Im Dienst von Kirche und Wissenschaft: Festschrift für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres [1 ed.] 9783428524785, 9783428124787

Die Festschrift "Im Dienst von Kirche und Wissenschaft" ist dem Bamberger Kirchenrechtler Alfred E. Hierold zu

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German Pages 1198 Year 2007

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Im Dienst von Kirche und Wissenschaft: Festschrift für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres [1 ed.]
 9783428524785, 9783428124787

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REES / DEMEL / MÜLLER (Hrsg.)

Im Dienst von Kirche und Wissenschaft

Kanonistische Studien und Texte

O.Ö.

O.Ö.

begründet von Dr. Albert M. Koeniger t Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn fortgeführt von Dr. Dr. Heinrich Flatten t Professor des Kirchenrechts und der Kirchenrechtsgeschichte an der Universität Bonn und Dr. Georg May Professor für Kirchenrecht, Kirchenrechtsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Mainz

herausgegeben von Dr. Anna Egler Akademische Direktorin i. R. am FB 01 Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Mainz und Dr. Wilhelm Rees Professor für Kirchenrecht an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

----------------------Band53---------------------REES / DEMEL / MÜLLER (Hrsg.)

Im Dienst von Kirche und Wissenschaft

Im Dienst von Kirche und Wissenschaft Festschrift für Alfred E. Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres

Herausgegeben von Wilhelm Rees, Sabine Demel und Ludger Müller

Duncker & Humblot . Berlin

Bibliografische Infonnation der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über hup://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0929-0680 ISBN 978-3-428-12478-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 €I

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Alfred E. Hierold, dem die vorliegende Festschrift zur Vollendung seines 65. Lebensjahres gewidmet ist, steht als Priester und als Kanonist, wie der Titel dieses Buches anzeigt, "im Dienst von Kirche und Wissenschaft". Der mit dieser Festschrift zu ehrende Kollege und akademische Lehrer Alfred Hierold wurde am 29. Dezember 1941 in Vohenstrauß in der Oberpfalz geboren. Nach dem Studium der Philosophie und Theologie in Regensburg und München wurde er 1967 für sein Heimatbistum Regensburg in der dortigen Kathedrale zum Priester geweiht, um dann pastorale Erfahrungen als Kaplan in EggenfeIden zu sammeln. Schon bald wurde er für das kirchenrechtliche Fachstudium am Kanonistischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München (heute Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik) freigestellt. Zügig schloß er das Aufbaustudium des kanonischen Rechts mit dem Lizentiat ab und war bis 1981 als wissenschaftlicher Assistent in München tätig. Während dieser Zeit (1978) wurde er zum Doktor des kanonischen Rechts promoviert. Das Thema der Doktordissertation lautete "Grundlegung und Organisation kirchlicher Caritas unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Teilkirchenrechts". Hiermit wandte er sich einem bis dahin in kanonistischer Hinsicht noch weitgehend übersehenen zentralen Vollzug der Kirche zu, in dem sich nach der Enzyklika Papst Benedikts XVI. "Deus Caritas est" ebenso wie in der Verkündigung von Gottes Wort und der Feier der Sakramente das Wesen der Kirche zum Ausdruck bringt ("Deus Caritas est", Nr. 25) - hierin übereinstimmend mit einem der wichtigsten Ergebnisse von Alfred E. Hierold in seiner Dissertation, wonach zu Sendung und Leben der Kirche und darum zu ihrer unveräußerlichen Pflicht "die caritativen Werke gehören wie ihre Verkündigung und ihr sakramentales Leben" (Hierold, Grundlegung und Organisation kirchlicher Caritas, St. Ottilien 1979, S. 194). Lehraufträge, die Alfred Hierold zwischen 1979 und 1981 an verschiedenen Hochschulen innehatte, wiesen ihn nicht nur auf die akademische Laufbahn, sondern brachten ihn schließlich auch in jene Stadt, in welcher er seit seiner Ernennung am 1. April 1981 zum Ordinarius für Kirchenrecht bis zu seiner nunmehr erfolgten Emeritierung tätig sein sollte. Neben den originären Aufgaben eines Universitätsprofessors in Forschung und Lehre oblagen ihm im Dienste von Fakultät und Universität schon bald für viele Jahre andere Funktionen und repräsentative Ämter, die ein hohes Maß an organisatorisch-verwalteri-

VI

Vorwort

schen Fähigkeiten und hochschul politischem Geschick erfordern. Zunächst amtierte Alfred E. Hierold vom 1. Oktober 1983 bis zum 30. September 1985 als Dekan der Fakultät Katholische Theologie der Universität Bamberg; sodann vom 18. März 1989 bis zum 30. September 1991 als Vizepräsident der Universität Bamberg. Im Anschluß daran bekleidete er vom 1. April 1992 bis zum 31. März 2000, also für volle acht Jahre, als Rektor das höchste Amt der Universität Bamberg. In dieser Zeit durften die drei Herausgeber der Festschrift seinen Lehrstuhl vertreten: Wilhelm Rees (1992 - 1996), Sabine Demel (1996 - 1997) und Ludger Müller (1997 - 2000). Sie sagen Alfred Hierold auf diesem Weg nochmals herzlichen Dank dafür, daß er ihnen diese wichtige Erfahrung beim Einstieg in die Lehr- und Forschungstätigkeit einer Professur für Kirchenrecht ermöglicht hat. Nur ein Semester nach seiner langjährigen Tätigkeit als Rektor bestimmte ihn seine Fakultät noch einmal zum Dekan für die Amtszeit 2000 - 2002. Neben seinen akademischen Verpflichtungen in Bamberg lehrt Alfred Hierold seit 1983 auch als Gastprofessor an der PhilosophischTheologischen Hochschule Heiligenkreuz / Österreich (heute: Päpstliche Philosophisch-Theologische Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz). Angesichts dieser vielfachen Verpflichtungen im Bereich der Wissenschaft verdient es um so mehr Bewunderung, daß und in welchem Maß der Jubilar immer auch im Dienst der Kirche gestanden hat, als Seelsorger, in der diözesanen Gerichtsbarkeit und als Berater auf den verschiedensten kirchlichen Ebenen: in der Erzdiözese ebenso wie für die Deutsche Bischofskonferenz und den Apostolischen Stuhl. Bereits 1993 wurde dieses kirchliche Engagement durch die Ernennung von Prof. Hierold zum Ehrenprälaten gewürdigt. Der Vollständigkeit halber dürfen schließlich seine Mitgliedschaften in verschiedenen Gremien nicht unerwähnt bleiben: Alfred Hierold ist seit 1983 Mitglied des Vorstandes bzw. Stiftungsrates der Lyzeumstiftung Bamberg, seit 1985 Mitglied der Missio-Kommission des Erzbistums Bamberg, seit 2000 Mitglied des Wissenschaftlichen Rates der Katholischen Akademie in Bayern und des Kuratoriums des Collegium Oecumenicum in Bamberg; außerdem gehört er seit 2001 dem Katholisch-Theologischen Fakultätentag an; seit 2002 ist Hierold Mitglied des Beirats zur Erforschung der Katholischen Militärseelsorge beim Katholischen Militärbischofsamt in Berlin, seit 2003 des Beirats des Katholisch-Theologischen Fakultätentags und der Kommission der Vatikanischen Kongregation für das Katholische Bildungswesen ("Bologna-Prozeß"). Der Fülle seiner Aufgaben entspricht die Vielfalt des wissenschaftlichen Interesses von Alfred Hierold, wobei - neben den Themen des kirchlichen Verfassungs- und Eherechts - vor allem seine dauerhafte Beschäftigung mit den kanonistischen Fragen rund um die kirchliche Caritas und sein Interesse für die Militärseelsorge hervorsticht.

VII

Vorwort

Wenn Alfred E. Hierold (erst) zum Ende des Sommersemesters 2007 seine Lehrtätigkeit an der Universität Bamberg beendet, obwohl er schon im Wintersemester 2006 / 2007 das 65. Lebensjahr vollendet hat, so ist das als Zeichen dafür anzusehen, daß er keineswegs das Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit gekommen sieht. Die vorliegende Festschrift soll daher zum einen ein Zeichen der Anerkennung und des Dankes für das bislang Geleistete darstellen, den gerade die Herausgeber ganz persönlich Alfred E. Hierold schulden; gleichzeitig sei dem Jubilar aber auch der beste Erfolg für alle jene Vorhaben gewünscht, die er für seinen "Ruhestand" vorgesehen hat. All den vielen Autorinnen und Autoren, die einen Beitrag für die Festschrift für Alfred Hierold geliefert haben, sei an erster Stelle hierfür gedankt. Der besondere Umfang dieser Publikation ist ein sprechendes Zeichen! Gedankt sei aber auch allen, die durch die großzügige Bereitstellung finanzieller Mittel das Erscheinen der Festschrift ermöglicht haben: der Deutschen Bischofskonferenz und ihrem Vorsitzenden Karl Kardinal Lehmann, den Erzbistümern Bamberg, Salzburg sowie München und Freising, dem Bistum Regensburg, dem Katholischen Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr, Dr. Walter Mixa, Bischof von Augsburg, für den Druckkostenzuschuß seitens der Katholischen Soldatenseelsorge, der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und ihrem Rektor Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert, dem Universitätsbund Bamberg e. V. sowie schließlich dem Österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Wien. Gedankt sei schließlich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags Duncker & Humblot in Berlin, vor allem Frau Birgit Müller, für ihre geduldige Begleitung des Publikationsvorhabens sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Lehrstühle, insbesondere Frau Monika Eberharter, Institut für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, Frau Jutta M. Katholitzky, Institut für Kanonisches Recht, Wien, für ihre Mühen bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge, sowie Herrn Lic. iur. can. Mag. Klaus Zeller, ebenfalls Wien, für die überaus umsichtige Erledigung der Korrekturen. Eine Vereinheitlichung der Beiträge in formaler Hinsicht wurde mit einer gewissen Zurückhaltung vorgenommen, wobei bezüglich neuer Rechtschreibung der Duden in seiner am 1. August 2006 erschienenen 24. Auflage zugrunde gelegt wurde. Innsbruck, Regensburg und Wien, am Fest Christi Himmelfahrt 2007 Wilhelm Rees

Sabine Demel

Ludger Müller

"damit wir ... für die Gerechtigkeit leben" (1 Petr 2,24) Grußwort des Präfekten der Kongregation für das Katholische Bildungswesen

Gerne reihe auch ich mich in die Schar der Gratulanten zum 65. Geburtstag des Hochwürdigen Herrn Professors Prälat Dr. Alfred Hierold in dieser Festschrift ein. Als geschätzter Kanonist und Mann der Kirche ist er über seinen unmittelbaren Wirkungsbereich als Ordinarius für Kirchenrecht in Bamberg bekannt. Mehr als jedes zivile Gesetzeswerk weiß sich das Kirchenrecht der Gerechtigkeit als seinem Grundprinzip verpflichtet. Und Gerechtigkeit im christlichen Sinn umschließt eine weitere und tiefere Bedeutung, als sie etwa von einer säkularen Rechtsphilosophie erfasst werden könnte. Gerechtigkeit bedeutet nach biblischem Verständnis vor allem das "Im Einklang mit dem Willen Gottes Sein", die Treue gegenüber seinen Geboten und die Bereitschaft, Gott aus ganzem Herzen zu dienen. Das Kirchenrecht, das mit theologischen Begriffen zu tun hat, kann deshalb seinem Wesen nach nichts anderes als ein Dienst sein. Es verfehlt sein eigenes hohes Ethos und sein Ziel, wenn es einfachhin zur Durchsetzung subjektiver Ideen, Wünsche und Ansprüche missbraucht oder rein positivistisch verstanden wird. Es findet Strahlkraft, wo es Gott, der Kirche und den Menschen, die es betrifft, dient. Und deshalb kann nur der ein guter Kirchenrechtier sein, der in seinen Aktivitäten die Liebe zu Gott, zur Kirche und zu den Menschen aufrichtig zu verwirklichen sucht. Dass Professor Hierold in den langen Jahren fruchtbaren Schaffens als Wissenschafter wie als Priester sich der Gerechtigkeit in diesem Sinne verpflichtet wusste, können wir nicht nur aus seinen vielfältigen kanonistischen Publikationen entnehmen. Gerade auch seine Bereitschaft, oft im Verborgenen der Kirche zu dienen, gibt Zeugnis davon: auf der Ebene der theologischen Fakultät, der lokalen Kirche, der Deutschen Bischofskonferenz, bis hin zur universalen Kirche, der er nach wie vor durch reiche Erfahrung und Rechtskundigkeit - zumal in der Expertenkommission für den Bolognaprozess an der Bildungskongregation - zur Seite steht.

x

Grußwort

Deshalb erbitte ich von unserem Herrn Jesus Christus, "den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit und Erlösung" (l Kor 1,30), dem Jubilar reichen Segen, Kraft und Gesundheit für noch viele Jahre im Dienst der Kirche. Zenon Kardinal Grocholewski, Präfekt der Kongregation für das Katholische Bildungswesen

Grußwort des Erzbischofs von Bamberg Bamberg, 1. Februar 2007 Als Bischof der Erzdiözese Bamberg gratuliere ich Herrn Professor Dr. AIfred Hierold, dessen Kollege als Kirchenrechtsprofessor ich von 1981 bis 2002 sein durfte, zu seinem 65. Geburtstag und freue mich sehr, dass ihm eine Festschrift gewidmet wird. Ich danke den Herausgebern, vor allem Herrn Professor Dr. Wilhelm Rees, und allen, die sich an der Festgabe mit Beiträgen beteiligt haben. Gerne widme ich dem Geehrten und dem Sammelband ein Grußwort. Als "Kollege" darf ich Herrn Professor Hierold meine hohe Wertschätzung für sein wissenschaftliches Werk aussprechen. Er hat viele Monographien und Artikel verfasst, die besonders wegen ihres konkreten Praxisbezuges von großer Bedeutung für das kirchliche Leben sind. Mit Kompetenz und Sachlichkeit und zugleich großer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit hat er seine Lehrtätigkeit zum Nutzen der Studierenden und zum Wohl der Kirche ausgeübt. Seine Schüler sind ihm sehr verbunden und dankbar. Die vielen Aufsätze von namhaften Autoren in der Festgabe sind ein beredtes Zeugnis dafür und bringen große Wertschätzung für Professor Hierold zum Ausdruck. Professor Hierold lebt seit seiner Ernennung zum Ordinarius für Kirchenrecht an der hiesigen katholisch-theologischen Fakultät im Jahr 1981 in Bamberg und will- Gott sei Dank! - auch in Zukunft seinen Wohnsitz hier beibehalten. Durch seine Tätigkeit als Professor, als Dekan der Fakultät und vor allem als Rektor der OttoFriedrich-Universität von 1992 bis 2000 hat er für Bamberg sehr viel bewirkt. Er hat Universität, Stadt und Erzbistum bekannt gemacht und gefördert. Darüber hinaus ist er für die Erzdiözese seit 1983 als Vizeoffizial tätig. In vielen Eheprozessen hat er mitgewirkt und so sowohl für die Unauflöslichkeit der Ehe Sorge getragen als auch vielen ungültig Verheirateten das uneingeschränkte Leben mit der Kirche wieder ermöglicht. Er ist Mitglied der Kommission für die Verleihung der Missio canonica des Erzbistums. Von 2001 bis 2005 war er als Vertreter der Priester im Hochschuldienst gewähltes Mitglied des VIII. Priesterrates der Erzdiözese Bamberg. Sehr treu hat er an den Sitzungen teilgenommen und sich in die Überlegungen des Priesterrates kompetent eingebracht. In den über 25 Jahren, in denen Professor Hierold in Bamberg lebt, hat er stets als Seelsorger die kleine Gemeinde Friesen betreut, die ihm für seinen priesterlichen Dienst von Herzen dankbar ist. Darüber hinaus war er für viele Priester der Erzdiözese in kanonistischen Fragen ein guter Berater. Auch bei der Aus-

XII

Grußwort

bildung der Diakone und Kapläne hat er segensreich gewirkt. Er hat die zukünftigen Priester und Pfarrer auf ihren Dienst in der Sakramenten spendung und der Pfarramtsverwaltung gemäß der kirchlichen Ordnung vorbereitet. Als Komtur des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem und Prior der Komturei St. Heinrich Bamberg engagiert sich Professor Hierold für die katholische Kirche im Heiligen Land und zeigt Verantwortung als geistlicher Leiter der Bamberger Komturei. Für seine vielfältigen Dienste im Erzbistum Bamberg spreche ich ihm, auch im Namen meiner Vorgänger, große Anerkennung und Dank aus. Für viele weitere Jahre wünsche ich ihm Gesundheit, Lebensfreude und Kraft für sein Leben und Wirken. Dr. Ludwig Schick Erzbischof von Bamberg

Grußwort des Rektors der OUo-Friedrich-Universität Bamberg Bamberg, den 1. März 2007 Mein Amtsvorgänger Prof. Dr. Alfred E. Hierold hat die Otto-FriedrichUniversität Bamberg von 1992 bis 2000 und damit zur Zeit der ersten großen Welle der bayerischen Hochschulreformen geleitet. Wenn man Bilder aus dieser Zeit betrachtet, wird deutlich: So wie er selber in seiner Amtszeit sein Gesicht verändert und dabei Profil hinzugewonnen hat, war er bestrebt, den Prozess der Veränderung in der Universität als Profilierung zu gestalten. Individuell hat er zwar sein Gesicht verändert, seine Identität aber nicht; das war auch sein Bestreben mit Blick auf die Institution Universität. Die Universität hat in seiner Amtszeit bauliche Veränderungen erfahren, besonders hervorzuheben ist das Studentenwohnheim Collegium Oecumenicum, das auch Wohnungen für Gäste der Universität anbietet. In neuer Organisationsform wurde das Staats-Institut für Familienforschung an die Universität gebunden und das Zentrum für Mittelalterstudien errichtet. Die Etablierung der Bamberger Universitätsstiftung geht wesentlich auf den Impuls von Alfred Hierold zurück. Zwei Graduiertenkollegs "Kunstwissenschaft - Bauforschung - Denkmalpflege" sowie "Anthropologische Grundlagen von Christentum und Islam" sollen für neue Akzente in der Forschung und die neuen Studiengänge Wirtschaftspädagogik und European Economic Studies als erste Bachelor- und Masterstudiengänge der Universität für neue Impulse der Lehre in seiner Amtszeit stehen. Sein Einsatz war unprätentiös, sein Programm undogmatisch und seine Haltung gradlinig - immer getragen von einem hohen Maß an kollegialem Verständnis und kaum zu erschütternder Freundlichkeit. ad multos annos ... Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert Rektor der Universität Bamberg

Inhaltsverzeichnis I. Aus Geschichte, Kirchengeschichte und kirchlicher Rechtsgeschichte

Peter Bruns

Frühchristliche Kirchenordnungen als Quellen des Kirchenrechts ..... ....... .........

3

Lothar Wehr Credo und Caritas. Zur theologischen Begründung und zur Organisation sozialen Handeins in der frühen Kirche ...............................................................

17

Christian Lange

Zum Pilatusbild in der frühen syrischen Literatur.. ........ .....................................

31

Ernst Ludwig Grasmück

Der theos logos als Legitimationsbegründung der Herrschaft der Kaiser: Konstantin und Julian ................................................................................................

61

Christa Jansohn

"Good ber and brY3t wyn bothe": Feste in der mittelenglischen Literatur und Kultur..................................................................................................................

75

Georg Gresser

Päpstliche Kanonisationspolitik im 11. Jahrhundert...... ...... ...............................

97

Franz Machilek

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach (Lkr. Bamberg). Taufgelöbnisszene, Widmungsbild oder Rechtsdenkmal? ........................

113

Karl Heinrich Theisen

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier.................. .................. .................. ..........

139

Ludwig Unger

Ein Reformer am Vorabend der Reformation. Ulrich Haug lenkt die Benediktinerabtei St. Michael bei Bamberg in einer schwierigen Situation.......................

175

XVI

Inhaltsverzeichnis

Helmut Altner und Gotthard Jasper

Zur Freiheit befreit (Galater 5,1). Impulse der Reformation für die Kultur heute

189

Bemhard Schemmel

Die barocke Bibliothek von Banz .............. ................................ .................. .......

205

Klaus Guth

Recht und Reform im Zeitalter der Frühaufklärung in Franken. Modernisierung der Rechtswissenschaft (Kanonistik) in Würzburg und Bamberg unter Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn (\ 729 - 1746) .... .. .... .. ........................ .......

239

Georg May

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert ....

259

11. Die Kirche, ihre Lebensvollzüge und ihr Recht

Ludger Müller

Die Kirche - Institution oder vollkommene Gesellschaft?.. ...... .. ............. ...........

293

Sabine Demel

Wenn Recht Unrecht ist! Plädoyer für einen kreativen Umgang mit Rechtsvorschriften in Gesellschaft und Kirche ................... .. .... .. ............ ...................... ......

319

Andreas Weij]

"Stell deine Überlegung zusammen mit Verständigen an, und berate alles in ihrem Kreis!" (Sir 9,15). Beratung und Zustimmung als Formen der Teilhabe der Gläubigen an der Leitungsfunktion in der Kirche ................ ........ ............ .....

331

Hans-Jürgen Guth

Recht auf Dispens?.... .. ........................ ...... ................................................. .........

359

Winfried Aymans

Die Teilkirehe und der bischöfliche Weihetitel. Anmerkungen über Ersatzformen des bischöflichen Amtes unter Berücksichtigung einer neueren Praxis des Apostolischen Stuhles ..... .................... ...................... ........ ......... ................. ........

371

Markus Graulich

" .. . ceteri titulares appellantur". Die Titularbischöfe in der Kirche.... ................

387

Inhaltsverzeichnis

XVII

Rüdiger Althaus

Die Visitation des Diözesanbischofs - Impulse römischer Dokumente für die Praxis in den deutschen Diözesen .............. ........... ...... ................. .... ......... ...... ....

417

Heinrich de Wall

Die Visitation im evangelischen Kirchenrecht.......... ...... .............................. .... ..

437

Manfred Haidl

Das Kolping-Bildungswerk: Dienst am Menschen und der Gemeinschaft durch Bildung und berufliches Lernen. Gedanken zur Identität eines kirchlich orientierten Bildungsträgers .. ................ ........... ................ ..................... ............... .......

455

Heribert Hallermann

Ein neues kirchliches Hochschulrecht? Anmerkungen zur Beteiligung des Apostolischen Stuhls am sogenannten "Bologna-Prozess".................................

485

Heribert Schmitz

Rechtsschutz für amtliche Texte und Werke in der katholischen Kirche ............

507

Hermann Reifenberg

Liturgie und Recht: Zwischen römischer Einheitsliturgie und regionaler Vielfalt. Gottesdienstliches Eigenbewusstsein und seine Erforschung im deutschen Sprachgebiet..... .... .. ...... ...... ........ .... .... ..... .... ...... .... ........... ....... ...... ......................

525

Wolfgang Klausnitzer

Die Eucharistie als Sakrament der Einheit. Anmerkungen zu einem strittigen Thema aus der Sicht des Paulus ........................................ ..................................

547

Ulrich Rhode

Die oberhirtliehe Aufsicht über die Taufe, Konversion und Rekonziliation Erwachsener. Ein Überblick über die Verwaltungspraxis in den deutschen BisWmern..................... .. ............................... ...........................................................

573

Heinrich J. F. Reinhardt

Das Konzept des "actus formalis" in c. 1117 eIe und die Anwendungsprobleme dieser Neuregelung .......................................................... ....... ............................

601

Ottmar Fuchs

Heiligenverehrung. Pastoraltheologische Anmerkungen zu cann. 1186 - 1187 eIe............................ ..................... .....................................................................

615

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Gerlinde Katzinger Der Altar im kanonischen Recht. Rechtsgeschichtliche und liturgierechtliche Anmerkungen....... ...............................................................................................

639

Thomas Schüller "Was tun mit unseren Kirchen?" Zur Diskussion über den Erhalt, die Umnutzung und den Abriss von Kirchen .................... ... ...... ..... ............... ...... ...... ..........

663

Winfried Haunerland Grundlegende Vorbehalte! Zur katholischen Diskussion über Baumbestattung und Friedwald ............ .......... .................. .... ...... .................... .......... ...... ... ......... ...

689

lürgen Bethke Lohn und Versorgung. Das Vergütungssystem des neuen TVöD und seine Übernahme durch die bayerischen Bistümer im Spiegel der kanonischen Rechtsordnung ....................................... .............................................................

701

Karina lankowetz Anfragen und Anliegen der Anwältin I Prozessprokuratorin an die neue EPO

729

Elmar Güthoff Der Leiter der Gerichtskanzlei und die sonstigen Notare in der Eheprozessordnung "Dignitas connubii" ...................................................................................

757

Matthias Pulte Die Schaffung einer kirchlichen Verwaltungs gerichtsbarkeit für die deutschen Diözesen. Ein bleibendes Desiderat aus der Kodifikationsgeschichte zum CIC I 1983 ................................................................................... .................................

771

Dominicus M. Meier Schlichten statt Richten. Ordnung für das Verfahren bei der Schlichtungsstelle der deutschen Ordensobern-Vereinigungen .. ...... ....... ................ .... .............. .......

789

IH. Beziehung zwischen Kirche und Staat

Felix Bernard Das Niedersachsenkonkordat - ein Meilenstein in der neueren deutschen Konkordatsgeschichte ... .... ...... .............. .... ........... .............. ....................................... .

813

Inhaltsverzeichnis

XIX

Reinhild Ahlers

Der Polizei beamte als Diakon und Polizei seelsorger aus kirchenrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Sicht...... ....... .... .... ...... .... .... .. ............. ....... ................. ....

821

Wilhelm Rees

"Übt an niemand Gewalt noch Erpressung und seid zufrieden mit eurem Sold" (Lk 3,14). Militärseelsorge in Österreich mit einem Ausblick auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union................................... .......................................

831

Ernst Niermann

Die Apostolische Konstitution "Spirituali Militum Curae" und die Ordnung der katholischen Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht

881

Stephan Haering

Staatliche Beteiligung an der Besetzung kirchlicher Ämter. Änderungen der Rechtslage durch den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg vom 12. November 2003 ................... ............................ ................

893

Rainer Lachmann

Rechtsfraglichkeiten eines christlich-ökumenischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen .. .............. ...... ............ ...... ............. .... ....... ...........................

923

Libero Gerosa

Beichtgeheimnis und weltliche Gerichtsbarkeit ..... .................. ......... ................. .

941

Hans Paarhammer

Namen(s)gebung in Kirche und Staat. Einige kirchenrechtliche Anmerkungen zum sogenannten Vor- bzw. (Tauf-)namen.................. .......................................

949

IV. Aus der universitas litterarum

Heinrich Reck

Die Aufgabe des Staates als Förderer von Sinnwerten. Eine philosophische Betrachtung .......................................... ........ ........ ...... ............................. ................

971

Rudolf Rieks

Ciceros Gebet an Philosophia .... .......... .... ...... ....... ............... ....... ........... ......... ....

989

Wilfried Krings

Christliche Elemente in der Kulturlandschaft. Inventarisation und Monitoring

1023

xx

Inhaltsverzeichnis

Heinz S. Rosenbusch Anerkennung - ein Schlüsselbegriff nicht nur in der Schule. .... ...... ................... 1049

Erwin Schadel Brücken in die Zukunft. Zum Ethos des Interkulturellen in Verlautbarungen der UNO, in Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils und bei Johann Amos Comenius.................................................................................................. 1061

loset Schmid Demographie und Macht. Zur Geschichte und Gegenwart Japans............ .......... 1091

Wolfgang Theile Dramaturgie der Hölle. Sartres Huis dos und Becketts Fin de partie........... ... ... 1107

Georg Kraus Dogmatik und Aggiomamento. Akzente einer zeitgemäßen Dogmatik .............. 1121

KarllosefWallner Die Glaubwürdigkeit Gottes nach Hans Urs von Balthasar ................................ 1141 Schriftenverzeichnis Prof. Dr. Alfred E. Hierold ............... ...... ..................... .. ......... 1163 Verzeichnis der Mitarbeiter..................................................................................... 1171

I. Aus Geschichte, Kirchengeschichte und kirchlicher Rechtsgeschichte

Frühchristliche Kirchenordnungen als Quellen des Kirchenrechts Von Peter Bruns A. Einleitung Die Geschichte des frühchristlichen Kirchenrechts befasst sich über weite Strecken mit bisweilen recht komplizierten verfassungsrechtlichen Problemen und Entwicklungen. Sofern in heutiger Diktion (c. 204 CIC) unter Kirche das pilgernde Gottesvolk als sichtbare, unter Leitung von Papst und Bischofskollegium stehende Gesellschaft verstanden wird, entsteht zwangsläufig die Frage nach einem gewissen Grundbestand an rechtlichen Normen und ihrer Entwicklung aus den Anfangen der Frühzeit bis zum Beginn der großen Konzilien (325)1. In diesem Zusammenhang ist freilich zu bedenken, dass die VolkGottes-Theorie in der Ekklesiologie der Alten Kirche vor Augustinus 2 bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielt, noch viel weniger wird man aus dem Volk-Gottes-Begriff allein strukturelle Folgerungen für die Kirchenverfassung ziehen können und diese dann unkritisch in die Zeit der Alten Kirche zurückprojizieren dürfen. Allzu schnell wird dann vom Gemeinschaftscharakter des Gottesvolkes im Sinne Ciceros und Augustins 3 naturrechtlicher Maxime ubi societas, ibi ius auf die Notwendigkeit und Eigenart des kirchlichen Rechts 4 1 Es versteht sich von selbst, dass in diesem bescheidenen Rahmen Vollständigkeit nicht angestrebt werden kann. Das Konzil von Nicaea markiert insofern einen Einschnitt, als durch die reiche Synodentätigkeit der Kirche im vierten Jahrhundert wiederum neue Rechtsquellen erschlossen werden.

2 Vgl. dazu das recht schmale Bändchen von Pierre-Thomas Camelot, Die Lehre von der Kirche. Väterzeit bis ausschließlich Augustinus, Freiburg 1970. Weniger unter rechtlichem als unter dogmengeschichtlichem Aspekt ist das Standardwerk von Hugo Rahner, Symbole der Kirche, Salzburg 1964, für die Ekklesiologie der Väter noch immer von unschätzbarem Wert. 3 V gl. Yves Marie-Joseph Congar, Die Lehre von der Kirche. Von Augustinus bis zum Abendländischen Schisma, Freiburg 1971, bes. S. 2 - 10. 4 Neuere historische Untersuchungen etwa zur Entstehung des kirchlichen Amtes wie Georg Schöl/gen, Die Anfänge der Professionalisierung des Klerus und das kirchliche Amt in der syrischen Didaskalie, Münster 1998, kranken nicht selten an einem überzo-

4

Peter Bruns

geschlossen. Indes kommt auch das Kirchenrecht wie jede theologische Disziplin nicht ohne die kritische Erforschung seiner historischen Grundlagen aus. Abzulehnen und im Grunde schon seit Harnack5 widerlegt ist freilich jene These, wonach das Wesen der Kirche mit dem Wesen des Rechtes unvereinbar sei. Als Gemeinschaft von Gläubigen, die sichtbar (compage visibili) mit Christus verbunden (c. 205 CIC) sind, ist die Kirche vielmehr wesenhaft auf eine rechtliche Ordnung bezogen, die ihrerseits wiederum ihre eigene Geschichte hat und daher historisch erforscht werden muss. B. Zur Quellenlage des frühen Kirchenrechts

Der frühchristlichen Kirchenrechtsgeschichte6 stehen eine Reihe von Quellen zu Gebote. Neben den alttestamentlichen sind es vor allem die neutestamentlichen Schriften, welche die Anlage der ganzen kirchlichen Rechtsentwicklung enthalten. Die Anordnungen des AT im liturgischen und juridischen Bereich sind von der jungen Kirche je nach Nähe zum jüdischen Mutterboden 7 großteils als außer Kraft gesetzt betrachtet worden. Bis auf den Dekalog und wenige Allgemeinplätze in der frühchristlichen Katechese hatte das mosaische Gesetz seine Bedeutung eingebüßt, auch wenn in der Großkirche der Bruch mit dem Judentum nie so radikal vollzogen wurde wie etwa in der Gemeinschaft des Erzketzers Markion. Die Glaubens- und Sittenlehren der Evangelien und Paulinen stellen demgegenüber direkt oder wenigstens indirekt eine herausragende Quelle des kanonischen Rechtes in der jungen Kirche dar. Zumindest

genen Soziologismus, welcher dem übernatürlichen Charakter der Kirche nicht gerecht wird und auch dem Glaubensbewusstsein der frühen Christen fundamental widerspricht. S V gl. Adolf Harnack, Entstehung und Entwicklung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts in den zwei ersten Jahrhunderten, (Leipzig 1910) repr. Darmstadt 1980, zur Auseinandersetzung mit Rudolph Sohm, Wesen und Ursprung des Katholizismus, Leipzig 1909, vgl. bes. S. 121- 186.

6 Noch immer lesenswert, wenngleich in Einzelheiten inzwischen überholt ist der Gesamtüberblick von Othmar Heggelbacher, Geschichte des frühchristlichen Kirchenrechts bis zum Konzil von Nizäa 325, Freiburg (Schweiz) 1974, zu den Quellen vgl. bes. S. 1 - 23 . Prof. Heggelbacher war von 1972 bis 1973 Rektor der Gesamthochschule in Bamberg. Seinem Andenken fühlt sich auch die vorliegende Untersuchung verpflichtet. Ulrich Stutz, Die kirchliche Rechtsgeschichte, Stuttgart 1905, S. 32, mahnt den Juristen gerade für die Frühzeit zur Zurückhaltung. Doch ist das historische Unterfangen selbst für die vornizänische Zeit nicht völlig aussichtslos. 7 Der Barnabasbrief (um 130) geht etwa mit seiner Verwerfung der jüdischen Rituale am weitesten, während sich Clemens Romanus (um 100) für seine Paränese häufig auf das AT als die Heilige Schrift schlechthin bezieht. Auch die Zwei-Wege-Lehre der Didache (s. u.) kann einen jüdischen Hintergrund nicht gänzlich verleugnen .

Frühchristliche Kirchenordnungen als Quellen des Kirchenrechts

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hinsichtlich der obersten Normen ist die Kenntnis der juristischen Natur der Kirche 8 , ihrer Verfassung 9 , des Sakramentenrechtes 10 und des Strafrechtes 11 aus dem NT zu schöpfen. Schwieriger ist die rechtsgeschichtliche Bedeutung der sog. Apokryphen (Evangelien, Akten, Briefe und Apokalypsen) zu würdigen. Nicht selten enthalten sie wichtige Informationen zu liturgischen Bräuchen hinsichtlich von Taufe und Eucharistie und behandeln Fragen der kirchlichen Disziplin (Buße)12. Die Hauptquelle für unsere Kenntnis des frühchristlichen Kirchenrechts bilden jedoch die pseudoapostolischen Sammlungen jener Kirchenordnungen 13 , von denen weiter unten noch en detail zu handeln sein wird. Bereits in vornizänischer Zeit l4 wurden die Rechtsentscheidungen der Synodenväter und auch die Verfügungen einzelner bedeutender Bischöfe zu Fragen der Disziplin und der Lehre l5 gesammelt. Doch begann erst mit dem vierten 8 Zu dieser spannungs vollen Einheit vgl. ganz allgemein Hennan van den Brink, Biblische Botschaft und Kirchenrecht. Eine fruchtbare Spannung, in: Concilium 32,5 (1996), S. 383 - 388. 9 Noch immer lesenswert zum NT und der frühen Kirche ist die Studie von Hans Frhr. v. Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht (BHTh 14), Tübingen 21963.

10 Es sei hier lediglich an die Bedeutung der sog. "Unzuchtsklausel" (Mt 5,32; 19,9) erinnert, vgl. dazu: Heinrich Baltensweiler, Die Ehe im Neuen Testament (AThANT 52), Zürich 1967. Zum Eherecht allgemein vgl. Frank Kleinschmidt, Ehefragen im Neuen Testament. Ehe, Ehelosigkeit, Ehescheidung, Verheiratung Verwitweter und Geschiedener im Neuen Testament, Frankfurt 1998; loseJ Scharbert, Die Ehescheidung und die "Unzuchtklauseln" bei Matthäus, in: FoKTh 13,2 (1997), S. 106 - 126, interpretiert die Unzuchtsklausel nicht als Ausnahmeregelung, sondern inklusiv "selbst im Falle der Unzucht".

11 Zur correctio Jraterna und Exkommunikation im NT (1 Kor 5; Mt 18,15 - 17; 1 Tim 1,19 f.; 5,19 f. u. a.): vgl. Rudolf Bohren, Das Problem der Kirchenzucht im Neuen Testament, Zollikon - Zürich 1952; Walter Doskocil, Der Bann in der Urkirche. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, München 1958, Siegfried Meurer, Das Recht im Dienst der Versöhnung und des Friedens (AThANT 3), Zürich 1972.

12 Man denke etwa an die eher milde (römische?) Bußpraxis im Pastor Hermae. 13 Vgl. lames V. Barlet, Church-Life and Church Order, Oxford 1943; Arthur lohn Maclean, The Ancient Church Orders, Cambridge 1910; Andrew F. Walls, Church Order Literature, in: StPatr 2 (1957), S. 83 - 92. 14 Vgl. dazu loseph Anton Fischer / Adolf Lumpe, Die Synoden von den Anfangen bis zum Vorabend des Nicaenums, Paderborn 1997.

15 Vor allem die bischöfliche Korrespondenz stellt eine Rechtsquelle ersten Ranges dar. Eusebius konnte für seine Nachforschungen auf palästinische Archive zurückgreifen, vgl. h. e. VI, 20.

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Jahrhundert das große Zeitalter der bedeutenden Synodalbeschlüsse. Erste Keime für diese neue Entwicklung waren bereits vorhanden; so ließ etwa Papst Viktor (189 - 198)16 aus dem ganzen Reich zwischen Lyon und Mesopotamien Briefe der Synodal versammlungen, die sich mit dem Termin des Osterfestes befassten, sammeln. Die palästinischen Bischöfe l7 richteten sich im Osterfeststreit nach dem Votum ihres alexandrinischen Kollegen. Papst Cornelius l8 unterrichtet im Namen einer römischen Synode seinen Amtsbruder Fabius von Antiochien über die Entscheidungen italischer und nordafrikanischer Synoden. Von der karthagischen Herbstsynode des Jahres 256 sind uns die Sentenzen der 87 Bischöfe l9 erhalten. Mehrere antiochenische Synoden (zwischen 264 und 268)20 verhängten feierlich den Bann über Paul von Samosata, dessen "Christologie von unten" das Missfallen der orientalischen Väter hervorgerufen hatte. Das Konzil von Elvira (304)21 hatte schließlich als erstes eine kanonische Gesetzgebung verfasst, die auch die Synode von Arles (314)22 beeinflusste. Diese wiederum wirkte auf die gallischen Verhältnisse nachhaltig ein. Kirchenväter und Kirchenschriftsteller werden in der Spätantike und dem frühen Mittelalter nicht selten als Zeugen für eine bestimmte kanonistische Praxis 23 zitiert. In der Tat bezeugen einzelne theologische Texte (Cyprian), antihäretische Polemiken (Tertullian) und pastorale Gelegenheitsschriften wegen ihrer Transparenz für die geltende Rechtsauffassung in den einzelnen Gemeinden die z. T. recht komplexe Entwicklung des frühchristlichen Kirchenrechts. Außerdem haben juristisch vorgebildete Schriftsteller wie Tertullian und Cyprian nicht nur die klassische christliche Latinität geprägt, sondern auch dem römischen Rechtsdenken in der Alten Kirche 24 zum Siege verholfen.

16 Vgl. dazu Eusebius, h. e. V, 23. Der ganze Streit zwischen Viktor und den Kleinasiaten wird von Eusebius, h. e. V, 22 - 24, im Anschluss an Irenäus ausführlich behandelt. Zu den Synoden im Osterfeststreit vgl. Fischer / Lumpe, Synoden (Anm. 14), S. 60 - 87. 17

Vgl. Eusebius, h. e. V, 25.

18

Vgl. Eusebius, h. e. VI, 43,3.

19

Vgl. dazu Fischer / Lumpe, Synoden, S. 264 - 307.

Vgl. Eusebius, h. e. VII, 30,1 - 17; vgl. auch Fischer / Lumpe, Synoden (Anm. 14), S. 351 - 378. 20

21 V gl. dazu Domingo Ramos-Lisson, Die Synoden auf der Iberischen Halbinsel, Paderborn 1981. 22

V gl. dazu Pietro Palazzini, Dizionario dei Concilii I, Rom 1963, S. 83 f.

Vgl. dazu Charles Munier, Les sources patristiques du droit de I'Eglise du VIue au XIIIe siede, Mulhouse 1957. 23

24 Vgl. Wilhelm Geerlings, Theologen der christlichen Antike, Darmstadt 2002, S. 11. Die lateinische Kirche zeigt schon früh Interesse an Fragen der Rechtfertigung und

Frühchristliche Kirchenordnungen als Quellen des Kirchenrechts

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C. Die rechts geschichtliche Bedeutung der frühchristlichen Kirchenordnungen Bei der Kirchenordnung 25 handelt es sich um eine Gattung frühchristlicher Texte, die in erster Linie Fragen der kirchlichen Verfassung (Amt), des Kultes (Liturgie und Sakramentenspendung) und der Disziplin (ethische Unterweisung) in den Blick nehmen. Die Blütezeit dieser Literatur beginnt mit dem frühen zweiten und endet im späten fünften Jahrhundert. Ihre besondere, das kirchliche Leben regulierende Funktion wird nach Nizäa (325) zunehmend von den Kanonessammlungen der Synoden wahrgenommen. Im Einzelnen stehen die Kirchenordnungen in einem höchst komplexen Beziehungsgeflecht literarischer Abhängigkeit zueinander. Hinzukommt, dass der meist griechische Originaltext in der Regel nicht vorhanden ist, sondern lediglich spätere, überwiegend orientalische Übersetzungen eines mühsam zu rekonstruierenden Originaltextes. Diese orientalischen Versionen haben nicht selten die Entwicklung späterer Rechtssammlungen nachhaltig beeinflusst. Die Rekonstruktion der Originaltexte nach bestmöglicher Klärung literargeschichtlicher Fragen ist freilich noch immer ein uneingelöstes Desiderat 26 der Forschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts, auch wenn gerade auf diesem Gebiet das frühe 20. Jahrhundert einen wesentlichen Beitrag geliefert hat. Im Allgemeinen rechnet man zwölf Texte unter die Kirchenordnungen: - Die erste und wichtigste Gruppe enthält vier Texte aus vornizänischer Zeit, die sich als voneinander unabhängige literarische Einheiten darbieten: die Didache (Ende des 1. Jh. / Anfang des 2. Jh.), die sog. Traditio Apostolica (Anfang des 3. Jh.), die syrische Didascalia Apostolorum (Mitte des 3. Jh.) und schließlich die Apostolische Kirchenordnung (Ende des 3. Jh.). - In die nachnizänische Epoche fallen die von der Traditio Apostolica (TA) abhängigen Canones HippolytP7 (1. Hälfte des 4. Jh.), die Epitome Constituder Gnadenlehre, an Fragen der rechten und der rechtlichen Vennittlung des Heils in den Sakramenten. 25 Vgl. dazu Bruno Steimer, Vertex traditionis. Die Gattung der altchristlichen Kirchenordnungen, Berlin 1992, sowie den zusammenfassenden Artikel "Kirchenordnung" desselben, in: LACL3 (2002), S. 426 - 428. 26 Vgl. Wolfram Kinzig I Christoph Markschies I Markus Vinzent, Tauffragen und Bekenntnis, Berlin 1999. 27 Vgl. Hans Achelis, Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts. Die Canones Hippolyti, Leipzig 1891; Daniel Bonifacius von Haneberg, Canones Hippolyti, München 1870 (arab.-lat.), Neuedition von Rene Georges Coquin, Patrologia Orientalis 31,2, Paris 1966; Paul F. Bradshaw, The Canons of Hippolytus, Bramcote 1987; vgl. auch Paul Bradshaw, The Search for the Origins of Christian Worship, London 1992. Die äthiopischen Fragmente der Canones Hippolyti, verquickt mit den Apostolischen

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tionum Apostolorum VIII (Anfang 5. Jh.)28, sowie die im achten Buch der Apostolischen Konstitutionen überlieferten Apostolischen Canones (2. Hälfte des 4. Jh.)29, die, ursprünglich literarisch unabhängig, nachträglich in den jetzigen Kontext eingefügt wurden. Als Kompilationen und Sammelwerke sind jene nachnizänischen Kirchenordnungen zu bezeichnen, in denen die Texte der vorgenannten Gruppen vereint sind. Dazu zählen das Fragmentum Veronense (2. Hälfte des 4. Jh.), die Apostolischen Konstitutionen 3o (um 375), der Alexandrinische Sinodos (Mitte 5. Jh.)3! und der Oktateuch des Clemens 32 . Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts 33 geht nach Entdeckung der Didache und des Fragmentum Veronense die allgemeine Tendenz in der Forschung dahin, die TA als literarische Einheit zu identifizieren und somit von dem wissenschaftlichen Konstrukt einer Ägyptischen Kirchenordnung 34 abzurücken. Als formales Kennzeichen der Gattung "Kirchenordnung" gilt die Verwendung von appellativen, paränetischen und präskriptiven Formen, zu denen die apodiktische Dekretierung mit kasuistischer Erweiterung und anschließender Begründung zählt. Es fehlt hinsichtlich der Liturgie auch nicht an rubrikalen Elementen. Während die Adressatengemeinde häufig variiert, wird man die

Kanones, wurden seinerzeit von Hiob Ludolf, Ad suam historiam aethiopicam antehac editam comrnentarius, Frankfurt 1691, S. 323 - 328, erstmalig ediert. 28 Griech. Text bei Franciscus Xaverius Funk, Didascalia et Constitutiones Apostolorum I -11, (Paderbom 1905) repr. Turin 1979,11, S. 72 - 96.

29 Vg!. Funk, Didascalia I, S. 564 - 593. 30 Vg!. Funk, Didascalia, sowie die vorangehende Untersuchung dess., Die Apostolischen Konstitutionen, Rottenburg 1891; neue Ausgabe in SC 320. 329. 336.

3! Die Ausgabe des äthiopischen Textes wurde von Alessandro Bausi (CSCO 552 f.) besorgt. 32 Fram;ois Nau, La version syriaque de I'octateuque de Clement, neu ed. Pio Ciprotti, Mailand 1967. Paul Anton de Lagarde, Reliquiae iuris ecclesiastici antiquissimae, Leipzig 1856. Der Oktateuch wiederum enthält das apokryphe Testamentum Domini (ed. Ignatius Rahmani, Mainz 1899), eng!. bei lames Cooper / Arthur lohn Maclean, London 1902. Einen hervorragenden Forschungsüberblick über die noch unerfüllten Desiderata künftiger Editionen bietet Michael Kohlbacher, Wessen Kirche verfasste das Testamentum Domini Nostri Jesu Christi, in: Martin Tamcke / Andreas Heinz, Zu Geschichte, Theologie, Liturgie und Gegenwartslage der syrischen Kirchen, Münster/Hamburg 2000, S. 55 - 137. 33 Vg!. Eduard A. Fr. v. d. Goltz, Fragmente altchristlicher Gemeindeordnungen, in: SPAW 56 (1906) S. 141-157.

34 Vg!. dazu die bahnbrechende Studie von R. Hugh Connolly, The So-Called Egypti an Church-Order, Cambridge 1916.

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pseudapostolische Stilisierung der Kirchenordnung doch als zur Gattung gehörig 35 betrachten müssen. Die Zuschreibung zu den Aposteln ist nicht als Fälschung des apostolischen Rechts anzusehen, sondern hierbei handelt es sich vielmehr um normative Fixierungen der Kirche aus nachapostolischer Zeit, die für ihre Lehre apostolische Geltung 36 beansprucht, d. h. ein wie auch immer zu füllender Begriff der successio apostolica ist hier vorausgesetzt. Das Mittel der Pseudepigraphie37 galt schließlich im fünften und sechsten Jahrhundert als suspekt, gleichwohl sind die Kirchenordnungen rechts geschichtlich deshalb so bedeutungsvoll, weil sie jene Rechtsanschauungen wiedergeben, die zur Zeit ihrer tatsächlichen Abfassung in der frühen Kirche galten. Wenngleich die Verfasser bzw. Kompilatoren der Texte bei der Abfassung sehr konkrete Gemeindeverhältnisse im Blick hatten, wie zahlreiche spezifische Details der Anordnung belegen, so hat sich der Gültigkeitsbereich einer einzelnen Ordnung nie auf die bloße Ortsgemeinde beschränkt. Die Tatsache, dass manche Dokumente wie etwa die Didache oder Teile der Apostolischen Konstitutionen im Gottesdienst verlesen wurden, sicherte diesen geradezu kanonische Geltung. Zudem wurde durch die pseudoapostolische Verfasserschaft gesamtkirchliche oder zumindest in Ablehnung häretischer Sonderwege großkirchliche Autorität reklamiert. Die breite handschriftliche Überlieferung und die zahlreichen Übersetzungen aus der Originalsprache in die verschiedensten orientalischen Volkssprachen unterstreichen außerdem die herausragende Stellung der Kirchenordnungen im Gesamt der frühchristlichen Literatur. Was den materialen Umfang der Kirchenordnungen anbelangt, so beanspruchen diese, tendenziell das gesamte kirchliche Leben zu regulieren und in einen vorgegebenen Ordnungsbestand zu integrieren. Dennoch ist man in ethischen und liturgischen Fragen nicht um absolute Vollständigkeit bemüht. Man darf den Kirchenordnungen auch nicht unbedingt einen sturen Konservatismus, der allein auf den Erhalt und die Absicherung bestehender Verhältnisse ausgerichtet ist, vorwerfen. Den einzelnen Dokumenten eignet im Gegenteil insofern ein enormes Potential an Flexibilität, als sie sich um die Harmonisierung divergierender Traditionen mühen (Didache) oder im Sinne einer lebendigen Tradition den rechtlichen

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Gegen Steimer, in: LACL3 (Anm. 25), S. 427.

36 Vgl. dazu Günther Georg Blum, Tradition und Sukzession. Studien zum Normbegriff des Apostolischen von Paulus bis Irenäus, Berlin I Hamburg 1963. Blum, Tradition, ebd., S. 229, weist darauf hin, dass die vom Heiligen Geist erfüllte Kirche mit ihren Bischöfen die geschichtliche Kontinuität und Identität des Evangeliums bewahrt und gleichzeitig seine pneumatische Aktualisierung gewährleiste. Dies gelte für die dogmatische Ebene wie auch für jene des entstehenden Kirchenrechts. 37 V gl. dazu Norbert Brox, Formen des Anspruchs auf apostolische Kirchenverfassung, in: Kairos 12 (1970), S. 113 - 140; Georg Schöllgen, Pseudapostolizität und Schriftgebrauch in den ersten Kirchenordnungen, in: FS Ernst Dassmann, Münster 1996, S. 96 - 121.

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Überlieferungsbestand der Kirche zugunsten weiterer Entwicklungen und Aktualisierungen offenhalten (TA) oder schließlich spezifische pastorale Ziele zu erreichen suchen (Didaskalie). In der schriftlich fixierten Ordnung geht es schließlich um die rechtliche Fassung einer bereits bestehenden oder auch nur intendierten kirchlichen Praxis. Binnenkirchliche Vollzüge wie die Initiation (Katechumenat, Taufe und die sie begleitenden Riten), Eucharistie (liturgischer Vollzug und Disposition der Teilnehmer), Bußdisziplin und ethische Unterweisung der Kirchenglieder sowie die Ämterordnung spielen eine dominierende Rolle, wobei eine Abschottung nach außen gegen Heiden und Häretiker (vgl. Did 11,2) gleichfalls mit intendiert ist. Dogmatische Auseinandersetzungen treten jedoch als eigenständige Thematik in den Hintergrund; im Zentrum stehen vielmehr die sakramentale Praxis und die Ämterordnung. In diesen Kristallisationspunkten kirchlichen Lebens sehen die Kirchenordnungen auch die Gewähr für die Einheit und innere Stabilität der einzelnen Orts gemeinden sowie für ihre Verbindung mit der Gesamtkirche. So symbolisiert die "Danksagung" (Eucharistie) der Didache (9,4) die Einheit der Zerstreuten und konstituiert zugleich die Kirche der Diaspora. Die Kirche bestellt Bischöfe und Diakone durch Handauflegung (Did 15,1) und weist ihnen verschiedene Dienste zu. Die Gläubigen schulden ihnen zusammen mit den Propheten und Lehrern Ehrfurcht und Gehorsam (Did 15,2). In der Traditio (TA) sind Standesbewusstsein und Amtsethos des Klerus bereits stark ausgeprägt; die Didascalia Apostolorum fokussiert ihr Interesse auf den Monepiskopat und sieht in der Zuspitzung der Kirchenzucht auf das Bischofsamt den äußeren Garanten für die innere Einheit der Ortskirche. I. Die Didache

Die Didache 38 ist die älteste erhaltene Kirchenordnung und wurde 1873 in Konstantinopel als Teil des griechischen Codex Hierosolymitanus (11. Jh.) entdeckt und 1883 von Philotheos Bryennios erstmals kritisch ediert. Die beiden Überschriften39 , welche dem kompilierten Text vorgeschaltet wurden, beanspruchen für dessen Inhalt apostolische Urheberschaft. Die Bedeutung des

38 V gl. dazu Bruno Steimer, Didache, in: LACL3 (2002), S. 194 f. Ausgaben: Franciscus Xaverius Funk, Doctrina duodecim apostolorum, Tubingae 1887 (nützlich wegen des vorzüglichen lateinischen Kommentars); Andreas Lindemann / Henning Paulsen, Apostolische Väter, Tübingen 1992, S. 1 - 21; Klaus Wengst, Didache (Apostellehre), Darmstadt 1984, S. 3 - 100; Georg Schöllgen, Didache. Zwölf-Apostel-Lehre, Freiburg 1991, S. 23 - 139. Die S. 13 - 21 bieten einen guten Überblick über Entstehung und Verbreitung der Kirchenordnungen.

39 Kurztitel ß~öax~ ,,:iv a.1TOOtOA.WV, Langtitel: ß~öax~ KUPLOU öux tWV öwöEKa a.1TOOtOA.WV 'tol~ EeVT]O~V.

Frühchristliche Kirchenordnungen als Quellen des Kirchenrechts

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Dokuments mag man an der bewegten Textgeschichte ermessen. So rekurrieren die Apostolischen Konstitutionen VII, 1 - 32 auf den Text dieser frühchristlichen Kirchenordnung, den sie allerdings z. T. beträchtlich erweitern. Die orientalische Überlieferung, vor allem die Einsprengsel in den bereits erwähnten alexandrinischen Sinodos, spielen in der Textgeschichte lediglich eine untergeordnete Rolle. Wurde in der Forschungsgeschichte die textliche Integrität der Didache durch eine Zwei-Rezensionen-Theorie in Frage gestellt, so neigt man heute eher der Auffassung zu, dass ein uns unbekannter Kompilator, der sog. "Didachist", die ihm vorliegenden Traditionsstränge gebündelt, selbständig redigiert und in eine dem Codex Hierosolymitanus entsprechende Fassung gebracht habe. Was Zeit und Ort von Abfassung und Redaktion anbelangt, so besteht Konsens darüber, Syrien im ausgehenden ersten und angehenden zweiten Jahrhundert anzunehmen. Unter inhaltlichem Aspekt betrachtet, enthält die Didache ethische (Kap. 1 6) und liturgische Unterweisung (Kap. 7 - 10), eine "Gemeindeordnung" (Kap. 11 - 15) und eine abschließende eschatologische Ermahnung (Kap. 16). Die ursprünglich jüdische Zwei-Wege-Lehre wurde als moralischer Traktat der präbaptismalen Katechese einverleibt und durch Herrenworte christlich retouchiert. Kirchenrechtlich relevant sind die rubrikalen Anweisungen zur Spendung der Taufe (Did. 7,1 - 4), was die Form (Anwendung der trinitarischen Formel) und die Materie (unterschiedliche Qualitäten des Taufwassers) anbelangt. Die Disposition von Spender und Empfänger betreffend, verlangt die Didache von beiden ein ein- oder zweitägiges Fasten. Generell gelten Mittwoch und Freitag als Fasttage in der Alten Kirche (Did 8,1). Die liturgischen Anweisungen in Kap. 9 - 10 regeln ein geselliges Gemeindemahl (Agape) und bieten verchristlichte jüdische Tischgebete. Die sonntägliche Kommunion ist davon deutlich geschieden (Kap. 14) und verlangt vom Kommunikanten als rechte Disposition Buße und Versöhnung. Die Taufe ist freilich für jede Form der Teilnahme am Gemeindeleben unabdingbar (Did. 9,5). Die "Gemeindeordnung" der Didache (Kap. 11 - 13) regelt das Gastrecht für durchreisende Fremde, Apostel und Propheten und bietet Kriterien zur Unterscheidung der Geister echter und falscher Prophetie. Grundsätzlich haben die rechtmäßigen Propheten und Wanderrnissionare in Anlehnung an das alttestamentliche Priestertum Anrecht auf Unterhalt (Did 13,3 - 7) in Form von Naturalien, aber auch von Geld und Kleidung. Gegenüber den durchreisenden Charismatikern bilden die durch Handauflegung bestellten, ortsansässigen Bischöfe und Diakone (Did 15,1) gleichsam den ruhenden Gegenpol und einen fixen Bezugspunkt des kirchlichen Lebens.

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Peter Bruns 11. Die Traditio Apostolica (TA)

Traditio Apostolica4o ist der in Forschung und Lehre übliche Name einer der wichtigsten und zugleich auch rätselhaftesten frühchristlichen Kirchenordnungen. Ihre Zuordnung an den römischen Presbyter und Märtyrer Hippolyt ist höchst umstritten. Zahlreiche Brüche, umständliche Wiederholungen und Widersprüche in der Darstellung deuten auf ein allmähliches Anwachsen der Überlieferung und stellen den Historiker vor schier unlösbare literarkritische Probleme. Eine vermutete Grundschrift41 fand Eingang in spätere kanonische Sammelwerke: die arabischen Canones Hippolyti und das syrische Testamentum Domini. Parallele Überlieferungen enthält die Epitome der Apostolischen Konstitutionen, das Fragmentum Veronense 42 und der arabisch-syrische Oktateuch des Clemens. Die breite orientalische Textüberlieferung43 macht die Entstehung des verlorenen griechischen Originals im Orient (Ägypten?) eher wahrscheinlich. Die TA ist von der Liturgiewissenschaft des verflossenen J ahrhunderts in ihrer Bedeutung vielfach überschätzt worden. Als Schlüsseldokument für die Erforschung eines ganzen Abschnitts der frühen Kirchen- und Rechtsgeschichte taugt sie aufgrund der eben skizzierten Überlieferungsschwierigkeiten nur sehr bedingt; zur Rekonstruktion der frühen römischen Liturgie44 kommt sie wegen ihres vermutlich orientalischen Ursprungs ohnehin nicht in Betracht. Konsens besteht in der Forschung lediglich hinsichtlich des groben zeitlichen Rahmens vom ausgehenden zweiten bis zum angehenden dritten Jahrhundert.

40 Ausgaben: Die bis heute maßgebliche Rekonstruktion wurde von Bernard Botte, La tradition apostolique de saint Hippolyte. Essai de Reconstitution, Münster 51989, vorgelegt. Dt. von Wilhelm Geerlings, Die Traditio Apostolica, Freiburg 1991, S. 141 343; Paul Bradshaw, The Apostolic Tradition, Minneapolis Mn 2002. 41 Fr. von der Goltz, Fragmente altchristlicher Gemeindeordnungen (Anm. 33) war der erste, der die literarische Abhängigkeit späterer Kirchenordnungen von der TA erkannte. Pierre Nautin, Hippolyte et Josipe, Paris 1947, ging von einem römischen und orientalischen Hippolyt aus. Die zunächst nur vereinzelt geäußerte Skepsis gegenüber der Verfasserschaft Hippolyts von Rom hat sich in der aktuellen Forschung deutlicher artikuliert, vgl. dazu Christoph Markschies, Wer schrieb die sog. TA?, in: ders., Tauffragen und Bekenntnis, Berlin 1999, S. 1 - 74; vgl. auch Allen Brent, Hippolytus and the Roman Church in the third century, Leiden 1995.

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Vgl. dazu Edmund Hauler, Fragmenta Veronensia, Leipzig 1900.

V gl. Walter Till / Johannes Leipoldt, Der koptische Text der Kirchenordnung Hippolyts (== TU 58), Berlin 1954; Henry Tattam, The Apostolic Constitutions or Canons of the Apostles in Coptic with an English Translation, London 1848; Hugo Duensing, Der äthiopische Text der Kirchenordnung des Hippolyt, Göuingen 1946. 43

44 Hieronymus Engberding, Das angebliche Dokument römischer Liturgie, in: FS Mohlberg I, Rom 1948, S. 47 -71.

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Wegen ihres ausgesprochen archaischen Charakters ist eine Spätdatierung der TA in die zweite Hälfte des dritten Jahrhunderts wenig wahrscheinlich. Die lose Rahmung (TAL 43) enthält eine umfangreiche, schwer strukturierbare Vorschriftensammlung. Verfassungsrechtlich bedeutsam ist die strikte Unterscheidung zwischen Klerus und Laien. Die TA kennt eine Reihe institutionalisierter Dienstämter, die, streng hierarchisch gegliedert (Diakonat - Presbyterat - Episkopat)4s, das Leben der Ortskirehe autoritativ regeln. Zwischen Amt und Charisma besteht innerhalb der TA insofern kein Widerspruch, als durch die Handauflegung dem Ordinanden der Hl. Geist vermittelt wird. Im Unterschied zum dreigliedrigen Amt werden die Laiendienste (Bekenner, Witwen, Lektoren, Jungfrauen, Subdiakone, Krankenheiler) nicht durch Handauflegung weitergegeben, sondern sind lediglich Ausdruck und Bekräftigung der bereits durch die Taufe erlangten Vollmachten. Zwar haben alle Getauften am Geist Gottes Anteil (TA 21) und sind im rechten Glauben unterwiesen (TA 1), doch kommt den Amtsträgern in der Bewahrung der apostolischen Tradition (Prolog / Epilog) und bei der Leitung der Kirche die entscheidende Funktion zu. Die Ständeordnung und Hierarchisierung des Amtes ist, wie man den Ordinations- und Einsetzungsriten der TA entnehmen kann, liturgisch verankert und findet ihren Ausdruck in bestimmten Weihe- und Segensvollmachten46 , die allein dem Klerus vorbehalten sind. Zwar hat der Laie aufgrund der in der Taufe erworbenen Gliedschaftsrechte Anspruch auf den Empfang der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, so regelt die TA doch mit ungewöhnlich scharfer Distinktion auch die Disposition des Empfängers 47 • Dem Empfang der Taufe war ohnehin ein langes Katechumenat vorgeschaltet, das eine Reihe von Bewerbern grundSätzlich ausschloss 48 und die übrigen nur nach eingehender vorheriger Prüfung49 aufnahm, so dass wir von einer gewissen Geschlossenheit der

45 Vgl. die Weihegebete in TA 3. 7 f. Zur Rolle der Diakone s. a. TA 34 - 39. lohn Edward Stam, Episcopacy in the Apostolic Tradition of Hippolytus, Basel 1969.

46 Besonders der dritte Teil der TA enthält mannigfache Benediktionen (TA 25. 31 f.), die an die Entstehung eines "Ritenbuches" gemahnen. 47 Vgl. die Bestimmungen zur eucharistischen Nüchternheit in TA 33 und zur Gewissenserforschung vor dem Empfang der hl. Kommunion in TA 36. Die Spendung der Kommunion durch Laien ist laut TA 22 nicht vorgesehen. Ordentlicher Spender der Kommunion ist der Bischof und das ihm assistierende Presbyterium, im Krankheitsfall werden auch die Diakone aktiv. Den konsekrierten Gaben ist mit gebührender Ehrfurcht zu begegnen (TA 37 f.) .

48 Vgl. die lange Liste der "Berufsverbote" in TA 16. 49 Vgl. insgesamt TA 15 - 19; eheliche Verhältnisse waren bereits vor der Taufe zu regeln, d. h. wer in schwerer Sünde erfunden wurde, wurde nicht einmal zur Taufe, geschweige denn zur Eucharistie, zugelassen. Ein Konkubinat wurde grundSätzlich nicht geduldet. Ein Eheloser sollte vor der Taufe heiraten oder beständig enthaltsam leben.

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Gemeinde auszugehen haben. Die strenge bischöfliche Leitungsvollmacht tat ein Übriges, um die innergemeindliche Disziplin und das hohe sittliche Niveau zu wahren. Wie in anderen Kirchenordnungen fehlt auch in der TA nicht das rubrikale Element5o . III. Die syrische Didascalia Apostolorum

Bei der Didascalia Apostolorum51 handelt es sich um eine voluminöse Kirchenordnung des syrischen Raumes, die vollständig nur in mehreren Manuskripten einer syrischen Übersetzung erhalten ist. Das um die Mitte des dritten Jahrhunderts entstandene griechische Original gilt als verloren. Fragmente einer lateinischen Übersetzung liegen vor. Die Bücher I - VI der Apostolischen Konstitutionen haben ihrerseits den griechischen Text der Didaskalie bearbeitet und z. T. erheblich erweitert, wovon wiederum diverse orientalische Rezensionen abhängen. Die als "Didaskalie" bezeichnete Schrift, welche in unterschiedlichen Titeln apostolische Verfasserschaft für sich beansprucht, gibt vor, auf dem Jerusalemer Apostelkonzil entstanden zu sein, und regelt Alltagsprobleme in den Gemeinden, die Stellung und Vollmacht des Bischofs (Wahlkriterien, Amtsspiegel, Unterhaltsfragen), die Buße, den Gottesdienst, die Armenfürsorge, die Belange der niederen Kleriker und andere disziplinarische Fragen. Die Didaskalie setzt für ihre Adressatengemeinde eine scharf konturierte Ämterhierarchie und Standesordnung voraus. Die alles überragende Institution ist der Monepiskopat. Der exponierten Stellung des Bischofs trägt die Didaskalie zum einen durch Anknüpfung an die kirchliche Tradition (lgnatius von Antiochien) Rechnung, zum anderen durch Rekurs auf alttestamentliche Traditionen (Bischof als Levit, Hohepriester, neuer Moses). In Amt und Person des Bischofs sind die wesentlichen Vollzüge kirchlichen Lebens (Lehre, Kult, Disziplin) gebündelt, die niederen Kleriker treten demgegenüber in den Hintergrund. Der Verfasser der Didaskalie ist daher vermutlich selbst ein kraft seiner Amts~Lön:aKn:.Hn: tWV (l;rOatOl..wv

Grundsätzlich waren Sklaven und Freie vor dem kirchlichen Gesetz gleichgestellt, doch mussten Unfreie zur Konversion erst die Erlaubnis ihrer Herren einholen. 50 Vg!. die detaillierte Beschreibung des Taufritus (TA 20 f.) und der eucharistischen Gebete (TA 4). 51 Griech. Text der CA I - VI bei Funk, Didascalia I (Anm. 28), S. I - 385; syr. Text bei Paul de Lagarde, Didascalia syriace, (Leipzig 1854) repr. Wiesbaden 1967; Arthur Vööbus, in: CSCO 401 f. 407 f. Eng!. Übersetzung bei R. Hugh Connolly, Didascalia Apostolorum. The Syriac Version translated and accompanied by the Verona Latin Fragments, (Oxford 1929) repr. Norwich 1969. Dt. Übersetzung bei Hans Achelis / Johannes Flemming, Didaskalia, das ist die katholische Lehre der Zwölf Apostel und heiligen Schüler unseres Erlösers, Leipzig 1904.

Frühchristliche Kirchenordnungen als Quellen des Kirchenrechts

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vollmacht dekretierender Bischof, dem es allerdings weniger um die historische Legitimation im Sinne einer apostolischen Sukzession als vielmehr um einen geistigen und moralischen Führungsanspruch zu tun ist. Für die frühchristliche Verfassungsgeschichte ist die Didaskalie daher von herausragendem Wert. IV. Die Apostolische Kirchenordnung

Die sog. Apostolische Kirchenordnung 52 ist sowohl separat in griechischer Sprache, wie auch als Teil einzelner kanonischer Sammelwerke (alexandrinischer Sinodos; Oktateuch des Clemens) in unterschiedlichen Rezensionen 53 überliefert. Nach der Einleitung mit Apostelliste (1 - 3) folgt eine Abwandlung der von der Didache bekannten Zwei-Wege-Lehre (4 - 14), an die sich wiederum kirchenrechtliche Normen (15 - 30) anschließen. Der in Canones gegliederte Stoff wird auf die einzelnen Apostel verteilt. Die Schrift dürfte zu Beginn des vierten Jahrhunderts entstanden sein; ihre Verwendung in verschiedenen orientalischen Rezensionen, besonders im äthiopischen Sinodos, dem kanonischen Sammelwerk der ägyptischen Kirche, macht ihre Entstehung in Ägypten wahrscheinlich. D. Schluss bemerkung Da nicht alle Einzelheiten der kirchlichen Rechtstruktur im Neuen Testament vorgegeben sind, kommt der in den Kirchenordnungen und Kanones niedergelegten Tradition erhöhte Bedeutung zu. Die frühchristliche Kirchenordnung ist "mediterran,,54 geprägt, doch zeichnen sich seit dem dritten Jahrhundert Differenzierungen zwischen dem lateinischen und griechischen Kulturraum ab. Weil den meisten ursprünglich griechisch verfassten Kirchenordnungen im orientalischen Raum ein langes Fortwirken beschieden war, gehört dieser zur Geschichte des frühchristlichen Rechts unbedingt dazu. Die mehr oder weniger stark ausgeprägte Selbständigkeit der Kirchenprovinzen und die regionalen Eigenarten taten der wesentlichen Einheit der Kirche im Bekenntnis des Glaubens und der sakramentalen Disziplin (Taufe, Buße, Eucharistie) keinen Abbruch. Als einheitsstiftender Faktor sowohl auf lokaler wie auch überre52 Griechischer Text bei Franciscus Xaverius Funk, Doctrina Duodecim Apostolorum. Canones Apostolorum Ecc1esiastici, Tubingae 1887, S. 50 - 73; Adolfv. Harnack, in TU 2/2, S. 225 - 237; Theodor Schermann, Kirchenordnung I, Paderborn 1914, S. 12 - 34. 53 Der äthiopische Text wurde erstmals von Hiob Ludolf, Ad suam historiam aethiopicam antehac editam commentarius, Frankfurt 1691, S. 314 - 323, hrsg. Syrischer Text bei Johannes P. Arendzen, in: JThS 3 (1902), S. 59 - 80. 54 Vgl. dazu Heggelbacher, Geschichte (Anm. 6), S. 236.

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gi on al er Ebene erwies sich das auf sakramentaler Weihe und apostolischer Sukzession beruhende Bischofsamt. Die grundsätzliche Kollegialität dieser hierarchischen Struktur kam außerdem in einem reichen synodalen Leben zum Ausdruck. Es gilt ferner festzuhalten, dass in der frühen Periode vom Einfluss eines aristotelisch geprägten Naturrechtes auf das noch junge Kirchenrecht kaum etwas zu bemerken ist. Dies ist umso weniger verwunderlich, als die ersten deutlichen Spuren des Aristotelismus im patristischen Schrifttum erst im Verlauf der trinitarischen und christologischen Debatten des vierten und beginnenden fünften Jahrhunderts sichtbar werden. Eine die rechtliche Dimension sprengende Kraft lag freilich im platonisch beeinflussten Kirchenbild der Alexandriner, überhaupt der Orientalen (Clemens, Origenes) mit ihrer Tendenz zur Spiritualisierung, verborgen. Der Stoizismus hat bereits seit Clemens Romanus 55 starke Kerben in der christlichen Ethik hinterlassen und auch der kirchlichen Rechtsbegründung die nötigen Hilfsmittel geboten. Die Auseinandersetzung mit dem Spiritualismus der gnostischen Systeme des zweiten Jahrhunderts hat die rechtliche und hierarchische Entwicklung der jungen Kirche indes eher gefördert als behindert. Eine gewisse Unbefangenheit gegenüber den Werten heidnischer Tradition gibt schließlich den Weg für die Assimilation vorhandenen Rechtsgutes frei und setzt jenen gewaltigen "Beerbungsprozess,,56 in Gang, der erst in nachnizänischer Zeit zur vollen Geltung kommen sollte.

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Vgl. dazu Fischer, Apostolische Väter, S. 8 - 10.

56

Vgl. dazu Geerlings, Theologen (Anm. 24), S. 9.

Credo und Caritas Zur theologischen Begründung und zur Organisation sozialen HandeIns in der frühen Kirche

Von Lothar Wehr A. Die Fragestellung

In seiner Dissertation und in zwei Artikeln im "Handbuch des katholischen Kirchenrechts" hat sich der hier zu ehrende Kollege Alfred E. Hierold mit den theologischen Grundlagen und der Organisationsform kirchlicher Caritas befasst. 1 Er zeigt auf, dass das karitative Handeln zum Wesen der Kirche gehört. 2 Es stellt nicht nur einen Randbereich kirchlichen Lebens dar, sondern gehört neben martyria (,,zeugnis", Glaubensbekenntnis, Verkündigung) und leiturgia ("Liturgie", Gottesdienst) zu den drei Grundvollzügen der Kirche. Die zentrale Stellung spiegelt sich auch in der Organisationsform der Caritas wider, was sich in der Kirche angefangen bei der Verpflichtung des Einzelnen über die Pfarrei und die Teilkirchen bis hinauf in internationale Strukturen zeigt.

1 Alfred E. Hierold, Grundlegung und Organisation kirchlicher Caritas unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Teilkirchenrechtes (MThSt.K 38), St. Ottilien 1979; ders., Grundfragen karitativer Diakonie, in: HdbKathKR 2 , S. 1028 - 1032; ders., Organisation der Karitas, in: HdbKathKR 2, S. 1032 - 1038. 2 Vgl. Hierold, Grundlegung, S. 193: "Dieses Besondere [der kirchlichen Caritas, d. Verf.] liegt darin, daß sie nicht auskommt ohne die Rückbindung an die Liebe Gottes, die sich in der Menschwerdung Jesu Christi und in der Sendung des Heiligen Geistes offenbarte und die sich im Apostolat der Kirche fortsetzen soll. Die Werke der Caritas als Antwort auf diese geschenkte Liebe sind darum im höchsten Maße religiöses Tun und unterscheiden sich darin zutiefst von allen anderen sozialen und humanitären Unternehmungen. Die Kirche als Trägerin und Vermittlerin der Liebe Gottes und als Sakrament des Heiles fordert die Werke der Caritas, die dieses Wesen der Kirche in besonderer Weise sichtbar machen, wenngleich es in allen Vollzügen der Kirche präsent ist." Hierold, Grundlegung, S. 49: "Die Kirche ist ihrem Wesen nach Caritas oder !iyan!] und hat nicht bloß einen caritativen Auftrag."

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Im Folgenden soll nun vom biblischen Standpunkt aus der Frage nachgegangen werden, wie in neutestamentlicher Zeit Caritas organisiert war und wie man das karitative Engagement theologisch begründet hat. Eine solche Rückbesinnung kann gerade in einer Zeit knapperer finanzieller Mittel und angesichts der Notwendigkeit, die karitative Tätigkeit der Kirche neu zu organisieren, eine Hilfe zur Orientierung sein. Außerdem kann sie der heute oft zu beobachtenden Tendenz entgegenwirken, kirchliches Handeln ganz auf das Karitative zu begrenzen. In Teilen unserer Gesellschaft wird die Kirche nur noch akzeptiert, insofern sie soziale Aktivitäten entfaltet. Deshalb ist der Zusammenhang zwischen "Caritas" (praktizierter Nächstenliebe) und "Credo" (Glaubensbekenntnis, martyria) wieder deutlicher ins Bewusstsein zu rufen. Dazu kann es hilfreich sein, sich anzusehen, wie die Christen im 1. Jh. n. Chr. aus ihrem Glauben heraus zur Hilfe für andere motiviert wurden. In neutestamentlicher Zeit gibt es noch kein ausgebautes System kirchlicher Sozialfürsorge. Damit wären die Gemeinden materiell und organisatorisch überfordert gewesen. Dennoch lassen sich im Neuen Testament Ansätze zu einer strukturierten sozialen Arbeit erkennen. Dies ist besonders gut bei der Versorgung der Witwen zu erkennen (Apg 6, 1 - 7; 1 Tim 5,3 - 16), die schon im ersten Jh. n. Chr. so gut organisiert war, wie nirgends sonst in der Antike. Aber auch schon einige Jahrzehnte früher gab es eine organisierte Hilfeleistung in den paulinischen Gemeinden durch den Apostel selbst: die Kollekte für die Christen in Jerusalem. Paulus gibt ausführlich Auskunft über den Ablauf der Kollekte und auch über die theologische Begründung (s. bes. 2 Kor 8 - 9). So gibt es also für die frühe Zeit der Kirche eine gute Textbasis für unsere Überlegungen.

B. Ansätze zu einer organisierten Caritas in neutestamentlicher Zeit und deren theologische Begründung I. Die Kollekte der heidenchristlichen Gemeinden des Paulus

für die judenchristIiche Gemeinde in Jerusalem (1 Kor 16, 1 - 4; 2 Kor 8 - 9; Gal 2, 10; Röm 15, 25 - 33)

Die Kollekte, die Paulus in den von ihm selbst gegründeten heidenchristlichen Gemeinden Griechenlands und Mazedoniens für die "Armen" in Jerusalem einsammelt, geht auf einen Beschluss des Apostelkonventes zurück. Auf dem Apostelkonvent (Gal 2, 1 - 10; vgl. auch Apg 15, wo die Kollekte allerdings nicht erwähnt wird; s. aber den kleinen Hinweis in Apg 24, 17) ging es in erster Linie nicht um die Kollekte, sondern um die gesetzesfreie Heidenmission. In diesem Rahmen kommt aber der Kollekte eine wichtige symbolische Bedeutung zu.

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Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst die Beschlusslage auf dem Apostelkonvent vergegenwärtigen. Es war zum heftigen Streit über die beschneidungsfreie Heidenmission gekommen, wie sie vor allem von Paulus praktiziert wurde. Strenge Judenchristen - Paulus nennt sie "Falschbrüder" (Gal 2, 4), Lukas "einige aus der Partei der gläubig gewordenen Pharisäer" (Apg 15,5) - forderten, die Heiden beschneiden zu lassen und sie auf das jüdische Gesetz, die Tora, zu verpflichten, wenn sie in die christliche Gemeinde aufgenommen werden. Sie wollten also, dass Heiden zuerst Juden (Proselyten) werden, damit sie als Brüder und Schwestern in der Gemeinde akzeptiert werden können. Auf dem Konvent hat man aber in der gemeinsamen Beschlussfassung diesen Standpunkt zurückgewiesen. Alle Beteiligten, namentlich Petrus, Jakobus, Johannes, Paulus und Barnabas, waren sich einig, dass Heidenchristen nicht beschnitten und überhaupt nicht auf die rituellen Bestimmungen des jüdischen Gesetzes verpflichtet werden dürften. Die gesetzesfreie Heidenrnission des Paulus wurde also ohne Einschränkung akzeptiert. 3 Allerdings hat man noch einen zweiten Beschluss gefasst, der Probleme mit sich bringen sollte, die man zwar teilweise erahnte, die man aber in ihren letzten Konsequenzen noch nicht überblickt hat. Man hat nämlich das Missionsgebiet aufgeteilt: Petrus, Jakobus und Johannes sollten unter den Juden missionieren, Paulus und Barnabas dagegen unter den Heiden (Gal 2, 9). Paulus spricht bei der Wiedergabe dieses Beschlusses in Gal 2, 7 von einem doppelten Evangelium: Dem Petrus sei das "Evangelium der Beschneidung" anvertraut worden und Paulus selbst das ,,(Evangelium) der Unbeschnittenheit". In dieser Rede vom Evangelium mit unterschiedlichen Genitivattributen steckt wahrscheinlich das Wissen darum, dass die christliche Verkündigung an Juden etwas anders war als diejenige an Heiden. Zwar galt für beide Zielgruppen, dass das Heil durch Christus kommt und nicht durch das Gesetz; aber die Verkündigung an Juden war wohl doch gesetzesfreundlicher. Judenchristen dürften noch zahlreiche Regelungen der Tora und ihrer Auslegungstradition beachtet haben (Reinheit, Sabbat, Beschneidung u. a.), auf die Heidenchristen nicht mehr verpflichtet wurden. Dies offenbart sich etwas später beim sog. antiochenischen Konflikt zwischen Paulus auf der einen und Petrus samt den anderen Judenchristen auf der anderen Seite. Im syrischen Antiochien gab es nämlich eine aus Heidenund Judenchristen bestehende Gemeinde. Judenchristen aus dem Kreis um Jakobus forderten offenbar, dass Judenchristen nur dann mit Heidenchristen speisen dürfen, wenn diese gewisse Regelungen des Gesetzes einhalten. Gegen den Protest des Paulus hat man zur Lösung des Konfliktes offenbar bestimmte Reinheitsgebote für Heidenchristen beschlossen, um die Einheit der Gemeinde 3 Paulus sagt es ganz unmissverständlich in Gal 2, 6: "Mir wurde nämlich von den Angesehenen [gemeint sind die Jerusalemer Autoritäten, d. Yerf.] nichts auferlegt."

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wiederherzustellen. Erhalten hat sich diese Kompromisslösung wahrscheinlich in den sog. lakobusklauseln, die Apg 15, 20. 29; 21, 25 überliefert sind. Hier werden sie allerdings von Lukas fälschlich schon mit dem Konvent in Verbindung gebracht. Tatsächlich hat man jedoch diese Konsequenzen auf dem Apostelkonvent noch nicht bedacht. Wohl aber hat man ganz offensichtlich die Gefahr gesehen, dass sich judenchristliche und heidenchristliche Gemeinden einander entfremden könnten, da die Verkündigung des Paulus und Barnabas auf der einen und des Petrus, 10hannes und lakobus auf der anderen Seite unterschiedliche Akzente setzte und zu einer unterschiedlichen Glaubenspraxis führen konnte. Deshalb ist die Kollekte beschlossen worden. Sie sollte die Verbundenheit der heidenchristlichen, gesetzesfreien Gemeinden mit den judenchristlichen, gesetzlich orientierten zum Ausdruck bringen. 4 Paulus spricht in Gal 2, 9 davon, dass sich beide Gruppen als Zeichen der Gemeinschaft (KoLVwvLa 5) die rechte Hand gegeben haben, und erwähnt gleich darauf im nächsten Vers (Gal 2, 10) die Verpflichtung auf die Kollekte, der er gerne nachgekommen sei. Es handelt sich bei der Spendensammlung also ursprünglich um eine einmalige Aktion in einer bestimmten Situation. Paulus führt verschiedene Argumente an, um die Sammlung seinen Gemeinden gegenüber zu begründen. Dazu gehören auch ethische Argumente, obwohl die Kollekte in erster Linie ekklesiologisch und heilsgeschichtlich begründet wird. Die reichen theologischen Argumente, die Paulus zugunsten der Kollekte anführt, sind so ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie fest das soziale Handeln in der Kirche auch theologisch verwurzelt ist. Am ausführlichsten und theologisch aufwendigsten argumentiert Paulus in 2 Kor 8 - 9 zugunsten der Kollekte. Er verfolgt die Absicht, die Korinther zu 4 V gl. Joachim Gnilka, Die Kollekte der paulinischen Gemeinden für Jerusalem als Ausdruck ekklesialer Gemeinschaft, in: Rainer Karnpling / Thomas Söding (Hrsg.), Ekklesiologie des Neuen Testaments. FS f. Karl Kertelge, Freiburg - Basel- Wien 1996, S. 301 - 315, hier S. 312 f.: Angesichts der Aufteilung der Missionsgebiete auf dem Konvent und angesichts der daraus resultierenden Gefahr der Spaltung der Kirche in eine heidenchristliche und eine judenchristliche Richtung werde "die Kollekte zum Band der Einheit zwischen Judenkirche und Heidenkirche. Jerusalem wird als Vorort anerkannt" (Gnilka, Kollekte, S. 313). 5 Derselbe Begriff begegnet auch in Röm 15, 26 im Zusammenhang mit der Kollekte. Es geht also "um einen konkreten Akt geschwisterlicher Verbundenheit, und zwar zugunsten ,der Armen der Heiligen in Jerusalem' (Andreas Lindemann, Die JerusalemKollekte des Paulus als "diakonisches Unternehmen", in: Wort und Dienst 28 (2005), S. 99 - 116, hier S. 111).

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einer großzügigen Spende für die Christen in Jerusalem zu bewegen. Dazu variiert er im Kern drei Argumente, ein christologisches, ein ekklesiologisches und ein im engeren Sinne theologisches. Das christologische erinnert die Gemeinde an die Liebe Christi, die sich darin zeigt, dass Christus "euretwegen arm wurde, obwohl er reich war, damit ihr aufgrund seiner Armut reich werdet" (2 Kor 8, 9). Diese Liebe Christi, die sich in seiner Erniedrigung am Kreuz zeigt, verlangt als Antwort der Glaubenden selbstlose Liebe. Durch die großzügige Spende soll sich die Liebe der Korinther als echt erweisen (2 Kor 8, 8). Dies ist eine typisch paulinische Argumentation im Bereich seiner Ethik. Die in Christi Tod erfahrene Liebe, die auch sakramental vermittelt wird (Taufe und Eucharistie), soll zum sozialen Verhalten motivieren. Man denke nur an 1 Kor 11, 17 - 34, wo Paulus zeigt, dass sich der Glaube an die Lebenshingabe Jesu für die Menschen nicht mit dem sozialen Fehlverhalten der Korinther im Kontext des Herrenmahls verträgt, das ja genau an dieses Opfer Christi am Kreuz erinnert. Das ekklesiologische Argument des Paulus erinnert an den Konventsbeschluss nach Gal 2, 9 - 10, geht aber doch in eine etwas andere Richtung. Die Kollekte verbindet die Korinther zum einen mit den mazedonischen Gemeinden, die schon eine große Spende gesammelt haben, was die Korinther anspornen soll. Zum anderen soll ein Ausgleich mit den Jerusalemer Christen erreicht werden. Im Augenblick geht es den Korinthern besser, so dass sie den Jerusalernern helfen können (2 Kor 8, 14a). Künftig kann es aber auch einmal umgekehrt sein, so dass die Korinther vom Überfluss der Jerusalemer profitieren können (2 Kor 8, 14b). Hier spielt - anders als in Gal 2, 10 - das heilsgeschichtliche Argument keine Rolle, dass die Heidenchristen ihre Dankbarkeit gegenüber den Judenchristen in Jerusalem zum Ausdruck bringen sollen, da von Jerusalem das Evangelium ausgegangen ist (vgl. Röm 15, 19 6). Hier geht es eher um eine gesamtkirchliche Perspektive, in der die über das römische Weltreich verteilten Gemeinden füreinander Verantwortung tragen. Es soll unter ihnen ein Ausgleich (LOO'Tji;) stattfinden. Dabei liegt die besondere Anforderung an die korinthischen Christen darin, dass sie auch nicht gerade mit Reichtum gesegnet sind. Die korinthische Gemeinde setzt sich zum Großteil aus sozial niedriger gestellten Bevölkerungsschichten zusammen (1 Kor 1, 26 31), denen es gewiss nicht leicht fällt, für andere etwas herzugeben. Paulus sind die begrenzten Möglichkeiten sehr wohl bewusst (2 Kor 8, 12 - 13); er sieht aber auch, dass die Gemeinden Mazedoniens in größerer Not leben und trotzdem sehr großzügig gespendet haben (2 Kor 8, 1 - 5).

6 Vgl. auch Röm 11, 18, wo es bezogen auf den heilsgeschichtlichen Vorrang des Judentums heißt: "Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel (trägt) dich."

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Das theologische Argument entfaltet Paulus schließlich vor allem in 2 Kor 9. Die Korinther sollen ihre Spende als Antwort auf die von Gott erfahrene Güte verstehen. Gott ist letztlich der Urheber alles dessen, was den Korinthern auch an materiellen Gaben zur Verfügung steht. Unter Verwendung eines JesajaZitates (les 55, 10 LXX) verweist Paulus darauf, dass Gott Samen zur Aussaat und Brot zur Nahrung gibt, um dies dann gleich geistlich zu deuten: Gott wird dann auch die Früchte der Gerechtigkeit der Korinther wachsen lassen. In allem werden sie reich sein (2 Kor 9, 11). Die Gabe der Korinther hat aber auch noch eine künftige theologische Dimension. Sie ist nicht nur Antwort auf die erfahrene Zuwendung Gottes. Sie wird auch zu vielfältigem Dank an Gott führen, dadurch dass die Jerusalemer ihre Dankbarkeit im Gebet vor Gott tragen. So beendet Paulus seinen längeren Abschnitt über die Kollekte mit einem Ausruf des Dankes an Gott: "Dank sei Gott für sein unaussprechliches Geschenk" (2 Kor 9, 15). An dieser Vielfalt in der Argumentation des Paulus erkennt man, dass die Kollekte für ihn keine einmalige Aktion gewesen ist, die nur zu seiner Zeit eine Bedeutung für die Kirche hatte, weil es die beiden möglicherweise auseinanderstrebenden Teile der Kirche gab, die heidenchristlichen und die judenchristlichen Gemeinden. Diese Einheit stiftende bzw. die Einheit festigende Aufgabe hatte die Kollekte nach dem Konventsbeschluss, mit dem Paulus sich identifiziert. Für Paulus kommt ihr eine weit darüber hinausgehende Bedeutung zu. Sie gehört für ihn ganz offenbar zu den wesentlichen Vollzügen des Glaubens. Sie ist fest verbunden mit anderen theologischen Anliegen des Apostels. Paulus sieht sogar die Möglichkeit weiterer Aktionen, z. B. einer Hilfeleistung der Jerusalemer für die Heidenchristen (2 Kor 8, 14b). Da Paulus damit rechnet, dass eine größere Spende zusammenkommt (8, 20), ist eine aufwendigere Organisation der Kollekte notwendig. Dies deutet Paulus in 2 Kor 8, 18 - 22 an. Vor allem ist dies aber sein Thema in 1 Kor 16, 1 - 4. Hier gibt er die Anweisung, dass die Mitglieder der Gemeinde schon bald anfangen, immer am ersten Tag der Woche, an dem sich die Gemeinde wohl zum Herrenmahl versammele, ihre persönlichen Spenden zurückzulegen, damit die Sammlung schon vorangeschritten ist, wenn Paulus einige Monate später 7 Lindemann, Jerusalem-Kollekte (Anm. 5), S. 104 Anm. 26, meint, dass hier noch nicht der "Herrentag" gemeint sei und dass auch nicht an eine gottesdienstliche Zusammenkunft gedacht sei, dass es vielmehr einfach um eine organisatorische Anordnung gehe, die nur voraussetze dass man in Korinth die 7-Tage-Woche aus dem Judentum kenne. Doch warum soll es dann gerade der erste Tag der Woche sein? Und an welchem anderen Tag sollte sich die Gemeinde zum "Herrenmahl" (l Kor 11, 20) versammelt haben? Apg 20, 7 bezeugt die sonntägliche Versammlung zum Gottesdienst; Belege für eine andere Praxis in den paulinischen Gemeinden fehlen.

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Korinth besucht, um die Beträge zusammen mit denen der mazedonischen Gemeinden nach Jerusalem weiterzuleiten. Es geht Paulus bei der Kollekte nicht nur um Symbolik, sie soll vielmehr eine echte materielle Hilfe und eine großzügige Gabe sein. Dass es auch um wirklich materiell Arme in Jerusalem geht und dass "arm" nicht bloß eine symbolische Selbstbezeichnung der Jerusalemer ist8 , zeigt sich auch in Röm 15, 25 - 33, besonders in V 26: "ein Zeichen der Gemeinschaft für die Armen der Heiligen in Jerusalem". "Heilige" ist die Selbstbezeichnung der Christen9 , aber "arm" ist ihre materielle Lage. An dieser Stelle im Römerbrief kehrt Paulus wieder zur ursprünglichen Bedeutung der Kollekte zurück. Denn neben der sozialen Komponente betont Paulus hier wieder die ekklesiologisch-heilsgeschichtliche Bedeutung der Sammlung, insofern er die Heidenchristen als Schuldner der Jerusalemer Judenchristen bezeichnet (V 27), die mit irdischen Gütern für die geistlichen Gaben danken, die sie empfangen haben. Hier findet sich erneut der Gedanke der Gemeinschaft von Heiden- und Judenchristen (V 27: KOLvwvta).IO 11. Die Versorgung der Witwen nach Apg 6,1-7

Der kleine Abschnitt Apg 6, 1 - 7 handelt zunächst einmal von der Wahl der Sieben, die - so die lukanische Darstellung - die Apostel unterstützen sollen. Während die Apostel sich "dem Gebet und dem Dienst am Wort" (Apg 6, 2) widmen, sollen die Sieben "den Tischen dienen" (Apg 6, 2 - 3). Diese lukanische Erzählung erweckt den Eindruck, dass die Sieben gar nichts mit der Verkündigung des Glaubens zu tun hatten, sondern nur für den Tischdienst zustän8 An Notleidende im wörtlichen Sinne denkt auch Klaus Berger, Almosen für Israel. Zum historischen Kontext der paulinischen Kollekte, in: NTS 23 (1977), S. 180 - 204, hier S. 181. Dieter Georgi, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusa1em, Neukirchen-Vluyn 2 1994, S. 82, sieht hier auch Arme im soziologischen Sinne angesprochen, meint aber dass Paulus in Gal 2, 10 "die Armen" als Selbstbezeichnung der Jerusalemer Christen verwende, die damit an die Armenfrömmigkeit des Judentums anknüpften (Georgi, Der Armen zu gedenken, S. 23 - 25). 9

Vgl. dazu Gnilka, Kollekte (Anm. 4), S. 310 f.

Die Ansicht von Georgi, Der Armen zu gedenken (Anm. 8), S. 84 - 86, dass Paulus die Kollekte am Ende anders gedeutet habe als zu Beginn und nun als bewusste Provokation des offiziellen Judentums in Jerusalem verstehe, nämlich als Zeichen für den Beginn der Völkerwallfahrt, wodurch das nichtchristliehe Judentum als ungläubig dastehe, ist durch die paulinischen Aussagen nicht gedeckt und widerspricht den Übereinstimmungen zwischen Ga12, 10 und Röm 15. 10

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dig waren. Sie wären also allein mit sozialen Aufgaben betraut worden, konkret mit der gerechten Versorgung der Witwen, um die es nach Apg 6, 1 einen Streit gegeben hatte. Dies widerspricht aber anderen Aussagen der Apg, wonach zumindest einige aus dem Kreis der Sieben bedeutende Aufgaben in der Verkündigung wahrgenommen haben, was an Stephanus und Philippus (vgl. Apg 6, 5 mit Apg 7, 1 - 8, 1 und 8, 4 - 13. 26 - 40) ersichtlich wird. Diese Spannung innerhalb der Apg ist wahrscheinlich so aufzulösen, dass Lukas Tradition verwendet und uminterpretiert hat. 11 Historisch - und dies spiegelt noch die Lukas vorliegende Tradition wider - waren die Sieben nicht bloß Helfer der Apostel bei der Versorgung der Witwen, sondern eigenverantwortlich agierende Verkünder, wahrscheinlich ein Leitungsgremium des hellenistischen, also griechischsprachigen Teils der Jerusalemer Christen. 12 Vorbild dieses Leitungsgremiums wäre dann die Verwaltung einer jüdischen Synagoge oder eines jüdischen Ortsvorstandes gewesen, die nach Flavius Josephus (Ant. 4, 214) in jeder Stadt mit einer jüdischen Gemeinde existieren solle, wie Mose bereits verfügt habe (vgl. auch Bill 2, S. 641).13 Lukas hat die Sieben wohl entsprechend seiner Konzeption "degradiert", wonach die Geschichte der frühen Kirche sich klar gliedert in eine Zeit der Apostel und des Paulus und eine Zeit der Presbyter, die erst von Paulus eingesetzt werden. Für ein nicht-apostolisches Verkündigungsamt in dieser frühen Zeit der Jerusalemer Urgemeinde ist in der lukanischen Darstellung kein Raum. Für unsere Fragestellung ist der Anlass wichtiger, der bei Lukas zur Wahl der Sieben führt. Diese Wahl stellt Lukas als Reaktion auf einen Streit bei der Witwenversorgung dar. Nach Apg 6, 1 kam es innerhalb der christlichen Gemeinde in Jerusalem zum Streit, weil die "Hellenisten" ihre Witwen gegenüber denjenigen der "Hebräer" benachteiligt sahen. Diese Information über den Konflikt hat Lukas, der sich im Ganzen um eine harmonische Darstellung der Jerusalemer Gemeinde bemühe 4 , sicher aus einer Tradition übernommen, die aber wohl unabhängig war von derjenigen über die Wahl der Sieben. Vermutlich hat erst Lukas diesen Zusammenhang hergestellt - vielleicht im Hinblick auf seine Gemeinde, in der es wohl "Diakone" gab, die sich tatsächlich der 11 Siehe dazu die ausführlich Begründung bei Alfons Weiser, Die Apostelgeschichte. Kapitell - 12 (ÖTK 5 /1), Gütersloh - Würzburg 1981, S. 168 f. 12

Siehe Weiser, Apostelgeschichte. Kapitel 1- 12 (Anm. 11), S. 169.

Vgl. Detlev Dormeyer / Florencio Galindo, Die Apostelgeschichte. Ein Kommentar für die Praxis, Stuttgart 2003, S. 103: "Der Siebenerkreis repräsentiert eine selbständige Gemeinde mit einer eigenen Leitung paral\el zur jüdischen Synagoge(n) oder zum jüdischen Ethnos (Volk) einer hel\enistischen Stadt." 13

14 Vgl. nur die Darstel\ung einer harmonischen Armenversorgung in Apg 2, 44 - 45; 4,32 - 34, s. auch Apg 1, 14; 5, 12).

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karitativen Tätigkeit widmeten. So nennt Lukas die Sieben zwar nicht Diakone, aber er verwendet dennoch in der kurzen Erzählung von der Wahl der Sieben die Begriffe IiW.KOVEI.V (Apg 6, 2) und IiLaKovla (Apg 6, 1.4), allerdings sowohl für den Dienst an den Tischen als auch für denjenigen am Wort. Die lukanische Darstellung ist für uns von doppeltem Interesse: Einerseits gibt sie uns Einblick in die ganz frühe Organisation karitativer Fürsorge in der Jerusalemer Gemeinde; andererseits wirft sie indirekt auch ein Licht auf die diesbezüglichen Verhältnisse zur Zeit des Lukas. Betrachten wir zunächst die historischen Gegebenheiten in Jerusalem, wie sie sich aus der lukanischen Erzählung ergeben. Offenbar hat es in der Jerusalerner Gemeinde schon sehr früh eine organisierte Witwen versorgung gegeben, denn der Streit um Ungerechtigkeiten setzt eine solche voraus. Zum Hintergrund dieses Streites ist zu beachten, dass die Witwen der Hellenisten in Jerusalem schlecht versorgt waren. Hellenisten sind in diesem Zusammenhang inzwischen zu Anhängern Jesu gewordene Diasporajuden, die meist wohl im Alter aus der Fremde nach Jerusalem umgezogen waren, um in der Nähe der heiligen Stadt begraben zu werden. Die Frauen dieser Hellenisten hatten zusammen mit ihren Männern ihre Heimat verlassen und damit auch die dortigen sozialen Bezüge aufgegeben. Sie hatten ihre familiären Bindungen verloren, so dass sie nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr versorgt waren. 15 Man kann sich gut vorstellen, dass sie auch innerhalb der christlichen Gemeinde als Witwen besonders bedürftig und gegenüber den in Jerusalem beheimateten Witwen benachteiligt waren, woraus sich der Streit erklärt. Die Stelle aus der Apostelgeschichte belegt jedenfalls, dass es schon sehr früh einen eigenen Stand von Witwen in der Jerusalemer Gemeinde gab, die in der Gemeinde versorgt wurden. Man hat also die Zuwendung Jesu zu den Armen und die Seligpreisung der Armen als Verpflichtung zur organisierten Sozialfürsorge verstanden. Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Kollekte der paulinischen Gemeinden (s.o.) solchen Projekten zugute gekommen sein. Lukas weiß aus seinen Traditionen vom Streit um die Witwenversorgung, wenn er auch von einer Lösung dieses Streites spricht, die den historischen Fakten wahrscheinlich nicht gerecht wird. Er nimmt die Überlieferung von diesem Streit zum Anlass, seinen Gemeinden einzuschärfen, dass zur Versorgung der Witwen organisatorische Anstrengungen der Gemeinde notwendig sind. Diese bestehen nach Apg 6, 1 - 7 darin, dass bestimmte Personen - zur 15 Siehe Wilfried Eckey, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom. Teilband 1: Apg 1, 1 - 15, 35, Neukirchen-Vluyn 2000, S. 150; Charles K. Barrett, The Acts of the Apostles I: Preliminary Introduction and Commentary on Acts I - XIV ICC), Edinburgh 1994, S. 310.

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Zeit des Lukas vennutlich schon Diakone - die Verantwortung für die Durchführung entsprechender Aktionen übertragen bekommen. Neue Herausforderungen verlangen nach Lukas gelegentlich eine Ausdifferenzierung der amtlichen Funktionen in der Gemeinde. 16 Lukas setzt die Verpflichtung zur Fürsorge voraus. Eine theologische Begründung bietet er hier nicht. Es geht ihm lediglich um die richtige Organisation der Versorgung. Die theologischen Voraussetzungen finden sich in der lukanischen Gesamtdarstellung der Verkündigung Jesu und in seiner Sicht ihrer nachösterlichen Rezeption. Lukas hat ein besonderes Interesse an den Armen. Er überliefert viele Jesusworte, die zur Sorge für die Annen auffordern (z. B. Lk 4, 18; 6, 20; 7,22; 11,41; 14, 13 - 14; 16,20 - 31; 21, 2 - 4), ja die sogar zu einem Leben in Annut ermutigen (Lk 14, 33; Apg 3, 6). Wichtig ist Lukas, die Begüterten in der Gemeinde zur Fürsorge aufzurufen (Lk 16, 9). Begründet ist diese Bereitschaft zum Dienst aneinander im Vorbild Jesu, der sein Wirken bis hin zum Leiden als Dienst an den Menschen verstand (Lk 22, 25 - 27). Offenbar gibt es zur Zeit des Lukas eine Vernachlässigung der christlichen sozialen Praxis, auch wenn das Bewusstsein um die Notwendigkeit der Sorge für die Armen zum festen Bestand christlicher Verkündigung gehört. In den Gemeinden des Lukas ist die Sorge für die Armen und darunter insbesondere für die Witwen in den christlichen Gemeinden grundsätzlich etabliert, allerdings bedarf es neuer Anstöße, da es Ermüdungserscheinungen gibt. Indem Lukas von einem Streit um die Witwenversorgung in der Jerusalemer Gemeinde berichtet, hält er seiner Gemeinde einen Spiegel vor. Die Witwenversorgung bedarf der guten Organisation. Lukas bezeugt so die enge Zusammengehörigkeit von Glauben und organisierter Caritas in seiner Gemeinde. Eine Lösung von Problemen sieht er in der Verteilung der Aufgaben auf mehrere Personen. 111. Die Begrenzung des Witwenstandes und das Subsidiaritätsprinzip nach 1 Tim 5, 3 - 16

Das fünfte Kapitel des ersten Timotheusbriefes führt uns auch in die Zeit des Lukas. Hier werden Anweisungen zur rechten Organisation der Witwenversor16 Siehe Eckey, Apostelgeschichte (Anm. 15), S. 148: Lukas nutze den Konflikt "zum Plädoyer für eine Differenzierung der Aufgabenfelder kirchlicher Ämter, indem er den ,Dienst am Wort' der Gemeinde1eiter vom ,Dienst an den Tischen' ihrer Helfer unterscheidet."

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gung am Ende des 1. Jahrhunderts gegeben. Die Notwendigkeit, Witwen zu unterstützen, steht außer Frage. Das Problem, das hier behandelt wird, ist die Tatsache, dass es zu viele von der Gemeinde zu versorgende Witwen gibt. Die Gemeinde ist wirtschaftlich damit überfordert. So verfolgt der Verfasser deutlich die Absicht, die Zahl der Witwen einzuschränken. Aus diesem Grund definiert er neu, was eine "wirkliche Witwe" (1 Tim 5, 3. 5. 16: ~ ovrwen pe first cors come with crakkyng of trumpes Wyth mony baner ful bry3t, pat perbi henged; Nwe nakryn noyse with pe noble pipes, Wylde werbles and wY3t wakned lote, l>at mony hert ful hi3e hef at her towches. Dayntes dryuen perwyth of ful dere metes, Foysoun of pe fresche, and on so feie disches l>at pine to fynde pe place pe peple biforne For to sette pe sy1ueren pat sere sewes halden On c1othe. lche lede as he loued hymselue l>er laght withouten lope; Ay two had disches twelue, Good ber and bry3t wyn bope. Zitiert nach: The Poems of the Pearl Manuscript. Pearl, Cleanness, Patience, Sir Gawain and the Green Knight. Hrsg. von Maleolm Andrew / Ronald Waldron, London

Feste in der mittelenglischen Literatur und Kultur

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Aber mitten hinein in diese ungezügelte Lustigkeit bricht von außen die Herausforderung, die alle moralischen Sicherheiten auf die Probe stellt. König Arthur selbst hat sie mit einer traditionellen Geste des Übermuts unbewusst provoziert. Er will das Mahl nicht beginnen, ehe er ein Abenteuer gehört oder erfahren hat, am besten eine gefährliche Herausforderung oder ein Turnier, Leben gegen Leben, "lif for Iyf' (Z. 98). Der Wortlaut lässt offen, ob es sich um eine weihnachtliche Lustbarkeit oder aber um frevelhaften Hochmut handelt, dem das Strafgericht folgen muss. Jedenfalls kenne ich in der englischen Literatur kein so dramatisches Beispiel von plötzlichem Stimmungsumschwung: die sorglos feiernden Ritter vor ihren gefüllten Schüsseln und Bechern werden mit einem Male stumm, und selbst der nach Abenteuer verlangende König Arthur wird kleinlaut, als der unheimliche grüne Ritter in die Halle kommt und allen arthurischen Ruhm provozierend in Frage stellt. Erst als Gawain die Tafelrunde aus ihrer beschämenden Verlegenheit befreit hat, durch die Annahme der beängstigenden Herausforderung des grünen Ritters und dem Versprechen, ihn in Jahresfrist wieder aufzusuchen, entlädt sich die allgemeine Erleichterung in verlegenem Gelächter, und man versucht, die gestörte Feststimmung wieder zurückzuholen. Arthur, innerlich verwirrt ("at hert hade wonder", Z.467), lässt sich nichts anmerken. In höfischer Rede verkündigt er gegenüber der Königin, dass dies ja gerade die passende Unterhaltung für Weihnachten war, und er sich jetzt ungestört der Tafel zuwenden könne. Alle langen kräftig zu und "bei allen nur vorstellbaren Speisen und beim Gesang der Spielleute verbringen sie den Tag, bis der Abend kommt" (Z. 484 - 486).7 Aber die Welt der fröhlichen Gesellschaft ist nicht mehr dieselbe, und der Erzähler mahnt mit bedrohlicher Geste: "Denk daran, Gawain, dass du nicht vor der Gefahr zurückweichst und das Abenteuer wagst, das du übernommen hast": Now penk wel, Sir Gawan, For wope pat pou ne wonde I>is auenture for to frayn I>at pou hatz tan on hond. (Z. 487 - 490)

Es ist ein ungewöhnlich ernster Ausklang eines so ausgelassen begonnenen Festes, und wie nicht selten in mittelalterlicher höfischer Dichtung gehen Spannung und Handlungsimpuls von diesem Augenblick des gemeinschaftlichen Feierns aus. 1978. Die deutschen Übersetzungen des Gawain-Dichters stammen von der Verfasserin sowie aus Sir Gawain and the Green Knight. Sir Gawain und der Grüne Ritter. Übersetzt und hrsg. von Manfred Markus, Stuttgart 1974. 7 "Wyth alle maner of mete and mynstralcie bope. / Wyth wele walt pat day, til worped an ende / In londe." (Z. 484 - 486)

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Das folgende Weihnachtsfest bringt Gawain, nach einer einsamen Winterreise, an eine Burg, in der ebenfalls eine fröhliche Festgesellschaft auf ihn wartet, und wieder stellt sich heraus, dass hinter der ausgelassenen Festeszeremonie eine noch intensivere moralische Prüfung auf ihn wartet. Wie beim ersten Weihnachtsfest steht auch hier der religiöse bzw. liturgische Charakter des Festes im Zentrum. Beim ersten Weihnachtsfest geht, wenn auch nur kurz erwähnt, dem fröhlichen Treiben und üppigen Speisen ein Gottesdienst in der Kapelle voraus. Nach Gawains einsamer quest im folgenden Jahr - bei Schnee und Eis - verlangt es ihn in der Weihnachtszeit nach einem Ort, wo er im Gedenken an die Geburt des Erlösers die Messe hören und am Weihnachtsmorgen Gottesdienst feiern kann. Kaum hat er sich dreimal bekreuzigt, da erscheint das Schloss des Ritters Bertilak (in Wahrheit der grüne Ritter selbst), und Gawain kommt in eine Gesellschaft in Erwartung des Weihnachtsfestes, nicht weniger frohgemut als Arthurs Tafelrunde. Neu eingekleidet und gewärmt verbessert sich seine Stimmung recht bald ("and penne his cher mended", "und da war er bald in besserer Stimmung", Z. 883), die sich durch eine Mahlzeit mit reichlich Wein noch steigert. Sobald bekannt wird, wer der Gast ist, versprechen sich die Edelleute alle eine Lehrstunde in höfischer Konversation. Nicht ohne eine gewisse augenzwinkernde Ironie beschreibt der Dichter besonders präzise und detailliert das Essen an diesem Heiligabend, der im englischen Mittelalter traditionsgemäß ein fleischloser Fastentag sein sollte (Z. 881 - 900). Umso auffälliger ist es, wie genau gerade dieses Essen vom Dichter geschildert wird, von der Tischdekoration über die verschiedenen Gewürze, die "hervorragend gewürzten Suppen in doppelten Portionen" und die verschieden zubereiteten Fische, "einmal in Brot gebacken", "ein andermal auf glühenden Kohlen gebraten, dann wieder gesotten und schließlich würzig gedämpft", dazu raffiniert zubereitete Soßen und reichlich Wein, der dem Ritter "zu Kopfe stieg": "For wyn in his hed pat wende" (Z. 900). Der Unterschied zwischen einem Fastmahl und einem Festessen scheint angesichts der üppig vorgesetzten Speisen und Getränke lediglich durch das Fehlen diverser Fleischgerichte erkennbar zu sein, und auch der Ritter spricht höflich und in freudiger Anerkennung von der ihm vorgesetzten Mahlzeit als einem "Fest" (Z. 894). Die vom Gastgeber ausgesprochene Entschuldigung "Begnügt Euch jetzt mit der Fastenmahlzeit, es soll bald besser werden!" (Z. 896 97) dürfte bei diesem Menü eher erheiternd wirken und war sicher vom Autor auch so gemeint. Weniger detailliert, aber genauso enthusiastisch berichtet der Dichter dann im Weiteren von dem weihnachtlichen Gottesdienst, der Sitzordnung am Tisch, dem zeremoniellen Essen, der festlichen Musik und der fröhlichen Stimmung. Hier heißt es lakonisch: "Man speiste, man war fröhlich und so guter Dinge,

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dass es schwierig wäre, es zu erzählen, wenn ich mir auch die größte Mühe gäbe." (Z. 1005 - 1009) Wichtiger für den Gawain-Dichter ist auch hier, dass das Fest belastet ist durch den Gegensatz zu dem, was im Innern des Helden vor sich geht, auf dem die Bürde des ihm bevorstehenden Abenteuers liegt. Fast das ganze Gedicht wird bestimmt durch diesen Kontrast von unbeschwertem geselligem Feiern und individuellem Bewusstsein. Was der Einzelne mit sich ausfechten muss, kann ihm durch keine kollektive Ausgelassenheit abgenommen werden. Dies wird nochmals am Ende des Gedichts deutlich, als Gawain nach bestandenem Abenteuer zurück an den Hof Arthurs kommt und voll Beschämung sein teilweise moralisches Versagen - wie er es empfindet - gesteht. Der Tafelrunde erscheinen seine Skrupel als belanglos. Ihnen bleibt bis zuletzt Gawains schuldbewußte Niedergeschlagenheit unverständlich, und das Gedicht schließt mit lautem Gelächter und einer Geste der Gemeinschaft, die aber keine völlige Harmonie bedeutet.

11. Cleanness

Auch in einem ganz anderen Werk, einer biblischen Homilie zum Thema der Reinheit, benutzt der Gawain-Dichter das Motiv des Festes, um einerseits seiner Freude am Ritual des Feierns freien Lauf zu lassen, andererseits aber um eine moralische Mehrdeutigkeit zum Ausdruck zu bringen. So wird im ersten Teil des Gedichts, das in der Forschung entweder den Titel "Cleanness" oder "Purity" trägt, das neutestamentliche Gleichnis vom Hochzeitsmahl nach den Evangelien Matthäus und Lukas aufgegriffen und ausgelegt, was dem Dichter Gelegenheit zu einer lebendigen und konkreten Festbeschreibung gibt. Die Großzügigkeit des Einladenden manifestiert sich in den Anweisungen, die er seinem Gesinde gibt: Bullen und Eber sind gemästet und geschlachtet, Hühner und Geflügel in den Käfigen fett für das Messer, Wildschweine sind gejagt, Schwäne und Kraniche geröstet. Das Fest ist hier nicht nur eine Demonstration von Freigebigkeit, sondern auch von Macht und hierarchischer Stellung. Der Erzähler betont zwar die soziale Leutseligkeit des Gastgebers, der sich mit allen Gästen unterhält und sie in die rechte Feierstimmung versetzt, aber er folgt auch dem biblischen Vorbild, wenn er den Zorn des Herrn wiedergibt, der unter seinen Gästen einen unangemessen Gekleideten entdeckt und in den finstersten Kerker werfen läßt. Die realistische Situationsschilderung geht über in die Parabel, die der Dichter durchaus eigenständig auslegt, indem er die Offenheit der göttlichen Einladung zum himmlischen Fest deutlicher betont als die Möglichkeit des Abgewiesenwerdens.

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Dem so positiv gesehenen Fest steht im gleichen Gedicht eine Orgie gegenüber, die zum Ausdruck gottloser Vermessenheit wird und zum Strafgericht führt. Es handelt sich um das Gastmahl des Belsazar. Wiederum entfaltet der Gawain-Dichter seine reiche Palette sprachlicher Stilmittel zur Darstellung festlichen Prunks, beflügelt offensichtlich durch die Vorgaben des biblischen Textes: Baltassar, rex fecit grande convivium optimatibus suis mille ... ut biberent in eis rex, et optimates ejus, uxoresque ejus, et concubince (Daniel 5, 1 3). Aus den fünf Versen des biblischen Textes werden 195 alliterierende Langzeilen, in denen das üppige Gelage in den überschwänglichsten Tönen und weithin in den Konventionen einer mittelalterlichen Festbeschreibung geschildert wird, freilich von Anfang an mit dem Unterton homiletischer Missbilligung heidnischen Übermuts. Auffällig ist, wie der Dichter die gleichen Konventionen herrschaftlichen Wohlstands und zeremonieller Demonstrationen, die erlesenen Speisen, die kostbaren Gefäße, die vieltönige Musik, dazu höchst kunstvolle Tafeldekorationen, diesmal mit völlig anderen Vorzeichen versieht, wobei hier freilich auch der Alkoholgenuss eine ganz andere Rolle spielt als bei Sir Gawain and the Green Knight und das Ganze in der frevelhaften Schändung heiliger Gefäße der Juden und der erschreckenden Erscheinung des Menetekel an der Wand mündet: Und Belsazar wurde zu seinem Sitz geleitet Die hohen Steintreppen hinauf zu seinem mächtigen Thron. Da war der ganze Boden des Saales voll von Rittern, Und die Fürsten überall an den Seitentischen plaziert, Denn keiner durfte auf dem Podium sitzen als nur der Würdige selbst Und seine schönen Konkubinen in ganz strahlenden Gewändern. Als alle Männer Platz genommen hatten, begann die Zeremonie: Laute Trompeten begannen im Saal zu ertönen, Überall an den Wänden erscholl der Widerhall, Und große Banner leuchteten dabei von Gold, Leute trugen die Gerichte auf großen Platten herein, Die wie Silber aussahen, und bedienten dabei, Hoben Baldachine über sie, mit Schnitzereien oben, Aus Papier geschnitten und mit Gold verziert, Wilde Paviane oben und Getier darunter, Vögel in den Zweigen, die dazwischen flatterten, Und alles reich emailliert, mit Azur und Indigo; Und alles wurde von Männern auf dem Rücken von Pferden hereingebracht; Dazu ständig der Lärm von Kesselpauken, die Töne von Flöten, Dazwischen Tamburine und kleine Trommeln, Becken und Saiteninstrumente verstärkten den Lärm, Und der Knall von Trommelschlegeln ertönte so kräftig. Da wurde von allen Seiten des Saales vielmals aufgetragen, Mit Freuden bei jedem Gang, im Angesicht des Königs selbst, Wie er da mit all seinen Geliebten an der Tafel weilte.

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So reichlich bedienten sie ihn mit Wein, dass es sein Herz wärmte Und in sein Hirn aufstieg und seinem Geist schadete Und schwächte seinen Verstand, er wurde fast zum Narren, Er starrte umher und blickte auf seine Huren Und auf alle seine Fürsten an den Wänden um ihn. 8

Die Ähnlichkeit der Situation und des emotionalen Schocks mit dem Erscheinen des grünen Ritters beim arthurischen Weihnachtsfest zu Beginn von Sir Gawain and the Green Knight ist auffällig und sicher nicht unbeabsichtigt. Feste sind für den Gawain-Dichter nicht von ihrem religiösen Anlass zu trennen, sei er christlich oder heidnisch. Jede Entfaltung demonstrativen Prunks und unkontrollierter Ausgelassenheit birgt die Gefahr vermessener Überheblichkeit, und doch gibt es in der mittelalterlichen Literatur Englands keinen

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Das Original (Z. 1396 -1424) lautet (Anm. 6):

Stepe stayred stones of his stoute throne. penne watz alle pe halle flor hiled with knY3tes, And barounes at pe sidebordes bounet aywhere, For non watz dressed vpon dece bot pe dere seluen, And his c\ere concubynes in c\opes ful brY3t. When alle segges were pet set pen seruyse bygynnes, Stume trumpen strake steuen in halle, Aywhere by pe wowes wrasten krakkes, And brode baneres perbi blusnande of gold, Bumes berande pe bredes vpon brode skeles pat were of sylueren SY3t, and served perwyth, Lyfte logges perouer and on lofte coruen, Pared out of paper and poynted of golde, Brope baboynes abof, besttes anvnder, Foles in foler flakerande bitwene, And al in asure and ynde enaumayld ryche; And al on blonkken bak bere hit on honde. And ay pe nakeryn noyse, notes of pipes, Tymbres and tabomes, tulket among, Symbales and sonetez sware pe noyse, And bougounz busch batered so pikke. So watz serued feie sype pe sale alle aboute, With solace at pe sere course, bifore pe self lorde, Per pe lede and alle his loue lenged at pe table; So faste pay we3ed to hirn wyne hit warmed his hert And breyped vppe into his brayn and blemyst his mynde, And al waykned his wyt, and welne3e he foles; For he waytez on wyde, his wenches he byholdes, And his bolde baronage aboute bi pe w03es.

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anderen Dichter, der Festlichkeiten mit gleicher Hingabe und poetischem Aufwand auszumalen versteht.

III. Geoffrey Chaucer

Geoffrey Chaucer (c. 1340 - 1400), der Dichter der Canterbury Tales, scheint dagegen wesentlich weniger beeindruckt von höfischem Ritual oder konventioneller Festbeschreibung. Im Folgenden soll dies an verschiedenen Passagen aus "The Wife of Bath's Tale", der "Knight's Tale", der "Squire's Tale", der Einführung der Priorin im Prolog der Canterbury Tales sowie der "Parson's Tale" demonstriert werden. Wie gesagt ist Geoffrey Chaucer wenig beeindruckt von höfischen Festbeschreibungen und nicht selten distanziert er sich wie von einer Pflichtübung, so in der "Erzählung der Frau von Bath", der einzigen seiner Geschichten, die im Umkreis um König Arthur angesiedelt ist. Da heißt es, nachdem der Held gemäß seinem Versprechen die hässliche Alte heiraten musste: Vielleicht gibt's manchen, der sich nun beschwert Und meint, ich halt es nicht der Mühe wert, Daß ich vom Jubel und der Pracht am Tage Der Hochzeit etwas Näheres sage. Darauf antworte ich kurz dieses nur: Von Freud und Festgelag war keine Spur; Es gab hier nur Bekümmernis und Sorgen. Er ließ sich in der Stille traun am Morgen Und blieb, von ihrer Häßlichkeit erschreckt, Tagsüber wie die Eule stets versteckt. 9

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Das Original (The Canterbury Tales, III, Z. 1073 - 82) lautet:

Now wo Iden som men seye, paraventure, That for my necIigence I do no eure To teilen yow the joye and al th' array That at the feeste was that ilke day. To which thyng shortly answeren I shal: I seye ther nas no joye ne feeste at al; Ther nas but hevynesse and muche sorwe. For prively he wedded hire on morwe, And al day after hidde hym as an owle, So wo was hym, his wyf looked so foule. Zitiert nach: Geoffrey Chaucer: The Canterbury Tales. Complete. Hrsg. von Larry D. Benson. Based on The Riverside Chaucer. Third Edition. Boston 2000. Die Übersetzung

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Hier wird auf witzige Weise die erwartete Schilderung eines Festes umgangen, und fast bei allen vergleichbaren Passagen im Werk Chaucers lässt sich feststellen, dass der Dichter eine gewisse Halbherzigkeit zur Schau stellt und sich jedenfalls an entsprechenden Konventionen wenig interessiert zeigt, wenn er sie nicht für einen gezielten Effekt einsetzen will. Ein Beispiel ist das von Theseus organisierte Turnier zwischen den beiden Rivalen um die Hand Emilys in der "Knight's Tale". Diese Geschichte des Ritters wird eingeleitet durch ein Fest, und Chaucer beweist in aller Kürze, dass er sich in den entsprechenden Sitten und Gebräuchen sehr wohl auskennt. Seine Beschreibung ist noch präziser im Detail als die des Gawain-Dichters, aber fast mehr im Sinne eines knappen Inventars als aus der Sicht eines enthusiastischen Beobachters. Da heißt es: Von Festesfreuden, von Musik und Singen, Wie Hoch und Niedrig reiche Gab empfingen, Wie herrlich ausgeschmückt der Königssaal, Wer oben oder unten saß beim Mahl, Welche die schönste aus der Damen Kranz Oder die beste bei Gesang und Tanz, Oder am zärtlichsten von Liebe sprach, Und was für Falken saßen unterm Dach, Und was für Hunde auf dem Boden lagen - Von alledem will ich jetzt nichts mehr sagen, Nur was der Handlung dient, trag ich noch vor. Jetzt kommt der Punkt, drum leiht mir euer Ohr. 10

wird zitiert nach: Geoffrey Chaucer: Die Canterbury-Erzählungen. Vollständige Ausgabe aus dem Englischen übertragen und hrsg. von Martin Lehnert. Mit Illustrationen von Edward Bume-Jones, Frankfurt am Main 1987. JO

Das Original (The Canterbury Tales, I, Z. 2197 - 2209) lautet:

The mynstralcye, the service at the feeste, The grete yiftes to the meeste and leeste, The riche array of Theseus paleys, Ne who sat first ne last upon the deys, What ladyes fairest been or best daunsynge, Or which of hem kan dauncen best and synge, Ne who moost felyngly speketh of love; What haukes sitten on the perehe above, What houndes liggen on the floor adoun Of al this make I now no mencioun, But al th' effect; that thynketh me the beste. Now cometh the point, and herkneth if yow leste.

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Die Stelle wirkt wie ein Katalog aller für ein höfisches Fest nötigen Ingredienzien, sei es nun mittelalterlich oder wie hier in der klassischen Antike zelebriert, aber der Dichter macht auch deutlich, dass er gleich Wichtigeres zu erzählen hat. Ganz ähnlich ist das Geburtstagsfest, das der Tartarenkönig Cambiuscan in "The Squire's Tale" veranstaltet, eine ebenso exotische wie märchenhafte Erzählung, die die jugendliche Begeisterung des Erzählers für eine bestimmte Lebensform, aber auch eine gewisse Unerfahrenheit und unreife Kompetenz demonstriert, die besonders durch die kaum gerechtfertigte Häufung rhetorischer Figuren unterstrichen wird. Die schillernde Brillanz der exotischen Märchenatmosphäre hat sicherlich zur Beliebtheit der Geschichte bei späteren Dichtern beigetragen: sie dient gleichermaßen zur Charakterisierung des offensichtlich noch unreifen Knappen und als Demonstration höfischen, romanzenhaften Glanzes. Wieder nimmt der Erzähler bei der Beschreibung des Festes, bei der offensichtlich starke Getränke und ihre Folgen die vorherrschende Rolle spielen, Zuflucht zur rhetorischen Figur der occupatio, um sich eine längere Beschreibung zu ersparen. So heißt es etwa: "Um alle Pracht zu künden des Gelages, / Bedürft ich eines ganzen Sommertages" (Z. 63 - 64) und über die Folgen des Tanzes bemerkt er lakonisch: "Wie sich nun Lust und Jubel hier bereitet, / Das zu berichten, reicht kein Schwachkopf aus" (Z. 278 - 79), um dann aber mit beflissener Eloquenz fortzufahren: Drum schlag ich dieses Fest mir aus dem Sinn Und lasse sie bei ihrer Fröhlichkeit, Bis man zum Abendbrot sich macht bereit. Es heißt, derweil die Instrumente klingen, Der Tafelmeister Wein und Speisen bringen. Es eilen fort die Knappen und Lakain, Man trägt die Schüsseln auf, man bringt den Wein. Man ißt, man trinkt, und nach dem Essen geht Man schicklich in den Tempel zum Gebet. Danach speist man am Tage noch zur Nacht. Was soll ich euch erzählen von der Pracht? Ihr wißt, man gibt bei einem Königsschmaus Für hoch und niedrig stets sehr reichlich aus An Leckerbissen eine große Zahl. I I

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Das Original (The Canterbury Tales, V, Z. 289 - 301) lautet:

I sey namoore, but in this jolynesse I lete hem til men to the soper dresse. The styward bit the spices for to hye,

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Auch hier folgen die eigentlich spannenden Elemente der Geschichte erst im Anschluss an das übliche Fest. Anders als meist üblich wird vom Dichter erwähnt, dass die Gäste nach so viel Essen und Trinken bis neun Uhr morgens in den Federn blieben und er ihre Träume lieber nicht nacherzählen wolle, während allein die Königstochter vom Vater die Erlaubnis erhielt, zeitig schlafen zu gehen und anderntags den Frühlingsmorgen zu genießen. Das Fest gehört offensichtlich in den Bereich des Üblichen, das dem Dichter zum einen als Folie für die phantastischen Ereignisse dient, von denen er im Folgenden berichten will, zum anderen zur Charakterisierung des jungen Knappen. Ebenfalls als Charakterisierungsmiuel wird im Prolog der Canterbury Erzählungen ein weiterer essentieller Teil eines Mahls, nämlich die Tischmanieren, von Chaucer virtuos eingesetzt, und zwar bei der Einführung der Priorin. Um eine vorbildliche Äbtissin zu beschreiben, würde man sicherlich nicht den größten Teil des Portraits auf ihre Manieren am Tisch verwenden. Diese lassen das Publikum denn auch eher an eine adlige, an weltlichen Lebensformen interessierte Dame denken, die sich mehr um die feine Politur höfischen Betragens als um geistliche Vorbildlichkeit bemüht. Da der neutrale Ton dieser Beschreibung nicht der eines entrüsteten Moralisten oder eines bösen Satirikers ist, sondern der eines nüchternen Beobachters, kann die Beschreibung der Tischmanieren für unser Thema einige Informationen liefern, während es der Dichter für den an der Charakterisierung der Priorin interessierten Wissenschaftler weitaus schwieriger macht. Hier hängt unser Urteil über die weltlichen und geistlichen Aspirationen der Priorin besonders stark von unseren persönlichen Reaktionen sowie unseren Erwartungen und traditionellen Leitbildern ab. Bei Chaucer heißt es zu den Tischsitten der Priorin: Beim Essen war sie überaus beflissen, Daß ihr vom Munde fielen nicht die Bissen, Nie taucht' die Finger in die Soß sie ein; Schön nahm den Bissen sie und hielt ihn fein,

And eek the wyn, in al this melodye. The usshers and the squiers been ygoon, The spices and the wyn is come anoon. They ete and drynke, and whan this hadde an ende, Unto the temple, as reson was, they wende. The service doon, they soupen al by day. What nedeth yow rehercen hire array? Ech man woot wel that a kynges feeste Hath plentee to the meeste and to the leeste, And deyntees mo than been in my knowyng.

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Daß nie ein Tropfen auf die Brust ihr fiel; Denn feine Sitte war ihr höchstes Ziel. Die Oberlippe wischte sie so rein, Daß, wenn sie trank, nicht der geringste Schein Von Fett zu sehen war an dem Pokal. Sehr anmuts voll griff sie nach ihrem Mahl. 12

Diese Beschreibung entspricht auch zahlreichen Anleitungen zum guten Benehmen bei Tisch, insbesondere beim Festbankett. Dass Tischmanieren dennoch nicht immer vorbildlich waren, mag das Ehrenfestmahl Wilhelms des Eroberers vor der Schlacht bei Hastings demonstrieren, das auf dem "Tapisserie von Bayeux", einem über 70 Meter langen und 50 Zentimeter hohen Wandteppich aus dem 11. Jahrhundert dargestellt wurde. 13 Neben der detail reichen Schilderung des Kochvorganges, die dem Bild vorausgeht, begegnen wir auf dem Ausschnitt den Teilnehmern eines Festmahls. Unter ihnen im Zentrum sitzt Bischof Odo, der - wie die Inschrift suggeriert offensichtlich gerade die Speisen und Getränke segnet: "Et hic Episcopus cibum et potum benedicit". Die Tischmanieren der Männer scheinen im Kontext der dargestellten Situation - nämlich der Segnung der Speisen - recht unpassend zu sein: Ein Bärtiger isst und spricht gleichzeitig mit seinem Nachbarn, ein anderer hält seine Hand auf die Speise, als wenn er sie verteidigen wollte, wiederum ein anderer gestikuliert am Tisch. Nur der rechte Mann, der ein Fischgericht vor sich stehen hat, scheint gepflegte Tischmanieren zu kennen. Bereits im Spätmittelalter existierte eine große Zahl von solchen Benimrnregeln bei Tisch, die unter anderem auch geprägt waren durch den Verhaltenskodex des höfischen Rittertums: Vor und während des Essens wusch man sich die

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Das Original (The Canterbury Tales, "General Prologue", Z. 127 - 136) lautet:

At mete wel ytaught was she with alle; She leet no morsel from hir lippes falle, Ne wette hir fyngres in hir sauce depe; Wel koude she carie amorsei and wel kepe That no drope ne fille upon hire brest. In curteisie was set ful muchel hir lest. Hir over-lippe wyped she so clene That in hir coppe ther was no ferthyng se ne Of grece, whan she dronken hadde hir draughte. Ful semely after hir mete she raughte. 13 Rouben Cholakain, Eating and Drinking in the Bayeux Tapestry, in: Medieval Food and Drink. Hrsg. von Mary Jo Am, New York 1995, S. 99 - 125, bes. auch S. 119 - 120, und Elisabeth Vavra, Kopf und Klinge, in: Mahl und Repräsentation. Der Kult des Essens. Hrsg. von Lothar Kolmer / Christian Rohr, Paderbom 2000, S. 87 - 98, hier S. 89 - 90.

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Hände in Schüsseln. Vordem Trinken aus dem Becher sollte man sich den Mund abwischen. Ebenso durfte Brot weder ins Salzfass noch in den Wein getaucht werden. Wenn man dennoch eine Speise in den Becher tunkte, gebot es die Höflichkeit gegenüber dem Nachbarn, den Wein auszuschütten und neuen zu holen. Vorsichtig durfte man sich den Gürtel lockern, um Blähungen zu vermeiden, Spucken indes war verboten: You should ... take care, as far as you can, not to spit at meal-times. I have often heard that people of some countries are so demure that they never spit at all, and we might weil refrain from doing so for a short time. 14

Neben diesen Vorschriften mit meist eher hygienischem Hintergrund gab es auch solche, die aus religiösen Gründen entstanden waren und schon sehr früh in Quellen zu finden sind. Diese galten vor allem dem maßvollen Essen und Trinken, wobei zu opulente und kulinarische Genüsse schon sehr früh kritisiert wurden. Eine der frühesten Kritiken stammt dabei von dem walisischen Mönch und Gelehrten, Giraldus Cambrensis, der am Pfingstsonntag 1180 die große Benediktinerabtei St. Augustine in Canterbury besuchte und über die dortigen Essensmanieren beim Festmahl, das frivole Gestikulieren bei Tisch, vor allem aber über die Getränke, "Wine and strong drink", sowie über die üppigen Speisen entsetzt war, die seiner Meinung nach nur den Gaumen reizten und zur Völlerei anstachelten: Das Gemüse ließ man fast unberührt, heißt es bei Giraldus, dafür wurde Fisch gebracht, "roasted, and boiled, stuffed and fried ... to tickle gluttony and awaken appetite".15 Auch Geoffrey Chaucer gibt in der die Canterbury Tales abschließenden Erzählung des Pfarrers, der "Parson's Tale", eine aufschlussreiche Verurteilung übermäßigen Essens und maßlosen Trinkens. Es handelt sich um einen ernsten, jede Komik entbehrenden Prosatrakt über die Todsünden und die Buße. Die Stellung der Predigt am Schluss der Erzählsammlung deutet darauf hin, dass Chaucer ihr innerhalb der Hierarchie literarischer Formen einen besonderen Platz einräumt, und man darf wohl eine plan volle Entsprechung darin sehen, dass die Reihe der Erzählungen mit der stilisierten Darstellung einer höfischen

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Zitiert nach Bridget Ann Henisch, Fast and Feast (Anm. 2), S. 197.

"Gluttony", also Völlerei, galt als eine der sieben Todsünden, weshalb geraten wurde, von Speisen und Getränken niemals zu viel zu konsumieren und niemals ganz satt vom Tisch aufzustehen, auch nicht bei Festen. Vgl. Roy Strong, Feast. A History of Grand Eating, London 2002, S. 45 - 46. 15

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Lebensform in der "Knight's Tale" beginnt und in eine konsequent biblische Deutung der menschlichen Existenz mündet. 16 Für den Parson kommt Hochmut, also "Superbia", als einer der Hauptwurzeln allen Übels besonders bei Tisch vor: [ .. . ], denn gewiss, reiche Leute werden zu Festen gerufen, arme Leute aber werden davon fern geh alten und zurückgewiesen. Hochmut zeigt sich auch am Überfluss von verschiedenen Speisen und Getränken; und ganz besonders bei dieser Art von Pasteten und Aufläufen, die flambiert, gefarbt und mit Zinnen und Türmchen aus Papier geschmückt werden und augenscheinlich Verschwendung sind, so dass man an Missbrauch denken muss. ("The Parson's Tale", X, Z. 442 - 445)

Das Fazit dieser Passagen kann also knapp lauten: Völlerei und Verschwendung nein, Essen und Trinken in Maßen ja. Dies sollten vielleicht auch die Organisatoren von heutigen Mittelalterfesten beherzigen. Vor allem sollten sie bei den Festessen ein wenig sorgsamer bei der Auswahl der Speisen, auf die ich im Folgenden kurz eingehen möchte, sein, denn ansonsten erinnern sie vielleicht doch mehr an Mittelalter-Persiflagen a la Jabberwocky, einem Film der englischen Komikertruppe Monty Python. Dort bekommt die Hauptfigur, ein umherziehender Knappe, von seiner Angebeteten eine große Kartoffel geschenkt, die bekanntlich ja erst ihren Weg nach Europa nach der Entdeckung Amerikas gefunden hat. Welche Speisen und Getränke wurden nun tatsächlich bei mittelalterlichen Festen in England gereicht und wie wurden sie zubereitet? Wenig aussagekräftig ist hier die bildliche Kunst. Sehr selten erkennt man dort die Zubereitungsart, ebenfalls kaum verifizierbar sind die Speisen, einmal abgesehen von der groben Trennung zwischen Fisch und Geflügel. Einfacher indes ist die Frage zu beantworten, welche Bedeutung das Essen während eines Festes hatte. Tatsache ist, dass jeder Art von Fest die Abhaltung eines Festmahls gemein ist; ja, man könnte sogar umgekehrt sagen, dass eine feierliche Handlung ohne gemeinsames Festmahl gar kein Fest bildet. Die Nahrungsaufnahme bei Festen hatte und hat zudem eine sehr ritualisierte Funktion, der eine stark gemeinschaftsbildende Kraft innewohnt, die besonders im Mittelalter durch das letzte Abendmahl zusätzlich noch eine theologische Komponente erhält. Ferner hat das mittelalterliche Festmahl oft auch eine repräsentative Funktion. Es wurde gleichsam zum zentralen Kunstwerk innerhalb eines Festes. Dies bedurfte freilich einer aufwendigen Planung und Vorbereitung, die meist mehrere Monate in Anspruch nahmen. Wann über das eigentli16 Dieter Mehl, Geoffrey Chaucer. An Introduction to his Narrative Poetry, Cambridge 198~S . 153.

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che Menü entschieden wurde, geht aus den meisten überlieferten Quellen sehr selten hervor. Eine Ausnahme bietet das Festbankett anlässlich der Hochzeit zwischen Margarete, der Tochter König Heinrichs III. von England, mit König Alexander III. von Schottland in York (1251). Schon Monate vor der Hochzeit wurde noch lebendes Mastvieh eingekauft, ebenso wurde Rot- und Damwild erlegt, Wein bestellt sowie Geflügel, Wildvögel, Hasen, Kaninchen und Schweine in großer Zahl von den lokalen Sheriffs angefordert. Einen Monat vor der Hochzeit wurden Brot, Luxusgüter wie Reis, Mandeln und Zucker und verschiedene Fischsorten angekauft. Schließlich benötigte man für das Bankett etwa 68.500 Laib Brot und 700 Stück Geflügel. Vom Geschirr sollte genügend vorhanden sein, "mindestens 4000 Stück", damit es für alle Gänge eines Banketts ausreiche. 17 Den Aufbau eines mittelalterlichen Mahles generalisierend zu beschreiben, ist ebenfalls außerordentlich schwierig, doch lassen sich gewisse Grundschemata feststellen: Allgemein scheint bei der Abfolge der Speisen eine gewisse Diätetik eine Rolle gespielt zu haben. Man bemühte sich leicht verdauliche Speisen an den Anfang zu stellen, etwa Äpfel, Pfirsiche, Feigen und Kirschen, Fleisch wurden erst im zweiten und dritten Gang serviert. Der zweite Gang enthielt dann verschiedene Arten von Suppen, Ragouts und Eintöpfen, gesottenen und gebratenen Fisch sowie Gemüsegerichte. Darauf folgten der Braten sowie Zwischengerichte, die von einer einfachen Getreidesuppe bis zu gebratenem Reiher und Schwan reichen konnten. Die Nachspeise konnte aus Süßspeisen, Kompott, Obst und Nüssen bestehen, aber auch andere Gerichte, wie Wildbret, waren möglich. Am Schluss wurde ein gewürzter Wein gereicht. Allgemein lässt sich für England festhalten, dass lange Zeit die Originalität der englischen Küche in ihrer Orientierung nach der mediterranen Küche lag: anglo-normannische Rezepte des frühen 14. Jahrhunderts, die oft den arabischen Ursprungsnamen trugen, enthielten viel Zucker, und die Speisen wurden mit Farben orientalischer Herkunft gefärbt. Diese Speisen verschwinden dann langsam, aber in englischen Kochbüchern des 15. Jahrhunderts finden sich weiterhin Besonderheiten, wie etwa die Verwendung von Blumen (Holunder oder Rosen), die nicht nur zur Dekoration gedacht waren. Zu einer Zeit, als französische Köche Rindfleisch nur äußerst sparsam verwendeten - es galt als grobes Fleisch (grosse char), das nur als Suppenfleisch zu gebrauchen war -, bieten ihre englischen Kollegen Rindfleischrouladen über dem Feuer an. In einem Rezept etwa steht sogar die Anweisung, "steaks" aus Rindfleisch zu grillen und sie mit einer kräftigen Pfeffersauce zu servieren. Diese Vorliebe der Engländer für Rindfleisch sollte sich bis zur BSE-Krise fortsetzen, die Shake17

Christian Rohr, Festkultur, Graz 2002, S. 28.

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speare wohl vorausahnte, als er in Twelfth Night Auguecheek sagen lässt: "I am a great eater of beef, and I beliefe that does harm to my wit." (1.3.81) Die Gelehrten des 17. Jahrhunderts, die viele dieser alten Rezepte wiederentdeckten, hatten nicht unrecht, als sie in ihnen Zeugnisse der alten englischen Küche sahen, die auf beefsteak und pudding aufgebaut war, lange bevor es zu einer "Invasion" von französischen Köchen in England kam. Wann die englische Küche dann zu ihrem schlechten Ruf kam, ist leider nicht Gegenstand dieser Abhandlung, es sei lediglich angemerkt, dass sie - zumindest aber die schottische Küche - offensichtlich im 19. Jahrhundert noch sehr gut und nahrhaft war, wie besonders Charles Dickens bei einer Festmahlsbeschreibung hervorhebt, die einiges mit der Darstellungsweise Geoffrey Chaucers gemein hat. In den Posthumous Papers of the Pickwick-Club lesen wir: Es war ein prachtvolles Essen. Da gab es geräucherten Lachs und Schellfisch, einen Hammelkopf und einen Fleischpudding - ein berühmtes schottisches Gericht, [ ... ] von dem mein Onkel zu sagen pflegte, es sähe, wenn es auf den Tisch käme, aus wie der Bauch eines Cupido - und noch viele andere Sachen, von denen ich die Namen vergessen habe, die aber nichtsdestoweniger sehr gut waren. 18

Das Aufzählen von Speisen und Getränken und die rhetorische Formel des Vergessens ist auch dem Mittelalter gemein. Dennoch gibt es eine Reihe von Quellen, besonders zu königlichen Festen oder zur Einweisung in Bischofsämter, die uns die Stückzahl und Preise der verarbeiteten Tiere nennen, uns Auskunft geben über die Anzahl der Gäste und die Dauer des Festes, indes lassen sie uns über die Zubereitung der Speisen weitgehend im Dunkeln. So wissen wir, dass Weihnachten 1251 am Hofe Heinrichs III. meist heimische Tiere zubereitet wurden, u. a. 430 Stück Rotwild, 200 Wildschweine, 115 Kraniche und tausende anderer Geflügelarten. 19 Bei der feierlichen Amtseinweihung der Erzbischofs Neville von York im Jahr 1467 sollen angeblich 6000 Gäste anwesend gewesen sein, die 100 Tonnen Wein und 300 Tonnen Bier tranken und dabei 1000 Schafe, 304 Kälber, 2000 Schweine, 400 Schwäne, 2000 Gänse, 104 Pfaue und 13.500 anderes Federvieh aßen, dazu 13.000 Süßspeisen u. v. m. Über die Länge des Festes geben uns die Quellen allerdings wenig Auskunft, und der symbolischen Zahl von 40 Festtagen, so wie sie mehrfach in mittelenglischen Romanzen genannt wird, etwa in "Havelock" (Z. 2334), "The Squyr of Lowe Degre" (Z. 1114) und "Amis and Amiloun" (Z. 100) sollten wir wenig Glauben schenken.

18 Charles Dickens, The Bagman's Tales. Die Erzählungen des Handlungsreisenden. Übersetzung und Nachwort von Dieter Mehl, München 2002, S. 61, 63.

19

William Edward Mead, The English Medieval Feast, London 1931, S. 32 - 41.

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In "Cleanness" berichtet uns der Gawain-Dichter ebenfalls über die Fleischsorten und auch Geoffrey Chaucer nennt uns einige Details, freilich nur indirekt und unvollständig, denn "alles zu sagen, ist kein Mensch imstande", "ther nys no man that may reporten al" ("The Squire's Tale", Z. 72). Über das Fest des Tatarenkönigs sagt er lediglich, dass es sich wohl um keine einheimischen Speisen handelte und fügt noch hinzu. Auch ist es unnütz, daß ich die Gerichte bei jedem Gang der Reihe nach berichte, Daß all die seltnen Soßen ich erwähne, Die jungen Reiher und gebratnen Schwäne. Wie alte Ritter uns zu sagen wissen, Gilt ein Gericht dort auch als Leckerbissen, Das man sehr wenig achtet hierzulande; Alles zu sagen, ist kein Mensch imstande. 20

IV. Prima Pastorum

Ganz anders verhält es sich hier bei dem fiktiven Mahl der Hirten in der sogenannten Prima Pastorum des Wakefield Zyklus. 21 Dieser Zyklus ist mit zweiunddreißig Dramen durch ein Manuskript des ausgehenden 15. Jahrhunderts überliefert, wobei sechs Stücke von besonderer Kunstfertigkeit zeugen, deren eines das Hirten- oder Weihnachtsspiel, die Prima Pastorum ist, weIches in zwei Teile zerfällt (V. 1 - 295; 296 - 502). Im ersten Teil setzen sich drei Hirten zu einem ausgiebigen Festmahl nieder, in dessen Verlauf sie eine ganze Reihe von Speisen, denen sie äußerst kräftig zusprechen, genau benennen. Wichtig ist dabei, dass es sich bei diesem Festessen um eine Illusion handelt. Die Prima Pastorum setzt nämlich mit einer langen Klage des ersten Hirten über die Zeit, über seine Not und Armut sowie den Verlust seiner Schafe ein. Nach vielen Streitereien zwischen den Hirten über Ausbeutung, ihre Recht- und Mittellosigkeit kommt es immer wieder zu merkwürdigen Illusionen, so etwa, dass die Schafsherde wohl doch wohlgenährt auf der Wiese steht. So ergibt sich ein ständiges Hin und Her zwischen Wirklichkeit und Einbildung, wozu auch das Festmahl gehört. Als arme, ausgebeutete Hun20

"The Squire's Tale", Z. 65 - 72 (Anm. 9).

Die folgenden Ausführungen basieren auf der ausführlichen Interpretation von Heinz Bergner, Das große Festmahl in der mittelenglischen "Prima Pastorum" des Wakefield-Zyklus, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Irmgard Bitsch et al., Sigmaringen 1987, S. 45 - 58, / A. C. Cawley, The "Grotesque" Feast in the Prima Pastorum, in: Speculum 30 (1955), S. 213 - 217. 21

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gerleider setzen sie sich zu ihrem Bankett nieder. Dieses findet in Wirklichkeit freilich gar nicht statt, sondern ist eine fast ins Clowneske gehende Pantomime, deren Informationsgehalt deshalb sehr stark differenziert werden muss. In rund zwanzig Zeilen werden etwa ein Dutzend Gerichte und Speisezutaten aufgezählt, die zumindest teilweise jedem Aristokraten der damaligen Epoche zu Ehre gereicht hätten. Es ist recht leicht, die erwähnten Speisen in den Kochbüchern des mittelenglischen Adels wiederzufinden, ja es wäre sogar möglich, dass man in der Abfolge der Gerichte unschwer ein Menü in drei Gängen rekonstruieren könnte, wie es zu Festtagen in England in adligen Haushalten aufgetischt wurde. Dennoch lassen sich natürlich - wie Heinz Bergner in seiner Abhandlung minutiös nachweist - Ungereimtheiten feststellen: So erweisen sich die aufgeführten Speisen als eine Mischung von hoher und niederer Esskultur, denn Rindshaxe, Blut- und Leberwurst, Ochsenschwanz, Schweinsrüssel und gekochtes Fleisch sucht man in Kochbüchern der mittelenglischen Adligen vergebens. Zudem trank man wohl eher Wein als Bier. Auch ist die geordnete Abfolge der Speisen durcheinander geraten. Ferner lassen die Tischmanieren der drei Hirten zu wünschen übrig, wenn man die hohen äußeren Ansprüche bedenkt, die ihr Festschmaus zur Folge haben müsste. Ihr Mahl ist ein Sich-Vollstopfen und Vollsaufen, sie fluchen gerne, geraten immer wieder in Streit, drücken sich in jeder Weise ungezwungen umgangssprachlich aus, benutzen aber andererseits gelehrte Lehnwörter aus dem Französischen, und zwar in rascher Folge: Restorite, appete, clerge. Dann wird anstatt des intimeren "thou and Thin" die höfliche "Ye" und "youre"-Form benutzt. Zum Abschluss des Banketts beschließen sie, dem alten nachweisbaren aristokratischen Brauch folgend, die übriggebliebenen Speisereste den Armen zu geben, und schicken sich an Lateinisch zu reden, freilich ein recht eigenwilliges und verdrehtes. 22 Die Prima Pastorum ist somit einerseits ein wichtiges Zeugnis über Essen und Trinken bei festlichen Angelegenheiten im Mittelalter. Andererseits macht es die beträchtliche Differenz zwischen Alltagsessen und Festtagsessen deutlich. Das Fest - und hier vor allem Essen und Trinken - wird als Instrument sozialer Differenzierung eingesetzt, als ein Prestige- und Klassenmerkmal, ein untrügliches Element gesellschaftlichen Ausdrucks und individueller Selbstdarstellung, gleichsam als soziale Schranke, an der sich reich und arm, hoch und niedrig unzweideutig schieden.

22

Bergner, Das große Festmahl (Anm. 21), bes. S. 52 - 53.

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V. Robert Henryson Darum geht es auch in dem letzten literarischen Beispiel, das ich hier anführen möchte, der äsopischen Fabel von der Landmaus und der Stadtmaus in der Version des schottischen Dichters Robert Henryson (c. 1424 - c. 1506) vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, der in seinen dreizehn Fabeln besonders eindringliche kleine Lektionen zum menschlichen Sozialverhalten erteilt. 23 Der Gegensatz zwischen dem selbstgenügsamen Leben der Landmaus und dem gefährlichen Dasein ihrer älteren Schwester in der Stadt wird in höchst anschaulicher Gegenüberstellung ihrer Mahlzeiten exemplifiziert. Als die Landmaus ihre Schwester mit Nüssen und Erbsen bewirtet, wird sie von der verwöhnten Schwester mit entrüsteten Vorwürfen über diese "rude dyat" (Z. 219) überschüttet und zu einem Gegenbesuch mitgenommen: "My Gude Friday is better nor your Pace [Ostern]" (Z. 248). Es folgt die Beschreibung eines opulenten Mahles - ohne Tischgebet und Alkohol - (Z. 267 - 89), und ein fröhliches Fest zu zweit, das dann freilich durch die Dazwischenkunft des Hausverwalters jäh unterbrochen wird, fast ganz nach dem homiletischen Muster von Hochmut vor dem Fall oder der unzuverlässigen Fortuna. Auch dieses ausgelassene kleine Mäusefest wie so viele höfische Gelage hat für die Dichter seine moralische Anwendung.

VI. Schluss

Die behandelten Texte sollten einen kleinen Einblick in die uns überlieferten Quellen zu Festen des englischen Mittelalters geben. Mithilfe dieser Texte lassen sich einige allgemeine Beobachtungen zum Fest und Feiern ableiten: Aus dem Blickwinkel der Anthropologie ist der Mensch das einzige Wesen, das feiert, wobei - wie das Mittelenglische Wörterbuch belegt -, fast zeitgleich das religiöse und nichtreligiöse Fest stand, in dem der Mensch zum feiernden Wesen wurde. Der Erstbeleg für ein religiöses ,,feast" ist aus dem Jahr um 1290, für ein weltliches um 1300. 24 Der Grund für die Fähigkeit des Menschen, Feste feiern zu können, liegt vermutlich in seinem Vermögen, zu sich und zu seinem Tun auf Distanz gehen zu können. Das Fest, so Odo Marquard, stellt somit ein "Moratorium des All-

23

Abgedruckt in: The Poems of Robert Henryson. Hrsg. von Denton Fox, Oxford 1981.

24 Derek Brewer, Feasts in England and English Literature in the Fourteenth Century, in: Feste und Feiern im Mittelalter. Hrsg. von Detlei Altenburg et al., Sigmaringen 1991, S. 13 - 28, S. 13.

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tags" dar, das der Mensch als "Lebensexzentriker" dringend braucht. 25 Aus diesem offensichtlichen Grundbedürfnis heraus ist es notwendig, das Fest auch gegenüber dem Alltag abzugrenzen, aber auch den Alltag gegenüber dem Fest und das Fest selbst gegen das Fest. Diese damit verbundene Individualität des Festes macht es denn auch so enorm schwierig, allgemeine Aussagen zu treffen oder gar ein Mittelalterfest nachzufeiern, ohne in Klischees abzusinken. Wichtiger ist es, sich vor Augen zu halten, dass es das authentische Mittelalterfest nicht gibt, denn jede retrospektiv betriebene Geschichte ist immer ein Konstrukt. Dies sollte uns freilich nicht vom Feiern abhalten, denn der Mensch, um noch einmal abschließend Odo Marquard zu zitieren, "ist das exzentrische Lebewesen, das ohne das Fest nicht auskommen kann. Entweder feiert der Mensch Feste, oder er sucht sich schlimme Ersatzformen des Festes - bis hin zum Krieg. ,,26

25 Odo Marquard, Kleine Philosophie des Festes, in: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. von Uwe Schultz, München 1988, S. 413 - 421.

26

Marquard, Kleine Philosophie des Festes (Anm. 25), S. 420.

Päpstliche Kanonisationspolitik im 11. Jahrhundert Von Georg Gresser A. Einleitung Der päpstliche Jurisdiktionsprimat ist das wesentliche Element des allumfassenden Anspruchs der römischen Bischöfe als Leiter der Kirche im Mittelalter. Mit dem immer stärker in allen Ebenen sich ausbreitenden Erfolg der Kirchenreform des 11. und 12. Jahrhunderts wird das Kirchenrecht zur schärfsten Waffe in der Hand des Papstes. Im Zeitraum von 1049 bis 1123 beginnt mit Papst Leo IX. eine Phase intensiver synodaler Tätigkeit. Bis zum Ende Calixt' 11. werden Synoden unter dem Vorsitz des Papstes häufiger veranstaltet als in jedem anderen Zeitabschnitt zuvor oder danach. Diese dichte Folge der Synoden ist als wichtiges Mittel der Durchsetzung des Jurisdiktionsprimates betrachtet worden. I Im Folgenden soll nun ein Teilaspekt päpstlicher Rechtsprechung näher beleuchtet werden, der im 11. Jahrhundert - nach einem in der Forschung in Fragen der Echtheit immer wieder heiß umstrittenen Fall am Ende des 10. Jahrhunderts 2 - seinen Anfang nimmt und seinen vorläufigen Höhepunkt unter dem Pontifikat Papst Johannes Pauls 11. erreicht hat: die Heiligsprechungen. Selbstverständlich ist, dass ein solcher Heiligsprechungsprozess und die daraus resultierenden Urkunden und Prozessakten lediglich einen bestätigenden I V gl. Georg Gresser, Die Synoden und Konzilien in der Zeit des Reformpapsttums in Deutschland und Italien von Leo IX. bis Calixt 11. 1049 - 1123 (= Konziliengeschichte, Reihe A), Paderbom 2006.

2 V gl. die zuletzt wieder entflammte Kontroverse um Datierung und Bedeutung der Kanonisation Ulrichs von Augsburg: Gunther Wolf, Die Kanonisationsbulle von 993 für den Hl. Oudalrich von Augsburg und Vergleichbares, in: Archiv für Diplomatik 40 (1994) S. 85 - 104. - Ernst Dieter Hehl, Lucia / Lucina - Die Echtheit von JL 3848. Zu den Anfangen der Heiligenverehrung Ulrichs von Augsburg, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 51 (1995) S. 195 - 221. Bernhard Schimmelpjennig, Afra und Ulrich. Oder: Wie wird man heilig?, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 86 (1993) S. 23 - 44.

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Charakter haben. Die Kirche kann nur die Heiligkeit der betreffenden Person bestätigen, die bereits durch göttliches Eingreifen besteht. Es wird auch durch eine päpstliche Urkunde keine Heiligenverehrung konstituiert. Eine solche Kanonisationsbulle ist letztlich nur eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" durch den Papst. 3 "Der heilige Mensch gehört als Erscheinung der Religion mit den übrigen grundlegenden Ausdrucksformen der Religion zu den Anfängen der Kultur. ,,4 Die Heiligenverehrung selbst ist so alt wie die Kirche, und im Anfang scheint man die Verehrung ausgezeichneter Männer und Frauen den einzelnen Gemeinden selbst überlassen zu haben. Doch schon im 4. und 5. Jahrhundert werden solche Ereignisse unter die Kontrolle der Bischöfe gestellt. 5 Das ist kein Zufall, sondern die Konsequenz der veränderten Bedingungen: Mit der Anerkennung der christlichen Religion im römischen Reich ist zunächst einmal die Zeit der Martyrien vorbei. "An die Stelle des Martyriums, dessen Verdienst in Friedenszeiten nicht mehr zu erlangen war, trat die Abtötung, die mortificatiO.,,6 Alternative Modelle vom unblutigen Martyrium werden erarbeitet. Nach der Verfolgungszeit hat man auch diejenigen, die trotz Anfechtung im Glauben standhaft geblieben waren - auch ohne ein blutiges Martyrium - als confessores in die Schar der Heiligen aufgenommen. Der martyr vivus und eine strenge imitatio Christi zeichnen den neuen Heiligentyp aus, der uns in der Person des Hl. Martin von Tours in der Vita des Sulpicius Severus sehr detailliert vor Augen gestellt wird. Seine Taten und Wunder sollten die Vorlage für das ganze Mittelalter werden. In allen Fällen geschah die Erhebung in den Stand der Heiligen durch die praktizierte Verehrung der Gläubigen, die in der Regel vom Grab des Betreffenden ausging, also eine canonizatio per viam cultus. 7 Es ist in der Forschung noch immer ein Rätsel, warum sich am Ende des 10. oder An3 Vgl. Hehl, Lucia (Anm. 2), S. 210. Renate Klauser, Zur Entwicklung des Heiligsprechungsverfahrens bis zum 13. Jahrhundert, in: ZRGKA 40 (1954) S. 85 - 101. 4 Wolfgang Speyer, Die Verehrung des Heroen, des göttlichen Menschen und des christlichen Heiligen. Analogien und Kontinuitäten, in: Peter Dinzelbacher / Dieter Bauer (Hrsg.), Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, Ostfildem 1990, S. 48 - 66, hier S. 48 f.

5 Vgl. Marianne Schwarz, Heiligsprechung im 12. Jahrhundert und die Beweggründe ihrer Urheber, in: Archiv für Kulturgeschichte 39 (1957) S. 43 - 62. 6 Amold Angenendt, Der Heilige: auf Erden - im Himmel, in: Jürgen Petersohn (Hrsg.), Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter (= Vorträge und Forschungen 42), Sigmaringen 1994, S. 11 - 52, hier S. 20. 7 Vgl. Bemhard Kötting, Entwicklung der Heiligenverehrung und Geschichte der Heiligsprechung, in: Peter Manns (Hrsg.), Die Heiligen in ihrer Zeit 1, Mainz 3 1967, S. 27 - 39. Joseph Brosch, Der Heiligsprechungsprozeß per viam cultus, Rom 1938.

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fang des 11. Jahrhunderts die Meinung mehr und mehr durchsetzte, dass es für die Verehrung eines neuen Heiligen einer päpstlichen Genehmigung bedürfe. Und es dauert immerhin noch bis zum Pontifikat Innozenz' III. (1198 - 1216), bis die Kurie das Recht auf Kanonisation für sich reserviert. 8 Das Kanonisationsverfahren selbst tritt uns im 11. Jahrhundert in seiner Grundform als gemeinsames Handeln von Ortskirche, Synode und Papsttum entgegen. Die Ortsbischöfe setzen sich zunehmend für die Verbreitung des Kultes ein. Insgesamt lassen sich drei Verfahrensstadien unterscheiden. Nach der Abfassung einer oder mehrerer Viten, in denen in besonderer Weise vor allem die Wunder des Kandidaten herausgestellt werden - und nicht so sehr z. B. sein politisches, wirtschaftliches oder gar künstlerisches Talent - werden diese Schriftstücke im Akt der petitio vom Antragsteller in Rom vorgelegt. Vom Papst bzw. einer eingesetzten Kommission meist unter der Leitung der Kardinäle wird dieses Material im Zuge der infonnatio geprüft. Nach positiver Evaluierung wird in der Regel auf einer Synode, die nicht unbedingt in Rom stattfinden muss, durch die publicatio das Verfahren mit der Bestätigung des Kultes zum Abschluss gebracht. 9 Die Beteiligung des Papstes und einer Synode sind allerdings in der Frühphase der Kanonisationspolitik nur ein Weg neben den bereits bekannten anderen. Im Folgenden sollen exemplarisch für die Frühzeit der päpstlichen Kanonisationspolitik zwei konkrete Fälle näher vorgestellt und analysiert werden. Vorbildhaftes und aktives christliches Handeln zeichnet den mittelalterlichen Heiligen aus. Dies kann vor allem beim Ausbau der christianitas geschehen: bedeutende Missionare, Ordensgründer, Bischöfe und Päpste. Aber auch Laien aus dem Adelsstand können als normgebende Vorbilder empfunden werden.

8 Stephan Kuttner, La reserve papale du droit de canonisation, in: Revue historique de droit fran,!ais et etranger, 4e serie 17 (1938) S. 172 - 228, wiederabgedruckt in: Ders., The History of Ideas and Doctrines of Canon Law in the Middle Ages, London 1980, Nr. VI mit den wichtigen Retractationes S. 7 - 11. Eric Waldram Kemp, Canonization and Authority in the Western Church, London 1948. Jacobus Schlafke, De competentia in causis sanctorum decernendi a primis post Christum natum usque ad annum 1234, Romae 1961. Jürgen Petersohn, Die päpstliche Kanonisationsdelegation des 11. und 12. Jahrhunderts und die Heiligsprechung Karls des Großen, in: Stephan Kuttner (Hrsg.), Proceedings of the Fourth International Congress of Medieval Canon Law, Toronto, 21 - 25 August 1972 (= Monumenta Iuris Canonici, Series C: Subsidia, Vol. 5), Citta dei Vaticano 1976, S. 163 - 206. 9 Vgl. Hans-Jürgen Becker, Der Heilige und das Recht, in: Petersohn, Politik (Anm. 6), S. 53 - 70. hier S. 59 f. Zur Einsetzung von Kommissionen auf päpstlichen Synoden vgl. Gresser, Synoden (Anm. I), S. 536 ff.

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Die Gruppe der Königs- und Adelsheiligen!O nimmt hier einen besonderen Platz ein. Stellvertretend sollen beide Gruppen an einem frühen Beispiel die Bandbreite päpstlicher Kanonisationspolitik vor Augen führen.

B. Die Kanonisation des 81. Gerhard von Toul Ein sehr frühes Beispiel!! für eine päpstliche Kanonisation ist der Fall des Gerhard von Tou!. Auf der Ostersynode des Jahres 1050 wurde dieser Akt vollzogen.!2 Gerhard war von 963 bis 994 Bischof der Diözese Toul gewesen. Nach der Vita!3 wohl in Köln aus edlem Geschlecht geboren, gehörte er zum Kölner Domklerus und wurde unter Erzbischof Brun Mitglied der Hofkapelle. In seiner Amtszeit in Toul vertrat er vor allem ottonische Kirchenpolitik gegenüber westfränkischen Einflüssen und wurde dabei von seinem zum Grafen von Toul erhobenen Bruder Azelin unterstützt.!4 Er ist als eindeutiger Parteigänger

10 Vgl. zu diesem Thema vor allem Karl Bosl, Der Adelsheilige. Idealtypus und Wirklichkeit, Gesellschaft und Kultur im merowingerzeitlichen Bayern des 7. und 8. Jahrhunderts, in: Clemens Bauer / Laetitia Böhm (Hrsg.), Speculum historiale. Geschichte im Spiegel von Geschichtsschreibung und Geschichtsdeutung. FS für Johannes Spörl, Freiburg - München 1965, S. 167 - 187. Frantisek Graus, Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowinger, Berlin 1965. Helmut Beumann, Die sakrale Legitimierung des Herrschers im Denken der ottonischen Zeit, in: ZRGGA 66 (1948) S. 1 - 45. Pa trick Corbet, Les saints Otoniens. Saintete dynastique, saintete roya1e et saintete feminine autour de l'an Mi1 (= Beihefte der Francia 15), Sigmaringen 1986. 11 V gl. die Tabelle aller päpstlichen Kanonisationen bis 1235 bei Bernhard Schimmelpfennig, Heilige Päpste - Päpstliche Kanonisationspolitik, in: Petersohn, Politik (Anm. 6), S. 73 - 100, hier S. 94 f., der für den Zeitraum des 10. und 11. Jahrhunderts insgesamt nur acht Fälle nennt; Gerhard von Tou1 ist Fall Nummer 4 und Ade1heid ist Fall Nummer 7. 12 Zum Ablauf der Synode und den weiteren Verhandlungsgegenständen vgl. Gresser, Synoden (Anm. 1), S. 23 - 25.

13 Widrici Vita Gerardi episcopi Tullensis, MGH SS 4, S. 485 - 505. Ex miraculis sancti Gerardi auctore Widrico, ebd., S. 505 - 509. Dort auch die Kanonisationsbulle der Synode von 1050. 14 Vgl. Ludwig Vones, Art. Gerhard 1., in: LThK3 4 (1995), Sp. 511 f. mit Literatur. Ders., Erzbischof Bruno von Köln und seine "Schu1e". Einige kritische Betrachtungen, in: Hanna Vollrath / Stefan Weinfurter (Hrsg.), Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. FS Odilo Engels (= Kö1ner Historische Abhandlungen 39), Kö1nWeimar - Wien 1993, S. 125 - 137, hier S. 135 f. Albrecht Graf Finck von Finckenstein, Bischof und Reich. Untersuchungen zum Integrationsprozeß des ottonisch-

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des sogenannten ottonisch-salischen Reichskirchensystems auszumachen und hat vor allem die konkreten Ziele Ottos und seines Bruders Brun verfolgt: Vermittler ottonischer Reichskirchenpolitik im gesamten Raum der Kölner und Trierer Kirchenprovinz mit ihren Suffraganen im Bereich der lothringischen Kirche - und damit in einem politisch unsicheren Scheidegebiet - zu sein, die jeweils selbst wieder Schulen in ihren Diözesen einrichten sollten. Durch diese Schulen sollen dann immerhin so bekannte Persönlichkeiten wie Stephan IX., Gregor VII., Burchard von Worms, Wazo von Lüttich, Humbert von Silva Candida, Leo IX., Clemens 11., Damasus 11. und Viktor 11. gegangen sein. 15 Gerhard wurde von Brun als Nachfolger des am 7. September 962 verstorbenen Bischof Gauzelin designiert und am 29. März 963 in Trier geweiht. Bereits 965 traf er in Köln mit Otto I. zusammen, der ihm den Besitz der bischöflichen Abteien St. Bvre, St. Mansuy und Bouxieres bestätigte. Bei den Streitigkeiten in der Folge des frühen Todes Ottos 11., mit dem er mehrfach zusammentraf, stand er auf der Seite des unmündigen Ottos III. und der beiden Regentinnen, der Kaiserinnen Theophanu und Adelheid, gegen den Bayemherzog Heinrich den Zänker. Aus Dankbarkeit erhielt er dann auch die Verfügungs gewalt über die Klöster Moyenmoutier und St. Die durch Otto III. zurück. Als gewissenhafter Bischof mit Organisationstalent sorgte er für eine gute Ausbildung des Klerus (wohl nach Kölner Modell) und visitierte seine Diözese. Die Betonung des Gebetes und der Askese und die ihm schon zu Lebzeiten zugeschriebenen Wunder führten zur Abfassung einer Vita und eines Mirakelberichtes durch den Abt Widericus von St. Bvre (1027 - 1051/54).16 Diese Werke wurden vermutlich im Auftrag des Bischofs Bruno von Toul geschrieben. Und eben dieser Bruno von Toul ist niemand anderes als der spätere Papst Leo IX. (1049 - 1054). Sicher ist jedenfalls, dass Papst Leo IX., der auch während seines Pontifikates sein Bischofsamt beibehielt 17 , als Bischof von Toul seinem berühmten Vorgänger früh salischen Reiches (919 - 1056) (= Studien zur Mediävistik I), Sigmaringen 1989, S. 46 u. 53. 15 So nachzulesen - in Überschätzung des Systemcharakters des seit längerem in Frage gestellten Reichskirchensystems und des Einflusses von Brun - bei farnes H. Forse, Bruno of Cologne and the Networking of the Episcopate in Tenth-Century Germany, in: German History 9, 1991 , S. 263 - 279, hier S. 279 Table 3. Vgl. die berechtigte Kritik daran bei Vones, Bruno (Anm. 14), S. 129 ff. 16

Michel Parisse, Art. Gerhard, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989), Sp. 1313 f.

17 Diese Neuerung hatte mit Papst Clemens 11. (= Suidger von Bamberg) begonnen. Auch Damasus 1I. (= Poppo von Brixen) sowie Viktor 1I. (= Gebhard von Eichstätt), Nikolaus 11. (= Gerhard von Florenz) und Alexander 1I. (= Anselm von Lucca) behielten ihr Bistum als Päpste bei. Vgl. Werner Goez, Papa qui et episcopus. Zum Selbstverständnis des Reformpapsttums im 1l. Jahrhundert, in: AHP 8 (1970) S. 27 - 59.

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in diesem Akt eine besondere Ehre erweisen wollte. Gleichzeitig steigerte ein zur Ehre der Altäre erhobener Vorgänger freilich auch den Glanz und die Würde des eigenen Bischofssitzes. So berichtet auch der Vitenschreiber Widericus, dass Leo seinen Vorgänger auf der Touler Cathedra schon lange verehrt habe. Gerhard, der doch so viele Wunder gewirkt habe, sollte unbedingt in den catalogus sanctorum eingetragen werden. 18 Doch hier bestand für Leo IX. nun plötzlich ein verfahrenstechnisches Problem. Wie sollte der Beginn des Verfahrens gestaltet werden? Normalerweise reichte der Ortsbischof als Antragsteller eine Supplik beim Heiligen Vater ein. Doch in diesem Fall waren Ortsbischof und Papst ein und dieselbe Person. Bruno von Toul hätte an sich selbst als Leo IX. eine Supplik richten müssen. Hier musste also nun ein anderer Weg beschritten werden. In der Not konnte nur noch Gott selbst in das Verfahren eingeschaltet werden. Auf der Synode, die am Sonntag Misericordia (29. April)19 begann und die von mindestens 52 Bischöfen und 34 Äbten besucht wurde, trat ein Mönch mit Namen Albizo auf, der in der Nacht vor der Verkündigung, also vom 1. auf den 2. Mai 10502 eine Vision gehabt hatte. Zu dieser Schau angeregt hatte der Touler Dompropst Udo, der wohl Leos besonderer Vertreter in Toul in den Zeiten seiner Abwesenheit war. Ganz nach Plan erschien Gerhard dem Mönch in einem Traumgesicht. Auf Anfrage hin erklärte Gerhard, dass er in der Tat unter den Heiligen weile und im Angesicht des Herrn wandle. Leo selbst teilte am nächsten Tag im Plenum den Synodalen dieses Ergebnis mit und fragte sie, ob Gerhard den Heiligen zuzuzählen sei. Nach Begutachtung der Vita und des Mirakelberichts erklärte dann die Synode quasi uno ore, ipsum domnum Gerardum virum esse sanctum, ideo inter sanctos merito numerandum . Aufgrund dieser synodalen Entscheidung, in der der Papst nicht als Finder

°,

18 Widericus, Ex miraculis sancti Gerardi (Anm. 13), S. 506: Ipse etiam celestis Jervor, qui hic corda fidelium accenderant, animum domni apostolici Leonis nimia eius devotione imbuerat, qui in summa erat desiderio, aliqua illius virtutum audire insignia, quibus patescerent praesentialiter cunctis fidelibus eius gloriae in caelis ab omnibus crederetur, et devotis populis munere miraculorum in terris patrocinaretur, tamen non digne ab omnibus venerabatur, nec in sanctorum numero ecclesiasticis offitiis excolebatur. So auch Leo IX. selbst in seiner Kanonisationsbulle, ebd., S. 507: Quamvis autem venerabile corpus eius multis, ut diximus, hactenus choruscaret miraculis, et ipse in numero sanctorum divinus sit deputatus iudicio, nondum tamen in catalogo sanctorum sortitus est humana corroboratione numerum. 19 Vgl. Gresser, Synoden (Anm. 1), S. 23 mit den Quellenangaben und weiterer Lite-

ratur.

20 Widericus, Ex miraculis sancti Gerardi (Anm. 13), S. 507: circa sexto Nonas Maias.

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des Urteils auftritt, publizierte nun Leo sein Dekret 21 und legalisierte damit die schon vorher geübte Verehrung, die sich aber bislang lediglich auf Toul beschränkt zu haben schien. Jetzt allerdings sollte der neue Kult überall in der christlichen Kirche verbreitet und beachtet werden. Dieser neuen Qualität wurde auch durch ein sichtbares Zeichen Ausdruck verliehen. Es wurde nämlich sofort der neue liturgische Feiertag durch die Kanonisationsurkunde bestimmt (23. April). Und Leo IX. ließ es sich dann nicht nehmen, am 21. / 22. Oktober 1050 seinem Spruch auch die selbst vorgenommene Elevation der Gebeine Gerhards auf einen eigens dazu neu errichteten Altar folgen zu lassen.

c. Die Kanonisation der Hl. Kaiserin Adelheid Rund 50 Jahre später, auf der römischen Synode des Jahres 1097, hat Papst Urban 11. die Heiligsprechung der Kaiserin Adelheid, der zweiten Gattin Kaiser Ottos des Großen, vollzogen. Adelheid, die Tochter König Rudolfs 11. von Burgund und seiner Frau Bertha von Schwaben, heiratete in erster Ehe König Lothar 11. von Italien. Nach dem Tod ihres Gatten im Jahre 950 ehelichte sie dann Otto 1., an dessen Seite sie 962 zur deutschen Kaisern gesalbt und gekrönt wurde. 22 Nach dem Tod ihres Sohnes, des deutschen Königs Otto 11., übernahm sie zusammen mit ihrer Schwiegertochter Theophanu ab 983 die Regentschaft

21 Eine vollständige Inhaltsangabe jetzt bei Otfried KraJft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch (= Archiv für Diplomatik, Beihefte 9), Köln - Weimar- Wien 2005, S. 4952, der aber insgesamt zur Problematik keine neuen Aspekte bringt. 22 Die Literatur zu Adelheid ist heute Legion; daher hier nur die wichtigsten Angaben: Herbert Paulhard, Die Lebensbeschreibung der Kaiserin Adelheid von Abt Odilo von Cluny, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsband 20, Heft 2, Graz - Köln 1962. Ders., Zur Heiligsprechung der Kaiserin Adelheid, in: MIÖG 64 (1956) S. 65 - 67. Lothar Bornscheuer, Miseriae regum. Untersuchungen zum Krisen- und Todesgedanken in den herrschaftstheologischen Vorstellungen der ottonisch-salischen Zeit (= Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 4), Berlin 1968. Stefan Weinfurter, Kaiserin Adelheid und das ottonische Kaisertum, in: Frühmittelalterliche Studien 33 (1999) S. I - 19. Hansjörg Frommer, Adelheid als Heilige, in: Adelheid: Kaiserin und Heilige, 931 bis 999, hrsg. von der Volkshochschule Karlsruhe, Kar1sruhe 1999, S. 174 - 181. Adelai'de de Bourgogne. Genese et representations d'une saintete imperiale, Colloque a Auxerre 10. - 11. decembre 1999, Auxerre 1999. Claudia Annette Meier, Heilige und Kaiserin - Überlegungen zum ikonographischen Wandel im Bilde der heiligen Adelheid, in: Franz Staab / Thorsten Unger (Hrsg.), Kaiserin Adelheid und ihre Klostergründung in Selz. Referate der wissenschaftlichen Tagung in Landau und Selz vom 15. bis 17. Oktober 1999, Speyer 2005, S. 195 - 212.

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für ihren zwar zum König gekrönten, aber doch erst dreijährigen Enkel Otto III. Der folgende ostfränkische Thronstreit, in dem vor allem der Herzog von Bayern, Heinrich der Zänker, sich der Krone bemächtigen wollte, verlangte das ganze diplomatische Geschick der alten Kaiserin. In diesen Zusammenhängen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, fiel auch das bekannte Diktum von der Mutter der Königreiche (mater regnorum).23 Nach dem Tod ihrer Schwiegertochter, unter der sie nach der Vita sehr gelitten hat,24 musste sie als über 60-jährige Frau auch noch allein die Regierungsgeschäfte übernehmen, bis Otto III. endlich am 21. Mai 996 zum Kaiser gekrönt werden konnte. In den letzten drei Lebensjahren hat sie sich dann in das von ihr gegründete Kloster Selz im Elsass zurückgezogen, wo sie starb und begraben wurde. 25 Warum wurde nun diese Frau fast einhundert Jahre nach ihrem Tod von einem der großen Reformpäpste heiliggesprochen? Selbstverständlich hat Adelheid eine Menge Geld und ihren Einfluss bei Hofe für kirchliche Zwecke ausgegeben. Sie hat Klöster gegründet und für ihre Ausstattung gesorgt (Peterlingen, Pavia, Selz). Aber dieses Verhalten ist eben auch amts spezifisch für den Hochadel; diese Tätigkeit haben mehr oder weniger auch alle anderen Königinnen ausgeübt. Eine Antwort auf diese Frage kann nur im Epitaphium Adelheidis des Odilo von Cluny gefunden werden. Abt Odilo von Cluny (994 - 1049)26 war ein bedeutender Vorkämpfer für die Reformen, die von Cluny im 11. Jahrhundert ausgingen. Bereits 998 erhielt er vom ersten deutschen Papst Gregor V. das Exemtionsprivileg für sein Kloster,27 welches 1024 auf alle von Cluny abhängigen Abteien und Priorate ausgedehnt wurde. Unter seiner Leitung wandelte sich Cluny von einer Reformgemeinschaft zu einem zentralistisch aus ge23 Die Briefsammlung Gerberts von Reims, Hrsg. von Fritz Weigle, MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit 2, Berlin - Zürich - Dublin 1966, Nr. 74, S. 105. 24 Odilo von Cluny, Epitaphium domine Adelheide auguste (Anm. 22), Text auf den S. 27 - 45.

25 Das alte Kloster mit ihrem Grab wurde 1307 Opfer einer Hochwasserkatastrophe. - Adelheid hatte wohl bereits seit den 980er Jahren zusammen mit dem Grafen Manegold die Gründung vorbereitet. Manegold war ein Vetter ihrer Mutter Berta und auch ein Vetter des Bischofs Ulrich von Augsburg. Insgesamt zielte die Gründung in diesem Raum auf eine Stärkung der ottonischen Position gegen die Ansprüche der schwäbischen Herzöge aus dem mächtigen Konradinerhaus, die in Straßburg einen neuen Mittelpunkt ihrer Herzogsherrschaft errichteten. Vgl. dazu Weinfurter, Kaiserin Adelheid (Anm. 22), S. 18 f.

26

V gl. Neidhard Bulst, Art. Odilo, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), Sp. 1351 f.

Papsturkunden 896 - 1046,2: 996 - 1046, bearb. von Harald Zimmermann (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften 174), Wien 1985, Nr. 348 und 351 Februar bzw. April 998. 27

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richteten Klosterverband. Er unterhielt gute Beziehungen zu den Ottonen und war mit der Kaiserin Adelheid persönlich bekannt. Adelheid hatte sich bereits 995 sowohl durch ihren Enkel Otto III. als auch durch den Papst Johannes XV. ihre jüngste Gründung Selz urkundlich bestätigen und absichern lassen. 28 Odilo hat den Tod Ottos III. als sehr schmerzlich empfunden, war ihm doch offenbar klar, dass mit dem Tod des Königs dieser Teil der Familie im Mannesstamm erlöschen würde. Unter der Regentschaft Heinrichs 11. blieb ihm dann auch eine Ausweitung seiner Oboedienz in das Reich hinein trotz einiger Beziehungen zum neuen Herrscher verschlossen. Da im Epitaphium der Amtsantritt Heinrichs 11. noch nicht erwähnt ist, andererseits aber der Tod Ottos III. als bekannt vorauszusetzen ist, grenzt sich der Abfassungszeitraum auf die Spanne zwischen dem 23. Januar und dem 6. / 7. Juni 1002 ein. Odilo gestaltet Adelheids Leben von Anfang an als eine Passio. Die jeweiligen Herrschertode ihrer beiden Gatten und ihres Sohnes haben dabei eine zäsurbildende Funktion. Dabei deutet Odilo die irdischen passiones der Kaiserin christomimetisch als Vorzeichen himmlischer Herrlichkeit und als consors regni. 29 Odilo, der Initiator des Allerseelenfestes, ist stark von den Passions-Vorstellungen des Kirchenvaters Hieronymus geprägt. Eine starke Erlösungssehnsucht und die Hoffnung auf die Tröstungen des Himmels nach den passiones dieser Welt werden bei Adelheid im Ideal der caritativa compassio am Ende soweit gesteigert, dass er den Tod Adelheids - an einem Anniversarientag ihres Sohnes - praktisch auf einen bis zum Tode gehorsamen Armendienst zurückführt: Et oblita infinnatis sue super vires temptavit aggredi, singulis manu propria tribuit ... In ipsa enim nocte a febre corrioitur et per aliquot dies ingravescente mole infirmitatis ad extrem um usque deducitur?O Aber neben den passion es stehen auch immer wieder die Erhöhungen Adelsheids, zum einen ihre Erhebung zur Kaiserin an der Seite Ottos I. und dann ihre erneute Regentschaft nach dem Tod ihres Sohnes für Otto III. Odilo entwickelt daraus einen passio-sublimatio-Gedanken. Er hat mit seinem Werk, in dem er Adelheid als Idealtypus der spätottonischen Herrschaftstheologie kennzeichnet, den Weg der kultischen Verehrung bereits ge28 Die Urkunden Ouos III., Hrsg. von Theodor Sickel (= MGH Diplomata 2,2), Hannover 1893, D 0 III. 159 und 160 (ob petitionem dilecte avie nostre Adalheide videlicet imperatricis auguste). Papsturkunden 896 - 1046, I: 869 - 996 (Anm. 27), Wien 1984, Nr. 324 (995 April 4).

29 Vgl. Bornscheuer, Miseriae regum (Anm. 22), S. 48 ff. Odilo setzt hier das PaulusWort aus 2 Tim 2,12 ein, ein locus classicus der christlichen Herrschaftstheologie, wobei er das biblische sustinebimus noch durch das stärkere compatimur ersetzt: Si compatimus, et conregnabimus. - Vgl. auch Franz-Rainer Erkens, "Sicut Esther Regina". Die westfränkische Königin als consors regni, in: Francia 20 /1 (1993) S. 15 - 38. 30 Odilo, Epitaphium cap. 20, Paulhard, Lebensbeschreibung (Anm. 22), S. 43. - Otto II. war am 7. Dezember 983 gestorben.

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ebnet. Schon zu Lebzeiten Odilos wurde Adelheid bereits als Heilige verehrt. Sicher belegt ist dies im Bildprogramm eines Tragaltars aus dem Welfenschatz. 3 ! In den 1050er Jahren wurde das Epitaphium dann noch um einen miracula-Bericht ergänzt. 32 Und in diesen Wunderberichten tritt Adelheid ganz konkret als Verteidigerin der Rechte des Klosters auf. Selz, quasi als Gegenprogramm zur schwäbischen Herzogspolitik gegründet, wird sofort nach dem Tod Adelheids von Herzog Hermann 11. bedrängt. "Er war mit Gerberga, einer Nichte der Kaiserin, verheiratet und machte Erbansprüche geltend.'.33 Im 4. Kapitel der Wunderberichte tritt die heilige Adelheid persönlich dem Usurpator entgegen: Tum illi sancta Adalheidis per somnium admodum reverendo vultu ultra humanam speciem decora manifeste apparuit, quare dominus eius Herimannus privatas res apostolorum sue iniuste dicioni usurparet, terribili voce quesivit. 34 Es ist dem Bericht immer wieder anzumerken, dass es um die Stellung des Klosters innerhalb des Herrschaftsgefüges im Grenzraum zwischen ost- und westfränkischem Reich geht. Hinzu tritt der Versuch, Selz, wie die beiden anderen Gründungen der Kaiserin, in die unmittelbare Abhängigkeit von Cluny zu bringen. Der Versuch, einen Kanonisationsprozess für die bereits als 3! Der Tragaltar ist nach neuesten Untersuchungen zwischen 1038 und 1077 entstanden. Er befindet sich heute im Museum of Art in Cleveland / Ohio. Abbildung bei Meier, Heilige (Anm. 22), S. 201. An der Stirnseite des Portabile finden sich die Figuren (von links nach rechts) der (burgundische) heilige Sigismund und der heilige Kaiser Konstantin, dann eine Kreuzdarstellung, dann folgt die heilige Kaiserin Helena und ganz rechts die heilige Kaiserin Adelheid. - Ein schriftlicher Niederschlag, der hier Beachtung verdient, ist eine Urkunde des Gegenpapstes Clemens (III.) von 1084, in der bereits von sanctae Adelheidis die Rede ist. JL 5326. 32 Paulhard, Lebensbeschreibung (Anm. 22), S. 45 - 54. Die Abfassungszeit ergibt sich aus den Lebensdaten der genannten Personen: Liutold war von 1051 bis 1060 Erzbischof von Mainz und Otto von Schweinfurt von 1048 bis 1057 Herzog von Schwaben. Da von Liutold als Erzbischof und von Otto als lebenden Personen gesprochen wird, kann man die Zeit der Abfassung auf die Jahre 1051 bis 1057 einengen (Miracula, cap. 13). 33

Weinfurter, Kaiserin Adelheid (Anm. 22), S. 18.

Paulhard, Lebensbeschreibung (Anm. 22), Wunderbericht cap. 4, S. 48 f. Schreckliche Strafen droht Adelheid an: Vide ut, si nostris meritis sanitatem oculorum recipias, nostre etiam legationis fidus interpres principem adeas planoque sermone huiusmodi pravitatem omnino deponere cum signo edoceas. Sin aliter, me meosque dominos bissenos apostolos, tocius scilicet iudices orbis, proprium ius persequi sciat ultionisque in evitabili ictu sese cum suis flagellandum prediscat. Aber auch die Heilung von Kranken - etwa der blinde Knecht Herzog Hermanns von Schwaben oder auch Kaiser Heinrich II. - am Grabe der Heiligen werden berichtet, ebd. Cap. 5, S. 49 f. Auch Konrad II. und seine Gemahlin Gisela, sowie deren Sohn Heinrich III. haben das Grab Adelheids aufgesucht. 34

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Heilige verehrte Adelheid, deren Grab sich schon als Wallfahrtsort etabliert hatte, auf den Weg zu bringen, wird im Wunderbericht sehr deutlich. Dort heißt es, dass es nicht erlaubt sei, illius (Adelheids) merita sine apostolici decreto clerique consensu celebrari. 35 Dies bedeutet, dass sowohl Vita als auch Wunderbericht als notwendige Akten zur Eröffnung des Kanonisationsprozesses in der petitio gesehen werden können. Warum der Prozess dann doch nicht bereits früher eröffnet wurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Es ist die Meinung vertreten worden, dass der ausbrechende Investiturstreit eine solche Intervention, die zweifellos vom zuständigen Bischof ausgehen musste, verhindert habe. Auf der anderen Seite erscheint das Kloster ab 1059 in Papsturkunden als Pertinenz von Cluny und ist zudem ein exemtes Kloster unter päpstlichem Schutz innerhalb der Diözese Straßburg. 36 Aber Selz war damit noch nicht ein Kloster wie jedes andere der cluniazensischen Observanz. Es war und blieb ein königliches Hauskloster, was der Besuch fast aller Nachfolger der Ottonen glaubhaft belegt und es war zugleich ein päpstliches Kloster, wie die Urkunden lohannes' XV. (996), Stephans IX. (1058),37 Gregors VII. (1075)38 und Urbans 11. (1095)39 deutlich machen. 40 Es gibt auch einen ganz konkreten Hintergrund für die Kanonisation der Adelheid unter dem Pontifikat Urbans 11. Dieser Papst, der von 1088 bis 1099 pontifizierte und dessen Name für immer mit dem ersten Kreuzzug und dem Konzil von Clermont verbunden bleiben wird, war der erste Papst aus Cluny auf dem Stuhle Petri. 41 Urban, eigentlich Odo von Lagery, war Prior in Cluny

35

Paulhard, Lebensbeschreibung (Anm. 22), Wunderbericht cap. 5, S. 50.

Vgl. Joachim Wollasch, Das Grabkloster der Kaiserin Adelheid in Selz am Rhein, in: Frühmittelalterliche Studien 2 (1968) S. 135 - 143. - Eine Zusammenstellung aller königlichen und päpstlichen Diplome für Selz jetzt durch Rene Bornert, Seltz, abbaye imperiale ou monastere clunisien?, in: Staab / Unger, Kaiserin Adelheid (Anm. 22), S. 229 - 253, hier S. 232 f. 37 JL 4385. Dem Abt von Cluny wird der Besitz des Klosters Selz nur cum consensu et cum licentia senioris nostri Heinrici lmperatoris Augusti bestätigt. 38 JL 4974. 39 JL 5551. 36

40 Vgl. Bornert, Seltz (Anm. 36), S. 253: En conclusion, il faut ctefinir le statut juridique et institutionnel du monastere de Seltz avec des nuances: Seltz etait une abbaye imperiale du point de vue du dominium et de la propietas, une abbaye papale du point de vue de la libertas; le monastere etait fonde sous l'influence de Cluny; la communaute a suivi des observances bene dictines variables: d'abord clunisiennes, puis germaniques ou franques, peuH~tre hirsauviennes; l'abbaye a ete affiliee a l'ordre de Cluny en 1418. 41 Vgl. dazu zuletzt Georg Gresser, Die Kreuzzugsidee Papst Urbans 11. im Spiegel der Synoden von Piacenza und Clermont, in: Peter Bruns / ders. (Hrsg.), Vom Schisma

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gewesen, bevor ihn Gregor VII. als Kardinalbischof von Ostia zu seinem engsten Vertrauten machte und mit äußerst schwierigen Legationen in das vom Investiturstreit zerrissene Deutschland schickte. Insgesamt darf man den Pontifikat Urbans 11. als erfolgreiche Fortsetzung der Reformziele seines Vorgängers mit wesentlich größerem diplomatischem Geschick bezeichnen. Unter Umständen wollte Urban Adelheid als Prototypen einer Herrscherin herausstellen, die sich unter den geistlichen Führungsanspruch Clunys gestellt hatte. Davon konnte sich Heinrich IV. nur negativ abheben. Diese für den deutschen Kaiser freilich negative Propaganda aus Rom hat vielleicht etwas mit der geringen Resonanz auf den Heiligenkult Adelheids in Deutschland zu tun. Unterstützung für Cluny und eine Stärkung der Observanzbemühungen in der Frage Selz könnten auch weitere Motive der sehr schnellen Befürwortung und Abwicklung des Verfahrens gewesen sein. Ein weiteres wichtiges Moment ist die Rolle des Straßburger Bischofs. 42 Er war als Ortsordinarius der Ansprechpartner für eine offizielle Einleitung des Verfahrens. Von 1065 bis 1077 war Werner 11., ein Sohn aus dem Hause der Grafen von Achalm und zuvor Kanonikus in Speyer, Bischof von Straßburg. 1065 war auch das Jahr, in dem Heinrich IV. seine Mündigkeit durch den Akt der Schwertleite erhielt. Vielleicht schon 1070, sicher aber 1073, noch unter dem Pontifikat Papst Alexanders 11., gehört Bischof Werner 11. eindeutig zu den Parteigängern des Kaisers und wird nach Rom zitiert. 43 Im Laufe der Zeit entwickelte sich Werner 11. zu einem der heftigsten Gegner Gregors VII., verfiel in einen unmoralischen und sittlich verderbten Lebenswandel und starb als Schismatiker. Nachfolger Werners wurde Thiepald (1078 - 1082/84), der zuvor Domherr in Speyer und Propst in Konstanz gewesen war, der von Heinrich IV. unkanonisch in Straßburg gegen den Widerstand des Domkapitels eingesetzt

zu den Kreuzzügen 1054 - 1204, Paderbom 2005, S. 133 - 154. Zu den einzelnen Synoden Urbans II. vgl. Gresser, Synoden (Anm. I), S. 261 - 332. 42 Vgl. dazu EmU C. Scherer, Die Straßburger Bischöfe im Investiturstreit (= Schriften des Wissenschaftlichen Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich 4), Bonn 1923. Bischof Widerold (991 - 999) hatte als Vertrauter der Kaiserin Adelheid am 18. November 996 die Abtei Selz eingeweiht. 43 Das Register Gregors VII., hrsg. von Erich Caspar, MGH Epistolae se1ectae in usum scholarum Tomus II, Berlin 1920, I 77, S. 109: Guarnerius Argentinensis episcopus, postquam peccatis facientibus decorem sui ordinis indigne tractavit, vocatus ad correctionem a domino nostro venerande memorie Alexandro papa solus inter omnes Teutonice terre episcopos, quorum multi non solum carnali scelere, sed etiam symoniaca labe fedati itidem vocati sunt, apostolorum limina petiit, locum iudicii in humulitatis forma prevenit et veritus apostolicam virgam annuntiando et confitendo pro peccatis suis in faciem procidit.

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wurde. Es folgte nun Bischof Otto, bezeichnenderweise der Bruder Herzog Friedrichs I. von Schwaben, der als Zeuge der Eroberung Roms durch Heinrich IV. 1084 und der Kaiserkrönung durch den Gegenpapst Clemens (III.) anzusehen ist. Vermutlich empfing Otto auch aus der Hand des Gegenpapstes noch in Rom seine Bischofsweihe. Zusammen mit der Bannung des Gegenpapstes traf freilich auch Otto das Anathem aus Rom. In Straßburg konnte man einen offenen Konflikt mit dem Bischof nicht riskieren, wollte man nicht den Zorn seines mächtigen Bruders spüren. 44 Er soll den päpstlichen Parteigänger Graf Hugo VI. von Egisheim-Dagsburg ermordet haben, der immerhin der Neffe Papst Leos IX. war. Zu diesem Zweck trat er 1090 eine Bußwallfahrt nach Conques zur Heiligen Fides an. Im März des Jahres 1096 nahm Otto von Straßburg mit der Kurie Kontakt auf. Im Jahr zuvor war der Papst in seine Heimat gereist, um durch Synoden und Konzilien die Reform voranzubringen. Bei dieser Gelegenheit hat er sich auch in seiner früheren Wirkungsstätte Cluny aufgehalten. Bei dieser Gelegenheit hat Urban H. dem Abt Hugo eine ganze Reihe von Urkunden ausgestellt, die der Stärkung des Klosters dienten. Der Straßburger Bischof, angeregt durch den Tod seiner Mutter Hildegard durch die in diesen Jahren wütende Pest und die von ihr in Schlettstadt errichtete Heilig-Grab-Kirche, wünschte nun einen Kurswechsel. Mit Heinrich IV. stand es nach den Ereignissen in Italien nicht zum Besten und die Aufrufe zur Befreiung der Christenheit von den Ungläubigen ließen in Otto offenbar den Entschluss reifen, dass es nunmehr an der Zeit sei für einen Seitenwechsel. Ob der Reformer Manegold von Lautenbach bei dieser Bekehrung seine Hand im Spiel hatte, wird sich nicht klären lassen. 45 Otto von Straßburg fand sich anlässlich der Synode von Tours (16. - 22. März 1096) bei Urban H. ein und wurde wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen. Er hat dann (zur weiteren Buße?) seine Teilnahme am ersten Kreuzzug erklärt und ist 1099 wieder aus dem Heiligen Land heimgekehrt. Aus einem undatierten Schreiben des Papstes an Otto von Straßburg erfahren wir dann, dass der Bischof das offizielle Kanonisationsverfahren für Adelheid eingeleitet hat. Es ist nicht anzunehmen, dass Otto dieses Schreiben vor seiner Rekonziliation an den Papst gesandt hat. Die Datierung des Schreibens muss also auf den Zeitraum zwischen März 1096 und den Abschluss der Synode in Rom 1097 eingegrenzt werden. Nachdem Otto von Straßburg als zuständiger Ortsordinarius vielleicht schon in Tours die entsprechenden Unterlagen mit der petitio an den Papst gegeben und damit die Eröff-

44 Friedrich I. (* um 1050 - 1105), Herzog von Schwaben, war der Sohn des "Ahnherrn der Staufer", Friedrich von Büren. Er gehörte zu den engsten Verbündeten Kaiser Heinrichs IV., dessen Tochter Agnes er heiratete. In den Kämpfen mit den Welfen und den Zähringem war ihm sein Bruder Otto von Straßburg stets eine wertvolle Stütze. 45

Vgl. Gresser, Synoden (Anm. 1), S. 311 mit Anm. 259.

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nung des Prozesses beantragt hatte, wurden die beigelegten miracula und die Vita in Form des Epitaphiums im Akt der infonnatio durch die römischen Synodalen geprüft und für authentisch befunden. Den Abschluss bildete dann die promulgatio, in der der Papst den Synodalbeschluss verkündete und die Tage der Verehrung (Todestag und Kanonisationstag) festlegte. 46

D. Ergebnis

Heiligkeit und Politik gehören im Mittelalter häufig zusammen. Insbesondere die Kanonisationen von Königen und Kaisern und ihren Frauen bilden eine eigene Gruppe innerhalb dieses Problemfeldes. Bei der Betrachtung dieser beiden frühen Einzelfälle päpstlicher Heiligsprechungsverfahren kann man sehen, mit welchem Personen- und Interessenkreis hier das Papsttum in Verhandlung steht. Der Papst ist eingebunden in die jeweiligen sozialen Strukturen und Bindungen. Große Entwicklungen der Politik auf Reichsebene wie auf lokaler Ebene bestimmen auch sein Handeln. Eine nicht unbedeutende Rolle dürften die Vernetzungen im hochmittelalterlichen Adel gespielt haben. Adelheid war eine Vertraute des Bruders ihres zweiten Mannes Otto, des hl. Brun von Köln. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie Gerhard von Toul, der aus der Kölner Kirche stammte, gekannt hat. Die politische und wirtschaftliche Konsolidierung der Diözese, die seit 925 zum Reichsverband gehörte, gelang über den Ausbau kirchlicher Institutionen. Hier taten sich Bischof Gauzelin und eben Gerhard besonders hervor. Ein Hinweis auf eine womöglich persönliche Begegnung der beiden Heiligen könnte aus einem Diplom Ottos I. gelesen wer-

46 JL 5762. Samuel Loewenfeld, Epistolae Pontificium Romanorum ineditae, Leipzig 1885, S. 65 Nr. 135 (Abschrift aus einem Weissenburger Codex des 12. Jahrhunderts): Atque duos dies in honorem Domini nostri pro eius celebrare memoria Romana auctoritate iussimus, diem videlicet eius depositione et diem, in quo Romano concilio eam intronizare placuit. Leider lässt sich durch diese Angabe auch keine Klarheit über das Datum der Synode gewinnen, da es keinerlei Nachrichten über die Einhaltung des Kanonisationstages als Gedenk- oder Feiertag in Selz oder Straßburg gibt. Auch Krafft, Papsturkunde (Anm. 21), S. 67 hat keinen Termin für den Kanonisationstag finden können. Er weist ebd., Anm. 51 daraufhin, dass erst unter Papst Coelestin III. (1191 - 1198) das Heiligenfest des Johannes Gualbertus wieder auf den Kanonisationstag gelegt wurde. Ganz offensichtlich hat sich im Fall der Adelheid dieser Brauch noch nicht durchsetzen können bzw. sind die damit von Seiten des Papsttums verbundenen Intentionen nicht verstanden worden. Zur Rolle Urbans 11. für die Verrechtlichung der Heiligsprechungsproblematik vgl. auch: Petersohn, Kanonisationsdelegation (Anm. 8), S. 175 - 177.

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den. 47 Adelheid kannte auch Ulrich von Augsburg. In einer Urkunde für das Kloster Pflj.fers werden beide als Intervenienten genannt: interventu dilectae coniuguis nostrae Adelhaidae ac cum consultu dilectissimorum nostrorum venerabilium episcoporum Odalrici Augustensis et Hartberti Curiensis ... 48 Eine Heiligsprechung Adelheids schon in den ersten Jahrzehnten nach der Abfassung von Vita und Wunderbericht kam wegen Verstimmungen zwischen dem Straßburger Bischof und lokalen Kräften nicht zustande, die Verwandte Papst Leos IX. waren. Die schwäbischen Interessen im Gebiet des Elsass und Lothringens waren auch schon beim Kampf um das Wittum Selz ein Problem. Cluny und seine Bemühungen um eine stärkere Angliederung des Klosters der Adelheid waren im Spiel sowie die Parteiungen im Investiturstreit, die den Straßburger Bischof als mit dem schwäbischen Herzogshaus verwandten und kaiserlichen Parteigänger von der Kirche trennten. Es wird klar, dass sowohl religiös-kirchliche als auch (kirchen-)politische Gründe für die Entwicklungen und Verwicklungen verantwortlich waren. Verfahrenstechnisch ist wichtig festzuhalten, dass hier - wie bei allen vorherigen Verfahren, in denen der Papst mittel- oder unmittelbar beteiligt war - die Synode der Ansprechpartner für das Verfahren und vor allem das beschlussfassende Gremium ist. Dies ändert sich erst während der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts, als im Zuge der Entwicklung und Ausfonnung des päpstlichen Primates auch die Hoheit über die Synoden und Konzilien und eine Zurückdrängung des bischöflichen Einflusses auf diesen Versammlungen erkennbar wird. Durch das Papsttum ab der Mitte des 11. Jahrhunderts zum Programm erhoben, wurde die Kirchenreform durch das Medium der Synode wirksam verbreitet und durchgesetzt. Dazu musste allerdings dieses Medium wieder reaktiviert werden, sowohl in Rom als auch in den Kirchenprovinzen Europas, wo es als regelmäßig zu haltende Veranstaltung stark an Bedeutung verloren hatte. Zusätzlich musste die Synode zum Zweck der Erlangung des zweiten Zieles, der Festigung und dem Ausbau des römischen Primates, einer größeren Kontrolle durch die Kurie unterworfen werden. Sie sollte päpstliches Beratungsorgan sein und gleichzeitig die bischöfliche Amtsautorität relativieren. Mit Hilfe der Synode sollte die Ecclesia universalis in die Ecclesia Romana umgestaltet werden. In Bezug auf die Reservierung des Rechtes der Heiligsprechung bahnt sich diese Entwicklung erst langsam an. Unter Leo IX. und auch Urban II. ruft die petitio noch das Konzil an und nicht den Papst. Aber spätestens unter Eugen III. anlässlich der Kanonisation Kaiser Heinrichs II. ist der Wandel 47 MGH DO I. 316 vom 17. Januar 966: Otto bestätigt der Marienkapelle in der Aachener Pfalz Besitzungen und verleiht den Kanonikern das Recht auf freie Wahl ihres Propstes. Hier werden beide als Beteiligte genannt. 48

MGH DO I. 188 vom 26. November 957.

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vollzogen. Zwar erkennt auch hier der Papst noch immer die Zuständigkeit des Konzils als Regelfall an, aber er behält sich in diesem speziellen Fall das alleinige Entscheidungsrecht vor: tametsi huiusmodi petitio nisi in generalibus conciliis admitti non soleat, auctoritate tamen sanctae Romanae Ecclesiae quae omnium conciliorum firmamentum est, petitionibus vestris acquiescimus. 49 Die einmal erreichte Beteiligung an Kanonisationen durch den Papst, wie sie erstmals im Verfahren Ulrichs von Augsburg 993 aufscheint, war eine Position, die die Päpste nicht mehr aufgeben sollten. Zunächst noch unregelmäßig geübte Praxis wird - unter Zurückdrängung der bischöflichen Autorität und sogar der Konzils-Kompetenz - die Beteiligung des Papsttums an der Kultgestaltung mit der Zeit ein Gewohnheitsrecht. Anhand der Tatsache, dass Urban 11. bei der Festlegung des Feiertages der Heiligen Adelheid nicht nur den dies obitus bzw. dessen Vigil auf den 16. Dezember festschrieb, sondern auch den Kanonisationstag als zweiten Festtag berücksichtigte, kann wohl konstatiert werden, dass dies ein für alle Welt sichtbares Zeichen für die entscheidende Bedeutung des Kanonisationsanspruches des Heiligen Stuhls sein sollte.

49 JL 8882. Genauso verfährt auch Alexander III. bei der Kanonisation Eduard des Bekenners, JL 10653. Inwieweit hier und in anderen Fällen die Stellung des neuen Heiligen als weltliche Herrscher eine besondere Rolle spielt, muss an anderer Stelle näher untersucht werden.

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach (Lkr. Bamberg) Taufgelöbnisszene, Widmungsbild oder Rechtsdenkmal?

Von Franz Machilek Wenige Kilometer östlich des Steilabfalls des Steigerwaldes gegen Westen und an der Kreuzung wichtiger Altstraßen steht auf beherrschender freier Höhe (424,8 m Ü. N. N.) über der zur Marktgemeinde Ebrach (Lkr. Bamberg) gehörenden Ortschaft Großbirkach (früher: Hohenbirkach) die heutige EvangelischLutherische Pfarrkirche dieses Ortes.' Baulich handelt es sich um eine romanische Chorturmanlage des 12. / 13. Jahrhunderts auf Resten der Vorgängerkirche des 11. Jahrhunderts. Der Chor weist ein gotisches Kreuzrippengewölbe auf, das Langhaus ist mit einer barocken Holztonne eingewölbt. 2 Der "normannische" Zickzackbogen des Portals an der Südseite des Langhauses hat Parallelen in einer Reihe von Zickzackarchivolten in der Region (Adamspforte des Bamberger Domes, um 1190/1200; Westportal der Klosterkirche St. Theodor 1 Allgemein zur Region: Peter Schneider, Der Steigerwald in der Gesamtschau (Mainfränkische Heimatkunde 11), Würzburg 1978; Das Land zwischen Main und Steigerwald im Mittelalter. Symposion CasteIl 1996, hrsg. von Alfred Wendehorst (Erlanger Forschungen A 79), Erlangen 1998. Der Aufsatz von Erwin Riedenauer, Die Entwicklung der kirchlichen Organisation im Raum vor dem Steigerwald, in: Kirche und Glaube - Politik und Kultur in Franken. Festgabe für Klaus Wittstadt zum 65. Geburtstag, Würzburg 2001 (Würzburger Diözesangeschichtsblätter [künftig abgekürzt: WDGBll] 62/63), S. 239 - 301, behandelt im wesentlichen das 15. - 17. Jahrhundert, gibt aber vereinzelt auch Hinweise auf die Verhältnisse in älterer Zeit. - Für die freundlich gewährte Einsichtnahme in den Akt über Großbirkach des Klosterarchivs Münsterschwarzach (Sign. VII E X 12) darf der Verfasser auch an dieser Stelle Herrn Studiendirektor P. Dr. Franziskus Büll OSB herzlich danken.

2 Heinrich Mayer, Die Kunst des Bamberger Umlandes, Bamberg '1930, S. 103; 21952, S. 96 - 98; Franken, bearb. von Tilmann Breuer u. a. (Dehio. Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bayern I), München 11979, S. 324 f.; München / Berlin 21999, S. 402 f.; Annette Faber, Romanische Baukunst im Bamberger Land, in: Heimat Bamberger Land (künftig abgekürzt: HBL) 11 (1999), S. 99 - 110, hier S. 106.

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in Bamberg, um 1200; Nordportal der Pfarrkirche zu Bronn bei Pegnitz, um 1230).3 An den Biforien des Turms befinden sich mehrere, wohl apotropäisch zu deutende Reliefs, die von der Vorgängerkirche des 11. Jahrhunderts stammen dürften. 4 Die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehende Sandsteinplatte mit dem Relief des von zwei Männern mit Schwurgestus flankierten Johannes des Täufers befand sich bis zur Kirchenrenovierung 1927 an der nördlichen Seitenwand der romanischen Altarmensa. Das Relief wurde nach einem Gutachten von Prof. Heinrich Mayer (Bamberg) und Architekt Reissinger abgenommen, zunächst im Pfarrhaus aufbewahrt und 1928 an der nördlichen Turminnenwand angebracht. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Relief aus Sicherungsgründen eingemauert; es erlitt infolge der Einmauerung durch aufsteigende Feuchtigkeit im unteren Bereich erhebliche Schäden. Nachdem es 1952 in der Ausstellung "Franconia Sacra" auf der Festung Marienberg in Würzburg gezeigt worden war, erhielt das Relief im darauffolgenden Jahr seinen Platz in der Mitte der nördlichen Innenwand des Chores der Kirche. 5 Durch die Nennung des Namens des Abtes Wolfher von Schwarzach (heute Münsterschwarzach) (um 1026 - 1047/48)6 auf der oberen Rahmenleiste des Reliefs liegt das zweite Viertel des 11. Jahrhunderts als Entstehungszeit fest. Der Stein steht damit "am Anfang des überlieferten Bestandes süddeutscher Steinplastik".7 Ein 3 Herbert Schindler, Große Bayerische Kunstgeschichte, Bd. 1: Frühzeit und Mittelalter, Studienausgabe, München 1976, S. 144; Faber, Baukunst (Anm. 2), S. 107. 4 Schneider, Steigerwald (Anm. 1), S. 174; Rainer Braun, Zur Deutung der Steinmasken an fränkischen Kirchen, in: Festschrift für Gerhard Pfeiffer (Jahrbuch für fränkische Landesforschung 33/34), Neustadt a. d. Aisch 1975, S. 279 - 297, hier S. 281, 285,293; Hans Jakob, Die Kirchturm-P1astiken von Großbirkach. Heidnische Götterbilder oder kirchlich-christliche Gedenksteine?, in: 119. Bericht des Historischen Vereins Bamberg (künftig abgekürzt: BHVB) (1983), S. 25 - 31, hier S. 25, 30 f.; Faber, Baukunst (Anm. 2), S. 107.

5 Gunilla Mihan, Das Sandsteinrelief "Johannes der Täufer" aus Großbirkach. Ein Sachstandsbericht, in: HBL 11 (1999), S. 115 - 120, hier S. 115. - Ablichtungen des Briefwechsels zwischen dem Evang.-Lutherischen Pfarramt Großbirkach und dem Landesamt für Denkmalpflege in München befinden sich im Klosterarchiv Münsterschwarzach (Sign. VII E X 12). 6 Heinrich Wagner, Die Äbte von Megingaudshausen und Münsterschwarzach im Mittelalter, in: Magna Gratia. Festschrift zum 50jährigen Weihejubiläum der Abteikirche Münsterschwarzach 1938 - 1988, hrsg. von Pirrnin Hugger (Münsterschwarzacher Studien 41), Münsterschwarzach 1992, S. 70 - 152, hier S. 100 - 102. 7 Ti/mann Breuer / Ute Hengelhaupt, Vorromanik und Romanik, in: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, begr. v. Max Spind1er, neu hrsg. von Andreas Kraus (Handbuch der bayerischen Geschichte III/l), München 31997, S. 371 385, hier S. 377.

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gleichzeitiges Relief der Traditio eines Buches durch Bischof Bruno von Würzburg (1034 - 1045) an den Apostel Petrus mit der Inschrift BRVNO EP[ISCOPV]S + [PE]TRVS Ap[OSTOL]VS in der dem hl. Petrus geweihten Kirche zu Oberschwarzach ist weithin in Vergessenheit geraten. 8 Zusammen mit den drei nur wenig jüngeren, gut 1 m hohen gerahmten Kalksteinreliefs des thronenden Christus und der Kirchenpatrone St. Emmeram und St. Dionysius an den Stirnflächen des Doppelnischenportals zum Westquerhaus von St. Emmeram in Regensburg 9 geht das Großbirkacher Relief nach Herbert Schindler der "allgemeinen Entwicklung der Architekturplastik in Europa einige Zeit voraus". 10 Viktor H. Elbern zählt das Relief zu den wenigen erhaltenen Spitzenwerken der ottonischen Kunst im südlichen Deutschland .11 Es hat wegen seiner herausragenden Bedeutung für die Geschichte der Kunst zu Beginn des zweiten Jahrtausends, vor allem wegen der ikonographischen Aussagen seit dem 19. Jahrhundert zunehmende Beachtung und damit verbunden auch mehrfache Deutungen erfahren. Im folgenden soll zunächst eine nähere Beschreibung des Johannesreliefs in Großbirkach geboten werden (A.). Im zweiten Abschnitt werden die mit dem Relief in Zusammenhang stehenden Fragen zum Stand der Christianisierung und kirchlichen Organisation des Gebiets zwischen Main und Steigerwald sowie im Steigerwald selbst vor und zur Entstehungszeit des Reliefs angesprochen (B .). Der dritte Abschnitt befaßt sich mit der rechtlichen Stellung der Kirche in Großbirkach (C.). Im vierten Abschnitt soll eine Einordnung des Reliefs in die spätottonisch-frühromanische Kunst versucht werden (0.). Vor dem in den Abschnitten B. und C. skizzierten Hintergrund sollen schließlich die

8 Georg Höfling, Geschichte und Beschreibung des im k. b. U. M. Kreise liegenden Marktfleckens Oberschwarzach und der Ruine Stolberg am Steigerwalde. Würzburg 1836, S. 7 mit Abb. auf dem Vorsatzblatt; Riedenauer, Entwicklung (Anm. 1), S. 273. 9 Sie wurden nach der Umschrift auf dem Rundmedaillon des Abtes Reginward von St. Emmeram (1048 - 1060) zu Füßen Christi ("Abba Reginwardus hoc fore iussit opus") im Auftrag dieses Abtes geschaffen. - Zu den Regensburger Plastiken: Hans Karlinger, Die romanische Steinplastik in Altbayern, München 1924, S. 2 f.; ders., Bayerische Kunstgeschichte. Altbayern und Bayerisch-Schwaben, hrsg. von Hans Thoma, München 1961, S. 16 u. Abb. 6; Romuald Bauerreiß, Kirchengeschichte Bayerns, Bd. 2, St. Ottilien 1950, S. 90; Schindler, Kunstgeschichte 1, S. 107. Jetzt erschöpfend: Günter Lorenz, Das Doppelnischenportal von St. Emmeram in Regensburg (EHS 28,39), Frankfurt a. M. 1984, S. 86 - 101,211 - 213.

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Schindler, Kunstgeschichte 1 (Anm. 3), S. 110.

Viktor H. EIbern, Die bildende Kunst des frühmittelalterlichen Imperiums, in: Erich Kubach - Viktor H. EIbern, Das frühmittelalterliche Imperium (Kunst der Welt 6/III), Zürich 1968, S. 107 - 238, hier S. 233 f. 11

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bisher vorgetragenen Deutungen des Reliefs noch einmal erörtert und gegeneinander abgewogen werden (E.).

A. Das aus grünlich-grauem Keupersandstein gearbeitete Großbirkacher Johannesrelief ist hochrechteckig, 107 x 77 cm groß und wird von einem 8 bzw. 10,5 cm breiten Rahmen mit einer Hohlkehle nach innen eingefaßt. I2 Der Aufbau der Platte ist streng symmetrisch. In der Mitte steht der nimbierte und gebartete, in lange Tunica und Überhang gehüllte Heilige in frontaler, ehrfurchtgebietender Haltung auf einem erhöhten Rundbogen. I3 Die Darstellung des Gesichts des Täufers ist an die traditionellen Vera-Icon-Bilder angelehnt. Die großen Augen haben gebohrte Pupillen, die ursprünglich wohl mit schwarzer Paste oder Glasperlen ausgelegt waren. Vor der Brust hält Johannes einen Clipeus mit Darstellung des Gotteslammes, auf das er mit dem (heute bestoßenen) Zeigefinger seiner Rechten weist. Der Täufer wird von zwei, etwa um ein Fünftel kleineren, ihm in Dreivierteldrehung zugewandten bartlosen Männern flankiert, die jeweils die Hand auf der Innenseite zum Schwur erhoben haben; in ihren Gesichtern spiegelt sich die Bedeutungsschwere der Handlung wider. Die beiden Männer tragen kurze Leibröcke, enggeschnürte Beinkleider und darüber die durch eine Hafte über der Schulter zusammengehaltenen Umhänge der Vornehmen. Die Gewänder des Täufers und der beiden Männer sind am Halsausschnitt und an den Gewandsäumen reich mit Borten verziert. Die sorgfältig, plastisch stark herausgearbeiteten Gestalten sind auffallend schlank und dünngliedrig. Der Täufer steht auf einem Podest, das einem reliefierten Rundbogen eingefügt ist. Die beiden Männer erwecken wegen ihrer geknickten Beinhal12 Ausführliche Beschreibungen bei: Mayer, Kunst (Anm. 2); Gerd Zimmermann, St. Johannes in Großbirkach, in: Fränkisches Land 1 (1953), S. 7; Schindler, Kunstgeschichte 1 (Anm. 3), S. 107 - 110; Volkmar Greiselmayer, Bemerkungen zum Täuferrelief von Großbirkach, in: Kunstspiegel 1 (1979), Heft 4, S. 19 - 24; Franziskus Büll, Das Sandsteinrelief in Großbirkach - ein frühmittelalterliches Rechtsdenkmal, in: Magna Gratia (Anm. 6), S. 159 - 163; Mihan, Sandsteinrelief (Anm. 5); Franziskus Büll, Großbirkacher Relief: Johannes der Täufer, in: Franziskus Büll, 100 Jahre Missionsbenediktiner in Franken. 1200 Jahre Münsterschwarzach. Beg1eitheft zur Ausstellung im Missionsmuseum der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, Münsterschwarzach 2002, Kat.Nr. 1, S. 11 f. 13 Zur Ikonographie Johannes des Täufers: Alexandre Masseron, Saint Jean Baptiste dans l'art, Paris 1953; Elisabeth Weis, Johannes der Täufer (Baptista), in: LeI, Bd. 7, Freiburg u. a. 1974 (Sonderausgabe 1990), Sp. 164 - 190; Friedrich-August v. Metzsch, Johannes der Täufer. Seine Geschichte und Darstellung in der Kunst, München 1989.

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tung den Eindruck, mehr zu schweben als zu stehen; sie berühren den unter ihnen erkennbaren Boden (Wasserwellen oder Rasenflächen) kaum. Alle drei Gestalten weisen nach unten hin zunehmende Verwitterungsschäden auf, die durch die zeitweilige Einmauerung verstärkt wurden. Neben der Inschrift mit der Nennung des Namens des Abtes Wolfher (in Kapitalis, ca. 4,5 cm hoch) WOLFHERVS ABBAS auf der oberen Rahmenleiste, die diesen wohl als Auftraggeber des Reliefs ausweist, findet sich auf dem flachen Grund der Platte beiderseits des Hauptes des Täufers die Inschrift IOHANINES /I BABTISffA gleichfalls in Kapitalschrift. 14 Das Relief ist "das älteste monumentale Schriftdenkmal des Bamberger Umlands und eines der ältesten in Mainfranken".15 In jüngster Zeit haben Tilmann Breuer und Ute Hengelhaupt versucht, den Eindruck, den die Darstellung des Täufers nach ihrer Auffassung beim Betrachter auszulösen vermag, wie folgt zu beschreiben; danach erscheint "der Heilige groß, fremd, entrückt; die menschliche Figur ganz in ihrer Gebärde aufgegangen. Die Gebanntheit des staunenden Blickes entspricht der Starrheit von Gliedern und Körper, das Ergebnis der göttlichen Schau äußert sich im Aufgehen des Persönlichen in einer von außen wirkenden, überpersönlichen Kraft.,,16

B. Aus archäologischer Sicht "liegt der große Einschnitt, der den Durchbruch eines konsequenten Christentums in breiten Bevölkerungsschichten brachte, rund um 700.,,17 Den im vorliegenden Zusammenhang wichtigsten Fund stellt 14 Die Inschriften des Landkreises Barnberg bis 1650, hrsg. von RudolfM. Kloos in Zusammenarbeit mit Lothar Bauer (Die Deutschen Inschriften 18), München 1980, S. XII und Nr. 1, S. 3. - Zuvor: Rudolf Rauh, Mittelalterliche Monumental-Inschriften des Bamberger Umlandes, in: Bamberger Blätter 12 (1935), S. 29 - 31,33 - 37, hier S. 29 f. 15

Schneider, Steigerwald (Anm. 1), S. 174.

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Breuer / Hengelhaupt, Vorromanik (Anm. 7), S. 377.

Wilhelm Störmer, Von der Vorzeit bis zur fränkischen Staatssiedlung. IV. Innere Entwicklung, in: Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. III/l, München 3 1997, S. 89 - 112, hier S. 112. - Allgemein: Eberhard Dünninger, Die christliche Frühzeit Bayerns, München 1966 (mit einzelnen Hinweisen auf Franken); Christian Pescheck, 17

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der um 700 in Kleinlangheim vor dem Steigerwald im Bereich der heutigen Kirche angelegte Friedhof dar, der einen vorausgehenden Reihengräberfriedhof ablöste; aus Kleinlangheim sind auch die einzige bisher aufgefundene frühe Eigenkirche eines fränkischen Herrn sowie zahlreiche Kleinfunde bekannt. 18 Nach der mit großer Wahrscheinlichkeit erst um 840 - jedoch auf der Grundlage älterer Überlieferung - entstandenen Passio minor des um 689 auf Betreiben Gailanas, der Frau des fränkischen Herzogs Gozbert, in Würzburg ennordeten "Frankenapostels" Kilian und seiner Gefährten Kolonat und Totnan hatten Gozbert und das ganze ihm untertane Volk zu jener Zeit noch nach heidnischer Weise gelebt; "sie verehrten die Bilder von Dämonen und erkannten noch keineswegs den Gott des Himmels und der Erde.,,19 Nach der Passio minor wurde Zum Beginn des Christentums in Nordbayern, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter 51 (1986), S. 343 - 355.

18 Christian Pescheck, Das fränkische Reihengräberfeld von Kleinlangheim, Lkr. Kitzingen / Nordbayern (Gennanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A XVII), 1996; Margarete Klein-Pfeuffer, Archäologische Zeugnisse des frühen Christentums in Mainfranken, in: Kilian, Mönch aus Irland, aller Franken Patron. Aufsätze, hrsg. von Johannes Erichsen unter Mitarb. von Evamaria Brockhoff (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 19), München 1989, S. 227 - 245, hier S. 229 - 232 u. ö. ; Wilhelm Störmer, Die Herzöge in Franken und die Mission, ebd. S. 257 - 267, hier S. 259; Störmer, Innere Entwicklung (Anm.17), S. 112; Michael Pfrang, Über die Anfange des Christentums in Unterfranken. Eine archäologische und historische Annäherung, in: WDGBll 51 (1989), S. 79 - 123, hier S. 92 ff.; Dirk Rosenstock - Ludwig Wamser, Von der gennanischen Landnahme bis zur Einbeziehung in das fränkische Reich, in: Unterfränkische Geschichte, hrsg. von Peter Kalb und Ernst-Günter Krenig, Bd. 1, Würzburg 3 1991 , S. 15 - 90, hier S. 82. 19 ..Qui etiam ipse Gozbertus et omnis populus sibi subiectus adhuc paganico vivebant more, idola daemonum colentes, Deum vero caeli et terrae minime agnoscentes." Passio sanctorum martyrum Kiliani et sociorum eius, cap. 3: Franken von der Völkerwanderungszeit bis 1268, bearb. von Wilhelm Störmer (Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern 11/1), München 1999, Nr. 13, S. 165 - 168, hier S. 166. - Prof. Otto Meyer (t 2004) hat in einem am 15. September 1995 in Bad Königshofen vor der Gesellschaft für fränkische Geschichte gehaltenen Vortrag ..Die Christianisierung Frankens - einmal anders gesehen" eine neue Interpretation der Kilianslegende versucht; dazu der Tagungsbericht von Alfred Wendehorst in: ZBLG 58 (1995), S. 1255 - 1257, hier S. 1255, sowie die Bemerkungen von Alfred Wendehorst, Das Land zwischen Main und Steigerwald, in: Land zwischen Main und Steigerwald (Anm. 1), S. 12 f. Zur Kiliansvita allzu kritisch: Lutz E. von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, Darmstadt 2006, S. 47. - Zu Kilian allgemein: Alfred Wendehorst, Kilian, in: Fränkische Lebensbilder, Bd. 3, Würzburg 1969, S. 1 - 19; ders., Die Iren und die Christianisierung Mainfrankens, in: Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, hrsg. von Heinz Löwe, Bd. 1, 1982, S. 319 - 329; Kilian, Mönch aus Irland (Anm. 18); Knut Schäferdiek, Kilian von Würzburg. Gestalt und Gestaltung eines Heiligen, in : Iconologia Sacra. Festschrift

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Gozbert von Kilian getauft und gefirmt: "Es dauerte nicht lange bis der fromme Bischof Kilian jenen bat, Christ zu werden. Er [Gozbert] wurde von ihm getauft und gefirmt und so auch das ganze Volk, das unter Gozberts Herrschaft stand. ,,20 Tatsächlich ist davon auszugehen, daß Gozbert als Repräsentant der fränkischen Vormacht schon zuvor dem Christentum zugeneigt gewesen war. 21 Nach der frühen Missionspraxis folgte das Volk seinem Herrscher bei der Taufe in Gefolgschaftstreue; so war schon der Übertritt des Merowingerkönigs Chlodwig (481 / 482 - 511) zum Christentum katholischer Prägung zu Ende des fünften Jahrhunderts durch die "Massentaufe" mit seinem Volk besiegelt worden?2 Offensichtlich existierten in Mainfranken zunächst christlicher und heidnischer Kult in synkretistischer Weise nebeneinander; der Synkretismus wurde erst im Lauf der Zeit im Anschluß an die durch den hl. Bonifatius mit Zustim-

für Karl Hauck, Berlin / New York 1994, S. 310 - 340; Alfred Wendehorst, Kilian von Würzburg, in: LThK, Bd. 5 (1996), Sp. 1428. - Bibliographie: Ludwig K. Walter, St. Kilian Schrifttums verzeichnis zu Martyrium und Kult der Frankenapostel und zur Gründung des Bistums Würzburg (WDGB1l51, Erg.-Bd.), Würzburg 1989. 20 "Non multo post tempore persuadebat illum devotus Dei pontifex Kilianus christianum fieri. Qie etiam, Domino volente, illius sacris ammonitionibus adquiescens, babtizatus est ab illo et confirmatus et ornnis populus, qui sub illius potestate fuerat." Passio, cap. 7: Franken von der Völkerwanderungszeit bis 1268 (Anm. 19), S. 166 f. 21 Angelehnt an Padberg, Christianisierung (Anm. 19), S. 50. - Störmer, Herzöge (Anm. 18), S. 257 f.; Rudolf Edwin Kuhn, Eine Patene zur Taufe und Firmung aus Würzburgs frühchristlicher Zeit und Zusammenhänge mit dem Heidentum um die Zeit St. Kilians, St. Kolonats und St. Totnans in Franken, in: WDGBll 51 (1989), S. 143 177, hier S. 146; Erik Soder von Güldenstubbe, Würzburg, das Mutterbistum von Bamberg, und die Bistumsgründung 1007, in: Das Bistum Bamberg um 1007. Festgabe zum Millennium, hrsg. von Josef Urban (Studien zur Bamberger Bistumsgeschichte 3), Bamberg 2006, S. 47 - 86, hier S. 51 - 53. 22 Reinhold Kaiser, Das römische Erbe und das Merowingerreich, München 1993, S.21 - 27; von Padberg, Christianisierung (Anm. 19), S. 11 - 13. - Hans-Dietrich Kahl, Die ersten Jahrhunderte des missionsgeschichtlichen Mittelalters. Bausteine für eine Phänomenologie bis ca. 1050, in: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Bd. 2: Die Kirche des frühen Mittelalters, hrsg. von Knut Schäferdiek, München 1978, S. 11 76; Amold Angenendt, Kaiserherrschaft und Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte (Beiträge zur Frühmittelalterforschung 15), Berlin/New York 1984, S. 66 - 72 (Kollektivtaufe), 165 - 174 (Taufe Chlodwigs), 174 - 176 (Christianisierung der Franken). - Zum Einsatz von Zwangsmitteln gegenüber Ungläubigen allgemein: William H .e. Frend - Pius Engelbert, Bekehrung. I. Alte Kirche und Mittelalter, in: TRE, Bd. 5, Berlin / New York 1989/ 1993, S. 440 - 459, bes. S. 454; Reinhard Schneider, Das Frankenreich (Oldenbourg, Grundriß der Geschichte 5), München 21990, S. 143 f.

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mung des fränkischen Hausmeiers Karlmann 742 erfolgte Gründung des Bistums Würzburg mit dem Auf- und Ausbau des aus bischöflichen, grundherrschaftlichen und klösterlichen Gründungen erwachsenden Pfarr- und Taufkirchennetzes überwunden?3 Von höchster Bedeutung in diesem Prozeß war die wohl nach 747 erfolgte Übertragung von 26 zu einem großen Teil im näheren Umkreis von Würzburg gelegenen königlichen Eigenkirchen durch den Hausmeier bzw. (seit 751) König Pippin an das Bistum Würzburg?4 Die Analyse der Patrozinien dieser Kirchen ergab, daß von diesen 13 dem hl. Martin von Tours, je drei Maria, Johannes dem Täufer und dem hl. Remigius, zwei dem Apostel Petrus sowie je eine dem Apostel Andreas und dem Erzengel Michael geweiht waren?S Aus der herausragenden Rolle der ursprünglichen Martins- und Remigiuspatrozinien schloß Wilhelm Störmer, daß das fränkische Königtum in seiner letzten aktiven Phase in dem neuinstallierten Dukat Franken viel "Missionspotential" eingesetzt habe. 26 Von den sog. Dotationskirchen liegen - von Norden nach Süden aufgezählt - Herlheim (Johannes d. T.), Willanzheim (Martin), Iphofen (Johannes der Täufer, später Martin)27, Kirchheim (abgegangen, bei

23 Alfred Wendehorst, Das Bistum Würzburg. Die Bischofsreihe bis 1254 (GermS ac NF 1), Berlin 1962, S. 15 f.; ders., Strukturelemente des Bistums Würzburg im frühen und hohen Mittelalter. Klöster, Stifte, Pfarreien, in: Freiburger Diözesan-Archiv 111 (1991), S. 5 - 29, hier S. 22; Erik Soder von Güldenstubbe, Christliche Mission und kirchliche Organisation, in: Unterfränkische Geschichte (Anm. 18), S. 91 - 144, hier S. 108 - 116 (mit weiteren Literaturangaben); Wendehorst, Das Land zwischen Main und Steigerwald (Anm. 17), S. 12 - 14.; Heinrich Wagner, Bistumsgründung und Kilianstradition, in: Kilian, Mönch aus Irland (Anm. 18), S. 269 - 285.

24 Franken von der Völkerwanderungszeit bis 1268 (Anm. 19), Nr. 25, S. 180 f. - Klaus Lindner, Untersuchungen zur Frühgeschichte des Bistums Würzburg und des Würzburger Raumes (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 35), Göttingen 1972, S. 74 - 93 mit Karte S. 80 (diese wiederabgedruckt bei Störmer, Herzöge in Franken [Anm. 18], S. 261); Heinrich Wagner, Die Zehntenschenkung Pippins für Würzburg (751 /2), in: 1250 Jahre Bistum Würzburg. Archäologisch-historische Zeugnisse der Frühzeit, hrsg. von Jürgen Lenssen - Ludwig Wamser, Würzburg 1992, S. 3538; Soder von Güldenstubbe, Mission (Anm. 23), S. 116 - 120 (mit Karte S. 118 f.).

25 Lindner, Untersuchungen (Anm. 24), Karte; Soder von Güldenstubbe, Mission (Anm.23), Karte. - Gerd Zimmermann, Patrozinienwahl und Frömmigkeitswandel im Mittelalter, dargestellt an Beispielen aus dem alten Bistum Würzburg, Teil I, in: WDGBli 20 (1958), S. 24 - 126; Teil 11, in: WDGBli 21 (1959), S. 5 - 124; zu den Johannespatrozinien ebd. I, S. 46 - 48. 26

Störmer, Herzöge in Franken (Anm. 18), S. 260.

Alfred Wendehorst, Der karolingische Königshof Iphofen. Zur Geschichte des Reichsgutes zwischen Main und Steigerwald, in: BHVB 120 (1984), S. 121 - 126, hier S. 122 - 124. 27

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Markt Einersheim, Andreas), Dornheim (Remigius), Gollhofen (Johannes d. T.) und (Klein-)Windsheim (Martin) im Gebiet zwischen Main und Steigerwald bzw. am Rande des Steigerwaids. In jüngster Zeit hat Andreas Jakob darauf aufmerksam gemacht, daß viele Martinspatrozinien in Franken nicht in die Frühzeit des Christentums zurückreichen, sondern erst später entstanden sind, und daß viel häufiger als generell angenommen Patrozinien verdrängt bzw. gewechselt wurden. Allein von den 13 dem hl. Martin geweihten Dotationskirchen haben nach seinen Erhebungen zwölf heute einen anderen Patron?8 Mit Kitzingen, Schwarz ach und Megingaudeshausen entstanden bald nach der Gründung des Bistums Würzburg drei für den Konsolidierungsprozeß des Christentums in dem hier behandelten Gebiet wichtige Klöster: 29 Das vor 748 bei dem Dorf Kizinga durch die wohl dem Geschlecht der Mattonen angehörende Hadeloga mit lockerer Regel errichtete, bereits durch die Angelsächsin Thekla, die Helferin des hl. Bonifatius, der Benediktregel zugeführte, der Gottesmutter Maria geweihte Nonnenkloster ging früh in königlichen Besitz über und wurde 1007 durch Schenkung König Heinrichs 11. Bamberger Eigenkloster. 30 Zwischen 783 und 794 stifteten Karl der Große und dessen dritte Gemahlin Fastrada (t 794) wohl zur Versorgung von Karls Tochter Theotrada das dem Schutz der hll. Benedikt, Martin und Dionysius unterstellte Frauenkloster 28 Andreas Jakob, Die Martinskirchen in Franken. Eine Studie zur Vorgeschichte und Gründung des Bistums Bamberg, in: Bistum Bamberg um 1007 (Anm. 21), S. 105 143, hier bes. S. 118. - Ähnlich auch Walter Pötzl, Patrozinien. Zeugnisse des Kultesauch "Wegweiser durch die terra incognita der ältesten Landesgeschichte"? In: ZBLG 68 (2005), S. 1 - 15, hier S. 11. 29 Dazu allgemein: Friedrich Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich, München 21988; Franziskus Büll, Die Klöster Frankens bis zum 9. Jahrhundert, in: SMGB 104 (1993), S. 9 - 40; Wilhelm Störmer, Entwicklungstendenzen in der ostfränkischen Klosterlandschaft der Karolingerzeit, in: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750 - 1000, hrsg. von Dieter R. Bauer u. a., Sigmaringen 1998, S. 77 - 97. 30 "apud Kizinga monasterium" - 1250 Jahre Kitzingen am Main, hrsg. von Helga Walter (Schriften des Stadtarchivs Kitzingen 4), Kitzingen 1995; Klaus Amold, 1250 Jahre Kitzingen. Aus dem Schatten des Klosters zur Stadt am Main (Schriften des Stadtarchivs Kitzingen 5), Kitzingen 1996; Störmer, Entwicklungstendenzen (Anm. 29), S. 89 f. - Zum Marienpatrozinium: Zimmermann, Patrozinienwahl (Anm. 25), S. 44, 80. - Zu Hadeloga: Wilhelm Engel, Zur Vita der hl. Hadeloga von Kitzingen, in: WOGBll 11 / 12 (1950), S. 209 - 212. - Zur hl. Thekla: Prinz, Mönchtum (Anm. 29), S. 242 f. Thekla war auch an der Gründung des hier nicht näher berücksichtigten, nur kurzlebigen Nonnenklosters Kleinochsenfurt beteiligt; zu diesem: Paul Schöffel, Das Alter Ochsenfurts im Lichte der mittelalterlichen Pfarreiorganisation, Teil 2, in: Die Frankenwarte 1937, Nr. 27; Zimmermann, Patrozinienwahl, S. 74; Störmer, Entwicklungstendenzen (Anm. 29), S. 88 f.

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Schwarzach (Nonnenschwarzach, unweit des heutigen Münsterschwarzach), das rund ein Jahrhundert später an Würzburg fie!.3! Am Südhang des Steigerwaldes errichteten Graf Megingaud aus dem Geschlecht der Mattonen und seine Frau Imma 816 bei Oberlaimbach (unweit von Scheinfeld) das Salvatorkloster Megingaudshausen und übergaben es an Abt Benedikt von Aniane (t 821).32 Mönche des damit unter die Benediktregel gestellten mattonischen Eigenklosters übernahmen nach 877 das inzwischen eingegangene Nonnenkloster Schwarzach. Das in der Tradition von Megingaudshausen stehende Männerkloster Schwarzach war im 10. Jahrhundert lange Zeit verwaist. Bald nachdem Otto III., ein Förderer der lothringischen Klosterreform, 993 den Würzburger Bischöfen den Besitz des Klosters bestätigt hatte, blühte auch in Schwarzach das an Gorze orientierte monastische Leben auf; Träger der Reform war der aus St. Emmeram in Regensburg nach Schwarzach gerufene Abt Alapold (1001 [11006] - IOn), ein Schüler des berühmten St. Emmeramer Reformabtes Ramwold (975 - 1000).33 Die Vogtei über das Kloster lag im Hochmittelalter in der Hand der Grafen von CasteIl, die mit großer Wahrscheinlichkeit Deszendenten der Mattonen waren. 34

3! Wilhelm Stönner, Im Karolingerreich, in: Unterfränkische Geschichte 1 (Anm. 18), S. 153 - 204, hier 176; Franziskus Büll, Das Monasterium Suuarzaha, ein Beitrag zur Geschichte des Frauenklosters Münsterschwarzach von 788 (?) bis 877 (?) (Münsterschwarzacher Studien 42), Münsterschwarzach 1992; Störmer, Entwicklungstendenzen (Anm. 29), S. 90. 32 Text der Gründungsurkunde in deutscher Übersetzung in: Büll, 100 Jahre (Anm. 12), S. 21 - 23. - Theodor J. Scherg, Das Grafengeschlecht der Mattonen und seine religiösen Stiftungen in Franken, vornehmlich Megingaudshausen im Steigerwald und Schwarzach am Main, in: SMGB 29 (1908), S. 506 - 516,674 - 680; 30 (1909), S. 162 - 179, 438 - 450; Alfred Wendehorst, Die Anfange des Klosters Münsterschwarzach, in: ZBLG 24 (1961), S. 162 - 173; Wilhelm Störmer, Im Karolingerreich (Anm. 31), S. 169; Ders., Die Gründung des fränkischen Benediktinerklosters Megingaudeshausen im Zeichen der anianischen Reform, in: ZBLG 55 (1992), S. 239 - 254; Wagner, Äbte (Anm. 6); Büll, 100 Jahre (Anm. 12), S. 7 f. - Dokumentation zweier Funde aus Oberlaimbach: Büll, 100 Jahre (Anm. 12), S. 23 f. 33 Kassius Hallinger, Gorze - K1uny. Studien zu den monastischen Lebensformen und Gegensätzen im Hochmittelalter, Bd. 1 (Studia Anselminana XXII), Rom 1950, S. 146 - 150; Wagner, Äbte (Anm. 6), S. 96 - 98. 34 Franziskus Büll, Die Grafen von CasteIl - Nachkommen der Mattonen? Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Hauses CasteIl und des Klosters Münsterschwarzach, in: Land zwischen Main und Steigerwald (Anm. 1), S. 185 - 232; Erwin Riedenauer, Frühe Herrschaftsbildung der Herren und Grafen von CasteIl zwischen Main und Steigerwald, ebd. S. 233 - 283; Kurt Andennann - Jesko Graf zu Dohna, Die Herren und Grafen zu CasteIl im hohen Mittelalter, in: Hochmittelalterliche Adelsfamilien in Altbayern, Fran-

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

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Neben den aus altem königlichem Besitz stammenden Kirchen gab es im Gebiet zwischen Main und Steigerwald eine Reihe castellischer Eigenkirchen, die trotz ihrer durchwegs relativ späten urkundlichen Erstnennung wohl mindestens zum Teil bereits auf grundherrliche Gründungen aus der Zeit der mattonischen Herrschaft zurückgingen. Im einzelnen handelte es sich - von Westen nach Osten - um die Kirchen zu Marktsteft (Stephan), Mainbernheim (Johannes d. T.), Großlangheim (Jakobus d. Ä.) und CasteIl selbst (Johannes d. T.).35 In Iphofen (an der im 14. Jahrhundert innerhalb der Stadt angelegten zweiten Pfarrkirche St. Veit), in Burghaslach am Ostrand des Steigerwaldes, in Herlheim und in einer Reihe weiterer Orte erlangten die Grafen von CasteIl Patronatsrechte. 36 Große Bedeutung beim Ausbau des Pfarrkirchennetzes kam der vom Benediktinerkloster Schwarzach ausgehenden, bereits in karolingische Zeit zurückreichenden Kirchengründung zu Stadtschwarzach (Dionysius, heute: Hl. Kreuz)37 sowie der dem Kloster um 1125 geschenkten Kirche in Gerlachshausen (Egidius) ZU. 38 Die beiden in unmittelbarer Nähe des Klosters gelegenen Kirchen wurden im Zug des Siedlungsausbaus zu Mutterkirchen mehrerer Filialkirchen. Das an der vorfränkischen Höhenstraße von Würzburg nach Regensburg gelegene Stadtschwarzach, das sich im Lauf der Jahrhunderte zu einem wichtigen wirtschaftlichen und politischen Zentralort entwickelte, war Mutterkirche der nur wenige Kilometer östlich davon gelegenen Filiale Düllstadt, einer Reihe von Filialkirchen an dem eine natürliche Barriere gegen Osten hin bildenden Westrand des Steigerwaldes (Stadelschwarzach, Kirchschönbach, Wiesentheid,

ken und Schwaben, hrsg. von Ferdinand Kramer und Wilhelm Stönner (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 20), München 2005, S. 449 - 471, hier S. 453 f. 35 Paul Schöffel, Pfarrei organisation und Siedlungsgeschichte im mittelalterlichen Mainfranken, in: Aus der Vergangenheit Unterfrankens (Mainfränkische Heimatkunde 2), Würzburg 1950, S. 7 - 39, hier S. 33; Wendehorst, Land (Anm. 17), S. 13 f.

36 Walter Scherzer, Die alte Kirche in CasteIl, in: Casteil. Unsere Kirche. Festschrift aus Anlaß des 200jährigen Kirchenbaujubiläums, hrsg. von Albrecht Fürst zu CastellCasteIl, CasteIl 1988, S. 17 - 34, hier S. 20 (danach gab es 1420 neun castellische Patronatspfarreien); Wendehorst, Land (Anm. 17), S. 14; ders., Königshof Iphofen (Anm. 27), S. 122; Riedenauer, Herrschaftsbildung (Anm. 34), S. 248 f.; Andermann - Gra/zu Dohna, Herren (Anm. 34), S. 456.

37 Wilhelm Deinhardt, Frühmittelalterliche Kirchenpatrozinien in Franken. Studien zur Frühgeschichte der Diözesen Bamberg und Würzburg, Nürnberg 1933, S. 35 f.; Heinrich Wagner, Kitzingen (Historischer Atlas von Bayern. Teil Franken 1/ 16), München 1967, S. 24. 38 Wendehorst, Im Ringen zwischen Kaiser und Papst, in: Unterfränkische Geschichte 1 (Anm. 18), S. 295 - 332, hier S. 112.

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Abtswind) und der hier in besonderer Weise interessierenden Filialkirche Großbirkach im Steigerwald. 39 Stadelschwarzach war selbst Mutterkirche der Filialen Brünnau und Prichsenstadt. 40 Der nach Ausweis des Namens in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts zurückreichende, wohl von einem Mitglied der mattonischen Sippe gegründete Ort Gerlachshausen und die dortige Burg zum Schutz der Mainfurt bildeten zusammen einen der frühen Herrschaftsmittelpunkte des Gebietes. Die Tatsache, daß die Gemarkung des Nonnenklosters Schwarzach aus der ursprünglichen Gemarkung von Gerlachshausen herausgeschnitten wurde, läßt annehmen, daß der Ortsherr von Gerlachshausen Mitstifter des Klosters Schwarzach war und wohl auch als dessen Vogt fungiert hat. 41 918 übertrug Bischof Dracholf von Freising (907 - 926), der als Mitglied der Familie der Mattonen gilt und wahrscheinlich Kommendatarabt von Schwarzach war, für die Zeit nach seinem Tod Güter zu Gerlachshausen, Wipfeld, Groß- / Kleinlangheim, Nordheim und an anderen Orten an die Abtei Münsterschwarzach. 42 Der in kognatischer Beziehung zu den Mattonen stehende Graf Heinrich von Gerlachshausen (t vor 1l30) wird in den älteren Chroniken des Klosters Münsterschwarzach als Grundherr von Gerlachshausen und Patronatsherr der dortigen Pfarrkirche bezeichnet; der Burgstall zu Gerlachshausen war später Sitz des äbtlichen Schultheißen. 43 Die Pfarrkirche zu Gerlachshausen war Mutterkirche der Filiale in Nordheim südlich der Mainschleife bei Volkach, der Filialkirche in dem in nordwestlicher Richtung gelegenen Dimbach und der Filiale in Schwarzenau jenseits des Mains. 44 In nahezu allen Kirchorten der bei den Großpfarreien und in diesen selbst wurden Besitzungen und Rechte der Grafen von Castell nachgewiesen;45 es kann angenommen werden, daß diese als Vögte des Klosters Schwarzach auch maßgeblich am Ausbau der Klosterpfarreien beteiligt waren. 39 Deinhardt, Kirchenpatrozinien (Anm. 37), S. 36, 81, Anm. 1; Schäffel, Pfarreiorganisation (Anm. 35), S. 21 - 23 (mit Kartenskizze S. 22); Friedrich Merzbacher, Die spätmittelalterliche Pfarrei Stadtschwarzach, in: WDGBll13 (1951), S. 82 - 102; Wagner, Kitzingen (Anm. 37), S. 24; Wendehorst, Land (Anm. 17), S. 14. 40

Schäffel, Pfarreiorganisation (Anm. 35), S. 22.

41

Büll, Grafen (Anm. 34), S. 212 - 215.

42 Wagner, Äbte (Anm. 6), S. 92 - 94; Büll, Grafen (Anm. 34), S. 205; Riedenauer, Herrschaftsbildung (Anm. 34), S. 241. 43

Büll, Grafen (Anm. 34), S. 211, 213.

Schäffel, Pfarreiorganisation (Anm. 35), S. 22; Jürgen Julier, Ehern. Propstei- und Wallfahrtskirche S. Maria de Rosario Dimbach (Schnell, Kunstführer 1232), München / Zürich 1980, S. 2. 44

45 Riedenauer, Herrschaftsbildung (Anm. 34), S. 270 - 276 und Karte im Anhang; Andermann - GraJzu Dohna, Herren (Anm. 34), S. 457 und Karte im Anhang.

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

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Eine Reihe slawischer -wind(en)-Narnen weisen auf slawische Siedler in dem hier behandelten Raum hin, so Abtswind (1270 Abtswinden), Bischwind (791 / Druck 1607 in vvinido marcu, 1151 Biscojheswineden), Reinhardswinden (1057 Regenharteswineden) und Frankenwinheim (um 750 - 779/ Kopie um 1160 Winideheim). Die -winden-Orte sind nach Robert Schuh in der Zeit vom 8. bis zum 10. Jahrhundert entstanden. Die Ortsnamen Geiselwind, Koppenwind, Waldschwind u. a. zeigen nach ihm die Beteiligung von Slawen am Steigerwaidausbau an. 46 In Abtswind ging die Kirchengründung auf den Abt von Schwarzach zurück; die Kirche in Geiselwind (Burkard und Laurentius) war eine Tochterkirche von Iphofen und war selbst Mutterkirche von Ilmenau. 47 Anders als für die im Wendenland ("in terra Sc1auorum") an Main und Regnitz ("inter Moinum et Radantiam fluvios") sitzenden, bereits zum Christentum bekehrten Slawen, für die Kar! der Große im Zusammenwirken mit den für sie zuständigen Grafen ("una cum comitibus") dem Würzburger Bischof um 800 den Befehl ("praeceptum") erteilt hatte, 14 Kirchen zur Seelsorge unter jenen zu errichten,48 traf Kar! für die im Gebiet zwischen Main und Steigerwald 46 Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein, Ortsnamen mit Windisch / Winden in Bayern, in: Blätter für oberdeutsche Namenforschung 28/29 (1991 /92), S. 1 - 76, hier S. 21, 23, 38; Robert Schuh, Frühmittelalterliche Ortsnamen zwischen Main und Steigerwald, in: Das Land zwischen Main und Steigerwald (Anm. 1), S. 36 - 38,64 - 66; Peter Rückert, Landesausbau und Pfarreiorganisation im Steigerwald, in: 1250 Jahre Bistum Würzburg (wie Anm. 24), S. 217 - 220; Robert Schuh, Die germanisch-deutsche und slawische Siedlung Frankens im Lichte der Ortsnamen, in: Franken im Mittelalter. Francia orienta!is, Franconia, Land zu Franken: Raum und Geschichte, hrsg. von Johannes Merz und Robert Schuh, München 2004, S. 25 - 41. 47

Schneider, Steigerwald (Anm.1), S. 177.

Überliefert durch die Bestätigung Ludwigs des Deutschen aus dem Jahr 845: Franken von der Völkerwanderungszeit bis 1268, Nr. 47, S. 201 f., dazu ebd. S. 62 und 64.Ferdinand Geldner, Das Problem der vierzehn Slavenkirchen Karls des Großen im Lichte der bisher unbeachteten Urkunden Ludwigs des Deutschen (845) und Arnolfs (889), in: DA 42 (1986), S. 192 - 205 (mit Überblick über die ältere Forschung). - Nach Geldner, Problem (Anm. 48), S. 192, könnte Karl der Große den Befehl im Jahr 793 erteilt haben, als er in Würzburg das Weihnachtsfest feiert. - Zur Slawenfrage in Ostfranken allgemein: Hans Losert, Die früh- bis hochmittelalterliche Keramik in Oberfranken, Bd. 1: Text und Katalog der Fundorte, Köln 1993 (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 8), S. 17 (Karte, Lokalisierung der Slawenkirchen nach Geldner); Jochen Haberstroh, Slawische Siedlung in Nordostbayern, in: Europas Mitte um 1000. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie. Handbuch zur Ausstellung, Bd. 2, hrsg. von Alfred Wieczorek - Hans-Martin Hinz, Stuttgart 2000, S. 713 - 717; ders., Siedlungsgeschicht!iche Entwicklungen im frühmittelalterlichen Franken aus archäologischer Sicht, in: Franken im Mittelalter (Anm. 46), S. 3 - 23 (S. 15 - 23: Mission und Slawische Siedlung); Schuh, Besiedlung Frankens (Anm. 46); Matthias Hardt, Slawen 48

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siedelnden Slawen offenbar keine vergleichbare Regelung. Für das unterschiedliche Vorgehen sprachen neben religiösen Gründen sicher auch organisatorische und strategische Überlegungen: Im Gebiet östlich der Bischofsstadt Würzburg war die kirchliche Organisation gegenüber dem Gebiet links und rechts der für den Durchgangsverkehr von Nord nach Süd wichtigen Regnitz, dem Gebiet am Obermain und auf dem Jura um 800 bereits weit vorangeschritten; zudem war zwischen Main und Steigerwald die slawische Siedlung zweifellos weniger dicht als in der vom Radenzgau über die Regnitz in das Volkfeld ausgreifenden terra Sclavorum. Wohl versprach auch eine etwa von den Slawenkirchen in Amlingstadt und Seußling entlang der Flußtäler von Ebrach und Aisch in Richtung Westen vorangetriebene Christianisierung eine Durchdringung des dortigen Steigerwaldvorlandes mit dem christlichen Glaubensgut und damit zugleich einen Brückenschlag nach Würzburg. 49 Zu den Obliegenheiten der 14 Slawenkirchen gehörten von Anfang an Taufspendung, Predigt und Feier des Gottesdienstes. 5o Die Errichtung dieser Kirchen scheint unter Bischof Egilwart von Würzburg (803 - 810) abgeschlossen gewesen zu sein. Wegen zu geringer Dotierung stockte Kaiser Ludwig der Fromme (814 - 840) die Schenkung seines Vaters von einer Manse pro Kirche um jeweils zwei Hufen auf; die auf diesen ansässigen bei den Tributpflichtigen sollten ihre Abgaben fortan an die betreffende Kirche leisten. In den Jahren 845 und 889 bestätigten die Könige Ludwig der Deutsche (833 - 876) und Amulf (887 - 899, seit 896 Kaiser) der Würzburger Kirche die beiden Schenkungen. Die Namen der Kirchen werden in den Urkunden nicht genannt. In den Dorsalvermerken der Bestätigungsurkunden wird die Lage der Kirchen mit einem pauschalen Hinweis auf den Radenzgau umschrieben, tatsächlich lag aber eine Reihe der Slawenkirchen im Volkfeld. 51 Ein auf die Main-Regnitzwenden zu

und Deutsche im früh- und hochmittelalterlichen Oberfranken, in: Vor 1000 Jahren. Die Schweinfurter Fehde und die Landschaft am Obermain 1003, hrsg. von Erich Schneider - Bernd Schneidmüller (Schweinfurter Museumsschriften 118), Schweinfurt 2004, S. 43 - 63, hier bes. S. 45 - 47 (mit Wiedergabe der Losertschen Karte); Joachim Andraschke, Die sogenannten 14 Slawenkirchen. Karolingische Missionskirchen im Regnitzgau (793 - 810), in: Bistum Bamberg um 1007 (Anm. 21), S. 99 - 103; Enno Bünz, Das Regnitzland um Hof im Hochmittelalter - "terra incognita" zwischen den Bistümern Bamberg und Naumburg, ebd. S. 203 - 231, hier S. 209 f. 49

Zu den Siedlungsbewegungen: Schöffel, Pfarreiorganisation (Anm. 35), S. 23 f.

50,,[ ... ] ubi et [populus sc. Sclavorum] baptismum perciperet et praedicationem audiret et ubi inter eos [sc. Sclavos] sicut inter ceteros cristianos divinum officium celebrari potuisset. " 51 Dazu Geldner, Problem (Anm. 35), S. 192 f., 199 f.; Hardt, Slawen (Anm. 48), S. 44 f.

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

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beziehender Synodalbeschluß des 10. Jahrhunderts belegt, daß trotz der Einrichtung der Slawenkirchen und der speziell auf sie ausgerichteten Seelsorge ältere unchristliche Bräuche unter ihnen weiter fortlebten; die Synode drohte bei Mißachtung der christlichen Gebote mit strengen Strafen. 52 Noch die Betonung des "Slawenmotivs" im Protokoll der Frankfurter Synode vom 1. November 1007 über die Errichtung des Bistums Bamberg53 und die Beschlüsse der Diözesansynode Bischof Gunthers von Bamberg vom 12. April 1059 gegen Verwandtenehen und Zehntverweigerung unter den slawischen Siedlern weisen in die gleiche Richtung: "Diejenigen, die [bezüglich der Ehen] den kanonischen Dekreten nicht freiwillig gehorchen wollen, sollen unter heilsamem Zwang dazu veranlaßt werden (,compellerentur intrare'); derjenige, der - kanonisch mit dem Bann belegt - den Zehnt nicht zahlen würde, soll seiner Güter durch den Herrn verlustig gehen, bis er zur Einsicht gebracht worden ist. ..54 Da die hiesigen Slawen bereits mehrheitlich getauft waren, ist die im vorliegenden Zusammenhang für den Terminus "compellere intrare" gelegentlich gebrauchte Übertragung durch den Begriff "zur Taufe gezwungen" o. ä. falsch. 55 Die Zehntleistung galt als Zehntpflicht und wurde unter Hinweis auf das alttestamentliche Gesetz den Gläubigen seit der Karolingerzeit als göttliches Gebot von den Synoden eingeschärft. 56 Nach Wilhelm Störmer ist das Protokoll der Bamberger

52

Nähere Hinweise bei Geldner, Problem (Anm. 35), S. 193.

Rudolf Endres, Das Slavenmotiv bei der Gründung des Bistums Bamberg, in: BHVB 109 (1973), S. 161 - 182, hier bes. S. 164 - 166; Hardt, Slawen (Anm. 48), S. 48; Rudolf Endres, Slawen in Franken, in: BHVB 139 (2003), S. 25 - 38, hier S. 28; Franz Machilek, Das Protokoll der Frankfurter Synode vom 1. November 1007 und die Errichtung des Bistums Bamberg, in: Bistum Bamberg um 1007 (Anm. 21), S. 17 - 44, hier S. 19 f. (mit weiteren Hinweisen). 53

54 ,,[ ... ] erat enim plebs hujus episcopii, utpote ex maxima parte Slavonica, ritibus gentilium dedita, abhorrens a religione christiana, tarn in cognatorum connubiis, quam in decimationum contradictione decretis patrum omnino contraria." Franken von der Völkerwanderungszeit bis 1268 (Anm. 19), Nr. 145, S. 287 f., dazu ebd. S. 96 f. - Erwin Herrmann, Zur Assimilierung der Slawen in Ostfranken im Hochmittelalter, in Archiv für Geschichte von Oberfranken 48 (1968), S. 87 - 110, hier S. 101 - 103; Rudolf Endres, Die Slawenfrage in Nordostbayem, in: Geschichte am Obermain 16 (1987/88), S. 39 - 49, hier S. 46 - 48; ders., Slawen (Anm. 53), S. 36 - 38. 55 Belege bei Endres, Slawen (Anm. 53), S. 36 f. - Allgemein zum Terminus "compellere intrare": Hans-Dietrich Kahl, Compellere intrare. Die Wenden politik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Volksrechts, in: ZOF 4 (1955), S. 161-193,360-401. 56 Raymund Kottje, Studien zum Einfluß des Alten Testamentes auf Recht und Liturgie des frühen Mittelalters (6. - 8. Jahrhundert) (Bonner Historische Forschungen 23), Bonn 1964, S. 67 f.

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Synode von 1059 der letzte Hinweis auf die genannten Probleme; der Beschluß scheint daher nach seiner Auffassung "einigermaßen erfolgreich gewesen zu sein".57

c. Im Hinblick auf das Johannesrelief gilt die Kirche zu Großbirkach, deren Patrozinium erst spät belegt ist,58 von jeher als Johanneskirche. Für Ferdinand Geldner war sie "sicher" eine slawische Taufkirche; dabei ließ Geldner aber die Frage offen, ob sie den Slawenkirchen aus karolingischer Zeit zugerechnet werden könne oder jüngeren Datums sei. 59 Franziskus Büll, der im Hinblick auf die zahlreichen Wenden siedlungen in der Nähe die Möglichkeit nicht ausschloß, daß Großbirkach als eine der 14 - von ihm als Taufkirchen bezeichneten - Slawenkirchen in Betracht komme, wobei die Pastoration von Großbirkach in der Regierungszeit von Bischof Gozbald von Würzburg (842 - 855) oder von dessen Nachfolger Am (855 - 892) übertragen worden sein könne,60 sprach sich auch noch in jüngster Zeit für eine Entstehung der Kirche im 9. Jahrhundert aus. 61 Es spricht jedoch viel dafür, daß die Kirche erst nach dem Wiedererstarken des Klosters Schwarzach, also erst nach der Jahrtausendwende im Zuge des klösterlichen Siedlungsvorstoßes nach Osten entstanden ist. Sie ist die am weitesten in den Steigerwald vorgeschobene Tochterkirche der Schwarzacher Klosterpfarrei Stadtschwarzach. Bereits für das Jahr 1033 sind Besitz und Rechte der Abtei Münsterschwarzach in Großbirkach belegt. 62 1317 bestand ein Beginenkonvent zu Großbir-

57 Störmer, Strukturelemente Frankens von der Ottonen- bis zum Ende der Stauferzeit, in: Handbuch III/l (Anm. 7), S. 255 - 330, hier S. 297. 58

Dazu Anm. 63.

59

Geldner, Problem (Anm. 48), S. 203.

60 Büll, Sandsteinrelief (Anm. 12), S. 160 f. - Büll stützt sich bei dieser Annahme nicht zuletzt auf die bei den Männer zu Seiten Johannes des Täufers auf dem Relief, welche die seit der Zusatzstiftung Ludwigs des Frommen bei den Slawenkirchen sitzenden tributarii repräsentieren könnten (ebd. S. 160 f.). - Nach Schneider, Steigerwald (Anm. 1), S. 174, sei die Kirche angeblich 815 gegründet worden. 61 Franziskus Büll, Großbirkacher Johannesrelief, in: Bayern - Ungarn. Tausend Jahre. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2001. Oberhausmuseum Passau (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 43), Augsburg 2001, Nr. 2.54, S. 101.

62 Rainer Kengel, Die Benediktinerabtei Münsterschwarzach, Münsterschwarzach 1952, S. 26.

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

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kach; die Insassinnen werden als Schwestern zum hl. Johannes dem Täufer benannt. 63 1325 verkaufte Abt Johannes I. (1318 - 1334) den Klosterbesitz zu Großbirkach an Hermann von Thüngfeld zu Schönbach. 64 Am 1. Juni 1347 wurde die bisherige Stadtschwarzacher Filialkirche zu Großbirkach zur Pfarrei erhoben. 65 In den Jahren 1420 und 1428 ging der genannte Besitz aus den Händen von Heinz von Thüngfeld an das Zisterzienserkloster Ebrach über. Die Würzburger Diözesanmatrikel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts nennt die Pfarrei Großbirkach ohne Angabe des Patronatsrechts. 66 1533 wurde der Ebraeher Besitz in Großbirkach von Wolf von Crailsheim zu Altenschönenbach erworben, der die Kirche der Reformation Luthers zuführte. 67

D. Das von Abt Wolfher (um 1026 - 1047/8) in Auftrag gegebene Johannesrelief in Großbirkach dürfte in einer Werkstätte in Schwarzach selbst entstanden sein. 68 Das Kloster erlebte unter seinem Abbatiat eine Blütezeit sowohl in monastischer, als auch in künstlerischer und wissenschaftlicher Hinsicht. Wolfher ließ das wahrscheinlich 1034 von Bischof Bruno von Würzburg (1034 - 1045) zu Ehren des hl. Benedikt geweihte Oratorium erbauen, schaffte Reliquiare für die im Kloster gesammelten Gebeine mehrerer Heiliger an, darunter eines für das Haupt der hl. Felizitas, der späteren Hauptpatronin des Klosters, und gab eine Reihe von Büchern in Auftrag, darunter die verlorene Chronica maior des eigenen Klosters. 69

63 Nikolaus Haas, Geschichte des Slaven-Landes an der Aisch und den EbrachFlüßchen, Teil 2, Bamberg 1819 (NDr. 1985), S. 40 f. 64 Schneider, Steigerwald (Anm. 1), S. 174. 65 Mayer, Kunst (Anm. 2),21955, S. 96 (1352); Riedenauer, Entwicklung (Anm. 1), S.299. 66 [Wilhelm Engel,] Großbirkacher Romanik, in: Altfränkische Bilder 50 (1951), S. 2 - 5, hier S. 4. 67 Schneider, Steigerwald (Anm. 1), S. 174. - Zur Familie: Sigmund Frhr. von Crailsheim, Die Reichsfreiherrn von Crailsheim, 2 Bde, München 1905. 68 Rudolf Wesenberg, Das Dimbacher Kreuzigungsrelief, in: Festschrift für Herbert von Einem zum 16. Februar 1965, Berlin 1965, S. 313 - 320; Breuer I Hengelhaupt, Vorromanik (Anm. 7), S. 377.

69 Hallinger, Gorze 1 (Anm. 33), S. 321; Kengel, Benediktinerabtei (Anm. 62), S. 11; Leo Trunk, Das Chronicon minus im Birklinger Buch, in: Magna Gratia (Anm. 6), S. 9 48, hier S. 18 f. - Speziell zur Chronica maior: Alfred Wendehorst, Zur Münsterschwarz-

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Volkmar Greiselmayer und Gunilla Mihan haben das Großbirkacher Relief in jüngerer Zeit aus kunsthistorischer Sicht eingehend gewürdigt; Mihan hat bei dieser Gelegenheit auch über die von Seiten der Denkmalpflege durchgeführten konservatorischen Maßnahmen berichtet. 70 Als Vorbilder für Rahmung und Komposition dürften nach Greiselmayer in erster Linie Elfenbeinschnitzereien, speziell Kreuzigungsdarstellungen, gedient haben. 71 Vorbilder aus der Buchmalerei oder Metalltreibarbeiten schließt Greiselmayer aus; dafür scheint ihm der plastische Grad des Johannesreliefs zu erhaben zu sein. 72 Rudolf Wesenberg weist im Hinblick auf die Rundscheibe mit dem Agnus Dei auf die "Medaillonfreudigkeit der bayerischen Buchmalerei des 11. Jahrhunderts" hin;73 dem ist entgegenzuhalten, daß der Clipeus mit dem Agnus Dei schon für das 6. Jahrhundert als Attribut des Täufers belegt ist. 74 Die Frage einer möglichen Anlehnung an Werke der Stein- oder Stuckplastik aus anderen Regionen wäre noch zu prüfen. Aus der Basilika Santo Stefano in Bologna ist ein in das 10. / 11. Jahrhundert datiertes Steinrelief mit Christus und den hll. Agricola und Vitalis mit Schwurgestus bekannt,75 das dem Typus der Dreiergruppe in Großbirkach in etwa entspricht. Die Steinmetzkunst scheint im Schwarzacher Kloster auch in der Folgezeit weiter gepflegt worden zu sein. So dürften auch die Reliefs einer Kreuzigung (76 cm x 83 cm) und dreier Heiligenmedaillons, die sich ehedem an der West-

acher Geschichtsschreibung im Mittelalter, in: DA 16 (1960), S. 224 - 226; Leo Trunk, Die Chronica maior der Abtei Schwarzach / Main, in: WDGBli 50 (1988), S. 61 - 67. 70

Greiselmayer, Bemerkungen (Anm. 12); Mihan, Sandsteinrelief (Anm. 5).

71 Greiselmayer, Bemerkungen (Anm. 12), S. 20 - 23 (mit näheren Hinweisen). Dabei läßt sich nicht zuletzt an das um 1030 entstandene Elfenbein vom Buchdeckel des Codex Aureus aus Echternach denken: EIbern, Bildende Kunst (Anm. 11), S. 203, Abb. 72

Greiselmayer, Bemerkungen (Anm. 12), S. 20.

73

Wesenberg, Kreuzigungsrelief (Anm. 68), S. 317 f.

SO Z. B. auf einem aus Konstantinopel stammenden Elfenbeinrelief der Kathedra des Erzbischofs Maximian von Ravenna (546 - 556/57) im Museo Arcivescovile zu Ravenna: Raffaella Farioli Campanati, Cattedra di Massimiano, in: Splendori di Bisanzio. Testimonianze e riflessi d'arte e cultura bizantina nelle chiese d'Italia, ed. Giovanni Morello, Milano 1990, Nr. 98, S. 253 - 257 (mit Abb.). 74

75 Lieseloue Schütz, Vitalis und Agricola von Bologna, in: LCI, Bd. 8, Freiburg u. a.1974 (Sonderausgabe 1990), Sp. 578 - Zu den beiden frühchristlichen Märtyrern allgemein: Vitale e Agricola. 11 culto dei protomartiri di Bologna attraverso i secoli, ed. Gina Fasoli, Bologna 1993; Hans Reinhard Seeliger, Vitalis und Agricola, in: LThK, Bd. 10 e2001), Sp. 826 f. - Den Hinweis auf das Relief verdankt der Verfasser Herrn Oberstudienrat Hans-Jörg Schwarz (Bamberg).

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

Das lohannes-Relief in Großbirkach

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Franz Machilek

wand der unter den Äbten Walter (1015 - 1026) und Egbert (1047/48 - 1077) errichteten Schwarzacher Basilika befanden und nach deren Abbruch (1718) in die ehemalige Schwarzacher Wallfahrts- und Propsteikirche zu Dimbach gelangten, in Schwarzach entstanden sein; sie sind heute im Inneren der Dimbacher Kirche an der Westwand eingelassen. Als Entstehungszeit werden die Jahre vor oder um 1075 angenommen. 76

E. In seinem Katalog der Äbte des Klosters Münsterschwarzach von 1680 hat Prior P. Leopold Wohlgemuth (t 1686) die damals verbreitete Auffassung wiedergegeben, daß das Johannesrelief mit dem Namen des Abtes Wolfher am Altar der Großbirkacher Kirche an den dort begrabenen Abt erinnern würde. 77 Nach einer Nachricht von Pfarrer Michael in Großbirkach an das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in München vom 25. November 1966 wurde diese Auffassung auch noch in neueren Pfarrbeschreibungen vertreten. 78 Eine 1967 durchgeführte Grabung im Chor erbrachte dafür keine Anhaltspunkte. 79 In neuerer Zeit lieferte der Görres-Schüler und einflußreiche Abgeordnete der Patriotischen Partei im Bayerischen Landtag Johann Nepomuk Sepp (1816 1909) eine kurze Beschreibung des Reliefs: "In einem uralten Kirchlein auf dem höchsten Kamme des Steigerwaldes zu Hohenbirkach, [ ... ] welches eine der vierzehn Karolingischen Wendenkirchen sein soll, steckt seitlich in der Altarwand eine Sculptur mit der Überschrift Wolfherus Abbas. Die stehende Figur stellt Johannes den Täufer dar, der vor sich das Lamm Gottes im Nimbus hält und mit der rechten Hand darauf weist. [Neben] ihm steht rechts und links ein Männlein im Taufhemd mit wie zum Schwur erhobenen drei Fingern mit 76 Wesenberg, Kreuzigungsrelief (Anm. 68), S. 318 - 320; Breuer / Hengelhaupt, Vorromanik (Anm. 7), S. 377; Büll, 100 Jahre (Anm. 12), Nm. 12 u. 13, S. 41 - 43. Zur Schwarzacher Abteikirche zuletzt: Franziskus Büll, Versuch einer Rekonstruktion der romanischen Egbertbasilika des Klosters Münsterschwarzach, in: Magna Gratia (Anm. 6), S. 164 - 194 (hier S. 189 f. zum Dimbacher Kreuzigungsrelief und zum Relief mit den drei Medaillons).

77 Diarium sive Genealogia abbatum Monasterii Schwarzcensis, S. 42; die Handschrift dieses Werkes wird im Pfarrarchiv Wiesentheid verwahrt (Nr. 38); eine Kopie und Abschrift befindet sich im Klosterarchiv Münsterschwarzach (Sign. 11 A 4a). - Zu diesem Werk: Büll, Grafen (Anm. 34), S. 198, Anm. 51.

78 Eine Kopie dieses Schreibens findet sich im Akt über Großbirkach des Klosterarchivs Münsterschwarzach (Anm. 1). 79

Mihan, Sandsteinrelief (Anm. 5), S. 118.

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

133

künstlich fremdem Gesichtsausdruck, offenbar mit Wenden zu bezeichnen. ,,80 Sepp beruft sich für diese Nachrichten auf eine Mitteilung des Dekans Adolf Müller von Burghaslach, den er als Entdecker des Reliefs bezeichnet. 81 Nach der Restaurierung der Großbirkacher Kirche von 1927 /28 wurde auch das Relief allgemein bekannt. Bereits 1929 wies Josef Morper in einem Vortrag darauf hin. 82 Heinrich Mayer sah 1930 in den bei den Männern zu Seiten Johannes des Täufers zwei dem Heidentum abschwörende Laien, die er jedoch noch nicht als Slawen identifizierte. 83 Ausdrücklich bezeichnete Mayer das Großbirkacher Relief als "Missionsrelief,.84 Auch Julius Baum sah 1930 in der Darstellung eine Schwurhandlung. Obwohl von der 1021 geweihten ersten Klosterkirche auf dem Michelsberg bei Bamberg keine Überreste und auch keine schriftlichen Nachrichten vorhanden sind, wies Baum auf die Michelsberger Chorschranken als mögliche Stilvorlagen für das Großbirkacher Relief hin und war der Auffassung, dies allein mit den monastischen Verbindungen der Klöster Michelsberg und Münsterschwarzach begründen zu können. 85 Joseph M. Ritz ging 1931 in seiner Bayerischen Kunstgeschichte kurz auf das Relief ein. 86

80 [Johann Nepomuk] Sepp, Ein Volk von zehn Millionen oder Der Bayernstamm, Herkunft und Ausbreitung über Oestreich, Kämthen, Steyermark und Tyrol. Kampfschrift wider Czechen und Magyaren, München 21882, S. 182 f. - Bei Wolfher handelt es sich nach Sepp wohl um Wulfher, den Metropoliten von Vienne (um 800); Sepp beruft sich hierzu auf Prof. Eberlein. Unter letzterem ist nach Mihan, Sandsteinrelief (Anm. 5), S. 120, Anm. 23, Georg Eberlein (1819 - 1884) gemeint, der seit 1855 Professor an der Kunstgewerbeschu\e Nümberg war. 81 Adolf Kar! Gustav Wilhelm Müller (* 16.2. 1837 in Hohenbirkach als Sohn des Georg Wilhelm Müller, Pfarrer zu Hohenbirkach) wurde selbst 1866 Pfarrer in Rehweiler, 1868 Pfarrer in Mörlbach-Habelsee, 1880 Pfarrer, Dekan und Distriktsschulinspektor in Burghaslach und schließlich 1889 Pfarrer, Dekan und Distriktsschulinspektor in Thalmässing, wo er auch am 24. 12. 1899 verstarb. - Die vorstehenden Daten verdankt der Verfasser Herrn Prof. Wemer Blessing (Erlangen), dem dafür auch an dieser Stelle bestens gedankt sei.

82 Ein kurzer Bericht darüber in: Münchener Jahrbuch der Bildenden Kunst NF 6 (1929), S. 92. 83

Mayer, Kunst (Anm. 2),1 1930, S. 103 u. Abb. 25.

Heinrich Mayer, Ein Vorbild der Bamberger Chorschrankenreliefs? In: Bamberger Blätter 7 (1930), S. 5 f. 84

85 Julius Baum, Malerei und Plastik des Mittelalters, Bd. 2 (Handbuch der Wissenschaft), Potsdam 1930, S. 243 u. Abb. 232. - Zum ersten Klosterbau auf dem Michelsberg: Alexandra Fink, Romanische Klosterbauten des hl. Bischofs Otto von Bamberg (1102 - 1139), Petersberg 2001, S. 79 - 101, hier S. 80. 86

Joseph M. Ritz, Bayerische Kunstgeschichte, T. 2, München 1931, S. 30.

134

Franz Machilek

P. Cassius Hallinger OSB interpretierte das Relief in einem 1940 veröffentlichten Beitrag als Bekenntnisbild und Missionsbild des Abtes Wolfher aus der Zeit, "da im Steigerwald das Heidentum siegte. Die erhobene Schwurhand der beiden Männer bedeutet Absage an die Vergangenheit und Hinwendung zu dem lebendigen Gott, der die Welt beherrscht und durch das Lamm die Sünden vergibt. ,,87 Für P. Romuald Bauerreiß OSB (1893 - 1971) gab das Relief "den Stil der Junggorzer Richtung" wieder. Johannes der Täufer steht nach ihm auf dem typischen "Stromberg" als Vorbild des Taufbrunnens. Nach Bauerreiß "kann es sich bei dieser Tafel nur um einen Hinweis auf die Taufe, genauer auf das Taufgelöbnis (Schwurgestus) handeln und die Großbirkacher Kirche wird so schon früh als taufberechtigt charakterisiert. ,,88 1952 wurde das Relief in der Ausstellung Franconia Sacra des Mainfränkischen Museums in Würzburg erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 89 Der Terminus "Heidentaufe" begegnet bei dieser Gelegenheit zum ersten Ma1. 90 Nach der Beschreibung stellt "die Szene [ ... ] einen Vorgang dar, der sich in der Kirche abgespielt hat: Zwei vornehme Heiden bekehren sich zum Christentum." Als Entstehungsort des Reliefs wird hier Bamberg vermutet. Als Antwort auf die knappe Beschreibung des Johannesreliefs im Katalog der Würzburger Ausstellung setzte sich Gerd Zimmermann eingehend mit den bisher vorgelegten Interpretationen auseinander. Der bis dahin vorherrschenden Deutung, "die beiden Männer stellten das Heidentum abschwörende, vornehme Täuflinge oder gar bis dahin heidnische slawische Edle dar," stellte Zimmermann die Frage gegenüber, "ob der Steigerwald gegen die Mitte des 11. Jahrhunderts noch in diesem Ausmaße Missionsland gewesen sein könne, nicht 87 Cassius Hallinger, Missionstätigkeit der Abtei Münsterschwarzach im 11. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Missionsgeschichte Mainfrankens, in: Missionsblätter. Monatsschrift der Benediktinermissionäre 44 (1940), Nr. 1, S. 14 -19, hier S. 18. 88 Bauerreiß, Kirchengeschichte Bayerns 2 (Anm. 9), S. 90. - Für den "Stromberg" weist Bauerreiß auf sein eigenes Werk Arbor vitae. Der "Lebensbaum" und seine Verwendung in Liturgie, Kunst und Brauchtum des Abendlandes (Abhandlungen der Bayerischen Benediktiner-Akademie 3), München 1938, S. 28 - 30, hin. 89 Franconia Sacra. Meisterwerke kirchlicher Kunst des Mittelalters in Franken. Jubiläumsausstellung zur 1200-Jahrfeier des Bistums und der Erhebung der Kiliansreliquien (14. Juni bis 12. Oktober 1952) im Mainfränkischen Museum Würzburg, [hrsg. von Max H. von Freeden,] München 1952, Nr. D 3, S. 59 f., u. Abb. 47. - Max H. von Freeden schreibt im Vorwort des Katalogs (S. 7 - 14, hier S. 11): "Erstmals auf einer Ausstellung erscheint das ebenso bedeutsame wie immer noch rätselhafte Relief von Großbirkach, um 1040 entstanden und somit am Beginne aller fränkischen Plastik stehend." 90 Mihan, Sandsteinrelief (Anm. 5), S. 118.

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

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minder, ob man in der Kirche von Großbirkach eine ausgesprochene Taufkirche sehen müsse." Als Alternative zur bisherigen Deutung verwies Zimmermann auf die sakralen Widmungsbilder, welche die Schenkungen der Stifter oder Wohltäter an den Kirchenheiligen in Miniaturen oder Plastiken festhielten. 91 Dem ist entgegenzuhalten, daß die bei den Männer Johannes dem Täufer keine Gabe darbieten;92 das Emporstrecken von drei Fingern ist nicht nur als Schwurgestus, sondern auch als Votivgestus bekannt. 93

In der Folgezeit gehörte das Relief zu den immer wieder gezeigten Exponaten wichtiger historischer Ausstellungen: 1960 wurde es in der Ausstellung "Bayerische Frömmigkeit. 1400 Jahre christliches Bayern", die anläßlich des Eucharistischen Weltkongresses im Stadtmuseum München stattfand, im Rahmen der Sequenz zur "Ausbreitung und Verfestigung des Christentums in Bayern 700 - 1250" unter der Überschrift "Heidentaufe" gezeigt. 94 Nach dem einführenden Katalogbeitrag über die "Frühzeit des Christentums in Bayern" hielt Adolf Wilhelm Ziegler die Annahme für berechtigt, "daß das Steindenkmal von Großbirkach bei Ebrach eine Heidentaufe aus der Zeit der bayerischen Wendenmission (ca. 1040) darstellt.,,95 1972 faßte Willibald Sauerländer seine Auffassung über das Relief in der Objektbeschreibung für den Katalog der aus Anlaß der Olympischen Sommerspiele in München 1972 im Stadtmuseum München gezeigten Ausstellung "Bayern - Kunst und Kultur" in lapidarer Feststellung wie folgt zusammen: "Eine szenische Deutung der Gruppe ist kaum möglich, die Bezeichnung als Heidentaufe sicher irrig. ,,96

91

Zimmermann, St. Johannes (Anm. 12), S. 7.

Stellvertretend sei nur verwiesen auf: Ulrike Bergmann, Prior omnibus autor - an höchster Stelle aber steht der Stifter, in: Ornamenta ecc1esiae. Kunst und Künstler der Romanik. Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle, Bd. 1, Köln 1985; S. 117 - 148; Christine Sauer, Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergründer im Bild 1100 bis 1350 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 109), Göuingen 1993. 92

93 Eberhard von Künßberg, Schwurgebärde und Schwurfingerdeutung. Das Rechtswahrzeichen (Beiträge zur Rechtsgeschichte und rechtlichen Volkskunde 4), Freiburg i. Br. 1941; Zimmermann, St. Johannes (Anm. 12), S. 7.

94 Bayerische Frömmigkeit. 1400 Jahre christliches Bayern, Red. Hugo Schnell, München 1960, Nr. 153, S. 159 u. Tafel 34. 95 Ebd. S. 51 - 55, hier S. 54. 96 Bayern - Kunst und Kultur, Red. Michael Petzet, München 1972, Nr. 62, S. 314 u.

Abb.25.

Franz Machilek

136

Auch in zahlreichen einschlägigen Handbüchern,97 Kunst- und Reiseführern98 wurde nun auf das Relief hingewiesen, wobei nahezu durchgängig von der Heidentaufe die Rede war. Matthias Simon stellte es in seiner Evangelischen Kirchengeschichte Bayerns 1952 als ein um 1040 entstandenes "selten anschauliches Bild" der Christianisierung des Landes vor: "Auf ihm legen zwei Männer vor Johannes dem Täufer ihr Taufgelübde ab. Dabei handelt es sich um Zwangskolonisten im Rahmen einer von Münsterschwarzach ausgehenden Rodung. ,,99 In dem von Kurt Reindei verfaßten Beitrag über Grundlegung und Ausbau der Kirche im frühen Mittelalter" des ersten Bandes des neuen Handbuchs der Geschichte der evangelischen Kirche in Bayern aus dem Jahr 2002 trägt die Abbildung des Reliefs die Unterschrift "Slawentaufe".lOo

In der Festschrift zum 50jährigen Weihejubiläum der Abteikirche Münsterschwarzach trug Franziskus Büll 1992 eine neue Deutung des nach dem Niedergang im 10. Jahrhundert im Zuge des Neubeginns des monastischen Lebens seit Beginn des 11. Jahrhunderts entstandenen Johannesreliefs vor: Mit der Wiederaufnahme der Pastoral tätigkeit in Großbirkach seien auch die alten Rechtsverhältnisse der Kirche wieder in Kraft getreten, speziell die in das 9. Jahrhundert zurückgehende Dotation der alten Taufkirche. Die bei den Männer zu Seiten 97 Conrad Scherzer, Dorf - Kleinstadt - Volkskunst, in: Franken. Land, Volk, Geschichte und Wirtschaft, hrsg. von dems., Bd. 2, Nürnberg 1959, S. 191 - 258, hier S. 242 mit Abb. Taf. 33; Ernst Eichhorn, Die Kunst des fränkischen Raumes, ebd. S. 259 324, hier S. 282 ("Inkunabel der deutschen Steinskulptur"); Joseph Braun, Tracht und Attribute der Heiligen in der deutschen Kunst, Berlin 31988, Sp. 367; Schindler, Kunstgeschichte I (Anm. 3), S. 107 ("sogenannte Heidentaufe von Großbirkach"). 98 Alexander von Reitzenstein, Bayern Nord. Franken - Oberpfalz. Kunstdenkmäler und Museen (Reclam Kunstführer Deutschland 1,2), Stuttgart 91983, S. 164 ("Heidentaufe"); Ursula Pfistermeister, Verborgene Kostbarkeiten. Kunstwanderungen abseits der Hauptstraße, Bd. 4. Rund um Bamberg, Coburg, Schweinfurt, Nürnberg 1965, S. f. (mit Abb. 18) ("sog. Heidentaufe"); Werner Dettelbacher, Franken. Kunst, Geschichte und Landschaft (DuMont Kunst-Reiseführer), Köln 41974 , S. 243 f. (mit Abb. 49) ("Heidentaufe"); Reinhardt Hootz (Hrsg.), Bayern nördlich der Donau (Deutsche Kunstdenkmäler. Ein Bildhandbuch), München 31977, S. 376 (mit Abb. S. 141) ("Heidentaufe"); Franken, bearb. von Ti/mann Breuer u. a. (Anm. 2), München 11979, S. 324 f.; München / Berlin 21999, S. 402 f.; Thomas Korth - lngeborg Limmer, Franken: Die Region 4: Städte und Landkreise Bamberg, Coburg, Forchheim, Kronach, Lichtenfels (DKV-Bildhandbuch), München 1991, S. 378 u. Abb. 153 ("Heidentaufe"; jedoch mit der Bemerkung, daß die Deutung der Männer als Heiden nicht ganz sicher sei). 99

Matthias Simon, Evangelische Kirchengeschichte Bayerns, Nürnberg 21952, S. 65.

Kurt Reindei, Grundlegung und Ausbau der Kirche im frühen Mittelalter, in: Handbuch der Geschichte der evangelischen Kirche in Bayern, hrsg. von Gerhard Müller u. a., Bd. 1, St. Ottilien 2002, S. 19 - 29, hier S. 26. 100

Das frühromanische Relief Johannes des Täufers in Großbirkach

137

Johannes des Täufers seien als die auf den beiden Mansen sitzenden tributarii zu deuten, die dem Kirchenheiligen - bzw. dem Abt von Münsterschwarzach als dessen Vertreter - den Lehenseid leisten. Abt W olfher habe, vielleicht nach einem Rechtsstreit, die zur Abgabe Verpflichteten durch dieses steinerne Rechtsdenkmal an ihre fortdauernde Verpflichtung zur Zinsleistung erinnern wollen. 101 In diesem Sinn wurde das Relief (in Form eines Abgusses) auch in den Ausstellungen ,,Die Suche nach dem Verlorenen Paradies. Europäische Kultur im Spiegel der Klöster" 2000 in Melk, ,,Bayern - Ungarn. Tausend Jahre" 2001 in Passau sowie ,,100 Jahre Missionsbenediktiner in Franken. 1200 Jahre Münsterschwarzach" 2002 in Münsterschwarzach gezeigt. 102 Die jüngste populäre Darstellung der Geschichte dieser Abtei lehnt sich an Bülls Darstellung an. Überraschenderweise bezeichnet der Autor bei der Zitierung der Inschrift mit dem Namen Wolfhers am oberen Rahmen des Reliefs diese als "vielleicht später hinzugefügt". 103 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich vor dem Hintergrund der Siedlungsbewegung und des Ausbaus des Pfarrnetzes im Gebiet zwischen Main und Steigerwald sowie im Steigerwald selbst keine Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, daß die Kirche in Großbirkach als eine der 14 Slawenkirchen bereits in karolingischer Zeit errichtet wurde. Damit entfällt aber auch die Möglichkeit, das Großbirkacher Johannesrelief als Rechtsdenkmal mit der Abgabepflicht der auf den Ausstattungsgütern der Slawenkirchen sitzenden tributarii in Verbindung zu bringen. Als Entstehungszeit der Kirche kommt erst die Zeit nach der Jahrtausendwende in Frage. Da die beiden Vornehmen zu Seiten Johannes des Täufers diesem keine Gaben darbringen, dürften sie keine Stifter oder W ohltäter repräsentieren. Am ehesten handelt es sich um eine Darstellung der Leistung des Lehenseides, den die bei den Vornehmen im Rahmen des Lehensaktes vor dem Kirchenheiligen als Vertreter des Kirchen- und Lehensherrn vollziehen. 104 Durch die Anführung des Namens des regierenden Abtes wurde mit dem Relief zugleich ein fortdauerndes Zeichen zu seiner Memoria gesetzt. 105

101

Büll, Sandsteinrelief (Anm. 12), S. 160 f.

Franziskus Büll, Das Johannesrelief in Großbirkach, in: Die Suche nach dem Verlorenen Paradies. Europäische Kultur im Spiegel der Klöster. Niederösterreichische Landesausstellung, St. Pölten 2000, S. 463 f.; Büll, Großbirkacher Johannesrelief (Anm. 61); ders., Großbirkacher Relief: Johannes der Täufer, in: Büll, 100 Jahre (Anm. 12), Nr. 1, S. 11 f. 103 Johannes Mahr, Münsterschwarzach. 1200 Jahre einer fränkischen Abtei, Münsterschwarzach 2002, S. 13 f. 104 Zum Lehenswesen allgemein und in Deutschland zusammenfassend: Hagen Keller, Lehenswesen; Lehnrecht I, in: LMA, Bd. 5 (1991), Sp. 1807 - 1813. 105 Zusammenfassend: OUo Gerhard Oexle, Memoria, Memorialüberlieferung, in: LMA, Bd. 6 (1993), Sp. 510 - 513. 102

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier Von Karl Heinrich Theisen Das Offizialat war zuständig für die Streitigkeiten des Klerus, der Pfarreien und Klöster. Ende des 13. Jahrhunderts, wohl im letzten Regierungsjahr Erzbischof Boemunds I. von Warsberg (1286 - 99) wurde vor allem aufgrund der Weiträumigkeit des Erzstiftes und des Erzbistums und der damit zusammenhängenden schwierigen Verwaltungsverhältnisse das geistliche Gericht des Erzbischofs geteilt, und zwar mit je einer Kurie in Trier und in Koblenz. Die landschaftliche Trennungslinie beider Gerichtsbezirke war der Eltzbach. Der kirchliche Spachgebrauch unterschied zwischen "officialitas Treverensis et Confluentina". Dem trierischen Hof kamen die Archidiakonate St. Peter (Trier), Longyon und Tholey sowie vom Archidakonat Karden das Landkapitel Zell zu. Zur Koblenzer Kurie gehörten der Ostteil des Archidiakonats Karden mit den Landkapiteln Ochtendung und Boppard, das Archidiakonat Dietkirchen / Lahn, das Kleinarchidiakonat des Propstes von St. Florin in Koblenz (in und um Montabaur) und das Kleinarchidiakonat des Propstes von St. Kastor in Koblenz (mit Koblenz und Pfaffendorf). Das Gericht in Trier bearbeitete Fälle aus dem Obererzstift Trier, umliegenden Herrschaften, die zum Erzbistum Trier gehörten, und bis 1784 auch aus der "Terra Gallica", dem westlich über die Landesgrenzen hinausreichenden Teil des Erzbistums, ehe in Longwy in Frankreich ein eigenes Generalvikariat und Offizialat errichtet wurde. Das Offizialat in Koblenz bediente das Niedererzstift und die übrigen Herrschaftsgebiete des Erzbistums. Seit der Neuordnung der Gerichtsbarkeit von 1719 arbeitete in Koblenz eine "Erzbischöfliche Offizialats-Comrnission" und in Trier das "Erzbischöfliche Consistorium". Das Letztere war die Berufungsinstanz für Koblenz, während für Trier das Apostolische Nuntiaturgericht in Köln das Appellationsgericht bildete. Fritz Micheil und Hans Jürgen Krüger2 haben teils gleichgerichtet, teils gegensätzlich die Anfänge und Beweggründe für die Einrichtung des Offizialates 1 Zur Geschichte der geistlichen Gerichtsbarkeit und Verwaltung der Trierer Erzbischöfe im Mittelalter, in: Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier 3. Trier 1953.

140

Kar! Heinrich Theisen

in Trier beschrieben und versucht, den Zeitpunkt für das Werden der Behörde zu bestimmen. Hier sollen die Personen dargestellt werden, die als Offiziale in Trier oder ihre Vertreter fungiert haben. Conradus de Petra /Oberstein

war 1191 Archidiakon von Karden, 1193 - 97 Archidiakon von Trier und Propst zu Karden und Münstennaifeld3, 1195 Pastor in Zeltingen, 1195 - 97 / 98 Archidiakon und Offizial, März 1197 iudex delegatus, 1200 - 19 Dompropst in Trier4 , 1203 einer der vices Archiepiscopi5 , 1216 Propst an St. Simeon in Trier6 . Friedrich von Isenburg

war von 1190 - 98 Dornkantor in Trier und von 1195 - 97 / 98 Dornkantor und Offizial. F. Gottfried von Kahler OSB

war 1181 Abt von Echtemach, 1190 Abt von St. Eucharius vor Trier, 1195 Abt und Offizial, am 29. März 1198 Abt?

w. [ilhelm J von Salm- Vianden war 1192 - 1203 Domdekan in Trier8, 1202 - 15 Archidiakon von Longuyon9 , 1221 Offizia1 1O •

2 Zu den Anfängen des Offizialates in Trier, in: Archiv für mittel rheinische Kirchengeschichte 29, 1977 S. 39 - 74, Ungedruckte Urkunden zur Frühgeschichte des Trierer Offizialates, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 30, 1978 S. 297 - 306.

3 LHAK = Landeshauptarchiv Koblenz 144/ 16; MUB = Mittelrheinisches Urkundenbuch 2 Nr. 161; MRR = Mittelrheinische Regesten 2 Nr. 782. 4

MUB 2 Nr. 181, MUB 3 Nr. \08.

5

MUB 2 Nr. 214.

6

MUB 3 Nr. 55, 57.

Wampach, Urkunden- und Quellenbuch zur Geschichte der A1tluxemburgischen Territorien = UQBLux Nr. 549. 7

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

141

Cuno war 1217 Domkantor und handelte vices domini archiepiscopi agens in hac parte = officialis?11 T(Thymar) besaß den Magistergrad und war von 1226 bis zu seinem Tod 1238 Domscholaster und Offizial 12 • Theoderich - Ah. war Magister und Domherr in Trier, von 1239 - 1242 Offizial 13 und von 12401254 Domscholaster l4 • Reiner war von 1240 - 1251 Domherr in Trier und Offizial 15 . Simon von Franchirmont war von 1227 - 1256 Domherr l6 , von 1243 - 52 Offizial 17 , 1253 erzbischöflicher Kaplan l8 , 1254 Scholaster an St. PauEn vor Trier l9 und starb 1256 als Pastor in Thalfang 2o .

8

MUB 2 Nr. 126,214.

9

Goffinet, Cartulaire d'Orval Nr. 100, Chartular von Weiler-Bettnach fol. 180v,

10

MUB 3 Nr. 176.

Wampach, UQBLux 2 Nr. 90. 11 MUB 3 Nr. 77. 12

LHAK 215 /1868; MRR 2 Nr. 1785, MRR 3 Nr. 75.

13

MRR 3 Nr. 120,294.

14

MRR 3 Nr. 160, 1124.

15 MRR 3 Nr. 160, 1160. 16

MUB Nr. 313, MRR 3 Nr. 1128.

17

MRR 3 Nr. 345, 938 .

142

Karl Heinrich Theisen

Laurentius

war Magister, von 1253 - 1257 Domherr und Offizial in Trier21 , 1258 Domscholaster22 und 1271 päpstl. Notar, erwählter Bischof von Metz und Administrator von Trier23 • Er starb 1279. Johann von Luxemburg

wurde als einfacher Kleriker Offizial gegen den Willen des Domkapitels. Am 6. März 1258 fiel die Entscheidung, daß ein Trierischer Offizial dem Domkapitel angehören muß. Die von Johann von Luxemburg gefällten Urteile wurden als nichtig befunden24 . Dompropst Simon und Archidiakon Heinrich von Bolanden legten die Kompetenzen der Offizialats- und Archidiakonatsgerichtsbarkeit fest 25 • Johann Gileti / Johann May oder Johann von St. Kastor

war Magister, 1248 - 1267 Dekan an St. Kastor in Koblenz 26 , 1262 als Domherr in Trier genannt27 , war 1262 - 65 Offizial in Trier28 , verzichtete 1267 als Rektor der Pfarrkirche in Kehrig 29 . Er starb am 25. März 1269 als Kanoniker in Wetzlar30 .

18

MUB 3 Nr. 1215.

19

MRR 3 Nr. 1128.

20

MUB 3 Nr. 1374, 1381.

21

MUB 3 Nr. 1222, Wampach, UQLux 8 Nr. 90.

22

MRR 3 Nr. 1474.

23

MRR 3 Nr. 2659.

24

MUB 3 Nr. 1438.

25

Stadtarchiv Trier = StAT 376/1759.

26

Schmidt, Quellen St. Kastor = QSK Nr. 91, 186.

27

QSK Nr. 154.

28

QSK Nr. 154, 180.

29

MRR 3 Nr. 2313, QSK Nr. 186.

30

QSK Nr. 188.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

143

Gobolo

war Magister, am 16. Januar 1266 Kanoniker an St. Simeon in Trier31 und wurde am 13. April 1268 als Offizial suspendiert32 . Reiner von Davils

war von 1240 - 1272 Domherr33 und wurde von 1269 bis zu seinem Tod 1272 als Offizial genannt 34 • Amold von Schleiden

war von 1267 bis 1272 Großarchidiakon in Trier35 und wurde 1268 als Offizial genannt 36 • Philipp de Ponte / von der Brücke

war am 20. Januar 1269 Offizial von Trier37 . Wilhelm

hatte den Magistergrad, war 1273 - 75 Offizial von Trier38 , am 2. Oktober 1275 Dekan an St. Simeon in Trier39 und wurde am 24. Okober 1275 als Offizial des Dompropstes und Archidiakons und Stiftspropstes in Prüm Theoderich von Blankenheim genannt40 •

31

MRR 3 Nr. 2134.

32

MRR 3 Nr. 2346.

33

MRR 3 Nr. 160, LHAK 215 /1813 S. 5.

34

Wampach, UQLux 4 Nr.121, MRR 3 Nr. 2740.

35

Wampach, UQLux 4 Nr. 76, 280.

36

Wampach, UQLux 4 Nr. 76, 82.

37

Wampach, UQLux 4 Nr. 94.

38

MRR 4 Nr. 18,219.

39

MRR 4 Nr. 218.

40

MRR 4 Nr. 555.

144

Karl Heinrich Theisen

Boemund von Saarbrücken war von 1275 bis zu seiner Wahl zum Erzbischof 1285 Großarchidiakon in Trier41 • Er wurde am 28. Juli 1275 als Großarchidiakon und Offizial genannt42 • Wirich / Wirricus führte den Magistergrad, trat 1278 und 1288 als Vertreter des Offizials auf3 und wurde 1278 als Siegelbewahrer und Vikar an St. Simeon als Richter genannt44 • Johann Vogalonis / Volucris / Vogel/Avis hatte das Magisterdiplom und war von 1243 - 1273 Kanonikus an St. Aposteln in Köln 45 , am 8. Januar 1270 Kanoniker an St. Paulin vor Trier46 , wurde am 15. Februar 1271 als Pastor in Ahrweiler investiert47 , war von 1278 bis 1284 Offizial in Trier48 und wurde von 1286 bis 1299 als Thesaurar an St. Paulin49 genannt. Johann von Laferte sur Chiers / de la Freteit führte den Magistertitel, war am 15. September 1250 Kanoniker an St. Simeon in Trier5o, am 13. Dezember 1253 Domherr in Trier51 , 1284 und 1285 Kanoni-

41

MRR 4 Nr. 330, QSK Nr. 255.

42

MRR 4 Nr. 330.

43

Wampach, UQLux 4 Nr. 459, StAT Urk. WW 41.

44

Wampach, UQLux 4 Nr. 461.

45 Regesten des Erzbischofs in Köln = Reg. EB Köln 2. Hälfte 3,1 Nr. 1101, Nr. 2495 S.51. 46 MRR 3 Nr. 2481. 47

LHAK 18/25; Akte 2068 Nr. 129 S. 90; MRR 3 Nr. 2674.

48

MRR 4 Nr. 522, LHAK 148/13.

49

MRR 4 Nr. 1350, 2997.

50

MRR 4 Nr. 2882.

51

MRR 4 Nr. 2889.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

145

ker von Ivoix und Offizial des Erzbischofs Heinrich für den romanischen Teil der Diözese52 . Johann

war von 1269 - 87 Dekan an St. Paulin vor Trier53 und am 20. März 1284 Offizial von Trier54 . Jacob d'Amez

war am 16. August 1285 Offizial des Erzbischofs Boemund von Trier55 . Johann Gilet / Giletti

hatte den Magistergrad, war Domherr und Thesaurar in Metz 56 , wurde am 20. Dezember 1278 als Richter57 , von 1280 bis 1288 als Advokat der trierischen Kurie58 , von 1289 - 1295 als Domkantor und Offizial in Trier59 genannt. Er starb am 10. Juni 1310. Wilhelm

war am 21. Mai 1300 Kustos in Arnual und Offizial in Trier60 •

52

MRR 4 Nr. 1192, 1277; Wampach, UQLux 5 Nr. 147.

53

Heyen, St. Paulin S 619, MRR 3 Nr. 2467, 4 Nr. 1419.

54

Heyen, St. Paulin S. 619, MRR 4 Nr. 1136.

55

Wampach, UQLux 5 Nr. 364.

56

Sauerland, Vatikanische Regesten

57

Wampach, UQLux 4 Nr. 461.

58

MRR 4 Nr. 684, 1530.

=Vat. Reg.

I Nr. 41.

59

Blattau, Statuta synodalia = Blattau 1 Nr. 23; MRR 4 Nr. 2385.

60

LHAK 215 /?

146

Karl Heinrich Theisen

Jacob von Marville

war Magister und Professor legum, sowie am 6. Juli 130061 und am 23. Mai 1303 62 Offizial. Egidius de Rapaix

war Kleriker der Trierer Diözese63 , am 12. April 1282 Notar der trierischen Kurie 64 , 1288 Offizial oder Richter des trierischen Archidiakons Heinrich von Vinstingen 65 , 1290 Kanoniker von Longuyon als Prokurator66 , 1292 Offizial oder Richter des trierischen Archidiakons Amold67 , wurde am 21. Mai 1300 als Offizial68 am 16. Januar 1301 als Offizial des trierischen Archidiakons Heinrich von Vimeburg und am 2. September 1304 als Kanoniker in Longuyon und Offizial in Trier69 genannt. Er starb 1313. Paulin von Aspelt

wurde am 8. Juni 1284 als Kanoniker an St. Paulin vor Trier und Advokaeo und am 20. August 1294 als Kanoniker an St. Paulin und Stellvertreter des Offizials 71 genannt. Gerhard von Jülich

war Magister, Johanniter und am 2. September 1304 als Offizial in Trier nachgewiesen 72 • 61

Goffinet, Cartulaire d'Orval Nr. 565 .

62

Wampach, UQLux 5 Nr. 347.

63

MRR 4 Nr. 2161.

64

MRR 4 Nr. 921.

65MRR4Nr.1521,1530. 66

Wampach, UQLux 5 Nr. 347.

67

MIT 4 Nr. 2075.

68

LHAK 215 / ?

69

LHAK lA / 3837.

70

MRR 4 Nr. 1354.

71

MRR 4 Nr. 2320.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

147

Heinrich von Virneburg wurde am 1. Juni 1303 als Archidiakon73 , am 16. Februar 1305 als Archidiakon und OffiziaC 4 , am 10. September 1305 als Offizial 75 und am 23. Dezember 1310 als Kanoniker an St. Paulin vor Trier, Offizial und Generalvikar in spriritualibus 76 genannt.

Conradus war am 1. April 1310 Offizial in Trier77 • Guerrich de Gorzia stammte von Gorze bei Metz, war am 7. Juni 1309 Advokat in Trier78 , wurde am 15. September 1310 als Kanoniker von St. Paulin und Offizial Generalvikar79 und war am 19. April 1312 Offizial und Generalvikar in spiritualibus zu Trier80 • Robert von Warsberg war am 22. November 1313 Archidiakon von Tholey und Offizial zu Trier81 .

72

LHAK lA /3837.

73

QSK Nr. 332.

74

Publication de Luxembourg =PSHL 17, 119.

75

LHAK 193/21.

76

LHAK 18/60.

77

LHAK 157 / ?

78

Wampach, UQLux 7 Nr. 1258.

79

Stengel, Nova Alamanniae = NAI 1 Nr. 77.

80

Wampach, UQLux 7 Nr. 1258.

81

LHAK 193 / 78.

148

Karl Heinrich Theisen

Johannes

führte den Magistertitel, wurde am 9. Juli 130682 , 1313 83 und am 8. August 1317 84 als Offizial in Trier geführt. Everard von Massu genannt Sauvage

war Magister, Neffe des Offizials Egidius de Rapais, Domherr in Trier, 1309 Notar am Offizialat in Trier85 , 1312 Assessor und Magister86 , 1314 Kanoniker an St. Paulin vor Trier und St. Simeon in Trier87 , 1316 Scholaster an St. Simeon und Offizial 88 , 1324 - 30 Propst an St. Simeon in Trier89 , 1328 Kanoniker mit Präbende am Dom, in Münstermaifeld, in Ivoix und in Longuyon90 . Am 29. Januar 1330 machte er sein Testament91 und starb am 28. April 1330. Everhard

war Magister, wurde am 14. Mai 132492 als Offizial und am 14. März 1331 93 als Offizial und Testamentsvollstrecker des Johann von Lichtenberg genannt.

82

Wampach, UQLux 7 Nr. 1065.

83

Kopiar Balduins S. 23, Bistumsarchiv Trier = BAT Handschrift

84

LHAK 96 /?

= HS 295.

85

LHAK 215 /183.

86

LHAK 215 /263.

87

LHAK 215 /269,310; Heyen, St. Paulin, S. 679, St. Sirneon S. 747 - 49.

88

LHAK 10 / 4413 S. 497, 549, 585; 144/1429 S. 63.

89

LHAK 201 / 54.

90

Sauerland, VatReg 2 S. 149 Nr. 1473.

91

LHAK 215/273.

92

LHAK 710 / 643 BI. 515; Pub1. Luxb 19 Nr. 535; Mötsch, Balduineen Nr. 691.

93

LHAK 215 /227.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

149

Johannes Gabrielis

hatte das Magisterdiplom, war von 1324 bis 1335 Advokat94 , wurde am 1. Juli 1330, am 6. Mai 1332 als Offizial und am 6. Oktober 1340 als früherer Offizial genannt 95 . Er starb am 28. Januar 1343 96 . Everhard

führte den Magistertitel, war von 1326 bis 1334 Dekan an St. Peter in Mainz97 und 1330 und 1331 als Offizial in Trier genannt98 • Johann Theodorici de Ruremonde oder Johann Wilhelmi

stammte von Roermund, hatte den Magistergrad, war seit 1330 Propst des Stiftes BMV in Pfalzel99 , mit Unterbrechungen von 1332 bis 1364 Offizial 100, 1335 - 1364 Kanoniker an St. Paulin vor Trier lOl , hatte 1343 eine päpstliche Provision auf ein Kanonikat an St. Servatius in Maastricht lO2 , war 1351 - 1354 Richter lO3 . Er starb vor dem 17. Juni 1366 104 . Johann

wurde am 27. Juni 1360 als Offizial in Trier genannt lO5 .

94

PSHL 26 Nr. 4.; LHAK lA/3926, 1D / 393; Stadt Trier.

95

LHAK IC /?, 1D / 376, IA / 3925.

96

LHAK 215 /1416 f.

97

Sauerland, Vat. Reg. 1 Nr. 900; Dertsch, Mainz 2 Nr. 922.

98

QSK Nr. 604; Stengel, NA! 2,2 Nr. 1310; LHAK 54 S /768; 215 /429.

99

Sauerland, Vat. Reg. 2 Nr. 1929, 4 Nr. 830.

100

LHAK 1D / 376, lA / 4038; Stenge I, NA! 1,443 - 445; PSHL 39 Nr. 97.

101

Heyen, St. Paulin S. 685.

102

Sauerland, Vat. Reg. 3 Nr. 217.

103

LHAK 148 / 41, 193 / 131.

104

Sauerland, Vat. Reg. 5 Nr. 518.

105

Sauerland, Vat. Reg. 4 Nr. 654.

150

Karl Heinrich Theisen

Boemund von Saarbrücken-Warsberg

wurde 1290 geboren, studierte in Paris, erhielt 1308 ein Domkanonikat in Trier 106 , 1324 eine Anwartschaft auf Domherr in Verdun und Kanoniker an St. Kastor in Koblenz 107 , war 1325 - 1354 Großarchidiakon von Trier 108 , 1326 providiert mit Domkanonikat in Metz l09 , 1335 Propst an St. Paulin vor Trier 11o , 1338 - 1341 Offizial lll , 1342 Diakon, Kaplan des apostol. Stuhles, Inhaber der Pfarrei Saarwellingen und Kirchberg Diözese Metz ll2 , wurde am 6. Februar 1354 zum Erzbischof in Trier gewählt, am 3. Mai 1354 zum Bischof in Avignon geweiht, verzichtete 1362 auf das Bischofsamt. Er starb am 10. Dezember 1367. Rudolf Losse

stammte aus Eisenach, war Magister, Familiare und Kaplan des Königs Karl, 1335 Pfarrer in Nalbach, 1336 Notar des Erzbischofs zu Trier, Kanoniker zu Karden und zu Aschaffenburg, Hauskaplan zweier Kardinäle, 1338 - 53 Kanoniker zu St. Florin in Koblenz, 1338 Pastor in Moselkern, in Olzheim, Kaplan und Kleriker des Erzbischofs von Mainz, Kanonikus der Kreuzkirche in Hennefeld, 1340 Clericus familiaris et domesticus des Pfalzgrafen Rudolf, 1340 - 43 Kanoniker an St. Martin in Idstein, 1342 Protonotar der Kanzlei Erzbischofs Balduin in Trier, Pastor in Schleidweiler, Clericus des Abts von Fulda, Domdechant zu Mainz, 1343 Verzicht auf Kanonikat in Idstein, Kanoniker in Naumburg und Diez, 1344 - 51 Offizial in Trier ll3 , Domdekan in Mainz, am 22. Juli 1346 Erster Offizial der Trierer Kurie 114, 1350 Propst in Naumburg, Kanonikus an St. Kastor in Koblenz, an BMV in Eisenach, Anwartschaft auf ein Kanonikat an St. Paulin vor Trier, Domherr in Trier und Cambrai, Kantor in Karden, Dekan an St. Martin in Oberwesei, Pfarrer in Kitzingen, 1357 Kanoniker an St. Simeon in Trief. Er starb vor dem 4. Januar 1364 ll5 .

107

LHAK 10 13654 S. 193a. QSK Nr. 520.

108

StAT Urk. U 45; Blattau 1 Nr. 42.

106

109

Sauerland, Vat.Reg.l Nr. 1012.

110

LHAK ID 13632; Goerz, Regesten des Erzbschofs Trier = RegEB S. 77 .

III

Blattau 1 Nr. 31, 33, 34, 37. Nach Heyen, St. Paulin, S. 592 nicht Offizial!

112

QSK Nr. 7 42.

114

LHAK 108/32; 148/41,42,1 Akte 301 S. 8. QSK Nr. 828.

115

Sauerland, Vat. Reg. 4 Nr. 57; Stengel NAI I Nr. 505 .

113

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

151

Albert de Sapongez

hatte die Titel Magister und Lizentiat in utroque jure, war Kanoniker zu Verdun und Metz, verzichtete 1353 auf die Pfarrei Signy l16, fungierte 1354 als Advokat in Trier ll7 , war von 1356 - 74 Offizial 1l8 , 1359 Domvikar l19 . Am 28. November 1378 wurde er als Offizial in Verdun genannt l20 . Balduin von Koblenz

war 1361 und 1362 Vertreter des Offizials l21 • Johannes Rode

war Magister und Dr. decr., Kanoniker in Metz und fungierte 1370 als Vertreter des Offizials 122. Johann Herbordi

stammte von Linz / Rhein, war 1374 Bac. iur. can., 1362/74 - 96 Offiziatvon Trier 123 , 1377 Magister, 1381 Kanoniker an St. Simeon in Trier l24 , 1382 an BMV in Kyllburg 125 , 1383 - 1417 Scholaster an St. Simeon l26 , 1392 Kanoniker an BMV in Pfalzel 127 , 1395 Kanoniker im Stift Münstermaifeld 128 , 1396 im 116

Heyen, St. Paulin, S. 685.

117

LHAK ID / 548; Tr. Archiv XIV S. 14.

LHAK ID / 567; lC / 8 Nr. 494; Sauerland, Vat. Reg. 4, 36,86a, 97,105; Goerz, Regesten des EB S. 92. 119 LHAK 10 / 4415 S. 881 f. 118

120

Sauerland, Vat. Reg. 6 Nr. 1350.

121

Stengel, NAI 2,1 1090; Annrh 59 Nr. 275; Trierisches Archiv 11 S. 149.

122

Hontheim, Historia Trev. 2, 263 Anm. b.

123

LHAK lC / 8 Nr. 494, 109/1695.

124

LHAK 215 / 555.

125

Sauerland, Vat.Reg. 6 Nr. 858.

126

LHAK 215/556.

127

BAT 65,1 Nr. 2 S. 80.

128

LHAK 144/502.

152

Karl Heinrich Theisen

Stift St. Goar und Dr. iur. utr., 1396 - 1406 Offizial in Koblenz l29 , 1397 Kanoniker an St. Kastor in Koblenz 130, 1396 Propst an St. Florin in Koblenz 13l, 1399 Generalvikar. Er starb vor dem 12. Juli 1418. Hennann von Neuerburg

stammte aus Neuerburg / Eifel, war 1375 - 1394 Siegier des Offizialates in Trier I32 , 1381 - 1401 Kanoniker an St: Simeon in Trier I33 , und 1391 - 92 Stellvertreter des Offizials l34 • Er starb vor dem 10. September 1402 135 • Johann de Bastonia

war Lizentiat bei der Rechte, 1366 - 90 Kanoniker an St. Simeon in Trier 136 , an St. Paulin vor Trier, an BMV in Pfalzei, 1366 - 92 Kantor von St. Simeon und Advocatus in Trier 137 , 1369 Magister l38 , 1376 - 1400 Offizial in Trier I39 , 1392 - 98 Propst an St. Simeon l4o , 1396 Kanoniker an St. Kastor in Karden 141 , 1397 Kanoniker an St. Paulin vor Trier l42 •

129

QSK Nachtrag Nr.36, LHAK 112/ ?

130

Goldmann, St. Kastor, S. 398.

131

LHAK 215 / 539.

132

LHAK 186/183.

133

LHAK 215 / 555,610.

134 StAT Urk A 3; Friedrich Wilhelm Gymnasium Trier = FWG Urk Nr. 19; StAT Archiv Kesselstatt Nr. 7601. 135 LHAK 215 / 612. 136

Heyen, St. Simeon, S. 889.

137

Wampach , UrkQLux 10 Nr. 489; FWG Urk Nr. 16.

138

LHAK 215 /476.

139

LHAK 158/40,215/476,539,564 - 66; Heyen, St. Simeon, S. 487.

140

LHAK 211/466; Heyen, St. Simeon, S. 752.

141

LHAK 215 /476; Sauerland, Vat. Reg. 6 Nr. 887.

142

Sauerland, Vat. Reg. 6 Nr. 997.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

153

Bartholomäus von Brystge / Breisig

stammte von Niederbreisig / Rhein, war Magister art. und Dr. iur. utr., 1402 Kanoniker an St. Simeon in Trier l43 , Pastor in Echternach / Luxemburg l44 , 1402 - 1404 Offizial 145 . Er starb vor dem 5. Apri11404 146 • Johannes von Arwilre

stammte von Ahrweiler, war Dr. decr., Dekan an St. Georg in Köln und am 14. Mai 1407 als Offizial in Trier genannt l47 • Matthias von Kettenheim / Cattenom

stammte aus Cattenom / Frankreich, war Lizentiat beider Rechte, Priester, von 1408 bis 1416 Offizial 148 , 1418 Kanoniker an St. Simeon in Trier l49 , 1421 Generalvikar l5o , 1422 Visitator der luxemburgischen und lothringischen Gebiete des Erzbistums i51 , Pfarrer in Roeser und Waldbredimus in Luxemburg I52 • Er starb vor dem 29. Mai 1424 153 . Johannes Rode

wurde 1385 in Trier als Sohn des Johann, Nesen Sohn und der Katharina, geboren. Er studierte 1402 in Paris und 1404 in Heidelberg, wurde 1406 zum Magister art., 1410 zum Bac. theol. promoviert, war 1412 - 16 Kanoniker an St. Paulin vor Trier, wurde 1412 providiert mit Domkanonikat in Metz, Pfarrkirche 143

Repertorium Germanicum = RepGerm 2 Sp. 107.

144

Sauerland, Vat. Reg. 7 S. 259, 517.

145

LHAK157/68; 186/230; 18/194.

146

Sauerland, Vat. Reg. 7 S. 517.

147

LHAK 1861?

148

LHAK 92 1168, 102/45; Archiv de Clervaux Nr. 714; Goerz, RegEB, S. 356.

149

LHAK lD 1 866.

150

RepGerm 4 Sp. 3161.

151

StAT Urk Nr. 30.

152

RepGerm4 Sp.1562, 2757.

153

RepGerm 4 Sp.1635.

Karl Heinrich Theisen

154

in Oberemmel, stritt über Kanonikat an St. Paulin vor Trier 154 , wurde 1414 zum Lic. decr. graduiert, war 1415 - 1416 Offizial in Trier 155 , 1416 Dekan an St. Simeon in Trier 156 und trat im gleichen Jahr in die Kartause St. Alban vor Trier ein, legte am 8. September 1417 die Profeß ab, war 1419 Prior, wurde am 6. Juli 1421 Abt von St. Matthias vor Trier 157 , am 29. Februar 1432 in das Basler Konzil inkorporiert und Miglied der Deputatio pro communibus. Er starb vor dem 1. Dezember 1439. Friederich Dudelendorff oder von Dudeldorf

stammte aus Dudeldorf / Eifel, immatrikulierte sich 1405 in Heidelberg, stritt 1417 um Pfarrei in Klüsserath 158 , wurde 1420/21 in Köln zum Mag. art. und Lic. iur. utr. promoviert, war 1421 / 22 Rektor der Universität in Köln, von 1420 - 1438 Kanoniker an St. Simeon in Trier, 1424 - 30 Offizial in Trier 159 , 1424 Kanoniker in Speyer und Pfarrer in Echtemach, 1425 Nuntius und Kollektor in der Trierer Provinz, Pfarrer in Klüsserath, Altarist St. Matthie in der Pfarrkirche St. Laurentius in Trier, Diakon, Kanoniker an St. Florin in Koblenz, im Stift Münstermaifeld, 1427 - 1432 Landdekan im Landkapitel Kyllburg, 1427 Vikar St. Johannis Baptist in Yvodio in der Trierer Diözese, 1432 Pastor in Echtemach l60 , Anhänger Ulrichs 161 , 1436 Inhaber der Pfarrkirche BMV in Wiltingen, Scholaster an St. Simeon in Trier, Consiliarius des Erzbischofs von Köln, 1438 Dekan an St. Kastor in Koblenz 162 .

154

RepGenn 3 Sp. 215.

155

Wampach, UQLux 10 Nr.44; Goerz, Regesten des EB = Reg.EB, S. 357.

156

BAT 71,3 Nr. 163 f.

157

LHAK lA / 4202.

158

RepGenn 4 Sp. 2001.

Hauptstaatsarchiv = HStA München, Zweibrücken-Veldenz Nr. 76; Acta Cusana Nr. 58,72; RepGenn 4 Sp. 720 - 722; Meuthen, Schisma, Nr. 7 S. 11. 159

160

Acta Cusana Nr. 99.

161

Meuthen, Obödienzlisten, S. 52.

162

Acta Cusana Nr. 357; QSK Nr. 1899, 1901; LHAK 186/1001 S. 125.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

155

Heinrich Rorici oder von Limburg

wurde 1405 in Limburg / Lahn geboren l63 , 1416 in Heidelberg immatrikuliert, war Magister art. und Dr. decr., 1430 Kanoniker an St. Paulin vor Trier l64 , 1431 - 1456 Advokat und Prokurator der Kurie in Trier l65 , 1431 - 1467 Offizial und Vertreter des Offizials l66 • Sifridus de Dreckenach oder von Koblenz

war Priester, 1439 - 56 Sekretär des Erzbischofs Jacob von Sierck, wurde 1444 in Heide1berg immatrikuliert, war 1451 Kanoniker in Karden l67 , 1452 Vikar in Niederlahnstein, stritt 1453 als Scholaster in Pfa1zel um ein Kanonikat an St. Kastor in Koblenz l68 , supplizierte 1456 um die Pfarrei Engers l69 , wurde am 27. September 1456 in Köln für ius immatrikuliert, am 23. Mai 1459 zum Dekan in Pfalzel gewählt 170, war am 8. August 1467 und am 15. Februar 1471 Vertreter des Offizials l7l ; 1468 - 69 als Pfarrer an St. Laurentius in Trier 172, 1469 - 1473 als Siegler der Kurie 173 nachgewiesen. Matthäus Johannis oder de Meyen

wurde 1385 in Mayen geboren l74 , studierte 1404 in Heidelberg und erlangte dort 1408 das Bac. art., wurde 1419 Präbendat in Liebfrauen in Trier 175 • Als Altarist Trinitatis in der Kirche BMV erhielt er Verleihung der Pfarrei in Saar-

163

LHAK 1D / 4028 S. 421.

164

RepGerm 4 Sp. 1264.

165

LHAK ID / ?, lA / 7015; Wampach, UQLux 10 Nr. 56; Acta Cusana Nr. 857a.

166

FWG Urk Nr. 23; PSHL 26,81,40,422; LHAK 18/291,390,157/88,158/88.

167

Blattau 1 Nr. 60.

168

QSK Nr. 2019.

169

RepGerm 7 Nr. 2554.

170

RepGerm 8 Nr. 5198.

171

StAT Archiv Kesselstatt Nr. 7736; LHAK 1D /?

172

RepGerm 9 Nr. 5514; LHAK 157/102; 193/207.

173

LHAK 193 / 207.

174

LHAK 1D / 4028 S. 427.

175

LHAK 1D /1150.

156

Karl Heinrich Theisen

burg am 26. März 1425 durch Tausch mit Henrich Camphoven gegen die Pfarrei Hontheim und Altar Trinitatis, vor 1429 war er Dekan an St. Paulin vor Trier 176 , am 17. März 1429 geschah Verleihung der Pfarrei St. Gangolf in Trier 177, am 17. Januar 1432 war er Siegier und Kanoniker an St. Simeon in Trier 178 , von 1443 bis 1449 Offizial in Trier l79 , am 3. September 1443 wurde er als Dekan an St. Simeon genanne so . Johann von Arlon

war von 1446 - 53 / 89 Kanoniker an St. Simeon in Trier 1S1 , von 1446 - 53 Siegier der Kurie 1S2 und wurde am 21. November 1446 als Offizial und Siegier in Trier nachgewiesen 1s3 • Hermann Wulffgin

stammte aus Koblenz, war Magister can. und Dr. iuris utriusque, 1443 bis 1489 Kanoniker an St. Kastor in Koblenz 1s4, 1444 als Rheinländer in Bologna: Hermannus Wolschin in Confluentia 1S5 , hatte 1445 die Verwaltung der Pfarrei BMV in Koblenz 1s6, war 1449 - 50 Offizial in Trier 1s7 , erhielt 1450 die Pfarrei St. Laurentius in Trier 1SS , 1451 die Pfarrei Saarburg 1S9 , war 1457 Thesaurar im Liebfrauenstift in Prüm l90 • Er starb vor dem 21. Februar 1489 191 •

176

LHAK lA / 3212.

177

RepGenn 4 Sp. 4741.

178

Archiv Andemach = AA Nr. 925.

179 LHAK 1D / 4028 S. 427 - 430, 54 S. 1112, 157/90; Acta Cusana Nr. 734; Krudewig 4/5 S. 260. 180

Stadtbibliothek Trier = StBT K 17.

181

LHAK 194/65.

182

LHAK lC /13 Nr. 601.

183

LHAK 215/?

184

LHAK 40 / 346.

185

LHAK 700,51 Nr. 1.

186

QSK Nr. 1945.

187

LHAK 1D /1122,18/317; Acta Cusana Nr. 947 Anm.; BAT 95 Nr. 314 S. 793.

188

RepGerm 6 Nr. 2255.

189

Weltklerus Trier vor 1800.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

157

Heinrich von Kerpen

war 1448 Lic. decr. 192 , 1453 - 54 Offizial in Trier l93 , 1453 - 56 Dekan an St. Kastor in Karden l94 , 1456 Kanonikats- und Scholasteriebewerber an St. Simeon in Trier l95 . F. Johann Lellich OCarm

stammte aus Echtemach, war Mag., Dr. decr., Karmelit, studierte in Padua, war 1456 - 1463 Stellvertreter des Offizials l96 , Advokat und Prokurator l97 , 1471 Professor der Theologie l98 , 1476 und 1485 Dekan der jur. Fakltät in Trier l99 . Johann Hergott Leyer

war Magister, Dr. decr., von 1458 - 59 Offizial in Koblenz 2°O, von 1459 - 62 Offizial in Trier201 , 1463 - 66 Kanoniker an St. Simeon in Trier202 •

190

LHAK 158/209.

191 BAT 71,129 Nr. 22; Admonter Totenrotei, Memorienbuch St. Kastor S. 51 Anm. 78. 192

Acta Cusana Nr. 760.

193

Wampach. UQLux 10 Nr. 79b; Regesten Bourscheid I S. 68.

194

LHAK 194/65; BAT 63,8 Nr. 18.

195

RepGerm 7 Nr. 175, 875.

196

Wampach, UQLux 10 Nr. 116, 188.

197

Wampach, UQLux 10 Nr. 188, 193.

198

Wampach, UQLux 9 Nr. 768.

199

FWG Urk Nr. 37.

200

QSK Nr. 2074; Wampach, UQLux 9 Nr.929; LHAK 18/358, 623 / Akten 181.

LHAK 623 / 1412 BI. 7; QSK Nr. 2074; Blattau 2 Nr. 3; LHAK IC / 11324, 231/15. 201

202

StAT Urk L 32; LHAK 215 /705.

158

Karl Heinrich Theisen

Johannes Franeisei de Kirpergh / Kirchberg

war 1464 Sigillifer und Locumtenens des Offizials in Trier203 und 1485 - 1503 Kanoniker an St. Simeon in Trier204 • Heinemann oder Hermann Franck

stammte aus Boppard, war Magister, Dr. decr., studierte 1448 in Heide1berg, 1449 in Köln, war 1452 Dekan an BMV in Oberwesel205 , 1453 - 72 Dekan in Münstermaifeld206 , 1460 delegierter Richter207 , 1464 - 78 Offizial in Trier208 , 1465 - 99 Pastor in Hambuch209 , 1472 - 1504 Dekan an St. Simeon in Trier2lO • Er starb vor dem 21. März 1504211 • Emond von Malberg

war Domdekan und Kommissar des Offizials Heinemann Franck in der Zeit von 1464 - 78 212 • Jacob von Laer / Lahr

wurde in Lahr geboren, 1463 in Freiburg immatrikuliert, dort 1465 zum Bac. und 1467 / 68 zum Mag. art. graduiert, war Dr. iur. utr. von Ferrara, Mitglied der luristenfakultät in Trier, von 1478 bis 1499 Offizial in Trier213 , 1485 Orator

203

LHAK 18/390.

204

LHAK 215/723.

205

RepGenn 6 Nr. 1717.

206

LHAK 144/1418 S. 494.

207

LHAK 109/1150, 144/741,743; QSK Nr. 2093; IQ Laach Nr. 644.

208

LHAK 1D / 1226, 1289.

209

LHAK 215 /739.

210

LHAK 99 / 247; 18/485.

211

LHAK 215 /1287 S. 137 f.

212

LHAK 215 /709.

213

LHAK 215 /713, lA / 9040.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

159

des Erzbischofs an der Kurie in Rom, 1487 - 1503 Kanoniker an St. Simeon in Trier214 • Nikolaus Straissener oder von Enkirch stammte aus Enkirch / Mosel, war 1474 intituliert an der Universität in Trier215 , 1482 - 1501 Kanoniker an St. Simeon in Trier216 , wurde 1487 in Basel zum Dr. iuris utriusque promoviert217 , war 1489 - 90 Dozent für ius, Rektor der Universität in Trier218 , 1491 - 95 Pastor an St. Gangolf in Trier219 , 1492 Dekan der jur. Fakultät, 1494 Vertreter des Offizials 22o • Richard Gramann wurde in Nickenich bei Andemach als Sohn von Richard und lohannetta von Enschringen geboren, war Priester, Dr. iur. utr., 1474 Bac. art. in Trier22 \ 1476 Mag. in Löwen, 1478 Vertreter des Domkapitels in Rom, 1479 Kanoniker von Liebfrauen in Trier, 1479 - 80 an der Universität in Rom, 1481 in Bologna222 , 1482 Kanoniker an St. Paulin vor Trier, 1482 - 97 Offizial in Koblenz, 1483 Dr. legum in Ferrara, 1484 - 1508 Dekan an St. Florin in Koblenz, 1488 - 89 Kanoniker in Münsterrnaifeld 223 , 1488 Pfarrer in Niederrnendig224 , 1489 - 97 Offizial in Koblenz und Trier, 1490 Dr. decr. in Bologna, 1490 - 94 Dekan an St. Paulin vor Trier, 1495 - 1513 Dekan an ULF in Oberwesei, 1496 - 1512 Kanoniker an St. Kastor in Koblenz 225 , 1499 Professor für ius in Trier, 1503 Kanoniker an St. Florin in Koblenz, 1503 - 04 Vikar an St. Anton in St. Kastor

214

Heyen, St. Simeon, S. 923.

215

Keil, Promotionslisten 1 S. 106.

216

Heyen, St. Simeon, S. 922.

217

Wackemageil S. 199.

218

Keil 1 S. 7 - 9.

219

BAT 71,3 Nr. 260, 267.

220

LHAK 215 / 728 .

221

Keil 1 S. 3, 106.

222

Acta Universitatis Bononiensis 229.

223

LHAK 144/ 1418 S. 578.

224 225

Krudewig II S. 90; LHAK 560 /167 Nr. 3. QSK Nr. 2365 .

Kar! Heinrich Theisen

160

zu Koblenz, 1503 - 15 Kanoniker an St. Simeon in Trier, 1506 - 11 Offizial in Trier, 1509 - 11 Rektor der Universität in Trier. Er starb vor dem Oktober 1513. Henrich Dungin

stammte von Wittlich, war Laie, Magister, Dr. jur. utr., Schöffe in Trier, wurde 1496 zum Advokaten der Trierer Kurie emanne26 , war 1497 Professor für Zivilrecht, 1501 Dekan der jur. Fakultät, wurde am 2. November 1502 zum Offizial als Laie emannt227 , 1512 - 24 Vorstand der kurfürstlichen Kanzlei 228 • Er starb 1524. Antonius Kultz

studierte 1460 in Erfurt, war Mag., lic. decret., Dr. iuris utriusque, 1478 Anwalt229 , 1485 Rektor der Universität in Trier23o , 1492 Richter der Kurie in Trier231 , 1495 Dekan der jur. Fakultät in Trier, Pastor in Emmel, 1498 Richter der Kurie des Archidiakons von Tholey Friedrich von Brandenburg232 . 1502 wurde er als Kleriker dem Offizial Dungin zur Behandlung der causae ecclesiasticae beigeordnet. Er starb vor dem 11. Oktober 1508. F. Johannes von Helmont OCist

stammte von Helmont / Niederlande, wurde 1502 dem Offizial Dungin zur Behandlung der causae ecclesiasticae beigeordnet, war 1504 Administrator der Abtei Altmünster, wurde 1508 Weihbischof und Abt, war 1511 - 12 Rektor der Universität in Trier. Er starb im August 1517.

226

LHAK lC /1175.

227

Blattau 1 S. 410.

228

Inventar und Quellen = IQ Laach Nr. 832,839; Keil 1 S. 33 /34 Anm. c.

229

Urk. Limburg Nr. 1182.

230

FWG Urk. Nr. 37.

231

Reg. Lahn Nr. 298.

232

LHAK 193/403.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

161

Johannes Ruhen oder Wendelin

stammte von St. Wendel, wurde 1474 Bac. und Mag. art. in Trier233 , war 1475 81 Notar des Offizialates in Trier234 , 1498 Syndicus des Klosters St. Katharinen in Trier235 und wurde 1502 dem Offizial Dungin zur Behandlung der causae ecclesiasticae beigeordnet. Johannes Pistoris alias Back

wurde 1475 zum Mag. art. in Trier graduiert236 , war von 1476 bis 1510 Notar und Schreiber des Offizialates in Trier237 und wurde 1502 dem Offizial Dungin zur Behandlung der causae ecclesiasticae beigeordnet. Johann von der Ecken / de Acie

studierte 1502 in Bologna und Siena, war Mag., Dr. iur. utr., 1502 - 21 als Johann Treviris Pfarrer von St. Gangolf in Trier, 1504 - 24 Kanoniker an St. Simeon in Trier238 , 1505 Dr. iur. in Siena 239, 1506 Professor an der jur. Fakultät in Trier, 1512 - 21 Offizial in Trier24o , 1514 Rektor der Universität in Trier241 , 1521 als Offizial des Erzbischofs Richard auf dem Reichstag in Worms und bei Verhör Luthers kaiserlicher Orator gegen Luther, 1523 Dekan der Fakultät. Er starb am 2. Dezember 1524.

233

Keil 1 S. 3.

234

LHAK 193/208,214.

235

LHAK 193/403.

236

Keil 1 S. 4.

237

FWG Urk. Nr. 34,49.

238

Heyen, St. Simeon, S. 926.

239

Weigle, Doktorpromotionen, S. 216.

240

FWG Urk Nr.51 ,54; LHAK 193 /238.

241

Keil 1 S. 33.

Karl Heinrich Theisen

162

Peter Fanckeler

war lic. decr., 1502 Präbendar von St. Irrninen in Trier und Pfarrer an St. Paulus in Trier242 , 1513 - 30 Kanoniker an St. Simeon in Trier243 , 1517 - 28 Locumtenens des Offizials in Trier244 , 1519 Skrutator bei der Abtswahl an St. Matthias in Trier245 , 1520 - 22 Rektor der Universität246, 1522 Dekan an St. Simeon247 , 1527 Rat am Hofgericht248 . Er starb am 26. Dezember 1530. Matthias Treberis alias de Saarburg

war Dr. iuris utriusque, 1489 Pastor in Losheim / Saar249 , wurde 1499 Mag. art. in Trier25o , studierte 1503 in Bologna, war 1503 Dekan der Artistenfakultät Trier, 1506 Dr. jur. und Professor in Trier251 , 1508 - 39 Kanoniker an St. Simeon in Trier252 , 1518 - 28 Offizial in Trier und Koblenz 253 , 1518 Kanonikus an St. Kastor in Koblenz 254 , 1520 Vizedekan an St. Kastor in Koblenz 255 , 1530 39 Dekan an St. Simeon in Trier256 , 1531 erzbischöflicher Kaplan in Koblenz257 , 1533 Vizekanzler an der Universität in Trier. Er starb am 3. Dezember 1539.

242

LHAK 201/248.

243

Heyen, St. Sirneon, S. 930.

244

LHAK 56/1995 BI. 133; lC /201 Nr. 260, 193/240; BAT 71,3 Nr. 304.

245

LHAK 210 /759.

246

Treviris 1 S. 87.

247

LHAK 215/1287 S. 135.

248

LHAK 56/2700 BI. 18v.

249

LHAK lA /2337.

250

Keil 1 S. 18.

251

FWG Urk. Nr. 45.

252

Heyen, St. Sirneon, S. 929.

253

LHAK 215/817,1067,157/131,660/001/102; BAT 71,3 Nr. 434.

254

LHAK 109/1224.

255

LHAK 109/1229.

256

Heyen, St. Sirneon, S. 792.

257

LHAK lC /25 S. 592.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

163

Peter Dahlstein war Dr. iur. utr. und Offizial in Trier und geistlicher Ordinarius des Obererzstiftes 258 .

Heinrich von Falkenberg / Falcomontanus wurde 1513 Mag. art. in Trier259 , war 1524 Dekan der Artistenfakultät in Trier, Pastor in EChtemach260 , 1533 Dr. legum, Priester und Benefiziat an Trier ULF26 1, 1536 Kanoniker an St. Simeon262 , 1539 Dr. iur. utr. und Dekan an St. Simeon263 , 1541 - 50 Pastor in Niederemmel 264 , 1542 - 45 Kanoniker in Pfalzee 65 , 1542 - 48 Rektor der Universität Trier266 , 1545 - 48 Offizial in Trier267 . Er starb am 1. September 1553.

Maxim Pergener war 1511 Kanoniker in Kyllburg und Kaplan des Erzbischofs 268 , studierte 1512 in Trier, 1513 in Löwen, 1516 in Bologna, promovierte 1519 zum Dr. iur. utr. in Siena269 , war 1521 am Offizialat in Trier tätig 270 , wurde 1523 Mitglied der juristischen Fakultät in Trier, 1526 Kanoniker an St. Simeon in Trier271 , 1535 als Dekan der jur. Fakultät Rektor272 , war 1543 Dekan an St. Paulin vor

258

LHAK 96/2214; Regesten Stein Nr. 923, 926, 927.

259

Keil 1 S. 31.

260

Keil 1 S. 37.

261

LHAK 10 14072.

262

Heyen, St. Simeon, S. 934.

263

Metropolis S. 214.

264

LHAK lA 11738, LHAK 186/655, 668.

265

LHAK 157/142.

266

Treviris 1 S. 88.

267

LHAK le 132 S. 14,15,18; 215/742.

268 LHAK 102/76 - 80. 269

Weigle, Studenten, 2 S. 231 Nr. 352.

270

LHAK 201/260.

271

Heyen, St. Simeon, S. 932.

272

Treviris 1 S. 88.

Karl Heinrich Theisen

164

Trier273 , 1543 Siegier des Offizialats in Trier274 , 1547 Offizial des Archidiakons in Tholey, 1553 - 57 Offizial in Trier275 , 1553 Dekan an St. Simeon in Trier276 . Er starb am 6. Oktober 1557. Johann Houst stammte aus Luxemburg, war Mag. art., Dr. iur. utr., Siegier und Offizial in Trier277 , Dekan der theol. Fakultät und Offizial 278 , 1545 - 68 Kanoniker an St. Simeon in Trier279 , 1553 und 1561 Dekan der Artesfakultät280 , 1560 - 61 und 1567 - 68 Rektor der Universität281 , 1566 Kanoniker in Pfalze1282 . Er starb am 22. September 1568. Theodor von Enschringen war Lic. iur. utr., 1532 - 68 Kanoniker an St. Simeon in Trier283 , 1553 - 67 Offizia1 284 , 1557 - 68 Kanoniker und Dekan an St. Paulin vor Trier285 , 1559 Dekan an St. Simeon286 . Er starb am 7. Februar 1568.

273

Heyen, St. Paulin, S. 630.

274

LHAK 201 Nr. 671 BI. 285.

275

LHAK lC /32 S. 132, 102/80, 102/80,215/773.

276

Heyen, St. Simeon, S. 795.

277

Keil 1 S. 42 Anm. c.

278

Catalogus virorum BI. 5.

279

Heyen, St. Simeon, S. 936.

280

Keil 1 S. 43, 44.

281

StBT Hs 1768/978 BI. 13 - 14; Keil 1 S. 52, 60.

282

Heyen, PfalzeI, S. 378.

283

Heyen, St. Simeon, S. 934.

284

LHAK 157/147, lC /34 S. 29, /39 S. 1.

285

Heyen, St. Paulin, S. 631, 719.

286

LHAK 215/913.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

165

Jacob Christoph Hompheus hatte den Grad Lic. iur. utr., war kurfürstlicher Rat, Offizialatskommissar, von 1558 bis 1576 Offizial 287 , 1580 Vikar St. Hubertus an St. Simeon in Trier288 . Johannes (Jacob) Romanus / Römer stammte aus Frankreich (Sierck oder Diedenhofen), war Dr. jur., Priester, 1546 Vikar St. Johann Baptist im Stift Pfalzef89, 1547 Landdekan in Perl und Pfarrer in Pfalzee90, studierte 1552 in Köln, war 1565 - 74 Scholaster in Pfalzee91 , 1565 Pastor in Thalfang 292 , 1570 Kanoniker an St. Paulin vor Trier293 , verzichtete 1571 auf die Pfarrei Steinsei / Luxemburg 294, wurde 1571 zum Offizial

ernannt 295 , war 1571 Rektor der Universität in Trier. Er starb als Offizial, Scholaster und Pfarrer St. Martin in Pfalzel am 14. Juni 1574296 . OUo Kemper oder Boppardiensis

stammte von Boppard, war 1565 Mag. art?97, 1573 Kanoniker an St. Simeon in Trier298 , studierte 1574 in Siena (Dr. iur. utr.)299, war 1576 Offizial in Trier3OO . Er starb bereits am 24. September 1576 als Kanoniker in Karden 301 .

287 BAT 63,12 Nr. 5 BI. 41 ; LHAK 193/244,403; Schneider, Himmerod, S. 106. 288 Heyen, St. Simeon, S. 1015. 289 LHAK lC /30 S. 641. 290 LHAK lC /32 S. 15 - 18. 291 LHAK lC /32 S. 14 - 15. 292LHAK211/1193. 293 LHAK 213 / 607 S. 458. 294 StBT 1644/383 f. 1012. 295 LHAK lC / 39 S. 179 - 181,201. 296 LHAK lC /39 S. 363. 297 Keil 1 S. 49. 298 LHAK lC /39 S. 345. 299

Weigle, Siena, S. 50 Nr. 251.

300 StBT Hs 1810/998; Hontheim, Hist. Trev. dipl. 2 S. 550. 301 LHAK lC /39 S. 456, 457 .

166

Kar1 Heinrich Theisen

Bartholomaeus Bodegemius oder Delphus

stammte aus Delft / Holland, war lic. iur. 302 , wurde am 22. Oktober 1577 Offizial in Trier303 und ist bis 1600 nachgewiesen 304 , war von 1581 bis 1608 Kanoniker an St. Simeon in Trier30S . Er starb am 31. Oktober 1608. Franz Peter von Hagen I

war 1599 - 1629 Propst an St. Simeon in Trier306 , 1609 - 1626 Offizial in Trier307 , 1610 Rektor der Universität in Trier308 • Er starb am 4. Dezember 1629. Gerlach Busch

wurde in Graach / Mosel geboren, war 1601 Mag., Dr. iur. utr., 1609 Kanoniker an St. Paulin vor Trier, 1613 Vizeoffizial in Trier309 , 1628 Kustos an St. Simeon in Trier31O , 1630 - 32 Offizia1 3ll , 1631 Dekan an St. Paulin vor Trier3I2 . Er starb im September 1632. Franz Peter von Hagen 1I

war Sohn von Kaspar Martin und Nicole de la Vaulx, zeitweiliger Offizial in Trier313 , 1618 Kanoniker und 1629 Propst an St. Simeon in Trier314 , wurde 302

FWG Urk. Nr. 154.

303

LHAK 1C / 39 S. 484 - 492.

304

FWG Urk. Nr. 158.

305

Heyen, St. Simeon, S. 945.

306

Heyen , St. Simeon, S. 770.

307

LHAK 56 /1859,148/ Akte302 S. 19.

308

Treviris 1 S. 92.

309

LHAK 148/108.

310

BAT 71,72 Nr. 14.

Familienarchiv von Reinach, Luxemburg Nr. 3856 S. 688; LHAK 148/ Akte 285 S.I-3. 311

312

LHAK 1A / 11586; Heyen, St. Paulin, S. 633.

313

Heyen, St. Paulin, S. 733

314

Heyen , St. Simeon, S. 770, 949.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

167

1640 als Kanoniker an St. Paulin vor Trier nominiert, verzichtete 1669 auf Propstei an St. Simeon zugunsten des Papstes. lohann Dietrich Bruer / Bruerius

wurde am 27. Januar 1594 in Hoscheid I Luxemburg als Sohn von Peter Breuer geboren. Er war Pfarrer in Heffingen I Luxemburg, 1622 - 42 Kanoniker an St. Georg in Limburg 3I5 , studierte 1625 in Rom, promovierte zum Dr. iur. utr., war 1628 erzbischöflicher Kaplan 316 , 1628 Propst an St. Severus in Gemünden 317 , 1630 - 45 Offizial in Trier318 , 1632 - 73 Kanoniker, 1636 - 46 Dekan an St. Simeon in Trier319 , 1638 Professor an der Universität in Trier, 1638 - 50 Vikar im Stift Karden, 1643 - 45 Rektor der Universität in Trier32o , verlor 1645 die Propstei in Gemünden und 1646 das Dekanat an St. Simeon als persona ingrata des Erzbischofs Phi1ipp Christoph von Soetem, war 1646 Kanoniker und 1650 - 66 Dekan an St. Georg in Köln 32I , wurde 1651 aus dem Erzstift Trier aus gewiesen 322 , verwaltete 1654 - 61 die Abtei St. Maximin in Trier, verzichtete 1663 auf das Dekanat an St. Georg in Köln, wurde 1664 Propst von St. Peter in Mainz. Er starb am 28. Februar 1673 in Trier. lohannMehn

war Lic. iur. utr., 1621 - 1631 Kanoniker an St. Paulin vor Trier323 , 1634 Kantor und Siegier des Offizialates324 , 1634 Offizialatskommissar325 •

315

Staatsarchiv =StA Wiesbaden 40 / 1836.

316

StA Wiesbaden 27 / 102.

317

Struck, Gemünden, S. 169 - 171.

318

Blattau 3 S. 83, 2 S. 250 Anm. 1.

319

Heyen, St. Simeon, S. 805, 952.

320

Treviris 1 S. 94.

321

Corsten, Das Kollegiatstift St. Georg, S. 140 Nr. 38.

322

Zenz, Die Trierer Universität, S. 62.

323

LHAK 213 /209.

324

LHAK lC / 11235.

325

LHAK 215/940.

Karl Heinrich Theisen

168

Johann Holler

wurde 1614 in Echternach / Luxemburg geboren, war 1636 Kanoniker an St. Simeon in Trier326 , 1639 Dr. iur. utr., bac. theo!. in Trier, 1641 Professor des Kirchenrechtes an der Universität Trier, 1643 Dekan der jur. Fakultät, in kaiser!. Auftrag in Rom, 1652 Dekan an St. Simeon in Trier327 , 1654 Generalvikar328 , 1654 - 57 Offizial in Trier329 , 1655 - 71 Person at in Kirchhof330 , 1657 Rektor der Universität in Trier, 1663 Weihbischof in Trier, 1668 Mitverfasser des Kurtrierischen Landrechtes. Er starb am 19. November 1671. Franz Jacob Schramm

war Dr. iur. utr., bac. theo!., 1636 Kanoniker an St. Paulin vor Trier331 , Professor an der Universität in Trier, 1647 Rektor der Universität332 , 1652 - 55 Kaplan des Erzbischofs, 1652 Kanoniker an St. Simeon333 , 1665 Scholaster an St. Paulin, 1673 - 80 Offizialatskommissar334 , 1677 Dekan an St. Paulin 335 • Er starb am 13. November 1680. Johann Heinrich Anethan

wurde am 5. November 1628 in Trier als Sohn von Johann und Margareta de Veyder geboren, war Dr. iur. utr. von Trier, Kanoniker an St. Gereon in Köln, Kanoniker und Propst an SS. Simon und Juda in Goslar, Kanoniker und Dekan im Stift Wimpfen, Dekan an H!. Kreuz in Hildesheim, studierte 1646 in Trier, 1647 in Löwen, 1649 - 52 im Germanikum in Rom, erhielt die Priesterweihe in Rom, war 1650 - 68 Kanoniker an St. Simeon in Trier, 1650 - 66 Kanoniker an St. Paulin vor Trier, wurde 1656 lic. iur. in Pont-a-Mousson, 1658 Offizia326

Heyen, St. Simeon, S. 809, 953.

327

LHAK 215/1101.

328

LHAK 96 / 1304.

329

StBT Hs 1678/343; Blattau 2 S. 251 Anm. 1.

330

LHAK 1C / 52 S. 48.

331

Heyen, St. Paulin, S. 635.

332

Treviris 1 S. 94.

333

Heyen, St. Simeon, S. 957.

334

FWG Urk. Nr. 236.

335

Heyen, St. Paulin, S. 635.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

169

latskommissar in Koblenz, 1663 Offizial, Generalvikar und fürstl. Rat in Hildesheim, 1665 Weihbischof in Hildesheim, 1673 - 78 Weihbischof, Generalvikar und Offizial im Obererzstift Trier336 , 1680 Weihbischof und Generalvikar in Köln, 1683 Scholaster an St. Gereon in Köln, 1688 Kapitelvikar in Köln. Er starb am 18. Juni 1693. Johann Osweiler

stammte aus Echtemach / Luxemburg, war Dr. iur. utr., 1658 Kanoniker an St. Simeon in Trier, 1660 Mag. 337 , 1672 Dekan an St. Simeon338 , 1675 Siegier, 1678 Vertreter des Offizials 339 , 1680 Offizial in Trier340 , 1681 Dekan der jur. Fakultät in Trier. Er starb am 17. Januar 1681. Maximilian Heinrich von Burmann

wurde am 22. Mai 1648 in Bonn als Sohn von Peter und Gertrud Palandt geboren, war Dr. iur. utr., 1669 - 80 Kanoniker und Scholaster an St. Aposteln in Köln, 1674 Dekan an St. Georg in Köln, 1675 Archidiakon von Wattenscheid und Lüdenscheid, 1681 Kanoniker und Dekan an St. Simeon in Trier341 , Generalvikar und Offizial im Obererzstift342 , 1682 Weihbischof in Trier. Er starb am 20. Oktober 1685. Tilmann Becker

stammte aus Komelimünster, wurde 1663 zum Subdiakon und 1668 zum Priester in Köln geweiht343 , war 1671 Kanoniker an St. Simeon in Trier344 , 1672 Dr.

336

FWG Urk. Nr. 236; Blattau 2 S. 251 Anm 1,3 S. 176; LHAK 18/697,710.

337

Keil 2 S. 139 Anm. 2.

338

Heyen, St. Simeon, S. 809.

339

LHAK 201/371.

340

LHAK lC /19616.

341

Heyen, St. Simeon, S. 810,961.

342

LHAK lC /19616.

=WK Köln B 352.

343

Weltklerus

344

Heyen, St. Simeon, S. 959.

170

Karl Heinrich Theisen

theol. in Trier345 , 1681 - 91 Pastor an St. Gangolf in Trier und Landdekan von St. Peter346 , 1681 - 86 Offizialatskommissar in Trier347 , 1691 Dekan an St. Simeon348 . Er starb am 20. November 1702. Johannes Petrus Verhorst

wurde am 22. Februar 1657 in Köln als Sohn des Bartholomaeus und der Anna Clara Francken-Sierstorff geboren, war 1674 Lic. iur., 1681 Dr. iur. utr. in Köln, empfing 1686 die Subdiakonats- und Priesterweihe in Köln 349 , wurde 1687 Weihbischof in Trier, 1688 Offizial und Generalvikar 350 • Er starb am 12. Juli 1708. Johann Michael Heinster

wurde 1647 in Arlon / Belgien geboren, war Dr. theol., Notar, Siegier, Professor theol. in Trier, wurde 1666 Bac. art. in Trier, 1673 Sekretär und Kaplan am Erzb. Generalvikariat, 1675 Mag., war 1677 Pastor an St. Laurentius in Trier und Burdekan und Protokollführer der Generalvisitation unter Weihbischof Anethan, 1701 und 1705 Prorektor der Universität Trier, hatte 1708 - 10 die kommissarische Verwaltung des Offizialates35 \. Er starb am 11. April 1728. Joannes Matthias von Eyss

wurde am 23. Juli 1669 in Vallendar / Rhein als Sohn von Anton und Maria Susanna Theresia von Ufflingen geboren, studierte am Gymnasium der Jesuiten, am theologischen Seminar in Koblenz, an der Universität in Köln und Löwen, war Dr. decr., 1692 - 1704 Kanoniker an St. Florin in Koblenz 352 , wurde 1703 Priester und Sekretär des Erzbischofs, 171 0 Weihbischof, Generalvikar

345

Zenz, Universität, S. 199

346

LHAK 218 /631, 215/1405.

347

LHAK le /19616,148/ Akte 287 S. 7.

348

LHAK 215/1107.

349

WK Köln V 91.

350

BAT 63,12 Nr.3 BI. 6 - 12; Blattau 3 S. 325.

35\

Keil 2 S. 89 Anm. 5.

352

Diederich, 5t. Florin, S. 279.

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

171

in spiritualibus und Offizial in Trier353 , 1717 Kanoniker an St. Simeon in Trier354 , 1727 Kanoniker in Pfalzei, Personista in Leiwen, Altarist Dreikönig in Vallendar. Er starb am 25. November 1729. Lothar Friedrich von Nalbach

wurde am 24. Mai 1691 in Trier als Sohn von Matthias und Susanna Geifges geboren, studierte in Trier, Köln und Löwen, war 1708 Mag., erhielt 1709 eine Expektanz auf ein Kanonikat an St. Paulin vor Trier, war 1711 Dr. iur. utr. in Trier, 1713 Offizialatskomrnissar in Trier, 1716 Professor an der juristischen Fakultät in Trier, erhielt 1719 die Priesterweihe und die Ernennung zum Offizial des Konsistoriums in Trier, war 1724 - 30 Dekan der juristischen Fakultät, 1724 Kapitularkanoniker an St. Paulin, 1728 Kanoniker an St. Simeon in Trier3SS , 1729 Scholaster an St. Paulin, Dekan an St. Simeon in Trier356 , Weihbischof und Prokanzler der Universität, 1732 Dekan an St. Paulin3S7 • Er starb am 11. März 1748. Johann Nikolaus von Hontheim

wurde am 27. Januar 1701 in Trier als Sohn von Carl Caspar ab Hontheim und Anna Margareta ab Anethan geboren, studierte in Trier, Löwen und Leiden, war 1713 Kanoniker an St. Simeon in Trier 358 , 1718 Mag., 1724 Dr. iur. utr. in Trier, 1728 Assessor des erzbischöflichen Konsistoriums in Trier, Priester, 1732 - 38 Professor für Zivilrecht an der Universität in Trier, 1638 Offizialatskommissar in Koblenz 359 , 1738 - 39 Pastor an Unserer Lieben Frau in Koblenz, 1740 Kanoniker an St. Florin in Koblenz, in Münstermaifeld und Pfarrer in Lütz, 1739 - 47 Offizial in Koblenz, 1741 Geheimer Hofrat, verzichtete 1747 auf das Offizialat in Koblenz, war 1748 Weihbischof, Generalvikar und Offizial in Trier36o , Dekan an St. Simeon in Trier 361 , gab 1750 Historia Trevi-

353

LHAK IC/19619; Blattau 3 S. 358; BAT 65 Nr. 113 S. 81 - 83.

354

Heyen, St. Simeon, S. 968.

355

StAT Urk T 22, Heyen, St. Simeon, S. 969.

356

Heyen, St. Simeon, S. 813.

357

Heyen, St. Paulin, S. 638 - 40.

358

Heyen, St. Simeon, S. 967.

359

LHAK 1C / 38 S. 223 - 226.

360

LHAK IC /19623.

Kar1 Heinrich Theisen

172

rensis Diplomatica, 1757 Prodromus Historiae Trevirensis, 1763 Justinus Febronius: "De statu ecclesiae" heraus und verzichtete auf das Offizialat, tauschte 1764 das Kanonikat in Münstermaifeld gegen die Frühmessnerei in Bitburg, widerrief 1778 den "Febronius", verzichtete 1779 auf Dekanat an St. Simeon362 • Er starb am 2. September 1790363 • Franz von Pidoll

stammte aus Trier, war Dr. iur. utr., Personat in Bischofsstein, 1739 Kanoniker an St. Simeon in Trier364 , 1741 Mag., 1745 immatrikuliert ad ius in Trier365 , 1748 Priester, 1751 Sekretär des geistlichen Konsistoriums in Trier366, 1760 Geistlicher Rat und Siegler am Generalvikariat367 , 1761 Offiziae68 , 1768 Kustos an St. Simeon in Trier369 • Er starb am 31. März 1786. lohann Peter lose! Ignatius von Hontheim

wurde am 27. Oktober 1739 in Koblenz geboren, übergab 1746 die Erste Bitte des Kaisers Franz I. für ein Kanonikat an St. Simeon in Trier, erhielt 1749 die Tonsur, wurde 1750 in das Kanonikat an St. Simeon mit päpstlicher Dispens wegen jugendlichen Alters eingeführt370 , 1757 intituliert ad ius in Trier371 , war 1760 Dr. iur. utr., Geistlicher Rat, Assessor am Konsistorium in Trier, 1762 Priester, 1762 - 74 Archivar, 1774 Kantor372 , 1779 Dekan an St. Simeon373 , 1782 Vizeoffizial und Geheimer Rat374 , 1786 - 98 Offizial in Trier375 •

361

Heyen, St. Simeon, S. 813.

362

LHAK 215/1594.

363

Seibrich, Weihbischöfe, S. 140 ff.

364

BAT 71,2 Nr.97; Heyen, St. Simeon, S. 974.

365

Keil 2 S. 203.

366

LHAK

367

LHAK 215/1860.

368

LHAK

369

Heyen, St. Simeon, S. 846.

370

LHAK

371

Keil 2 S. 200.

le /11235.

le /11235,19589; Lichter, AfmrhKG 39 S. 173. le /11224 S. 15 -

21, 137 - 141.

Heyen, St. Simeon, S. 858. 373 LHAK le /19027, Heyen, St. Simeon, S. 815. 372

Die Offiziale im alten Erzbistum Trier

173

Mit der Schließung des Offizialates in Trier am 9. Februar 1798376 endete die Tätigkeit als Offizial und auch das Offizialat im alten Erzbistum Trier. Hontheim war am 10. Mai 1803 Domkapitular und Generalvikar und starb am 20. September 1807.

374

LHAK lC /11233.

375

LHAK lC /12235, 19038.

376

Trierisches Wochenblatt 1820 Nr. 2 vom 9. I. 1820.

Ein Reformer am Vorabend der Reformation Ulrich Haug lenkt die Benediktinerabtei St. Michael bei Bamberg in einer schwierigen Situation

Von Ludwig Unger Fast scheint er in der Geschichte des Hochstifts Bamberg und der Geschichte des Benediktinerordens im Schatten seines Vorgängers Eberhard von Venlo und seines noch berühmteren Nachfolgers Andreas Lang abzutauchen, in Vergessenheit zu geraten: Abt Ulrich III. Haug von der Abtei St. Michael bei Bamberg. Schließlich hat er auf dem Mönchsberg bei Bamberg nicht - wie sein Vorgänger Eberhard' - die Reform nach den Statuten der Bursfelder Kongregation eingeführt und er hat sich auch nicht - wie sein Nachfolger Andreas Lang 2 - durch Handschriften, die bis heute in der Staatsbibliothek Bamberg zu bewundern sind, eine Memoria ganz eigener Art geschaffen und sich damit unvergesslich gemacht. Was aufgeschrieben wurde und nicht - spätestens in der Säkularisation - verloren gegangen ist, erhielt in der Folge eine besondere Rolle als Geschichtsquelle, so auch die Handschriften von Abt Andreas Lang, der am 6. Februar 1483 die Leitung der Abtei St. Michael in der Nachfolge des kurz zuvor verstorbenen Abts Ulrich übernommen hat. Es scheint zudem das "Schicksal" von Abt Ulrich III. vom Michelsberg zu kennzeichnen, dass Historiker auf den Beginn und das Ende einer Entwicklung fixiert sind und bestenfalls noch den Höhepunkt einer solchen mit in den Blick nehmen. Danach aber interessiert sie häufig nur noch der Verfall.

I Ludwig Unger, Eberhard von Venlo, in: Michael Kleiner und Ludwig Unger (Hrsg.), Unterm Sternenmantel. 1000 Jahre Bistum Bamberg. Die Geschichte in Lebensbildern, Bamberg 2006, S. 114 - 137.

2 Zu Andreas Lang siehe: Gerd Zimmermann, Lang, Andreas, in: Kurt Ruh u. a. (Hrsg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 5, Berlin - New York 21985, S. 572 - 578; sowie Gerd Zimmermann, Ein Bamberger Klosterinventar von 1483/86 als Quelle zur Sachkultur des Spätmittelalters, (Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs, Bd. 3), Wien 1980, S. 225 - 245.

176

Ludwig Unger

Diese Einschätzung schlägt sich bereits in einer zeitgenössischen Quelle nieder, in der der Benediktiner Ulrich als "bonus alumnus boni et optimi patris filius,,3 bezeichnet wird. Diese Formulierung drückt zwar einerseits seine Hochschätzung gegenüber Abt Ulrich aus, bezieht aber sehr stark den "guten und sehr guten Vater", nämlich Eberhard von Venlo, mit ein und macht diesen in gewisser Weise gleichsam zum Maßstab für eine vorbildliche Leistung als Abt eines Benediktinerklosters. Ulrichs Geburtsdatum ist unbekannt, seine Herkunft bleibt im Dunkeln, auch das Datum, zu dem Ulrich ins Kloster eingetreten ist. Im Nekrolog verzeichnet dagegen ist sein Sterbedatum, nämlich der 2. Februar 1483 4 • In Erinnerung blieb Ulrich III. Haug wohl nur mit folgenden Fakten, die in einer Miszelle überliefert wurde: ,,1475, t 1483, 2. Februar. Ulrich Haug setzte den Eifer seines Vorgängers für die Zucht und den Wohlstand des Klosters fort, zahlte viele Schulden, erwarb neue Rechte und Güter, ließ 1481 in der Propstei St. Getreu 500 Messbücher und 100 Collectarien auf Pergament und Papier für den Orden drucken und ein tägliches Betrachtungsbuch 1478 durch den Chorbruder Reynher schreiben, kaufte auch viele Bücher für die klösterliche Bibliothek."s Doch lassen einschlägige Quellen vor allem aus der Feder seines Nachfolgers Andreas Lang ein genaueres Bild vom Leben und Wirken des Abtes Ulrich nachzeichnen.

A. Ulrich leitet den Michelsberg in schwieriger Zeit Ulrich III. Haug trat die Leitungsfunktion in dem 1015 von Bischof Eberhard gemeinsam mit Kaiser Heinrich 11. auf einem Berg unmittelbar benachbart zum Bamberger Domberg gegründeten Benediktinerkloster in einer durchaus schwierigen Situation an6 . Am 4. Juli 1475 war sein Vorgänger Eberhard von 3 Staatsbibliothek Bamberg (S. B. B.), R.B.Msc. 49, f. 52. Dieses Bild hat sich jahrzehntelang in der Literatur gehalten, u. a. bei Andreas Lahner, Die ehemalige Benedictiner-Abtei Michaelsberg bei Bamberg, Bericht des Historischen Vereins Bamberg (BHVB) 51 (1889), S. 1 - 484, hier S. 196, und l. Fassbinder, Der catalogus sanctorum ordinis sancti Benedicti des Abtes Andreas vom Michaelsberg, Diss. Phi\. Bonn 1910, S. 10. Eingehender behandelt wird Ulrich III. Haug dagegen bei: Ludwig Unger, Die Reform des Benediktinerklosters SI. Michael bei Bamberg in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, (BHVB, Beiheft 20, Bamberg - Lichtenfels 1987, S. 49 - 54.

4

S. B. B., Msc. mise. 21. S. 1.

5

S. B. B., Msc. mise. 21, Bogen 8, S. 1.

Ein kurzer Überblick über die Geschichte des Klosters findet sich bei: lose! Hemmerle, Die Benediktinerklöster in Bayern (Germania Benedictina, Bd.2), München 1970, 6

Ein Reformer am Vorabend der Reformation - Ulrich Haug

177

Venlo gestorben. Erst zwölf Jahre zuvor, im Jahre 1463, hatte auf Weisung des Bamberger Bischofs Georg von Schaumberg7 Abt Eberhard von Venlo auf dem mons monachorum eine grundlegende Reform des Ordensalltags eingeführt. Damals hatte es verschiedene Reformrichtungen innerhalb des ordo sancti Benedicti gegeben, u. a. die berühmteren Reformen von Kastl, von Melk und von Bursfelde; ferner die weniger bekannte Reform von Fulda und vielleicht auch eine, in deren Mittelpunkt die Reichsabtei Hersfeld stand8 •

S. 152 - 157; ausführlicher bei: Andreas Lahner, Die ehemalige Benedictiner-Abtei Michelsberg zu Bamberg, in: BHVB 51 (1889), S. I - 484; Joachim Heinrich Jäck, Grundzüge der Geschichte des ehemaligen Benedictiner-Klosters Michelsberg bei Bamberg, aus dessen handschriftlichen Quellen entwickelt, München 1826. Zur Bedeutung des Klosters in der Geschichte der Wissenschaft und gelehrten Bildung siehe Karin Dengler-Schreiber, Scriptorium und Bibliothek des Klosters Michelsberg in Bamberg, (Studien zur Bibliotheksgeschichte, Bd. 2), Graz 1979. Zur Baugeschichte siehe auch: Peter Schwarzmann, Die ehemalige Benediktiner-Klosterkirche St. Michael in Bamberg, (BHVB, Beiheft 27), Lichtenfels 1992, sowie die ältere Überblicksdarstellung von Heinrich Mayer, Bamberg als Kunststadt, Bamberg 31984. Siehe ferner: Karin DengIerSchreiber, Der Michelsberg in Bamberg, Bamberg 1993. 7 Zu Georg von Schaumberg siehe Johannes Kist, Fürst- und Erzbistum Bamberg. Leitfaden durch ihre Geschichte von 1007 bis 1960. Bamberg 31962, S. 64 - 65; Erich Freiherr von Guttenberg, Das Bistum Bamberg, in: Germania Sacra, Abteilung 2, Bd. 1,1, Berlin - Leipzig 1937. S. 261 - 277 sowie J. Looshorn, Geschichte des Bistums Bamberg, Bd. 4: 1400 - 1556, Neustadt an der Aisch 21980 (Nachdruck von München 1900), S. 300 ff.

8 S. B. B., R. B. Msc. 48, f. 229, und S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 47. Ferner: Johannes Linneborn, Ein 50jähriger Kampf (1417 - ca. 1467) um die Reform und ihr Sieg im Kloster ad sanctum Michaelem bei Bamberg, in: Studien und Mitteilungen aus dem Benediktiner- und Cisterzienserorden (SMBO) (ab 1910: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige) 25 (1904), S. 252 - 266, S. 579 - 599, S. 718 - 730, und 26 (1905), S. 55 - 68, S. 247 - 254, S. 534 - 546, hier 25, S. 718 - 729; Ludwig Unger, Reform des Benediktinerordens, S. 28 - 48. Kurze Hinweise zu Abt Eberhard bei Johannes Kist, Die Matrikel der Geistlichkeit des Bistums Bamberg (1400 - 1556), Würzburg 1965, S. 89. Zu den verschiedenen Reformströmungen, von denen allein die Bursfelder Reform mit der Bursfelder Kongregation einen festen Zusammenschluss der beteiligten Klöster sicherstellte, siehe die entsprechenden Beiträge in: Ulrich Faust, Franz Quarthai (bearbeitet), Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum, Germania Benedictina Bd.l, St. Ottilien 1999, S. 271 - 418. Der Michelsberg hatte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts punktuell durchaus enge Beziehungen zu den Reformrichtungen von Melk und Kastl. Es sprechen mehrere Hinweise dafür, dass es zu Beginn des 15. Jahrhunderts eine Art "Hersfelder Reformbewegung" gegeben hat, siehe dazu: Ludwig Unger u. a., Hersfeld, in: Friedhelm Jürgensmeier, Franziskus Büll und Regina Elisabeth Schwertfeger

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Ludwig Unger

Der Auftrag von Bischof Georg hatte Abt Eberhard und seine wenigen eng vertrauten Weggefährten in eine schwierige Kraftprobe mit den Konventualen, die zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme im Michelsberg lebten, und darüber hinaus mit dem mit diesen verwandten Adel der Region geführt - am Ende zwar erfolgreich, aber nicht ohne spürbare Blessuren davonzutragen. In dieser Auseinandersetzung, in der die bisherigen Konventsmitglieder auf ihre vermeintlich angestammten Rechte und Lebensweise als Nachfahren des Adels pochten, war es Eberhards Ziel gewesen, die hinter den Bamberger Klosterrnauern erlebten Missstände der adeligen Konventsmitglieder zu beseitigen. Er wollte die Mönche auf dem Michelsberg zu einem regelgetreuen Leben zurückführen. Verschiedene Visitatoren hatten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bescheinigt, dass der Konvent nicht dem Ideal des Mönchsvaters Benedikt folgte. So hatte der Konvent von St. Michael den Gottesdienst vernachlässigt. Die Mönche hatten statt in Gemeinschaftsunterkünften in ihren eigenen Wohnungen gelebt, die Klausur missachtet, Privateigentum besessen, geschlemmt und auch dem Gelübde der Keuschheit nicht gerade gefrönt. Auch die wirtschaftliche Basis der Gemeinschaft war aufgrund der aufwendigen Lebensweise auf dem Mönchberg sehr in Frage gestellt. Eberhard von Venlo hatte nach seinem Einzug ins Kloster im Mai 1463 verlangt, dass sich die Mitglieder des kontemplativen Ordens wieder des Fleischgenusses enthielten, dass die Regula Sancti Benedicti regelmäßig gelesen und erklärt wurde, dass das Gemeinschaftsleben mit gemeinsamem Refektorium und Dormitorium sowie gemeinsamen Gebetszeiten wieder aufgenommen werden sollte. Schließlich sollten auch wieder geordnete Verhältnisse in die klösterliche Wirtschaftsführung zurückkehren. Doch mehrere Jahre war nicht absehbar, ob Eberhards Bemühungen nachhaltig Erfolg beschieden war. Erst 1467 war deshalb das Kloster St. Michael in die Bursfelder Kongregation aufgenommen worden.

B. Abt Ulrich lässt Schäden beseitigen

Abt Ulrich wurde noch am Todestag Eberhards zu dessen Nachfolger gewählt und hat diesen auch besonders verehrt. So hat Abt Ulrich gemeinsam mit

(Bearb.), Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Hessen, (Germania Benedictina, Bd. VII), St. Ottilien 2004, S. 589 - 634, hier S. 599; Ludwig Unger, Die innerklösterlichen Verhältnisse der Reichsabtei Hersfeld vor der Reformation, Mein Heimatland 33, 1988/89, S. 21 - 24, sowie Stephan Hilpisch, Geschichte des benediktinischen Mönchtums. In ihren Grundzügen dargestellt, Freiburg 1929, S. 280.

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dem Konvent vom Michelsberg seinem Vorgänger ein "perpetuum anniversarium" an dessen Todestag, dem 4. Juli, gestiftet9 . Als Bischof von Bamberg amtierte während dieser Zeit Philipp von Henneberg lO , der die Bestrebungen der finanziellen Konsolidierung des Hochstifts weiter verfolgte und mehrere Pfarreien errichtete, darunter Zentbechhofen und Geisfeld. Ulrich III. Haug setzte die Maßnahmen, die Eberhard bereits zur Konsolidierung der Wirtschaftskraft des Klosters eingeleitet hatte, fort. Er förderte die Verehrung der Gemeinschaft der Heiligen. Er investierte finanzielle Mittel, um die Gebäude instand zu setzen, die für das Gemeinschaftsleben im Sinne des Ordens gründers Benedikt unverzichtbar waren. Auch die wissenschaftliche Ausbildung der Mönche lag Ulrich III. Haug am Herzen, mit seinen derartigen Bestrebungen knüpfte er an die reiche gelehrte Tradition von St. Michael in Bamberg im Hochmittelalter an. Abt Ulrich "packte an", um seine Vorstellungen von einer Nachfolge des Mönchsvaters Benedikt und letztlich einer glaubwürdigen christlichen Lebenspraxis in seinem Zuständigkeitsbereich zu verwirklichen. In dieser Beziehung darf Abt Ulrich als ein Verfechter einer tatsächlich möglichen innerkirchlichen Reform an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit angesehen werden, als viele - und nicht zuletzt Martin Luther - sich angesichts der gravierenden Missstände innerhalb der katholischen Kirche nur noch von einer Reformation außerhalb der Kirche nachhaltigen Erfolg auf dem Weg zurück zum wahren christlichen Glauben und dessen Umsetzung im Alltag versprachen. Innerhalb der Klosteranlage oberhalb der Stadt Bamberg ließ Abt Ulrich m. eine neue Abtswohnung mit einer Sonnenuhr und einer Küche für 600 Gulden errichten. Über dem Paradies der Klosterkirche ließ er die Dachkonstruktion erneuern, eine Maßnahme, für die das Kloster 200 Gulden aufwandtell. 1482 ließ der Abt den defekten Brunnen für einen Kostenaufwand von 30 Gulden mit neuen Rohren versehen, die Fertigstellung fiel jedoch erst in die Amtszeit seines Nachfolgers Andreas Lang l2 .

9 S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 53 '. Dort steht: "Idem dominus Udalricus abbas addixit anniversarium predecessori suo abbate Eberhardo cum consensu tocius conventus in die sancti Udalrico vel paulo post." 10 Zu Philipp von Henneberg siehe: Johannes Kist, Fürst- und Erzbistum Bamberg, S. 66 - 67; Erich Freiherr von Guttenberg, Das Bistum Bamberg, S. 268 - 271. II

S.B.B., R.B. Msc. 49, f. 53'.

12

S.B.B., R.B. Msc. 49, f. 53'.

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Das Gotteshaus der unmittelbar zur Klosteranlage St. Michael benachbarten Propstei St. Getreu ließ Abt Ulrich ausbauen. So ließ er den Chor erweitern und weitere Altäre errichten. Diese konnte Weihbischof Hieronymus von Reitzenstein 1477 einweihen 13 • Sorge um den Erhalt und die Funktionsfähigkeit des Klosters leiteten ihn bei seinem Handeln. Bei der Förderung der Heiligenverehrung standen für den Benediktinerabt Ulrich III. vor allem die Heiligen des Benediktinerordens und die im Mittelpunkt, die im Hochstift Bamberg besonders verehrt worden sind. So hat Abt Ulrich noch in seinem Wahljahr den Vierzehn-Heiligen-Altar in der klösterlichen Krankenanstalt errichtet, der im Oktober 1475 von dem Bamberger Weihbischof Hieronymus von Reitzenstein konsekriert wurde. Noch lag die Erscheinung der vierzehn Nothelfer, die ein Schäfer im Oberen Maintal gehabt hatte, nicht lange zurück und ihre Verehrung nahm gerade in der vorreformatorischen Zeit ein erhebliches Ausmaß an. In diesen Altar wurden die Reliquien des Hl. Kreuzes, der Apostel Andreas, Philippus, Matthias, der Märtyrer Kilian, Dyonisius und vieler weiterer Heiliger gelegt l4 • Noch im gleichen Jahr erhielt das Kloster Michelsberg auf Anweisung von Abt Ulrich einen Altar zu Ehren des Hl. Abtes Otmar. Der wurde ebenfalls im Oktober 1475 geweihes. 1477 ließ Abt Ulrich III. in der Klosterkirche einen Georgenaltar errichten, den Weihbischof Hieronymus von Reitzenstein am 25. August 1477 konsekrierte l6 . Die Diözese Bamberg hatte zum Hl. Georg eine besondere Beziehung. Der Ritterheilige Georg war der Patron des Hauptaltars in einem der bei den Chöre des Domes und gilt als der Patron der Stadt Bamberg. Als die Bürger Bamberg 1435 während des Immunitätenstreits die Klosteranlage auf dem Mönchsberg erstürmt hatten, hatten sie auch Zerstörungen angerichtet. Seit diesem Datum waren einige Altäre nicht mehr wiederhergestellt worden. Abt Ulrich ließ den völlig zerstörten Altar des Hl. Petrus und aller Apostel, ebenso den seines Namenspatrons Ulrich neu errichten und weihen l7 .

13 S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 53 " Zu dem Bamberger Weihbischof Hieronymus von Reitzenstein (1474 - 1503) siehe Johannes Kist, Hieronymus von Reitzenstein O. eist., Weihbischof von Bamberg (1474 - 1503), in: Berichte des Historischen Vereins Bamberg 90 (1951), S. 322 - 327. 14 S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 53'. Die Vierzehnheiligenverehrung ging auf die Erscheinung eines Schäfers in der Nähe von Staffelstein zurück. 15

S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 54. Der Benediktinerabt Otmar war 759 gestorben.

16

S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 54.

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S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 54.

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Im Jahr 1480 entdeckte der Konvent Spuren der gewaltsamen Beschädigung des Hochaltars der Kirche von St. Michael. Abt Ulrich ließ daraufhin im Beisein des Klosterkonvents und des Bamberger Weihbischofs den Altar öffnen, um zu prüfen, ob Reliquien der verehrten Heiligen entwendet worden waren. Die Klostergemeinschaft fand in dem Altar, so die Quelle, dieselben Reliquienbehältnisse vor, die im 12. Jahrhundert der Bamberger Bischof Otto bei der Weihe dort eingeschlossen hatte. Bischof Otto war nach seinem Tod 1139 auf eigenen Wunsch auf dem Michelsberg beigesetzt worden, seine Heiligsprechung auf Betreiben des Michelsberger Abts 1189 hat dem Kloster reiche Schenkungen eingebracht. Abt Ulrich ließ dieses Reliquiar zusammen mit weiteren Reliquien wieder in den Hochaltar versenken. Anschließend machten Abt, Konvent und Weihbischof einen Rundgang durch die Klosterkirche, die Kapellen und den Kreuzgang, um den Erhaltungszustand des Gebäudes zu überprüfen. Weitere Schäden scheinen nicht festgestellt worden zu sein l8 .

C. U1rich erweitert die Bibliothek Dem regelgemäßen Leben der Mönche entsprach auch eine fundierte religiöse bzw. theologische Ausbildung. Diese war auf dem mons monachorum im 14. und 15. Jahrhundert - bis zu der durchgreifenden Reform durch Eberhard von Venlo - weithin in Vergessenheit geraten. Als wichtige Voraussetzung für diese Aus- und Weiterbildung diente die Bibliothek. Gerade die Benediktiner galten als die "ersten Träger der Klosterbibliotheken" und auch die "bedeutendsten,,19. Die Klosterbibliothek von St. Michael hatte durch den Klostersturm 1435 stark gelitten, hatten doch die Bamberger Bürger diese während des Immunitätenstreits geplündert. Doch hatten die Mönche wenigstens den Hauptbestand der Literatur gemeinsam mit dem Klosterarchiv zuvor auslagern und damit retten können 2o • Abt Ulrich III. ergänzte den Bestand der Bibliothek. Unter den 90 in seinem Auftrag angeschafften Werken befanden sich Bücher der unterschiedlichen Wissensgebiete, vorwiegend aber religiös-theologische Schriften21 . Ulrich

S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 53'. Edgar Lehmann, Die Bib!iotheksräume der Klöster im Mittelalter, Berlin-Ost 1957, S. 19. 20 Harry Bresslau, Bamberger Studien, in: Neues Archiv 21 (1895), S.139 - 234 (hier S.171). 21 S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 54; dort heißt es: "Idem sub eodem domino Udalrico abbate empti sunt !ibri ad !ibrariam nostram." Der Bestand der Bibliothek wurde ediert 18

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ließ von Mönchen des Klosters auch Bücher in traditioneller Weise abschreiben. So kopierte etwa 1478 beispielsweise der Bruder Reynher, der später dem Leitungskreis der Abtei unter Abt Andreas Lang angehörte, ein Lektionar22 • Zugleich nutzte der Abt vom Michelsberg die neue Methode der Vervielfältigung von theologischen Werken, den Buchdruck. Um 1480 lud Ulrich III. Haug einen Drucker auf den Mönchsberg ein, den aus Eger stammenden Johann Sensenschmidt. Dieser hat seit 1469 die Buchdruckerei in Nümberg betrieben, war dort aber aufgrund wachsender Konkurrenz von Koberger und Creussner unter wirtschaftlichen Druck geraten und folgte deshalb der Einladung des Benediktinerabts an die Regnitz gern. In der Propstei St. Getreu richtete er seine Druckerei ein und druckte - nicht zuletzt im Auftrag von Abt UIrich III. Haug, aber auch des Provinzialkapitels und der Bursfelder Kongregation - religiös-kirchliche Literatur, die weit über Bambergs Grenzen im Wirkungskreis der Ordensgemeinschaft vertrieben wurden. Abt Ulrich hat damit den Ruf Bambergs als eines frühen Zentrums des Druckwesens begründee3 .

D. Die soziale Struktur der Mönche wandelt sich

Schwierig ist es, das Wirken Abt Ulrichs III. Haug im Sinne des Ordens vaters Benedikt und der Reforrnrichtung der Bursfelder Kongregation unmissverständlich zu belegen. Ein unübersehbares Indiz dafür ist aber die Tatsache, dass sich der Konvent auf dem Michelsberg bis zum Zeitpunkt des Todes von Abt Ulrich am 2. Februar 1483 auf eine Zahl von 25 bzw. 26 Mönchen sowie drei Conversen erhöht hatte. Diese Zahl lässt sich einem Inventar entnehmen, das sein Amtsnachfolger unmittelbar nach dem Amtsantritt anfertigen ließ, dem "inventarium bonorum mobilium et immobilium, allerhand liegender Fahr und

u. a. in: P. Ruf, Das Bistum Bamberg, in: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Bd. 3.3, München 1939. S. 172 f. 22

S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 54.

Vgl. dazu Ferdinand Geldner. Zur Geschichte des Bamberger Buchdrucks im 15. Jahrhundert, in: Gutenberg-Jahrbuch 1944/49, ohne Ort 1949, S. 100 - 104; Ferdinand Geldner, Die Buchdruckerkunst im alten Bamberg 1458/1459 bis 1519, Bamberg 1963, S. 39 - 53; Olto Meyer. Bamberg und das Buch, Bamberg 1966, S. 15 f. Zu den liturgischen Drucken des Bistums Bamberg und der Bedeutung von Johann Sensenschrnidt dabei siehe: Wilhelm Schonath. Die liturgischen Drucke des Bistums und späteren Erzbistums Bamberg, in: BHVB 103 (1967), S. 408 - 418. 23

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anderer Gerechtigkeit,,24. Fiel diese Zahl gegenüber dem Höchststand von rund 90 Mönchen auf dem Kloster Michelsberg im frühen 12. Jahrhundert in den folgenden Jahrhunderten zwar deutlich ab, so erreicht die Anzahl der Mönche in St. Michael unter Abt Ulrich die "Rekordmarke" im gesamten 15. Jahrhundert. 1431 hatten der Gemeinschaft auf dem Michelsberg 15 Mitglieder angehört, 1463, zum Zeitpunkt der Klosterreform war die Anzahl der Benediktiner auf dem mons monachorum auf sieben zurückgegangen. 1466 dürften es acht gewesen sein und 1483 immerhin 25 oder 26. Auch die soziale Struktur der Gemeinschaft von St. Michael hatte sich seit 1463 grundlegend geändert. Zum Zeitpunkt der Reform 1463 gehörten dem Konvent auf dem Michelsberg ausschließlich Adelige an, 20 Jahre später befanden sich die Adeligen in der Mönchsgemeinschaft in der absoluten Minderheit. Der Aspekt der materiellen Versorgung von Adelssöhnen - der Adel akzeptierte offensichtlich immer weniger die reale Situation auf dem Michelsberg als angemessene Lebensweise für seine Blutsverwandten - war zurückgegangen; eine neue Bereitschaft von Mitgliedern anderer sozialer Schichten, dem Vorbild des Mönchsvaters Benedikt in seiner persönlichen Lebensführung in relativer Armut zu folgen, war erwachsen. Dieser Wandel der Sozialstruktur in Benediktinerklöstern unmittelbar nach Reformen - nicht nur um 15. Jahrhundert - ist vielerorts nachgewiesen worden. Auch der Handlungsweise Ulrichs III. bei der Besetzung des Michelsberger Priorats St. Jakob in Stettin ist abzulesen, wie sorgfältig und gewissenhaft er die Amtsträger des Klosters ausgewählt hat. Am 12. März 1476 hatte Abt Ulrich Frater Martin, einen Professen des Mutterklosters, als Prior in Stettin investiert, den eine zeitgenössische Quelle als "religiosum virum" beschreibt25 . Ob diese Beschreibung eher ein Stereotyp abbildet oder der Realität entsprach, lässt sich in der Analyse der Quelle rund 500 Jahre später schwer nachweisen. Auf die Anerkennungsformel des Michelsberger Abtes Ulrich antwortete der Prior "Non habeo in hoc mundo alium patrem,,26. Frater Martin musste auch einwilligen, dass eine Kommission darüber zu entscheiden habe, ob er im Amt verbleiben könne oder aber von seinem Amt abberufen werde. Die geistlichen Rechte des Klosters Michelsberg über das Priorat St. Jakob in Stettin hat sich Abt Ulrich III. Haug am 31. Januar 1481 von Papst Sixtus IV. bestätigen lassen. Der Papst konfirmierte, dass die Seelsorge des Priorats von

24 Staatsarchiv Bamberg, Repertorium B 110 / Nr. 3. Da in dem Verzeichnis keine Trennung der Namen durch Kommata erfolgt ist, lässt sich nicht mit Sicherheit nachweisen, ob es 25 oder 26 Mönche waren. 25

S. B. B., R. B. Msc. 48, f. 298.

26

S. B. B., R. B. Msc. 48, f. 298.

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Stettin durch einen Mönch des Klosters St. Michael bei Bamberg oder einen geeigneten Weltgeistlichen in dessen Auftrag ausgeübt werden dürfe. Eigens bestätigte der Apostolische Stuhl, dass Abt und Konvent des Michelsbergs das Recht hatten, das in dem Priorat übertragene Kirchenamt an eine geeignete Person zu übertragen 27 • Auf einen guten religiösen Zustand des Klosters Michelsberg zur Zeit des Abtes Ulrich III. Haug deuten mehrere Seeimessstiftungen: 1477 gab Chorherr Johannes Zollner von St. Stefan dem Kloster St. Michael freiwillig 10 Gulden ewigen Zinses zurück, die er auf einem Hof in Gaustadt besaß. Ihm gewährte das Kloster einen ewigen Jahrestag 28 . 1478 wurde dem Stefan Hornung gegen ein dem Kloster in Königsfeld verschriebenes Gut sein Begräbnis im Kloster Michelsberg zugestanden. Der Konvent vom Michelsberg sollte Stefan Hornung zu dessen Lebzeiten Nahrungsmittel stellen und nach dessen Tod viermal pro Jahr für ihn, seine Frau und seine Angehörigen eine Seelmesse lesen29 . Am 13. Dezember 1479 versprachen Abt Ulrich und der Michelsberger Konvent dem Martin Fortschen und seiner Familie einen Jahrtag nach dem Fest des hl. Egidius, um einen lang anhaltenden Streit um Güter und Rechte in Ebing zu schlichten. Damit ließ sich allerdings der Streit nicht erfolgreich beilegen. Erst nach einer Appellation an den Kaiser kaufte das Kloster für 550 Gulden die umstrittenen Rechte und Güter30 •

E. Michelsberg als feste Stütze des Reformmönchtums Abt Ulrich engagierte sich auch in den Ordenskapitelversammlungen der Provinz Mainz-Bamberg, die als Einrichtung zu Beginn des 15. Jahrhunderts ins Leben gerufen worden waren, um einerseits die einzelnen Klöster bei ihrer Umsetzung der vita communis nach der Regel Benedikts zu begleiten, anderer-

27 Caspar A. Schweitzer (Hrsg.), Das Urkundenbuch des Abtes Andreas im Kloster Michelsberg bei Bamberg, in: BHVB 16 (1853), S. I - X, S. 147, und 17 (1854), S. 1175; hier in: BHVB 17, S. 157 f.

28

S. B. B., R. B. Msc. 49, f. 52.

29 S. B. B., R. B. Msc. f. 52'. Zum Besitz des Klosters in Königsfeld siehe: Rainer Braun, Das Benediktinerkloster Michelsberg 1015 - 1525. Eine Untersuchung zur Gründung, Rechtsstellung und Wirtschaftsgeschichte, in: Die Plassenburg. Schriften für Heimatforschung und Kulturpflege in Ostfranken, Bd. 39, 1 + 2, Kulmbach 1977, S.120.

30 Staatsarchiv Bamberg, Repertorium 136 - 11, L223 / Nr. 803; Caspar A. Schweitzer (Hrsg.), Urkundenbuch, in BHVB 17, S. 155 f.

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seits aber auch nötige Reforrnmaßnahmen in der Lebensweise zu ermöglichen und schließlich den Erfahrungsaustausch und die Meinungsbildung der Äbte zu bestimmten Problemen sicherzustellen 3l • 1476 tagte diese auf dem Michelsberg unter Vorsitz der Äbte Martin von St. Felicitas in Schwarzach, Hermann von St. Jakob in Mainz, Heinrich von St. Johannes-Baptist in Blaubeuren und Johannes von St. Egidien in Nürnberg. Ulrich III. Haug selbst wurde mit Visitationspflichten in St. Felicitas in Schwarzach und St. Stefan in Würzburg betraue 2 . Er half dem Kapitel der Ordensprovinz Mainz-Bamberg im Jahr 1476 mit einer Geldsumme von 300 Gulden aus dessen finanziellen Engpässen 33 • An dem Provinzkapitel im April 1479 nahm Abt Ulrich teil und wurde dort in das Präsidium der folgenden, für das Jahr 1482 angesetzten Versammlung der Äbte gewählt34 • Planmäßig hat der Michelsberger Abt auch gemeinsam mit Georg von St. Stefan in Würzburg, Johannes von Wiblingen und Johannes von St. Egidien in Nürnberg im April 1482 den Beratungen der Äbte in Blaubeuren vorgestanden und dort eine Messe gesungen. In Blaubeuren wurde er neuerlich mit Visitationsaufgaben betraut. Gemeinsam mit dem Abt von Donauwörth sollte er die Benediktinerklöster in der Diözese Bamberg, und gemeinsam mit dem Abt von Hirsau das Kloster Schaffhausen besuchen und die dortigen Verhältnisse überprüfen 35 . Vom 8. bis 10. Mai 1476 fungierte das Kloster Michelsberg - wie 1474 in Hildesheim beschlossen - auch als Tagungsort für das Generalkapitel der Benediktineräbte, die in der Bursfelder Reformkongregation zusammengeschlossen waren. Die Versammlung unter Leitung der Äbte von Bursfelde, St. Martin in Köln und Huysburg wurde von knapp zwei Dutzend Äbten besuche6 . 1477 betraute das Generalkapitel der Bursfelder Kongregation bei seiner Versammlung in Reinhausen den Michelsberger Abt Ulrich damit, zusammen mit den Äbten von St. Peter in Erfurt und Bursfelde die Generalversammlung 31 Peter Maier, Die Epoche der General- und Provinzialkapitel, in: Faust, Quarthai (bearb.), Die Refonnverbände und Kongregationen (Anm. 8), S. 195 - 224.

32 Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 4406, f. 180 - 187; ferner: Joseph Zeller, Liste der Benediktiner-Ordenskapitel in der Provinz Mainz-Bamberg seit dem Konstanzer Konzil, in: 5MBO 42 (1924), S. 184 - 195, hier S. 189.

33 S. B. B., R. B. Msc. 48, f. 317'; Schweitzer (Hrsg.), Urkundenbuch, in BHVB 17 (Anm. 30), S. 141 f. 34

Bayerische Staatsbibliothek München, Clm. 4406, f. 187 - 193.

35

Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 4406, f. 196 - 203.

36 Kapitelsrezess von 1477, in: Paulus Volk (Hrsg.), Die Generalkapitels-Rezesse der Bursfelder Kongregation (Kanonistische Studien und Texte), Bd. 1, Bonn 1951, S. 173 187.

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von 1478 in der Abtei St. Peter und Paul in Paderborn zu leiten, eine Ehrenpflicht, der er auch nachgekommen ist. Die Versammlung in Paderborn beauftragte Ulrich III. Haug noch damit, das Generalkapitel von 1479 in Erfurt mit der Eucharistiefeier zu eröffnen 3? An den Generalkapiteln der Bursfelder Reform 1480 und 1481 in Erfurt sowie 1482 in St. Jakob bei Mainz hat Ulrich zwar teilgenommen, doch wird nicht überliefert, dass er dabei besondere Funktionen übernommen hätte. Immerhin hat ihn das Kapitel von 1482 gemeinsam mit seinen Amtsbrüdern von St. Peter in Erfurt und St. Stefan in Würzburg darum gebeten, die Verhältnisse des Klosters Mönchröden im Herzogtum Sachsen zu überprüfen, da dieses um die Aufnahme in die Bursfelder Kongregation nachgesucht hatte 38 •

F. Auf dem Weg zu einer ökonomischen Konsolidierung Im Zuge der Einführung der Klosterreform 1463 war es Ziel der Äbte Eberhard von Venlo, Ulrich III. Haug und auch Andreas Lang, die Trennung zwischen Abts- und Konventsgut aufzuheben und damit die ökonomischen Kräfte des Klosters zu bündeln. Zwischen 1463 und 1480 wurde eine einheitliche Güterverwaltung eingeführt und damals bildete sich auch eine Art Ämterorganisation heraus mit den Klosterämtern Weismain, Bamberg, Gremsdorf, Forchheim und Rattelsdorf. Seit 1480 wurden die Wirtschafts verwaltung des Klosters mit Einnahmen und Ausgaben auch in Rechnungsbüchern und mit Hilfe einer Registratur erfasst und dokumentiert 39 • Seit 1477 sind auch Gerichtsbücher überliefert40 • Mit Hilfe der auf vielerlei Weise verbesserten Verwaltungs struktur gelang es dem Kloster, die Realhöhe der Abgaben von rund 60 Prozent im Jahr 1480 an sukzessive zu steigern. Schließlich waren die klösterlichen Bediensteten durch 37 Rezesse von 1477 und 1478: Volk (Hrsg.), Die Generalkapitels-Rezesse (Anm. 36), Bd. 1, S. 173 - 181. 38 Rezesse von 1480, 1481 und 1482: Volk (Hrsg.), Die Generalkapitels-Rezesse (Anm. 36), Bd. 1, S. 187 - 201. Die Zustimmung für die Visitation hatte der Herzog von Sachsen 1482 erteilt. Mönchröden wurde erst 1485 in die Bursfelder Kongregation aufgenommen. 39 Braun, Das Benediktinerkloster (Anm. 29), Bd. 1, S. 95 f. sowie S. 233 ff. und S. 276 f; Unger, Die Reform des Benediktinerklosters (Anm. 3), S. 77 - 85. Staatsarchiv Bamberg, Repertorium B 110 I Nr. 30a. In Gremsdorf ließ Abt Ulrich im Getreidekasten des Klosters ein neu es Haus mit Stall mit einem Aufwand von rund 700 Gulden errichten (S. B. B., R. B.Msc. 49, f. 3). 40 Staatsarchiv Bamberg, Repertorium B 110 I Nr. 353; dieses umfasst die Gerichtsbücher für die Amtszeit von Abt Ulrich III. Haug 1477 - 1483.

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die genaue Buchführung und Rechnungslegung besser darüber informiert, welche Leistungen sie tatsächlich einfordern konnten und wofür die Mittel eingesetzt wurden. Auf der Basis von Kopialbüchern und Inventaren kannten die Klostervorsteher und Cellerare den Umfang der Rechte, Besitzungen und Einnahmen des Klosters genau und konnten überwachen, ob die zu erbringenden Abgaben und Dienstleistungen auch tatsächlich geleistet wurden41 . In der Folge erwirkte der Michelsberger Abt Ulrich am 23. Mai 1482 auch einen Gerichtsbrief gegen die Hallstadter Groß Fritz, Conz Hofer und Ullein Bischof, weil diese für Weingärten in Dörfleins über mehrere Jahre keinen Weinzins und Zehnt entrichtet hatten42 . Die zielgerichtete Besitzverwaltung verhinderte nicht, dass sich für das Kloster Michelsberg der "Kreis um Verschuldung, Einnahme- und Zinsverlust und Neuverschuldung immer schneller zu drehen,,43 begann. Deshalb mussten sich auch die Reformäbte zu Notverkäufen bereit finden, so etwa zum Verkauf der Rechte des Klosters in den unmittelbar benachbarten Ortschaften Römershofen, Königsberg und Seidenhan44 • Der Erlös aus Verkäufen konnte jedoch zum Teil auch zum Rückkauf oder Neuerwerb anderer Güter und Besitzungen eingebracht werden und diente unter Abt Ulrich auch der Förderung der Teichwirtschaft, eine geschickte Maßnahme, da der Wert des Fisches im Vergleich zu dem anderer Lebensmittel gegen Ende des 15. Jahrhunderts erheblich gestiegen war45 .

G. Abt Ulrich hat sein Haus bestellt Als Abt Ulrich im Februar 1483 starb, war es um die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Entwicklung der 1463 im Kloster Michelsberg eingeführten Reform günstig bestellt, Abt Ulrich hatte sein Haus bestellt. Die Mönche hatten eine Lebensweise eingeübt, die sich strenger als zuvor an der regula Benedicti ausrichtete, an der Klosteranlage waren die nötigen Baumaßnahmen vorgenommen, über die Druckerei hatte eine neue Kulturtechnik die bisherige Praxis des Abschreibens von Büchern ergänzt. Und Abt Ulrich hatte sich auch in Andreas Lang, den er immer wieder mit besonderen Aufgaben betraut hatte, einen Nachfolger herangezogen.

41

Staatsarchiv Bamberg, Repertorium A 136 (I + 11).

42

Staatsarchiv Bamberg, Repertorium A136 (I, L.219 / Nr. 523).

43

Braun, Das Benediktinerkloster (Anm. 29), Bd. 1, S. 277 ff.

44

Braun, ebd., Bd. 1, S. 230 f.

45

S. B. B., R. B.Msc. 49, f.52 - 53'; S.B.B., R.B.Msc. 48, f. 300 - 323'.

Zur Freiheit befreit (Galater 5,1) Impulse der Reformation für die Kultur heute'

Von Helmut Altner und Gotthard Jasper A. Die Diagnose: Entfremdung

Helmut Altner "Treten Sie aus der Kirche aus! Jeder fünfte Regensburger ist ,kirchenfrei '. Da freut sich der Bund für Geistesfreiheit." So lautete kürzlich die Überschrift über einem Artikel in der Mittelbayerischen Zeitung (11. 10. 2002), der die bevorstehende 25-Jahr-Feier des Bundes zum Thema hatte. Wie in dem Zeitungsbeitrag berichtet wurde, beobachtet der Bund mit Genugtuung, dass die Kirchen stetig Mitglieder einbüßen. Freiheit des Geistes heiße immer auch Freiheit von kirchlicher Bevormundung; das ist wohl die Botschaft, die hier übermittelt werden soll. Nun spricht auch der Text aus dem Brief des Paulus an die Galater, der über unserer heutigen Veranstaltung zum Reformationstag steht, von Freiheit:

* Es mag ungewöhnlich erscheinen, wenn in der Festschrift für den katholischen Kirchenrechtler Alfred Hierold ein dialogisches Referat zweier evangelischer Laien abgedruckt wird, das diese am Reformationsfest, am 31. Oktober 2002, in der Dreieinigkeitskirche zu Regensburg vorgetragen haben. Gleichwohl sehen die Autoren in ihrem Beitrag einen Ausdruck besonderer persönlicher Verbundenheit mit ihrem "Kollegen" Hierold, dessen gesamte Amtszeit als Rektor der Otto-Friedrich-Universität Bamberg der Biologe Helmut Altner als Rektor der Universität Regensburg und der Politikwissenschaftler Gotthard Jasper als Rektor der Universität Eriangen-Nümberg begleiteten. Die in der Rede angesprochene Verantwortung der Christen für die Welt war dabei die zwar unausgesprochene, aber wirksame Grundlage einer besonders vertrauensvollen Kooperation.

Dem Anlass und Charakter dieses Redebeitrages entsprechend ist auf Fußnoten verzichtet worden.

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Helmut Altner und Gotthard Jasper

"So bestehet nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasset Euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen."

Paulus bezieht sich bei seinen Worten auf die Befreiung von Regelungen des alten Gesetzes. Er nennt als Beispiel die Beschneidung. Rituelle Vollzüge, die drohen, zum Selbstzweck zu werden, und den Blick vom Wesentlichen ablenken, sollten den Menschen nicht binden. Was aber ist für Paulus das Wesentliche? Er sagt es in seinem Brief wenig später und deutet zugleich an, dass Freiheit immer auch das Risiko der Verfehlung einschließt (Galater 5, 13. 14): "Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen! Allein sehet zu, dass ihr durch die Freiheit dem Fleisch nicht Raum gebet; sondern durch die Liebe diene einer dem andem. Denn alle Gesetze werden in einem Wort erfüllt, in dem: ,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. '"

Damit ist gesagt, wofür die gewonnene Freiheit eingesetzt werden sollte. Und das Gebot der Nächstenliebe ist zweifellos der Impuls - es soll ja heute Abend über Impulse gesprochen werden! -, der das Denken und Handeln der Menschen weltweit bewegt hat und immer noch bewegt. Freilich darf nicht ignoriert werden, dass Christen, auch die christlichen Kirchen, dieser ihrer Freiheit nur unvollkommen gerecht geworden sind. Das Gebot der Nächstenliebe ist immer wieder missachtet worden. Darüber hinaus hat es auch immer wieder Versuche gegeben, die geschenkte Freiheit ängstlich zu beschneiden. Daher konnte die Meinung entstehen, mit der Freiheit des Denkens sei es bei den Kirchen nicht weit her. Geistesfreiheit müsse den Kirchen abgerungen, ja gegen die Kirchen durchgesetzt werden. So ist das Band gemeinsamer und einigender Glaubensgewissheiten in unserem Gemeinwesen längst zerrissen. Der Botschaft des Evangeliums hat man sich entfremdet, nicht selten auch, weil man nicht bereit war, zwischen dem Wort der Schrift und dem Fehlverhalten irrender Menschen - irrender Christen - zu differenzieren. Was ist die Folge? Wir leben heute in einer durchgehend verweltlichten, aber sehr uneinheitlichen Welt. Sie wird auch eine pluralistische Welt genannt, eine Welt, in der vielfältige Weltsichten existieren und einander tolerieren sollten. Wir wissen alle, dass es mit der Toleranz nicht weit her ist. Unsere Welt ist voller Spannungen. So wird von uns die Bereitschaft zu einem multikulturellen Miteinander gefordert. Zugleich droht aber, wie diagnostiziert wird, ein "Kampf der Kulturen". In dieser Situation sind wir heute Abend gefordert, darüber nachzudenken, ob es "Impulse der Reformation für die Kultur heute" geben kann. Ich habe diese unsere gegenwärtige Welt pluralistisch, uneinheitlich und unübersichtlich genannt. Allerdings gibt es auch ein gewisses gemeinsames

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Grundverständnis, nämlich jenes, das auf dem Fortschritt der Wissenschaften beruht. Wir sprechen ja auch von der "Wissensgesellschaft" und beziehen uns dabei auf das wissenschaftlich erarbeitete Wissen. Dieses wird weithin als verbindlich und verlässlich akzeptiert. Es lässt sich nun auch nicht bestreiten, dass wir heute - wenigstens in der Ersten Welt - dank wissenschaftlicher Erkenntnisse weit besser und sicherer leben, als es den Menschen je zuvor möglich war. Viele würden noch hinzufügen, dass die Wissenschaften mit ihrer Rationalität auch Weltdeutungen geliefert haben, mit deren Hilfe Menschen ein sinnerfülltes Leben zu führen vermögen und zwar besser als mit der Verkündigung der Kirchen. Diese wird dann, wie erwähnt, eher als Fessel denn als Botschaft der Freiheit begriffen. Müsste ich mir, wenn das zutrifft, nicht einen Mangel an Realitätssinn vorwerfen oder mir sagen lassen, dass ich meine intellektuellen Fähigkeiten nicht angemessen benutze, wenn ich hier bei einer Feier des Reformationsfestes mitwirke und mich auch als Christ äußere? Aufgeklärter Wissenschaftler auf der einen Seite - bekennender Christ auf der anderen? Geht das zusammen? Ich denke ja, und will versuchen, dies zu begründen. Die Wissenschaften haben unsere Lebensverhältnisse in unglaublicher Weise verbessert. Sie haben uns neuerdings, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, embryonale Stamrnzellen zugänglich gemacht, die Heilung bei schweren Erkrankungen bringen könnten. Doch die Gewinnung solcher Zellen ist problematisch, weil dabei gegebenenfalls menschliche Embryonen geopfert werden müssen. Ist da nicht zu fragen, ob das mit der Menschenwürde vereinbar ist? Menschenwürde - diesen Begriff kennen die sogenannten exakten Wissenschaften nicht. Sie können ihn letztlich nicht kennen. Auf Sinnfragen haben sie keine Antwort, wie sie dementsprechend auch in Bezug auf das, was verantwortbar ist und was nicht, keine Autorität beanspruchen können. Daraus folgt: aus den Wissenschaften allein heraus kann ein Mensch kein erfülltes Leben führen. Ich habe Ihnen die These vorgetragen, dass mit zunehmender Entfremdung der Menschen von christlichen Glaubenswahrheiten die Wissenschaften erstarkten und zur prägenden Kraft unserer Zeit geworden sind. Lassen Sie uns diesen Vorgang ein wenig genauer betrachten. Denn bei dieser Entfremdung von alten einigenden Vorstellungen hat die Reformation zweifellos eine Rolle gespielt. Bekanntlich ist die Verweltlichung, die Säkularisation, vor allem von der geistigen Bewegung der Aufklärung ausgelöst worden. Der Philosoph Immanuel Kant hat von dem "Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" gesprochen.

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Aber es gab schon zuvor Anstöße, sich von Denkfesseln zu befreien. So hat der Reformator Philipp Melanchthon ein Stück Aufklärung vorweggenommen, indem er - dabei auf antike Vorbilder zurückgreifend - gefordert hat, mutig vom Verstand Gebrauch zu machen. Und ist es nicht so, dass sich die Säkularisation gerade in den protestantisch geprägten Ländern am schnellsten und stärksten durchgesetzt hat? Das ist u. a. auch daran ablesbar, dass noch im vorigen Jahrhundert in Deutschland unter Akademikern, insbesondere Naturwissenschaftlern und Ingenieuren, auch in katholisch geprägten Regionen Angehörige der evangelischen Konfession dominierten. Wenn wir die säkularisierte Welt mit ihrer Entfremdung der Menschen von religiösen Vorstellungen als Ergebnis einer kulturellen Entwicklung betrachten, liegt die Frage nahe, ob nicht die Reformation - ungewollt - dazu beigetragen habe, Gott aus unserer - inzwischen weitgehend wissenschafts gläubigen - Welt zu verdrängen. Es gibt Argumente dafür. Das mag uns ein Blick auf den großen deutschen Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing verdeutlichen. Lessing verdanken wir das großartige Schauspiel Nathan der Weise. Dieser Text, gleichsam das Hohe Lied der Toleranz zwischen den Religionen, bewegt uns heute nach wie vor. Lessing entstammte einem Pfarrhaus, war selbst theologisch interessiert und hat sich eingemischt. Aber während es Luthers Anliegen war, die Heilige Schrift in den Mittelpunkt des religiösen Denkens zu stellen und sie wieder unverfälscht zur Geltung zu bringen, unternimmt es Lessing, die Aussagen der biblischen Texte selbst anzugreifen. Der Alttestamentler Rudolf Smend hat diesen Prozess eingehend analysiert und stellt fest, Lessing habe Luther in dessen zentralen Anliegen attackiert. Er habe sich für die "grundsätzliche Relativierung biblischer Texte" ausgesprochen. Kann also die Säkularisation als eine Spätfolge oder Nebenwirkung der Reformation gesehen werden? Im Gegensatz zu dieser Interpretation ist neuerdings die These entfaltet worden, die Reformation sei ganz zu Unrecht von der Aufklärung mit der Aura des Innovativ-Progressiven, ja Revolutionären versehen worden. Im Kern sei sie eher bestrebt gewesen, Altes zu schützen und es gereinigt zu beleben. Mag der historische Ablauf auch noch nicht völlig geklärt sein, es gibt gute Argumente dafür, dass unser heutiges Wissenschafts verständnis nicht erst in der Zeit der Aufklärung entstanden ist, sondern auch durch die Bewegung der Reformation prägende Impulse erhalten hat. Dazu gehört, dass den Wissenschaften jene Grundeinstellung zugute kam, die als protestantischer Individualismus bezeichnet werden kann. Luthers Frage "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?" mag da symptomatisch sein. Un-

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bestreitbar ist das individualistische Vorgehen ein Kennzeichen unserer heutigen "Wissenschaftsgesellschaft". Wissenschaftlichkeit steht weithin für Glaubwürdigkeit und bei manchen - ich deutete es an - für mehr: auch für umfassende Wahrheit. Haben wir da nicht als evangelische Christen Einspruch einzulegen?

B. Die ambivalente Deutung der Lutherischen Zwei-Reiche-Lehre

Gotthard Jasper Herr Altner hat in seinen Ausführungen eben dargelegt, dass es offensichtlich zu den Impulsen der Reformation gehört, die Wissenschaft von der Bevormundung durch die Kirche zu befreien. Zugleich führt dieses zu einer Entfremdung zwischen einer sich optimistisch und kraftvoll entwickelnden säkularen wissenschaftsgläubigen Welt, die ihren eigenen Gestaltungskräften vertraut, einerseits und einer kirchlichen Frömmigkeit und Glaubenshaltung, die der Wissensgesellschaft fremd und hilflos gegenübersteht, andererseits. Dieser historische Prozess, der durch die Reformation mit ausgelöst wurde, findet seine Parallele im Verhältnis der Protestanten zu Staat und Politik. Wir haben uns darüber zu vergewissern, ob nicht gerade die Reformation mit ihrer Unterscheidung von den zwei Reichen oder Regimenten Gottes: zur Rechten das Reich der Kirche und zur Linken das Reich der Obrigkeit, des Staates, ganz wesentlich dazu beigetragen hat, die Weltlichkeit des Staates zu betonen und seine Entlassung aus kirchlicher Bevormundung zu betreiben. Indem Luther die Eigenständigkeit des Staates und - so muss man hinzufügen - auch der Wirtschaft und Gesellschaft akzentuierte und hervorhob, reduzierte er den Einfluss der Kirche. Die Parallelen zur Wissenschaft drängen sich auf. Auch hier ist Entfremdung zu registrieren. Der Impuls der Reformation ist zunächst eher Entlassung als Beeinflussung. Doch schaut man historisch etwas genauer nach, dann ist der Vorgang eher ambivalent. Luthers Zwei-Reiche-Lehre, seine dezidierte Unterscheidung zwischen Kirche und Staat räumt mit der mittelalterlichen geistlich-weltlichen Lebenseinheit, der kirchlichen Bevormundung des Staates und der Überordnung der Kleriker gegenüber den Laien auf und anerkennt die Eigenständigkeit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Im Reich Gottes zur Rechten herrscht Christus durch Wort und Sakrament, gilt das Gebot der Bergpredigt und besteht Gleichheit zwischen allen Gliedern, die von Gottes Gnade und Vergebung leben. Im Reich Gottes zur Linken herrscht die von Gott eingesetzte Obrigkeit und zwar nicht nur durchs Wort sondern durchaus auch mit dem Schwert zur Wahrung von Recht und Frieden. Allerdings ist dieser göttliche Ordnungsauftrag durchaus begrenzt. Die Obrigkeit soll in der noch nicht erlösten Welt nach

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dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens und unter Androhung und Ausübung von Gewalt den äußerlichen Frieden sichern und dem Bösen wehren, soll aber nicht zum Glauben zwingen. Denn die Ordnungsaufgabe des Staates ist begrenzt, er soll eben nicht - wie man 1934 auf der Barmer Synode formulierte - "die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmungen der Kirche erfüllen" wollen, er hat viel mehr der Kirche den Raum für ihre Verkündigung zu sichern. Im Verlauf der Geschichte ist Luthers Zwei-Reiche-Lehre sehr unterschiedlich interpretiert worden - sie hat - so könnte man formulieren - in doppelter Weise zur Entfremdung zwischen lutherischen Christen und Politik beigetragen, also gerade keine Impulse zur Gestaltung von Politik, Wissenschaft und Kultur gegeben. Dieses geschah einmal dadurch, dass man aus der Unterscheidung der zwei Regimente Gottes eine strikte Trennung von Staat und Kirche machte. Politik, Wissenschaft und Gesellschaft einerseits und der persönliche christliche Glaube andererseits, standen sich fremd und beziehungs los gegenüber. In der Welt galt es, die Eigengesetzlichkeit der jeweiligen Bereiche zu respektieren, hier hatte der christliche Glaube nichts zu sagen. Er zog sich in die private Sphäre persönlicher Frömmigkeit, die Kirche in den Raum der Innerlichkeit zurück. Zur Freiheit befreit waren also Staat und Gesellschaft in dem Sinne, dass sie sich selbst und ihrem Eigenregulierungsanspruch überlassen blieben. Der weltanschaulich neutrale Staat machte die Religion zur Privatsache, die im öffentlichen Raum keinen Platz zu behaupten hatte. Eine spezifische christliche Verantwortung der Bürger, der Wissenschaftler oder Ökonomen in ihrem jeweiligen weltlichen Arbeitsfeld wurde nicht gesehen, als ob das christliche Gewissen des einzelnen Christen in diesen Bereichen der mündig gewordenen Welt nichts zu melden hätte. Die zweite Entwicklungslinie in der Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft einerseits und der Kirche der Reformation andererseits wurde von Luther noch selbst eingeleitet, als er zur Stabilisierung der Kirchenordnung den Landesherren in ihrer Eigenschaft als "hervorgehobenen Gliedern der Kirche (praecipua membra ecc1esiae)" den Summepiskopat - also die Kirchenleitung übertrug. Er lieferte damit den Grundstein für die staatliche Kirchenhoheit in den deutschen lutherischen Kirchen. Der ffÜhabsolutistische Staat nahm diese gerne zum Ausbau und zur Festigung seiner Souveränität in Anspruch. Die Freiheit der Kirche und ihrer Verkündigung, an der Luther so viel gelegen war, ging dabei ebenso verloren wie die Beschränkung der staatlichen Gewalt. Bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein resultierte aus dieser Entwicklung eine problematische Nähe um nicht zu sagen Identifikation des deutschen Luthertums mit dem monarchischen Obrigkeitsstaat. Man stellte die historisch gewachsene Ausgestaltung des monarchischen Obrigkeitsstaates als Kern der lutherischen Zwei-Reihe-Lehre hin und verHUschte damit den Sinn dieser Lehre, die den

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Staat schlechthin - unabhängig von seiner äußeren Form - als Einrichtung der Erhaltungsordnung Gottes erkennt. Gewiss war diese Verwechslung durch Luthers eigene zeitgebundene Terminologie von Obrigkeit und Fürstenstaat vorgeprägt. Fromme Landesfürsten festigten diesen Eindruck. Und der Schutz und die Privilegierung, die sie den Kirchen zukommen ließen, verstärkten den Verzicht der Christen auf die Politik, ließen sie sich auf die Rolle des frommen Untertanen im Staat beschränken und führten in Deutschland zu einer spezifischen historisch gewachsenen Fremdheit zwischen Luthertum und Demokratie. Gleichwohl ist zu beachten, dass in der Zwei-Reiche-Lehre auch gegenläufige Tendenzen zu erkennen sind, die diese Lehre auch heute noch als relevant und richtungweisend erkennen lassen. Von ihr können nach wie vor wichtige positive Impulse für Politik und Gesellschaft ausgehen. Es gilt nach wie vor festzuhalten: Die Unterscheidung der zwei Regimente Gottes und ihre wechselseitige Begrenzung verhindern eine Klerikalisierung der Politik ebenso wie eine Politisierung der Kirche oder Sakralisierung und Ideologisierung des Staates - und das ist gut so. Ferner: Die Absage an Klerikalisierung bedeutete für Luther immer zugleich auch - wie eingangs schon kurz erwähnt - eine Absage an die Überordnung der Kleriker gegenüber den Laien zugunsten der Gleichheit aller Glieder der Kirche. Die lutherische Zentralfrage: wie bekomme ich einen gnädigen Gott, richtet sich an den einzelnen Christen, der auf die Gnade der Rechtfertigung durch den Opfertod Christi vertraut. Dieser Glaube macht frei von allen Anstrengungen der Selbstrechtfertigung. Weil der einzelne Christ im Letzten an die Gnade des Angenommenseins von Gott glaubt und auf sie hofft, ist er befreit, im Vorletzten, in der noch nicht erlösten Welt, sich handelnd einzubringen, Verantwortung zu übernehmen für Gerechtigkeit und Frieden und die Erhaltung der Schöpfung. Dabei weiß er gewiss, dass es nicht darum geht, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, sondern ganz im Sinne der Zwei-Reihe-Lehre ist damit ernst zu machen, dass er - als Glied der Kirche Gottes Zuspruch und Gnade erfahrend - zugleich aufgerufen ist, als Glied des Staates - oder besser gesagt als Glied der Welt - am Regiment Gottes zur linken Hand mitzuwirken und sich dabei ernsthaft auf die anstehenden Sachprobleme einzulassen. Zwar sind Christengemeinde und Bürgergemeinde zu trennen, aber der Einzelne gehört beiden an und kann, soll und darf als Bürger sein Christsein nicht vergessen, denn es gilt zu bedenken, dass bei aller Trennung und Unterscheidung der bei den Reiche oder Regimente, beide Regierungsweisen des einen Gottes sind. Wir haben wohl immer wieder neu zu lernen, dass man "zur Freiheit befreit" auch übersetzen muss, zum "Einmischen" befreit, was nur gelingen kann, wenn man bereit ist, sich auf die Fragen und Probleme des jeweiligen "weltlichen" Bereiches auch wirklich einzulassen.

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Was das im Bereich Wissenschaft bedeutet - gerade in einer Zeit in der die Wissenschaft trotz aller Erfolge immer öfter an ihre Grenzen stößt, wird Herr Altner nun darlegen.

C. Zur Freiheit eines konstruktiven Diskurses berufen Helmut Altner Herr Jasper und ich haben gemeinsam den Prozess der Entfremdung, dem sich die Kirchen, speziell die Kirche der Reformation ausgesetzt sah, beleuchtet. Dabei hat Herr Jasper in der Zwei-Reihe-Lehre Luthers eine spezifische Wurzel für diese Entwicklung gefunden. Er hat auch den Rückzug evangelischer Christen in die Innerlichkeit, die private Sphäre der Frömmigkeit beschrieben. Zugleich hat Herr Jasper deutlich gemacht, dass sich ein Christ aus der Verantwortung für das Gemeinwesen nicht entlassen kann. Das sehe ich genauso. Betrachtet man die Ergebnisse und das Selbstverständnis der so siegreich erscheinenden Wissenschaften, so wird rasch klar, dass uns Christen eigentlich eine höchst aktive Rolle abverlangt wird. Die uns gewährte Freiheit - ich erinnere an unser Paulus-Wort - ist auszufüllen! Dabei kann es aber keineswegs darum gehen, gegenüber den Wissenschaften Mauern zu errichten. Wir sind zu einem konstruktiven Diskurs aufgerufen. Denn unsere in sich zerrissene, aber tendenziell wissenschafts gläubige, scientistische Gesellschaft ist heute in diesem Glauben an die Wissenschaft durchaus unsicher geworden. Sie zeigt gar Symptome einer Art "Glaubenskrise". Die lange Zeit herrschende Euphorie ist gewichen. Zum einen werden die Folgen wissenschaftlicher Entwicklungen - trotz deren unbestreitbarer Erfolge vielfach als bedrohlich angesehen. Zum anderen verwirren die zahllosen Optionen, die uns wissenschaftliche Entdeckungen eröffnen. Mehr noch: Vielleicht sind wir mit unserer biologisch gegebenen mentalen Ausstattung, gar nicht in der Lage, den für Entscheidungen erforderlichen Durchblick zu gewinnen. So hat sich der angesehene Neurobiologe Wolf Singer dahingehend geäußert, dass wir in eine Welt gesetzt seien, die wir zwar zu erhalten oder zu verändern trachten, deren Zukunft aber für uns angesichts ihrer Komplexität und unserer kognitiven Fähigkeiten letztlich "undurchschaubar, unprognostizierbar und damit auch unplanbar" sei. Singer wörtlich: ,,zunächst hat sich die Menschheit, als sie sich ihrer Geworfenheit gewahr wurde, den Göttern anvertraut, dann hat sie versucht, ihr durch Erkenntnis zu entfliehen, und jetzt, wo sie das Ziel zum

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Greifen nahe wähnt, selbst die Schöpferrolle zu übernehmen, muss sie erkennen, dass ihr hierzu die Weisheit fehlt." Aus dieser Einsicht folgt für Singer keine Resignation. Er plädiert dafür, Kriterien für pragmatisches Handeln zu entwickeln und diese an dem zu orientieren, was nach der individuellen Erfahrung "guttut und Leid mindert". Er fügt hinzu: "Ob diese Erfahrungen einmal in verbindlichen Mythen oder Religionen transzendiert oder nur noch in Gesetzesbüchern kodifiziert werden - auch das gehört zu dem für uns Verborgenen." Gewiss, es gibt auch andere, weniger nachdenkliche, weniger differenzierte Äußerungen aus der Welt der Wissenschaften. Aber die hier zitierte macht - bei aller Vorsicht und Abstraktheit - deutlich, dass die Frage der Mündigkeit des Menschen bei weitem nicht ausdiskutiert ist und dass das Thema der Befreiung zur Freiheit aktuell ist und bleiben wird. Der Rahmen für eine Debatte muss freilich immer wieder neu abgesteckt werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Denn wenn der christliche Glaube ein Auferstehungs- und Erlösungsglaube ist, umfasst er Gedanken, die nachzuvollziehen einer säkularen, wissenschaftsgeprägten Gesellschaft äußerste Schwierigkeiten bereitet. Das Vokabular des Glaubens wird man im Wörterbuch der Wissenschaften vergeblich suchen. Ich möchte diese Situation anhand eines Zitates konkretisieren, das in sehr konzentrierter Form die Situation beschreibt und deutlich macht, dass ich hier keine subjektiv verengte Wahrnehmung vorbringe. Zugleich liegt in diesem Zitat auch ein Plädoyer für eine ökumenische Sicht, die uns gerade am Reformationstag wichtig sein sollte. Der LiteraturwissenschaftIer Wolfgang Frühwald, lange Jahre Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und bekennender katholischer Christ, hat die Frage gestellt, inwieweit eine weltliche, an der Evolutionsvorstellung orientierte Ethik offen sein kann für die Begrifflichkeit des Glaubens. Sein Fazit: "Kerngedanken des Christentums, wie Schuld, Erlösung, Auferstehung, ein personaler Gott, eine wie immer gedachte Existenz nach dem Tod des Leibes, sind der Evolutionsethik unzugängliche, weil ihre Voraussetzungen berührende Vorstellungen. Der Dialog also, auf den sich Theologie, Kirche und Religion mit einer rationalitätsstolzen, erfolgverwöhnten und zunehmend den selbst erzeugten ... Mythen verfallenden Wissenschaft einlassen müssten, steht vor der grundSätzlichen Barriere, über die Werthaltigkeit des je eigenen Standpunkts nicht diskutieren zu können." Frühwald fährt fort: "Von Kirche und Glaubenswissenschaft wird ... eine Selbstentäußerung verlangt, welche die zeitweilige Suspendierung uralter Denktraditionen voraussetzt, damit überhaupt eine gemeinsame Gesprächsebene gefunden werden kann."

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Eine evangelische Sicht dürfte sich nicht wesentlich von dieser Einschätzung unterscheiden, aber vielleicht ist für evangelische Christen die Situation noch ein wenig schwieriger. Denn während die katholische Kirche die in ihr entwickelten Denkansätze stärker zusammenzuführen und zu bündeln vermag und eher mit einer Stimme sprechen kann, ist für die evangelische Seite eher eine bunte Vielstirnrnigkeit charakteristisch. Indes muss die darin zum Ausdruck kommende Freiheit, der Rückgriff auf die individuelle Gewissensentscheidung, nicht notwendigerweise ein Nachteil sein. Eine Polyphonie, das Angebot durchaus verschiedener, aber stets christlich geprägter Denkansätze könnte auch den gebotenen gesellschaftlichen Diskurs erleichtern, denn sie vermitteln mehr Anknüpfungspunkte. Zunächst kommt es darauf an, in ein fruchtbares Gespräch einzutreten. Wenn man seine eigene Position richtig einschätzen will, ist es immer interessant, Urteile von außen zu hören. Das ist keine neue Einsicht, aber eine, die viel häufiger praktiziert werden sollte. So möchte ich hier abschließend Aussagen des Philosophen Jürgen Habermas in unsere Überlegungen einbringen. In Übereinstimmung mit meiner Diagnose auseinanderdriftender Wahrnehmungswelten spricht Habermas davon, dass jede Konfession "sich zu den konkurrierenden Aussagen anderer Religionen ebenso ins Verhältnis setzen (muss) wie zu den Einsprüchen der Wissenschaft und des halb verwissenschaftlichten common sense." Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Wahrheitsansprüche unterschiedlicher Art "gehandelt werden". Die christliche Verkündigung kann diese nicht einfach abweisen. Christen müssen gesprächsbereit sein, wenn sie denn Impulse geben wollen; und verpflichtet uns nicht die uns zugesprochene Freiheit zur Offenheit? Ich denke, Habermas hat nicht unrecht, wenn er fordert, der modeme Glaube müsse "selbstkritisches Bewusstsein" entwickeln, "reflexiv" werden. Auf den ersten Blick möchte man erschrecken und verzagen: Wir sollen mit allen anderen Glaubensgemeinschaften, mit den Wissenschaften und den unübersichtlichen vielfältigen vom Geist der Wissenschaften "infizierten" gesellschaftlichen Gruppierungen in ein stetes, die andere Seite jeweils ernst nehmendes und informiertes Gespräch eintreten? Eine nicht zu bewältigende, geradezu herkulische Aufgabe, so scheint es. Immerhin gewährt uns Habermas als Angehörigen der evangelischen Kirche einen spezifischen Trost. Er meint, dass es die reformatorische Bewegung gewesen sei, die - "trotz aller Ambivalenzen bei Luther selbst" - zum reflexiven Glauben hingeführt habe. Wenn wir diese Einschätzung als sorgfältig belegt und abgewogen akzeptieren, ergibt sich daraus für uns als evangelische Christen eine nachdrückliche

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Ermunterung, den eingeschlagenen Weg der offenen Auseinandersetzung, des Diskurses weiterzugehen, ja zu forcieren. Das mag auch im Sinn des Pauluswortes aus dem Brief an die Galater liegen. Paulus bezieht sich, wie eingangs gesagt, auf das alte gesetzeskonforme Denken und setzt die Freiheit des Christen dagegen. Lassen Sie uns die Worte noch einmal hören: "So bestehet nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen." Ich meine, wir sollten diesen Text für uns aktualisieren. Wir sollten uns nicht nur frei, sondern auch gefordert wissen, uns auf einen offenen Dialog mit der wissenschaftsgeprägten Gesellschaft, in der wir leben, einzulassen. Und wie ist das Gespräch zu führen? In kritisch reflexivem Bewusstsein einerseits, aber mit offensiver Fröhlichkeit andererseits, in dem Sinn, dass die Sprache des Glaubens, von dem wir gewiss sind, dass er eine heil volle Botschaft in sich birgt, im Sprachengewirr auf dem "Marktplatz der Welt" deutlich zu vernehmen ist. Gesprächsverweigerung und Ausschließlichkeitsansprüche können nur als Zeichen nicht wahrgenommener Freiheit gelten. Sie kennzeichnen letztlich einen Fundamentalismus, der überall auftreten kann - in allen Religionen, auch bei Christen, aber auch bei Wissenschaftlern und selbst bei solchen Menschen, die sich für freie Geister halten. Am Ende des 5. Kapitels des Briefes des Paulus an die Galater heißt es in Vers 25: "So wir im Geist leben, so lasset uns auch im Geist wandeln."

D. Zur Übernahme von Verantwortung für Welt befreit

Gotthard Jasper Herr Altner hat von der Notwendigkeit reflexiven Glaubensbewusstseins und der Bereitschaft zum offenen Diskurs mit einer Wissenschaft gesprochen, die bei aller rasanten Vermehrung unseres Wissens mehr Fragen aufwirft, als sie selbst zu beantworten weiß. Im politischen Bereich machen wir ähnliche Erfahrungen. Hatte die Obrigkeit zu Luthers Zeiten im wesentlichen die Sicherheit der Untertanen zu gewährleisten und Gericht zu halten, so ist der Raum des Politischen - genauer: des durch den Staat verbindlich Geregelten - heute fast unbegrenzt, unüberschaubar und immer unberechenbarer geworden. Zugleich werden wir immer abhängiger von den Leistungen der Politik. Wo man sich früher mehr schlecht als recht selbst versorgte, den Schlägen des Schicksals, der Hungersnot oder den Seuchen, den Überschwemmungen oder den Kriegs-

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folgen hilflos ausgeliefert war, da versucht nun die staatliche Gemeinschaft durch Gewährleistung eines sozialstaatlichen Alters- und Krankenversicherungssystems, durch staatliche Infrastruktur- und Wirtschaftspolitik die Wohlfahrt der Bürger zu gewährleisten, ihnen eine umfassende Bildung und berufliche Chancen zu sichern und das "Glück" aller so gut wie möglich zu gewährleisten, wie es die amerikanische Verfassung formuliert. Dabei sollte das so geschehen, dass die Wohlfahrt des einen Landes nicht zu Lasten anderer Länder, die der sog. Ersten Welt nicht auf Kosten ärmster Länder der Dritten Welt erreicht wird. Das gilt umso mehr, weil in unserer Zeit der Globalisierung die Handlungsmöglichkeiten und -erfolge des einen Staates immer mehr von Staatengemeinschaften und internationalen Prozessen abhängig werden. Damit aber gilt letztlich von der Politik dasselbe, was Herr Altner für die Wissenschaft festgestellt hat. Ist dort das Ziel, das Wissen zu mehren, eigentlich unbestritten, so ist man sich im Raum des Politischen ebenfalls sofort einig, dass es darum gehe, die Wohlfahrt der Bürger zu mehren. Aber wie man unter Wissenschaftlern schnell darüber streitet, welches Wissen wir denn brauchen und wofür das erkannte Wissen gut ist, geht der Streit hier darum, welche Ziele in welcher Reihenfolge verfolgt werden sollen, welche Mittel zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung stehen oder welche Mittel zur Erreichung der Ziele wirklich als zielführend zu gelten haben. Politik ist - so lernen wir immer wieder - in die Zukunft offen und vollzieht sich in einem so vielschichtigen Feld, dass auf fast allen politischen Gebieten niemand genau vorhersagen kann, ob die eingesetzten Mittel ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen, oder ob sie nicht doch in der Komplexität der sozialen Welt unvorhersehbare und unerwünschte Nebenwirkungen erzeugen, so dass die Zielerreichung desavouiert oder unmöglich gemacht wird. Die Ausweitung der Felder politischen HandeIns, die in der modernen Welt unverzichtbar ist, hat zugleich die Unsicherheit und Unberechenbarkeit vermehrt. Diese Unsicherheit ist ein Charakteristikum allen politischen HandeIns, sie setzt Wachheit und Korrekturbereitschaft voraus und macht es möglich, dass auch wohlmeinende Bürger bei der Verfolgung gleicher und hochwertiger politischer Ziele zu unterschiedlichen politischen Lösungsvorschlägen kommen. Wenn ich auf diesem Hintergrund frage, welches denn heute der Beitrag der Reformation zur Politik unserer Tage sein kann, welche Impulse von den lutherischen Christen ausgehen - oder sollte ich sagen: zu fordern sind - oder welchen spezifischen Beitrag sie leisten könnten, um den Raum des Politischen menschlich zu gestalten, dann ist es gut, noch einmal an die Zwei-Reiche-Lehre mit ihrer Betonung der Selbständigkeit und relativen Eigenständigkeit des politischen Raumes und ihrer Absage an klerikales und hierarchisches Denken zu erinnern. Unser Thema heißt deshalb ganz konsequent: zur Freiheit befreit. Gerechtfertigt allein durch den Glauben sind wir frei, uns einzubringen, in der

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noch nicht erlösten Welt Verantwortung zu übernehmen, um für Frieden und Gerechtigkeit zu wirken oder - mit dem Propheten Jeremia gesprochen - der Stadt Bestes zu suchen. Dabei ist es gut daran zu erinnern, dass diese Aufforderung der alttestamentarischen Propheten an die jüdische Exilgemeinde in Babel erging. Sie richtete sich an eine Gruppe durch König Nebukadnezar aus Israel verschleppter Juden, die als langfristig in Babel Deportierte aufgefordert wurden, das Beste für diese fremde Stadt - oder so darf man auch sagen - für diesen fremden Staat zu suchen, in dem sie zwangsweise leben mussten. Auf unsere Zeit übertragen bedeutet das, die Aufforderung, der Stadt Bestes zu suchen, setzt keineswegs eine besondere Nähe oder die Einheit der angesprochenen Gemeinde mit der Stadt, deren Bestes gesucht werden soll, voraus, sondern geht ausdrücklich von einer Distanz und Andersartigkeit aus. Die für uns heute geltende Eigenständigkeit von Kirche einerseits und Staat und Politik andererseits ist also in dieser prophetischen Aufforderung schon unterstellt. Ich halte es dabei für besonders bedenkenswert, dass unser biblischer Text davon spricht, der Stadt Bestes zu suchen, denn Politik ist in der Tat fast immer ein Suchprozess, für den auch die christliche Botschaft über das allgemeine Gebot der Nächstenliebe hinaus, das ich im Raum der Politik als Gebot des Eintretens für Frieden und Gerechtigkeit interpretieren möchte, keine konkreten und eindeutigen Weisungen enthält. Auch insoweit gilt es der Versuchung einer Klerikalisierung der Politik und einer Überforderung der Kirche zu widerstehen und stattdessen an die Freiheit eines jeden Christenmenschen zu appellieren, den sein christliches Gewissen und das Gebot der Nächstenliebe dazu treibt, sich einzubringen in die politischen Streitfragen und Probleme seiner Stadt und seines Staates. Dabei wird er die Interessenbedingtheit der einzelnen Positionen nicht vernebeln, sondern im Zweifelsfall in ihrer jeweils relativen Berechtigung klarlegen; er wird die nach wie vor offenen Fragen im Suchprozess nach der Stadt Bestem deutlich benennen, als guter Christ für Frieden und Gerechtigkeit eintreten und seine Stimme für die Armen und Elenden erheben, weil diese sich selbst kein Gehör verschaffen können. Gerade der lutherische Anknüpfungspunkt am persönlichen, individuellen Gewissen und die Absage an klerikale Bevormundung des Einzelnen ebenso wie des Staates und der Politik, die in der Zwei-Reiche-Lehre enthalten sind, führen zwar leicht dazu, dass evangelische Positionen in der Politik undeutlich und vielgestaltig sind, aber sie ermöglichen auch im Respekt vor der relativen Eigenständigkeit und Mündigkeit der Welt, dass sich evangelische Christen in vielen Feldern der Politik - getrieben von ihrem christlichen Gewissen - verantwortungsbewusst einbringen und beim Ringen um sachgemäße Lösungen mitwirken.

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Eine für alle Christen verbindliche Linie "christlicher Politik" wird es nur in den seltensten Fällen geben. Sie ist nur dort zu finden, wo es um fundamentalste Glaubensfragen geht. Selbst im heftigen Streit um die Präimplantationsdiagnostik und die Embryonenforschung schwanken ja bei den evangelischen Sozialethikern die Meinungen zwischen fundamentaler Ablehnung und vorsichtig differenzierender Zustimmung. Vielleicht ist das sogar gut so, weil nur auf diese Weise ein tiefer gehender Dialog und ein Eingehen und eine Einflussnahme auf die Meinungsbildung in dieser sehr komplexen Problematik möglich werden. Befreit zur Verantwortung in der Welt bedeutet für das politische Verhalten gläubiger Christen darum eine doppelte Vielfalt. Christen engagieren sich erstens auf vielen Feldern der Politik und Gesellschaft und in unterschiedlichen Organisationen, je nachdem, wo beruflicher Werdegang, Begabung oder Gottes Fügung den Einzelnen hingestellt haben. Immer ist er gerufen, im Großen oder Kleinen Verantwortung zu übernehmen, sich auf die jeweils anstehende Sache einzulassen und an der Lösung oder auch nur der Regelung der anstehenden Probleme sachgemäß und unter der Perspektive seiner christlichen Freiheit mitzuwirken. Es gibt darum kaum ein Feld des Politischen, in dem nicht auch Christen mit gutem Grund aktiv werden könnten, auch wenn natürlich leicht festzustellen ist, dass es für Christen zentrale Bereiche gibt - Erziehung, Bildung, Sozialpolitik, um nur einige zu nennen -, in denen sie vor allem ihren Beitrag zu leisten gehalten sind. Vielfalt bedeutet jedoch zweitens auch Vielfalt der denkbaren politischen Positionen, die von Christen eingenommen werden können. Man kann als Christ mit guten Gründen in der CSU oder in der SPD sein, für oder gegen eine bestimmte Politik votieren, da es einheitliche im Bekenntnis verpflichtende politische Positionen nur in den selteneren Ausnahmefällen gibt. Wir reden darum mit guten Gründen nicht von christlicher Politik, wohl aber von der Politik von Christen. Gewiss gibt es christliche Begründungen für wichtige politische Ziele: die Ausgestaltung des Sozialstaates etwa oder die Sorge für die Achtung der Menschenwürde. Aber das Charakteristische im Raum der Politik ist immer wieder, dass auch bei Einigkeit über die Ziele und die zu beachtenden Werte die einzuschlagenden Wege strittig bleiben. Diese Vielfalt aus christlicher Verantwortung begründbarer politischer Positionen könnte man als Zeichen der Schwäche deuten, sie ist aber als normal anzusehen. Sie zwingt jedoch zu ständig neuer Überprüfung der eigenen Haltung, erfordert Wachheit, Selbstkontrolle und Korrekturbereitschaft, schützt vor fundamentalistischer Sicherheit und macht bescheiden. Gerade wo wir als Christen im Politisch-Gesellschaftlichen verantwortlich agieren, gilt für uns das lutherische simul justus et peccator, ist Irrtum und die Angewiesenheit auf Vergebung nicht ausgeschlossen.

Zur Freiheit befreit (Galater 5, 1)

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Aber - ganz abgesehen von dieser Dimension - die Vielgestaltigkeit der von Christen eingenommenen politischen Positionen enthält auch eine Chance, in ihr liegt eine Aufgabe verborgen. Gerade weil evangelische Christen die Unterschiedlichkeit christlich begründbarer Positionen und Stellungnahmen erfahren und ernst nehmen müssen, sind sie in besonderer Weise für den Stil der Politik oder für die Kultur der Politik verantwortlich, wobei ich unter Kultur der Politik die Art des Miteinander-Umgehens gerade auch im Streit um die besten politischen Lösungen verstehen will. Christen haben hier eine besondere Verantwortung. Verletzende Polemik und Diffamierung kann kein Mittel der Politik sein, dessen sich Christen bedienen. Christen sind vielmehr im Raum der Politik in besonderer Weise für den Stil, das Miteinanderumgehen verantwortlich, weil sie aus ihrem christlichen Gewissen zur Wahrhaftigkeit verpflichtet sind und im politischen Gegner nie den (zu vernichtenden) Feind erblicken dürfen. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, ist es gewiss hilfreich, wenn evangelische Christen in den unterschiedlichen politischen Gruppierungen und Parteien aktiv sind. Und gut wäre es, wenn sie auch voneinander in wechselseitigem Respekt wüssten. Daran hapert es allzu oft, weil wir die tiefsten religiösen Antriebe unseres HandeIns zu gerne für uns behalten. Wann diskutiert man denn im Rahmen von kirchlichen Gemeindeveranstaltungen schon einmal unter den Gemeindemitgliedern über Politik. Auch das behalten wir ja allzu gern für uns in unserem privaten Kämmerlein. Wenn man auch im Raum der kirchlichen Gemeinden voneinander die unterschiedlichen politischen Positionen und Optionen wüsste und darüber offen diskutierte, dann würde man gemeinsam umso leichter den Stil des Miteinanderumgehens gerade auch beim Streiten in der allgemeinen Politik prägen können. Die Bereitschaft zum Diskurs gläubiger Christen, die Herr Altner für den Bereich der Wissenschaft gefordert hat, gilt es im Bereich der Politik ebenso zu praktizieren. Unser Glaube liefert uns für die konkrete Politik keine fertigen Patentlösungen. Das aus dem Gebot der Nächstenliebe abzuleitende Postulat, Christen müssten für Frieden und Gerechtigkeit eintreten, muss jeweils konkret buchstabiert werden. Es gilt immer aufs Neue einen Ausgleich zwischen dem "Schriftgemäßen", den Weisungen der Bibel, und dem "Sachgemäßen", dem was die Logik der Sache erfordert, zu finden. Doch unser Glaube macht uns gerade frei, in vielfältiger Weise im Raum von Staat und Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, auf Sachfragen zu reagieren und bei der Lösung der Streitfragen mitzuwirken. Evangelische Christen können wichtige Impulse für unsere Gesellschaft und für die Kultur der Politik geben. Die rechte Rückbesinnung auf die Reformation sollte uns darin nur bestärken.

Die barocke Bibliothek von Banz l Von Bernhard Schemmel Die Bibliothek des Benediktinerklosters Banz (Abb. 1) dürfte am Anfang des 19. Jahrhunderts 18.000 - 19.000 Bände umfasst haben. 1803 wurde sie säkularisiert und nach Bamberg abtransportiert. Zusammen mit anderem Säkularisationsgut und der Bibliothek der aufgehobenen Universität Bamberg bildet sie hier den Grundstock einer staatlichen Einrichtung, die seit 1966 "Staatsbibliothek Bamberg" heißt. Wer die Banzer Bibliothek als Ganzes würdigen will, stößt allerdings auf Schwierigkeiten, da man Anfangs des 19. Jahrhunderts auf Provenienzen nicht geachtet, sondern in spätaufklärerischem Geist eine einheitliche Büchersammlung vor allem nach dem Nützlichkeitsstandpunkt zusammengestellt hat. Die Banzer Bücher sind zwar in der Regel schon äußerlich erkennbar, manchmal dominieren sie ganze Alt-Fächer der systematischen Aufstellung, doch fehlt ein durchgehendes Provenienzregister. Die Bibliotheksregale gelten als verloren. Bleibt also die Banzer Bibliothek ein Geheimnis?

I Am 7. / 8. Juli 2003 fand in Kloster Banz ein Symposion "Benediktinisches Mönchtum in Franken und die Säkularisation" statt. Dort hielt Alfred Hierold einen Vortrag "Bamberg 1803. Ende oder Anfang? Rechtshistorische Anmerkungen zur Säkularisation." Mein Referat "Bücher aus Banz" ist ihm in überarbeiteter und erweiterter Form als dankbares Zeichen langjähriger persönlicher und wissenschaftlicher Verbundenheit gewidmet. Fruchtbare Anregungen und vielfältige Hilfe verdanke ich meinem langjährigen Stellvertreter und Nachfolger an der Staatsbibliothek Bamberg, Prof. Dr. Wemer Taegert, insbesondere auch (nicht nur für Archivalien) Dr. Renate Baumgärtel-Fleischmann (früher Diözesanmuseum Bamberg), sodann Irmgard Hofmann (früher Staatsbibliothek Bamberg), Maria Kunzelmann (Leiterin der Bibliothek des Metropolitankapitels Bamberg) und Hiltrud Huhn (Universitätsbibliothek Bamberg), weiterhin Prof. Dr. Günter Dippold (Bezirksheimatpfleger und Vorsitzender des Colloquium Historicum Wirsbergense), P. Dr. Niklas Raggenbass (Kloster Engelberg) und Museumsdirektorin Dr. Regina Hanemann (Bamberg). Gerald Raab (Staatsbibliothek Bamberg) gestaltete die Abbildungen 1, 3 und 4.

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Bernhard Schernme1

Abbildung I: Benediktinerkloster Banz

A. Bibliotheksbau

Nach den Zerstörungen im Bauernkrieg 1525 und im Dreißigjährigen Krieg ab 1631 war jeweils ein bibliothekarischer Neuanfang notwendig? Abt atto de la Bourde erließ 1668 Konstitutionen, in denen der Bibliothek ein hoher Stel2 Nach Günter Dippold / Andreas Bomschlegel, Kloster Banz. Natur - Kultur - Architektur. Staffelstein 1991, S. 61 wurden noch 1728 alte kostbare Bücher aus Coburg zurückgekauft. Dies erklärt, warum es in Banz praktisch keine mittelalterlichen Handschriften gab (vgl. das Provenienz-Register im gedruckten Katalog der Handschriften der Kgl. Bibliothek zu Bamberg I, 3 Ind., 1908, S. 199, wo einige mittelalterliche Handschriften aus dem Nürnberger Klarissenkloster aufgeführt sind. - Auf eine 1918 verkaufte Banzer Handschrift weist hin G. M. Beyssac OSB, Note sur un graduelsacramentaire de St-Pierre-St-Denis de Bantz du XIIe siede. In: Revue Bem:dictine 33, 1921, S. 190 - 200). - Die Zahl der säkularisierten Inkunabeln beträgt 130 (Karl Schottenloher, Die Königliche Bibliothek zu Bamberg und ihre Wiegendrucke. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 33, 1916, S. 263 - 280). - Von den umfangreichen Neuerwerbungen in Banz sei nur die Ausgabe erwähnt, nach der Teile der berühmten Pflanzendecke des Klosters Michelsberg gemalt wurden: Mathias de L 'Obel (Lobelius), Icones plantarum. Antwerpen 1581: Staatsbibliothek Bamberg, Bot.g.13.

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lenwert zugewiesen ist. 3 1696 begann die barocke Neubautätigkeit des Klosters. 1724 ließ Abt Benedikt Lurz "einen theil der bibliothec, welche des bauens halber sehr dispergiert, zusammen stellen, selbe mit verschiedenen neu eingekauften, auch eingelösten büchern, die zu schwedischen kriegs zeiten dem c10ster entraubt wurden, vermehren. ,,4 In den Jahren 1736 - 1738 entstand die neue Bibliothek durch Umgestaltung des bisherigen Zellenbaus von 1706 - 1708 im nördlichen Quertrakt. Man beseitigte Zwischenwände, entfernte im Erdgeschoss das Gewölbe und zog im ersten Obergeschoss ein neues ein; Bauunterlagen gibt es jedoch nicht. Geschaffen wurde so eine über zwei Geschosse reichende barocke Saalbibliothek von fünf zu zwei Fensterachsen. Der Wiesentheider Hofschreiner Johann Georg Neßtfell hatte die "bibliothec arbeit" für 1800 fl. und drei Speziesdukaten Trinkgeld zu liefern. 5 Erwähnt wird Zierrat aus Messing. 1737 erhielt der Wiesentheider Hofglaser Johann Joa den Auftrag, 18 neue Fenster für die Bibliothek zu liefern. Die Fertigstellung zog sich freilich bis 1741 hin. Das Deckengemälde des Bibliotheksraums schuf Johann Georg Bergmüller im Jahr 1738, wie Signatur und Jahreszahl auswiesen. 6 Es ist seit der Zeit um 1815 mehrfach übertüncht worden; beim Umbau für das Bildungszentrum der Hanns-Seidel-Stiftung konnte es außer an drei kleinen Stellen nicht freigelegt werden, da der Substanzverlust zu hoch gewesen wäre. 7 Eine Entwurfzeichnung Bergmüllers hat sich aber im Kupferstichkabinett des Kunstmuseums Basel

3 Zitiert nach Niklas Raggenbass aSB, Refonnprogramm der Benediktiner von St. Maur - Ideal und Realisierung im Kloster Banz. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 114 (2003) S. 175 - 248. Ders., "Harmonie und schwesterliche Einheit zwischen Bibel und Vernunft". Die Benediktiner des Klosters Banz: Publizisten und Wissenschaftler der Aufklärungszeit. St. Ottilien 2006 (Münchner Dissertation von 2002). Abb. 19: Konstitutionen 1668 "Oe Bibliothecario". 4 Zitiert nach Jaachim Hatz, Kloster Banz. Hrsg. von R. Hanemann, B. Mayer, R. Suckale. Bamberg 1993, S. 88.

5

Hatz (Anm. 4), S. 88 (Schreibung auch Nesstfell, selten Nestfell).

6 Friedrich Karl Gattlab Hirsching, Nachrichten von sehenswürdigen Gemälde- und Kupferstichsammlungen, Münz-, Gemmen-, Kunst- und Naturalienkabinetten, Sammlungen von Modellen, Maschinen, physikalischen und mathematischen Instrumenten, anatomischen Präparaten und botanischen Gärten in Teutschland, nach alphabetischer Ordnung der Städte. Bd. 4. Erlangen 1789, S. 363. - Hatz (Anm. 4), S. 88. 7 Magnus Backes, Vom Kloster zur Erwachsenenbildungsstätte. Neunutzung, Restaurierung und Instandsetzungsmaßnahmen. In: Jahrbuch der bayerischen Denkmalpflege 34 (1980 ersch. 1982) S. 180 - 194, hier S. 194, abgebildet S. 211.

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Bemhard Schemmel

erhalten.8 Die Malerei entspricht mit Bildfeldern und acht Konsolfiguren der Raumgliederung. Zentral ist der Ordensgründer dargestellt, der hl. Benedikt, lehrend und heilend; die vier lateinischen Kirchenväter sind ihm untergeordnet. Dem Mittelfeld zugeordnet sind zwei Seitenfelder, die "Ecclesia" mit Papst und kirchlichen Würdenträgern und gegenüber, unter dem Marienmonogramm (Maria als Sitz der Weisheit), die thronende Allegorie der "Academia" mit den vier Universitätsfakultäten. Die Konsolfiguren verkörpern die im Kloster gepflegten Künste und Wissenschaften. Die Vermutung, dass mit diesem vielschichtigen Programm Banz als eine neu erstehende Akademie intendiert ist, erscheint nicht unbegründet. 9 Abt war in den Jahren 1731 - 1768 Gregor Stumm. "Eine seiner ersten und vornehmsten Absichten war, die Wissenschaften in seinem Kloster auf alle nur mögliche Art zu befördern; [... ] er führte die neue herrliche Bibliothek von Grund aus auf, sparte keine Kosten, sie mit den besten Werken aus allen gelehrten Fächern zu versehen: verschaffte seinen Untergebenen Zeit, und durch Ermunterung und Belohnung Lust und Liebe zum Studieren. Es wurden gelehrte Zeitungen aus Deutschland und Italien gehalten, lebendige und todte Sprachen erlernt, öftere öffentliche Prüfungen angestellt [... ].,,10 Bibliothekar war ab 1739 P. Gallus Winckelmann, ab 1745 P. Placidus Hubmann.' , Die Bibliothek war also Teil eines umfassenden Programms, wie es die französischen Mauriner in der Verbindung von Mönchtum und Wissenschaft propagierten.'2 Religiöse Disziplin sollte durch Förderung wissenschaftlicher Arbeit garantiert werden. Dabei wurde die Bibliothek zum "Paradigma der Wissenschaft". Sie war lebendiges geistiges Arbeitsinstrument für die eigene Arbeit der Konventualen in den verschiedensten Bereichen (siebenjährige klösterliche

8 V gl. die feinsinnige Interpretation von Kenneth Hoffer, Johann Georg Bergmüllers Fresko für die Bibliothek des Benediktinerklosters Banz. In: Jahrbuch der bayerischen Denkmalpflege 34 (1980, ersch. 1982), S. 208 - 224, mit Nachwort von Magnus Backes, S. 225 f. - lose! Strasser, Johann Georg Bergmüller 1688 - 1762. Die Zeichnungen. Salzburg 2004, S. 94 - 97. 9 Hoffer (Anm. 8), S. 222. - Vgl. im Übrigen schon die älteren Disputationen: Die Graphischen Thesen- und Promotionsblätter in Bamberg. Hrsg. durch Bemhard Schemmel. Wiesbaden 2001. Nr. 109 - llOa; Bamberg wird bayerisch. Die Säkularisation des Hochstifts Bamberg 1802/03 [AussteliungskatalogJ. Hrsg. von Renate BaumgärtelFleischmann. Bamberg 2003 . Nr. 31 (Bemhard Schemmel).

IO lohann Baptist Roppelt, Historisch-topographische Beschreibung des Fürstenthums Bamberg. Nümberg 1801 (Reprint 1979), S. 196.

II

Hoffer (Anm. 8), S. 220.

12

Raggenbass 2003 (Anm. 3), S. 212 f.

Die barocke Bibliothek von Banz

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Studien waren ab der Mitte des 18. Jahrhunderts für jeden Banzer Geistlichen vorgeschrieben: zwei Jahre Philosophie, drei Theologie, zwei Jura).13 Vor allem die Herausgabe einer eigenen Rezensionszeitschrift machte das Kloster in den Jahren 1772 - 1798 zu einem Zentrum der katholischen Aufklärung Süddeutschlands. 14 Zusätzlich war die Bibliothek, die außerhalb der Klausur lag, Schaufenster nach außen.

B. Reisebeschreibungen Die Bedeutung der Bibliothek erkennt man daran, dass ab 1739 das Kloster sehr oft nur noch zusammen mit ihr genannt wurde, so bei einer handschriftlichen Aufzählung der Taten des Abts: "wie sie und die ihrige auch kennere und liebhabere deren bücheren und der gelehrtheit sagen, dies zeiget die sc höhne und kostbare bibliothec, welcher an der architectur mahlerey und sonstigen behörden, besonders aber an der quant- und qualität deren gros sen theils neugeschafften büchern nichts mag auszustellen noch weniger der vorzug vor jenen, welche andere praelaturen von eben diesen meister haben noch machen lassen, strittig zu machen seyen.,,15 Gedruckte Reisebeschreibungen 16 des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts sprechen von der "äusserlich sehr schön und prächtig" eingerichteten Bibliothek 17 , erwähnen den "prächtigen Saal.,.I8 "Der Büchersaal ist in doppelter

13 Hoffer (Anm. 8), S. 218 zitiert den Renegaten Johann Baptist Schad, Lebensgeschichte von ihm selbst beschrieben. Bd. 3. Altenburg 1828, S. 230, der die Zeit freilich im Hinblick auf das "Selbstdenken" "wie verloren" beurteilt. - Achim Spörl, Kloster Banz und die Säkularisation. In: Bamberg wird bayerisch (Anm. 9), S. 71.

14 Wilhelm Forster, Die kirchliche Aufklärung bei den Benediktinern der Abtei Banz im Spiegel ihrer von 1772 - 1798 herausgegebenen Zeitschrift, in: Studien und Mitteilungen des Benediktinerordens 63 (1951), S. 172 - 233 und 64 (1952), S. 234 - 357.Raggenbass 2006 (Anm. 3). - Zur Zeitschrift vgl. Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 25 (Nicolais Urteil: Werner Taegert) und zusammenfassend Nr. 34 (Günter Dippold). 15 Zitiert bei Raggenbass 2003 (Anm. 3), S. 225. 16 Zusammenfassend: Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 25 - 29 (Werner Taegert). 17 Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten. Bd. 1. Berlin 1783, S. 99. Vgl. Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 25 (WernerTaegert). 18 Klement Alois Baader, Reisen durch verschiedene Gegenden Deutschlands in Briefen. Bd. 2. Augsburg 1797. S. 326. Vgl. Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 28 (Werner Taegert).

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Rücksicht prachtvoll und sehenswerth. Alle Repositorien sind von kostbarem Holze und mit Bronze verziert."19,,Die Repositorien sind mit meßingen Laubwerk vergittert.,,2o Auch das Urteil der "meisterhaft von dem berühmten Bergmüller aus Augsburg,,21 gemalten Decke war allgemein. Der Berliner Aufklärer Nicolai ist dabei allerdings auszunehmen; er war kein Freund von "Dekkenstücken".22 Auch Hirsching äußerte sich nach dem Lob der "vortrefflichen Bauart" des Büchersaals und Neßtfells "Fleiß und Geschicklichkeit" zeitgemäß distanziert nur über die barocke Art und über Einzelheiten der Deckenmalerei, die er "oben von der Gallerie aus" betrachtete. "Uebrigens nimmt sich die ganze Decke, wegen ihrer frischen Färbung, so wohl in der Nähe, als in der Feme, sehr gut aus,,23. Ein nachgerade "romantischer" Reisender fand kurz vor der Säkularisation schon am Äußeren der Bibliothek viel Gefälliges. "Der große, sehr hohe Saal ist mit einem doppelten Chor versehen - sehr hohe und durchaus gehende Fenster geben ein helles Licht; - die Bücher sind nach systematischer Ordnung, in schönen Schränken aufgestellt, die durch künstlich gearbeitete, durchbrochene Thüren verwahrt werden. Eben so artig sind die Treppen, die in den Saal führen, oder aufs Chor bringen, angebracht. Vergeblich sucht das Auge eine zu entdecken. Da öffnen sich dem Bekannten, auf beiden Seiten, zwei Schränke, die wirklich zu mehrerer Täuschung mit Büchern besetzt sind, und WinkelTreppen - führen auf- und abwärts. In dieser Bibliothec ruhen Tausende von Büchern, aus allen Fächern, Zeiten und Nationen [...] Sehr selten dass man einmal hinein kommt, wo nicht 2. 3. und mehrere Herren an kleinen Tischchen sitzen und schreiben, oder an Pulten stehen, nachschlagen und lesen. ,,24 19 Friedrich Karl Gottlob Hirsching, Historisch-geographisch-topographisches Stiftsund Closter-Lexicon. Bd. 1. Leipzig 1792, S. 291. Vgl. Anm. 6 und Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 27 (Wemer Taegert).

20 Ernst Wilhelm Martius, Wanderungen durch einen Theil von Franken und Thüringen. Erlangen 1795. S. 13. - Georg Andreas Will, Briefe über eine Reise nach Sachsen. Altdorf 1785. S. 161 - 171 spricht von den "schönen und vergoldeten Repositorien in der Bibliothek" (S. 163). Zu Will vgl. Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 26 (Wemer Taegert). 21

Hirsching (Anm. 19) S. 291.

22 Nicolai (Anm. 17), S. 105 f.: "höchstunschicklich ist es gewiß, Geschichten, die auf der Erde vorgehen müssen, an der Decke zu malen, so dass dem Zuschauer die Pferde, Bäume und Häuser über den Kopf zu purzeln scheinen", so sein Urteil über die von ihm irrtümlich Bergmüller zugeschriebenen Malereien Sebastian Reinhards. 23

Hirsching (Anm. 6) S. 363 f.

{Ehregott Adam Friedrich Meyer,] Kleine Reise in die schönsten Gegenden meines Vaterlandes. Erstes Bändchen, oder Reise nach Stift und Kloster Banz. Weimar 24

Die barocke Bibliothek von Banz

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Laut Hirsching werde man "nicht leicht ein Closter finden, wo die Wissenschaften in größerm Flor stehen, als hier,,?5 Nicolai bemerkte zum Mönchsleben, "wenn man es von der vortheilhaftesten Seite ansehen will, so muß man es zu Banz sehen. ,,26 Baader schließlich stellte fest: "Man darf das auf einem hohen Berge liegende Kloster Banz wirklich einen Pamaß nennen", der Konvent bestehe dermalen "fast aus lauter Gelehrten verschiedener Fächer,,?7 Hirsching zitierte 1792 einen reisenden Gelehrten: "in der That, die Herren Benedictiner zu Banz sind mehr aufgeklärte, hell denkende Protestanten, als römischkatholische Glaubensgenossen. Jeder freuet sich, wenn er diese vortreffliche Versammlung ehrwürdiger Väter besuchen kann. ,,28 Die positive Würdigung des Klosters und seiner Bibliothek hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass man in dieser Zeit mit einem katholischen Kloster bestimmte Vorstellungen verband und erstaunlicherweise in Banz nicht bestätigt fand. Auch soll die hier referierte Sicht von außen nicht den Eindruck erwecken, es habe sich um eine heile Welt gehandelt. Die Visitationsprotokolle sprechen über lange Zeit eine ganz andere Sprache, und der Richtungsstreit zwischen gemäßigter und radikalerer Aufklärung führte 1798 schließlich zur Flucht des P. Roman Schad (Johann Baptist Schad) und zu dessen späterer in gewisser Weise "gnadenloser" Abrechnung mit dem System?9

C. Der Bestand der Bibliothek Die Reiseberichte des 18. Jahrhunderts geben Hinweise auf die Zusammensetzung und die Schwerpunkte des Bestands. ,,Manuscripte trift man da nicht an, aber ausgesuchte Bücher; Bibeln fast von allen Sprachen, die neuesten Ausgaben der Kirchenväter, und in dem Fach der Publicisten die wichtigsten Schriftsteller. Die Structur ist prächtig und glänzend.,,30 Nicolai wurde die 1801. S. 44 - 45,47 (zum Chor und den Fenstern vgl. Anm. 76). Vgl. auch zum persönlichen Hintergrund des protestantischen Verfassers Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 29 (Werner Taegert). 25

Hirsching (Anm. 19), S. 291.

26

Nicolai (Anm. 17), S. 113.

27

Baader (Anm. 18), S. 324.

28

Hirsching (Anm. 19), S. 293.

29 Vgl. Wilhelm Forster, Die Säkularisation und das Benediktinerkloster Banz. In: Wittelsbach und Bayern. Bd. III,1. München, Zürich 1980. S. 95 - 100. - Zu Johann Baptist Schad: Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 30 (Wladimir Alekseevic Abaschnik).

30 Litteratur des katholischen Deutschlands 1 (1776), S. 105.

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Bibliothek von dem Bibliothekar P. Ildefons Schwarz, der "eine sehr gute Bücherkenntniß verrieth", "mit vieler Gefälligkeit" gezeigt. "Was aber noch mehr werth ist, ist, dass in verschiedenen Wissenschaften sehr gute und nützliche Bücher da waren. In der Höhe zeigte uns der Bibliothekar einen verschlossenen Schrank, welcher für die verbotenen Bücher war. P. Johannes [Baptist Roppelt] versicherte uns aber, daß nur sehr wenige darin wären, und daß viele, die man in andern katholischen Ländern wohl für verboten halten würde, hier in die Klassen einrangirt wären. In der That sah ich Histoire des Indes par Raynal und Helvetius de l'Esprit nebst nicht wenigen protestantischen Büchern offen da liegen.,,3! Will gab der Abt "mit grosser Politesse auf eine ihm ganz eigne unverstelte Weise das Vergnügen zu verstehen, das er über meine Gegenwart habe". "Dem hiesigen Herrn Prälaten machte ich noch das verdiente und aufrichtige Co mpliment, daß die gelehrte Welt besonders seinem Orden, der Benedictiner nemlich, so viel in der Patristik, in der Geschichte und Diplomatik, zu danken habe, als wol keinem Institut in der Welt." Der Abt hatte neben verschiedenen anwesenden Fremden, Protestanten und "etlichen Frauenzimmern" die "ausgesuchten" Konventualen an seine Tafel geladen, die Will ohnehin zu sprechen vorhatte. In der Bibliothek, die "äußerlich und innerlich kostbar ist", hielt er sich "bei dem diplomatischen Fache und den Scriptoribus Rerum Germanicarum auf, wo ich alles reichlich und ziemlich vollständig fand. Unter den Bibeln zeigte man mir eine lateinische vom allerersten Druck, die noch nirgends beschrieben und auch dem Herrn Schaffer Panzer unbekannt seyn soll. Weil sie gar keine Anzeigen hat, und keine Vergleichung anzustellen war, konnte ich auch keine Merkmahle finden, durch die sie sich von andern bereits bekannten unterscheidet. ,,32

31 Nicolai (Anm. 17) S. 99. Beide Titel hat die Staatsbibliothek Bamberg aus Banz, den ersten allerdings in deutscher Übersetzung: H.as.o.6; dazu Karl Klaus Walther: "Eine kleine Druckerei, in welcher manche Sünde geboren wird". Bambergs erster Universitätsbuchhändler. Die Geschichte der Firma GÖbhardt. Bamberg 1999, S. 110 (die deutsche Ausgabe war unter den 1781 beschlagnahmten Titeln, das Werk wurde öffentlich in Paris verbrannt); der Helvetius war im Gebrauch des 1780 verstorbenen Würzburger Professors der Logik und Metaphysik, P. Columban Rösser, aus Banz: Ph.o.495, könnte also beim Besuch Nikolais 1781 schon wieder in der Bibliothek gestanden haben. - Zu den Libri prohibiti vgl. auch nach Anm. 82; in der Staatsbibliothek Bamberg finden sich u. a.: Bibel 1555: Bibl.o.101; Polyglotte 1602: Bibl.q.2; "contra Lutheranos tarnen valde utilis": Eph.theol.o.63; "emptus ad usum polernicum": Th.cat.o.69m.

32 Will (Anm. 20), S. 164, S. 166 und S. 169. Mit den Scriptores Rerum Germanicarum ist ein allgemeiner bemerkenswerter Bestand gemeint, nicht der Titel in der Staatsbibliothek Bamberg: Coll.script. f. 28. - Schaffer ist der Hauptpastor an St. Sebald in

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Hirsching urteilte von der Bibliothek: "Man findet darinn kein wissenschaftliches Fach vernachlässiget, in mehreren aber, z. B. im Fache der Diplomatik, der teutschen Geschichte, der Patristik, der Bibeln, des Staatsrechts etc., sind die besten, und zum Theil seltensten Werke vorhanden. Auf der Gallerie prangen die schätzbarsten und seltensten litterarischen Werke, darunter sich auch die italienische Litteratur auszeichnet; eben so ansehnlich ist der Vorrath von alten Druckerdenkmalen.,,33 - Martius fand in der Bibliothek "aus allen Wissenschaften Vorrath darinnen. Das Weinmännische Herbarium, Espers Schmetterlinge, Trew's Tabulae osteologicae sind auch da; so wie noch mehrere gute Werke aus der Medizin und Naturgeschichte.,,34 Baader setzte 1797 die Banzer Bibliothek von anderen Klosterbibliotheken ab, die "allerdings sehenswerth, aber nicht brauchbar" seien. "Dieß ist aber nicht der Fall in der Bibliothek zu Banz. Außer einer schönen Sammlung schätzbarer und seltner Altertümer von Manuscripten und ersten Drucken findet man hier in allen Fächern die besten, brauchbarsten und auch die neuesten Werke, deren immer mehrere angeschafft werden. Es ist auch eine kleine Sammlung alter Holzschnitte da.,,35 Meyer zitierte 1801 den Banzer Bibliothekar: "Unsre Bibliothek ist reich an kostbaren, zum Theil auch seltenen Büchern, im biblischen, patristischen und litterarischen Fache. Philosophie ist aus allen Zeiten gut besetzt. Der größte Reichthum steckt in der Geschichte, besonders was Teutschland und dessen Staatsrecht betrifft. An Handschriften hatte sie einen guten Vorrath [ ... ]; aber im 30jährigen Krieg ist Banz von den schwedischen Hülfs-Truppen rein ausgeplündert worden. Dagegen sind nun viele, und mit unter sehr seltene, alte Bücher aus den ersten Zeiten der erfundenen Buchdruckerkunst vorhanden und nach den Jahren geordnet.,,36

Nümberg (vgl. Rudolf Herd, Banzer Reisebeschreibungen aus dem 18. Jahrhundert. In: Geschichte am Obermain 6, 1970/71, S. 13 - 29, hier S. 29). Die Bibel von 1462, wohl GW 4202, verkaufte Placidus Sprenger um 200 Taler an Herzog Ernst II. von SachsenGotha; vgl. Bemhard Schemmel, Die Säkularisation der Stifts- und Klosterbibliotheken. In: Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) S. 239 - 250, hier S. 239. 33

Hirsching (Anm. 19), S. 291.

34 Martius (Anm. 20), S. 13. - In der Staatsbibliothek Bamberg vorhanden Weinmann: Bot. f. 84 und Trew: Tab.anat. f. 28. Den Esper hatte Sprenger zum guten Teil aus seinen Privatrnittein angeschafft und dem Naturalienkabinett zum Gebrauch überlassen (vgl. zu Anm. 104), vorhanden ist nur eine Ausgabe von 1829: Zool.q.43. 35

Baader (Anm. 18), S. 326 f.

36

Meyer (Anm. 24), S. 100 f.

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D. Die Säkularisation Die Gastfreundschaft kostete das Kloster fast soviel wie der jährliche Unterhalt der Konventualen, hatte offenbar aber auch Grenzen, die Wilhelm Heinrich Wackenroder 1793 erfahren musste. 37 Als den bayerischen Major Karl Roger von Ribaupierre seine Erkundungsreise im Auftrag des bayerischen Kurfürsten im Frühjahr 1802 auch nach Banz führte, war die drohende Säkularisation längst in aller Munde. Er fand "unter der Mönchskleidung lauter Männer [... ], wie solche sehr selten in der gebildetsten Welt zusammentreffen. [... ] Menschenwürde unter der Mönchskappe .• .38 Die allgemeine Achtung und Anerkennung verhinderte zwar die Säkularisation nicht, zeitigte aber vielleicht einzelne fast großzügige Maßnahmen, wenn man mit Altbayern vergleicht. Bereits am 30. November 1802, einen Tag nach dem juristischen Übergang des Fürstbistums Bamberg an das Kurfürstentum Bayern, erschien der Aufhebungskommissar, der bisherige Hof- und Regierungsrat Universitätsprofessor Georg Friedrich Merz, in Banz und verpflichtete alle Insassen auf den Kurfürsten. Er erfuhr, "daß weder über die Bibliothek ein Catalog, noch auch ein Verzeichniß über das Münzkabinet und Naturalien Cabinet verhanden sey.,,39 Da die Bibliothek den Konventualen zum täglichen Gebrauch diente, beließ sie Merz außer Verschluss. Am 14. März 1803 verlangte der bisherige Hofkammerrat Franz Adolf Schneidawind definitiv, binnen 14 Tagen ein getreues und vollständiges Verzeichnis vorzulegen4o . Das der Bücher fertigte P. Ambrosius Seyfried an, und zwar, wie der Bamberger Bibliothekar Heinrich Joachim Jaeck angibt, "eilends" während des Packens der Bücher in großen Kisten. Dieses nur teilweise alphabetische Verzeichnis, in dem Erscheinungsort und -jahr meist fehlen, das aber auch Bücher aus dem Banzischen Schloss Gleusdorf enthält, ist in der Staatsbibliothek Bamberg erhalten. 41 Man merkt ihm die Entstehungsgeschichte an, und muss sich über die (mangelnde) Brauchbarkeit nicht wundern. 42 Jaeck

37 Bamberg wird bayerisch (Anm. 9), S. 86 (Wemer Taegert). 38 Hanns Hubert Hofmann, ... sollen bayerisch werden. Die politische Erkundung des Majors von Ribaupierre durch Franken und Schwaben im Frühjahr 1802. Kallmünz 1954, S. 10 f.

39 Staatsarchiv Bamberg, Rep. 1202, Nr. 1000, fol.17. 40

Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 3 F VIII, Nr. 181.

41

Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.199. Aus Gleusdorf 192 Titel.

42 Heinrich Joachim Jaeck, Vollständige Beschreibung der öffentlichen Bibliothek zu Bamberg. Nümberg 1831- 1835. II, S. LXIX: Chaos. - Vgl. den Abschnitt vor Anm. 50.

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hat 1819 in einzelnen Gruppen insgesamt 7756 Werke gezählt, "wovon viele 10 - 60 Bände enthalten, nebst sehr vielen Dissertationen und Previren.,,43 Der Transport der Banzer Bücher erfolgte, wie Jaeck angibt, im Sommer 1803. Am 24. September1803 meldet ihn der Banzer Amtsadministrator A. B. Geiger jedenfalls als abgeschlossen. Er habe "die hießige Bibliothek, Naturalienkabinet, Bilder und Bücherschränke durch die hießigen Frohnbauern nach Bamberg liefern lassen, und für jede Fuhre, so wie es ohnehin gewöhnlich war, 1. Rthlr. Zehrgeld, dann 2. Viert. ein Metzlein Hafer Lichtenfelser Gemäses jedem Fuhrleisteten [!] verabreicht." Erst nachher habe er erfahren, dass die Langheimer Fuhren durch Landesfronen unentgeltlich erfolgten. Er fragt daher an, wie vorzugehen sei. Am 5. Oktober 1803 ergeht die Weisung, dass die Auslagen auf jeden Einwohner des Amtes Banz umzulegen seien, da der Transport "mittels Landesfrohnen unentgeldlich geschehen musste. ,,44 Wie mit diesen Angaben ein anderer archivalischer Beleg in Einklang zu bringen ist, wonach die Post den Transport durchführte (und die Fröner hilfsweise), bleibt unklar. Dafür waren vom Provinzialkassieramt dem Posthalter von Staffelstein 36 fl. 5 xr rho zu zahlen45 . Jaeck überliefert aus dem Rückblick über den Transport (sowie die unten referierten ersten Maßnahmen in Bamberg): "Von den großen sehr eng gepackten Kisten sprangen einige zum Theile unterwegs - zum Theile hier bei dem Abladen auf, wobei die Bauern und Beiläufer - äußerst geschäftig im Entwenden und Vertrödeln der Bücher an Krämer und Juden - manches kostbare Werk unvollständig machten.,,46 In seiner Bibliotheksbeschreibung von 1832 wiederholt er diese Angaben. 47 Sie waren wohl der Auslöser für die heute immer wieder geäußerte Behauptung, beim Transport von Säkularisationsgut habe man von den Ochsenkarren Bücher, wenn nicht gar Codices, heruntergeworfen, um

43 Heinrich Joachim Jaeck, Kurze Geschichte der K. Bibliothek zu Bamberg. In: Wöchentliches Unterhaltungsblatt. Kulmbach 1819. Nr. 14, Sp. 122. Die Hervorhebung der Breviere verwundert etwas! Aus Kloster Banz kamen in die Staatsbibliothek Bamberg u. a. so umfangreiche Lesesaalbestände wie die Acta Sanctorum, Zedlers Universallexikon und die Monumenta Boica, dazu auch Sonderbestände wie Dissertationen und Personalschriften, diese v. a. bei RB.Carrn.sol. aufgestellt. - lrmgard Wolf, Die Säkularisierung der Stifts- und Klosterbibliotheken im Gebiet des Erzbistums Bamberg. Masch. Diss. Erlangen 1952. S. 73 - 78, hier S. 75 nennt 8047 Titel, darunter 34 Handschriften. 44

Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 3 F VIII, Nr. 181.

45 Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 3/ A I, Nr. 57. 46

Jaeck (Anm. 43), Sp. 12l.

47

Jaeck (Anm. 42), S. LXVIII f.

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damit Unebenheiten des Weges auszugleichen. 48 Aus dem ganzen Vorgehen bei der Säkularisation geht aber die bürokratische Sorgfalt der Zuständigen hervor, so dass die Aussage eher als ein populäres Bild für die tatsächlichen Verluste bei der Säkularisation (z. B. aus aufklärerischer Geisteshaltung) zu werten ist. Der ehemalige Banzer Konventuale lIdefons Schatt berichtet nämlich in seiner Lebens-Skizze des zuständigen Bibliothekars P. Ambrosius Seyfried von 1823 nichts von derartigen Vorkommnissen. Die Aufhebungskommission, "unterrichtet von seiner Sachkenntniß und Gewissenhaftigkeit, machte ihm und einem andern Konventualen sogleich gegen Handgelöbniß, an Eides Statt, den Auftrag, die zahlreiche und treffliche Bibliothek katalogisch geordnet und in Kisten gepackt nach Bamberg liefern zu lassen. Für diese ausserordentliche und sehr anstrengende Arbeit war ihm und seinem Gehülfen von dem eigends dazu angeordneten Herrn Cornrnissaire, jedem ein Reichsthaler Tagegeld bestimmt. P. Ambrosius Seyfried begleitete selbst, um mehrerer Sicherheit willen, einige Fuhren nach Bamberg, allein nicht nur die dafür zugesicherte KostenErstattung, sondern auch die wohlverdienten Tagegelder blieben - alles Sollicitirens ungeachtet, für beyde Arbeiter ein frommer Wunsch, und sind es noch. ,,49 Die im Sommer 1803 nach Bamberg transportierten Banzer Bücher wurden in der Nagelkapelle des Doms "zwischengelagert". Der frühere Kustos der Universitätsbibliothek, Prof. Konrad Frey, sollte die Bücher dort im Empfang nehmen und mit dem Katalog vergleichen. Sein Kollege (und führender Kopf bei der Einrichtung der nachmaligen Staatsbibliothek) Jaeck überliefert mit unverhohlener Kritik, Frey habe den Auftrag nicht sehr genau genommen. Er habe die angekommenen Wagen sorglos abladen, die Kisten ausleeren, die Bücher auf Haufen schütten lassen, ohne sie anhand des Verzeichnisses zu überprüfen. Da die Banzer Bücher jedoch keine Signaturen hatten und das Verzeichnis höchst eilfertig während des Einpackens angelegt worden war, kam die gestellte Aufgabe auch eher einem Flohhüten gleich. Die nach Jaeck entwendeten Bücher freilich hätte man bei sorgfältigem Vorgehen tatsächlich feststellen können.

48 Vergleichbare Gerüchte hinsichtlich des Abrisses von Gebäuden usw. werden für den altbayerischen Raum zurückgewiesen in Bayern ohne Klöster? Die Säkularisation 1802/1803 und die Folgen. Ausstellung. München 2003, S. 304 - 306 (Rainer Braun). 49 Georg Ildephons SchaU, Lebens-Skizze des am 5ten Julius 1825 verstorbenen hochwürdigen wolgebomen Herrn Ambrosius Seyfried, Pfarrer der Katholischen Gemeinde zu Coburg. Bamberg 1823, S. 10 (freundlicher Hinweis von Dr. Renate Baumgärtel-Fleischmann).

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Die Aktenlage erlaubt es, den Vorgang zeitlich und inhaltlich genauer einzuordnen. Noch war nicht bestimmt, was mit dem Säkularisationsgut in der feuchten SO Nagelkapelle und sonst wo zu geschehen hatte (dies erfolgte am 9. September 1803, gewissermaßen der Geburtsstunde der heutigen Staatsbibliothek BambergSI ). Jaeck war aus Langheim zurückgekommen und mit Frey vor dem 22. August 1803 beauftragt worden, "besondere Verzeichnisse der vorzüglichsten Bücher der Banzer Bibliothek zu verfertigen."s2 Bereits am 22. August meldete Jaeck: "Auf Befehl des Churfürstl. Landescommissariats haben wir bereits die vorzüglichsten Druckdenkmale und Antiquitätenschätze der Banzer Bibliothek durchsucht, die Werke der Medicin, Philosophie, Mathematic, Numismatic, Geographie, Diplomatie und Geschichte vom neuen inventirt [= inventarisiert], die voluminöseren Werke nach ihrem wißenschäftlichen Innhalte zusammengereihet, und die vielen Defecte jeder Wissenschaft genau bemerkt. Handschriften, die die Zeit der Buchdruckerkunst überstiegen, oder durch einen wichtigen Innhalt sich auszeichneten, vermißten wir gänzlich. Da mit der nahen Veränderung der Jahreszeit Gefahr entsteht, die guten Bücher möchten an ihrem jezigen Verwahrungsorte Schaden leiden, so wiederhohlen wir die unterthänigste Bitte an das höchste Landescomrnissariat, denselben eine weitere Bestimmung zu geben, und fügen zu dem Ende ein 2tes Verzeichniß der besten Werke der Geschichte bey. - Wir werden fortfahren, auch noch die römischen und griechischen Classicer, die Jurisprudenz und Theologie nach allen ihren Theilen genau zu durchsuchen, und dem höchsten Landescomrnissariate Bericht davon erstatten. In tiefster Ehrfurcht."s3

50 Der Boden der Nagelkapelle war mit Solnhofener Platten belegt, die bis zum Austausch gegen Sandsteinplatten in unserer Zeit feucht waren (freundliche Auskunft von Dr. Renate Baumgärtel-Fleischmann). 51 Staatsbibliothek Bamberg, Akten A 2/1, S. 11 - 24; vgl. Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 126 (Wemer Taegert).

52

Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 3 F VIII, Nr. 181.

Staatsbibliothek Bamberg, Akten A 2/1, S. 27 (Konzept von Jaecks Hand). Ebd., S. 29 angeheftet ein auf August 1803 datiertes Schreiben, das den Sachverhalt von einem anderen als Jaeck, also offensichtlich Frey, etwas abweichend wiedergibt. U. a. heißt es: "Die wissenschaftlichen Fächer sind zusammen gebracht, die voluminöseren Werke gereihet, das Abgängige überall bemerkt. [. .. ] Die hinzufallende Manuskripten sind ganz unbedeutend und bieten gar keine Rubrik dar, es sind bloß einige Antiphonarien vorhanden, welche noch hinter dem Zeitalter des Druckes zurücke sind. Die ältesten Incunabeln sind zuletzt besonders verzeichnet." Das von Jaeck und Frey unterzeichnete Original des Schreibens mit der erwähnten Liste des historischen Fachs und den Hilfswissenschaften befindet sich im Staatsarchivs Bamberg, Rep. K 3 F VIII, Nr. 181. 53

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Die erwähnte Liste des historischen Faches und der dazu gehörigen Hilfswissenschaften verzeichnet unter Geschichte und Diplomatik 92 Nummern, oft mehrbändige Werke, unter Antiquitates 21, als unvollständige Werke der Geschichte 46, z. B. drei Bände von Zedlers Universallexikon. Es wird der Vorschlag gemacht, die Bestände zu verlagern, um Platz zu gewinnen. Am 26. August 1803 ergeht die Anweisung, die ausgesuchten Bestände sogleich in den Saal der Universitätsbibliothek zu bringen und hier in die entsprechenden Fächer einzureihen. Die unvollständigen Werke seien dagegen an einem besonderen Platz zu lagern. Vorschriften zur systematischen Einrichtung der Bibliothek würden folgen, "da zu Belehrung weesentlich ist, aus offentlichen Anstalten dieser Art die Fortschritte und den Schwunge der Litteratur kennen zu lernen. 54 Noch am 1. März 1808 schrieb Jaeck einen Aufruf, aus Banz entliehene Bücher mehrbändiger Werke gegen Vergütung zurück zu schicken55 . Es handelt sich um 14 Titel, von denen zwei von der Titelansetzung her nicht zu finden und fünf von der Provenienz her unklar waren (es ist demnach nicht ganz auszuschließen, dass Jaeck unter der Rubrik "Banz" auch andere Provenienzen unterbrachte). Die sieben einschlägigen Titel waren bei den bedeutenderen Werken, Referenzwerken oder Zeitschriften in der Staasbibliothek Bamberg entweder (wieder) vollständig vorhanden oder bunt aus mehreren Provenienzen ergänzt. Bei der Oberdeutschen Allgemeinen Literaturzeitung findet sich in einem Halbpergament-Band die Schrift Sprengers. In vier anderen Titeln, teils in Leder, kommen fünf Namen von Banzer Konventualen vor, und zwar nicht in der üblichen Gebrauchsform "ad usum" und der Name, sondern einfach als Namensnennung, also als Privatbesitz gekennzeichnet. Allerdings sieht man den Bänden nicht an, wann sie in die Staatsbibliothek gekommen sind. Die Banzer Bibliothek war also der Grundstock für die Erweiterung der Universitätsbibliothek zur Staatsbibliothek hin: "Indessen bildet sie doch noch den Hauptbestandtheil der hiesigen Bibliothek aus.,,56 Was wirklich aufgestellt oder (schon in der Nagelkapelle?) ausgeschieden wurde, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls wurden schlechter erhaltene Exemplare der Universitätsbibliothek gegen bessere aus dem Säkularisationsgut ausgetauscht. Bis 1805 war die Aufstellung in der Bamberger Bibliothek im Wesentlichen vollendet. 57 54 Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 3 F VIII, Nr. 181. - In der Staatsbibliothek Bamberg hat von den 68 Bänden des Zedler nur einer anstelle der Pergamenteinbände einen braunen Ledereinband; die beiden anderen waren also offenbar verstellt und kamen später wieder hinzu. 55

Staatsbibliothek Bamberg, Akten A 2 / 1, S. 759.

56

Jaeck (Anm. 43).

57

Schemmel (Anm. 32), S. 248.

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E. Kataloge Einen Katalog der Banzer Bibliothek schuf P. Dominikus Schram 1760; er hätte einmal eine eingehendere Würdigung verdient. In 25 Klassen verzeichnet er 14.429 Drucke und 368 Handschriften.58 Die Klassen sind römisch gezählt und nach den Buchstaben des Alphabets (bibliographisch ohne j und ohne y) von AZ bezeichnet. Wie zu erwarten, beginnt das System bei den Bibeln (A) und endet bei den Libri miscellanei (Z), denen die Libri prohibiti und die Manuskripte folgen. Innerhalb der einzelnen Gruppen ist der Katalog durchwegs alphabetisch geordnet, Anonymi folgen am Schluss. Ausnahmen von diesem Prinzip gibt es etwa bei den chronologisch aufgelisteten Bibeln, denen die Konkordanzen folgen, außerdem bei Sammelstellen wie XI / L mit einzelnen Untergruppen. Innerhalb der Gruppen bzw. Untergruppen bildet das Alphabet die nächste Gliederung. Innerhalb des Alphabets sind die Werke nach den Formaten aufgeführt, allerdings nicht in letzter Feinordnung des Unteralphabets. Die Werke werden jeweils einzeilig in vier Spalten verzeichnet, für den Autor, den Titel, den Ort und das Erscheinungsjahr, insgesamt höchst übersichtlich, zumal es am Schluss des Bandes ein Verfasserregister gibt. Das Verzeichnis eignete sich von daher sehr wohl, wie es sein Titel ausdrückt, als "Findbuch", notabene für den Bibliothekar, dessen Verantwortung im Vorwort herausgestellt wird. Die Aufstellung erfolgte ohne Signaturen, innerhalb der Gruppen platzsparend nach dem Format. Man mag die Banzer Praxis angesichts der Größe des Bestands als erstaunlich finden, erfährt darüber (und über die Entnahme auf die Zellen) aber etwas aus der Rezension einer bibliothekspraktischen Publikation in der "Auserlesenen Litteratur des katholischen Deutschlands", auch wenn expressis verbis auf die örtlichen Verhältnisse nicht abgehoben wird: "Mit Recht scheint der V[erfasser] die Ursache, warum in Klosterbibliotheken nicht genaue Ordnung gehalten werden kann, darinn zu finden, daß eine Menge Bücher zum Gebrauche immer herausgenommen, und nach einiger Zeit wieder zurückgegeben wird. Am besten würde es wohl seyn, wenn für Werke, die diesem Wechsel am mehrsten ausgesetzt zu seyn pflegen, ein besonderer Platz bestimmt wäre." Der Rezensent bemerkt zum Vorschlag, auf dem Buchrücken Individualsignaturbestandteile hinzuzufügen, dies würde zu "bund aussehen, und so oft neue Werke nachgeschaft würden, wieder zu ändern seyn: bey guter Alphabetischer Ordnung ist der Plaz leicht zu finden." Er lässt zwar den Vorschlag gelten, für die Klasse

58 Repertorium Bibliothecae Monasterii Banthensis. Confectum a P. Dominico Schram. Banth. Professo 1760: Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.197 (Altsignatur Rg I 15b): Titelblatt, 4 BIl. Praefatio, 484 S., Leerseiten, 23 BIl. Index Auctorum. Titelblatt: Abb. 3. - Vgl. Abb. 6 bei Raggenbass 2006 (Anm. 3).

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einen Buchstaben auf den Buchrücken zu kleben, "allein gute Rubriken können dies auch ersezen" (gemeint sind wohl die in Banz für die Regale verwendeten Groß- und Kleinbuchstaben). Ganz verurteilt er die Anregung, "alle Bücher durch alle Classen in einer ununterbrochenen Reihe mit Ziffern zu bemerken. ,,59 Wenn von 18.000 - 19.000 Bänden zur Zeit der Säkularisation auszugehen ist, wären in der Zeit seit Schram pro Jahr etwa 100 Bände angeschafft worden. Das erscheint keineswegs als zu hoch. Will erwähnt 1785: "Es lagen auch viele Novitäten ungebunden da, die die Herren Paters [!] vornemlich von Koburg bekommen, ansehen, lesen, und zum Theil zur Vermehrung der Bibliothek behalten. ,,60 Dies war eine ganz modeme Form der Erwerbung aufgrund von Ansichtssendungen, spricht aber nicht von vornherein für die konsequente systematische Einreihung in den Bestand. Einen durchgehenden Katalog gab es nach dem Repertorium von Schram nicht. Jaeck zweifelt zwar die Existenz eines solchen nicht gänzlich an: "der in den letzten 40 Jahren gefertigte ist meinen Augen nicht mehr vorgekommen; er mag durch die vieljährige Mühe des Bibliographen Placidus Sprenger sehr vorzüglich gewesen sein.,,61 Dagegen zitiert schon Meyer den Banzer Bibliothekar: "Nur ist es Schade, dass über diesen Bücher-Schatz kein vollständiger Catalog vorhanden ist. Aber auch hieran arbeitet der unermüdete Herr Bibliothekar - mehrere Geistliche helfen treulich bei diesem mühsamen Werke, und so lässt sich auch die Abwendung dieses Uebels hoffen und erwarten.,,62 Die Ansicht, dass dieser Katalog gar nicht existiert zu haben scheint - man würde ihn kaum den Säkularisatoren verheimlicht haben können 63- bedarf wohl der Korrektur. Ein Verzeichnis von verschiedenen Händen bei dem genannten Repertorium von Schram ist in der Staatsbibliothek Bamberg erhalten, mit gleicher Altsignatur und ebenfalls in braunem Kalbsleder. 64 Es beschreibt Bibeln, Exegese, Patristik und Konzilien oft mit Inhaltsangaben, ist also als Teil

59 Auserlesene Litteratur des katholischen Deutschlands 4, 1. St. (1781), S. 61 - 65 (freundlicher Hinweis von P. Niklas Raggenbass). 60

Will (Anm. 20), S. 169.

61 Jaeck (Anm. 42) S. LXIX. Die Aussage müsste im Licht des zu Anm. 64 Gesagten modifiziert werden.

62

Meyer (Anm. 24), S. 101 f.

63 V gl. zu Anm. 39 und Achim Spörl, Die Säkularisation der Benediktinerabtei Banz.

Masch. Staatsexamensarbeit an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 2002, S. 62.

64 Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.198. Altsignatur Rg I ISa (vgl. Anm. 58); die Provenienz Banz ist also nicht anzuzweifeln.

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eines offensichtlich geplanten, aber nie vollendeten "enzyklopädischen Katalogs" anzusprechen. Für das schnelle bibliothekarische Geschäft war er nicht zu gebrauchen, schon gar nicht für die Säkularisatoren. Auf andere, aber doch vergleichbare Weise teilte er also das Schicksal des Säkularisationskatalogs von P. Seyfried, der ohne Signaturen nach der Auflösung der Regalbindung sinnlos war - außer für statistische Zwecke. 65

F. Der Bibliotheksraum und die Aufstellung Die Banzer Bibliothek ist nach der Säkularisation zerstört worden, auch wenn das Gebäude erhalten blieb. Nach dem Erwerb des Klosters ließ Herzog Wilhelm in Bayern um 1815 in dem zweigeschossigen ehemaligen Bibliotheksraum eine Zwischendecke einziehen, im oberen Geschoss außerdem Zwischenwände für die Wohnung der Herzogin Amalie. Als Banz ab 1979 zum Bildungszentrum für die Hanns-Seidel-Stiftung eingerichtet wurde, entfernte man im oberen Stock die Zwischenwände und gewann so einen Seminarraum (Nr. 9). Im unteren Stock wurde für Gästezimmer gewissermaßen fast der Zustand vor der Bibliothekseinrichtung hergestellt, wie er sich in einem Ausführungsentwurf Johann Dientzenhofers der Zeit 1709/1710 spiegelt. 66 Aufgrund vorhandener Pläne67 ist die Raumsituation zu rekonstruieren. Den Zustand zur Zeit der Säkularisation spiegelt eine Bauaufnahme mit Nutzungsvorschlägen zur Neueinrichtung, die zwischen dem 4. Juli und dem 13. August 1803 von dem vormaligen Bamberger Hofarchitekten Johann Lorenz Fink (1745 - 1817) erstellt wurde. Bei der Nr. 11 des Plansatzes (Abb. 2) sind beide Geschosse des Bibliotheksbaus gleich dargestellt, mit je fünf Durchbrüchen an beiden Längsseiten, also fünf Fenstern an der Außenseite, vier Fenstern und einer Tür an der Gangseite; die Schmalseiten zeigen keine Fenster oder Türen, es

65

Vgl. zu Anm. 41.

66 Abb. 13 bei Michael Petzet, Johann Baptist Roppelts "Geometrischer Grund Riss" von 1774 und die Planungen für Kloster Banz. In: Jahrbuch der bayerischen Denkmalpflege 34 (1980 ersch. 1982) S. 227 - 276, hier S. 24l. 67 Kopien der von dem Architekturbüro F. A. Mayer in Rottach-Egem 1979 angefertigten Pläne befinden sich im Nachlass Joachim Hotz in der Staatsbibliothek Bamberg: Msc.Add.59 124, 1 - 3.

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Abbildung 2: Grundriß der Bibliothek von Banz

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schließen sich Räume an. 68 Dieser Plan bildete die Grundlage für eine Umzeichnung des Obergeschossgrundrisses in dem Kunstdenkmälerband von 1968.69 Die Darstellung Finks entspricht einem Grundriss der Klosteranlage, die der spätere Professor für Mathematik und praktische Geometrie an der Bamberger Universität, P. Johann Baptist Roppelt, 1774 geschaffen und mit detaillierten Erklärungen für drei Geschosse versehen hat. 70 Roppelt hat außerdem vier kartographische Blätter von Banz und seinen Besitzungen erstellt; in einem von diesen, er ist 1786 datiert, hat er den Grundriss der Klosteranlage eingefügt. Darin weist der Bibliotheksraum keine Fenster zum Gang zu auf, nur eine mittige Tür. 71 Diese Darstellung entspricht der in einem weiteren Grundriss Roppelts der Zeit um 1780. 72 Seine Ansichten werden als "etwas naiv" und vielleicht nicht immer ganz verlässlich charakterisiert. 73 Letzteres muss auch von diesem Plandetail gelten. 74 Der Grundriss des ersten Stocks aus der Zeit nach 1814 zeigt die Gangwand natürlich ohne Fenster,75 weil solche für die neue Nutzung nicht sinnvoll waren. Der Bibliotheksraum hatte, wie mehrfach bezeugt, eine Galerie. Die Annahme von zweien scheidet schon von der unterschiedlichen Mauerstärke in

68 Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) NT. 52, mit Abb. (korrekterweise müsste die Gangwand oben dünner als beim Stock darunter sein): Buchstabe p (Regina Hanemann); Fink klammert in der Legende übrigens den kostspieligen Umbau der Bibliothek und des großen Saals (sog. Kaisersaal) aus.

69 Karl Lippert, Landkreis Staffelstein (Bayerische Kunstdenkmale 28). München 1968. S. 62; S. 70 Bibliotheksbau. 70

Abb. 23 und 24a - c bei Petzet (Anm. 66) S. 252 f.: Buchstabe T.

Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) NT. 45 - 48, hier 46 m. Abb.: Buchstabe T (Lothar Braun). 71

72 Abb. 37 bei Petzet (Anm. 66), S. 263; das der Abbildung zugrunde liegende Foto des Originals der TU München 2253h im Nachlass Hotz (Anm. 67) Msc.Add.59/ 2, bestätigt den Befund. 73

Zweifel bei Petzet (Anm. 66), S. 242, 248.

Roppelt schuf unzählige Werke der verschiedensten Art. "Offenkundig um Anerkennung heischend, bildete er unverdrossen sein Umfeld ab, ob es nun Menschen, Gebäude oder Grundstücke waren": Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 21: Günter Dippold; vgl. NT. 41 - 48 und NT. 27: Urteil Hirschings. Die Aussage schmälert gleichwohl die Verdienste Roppelts nicht, der außerdem eine Hochstiftsbeschreibung (vgl. Anm. 10) publizierte und auch liturgische Handschriften schrieb (so Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Lit.l2m und 27m, aus dem Besitz des Neffen Martin Joseph von Reider, über das Bayerische Nationalmuseum München erhalten). 74

75

Abb. 47 bei Petzet (Anm. 66), S. 272.

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bei den Geschossen her aus. Meyers Nennung des doppelten Chors76 erklärt sich daraus, dass es durchgehende Regalwände nur an bei den Schmalseiten gegeben hat, ansonsten "Regaltürme" zwischen den Fenstern. Dem protestantischen Geistlichen konnte angesichts der Form der Regale nicht zu Unrecht der Gedanke an Chöre kommen. Eindeutig spricht er außerdem davon, dass Treppen "aufs Chor" bringen; "doppelt" meint also auf beiden Seiten. Neßtfell hat, wie auch das Kindheitszeugnis der Charlotte von Kalb wohl von 1768 nahelegt,77 die Galerie in Holz umlaufend an der Stelle der späteren Zwischendecke angelegt. Dass es allein an den Schmalseiten zwei Galerien gegeben hätte (was von der lichten Raumhöhe bis zum Ansatz der Wölbung von ca. 7,20 m her durchaus möglich gewesen wäre), ist schon aus ästhetischen Gründen auszuschließen. In den detaillierten Beschreibungen Schrams78 zur Unterbringung der einzelnen Gruppen ist im Übrigen immer nur von zwei Ebenen ("contignationes") die Rede. Verdeckte Treppen, wohl Treppenspindeln, nach Schram "scalae", in den vier Ecken) ermöglichten die Verbindung beider Bibliotheksebenen. Die Annahme von durchgehenden Fenstern bei Meyer erklärt sich daraus, dass die Mauer zwischen den unteren und den oberen Fenstern durch die Galerie verdeckt war. Der heutige Befund mit den hohen Türlaibungen der Mauer zum Gang in beiden Geschossen lässt noch erkennen, dass man beim Umbau für die Bibliothek diese Struktur trotz der Doppelgeschossigkeit nicht verändert hat. Die Zellentüren sind demnach nur bis zur Höhe wie bei den gegenüberliegenden Fenstern zugemauert und als Fenster ausgebildet gewesen. Die 1737 in Auftrag gegebenen 18 neuen Fenster79 entsprechen dem: je fünf an der Außen-

76 Vgl. Anm. 24. Wilhelm Hess, Johann Georg Neßtfel1. Ein Beitrag zur Geschichte des Kunsthandwerks und der physikalischen Technik des XVIII. Jahrhunderts in den ehemaligen Hochstiften Würzburg und Bamberg. Straßburg 1908. S. 51 interpretiert die Angabe Meyers als zwei übereinander liegende Galerien, die längs der Wände verliefen. - Edgar Lehmann, Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster in der Zeit des Barock. 2 Bde. Berlin 1996/1997. Bd. 1, S. 126 und Bd. 2, Katalog, S. 404 spricht demgemäß von zwei "Emporen" (wie übrigens fälschlicherweise auch von der Bibliothek der ehemaligen Bamberger Jesuiten, jetzt Teilbibliothek 1 der Universitätsbibliothek der OttoFriedrich-Universität Bamberg).

77 Johann Ludwig Klarmann, Charlotte v. Kalb und ihre Beziehungen zu dem ehemaligen Kloster Ebrach. In: Heimatblätter des Historischen Vereins Bamberg 6 / 7 (1927/28), S. 95 - 97 (freundlicher Hinweis Prof. Dr. Wemer Taegerts, vgl. Bamberg wird bayerisch [Anm. 9], Nr. 25): "Die Gitter waren weiß und gold, hinter welchen die Bücher bewahrt wurden; eine Galerie rings um die Mitte der Bücherhöhe, Stufen führten hinan." Letztere Angabe spricht übrigens nicht gegen verdeckte Treppen. 78

Vgl. Schram (Anm. 58).

79

Vgl. zu Anm. 5.

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seite, je vier an der Gangseite. Nach Schrams Repertorium muss es aber in oder bei den Fenstern Schränke ("scrinii") meist für Klein- und Kleinstformate gegeben haben. Seine detaillierten Angaben zur Aufstellung der Bücher in den einzelnen Gruppen beweisen nicht nur die Existenz von Fenstern ("fenestrae") in der Mauer zum Gang hin, sondern lassen auch die Regalstruktur erkennen. 80 Die Regale waren in der Regel dreigeteilt. In der Mitte befanden sich die Fächer für die Folioformate, gewöhnlich mit dem Großbuchstaben der Gruppe bezeichnet. Meist im obersten Fach begannen die Quartformate (einmal ist für das untere Geschoss ein siebtes Fach genannt); sie setzten sich an den beiden Seiten fort, gewöhnlich mit Kleinbuchstaben bezeichnet. Unteres und oberes Geschoss können getrennt bestückt sein, die Gruppen können aber auch von unten nach oben weitergehen bzw. "Auslagerungen" haben. An den bei den Schmalseiten wurde die Galerie von je vier Säulen ("columnae") getragen, in denen auch kleine Bücher untergebracht gewesen sein müssen. Das ist wohl so wie bei den Portal teilen der Bamberger Dominikanerregale zu denken, denen demnach die Banzer Regale als Vorbild gehabt haben dürften. Auch die Dreiteilung entspricht, allerdings müssen die Banzer Seitenteile durchwegs größer gewesen sein, während sie bei den Dominikanerregalen in der Regel nur Kleinformate aufnehmen konnten. 81 Bemerkenswert ist nun, dass das Titelblatt des Schramsehen Repertoriums, eine lavierte Federzeichnung, nicht nur ein "Ziertitelblatt" ist, sondern die Aufstellung der Bestände in der Bibliothek spiegelt (Abb. 3).82 Diese Bibliotheksübersicht lässt sich bis auf wenige Verschiebungen mit den Beschreibungen in Einklang bringen, auch wenn die Zweigeschossigkeit nicht wirklich anschaulich gemacht werden konnte. Eine detaillierte Auswertung würde den hier gesetzten Rahmen sprengen. Die Bibeln, die Patristik und die theologischen Schriftsteller (Klasse 1/ A - III / C) waren z. B. an der Stirnseite zum Konventbau untergebracht. Nach den heutigen Plänen steht die Übersicht also auf dem Kopf. Die Libri prohibiti, die im Repertorium mit * bezeichnet sind, wurden teils in verschlossenen Schränken an der gegenüberliegenden Schmalseite, auf der Galerie 80 Wie Anm. 58. Fenster auf dieser Seite erwähnt u. a. S. 113, 181 und 305. - Dagegen waren die beiden heute noch erkennbaren breiten Öffnungen an der nördlichen Schmalseite zum anschließenden Treppenhaus vielleicht schon damals zugesetzt, jedenfalls legt das die zu Anm. 91 vorgeschlagene Regalunterbringung nahe.

81 Bemhard Schemmel, Die Bibliotheksregale der Bamberger Dominikaner. In: Hortulus Floridus Bambergensis. Studien zur fränkischen Kunst- und Kulturgeschichte. Renate Baumgärtel-Fleischmann zum 4. Mai 2002. Hrsg. von Wemer Taegert. Petersberg 2004, S. 317 - 328.

82

berg.

Diesen Gedanken vermittelte mir Frau Hiltrud Huhn, Universitätsbibliothek Bam-

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Bemhard Schemmel

(an den Schmalseiten "pulpitum") untergebracht, teils waren sie in dem an das Bibliotheksobergeschoss zum Zellenbau anschließenden Raum ausgelagert.

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Die Zeichnung lässt außerdem die Gestalt des von Meyer so bezeichneten "Chors" mit drei konkaven Bögen an den Schmalseiten erkennen, von denen der mittlere größer ist. Dass die parallelen konkaven Bögen der Zeichnung Doppelernporen andeuten, ist auszuschließen, eher ist an die graphische Abgrenzung der durchgehenden Schmalseiten von den Regalen zwischen den Fenstern zu denken. Die so eingerahmten mittleren Abteilungen bezeichnen die Bestände dieser vier Regaltürme ("bibliotheca"). Der Abschluss mit halbrunden Bögen steht für die Wölbungen. Die Regale im unteren Geschoss werden bis zur Galerie gereicht haben, während die im oberen durch den Gewölbeansatz begrenzt waren. Die aufgrund der Angaben Schrams 1760 untergebrachten 14.797 Bände würden, nach modemen Berechnungen mit 30 Bänden pro Regalmeter, eine Stellfläche von 493 Ifd. Metern erfordern. Die Verteilung im Raum ist aber nicht zu rekonstruieren, zumal außerdem die offenbar in den Fenstern aufgestellten Schränke zu berücksichtigen wären, weiterhin die Säulen an den Schmalseiten und die Teilauslagerung der Libri prohibiti. Außerdem ist entsprechend dem Vorwort Schrams auch doppelreihige Aufstellung bei kleineren Formaten nicht auszuschließen. Dass bei historischen Beständen mit einem hohen Altbestand außerdem weniger als 30 Bände pro Meter anzunehmen wären (im Fall der Bamberger Dominikanerbibliothek mit erhaltenen Regalen und belegten Bestandszahlen waren es 12 % weniger8\ erscheint dagegen nicht erheblich. Bei Banz ist davon auszugehen, dass es einen hohen Prozentsatz an modemen, kleinformatigeren Büchern gegeben hat. Auch ohne letzte Eindeutigkeit ist also davon auszugehen, dass man weniger Bände nach Bamberg transportiert hat, als in der Bibliothek unterzubringen waren. Das Ausräumen nur oder hauptsächlich dieser Bestände im Sommer 1803 machte freilich Sinn, wie unten die Ausführungen zu den Privatbibliotheken nahelegen.

G. Zwei Regale aus Banz? Zu den Banzer Regalen vermerkt Jaeck: "Die ungemein schönen sehr weislich mit messingenen Dratgittirn [!] überzogenen fournierten Banzer Bücherschränke wurden zwar auch mit vielen Kosten nach Bamberg gebracht; allein bei der Unmöglichkeit, sie vor Durchbrechung der Wände gehörig aufzustellen, auf den offenen Gängen des damals wie herrenlos betrachteten Universitätshauses größtentheils in wenigen Tagen wieder entwendet, ohne daß man bis jetzt 83

Schemmel (Anm. 81), S. 326.

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eine Spur derselben finden konnte. Nur drey Kammern, worin jetzt [... ] Doubletten aufbewahrt sind, konnten noch damit ausgestattet werden. ,,84 Diebstähle, auch von Banzer Büchern, veranlassten Jaeck im Übrigen, seine Wohnung in dem weiterhin Universitätshaus genannten früheren Jesuitenkolleg zu nehmen. Tatsächlich war nur ein Teil der großen und sperrigen Banzer Regale mit den Büchern im Sommer 1803, auf jeden Fall vor dem 24. September 1803, nach Bamberg gekommen. Am 5. Oktober dieses Jahres ergeht nämlich die Weisung, "alle noch vorfindlichen Bibliothek Behältnisse zu Banz nach der Administratoren bereits gegebenen Vorschrift ohne alle Saumniß in das Universitäts Hauß dahier abführen zu lassen, und, wie dies geschehen, ist binnen 14 Tagen unfehlbar anzuzeigen".85 An einen Transport im Winter ist aber wohl nicht zu denken. Am 13. April 1804 sollen die noch vorhandenen "Schränke" in Banz versteigert werden 86 . Das Kurfürstliche Rentamt Banz verkündet am 19. August 1804 öffentlich: "Den 3ten September werden die in der vormals Kloster-Banzischen Bibliothek annoch vorhandene Bücherbehältnisse, welche von Eichenholz gefertiget, und mit Messingen Gittern versehen sind, dem öffentlichen Verkaufe, gegen gleich baare Zahlung aus ge setzet. ,,87 Interessenten können an diesem Tag um 9 Uhr ihr Aufgebot zu Protokoll geben "und das Weitere gewärtigen". Über das Ergebnis ist nichts bekannt, an einen weiteren Transport nach Bamberg ist wohl nicht mehr zu denken. Hess 88 hat 1908 nur noch eine für die Verbindung der Galerien (wie er sagt) notwendige "Schneckenstiege" in Banz vorgefunden. Die Staatsbibliothek Bamberg besitzt noch zwei nicht eingebaute gleiche "handliche" Regalteile (Abb. 4), die in letzter Zeit für Ausstellungszwecke mehrfach verwendet wurden. Dass sie aus Banz gekommen sein können, ist bislang nicht in Erwägung gezogen worden. Ein Vergleich mit dem erhaltenen, höchst qualitätvollen Banzer Chorgestühl macht dies aber nicht unwahrscheinlich. 89 Neßtfell hat (außer dem Bibliotheksfußboden) auch das Chorgestühl geschaffen, aus Eichenholz mit Nussbaumfurnier und Einlagen aus verschiedenem Holz und Zinn. Die beiden Stücke wären der Rest der Regale aus Banz,

84

Jaeck (Anm. 43), Sp. 121 f.

85

V gl. Anm. 44: Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 3 F VIII, Nr. 181.

86 Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 202, Nr. 44, Nr. 3923. 87 Bamberger Intelligenz-Blatt 24.8.1804, S. 451, Beilage zu Nr. 66. - Wolf (Anm. 43), S. 77. - Raggenbass 2006 (Anm. 3), S. 65, Anm. 284. - Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Günter Dippold. 88

Hess (Anm. 76), S. 53.

89

Dies bestätigte dankenswerterweise auch Pfr. Hans-Wemer Alt, Altenbanz.

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Abbildung 4: RegaIteil aus der Bibliothek von Banz

229

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Bernhard Schemmel

mit denen drei Kammern ausgestattet wurden. Die Abschrägung oben legt die einstige Aufstellung unterhalb des Gewölbes nahe. Da die Regalhöhe allerdings nur 183 cm beträgt und die Abschrägung bereits bei 143 cm ansetzt, müsste man nach heutigem Bodenniveau (vergleichbar den zweiteiligen Bamberger Dominikanerregalen?) ein Unterteil oder einen Unterschrank von ca. 65 cm Höhe annehmen (die Wölbung setzt erst bei etwa 220 cm an). Nach Schrams Angaben gab es Schränke auch auf der Galerie, für die Unterbringung der Libri prohibiti und der Manuskripte. 90 Die beiden Regale haben Gesimse, Lisenen und aufgesetzte Profile an den drei Fachböden aus Eiche, alles andere ist Kiefernholz. Sie sind konkav geschwungen, Fuß- und Obergesims sind über zwei seitliche Lisenen verkröpft. In die Lisenen sind Nussbaumfelder eingelegt; diese werden von Streifen aus Mooreiche eingefasst, die mit Ahornadern gerändert sind. Die Kopfstücke an den Lisenen unter der vorkragenden Verkröpfung fehlen, die Löcher für die Befestigungen sind aber noch erkennbar. 91 Die Regale standen einstmals im Verbund, wie die unbearbeiteten Seitenwände, die (teils entfernten) Verbindungshölzer am abschließenden obersten Brett und die vorkragenden Lisenen erkennen lassen. Sie müssten jeweils an einer der Schmalseiten des Bibliotheksobergeschosses gestanden haben, und zwar genau in der Mitte. Fachgliederung und Tiefe von 53 cm erlauben auch die Aufstellung von Folioformaten. Allerdings fehlen an beiden Regalen die Vergitterungen; nur an einem befinden sich an den Seiten oben je zwei schräg übereinander angeordnete zugesetzte Dübellöcher, die nichts mit der Befestigung der Kopfstücke zu tun haben brauchen - dennoch bleibt die Funktion unklar. Die beiden Teile reichen nicht aus, die alte Ausstattung zu rekonstruieren, können aber immerhin einen Eindruck vermitteln. Hess beschreibt die "Schränke" Neßtfells, die trotz ihrer Größe als "sehr zierlich" gerühmt wurden, zusammenfassend so: "Aus ,kostbarem Holze' verfertigt waren sie braun furniert, aufs reichste eingelegt und mit vergoldetem und bronziertem Schmuckwerk versehen, während die durchbrochen gearbeiteten Türen von den Büchern noch einmal durch ein mit Laubwerk durchsetztes, bronziertes Metallgitter geschieden waren.,,92

90 Schemmel (Anm. 81), S. 318 - 321 und Schram (Anm. 58), S. 449, 469. Vgl. außerdem zu Anm. 32.

91 Die Beschreibung nach: Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 129 (Werner Taegert); die dort angegebene Datierung um 1770/80 erscheint nicht als zwingend. 92 Hess (Anm. 76) S. 51, danach Lehmann (Anm. 76) II, S. 404: "Die Türen der Schränke zeigten durchbrochene Arbeit, dahinter waren die Bücher durch bronzierte, mit Laubwerk geschmückte Metallgitter gesichert.,,93 Jaeck (Anm. 43) Sp. 122.

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Bei der Einrichtung der Bibliothek hat man auf Einheitlichkeit des Bücheräußeren geachtet, wie es heute etwa die großartige Bibliothek von Admont mit den ebenfalls verdeckten Treppen noch unmittelbar erleben lässt, oder auch die Bibliothek von Seitenstetten (um nur diese beiden zu nennen). Für Banz sind weiße Schweinslederbände (mit Supralibros) bzw. Pergamentbände oder Halbpergamentbände belegt. Hierher gehört die von Jaeck überlieferte Anekdote, wonach ein höherer bayerischer Staatsbeamter das Weiß der Banzer Bibliothek, die "bestens konditionirt, und meistens in Schweinsleder gebunden gewesen sey",93 für aufgetragene Kalktünche hielt, die nun die Leser zum Nachteil ihrer Gesundheit einatmen müssten. Der Kontrast zu dem dunklen Holz muss jedenfalls besonders gut gewirkt und zu der lichten, gewissermaßen "aufgeklärten" Einschätzung der Bibliotheksbestände und der dahinter stehenden Geistigkeit beigetragen haben.

H. Nicht in der Bibliothek aufbewahrte Bestände Wenn in der Banzer Bibliothek nicht alle 18.000 bis 19.000 Bände unterzubringen waren, so ergibt die Differenz zu dem säkularisierten Bestand ein "nicht ganz gelöstes Kapitel".94 Die folgenden Überlegungen suchen nach Erklärungen. In Banz sind Mehrfachexemplare von Publikationen allgemein belegt, die man kaum nach Bamberg gegeben haben wird, weil sie wohl in den Zellen einzelner Konventualen waren. Ob, wie einzelne Vergleiche zwischen Banzer Beständen in der Staatsbibliothek und der Bibliothek des Metropolitankapitels95 vermuten lassen, neue Auflagen und Ausgaben in Staatsbesitz Vorrang hatten, könnten nur umfassendere Untersuchungen erweisen. Eine Aussonderung aus dem in der Banzer Bibliothek aufgestellten Bestand konnte in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit wohl kaum vorgenommen werden. Ist das aber in Bamberg bei dem anerkannten historischen Gespür Jaecks anzunehmen, da die früheren Auflagen nicht nur für die historische Forschung wichtig gewesen wären oder hat ein Teil der Bestände aus welchen Gründen auch immer den Weg nicht in das Universitätshaus gefunden? Dass man überdies aktuelle, vielleicht ungebundene Literatur nach Bamberg gegeben hat, ist im Übrigen wenig wahrscheinlich. Bekannt ist, dass Musikalien nicht in der Bibliothek waren, sondern in der Kirche, in der Sakristei oder neben der Orgel. In Banz sind zumindest Teile 94

Spörl (Anm. 62), S. 61.

95

Freundliche Auskunft der Leiterin, Frau Maria Kunzelmann.

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Bernhard Schemmel

davon in den Besitz der Herzöge in Bayern gekommen (heute Depot im Geheimen Hausarchiv in München).96 Sind sie dann aber in den Bestandszahlen enthalten?

I. Privatbibliotheken

In Banz war der alte klösterliche Grundsatz durchbrochen worden, wonach alles dem Kloster gehöre, was ein Mönch erwerbe. Die Einkünfte aus wissenschaftlicher oder sonstiger privater Tätigkeit durfte er behalten und frei darüber verfügen. 97 Die meisten Konventualen schafften sich Privatbibliotheken an, andere schufen Kabinette oder bauten sie aus. Baader rechnet sogar die Abtsbibliothek zu den Privatbibliotheken, doch ist dazu - außer ihrer Lage im Westflügel nahe der Kirche 98 - nichts bekannt: "Außer der allgemeinen Bibliothek besitzen auch der Herr Prälat, und die meisten Klostergeistlichen sehr schöne Privatbibliotheken.,,99 Der Abt bestätigt am 2. August 1803, dass die Religiosen "Privateigentum weder in barem Geld noch kostbaren Geräthschaften, sondern nur und zwar vorzüglich in Büchern" hätten lOo . Am 14. März 1803 waren diese aufgefordert worden, ein Verzeichnis der in ihrem Gewahrsam befindlichen und als ihr Eigentum beanspruchten Gegenstände vorzulegen. Der frühere Prior Placidus Sprenger gab in einer bemerkenswerten Stellungnahme an, dass zu seinen "Gerechtsamen" auch Bücher gehörten, die nicht für die Bibliothek oder zum Vorteil des gesamten Konvents angeschafft wurden, "einem Geistlichen aber nothwendig und deßhalb in großer Anzahl vorhanden sind". Im Einzelnen erwähnte er Bücher für Messe und Liturgie, eine "gemeine" Ausgabe der Vulgata, Erbauungsbücher, für Jüngere Predigt- und Lehrbücher. Außerdem habe er aus seinem Depositum seit 40 Jahren Anschaffungen getätigt und selbst Bücher aus wissenschaftlicher Tätigkeit als Entgelt oder von

96 Vgl. Gertraut Haberkamp / Barbara Zuber, Die Musikhandschriften Herzog Wilhelms in Bayern, der Grafen zu Toerring-Jettenbach und der Fürsten Fugger von Babenhausen. Thematischer Katalog. Einführung: Robert Münster: Geschichte und Inhalt der drei Musiksammlungen. München 1988. S. XIV f. (Banz).

97 Forster (Anm. 29), S. 95 - 100. 98

Petzet (Anm. 66), S. 232 - 236.

Baader (Anm. 18), S. 326f. Vgl. Bamberg wird bayerisch (Anm. 9) Nr. 28 (Werner Taegert). 99

100

Nach Spörl (Anm. 62), S. 78.

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anderen als Geschenk erhalten, selbst von der Akademie der Wissenschaften in München. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss sei das Eigentum dieser Gegenstände an ihn übergegangen. Dagegen habe er alle Bücher aus der Bibliothek zurückgegeben. Eine Liste seiner Bücher, deren es viele seien, aufzustellen, wäre eine große Strafe für ihn, da er vormittags wegen starkem Zittern der Hände nicht leserlich schreiben könne, außerdem befänden sie sich durch die Umstände in der größten Unordnung. "Den abgeschriebenen Titeln meiner Bücher kann man es nicht ansehen, ob sie mein sind oder nicht."lol Ähnlich argumentierte der Prior Burkard Vollert vom privaten Gebrauch, sein "Peculium" sei u. a. "aus dem Honorario für litterarische Arbeiten" erworben. 102 Von ihm gibt es trotzdem eine Liste der Bücher nach Formaten, 119 und weitere kleinformatige Bücher in seinem Eigentum. Die Aufhebungskommission war sich über die Rechtslage nicht im Klaren,103 doch ist anzunehmen, dass man den Exkonventualen diesen Besitz (und den aus der Bibliothek in den Zellen in ihrem Gebrauch befindlichen) belassen hat. Darauf deutet auch hin, dass das von Sprenger zum guten Teil privat finanzierte Espersche Schmetterlingswerk nicht unter dem Säkularisationsgut war, auch nicht in das Bamberger Naturalienkabinett gelangt iSt. 104 Jaeck hat aus Sprengers Verlassenschaft Bücher in (Halb-)Pergament für 30 fl. rho im tatsächlichen Wert von 136 fl. 28 Y2 kr rho gekauft 105. Eine undatierte Liste Sprengers mit 81 Titeln stellt sicher nur eine Auswahl seiner Bibliothek in "geldwerten" Bänden dar. Darin wird von dem Esperschen Schmetterlingswerk, das über 220 fl. gekostet habe, gesagt, "ich will es aber überlassen um 100 fl." (nicht angekreuzt, also ganz offensichtlich zu teuer für die Bibliothek).106 Von PI ac idus Sprenger sagt schon Nicolai 107: "Er hatte auch unter den übrigen Religiosen die 101 Wilhelm Hess, Die Säkularisation des Klosters Banz und das Peculium cIerici. In: Theologisch-praktische Monatsschrift 28 (1917), S. 340 - 357, hier S. 349 - 351. Teilweise zitiert auch bei Martin Kuhn, Die Welt des barocken Klosters Banz im Spiegel seiner Benediktiner-Zeitschrift 1772 - 1798, in: Geschichte am Obermain 6 (1970/71), S. 33 -70, hier S. 37. 102

Kuhn (Anm. 100), S. 37.

103

Spörl (Anm. 62), S. 40.

Vgl. Anm. 34 und freundliche Auskunft des Leiters des Bamberger Naturkundemuseums, Dr. Matthias Mäuser. \04

105 Staatsbibliothek Bamberg, Akten A 2 /1, S. 632 - 640. 106 Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.199, Einlage. Bei dieser Einlage handelt es sich um die von Wolf(Anm. 43) ohne Hinweis auf Sprenger für Msc.Misc.197 erwähnte Angebotsliste. 107 Nicolai (Anm. 17), S. 105.

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vorzüglichste Bibliothek". Er muss also deutlich mehr gehabt haben als die oben genannten 81 Titel bzw. als die nach den gleich zu besprechenden, erhaltenen Listen anzunehmende durchschnittliche Anzahl der Konventualen, ca. 125. Die einzelnen Mönche hatten einen sehr unterschiedlichen Bestand, schon was die Zahl angeht (einer keine, der nächste acht, die bei den höchsten 344 und 659); bei den meisten werden am Schluss noch pauschal Bestände genannt. Sie verzeichneten diese Bücher höchst unterschiedlich, mit Gespür für Systematik und Ordnung bis zum nahezu perfekten Katalog - oder auch mehr oder weniger lustlos. Die inhaltliche Zusammensetzung schwankt ebenfalls sehr, je nach den Aufgaben- oder Forschungsbereichen, wie von Sprenger angegeben, von praktisch-theologischen Handreichungen bis zu literarischen und wissenschaftlichen Werken. Eine Auszählung an den Originallisten erbrachte über 3000 Titel, das macht schätzungsweise 4000 Bände aus. Erfasst sind 24 Mönche, also auch zwei nicht mehr im Kloster befindliche, die versichern, keine Bücher mitgenommen zu haben 108. Es war hier vom privaten Besitz die Rede, oft sogar ausdrücklich als vom jeweiligen Konventualen angeschafft. Nur zweimal werden Bestände des Konvents erwähnt: 19 und 80. Es gibt unter den Banzer Bänden solche, die, wie oben ausgeführt, den handschriftlichen Eintrag "ad usum", also für den Gebrauch eines Mönchs haben; nach dessen Tod fielen sie wieder an die Bibliothek. Die privaten scheinen nur den Namenseintrag des betreffenden Konventualen zu haben. Ob eine Trennung in weißes Schweinsleder oder (Halb-)Pergament für Bibliotheksbestände und dunkles Leder für den privaten Besitz in den Zellen der Mönche durchgängig war, wie einzelne Beispiele vermuten lassen, könnte nur durch umfassende Bestandsrecherchen geklärt werden. Jedenfalls muss aber auch ein nicht unwesentlicher Bibliotheksbestand auf den Zellen der Konventualen gewesen sein. 109 Nach Jaeck bestimmte die Authebungskommission, "daß jeder Geistliche die aus der Bibliothek zu seinem Gebrauche entlehnten Bücher auch nach der Säcularisation benutzen und ganz eigenthümlich betrachten dürfe" 110; Hofkammerrath Hanauer "war so menschenfreundlich, dass er jedem Geistlichen die Bücher, welche er auf dem Zimmer hatte, zu behalten gestattete, weil sehr viele Bücher von den noch lebenden oder verstorbenen Geistlichen selbst waren angeschafft worden. Allein durch diese Begünstigung, wie durch unterlassene Rückforderung der an auswärtige Gelehrte verlehnten Bücher sind auch 108 Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 202, Nr. \037. Teilweise bei Spörl (Anm. 63), S. 41 f. erwähnt.

109

Vgl. zu Anm. 59.

110

Jaeck (Anm. 43), Sp. 121; vgl. Vollständige Beschreibung (Anm. 42) S. LXIX.

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viele Werke unvollständig nach Bamberg gekommen, die nicht mehr zu ergänzend sind". Auf dem am 1. März 1808 von Jaeck geschriebenen Aufruf, aus Banz entliehene Bücher mehrbändiger Werke gegen Vergütung zurückzuschicken, I II kamen u. a. vier Titel mit fünf Namen von Banzer Konventualen in die Bibliothek, also als Privatbesitz gekennzeichnet, teils in Leder. Wie viele Bücher die Konventualen aus der Bibliothek in ihren Zellen hatten, ist aber nicht klar. Die Aussage von der Menschenfreundlichkeit Hanauers deutet auf nennenswerte Zahlen. Im Bamberger Franziskanerkloster, von Jaeck wissenschaftlich sehr geschätzt und darum als Nebenbuhlerin der Prälatenklöster bezeichnet, war ein Viertel des (freilich kleinen) Bestands auf den Zellen der Mönche oder an Sonderstandorten. 112 Für Banz umgerechnet, machte dieses Viertel 4500 - 4750 Bände aus; auf jeden der 24 Konventualen wären dann bis zu 200 Bände gekommen. Die zitierte Formulierung lässt aber eher darauf schließen, dass in den Zellen Kloster- und Privatbesitz letztlich nicht getrennt waren, und dass man alle dort aufbewahrten Bücher den Konventualen überlassen hat.

J. Verluste Verluste aufgrund nicht zurückgegebener Bücher oder durch Verkauf (bewusst, wie oben erwähnt, oder im Verlauf der Säkularisation l13 können zahlenmäßig nicht spezifiziert werden. Auszuschließen ist, dass beim Einpacken willkürlich oder ohne Billigung der Säkularisatoren vorgegangen worden wäre. Dafür hat man den Wert der Banzer Bücher zu sehr geschätzt; außerdem war man ja generell gehalten, den bestmöglichen Gewinn zu machen. Es fällt aber auf, dass im Katalog von Schram 368 Handschriften genannt sind, während tatsächlich nur 35 säkularisiert wurden. Die Säkularisatoren hatten jedenfalls vorab auf Handschriften, Inkunabeln und drucktechnische Seltenheiten zu achten, wohl auch, wenn es sich ganz überwiegend nur um neuzeitliche Handschriften handelte. Baader spricht 1797 von alten Manuskripten im Zusammenhang mit alten Druckdenkmälern, sonst wird deren Existenz eher vemeint. 114 War es in Banz vielleicht wie im Bamberger Karmelitenkloster?

111

Staatsbibliothek Bamberg, Akten A 2/1, S. 759.

112

Jaeck (Anm. 43), Sp. 177. Vgl. die Bestandsübersicht bei Schemmel (Anm. 32), S.

244. 113

Vgl. Anm. 32 und 95.

114

Vgl. Anm. 2, 30, 35, 53; eher alte Drucke, vgl. Anm. 36.

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Dort gab es "die alten deutschen Prediger und Po still anten wie auch die teils gekräust oder gekritzelt geschriebene unlesbare Philosophen und Theologen [ ... ]. Von diesen ist gegenwärtig die Bibliothec gereiniget, und befinden sich diese im Kloster an einen anderen Ort, weil sie nicht würdig zu achten, eine Stelle in dieser Bibliothec zu haben. ,,115 Jedenfalls hatte man auch hier, wie in jedem Kloster, Bestände, mit denen man sich entsprechend dem Zeitgeist und aufgrund der hohen Wertschätzung von außen nicht gerne identifiziert sehen wollte, z. B. Andachtsliteratur. Solche war jedenfalls 1804 noch in Banz verblieben, wohl als Sonderbestand. Man schlägt nämlich dem ehemaligen Konventualen Joseph Bauer, dem Präses der Rosenkranzbruderschaft, ein für allemal den Antrag ab, "ihm die noch vorräthigen von einer so genanten Brüderschaft allda angeschaften Bücher unendgeldlich oder wenigstens um 25 fl rho zu überlaßen".116 Tatsächlich sind diese "Früh- und Nachtgebete und Gesänge" aber am 9. Dezember 1809, insgesamt 282 Pfund, öffentlich in Banz zum Meistgebot von 2 fl. 16 xr. pro Zentner verkauft worden. 117 Sonstige Buchversteigerungen sind aus Banz zwar nicht belegt, aber nicht unwahrscheinlich.

K. Zusammenfassung

Die Ausführungen haben das Geheimnis "Banzer Bibliothek" nicht bis ins Letzte erhellen können. Anders als lange Zeit in dem Zisterzienserkloster Langheim ll8 war wenigstens die Lage der Konventsbibliothek in Banz nie zweifelhaft. Aufgrund von schriftlichen wie bildlichen Quellen, dem Bibliotheksreper115 Karl Schottenloher, Beiträge zur Geschichte der Inkunabelkunde in Franken. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 29 (1912), S. 67. 116 Stadtarchiv Bamberg, HV.Rep.3, Nr. 1015 (unfoliiert), darin: 23, Nr. 8935 vom 3. August (?) 1804 (freundlicher Hinweis von Dr. Renate Baumgärtel-Fleischmann).

117 Staatsarchiv Bamberg, Rep. K 202, Nr. 861, Nr. 1000, Nr. 1102. - Forster (Anm. 29), S. 98 erwähnt für 1809 den Verkauf von 10 Zentnern 16 Pfund alter Bücher um 2 tl 30 Kr pro Zentner, doch ließ sich dieser Beleg nicht verifizieren. 118 Bemhard Schemmel, Von der Klosterbibliothek Langheim zur Staatsbibliothek Bamberg. In: Kloster Langheim. Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 65. 1994. S. 49 - 59. - Jaeck urteilt insgesamt, dass die Langheimer Bibliothek vor dem Brand von 1802 "theils nach dem Geldwerthe theils nach der Seltenheit und Kostbarkeit der ausländischen Bücher" die vornehmste unter den säkularisierten Bibliotheken war. Danach war aber die Banzer "die vorzüglichste, so wie diese auch jene an allgemeiner Brauchbarkeit und an neuer Literatur in allen Zweigen (bis auf die Statistik, Geschichte und Politik) übertroffen hat." (Jaeck [Anm. 43], Sp. 119).

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torium von 1760 und zwei erhaltenen, für Banz reklamierten Regalteilen ist versucht worden, die Ausstattung mit den typischen weißen Banzer Bänden anzudeuten und den Umfang der Aufstellung mit mehr als dem säkularisierten, nach Bamberg geschafften Teil zu bestimmen. Bei der Konventsbibliothek handelte es sich um einen zweigeschossigen "langen Saal, wo zwei Globen standen, inmitten eine Tafel, von lesenden Patres ringt". 119 Eine hölzerne Galerie teilte beide Geschosse, zwischen den Fenstern standen Büchertürme, nur die Schmalseiten hatten auf je vier Säulen konkav geschwungene Regalwände wie Chöre; in oder bei einzelnen Fenstern standen Schränke, Libri prohibiti waren auch in einem südlich angrenzenden Raum neben dem Bibliotheksobergeschoss ausgelagert. Die Differenz zwischen dem säkularisierten und dem tatsächlich anzunehmenden Banzer Bibliotheksbestand (10.500/18.000 - 19.000 Bänden) ist nur zu einem Teil zu erklären, aus den Privatbibliotheken, die die Konventualen behalten durften. Vermutlich erfolgte aber auch eine Vermischung mit den aus der Bibliothek auf den Zellen in Gebrauch befindlichen Bänden (dagegen ist die Tatsache, dass auch von einzelnen Mönchen Bücher aus ihrem Depositum in der Bibliothek standen, zu vernachlässigen I20 ). Ein Teil der in Banz verbliebenen Bestände wurde versteigert, auch wenn sich dazu, wie bei anderen Realien, kaum Unterlagen finden. Vom aufklärerischen Standpunkt und seiner positivistischen Wissenschaftsgläubigkeit aus nicht gewürdigte Literatur war das, ungebundene oder Mehrfachexemplare mögen dazu gehört haben, sicherlich nicht durchwegs mit Provenienzeintrag. Bislang sind kaum Banzer Bücher außerhalb der Staatsbibliothek Bamberg aufgekommen. 121 Ein Provenienzverzeichnis der Staatsbibliothek Bamberg ist

119 Charlotte von Kalb (Anm. 77), S. 96. Den beiden repräsentativen CoronelliGloben von 1692, von denen einer auf dem Transport nach Bamberg durch Fahrlässigkeit zugrunde ging (vgl. Jaeck [Anm. 43], Sp. 121 und Haus der Weisheit. Von der Academia Ottoniana zur Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Hrsg. von Franz Machilek. Bamberg 1998, S. 470 f.: (Lothar Hennig / Markus Schütz) entsprachen zwei Globen auf Bergmüllers Deckengemälde. - Meyer (Anm. 24) spricht von kleinen Tischchen und Pulten in der Bibliothek. 120 Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.199, Beilage: 8 Titel von 8 Konventualen, Bücher, die nach Abfassung des Katalogs den Betreffenden zurückgegeben wurden, da sie aus deren Depositum angeschafft worden waren, aber in der Bibliothek standen. 121 Erst jüngst machte Dr. h. c. Lothar Braun, der langjährige Vorsitzende des Historischen Vereins Bamberg, dankenswerterweise auf ein Buch mit dem Kaufeintrag des Musikers Valentin Rathgeber von 1723 aufmerksam, der nach einer "Auszeit" 1738 wieder ins Kloster Banz zurückkam; das Werk gehört zu dem Künstlernachlass Fried-

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außer für die Handschriften und Inkunabeln erst in Ansätzen vorhanden, die für Banz als nennenswert zu bezeichnen sind. So dringend wünschenswert es für die Rekonstruktion der bei der Säkularisation 1803 aufgestellten Klosterbibliotheken wäre, brächte es für die letztlich nicht geklärte Frage der fehlenden Banzer Bibliotheksbestände auch keine Klarheit; es könnte allein die tatsächlich aufgestellten Bücher erfassen.

rich Theiler / Adam Friedrich Ditterich des Historischen Vereins in der Staatsbibliothek Bamberg (HV.Slg.119). - Vgl. außerdem zu Anm. 95.

Recht und Reform im Zeitalter der Frühaufklärung in Franken Modernisierung der Rechtswissenschaft (Kanonistik) in Würzburg und Bamberg unter Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn (1729 -1746) Von Klaus Guth

A. Einführung I. Kirchenpolitische Lage in den geistlichen Fürstentümern des 18. Jahrhunderts

Staat und Kirche standen sich am Ende des 17. Jahrhunderts in Deutschland auf Augenhöhe gegenüber. Die Einrichtung der Reichskirche bestätigt die deutschen Bischöfe als gleichberechtigte Fürsten neben den weltlichen. Die geistlichen Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier wählten mit den fünf weltlichen den Kaiser. Gemäß der Reichsverfassung besaß der Reichserzkanzler (von Mainz) neben dem Kaiser das wichtigste Amt im Reich. Die geistlichen "Wahlfürsten" garantierten zusammen mit den geistlichen Territorien den Einfluß des Kaisers im Reich. 1 Die Kritik an den geistlichen Fürstentümern und Säkularisationspläne am Ende des 18. Jahrhunderts waren nicht allein die Folgen des aufgeklärten Absolutismus und der Französischen Revolution in den weltlichen Staaten des Reiches. Sie wurde bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch drei kirchenpolitische Strömungen vorbereitet. Sie betrafen die Unionsbestrebungen unter den großen Konfessionen, Episkopalismus und Josephinismus. Nach Karl Otmar von Aretin brachte die katholische Aufklärung im Reich "zwei Systeme hervor: den Josephinismus und den sogenannten Febronianismus. Beide hatten 1 Vgl. Karl Otmar von Aretin, Das Reich. Friedensgarantie und europäisches Gleichgewicht 1648 - 1806, Stuttgart 1986, bes. S. 406 - 409; ders., Das Alte Reich 16481806, Bd. 11: Kaisertradition und österreichische Großmachtpolitik (1684 - 1745), Stuttgart 1997, S. 381-412.

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als letzte Absicht die Vereinigung der Konfessionen.,,2 Joseph 11. ging es letztendlich um die vollständige Unterwerfung der Kirche unter den Staat; der Febronianismus und erzbischöfliche Episkopalismus (der geistlichen Kurfürsten und des Primas von Salzburg) zielten auf eine weitgehend unabhängige wiedervereinigte deutsche Nationalkirche. 3 Der vom Trierer Weihbischof Nikolaus Hontheim (Pseudonym: Febronius) und von seinem Buch "De statu ecclesiae" (1763) ausgehende Episkopalismus, den die Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln und Salzburg aufgriffen, um mehr Selbständigkeit von Rom zu erlangen, sollte die Reichskirehe weitgehend unabhängig von Rom machen und die Vereinigung mit den Protestanten erleichtern. Der Episkopalismus enthielt gleichzeitig die Idee eines Konziliarismus, in dem das Konzil über dem Papst stehe. Eine Reihe von deutschen Kanonisten der Spätaufklärung wie Johann Kasper Barthel, Würzburg4 , Georg Christoph Neller, ab 1748 in Trier, Leuxner, Trier oder Philipp (Ordens name) Hedderich, 1774 nach Bonn berufen, vertraten diese Thesen. Sie bestätigen den Willen eines Teils der Reichskirche zur Reform und deren Gegnerschaft zur Kurie. Die Eindämmung des päpstlichen Primats als Ziel der deutschen Kirchenreform würde die Rückkehr der Protestanten in die katholische Kirche erleichtern (Hontheim).5 Das seit langem geübte Staatskirchenturn der Habsburger wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts "vor allem durch die aus der Aufklärung stammenden Ideen von der schrankenlosen Souveränität des Staates in gefährlicher Weise verschärft" (Ferdinand Maaß).6 Der Staatskanzler Maria Theresias, A. W. von Kaunitz-Rietberg, regelte 1768 in einem Programm von zehn Punkten das Verhältnis von Staat und Kirche für alle Habsburger Länder neu. Die gerade unter Kaiser Joseph 11. (1741 - 1790) durchgeführten Reformen (Josephinismus) griffen in die Freiheit der Religiosen ein, hoben mehr als 800 Klöster unter dem

2

Aretin, Das Reich (Anm. I), S. 407 (Zitat).

3 Klaus Guth, Konfessionsgeschichte in Franken 1555 - 1955. Politik, Religion, Kultur, Bamberg 1990, S. 112 - 115; Ludger Müller, Papst und Ökumenisches Konzil. Zur Diskussion in der deutschen Kirchenrechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts, in: AfkKR 167 (1998) S. 22-48, bes. S. 27-41. 4 Jedoch auch in seiner Spätzeit kein Vertreter des Episkopalismus. Vgl. Heribert Raab (f), Die ..katholische Ideenrevolution" des 18. Jahrhunderts. Der Einbruch der Geschichte in die Kanonistik und die Auswirkungen in Kirche und Reich bis zum Emser Kongreß. In: Harrn Klueting (Hrsg.), Katholische Aufklärung - Aufklärung im katholischen Deutschland, Hamburg 1993, S. 104 - 118, hier: S. 108 - 110. 5 Peter Frowein, Primat und Episkopat in der deutschen Kanonistik des 18. Jahrhunderts. In: Römische Quartalsschrift 69 (1974), S. 215 f. 6

Ferdinand Maaß, Josephinismus. In: LThK2 , Bd. 5 (1960), Sp. 1137 - 1139, 1137.

Recht und Reform im Zeitalter der Frühaufklärung in Franken

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Gesichtspunkt der Nützlichkeit für den Staat auf und rationalisierten Gottesdienstordnungen und theologisches Studium im Geiste der Aufklärung. Das österreichische Staatskirchenturn wirkte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts noch als Vorbild in den Ländern Bayern, Württemberg und Baden nach.? 11. Adelskirehe: Die Dynastie der Schönborn

Der Aufstieg der Familie Schönborn in der Reichskirche des 18. Jahrhunderts war kometenhaft. Sie entstammte einem kleinen protestantischen Reichsrittergeschlecht und erreichte über den Eintritt in das Mainzer Domkapitel den Durchbruch ihrer Familie in den geistlichen Fürstenstand. Johann Philipp von Schönborn wurde 1644 zum Fürstbischof von Würzburg und 1649 zum Kurfürsten und Erzbischof von Mainz gewählt. "Neun Bistümer und die Fürstpropstei Ellwangen waren in der Zeit zwischen 1680 und l750 in der Hand von sechs Mitgliedern dieser Familie ... Dieser Aufstieg war wohl das Ergebnis der einzigartigen Kombination, dass Lothar Franz von Schönborn, der 35 Jahre Kurfürst und Erzbischof von Mainz war, als Erzkanzler die zweitwichtigste Stellung in der Reichsverfassung einnahm. ,,8 Friedrich Kar!, sein Neffe, war als Reichsvizekanzler dessen Vertreter in Wien und als Minister für das Reich zuständig. In seiner Stellung am Kaiserhof in Wien verfügte er über Verbindungen zur Kurie und konnte auch in Rom tätig werden. Als Fürstbischof von Würzburg und Bamberg (1729 - l746) war er ebenso reforrnfreudig und kunstverständig in seinen Regierungsgeschäften unterwegs wie sein Bruder, Kardinal Damian Hugo, Fürstbischof von Speyer (1719 - 1743) und Konstanz (1740 - 1743).9 Sein dritter Bruder Franz Georg, Kurerzbischof von Trier (1729 - 1756) und Bischof von Worms (1732 - 1756) unterschied sich in seiner Tatkraft nicht von den Qualitäten der Familie Schönborn, die auch den vierten und jüngsten Bruder Marquard Wilhelm als Dompropst in Bamberg und Eichstätt auszeichneten. 10 Bauleidenschaft, Kunstsinn und Reformbestrebungen der Fürstbischöfe aus dem Hause Schönborn führten wiederholt zu Konflikten mit ihren Domkapiteln. Der Bau der Residenz in Bruchsal durch Fürstbischof Damian Hugo oder die Vollendung der Würzburger Residenz durch Fürstbischof Friedrich Kar! 7 Bihlmeyer-Tüchle, Kirchengeschichte, Bd. III: Die Neuzeit und Neueste Zeit, Paderborn 1956, S. 273 - 287. -Aretin, Das Reich (Anm. 1), S. 406 - 419.

8

Aretin, Das Alte Reich, Bd. II (Anm. 1), S. 391.

9 Stephan Mauelshagen, Ordensritter - Landesherr - Kirchenfürst. Damian Hugo von Schönborn (1676 - 1743), Bruchsal 2001. 10 Max Domarus, Marquard Wilhelm Graf von Schönborn, Dompropst zu Bamberg und Eichstätt 1683 - 1770, Eichstätt 1961.

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stärkten zwar das einbezogene Handwerk durch die Vergabe von Arbeit und Lohn, schwächten jedoch die Wirtschafts kraft des Landes in anderen Bereichen. Die Auswanderung aus Franken nach Ober-Ungarn in die sogenannten "Schönborndörfer,,11 scheint dafür ein Indiz zu sein. Der Wille zur Repräsentation von Herrschaft durch Residenzbauten ist ein Kennzeichen des Barockzeitalters im Deutschen Reich. Es schließt beim geistlichen Herrscher persönliche Integrität, Frömmigkeitseifer, Seelsorge und Förderung von Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung in den jeweiligen Hochstiften nicht aus.

B. Reform der Rechtswissenschaft an der katholischen Universität Würzburg unter Friedrich Karl von Schönborn I. Protestantische Reform-Universität Halle als Vorbild

Seit der vortrefflichen Studie von P. Hugo Hantsch l2 zum Reichsvizekanzler Friedrich Karl, durch Einzelarbeiten von Otto Meyer l3 und solcher aus der politischen Geschichte im Kontext zum Haus Schönborn aus jüngster Zeit von Karl Otmar von Aretin und Sylvia Schraut l4 , sind die Wiener Zeit des Grafen (1705 1729 / 34), seine politischen Aufgaben und Handlungsfelder ausreichend gekennzeichnet, wenngleich eine Biographie, wie sie Max Braubach 15 für Prinz Eugen in fünf Bänden erstellte, immer noch fehlt. Gerade die Darstellung der Regierungszeit in den Bistümern Würzburg und Bamberg, die Fragen nach seiner Religiosität und seinem Berufsethos seit seiner Studienzeit in Rom l6 nachgehen II Klaus Guth, Auswanderungen aus den Hochstiften Bamberg und Würzburg nach Oberungam im Zeitalter der Schönbom. Modernisierung des Staates im Konflikt zwischen öffentlichem Wohl und Privatinteresse. In: Mainfränkisches Jahrbuch 52 (2000), S. 131 - 143.

12 Hugo Hantsch, Friedrich Karl Graf von Schönborn (1674 - 1746). Einige Kapitel zur politischen Geschichte Kaiser Josephs I. und Karls VI., Augsburg 1929. 13 Zahlreiche Aufsätze OUo Meyers zu den einzelnen Fürstbischöfen aus dem Geschlecht der Schönborn in: Varia Franconiae Historica, Bd. I, Würzburg 1981 und Bd. III, Würzburg 1986, hrsg. von Dieter Weber und Gerd Zimmermann. 14 Sylvia Schraut, Das Haus Schönborn. Eine Familienbiographie. Katholischer Reichsadel 1640 - 1840, Paderborn 2005 (mit ausführlichem Literaturverzeichnis). Aretin, Das Reich (Anm. 1); ders., Das Alte Reich, Bd. 11 (Anm. 1), passim.

15 Max Braubach, Prinz Eugen von Savoyen. Eine Biographie, 5 Bde., München Wien 1963 - 1965.

16 Zusammen mit Bruder Hugo Damian studierte er in Rom als Zögling des Germanikums.

Recht und Refonn im Zeitalter der Frühaufklärung in Franken

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müßte, sind im Detail noch nicht bearbeitet. Die Bedeutung der Kunst im Leben der geistlichen Fürsten aus der Familie Schönborn, ihr Mäzenatentum wurden im einzelnen erforscht, weniger die Bereiche Bildung 17 , Pastoral und Organisation der jeweiligen Landesverwaltung. Die Reformen an den Landesuniversitäten in Würzburg und Bamberg, besonders aber der Einfluß Friedrich Karls auf die Begründung einer Erneuerung der reichskirchlichen Kanonistik, "die als Episkopalismus in die Geschichte eingegangen ist",18 sollen im folgenden interessieren. Die Reform des Fachs in Zusammenarbeit mit dem Würzburger Kanonisten Johann Kaspar Barthel (ab 1727) beherrschte das katholische Deutschland bis zur Säkularisation. Ein kurzer Rückblick auf Reformen an juristischen Fakultäten in protestantischen Fürstentümern im Zeitalter der Frühaufklärung kann das Profil der katholischen Reformen an den genannten Bildungsstätten in Franken durch Friedrich Karl von Schönborn schärfen. 11. Verständnis der Kanonistik bei Christian Thomasius (1655 -1728) in Halle

Was der Kanonist Johann Kaspar Barthel für die Reform der Universität Würzburg 19 zusammen mit Friedrich Karl bedeutet, verdeutlicht für die Universität Halle, der Fridericiana, der Rechtslehrer Christian Thomasius (16551728)20. Von der Universität Leipzig ging er nach Berlin (1690), von dort nach Halle (1694) und blieb bis zu seinem Tod der preußischen Landesuniversität treu. Dort begründete er den Ruhm Halles, der von der juristischen Fakultät ausging. Zusammen mit den Professoren Stryck, Ludewig und Gundling wurde Halle durch Thomasius das Zentrum für die Erneuerung der deutschen Universitäten im Zeitalter der Frühaufklärung. In aller Kürze umrissen, zielte das Reformprogramm des Thomasius darauf, den Geist protestantischer Orthodoxie an den preußischen Landesuniversitäten21 zu brechen, der Intoleranz und geistige Unselbständigkeit in seinen Augen bedeutete und Freiheit des Denkens und 17 Anton Schindling, Bildungsrefonnen im Reich der Frühen Neuzeit. In: Zwischen Wissenschaft und Politik. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, hrsg. von Armin Kohule und Frank Engehausen, Stuttgart 2001, S. 11 - 25.

18 Aretin, Das Alte Reich, Bd. 11 (Anm. 1), S. 396 (Zitat). Vgl. auch Ludger Müller, Kirche - Staat - Kirchenrecht. Der Ingolstädter Kanonist Franz Xaver Zech SJ (16921772), Regensburg 1986, S. 35-50, bes. S. 160-165. 19

Seit 1727 dort Professor für Kirchenrecht.

20 Notker Hammerstein, Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und im 18. Jahrhundert, Göttingen 1972, S. 43 - 124. 21

Leipzig, Jena, Bonn, Halle.

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der Wissenschaft von der theologischen Bevormundung anzustreben. Die Wissenschaften sollten sich von dem "metaphysischen oder scholastischen Autoritätsglauben,,22 lösen und sich dem Praktischen und Nützlichen zuwenden. Es sind moderne Fächer, die er gerade für die philosophische Fakultät neben der Ethik im Rahmen der "philosophia practica" aufzählt. 23 Sie zielen auf das Prinzip vom Gemeinwohl und aufgeklärter allgemeiner GlÜckseligkeit. 24 Wichtiger in vorliegendem Zusammenhang scheint sein neues Rechtsverständnis für die Reform der Jurisprudenz. Er überwand die Bevormundung durch die Theologie, trat für einen humanen Strafvollzug ein, der die Rechtsprechung beschleunigte und die Trennung von Staat und Kirche forderte. Er gründete das Recht auf das Naturrecht und säkularisierte somit das Recht in seiner Herkunft vom göttlichen?5 "Die Rechtsgelehrtheit ist also die Disziplin, die Auskunft über das menschliche Zusammenleben gibt und in deren Dienst fast alle anderen Fächer [an der Universität] stehen.,,26 Wie vorher Philosophie und Theologie besetzt jetzt die Jurisprudenz den ersten Platz im Fächerkanon der Universität. Sie dient dem Erwerb der wahren Glückseligkeit des Menschen. Vom Recht wird dessen äußeres Wohl wie die Zufriedenheit des Gemüts bestimmt, die zur inneren Glückseligkeit führt. Das Rechtsverständnis des Thomasius gründet im Naturrecht und weiß sich Grotius, Pufendorf und Hobbes verpflichtet. Dabei wird das Naturrecht von Thomasius relativiert. Im positiven Recht sei die aufgeklärte Vernunft zu erkennen. Der Grundsatz des Naturund Völkerrechts lautet nach Thomasius, das zu tun, "was der Menschen Leben sehr lang und glückselig machet" und zu meiden, "was das Leben unglückselig machet und den Tod befördert.,m Nur der Weise erkennt die innere Verpflich-

22 Notker Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universitäten im Zeitalter der Aufklärung. In: Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Ulrich Muhlack und Gerrit Walter, Berlin 2000, S. 11 - 42, Zitat: S. 29.

23 Dazu Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, Tübingen

1966.

24 Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universitäten (Anm. 22), S. 29 f. 25

Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), bes. S. 71 - 130.

26 Ebenda S. 71. 27 Christian Thomasius, Institutiones iurisprudentiae divinae libri tres, Leipzig 1687, Prooemium, § 25. Zitat nach: Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 72. Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, Prooem. § 29 (1718: ND 1979). V gl. E. Wolf u. a., Naturrecht. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter t und Karlfried Gründer, Bd. VI, Darmstadt 1981, Sp. 559 - 623, bes. Sp. 591 - 594.

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tung der Naturgesetze, während der Tor durch die zwangsandrohenden positiven Gesetze zu lenken sei. 28 Die praktischen Folgen dieses aufgeklärten Rechtsverständnisses waren Vorlesungen im Römischen und Kanonischen Recht, in Natur- und Völkerrecht, im Jus publicum und Jus feudale. Diese letztgenannten Stoffe hatte das Reichsstaatsrecht zum Inhalt, das, der Tradition verpflichtet, die geltenden Gesetze in den Territorien und im Reich lehrte. Das setzte historische Kenntnisse über die eigene Vergangenheit voraus und führte zum Fach "Reichshistorie", das nicht in der Artistenfakultät, sondern bei den Juristen angesiedelt war. Das Reichsstaatsrecht begründete im Verständnis des Thomasius die Wohlfahrt der Untertanen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation sowie die Reichsgeschichte das "Jus publicum,,29 erläuterte. Der Glaube an das Gemeinwohl steht nach Thomasius als moralische Überzeugung hinter allen Reformen der Rechtswissenschaft in Halle. Diese umfaßt Historie, "Jus publicum,,3o, "Jus feudale", Politik, Ökonomie, Natur- und Völkerrecht, ein Fächergefüge, das die jeweilige Landes- und Reichsverwaltung im Sinne der allgemeinen Wohlfahrt erleichtert. Daher reformierten auch andere Universitäten nach dem Vorbild Halles die (juristischen) Fakultäten, zuerst im Königreich Preußen mit den Universitäten Jena, Leipzig und Wittenberg; in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden nach dem Vorbild der preußischen Neugründung Göttingen (1737) auch außerhalb des Königreichs Preußen Universitäten errichtet. Die "Georgia Augusta" selbst war die konsequenteste Nachfolgerin der Reform-Universität Halle, der Mutter aller aufgeklärten Universitäten im Reich. Auch die katholischen Universitäten konnten sich dem Modernisierungsdruck nicht verschließen. Zuerst in Würzburg (1731) unter dem weitsichtigen Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn, dann in Ingolstadt, Mainz, Trier, selbst in Wien mit seinen Theresianischen Studiemeformen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, übernahm man den Inhalt der Reformen aus Halle. Im Bereich des Kirchemechts hatte man dort in Halle unter dem Einfluß von Thomasius Staat und Kirche in der Theorie getrennt und die Kirche dem Staat unterstellt. 3! Als Ergebnis seiner Studiemeform ließ Thomasius die Kanonistik zwar als eigenes Rechtsgebiet bestehen, definierte sie aber ihrem Wesen nach

28

Thomasius, Fundamentajuris (Anm. 27), 1,4 § 79, 84.

29

Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universitäten (Anm. 22), S. 32 f.

30

Dies bedeutet das Reichsstaatsrecht.

31 Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 120 - 124; ders., Zur Geschichte der deutschen Universitäten (Anm. 22), S. 33 - 37.

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als Unterabteilung des ,,Jus publicum". Für das Studium des Kirchenrechts sei, wie in den übrigen Rechtsgebieten, ein historisches Studium notwendig, welches der Kanonistik durch das Studium der "Kirchen-Historie ... den Ursprung und Fortgang der wahren Religion und des Aberglaubens zeiget ... ,,32 III. Rolle der Kanonistik im Reformprozeß der juristischen Fakultät Würzburg

I. Situation

,,Den publizierten Verordnungen zufolge gab es nahezu keinen Bereich öffentlichen Handeins, der in der Regierungszeit Friedrich Karls nicht Gegenstand von Reformversuchen war.,,33 Die Reform der Würzburger Universität zählt zu seinen frühesten Reformvorhaben. Sie setzte vorsichtige Schritte seiner Vorgänger zur Erneuerung des Bildungswesens fort. Hatte Johann Philipp von GreiffencIau (1699 - 17 I 9) die Universitätsbibliothek erweitert und die medizinische Fakultät reformiert, so konnte bereits sein ältester Bruder, Johann Philipp von Schönborn (1719 - 1724), eine Universitätsreform in Angriff nehmen. Er setzte zu diesem Zweck eine Kommission ein und stiftete an der Theologischen Fakultät eine historische Professur. 34 Sein früher Tod verhinderte wohl weitere Reformvorhaben. Als sein Nachfolger im Amt hatte Friedrich Karl in seiner Wiener Zeit der Reichsvizekanzlerschaft (1705 - 1729 / 34) die Bedeutung juristischer und kameralistischer Kenntnisse für sachgerechte Entscheidungen in der Reichsund Landesverwaltung kennen- und schätzen gelernt. Nicht zuletzt war er als Diplomat und Gesandter im Auftrag seines Onkels, des Kurfürsten und Reichserzkanzlers Lothar Franz, an Fürstenhöfen und in Rom in heiklen Missionen tätig, die juristische Fachkenntnisse voraussetzten. Sein früher Kontakt in Wien mit dem später bekanntesten Rechtsgelehrten der Reichspublizistik Johann Jakob Moser (1701 - 1785) zwischen 1721 und 1726, der ihm eine Arbeit über die Reichsrechte in der Toskana überreichte (1721),35 riß auch später nicht ab. 32 Zitat nach Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 123, Anm. 360: Cautelen KRG, § 5,6f. 33

Schraut, Das Haus Schönborn (Anm. 14), S. 229.

Karl lose! Lesch, Neuorientierung der Theologie im 18. Jahrhundert in Würzburg und Bamberg, Würz burg 1978 (Forschungen zur fränkischen Kirchen- und Theologiegeschichte), S. 40 - 72. 34

35 Aretin, Das Alte Reich, Bd. 11 (Anm. 1), S. 402 - 404. - Werke Masers: Teutsches Staatsrecht, 53 Teile (1737 - 1754); Neues Teutsches Staatsrecht (1766 - 1775), 26 Teile. In beiden Werken wird das Reichsstaatsrecht umfassend vorgestellt. - Notker

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1735 rief er Moser nach Würzburg und ließ sich von ihm beraten, empfahl ihn seinem bischöflichen Bruder Damian Hugo in Speyer. Mosers Fachkenntnisse und das Wissen über die "protestantischen" Reformen, vor allem an der juristischen Fakultät in Halle, gingen in die Studienordnung von Würzburg (1731) ein, die 1734 in einer verbesserten Fassung erschien. Sie spiegelt den Geist der Frühaufklärung, ist der allgemeinen Glückseligkeit verpflichtet und zielt in allen Bereichen der Landesverwaltung auf eine Besserung der Zustände, besonders in "oeconomicis". Die Kameralistik36 wird als neues Lehrfach die Fächer der juristischen Fakultät ergänzen. Dem Reichsstaatsrecht (Jus publicum Romano-Germanicum) war bei der Reform katholischer Universitäten eine zentrale Rolle im Fächergefüge juristischer Fakultäten zugefallen. 37 2. Refonn Die neue Studienordnung in Würzburg ist bereits vielfach beschrieben und gewürdigt worden. Im vorliegenden Zusammenhang kann nur die juristische Fakultät, in sonderheit die Kanonistik, interessieren. "Bei der Aufzählung der Wissenschaften in der Studienordnung stand die Rechtsgelehrtheit hervorgehoben am Schluß ... ,,38 Sie umfaßte das Römische und Kanonische Recht, das Jus Publicum und seine Hilfswissenschaften, wie Reichs-Historie, Staatenkunde, Territorialgeschichte, Territorialrecht sowie Lehensrecht. Ein eigener Lehrstuhl für das Reichs-Staatsrecht fehlte noch. Die Inhaber der vier vorhandenen Professuren sollten das Reichs-Staatsrecht mitvertreten. Der Einfluß des juristischen Studiengangs an der Universität Halle ist unverkennbar. 39 Er drückt sich auch in der verbindlichen Anordnung für Theologen und Juristen aus, ein universal geschichtliches "studium historicum" zu absolvieren.

Hammerstein, Aufklärung und katholisches Reich, Berlin 1977, S. 170 - 209 (Universität Wien). 36 Notker Hammerstein, Aufklärung in katholischen Universitäten Deutschlands? In: Res publica litteraria (Anm. 22), S. 369 - 376, hier: S. 371. 37 Hammerstein, Aufklärung in katholischen Universitäten Deutschlands? (Anm. 36), S. 373 (mit Quellennachweisen). 38 Anton Schindling, Die Julius-Universität im Zeitalter der Aufklärung. In: Peter Baumgart (Hrsg.), 400 Jahre Universität Würzburg - eine Festschrift, Neustadt a. d. Aisch 1982, S. 77 - 127, hier: S. 84. 39 In der vierten Fassung der Würzburger Studienordnung von 1749 unter Fürstbischof Karl Philipp von Greiffenclau finden sich fast wörtliche Entlehnungen aus den Statuten der Universität Halle. Vgl. Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 303.

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Ziel des reformierten Studiums der Jurisprudenz war der für die Verwaltung des Staates qualifizierte Beamte, der, "zu dem gemeinen Nutzen" des Landes vorbereitet, die "Wohlfahrt" des Staates und die "Glückseeligkeit" aller Bewohner des Landes heben könne. 4o Wie in Halle steht am Anfang der katholischen Aufklärung in Würzburg die Bildung von Eliten. Sie wurde erst am Ende des gleichen Jahrhunderts durch die sogenannte Volksaufklärung erweitert. Würzburgs Universität zählte nach der Universitätsreform zu den katholischen Universitäten mit der stärksten Besucherfrequenz. Durchschnittlich 286 Studenten studierten im Jahr an der Alma mater. Reformfähige junge Rechtsgelehrte bewiesen, daß auch katholische Universitäten, trotz finanzieller Schwierigkeiten bei der Besoldung neuer Professoren, die Modemisierung der Lehrinhalte einführten. 3. Herausragende Vertreter Johann Adam Ickstatt, seit 1731 von Fürstbischof Friedrich Karl auf die neue Professur für öffentliches Recht und Naturrecht berufen, zählt zusammen mit dem seit 1727 an der gleichenden Universität lehrenden Kirchenrechtier Johann Caspar Barthel zu den Leuchten der Universität. Ickstatts zehnjährige Lehrtätigkeit41 verschaffte dem Rechtsstudium in Würzburg im Geiste der Philosophie seines Lehrers Christian Wolff in Marburg neue Methoden und Inhalte. Von Mainz, wo er den juristischen Doktorgrad erworben hatte, vertrat Ickstatt in Würzburg vor allem das neue Fach der Reichs-Staatsrechtslehre (Publizistik). Sie war historisch ausgerichtet, für Reformen offen und anerkannte die fürstbischöfliche Autorität in Territorial- und Glaubensfragen. 42 Protestantische Lehrbücher im Fach waren selbstverständlich.

,,Der Einbruch der Geschichtswissenschaft ... in das katholische Kirchenrecht scheint sich an den katholischen deutschen Universitäten zuerst in Würzburg

40 Vgl. Friedrich Karl von Schänbom, Studienordnung für die Universität Würzburg, 1743, hrsg. von Ouo Meyer, S. A2 - A3: Einleitung, Würzburg 1980 (Nachdruck). Peter A. Süß, Zu des Landes wahrer Wohlfahrt ... Die Universität Würzburg im Vorfeld der Aufklärung. Friedrich Kar! von Schönboms Hochschulreform. In: Aspekte des 18. Jahrhunderts. Studien zur Geistes-, Bildungs- und Verwaltungsgeschichte in Franken und Brandenburg-Preußen, hrsg. von Peter Mainka, Johannes Schellakowsky und Peter A. Süß, Würzburg 1996, S. 43 - 100. 41 1741 folgte er dem Ruf nach München. Dort wird er Erzieher des bayerischen Kurprinzen Max III. Joseph.

42

Schindling, Die Julius-Universität (Anm. 38), S. 82 - 86.

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vollzogen zu haben.'A3 Durch den Kirchenrechtier Johann Kaspar Barthel (1697 1771) fand Fürstbischof Friedrich Karl in seiner Auffassung von der Stellung der Reichskirche zu Rom nachdrückliche Unterstützung. Als Schüler Prosper Lambertinis, des späteren Papstes Benedikt XIV., studierte Barthel 1725 bis 1727 in Rom Kirchenrecht, lernte die Praxis der Kurie und die historischkritische Methode der Mauriner kennen. Durch Kardinal Lambertini empfohlen, wurde er bei seiner Rückkehr von Rom Regens des Würzburger Priesterseminars (1727) und gleichzeitig zum Professor des kanonischen Rechts in der Juristischen Fakultät ernannt. Im bewußten Gegensatz zur "ratio studiorum" der Jesuiten und ihrer Diktiermethode erläuterte Barthel das kirchliche Recht historisch und lehrte das Reichskirchenrecht im Auftrage seines Fürsten als ,jus ecc1esiae ad statum ecc1esiae Germanicae accomodatum,,44. Dabei richtete er sein Hauptaugenmerk auf die "reichskirchliche Tradition, die Konkordate von 1122, 1446, 1448, auf Asylrecht, auf den ganzen Komplex der Reichsgrundgesetze, den Westfälischen Frieden vor allem und die kaiserliche Wahlkapitulation,,45. Er betonte die eigenständigen und geschichtlich gewachsenen Rechte der deutschen Reichskirche gegenüber der römischen Kurie und wurde so zum Begründer des Episkopalismus in Deutschland, der später zum Febronianismus führte. 46 Von einer Frontstellung des Schön born oder Barthels gegen das Papsttum in Rom aber kann nicht die Rede sein. Seine Argumentation richtet sich gegen wirkliche oder vermeintliche monarchisch-absolutistische Machtansprüche der Päpste. Die Bischöfe regieren in seiner Sicht "iure proprio", doch nicht gegen den Papst. Anders als spätere Schüler war er von katholisch-kirchlicher Gesinnung. 47 Die Existenz der geistlichen Territorien sei nach seiner Ansicht berechtigt und nützlich: " ... vere utilis sit Ecc1esiae et Imperio".48 So wurde Friedrich Karl von Schönborn mit Unterstützung Barthels zum Begründer der Erneuerung der reichskirchlichen Kanonistik. Sie ist im Schlagwort Episkopalismus in die Geschichte eingegangen. Das Ende der Adelskirche in Deutschland durch die Säkularisation bedeutete auch den Abschluß einer nationalkirchlichen Bewegung in der

43 Raab, Die "katholische Ideenrevolution" (Anm. 4), S. 104 - 118, hier: S. 108 (Zitat). - Neuere Literatur zu lohann Kaspar Barthel ebenda S. 108, Anm. 14. 44

Raab, Die "katholische Ideenrevolution" (Anm. 4), eben da, S. 109.

45 Ebenda. 46 Vgl. weiter oben S. 240. 47 Zum Ganzen: Raab, Die "katholische Ideenrevolution" (Anm. 4), S. 108 - 118. 48 Barthel, Opuscula juridica, tomus I, Bambergae et Wurceburgi, 1771, S. 272. Vgl. Raab, ebenda S. 116 f. - Schindling, Die lulius-Universität (Anm. 38), S. 85 - 88.

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Reichskirche. 49 Dazu kam, daß das protestantische Deutschland die Fürstbistümer im Alten Reich als Teil eines ausgedienten Reichskirchensystems betrachtete.50

C. Errichtung der Juristischen Fakultät (1735) an der "Academia Ottoniana" in Bamberg durch Friedrich Kar) von Schönborn I. Kanonistik im Gefüge der neuen Fakultät

Im Nachruf von 1746, der auf Bildung, fürstbischöfliche Regierungstätigkeit in Würzburg und Bamberg sowie auf seine zahlreichen Reformen hinweist, erfahrt die Persönlichkeit des Fürstbischofs Friedrich Karl eine umfassende Würdigung. Er betont dessen "Gottes-Gelehrtheit", die ihm am Germanicum in Rom (1690/92) vermittelt worden war, ebenso aber auch seine praktischen Kenntnisse über europäische "Regierungs-Arten so vieler Staaten."SI Diese hatte er auf seinen Bildungsreisen, besonders aber in Paris (1698i 2 , zusammen mit den "erlauchten Sprachen so vieler Nationen" kennengelemt. Umfassende Verwaltungs- und historische Berufskenntnisse, die durchgeführte Studienreform an der Universität Würzburg (1731, 1734, 1743)53 und gleichgesinnte Mitarbeiter wie Weihbischof Franz Joseph Anton von Hahn (1723 / 1734 - 1748) erleichterten dem Fürstbischof die Gründung der juristischen Fakultät an der kaiserlichen Akademie Bamberg 1735. Der Lehrstuhl für kanonisches Recht in der theologischen Fakultät war dabei der erste Baustein dieses Vorhabens. Die kaiserliche Akademie, 1648 gegründet, bildete eine

49 Eine Sonderstellung der deutschen Reichskirche, wie sie Frankreich im "Gallikanismus" erreicht hatte (vgl. die Dec1aratio von 1682, die Bossuet verfaßte), scheiterte im Reich am Bikonfessionalismus. V gl. zum Ganzen: Aretin, Das Alte Reich, Bd. 11 (Anm. 1), S. 390 - 400. - Schindling, Die Julius-Universität (Anm. 38), S. 85 - 88. Wolfgang Wüst, Geistlicher Staat und Altes Reich, München 2000. 50

Aretin, Das Reich (Anm. 1), S. 403 - 433.

51 Schraut, Das Haus Schönborn (Anm. 14), S. 249, 251 (Würdigung). - Schönborn Korrespondenz-Archiv Würzburg: StA Würzburg, Bestand RudolfFranz Erlwein Nr. 312. Ähnliche Würdigung des Fürstbischofs durch Johann Looshorn, Geschichte des Bisthums Bamberg, Bd. VII / I: 1729 - 1746, Bamberg 1907, Nachdruck 1980, S. 307 - 309.

52

Schraut, ebenda, S. 161 - 171.

Friedrich Karl von Schänborn, Studienordnung für die Universität Würzburg, Nachdruck der 1. Auflage aus dem Jahr 1743, hrsg. von Otto Meyer, Würzburg 1980. 53

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Hohe Schule mit zwei Fakultäten. Nach den Statuten von 164854 war sie der Gesellschaft Jesu übergeben, die auch den "Rector magnificus" und den Kanzler stellte. Der Dekan leitete die jeweilige Fakultät. Die Erweiterung der "Academia Ottoniana" um die juristische Fakultät führte anfangs zu Spannungen zwischen dem Jesuitenorden und der Leitung der Universität. Der Orden beanspruchte das Amt des Rektors. Dagegen vertrat Weihbischof von Hahn in Briefen an den Fürstbischof die Meinung, die Mitglieder des Ordens seien für dieses Amt zu wenig geeignet, obwohl die Statuten der Akademie die Rechte der Gesellschaft Jesu in dieser Frage bestätigten. Die Problematik der Leitung durch Vertreter des Ordens blieb bis zum Tod des Fürsten bestehen. 55 Eine Änderung aber erfolgte noch nicht. Das Besetzungsrecht für die fünf Lehrstühle in der Theologischen Fakultät56 besaß der Jesuitenorden. Der Jesuitenprovinzial, der Rektor des Jesuitenkollegs und die Fakultätsmitglieder waren in den Vorgang einbezogen. Im Falle der Neugründung einer Fakultät beanspruchte der Landesherr, hier als Stifter und Reformer, das Besetzungsrecht. Der Übergang des Lehrstuhls für Kirchenrecht aus der theologischen Fakultät in die juristische war in den Augen des Fürstbischofs ebenso Ausdruck der Verwaltungs-, Justiz- und Wirtschafts-Reform im Hochstift Bamberg. 57 Gleichzeitig bedeutete die Neugründung den Anfang einer Studienreform im Geiste der Frühaufklärung zum Wohle des Landes. Konflikte des Fürstbischofs mit dem jeweiligen Domkapitel waren bei der Finanzierung neuer Stellen an der Tagesordnung. In Bamberg kamen anfänglich Spannungen der Neuberufenen mit den Jesuiten-Professoren hinzu. Der Lehrstuhl für kanonisches Recht wurde vom Landesherren im Januar 1735 in die neue Fakultät integriert. In seiner Instruktion für Professor Johann Leonhard Grebner SJ vom 26. Februar 1735 58 legte der Fürstbischof die Lehr-

54 Vgl. Bemhard Spörlein, Die ältere Universität Bamberg (1648 - 1803). Studien zur Institutionen- und Sozialgeschichte, Bd. I, Berlin 2004, S. l39 - 159. 55 Spörlein, Die ältere Universität Bamberg (Anm. 54), S. 164 - 181. - Lesch, Neuorientierung (Anm. 34), S. 180 - 185.

56 Zwei Lehrstühle für Scholastische Theologie, ein Lehrstuhl für Exegese, ein Lehrstuhl für Kasuistik, ein Lehrstuhl für Kirchenrecht. Vgl. Heinrich Weber, Geschichte der gelehrten Schulen im Hochstift Bamberg von 1007 - 1803. In: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 1880, 1881, 1882, hier: S. 237 f. (42: 1880). - Spörlein, Die ältere Universität Bamberg (Anm. 54), S. 354 - 387. 57 Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 299 f. - Spörlein, Die ältere Universität Bamberg (Anm. 54), Bd. I, S. 562 ff.

58 AEB Rep. I, A.l. 437 Fasz. 5 (Kopie). - Ebenso StAB Hochstift Bamberg, Geheimes Kabinett B 67 / XIV, Nr. 1, BI. 35 - 43.

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Klaus Guth

inhalte des Faches fest. Dabei betonte er den historischen Aspekt im Kirchenrecht und wies den Lehrstuhlinhaber (1732 - 1742) an, privatim auch Kirchengeschichte zu lehren. Dabei wurde die Exegese des Dekretalenrechts besonders der Neuzeit mit den Inhalten des Reichsstaatsrechts verbunden. Ob dabei eine romkritische Darlegung des Gegenstandes im Sinne einer episkopalistischen Ausrichtung verbunden war, wie sie Professor Johann Kaspar Barthel an der Universität Würzburg anfangs vertrat, bleibt unwahrscheinlich. 59 Die kirchliche Gesinnung des Fürstbischofs wie des Jesuiten P. Johann Leonhard Grebner sprechen dagegen. Auch ist Barthels historischer Ansatz in der Kirchenrechtswissenschaft nicht einer kirchenfeindlichen Aufklärungsrichtung zuzuordnen. 11. Neue Lehrstühle und Lehrinhalte im Vergleich mit Halle

Die Besetzung der einzelnen Lehrstühle der neugegründeten Fakultät erfolgte zeitlich verschoben. Deren Inhaber waren Laien. - Die erste juristische Professur ging 1735 an Alexander Hammer6o , Professor für Institutionen, Digesten und Lehnrecht, dann auch für das "ius publicum". Johann Heinrich Rotermundt61 , Professor für "digestorum et codicis", war wahrscheinlich nebenamtlich tätig, da er gleichzeitig Bamberger Hofrat blieb; er starb bereits 1737. - Die zweite juristische Professur62 erhielt 1740 Johann Heinrich Bocris (Bockreuß), der aus Schweinfurt stammte. Er lehrte vor allem Institutionen, Natur- und Völkerrecht sowie Reichsgeschichte. - Der dritte Lehrstuhl wurde 1745 an Johann Andreas Balthasar Ditterich vergeben. Er war Professor für Öffentliches Recht, eine Lehraufgabe, die ihm als jüngsten Professor vom Fürstbischof zugeteilt wurde. 63

59

Vgl. Raab, Die "katholische Ideenrevolution" (Anm. 4), S. 108 - 112.

Stiftungsbrief des Fürstbischofs vom 1. Januar 1735: StAB Urkunden A 149, Lade 452, Nr. 1014. Zur Venia Hammers vgl. Spörlein (Anm. 54), Bd. I, S. 578; AEB Rep. I A.I.436, Fasz. 3: Instructio für Professor Alexander Hammer vom 26. Februar 1735: 18. Artikel; AEB Rep. I A.I. 436 Fasz. 1: Fundationsbrief vom 1. Januar 1735. 60

61 Stiftungsbrief, rückdatiert auf den 1. Mai 1735: StAB Hochstift B 26 b, Nr. 45 Prod.166.

62 Dekret des Fürstbischofs vom 17. Januar 1740: StAB B 26 b, Nr.46, Prod. 97 a. Zum Ganzen: Lothar Braun, Die juristische Fakultät der Universität Bamberg (1735 1803). In: Haus der Weisheit. Katalog der Ausstellungen aus Anlaß der 350-Jahrfeier, hrsg. von Franz Machilek im Auftrag des Rektors, Bamberg 1998, S. 144 - 149. 63 Braun, Die juristische Fakultät (Anm. 62), S. 144; Dekret des Fürstbischofs vom 1. Oktober 1745: StAB B 26, Nr. 47, Prod. 32.

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Mit vier Lehrstühlen am Ende der Regierungszeit Friedrich Karls entsprach die Bamberger Hochschule der Standard-Ausstattung anderer juristischer Fakultäten. Nur Ingolstadt oder Würzburg besaßen in der Mitte des 18. Jahrhunderts bereits fünf juristische Lehrstühle. 64 Professor Johann Andreas Rüdel SJ (17061759) für Kirchenrecht folgte seinem Ordensmitbruder Johann Leonhard Grebner SJ 1742 als Professor für Kanonistik und Kirchengeschichte nach (1742 - 1746). Die Würzburger Studienordnung sollte nach Weisung des Landesherm an die Erfordernisse der Bamberger Akademie angepaßt werden. Der Tod des Fürstbischofs verhinderte jedoch Erlaß und Druck eines solchen Dokuments. Die Vertretungen der einzelnen Lehrfacher wurden unter den Professoren wiederholt neu verteilt. 65 Das ergab sich vor allem beim Zugang neuer Professoren. Halle und die Lehrbereiche der Professoren dort waren auch für Bamberg vorbildhaft. Die Verordnung des Fürstbischofs vom 2. November 1745 66 und die damit verbundene Neuordnung der Fächer des weltlichen Rechts beruht auf Stellungnahmen der Professoren Hammer und Bocris an den Fürstbischof, nachdem die dritte Professur für öffentliches Recht errichtet worden war: - Der dienstälteste Professor lehrte Natur- und Völkerrecht, öffentliches Recht (deutsches Staatsrecht) und Lehenrecht, dazu Universalgeschichte (historia Imperialis); - der zweitälteste Professor vertrat die Pandekten-Darstellung, Kriminalrecht (Strafrecht) und gab ein praktisches Kolleg; - der dienstjüngste übernahm die Lehraufträge für "Institutiones Imperiales (Institutionen-Erläuterungen), Antiquitates Romanas, et Historiam Juris turn Germanici turn Romani" (deutsche und römische Rechtsgeschichte).67 Diese Neuverteilung der Fächer entsprach dem Vorbild der juristischen Fakultät Halle, die von Christian Thomasius und Samuel Stryck neu geordnet worden war. Entsprechend den Statuten der Fakultät68 lag in Halle ein Schwerpunkt der Lehre auf der Praxis der Ausbildung. "An die Stelle der ausschließlich römisch-rechtlichen Vorlesungen treten auch solche über deutsches Prozeß-, Criminal- und Lehnsrecht. Corpus Juris und Jus Canonicum sind zwar immer noch ein wesentlicher Teil der Ausbildung, sie sollen aber vornehmlich 64

Zum Ganzen: Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 562 - 588.

Spörlein, ebenda Bd. I, S. 578 - 583. Dazu StAB B 67/ XIV, Nr. 2: Bericht der juristischen Fakultät an den Fürsten aus späterer Zeit (9. November 1770). 65

66 Verordnung des Fürstbischofs vom 2. November 1745: AEB Rep. I, A.1. 436, Fasz. 1. - Weber, Geschichte der gelehrten Schulen (Anm. 56), S. 268. 67

Spörlein, Die ältere Universität, Bd. 11 (Anm. 54), S. 583.

Wilhelm Schrader, Geschichte der Friedrich-Universität zu Halle, Bd. 11, Berlin 1894: Statuten, Cap. I §§ 2 - 9. 68

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im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Reichs- und Territorialgesetzgebung und Rechtsprechung gelehrt werden. ,,69 So vertritt in Halle der Primarius im fünfköpfigen Kollegium kanonisches Recht und Prozeßrecht, das Jus publicum (das Reichs-Staatsrecht) jeweils mit Akzentuierung der deutsch-rechtlichen Quellen. Der zweite Kollege hatte nach den Statuten70 u. a. die Novellen und die entsprechenden reichsrechtlichen Gesetze vorzutragen (Professor für Digesten und Codices), der dritte die Pandekten, Strafrecht und ein praktisches Kolleg, während der vierte die Institutionen und das Lehnrecht lehrte. Die Aufgaben der fünften Professur sind nicht bekannt. Als Primarius der Fakultät lehrte Samuel Stryck (1640 - 1710) in Halle u. a. das Jus Publicum. Wie Thomasius erklärte er dabei die Reichsgrundgesetze. Das Zivilrecht jedoch bleibt sein Schwerpunktthema. Thomasius und Stryck verbindet, trotz sachlich unterschiedlicher Auffassungen im einzelnen, die Intention, die Rechtswissenschaft für die Praxis fruchtbar zu machen. Durch beide Männer wurde in Halle die Aufgliederung der juristischen Fachdisziplinen bestimmt. Ihre Einteilung wirkt bis heute nach. 71 Halle, und später Göttingen, boten die nachzuahmenden Muster der aufgeklärten Studienreformen. Das bedeutet u. a., "daß Jus Publicum, Jus Patrium, Jus Feudale, Jus Canonicum neben (dem) Usus modemus, Jus Civile und anfänglich auch Naturrecht bedeutsam waren. Ihnen hatten viele Hilfswissenschaften zuzuarbeiten. ,,72 In Würzburg wurde von Friedrich Karl 1731 ein neuer Lehrstuhl für deutsches Reichs-Staatsrecht nach dem Vorbild Halles geschaffen, nicht in Bamberg. Das hat Bemhard Spörlein überzeugend in seiner Dissertation nachgewiesen. 73 Die in Bamberg gelehrten juristischen Fächer entsprechen dem Kanon der Lehrangebote an protestantischen und katholischen Universitäten. Dabei hatte auch das Kirchenrecht über den Einfluß Barthels an

69

Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 162.

70 Statuten Cap. I § 4: Schrailer, Geschichte der Friedrich-Universität, Bd. n (Anm. 68), S. 409. - Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 158 - 164, hier: S. 162. 71 Hammerstein, Jus und Historie (Anm. 20), S. 159 - 161. 72 Hammerstein, Was heißt Aufklärung in katholischen Universitäten Deutschlands? In: Katholische Aufklärung, hrsg. von Harm Klueting (Anm. 4), S. 152. 73 Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 584. - Johann Stephan Pütter, Litteratur des Teutschen Staatsrechts, Bd. I, Göttingen 1776, S. 468 war die Quelle für die genannte Fehlinterpretation. Würzburg bekam unter Friedrich Karl von Schönborn 1731 den Lehrstuhl für Reichs-Staatsrecht. An katholischen Universitäten hatte Erfurt (1716), Mainz (1719), Trier (1722), dann erst Würzburg einen Lehrstuhl für deutsches Staatsrecht in Kombination mit einem weiteren Fach erhalten. Bezeichnenderweise liegen die genannten Universitäten in den Schönbom-Territorien.

Recht und Refonn im Zeitalter der Frühaufklärung in Franken

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katholischen Universitäten eine Modemisierung erfahren. In seinen Vorlesungen verband dieser das katholische Recht "aufs engste mit dem Reichs-Staatsrecht und löste sich so von der isolierten Exegese des päpstlichen Dekretalenrechts,,74 durch seinen historischen Zugriff.

In Bamberg hatte der Kanonist, da eine eigene Geschichtsprofessur fehlte,75 auf Anweisung des Fürstbischofs auch Kirchengeschichte zu lehren. In Anlehnung an Halle 76 und Würzburg 77 und den dort tradierten Lehrstoffen urnfaßte der Abriß der Kirchengeschichte in Bamberg die Anfänge des Christentums, Häresien und Konzilien der Alten Kirche bis zum Tridentinum, die Rechte der Fürstbischöfe und die Vorrechte und Aufgaben des Kaisers. 78 Ob das Interesse der Studierenden für diesen Lehrstoff groß war, ist nur analog zu erschließen. Das Interesse für Reichsgeschichte, für Natur- und Völkerrecht sei bei den Studierenden gering, klagte Professor Bocris. Die Nützlichkeit dieser Stoffe wurde 1740 von den Studierenden mit dem Argument angezweifelt, daß man nur schwer mit solchem Wissen seinen Beruf ausüben könne. III. Lehrmethode

Eine modeme Lehre lag dem Fürstbischof am Herzen. Die jesuitische Diktierrnethode nach der "ratio studiorum" (1599)79 sollte nach der fürstbischöflichen Instruktion an den Kanonisten Johann Leonhard Grebner SJ (t 1742) auf ein Minimum beschränkt werden. Doch die Auswahl eines gedruckten Kompendiums liege in seinen Händen. 80 Den weltlichen Professoren der juristischen Fakultät hingegen waren Handbücher vorgeschrieben. Deren Verfasser ent-

74

Schindling, Die Julius-Universität (Anm. 38), S. 86.

75 Professor Johann Heinrich Bocris hatte unter seinen Lehrverpflichtungen 1740 auch die "Historia Imperii Romano-Gennanici" zu lesen. Vgl. Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 581. 76 Vgl. weiter oben S. 243 - 246. 77 Vgl. weiter oben S. 246 - 250. - Schindling, Die Julius-Universität (Anm. 38), S. 83: Lehrstuhl für Geschichte und Kirchengeschichte seit 1720 an der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. - Lesch, Neuorientierung (Anm. 34), S. 46 - 60.

78 Vgl. Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 585 - 587. 79 Wolfgang Klausnitzer, Das jesuitische Lehrprogramm und die Lehnnethode der

Gesellschaft Jesu. In: Haus der Weisheit (Anm. 62), S. 103 - 105.

80 Instruktion des Fürstbischofs an Professor Grebner SJ vom 26. Februar 1735: AEB Rep. I, A.l. 437, Fasz. 5 bzw. StAB Hochstift Bamberg B 67 / XIV, Nr. I, BI. 35 - 43.Vgl. Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 585.

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stammten vor allem protestantischen Universitäten, so Joachim Hoppe in Frankfurt / Oder, Johann Samuel Stryck in Halle, Johann Gottlieb Heineccius in Halle, Johann Schiller in Straßburg oder Burckhard Gotthelf Struve in Jena. 81 Dieser Umstand in Bamberg war auf Grund der Studienreform in Würzburg keine Besonderheit. 82 Bereits Ickstatt hatte zu Beginn seiner Vorlesungstätigkeit in Würzburg 1731 z. B. auf das Lehnrecht des Johann Laurentius Fleischer aus Halle (1730) oder auf Kompendien von Struve, Schmauß und Johann Jacob Moser hingewiesen. 83 Eine Disziplinierung der Lehrenden erwartete sich der Fürstbischof von Sanktionen. Falls sie "Collegia publica" ausfallen ließen, werde der Gehalt um zwei Taler gekürzt, bei Übernahme von Nebentätigkeiten solle ihre Professur "alsogleich erledigt ... sein.,,84 Die Studierenden der Jurisprudenz wurden durch die Einführung des Testats zur regelmäßigen Teilnahme an den öffentlichen Vorlesungen angehalten. Der Hinweis in der Würzburger Studienordnung, daß nur promovierte Juristen oder solche mit Lizenziat zur Aussicht auf Übernahme in die Landesverwaltung, zur Tätigkeit bei Gericht am Hof oder in der Praxis der Rechtsberatung als Anwalt erhalten könnten,85 förderte den Studieneifer. Ähnlich in der Theologie. Die Zulassung zum Pfarramt hing vom absolvierten Studium, vom Besuch des Priesterseminars und vom bestandenen Pfarramtsexamen ab. 86 In Bamberg wurde der Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht als Mitprüfer für das Pfarr-Examen benannt. Das Examen war die Voraussetzung für die Aufnahme des Theologen in den Diözesan-Klerus.

IV. Würdigung Differenzen zwischen den Professoren aus dem Jesuitenorden und den weltlichen Juristen in der neuen Bamberger Fakultät sind bei Spörlein87 angespro81 Nachweis dafür bei Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 585, Anm. 131. 82 Schindling, Die lulius-Universität (Anm. 38), S. 84 f. - Hammerstein, Was heißt Aufklärung in katholischen Universitäten Deutschland? (Anm. 72), S. 156 - 158. 83

Hammerstein, Aufklärung und Katholisches Reich (Anm. 35), S. 49 - 51.

84 Studienordnung für die Universität Würzburg von 1743 (Anm. 53), Art. 47, 48, 52. 85

Studienordnung eben da Studium iuris: Art. 54 - 56.

Ebenda Studium der Theologie: Art. 39 - 42. - Lesch, Neuorientierung (Anm. 34), S. 72 - 89. 86

87 Spörlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 574 - 578 und weiter oben S. 251.

Recht und Reform im Zeitalter der Frühaufklärung in Franken

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ehen. Sie betrafen die periodisch anfallende Verwaltung des Amtes des Dekans durch einen Jesuiten, die Verteilung der Studieninhalte im Lehrbetrieb des Studienjahres oder Mißstände durch Ausfall von Vorlesungen und Übungen, die der Kanonist Dr. theol. Dr. jur. can. Johann Andreas Rüdel SJ dem Fürstbischof berichtete. 88 Dazu kamen latente Spannungen zwischen dem "Rector magnificus", der bis 1773 dem Orden entstammte und der neuen Fakultät, die sich dem Landesherrn und nicht dem Orden verpflichtet fühlte. Der Fürstbischof war ja der Gründer ihrer Fakultät und Stifter der Lehrstühle; er griff durch seine Instruktionen in die Verteilung der Lehrfächer oder der Vorlesungszeiten der einzelnen Professoren ein, legte Lehrbücher und Lehrmethode fest. Die Kanonistik war dabei weniger tangiert als die weltlichen Vertreter der Rechtswissenschaft. Das vom Fürstbischof nach dem Vorbild Würzburgs als Zwischen-Instanz zwischen Hochschule und Landesregierung geschaffene Universitätsconservatorium (ab 1741)89 war ein Regulativ, um Neuerungen durchzuführen und Mißstände abzuschaffen. Die Aufsicht galt allen Fakultäten. An der Spitze des Gremiums stand Weihbischof Franz Joseph von Hahn. Mit dem Tod des Fürstbischofs (1746) und des Weihbischofs (1748) endete die Phase der Frühaufklärung90 an der Hochschule Bamberg. Ihr Ziel war eine effiziente Verwaltung der Hochschule und die Übernahme erprobter Reformen aus Halle und Würzburg. Reformen dienten der Wohlfahrt des Landes und dem Nutzen der Studierenden. Das Endziel aber blieb der Ausbau der Akademie zur Landes-Universität mit vier Fakultäten. Ab 1769 / 70 erfolgte unter Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim (1757 - 1779) die Gründung der medizinischen Fakultät91 . Der Schönbom-Neffe Seinsheim vollendete die Pläne seines Onkels. Ab 1773 besaß auch Bamberg eine Landes-Universität mit vier Fakultäten.

88

Spärlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), S. 356 - 360.

89 Dazu Spärlein, Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm.54), S. 258 - 260, 564 - 567, 572 - 575. - Lesch, Neuorientierung (Anm. 34), S. 76 -78, 180 - 185. 90 Klaus Guth, Frühaufklärung in Franken. Reform des Studiums der Philosophie und Theologie an den Universitäten Würzburg und Bamberg. In: Haus der Weisheit (Anm.62), S. 122 - 128; ders., Konfessionsgeschichte in Franken 1555 - 1955, Bamberg 1996, S. 79 - 111; ders., Lebensformen des Barocks in den Schönborn-Territorien. Balthasar Neumann zum Gedenken (1687 - 1753). In: Klaus Guth, Kultur als Lebensform, Aufsätze und Vorträge, Bd. I: Volkskultur an der Grenze, hrsg. von Elisabeth Roth, St. Ottilien 1995, S. 367 - 385 (Wiederabdruck von 1987). 91 Spärlein, Die medizinische Fakultät der älteren Universität Bamberg. In: Haus der Weisheit (Anm. 62), S. 163 - 183; ders., Die ältere Universität Bamberg, Bd. I (Anm. 54), Bd. 11, ebenda S. 773 - 851.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert Von Georg May

A.Normen Die Ehe ist von Gott eingesetzt zur Fortpflanzung des Menschengeschlechtes und zur Befriedigung des Geschlechtstriebes. Zur Erreichung dieser Zwecke dient die fleischliche Vereinigung der Gatten (copula camalis). Wer dazu nicht fähig ist, der ist impotent. I 1 Johann Friedrich Schulte, Handbuch des katholischen Eherechts, Gießen 1855; derselbe, System des allgemeinen katholischen Kirchenrechts, Gießen 1856, S. 603 606; Johann Kutschker, Das Eherecht der katholischen Kirche nach seiner Theorie und Praxis. Mit besonderer Berücksichtigung der in Österreich zu Recht bestehenden Gesetze dargestellt, 5 Bde., Wien 1856/57, III, S. 6 - 192; Heinrich Johannes Feije, De impedimentis et dispensationibus matrimonialibus, Löwen 3 1885, S. 413 - 422; Joseph Weber, Die kanonischen Ehehindernisse samt Ehescheidung und Eheprozeß mit Berücksichtigung der staatlichen Ehehindernisse in Deutschland, Oesterreich und der Schweiz, 4. verb. u. verrn. Aufl., Freiburg i. Br. 1886, S. 39 - 47; Rudolfvon Scherer, Handbuch des Kirchenrechtes, 2 Bde., Graz 1886/98,11, S. 265 - 286; Joseph Freisen, Geschichte des kanonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur, Neudruck der 2. Ausgabe Paderborn 1893, Aalen 1963, S. 330 - 364; Joseph Schnitzer, Katholisches Eherecht. Mit Berücksichtigung der im Deutschen Reich, in Oesterreich, der Schweiz und im Gebiete des Code civil geltenden staatlichen Bestimmungen, 5., vollst. neu bearb. Aufl. des Werkes: J. Weber, Die canonischen Ehehindernisse, Freiburg i. Br. 1898, S. 347 - 368; Joseph Antonelli, De conceptu impotentiae et sterilitatis relate ad matrimonium, Rom 1900; Johannes Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 2 Bde., 3., verrn. u. verb. Aufl., Freiburg i. Br. 1914, II, S. 150 - 156; G. Arend, De genuina ratione impedimenti impotentiae: Ephemerides Theologicae Lovanienses 9, 1932, S. 28 - 69, S. 442 - 450; Franz Triebs, Praktisches Handbuch des geltenden kanonischen Eherechts in Vergleichung mit dem deutschen staatlichen Eherecht für Theologen und Juristen, Tl. I - IV in einem Band, Breslau 1933, S. 270 - 306; W. Lohmann, Das Ehehindernis der Impotenz nach kanonischem und deutschem Recht, Dortmund 1941; John Mc Carthy, The impediment of impotence in the present day canon law: Ephemerides luris Canonici 4, 1948, 96 - 130; Peter L. Frattin, The matrimonial impe-

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Georg May

Es mußte also die Fähigkeit zur Copula bei beiden Teilen vorhanden sein. Die Potenz und infolgedessen die Impotenz wurde allerdings nicht zu allen Zeiten von der kirchlichen Autorität und von den Autoren in gleicher Weise bestimmt. 2 Klaus Mörsdorf stellte noch im Jahre 1967 die drei Theorien über das Vorliegen der Impotenz dar, also die Beischlafstheorie, die Zeugungstheorie und die Sterilitätstheorie, und erwähnte, daß die letztere in der kirchlichen Gerichts- und Verwaltungspraxis anerkannt sei. 3 Sie forderte auf seiten des Mannes die Fähigkeit, wirklichen Samen auf dem Wege des natürlichen Geschlechtsverkehrs in die Scheide der Frau zu ergießen, und auf seiten der Frau eine zur Aufnahme des männlichen Gliedes geeignete Scheide. Doch dabei blieb es nicht. Die Entscheidung der Kongregation für die Glaubenslehre vom 13. Mai 19774 hat die Anforderungen an die für das gültige Zustandekommen der Ehe erforderte Potenz im Sinne der ersten Theorie weiter gemindert. Die Empfängnis- bzw. Zeugungsfähigkeit ist dafür bei Mann und Frau unbeachtlieh; es genügt die bloße Beischlafsfähigkeit. Das Erfordernis des Semen verum wurde fallengelassen. Es ist selbstverständlich, daß hier von dem Stand des Rechts und der Rechtswissenschaft auszugehen ist, der im 18. Jahrhundert erreicht war.

diment of impotence: occlusion of spermatic ducts and vaginismus (= The Catholic University of America Canon Law Studies n. 381), Washington, D. C. 1958; lohn l. Brenkle, The Impediment of Male Impotence with Special Application to Paraplegia (= The Catholic University of America Canon Law Studies n. 423), Washington, D. C. 1963; Pierre Branchereau, Autour du decret de la Sacree Congregation de la doctrine de la foi sur le verum Semen: L'Annee Canonique 27, 1983, S. 243 - 273; Carlo Gullo, Irretroattivita dei decreto "circa impotentiam": Il Diritto Ecclesiastico 2, 1988, S. 86 112; Hartmut Zapp, Kanonisches Eherecht, Freiburg i. Br. 71988, S. 108 - 110; Raffaele Coppola, Aspetti canonistici e civilistici dell' impotenza di coppia: Monitor Ecclesiasticus 114, 1989, S. 117 - 183; Gaston Candelier, L'impuissance, empechement et signe d'une incapacite: Revue de droit canonique 44, 1994, S. 83 - 146; Wilhelm Kursawa, Die impotentia coeundi als Ehenichtigkeitsgrund. Eine kanonistische Untersuchung zur Auslegung und Anwendung von Canon 1084 des Codex Iuris Canonici 1983 (= Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft Bd. 22), Würzburg 1995; Hartmut Zapp, Die rechtliche Ehefähigkeit und die Ehehindernisse, in: Joseph Listl, Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, Regensburg 21999, S. 914 - 926, hier S. 921 f. Vgl. auch die Bibliographie bei Brenkle, The Impediment of Male Impotence S. 169 - 179. 2 Triebs,

Praktisches Handbuch, S. 270 - 306.

Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici 11. Bd., 11., verb. u. verm. Aufl., Paderborn 1967, S. 185 - 187. 3

4

AAS 69 (1977), S. 426.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

261

I. Begrimichkeit

1. Potenz

Es ist eine Forderung der Natur, daß Ehegatten eine geschlechtliche Vereinigung vollziehen können, die an sich der Erzeugung von Nachkommen und der Befriedigung des Geschlechtstriebes dient. 5 Die Ehe ist nur gültig, wenn die Gatten die geschlechtliche Vereinigung zu vollziehen vermögen. Die copula perfecta wurde nach der herrschenden Lehre darin gesehen, daß das erigierte männliche Glied in die Scheide der Frau eingeführt wird und dort den Samen ergießt. Der Ehevollzug besteht darin, daß die Gatten durch die Vereinigung der Geschlechtsteile ein Fleisch werden. 6 Die Begattung ist nicht identisch mit der Befruchtung; letztere besteht darin, daß fruchtbare Samenfaden sich mit dem gereiften Ei vereinigen. 7 Es ist also zwischen der Fähigkeit zur Begattung und zur Befruchtung zu unterscheiden. Unfruchtbarkeit (Sterilität) oder impotentia ad generandum macht die Ehe nicht ungültig. 8 2. Impotenz

Ist die geschlechtliche Vereinigung infolge des körperlichen Gebrechens eines oder bei der Gatten nicht möglich, liegt das geschlechtliche Unvermögen vor. Eine Ehe kann zwischen diesen Personen nicht zustande kommen; eine dennoch geschlossene Ehe ist nichtig. 9 Das Hindernis beruht auf Naturrecht und ist darum indispensabel. Impotenz ist somit das Unvermögen zur Leistung der ehelichen Pflicht. Das Unvermögen muß darin bestehen, daß es dem einen Teil aufgrund der Beschaffenheit der Geschlechtsorgane unmöglich ist, die eheliche Beiwohnung zu vollziehen. Das Ehehindernis ist die impotentia coeundi. Sie besagt die impotentia perficiendi copulam coniugalem per se aptarn ad generandum. Impotent ist, wer unfahig ist ad actus ex se ad generationem aptos. Man kann so die Impotenz auch als Unfähigkeit zur Begattung oder als Beischlafsunfahigkeit bezeichnen. Allerdings ist zu beachten, daß zur Bestimmung der Potenz lange Zeit unterschiedliche Anforderungen an den Mann und an die Frau gestellt wurden. Die copula coniugalis sine seminatione viri wurde lange Zeit nicht als vollständig angesehen. Zusammenfassend ist zu 5

X 4,15,1; X 4,15,7; C. 33 q. 1 c. 2.

6X 7

4, 15,5. Vgl. Brenkle, The Impediment of Male Impotence (Anm. 1), S. 70 - 86.

Brenkle, ebd. S. 62 - 68.

8

C. 32 q. 5 c. 18; C. 32 q. 7 c. 27 .

9

X 4,15,2.

262

Georg May

sagen: Das Unvermögen bildete nur dann ein Hindernis, wenn es erstens bereits bei der Eingehung der Ehe vorlag. lO Wenn das Unvermögen erst während der Ehe eintrat, blieb die einmal gültig abgeschlossene Ehe bestehen. Das Hindernis des geschlechtlichen Unvermögens lag vor, wenn ein Gatte vor der Eheschließung zweitens dauernd außerstande war, eine zur Befruchtung geeignete geschlechtliche Vereinigung zu vollziehen. 11 Die Impotenz war dauernd, wenn sie weder durch Zeitablauf noch durch einen zumutbaren Eingriff behoben werden konnte. Das Unvermögen galt als heilbar, wenn es durch natürliche Mittel ohne Gefahr für das Leben behoben werden konnte. Das Ehehindernis der Impotenz lag nicht vor bei zeitweiliger Unfähigkeit. 12 Kurz gesagt: Geschlechtlich unvermögend war, wer schon vor dem Abschluß der Ehe dauernd außerstande war, eine geschlechtliche Vereinigung vorzunehmen, die an sich zur Befruchtung geeignet war. Die hier gemeinte Impotenz ist impotentia coeundi oder perficiendi copulam carnalem. Man unterschied verschiedene Arten der Impotenz. 13 Das geschlechtliche Unvermögen konnte, wie gesagt, der Eheschließung vorangehen oder ihr nachfolgen. Es konnte, wie erwähnt, dauernd und somit unheilbar oder vorübergehend und somit heilbar sein. Das geschlechtliche Unvermögen konnte absolut sein und somit die geschlechtliche Vereinigung mit allen Personen des anderen Geschlechts unmöglich machen, oder es konnte relativ sein und die Vereinigung nur mit bestimmten Personen des anderen Geschlechts unmöglich machen. Es konnte angeboren oder (durch Krankheit, Unfall o. a.) erworben sein. Für das Vorhandensein des Ehehindernisses war es gleichgültig, ob sich die Impotenz beim Mann oder bei der Frau fand, denn die Ehe setzt die Fähigkeit zu ihrer Eingehung bei beiden Teilen voraus. Nicht nur organische Schäden, sondern auch nervöse Zustände des einen Teils oder beider Teile konnten die körperliche Vereinigung unmöglich machen. 14 3. Anforderungen an Mann und Frau

Vom Manne wurde verlangt, daß er ad copulam generationi aptam fähig sei, genauer die potentia vas femineum penetrandi et intra illud seminandi besaß. Der Mann galt als unvermögend, wenn er die erectio membri und die seminatio intra vas nicht zu leisten vermochte. 15 Das Fehlen bei der Hoden und Mißbil10

Kutschker, Das Eherecht III, S. 34 - 39.

II

Kutschker, Das Eherecht III, S. 28 - 34.

12

X 4,15, 6.

13

Kutschker, Das Eherecht III, S. 24 - 28.

14

Brenkle, The Impediment of Male Impotence, S. 128 - 134.

15

Schnitzer, Katholisches Eherecht, S. 353 f.; Triebs, Praktisches Handbuch, S. 294 f.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

263

dungen des Penis sowie fehlende Erigibilität des Penis bewirkten mit Sicherheit männliche Impotenz. 16 Von der Frau wurde verlangt die potentia recipiendi semen viri. 17 Sie war potent, wenn die immissio penis in vaginam et effusio seminis in eadem geschehen konnte. Mehr wurde von ihr nicht verlangt. Die Frau galt als unvermögend, wenn die immissio penis in vaginam und die effusio seminis in eadem nicht geschehen konnte. Relativ häufig war die arctatio der Frau. 18 4. Maleficium

Von manchen wurde die Impotenz auf dämonische Einwirkung auf an sich beischlaffähige Personen zurückgeführt. 19 Ihre Möglichkeit wurde sogar von Thomas von Aquin vertreten. 20 Auch das kirchliche Recht rechnete mit ihrem Auftreten. Der Titulus 15 des vierten Buches des Liber Extra ist überschrieben: De frigidis et maleficiatis et impotentia coeundi. Man sprach hier von impotentia diabolica oder maleficium. 21 Wenn ein maleficium vermutet wurde,22 suchte man den bösen Einfluß durch Gebet, Buße, Fasten und Almosen zu bannen. Auch die Anwendung von Exorzismen wurde empfohlen. 23

5. Eheverbot Das geschlechtliche Unvermögen hatte rechtliche Konsequenzen. Personen mit sicher vorliegender Impotenz war es verboten, eine Ehe einzugehen. Wenn ein Seelsorger zuverlässige Kenntnis davon gewann, daß eine Person, die an geschlechtlichem Unvermögen litt, die Absicht hatte, eine Ehe zu schließen, war er verpflichtet, dieses Vorhaben mit den geeigneten Mitteln zu verhindern. Wer um die Impotenz wußte und dennoch die Ehe einging, verlor das Recht, diese anzuklagen.

16 Brenkle,

The Impediment of Male Impotence, S. 128 - 134.

17 Schnitzer,

18

Katholisches Eherecht, S. 354f; Triebs, Praktisches Handbuch, S. 293 f.

X 4,15, 6. Vgl. Schnitzer, Katholisches Eherecht, S. 354 f.

19

C. 33 q. 1 c. 4; X 4,15, 7.

20

Summa theol. Suppl. q. 58 a. 2.

21

Kutschker, Das Eherecht III, S. 42 f; Schnitzer, Katholisches Eherecht, S. 350 f

22

Dict. Grat. ad C. 33 q. 1 c. 3.

23 C. 33 q. 1 c. 4. Über das maleficium in dem von ihm behandelten Zeitraum bringt Freisen, Geschichte des kanonischen Eherechts, S. 330 - 364 manches Material.

264

Georg May 11. Geltendmachung der Impotenz

1. Klage

Wenn Ehegatten das geschlechtliche Unvermögen eines Teils oder beider Teile entdeckten, durften sie sich dennoch nicht eigenmächtig trennen,24 sondern mußten die gerichtliche Nichtigerklärung ihrer Ehe anstreben?5 Es war also eine Klage zu erheben. Die Klage mußte das Vorliegen der Impotenz wahrscheinlich erscheinen lassen. 26 Eine bestimmte Frist für ihre Einbringung war nicht vorgesehen. 27 Angesichts der Möglichkeit, daß zeitweilige Impotenz vorliegt, durfte die Klage erst einige Zeit nach Abschluß der Ehe erhoben werden. Die Bestreitung der Ehe konnte von beiden Teilen ausgehen, dem unvermögenden wie dem vermögenden. Wenn die Impotenz sicher vorlag, stand es den Scheineheleuten lange Zeit frei, ob sie die Nichtigerklärung ihrer Ehe beim kirchlichen Gericht beantragen oder ob sie wie Bruder und Schwester zusammenleben wollten. 28 Aus diesem Sachverhalt ergaben sich allerdings bestimmte sittliche Anforderungen. Das sichere und dauernde geschlechtliche Unvermögen, auch wenn es erst während bestehender Ehe eintrat, machte den Gebrauch der Ehe unerlaubt. 2. Nichtigkeitsurteil

Das Gericht konnte die Nichtigkeit der Ehe nur dann feststellen, wenn das Unvermögen vollständig nachgewiesen wurde; es mußte mit moralischer Gewißheit feststehen, daß eine der Ehe vorhergehende und dauernde Impotenz vorliegt. Im Nichtigkeitsurteil war auch anzugeben, ob absolute oder relative Impotenz vorliegt; denn nur die erste verbietet die Eingehung einer anderen Ehe?9 Wenn das Urteil die Nichtigkeit der Ehe feststellte, mußten sich die Scheinehegatten normalerweise trennen. Falls die Trennung moralisch unmöglich war, konnte das weitere Zusammenleben unter Verzicht auf jede geschlechtliche Betätigung gestattet werden. Ein Urteil, das auf Nichtigkeit der Ehe lautete, konnte jederzeit aufgehoben werden, falls es ein Fehlurteil war. 30

24

Kutschker. Das Eherecht III, S. 45 - 50.

25

X 4,19,3.

26

Kutschker, Das Eherecht III, S. 50 - 57.

27 X 4, 15,1 und 6 und 7. 28

X 4, 15,4.

29

Kutschker. Das Eherecht III, S. 95 - 108.

30

X 2,17, 7.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

265

Die Wirklichkeit setzte sich gegen den rechtlichen Spruch durch. Der Ehebandsverteidiger31 mußte gegen das Urteil, das die Nichtigkeit ausspricht, Berufung einlegen. Die nach geschehener Annullation der Ehe stattgehabte Fornikation oder Konsumation der neuen Ehe war mitunter ein Grund zur Scheidung von dem früheren Ehegatten. 32 3. Zweifelhafte Nichtigkeit

Es gab zahlreiche Fälle, in denen sich keine Gewißheit über den dauernden Charakter der Impotenz gewinnen ließ. 33 Im Zweifel, ob geschlechtliches Unvermögen vorliegt oder nicht, sprach die Vermutung zugunsten des Vermögens, im Zweifel, ob das geschlechtliche Unvermögen angeboren oder später erworben ist, sprach die Vermutung für das letztere. Wenn die Impotenz zweifelhaft war, verordnete Papst Coelestin III. (1191 - 1198) die Triennalprobe. 34 Die Kirche übernahm dieses Mittel der Wahrheitsfindung vom weltlichen Recht. Das besagte praktisch: Im Falle der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Impotenz 35 und wenn die Gutachten der Sachverständigen voneinander abwichen, war auf die Triennalprobe36, das experimentum triennalis cohabitationis, zu erkennen. Die Eheleute hatten auf eine vom Richter zu bestimmende Zeit ehelich zusammenzuleben. Wenn die Gatten nach Ablauf dieser Frist eidlich bezeugten, daß sie alle erlaubten Mittel angewandt hätten, um den Vollzug der Ehe zu erreichen, daß sie aber trotzdem die Ehe nicht hätten vollziehen können, und wenn ihr Eid durch den Eid der septima manus 37 glaubwürdig gemacht wurde, konnte die Nichtigerklärung der Ehe erfolgen. Wenn das Unvermögen nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, bestand auch die Möglichkeit, an den Heiligen Stuhl die Bitte zu richten, die Ehe wegen Nichtvollzugs aufzulösen. Hierbei mußte allerdings der Nichtvollzug mit hinreichender Gewißheit bewiesen werden. 38

31

Schnitzer, Katholisches Eherecht 560.

32

Kutschker, Das Eherecht III, S. 108 - 111.

33

Kutschker, das Eherecht III, S. 70 - 76.

34

X 4,15,5.

35

Kutschker, Das Eherecht III, S. 76 - 95.

36

X 4,15, 5 und 7.

Kutschker, Das Eherecht III, S. 86 f.; Schnitzer, Katholisches Eherecht, S. 350, S.359. 37

38

Kutschker, Das Eherecht III, S. 111-155.

266

Georg May

4. Beweismittel

Das geschlechtliche Unvermögen durfte nicht nur behauptet, sondern mußte bewiesen werden. 39 Weder das Geständnis noch der Eid der Parteien vermochte Gewißheit über das Vorliegen des Ehehindernisses zu erbringen. 4o Eine große Rolle spielte der Beweis durch Sachverständige oder besser durch den Augenschein, die inspectio ocularis41 , der von Personen mit medizinischen Kenntnissen vorgenommen wurde42 . Die körperliche Untersuchung durch medizinische Sachverständige wurde schon frühzeitig angeordnet. 43 Der Teil, dessen Vermögen in Frage stand, hatte sich ihr zu unterziehen. Häufig mußte aber auch der andere Teil untersucht werden. Im Falle der relativen Impotenz war der Augenschein stets bei bei den Gatten, im Falle der absoluten Impotenz in der Regel nur bei dem Gatten, der als impotent vermutet wurde, vorzunehmen. Die körperliche Untersuchung des oder der Gatten war in den meisten Fällen ausschlaggebend für die Beweisführung. Es bedurfte des Gutachtens von wenigstens zwei glaubhaften, vereidigten Sachverständigen aufgrund des Augenscheins. 44 Von ihnen wurden fachliche Kompetenz, Gewissenhaftigkeit und Unparteilichkeit verlangt. Mit Vorzug wurden beamtete Ärzte und Chirurgen, nicht privat praktizierende ausgewählt. 45 Soweit ich sehe, wurde keiner der im

39 Kutschker, Das Eherecht III, S. 57 - 70; Triebs, Praktisches Handbuch, S. 301 f.; Maas, Beweisverfahren, canonisches: KL 11, 2 1883, S. 566 - 570; ders., Prozeßverfahren, canonisches: KL X, 2 1897, S. 555 - 578. 40 X 4, 15,7; X 4, 13,5. Die Fragen, die bei der Vernehmung den Eheleuten vorzulegen sind, finden sich im Artikel von Maas, Eheprozeß: KL IV, 2 1886, S. 209 - 218, hier S.215. 4\

X 2, 19,4 und 14; X 4, 13,5; X 4, 15,3 und 6 und 7.

42 Für das Mainzer Medizinwesen vg!. Helmut Mathy, Medizinhistorische Miniaturen aus dem Bereich der Mainzer Universität vom Ende des 18. Jahrhunderts: Jahrbuch der Vereinigung "Freunde der Universität Mainz" 12, 1963, S. 66 - 123; Hermann Terhalle, Das Kurmainzer Medizinalwesen vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Phi!. Diss. Mainz, o. O. 1965; Gisela Kuhnert und Yvonne Monsees, Fünfhundert Jahre Medizin in Mainz: Medizinhistorisches Journal 12, 1977, S. 175 - 206; Paul Diepgen, Die alte Mainzer medizinische Fakultät und die Wissenschaft ihrer Zeit: Medizinhistorisches Journal 12, 1977, S. 1 - 20; Franz Dumont, Helfen und Heilen - Medizin und Fürsorge in Mittelalter und Neuzeit, in: Mainz. Die Geschichte der Stadt. Hrsg. von Franz Dumont, Ferdinand Scherf, Friedrich Schütz, Mainz 1998, S. 771 - 805.

43

X 2,19,4 und 14; X 4,15,6 und 7.

44

X 2,19,4 und 14; X 4,15, 6 und 7.

Für den Kurstaat Mainz sind die angestellten Mediziner in den seit 1740 erscheinenden Hof- und Staatskalendern aufgeführt. 45

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

267

Mainzer Kurstaat recht zahlreichen jüdischen Ärzte mit dieser Aufgabe betraut. Auch Hebammen46 wurden mit der inspectio ocularis (der Frau) beauftragt. Ihre Hinzuziehung allein reichte aber nicht aus. Es galt der Satz: Et manus obstetricum et oculus saepe fallitur. 47 Die Sachverständigen sollten ermitteln, ob Impotenz im Sinne des kanonischen Rechts vorlag, ob sie bereits vor Eingehung der Ehe vorhanden war und ob sie nicht behoben werden konnte. Falls der Vollzug der Ehe niemals vorgenommen werden konnte, war anzunehmen, daß der Eheschließung vorausgehendes Unvermögen vorlag. Der Nichtvollzug der Ehe wurde auch bewiesen, indem Sachverständige feststellten, daß die Frau ihre Jungfräulichkeit nicht verloren hat. Dieser Sachverhalt war ein in jedem Falle starker Hinweis auf das Unvermögen des Mannes. 48 Das übereinstimmende Gutachten von zwei oder drei gerichtlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, daß eine vorhergehende, unheilbare, absolute Impotenz eines Gatten unzweifelhaft vorlag, erbrachte vollen Beweis. Das Gericht konnte daraufhin die Nichtigkeit der Ehe aussprechen. Bedauerlicherweise ist in den Mainzer Materialien kein einziges medizinisches Gutachten erhalten. Wenn die Sachverständigen lediglich die hohe Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Impotenz konstatierten, mußten die beiden Gatten bzw. der klagende Teil mit je sieben Eideshelfern49 die Überzeugung vom Vorliegen des geschlechtlichen Unvermögens beschwören, damit das Gericht die Nichtigkeit der Ehe feststellen konnte. Der Gegenstand des Eides war bei Gatten und Eideshelfern verschieden. Die Gatten hatten zu beeiden, daß sie die geschlechtliche Beiwohnung versucht, aber nicht zu leisten vermocht hatten. Dieser den Gatten auferlegte Eid war ein Ergänzungseid. Die Eideshelfer mußten beschwören, daß sie die Aussage der Gatten für glaubwürdig hielten. In den Fällen, in denen die hohe Wahrscheinlichkeit nicht zu gewinnen war, mußte die Nullitätsklage abgewiesen werden. Gleichzeitig war eine Frist von regelmäßig drei Jahren zu setzen, nach deren Ablauf das Verfahren wieder aufgenommen werden konnte. 50 Wenn das Unvermögen nicht mit Gewißheit festgestellt werden konnte, empfahl es sich, nicht die Nichtigerklä46 X 4,15,6 und 7. Vgl. Terhalle, Das Kurrnainzer Medizinalwesen (Anm. 42), S. 85 - 93; Johannes Zaun, Beiträge zur Geschichte des Landcapitels Rheingau und seiner vierundzwanzig Pfarreien, Wiesbaden 1879, S. 419; Claudia Hilpert, " ... nicht Zaenkkisch, Frech, Hoffertig, Bollerisch". Hebammen in der kurfürstlichen Residenzstadt Mainz von 1550 bis 1784: Ärzteblatt Rheinland-Pfalz 52, 1999, S. 19 - 24. 47

C. 27 q. I c. 4; X 2,19,14.

Zu den anatomischen und physiologischen Einzelheiten der männlichen Impotenz vgl. Brenkle, The Impediment of Male Impotence, S. 1 - 47. 48

49 C. 33 q.l c. 2; X 4,15, 5 und 7. Zur Einvernahme der Eideshelfer vgl. Maas, Eheprozeß: KL IV, 21886, S. 209 - 218, hier S. 215 f. 50

X 4,15,5.

268

Georg May

rung der Ehe zu beantragen, sondern den Heiligen Stuhl zu bitten, die Ehe durch Dispens von der nichtvollzogenen Ehe aufzulösen. 5. Verteidigung des Ehebandes

Zur Verteidigung des Ehebandes wurde der Defensor vinculi (oder matrimonii) aufgestellt. Benedikt XIV. erließ in der Konstitution "Dei miseratione" vom 3. November 1741 51 einläßliche Bestimmungen über Aufgaben und Pflichten dieses Beamten. Er schrieb seine Anwesenheit in allen Prozessen vor, in denen über die Gültigkeit oder Nichtigkeit einer Ehe vor dem rechtmäßigen Richter gestritten wurde. 52 Der Ehebandsverteidiger hatte die Aufgabe, alles vorzubringen, was für die Aufrechterhaltung der Ehe spricht. Wenn das Urteil des Richters auf Nichtigkeit der Ehe lautete, war er gehalten, Berufung einzulegen. 53 Der Papst forderte ein zweites gleichlautendes Erkenntnis, bevor die vermeintlichen Eheleute eine neue Verbindung eingehen durften. 54 Benedikt XIV. erinnerte auch daran, daß Ehesachen niemals in Rechtskraft übergehen. 55 Das heißt: Wenn sich neue Tatsachen ergaben, konnten sie wieder aufgenommen werden.

B. Fälle

Es sollen nun Fälle wirklicher oder vermeintlicher Impotenz aus der Gerichts- und Verwaltungspraxis der Mainzer Rechtsprechungs- und Verwaltungsorgane56 vorgestellt werden. Ich erinnere daran, daß ich einige Beispiele der 51 EmU Ludwig Richter, Friedrich Schulte (Hrsg.), Canones et Decreta Concilii Tridentin i ex Editione Romana A. MDCCCXXXIV. repetiti, Leipzig 1853, S. 565 - 570.

S2

Richter, Schulte, Canones et Decreta 567 (§ 6).

53 Richter, Schulte, Canones et Decreta 567 (§ 8). Vgl. auch Benedikt XIV., Ap. Konstitution "Si datam" vom 4. März 1748 (P. Gasparri, I. Seredi, Codicis Iuris Canonici Fontes, 9 Bde., Rom 1923 - 1939,11, S. 139 - 142 Nr. 385, über den Defensor Professionum). S4

Richter, Schulte, Canones et Decreta 568 (§ 11).

ss Richter, Schulte, Canones et Decreta 568 (§ 11). V gl. X 2,27, 7 und 11. 56 Die in diesem Beitrag angeführten Orte werden in folgenden Sammelwerken nachgewiesen: Realschematismus der Erzdiözese Freiburg, Freiburg i. Br. 1863; Realschematismus der Diözese Würzburg, Würzburg 1897; Real-Schematismus des Bistums Fulda, Fulda 1910; Real-Schematismus (Diözese Paderbom), Paderbom 1913; Handbuch der Diözese Mainz, Mainz 1931; Handbuch des Bistums Trier, Trier 1952; Handbuch des Bistums Limburg, Limburg 1956; Bernhard Opfermann, Die kirchliche Ver-

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

269

Impotenz aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits in der Festschrift für Ernst Rößler beschrieben habe. 57 1. Die Anna Lucia Gerard aus Hattenheim58 klagte gegen ihren Mann Jost Schmitt in Hallgarten59 wegen geschlechtlichen Unvermögens. Das Vikariat wandte sich an den Schultheißen zu Hallgarten, damit er den Mann veranlasse, sich nach Mainz zu begeben und dort von dem Dr. Michael Voos (Voß) untersuchen zu lassen. 6o Doch Jost Schmitt ließ sich nicht bewegen, in Mainz zu erscheinen. Er wurde nun ad tabulas zitiert. Der Mann stellte sich trotz wiederholter Zitation dem Gericht nicht. Vor einer zwangsmäßigen Vorführung scheute man offensichtlich zurück. So blieb als einziges Beweismittel die beeidete Aussage der Frau übrig. Die Anna Lucia Gerard legte, wie ihr vom Gericht befohlen worden war, ihren Beichtzettel vor. Daraufhin wurde sie zur Eidesleistung zugelassen. Sie hatte zu beeiden, daß nach geschehener Kopulation vom ersten Augenblick an der Schmitt so "unvermöglich" gewesen sei, daß er das eheliche Werk mit ihr bisher niemals habe verrichten können noch verrichtet habe. Die Frau leistete praevia avisatione de perjurio, d. h. nach Belehrung über das Verbrechen des Meineids, den Eid. Daraufhin erging die Sententia dec1aratoria, daß die zwischen beiden bestehende vermutliche Ehe "vor null und nichtig zu erklähren" sei und hiermit "null und nichtig erklährt" werde. Der Frau wurde freigestellt, sich "anderwärtiglich zu verheurathen" (sic). Die beeidete Aussage eines Gatten genügte also, um die Ehe zwischen bei den für nichtig zu erklären. 61 Auf eine körperliche Untersuchung des Mannes mußte wegen dessen Weigerung, sich ihr zu stellen, notgedrungen verzichtet werden.

2. Die Susanna Kissel aus Biblis62 klagte gegen ihren Ehemann Peter Eberth (Herberth) wegen geschlechtlichen Unvermögens. Das Vikariat lud sie zu per-

waltung des Eichsfeldes in seiner Vergangenheit, Leipzig, Heiligenstadt 1958; RealSchematismus des Erzbistums Paderborn Westlicher Teil, Paderborn 1988; Handbuch des Bistums Speyer, Speyer 1991. 57 Georg May, Behebung und Entfall von Ehehindernissen im Erzbistum Mainz in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Iustitia in Caritate. Festgabe für Ernst Rößler zum 25jährigen Dienstjubiläum als Offizial der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Hrsg. von Richard Puza und Andreas Weij] (= Adnotationes in Ius Canonicum Bd. 3), Frankfurt a. M. 1997, S. 125 - 181, hier S. 128 - 136. 58

Handbuch des Bistums Limburg, S. 100 f.

59

Handbuch des Bistums Limburg, S. 99 f.

60

DA Mainz 1/011 S. 4 (16. Januar 1696).

61

DA Mainz 1/012 S. 18 - 19 (17. Februar 1698).

62

Handbuch der Diözese Mainz, S. 262 - 264.

270

Georg May

sönlichem Erscheinen ein und ließ sich von dem Dekan zu Bensheim63 , Gerhard Bösen, eine Relation ausstellen. 64 Wenig später wurde auch der Beklagte vorgeladen zum persönlichen Erscheinen "sub poena 5 aureorum".65 Es handelte sich also um eine Pönalzitation. Doch der Herberth weigerte sich zu kommen. Daraufhin wies das Vikariat den Dekan zu Bensheim an, er solle beim Oberamt die fünf Goldgulden, in die der Herberth wegen seines Ungehorsams verfallen war, exequieren lassen und ihn sub poena dupli ad octiduum nach Mainz bescheiden. 66 Diese Maßnahme zeitigte endlich Wirkung. Am 7. September 1699 erschienen beide Teile vor dem Vikariat. Die Susanna Kissel brachte nun gegen ihren Ehemann Peter Herberth vor, er sei impotent, habe acht Jahre bei ihr im Bett gelegen, aber das eheliche Werk mit ihr nicht vollbracht. Der Mann widersprach; er habe seiner Frau mehr als einmal beigewohnt und ihr die eheliche Pflicht geleistet, also die Ehe konsumiert. Sie bestand auf ihrem Vorbringen und erklärte, es mit einem Eid bestätigen zu können. Der Mann äußerte sich seinerseits ähnlich. Darauf wurde ihm der Eid vorgelegt; er war bereit, ihn augenblicklich zu leisten. Doch das Gericht verzichtete darauf und erließ den Bescheid, daß die Susanna dem Ehemann Peter Herberth ehelich beizuwohnen habe. 67 Im Zweifel- hier stand Aussage gegen Aussage - war für die Gültigkeit der Ehe zu entscheiden. Das Vikariat hatte Erfahrungen. Der Vorwurf, der andere Gatte sei unvermögend, wurde manchmal in der Absicht vorgebracht, ihn loszuwerden. Der Eid war in diesem Falle kein geeignetes Mittel der Wahrheitsfindung, denn beide Teile waren bereit, ihn zur Behauptung ihrer völlig gegensätzlichen Aussagen zu leisten. 3. Als der Johannes Ormersbach den ihm deferierten Eid de impotentia mulieris Anna Margaretha abgeschworen hatte, wurde die Ehe für nichtig erklärt. 68 Welche Verhandlungen diesem Spruch vorausgegangen waren, ist unbekannt. Die Fallbeschreibung in diesem Band der Mainzer Vikariatsprotokolle (1 /014) ist äußerst knapp, so daß die vorhergehenden Verfahrensschritte daraus nicht zu erheben sind. Vermutlich sind auch in diesem Falle Erkundigungen eingeholt und Untersuchungen angestellt worden. Wie so oft war der Eid das letzte Mittel für das Gericht, zu einer Entscheidung zu kommen. Vermutlich wurde seine Glaubwürdigkeit durch den Siebenhändereid zu sichern gesucht.

63

Handbuch der Diözese Mainz, S. 259 - 262.

64

DA Mainz 1 /012, S. 226 (17. August 1699).

65

DA Mainz 1 /012, S. 236 (27. August 1699).

66 DA Mainz 1 / 012, S. 237 (31. August 1699). 67 DA Mainz I /012, S. 243 (7. September 1699). 68

DA Mainz 1 /014, S. 113 (22. Dezember 1703).

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

271

4. In Mainz bestand (bei Personengleichheit) ein Gericht erster Instanz für die eigene Diözese und ein Gericht zweiter Instanz für die Suffraganbistümer.69 In dem vorliegenden Fall war Maria Ursula Roth Appellans, Andreas Förschel Appellatus. Das Metropolitangericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil in der Impotenzsache, die aus Straßburg eingeführt wurde. Die Urteile des Metropolitangerichtes wurden in lateinischer Sprache abgefaßt. Das Gericht stellte fest: Der Richter erster Instanz habe gut geurteilt und die Appellation sei zu Unrecht eingelegt worden. Daher sei das Urteil der Vorinstanz zu bestätigen und werde jetzt auch bestätigt. Das heißt: Der Antrag der Klägerin auf Nichtigerklärung der Ehe wegen angeblicher Impotenz wurde abgewiesen. Das Gericht fügte aber folgende Erklärung (cum hac tarnen subsequenti Declaratione) hinzu. Die beiden müßten eine weitere Dreijahresfrist zusammenleben und die Vereinigung versuchen. Dazu hätten sie Gebete anzuwenden (adhibitis precibus). Weiter hätten beide Teile alles verdrießlich-mürrische Wesen aufzugeben (deposita utrimque si quae est ornni morositate). Schließlich müsse sich die Frau untersuchen lassen (inspecta secundum debitam formam in ordine ad explorandam arctitudinem vel capacitatem vasis mulieris).70 Die angestrebte Erklärung der Nichtigkeit der Ehe wegen geschlechtlichen Unvermögens war nun in beiden Instanzen abgelehnt worden. Der Prokurator Mauerer appellierte an die Römische Kurie, weil sein Prinzipal sich durch das oben erlassene Urteil beschwert fühle, und erbat acta cum apostolis reverentialibus sowie eine Abschrift des Urteils in forma probante. Der Prokurator Peetz dagegen bedankte sich für die wohl verwaltete Gerechtigkeit und ersuchte, die von der Gegenseite eingelegte frivole Appellation nicht zu befördern, sondern Apostoli refutatorii auszustellen. Falls dies nicht geschehe, bat er um Ansetzung eines terminus hominis und eine Abschrift des Urteils in forma probante. Mauerer widersprach diesem Vorbringen und wiederholte seine Ausführungen. 71 Wie oft wurde jedoch die eingelegte Berufung nicht verfolgt. Am 16. März 1724 legte Mauerer eine Aufstellung seiner Unkosten (deservitorum) vor und bat, sie abzuschätzen und mit Vollstreckungsmandat zu entscheiden (decerni).72 5. Das Mainzer Vikariat wurde (bei Personengleichheit) je nach Sachlage als Verwaltungsbehörde und als Gericht tätig. Wenn es Rechtsprechung übte, geschah es häufig im Summarprozeß, nur bei Notwendigkeit oder beim Bestehen der Parteien im förmlichen kanonischen Prozeß. 73 Johann Mayer aus Rüdes-

69

DA Mainz 1/208 Protocolla Moguntini Protonotariatus 1720 - 1727.

70 DA Mainz 1/208, S. 191 (16. Dezember 1723). 71

DA Mainz 1/208, S. 192 (23. Dezember 1723).

72

DA Mainz 1/208, S. 202. Ebenso S. 232 (14. Dezember 1724).

73

Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts 11 (Anm. 1), S. 324 - 329.

Georg May

272

heim74 klagte gegen die Katharina Schmeltzer aus Johannisberg 75 auf Erfüllung eines Eheversprechens. Es ging also nicht um eine geschlossene, sondern um eine zu schließende Ehe. Das Vikariat lud die Beklagte vor. 76 Sie erschien jedoch nicht am festgesetzten Termin. Sie wurde erneut vorgeladen, diesmal sub poena trium aureorum. Dem Kläger wurde auferlegt, die Zeugen, die bei der Vornahme der Eheversprechung anwesend gewesen waren, mitzubringen. 77 Am festgesetzten Termin erschien der Kläger und sagte aus, daß ihm die Beklagte im Beisein ihres Vormunds und ihrer zwei Schwäger die Ehe versprochen habe. Die ebenfalls anwesende Beklagte brachte eine Gegenvorstellung vor. Wieder stand eine Aussage gegen die andere. Das Vikariat nahm seine Zuflucht zu den Ärzten. Denn die Beklagte begründete ihre Weigerung, das Eheversprechen zu erfüllen, mit ihrer gesundheitlichen Verfassung. Der Dr. Mendel und der Barbierer Karl Strack wurden beauftragt, eine Okularinspektion der Schmeltzer vorzunehmen und darüber ihr pflichtmäßiges Gutachten zu erstatten, ob diese Person mit einem so starken Aussatz behaftet sei, daß sie dadurch gehindert sei, sich in eine wirkliche Ehevollziehung einzulassen. 78 Wenige Tage darauf legten die beiden Ärzte ihren Bericht über die erfolgte Untersuchung der Schmeltzer vor. Sie sahen das Übel derselben nicht als einen wahren Aussatz an, doch für "ein eingewurtzelten Scarbotischen zustandt"; es sei zu befürchten, daß die aus einer solchen Ehe zu erzielenden Kinder mit dem nämlichen Übel könnten behaftet sein. Das Vikariat erklärte angesichts dieses Ergebnisses, es sehe nicht, wie man die Schmeltzer zum Vollzug der Heirat anhalten könne. Weil aber der Kläger diesfalls verschiedene Unkosten gehabt habe, legte es ihm auf, diese einzeln anzugeben, bevor ergehen werde, was Rechtens sei. 79 Der Kläger legte die Spezifikation vor, und das Vikariat ersuchte die Beklagte um ihre Stellungnahme. 8o Später bat der Mayer, die übergebene Aufstellung der Kosten abzuschätzen. 8l Auch im folgenden Jahr wurde noch um die Kosten gestritten; sie wurden der Beklagten auferlegt. 82

74

Handbuch des Bistums Limburg, S. 301 - 303.

75

Handbuch des Bistums Limburg, S. 296 - 298.

76

DA Mainz 1 /035, S. 190 (5. August 1743).

77

DA Mainz 1 /035, S. 196 (12. August 1735).

78

DA Mainz 1 /035, S. 210 (26. August 1743).

79

DA Mainz 1 /035, S. 219 - 220 (2. September 1743).

80

DA Mainz 1 /035, S. 238 (9. September 1743).

81

DA Mainz 1 /035, S. 309 (2. Dezember 1743).

82

DA Mainz 1 /036, S. 68 und 84.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

273

6. Die Ehefrau Holtzwart wollte sich von ihrem Mann trennen wegen einer Krankheit. 83 Der Mann gab zu, daß er die Krankheit gehabt habe, doch habe er sie, entgegen der Behauptung der Klägerin, nicht durch unerlaubte Beiwohnung bekommen, sondern ganz natürlicher Weise ohne seine Schuld. 84 Das Vikariat legte der Klägerin auf, ihre Klage rechtlich zu beweisen, wozu ihr eine Frist von acht Tagen eingeräumt wurde. Danach solle ergehen, was Rechtens ist. 85 Am nächsten Termin übergab die Klägerin Articuli probatorii mit der Bitte, die im Direktorium vorgeschlagenen Zeugen darüber legaliter zu vernehmen. Sie wurden dem Beklagten übergeben mit der Aufforderung, darüber Interrogatoria zu formulieren, wenn er wolle. Als Kommissare zur Behandlung der Sache wurden der Provikar und Dr. Kirchner bestellt. 86 Damit endet die Sache in den vorhandenen Akten. Vermutlich hat die Frau ihren Antrag zurückgezogen. 7. Die Ehefrau Mayer bat um die Einleitung eines Verfahrens wegen Impotenz ihres Mannes. 87 Die Sache war in erster Instanz in Augsburg verhandelt worden. Dort war die Klägerin mit ihrem Antrag unterlegen. Sie ging nun die zweite Instanz88 in Mainz an. Selbstverständlich mußten die Akten der Vorinstanz vorgelegt werden. Die Sache wurde in einem strengen kanonischen Prozeß verhandelt. Beide Parteien ließen sich durch Prokuratoren vertreten (Arzen und Knopft), die alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpften und auf diese Weise zahlreiche Termine provozierten. 89 Das Vikariat beschloß die ocularis inspectio durch die Doktoren Johann Heinrich Vogelmann und Woger sowie den Chirurgen Strack. 90 Doch unter den Ärzten entstand ein Dissens. Daraufhin ordnete das Vikariat noch einen weiteren Arzt, den Doktor Johann Jakob Schwarzmann, zur Untersuchung ab. 91 Die beiden Ärzte Schwarzmann und Vogelmann erstellten ihr Gutachten, ebenso Woger. 92 Ihr Inhalt ist nicht bekannt. In jedem Falle war durch die ärztlichen Untersuchungen die moralische 83

DA Mainz 1/035, S. 200 (19. August 1743).

84

DA Mainz 1/035, S. 208 - 209 (22. August 1743).

85

DA Mainz 1/035, S. 209 (22. August 1743).

86

DA Mainz 1/035, S. 212 (26. August 1743).

87

DA Mainz 1/606, S. 60 (2. September 1745).

88

DA Mainz 1/606 Protocolla Judicii Metropolitici, S. 1745 - 1748.

DA Mainz 1/606, S. 80, S. 85, S. 89, S. 97, S.105, S. 114, S. 119, S. 124 -125, S. 130, S. 147, S. 148, S. 156 - 159, S. 166 - 167, S. 170 - 171, S. 173 - 174, S. 185, S. 198, S. 216 - 217, S. 218 - 219, S. 228, S. 236, S. 252, S. 256, S. 268 - 269, S. 274, S. 279, S. 299, S. 308, S. 311, S. 366 - 367, S. 375, S.380. 89

90

DA Mainz 1/606, S. 167 (7. August 1746).

91

DA Mainz 1/606, S. 173 - 174 (25. August 1746).

92

DA Mainz 1/606, S. 177.

Georg May

274

Gewißheit, daß auf seiten des Mannes tatsächlich geschlechtliches Unvermögen vorliege, nicht zu gewinnen. Das Metropolitangericht erließ daher den Beschluß (decretum), die bei den Personen sollten geistliche Mittel und von den Ärzten verschriebene Medikamente gebrauchen, zusammenleben und den ehelichen Verkehr versuchen. Woger sollte die Medikamente verschreiben, die er für geeignet hielt, dem Übel abzuhelfen. Der Appellatus Mayer sollte vom Pater Andreas den Exorzismus empfangen. 93 Woger und Strack meldeten einige Wochen später dem Vikariat, daß sie eine medicina temperans bereitet hätten und der Clemens Mayer sie wiederholt eingenommen habe. Er habe für die Vergangenheit seine Impotenz gestanden, was er auch bei seinem Erscheinen vor dem Vikariat bestätigte. 94 Damit war die Beweislage zugunsten der Frau wesentlich verändert. Dennoch drang das Metropolitangericht auf möglichst hohe Gewißheit. So legte es der Frau den Ergänzungseid auf. Frau Francisca Mayer leistete vor dem Metropolitangericht den Eid, daß seit der Eheschließung ihr Gatte Clemens Mayer häufig versucht habe, sich mir ihr fleischlich zu vereinen und die copula carnalis auszuüben, daß er aber niemals dazu fähig gewesen sei und daß er den ehelichen Akt niemals vorgenommen habe. 95 Das Metropolitangericht gab dem Augsburger Vikariat auf, daß es den Siebenhändereid von Verwandten der Francisca Mayer oder von Nachbarn über die Glaubwürdigkeit derselben abnehme. 96 Am 4. Mai 1747 lag das Augsburger Protokoll vor. An diesem Tage erging auch das Urteil der Judices Sanctae Moguntinae Sedis. Darin hieß es (formelhaft), der Vorrichter habe schlecht geurteilt, von ihm sei gut Berufung eingelegt worden. Sein Urteil sei zu reformieren. Die Ehe zwischen den beiden Mayers sei wegen vorhergehender und beständiger Impotenz des Appellaten für nichtig zu erklären, wie sie jetzt für nichtig erklärt werde. Der Prokurator Hubert (anstelle von Knopff) bedankte sich für das Urteil, der Prokurator Arzen appellierte an die Römische Kurie. Hubert bat, die frivole Appellation nicht weiterzugeben. Das Vikariat beschloß, sie weiterzugeben in honorem Sacrae Curiae Romanae. Dem Appellanten wurde eine Frist von zwei Monaten gesetzt, um die Berufung einzuführen und darüber zu berichten. 97 Sie wurde jedoch aufgegeben.

93

1 /606, S. 198 (24. November 1746).

94

DA Mainz DA Mainz 95 DA Mainz 96 DA Mainz 97 DA Mainz

1 /606, S. 216 - 217 (23. Dezember 1746). 1 /606, S. 218 - 219 (2. Januar 1747). 1 /606, S. 219 (2. Januar 1747). 1 /606, S. 279 - 280.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

275

8. Das Ehepaar Friedrnann aus Hochheirn98 erschien vor dem Vikariat und zeigte an, daß es eine Zeitlang zusammengelebt, aber niemals die eheliche Vereinigung habe zustande bringen können. Die Ehefrau gestand zu, daß sie ihren Gatten als einen "ordentlichen man" erkennen müsse. Doch unerachtet dieser Tatsache könnten sie nicht zusammenkommen. Der beklagte Ehemann sagte aus, daß er "propter arctitudinem" der Frau die Kopula niemals habe vollziehen können; die Gattin sei "keine frau vor ihn". Die Missionare (wohl anläßlich einer Volksmission) hätten ihnen verboten, die Kopula noch einmal zu versuchen. 99 Das Vikariat gab sich mit diesen Auskünften nicht zufrieden. Schwierigkeiten beim Vollzug des ehelichen Aktes waren nicht selten und ließen sich bei gutem Willen und mit Ablauf der Zeit häufig beheben. Deswegen legte es am 18. März 1754 dem Ehepaar Friedmann auf, einander "zu tisch und bedt" ehelich beizuwohnen und, falls sie nicht ehelich zusammenkommen könnten, sich bei einem erfahrenen Arzt Rat zu holen und dessen Medikamente fleißig einzunehmen, auch weitere geistliche Mittel, nötigenfalls Exorzismen zu gebrauchen. 1oo Dem Vikariat war offensichtlich bewußt, daß zum Gelingen der ehelichen Einigung nicht nur körperliche, sondern auch seelische Voraussetzungen erforderlich waren. Damit verschwindet der Fall aus den Akten. 9. In allen bisherigen Fällen wurde die (angebliche) Impotenz von einem oder bei den Gatten dem Vikariat angezeigt. Von Amtes wegen wurde niemals eingeschritten. Anders war es im folgenden Fall. Der Landdechant zu Bensheim, Georg Adam Castricius, übersandte dem Vikariat eine Anzeige wegen des Franz Lammert. Sie wurde vom Vikariat dem Dekan der Mainzer medizinischen Fakultät, Dr. Johann Christoph Vogel mann, mitgeteilt. Er wurde beauftragt, nötigenfalls mit Zuziehung eines Chirurgen die verlangte Inspektion vorzunehmen und dem Lammert das Ergebnis mitzuteilen. 101 Der Franz Lammert wurde nun von dem Dekan der Mainzer medizinischen Fakultät, Dr. Vogelmann, untersucht. Das Ergebnis wurde dem Landdechanten zu Bensheim übersandt, damit er es dem Lammert mitteile. 102 Das Urteil der Sachverständigen, jemand leide an ehelichem Unvermögen, war begreiflicherweise regelmäßig ein schwerer Schlag für den Betroffenen. So war es auch in diesem Fall. Der Pfarrer Castricius übersandte dem Vikariat seinen Bericht, wie der Lammert die Mitteilung aufgenommen habe. Das Vikariat war davon ungerührt und beschloß,

98

Handbuch des Bistums Limburg, S. 175 f.

99

DA Mainz 1 /045, S. 67 (4. März 1754).

100

DA Mainz 1 /045, S. 87 - 88 (18. März 1754).

101

DA Mainz 1/045, S. 25 (21. Januar 1754).

102

DA Mainz 1 /045, S. 30 (24. Januar 1754).

276

Georg May

es habe bei dem "parere" des Dr. Vogel mann sein Bewenden. 103 Doch der Lammert gab sich nicht zufrieden. Er legte eine neue Bittschrift vor. Daraufhin wurde er nach Mainz vorgeladen mit der Weisung, daß er das von den hiesigen Ärzten und dem Chirurgen aufgestellte und ihm mitgeteilte Visum repertum mitzubringen habe, zumal man es für nötig erachte, ihn durch "geschworne" nochmals besichtigen zu lassen. 104 Der Lammert wurde nun von Dr. Vogelmann und zwei Chirurgen erneut untersucht. Das Ergebnis war, daß das Vikariat entschied, es habe bei der anerkannten impotentia absoluta sein Bewenden. Der Bensheimer Dekan hatte das Ergebnis dem Lammert zu übermitteln. 105 In diesem Falle scheint es sich um einen unverheirateten Mann gehandelt zu haben. Denn es ist nirgendwo von Konsequenzen für eine etwa bestehende Ehe die Rede. Es sollte verhütet werden, daß der Mann sich eine Frau suchte und womöglich ein Verlöbnis einging, das - angesichts seiner Impotenz - nicht zur Eheschließung führen konnte. 10. Die Barbara Bär, geborene Knapp, übergab dem Vikariat die rechtliche Bitte, die Nichtigkeit ihrer Ehe mit dem Peter Bär, Müller zu Hambach lO6 , wegen geschlechtlichen Unvermögens festzustellen. Das Vikariat lud beide Teile vor. 107 Am festgesetzten Termin wurden die Parteien angehört. Das Gericht beauftragte den Stadtphysikus Dr. Johann Christoph Vogelmann oder bei dessen Verhinderung den Dr. Georg Karl Heilmann sowie den Barbierer Warnich (Warnig) mit der Untersuchung der Geschlechtsorgane des Peter Bär aus Hambach ratione impotentiae absolutae vel relativae und der Erstattung eines Gutachtens. 108 Die Ärzte machten sich mit gewohnter Geschwindigkeit an ihre Aufgabe. Als das Gutachten vorlag, ergab es sich, daß von Impotenz im Sinne des kirchlichen Ehehindernisses nicht die Rede sein konnte. Das Gericht wies daher die Eheleute Bär an, künftig als solche zu Tisch und Bett einander ehelich beizuwohnen, und trug der Maria Barbara Bär auf, "bey verlust ihrer ewigen seeligkeit ihre ehelichen pflichten besser als bis anhero zu beobachten". Dem Ortspfarrer wurde Kenntnis von der Sachlage gegeben. 109 Damit hatte die Sache ihren rechtlichen Abschluß gefunden; wie sie menschlich bewältigt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.

103

DA Mainz 1 /045, S. 39 (31. Januar 1754).

104

DA Mainz 1 /045, S. 327 (23. September 1754).

105

DA Mainz 1 /045, S. 369 (14. November 1754).

106

Handbuch der Diözese Mainz, S. 343 f.

107

DA Mainz 1 /047, S. 345 (19. August 1756).

108

DA Mainz 1 /047, S. 353 (26. August 1756).

109

DA Mainz 1 /047, S. 358 (30. August 1756).

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

277

11. Auch im folgenden Fall ging die Initiative zur Feststellung der Impotenz vom Seelsorger aus. Der Pfarrer von Sohren 11o, P. Theophilus OCarm, berichtete dem Vikariat, "dem Ansehen nach" seien die bei den Ehen des Heinrich Koch und der Elisabeth Katharina Lambi bzw. des Mathias Donsbach und der Katharina Schleich wegen Impotenz nichtig. Die Anzeige konnte nicht unbeachtet gelassen werden. Das Vikariat zitierte beide Paare. 111 Die Lambi beharrte auf der Meinung, ihr Mann sei impotent. Der Koch bestritt die Behauptung und erklärte, daß, wenn er die eheliche Pflicht verrichten wolle, seine Frau sich boshafter Weise dagegen setze und nicht einwillige. Die Frau wies wiederum diese Einlassung zurück. Sie einigten sich darauf, daß die Klägerin bereit sei, bei ihm zu wohnen, wenn er ihr die eheliche Pflicht nicht mehr zumuten wolle, und daß er dieses Verlangen nicht mehr stellen wolle. Das Vikariat beließ beide bei ihrem Anerbieten; ein jeglicher Teil solle "in separirtem Bedt" schlafen. Dem Pfarrer wurde Kenntnis von dieser Vereinbarung gegeben. ll2 Auf eine Entscheidung in der Sache wurde mithin verzichtet. Nach Anhörung der Katharina Schleich und des Mathias Donsbach beauftragte das Vikariat den Stadtphysikus Vogelmann, mit Zuziehung des Barbierers Warnig den Donsbach noch heute oder spätestens am nächsten Tage zu untersuchen. Die Ärzte sollten sehen, "ob die Testiculi nicht inwendig seyn könnten oder ob vestigia einer vorgewesenen incision, wodurch Testiculi herausgenommen, noch zu sehen" seien 113 , und darüber auch die Frau zu examinieren. Das Visum reperturn sei spätestens Mittwoch früh acht Uhr, "und zwar gratis propter paupertatem", einzuschicken. 114 Am 28. Juni 1758 übersandten Vogel mann und Wamig ihr Visum repertum. Daraufhin wurde die Ehe zwischen den beiden Personen "für null und nichtig erklärt" und ihnen nachdrücklich befohlen, voneinander getrennt zu leben; die Katharina Schleich wurde von dem Mathias Donsbach "loos und ledig ... gesprochen" und ihr erlaubt, eine andere Ehe einzugehen. Dem Pfarrer in Sohren ließ das Vikariat schreiben, daß er, wenn die beiden sich nicht voneinander trennten, das Brachium saeculare anzugehen habe. 115 Der Seelsorger hatte nun die undankbare Aufgabe, die Scheinehegatten zu einem Verhalten zu veranlassen, das dem ärztlichen Befund bzw. dem gerichtlichen Urteil ent110

Handbuch des Bistums Trier, S. 788 - 790.

111

DA Mainz 1 /049, S. 175 (12. Juni 1758).

112

DA Mainz 1 /049, S. 203 (26. Juni 1758).

11 3 Papst Sixtus V. forderte, daß Männern utroque teste carentes die Eheschließung untersagt werde; Ehen, die sie geschlossen hätten, seien ungültig (Schreiben an den päpstlichen Nuntius in Spanien vom 22. Juni 1587 bei Richter, Schulte, Canones et Decreta (Anm. 51), S. 555 f.). 114

DA Mainz 1 /049, S. 204 (26. Juni 1758).

115

DA Mainz 1 /049, S. 205 - 206 (28. Juni 1758).

278

Georg May

sprach. Der Pfarrer von Sohren übersandte einige Wochen darauf dem Vikariat seinen Bericht. Darin scheint bemerkt worden zu sein, daß sich die bei den nicht voneinander trennen wollten. Das Vikariat ließ es bei dem Dekret vom 28. Juni bewenden, forderte den Pfarrer auf, dafür zu sorgen, daß sie voneinander blieben, und erinnerte daran, daß er "allenfalls" die weltliche Obrigkeit um Vornahme der Separation zu ersuchen habe. 116 Es sollte also erforderlichenfalls die zwangsmäßige Trennung vorgenommen werden. 12. Im folgenden Fall handelt es sich wieder um ein Verfahren in zweiter Instanz. 1I7 Das Augsburger Gericht hatte am 17. Dezember 1782 ein Urteil in der Sache des Benedikt Guggenmoos in der Pfarrei Geretshausen und seiner Ehefrau Katharina gefällt. Der Mann hatte wohl auf Nichtigerklärung seiner Ehe wegen Impotenz der Frau geklagt, war aber abgewiesen worden. Nun legte er Berufung an das Mainzer Metropolitangericht ein. Was in dieser Sache erstaunt, ist die lange Frist von drei Jahren, die zwischen den Entscheidungen der beiden Instanzen verstrich. Die Stationen des Prozesses sind leider aus Mangel an Material nicht nachzuzeichnen. Das Metropolitangericht kam zu dem Urteil, die zwischen den beiden Personen eingegangene Ehe sei für gültig zu erklären, bis von dem Appellanten besser als bisher die Impotenz (impotentia respectiva) bewiesen werde, und die Trennung von Bett und Tisch habe nicht statt. 118 Auch in diesem Falle verlangte das Gericht von den Ehegatten, daß sie weiterhin versuchten sollten, wie rechte Eheleute zusammenzuleben. Bei gutem Willen und aus religiösen Motiven konnten auch schwierige eheliche Verhältnisse geheilt werden. 13. Die folgende Sache wurde vor der Cornmissio perpetua verhandelt, die damals als Gericht in Ehesachen fungierte. 119 Der Stephan und die Margaretha Becker aus Gonsenheim l20 waren fast drei Jahre verheiratet, und die Frau wollte nun die Ehe wegen angeblicher Impotenz des Mannes für ungültig erklärt haben. Der Beklagte gestand die Impotenz ein. Beide Gatten erklärten vor Gericht, daß sie sich alle Mühe gegeben und alle Mittel angewendet hätten, um die eheliche Beiwohnung zu vollziehen, doch habe es niemals geschehen können. Der Beklagte habe niemals eine "Empfindung", geschweige denn eine Erektion spüren lassen und den Samenfluß wahrgenommen. Zur künftigen Fastnacht seien es drei Jahre, daß sie kopuliert worden seien. Die Klägerin sei gleich am Anfang der Ehe etwa sieben Wochen krank und unlängst zehn Tage von ihrem 116

DA Mainz 1 /049, S. 250 (7. August 1758).

117

DA Mainz 1/621 Protocolla Judicii Metropolitici (mit Inskripten) 1785 - 1787.

118

DA Mainz 1/621, S. 256 - 258 (22. Dezember 1785).

119

DA Mainz 1/501 Protocolla Commissionis perpetuae 1770 - 1773.

120

Handbuch der Diözese Mainz, S. 109 f.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

279

Ehemann getrennt gewesen. Zwischen den Gatten bestand also ein Zerwürfnis, bei dem die körperliche Komponente der Ehe eine beträchtliche Rolle spielte. Das Gericht forderte von den bei den Personen die Vorlage der Taufscheine und des Kopulationsscheines. Einstweilen hätten sie nach wie vor als Eheleute einander beizuwohnen, um sich die eheliche Pflicht leisten zu können. Der Stadtphysikus Professor Dr. Joseph Franz Wenzel hatte mit einem geschworenen Chirurgen eine Untersuchung des Mannes "wegen der angegebenen Unvermögenheit" vorzunehmen. 121 Die beiden Becker erschienen bald erneut vor Gericht und legten die gewünschten Urkunden vor. Der Arzt Wenzel und der Chirurg Wernich (sic) überschickten ihren Untersuchungsbericht. Das Gericht gab sich damit noch nicht zufrieden, sondern ersuchte den Dr. Wenzel, die Margaretha Becker auf ihre virginitas zu untersuchen und die Behebung der Impotenz durch Medikamente ins Auge zu fassen, überhaupt die erzbischöfliche Gerichtsstelle in den Stand zu setzen, ein rechtlich einwandfreies Urteil ergehen zu lassen. 122 Die Sache komplizierte sich nun durch das Verhalten der bei den Personen. Der Becker verschloß nämlich seiner Ehefrau das Haus und beförderte ihr Ehebett in seines Bruders Haus, weil die Klägerin die erste Nacht, als sie die Klage bei dem Gericht erhoben hatte und der Beklagte zu ihr habe nach Hause gehen wollen, sich allen geschehenen Klagens ungeachtet "verschlossen gehalten" habe. Die Frau gestand ein, daß sie in dieser Nacht allein im Haus verblieben sei, weil sie das Klopfen des Beklagten nicht gehört habe. Der Beklagte und die Klägerin beharrten "simpliciter" auf ihren unterschiedlichen Angaben. Das Gericht befahl nun den Eheleuten Becker, sich sogleich wieder zu vereinigen und einander als christliche Eheleute beizuwohnen, und legte dem Mann auf, alles, was er aus dem Hause weggetragen habe, wieder zurückzubringen und friedlich mit seiner Frau zusammenzuleben, widrigenfalls die weltliche Obrigkeit pro executione angerufen werden solle. Das Gericht nahm dann das von dem Stadtphysikus Wenzel vorgelegte Promemoria zum Anlaß, die Klägerin zu vernehmen, ob sie etwas gegen die Untersuchung ihrer Jungfräulichkeit einzuwenden habe, worauf sie antwortete, auf ihrer Seite liege keine Impotenz vor, sondern auf der Seite ihres Mannes; dennoch wolle sie es geschehen lassen, daß sie von Mainzer vereidigten Hebammen untersucht werde, denen jedoch die strengste Verschwiegenheit auferlegt werden möge. Das Gericht faßte daraufhin den Beschluß, durch den Stadtphysikus zwei geschworene Hebammen auswählen zu lassen, weIche die erforderliche Fähigkeit besitzen, die exploratio virginitatis vorzunehmen, sie zur Vornahme der Untersuchung zu verpflichten und zur Verschwiegenheit anzuhalten, den Stephan Becker mit den erforderlichen Medikamenten zu versehen und sie durch den

121

DA Mainz 1 /501, S. 111 - 112 (9. Januar 1771).

122

DA Mainz 1 /501, S. 113 (l6.Januar 1771).

Georg May

280

Chirurgen Nunn in Gonsenheim dem Becker eingeben zu lassen, um des Gebrauches gewiß zu sein. 123 Wenig später erschien die Klägerin vor Gericht und zeigte an, daß ihr Mann sie mit Schlägen mißhandelt habe; sie bat um Abhilfe. Das Gericht forderte ihn auf, das Schlagen seiner Frau zu unterlassen, und verbot ihm, sie sonstwie schlecht zu behandeln, widrigenfalls die weltliche Obrigkeit angerufen werden würde, um ihn in die gehörigen Schranken zu weisen. Der Pfarrer Johann Lorenz Stoll in Gonsenheim wurde angewiesen, bei der ersten Übertretung des Beklagten die weltliche Obrigkeit zu requirieren. 124 Vor der Untersuchung, welche die Hebammen vornehmen sollten, traten unvorhergesehene, aus dem Protokoll nicht zu verifizierende Hindernisse ein, die aus zwei Berichten des Dr. Wenzel erhellten. Das Gericht bestand auf der vorgesehenen exploratio virginitatis durch die beiden Hebammen. 125 Die beiden vereidigten Hebammen Amalia Arnold und Theresia Flach aus Mainz erschienen vor der Commissio perpetua. Sie wurden an ihre Pflichten erinnert und gaben darauf Handtreue 126 an Eides Statt. Dann wurde ihnen auferlegt, innerhalb von acht Tagen über das Ergebnis der exploratio virginitatis Bericht zu erstatten. 127 Am 18. März 1771 erschien die Klägerin und zeigte an, daß die eine Hebamme Bedenken habe, in das Haus der zweiten zu gehen, wodurch die Untersuchung verzögert werde, und bat, eine andere zu benennen. Das Vikariat hatte nichts dagegen, eine andere Hebamme "zu diesem Geschäfte" zu nehmen. 128 Nach acht Tagen fanden sich die beiden Hebammen erneut vor der Commissio perpetua ein und gaben das Ergebnis ihrer Untersuchung bekannt. Sie müßten nach ihrem Gewissen pflichtmäßig bekennen, daß sie bei der Klägerin "die jungferschaft noch völlig und so befunden" hätten, "daß mit derselben noch von keinem Mannsbilde ein Beyschlaf könne ausgeübt worden seyn". Das Gericht bestellte daraufhin den Mainzer Stadtgerichtsassessor und Advokaten Dr. Friedrich Langen zum Defensor Matrimonii. Ihm seien die bisher erwachsenen Akten und Protokolle vorzulegen, damit er nach Einsichtnahme "eine statthafte Defensions-Schrift allenfalls zu verfertigen und solche in prima post ferias zu exhibiren" vermöge. 129 Das Drama um die Ehe der beiden Beckers nahm seinen Fortgang. Bei einem späteren Termin der Commissio perpetua stellte die Klägerin vor, daß der Beklagte sie schon eine Zeitlang nicht mehr

123

DA Mainz 1 /501, S. 115 - 117 (23. Januar 1771).

124

DA Mainz 1 /501, S. 120 (6. Februar 1771).

125

DA Mainz 1 /501, S. 121 (20. Februar 1771).

126

E. Kaufmann, Treue: HRG V, 1998, Sp. 320 - 338.

127

DA Mainz 1 /501, S. 127 (13. März 1771).

128

DA Mainz 1 /501, S. 127.

129

DA Mainz 1 /501, S. 128 (20. März 1771).

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

281

habe in seine Wohnung aufnehmen wollen, ja sein Haus "anderwärtig hin verlehnet" und sich zu seinen Geschwistern in Kost und Quartier begeben sowie ihr das Bettzeug und die Kleidung vorenthalten habe. Sie bat das Gericht, bis zu ausgemachter Sache ihr für die notwendige Nahrung etwas Sicheres ex officio zu bestimmen und den Beklagten zur Herausgabe des ihr vorenthaltenen Bettzeugs und der Kleidung anzuhalten. Das Gericht gab dem Antrag statt. Der Becker hatte ihr die Sachen zu überliefern und wöchentlich 40 Kreuzer zu reichen. Dem Pfarrer Stoll wurde die Aufsicht über die Erfüllung dieser Pflicht übertragen. Erforderlichenfalls hatte er die weltliche Obrigkeit pro executione zu requirieren. 13o Am 5. Juni 1771 lag der Schriftsatz des Dr. Langen vor. Das Gericht übermittelte ihn der Klägerin zur Nachricht oder zur "allenfallsigen Nothdurft" mit einer Frist von acht Tagen. 131 Der Beklagte übergab eine Gegenvorstellung zu den Leistungen, die ihm auferlegt worden waren. Das Gericht reichte sie der Klägerin weiter "zu Beobachtung ihrer Nothdurft", beharrte aber auf seinem Beschluß vom 29. Mai. Die Klägerin erschien und reichte die Schrift des Defensor Matrimonii zurück. 132 Wie es scheint, hatte sie keine Einwände. Am 4. Juli 1771 übergab die Klägerin die auferlegte "NothdurfftsBeobachtung". Sie wurde dem Beklagten überstellt. 133 Am 14. Juli 1771 hatte dieser seine Vorstellung eingereicht. Ihm waren die Pflichten, die das Gericht ihm gegenüber der Klägerin auferlegt hatte, offensichtlich zu schwer. Der Einwendung ungeachtet ließ es das Vikariat bei den am 29. Mai und 3. Juli ergangenen "Provisional-Decreten" bewenden. 134 Am 11. September 1771 übergab der Beklagte "nothdürfftige Anzeige". Das Vikariat überstellte sie der Klägerin zur Nachricht, beharrte aber auf seinen Verfügungen. 135 Als am 28. September 1771 eine erneute "Anzeige" des Beklagten vorlag, bestätigte die Comrnissio wiederum ihre ,,zwangs-Verfügung,,.I36 Am 30. Oktober 1771 erschien der Schwager des Beklagten, Philipp Brandmüller aus Gonsenheim, und erlegte die ihm angesetzten Sporteln und Dekretengelder zu 15 Gulden und bat, das Urteil zu "maturiren".137 Am 13. November 1771 zitierte das Gericht die Eheleute Becker erneut vor sich. Der Pfarrer Stoll in Gonsenheim hatte Verwandte, Nachbarn oder Einwohner beider Teile zu benennen, die über die Verhältnisse

130

DA Mainz 1 /501, S. 145 - 146 (29. Mai 1771).

131

DA Mainz 1 /501, S. 147 (5. Juni 1771).

132

DA Mainz 1 /501, S. 156 (3. Juli 1771).

133

DA Mainz 1 /501, S. 161 - 162.

134

DA Mainz 1/501, S. 169.

135

DA Mainz 1 /501, S. 187.

136

DA Mainz 1 /501, S. 194.

137

DA Mainz 1 /501, S. 203.

Georg May

282

der bei den Personen etwas wissen könnten. 138 Man war sich also über die Umstände der Eheführung der Beckers noch nicht völlig im klaren. Als die bei den Eheleute Becker am 20. November 1771 vor dem Gericht erschienen, wurde die Klägerin befragt, wer von ihren Verwandten Kenntnis von ihrer dermaligen Streitsache habe. Sie gab ihren Vater Lorenz Becker, Johann Becker, Georg Löhr, Jacob Wenz, Mathes Schmitt, Wigand Becker und Conrad Wenz an. Der Beklagte nannte Johannes Müller, Philipp Brandmüller, Joseph Becker (des Beklagten Vaters Bruder), Joseph Becker (des Beklagten Bruder), Jacob Datz, Joseph Becker (Unterschultheiß) und Michael Nunn. Wie leicht zu erkennen ist, benannte jede Seite sieben Zeugen. Es lag also die Vorbereitung des Siebenhändereides vor. Die beiden Parteien und sämtliche vorgeschlagenen Zeugen wurden nun vor Gericht geladen, und zwar die ersteren ad jurandum de veritate impotentiae, die letzteren de credulitate, daß sie nämlich dasjenige, was beide Teile in bezug auf die Impotenz angeben und beschwören, wahr zu sein glauben. Der Pfarrer Stoll hatte den bei den Teilen und den Zeugen zu erklären, was sie zu beschwören haben. 139 Die Pfarrer wurden in kirchlichen Prozessen häufig zu Dienstleistungen herangezogen. Zum festgesetzten Termin erschienen das Ehepaar Becker und alle benannten Zeugen vor Gericht und legten die genannten Eide wirklich persönlich ab. In Gegenwart ihrer aller und des für den Defensor Matrimonii Dr. Langen ex officio bestellten Pedells Lamby junior (der auch bei der Eidesleistung gegenwärtig gewesen war) sprach das Gericht sein Urteil in Sachen Margaretha Becker gegen Stephan Becker. Danach waren die bei den Eheleute quoad vinculum wegen Impotenz des Mannes zu scheiden. Der Beklagte hatte die Gerichts- und Prozeßkosten zu bezahlen. Der Pedell Lamby junior appellierte im Namen des Defensor Matrimonii ad plenum vicariatum und erbat Apostoli reverentiales. Das Gericht erkannte auf deren Ausstellung. Die Klägerin bat, ihr zu den vorläufig zugesprochenen Alimenten mittels Anrufung des weltlichen Arms "endlich" zu verhelfen. Das Gericht beauftragte den Pfarrer Stoll, die weltliche Obrigkeit in Gonsenheim zu ersuchen, der Klägerin zu den Alimenten behilflich zu sein. Dem Pfarrer war Kenntnis von dem Urteil zu geben. '4o Damit war der Fall nicht abgeschlossen. Am 5. Dezember 1771 schrieb das Generalvikariat dem Pfarrer Stoll, die Ehesache der Becker sei keineswegs beendigt; er habe der Margaretha Becker zu gestatten, bei den verheirateten Frauen - wie bisher - in der Kirche zu knien, und wenn ihr etwas in den Weg gelegt werde, an das Vikariat zu berichten. 141 Doch im folgenden Band der Protokolle des Vikariats taucht der Fall nicht 138

DA Mainz 1 /501, S. 210 (13. November 1771).

139

DA Mainz 1 /501, S. 216 - 217 (20. November 1771).

140

DA Mainz 1 /501, S. 222 - 224 (27. November 1771).

141

DA Mainz 1 /059, S. 542.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

283

mehr auf. Ein Verfahren vor der zweiten Instanz scheint nicht stattgefunden zu haben. 14. Der folgende Fall wurde vor der (neu eingerichteten) Behörde des Judicium Ecc1esiasticum et Sigilliferatus verhandelt. 142 Die Ehefrau Kienbacher wollte, wie der Pfarrer Adam Franz Kauth zu Frankfurt 143 dem Geistlichen Gericht und Siegelamt mitteilte, von ihrem Ehemann ob ejus impotentiam geschieden werden. Das Gericht beschied sie vor sich. l44 Der Pfarrer berichtete den Vollzug der Vorladung. 145 Nun ergab sich folgende Sachlage. Die Ehefrau Kienbacher bat um Ehescheidung quoad vinculum, weil ihr Mann "gantz unfähig" sei; er habe während ihres siebenjährigen Ehestandes die eheliche Pflicht nicht leisten können. Zum Beweis seiner "Untüchtigkeit" solle er durch bewährte Ärzte untersucht werden. Der Ehemann widersprach dem Vorbringen seiner Frau. Er sei zu dem Ehestand tüchtig und habe einmal erectionem membri virilis gehabt und intra vas suae uxoris seminiert, was er daher wisse, weil post copulam noch einige guttae seminis nachgekommen seien. Die Untersuchung seines Körpers, auf die seine Frau dränge, könne er geschehen lassen; daraus werde sich ergeben, daß die Behauptung seiner Frau unwahr sei. Die Klägerin beharrte auf ihrer Aussage. Sie könne es eidlich erweisen, daß der Beklagte "nimmer mit ihr copulam habe haben können". Er habe solche zwar öfters versucht und sich dabei "so abgearbeitet, daß er in dem schweiß sozusagen geschwommen" sei, habe aber nichts zustande bringen können, als daß "ein wenig helle wässerige Materie" von ihm ausgegangen sei. Die Richtigkeit ihrer Angabe werde sich bei der erbetenen ärztlichen Untersuchung erweisen. Das Gericht beauftragte den kurfürstlichen Hofrat und Leibarzt Franz Georg Ittner und den Hofgerichtsrat und Professor Johann Peter Weidemann, den Joseph Kienbacher daraufhin zu untersuchen, ob bei ihm eine impotentia antecedens et absoluta festzustellen sei. Die Untersuchung solle das Gericht in den Stand setzen, in der Ehescheidungssache ein Urteil abzugeben, ob beide voneinander etiam quoad vinculum zu scheiden seien. Den beiden Ärzten sei überlassen, ob sie einen Chirurgen und welchen sie bei der Exploration beiziehen wollten. Der Visitandus wohne bei dem hiesigen Rechtsprofessor Ignatz Wiese(n) hinter der Reichklarenkirche, wo die Untersuchung vorgenommen werden könne. 146 Am 26. Februar 1785 lag das Visum repertum der beiden Medizinprofessoren Ittner und Weidemann dem Gericht vor, und es gestattete dem Ehepaar Kienbacher

142

DA Mainz 1 /404 Protocolla Judicii Ecclesiastici et Sigilliferatus 1784 - 1785.

143

Handbuch des Bistums Limburg, S. 111 - 113.

144

DA Mainz 1 /404, S. 121 (29. Januar 1785).

145

DA Mainz 1 /404, S. 139 (16. Februar 1785).

146

DA Mainz 1 /404, S. 149 - 151 (19. Februar 1785).

Georg May

284

die Einsicht. 147 Das Gutachten kam offensichtlich nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis. Die dauernde vorhergehende Impotenz des Mannes konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die Nichtigerklärung der Ehe kam somit nicht in Frage, sondern lediglich die Trennung von Tisch und Bett. In der Folge drehte sich das Verfahren lediglich um den Lebensunterhalt der Frau. Der Prokurator der Klägerin Jakob Schlebusch übergab eine "Vorstellung", die dem Beklagten überstellt wurde. 148 Der Prokurator Johann Kaspar Diel antwortete im Namen des Beklagten mit einer Erklärung, die der Klägerin "zur weiteren Nothdurft" mitgeteilt wurde. 149 Am 16. April 1785 überreichte Schlebusch "vermüßigte Vorstellung", die wieder dem Beklagten zugänglich gemacht wurde. 150 Das Gericht erließ ein Dekret über die Verpflichtung des Beklagten, den Unterhalt der Klägerin sicherzustellen. Der Pfarrer Kauth übersandte den Bericht über die erfolgte Bekanntmachung des Dekrets vom 16. April. I51 Schlebusch bat ad dec1arandum ulteriorem (seil. terminum) zu "praefigiren". Das Gericht machte diesen Rezeß dem Beklagten zugänglich und legte ihm auf, dem Dekret vom 16. April innerhalb von acht Tagen "zu geleben".152 Der Beklagte übergab "gehorsamste Erklärung" und Bitte. Beides wurde der Klägerin mitgeteilt. 153 Am 11. Mai 1785 lag der vom Pfarrer Kauth angeforderte Bericht vor. 154 Schlebusch übergab eine weitere "Vorstellung". Sie wurde dem Pfarrer Kauth übersandt mit dem Auftrag, über die von dem Schwiegervater Kienbacher bewilligte Alimentation der Frau samt allen übrigen eingeräumten Bedingungen von demselben eine verbindliche Urkunde einzufordern. 155 Der Pfarrer Kauth kündigte das persönliche Erscheinen des Vaters des Beklagten im Gericht an. 156 Schließlich übersandte er doch eine von des Beklagten Vater ausgestellte "Versicherung". 157 Auf Zitation hin erschien die Klägerin. Man las ihr die erwähnte Versicherung vor, sie verlangte eine Kopie. Ihre Erklärung hatte sie binnen weniger Tage abzugeben. 158 Die Kläge147 DA Mainz 1 /404, S. 161. 148 DA Mainz 1 /404, S. 170 (2. März 1785). 149 DA Mainz 1 /404, S. 181 (9. März 1785). ISO

DA Mainz 1 /404, S. 222.

151 DA Mainz 152 DA Mainz 153 DA Mainz 154 DA Mainz 155 DA Mainz 156 DA Mainz 157 DA Mainz 158 DA Mainz

1 /404, S. 232 (23. April 1785). 1 /404, S. 237 (27. April 1785). 1 /404, S. 240 (30. April 1785). 1 /404, S. 241. 1 /404, S. 254 (25 . Mai 1785). 1 /404, S. 274 (4. Juni 1785). 1 /404, S. 281 (8. Juni 1785). 1 /404, S. 289 (11. Juni 1785).

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

285

rin übergab eine Vorstellung, die das Gericht dem Pfarrer Kauth zustellte, damit er sie dem Handelsmann Kienbacher zuleite. Er solle ihm bedeuten, daß man es von seiten des Gerichts gern sähe, wenn er sich dem billig scheinenden Antrag der Klägerin fügen wolle, zumal in dessen Versicherungs urkunde einige Punkte (besonders jener, daß sich die Klägerin bei ihren Anverwandten aufhalten solle) zu hart scheine. 159 Pfarrer Kauth übersandte bald einen nochmaligen Bericht, ein Promemoria des Kienbacher und eine neu formulierte Versicherungsurkunde. Diese wurde der Klägerin zu ihrer neuerlichen Erklärung übergeben. 160 Diese gab sich jetzt zufrieden, unterschrieb die Versicherungsurkunde und bat, nun die Trennung von Tisch und Bett vor sich gehen zu lassen. Das Gericht erkannte jetzt auf die "Ehescheidung von Tisch und Bette" und bestätigte die von dem Vater des Beklagten über den Unterhalt der Klägerin ausgestellte Versicherungsurkunde. 161 Als der Prokurator Schlebusch um einen Termin für das persönliche Erscheinen seiner Prinzipalin bat, wurde ihm "sein unschickliches Recessiren" (sic) verwiesen, da die Klägerin ihre Erklärung bereits persönlich abgegeben habe. 162 Damit war der Fall erledigt. 15. Auch die folgende Sache kam vor das ludicium Ecclesiasticum et Sigilliferatus. 163 Streitigkeiten zwischen Eheleuten waren häufig der Anlaß, daß der eine Teil den anderen des geschlechtlichen Unvermögens bezichtigte. Oft waren damit Auseinandersetzungen wegen des Unterhalts oder des Vermögens verknüpft. Der Kuratus Kapistran Steinmetz zu Spabrücken l64 berichtete, daß die Ehefrau des Ludwig Bartholome sich bereits öfters und jetzt abermals von ihrem Ehemann getrennt habe und sich außerhalb der Pfarrei aufhalte. Das Gericht zitierte beide Eheleute. 165 Der Kuratus meldete, daß der Beklagte erkrankt sei und darum nicht erscheinen könne. Doch die Klägerin fand sich ein und stellte vor, daß sie weiterhin bei dem Beklagten nicht bleiben könne, weil er und die in dem nämlichen Haus wohnenden Schwiegereltern sie "sehr hart gehalten, geschändet, geschlagen" und ihr "nicht satt zu essen gegeben" hätten und weil der Beklagte ihr nicht ehelich beiwohnen könne. Sie bat, von ihm abgesondert leben zu dürfen und dem Beklagten aufzuerlegen, ihr für die "Lebsucht" jährlich einen bestimmten Betrag zu geben. Dieser "Eintrag" wurde dem Kuratus Steinmetz mitgeteilt, um den Beklagten über die Umstände "ordentlich 159

DA Mainz 1 /404, S. 292 (15. Juni 1785).

160

DA Mainz 1 /404, S. 306 (22. Juni 1785).

161

DA Mainz 1 /404, S. 321 - 322 (2. Juli 1785).

162

DA Mainz 1 /404, S. 331 (6. Juli 1785).

163

DA Mainz 1 /406 Protocolla Judicii Ecc1esiastici et Sigilliferatus 1787.

164

Handbuch des Bistums Trier, S. 495 f.

165

DA Mainz 1 /406, S. 25 (24. Januar 1787).

286

Georg May

und deutlich" zu Protokoll zu vernehmen, und ihm auferlegt, das Protokoll einzusenden. Der Klägerin wurde gestattet, sich einstweilen bis auf weiteres bei ihrer Stiefmutter aufhalten zu dürfen. 166 Der Kuratus nahm die Vernehmung vor und sandte das Protokoll ein. 167 Die Klägerin bestellte den Diel zu ihrem Prokurator. Dieser bat das Gericht, den Beklagten post ferias sub poena juris und des wirklichen Eingeständnisses der Impotenz persönlich vorzuladen. Nun bestehe aber die Gefahr, daß der Beklagte die "Fruchtcrescenz", die auf den Äckern der Klägerin wachse, "spoliative" an sich bringe und die Klägerin "das leere Nachsehen" habe. Diese Früchte könnten aber nur mediante requisitione dieses Gerichtes sequestiert werden. Darum bat er, litterae requisitoriales an die weltliche Obrigkeit zu erlassen, daß nun die auf den Feldern der Klägerin stehenden Früchte "mit Kundschaft eingethan werden mögen".168 Dieser "Eintrag" wurde dem Beklagten mitgeteilt, und beide Teile wurden vorgeladen auf den 22. August. Der Kuratus hatte die Zitation bekannt zu machen. Er erhielt auch den Auftrag, namens des Gerichts die weltliche Behörde zu ersuchen, die auf den Feldern der Klägerin stehenden Früchte "mit Kundschaft einzuthun".169 Inzwischen kam der 22. August 1787 heran. Der Kuratus meldete, daß die Früchte in eine besondere Scheuer gebracht worden seien. 17o Beide Eheleute erschienen vor Gericht. Der Ehemann legte ein Parere des Oberamtsphysikus zu Stromberg 171 vor, wonach er ohne weiteres den ehelichen Beischlaf vollziehen könne, wie er ihn auch schon oft bei seiner Frau vollbracht habe. Daß sich daraus keine Nachkommenschaft ergeben habe, daran sei nicht er, sondern seine Frau schuld, weil sie während des Ehestandes "ihre weiblichen Umständen" nur dreimal gehabt habe und seit einem Jahre überhaupt nicht mehr habe. Ohne Frau könne er in seiner Haushaltung nicht bestehen. Er erbiete sich daher, von seinen Eltern wegzuziehen und dadurch viele Verdrießlichkeiten abzuschneiden sowie seine Frau "wohl und gut", wie es einer Frau gebührt, zu halten, ihr und dem Hauswesen vorzustehen und sie durch einen Arzt behandeln zu lassen. Er bat, die interimistische Separation wieder aufzuheben und seiner Frau zu befehlen, fernerhin mit ihm ehelich zu leben, auch die mit Kundschaft eingetanen Früchte ihm wieder einzuräumen. Die Ehefrau erklärte sich bereit, wiederum zu ihrem Manne zurückzukehren und mit ihm einig und friedsam zu leben, wenn er all das erfüllen wolle, was er zu Protokoll gegeben habe. Das

166

DA Mainz 1 /406, S. 39 - 40 (7. Februar 1787).

167

DA Mainz 1 /406, S. 55 (28. Februar 1787).

168

DA Mainz 1 /406, S. 181 (20. Juli 1787).

169

DA Mainz 1 /406, S. 181 - 182 (20. Juli 1787).

170 DA Mainz 1 /406, S. 213 (22. August 1787). 171

Handbuch des Bistums Trier, S. 496 f.

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

287

Gericht ließ es bei der beiderseitigen Erklärung bewenden und gab den Gatten heilsame Mahnungen mit auf den Weg. Dem Mann wurden alle Mißhandlungen der Frau schärfstens verboten, und bei den Eheleuten wurde auferlegt, fromm und christlich miteinander zu leben. Die weltliche Behörde war zu ersuchen, daß die mit Kundschaft ein getanen Früchte dem Ehemann wieder übergeben werden. 172 In diesem Falle lag anscheinend bei der Frau impotentia generandi vor, wogegen die potentia coeundi vorhanden war. Das Urteil konnte daher nicht auf Nichtigkeit der Ehe lauten. 16. An sich ist es Sache der Verlobten, zu entscheiden, ob sie miteinander die Ehe eingehen können und wollen. Wenn der zuständige Pfarrer aufgrund seiner Kenntnis der Personen die Befürchtung hegt, ein Brautteil sei zur Eingehung der Ehe nicht tauglich, kann er den Verlobten von seiner Besorgnis Kenntnis geben. 173 Schwerwiegende Gründe mögen es ihm in einem Einzelfall angeraten sein lassen, die Bischöfliche Behörde von seinen Bedenken zu unterrichten. Der Michael Lorenz aus Zeilsheim l74 und die Maria Hassemann aus Hattersheim l75 bestanden auf dem Vollzug ihres Eheversprechens, obwohl der Bräutigam nach Ansicht des Pfarrers Heinrich Phi li pp Embs zu Zeilsheim mit einer natürlichen und "ganz incurabeln" Impotenz behaftet war. Der Pfarrer wies ein Gutachten des Oberamtsphysikus Franz Jakob Schmitt vor, wonach der Bräutigam aus den in Vi so reperto angeführten Ursachen ganz sicher als "untauglich zur Generation" zu halten sei. Der Lorenz erklärte dagegen dem Gericht, er erachte sich ad generandum fähig und könne es auf eine weitere Untersuchung ankommen lassen; der Amtsphysikus zu Höchst Franz Jakob Schmitt sei ihm "nicht gut". Das Gericht ersuchte nun den Hofgerichtsrat und Professor Franz Anton Metternich in Mainz, den Lorenz auf dessen Kosten zu untersuchen, ob er zur Kindererzeugung fähig und in dieser Hinsicht sich zu verehelichen imstande sei. 176 Mettemich zog noch einen weiteren Arzt bei oder ein solcher wurde ihm vom Gericht zugesellt. Die Professoren Weidemann und Metternich übersandten alsbald ihr Visum reperturn; es stimmte mit jenem des Amtsphysikus Schmitt zu Höchst überein. So entschied das Gericht: Die nachgesuchte Vollziehung des Eheversprechens wurde untersagt. Der Pfarrer Embs zu Zeilsheim wurde angewiesen, die bei den Verlobten nicht zu kopulieren. 177 Das war eine harte Entscheidung, denn sie verlegte ihnen den Weg zur Ehe. Die

172

DA Mainz 1/406, S. 213 - 215 (22. August 1787).

173

Vgl. Schnitzer, Katholisches Eherecht (Anm. 1), S. 118.

174

Handbuch des Bistums Limburg, S. 141.

175

Handbuch des Bistums Limburg, S. 17 f.

176

DA Mainz 1 /406, S. 207 - 208 (18. August 1787).

177

DA Mainz 1 /406, S. 212 -213 (22. August 1787).

Georg May

288

beiden Verlobten gaben sich damit nicht zufrieden und kämpften weiter um ihre Verehelichung. Doch das Gericht beharrte darauf. 178 Der Lorenz ging nun den Kurfürsten persönlich an. Das Gericht blieb jedoch unbeirrt bei seiner Entscheidung. 179 Später übergaben die beiden Verlobten ,,zeugnisse ihres Wohlverhaltens". Der Bräutigam legte ein Visum reperturn von dem Vicedom-Amtschirurgen zu Aschaffenburg vor mit der Bitte, ihm die Kopulation zu gestatten. Das Gericht blieb davon ungerührt. 180 Der Mann ging nun das Vikariat (als zweite Instanz) an. Das Vikariat sandte dem Gericht die Vorstellung des Bräutigams mit Anlagen zu. Das Gericht machte seinerseits dem Vikariat sämtliche Akten zugänglich. 181 Das Verfahren ging dann weiter vor dem Mainzer Metropolitangericht. 182 Das Geistliche Gericht übersandte ihm die Akten. 183 Es bestand Personengleichheit zwischen dem Vikariat als Gericht zweiter Instanz und dem Metropolitangericht; der Unterschied lag darin, daß ursprünglich das Vikariat als zweite Instanz für erstinstanzliche Sachen aus der Diözese Mainz, das Metropolitangericht für solche aus den Suffraganbistümern zuständig war. Später kamen auch die erstinstanzlichen Sachen aus der Diözese Mainz vor das Metropolitangericht. Das Metropolitangericht faßte nun den Beschluß, sämtliche Akten der Mainzer medizinischen Fakultät zugänglich zu machen mit dem Ersuchen, praevia inspectione ihr Gutachten darüber zu erstatten, ob Lorenz ad copulam generationi aptam habilis sei. Der Pfarrer von Zeilsheim hatte ihm aufzugeben, sich beim Dekan der medizinischen Fakultät, Johann Peter Weidemann, zu melden. 184 Dies scheint geschehen zu sein. Damit nahm die Sache eine für die Verlobten günstige Wendung. Die medizinische Fakultät übersandte nach zwei Monaten das verlangte Gutachten. Daraufhin faßte das Metropolitangericht den Beschluß, der Pfarrer zu Zeilsheim dürfe die Bittsteller kopulieren. 185 Dauernde vorangehende Impotenz lag offensichtlich nicht vor. Das Metropolitangericht tagte in voller Besetzung: Provikar, Offizial, die Geistlichen Räte Schultheis, Schuhmann, Fiskal, Haerd, Koch, Chandelle, Becker, Schmeltzer, Krick, ScheideI, Franck, Kohlborn, dazu die Assessoren Bender und Seitz so-

178

DA Mainz 1 /406, S. 226 (29. August 1787).

179

DA Mainz 1 /406, S. 246 (19. September 1787).

180

DA Mainz 1 /406, S. 301 (14. November 1787).

181

DA Mainz 1/406, S. 357 (12. Dezember 1787).

182 DA

Mainz 1/621, S. 662 (6. Dezember 1787).

183

DA Mainz 1 /621, S. 669 (13. Dezember 1787).

184

DA Mainz 1 /621, S. 674 (20. Dezember 1787).

185

DA Mainz 1 /622, S. 41 (28. Februar 1788).

Das Ehehindernis der Impotenz in der Erzdiözese Mainz im 18. Jahrhundert

289

wie der Accessista Brack. Abwesend waren der Generalvikar und die Räte Heimes, Jung, Hober und Ladrone. 186

C. Schluß Man wird den gerichtlichen Behörden im Erzbistum Mainz in dem behandelten Zeitraum das Zeugnis ausstellen können, daß sie gewissenhaft und sorgfältig im Umgang mit dem Ehehindernis des geschlechtlichen Unvermögens verfuhren. Sie wußten, daß sie hier vor göttlichem Recht standen, das unbedingt zu respektieren war. Im Zweifel über das Vorliegen des Hindernisses wurde regelmäßig für den Bestand der Ehe entschieden. Ihre Auffassung von Impotenz entsprach dem Kenntnisstand und der Lehre im 18. Jahrhundert, die ungleiche Anforderungen an Mann und Frau stellten. Für die Feststellung des Sachverhalts bediente sich das Mainzer Vikariat stets der besten Ärzte, die ihm zur Verfügung standen, gewöhnlich Mitglieder der medizinischen Fakultät der Mainzer Universität oder Amtsärzte der Kommunen. Im Verfahrensrecht hielt man sich im allgemeinen an die normativen Vorgaben. Die archivalische Überlieferung ist lückenhaft. Doch scheint es, daß gelegentlich die eine oder andere Bestimmung unbeachtet blieb. Allerdings ist angesichts der Spärlichkeit des Materials regelmäßig nicht auszumachen, ob in einem Falle der förmliche kanonische Prozeß oder der Summarprozeß geführt wurde.

186

DA Mainz 1 /622, S. 37.

11. Die Kirche, ihre Lebensvollzüge und ihr Recht

Die Kirche - Institution oder vollkommene Gesellschaft? Von Ludger Müller A. Zweites Vatikanisches Konzil und "societas-perfecta-Lehre"

Nach allgemeiner Auffassung hat das Zweite Vatikanische Konzil und haben mit ihm die kirchlichen Gesetzbücher von 1983 und 1990 den Begriff der "societas perfecta" durch jenen der "communio" ersetzt,l der - wie Alfred Hierold einmal formuliert hat - "theologisch ungleich besser" als jener der societas "die Sichtbar-Unsichtbarkeit der ,una realitas complexa' Kirche zum Ausdruck bringen kann".2 Auf der anderen Seite hat jedoch Joseph List! schon in seiner Habilitationsschrift "Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft" die These vertreten: "Es bleibt somit festzustellen, daß das Zweite Vatikanische Konzil, ungeachtet der Tatsache, daß der Begriff ,societas perfecta' in Beziehung auf die Kirche keine Verwendung findet, dadurch, daß es die Anerkennung von Wesens verschiedenheit von Kirche und Staat und der Unabhängigkeit der beiden Gewalten sowie des Selbstbestimmungsrechts der 1 Vgl. Winfried Aymans, Die Kirche im Codex. Ekklesiologische Aspekte des neuen Gesetzbuches der lateinischen Kirche, in: ders., Kirchenrechtliche"Beiträge zur Ekklesiologie (Kanonistische Studien und Texte 42), Berlin 1995, S. 41 - 64, hier: S. 56; Oskar Saier, "Communio" in der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine rechtsbegriffliche Untersuchung (Münchener Theologische Studien. Kanonistische Abteilung 32), München 1973. Zur Auswirkung dieses Wandels auf die Gesetzbücher der katholischen Kirche vgl. noch Ludger Müller, Communio-Ekklesiologie und Societasperfecta-Lehre: zwei Quellen des kirchlichen Rechts?, in: Krönung oder Entwertung des Konzils? Das Verfassungsrecht der katholischen Kirche im Spiegel der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, hrsg. von Sabine Demel und Ludger Müller, Trier 2007, S. 265 - 293.

2 Alfred E. Hierold, Inhaltliche Perspektiven des Verfassungsrechtes des revidierten kirchlichen Gesetzbuches, in: AfkKR 152 (1983), S. 349 - 368, hier: S. 352; vgl. auch ders., Das kanonische Recht in der communio-Struktur der Kirche, in: Salus animarum suprema lex. Festschrift für Offizial Max Hopfner zum 70. Geburtstag, hrsg. von Ulrich Kaiser, Ronny Raith und Peter Stockmann, Frankfurt am Main 2006 (Adnotationes in lus Canonicum 38), S. 185 - 194.

294

Ludger Müller

Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten zur Voraussetzung und zur unverziehtbaren Grundlage der Beziehungen von Kirche und Staat erklärt, unverändert am Wesensgehalt der Aussagen der societas-perfecta-Lehre festhält. •.3 An dieser Auffassung hat List! auch später unverändert festgehalten. 4 Entsprechend der Auffassung von Listl ist also auch nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils daran festzuhalten, daß die Kirche als eine volIkommene GeselIschaft anzusehen ist, also als eine von jeder anderen GeselIschaft unabhängige, d. h. autonome Gemeinschaft, die ein Ziel verfolgt, das in seiner Art das höchste ist, und die über alIe zum Erreichen dieses Ziels erforderlichen Mittel verfügt. 5 Dieser Charakter der Kirche zeigt sich nach Listl insbesondere in den folgenden Aspekten: - Die Anerkennung der Religionsfreiheit in der bürgerlichen GeselIschaft bedeutet nach der Erklärung über die Religionsfreiheit ,,Dignitatis humanae" keineswegs einen Verzicht auf den Anspruch der katholischen Kirche, die einzige Kirche Jesu Christi zu sein und die wahre Religion zu verkündigen. 6 - Das Zweite Vatikanische Konzil hat "den fundamentalen Wesensunterschied zwischen der Kirche und dem ... Staat nachdrücklich" hervorgehoben. 7 - Es hat schließlich ebenso wie die societas-perfecta-Lehre die Eigenrechtsmacht der Kirche, ihre "Eigenständigkeit gegenüber der staatlichen Gewalt und die gegenseitige Unabhängigkeit von politischer Gewalt und Kirche"g hochgehalten. Die These von der Weitergeltung der societas-perfecta-Lehre auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird weithin klar abgelehnt, so auch von Eugenio Corecco und Libero Gerosa, die in einigen ihrer Veröffentlichungen Bezug nehmen auf eine ähnlich wirkende juristische Lehre, die jedoch nicht den Be-

3 Joseph Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, Berlin 1978 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 7), S. 224. 4 Vgl. Joseph Listl, Aufgabe und Bedeutung der kanonistischen Teildisziplin des lus Publicum Ecclesiasticum. Die Lehre der katholischen Kirche zum Verhältnis von Kirche und Staat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat. Schriften zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, hrsg. von Josef Isensee und Wolfgang Rüfner i. V. m. Wilhelm Rees, Zweiter Halbbd., Berlin 1996 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen 25,2), S. 989 - 1031, hier bes. S. 999 (Erstveröffentlichung 1991); vgl. auch ders., Die Aussagen des Codex luris Canonici vom 25. Januar 1983 zum Verhältnis von Kirche und Staat, ebd. S. 1032 - 1058, hier bes. S. 1036 - 1039. 5

Vgl. hierzu z. B. Listl, Kirche und Staat (Anm. 3), S. 179.

6

V gl. ebd. S. 220 mit Berufung auf DH 1.

7

Ebd. S. 221.

8

Ebd. S. 222.

Die Kirche - Institution oder vollkommene Gesellschaft?

295

griff der societas, sondern jenen der Institution in den Mittelpunkt der Argumentation stellt, auf die institutionelle Rechtslehre. 9 Was ist die "institutionelle Rechtslehre" und was kann sie in kanonistischer Hinsicht leisten? Kann sie in einer kanonistischen Theorie, die vom "communio"-Gedanken ausgeht, die rechtsphilosophische Grundlage bieten, die bislang in der "societas-perfectaLehre" gesucht wurde?

B. Grundzüge der institutionellen Rechtslehre

Mit dem Titel "institutionelle Rechtslehre" wird eine Theorie bezeichnet, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist und von verschiedenen Juristen vertreten wurde. Hierzu zählen vor allem der französische Verwaltungsrechtler Maurice Hauriou (l856 - 1929) und der italienische Professor für öffentliches Recht Santi Romano (l875 - 1947). Daneben hat auch eine Vielzahl anderer Juristen eine ähnliche Auffassung vertreten. Ausdrücklich genannt werden müssen vor allem Georges Renard, "der bedeutendste Schüler und Fortsetzer Haurious",10 und der nicht unumstrittene deutsche Jurist Carl Schrnitt, der mit seinem "konkreten Ordnungsdenken" an die Lehre Santi Romanos von der Rechtsordnung angeknüpft hat. 11 Die Lehre von Carl Schmitt hatte wiederum Einfluß auf das Denken der katholischen Kanonisten Hans Barion und Joseph Klein, welche für die Diskussion über die Grundlagen des kanonischen Rechts

9 Vgl. Eugenio Corecco, Istituzione e carisma in riferimento alle strutture associative, in: Das konsoziative Element in der Kirche. Akten des VI. Internationalen Kongresses für kanonisches Recht, München, 14. - 19. September 1987, hrsg. von Winfried Aymans, Karl-Theodor Geringer, Heribert Schmitz, St. Ottilien 1987, S. 79 - 98, hier: S. 81 f.; Libero Gerosa, Charisma und Recht. Kirchenrechtliche Überlegungen zum "Urcharisma" der neuen Vereinigungsformen in der Kirche, Einsiedeln - Trier 1989 (Sammlung Horizonte N.F. 27), S. 127 f. Diese Lehre ziehen Corecco und Gerosa vor allem heran, um die besondere Bedeutung des Charismas hervorzuheben, das der kirchlichen Konstitution angehöre, nicht aber als institutionelles Element der kirchlichen Verfassung zu bezeichnen sei. IO Vgl. Ota Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik. Grundprobleme der Rechtstheorie und Sozialphilosophie, Stuttgart 1987, S. 162; zur Lehre von Renard vgl. ebd. S. 162 - 164.

II Vgl. zu diesem besonders Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied - Berlin 1964 (Politica. Abhandlungen und Texte zur politischen Wissenschaft 19); Die eigentliche katholische Verschärfung ... Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, hrsg. von Bernd Wacker, München 1994.

296

Ludger Müller

zur Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils und in der Nachkonzilszeit von erheblicher Bedeutung waren. 12 Das Kennzeichen einer "institutionellen Rechtslehre" ist im wesentlichen schon dieser Bezeichnung selbst zu entnehmen: Es geht um eine Rechtslehre, die vom Begriff der Institution ausgeht. Die Institution stellt die "Quelle der Rechtsnormen" dar; sie ist ein ideales Gebilde, das auf Relationen zwischen "real existierenden" Personen aufbaut. 13 Ebenso wie bei Corecco und Gerosa soll auch hier die Institutionenlehre in der Art und Weise herangezogen werden, wie sie der italienische Jurist Santi Romano vertreten hat. Romano hat seine Lehre zwar weitgehend unabhängig von den französischen Vertretern eines institutionellen Rechtsdenkens, aber in Kenntnis ihrer Schriften entwickelt. Seine Schriften sind zum einen deshalb heranzuziehen, weil er das institutionelle Rechtsdenken am weitesten entwikkelt hat. 14 Zum anderen hat der von Romano entwickelte Rechtsbegriff den Vorteil einer großen Offenheit. Im Unterschied zu ihm geht z. B. Maurice Hauriou von einem im Blick auf staatliches Recht entwickelten Rechtsbegriff aus,15 weswegen es problematisch ist, diesen Rechtsbegriff auf das kanonische Recht anzuwenden. Santi Romano dagegen vertritt eindeutig die Ansicht, es sei kei-

12 Vgl. die Hinweise bei Peter Krämer, Theologische Grundlegung des kirchlichen Rechts. Die rechtstheologische Auseinandersetzung zwischen Hans Barion und Joseph Klein im Licht des 11. Vatikanischen Konzils, Trier 1977 (Trierer Theologische Studien 33), S. 28 (zu Klein) und S. 86, Anm. 162 (zu Barion); zu letzterem ausführlicher: Marietherese Kleinwächter, Das System des göttlichen Kirchenrechts. Der Beitrag des Kanonisten Hans Barion (1899 - 1973) zur Diskussion über Grundlegung und Grenzen des kanonischen Rechts, Würzburg 1996 (forschungen zur kirchenrechtswissenschaft 26), S. 52 - 90; Thomas Marschler, Kirchenrecht im Bannkreis Carl Schmitts. Hans Barion vor und nach 1945, Bonn 2004, wo die Bedeutung von Santi Romano für das Denken von Hans Barion (und Carl Schmitt) allerdings nicht herausgearbeitet wurde.

13 Ähnlich, in wichtigen Aspekten aber abweichend: Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik (Anm. 10), S. 159. 14 So auch Riccardo Monaco, Solidarismus und Institutionentheorie in der Lehre vom Völkerrecht, in: Institution und Recht, hrsg. von Roman Schnur, Darmstadt 1968 (Wege der Forschung 172), S. 73 - 98, hier: S. 97.

15 Vgl. Maurice Hauriou, Sozialordnung, Gerechtigkeit und Recht, in: ders., Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1965 (Schriften zur Rechtstheorie 5), S. 67 - 95, hier: S. 91. Für das Recht ist nach Hauriou "die Rechtsschöpfung durch eine politische Macht kraft einer gewissen Autonomie" notwendig (Maurice Hauriou, Macht, Ordnung, Freiheit und die Verirrungen der objektivistischen Systeme, ebd. S. 96 - 110, hier: S. 98).

Die Kirche - Institution oder vollkommene Gesellschaft?

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neswegs begriffsnotwendig, daß das Recht vom Staat ausgeht. 16 Auch das legt es nahe, bei der Behandlung des institutionellen Rechtsdenkens aus kanonistischer Perspektive in erster Linie das Werk von Santi Romano zugrundezulegen. I. Der Ursprung des Rechtsbegriffs

Die institutionelle Rechtslehre sieht sich in der Spannung zwischen Objektivismus und Subjektivismus. Nach einer subjektivistischen Rechtsauffassung wird die Person, d. h. die Rechtsfähigkeit des Subjekts, als entscheidender Ausgangspunkt zur Begründung einer Rechtsordnung aufgefaßt. Der Ausgangspunkt zur Erfassung des Rechtsbegriffs ist in dieser Auffassung der Rechtsanspruch, das subjektive Recht. Die Rechtsordnung erscheint so konsequenterweise als das Gesamt der Rechtsansprüche der einzelnen Subjekte bzw. als ein System, in dem diese subjektiven Rechte zum Ausgleich gebracht werden. In einer objektivistischen Rechtslehre wird dagegen umgekehrt die soziale Umwelt als Ursprung jeder rechtlichen Ordnung angesehen, was eine vorrangige Bedeutung der Rechtsnorm mit sich bringt. 17 Das institutionelle Rechtsdenken versteht sich im Unterschied zu den soeben dargestellten Ansätzen als ein Weg, der beide Extreme, individuellen Subjektivismus ebenso wie sozialen Objektivismus, überwinden kann. Weder ein Rechtsbegriff, der vom Gedanken des Rechtsanspruchs des Einzelnen ausgeht, der also dem subjektiven Recht die erste Stelle einräumt, noch ein Rechtsbegriff, der in erster Linie das Recht mit der Norm identifiziert, also ein objektivistisches Rechtsdenken, kann als ausreichende Grundlage einer Rechtstheorie angesehen werden. Das Wesen des Rechts kann nur gefunden werden, wenn man das Recht mit den Worten Santi Romanos: die Rechtsordnung - als eine ursprüngliche Einheit auffaßt. 18 Hieraus ergibt sich klar die Unmöglichkeit, von den einzelnen Rechtsnormen auszugehen, um das Wesen des Rechts zu erfassen. Das wäre identisch mit der Definition der Rechtsordnung als "Gesamtheit ihrer Teile",19 was - um es vorsichtig zu sagen - eine inhaltsarme Aussage wäre. Es wäre aber 16 Vgl. Santi Romano, Die Rechtsordnung, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1975 (Schriften zur Rechtstheorie 44), S. 92. 17 Vgl. Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung, in: ders., Die Theorie der Institution (Anm. 15), S. 27 - 66, hier: S. 29 - 32; vgl. Wolfgang Fikentscher, Maurice Hauriou und die institutionelle Rechtslehre, in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen. Festschrift für Ludwig Raiser zum 70. Geburtstag, hrsg. von Fritz Baur, Tübingen 1974, S. 559 - 575, hier: S. 562 f.

18 Vgl. Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 22. 19 Ebd. S. 20.

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aus mehreren Gründen wenig hilfreich, wenn die Rechtsordnung als die Summe der einzelnen Rechtsnormen definiert würde. Zum einen würde sich in diesem Fall die Frage stellen, was denn nun die einzelnen Normen zu "Rechtsnormen" macht - die Zugehörigkeit zur Rechtsordnung kann hier nicht genannt werden, da ja sonst ein Zirkelschluß vorläge. 2o Zum anderen liegt der Verdacht nahe, daß es hierbei nicht um den Normbegrijfin seiner Abstraktion von allen Normgehalten geht, sondern daß mit der Formulierung "Inbegriff der Normen" der Inhalt der jeweiligen Rechtsordnung gemeint ist. Schon das Faktum, daß zur Umschreibung des Begriffs des Rechts auf die Formulierung "Inbegriff', "Summe" oder "Gesamtheit" der Normen zurückgegriffen wird, zeigt daher, daß der Rechtsbegriff, also sozusagen das Wesen der Rechtsordnung "an sich", auf diese Art und Weise nicht erfaßt werden kann. Der Rechtsbegriff ist sicher nicht die Summe der Normgehalte. Der Rechtsbegriff kann aber auch nicht zutreffend abgeleitet werden, wenn man vom Begriff des subjektiven Rechts, des Rechtsanspruchs, des Rechtsverhältnisses zwischen zwei Personen ausgeht. Auf diese Weise kann ebenfalls keine einheitliche Auffassung vom Recht erreicht werden, denn das Rechtsverhältnis setzt wenigstens "zwei Pole als Bezugspunkte" voraus. "Das Rechtsverhältnis stellt somit keine selbständige eigene Einheit dar, sondern eine Beziehung zwischen verschiedenen Einheiten. ,,21 Die Rechtsordnung ist nach Santi Romano vielmehr ein ursprüngliches Ganzes, "eine komplexe Ordnung, ein organisches Ganzes, das objektiv besteht und das Normen hervorbringt, welche die Bewegung dieses organischen Systems regulieren.,,22 Das heißt: Die Rechtsordnung besteht vor der Norm. "Noch bevor es [das Recht] Norm wird, noch bevor es sich auf einzelnes oder eine Reihe von Lebensverhältnissen bezieht, ist es Organisation, Struktur und Grundlage eben jener Gesellschaft, in der es sich verwirklicht und die es seinerseits als ein autonomes Gebilde, als Einheit konstituiert. ,.23 Dieses objektiv bestehende ursprüngliche Ganze nennt Romano die Institution. Recht ist somit nicht die Summe der einzelnen Normen und ebensowenig das Verhältnis der einzelnen Rechtssubjekte und ihrer Ansprüche zueinander.

20 Auch nach Maurice Hauriou kann die Norm nicht als Ursprung des Rechts angesehen werden, denn Rechtsnormen sind nicht schöpferisch, sondern beschränkend; sie können deshalb nur eine sekundäre Rolle im Rechtssystem einnehmen (vgl. Hauriou, Die Theorie der Institution [Anm. 15], S. 65; Fikentscher, Maurice Hauriou [Anm. 17], S. 564 f.). 21

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 61.

22

Weinberger, Recht, Institution und Rechtspolitik (Anm. 10), S. 164.

23

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 32.

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Recht ist vielmehr die Ordnung selbst, die in einer Gemeinschaft herrscht, also die verbindliche Ordnung (in) einer Gemeinschaft. Diese Rechtsordnung identifiziert Santi Romano mit der Institution: "Jede Rechtsordnung ist Institution, und, umgekehrt, jede Institution ist Rechtsordnung: die Gleichung zwischen beiden Begriffen ist notwendig und absolut. ,,24 In der Identifikation von Institution und Rechtsordnung liegt das Charakteristikum der Lehre Romanos?5 Die hier verwendeten Begriffe ermöglichen ein weites Verständnis, insbesondere der Begriff der Institution, der sich - wie Romano selbst bemerkt "für die verschiedenartigsten Verständnis möglichkeiten geradezu anbietet". 26 Das bringt allerdings die Gefahr einer Ausdehnung des Rechtsbegriffs bis zur Konturlosigkeit mit sich. Eine solche exzessive Ausweitung der Auffassung Romanos kritisiert der italienische Jurist Massimo Severo Giannini mit folgenden Worten: "Man riskiert, an jeder Straßenecke Rechtsordnungen zu finden, beispielsweise Rechtsordnungen der zufälligen Gemeinschaft der Passagiere eines Bootes oder der Teilnehmer an einer Rock-and-Roll-Veranstaltung, nur deshalb, weil die technischen Erfordernisse des Verkehrsmittels oder die besondere Art der Veranstaltung die Beachtung von Regeln auferlegen, die von Personen außerhalb einer solchen Situation sicher nicht befolgt werden.'.27 Daher muß die Frage gestellt werden, welche Gemeinschaft überhaupt eine Rechtsordnung haben kann oder - anders gesagt - was genau Santi Romano unter einer Institution versteht. 11. Recht, Gesellschaft, Institution

Nach der Auffassung von Santi Romano gibt es eine notwendige Bindung von Recht an irgendeine Gesellschaft. Genauer gesagt gilt diese Beziehung in zwei Richtungen: "was die rein individuelle Sphäre nicht verläßt, was über das Leben des einzelnen nicht hinausgeht, das ist nicht Recht (ubi ius ibi societas); zum andern gibt es keine Gesellschaft im echten Sinn, ohne daß sich in ihr das Phänomen Recht manifestierte (ubi societas ibi ius).,,28 Offensichtlich hat Ro-

24 Ebd. 25 Vgl. auch Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. I: Frühe und religiöse Rechte - Romanischer Rechtskreis, Tübingen 1975, S.520. 26

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 32.

Massimo Severo Giannini, Gli elementi degli ordinamenti giuridici, in: Rivista trimestrale di diritto pubblico 8 (1958), S. 221. 27

28

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 30 f.

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mano hier aber einen bestimmten Begriff von Gesellschaft im Auge; er spricht von der "Gesellschaft im echten Sinn". Diesen Begriff erläutert er im unmittelbaren Anschluß an den soeben zitierten Satz in folgender Art und Weise: "Freilich setzt jener letzte Satz einen Begriff von Gesellschaft voraus, der an dieser Stelle unbedingt klargestellt werden muß: Unter Gesellschaft ist nicht nur irgendeine, jedes rechtlichen Elements ermangelnde Beziehung zwischen verschiedenen Individuen zu verstehen - beispielsweise Freundschaft -, sondern ein Ganzes, das vor allem auch formal und vom äußeren Erscheinungsbild her eine eigene konkrete Einheit bildet, die sich von den von ihr umfaßten Individuen unterscheidet. Dabei muß es sich um eine in der Wirklichkeit bereits verfaßte Einheit handeln. Um dazu nur ein Beispiel anzuführen: die Angehörigen einer Klasse oder Schicht, die als solche nicht organisiert ist, bilden keine Gesellschaft im eigentlichen Sinne,,29. Den Begriff der Institution umreißt er zunächst mit knappen Worten: "Unter Institution verstehen wir jedes konkrete soziale Etwas, jede reale soziale Erscheinung. ,,30 Diese Aussage empfindet er selbst aber offensichtlich als so weit, daß er an die soeben zitierte Kurzdefinition einen "etwas längeren Kommentar" anschließt. Hiernach sind als wesentliche Merkmale der Institution anzusehen: 1. 2. 3. 4.

ihre objektive, reale Existenz, die Gesellschaftsbezogenheit, die eigene Individualität der Institution und ihre Dauerhaftigkeit?

Was eine Realität zur Institution macht, wird aus dem folgenden definitionsähnlichen Satz deutlich: "Die Institution ist eine feste, auf Dauer angelegte Einheit, die ihre Identität grundsätzlich auch dann nicht verliert, wenn sich ihre einzelnen Elemente ändern - ihre Mitglieder beispielsweise, ihr Vermögen, ihre Mittel, ihre Ziele, die von ihr Begünstigten, ihre Normen usw. Sie kann sich auch erneuern und bleibt doch sie selbst, bewahrt ihre eigene Individualität. Und daraus ergibt sich die Möglichkeit, sie als eigenständig zu betrachten und sie nicht etwa mit dem zu identifizieren, woraus sie entsteht. ,,32 Das heißt: Gesellschaft im strengen Sinn, also Institution, ist eine Organisation, der eine dauerhafte, individuelle und objektive Existenz zukommt. Auf diese Weise sind zufällige menschliche Vergemeinschaftungen aus dem Kreis der Institutionen,

29

Ebd. S. 31.

30 Ebd. S. 38. Zum Begriff der Institution bei Hauriou vgl. Fikentscher, Maurice Hauriou (Anm. 17), S. 567 - 569. 3\

Vgl. Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 38 - 41.

32

Ebd. S. 41, zitiert bei Corecco, Istituzione e carisma (Anm. 9), S. 81.

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d. h. der Rechtsordnungen, herausgenommen. Das gilt auch für die von Giannini genannten Beispiele der Passagiere eines Bootes oder der Teilnehmer an einer Rock-and-RolI-Veranstaltung: 33 Beide zufälligen Vergemeinschaftungen stellen keine Institution dar, weil ihnen keine dauerhafte, individuelle und objektive Existenz zukommt. 34 Ein grundsätzliches Anliegen Romanos liegt darin, jeder Engführung zu entgehen und die Begriffe "Recht", "Institution", "Rechtsordnung" und "Gesellschaft" möglichst weit zu fassen. Deshalb lehnt er auch die von Rudolph Sohm vertretene Ansicht ab, daß nur eine "sittlich notwendige Gesellschaft" in der Lage sei, Recht hervorzubringen. 35 Als Argument dagegen macht Romano geltend: "Auf diese Weise würde die Existenz des positiven Rechts von einem außerrechtlichen Kriterium abhängig gemacht, das sich an der Ethik zu orientieren hätte. ,,36 Diese Bemerkung kann als Beleg dafür angesehen werden, daß Santi Romano eine Verbindung zwischen Recht und Moral und vor allem eine Abhängigkeit des Rechts von der Moral ablehnt und insofern eher einer positivistischen Grundhaltung nahe zu stehen scheint. Es fragt sich aber, ob Romano wirklich den Gedanken von Sohm zutreffend erfaßt hat. Hat die Formulierung von der "sittlich notwendigen" Existenz des Staates überhaupt etwas mit Moral zu tun? Wird hier nicht der Begriff der sittlichen Notwendigkeit in Gegenüberstellung zur physischen Notwendigkeit verstanden? Physisch notwendig scheinen weder Staat noch Kirche zu sein; man kann wohl auch - zumindest eine Zeit lang - existieren ohne Zugehörigkeit zu einer solchen "vollkommenen

33

Vgl. die Kritik von Giannini; s. oben S. 299 mit Anm. 27.

Wenn daher von Cesarini Sforza und Guido Fasso der Einwand einer mangelnden Bestimmtheit des Institutions-Begriffs bei Santi Romano vorgebracht wird, der dazu führe, daß selbst die Menschenschlange vor einem Schalter als Institution anzusehen sei, muß - trotz der eher ausweichenden Antwort, die Romano selbst gibt (vgl. ebd. S. 38, Anm. 29b) - darauf hingewiesen werden, daß auch eine solche Gemeinschaft nicht dem Kriterium der Dauerhaftigkeit, der individuellen und objektiven Existenz entspricht, mithin auch nicht als Institution mit einer eigenen Rechtsordnung anzusehen ist. Unbefriedigend ist auch die Auseinandersetzung von Maximilian Fuchs mit diesen Einwänden; vgl. Maximilian Fuchs, Die Allgemeine Rechtstheorie Santi Romanos, Berlin 1979 (Schriften zur Rechtstheorie 86), S. 133 f. 34

35 Vgl. Romano, ebd. S. 107. Romano zitiert hier Rudolph Sohm, Weltliches und geistliches Recht. Sonderabdruck aus der Festgabe der Leipziger luristenfakultät für Dr. Karl Binding, München - Leipzig 1914, S. 10 f., jetzt abgedruckt in: ders., Staat und Kirche als Ordnung von Macht und Geist. Ausgewählte Texte zum Verhältnis von Staat und Kirche, hrsg. von Hans-Martin Pawlowski, Freiburg - Berlin 1996, S. 142 - 215, hier: S. 148 f.

36

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 108.

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Gesellschaft". Kann ein Mensch aber auch auf diese Weise dauerhaft seine Existenz verwirklichen? Ist der Mensch nicht "sittlich notwendig" auf Gemeinschaft angewiesen? Wenn man diese Fragen zu bejahen hätte, ergäbe sich daraus jedoch noch nicht die "Abhängigkeit des Rechts von einem außerrechtlichen Kriterium, das sich an der Moral zu orientieren hätte", wie Romano allerdings formuliert. Eine Einschränkung des Begriffs der Institution auf solche Organisationen, die eine gewisse Vollkommenheit erreicht haben, lehnt Santi Romano ausdrücklich ab. Diese bei Maurice Hauriou festgestellte Auffassung führt er ebenso wie andere Begriffsmerkmale der Institution, die er bei ihm findet, - nämlich: repräsentative Organisation, Garantie politischer Freiheit für die Mitglieder, eine Art von Gewaltenteilung, Hinausgehen über den privaten Bereich und verfassungsmäßige Satzung - darauf zurück, daß sich Hauriou vom Bild des modernen Staates habe leiten lassen. 37 Es geht beim Begriff der Institution jedoch darum, eine "ganz allgemeine Figur" zu entwerfen, "deren konkretes Erscheinungsbild in der Wirklichkeit unendlich viele Formen annehmen kann. ,,38 Angesichts dieser Aussage zeigt sich, daß der Begriff der Institution keineswegs deckungsgleich ist mit jenem der "societas perfecta" nach der Lehre der kanonistischen Schule des lus Publicum Ecclesiasticum - und dies, obwohl Santi Romano ebenso wie diese Schule den Grundsatz "ubi societas ibi ius" als (zumindest zum Teil) zutreffend ansieht. Nicht nur eine rechtlich vollkommene, also eine souveräne Gesellschaft ist Urheber einer eigenen Rechtsordnung; vielmehr ist jede feste, auf Dauer angelegte und durch eine eigene Individualität charakterisierte soziale Einheit zugleich eine Rechtsordnung. Hierbei ist es unerheblich, ob diese Institution souverän ist oder nicht. Nach dem lus Publicum Ecclesiasticum ist dagegen die Souveränität ein notwendiges Merkmal jeder solchen Gesellschaft Ueder "societas iuridice perfecta"), die über eine eigene Rechtsordnung verfügt. Hier liegt also eine im Vergleich mit der institutionellen Rechtslehre engere Konzeption der societas-perfecta-Lehre vor. Das Verhältnis zwischen verschiedenen Institutionen bzw. - was damit identisch ist - das Verhältnis zwischen verschiedenen Rechtsordnungen kann sehr unterschiedlich sein. Institutionen können souverän sein, also unabhängig von anderen Rechtsordnungen, wie beispielsweise zwei Staaten im Verhältnis zueinander; sie können aber auch abhängig von anderen Institutionen sein, wie es Vereine innerhalb der staatlichen oder kirchlichen Rechtsordnung sind,39 oder 37 Vgl. ebd. S. 36. 38 Ebd. S. 37. 39 Im institutionellen Rechtsdenken ist daher durchaus Platz für eine Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Rechtsordnung; vgl. hierzu Winfried Aymans / Klaus

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gar Teil einer anderen Institution, wie die politische Gemeinde - als "abgeleitete" Institution4o - Teil des Staates ist. Die eine Rechtsordnung kann für eine andere relevant sein oder auch irrelevant, sie kann unter- oder übergeordnet sein usw. Alle diese Verhältnisse ändern aber nichts daran, daß jede Institution zugleich eine Rechtsordnung ist. III. Das Spezifikum des Rechts

J. Recht und Norm

Auf die Frage, was für das Recht wesentlich ist, findet man bei Santi Romano zunächst eine negative Antwort: Es ist nicht die Normierung, aus welcher der Rechtscharakter einer Rechtsordnung hervorgeht. Es gibt vielmehr auch Rechtsordnungen, "in denen geschriebene oder ungeschriebene echte ,Normen' fehlen.,,41 Da die Norm nicht kennzeichnend für das Rechtliche einer Rechtsordnung ist, wird auch die Rolle des Gesetzgebers relativiert: Maßgeblich für die Existenz einer Rechtsordnung ist nicht der Erlaß von Normen, also nicht das Handeln des Gesetzgebers, sondern die Entscheidung über Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit eines Handeins, also die Tätigkeit des Richters. Dieser benötigt für seine Entscheidungen aber nicht unbedingt Rechtsnormen; sein Urteil kann vielmehr schlicht von der Einzelfallgerechtigkeit, von der Billigkeit oder von anderen Elementen bestimmt sein, die keine "echten Rechtsnormen" darstellen. Santi Romano nennt zunächst Einzelfallgerechtigkeit und Billigkeit als Entscheidungskriterien des Richters. Sein System scheint aber auch dann Geltung beanspruchen zu können, wenn die richterliche Entscheidung lediglich auf Nützlichkeitserwägungen oder anderen Kriterien aufbaut; entscheidend ist die "Gewalt des Richters, der das objektive soziale Bewußtsein ausdrückt, und

Mörsdorf, Kanonisches Recht. Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici, Bd. 1: Einleitende Grundfragen und Allgemeine Normen, Paderborn - München - Wien Zürich 13 1991 , S. 217 - 219; Winfried Aymans, Das konsoziative Element in der Kirche - Gesamtwürdigung, in: Das konsoziative Element in der Kirche. Akten des VI. Internationalen Kongresses für kanonisches Recht, hrsg. von Winfried Aymans, Karl-Theodor Geringer und Heribert Schmitz, St. Ottilien 1989, S. 1029 - 1057, hier: S. 1041 f. Dieser Unterscheidung kommt im Rechtsdenken Santi Romanos aber keine entscheidende Bedeutung zu. 40

Vgl. Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 113.

41 Ebd. S. 27.

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zwar mit anderen Mitteln als jenen, die für komplexere und entwickeltere Ordnungen charakteristisch sind. ,,42 Santi Romano selbst hat die Absicht geäußert, daß er "strikt auf dem Boden des positiven Rechts bleiben und alle naturrechtlichen Vorstellungen vermeiden,,43 wolle. So kann man Santi Romano mit einem gewissen Recht als "Positivisten" bezeichnen. 44 Wenn man diese Ansicht vertritt, muß man sich aber bewußt sein, daß sein "Positivismus" jedenfalls keinen "Normativismus" beinhaltet. Nicht die Norm steht in seinem Rechtsdenken an erster Stelle, sondern die reale, lebendige oder besser: gelebte Rechtsordnung, in der durchaus auch das Gewohnheitsrecht einen breiten Raum hat. Romano leugnet also die Notwendigkeit von Normen für die Existenz einer Rechtsordnung. - Ob allerdings Romano in seinem Rechtsdenken tatsächlich "strikt auf dem Boden des positiven Rechts" geblieben ist, ist eine andere Frage. Seine Argumentation, die auf Begriffen wie "Einzelfallgerechtigkeit" und "Billigkeit" aufbaut, scheint doch eher in eine andere Richtung zu weisen. 2. Soziale Organisation als Funktion des Rechts

Das Spezifikum des Rechts liegt nach der Lehre von Santi Romano nicht in der Normierung. So stellt sich aber nochmals die Frage nach eben diesem Spezifikum des Rechts. Die Antwort findet sich im Blick auf die Institution. Zuvor ist jedoch wiederum etwas in negativer Weise einzuräumen: In einer Institution prägen sich "auch andere Kräfte" aus "als nur das Recht ... - bei ihnen aber handelt es sich nur um rein individuelle oder zumindest unorganisierte Kräfte. Jede wirkliche soziale Kraft steht, weil sie ,soziale Kraft' ist, in einem Organisationsprozeß und wird dadurch zu Recht.,,45 Negativ gewendet "ist all das und nur das -, dem eine soziale Organisation fehlt, kein Recht.,,46 Was also das Recht ausübt, ist die Funktion der sozialen Organisation. Es gibt kein materiales Unterscheidungsmerkmal des Rechts gegenüber ähnlichen Phänomenen, sondern nur ein formales: die soziale Organisation. Santi Romano pflichtet daher der Lehre vom Recht als bloßer Form bei, wie sie im 42

Ebd.

43

Ebd. S. 82.

44 Vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts (Anm. 25), S. 521; Julius Stone, Die Abhängigkeit des Rechts: Die Institutionenlehre, in: Institution und Recht (Anm. 14), S. 312 - 369, hier: S. 319 - 324. 45

Ebd. S. 44.

46

Ebd. S. 45.

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Gefolge Kants weit verbreitet war und auch von Rudolf Stammler vertreten wurde. 47 Hierzu führt Romano aus: "Es gibt kein soziales Element, keine soziale Kraft und keine soziale Norm, die dem Recht notwendig und absolut antithetisch oder auch nur von ihm verschieden sein müßte; die Antithese oder zumindest der Gegensatz zum Recht ist lediglich das unüberbrückbar Anti-Soziale oder das, was seiner Natur nach rein individuell ist. ,,48 Allerdings läßt es Romano an begrifflicher Schärfe mangeln, wenn er im folgenden ausführt: "Es ist deshalb vergeblich, wenn man sich, wie dies häufig geschieht, vornimmt, die Unterschiede des Phänomens Recht von der Religion, von der Moral, von der Sitte, von den sogenannten Konventionen, von der Wirtschaft, von den Regeln der Technik usw. bestimmen zu wollen. Jede dieser Schöpfungen des menschlichen Geistes kann nämlich ganz oder teilweise in die juristische Welt integriert werden und sie ausfüllen - und zwar stets, wenn sie in den Anziehungsbereich einer Institution eintritt.,,49 Wenn man einmal davon absieht, daß man Religion, Moral und wohl auch die Regeln der Technik nicht als "Schöpfungen" des menschlichen Geistes bezeichnen kann, sind zu der zitierten Äußerung von Santi Romano zumindest zwei kritische Anmerkungen zu machen: a) Anders als er ausdrücklich sagt, setzt Romano bei diesem Gedankengang voraus, daß man das Recht sehr wohl von Religion, Moral usw. unterscheiden kann, anderenfalls diese letztgenannten Phänomene nicht in die juristische Welt integriert werden könnten, sondern immer schon dazugehörten. Was er meint, ist, daß man Recht, Religion, Moral usw. nicht einfach in materieller Hinsicht voneinander unterscheiden kann. Der Unterschied liegt vielmehr in der Funktion für die Institution. b) Es reicht nicht aus, wenn man diesen Unterschied als das "Eintreten in den Anziehungsbereich einer Institution" bezeichnet. Es muß deutlicher von der Funktion der "sozialen Organisation" für die betreffende Institution die Rede sein. Und selbst diese Umschreibung ist noch sehr vage und bedarf weiterer Präzisierung. Wenn religiöse oder moralische Normen usw. in einer Institution die Funktion sozialer Organisation übernehmen, werden sie zu rechtlichen Regelungen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie diese Funktion in bestimmter Weise ausüben, wie aus dem Folgenden ersichtlich werden soll. 47 Vgl. Rudolf Stammler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, Berlin - Leipzig 21923, S. 4 - 6. Zur Rechtslehre Kants vgl. z. B. Wolfgang Röd, Die Philosophie der Neuzeit 3, Teil 1: Kritische Philosophie von Kant bis Schopenhauer, München 2006 (Geschichte der Philosophie IX, 1), S. 119 - 124. 48

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 45.

49 Ebd.

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3. Nachprüfbarkeit und Sanktionierbarkeit des rechtlich Normierten Aufschlußreich hinsichtlich der genaueren Erfassung des Spezifikums des Rechts ist eine Andeutung, die Santi Romano ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Kirchenrecht macht: "Bezeichnend in dieser Richtung ist auch das Kirchenrecht, in dem neben rein liturgischen zahlreiche ethische und religiöse Prinzipien Rechtscharakter gewonnen haben. Nach herkömmlicher und herrschender Lehre gehören zum Kirchenrecht sogar die Vorschriften über rein innerliche, gewissensmäßige Vorgänge - wobei nur insoweit Streit besteht, ob dies nur gilt, wenn sie sich irgend wie nach außen kundtun, oder auch dann, wenn es an einer solchen Außenbeziehung fehlt. Die Einbeziehung dieser Vorgänge ergibt sich aus der Tatsache, daß in der Kirche bestimmte Organe bestehen, die die Einhaltung dieser Vorschriften überwachen. ,,50 Angemerkt sei an dieser Stelle wiederum zunächst eine gewisse mangelnde begriffliche Präzision, insofern Romano zwar von "rein innerlichen, gewissensmäßigen Vorgängen" spricht, danach aber die Möglichkeit erwägt, daß diese "sich irgendwie nach außen kundtun" - in diesem Fall aber handelt es sich natürlich nicht mehr um "rein innerliche, gewissensmäßige Vorgänge". Und wenn er von kirchlichen Organen zur Überwachung der Einhaltung religiöser und ethischer Vorschriften spricht, scheint er die Frage implizit beantwortet zu haben, ob auch rein innere Vorgänge kirchenrechtlicher Normierung unterliegen können. "Überwacht" werden kann ja wohl nur etwas, das nach außen hin greifbar, erkennbar ist; anderenfalls müßte das Gewissen als ein "in der Institution Kirche bestehendes Organ" verstanden werden. Entscheidend an dem eben zitierten Gedankengang ist jedoch der Hinweis darauf, daß sich die Einbeziehung innerer Vorgänge in den Bereich des kirchenrechtlich Geregelten daraus ergibt, daß es Organe gibt, welche die Einhaltung der betreffenden Vorschriften überwachen. Daraus kann geschlossen werden: Rechtlich wird ein Phänomen dadurch, daß es in nachprüfbarer Weise an der sozialen Organisation in einer Institution mitwirkt. Auf diese Weise wird nochmals die Bedeutung des richterlichen Elements für das Bestehen einer Rechtsordnung klar. Entscheidend dafür, daß von einer Rechtsordnung gesprochen werden kann, ist nicht ein Organ zur Normgebung (der Gesetzgeber), sondern ein Organ zur Überprüfung der Einhaltung der in der betreffenden Institution geltenden, als verbindlich gewußten und gelebten Ordnung (der Richter).51

50 Ebd. S. 45 f. 51 Damit soll nicht gesagt sein, daß jede Rechtsordnung über ein ausgebautes Gerichts- und Prozeßwesen verfügen muß, und erst recht nicht, daß dieses nach dem Muster des römisch-kanonischen Prozesses gestaltet sein muß. Notwendig ist nur eine

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Ein weiterer Aspekt, der zur Feststellung des Spezifikums rechtlicher Ordnung angesprochen werden muß, ist die Sanktion, die unter der Bezeichnung ,,zwang" oder "Erzwingbarkeit" oftmals als das entscheidende Merkmal des Rechts angesehen wird. So definierte bekanntlich der Jurist Rudolph von Jhering das Recht als den "Inbegriff der in einem Staate geltenden Zwangsnormen. ,,52 Gegen eine solche Auffassung wurde, wie Santi Romano referiert, von verschiedener Seite argumentiert, daß es so zu einem ,,regressus in infinitum" käme: Jedem Rechtsgebot müßte ein Zwangsrecht beigefügt werden, das aber nur dann rechtlich durchgesetzt werden könnte, wenn es selbst wiederum durch eine Zwangsnorm garantiert würde. 53 Diese Argumentation kann nach Romano aber nicht beweisen, daß der Zwang kein Wesenselement des Rechts ist. Sie kann nur deutlich machen, daß das Recht nicht als ein System von Normen zu definieren ist. Das Element der Sanktion, das er lieber als "Garantie" bezeichnet wissen will,54 ist ein Element des Rechts, aber eben nicht selbst nur "Norm". Die Sanktion ist ein Element, das den Normen vorgeht, "die Basis und Wurzel, auf die jene sich gründen".55 Dadurch wird die Sanktion, "die Garantie der Rechtsordnung", aber nicht zu etwas Außerrechtlichem; wenn man die Engführung des Rechtsbegriffs auf den Begriff des Normsystems vermeidet, erweist sich eine solche Auffassung als unnötig. 56 Die Rechtsordnung ist das objektive, lebendige, gelebte Recht; hier können Normen eine wichtige Rolle spielen; die Rechtsordnung ist aber nicht mit der Norm identisch. Die Sanktion ist Teil der lebendigen Rechtsordnung; sie kann auch in Normen geregelt sein, sie ist aber nicht eine weitere Norm.

Instanz, die in einem geordneten Verfahren feststellen kann, was Recht ist und was Unrecht; vgl. Ludger Müller, Kirchenrecht - analoges Recht? Über den Rechtscharakter der kirchlichen Rechtsordnung, St. Ottilien 1991 (Dissertationen. Kanonistische Reihe 6), S. 79; ders., Streben nach Heiligkeit - eine Rechtspflicht? Über Möglichkeiten und Grenzen rechtlicher Ordnung in der Kirche, in: AfkKR 166 (1997), S. 468 - 480, hier: S. 475. 52

Rudolph von Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, Leipzig 41904, S. 249.

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 28 f. mit Berufung auf Dionisio Anzilotti, Teoria generale della responsabilita dello stato nel diritto internazionale, Firenze 1902 und Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig 1899 (Neudruck: Aalen 1958). 53

54

Romano, ebd. S. 28.

55

Ebd. S. 29.

56

Vgl. auch ebd. S. 75.

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4. Rechtliche und moralische Ordnung

Nach Santi Romano ist das Recht nicht von der moralischen Ordnung abhängig. Dies gilt genauer gesagt in juristischer Hinsicht. In philosophischer Hinsicht mag es nötig sein, eine Entsprechung von Recht und Moral zu fordern; für den Rechtsbegriff spielt die Frage der Moralität nach Romano aber keine Rolle. 57 Das hängt damit zusammen, daß Romano die Funktion der sozialen Organisation als entscheidendes Merkmal des Rechts ansieht. Das gilt auch dann, wenn eine "soziale Kraft" aus der Sicht einer anderen Institution als unjuristisch oder gar "antirechtlich" angesehen wird. "Betrachtet man sie jedoch für sich allein, unabhängig von jeder Beziehung, nur unter dem Gesichtspunkt, daß auch sie rein tatsächlich sich ordnet und gliedert, dann ist auch sie eine Rechtsordnung. ,,58 Auf andere Kriterien kommt es offensichtlich nicht an, auch nicht auf die Frage, ob in der betreffenden Rechtsordnung die Kriterien der Gerechtigkeit zur Geltung kommen sollen oder nicht. Auch eine revolutionäre Organisation oder eine Verbrecherbande ist - für sich genommen - als Institution und damit als Rechtsordnung zu betrachten, wie Santi Romano wiederholt sagt. 59 Auch "verbotene Organisationen" entsprechen den begrifflichen Kriterien, die Romano für eine Rechtsordnung aufstellt. Deshalb sagt er ausdrücklich: "Wollte man den verbotenen Organisationen den Rechtscharakter absprechen, so wäre dies lediglich als Folge einer ethisch-moralischen Bewertung möglich, da diese Gebilde häufig gesetzwidrig60 oder unmoralisch sind. Ein solches Vorgehen wäre nur dann zulässig, wenn ein enger und unmittelbarer Zusammenhang zwischen positivem Recht und Moral bewiesen wäre, was unserer Auffassung nach nicht der Fall ist, jedenfalls nicht in einer derart naiven Form. ,,61 Aus der Lehre vom rein formalen Charakter des Rechts ergibt sich 57 Vgl. Santi Romano, Frammenti di un dizionario giuridico, Milano 21953, S. 6475. Hier muß jedoch die Frage nach dem zugrundeliegenden Verständnis von "Philosophie" gestellt werden. Wie könnte der Rechtsbegriff anders erfaßt werden als mit philosophischen Mitteln? Die Beschäftigung mit dem Rechtsbegriff ist die zentrale Aufgabe der Rechtsphilosophie, und wenn ein Jurist über den Rechtsbegriff nachdenkt, philosophiert er. Wahrscheinlich hat Santi Romano den Begriff der Philosophie mit jenem der Weltanschauung identifiziert.

58

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 44.

59

Vgl. ebd. S. 44 f., S. 99 - 101; ders., Frammenti (Anm. 57), S. 72 f.

60 Dies gilt natürlich aus dem Blickwinkel einer anderen Rechtsordnung, vor allem des Staates. 61 Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 100 f. Leider verdeutlicht Romano nicht, in welcher weniger "naiven Form" ein Zusammenhang von Recht und Moral nachzuweisen ist.

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nach Santi Romano, daß der Inhalt des Rechts für seinen Rechtscharakter unerheblich ist. Alles, "was sich in eine Institution eingliedern läßt, in deren Form, Struktur, Regime, einfügen läßt, das kann so in das ,Recht' einbezogen werden. ,,62 Das gilt zwar auch für die Moral, auch diese kann in das Recht integriert werden - "entscheidend ist für Romano jedoch, daß die rechtliche Relevanz, die auf diese Weise der Moral verliehen wird, nicht dieser innerlich (intrinseca) ist und nicht von ihrer Wirksamkeit abhängt, sondern ausschließlich von der Ordnung abhängt, die auf sie verwiesen hat. ,,63 Eine begriffsnotwendige Verwiesenheit des Rechts auf die moralische Ordnung besteht also nach Santi Romano nicht; das Recht ist "moral-frei", es ist nicht unbedingt "unmoralisch", kann dies aber sein, ohne seinen Charakter als Recht zu verlieren. Eine ungerechte Rechtsordnung verliert nach dieser Auffassung also nicht ihre rechtliche Verbindlichkeit. Daß eine solche Rechtsauffassung mißbraucht werden konnte, um ein Unrechtsregime zu stützen, liegt auf der Hand. 64

C. Die Kirche als Institution

Kann angesichts eines solchen Befundes, insbesondere angesichts des Postulats der "Moralfreiheit" des Rechts, das institutionelle Rechtsdenken überhaupt einen Beitrag zu den Grundlagenfragen des Kirchenrechts leisten? Aufschlußreich hinsichtlich dieser Frage sind zwei Beobachtungen: Zum einen hat Santi Romano einige Grundzüge seiner Lehre von der Rechtsordnung bereits wenige Jahre vor dem Erscheinen der ersten Auflage seines Werkes "Die Rechtsordnung" (1918), nämlich 1912 in seinen "Lezioni di diritto ecc1esiastico,,65 entwickelt, also gerade im Zusammenhang mit dem Kirchenrecht. Zum anderen spricht er auffälligerweise an zwei verschiedenen Stellen seines Buches "Die Rechtsordnung" ausdrücklich das Kirchenrecht an. Wenn auch nicht notwendig damit zu rechnen ist, daß das Interesse des Juristen am Kirchenrecht mit dem Interesse deckungsgleich ist, das der Kanonist an der Rechtstheorie dieses Juristen hat, ist zumindest für die bessere Erfassung des 62 Ebd. S. 45. 63

Fuchs, Die Allgemeine Rechtstheorie (Anm. 34), S. 51.

Vgl. die Beziehung zwischen einem anderen Vertreter eines institutionellen Rechtsdenkens, Carl Schmitt, und dem Nationalsozialismus. Zur "Instrumentalisierung der Institutionentheorie" durch Carl Schmitt vgl. ebd. S. 152 - 154. 64

65 Santi Romano, Lezioni di diritto eccIesiastico, raccolte per cura dello studente V. Mungio1i, Pisa 1912. Vgl. hierzu vor allem: Francesco Finocchiaro, Santi Romano e il diritto eccIesiastico, in: Il diritto eccIesiastico 86 (1975) I, S. 173 - 187.

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rechtstheoretischen Gedankengebäudes von Santi Romano die Frage nichtsdestoweniger von Interesse, in weIchen Zusammenhängen und in weIchem Sinn er auf das Kirchenrecht zu sprechen kommt. I. Die Offenheit des Rechtsbegriffs

Der Blick auf das Kirchenrecht dient Romano zunächst zum Beleg für seine These vom rein formalen Charakter des Rechts. Es steht nach seiner Ansicht keineswegs mit dem Rechtsbegriff im Widerspruch, wenn liturgische, religiöse und ethische Prinzipien dadurch Rechtscharakter gewinnen, daß sie innerhalb der Kirche eine Funktion der sozialen Organisation ausüben, sofern nur die Möglichkeit besteht, "die Einhaltung dieser Vorschriften" zu "überwachen.,,66 Es widerspricht nicht der "Reinheit" einer Rechtsordnung, wenn sie Elemente von Moral und Religion in sich aufnimmt; hierbei handelt es sich nicht um eine unzulässige "Vermengung oder fehlende Unterscheidung von Elementen, die an sich von Natur aus voneinander getrennt bleiben müßten",67 sondern um eine Anreicherung. Die institutionelle Rechtslehre, insbesondere die Offenheit des von ihr vertretenen Rechtsbegriffs, ist geeignet, dem Kirchenrecht seinen "Ort in der Rechtskultur" zuzuweisen. Was aber vermag das institutionelle Rechtsdenken in dieser Hinsicht zu leisten, was nicht schon von der kirchenrechtlichen Schule des Ius Publicum Ecclesiasticum geleistet worden ist? Macht es einen bedeutsamen Unterschied aus, ob die Kirche als "societas perfecta" oder als "Institution" bezeichnet wird? Der erste wichtige Unterschied liegt darin, daß die societas-perfecta-Lehre des Ius Publicum Ecclesiasticum im Gegenüber zum Staat und damit auch in begrifflicher Anlehnung an den Begriff des Staates entwickelt worden ist. Die Kirche wurde zunächst in einen "Staat eigener Art" uminterpretiert,68 um einen "Ort" für die kirchliche Rechtsordnung finden zu können. Das brachte eine vorrangig rezeptive Haltung der Kirchenrechtswissenschaft gegenüber der weltlichen Rechtswissenschaft mit sich, so daß das Recht fast deckungsgleich mit weltlichem, genauer gesagt mit staatlichem Recht erscheint. Kirchliches Rechtsdenken gerät so zugleich in eine apologetische Haltung, die es mit sich bringt, daß seine Themen von außen her diktiert werden. Deshalb ließ eine von

66

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 46.

67 Ebd. 68 So der Vorwurf von Rernigiusz Sobmlski, Erwägungen zum Ort des Kirchenrechts in der Rechtskultur, in: AfkKR 155 (1986), S. 3 - 15, hier: S. 14.

Die Kirche - Institution oder vollkommene Gesellschaft?

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der societas-perfecta-Lehre ausgehende Kirchenrechtswissenschaft keinen bedeutsamen Beitrag im Gespräch über das Recht erwarten. Nach der institutionellen Rechtslehre ergibt sich das Kirchenrecht jedoch schon daraus, daß die Kirche eine Institution darstellt, also daraus, daß die Kirche durch objektive, reale Existenz, Gesellschaftsbezogenheit, eigene Individualität und Dauerhaftigkeit gekennzeichnet ist. Recht gibt es hiernach in vielerlei Gestalt; das Recht des Staates hat keinerlei prinzipiellen Vorrang. Ein Anschluß an die Institutionenlehre, wie sie von Santi Romano vertreten wurde, kann daher die Kirchenrechtswissenschaft aus ihrer rezeptiv-apologetischen Haltung gegenüber der weltlichen Rechtswissenschaft befreien und so eine fruchtbare Beteiligung am gemeinsamen Gespräch über das Recht erleichtern. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen "societas-perfecta-Lehre" und institutionellem Rechtsdenken liegt mithin in der größeren Offenheit des zugrundeliegenden Begriffs. Es gibt außer der staatlichen und der kirchlichen noch eine Vielzahl von Rechtsordnungen. Durch die Offenheit des Begriffs der Institution kann die Frage nach dem Wesen des Rechts ohne eine Engführung auf die Beziehung zwischen Kirche und Staat behandelt werden. Es macht hierbei keinen entscheidenden Unterschied, ob es sich um das Recht einer souveränen Institution handelt, also um eine "primäre Rechtsordnung", oder um das Recht einer von einer anderen abhängigen oder dieser eingegliederten Institution, also um eine "sekundäre Rechtsordnung". Durch die zunehmende Bedeutung nichtstaatlicher Organisationen, aber auch überstaatlicher Institutionen wie EU oder UNO stellt sich die Frage nach dem Rechtscharakter solcher Institutionen ganz neu. "Der Staat" scheint seine Vorbildrolle als Rechtsordnung mehr und mehr zu verlieren, was auch die Diskussionssituation hinsichtlich des Kirchenrechts verändert. Kirche und Staat erscheinen nicht mehr als die einzigen möglichen Rechtsgemeinschaften, sondern als zwei unter vielen. 11. Die Pluralität rechtlicher Ordnungen

Ausführlicher befaßt sich Romano mit dem Kirchenrecht im Zusammenhang mit der Vielfalt der Rechtsordnungen und ihren Beziehungen untereinander. In diesem Zusammenhang hat er einen eigenen Paragraphen dem Kirchenrecht gewidmet. Das Kirchenrecht stellt neben dem Völkerrecht ein klassisches Beispiel für eine nicht-staatliche Rechtsordnung dar. Santi Romano widerspricht daher der zu seiner Zeit gelegentlich vertretenen Lehre, daß alles Recht, also auch das Kirchenrecht, vom Staat ausgehe. 69 Da die Kirche eine Institution ist, 69 Romano nennt als Vertreter einer solchen Lehre Igino Petrone, Gino Dallari, Vincenzo deI Giudice, Friedrich Thudichum, Rudolph von Jhering, Georg Jellinek, Oreste

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hat sie eine eigene Rechtsordnung. Dem widerspricht nicht, daß auch der Staat ein Kirchenrecht erläßt. Es gibt eben nicht nur einen Rechtsbereich, der als "Kirchenrecht" bezeichnet werden kann, sondern mehrere: "Die von der Kirche aufgestellte Ordnung und die jeweilige staatliche Ordnung in Kirchendingen sind zwei voneinander völlig getrennte und unterschiedliche Bereiche; jedem von ihnen kommt seine eigene Sphäre zu, eigene Quellen, eine eigene Organisation, eigene Sanktionen.,ao Es handelt sich genau genommen nicht nur um zwei verschiedene Arten von Kirchenrecht, sondern um mehrere: Es gibt "eine ganze Anzahl von Kirchenrechten: jenes der Kirche und das des jeweiligen Staates. Zwischen beiden kann es Übereinstimmungen geben, genausogut aber auch Gegensätze. Beide können sich ergänzen, aufeinander aufbauen, sich gegenseitig anerkennen oder auch bekämpfen.,,71 Nochmals genauer wird man im Sinne Santi Romanos sagen können: Es gibt auch von mehreren Kirchen ausgehende Kirchenrechte. Auch die Ordnungen der anderen christlichen Glaubensgemeinschaften sind als Rechtsordnungen anzusehen, sofern sie der sozialen Organisation dieser Gemeinschaften dienen; das gilt auch dann, wenn diese selbst sie nicht als "Recht" ansehen, sondern Bezeichnungen wie "Kirchenordnung" bevorzugen. Entsprechendes gilt natürlich für die Rechtsordnungen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, was hier nur erwähnt werden sol1. 72 Zwischen allen diesen "Kirchenrechten" können Beziehungen unterschiedlicher Art bestehen; sie können aber auch einander außer Acht lassen. "Jede von ihnen arbeitet für eigene Rechnung, für ihre eigenen Ziele, in ihrem Bereich und mit den ihr von ihrer Organisation und ihrer eigenen Struktur her zugewiesenen Mitteln und Kräften. ,,73 Rechtliche Regelungen der einen KirchenrechtsRanelletti und Domenico Schiappoli. Auf seiten der katholischen Kirchenrechtswissenschaft im deutschen Sprachraum war diese Ansicht jedoch kaum, und auch in der deutschsprachigen evangelischen Kirchenrechtswissenschaft dieser Zeit nur wenig verbreitet; vgl. hierzu: Ludger Müller, Der Rechtsbegriff im Kirchenrecht. Zur Abgrenzung von Recht und Moral in der deutschsprachigen Kirchenrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, St. Ottilien 1999 (München er Theologische Studien III. Kanonistische Abteilung 52), S. 322 f. Von einer "verbreiteten Ansicht" in der kirchen- und staatsrechtlichen Literatur zur Zeit Romanos spricht dagegen Fuchs, Die Allgemeine Rechtstheorie (Anm. 34), S. 63. 70

Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 98.

71 Ebd. 72 Notwendig wäre eine Untersuchung zum Rechtscharakter der verschiedenen religiösen Rechtsordnungen; vgl. fürs erste Silvio Ferrari, Lo spirito dei diritti religiosi. Ebraismo, cristianesimo e islam a confronto, Bologna 2002. 73 Ebd.

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ordnung können von der anderen berücksichtigt werden, müssen es aber nicht. Es gibt sowohl die Möglichkeit der Berücksichtigung staatlichen Rechts im Bereich des Kirchenrechts als auch die Berücksichtigung kirchlicher Rechtsnormen im staatlichen Bereich. 74 Das Verständnis von Kirche(n) und Staat(en) als voneinander unabhängiger Institutionen ermöglicht auch die Ausgestaltung der wechselseitigen Beziehungen mit dem Mittel der Vereinbarung. 75 Gerade in dieser Hinsicht, bezüglich des Konkordats- bzw. Kirchenvertragsrechts, scheint das institutionelle Rechtsdenken einen erheblichen Fortschritt in rechtstheoretischer Hinsicht zu bieten. Es waren nicht nur "Pragmatismus" und die "Beachtung historischer und sozialer Gegebenheiten",76 die Santi Romano zu der Überzeugung brachten, daß Konkordate ein geeignetes Mittel zur Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat darstellten; diese Ansicht stand vielmehr in unmittelbarer Übereinstimmung mit seiner Lehre von der Vielfalt der Rechtsordnungen. Unter den vielfältigen Möglichkeiten, wie verschiedene Institutionen - und das heißt: Rechtsordnungen - miteinander in Kontakt treten können, gibt es eben auch die Möglichkeit des Vertrages. Ausgehend von der Lehre Santi Romanos über die Pluralität der Rechtsordnungen können Konkordat, Kirchenvertrag, völkerrechtlicher Vertrag usw. jeweils schlicht als Verträge zwischen verschiedenen Rechtsordnungen angesehen werden. III. Institution und primäre Rechtsordnung

Die Offenheit des von der institutionellen Rechtslehre vertretenen Rechtsbegriffs machte es möglich, daß sich die italienischen Laienkanonisten der Rechtstheorie Santi Romanos bedienten, um eine fundamentale Theorie des Kirchenrechts zu erarbeiten. 77 Aufgrund der Lehren von Santi Romano 78 wurde in der

74 Vgl. die Rechtsfiguren der "lex canonizata" und der "civilizatio" kirchlicher Rechtsnormen in das weltliche Recht; zur "lex canonizata" vgl. Aymans - Mörsdorf, KanR I (Anm. 39), S. 171 f.; Stephan Haering, Rezeption weltlichen Rechts im kanonischen Recht. Studien zur kanonischen Rezeption, Anerkennung und Berücksichtigung des weltlichen Rechts im kirchlichen Rechtsbereich aufgrund des Codex luris Canonici von 1983, St. Ottilien 1998 (Münchener Theologische Studien III. Kanonistische Abteilung 53). 7S

Dasselbe gilt natürlich für die Beziehung zwischen allen Institutionen.

76 So jedoch die Formulierung von Finocchiaro, Santi Romano e il diritto eccJesiasti-

co (Anm. 309), S. 177.

77 V gl. Vincenzo dei Giudice, Contributi di Santi Romano nello studio di problemi di Diritto canonico e di Diritto eccJesiastico, in: Il diritto eccJesiastico 58 (1947), S. 277 291; Finocchiaro, Santi Romano e il diritto eccJesiastico (Anm. 309), S. 183 mit Anm. 32;

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italienischen Laienkanonistenschule der zentrale Begriff "ordinamento giuridico primario" entwickelt. Schon dies stellt allerdings eine Engführung dar, insofern es für Santi Romano unerheblich war, ob es sich um eine primäre oder um eine sekundäre Rechtsordnung handelt. Jede Institution ist zugleich eine Rechtsordnung, und die Beziehungen zwischen den Rechtsordnungen sind vielfältig. Pietro Agostino D' Avack verstand den Begriff der "primären Rechtsordnung" als in seinen Grundzügen deckungsgleich mit dem Grundbegriff der kanonistischen Schule des Ius Publicum Ecclesiasticum, mit dem Begriff der "so ci etas perfecta".79 Diese Annäherung der institutionellen Rechtslehre und der Schule des Ius Publicum Ecclesiasticum, diese Uminterpretation des Begriffs der "primären Rechtsordnung" im Sinne einer "vollkommenen Gesellschaft" war einer der Faktoren, der es dem institutionellen Rechtsdenken erschwert hat, seinen Beitrag zur kanonistischen Grundlagendiskussion zu leisten. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß in der Auseinandersetzung mit der italienischen Laienkanonistenschule gerade dieser Zusammenhang mit der "societasperfecta"-Lehre in den Vordergrund getreten ist. Wenn beispielsweise Remigiusz Sobanski die Lehre von Santi Romano so darstellt, daß er "das Recht der Kirche nach staatlichem Vorbild" zu erfassen versucht habe 80 und daß sich der Begriff des "ordinamento giuridico primario" mit jenem der "societas perfecta" decke,81 gibt er eher das wieder, was in der Schule der italienischen Laienkanonisten gelehrt wurde, als das, was sich in Romanos Hauptwerk "Die Rechtsordnung" findet. Was jedoch seitens der Theologie des Kirchenrechts an der Lehre der italienischen Laienkanonisten kritisiert wurde, war der Versuch, mit einer rein juristisch-philosophischen Theorie die Frage der Grundlegung des Kirchenrechts zu beantworten. 82 Rechtsphilosophische Bemühungen können nur zu einem Remigiusz Sobm1ski, Grundlagenproblematik des katholischen Kirchenrechts, Wien Köln 1987 (Böhlau-Studien-Bücher), S. 117.

78 Vgl. Romano, Die Rechtsordnung (Anm. 16), S. 112 f. 79 Vgl. Pietro Agostino D'Avack, Corso di diritto canonico. I: Introduzione sistemati-

ca al diritto della Chiesa, Milano 1956, S. 130 ff. 80

Sobmiski, Grundlagenproblematik des katholischen Kirchenrechts (Anm. 77), S. 117.

81 Vgl. ebd. S. 119. 82 Vgl. Z. B. Antonio Mada Rouco Varela, Allgemeine Rechtslehre oder Theologie

des kanonischen Rechts? Erwägungen zum heutigen Stand einer theologischen Grundlegung des kanonischen Rechts, in: ders., Gesammelte Schriften (Anm. 294), S. 95 - 111, hier: S. 101 - 103; Eugenio Corecco, Theologie des Kirchenrechts, in: ders., Ordinatio Fidei. Schriften zum kanonischen Recht, hrsg. von Libero Gerosa und Ludger Müller, Paderborn - München - Wien - Zürich 1994, S. 3 - 16, hier: S. 12.

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Teil die Frage des Rechtscharakters des Kirchenrechts zu beantworten helfen, nicht aber die Legitimität rechtlicher Ordnung in der Kirche überhaupt nachweisen. Diesbezüglich liegt wenigstens die Letztzuständigkeit bei der Theologie. Die Frage einer theologischen Grundlegung kirchlichen Rechts setzt aber in gewisser Weise eine Verständigung darüber voraus, was denn überhaupt unter Recht zu verstehen ist. Und diesbezüglich bietet die institutionelle Rechtslehre anregende Ansätze. Wegen der Kritik an der Laienkanonistenschule und des Eindrucks, daß ihre Theorie zugleich auch dazu bestirnrnt sein sollte, die Fragen der Grundlegung des kanonischen Rechts zu beantworten, wurde die zumindest mögliche positive Leistung des institutionellen Rechtsdenkens für das Recht der Kirche vielleicht zu wenig erkannt.

D. Zusammenfassung

Die Beschäftigung mit dem Rechtsbegriff gehört auch zu den zentralen Aufgaben des Kanonisten. Schon die Bemühung um eine theologische Grundlegung des Kirchenrechts macht es erforderlich, sich zuvor einigermaßen darüber Klarheit zu verschaffen, was das Wesen des Rechts ist. "Hier werden sich Kirchenrechtstheorie und weltliche Rechtstheorie begegnen und miteinander in einen Dialog eintreten können. Insofern ist die Kirchenrechtstheorie durchaus der Ort, an dem nicht nur eine theoretische Durchdringung der Rechtserfahrung in der Kirche stattfindet, sondern wo auch eine philosophisch-theologische Auseinandersetzung mit den dargebotenen philosophisch-juristischen Vorstellungen vom Wesen und Begriff des Rechts legitim durchgeführt wird.,,83 Nur ein Kirchenrecht, das wirklich Recht ist,84 kann der Kirche dienlich sein. 85 Die Ansicht, daß "die Theorie der Institution der modemen katholischen Gedankenwelt annehmbar erscheint",86 kann im Blick auf die katholische Kirchenrechtswissenschaft wohl im wesentlichen bestätigt werden. Das institutio-

83 Winfried Aymans, Die wissenschaftliche Methode der Kanonistik, in: ders., Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie (Anm. 1), S. 351 - 370, hier: S. 363.

84 Die These vom Kirchenrecht als analogem Recht beispielsweise läuft gerade darauf hinaus, daß das Kirchenrecht kein Recht im strengen Sinn ist, sondern etwas sachlich anderes (" simpliciter diversum"). Vgl. dazu Müller, Kirchenrecht - analoges Recht? (Anm. 51). 85 Vgl. auch Ludger Müller, "Theologisierung" des Kirchenrechts?, in: AfkKR 160 (1991), S. 441 - 463, hier: S. 462 f. 86 W. lvor Jennings, Die Theorie der Institution, in: Institution und Recht (Anm. 14), S. 99 - 117, hier: S. 100.

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nelle Rechtsdenken ist besser als die societas-perfecta-Lehre geeignet, dem Kirchenrecht seinen Ort in der Rechtskultur zuzuweisen, weil es davon ausgeht, daß es eine Vielzahl von Rechtsordnungen und von Urhebern von Recht gibt. Aus demselben Grund kann das institutionelle Rechtsdenken auch die typischen Instrumente des Staatskirchenrechts, also die Konkordate und die Kirchenverträge, rechtstheoretisch angemessen erfassen, nämlich als Mittel des Verkehrs zwischen verschiedenen Rechtsordnungen. Im Vergleich mit dem Begriff der "societas perfecta", der im Bereich der Rechtsphilosophie und der weltlichen Rechtswissenschaft - soviel erkennbar ist - jedenfalls heute keine bemerkenswerte Rolle spielt, scheint der Begriff der Institution zudem besser in der Lage zu sein, eine Grundlage für die Verständigung zwischen der kirchlichen und der weltlichen Rechtswissenschaft über den Rechtsbegriff zu bieten. 87 Problematisch erscheint aus der Sicht der katholischen Theologie allerdings, daß nach der Lehre von Santi Romano das Recht von den Forderungen der Moral völlig unabhängig ist. Eine solche Auffassung widerspricht der traditionellen Rechtslehre, wie sie in der katholischen Kirche vertreten und von der Kanonistik in Theorie und Praxis zugrundegelegt wird und die von einer Bindung des Rechts an vorpositive normative Gegebenheiten, an das Naturrecht ausgeht. Als Recht kann hiernach nur eine solche Ordnung angesehen werden, die den Anforderungen der Gerechtigkeit entspricht. Anders als - zu Unrecht - hinsichtlich des Begriffs der "societas perfecta" geschehen, kann aber auch für jenen der Institution nicht der Anspruch erhoben werden, daß er zur Umschreibung des Wesens der Kirche ausreiche. Der Begriff der Institution bringt vielmehr nur die rechtliche Dimension der Kirche zum Ausdruck, die in theologischer Hinsicht und damit umfassender als Communio zu beschreiben ist - als eine Communio fidelium, hierarchica und Ecclesiarum, die zugleich Communio cum Deo ist,88 oder anders gesagt: Sakrament, also "Zeichen und Werkzeug der Einheit für die innigste Vereinigung mit Gott

87 Es ist allerdings auffällig, daß der protestantische Jurist Hans Dombois, der das Gespräch zwischen Theologie und Jurisprudenz vermißte (vgl. Hans Dornhais, Das Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht III: Verfassung und Verantwortung, Bielefeld 1983, S. 25 - 28), zwar den Begriff der Institution als zentralen Begriff seiner kirchenrechtstheoretischen Erörterungen entdeckt hat (vgl. ebd. S. 17 - 24; ders., Das Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht I, Witten 1969, S. 804 - 939), ohne jedoch seinerseits das Gespräch mit der institutionellen Rechtslehre gefunden zu haben. 88 Vgl. Winfried Ayrnans, "Volk Gottes" und "Leib Christi" in der CommunioStruktur der Kirche. Ein kanonistischer Beitrag zur Ekk\esiologie, in: ders., Kirchenrechtliche Beiträge zur Ekklesiologie (Anm. I), S. 1 - 15.

Die Kirche - Institution oder vollkommene Gesellschaft?

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wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (LG 1).89 Was das institutionelle Rechtsdenken ebensowenig wie jede andere rein philosophische Rechtstheorie leisten kann, ist der Nachweis der Legitimität einer innerkirchlichen Rechtsordnung überhaupt. "Der Nachweis, daß der Glaube der Kirche seinem Wesen nach über eine rechtliche Dimension verfügt, kann nur theologisch geführt werden. ,,90 Dadurch wird die philosophische Bemühung um den Rechtsbegriff auch seitens der Kirchenrechtswissenschaft keineswegs wertlos. Sie stellt vielmehr einen Schritt dar, der dazu notwendig ist, der These von Rudolph Sohm entgegenzutreten, der bekanntlich das Kirchenrecht als ein Unding, als ein "hölzernes Eisen" angesehen hat: "Das Wesen der Kirche ist geistlich, das Wesen des Rechtes ist weltlich. Das Wesen des Kirchenrechts steht mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch.'m Über das Wesen der Kirche kann in rein philosophischer Weise keine angemessene Aussage getroffen werden; daß das Wesen des Rechtes nicht notwendig weltlich ist, zeigt uns die Rechtsphilosophie und so auch die institutionelle Rechtslehre.

89 Vgl. hierzu Ludger Müller, Die Kirche als Wurzelsakrament, in: Reinhild Ahlers, Libero Gerosa und Ludger Müller, Ecclesia a Sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderbom 1992, S. 125 - 135. 90

Aymans, Die wissenschaftliche Methode der Kanonistik (Anm. 83), S. 363.

Rudolph Sohm, Kirchenrecht I: Die geschichtlichen Grundlagen, Leipzig 2 1923, S. 700 u. Ö. 9\

Wenn Recht Unrecht ist! Plädoyer für einen kreativen Umgang mit Rechtsvorschriften in Gesellschaft und Kirche

Von Sabine Demel Schafft Recht Frieden? Was für eine Frage! Was denn sonst! Denken Sie nur daran, was wäre, wenn es nicht das Recht auf Leben, das Recht auf Eigentum, das Recht auf religiöse Freiheit gäbe und deshalb jeder Mörder, jede Diebin und jede religiöse Zwangsausübung unbestraft bliebe. Was für ein Unfriede würde herrschen! So dachte offensichtlich schon der alte Grieche Sophokles und verkündete daher voller Überzeugung: "Hab ich das Recht zur Seite, schreckt dein Droh'n mich nicht!"l Das klingt gut, aber stimmt das wirklich? Zumindest in unserer Zeit habe ich da meine Zweifel. Denn mir fällt ein, dass seit einigen Jahren höchstrichterlich ein Kind zu einem Schadensfall erklärt wurde mit dem Anspruch, für seine Geburt Schadensersatz zu verlangen, dann nämlich, wenn seine geplante Abtreibung missglückt ist - ein Kind per Gerichtsurteil zu einem Schadensfall erklärt! Deshalb kommt mir hier eher der Ausruf Ciceros in den Sinn: "Höchstes Recht ist höchstes Unrecht!,,2 Das ist nur die Ausnahme - mögen einige einwenden! Richten wir den Blick weg von dieser Ausnahme hin auf das, was unser tägliches Leben prägt: die Straßenverkehrsordnung, unsere Steuergesetze, das Arbeitslosenrecht und überhaupt die Sozialgesetzgebung, dann stimmt doch, was der Staatsmann Otto von Bismarck vertritt: "Das Recht ist ein solidarisches Ganzes für alle im Lande, sowohl für die Höchsten wie für die Niedrigsten!,,3

I Sophokles, Philoctetes V. 1251, in: Sophoclis Tragoediae Bd. 2: Trachiniae, Antigone, Philoctetes, Oedipus Coloneus. Hrsg. v. Roger David Dawe, Leipzig, 1985.

2

Cicero, De officiis I, 33.

Die politischen Reden des Fürsten Bismarck. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Erster Band. 1847 - 1852, besorgt v. Horst Kohl, Stuttgart 1892, S. 167. 3

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Und was ist mit den vielen Verbrechen, die in Vergangenheit und Gegenwart weltweit begangen werden und aus den verschiedensten Gründen unbestraft bleiben: Kindesmissbrauch, Folter, Terror? Der Philosoph Baruch de Spinoza hat völlig Recht mit seiner Auffassung: ,,Jeder hat so viel Recht wie er Macht hat!,,4 Wer von den zitierten Herren hat nun Recht? Oder hat vielleicht jeder Recht und zugleich Unrecht? Schafft jetzt Recht Frieden oder nicht? Und liegt das am Wesen von Recht oder daran, um welches konkrete Recht es sich handelt oder schließlich an der Art und Weise, wie mit Recht umgegangen wird? Auf jeden Fall macht bereits diese kleine Auswahl an Vorstellungen über Recht, Macht und Unrecht deutlich, dass die Antwort auf die Frage: "Schafft Recht Frieden?" alles andere als schnell, einfach und kurz ausfallen kann. Gehen wir also Schritt für Schritt vor:

A. Aufgabe und Funktion von Recht

Das, was als "Frieden" bezeichnet wird, beinhaltet im Allgemeinen zumindest zwei Aspekte: einen zwischenmenschlichen und einen gemeinschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Aspekt. Auf der zwischenmenschlichen Ebene meint Frieden die Beziehung des gegenseitigen Vertrauens; auf der gemeinschaftlichen Ebene die Beziehung der Fairness, die sich ausdrückt im Verzicht auf Unterdrückung, Machtmissbrauch, Willkür, Maßlosigkeit, Ausbeutung und ähnlichem. 5 Um diesen doppelten Frieden auf der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Ebene zu gewährleisten, hat Recht die Aufgabe, den für jedes Gemeinschaftsglied geltenden Rahmen abzustecken, in dem er sich in Freiheit selbst verwirklichen kann und soll, ohne den gleichen Anspruch einer anderen Person bzw. der Gemeinschaft streitig zu machen und zu verletzen. Deshalb gilt: "Recht sichert die Freiheit, begrenzt aber auch diese Freiheit am Recht des anderen und am Anspruch der Gemeinschaft.,,6 So wird durch Recht jeder An4 Baruch de Spinoza, Tractatus politicus, in: Sämtliche Werke, Bd. 5,2, lateinischdeutsch, neu übersetzt. Hrsg., mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 1994, S. 16 f.

5 Vgl. dazu auch die Umschreibung des lI. Vatikanischen Konzils: "Der Friede besteht nicht darin, dass kein Krieg ist; er lässt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken; er heißt vielmehr mit Recht und eigentlich ein ,Werk der Gerechtigkeit' (ls 32,17)" (GS 78,1). 6 Audomar Scheuermann, Die Rechtsgestalt der Kirche, in: Die Kirche. Fünfzehn Betrachtungen, Würzburg 1978, S. 69 - 82, S. 71.

Wenn Recht Unrecht ist!

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spruch auf eine sittenwidrige und gewaltsame Ausübung von Freiheit unterbunden.? Wegen dieser grundlegenden Aufgabe und Funktion wird Recht als eine Uridee der Menschheit und als eines der grundlegendsten Kulturgüter hochgeschätzt. Denn erst das Recht ermöglicht ein wirklich menschliches Zusammenleben, das frei ist von Willkür und Gewalt und von einem einseitigen Recht des Stärkeren. Nur das Recht will und kann sowohl die Freiheit des / der Einzelnen schützen wie auch den Frieden und die Eigenart einer Gemeinschaft von Menschen wahren. Das heißt, durch Recht soll eine Friedens- und Freiheitsordnung der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft geschaffen werden, weil erst auf der Grundlage von Frieden und Freiheit die Ausrichtung auf ein Ideal erfolgen und so etwas wie eine Tugend- und Wahrheitsordnung entstehen kann. Aufgabe jeden Rechts als Friedens- und Freiheitsordnung ist es also, "typische Konflikte zu vermeiden und, wo dies nicht gelingt, wenigstens durch ein festgelegtes Verfahren so zu bearbeiten, dass punktuelle Streitigkeiten nicht aus sich heraus ganze Konfliktketten generieren; in dem Maße, wie das gelingt, ist Recht eine präventive und strukturelle Umsetzung des biblischen Versöhnungsauftrags"g und damit ein wesentlicher Beitrag zum Frieden. So nachvollziehbar der Gedankengang bisher war, spätestens jetzt muss die Nachfrage gestellt werden: Gilt das wirklich immer und überall? Muss Recht tatsächlich jeden Streit vermeiden oder beizulegen helfen? Oder kann Recht auch zu einer falschen, weil ungerechten Streitvermeidung beitragen bzw. benutzt werden? Kurzum: Kann es auch so etwas wie ein ungerechtes Recht geben? Kann Recht auch Unrecht sein? Und wenn ja: wie ist dann mit ihm umzugehen? Machen wir das Problem an zwei offensichtlichen Beispielen aus der Vergangenheit deutlich. In Deutschland gab es eine Zeit lang folgende Rechtsverordnung: "Die Bibliothek ist täglich von 12 - 20 Uhr geöffnet. Juden Zutritt verboten!,,9 Und in der katholischen Kirche war im kirchlichen Gesetzbuch von 1917 festgelegt: "Eine weibliche Person darf nicht als Messdiener herangezogen werden, außer in Ermangelung einer männlichen Person und aus einem gerechten Grund sowie unter der Bedingung, dass sie nur von ferne die Antworten gibt und in keiner Weise an den Altar herantritt" (c. 813 § 2 CIC / 1917). Diese bei den sehr unterschiedlichen Beispiele führen zu den Fragen:

? V gl. Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, München 1977, S. 171, der in diesem Zusammenhang nicht von "Freiheit", sondern von "Macht" spricht.

8 Konrad Hilpert, Recht. VI. Theologisch, in: LThK 8, Freiburg i. Br. 1999, S. 873876, S. 875. 9 Dieter Menath, Recht und Gerechtigkeit. Ein Arbeitsbuch für die Oberstufe des Gymnasiums, München 1997, S. 22.

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Muss auch Recht, das Unrecht ist, eingehalten und befolgt werden? Und: Wodurch unterscheidet sich rechtes Recht von unrechtem Recht?

B. Moral und Zwang als notwendige Begleiter des Rechts

Recht ist dazu da, um Frieden und Freiheit zu gewährleisten. Um tatsächlich Frieden und Freiheit zu schaffen und nicht nur einen Scheinfrieden und eine Scheinfreiheit hervorzurufen, reichen Rechtsvorschriften allein nicht aus. Sie müssen vielmehr noch ergänzt, manchmal sogar ersetzt werden durch das, was die personale Tugend der Gerechtigkeit genannt wird. 1O Damit wird das Handeln aus Überzeugung umschrieben bzw. die innere Haltung und Einstellung eines Menschen, ,,nicht bloß das Gerechte zu tun, sondern es aus einer bestimmten Gesinnung heraus, nämlich deshalb zu tun, weil es gerecht ist, und nicht etwa deshalb, weil man andernfalls bestraft oder sozial gemieden würde.'.! 1 Das, was die Tugend der Gerechtigkeit meint, kommt - sozusagen aus einer anderen Perspektive betrachtet - auch in der so genannten "Goldenen Regel" zum Ausdruck, die folgendermaßen lautet: "Tue dem Anderen nicht, was Du nicht willst, das man dir tut!" Oder positiv ausgedrückt: "Tue dem Anderen, was du willst, das man dir tut!,,12 Ansonsten lässt sich "Gerechtigkeit" ebenso wenig definieren wie die Begriffe der Wahrheit, des Guten oder des Schönen. Anders gesagt: "Gerechtigkeit" ist ein dem Menschen eingegebener Bewusstseinsinhalt, dessen Ursprung rational nicht zu erklären ist und den der Mensch "im Anruf seines Gewissens erlebt, und zwar als dahingehend verpflichtend, ihn in den menschlichen Lebensverhältnissen zu verwirklichen. ,,13

10 V gl. dazu die bezeichnende Bildrede in Ps 85,11: "Gerechtigkeit und Frieden küssen sich."

11 Otfried Höjfe, Moral und Recht. Eine philosophische Perspektive, in: StdZ 198 (1980), S. 111 - 121, S. 120; vgl. Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Heidelberg 22001, S. 238. 12 Vgl. Henkel, Einführung (Anm. 7), S. 393. 13 Ebd., S. 395, für den deshalb auch gilt: Die Gerechtigkeit der Menschen zueinander stellt "ein universales Prinzip humaner Sittlichkeit" dar. Dieses beruht auf einem Grundbedürfnis allen menschlichen Soziallebens. Jeder Mensch fordert für sich vom Mitmenschen Gerechtigkeit, und er ist sich im Allgemeinen auch bewusst, diesem wiederum selbst Gerechtigkeit zu schulden" (ebd., 393). Vgl. ähnlich auch Horn, Einführung (Anm. 11), S. 225: "Wir müssen davon ausgehen, dass die Gerechtigkeitsfrage zum sittlichen Bewusstsein des Menschen gehört und damit zu den Konstanten des menschlichen Denkens und Handeins." Ebd., S. 233, wird festgestellt: "Gerechtigkeit ist die in jeder Rechtsfrage mitgedachte Sinnfrage des

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Wäre man nicht allgemein von dieser Grundfähigkeit jedes Menschen zur Tugend der Gerechtigkeit überzeugt, hätte es z. B. wenig Sinn, weiterhin an der Formulierung von Menschenrechten festzuhalten. Denn deren "Missachtung kann vom Völkerrecht nur in seltenen Fällen mit Sanktionen belegt werden. Die Durchsetzungsmöglichkeit der Menschenrechte hat mit ihrer inhaltlichen Normierung und der Plausibilität ihrer Notwendigkeit nicht Schritt halten können.,,14 Dennoch fühlt sich die Mehrheit der Menschen, Völker und Staaten an die Beachtung der Menschenrechte gebunden. Diese Tatsache ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass das Recht "in den entscheidenden Stunden nur vom sittlichen Impuls getragen [wird]. Vom Sittlichen her erhält es die drängende und überzeugende Kraft. ,,15 Und warum gehört dann der Zwang zum Recht? Und wie sehr bestimmt er das Wesen von Recht? Hier gilt als allgemeine Überzeugung: Eine Rechtsordnung, die als reine Zwangsordnung verwirklicht wird, hat keinen dauerhaften Bestand. Denn sie hätte nur so lange Geltungskraft, wie die jeweilige Autorität an der Macht ist und wäre bei neuen Machtverhältnissen beliebig austauschbar. Allerdings gilt auch umgekehrt: Eine Rechtsordnung ohne jegliche Zwangsmittel kann ebenso wenig langfristig bestehen. Denn die grundlegenden Werte und Güter einer Gemeinschaft können nur dann durch das Recht geschützt werden, wenn die Rechtsgemeinschaft fähig ist, gegen deren Missachtung wirkungsvoll vorzugehen. 16 Zwar muss es Ziel jeder Rechtsgemeinschaft sein, dass ihre Rechtsvorschriften nicht nur aus Angst vor Strafe eingehalten werden, sondern auch aus freier Einsicht in deren Sinnhaftigkeit. Doch darf umgekehrt die Verbindlichkeit der Rechtsvorschriften nicht von der individuellen Einsicht in deren Sinnhaftigkeit abhängig gemacht werden, sondern muss durch die Androhung von Zwangsmaßnahmen gesichert werden. Der Rechtszwang ist ein unerlässliches Instrument, die Ernsthaftigkeit des Willens zum wirksamen Schutz der existentiellen Güter und Werte der Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Wie eine gerechte Rechtsordnung nicht ohne Moral auskommt, so kann sie auch nicht auf den Zwang verzichten. Sinnbildlich ausgedrückt: Die Waage als

Rechts." Und ebd., S. 236, resümiert: "Die Annäherung an die Gerechtigkeit ist ein unendlicher Erkenntnisprozess. "

14 Franz Wolfinger, Die Religionen und die Menschenrechte. Eine noch unentdeckte Allianz, München 2000, S. 11. 15

Karl Peters, Recht und Sittlichkeit, in: IkZ Communio I (1972) S. 341- 354, S. 346.

Henkel, Einführung (Anm. 7), S. 120 - 124, weist zu Recht darauf hin, "daß das Recht erst den Zwang legitimiert" (S. 120) und das "Bereitstehen eines organisierten Zwangsapparates zwecks Durchführung des Rechtszwanges in einem rechtlich geordneten Verfahren" (S. 124) voraussetzt. 16

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Sinnbild der Gerechtigkeit, und das Schwert als Sinnbild des geregelten Zwanges gehören zusammen. 17 Das Zusammenspiel von Moral und Zwang kann aber wiederum nur dann und so gelingen, dass zwar die Rechtsordnung als Ganze von einem Zwangscharakter geprägt ist, nicht aber jede einzelne Norm. Eine Norm erhält also nicht erst dadurch Rechtscharakter, dass sie zwangsbewehrt ist, sondern dadurch, dass sie Teil eines Normgefüges ist, das als Ganzes zwangsbewehrt iSt. 18 Nicht ob in jedem Einzelfall Zwangsmaßnahmen zur Einhaltung der Rechtsnorm vorgesehen sind und / oder verhängt werden, ist entscheidend, sondern dass die Rechtsordnung als Ganze so mit Zwangsmaßnahmen ausgestattet ist, dass sie im Großen und Ganzen eingehalten wird, d. h., dass sie im Notfall mit Hilfe der Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden kann. 19 Deshalb geht es in den meisten Fällen nur darum, dass derjenige, der gegen ein rechtliches Gebot oder Verbot verstößt, damit rechnen muss, dass ihn möglicherweise eine eventuell vorgesehene Zwangsmaßnahme trifft. 20 Mit dem Rechtszwang werden somit zwei Ziele verfolgt. Vordergründig und unmittelbar soll vor der Tat abgeschreckt werden; mittelbares und langfristiges Ziel ist es, auf die Motivation des Täters und der Täterin einzuwirken und dadurch nicht nur seine bzw. ihre momentan geplanten, sondern auch seine bzw. ihre künftigen Handlungen zu beeinflussen. Beim Rechtszwang wird also vor allem auf seine Signalwirkung und auf seine vorbeugende Ausstrahlungskraft gebaut. Das für eine gerechte Rechtsordnung notwendige Zusammenspiel von Moral und Erzwingbarkeit macht die beliebte Frage hinfällig, wer von beiden mehr zu bewirken vermag: der Verpflichtungscharakter ethischer Forderungen oder der Zwangscharakter rechtlicher Normen. Eine realistische Einschätzung weiß, dass beides notwendig iSt. 21 Denn nur mit beiden zusammen kann das Dilemma 17

Vgl. Reinhold Zippelius, Einführung in das Recht, Heidelberg 32000, S. 16.

18 Vgl. Ludger Müller, Der Rechtsbegriff im Kirchenrecht. Zur Abgrenzung von Recht und Moral in der deutschsprachigen Kirchenrechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, St. Ottilien 1999, S. 317. 19 Vgl. ebd., 332; Henkel, Einführung (Anm. 7), S. 125, erläutert: "Ein übertriebenes Maß erzwingbarer Verhaltensanforderungen, das den Spielraum freigewählten Sozialverhaltens zu stark einengt und dadurch die Möglichkeiten und die Anlässe zur Aktualisierung rechtlichen Zwanges allzu sehr häuft, bedroht den Charakter und den Wertgehalt dieses Rechts als eines ,richtigen' Rechts und bringt die Rechtsordnung in die bedenkliche Nähe einer Zwangsordnung. Ein zu geringes Maß an Erzwingbarkeit von Verhaltensnormen bedroht dagegen das Recht in seiner Geltungskraft und nähert es dem Nullpunkt seiner Positivität' an." 20 Vgl. Müller, Der Rechtsbegriff (Anm. 18), S. 318.

21

Vgl. Wolfinger, Die Religionen (Anm. 14), S. 13 f.

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vennieden werden, das jeder Gemeinschaft droht: Wenn die Rechtsvorschriften keine Beständigkeit haben, kann man ihnen kein Vertrauen schenken; die Beständigkeit kann aber nur durch ein gewisses Maß an Zwang gewährleistet werden. Wenn die Rechtsvorschriften jedoch keine Veränderung ermöglichen, dann schließen sie die Menschen gewissermaßen wie in einem Gefängnis ein; um Veränderung zu ermöglichen, müssen die Rechtsvorschriften hinreichend Raum für Freiheit und Moral lassen. 22

C. Verantworteter Ungehorsam im Dienst einer gerechten Rechtsordnung (der Kirche) Recht soll Frieden und Freiheit schaffen, kann aber auch zum Gegenteil führen, nämlich zum Handlanger für das Recht des Stärkeren und Mächtigeren missbraucht werden. Recht kann also auch Unrecht, Unfreiheit und Unfrieden schaffen, wie eigene Erfahrungen und viele traurige Beispiele in der Geschichte belegen. Damit Recht seine eigentliche Aufgabe und Funktion erfüllen kann und wirklich langfristig und flächendeckend für Frieden und Freiheit sorgen kann, ist es auf Menschen angewiesen, die bei unrechtem Recht den Mut haben, die unrechten Verhaltensanforderungen nicht zu befolgen und somit statt des Rechtsgehorsams einen verantworteten Ungehorsam leisten. Was ist damit gemeint? Was unrechtes Recht im Unterschied zu rechtem Recht ist, kann leider nicht allgemein definiert werden. "Der maßgebliche Grundgedanke lässt sich nur durch Beispielsfalle anschaulich machen. Da die Mindestanforderung an eine Rechtsordnung darin besteht, dass sie den Menschen in seiner Personhaftigkeit achtet, gehören zu den Beispielen Vorschriften, die den Betroffenen einer Behandlung unterwerfen, weIche ihm jegliche Selbstbestimmung vorenthält oder entzieht, wie etwa die Aberkennung der Rechts- oder Geschäftsfähigkeit gegenüber bestimmten Rassegruppen der Bevölkerung, Zwangs versuche an Menschen ... Zu nennen sind auch offensichtliche schwerste Verstöße gegen das Gerechtigkeitsprinzip, insbesondere durch die Eröffnung reiner Willkür im Verfahren gegen Beschuldigte. Auch ist zu denken an Vorschriften, die gegen die Grundsätze humaner Sittlichkeit verstoßen. In diesem Zusammenhang gehören ferner auch etwaige im Gegensatz zu den sozialethischen Mindestanforderungen stehende Vorschriften, weIche die Rechtsgenossen im Rechtsverkehr

22 Vgl. Ladislaus Örsy, Das Spannungsverhältnis zwischen Beständigkeit und Entwicklung im kanonischen Recht, in: DPM 8/1 (2001), S. 299 - 313, S. 300 f.

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untereinander zu einem gegen Treu und Glauben verstoßenden Verhalten ermächtigen. ,.13 Was den verantworteten Ungehorsam von dem gängigen Ungehorsam abhebt, lässt sich dagegen sehr wohl allgemein umschreiben. Verantworteter Ungehorsam ist für jede Gemeinschaft ein wichtiges Korrektiv oder wie Papst 10hannes Paul 11. seinerzeit als Erzbischof von Krakau formuliert hat: ,,Jede große Organisation braucht eine loyale Opposition." Verantworteter Ungehorsam bzw. loyale Opposition wird nach gründlicher Abwägung und aus tiefer Überzeugung geleistet und will die Gemeinschaft auf verfehlte Einzelregelungen aufmerksam machen und sie so vor möglichen Fehlentwicklungen schützen. Im Unterschied dazu ist der gängige bzw. willkürliche Ungehorsam auf einen individuellen Vorteil aus und geschieht in der Regel aus Bequemlichkeit oder Überheblichkeit. Deshalb gehört zum verantworteten Ungehorsam auch die Bereitschaft, die rechtlichen Konsequenzen des praktizierten Rechtsbruches in Kauf zu nehmen und zu tragen. Denn gerade die Bereitschaft dazu dient als Beweis dafür, dass die grundSätzliche Geltung der Grundlagen und damit der Rechtsordnung anerkannt wird. 24 Weil es also auch immer wieder Rechtsvorschriften gibt, die Unrecht enthalten oder sogar insgesamt Unrecht sind, haben alle Glieder einer Gemeinschaft auch die Gläubigen der katholischen Kirche - das Recht, aber auch die Pflicht, sich nicht einfach blind den von der (kirchlichen) Autorität angeordneten Gesetzen zu unterwerfen, sondern diese in einem aktiven Akt der Einsicht in das Gebotene anzuerkennen und in verantwortetem Gehorsam zu befolgen oder nach kritischer Prüfung aus Überzeugung bzw. verantwortetem Ungehorsam abzulehnen?5 Ein recht verstandener (Kirchen-)Rechtsgehorsam bedeutet somit

23

Henkel, Einführung (Anm. 7), S. 564 f.

V gl. Wilhelm Guggenberger, Ein sozialethischer Gedanke zur Frauenpriesterweihe, S. 1 - 9, S. 3, website-Artikel, in: Innsbrucker Theologischer Leseraum (http://theol. uibk.ac.atlleseraumltexteI268.html, Stand: März 2006). 24

25 In c. 212 § I CIC, der von der Gehorsamspflicht in der Kirche handelt, ist dementsprechend auch nicht nur einfach von der christlichen Gehorsamspflicht die Rede, sondern die Forderung nach dem christlichen Gehorsam ist hier vielmehr verbunden mit dem Hinweis, diesen "im Bewusstsein der eigenen Verantwortung" zu leisten. Damit ist der christliche Gehorsam klar von einem blinden und erzwungenen Gehorsam, von einem Kadavergehorsam abgegrenzt und als ein reifer bzw. mündiger und vernünftiger Gehorsam charakterisiert, der in Freiheit angenommen und verantwortet wird. Reife, Mündigkeit und Vernünftigkeit verlangen ein erhebliches Maß an Urteilsvermögen wie auch an Zivilcourage. Denn die Wahrnehmung der Verantwortung, d. h. die gewissenhafte Prüfung ohne subjektive Überheblichkeit und voreilige Besserwisserei, kann unter Umständen nicht zu dem gewünschten Gehorsam, sondern im Gegenteil zu einem Un-

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nicht einfach unkritische Annahme jeder (kirchlichen) Vorschrift, sondern eine kreative Auseinandersetzung mit der Vorschrift unter dem Aspekt der Gerechtigkeit. Werden demzufolge Gesetze nicht nur vereinzelt, sondern von der Mehrheit der Gemeinschaft befolgt oder abgelehnt, ist das als eine Art gelebter Rechtsakt zu verstehen. 26 Ohne einen solchen gelebten Rechtsakt kraft Ungehorsams bzw. gesetzwidriger Gewohnheit wäre es z. B. in der katholischen Kirche nicht zu der Liturgiereform des 11. Vatikanischen Konzils, vor allem hinsichtlich der Muttersprache, gekommen. Ebenso hat der Ungehorsam gegenüber dem kirchlichen Verbot, eine bekenntnisverschiedene Ehe einzugehen, zu einer neuen und positiven Bewertung dieser Ehen in theologischem wie rechtlichem Sinn beigetragen. Auch die Zulassung von Mädchen als Ministrantinnen war zunächst durch gelebten Ungehorsam eingeführt worden. Ehrlicherweise muss allerdings an dieser Stelle ein- und nachgehakt werden. Denn dieses für das (kirchliche) Rechtsleben notwendige wechselseitige Zusammenspiel von Autorität und Gemeinschaft der Gläubigen ist im kirchlichen Gesetzbuch kaum rechtlich abgesichert, sondern allein vom guten Willen der Autorität abhängig. Überhaupt gibt es im kirchlichen Gesetzbuch keinerlei Rechte gegen die kirchliche Autorität, auf die sich die Gemeinschaft oder der / die Einzelne berufen könnte?7 "Das wäre aber wichtig nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Institution selbst, dass sie durch interne Kritik vor Erstarrung und Verknöcherung bewahrt wird. Gerade die institutionell gesicherte Freiheit ermöglicht und fördert die Kreativität der Mitglieder ... Diese institutionell verankerte Sicherheit, nicht auf den guten Willen der Autoritätsträger angewiesen zu sein, ist ein Ziel des modemen Autonomiestrebens, begründet in der Personwürde. Es stünde der Kirche gut an, solche ,rechtsstaatli-

gehorsam und Widerstand führen (vgl. Konrad Hilpert, Gehorsam. H. Theologischethisch, in: LThK 4, Freiburg i.Br. 31995, S. 360 - 362, S. 362). 26 Hubert Müller, Das Gesetz in der Kirche ,zwischen' amtlichem Anspruch und konkretem Vollzug - Annahme und Ablehnung universalkirchlicher Gesetze als Anfrage an die Kirchenrechtswissenschaft, München 1978, S. 9 f. 27 Vgl. dazu auch Jürgen Werbick, Kirche. Ein ekklesiologischer Entwurf für Studium und Praxis, Freiburg i. Br. 1994, S. 351 f: "Das juristische Denken war in der Kirche weithin ein Denken von oben nach unten; es sicherte die Eingriffsmöglichkeiten der Oberen, aber nicht die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten oder die Eigenverantwortung der jeweils ,niedrigeren' Communio-Ebenen. Es machte die Zuständigkeiten der Oberen zu einklagbaren und durchsetzbaren Rechten; die legitimen Ansprüche der ,Unteren' aber konnten nur zum Zuge kommen, wenn sich die Oberen auf ihr ,kommuniales Gewissen' ansprechen ließen."

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chen' Sicherungen auch in ihre eigene institutionelle Verfasstheit zu integrieren.,,28

D. Recht als (Auf-)Gabe zur kreativen Auseinandersetzung für alle Glieder der Gemeinschaft

Recht (in der Kirche) kann tatsächlich Frieden und Freiheit schaffen, wenn zumindest drei Voraussetzungen erfüllt sind: - Recht (in der Kirche) wird als ein vielschichtiges Phänomen ernst genommen, das mehr als nur die Rechtsvorschriften umfasst. - Recht (in der Kirche) wird nicht nur als Gabe, sondern auch als Aufgabe gesehen. - Recht (in der Kirche) ist Aufgabe sowohl für die Gemeinschaft wie auch für jedes einzelne Glied. Damit diese drei Voraussetzungen nicht nur theoretisch akzeptiert werden, sondern auch praktische Auswirkungen haben, ist bei der Auslegung und Anwendung von Recht vor allem Folgendes zu beachten: Alle Rechtsnormen sind stets auf ihre Legitimität hin zu befragen und speziell kirchliche Rechtsnormen auf ihre theologische Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Recht kann nur dann Garant für Frieden und Freiheit sein, wenn die Wirklichkeit und das Kulturgut "Recht" nicht einfach nur auf die beiden Rechtsebenen der Rechtsvorschrift und der Rechtsanwendung reduziert wird. Zu Recht gehört eine weitere Ebene wesentlich dazu, nämlich die Metaebene des Rechts. Denn auf der Metaebene des Rechts werden die entscheidenden Fragen nach Sinn und Zweck wie auch nach den Auswirkungen einer konkreten Rechtsvorschrift gestellt. Demzufolge kann und darf jedes einzelne Glied einer Rechtsgemeinschaft eine Rechtsvorschrift nicht einfach nur befolgen und anwenden; andernfalls ist der Vorwurf einer rein positivistischen Rechtsanwendung zu erheben, die nur und direkt den Buchstaben des Gesetzes beachtet und nur einen reinen Gesetzesgehorsam leistet, ohne dessen Voraussetzungen, Zielrichtung und Konsequenzen zu bedenken. Wer nicht nur nach Recht bzw. Gesetz handeln will, sondern auch gerecht sein will, ist verpflichtet, nicht nur den Wortlaut eines Gesetzes zu beachten, sondern vor der Anwendung des Gesetzes die Metaebene des Rechts zu beachten und zu befragen. Hier auf der Metaebene

28 Walter Kerber, Autonomiestreben und Vorbehalte gegenüber Institutionen, in: Zwischen Loyalität und Widerspruch. Christsein mit der Kirche. Hrsg. v. Johannes Gründel u. a., Regensburg 1993, S. 51 - 72, S. 68.

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des Rechts wird die Frage nach dem geltenden Recht durch die Frage nach dem rechten bzw. gerechten Recht ergänzt. Diese Rückbindung an die Metaebene des Rechts kann als präpositive Rechtsanwendung bezeichnet werden. Denn sie prüft, ob die konkrete Rechtsvorschrift dem Frieden und der Freiheit, aber auch der Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit sowie dem Wohl der Gemeinschaft und des / der Einzelnen dient. Je nach dem Ergebnis der Prüfung wird dann ein verantworteter Gehorsam bzw. Ungehorsam gegenüber der Rechtsvorschrift und ihrer Anwendung geleistet. Nur wenn mit Hilfe dieser übergeordneten Prinzipien wie Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Heil der Seelen der Sinn des jeweiligen Gesetzes auf die konkrete Situation angewendet wird, kann vermieden werden, was bereits im frühen römischen Recht in den Grundsatz gekleidet worden ist: Summum ius est summa iniuria - höchstes Recht ist höchste Ungerechtigkeit. 29 Und nur so, also nur mit Hilfe von übergeordneten Rechtsprinzipien, kann die Rechtsordnung den Anforderungen des Lebens entsprechend fortentwickelt werden. Speziell im Kirchenrecht muss aber vor der präpositiven Rechtsanwendung noch eine weitere Metaebene bedacht werden, nämlich die theologische Grundlage der konkreten Rechtsvorschrift. Gerechtigkeit in der Kirche verlangt, eine kirchliche Rechtsvorschrift an den zentralen Glaubensüberzeugungen und Lehren der katholischen Kirche zu spiegeln und zu überprüfen, wie z. B. an den Glaubenslehren von der Kirche als Heilsgemeinschaft Gottes und der Menschen, vom Glaubenssinn aller Gläubigen, vom gemeinsamen und besonderen Priestertum. Deshalb kann hier gleichsam von einer theologisch rückgebundenen präpositiven Rechtsanwendung gesprochen werden. Ihr Kennzeichen sind die beiden Fragestellungen: 1. Welches theologische Anliegen steht hinter den Rechtsbestimmungen? 2. Kommt dieses theologische Anliegen durch die konkrete Rechtsvorschrift hinreichend zum Tragen oder muss diese oder jene Rechtsnorm im Interesse der Theologie verändert werden und dementsprechend bereits jetzt bei der konkreten Rechtsanwendung modifiziert werden? Natürlich müssen solche theologisch rückgebundenen Überlegungen nicht bei jedem kirchlichen Lebensbereich im gleichen Ausmaß angewendet werden. So ist etwa das kirchliche Verfassungs-, Verkündigungs- und Sakramentenrecht wesentlich mehr auf seine theologischen Grundlagen und Grenzen zu befragen als etwa das kirchliche Vermögens- und Prozessrecht. Generell ist aber festzuhalten: Nur durch die theologische Überprüfung kann sichergestellt werden, dass alle kirchlichen Rechtsvorschriften wenigstens mittelbar im Dienst an der Sendung der Kirche stehen und nicht zu einer unsachgemäßen Verrechtlichung des kirchlichen Lebens beitragen. 3D Erst die theologisch rückgebundene Rechtsvorschrift 29

Vgl. Cicero, De officiis I, 33.

30

Vgl. Müller, Der Rechtsbegriff (Anm. 18), S. 330.

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wird mit der Metaebene des Rechts konfrontiert, um im Anschluss daran die Rechtsvorschrift entsprechend anzuwenden oder gerade nicht anzuwenden. Nur wo und wenn diese verschiedenen Ebenen des Rechts beachtet werden, kann Recht den Anforderungen des Lebens entsprechend fortentwickelt werden und so eine gerechte Ordnung bleiben, die im Dienst des Menschen steht und nicht umgekehrt den Menschen zu ihrem Diener macht.

"Stell deine Überlegung zusammen mit Verständigen an, und berate alles in ihrem Kreis!" (Sir 9,15) Beratung und Zustinunung als Formen der Teilhabe der Gläubigen an der Leitungsfunktion in der Kirche Von Andreas Weiß Alfred Hierold hat sich mehrmals zur Teilhabe der Laien an der pfarrlichen und bischöflichen Hirtensorge geäußert, die jene in besonderer Weise durch ihr Mittun in den Gremien der Mitverantwortung ausüben können. I Anlässlich seines 65. Geburtstages seien einige nicht nur kanonistische Überlegungen zur Rätestruktur und zu neueren "partizipatorischen Gehversuchen,,2 des Miteinanders von Amtsträgern und Laien im Leitungsdienst aus dem Bistum Rottenburg-Stuttgart angestellt - verbunden mit den besten Wünschen an den Jubilar für die Jahre nach der aktiven Zeit an der Universität.

A. Einleitung Dass es nicht nur klug ist, sondern notwendig im wahrsten Sinn des Wortes sein kann, Rat zu geben und einzuholen, gehört zum Grundbestand menschlicher Erfahrung. Davon weiß die Weisheitsliteratur der Bibel, aus dem Buch Jesus Sirach ist die Aufforderung der Überschrift dieses Artikels entnommen. Und im Buch der Sprichwörter steht: "Wo es an Beratung fehlt, da scheitern die Pläne, wo viele Ratgeber sind, gibt es Erfolg" (Spr 15,22). Aus dem eigenen I z. B. Alfred Hierold, Systematische und inhaltliche Perspektiven des revidierten Codex Iuris Canonici, in: ThGI 72 (1982), S. 156 - 174, hier S. 171 - 174; ders., Inhaltliche Perspektiven des Verfassungsrechtes des revidierten kirchlichen Gesetzbuches, in: AfkKR 152 (1983), S. 349 - 368, hier S. 365 f.

2 Leo Karrer, Wohin geht die Kirche morgen? Rückblick und Ausblick, in: Wohin geht die Kirche morgen? Entwicklung Pastoraler Prioritäten in der Diözese RottenburgStuttgart. Hrsg. v. Klaus Kießling I Viera Pirker I Jochen Sautermeister, Ostfildern 2005, S. 369 - 386, hier S. 369.

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Alltag kann wohl jede und jeder bestätigen: Von guter Beratung hängen oft die richtige Entscheidung und deren Umsetzung ab. Wenn alle vorhandenen Kenntnisse zusammengelegt werden, optimieren Beratungsprozesse das angezielte Ergebnis. Da grundlegende Dimensionen menschlicher Erfahrung an der Kirchentüre nicht Halt machen, erweist sich "das Beziehungsgefüge von RatNehmen und Rat-Geben" auch als ein "unverzichtbares Strukturelement von Communiopraxis" in der Kirche, ohne seine angemessene Konkretisierung "kann offenbar die Verwirklichung von Communio kaum gelingen.·