraussetzungen hat bisher oftmals zur Prozeßabweisung geführt und damit die zwischenstaatliche Streitschlichtung verhindert. Zuständigkeitsfragen haben jüngst erst wieder in den Entscheidungen des IGH im Streit um die französischen Nuklearversuche im Pazifik 16 10 Niedermeier, a.a.O., 139; vgl. auch 14 f., 43 ff.; v. Baudissin u. Platzöder, a.a.O.,41. 11 v. Baudissin u. Platz öder, a.a.O., 44 ff. 12 Niedermeier, a.a.O., 108 ff., 112 f., vgl. auch 98 ff.; v. Baudissin u. Platzöder, a.a.O., 49. 13 Vgl. hierzu z. B. Verdross, The Plea of Domestic Jurisdiction before an International Tribunal and a Political Organ of the Uni ted Nations, ZaöRV 28 (1968), 33 ff.; Anand, Compulsory Jurisdiction, a.a.O., 190 ff.; Abi-Saab, Les exceptions preliminaires dans la procedure de la Cour Internationale. Etude des notions fondamentales de procedure et des moyens de leur mise en ceuvre, These Geneve, Paris 1967, 182, 189 ff.; Briggs, Reservations to the Acceptance of Compulsory Jurisdiction of the International Court of Justice, RC 93 (1958-1), 229 ff. (309 ff.); Maus, a.a.O., 112. 14 Der Terminus "Bestimmungsvorbehalt" soll den "subjektiven" Charakter des Vorbehalts betonen, aufgrund dessen es sich der Staat reserviert, einseitig den Bereich zu bestimmen, der der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen bzw. entzogen sein soll. 15 Vgl. u. S. 8 f. 18 Order of 22 June 1973, 1. C. J. Rep. 1973, 135; vgl. dazu auch Hoog! Schröder-Schüler, Die französischen Nuklearversuche im Südpazifik, 1973.
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und um die Fischereigrenzen zwischen Großbritannien und Island 17 erhebliche Bedeutung erlangt, wenngleich sie benachbarte Probleme betrafen18 • H. Die Frage, ob die Zuständigkeitsprüfung des IGH durch Erklärung eines Staates genommen werden kann, hat Rechtsprechungspraxis und Schrifttum19 beschäftigt und in kontroverse Lager gespalten. Sie bezeichnet den Ziel konflikt zwischen koordinationsrechtlichem Souveränitätsreservat und eher subordinationsrechtlich geprägter20 Ausübung der Gerichtsbarkeit und behält ihre Bedeutung, solange die Struktur der Internationalen Gerichtsbarkeit das Wesen der aktuellen Staatengesellschaft widerspiegelt, die vom Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten getragen wird21 • Die Staatenpraxis wurde wesentlich von dem berühmten Connally Amendment vom 14.8.1946 beeinflußt, der den "Vorbehalt"22 enthält, 17 lS
I. C. J. Rep. 1973, 3. Vgl. dazu Kewenig, Der Internationale Gerichtshof und die französischen
Kernwaffenversuche. Kritische Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 20. Dezember 1974 im Nuclear Tests-Case, Recht im Dienst des Friedens, Festschrift für Eberhard Menzel, 1975, 323 ff. 19 Vgl. vornehmlich die prononcierten Äußerungen des Richters Sir Herseh Lauterpaeht in seiner "dissenting opinion" im "Interhandel"-Fall, I. C. J. Rep. 1959, 95 ff. und in seiner "separate opinion" im "Certain Norwegian Loans"-Fall, I. C. J. Rep. 1957, 34 ff.; des Richters Guerrero in seiner "dissenting opinion" im letztgenannten Fall, I. C. J. Rep. 1957, 67 ff. u. a. sowie im Schrifttum Briggs, a.a.O., 328 ff. ("... a reservation of doubtful validity, a.a.O., 343; zur Geschichte des Vorbehalts a.a.O., 329 ff., zur Judikatur a.a.O., 336 ff.); R. Y. Jennings, Recent Cases on "Automatie" Reservations to the Optional Clause, ICLQ 7 (1958), 349 ff. (355 ff.); Perrin, L'affaire de l'Interhandel. Phase des exceptions preliminaires, Schweiz. JIR 16 (1959), 73 ff. (167 f.); Hudson, The World Court. Ameriea's Declaration Accepting Jurisdiction, Amer. Bar Ass. Journal 32 (1946), 832 ff.; Anand, Studies in International Adjudication, 1969, 28 ff.; ders., Compulsory Jurisdiction, a.a.O., 120 ff.; Mabrouk, Les exceptions de procedure devant les Juridictions Internationales, 1966, 42 ff.; Maus, a.a.O., 149 ff., vgl. auch 156; Guggenheim, Der sogenannte automatische Vorbehalt der inneren Angelegenheiten gegenüber der Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes in seiner neuesten Gerichtspraxis, Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross, 1960, 117 ff.; Shihata, The power of the International Court to determine its own jurisdiction. Competence de la Competence, 1965, 271 ff. (Kap. VI) mit ausführlicher Analyse; Hambro, The Jurisdiction of the International Court of Justice, RC 76 (1950-1), 125 ff. (187 ff.); DubisSlOn, La Cour Internationale de Justice, 1964, 187 ff. u. a. 20 Die konsensualen Merkmale treten jedoch immer wieder hervor. Vgl. dazu Rosenne, a.a.O., 313 ff., 304 ff.; Wittmann, a.a.O., 26 ff.; Niedermeier, a.a.O., 19 ff. 21 Zu diesem "Spannungsverhältnis" vgl. Magiera, Zur Bezeiehnung vorsorglicher Maßnahmen durch den Internationalen Gerichtshof: Verfahrenseffektivität gegen staatliche Souveränität, JIR Bd. 17 (1974),253 ff. (273 ff.). Zur Staatenpraxis vgl. u. a. auch Shihata, a.a.O., 273 ff.; Rosenne, a.a.O., 395 f.
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Materien, die der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit unterfallen, von der Gerichtsbarkeit des IGH auszunehmen. Die Beurteilung, wann dieser Fall eintrete, behielten sich die USA mit der Wendung vor, "as determined by the U. S. A."23. Frankreich formulierte den Vorbehalt zu seiner am 1. 3. 1949 hinterlegten Unterwerfungserklärung ähnlich: " ... qu'elle est entendue par le Gouvernement de la Republique fran!;aise"24. Diese "subjective reservation of domestic jurisdiction"2S wurde von Frankreich jedoch im Jahr 1959 26 zugunsten einer Betrachtungsweise aufgegeben, die die Kompetenz-Kompetenz des IGH darin bekräftigte, daß nunmehr zur Beurteilung des Bereichs der "domestic jurisdiction" Völkerrecht, also nicht die Ansicht der französischen Regierung maßgeblich sein solle: " ... questions which by international law 27 fall exclusively within the domestic jurisdiction " ."28. Die britische Unterwerfungserklärung vom 18.4.1957 29 enthielt einen in der Erklärung vom 26.11. 1958 30 wiederholten, in derjenigen vom 27.11. 196331 und 1. 1. 1969 32 jedoch nicht mehr aufgenommenen Vorbehalt: " ... any question which in the opinion of the Government of the U. K.33 affects national security of the U. K. or of any of its dependent territories ... "84. Die Praxis kennt auch eine Anzahl weiterer, an der "domestic jurisdiction"-Klausel der USA orientierter Vorbehalte 35 , die den erwähnten Fällen in ihrer Aussage entsprechen: 22 "Excepting: (a) ... (b) disputes with regard to matters which are essentially within the domestic jurisdiction of the U. S. A. as determined by the U. S. A." Vgl. auch I. C. J. YB, 1974 -75 (No. 29), The Hague 1975, 78. 23 Hervorhebung durch Verf. 24 "Cette declaration ne s'applique pas aux differends relatifs ades affaires qui relevent essentiellement de la competence nationale teIle qu'elle est entendue par le Gouvernement de la Republique fran!;aise." (I. C. J. YB 1946 - 47, 220). 25 Rosenne, a.a.O., 395. 28 I. C. J. YB, 1958 - 59, 212. 27 Hervorhebung durch Verf. 28 Entsprechende Erklärungen (" ... by international law ... CI) gaben u. a. ab: Botswana (I. C. J. YB, 1974 -75, a.a.O., 51); Cambodia (a.a.O., 52); Canada (a.a.O., 53); El Salvador (a.a.O., 56); Gambia (a.a.O., 58); Kenia (" ... questions which by general rules of international law ... ", a.a.O., 62); Malta (a.a.O., 66); Mauritius (a.a.O., 67); New Zealand (a.a.O., 69); Pakistan (a.a.O., 71); Swaziland (a.a.O., 75). Ohne ausdrücklichen Hinweis Indien: " ... (3) disputes in regard to matters which are essentially within the domestic jurisdiction of the Republic of India; ... " (a.a.O., 59); ebenso Israel (a.a.O., 61). 29 I. C. J. YB 1956 - 57, 233. 30 I. C. J. YB 1958 - 59, 225. 31 I. C. J. YB 1963 - 64. 32 I. C. J. YB 1974 - 75, 77 f. 33 Hervorhebung durch Verf. 34 Vgl. hierzu Wittmann, a.a.O., 426 ff. 35 Vgl. auch die bis zum Jahr 1965 reichende übersicht bei Shihata, a.a.O., Appendix VI (= 333 ff.).
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So die Erklärung von Liberia vom 3. 3. 1952 mit der Einschränkung " ... to any dispute which the Republic of Liberia considers essentially within its domestic jurisdiction ... "36; Malawi vom 22.11. 1966: " ... to matters which are essentially within the domestic jurisdiction of the Republic of Malawi as determined by the Government of Malawi ... "37; Mexico vom 23.10.1947: "This declaration, which does not apply to disputes arising from matters that, in the opinion of the Mexican Government, are within the domestic jurisdiction of the United States of Mexico ... "38; von den Philippinen vom 23.12. 1971: " ... which the Republic of the Philippines considers to be essentially within its domestic jurisdiction ... "39 sowie vom Sudan vom 30.12.1957: " ... to matters which are essentially within the domestic jurisdiction of the Republic of the Sudan as determined by the Government of the Republic of the Sudan ... "40,
Es ergibt sich, daß gegenwärtig 20 Ofo derjenigen Staaten, die sich nach Art. 36 Abs. 2 1GH-Statut der Gerichtsbarkeit des 1GH unterworfen haben, den rechtlich höchst umstrittenen "subjektiven Vorbehalt" ohne erkennbaren Widerstand in ihre Erklärung aufgenommen haben. Zeitliche Terminierung oder die vorbehaltene Möglichkeit jederzeitiger Änderung 41 der Anerkennungserklärungen weisen die Gefahr auf, daß sich diese Tendenzen verstärken. Der 1GH wurde insbesondere im "The Aerial 1ncident"-Fall (27.7. 1955) (USA/Bulgarien)42, im "Certain Norwegian Loans"-Fa1l 43 , im ,,1nterhandel"-Fall (Schweiz/USA)44 und im "The U. S. Nationals in Marocco"-Fa1l 45 (Frankreich/USA) mit dem Problem des "subjektiven Vorbehalts" konfrontiert. Allerdings brauchte oder wollte er diese heikle Frage nicht beantworten46 . Während im Interhandelfall ein Prozeß38 37 38 39 40
I. C. J. YB 1974 - 75,63. - Hervorhebung durch Verf. I. C. J. YB 1974 - 75, 65. - Hervorhebung durch Verf. a.a.O., 68. - Hervorhebung durch Verf. a.a.O., 72. - Hervorhebung durch Verf. a.a.O., 75. - Hervorhebung durch Verf.
Vgl. z. B. den Vorbehalt Kanadas zu seiner Erklärung vom 7.4.1970 The Government of Canada also reserves the right at any time, by means of a notification addressed to the Secretary-General of the United Nations, and with effect as from the moment of such notification, either to add to, amend or withdraw any of the foregoing reservations, or any that may hereafter be added" (a.a.O., 53). Vgl. allgemein hierzu Gerhard Hoffmann, Die Grenzen rechtlicher Streiterledigung im Völkerrecht, Ber. Dt. Ges. f. VR, H. 9 (1969), 1 ff. (16 f.); Rosenne, a.a.O., 322 f. (einschränkend); Wittmann, a.a.O., 192 ff., 199 ff.; Waldock, BYIL, a.a.O., 261 ff. (270); Steinberger, The International Court of Justice (Preparatory Report, in Judicial Settlement of International Disputes, 1974, 193 ff (219). 42 I. C. J. Rep. 1960, 146 ff. 43 I. C. J. Rep. 1957,9 ff. 44 I. C. J. Rep. 1959, 6 ff. 45 I. C. J. Rep. 1952, 176 ff. 48 Vgl. auch im einzelnen die Analysen u. a. bei Briggs, a.a.O., 336 ff.; Shihata, a.a.O., 275 ff.; Guggenheim, a.a.O., 117 ff.; Jennings, a.a.O., 355 ff.; Wittmann, a.a.O., 399 ff.; Anand, Compulsory Jurisdiction, a.a.O .. 204 ff. 41
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urteil wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges erging 47 , verneinte der IGH im Norwegischen Anleihefall seine Zuständigkeit, da Norwegen sich auf den französischen Vorbehalt berief. Der IGH untersuchte nicht die Gültigkeit des französischen Vorbehalts, da es sich um "an expression of their common will relating to the competence of the Court" handle 48 • Der IGH überging dabei das eigentliche Problem ebenso wie im "The U. S. Nationals in Marocco"-Fall. Ob der Gerichtshof im letztgenannten Fall seine Zuständigkeit deshalb annahm, weil er den "subjektiven" Vorbehalt als hinfällig betrachtete, oder ihn anerkannte, aber stillschweigend seine Jurisdiktion auf ein "forum prorogatum" stützte, kann allerdings nicht abschließend beurteilt werden 49 • Es blieb einzelnen Richtern vorbehalten, ihre Meinung zu diesem Vorbehalt in "dissenting" und "separate opinions" darzulegen, woraus sich wesentliche Impulse für die dogmatische Erörterung in der Literatur ergaben. Die wesentlichen Ansichten sollen kurz zusammengefaßt und kritisch beleuchtet werden, um die eigene Position zur Frage der Zulässigkeit dieses "subjektiven Bestimmungsvorbehalts" darzulegen. Das Schrifttum stellt gewöhnlich die insbesondere von Richter Sir Hersch Lauterpacht mit Nachdruck vorgetragene These an den Beginn der Betrachtung. Dies rührt wohl daher, daß sie von allen denkbaren Lösungsmöglichkeiten die weitestgehende ist, die zugunsten der Gerichtsbarkeit des IGH die Nichtigkeit des "subjektiven", von ihm so genannten "automatischen" Vorbehalts und wegen des inneren Zusammenhangs mit der Unterwerfungserklärung die Nichtigkeit auch dieser behauptet: "Wh at is the legal meaning of the fact that the Court is unable to act upon - that is by its Statute precluded from acting upon - the ,auomatic' reservation? The legal meaning of that fact is that the reservation in question is invalid, that is to say, that the Court being bound by its Statute is not in a position to apply it; that that reservation is therefore without force and legal effect50 ." " ••• it is not open to the Court in the present case to sever the invalid condition from the Acceptance as a whole"51. 41 1. C. J. Rep. 1959, 6 ff. (30). Vgl. dazu auch Perrin, a.a.O.; Büttner, Der Interhandel-Fall, Diss. Würzburg 1972, 76 ff. 48 1. C. J. Rep. 1957, 27. 48 Shihata, a.a.O., 276. 50 1. C. J. Rep. 1959, 104; vgl. auch 1. C. J. Rep. 1957, 34 und im einzelnen 43 ff. Vgl. auch Sir Percy Spender, 1. C. J. Rep. 1959, 55 ff.: "In may opinion reservation (b) of the United States is invalid." 51 1. C. J. Rep. 1957, 57 ff. aufgrund der Entstehungsgeschichte der Klausel. Vgl. auch Sir Percy Spender, 1. C. J. Rep. 1959, 57: "The reservation could be described as a critical reservation without which the Declaration of Acceptance would never have been made."
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Lauterpacht führt zwei wesentliche Gründe an: ,,(a) It is contrary to the Statute of the Court; (b) the existence of the obligation being dependent upon the determination by the Government accepting the Optional Clause, the Acceptance does not constitute a legalobligation52 ." Er bezeichnet es als eines der fundamentalsten Prinzipien der internationalen und nationalen Gerichtsbarkeit und als dem Wesen eines Gerichts immanent, die Gewalt zu besitzen, "to interpret the text establishing its jurisdiction". Zudem stehe ein solcher Vorbehalt im Gegensatz zu der Spezialnorm des Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut, die die Kompetenz, die Zuständigkeit zu bestimmen, dem Gerichtshof übertrage. Ebenso verletze er die allgemeinen Normen der Art. 1 des IGHStatuts und Art. 92 der Charta der Vereinten Nationen53 • Zur Nichtigkeit des Vorbehalts gelangen mit ähnlicher Begründung auch die Richter Armand-Ugon54, Guerrer0 55 und Präsident Klaested 56 • Neben diesen Lösungsansätzen stehen solche, die von der grundsätzlichen Wirksamkeit des Vorbehalts ausgehen, seine Ausübung aber an bestimmte Voraussetzungen knüpfen. Der Gedanke, die Problematik des "subjektiven Vorbehalts" dadurch zu entschärfen, daß der Grundsatz von Treu und Glauben seine mißbräuchliche Anwendung hindere, ist insbesondere mit den Namen Bourquin und Guggenheim verbunden 57 • Schließlich läßt sich die Gegenposition zu Lauterpacht feststellen, die von der Gültigkeit des Vorbehalts schlechthin ausgeht58 • II!. Das Augenmerk soll in besonderem Maße auf einen Lösungsversuch gerichtet werden, der in der Literatur, soweit ersichtlich, bisher noch nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit analysiert und gewürdigt worden ist. Er stellt die Wirksamkeit des "subjektiven Vorbehalts" nicht von vornherein wegen des Verstoßes gegen das IGH-Statut oder sonstiges Völkerrecht in Frage, sondern bietet eine Möglichkeit, Staaten1. C. J. Rep. 1957, 44. Ebd. 54 1. C. J. Rep. 1959, 91, 93. 55 1. C. J. Rep. 1957, 70. 56 I. C. J. Rep. 1959, 75 ff. (78); vgl. auch 76/77. 57 1. C. J. Pleadings, I, 1957, 131 (26) und 1959, 579; Guggenheim, a.a.O.; vgl. dazu auch Shihata, a.a.O., 289 ff.; Maus, a.a.O., 158 f., 160 (Ablehnung dieser Theorie, weil ein "subjektiver" Vorbehalt keine echte Bindung schaffe); Gross, a.a.O., 357 ff. (368); Briggs, a.a.O., 361 ff. 58 Vgl. Shihata, a.a.O., 292 ff.; Seidl-Hohenveldern, VR, 3. Aufl. 1975, Rdnr. 1091; Hudson, a.a.O., 835; Wilcax, AJIL 40 (1946), 699ff. (712); Wittmann, a.a.O., 412 ff. sowie die genannten Meinungen, die den "good faith" als Korrektiv heranziehen. Vgl. auch Richter Kaa, I. C. J. Rep. 1957, 113 f. 52 53
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praxis und Völkerrechtswirklichkeit hinreichend zu berücksichtigen. Dieser Lösungsansatz erfaßt den "subjektiven Vorbehalt" als seiner Natur nach variabel. Gerade dieser Position kommt erhebliche Bedeutung zu, da sie pragmatisch ausgerichtet ist und der Haltung des Gerichtshofs wohl am ehesten zu entsprechen scheint. Die Angriffe gegen den "subjektiven Vorbehalt", die insbesondere von den bedeutsamen, im Schrifttum häufig erörterten "separate" und "dissenting opinions" des Richters Sir Hersch Lauterpacht unternommen worden sind, stehen mit der weitgehend vom Souveränitätsgedanken beherrschten Völkerrechtswirklichkeit nicht im Einklang. In der Staatenpraxis zeigt sich kein Protest dagegen, daß, wie erwähnt, 20 % aller Unterwerfungsklauseln mit dem "subjektiven Vorbehalt" versehen sind. Da die völkerrechtliche Betrachtungsweise in hohem Maße an den soziologischen Gegebenheiten orientiert ist, kommt dem Verhalten der Völkerrechtssubjekte konstitutive Bedeutung bei der Herausbildung von Völkerrecht zu. Um so mehr muß sich der Blick auf Lösungsansätze richten, die mit dem aktuellen Stand der Völkerrechtspraxis korrespondieren, mag auch vieles noch verbesserungswürdig sein. Ob ein solchermaßen orientierter Lösungsansatz aber aufrecht erhalten werden kann, ist unter vielen Gesichtspunkten problematisch. Es liegt der Gedanke nahe, bei Annahme der Nichtigkeit des Vorbehalts und der Unterwerfungserklärung das Prinzip des "forum prorogatum" zu Hilfe zu nehmen, um die krasse praktische Konsequenz dieser Theorie abzumildern. Dieser Ansatz erscheint auch bei anderem Ausgangspunkt vereinzelt im Schrifttum59, verdient jedoch noch stärkere Aufmerksamkeit. Die Parteien haben es in der Hand, im Wege des "forum prorogatum" die Gerichtsbarkeit des IGH zu vereinbaren, obwohl seine Zuständigkeit entweder ratione materiae oder ratione personae oder in beiderlei Hinsicht fehlt 6o • Auch in diesem Fall wird die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht durch ihn selbst bestimmt, sondern durch ausdrückliche oder konkludente Parteivereinbarung geschaffen. Wird die Gerichtsbarkeit des IGH im Wege des "forum prorogatum" begründet, so hängt dies vom beiderseitigen Parteiwillen ab; anders verhält es sich jedoch beim Mechanismus des Bestimmungsvorbehalts. Hier bringt ein Staat den Wunsch zum Ausdruck, die Kompetenz, über die Zuständigkeit des IGH zu entscheiden, einseitig ausüben zu kön59
Maus, a.a.O., 157 ff.; Jennings, a.a.O., 363; Shihata, a.a.O., 293, 301; Wal-
dock, a.a.O., 133 f.; Wittmann, a.a.O., 411 f. (ablehnend). 80 Rosenne, aa.O., 344 ff. (345 f.); ders., The Forum Prorogatum in the
International Court of Justice, Rev. HelUmique de Droit International 1953,
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nen. Das "forum prorogatum" hingegen sieht eine gleichlaufende Zuständigkeitsbegründung vor. Rosenne 61 hat darauf aufmerksam gemacht, daß die "subjektive" Vorbehalts klausel (der "domestic jurisdiction") die Tendenz zum "forum prorogatum" in sich trage, ohne aber die Vergleichbarkeit beider Phänomene zu präzisieren. Gewisse Ähnlichkeit, die freilich in einem anderen Bereich hervortritt, ergibt sich nur aus dem Umstand, daß die andere Partei sich ebenfalls der Gerichtsbarkeit unterworfen hat. Es entstehen parallel gerichtete Erklärungen, die die Grundlage für das spätere Prozeßrechtsverhältnis abgeben. Die Unterwerfung eines anderen Staates unter die Gerichtsbarkeit des IGH, die auf freiwilligem Akt beruht, schafft erst die gegenseitige Anerkennung des Gerichtsforums. Die konsensuale Struktur, wie sie in der Verknüpfung der Anerkennungserklärungen der Parteien zum Ausdruck kommt 62 , weist einen dem "forum prorogatum" verwandten Aspekt auf. Reziprozitätsprinzip und Zulässigkeit von Vorbehalten, die die Zuständigkeit des IGH auf das beiden Parteien gemeinsame Minimum an justitiablen Sachgebieten reduzieren, nähern sich tendenziell Merkmalen des "forum prorogaturn". Allerdings zeigt sich die Ähnlichkeit im Bereich der Anerkennung der Gerichtsbarkeit, also im Vorfeld eines bestimmten Rechtsstreites; während des Verfahrens konkretisiert sich ein - nunmehr anders gelagerter - Konsens (u. a.) zum "forum prorogatum". Diese Parallelen treten dann hervor, wenn bei Existenz eines "subjektiven" Vorbehalts die Zuständigkeit des IGH ausdrücklich oder stillschweigend von den Parteien bejaht wird. Der wesentliche Unterschied ist jedoch nicht zu übersehen: Parteivereinbarung führt zum einen zur Zuständigkeitsbegründung des IGH, während der "subjektive" Vorbehalt einer Partei die "KompetenzKompetenz" zuerkennen will. Lediglich in der Rechtsfolge, der parteiabhängigen Zuständigkeitsbestimmung, treffen sich beide Phänomene. Es liegt nicht fern, den Vorbehalt nur in materieller Hinsicht zu erfassen, ihn auf seinen sachlichen Geltungsbereich zu beschränken und die formelle "subjektive" Bestimmungskompetenz auszuklammern. Nach einer solchen Position63 wird die Unterwerfungserklärung durch einen materiellen Vorbehalt eingeschränkt und gilt nur für Fälle, in denen der anerkennende Staat feststellt, seiner Meinung nach sei kein a.a.O., 399. Dazu Waldock, a.a.O., 250 ff.; Maus, a.a.O., 53 ff. (59 ff.); Niedermeier, a.a.O., 29 ff. 83 Vgl. Shihata, a.a.O., 292 unter Hinweis auf Hudson, The World Court a.a.O., 832 ff. (836); Wilcox, a.a.O., 699 ff. (718 f.) u. a. 81
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von der Gerichtsbarkeit ausgenommener Bereich gegeben. Shihata 64 formuliert treffend: "In this sense, a declaration containing this reservation is like a declaration accepting jurisdiction only in relation to some states and not, as Art. 36 (2) provides, ,in relation to any other state accepting the same obligation'. This is not in conformity with the Article, but still is not incompatible with it ... The reservation can be viewed as rendering the acceptance subject to an additional fact without the realization of which the ,option' is not yet made. This jurisdictional fact is the abstention from invoking the reservation. If the reservation is invoked, this means that jurisdiction was never accepted on the issue. When it is not, this means that jurisdiction was always accepted over the issue, unless it is excluded for other reasons. In neither case is the Court deprived of a jurisdiction inherent in its Statute." Damit soll die echte Natur eines solchen Vorbehalts aufgedeckt und seine Verknüpfung mit der Unterwerfungserklärung im konkreten Fall erklärt werden. Es liegt ein variabler Vorbehalt vor, der zur Konsequenz hat, daß die obligatorische Gerichtsbarkeit nicht in einem fest umrissenen Rahmen akzeptiert, sondern individuell von Fall zu Fall bestimmt wird. Es ergibt sich hierbei auch die Tendenz zur Begründung der Zuständigkeit im Wege des "forum prorogatum". So etwa dann, wenn der Staat seine Bestimmungskompetenz ausübt und zum Ergebnis gelangt, es liege keine vom Vorbehalt erfaßte Materie vor. Damit will er seine Unterwerfungserklärung im konkreten Fall bekräftigen. Daß der "subjektive" Vorbehalt seine Wirkung entfalten kann und - wie die erwähnte Grundaussage des "variablen" Lösungsansatzes zum Ausdruck bringt - dabei apriori nicht mit Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut kollidiert 65 , gibt allerdings zur Überlegung Anlaß, ob für die unter den subjektiven Vorbehalt gestellten Materien danach wirklich eine echte Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit erfolgt ist. Dies muß bei einer solchen Betrachtungsweise verneint werden. Der ad hoc-Charakter der Bestätigung der Unterwerfung widerspricht der Formalisierung der Erklärung in Art. 36 Abs. 4 IGH-Statut: Die Parteien eröffnen nach dieser Sicht im Streitfall die Zuständigkeit des IGH für solche Materien in Wirklichkeit nicht durch die vorangegangene Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit durch Erklärung zur Fakultativklausel, sondern im Wege des "forum prorogatum". Die Interpretation, der Staat habe die Gerichtsbarkeit für den gesamten Bereich voll wirksam anerkannt, die Unterwerfungserklärung beziehe auch die "subjektive" Komponente des Vorbehalts mit ein66 , 84
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widerspricht im Grunde der "variablen" Struktur der Position, die im Falle einer Feststellung zugunsten, aber auch zu ungunsten der Zuständigkeit des IGH durch den Staat die "subjektive" Komponente des Vorbehalts aus dem Mechanismus der eingeschränkten Unterwerfung ausklammern will. An dieser Stelle wird besonders deutlich, daß die "variable Betrachtungsweise" im Gegensatz zum Wortlaut der Erklärung des Staates steht und in unzulässiger, mit dem Wesen des Obligatoriums unvereinbarer Weise die Anerkennung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut relativiert. Diesem Lösungsansatz begegnen Bedenken, die mit anderem Bezugspunkt teilweise auch gegen die übrigen Positionen sprechen. Des weiteren kann eine Kollision entstehen, wenn der Gerichtshof die Grenzen des Vorbehalts anders als der Staat beurteilt und seine Zuständigkeit aufgrund des Vorbehalts als nicht gegeben ansieht. Würde der "variable" Lösungsansatz im erstgenannten Sinne erfaßt, hätte dieser Dissens keine weiteren Folgen; aufgrund des Prinzips des "forum prorogatum" würde die vom IGH angenommene Unzuständigkeit ratione materiae nicht zum Tragen kommen. Nach der anderen, von der "variablen" Position letztlich nicht gedeckten Betrachtungsweise - Existenz einer Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut mit uneingeschränktem Vorbehalt und positive Bestimmung des Staates liegt die Bestimmungskompetenz entsprechend Art. 36 Abs. 6 IGHStatut beim IGH. Der Staat hat seine Entscheidung zuvor zugunsten der IGH-Zuständigkeit getroffen; dieser Vorgang hat sich nach dieser Theorie auf anderer Ebene, schon im Vorfeld des Mechanismus der Unterwerfungserklärung, abgespielt. Die Auslegung des Vorbehalts durch den Staat wird bei einem Bestimmungsdissens mit dem IGH von dessen Entscheidung überlagert; letzterer kommt konsequenterweise Vorrang zu. Hier zeigt sich wiederum eine Schwäche dieser Position, da sie die vom Staat gewollte Entscheidung nur bei einer Bestimmungskongruenz aufrecht erhält. Der "subjektive Vorbehalt" läuft deshalb bei genauer Betrachtung ins Leere 67 • Greift zwar nach Meinung des Staates der Vorbehalt ein, berufen sich aber die Parteien nicht hierauf, erscheint es auch in diesem Fall geboten, das Prinzip des "forum prorogatum" anzuwenden 68 • Gelangt man 61 Vgl. auch Wittmann, a.a.O., 411 f. gegen einen Lösungsversuch mit Hilfe des "forum prorogatum" mit weiteren Argumenten sowie Shihata, a.a.O., 293 f.; 301. 68 Jennnings, a.a.O., 362/363 (" ... and it makes no practical difference whether this conclusion be based upon the operation of the reservation or upon the invalidity of the Acceptance containing it" ... "and in the other case on the basis of forum prorogatum".); Shihata, a.a.O., 293; Wittmann, a.a.O., 412.
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nämlich zur Ansicht, der "variable" Lösungsansatz führe zu keiner wirksamen Unterwerfung, mündet das Problem in diejenige Argumentation, die Lauterpachts Grundthese mit einem praktikablen Ergebnis zu versehen versucht6D • Hingegen bräuchte dieses Prinzip nicht bemüht zu werden, wenn die Unterwerfungserklärung samt "subjektiven Vorbehalts" aufrecht erhalten werden könnte. Wesentliches Merkmal dieses Lösungsansatzes ist, daß es von der prozessualen Geltendmachung abhängen soll, ob die Gerichtsbarkeit gemäß Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut anerkannt ist oder nicht. Nimmt man an, es läge eine wirksame Unterwerfungserklärung vor, so gilt sie nach dem "variablen Lösungsansatz" als niemals abgegeben, wenn der Staat feststellt, es handle sich um eine der vorbehaltenen Materien. Die Deutung dieser Fallkonstruktion als Zurücknahme der Unterwerfungserklärung verbietet sich aus verschiedenen Gründen. Die Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut ist als Angebot gegenüber anderen Staaten zu werten, sich korrespondierend der IGH-Gerichtsbarkeit zu unterwerfen70 • Die eingegangene Bindung, die bilateral, in gewisser Hinsicht auch multilateral geprägt ist, begründet, wie Waldock formuliert, "a consensual relation which is sui generis"71. Diese Verpflichtung hindert eine einseitige Zurücknahme der Erklärung, soweit nicht auch insofern ein Vorbehalt vorliegt72 • Obendrein ist der fragliche Falltypus so gestaltet, daß der Streit bereits rechtshängig ist; damit übt der Grundsatz der "perpetuatio fori" Sperrwirkung aus 73 • Weiterhin findet diese Erklärung keine Stütze in der Betrachtungsweise des "variablen Lösungsansatzes" selbst, da sie die Unterwerfung ohne weiteres gerade auch für einen späteren Rechtsstreit als gegeben ansieht, wenn der Einwand nicht wieder erhoben wird. Die Perpetuierung der Fakultativklausel läßt sich jedoch nicht rechtfertigen, wenn in einem früheren Fall der Einwand der Partei als Zurücknahme der Unterwerfung gedeutet würde. Es wäre nämlich erforderlich, sie nach dem in Art. 36 IGH-Statut vorgesehenen Verfahren wieder zu erklären, was jedenfalls nicht stillschweigend dadurch geschieht, daß der Vorbehalt nicht geltend gemacht wird. Die Verhandlung zur Hauptsache impliziert nicht die Unterwerfungserklärung; dies scheitert an der Formali89 70
Vgl. z. B. Maus, a.a.O., 157 (= No. 152); Jennings, a.a.O. Wittmann, a.a.O., 193; Buignes, Les declarations d'acceptation de la
juridiction obligatoire de la cour internationale de justice: Leur nature et leur interpretation, OZöR 23 (1972), 255 ff.; Rosenne, a.a.O., 367 ff. 71 BYIL, a.a.O., 254. 72 Waldock, a.a.O., 264; Wittmann, a.a.O., 194, 200. 73 Hierzu ausführlich der Nottebohm-Fall, 1. C. J. Rep. 1953, 122 f. und Wittmann, a.a.O., 213 ff.
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sierung durch Art. 36 IGH-Statut. Im übrigen würde es Schwierigkeiten bereiten, eine Zurücknahme nur für den vom Vorbehalt erfaßten Bereich festzustellen, für den Rest jedoch die Unterwerfung weiter als existent zu betrachten. Eine derartige Aufspaltung läßt sich nicht aufrecht erhalten. Auch eine weitere Deutungsmöglichkeit dieses Ansatzes führt nicht zu einem brauchbaren Ergebnis. Sie läge darin, die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH als eine völkerrechtliche Willenserklärung anzusehen, die mit einer auflösenden Bedingung versehen ist. Die Bedingung träte danach ein, wenn vom Staat erklärt würde, es handle sich bei dem Rechtsstreit um eine vom Vorbehalt erfaßte Angelegenheit. Eine Bedingungsfeindlichkeit der Unterwerfungserklärung ergibt sich zwar nicht daraus, daß solche Bedingungen mit dem System der Fakultativklausel nicht vereinbar wären und einen erheblichen, für den Völkerrechtsverkehr unerträglichen Unsicherheitsfaktor darstellen würden; die konsensuale Struktur der Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut erlaubt sie7 4 • Allerdings muß es sich im Interesse des Schutzes der übrigen Staaten um eine eindeutig erkennbare Bedingung handeln, was aber bei der Ausdeutung des "subjektiven Vorbehalts" nach dem "variablen Lösungsansatz" nicht bejaht werden kann. Zudem vermag auch die überlegung, die Unterwerfungserklärung sei mit einer auflösenden Bedingung verknüpft, ebensowenig wie die zuerst erörterte Konstruktion erklären, wie für spätere Fälle die Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des IGH ohne weiteres vorliegen solle; eine hierzu nötige förmliche Erklärung im Rahmen des Art. 36 IGHStatut wird, wie erwähnt, nicht abgegeben. übrig bliebe lediglich der Gedanke, für die künftigen Streitfälle die Figur des "forum prorogatum" herauszuziehen. Doch auch diese Schlußfolgerung muß ausscheiden, da die Gerichtsbarkeit gerade aufgrund der - eben eingeschränkten - Unterwerfungsklausel begründet sein soll. IV. Der "subjektive Vorbehalt" betrifft in der Staatenpraxis häufig die Angelegenheiten der "domestic jurisdiction". Wichtig erscheint die KlarsteIlung, daß es sich hierbei um keinen eigentlichen Vorbehalt i. S. des Art. 36 Abs. 3 IGH-Statut handelt. Vielmehr unterliegen nur internationale Streitigkeiten der Gerichtsbarkeit des IGH, was sich aus Art. 36 Abs. 2 und Art. 38 IGH-Statut eindeutig ergibt. Auch Art. 2 Ziff. 7 SVN erfordert eine solche Betrachtungs74
Dazu Wittmann, a.a.O., 192.
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weise 75 • Wird der "Vorbehalt" der "domestic jurisdiction" der Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut hinzugefügt, so ist dies lediglich ein an sich überflüssiger Hinweis auf den dem IGH von vornherein entzogenen Jurisdiktionsbereich76 • Zu bestimmen, was hierunter fällt, ist Sache des IGH, der von der Warte des Völkerrechts die Grenzen jeweils absteckt7 7 • Gelangt man zu dem Ergebnis, daß der "variable Lösungsansatz" nicht aufrecht erhalten werden kann, so wird dadurch der Hinweis auf 75 Zum Meinungsstand vgl. Briggs, a.a.O., 320 f.; v. Münch, Internationale und nationale Zuständigkeit im Völkerrecht der Gegenwart, Ber. Dt. Ges. f. VR, H. 7 (1967), 27 ff. (44 ff. mit umfassenden Literaturnachweisen, a.a.O., 44 Anm. 56); Verdross, Le principe de la eompetence nationale d'un Etat et l'article 2 (7) de la Charte des Nations Unies, Melanges offerts aCharIes Rousseau. La Communaute Internationale, Paris 1974, 267 ff.; ders., ZaöRV, a.a.O.; Köek, Ist Art. 2 Zif. 7 Satzung der Vereinten Nationen tot? ÖZöR 22 (1971), 327 ff. sowie die in Anm. 13 genannten Autoren. 16 So u. a. auch Bernhardt, Das Gegenseitigkeitsprinzip in der obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit, Festschrift für P. Guggenheim, 1968, 615 ff. (622); Hambro, a.a.O., 187 ("Strietly speaking, no such reservation is neeessary. The Court will itself take into consideration whether a matter is of this charaeter ... "); Gross, a.a.O., 316 ("U is moot whether it is still neeessary to exclude disputes relating to matters which are claimed to fall within the domestic jurisdietion of the applieant or respondent states"); Anand, Compulsory Jurisdietion, a.a.O., 191 ("Moreover, if a dispute relates to matters which fall within a state's domestic jurisdiction, it certainly would not fall within any of the classes enumerated in Article 36. "); Niedermeier, a.a.O., 101 mit besonderem Hinweis auf Art. 38 IGH-Statut; wohl auch Maus, a.a.O., 111 ("Si un diHerend eoneernant le domaine reserve est porte devant la Cour Internationale de Justiee, celle-ci sera obligee de reeonnaitre la non-reponsabilite internationale de l'Etat en cause"); vgl. aber auch seine Ausführungen a.a.O., 153 H., die die Aussage nicht fortentwickeln. Zum Einfluß der SVN auf die Entscheidungsbefugnis des IGH vgl. auch a.a.O., 41 H. - Vgl. in der Judikatur auch die wichtige Feststellung von Sir Herseh Lauterpacht in seiner "dissenting opinion" im "Interhandel"-Fall, I. C. J. Rep. 1959, 122: "The Court, in examing and rejecting that objection on its merits, has held, by implication, that a reservation of that kind is inherent in every Declaration of Aeceptanee and that there is no need to speIl it out expressly. I am in agreement with that conclusion so indireetly formulated ... From whatever angle the question is approached, it matters little whether a reservation of this kind is incorporated in a Declaration of Aeeeptanee. States are in any case fully protected from any interferenee whatsoever by the Court in matters which are aeeording to international law essentially within their jurisdietion. They are so protected not by virtue of any reservation but in consequence of the fact that if a matter is exclusively within the domestie jurisdietion of aState, not eireumseribed by any obligation stemming from a source of international law as formulated in Article 38 of its Statute, the Court must inevitably reject the claim as being without foundation in international law." Dieser Gedankengang wird allerdings von ihm nicht zu Ende geführt. 11 Annuaire de l'Institut de Droit International 43-1 (1950), 5 ff. (19 H.); Annuaire 44-1 (1952), 137 H. (162); Annuaire 45-II (1954), 108 ff. (vgl. auch 180 ff.); v. d. Heydte, Völkerrecht, I, 1958, 101 H.; Kaiser, Internationale und nationale Zuständigkeit im Völkerrecht der Gegenwart, Ber. Dt. Ges. f. VR, H. 7 (1967), 1 H. (10 f.); v. Müneh, a.a.O., 46 ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, a.a.O., Rdnr. 1090.
2 Um Recht und Freiheit
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den Bereich der "domestic jurisdiction" nicht berührt, da er in Wahrheit nicht durch einen echten Vorbehalt gesichert wird. Die Bestimmungskollision, die eintritt, weil der Staat die Befugnis ausüben will, den Umfang der "domestic jurisdiction" von Fall zu Fall festzustellen, spielt sich auf anderer Ebene ab als dies immer wieder von der Diskussion um den "automatischen" ("subjektiven") Vorbehalt vorgetragen wird. Äußert ein Staat in der Unterwerfungserklärung die Absicht, diese Bestimmungskompetenz zu behalten, so steht unter den genannten Voraussetzungen nichts im Wege, die Unterwerfungs erklärung als gültig anzuerkennen. Es wurde hiermit kein Vorbehalt ausgesprochen, dessen Verknüpfung mit der Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut auch deren Gültigkeit in Frage stellen könnte 7s . Der Konflikt steht außerhalb der rechtlichen Tragweite der Unterwerfungserklärung. Aus diesem Grunde kann auch nicht argumentiert werden, ein solcher "Vorbehalt" verstoße gegen Art. 36 Abs. 2 (statt Abs. 6) IGH-StatuF9 und lasse den nötigen rechtlichen Bindungswillen vermissenso. Das Problem des "automatischen Vorbehalts" ist, soweit er "domestic jurisdiction" betrifft, demgemäß kein Problem der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Vorbehalts. Da die Gerichtsbarkeit des IGH durch eine wirksame Unterwerfungserklärung begründet ist, bestimmt auch der Gerichtshof nach Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut im Zweifel über seine Zuständigkeit, also auch darüber, ob das Völkerrecht eine bestimmte Materie als innerstaatliche Angelegenheit erfaßt. Durch die Erklärung des Staates, hierüber selbst befinden zu wollen, ergibt sich eine Kollision mit dem in Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut fixierten Anspruch des IGH, die aber - wie erwähnt - die Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut nicht in Mitleidenschaft ziehen kann und nicht in Zusammenhang mit Art. 36 Abs. 3 IGHStatut steht. Begreift man Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut als eine dem einzelstaatlichen Willen übergeordnete Norms1 , so löst sich die Kollision zugun78 79 80
Vgl. etwa die Auffassung von Lauterpacht (0. Anm. 51). Maus, a.a.O., 156 f. (= No. 146 ff.). So aber Anand, Compulsory Jurisdiction, a.a.O., 215 (Es liege kaum eine
"genuine recognition of compulsory jurisdiction" vor) u. a. 81 Sir Herseh Lauterpacht, I. C. J. Rep. 1959, 104: "This is so in particular in view of the fact that the principle enshrined in Article 36 (6) of the Statute is declaratory of one of the most firmly established principles of international arbitral and judicial practice. That principle is that, in the matter of its jurisdiction, an international tribunal, and not the interested party, has the power of decision whether the dispute before it is covered by the instrument creating its jurisdiction"; Schlochauer, Internationaler Gerichtshof, Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, II, 1961, 104.
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sten des IGH. Der "subjektive" Teil des Hinweises auf den Bereich der "domestic jurisdiction" bleibt ohne rechtliche Wirkung. Es ist weder möglich, diesen Teil als selbständigen Vorbehalt zur Unterwerfungserklärung anzusehen, da er mit dem Hinweis als solchem verknüpft ist und sich von ihm nicht trennen läßt. Noch kann angenommen werden, die Unterwerfungserklärung sei nur unter der Bedingung erfolgt, daß dem Staat die Bestimmungskompetenz für diesen Bereich verbleibe. Eine solche Sicht verbietet sich deshalb, weil der "domestic-jurisdiction-Hinweis" zusammen mit seiner "subjektiven" Komponente aus dem wesensmäßigen Wirkungsfeld der Vorbehalte zur Unterwerfungserklärung herausfällt und aus diesem Grunde in seinem Gesamtinhalt nicht hiermit in Zusammenhang gebracht werden kann. Abschließend läßt sich feststellen, daß "subjektive" Vorbehalte ("Bestimmungsvorbehalte") zur Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut auch vom "variablen Lösungsansatz" nicht befriedigend erfaßt werden können und keine rechtliche Wirksamkeit besitzen. Steht allerdings der Bereich der "domestic jurisdiction" in Frage, so liegt kein echter Vorbehalt vor; die "subjektive" Komponente dieses bloßen Hinweises ist von der Erklärung nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut zu trennen und berührt ihre rechtliche Geltung nicht.
DIE VÖLKERRECHTLICHE REGELUNG NICHTINTERNATIONALER BEWAFFNETER KONFLIKTE Von Rudolf L. Bindschedler 1.
Zum ersten Mal in der Geschichte des humanitären Kriegsrechts wurde in die vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949 eine Minimalbestimmung über das Verhalten der Parteien bei nichtinternationalen bewaffneten Konflikten aufgenommen. Gemäß dem gemeinsamen Artikel 3 der Abkommen sind die Vertragsparteien verpflichtet, wenigstens die nicht direkt an den Feindseligkeiten beteiligten Personen und diejenigen, die die Waffen niedergelegt haben oder außer Gefecht gesetzt wurden, ohne Unterscheidung human zu behandeln. Dazu werden vier absolut geltende Verbote aufgestellt. Eine humanitäre unparteiische Organisation wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wird ermächtigt, den Konfliktsparteien ihre Dienste anzubieten. Die Anwendung dieser Minimalbestimmung hat keine Auswirkung auf den Rechtsstatus der Konfliktsparteien. Artikel 3 ist in zahlreichen Fällen angewandt worden und hat sich trotz aufgetretener Schwierigkeiten in der Praxis bewährt!. Wegen der Zunahme nichtinternationaler Konflikte gelangen er und die ihm zugrunde liegende Idee zu immer größerer Bedeutung. Bürgerkriege sind aus einer Reihe von Gründen in den letzten 30 Jahren immer häufiger geworden und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Die Gründe liegen in folgendem: -
Einmal die große Zahl unstabiler und künstlicher Staaten, die sich auf keine sichere politische und soziologische Grundlage abstützen.
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Der Zerfall der Staatsgesinnung und der Autoritätsverlust der Staatsgewalt, die immer mehr angegriffen und in Frage gestellt wird.
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Schließlich die Ideologisierung der zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen. Mächte, die als Träger einer missionarischen Weltanschauung auftreten, können es kaum zulassen, daß in einem Staat 1
über Art. 3 u. a. E. Castren, Civil War, Helsinki 1966, S. 84 - 89.
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eine andere Doktrin sich behauptet oder sogar neu die Herrschaft ergreift. So kommt es zur offenen oder verdeckten Einmischung in die inneren Verhältnisse anderer Staaten. Weil die direkte Auseinandersetzung unter den großen Mächten zu risiko reich geworden ist, tragen sie ihre Konflikte durch Satelliten als Stellvertreter aus und verlegen sie ins Innere nicht unmittelbar beteiligter Staaten. "Internationale", grenzüberschreitende Bürgerkriege und Aufstände kennzeichnen die gegenwärtige politische Lage und entziehen sich weitgehend der Erfassung durch das Recht. Krieg und Revolution verbinden und durchdringen sich in einem grauen Zwielicht2 • H.
Damit stellt sich immer dringlicher die Frage eines Ausbaus der Rechtsordnung, um die Verluste an Menschenleben einzuschränken und den Opfern der Waffengewalt erhöhten Schutz zu gewähren. Die Aufgabe bleibt gestellt trotz der ungewöhnlichen Schwierigkeiten. Das klassische Völkerrecht kannte eine klare Lösung. Sie bestand in der Anerkennung der Aufständischen als kriegführende Partei3 • Sobald diese Anerkennung ausgesprochen wurde, war das gesamte Kriegsund Neutralitätsrecht vollumfänglich anwendbar. Die Schwäche dieser Regelung bestand im Erfordernis des Anerkennungsaktes. Nach dem ersten Weltkrieg waren die Regierungen weniger und weniger geneigt, eine solche Anerkennung auszusprechen, so daß die Anerkennung als Kriegführende außer Gebrauch gekommen ist. So hat sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz veranlaßt gesehen, nach einer neuen Lösung zu suchen. Aufgrund langjähriger und gründlicher Vorbereitungen und nach zwei Konferenzen von Regierungsexperten hat es den Entwurf zu einem zweiten Zusatzprotokoll ausgearbeitet, das die bestehenden Genfer Abkommen ergänzen und ausbauen soll. Die Voraussetzungen der Anwendung des gemeinsamen Artikels 3 der Abkommen sollen dadurch nicht geändert werden. Das Zusatzprotokollliegt der vom schweizerischen Bundesrat im Jahre 1974 einberufenen Diplomatischen Konferenz über die Bestätigung und Entwicklung des auf bewaffnete Konflikte anwendbaren humanitären Völkerrechts als Grundlage für die Verhandlungen vor. Es enthält in 2 Zur Problematik des Bürgerkrieges heute Ch. Zorgbibe, La guerre civile, Paris 1968; derselbe, Pour une re affirmation du droit humanitaire des conflits armes internes, Journal du Droit international 97 (1970), S. 659; U. Scheuner, Krieg und Bürgerkrieg in der Staatenwelt der Gegenwart, Festschrift für Friedrich Berber, München 1973, S. 470. 3 Siehe hierzu die klare Darstellung bei F. A. v. d. Heydte, Völkerrecht I, Köln 1958, S. 194 - 197, und 11, Köln 1960, S. 125 - 128; und das Werk von E. Castren, Civil War, Helsinki 1966.
Vr. Regelung nichtinternat. bewaffn. Konflikte
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acht Titeln Vorschriften über den Anwendungsbereich, die menschliche Behandlung der in der Gewalt der Konfliktsparteien befindlichen Personen, die Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen, die Methoden und Mittel des Kampfes, den Schutz der zivilen Bevölkerung, die Durchführung von Hilfsaktionen und den Vollzug der verschiedenen Regeln'. IH. Umfang und Ausbau einer Normierung des Verhaltens der kämpfenden Parteien bei nichtinternationalen Konflikten hängen weitgehend davon ab, was unter diesen Begriff fällt. Hier liegt das entscheidende politische Problem. Je nach seiner Lösung ergeben sich Konsequenzen für die Ausgestaltung der Regelung. Entscheidet man sich für eine enge Definition, mit anderen Worten, bezieht man nur wenige spezifische Konfliktsarten, wie den eigentlichen Bürgerkrieg, ein, so erscheint es möglich, ein Protokoll mit weitgehenden und gen auen Regeln auszuarbeiten, das sich dem Recht der internationalen Konflikte annähert. Je weiter man hingegen die Definition faßt, je mehr der verschiedenen Arten von inneren Konflikten geregelt werden sollen, desto weniger Rechtssätze wird man aufstellen können. Die Staaten werden in diesem Fall nur einige wenige humanitäre Grundsätze annehmen. Diese Problematik hat sich schon auf der Genfer Konferenz 1949 gezeigt und sie ist anläßlich der Verhandlungen im Jahre 1975 der neuen Diplomatischen Konferenz wiederum deutlich in Erscheinung getreten5 • IV. Die Staaten sind einer völkerrechtlichen Regelung interner Konflikte grundsätzlich abgeneigt. Zahlreiche Gründe führen zu dieser Haltung: -
Rücksicht auf die Souveränität, die nach wie vor die Grundlage der Staatengesellschaft darstellt. Bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb eines Staates sind eine innere Angelegenheit "par exeellenee". Die Unterdrückung von Aufständen und - besonders aktuell - von Terrorakten würde erschwert. Zu den elementaren Aufgaben jedes Staates gehört gerade die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und die Durchsetzung der Staatsgewalt6 •
4 Vgl. hierzu F. Kalshoven, Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applieable in Armed Conflicts: The First Session of the Diplomatie Conference, Geneva, 20 February - 29 March 1974, Netherland Year-book of International Law V (1974), Leiden 1975, S. 3 - 34. R. L. Bindschedler, Die Zukunft des Kriegsrechts, Festschrift für Friedrich Berber, S. 73 - 74. 5 R. L. Bindschedler, a.a.O., S. 74. 8 Nach R. v. Ihering ist Ohnmacht die "Todsünde" des Staates; Der Zweck im Recht, I, 6. - 8. Auflage, Leipzig 1923, S. 243, 246. Dazu eindringlich
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Furcht vor ausländischer Einmischung. Völkerrechtliche Regeln über interne Konflikte könnten die Rechtsgrundlage für Interventionen anderer Staaten und internationaler Organisationen abgeben.
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Befürchtung, daß durch die staatliche Handlungsfreiheit einengende völkerrechtliche Regeln Aufstände und Revolutionen gefördert und ein Anreiz dazu geschaffen wird. In diesem Zusammenhang sind die innere Unstabilität zahlreicher Staaten und die Schwächung der Staatsgewalt ganz allgemein von besonderer Bedeutung.
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Zweifel an der sachlichen Durchführbarkeit einer Regelung interner Konflikte. So erweist sich im Gegensatz zu internationalen Auseinandersetzungen die Abgrenzung zwischen Zivilbevölkerung und bewaffneten Kräften als außerordentlich schwierig, wenn nicht gar als unmöglich; auf Seite der Aufständischen besteht der Unterschied oft nicht. Tatsächliche Umstände können verhindern, ihrer Freiheit beraubten Personen die vorgeschriebenen Lebensmittelrationen und ärztliche Pflege zuzuteilen, sofern nicht einmal die übrige Bevölkerung in genügender Weise versorgt werden kann. Hier liegt eine besondere Problematik der Entwicklungsländer.
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Schließlich die Rücksichtnahme auf das staatliche Prestige.
Diesen durchaus berechtigten Bedenken ist bei einer Regelung interner Konflikte Rechnung zu tragen. Wiederum zeigt sich die Beziehung zwischen der Umschreibung der zu regelnden Tatbestände und Art und Inhalt einer befriedigenden Normierung. Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob es im Interesse der Vermeidung von Opfern nicht zweckmäßiger wäre, die Abschreckung gegen innere Konflikte möglichst aufrechtzuerhalten und die Staaten zwecks rascher Beendigung solcher Auseinandersetzungen nicht mehr als nötig in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken; eine Überlegung, die für internationale Konflikte nur sehr bedingt angestellt werden kann, da die Verhältnisse völlig anders sind. V. In zwei Richtungen muß eine Abgrenzung der zu regelnden Tatbestände erfolgen: einmal gegenüber den internationalen, zwischenstaatlichen Konflikten und dann gegenüber inneren Gewalttätigkeiten, die eine völkerrechtliche Regelung nicht rechtfertigen und unannehmbar erscheinen lassen. Diese Abgrenzungen sollten klar und eindeutig sein7 • D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Recht und Staat 442/443, Tübingen 1975, vor allem S. 33. "Das Gewaltmonopol gehört daher zu den vitalen Lebensinteressen des Staats. Jede Beeinträchtigung ist mit einer Gefährdung der Staatlichkeit verbunden." 7 Darüber Castren, a.a.O., S. 26 - 38.
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VI. Internationale und demgemäß nicht innere Konflikte sind solche, bei denen sich Staaten oder allenfalls andere Völkerrechtssubjekte gegenüberstehens. Dazu kommt der Fall, daß ein dritter Staat auf Seiten der Aufständischen in einem inneren Konflikt gegen die legale Regierung eingreift. Erfolgt die Intervention auf Seite der Regierung, sei es auf deren Wunsch oder mit deren Zustimmung, so ändert sich der Charakter des Konfliktes als innerer nicht. Auf die Frage der - gegenwärtig umstrittenen - Zulässigkeit derartiger Interventionen soll hier nicht eingetreten werdenD. Dieser Abgrenzung entspricht der gemeinsame Artikel 2 der Genfer Abkommen von 1949, wo von den Hohen vertragschließenden Parteien die Rede ist. Am 22. März 1974 hat nun die Kommission I der neuen Diplomatischen Konferenz in Genf mit 70 gegen 21 Stimmen und 13 Enthaltungen einen Artikel 1, Absatz 2, des Zusatzprotokolls über die internationalen Konflikte angenommen, der eine neue Abgrenzung enthäItl°. Nach dieser Bestimmung werden als internationale Konflikte verstanden auch bewaffnete Auseinandersetzungen, in welchen die Völker in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes gegen koloniale Herrschaft, ausländische Besetzung und rassistische Regierungssysteme kämpfen. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß das gesamte Kriegsrecht auf derartige Konflikte anzuwenden ist. Die neue Bestimmung wird zu Schwierigkeiten in Auslegung und Anwendung führen. Sie umfaßt sowohl Konflikte, bei denen es um die Sezession geht, wie auch solche, die eine Änderung des inneren Regimes zum Gegenstand haben. Das Statut der "Befreiungspartei" wird an keine Voraussetzungen hinsichtlich Organisation, Führung und Umfang gebunden. Es stellt sich ferner die Frage, ob alle oder nur bestimmte Befreiungskämpfe erfaßt werden. Die Erwähnung von Kolonialherrschaft und rassistischen Regimes weist auf die gegenwärtige Situation in Afrika und gewissen Teilen Asiens hin. Zum gleichen Schluß führen die Verhandlungen während der Konferenz sowie das in anderen Fällen innerer Auseinandersetzun8 Ohne Rücksicht auf ihre gegenseitige Anerkennung (von der Anerkennung als kriegführende Partei abgesehen). So ausdrücklich Art. 13 des ersten und zweiten und Art. 4 A Ziff. 3 des dritten Genfer Abkommens. Es genügt das Vorhandensein einer stabilen und unabhängigen territorialen de facto Organisation, so daß auch der Fall geteilter Staaten inbegriffen ist. Vergleiche hierüber D. Bindschedler, A Reconsideration of the Law of Armed Conflicts, Carnegie Endowment for International Peace, New York 1971, S. 51; Castren, a.a.O., S. 31. 9 Dazu die Berichte von D. Schindler für das Institut de Droit international, Annuaire de l'Institut de Droit international 55 (1973), S. 416 - 608, 745 - 789, sowie der Zusatzbericht vom Mai 1975; Zorgbibe, Reaffirmation, S. 667 - 670; U. Scheuner, a.a.O., S. 476 - 481. 10 Doc. CDDH/I/280 vom 3. April 1975.
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gen hartnäckige Festhalten an der Souveränität gerade der neuen Staaten. Andererseits handelt es sich bei Kämpfen gegen eine "occupation etrangere" um einen allgemeinen und nicht zeitgebundenen Tatbestand. Ebenso kann der Begriff "Kolonialherrschaft" auf andere Verhältnisse übertragen werden. Es ist auch nicht einzusehen, warum bestimmte Befreiungskämpfe bevorzugt und andere diskriminiert werden sollten. Darin würde eine Ungerechtigkeit liegen l l • Es ist jedoch anzunehmen, daß die engere Auslegung dem Willen der Mehrheit, die diesen Artikel angenommen hat, entspricht. Unter diesen Umständen wäre es allerdings vorzuziehen gewesen, in einem besonderen Instrument eine spezielle Regelung für die zur Zeit akuten Kolonialkonflikte zu schaffen. Die neue Bestimmung ist jedenfalls unklar. Eine Folge besteht darin, daß der Anwendungsbereich eines neuen Protokolls über innere Konflikte eingeschränkt und die Argumente der Gegner einer derartigen Regelung verstärkt werden, weil die sie vor allem interessierenden Fälle nicht mehr unter die Kategorie der inneren Konflikte fallen. Es wird damit politisch schwieriger werden, für das Protokoll II eine Mehrheit der Staaten zu finden. VII. Die Abgrenzung zwischen "völkerrechtswürdigen" und anderen Konflikten erweist sich als schwieriger. Kein Staat wird einer Einschränkung seiner Handlungsfreiheit gegenüber bloßen Unruhen, Demonstrationen, Meutereien, Bandentätigkeit, Revolten und Staatsstreichen zustimmen, auch wenn derartige Ereignisse größeren Umfang annehmen. Man hat versucht, für die Abgrenzung Kriterien aufzustellen. Es zeigt sich, daß sie alle nicht befriedigen, entweder zu weit oder zu eng sind. Das Vorhandensein einer Organisation oder Führung ist nicht ausschlaggebend, auch wenn man diese Merkmale noch zusätzlich als militärisch qualifiziert. In den meisten Fällen besteht eine gewisse Organisation und Führung; es würden bei Annahme dieses Kriteriums nur spontane Aktionen außer Betracht fallen. Gewöhnliche militärische Revolten bedürfen keiner besonderen Regelung. Würde man den Umstand, daß die Regierung gezwungen ist, die Armee einzusetzen, als entscheidend berücksichtigen, so würden zwei Fälle nicht in vernünftiger Weise gedeckt: nämlich wenn ein Staat nur über geringe und ungenügende Polizeikräfte verfügt und auch bei kleineren Unruhen zur Armee greifen muß, und wenn er überdurchschnittlich starke Polizei11 So auch Zorgbibe, Reaffirmation, S. 672. Kritisch auch D. BindschedZer, a.a.O., S. 52; KaZshoven, a.a.O., S. 33, der von einem "element of arbitrariness in selecting one particular, politically determined, category of non-interstate conflicts" spricht.
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truppen besitzt, die den Einsatz der Armee überflüssig machen. Ein weiteres Kriterium, nämlich die Besetzung oder die Kontrolle eines Teils des Staatsgebiets, entspricht nicht mehr den heutigen Realitäten der fluiden Kampfführung und des Guerillakriegs; man hat es häufig mit einzelnen, kleinen Gruppen zu tun, die zum Teil ohne sichtbare Koordination Überfälle und Terrorakte begehen. Auf die politische Zielsetzung der Aufständischen kann nicht abgestellt werden, weil Politik und gewöhnliches Verbrechen sich mehr und mehr vermischen und das Prinzip, wonach der Zweck die Mittel heiligt, schließlich zum Zusammenbruch der Rechtsordnung überhaupt führen müßte. Die Intensität der Feindseligkeiten erscheint als zu unbestimmtes Kriterium. Auf die Dauer der Auseinandersetzung abzustellen, scheitert daran, daß diese erst nachträglich überblickt werden kann; zu Beginn gäbe es eine mehr oder weniger lange Zeit, während der die Rechtsnormen nicht anwendbar wären12 • VIII. Der Entwurf des IKRK zu einem Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer nichtinternationaler bewaffneter Konflikte enthielt in Artikel 1 folgende Definition: ,,1. Le present Protocole s'appliquera a tous les conflits armes qui ne sont pas couverts par l'article 2 commun aux Conventions de Geneve du 12 aout 1949 et se deroulent entre des forces armees ou groupes armes organises, diriges par un commandement responsable. 2. Le present Protocole ne s'applique pas aux situations de troubles interieurs et de tensions internes, notamment aux erneutes, aux actes isoles et sporadiques de violen ce et autres actes analogues. 3. Les dispositions qui precedent ne modifient pas les conditions d'application de l'article 3 commun aux Conventions de Geneve du 12 aout 1949."
Dieser Entwurf wurde von der Kommission I der Konferenz am 17. März 1975 einstimmig folgendermaßen abgeändert und ergänzt1 3 : ,,1. Le present Protocole, qui developpe et complete l'article 3 commun aux Conventions de Geneve du 12 aout 1949 sans modifier ses conditions d'application actuelles, s'appliquera a tous les conflits armes qui ne sont pas couverts par l'article 1 du Protocole I et qui se deroulent sur le territoire d'une Haute Partie contractante entre ses forces armees et des forces armees dissidentes ou des groupes armes organises qui, sous la conduite d'un commandement responsable, exercent sur une partie de son territoire un 12 Ähnlich die Haltung des IKRK, Projets de Protocoles additionnels aux Conventions de Geneve du 12. 8. 1949, Commentaires, Geneve 1973, S. 138. Vgl. auch D. Bindschedler, a.a.O., S. 50, zu Artikel 3 der Genfer Abkommen; und Zorgbibe, Reaffirmation, S. 661 - 667; sowie Castren, a.a.O., S. 28. 13 Doc. CDDH/I/274 vom 26. März 1975.
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contröle tel qu'il leur perrnette de mener des operations militaires continues et concertees et d'appliquer le present Protocole. 2. Le present Protocole ne s'applique pas aux situations de tensions internes, de troubles interieurs, comme les erneutes, les actes isoles et sporadiques de violen ce et autres actes analogues, qui ne sont pas consideres comme des conflits armes." Der neue Text berücksichtigt nicht mehr den Fall, daß mehrere bewaffnete Faktionen sich bekämpfen14 • Als neues Kriterium wird die Kontrolle über einen Teil des Staatsgebiets eingeführt, in der Weise, daß sie den aufständischen Kräften erlaubt, fortgesetzte und zusammenhängende militärische Operationen zu führen und das vorliegende Protokoll anzuwenden. Es wurde bereits erwähnt, daß dieses Kriterium nicht mehr den heutigen Gegebenheiten entspricht und nur eine beschränkte Zahl von Fällen erfaßt. Das Vorliegen einer territorialen Kontrolle wird sicher, wenn immer möglich, von der legalen Regierung bestritten werden. Es erscheint damit fraglich, ob das neue Protokoll überhaupt zur Anwendung gelangen wird. Sowohl der Entwurf des IKRK wie der Text der Kommission I erfassen nur den Tatbestand des eigentlichen Bürgerkrieges, wobei die Kommission den Anwendungsbereich noch mehr eingeschränkt hat. Völlig eigenartig erscheint nun, daß nach dem neuen Artikel 1 Absatz 2 des Protokolls I für gewisse Befreiungskriege eine strengere und eingehendere Regelung gelten soll, obwohl das Vorliegen keiner der für das Recht der inneren Konflikte geforderten Minimalvoraussetzungen gemäß den oben aufgeführten Kriterien verlangt wird, geschweige denn derjenigen eines internationalen nach bisherigem Recht. Würden die heute vorliegenden Texte endgültig angenommen, so hätte man in Zukunft mit vier Kategorien von bewaffneten Konflikten zu rechnen, die sich auf dem Gebiet eines Staates abspielen: -
Befreiungskämpfe im Sinne von Artikel 1 des Protokolls I, die als internationale Konflikte betrachtet werden.
-
Bürgerkriege im klassischen Sinne, auf die das Zusatzprotokoll II anwendbar wäre. Innere Konflikte, auf die lediglich der gemeinsame Artikel 3 der vier Genfer Abkommen anwendbar wäre. Innere Auseinandersetzungen, die vom Völkerrecht überhaupt nicht geregelt werden.
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Im Gegensatz zum Entwurf des IKRK, Commentaires, S. 137 - 138.
Vr. Regelung nichtinternat. bewaffn. Konflikte
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IX. Skeptizismus zeichnet die Haltung einer großen Zahl von Staaten gegenüber einem Ausbau der Regelung des Verhaltens in nichtinternationalen Konflikten auf der neuen Genfer Konferenz aus. Es sind die oben angeführten Gründe, die zu dieser Stellungnahme führen. Der Delegierte Indiens in der Kommission I hat am 17. Februar 1975 die Notwendigkeit des Protokolls II überhaupt bestritten und erklärt, er könne dessen Bestimmungen nicht annehmen l5 . Kanada ist immer für eine weitgefaßte Definition und einen vereinfachten, knappen und allgemeinen Text eingetreten. Es hat am 24. März 1975 einen Gesamtentwurf eingereicht, der im Vergleich zu den 47 Artikeln des IKRK nur noch 29 umfaßt (zu denen allerdings 8 Schlußartikel zuzuzählen sind, die der Entwurf des IKRK enthält)16. Der Vorschlag beschränkt sich auf den Schutz der Opfer der Feindseligkeiten. Es geht im Grunde darum, den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen in einer für alle Staaten annehmbaren Form zu ergänzen. In einleitenden Bemerkungen wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß rechtlich gesehen die Rebellen als solche zu behandeln seien. Es müsse vermieden werden, ihnen eine gewisse Legitimität zuzuerkennen und damit die Hoffnung zu erwecken oder sie zu der Forderung zu veranlassen, das Statut des Kriegsgefangenen bei Gefangennahme zu erhalten. Die kanadische Konzeption enthält aber insofern einen Widerspruch, als sie die von der Kommission angenommene enge Definition und damit Einschränkung des Anwendungsbereichs auf den eigentlichen Bürgerkrieg übernommen hat; diese Kombination liegt unter dem Minimum des Anzustrebenden und Realisierbaren. Auf dem entgegengesetzten Standpunkt stehen die Philippinen, die in einem Vorschlag vom 7. April 1975 die Vereinigung bei der Protokolle zu einem einzigen für beide Arten von Konflikten postulieren 17. Als Begründung wird die weitgehende Gleichheit der Bestimmungen beider Protokolle angegeben. Immerhin enthält der Entwurf neben einer umfangreichen allgemeinen Regelung besondere Vorschriften für die internationalen und für die nichtinternationalen Konflikte. Für diese Lösung spricht, daß es denjenigen Staaten, die eine völkerrechtliche Regelung innerer Konflikte ablehnen, erschwert würde, die Ratifikation zu verweigern und damit auch auf das neue Recht der internationalen Konflikte zu verzichten; es wäre nicht mehr möglich, das eine Doc. CDDH/I/SR 23 vom 17. Februar 1975, S. 14. Doc. CDDH/212 vom 4. April 1975. 17 Doc. CDDH/214 vom 10. April 1975. Dazu S. Suckow, Conference on Humanitarian Law - Phase II, International Commission of Jurists Review, Nr. 14, June 1975, S. 53. 15
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Protokoll anzunehmen und das andere zu verwerfen. Allerdings ist diese Überlegung nicht zwingend; ferner könnte die Anwendung des Gesamttextes durch Vorbehalte auf zwischenstaatliche Konflikte beschränkt werden, sofern das neue Protokoll Vorbehalte nicht verbietet oder nur für bestimmte Fälle gestattet. Am extremsten erweist sich die Haltung Norwegens, das eine identische Regelung für alle Opfer aller bewaffneter Konflikte verlangt l8 •
x. Aufgrund obiger Überlegungen und der gegenwärtigen Lage kommt man zu folgenden Schlußfolgerungen: Die These des IKRK, sich auf den eigentlichen Bürgerkrieg, in dem sich bewaffnete Kräfte gegenüberstehen, zu beschränken und dafür eine ausgebaute und verfeinerte Regelung vorzusehen, erweist sich als durchaus konsequent. Die Kommission I hat diesen Zusammenhang durch eine weitere Einschränkung der Definition noch verschärft. Es ist aber zu befürchten, daß ein derartiges Zusatzprotokoll nur in seltenen Fällen angewandt würde; sollte Artikel 1 Absatz 2 des Protokolls I endgültig angenommen werden, so würde sich die Zahl der möglichen Anwendungsfälle noch mehr vermindern. Dazu kommt, daß das Vorhandensein der einzelnen Elemente der Definition im konkreten Fall bestritten werden wird und auch deshalb die Anwendbarkeit des Protokolls keineswegs feststeht. Es gibt keine unparteiische Instanz, die über diese Fragen verbindlich entscheiden könnte. Diese unklare Situation wird zweifellos Drittstaaten veranlassen, sich einzumischen oder Druck auf die eine oder andere Partei anzuwenden; Artikel 4 über die Nichtintervention wird hiegegen kaum ein Hindernis sein. Eine Rückkehr zur Lösung des klassischen Völkerrechts, nämlich der Anerkennung der Aufständischen als kriegführende Partei, kommt kaum in Betracht, weil die legale Regierung - auf die es in erster Linie ankommt - sich einer solchen Anerkennung unter allen Vorwänden entziehen würde. Die Anerkennung durch Drittstaaten kann wiederum zu Einmischungen führen und würde bei widersprüchlicher Haltung die Unklarheit vermehren. Gleiches würde gelten bei einer Übertragung der Anerkennungskompetenz auf die Vereinten Nationen!9. Es fragt sich deshalb, ob es nicht zweckmäßiger wäre, auf eine Definition überhaupt zu verzichten und den gemeinsamen Artikel 3 der Gen18
tu
z. B. Dokument Anmerkung 15, S. 4. über die Problematik der Anerkennung Zorgbibe, Reafflrmation, S.
672 - 680.
Vr. Regelung nicht internat. bewaffn. Konflikte
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fer Abkommen durch einige wenige, klare und anwendbare humanitäre Regeln zu ergänzen. Es ist die Lösung, zu der die Delegationen an der Genfer Konferenz von 1949 nach eingehender Diskussion gelangt sind und die zu Artikel 3 geführt hat. Heute kann ein weiterer Schritt getan werden. Das Schwergewicht wäre auf den Schutz der Opfer des Konfliktes zu legen. Dabei wäre vor allem auf die Gewährleistung der grundlegenden Menschenrechte abzustellen. Deren Schutz ist allgemein anerkannt und Gegenstand internationaler Regelungen. Wie der verehrte Jubilar es so eindringlich feststellte: das Völkerrecht ist letztlich um des Einzelmenschen willen da; der Mensch ist auch das vornehmste Schutzobjekt des Völkerrechts 20 • Der kanadische Vorschlag könnte als Muster dienen. Diese Lösung hätte den großen Vorteil, den Anwendungsbereich der neuen Regelung zu erweitern und unfruchtbare juristische Auseinandersetzungen wenn nicht zu vermeiden, so doch einzuschränken. Sie entspräche auch besser den heutigen Realitäten. Eine der vier Kategorien innerer Konflikte würde wegfallen, was die Rechtslage vereinfachen würde. Unter Umständen könnte man die Abgrenzung gegenüber gewöhnlichen Unruhen, Revolten und Banditenturn beibehalten, um allfällige Befürchtungen der Staaten zu zerstreuen. Die Staaten stehen vor der Entscheidung, zwischen dem Schutz der grundlegenden Rechte einer großen Zahl von Konfliktsopfern in zahlreichen Konflikten einerseits und einem weiter ausgebauten Schutz in einer beschränkten Zahl von Konflikten andererseits, zwischen einer zwar bescheideneren aber effektiven und wohl annehmbaren und einer weitergehenden aber nur selten zur Anwendung gelangenden Lösung, zu wählen. Auch hier ist das Bessere wahrscheinlich der Feind des Guten.
2Q a.a.O., H, S. 127. Ähnlich Zorgbibe, Reaffirmation, S. 660, 661, 664, 665; I. P. Blischtschenko, Die Definierung des humanitären Völkerrechts, Festschrift Berber, S. 81. Nach Castren sind die in der Charta der Vereinten Nationen erwähnten Menschenrechte unter allen Bedingungen zu achten, a.a.O.,
S.84.
DIE VORBEHALTSRECHTE DES GENERALGOUVERNEURS VON AUSTRALIEN Gedanken zur australischen Verfassungskrise im November 1975
Von Horst Blomeyer-Bartenstein Die Ereignisse, die sich Anfang November 1975 in Australien abspielten, haben dem Lande einen Schock versetzt, der noch nicht abgeklungen ist. Die VerfassungsrechtIer sind in ihrer Beurteilung völlig uneins. Die Auseinandersetzungen über das, was der geschriebenen Verfassung und der Verfassungskonvention bei den Vorgängen im Zusammenhang mit der Regierung Whitlam entsprochen hätte, sind noch in vollem Gange. Der Ruf nach einer Klärung der Lage durch Verfassungsänderung erklingt von beiden Seiten. Die Änderungswünsche beziehen sich auf die Stellung des Generalgouverneurs und auf die Kompetenz des föderativen Organs, des Senats. Sie beweisen, wie tief die Krise das Staatsbewußtsein erschüttert hat. Auch für den deutschen Beobachter sind derartige Entwicklungen in einem Bundesstaat nicht völlig ohne Interesse. Was war geschehen? Am 11. November 1975 entließ der Generalgouverneur von Australien, Sir John Kerr, den Ministerpräsidenten Edward Gough Whitlam mitsamt seinem Kabinett und beauftragte den Führer der Opposition, Maleolm Fraser, mit der Bildung einer Übergangsregierung bis zu den Neuwahlen des Parlaments. Anschließend löste er auf Antrag des neuen Ministerpräsidenten beide Häuser des australischen Parlaments auf und ordnete Neuwahlen an. Diese Maßnahmen hatten den Zweck, eine seit Wochen schwelende Krise zu lösen. Sie war dadurch entstanden, daß der von der Opposition knapp beherrschte Senat konsequent die Entscheidung über zwei Gesetze zur Finanzierung des Staatshaushalts (appropriation bills) verhindert hatte, um auf diese Weise die Neuwahl beider Häuser zu erzwingen. Der neue Ministerpräsident Maleolm Fraser war in der Lage, dem Generalgouverneur die sofortige Annahme der beiden Gesetze zu garantieren. Um 13.00 Uhr empfing Whitlam seine Entlassungsurkunde; kurz darauf wurde Fraser als neuer Prime Minister eingeschworen. Um 14.24 Uhr waren die Gesetze im Senat angenommen. Damit war die Regierungsmaschine aus dem Zustand der Läh3 Um Recht und Freiheit
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mung befreit, in den sie von der Opposition versetzt worden war. Das Geld floß wieder aus dem "Consolidated Revenue Fund" in die vorgesehenen Kanäle. Zugleich aber war ein tiefgreifender Streit darüber entstanden, ob der Generalgouverneur im Rahmen seiner Befugnisse gehandelt hatte. In der Kritik, die Sir John Kerrs Handlungsweise fand, zeigten sich grundlegende Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der verfassungsmäßigen Stellung des Generalgouverneurs. Für die jetzige Opposition, die Labor Partei und ihren Führer Gough Whitlam war das Verhalten Sir Johns unvereinbar mit ihrem Verständnis englischer Verfassungstradition. Whitlam ließ anzügliche Bemerkungen darüber fallen, daß seit Karl I, jedenfalls aber seit Georg IU, derartiges nicht mehr vorgekommen sei. Diese herbe Kritik zeigte jedoch auch, daß es nicht nur vom Amt des Generalgouverneurs, sondern auch von der Stellung des Parlaments und dem föderalistischen Aufbau des Staates unterschiedliche Auffassungen gab. Was den Generalgouverneur anbelangt, sieht man dessen Stellung in weiten Kreisen der Labor Partei als eine verwässerte Kopie der ohnehin geringen Machtbefugnisse des englischen Königs an. Whitlam drückte diese Auffassung in einer Rede auf dem Verfassungsseminar der Universität Melbourne am 6. August 1976 wie folgt aus: "Sections 2 and 61 of the constitution make it clear that the GovernorGeneral is the representative of the Queen, that it is her power he exercises. Whatever reserve powers the Governor-General enjoys can not be wider than the Queen's." Er zog daraus die Folgerung: "Since the reform bill of 1832 it has been axiomatic that the Sovereign acts only on the advice of ministers1." L. F. Crisp 2 beschreibt die Stellung des Generalgouverneurs wie folgt: "The history of the Governor-Generalship in the first fifty-four years of federation is thus a history of gradual but constant encroachment upon the initially very restricted personal initiative and discretion of its incumbents. In becoming ever more innocuous and politically unobtrusive it has provided an ever more satisfactory keystone to the constitutional arch. It provides a dignified ceremonial leadership to the government and the nation; it offers an adequate symbol of national unity and continuity above the day-to-day warfare of parties. Many States in Europe and beyond over the past century would have counted themselves weIl served by such a solution of the problem always presented by the office of Chief of State." Nach Canberra Times vom 7. August 1976. "Parliamentary Government of the Commonwealth of Australia", 3. Aufl., 1957, S. 236. 1
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Hier zeigt sich das große Mißverständnis, das zwischen den beiden Seiten hinsichtlich der Position des Generalgouverneurs besteht. Wenn auch Australien das Westminster-System ererbt hat, läßt sich doch die Verfassungspraxis im Vereinigten Königreich nicht ohne weiteres auf Australien übertragen. Die australische Verfassung vom 9. Juli 1900 ist eine schriftliche Fixierung gewisser britischer Verfassungsgrundsätze, die mit einem föderativen System verbunden wurden. Eine große Anzahl britischer Verfassungskonventionen wurden jedoch nicht fixiert, sondern offengelassen und zu einem großen Teil weiter angewendet. Hierzu gehörten u. a. das Verhältnis des Prime Ministers zum Generalgouverneur und der Bereich, in dem der Generalgouverneur befugt ist, selbständig zu handeln. Das Amt des Prime Ministers ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Verfassungsrechtlich ist er lediglich einer, und zwar der erste unter den Ministern Ihrer Majestät, für die Artikel 64 der Verfassung gilt: "The Governor-General may appoint officers to administer such departments of state of the Commonwealth as the Governor-General in council may establish. Such officers shall hold office during the pleasure of the Governor-General. They shall be members of the Federal Executive Council and shall be the Queen's Ministers of State for the Commonwealth." Als der verantwortliche Minister der Königin zeichnet der Prime Minister auch die Ernennungsurkunde des Generalgouverneurs durch die Königin (countersigned by one of our ministers of state for our Commonwealth (Ergänzung vom 26. November 1958 der "Letters Patent constituting the Office of the Governor-General" vom 29. Oktober 1900». Der Prime Minister ist es auch, der der Königin die Ernennung eines Generalgouverneurs vorschlägt. Die Einschätzung, die Crisp von der Stellung des Generalgouverneurs hatte, mußte eines Tages zu einer unangenehmen überraschung führen, wenn nämlich ein Mann diese Funktion übernahm, der als Jurist in der Lage war, die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten seiner Stellung zu analysieren und in einer kritischen Lage zum verantwortlichen Handeln bereit war. Der Blick nach London auf die dort seit Jahren geübten Konventionen hatte dazu geführt, daß die Entwicklung übersehen wurde, die in Australien aufgrund einer anderen verfassungsrechtlichen Situation eingetreten war. Der Generalgouverneur hatte sich immer mehr zum australischen Staatsoberhaupt entwickelt. Erstmals im Jahre 1931 war in der Person von Sir Isaac Isaacs ein Australier zum Generalgouverneur ernannt worden. Seit Sir Richard Casey (1965) hat Australien nur einheimische Generalgouverneure gehabt. Ähnliches gilt auch für die Gouverneure der Staaten. Diese Australisierung des Amtes lag durchaus im Sinne der Vorstellungen von Labor, die 3'
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zu einem Teil wenigstens - die Schaffung einer Republik im Rahmen des Commonwealth nicht ausschließen. Der Vorgänger Sir John Kerrs als Generalgouverneur von Australien, Sir Paul Hasluck (1969 - 1974) hat in einem viel zitierten Vortrag (William Queale Memorial Lecture, University of Adelaide, 23. Oktober 1972) eine sehr viel höhere Meinung von seinem Amte geäußert: "It will be plain from what I have said that the part played by a Governor-General in Australian government may vary with the personality and the qualifications of the Governor-General and on the way each occupant of the office chooses to interpret his role. Conceivably a Governor-General could be a cipher; do whatever he was told to do without question and have little influence on what happened. I have spoken on the assumption that Governors-General will be active and I fervently hope that Australia in the future will never have the misfortune to have an inactive one."
Die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen des Generalgouverneurs waren es denn auch, um die der Streit entbrannte. Zu den Vorbehaltsrechten des Generalgouverneurs gehören traditionell und unbestritten die Ernennung und Entlassung der Minister sowie die Auflösung des Parlaments. Da nach der englischen Verfassungstradition - die insoweit offenbar recipiert ist - die Auflösung des Parlaments grundsätzlich auf Vorschlag des Prime Ministers erfolgt, beschränkt sich das letztgenannte Recht, was die eigene Entscheidung anbelangt, auf die Ablehnung eines Antrags auf Auflösung. Die australische Verfassung bestimmt eindeutig, wann der Generalgouverneur auf den Rat des Executive Council hören muß, wann er also als Governor-General-in-Council zu handeln hat. Für die Ernennung und Abberufung der Minister, für die Auflösung des Parlaments und für die Anordnung von Neuwahlen ist diese Verpflichtung nicht statuiert. Für die britische Verfassungspraxis hat Prime Minister Asquith 3 in seinem Memorandum vom Dezember 1910 die enge Bindung des Königs an den Rat seiner Minister dahin formuliert, daß es die Pflicht des Königs sei, "to act on the advice of the Ministers who for the time being possess the confidence of the House of Commons". Die eingeschränkte Stellung des Monarchen definiert er wie folgt: " ... it is not the function of a constitutional sovereign to act as arbiter or mediator between riyal parties and policies, still less to take advice from the leaders on both si des, with the view to forming a conclusion of his own". 3 J. A. Spender and Asquith, "Life of Lord Oxford and Asquith", Vol. I, S. 305 - 306, zitiert nach: H. J. Evatt, "The King and his Dominion Governor", 2. Ausg., 1967, S. 78 - 80.
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Allerdings gibt Asquith in dem gleichen Memorandum zu, daß es für das Staatsoberhaupt technisch möglich sei, Minister zu entlassen, die einen ihm nicht zusagenden Rat erteilen. Die letzte Entlassung eines Prime Ministers aufgrund des Vorbehaltsrechts der Krone war allerdings die Entlassung Lord Melbournes im Jahre 1834 durch Wilhelm IV. Whitlam sah die Stellung des Prime Ministers in dem gleichen Sinne, wie sie sich unter Asquith im Verhältnis zur britischen Krone herausgebildet hatte. Tatsächlich wird in Australien der Wortlaut der Verfassung durch die Konvention ergänzt, daß der Generalgouverneur nicht nach eigenem Gutdünken handelt, sondern sich des Ratschlags seiner zuständigen Minister bedient. Sir Paul Hasluck formuliert diese Regel in der zitierten Ansprache wie folgt: "The Governor-General acts on advice whether he is acting in his own name or as Governor-General, but he has the responsibility to weigh and evaluate the advice and has the opportunity of discussion with his advisers. It would be percipitate ... for hirn to reject advice outright, but he is under no compulsion to accept it unquestioningly." Die Formel Asquiths paßt aber bei näherer Betrachtung nicht auf den australischen Fall. Asquith sprach von dem Rat der Minister, die das Vertrauen des Unterhauses besitzen, und er tat das in einer Situation der Auseinandersetzung mit dem Oberhaus. Whitlam hat sich einmal auf das Zitat als die Worte seines "distinguished colleague, Asquith" berufen. Dabei übersah er jedoch bewußt, daß die australische Verfassung von einem Parlament ausgeht, in dem Senat und Repräsentantenhaus gleichberechtigt sind. Der Senat, eine aus allgemeinen Wahlen hervorgehende Körperschaft von je 10 Vertretern pro Staat sowie von je 2 für das Northern Territory und das Capital Territory, stellt das föderative Element dar. Er kann deshalb nicht mit dem Oberhaus verglichen werden. Verfassungsrechtlich hat er das gleiche Gewicht wie das Repräsentantenhaus, mit der einzigen Ausnahme, daß er keine Gesetzesinitiative in Steuer- oder Haushaltsfinanzfragen hat. Labor mit seiner Mehrheit im Repräsentantenhaus und einer deutlich zentralistischen Politik mußte im Senat ein Hemmnis sehen. So lag es nahe, bewußt oder unbewußt dessen Rolle herunterzuspielen. Worte wie "snorers paradise" wurden geprägt. Whitlam berief sich darauf, daß er der "gewählte" Prime Minister sei und von der Mehrheit des Repräsentantenhauses getragen wird. Seine Haltung machte deutlich, daß sich in seinen Augen die Rolle des Senats derjenigen des Oberhauses annäherte. Das "responsible Government" ist für Whitlam eine Regierung, die über das Vertrauen des Repräsentantenhauses verfügt.
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Hier zeigt sich, daß die Berufung auf Asquith einen grundlegenden Fehler enthält. Asquith konnte dem Souverän entgegentreten als der Prime Minister, der das Vertrauen des gewählten Parlaments hatte. Da aber in Australien das Parlament aus zwei gewählten Häusern besteht und in der kritischen Zeit eine Patt-Situation zwischen diesen beiden Häusern bestand, die das Parlament funktionsunfähig machte, konnte sich Whitlam nicht auf das Vertrauen des Parlaments berufen. War es doch gerade das Parlament, das ihm den "Supply" abschnitt. Bei dieser Position des Prime Ministers erscheint die Frage, wie weit der Generalgouverneur an dessen Rat gebunden gewesen wäre, besonders delikat. In der Formulierung Asquiths war es das Vertrauen des Parlaments, das den Vorschlägen des Prime Ministers ihr besonderes Gewicht gab. Zu der Frage, ob der Generalgouverneur den Ratschlag seiner Berater eingeholt hat, läßt sich folgendes sagen: Sir John Kerr hat diesen Rat nachweislich gesucht. Nachdem der Schatten-Justizminister R. J. Ellicott ein Rechtsgutachten in der Presse veröffentlicht hatte, das den Generalgouverneur auf die Möglichkeit hinwies, den Prime Minister zu entlassen und einen neuen zu ernennen, der ihm den notwendigen "Supply" gewährleistete und ihm den Rat zur Auflösung des Parlaments gab, ersuchte Sir John Kerr Whitlam um die Vorlage einer Ausarbeitung über die Gegenargumente der Regierung. Dieses Gutachten wurde ihm von dem Attorney-General, Kep Enderby, am 6. November vorgelegt. In ihm wurde nicht in Abrede gestellt, daß der Senat das Recht habe, "Supply" zu verweigern. Ebensowenig wurde versucht, die Vorbehaltsrechte des Generalgouverneurs, Entlassung der Minister und Auflösung des Parlaments, prinzipiell zu leugnen. "After all the constitutional provisions but recognise that the Ministry holds office during His Excellency's pleasure (section 64) and that he may dissolve the Representatives before the expiry of its term (sections 28 and 5). They do not, considered alone, afford any guide as to the circumstances when the extreme and abnormal reserve powers of dismissal of a Ministry and consequent dissolution of the Representatives should or may be exercised, or even that they still exist. This is the field of convention and discretion. But it is, we think, not correct to treat the exercise of these powers as demanded when refusal of supply is threatened or when it occurs. To do so is to deny, for example, a Vi ce-Regal authority to offer suggestions where the circumstances have reached a stage sufficiently grave to warrant His Excellency's adoption of that course, bearing in mind that the cardinal rule is that the Crown whould not ,withdraw these differences from their proper sphere'." Der Generalgouverneur hat nicht nur den Ratschlag seiner zuständigen Berater in der Regierung über die Rechtslage eingeholt, er hat
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auch wiederholt seine Regierung darüber befragt, wie sie sich das Weiterarbeiten nach Erschöpfung der zur Verfügung stehenden Geldmittel denke. Der Inhalt der Notmaßnahmen, die im wesentlichen auf außerordentliche Kreditaufnahmen der Regierung im Wege von Schuldverschreibungen hinausliefen, war ihm bekannt; der Justizminister hatte ihm die Verfassungsmäßigkeit - die nicht ganz außer Zweifel stand ausdrücklich bestätigt. Der Prime Minister hielt also den Generalgouverneur über die Lage informiert. Er gab ihm aber nicht den Ratschlag, das Parlament aufzulösen, der von der Opposition gefordert wurde und der nach der Verfassungspraxis bei Lage der Dinge zumindest möglich war. Whitlam trug sich lediglich mit dem Gedanken, die Neuwahl einer Hälfte des Senats vorzuschlagen. Dieser Schritt hätte ihm möglicherweise die notwendige Mehrheit im Senat gebracht. Bis zu einer Neuwahl wäre aber das Finanzproblem nicht gelöst worden. Die Politik des Prime Ministers lief auf einen Nervenkrieg mit der Opposition hinaus. Er rechnete damit, daß einige oppositionelle Senatoren im letzten Moment doch bei einer Abstimmung über den "Supply" umschwenken würden, weil sie innerlich mit der Politik der Verweigerung bzw. der Verzögerung der Mittelbewilligung zu taktischpolitischen Zwecken nicht einverstanden waren. Sir John Kerr muß sich als erfahrener Jurist und als Mann mit einer hohen Vorstellung von der Verantwortung seines Amtes schon längere Zeit Gedanken über die Lösung des Verfassungskonflikts gemacht haben. Er war zu der Überzeugung gelangt, daß die Krise nur durch Auflösung des Parlaments und Neuwahlen gelöst werden könne. In der selbstentworfenen Zusammenfassung seiner Gründe schrieb er am 11. 11. 1975: "It has been necessary for me to find a democratic and constitutional solution to the current crisis which will permit the people of Australia to decide as soon as possible what should be the outcome of the deadlock which developed over Supply between the two Houses of Parliament and between the Government and the Opposition parties. The only solution consistend with the Constitution and with my oath of office and my responsibilities, authority and duty as Governor-General is to terminate the commission as Prime Minister of Mr. Whitlam and to arrange for a caretaker government able to secure Supply and willing to let the issue go to the people.
I shall summarise the elements of the problem and the reasons for my decision which places the matter before the people of Australia for prompt determination. Because of the federal nature of our Constitution and because of its provisions the Senate undoubtedly has constitutional power to refuse or defer Supply to the Government. Because of the principles of responsible government a Prime Minister who cannot obtain Supply, including money for carrying on the ordinary services of government, must either advise a general election or resign. If he refuses to do this I have the authority and
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indeed the duty under the Constitution to withdraw his Commission as Prime Minister. The position in Australia is quite different from the position in the United Kingdom. Here the confidence of both Houses on Supply is necessary to ensure its provision. In the United Kingdom the confidence of the House of Commons alone is necessary. But both here and in the United Kingdom the duty of the Prime Minister is the same in a most important respect - if he cannot get Supply he must resign or advise an election. If a Prime Minister refuses to resign or to advise an election, and this is the case with Mr. Whitlam, my constitutional authority and duty require me to do what I have now done - to withdraw his commission - and to invite the Leader of the Opposition to form a caretaker government - that is one that makes no appointments or dismissals and initiates no policies, until a general election is held. It is most desirable that he should guarantee Supply. Mr. Fraser will be asked to give the necessary undertakings and advise whether he is prepared to recommend a double dissolution. He will also be asked to guarantee Supply."
Die Gedankenführung entspricht weitgehend den Argumenten Ellicotts. Das war zweifelsohne für Whitlam, der Sir John als ehemaligen Parteigänger von Labor für sein Amt vorgeschlagen hatte, bestürzend. Bevor Sir John jedoch den letzten Schritt tat, hatte er den Chief Justice von Australien, Sir Garfield Barwiek, um seinen Rat zu der beabsichtigten und schon im einzelnen festgelegten Lösung gebeten. Sir Garfield antwortete noch am gleichen Tage (10. 11.) in einem Brief: "There is an analogy between the situation of a Prime Minister who has lost the confidence of the House of Commons and a Prime Minister who does not have the confidence of the Parliament, i. e. of the House of Representatives and of the Senate. The duty and the responsibility of the Prime Minister to the Crown in each case is the same: if unable to secure Supply to the Crown, to resign or to advise an election." Um die Befragung von Sir Garfield Barwick hat es einige Diskussion gegeben. Sir John Kerr hatte den Prime Minister nämlich schon am 25.10. gefragt, ob er den Chief Justice um Rat bitten solle. Whitlam hatte sich energisch hiergegen ausgesprochen. Es gilt als eine Verfassungskonvention, daß der Generalgouverneur den Rat des Chief Justice nur nach vorheriger Anfrage bei dem Prime Minister einholt. Diese Konvention hat aber, wie alle Konventionen, ihre politischen und logischen Grenzen. Wo die Frage der Entlassung der Regierung zur Entscheidung steht, kann nicht gut verlangt werden, daß der Generalgouverneur eine Stellungnahme zur rechtlichen Seite von dem Einverständnis des Regierungschefs abhängig macht. Ebensowenig kann natürlich auch der Rat der Regierung selbst zu der politischen Frage eingeholt werden, ob ihre Entlassung opportun ist, wenn sie zu erkennen gegeben hat, daß sie sich zum Durchhalten entschlossen hat.
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Allem Anschein nach war in Sir John Kerr der Entschluß, sich von Whitlam zu trennen, am 25.10. noch nicht gereift. Der Rat des Prime Ministers hinsichtlich der Befassung des Chief Justice war deshalb noch eingeholt und auch befolgt worden. Am 10.11. jedoch hatte sich die Lage anders entwickelt. Jetzt hatte der Generalgouverneur bereits eine erzwungene Auflösung im Auge. Er erwog, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in einer Ausnahmesituation zu handeln. Er mußte deshalb den bestmöglichen sachkundigen Rat in Anspruch nehmen. Die australische Verfassungslehre 4 hält es in der Tat für zulässig, daß der Generalgouverneur ausnahmsweise, wenn die Regierung sich weigert, die Auflösung anzuraten, eine Minderheitsregierung - im Zweifel aus der Opposition - einsetzen kann, die ihm dann die Auflösung vorschlägt. Eugene A. Forsey5 definiert diese sogenannte "forced dissolution" wie folgt: ". " when the Crown insists on dissolution and if necessary dismisses ministers in order to procure others who will tender the desired advice". Wenn auch gute Gründe dafür sprechen, daß der Generalgouverneur berechtigt war, aufgrund einer Patt-Situation im Parlament, die zu einer schwierigen haushaltsrechtlichen Lage führen mußte, zum Mittel der "forced dissolution" zu greifen, so hat sein Vorgehen doch in mancher Hinsicht Kritik herausgefordert. Diese Kritik konnte um so leichter entstehen, als neben der Verfassung, ergänzende Konventionen, politische Verhaltensregeln bestehen oder behauptet werden, die andere Schlußfolgerungen zulassen. Weil es sich hier nicht um Recht, sondern eine akzeptierte Praxis handelt, hat die Wissenschaft hier die Möglichkeit, sich Präzedenzien dafür und dagegen vorzuhalten. In diesen Bereich gehört die Frage, ob Sir John Kerr nicht doch hätte den Prime Minister vorab von seiner Absicht unterrichten, ihm evtl. noch eine Bedenkzeit hätte geben sollen. Dem steht entgegen, was kaum ein Autor bezweifelt, daß nämlich in einem solchen Falle der Prime Minister sofort bei der Königin die Abberufung "seines Generalgouverneurs" beantragt hätte. Dieser Bitte wäre ohne Zweifel alsbald stattgegeben worden. Aber schon von dem Augenblick des Antrags an wäre Sir John Kerr nicht mehr in der Lage gewesen, die Entlassung des Prime Ministers auszusprechen. Darüber hinaus wäre, selbst wenn Sir John sich sozusagen geopfert hätte, die Frage der Haushaltsfinanzierung ungelöst geblieben, die Verfassungskrise hätte sich noch vertieft 6 • Vgl. Crisp, a.a.O., S. 228. "The Royal Power of the Dissolution of Parliament in the British Commonwealth", 1968, S. 71. 6 Vgl. Francis West, Australian Quarterly 1976 I, S. 57. 4
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Eine weitere Frage ist die folgende: War die Patt-Situation wirklich unlösbar und berechtigte deshalb zur "forced dissolution", oder aber gab es nicht doch Mittel, sie zu überwinden? Das Gutachten des Attorney-General stellt die Notwendigkeit der Auflösung ausdrücklich in Abrede: "The mere threat of, or indeed the actual refusal of Supply neither calls for the Ministry to resign nor compels the Crown's Representative to in tervene. " Das Gutachten weist auf die Möglichkeit hin, daß der Generalgouverneur von sich aus Vorschläge für die Bewältigung des Patts macht und unterstreicht warnend die These von der Notwendigkeit, daß er nur auf Vorschlag der Regierung handelt. Hier liegt zweifellos ein Punkt, an dem Sir John Kerr sich Angriffen ausgesetzt hat. Zunächst lagen am 11. November noch fast 3 Wochen vor dem voraussichtlichen Versiegen der Haushaltsmittel. Die von der Regierung vorbereiteten Überbrückungsmaßnahmen (u. a. Ausgabe von Regierungsschuldscheinen) waren wirtschaftlich vertretbar - sie bezogen sich auf Steuermittel, die in der Staatskasse bereits vorhanden waren -, verfassungsmäßig vielleicht angreifbar. Der Generalgouverneur hat jedoch dieses Problem kaum angerührt. Jedenfalls hat er am 6.11., als ihm der Justizminister Kep Enderby und der Finanzminister Hayden diese Maßnahmen und ihre rechtliche Begründung vortrugen, nicht Anstalt gemacht, die Verfassungsmäßigkeit ernsthaft zu beanstanden. Das frühzeitige Eingreifen des Generalgouverneurs vereitelte die Absicht der Regierung, im Nervenkrieg mit der Opposition zu obsiegen. Sie konnte hoffen, daß einige Senatoren in letzter Minute aus dem Lager der Opposition abspringen würden, dies vor allem dann, wenn der Generalgouverneur die Neuwahl der Hälfte des Senats zeitlich vorverlegt hätte. Als der Prime Minister am 11. November mittags beim Generalgouverneur erschien, um diesen Vorschlag schriftlich vorzulegen, erklärte Sir John, ihm zunächst eine Mitteilung machen zu müssen. Diese Mitteilung war die Entlassung. So ist es nicht verwunderlich, daß Labor das Eingreifen des Generalgouverneurs als Parteinahme, als eine politische Entscheidung gegen die Regierung ansieht. Um eine politische Entscheidung handelt es sich in der Tat. Niemand wird aber behaupten können, daß sie aus Opportunismus erfolgt sei. Hätte der Generalgouverneur nicht gehandelt, wäre seine persönliche Stellung, gleich wie die Verfassungskrise ausgelaufen wäre, unerschüttert geblieben. Daß er politische Verantwortung auf sich nahm, ist sicher nicht aus persönlichen Motiven geschehen. Sein Entschluß muß auf dem Hintergrund der gesamten innenpolitischen Situation gesehen werden. Die Verschlechterung der Wirtschaftslage, für die in der Öf-
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fentlichkeit die Politik der Labor-Regierung verantwortlich gemacht wurde, die Skandale um die Petrodollar-Anleihen, in die Mitglieder der Regierung verwickelt waren, hatten zu einem erheblichen Popularitätsverlust der Regierung Whitlam, ja der Labor Partei geführt. Die Wahlen haben dies später bestätigt. Niemals ist die liberale Partei mit solcher Stärke in das Repräsentantenhaus zurückgekehrt. Bei dieser Sachlage hatte der Umstand, daß die Regierung Whitlam nicht über das Vertrauen beider Häuser verfügte und das Parlament sich in einer Patt-Situation befand, ein wesentlich größeres, für den Generalgouverneur offenbar entscheidendes Gewicht. Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage, warum der Generalgouverneur den Artikel 57 der Verfassung für die Auflösung beider Häuser heranzog. Er setzte sich damit dem Vorwurf der Unlogik, ja eines Mißbrauchs aus. Artikel 57 gibt dem Generalgouverneur das Recht, beide Häuser aufzulösen, wenn der Senat eine Gesetzesvorlage zweimal abgelehnt hat. In der laufenden Legislaturperiode hatten sich 21 derartige Gesetze angesammelt, die von der liberalen Opposition wegen angeblicher zentralistischer oder sozialistischer Tendenzen abgelehnt worden waren. Die in Artikel 57 vorgesehene Auflösung hat den Zweck, das Zustandekommen eines aufgehaltenen Gesetzes zu ermöglichen. Daß der neue Prime Minister Fraser, bisher Führer der parlamentarischen Minderheit, auf Artikel 57 gestützt die Auflösung beantragte, schuf den Eindruck einer mißbräuchlichen Handhabung, konnte seine Regierung doch gerade kein Interesse am Zustandekommen der Gesetze haben. Die Patt-Situation hatte sich in der Frage des Supply gebildet. Die Nichtverabschiedung der "Appropriation Bills" bot aber für sich selbst keine Handhabe für die Anwendung des Artikles 57. Der Generalgouverneur hat dieses Problem wohl gesehen. In seiner schriftlichen Begründung zur Entlassung Whitlams hat er dazu erklärt, daß nach seiner Auffassung Artikel 57 keine Bestimmung ist, die seine "reserve power" beschränkt. Er sieht darin also nur eine Spezialregelung, die sein generelles Auflösungsrecht nicht berührt. Sir Garfield Barwick hat in seinem Gutachten Artikel 57 nicht erwähnt, sondern lediglich von "general election whether of the House of Representatives or of both Houses of Parliament as that Government (das neu-beauftragte) may advise" gesprochen. Ebenso verhielt sich Ellicott in seinem o. g. Gutachten. In einem früheren Urteil im Falle Western Australia and others v. the Commonwealth vom 17. Oktober 1975 hatte Sir Garfield erklärt: "Proposed laws which twice have not been passed by the senate may not be stock-piled. They may not be laid aside against the possibility of the double dissolution founded on some event ... unrelated to the situation in which the stock-pileo or fltale hill was twice rejected by the senate."
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Horst Blomeyer-Bartenstein
Der Vorwurf des mangelnden Sachzusammenhangs zwischen den 21 Gesetzesentwürfen und der Verweigerung des Supply wird nicht von allen Kritikern geteilt. Auch in dem Zitat aus dem genannten Urteil handelt es sich um eine Minderheitsmeinung. Der Wortlaut der Verfassung spricht allerdings nur in Artikel 57 von der Doppelauflösung. In Artikel 4 heißt es dagegen, "the Governor-General may appoint such times for holding sessions of the Parliament as he thinks fit, and may also from time to time, by proclamation or otherwise, prorogue the Parliament, and may in like manner dissolve the House of Representatives". Die Verfassung gibt also, wörtlich genommen, dem Generalgouverneur nur das Recht zur Vertagung beider Häuser und zur Auflösung des Repräsentantenhauses. Sir John hat offenbar den Standpunkt angenommen, daß der Ausdruck Vertagung ohne Belang ist und daß Artikel 4 dem Recht zu einer Doppelauflösung nicht entgegensteht. Es ist anzunehmen, daß er sich dabei auf die sehr gründlichen Arbeiten von Professor P. H. Lane 7 zu Artikel 57 gestützt hat, der diesen Artikel als Lex specialis ansieht und ein außerordentliches Auflösungsrecht durch den Generalgouverneur aus der Klausel V. der "Letters Patent" herleitet, in der es heißt: "The Governor-General may on Our behalf exercise all powers under the Commonwealth of Australia Constitution Act, 1900, or otherwise in respect of the summoning, proroguing, or dissolving the Parliament of Our said Commonwealth. " Wenn Sir J ohn Kerr trotz des von ihm in Anspruch genommenen Vorbehalts rechts der doppelten Auflösung auf Artikel 57 zurückgriff, so mag dabei der Gedanke maßgebend gewesen sein, einen "air-tight case" zu schaffen. Sollte das allgemeine Recht zur doppelten Auflösung bestritten werden, konnte er sich immer noch auf Artikel 57 stützen. Tatsächlich wird dessen Anwendung im vorliegenden Fall nur von einigen wenigen Verfassungsrechtlern als unzulässig angesehen. Die Vorgänge rund um den 11. November 1975 haben die Stellung des Generalgouverneurs in das Rampenlicht der Öffentlichkeit gebracht. Prime Minister Fraser und der neue Justizminister Ellicott haben sich anläßlich des Verfassungs-Seminars in Melbourne ausdrücklich vor Sir John Kerr gestellt. Labor dagegen hat nicht nur dem Generalgouverneur persönlich, sondern auch seiner verfassungsmäßigen Stellung den Kampf angesagt. Der neue Labor-Premier von New South Wales, Neville Wran, hat hierzu in einem der National Times 7 P. H. Lane in "Australian Law Journal", 1973, Vol. 47, S. 290 f. (eine erschöpfende Arbeit).
Die Vorbehaltsrechte des Generalgouverneurs von Australien
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vom 16. August 1976 gegebenen Interview erklärt, er werde von dem neuen Gouverneur von New South Wales eine Garantie dafür verlangen, daß dieser nur nach dem Rat der Regierung handeln werde. "Any Labor politician who did not do that should get a rusty razor-blade and slowly, deliberately cut his throat in the light of what happened last November." Eine ähnliche Entwicklung wird man auch in Canberra erwarten können, sollte ein Labor-Minister wieder der Königin einen Generalgouverneur zur Ernennung vorschlagen. Daß damit die Stellung des Generalgouverneurs völlig ihrer besonderen Bedeutung im Bundesstaat entleert würde, ist Labor klar. Diese Entwicklung läßt die Worte von Eugene A. Forsey8 besonderes Gewicht gewinnen: "The dang er of royal absolutism is past; but the danger of Cabinet absolutism, even of Prime Ministerial absolutism, is present and growing. Against that danger the reserve power of the Crown, and especially the power to force or refuse dissolution, is in some instances the only constitutional safeguard. The Crown is more than a quaint survival, a social ornament, a symbol, ,an automation with no public will of its own'. It is an absolutely essential part of the parliamentary system. In certain circumstances, the Crown alone can preserve the Constitution, or ensure that if it is to be changed it shall be only by the deliberate will of the people."
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a.a.O., S. 259.
DAS DEUTSCH-POLNISCHE AUSREISEPROTOKOLL VOM 9. OKTOBER 1975
Ein Beitrag zur Abgrenzung von vertraglichen und nichtvertraglichen Verpflichtungen in der neueren Staatenpraxis Von Dieter Blumenwitz 1.
Den am innerstaatlichen Recht geschulten Juristen mag es verblüffen, daß es zweifelhaft sein kann, ob ein einverständlich abgefaßtes, schriftliches Dokument ein Rechtsvertrag oder eine sonstige (nichtrechtliche bzw. außerrechtliche - "non-legal") Absprache sein soll. Die noch nicht in Kraft getretene Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (WVK)t, die in weiten Teilen eine Kodifizierung schon bestehenden Völkergewohnheitsrechts auf dem Gebiet des Völkervertragsrechts enthält, gibt für die Problematik wenig her. Nach der in Art. 2 (1) (a) WVK enthaltenen Definition "bedeutet ,Vertrag' eine internationale Vereinbarung, die von Staaten in schriftlicher Form geschlossen wird und dem Völkerrecht untersteht, unabhängig davon, ob sie in einem einzelnen Dokument oder in zwei oder mehreren Dokumenten niedergelegt ist, und unabhängig von ihrer jeweiligen Bezeichnung" . Die WVK enthält aber keine Regelungen darüber, wie völkerrechtliche Verträge von schriftlichen Dokumenten zu unterscheiden sind, mit denen Staaten ihre Einigung über etwas ausdrücken, was gerade nicht vertraglich geregelt werden sollte. Die Konvention läßt auch offen, inwieweit Staaten durch einseitige Erklärungen ähnliche völkerrechtliche Wirkungen erzeugen können, wie sie gewöhnlich aus dem Abschluß völkerrechtlicher Verträge resultieren. In der Literatur ist deshalb zu Recht auf eine "unbeachtete Dunkelkammer von neuen Problemen" 1 Vienna Convention on the Law of Treaties, UN Doc. A/CONF. 39/27, May 23, 1969, in: Official Records - Documents, S. 287; auch abgedruckt z. B. in: ZaöRV 29 (1969), S. 711 (engl.lfranz.); AJIL 63 (1969), S. 875 (engl.). Inoffizielle deutsche Übersetzung des Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, in: JIR 15 (1971), S. 725, und bei Berber (Hrsg.), Völkerrechtliche Verträge (1973), S. 118. Wenn im folgenden nichts anderes angegeben ist, folgen wir der übersetzung des Kieler Institutes.
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verwiesen worden2 , deren Aufhellung in Anbetracht neuer Tendenzen in der zwischenstaatlichen Praxis von nicht geringer Bedeutung ist. Die Bundesrepublik Deutschland steht mit im Zentrum einer möglichen neuen Rechtsentwicklung in den zwischenstaatlichen Beziehungen3 • Dies belegen viele Begleitinstrumente zu Verträgen, die die Bundes2 WengLer, Rechtsvertrag, Konsensus und Absichtserklärung im Völkerrecht, JZ 1976, S. 193. 3 Ähnliche Probleme ergeben sich für internationale Organe durch das dort neuerdings vermehrt praktizierte "Konsensprinzip" (an die Stelle eines satzungsgemäßen Mehrheitsbeschlusses tritt ein durch Nichtwidersprechen reflektierter "Konsensus"); vgl. de Ladreit LacharrU~re, Consensus et Nations Unies, AFDI 1968, S. 6; Chai, Consultation et consensus: un aspect du fonctionnement du Conseil de Securite, New York (1971); Bastid, Observations sur la pratique du consensus, in: Multitudo legum - Jus unum (Festschrift für Wilhelm Wengier zu seinem 65. Geburtstag), Bd. I (1973), S. 11 ff.; ferner Cassan, AFDI 1974, S. 456 ff., und Cassesse, Riv. Dir. Int. 1975, S. 754 ff.; s. auch FaLk, New Approaches to the Study of International Law, AJIL 61 (1967), S. 477 ff.; Schachter, Towards a Theory of International Obligations, Virginia Journal of International Law 8 (1968), s. 300 ff.; Simma, Völkerrecht und Friedensforschung, Friedenswarte 57 (1974), S. 65 ff. (76); Tomuschat, Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, ZaöRV 36 (1976), S. 444 ff. (485); Frowein, Der Beitrag der internationalen Organisationen zur Entwicklung des Völkerrechts, ZaöRV 36 (1976), S. 147 ff. Eine breitere Öffentlichkeit wurde auf die Unterscheidung zwischen völkerrechtlichem Vertrag und sonstigen zwischenstaatlichen Verständigungen durch die am 1. August 1975 in Helsinki unterzeichnete Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (deutscher Text: BTDrucksache 7/3867 vom 23. Juli 1975) bekanntgemacht; allerdings besteht auch hier - wie die Diskussion der Konferenzergebnisse, insbesondere des sog. Prinzipienkatalogs, vor und nach Helsinki gezeigt hat - alles andere als Klarheit über die Tragweite und praktischen Auswirkungen des sog. "legal disc1aimer" in der Schlußklausel der KSZE-Schlußakte. Die Frage nach vertraglicher oder nur vertrags ähnlicher Bindung wird schließlich auch angesprochen, wenn sich Staaten über die Voranwendung (vorläufige Anwendung) von völkerrechtlichen Verträgen verständigen (vgl. hierzu KreuzLer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, jur. Diss., Hamburg 1963; Wen gIer, Völkerrecht, Bd. I, S. 227; Picone, L'applicazione in via provvisoria degli accordi internazionali (1973); Digest of U. S. Practice (1974), S. 235; Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen (1974), S. 147 ff.), oder wenn - meist auf unterer Ebene - zwischenstaatlich relevante Fragen und ihre Lösung zunächst nur im Sinne einer bestehenden oder künftigen Verwaltungspraxis "punktuiert" werden (in diese Kategorie dürften vermutlich die 25 Punkte umfassenden Verbesserungen im innerstaatlichen Reiseverkehr fallen, über die sich Staatssekretär Gaus und der Stellvertretende Außenminister der DDR Nier am 8. September verständigt haben, vgl. "Süddeutsche Zeitung" (München) vom 10./11. September 1976). So wird in der sowjetischen Völkerrechtslehre in der Schlußakte - in Anlehnung an das "Konsensusprinzip" - eine "besondere Form der 'Villensharmonisierung der Teilnehmerstaaten" gesehen, die Völkerrechtsnormen enthalte; vgl. Malinin, Die Konferenz von Helsinki (1975) und das Völkerrecht (russ.), Pravovedinic 1976 Nr. 2, S. 20 ff. (21 f.); hierzu neuerdings Schweisfurth, Zur Frage der Rechtsnatur, Verbindlichkeit und völkerrechtlichen Relevanz der KSZE-Schlußakte, ZaöRV 36 (1976), S. 681 ff.; ferner Mahnke, Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) und die deutsche Frage, DA 1975, S. 922 ff (926).
Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975
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republik im Rahmen der sog. neuen deutschen Ostpolitik abgeschlossen hat und die - was ihren Rechtscharakter und ihre rechtliche Tragweite anbelangt - zweifelhaft geblieben sind.
11. Der rechtlich wie politisch umstrittenste Fall der neueren deutschen Staatenpraxis ist das im Zusammenhang mit den deutsch-polnischen Abkommen vom 9. Oktober 1975 vereinbarte Protokoll über Ausreisen. 1. Die Bundesregierung hat während des Ratifikationsverfahrens über Renten- und Unfallversicherung mit Nachdruck den Standpunkt vertreten, daß die Volksrepublik Polen mit dem Protokoll völkerrechtliche Verpflichtungen eingegangen ist, "die sich nach Wirksamkeit und Bestandskraft nicht von den Verpflichtungen unterscheiden, die sich aus den anderen Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 ergeben"'. Der Bundesrat war demgegenüber in Punkt 1 seiner Stellungnahme zum deutsch-polnischen Vertragswerk folgender Auffassung: "Die von der Bundesrepublik Deutschland zu erbringenden Leistungen sind in förmlichen völkerrechtlichen Verträgen festgelegt. Die von der Volksrepublik Polen in Aussicht gestellten Ausreisen werden dagegen lediglich in einem Protokoll behandelt, das nicht hinreichend verbindlich ist5 ." Die Volksrepublik Polen hat es vermieden, zu dem in der Bundesrepublik entbrannten Streit über die völkerrechtliche Qualität des Protokolls eindeutig Stellung zu beziehen6 • 4 Vgl. die gleichlautenden Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 16. Februar 1976 an den Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Bundesrates, Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger, und an den Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates, Staatsminister Dr. Horst Schmidt, die Argumente der Bundesregierung zur Vorbereitung der Sitzungen der Ausschüsse des Bundesrates zusammengefaßt haben (Bulletin, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Nr. 20, S. 197 - Bonn, 18. Februar 1976). 5 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975, Bundesratsdrucksache 633/75 vom 7. November 1975. e Die polnische Seite hat mehrfach ihre Bereitschaft signalisiert, sich "konsequent für die Durchführung der unterzeichneten Vereinbarungen einzusetzen" (vgl. z. B. die Erklärung des polnischen Außenministers, Stefan Olszowski, anläßlich der Unterzeichnung der deutsch-polnischen Vereinbarungen am 9. Oktober 1975 in Warschau, deutscher Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 und ergänzende Texte, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2. Aufl. 1976, S. 42 ff. (43 f.». Auch wenn man das sog. Ausreiseprotokoll zu den "Vereinbarungen" im Sinne der Erklärung rechnet, bleibt offen, ob die "konsequente Durchführung" der diesbezüglich übernommenen Leistungen auf Grund einer völkerrechtlichen Leistungspflicht erfolgt und eine etwaige Nichtdurchführung völkerrechtliche Folgen tätigt.
4 Um Recht und Freiheit
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2. Der für die Entscheidung der Streitfrage wesentliche Sachverhalt läßt sich kurz wie folgt beschreiben: a) Laut deutsch-polnischem Kommunique über den Besuch des Bundesministers des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, HansDietrich Genscher, in der Volksrepublik Polen am 9. und 10. Oktober 1975 7 unterzeichneten die Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Stefan Olszowski am 9. Oktober neben einem Abkommen über Rentenund Unfallversicherung nebst der dazugehörigen Vereinbarung 8 und einem Abkommen über einen Finanzkredit9 , 10 ein "Protokoll über Ausreisen"l1 folgenden Inhalts: "Der Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, und der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Volksrepublik Polen, Stefan Olszowski, sind am 1. August 1975 in Helsinki zusammengetroffen und haben einen Bericht über die Ergebnisse der Gespräche entgegengenommen, die zwischen dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Walter Gehlhoff, und dem Botschafter der Volksrepublik Polen, Waclaw Piatkowski, über humanitäre Fragen geführt worden sind. Sie nahmen von diesem Bericht zustimmend Kenntnis. Minister Olszowski stellte fest, daß in den Jahren 1971 bis 1975 auf der Grundlage der "Information der Regierung der Volksrepublik Polen" von 1970 etwa 65000 Personen die Ausreisegenehmigung für den ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erhalten haben. Abgedruckt in: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 54. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S. 396), nebst dazugehörender Vereinbarung über die pauschale Abgeltung von Rentenansprüchen vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S.401). 9 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Polen über die Gewährung eines Finanzkredits vom 9. Oktober 1975 (BGBl. 1976 II S. 566). 10 Neben den in den Anm. 8 und 9 genannten Abkommen unterzeichneten Bundesminister Genscher und der polnische Minister für Außenhandel und Seewirtschaft, Jerzy Olszewski, noch ein "Langfristiges Programm für die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit" (deutscher Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 31 ff.), ferner vereinbarten die Regierung der Bundesrepublik und die Regierung Polens am 7. Oktober 1975, daß die Versicherungsträger beider Staaten im Rahmen der Verpflichtungen beider Staaten als Mitglied der ILO die gegenseitigen Rentenzahlungen nach dem übereinkommen Nr. 19 der ILO vom 5. Juni 1925 über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei der Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen (RGBl. 1928 II S. 509) aufnehmen, vgl. BGBl. 1976 II S. 451. 11 Die 1975 vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hrsgg. 1. Auflage der deutschen Dokumentation zum deutsch-polnischen Vertragswerk bezeichnet das Dokument als "Protokoll" (a.a.O., S. 24), die 1976 erschienene 2. Auflage als "Ausreise-Protokoll und Information der Regierung der Volksrepublik Polen". 7
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Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975
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Minister Olszowski erklärte die Bereitschaft der Regierung der Volksrepublik Polen, unter Berücksichtigung aller Aspekte dieser Angelegenheit und im Bestreben nach ihrer umfassenden Lösung sich an den Staatsrat der Volksrepublik Polen zu wenden, um das Einverständnis zur Ausreise einer weiteren Personengruppe auf der Grundlage der "Information" und in übereinstimmung mit den in ihr genannten Kriterien und Verfahren zu erlangen. In diesem Zusammenhang stellte die polnische Seite fest, daß sie auf Grund der Untersuchungen der zuständigen polnischen Behörden in der Lage ist zu erklären, daß etwa 120 000 bis 125 000 Personen im Laufe der nächsten vier .Jahre die Genehmigung ihres Antrages zur Ausreise erhalten werden. Dies bezieht sich auch auf die Prüfung und Bearbeitung von bereits eingereichten Ausreiseanträgen von Personen, deren nächste Familienangehörige (Ehegatten sowie Verwandte in gerader Linie) in der Bundesrepublik Deutschland aus unterschiedlichen Gründen nicht zu ihren Familien in Polen zurückgekehrt sind. Die Ausreisegenehmigungen werden in dem vorgenannten Zeitraum möglichst gleichmäßig erteilt werden. Es wird keine zeitliche Einschränkung für die AntragsteIlung durch Personen vorgesehen, die die in der ,Information' genannten Kriterien erfüllen. Minister Genscher erklärte seinerseits, daß nach den geltenden Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich jedermann ausreisen kann, der dies wünscht. Dies gelte auch für jedermann, der auf Grund eines von den polnischen Behörden genehmigten Ausreiseantrages in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist und später wieder in die Volksrepublik Polen zurückzukehren wünscht. gez. Hans-Dietrich Genscher
gez. Stefan Olszowski"
Von den deutsch-polnischen Vereinbarungen war nur das Abkommen über Renten- und Unfallversicherung nach seinem Art. 19 ratifikationsbedürftig12 • Hinsichtlich des Protokolls verständigten sich die beiden Seiten außerhalb des Instruments darauf, daß der Außenminister der Volksrepublik Polen anläßlich des Austausches der Ratifikationsurkunden zum Abkommen über Renten- und Unfallversicherung 12 Die Vereinbarung (über die Rentenpauschale in Höhe von 1,3 Milliarden DM) zum Abkommen über Renten- und Unfallversicherung sollte nach ihrem Art. 4 erst in Kraft treten, nachdem die Bundesrepublik der Volksrepublik Polen notifiziert hat, "daß auf Seiten der Bundesrepublik die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind". Deshalb bezog die Bundesregierung die Vereinbarung in den Entwurf eines Gesetzes zum Abkommen über Renten- und Unfallversicherung mit ein (vgl. Bundestagsdrucksache 7/4310). Das Finanzkreditabkommen war nach seinem Art. 6 durch Notenaustausch in Kraft zu setzen, der wiederum von der Schaffung der haushaltsrechtlichen Voraussetzungen in der Bundesrepublik abhängig gemacht wurde. Das langfristige Programm für die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zusammenarbeit trat nach seinem Art. 5 bereits mit der Unterzeichnung in Kraft. Die Bundesregierung beschränkte sich hier auf eine Unterrichtung der gesetzgebenden Körperschaften, vgl. Bundestagsdrucksache 7/4184.
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einen Brief überreichen läßt, der die Unterrichtung über das Einverständnis des Staatsrats der Volksrepublik Polen gemäß dem Ausreiseprotokoll enthält 13 • b) Als sich Anfang März 1976 ein Scheitern des gesamten deutschpolnischen Vertragswerkes anzubahnen schien, weil der Bundesrat mit seiner CDU/CSU Mehrheit die von polnischer Seite im Protokoll in Aussicht gestellten Ausreisen für rechtlich nicht hinreichend abgesichert sah, notifizierte der polnische Außenminister mit Schreiben vom 8. März 1976 an seinen deutschen Amtskollegen den Wortlaut eines Interviews, daß er der Polnischen Presseagentur PAP zum Stand der deutsch-polnischen Beziehungen gegeben hatte. Das am 9. März 1976 in Polen veröffentlichte Interview spricht in zwei Punkten das Ausreiseprotokoll an; die Punkte 4 und 6 des Interviews lauten14 : "Die polnische Seite behandelt die in Helsinki zwischen der VRP und der BRD getroffenen Vereinbarungen in komplexer Form und in derselben Weise, und die sich aus ihnen ergebenden Verpflichtungen betrachtet sie als gleichermaßen verbindlich für jede der Seiten, unabhängig von der Bezeichnung, dem Charakter und dem mit den einzelnen Vereinbarungen verbundenen Ratifizierungsverfahren. Sie ist entschlossen, alle diese Vereinbarungen sowie die aus ihnen herrührenden Verpflichtungen nach ihrem Inkrafttreten konsequent und nach Treu und Glauben zu erfüllen. 6. Bekanntlich hat die polnische Seite im Protokoll unter anderem erklärt, daß im Laufe von vier Jahren etwa 120000 bis 125000 Personen die Genehmigung ihrer Ausreiseanträge auf Grund der ,Information' und gemäß den darin enthaltenen Kriterien und Verfahren erhalten werden. Darüber hinaus ist keine zeitliche Begrenzung für die Einreichung und die - möglichst zügige - Bearbeitung der Anträge von Personen vorgesehen, welche die in der ,Information' aufgeführten Kriterien erfüllen." c) Der Bundesminister des Auswärtigen nahm die Unterrichtung durch seinen polnischen Amtskollegen zum Anlaß eines neuen Schreibens an den polnischen Außenminister; der Brief vom 9. März 1976 hatte in seiner ursprünglichen Fassung in den maßgeblichen Passagen folgenden Wortlaut1 5 : ". .. Ihre Erklärung stellt noch einmal das in Helsinki erzielte und bei meinem Besuch anläßlich der Unterzeichnung der Vereinbarungen in Warschau am 9. Oktober 1975 bestätigte Einverständnis darüber klar, daß alle 13 Vgl. Erklärung des Bundesministers des Auswärtigen vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates vom 10. März 1976 (Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 144). 14 Deutscher Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 155 ff. 15 Das Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 9. März 1976 wurde in der Bundesrepublik nicht in seiner ursprünglichen Fassung veröffentlicht; Text der am 11./12. März 1976 geänderten, endgültigen Fassung in: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 148.
Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll vom 9. Oktober 1975
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sich aus den am 9. Oktober 1975 unterzeichneten Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen gleichermaßen verbindlich sind. Die Bundesregierung legt der erneuten Bekräftigung großen Wert bei, daß im Laufe von vier Jahren etwa 120000 bis 125000 Personen die Genehmigung ihres Antrags zur Ausreise auf der Grundlage der ,Information' und in übereinstimmung mit den in ihr genannten Kriterien und Verfahren erhalten werden und daß darüber hinaus keine zeitliche Einschränkung für die Einreichung und möglichst zügige Bearbeitung der Anträge von Personen vorgesehen wird, die die in der ,Information' genannten Kriterien erfüllen, was bedeutet, daß auch in diesen Fällen die Ausreisegenehmigungen nach den genannten Verfahren erteilt werden können ..." In den Beratungen des Vertragswerkes im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates am 10. März 1976 erschien den CDU/CSU regierten Ländern die Formulierung in dem genannten Schreiben vom 9. März 1976 "daß ... Ausreisegenehmigungen ... erteilt werden können", zu vage. Um ein Scheitern der deutsch-polnischen Verträge im Bundesrat zu vermeiden, erreichte Bundesminister Genscher in der Nacht vor den abschließenden Beratungen im Bundesrat am 12. März 1976 die Zustimmung der polnischen Regierung, in seinem Brief vom 9. März 1976 an den polnischen Außenminister das Wort "können" rückwirkend zu streichen 16 • Der Bundesrat gab daraufhin seine erforderliche Zustimmung zum Rentenabkommen. d) Der Austausch der Ratifikationsurkunden zum Rentenabkommen erfolgte am 24. März 1976 in Bonn 17 • Bei dieser Gelegenheit nahm der Bundesminister des Auswärtigen auch den Brief des polnischen Außenministers vom 15. März 1976 entgegen18 , der das im Ausreiseprotokoll angesprochene "Einverständnis des Staatsrats der Volksrepublik Polen" notifizierte und den Empfang des Schreibens des deutschen Außenministers mit folgenden Worten bestätigte 19 : "Mit Genugtuung stelle ich fest, daß meinem Verständnis nach die in Ihrem Brief enthaltenen Feststellungen dem Inhalt der Erklärung entsprechen, die ich der Polnischen Presseagentur am 9. März 1976 gegeben habe, und in diesem Sinne kann ich die in Ihrem oben erwähnten Brief enthaltenen Ansichten teilen." 16 Vgl. Pressemitteilung des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 86/76 vom 12. März 1976. 17 Die Vereinbarung über die Rentenpauschale ist gleichzeitig mit dem Abkommen über Renten- und Unfallversicherung am 1. Mai 1976 in Kraft getreten, vgl. Unterrichtung über das Vorliegen der innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten der Vereinbarung zu dem Abkommen über Renten- und Unfallversicherung durch die deutsche Seite, Text: Die deutschpolnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 154 f.; sowie BGBL 1976 II S. 463. 18 Vgl. Erklärung des Bundesministers des Auswärtigen anläßlich des Austausches der Ratifikationsurkunden zum deutsch-polnischen Abkommen über Renten- und Unfallversicherung am 24. März 1976, Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 191 f. 19 Deutscher Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 184 f.
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111. Im Mittelpunkt des Streits um das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll stand seine "hinreichende Verbindlichkeit". Damit werden zwei Problemkreise angesprochen: die Frage nach der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der übernommenen Verpflichtung und die Frage nach deren rechtsinhaltlicher Stringenz. 1. Völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen resultieren üblicherweise aus völkerrechtlichen Verträgen, jedoch muß nach einer neue ren Entwicklung im Völkerrecht auch die Möglichkeit einer völkerrechtlichen Verpflichtung aus einseitgem Versprechen in Betracht gezogen werden. Es gilt also, Verpflichtungen aus echten Rechtsverträgen von solchen aus bloßen Absprachen (in der anglo-amerikanischen Terminologie meist als "arrangements" im Gegensatz zu den "legal contracts" bezeichnet) zu unterscheiden. Dem entspricht auf der Seite der einseitigen Rechtsgeschäfte die Differenzierung zwischen dem rechtsverbindlichen Versprechen einerseits und einer bloßen Absichtserklärung oder politischen Bindung andererseits. Während die Unterscheidung zwischen einer Verpflichtung aus Vertrag und einseitigem Rechtsgeschäft möglicherweise rechtlich bedeutungsvoll ist, kommt der Differenzierung zwischen verschiedenen Formen des Nichtrechtsgeschäfts (z. B. zweiseitige Absprachen und einseitigen Absichterklärungen) allenfalls politische Bedeutung zu.
Für die Beurteilung der Frage, ob ein von zwei Staatenvertretern unterzeichnetes Dokument als Rechtsvertrag oder bloße Absprache verstanden werden soll, sind zum Teil objektive, zum Teil subjektive Kriterien maßgeblich. Ein z. B. als "Vertrag" gekennzeichnetes Dokument bedingt grundsätzlich eine unwiderlegbare Vermutung für den Rechtscharakter der von den Staatenvertretern erzielten Verständigung 20 • Dagegen können ein Protokoll, eine gemeinsame Erklärung ("joint statement") oder eine Absprache ("memorandum of understanding") sowohl eine rechtliche wie auch eine nur politische Bindung zum Gegenstand haben21 • Eine ausdrückliche Verständigung zwi20 Vgl. WengIer, JZ 1976, S. 194; allgemein zur Abgrenzung völkerrechtlicher Verträge von unverbindlichen Absprachen WengIer, Völkerrecht, Bd. I, S. 238 ff.; ders., Die Abgrenzung zwischen völkerrechtlichen und nichtvölkerrechtlichen Normen im internationalen Verkehr, in: Legal Essays (Festschrift für Castberg), Oslo 1963, S. 332 ff.; Rotter, Die Abgrenzung zwischen völkerrechtlichem Vertrag und außerrechtlicher zwischenstaatlicher Abmachung, in: Internationale Festschrift für A. Verdross zum 80. Geburtstag (1971), S. 413 ff.; F. Münch, Unverbindliche Abmachungen im zwischenstaatlichen Bereich, in: Melanges offerts a Juraj Andrassy (1968), S. 214 ff.; ders., Nonbinding Agreements, ZaöRV 29 (1969), S. 1 ff. 21 So wird z. B. die von den USA und der UdSSR erzielte "gemeinsame Erklärung" über strategische Angriffswaffen, die am 24. November 1974 in Wladiwostok unterzeichnet wurde, von der UdSSR als völkerrechtlich
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schen Staaten, daß eine erzielte Vereinbarung nicht als ein nach Art. 102 UN-Charta registrierbares Instrument behandelt werden so1l22, wird in aller Regel als "legal disc1aimer" zu werten sein und den von den Parteien intendierten Nichtrechtscharakter der übernommenen Verpflichtungen unterstreichen. Auch kann der Inhalt der übernommenen Verpflichtung zwingend auf einen Rechtsvertrag hinweisen, etwa wenn die Parteien die von ihnen übernommenen Leistungen im Instrument selbst als "vertragliche Verpflichtung" qualifizieren oder wenn sie die richterliche Entscheidung von Streitigkeiten aus völkerrechtlichen Bindungen ausdrücklich vereinbaren. Demgegenüber läßt die Formulierung von bloßen "Absichten", "Überzeugungen" oder "Erwartungen" nicht den Rechtscharakter eines Instruments vermuten23 • Fehlen markante Hinweise auf den Rechtscharakter einer übernommenen Verpflichtung, so muß die Absicht der Kontrahenten, sich rechtlich zu binden 24, im Einzelfall durch Auslegung erschlossen werden. Die bindender Vorvertrag angesehen; die USA gehen demgegenüber nicht von einem Vertragsschluß (auch nicht in der vereinfachten Form des "Executive Agreements") aus. Vgl. Wengler, JZ 1976, S. 194, Anm. 16. 22 Vgl. die Schlußklausel der KSZE-Schlußakte von Helsinki: "Die Regierung der Republik Finnland wird gebeten, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen den Text der vorliegenden Schlußakte, die nicht registrierbar nach Art. 102 der Charta der Vereinten Nationen ist, zur Weiterleitung an alle Mitglieder der Organisation als offizielles Dokument der Vereinten Nationen zu übermitteln." Vgl. hierzu Russell, The Helsinki Declaration: Brobdingnag or Liliput?, AJIL 70 (1976), S. 242 ff. (247); ferner - allgemein zur Registrierungsproblematik - Geck, Die Registrierung und Veröffentlichung völkerrechtlicher Verträge, ZaöRV 22 (1962), S. 113 ff. 23 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law, Foreign Relations Law of the United States, 2. Auf!. 1965, § 115 f. (S. 365): "In order to create an international agreement . " the statement of the parties must express more than a present intention or a personal or political commitment." 24 Besonders die US-amerikanische Praxis stellt es in erster Linie auf den Bindungswillen ab: ein Instrument, das nicht als bindend intendiert ist ("not intended to be binding") soll weder durch Bezeichnung noch durch Unterzeichnung zu einem völkerrechtlich bindenden Dokument werden, vgl. Digest US Practice 1974, S. 198. Dieser Auffassung hat sich im Zusammenhang mit dem deutsch-polnischen Ausreiseprotokoll auch die Bundesregierung angeschlossen: "Völkerrechtlich wird eine VerPflichtung ohne Rücksicht auf die gewählte Form immer dann begründet, wenn sich aus den Erklärungen bevollmächtigter Vertreter der beteiligten Staaten der Bindungswille ergibt", vgl. das Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 16. Februar 1976 zu den elf Punkten des Bundesrates (abgedruckt in: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 60 f.). Diese Staatenpraxis wird auch von der Völkerrechtslehre in Ost und West reflektiert, die den Prozeß des Zustandekommens eines völkerrechtlichen Vertrags übereinstimmend in zwei Abschnitten erfaßt: (1) Feststellung des Vertragstextes und (2) Einigung über die völkerrechtliche Bindung der festgestellten Verhaltensregeln, vgl. z. B. Wengler, Festschrift für Castberg, a.a.O. (Anm. 20) einerseits, und Tunkin, Völkerrechtstheorie (deutsche übersetzung von "Teorija mezdunarodnogo prava", Moskau 1970), Berlin (West) 1972, S. 246, andererseits. Auch die Wien er Vertragsrechtskonferenz maß dem spezifischen Willen der Staaten, sich völkerrechtlich zu binden ("inten-
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Frage, ob sich ein Staat völkerrechtlich oder nur "politisch" verpflichtet hat, ist eine echte Rechtsfrage. Haben sich zwei Staaten über den Rechtscharakter der von ihnen übernommenen Verpflichtungen nicht zu einigen versucht, bleiben die von Staatsvertretern einverständlich ausgesprochenen Sätze "politisch" ,bindend. 2. Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll enthält nach Form und Inhalt nichts, was eine unwiderlegbare Vermutung für eine rechtliche Bindung der bei den Seiten begründen könnte. a) Das Ausreiseprotokoll ist unstreitig nicht wie das Rentenabkommen ein formaler völkerrechtlicher Vertrag; immerhin könnte dann noch ein Vertrag vorliegen, der von der Bundesrepublik und Polen in vereinfachter Form abgeschlossen wurde. Die Bundesregierung hat auch mehrfach eingeräumt, daß das Protokoll kein "synallagmatischer gegenseitiger Vertrag" ist, d. h. die Bundesregierung faßt zu Recht die polnische Zusage in den Absätzen 3 und 4 des Protokolls nicht als Gegenleistung für die deutscherseits in Abs. 7 des Protokolls gegebene Erklärung über die Ausreisemöglichkeiten von Rückwanderern auf. Hier werden zunächst nur zwei - in ihren politischen Propositionen sehr ungleiche - Elemente der deutsch-polnischen Verhandlungen über humanitäre Fragen in einem Dokument zusammengefaßt. Die Erklärung des deutschen Außenministers entspricht im wesentlichen dem Brief der deutschen Seite zur Aussiedlungsfrage im deutsch-tschechoslowakischen Briefwechsel über die Regelung humanitäter Fragen anläßlich der Unterzeichnung des Vertrags über gegenseitige Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 11. Dezember 1973 25 • Auch hier konnte die Regelung der humanitären Frage, der von deutscher Seite große Bedeutung beigemessen wurde, nicht in das vertragliche Synallagma einbezogen werden26 • tion to cteate obligations and rights in international law"), in Zusammenhang mit Art. 2 Ziff. 1 lit. a WVK ("agreement ... governed by international law") elementare Bedeutung bei; vgl. UN Doc. A/CONF. 39/11/Add. 1, S. 346, und weiter zur Entwicklungsgeschichte Rotter, a.a.O., S. 431. 25 Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, Walter Scheel, an den Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, Bohuslav Chiioupek, vom 11.12.1973, jeweils Punkt 2 Abs. 2 (BGBL 1974 II S. 995 und 996): "Die deutsche Seite hat erklärt, daß in übereinstimmung mit den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetzen und Rechtsvorschriften Personen tschechischer oder slowakischer Nationalität, die dies wünschen, in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik aussiedeln können." 2& Vgl. Blumenwitz, Zur Nichtigkeit des Münchener Abkommens vom 29. September 1938 - Einige Bemerkungen zum Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik vom 11. Dezember 1973, in: Jahrbuch
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b) Soll deshalb das Ausreiseprotokoll ein völkerrechtlicher Vertrag sein, so kann es sich demnach nur um einen unvollkommen zweiseitigen Vertrag handeln. Bei unvollkommen zweiseitigen Verträgen gibt die Verpflichtung nur einer Partei dem Vertrag das Gepräge; Verpflichtungen der anderen Partei entstehen nur am Rande (allgemeine Treuepflicht) oder unter bestimmten Umständen. In diesem Sinne wäre das Protokoll als "völkerrechtlicher Vertrag" charakterisiert durch die von Polen eingegangene Verpflichtung, mindestens 120 - 125 000 Personen ausreisen zu lassen; die Bundesrepublik träfen allenfalls nur Nebenverpflichtungen, wie z. B. die Aufnahme der Ausreisewilligen. c) Gegen eine Interpretation des Protokolls in dieser Richtung lassen sich allerdings eine Reihe von Gründen anführen. (1) Wie die Bundesregierung mehrfach dargelegt hat, hat sich die Volksrepublik Polen bei den Vertragsverhandlungen beharrlich geweigert, die in Abs. 4 des Protokolls gegebene "Zusage" in der Form der übrigen am 9. Oktober 1975 unterzeichneten deutsch-polnischen Vereinbarungen zu geben. Nach den Ausführungen eines hohen Beamten des Bundesjustizministeriums im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages habe sich die Volksrepublik Polen gehindert gesehen, "vertragliche Verpflichtungen einzugehen, die sich nach ihrer Auffassung auf Bürger beziehen, die ausschließlich Bürger ihres Landes seien". Nach den Ausführungen des Vertreters des Auswärtigen Amtes wollten die Polen vermeiden, "sich hier durch den Abschluß eines formellen völkerrechtlichen Vertrages über die Aussiedlung dieses Personenkreises etwa nach außen auf unsere Ansicht in der Staatsangehörigkeitsfrage festzulegen" . Ob die Argumente der Volksrepublik Polen von der Sicht ihres innerstaatlichen Rechts und ihrer völkerrechtlichen Praxis begründet sind, ist hier nicht zu prüfen, da es bei der Ermittlung des völkervertraglichen Bindungswillens nur auf diesen, nicht aber auf die Gründe seiner Versagung ankommt. Maßgeblich erscheinen vielmehr folgende Erwägungen: Wenn sich ein Staat in den diesbezüglich geführten Verhandlungen expressis verbis weigert, eine Zusage in ein synallagmatisches Vertragsgefüge einzugliedern (Verpflichtung im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages), dann widerspricht es den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, seine Zusage als charakteristische Leistung eines unvollkommen zweiseitigen Vertrages zu deuten; denn andernfalls stünde der Erklärende sich schlechter als beim - expressis verbis abgelehnten für Ostrecht XVIII (1975), S. 181 ff. (204 f.). Im deutsch-tschechoslowakischen Briefwechsel wurden zwei einseitige Erklärungen miteinander verknüpft, ohne daß dadurch vertragliche Leistungspflichten entstünden.
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zweiseitigen Vertrag. Es liegt in diesem Fall vielmehr die Auslegung nahe, daß der Erklärende sich nicht vertraglich binden, sondern wenn überhaupt - nur aufgrund eines einseitigen Versprechens mit den für den Erklärenden möglicherweise günstigeren Modalitäten haften wollte. Auch die Differenzierung zwischen formalem völkerrechtlichem Vertrag und Vertrag in vereinfachter Form bietet keine überzeugenden Argumente für eine Auslegung im Sinne einer völkervertraglichen Verpflichtung. Erklärt Polen, es wolle durch den Nichtabschluß in einer bestimmten völkervertraglichen Form einen bestimmten Anschein vermeiden oder es könne aus innerstaatlichen Gründen Regelungen, die mit Staatsangehörigkeitsfragen im Zusammenhang stehen, nicht in vertraglicher Form abschließen, so erfaßt die Mitteilung bei objektiver Auslegung jede Form der völkervertraglichen Verpflichtung, da es - worauf sich die Bundesregierung mehrfach berufen hat27 keinen Unterschied zwischen einer völkerrechtlichen Verpflichtung aus einem formalen Vertrag und einer Verpflichtung aus einem in vereinfachter Form abgeschlossenen Vertrag gibt. (2) Die Bundesregierung hat im Laufe des Ratifikationsverfahrens in der Bundesrepublik eine Reihe von Gründen aufgeführt, die den Rechtscharakter des Protokolls unterstreichen sollen. (a) Einen Umstand, der für den rechtlichen Bindungswillen der polnischen Seite sprechen soll, sieht die Bundesregierung in Abs. 3 des Protokolls. Hier stelle die polnische Seite ihre konkrete Zusage über die Schaffung von Ausreisemöglichkeiten "analog zu dem bei einem zweistufigen Vertrag üblichen Verfahren - unter den Vorbehalt der Zustimmung des Staatsrats der Volksrepublik Polen"28.
Abs. 3 des Protokolls signalisiert zunächst nur die "Bereitschaft" der polnischen Regierung, sich unter Berücksichtigung aller Aspekte an den polnischen Staatsrat zu wenden, um das "Einverständnis zur Ausreise einer weiteren Personengruppe zu erreichen". Was den rechtlichen Verpflichtungsgehalt von Erklärungen über das Tätigwerden von Staatsorganen anbelangt, so werden diese in der Völkerrechtspraxis 29 , der insoweit auch das deutsche Bundesverfassungsgericht gefolgt ist, 27 Vgl. z. B. die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vereinbarungen (Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen zu den elf Punkten des Bundesrates, Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 60 f.). 28 Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vereinbarungen, a.a.O., S. 61. 29 Hier sind die sog. "personal commitments" von Staatsvertretern, sich persönlich für Ziele einzusetzen, die im Interesse eines anderen Staates oder Staatsorgans liegen, von vertraglichen Absprachen zu unterscheiden, die den vertretenen Staat binden, vgl. American Law Institute, a.a.O., S. 365; weitere Beispiele bei Rotter, a.a.O., S. 414 ff.
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eher zurückhaltend interpretiert30 . Ob der polnische Außenminister, Stefan Olszowski, in Abs. 3 des Protokolls formell mehr als nur die Bereitschaft der polnischen Regierung in Aussicht gestellt hat, sich an den Staatsrat der Volksrepublik Polen zu wenden, braucht heute nicht mehr entschieden zu werden, da der Staatsrat der Volksrepublik Polen auf der Sitzung vom 15. März 1976 "die im Protokoll enthaltenen Feststellungen der polnischen Seite akzeptiert und entsprechend dem Antrag der Regierung der Volksrepublik Polen sein Einverständnis zur Erteilung der Ausreisegenehmigung für etwa 120 000 - 125 000 Personen im Laufe der nächsten vier Jahre gegeben hat"31. Entscheidend ist, daß der polnische Staatsrat sein Einverständnis nicht in der Form gegeben hat, wie es die polnische Verfassung bei völkerrechtlichen Verträgen auch für Dritte erkennbar fordert. Aus dem Inhalt der Einverständniserklärung ergibt sich nicht einmal, daß das Protokoll als Instrument zur Genehmigung durch den Staatsrat vorgelegen hat, da sich die Erklärung nur auf die im Protokoll enthaltenen Feststellungen der polnischen Seite bezieht. Wegen der atypischen Behandlung des Protokolls durch den Staatsrat kann deshalb ein möglicher Zweifel an seiner völkerrechtlichen Verbindlichkeit durch den Hinweis auf seine Behandlung im polnischen innerstaatlichen Verfahren nicht beseitigt werden. Auch wenn man das Zusammenspiel von "Zusage" und "Einverständnis" als "analog" zum Ratifikationsverfahren bei einem zweistufigen völkerrechtlichen Vertrag deutet, so bleibt es doch nur bei einer "analogen" Anwendung, die grundsätzlich zwei verschiedene Regelungsgegenstände impliziert. So schließt das im Protokoll vorgesehene Verfahren nicht aus, daß sich das "Einverständnis" des polnischen Staatsrates möglicherweise nur auf eine politische oder nur auf eine einseitige "Zusage" der polnischen Regierung bezieht oder das Einverständnis zur Erteilung der Ausreisegenehmigung für etwa 120 000 - 125 000 Personen überhaupt nur als Akt des innerstaatlichen polnischen Rechts erscheint. Denn durch die Notifizierung des Einverständnisses des Polnischen Staatsrates durch den polnischen Außenminister allein kann noch keine völkerrechtliche Verpflichtung der 30 Vgl. z. B. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Petersberger Abkommen vom 22. November 1949 (BVerfGE 1, 351 ff.): Die Bundesregierung erklärte sich seinerzeit bereit, für die Dekartellisierung "gesetzgeberische Maßnahmen" zu treffen, die gewissen Maßstäben der Hohen Kommission entsprechen würden. Diese Erklärung wurde vom Bundesverfassungsgericht nur als Zusage der Bundesregierung gewertet, den deutschen Gesetzgebungsorganen entsprechende Vorschläge zu machen. Diese "Verpflichtung stand unter dem selbstverständlichen Vorbehalt freier Entscheidung der deutschen Gesetzgebungsorgane, die von der Regierung vorgelegten Gesetzesvorschläge zu billigen, zu verändern oder zu verwerfen" (a.a.O., S. 366). 31 Vgl. Schreiben des Außenministers der Volksrepublik Polen an den Bundesminister des Auswärtigen vom 15. März 1976. a.a.O. (Anm. 18).
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Volksrepublik Polen entstehen. Das von der deutschen und der polnischen Seite abgesprochene Verfahren hatte lediglich zum Ziel, daß die polnische Seite ihre - möglicherweise "nur politische" - Verpflichtung zur Erteilung von Ausreisegenehmigungen nicht vor der Verpflichtung der Bundesrepublik aus dem Renten- und Finanzabkommen eingeht und daß umgekehrt die Bundesrepublik nicht ohne die polnische Erklärung verpflichtet wird. Der bei dieser Interessenlage sich eigentlich anbietende Weg, einen rechtlichen Konnex zwischen Finanzkredit und Rentenpauschale einerseits und Ausreisegenehmigungen andererseits herzustellen, konnte wegen der Sittenwidrigkeit der Verbindung von Geldleistungen und Gewährung von Menschenrechten nicht eingeschlagen werden. Sucht man in Abs. 3 des Protokolls nach Anhaltspunkten, in welcher Form sich die polnische Seite zu binden beabsichtigte, so ist bedeutsam, daß die polnische Seite selbst zur "Grundlage" ihrer Erklärung zur Ausreise Stellung nimmt. Grundlage ist die sog. "Information" (Information der Regierung der Volksrepublik Polen über Maßnahmen zur Lösung humanitärer Probleme)32. Abs. 3 des Protokolls kann deshalb so ausgelegt werden, daß der eigentliche Verpflichtungsgrund nicht in der "Zusage" selbst (Abs. 4 des Protokolls) zu suchen ist, sondern in der "Information"33. Insoweit könnte es sogar an einer selbständigen, neuen Verpflichtung der Volksrepublik fehlen; es läge nur die Bestätigung einer früheren Willenserklärung vor 34 . Aber auch dann, wenn Polen beabsichtigt haben sollte, über die "Information" von 1970 hinaus zu leisten, stellt doch die Bezugnahme auf das Instrument klar, daß sich die polnische Regierung im Protokoll vom 9. Oktober 1975 nicht in einer anderen Form als der im Zusammenhang mit dem Abschluß des Warschauer Vertrags abgegebenen "Information" verpflichten wollte. Polen hat aber die Information vom 7. Dezember 1970 nie als völkerrechtliche Verpflichtung aufgefaßt; auch die Bundesrepublik hat in dem Dokument immer nur eine Vertragsgrundlage zum Warschauer Vertrag, nicht aber eine selbständige völkerrechtliche Verpflichtung Polens gesehen. Wenn nun die polnische Seite ihre Zusage ausdrücklich auf der Grundlage eines Dokuments ohne Rechtscharakter abgibt, so ist nicht zu vermuten, daß plötzlich auf einer nichtrechtlichen Grundlage Rechtspflichten entstehen sollen. 32 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 171 vom 8. Dezember 1970, S. 1817. 33 Auf dieser Linie liegt auch die von allen Parteien des Deutschen Bundestages getragene Feststellung: "Die ,Information der Regierung der Volksrepublik Polen' vom 7. Dezember 1970 gilt unabhängig von dem ,Protokoll' vom 9. Oktober 1975. Das Protokoll baut auf ihr auf und löst sie nicht ab." U Vgl. zur "promesse confirmation" Suy, Les actes juridiques unilateraux en droit international public, S. 140 f.
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(b) Die Bundesregierung beruft sich weiter darauf, daß das Ausreiseprotokoll zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland in eingehenden Verhandlungen ausgehandelt und von beiden Außenministern unterzeichnet worden sei; die polnische Zusage sei mit der Unterschrift des Außenministers der Volksrepublik Polen versehen und mit der Unterschrift des Bundesministers des Auswärtigen bestätigt sowie mit einer deutschen Gegenerklärung beantwortet worden 35 • Aus der Tatsache, daß eine Zusage Gegenstand zwischenstaatlicher Verhandlungen geworden ist, kann nichts bezüglich ihrer völkerrechtlichen Qualität hergeleitet werden; nur die Verhandlungsergebnisse, die völkervertraglich fixiert werden, haben diesen Charakter. Nicht jedes Dokument, das die Unterschrift der Außenminister zweier Staaten trägt, ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Bei einem derartigen Dokument kann es sich lediglich um die Wiedergabe einer Verhandlung handeln, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung von den Außenministern der in Vertragsverhandlung stehenden Staaten selbst geführt und wegen des maßgeblichen Inhalts der Verhandlungen unterzeichnet wurde (sog. Verhandlungsprotokoll). In einem derartigen Protokoll können einseitige korrespondierende oder nicht korrespondierende Erklärungen abgegeben werden, die - auch wenn Rechtsverbindlichkeit beabsichtigt sein sollte - deshalb noch nicht in vertraglicher Beziehung zu stehen brauchen. Schließlich kann ein Dokument, das an sich alle äußeren Anzeichen eines völkerrechtlichen Vertrags trägt, nur als politische Absichtserklärung intendiert sein. Die Bezeichnung des Dokuments als "Protokoll" (pol. "Zapisprotokolarny") spricht nicht unbedingt für eine von den Unterzeichnern intendierte vertragliche Bindung, da hier die völkerrechtliche Nomenklatur eine Reihe von sehr viel eindeutigeren Bezeichnungen zur Verfügung stellt (z. B. Vertrag, Abkommen, Abmachung, übereinkunft, Vereinbarung usw.). Die Abfassung des Dokuments erweist sich dem unbefangenen Leser eher als ein Verhandlungsprotokoll denn als ein vertraglich bindendes Protokoll. In Abs. 1 und 2 des Protokolls werden Verhandlungsabläufe und Ermittlungen mitgeteilt; bei einer vertraglichen Verpflichtung wäre hier eine Präambel oder Introduktion zu erwarten - vor allem dann, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um einen hochpolitischen Vertragsgegenstand und nicht nur, wie üblicherweise in Vertragsprotokollen, um die Regelung von Detailfragen handelt. Die eigentlichen Leistungsversprechen sind nicht - wie bei Verträgen üblich - als unbedingte Verpflichtungserklärungen, sondern mehr in der Form einer Information über Rechtslagen abgefaßt, die sich nicht aus dem Völkerrecht, sondern aus dem innerstaatlichen Recht des die 35 VgI. Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vereinbarungen, a.a.O., S. 61 (vgI. Anm. 6).
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Erklärung abgebenden Staates ergeben. Es fehlen weiter einige Indikatoren, die üblicherweise einigermaßen verläßlich auf eine völkervertragliche Verpflichtung deuten, wie z. B. die Registrierung des Dokuments nach Art. 102 UN-Charta, die Verständigung über den für die Auslegung maßgeblichen Text; es wurde davon abgesehen, die deutschen gesetzgebenden Körperschaften vom polnischen Wortlaut des Protokolls in Kenntnis zu setzen. Das Dokument wurde nur mit dem Namen der Außenminister gezeichnet. Es fehlt die Amts- oder Dienstbezeichnung; es fehlt weiter der bei Verträgen übliche Hinweis für wen und in welcher Eigenschaft das Dokument unterschrieben wurde 36 • Die genannten Umstände sollten nicht überbewertet werden, da das Völkervertragsrecht auch hier keine zwingenden Regeln vorsieht; immerhin handelt es sich - im Lichte der üblichen Völkerrechtspraxis um Indikatoren, die eher Zweifel an einer intendierten völkervertraglichen Bindung bestätigen als ausräumen. (c) Zugunsten der Rechtsverbindlichkeit der polnischen Zusage trägt die Bundesregierung weiter vor, daß das Ausreiseprotokoll bei der Unterzeichnung in Warschau nicht anders als die anderen Vereinbarungen behandelt worden sei. Es sei auch in Polen zusammen mit den anderen von den beiden Außenministern unterzeichneten Vereinbarungen am 10. Oktober 1975 in vollem Wortlaut veröffentlicht worden. Der polnische Ministerpräsident habe am 23. September 1975 vor dem Sejm erklärt, daß die Volksrepublik Polen alle getroffenen Vereinbarungen voll erfüllen werde 37 • Auch dieses Argument vermag nicht voll zu überzeugen: Aus dem Umstand, daß ein Dokument "im Zusammenhang" mit einem Vertrag unterzeichnet wurde, läßt sich rechtlich kaum etwas bezüglich seiner vertraglichen Natur herleiten. Ebenso liefert die Veröffentlichung eines Dokuments keinen schlüssigen Beweis für seine Rechtsqualität vor allem wenn die Publikation nicht in dem für die Bekanntmachung völkerrechtlicher Verträge vorgesehenen Gesetzblatt erfolgt. Aus der Erklärung des polnischen Ministerpräsidenten vor dem Sejm, alle getroffenen Vereinbarungen voll erfüllen zu wollen, ergibt sich nichts für die von der Bundesregierung behauptete völkervertragliche Verbindlichkeit der Zusage, da selbstverständlich auch Staaten, die sich nur politisch-moralisch verpflichten wollen, nach außen erklären, ihren 3ß Die gleichzeitig in Warschau unterzeichnete Vereinbarung zum Abkommen über Renten- und Unfallversicherung enthält z. B. den ausdrücklichen Hinweis "Für die Regierung der Volksrepublik Polen"; das Abkommen über Renten- und Unfallversicherung schließt mit der Formel "Für die Volksrepublik Polen" (vgl. oben Anm. 6). 37 Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vereinbarungen, a.a.O. (vgl. oben Anm. 6), S. 61.
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(nicht rechtsverbindlichen) Verpflichtungen nachkommen zu wollen, da sonst überhaupt keine (also auch keine politisch-moralische) Verpflichtung vorläge 38 • Wenn schließlich die Bundesregierung erklärt, die Volksrepublik Polen könnte von ihrer Zusage nicht wieder abrücken, ohne damit das Fundament anzugreifen, auf dem die Rentenregelung und das Finanzkreditabkommen beruhen39 , so werden hiermit nur Überlegungen aufgegriffen, wie sie seinerzeit im Zusammenhang mit der "Information" angestellt wurden, um eine eben nicht völkerrechtlich bindend eingegangene Verpflichtung außerhalb des strittigen Dokuments abzusichern 40 • 3. Die völkervertragliche Verpflichtung ist die im zwischenstaatlichen Bereich übliche Form der Bindung. Dagegen sind Verpflichtungen aus einseitigen völkerrechtlichen Erklärungen, die sich nicht - wie der Verzicht oder die Anerkennung - mit der Kundgabe erledigen, selten und in ihren rechtlichen Auswirkungen bestritten. Immerhin muß die im Ausreiseprotokoll enthaltene polnische "Zusage" der Vollständigkeit halber auch unter dem Gesichtspunkt der einseitigen völkerrechtlichen Verpflichtungserklärung überprüft werden. a) "Einseitigkeit" der Verpflichtungserklärung bedeutet hierbei, daß eine völkerrechtliche Verpflichtung durch die Willenserklärung nur eines Völkerrechtssubjekts geschaffen wird, aus der gleichwohl andere, 38 So erklären z. B. auch die Teilnehmerstaaten der KSZE ihre Entschlossenheit, den in der Schlußakte enthaltenen Prinzipienkatalog (der gerade keine völkerrechtliche Bindungen bewirken soll!) "voll in allen Aspekten in ihren gegenseitigen Beziehungen und ihrer Zusammenarbeit zu achten und anzuwenden". VgI. hierzu SchweisfuTth, a.a.O., S. 654 f. 39 VgI. Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vereinbarungen, a.a.O. (vgI. oben Anm. 6), S. 62. 40 In diese Richtung weist auch der einseitige Brief von Bundesaußenminister Genscher an die polnische Regierung, der kurz vor der Unterzeichnung der Dokumente am 9. Oktober 1975 in Warschau der polnischen Regierung überstellt wurde und dort ohne förmliche Notifikation angenommen worden sein soll (vgI. Text: "Die Welt" (Hamburg) vom 24. Januar 19176). Ob allerdings die Nichterfüllung der von der polnischen Seite im Protokoll gegebenen Zusage die Bundesrepublik Deutschland zur Lösung von den gleichzeitig geschlossenen (unbestreitbar völkervertraglichen) Vereinbarungen berechtigt, erscheint - abgesehen von der Frage der politischen Zweckmäßigkeit - rechtlich problematisch: Die c1ausula rebus sie stantibus berechtigt zwar zur Anfechtung eines Vertrages, den ein Staat im Vertrauen auf eine nur vorgetäuschte Zusage abgeschlossen hat (ob mit der Zusage eine echte Rechtspflicht oder nur eine politisch-moralische Bindung akzeptiert wurde, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle!); eine Täuschungsabsicht wird allerdings der polnischen Seite nur sehr schwer nachzuweisen sein; weiter bleibt zu berücksichtigen, daß man eine Zusage, die der Vertragspartner ausdrücklich nicht in das Vertragssystem einbeziehen wollte, nicht ohne weiteres unter Rückgriff auf die c1ausula rebus sie stantibus so behandeln kann, als ob sie vertraglich fixiert worden wäre; vgI. WengleT, JZ 1976, S. 196.
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an der Entstehung nicht unmittelbar beteiligte Rechtssubjekte Rechte herleiten können 41 • Einseitigkeit und materielle Willens einigung lassen sich nur durch die intendierten materiellen Kriterien abgrenzen42 , d. h. Erklärungen, die der Form nach einseitig sind, können dem Inhalt nach auch ein Element eines Übereinkommens darstellen 43 und umgekehrt: ein der Form nach einverständlich abgefaßtes Dokument kann dem Inhalt nach eine oder mehrere einseitige Verpflichtungs erklärungen enthalten44 • In vielen Fällen ist die Beantwortung der Frage, ob eine der Form nach einseitige Erklärung auch dem Inhalt nach einseitig ist, schwierig45 , da bei nicht-synallagmatischen Verträgen die Annahme eines Versprechens angebots auch ohne jede Verpflichtung zur Gegenleistung zu einem vertraglichen Versprechen führt 46 • Ebenso schwierig 41 Vgl. Suy, a.a.O., S. 28; vgl. auch Dehaussy, Les actes juridiques unilateraux en droit international public: Apropos d'une theorie restrictive, JDI 92 (1965), S. 50 ff. (gegen Suy); Jacque, Elements pour une theorie de l'acte juridique en droit international public, S. 322 ff., 326 ff.; Pflüger, Die einseitigen Rechtsgeschäfte im Völkerrecht, S. 31 ff. 42 Hierzu und zum folgenden Suy, a.a.O., S. 113 f.; Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1951 - 4: Treaty Interpretation and other Treaty Points, in: BYIL 33 (1957), S. 229 f. 43 Wegen der im Völkerrecht geltenden Formfreiheit müssen die einen Vertrag konstituierenden Willenserklärungen nicht in demselben Dokument enthalten sein (z. B. Vertragsschluß durch Briefwechsel). Vgl. jetzt auch die Definition des Vertrages in Art. 2 Abs. 1 lit. (a) WVK: "oder in zwei oder mehreren entsprechenden Dokumenten niedergelegt". Zur Praxis des Vertragsschlusses durch Notenaustausch: Weinstein, Exchanges of Notes, BYIL 29 (1952), S. 205 ff. 44 Vgl. z. B. Ziff. 2 des oben bei Anm. 26 erwähnten deutsch-tschechoslowakischen Briefwechsels über die Regelung humanitärer Fragen (BGBL 1974 II S. 995 f.); auch die in den Abs. 3 ff. des deutsch-polnischen Ausreiseprotokolls enthaltene polnische Zusage und die in Abs. 7 enthaltene Erklärung der deutschen Seite müssen unter diesem Gesichtspunkt überprüft werden, da es möglicherweise an der für eine vertragliche Verpflichtung notwendigen Willenseinigung über die vertragliche Natur der eingegangenen Verbindlichkeit fehlt. 45 Vgl. z. B. den Streit um die Auslegung der sog. Ihlen-Deklaration, Votum (PCIJ Sero AlB Nr. 53, S. 70 ff.: "Versprechen" - "promise") und das Sondervotum des Richters Anzilotti, der ausdrücklich von einer "Vereinbarung" spricht (PCIJ Sero AlB Nr. 53, S. 91: "un accord entre le ministre du Danmark ... et le ministre de la Norvege"). Häufig wird, ohne daß auf das Problem eingegangen wird, das Urteil zur Ihlen-Erklärung als Beleg für die Verbindlichkeit formloser Verträge angeführt, vgl. statt vieler Dahm, Völkerrecht, Bd. III, S. 73. Aber auch manche der Autoren, die die Ihlen-Erklärung unter dem Gesichtspunkt einseitiger Versprechen untersuchen, verneinen die Einseitigkeit: so Suy, a.a.O., S. 124; Quadri, Le promessa nel diritto internazionale, DI 1964, S. 92; Verdross I Simma, Universelles Völkerrecht, S. 343 f. (anders aber noch Verdross in der 5. Aufl. seines Lehrbuchs im Jahre 1964, S. 157). Die Bundesregierung hat mehrfach im Zusammenhang mit dem Ausreiseprotokoll die Ihlen-Deklaration als Beleg dafür ins Gespräch gebracht, daß für "Erklärungen bevollmächtigter Vertreter ... nicht einmal die Schriftform erforderlich ist" (vgl. Z. B. Stellungnahmen, a.a.O., S. 61). 48 Vgl. Suy, a.a.O., S. 111 ff.
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kann auch die Auslegungsfrage sein, ob ein der Form nach zweiseitiges Geschäft dem Inhalt nach nur als "einseitig" intendierte Erklärungen enthält. Das außerhalb eines völkerrechtlichen Vertrags abgegebene, einseitige Versprechen ist in der Völkerrechtsdogmatik mit vielerlei Zweifeln behaftet. Der älteren Völkerrechtslehre war das Institut unbekannt, da die Annahme des Versprechens verlangt wurde 47 • Erst die Erklärung des norwegischen Außenministers Ihlen vom 22. Juli 1919 und die hierzu ergangene Entscheidung des StIGH aus dem Jahre 1933 (sog. Ostgrönland-Fall)48 gab Anlaß zu eingehenderer Untersuchung des Phänomens49, das heute vornehmlich durch Autoren im italienischen und französischen Sprachraum reflektiert wird 50 • Die gegenwärtige Tendenz in der Literatur geht dahin, die Möglichkeit einseitiger Versprechen zu bejahen51 • 41 Vgl. Grotius, De jure belli ac pacis, II, cap. XI, § 14: "ut ... promissio ius transferat, acceptatio requiritur"; Pufendorf, Elementorum iurisprudentiae universalis libri duo, I, def. XII, § 10: "requiritur ... ad promissum perfecturn non solum voluntas promittentis sed etiam eius cui fit promissio". Soweit zwischen einseitigen und mehrseitigen Rechtsakten systematisch unterschieden wird, fehlen Hinweise auf das Versprechen, vgl. Heilborn, Das System des Völkerrechts (1896), S. 374 ff.; Gareis, Institutionen des Völkerrechts (1901), S. 88 f.; von Liszt, Das Völkerrecht (1904), S. 162 ff.; Oppenheim, International Law (1912), S. 536 ff.; Strupp, Theorie und Praxis des Völkerrechts (1925), S. 66; Kunz, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, hrsgg. von Strupp (1925), Bd. 2, S. 337 ff., 339; Strupp, Grundzüge des positiven Völkerrechts (1932), S. 169 f. 48 Vgl. Anm. 44. 48 Vgl. Garner, The International Binding Force of Unilateral Oral Declarations, AJIL 27 (1933), S. 493 ff.; ferner Bosco, Il fondamento giuridico deI valore obbligatorio deI diritto internazionale, in: Rivista di diritto pubblico 1938, S. 662 ff. Allerdings behandelte Pflüger im Jahre 1936 das Versprechen in seiner Monographie über einseitige Rechtsgeschäfte noch nicht, vgl. Pflüger, Die einseitigen Rechtsgeschäfte im Völkerrecht, Zürich 1936. 50 Suy, a.a.O., S. 109 - 152; Quadri, DI 1964, S. 91 ff.; ders., Diritto internazionale pubblico, 3. Aufl. 1960, S. 92 ff., und 5. Aufl. 1968, S. 569f.; Carbone, Promessa e affidamento nel diritto internazionale, passim; BaHadore Pallieri, Diritto internazionale pubblico, S. 325 ff.; Venturini, La portee et les effets juridiques des attitudes et des actes unilateraux des Etats, in: RdC 112 (19641II), S. 367ff., 396-405; Jacque, a.a.O., S. 249-257, 336ff.; Sereni, Diritto internazionale, Val. III, 1351 ff.; P. de Visscher, Problemes d'interpretation judiciaire en droit international public, S. 186 ff.; Quadri, RdC 113 (1964 III), S. 361 - 372; MoreHi, Nozioni di diritto internazionale, S. 289; Biscottini, Contributo alla teoria degli atti unilaterali nel diritto internazionale, S. 162 ff. 51 Verdross, Völkerrecht, a.a.O., S. 157; Verdross / Simma, a.a.O., S. 343 f.; v. Münch, Völkerrecht, S. 96 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 38; ferner Suy, Carbone, BaHadore PaHieri, Venturini, Jacque, jeweils a.a.O. (Anm. 50). Vgl. auch MüHer, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 19 ff.; Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 306 f. Verdross / Simma sprechen hier bereits von der überwiegenden Lehre, die die Verbindlichkeit eines Versprechens anerkenne, "wenn der versprechende Staat eine solche begründen wollte und die anderen Staaten ihr Verhalten
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b) Die Staatenpraxis und Judikatur zur Frage der einseitigen Versprechen ist nicht frei von Widersprüchen und von der Literatur auch sehr unterschiedlich gewertet worden. (1) Im Schiedsspruch vom 17. August 1889 im deutsch-britischen Streit um die Insel Lamu ging es um die Konzession, die der Sultan von Sansibar im Jahre 1887 der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft mündlich bewilligt hatte. Der Schiedsrichter, Baron de Lambermont, wertete die Erklärung des Sultans als einseitiges Versprechen (promesse unilaterale), das aber keine verpflichtende Wirkung habe, da eine Annahme durch die andere Seite nicht erfolgt sei5 2 • (2) Eine interessante Parallele zur anstehenden Regelung humanitärer Fragen zwischen der Bundesrepublik und ihren östlichen Nachbarn bietet sich in den Deklarationen über den Minderheitenschutz, die gemäß dem Beschluß der Völkerbundsversammlung vom 15. Dezember 192053 von einer Reihe von Staaten - in der Form nach einseitigen Erklärungen gegenüber dem Völkerbund - abgegeben wurden. Im einzelnen handelt es sich hier um die Deklaration Estlands vom 17. September 1923, Lettlands vom 7. Juli 1923, Litauens vom 12. Mai 1922, Bulgariens und Griechenlands vom 29. September 1924, des Irak vom 30. Mai 1932 und Albaniens vom 2. Oktober 1921. Litauen vertrat später die Auffassung, es habe sich nicht um einen internationalen Vertrag gehandelt, sondern nur um eine Erklärung, die der Rat zur Kenntnis genommen habe 54 • Estland ging demgegenüber wohl von einer "Vereinbarung" zwischen dem Rat und der estnischen Regierung aus 55 • Die albanische Erklärung wurde im Streit um die grienach dieser Erklärung orientiert haben (S. 344). Allerdings wird in einigen modernen Darstellungen des Völkerrechts das Versprechen bei der Behandlung der einseitigen Rechtsakte nicht einmal erwähnt, vgl. z. B. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I (2. Aufl., 1975), S. 434 ff., und Honig, in: Strupp-Schlochauer, WVR, Bd. III, S. 9 ff. 52 Vgl. Moore, History and Digest of the International Arbitrations to which the Unites States has been a party, Washington 1898, Vol. V, S. 49404946. Nach Suy, a.a.O., S. 128, ist dieser Fall das einzige Beispiel in der internationalen Jurisdiktion, in dem mündlichen einseitigen Erklärungen eine verpflichtende Wirkung abgesprochen wurde. 63 Vgl. LNTS, Vol. XXII (1924), S. 394 f.: "In the event of Albania, the Baltic and Caucasian States being admitted to the League, the Assembly requests that they should take the necessary measures to enforce the principles of the Minorities Treaties ... " 54 League of Nations, Official Journal 1930, S. 183. 55 League of Nations, Official Journal 1923, S. 1311: Der estnische Vertreter spricht klar von einem "agreement which has been reached between the Council and the Esthonian Government " , nachdem er kurz zuvor gesagt hatte: "It must be clearly understood that this declaration forms, together with the resolution submitted to the Council, an indivisible whole which must not, however be regarded as constituting a Minorities Treaty."
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chischen Privatschulen in Albanien vom StIGH als internationaler Akt bezeichnet, den der Völkerbundsrat von Albanien verlangt und den Albanien angenommen habe 56 • In der Literatur sind die Minderheitenschutzdeklarationen überwiegend als nur der Form nach einseitige Verpflichtungserklärungen gewertet worden, die in Wirklichkeit eine durch Angebot und Annahme zustandegekommene Übereinkunft darstellen57 • (3) Der Entscheidung des StIGH im Ostgrönland-Fall kommt besondere Bedeutung zu, da sich die Bundesregierung in ihren Stellungnahmen zum Ausreiseprotokoll mehrfach auf die diesem Streitfall zugrunde liegende Erklärung des norwegischen Außenministers Ihlen vom 22. Juli 1919 verwiesen hat 58 • Der StIGH bejahte die Frage der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Ihlen-Erklärung mit folgenden Worten:
"The Court eonsiders it beyond all dispute that a reply of this nature given by the Minister for Foreign Affairs on behalf of his Government in response to arequest by the diplomatie representative of a foreign Power, in regard to a question falling within his provinee, is binding upon the eountry to which the Minister belongs 5g." Die entscheidende Frage, ob es sich bei dem Vorgang um eine formlose Vereinbarung oder ein einseitiges Versprechen handelte, blieb jedoch offen 60 • Immerhin läßt sich der Standpunkt vertreten, das Gericht habe ein einseitiges Versprechen für rechtsverbindlich erklärt61 • Zumindest stellt die Entscheidung des StIGH eine wichtige Etappe im Vordringen der Meinung von der im Vertrauensschutz begründeten Verbindlichkeit einseitiger Versprechen dar. PCIJ Sero AlB Nr. 64, Rechtsgutachten vom 6. 4. 1935, S. 15 ff. Quadri, Diritto internazionale pubblieo, S. 569 f.; ders., DI 1964, S. 92; Suy, a.a.O., S. 121; Verdross I Simma, a.a.O., S. 343; - a. A. dagegen Balladore Pallieri, a.a.O., S. 326 f.; Jacque, S. 251 f. Vgl. auch Harvard Law School, S8
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Draft Convention on the Law of Treaties, Commentary, in: AJIL 29 (1935), Suppl. S. 691 f., wo die Erklärungen Albaniens und Litauens als Beispiele genannt werden für "unipartite deelarations which have some of the charaeteristies of treaties" und die Möglichkeit in Betracht gezogen wird, "that the League as a wh oIe, or the Couneil, is in reality, if not technieally, a party to the declarations". 58 Vgl. oben Anm. 44. 59 PCIJ Sero AlB Nr. 53, S. 71. 60 Vgl. oben Anm. 46. Inwieweit die Verbindlichkeit der Ihlen-Erklärung für das Urteil erheblich war, ist ebenfalls strittig. Hambro, in: Festschrift für Spiropoulos, S. 227 ff., wertet die Stellungnahme als obiter dictum; a. A. Geck, Die völkerrechtlichen Wirkungen verfassungswidriger Verträge, zugleich ein Beitrag zum Vertragsschluß im Verfassungsrecht der Staatenwelt (1963), S. 370, der von einem tragenden Entscheidungsgrund spricht. 81 Jacque, a.a.O., S. 253 ff., 255; Seidl-Hohenveldern, a.a.O., S. 36; Verdross, Völkerrecht, S. 157 (a. A. neuerdings aber Verdross I Simma, a.a.O., S. 343 f.). 5'
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(4) Der StIGH geht weiter vom verpflichtenden Charakter einseitiger Erklärungen von Staatenvertretern im Prozeß vor dem Gerichtshof aus; bedeutsamster Fall ist hier der deutsch-polnische Streit über die Zulässigkeit der von der polnischen Regierung vorgenommenen Enteignung der Chorzow-Werke in Oberschlesien62 • Allerdings kann hier bestritten werden, daß mit der Erklärung des polnischen Prozeßvertreters, gewisse Enteignungen nicht vorzunehmen, eine noch nicht bestehende Verpflichtung neu begründet wurde 63 • (5) Der Präzedenzfall, der in der Staatenpraxis wohl am ehesten der "Information" der polnischen Regierung zum Warschauer Vertrag und der im Zusammenhang mit den deutsch-polnischen Verträgen abgegebenen "Zusage" entspricht, ist der Ostkarelienfa1l64 • Hier war es Finnland im Friedensvertrag von Dorpat vom 14. Oktober 1920 nicht geglückt, von der UdSSR eine Autonomiegarantie für die an die UdSSR abgetretenen ostkarelischen Gebiete zu erlangen. Bei Abschluß des Vertrages gab die sowjetische Delegation eine - der Form nach einseitige - Erklärung zu Protokoll, die über Einzelheiten einiger der karelischen Bevölkerung zu gewährleistenden Rechte informierte. Die finnische Regierung vertrat später die Auffassung, daß die in das Unterzeichnungsprotokoll aufgenommene Erklärung Teil des Abkommens sei und somit eine vertragliche Verpflichtung der Sowjetunion bestünde. Die sowjetische Regierung bestritt diese Auffassung; nach ihrer Ansicht war nur eine Erklärung zur Information über eine schon bestehende Situation abgegeben worden 65 • Der Streitfall wurde nicht entschieden, da die Sowjetunion als Nichtmitgliedstaat des Völkerbundes ihre Zustimmung zum Verfahren verweigerte 66 • (6) Ein möglicher weiterer Beleg für die Existenz einseitiger Verpflichtungen ist Art. 6 (a) Statut des Internationalen Militärtribunals, wonach Kriege "unter Verletzung von internationalen Verträgen, Abkommen oder Zusicherungen" für strafbar erklärt werden 67 • Das Tatbestandsmerkmal der "Zusicherung" zielte nach der Anklageschrift auf 82 Certain German Interests in Polish Upper Silesia, Urteil vom 25. 5. 1926, PCIJ Sero A Nr. 7 (Chorzow-Fall, vgl. Strupp-Schlochauer, WVR, Bd. I,
S. 284 ff.). 63 64
Verneinend: Verdross / Simma, a.a.O., S. 344; Quadri, DI 1964, S. 93. Vgl. zur Vorgeschichte Herndl, in: Strupp-Schlochauer, WVR, Bd. H,
S. 199 ff.
es PCIJ Sero C Nr. 3, Vol. II, S. 65 ff., S. 78 ff. Im Gegensatz zur finnischen Argumentation hat allerdings weder bei der "Information" noch bei der im Ausreiseprotokoll enthaltenen "Zusage" versucht, aus der Nähe zum Vertrag eine quasi synallagmatische Beziehung zu konstruieren. 8S Entscheidung vom 22. 7. 1923, PCIJ Sero B Nr. 5. 87 "In violation of international treaties, agreements or assuranees"; deutsche übersetzung in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerirhtshof, Bd. 1, Nürnberg 1947, S. 11 ff.
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einseitige, zum Teil nur mündlich abgegebene Erklärungen, wie etwa die von Hitler am 21. Mai 1935 vor dem Reichstag gegebene Zusicherung, die Unverletzlichkeit und Unantastbarkeit des österreichischen Bundesstaates anzuerkennen G8 • Damit bestätigt zumindest die Anklageschrift die in der Literatur vertretene Auslegung der "assuranees" als einseitiges Versprechen69 • (7) Das in der neue ren Literatur im Zusammenhang mit einseitigen völkerrechtlichen Verpflichtungen wohl am häufigsten erwähnte Beispiel ist der Erklärung der ägyptischen Regierung vom 24. April 1957, den Suezkanal für die internationale Schiffahrt offen zu halten70 • Die einseitige Erklärung will ihrem Wortlaut nach ein "internationales Instrument" sein und wurde gemäß Art. 102 der UN-Charta registriert. Die Erklärung geht auch in ihrem Verpflichtungsgehalt über die Konvention von Konstantinopel von 1888 hinaus, da zumindest die unveränderte Gültigkeit der Verpflichtungen aus der Konvention von Ägypten angezweifelt werden konnte 71 • Der bedeutendste Präzedenzfall für die Thematik, hinter dem einige weitere Fälle aus der Staatenpraxis72 eindeutig zurückstehen, ist heute der vom IGH entschiedene Nuclear Test Case 7S • Im Jahre 1974 gaben französische Regierungsmitglieder in G8 Vgl. Suy, a.a.O., S. 132, der zusätzlich das Garantieversprechen Großbritanniens gegenüber Rumänien und Griechenland vom 13. April 1939' als Beispiel für einseitige Garantieversprechen nennt; ebenso Venturini, a.a.O., S. 399; BaHadore PaHieri, a.a.O., S. 328; a. A. Quadri, DI 1964, S. 94. 89 Venturini, a.a.O., S. 399; Jacque, a.a.O., S. 250; Verdross, a.a.O., S. 157; Verdross / Simma, a.a.O., S. 344; Schwarzenberger, A Manual of International Law, S. 172; Suy, a.a.O., S. 132; Dahm, a.a.O., Bd. III, S. 168 Anm. 21. - Allerdings wurde, worauf Dahm, a.a.O., hinweist, der Strafbarkeit vom Gericht in allen Fällen auf die Verletzung internationaler Verträge gestützt. 70 UNTS, Vol. 265, S. 300 H.; auch abgedruckt bei E. Lauterpacht, The Suez Canal Settlement: ASelection of Documents 1956 - 1959, London 1960, S. 35 ff. Weitere Dokumenten- sowie Literaturnachweise bei Rauschning, in: WVR HI, S. 417. 71 Nach Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 308 Anm. 1 und S. 707 handelt es sich, soweit es um die fortdauernde Gültigkeit der Konvention geht, um eine einseitige Anerkennung eines bestehenden völkerrechtlichen Sachverhalts. Diese soll aufgrund des estoppel-Gedankens unwiderruflich sein, während die einseitige Verpflichtungserklärung von Wengler für widerruflich gehalten wird. Siehe hierzu unten S. 71. Suy, a.a.O., S. 140 f., behandelt dagegen die Erklärung als .. promesse confirmation", also nicht als autonome Willenserklärung. 72 In der Literatur werden noch mit mehr oder minder großer Zustimmung angeführt: die österreichische Erklärung über die immerwährende Neutralität (vgl. Jacque, a.a.O., S. 253 ff. (255), und Venturini, a.a.O., S. 405 einerseits und Wengler, Völkerrecht, Bd. II, S. 1366 Anm. 2 andererseits) und die Zusicherung Süd afrikas hinsichtlich der fortdauernden Verpflichtungen aus dem Mandat über Südwestafrika (vgl. ICJ Reports 1950, S. 128; ibid. 1962, S. 340; ibid. 1971, S. 39). 73 Nuc1ear Tests (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 253; und das Parallelverfahren: New Zealand v. France, Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Reports 1974, S. 457. Da Klageanträge und
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mehreren Stellungnahmen zu erkennen, daß Frankreich mit den Kernwaffenversuchen im Gebiet des Mururoa-Atolls im Pazifik im Jahre 1974 die Kernwaffenversuche in der Atmosphäre beenden wolle 74 • Der IGH wertete diese Stellungnahmen als einseitige, Frankreich erga omnes als völkerrechtlich bindende Verpflichtung 75 : "It is weIl recognized that declarations made by way of unilateral acts, concerning legal or factual situations, may have the effect of creating legal obligations ... When it is the intention of the State making the declaration that it should become bound according to its terms, that intention confers on the declaration the character of a legal undertaking, the State being thenceforth legally required to follow a course of conduct consistent with the declaration. An undertaking of this kind, if given publicly, and with an intent to be bound, even though not made within the context of international negotiations, is binding. In these circumstances, nothing in the nature of a quid pro quo nor any subsequent acceptance of the declaration, nor even any reply or reaction from other States, is required for the declaration to take effect, since such a requirement would be inconsistent with the strictly unilateral nature of the juridical act by which the pronouncement by the State was made. Of course, not all unilateral acts imply obligation; but aState may choose to take up a certain position in relation to a particular matter with the intention of being bound - the intention is to be ascertained by interpretation of the act. When States make statements by which their freedom of actions is to be limited, a restrictive interpretation is called for ...
One of the basic principles governing the creation and performance of legal obligations, whatever their sour ce, is the principle of good faith ... Just as the very rule of pacta sunt servanda in the law of treaties is based on good faith, so also is the binding character of an international obligation assumed by unilateral declaration. Thus interested States may take cognizance of unilateral declarations and place confidence in them, and are entitled to require that the obligation thus created be respected." Urteilsbegründungen in beiden Verfahren nahezu identisch sind, wird im folgenden nur auf ein Verfahren (Australia v. France) Bezug genommen. H Bei den vom IGH herangezogenen Stellungnahmen handelt es sich im einzelnen um die folgenden sechs Ereignisse (vgl. ICJ Reports 1974, S. 265267): (1) Kommunique des Büros des Staatspräsidenten vom 8. Juni 1974; (2) Notifizierung des Kommuniques am 10. Juni 1974 an Neuseeland; (3) Erklärung des französischen Staatspräsidenten auf einer Pressekonferenz am 25. Juli 1974; (4) Erklärung des französischen Verteidigungsministers in einem Fernsehinterview am 16. August 1974; (5) Rede des französischen Außenministers vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 25. September 1974; (6) Pressekonferenz des französischen Verteidigungsministers am 11. Oktober 1974. Der IGH stützte sich in erster Linie auf die Erklärungen des Staatspräsidenten als Staatsoberhaupt, dessen Kompetenz, in internationalen Beziehungen für den französischen Staat zu sprechen, außer Frage stehe. Alle Erklärungen würden aber ein Ganzes bilden. 75 ICJ Reports 1974, S. 267 f.
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Die Bejahung der Möglichkeit, sich durch einseitige Erklärung rechtlich zu binden, ist in ersten Stellungnahmen - trotz manchen Widerspruchs gegen die im konkreten Fall vom IGH getroffene Entscheidung - überwiegend begrüßt worden76 • Die Entscheidung bestätigt die aufgezeigte Tendenz in Staatenpraxis und Völkerrechtswissenschaft, solchen Erklärungen Bindungswirkung zuzuschreiben, die mit der Absicht, sich völkerrechtlich zu binden, abgegeben wurden. Ferner stellt das Gericht auch - ebenfalls in Übereinstimmung mit der im Vordringen befindlichen Meinung in der Literatur - den Bezug zum Prinzip des Vertrauensschutzes her: Das in die Erklärung gesetzte Vertrauen berechtige die Staaten, die Einhaltung der durch die Erklärung übernommenen Verpflichtung zu fordern. Obgleich sich der IGH in den Nuclear Test Cases ausdrücklich für eine restriktive Auslegung der die Handlungsfreiheit eines Staates einschränkenden Erklärungen ausspricht, kann doch die im sog. Ausreiseprotokoll gegebene "Zusage" der polnischen Seite im Lichte der neuen Erkenntnisse des Gerichtshofes durchaus als einseitige Verpflichtungserklärung aufgefaßt werden. Die Zusage durch die polnische Regierung, die Bestätigung durch den polnischen Staatsrat, das Interview des polnischen Außenministers und der hieran anknüpfende deutsch-polnische Briefwechsel (alle diese Umstände können nach der Rechtsprechung des IGH berücksichtigt und im Zusammenhang gewürdigt werden!) übertreffen in ihrer verpflichtenden Intensität zweifellos die Stellungnahmen der französischen Regierung zum beabsichtigten Teststop in der Atmosphäre 77 • Wenn sich die polnische Seite wegen des delikaten Regelungsgegenstandes nicht vertraglich zu binden vermochte, so liegt doch eine autonome Willens76 Vgl. Carbone, Promise in International Law: A Confirmation of its Binding Force, !tal. YIL 1 (1975), S. 166 -172; Lellouche, The Nuclear Tests Cases: Judicial Silen ce v. Atomic Blasts, HILJ 16 (1975), S. 614 - 637; Franck, Word Made Law: The Decision of the ICJ in the Nuclear Test Cases, AJIL 69 (1975), S. 612; Kewenig, Der Internationale Gerichtshof und die französischen Kernwaffenversuche. Kritische Anmerkungen zum Urteil des IGH vom 20. Dezember 1974 im Nuclear Test Case, in: Festschrift für Menzel (1975), S. 323 - 348. - Kritisch aber Wengler, Der Internationale Gerichtshof und die Atombombenversuche im Pazifik, in: NJW 1975, S. 1063 - 1065. Zur Kritik daran, daß der IGH die französischen Erklärungen als verbindlich wertete: Kewenig und Lellouche, jeweils a.a.O. 77 Die Untersuchung von Inhalt und Umständen, unter denen die französischen Erklärungen abgegeben wurden, ist nicht ohne Grund von Lellouche in seiner Kritik an der IGH-Entscheidung als "oberflächlich" bezeichnet worden (a.a.O., S. 264). Kewenig (a.a.O., S. 346) deutet das Urteil vor dem Hintergrund der Spannungen, denen sich das Gericht bei seiner Urteilsfindung ausgesetzt sah: Eine Entscheidung gegen ein völkergewohnheitsrechtliches Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre hätte eine dahingehende Entwicklung des Völkerrechts gehemmt; eine Entscheidung dafür wäre möglicherweise mißachtet worden und hätte so dem Ansehen des Gerichts Schaden zugefügt. Daß diese überlegungen eine Rolle spielten, zeigen auch ziemlich deutlich die Ausführungen des Richters Ignacio-Pinto in seiner abweichenden Meinung, ICJ Reports 1974, S. 311.
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erklärung vor, die wegen ihrer Konkretheit und der Zahl der zugesicherten Ausreisen über die im Zusammenhang mit Unterzeichnung des Warschauer Vertrages abgegebene "Information" hinausgeht und nicht nur die Bestätigung eines früheren Versprechens ("promesse confirmation"» enthält7 8 • Die Bindung der Volksrepublik Polen79 an die gegebene "Zusage" ergibt sich hierbei nicht zuletzt aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes auf Seiten des Versprechensempfängers 8o • Der geschützte Interessenkreis der Bundesrepublik liegt hierbei in den finanziellen Leistungen, die die Bundesrepublik im Zusammenhang mit den Abkommen und Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 zu erbringen hat. Trotz der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der polnischen "Zusage" können sich aus ihrer Rechtsnatur als nur einseitiges Versprechen gegenüber einer vertraglichen Verpflichtung einige Besonderheiten ergeben. (8) Die einseitige Erklärung ist ausschließlich eine Erklärung des Erklärenden, an der der Erklärungsempfänger auch dann nicht partizipiert, wenn der Inhalt der Erklärung Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Erklärenden und dem Erklärungsempfänger gewesen ist. Hieraus folgt, daß der einseitig Erklärende auch seine Erklärung einseitig zu interpretieren vermag 81 • Dies wird dann auch politisch bedeut78 Absatz 3 der "Information" spricht im Zusammenhang mit den Ausreiseanträgen von Personen mit "unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit" nur von "einigen Zehntausenden". Aus Art. 12 der am 23. März 1976 in Kraft getretenen UNO-Konvention über bürgerliche und politische Rechte läßt sich wegen der in seinem Abs. 3 enthaltenen ordre-public-Klausel keine konkrete Verpflichtung zur Ausreise von Personen aus einem bestimmten Land herleiten. 79 Wengler, JZ 1976, S. 196 (ausdrücklich gegen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 1, 352): die zwischen den Regierungen eintretende Bindung sei gerade nicht völkerrechtlicher, sondern moralischer Natur. 80 Vgl. MüHer, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 19 ff.; Carbone, Promessa e affidamento nel diritto internazionale, S. 53 ff. und passim. Ferner Suy, a.a.O., S. 151; Venturini, a.a.O., S. 404; Fitzmaurice, BYIL 33 (1957), S. 230; nach Dahm, a.a.O., Bd. IH, S. 168, ließe sich vom Standpunkt des Vertrauensgrundsatzes die verbindliche Wirkung des einseitigen Versprechens begründen, doch scheine es noch (im Jahre 1961) an Belegen aus der Staatenpraxis und Judikatur zur Bestätigung dieses Prinzips zu fehlen. Wengler führt die einseitige Verpflichtungserklärung nämlich auf das Rechtsgeschäft des Verzichts zurück: Das vorweggenommene einseitige Einverständnis mit hypothetischen Repressalien anderer (d. h. der Verzicht des Staates auf die Aktivlegitimation zur Auslösung von Unrechtsfolgen gegenüber Eingriffen in seine Rechtsgüter) anläßlich des Bruchs einer einseitig übernommenen Verpflichtung sei der eigentliche Inhalt der einseitigen Verpflichtung (vgl. Völkerrecht, Bd. I, S. 306 und 307 Anm. 1). 81 Der IGH (ICJ Reports 1974, S. 268) trägt dieser Rechtslage dadurch Rechnung, daß er für den Nachweis der Absicht zur rechtlichen Bindung den Grundsatz der restriktiven Interpretation postuliert. Dies betrifft zunächst
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sam, wenn die Erklärung Interpretationsspielräume eröffnet oder an innerstaatliche Vorgänge im Bereich des Erklärenden anknüpft. Der Erklärungsempfänger trägt hier allein das zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung immer beträchtliche Interpretationsrisiko. (9) Da die Bindungswirkung des Versprechens von der Frage der Widerruflichkeit zu trennen ist, ist die einseitige Verpflichtung im Gegensatz zur völkervertraglichen Verpflichtung möglicherweise einseitig widerrufbar82 • (10) Die Erfüllung einer Verpflichtung aus einem völkerrechtlichen Vertrag wird in der Regel durch das "Zug-um-Zug" Erbringen der Leistungen sichergestellt; damit wird den Vertragsparteien sowohl das Motiv zur eigenen Leistung wie auch ausreichende Sicherheit im Falle einer Leistungsstörung der Gegenseite vermittelt. Jeder Staat, der auf die vertragliche Verankerung einer Verpflichtung verzichtet und sich mit einer einseitigen Erklärung begnügt, geht ein gesteigertes Erfüllungsrisiko ein. Das gilt vor allem für Erklärungen, die - wie die polnische "Zusage" - weder dem UNO-Generalsekretär zur Registrierung zugeleitet noch der Gerichtsbarkeit des IGH unterstehen83 •
nur die Frage, ob überhaupt ein völkerrechtliches Versprechen vorliegt. Die restriktive Auslegung muß aber ebenso, wenn das Vorliegen eines Bindungswillens bejaht wird, bei der Bestimmung des Umfangs der übernommenen Verpflichtung gelten. In Zweifelsfällen ist die für den Erklärenden am wenigsten belastende Bedeutung maßgeblich. Siehe auch Balladore PalHeri, a.a.O., S. 326: der Wille, sich zu verpflichten, müsse ganz klar und deutlich hervortreten, damit eine Verpflichtung entsteht; ferner Carbone, Promessa e affidamento nel diritto internazionale, S. 173 f. Schon Pflüger, a.a.O., S. 57 forderte restriktive Interpretation ganz allgemein für alle einseitigen Rechtsgeschäfte, die einen rechtlichen Nachteil für die handelnde Person bedeuten. 82 Markante Beispiele aus der Staatenpraxis wurden bislang noch nicht berichtet. Wengler (Völkerrecht, Bd. I, S. 308) tritt für eine jederzeitige Widerruflichkeit ein. Diese Ansicht vertraten auch die Vertreter Ägyptens und Großbritanniens im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bezüglich der ägyptischen Erklärung über den Suezkanal. Vgl. Security Council, Official Records, 777th meeting; auch der Generalsekretär der UNO hielt die ägyptische Erklärung für widerruflich, Revue des Nations Unies 1957, Nr. 4, S. 20; a. A. Obieta, The International Status of the Suez Canal, 1960, S. 109; hierzu Wengler, Völkerrecht, Bd. I, S. 308 Anm. 1. Siehe auch Carbone, !tal. YIL 1 (1975), S. 171 f.; Suy, a.a.O., S. 150 f. und Venturini, a.a.O., S. 402 f., halten demgegenüber das Versprechen für unwiderruflich. Eine vermittelnde Theorie will in jedem Einzelfall eine Güterabwägung zwischen den schützenswerten Interessen des Versprechenden und des Versprechensempfängers vornehmen, vgl. Carbone, Promessa e affidamento nel diritto internazionale, S. 179 f. 83 Während z. B. die einseitige Erklärung Frankreichs zu den Atombombenversuchen Gegenstand eines Verfahrens vor dem IGH war, da sich Frankreich - wenn auch mit Einschränkungen - der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen hat, und auch die Erklärung Ägyptens bezüglich des Suezkanals vom 24. April 1957 sowohl gern. Art. 102 UN-Charta registriert wurde,
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4. Die Frage, ob sich ein Staat der Form nach einseitig oder völkervertraglich gebunden, ob er sich rechtlich oder nur politisch-moralisch verpflichtet hat, kann in der zwischenstaatlichen Praxis beinahe völlig vom Problem der inhaltlichen Bindung überlagert werden. Es handelt sich hier um eine Problematik, die Lord McNair mit dem Terminus "soft law" umschrieben hat. Ein Staat kann sich unter Einhaltung aller formaler völkerrechtlicher Kriterien inhaltlich zu nichts oder so gut wie nichts verpflichten, auch wenn eine völkerrechtliche Verpflichtung expressis verbis angesprochen wird 84 • Ein Gentleman-Agreement mit einer eindeutigen politisch-moralischen Bindung des Erklärenden mag dann möglicherweise für den Interessierten wertvoller sein als eine völkerrechtliche Verpflichtung, die vom Verpflichteten - etwa durch die Bezugnahme auf sein innerstaatliches Recht - beliebig relativiert werden kann 85 • wie auch nach Art. 36 Abs. 2 des Statuts des IGH justiziabel ist, fehlen derartige Rechtsgarantien bei der deutsch-polnischen Ausreiseregelung gänzlich. Die französische Unterwerfungserklärung vom 20. 5. 1966 nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut war mit einem Vorbehalt versehen, bezüglich "differends concernant des activites se rapportant a la defense national", ICJ Reports 1973, S. 102. Zusätzlich ging der Zuständigkeitsstreit um die Fortgeltung der Genfer Generalakte zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 26.9. 19,28. 84 So haben eine Reihe von Staaten sich der Gerichtsbarkeit des IGH in völkerrechtlich korrekter Form unterworfen, aber - wie z. B. die USA "Streitigkeiten in bezug auf Gegenstände, die wesentlich zur inneren Zuständigkeit der USA, wie von den USA bestimmt, gehören" ausgenommen; die konkret eingegangene Verpflichtung ermöglicht es dem betreffenden Staat, jede Streitsache der Zuständigkeit des IGH nach seiner freien Entscheidung zu entziehen, vgl. hierzu Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 72 f. Ähnlich verhält es sich mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Ostblockstaaten in bezug auf die '\Vahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten eingegangen sind. Die völkerrechtliche Verpflichtung wird dadurch minimalisiert, daß die sozialistischen Staaten im größten Umfang auf die Möglichkeit zurückgreifen, die nach außen bestätigten Menschenrechte und Grundfreiheiten durch innerstaatliche Regelungen "zum Schutze der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volks gesundheit, der öffentlichen Sicherheit" wieder zu entziehen, vgl. z. B. in bezug auf den Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über die bürgerlichen und politischen Rechte (Res. 2200 (XXI) der Vollversammlung der Vereinten Nationen, YUN 1966, S. 418), in Kraft getreten am 23. März 1976, Blumenwitz, Selbstbestimmung und Menschenrechte im geteilten Deutschland, JIR 17 (1975), S. 11 ff. (26). 85 Vgl. Z. B. die Verständigung zwischen Konrad Adenauer und der sowjetischen Führung über die Kriegsgefangenenfrage, auf die im Zusammenhang mit dem Ausreiseprotokoll öfters verwiesen wurde (vgl. z. B. Bundesrat, 425. Sitzung (7. November 1975), Steno Ber. S. 315 A, 317 D, 318 A): Der Inhalt der von Chruschtschow bzw. Bulganin im Rahmen der deutsch-sowjetischen Verhandlungen (9. - 13. September 1955 in Moskau) abgegebenen Erklärung über die deutschen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten war absolut eindeutig, unabhängig von Kautelen des innerstaatlichen Rechts der Sowjetunion und betraf ohne Einschränkung alle Schutzbefohlenen der Bundesregierung; für den Fall der deutschen Zustimmung zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, sollte die Rückkehr aller deutschen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten ermöglicht werden. Andererseits verhinderte ein "legal
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a) Die Problematik des "soft law" wird im Zusammenhang mit dem Ausreiseprotokoll in mehrfacher Weise angesprochen: Zunächst erklärte der polnische Außenminister nur die Bereitschaft seiner Regierung, sich "unter Berücksichtigung aller Aspekte dieser Angelegenheit und im Bestreben nach ihrer umfassenden Lösung" an den Staatsrat der Volksrepublik Polen zu wenden, um das Einverständnis zu weiteren Ausreisen zu erlangen. Der Verpflichtungsgehalt der Erklärung der polnischen Seite reduziert sich hier auf ein Maß, das von einem rechtlichen "Sollen" oder Versprechen nicht mehr erfaßt wird. Die Erklärung wird einmal relativiert durch die Unbestimmtheit der zu berücksichtigenden "Aspekte" zum andern dadurch, daß sie nur mit "interorganischem" Bezug abgegeben wurde, d. h. daß zunächst ihrem Wortlaut nach nur die polnische Regierung nicht aber der Polnische Staat haftet. WengIer geht zu Recht davon aus, daß derartige Erklärungen nur eine "moralische Bindung, und zwar von noch geringerer Intensität als eine namens der Staaten getroffene ,Absprache'" zu schaffen vermag 66 • Die "Verpflichtung", die der polnische Außenminister in Abs. 3 des Protokolls im Namen der polnischen Regierung eingegangen ist, hat insoweit ihre Erledigung gefunden, als der Staatsrat der Volksrepublik Polen auf seiner Sitzung vom 15. März 1976 dem Antrag der polnischen Regierung sein Einverständnis zur Erteilung für etwa 120000 125000 Personen im Laufe der nächsten vier Jahre gegeben hat 87 • b) Abs. 4 des Protokolls enthält ein hinreichend konkretisiertes Versprechen der polnischen Seite, was das Gesamtergebnis der Überprüfung von Ausreiseanträgen durch die polnischen Behörden in den nächsten vier Jahren anbelangt. Allerdings erhalten weder Personen mit "unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit" auf Grund des Ausreisedisclaimer", daß die Erklärung der sowjetischen Seite als rechtliche Verpflichtung angesehen werden konnte: "Wir können keine Garantien oder Zusicherungen geben, weder schriftlich noch mündlich. Aber wir geben Ihnen unser Ehrenwort, und unser Wort gilt!", vgl. Meissner, Die Ostpolitik Konrad Adenauers, in: Konrad Adenauer 1876/1976, hrsgg. von Helmut Kohl (1976), S. 107 ff. (110); Blumenwitz, Der Adenauer-Bulganin-Brief und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion - Einige Bemerkungen zur fortwirkenden Bedeutung der Adenauer'schen Ostpolitik, in: Festschrift für Konrad Adenauer (Bd. II (1976), S. 160 - 191 (162 f.». Zum Geltungsgrund politisch-moralischer Verpflichtungen s. Kraus, Gedanken über Staatsethos im internationalen Verkehr, in: Gegenwartsfragen, Ausgewählte kleine Schriften von Herbert Kraus (1963), S. 1 ff.; Huber, Internationales Ethos, in: Strupp-Schlochauer, WVR, Bd. I, S. 444; Virally, La deuxieme decennie des Nations Unies pour le developpement, Essai d'interpretation para-juridique, AFDI 1970, S. 9 ff. (29 f.); Verdross, Die Quellen des universellen Völkerrechts, S. 43; Stern, Morality and International Order, Essays in Honour of C. A. W. Manning (1973), S. 133 ff. 8G JZ 1976, S. 193 ff. (196). 87 Vgl. oben Anm. 18.
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protokolls ein Recht auf Ausreise, noch gewinnt die Bundesrepublik einen rechtlich entscheidenden oder auch nur mitentscheidenden Einfluß auf das Genehmigungsverfahren. Dies ergibt sich aus den in der "Information" genannten "Kriterien und Verfahren", an denen das Ausreiseprotokoll ausdrücklich festhält. Polen behält damit die volle Sachkompetenz über alle mit der Ausreisegenehmigung im Einzelfall zusammenhängenden Fragen. Das nahezu unbeschränkte Ermessen der polnischen Behörden bei der Entscheidung über den einzelnen Ausreiseantrag 88 wird noch durch den Umstand unterstrichen, daß die "unbestreitbare deutsche Volkszugehörigkeit" als Grundvoraussetzung für den Erfolg des Ausreiseantrags nach mehr als 30 Jahren Polonisierung der deutschen Bevölkerung im polnischen Machtbereich kaum mehr nach objektiven Kriterien überprüft werden kann 89 • c) Noch geringere Intensität hat die Verpflichtung, die die polnische Seite mit Abs. 3 des Ausreiseprotokolls (der sog. "Offenheitsklausel") eingeht: "Es wird keine zeitliche Einschränkung für die Antragstellung durch Personen vorgesehen, die die in der "Information" genannten Kriterien erfüllen." Die Bundesregierung bezweckt mit dieser Regelung, daß auch nach Abwicklung der in Abs. 4 und 5 des Ausreiseprotokolls vorgesehenen Ausreisen aussiedlungswillige Deutsche in Polen, deren Zahl nach Schätzungen der Bundesregierung weit über den in Abs. 4 des Protokolls genannten Zahlen liegt, noch Ausreisegenehmigungen erhalten. Dieses Anliegen der Bundesrepublik schien im Verlauf des Ratifikationsverfahrens der Abkommen und Vereinbarungen vom 9. Oktober 1975 vor dem Bundesrat im Ausreiseprotokoll so wenig konkretisiert, daß der Bundesregierung eine weitere Klarstellung bzw. Präzisierung erforderlich schien. 88 Abs. 4 des Ausreiseprotokolls bestimmt nur, daß bestimmte Anträge (z. B. solche von Familienangehörigen von Personen, die in die Bundesrepublik geflohen sind) nicht von vornherein vom Prüfungsverfahren ausgeschlossen werden. Da die polnische Seite die deutsche Staatsangehörigkeit der in der " Information " und im "Protokoll" angesprochenen "Personen" nicht akzeptiert, und auch der Ausübung des diplomatischen Schutzes durch die Bundesrepublik Grenzen gesetzt; auf Grund einer mündlich getroffenen Vereinbarung zwischen dem deutschen und dem polnischen Außenminister sollen Einzelfälle von der deutschen Botschaft in Warschau mit dem polnischen Außenministerium erörtert werden können. Eine Intensivierung der Kontakte zwischen deutschem und polnischem Roten Kreuz ist deshalb die einzig allgemeine verfahrensmäßide Absicherung, vgl. hierzu Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen an den Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes vom 9. März 1976 (Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 151 ff.), in dem das Deutsche Rote Kreuz offiziell gebeten wird, sich auch um eine Aufklärung der tatsächlichen Zahl der ausreisewilligen Personen zu bemühen. 89 Dies hat auch die Bundesregierung bei den Beratungen im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates eingeräumt. Das einzig vernünftige Anknüpfungskriterium, die fortbestehende deutsche Staatsangehörigkeit, vermochte die Bundesregierung in ihren Beziehungen zu Polen nicht durchzusetzen.
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d) Die weitere Präzisierung der "Offenheitsklausel" erfolgte in einem polnisch-deutsch-polnischen Briefwechsel, der es dann auch den CDU/CSU regierten Ländern im Bundesrat ermöglichte, den deutschpolnischen Verträgen vom 9. Oktober 1975 zuzustimmen. Es ist zu vermuten, daß die einzelnen Schritte zwischen der deutschen und der polnischen Seite genau abgestimmt worden waren 90 • Trotzdem muß es bezweifelt werden, ob das eingeschlagene Verfahren im Ergebnis zu einer rechtlichen Intensivierung der Verpflichtung der polnischen Seite geführt hat. (1) Zunächst stellt sich die Frage, welche völkerrechtliche Bedeutung die Erklärung des polnischen Außenministers vom 9. März 1976 91 neben dem gemeinsam unterzeichneten Protokoll haben kann. Es wäre an ein Auslegungsinstrument nach Art. 31 Abs. 2 Buchst. b WVK zu denken; nach der Bestimmung gehört zum Zwecke der Auslegung in den Zusammenhang des Vertrages jedes Dokument, das von einer Partei "in Verbindung mit dem Vertragsschluß" errichtet worden ist. Die WVK und insbesondere ihr Art. 31 finden allerdings nur Anwendung, wenn das zu interpretierende Instrument ein schriftlicher völkerrechtlicher Vertrag ist 92 • Insoweit ist es interessant (und bestätigt auch indirekt die oben dargelegte rechtliche Qualifizierung des Ausreiseprotokolls), daß die polnische Seite alles unternimmt, um den Eindruck eines Auslegungsinstruments zu vermeiden. Die der Acht-Punkte-Erklärung vorangestellte Introduktion 93 stellt ausdrücklich klar, daß die Ausführungen des polnischen Außenministers nicht etwa die Antwort auf die in der Bundesrepublik anläßlich der Beratungen der deutsch-polnischen Vereinbarungen laut gewordenen Fragen sind; es handelt sich vielmehr um die Antwort auf ein Ersuchen der polnischen Presseagentur PAP. Die polnische Presseagentur erscheint damit nicht nur als Publikationsmedium, sondern auch als Anlaß der Erklärung. Die "Diskussion in der Bundesrepublik um die Ratifizierung der Vereinbarungen von Helsinki, die am 9. Oktober 1975 in Warschau unterzeichnet wurden", ist demgegenüber nur Bezugspunkt. 90 Vgl. Pressemitteilung PM 86/76 vom 12. März 1976 über die Abstimmung der Regierungen von Bonn und Warschau (Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 183 f.). 91 Vgl. die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 155 ff., und oben
S.52. »2 Schweisfurth, a.a.O., S. 710, hält es allerdings nicht für ausgeschlossen, daß die Art. 31 ff. WVK auf vertragsähnliche ("non-legal") zwischenstaatliche Abmachungen analoge Anwendung finden.
93 "Im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Stand der Beziehungen zwischen der VRP und der BRD und der damit verbundenen Diskussion in der BRD über die Ratifizierung der am 9.10.1975 in Warschau unterzeichneten Vereinbarungen von Helsinki hat sich die Polnische Presse agentur an den Minister des Auswärtigen der VRP S. Olszowski mit der Bitte gewandt, sich zu diesen Themen zu äußern."
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Die förmliche Notifizierung der Presse erklärung am 8. März 1976 an den Bundesminister des Auswärtigen hat an der rechtlichen Bewertung der Acht-Punkte-Erklärung der polnischen Seite nichts zu ändern vermocht. Die Notifikation für sich bewirkt nur, daß die Bundesregierung offiziell davon in Kenntnis gesetzt wird, daß der polnische Außenminister in einer bestimmten Weise vor der polnischen Öffentlichkeit zu den deutsch-polnischen Vereinbarungen Stellung bezogen hat. Der Wortlaut der Note vom 8. März 1976 94 stellt klar, daß die notifizierte Erklärung, die der polnische Außenminister gegenüber P AP abgegeben hat, nicht als Erklärung der Volksrepublik Polen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland aufzufassen ist. Die am 9. März 1976 publizierte Erklärung wurde nicht mit der Bemerkung notifiziert, es handle sich um den Rechtsstandpunkt der Volksrepublik Polen, sondern mit der Bemerkung, es handele sich um die "Beantwortung einer Anfrage der poLnischen Presseagentur zu aktuellen Problemen zwischen der Volksrepublik und der Bundesrepublik Deutschland". Auch die vom polnischen Außenminister geäußerte Überzeugung, daß die Erklärung "auch dem vom deutschen Außenminister vertretenen Standpunkt entspricht", vermag das Dokument völkerrechtlich nicht aufzuwerten. Inhaltlich enthält die Acht-Punkte-Erklärung wenig neues zur Ausreiseproblematik. Punkt 6 der ErkLärung 95 wiederholt lediglich die in Abs. 4 des Ausreiseprotokolls gegebene Zusage; die in Abs. 6 des Protokolls enthaltene "Offenhalteklausel" wird angefügt, wobei als neues Element der Einschub "in einer möglichst kurzen Zeit" erscheint. Allerdings wird das, was der polnischen Seite "möglich" sein wird, nicht näher erläutert. Insbesondere wird nichts dazu gesagt, in welchem Umfang die "Stellung und Behandlung" von Anträgen nach dem Ablauf von vier Jahren konkret zu weiteren Ausreisen führen wird. (2) Das Antwortschreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 9. März 1976 96 versuchte nun auch das Ergebnis der Entgegennahme und Prüfung von Anträgen durch die polnischen Behörden anzusprechen; dies geschieht durch den erläuternden Nachsatz "was bedeutet, daß ... ". Konkretisierende Elemente des Briefs der deutschen Seite sind zunächst das "Auch-in-diesen-Fällen", womit die Bundesregierung allem Anschein nach versucht, eine Brücke von der Kategorie der 120 000 125000 Personen, die im Laufe von vier Jahren die Genehmigung ihres Antrages zur Ausreise auf der Grundlage der "Information" erhalten 94 95 98
Deutscher Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 155. Vgl. oben Anm. 14. Vgl. oben Anm. 15.
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sollen, zu den Personen zu schlagen, die binnen der Vierjahresfrist noch nicht ausreisen konnten, um ihnen - wie in Abs. 4 des Ausreiseprotokolls -, die nur mögliche Rechtsfolge der Antragstellung und -überprüfung, nämlich die Ausreise, im größtmöglichen Umfang sicherzustellen. Hinzu kommt der Hinweis, daß Ausreisegenehmigungen auch "erteilt werden können"97. Bei objektiver Betrachtung erscheint diese Feststellung als Selbstverständlichkeit, da bei einem - wie im zwischenstaatlichen Bereich grundsätzlich unterstellt werden muß - fairen Prüfungsverfahren Anträge nicht von vornherein als negativ zu entscheidende betrachtet werden können. Sollten andererseits Zweifel an einem fairen Prüfungs- und Entscheidungsverfahren des Vertragspartners bestehen und eine Bindung seines grundsätzlich freien Ermessens notwendig werden, so wird dieses Ziel durch eine so inhaltsleere Formulierung, wie sie in der ursprünglichen Fassung des deutschen Briefs enthalten ist, nicht erreicht. (3) Im Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten des Bundesrates erschien deshalb einigen CDU-regierten Ländern die Formulierung der Erläuterung der Bundesregierung als sogenannte "Kann-Bestimmung" unzureichend 98 • Bei einer "Kann-Bestimmung" darf der mit ihrer Anwendung Betraute zwischen mehreren Möglichkeiten (also Ausreise oder Nichtausreise) nach seinem Ermessen entscheiden. Durch das Eliminieren des Wortes "können" könnte nach der juristischen Normtechnik aus einer "Kann-Bestimmung" mit weitem Ermessensspielraum eine sogenannte "Muß-Bestimmung" geworden sein, die bei der Rechtsanwendung im konkreten Fall dem Entscheidungsorgan keinen Ermessensspielraum einräumt. Im Falle der Genscher'schen Formulierung vom 9. März 1976 muß jedoch bedacht werden, daß das von der Bundesrepublik angestrebte polnische Verhalten (Genehmigung von Ausreiseanträgen) nicht nur durch eine Kann-Bestimmung relativiert wurde, sondern mehr noch durch die Verknüpfung der Ausreisegenehmigungen der polnischen Seite mit dem Verfahren und den Kriterien der "Information"99, über die die Volksrepublik Polen frei befindet. Im Ergebnis führte deshalb das Elimieren des Hilfszeitwortes "können" in der zweiten Fassung des deutschen Briefes100 nicht von einer soUrsprüngliche Fassung des Briefes vgl. oben S. 52. Demgegenüber spielt die im Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates erörterte Frage, worauf sich das Hilfszeitwort "können" im einzelnen bezieht, grammatikalisch wie rechtlich kaum eine Rolle. 99 Vgl. oben Anm. 32. 100 Obgleich die zweite Fassung des Briefes nach einer Abstimmung der Regierungen von Bonn und Warschau am 11. März 1976 (wenige Stunden vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrates) zustande kam und vom Bun97
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genannten "Kann-Bestimmung" zu einer "Muß-Bestimmung" (in der politischen Diskussion als "Ausreiseautomatik" bezeichnet) sondern nur zu einer Verlagerung der Ermessensspielräume der polnischen Seite von der "Kann-Bestimmung" in die absolut unbestimmten Rechtsbegriffe der polnischen Verfahrensregelung. Nur weil die Volksrepublik Polen auch weiterhin über das von ihr beherrschte Verfahren die volle Souveränität über die Gewährung oder Nichtgewährung der Ausreise im Einzelfall beibehält, konnte sie in den Abendstunden des 11. März 1976 der Eliminierung des Wörtchens "können" zustimmen, ohne sachlich von ihren Positionen Abstriche machen zu müssen. Rein rechtlich wird sich weder vorher die Prognose noch hinterher die Feststellung treffen lassen, daß der Wegfall des Hilfszeitwortes "können" kausal geworden ist für auch nur eine "zusätzliche" polnische Ausreisegenehmigung. Es kann sich deshalb nur um eine politische Akzentverschiebung in Richtung auf eine weitere Eingrenzung polnischer Ermessenspielräume handeln. (4) Der deutsche Brief vom 9. März 1976 wurde im letzten Absatz eines Schreibens des polnischen Außenministers an seinen deutschen Amtskollegen vom 15. März 1976 101 , das anläßlich des Austausches der Ratifikationsurkunden zu den deutsch-polnischen Vereinbarungen am 24. März 1976 übergeben wurde, bestätigt. Allerdings dürfte es sich hier kaum um eine vollinhaltliche Bestätigiung des Briefes der deutschen Seite handeln. Anstatt einer vollinhaltlichen Wiederholung eines verbindlichen Textes enthält das Schreiben des polnischen Außenministers streng genommen nur eine Interpretation der Stellungnahme des deutschen Außenministers zur Presseerklärung seines polnischen Amtskollegen. Daß hier nichts für beide Seiten Verbindliches festgeschrieben werden soll, ergibt sich einmal daraus, daß der polnische Außenminister nur von " Feststellungen " und "Ansichten" seines deutschen Amtskollegen spricht, zum anderen aus der Betonung seines subjektiven Verständnisses ("meinem Verständnis nach"). Entscheidend ist schließlich, daß Objekt der polnischen Zustimmung nicht der deutsche Brief als solcher ist; Polen stimmt nur soweit dem Brief zu, als er der Erklärung des polnischen Außenministers entspricht: desminister des Auswärtigen auch nochmals unterzeichnet wurde, wird die Neufassung im internationalen Verkehr als Ergänzung des ursprünglichen Dokuments gewertet werden, das als bereits am 9. März 1976 "abgesandt gilt". Die Bundesregierung hat anscheinend auch großen Wert darauf gelegt, daß ihre Erklärung nicht als Reaktion auf ein Presseinterview des polnischen Außenministers verstanden werden muß, und "fingiert" ihre ursprüngliche Stellungnahme zurück auf einen Zeitpunkt vor der Veröffentlichung des P AP-Interviews. 101 Vgl. oben Anm. 18.
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"Und in diesem Sinne kann ich die in Ihrem oben erwähnten Brief enthaltenen Ansichten teilen." Damit wird dem Ziel des deutschen Briefes vom 9. März 1976 (wie es insbesondere in seiner Neufassung zum Ausdruck kommt), "etwas mehr" zur Aussiedelungsfrage zu sagen, als dies der polnische Außenminister in Punkt 6 seines Interviews getan hat, bewußt gegengesteuert. Die Erklärung der deutschen Seite wird wieder auf das Ausgangsniveau der polnischen Erklärung "zurückinterpretiert" . (5) Die Bundesregierung hat das "Zurückinterpretieren" akzeptiertl°2 • Allerdings ergeben sich unterschiedliche Nuancen bei der rechtlichen Bewertung des gesamten Vorgangs. Während einige Bundesländer durch die ergänzenden Formulierungen eine "Automatik" in der Ausreisefrage gewährleistet sahen 103, wurde diese Interpretation vom Bundeskanzler nicht ohne Schärfe mit dem Argument zurückgewiesen, der Briefwechsel habe den Text des Ausreiseprotokolls nicht verändert und nicht verändern können 1o,. Dies dürfte auch der Auffassung der polnischen Seite entsprechen 105 • Der Bundesminister des Auswärtigen wer102 Nachdem der polnische Brief am 24. März 1976 widerspruchslos Zug um Zug gegen die Ratifikationsurkunde ausgetauscht wurde, ist es müßig, darüber zu rechten, ob der polnische Brief den Kriterien entsprochen hat, die Bundesaußenminister Genscher dem Ausschuß für Auswärtige Angelegenhieten des Bundesrates vorgetragen hat ("Dieser Brief vom 9. März 1976 wird von der polnischen Seite nach der Ratifikation beantwortet werden, und zwar nicht nur in der Form einer Eingangsbestätigung, sondern auch durch Mitteilung des übereinstimmenden polnischen Verständnisses dieses Briefes, also: ,Zustimmung zum Inhalt'.") Immerhin hätte bei fairer Information des Bundesrates erwartet werden können, daß mögliche Einschränkungen bei der polnischen Zustimmung (Zustimmung nur im Rahmen des subjektiven Fürwahrhaltens des polnischen Außenministers; Zustimmung nur im Sinne der polnischen Erklärung vom 9. März 1976) dem Bundesrat bekannt gemacht werden. Andererseits hatte die Bundesregierung in einem anderen Zusammenhang deutlich gemacht, daß die Volksrepublik Polen den Brief vom 9. März 1976 "nur bestätigen" werde und daß es "unvorstellbar sei, daß die Polen in ihren eigenen Brief mehr hineinschreiben, als sie bereit sind, in den Vertrag aufzunehmen". 103 Vgl. z. B. Presseerklärung der Bayerischen Staatskanzlei vom 18. März 1976: " ... Diese Auslegung wurde vom Bundesminister Genscher in der Sitzung des Bundesrats am 12. März 1976 so gegeben, daß auch nach Ablauf von vier Jahren völkerrechtlich gesichert alle in Polen lebenden Deutschen nicht nur das Recht haben, Ausreiseanträge zu stellen, sondern auch ausreisen können." Eine "Automatik" in der Ausreisefrage war allerdings bei der Diskussion um das Hilfszeitwort "können" im Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten des Bundesrats am 10. März 1976 ausdrücklich nicht angestrebt worden (vgl. die Äußerung von Ministerpräsident Dr. Kohl im Rechtsausschuß des Bundesrats: "Wir behaupten doch um Himmels willen nicht eine Automatik."). 104 Rede vor dem Bundesrat am 12. März 1976, Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 170 ff. (177). 105 Vgl. z. B. die von dpa am 18. März 1976 verbreitete Äußerung des stellvertretenden polnischen Außenministers Czyrek, wonach die Interpretatio-
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tete demgegenüber in seiner Rede vor dem Bundesrat am 12. März 1976 etwas vorsichtiger: er konstatiterte im Zusammenhang mit dem Briefwechsel die Bereitschaft der polnischen Seite "Erklärungen auch die gebotene Verbindlichkeit zu geben" und maß dem Briefwechsel "eine erhebliche Bedeutung" bepo6. Der im Zusammenhang mit dem Abschluß der soganannten Ostverträge seitens der Bundesregierung schon mehrfach praktizierte politische Verhaltensstil, Gegenstände, die nicht vertraglich geregelt werden konnten, in Briefen einseitig klarzustellen oder zumindest anzusprechen, mußte beim Ausreiseprotokoll von vornherein scheitern, da die deutsche Seite schlecht außerhalb eines Vertrages eine Leistung, die allein der Kontrahent zu erbringen hat, näher definieren oder klarstellen kann107 • Zudem mußte die Konzeption des erläuternden Briefwechsels als eines polnisch-deutsch-polnischen Austausches von Erklärungen zwangsläufig dazu führen, daß der polnischen Seite bei einer strittigen KlarsteIlung das "letzte" und prävalierende Wort eingeräumt wurde. Dies wiederum bestätigt das bereits angedeutete Ergebnis, daß einseitige Versprechen als autonome Erklärungen des Versprechenden von diesem auch einseitig interpretiert werden 108 •
nen, die die polnische Seite zusätzlich gegeben habe, an den Verträgen "kein Jota" änderten. 106 Text: Die deutsch-polnischen Vereinbarungen, a.a.O., S. 160 ff. (167 f.). 107 Hier liegt der Unterschied z. B. zu den sogenannten Briefen zur deutschen Einheit: Der Moskauer- und der Grundvertrag wurden von der Bundesrepublik auf der Grundlage geschlossen, daß die Bundesrepublik sachlich legitimiert ist, Deutschlandpolitik (einschließlich einer friedlichen Wiedervereinigungspolitik) zu betreiben; auch wenn der jeweilige Vertragspartner mit diesem politischen Ziel der Bundesrepublik nicht einverstanden sein sollte, eröffnet der Brief der Bundesrepublik Handlungsspielräume, die vom Regelungsinhalt der Verträge nicht eingeschränkt werden, da insoweit von seinem Dissens ausgegangen werden muß. Ein deutsch-polnischer Dissens über die Frage der Ausreise von weiteren Deutschen aus Polen nach dem Ablauf von vier Jahren nützt demgegenüber nur der polnischen Seite, da die Bundesregierung (mit dem Akzeptieren der "Information" als verbindliche Grundlage der Ausreisegenehmigung) die volle Jurisdiktion der Volksrepublik Polen über die Erteilung von Ausreisegenehmigungen anerkennt. (Anders wäre es allenfalls, wenn die Verhandlungen auf der Grundlage einer noch bestehenden deutschen Staatsangehörigkeit des betreffenden Personenkreises geführt worden wären.) 108 Vgl. oben S. 72 f. Hiergegen läßt sich auch aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes nichts herleiten, da die Partei, die in Verhandlungen nicht erreicht hat, daß eine Leistung der Gegenpartei in das Vertragsgefüge mit einbezogen wird, nicht verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob das nur einseitige Versprechen in einem Vertrag seinen Platz gefunden hätte.
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IV. Die Möglichkeit, Normanwendung und -vollzug einseitig zu beherrschen, vermag den einseitigen Versprechen im bilateralen Bereich109 seine Bedeutung zu sichern. Es handelt sich um ein Institut, das zwischen Absichtserklärung mit nur politisch-moralischer Bindung und Rechtsvertrag steht und das sich dann anbietet, wenn wegen gespannter Beziehungen zwischen den Parteien oder wegen des Vertragsgegenstandes ein Vertragsschluß zumindest für eine Partei nicht in Betracht kommt, die andere Partei jedoch auf eine rechtlich verbindliche Zusage nicht ganz zu verzichten vermag. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß einseitige Verpflichtungserklärungen vermehrt im Zusammenhang mit Versuchen auftreten, die aus Kriegsfolgen und Ost-WestKonflikt herrührenden Spannungen und Inkompatibilitäten zu überwinden. Konträre Ausgangspositionen verhindern hier, daß ein regelungsbedürftiger Sachverhalt überhaupt Gegenstand von Vertragsverhandlungen wird oder daß ein Staat das Risiko des Scheiterns von Vertragsschlüssen auf sich nimmt. Das politische "do ut des" könnte zudem - in einem synallagmatischen Vertrag konkretisiert - die Sittenwidrigkeit der Verbindung von Leistung und Gegenleistung transparent machen. Hier verhilft der Rückgriff auf einseitige Rechtsgeschäfte zu Regelungen, die vertraglich nicht erreichbar wären. Für die sozialistischen Staaten mag bei der Regelung der anstehenden "humanitären Fragen" auch von Bedeutung sein, daß einseitige Erklärungen ihrem Konzept von der innerstaatlichen und nicht zwischenstaatlichen Natur der Menschenrechte nicht zuwiderlaufen. Schließlich sind einseitige Versprechen ein von den Regierungen sehr viel leichter manipulierbares Instrumentarium als der Vertragsschluß, da einseitige Erklärungen ihre Wirkung in einem von Parlament und Opposition schwer durchdringbaren Bereich von Politik und Recht entfalten.
10D Bei Erklärungen gegenüber der gesamten Staatenwelt (wie z. B. bei der ägyptischen Erklärung über den Suezkanal, vgl. oben S. 69 ff.) erscheint das einseitige Rechtsgeschäft schon aus normtechnischen Gründen geboten.
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DIRITTO DELLE GENTI E DIRITTO INTERNAZIONALE Di Giacinto Bosco
I. Il diritto delle genti nella giurisprudenza romana La societa in cui il diritto internazionale vige ed opera e la « societa degli Stati », formata prevalentemente da entita statuali, alle cui vita di relazione partecipano anche altri enti autonomi e indipendenti per la realizzazione di fini comuni. La dottrina piu antica si rifaceva, invece, ad un altro tipo di societa, detta « communitas gentium» oppure «civitas gentium maxima » 0 « maxima societas ». Con queste espressioni si designava una societa universale assai piu ampia di quella formata dagli Stati, comprendente sia gli uomini che i popoli. Ad essa corrispondeva un ordinamento giuridico diverso da quello ehe oggi si denomina « diritto internazionale » e propriamente il diritto universale dell' umanita (jus gentium), inteso come sistema di norme, dedotte dall'essenza invariabile della natura umana, applicabile sia agli uomini, singolarmente considerati, sia ai popoli, considerati come gruppi omogenei di persone, politicamente organizzati. Gia Cicerone 1 affermava che vi e una societa fra gli uomini, che li comprende tutti e li lega con tutti gli altri; che questa societa universale, da Iui detta « societas hominum inter homines » e regolata dal « jus gentium » inteso come diritto universale deI gene re umano. In esso, secondo 10 stesso Cicerone, si inserisce il « jus civile » quale diritto propria di una comunita piu ristretta, ma legata da piu intensi vincoli di solidarieta fra gli uomini che la compongono. Egli percio distingueva nettamente il diritto universale delle genti da quello particolare dei singoli popoli: « Maiores aliud jus gentium, aliud jus civile esse voluerunt ». Nella codificazione giustinanea (Inst. lib. II, tit. 2) sulla base dell'insegnamento di Gaio, ancora piu ehiaramente e scritto ehe il dirtto ehe ciascun popolo esso stesso per se costituisce, cioe il diritto proprio della stessa societä. civile, si chiama diritto civile; quelle che invece l'ordine (ratio) naturaIe stabilisce fra tutti gli uomini, si osserva ugualmente presso tutti e si chiama diritto delle genti, quasi fosse il diritto di cui tutte le genti si servono (quasi quo jure omnes gentes utuntur). Piu oltre si chiarisce ancora meglio (ibid. paragr. 2) che «il diritto delle genti e 1
De Officiis, libro III, Cap. XVII.
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eomune a tutto il genere umano» (jus autem gentium omni humani generi commune est, nam usu exigente et humanis necessitatibus, gentes humanae jura quaedam sibi instituerunt). Sembra dunque ehiaro ehe nel diritto romano classico, per quanta non manehino ineertezze e eonfusioni sia terminologiehe ehe eoneettuali, per diritto delle genti non si intendesse il diritto ehe regolava soltanto i rapporti fra i popoli organizzati in formazioni statuali, ma un diritto vigente fra tutti gli uomini ehe regolava, eioe, i rapporti fra tutti gli appartenenti al genere umano e quindi anehe fra i popoli, eonsiderati eome raggruppamenti omogenei di uomini. Infatti, etimologicamente gens equivale a gruppo familiare di eonsanguinei aventi un eomune eapostipite (agnate). Pertanto il diritto delle genti, ehe fu arricehito dal jus honoTarium deI Pretore plebeo, eletto aRoma fin dal 336 a. C. eomprendeva, seeondo l'interpretazione eonfermata anehe nel seeolo XVIII2 non soltanto argomenti di diritto pubblieo esterno, quali il diritto feziale, il rispetto dei legati, il diritto delle rappresaglie, 10 statuto dei prigionieri di guerra e l'interdizione dell'uso dei veleni in guerra, ma an ehe materie riguardanti i rapporti fra eittadini romani e stranieri e piu in generale fra uomini di diversa origine e nazionalita, rapporti ehe si ordinavano giuridieamente eoi eontratti di eompravendita, di soeieta, di deposita ed altri. Ciö dimostra ehe i Romani eonsideravano il diritto delle genti eome un diritto universale di tutto il gene re umano, nel eui ambito si eostituiva il diritto eivile, eioe il diritto interno di eiaseuna formazione statuale (jus proprium civitatis). Il diritto universale delle genti, anehe se fu eomunemente denominato diritto naturale 3 in quanta le sue norme non derivano da fonti empirieamente rilevabili (leggi, trattati ed altri atti normativi) ma dalla volonta indistinta dei gruppi soeiali appartenenti aHa soeieta naturale degli uomini e dei popoli, non per questo eessava di essere vero e propria diritto di tutto il genere umano, nell'ambito deI quale si artieolava la pluralita dei diritti partieolari delle singole formazioni statuali e interstatuali. La eoncezione universalistiea deI diritto e infatti la eonseguenza ineluttabile deHa pluralita degli ordinamenti giuridiei, in quanta il neeessario eoordinamento dei loro rapporti sul piano giuridieo riehiede di conseguenza il riferimento ad un ordinamento di earattere generale ehe si ponga eome superordinato rispetto a tutti gli altri ordinamenti partieolari. % Vattel, Droit des gens, NeuehateI, 1777, pag. III e seg. a L'inglese Hobbes neUe sue opere: Elementa Philosofica de cive, 1642 e Leviathan, 1651, affermo ehe la lex naturalis si distingue in naturalis
hominum e naturalis gentium, onde i medesimi precetti, valgono, eon gli adattamenti derivanti dalla diversa natura dei soggetti, sia per gli individui ehe per gli Stati.
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L'esistenza di questo ordinamento non e affatto eontraddetta ne dalla varieta delle denominazioni (diritto delle genti, diritto natur ale, diritto eomune) ehe il diritto universale delle genti assunse nelle varie epoche storiehe, ne dalla rieonoseiuta erroneitä. delle premesse filosofiehe dei giusnaturalisti, ehe pretendevano di fond are la giuridieita delle fonti deI diritto naturale su eoneetti teologiei, morali 0 razionali. Cio ehe importa di rilevare e ehe per molti seeoli sia la seienza ehe l'esperienza giuridiea rieonobbero l'esistenza di un diritto generale a tutto il genere umano i eui preeetti generali erano di fatto osservati eome norme obbligatorie di eondotta nella vita reale dei popoli.
11. Il diritto comune come diritto universale Nel Medio Evo la tendenza all'universalismo si este se perfino al
jus eivile dei Romani, ehe pur essendo stato originariamente eoneepito
eome diritto propria di una ristretta eomunita, seppe tuttavia talmente evolversi e adattarsi alle nuove neeessita mereantili e soeiali ereate dall'estendersi dell'impero romano e dal eontatto eon altri popoli, da divenire un modello esemplare ehe penetro spontaneamente in molte altre eomunita nazionali. In esse il diritto romano fu osservato anehe in epoea sueeessiva al medioevo ed in tal uni easi fino a tutto il seeolo seorso. Tale mirabile espansione deI diritto romano e da attribuire non soltanto alla sua logiea giuridiea insuperata, ma anehe alle sua ispirazione ad un modello ideale di giustizia, per eui il SeIden affermo «essere il diritto romano interprete ottimo deI diritto naturale » (jus Romanum esse optimum juris naturae interpretem). La diffusione deI diritto romano eon i suoi adattamenti eanonistiei ebbe inizio eon l'estensione territoriale e l'espansione politiea deI potere imperiale (Imperator dominus mundi) e eon la attivita universale deI Papato. Ma essa continuo e si allargo anehe dopo i rivolgimenti politiei, soeiali e religiosi ehe dal seeolo XVI in poi portarono all'affievolimento deI potere politieo delle due autorita universali: l'impero e il papato. Il Calasso nella sua fondamentale opera 4 di rieostruzione storiea deI diritto comune dimostra ehe esso rimase in vigore anehe dopo l'affermarsi dell'indipendenza edella sovranita dei vari Stati. DeI resto, propria nella seeonda meta deI sec. XVI, eioe dopo il trattato di Westfalia deI 1648, da eui gli aeeennati rivolgimenti furono saneiti, un giurista inglese, Arturo Durk5, aveva dimostrato ehe l'universalita deI diritto comune « in orbem terrarum » non era eollegata all'autorita dell'Impero edel Papato. Infatti, egli asseri ehe anehe nei paesi ehe, Introduzione al Diritto Comune, 1951, pag. 119 e seg. De usu et auetoritate juris civilis Romanorum in dominiis Principum Christianorum, Londra, 1653, pagg. 142 e 310. 4
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come l'Inghilterra e la Svezia, avevano sempre respinto qualsiasi dipendenza dall'autoritä dell'imperatore, in qualehe modo si osservava ugualmente il diritto romano. Da cia il Durk traeva la eonseguenza ehe l'osservanza deI diritto romano trovava la sua base giuridiea non giä nelle soggezione ad una suprema ed universale autoritä politiea, ma nella stessa eoseienza dei popoli. Infatti, egli, riehiamandosi al famoso giurista italiano Baldo degli Ubaldi deI sec. XIV, afferma ehe « obsequium quod (populi) praestant Romanis Legibus est spontane um, non ex potestate imperantium, sed ex vi rationis, cui omne genus human um, teste Baldo, tenetur obedire ». La diffusione deI diritto romano eome diritto generale rispetto al diritto loeale fu realmente rilevante: dall'Italia, e partieolarmente dal suo massimo eentro di studi, Bologna, il diritto romano s'irradia ben presto in gran parte dell'Europa. Il principale veieolo di diffusione, eome nota il Calasso6, fu la seienza, poiehe i giuristi d'ogni nazione furono edueati nella grande maggioranza nelle gloriose universita italiane deI Medioevo. In Francia, il diritto romano eome diritto eomune prevalse specialmente nelle regioni meridionali legate all'Italia da piu stretti rapporti, e fu osservato fino alla eodifieazione napoleoniea. In Inghilterra, dove il giurista italiano Vaeario, verso la meta deI seeolo XVII, aveva fondato una seuola romanistiea ad Oxford, la ricezione deI diritto romano trova forte ostaeolo neUe resistenze nazionalistiehe riassunte nelle drastica formula « nolumus leges Angliae mutari ». Tuttavia l'influenza delle Universita di Oxford e di Cambridge, dove il diritto romano veniva insegnato eome espressione di «giurisprudenza generale », fu veramente rilevante nella formazione deI diritto loeale. Il Blackstone7 dimostra infatti co me gli istituti giuridici britannici di diritto pubblieo e privato derivassero dal diritto romano eol quale presentavano analogie profonde. Nella Spagna, dove la seuola di Bologna ebbe notevole influenza apartire dal sec. XII, il diritto romano influenza largamente la Ley de las Siete Partidas deI 1265 e l'Ordinamiento de Alcala deI 1348. In queUo stesso paese il pensiero giuridieo italiano ebbe tanto seguito ehe verso la fine deI '400 una legge impose ehe qualora si riseontrassero laeune neUe leggi loeali o dubbi nella giurisprudenza dovessero prevalere le opinioni dei giuristi italiani Bartolo e Giovanni D'Andrea. Nel Portogallo, dove fin dal sec. XIII era stata istituita una eattedra di diritto romano allo Studium generale di Lisbona, furono emanate le ordinanze di re Manuel nel op. eit., pag. 310. Commentaries on the laws of England, 1765 - 1769. Quest'opera ebbe una diffusione enorme anche in America, ed ha esercitato fino ai tempi moderni una influenza grandissima sulla eoscienza giuridica inglese (Ca lasso, op. cit., pag.318). 8
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1521 e poi quelle di Filippo I nel 1580, ehe reeepirono Iargamente il diritto romano ed il diritto eanonieo. Persino in Norvegia, nella Iegislazione di Magnus IV deI 1274, solleeitata dalle eorrenti eulturali italianizzanti di quel tempo, si trovano traeee rilevanti di diritto romano. In Polonia inveee Ia penetrazione deI diritto romano si limita al mondo della eultura, influendo solo indirettamente nella Iegislazione generale e negli statuti municipali. Maggiore diffusione il diritto romano ebbe nelle provincie dell'attuale Beigio, dove nel 1425 sorse l'Universita di Lovanio, eome pure nelle provincie ehe formano l'Olanda attuale, dove la fondazione della Repubbliea delle Sette Provincie (1588) aeeeiero l'ingresso deI diritto romano ehe, in questo eome in altri easi, si dimostro il piu idoneo a determinare l'unifieazione giuridiea riehiesta dalla situazione politiea. In Germania dove l'usus modernus Pandectarum ebbe largo impulso speeialmente sulla fine deI sec. XVIII, la Seuola storiea, eapeggiata da Federico Carlo Savigny 8, difese strenuamente la legittimita deI predominio deI diritto romano, fino a quando non prevalse l'indirizzo di una eodifieazione nazionale ehe si attuo all'alba deI sec. XX. Il Codiee civile germanico (Bürgerliches Gesetzbuch) fu pubblieato il 18 agosto 1896 ed entro in vigore il1 0 gennaio 1900. Con l'entrata in vigore dei eodiei nazionali (il prima fu il Code civil des Franr;ais deI 1804) la dottrina ritenne che il diritto eomune9 fosse passato nei dominii della storia ed avesse quindi perduto ogni valore attuale. Questa eonelusione non fu eondivisa da tutti i giuristi. Il BrugPO ad esempio, sostenne ehe anehe dopo la prima eodifieazione italiana i principi generali deI diritto, riehiamati dalle disposizioni preliminari al eodice civile deI 1865, fossero queli deI diritto eomune.
In ogni easo e da rilevare ehe il sistema della eodificazione non penetro in tutti i paesi; ne rimasero infatti esc1usi gli Stati Uniti d'Ameriea, l'Inghilterra e molti paesi deI Terzo Mondo. Inoltre e da eonsiderare ehe Ia codificazione non assorbi l'intera e complessa materia deI diritto eomune. Infatti ne restarono in gran parte esc1usi sia i rapporti fra gli ordinamenti giuridici statuali - salvo qualche frammentario riferimento in materia di diritto internazionale privato - sia i rapporti eon altri ordinamenti di earattere piu generale, quali 8 Savigny, Sistema deI diritto romano attuale, trad. di V. Seialoja, Torino, 1886, I, pag. 42, aneora nel seeolo seorso, affermava: « E' 10 spirito popolare, vivente ed operante universalmente in tutti gli individui, quello ehe genera il diritto positivo, il quale percio, non a easo, ma neeessariamente si rivela unico ed identico nella coscienza dei singoli individui ». a Calasso, op. cit., pag. 339. 10 Brugi, Per la storia della giurisprudenza e delle universita italiane, Nuovi Saggi, Torino, 1921, pag. 179 e segg.
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il diritto internazionale ed il diritto eanonieo, ehe pure esistevano fin
dall'epoea delle prime eodifieazioni.
Inveee i giuristi italiani ehe dettero vita alle famosa Seuola di Bologna, elaborarono il eoneetto di jus eommune eoneependolo, appunto «eome ordinamento universale nell'orbita deI quale vivono e si muovono gli ordinamenti partieolaril l . III. Il diritto internazionale come parte deI diritto universale delle genti Il Bonfante 12 rieollega il sorgere deI diritto delle genti ai rapporti deI popolo romano eon gli altri popoli deI bacino deI Mediterraneo ed afferma ehe «la giurisprudenza posteriore riassunse nei eoneetti deI jus gentium anehe i rapporti piu semplici dell'antico edel nuovo jus eivile, ehe essa piu 0 meno riseontra 0 erede di riseontrare presso tutti i popoli, distinguendo nel eomplesso delle norme giuridiehe due parti: una propria a eiaseun popolo, il jus civile in stretto senso, l'altra eomune a tutti i popoli, il jus gentium, e questa parte sarebbe stata dettata agli uomini dalla naturalis ratio, eon ehe non si vuol signifieare la ragione umana, eome hanno inteso i filosofi poeo pratici della lingua latina, bensi l'ordine (ratio) naturale delle eose ». Pertanto seeondo il Bonfante la giurisprudenza romana distingueva il jus civile in senso stretto dal jus gentium, eoneepito eome ordinamento universale, eomune a tutti i popoli. Tale fu anehe l'insegnamento della piu antiea dottrina internazionalistiea. Il giurista olandese Ugo Grozio, ehe aneora oggi si eonsidera il preeursore piu diretto dell'odierno diritto internazionale, assegno al diritto naturale una funzione universale ed unifieatriee degli ordinamenti partieolari. La sua opera fondamentale: De jure belli ae pa cis, pubblieata nel 1625, eostitui il prima tentativo sistematieo 13 di enucleare dal diritto universale delle genti un eorpo di regole di condotta degli Stati nella loro vita di relazione, dando cosi l'avvio ad un nuovo ramo deI diritto nell'ambito di un ordinamento piu generale, detto allora diritto naturale. La trattazione dottrinale di Calasso, Lezioni di storia deI diritto italiano, 1948, pag. 194. Storia deI diritto romano, 1958, vol. I, pag. 194. 13 Anehe nell'epoea classica e nel Medioevo non manearono trattazioni frammentarie di singoli istituti ehe sueeessivamente furono attratti dal diritto internazionale. 11 jus fecialis, la rappresaglia, il diritto di legazione attivo e passivo, i Patti fra i vari potentati deI tempo, il diritto di guerra, formarono oggetto di trattazione dottrinali nelle quali l'aspetto giuridico delle questioni, veniva frammisto e eonfuso con considerazioni teologiehe e morali. Piu importanti furono le opere dei giuristi deI sec. XVI quali gli spagnoli Francisco Victoria (Relectiones Theologicae, 1577), Francisco Suarez (De legibus ac de legislatore, 1612) e gli italiani Pietro Belli (De re militari ac bello, 1563) e Alberico Gentili (De jure belli commentationes, 1588 e De Legationibus, 1585). 11
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Grozio accompagno la contemporanea evoluzione storica della convivenza internazionale. Questa, infatti, come risulta dai trattati di Münster e Osnabruk deI 1648, piu comunemente conoseiuti sotto il norne di Trattato di Westfalia, si andava assestando sulla base di un nuovo rapporto di coordinazione fra Stati ugualmente sovrani e non piu subordinati, come generalmente avveniva nel passato, all'impero o al papato. In corrispondenza con la filosofia razionalista deI suo tempo, Grozio individuo nella retta ragione la regola assoluta della condotta umana sia degli individui che dei popoli, ammettendo pero accanto all'elemento razionale quello volontario risultante dal communis consensus gentium. E' da notare pero che, secondo Grozio, questo comune consenso non costituiva una fonte autonoma di diritto, ma soltanto la riprova, l'attestazione di una recta illatio ex natura. Pertanto il valore obbligatorio della norma attestata dal comune consenso derivava pur sempre dalla sua conformita alla razionalita intrinseca deI diritto di natura. Grozio, infatti, dichiara espressamente che c'e una superiore istanza, alla quale i responsi deI comune consenso debbono essere ragguagliati, e eioe il diritto naturale vero e proprio; il consenso non e neppure prova assoluta di una nozione di diritto naturale 14 • E' chiaro che tale impostazione differisce nettamente dal fondamento che la dottrina odierna assegna al diritto internazionale, ma a Grozio spetta il merito non solo di avere trattato sistematicamente la materia relativa alla condotta degli Stati nelle loro reeiproche relazioni, ma anche di avere riconoseiuto un valore concreto, seppure integrativo della retta ragione, al comune consenso dei popoli, che costitui il punto di partenza per la costruzione autonoma dell'ordinamento giuridico internazionale. Certo il processo di autonomia deI diritto internazionale, come ordinamento a se stante, rispetto al diritto universale delle genti, fu lento, incerto e faticoso. Infatti anche nelle opere successive a quelle di Grozio si continuo a considerare il sistema regolatore della condotta degli Stati come una parte deI diritto naturale. Il Pufendorf, che sviluppo l'opera deI Grozio nella seconda meta deI sec. XVII, inquadro, a sua volta, le regole speeifiche di condotta degli Stati in un diritto universale riferibile sia agli uomini che ai popoli. Cio appare dagli stessi titoli delle sue opere: Elementa jurisprudentiae universalis, 1666, Juris naturae et gentium, 1672. In queste, come in altre opere successive15 gli autori partono sempre dal diritto naturale, come diritto uni14 Introduzione di Eugenio Di Carlo ai Prologomeni al de jure belli ac pacis di U. Grozio, Palermo, 1957, pag. 40. IS Wolf, Institutiones juris naturae et gentium, 1750. Wattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle appliquee a la conduite et aux affaires des nations et des souverains, 1758. Martens, Precis du droit des gens moderne c'le l'Europe, 1788.
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vers ale, per individuare nel suo interno un sistema particolare di norme regolatrici della condotta degli Stati. E' necessario pero evidenziare che in questo sforzo di enuc1eazione di un nuovo ramo deI diritto della lex naturalis, gli scrittori che si susseguirono fino al secolo scorso non intesero mai di assorbire nel diritto internazionale l'universo mondo dell'antico diritto delle genti, quale esso era stato concepito nella dottrina classica di Cicerone e di Gaio e, tanto meno, intesero di attrarre nell'orbita deI nuovo diritto internazionale tutti i precetti che il diritto natur ale aveva elaborato sia per i rapporti fra gli individui che per quelli fra i popoli. Un giurista inglese deI sec. XVII avverti l'incongruenza di attribuire la c1assica e omnicomprensiva denominazione di jus gentium al limitato sistema di regole riguardante soltanto i rapporti fra gli Stati. Lo Zouch, infatti, propose di assegnare alla nuova disciplina, che si andava costruendo, la phI limitata espressione di jus inter gentes 16 in luogo di quella tradizionale e piu ampia di jus gentium. La proposta ha trovato maggiori consensi nel secolo scorso in cui prevalse l'espressione di diritto internazionale, che denota appunto un contenuto piu limitato rispetto a quello universale deI diritto delle genti. La confusione terminologica fra le due denominazioni (diritto delle genti e diritto internazionale) sorse nel tempo in cui la dottrina dei secoli scorsi dovette sforzarsi di ricercare il fondamento autonomo deI diritto internazionale nella universale convivenza dei popoli. Al tempo di Grozio e dei suoi seguaci si rese infatti necessario di forzare il significato dell'antica denominazione di jus gentium per costruire su una base storica e scientifica il nuovo ramo deI diritto che si andava formando per regolare autonomamente i rapporti fra gli Stati. E' certo pero che, indipendentemente dalla confusione terminologica, la scienza giuridica, durante tutto il periodo di formazione deI diritto internazionale, dal sec. XVI al secolo scorso, intese di elaborare una trattazione sistematica delle norme di condotta relative ai rapporti fra gli Stati e non giä. di costruire un sistema tale da sostituire il c1assico diritto delle genti, inteso come ordinamento supremo ed universale e percio stesso come sistema unificatore della pluralitä. degli ordinamenti giuridici particolari. In altri termini la dottrina internazionalistica almenD fino al secolo scorso, intese di elaborare sulla base dell'esperienza giuridica un sistema di diritto anche esso particolare, in quanta diretto aregolare soltanto la vita di relazione fra gli Stati e gli altri enti similari. Ancora agli inizi di questo secolo, nel diffuso manuale di diritto internazionale pubblico di Henri Bonfilis e Paul Fauchille17 si afferma decisamente che il diritto internazionale pubblico e una «branca deI diritto generale». 16 Zouch, Juris et iudieiis fecialis, sive DE JURE INTER GENTES et quaestiones de eodem explicatio, 1650. 17 Paris, 4 ediz. 1905, pag. 2.
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Anche l' Anzilotti1 8 e eon lui la dottrina italiana dei primi deeenni di questo seeolo, affermava ehe il « diritto internazionale regola rapporti fra Stati e questi soltanto », respingendo eosi la eoneezione universalistiea deI diritto internazionale, inteso nell'antieo signifieato deI jus gentium e eioe eome diritto generale dell'umanita idoneo aregolare qualsiasi tipo di rapporti, sia fra gli uomini ehe tra i popoli, nonehe a ridurre ad unita tutti gli altri ordinamenti giuridiei.
IV. Lo statualismo giuridico in antitesi all'universalita deI diritto Anehe la seuola italiana defini, dunque esattamente 1'oggetto deI diritto internazionale, limitandone il eontenuto esclusivamente ai rapporti fra Stati. Essa, per in toto la possibilita dell'esistenza di un ordinamento giuridieo universale ehe rieonducesse ad unita 1'artieolato pluralismo degli ordinamenti giuridiei statuali e non statuali. Partendo dalla premessa ehe soltanto la volonta statuale e ereatriee di diritto - premessa ehe la dottrina odi~rna eonsidera deI tutto errata - la seuola italiana pervenne alla eonclusione ehe eiaseun ordinamento giuridieo indipendente possiede i earatteri dell'originarieta, dell'eselusivita e dell'universalita e, quindi, dell:;l illimitatezza deI suo potere normativo 1U • Anehe la phI autorevole dottrina gius-pubblieista, pur rieonoseendo ehe « in sede logiea non si rinvengano ragioni ehe indueano a restringere il eampo deI diritto a eerti ordinamenti soltanto, mentre per altro verso la eoesistenza di una moltepliee varieta di ordinamenti eostituisee un dato irrefragabile dell'esperienza »20, tuttavia eontinua ad affermare ehe, in sede giuridiea, « un ordinamento originario, e eselusivo di ogni altro, ivi eompreso - eventualmente - 1'ordinamento nell'ambito deI quale ebbe a verifiearsene la formazione storica »21. Ed applieando il eriterio dell'esclusivita, eome corollario dell'originarieta, ai singoli ordinamenti statali, si afferma21 ehe un « ordinamento giuridieo originario, non solamente ha, eome ogni ordinamento giuridieo vero e 18 19
op. eit., pagg. 33 e 34.
Il Balladore PaHieri, Diritto internazionale pubblieo, ediz. 1963, pag.
52, eosi definisee l'ordinamento «originario»: «Ogni ordinamento originario e sempre esclusivo e, se eonsiderato dal propria interno, unico, costituisce un sistema di norme ehiuso e completo ehe regola la giuridicita e il valore di qualsiasi voglia altro; conosce solo il propria sistema di norme; per lui tutte le altre sono irrilevanti, sprovviste di valore, mancanti di obbligatorieta: non eostitutiseono norme giuridiehe ». 20 CrisafuHi, Lezioni di diritto costituzionale, 2 ediz., Padova, 1970, pag. 35.
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Crisafulli, op. eH., pag. 64.
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proprio, le sue proprie (fonti> normative, ma di esse interamente e liberamente dispone »; si afferma, infine 2 1, ehe «la produzione deI diritto interno e affidato ineondizionatamente a quanta stabiliseono le norme sulle fonti dell'ordinamento stesso: non e'e, alla stregua dell'ordinamento statale, altro diritto ehe non sia il suo stesso diritto oggettivo; non ci sono altre norme giuridiehe oltre quelle eui l'ordinamento attribuisee tale qualifiea ». Pertanto la dottrina della esclusivita degli ordinamenti giuridici originari si preclude aprioristieamente qualsiasi possibilita di valutazione giuridiea dei rapporti tra i vari ordinamenti. Coerentemente alla sua teoria sulla esclusivita degli ordinamenti giuridici originari, il Balladore Pallieri22 sostiene anehe nei eonfronti deI diritto internazionale la stessa impossibilita di valutazione giuridica dei rapporti eon gli ordinamenti statuali: «L'ordinamento internazionaleeosi egli serive - se e davvero un ordinamento originario, eome nessuno dubita, nega la giuridicita di ogni diverso ordinamento, eosi anehe di quelli interni: la potesta interna dello Stato appare una potesta di puro fatto; il rapporto tra la Stato e gli individui appare eome un rapporto di pura forza ». Tale eonelusione appare pienamente giustifieata se si parte dalla infondata premessa della eselusivita degli ordinamenti giuridici originari. Infatti dal principio dell'esclusivita dell'ordinamento giuridico preso in eonsiderazione deriva la logiea eonseguenza deI diseonoscimento deI valore giuridieo di ogni altro ordinamento. Una simile eonclusione si dimostra pero in eompleto eontrasto eon la realta, la quale rivela ehe i rapporti fra gli ordinamenti giuridiei non sono di mero fatto ma sono veri e propri rapporti giuridiei. Cio signifiea ammettere l'esistenza di un superiore ordinamento giuridieo generale ehe rieomprenda sotto di se tutti gli altri ordinamenti giuridici partieolari. Infatti eome si esprime il Perassi 23 « una relazione giuridiea fra due ordinamenti puo essere stabilita soltanto da una norma avente valore giuridieo per l'uno e per l'altro e quindi appartenente ad un ordinamento giuridieo diverso ehe, funzionando eome tale rispetto agli altri eonsiderati, li eomprenda sotto di se, sia delimitandone la sfera di effieacia, sia stabilendo ehe nell'ambito di taluno di essi debba trovare attuazione qualche norma di un altro ». Tale ordinamento giuridieo generale, ehe eomprende sotto di se ogni altro ordinamento partieolare, esiste effettivamente ma non e il diritto internazionale ehe, eome si e detto, e anehe esso un diritto partieolare in quanto e soltanto l'ordinamento propria della soeieta degli Stati. E' ben vero ehe la teoria monistiea deI primato deI diritto internazionale ne amplia la sfera di eompetenza, attribuendo ad esso un potere !2
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op. cit., pag. 62. Perassi, Lezione di diritto internazionale, 1944, P. II, pag. 56.
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di legittimazione e di eoordinamento e quindi di supremazia rispetto a tutti gli altri ordinamenti giuridiei. Ma tale eoneezione eontrasta eon la realta storiea. Infatti gli ordinamenti statuali e quello della Chiesa sono anteriori al diritto internazionale e quindi non possono esse re a queste legati da un rapporto di legittimazione-derivazione. Inoltre anehe nel mondo moderne il diritto internazionale si eomporta eome un diritto partieolare in quanta eontinua a funzionare eome l'ordinamento proprio della soeieta degli Stati, tant'e ehe i suoi soggetti sono pur sempre gli Stati e altri Enti similari e non anehe gli uomini eome tali. L'ordinamento generale sul quale deve fondarsi la teoria sui rapporti giuridiei inter-ordinamentali e inveee il diritto universale delle genti ehe eonsente la rieostruzione dell'unita deI diritto, mentre la teoria della esclusivita degli ordinamenti originari eonduee fatalmente alle frantumazione deI diritto stesso e alla negazione di qualsiasi rapporto giuridieo fra i vari ordinamenti. Su questa teoria, aneora oggi dominante nella dottrina italiana, ha eertamente, sebbene non sempre avvertitamente, influito la teoria della statualita deI diritto ehe, pur essendo stata eombattuta e travolta dalla piu moderna dottrina, eontinua, tuttavia, per eorrenti sotterranee, a far sentire aneora oggi il suo peso sui prineipali problemi della seienza giuridica. Sorta storicamente eome reazione al frantumarsi della soeieta umana in moltepliei eomunita indipendenti 0 searsamente eollegate tra loro, la dottrina della statualita deI diritto fu eoeva all'affermarsi dello Stato moderno, all'espandersi della sua forza edel suo predominio su altre eomunita. La valutazione teoriea deI diritto si informo a quel movimento di espansione dello Stato, ehe tendeva a farlo assidere eome arbitro deI diritto ed a supremo reggitore di ogni rapporto soeiale. Il movimento espansionistieo dello Stato trasse alimento da varie eorrenti filosofiehe e prineipalmente da quella hegeliana, ehe rieonoseeva nello Stato l'ente etieo per eeeellenza. Sovrano nel regolare la eondotta dei sudditi, perehe unieo ed assoluto interprete della giustizia astratta, 10 Stato fu inteso anehe eome unico organismo eapaee di produrre diritto; in breve, si affermo ehe nello Stato eonfluisee la totalita etiea e giuridiea. La moderna seienza giuridiea ha ormai ripudiato la teoriea ehe faeeva risalire tutto il diritto ad una sola volonta: quella dello Stato. Fu provato ehe il eoneetto di diritto e determinabile indipen dentemente da quello dello Stato, il quali anzi non si puo definire senza il eoneetto deI diritto; ehe storicamente il eoneetto deI diritto e anteeedente a quello dello Stato; ehe non si puo rieonoseere valore filosofieo, eioe assoluto, ad un prineipio ehe, quanta meno in talune epoche storiehe, si e rilevato in eontrasto eon la realta; ehe infine la
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Giacinto Bosco
realta storica dimostra l'esistenza di un diritto consuetudinario ehe non puo farsi risalire alle volonta dello Stato. Ne maggiore successo ebbe la riduzione di quella teoria a principio di diritto positivo attuale, desunto dalla moderna posizione dello Stato, per cui il diritto non potrebbe idendificarsi se non con gli ordinamenti direttamente 0 indirettamente facenti capo agli Stati. Per rest are fedele alle sua premessa, il positivismo statalista in un prime tempo nego puramente e semplicemente la giuridicita di un qualsiasi ordinamento non statuale. Ma, non potendo negare l'esistenza di almeno altri due ordinamenti non statuali, quali il diritto canonico e il diritto internazionale, si ricorse all'espediente di ricollegarne la giuridicita ugualmente agli ordinamenti statali: il diritto internazionale fu concepito come un diritto statale esterno, come un prolungamento deI diritto dello Stato riguardante i rapporti con l'estero; il fondamento dell'obbligatorieta delle sue norme fu rintracciato nella capacita degli Stati di autolimitarsi 0 autobbligarsi. Il diritto della Chiesa fu giustificato come espressione di un potere normativo ad essa attribuito dallo Stato nel proprio ambito territoriale. In definitiva, quindi, 10 statualismo giuridico, espulso dalla porta, rientrava dalla finestra, poiche facendo derivare la giuridicita sia deI diritto internazionale ehe deI diritto canonico dagli ordinamenti statuali, si manteneva integro il dogma ehe tutto il diritto debba far capo allo Stato.
v. La teoria della pluralita degli ordinamenti giuridici originarii Tramontato anche queste indirizzo, perehe in aperte contrasto coi dati dell'esperienza, 10 statalismo giuridico trovo una altra forma di raffinato occultamento proprio nelle pieghe di quella dottrina della pluralita ed originarieta degIi ordinamenti giuridici, ehe era sorta appunto per confutarne la validita. Infatti, la rappresentazione pluralistica deI fenomeno giuridico fu prospettata nel sense di rieonoseere a tutti gli ordinamenti qualifieati eome originari, e quindi anehe al diritto della Chiesa e a1 diritto internazionale, uguali earatteri di indipendenza e di illimitata potenzialita normativa. In tal modo si venne a diseonoseere l'esistenza di limiti giuridici, obiettivamente validi rispetto ad ognuno di essi, si venne a negare cioe l'esistenza di un eanone di valutazione giuridiea dei rapporti fra i singoli ordinamenti, ehe eostituisee il presupposto essenziale per rieondurre ad unita il pluralismo guiridieo (ex pZuribus unus). Qualora maneasse un simile elemento di eoordinazione fra i singoli ordinamenti, il pluralismo si risolverebbe nel dominio della forza e quindi nella negazione di un ordine di giustizia. Infatti, seeondo la coneezione classiea deI pluralismo, ciaseun ordinamento originario sarebbe libero di estendere le proprie statuizioni ad
Diritto delle genti e diritto internazionale
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ogni specie di rapporti inter-soggettivi, aneorehe estranei al proprio ambito sociale, e ci:
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