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German Pages 577 Year 2006
Betriebswirtschaftliche Schriften Heft 165
Unternehmungen, Versicherungen und Rechnungswesen Festschrift zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Dieter Rückle
Herausgegeben von
Theodor Siegel, Andreas Klein, Dieter Schneider und Hans-Peter Schwintowski
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
TH. SIEGEL, A. KLEIN, D. SCHNEIDER und H.-P. SCHWINTOWSKI (Hrsg.)
Unternehmungen, Versicherungen und Rechnungswesen
Betriebswirtschaftliche Schriften
Heft 165
Unternehmungen, Versicherungen und Rechnungswesen Festschrift zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Dieter Rückle
Herausgegeben von
Theodor Siegel, Andreas Klein, Dieter Schneider und Hans-Peter Schwintowski
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0523-1035 ISBN 3-428-11711-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Dieter Rückle 65 Jahre – an den Inhalt dieser Information wird man sich erst gewöhnen müssen. Die in dieser Festschrift zur Gratulation vereinten Autoren sind jedoch überzeugt davon, dass das gefühlte Alter entscheidend ist und daher der Eintritt Dieter Rückles in den Ruhestand nur beamtenrechtlich wirkt. Sie ehren hier einen hervorragenden Wissenschaftler in der Gewissheit, dass er der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Betriebswirtschaftslehre noch lange mit kreativen Beiträgen zur Forschung und deren nutzenstiftenden Umsetzung in die ökonomische Realität erhalten bleibt. Dieter Rückle ein Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier – das war wohl in mehrfacher Hinsicht in seinen frühen Jahren nicht zu ahnen. Für Opernfans wie Dieter Rückle sind zwar „Der Türke in Italien“ oder „Die Italienerin in Algier“ feststehende Begriffe – aber ein Österreicher in Trier? Ein verschlungenes Schicksal führte ihn aus seiner Geburtsstadt Wien über Kindheit und Jugend in den österreichischen Provinzstädten Schärding und Steyr schließlich nach Trier und hielt ihn dort zur Überraschung vieler Kollegen fest. Zum Studium begab sich Dieter Rückle aus Oberösterreich wieder in die Metropole, wo er von 1959 bis 1963 an der Hochschule für Welthandel, der jetzigen Wirtschaftsuniversität Wien, Betriebswirtschaftslehre studierte und als Diplomkaufmann dort sein Doktoratsstudium fortsetzte. Schon seine Dissertation „Investition und Marktverhalten“ 1968 fiel auf, erst recht aber die Habilitationsschrift, die er 1978 – inzwischen an die Universität Wien gewechselt – vorlegte: Seine „Normative Theorie der Steuerbilanzpolitik“ gilt nicht nur wegen ihres immensen Umfangs immer noch als Grundlagenwerk eines die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre belebenden Bereiches (was ihm schon damals die Hochachtung eines der Herausgeber, der sich ebenfalls der Steuerbilanzplanung verschrieben hatte, einbrachte). Für sein klares, analytisches Denken kam Dieter Rückle sicherlich zugute, dass er parallel fünf Semester Mathematik studierte – und außerdem genoss er eine Gesangsausbildung, die zu ungeahnten persönlichen Verbindungen zwischen Betriebswirtschaftslehre und Musik verlockte und sich verfestigte. Wir wissen nicht, wie er als Tamino, Troubadour und Tristan wirken würde – aber dann wäre der Wissenschaft jene Bereicherung entgangen, die seiner Tätigkeit als Hochschullehrer folgte. 1980 übernahm Dieter Rückle einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzierung, an der Universi-
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Vorwort
tät Münster; 1984 wechselte er an die Universität Wien; seit 1990 ist er Ordinarius mit den Schwerpunkten Wirtschaftsprüfung und Rechnungswesen an der Universität Trier. Vergleicht man die Operninteressen Dieter Rückles mit der musikgeographischen Lage Triers, so muss es erstaunen, dass er Rufe an andere Universitäten reihenweise ablehnte: so 1993 nach Linz, 1996 nach Leipzig und insbesondere 1998 an die Freie Universität Berlin (einer der Herausgeber malt sich aus, was er alles gemeinsam mit Dieter Rückle in Berlin angestellt hätte). Immerhin entsagt er seinen Interessen nicht, weil er häufig Musikreisen unternimmt, insbesondere nach Wien, wo er aus alter Zeit noch ein „Stadtpalais“ (freilich etwas kleiner als im „Rosenkavalier“, 2. Akt) unterhält. Wer Informationen benötigt, welcher Platz in welcher Loge in der Wiener Staatsoper noch gute Sicht bietet, frage Dieter Rückle. Sein Ansehen in den Bereichen Externes Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung fand kürzlich in der Verleihung des Dr.-Kausch-Preises 2005 in St. Gallen seine Entsprechung, erfasst aber die breiten wissenschaftlichen Interessen von Dieter Rückle nicht. So reichen seine Forschungen über die Anfänge im Finanzierungsbereich weit in die Versicherungs-Betriebswirtschaftslehre hinein, in der er einen Wirkungsbereich für seine Fähigkeiten und Kenntnisse zur praktischen Anwendung findet: Als langjähriges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundes der Versicherten e.V. hat er Wesentliches für den Verbraucherschutz geleistet. Der Beirat hat von seinen scharfsinnigen Analysen insbesondere zu der problematischen Zillmerung, zum Risikotransfer bei Versicherungsverträgen und zur Transparenz auf dem Versicherungsmarkt profitiert. Äußere Erfolge sind auch hier nicht ausgeblieben, worüber sich auch einer der Herausgeber als sein Weggefährte im genannten Wissenschaftlichen Beirat freut: Mit auf das Engagement von Dieter Rückle ist die Einsetzung einer Kommission zur Reform des Privatversicherungsrechts durch die Bundesministerin für Justiz 2000 zurückzuführen; insbesondere hat er wesentliche Vorarbeit – auch als Gutachter – bei Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht geleistet, das in einem aufsehenerregenden Urteil vom 26. Juli 2005 den Gesetzgeber verpflichtete, für eine angemessene Überschussbeteiligung der Versicherten bei Kapitallebensversicherungen zu sorgen. Die wissenschaftliche Gemeinschaft der betriebswirtschaftlichen Hochschullehrer verdankt Dieter Rückles Einsatzbereitschaft viel, so in seinen zeitweisen Tätigkeiten als Vorsitzender des Kooperationsverbandes der ordentlichen Professoren der Betriebswirtschaftslehre Österreichs, im Vorstand des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (auch als Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission Rechnungswesen) bis zum Einsatz als Vorstandsmitglied des Verwaltungsrats des Studentenwerks Trier.
Vorwort
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Zwei der Herausgeber denken gern an gemeinsame Versuche mit Dieter Rückle, eine aus ihrer Sicht eintretende Schwächung der Wirtschaftsprüferausbildung zu verhindern. Ihr Anliegen, die Betriebswirtschaftslehre weiterhin innerhalb eines gesonderten Examens zu prüfen und ein Einwirken der Praxis auf Universitätsprüfungen zu verhindern, stieß auf breite Zustimmung im Verband der BWL-Hochschullehrer; ohne Unterstützung durch dessen Vorstand konnte ihrem Vorstoß jedoch kein Erfolg beschieden sein. Immerhin haben Dieter Rückle und andere Problembewusstsein erzeugt. Seinem Engagement in theoretischer und in praxisorientierter Forschung entspricht seine Einstellung in der akademischen Lehre. Seine Studierenden (zu denen einer der Herausgeber gehörte) schätzen an ihm sein unorthodoxes Verhalten, wobei ihn sein breiter Wissensschatz mitunter veranlasst, mit seiner eigenen Gliederung frei umzugehen, und sich die Zeitangabe c.t. oft nicht auf 15 Minuten beschränkt. Dabei bleibt aber Zeit genug, durch seine Anregungen nicht nur für den Beruf, sondern auch für das Leben auszubilden. Seinen wissenschaftlichen Nachwuchs fördert er u.a. als Gründungsmitglied in einem Doktorandenseminar, das er gemeinsam mit mehreren Kollegen – darunter einem der Herausgeber – pflegt. Dieter Rückle bewahrt in jeder Situation bewundernswerte Ruhe – nach dem Motto: „Es geht sich schon aus!“ Diese Sprechweise hat sicherlich genau so wie seine Liebenswürdigkeit, aufgrund derer er mit den unterschiedlichsten Charakteren auskommt, mit seiner österreichischen Herkunft zu tun. Seine Figürlichkeit scheint mit diesen Phänomenen abgestimmt: Obwohl er auch im Wasser seine Runden zieht, hat er den Kampf gegen die Pfunde noch nicht gewonnen. Die Autoren dieser Festschrift wünschen ihm weiterhin seine Frische, Schaffenskraft und Schaffensfreude. Vielleicht spornen ihn die zu seinen Ehren hier präsentierten Untersuchungen zu fruchtbarer Auseinandersetzung an. Die Festschrift wäre ohne den unermüdlichen Einsatz von Herrn Dipl.Kfm. Tobias Schmalzhaf nicht zustande gekommen, aber auch nicht ohne finanzielle Unterstützung, für die wir namentlich der Bearingpoint GmbH, Niederlassung Düsseldorf, Bereich Finance (im Segment Infrastructure Services), Deloitte Deutschland sowie PricewaterhouseCoopers S.à r.l., Luxembourg, danken. Nicht zuletzt gilt unser Dank dem Verlag Duncker & Humblot für günstige Konditionen und freundliche Zusammenarbeit. Im Sommer 2006
Theodor Siegel, Andreas Klein, Dieter Schneider, Hans-Peter Schwintowski
Inhaltsverzeichnis
A. Unternehmen, Unternehmenswert und Banken Christoph Brömmelmeyer Der Königsweg der Information? Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente nach der Richtlinie 2004/39/EG ...................... 13 Bernhard Großfeld Globale Wirtschaft und Internationales Recht ......................................................... 31 Gerwald Mandl und Klaus Rabel Der objektivierte Unternehmenswert im Lichte einer normorientierten Bewertung ............................................................................................................... 45 Dieter Schneider Verringern „Grundsätze ordnungsgemäßen Ratings“, Risikomodelle und Eigenkapitalunterlegungen die Insolvenzgefahr bei Kreditinstituten?..................... 67 Hans-Peter Schwintowski Berliner Bankenskandal – Ursachen und Konsequenzen......................................... 83 Gerhard Seicht Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen ...................................... 97
B. Versicherung Otto A. Altenburger Neue Argumente gegen eine Prämientrennung ....................................................... 129 Jürgen Basedow Die Laufzeit von Versicherungsverträgen als rechtsökonomisches Problem ................................................................................................................... 143
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Inhaltsverzeichnis
Michael Bäuerle Ökonomische Voraussetzungen der Privatautonomie und Versicherungsvertrag............................................................................................... 161 Jochen Hundsdoerfer Zur einzelwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit von Privatrenten: Kapitalmarktvervollständigung, Überschussbeteiligung, Steuereffekte .................. 177 Friedhelm Kläs und Christoph Bonin Die Abbildung des Versicherungsvertrages im IFRS-Abschluss: Was steht am Ende von Phase II des Insurance-Projektes? ..................................... 199 Wolfgang B. Schünemann Diskriminierungsverbote und Versicherungsrecht................................................... 221 Astrid Wallrabenstein Richter rechnen doch ............................................................................................... 243
C. Rechnungslegung Dirk Hachmeister Analyse der Regelungen zur Cashflow-Schätzung beim Goodwill Impairment Test vor dem Hintergrund der Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Prüfung ............................................................................................................. 257 Thomas von Hippel Besonderheiten der Rechnungslegung bei Nonprofit Organisationen ..................... 277 Christian Kirchner Fair-Value-Bewertung nach Internationalen Rechnungslegungsstandards als Schwachstelle der Corporate Governance.......................................................... 299 Volkmar Klatte Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen unter Berücksichtigung des Unbundling........................................................................... 311 Eduard Lechner Eigenkapitalausweis österreichischer Privatstiftungen ............................................ 341
Inhaltsverzeichnis
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Adolf Moxter Zur bilanziellen Berücksichtigung von Rückdeckungsversicherungsansprüchen.................................................................. 359 Matthias Schmidt Fortentwicklung von Rechnungslegungsnormen, Rechnungslegungsversicherung und Wirtschaftsprüfung........................................ 369 Tanja Palzer und Eckhard Schmitz Bilanzen der Kommunen – Implikationen für Lehre und Praxis ............................. 391 Jochen Sigloch Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung – off- or on-balance sheet? ......................................................................................... 409
D. Steuern Jörg Baetge und Achim Lienau Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote im Rahmen der Analyse der Erfolgslage ................................................................. 427 Susanne Delahaye und Reinhold Hömberg Ist die Umwandlung in eine GmbH aus steuerlicher Sicht für den Einzelunternehmer eine Alternative?....................................................................... 445 Hans Günter Rautenberg Analyse und Gestaltung steuerlicher Hilfen bei Katastrophenschäden.................... 471
E. Prüfung Andreas Klein und Tomas Walter Prüfungsrationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Werk von Dieter Rückle........................................ 491 Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger Der Sarbanes-Oxley Act und seine Auswirkungen auf die Gestaltung von Informationssystemen....................................................................................... 513
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Inhaltsverzeichnis
Theodor Siegel Zu Unabhängigkeit und Besorgnis der Befangenheit bei Wirtschaftsprüfern und bei Hochschullehrern........................................................................................ 537
Schriftenverzeichnis Dieter Rückle .............................................................................. 561 Autorenverzeichnis....................................................................................................... 574
Der Königsweg der Information? Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente nach der Richtlinie 2004/39/EG Von Christoph Brömmelmeyer Bisher hat Rückle das Thema „Informations- und Beratungspflichten“ vor allem im Kontext der Lebens- und Krankenversicherung aufgegriffen: Die Frage, wie eine „anleger- und objektgerechte Beratung“ in der Lebensversicherung aussehen könnte1 und ob sich Transparenz durch Information herstellen lässt,2 hat lebhafte Diskussionen ausgelöst, an denen sich auch Rückle intensiv beteiligt hat.3
I. Einführung Im Bank- und Kapitalmarktrecht versteht man unter Information die „bloße Mitteilung von Tatsachen“,4 unter Beratung hingegen die „qualifizierte Bewertung“ von Informationen, die mit einer Empfehlung an den (potentiellen) Kunden einher geht.5 In der Bundesrepublik Deutschland ist die Informations- und Beratungspraxis auf Märkten für Finanzinstrumente6 reguliert (§§ 31 f.
___________ 1
Dazu: Schwintowski (1995), S. 11. Dazu: Schwintowski (2000), S. 87; Brömmelmeyer (2004), S. 115. 3 Vgl. Rückle (2004), S. 94, 95 f.; Jasper (2004), S. 166. 4 Vgl. Ebers (2003), S. 173; Schwark (2004), § 31 WpHG, Rn. 53; Kümpel (2004), Rn. 16.534. 5 Ebers, (2003), S. 173; Schwark, (2004), § 31 WpHG, Rn. 53; BGH, Urteil vom 04.02.1987 – IVa ZR 134/85, WM 1987, S. 531 f.; vgl. auch: Art. 4 Abs. 1 Nr. 4 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 über Märkte für Finanzinstrumente zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 30.04.2004 (ABl. EG 2004, Nr. L 145, S. 1). 6 Begriff: Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 i.V.m. Anhang I Abschnitt C der Richtlinie 2004/39/EG. 2
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Christoph Brömmelmeyer
WpHG7). Bereits ein flüchtiger Blick auf die jüngste Rspr. offenbart jedoch erhebliche Missstände: – Das OLG Jena8 hat – unter Berufung auf den BGH9 und das Kammergericht10 – ein Beratungsverschulden einer Bank angenommen, die einer 60jährigen selbständigen Unternehmerin mit nur geringfügigen Rentenansprüchen empfohlen hatte, ihr aus einer Lebensversicherung frei werdendes, zur Altersversorgung bestimmtes Kapital in Höhe von 263.000,- DM ausschließlich in spekulative Aktienfonds zu investieren. – Das OLG Düsseldorf11 hat die Haftung einer Wertpapierhandelsbank bejaht, die den in Terminoptionsgeschäften unerfahrenen Kunden aufgrund eines Telefonkontakts angeworben und später sog. „höhere Transaktionsaufschläge“ verlangt hatte. Ebenso wie gewerbliche Terminoptionsvermittler habe die Bank, so das OLG Düsseldorf, „unmissverständlich“ darauf hinzuweisen, dass höhere Transaktionsaufschläge vor allem Mehrfachanleger praktisch chancenlos machten.12 – Das OLG Frankfurt13 hat eine Bank haften lassen, die einem Kunden mit mittlerer Risikobereitschaft trotz ständig fallender Kurse und einer Herabstufung des Ratings von „BB“ auf „B-“ den Erwerb von Argentinien-Anleihen empfohlen hatte, hat allerdings ein Mitverschulden (30 %) des Kunden bejaht, der den Risikocharakter des Investments angesichts der angekündigten Rendite von 15% im Jahre 2001 hätte erkennen können und müssen. – Das OLG Koblenz14 hat die Haftung einer Bank bejaht, die ihre Empfehlung, bestimmte am Neuen Markt notierte Aktien zu kaufen, mit dem Hinweis auf die positive Bewertung von Lehmann Brothers und UBS Warburg begründet, „warnende Stimmen“ jedoch ignoriert bzw. für sich behalten hatte. Im Lichte dieser Rspr. stellt sich pointiert die Frage der Effektivität der Informations- und Beratungspflichten – und der Effektivität der Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin).15 Die erste Frage ___________ 7 Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.09.1998 (BGBl. I S. 2708), zuletzt geändert durch Art. 10 a des Gesetzes zur Neuordnung des Pfandbriefrechts vom 22.05.2005 (BGBl. I S. 1373). 8 OLG Jena, Urteil vom 17.05.2005 – 5 U 693/04, ZIP 2005, S. 1913. 9 BGH, Urteil vom 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, NJW 1982, S. 1095 f. 10 KG, Urteil vom 20.08.2004 – 25 U 1/04 (noch nicht veröffentlicht). 11 OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.02.2005 – I-15 U 81/04, 15 U 81/04 (noch nicht veröffentlicht). 12 OLG Düsseldorf wie Fn. 11. 13 OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2004 – 23 U 281/03, VersR 2005, S. 797. 14 OLG Koblenz, Urteil vom 30.11.2004 – 3 U 241/04, OLGR Koblenz 2005, S. 362. 15 Zur Präventivkontrolle der BaFin: Beck (2004), § 5 WpHG, Rn. 3, 15; Lang (2004), Rn. 2.69.
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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soll hier anhand der Informationspflichten der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) vertieft werden.
II. Historische Entwicklung der Informationspflichten Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten hat die Europäische Gemeinschaft erstmals in der Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen16 vom 10.05.1993 verankert. Diese Richtlinie führte im Interesse des Binnenmarktes einen „Europäischen Pass“ für Wertpapierdienstleistungen ein, knüpfte das Herkunftslandprinzip aber an die Einführung bestimmter „Wohlverhaltensregeln“ (Art. 11 Abs. 1). Die Bundesrepublik Deutschland hat die Richtlinie im Rahmen des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes17 aufsichtsrechtlich umgesetzt. Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 WpHG ist ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, „von seinen Kunden Angaben über ihre Erfahrungen oder Kenntnisse in Geschäften, die Gegenstand von Wertpapierdienstleistungen ... sein sollen, über ihre mit den Geschäften verfolgten Ziele und über ihre finanziellen Verhältnisse zu verlangen [Nr. 1]“ und „seinen Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen [Nr. 2], soweit dies zur Wahrung der Interessen der Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist“.18 Konkretisiert wird diese Informationspflicht u.a. durch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Finanzausschusses.19 Danach soll der Kunde „in die Lage versetzt werden, die Tragweite und Risiken seiner Anlageentscheidung einzuschätzen“, damit er „die wirtschaftlichen Folgen seiner Entscheidung tragen“ kann.20 Unter „zweckdienlichen Informationen“ versteht der Finanzausschuss21 „die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentlichen Einzelheiten“ im Hinblick auf die allgemeinen, aber auch auf die mit der Anlage speziell verbundenen Risiken. Die Informationen müssten, so der Finanzaus___________ 16
Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10.05.1993 über Wertpapierdienstleistungen (ABl. EWG 1993, Nr. L 141, S. 27); zuletzt geändert durch die Richtlinie 2000/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.11.2000 (ABl. EG 2000, Nr. L 290, S. 27). 17 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) vom 27.07.1994 (BGBl. I S. 1749). 18 Ergänzende Informationspflichten sieht § 37d WpHG im Hinblick auf Finanztermingeschäfte (vgl. § 2 Abs. 2a, Abs. 2 WpHG) vor. 19 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucksache 12/7918 vom 15.06.1994, S. 103. 20 Finanzausschuss wie Fn. 19. 21 Finanzausschuss wie Fn. 19.
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Christoph Brömmelmeyer
schuss weiter, „vollständig und in einer für den Anleger verständlichen Art und Weise gegeben werden. “22 Konkretisiert werden die Informationspflichten aber auch durch die (norminterpretierende) „Wohlverhaltensrichtlinie“ der BAFin.23 Danach ist der Kunde – ggf. mithilfe standardisierter Informationsmaterialien – „über die Eigenschaften und Risiken der einzelnen Anlageformen aufzuklären“.24 Die Informationsqualität regelt die BAFin abstrakt – die Informationen müssen u.a. „zutreffend, vollständig, unmissverständlich sowie gedanklich geordnet und in geeigneter Weise gestaltet sein“ –, um dann anlagenspezifisch konkrete Risikohinweise zu verlangen; so sollen „Risikohinweise zu Aktien“ (2.2.2) insb. „Informationen über den Ertrag (Dividende), das Kursrisiko, das Bonitätsrisiko, das Liquiditätsrisiko, das Konjunktur- und das Währungsrisiko enthalten.“25 Trotz der Harmonisierung durch die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie stellte die Kommission im „Financial Services Action Plan“ (FSAP) vom 11.05.1999 fest, dass die „Finanzmärkte der [Europäischen] Gemeinschaft ... segmentiert geblieben“ seien. Die Richtlinie 2004/39/EG soll die Märkte für Finanzinstrumente vor diesem Hintergrund umfassend regulieren,26 (potentielle) Kapitalanleger wirksam schützen und die Effizienz und Integrität des gesamten Kapitalmarktes gewährleisten.27 Die Richtlinie sollte an und für sich bis zum 30.04.2006 umgesetzt werden. Die Kommission hat aufgrund noch ausstehender Durchführungsmaßnahmen jedoch vorgeschlagen, die Umsetzungsfrist bis zum 30.10.2006 zu verlängern.28
___________ 22
Finanzausschuss wie Fn. 19. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Richtlinie gem. § 35 Abs. 6 WpHG zur Konkretisierung der §§ 31 und 32 WpHG für das Kommissionsgeschäft, den Eigenhandel für andere und das Vermittlungsgeschäft der Wertpapierdienstleistungsunternehmen vom 23.08.2001 (Bundesanzeiger Nr. 165 S. 19217). Dazu im Detail: Birnbaum (2003), S. 50 f. Mangels Rechtsnormqualität hat die Richtlinie „weder für die vertraglichen Verpflichtungen der Parteien noch für die Zivilgerichte unmittelbar rechtliche Bedeutung“ (BGH, Urteil vom 08.05.2001 – XI ZR 192/00, BGHZ 147, S. 343). 24 Vor Nr. 2.1. der Richtlinie. 25 Nr. 2.2. der Richtlinie („Inhalt der Aufklärung“). 26 Erwägungsgrund Nr. 5. 27 Erwägungsgründe, a.a.O.; vgl. auch: Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Wertpapierdienstleistungen und geregelte Märkte und zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. EG 2003, Nr. C 71 E 62), vorgelegt von der Kommission am 19.11.2002, unter I. 4. (S. 66). 28 Art. 70 Abs. 1 des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente in Bezug auf bestimmte Fristen, KOM(2005) 253 endg. vom 14.06.2005, S. 111 (COD). 23
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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III. Theorie und Praxis der Informationspflichten Der Erfolg der Informationspflichten in Europa29 beruht vor allem darauf, dass Informationspflichten das erkennbare Bedürfnis des Kapitalanleger- und Konsumentenschutzes30 mit der Idee der Privatautonomie versöhnen.31 Information dient „der Herstellung realer Entscheidungsfreiheit“32. Beseitigt man die Informationsasymmetrie zwischen Wertpapierfirma und Anleger, so kann der Anleger rationale Entscheidungen treffen.33 Dies verbürgt bei Kleinanlegern34, die – anders als professionelle Kunden35 – nicht über Marktmacht und Expertenwissen verfügen, zwar noch keine „Richtigkeitsgewähr“ (SchmidtRimpler)36 des Effektengeschäfts, weil auch der informierte Kleinanleger nicht imstande ist, die Details eines Finanzinstruments zu verhandeln. Die Wertpapierfirma kann ihre verbleibende Macht jedoch nicht ausspielen, weil sich, so die Theorie, Kapitalanleger als aufgeklärte Marktbürger selbständig auf Finanzmärkten orientieren können und weil auch Kleinanleger ihre Chance im Wettbewerb suchen werden.37 Diese Informationsphilosophie38 trifft auf Märkten für Finanzinstrumente allerdings auf ein unvermeidbares Komplexitätsproblem: Finanzinstrumente sind ___________ 29
Fleischer (2000), S. 773, spricht von einem „unaufhaltsamen Siegeszug“ der Informationspflichten. 30 Nach Meinung des EuGH – Urteil vom 07.03.1990, Rs. C-362/88 (GB-INNOBM / Confederation du commerce luxembourgois), Slg. 1990 I.667, Tz. 17 – sieht „das Gemeinschaftsrecht eines der grundlegenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes in der Unterrichtung der Verbraucher“; vgl. jetzt auch: Art. 153 EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Konsolidierte Fassung 1997) vom 10. November 1997 (ABl. EU 1997, Nr. C 340, S. 0308), zuletzt geändert durch den Vertrag von Nizza vom 10.3.2001 (ABl. EU 2001, Nr. C 80, S. 1)). 31 Für einen „Brückenschlag“ zwischen Konsumenten- und Kapitalanlegerschutz im Rahmen der Informations- und Beratungspflichten: Fleischer (2002), S. 171 ff.; vgl. auch: Schwark (2004), § 31 WpHG, Rn. 4 m.w.N. 32 Fleischer (2002), S. 171 ff. 33 Vgl. Schwintowsk / Schäfer (2004), § 18 Rn. 22, allgemein: Richter / Furubotn (1999), S. 92 f. 34 Begriff: Art. 4 Nr. 10 der Richtlinie 2004/39/EG. 35 Begriff: Art. 4 Nr. 9 i.V.m. Anhang II der Richtlinie. Danach ist ein „professioneller Kunde ... ein Kunde, der über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügt, um seine Anlageentscheidungen selbst treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können. “ Die Richtlinie behandelt insb. institutionelle Anleger als professionelle Kunden (Anhang II unter I. 1.i). 36 Vgl. Schmidt-Rimpler (1941), passim. 37 Dazu allgemein: Flume (1992), S. 10; Dauner-Lieb (1983), S. 67; Busche (1999), S. 96 ff.; Drexel (1998), S. 26 – 29, mit dem Hinweis auf die Konsumentensouveränität und m.w.N. 38 Vgl. Grundmann (2000), S. 1134 f.
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Christoph Brömmelmeyer
abstrakte Rechtsprodukte39 und schon als solche komplex. Hinzu kommt, dass Kapitalanleger aus einer Fülle verfügbarer Finanzinstrumente das richtige, auf ihre individuelle Lebenssituation abgestimmte Produkt auswählen müssen.40 Die Komplexität dieses Entscheidungsprozesses führt leicht zu einer Informationsüberlastung,41 die sich kontraproduktiv auf die Entscheidung auswirken kann. Klarzustellen ist allerdings, dass auch richtig informierte und beratene Kunden – aus Eigensinn, aus Risikoaversion oder übertriebener Risikobereitschaft – falsche Entscheidungen treffen können, und dass die Funktion des Kapitalmarktrechts nicht darin besteht, Kleinanleger an die Hand zu nehmen und ihnen eine (vermeintlich) vernünftige, „ex ante“ betrachtet sinnvolle Kapitalanlage vorzuschreiben. Der Kapitalanleger kann, muss aber nicht rational entscheiden.
1. Informationspflichten in der Richtlinie 2004/39/EG Die Richtlinie 2004/39/EG verlangt von einer Wertpapierfirma, dass sie bei „der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen ... ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden“ handelt (Art. 19 Abs. 1). Daher müssen alle Informationen, einschließlich Marketing-Mitteilungen, die die Wertpapierfirma an (potentielle) Kunden richtet, „redlich, eindeutig und nichtirreführend“ sein. Marketing-Mitteilungen müssen ferner „eindeutig als solche erkennbar“ sein (Abs. 2). (Potentielle) Kunden müssen „in verständlicher Form angemessene Informationen“ erhalten „über – die Wertpapierfirma und ihre Dienstleistungen, – Finanzinstrumente und vorgeschlagene Anlagestrategien; ..., – Ausführungsplätze und – Kosten und Nebenkosten, so dass sie nach vernünftigem Ermessen die genaue Art und die Risiken der Wertpapierdienstleistungen und des speziellen Typs von Finanzinstrument, der ihnen angeboten wird, verstehen und somit auf informierter Grundlage Anlage-
___________ 39
Begriff: Dreher (1991), passim. Die bei einer Kapitalanlage zu berücksichtigenden Lebensumstände lassen sich auch aus der neuen DIN Norm „Private Finanzplanung“ (E DIN ISO 22222) vom 15.11.2005 entnehmen, die sich u.a. mit den von einem privaten Finanzplaner zu eruierenden Informationen befasst (unter 4. 2. 2). 41 Dazu: Jacoby (1984), passim; vgl. auch Rehberg (2005), S. 1011 f. 40
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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entscheidungen treffen können“ (Abs. 3 Satz 1). Diese Informationen können in standardisierter Form zur Verfügung gestellt werden (Satz 2).42 Im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung in Europa ermächtigt die Richtlinie die Kommission, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, die – auf der Basis der Empfehlungen der Regulierungsbehörden („The Committee of European Securities Regulators“ – CESR)43 – u.a. die Details der Informationspflichten regeln werden. Legt man den Diskussionsentwurf44 vom 29.09.2005 zugrunde, so gilt künftig Folgendes:
a) Informationsqualität Informationen sollen redlich, eindeutig und nicht-irreführend sein (Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie), d.h. mit Blick auf (potentielle) Kleinanleger vor allem, dass die Informationen – die Erträge eines Finanzinstruments nicht einseitig betonen, ohne angemessen und hervorgehoben („fair and prominent“) auf relevante Risiken hinzuweisen,45 und dass sie – so formuliert werden, dass sie für den angesprochenen – und/oder absehbar erreichten – Durchschnittsadressaten verständlich sind und dass wichtige
___________ 42 Darüber hinaus verlangt die Richtlinie, dass Wertpapierfirmen, die Anlageberatung oder Portfolio-Management betreiben, notwendige Informationen über die Kenntnisse und Erfahrung des (potentiellen) Kunden im Anlagebereich in Bezug auf den speziellen Produkttyp oder den speziellen Typ der Dienstleistung, seine finanziellen Verhältnisse und seine Anlageziele einholen, um dem Kunden „für ihn geeignete Wertpapierdienstleistungen und Finanzinstrumente“ empfehlen zu können (Abs. 4). 43 The Committee of European Securities Regulators, Advice on Possible Implementing Measures of the Directive 2004/39/EC on Markets in Financial Instruments, Consultation Paper, June 2004, Ref.: CESR/04-261b. Dieses Dokument basiert seinerseits erkennbar auf Harmonisierungsvorschlägen der Regulierungsbehörden aus dem Jahre 2002; vgl.: The Committee of European Securities Regulators, A European Regime of Investor Protection – The Harmonization of Conduct Business Rules, April 2002, Ref.: CESR/01-014d, unter: „2. Information to be provided to customers“. 44 DG Internal Market Services' revised working document on the implementation of Articles 4 (1) (4), 4 (1) (17), 19 (1) - (8), 21, 22 and 24 of the Directive 2004/39/EC. 45 Art. 3 Nr. 1: „... any information addressed to, or disseminated in such a way that it is likely to be received by, retail clients or potential retail clients, including a marketing communication shall comply with the following conditions: a) it shall not emphasise any potential benefits on an investment service or financial instrument without also giving a fair and prominent indication of any relevant risks“.
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Entscheidungskriterien, Erklärungen und Warnungen nicht versteckt, verschleiert oder (sachwidrig) relativiert werden.46
b) Informationsinhalte (Potentielle) Kleinanleger, die über die Wertpapierfirma und ihre Dienstleistungen informiert werden müssen (s.o.) sind auf Namen und Kontaktadressen, auf verfügbare Fremdsprachen und Kommunikationsmittel – gemeint sind wohl: Telefon, Telefax, E-Mail, Post usw. – sowie auf die Konzession und die Konzessionsbehörde (Art. 5 Nr. 1a – d) hinzuweisen.47 Darüber hinaus ist die spätere Berichterstattung über die Performance des Finanzinstruments (Nr. 1g), die Einlagensicherung (Nr. 1h) und der Umgang mit Interessenkonflikten zu erläutern (Nr. 1i).48 Im Falle der Portfolioverwaltung49 sind u.a. Bewertungsmethoden und -intervalle (Nr. 2a)50 sowie ggf. die „Benchmark“ anzugeben, an der sich die Performance des Portfolios orientieren soll (Nr. 2c).51 Informiert eine Wertpapierfirma ihre (potentiellen) Kunden über bestimmte Finanzinstrumente, so hat sie ihnen eine allgemeine, aber hinreichend genaue Beschreibung der Eigenart und des Risikoprofils des Finanzinstruments an die Hand zu geben.52 Dabei ist auf den Kundenstatus als Kleinanleger oder als professioneller Kunde Rücksicht zu nehmen. Das Informationsmaterial soll – je nach Finanzinstrument und Kenntnisstand des potentiellen Kunden – aufklären ___________ 46
Art. 3b: „it shall be presented in a way that: (i) is likely to be understood by the average member of the group to whom it is directed, or by whom it is likely to be received; and (ii) does not disguise, diminish or obscure important items, statements or warnings“. 47 Art. 5 Nr. 1: „... the information that the investment firm shall provide ... shall include, where relevant, ...: a) the name and address of the investment firm, and the contact details ...; b) the languages ... c) the methods of communication; d) a statement of the fact that the investment firm is authorised and the name and contact address of the competent authority that has authorised it; e) ...“. 48 Art. 5 Nr. 1g: „the nature, frequency and timing of the reports on the perfor-mance of the service to be provided ... in accordance with Article 19 (8) of the Directive; f) ... a summary description of the steps an investment firm takes to ensure the protection of client assets ...; i) a general description ... of the conflicts of interest policy ...“. 49 Begriff: Art. 4 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie 2004/39/EG. 50 Art. 5 Nr. 2a: „... the method and frequency of valuation of the financial instrument in the client portfolio“. 51 Art. 5 Nr. 2c: „... a specification of any benchmark against which the perfor-mance of the portfolio will be compared.“ 52 Art. 6 Nr. 1: „Where ... an investment firm provides information about a type of financial instrument ..., the investment firm shall provide ... a general description of the nature and risks of the type of financial instrument in question. That description shall be sufficiently detailed to enable the client ... to understand the nature and specific risks of the particular instruments ...“.
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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a) über die Risiken, die mit dem Typ Finanzinstrument verbunden sind – Leverage-Effekte sind ebenso zu erläutern wie das Risiko eines Totalverlusts, b) über die Preisvolatilität sowie etwaige Beschränkungen der Märkte, auf denen die in Rede stehenden Finanzinstrumente gehandelt werden, c) über die Tatsache, dass der Erwerb des Finanzinstruments ggf. mit finanziellen Belastungen einher gehen kann, die über den Erwerbspreis hinausgehen, und d) ggf. über geforderte Sicherheitsleistungen („margin requirements“).53 Im Interesse der Kostentransparenz (s.o.) verlangt die Durchführungsmaßnahme, dass der Gesamtpreis („total price“) angegeben wird, den der Kunde zu bezahlen hat – nur in Fällen, in denen der genaue Preis nicht angegeben werden kann, reicht die Kalkulationsbasis aus; ggf. ist die Fremdwährung anzugeben, in der der Preis zu entrichten ist. Darüber hinaus sind die Modalitäten der Bezahlung („arrangement for payment“) zu erläutern.54
2. Bewertung der Informationspflichten Bei der Bewertung der Informationspflichten fällt auf, dass die Richtlinie 2004/39/EG die Rechtslage in Deutschland eher konsolidiert als reformiert; so entspricht die geforderte Informationsqualität den bereits anerkannten Informationsstandards im Rahmen von § 31 Abs. 2 WpHG: Informationen müssen wahr, vollständig und aktuell,55 sie müssen verständlich56 und gedanklich geordnet sein.57 ___________ 53 Art. 6 Nr. 1: „The description of risks shall include: a) the risks associated with instruments of that type, including an explanation of leverage and its effects and the risk of losing the entire investment; b) the volatility of the price of such instruments and any limitations on the available market for such instruments; c) the fact that an investor might assume financial commitments ... additional to the cost of acquiring the instruments; d) any margin requirements.“ 54 Art. 7 (Information about costs and associated charges) Nr. 1. 55 Vgl. Schwark (2004), § 31 WpHG, Rn. 57 ff.; vgl. auch: BAFin, Richtlinie gem. § 35 Abs. 6 WpHG, Teil B, 2.2. Danach muss die Information u.a. zutreffend, vollständig, unmissverständlich und gedanklich geordnet sein. 56 Die Frage, wie sich die Textverständlichkeit messen lässt, ist ungeklärt: Mithilfe von Lesbarkeitsformeln, bspw. mit der von Rudolph Flesch (1948) entwickelten „Reading Ease-“Formel (vgl. Lerch (2004), S. 250, 251 f.), lässt sich allenfalls die anhand objektiver Textmerkmale ermittelte Lesbarkeit, nicht aber die ungleich komplexere Textverständlichkeit beschreiben (Lerch, a.a.O.). 57 Vgl. Balzer (2005), Rn. 7.38. Damit gehen die Informationsanforderungen im Kontext des WpHG nicht über die Richtlinie hinaus – versteht man nämlich unter „wahr“ nicht etwa „objektiv richtig“, sondern nur „in Einklang mit dem (sorgfältig ermittelten) Kenntnisstand des Unternehmens“ (Schwark, Rn. 57), so trifft der Begriff der „redlichen
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Neu ist indes die Bipolarität der Informationspflichten: Künftig richten sich die Informationsanforderungen vor allem danach, ob der Kunde als Kleinanleger („retail client“) oder als professioneller Kunde („professional client“) einzustufen ist.58 Neu ist auch, dass die Wertpapierfirma den Kunden künftig von sich aus, nicht erst, wie in der Richtlinie der BAFin vorgesehen, „auf Nachfrage“ (Nr. 2.1.)59 über sich selbst und darüber aufklären muss, wo der Kundenauftrag ausgeführt wird (Nr. 2.2.).60 Neu ist ferner, dass der Kapitalanleger künftig rechtzeitig, d.h. „in good time before the client is bound by any agreement to which the information relates“ zu informieren ist.61 Bisher verlangt die BAFin lediglich, dass der Kunde „spätestens vor der Erteilung des Kundenauftrags“ (Nr. 2.2.) unterrichtet wird.
IV. Perspektiven Die Richtlinie 2004/39/EG trägt den in der Literatur62 formulierten Mindestanforderungen an gemeinschaftsrechtliche Informationspflichten im Prinzip Rechnung: Der Kunde soll rechtzeitig vollständige, verständliche und griffige Informationen erhalten,63 so dass er sich ein genaues Bild von Kontrahenten, Finanzinstrumenten und Kosten machen kann. Betrachtet man die Informationspflichten jedoch auf der Basis der Behavioural Economics, so sind sie (teils) anders zu gewichten und (teils) zu ergänzen:
___________ Information“ die angestrebte Informationsqualität eher als der der „wahren“, d.h. der objektiv richtigen Information; vgl. auch: BAFin, Richtlinie gem. § 35 Abs. 6 WpHG, 2.2. Danach muss die Aufklärung „zutreffend, vollständig, unmissverständlich sowie gedanklich geordnet und in geeigneter Weise gestaltet sein.“ 58 Dazu Kühne (2005), S. 277 f.; vgl. auch: The Committee of European Securities Regulators, Advice on Possible Implementing Measures of the Directive 2004/39/EC on Markets in Financial Instruments, Consultation Paper, June 2004, Ref.: CESR/04-261b, S. 50: „Retail clients will generally have information needs different from professional clients, and the compliance costs entailed by a more detailed approach are therefore justified.“ 59 BAFin, Richtlinie gem. § 35 Abs. 6 WpHG, 2.2. 60 Die BAFin versteht unter „Aufklärung“ ausweislich Nr. 2 der Richtlinie gem. § 35 Abs. 6 WpHG die Mitteilung aller „zweckdienlichen Informationen über die beabsichtigte Geschäftsart“. 61 Art. 4 Nr. 1 der Durchführungsmaßnahme; vgl. auch: Art. 4 Nr. 2: „in good time before the provision of the service“. 62 Vgl. Fleischer (2000), S. 785 f. 63 Vgl. Fleischer (2000), S. 785 f.
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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1. Fairness des Informationszugangs Bekanntlich haben Kahnemann und Tversky anhand des sog. „Asian Disease Problem“ nachgewiesen, dass Entscheidungen trotz inhaltlich identischer Informationen je nach Informationszugang variieren können (sog. „Framing Effect“):64 The Asian Disease Problem Imagine that the United States is preparing for the outbreak of an unusual Asian disease, which is expected to kill 600 people. Two alternative programs to combat the disease have been proposed. Assume that the exact scientific estimates of the consequences of the program are as follows: If Program A is adopted, 200 people will be saved If Program B is adopted, there is a one-third probability that 600 people will be saved and a two-thirds probability that no people will be saved Which of the two programs would you favour? Konfrontiert mit diesem Problem, entschied sich eine klare Mehrheit der Befragten für das (risikoaverse) Programm A.65 Formuliert man die Entscheidungsalternativen jedoch um If Program A' is adopted, 400 people will die If Program B' is adopted, there is a one-third probability that nobody will die and a two-thirds probability that 600 people will die, so spricht sich trotz inhaltlich identischer Informationen eine ebenso klare Mehrheit der Befragten für das (risikofreudigere) Programm B aus.66 Kahnemann führt dies darauf zurück, dass der Mensch sichere Konsequenzen über-, wahrscheinliche Konsequenzen hingegen untergewichte.67 Dabei wird der Informationszugang einmal über die sichere Rettung (Programm A) und einmal über den sicheren Tod der Betroffenen (Programm B) eröffnet. Je nach Informationszugang variiert die Entscheidung, obwohl sich die Befragten in Kenntnis beider Problemversionen einig gewesen sind, dass man die gleiche Entscheidung hätte treffen müssen und dass es leichtfertig wäre, oberflächliche Details der Darstellung über Leben und Tod entscheiden zu lassen.68
___________ 64
Vgl. Tversky / Kahnemann (1981), passim; Kahnemann (2003), S. 456 f. Vgl. Kahnemann (2003), S. 457. 66 Vgl. Kahnemann (2003), S. 457. 67 Vgl. Kahnemann (2003), S. 457, und m.w.N. 68 Vgl. Kahnemann (2003), S. 457. 65
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Diese Beobachtung lässt sich nicht ohne weiteres auf die Informationspflichten übertragen, spricht aber dafür, dass sich die Transparenz eines Finanzinstruments nur durch einen unverfälschten und ausgewogenen Informationszugang herstellen lässt. Daher müsste eine allein die Ertragschancen hervorhebende Bezeichnung von Finanzinstrumenten – bspw. die Bezeichnung eines Investmentfonds als „Dynamik Depot, Typ Wachstum“ statt „Typ Risiko“ – unzulässig sein, wenn sie nicht durch ein explizites Korrektiv relativiert wird. Die Richtlinie verlangt insoweit, dass Informationen über Finanzinstrumente „geeignete Leitlinien und Warnhinweise“ im Hinblick auf das inhärente Risiko umfassen (Art. 19 Abs. 3), und die Durchführungsmaßnahme bestimmt, dass Ertragschancen und Risiken ausgewogen dargestellt werden müssen (s.o.).69 Besondere Risikowarnungen sind u.a. geboten bei Transaktionen in illiquiden Finanzinstrumenten (Nr. 12a der Durchführungsmaßnahme), bei Transaktionen mit Hebelwirkung (Nr. 12b), bei Finanzinstrumenten, die bereits unter normalen Marktverhältnissen eine hohe Kursvolatilität aufweisen (Nr. 12c) und bei Transaktionen mit Fremdwährungsrisiko (Nr. 12f). Darüber hinaus rechtfertigen die Erkenntnisse Kahnemanns und Tverskys eine Ergänzung des Informationskatalogs: Bisher ist eine Wertpapierfirma nämlich nicht verpflichtet, (potentielle) Kunden über adäquate Reaktionen auf Kursverluste zu informieren. Kleinanleger setzen meist kein „stop-loss-limit“, obwohl ein Aktienverkauf bspw. dann sinnvoll sein kann, wenn der Kurs das letzte markante Tief im Kursverlauf um 5% unterschreitet. Erläutert eine Wertpapierfirma entsprechende „stop-loss-limits“, so wird dadurch das Risikobewusstsein des Kunden geschärft: Er wird gezwungen, sich auch mit dem Negativszenario sich verwirklichender Kursrisiken auseinander zu setzen. Entsprechende Informationen könnten falsche, insb. durch das Marketing-Material geweckte Erwartungen also relativieren und den Kunden – trotz des „status quo bias“, d.h. der u.a. von Kahnemann, Knetsch und Thaler beschriebenen Präferenz für den Status quo70 – vor höheren Kursverlusten durch Nichtverkauf bewahren.
___________ 69
Dazu auch: The Committee of European Securities Regulators, Advice on Possible Implementing Measures of the Directive 2004/39/EC on Markets in Financial Instruments, Consultation Paper, June 2004, Ref.: CESR/04-261b, S. 51: „a balanced description of the main characteristics ..., including the nature of the financial commitments and the risks involved“; vgl. auch: A European Regime of Investor Protection – The Harmonization of Conduct Business Rules, April 2002, Ref.: CESR/01-014d, Nr. 42 („... an investment firm must avoid accentuating the potential benefits of an investment service or financial instrument without also giving a fair indication of the risiks“) sowie Nr. 51 – 54 (Risk Warnings). 70 Vgl. Kahnemann / Knetsch / Thaler (1991), S. 197 f.
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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2. Fairness der Marketing-Mitteilungen Im Hinblick auf Marketing-Mitteilungen beschränkt sich die Richtlinie 2004/39/EG auf den Hinweis, dass diese „als solche erkennbar sein“ müssen (Art. 19 Abs. 2 Satz 2).71 Dahinter könnte sich die Erwartung verbergen, dass (potentielle) Kunden Marketing-Material aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung mit Misstrauen begegnen und kritischer beurteilen werden als (scheinbar) objektive Informationen. Daraus folgt jedoch keineswegs, dass dieses Material eine geringere Informationsqualität aufweisen müsste. Marketing-Mitteilungen, die potentielle Erträge plakativ herausstellen und potentielle Risiken ausblenden, könnten dazu führen, dass der Kunde aufgrund falscher Erwartungen intuitive Entscheidungen trifft, die er später nicht mehr revidiert. Dafür spricht die erneut von Kahnemann72 beschriebene Psychologie der Entscheidung: „In some fraction of cases, a need to correct the intuitive judgments and preferences will be acknowledged, but the intuitive impression will be the anchor for judgment. Under-correction is more likely than over-correction in such cases. A conservative general prediction is that variables that are neglected in intuition will remain underweighted in considered judgment. “73 Der Inhalt der Marketing-Mitteilungen muss also genauso „redlich, eindeutig und nicht-irreführend“ sein wie jede andere Information (Art. 19 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2004/39/EG) und er muss einem Kohärenzgebot genügen: Informationen – Marketing-Mitteilung oder nicht – müssen inhaltlich aufeinander abgestimmt sein. Die Durchführungsmaßnahme trägt diesem Kohärenzgebot bereits Rechnung: Nach Art. 4 soll eine an (potentielle) Kleinanleger gerichtete Marketing-Mitteilung mit den späteren Informationen übereinstimmen (Nr. 4).74 Darüber hinaus soll sie vollständig sein, wenn das Marketing-Material ein selbständiges, d.h. ohne den Rückgriff auf andere Dokumente annehmbares Kaufangebot oder eine (selbständige) invitatio ad offerendum beinhaltet (Nr. 5).75 Damit ist der Konflikt zwischen dem Unternehmensinteresse an er___________ 71 Ebenso bereits: The Committee of European Securities Regulators, A European Regime of Investor Protection – The Harmonization of Conduct Business Rules, April 2002, Ref.: CESR/01-014d, Nr. 30: „The promotional purpose of marketing communications issued by an investment firm must not be disguised.“ 72 Vgl. Kahnemann (2003), S. 483. 73 Vgl. Kahnemann (2003), S. 483. 74 Art. 4 Nr. 4: „Information contained in marketing material shall be consistent with any information the firm provides to clients in the course of carrying on investment and ancillary services.“ 75 Art. 4 Nr. 5: „Where a marketing communication contains: (i) an offer to enter into an agreement in relation to a financial instrument ...; or (ii) an invitation ... to make an offer to enter into an agreement in relation to a financial instrument ..., and specifies the manner of response ..., it shall include such of the information mentioned in Articles 5 to 8 ... as is relevant to that offer or invitation. However, the requirements of this paragraph
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folgreicher Produktvermarktung und dem Anlegerinteresse an ausgewogener Information nicht etwa einseitig zu Lasten der Unternehmen entschieden; vielmehr lassen sich beide Interessen auf höherer Ebene wieder miteinander vereinigen, weil der Erfolg der Finanzinstrumente die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und damit auch die Integrität der Informationsquellen voraussetzt. Im Hinblick darauf, dass die Informationsanforderungen an MarketingMitteilungen und andere Produktinformationen identisch sind, und dass sich diese Kategorien ohnehin nicht trennscharf abgrenzen lassen, wäre eine selbständige Regulierung der Marketing-Mitteilungen jedoch verfehlt. Die Mitgliedstaaten brauchen nur klarzustellen, dass die Mindestanforderungen an Informationsqualität und -inhalt auch im Rahmen des Marketings zu beachten sind, und dass Informationsunterlagen in den Fällen des Art. 4 Nr. 5 der Durchführungsmaßnahme (s.o.) generell vollständig sein müssen. Bleibt der Hinweis, dass irreführendes Marketing-Material bereits heute gegen das UWG76 verstößt,77 dass die Haftung für eine Informationspflichtverletzung jedoch unter Kausalitätsgesichtspunkten auch künftig ausscheidet, wenn der Anlageberater eine Fehlinformation rechtzeitig richtig gestellt hat. Eine Richtigstellung verlangt allerdings mehr als nur die Bereitstellung berichtigter Informationsunterlagen: Hat eine Wertpapierfirma mit (richtigen) Informationen über eine bisherige Mindestverzinsung geworben, die Fehlvorstellungen über die künftige, vermeintlich sichere Rendite hervorrufen könnte, so reicht ein abstrakter Hinweis auf generell bestehende Kursrisiken nicht aus, um diese Fehlvorstellung zu korrigieren.78 Erforderlich ist stattdessen eine ausdrückliche, nicht standardisierte Klarstellung.
3. Fairness der Beratung Die Richtlinie 2004/39/EG begegnet dem „Risiko einer unsachgemäßen Beratung“ der – immer stärker „von persönlichen Empfehlungen abhängigen“79 – ___________ do not apply to a marketing communication, if, in order [to!] respond ... [the retail client or potential client] / [the recipient] must refer to another document.“ 76 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.07.2004 (BGBl. I S. 1414). 77 Dazu: BGH, Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 252/01, NJW 2004, S. 439: Eine an mögliche Kapitalanleger gerichtete Werbeaussage über die Mindestverzinsung des eingesetzten Kapitals ist auch dann im Sinne des § 3 UWG zur Irreführung geeignet, wenn sie zwar keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen enthält, aber gerade darauf angelegt ist, die irrige Vorstellung zu erwecken, es sei eine sichere Rendite zu erwarten. 78 KG, Urteil vom 05.02.2004 – 19 U 55/03, NJW-RR 2004, S. 1496. 79 Erwägungsgrund Nr. 3.
Informations- und Beratungspflichten auf Märkten für Finanzinstrumente
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Anleger vor allem dadurch, dass Berater80 künftig einer Erlaubnis bedürfen81 und die Wohlverhaltensregeln beachten müssen.82 Das Risiko unsachgemäßer Beratung ist aber auch bei der Beurteilung der Informationspflichten zu berücksichtigen, denn oft werden vermeidbare Fehlentscheidungen nicht aufgrund falscher, sondern trotz richtiger Informationen getroffen: Das KG Berlin83 hat bspw. die Haftung eines Anlageberaters bejaht, der einem unerfahrenen Kapitalanleger mündlich erklärt hatte, dass das investierte Kapital beim Kauf der angebotenen, nicht an der Börse notierten Aktien jederzeit verfügbar sei, statt in Einklang mit der std. Rspr. darüber aufzuklären, dass die jederzeitige Handelbarkeit gerade nicht gewährleistet ist.84 Da das schriftliche Kaufangebot den ausdrücklichen Hinweis enthielt, dass „es sich [hier] um eine langfristige unternehmerische Beteiligung“ handele und nicht „sichergestellt [sei], dass die Aktien in den nächsten 8 Jahren zu einem angemessenen Preis verkauft werden können“, ist diese Entscheidung Indiz für die Dominanz der Beratung: Der Berater kann Informationen im Einzelfall hervorheben, unterschlagen oder relativieren. Daraus folgt, dass Informationen über den Berater künftig stärker zu gewichten sind.85 Daraus folgt aber nicht, dass Informationen über Finanzinstrumente und Kosten durch die Beratung entwertet werden. Denn anhand richtiger Informationsmaterialien kann der Kunde Beratungsfehler ggf. auch im Nachhinein noch als solche identifizieren.
V. Schluss Informationspflichten ermöglichen dem Kunden informierte Entscheidungen und tragen (mittelbar) zu der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte bei. Informiertes Entscheiden setzt jedoch voraus, dass Informationen ausgewogen sind (Fairness des Informationszugangs), dass das Marketing-Material den Kunden ___________ 80 Begriff: Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2004/39/EG, vgl. auch die sog. Bond Rspr. des BGH (BGH, Urteil vom 06.07.1993 – XI ZR12/93, BGHZ 123, S. 126) mit dem Leitbild der „anleger- und objektgerechten“ Beratung. Details: Kienle (2001), § 110, Rn. 14; Schwintowski / Schäfer (2004), § 18 Rn. 18 – 23; vgl. zuletzt: OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2005 – 23 U 281/03, VersR 2005, S. 543. 81 Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 und Anhang I, Abschnitt A 5 der Richtlinie 2004/39/EG; vgl. auch: Erwägungsgrund Nr. 3 der Richtlinie. Dazu im Detail: Kühne (2005), S. 275. 82 Vgl. Kühne (2005), S. 276. 83 KG, Urteil vom 20.12.2004 – 8 U 126/04, KGR Berlin 2005, S. 424. Einen Haftungsausschluss im Hinblick darauf, dass das schriftliche Kaufangebot den Hinweis enthielt, dass „es sich um eine langfristige unternehmerische Beteiligung“ handelt und nicht „sichergestellt [sei], dass die Aktien in den nächsten 8 Jahren zu einem angemessenen Preis verkauft werden können“, hat das Kammergericht abgelehnt. 84 KG, KGR Berlin 2005, S. 424. 85 Vgl. Rehberg (2005), passim.
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nicht so in die Irre führt, dass er intuitiv falsch entscheidet (Fairness des Marketing-Materials) und dass die dem Kunden ausgehändigten Informationen nicht durch eine einseitige Beratung relativiert oder verfälscht werden (Fairness der Beratung).
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Christoph Brömmelmeyer
Rechtsprechungsverzeichnis EuGH – Urteil vom 07.03.1990, Rs. C-362/88 (GB-INNO-BM / Confederation du commerce luxembourgois), Slg. 1990 I.667, Tz. 17. BGH, Urteil vom 25.11.1981 – IVa ZR 286/80, NJW 1982, S. 1095 f. BGH, Urteil vom 04.02.1987 – IVa ZR 134/85, WM 1987, S. 531 f. BGH, Urteil vom 06.07.1993 – XI ZR12/93, BGHZ 123, S. 126. BGH, Urteil vom 08.05.2001 – XI ZR 192/00, BGHZ 147, S. 343. BGH, Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 252/01, NJW 2004, S. 439. OLG Koblenz, Urteil vom 30.11.2004 – 3 U 241/04, OLGR Koblenz 2005, S. 362. OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2004 – 23 U 281/03, VersR 2005, S. 797. OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.02.2005 – I-15 U 81/04, 15 U 81/04 (noch nicht veröffentlicht). OLG Jena, Urteil vom 17.05.2005 – 5 U 693/04, ZIP 2005, S. 1913. OLG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2005 – 23 U 281/03, VersR 2005, S. 543. KG, Urteil vom 05.02.2004 – 19 U 55/03, NJW-RR 2004, S. 1496. KG, Urteil vom 20.08.2004 – 25 U 1/04 (noch nicht veröffentlicht). KG, Urteil vom 20.12.2004 – 8 U 126/04, KGR Berlin 2005, S. 424.
Globale Wirtschaft und Internationales Recht Von Bernhard Großfeld
I. Trennung und Begegnung Die Zeit des Jubilars und meine Zeit als Professor ist gekennzeichnet von der Trennung unserer Fakultäten: Die ehemals rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät spaltete sich in eine Rechtswissenschaftliche und in eine Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Zunächst blieben zwar kollegiale und fachliche Kontakte bestehen, aber sie wurden immer geringer. Einzelne „Brückenbauer“ blieben uns erhalten1, doch es gibt nur wenige gemeinsame Institute, vor allem im Genossenschaftswesen, aber viel ist es nicht mehr. Ein erfreulicher Lichtblick ist die Schriftenreihe „Zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts“, die dem Jubilar ihre fortdauernde Existenz verdankt; verdient machen sich auch einige Zeitschriften, so „Der Betrieb“ und „Betriebs-Berater“. Es bleiben also Brücken für die Neugierigen auf beiden Seiten. Dennoch ist die Entwicklung schmerzlich, wie vor allem dem Rechtsvergleicher deutlich wird2. Denn die Trennung der Fächer ist angesichts der Tendenzen zu einer globalen Wirtschaft nicht länger hinzunehmen. Sobald wir Grenzen überschreiten ändert sich das Bezugsystem – und bei der Erforschung des Unbekannten und oft Unerwarteten kann keines der beiden Fächer ohne das Wissen des anderen bestehen: Das was der Jurist bei uns unbewusst an Wirtschaft voraussetzt und der Wirtschaftswissenschaftler an Recht, lässt sich im Ausland nicht erwarten. Der „Geldstrom des Rechts“ läuft dort anders. So bleibt nur das Herantasten „mit allen Sinnen“, d. h. in einem ständigen Austausch der Fächer3. Dabei wird uns schnell klar, dass das Auseinandriften der beiden Fakultäten im Interesse gehobener „Wissenschaftlichkeit“ der internationalen Geltung des deutschen Rechts geschadet hat. Das jedenfalls lehrt uns eine Stimme aus Australien: ___________ 1
Vgl. Großfeld (2000b). Vgl. hierzu Großfeld (1980); Großfeld (2001a). 3 Vgl. Großfeld (2004d). 2
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Bernhard Großfeld „Australian lawyers are fortunate in that recent emergence of a de facto ‚World Law‘ governing international trade and commerce is based on either (or a synthesis of) New York law or London law – and it is conducted in English, giving Australian lawyers an important comparative advantage (as against, say Brazilian, Argentinean or Austrian lawyers)“4.
Der deutsche Einfluss auf die International Financial Reporting Standards der Europäischen Union5 ist gering, und die „Vereinigung der deutschen Bilanzrechtler“ zeigt kaum Anstalten, das zu ändern.
II. Intellektuelle Verengung6 Der Trend zu diesem Abstieg bahnte sich an mit der Lösung der Fakultäten voneinander. Denn sie ist maßgeblich darin begründet, dass sich beide einen „wissenschaftlichen“ Sprachkanon erarbeiteten, der gegenseitig nur noch schwer zu vermitteln war. Die Jurisprudenz driftete ab in eine Fall-Lösungstechnik, die sich durch eine immer ausgefeiltere „Dogmatik“ den Anschein logischer Folgerichtigkeit gab und gibt. Die Wirtschaftswissenschaft zog es zur Mathematik und zu Modellen auf der Annahme eines „ceteris paribus“. Die Sprachwelten fielen auseinander7. Wolfgang Ballwieser und Doris Zimmermann haben uns erinnert an Jonathan Swifts beißende Kritik an den Juristen8: „It is likewise to be observed that this Society hath a particular Cant and Jargon of their own, not other Mortal can understand, and wherein all their Laws are written, which the take special care to multiply; whereby they have wholly confounded the very Essence of Truth and Falsehood, of Right and Wrong:“9
Das dürfen wir wohl auf die Wirtschaftswissenschaftler übertragen. In beiden Fächern traten an die Stelle von Lebenspraxis Dogmatik und Bibliothekskunde mit ständig sich verlängernden Studienzeiten. Selbst die „Semesterferien“ wurden beiderseits „wissenschaftlich“ vereinnahmt. Beides überzeugt allenfalls in einem relativ geschlossenen geographischem Referenzsystem, gerät aber selbst dort „unter Feuer“10. Immer häufiger hört man, „grades“ (Examensnoten) seien unter der „case method of teaching“ „not necessarily the best predictions of a performance as lawyer“11. Wir Juristen lehren mit der Flut von „Fällen“ nicht den Zusammenhang der Regeln in ihrer kul___________ 4
Weisbrot (2002). Vgl. Großfeld (2005). 6 Vgl. hierzu Chen / Hanston (2004). 7 Vgl. Ballwieser / Zimmermann (2004). 8 Vgl. Ballwieser / Zimmermann (2004), S. 74. 9 Swift (1726). 10 Großfeld (2004a). 11 Rapoport (2002), S. 98; vgl. Bice (2002), S. 109. 5
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turellen Verflochtenheit12. Wir erwecken den falschen Eindruck, dass jedes Fach „a silo, distinct unto itself“ sei13. Logisches Denken „is not to be a lawyer“14; es sei eine „absurdity“, Descartes in das juristische Studium einzuführen15. Mit „ceteris paribus“ ist in einem sich schnell globalisierenden Umfeld, das wir nicht steuern, ebenfalls immer weniger zu machen. Die Entwicklung lässt sich umschreiben mit dem Titel eines Aufsatzes in den USA: „Categorically Biased. The Influence of Knowledge Studies on Law and Legal Theory“16. All das erhält einen dramatischen Schub beim Überschreiten von Grenzen – nicht nur, aber namentlich auch – in ein außer-europäisches Umfeld, z.B. nach den USA oder nach China17. Die Arbeit mit abstrakter Sprache und mit abstrakten Modellen erschwert internationale Begegnungen, weil sie sich fast beliebig ausfüllen lassen; das führt zu vielen „falschen Freunden“. Begegnung bedarf gemeinsamer Bilder aufgrund gemeinsamer Erfahrung: Das englisch Wort „translation“ kommt vom lateinischen „transferre, transtuli, translatum“, d.h. „reale Gegenstände über den Fluss bringen“ (vgl. „the ferry“, „die Fähre“).
III. Internationales Deliktsrecht18 Das Ausmaß solcher Inlands-bezogenen Sicht und deren Gefahren erleben wir stark im Internationalen Deliktsrecht, wo uns die amerikanischen „punitive damages“ (Strafschadensersatz)19 und die „class actions“ (Gruppenklagen)20die Augen geöffnet haben. Das Problem dort mag sich durch die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der USA etwas entschärft haben21. Die Probleme gehen aber über diesen Ansatz weit hinaus22. Im Deliktsrecht wandten wir zunächst unsere Begrifflichkeit unbefangen an. Dabei übersahen wir, dass Voraussetzungen bei einem Anspruch über die Grenze hinweg anders sind als bei einem internen Fall. Der „cash flow of justice“ bekommt einen anderen Stellenwert. Das erhöht das Bedürfnis nach interdiszi___________ 12
Vgl. Mezey (2001). Mezey (2001). S. 103. 14 Coughlin (2002). 15 Vgl. Coughlin (2002), S. 113 f. 16 Chen / Hanston (2004). 17 Vgl. Großfeld / Höltzenbein (2004); Großfeld (2004d). 18 Vgl. hierzu Großfeld (2000). 19 Vgl. Gotanda (2004); Rustad (2004). 20 Vgl. Martinez (erscheint demnächst). 21 Siehe State Farm Mutual Automobile Insurance Co. v. Campbell, 538 U.S. (2003). 22 Vgl. Großfeld (2001b). 13
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plinärer Zusammenarbeit über den traditionalen Rahmen der ökonomischen Analyse hinaus23, wie sie die Wiener Schule der Nationalökonomie gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte24. Um das zu erkennen, müssen wir allerdings den „begütigenden“ Ausdruck „Schadensersatz“ (Recht als „des Glückes Unterpfand“) entzaubern. Er verschleiert, dass sich einmal eingetretener Schaden nicht ungeschehen machen lässt – er kann nur auf einen anderen übergewälzt werden25. Innerhalb derselben Volkswirtschaft wird Vermögen also nur verlagert, es tritt kein neuer Verlust ein. Das ändert sich dramatisch bei einem Anspruch über die Grenze hinweg: Eine Volkswirtschaft verliert, eine andere gewinnt. Ein statistisch relevanter Ausgleich im Zeitverlauf (statistisches Rechtsdenken26) ist bei anderer wirtschaftlicher Gewichtung kaum zu erwarten. Namentlich politisch aktive Richter oder Richter, die auf eine lokale Wiederwahl schauen, sowie Laienrichter (juries) sind dann einer großen Versuchung ausgesetzt: Sie mögen dahin neigen, über das Deliktsrecht den Geldstrom aus dem Ausland dauerhaft in das Inland zu lenken.27 Die Versuchung ist besonders drängend, wenn – wie oft – ausländische Haftpflichtversicherer oder Rückversicherer letztlich die Last zu schultern haben. Die Asbest-Fälle in den USA sind dafür ein klassisches Beispiel – bis nach Deutschland hinein (Gerling)28. Auch die Rechtsstreite um die Versicherung des World Trade Center in New York mögen hierhin gehören29. All das wird begünstigt durch die Ausweitung des eigenen nationalen Gerichtsstandes bei Klagen gegen ausländische Unternehmen30. Das Internet bietet dabei neue Chancen!31 Die Versuche zu einer „Konfliktlösung im Internet“32 durch eine „Online Dispute Resolution“ stehen demgegenüber noch ganz am Anfang.
___________ 23
Vgl. Kötz (1999). Vgl. Mataja (1888). 25 Vgl. Großfeld (1961). 26 Vgl. Großfeld (1977). 27 Vgl. Klicka (2004). 28 Siehe „An Asbestos Exit“, in: The Wall Street Journal, Nov. 17, 2004. 29 „Pächter gewinnt gegen Versicherer im Prozess um das World Trade Center“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Dez. 2004, S. 15. 30 Vgl. Großfeld (2002). 31 So Witzleb (2005); vgl. Großfeld / Hoeltzenbein (2003). Siehe auch NTP, INC. v. Research In Motion, 2004 U.S. App. LEXIS 25767. 32 So der Titel von Behr (2004). 24
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IV. Internationales Recht Solche „Stromlenkungen“ lassen sich einigermaßen einschätzen, wenn es um die Anwendung nationalen Deliktsrechts geht. Die Fragen erhalten indes eine neue Dimension, wenn das Internationale Recht, also Völkerrecht, zur Grundlage eines Deliktsanspruchs gegen ein privates Unternehmen gemacht wird33. Denn dieses Recht ist noch allgemeiner gehalten; es bezieht sich grundsätzlich auf das Verhältnis von Staaten zueinander. Zudem unterliegt es noch größeren Versuchungen: Internationales Recht ist unter Berufung auf den Schutz von Menschenrechten34 und auf den internationalen „Lastenausgleich“ („infinite justice“35) stimmungsmäßig stark beeinflussbar („political correctness“). Es entfaltet leicht eine Tendenz zulasten von „deep pockets“, also von Unternehmen, bei denen „etwas zu holen ist“. Das sind namentlich solche aus den entwickelten Industriestaaten. Im Blickpunkt stehen die multinationale Unternehmen, die oft in den USA ihren Ausgang nehmen. Daher bieten sich die USA als Ort der „Hoffnung“ an; deren Beispiel wird also gegen sie selbst gewendet. Die Hoffung auf einen statistischen Ausgleich des Geldstroms ist ganz gering – damit fehlt das Vertrauen in ein rechtliches Gleichgewicht36.
V. Alien Tort Statute Ein Musterbeispiel für die geschilderten Zusammenhänge bietet der USamerikanische „Alien Tort Statute“ von 1789 (!)37. Dieses Gesetz bestimmt: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States:“38
Das Gesetz beruht auf dem damaligen Verständnis des Internationalen Rechts als Teil des Common Law39. Der Bundes-Gesetzgeber kann es deshalb ohne richterliche Kontrolle in ein Gesetz übernehmen40. Der „Alien Tort Statute“ umfasst anscheinend das gesamte Internationale Recht und gilt dem Wortlaut nach für alle Klagen von Privaten. Das Gesetz galt zunächst nur als Grund___________ 33
Vgl. Dutta (2005). Vgl. Collingsworth (2002). 35 Vgl. Nesiah (2004). 36 Vgl. Kraiem (2004). 37 Zum geschichtlichen Hintergrund siehe Paust (2004). 38 Alien Tort Statute, 28 United States Code par. 1350 (2004). 39 Siehe: Filartiga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876, 877, 886 (1980). 40 Siehe: In re Yamashita, 327 U.S. 1, 7 f. (1946). 34
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lage für eine Gerichtszuständigkeit in den USA, um einem „denial of justice“ abzuhelfen. In der neueren Literatur wurde es als Basis für eine Anspruchsgrundlage gedeutet; bei der Auslegung sei der jeweilige Entwicklungsstand des Völkerrechts zu beachten. Das Gesetz fand über 181 Jahre kaum Beachtung als Rechtsgrundlage für Ansprüche, namentlich nicht für Ansprüche gegen Private. Dann wurde es plötzlich zu einem Instrument, Vermögen aus den USA herauszuziehen.
VI. Durchbruch Der Durchbruch des „legal Lohengrin“41 geschah 1980 mit einem Urteil des Bundesberufungsgerichts in New York42: Es klagten ein in New York lebender Vater und seine Tochter, beide aus Paraguay, weil der siebzehnjährige Sohn und Bruder dort von der örtlichen Polizei gefoltert und getötet worden sei. Die Klage richtete sich gegen den damaligen Leiter der Polizei, der inzwischen ebenfalls in New York lebte. Das Gericht kam bei der Auslegung des „Alien Tort Statute“ zu folgendem Ergebnis: „Folter wird in vielen internationalen Verträgen allgemein verurteilt; praktisch alle Staaten der Welt lehnen die Folter als Instrument staatlich Handelns ab (jedenfalls im Prinzip, wenn auch nicht in der Praxis). Daher verletzt die Folterung eine Häftlings durch einen Beamten anerkannte Regeln des internationalen Rechts über Menschenrechte, und damit des Völkerrecht“43.
Das Gericht bejahte somit die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte, ließ indes offen, aus welchem Recht sich ein Anspruch ergebe. Aber dass einer bestehe, daran ließ das Gericht kaum Zweifel: „Aus der Asche des Zweiten Weltkriegs erwuchsen die Vereinten Nationen, getragen von der Hoffnung, dass eine Zeit des Friedens und der Zusammenarbeit endlich angebrochen sei. Viele dieser Hoffnungen blieben vergebliche Ziele, aber das verringert nicht den erzielten Fortschritt. In unserer Zeit haben menschliche und praktische Überlegungen die Staaten der Welt gelehrt, dass die Anerkennung von Menschenrechten in ihrem eigenen und im gemeinsamen Interesse liegt. Zu diesen von allen Staaten allgemein vertretenen Rechten gehört (...) das Recht auf Freiheit von Folter. Im Hinblick auf die Haftung gelten Folterer, wie zuvor Piraten und Sklavenhändler als ‚hostis humani generis‘, als Feinde der Menschheit. Unser heutiges Urteil ... ist ein kleiner aber wichtiger Schritt zur Erfüllung des alten Traums, alle Menschen von brutaler Gewalt zu befreien“44.
___________ 41
Siehe: IIT v. Vencap, Ltd.k, 519F.2d 1001, 1015 (C.A2 1975). Siehe: Filartiga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (1980). 43 Filartiga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (1980), S. 11. 44 Filartiga v. Pena-Irala, 630 F.2d 876 (1980), S. 890. 42
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VII. Flut Bald verstärkte sich die Meinung, dass das Gesetz nicht nur die Zuständigkeit zuweist, sondern auch einen eigenständigen Anspruch gewährt45. Man sprach daher nicht mehr vom „Alien Tort Statute“ sondern vom „Alien Tort Claims Statute“. Das öffnete die Tore weit für eine „atemberaubende“ Flut von Klagen gegen amerikanische, aber auch gegen nicht-amerikanische Unternehmen46. Die klagenden Ausländer sehen im Allgemeinen keine Chancen in ihrem Heimatland, weil sie bei Klagen gegen die eigene Regierung Repressionen fürchten oder ganz allgemein der Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit der Gerichte misstrauen. Die Klagen gründen sich u.a. auf Vorgänge in China, Kolumbien, Deutschland, Ecuador, Guatemala, Indonesien, Japan, Kenia, Myanmar (früher Burma), Nigeria, Papua Neu-Guinea, Peru, Sudan, Südafrika47. Das „ambulance chasing“ („Suche nach einem Krankentransport“) genannte Streben nach einer internationalen Zuständigkeit in den USA erhielt neue Dimensionen. Das Motto schien zu lauten: „Bring Me Your Tired, Your Poor, Your Litigious“48. Die USA waren auf dem besten Weg, der Gerichtshof der Welt zu werden. Das sich ausweitende Internationale Insolvenzrecht hilft dabei49. Die Kläger berufen sich auf die Erklärungen der amerikanischen Regierungen, dass das größte Exportprodukt der Vereinigten Staaten die demokratischen Grundsätze seien: Wenn freie Männer und Frauen auf freien Märkten handeln, führe das zum besten Ergebnis für alle. Dem stimmen alle aus ganzem Herzen zu, die sich als Opfer unternehmerischer Macht fühlen. Doch inzwischen mehren sich die Stimmen, dass der Export von Demokratie und von rechtlichen Grundsätzen nicht gleichbedeutend sei mit dem Import von ausländischen Klägern vor amerikanische Gerichte50. In der Heimat des Beklagten finden solche Argumente vielleicht eher offene Ohren bei Gericht.
VIII. In der Schwebe Seit einiger Zeit bestand daher ein Schwebezustand. Ihn kennzeichnen Fälle, die bisher nicht abschließend entschieden sind. ___________ 45
Siehe: Papa v. United States, 281 F.3d 1004, 1013 (9th Cir. 2002); vgl. Paust (2004), S. 254, mit vielen Nachweisen in Fn. 11. 46 Vgl. Schrage (2003), S. 154. 47 Vgl. Schrage (2003), S. 160. 48 McMenamin (1999). 49 Vgl. Großfeld (2004c). 50 Vgl. Schrage ( 2003), S. 175.
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1. John Doe v. Unocal Aufsehen erregte ein Fall, in dem Dorfbewohner aus Myanmar (früher Burma) gegen ein amerikanisches Unternehmen klagen wegen Verletzung von Menschenrechten bei der Förderung und dem Transport von Erdgas51. Die eigene Regierung habe sie unter Androhung von Gewalt gezwungen, beim Bau der notwendigen Pipeline mitzuarbeiten („Zwangsarbeit“). Dabei sei es zu gewalttätigen Übergriffen gekommen. Das beklagte amerikanische Unternehmen habe diese Umstände gekannt; dafür müsse es einstehen. Das Bundesberufungsgericht (Federal Court of Appeal) in der Besetzung mit drei Richtern gab der Klage statt. Es berief sich auf das Völkerrecht, wie es der Gerichtshof bei den Nürnberger Prozessen entwickelt habe und das als solches Teil des amerikanischen Bundesrechts sei52. Es erfasse nicht nur Staaten, sondern könne auch Private treffen; das gelte u.a. für „Sklavenhandel“53. Zwangsarbeit sei eine moderne Form der Sklaverei54. Dennoch ist der Fall bisher nicht entschieden; denn die Beklagten beantragten erfolgreich eine Entscheidung durch alle aktiven Richter am Gericht („en banc court“, in der Funktion ähnlich einem „Großen Senat“). Sie ordneten eine erneute Anhörung vor dem Gesamtgericht an. Das Urteil des Dreier-Gremiums dürfe nur insoweit als Präzedenz-Fall zitiert werden, wie es vor dem Gesamtgericht Bestand habe55.
2. John Doe v. Exxon Gespannt wartet man nun auf das Urteil eines erstinstanzlichen Bundesgerichts („Federal District Court“) über die Klage indonesischer Dorfbewohner gegen eine andere amerikanische Ölgesellschaft56. Die Exxon Mobile Corporation habe dort zusammengearbeitet mit dem indonesischen Militär, das dabei Menschenrechte verletzt habe durch „Tötung, Folter und Entführung“. Das Besondere dieses Falles liegt darin, dass das amerikanische Außenministerium beim Gericht Einwände erhob: Das Verfahren könne amerikanische Interessen erheblich gefährden. Wenn ein amerikanisches Gericht das Verhalten des indonesischen Militärs in Indonesien untersuche, werde das die dortige Regierung ___________ 51
Siehe: John Doe v. Unocal Corporation, 2002 U.S. App. LEXIS 19263 (9th. Cir. 2001). 52 Ibid, S. 39. 53 Ibid, S. 30. 54 Ibid, S. 32. 55 Siehe: 2003 U.S. App. LEXIS 2716 (9th Cir. 2003). 56 Siehe: John Doe v. Exxon Mobile Corp. Vgl. dazu Free (2003).
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als eine Verletzung der Souveränität des Landes ansehen. Das Ministerium beruft sich damit auf die sog. „political question doctrine“, die bestimmte Fragen dem Urteil der Gerichte entzieht. Das Verhältnis dieser Lehre zum Prinzip der Gewaltenteilung ist im Einzelnen streitig57.
IX. Dammbau Inzwischen hat die Grundfrage den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten erreicht: Für welche Handlungen gewährt das „Alien Tort Statute“ (so lautet die Bezeichnung von Seiten des Gerichts) einen Anspruch? Die Antwort ist zurückhaltend58. Geklagt hatte ein Mexikaner, den die amerikanische Drogen-KontrollBehörde eines Totschlags oder Mordes („murder“) verdächtigte. Sie nahm ihn in Mexiko fest und brachte ihn innerhalb eines Tages vor ein amerikanisches Gericht. Dort wurde er freigesprochen. Jetzt verlangte er von den an der Entführung beteiligten Personen Schadensersatz wegen Verletzung seiner Bürgerrechte. Das Gericht wies die Klage ab (wie schon dadurch andeutet, dass es im Titel des Gesetzes „Claim“ = „Anspruch“ wegließ). Das Gericht stellt an den Anfang: „Das Gesetz regelt dem Wortlaut nach die Zuständigkeit. Aber wir glauben, dass bei seinem Erlass die Zuständigkeit auch eng begrenzte Ansprüche schuf, wie sie sich aus dem Völkerrecht ergaben und wie sie das Common Law anerkannte. Wir meinen indes, dass die mitgedachten begrenzten Ansprüche aus der Verbindung von Völkerrecht und Common Law, wie man sie 1789 verstand, heute keinen Anspruch betreffen, wie ihn (der Kläger) gelten macht“59.
Das Common Law habe seinerzeit bei Klagen gegen Private nur drei Sachverhalte im Auge gehabt: Verletzung des Rechts auf sicheres Geleit, Angriffe auf Botschafter und Piraterei60. Die Bundesgerichte müssten bei einer Ausweitung vorsichtig sein; denn es gebe kein allgemeines Common Law des Bundes61. Daher entspreche es heute der allgemeinen Praxis, auf gesetzliche Entwicklungen („legislative guidance“) zu achten bevor die Gerichte Neuerungen in das Recht einführen. Zumeist sei es überhaupt besser, die Begründung privater Ansprüche dem Gesetzgeber zu überlassen62. Dann heißt es: ___________ 57
Vgl. Free (2003), S. 489. Siehe: Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004). 59 Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2754. 60 Vgl. Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2759. 61 Siehe: Erie R. Co. v. Tompkins, 304 U. S. 64, 58 S. Ct. 817 (1938). 62 Vgl. Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2762 f. 58
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Bernhard Großfeld „Der Gesetzgeber hat uns nicht beauftragt, nach neuen und umstrittenen Verletzungen des Völkerrechts zu suchen. Das heutige Verständnis des Gesetzgebers zur Rolle der Gerichte auf diesem Gebiet ermutigt nicht zu größerer richterlicher Rechtschöpfung“63.
All das mahne zu großer Vorsicht bei der Anwendung des Völkerrechts auf private Ansprüche64. Jedenfalls müssten sie ebenso genau umschrieben und international angenommen sein wie die Beispiele, welche der historische Gesetzgeber im Auge hatte65. Abschließend erklärt das Gericht: „Welche weitreichenden Grundsätze („willkürliche Festnahme“) der Kläger auch vorträgt, in der heutigen unvollkommenen Welt drücken sie Erwartungen aus, die keine zwingende Regel hinreichend genau erfassen kann. Wollte man zur Erfüllung dieser Erwartungen einen privaten Anspruch gewähren, so ginge das über jeden angemessenen richterlichen Spielraum hinaus. Dafür genügt der Hinweis, dass es um eine einzige rechtswidrige Festnahme für weniger als einen Tag geht und das dem die Übergabe an die zuständige Behörde und eine zügige Bearbeitung folgte. Das verletzt keine Norm des internationalen Gewohnheitsrechts, die hinreichend bestimmt ist für einen neuen bundesrechtlichen Anspruch“66.
X. Schluss Die Frage nach dem Verhältnis der Jurisprudenz zur Wirtschaftswissenschaft hat uns einen weiten Weg geführt vom deutschen Zvilrecht über das Völkerrecht zum Common Law. Aber das Denken in solchen Zusammenhängen gehört sowohl zur globalen Wirtschaft wie zum Internationalen Recht. Wir sahen jedenfalls, dass ein Rechtsinstitut in einer bestimmten Zeit von einem bestimmten Umfeld her gedacht ist und nur darin die von ihm erhofften Wirkungen erzielt. Sobald wir die Voraussetzungen ändern begegnen wir – wie allgemein in der Rechtsvergleichung – oft dem „Unterwarteten“: Unsere „Gleichgewichtslagen“ „kippeln“, ein neuer stabilerer Zustand ist zu suchen. Ihn werden wir nicht finden, ohne die anderen wirtschaftlichen Grundlagen und Anreize zu ermitteln. Der „Geldstrom der Gerechtigkeit“ lässt sich nur durch Zusammenarbeit sozial verträglich steuern.
___________ 63
Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2763. Vgl. Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2764. 65 Vgl. Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2765. 66 Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S. Ct. 2739 (2004), S. 2769. 64
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Der objektivierte Unternehmenswert im Lichte einer normorientierten Bewertung Von Gerwald Mandl und Klaus Rabel
I. Einleitung Das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts beherrscht seit Jahrzehnten die Bewertungspraxis in Deutschland und Österreich und wurde erst kürzlich in unveränderter Form in die Neufassung des Standards IDW S 1 übernommen1. Auch in Österreich soll das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts in die in Ausarbeitung befindliche Neufassung des Fachgutachtens KFS BW 1 der KWT neuerlich aufgenommen werden. Die Bewertungspraxis trotzt damit weiterhin der von der betriebswirtschaftlichen Lehre – seit ebenso langer Zeit – vorgetragenen Kritik2. Die Folge ist ein für Lehre und Praxis unbefriedigender Dualismus von Funktionenlehren – jener der „Kölner Schule“ und jener des IDW.3 Wenngleich der Grundsatz der Zweckabhängigkeit des Unternehmenswerts unstrittig ist, knüpft die Bewertungspraxis der Wirtschaftsprüfer / Wirtschaftstreuhänder in Deutschland und Österreich unmittelbar an den Funktionen des Gutachters an. Den einzelnen Funktionen des Gutachters werden unterschiedliche Bewertungszwecke zugeordnet. Nach den Stellungnahmen IDW S 1 und KFS BW1 kann der Gutachter bei der Bewertung von Unternehmen in folgenden Funktionen tätig werden: x als neutraler Gutachter, der als unparteiischer Sachverständiger fungiert und einen objektivierten Unternehmenswert ermittelt; x als Berater, der einen subjektiven Entscheidungswert ermittelt; ___________ 1
IDW (2005), S. 1305. Vgl. z.B. Moxter (1983), S. 20 f; Schildbach (1993), S. 25 ff.; ders. (1995), S. 623 ff.; Ballwieser (1995), S. 126 ff.; Feldhoff. (2000), S. 1237 ff.; Hayn (2000), S. 1348 ff.; Hommel / Braun / Schmotz (2001), S. 341; Brösel (2003) S. 132 ff.; Bertl / Schiebel (2003), S. 353 ff.; dies. (2004), S. 170 ff.; a.A. z.B. Seicht (2004), S. 161 ff. 3 Vgl. z.B. Hayn (2000), S. 1346 ff. Siehe dazu auch die Gegenüberstellung der Funktionenlehren bei Matschke / Brösel (2005), S. 49 – 74. 2
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Gerwald Mandl und Klaus Rabel
x als Schiedsgutachter bzw. Vermittler, der in Konfliktsituationen einen Einigungswert feststellt oder vorschlägt. Die Funktionenlehre des IDW ist im Verhältnis zur Kölner Schule durch eine ungleich stärkere Betonung des Objektivierungs- und Neutralitätsgedankens geprägt4. Im Zentrum der Funktionenlehre des IDW steht die Funktion des neutralen Gutachters und die damit verbundene Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts, die streng von der Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte abgegrenzt wird. Der Funktionenlehre der Kölner Schule ist der Bewertungszweck der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts dagegen fremd. Sie unterscheidet in den sog. Hauptfunktionen die Bewertungszwecke der Ermittlung von Entscheidungswerten, Schiedswerten und Argumentationswerten. In den Stellungnahmen der Bewertungspraxis wird das von der Kölner Schule vertretene Konzept des Argumentationswerts nicht angeführt. Ausschlaggebend dafür ist die Ansicht, dass eine solche Zwecksetzung mit den standesrechtlichen Vorschriften der Wirtschaftsprüfer / Wirtschaftstreuhänder nicht vereinbar wäre. Auch auf die von der Kölner Schule vertretenen Nebenfunktionen (z.B. Steuerbemessungsfunktion) gehen die Stellungnahmen der Bewertungspraxis nicht ein. Trotz der Kritik durch die betriebswirtschaftliche Lehre wird das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts auch im juristischen Schrifttum überwiegend befürwortet5. Die Judikatur hat dem Konzept des objektivierten Unternehmenswerts bislang nicht ausdrücklich widersprochen6. Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, inwieweit das Konzept des objektivierten Unternehmenswert den spezifischen Anforderungen einer rechtsgeprägten Unternehmensbewertung gerecht zu werden vermag. Nach einer inhaltlichen Konkretisierung des objektivierten Unternehmenswerts wird diese Frage anhand von Kriterien beleuchtet, die bei einer normorientierten Bewertung zu beachten sind. Dieter Rückle hat sich in seinem Schrifttum sehr ausführlich mit der Verknüpfung von rechtlichen Normen mit betriebswirtschaftlichen Fragestellungen auseinander gesetzt. 7 Mit diesem Problemkreis beschäftigt sich auch der vorliegende Festschriftbeitrag. ___________ 4
Vgl. Hommel / Braun / Schmotz (2001), S. 341. Vgl. z.B. Piltz (1994), S. 94; Großfeld (2002), S. 30; ablehnend hingegen z.B. Hüttemann (2003), S. 158 ff. 6 Vgl. Hüttemann (2003), S. 158. 7 Siehe u.a. Rückle (1983); Rückle (1986), S. 403 – 416; Siegel / Kirchner / Elschen / Küpper / Rückle (2000), S. 257 – 260. 5
Objektivierter Unternehmenswert und normorientierte Bewertung
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II. Das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts Das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts wurde in die Neufassung des IDW Standards zur Unternehmensbewertung übernommen8. Demnach soll der objektivierte Unternehmenswert einen von den individuellen Wertvorstellungen der betroffenen Parteien unabhängigen Wert repräsentieren, der von einem neutralen Gutachter mit nachvollziehbarer Methodik ermittelt wird. Der objektivierte Unternehmenswert wird als „typisierter Zukunftserfolgswert“ definiert, der sich „bei Fortführung des Unternehmens in unverändertem Konzept und mit allen realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen der Marktchancen und -risiken, finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens sowie sonstigen Einflussfaktoren“ ergibt9. Dem gegenüber steht das Konzept des subjektiven Entscheidungswerts, der vom Wirtschaftsprüfer als Berater ermittelt wird und die Preisobergrenze bzw. Preisuntergrenze eines konkreten Bewertungssubjekts unter Berücksichtigung dessen individueller Möglichkeiten und Planungen angeben soll. Es erhebt sich die Frage, in welchen konkreten Punkten sich diese beiden Wertkonzepte unterscheiden. Beide Wertkonzepte basieren auf dem allgemeinen Grundsatz, wonach sich der Unternehmenswert als Barwert der mit dem Eigentum am Unternehmen verbundenen Nettozuflüsse an die Unternehmenseigner (Nettoeinnahmen der Unternehmenseigner) bestimmt, die grundsätzlich aus den bei Unternehmensfortführung erzielbaren finanziellen Überschüssen abzuleiten sind10. Der objektivierte Unternehmenswert und der subjektive Entscheidungswert sind aus methodischer Sicht nach den selben Grundsätzen zu bestimmen. Für beide Wertkonzepte wird die Anwendung sowohl des Ertragswertverfahrens als auch eines DCF-Verfahrens für zulässig erachtet11. Unterschiede zwischen den Wertkonzepten bestehen allerdings in Einzelfragen der Ermittlung der finanziellen Überschüsse sowie deren Kapitalisierung. Im Rahmen der Ermittlung der finanziellen Überschüsse bzw. des Kapitalisierungssatzes kommt es beim objektivierten Unternehmenswert im Vergleich zum subjektiven Unternehmenswert nach IDW S 1 zu Beschränkungen des individuellen Ansatzes bei folgenden Bewertungsfaktoren: – Im Bereich der finanziellen Überschüsse12: x Unternehmenskonzept: Zwingende Orientierung an dem am Bewertungsstichtag gegebenen Unternehmenskonzept; keine Berücksichtigung von ___________ 8
IDW (2005), S. 1305. IDW (2005), S. 1308. 10 IDW (2005), S. 1305. 11 IDW (2005), S. 1313. 12 Vgl. IDW (2005), S. 1308 f. 9
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am Stichtag weder eingeleiteten noch dokumentierten Erweiterungsinvestitionen oder strukturändernden Maßnahmen. x Synergieeffekte: Berücksichtigung nur sog. „unechter“ Synergieeffekte, die unabhängig vom Bewertungsanlass mit einer Vielzahl von Partnern realisiert werden könnten; keine Berücksichtigung „echter“ Synergieeffekte. x Ausschüttungsverhalten: Relevanz des dokumentierten Unternehmenskonzepts in der ersten Planungsphase und Annahme eines der Alternativanlage äquivalenten Ausschüttungsverhaltens in der zweiten Planungsphase. x Managementfaktoren: Annahme des Verbleibens des Managements und Eliminierung von eigentümerbedingten Erfolgsbeiträgen bei personenbezogenen Unternehmen13. x Persönliche Ertragsteuern: Heranziehung typisierter Ertragsteuersätze (35 % bei voller Einkommensbesteuerung, 17,5 % bei dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Gewinnausschüttungen). x Sitzland: Maßgeblichkeit des Sitzlandes des zu bewertenden Unternehmens für Steuerbelastung, Kapitalmarkt, Risiko und Wachstum. – Im Bereich des Diskontierungssatzes14: x Art der Alternativinvestition: Anlage in Unternehmensanteile (Aktienportfolio). x Besteuerung der Alternativinvestition: Hälftige Besteuerung der Dividendenrendite, Steuerfreiheit von Kursgewinnen. x Basiszinssatz (risikoloser Zinssatz): Landesüblicher Zinssatz (langfristig erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen). x Risikoprämie: Ermittlung auf Basis des Tax-CAPM. Die Beschränkungen des individuellen Ansatzes tragen der Zielsetzung Rechnung, einen Wert zu ermitteln, der von den „individuellen Wertvorstellungen“ betroffener Parteien unabhängig ist. Das Fundament dieses Wertkonzepts liegt damit in der objektiven Werttheorie, die von der Vorstellung geprägt ist, dass der Wert ohne Bezugnahme auf ein konkretes Bewertungssubjekt anhand der für jedermann realisierbaren Erfolgspotenziale des Unternehmens festgestellt werden kann15. Es verwundert daher nicht, dass es dem Konzept des objektivierten Unternehmenswerts an einem klar definierten Bewertungssubjekt, ___________ 13 Nach IDW (2005), S. 1308, können jedoch personenbezogene, nicht übertragbare Faktoren im Familien- und Erbrecht bei der Ermittlung des Ertragswerts einzubeziehen sein. Dazu wird auf die Stellungnahme des IDW (1995) verwiesen. 14 Vgl. IDW (2005), S. 1312 und 1315. 15 Vgl. dazu Peemöller (2005), S. 4.
Objektivierter Unternehmenswert und normorientierte Bewertung
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aus dessen Perspektive der objektivierte Wert zu bestimmen ist, fehlt.16 Daran vermag auch der Verweis auf die Perspektive einer inländischen, unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner17 nichts zu ändern. Er stellt keine Bezugnahme auf ein konkretes Bewertungssubjekt dar, sondern determiniert lediglich den Ausgangspunkt für die Berücksichtigung von Einkommensteuerwirkungen. Die strikte Orientierung an der „am Bewertungsstichtag vorhandenen Ertragskraft“, die in der Nichtberücksichtigung von Änderungen des Unternehmenskonzepts mündet, hat allerdings zur Konsequenz, dass Entwicklungsmöglichkeiten auf Seite des (potenziellen) Erwerbers des Unternehmens unberücksichtigt bleiben. Aus diesem Grund gilt der objektivierte Wert im Ergebnis als am Verkäuferwert ausgerichtet18, was wiederum massive Kritik an seiner Eignung als neutrale Wertgrundlage hervorgerufen hat19. Seit der Verabschiedung des Standards IDW S 1 im Jahr 2000 wird der objektivierte Unternehmenswert als „typisierter Zukunftserfolgswert“ bezeichnet20. Unter Typisierung versteht man allgemein den Ersatz fehlender bzw. nicht mit vertretbarem Aufwand beschaffbarer Informationen durch das Abstellen auf typische Verhältnisse21. Die im Standard IDW S 1 vorgesehenen Beschränkungen des individuellen Ansatzes greifen jedoch unabhängig von Informationsstand und Informationsmöglichkeiten des Bewerters. Der Rückgriff auf typische Verhältnisse ist daher auch dann geboten, wenn nachprüfbare Informationen über die individuelle Ausprägung eines der genannten Bewertungsfaktoren vorliegen. Eine solche Vorgangsweise wird jedoch als Objektivierung bezeichnet22. Während der Zweck der Typisierung darin liegt, Informationsdefizite bei spezifischen (individuellen) Bewertungsfaktoren zu überwinden, geht die Objektivierung weit darüber hinaus: Sie dient dazu, in das Bewertungsverfahren nur Größen einzubeziehen, die dem Bewerter keinen oder ___________ 16 Darauf fußt die Kritik von Ballwieser (1995), S. 127, der im Hinblick auf die fehlende Parteienbezogenheit die Frage erhob, für wen der objektivierte Wert überhaupt Gültigkeit besitzen soll. 17 IDW (2005), S. 1308. 18 Vgl. Peemöller (2005), S. 11; Meyer (2005), S. 44. Im WP-Handbuch 1981 fand sich noch die Aussage, dass der objektivierte Unternehmenswert im Allgemeinen der Preisuntergrenze des Verkäufers entspreche; vgl. Dörner (1981), S. 1268. Obwohl diese Aussage infolge heftiger Kritik in die jüngeren Auflagen des WP-Handbuches nicht mehr aufgenommen wurde, blieb die Konzeption des objektivierten Werts bislang im Kern unverändert. In diesem Sinne auch Piltz (2005), S. 788, demzufolge der Bewerter sich das Unternehmen in der Hand des derzeitigen Eigentümers vorstellt, der dieses in der bisherigen Konzeption fortführt. 19 Vgl. Moxter (1983), S. 27 ff. 20 Vgl. IDW (2000), S. 827; IDW (2005), S. 1308. 21 Vgl. Moxter (1983), S. 25. 22 Vgl. Moxter (1983), S. 33, Ballwieser/ Leuthier (1986), S. 545 ff. und S. 604 ff.
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allenfalls einen geringen Beurteilungsspielraum bieten. Die Objektivierung dient daher der Ausschaltung bzw. Beschränkung des Bewerterermessens. Die Typisierung dient hingegen der Überwindung von Informationsdefiziten und führt zu einer (unvermeidbaren) Vereinfachung der Bewertung. Sie beschränkt das Bewerterermessen (nur) dort, wo es an nachprüfbaren Informationen mangelt. Da somit Ursachen und Zielrichtung von Objektivierung und Typisierung (zumindest teilweise) verschieden sind, ist die Gleichsetzung des objektivierten Unternehmenswerts mit einem „typisierten Zukunftserfolgswert“ im Standards IDW S 1 irreführend. Hinzu kommt, dass nach IDW S 1 offen bleibt, auf welchen Bezugspunkt im Rahmen einer Typisierung abzustellen wäre. Da es an der Definition eines Bewertungssubjekts für den objektivierten Unternehmenswert mangelt, ist auch unklar, welcher Typus ersatzweise heranzuziehen sein soll. Unbeantwortet bleibt insbesondere die Frage, ob auf einen „typischen“ Verkäufer oder auf einen „typischen“ Erwerber des Unternehmens abzustellen ist. Schließlich wird auch nicht darüber abgesprochen, welche Form des Eigentumsübergangs am Unternehmen der objektivierten Wertermittlung zugrunde liegt. Dem objektivierten Unternehmenswert fehlt es daher an einem konkreten Transaktionsbezug. Anders als IDW S 1 verlangt das österreichische Fachgutachten zur Unternehmensbewertung KFS BW 1, der objektivierte Unternehmenswert sei mit Hilfe von Annahmen zu ermitteln, die für das Verhalten einer Mehrzahl potenzieller Erwerber von Unternehmen im Sinne einer rationalen Kapitalanlageentscheidung als repräsentativ angesehen werden können23. Wenngleich darin eine grundsätzliche Orientierung an der Perspektive potenzieller Erwerber zum Ausdruck kommt, bleibt der verwendete Typus diffus und kann den Mangel eines konkretisierbaren Bewertungssubjekts nicht heilen24. Die Orientierung am Blickwinkel potenzieller Erwerber sagt noch nichts darüber aus, ob der Bewertung ein (fiktiver) Erwerbsvorgang zugrunde zu legen ist bzw. welche konkrete Transaktionsform zu unterstellen ist. Aus der Definition im Fachgutachten KFS BW 1 kann daher auch nicht abgeleitet werden, dass der objektivierten Wertermittlung ein fiktiver Kauf zugrunde liegt.
___________ 23 Vgl. das Fachgutachten KFS BW 1 vom 20.12.1989 der Kammer der Wirtschaftstreuhänder (1989), Abschn. 3.2. 24 Die Unbestimmtheit des Bewertungssubjekts kommt auch in Abschn. 8.2. des Fachgutachtens KFS BW 1 vom 20.12.1989 zum Ausdruck, wonach es bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts empfehlenswert sein kann, dass der Gutachter ausführt, welche Auswirkungen sich auf den Unternehmenswert ergeben, wenn das Unternehmen auf einen Erwerber übergeht, dessen steuerliche Verhältnisse von den dem Bewertungsgutachten zugrunde gelegten Verhältnissen abweichen.
Objektivierter Unternehmenswert und normorientierte Bewertung
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III. Anforderungen einer normorientierten Bewertung 1. Normorientierter Ansatz Anlässe für Unternehmensbewertungen können danach unterschieden werden, ob im Rahmen der Wertermittlung rechtliche Vorschriften (aus gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen) zu beachten sind (sog. „rechtsgeprägte“ Bewertung) oder ob die Wertermittlung im rechtsfreien Raum stattfindet. Hier wird im Folgenden nur auf gesetzliche Bewertungsanlässe eingegangen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die aus einer gesetzlichen Bestimmung (Norm) resultierenden Rechtsansprüche einer oder mehrerer Personen vom Wert eines Unternehmens(anteils) abhängig sind25. Solche Normen finden sich etwa im Gesellschaftsrecht, Familienrecht, Erbrecht, Schuldrecht, Enteignungsrecht oder Steuerrecht26. Im Zentrum einer normorientierten Bewertung hat unseres Erachtens der Grundsatz der Maßgeblichkeit der rechtlichen Wertungen zu stehen27. Demnach hat sich die Bewertung an der Zwecksetzung jener Normen zu orientieren, die für den konkreten (gesetzlichen) Bewertungsanlass maßgeblich sind28. Die Unternehmensbewertung ist insoweit als Rechtsproblem zu begreifen. Nach dem Urteil des LG Hannover vom 6.2.1979 ist der Unternehmenswert unter Berücksichtigung „der Interessenlage der Parteien, dem Sinn der gesetzlichen Regelung und den wirtschaftlichen Folgen“ zu ermitteln.29 Es obliegt daher der Rechtsordnung, die Bewertungsziele vorzugeben, während es Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre ist, über die zieladäquaten Bewertungsmethoden zu entscheiden.30 Der Grundsatz der Maßgeblichkeit der rechtlichen Wertungen lässt sich in gesetzlichen Bewertungsanlässen unmittelbar aus dem Zweckadäquanzprinzip ableiten31. Unterschiedliche Normzwecke führen daher in der Regel zu unterschiedlichen Bewertungsergebnissen. Bestehen rechtliche Vorgaben für die Bewertung, müssen sie im Rahmen der Ermittlung des Bewertungszwecks berücksichtigt werden. ___________ 25
Vgl. Piltz (1994), S. 66. Vgl. Piltz (1994), S. 66 ff. 27 Vgl. Mandl / Rabel (1998), S. 58. 28 Vgl. LG Hannover 16.6.1977 – 22 Akt E 1/70, S. 346; Nonnenmacher (1981), S. 150 ff.; Ränsch (1984), S. 204; Hackmann (1987), S. 32 ff.; Dirrigl (1988), S. 12 f. Zum Vorwurf der Abstraktion von rechtlichen Wertungen in der Arbitriumtheorie siehe Dirrigl (1989), S. 455, ähnlich Mertens (1992), S. 329. 29 Vgl. LG Hannover 6.02.1979, S. 234. 30 Vgl. Fleischer (1997), S. 375. 31 Zum Zweckadäquanzprinzip siehe Moxter (1983), S. 155. 26
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Wenngleich dieser Grundsatz heute in der Lehre als anerkannt gelten kann und etwa in der Forderung Großfelds nach Heranziehung eines dem Sinn der gesetzlichen Regelung entsprechenden „Normwerts“ zum Ausdruck kommt32, scheint die Diskussion zu Fragen der „rechtsgeprägten“ Unternehmensbewertung vor allem im juristischen Schrifttum noch stark von Objektivierungsbemühungen überlagert. Im Zentrum der literarischen Auseinandersetzung steht weniger die Erforschung der jeweiligen Normzwecke zur Deduktion von Vorgaben für die Unternehmensbewertung, sondern - wohl historisch bedingt der Konflikt zwischen Objektivierung und Parteienbezogenheit der Bewertung. Diese Frage kann aber eine völlig andere Dimension gewinnen, wenn versucht wird, konkrete Bewertungsvorgaben aus den relevanten rechtlichen Wertungen abzuleiten. Aus dem normorientierten Ansatz können auf Basis der Maßgeblichkeit der rechtlichen Wertungen folgende Anforderungen an die Wertermittlung in gesetzlichen Bewertungsanlässen abgeleitet werden:33 Aus dem Normzweck bzw. den relevanten rechtlichen Wertungen ist unseres Erachtens abzuleiten, x welches (welche) Bewertungssubjekt(e) relevant sind, x welche Bewertungsmethoden zweckadäquat sind und x welche (individuellen) Bewertungsfaktoren einzubeziehen sind. Da die Lösung dieser Fragen auf Basis der rechtlichen Wertungen zu erfolgen hat, muss sich der Gutachter umfassend mit den rechtlichen Vorgaben für die Bewertung auseinandersetzen und seine Schlussfolgerungen im Gutachten dokumentieren. Im Hinblick auf die beschriebene Vielzahl und Heterogenität der gesetzlichen Bewertungsanlässe und der mit ihnen verbundenen rechtlichen Wertungen ist anzunehmen, dass die Antworten auf die aufgeworfenen Fragen je nach Bewertungsanlass unterschiedlich ausfallen können. Trifft dies zu, hat im normorientierten Ansatz eine anlassspezifische Wertermittlung zu erfolgen, deren konkrete Ausprägung von den jeweils relevanten rechtlichen Vorgaben abhängt. Im normorientierten Ansatz ist mit der Definition des relevanten Bewertungssubjekts festzulegen, aus wessen Blickwinkel die Bewertung auf Basis der rechtlichen Vorgaben zu erfolgen hat. Dieses Erfordernis besteht zwar auch bei Bewertungen im rechtsfreien Raum, wird jedoch bei rechtsgeprägten Bewertungen im Konflikt zwischen Objektivierung und Parteienbezogenheit der Bewertung kontroversiell diskutiert. Die Frage nach dem maßgeblichen Bewertungssubjekt ist eng mit dem Problem der Einbeziehung individueller Bewertungsfaktoren verbunden. In welchem Umfang sich aus der Maßgeblichkeit ___________ 32 33
Vgl. Großfeld (2002), S. 27. Vgl. Mandl / Rabel (1998), S. 59.
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rechtlicher Wertungen Beschränkungen des individuellen Ansatzes ergeben können, wird in Abschnitt IV. näher untersucht. Neben der Maßgeblichkeit rechtlicher Wertungen resultieren weitere (allgemeine) Anforderungen an die Bewertung aus dem in gesetzlichen Bewertungsanlässen zu beachtenden Nachprüfbarkeitspostulat34. Die der Bewertung zugrunde gelegten Informationen sowie die daraus gezogenen Schlüsse müssen nachprüfbar sein. Dadurch soll etwaigen Manipulationsmöglichkeiten aus der Informationspolitik betroffener Parteien und aus einer parteilichen Ausnutzung des Bewerterermessens vorgebeugt werden. Nachprüfbarkeitsprobleme können sich insbesondere in Zusammenhang mit (bewertungsrelevanten) individuellen Bewertungsfaktoren, z.B. der individuellen Risikoneigung des Bewertungssubjekts, ergeben. Vergleichbare Probleme treten auf, wenn (bewertungsrelevante) Informationen über individuelle Verhältnisse nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand beschaffbar sind, etwa weil die Beurteilung der Ansprüche einer Vielzahl von Parteien erforderlich ist. Dies könnte z.B. bei der Bemessung von Abfindungsansprüchen ausgeschiedener Minderheitsgesellschafter gemäß den §§ 305 und 320b AktG35 oder der Prüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses gemäß § 12 oder § 15 UmwG36 der Fall sein. Im normorientierten Ansatz hat der Bewerter nicht nachprüfbare oder fehlende bzw. nicht mit vertretbarem Aufwand beschaffbare Informationen nach dem Typisierungsprinzip durch Annahmen zu ersetzen, die für Parteien in vergleichbaren Situationen als üblich bzw. typisch gelten können.37 Der relevante Typus hat sich dabei unseres Erachtens jeweils an dem (den) nach den rechtlichen Wertungen maßgeblichen Bewertungssubjekt(en) zu orientieren. Bevor das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts an den Anforderungen des hier vertretenen normorientierten Ansatzes gemessen wird, wird darauf eingegangen, welche Lösungsansätze die Kölner Funktionenlehre für Wertermittlungen in gesetzlichen Bewertungsanlässen bietet.
2. Kölner Funktionenlehre Sieht man von Bewertungen im Rahmen der Steuerbemessungsfunktion und der Bilanzfunktion ab, weist die Kölner Funktionenlehre den Großteil der Be___________ 34
Siehe dazu Schildbach (1981), S. 197; Hackmann (1987), S. 35. Aktiengesetz vom 06. 09. 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. 09. 2005 (BGBl. I S. 2802). 36 Umwandlungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BFBl I, S. 3210), aktuelle Fassung vom 15. 12. 2004 (BGBl. I 2004, S. 3214). 37 Zum Typisierungsgrundsatz siehe Moxter (1983), S. 25. 35
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wertungsaufgaben in Verbindung mit gesetzlichen Anlässen der Vermittlungsfunktion der Unternehmensbewertung zu38. Matschke und mit ihm der Großteil der betriebswirtschaftlichen Lehre gehen davon aus, dass Unternehmensbewertungen, durch die ein für konfligierende Parteien verbindlicher Wert festgelegt werden soll, generell der Vermittlungsfunktion zuzuordnen sind, weil hier durch die Bewertung zwischen konfligierenden Parteien eben „vermittelt“ werden müsse39. Auf dieser Grundlage können die Bemessung gesellschaftsrechtlicher Abfindungsansprüche, von Enteignungsentschädigungen, des familienrechtlichen Zugewinnausgleiches oder des erbrechtlichen Pflichtteilsanspruches der Vermittlungsfunktion zugeordnet werden40, in der der Gutachter einen Schiedswert (Arbitriumwert) zur Erreichung eines fairen und angemessen Interessenausgleichs festzulegen hat. Aus ökonomischer Sicht kann die Bestimmung des Arbitriumwerts als Simulation einer Preisfindung interpretiert werden41. Ausgehend von den Entscheidungswerten der betroffenen Parteien wird eine Verhandlungssituation fingiert. Die Zuordnung von Bewertungsaufgaben zur Vermittlungsfunktion basiert jedoch nur auf dem Vorliegen einer (beherrschten oder nicht beherrschten) Konfliktsituation, in der zwischen den konfligierenden Parteien durch die Ermittlung eines Schiedswertes vermittelt werden soll. Keine Rolle spielt dabei, ob sich der Bewertungsanlass aus gesetzlichen Regelungen ergibt und gegebenenfalls welcher Zweck mit dieser Norm verbunden ist. Da die Zuordnung zur Vermittlungsfunktion grundsätzlich unabhängig vom relevanten Normzweck erfolgt und bereits vor dessen Konkretisierung vorgenommen wird, ist allerdings nicht gesichert, dass ein dem Normzweck entsprechendes Ergebnis ermittelt wird. Aus einer verfrühten Zuordnung der Bewertungsaufgabe zur Vermittlungsfunktion können Zweckverfehlungen resultieren, wenn mit dieser Zuordnung bereits bestimmte Vorstellungen über die Aufteilung eines Transaktionsbereiches verbunden sind, z.B. in Form des Mittelungsprinzips zur Aufteilung eines positiven Transaktionsbereichs42. Das Modell der Simulation einer fairen Verhandlung impliziert dann bereits materiell-rechtliche Wertungen, die mit dem jeweiligen Normzweck nicht übereinstimmen müssen. Nach Matschke und Sieben beschränkt sich die Bedeutung rechtlicher Wertungen in der Vermittlungsfunktion auf die Frage der parteienbezogenen An___________ 38
Vgl. Sieben / Schildbach (1979), S. 458; Sieben (1976), S. 494; ders. (1983), S. 539 ff.; Ballwieser / Leuthier (1986), S. 547 f; Matschke / Brösel (2005), S. 81 – 88. 39 Vgl. Matschke (1979), S. 18. 40 Vgl. Mandl / Rabel (1998), S. 54. 41 Vgl. Matschke (1981), S. 125. 42 Nach Moxter (1983), S. 18, sind einseitige Zurechnungen „kaum sinnvoll“.
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gemessenheit43. Auch dies überzeugt nicht. Im Sinne des normorientierten Ansatzes erscheint es konsequenter, den konkreten Normzweck bereits vor der Zuordnung der Bewertungsaufgabe zur Vermittlungsfunktion zu erforschen. Nach dem Konzept der Vermittlungsfunktion der Unternehmensbewertung ist ferner stets – und unabhängig von den mit einem gesetzlichen Bewertungsanlass verbundenen rechtlichen Wertungen – die Ermittlung der Entscheidungswerte aller einbezogenen Parteien erforderlich. Die zwingende Bestimmung der Entscheidungswerte aller einbezogenen Parteien ist aber nur dann zu rechtfertigen, wenn nach dem Normzweck davon auszugehen ist, dass die Parteien an positiven (und gegebenenfalls auch an negativen) Transaktionsbereichen zwingend zu partizipieren haben. Ob dies der Fall ist, kann vor der Erforschung des Normzwecks aber ebenso wenig beurteilt werden wie die Frage, ob es nach dem Normzweck überhaupt auf einen Entscheidungswert ankommt. Schließlich erscheint auch die in der Vermittlungsfunktion bedeutsame Unterscheidung in beherrschte und nicht beherrschte Konfliktsituationen entbehrlich, wenn der Bewertungszweck gleich aus dem relevanten Normzweck abgeleitet wird und in diesem Rahmen auch die Schutzwürdigkeit der Parteien beurteilt wird. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Zuordnung gesetzlicher Bewertungsanlässe zur Vermittlungsfunktion der Unternehmensbewertung auf einer primär „ökonomischen Logik“44 basiert und es an einer vorgeschalteten Auseinandersetzung mit den maßgeblichen rechtlichen Wertungen fehlt. In gesetzlichen Bewertungsanlässen erscheint jedoch eine am konkreten Normzweck orientierte Bewertung konsistenter und effizienter als das beschriebene Modell der Vermittlungsfunktion. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Schiedswerte in gesetzlichen Bewertungsanlässen generell bedeutungslos sein müssen. Ihr Stellenwert hängt von der Übereinstimmung der Modellannahmen mit den jeweils relevanten rechtlichen Wertungen ab.
IV. Eignung des objektivierten Unternehmenswerts als Normwert Betrachtet man die aus einer normorientierten Bewertung resultierenden Anforderungen, erscheint das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts vor allem aufgrund der fehlenden Konkretisierung des Bewertungssubjekts und der starren Beschränkungen des individuellen Ansatzes problematisch. Im Folgenden wird näher untersucht, inwieweit daraus konkrete Unvereinbarkeiten resultieren können. ___________ 43 44
Vgl. Matschke (1981), S. 122 ff.; Sieben (1993), Sp. 4318 f. Vgl. Moxter (1983), S. 21.
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1. Fehlende Parteienbezogenheit Soll der objektivierte Unternehmenswert als Normwert dienen, muss seine Ermittlung nach dem oben Gesagten zunächst aus dem Blickwinkel jenes Bewertungssubjekts erfolgen, das nach den rechtlichen Wertungen maßgeblich ist. Da es dem Konzept des objektivierten Unternehmenswert an einer Bezugnahme auf ein konkretes Bewertungssubjekt mangelt, könnte der Normorientierung nur dann Genüge getan werden, wenn eine Parteienbezogenheit der Bewertung nach den rechtlichen Wertungen nicht geboten wäre. Dies wäre etwa der Fall, wenn – wie Piltz45 es fordert – aus rechtlicher Sicht auf eine fiktive Normalperson abzustellen und – im Sinne der objektiven Werttheorie – ein „objektiver“ Unternehmenswert zu ermitteln wäre. Als Begründung für diese vor allem im juristischen Schrifttum vertretene Position wird u.a. ein in gesetzlichen Bewertungsanlässen allgemein bestehendes Objektivierungserfordernis angeführt, das auch aus dem Begriff des „gemeinen Wertes“ abgeleitet wird.46 Unter Berufung auf Piltz hat jüngst der OGH47 entschieden, dass sich der Anspruch eines gekündigten Minderheitsgesellschafters einer GmbH, dessen Anteil vom (kündigenden) Mehrheitsgesellschafter aufgegriffen wurde, bei fehlender Regelung der Bewertungsmethode im Gesellschaftsvertrag gemäß § 306 ABGB48 nach dem „objektiven Verkehrswert“ des Unternehmens richtet. Die Problematik dieser Auffassung ist in der Literatur bereits ausführlich diskutiert worden49. Sie liegt vor allem in der Unbestimmtheit der Figur des „objektiven normalen Dritten“. Da diese fiktive Normalperson nicht klar konkretisierbar ist, stellt sie keinen geeigneten Anknüpfungspunkt für eine Wertermittlung dar. Aus dieser Unbestimmtheit resultieren zahlreiche kontrovers diskutierte Fragen, die sich in Zusammenhang mit der Relevanz einzelner Bewertungsfaktoren, wie z.B. Ertragsteuern oder Synergieeffekte, stellen. Die auf die objektive Werttheorie zurückgehende Ansicht steht in Widerspruch zur fundamentalen Einsicht, dass es einen einzigen, für jedermann gültigen Unternehmenswert nicht geben kann und jeder Wert aus einer SubjektObjekt-Beziehung resultiert. Sie ist weiters nicht mit der Zweckabhängigkeit des Unternehmenswerts vereinbar. So stellt sich Piltz an anderer Stelle selbst in Widerspruch zur beschriebenen Grundposition, wenn er – im Sinne einer ___________ 45
Vgl. Piltz (1994), S. 93 ff.; ders. (2005), S. 782. Vgl. Piltz (1994), S. 92 f., der auf dieser Grundlage zwischen pretium commune und pretium singulare unterscheidet. 47 Vgl. OGH 25.9.2003. 48 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch vom 01. 01. 1811 (JGS Nr. 946/1811), letzte Änderung in BGBl I Nr. 120/2005. 49 Zur Diskussion s. z.B. Künnemann (1985), S. 14 ff. 46
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Zweckabhängigkeit des Unternehmenswerts – festhält, dass der „objektive“ Wert je nach Bewertungsanlass unterschiedlich hoch sein könne.50 Mit einer einzigen fiktiven Normalperson lassen sich aber bewertungsanlassspezifische Werte nicht bewerkstelligen. Vielmehr müssten dann unterschiedliche fiktive Normalpersonen definiert werden, je nachdem, ob sie im Gesellschaftsrecht, Familienrecht, Erbrecht usw. benötigt werden. Eine Konkretisierung der Eigenschaften dieser fiktiven Personen findet sich bei Piltz aber nicht. Die Parteienbezogenheit der Bewertung wird im juristischen Schrifttum von Großfeld ausdrücklich anerkannt.51 Um angemessen zu sein, muss der Normwert als „rechtsgeprägter Einigungswert“ nach Großfeld grundsätzlich zwischen den Grenzwerten der Parteien liegen.52 Beschränkungen des individuellen Ansatzes sind nach Großfeld aus Gründen der Nachprüfbarkeit, eines Typisierungserfordernisses auf Grund der Eigenart richterlicher Entscheidungsfindung und des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes notwendig53. Vergleicht man die beiden Ansätze, lässt sich feststellen, dass sie zwar von völlig konträren Grundpositionen ausgehen, sich im zweiten Schritt aber beträchtlich annähern. Piltz geht von einer fiktiven objektiven Normalperson aus, die dann je nach Bewertungsanlass bzw. Rechtsgebiet besondere „typische“ Eigenschaften erhalten kann. Großfeld geht von den konkret betroffenen Bewertungssubjekten aus, sieht aber zahlreiche Gründe für eine Beschränkung des „individuellen“ Ansatzes. Insofern überrascht es nicht, wenn sich Piltz im Ergebnis der Idee des rechtsgeprägten Einigungswertes nach Großfeld anschließt.54 Im Rahmen einer normorientierten Bewertung kommt unseres Erachtens grundsätzlich nur ein Abstellen auf den Blickwinkel konkret betroffener Parteien in Frage. Dies folgt zunächst daraus, dass sich nicht unabhängig von den betroffenen Parteien beurteilen lässt, ob der von einer Norm verfolgte Zweck erreicht wurde. Auch für Bewertungen in gesetzlichen Bewertungsanlässen wird stets ein konkretisierbares Bewertungssubjekt benötigt. Fiktive Normalpersonen wie der „objektive normale Dritte“ oder nahe Verwandte dieser Figur haben sich dafür mangels konkretisierter Eigenschaften als unbrauchbar erwiesen. Da es dem objektivierten Unternehmenswert an einer Bezugnahme auf ein konkretes Bewertungssubjekt fehlt, steht er konzeptionell in Widerspruch zu ___________ 50
Vgl. Piltz (1994), S. 121; ders. (2005), S. 789, unter Bezugnahme auf die Berücksichtigung von Verbundvorteilen. 51 Vgl. Großfeld (2002), S. 26 f. 52 Vgl. Großfeld (2002), S. 27. 53 Vgl. Großfeld (2002) S. 29 f. 54 Vgl. Piltz (1994), S. 121.
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den Anforderungen einer normorientierten Bewertung. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass das Ergebnis einer Bewertung nach diesem Konzept für gesetzliche Bewertungsanlässe stets unzutreffend ist. Denn die Definition des Bewertungssubjekts hat nur mittelbar Auswirkungen auf das Bewertungsergebnis, indem sie die – später zu entscheidende – Frage, welche individuellen Bewertungsfaktoren einzubeziehen sind, beeinflusst. Ist nun eine normorientierte Bewertung – wie hier vertreten – grundsätzlich parteienbezogen vorzunehmen, bedeutet dies noch nicht, dass sämtliche individuellen Bewertungsfaktoren des relevanten Bewertungssubjekts in die Bewertung einzubeziehen sind. Vielmehr können sich bei der normorientierten Bewertung – wie oben gezeigt – Beschränkungen des individuellen Ansatzes einerseits aus maßgeblichen rechtlichen Wertungen (z.B. aus dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz) und andererseits aus dem Nachprüfbarkeitspostulat ergeben. Während daher Beschränkungen des individuellen Ansatzes beim objektivierten Unternehmenswert aus konzeptionellen Gründen resultieren, können solche Beschränkungen beim normorientierten Ansatz auf andere Ursachen zurückzuführen sein. Es wäre daher denkbar, dass beide Ansätze trotz der fundamental unterschiedlichen Ausgangspositionen zum gleichen oder einem nicht wesentlich abweichenden Bewertungsergebnis führen. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall sein könnte, wird im folgenden Abschnitt untersucht.
2. Beschränkungen des individuellen Ansatzes Im Folgenden werden die mit dem Konzept des objektivierten Unternehmenswerts verbundenen Beschränkungen des individuellen Ansatzes55 dahingehend untersucht, inwieweit sie im Rahmen eines normorientierten Ansatzes aufgrund des Nachprüfbarkeitspostulats und/oder rechtlicher Wertungen ebenfalls erforderlich wären. Die Analyse bezieht sich hier primär auf die Frage des grundsätzlichen Bestehens von Typisierungs- bzw. Objektivierungserfordernissen. Nicht beleuchtet wird, ob die im Standard IDW ES 1 vorgesehenen typisierenden bzw. objektivierenden Annahmen in materieller Hinsicht geeignet erscheinen. Während das Nachprüfbarkeitspostulat als allgemeines Prinzip für alle gesetzlichen Bewertungsanlässe in gleicher Form gelten kann, müssen die Implikationen aus rechtlichen Wertungen normspezifisch, d.h. getrennt für jeden gesetzlichen Bewertungszweck, analysiert werden. Ist eine im Konzept des objektivierten Unternehmenswerts vorgesehene Beschränkung des individuellen Ansatzes auf das Nachprüfbarkeitspostulat zurückzuführen, wäre sie daher auch ___________ 55
Siehe dazu oben Abschn. II.
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im Rahmen eines normorientierten Ansatzes generell erforderlich. Eine Diskrepanz zwischen normorientiertem Ansatz und objektiviertem Unternehmenswert kann sich daher auf dieser Grundlage nur aus solchen Beschränkungen individueller Bewertungsfaktoren ergeben, für die i.a. nachprüfbare Informationen vorliegen. Eine Diskrepanz zum normorientierten Ansatz besteht in solchen Fällen im Ergebnis nur dann, wenn der betreffende individuelle Bewertungsfaktor nach den im konkreten Bewertungsanlass maßgeblichen rechtlichen Wertungen zu berücksichtigen ist. Da eine umfassende normspezifizische Untersuchung den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde, stützen sich die folgenden Überlegungen exemplarisch auf ausgewählte Bewertungsanlässe. Die Beschränkungen individueller Bewertungsfaktoren, die das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts im Bereich des Diskontierungssatzes vorsieht, manifestieren sich in einer zwingend anzunehmenden Alternativinvestition in ein Aktienportfolio mit vergleichbarem Risiko. Unabhängig von etwaigen individuellen Veranlagungsmöglichkeiten des Bewertungssubjekts wird damit eine Alternativinvestition am Kapitalmarkt unterstellt, die nach IDW S 1allen Anteilseignern zur Verfügung steht und daher unabhängig von der Rechtsform des zu bewertenden Unternehmens gelten soll.56 Die beschriebenen Beschränkungen können unseres Erachtens als Ausfluss eines i.a. unvermeidlichen Typisierungserfordernisses angesehen werden, da über anderweitige individuelle Alternativinvestitionsmöglichkeiten eines konkreten Bewertungssubjekts in der Praxis in aller Regel entweder keine Informationen vorliegen oder deren Überprüfung mit erheblichen Schwierigkeiten – etwa aufgrund spezifischer Risikofaktoren – verbunden sein wird. Der Typisierung nach IDW S 1 liegt allerdings im Bereich der Besteuerungswirkungen die Annahme zu Grunde, dass es sich beim Bewertungssubjekt um eine in Deutschland ansässige natürliche Person handelt. Liegen daher über das Bewertungssubjekt davon abweichende, nachprüfbare Informationen vor, muss anhand der relevanten rechtlichen Wertungen beurteilt werden, ob die im Standard IDW S 1 vorgesehenen Vorgaben aufrecht erhalten werden können. Aus den Beschränkungen individueller Bewertungsfaktoren, die das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts im Bereich der finanziellen Überschüsse vorsieht, werden sich unseres Erachtens die Annahmen zum Ausschüttungsverhalten häufig als Typisierung auf Grund fehlender bzw. nicht nachprüfbarer Informationen einstufen lassen. Bei den übrigen Beschränkungen im Bereich der finanziellen Überschüsse tritt unseres Erachtens hingegen das Nachprüfbarkeitsproblem in den Hintergrund und stehen Objektivierungsbestrebungen im Vordergrund. Die Frage, ob diese objektivierenden Annahmen mit Beschränkungen des Ansatzes individueller Bewertungsfaktoren aufgrund von rechtli___________ 56
Vgl. IDW (2005), S. 1315.
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chen Wertungen stets übereinstimmen, wird im Folgenden anhand des Beispiels der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern diskutiert. In Verbindung mit der Berücksichtigung persönlicher Steuern wird ein rechtliches Objektivierungserfordernis aus dem gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der eine willkürliche, sachlich nicht gerechtfertigte, unterschiedliche Behandlung der Gesellschafter verbietet57, abgeleitet. Der BGH hat auf dieser Grundlage die Einkommensteuer der Privatsphäre zugerechnet58. Mittlerweile wird jedoch die vom IDW seit 1997 vorgesehene Berücksichtigung einer typisierten Ertragsteuerbelastung als mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar angesehen59. Diese Vorgangsweise wurde auch von der Rechtsprechung bestätigt60. Der Gleichbehandlungsgrundsatz lässt nach dieser Auslegung eine Berücksichtigung des Bewertungsfaktors persönliche Ertragsteuerbelastung zwar zu, verbietet allerdings den Ansatz von individuell verschiedenen Steuersätzen bei einzelnen Gesellschaftern. Dies erscheint schlüssig in Bewertungsanlässen, in denen es um die Bemessung von Abfindungen für eine Mehrzahl von ausscheidenden Gesellschaftern geht, wie dies regelmäßig bei Kapitalgesellschaften der Fall ist. Bei zu bewertenden Personengesellschaften können einzelnen Gesellschaftern aber auch unterschiedliche steuerliche Bemessungsgrundlagen zukommen, die z.B. aus Abschreibungen von Buchwerten aus Ergänzungsbilanzen resultieren. Erhalten nun die verbleibenden Gesellschafter einer Personengesellschaft aus der Abfindung des ausscheidenden Gesellschafters ein zusätzliches steuerliches Abschreibungspotenzial, während den Ausscheidenden die Veräußerungsgewinnbesteuerung trifft, erscheint es auch im Lichte des Gleichbehandlungsgrundsatzes sachlich gerechtfertigt, die aus dem Bewertungsanlass resultierende Veränderung der Steuerbemessungsgrundlagen im Rahmen der Abfindungsbemessung zu berücksichtigen61. Das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts enthält zu dieser Frage keine Aussage62. Der dem Konzept immanente Mangel an einem konkreten Transaktionsbezug spricht jedoch gegen die Zulässigkeit einer Berücksichtigung derartiger Steuerwirkungen. Außerhalb des Gesellschaftsrechts kann der Gleichbehandlungsgrundsatz keine Wirkung entfalten, sodass die im Standard IDW S 1 vorgesehene Objek___________ 57
Siehe dazu Großfeld (2002), S. 30 f. Vgl. BGH 28. 6. 1982, S. 190. 59 Vgl. Großfeld (2002), S. 102; Komp (2002), S. 99. 60 Vgl. LG Frankfurt a.M. 8.8.2001, S. 358. 61 Gl.A. Wagner / Nonnenmacher (1981), S. 681 ff.; Wangler (1994), S. 124 f.; a.A. Neuhaus (1990), S. 90. Zur Veräußerungsgewinnbesteuerung bei ausscheidenden Minderheitsaktionären siehe Maul (2003), S 270 ff. 62 Dazu sowie zu weiteren Unklarheiten des Konzepts bei der Bewertung von Personengesellschaften siehe Kunowski / Popp (2005), S. 730 ff. 58
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tivierung im Bereich der persönlichen Ertragsteuern einer anderen rechtlichen Begründung bedürfte. Bei familienrechtlichen oder erbrechtlichen Bewertungsanlässen sind derartige rechtliche Beschränkungen jedoch ebenso wenig ersichtlich wie etwa im Schadenersatzrecht. Für die Fälle des Zugewinnausgleichs und der Erbteilung sieht die IDW-Stellungnahme HFA 2/1995 in diesem Sinne auch die Berücksichtigung der individuellen persönlichen Einkommensteuerwirkungen der betroffenen Parteien vor, wobei auch die mit der Erbteilung bzw. Durchführung des Zugewinnausgleichs selbst verbundenen Steuerfolgen zu berücksichtigen sein sollen63. Allerdings soll dies erst in einem „zweiten Bewertungsschritt“ erfolgen, der der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts nachgelagert ist64. Am Beispiel der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuerwirkungen wird deutlich, dass das starre Konzept des objektivierten Unternehmenswerts den vielfältigen und heterogenen Anforderungen in rechtlichen Bewertungsanlässen nicht genügen kann. Es erscheint wenig zweckmäßig, in einem ersten Bewertungsschritt einen objektivierten Unternehmenswert nach einem starren und unflexiblen Konzept zu ermitteln, um ihn dann mühsam in einem zweiten Schritt an die konkreten rechtlichen Vorgaben des Bewertungsanlasses anzupassen. Stattdessen sollte vorgesehen werden, dass die einzelnen objektivierenden Annahmen nur nach Maßgabe der im jeweiligen Einzelfall relevanten rechtlichen Wertungen anzuwenden sind. Damit sollte der (geänderten) Zielsetzung Rechnung getragen werden, in rechtlichen Bewertungsanlässen einen normorientierten Wert zu ermitteln, und nicht einen „von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert eines Unternehmens“. In Anbetracht der Vielfalt und Heterogenität der gesetzlichen Bewertungsanlässe ist davon auszugehen, das insbesondere auch die objektivierenden Annahmen zum Unternehmenskonzept sowie zu den Synergieeffekten in der derzeitigen starren Form den Anforderungen einer normorientierten Bewertung nicht genügen. So hat etwa kürzlich das OLG Wien entschieden, dass die bei der übernehmenden Gesellschaft im Rahmen einer Verschmelzung entstehenden Synergievorteile im Rahmen der Verkehrswertermittlung für das übertragene Vermögen zu berücksichtigen sind65.
V. Zusammenfassung Das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts basiert auf der objektiven Werttheorie und nimmt weder auf ein konkretes Bewertungssubjekt noch ___________ 63
Vgl. IDW (1995), S. 525. Siehe dazu das WP-Handbuch 2002: Siepe (2002), S. 8. 65 Vgl. OLG Wien 15.11.2004, S. 276. 64
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auf eine bestimmte Transaktionsform Bezug. Eine normorientierte Bewertung hat demgegenüber aus dem Blickwinkel konkret betroffener Parteien zu erfolgen. Die konzeptionelle Basis des normorientierten Ansatzes unterscheidet sich daher grundlegend von jener des objektivierten Unternehmenswerts. Beide Bewertungsansätze sind durch ein Erfordernis der Beschränkung des individuellen Ansatzes gekennzeichnet. Der Umfang dieser Beschränkungen sowie ihr Motiv unterscheiden sich jedoch beträchtlich. Während Beschränkungen des individuellen Ansatzes beim objektivierten Unternehmenswert aus konzeptionellen Gründen resultieren und – unabhängig vom konkreten Bewertungsanlass – stets im selben Umfang vorgesehen sind, sind solche Beschränkungen beim normorientierten Ansatz nur aufgrund des Nachprüfbarkeitspostulats und rechtlicher Wertungen erforderlich. Da die Implikationen aus den rechtlichen Wertungen normspezifisch, d.h. gesondert für jeden gesetzlichen Bewertungszweck, analysiert werden müssen, ist der Umfang der daraus resultierenden Beschränkungen des individuellen Ansatzes vom konkreten Bewertungsanlass abhängig. Die Beschränkungen individueller Bewertungsfaktoren, die das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts im Bereich des Diskontierungssatzes vorsieht, können unseres Erachtens als Ausfluss eines i.a. unvermeidlichen Typisierungserfordernisses angesehen werden, das aufgrund des Nachprüfbarkeitspostulats in der Regel auch im normorientierten Ansatz zu berücksichtigen sein wird. Bei den Beschränkungen individueller Bewertungsfaktoren, die das Konzept des objektivierten Unternehmenswerts im Bereich der finanziellen Überschüsse vorsieht, stehen unseres Erachtens hingegen mehrheitlich Objektivierungsbestrebungen im Vordergrund. Am Beispiel der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern wurde gezeigt, dass nicht gewährleistet ist, dass diese objektivierenden Annahmen mit Beschränkungen des individuellen Ansatzes durch rechtliche Wertungen übereinstimmen. Das starre Konzept des objektivierten Unternehmenswerts vermag den vielfältigen und heterogenen Anforderungen in rechtlichen Bewertungsanlässen nicht zu genügen. Anstatt einen „von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert eines Unternehmens“ zu ermitteln, sollte in rechtlichen Bewertungsanlässen die Zielsetzung in der Ermittlung eines normorientierten Werts liegen. Die einzelnen objektivierenden Annahmen sollten dann nur nach Maßgabe der im jeweiligen Einzelfall relevanten rechtlichen Wertungen anzuwenden sein.
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Gerwald Mandl und Klaus Rabel
OGH: Beschluss vom 25.09.2003 – 2 Ob 189/01k; in: Zeitschrift für Gesellschafts- und Steuerrecht, Jg. 2003, S. 491 – 493. OLG Wien: Beschluss vom 15.11.2004 – 28 R 111/04f, 28 R 112/04b; in: Zeitschrift für Gesellschafts- und Steuerrecht, Jg. 2005, S. 276 – 281.
Verringern „Grundsätze ordnungsgemäßen Ratings“, Risikomodelle und Eigenkapitalunterlegungen die Insolvenzgefahr bei Kreditinstituten? Von Dieter Schneider
I. Problemstellung Dieter Rückle betont: „Jedwede (erst recht strenge) Rechenschaftsregeln erfordern, daß sie tatsächlich eingehalten werden, anderenfalls können sie den ihnen beigemessenen Nutzen nicht stiften“ 1, und er hat im Hinblick auf die Steuerbilanzpolitik die Schwierigkeiten der Bildung von Erwartungen über die Dispositionsspielräume bei der Rechnungslegung in konziser Weise untersucht2. Beides sei hier übertragen auf Rechenschaftsregeln, sobald der Gesetzgeber Prognosen anordnet, wie sie für Kreditinstitute die Messung der Insolvenzgefahr durch Zahlungsunfähigkeit in Ratingverfahren und Risikomodellen oder eine darauf bauende Begrenzung einzelner Bankgeschäfte durch MindestEigen-kapitalunterlegungen vorsieht.
Eine der grundlegenden Fragen einer Wettbewerbsordnung lautet, wie weit rationale Planung Handlungsfolgen erklären kann und wie weit die für eine freiheitliche Gesellschaft wichtigsten Institutionen das unbeabsichtigte Ergebnis menschlichen Handelns, einer „spontanen Ordnung“, sind, und nicht eines menschlichen Entwurfs. Institutionen als Ergebnis spontaner Ordnung kennzeichnen nach Hayek wahren Individualismus. Ein falscher Individualismus vertraue auf eine Erklärung und Regelung von Institutionen durch rationale Planung und ende letztlich in Kollektivismus3. Sind Kapitalmarktregulierungen, die Ratingverfahren und Risikomodelle zusammen mit Eigenkapitalunterlegungen einzelner Geschäfte in Finanzmärkten vorschreiben, in einer Wettbewerbsordnung erforderlich, oder wenden sie jenen falschen Individualismus an, der letztlich in Kollektivismus endet?
___________ 1
Rückle (1995), S. 498. Vgl. Rückle (1983), S. 344 – 350. 3 Vgl. Hayek (1976), S. 17, 18, 21. 2
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Teil II führt zu der Frage hin, ob Regulierungen zur Risikomessung für Kreditinstitute Wettbewerb im Kapitalmarkt fördern oder nur als Rent-seeking zur Einkommenssicherung in Kreditinstituten und Aufsichtsbehörden dienen. Teil III erörtert die (mangelnde) Aussagekraft von „Grundsätzen ordnungsgemäßen Ratings“ und Teil IV die von Risikomodellen. Teil V beschreibt die Mängel, die Erklärungen für eine Eigenkapitalunterlegung innewohnen. Teil VI beantwortet die im Titel gestellte Frage.
II. Fördern Regulierungen zur Risikomessung Wettbewerb oder lediglich Rent-seeking zur Einkommenssicherung? Wer eine Wettbewerbsordnung verwirklichen möchte, mag im ersten Schritt dazu neigen, dem Verständnis einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung entsprechend, Gläubigerschutz und Anteilseignerschutz allein „dem Markt“ zu überlassen, also vertraglichen Vereinbarungen z.B. über Risikomessungen und Ausstattungen mit Eigenkapital. Aber dieser erste Schritt kann nicht der letzte sein. So wenig es eine Toleranz gegenüber der Intoleranz geben sollte, genau so wenig reichen vertragliche Vereinbarungen allein aus, um eine Wettbewerbsordnung und darin Regeln gerechten Verhaltens zu sichern. Drei Gründe sind für gesetzliche Regelungen anstelle vertraglicher Vereinbarungen zu nennen: (1) Einer gesetzlichen Regelung, verbunden mit staatlicher Gewaltausübung, bedarf es zumindest zum Einhalten von Verträgen, insbesondere zum Bestrafen krimineller Handlungen. Daß das Eigentum anderer, z.B. durch Kreditaufnahme, „uns zur Erreichung unserer Ziele dienen kann, verdanken wir hauptsächlich der Erzwingbarkeit von Verträgen“4. (2) Gesetzliche Regelungen ersparen Kosten bei Verhandlungen und insbesondere in einem späteren Streitfall bei unterschiedlicher Vertragsauslegung. Gesetzt den Fall, es bestünden bisher gut bestätigte Hypothesen darüber, daß bestimmte Eigenkapitalquoten Gläubiger hinreichend vor einer Insolvenzgefahr schützten, dann böte sich an, gesetzliche Vorschriften zur Einhaltung solcher Eigenkapitalunterlegungen in Form von Kapitalbindungs- und Kapitalstrukturregeln zu erlassen. Eigenkapitalunterlegungen als Kapitalbindungsregeln setzen einzelne Aktiva zu Eigenkapital ins Verhältnis, Kapitalstrukturregeln beziehen Eigenkapital auf Arten von Fremdkapital (oder umgekehrt). Mit solchen Eigenkapitalunterlegungen würde ein Standardmuster eines Finanzierungsvertrags vorgegeben, der ein Aushandeln erübrigt und damit Kosten spart. ___________ 4
Hayek (1971), S. 170.
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Eine „Transaktionskosten“ sparende Standardisierung von Vertragsinhalten darf aber die Chancen zu einer gemeinsamen Verringerung von Einkommensunsicherheiten nicht beeinträchtigen. Deshalb lassen sich über eine „Transaktionskostenersparnis“ nur vertraglich abdingbare Gesetzesvorschriften rechtfertigen. Zwingende Rechtsvorschriften folgen aus einer Transaktionskostenersparnis nicht; denn sie nehmen Vertragspartnern die Chance, eine für Anbieter und Nachfrager bessere Koordinationsform ihrer Wirtschaftspläne zu wählen. Bestehen jedoch keine gut bestätigten Hypothesen zur Eigenkapitalunterlegung, dann wird aus einer wettbewerbsordnungsgemäßen gesetzlichen Regelung eine bürokratische Anmaßung von Wissen. (3) Sobald beachtet wird, daß Wissen und Können unter den Menschen ungleich verteilt ist, reicht ein Verweis auf gesetzliche Regelungen, die freiwillige vertragliche Vereinbarungen standardisieren, nicht mehr zur Lösung von Problemen gesellschaftlichen Zusammenlebens aus. Freiwillige Verträge stellen Vertragspartner nur dann im nachhinein enttäuschungsfrei, wenn das Wissen und die Verhandlungsmacht unter beiden in etwa gleich verteilt gewesen ist. Dies ist schon nicht der Fall, wenn wirtschaftlich naive Teile der Bevölkerung den Zahlungsverkehr gesellschaftlich gesichert wissen wollen, ohne sich die Alternativen: Kosten einer behördlichen Regulierung oder Unsicherheit durch die Gefahr von Bankinsolvenzen zu verdeutlichen. Kapitalmarktregulierungen als durch Gesetz und Rechtsprechung vorgegebene Zwänge für Kapitalmarktteilnehmer (Verbote oder Gebote) reichen über Rechtsetzungen des Gesellschafts- und Insolvenzrechts hinaus. Der sie angeblich rechtfertigende Zweck lautet: Die Rückzahlung von Kundeneinlagen bei Kreditinstituten muß gewährleistet bleiben, um einen „Bankrun“ zu vermeiden und die „Funktionsfähigkeit“ der Finanzmärkte zu erhalten. Im Hinblick auf die Rechnungslegung gegenüber Geldgebern und das rechtlich zwangsweise Austreten aus einem Markt sollten alle Wirtschaftszweige den gleichen Regelungen unterliegen, sofern nicht zwingende Gründe für Sonderregelungen sprechen. Kreditinstitute zählen neben den in diesem Beitrag ausgeschlossenen Versicherungsunternehmungen zu den Ausnahmebereichen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 102 GWB), mit der Folge, daß ihre Unternehmungsleitungen nicht nur bei der Rechnungslegung besonderen Vorschriften folgen5, die Kritiker als Privilegien zur Täuschung ihrer Geldgeber geißeln mögen. Träfe die Kritik zu, dann wären auch die behördlich angeordnete Risikomessung durch Ratingverfahren und Risikomodelle sowie die Begrenzung bestimmter Arten von Geschäften durch Eigenkapitalunterlegungen als eine Gefangennahme des Gesetzgebers zum Schutze der Kreditinstitute vor den Informationswünschen ihrer Kunden (Einleger wie Kreditnehmer) oder ___________ 5
Dazu umfassend Krumnow et al. (2004), grundlegend z.B. S. 15 – 19, 874 – 887.
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ausländischer Konkurrenz anzusehen. Verbunden damit wäre eine Beschäftigungsförderung sonst brotarmer Juristen und Statistiker. Es läge eine Spielart von Rent-seeking6 vor, d.h. eine Einkommensabschöpfung bei anderen mit Hilfe von Rechtsnormen. Sobald die gesamte Bevölkerung der Tatsache ins Auge blickte, daß Unsicherheit unvermeidbar ist, und Abschied nähme vom Verdrängen von Unsicherheitsursachen, verlangt Gerechtigkeit eine Verbesserung der am schlechtesten mit Informationen Ausgestatteten7. Alles, was in einer Wettbewerbsordnung dann von einer Regulierung der Kreditwirtschaft gewünscht werden kann, ist die Sicherung des Zahlungsverkehrs für die in finanziellen Angelegenheiten naiven Teile der Bevölkerung8. Zur Sicherung des Zahlungsverkehrs genügen das Einspringen der Notenbank als „lender of last resort“ und marktmäßige Institutionen, wie Einlagensicherungsfonds. Einlagensicherungsfonds erscheinen nur deshalb kostspielig, weil ihre Kosten offensichtlich sind. Bei staatlicher Regulierung bleiben die Kosten verborgen, weil sie von den Steuerzahlern getragen werden: zum ersten in Form des laufenden Aufwands der behördlichen Überwachung, zum zweiten in Form der gesellschaftlichen Wohlfahrtsverluste beim Behindern von Wettbewerb durch Innovationen und zum dritten dadurch, daß Staat oder Notenbank als letzte Hilfe im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit einspringen. Der Kreditwirtschaft ist es gelungen, in der öffentlichen Diskussion die Gefahr eigener Zahlungsunfähigkeit, insbesondere eines „Bankruns“, erheblich zu übertreiben. Solange ein Einlagensicherungsfonds und die Notenbank als „lender of the last resort“ bereitstehen, wird mit dem Verweis auf die Gefahr eines „Bankruns“ der Kundschaft ein Ausmaß an finanzieller Unvernunft unterstellt, das (falls begründet) die Bankenaufsicht auch nicht durch Anordnungen zur Risikomessung und Begrenzung einzelner Geschäfte durch Eigenkapitalunterlegungen verringern könnte. Es ist nämlich zu fragen, wie genau die Insolvenzgefahr zu messen ist und ob schärfere Mindestnormen zur Eigenkapitalausstattung die Insolvenzgefahr überhaupt mindern. Die öffentliche Auseinandersetzung um die Regulierung der Kreditinstitute verzettelt sich bisher in Einzelfragen der Risikomessung und Eigenkapitalunterlegung zu einzelnen Geschäften. Die Risikomessung endet in Urteilen über die Bonität von Kreditinstituten oder einzelner ihrer Geschäfte und erfolgt durch Ratingagenturen oder bankinterne Ratings. Gefordert ist dabei das gesamte Wissen zu einer Unternehmensbewertung. Aber genau diese Inhalte blenden sog. „Grundsätze ordgnungsgemäßen Ratings“ aus. ___________ 6
Begriff nach Krueger (1974), S. 291 – 300. In Anwendung von Rawls (1971), S. 75 – 83. 8 Vgl. Kareken (1986), S. 47. 7
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III. Nichtssagende „Grundsätze ordnungsgemäßen Ratings“ Vieles verdient nur deshalb widerlegt zu werden, damit es nicht im Ernste verehrt werde: Dieses Wort des Kirchenvaters Tertullian stellt Lessing seinem Anti-Goeze voran9. Das Wort wäre mindestens so angebracht gegen die in der Bankpraxis gängige Diskussion zu Rating-Verfahren. Bankinterne Ratings schaffen zwar Arbeitsplätze für mathematische Statistiker und mathematische Ökonomen in Banken und Bankaufsichtsbehörden sowie Pfründe für Unternehmensberater und Hochschullehrer, die sich als Unternehmensberater gebärden möchten. Doch wenn die folgende Argumentation stimmt, sind deren Tätigkeiten zur Risikomessung über Risikomodelle nur als Rent-seeking einzustufen. Wie wenig erfahrungswissenschaftliche Substanz Prognosen zur finanziellen Gefährdung einer Unternehmung in „Messungen“ von Insolvenzrisiken und Ratings von Bonitäten bieten können, ist seit fast zwei Jahrzehnten vorgetragen worden10. Die Einwände haben freilich jene kaum beeindruckt, die an solchen Prognose- oder Informationssystemen verdienen wollen, getreu dem Hegel zugeschriebenem Motto: Wenn die Wirklichkeit meiner Theorie widerspricht, umso schlimmer für die Wirklichkeit! Einen Tiefpunkt erreicht die Vermarktung erfahrungswissenschaftlich schlecht begründeter Techniken zur Prognose in einem Vorschlag zu sog. Grundsätzen ordnungsgemäßen Ratings (Generally Accepted Rating Principles, GARPs), „die Anforderungen ... an Ratingverfahren ... stellen [wollen], um eine hohe Qualität zu erreichen“11. Die genannten 14 „Anforderungen“ gehen über undurchdacht Formuliertes nicht hinaus: So ist die Anforderung 1 („Das Ratingsystem einer Bank sollte in der Lage sein, alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Kreditnehmer zu bewerten“) angesichts der Anforderung 2 („Eine Bank sollte alle gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Kreditnehmer raten“) überflüssig, weil 1 durch 2 logisch impliziert ist. Davon abgesehen, ist ein Rating für alle vergangenen Kreditnehmer unnütz, weil deren Kreditbeziehung bereits abgeschlossen ist, und für die zukünftigen Kreditnehmer bedarf es keines Ratings, wenn sie als „Kreditnehmer“ bezeichnet werden, somit per Definition ihren Kredit bekommen; gemeint sind vermutlich mit „Kreditnehmern“ derzeit Kreditbeantragende, über deren Antrag noch nicht entschieden ist, was aber nicht gesagt wird.
___________ 9
Lessing (1965), S. 163. Vgl. z.B. Schneider (1985), S. 1489 – 1494; Schneider (1987), S. 85 – 107. 11 Elsas / Krahnen (2001), S. 298 – 304. 10
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Inhaltloses bieten z. B. Anforderung 3 („Eine Bank sollte so viele unterschiedliche Ratingsysteme haben wie notwendig, zugleich aber so wenige wie möglich“) und Anforderung 6 („Ratingsysteme können in ... der Anzahl an Ratingkategorien ... variieren. Die Kategorienanzahl sollte so groß wie mindestens notwendig sein“). Gefordert wird in 6 „eine adäquate Ausgestaltung des Mappings von Ausfallwahrscheinlichkeiten durch das Ratingverfahren“, eine Aussage, die weder zur Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeiten noch zu deren Umwandlung „auf ein ordinales Abbild“ hilft. Anforderung 7 („Das Ratingsystem sollte reliabel sein“) wird später so erläutert: „Jeder Kreditnehmer muss geratet werden, bevor eine Verpflichtung durch die Bank eingegangen wird“ – das ist für Kleinkredite übertrieben und vernachlässigt, daß ein Rating für größere Kredite vor allem dann nötig erscheint, wenn über eine Verlängerung oder Kündigung eines Kredits zu entscheiden ist. „Das Rating muss von einer Instanz vergeben oder kontrolliert werden, die keinen direkten Nutzen aus der intendierten Kreditvergabe hat“, was wohl bankinterne Ratings ausschließt. Anforderung 9 („Ratings sollten informationseffizient sein“) gibt keinen Sinn, wenn Informationseffizienz wie üblich verstanden wird: Das Offenlegen einer Teilmenge an Informationen, die nur einigen Kapitalmarktteilnehmern zugänglich sind, an alle, verändere weder die Börsenkurse als Gleichgewichtspreise noch die Inhalte der einzelnen Wertpapierportefeuilles12. Ratings werden indes überflüssig, wenn von ihnen gefordert wird, sie dürften Börsenkurse oder Anlageportefeuilles nicht verändern. Selbst wenn eine Anforderung weniger nichtssagend als die bisherigen Beispiele erläutert wird, wie 4 („Ausfallwahrscheinlichkeiten sollten wohl definiert sein“), bleibt das Inhalt-Gebende offen; denn mit „wohl definiert“ ist nur „eine deutliche Trennung von der Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls ... und der wertmäßigen Höhe des Ausfalls“ gemeint. Zumindest müßte eine Zeitraumbestimmung hinzutreten. Es lohnt nicht, bei diesen „Grundsätzen“ im einzelnen nachzuforschen, an was wohl gedacht sein könnte; denn zu Rating-Verfahren als einer Unsicherheiten gewichtenden Unternehmensbewertung wird nichts gesagt. Nicht in die vorgenannten „Grundsätze“ eingebunden ist z.B., ob Risikomodelle geeignete Frühwarnsysteme für die Höhe einer Insolvenzgefahr darstellen.
IV. Frühwarnsysteme in Form von Risikomodellen? Für alle Prognosen, also auch für Frühwarnsysteme gilt, daß die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen für Schlüsse von der Vergangenheit auf die Zu___________ 12
Vgl. Latham (1986), S. 39, 40.
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kunft zu beachten sind (Teil 1). Genau dies versäumen die Risikomodelle der gängigen Risk-Managementlehre (Teile 2 und 3).
1. Gemeinhin verschwiegene Voraussetzungen von Risikomodellen Investitionsentscheidungen fallen unter Unsicherheit darüber, welche Handlungsalternativen erkannt werden, welche Mittel diese im und nach dem Erstinvestitionszeitpunkt beanspruchen und welche Alternativen vorzuziehen sind. Unsicherheit umfaßt planbare Ungewißheit und darüber hinausreichende Informationsrisiken. Planbare Ungewißheit heißt der Fall, daß sämtliche denkbaren künftigen Zustände der Welt, welche die Zielbeiträge einer Handlungsmöglichkeit spürbar verändern, in einem Planungsmodell aufgelistet werden. Der spätere Istzustand ist in der Planung enthalten, man weiß nur nicht, welche der geplanten Zukunftslagen tatsächlich eintreten wird13. Informationsrisiken bezeichnen die Gefahr, den später eintretenden Istzustand im eigenen Planungsmodell nicht vorhergesehen zu haben. Wann von einer Ex-post-Überraschung gesprochen werden darf, hängt von der Sorgfalt persönlicher Planung ab. Nur für den Dummkopf tritt eine Ex-post-Überraschung ein, wenn er beim Münzwurf vom sicheren Eintreten von Zahl ausgegangen ist und Wappen fällt nach oben; denn beide Zukunftslagen müßten in einer vernünftigen Planung enthalten sein. Jedoch rechnen auch erfahrene Profis im Aktiengeschäft regelmäßig nicht mit einem tödlichen Verkehrsunfall der begabtesten Manager oder einem für die Unternehmung verheerenden Explosionsunglück, obwohl solche Ereignisse ihre Planungen über den Haufen werfen werden. Diese Gefahr von „Ex-post-Überraschungen“ bewirkt, daß Planungsmodelle unter Ungewißheit in ihrer Aussagefähigkeit erheblich einzuschränken sind. Gerade das Wissen, nicht alle Verlustgefahren vorausplanen zu können, verlangt eine Eigenkapitalausstattung als Verlustpuffer. Die Mindesteigenkapitalausstattung zum Abfangen nicht planbarer Ex-post-Verluste ist allerdings weder heute noch in Zukunft jemals rational planbar und erst recht nicht zu quantifizieren, weil Menschen nicht wissen können, welches Wissen ihnen zwischen ihrer Planung, der Plankoordination und dem Vollzug der Markthandlungen zugeht. Deshalb kann die Anzahl der künftigen Zustände der Welt in der Planung nicht vollständig erfaßt werden. Genau das Gegenteil, daß sämtliche künftigen Zustände der Welt aufgelistet sind, setzt die Wahrscheinlichkeitsrechnung voraus. Die Gesamtheit aller aufgelisteten Zukunftslagen gilt als sicheres Ereignis und erhält die Wahrschein___________ 13
Vgl. Schneider (1997), S. 230 – 232.
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lichkeit 1. Im Fall von Informationsrisiken sind nicht alle Zukunftslagen im voraus bekannt. Deshalb können für die geplanten Zukunftslagen keine vernünftig zu begründenden quantitativen Glaubwürdigkeiten angegeben werden, deren Summe 1 beträgt. Dies bedeutet: Sobald wegen des Nicht-Ausschließen-Könnens von Ex-postÜberraschungen eine Eigenkapitalausstattung nötig erscheint, – also für die Realität: fast immer –, ist nicht mehr vorherzusagen, welche Eigenkapitalunterlegung die Insolvenzgefahr eines Kreditinstituts mindert. Die unrealistische Annahme, die Zukunft sei vollständig planbar und als Abbild empirischer Prognosen existiere eine quantitative Wahrscheinlichkeitsverteilung, ist Grundlage der Risk-Managementlehre, auf der Ratingverfahren aufbauen. Erst bei einem gedanklichen Ausschluß der Möglichkeit von Expost-Überraschungen sind in sich konsistente Urteile über „risikoreichere oder risikoärmere“ Handlungsalternativen zu finden14. Risikomodelle unterstellen jedoch viel mehr, nämlich eine quantitative Messung der Insolvenzgefahr.
2. Der fragwürdige Value at Risk Die für die Risikomessung in Kreditinstituten benutzten Risikomodelle bevorzugen eine Kennzahl für den Risikograd: den Value at Risk (VAR), hergeleitet mit statistischen Parametern von Häufigkeitsverteilungen aus der Vergangenheit. Der Value at Risk15 bestimmt sich als Differenz zwischen Anfangsinvestitionsausgabe und dem negativen Zielbeitrag, der mit einer festgelegten Eintrittswahrscheinlichkeit (üblich 1 %) nicht überschritten wird. Je höher der Value at Risk ist, desto höher wird das Risiko der betrachteten Alternative beurteilt. Der Value at Risk mißt in einer bekannten Wahrscheinlichkeitsverteilung jenen Abschnitt, der als „Ruinrisiko“ schon vor über einem halben Jahrhundert analysiert worden ist16. Eine erste Schwäche des Value at Risk liegt darin, daß er sich nur bei statistischen Normalverteilungen der Wahrscheinlichkeiten in Übereinstimmung mit der noch vorherrschenden Entscheidungsregel unter Ungewißheit (des Bernoulli-Prinzips) bestimmen läßt17. Indes unterstellt eine Normalverteilung Preisänderungen von – f bis + f. Mehr als die Investitionssumme einschließlich Ein___________ 14
Vgl. Schneider (1997), S. 209 – 213. Vgl. Johanning (1996), S. 287 – 303; Jorion (1997), S. 47 – 46. 16 Vgl. Roy (1952), S. 431 – 449. 17 Vgl. Guthoff / Pfingsten / Wolf (1998), S. 128, 132 – 134. 15
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treibungskosten für Forderungen oder mehr als einen nicht ausgenutzten Verkaufspreis kann aber ein Investor nicht verlieren. Hinzu tritt: Für die statistische Beschreibung, wie im Zeitablauf Renditen in realen Kapitalmärkten streuen, gilt, daß sie statt durch Normalverteilungen treffender durch sog. stabile Pareto-Verteilungen18 abgebildet werden. Stabile Pareto-Verteilungen ruinieren die bislang angewandten ökonometrischen Methoden, denn sie implizieren u.a.: Eine Vergrößerung des Stichprobenumfangs verbessert nicht die Annäherung an die gesuchte Wahrscheinlichkeitsverteilung, die als eine Art „Gesetzmäßigkeit“ für Prognose von Marktpreisen, wie Börsenkurse, verstanden wird. Da bei stabilen Pareto-Verteilungen die Varianz als Maß für die Abweichungen beobachtbarer Marktpreise von ihrem Mittelwert unendlich wird, funktioniert eine Wertpapiermischung, wie sie aufgrund der Erwartungswert-Streuungsregel abgeleitet wird, nicht mehr, ebensowenig der Lernprozeß, wie er für bedingte Wahrscheinlichkeiten formuliert ist. Schließlich entfällt auch die Brownsche Bewegung als Abbild wirtschaftlichen Geschehens, auf der die Formel des Gleichgewichtspreises für Optionen beruht19. Diese für die ökonometrische Kapitalmarktforschung peinlichen Folgerungen werden in jüngeren Schriften wie folgt beiseite geschoben20: Stabile Verteilungen erschwerten die Modellierung erheblich. Die „Standardfinanzierungstheorie“ erfordere endliche Varianzen, und daß eine Vergrößerung des Stichprobenumfangs keine Annäherung an die gesuchte Wahrscheinlichkeitsverteilung liefere, sei angeblich kontrafaktisch. Eine solche Verteidigung läuft auf eine Immunisierung gegen Kritik hinaus; denn empirische Tests sollen eine Theorie vorläufig bestätigen oder widerlegen. Wenn empirische Datenmengen besser durch Verteilungen mit unendlichen Varianzen abzubilden sind, dann ist das ein gewichtiges Argument gegen die „Standardfinanzierungstheorie“. Dies gilt erst recht für die Behauptung, eine Erhöhung des Stichprobenumfangs liefere empirisch stets eine Annäherung an eine gesuchte quantitative Wahrscheinlichkeitsverteilung. Woher stammt die Gewißheit, daß eine solche überhaupt existiert, die Prognosen für den einzelnen Entscheidungsfall zuläßt?
___________ 18 Vgl. Mandelbrot (1963), S. 394 – 419; Mandelbrot (1967), S. 393 – 413; Fama (1963), S. 420 – 429. 19 Vgl. näher Schneider (2002), S. 8. 20 Vgl. Campbell / Lo / MacKinlay (1997), S. 18, 19.
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3. Analyse von Kreditausfallrisiken mit Hilfe der Optionspreistheorie? Die Analyse von Kreditausfallrisiken verwendet zumeist Verfahren der Optionspreistheorie21. Darin wird die Kreditausfallwahrscheinlichkeit für den Fall berechnet, daß der Wert einer Unternehmung als Ganzes zum Zeitpunkt der Kreditfälligkeit den Wert ihres Fremdkapitals unterschreitet. Die statistischen Parameter, wie z.B. Volatilitäten oder Korrelationen der zukünftigen Preisentwicklungen, werden im Schrifttum des Risikomanagements zumeist über ökonometrische Verfahren geschätzt22. Hierbei tritt neben empirischen Häufigkeitszahlen das Erzeugen stochastischer Prozesse, wobei Simulationen fehlende empirische Häufigkeiten ersetzen sollen. Um die mathematische Handhabbarkeit stochastischer Prozesse zu verbessern, wurden „Markow-Prozesse“ entwickelt mit der Eigenschaft, daß jeder Zustand nur von dem zeitlich unmittelbar vorhergehenden abhängt und alle zeitlich weiter zurückliegenden Zustände als irrelevant angesehen werden23. Der stochastische Prozeß verfügt insoweit über kein „Gedächtnis“24. Zu fragen bleibt, ob der Formalismus der benutzten stochastischen Prozesse und optionspreistheoretischen Modellierungen jene Erfahrungstatbestände der Unsicherheit bei ungleicher Wissensverteilung wenigstens näherungsweise abzubilden vermag, unter denen Menschen in Märkten zu handeln gezwungen sind. Ein denkbarer empirischer Gehalt solcher Modellierungen geht schon deshalb verloren, weil weder der theoretische, nicht beobachtbare Begriff eines durch die stochastischen Prozesse modellierten Unternehmenswertes noch der gleichfalls durchweg nicht beobachtbare Marktpreis einer Unternehmung als Ganzes empirisch überprüfbar sind und deshalb auch keine ökonometrische Schätzung25 zulassen.
V. Erklärungsmängel für eine Eigenkapitalunterlegung Einzeldiskussionen über die genaue rechtliche Kennzeichnung der haftenden Eigenmittel übersehen leicht das Grundsatzproblem: Eine Eigenkapitalausstattung schafft unabhängig von der unverzüglichen Zahlungsfähigkeit ein Potential, um durch Auflösung von Investitionen die Zahlungsbereitschaft während des gesamten Planungszeitraumes sicherzustellen. Durch einen Verlustpuffer sollen zum einen in der Planung erkannte und später eintretende Verluste (Min___________ 21
Vgl. Eisele / Knobloch (2000), S. 162. Vgl. für einen Überblick Bollerslev / Chou / Kroner (1992), S. 5 – 59. 23 Vgl. Markow (1912), S. 272 – 298. 24 Vgl. Overbeck / Stahl (1998), S. 83. 25 Vgl. Campbell / Lo / Mac Kinlay (1997), chapter 8, 12. 22
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dereinnahmen oder Mehrausgaben) abgefangen werden. Zum anderen dient die Eigenkapitalausstattung der Vorsorge gegenüber nicht planbaren Verlusten aus Ex-post-Überraschungen. Beide Male bewirkt eine Eigenkapitalausstattung, daß das Verlustabfangen selbst keine zusätzlichen, vom Gewinn unabhängigen Auszahlungsansprüche auslöst. Insofern wird sowohl einer Zahlungsunfähigkeit als auch dem Insolzenzrechtstatbestand der Überschuldung entgegengewirkt. Die Tatsache, daß ein Verlustpuffer „Eigenkapitalausstattung“ nötig ist, eine optimale Eigenkapitalausstattung aber schon wegen der Informationsrisiken nicht zu bestimmen ist, mag ein Anlaß zu der Annahme gewesen sein, Art und Ausmaß von Bankgeschäften durch eine Eigenkapitalunterlegung für einzelne Geschäftstätigkeiten zu lenken. Indes besteht zwischen dem Erfordernis einer Eigenkapitalausstattung und den Insolvenzrisiken in einzelnen Bankgeschäften eine Erklärungslücke, warum eine durchschnittliche oder nach Geschäftsarten differenzierte Eigenkapitalquote die Insolvenzgefahr mindere, Gläubigerschutz gewährleiste. Um diese Lücke zu überbrücken, finden sich im Schrifttum kaum Argumente, bis auf zwei. Ein erstes Argument lautet: Die Erfahrung habe gezeigt, daß eine branchenübliche Eigenkapitalunterlegung die Bankeinleger hinreichend schütze; insofern habe sich die Eigenkapitalunterlegung als Norm bewährt. Das Argument ist nicht besser als: Regelmäßiges Zähneputzen habe sich gegen Fußpilz bewährt; denn es enthält keine nachvollziehbare Begründung. Die Geschichte der verschiedenen Bankpleiten spricht nicht für die „Bewährung“ von Normen zur Eigenkapitalunterlegung; denn Anlaß für die Mehrzahl der Bankpleiten waren rechtswidrige Handlungen der Bankleitungen. Gegen kriminelle Handlungen, angefangen mit Bilanzrechtsdelikten, bleiben Normen zur Eigenkapitalunterlegung gemeinhin wirkungslos, obwohl diese Normen durchgängig als Überreaktionen des Gesetzgebers auf einzelne solche Strafrechtstatbestände entstanden sind26. Die vermeintliche „Bewährung“ einer einmal verordneten Eigenkapitalunterlegung besteht hauptsächlich in dem eher zufälligen Tatbestand, daß über Jahre hinweg keine die Öffentlichkeit bewegende Bankpleite eingetreten ist. Insbesondere stellt die Gewöhnung an eine Regulierung noch keine Bewährung dar. Voraussetzung für eine begründete Regulierung von Eigenkapitalunterlegungen wäre der Nachweis, daß z.B. Kapitalbindungsregeln das Ergebnis rationaler Entscheidungen unter Unsicherheit im Hinblick auf das Einhalten von Risikogrenzen sind. Wer reguliert, ohne zu wissen, wie durch rationale Entscheidungen Unsicherheiten begrenzt werden können, maßt sich lediglich Besserwisse___________ 26 Vgl. Möschel (1972), S. 200 – 203; Schneider (1987), S. 104, 105, zum folgenden Schneider (2002), S. 2 – 6.
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rei durch Vorurteile an und schlittert in einen falschen Individualismus im Sinne von Hayek. Ein zweites, weit verbreitetes Argument für eine Eigenkapitalunterlegung erscheint noch weniger durchdacht: Solange nur Eigenkapital investiert werde, gebe es kein Insolvenzrisiko der Bank für ihre Gläubiger (kein Gläubigerrisiko); das zeige, daß eine Eigenkapitalquote für jede Bank zum Einlegerschutz vorhanden sein müsse. Der erste Teil des Satzes ist eine Tautologie, der die Existenz von Gläubigern wegdefiniert und damit zugleich das Problem eines Einlegerschutzes vor Insolvenzrisiken eines Kreditinstituts. Der zweite Teil des Satzes ist zunächst nur bloße Behauptung, die durch die vorangehende Tautologie keinesfalls empirisch gestützt wird. Um derart Nichtssagendes zu vermeiden, müßte das Argument anders, als „Tendenz“-Aussage, formuliert werden: Bei alternativer Betrachtung (in einer komparativ-statischen Sicht) oder in einer Kalenderzeitfolge sinkt mit wachsender Eigenkapitalunterlegung das Gläubigerrisiko und ist bei sehr geringer Verschuldung für die Gläubiger praktisch zu vernachlässigen. Auf Anhieb ist zu erkennen, daß eine solche Tendenz-Aussage keineswegs „immer und überall“ gilt, sondern schon in der komparativ-statischen Deutung an eine Reihe von Sprachregelungen (Definitionen) und Umweltgegebenheiten (Voraussetzungen) gebunden ist: Mit Insolvenzgefahr kann einmal der drohende Sachverhalt einer Überschuldung gemeint sein. Hierfür endet das Argument in einer Tautologie. Bezieht sich die Insolvenzgefahr auf die Zahlungsfähigkeit des Schuldners „Bank“, so kann dessen Liquidität aber von seiner Eigenkapitalausstattung und damit von der Eigenkapitalunterlegung völlig unabhängig sein, z.B. wenn Grundstücke, Beteiligungen usw. ausschließlich mit Eigenkapital finanziert sind, aber kein Geld in der Kasse ist. Eine Eigenkapitalunterlegung von Grundstücken, Beteiligungen, Krediten schafft gerade keinen Bestand an Zahlungsmitteln, sondern verwendet in liquiden Mitteln zugeführtes Eigenkapital anderweitig. Künftige Ausgaben erfordern dann ein häufig mit Verlusten verbundenes Auflösen eines Teils der Investitionen, um Zahlungsmittel zu beschaffen. Im Hinblick auf ein Insolvenzrisiko besteht der Sinn einer Eigenkapitalunterlegung allein darin, als Verlustpuffer während eines Planungszeitraums zu dienen, also: Ohne der Unternehmung neue künftige Auszahlungsansprüche aufzuladen, soll die Fähigkeit im Zeitablauf erhalten bleiben, durch Verkauf von Aktiva (selbst mit Verlust) fällige Schulden zu begleichen. Soweit Ungewißheit planbar ist, bleibt zu prüfen, ob mit höherer Eigenkapitalunterlegung die Insolvenzgefahr sinkt. Dazu müssten die Unsicherheitsursachen der einzelnen Aktivgeschäfte eines Kreditinstituts (das Geschäftsrisiko) und zusätzlich eine darüber hinaus reichende Unsicherheit aus den einzelnen
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Passivgeschäften (ein Kapitalstrukturrisiko) quantitativ zu messen sein. Um eine Eigenkapitalunterlegung zu rechtfertigen, wäre eine Hypothese zu beweisen von der Art: „Immer dann, wenn ein Kredit der Bank mit z.B. mindestens 8 % Eigenkapital unterlegt ist, bleibt die Insolvenzgefahr der Bank und damit das Gläubigerrisiko hinreichend begrenzt“. Ein empirischer Beweis für diese Hypothese ist jedoch nicht zu erbringen, weder bei der Deutung einer Eigenkapitalunterlegung als Kapitalbindungsregel, noch bei der Auslegung als Kapitalstrukturregel. Dazu müßte geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen Zuführungen von Eigenkapital Insolvenzgefahren mindern. Eine zeitpunktbezogene Messung als Kapitalbindungsverhältnis oder Kapitalstrukturverhältnis schafft eine solche Einsicht nicht. Eigenkapitalunterlegung als Verhältnis bestimmter Aktiva zu Eigenkapital aufzufassen, setzt stillschweigend einen „typischen“ Eigenkapitalverzehr durch Verluste aufgrund bestimmter Aktiva voraus und klammert damit zu viele Unsicherheitsursachen aus, z.B. die Verlustgefahr, daß einzelne betragsmäßig große Forderungen uneinbringlich werden. Wird die Eigenkapitalunterlegung als verkappte Kapitalstrukturregel aufgefaßt, bedeuten z.B. 8 % Eigenkapitalunterlegung eines Kredits, daß unabhängig von einer Eigenkapitalzuführung bei einem Verschuldungsgrad bis zu 92 % das Gläubigerrisiko hinreichend begrenzt sei. Zu beachten ist aber, daß jede vorgegebene Wahrscheinlichkeitsverteilung Ex-post-Überraschungen ebenso wegdefiniert wie individuelle Glaubwürdigkeitsurteile über nicht oder doch in Insolvenzen führende Zukunftslagen. Damit droht eine solche Norm zu einer unbegründeten Setzung zu werden; denn bestenfalls erscheint für die einzelnen Aktiv- und Passivgeschäfte eine im Rang ordnende („ordinale“) Risikomessung erkenntnistheoretisch zu verantworten27, und diese setzt schon vereinfachende Annahmen voraus.
VI. Folgerung Anwendungsbezogen arbeitende Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker pflegen lieber zu rechnen als zu denken oder sich gar mit erkenntnistheoretischen Skrupeln auseinanderzusetzen, ob ihren Techniken empirischer Sinn oder nur mathematische Folgerichtigkeit beizulegen ist, die mit empirisch Ungeprüftem garniert wird. In Informations- und Entscheidungsnot befindliche Praktiker sehnen sich natürlich nach verläßlichen Prognosen und gieren nach „Informationssystemen“ und „Entscheidungshilfen“ auch dann, wenn diese nur auf der mathematisch___________ 27 Zu den Unterschieden in den Konstruktionsprämissen für quantitative und ordinale Wahrscheinlichkeiten vgl. z.B. Schneider (1997), S. 170 – 185.
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statistischen Aufbereitung von Vergangenheitszahlen oder der Benutzung von Simulationen aufbauen. Solche „Informationssysteme“ messen nicht das Risiko der Geschäfte, sondern wirken unmittelbar nur als Dompteursprache, als Beruhigungsdroge. Dompteursprachen erfüllen zwar menschliche Bedürfnisse: Schamanen beschwören so die Ängste der Krieger wilder Stämme, die Mutter durch Märchen-Erzählen die Ängste des Kindes vor der dunklen Nacht. Aber rechtfertigt eine Beruhigungsdroge den erheblichen Arbeitsaufwand der Risikomessung bei den einzelnen Kreditinstituten oder gar aufsichtsrechtliche Regulierungen in einer Wettbewerbsordnung? Stichhaltige Argumente fehlen, um Regulierungen über Prognoseverfahren und vielfältig aufgespaltene geschäftsbezogene Eigenkapitalunterlegungen zu erzwingen; denn Mindestnormen in Form von Eigenkapitalunterlegungen sind nur als Konventionen einzustufen, die so, aber auch anders geregelt sein können, ohne daß eindeutige Richtungsaussagen über eine Veränderung des Insolvenzrisikos nachweisbar sind. Deshalb erscheint es an der Zeit, die derzeitige Regulierung der Finanzmärkte grundsätzlich infrage zu stellen. Um eine ungleiche Wissensverteilung unter den Kapitalmarktteilnehmern abbauen zu können, wäre nötig zu erkennen, wie hoch in jedem Rechnungslegungszeitpunkt die Eigenkapitalausstattung ist, frei von Manipulationen und Wahlrechten der Rechnungslegenden gemessen und gering mit Schätzwerten belastet. Dies wird am ehesten über eine Reform der Rechnungslegung mit dem Ziel einer wahlrechtsfreien Ausschüttungssperre (Einkommensbemessung) erreicht. Insbesondere bedarf es keiner Hinwendung zu internationalen Rechnungslegungsstandards, wie IFRS oder US-GAAP, die Illusionen über vermeintliche nützliche Informationen zur Erwartungsbildung nähren. Der durch die internationalen Rechnungslegungsstandards zugelassene Teilausweis unrealisierter Gewinne steht dem Verringern einer Insolvenzgefahr entgegen.
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Berliner Bankenskandal – Ursachen und Konsequenzen Von Hans-Peter Schwintowski Prof. Dr. Dieter Rückle, dem dieser Beitrag gewidmet ist, gehört zu jenen Wissenschaftlern, für die es nicht nur selbstverständlich war und ist, ihre fachlichen Grenzen zu Gunsten jeweils offener Sachfragen zu überschreiten, sondern die darüber hinaus mit ihrer ganzen Kompetenz und Reputation bereit waren und sind, sich gesellschaftspolitisch brisanten Fragestellungen zu öffnen, um auf diese Weise für die eigene wissenschaftliche Position auch öffentlich Verantwortung zu übernehmen. Der folgende Beitrag versucht – ganz in der Tradition von Dieter Rückle – einige Rechts-, aber auch wirtschaftswissenschaftlich relevante Fragen aus der Perspektive eines bundesweit bekannt gewordenen Bankenskandals zu formulieren, dem wir nicht nur Einsichten in menschliche Unzulänglichkeiten verdanken, sondern darüber hinaus auch die Erkenntnis, dass unser Rechts- und Regulierungssystem auf Bankmärkten nicht optimal ausjustiert ist.
I. Die Größenordnungen Am 16. April 2002 hat das Berliner Abgeordnetenhaus zugunsten der Bankgesellschaft Berlin (BGB) ein Risikoabschirmungsgesetz beschlossen1. Durch dieses Gesetz werden Risiken, die sich möglicherweise in den nächsten Jahren bei der BGB verwirklichen, über den Landeshaushalt in Höhe von 21,6 Milliarden Euro abgeschirmt. Die Bankgesellschaft Berlin gehört zu mehr als 80 % der Stadt Berlin. Eine Risikoabschirmung in dieser Größenordnung zugunsten einer öffentlichen Bank ist in der Bundesrepublik einmalig – die Größenordnung entspricht etwa zwei Elbe-Flut-Katastrophen. Die Stadt Berlin, die über einen Jahreshaushalt von etwa 21 Milliarden Euro verfügt, müsste ein volles Jahr lang auf sämtliche Leistungen aus ihrem Haushalt verzichten, um den durch die BGB aufgehäuften Schuldenberg abzutragen.
___________ 1
Gesetz zur Ermächtigung des Senats zur Übernahme einer Landesgarantie für Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin AG und einiger ihrer Tochtergesellschaften vom 16.04.2002 (GVBl. Berlin S. 121).
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Wohlgemerkt – der Schuldenberg droht nur – er ist (noch) keine Realität. Die 21,6 Milliarden Euro werden auch nicht auf einen Schlag auf die Stadt Berlin zurollen, sondern sich über einen Zeitraum von 25 bis 30 Jahren verteilen, wodurch sie allerdings nicht weniger werden. In der Gesamtschuldenlast der Stadt Berlin im Jahre 2004 (ca. 52 Milliarden Euro) sind die aus dem Bankenskandal resultierenden Risiken noch nicht enthalten. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass sich der Schuldenberg Berlins trotz erheblicher Einsparungen bei Personal (500 Mio. Euro jährlich) und Investitionsausgaben (340 Mio. Euro jährlich) bis zum Jahre 2009 auf ca. 69 Mrd. Euro erhöhen wird2. Diejenigen, die meinen man könnte die Finanzprobleme der Stadt Berlin durch ein geschicktes Krisenmanagement bei der Bankgesellschaft Berlin lösen, irren sich also leider. Berlin hat – ganz unabhängig vom Bankenskandal – ein strukturelles Finanzproblem, das mit der jahrzehntelangen Teilung der Stadt zu tun hat und der daraus resultierenden Subventionsmentalität auf beiden Seiten der Mauer. Diese Mentalität verhindert bis heute grundlegende Strukturreformen im Bereich der städtischen Behörden, den Anstalten des Öffentlichen Rechts (wie beispielsweise den Universitäten) und den öffentlichen Unternehmen. Das Bewusstsein, dass man eine Stadt wie ein Unternehmen führen muss, dass es auch auf Effizienz und Effektivität ankommt, ist wenig ausgeprägt. Statt dessen lähmt ein riesiger Personalüberhang die Stadt und viele ihrer Institutionen. Allein in der renommierten Humboldt-Universität zu Berlin werden Jahr für Jahr (bis mindestens 2012) 15 Mio. Euro in den Personalüberhang gesteckt. Dieses Geld, das in überflüssige Stellen investiert wird, wird bei der Forschung gespart, wo es dringend nötig wäre. Wir verzichten also Jahr für Jahr allein in der Humboldt-Universität auf Forschungsinnovationen in Umfang von etwa 20 Professuren einschließlich der damit verbundenen wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen, um mit dem auf diese Weise eingesparten Geld Stellen zu finanzieren, die überflüssig sind. Die damit verbundenen Nebenwirkungen sind – neben der finanziellen Enge – von großer Bedeutung. Die Behörden und Organisationen, in denen Menschen arbeiten, die „eigentlich nicht gebraucht werden“, lähmen sich nach innen selbst. Die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, bestimmt das tägliche Geschehen. Jeder der wirklich effizient und effektiv arbeitet, ist automatisch Feind, weil er offen legt, dass die Arbeit innerhalb der Behörde sehr viel einfacher, schneller und bürgerfreundlicher erledigt werden könnte. Überbesetzte ___________ 2 Finanzplan des Berliner Senats bis 2007, Finanzplanung von Berlin 2005 bis 2009, S. 104 (Tabelle 33: „Die Schulden- und Belastungsbilanz“). http://www.berlin. de / imperia /md/ content / senatsverwaltungen/finanzen/haushalt/finanzplanung05_09.pdf, Download 10.10.2005, zur Haushaltsplanung Berlins.
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Behördenstrukturen schaffen – das gilt natürlich auch in privaten Unternehmen – eine Mentalität der Bürokratisierung – man schafft Arbeit durch Bürokratie, auch dort, wo dies nicht nötig ist. Gleichzeitig sinken Leistungsbereitschaft und Innovationskraft – die hochqualifizierten Mitarbeiter/innen wandern dorthin ab, wo man Kompetenz, Innovationskraft und Leistungsbereitschaft schätzt. In den Amtsstuben verbleiben dann diejenigen, für die die bloße Anwesenheit am Arbeitsplatz bereits hinreichende Legitimation für ihre Entlohnung ist. Das Allerschlimmste an diesem sich selbst lähmenden Kreislauf ist, dass diejenigen, die in diesem Kreislauf gefangen sind, nicht einmal die Chance bekommen, ihr eigenes Leben umzusteuern, neu zu orientieren und Fähigkeiten in sich selbst zu aktivieren, die das Leben wieder lebenswert machen, weil man erkennt, dass man tatsächlich gebraucht wird. Warum es in Berlin – aber auch anderswo – so schwer ist aus diesen schlichten Wahrheiten praktische Politik zu machen, ist nicht leicht zu erklären. Vielfach wird das Aufrechterhalten von Überkapazitäten als soziale Wohltat verkauft, obwohl jeder weiß, dass als Folge dieser Wohltaten viele wirklich wichtige, in die Zukunft weisende Projekte nicht finanziert werden können und die Probleme derer, denen die Wohltaten kurzfristig zugute kommen, langfristig trotzdem nicht gelöst sind. Was hat dies alles mit dem Bankenskandal in Berlin zu tun? Auf den ersten Blick wenig – auf den zweiten aber viel. Natürlich sind die strukturellen Probleme der Stadt Berlin nicht identisch mit den strukturellen Problemen der Bankgesellschaft Berlin. Aber – und das ist der zweite Blick – die Bankgesellschaft war und ist als öffentliche Bank des Landes Berlin eng mit der Berliner Politik verbunden. Viele bekannte Politiker der Stadt waren in maßgeblicher Position in der Bankgesellschaft tätig. Nur so dürfte man erklären können, warum die Bankgesellschaft bereit war, so viele Schrottimmobilien der Stadt Berlin in ihre Immobilienfonds zu übernehmen. Nur so wird man aber auch erklären können, wieso die Bankgesellschaft Berlin über einen langen Zeitraum überhaupt Geschäfte gemacht hat, von denen Insider bereits im Jahre 1995 sagten, dass sie notwendigerweise in den Ruin führen müssen. Und damit wären wir bei den Ursachen für das ganze Desaster.
II. Die Ursachen Die Geschichte beginnt am 01. Januar 1994. An diesem Tag hat das Land Berlin seine Bankenbeteiligungen an der Berliner Bank AG, der Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank AG sowie der Landesbank Berlin, Anstalt des Öffentlichen Rechts (LBB), unter dem Dach der neugeschaffenen Bankgesellschaft Berlin AG (BGB) zusammengeführt. Erstmals in der Konzernrechtsgeschichte wurde damit eine Anstalt des Öffentlichen Rechts (LBB) den Weisun-
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gen einer juristischen Person des Privatrechts unterworfen und so in ein hybrides Konzerngebilde eingefügt3. Das wesentliche Ziel dieser Holding-Konstruktion dürfte, so mutmaßt Thorsten Fett in seiner Dissertation, die Privatisierung des Anstaltsvermögens sein. Die angespannte Haushaltslage zwinge die öffentlichen Hände immer mehr ihr Tafelsilber zu veräußern. Welche desaströsen Folgen diese katastrophale Fehleinschätzung gerade einmal sieben Jahre später haben sollte, war am 01. Januar 1994 sicher kaum vorherzusehen. Eines aber hätte man von Anfang an erkennen können und müssen. Durch die Integration der Landesbank Berlin, Anstalt öffentlichen Rechts (LBB), war eine Bank im Konzernverbund, für deren Verbindlichkeiten das Land Berlin als Gewährträger uneingeschränkt haftete (§ 5 Landesbankgesetz)4. Damit wurde geradezu ein Anreiz geschaffen, problematische Geschäfte über die LBB abzuwickeln, weil man sich bei diesen Geschäften immer auf die Gewährträgerhaftung des Landes Berlins berufen konnte. Umgekehrt konnte die LBB zugunsten des Gesamtkonzerns am internationalen Kapitalmarkt (z.B. in Irland) Kredit in geradezu unbegrenzter Höhe zu besten Konditionen aufnehmen, weil sie als Landesbank Berlin durch Berlin abgesichert war und folglich weltweit AAA-geratet war. Diese aus der Natur der Gewährträgerhaftung resultierenden Anreize sollten letztlich die entscheidende Ursache für den Berliner Bankenskandal werden. Die LBB beschaffte über Jahre hinweg Kapital zur Ausfinanzierung der Konzerntöchter und übernahm – weitgehend durch harte Patronatserklärungen – letztlich das gesamte Konzernverlustrisiko. Im Ergebnis bedeutete dies, dass der Berliner Steuerzahler für die Verluste im Gesamtkonzern der Berliner Bankgesellschaft einstand. Abgesichert wurde dies schließlich durch das Gesetz über die Konkursunfähigkeit juristischer Personen des Öffentlichen Rechts des Landes Berlin.5 Dieses Gesetz beruht auf der Annahme, dass ein öffentliches Unternehmen, für das das Land eine Gewährträgerhaftung übernommen hat, seinem Wesen nach nicht konkursfähig ist. Im Ergebnis wurde durch dieses Gesetz das letzte Schlupfloch, um aus der Gewährträgerhaftung noch herauszukommen, geschlossen. Eines stand jetzt fest: Egal wie viele Schulden man bei der LBB machte – eine Insolvenz drohte in keinem Falle. Die Bürger von Berlin standen vielmehr als Gewährträger für die Schulden des gesamten Konzerns zur Verfügung. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass in diesen zwei Bausteinen, der Gewährträgerhaftung einerseits und der Insolvenzunfähigkeit andererseits, die entscheidenden Ursachen für den Berliner Bankenskandal liegen. Hätte es diese ___________ 3
Vgl. Fett (2000). Gesetz vom 03.12.1993 (GVBl. Berlin S. 626). 5 Gesetz vom 27.03.1990 (GVBl. Berlin S. 682). 4
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Möglichkeit der unbegrenzten Schuldenübernahme des Gesamtkonzerns durch die LBB nicht gegeben, so wäre das Gesamtunternehmen sehr viel früher in die Nähe der drohenden Insolvenz gerückt und sehr viel früher saniert worden. Möglicherweise hätte man aber die Immobilienfondsgeschäfte, die das Desaster herbeigeführt haben, gar nicht erst gemacht, weil man das Kreditvolumen für Fonds dieser Art am internationalen Kapitalmarkt ohne Gewährträgerhaftung und damit eine AAA-Bewertung gar nicht bekommen hätte. Die eigentliche Ursache des Berliner Bankenskandals liegt also in einem Fehler im Rechtssystem. Landesbanken, die im Eigentum der Öffentlichen Hand stehen, benötigen, wie jede andere Bank auch ein angemessenes Eigenkapital. Sie benötigen aber keine der Höhe nach völlig unbeschränkte Gewährträgerhaftung des Landes. Im Gegenteil: eine solche unbeschränkte Gewährträgerhaftung des Landes schafft automatisch Anreize dafür, geschäftliche Risiken einzugehen, die besser nicht eingegangen werden und die man unter marktüblichem Wettbewerbsdruck auch nicht eingehen könnte. Dieser Webfehler des Deutschen Rechts ist von der Europäischen Kommission seit langem erkannt und wird von ihr im Rahmen der Beihilferegeln des EG-Vertrages seit langem kritisiert. Inzwischen ist man dabei, das Gewährträgerhaftungssystem für die öffentlichen Banken in der Republik (dazu gehören auch die Sparkassen) zu reformieren, nicht um diesen Banken das erforderliche Eigenkapital zu nehmen, sondern umgekehrt, um sie im Wettbewerb mit anderen Banken gleichzustellen. Zugleich wird auf diese Weise das Risiko der unbegrenzten Haftung zu Lasten der Bürger des Landes beseitigt.
III. Die Geschäfte In der Öffentlichkeit werden gewöhnlich die Geschäfte, die später von den Tochtergesellschaften der LBB gemacht wurden, als die eigentlichen Ursachen des Berliner Bankenskandals dargestellt. Natürlich ist es richtig, dass es den gesamten Skandal ohne diese Geschäfte nicht gegeben hätte. Aber – und das ist, wenn man über die Fehler nachdenkt, die man in der Zukunft vermeiden sollte, wichtig – die eigentliche Ursache sind eben nicht die Geschäfte, sondern die ihnen zugrunde liegende Gewährträgerhaftung. Die Geschäfte wurden erst möglich, weil es die Gewährträgerhaftung gab. Alle Beteiligten konnten sich zurücklehnen und sagen, dass die mit den Immobiliengeschäften verbundenen Risiken letztlich ja vom Land Berlin aufgefangen werden. Was genau hat man getan? Die Bankgesellschaft Berlin AG hat im Wesentlichen in den 90er Jahren über die Immobilientöchter der Gruppe in großem Umfang Anteile an geschlossenen Immobilienfonds (LBB-Fonds) verkauft. Es sollen etwa 70.000 Anleger gezeichnet haben, darunter große professionelle Investoren, wie Versicherungsgesellschaften und kleine, wie etwa Politiker, Künstler, Ärzte, Rechts-
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anwälte oder Hochschullehrer. Die Fonds der LBB-Linie zeichneten sich durch zwei besondere Merkmale aus. Zum einen durch die Sicherheit der Erträge für den Anleger und zum anderen durch die steuerlichen Verlustzuweisungen in den ersten Jahren. Die Sicherheit der Erträge ergibt sich im Wesentlichen aus 25- bis 30-jährigen Mietgarantien, aus Generalmietverträgen zugunsten der Fonds sowie aus einem Andienungsrecht, das es dem Anleger erlaubt, seinen Anteil kurz vor Ablauf der Garantiezeit zum Nominalwert zurückzugeben. Durch die abgegebenen Garantien sind die Fonds fast als Garantiefond zu bezeichnen, dem Anleger verblieb nur ein geringes Restrisiko. Neben die 25-bis 30-jährige Mietgarantie (die Mieten wurden auf hohem Niveau garantiert: Stand 1998 bis 2000) trat in vielen Fällen eine 10-jährige Mindestverzinsung in Höhe von 7 bis 7,5 % bezogen auf das angelegte Kapital. Noch besser wurden Kapitalanleger selten bedient. Die Rückzahlung des angelegten Kapitals ist durch das Andienungsrecht am Ende der Laufzeit gesichert – selbst wenn die Immobilien in den Fonds bis dahin ihren Wert vollständig verloren haben, bekommt der Anleger sein Kapital zurück. Während der Laufzeit der Kapitalanlage (25 bis 30 Jahre) wird das Kapital in den ersten 10 Jahren mit 7 bis 7,5 % verzinst, danach werden Mieteinnahmen auf dem Niveau der Jahre 1998 bis 2000 garantiert. Genau gesehen handelte es sich bei diesen Papieren um Anleihen mit einem Garantiezinssatz auf sehr hohem Niveau, verbunden mit hohen Verlustzuweisungen in den ersten Jahren und darauf resultierenden Steuereinsparungen entsprechend des persönlichen Steuersatzes des Zeichners. Es ist klar, dass es nicht gerade schwierig war, die LBB-Fonds am Kapitalmarkt zu platzieren. Im Gegenteil, die Fondanteile wurden den Mitarbeitern der Bank geradezu aus den Händen gerissen. Die Mitarbeiter/innen waren ihrerseits begeistert, denn für den Verkauf der Fondanteile gab es natürlich Provisionen. Umgekehrt war es nun ein Leichtes in diese Fonds Schrottimmobilien zu verschieben. Der Anleger musste bei Erwerb des Fondanteils ja nicht mehr darauf achten, ob die Immobilien im Fond werthaltig waren oder nicht. Er hatte genügend Garantien und er wusste, dass das Land Berlin mit der Gewährträgerhaftung hinter all den Fondsrisiken stand. Kein Wunder, dass die Geschäfte der Bankgesellschaft Berlin nach außen hin ganz hervorragend liefen. Es wurde ein LBB-Fonds nach dem anderen aufgelegt und kurz nach der Platzierung waren die Anteile auch schon verkauft. Das Volumen reichte nie. Es musste immer an die besonders guten Kunden zugeteilt werden. Umgekehrt hatten alle anderen Fondanbieter größte Schwierigkeiten ihre Anteile auf dem Markt zu platzieren, weil sie mit dem LBB-Fonds nicht mithalten konnten. Große Bauträger, auch aus der Stadt Berlin, berichten, dass es in jener Zeit praktisch nicht mehr möglich war, Bauvorhaben mit Hilfe von Immobilienfonds zu finanzieren, weil man diese in Konkurrenz zu den LBB-Fonds einfach nicht verkaufen konnte.
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Eines müsste den Vorständen und Aufsichtsräten der Bankgesellschaft ebenso wie den Wirtschaftsprüfern, den Kontrolleuren in der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in jener Zeit aber doch aufgefallen sein: Obwohl die Geschäfte der Bankgesellschaft Berlin durch das extrem starke Aufblähen der Immobilienfonds immer schneller und immer größer wuchsen, machte keiner der am Markt tätigen Wettbewerber – also vor allem die anderen Banken – das Modell der Bankgesellschaft Berlin nach. Das ist im Wettbewerb ungewöhnlich, denn ein erfolgreiches Geschäftsmodell wird im Normalfall sofort kopiert und nachgeahmt, um dem erfolgreichen Innovator Marktanteile abzunehmen. Woran lag es, dass keine andere Bank in Deutschland vergleichbare Fonds auflegte, während doch die BGB Jahr für Jahr exponentielles Wachstum verkünden konnte?
IV. Die Verluste Die Antwort ist einfach. Die Wettbewerber der BGB haben die Geschäftsidee der LBB-Fonds deshalb nicht nachgeahmt, weil sie von Anfang an wussten, dass man damit eine Bruchlandung machen muss. Das hat auch der Wirtschaftsprüfer Achim Walther bereits im Frühsommer 1997 bei einer Sonderprüfung der BGB attestiert. Der Walther-Bericht vom 24.07.1997 kommt zu dem Ergebnis, dass die „LBB-Fonds erhebliche steuerliche Risiken enthalten“6. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Steuervorteile zu Unrecht erbracht worden sind. Es seien sogar berechtigte Zweifel angebracht, ob überhaupt ein Totalüberschuss auf Dauer erreicht werden könne. Es könne eine Insolvenz der LBB als Folge der Fondsgestaltung nicht ausgeschlossen werden. Die Zweifel und Überlegungen des Walther-Berichtes wurden von einem Sonderprüfbericht nach § 44 KWG7 vom 14.03.2000 angefertigt und von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Fasselt Mette & Partner in vollem Umfang unterstrichen und verstärkt. Damals wurde darauf hingewiesen, dass Verluste in einem Umfang von 19 Milliarden DM in der Bilanz nicht zutreffend ausgewiesen waren. Diese Verluste, die durch das hektische Auflegen weiterer, immer größerer LBB-Fonds (wie in einem Schneeballsystem) zunächst noch kaschiert wurden, führten schließlich zum Abschirmungsgesetz vom 16.04.20028. In diesem Ge___________ 6
Nicht veröffentlicht. Gesetz über das Kreditwesen vom 10.07.1961 (BGBl. I S. 881), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.09.2005 (BGBl. I 2809). 8 Gesetz über die Ermächtigung des Senats zur Übernahme einer Landesbürgschaft für Risiken aus dem Immobilienleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin AG und einiger ihrer Tochtergesellschaften vom 16.04.2002 (GVBl. Berlin S. 121). 7
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setz wird der Senat von Berlin ermächtigt, eine Garantie von höchstens 21,6 Milliarden Euro für vertraglich näher zu bestimmende Risiken aus dem Immobiliendienstleistungsgeschäft der Bankgesellschaft Berlin zu übernehmen. Die Laufzeit der Garantie endet spätestens mit Ablauf des Jahres 2032. Die Garantie bezieht sich nicht auf die Risiken, die daraus resultieren, dass nach dem 31.12.2000 Immobilienfonds aufgelegt wurden, und nicht auf Risiken, aus nach dem 31.12.2001 vorgenommenen sonstigen Neugeschäften. Schließlich heißt es in § 1 Abs. 3 des Garantiegesetzes, dass die Garantie von den begünstigten Gesellschaften nur in dem zwingend notwendigen Ausmaß in Anspruch genommen werden kann. Weiter ist sicherzustellen, dass die Garantie nicht für Leistungen gilt, die ohne Rechtspflicht (z.B. Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben) erbracht werden. Man kann bezweifeln, ob es überhaupt nötig gewesen wäre, ein solches Garantiegesetz zu verabschieden. Die ohnehin bestehende Gewährträgerhaftung des Landes und die mit ihr verbundene Anstaltslast haben die auf die LBB verlagerten Risiken der gesamten BGB ohnehin aufgefangen. Das Abschirmungsgesetz hat also nur dann zusätzliche Wirkungen entfaltet, wenn Teile der Risiken des Gesamtkonzerns BGB womöglich doch nicht vollständig auf die LBB verlagert gewesen sein sollten. Nach heutigen Erkenntnissen scheint es aber so zu sein, dass die LBB für alle Immobiliengeschäfte des Konzerns sowieso einstand, sei es über Erklärungen in den Fonds-Prospekten, sei es über harte Patronatserklärungen oder interne Garantien und Konzernverlustübernahmen. Eines hat das Abschirmungsgesetz aber in jedem Falle bewirkt – es hat das Desaster in der Bankgesellschaft Berlin öffentlich gemacht und damit einen politischen Prozess und eine Diskussion ausgelöst, die bis heute nicht abgeschlossen ist.
V. Risikobegrenzung Was kann man in einer solchen Situation eigentlich tun? Das Kind ist in den Brunnen gefallen – die Riesenverluste sind gemacht – da kann man doch nichts mehr ändern – oder doch? Ein Argumentationspapier vom 27.02.2002, mit dem den Abgeordneten von Berlin die Gründe für die Abschirmung vorgetragen wurden9, kommt jedenfalls zu dem Fazit, dass die von der Senatsverwaltung gewählte Form der Risikoabschirmung mit großer Wahrscheinlichkeit der den Haushalt Berlins am wenigsten belastenden Umgang mit der Haftung des Landes darstellt. Eine Risikoabschirmung, so heißt es dort, sei notwendig, um den Bestand des Bankkonzerns ___________ 9
Nicht veröffentlicht.
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zu sichern und würde zu einer Verbesserung der Position der Bank am Geldund Kapitalmarkt beitragen. Diese Einschätzung wird heute auch vom Untersuchungsausschuss „Bankgesellschaft“, der im April 2001 vom Abgeordnetenhaus eingesetzt wurde, nicht mehr geteilt. Der Vorsitzende dieses Untersuchungsausschusses Frank Zimmermann (SPD) schreibt am 30.01.2003: „Zu Beginn des Jahres (2003) ist der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Bankenskandals in eine neue Phase eingetreten. Nach den notwendigen Vorermittlungen werden nun detailliert die Entwicklung der Immobilienfonds, die Kreditvergabe, der Ankauf der Vorratsimmobilien und die Bildung des Schattenkonzerns innerhalb der Bankgesellschaft untersucht. Der Milliardenskandal wird systematisch bearbeitet.“10 „Gegen die Hauptverantwortlichen der Schäden für das Land und die Bank ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Untreue und Kapitalanlagebetrugs. Gegen verantwortliche, ehemalige Bank- und Fondsmanager hat die Bankgesellschaft entweder Schadensersatzklage erhoben oder – zur Sicherung der Durchsetzbarkeit – den Verzicht auf die Einrede der Verjährung erwirkt. Auch gegen vermeintliche Zahlungsansprüche ausgeschiedener Bankvorstände geht die Bank vor. In zwei der sieben arbeitsrechtlichen Verfahren wegen fristloser Kündigung liegt ein erstinstanzliches Urteil vor; in diesem Verfahren hat die Bankgesellschaft obsiegt. Darüber hinaus werden juristische Schritte gegen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vorbereitet.“ Ferner wird jede geltend gemachte Leistung streng auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Es gilt „Forderungen abzuwehren, zu deren Erfüllung das Land nicht verpflichtet ist. Dazu gehört z.B. auch die Rückabwicklung von Fonds, soweit dies rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Dieses „Vertragsmanagement“ obliegt der landeseigenen Gesellschaft zum Controlling der Immobilien-Altrisiken, deren Geschäftsführer zum 01.12.2002 seine Tätigkeit aufgenommen hat. Diese neue Phase auf die Frank Zimmermann verweist, ist auch Ergebnis einer intensiven öffentlichen Diskussion über die Bankenkrise in Berlin. Als Teil dieser Diskussion hatte sich ein wissenschaftlicher Arbeitskreis zur Bankgesellschaft Berlin gegründet11 und am 28.01.2003 zehn Thesen zur Überwindung der Bankenkrise in Berlin vorgestellt12. Im Kern ging es darum, die Konditio___________ 10
Persönlicher Brief – nicht veröffentlicht. Der Wissenschaftliche Arbeitskreis bestand aus Prof. Dr. Albrecht Dehnhard (Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Berlin), Frau Mathilde Stanglmayr (Dipl.Volkswirtin), Privatdozent Dr. Markus C. Kerber (Technische Universität Berlin), Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (Humboldt-Universität zu Berlin), Achim Klaiber (Humboldt Universität zu Berlin), Dr. Frank Rodloff (Fachanwalt für Steuerrecht, Berlin). 12 Interessierte wenden sich bitte an den Lehrstuhl von Prof. Schwintowski, E-Mail: [email protected]. 11
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nen der Fondsverträge auf das marktübliche Niveau zurückzuführen. Die Fondszeichner sollten so gestellt werden, wie andere Fondszeichner standen und stehen, die vergleichbare Immobilienfonds erworben hatten. Es geht darum, die 25- bis 30-jährigen Mietgarantien auf ein marktübliches Niveau von etwa fünf Jahren zurückzuführen. Das Andienungsrecht am Ende der Laufzeit muss ersatzlos wegfallen. Die Zinsgarantie für die ersten zehn Jahre (7 bis 7,5 %) muss auf das marktübliche Niveau zurückgeführt werden. Das bedeutet im Normalfall gar keine zusätzliche Zinsgarantie, allenfalls eine auf dem Niveau von Staatsanleihen (zzt. etwa 3,5 %). Grundgedanke war und ist, dass die Anteilszeichner so behandelt werden, wie dies von steuerrechtlich begünstigten Unternehmern erwartet werden kann. Der Steuervorteil wird nämlich dafür gewährt, dass der Anteilszeichner ein mitunternehmerisches Risiko trägt. Wenn er die Steuervorteile generieren will – wie hier – so muss er sich also auch so behandeln lassen wie ein Unternehmer, sprich, die in den Fonds schlummernden Risiken selbst tragen. In einem zweiten, sehr wichtigen Schritt (These 3) hat der wissenschaftliche Arbeitskreis klargestellt, dass die Gewährträgerhaftung des Landes Belins nur für einen kleinen Teil der Verbindlichkeiten und nur in Höhe des angemessenen Eigenkapitals der Bankgesellschaft Berlin besteht. Das hängt auf der einen Seite mit der ultra-vires-Doktrin und auf der anderen Seite mit dem Europäischen Beihilferecht zusammen. Der Grundgedanke ist, dass das Land Berlin in Wirklichkeit nur für einen Teil der Verbindlichkeiten der BGB einsteht, nämlich in Höhe eines angemessenen Eigenkapitals. Alle darüber hinaus gehenden Verbindlichkeiten treffen die Stadt nach geltendem Recht nicht, so dass eine Risikoabschirmung, wie sie am 16.04.2002 für erforderlich gehalten wurde, gar nicht nötig gewesen wäre. Letztlich ist diese Risikoabschirmung aber nicht problematisch für die Stadt Berlin, weil ja nur Risiken abgeschirmt werden, die es rechtlich gibt. Die Garantie darf nicht für Leistungen in Anspruch genommen werden, die ohne Rechtspflicht erbracht wurden. Wenn die Gewährträgerhaftung der Stadt Berlin also in Höhe des angemessenen Eigenkapitals der Bankgesellschaft endet, schuldet sie keine weiteren Leistungen aus der Stadtkasse. Das hat das Abschirmungsgesetz sogar ausdrücklich noch einmal bestätigt. Neben diesen Risikobegrenzungen innerhalb des Fondsgeschäfts und innerhalb der Gewährträgerhaftung geht es, worauf Frank Zimmermann zu Recht hinweist, darum, die Verantwortlichen für das, was sie getan haben, angemessen in Anspruch zu nehmen. Das entspricht auch der Auffassung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises. These 5 lautet, dass das geltende Haftungs- und Strafrecht auch das Fehlverhalten jener Personen erfasst, die in der Bankgesellschaft, z.B. im Aufsichtsrat, mitverantwortlich für die Gesamtentwicklung des Konzerns waren. In These 10 wird darauf hingewiesen, dass sich die Haftung der Wirtschaftsprüfer nach dem geltenden Handelsrecht nicht nur auf Vorsatz, sondern auch auf Fahrlässigkeit erstreckt. Die Unfähigkeit des Bundesauf-
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sichtsamtes für das Kreditwesen (heute BaFin), die Krise der Bankgesellschaft frühzeitig zu verhindern, legt auch die Frage der Haftung des Amtes nahe.
VI. Konsequenzen 1. Grundsätze Was kann man aus alledem lernen? Kann man überhaupt etwas lernen oder kann man nur resigniert zuschauen oder sich frustriert abwenden? Ich glaube schon, dass wir eine ganze Menge aus dem Bankenskandal lernen können – zunächst und vor allem, dass es sich lohnt sich mit diesen schwierigen und unzugänglichen Fragen öffentlich zu beschäftigen, und dass es keinesfalls so ist, dass der Einzelne keinen Einfluss auf die öffentliche Diskussion nehmen kann. Es kommt allerdings entscheidend auf die Art der Argumente und auf ihre Überzeugungskraft an. Was wir auf alle Fälle in Zukunft ändern müssen, ist das System der Gewährträgerhaftung des Staates für bestimmte öffentliche Unternehmen. Es darf nicht noch einmal vorkommen, dass der Staat für die Schulden eines öffentlichen Unternehmens unbegrenzt einsteht. Das gilt nicht nur für Sparkassen oder Landesbanken, für die dieses System im Jahre 2005 überwunden wurde, sondern für jede andere Form staatlicher Gewährträgerhaftung in gleicher Weise. Überall dort, wo der Staat für Verluste eines öffentlichen Unternehmens einsteht, muss gesichert sein, dass es für die Verlustübernahme eine angemessene Verlustobergrenze gibt. Anderenfalls wird das Management des Unternehmens geradezu aufgefordert, das Geld der Steuerzahler zum Fenster hinauszuwerfen. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang sich klarzumachen, dass unser geltendes Recht eine Begrenzung der Gewährträgerhaftung des Staates auf ein im Einzelfall jeweils angemessenes Niveau zwingend vorschreibt. Insoweit besteht keine Beliebigkeit. Das hängt mit der Grundkonzeption unserer freien und sozialen Marktwirtschaft zusammen, die es nicht erlaubt, unternehmerische Risiken mir nichts dir nichts einfach auf den Steuerzahler zu verlagern. Damit setzt sich nämlich die Marktwirtschaft selbst außer Kraft. Daraus folgt, dass Parlamentarier, die in ihren Gesetzen nicht dafür sorgen, dass unbegrenzt bestehende Gewährträgerhaftungen auf ein angemessenes Niveau zurückgeführt werden, nunmehr für dadurch eintretende Schäden persönlich mit ihrem Privatvermögen haften. Das folgt sowohl aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot, an das die gesamte öffentliche Hand gebunden ist, als auch aus dem Grundsatz der persönlichen Haftung der Abgeordneten, wie er in den Verfassungen und Landeshaushaltsgesetzen der Republik verankert ist. In einem zweiten Schritt sollten wir der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Rücken stärken und dafür sorgen, dass sie bei
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Schieflagen, die sie Mitte der 90er Jahre bereits in der BGB erkannt hat (insgesamt wurden zwanzig Sonderprüfungen durchgeführt), schneller und radikaler korrigiert. Vor allem muss die BaFin nicht nur Maßnahmen zur Veränderungen im Management vornehmen, sondern auch Produkte aus dem Markt nehmen dürfen, die sich für das Unternehmen als signifikant verlustbringend und damit existenzgefährdend erweisen. Schließlich müssen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verpflichtet werden, die aus einer formal möglicherweise noch zulässigen Produktkonstruktion auf das Unternehmen zukommenden wirtschaftlichen Risiken nicht nur offen zu legen, sondern bei existenzgefährdenden Risiken den Bestätigungsvermerk nach § 322 HGB13 zu verweigern und die Konsequenzen der fehlerhaften unternehmerischen Entscheidungen im Prüfungsbericht offen zu legen. Schließlich müssen sich die Anteilseigner (also die öffentlichen Hände) ganz erheblich an die eigene Nase fassen. Wie kann es sein, dass sie aus ihren eigenen Reihen sowohl Vorstände als auch Aufsichtsräte entsendet? Genauso ist es aber in der BGB gewesen – wichtige Politiker im Land Berlin waren Mitglied des Vorstands von großen Tochtergesellschaften der BGB und andere sehr wichtige Politiker waren im Aufsichtsrat des Konzerns – wenn auch an anderer Stelle tätig. In einer – bisher noch ausstehenden – Diskussion über die Corporate Governance öffentlicher Unternehmen sollten wir klarstellen, dass es solche, die Kontrolle letztlich aushebelnden, Entsendungen nicht mehr geben darf. Die Devise muss anders herum lauten: Öffentliche Unternehmen müssen – genauso wie private Unternehmen – ihrem eigenen Unternehmensinteresse verpflichtet sein. Es geht darum, aus der Perspektive des Unternehmensgegenstandes so effizient und effektiv wie möglich zu arbeiten. Wenn dies gelingt, so kann das öffentliche Unternehmen später anständige Gewinne an die Landeskasse abführen. Die Vorstände und Geschäftsführer öffentlicher Unternehmen sind also nicht den (indirekten) Weisungen der Anteilseigener ausgesetzt, sondern allein dem Wohl des Unternehmens verpflichtet. Das hat natürlich auch bei der BGB immer und dauerhaft gegolten. Wieso die Vorstände das Unternehmen derart desaströs gehandelt haben, ist ein bis heute nicht wirklich geklärtes Geheimnis. Vielfach wurde gemutmaßt, dass sich das eine oder andere Vorstandsmitglied möglicherweise durch die Art der Geschäfte bereichert hat. Anzeichen dafür, dass dieser Vorwurf tatsächlich wirklich zutreffen könnte, haben sich bisher nicht verfestigt. Wenn dem aber so ist, dann ist die Frage, wieso ein Vorstand Produkte im großen Stil verkaufen kann, die sein Unternehmen geradezu zwangsläufig in die Insolvenz führen, umso drängender gestellt. ___________ 13 Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.08.2005 (BGBl. I S. 2267).
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2. Bankspezifischer Corporate-Governance-Kodex Bezogen auf die Finanzinstitutionen (Banken) fehlt ein bankspezifischer Corporate Governance-Kodex. Dieser Kodex müsste neben Wohlverhaltensregeln für private Banken vor allem auch solche für öffentliche Banken enthalten, also solche, an denen der Staat mehr als 50 % der Anteile hält. In Deutschland sind das z.B. die Sparkassen und die Landesbanken. Wichtigste Anforderungen eines Corporate Governance-Kodexes – Banken: x Entbündelung der Geschäftsfelder (Unbundling): Trennung zwischen Commercial Banking und Investment Banking. Bei öffentlichen Banken Trennung zwischen den öffentlichen Investitionsbanken und dem klassischen Bankgeschäft (etwa Sparkassengeschäft). x Transparenz zwischen den Geschäftsfeldern – Auflösung des Querverbundes in öffentlichen Unternehmen. x Innencontrolling durch ein risikobasiertes Managementsystem. Das bedeutet Stärkung und Präzisierung der Risiken und Ziele, die der Vorstand in einem bestimmten Geschäftsjahr erfüllen soll. Festlegung verbindlicher Zielkorridore durch Hauptversammlungsbeschlüsse. x Strikte Trennung von Beratung und Prüfung durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Erstreckung des Prüfauftrages auch auf die eingegangenen geschäftlichen Risiken und die daraus resultierenden Konsequenzen sowie auf das risikobasierte Managementsystem. x In öffentlichen Banken klare Trennung von Politik und Bank, d.h. keine Vermengung von öffentlichen Aufgaben mit Aufgaben der Bank, keine Weisungen der Politik an Bankvorstände, keine Politiker als Kontrolleure in die Aufsichtsräte – statt dessen kompetente Bürger als Aufsichtsräte und Sachwalter in öffentlichen Banken. x Stärkung des Aufsichtssystems. Die derzeit bestehende reine Finanzkontrolle (Solvabilität) wird ergänzt durch eine Missstandsaufsicht über Finanzprodukte und Verhalten von Management und Kontrollorganen. Bankenaufsicht kann und muss Produkte, die eine Bank in einen Ruin führen können, vom Markt nehmen können. x Die Konkursunfähigkeit für bestimmte öffentliche Banken, die marktfähig sind, muss aufgegeben werden.
3. Haftung für Fehlverhalten Persönliches Fehlverhalten von Leitungs- und Kontrollorganen kann nie völlig ausgeschlossen werden, aber die Anreize, sich selbst zu bereichern, statt das
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Wohl des Unternehmens und der Arbeitnehmer/innen zu mehren, könnten gegeben werden. Das bedeutet konkret: x Offenlegung aller Einnahmen und ihrer Quellen. x Tantiemen nur dann, wenn das Unternehmensinteresse gemehrt wird. Keine Tantieme für bloßes Unternehmenswachstum – keine Tantieme für spekulatives Hochtreiben des Börsenkurses bei Take-Over-Bids. Statt dessen Tantieme bei der Verbesserung der Produktivität, des Cash-Flows, Stabilisierung von Arbeitsplätzen, Schaffung neuer zukunftsfähiger Geschäftsfelder, intelligente Vernetzung des Unternehmens mit potenten Partnern aus anderen Geschäftsfeldern. x Schaffung von klaren Verantwortlichkeiten durch das risikobasierte Managementsystem. Verpflichtung des Vorstands, vierteljährlich dem Aufsichtsrat zu berichten, ob die von der Hauptversammlung gesteckten Ziele und die damit verbundenen Risiken erreicht wurden. x Institutionalisierung eines unabhängigen Verantwortlichen Risikomanagers im Vorstand, dessen Aufgabe darin besteht, das Risikomanagementsystem zu installieren, zu überwachen. Dem Risikomanager muss bei schwerwiegenden unternehmerischen Grundentscheidungen ein Warn- und Vetorecht eingeräumt werden, das nur von der Hauptversammlungsmehrheit oder von der zuständigen Aufsichtsbehörde außer Kraft gesetzt werden kann. Der Risikomanager muss seinen Bericht alle drei Monate veröffentlichen.
Literaturverzeichnis Fett, Thorsten (2000): Öffentlich-rechtliche Anstalt als abhängiges Konzernunternehmen – dargestellt unter besonderer Berücksichtigung des „Berliner Modells“ zur Konzernierung der Landesbank Berlin; Berlin 2000.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen Von Gerhard Seicht
I. Einleitung und Problemstellung „Prognosen sind meist ungewiss, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“. Dieses prächtige Bonmot könnte vom unvergleichlichen Mark Twain stammen. Der heutige Wert von Unternehmen ist in ihren prognostizierten Zukunftserfolgen begründet (Ertragswert).1 Das Vorhandensein von „betriebsnotwendiger“ Substanz ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für die Werthaltigkeit eines Unternehmens. Soweit betriebsnotwendige Substanz Erträge zu generieren vermag, schlägt sich dies ohnehin schon im „Ertragswert“ nieder. Soweit die betriebsnotwendige Substanz diese Eigenschaft nicht hat, ist sie für ein fortzuführendes Unternehmen wertlos. Zukunftsgüter werden weniger geschätzt als Gegenwartsgüter! Daraus ergibt sich das „Zinsphänomen“ und als dessen Folge die Notwendigkeit einer sachgerechten Abzinsung der prognostizierten Zukunftserfolge. Doch auch eine weitere Aufgabe gilt es zu bewältigen, wenn man den heutigen Wert einer Unternehmung ermitteln (errechnen) will: Die Umrechnung von prognostizierten „unsicheren“, „risikobelasteten“, „wahrscheinlichen“ Erfolgen in quasi „sichere“ Erfolge.2 Unternehmer sind meist risikoavers. Zumindest gehen Theorie und Bewertungspraxis von dieser Annahme aus.
___________ 1
Dieter Rückle hat sich schon sehr früh um das Thema „Prüfung von Prognosen“ verdient gemacht. Siehe z.B. Rückle (1981), S. 432 – 468; sowie derselbe (1984), S. 57 – 69. 2 Dieter Rückle hat sich auch sehr intensiv mit Unternehmensrisiken auseinandergesetzt. Es sei auf seine diesbezügliche Studie (1992) verwiesen, S. 46 – 66.
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Betriebswirte verstehen unter „Risiko“ die Möglichkeit, dass ein in Zukunft eintretendes IST-Ergebnis (Gewinn, Cash-flow) schlechter sein könnte als das geplante bzw. prognostizierte Ergebnis. Diesem „Risiko“ steht die „Chance“ gegenüber, dass ein in Zukunft eintretendes IST-Ergebnis besser ausfallen könnte als es geplant bzw. prognostiziert gewesen war.3 „Kapitalmarkttheoretiker“ und auch Betriebswirte, die sich einen kapitalmarkttheoretischen Touch geben wollen, vertreten ein anderes Verständnis vom Inhalt des Begriffes „Risiko“. Sie sehen das „Risiko“ in der Möglichkeit des Abweichens des zukünftigen IST-Ergebnisses „nach unten“ und „nach oben“! Vielleicht sprechen sie unter sich von einem „negativen Risiko“, wenn sie die Möglichkeit einer negativen Plan- bzw. Prognoseabweichung signalisieren wollen und von einem „positiven Risiko“, wenn sie an die Chance einer positiven Plan- und Prognoseabweichung denken. Nachfolgend sollen die Begriffe „Risiko“ und „Chance“ in ihren traditionellen Inhalten verwendet werden.4 „Risiko“ ist der kalkulierbare Teil der Unsicherheit, weil Erfahrungswerte vorliegen, die zur Errechnung von „Erwartungswerten“ herangezogen werden können. „Ungewissheit“ ist der mangels Erfahrungswerten nicht kalkulierbare Teil der Unsicherheit. Trotzdem wird man bei Unternehmensbewertungen auch diesem Teil der Unsicherheit durch bewertungsergebnismindernde „RisikoAdjustierungsmaßnahmen“ Rechnung tragen wollen und müssen. ___________ 3 So führt z.B. das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) (2004) in seinem „Entwurf einer Neufassung des IDW Standards „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW ES 1 n.F.)“, Stand 09.12.2004, unter RZ 97 aus: „Die künftigen finanziellen Überschüsse können aufgrund der Ungewissheit der Zukunft nicht mit Sicherheit prognostiziert werden. Ein unternehmerisches Engagement ist stets mit Risiken und Chancen verbunden. Die Übernahme dieser unternehmerischen Unsicherheit (des Unternehmerrisikos) lassen sich Marktteilnehmer durch Risikoprämien abgelten; Theorie und Praxis gehen übereinstimmend davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte zukünftige Risiken stärker gewichten als zukünftige Chancen (Risikoaversion).“ 4 Als Beispiel für das traditionelle Verständnis des Begriffes „Risiko“ sei Münstermann (1966) zitiert: „Stimmen zufälligerweise Risiko mit Risiko und Chance mit Chance bei der zu bewertenden Unternehmung und der Alternativinvestition überein oder sind die Salden von Risiko und Chance beider Investitionen gleich, so erübrigt sich ihre Erfassung im Kapitalisierungszinsfuß. Erst wenn das Risiko die Chance beim zu bewertenden Betrieb mehr übersteigt als bei der Vergleichsinvestition oder wenn deren Chance deren Risiko mehr übersteigt als beim Bewertungsobjekt, ist ein Zuschlag zum Kapitalisierungszinsfuß gerechtfertigt und erforderlich.“ Münstermann (1966), S. 76 f. Auch das neue deutsche Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) vom 04.12.2004 (BGBl. I, S. 3166) unterscheidet zwischen „Risiko“ und „Chance“, womit klargestellt wurde, dass nicht nur über Risiken, sondern auch über Chancen Berichterstattungspflicht besteht.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
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Anlässlich der Vornahme von Unternehmensbewertungen unterscheidet man üblicherweise zwei Kategorien von „Risiken“, nämlich (1.) „allgemeine Unternehmerrisiken“ und (2.) „spezielle Unternehmerrisiken“. Eine exakte gegenseitige Abgrenzung der Inhalte dieser beiden Begriffe wird jedoch nicht immer möglich sein. Zur Illustration seien einige aus der Vielzahl möglicher Risiken aufgezählt: „Kapitalstrukturrisiko“, „Änderungsrisiko“ (bzgl. Gesetzeslage), „Bestandsrisiko“, „Insolvenzrisiko“, „Immobilitätsrisiko“, „Konjunkturrisiko“, „Währungsrisiko“, „Politisches Risiko“, „Technologierisiko“, „Produktionsrisiko“, „Gewährleistungsrisiko“, „Delcredererisiko“. Nicht jedem „Risiko“ steht auch eine „Chance“ gegenüber (z.B. „Insolvenzrisiko“, „Immobilitätsrisiko“). Um mit Blick auf die Bewertungspraxis ganz konkret zu werden, seien einige Risiken aus der Mülldeponierungsbranche genannt: Risiken weiterer Verschärfung einschlägiger Umweltgesetze und -verordnungen, z.B. Zwang zur Müllverbrennung („Änderungsrisiko“), Perforierung der Bodenabdichtung, Hochwasser, Schlagendwerden von „Altlasten“, Schadenersatzklagen von Anrainern und der öffentlichen Hand etc. Der „Entwurf des Fachgutachtens Unternehmensbewertung“ der österreichischen Kammer der Wirtschaftstreuhänder (Stand: 14.02.2005) sieht folgende Abgrenzung vor: „Zum allgemeinen Unternehmerrisiko gehören Unwägbarkeiten genereller Art, wie nicht absehbare Entwicklungen aus Konjunktur, Politik, Umwelt und Branche des Unternehmens. Das spezielle Unternehmensrisiko ist das auf ein bestimmtes Unternehmen bezogene Risiko. Hiezu zählen etwa die Konkurrenzsituation, die Managementqualifikation, besondere Einkaufs- und Absatzverträge, Stand der Produktinnovation, Art der Unternehmensorganisation, Finanzierungs- und Kapitalstrukturverhältnisse, die Flexibilität des Unternehmens, das heißt die Fähigkeit, sich ändernden Umwelteinflüssen mehr oder weniger rasch anzupassen, das Alter und die Eignung von Vermögensausstattung des Unternehmens, der Umfang und die Qualität der Forschung und Entwicklungstätigkeit, Qualifikation der Mitarbeiter, die Wettbewerbssituation, der das Unternehmen ausgesetzt ist.“
Eine andere Einteilung unterscheidet (1) in „Marktrisiko“, (2) in „unternehmensendogenes leistungswirtschaftliches Risiko“ und (3) in „finanzwirtschaftliches Risiko“, wobei das „Marktrisiko“ und das „unternehmensendogene leistungswirtschaftliche Risiko“ das „operative Risiko“ ausmachen und das finanzwirtschaftliche Risiko eine Folge des Ausmaßes der Fremdfinanzierung der zu bewertenden Unternehmung ist.5 ___________ 5
Vgl. Aders / Wagner (2004), S. 31.
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Aus „kapitalmarkttheoretischer“ Sicht wird in „systematisches Risiko“ und in „unsystematisches Risiko“ unterschieden. Das „systematische Risiko“ (gemessen und ausgedrückt mit dem berüchtigten „Beta-Faktor“) ist jenes Kapitalmarktrisiko, dass ein Investor auch durch eine optimale Portefeuillebildung nicht hinwegdiversifizieren kann. Das „unsystematische Risiko“ ist jener Teil des gesamten Risikos eines Wertpapiers, um die das Gesamtsrisiko des Wertpapiers das „systematische“ (marktmäßige) Risiko übersteigt. Aus kapitalmarkttheoretischer Sicht wäre bei Unternehmensbewertungen nur dieses „systematische Risiko“ bei der Adjustierung des Diskontierungszinssatzes zu berücksichtigen. Die übrigen Risikoadjustierungen müssten somit bei den Prognosewerten der Gewinne bzw. Cash-flows vorgenommen worden sein! Zur rechentechnischen Berücksichtigung des „Risikos“ kennen Theorie und Praxis zwei Methoden, nämlich die Methode der Sicherheitsäquivalente und die Methode der Risikoprämie. Die „Sicherheitsäquivalenzmethode“ („Ergebnisabschlagsmethode“) berücksichtigt das Risiko im Zähler; die „Risikoprämienmethode“ („Risikozuschlagsmethode“, „Zinsenzuschlagsmethode“) berücksichtigt das Risiko im Nenner. Bei der „Risikoprämienmethode“ wird der prognostizierte unsichere zukünftige Cash-flow („Flow to Shareholder“) mit einem risikoangepassten Kalkulationszinsfuß abgezinst. („Basiszinssatz“ als Zeitprämie zzgl. adäquatem Zuschlag bzw. abzgl. adäquatem Abschlag als Risikoprämie.) Bei der „Sicherheitsäquivalenzmethode“ werden die risikoangepassten Sicherheitsäquivalente (der erwarteten Gewinne bzw. Cash-flows) mit dem risikolosen Zinssatz abgezinst. Die Risikoadjustierung erfolgt bei prognostizierten Einzahlungsüberschüssen durch einen Ergebnisabschlag (Sicherheitsäquivalenzmethode) bzw. durch einen Zuschlag zum risikofreien Zinssatz (Risikoprämienmethode) und bei prognostizierten Auszahlungsüberschüssen durch einen Ergebniszuschlag (Sicherheitsäquivalenzmethode) bzw. durch einen Abschlag vom risikofreien Zinssatz (Risikoprämienmethode). Ob die Sicherheitsäquivalenzmethode sachgerechter ist als die Risikoprämienmethode, wird gelegentlich bezweifelt. Sie hat allerdings den Vorteil, transparenter darzustellen, welche konkrete Ausprägung die so vollzogene Risikoberücksichtigung erfahren hat, was bei der Risikoprämienmethode für den Nichtfachmann so nicht der Fall ist. Die Literatur zur Unternehmensbewertung geht meist von der Annahme aus, dass es bezüglich Methodenwahl kein „Entweder-Oder“, sondern ein „SowohlWie auch“ gäbe, ja dass beide Methoden gleichzeitig anzuwenden seien, und
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
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zwar wie folgt:6 „Dieses allgemeine Unternehmerrisiko ist im Kapitalisierungszinssatz abzubilden. Das spezielle Unternehmerrisiko, welches sich aus der besonderen Situation des Bewertungsobjektes ergibt, ist hingegen im Rahmen der Planung der Zukunftserfolge des Unternehmens zu berücksichtigen.“ Helbling berichtet diesbezüglich:7 „Inzwischen darf als weitgehend anerkannte Übung gelten, dass spezielle Chancen und Risiken bei der Planung der Erfolge berücksichtigt und dass für sie keine Zu- oder Abschläge beim Kapitalisierungszinssatz vorgenommen werden.“ Wissenschaft einerseits und Praxis andererseits zeigen bzgl. Methodenwahl verschiedene Präferenzen. So kann man z.B. im Wirtschaftsprüfer-Handbuch 19988 lesen: „Im wissenschaftlichen Schrifttum wird empfohlen, die finanziellen Überschüsse zunächst mehrwertig zu prognostizieren (Bandbreiten), sie alsdann auf ihren Erwartungswert zu verdichten, sie anschließend durch einen Abschlag in ihr Sicherheitsäquivalent umzurechnen und sie abschließend mit einem risikofreien Kapitalisierungszinssatz auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen (Sicherheitsäquivalenzmethode, Ergebnisabschlagsmethode).“
Moxter (1983) bzw. Spremann (2002) kommen zu folgenden Ergebnissen: „In der Praxis ist es weniger üblich, den sicherheitsäquivalenten Ertrag dem Kapitalzins gegenüberzustellen. Statt dessen verwendet man die „Risikozuschlagsmethode“, das heißt, man arbeitet im Zähler mit einem ‚nachhaltigen‘ Ertrag und im Nenner mit einem Kapitalisierungssatz, der sich aus Kapitalzins und ‚Risikozuschlag‘ zusammensetzt.“9 „Praktiker wählen meistens die Risikoprämienmethode. Sie schätzen es, eine Vergleichsrendite als Kapitalkostensatz oder als kritische Mindestrendite für Projekte zu kennen. Die Vergleichsrendite drückt ‚in einer Zahl‘ aus, was Kapital kostet, das über die Zeit hinweg eingesetzt wird und zugleich das unternehmerische Risiko tragen soll. Diese Vorteile bietet die Risikoabschlagsmethode nicht.“10
Dem aktuellen Entwurf der österreichischen Kammer der Wirtschaftstreuhänder (bzw. des diesbezüglichen zuständigen Fachsenats) „Fachgutachten Unternehmensbewertung“, Stand 14.02.2005, kann man entnehmen, dass in jüngster Zeit die Tendenz dahin gehe, „das gesamte Risiko im Risikoaufschlag auf den Zinssatz abzudecken“. Für die Bewertungspraxis ist dies natürlich der komfortablere Weg.
___________ 6
Mylius / Schinagl (2005), S. 128. Helbling (1993), S. 556. 8 Siepe (1998), S. 60 f. 9 Moxter (1993), S. 155. 10 Spremann (2002), S. 317. 7
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Das deutsche Institut der Wirtschaftsprüfer plädiert sowohl in IDW S1 (RZ 96), Stand 28.06.2001, wie auch in IDW ES 1 n.F. (RZ 99), Stand 09.12.2004, wie folgt: „Die national und international üblicherweise angewandte Zinszuschlagsmethode hat den Vorteil, dass sie sich auf empirisch beobachtbares Verhalten stützen kann und erlaubt damit eine marktorientierte Vorgehensweise bei der Bemessung von Risikozuschlägen. Wegen der Problematik einer eindeutigen Abgrenzung sollte nicht zwischen unternehmensspeziellen und allgemeinen Risiken unterschieden und das (gesamte) Unternehmerrisiko ausschließlich im Kapitalisierungszinssatz berücksichtigt werden. Im Zähler der Bewertungsformeln sind dann die Erwartungswerte anzusetzen. Planungsrechnungen des Unternehmens sind entsprechend zu korrigieren, wenn sie andere Werte widerspiegeln.“
Pilz (2005) hingegen berichtet unter der Überschrift „Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung“ von einem praktizierten, wenn nicht gar geforderten Methoden-Dualismus, wenn er ausführt:11 „Der Risikozuschlag soll das sog. Allgemeine Unternehmerrisiko abdecken, das darin gesehen wird, dass die Anlage von Kapital in einem Unternehmen mit einem größeren Risiko verbunden ist als die Geldanlage in öffentlichen Anleihen. Das sog. besondere Unternehmensrisiko, das speziell dem zu bewertenden Unternehmen anhaftet (z.B. bei einem Hightech-Unternehmen die Gefahr, dass ein Konkurrent ein leistungsfähigeres Produkt zum halben Preis auf den Markt bringt), ist dagegen bei der Ermittlung des Zukunftsertrags zu berücksichtigen. Die Höhe des Risikozuschlags hängt von den Verhältnissen des einzelnen Unternehmens, der Branche und der Gesamtwirtschaft ab.“
Das deutsche Institut der Wirtschaftsprüfer hat seine Präferenz für einen Methoden-Monismus zu Gunsten der Risikoprämienmethode in eine Empfehlung („sollte“) gekleidet. Im WP-Handbuch 1998 wird mit den nachstehend wiedergegebenen Qualifizierungen der „Zinszuschlagsmethode“ massiv Schützenhilfe geleistet. Man kann dort lesen:12 „Die Anwendung der Sicherheitsäquivalenzmethode setzt die Kenntnis der Risikonutzenfunktionen der (potentiellen) Eigentümer voraus. Selbst wenn es gelänge, Risikonutzenfunktionen zu bestimmen, ergäbe sich für viele Bewertungen das Problem, dass diese nicht intersubjektiv nachprüfbar wären und zudem nur für einen speziellen Investor gälten. Die Ermittlung von Risikonutzenfunktionen ist in der Praxis kaum möglich und wirft insbesondere in den Fällen, in denen mehrere Personen am Bewertungsprozess beteiligt sind, praktisch unlösbare Probleme auf. Die Zinszuschlagsmethode hat den Vorteil, dass sie sich auf empirisch beobachtbares Verhalten stützen kann. Unabhängig davon, welche Form und Ausprägung eine Risikonutzenfunktion theoretisch annimmt, kann mit der Zinszuschlagsmethode eine marktorientierte Vorgehensweise bei der Bemessung von Risikoprämien (Risikozuschlägen) abgebildet werden!“
___________ 11 12
Pilz (2005), S. 790, RZ 1944. Siepe (1998), S. 61.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
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Die in Österreich z.Zt. in Kraft befindliche Richtlinie KFS BW 1 gibt einen Methoden-Dualismus als verbindlich („ist“!) vor wie folgt:13 „Das allgemeine Unternehmerrisiko (Unternehmerwagnis) ergibt sich generell aus der Investition in ein Unternehmen; zu diesem Risiko gehören die Gefahr von Konjunkturschwankungen, nicht vorhersehbare Umwelteinflüsse und Probleme, die sich aus der Branche des Unternehmens ergeben. Es ist durch einen Zuschlag zum Kapitalmarktzinssatz zu erfassen. Im Gegensatz dazu ist das spezielle Unternehmerrisiko, welches sich aus der besonderen Situation des zu bewertenden Unternehmens ergibt, bei der Ermittlung der Zukunftserfolge zu berücksichtigen.“
Bei Unternehmensbewertungen sind nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen zu berücksichtigen. Das bilanzielle „imparitätische Realisationsprinzip“ gilt somit in der Unternehmensbewertung nicht. Dies kann aber nicht bedeuten, dass Risiken und Chancen als gleichwertig anzusehen sind, denn Unternehmer sind „risikoavers“, somit sind entdeckte Risiken und entdeckte Chancen unterschiedlich zu gewichten. Kurios wäre es insbesondere, wenn man in pauschaler Weise argumentieren würde, den unternehmerischen Risiken stünden im gleichen Umfang unternehmerische Chancen gegenüber, weshalb jede Risikoberücksichtigung zu entfallen habe und der Unternehmenswert sich somit aus der Diskontierung mit dem Basiszinssatz ergäbe. Das kaufmännische „Vorsichtsprinzip“ gilt also nicht bei der Beschaffung und Heranziehung der Bewertungsgrundlagen (Daten und Informationen), wohl aber bei der Gewichtung von Risiken und Chancen. Welche gewaltige Auswirkungen die Höhe des zur Diskontierung herangezogenen Zinssatzes hat, soll nachstehendes Beispiel demonstrieren:
Angaben: Jährlicher Flow to Shareholder (konstant):
6 Mio.
Lebensdauer der Unternehmung:
25 Jahre
Fremdfinanzierung:
0
Liquidationsnettoerlös:
0
Diskontierungszinssatz:
alternativ 3 % bis 12 %
___________ 13
Kammer der Wirtschaftstreuhänder (1989), Abschnitt 7.2.2.
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Lösung: Tabelle 1 Unternehmenswerte bei unterschiedlichen Zinssätzen Zinssätze
Rentenbarwertfaktoren
Errechnete Unternehmenswerte
12 %
7,84314
47,1 Mio.
11 %
8,42174
50,5 Mio.
10 %
9,07704
54,5 Mio.
9%
9,82258
58,9 Mio.
8%
10,67478
64,0 Mio.
7%
11,65358
69,9 Mio.
6%
12,78336
76,7 Mio.
5%
14,09394
84,6 Mio.
4%
15,62208
93,7 Mio.
3%
17,41315
104,4 Mio.
Nach dieser kursorischen Übersicht sollen nachstehend einige bisher insbesondere von der Bewertungspraxis unbeachtet gebliebene Aspekte der Sicherheitsäquivalenzmethode und der Risikoprämienmethode herausgearbeitet werden. Hierbei wird es zunächst gelten, die Wirkungsweise von Sicherheitsäquivalenzabschlägen und Risikoprämienzuschlägen sowie die Bedingungen für die Gleichwertigkeit zu untersuchen. Des weiteren soll die Problematik einer Risikoadjustierung von Salden aus positiven Erfolgskomponenten (Erträge, Inflows) und negativen Erfolgskomponenten (Aufwendungen, Outflows) aufgezeigt werden und schließlich soll die Unrichtigkeit der Anwendung eines Mischdiskontierungszinssatzes in Fällen von fundamentalen Vorzeichenwechseln vorgeführt werden. Der „Stil“ dieser anzustellenden Analysen soll kein formal-mathematischer sein, sondern soll sich durch Formulierung und numerische Lösung von konkreten Fragestellungen auszeichnen. Mit einer Zusammenfassung soll dieser Beitrag schließen.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
105
II. „Statische“ und „dynamische“ Sicherheitsäquivalente Die „Sicherheitsäquivalenzmethode“ könnte man als „statische“ Methode und die „Risikozuschlagsmethode“ könnte man als „dynamische“ Methode der Berücksichtigung von Risiken bezeichnen, denn bei der „Sicherheitsäquivalenzmethode“ wird für jede einzelne Periode durch Substraktion eines Risikoabschlagbetrages bzw. Addition eines Risikozuschlagbetrages die Umwandlung eines unsicheren Erwartungswertes in einen quasi sicheren „Sicherheitsäquivalenzwert“ vorgenommen, während bei der „Risikoprämienmethode“ durch risikoadäquate Adjustierung des Diskontierungszinssatzes das absolute und auch das relative Ausmaß der Risikoberücksichtigung in den einzelnen Geschäftsjahren eine Funktion der Zeit ist (Exponentialfunktion!). Wird dem Risiko nämlich durch einen Zuschlag zum risikolosen Zinssatz (Einzahlungsüberschüsse) bzw. durch einen Abschlag vom risikolosen Zinssatz (Auszahlungsüberschüsse) Rechnung getragen, so steigt das Ausmaß der Risikoberücksichtigung von Jahr zu Jahr (in degressiver Form) an. Manche Autoren halten diese mit der Zeit ansteigende Berücksichtigung des Risikos für nicht sachgerecht und plädieren deswegen für die alleinige Anwendung der „Sicherheitsäquivalenzmethode“.14 Bedenkt man allerdings als „Praktiker“ das Konkursrisiko, das ja mit der Zeit ansteigt, so wird man wohl zur Einsicht kommen müssen, dass diese „dynamische“ Wirkungsweise der Risikoprämienmethode durchaus begrüßenswert, weil problemgerecht ist. Für das Jahr 2005 werden in Österreich ca. 7.000 Firmenkonkurse erwartet.15 Multipliziert man diese Zahl mit dem „Faktor 10“, so kann man mutmaßen, dass in Deutschland die Anzahl der Firmenkonkurse ca. 70.000 p.a. ausmachen wird! Unterstellt man nun für das nachfolgende Demonstrationsbeispiel, dass die jährlichen Konkurse ca. 2 % der bestehenden Unternehmen ausmachen, so entwickeln sich die allgemeinen Überlebenschancen bzw. Konkurswahrscheinlichkeiten als Funktion der Zeit wie folgt:
___________ 14
Siehe z.B. Kruschwitz (2001), S. 2411 – 2413. „Heuer 7.000 Firmen-Konkurse. Offensive gegen den Pleitenrekord“, in: KronenZeitung, Wirtschafts-Magazin, 22. Oktober 2005, S. 2. 15
106
Gerhard Seicht Tabelle 2 Überlebens-/Konkurswahrscheinlichkeiten im Zeitvergleich (Variante 1)
für das Ende des Jahres Überlebenswahrscheinlichkeit Konkurswahrscheinlichkeit 0
100 %
0,00000 %
1
98 98 % 100 98 98 * 96 , 04 % 100 100 98 98 98 * * 94,1192 % 100 100 1000
2,00000 %
2 3 4 5 6 7 8 9 10
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
4
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
5
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
6
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
7
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
8
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
9
§ 98 · ¨ ¸ © 100 ¹
10
3,96000 % 5,88080 % 7,76318 %
92,23682 %
9,60792 % 90,39208 %
11,41576 % 88,58424 %
13,18745 % 86,81255 %
14,92370 % 85,07630 %
16,62522 % 83,37478 %
18,29272 % 81,70728 %
Variiert man nun die Annahmen minimal in der Weise, dass von 102 heute bestehenden Unternehmen am Ende dieses (ersten) Geschäftsjahres nur mehr 100 bestehen werden, so errechnen sich die Überlebenswahrscheinlichkeiten analog zu den (dekursiven) Abzinsungsfaktoren für Einmalbeträge DtII p 2% wie folgt:
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
107
Tabelle 3 Überlebens-/Konkurswahrscheinlichkeiten im Zeitvergleich (Variante 2) für das Ende des Jahres
Überlebenswahrscheinlichkeit
0
100 %
1
100 102
2
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
2
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
3
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
4
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
5
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
6
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
7
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
8
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
9
§ 100 · ¨ ¸ © 102 ¹
10
3 4 5 6 7 8 9 10
Konkurswahrscheinlichkeit 0,00000 %
98,03922 %
1,96078 % 3,88312 %
96,11688 %
5,76777 % 94,23223 %
7,61546 % 92,38454 %
9,42692 % 90,57308 %
11,20286 % 88,79714 %
12,94398 % 87,05602 %
14,65096 % 85,34904 %
16,32447 % 83,67553 %
17,96517 % 82,03483 %
Bei Anwendung der Risikoprämienmethode zur risikoadäquaten Adjustierung der wahrscheinlichen Ergebnisse nimmt der Umfang des damit bewirkten absoluten und relativen Risikoabschlages (bei positiven Ergebnissen) bzw. Risikozuschlags (bei negativen Ergebnissen) mit der Periodenanzahl in degressiver Weise zu. Soweit durch die Anwendung der Risikoprämienmethode dem allgemeinen Unternehmerrisiko Rechnung getragen wird, ist dieses Phänomen sachgerecht und zu begrüßen! Im Falle einer ewigen Rente kommt diese Zunahme in t = f zum Stillstand. Dann gilt z.B. folgende Beziehung: Einem Zuschlag („z“) von 50 % auf den Basiszinssatz (BZS), z.B. „SMR“ (von Geldentwertung und Steuern sei abstrahiert), entspricht bei der Sicherheitsäquivalenzmethode ein Risikoabschlag von
108
Gerhard Seicht
einem Drittel des wahrscheinlichen Erfolges (Cash-flow), wie das nachstehende Demonstrationsbeispiel zeigt: Angaben: wahrscheinlicher Flow to Shareholder (FSH) p.a.:
180.000
Risikoabschlag (1/3)
60.000
Basiszinssatz (BZS)
6%
Risikozuschlag
3% f
n:
Lösung: (a) Sicherheitsäquivalenzmethode: Wahrscheinlicher Flow to Shareholder:
180.000
./. Risikoabschlag
60.000
Sicherheitsäquivalent UW
120 .000 * 100 6
120.000 2 .000 .000
(b) Risikoprämienmethode: Diskontierungszinssatz = BZS
6%
+ „z“
3%
9% UW
180 .000 * 100 9
2 .000 .000
Die Sicherheitsäquivalenzmethode kann man formal auch darstellen wie folgt: n
UW
¦ E (FSH ) * §¨©1 100 ·¸¹ t
zt
t 1
1
BZS · § * ¨1 ¸ 100 ¹ ©
t
Zu beachten ist dabei, dass bei dieser Darstellung das „z“ eine „AufHundert-Größe“ ist! Einem „z“ von z.B. 25 % entspricht ein Abschlag von 20 %: 1.000 1,25
800
1.000 – 800 = 200 = 20 %
Im Falle endlicher Lebensdauern lassen sich die wirkungsäquivalenten Risikozuschläge (Risikoprämienmethode) unter Heranziehung der Rentenbarwert-
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
109
r n 1 (näherungsweise) berechnen, wie nachstehendes Der n *i monstrationsbeispiel zeigt: faktoren DnIV p
Angaben: FSH (Erwartungswert), konstant:
50.000
Risikoabschlag (20 % v.H.)
10.000
somit Sicherheitsäquivalent
40.000
Basiszinssatz (BZS)
6%
n:
10 Jahre
Risikozuschlag auf BZS
?
Lösung: UW
40.000 * DnIV10
40.000 * 7,36009 294.404
p 6%
294.404 50.000 * DnIV10 p ?
294.404 50.000
5,88808
D nIV10
6 ,14457 ; D nIV 10
p 10 %
p 11 %
5,88923 ; D nIV 10
5,65022
p 12 %
Der errechnete Quotient 5,88808 liegt ganz nahe dem Rentenbarwertfaktor für n=10, p=11 %, womit eine hinreichend genaue Lösung gefunden werden konnte. Für eine genauere Lösung wäre zwischen den Faktoren für DnIV10 und p 11%
für DnIV10 zu interpolieren. p 12%
Der wirkungsäquivalente Risikozuschlag „z“ beträgt somit in ProzentPunkten (ca.)
11 % – BZS
6%
5%
110
Gerhard Seicht
Probe: Sicherheitsäquivalenzmethode: UW
50.000 * 1,251 * D pIV 6% n 10 Jahre
50.000 *
1 * 7,36009 1,25
294.404
Risikoprämienmethode (mit gerundetem „z“): UW
50.000 * D pIV 11% n 10 Jahre
50.000 * 5,88923 294.462
Würde man obiges Demonstrationsbeispiel in der Weise verändern, dass man (ceteris paribus) die Lebensdauer von 10 Jahren auf 20 Jahre erhöht, so würde sich der Diskontierungszinssatz (p) auf rund 9,1 % und somit das „z“ auf 3,1 % (-Punkte) reduzieren! Die Höhe des wirkungsäquivalenten Risikoabschlags („Sicherheitsäquivalenzmethode“) hängt auch von der Höhe des Basiszinssatzes (BZS) ab. Dies sei mit nachstehenden zwei Demonstrationsbeispielen gezeigt. Beispiel 1: Angaben: FSH (Erwartungswert), konstant:
100.000
Basiszinssatz (BZS)
5%
Risikoprämie „z“
4%
n (Ewige Lebensdauer):
f
wirkungsäquivalenter Risikoabschlag (100.000 – X) =
?
X = risikoangepasster Flow to Shareholder
Lösung: UW
100.000 *100 9,2
1.086.957
5 % + 4 % = 9,2 %
1,05 * 1,04 1.086.957
X
1,092
X * 100 5
1.086.957 * 5 100
54.348
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen Risikoabschlag:
111
100.000
–
54.348 45.652 (= 45,652 %)
Beispiel 2: Angaben: FSH (Erwartungswert), konstant:
100.000
Basiszinssatz (BZS)
6%
Risikoprämie „z“
4%
n (Ewige Lebensdauer):
f
Lösung: UW
100.000 *100 10,24
976.563
6 % + 4 % = 10,24 %
1,06 * 1,04 976.563
X
1,1024
X * 100 6
976.563 * 6 100
58.594
Risikoabschlag: –
100.000 58.594 41.406 (= 41,406 %)
Fazit: Erhöht man den Basiszinssatz, so sinkt (ceteris paribus) der wirkungsäquivalente Risikoabschlag ab; vermindert man den Basiszinssatz, so steigt (ceteris paribus) der wirkungsäquivalente Risikoabschlag an. Aus nachstehender Tabelle können die den Risikoprämienzuschlägen „z“ (Risikoprämienmethode) wirkungsgleichen Risikoabschläge (in Prozentzahlen) für den Fall ewiger Renten entnommen werden.
112
Gerhard Seicht
Tabelle 4 Wirkungsgleiche Risikoabschläge im Rentenfall
Risikoprämien „z“
Basiszinssätze (BZS) 4%
5%
6%
7%
8%
1%
20,635 %
17,355 %
15,014 %
13,259 %
11,894 %
2%
34,211 %
29,577 %
26,108 %
23,414 %
21,260 %
3%
43,820 %
38,650 %
34,640 %
31,440 %
28,826 %
4%
50,980 %
45,652 %
41,406 %
37,943 %
35,065 %
5%
56,522 %
51,219 %
46,903 %
43,320 %
40,298 %
6%
60,937%
55,752 %
51,456 %
47,839 %
44.751 %
Mit dem Zuschlag einer Risikoprämie „z“ zum risikofreien Zinssatz (im Falle von Einzahlungsüberschüssen) trägt man dem allgemeinen Unternehmerrisiko Rechnung. Hierbei entfaltet, wie man weiß, dieses „z“ bei ansteigendem Zeitindex eine degressiv zunehmende Wirkung. Zieht man von erwarteten Ergebnissen Risikoabschläge (AR1) für die „speziellen“ Risiken ab („Sicherheitsäquivalenzmethode“), so erhält man Sicherheitsäquivalente, die man „Sicherheitsäquivalente erster Ordnung“ nennen könnte. Diskontiert man diese „Sicherheitsäquivalente erster Ordnung“ mit dem risikofreien Zins (BZS), so erhält man den Barwert dieser „Sicherheitsäquivalente erster Ordnung“. Multipliziert man dann diese Barwerte der „Sicherheitsäquivalente erster Ordnung“ mit den (kumulierten) Überlebenswahrscheinlichkeiten (ex Risikoprämie „z“), so erhält man die Barwerte der „Sicherheitsäquivalente zweiter Ordnung“, deren Addition (nach Abzug des Marktwertes etwaiger Schulden) den Unternehmenswert ergibt. Dies sei an Hand des nachfolgenden Beispiels demonstriert. Angaben: FSH (Erwartungswert), konstant: Basiszinssatz (BZS)
60.000 4%
Risikoprämie „z“ (bei Überlebenswahrscheinlichkeit 100/102)
2 % a.H.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen Risikoabschlag (für alle Risiken, ausgenommen Konkursrisiko)
113
10.000
n:
10 Jahre
Marktwert der Schulden
0
Liquidationserlös
0
Lösung: Tabelle 5 Ermittlung der Sicherheitsäquivalente erster Ordnung und zweiter Ordnung (Variante 1) Zeitwerte Abs chläge der für s pezielle t Erwartungs - Ris iken AR 1 werte (Zeitwerte)
Zeitwerte der Sicherheits äquivalente ers ter Ordnung SÄ 1
Abs chlags fakto ren für Zeitprämie 1,04 -t
Barwerte der Barwerte der kumulierte Sicherheits Sicherheits Überlebens äquivalente äquivalente wahrs cheinlichkeiten ers ter Ordnung zweiter Ordnung (100/102)t = 1,02 -t
(1)
(2)
(3)
(4)=(2)–(3)
(5)
(6)=(4)*(5)
(7)
1
60.000
10.000
50.000
0,96154
48077
0,98039
47.134
2
60.000
10.000
50.000
0,92456
46228
0,96117
44.433
3
60.000
10.000
50.000
0,88900
44450
0,94232
41.886
4
60.000
10.000
50.000
0,85480
42740
0,92385
39.485
5
60.000
10.000
50.000
0,82193
41096,5
0,90573
37.222
6
60.000
10.000
50.000
0,79031
39515,5
0,88797
35.089
7
60.000
10.000
50.000
0,75992
37996
0,87056
33.078
8
60.000
10.000
50.000
0,73069
36534,5
0,85349
31.182 29.395
9
60.000
10.000
50.000
0,70259
35129,5
0,83676
10
60.000
10.000
50.000
0,67556
33778
0,82035
Unternehmenswert
(8)=(6)*(7)
27.710 366.614
Die Zeitwerte der „Sicherheitsäquivalente zweiter Ordnung“ sind aus dieser Lösungstabelle genauso wenig ersichtlich wie die Zeitwerte der Abschläge für das Konkursrisiko (ex Risikoprämie „z“). Will man die Zeitwerte der „Sicherheitsäquivalente zweiter Ordnung“ und die Zeitwerte der Abschläge für das Konkursrisiko (ex Risikoprämie „z“) errechnen, so hat man gemäß nachstehender Tabelle (Variante 2) vorzugehen (s. Spalte 6 bzw. 7).
114
Gerhard Seicht
Tabelle 6 Ermittlung der Sicherheitsäquivalente erster Ordnung und zweiter Ordnung (Variante 2) Zeitwerte der kumulierte Zeitwerte der Zeitwerte der Abs chläge für allZeitwerte Abs chläge für Barwerte der Überlebens Sichereits Sicherheits Abs chlags s pezielle gem. Unterder Sicherheits wahrs cheinäquivalente äquivalente fakto ren für t nehmerris iko Erwartungs - Ris iken AR 1 äquivalente -t lichkeiten zweiter Zeitprämie 1,04 ers ter Ordnung werte FSH (Zeitwerte) (Ko nkurs ris iko ) zweiter Ordnung t -t (100/102) = 1,02 Ordnung SÄ 2 SÄ 1 AR 2
(1) (2) (3) 1 60.000 10.000 2 60.000 10.000 3 60.000 10.000 4 60.000 10.000 5 60.000 10.000 6 60.000 10.000 7 60.000 10.000 8 60.000 10.000 9 60.000 10.000 10 60.000 10.000 Unternehmenswert
(4)=(2)-(3) 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000
(5) 0,98039 0,96117 0,94232 0,92385 0,90573 0,88797 0,87056 0,85349 0,83676 0,82035
(6)=(4)*(5) 49.020 48.059 47.116 46.193 45.287 44.399 43.528 42.675 41.838 41.018
(7)=(4)–(6) 981 1.942 2.884 3.808 4.714 5.602 6.472 7.326 8.162 8.983
(8) 0,96154 0,92456 0,88900 0,85480 0,82193 0,79031 0,75992 0,73069 0,70259 0,67556
(9)=(6)*(8) 47.134 44.433 41.886 39.485 37.222 35.089 33.078 31.182 29.395 27.710 366.614
Probe: Tabelle 7 Ermittlung der Sicherheitsäquivalente erster Ordnung und zweiter Ordnung (Variante 2 – Probe)
t
Abs c hlä ge Ze itwe rte für s pe zie lle de r Erwa rtungs - R is ike n AR 1 we rte (Ze itwe rte )
(1) (2) (3) 1 60.000 10.000 2 60.000 10.000 3 60.000 10.000 4 60.000 10.000 5 60.000 10.000 6 60.000 10.000 7 60.000 10.000 8 60.000 10.000 9 60.000 10.000 10 60.000 10.000 Unternehmenswert
Ze itwe rte de r Abs c hlä ge für Ko nkurs ris iko
(4) 981 1.941 2.884 3.808 4.713 5.602 6.472 7.325 8.162 8.982
B a rwe rte de r Ze itwe rte de r Abs c hla gs S ic he rhe its S ic he re its fa kto re n für ä quiva le nte ä quiva le nte zwe ite r Ze itprä m ie 1,04 -t zwe ite r Ordnung Ordnung
(5)=(2)–(3)–(4) 49.019 48.059 47.116 46.192 45.287 44.398 43.528 42.675 41.838 41.018
(6) 0,96154 0,92456 0,88900 0,85480 0,82193 0,79031 0,75992 0,73069 0,70259 0,67556
(7)=(5)*(6) 47.134 44.433 41.886 39.485 37.223 35.088 33.078 31.182 29.395 27.710 366.614
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
115
Eine weitere Frage stellt sich, nämlich die nach der Höhe des durchschnittlichen Risikoabschlages (Zeitwert) für das Konkursrisiko (allgem. Unternehmerrisiko)?! Für das obenstehende Beispiel errechnet sich dieser gesuchte Betrag mit der runden Zahl von 4.800. Dies sei nachstehend vorgeführt und verprobt. Tabelle 8 Ermittlung der Barwerte der Abschläge fürs Konkursrisiko t
Ze itwe rte de r Abs c hlä ge fürs Ko nkurs ris iko
Abs c hla gs fa kto re n für Ze itprä m ie 1,04 -t
(1) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
(2) 981 1.941 2.884 3.808 4.713 5.602 6.472 7.325 8.162 8.982
(3) 0,96154 0,92456 0,88900 0,85480 0,82193 0,79031 0,75992 0,73069 0,70259 0,67556
38.931* Annuitätenfaktor DnV p
10
B a rwe rte de r Abs c hlä ge fürs Ko nkurs ris iko
(4)=(2)*(3) 943 1.795 2.564 3.255 3.874 4.427 4.918 5.352 5.735 6.068 38.931
38.931* 0,12329 4.800
4%
Probe: Tabelle 9 Probe der Ermittlung der Barwerte der Abschläge fürs Konkursrisiko
t
Ze itwe rte Abs c hlä ge für Abs c hlä ge Ze itwe rte de r de r a llge m . Unte rfür s pe zie lle S ic he rhe its Erwa rtungs R is ike n ä quiva le nte e rs te r ne hm e rris iko we rte AR 2 (Ze itwe rte ) (Ze itwe rte ) Ordnung S Ä 1
(1) (2) (3) 1 60.000 10.000 2 60.000 10.000 3 60.000 10.000 4 60.000 10.000 5 60.000 10.000 6 60.000 10.000 7 60.000 10.000 8 60.000 10.000 9 60.000 10.000 10 60.000 10.000 Unternehmenswert
(4)=(2)–(3) 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000
(5) 4.800 4.800 4.800 4.800 4.800 4.800 4.800 4.800 4.800 4.800
Ze itwe rte de r S ic he rhe its ä quiva le nte zwe ite r Ordnung S Ä 2
Abs c hla gs fa kto re n für Ze itprä m ie 1,04 -t
(6)=(4)–(5) 45.200 45.200 45.200 45.200 45.200 45.200 45.200 45.200 45.200 45.200
(7) 0,96154 0,92456 0,88900 0,85480 0,82193 0,79031 0,75992 0,73069 0,70259 0,67556
B a rwe rte de r S ic he rhe its ä quiva le nte zwe ite r Ordnung
(8)=(6)*(7) 43.462 41.790 40.183 38.637 37.151 35.722 34.349 33.027 31.757 30.536 366.614
116
Gerhard Seicht
Schließlich seien noch die Entwicklungen der Zeitwerte der Risikoabschläge für Konkursrisiko in absoluten Zahlen, in Prozentzahlen und in Indexzahlen vorgeführt:
Tabelle 10 Entwicklung der Zeitwerte der Risikoabschläge fürs Konkursrisiko
t
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Ze itwe rte de r S ic he rhe its ä quiva le nte e rs te r Ordnung
Ze itwe rte de r R is iko a bs c hlä ge fürs Ko nkurs ris iko
(1) 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000 50.000
(2) 981 1.941 2.884 3.808 4.713 5.602 6.472 7.326 8.163 8.982
Abschläge Inde x de r R e ihe n gem. (2) in % ge m ä ß (2) bzw. (3) von (1) (3) 1,96% 3,88% 5,77% 7,62% 9,43% 11,20% 12,94% 14,65% 16,33% 17,96%
(4) 197,86% 148,58% 132,00% 123,77% 118,86% 115,53% 113,20% 111,43% 110,03%
III. Risikoadjustierung nur der Saldi von Einzahlungs-/ Auszahlungsüberschüssen? Die allgemein übliche Vorgangsweise, risikoangepasste Barwerte erwarteter, unsicherer zukünftiger Erfolge zu gewinnen, ist die Diskontierung der Saldi (!) von erwarteten Jahreseinzahlungen und Jahresauszahlungen mit einem risikoangepassten Zinssatz (Risikoprämienmethode) bzw. die Reduktion von erwarteten unsicheren Einzahlungs-/Auszahlungsüberschüssen (Saldi!) um einen Risikoabschlag in absoluten Zahlen und anschließende Diskontierung dieser Sicherheitsäquivalente mit dem risikolosen Zinssatz. Diese Vorgangsweise, Saldi zu diskontieren, ist jedoch höchst problematisch. Dies sei nachstehend an Hand von Demonstrationsbeispielen vorgeführt und begründet, wie folgt:
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
117
Angaben: Tabelle 11 Einzahlungs-/Auszahlungsüberschüsse – Beispiel Unternehmen A
Unternehmen B
Erwartete Einzahlungen p.a.
+ 800
+ 2.000
Erwartete Auszahlungen p.a.
– 600
– 1.800
Einzahlungs-/Auszahlungsüberschüsse (Saldi)
+ 200
+ 200
Basiszinssatz BZS
6%
6%
Risikoprämie „z“
2%
2%
10 Jahre
10 Jahre
n
Lösungen: 1. Konventionelle Lösungen mit Saldendiskontierung:
Unternehmen A: 8 · § ¸ ¦ 200 * ¨ 1 100 © ¹ t 1 10
UW
t 1 . 342
Unternehmen B: 8 · § ¸ ¦ 200 * ¨ 1 100 ¹ © 1 t 10
UW
t 1 . 342
2. Lösungen mit Komponentendiskontierung:
Unternehmen A: 10
UW
¦ 800 * §¨©1 t 1
6 2 ·
t
¸ 100 ¹
n
–
¦ 600 * §¨©1 t 1
6 2 · t ¸ 100 ¹
5 .368 – 4 .867
501
Unternehmen B: 10
UW
¦ t 1
6 2 · § 2 .000 * ¨1 ¸ 100 ¹ ©
t
n
–
¦ 1.800 * §¨©1 t 1
6 2 · t ¸ 100 ¹
13 .420 – 14 .599
1 .179
Wenn auch das obige Beispiel die Problematik überzeichnet, sollten ihre Ergebnisse Anlass sein, die konventionelle Vorgangsweise, Einzahlungs-/Auszahlungsüberschüsse (= Saldi!) zu diskontieren, kritisch zu überdenken!
118
Gerhard Seicht
Folgende Einsichten können festgehalten werden: 1.
Die Risikoprämienmethode auf Einzahlungs-/Auszahlungsüberschüsse (Saldi) angewandt, wird umso problematischer, je größer die „Spanne“ zwischen Einzahlungsüberschuss (Saldo) und Einzahlung ist.
2.
Es ist nicht korrekt, den Erwartungswert der Einzahlungen mit dem Erwartungswert der Auszahlungen zum Erwartungswert des Einzahlungs-/ Auszahlungsüberschusses zu saldieren und diesen Saldo der Diskontierung mit einem risikoangepassten Zinssatz zu unterziehen, da die Chancen und die Risiken von risikoaversen Unternehmen unterschiedlich gewichtet werden müssten.
3.
Die Risikoprämienmethode scheint zu versagen, wenn der Einzahlungs-/ Auszahlungsüberschuss (Saldo) sehr klein ist oder gar gegen Null geht.16
4.
Die Lösung dieser Probleme kann darin gesehen werden, die positiven Erfolgskomponenten (Erwartungswerte der Einzahlungen) und die negativen Erfolgskomponenten (Erwartungswerte der Auszahlungen) jeweils gesondert mit einem risikoangepassten Zinssatz zu diskontieren, (wobei gilt, bei Erwartungswerten von Einzahlungen ist z > 0 und bei Erwartungswerten von Auszahlungen ist z < 0) und dann erst die Saldierungen vorzunehmen.
Ein weiterer Aspekt sei aufgezeigt wie folgt: Im obigen Beispiel „Unternehmen A“ wurden die erwarteten (unsicheren) Einzahlungen mit 800 prognostiziert und mit diesem Betrag in die Unternehmenswertberechnungen einbezogen. Nunmehr sei in drei verschiedenen Varianten angenommen, dass sich dieser erwartete Einzahlungsbetrag (Erwartungswert) jeweils errechnet hat wie folgt: Variante 1: 600 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
120
700 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
140
800 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
160
900 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
180
1.000 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
200
+ 800
___________ 16
Zustimmend Spremann (2002), S. 353 – 355; Schildbach (2004), S. 166.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
119
Variante 2: 600 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,1 =
60
700 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
140
800 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,4 =
320
900 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
180
1.000 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,1 =
100
+ 800
Variante 3: 0 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,1 =
0
200 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,1 =
20
400 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
80
1.000 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,3 =
300
1.200 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,2 =
240
1.600 * Eintrittswahrscheinlichkeit
0,1 =
160
+ 800
Auf die gleichartigen (!) Ergebnisse der konventionellen Lösungsmethoden haben die doch sehr unterschiedlichen Ausprägungen der Berechnungsparameter keine Auswirkungen, denn der Erwartungswert der Einzahlungen ist in allen drei Fällen (Varianten) mit 800 gleich hoch! Die mathematischen „Varianzen“ und „Streuungen“ sind jedoch in allen drei Fällen (Varianten) sehr verschieden. Sie betragen:
Tabelle 12 Vergleich von Varianz und Streuung Varianz
Streuung
Variante 1
20.000
141,42
Variante 2
12.000
109,54
Variante 3
240.000
489,90
120
Gerhard Seicht
In allen drei Varianten ist der Erwartungswert der Einzahlungen gleich groß (800). Die unterschiedliche Risikostruktur dieser drei Varianten findet im Ergebnis konventioneller Unternehmenswertberechnungen keinen Niederschlag! Dies wäre jedoch nur dann unproblematisch, wenn die Unternehmer risikoneutral wären. Sie sind es aber nicht. Risikoaverse Unternehmer würden wohl folgende Präferenzen haben: Variante 2 > Variante 1 > Variante 3. Unternehmensbewerter müssten somit in jeder der obigen drei Varianten einen anderen Wert für die Risikoprämie „z“ ansetzen bzw. Risikoabschläge („Sicherheitsäquivalenzmethode“) in unterschiedlicher Höhe vornehmen. Die unterschiedlich großen „Varianzen“ und „Streuungen“ sollten dabei als Orientierungshilfen dienen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass es auch hilfreich wäre, eine „optimistische“, eine „wahrscheinlichste“ und eine „pessimistische“ Variante zu rechnen. Die üble „Praktikermethode“, auf Basis des Ergebnisses nur einer einzigen Unternehmenswertberechnung dem Rechenergebnis hinzuzufügen, die Streuung könnte wahrscheinlich „plus/minus … %“ betragen, was in absoluten Zahlen „plus/minus …“ ergibt, sollte als Alibiaktion erkannt und nicht als „Variantenrechnung“ akzeptiert werden. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Gefahr des Nichteingehens einer prognostizierten Einzahlung mit der Höhe dieses prognostizierten Betrages begrenzt ist, hingegen den negativen Soll-Ist-Abweichungen bei Auszahlungen keineswegs analoge Schranken gesetzt sind! Auch diesbezüglich herrscht Asymmetrie bei den Risiken der Einzahlungen und den Risiken der Auszahlungen. Eine letzte Anmerkung sei zu diesem Themenkreis noch gemacht: Einzahlungen oder zumindest Einzahlungsüberschüsse und Auszahlungen oder zumindest Auszahlungsüberschüsse sollten nach Umweltzuständen (S1, S2, S3 etc.), nach möglichen Unternehmensstrategien und nach Strategischen Geschäftsfeldern aufgegliedert prognostiziert werden.
IV. Mischrisikozuschlag oder Separation bei fundamentalem Vorzeichenwechsel? Der risikoangepasste Diskontierungszinssatz enthält bei der Diskontierung einer wahrscheinlichen Einzahlung bzw. bei der Diskontierung eines wahrscheinlichen Einzahlungsüberschusses einen Risikozuschlag „+z“ und bei der
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
121
Diskontierung einer wahrscheinlichen Auszahlung bzw. bei der Diskontierung eines wahrscheinlichen Auszahlungsüberschusses einen Risikoabschlag „ –z“. Die Einsicht in die Notwendigkeit und logische Richtigkeit der Vornahme eines Risikoprämienabschlages im Falle von Auszahlungen (Auszahlungsüberschüssen) hat sich mittlerweile etabliert.17 Auch bei Wirtschaftsprüferexamen wurde dieses Thema schon als Prüfungsbeispiel gegeben und im „Lösungsvorschlag“ (Vorschlag für die richtige Lösung) grundsätzlich richtig gelöst.18 Wie schwer sich Praktiker der Unternehmensbewertung gelegentlich tun, diese doch nicht gerade komplexen Zusammenhänge und Einsichten zu internalisieren, kann z.B. aus folgender Textpassage ersehen werden, die sich in einer schriftlichen Eingabe (1999) des WP Geiserich Tichy beim Landesgericht Innsbruck findet: „Seicht vertritt in seiner Ausarbeitung die Auffassung, dass Einzahlungsüberschüsse mit einem Zinssatz, der einen Risikozuschlag berücksichtigt, Auszahlungsüberschüsse jedoch unter Anwendung eines Risikoabschlages zu diskontieren wären. Diese Auffassung Seichts widerspricht diametral dem Fachgutachten des Fachsenates für Betriebswirtschaft und Organisation des Instituts für Betriebswirtschaft, Steuerrecht und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder für die Unternehmensbewertung (KFS/BW 1; ehemals Fachgutachten 74). Die Auffassung Seichts widerspricht ebenfalls der herrschenden Lehre. Auch das Fachgutachten KFS/BW1 kennt keinen Unterschied in der Abzinsung von Einzahlungs- und Auszahlungsüberschüssen. Eine Risikoerhöhung auf Basis des allgemeinen Unternehmerrisikos zum risikolosen Anleiheertrag‚ ist durch einen Zuschlag zum Kapitalmarktzinssatz zu erfassen‘ (KFS/BW1, Punkt 7.2.2.). Ein Abschlag vom Kapitalmarktzinssatz ist dem Fachgutachten KFS/BW1 fremd. Die Seicht’sche Argumentation eines Risikoabschlages ist daher nicht nachvollziehbar.“
Falsch wäre es, für die Diskontierung der Einzahlungsüberschüsse (Aktivphase eines Unternehmens) und für die Diskontierung der Auszahlungen der Nachsorgephase (Atomkraftwerke, Bergbaue, Mülldeponiebetriebe!) einen einheitlichen Diskontierungszinssatz zu verwenden, den man aus der Addition des risikolosen Zinssatzes und einer leicht reduzierten Risikoprämie „+z“ erhalten hat. Als Demonstrationsbeispiel sei folgender Fall geschildert: Es galt, das Auseinandersetzungsguthaben eines mit 49 % an einer Mülldeponie Ges.m.b.H. beteiligten Gesellschafters zu ermitteln. Eine gütliche Eini___________ 17
Vgl. Drukarczyk (1998), S. 322; Seicht (1999), S. 109 – 112; derselbe (2001), S. 22, S. 26 – 31; derselbe (2004), S. 267 – 272; Kruschwitz (2001) S. 2417 – 2413; Schildbach (2004), S. 165 – 171; Obermaier (2004), S. 2762 – 2766. 18 Vgl. Kammer der österreichischen Wirtschaftstreuhänder (2002): Klausurarbeit zum Wirtschaftsprüferexamen vom 10.12.2002, Angabe mit Musterlösung.
122
Gerhard Seicht
gung kam nicht zustande. Der Fall kam vor Gericht. Ein Gerichtsachverständiger wurde beauftragt, ein Gutachten über den Wert dieses Deponiebetriebes anzufertigen. Der Gerichtsachverständige machte in seinem Gutachten keinen Unterschied in der Diskontierung der Einzahlungsüberschüsse der Aktivphase und der Diskontierung der Auszahlungen der anschließenden 50-jährigen Nachsorgephase! Der auf das Unternehmen in der Aktivphase einströmende Geldstrom und der in der Nachsorgephase aus dem Unternehmen abfließende Geldstrom wurde vom Gerichtssachverständigen falsch als „flow to equity (-owner)“ interpretiert, obwohl ja der „Geldberg“ der Aktivphase durch entsprechende Rückstellungsdotierungen für die Verpflichtungen der 50-jährigen Nachsorgephase bilanzrechtlich zu einem großen Teil ausschüttungsgesperrt war bzw. ist. In der (falschen) Lösungsrechnung wurde somit nicht der flow to equity owners (nicht der flow to shareholder), sondern der auf das Deponieunternehmen einfließende Geldstrom (Aktivphase) und der aus der Unternehmung in späterer Folge ausfließende Geldstrom (Nachsorgephase) diskontiert, und zwar mit einem einheitlichen (!), um einen Risikoaufschlag erhöhten Zinssatz. Für das nachstehende Rechenbeispiel gelten folgende Angaben: Aktivphase: 10 Jahre à 90 Mio. (+) Nachsorgephase: 50 Jahre à 22 Mio. (–) (Risikofreier Zinssatz: 5 %, Risikozuschlag: 3 %) Wert des Fremdkapitals: 140 Mio. Gefragt ist der Netto-Wert des Unternehmens (des Eigenkapitals).
Lösungen:
Lösungsmodell 1: (methodisch falsche Lösung 1) UW = 90 Mio. * DnIV 10 J . – 22 Mio. * DnIV 50 J . p 8%
p 8%
* DnII 10 J . – 140 Mio. p 8%
UW = 90 Mio. * 6,71008 – 22 Mio. * 12,23349 * 0,46319 – 140 Mio. UW = 603,907 Mio. UW = + 339,246 Mio.
–
124,661 Mio.
– 140 Mio.
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
123
Lösungsmodell 2: (methodisch falsche Lösung 2) UW = 90 Mio. * DnIV 10 J . – 22 Mio. * DnIV 50 J . p 7%
* DnII 10 J . – 140 Mio.
p 7%
p 7%
UW = 90 Mio. * 7,02358 – 22 Mio. * 13,80075 * 0,50835 – 140 Mio.
UW = 632,122 Mio.
–
154,343 Mio.
– 140 Mio.
UW = + 337,779 Mio.
Lösungsmodell 3: (methodisch richtige Lösung, Variante A) Lösung mit Risikoabschlag 3 %-Punkte: Diskontierungszinssatz für die Aktivphase beträgt 8 % (5 % + 3 %); der Diskontierungszinssatz für die Nachsorgephase beträgt 2 % (5 % – 3 %)
UW = 90 Mio. * DnIV 10 J . – 22 Mio. * DnIV 50 J . p 8%
* DnII 10 J . – 140 Mio.
p 2%
p 2%
UW = 90 Mio. * 6,71008 – 22 Mio. * 31,42361 * 0,82035 – 140 Mio. UW = 603,907 Mio.
–
567,125 Mio.
– 140 Mio.
UW = – 103,218 Mio.
Lösungsmodell 4: (methodisch richtige Lösung, Variante B) Lösung mit Risikoabschlag 2 %-Punkte: Diskontierungszinssatz für die Aktivphase beträgt 8 % (5 % + 3 %); der Diskontierungszinssatz für die Nachsorgephase beträgt 3 % (5 % – 2 %)
UW = 90 Mio. * DnIV 10 J . – 22 Mio. * DnIV 50 J . p 8%
p 3%
* DnII 10 J . – 140 Mio. p 3%
UW = 90 Mio. * 6,71008 – 22 Mio. * 25,72976 * 0,74409 – 140 Mio. UW = 603,907 UW = + 42,711 Mio.
–
421,196
– 140 Mio.
124
Gerhard Seicht
Tabelle 13 Zusammenstellung der Ergebnisse Lösungsmodelle
Diskontierungszinssätze
UW
Aktivphase
Nachsorgephase
Modell (Falsche Lösung 1)
8 % p.a. (5 % + 3 %)
8 % p.a. (5 % + 3 %)
+ 339,246 Mio.
Modell (Falsche Lösung 2)
7 % p.a. (5 % + 2 %)
7 % p.a. (5 % + 2 %)
+ 337,779 Mio.
Modell (Richtige Lösung, Variante A)
8 % p.a. (5 % + 3 %)
2 % p.a. (5 % – 3 %)
– 103,218 Mio.
Modell (Richtige Lösung, Variante B)
8 % p.a. (5 % + 3 %)
3 % p.a. (5 % – 2 %)
+ 42,711 Mio.
Die Durchrechnung der obigen Beispiele zeigt, dass die Diskontierung mit einem einheitlichen Diskontierungszinssatz – wie immer er angesetzt werden mag – falsch ist, sofern dem Risiko „im Nenner“ Rechnung getragen werden soll. Folgt einer Phase der Einzahlungsüberschüsse (Aktivphase) eine Phase der Auszahlungen (Nachsorgephase), so ist in der ersten Phase (Aktivphase) dem Risiko durch einen Risikozuschlag auf den risikofreien Zinssatz Rechnung zu tragen und es ist in der zweiten Phase (Nachsorgephase) vom risikofreien Zinssatz ein Abschlag vorzunehmen, wenn man dem Risiko „im Nenner“ Rechnung tragen möchte. Eine graduelle Absenkung (z.B. um 1 %-Punkt) des einheitlichen Diskontierungszinssatzes (hier von 8 % auf 7 %) macht sowohl die Berechnung der Barwerte der Einzahlungsüberschüsse der Aktivphase wie auch die Berechnung der Barwerte der Auszahlungen der Nachsorgephase falsch. Diese Fehler heben sich jedoch nicht gegenseitig auf, sondern sind additiv: Die Barwerte der Einzahlungsüberschüsse werden zu hoch gerechnet und die Barwerte der Auszahlungen werden immer noch viel zu niedrig ermittelt. Beide Fehler führen zu einer Überschätzung des Unternehmenswertes! Bezeichnenderweise hat sich der Unternehmenswert bei einer Absenkung des einheitlichen Diskontierungszinssatzes (von 8 % auf 7 %) kaum vermindert, nämlich nur von 339,2 Mio. auf 337,8 Mio.! Schließlich sei noch auf Folgendes hingewiesen: Das Mülldeponiegeschäft ist hoch riskant, und zwar insbesondere in der Nachsorgephase! Die Risikobe-
Aspekte des Risikokalküls in Unternehmensbewertungen
125
haftung der erwarteten Einzahlungen aus dem Aktivgeschäft (Jahre der Müllübernahme und Deponierung) ist wesentlich geringer als die Risikobehaftung der erwarteten Auszahlungen in der Nachsorgephase bzw. die Risikobehaftung der erwarteten (Erwartungswerte) Auszahlungen in der Nachsorgephase ist viel größer als die Risikobehaftung der erwarteten (Erwartungswerte) Einzahlungen in der Aktivphase. Insbesondere ist zu beachten, dass bei Kostensteigerungen in der Aktivphase der Mülldeponierung das Risiko durch Gebührenerhöhungen begrenzt werden kann, während in der Nachsorgephase Ausgabenüberschreitungen oder gar Ausgabenexplosionen („Änderungsrisiko“!) durch keinerlei Gebührenerhöhungen mehr kompensiert werden könnten! Ein letzter Hinweis sei noch gegeben: Bei einem hohen Risiko, dessen risikoadäquate Risikoprämie (z.B. 8 %) höher ist als der Basiszinssatz (z.B. 6 %) „versagt“ die „Risikoprämienmethode“ keineswegs! Der risikoangepasste Zinssatz erfährt dann eben eine negative Ausprägung. Bei BZS = 6 % und „z“ = – 8 % beträgt der Diskontierungsfaktor 1
6 – 8 ·¸ § ¨1 100 ¹ ©
1 t
§2· 1 ¨ ¸ © 100 ¹
1 t
0,98 t
1,020408 t
Die „Diskontierung“ mit derartigen „Diskontierungsfaktoren“ ergibt eben und in sachgerechter Weise heutige Werte für die negativen „Sicherheitsäquivalente zweiter Ordnung“, die größer sind als die Zeitwerte der wahrscheinlichen zukünftigen Ausgaben.
V. Ergebnisse der Untersuchung „Sicherheitsäquivalenzmethode“ und „Risikozuschlagsmethode“ werden oft als Alternativen gesehen. Dem ist zu widersprechen! Beide Methoden haben in gleichzeitiger Anwendung ihre Berechtigung, ja Notwendigkeit. Durch Anwendung der „Sicherheitsäquivalenzmethode“ ist den speziellen Risiken des zur Bewertung anstehenden Unternehmens Rechnung zu tragen und durch einen Risikozuschlag (Einzahlungsüberschüsse) zum bzw. durch einen Risikoabschlag (Auszahlungen) vom „risikolosen“ Zinssatz ist dem allgemeinen Unternehmerrisiko adäquater Ausdruck zu verleihen. Dieses allgemeine Unternehmerrisiko besteht insbesondere im Konkursrisiko. Die Höhe des anzusetzenden Risikozuschlages zum bzw. Risikoabschla-
126
Gerhard Seicht
ges vom „risikolosen“ Zinssatz wird somit vor allem und insbesondere von der Höhe des Konkursrisikos bestimmt werden. Die Risikoabschläge von wahrscheinlichen (positiven) Erfolgen (Gewinnen, Einzahlungs-/Auszahlungsüberschüssen) wurden als „statische“ – weil jeweils einperiodische Größen – und die sich aus der Risikoprämienmethode ergebenden Risikoabschläge (bzw. Risikozuschläge) wurden hingegen als „dynamische“ Risikoabschläge (bzw. Risikozuschläge) bezeichnet, da sie als Funktion der Zeit in degressiver Steigung begriffen sind. Die sich nach Anwendung der „Sicherheitsäquivalenzmethode“ ergebenden Zeitwerte wurden als „Sicherheitsäquivalente erster Ordnung“ und die sich nach zusätzlicher Anwendung der „Risikoprämienmethode“ ergebenden Zeitwerte wurden als „Sicherheitsäquivalente zweiter Ordnung“ etikettiert. Herausgearbeitet wurde weiters, dass die Diskontierung von Einzahlungs-/ Auszahlungsüberschüssen (Saldi!) problematisch ist, da es nicht nur auf die Höhe dieser Differenzgröße ankommt, sondern auch auf das jeweilige Verhältnis der Höhe der erwarteten Einzahlungen zur Höhe der erwarteten Auszahlungen bzw. auf die Spanne zwischen erwarteter Einzahlung und erwartetem Einzahlungsüberschuss! Weiters wurde deutlich gemacht, dass sich (gleich hohe) Erwartungswerte von Einzahlungen (Analoges gilt natürlich für die Erwartungswerte von Auszahlungen) aus ganz unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsverteilungen ergeben können, was bei angenommener Risikoaversion der Unternehmer durchaus Einfluss auf den Wert von Unternehmen haben wird, aber in den üblichen Unternehmensbewertungskalkülen keine Berücksichtigung findet. Schließlich wurde an Hand eines sehr realitätsnahen Beispiels vorgeführt, dass in Fällen fundamentaler Vorzeichenwechsel (Nachsorgephase mit Auszahlungen folgt einer Aktivphase mit Einzahlungsüberschüssen) die Anwendung eines (leicht herabgesetzten) Einheitsdiskontierungszinssatzes zu kolossalen Fehlbewertungen führen muss, da die dabei gemachten Fehler sich nicht kompensieren, sondern addieren.
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Gerhard Seicht
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Neue Argumente gegen eine Prämientrennung Von Otto A. Altenburger
I. Einführung, Problemstellung und Überblick Seit etwa zehn Jahren beschäftigt sich Dieter Rückle intensiv mit Fragen der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen und der Gewinn- bzw. Überschußbeteiligung der Versicherungsnehmer.1 In diesem Zusammenhang vertritt er die sog. Prämientrennungstheorie, wonach nur jener Teil der Versicherungsprämie, der für die vom Versicherungsunternehmen erbrachte „Organisationsleistung“ bezahlt wird, als Ertrag vereinnahmt werden darf, während der andere Teil erfolgsneutral als Schuld (Verbindlichkeit bzw. Rückstellung) zu verbuchen ist.2 Dieser andere Teil ist in aller Regel wesentlich größer und dient der Risikoabdeckung; bei der sog. Kapitallebensversicherung (und vergleichbaren Versicherungsprodukten) besteht er aus einem – meist kleineren – Teil für die Risikoabdeckung und einem – sehr erheblichen – Teil für die Kapitalanlage. Die Prämientrennung in eine Dienstleistungs- und eine Risiko-, gegebenenfalls auch eine Sparkomponente ist bereits seit langem diskutiert worden, zuletzt besonders intensiv vor und nach dem „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes“, den die SPD-Bundestagsfraktion am 2. Juli 1997 eingebracht hat.3 Dabei geht es nicht (nur) um eine gesonderte Angabe von Elementen der Prämienkalkulation, sondern um eine Trennung der Geschäfte: Das Versicherungsunternehmen hätte „als Geschäftsbesorger“ „das Risiko- und das Kapitalanlagegeschäft in der Zuständigkeit einer Versicherungstreuhand als Sondervermögen zu betreiben und abzurechnen (ermittlungsrechtliche Versicherungstreuhand)“;4 für „die Sondervermögen und die Pflichten der ___________ 1 Vgl. Rückle (1997a); Rückle (1997b); Rückle (1997c); Rückle / Karst (1998); Rückle / Karst (1999); Rückle (1999b); Rückle / Karst (2000); Rückle (2001); Rückle (2004a); vgl. weiters die themenverwandten Arbeiten Rückle (1999a); Rückle (2003); Rückle (2004b), hier S. 1147 f.; Rückle (2005). 2 Vgl. Rückle (1997a), S. 258 f.; Rückle (1997b), S. 175; Rückle (1997c), S. 301; Rückle (1999b), S. 123; ähnlich Rückle (2004a), S. 100. 3 BT-Drucksache 13/8163. Vgl. dazu Adams (1997); Schünemann (1998); Adams (1999a); Adams (1999b); ferner Adams (2000). 4 § 1 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 VVG lt. dem zitierten Entwurf.
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Versicherungsunternehmen“ sollten neben den neuen Regelungen „die Vorschriften des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften entsprechend“ gelten.5 Im vorliegenden Beitrag soll die Prämientrennung nicht umfassend und unter Wiederholung der in der Literatur behandelten Argumente erörtert, sondern es sollen Probleme aufgezeigt werden, die in der bisherigen Diskussion – soweit ersichtlich – nur kurz erwähnt und nicht ausgeführt oder noch gar nicht thematisiert worden sind. Ohne daß dies von vornherein beabsichtigt gewesen wäre, sprechen sie allesamt gegen die vorgeschlagene Trennung der Geschäfte; dies bringt der Titel des Beitrags zum Ausdruck. Im einzelnen geht es um die nicht generelle Trennbarkeit von Risiko- und Spargeschäft (Abschnitt II.) und um die mangelnde Trennbarkeit von Dienstleistungs- und Risikogeschäft (Abschnitt III.); die Rückversicherungsabgabe wirft Probleme im Hinblick auf beide angeführten Abgrenzungen auf (Abschnitt IV.). Nach der Zusammenfassung der Ergebnisse wird kurz ihr Stellenwert erörtert (Abschnitt V.).
II. Die Untrennbarkeit von Risiko- und Spargeschäft bei Versicherungen ohne explizite Sparkomponente Daß die sog. Kapitallebensversicherung eine explizite Sparkomponente enthält, ist unbestritten; dies ergibt sich daraus, daß nicht nur der Versicherungsnehmer, sondern auch das Versicherungsunternehmen in jedem Fall zahlen muß: entweder beim Ableben der versicherten Person oder dann, wenn diese das Ende der Vertragslaufzeit erlebt (Ab- und Erlebensversicherung, sog. gemischte Lebensversicherung). Eine vergleichbare Situation besteht bei der Unfallversicherung mit Prämienrückgewähr, bei der von vornherein die Rückzahlung der – dementsprechend höher kalkulierten – Prämien für den Fall vereinbart wird, daß die versicherte Person keinen Unfall erleidet. Bei solchen Versicherungen ist es – zumindest theoretisch – möglich, die Sparkomponente aus dem Versicherungsvertrag herauszulösen; die Komplexität dieser Aufgabe6 wird freilich häufig unterschätzt, denn es handelt sich um ein grundsätzlich einheitlich kalkuliertes Produkt, weil auch das Erreichen des „Sparziels“ vom Verlauf der Sterblichkeit abhängt. Ebenso unbestritten ist die Bedeutung der Kapitalanlage auch für Versicherungen ohne explizite Sparkomponente: Die Prämien müssen in aller Regel im ___________ 5
§ 1 Abs. 6 VVG lt. dem zitierten Entwurf. Vgl. Karten (1986), S. 294 f.; Karten (1998), S. 52 – 54; Hesberg (1998), S. 130 – 132; Farny (1999a), S. 74; Hesberg / Karten (1999a), S. 5 f., bzw. Hesberg / Karten (1999b), S. 174 f. 6
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voraus bezahlt werden, während die Schadensfälle verteilt über die Versicherungsperiode eintreten und erst mit einer – zum Teil erheblichen – zeitlichen Verzögerung erledigt werden können; soweit sie nicht zur Deckung von Abschluß- und Verwaltungskosten benötigt werden, sind die Prämien demnach anzulegen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Prämien außer einem Dienstleistungs- und einem Risikoanteil auch einen Sparanteil umfassen. Im Gegenteil: Die zu erwartenden Kapitalanlageerträge gehen in der Form in die Prämienkalkulation bzw. in die Preisgestaltung des Versicherungsunternehmens ein, daß sie jene Prämien, die ohne diese Erträge für Dienstleistungs- und Risikogeschäft zu erheben wären, reduzieren. Es versteht sich von selbst, daß ein negativer Betrag keinem Sondervermögen zugeführt werden kann. Selbst wenn man dies ins Auge fassen wollte, bliebe das Grundproblem davon unberührt: Ein erheblicher Prämienteil, der für Schadenvergütungen benötigt wird, ist zugleich Gegenstand der Kapitalanlage. Nun ließe sich einwenden, bei Versicherungen ohne explizite Sparkomponente sei eine Trennung von Risiko- und Spargeschäft gar nicht erforderlich; die mit dem Risikogeschäft untrennbar verbundene Kapitalanlage sei als Bestandteil des Risikogeschäfts zu betrachten; die Prämientrennungstheorie sei dadurch nicht widerlegt, sondern es sei lediglich ihre Anwendbarkeit eingeschränkt: Es könne zwar kein Sparanteil abgesondert werden, die Trennbarkeit zwischen Dienstleistungs- und Risikoanteil bleibe aber davon unberührt. Diese Trennbarkeit soll im nächsten Abschnitt diskutiert werden; unterstellt man sie vorläufig als gegeben, könnte man geneigt sein, der angeführten Gegenargumentation zu folgen. Einer Kapitalanlage, die dem Risikogeschäft immanent ist, muß kein Prämienanteil zugeordnet werden, auch wenn grundsätzlich der Prämientrennungstheorie gefolgt werden soll. Die vorstehenden Aussagen gelten – im Ergebnis – auch dann, wenn die Zuordnung der in der Prämienkalkulation zu berücksichtigenden Sicherheitszuschläge gesondert diskutiert wird.7 Allerdings sind diese Überlegungen zwar auf viele, keineswegs aber auf alle Versicherungen ohne explizite Sparkomponente anwendbar. Nicht nur im deutschen Sprachraum ist es üblich, Ablebens- und Krankenversicherungen zu – von Inflationsanpassungen abgesehen – gleichbleibenden Prämien anzubieten. Da das Ablebens- und das Krankheitsrisiko mit zunehmendem Alter anwachsen, führt dieses Produktkonzept zu anfänglich überhöhten und später zu niedrigen Prämien. Der Ausgleich erfolgt über die Anlage und den Verbrauch der über die Bedarfsprämien hinausgehenden Prämienteile (sowie der daraus erwirtschafteten Anlageerträge); sie finden ihren Niederschlag in der Dek___________ 7 Vgl. Karten (1986), S. 290; Eszler (1998), S. 248; Karten (1998), S. 52; Hesberg / Karten (1999a), S. 5, bzw. Hesberg / Karten (1999b), S. 174; Rehberg (2003), S. 413.
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kungsrückstellung, die in der Krankenversicherung Alterungsrückstellung genannt wird. Die rückgestellten Beträge wachsen nicht bis zum Tod bzw. Vertragsablauf an, sondern werden planmäßig noch während der Vertragslaufzeit aufgebraucht. Die Sparkomponente läßt sich aus diesen Verträgen nicht herauslösen; es handelt sich nicht um eine explizite, sondern um eine implizite Sparkomponente. Die aufgezeigte Kapitalbildung ist mit der Kranken- und der reinen Risikolebensversicherung verbunden, wenn statt der jährlich steigenden risikoadäquaten Prämien Durchschnittsprämien erhoben werden; es erscheint daher mißverständlich, nur die Ab- und Erlebensversicherung als „kapitalbildende“ Versicherung zu bezeichnen, wie es häufig geschieht. Die Vereinbarung von Durchschnittsprämien anstelle von Prämien, die dem steigenden Risiko Rechnung tragen, mag gute Gründe haben, ist aber keineswegs zwingend. Der dadurch ausgelöste Spar- und (anschließende) Entsparprozeß ist demnach dem Risikogeschäft nicht immanent; dieses könnte ebenso mit jährlich steigenden Prämien betrieben werden. Auch in diesem Fall entfiele freilich keineswegs jegliche Kapitalanlage, weil der Zeitraum zwischen Prämieneingang und Erledigung der Versicherungsfälle davon unberührt bliebe. Da es sich bei dem dargestellten Spar- und Entsparprozeß, der dem Risikogeschäft nicht immanent ist, – wie erwähnt – um keine explizite (trennbare) Sparkomponente handelt, muß er nach dem in Rede stehenden System der Prämientrennung dem Risikogeschäft zugeordnet werden. Dieses Geschäft umfaßt demnach auch einen Bereich der Kapitalanlage, der – im Gegensatz zur unvermeidbaren Kapitalanlage wegen der zeitlichen Diskrepanz zwischen Prämieneingängen und Schadenvergütungen – vermeidbar ist, also nach dem Konzept der Prämientrennungstheorie nicht zum Risikogeschäft gehört bzw. gehören dürfte.
III. Die Untrennbarkeit von Dienstleistungs- und Risikogeschäft Auch wenn dies manche Kritiker des eingangs erörterten Gesetzentwurfs anders sehen,8 bezieht er sich nicht nur auf die Kapitallebensversicherung, sondern ebenso auf Versicherungen ohne explizite Sparkomponente. Unabhängig vom (beabsichtigten) Anwendungsbereich des Gesetzentwurfs gilt dies jedenfalls für die Prämientrennungstheorie. Sie sollte sich umso einfacher umsetzen lassen, umso weniger – explizite oder implizite – Sparkomponenten ein Versicherungsvertrag umfaßt. Im folgenden werden deshalb Versicherungsverträge betrachtet, bei denen die Kapitalanlage auf das unvermeidbare, immanente ___________ 8
Vgl. Hesberg (1998), S. 123; Schmidt (1998), S. 55; Farny (1999b), S. 595; Winter (1999), S. 394; vgl. dagegen Lorenz (1997), S. 945, GDV (1998), S. 23, und Farny (2000), S. 566 f.
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Ausmaß beschränkt bleibt, das aus dem zeitlichen Auseinanderfallen von Prämien- und Schadenzahlungen resultiert. Damit sind typische Schadenversicherungsverträge angesprochen. Im Sinne der Ausführungen im vorigen Abschnitt geht es bei diesen Verträgen nicht darum, ein Spargeschäft herauszulösen; die Prämie enthält keinen gesondert zu behandelnden Sparanteil. Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß die im vorigen Abschnitt diskutierte Problematik der Abgrenzung zwischen Risikound Spargeschäft im Zusammenhang mit der unvermeidbaren Kapitalanlage in sehr ähnlicher Weise auch die Abgrenzung zwischen Dienstleistungs- und Spargeschäft betrifft, die im vorigen Abschnitt entsprechend seiner Themenstellung nicht erörtert worden ist. Auch zur Deckung von Abschluß-, laufenden Betriebs- und ähnlichen Kosten bestimmte Prämienteile müssen für einen bestimmten Zeitraum angelegt werden. Dieser Zeitraum ist freilich wesentlich kürzer als jener, der bis zur Schadenvergütung verstreicht; eine Vorfinanzierung von Ausgaben im Zusammenhang mit dem Abschluß von Versicherungsverträgen, die bei der Kapitallebensversicherung oft erforderlich ist, dürfte im Bereich der Schadenversicherung nur ausnahmsweise vorkommen. Soweit Prämieneinnahmen nicht sofort für Ausgaben im Zusammenhang mit dem Versicherungsabschluß, für andere Ausgaben des Dienstleistungsbereichs oder für Schadenzahlungen verwendet werden, läßt sich grundsätzlich nicht feststellen, zu welchen Teilen sie im jeweiligen konkreten Einzelfall für spätere Ausgaben des Dienstleistungsbereichs und für spätere Schadenzahlungen angelegt werden. Daraus ergibt sich ein Abgrenzungsproblem zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft. Dieses Abgrenzungsproblem soll nicht weiter diskutiert werden, weil es sich im Zweifel durch Festlegungen entsprechend den in die Prämienkalkulation eingehenden Teilbeträgen lösen läßt, wenngleich diese Festlegungen unbefriedigend sein mögen. Noch wesentlich einfacher gestaltet sich die Grenzziehung zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft bei Vergütungen, die das Versicherungsunternehmen für die Risikogestionierung erhält. Sie können als Aufwand im Risikobereich und zugleich als Ertrag im Dienstleistungsbereich erfaßt werden. Nicht so einfach zuordnen lassen sich demgegenüber die Aufwendungen für die Risikogestionierung. Dies gilt auch dann, wenn die Rückversicherung zunächst außer Betracht gelassen wird (sie bildet den Gegenstand des nächsten Abschnitts). Während an Dritte fließende Ausgaben, etwa zur Schadenverhütung, kaum Zuordnungsprobleme aufwerfen, ist dies anders, soweit Leistungen von Mitarbeiter(inne)n des Versicherungsunternehmens in diesem gehörenden Räumen bzw. Gebäuden unter Nutzung der damit verbundenen Infrastruktur erbracht werden. Auch wenn es sich um von anderen Unternehmen vertraglich überlassene Mitarbeiter(innen), gemietete Räume und geleaste Büromöbel, Computer, Telekommunikationsanlagen und Fahrzeuge handelt, liegt die gleiche Problemstruktur vor. Sofern auch nur ein kleiner Teil der auf diese Weise erbrachten
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Leistungen dem Risikogeschäft zugeordnet werden soll, existiert für die Zuordnung keine befriedigende Lösung. Diese Aussage beruht auf der Tatsache, daß sich sog. fixe Gemeinkosten nicht verursachungsgerecht schlüsseln, sondern willkürfrei nur solchen Bezugsobjekten zurechnen lassen, die Entscheidungen über das Anfallen oder Nichtanfallen der betreffenden Kosten abbilden; und dies gilt ebenso für die diesen Kosten entsprechenden Aufwendungen und Ausgaben. Will man eine verursachungsgerechte Belastung der einzelnen Geschäftsbereiche erreichen, muß ein weiterer (fiktiver) Geschäftsbereich gebildet werden, etwa mit der Bezeichnung „Versicherungsunternehmen als Ganzes“ oder „Nicht aufteilbare Aufwendungen“ (der Begriff „Aufwendungen“ wird in der Annahme gewählt, daß eine Verknüpfung mit dem externen Rechnungswesen als wünschenswert angesehen wird). Da die Prämientrennungstheorie einen solchen Bereich nicht vorsieht, gibt es in ihrem Rahmen nur eine Möglichkeit, willkürbehaftete Ergebnisse zu vermeiden: Alle vom Versicherungsunternehmen erbrachten Leistungen im Sinne der Umschreibung im vorigen Absatz müssen ungeteilt einem Geschäftsbereich zugeordnet werden. Dies erscheint auf den ersten Blick keineswegs ausgeschlossen, zumal wenn nur Versicherungen ohne explizite Sparkomponente betrachtet werden, und es bietet sich dafür das Dienstleistungsgeschäft an. Der soeben erwähnte erste Blick ist in der Literatur bisher kaum vertieft worden. Es werden zwar die Zuordnungs- und Schlüsselungsprobleme gesehen, die bei Versicherungsunternehmen im internen und im externen Rechnungswesen bereits unabhängig von der Prämientrennungstheorie bestehen,9 und es wird festgestellt, daß die Prämientrennung die Zuordnungsprobleme mit den daraus resultierenden Ermessensspielräumen „nicht aufheben, sondern lediglich deren Handhabung artifizieller machen“ kann.10 Auf die spezielle Problematik der Aufwendungen bzw. Kosten für die Abwicklung der Versicherungsfälle (einschließlich der Abwehr unberechtigter Ansprüche in der Haftpflichtversicherung) wird jedoch nur mit der Bemerkung hingewiesen, die Abgrenzung zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft sei schwierig, weil die betreffenden „Personal- und Sachkosten ... betriebswirtschaftlich meist den Betriebskosten zugeordnet“ würden, „selbst wenn die Rechnungslegungsvorschriften die Zuordnung zu den Schäden verlangen“.11 Die Abgrenzung zwischen Dienstlei___________ 9 Vgl. Hölscher (1996), insbesondere S. 68 und S. 69 f.; Altenburger (1996), insbesondere S. 16 f. und S. 19 f. Die zuletzt angeführte Quelle betrifft die österreichische Rechtslage; nach deutschem Recht ergeben sich jedoch weitgehend die gleichen Probleme, vgl. Rockel et al. (2005), S. 221 f. 10 Hesberg (1998), S. 133 (vgl. dazu S. 132 – 134), und Hesberg / Karten (1999a), S. 8; sinngemäß gleich Hesberg / Karten (1999b), S. 179. 11 Vgl. Eszler (1998), S. 243; das Zitat entstammt gemäß der zugehörigen Fußnote einem Brief von Dieter Farny.
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stungs- und Risikogeschäft wird aber im Zusammenhang mit den Aufwendungen bzw. Kosten für die Abwicklung der Versicherungsfälle wesentlich grundlegender erschwert. Nicht nur wegen der bestehenden Rechnungslegungsvorschriften (die bei einer Einführung der Prämientrennung ergänzt bzw. modifiziert werden müßten), sondern aus folgendem Grund ist die Zuordnung der Aufwendungen bzw. Kosten für die Abwicklung der Versicherungsfälle zum Risikogeschäft unabdingbar:12 Diese Aufwendungen stehen grundsätzlich in einem substitutiven Verhältnis zum Umfang der Zahlungen für Versicherungsfälle. Würden sie in einem anderen Rechnungskreis verrechnet als diese Zahlungen, wären die Ergebnisse beider Rechnungskreise (hier Dienstleistungs- und Risikogeschäft) nicht sinnvoll interpretierbar. Besonders deutlich wird dies in der Rechtsschutz- und in der Haftpflichtversicherung; die „beste“ Schadenerledigung besteht darin, die von Dritten erhobenen Ansprüche in möglichst geringem Umfang zu erfüllen, solange nicht die dazu erforderliche genaue Prüfung der Anspruchsgründe und die um deren Berechtigung zu führenden Auseinandersetzungen teurer sind als die Befriedigung der Ansprüche, wobei es nicht nur auf den einzelnen Anspruch, sondern auch auf Anreiz- und Folgewirkungen ankommt. Das Grundproblem besteht aber auch bei Versicherungszweigen, in denen Ansprüche Dritter keine Rolle spielen, und auch dann, wenn durch eine genauere Schadenbearbeitung nur genau jener Betrag eingespart wird, um den die Schadenzahlungen ohne diese genauere Bearbeitung höher wären. Wenn das Versicherungsunternehmen A, das bei gleichen Gesamtaufwendungen höhere Schadenzahlungen leistet, ein besseres Dienstleistungs- und ein schlechteres Risikoergebnis auszuweisen hätte als das Versicherungsunternehmen B, das das gleiche Gesamtergebnis mit höheren Schadenbearbeitungsaufwendungen und niedrigeren Schadenzahlungen erzielt, entstünde ein völlig falscher Eindruck vom Prämienbedarf zur Deckung der eintretenden Versicherungsfälle. Freilich leidet die Aussagefähigkeit des Ergebnisses des Risikogeschäfts bei Einbeziehung der Aufwendungen für die Abwicklung der Versicherungsfälle wegen der vorhin dargelegten Zuordnungs- bzw. Schlüsselungsprobleme. Will man diese vermeiden, muß die Bearbeitung der Versicherungsfälle dem Dienstleistungsgeschäft zugeordnet werden. Da dies, wie dargelegt, die Aussagekraft der Ergebnisse des Dienstleistungs- und des Risikogeschäfts schwer beeinträchtigt, gibt es nur einen Ausweg aus diesem Dilemma: den Verzicht auf die Trennung zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft. Aufgrund dieses Zwischenergebnisses stellt sich die Frage, ob wenigstens explizite Sparkomponenten relativ problemlos getrennt von einem gemeinsa___________ 12 Weniger dezidiert für diese Zuordnung (ohne Begründung): Adams (1999a), S. 113; Adams (1999b), S. 29. Gegen diese Festlegung: Rehberg (2003), S. 408.
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men Dienstleistungs- und Risikobereich behandelt werden können. Dies setzt jedenfalls eine Zuordnung der Kapitalanlagetätigkeit, d.h. der einschlägigen Management- und Verwaltungsleistungen, zum Dienstleistungs- und Risikobereich voraus; anderenfalls bestünde das für die Abgrenzung zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft erörterte unlösbare Zuordnungs- bzw. Schlüsselungsproblem bei der Abgrenzung zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft einerseits und Spargeschäft andererseits. Auch wenn die Zuordnung von Kernleistungen des Spargeschäfts zum Dienstleistungs- und Risikogeschäft eigenartig anmutet, dürfte es sich um die einzige Möglichkeit handeln, die Prämientrennungstheorie sinnvoll anzuwenden, d.h. ohne Zwang zu mehr oder weniger willkürlichen Schlüsselungen, die sowohl die Nachvollziehbarkeit als auch die Aussagefähigkeit der errechneten Ergebnisse schwer beeinträchtigen. Damit die Kapitalanlagetätigkeit nicht kostenlos erscheint, müßten – wie auch immer bestimmte – Entgelte dafür dem Dienstleistungs- und Risikobereich gutgeschrieben und dem Sparbereich angelastet werden.
IV. Rückversicherung und Prämientrennung Im Hinblick auf die große Bedeutung der Rückversicherung für die Funktionsfähigkeit der Versicherung ist es erstaunlich, daß die Vertreter der Prämientrennungstheorie sie entweder gar nicht erwähnen bzw. behandeln13 oder hauptsächlich unter dem Aspekt der „Gewinnverschiebungen“ sehen,14 und ebenso erstaunlich, daß sie die Kritiker dieser Theorie ebenfalls – wenn überhaupt – nur kurz erwähnen;15 ausnahmsweise finden sich Überlegungen zur Frage, wie die Rückversicherung in die Prämientrennungstheorie „eingebaut“ werden könnte.16 Diese Frage ist zwar für die Umsetzbarkeit dieser Theorie von entscheidender Bedeutung, soll aber dennoch im vorliegenden Beitrag nicht diskutiert werden, weil die Rückversicherungsabgabe noch andere, im Schrifttum bisher offensichtlich nicht angesprochene Schwierigkeiten bereitet. Zunächst ist auf das im vorigen Abschnitt erörterte Zuordnungs- bzw. Schlüsselungsproblem hinzuweisen, das für die Kosten bzw. Aufwendungen für den Abschluß von Verträgen über Rückversicherungsabgaben und deren laufende Bearbeitung in gleicher Weise gilt wie für alle anderen Tätigkeitsbereiche. Würden im Sinne der Argumentation im vorigen Abschnitt Dienstleistungs- und Risikogeschäft gemeinsam abgerechnet, könnten die ___________ 13 Vgl. die in Fn. 3 angeführten Quellen; Lehmann (1997), insbesondere S. 181; Schünemann (2001), S. 869, auch S. 875. Rehberg (2003) geht offenbar von einer eigenen Rückversicherungskonzeption aus; vgl. S. 408 f. und S. 413 f. 14 Rückle (2004a), S. 103. 15 Vgl. Hesberg / Karten (1999a), S. 7, bzw. Hesberg / Karten (1999b), S. 177. 16 Vgl. Eszler (1998), S. 241 – 243.
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Auswirkungen des Problems gering gehalten werden, solange das (gesondert abgerechnete) Spargeschäft von der Rückversicherung unberührt bleibt. Diese Voraussetzung kann zwar im Einzelfall erfüllt sein, bildet jedoch keineswegs den Normalfall. Viele Rückversicherungsverträge sehen Depots vor, die der Vorversicherer von Abrechnung zu Abrechnung einbehält. Wenn eine Verzinsung der Depots vereinbart wird, erreicht sie kaum das Marktzinsniveau. Das Kapitalanlageergebnis wird demnach durch die Rückversicherung unmittelbar beeinflußt, wobei zu berücksichtigen ist, daß der vom Vorversicherer in der Regel erzielte Mehrertrag Eingang in die Nutzenvorstellungen beider Partner des Rückversicherungsvertrages findet und sich demzufolge auf dessen übrige Konditionen auswirkt. Noch schwieriger wird die Abgrenzung zwischen Risiko- und Spargeschäft, wenn der Rückversicherungsvertrag eine unmittelbare Beteiligung des Rückversicherers bzw. der Rückversicherer an den OriginalKapitalanlageerträgen des Erstversicherers, eventuell gekürzt um zugehörige Aufwendungen, vorsieht. Dies kommt bei der proportionalen Rückversicherung vor und besitzt unmittelbare Relevanz für die korrekte Behandlung der Kapitallebensversicherung und anderer Versicherungen mit einer expliziten Sparkomponente. Es gibt auch proportionale Rückversicherungsverträge, in denen eine Beteiligung des Rückversicherers bzw. der Rückversicherer an den „Originalkosten“ des Erstversicherers vereinbart wird, in der Regel verbunden mit Vereinbarungen zu deren Ermittlung. In diesem Fall erstreckt sich die Rückversicherung ausdrücklich auch auf das Dienstleistungsgeschäft im Sinne der Prämientrennungstheorie, kann also nicht allein dem Risikogeschäft zugeordnet werden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Rückversicherungsabgabe die Anwendung der Prämientrennungstheorie verhindert, es sei denn, sie bleibt auf ganz bestimmte Vertragsgestaltungen beschränkt oder findet gar nicht statt. Letzteres ist nur bei relativ kleinen Risiken bzw. bei einem reinen Umlageverfahren denkbar, ersteres unrealistisch, weil die Rückversicherungsmärkte weltweit funktionieren, oder möglicherweise wirtschaftlich nachteilig; wer z.B. auf die Einbehaltung von Depots verzichtet, muß sein größeres Risiko in die Verhandlungen über die anderen Konditionen des Rückversicherungsvertrages einfließen lassen.
V. Zusammenfassung und Schlußbemerkungen Sowohl die Abgrenzung zwischen Dienstleistungs- und Risikogeschäft als auch die Abgrenzung zwischen Risiko- und Spargeschäft, wenn ein solches vorliegt, erweisen sich als unmöglich; zu diesem Ergebnis trägt die Rückversicherung maßgeblich bei. Ungeachtet aller Argumente zu den Vor- und Nachteilen der Prämientrennung ist sie undurchführbar.
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Dieses Ergebnis mag man erfreulich finden oder bedauern. Sein Stellenwert darf jedoch nicht überschätzt werden. Die Untrennbarkeit der Geschäfte verhindert z.B. nicht die Bekanntgabe kalkulatorischer Prämienbestandteile; bei deren Für und Wider handelt es sich um eine gesonderte Thematik. Aus dem angeführten Ergebnis läßt sich auch nicht ableiten, daß es bei der Kapitallebensversicherung oder anderen langfristigen Versicherungen im allgemeinen oder im Hinblick auf die Gewinn- bzw. Überschußbeteiligung der Versicherungsnehmer im besonderen keinen Reformbedarf gebe. Aufgrund der beiden einschlägigen Urteile des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 200517 muß der deutsche Gesetzgeber in diesem Bereich bis zum 31. Dezember 2007 aktiv werden. Es ist zu hoffen, daß er dabei auch auf die im vorliegenden Beitrag aufgezeigten versicherungstechnischen und betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge Bedacht nimmt.
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___________ 17 1 BvR 80/95 sowie 1 BvR 782/94, 1 BvR 957/96. In der mündlichen Verhandlung zu diesen Verfahren sind Dieter Rückle und drei weitere Professoren, darunter der Verfasser des vorliegenden Beitrags, als Sachverständige gehört worden. Vgl. zu diesen Urteilen den Aufsatz von Astrid Wallrabenstein, der Bevollmächtigten der Beschwerdeführer(innen), in diesem Band.
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Die Laufzeit von Versicherungsverträgen als rechtsökonomisches Problem Von Jürgen Basedow
I. Einleitung Nach Jahrzehnten relativer Ruhe in der Folge des Zweiten Weltkriegs ist das Versicherungsvertragsrecht in vielen europäischen Ländern seit Mitte der siebziger Jahre in Bewegung geraten. Umfangreiche Novellierungen oder gar neue Gesamtkodifikationen in zahlreichen europäischen Ländern belegen dies und zeigen, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang Überlegungen des Verbraucherschutzes gespielt haben.1 Gescheitert ist freilich in den achtziger Jahren der Versuch der Europäischen Gemeinschaft, die zwingenden Standards des Konsumentenschutzes in den Ländern der Gemeinschaft zu harmonisieren.2 Dies hat die Aktivitäten nationaler Gesetzgeber aber nicht gebremst. Noch aus dem letzten Jahrzehnt sind umfassende Gesetze zum Versicherungsvertragsrecht aus Finnland3, den Niederlanden4, Liechtenstein5 und Schweden6 zu verzeichnen. In Deutschland soll in der 16. Legislaturperiode des Bundestages (2005 – 2009) ein völlig neues Versicherungsvertragsgesetz beraten und verabschiedet werden, nachdem eine Sachverständigenkommission in den Jahren ___________ 1 Basedow / Fock (2002 / 2003) mit Länderberichten für die 15 „alten“ Mitgliedsstaaten sowie die Schweiz. 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung vom 28.7.1979 (ABl. EG 1979, Nr. C 190, S. 2); geänderter Vorschlag vom 31.12.1980 (ABl. EG 1980, Nr. C 355, S. 30); Rücknahme des Vorschlags durch die Kommission vom 24.8.1993 (ABl. EG 1993, Nr. C 228, S. 4, 14). 3 Lag om försäkringsavtal Nr. 543 vom 28.6.1994 (Finlands Författningssamling 1994, 1450). 4 Zur Zeit (August 2005) berät das niederländische Parlament über die Einführung von Titel 7.17 des Neuen Bürgerlichen Gesetzbuches, vgl. Tweede Kamer der Staten Generaal, Vergaderjaar 2004 – 2005, Dokument Nr. 30137 (Invoeringswet titel 7.17 en titel 7.18 Burgerlijk Wetboek). 5 Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 16.5.2001 (Liechtensteinisches Landesgesetzblatt 2001 Nr. 128). 6 Försäkringsavtalslag vom 10.3.2005 (Svensk Författningssamling 2005:104).
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2000 – 2004 einen detaillierten Entwurf ausgearbeitet hat.7 Auch in der Europäischen Gemeinschaft wird ein neuer Versuch zur Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts für den Bereich der kleinen und mittleren Risiken erwogen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss hat im Dezember 2004 die Kommission zu einer entsprechenden Initiative aufgefordert,8 und die Kommission hat in einem Dokument vom Oktober 2004 vorgeschlagen, Regeln über den Versicherungsvertrag mit in einen sog. Gemeinsamen Referenzrahmen aufzunehmen, der das Vertragsrecht insgesamt und vor allem das allgemeine Vertragsrecht abbilden soll.9 Hintergrund dieser Bestrebungen sind die Bemühungen einer Europäischen Wissenschaftlergruppe, der Projektgruppe „Restatement of European Insurance Contract Law“, die seit 1999 an dem Entwurf für ein europäisches Versicherungsvertragsgesetz arbeitet.10 Ein wesentliches Motiv für die Bemühungen der europäischen Instanzen und Wissenschaftler ist die Feststellung, dass der Versicherungsbinnenmarkt bis auf den heutigen Tag nicht vollendet ist.11 Zwar können Versicherer im Bereich der Großrisiken ihre Policen in allen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft frei anbieten und über die vertragliche Wahl des eigenen Rechts auch ein einheitliches Rechtsregime für einen gesamteuropäischen Risikopool vereinbaren. Bei den kleinen und mittleren Risiken lassen die geltenden europäischen Richtlinien eine solche Rechtswahl aber nur ausnahmsweise zu; im Regelfall gilt das Recht des Versicherungsnehmers.12 Wer als Versicherer z.B. über das Internet Kunden in verschiedenen Mitgliedsstaaten akquirieren will, muss seine Police also an die – vielfach zwingenden – Bestimmungen des Rechts des jeweiligen Versicherungsnehmers anpassen. In der Praxis ist dies höchst aufwendig und oft ganz unmöglich. Die Harmonisierung des zwingenden Versicherungsvertragsrechts in den Mitgliedsstaaten eröffnet daher einen Weg zur europaweiten ___________ 7 Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.4.2004; http://www.bmj.de/media/archive/647.pdf, Download 21.9.2005. 8 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zum Thema „Europäischer Versicherungsvertrag“ (INT/2002), Dok. CES 1626/2004 vom 15.12.2004; dazu Heiss (2005), S. 1 – 4. 9 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen, KOM (2004) 651 endg. vom 11.10.2004, S. 17. 10 Dazu näher Heiss (2005), S. 1 – 4. 11 Siehe näher: Basedow (2000), S. 13, 17 – 19; ders. (2005), S. 1, 6 mit Hinweis auf entsprechende Einschätzungen der Europäischen Kommission. 12 Siehe Art. 7, Zweite Richtlinie 88/357/EWG vom 22.6.1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (ABl. EG 1988, Nr. L 172, S. 1); Art. 32, Richtlinie 2002/83/EG vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen (ABl. EG 2002, Nr. L 345, S. 1).
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Vermarktung von Versicherungsschutz und umgekehrt für die Verbraucher indirekt die Wahl zwischen Versicherern aus verschiedenen Ländern. Zu einer zentralen Frage der Gesetzgebung hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte auf nationaler und europäischer Ebene die Frage entwickelt, wie lang die Laufzeiten von Versicherungsverträgen sein sollen. Zwingende rechtliche Vorgaben hierzu sind in vielen europäischen Ländern aufzufinden (unten II.), ein durchaus erstaunlicher Befund, wenn man bedenkt, dass Vertragslaufzeiten auf den meisten Märkten von den Parteien frei vereinbart werden können. Die Überlegungen, die die Sonderstellung des Versicherungsvertragsrechts erklären und einer künftigen europäischen Gesetzgebung den Weg weisen können, sind zu einem erheblichen Teil ökonomischer Art und werden Dieter Rückle, dem dieser Artikel in langjähriger kollegialer Verbundenheit gewidmet ist, hoffentlich interessieren. Sie betreffen das partielle Marktversagen auf Versicherungsmärkten (unten III.), die Bedeutung der Vertragslaufzeit für den Vertrieb von Versicherungsleistungen (unten IV.) und ihre Relevanz für den Wettbewerb (unten V.).
II. Rechtsvergleichender Überblick Die Laufzeit des Versicherungsvertrages kennzeichnet die Periode zwischen dem Beginn und dem Ende der vertraglichen Bindung für die Vertragsparteien. Sie ist zu unterscheiden von den verwandten Begriffen der Versicherungsperiode und der Deckungsperiode. Mit der Versicherungsperiode ist die Zeitspanne gemeint, die als Grundlage der aktuarischen Prämienberechnung dient und für die folglich die Prämie geschuldet wird; dies ist auch bei längerfristigen Verträgen oft der Zeitraum eines Jahres. Die Deckungsperiode ist die Zeitspanne zwischen dem Beginn und dem Ende der Haftung des Versicherers, die je nach Absprache der Parteien schon vor der eigentlichen Vertragsbindung einsetzen kann (vorläufige Deckung) oder auch erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnt; so wird bei einer Bauwesenversicherung in der Regel der Baubeginn als Beginn der Deckungsperiode vereinbart.
1. Überkurze und überlange Laufzeiten Hier geht es im Folgenden um die Dauer der vertraglichen Bindung. Die so verstandene Vertragslaufzeit ist in den meisten Rechtsbereichen Gegenstand vertraglicher Einigung der Parteien. Da die Versicherungsunternehmen hinsichtlich der Vertragsbedingungen aber über eine Formulierungsprärogative verfügen, ergibt sich die Gefahr einer allzu einseitigen Durchsetzung ihrer Interessen zu Lasten der Versicherungsnehmer.
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Die Rechtsvergleichung weist dabei auf zwei Problembereiche hin: In den USA zeigt sich eine gewisse Tendenz zu sehr kurzen Vertragslaufzeiten, die bei der Hauseigentümerversicherung zum Teil nur noch ein Jahr und bei der Kraftfahrtversicherung vereinzelt sogar nur drei Monate betragen. Die Versicherungsunternehmen wollen sich auf diese Weise ein Höchstmaß an Flexibilität bei der Prämiengestaltung sichern. Wenn sich ihre Geldanlagen an den Kapitalmärkten auf Grund von Zins- und Renditeschwankungen als nicht so profitabel wie erwartet erweisen, können sich Engpässe bei der Finanzierung der geschuldeten Versicherungsleistungen ergeben. Kurze Vertragslaufzeiten erlauben es den Unternehmen, die Prämien in solchen Situationen in kurzen Abständen zu erhöhen und damit den Rückgang der Renditen auf den Kapitalmärkten auszugleichen.13 Um die Verlässlichkeit des Versicherungsschutzes zu gewährleisten, haben einzelne Bundesstaaten der USA Gesetze über Mindestlaufzeiten von Versicherungspolicen erlassen.14 In Europa lassen sich ähnliche Praktiken der Versicherungsunternehmen nicht feststellen. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass Vertragslaufzeiten von weniger als einem Jahr auch nur angestrebt werden. Wo der Versicherungsvertrieb wie in Großbritannien oder in Spanien im Wesentlichen in den Händen unabhängiger Vermittler (Makler) liegt, haben sich in der Praxis Jahresverträge durchgesetzt.15 Sie entsprechen den Belangen der Makler, die im Allgemeinen maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Verträge haben. Die alljährliche Erneuerung räumt ihnen eine erhebliche Verhandlungsmacht gegenüber den Versicherungsunternehmen ein. In den meisten europäischen Ländern werden Versicherungspolicen für kleine und mittlere Risiken dagegen auf andere Weise vermarktet. Hier steht das Interesse der Versicherungsunternehmen an einer möglichst langfristigen Bindung der Kunden im Vordergrund. Nur so lassen sich die zahlreichen gesetzlichen Regelungen erklären, welche die Dauer der Bindung auf die eine oder andere Weise begrenzen.
2. Laufzeitbegrenzung oder Kündigungsrecht Die nationalen Gesetze unterscheiden sich dabei nicht nur hinsichtlich der effektiven Länge der zulässigen Höchstbindungsdauer, sondern auch in der rechtstechnischen Ausgestaltung und dem Anwendungsbereich der Regelungen. So legt der Gesetzgeber in manchen Mitgliedsstaaten die Höchstlaufzeiten als solche fest mit der Folge, dass Vereinbarungen über längere Vertragslauf___________ 13
Kühnle (1988), S. 29. Nachweise bei Kühnle (1988), S. 31. 15 Siehe für Spanien Polster (1988), S. 136 mit Hinweis auf spanische Quellen; für Großbritannien Clarke (2002), S. 356. 14
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zeiten rechtswidrig und unwirksam sind; ob dies dann zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führt, wird in den versicherungsvertragsrechtlichen Gesetzen nicht geregelt und ist nach allgemeinem Vertragsrecht zu beurteilen. Regelungen dieser Art finden sich etwa in Belgien16, in Spanien17 und in Schweden18. Mit dem Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit geht freilich weder notwendig der Versicherungsschutz verloren noch tritt ein vertragsloser Zustand ein. Dafür wäre nach der belgischen und schwedischen Regelung eine ausdrückliche Kündigung erforderlich. Bleibt sie aus, so kommt es zu einer Erneuerung des Vertrages, die jedoch in Wirklichkeit eine Fortsetzung des früheren Vertrages ist.19 Nach spanischem Recht wird der Vertrag nur verlängert, wenn dies in einer seiner Klauseln ausdrücklich vereinbart worden ist.20 Nach einem anderen Modell wird die vertragliche Laufzeitvereinbarung im Grundsatz respektiert, nach Ablauf einer näher bestimmten Vertragsdauer den Kunden aber ein unabdingbares Kündigungsrecht eingeräumt. So sehen es etwa die Gesetze in Frankreich21, in Italien22, in Deutschland23 und in Österreich vor.24 Beide Regelungstypen sind insofern funktional äquivalent, als jedenfalls unabhängig von den vertraglichen Vereinbarungen nach Ablauf einer bestimmten Frist die Möglichkeit zur Lösung vom Vertrag geschaffen wird.
3. Maximale Bindungsdauer Die maximalen Bindungsfristen fallen aber in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich aus. Während Italien und Spanien immer noch Zehnjahresverträge zulassen25, offenbaren die seit Anfang der neunziger Jahre erlassenen Gesetze eine breite rechtsvergleichende Tendenz hin zu kürzeren Vertragsbindungen. Schon der gescheiterte EG-Entwurf von 1979 hatte dem Versicherungsnehmer ___________ 16 Art. 30 § 1 des Wet van 25.6.1992 op de landverzekeringsovereenkomst (Belgisch Staatsblad vom 20.8.1992). 17 Art. 22 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes Nr. 50/1980 vom 8.10.1980 (Boletȓn Oficial del Estado Nr. 250 vom 17.10.1980). 18 Siehe für die Schadensversicherung von Verbrauchern: 3 kap. 2 § Abs. 1 des Gesetzes, oben Fn. 6. 19 So für Schweden ausdrücklich 3 kap. 4 §; für Belgien Fontaine (1996), S. 188 Rz. 331. 20 Hernandez Martí (2002), S. 323. 21 Vgl. Art. L 113-12 Abs.1 Satz 2 Code des Assurances (Loi Nr. 89-1014 vom 31.12.1989). 22 Art. 1899 Abs. 1 Satz 2 Codice civile (Regio Decreto Nr. 262 vom 16.3.1942). 23 § 8 Abs. 3 Satz 1 Gesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) vom 30.5.1908 (RGBl. 1908, S. 263), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.12.2004 (BGBl. I, S. 3102). 24 § 8 Abs. 3 Satz 1 VVG. 25 Art. 10 Abs. 3 lit. c) des Vorschlags, oben Fn. 2.
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zum Ende des dritten Vertragsjahres und jedes darauf folgenden Jahres ein unabdingbares Kündigungsrecht gewährt.26 Die Dreijahresfrist findet sich auch in Österreich27 sowie in dem Entwurf der Deutschen Sachverständigenkommission28, während das deutsche Recht bisher eine Fünfjahresfrist vorsah. Andere kontinentale Rechtsordnungen wie Schweden29, Frankreich30 und Belgien31 sind dagegen schon in den neunziger Jahren zu Einjahresverträgen übergegangen. Finnland erlaubt dem Versicherungsnehmer die Kündigung sogar jederzeit32, also auch schon vor Ende des ersten Jahres.
4. Anwendungsbereich Erhebliche Unterschiede weisen diese Regelungen auch in Bezug auf ihren jeweiligen Anwendungsbereich auf. Übereinstimmung besteht insofern, als die fraglichen Vorschriften im Allgemeinen keine Anwendung auf die Personenversicherung, also die Lebens- und Krankenversicherung finden.33 Im Übrigen lassen die verschiedenen Bestimmungen zwar erkennen, dass der Schutz des Versicherungsnehmers vor überlangen Vertragslaufzeiten vor allem Verbrauchern zugute kommen soll, doch wird diese Absicht in jedem Mitgliedsstaat wieder etwas anders verwirklicht. Zur Kündigung befugt sind in Österreich nur Konsumenten, nicht aber sonstige Versicherungsnehmer. Auch das schwedische Gesetz begünstigt im Ergebnis nur den Verbraucher. Dagegen gilt die Höchstlaufzeit des belgischen Rechts grundsätzlich für alle Versicherungsverträge, doch sind durch Rechtsverordnung die wesentlichen kommerziellen Versicherungen ausgenommen, sodass sich der Schutzbereich letztlich auf die Versicherungen für private Zwecke reduziert, dies freilich im Wege einer negativen Selektion.34 Auch nach französischem Recht steht die Kündigung im Prinzip beiden Vertragsparteien und auch Versicherungsnehmern aller Art zu Gebote; ___________ 26
Art. 10 Abs. 3 lit. c) des Vorschlags, oben Fn. 2. § 8 Abs. 3 Satz 1 VVG. 28 § 11 Abs. 4 des Entwurfs, siehe den Abschlussbericht (Fn. 7) S. 202. 29 Siehe oben Fn. 18. 30 Art. L 113-12 Code des Assurances. 31 Art. 30 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes (Fn. 16). 32 § 12 des Gesetzes (Fn. 3), englische Übersetzung in Basedow / Fock (2002 / 2003); Band III, S. 130 – 149. 33 Vgl. etwa für Belgien Art. 30 § 1 Absatz 4 des Gesetzes (Fn. 16); für Deutschland § 8 Abs. 3 Satz 2 VVG; für Frankreich Art. L 113-12 Abs. 3 Code des Assurances; für Italien Art. 1899 Abs. 3 Codice civile ; die schwedischen Vorschriften (oben Fn. 18) sind nur auf die Schadensversicherung anwendbar; für Spanien: Art. 22 Abs. 3 des Gesetzes (Fn. 17). 34 Die Liste der ausgenommenen Versicherungszweige ist abgedruckt bei Fontaine (1996), S. 187 Rz. 329 mit Fn. 232. 27
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doch ist das Recht dazu abdingbar, soweit sich die Deckung auf andere als private Risiken bezieht.35 Ebenso kommen in Deutschland alle Versicherungsnehmer und nicht nur die Verbraucher in den Genuss des Kündigungsrechts nach fünf Jahren, doch ist diese Bestimmung wie auch alle anderen Regelungen des Versicherungsvertragsgesetzes nur zwingend, soweit es sich um andere als Großrisiken handelt.36
5. Resümee Dieser kurze Überblick mag hier genügen. Er zeigt einerseits, dass überall in Europa, wo nicht auf Grund der Marktgegebenheiten kurze Vertragslaufzeiten ohnehin üblich sind, Begrenzungen der Bindungsdauer durch die Gesetzgeber eingeführt wurden. Andererseits ergibt sich auch, dass nach der gegenwärtigen Rechtslage in verschiedenen Ländern nur Einjahrespolicen für eine europaweite Verwendung in Betracht kommen. Wenn ein Versicherungsunternehmen Policen mit längerer Laufzeit, die in seinem Sitzstaat anerkannt sind, in Ländern wie Belgien, Schweden oder Frankreich anbietet, setzt er sich zwei Risiken aus: Zum einen kann die Police je nach Versicherungssparte hinsichtlich der Laufzeitregelung oder sogar insgesamt nichtig sein, zum anderen kann sich eine Situation ergeben, in der zwar der Versicherungsnehmer sich jederzeit vom Vertrag lösen kann, das Versicherungsunternehmen dagegen an die stipulierte längere Vertragsdauer gebunden ist. Darin liegt eine offensichtliche Störung des Binnenmarkts. Sie ist umso eher zu bedauern, als die referierten nationalen Regelungen zu einem großen Teil erst in den letzten 25 Jahre erlassen wurden, zu einem Zeitpunkt also, als die Integration der Versicherungsmärkte im Bereich der eigentlichen Marktregulierungen schon begonnen hatte. Soll diese Störung des Binnenmarkts durch eine Harmonisierung der gesetzlichen Regelungen über Vertragslaufzeiten beseitigt werden, so empfiehlt sich zunächst eine Besinnung auf die ökonomischen Rahmenbedingungen. Sie können einerseits die Intervention des Staates durch zwingendes Recht als solche begründen, andererseits aber vielleicht auch nationale Divergenzen erklären und einen Beitrag zu einer künftigen Angleichung leisten.
___________ 35
Art. L 113-12 Abs. 2 Satz 3 Code des Assurances. Vgl. §§ 8 Abs. 3, 15a und 187 VVG sowie Art. 10 Abs. 1 Einführungsgesetz zu dem Gesetz über den Versicherungsvertrag (EGVVG) vom 30.5.1908 (RGBl. S. 305), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.2.2000 (BGBl. I S. 154). 36
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III. Partielles Marktversagen Der staatliche Eingriff in das Marktgeschehen, also der Erlass zwingender Rechtsvorschriften, wird im Allgemeinen dort für legitim oder sogar notwendig erachtet, wo die Marktabläufe aufgrund besonderer Eigenarten des betreffenden Wirtschaftszweigs keine effiziente Allokation der Ressourcen gewährleisten.37 Solche Situationen des „Marktversagens“ oder „Wettbewerbsversagens“ bestehen im Falle eines natürlichen Monopols und auch dann, wenn die fragliche wirtschaftliche Aktivität positive oder negative Externalitäten erzeugt, also Gewinne oder Verluste für Personen, die an der jeweiligen Transaktion gar nicht beteiligt sind. In der Versicherungswirtschaft spielen diese Phänomene keine Rolle. Hier sind jedoch zwei andere Formen des Marktversagens bedeutsam: die asymmetrische Information und Opportunismusgefahren.38 Darauf lassen sich letztlich auch die staatlichen Interventionen im Bereich der Laufzeit von Versicherungsverträgen zurückführen.
1. Asymmetrische Information Mehr als auf anderen Märkten ist auf Versicherungsmärkten der Umstand zu bedenken, dass eine der Vertragsparteien grundsätzlich mehr über die auszutauschende Leistung und die Bedingungen, unter denen sie erbracht wird, weiß als die andere. Der Versicherer kennt das übernommene Risiko im Allgemeinen nicht so gut wie der Versicherungsnehmer: Wie groß das Feuerrisiko oder die Einbruchsgefahr bei dem versicherten Einfamilienhaus ist, kann der Versicherungsnehmer im Allgemeinen viel besser einschätzen als der Versicherer, der nicht einmal durch eine eingehende Begutachtung des Versicherungsobjekts einen vergleichbaren Informationsstand erreicht. Auf der anderen Seite ist das Versicherungsunternehmen sehr viel eher als sein Kunde imstande, die eigene Leistungsfähigkeit im Versicherungsfall richtig einzuschätzen. Dieses doppelte Informationsgefälle gewinnt dadurch an Gewicht, dass es bei dem Versicherungsvertrag nicht lediglich um die Kenntnis der Vertragsparteien über die Verhältnisse bei Vertragsschluss geht, sondern um ein Dauerschuldverhältnis, bei dem sich die Rahmenbedingungen der jeweiligen Leistung im Zeitablauf verändern können. Das Versicherungsunternehmen ist bestrebt, die Unwägbarkeiten, die sich aus den Veränderungen des übernommenen Risikos und dem künftigen Verhalten des Versicherungsnehmers ergeben können, durch Vertragsbedingungen zu begrenzen. Dadurch erwächst dem Versiche___________ 37 Schmidt (2001), S. 35 – 42; Fritsch / Wein / Ewers (2003), S. 82 – 85; Basedow (2004), S. 3, 7 – 12; Knieps (2005), S. 11. 38 Deregulierungskommission (1991), Tz. 47 – 48; von der Schulenburg (2005), S. 255, 285 f., siehe auch S. 348 f.
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rungsnehmer ein zusätzliches Risiko, übervorteilt zu werden, siehe sogleich. Auf der anderen Seite steht dem Versicherungsnehmer im Allgemeinen keine entsprechende Möglichkeit zur Selbsthilfe zu Gebote, um das Risiko der Versichererinsolvenz einzudämmen; hier ist ein traditionelles Anwendungsfeld staatlicher Regulierung. Das Versicherungsaufsichtsrecht ist in erster Linie darauf ausgerichtet, die Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge zu gewährleisten. Die Möglichkeit der Versicherungsunternehmen, ihre eigenen Informationsdefizite hinsichtlich des übernommenen Risikos und des künftigen Verhaltens des Versicherers hinsichtlich der Schadensvorsorge durch vertragliche Absprachen zu limitieren, führt in der Versicherungspraxis bekanntlich zu überaus detaillierten Versicherungsbedingungen, die für eine Vielzahl gleichartiger Verträge im Voraus einseitig festgelegt sind. Hier kommt ein weiteres Informationsgefälle zum Tragen: Während der Versicherer die betreffenden Bedingungen vor dem Hintergrund reicher Erfahrungen selbst formuliert hat und ihre rechtliche Tragweite gut kennt, ist eine vergleichbare Kenntnis für den Versicherungsnehmer nur mit erheblichem Aufwand an Zeit, intellektueller Anstrengung und ggf. sogar kostspieliger Beratung erreichbar. Wie auch bei anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) handelt der Kunde/Versicherungsnehmer auch hier ökonomisch vernünftig, wenn er diesen hohen Aufwand bei Vertragsschluss nicht tätigt. Die damit ersparten Transaktionskosten würden sich in den seltensten Fällen rentieren: Erstens werden die Versicherer ohnehin nur aus einem kleinen Anteil aller Versicherungspolicen in Anspruch genommen; zweitens regeln die Allgemeinen Versicherungsbedingungen eine Fülle von disparaten Problemlagen, die sich auch im Versicherungsfall nur sehr selten ergeben und die deshalb vernünftigerweise auf den Abschluss eines Vertrages auch keinen Einfluss haben; drittens wären Verhandlungen über derlei marginale Fragen ihrerseits wiederum unökonomisch und würden fast nie zur Abänderung der Bedingungen führen. Es geht hierbei also gar nicht so sehr um eine wirtschaftliche oder sonstige Übermacht der Versicherungsunternehmen als Verwender von AGB, sondern um prohibitiv hohe Transaktionskosten, die es nahe legen, das einseitige Vertragsdiktat des AGB-Verwenders auch ungelesen zu akzeptieren.39 Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, wenn Versicherungsunternehmen im Interesse der Kundenbindung sehr lange Laufzeiten in die Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufnehmen, ohne den Widerspruch ihrer Kunden zu provozieren. Ein Indiz für die Effizienz, Angemessenheit oder Richtigkeit solcher Laufzeiten ist dies aus den geschilderten Gründen nicht. Es ist sogar eher anzunehmen, dass viele Versicherungsnehmer sich bei nüchterner Überlegung nicht auf längere Vertragslaufzeiten einlassen würden. Wer darüber nachdenkt, wird ___________ 39 Siehe schon Adams (1983); ferner Schäfer (2002); Basedow (2003), vor § 305 RdNr. 5 und § 307 RdNr. 36.
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häufig feststellen, dass er seine Versicherungsbedürfnisse für eine fernere Zukunft nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussagen kann, um sich für diese Zukunft zu binden. Nach aller Erfahrung verändern sich Versicherungsbedürfnisse zum Beispiel mit dem Wechsel von Arbeitsplatz oder Familienstand, mit einem Umzug oder Erbfällen. Warum sollte ein Versicherungsnehmer also einer fünfjährigen oder noch längeren Bindung zustimmen?
2. Opportunistisches Verhalten Eine weitere Ursache von Marktversagen auf Versicherungsmärkten ist die dort gegebene Gefahr opportunistischen Verhaltens. Längerfristige Verträge etablieren ein bestimmtes Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung, dem die Parteien bei Vertragsschluss zustimmen, sie können aber nicht für jedes später auftretende Problem eine Lösung vorwegnehmen. Je länger ein Vertrag andauert, desto eher werden sich ungeregelte Problemlagen ergeben, in denen jede Seite versucht, das anfängliche Interessengleichgewicht zu ihren Gunsten zu verändern. In Bezug auf Versicherungsverträge wird dieses opportunistische Verhalten im Allgemeinen unter dem Stichwort „moral hazard“ diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit genießt dabei das Verhalten des Versicherungsnehmers, der es in der Hand hat, durch eine Verminderung von Aufwendungen für die Schadensvorsorge die eigenen Kosten zu senken, ohne das Recht auf Versicherungsleistungen einzubüßen; dadurch verschiebt sich das vertragliche Gleichgewicht des Versicherungsvertrages zulasten des Versicherungsunternehmens. Opportunistisches Verhalten begegnet freilich ebenso auf Seiten des Versicherungsunternehmens, wenn beispielsweise die Schadensregulierung im Versicherungsfall verzögert oder durch allerlei Einreden eingeschränkt wird. Ein wichtiges Instrument zur Ermöglichung opportunistischen Verhaltens auf Seiten des Versicherers bilden dabei wiederum die Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Da sie faktisch eine einseitige und nicht voll konsentierte Ordnung für die Durchführung des Versicherungsvertrages darstellen, hat der Versicherer es in der Hand, seine eigene Leistungspflicht im Versicherungsfall dadurch einzuschränken, dass die Geltendmachung von Ansprüchen des Versicherungsnehmers von allerlei Voraussetzungen abhängig gemacht wird. In diese Richtung wirken beispielsweise Regelungen zur Form, zur Frist und zur Person des Adressaten von Schadensanzeigen, gestatten sie es doch dem Versicherer oftmals, Ansprüche mit der Begründung zurückzuweisen, sie seien in der falschen Form, verspätet oder gegenüber den falschen Personen erhoben worden. Solche Praktiken verzerren das Gleichgewicht der vertraglich geschuldeten Leistungen.
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Auch Vertragsklauseln über eine langfristige Bindung des Versicherungsnehmers eignen sich zu diesem Zweck, soweit sie mit anderen Klauseln gekoppelt sind, die entweder eine Prämienerhöhung oder eine Verminderung der Leistungszusage des Versicherers ermöglichen. Prämienanpassungsklauseln sind dabei gang und gäbe und waren bis 1990 in Deutschland auch zulässig, ohne dass dem Kunden die Möglichkeit zur Lösung vom Vertrag gegeben werden musste. Sie ist erst durch § 31 VVG geschaffen worden, allerdings auch nur für den Fall, dass sich der Umfang des Versicherungsschutzes nicht ändert.40 Nach wie vor können Versicherer also bei geeigneter Fassung von Anpassungsklauseln nach Vertragsschluss das Gleichgewicht der vereinbarten Leistungen zu ihren Gunsten verändern, ohne dass dem Kunden ein Kündigungsrecht zusteht. Vor dem Hintergrund der asymmetrischen Informationsverteilung bei Vertragsschluss zeigt sich auch hier wieder das dringende Bedürfnis für eine Begrenzung von Vertragslaufzeiten durch zwingende Rechtsvorschriften oder durch ein unabdingbares Kündigungsrecht.
IV. Vertragslaufzeit und Versicherungsvertrieb 1. Interessenlage im Makler- und Agenturvertrieb Die Interessenlage der Beteiligten hinsichtlich der Vertragslaufzeit ist bislang vor allem unter dem Gesichtspunkt einer zweiseitigen Vertragsbeziehung gesehen worden. Ganz verstehen wird sie aber nur, wer auch die verschiedenen Vertriebsformen mit bedenkt, die in unterschiedlichem Umfang „principal agent“-Probleme hervorrufen. Schon oben ist darauf hingewiesen worden, dass in manchen Mitgliedsstaaten, vor allem in Großbritannien und Spanien, auch Versicherungsverträge zur Deckung kleiner und mittlerer Risiken überwiegend durch unabhängige Versicherungsmakler vermittelt werden.41 Ihr Interesse geht dahin, nicht nur kurzfristig hohe Provision zu verdienen, sondern durch geeignete Vertragsgestaltung, die jedenfalls zum Teil in ihrer Hand liegt, den Zugriff auf die Kunden auf Dauer zu behalten. Diesem Zweck dienen kurzfristige, im Allgemeinen einjährige Verträge. Sie haben zur Folge, dass der Makler in jedem Jahr ein größeres Volumen von Verträgen zu erneuern oder aber an andere Versicherer zu vermitteln hat; dies stärkt seine Verhandlungsposition gegenüber den Versicherungsunternehmen. Einen Schutz vor überlangen Vertragsbindungen benötigen die Versicherungsnehmer hier nicht, solange es den Versicherern nicht gelingt, ___________ 40 § 31 VVG wurde eingeführt durch das Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2864). 41 Siehe etwa Clarke (2005), S. 58.
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die Makler durch Aufbau eines eigenen kostengünstigeren Direktvertriebs auszuschalten und danach gegebenenfalls ihr Interesse an längerfristigen Verträgen durchzusetzen. In anderen Mitgliedsstaaten wie etwa in Deutschland steht dagegen der Vertrieb über weisungsgebundene Versicherungsagenten, zumeist Einfirmenvertreter, im Vordergrund. Da sie im Allgemeinen an ein einziges Versicherungsunternehmen gebunden sind, haben sie kein Interesse daran, kurze Vertragslaufzeiten zu vereinbaren; Folgeverträge müssten sie wiederum für denselben Versicherer abschließen. Wenn sie dagegen sogleich Verträge mit längeren Laufzeiten vermitteln, erwerben sie auch sogleich den Anspruch auf die entsprechend höhere Provision, die nach vielen Agenturverträgen auch ohne Rücksicht auf spätere Stornierungen verdient wird. Aus der Sicht der Agenten ist der Abschluss längerfristiger Verträge daher eindeutig attraktiver. Die Aussicht auf höhere Provision gibt im Übrigen auch hinreichend Anreiz, Verträge mit niedrigem Prämienaufkommen, die gleichwohl eine intensive Beratung erfordern mögen, zu vermitteln.42 Dem entspricht ein gleichgerichtetes Interesse der Versicherungsunternehmen an längerfristigen Verträgen. Sie wird im Übrigen auch dadurch bestätigt, dass Versicherungsunternehmen ohne eigene Vermittlerorganisation, die ihre Policen direkt an die Kundschaft vertreiben, eher bereit sind, Einjahresverträge abzuschließen oder den Versicherungsnehmern schon nach einem Jahr ein Kündigungsrecht zu gewähren.43
2. Kollusion zu Lasten der Versicherungsnehmer Gerade diese Feststellungen weisen freilich auch auf Bedenken gegen die Vereinbarung längerfristiger Versicherungsverträge durch Versicherungsagenten hin. Wenn Versicherungsnehmer und insbesondere Konsumenten, wie oben dargelegt, am Abschluss längerfristiger Verträge im Allgemeinen kein Interesse haben und sich darauf oft, ohne es zu wissen und jedenfalls ohne nähere Reflexion einlassen, begünstigen die beschriebenen Anreize für Versicherungsmittler und Versicherer den Abschluss von Verträgen, die diese Ignoranz und Passivität ausnutzen. Es handelt sich nicht um Verträge zu Lasten Dritter, weil die Versicherungsnehmer ja Partei der betreffenden längerfristigen Verträge sind. Doch lässt sich von einem Mechanismus der Ausnutzung des Kunden mittels vorformulierter Vertragsbedingungen durch eine Art kollusives Zusammenwirken von Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittler sprechen. ___________ 42 Dieser Zusammenhang wurde von der deutschen Sachverständigenkommission hervorgehoben, vgl. Abschlussbericht (Fn. 7), S. 30. 43 Abschlussbericht (Fn. 7), S. 43.
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Die Sorge, dass ein Verbot längerfristiger Verträge zu einem Rückgang bei der Vermittlung von beratungsintensiven Versicherungen mit geringem Prämienaufkommen, also zu einer Unterversorgung der Bevölkerung mit Versicherungsschutz führt, überzeugt letztlich nicht. Sie beruht auf der Prämisse, dass der anfängliche Beratungsaufwand für die Anwerbung eines Kunden mit dem Auslaufen des Vertrages keine Wirkungen mehr zeitigt und deshalb durch die Prämie des vermittelten Vertrages auch entgolten werden muss. Sollte der Gesetzgeber nun wie in anderen europäischen Staaten nur Einjahresverträge zulassen, so würde nach dieser Prämisse mancher Vertreter von der Vermittlung kleinerer Verträge Abstand nehmen, da sie sich wegen der geringen Prämie nicht lohne. Dabei wird verkannt, dass die Fluktuation auch bei kurzfristigen Verträgen klein ist und die Versicherungsnehmer bei Auslaufen ihres Vertrages nur in geringer Zahl zu anderen Versicherern wechseln. Dies zeigt sich trotz intensiven Preiswettbewerbs in der Kfz-Haftpflichtversicherung, wo das deutsche Recht bekanntlich nur Jahresverträge zulässt.44 Die Initialberatung durch den Versicherungsagenten trägt also faktisch sehr viel länger Früchte, als dies in einer Vertragslaufzeit von drei Jahren oder einem Jahr zum Ausdruck kommt. Die Zulassung längerfristiger Versicherungsverträge lässt sich danach also nicht mit dem Argument rechtfertigen, dass sie zur Alimentierung des bestehenden Vertriebssystems über Agenten und zur ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Versicherungsschutz erforderlich seien. Im Übrigen ist diese Argumentation Ausdruck eines statischen Denkens. Es perpetuiert das bestehende Vertriebssystem als unantastbare Prämisse, die auch auf Kosten der Versicherungsnehmer geschützt werden muss. Damit wird die Bedeutung des Wettbewerbs der Vertriebssysteme verkannt.
V. Vertragslaufzeiten und Wettbewerb Die Länge der Laufzeit von Versicherungsverträgen hat Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse einerseits auf dem betreffenden Versicherungsmarkt und andererseits auf den Wettbewerb der Vertriebsformen in diesem Versicherungszweig.
___________ 44
Vgl. § 5 Abs. 5 Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter in der Fassung vom 5.4.1965 (BGBl. I S. 203), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.11.2003 (BGBl. I S. 2304); vgl. dazu: o.V.: Storno-Studie: die meisten Kunden bleiben treu; in: Versicherungswirtschaft, 59. Jg. (2004), S. 1793. Danach haben in der KfzVersicherung über 5 Jahre nur 10,2 % aller Versicherten gekündigt, pro Jahr also im Durchschnitt nur gut 2 %.
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1. Wettbewerb auf Versicherungsmärkten Auf den Versicherungsmärkten kann die weite Verbreitung langfristiger Verträge zur Marktabschottung führen. Angenommen, die Nachfrage nach Versicherungsschutz sei in einem bestimmten Versicherungszweig saturiert, es gebe also keine vertraglich ungebundene, freie Nachfrage. Wenn man weiter annimmt, dass alle Versicherungsverträge dieses Marktes eine Laufzeit von 10 Jahren haben, so ergibt sich, dass im Durchschnitt pro Jahr nur 10 % der Gesamtnachfrage dieses Marktes frei wird und als Geschäftspotential für Neuanbieter zur Verfügung steht. In Wirklichkeit sind die Aussichten eines Neuanbieters, auf dem Markt Fuß zu fassen, freilich noch viel geringer, denn von den frei werdenden Versicherungsnehmern, die in jedem Jahr über eine Erneuerung oder Verlängerung ihres Versicherungsschutzes nachdenken müssen, sind immer nur einige wenige zu einem Wechsel des Versicherers bereit. Das effektiv verfügbare Marktpotential wird in dieser Konstellation oft nicht ausreichen, um die Gründung einer Niederlassung durch einen Neuanbieter in dem betreffenden Markt auf absehbare Zeit profitabel zu machen. Die Erkenntnis dieser Zusammenhänge hat ihren Niederschlag auch im europäischen Wettbewerbsrecht gefunden. Zwar sieht die Verordnung 358/2003 im Grundsatz die Freistellung von Vereinbarungen zwischen Versicherungsunternehmen über die gemeinsame Aufstellung und Bekanntgabe von Mustern Allgemeiner Versicherungsbedingungen für die Direktversicherung vor.45 Diese Freistellung gilt indessen nicht, wenn die Allgemeinen Versicherungsbedingungen Klauseln enthalten, die dem Versicherungsnehmer (außer im Bereich der Lebensversicherung) eine Versicherungsdauer von mehr als drei Jahren auferlegen.46 Die Freistellung und ihre Einschränkung beziehen sich auch auf abgestimmte Verhaltensweisen.47 Diese Vorschriften bringen deutlich zum Ausdruck, welch wettbewerbsgefährdende Marktverschlusswirkung der europäische Gesetzgeber der parallelen Verwendung längerfristiger Verträge in einem Versicherungsmarkt zuschreibt. Diese Wirkung ist nicht geringer, wenn die betreffende Vertragspraxis ohne Abstimmung unter den Anbietern durch paralleles Verhalten zustande gekommen ist. Im Interesse des Wettbewerbs empfiehlt sich daher ganz generell eine Beschränkung der Höchstlaufzeit von Versicherungsverträgen auf maximal drei Jahre.
___________ 45
Art. 1 lit. c) der Verordnung (EG) Nr. 358/2003 der Kommission vom 27.2.2003 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Versicherungssektor (ABl. EU 2003, Nr. L 53, S. 8). 46 Art. 6 Abs. 1 lit. f) VO 358/2003 (Fn. 45). 47 Art. 2 Nr. 1 VO 358/2003 (Fn. 45).
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2. Wettbewerb der Vertriebsformen Bedeutsam kann die Laufzeit der Versicherungsverträge auch für den Wettbewerb der verschiedenen Vertriebsformen werden. Wenn – entgegen der hier geäußerten Zweifel – die Sorge der Versicherungsunternehmen zutrifft, dass sich ihre Agenten bei kürzeren Höchstlaufzeiten nicht mehr hinreichend für den Vertrieb von Policen mit geringem Prämienaufkommen engagieren, werden die Unternehmen nach alternativen Vertriebskanälen für diese Versicherungsverträge suchen. Solche alternativen Vertriebskanäle sind durchaus denkbar und werden zum Teil auch schon genutzt. So haben einige Versicherer in den letzten Jahren den Vertrieb standardisierter Versicherungsprodukte über das Internet entwickelt. Im Übrigen zeigt sich eine Tendenz, Versicherungen als Annex zu anderen Waren und Dienstleistungen anzubieten, so beispielsweise KfzVersicherungen über den Autohandel, Unfallversicherungen als Nebenleistung von Kreditkarten, Reiseversicherungen über Reisebüros und Lebensversicherungen als Teil von Allfinanz-Konzepten über Banken. Eine der Ursachen dieser Entwicklung dürfte darin liegen, dass mit der oben (II.) konstatierten europaweiten Verkürzung der Vertragslaufzeiten ein Nachdenken über neue Formen des Vertriebs und seiner Finanzierung eingesetzt hat. So hat die Einschränkung des Wettbewerbs der Vertragslaufzeiten auf den Versicherungsmärkten eine Intensivierung des Wettbewerbs der Vertriebsformen zur Folge.
VI. Schlussfolgerungen Die voran stehenden Überlegungen legen eine Reihe von Schlussfolgerungen nahe. Zur Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen in Gestalt der Marktabschottung durch gebündelte vertikale Bindungen sollte die Höchstlaufzeit von Versicherungsverträgen jedenfalls nicht länger als drei Jahre sein. Auch wenn die Gruppenfreistellung der EG nur für Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von Versicherungsunternehmen gilt, ist der Marktverschlusseffekt für Außenseiter doch ebenso groß, wenn die Praxis längerfristiger Bindungen auf einem nicht koordinierten Parallelverhalten beruht. Eine versicherungsvertragsrechtliche Regelung sollte dies berücksichtigen. Der Vorschlag der deutschen Sachverständigenkommission, dem Versicherungsnehmer bei Verbraucherversicherungen jedenfalls nach drei Jahren ein unabdingbares Kündigungsrecht einzuräumen,48 wäre mit dieser Forderung vereinbar. Die Projektgruppe Restatement of European Insurance Contract Law49 wird weitergehend eine Höchstlaufzeit von einem Jahr mit anschließender still___________ 48 49
Siehe oben bei Fn. 27. Siehe oben bei Fn. 10.
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schweigender Verlängerung des Versicherungsvertrages empfehlen. Sie schließt sich damit der gesamteuropäischen Tendenz zu Einjahresverträgen an.50 Unter den verschiedenen nationalen Lösungen der Mitgliedsstaaten hat sie diejenige ausgewählt, die am ehesten dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus entspricht, wie es in Art. 95 Abs. 3 EGV51 niedergelegt ist; diesem Ziel ist gem. Art. 153 Abs. 2 EGV nicht nur bei der Rechtsangleichung, sondern auch bei anderen Politiken der Gemeinschaft Rechnung zu tragen, also auch bei Erlass eines optionalen Vertragsgesetzes nach Art. 308 EGV. Im Übrigen trägt die Entscheidung für Einjahresverträge, wie oben dargelegt, zu einer Belebung des Wettbewerbs zwischen den Vertriebsformen auf den Versicherungsmärkten bei; dieser Wettbewerb ist gerade auch für die Integration der europäischen Versicherungsmärkte hilfreich.
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___________ 50
Siehe oben II. am Ende. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Konsolidierte Fassung 1997) vom 10. November 1997 (ABl. EU 1997, Nr. C 340, S. 0308), zuletzt geändert durch den Vertrag von Nizza vom 10.3.2001 (ABl. EU 2001, Nr. C 80, S. 1). 51
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Ökonomische Voraussetzungen der Privatautonomie und Versicherungsvertrag Von Michael Bäuerle
I. Einleitung Der wissenschaftliche Dialog zwischen Juristen und Ökonomen ist traditionell wenig ausgeprägt. Dieter Rückle ist dieser gegenseitigen Abwehrhaltung gemeinsam mit anderen Wirtschaftswissenschaftlern zu Recht stets entgegengetreten: Die Kooperation von Juristen und Ökonomen habe nichts mit einem Imperialismusanspruch der einen gegenüber der anderen Disziplin zu tun; vielmehr gehe es um sinnvolle Ergänzungen und Komplementaritäten. Insbesondere für die Rechtswissenschaft erschlössen sich Möglichkeiten jenseits der herkömmlichen juristischen Methodenlehre; das sei Anlass, den Mauerbau zwischen den Disziplinen zu beenden und zu einer fruchtbaren Kooperation zu gelangen.1 Die zutreffende Erfassung ökonomischer Sachverhalte durch die Rechtsprechung kann in der Tat von entscheidender Bedeutung für die Begründung und den Umfang subjektiver Rechtspositionen sein; dies gilt umso mehr, wenn es sich um grundlegende Rechtsfragen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. Unter diesem Gesichtspunkt sah sich etwa eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999 zum Auskunfts-verweigerungsrecht des Vorstandes einer Aktiengesellschaft bezüglich der im Unternehmen vorhandenen stillen Reserven der wirtschaftswissenschaftlichen Kritik auch Dieter Rückles ausgesetzt: Das Gericht würdige den zugrundeliegenden ökonomischen Sachverhalt in eklatant unzutreffender Weise.2 ___________ 1
Vgl. Siegel et al. (2000), S. 257 ff. Beschluss des BVerfG v. 20.09.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, in dem das Auskunftsverweigerungsrecht für mit Art 14 Grundgesetz (GG) vom 23.05.1949 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2863), (Grundrecht auf Eigentum) vereinbar erklärt wird; Rückle weist gemeinsam mit anderen in einer Entscheidungsbesprechung daraufhin, dass das Beschlussergebnis infolge der ökonomischen Fehleinschätzung nicht überzeugen könne: Der Kenntnis der stillen Reserven komme zentrale Bedeutung für den Schutz der Anleger und der Aktionäre sowie die Funktion des Kapitalmarkts zu; vgl. Siegel et al. (1999). 2
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Mit seinen jüngsten Urteilen zur kapitalbildenden Lebensversicherung hat das Bundesverfassungsgericht erneut schwieriges ökonomisches Terrain betreten.3 Das erste der beiden Urteile hat die gerichtlich bestätigten aufsichtsrechtlichen Genehmigungen der Übertragung eines Lebensversicherungsbestands von Unternehmen auf andere Unternehmen zum Gegenstand, das zweite die – letztinstanzlich erfolglos gebliebene – individuelle Klage eines Kapitallebensversicherten auf eine höhere Überschussbeteiligung. In dem ersten Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen des VAG4 für die Bestandsübertragung mit den Grundrechten (Vertragsund Eigentumsfreiheit) unvereinbar sind; in dem zweiten Urteil stellte das Gericht fest, dass der Gesetzgeber gegen seine entsprechenden grundrechtlichen Schutzpflichten verstoßen hat, weil es an hinreichenden gesetzlichen Vorkehrungen dafür fehlt, dass die mit den Prämien der Versicherten geschaffenen Vermögenswerte eine angemessene Berücksichtigung bei der Ermittlung eines Schlussüberschusses finden. Der Gesetzgeber ist in beiden Bereichen zu einer grundrechtskonformen Neuregelung aufgerufen. Grundlegende wirtschaftswissenschaftliche Kritik dürften diese Urteile nicht zu erwarten haben, hatte sich doch das Bundesverfassungsgericht der schriftlichen und mündlichen Expertise Dieter Rückles und weiterer ökonomischer Sachverständiger versichert. Bezüglich der Überschussbeteiligung in der Kapitallebensversicherung spiegeln die Urteile denn auch die langjährige Kritik Rückles an der intransparenten vertraglichen Bezugnahme auf die handelsrechtliche Rechnungslegung und an der Bestätigung dieses Systems durch die zivilgerichtliche Rechtsprechung wider.5 Für die anstehende Neuregelung stehen seine alternativen Rechnungslegungsmodelle zur Verfügung.6 Nach den Urteilen besteht somit die berechtigte Hoffnung, dass die Fragen der Überschussbeteiligung und Bestandsübertragung in der Kapitallebensversicherung alsbald einem rechtlichen Regime unterworfen werden, das die zugrundeliegenden ökonomischen Sachverhalte und Interessenkonstellationen adäquater abbildet als das bisherige. Die Überschussbeteiligung und Bestandsübertragung in der Kapitallebensversicherung bilden indessen nur einen Ausschnitt aus dem Problemkreis Ver___________ 3 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363 und BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376. 4 Versicherungsaufsichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17.12.1992 (BGBl. 1993 I S. 2), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 4 des Gesetzes vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2802). 5 Vgl. Rückle (1997a), (1997b), (2001) und (2004); kritisiert wird vor allem BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 124/92, BGHZ 128, S. 54. 6 Vgl. Rückle (1997a), (1997b); dazu auch ausführlich Wallrabenstein (2006), in diesem Band.
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sicherungsvertrag; andere Verfassungsbeschwerden zu diesem Themenkreis sind in Karlsruhe anhängig.7 Der folgenden Darstellung geht es darum, weitere grundsätzliche Diskrepanzen zwischen dem geltenden Regelungskonzept und der rechtstatsächlichen Situation im Versicherungsvertragsrecht – gerade auch unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden ökonomischen Sachverhalte – aufzuzeigen.
II. Markt und Wettbewerb als (gedachte) Voraussetzung der Privatautonomie Das zentrale Regelungskonzept für den Versicherungsvertrags im deutschen Zivilrecht ist der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dessen Konzeptionen geht auf den bürgerlichen Liberalismus des 19. Jahrhunderts zurück. Danach führt die gleiche rechtliche Freiheit der Bürger – nach Abschaffung von Zünften, Ständen Großgrundbesitz und Adel – ohne Zutun des Staates mit Hilfe des Vertrags zu Wohlstand und Gerechtigkeit. Diese Konzeption war ökonomisch höchst voraussetzungsreich: Die Ausübung von sozialer und wirtschaftlicher Macht wird unter diesen Bedingungen nur dann auf einen engen Rahmen beschränkt, wenn im Hinblick auf Wettbewerb und Verfügbarkeit von Gütern Marktbedingungen vorherrschen.8 Jedoch wohnt dem Marktmechanismus – wie insbesondere die ordo-liberale Theorie nachgewiesen hat – auch dann eine Tendenz inne, sich selbst abzuschaffen; dieser zu begegnen bedarf es ständiger staatlicher Bemühungen um die willkürbegrenzende Funktion des Marktes.9 Das bürgerliche Gesetzbuch – und mit ihm das zeitgleich entstandene Versicherungsvertragsgesetz – haben die Funktionsfähigkeit des Marktes zwar zur gedanklichen, nicht aber zur geschriebenen Voraussetzung der Privatautonomie gemacht.10 Die Zivilgerichte haben zwar später in Anwendung der Generalklauseln des BGB11 marktwidrige und unbillige Ergebnisse vertraglichen Handelns nicht selten einzelfallbezogen korrigiert, und der Gesetzgeber hat in besonders „machtanfälligen“ Bereichen Sondergesetze zum Schutz Schwächerer
___________ 7
Es handelt sich um die Verfahren 1 BvR 1080/01 (Gegenstand: AVB-Klausel zur Überschussbeteiligung), 1 BvR 1317/96 (Gegenstand: Rückkaufswert und „Zillmerung“) und 1 BvR 240/98 (Gegenstand: Prämienhöhe in der Unfallversicherung). 8 Vgl. zum Ganzen m. w. N. Bäuerle (2001), S. 62 ff., 107 ff., 255 ff. 9 Grundlegend Böhm (1933); vgl. auch die weiteren Nachweise bei Bäuerle (2001), S. 141 ff. 10 Vgl. Bäuerle (2001), S. 255 ff. 11 Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.08.1896 (RGBl. S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970).
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erlassen.12 Erst das Bundesverfassungsgericht entwickelte jedoch eine handhabbare ergebnisorientierte Formel für nicht speziell geregelte Fälle, in denen die willkürbegrenzende Funktion des Marktes versagt hatte: „(...) Schranken (der Privatautonomie) sind unentbehrlich, weil Privatautonomie auf freier Selbstbestimmung beruht, also voraussetzt, dass auch die Bedingungen freier Selbstbestimmung gegeben sind. Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzten kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein angemessener Interessenausgleich zu erzielen.“13 Dies gelte insbesondere, wenn eine „strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils“ erkennbar werde und die Folgen für den anderen ungewöhnlich belastend seien.14 Eine solche strukturelle Unterlegenheit lässt sich für den Versicherten bei der derzeitigen Rechtslage – auch nach Umsetzung der Entscheidungen vom 26.07.2005 – unter mehreren Gesichtspunkten begründen.
III. Strukturelle Defizite im Versicherungsvertrag Die strukturelle Unterlegenheit des Versicherten resultiert zu einem wesentlichen Teil aus den Besonderheiten des „Guts Versicherung“ und betrifft alle Phasen des Versicherungsvertrags, insbesondere aber den Vertragsabschluss.15 Zu den zentralen Merkmalen der Vertragsfreiheit zählt zunächst die freie Entscheidung über den eigenen Bedarf und über die Frage, ob und wie dieser Bedarf mittels vertraglicher Disposition gedeckt werden soll.16 Faktisch unterscheidet sich Versicherung schon hinsichtlich dieser Entscheidungsfreiheiten ganz wesentlich von anderen Vertragsgegenständen.
___________ 12
Das VAG kann wegen seiner Ausrichtung am öffentlichen Interesse an der Zahlungsfähigkeit der Versicherungsunternehmen allerdings nur sehr begrenzt zu diesen Gesetzen gerechnet werden, vgl. dazu BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2381; Rückle (1997c), S. 253 f.; dies gilt erst recht seit dem Wegfall der präventiven Bedingungskontrolle durch die europarechtliche Liberalisierung 1994. 13 BVerfG v. 07.02.1990 – 1 BvR 26/84, BVerfGE 81, S. 242, 253 f. 14 BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89 und 1044/89, BVerfGE 89, S. 214, 218 f.; auf diesen Aussagen basieren auch die Entscheidungen vom 26.07.2005 (Fn. 3). 15 Die nachfolgenden und weitere Überlegungen wurden auch dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer nicht veröffentlichten schriftlichen Stellungnahme für den Bund der Versicherten zu den in Fn. 6 genannten und den am 26.07.2005 entschiedenen Verfahren (Fn. 3) vom Verf. vorgetragen. 16 Vgl. dazu und zu den weiteren Freiheitsbereichen der Vertragsfreiheit Schmidt (1985), S. 34; Bäuerle (2001), S. 82.
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1. Unausweichlichkeit von Versicherung Für die individuelle Lebensgestaltung ist Versicherung in der technisierten Risikogesellschaft faktisch unausweichlich: Infolge der begrenzten Beherrschbarkeit der Naturgewalten, der Technik und des eigenen und fremden Handelns ist jeder Bürger unvorhersehbaren Gefahren ausgesetzt. Realisieren sich diese Gefahren in Unfällen, Unglücken, Krankheiten, Straftaten oder außergewöhnlichen Naturereignissen, übersteigen die wirtschaftlichen Folgen nicht selten das Leistungsvermögen eines einzelnen oder einer Familie um ein Vielfaches. Soweit diese Folgen letztlich existenzbedrohende Dimensionen erreichen, werden sie zwar durch das sozialstaatliche System der Bundesrepublik abgefangen. Dies ist jedoch nur ein Auffangnetz, das Eigenvorsorge nicht nur wünscht sondern auch (zunehmend) benötigt. Eine an den eigenen Präferenzen ausgerichtete Lebensgestaltung und Entfaltung der Persönlichkeit ist auf der Grundlage von Sozialhilfebedürftigkeit zudem regelmäßig kaum möglich. Die Lebensgestaltungsfreiheit lässt sich im Fall eines hohen Geldbedarfs im „Ernstfall“ also nur wahren, wenn die Deckung dieses Bedarfs vorab über Beiträge in ein auf dem Gesetz der großen Zahl basierenden Vorsorgesystem sichergestellt wurde. Lediglich durch Umverteilung in einer Gemeinschaft lassen sich ungewisse Risiken tragfähig wirtschaftlich absichern. Insoweit lässt sich auf „Versicherung“ – anders als auf viele andere Dienst- und Sachleistungen – weder verzichten noch lässt sie sich – wie die meisten anderen Dienst- und Sachleistungen – auf dem Markt durch ein „ähnliches Gut“ substituieren. Der einzelne muss vielmehr einen Teil seines verfügbaren Einkommens mehr oder weniger zwangsläufig auf die Vorsorge für ungewisse Ereignisse aufwenden.17 Ein solches Vorsorgesystem wird dem Bundesbürger – jenseits der gesetzlichen Sozialversicherung – ausschließlich als Versicherungsvertrag mit einheitlichen (von den Gerichten bisher zumeist gebilligten) Strukturen angeboten. Er hat daher faktisch keine Entscheidungsfreiheit, ob er Versicherungsverträge dieser Art abschließt, er kann nur entscheiden, für wie viele Risiken er in welchem Umfang mit Hilfe solcher Versicherungsverträge Vorsorge trifft. Die Versicherungsunternehmen sind demgegenüber zwar stark an einer möglichst großen Zahl von Verträgen interessiert, auf den einzelnen Vertragsschluss jedoch regelmäßig nicht angewiesen.18
___________ 17
Grundlegende Entscheidungen wie die Gründung einer Familie oder der Erwerb von Grundeigentum sind mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen mehr oder weniger automatisch verbunden. 18 Durchschnittlich zahlte im Jahr 2001 jeder Haushalt € 2680,– jährlich an Versicherungsprämien, vgl. Capital 10/2002, S. 88 ff. („Beraten und verkauft“).
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Die soziale Relevanz des Versicherungsvertrags für die individuelle Lebensplanung und -gestaltung reicht insoweit in vielen Bereichen an die soziale Relevanz etwa des Arbeits- oder Wohnungsmietvertrags heran.
2. Informationsdefizite des Interessenten Jedoch stellt die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Deckung von Versicherungsbedarf den einzelnen vor weit größere Probleme als andere Vertragsmuster mit hoher sozialer Bedeutung.
a) Probleme der Bestimmung des individuellen Versicherungsbedarfs Zunächst unterscheidet sich Versicherung hinsichtlich der Definition des eigenen Bedarfs von den meisten anderen Vertragsgegenständen. Der Bedarf an Versicherung kann nicht – wie der Bedarf an Wohnung, Lebensmitteln, persönlichen Dienstleistungen, Bildung, Möbeln oder Mobilität – aktuell „empfunden“ oder anhand subjektiver Präferenzen „entdeckt“ werden. Er lässt sich vielmehr nur im vorhinein anhand bestimmter objektiver Kriterien ermitteln. Versicherung muss lange vor dem eigentlichen Bedarfsfall „beschafft“ werden, da ein bereits eingetretener Schaden nicht mehr versicherbar ist. Die Ermittlung von Versicherungsbedarf setzt zudem voraus, dass der Interessent abschätzen kann, welche untragbaren oder unerwünschten wirtschaftliche Folgen für ihn im Fall einer Realisierung drohen, wie hoch die individuelle Wahrscheinlichkeit einer Realisierung dieser Gefahren ist und wie hoch der voraussichtliche Geldbedarf im Fall einer Realisierung jeweils ist. Erst auf der Grundlage solcher Daten ist „Versicherung“ einer objektiven Nutzenbewertung anhand individueller Risikoaversion bzw. -geneigtheit überhaupt zugänglich. Da solche Daten jedoch lediglich statistisch prognostizierbar sind, kann der Interessent sie – auf sich selbst gestellt – zumeist nicht ermitteln. Selbst wenn ihm empirische Werte zur Verfügung stünden, könnte er daraus nur begrenzt Schlussfolgerungen ziehen, da die Besonderheiten seiner Lebensverhältnisse regelmäßig nicht im statistischen Mittel liegen.19
b) Probleme einer Beurteilung der „Beschaffenheit“ von Versicherung Infolgedessen entzieht sich auch das „Wie“ der Bedarfsdeckung einer eigenständigen Definition durch den Versicherungsinteressenten. Anders als bei ___________ 19
Vgl. Meyer (1996), S. 164 f.
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sonstigen Dienstleistungen und Gütern kann keine „natürliche“ Vorstellung von der gewünschten „Beschaffenheit“ von Versicherung entstehen.20 Versicherung lässt sich auch nicht im vorhinein testen oder aus Erfahrung beurteilen. Sie stellt sich daher aus ökonomischer Perspektive im Gegensatz zu „Inspektionsgütern“ und „Erfahrungsgütern“ als „Vertrauensgut“ dar.21 Beurteilungen von Versicherungen aus Erfahrungen sind allerdings hinsichtlich deren eigentlicher Dienstleistung möglich. Deren Qualität wird jedoch durch die derzeitige Ausgestaltung des Vertrags so sorgfältig verborgen, dass sie keinerlei Beitrag zur Entscheidung des Interessenten leisten kann. Subjektive Präferenzen lassen sich lediglich in Form der Relation „möglichst viel Vorsorge für einen möglichst geringen Einsatz eigenen Vermögens“ bilden. Diese unbestimmte Relation wird damit aus Sicht des Interessenten zum wesentlichen Kriterium für die Entscheidung über das „Wie“ der Deckung von Versicherungsbedarf.
3. Probleme der Erkennung des „Werts“ von Versicherung Die Vorstellung von einer realistischen Relation für den angestrebten Schutz kann indessen ebenfalls nicht so leicht gebildet werden, wie bei anderen Gütern und Dienstleistungen. Es stehen sich ja nur zwei Geldbeträge gegenüber, von denen der eine (die Prämie) sicher zu leisten ist, der andere (die Versicherungsleistung) aber nur im Schadensfall in ungewisser Höhe. Dieses „Austauschverhältnis“ ließe sich vom Interessenten wiederum nur dann objektivieren und bewerten, wenn er spezifische Kenntnisse über Schadenshäufigkeiten und -höhen für das Versichertenkollektiv hätte. Solange diese fehlen, kann er nicht abschätzen, welchen Teil seines Vermögens er für die Absicherung eines bestimmten Risikos durch Versicherung statistisch wohl wird aufwenden müssen. Die einzig bekannten Größen sind dabei seine eigene Leistungsfähigkeit und die Tatsache, dass dem eingesetzten Geldbetrag nur dann ein anderer Geldbetrag gegenübersteht, wenn sich das versicherte Risiko realisiert. Infolge seiner Informationsdefizite kann der Interessent somit allenfalls ein nicht verifizierbares „Gefühl“ dafür entwickeln, was ihm die „Sicherheit“ in dem ins Auge gefassten Bereich „wert sein sollte“. Eine rationale Entscheidung – Grundvoraussetzung für jedes marktwirtschaftliche System und ebenfalls Wesenselement der grundrechtlich geschützten wirtschaftlichen Selbstbestim___________ 20 Vgl. Schlossarek (1995), S. 230: „Die Massenware ‚Versicherung‘ ist mit einem entscheidenden Problem behaftet: man kann sie weder sehen noch greifen.“ 21 Vgl. Taupitz (1996), S. 105 ff.
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mung – ist ihm hinsichtlich des Verhältnisses von Beitragszahlung und Versicherungsleistung nicht möglich, m. a. W., Versicherung hat kein nachvollziehbares Preis-Leistungsverhältnis.
4. Strukturelle Informationsüberlegenheit der Versicherer Den Versicherungsunternehmen fallen die Informationen über statistische Schadensverläufe und -wahrscheinlichkeiten sowie typische Risikokonstellationen infolge des Versicherungsbetriebs zwangsläufig zu. Sie wären daher in der Lage, den Versicherungsbedarf eines Interessenten anhand seiner individuellen Lebenssituation – wenn auch immer noch typisiert – zu ermitteln. Sie könnten zudem objektivierbare Angaben über das jeweilige kollektive Äquivalenzverhältnis der Versicherung machen: Dazu wäre der für einen bestimmten Zeitraum kalkulierte Schadensbetrag anzugeben – der allerdings statistisch so vorsichtig kalkuliert sein muss, dass auch bei ungünstigem Schadensverlauf der Betrag für die Bedarfsdeckung ausreicht22 und dem von den Versicherten für diesen Zeitraum aufzubringenden Gesamtbetrag gegenüberzustellen. Aus dem Verhältnis beider Beträge könnte der „Wert“ der Versicherung abgeleitet werden. Je geringer der über den (vorsichtig kalkulierten) Schadensbedarf hinausgehende – vom Unternehmen für Kosten, Dienstleistungen und Gewinne vereinnahmte – Betrag ist, desto günstiger ist die Versicherung für die Versicherten. Die Unternehmen haben somit die entscheidenden Informationen zur Behebung der strukturellen Informationsdefizite des Interessenten und könnten diese im Rahmen der Vertragsanbahnung beheben. Möglich wäre dies in bestimmten Grenzen auch durch unabhängige Versicherungsmakler, die sich jedoch bisher auf dem deutschen Markt nicht durchsetzen konnten.
5. Perpetuierung der Informationsüberlegenheit bei Vertragsanbahnung und -abschluss Tatsächlich geschieht jedoch das genaue Gegenteil. Die Unternehmen hüten – in verständlichem wirtschaftlichen Eigennutz – die erforderlichen Daten als ein „Geschäftsgeheimnis“. Das ermöglicht es ihnen, Versicherungsbedarf auch dort zu wecken, wo keiner ist oder auf eine den individuellen Verhältnissen ___________ 22 Vgl. auch die entsprechenden Vorgaben und aufsichtsrechtlichen Befugnisse der §§ 66, 81 ff. VAG; in Bezug auf diesen Teil der Prämie ist daher das billigste Angebot keineswegs das günstigste; indessen muss sichergestellt sein, dass unverbrauchte Sicherheitszuschläge den Versicherten wieder gutgebracht werden; dies war Gegenstand der Entscheidungen des BVerfG vom 26.07.2005 (Fn. 3).
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nicht entsprechende Bedarfsdeckung hinzuwirken. Das vertragliche Äquivalenzverhältnis wird nicht offengelegt, sondern weitgehend verschleiert. Dieses rechtstatsächliche Ergebnis entwickelt sich aus verschiedenen Elementen der Vertragsanbahnung und des Vertragsschlusses.
a) Verschüttung von Bedarfsinformation durch provisionsgesteuerte Vermittlung Bei fast allen anbietenden Versicherungsunternehmen erfolgt die Vertragsanbahnung über einen Stab von Vermittlern, der gegenüber dem Unternehmen provisionsberechtigt ist. Das Provisionssystem honoriert den Vertragsabschluss, nicht aber Beratung oder Besuch beim Interessenten und verspricht hohe Provisionen vor allem für die aus Sicht des Unternehmens besonders lukrativen Verträge wie die Kapitallebens- oder Unfallversicherungen. Durch dieses System bestimmen nicht die individuellen Bedürfnisse des Interessenten, sondern die Provisionserwartung des Vertreters die Beratung. Für den Interessenten wird dies indes nicht erkennbar: Er sieht sich etwa einem „Finanzberater„ oder „Vermögensberater“ gegenüber, der den Anschein von Objektivität und Unabhängigkeit erwecken kann und seine Provisionsberechtigung kaum erwähnen wird. Durch dieses „Vertriebs- bzw. Beratungsmonopol“ der firmengebundenen Vertreter wird somit das Informationsdefizit des Versicherungsinteressenten nicht nur nicht ausgeglichen, es wird vielmehr verschärft.23 Während der Versicherungsvertreter Informationen über die Lebensverhältnisse und Präferenzen des Interessen hinzugewinnt, die ihm das Hinwirken auf einen Vertragsschluss vereinfachen, bleibt der Interessent hinsichtlich seines objektiven Bedarfs im günstigsten Falle auf dem Informationsniveau, das er schon vor der Vertragsanbahnung hatte;24 in dem wohl häufigeren ungünstigeren Falle hat er objektiv unzutreffende Angaben erhalten.
___________ 23 Taupitz (1996), S. 110 f. fordert insoweit „Rollenklarheit und Rollenwahrheit im Versicherungsvertrieb ohne Vertriebs- bzw. Beratungsmonopol“; zum Problem der Institutionalisierung der Vertragsanbahnung allgemein m.w.N. Bäuerle (2001), S. 202. 24 80 – 90 % aller Versicherungsverträge werden durch Einfirmenvermittler abgeschlossen, vgl. Meyer (1996), S. 167 ff. 1996 gab es in Deutschland 400.000 haupt- und nebenberufliche Versicherungsvermittler aber nur 50 gerichtlich zugelassene Versicherungsberater, vgl. Falken (1996), S. 153; vgl. zu der von Art. 12 GG (Berufsfreiheit) geforderten Zulassung des – tatsächlich unabhängigen – Versicherungsberaters durch das Rechtsberatungsgesetz (vom 12.12.1995 (RGBl I 1935 S. 1478), zuletzt geändert durch Art. 21 a des Gesetzes vom 21.06.2002 (BGBl. I S. 2010)), BVerfG, v. 05.05.1987 – 1 BvR 981/81, BVerfGE 75, S. 284 ff.
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In rechtssoziologischer Perspektive ist der Markt für Versicherung damit ein geradezu beispielhafter Fall der strukturellen Differenz zwischen Organisation und Individuum: Die Versicherungsunternehmen sind als Organisationen den individuellen Vertragsinteressenten prinzipiell überlegen. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der individuellen Bedarfsanalyse und die natürlichen subjektiven Ängste des Interessenten in Bezug auf ungewisse Ereignisse können ihre Agenten – noch viel stärker als die anderer Organisationen – „beim privaten Vertragspartner Hoffnungen und Erwartungen wecken, die mangels Vertretungsmacht und Schriftform juristisch irrelevant oder unbeweisbar bleiben“.25
b) Verschüttung von Äquivalenz- und Preisinformation durch die einheitliche Prämie Anders als in vielen anderen Bereichen des Güter- und Dienstleistungsverkehrs wird diese strukturelle Differenz zwischen Organisation und Individuum im Bereich der Versicherung auch nicht durch den Markt ausgeglichen. Dieser könnte nämlich nur dann eine kompensierende Wirkung entfalten, wenn Versicherung einen auf Angebot und Nachfrage basierenden Marktpreis hätte. Versicherungsverträge werden jedoch ausschließlich mit einer „einheitlichen Prämie“ angeboten. Die Prämie ist ein Betrag, der sich kalkulatorisch aus je einem Anteil für die Kosten des Unternehmens, den Unternehmerlohn und die Beiträge für die Deckung der versicherten Risiken („Risikobeiträge“) zusammensetzt. Die erforderlichen Äquivalenzinformationen ließen sich diesem Betrag nur dann entnehmen, wenn er nach den jeweiligen kalkulatorischen Anteilen aufgeschlüsselt würde. Der Interessent könnte dann die Höhe des voraussichtlichen kollektiven Deckungsbedarfs erkennen und zu dem geforderten Betrag in ein Verhältnis setzen. Der „Wert“ des angebotenen Vertrags würde so zu einer messbaren Größe. Da der Interessent die kalkulatorische Zusammensetzung der angebotenen Prämie jedoch nicht erfährt, bleibt er auch für den Wert der angebotenen Versicherung blind. Die Prämie ist nämlich ökonomisch kein Preis, da der für die Umverteilung auf Schadensfälle vorgesehene Betrag kein Äquivalent für eine Leistung des Versicherungsunternehmens darstellt.26 ___________ 25
Vgl. ausführlich Röhl (1987), S. 428 ff. (430), der als so genannte Strukturmerkmale der Organisation Spezialisierung, Rationalität, Affinität zum Recht, Unpersönlichkeit und Ansammlung materieller Ressourcen nennt; dazu aus verfassungsrechtlicher Sicht Bäuerle (2001), S. 202 ff., 264 ff., 396 ff., 405 ff. 26 Vgl. schon Schmidt-Rimpler (1968), S. 64 ff.: Äquivalenz sei bei der Versicherung nicht aus dem Verhältnis „Prämie-Gefahrtragung“ zu ermitteln, sondern müsse stets eine Wertungsrelation dergestalt enthalten „dass eine Leistung als ein dem eigenen Opfer in richtiger Weise entsprechender Vorteil gewertet wird“.
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Dieser Teil der Prämie ist vielmehr – untechnisch gesprochen – lediglich zur treuhänderischen Verwaltung und Umverteilung übertragen. Der Preis, den die Versicherungsunternehmen beanspruchen können, besteht demgegenüber allein in den Anteilen für die Verwaltungs- und Umverteilungsdienstleistungen des Unternehmens.27
c) Verschüttung von Vergleichsinformation durch die Vertragsgestaltung Dem Versicherungsinteressenten bleibt somit nur die absolute Prämienhöhe als Grundlage für die Entscheidung über den Vertragsschluss. Auch wenn diese von der „invisible hand“ des Marktes weitgehend unberührt ist, könnte sie dem Interessenten immerhin die Information vermitteln, bei welchem Unternehmen er den geringsten Beitrag für die ins Auge gefasste Risikovorsorge erbringen muss. Dazu muss allerdings der Leistungsumfang des angebotenen Vertrags ermittelt werden. Dies wird dadurch erschwert, dass Versicherungsverträge ausschließlich auf der Grundlage Allgemeiner Versicherungsbedingungen (AVB) angeboten werden. Diese haben eine weit größere Bedeutung, als die Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Bereich des Warenverkehrs. Da es für den Versicherungsvertrag sowohl an einem „greifbaren“ Vertragsgegenstand, als auch an einem dispositiven gesetzlichen Leitbild fehlt, enthalten AVB nicht lediglich Bestimmungen zu Nebenleistungen in Bezug auf eine unabhängig von den Bedingungen bewertbare Hauptleistung des Anbieters. Sie konstituieren vielmehr erst den Vertrag, und zwar hinsichtlich der gesamten Haupt- und Nebenleistungspflichten beider Parteien. Der Versicherungsinteressent kann infolgedessen nicht mit einer durch dispositives Recht geprägten „Durchschnittsvorstellung“ von der „Qualität“ einer Versicherung an die Bewertung der angebotenen Verträge herangehen. Für einen Vergleich muss er vielmehr die Allgemeinen Versicherungsbedingungen hinsichtlich der vorgesehenen Leistungen, der Laufzeiten, der Obliegenheiten, der Mitversicherung von Angehörigen, der Kündigungsmöglichkeiten usw. vollständig zur Kenntnis nehmen. ___________ 27 Deutlich auch das Statistische Bundesamt (1970), S. 331 ff.: „Der Dienstleistungsanteil ist das eigentliche Entgelt für die Dienstleistung der Versicherungsunternehmen und geht als solches in die Berechnung des Bruttosozialprodukts ein. Der Risikoanteil dient der Deckung der anfallenden Schadens- und Versicherungsfälle und stellt ein Element der Umverteilung dar“. Vgl. zu der daraus resultierenden Diskussion um die Rechtsnatur des Versicherungsvertrags Schünemann (1996), S. 49 ff. m.w.N. sowie Wallrabenstein (2006), in diesem Band; aus handelsbilanzrechtlicher Sicht Rückle (1997c), S. 293 ff.
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Dies wird ihm – sofern es ihm gelingt, die Versicherungsbedingungen vor Vertragsschluss zu erlangen – zwar einerseits dadurch erleichtert, dass sich die Geschäftsbedingungen bei allen Anbietern der jeweiligen Sparte in der grundsätzlichen Ausgestaltung weitgehend gleichen.28 In den Einzelheiten werden die Gestaltungen jedoch durch Leistungsein- und -ausschlüsse, Zusammenfassung verschiedener Risiken, die Variierung von Tarifmodellen, Summenprogressionen und die Einbeziehung von Sparvorgängen in beträchtlichem Masse ausdifferenziert, so dass die Vergleichbarkeit weitgehend verloren geht. Zudem weisen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen ganz allgemein ein Maß an Komplexität und sprachlicher Intransparenz auf, das auch den überdurchschnittlich erfahrenen und gebildeten Interessenten schnell an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gelangen lässt. Ein Vergleich der angebotenen Verträge ist – ökonomisch gesprochen – zumindest mit prohibitiv hohen Transaktionskosten belegt.29 Hinzu kommt, dass sich auch hinsichtlich der Ausgestaltung der Versicherungsbedingungen die strukturelle Überlegenheit der Unternehmen als Organisation auswirkt. Die Unternehmen können die Bedingungen einseitig durch spezialisierte Kräfte ganz überwiegend nach ihren wirtschaftlichen Interessen ausgestalten. Die Abweichung vom dispositiven Recht, das allerdings für den Versicherungsvertrag nur begrenzt existiert, erfolgt – wie in den meisten anderen Bereichen der Verwendung von AGB – „fast immer zu Lasten des Kunden; auch dort, wo es an dispositivem Recht fehlt, werden die Risiken der Vertragsabwicklung durch AGB regelmäßig auf eine Art und Weise verteilt, die dem Unternehmerinteresse in stärkerem Maße Rechnung trägt“.30 ___________ 28 Dies war bis Mitte 1994 Folge der Genehmigungspflicht durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV), heute ist Grundlage die EG-GruppenfreistellungsVO i.V.m. dem GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.07.2005 (BGBl. I S. 2114, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 01.09.2005 (BGBl. I S. 2676)); im Grundsätzlichen haben die AVB daher auch nach der europarechtlichen Liberalisierung noch immer normgleichen Charakter. 29 Vgl. dazu Bäuerle (2001), S. 255 ff., 270 ff.; zur Intransparenz von AGB allgemein, ebenda, S. 206 ff. 30 Dies allgemein konstatierend Kötz (1993), Rn. 2 zur Einleitung zum AGBG (Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 09.12.1976 (BGBl. I S. 3317), aufgehoben durch Gesetz vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138)); vgl. auch Loßmann (1985), S. 522 f.: „von einer generellen Berücksichtigung der Kundeninteressen kann nicht gesprochen werden“; vgl. grundlegend Wolf (1970). Prägnant auch schon Raiser (1935), S. 17 f.: „Großbetrieb und Wirtschaftsverbände sind gegenüber dem einzelnen Abnehmer oft mächtig genug, um eine Diskussion um den Vertragsinhalt abschneiden und ihm die Vertragsbedingungen einseitig diktieren zu können. Das Prinzip der Vertragsfreiheit, auf dem unsere zivilrechtliche Gesetzgebung aufbaut, gerät damit in ein neues, keineswegs günstiges Licht.“ Vgl. zum Ganzen aus verfassungsrechtlicher Perspektive Bäuerle, (2001), S. 204 ff., 390 ff.
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Dies und die Erschwerung der Vergleichsmöglichkeiten auch auf der Ebene des schlichten Prämienvergleichs wirft den Interessenten einmal mehr auf die Notwendigkeit einer leicht beeinflussbaren, weil nur gefühlsmäßig möglichen Entscheidungsfindung („Sicherheit hat eben ihren Preis“) zurück.
d) Umkehrung des klassischen Abschlussmechanismus – der Versicherungsinteressent als „Antragsteller“ Die dargelegten Informationsdefizite des Interessenten hinsichtlich der Definition des eigenen Versicherungsbedarfs und der Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Bedarfsdeckung werden schließlich durch eine Form des Vertragsabschlusses komplettiert, die den klassischen Vertragsabschlussmechanismus in sein Gegenteil verkehrt und den Informations- und Verhandlungsbedarf des Versicherungsinteressenten schlicht ignoriert: Dem Interessenten wird kein Vertragsangebot unter Vorlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen unterbreitet, das er nach gehöriger Prüfung annehmen, ablehnen oder – zumindest theoretisch – mit einem veränderten Gegenangebot beantworten könnte. Um einen Vertrag zustande zu bringen, muss er vielmehr selbst einen formularmäßigen „Antrag“ an die Versicherung als Verwender der Bedingungen stellen, der dann – unter Hinweis auf eventuelle Veränderungen des Inhalts – von dem Unternehmen „angenommen“ wird. Dabei sind nicht nur die allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Prämie für den Interessenten faktisch unverhandelbar, so dass er auf den Vertragsinhalt und das Äquivalenzverhältnis keinen Einfluss hat („take it or leave it“).31 Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen gelten vielmehr – soweit sie noch vom BAV genehmigt wurden – anders als bei anderen Verträgen auch dann, wenn sie dem Interessenten vorab nicht zur Kenntnis gegeben wurden.32 Der Verweis des Interessenten auf die Rolle des „Antragstellers“, der der Kenntnis der Versicherungsbedingungen nicht bedürfen soll, macht geradezu ___________ 31
Dies ist allerdings auch bei anderen Allgemeinen Geschäftsbedingungen und bei Preisen regelmäßig der Fall, vgl. Bäuerle (2001), S. 208 f. m.w.N. 32 Vgl. § 5 VVG (Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908 (RGBl. S. 263), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes vom 02.12.2004 (BGBl. I S. 3102)) und § 23 Abs. 3 AGBG (Gesetz zur Regelung der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in der bis zum 31.12.2001 gültigen Fassung, durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.2001 (Art. 6 Nr. 4, BGBl. I 2001, S. 3137 f., in Kraft seit 01.01.2002) wurde u. a. das AGB-Gesetz aufgehoben und ohne wesentliche Änderungen in der Sache in das BGB übernommen (§§ 305 ff. BGB). Entgegen der Intention der europarechtlichen Liberalisierung hat sich diese Situation auch durch § 10 a VAG nicht geändert, da das „Antragsmodell“ des § 5 VVG noch immer existiert und die durch § 10 a VAG vorgeschriebene Verbraucherinformation durch die Rückausnahme des § 5 a VVG faktisch weitgehend leer läuft.
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exemplarisch deutlich, wie wenig sich der Interessent gegenüber dem Versicherungsunternehmen faktisch in der Position eines gleichwertigen Verhandlungspartners befindet. Etwa bei gesundheitsabhängigen Lebens- und Rentenversicherungsverträgen eröffnet zudem diese Rollenverteilung den psychologischen Einflussmöglichkeiten der Vertragsvermittler weitere Türen, impliziert sie doch ganz entgegen der tatsächlichen Interessenlage, der Antragsteller könne von Glück reden, wenn er den „beantragten Schutz“ erhalte.
IV. Resümee Betrachtet man den Versicherungsvertrag unter Berücksichtigung der ungeschriebenen ökonomischen Prämissen der Vertragsfreiheit, unterscheidet er sich somit von anderen Verträgen durch seine faktische Unverzichtbarkeit und erhebliche Informationsdefizite der Versicherungsinteressenten hinsichtlich der Entscheidung, welche Risiken in welcher Form abgesichert werden sollen. Mangels „harter Fakten“ kann selbst ein überdurchschnittlich gebildeter und versierter Interessent für diese Entscheidung nur auf eine höchst diffuse Vorstellung von Nutzen und Wert einer Versicherung zurückgreifen.33 Die unter Beteiligung Dieter Rückles zustande gekommenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2005, wonach der Gesetzgeber in Teilbereichen seiner Schutzpflicht für die wirtschaftlichen Interessen der Versicherten nur unzureichend nachgekommen und zu Nachbesserungen aufgerufen ist, weisen daher in die richtige Richtung. Entsprechende Nachbesserungen erscheinen vor dem beschriebenen rechtstatsächlichen Hintergrund des Versicherungsvertrags in weiteren Bereichen unbedingt angezeigt. In ökonomischer Perspektive stellen sich etwa umfassendere gesetzliche Aufklärungspflichten, richterliche Inhaltskontrollen und zwingende Regelungen von Vertragsinhalten regelmäßig nicht als die penetrante Einschränkung von Autonomie dar, als die die Zivilrechtslehre sie gerne kennzeichnet, sondern als marktkonforme Anpassung des Rechts an eine Wirklichkeit, die ihrerseits Autonomie einseitig verschüttet hat. Die Juristen sind daher gut beraten, den Mauerbau zwischen den Disziplinen – ganz im Sinne der Forderung Rückles – alsbald zu beenden.
___________ 33
Dies ist auch in der „versicherungsfreundlichen“ Literatur unbestritten, vgl. Fricke (1995), S. 1136: „Dem Durchschnittskunden fehlen die notwendigen Kenntnisse von Bedarf und Produkt“; Ludwig (1994), S. 8: „Dem Kunden ist in aller Regel seine individuelle Risikolage und Bedarfssituation nicht hinreichend transparent und bewusst“. Langheid (2000), S. 63, spricht von „glatter Überforderung gerade des durchschnittlichen Verbrauchers, das ‚unsichtbare‘ Produkt Versicherung zu verstehen“.
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Zur einzelwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit von Privatrenten: Kapitalmarktvervollständigung, Überschussbeteiligung, Steuereffekte Von Jochen Hundsdoerfer
I. Einführung Wenn Dieter Rückle auch vielfältige Forschungsinteressen hat, so gehört doch der ökonomischen Analyse des Lebensversicherungsrechts seine besondere Zuneigung.1 Hier soll eine Variante der Lebensversicherung untersucht werden, die mit der sinkenden Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung an Bedeutung gewonnen hat und weiter gewinnen wird: der Kauf einer Leibrente von einem privaten Versicherungsunternehmen (Privatrente).2 In diesem Beitrag soll ein Überblick über die Vor- und Nachteile der Privatrente aus Sicht der Versicherungsnehmer gegeben werden. Zunächst wird gezeigt, dass faire Privatrenten gegenüber klassischen Kapitalmarktanlagen vorteilhaft sind, und dass selbst Investoren, die auch den Nutzen ihrer Erben berücksichtigen, Privatrenten erwerben sollten (Yaari-Separation). Dann wird das Problem der asymmetrisch verteilten Informationen über die Lebenserwartung und der daraus folgenden adversen Selektion auf dem Privatrentenmarkt kurz dargestellt. Anschließend wird erläutert, wie Rückles Vorschläge zur Überschussbeteiligung helfen können, die Verbreitung des gesamtwirtschaftlich sinnvollen Produkts der Privatrente zu fördern. Im letzten Schritt wird der Steuereinfluss auf Privatrenten exemplarisch untersucht. Gesamtwirtschaftlich sinnvoll sind Privatrenten nicht nur, weil sie – wie unten dargestellt – grundsätzlich eine zusätzliche, attraktive Anlagemöglichkeit für Kapitalanleger darstellen. Privatrenten können auch für die Gemeinschaft das Risiko senken, Einzelne in finanziellen Notlagen unterstützen zu müssen.3
___________ 1
Vgl. etwa Rückle (1997a); Rückle (1997b); Rückle (1997c); Rückle (2001). Zur institutionellen Ausgestaltung Hagelschuer (1987), S. 56 – 58. 3 Vgl. etwa Zweifel / Eisen (2003), S. 387. 2
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Jochen Hundsdoerfer
II. Kapitalmarktvervollständigung als Vorteil der Privatrente 1. Symmetrische Informationsverteilung über die Lebenserwartung Für das Folgende ist zwischen Fisher-Investoren, die allein den eigenen Konsum in ihrer Nutzenfunktion maximieren, und Marshall-Investoren, die bei ihren Entscheidungen auch die Konsummöglichkeiten ihrer Erben berücksichtigen, zu unterscheiden.4 Zunächst wird gezeigt, welchen Vorteil ein FisherInvestor durch die Möglichkeit zum Abschluss einer Privatrente hat. In einem Zwei-Zeitpunkte-Modell entspricht die Leibrente einer Erlebensfallversicherung mit einmaliger „Renten“-Zahlung im zweiten Zeitpunkt. Erwirbt der x Jahre alte Investor eine einjährige faire Versicherung, die im Erlebensfall ein Jahr später den Betrag R auszahlt, dann muss er dafür bei einem Marktzins i und bei symmetrischer Information über die einjährige Erlebenswahrscheinlichkeit px den Preis px*R/(1+i) bezahlen. Im Erlebensfall ergibt sich seine Rendite rxLR aus folgender Gleichung (mit Sterbewahrscheinlichkeit qx = 1 – px): rxPR R*
R 1 px
1 i § q · 1 i * ¨¨1 x ¸¸ 1 ! i px ¹ ©
Die Rendite der fairen Privatrente ist im Erlebensfall immer größer als der finanzmathematische Marktzins i.5 Je niedriger die Erlebenswahrscheinlichkeit px ist, desto höher ist die Rendite der Privatrente. Der Kalkül des Fisher-Investors soll an einem einfachen Zwei-ZeitpunkteModell untersucht werden. Der Fisher-Investor entscheide im Zeitpunkt 0 über die Verwendung seines vorgegebenen Anfangsvermögens V0 für x seinen Konsum im Zeitpunkt 0 (C0), x die Investition I0 in eine Finanzanlage zum Marktzins i (Rückflüsse im Zeitpunkt 1 = I0*(1+i), 0 < I0 < V0), x die Zahlung P0 (mit 0 < P0 < V0) für den Erwerb einer einjährigen fairen Erlebensfallversicherung („Privatrente“), die bei einer Erlebenswahrscheinlichkeit p einen Rückfluss von P0*(1+i)/p im Zeitpunkt 1 erzeugt. Der Fisher-Investor habe folgende Nutzenfunktion UF: P * 1 i º ª U F U 0 >C0 @ p * U1 «C1 I 0 * 1 i 0 » ¬
p
¼
___________ 4 5
Die Bezeichnungen gehen zurück auf Yaari (1965), S. 137, 140. Vgl. Yaari (1965), S. 144 f.
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
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U0 steht für den Konsumnutzen in Periode 0. U1 ist der antizipierte Konsumnutzen im Erlebensfall, gewichtet mit der Erlebenswahrscheinlichkeit p (Erwartungsnutzen). Vereinfachend wird unterstellt, dass die Periodennutzen additivseparabel sind. Die Budgetbeschränkung des Investors ist V0 = C0 + I0 + P0. Durch Gleichsetzen der partiellen Ableitungen der Lagrange-Funktion erhält man folgende beiden Optimumbedingungen: wU 0
wU 0 wC0 wU1
1 i und
wC1
wC0 wU1
1 i * p
wC1
Die erste Bedingung besagt, dass die Investition in die Privatrente bis zu dem Betrag erfolgen sollte, bei dem die intertemporale Grenzrate der Substitution des Investors gleich dem Marktzins i ist. Gemäß der zweiten Bedingung sollte der Investor in die Anlage zum Marktzins i investieren, bis die Grenzrate der Substitution gleich i*p – q ist6, wie durch einfache Umstellung ermittelt werden kann. Da i*p – q < i, lohnt die Investition zum Marktzins i nicht; der Investor sollte sein Anfangsvermögen lediglich auf Sofortkonsum und Privatrente verteilen und I0 = 0 wählen.7 Die Anlage in eine Privatrente ist für den Fisher-Investor folglich stets vorteilhaft gegenüber der Anlage auf dem Kapitalmarkt zum Marktzins i. Dieses Ergebnis gilt auch für riskante Kapitalanlagen.8 Nun wird der Entscheidungskalkül des Marshall-Investors, der auch die Konsummöglichkeiten seiner Erben berücksichtigt, am eben vorgestellten Zwei-Zeitpunkte-Modell untersucht.9 Der Marshall-Investor verteile im Zeitpunkt 0 sein vorgegebenes Anfangsvermögens V0 auf x seinen Konsum im Zeitpunkt 0 (C0), x den endgültigen Transfer Tr0 an die ihm nahe stehenden Personen (diese Personen sollen nur im Zeitpunkt 1 konsumieren, so dass Tr0 über eine Periode zum Marktzins i angelegt wird.), ___________ 6 Vgl. für einen Kapitalmarkt ohne Leibrenten Fisher (1930), S. 216 f.; Yaari (1965), S. 143. 7 Vgl. Yaari (1965), S. 144 f.; Kotlikoff / Spivak (1981), S. 375 – 378; Friedman / Warshawsky (1990), S. 144; Brown (2001), S. 33; allgemeiner Davidoff / Brown / Diamond (2003), S. 3 – 9. 8 Vgl. Diamond (2003), S. 57. 9 Brown (2001), S. 52 – 56, findet allerdings keinen Einfluss des Vererbungsmotivs auf den marginalen Leibrentenerwerb.
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x die Investition I0 (mit 0 < I0 < V0) in eine Finanzanlage zum Marktzins i, deren Rückflüsse im Zeitpunkt 1 I0*(1+i) im Erlebensfall vom Investor, anderenfalls von seinen Erben konsumiert werden, x die Zahlung P0 (mit 0 < P0 < V0) für den Erwerb einer einjährigen fairen Erlebensfallversicherung, die bei einer Erlebenswahrscheinlichkeit p einen Rückfluss von P0*(1+i)/p im Zeitpunkt 1 erzeugt. Die Nutzenfunktion des Marshall-Investors UM habe folgende Gestalt: UM
U0 >C0 @
§ ª · P * 1 i º p * ¨U1 «C1 I 0 * 1 i 0 » H1>N1 Tr0 * 1 i @¸¸ ¨ p ¼ © ¬ ¹ 1 p * H1>N1 I0 * 1 i Tr0 * 1 i @
Die erste Zeile steht für den Konsumnutzen in Periode 0. Die zweite Zeile zeigt den antizipierten Nutzen im Erlebensfall, gewichtet mit der Wahrscheinlichkeit p. Dieser Nutzen entsteht aus dem Konsumnutzen U1 des Investors aus C1 sowie aus dem Nutzen, den der Investor aus dem Konsum N1 der von ihm Beschenkten antizipiert. Dieser Konsum wird gewichtet mit der „altruistischen“ Nutzenfunktion H1 mit H1’ > 0; H1’’ < 0. Im Todesfall konsumieren die Erben nicht nur den schon erhaltenen Transfer Tr0 zuzüglich Zinsen, sondern auch die Rückflüsse aus der Finanzanlage, I0*(1+i). Diesen antizipierten Konsum seiner Erben N1 gewichtet der Investor wieder mit der Funktion H1 (dritte Zeile). Es gilt die Budgetbeschränkung: V0 = C0 + Tr0 + I0 + P0. Durch Gleichsetzen der partiellen Ableitungen der Lagrange-Funktion erhält man folgende drei Optimumbedingungen: wU 1 wC1
wH 1 >Erleben@ wU 1 ; wN1 wC1
wH >Erleben@ wH >Tod @ p* 1 1 p * 1 ; wN1 wN1
wU 0 wC0 wU 1 wC1
1 i
Durch Gleichsetzen der ersten und zweiten Optimumbedingung erhält man wH1>Erleben @ wN1
wH1>Tod @ wN1
Wegen H1’ > 0 ist diese Bedingung nur erfüllt, wenn die (potentiellen) Erben im Erlebens- wie im Todesfall den gleichen Betrag erhalten. Dieses – aus Sicht des Marshall-Investors ex ante optimale – Ergebnis erhält man im Modell ge-
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
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nau dann, wenn den Erben lediglich feste Transfers (Tr0) gewährt werden; die Kapitalmarktanlage I0 ist damit im Optimum Null. Der Investor teilt demnach sein nach Sofortkonsum C0 verbleibendes Vermögen auf die nahe stehenden Personen (Tr0) und auf eine Privatrente (P0) auf.10 Auch für den MarshallInvestor ist es damit in diesem Modell optimal, den eigenen Konsum durch eine Privatrente zu finanzieren. Anders ausgedrückt: Der Marshall-Investor sollte lediglich „mit warmer Hand“ geben. Die erste Bedingung besagt, dass der Transfer an die nahe stehenden Personen in dem Umfang stattfinden sollte, dass im Erlebensfall der Grenznutzen aus eigenem Konsum ebenso hoch ist wie der Grenznutzen aus dem Konsum der nahe stehenden Personen. Die dritte Bedingung zeigt, dass die Ersparnisbildung des Marshall-Investors – wie die des Fisher-Investors – durch den Kapitalmarktzins i determiniert wird, obwohl auch der Marshall-Investor überhaupt keine Anlage zum Kapitalmarktzins tätigt. Der Kapitalmarktzins i gelangt freilich nicht über die Kapitalmarktanlage, sondern über die Prämienkalkulation der Privatrente (Rückfluss = P0*(1+i)/p) in den Kalkül des Investors. Angesichts dieser Vorteilhaftigkeit der Leibrente im Modell verwundert es, dass die Privatrente nicht stärker verbreitet ist („annuity puzzle“).11 Von den möglichen Ursachen12 sollen hier zwei untersucht werden: adverse Selektion auf dem Markt für Privatrenten und die Technik der Überschussbeteiligung.
2. Adverse Selektion Eine natürliche Person kann bezüglich ihrer eigenen Lebenserwartung einen Informationsvorsprung gegenüber dem Anbieter einer Privatrente haben. Wenn der Anbieter dies antizipiert, wird er die Prämien entsprechend höher kalkulieren. Dadurch ist es möglich, dass die Privatrente für Personen mit niedrigerer Lebenserwartung nicht mehr lohnt, so dass diese Personen die Privatrente nicht mehr nachfragen. Es findet damit eine adverse Selektion13 in der Form statt, ___________ 10
Ähnlich Yaari (1965), S. 149. Vgl. etwa Mitchell et al. (1999), S. 1299; Diamond (2003), S. 56 m.w.N. 12 Zu weiteren Ursachen vgl. Kotlikoff / Spivak (1981), S. 380 – 386 (transaktionskostengünstige Substitution von Leibrenten durch implizite Versicherungen im Familienkreis); Brown (2001), S. 55 – 60 (Ungeeignetheit des Standard-Lebenszyklusmodells insbesondere bei kurzem Zeithorizont); Brown / Warshawsky (2001), S. 14 – 16 (fehlendes Verständnis der Konsumenten für Produkt, vgl. Rückle (1999a), S. 11 f.). Ein weiterer interessanter Erklärungsansatz ist das systematische Unterschätzen der eigenen Lebenserwartung (im Schnitt um etwa sechs Jahre) und das systematische Überschätzen der eigenen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, vgl. Börsch-Supan / Essig / Wilke (2005), S. 11 – 18. 13 Vgl. Akerlof (1970). 11
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dass Personen mit „schlechten Risiken“ (hier: langer Lebenserwartung) Privatrenten stärker nachfragen.14 Empirisch konnte eine adverse Selektion auf Leibrentenmärkten belegt werden. Danach liegen die Auszahlungen aus Leibrenten für Personen mit durchschnittlicher Lebenserwartung etwa 15 % unter den fairen Auszahlungen. Etwa zwei Drittel dieser Differenz seien auf adverse Selektion, nur etwa ein Drittel sei auf Kosten des Versicherungsbetriebs zurückzuführen.15 Bezüglich der einzelwirtschaftlichen Wirkungen der adversen Selektion auf die Vorteilhaftigkeit der Privatrente ist zwischen potentiellen Versicherungsnehmern unterschiedlicher Lebenserwartung zu trennen. „Versicherungslebige“ Personen, deren überdurchschnittliche Lebenserwartung der Prämienkalkulation zu Grunde liegt, sehen sich Prämien gegenüber, die – abgesehen von Kosten und Gewinnaufschlag der Versicherung – für sie fair kalkuliert sind. Im Fall adverser Selektion bleibt also die Rendite der Privatrentenversicherung für diesen Personenkreis auch ohne steuerliche Förderung unverändert hoch. Kommt eine Steuerförderung hinzu, dann steigt die Vorteilhaftigkeit noch. Personen mit niedrigerer Lebenserwartung (z.B. „normallebige“ Personen mit einer Lebenserwartung entsprechend dem Bevölkerungsdurchschnitt) sehen sich im Fall adverser Selektion auch ohne Kosten und Gewinnaufschlag der Versicherung unfairen Prämien gegenüber. Vorteile aus der Kapitalmarktvervollständigung werden jedoch häufig – auch ohne die Berücksichtigung der zusätzlichen Steuervorteile – die Nachteile aus adverser Selektion überkompensieren.16 Im oben dargestellten Modell kann eine adverse Selektion einzelwirtschaftlich berücksichtigt werden, indem bei der Kalkulation der Prämie nicht die individuelle Erlebenswahrscheinlichkeit p, sondern die höhere Erlebenswahrscheinlichkeit der Versicherungslebigen (p* > p) angesetzt wird. Im Erlebensfall ist die Rentenzahlung damit P0*(1+i)/p*. Damit ändert sich die Optimumbedingung für die intertemporale Allokation des Konsumpotentials sowohl für den Fisher-Investor als auch für den Marshall-Investor zu wU 0 wC0 wU1 wC1
1 i *
p p*
Der Investor kann auf dem Kapitalmarkt durch eine Privatrente also nur noch den Zins ___________ 14
Vgl. Brown / Warshawsky (2001), S. 7 f. Vgl. Warshawsky (1988), S. 518 – 528; Mitchell et al. (1999), S. 1308 – 1316; für Großbritannien finden Finkelstein / Poterba (2002), S. 40 – 47, eine etwas größere Bedeutung der adversen Selektion. 16 Vgl. Mitchell et al. (1999), S. 1314 f. 15
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1 i *
p p*
1 i
p* p p*
183
* 1 i i
erzielen. Zwar wird er seine Nachfrage nach Privatrenten damit zu Lasten des Sofortkonsums reduzieren, doch bleibt im Modell die Privatrente weiterhin die dominante Sparform, wenn p* < 1 vorausgesetzt wird. Sind die Vorteile aus der Kapitalmarktvervollständigung und aus der privilegierten Besteuerung hoch genug, damit sich auch für Personen mit einer geringeren Lebenserwartung als die versicherungslebigen Personen der Abschluss einer Privatrente lohnt17, dann wird auf die Dauer die adverse Selektion abnehmen: Das Versicherungsunternehmen kann wieder mit niedrigeren durchschnittlichen Risiken kalkulieren. Aus diesem Grund dürfen die genannten Vorteile und die Kosten der adversen Selektion nicht einfach saldiert werden: Die Kosten der adversen Selektion entstehen überhaupt nur dann, wenn sie potentiell höher sind als die Vorteile der Privatrente. Überwiegen die Vorteile, dann entfällt die adverse Selektion, und die Versicherten mit überdurchschnittlicher Lebenserwartung erzielen den zusätzlichen Vorteil, dass für ihre individuelle Situation die Prämien zu günstig kalkuliert werden (p* < p).
III. Heilbare und geheilte Mängel im System der Überschussbeteiligung Mängel im System der Überschussbeteiligung können ein Hindernis für die Verbreitung der Privatrente darstellen. Die Rechtsentwicklung in diesem Bereich soll kurz nachgezeichnet und beurteilt werden. Privatrentenverträge sind Versicherungsverträge, die die Beiträge der Versicherungsnehmer festschreiben, gewöhnlich eine lange Laufzeit aufweisen und den Versicherungsnehmern Einkommensunsicherheiten abnehmen sollen. Eine vollständige Übernahme der Einkommensunsicherheiten erfolgt jedoch nicht, da die Leistungshöhe variabel ist und insbesondere vom Anlageerfolg der Versicherung abhängt. Lediglich eine niedrige Garantieverzinsung auf den Sparanteil (die Versicherungsprämien nach Abschluss- und laufenden Kosten), die das Versicherungsunternehmen auch in ungünstigen Zukunftslagen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit18 wird leisten können, wird rechtsverbindlich zugesagt. Kapitalerträge des Versicherungsunternehmens, die nach Abzug der Kosten über ___________ 17 Kiesewetter / Thaut (2004), S. 221 – 250, vergleichen die Steuervorteile der Privatrenten mit den möglichen Nachteilen aus adverser Selektion. 18 Rückles Einschätzung, die Insolvenzgefahr von Versicherungsunternehmen sei im Vergleich zur Prognose der Überschussbeteiligung für den Versicherungsnehmer unwichtig, muss nach dem Fall der Mannheimer AG relativiert werden. Vgl. Rückle (2003), S. 224 f.; ähnlich Schneider (1980), S. 246.
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die Garantieverzinsung hinausgehen (Überschüsse), stellen zunächst Reserven zur Absicherung der Garantieverzinsung dar. Werden sie hierfür nicht benötigt, dann sind die Versicherungsnehmer an den Überschüssen zu beteiligen. Bei Privatrenten wird während der Ansparphase eine Überschussbeteiligung mit Schlussüberschuss im Zeitpunkt des Rentenbeginns gewährt. Auch während der Rentenphase werden Versicherungsnehmer an den Überschüssen beteiligt; ein Schlussüberschuss, der bei einer nicht abgekürzten Leibrente nur noch den Erben zukommen würde, wird nicht mehr geleistet. Für den HGB19-Einzelabschluss von Lebensversicherungsunternehmen gelten neben den allgemeinen Regeln die §§ 341-341p HGB. Nach der Einheitsprämientheorie20 werden Prämieneinnahmen erfolgswirksam gebucht. Davon abgetrennt wird für die künftig garantierten bzw. erwarteten Zahlungen an den Versicherungsnehmer auf der Grundlage der Garantieverzinsung eine Deckungsrückstellung passiviert (§ 341f HGB). Derzeit beträgt die Garantieverzinsung 2,75 % (§ 2 Abs. 1 Deckungsrückstellungsverordnung21); ab 2007 soll sie für Neuverträge auf 2,25 % gesenkt werden. Die Abschlusskosten (insbesondere die Vertreterprovision22) werden gewöhnlich gezillmert, also bis zur Höhe des Zillmersatzes23 als vorrangig zu tilgende Forderung gegen den Versicherungsnehmer behandelt.24 Sie reduzieren die Deckungsrückstellung (§§ 15 Abs. 1, 25 Abs. 1 Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung25).26 ___________ 19
Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3.8.2005 (BGBl. I S. 2267). 20 Kritisch Lehmann (1997), S. 168 – 170; Rückle (1997a), S. 258 f.; Rückle (1997b), S. 301 f.; Rückle (1997c), S. 174 f.; Rückle (2001), S. 569 – 574. 21 Verordnung über Rechnungsgrundlagen für die Deckungsrückstellungen vom 6.5.1996 (BGBl. I, S. 670), zuletzt geändert durch Verordnung vom 5.1.2003 (BGBl. I S. 2259). 22 Vgl. zu den negativen Folgen der Sofortprovisionierung Rückle (1999a), S. 14 – 20. 23 § 65 Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) vom 12.5.1901 (RGBl. S. 139), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.9.2005 (BGBl. I S. 2802), i.V.m. § 4 Deckungsrückstellungsverordnung. Vgl. zur Zillmerung etwa Hagelschuer (1987), S. 148 – 152. Da die tatsächlichen Abschlusskosten gewöhnlich höher sind als die rechnungsmäßigen Abschlusskosten, erfolgt eine „Quersubvention“ der überrechnungsmäßigen Abschlusskosten aus überhöht kalkulierten Verwaltungskosten, dazu kritisch Rückle (1997a), S. 291 f.; Rückle (1997c), S. 177. 24 Kritisch Rückle (1999a), S. 16. 25 Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen vom 8.11.1994 (BGBl. I S. 3378), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.12.2004 (BGBl. I S. 316). 26 In dieser Vorgehensweise kann ein Verstoß gegen § 248 Abs. 3 HGB (Verbot der Aktivierung von Aufwendungen für den Abschluss von Versicherungsverträgen) und
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Die Deckungsrückstellung steigt jährlich zunächst um die Garantieverzinsung. Die durch Anlage der Prämieneinnahmen auf dem Kapitalmarkt erwirtschaftete Kapitalverzinsung (nach Kosten für die Kapitalanlageverwaltung) wird rechnerisch vorrangig für diese Garantieverzinsung (und bei Einmalprämien zur Deckung der laufenden Verwaltungskosten) verwendet. Die darüber hinaus gehende Kapitalverzinsung wird um Direktgutschriften zu Gunsten der Versicherungsnehmer reduziert. Von den verbleibenden Erträgen sind mindestens 90 % (üblicherweise 96 bis 99 %) der Rückstellung für Beitragsrückerstattung gemäß § 341e Abs. 2 Nr. 2 HGB zuzuführen27. Zuführungen, die nicht für andere Zwecke (v.a. Sicherung der Garantieverzinsung) verwendet wurden, sind den Versicherungsnehmern spätestens drei Jahre28 nach Einstellung rechtswirksam gutzuschreiben. Dieter Rückle hat mehrfach Mängel in diesem System der Überschussbeteiligung herausgestellt, die eng miteinander zusammenhängen: Bemessungsgrundlage der Überschussbeteiligung: Ein eklatanter Mangel liegt darin, dass die Überschussbeteiligung auf Basis des nach HGB-Regeln ermittelten Rohüberschusses berechnet wird. Stille Reserven, die am Ende der Ansparphase noch bestehen29, gehen damit nicht in den Schlussüberschuss ein.30 Bei Privatrenten wird das Problem dadurch verschärft, dass auch während der Rentenphase, für die noch nicht einmal ein Schlussüberschuss vorgesehen ist, stille Reserven entstehen können. Damit haben die Versicherungsnehmer keinen Anspruch auf eine Beteiligung an den entstandenen stillen Reserven. Dies ermöglicht den Versicherungsunternehmen zahlreiche Gestaltungen.31 Zwar verstieg sich die letzte Bundesregierung (unter Rückgriff auf die fachlichen Ausführungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) noch vor kurzer Zeit zu der Behauptung: „Eine Berücksichtigung von stillen Reserven bei der Überschussbeteiligung stände im Widerspruch zu den handelsrechtlichen Bewertungsgrundsätzen, die eine Berücksichtigung nur bei Realisierung ___________ gegen § 246 Abs. 2 HGB (Saldierungsverbot) gesehen werden. Vgl. Rückle (2001), S. 575. 27 § 56a VAG, § 1 Abs. 2 Satz 1 Verordnung über die Mindestbeitragsrückerstattung in der Lebensversicherung (ZRQuotenV) vom 23.7.1996 (BGBl. I S. 1190). 28 Vgl. Schneider (1980), S. 240 – 242, zu den Wirkungen einer kürzeren Vorausdeklarationszeit. 29 Vgl. Rückle / Karst (1999), S. 81 – 86, 193 – 197. 30 Vgl. Rückle (2001), S. 571 – 574. 31 Vgl. Hesberg (1998), S. 743 – 753. Eine weitere Gestaltung ist die Bestandsübertragung (§ 14 VAG): Hier wird aus Sicht des Versicherungsnehmers der Schuldner ausgetauscht, wobei § 415 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vom 18.10.1896 (RGBl. S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7.7.2005 (BGBl. I S. 1970), wegen § 14 Abs. 1 Satz 4 VAG nicht zur Anwendung kommt. Nach bisherigem Recht mussten dabei stille Reserven nicht mit übergehen, vgl. Rückle (1997b), S. 285.
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der Vermögenswerte, etwa durch Veräußerung, vorsehen würden. Zudem wäre es auf Grund der Möglichkeit der Aufzehrung der stillen Reserven nicht sachgerecht, sie bei der Überschussbeteiligung zu berücksichtigen.“32 Rückles Beiträge widerlegen diesen Unsinn ausführlich und überzeugend33: Ohne Beteiligung an den stillen Reserven „werden die Versicherten faktisch enteignet, denn durch einseitige Bilanzpolitik können ihre Ansprüche endgültig reduziert … werden“34. Das BVerfG entschied am 26.7.200535 in mehreren Verfahren, an denen Dieter Rückle als Sachverständiger beteiligt war, in Rückles Sinne: Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis Ende 2007 dafür zu sorgen, dass bei der Berechnung des Schlussüberschusses einer Kapitallebensversicherung mit Überschussbeteiligung die Vermögenswerte angemessen berücksichtigt werden. Dieser Mangel wird also geheilt werden.36 Mangelhafte Transparenz: Bei der Entscheidung über den Abschluss einer Privatrentenversicherung, bei der Auswahl des Vertragspartners und bei späteren Entscheidungen, z.B. über Stornierung oder Beitragsfreistellung des Vertrags, benötigt der Versicherungsnehmer Informationen über die Vertragseigenschaften37 und das Versicherungsunternehmen.38 Den von Versicherungsunternehmen zu diesen Zwecken zur Verfügung gestellten Informationen, insbesondere der – gewöhnlich einwertigen – Prognose der Leistungen aus der Überschussbeteiligung, mangelte und mangelt es jedoch an Verlässlichkeit, Überprüfbarkeit und Geeignetheit39. So wird für die Überschussbeteiligungsprognosen von Kapitallebensversicherungen auf den Durchhaltefall, der für weniger als die Hälfte der Verträge relevant ist40, abgestellt. In den letzten Jahren ist, hauptsächlich als Folge der Reaktion der Politik auf befürchtete Versorgungslücken, Bewegung in den Markt der Privatrenten gekommen. Bei fondsgebundenen Privatrenten trägt der Versicherungsnehmer ein größeres Risiko, dafür ist die Transparenz hier deutlich höher. Bei Riester-Renten muss der Anbieter den Vertragspartner vor Antragstellung u.a. über die Abschlusskosten und ihre zeit___________ 32 Äußerung zum BVerfG-Urteil vom 26.7.2005 – 1 BvR 80/95, Rd.Nr. 47, http:// www.bverfg.de/entscheidungen/rs20050726_1bvr008095.html, Download 5.12.2005. 33 Vgl. Rückle (1997a), S. 264 – 291; Rückle (1997b), S. 281 – 300; Rückle (1997c), S. 177 – 186; Rückle (2001), S. 571 – 574. 34 Rückle (1997b), S. 300. 35 BVerfG-Urteile vom 26.7.2005 – 1 BvR 80/95 (Fn. 32) , 1 BvR 782/94, 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363 – 2376. 36 Vgl. den Beitrag von Wallrabenstein in dieser Festschrift. 37 Vgl. Rückle (2003), S. 230. 38 Vgl. detailliert Blaesius (1988), S. 13 – 19. 39 Vgl. Schneider (1980), S. 239, 266 f.; Rückle (1999b), S. 124; Rückle (2001), S. 567, 571; Rückle (2003), S. 225. Zur Verbesserung der Transparenz durch den SPDEntwurf 1997 zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes vgl. Rückle (1999b) sowie den Beitrag von Altenburger in dieser Festschrift. 40 Vgl. Rückle (1999a), S. 13 m.w.N.
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
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liche Verteilung sowie die Kapitalverwaltungskosten informieren; nach Vertragsabschluss muss er jährlich schriftlich eine Prämienzerlegung durchführen und über die erwirtschafteten Erträge informieren (sowie darüber, „ob und wie ethische, soziale und ökologische Belange bei der Verwendung der eingezahlten Beiträge berücksichtigt werden“, § 7 Abs. 1, 4 AltersvorsorgeverträgeZertifizierungsgesetz41). Abschlusskosten sind über mindestens fünf Jahre linear zu verteilen (§ 1 Abs. 1 Nr. 8 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz). Auch wenn der Gesetzgeber an Basisrenten keine besonderen Transparenzanforderungen stellt, so kann doch allein schon die Existenz transparenterer Vertragsalternativen dazu führen, dass Anbieter freiwillig zusätzliche Informationen zugänglich machen. Rückkaufswerte: Die Zillmerung der Abschlusskosten42 bei Verträgen mit laufenden Prämien bewirkt, dass in den ersten Jahren das Deckungskapital niedrig oder negativ ist und die Rückkaufswerte niedrig sind. Gleiches gilt bei Einmalprämien durch den Sofortabzug der Abschlusskosten. Hinzu kommen gewöhnlich Stornogebühren. Dadurch wird der Versicherungsnehmer an den Vertragspartner auch dann gebunden, wenn sich während der Vertragslaufzeit zeigt, dass der falsche Vertragspartner gewählt wurde.43 Der BGH hat jedoch jüngst in Klauselersetzungsfällen44 entschieden, dass der Rückkaufswert (und die beitragsfreie Summe bei Beitragsfreistellung) die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals nicht unterschreiten dürfen.45 Bei der Überschussbeteiligung und den Rückkaufswerten haben die aktuellen Rechtsprechungsänderungen die schlimmsten Missstände abgestellt. Für eine Verbesserung der Transparenz kann auch auf Marktkräfte gehofft werden. Diese Entwicklungen können die Attraktivität der Privatrenten für die Versicherungsnehmer deutlich erhöhen.
___________ 41 Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen vom 26.6.2001 (BGBl. I S. 1310; S. 1322), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.2004 (BGBl. I S. 1427). 42 In die Abschlusskosten werden z.B. auch Kosten für Werbung und Schulung des Außendienstes eingerechnet. Zu den Folgen vgl. Rückle (1997b), S. 295. 43 Vgl. Rückle (1999a), S. 13 f.; Rückle (2001), S. 566. 44 Diese einseitigen Ersetzungen von Klauseln in den Bedingungen bei Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen wurden in Reaktion auf die BGH-Urteile vom 9.5.2001, IV ZR 121/00, IV ZR 138/99, BGHZ 147, S. 354, 373, vorgenommen. 45 BGH-Urteil vom 12.10.2005, IV ZR 162/03, IV ZR 177/03, IV ZR 245/03, http:// www.bundesgerichtshof.de/entscheidungen/entscheidungen.php, Download 5.12.2005.
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IV. Steuerwirkungen auf die Vorteilhaftigkeit der Privatrente 1. Besteuerung beim Versicherungsnehmer Im Folgenden wird erörtert, wie die Besteuerung auf die Vorteilhaftigkeit von Privatrenten wirkt. Rückle mahnt für die Beurteilung der Altersvorsorge und der Steuerfolgen von Altersvorsorgeprodukten zu Recht eine Gesamtbetrachtung des Anlegerportfolios an.46 Hier steht jedoch weniger die Anlegerberatung im Vordergrund, vielmehr ist zu ermitteln, ob Privatrenten steuerlich privilegiert werden, so dass abstrahierend allein die Privatrente untersucht wird. Dabei wird zwischen der Einzahlungsphase, der Verzinsungsphase (Akkumulationsphase) und der Rentenphase unterschieden. Einzahlungsphase: Die Prämienzahlungen sind aus versteuertem Einkommen zu leisten, wenn keine der folgenden Förderungen zur Anwendung kommt: x Sind die Voraussetzungen der Riester-Förderung erfüllt, dann wird eine Zulage von maximal 154 € (2006 und 2007: 114 €) sowie ggf. eine Kinderzulage gewährt; alternativ ist ein Sonderausgabenabzug möglich (§ 10a Abs. 2 EStG47). Dazu ist ein Mindesteigenbeitrag zu leisten. Insgesamt können Prämien auf zertifizierte Verträge (Altersvorsorgebeiträge, § 82 EStG) gemäß § 10a EStG bis zu 2.100 € (2006 und 2007: 1.575 €) als Sonderausgaben abgezogen werden. x Prämien für eine private, kapitalgedeckte Altersversorgung (Basisrente) sind als Sonderausgaben (Altersvorsorgeaufwendungen) abziehbar, wenn frühestens ab einem Lebensalter von 60 Jahren eine monatliche, lebenslange Rentenzahlung gewährt wird. Vererblichkeit, Übertragbarkeit, Beleihbarkeit, Veräußerbarkeit und Kapitalisierbarkeit sind abzugsschädlich (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b EStG). Zwar ist die Abzugsfähigkeit der Höhe nach begrenzt, doch liegt die Grenze recht hoch: Ein Arbeitnehmer mit einem Gehalt von 30.000 € (62.400 €) kann Jahresprämien bis zu etwa 14.000 € (7.800 €) ansetzen. Zwischen 2005 und 2025 steigt die Abzugsfähigkeit dieser Prämien linear von 60 % auf 100 %. Damit besteht im Regelfall ein Anrecht auf eine Förderung (Abzug zwischen 60 und 100 % oder Zulage). Häufig wird der Versicherungsnehmer jedoch aus versteuertem Einkommen ansparen, weil er die Voraussetzungen für die Riester-Förderung oder für die Basisrente nicht erfüllen möchte. Insbesondere die fehlende Beleihbarkeit und der unzureichende Hinterbliebenenschutz können gegen den Abschluss einer Basisrente sprechen. Wird nachträglich gegen die ___________ 46
Vgl. Rückle (2003), S. 227 f. Einkommensteuergesetz vom 16.10.1934 (RGBl. I S. 1005), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.9.2005 (BGBl. I S. 2809). 47
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
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Fördervoraussetzungen verstoßen, dann ist die Steuerförderung aus dem Sonderausgabenabzug zurückzuzahlen (§ 30 EStDV48) und die kumulierten Kapitalerträge sind (unter bestimmten Voraussetzungen hälftig) zu versteuern (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG). Allerdings können die Beleihungs- und Kapitalisierungsverbote relativ leicht wirksam umgangen werden.49 Verzinsungsphase: Zwischen der Prämienzahlung und der Rentenzahlung ist die Privatrente für den Versicherungsnehmer steuerlich irrelevant. Rentenphase: Die Besteuerung folgt einer intertemporalen Korrespondenz: Insoweit die Einzahlungen steuerlich durch Sonderausgabenabzug oder Prämie gefördert werden, sind die Rentenzahlungen in voller Höhe steuerpflichtig (§ 22 Nr. 1 EStG). Für zwischen 2005 und 2040 beginnende Renten steigt der steuerpflichtige Teil degressiv von 50 % auf 100 %. Wurden Einzahlungen aus versteuertem Einkommen geleistet, dann ist nur der Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG steuerpflichtig.
2. Wirkungen der Besteuerung auf die Vorteilhaftigkeit von Privatrenten Oben wurde gezeigt, dass eine Anlage zum Kapitalmarktzins i für den rationalen Investor nicht lohnt, wenn er auch in Privatrenten investieren kann. Um die Effekte der Besteuerung von Privatrenten zu isolieren, wird hier dennoch eine Anlage zum Kapitalmarktzins i als Alternativanlage verwendet.50 Implizit wird damit unterstellt, dass das im Todesfall noch vorhandene Kapital dem Entscheidungsträger den gleichen Nutzen stiftet, als würde er noch leben. Drei Handlungsmöglichkeiten des Kapitalanlegers werden im Folgenden berücksichtigt:51 x der Abschluss einer steuerlich geförderten Privatrente (Basisrente), x der Abschluss einer Privatrente, die steuerlich nicht gefördert wird, sowie x die regulär besteuerte Alternativanlage zum Kalkulationszinsfuß. Untersucht wird folgende Konstellation: Ein Versicherungsnehmer zahlt im Zeitpunkt t=0 eine Einmalprämie in der Höhe, dass er nach möglicher Steuererstattung einen Konsumverzicht von NP0 leistet. Ist der Anteil a der Prämie steu___________ 48
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 21.12.1955 (BGBl. I S. 756, BStBl. I, S. 710), zuletzt geändert durch Verordnung v. 29.12.2004 (BGBl. I S. 3884). 49 So kann der Versicherungsnehmer einen Kredit in Kombination mit einer Risikolebensversicherung mit fallender Versicherungssumme aufnehmen. Vgl. Hagelschuer (1987), S. 54; Kiesewetter / Thaut (2004), S. 245. 50 Vgl. zur Problematik der Alternativanlage Thaut (2003), S. 15. 51 Ähnlich Niemann / Kiesewetter (2002), S. 4 – 17.
190
Jochen Hundsdoerfer
erlich abzugsfähig, dann wird also eine Prämie von NP0/(1 – a*se) entrichtet, so dass der Konsumverzicht nach Steuern NP0/(1 – a*se)*(1 – a*se) = NP0 beträgt. Dafür erhält der Versicherungsnehmer im Zeitraum W bis W + R eine nachschüssige jährliche Privatrente. Dieser Zeitraum wird als sicher und beiden Vertragsparteien bekannt unterstellt (keine adverse Selektion). Ein – hier nicht untersuchter – Vertrag mit laufenden Prämien kann grundsätzlich aus mehreren Verträgen mit Einmalprämien zusammengesetzt werden.52 Mögliche Vertragsänderungen durch den Versicherungsnehmer (Stornierung, Beitragsfreistellung) werden vernachlässigt.53 Die mit dem Geld des Versicherungsnehmers (nach Abschlusskosten, tak0) erwirtschafteten Kapitalerträge (nach laufenden Kosten der Kapitalanlage) werden für die Deckung der laufenden Kosten des Versicherungsbetriebs und für die Verzinsung der Kapitalanlage des Versicherungsnehmers (rechnungsmäßige und außerrechnungsmäßige Zinsen) verwendet. Die Höhe der Rente ergibt sich, indem auf das eingesetzte Kapital nach Abschlusskosten die Versicherungs-Nettoverzinsung aus Sicht des Versicherungsnehmers angewandt wird. Diese Nettoverzinsung ist freilich ex ante unbekannt, da sie sowohl von künftigen Entwicklungen des Kapitalmarkts als auch von Anlage- und Überschussverteilungsentscheidungen des Versicherungsunternehmens abhängt. Zur Isolierung der Steuerwirkungen wird hier stark vereinfachend angenommen, dass diese Nettoverzinsung rv dem Versicherungsnehmer vorher bekannt und im Zeitablauf konstant ist. Die Rente unterliegt mit dem Anteil e der Einkommensteuer. Dabei wird zwischen dem Einkommensteuersatz in der Wartephase (seW) und dem Einkommensteuersatz in der Rentenphase (seR) unterschieden. Alternativanlage ist eine voll steuerpflichtige Anlage in fest verzinsliche Wertpapiere mit der Rendite rF. Nach Steuern ist der Kalkulationszinsfuß also rF*(1 – seW) in der Wartephase bzw. rF *(1 – seR) in der Rentenphase.
___________ 52
Allerdings kann die Behandlung der Abschlusskosten (Zillmerung) zu Unterschieden in der Rendite der einzelnen Verträge führen. 53 Vgl. dazu Niemann / Kiesewetter (2002), S. 33 – 42, für Kapitallebensversicherungen; sowie Thaut (2003), S. 28 – 40, der besonders auf die Verschlechterung der Kapitalwerte im Stornierungsfall hinweist.
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
191
Der Kapitalwert der privaten Rentenversicherung nach Steuern ist
C0R
NP0 ° ° NP0 * 1 tak0 * 1 r v W ° 1 a * seW ° R ° r v * 1 r v * 1 e * seR °* v R ° 1 r 1 ® R ° 1 r F * 1 seR 1 °* ° F R F R ° r * 1 se * 1 r * 1 se ° 1 °* W ° 1 r F * 1 sWe ¯°
Nettoprämie nach ESt-Abzug Vermögen im Zeitpunkt W
Verrentung und Versteuerung
R
Abzinsung der Rente auf W
Abzinsung auf 0
Im Folgenden soll als Maßgröße die relative Änderung des Anfangsvermögens c0 verwendet werden, die eine Handlungsmöglichkeit erwirtschaftet. Man erhält c0, indem man den Kapitalwert C0 durch das eingesetzte Anfangsvermögen (hier: NP0) teilt: c0R = C0R / NP0. Diese Maßgröße, die bei positivem Anfangsvermögen mit dem Kapitalwertkriterium kompatibel ist (C0 > 0 c0 > 0), hat gegenüber dem Kapitalwert den Vorteil höherer Anschaulichkeit. Das Anfangsvermögen stellt das Ausgangs-Konsumpotential dar. Die Maßgröße c0 sagt nun, wie sich dieses Konsumpotential durch eine Entscheidung relativ ändert. Als Ausgangsfall wird folgende Datenkonstellation betrachtet: x W = 15; R = 10: Die Wartezeit zwischen der Zahlung der Einmalprämie und dem Rentenbeginn beträgt 15 Jahre. Die anschließende (als sicher und auch dem Versicherungsunternehmen bekannt angenommene) Laufzeit der Rentenzahlungen betrage 10 Jahre. x rF = 5 %: Die Rendite einer voll steuerpflichtigen Finanzanlage mit dem gleichen Ausfallrisiko wie die Privatrente betrage 5 %. Dies sei die Alternativanlage. x rv = 4 %: Die Nettorendite der Rentenversicherung betrage 4 %. Die Differenz zur Rendite der Finanzanlage entsteht durch die laufenden Kosten des Versicherungsbetriebs54. ___________ 54 Damit werden die Verwaltungskosten der Versicherung als Bruchteil des Anlagebetrags zu Beginn der Periode definiert. Vgl. zu dieser Problematik im Ratingzusammenhang Rückle (2003), S. 231. Eine Modellierung als Bruchteil des laufenden Beitrags
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Jochen Hundsdoerfer
x tak0 = 8 %: Die Abschlusskosten (Transaktionskosten) sollen 8 % der Einmalprämie betragen. Sie werden direkt gegen die Einmalprämie verrechnet, so dass nur 92 % für Kapitalanlagen auf Versicherungsebene zur Verfügung stehen. x seW = 44,31 %; seR = 26,38 %: Im Zeitpunkt der Prämienzahlung und während der gesamten Wartezeit unterliegt der Steuerpflichtige einem relevanten Steuersatz von 42 % zuzüglich Solidaritätszuschlag von 5,5 % = 44,31 %. Während des Zeitraums der Rentenzahlungen sei der relevante Steuersatz 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag, also 26,38 %. Diese Annahmenkonstellation beschreibt insbesondere die steuerliche Situation von Personen, die während ihrer aktiven Arbeitszeit hohe Einkünfte und in der Rentenphase relativ niedrige Einkünfte erhalten. x a = 1; e = 1 (Basisrente) bzw. a = 0; e = 0,18 (steuerlich nicht geförderte Privatrente): Die Prämie der Basisrente ist vollständig abziehbar; die Rückflüsse sind voll steuerpflichtig. Übergangsregelungen werden nicht berücksichtigt.55 In diesem Ausgangsfall ergeben sich folgende relative Änderungen des Anfangsvermögens: Für die Basisrente BR ist c0BR = 47,4 %. Um diesen Prozentsatz kann der Anleger sein eingesetztes Anfangsvermögen erhöhen, wenn er in die Basisrente statt in die Alternativanlage investiert. Die steuerlich nicht geförderte Privatrente PR hat ein c0PR von 6,2 %. Die zusätzliche Flexibilität der Privatrente (Vererbbarkeit, Beleihbarkeit, Kapitalisierbarkeit) verursacht in dieser Konstellation also erhebliche Kosten. Im Fall ohne Steuern (Steuersatz von seW = seR = 0) ist c0BR =c0PR = –24,1 %. Dies zeigt die steuerliche Privilegierung sowohl der Basis- als auch der Privatrente gegenüber der Alternativanlage.
___________ (so Niemann / Kiesewetter (2002), S. 7) scheidet wegen der Annahme der Einmalprämie aus. Vgl. auch Niemann / Kiesewetter (2003), S. 565 f. Risikoschutzkosten werden nicht berücksichtigt, weil sie in einem Modell unter Sicherheit keinen Sinn ergeben. Inkassokosten werden bei Einmalprämien normalerweise nicht erhoben. 55 Der abziehbare Anteil der im Übergangszeitraum gezahlten Prämien zur Basisrente ist niedriger als der später steuerpflichtige Anteil der Renten. Dadurch sinkt im Übergangszeitraum die Vorteilhaftigkeit der Basisrente.
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
193
3. Datenvariation Erhöht sich die Nettorendite auf Versicherungsebene (rv), dann muss die Vorteilhaftigkeit der Privatrenten steigen. Dies zeigt die folgende Abbildung:
c 0 = Vermögensänderung durch Rente .
80%
60%
40% BR 20%
0% 1,0%
2,0%
3,0%
4,0%
5,0%
-20% PR -40%
v
Nettorendite Versicherung (r )
Abbildung 1: Vermögensänderung in Abhängigkeit von der Nettorendite
Die Basisrente BR lohnt bereits ab einer Nettorendite von 2,0 %. Auch die nicht explizit geförderte Privatrente PR wird bei einer Nettorendite von über 3,6 % vorteilhaft. Aus dieser Nettorendite sind immer noch die Abschlusskosten (im Beispiel 8 % der Einmalprämie) zu decken. Dass die Privatrente mit einer Bruttorendite von 3,6 % dennoch so gut ist wie die Alternativanlage mit einer Verzinsung von 5 %, für die keine Kosten angenommen wurden, liegt an der relativen steuerlichen Subventionierung der Privatrente (temporäre Steuerfreiheit der Zinsen und Ertragsanteilsbesteuerung) im Beispiel. Die noch stärkere Subventionierung der Basisrente durch die nachgelagerte Besteuerung ist deutlich zu erkennen. Die Abschlusskosten der Versicherung, die zu Lasten des Versicherungsnehmers gegen die Einmalprämie verrechnet werden, mindern die Vorteilhaf-
194
Jochen Hundsdoerfer
tigkeit der Privatrente. Zwar haben die Abschlusskosten einen großen Einfluss auf die absolute Vorteilhaftigkeit der Privatrentenvarianten, nur wird im Beispiel die relative Vorteilhaftigkeit praktisch nicht berührt. Bei Abschlusskosten zwischen 0 und 13 % der Prämie ist im Beispiel die Basisrente die beste, die Alternativanlage die zweitbeste und die Privatrente die schlechteste Handlungsmöglichkeit. Erst darüber hinaus wird die Alternativanlage besser als die Privatrente.
c 0 = Vermögensänderung durch Rente .
60% BR
50% 40% 30% 20% 10% 0% 0% -10%
10%
20% PR
30%
40%
-20% -30%
Abschlusskosten Versicherung (tak 0)
Abbildung 2: Vermögensänderung in Abhängigkeit von den Abschlusskosten
Der Steuersatz in der Rentenphase (seR) hat insbesondere auf die Basisrente BR Einfluss, weil die Rückflüsse vollständig diesem Steuersatz unterliegen. Die Einflüsse dieses Steuersatzes auf die nicht explizit geförderte Privatrente PR sind im Vergleich hierzu gering. Die kritischen Werte für seR, bei deren Überschreiten PR gegenüber BR vorteilhaft ist, liegen bei knapp 50 % für einen hohen (44,31 %) und 30 % für einen niedrigen (26,38 %) Steuersatz in der Wartephase seW. Allerdings sind im letzteren Fall BR und PR schlechter als die Alternativanlage.
Vorteilhaftigkeit von Privatrenten
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c 0 = Vermögensänderung durch Rente .
100% 80% 60% BR (s e W high)
40% BR (s e W low)
20%
PR (s e W high) 0% 0% -20% -40%
10% PR (s e W low)
20%
30%
40%
50%
R
Steuersatz Rentenphase (s e )
Abbildung 3: Vermögensänderung in Abhängigkeit von den Steuersätzen
Insgesamt ist eine starke steuerliche Förderung der Basisrente festzustellen. Auch die nicht explizit geförderte Privatrente wird regelmäßig steuerlich gegenüber der Alternativanlage privilegiert, wenn auch deutlich geringer. Zusammenfassend erhöht die steuerliche Förderung noch einmal die Vorteile, die die Privatrente durch die Kapitalmarktvervollständigung für die Versicherungsnehmer bereits aufweist.
V. Zusammenfassung Privatrentenversicherungen sind einzel- wie gesamtwirtschaftlich sinnvoll. Faire Privatrenten sind gegenüber klassischen Kapitalmarktanlagen vorteilhaft; selbst für Investoren mit einem Vererbungsmotiv kann sich ihr Erwerb lohnen. Zwar führen asymmetrisch verteilte Informationen über die Lebenserwartung der potentiellen Versicherungsnehmer zu adverser Selektion auf dem Privatrentenmarkt, doch werden Privatrenten für viele Investoren trotz dieses Nachteils und trotz ihrer übrigen Kosten vorteilhaft sein. Dieter Rückles Vorschläge zur Ausgestaltung der Überschussbeteiligung und zur Erhöhung der Transparenz von Lebensversicherungen haben geholfen
196
Jochen Hundsdoerfer
und können weiter helfen, die Verbreitung der Privatrentenversicherung zu fördern. Eine weitere starke Förderung der Privatrentenversicherung entsteht durch ihre steuerliche Privilegierung nach dem Alterseinkünftegesetz56.
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___________ 56 Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen vom 5.7.2004 (BGBl. I S. 1427).
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Jochen Hundsdoerfer
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Die Abbildung des Versicherungsvertrages im IFRS-Abschluss: Was steht am Ende von Phase II des Insurance-Projektes? Von Friedhelm Kläs und Christoph Bonin
I. Einleitung Bereits der Vorgänger des International Accounting Standards Boards (IASB), das International Accounting Standards Committee (IASC), hat 1997 ein Steering Committee eingesetzt, um einen Standard für die Rechnungslegung von Versicherungsverträgen zu erarbeiten. Bis März 2004 hat es jedoch gedauert, um IFRS 4 Insurance Contracts zu veröffentlichen, den Standard, der Phase I des Versicherungsprojektes zum Abschluss brachte. Für Phase I hatte das IASB sich zum Ziel gesetzt, die Rechnungslegung in begrenzten Umfang zu verbessern, ohne dass dies zu größeren Veränderungen in der gegenwärtigen Rechnungslegungspraxis führt, die möglicherweise in Phase II erneut geändert würden. Des Weiteren wollte man zumindest mit Hilfe von Offenlegungsanforderungen zu Wertansätzen und den zugrunde liegenden Cashflows das Verständnis der Nutzer für den Abschluss gewährleisten. Dieses Ziel wurde jedoch teilweise bereits im Juli 2004 mit dem Exposure Draft (ED) Financial Guarantee Contracts and Credit Insurance1 und durch die in ED 7 Financial Instruments: Disclosures (Juli 2004) enthaltenen Änderungen zu den Offenlegungsanforderungen in IFRS 4 in Frage gestellt. Entgegen der Absicht IFRS 4 als Teil der stable platform für die Anwender, die 2005 verpflichtend einen IFRS-Abschluss aufstellen müssen, als verlässliche Grundlage bereitzustellen, unternahm das IASB unmittelbar nach Veröffentlichung den Versuch, Umfang und Inhalt zu restrukturieren. Einige Kritiker sehen darin
___________ 1
Exposure Draft of proposed amendments to IAS 39 Financial Instruments: Recognition and Measurement and IFRS 4 Insurance Contracts, Financial Guarantee Contracts and Credit Insurance, July 2004.
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Friedhelm Kläs und Christoph Bonin
ein Signal der Unzufriedenheit mit dem Erreichten und den Willen des Boards, sich unverzüglich an eine Verbesserung zu machen.2 Im Rahmen des IASB/FASB joint meeting vom April 2004 hat man in Aussicht gestellt, dass das Insurance Projekt von beiden Boards im Rahmen des modified joint approach angegangen wird (IASB Update April 2004)3. Da das IASB die Lead-Rolle angenommen hat, wurde im Sommer 2004 vom IASB eine Working Group für Phase II des Insurance Projektes benannt. Sie soll das Board zunächst bei der Identifizierung von Themen unterstützen, bei zentralen Fragestellungen das Board beraten und schließlich bei der Auswertung der Comment Letter helfen, die zu einem Discussion Paper eingehen4. Im Mittelpunkt der Beratungen werden folgende Fragen stehen: – Sollte das Board versuchen, ein Modell für alle Versicherungsverträge zu entwerfen oder sollte nach Versicherungsarten unterschieden werden? – Sollte die Bewertung der Verbindlichkeiten oder zumindest Teile davon einem Gegenwartswert entsprechen? – Sollte das Bewertungsmodell Erwartungen über die Performance der Finanzanlagen einschließen? – Wie sollte das Risiko berücksichtigt werden? – Sollte das Rechnungslegungs-Modell die Möglichkeit eines Gewinns bei Vertragsbeginn begrenzen oder ausschließen? – Sollte das Modell die Erwartungen über Cashinflows und -outflows berücksichtigen, die sich aus dem Verhalten der Versicherungsnehmer hinsichtlich Verlängerung oder Kündigung des Vertrages ergeben? – Sollten die Abschlusskosten aktiviert und danach amortisiert werden? – Sollten Versicherungsverträge in ihre Komponenten zerlegt und diese gesondert bewertet werden? ___________ 2 6 der 14 Board Member hatten bereits IFRS 4 ihre Zustimmung verweigert. Kern ihrer Ablehnung bildet die Ausnahme in IFRS 4 von den Paragraphen 10-12 in IAS 8 Accounting, Policies, Changes in Accounting Estimates and Errors. Damit werden Anwender von IFRS 4 explizit von der Anwendung der „Hierachie“ ausgenommen. Dies hat z.B. zur Folge, dass die Rechnungslegung für Versicherungsverträge sich nicht an den Kriterien Relevanz und Zuverlässigkeit ausrichten muss. 5 der 6 Board Member vertraten die Auffassung, dass ein Standard, der eine Ausnahme von so fundamentalen Prinzipien vorsieht, nicht Bestandteil der IFRS sein kann. 3 Die Erklärung sieht vor, dass das IASB die Diskussion führt bis man ein Diskussionspapier erstellt hat. Danach würde das FASB das Projekt ebenfalls aktiv diskutieren. Ziel wäre ein gemeinsamer ED. 4 Working Group Operating Procedures, paragraph 1.
Die Abbildung des Versicherungsvertrages im IFRS-Abschluss
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– Wie sollten die Verpflichtungen des Versicherers aus Überschussbeteiligungen angesetzt und bewertet werden? – Sollte die Bewertung der Verbindlichkeiten vom Credit-Rating des Versicherers abhängen? In den folgenden Abschnitten werden diese Themen im Detail diskutiert und anhand des IASB Framework und der International Financial Reporting Standards (IFRSs) die Lösungsansätze bewertet. Zum Abschluss wird das Ergebnis in einem Modellvorschlag zusammengefasst.
II. Modelle In der Diskussion wird häufig zwischen Modellen nach dem „deferral-andmatching“-Ansatz und dem „asset-liability“-Ansatz unterschieden. Gegenwärtig basieren die meisten nationalen Versicherungs-GAAPs auf dem „deferral-and-matching“-Ansatz. Das zugrunde liegende Prinzip besagt, die Zahlungsflüsse in der Periode erfolgswirksam werden zu lassen, der sie wirtschaftlich zuzurechnen sind. In der Umsetzung bedeutet dies zumeist, dass man die Abschlusskosten bei Vertragsabschluss aktiviert und über die Vertragslaufzeit amortisiert und die erhaltene Prämie ebenfalls über die Vertragslaufzeit verteilt5. In der Konsequenz ergibt sich ein Modell, in dem Aufwand und Ertrag nach einem zu Vertragsbeginn festgelegten Plan über die Vertragslaufzeit realisiert wird. Die getroffenen Annahmen werden in der Regel nur aufgrund eines Liability Adequacy Tests verändert, falls sich der gesamte Vertrag bereits während der Laufzeit als verlustträchtig erweist. Der „asset-and-liability“-Ansatz stellt dagegen auf die allgemeinen Kriterien des Frameworks ab, nach denen Assets und Liabilities anzusetzen und zu bewerten sind. Nur wenn diese Kriterien erfüllt sind, werden Geschäftsvorfälle im Abschluss abgebildet. Erträge und Aufwendungen spiegeln lediglich die Wertänderungen von Assets und Liabilities wider. Somit ist der Ausgangspunkt der Gewinnermittlung die Frage nach dem Wert der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten. Da das deferral-and-matching-Modell nur eine eingeschränkte Anpassung des Bilanzansatzes an die Verhältnisse während der Vertragslaufzeit vorsieht, hat das Ergebnis des Modells nur eine eingeschränkte Relevanz für den Nut-
___________ 5
Bei Lebensversicherungen werden die Prämien bei Vereinnahmung in vollem Umfang als Umsatz gezeigt und gleichzeitig eine Verbindlichkeit in Höhe des Anspruchs des Versicherungsnehmers ausgewiesen.
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Friedhelm Kläs und Christoph Bonin
zer.6 Somit wird sich die Diskussion in Phase II auf einen Ansatz nach dem „asset-and-liability“-Prinzip konzentrieren.
III. Bewertung 1. Beim Versicherer Die Bewertung des Versicherungsvertrags nimmt eine zentrale Stellung in der Diskussion ein, da z.B. das Vorgehen bei der Gewinnermittlung unmittelbar daran anknüpft. Grundsätzlich lassen sich zwei Ansätze unterscheiden: Dem einen liegt eine retrospektive, dem anderen eine prospektive Sichtweise zu Grunde. Wenn sich die Bewertung an der Vergangenheit orientiert, entspricht die Verbindlichkeit der Summe aus noch nicht verdienten, aber bereits vereinnahmten Prämien und den eingetretenen Schadensfällen. Ein zukunftsbezogener Ansatz richtet sich dagegen nach den erwarteten zukünftigen Zahlungsflüssen, berücksichtigt den Zeitwert der Cashflows durch Diskontierung, beinhaltet Anpassungen für die Ungewissheit und enthält Gewinnerwartungen. In der kontinentaleuropäischen Praxis dominiert derzeit das retrospektive Element. Die Höhe der Verbindlichkeit folgt in der Regel einem bei Vertragsabschluss festgelegten Plan. Darin werden die Erwartungen über Schadensverlauf und Verwaltungskosten, der Rechnungszins und die Abschlusskosten festgeschrieben. Der Ertrag wird folglich als Residual über die Laufzeit realisiert. Eine Anpassung der Parameter während der Vertragslaufzeit erfolgt nicht (lock-in). Zur Anwendung des prospektiven Ansatzes werden dagegen Annahmen benötigt, die entweder unternehmensintern oder über den Markt beschafft werden müssen. Es kann sich hier ein Prioritätsproblem ergeben, wenn Informationen aus beiden Quellen verfügbar sind. Zudem sind unternehmensinterne Angaben nicht unmittelbar am Markt durch Dritte verifiziert, was die Verlässlichkeit7 solcher Verfahren beeinträchtigen kann. ___________ 6
Relevanz ist im Framework paragraph 27 wie folgt beschrieben: „… information about the current level and structure of asset holdings has value to users when they endeavour to predict the ability of the entity to take advantage of opportunities and its ability to react to adverse situations.“ Der liabitlity adequacy test mag zwar ein Mindestmaß an Abschätzung von nachteiligen Situationen bieten, über die Fähigkeit des Unternehmens Chancen wahrzunehmen wird jedoch wenig gesagt, da positive und negative Entwicklungen nicht transparent gemacht werden. 7 Eine Information ist im Framework paragraph 31 als reliable beschrieben, „… when it is free from material error and bias and can be depended upon by users to represent
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Aber auch bei der Referenz zum Markt ist zu entscheiden, welche Art von Marktpreis bevorzugt wird. Zum einen könnte man bei der Kalibrierung des prospektiven Modells auf eine business-to-customer-Messung abstellen. Dies bedeutet, der Versicherer müsste feststellen, welchen Preis er zum Bewertungszeitpunkt mit einem Versicherungsnehmer über die verbleibenden Rechte und Pflichten vereinbaren könnte. In der Praxis wäre das die Prämie, die er für einen Neuvertrag mit gleichartigen Konditionen am Markt abschließen könnte. Ebenso denkbar ist der Bezug auf eine business-to-business-Bewertung. Dies bedeutet der Versicherer würde den Preis ermitteln müssen, zu dem er die verbleibenden Rechte und Pflichte aus dem Versicherungsvertrag auf einen Rückversicherer übertragen könnte. Für viele Produkte bestehen solche Märkte und deshalb ist es nicht „impracticable“8 für einen Versicherer marktbezogenen Informationen für die prospektive Bewertung heranzuziehen. Wenn Bewertungsparameter nicht unmittelbar aus Marktpreisen ableitbar sind, müssen diese anhand von Modellen geschätzt werden. Zur Schätzung bieten sich folgende Methoden an, die bereits in anderen Standards verwendet werden (z.B. IAS 37.39 und 37.40). Zum einen könnte der Versicherer eine Punktschätzung durchführen. Dazu würde er den Punkt als Bewertungsparameter auswählen, der die höchste Wahrscheinlichkeit aufweist. Der Versicherer könnte jedoch auch jedem möglichen Ergebnis eine Wahrscheinlichkeit zuordnen und den Erwartungswert dieser Verteilung als Bewertungsparameter nutzen. Um die Relevanz der Aussagen im IFRS-Abschluss zu erhöhen, wird Phase II in einem prospektiven Verfahren münden. Die Adressaten des Abschlusses benötigen für ihre Anlageentscheidung zeitnahe und keine historischen Informationen. Versicherer, die moderne Risikomanagementsysteme verwenden, verfügen über Methoden zur Schätzung von Bewertungsparameter, zumal derartige Berechnungen auch zur Prämienkalkulation benötigt werden. Der Einsatz eines prospektiven Modells zur Ermittlung der Verbindlichkeiten aus Versicherungsverträgen ist deshalb auch in der Praxis umsetzbar.
2. Beim Versicherungsnehmer Ebenfalls ein Problem, das sich auf die Risikoquantifizierung bezieht, liegt in der Bilanzierung des Vertrages beim Versicherungsnehmer. IFRS 4 bezieht sich ausschließlich auf die Bilanzierung des Vertrages beim Versicherer, es sei ___________ faithfully that which it either purports to represent or could reasonably be expected to represent.“ 8 „Impracticable“ wird in Standards verwendet, wenn die Erfüllung einer Anforderung für nahezu unerfüllbar oder unmöglich erachtet wird.
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denn, es handelt sich um einen Rückversicherungsvertrag.9 In Phase II bleibt jedoch zu fragen, ob nicht Anforderungen sowohl an direkte als auch in Form von Rückversicherungsverträgen gehaltene Versicherungsverträge zu formulieren sind. Von zentraler Bedeutung bei der Bewertung der Vermögensgegenstände, die sich aus dem Vertragsverhältnis ergeben, sind die folgenden beiden Risiken: Zum einen hängt der Wert der Forderung gegenüber dem Versicherer vom zugrunde liegenden Schaden ab. Dieser könnte sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Art (Umfang der Deckung) strittig sein. Die damit verbundene Ungewissheit muss bei der Schätzung einfließen. Zum anderen muss sich im Wert der Forderung auch das mit dem Versicherer verbundene Ausfallrisiko widerspiegeln.
IV. Diskontierung 1. Gegenwärtige Praxis Derzeit werden in den meisten Jurisdiktionen Verbindlichkeiten aus Lebensversicherungsverträgen diskontiert. Dagegen werden bei Sachversicherungen mit Ausnahme von Schadenszahlungen in Form von Annuitäten Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag nicht diskontiert.10 Der Nutzen einer Diskontierung ist umstritten. Zum einen lässt sich einwenden, dass angesichts der hohen Unsicherheit, die mit der Schätzung der Verpflichtung aus dem Schadensfall verbunden ist, eine Diskontierung die Zuverlässigkeit der Information nicht erhöht. Zum anderen besteht grundsätzlich die Gefahr, dass Versicherer ihre Verpflichtungen unterschätzen. Eine Diskontierung würde diesen Fehler noch vergrößern. Derzeit werden non-life Verbindlichkeiten zwar nicht explizit diskontiert. Eine Berücksichtigung der Zeitpunkte des Cashflows findet jedoch indirekt dadurch statt, dass oft keine Anpassung der Schätzungen an die Inflation vorgenommen wird.
___________ 9
IFRS 4.4 (f). Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 sind jedoch z.B. in Deutschland für die Steuerbilanz erst in der Zukunft erwartete Zahlungsverpflichtungen mit einem Rechnungszins von 5,5 % abzuzinsen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a e.) EStG (Einkommensteuergesetz vom 16.10.1934 (RGBl. I S. 1005), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.9.2005 (BGBl. I S. 2809)); vgl. Rückle / Karst (2000), S. 181. 10
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2. Vorteile Bereits im Draft Statement of Principles (DSOP)11 wurde die Bedeutung des Zeitwertes der Verbindlichkeit thematisiert. Demnach wird die Lage des Versicherers glaubwürdiger im Abschluss dargestellt, wenn die Zeitpunkte der Zahlungen aus den Verbindlichkeiten berücksichtigt werden. Zudem ist das Present Value Konzept in anderen Standards (IAS 36 Impairment of Assets, IAS 37 Provision, Contingent Liabilities and Contingent Assets) bereits etabliert. Das Board sieht deshalb in der Ausdehnung des Konzepts der Diskontierung auf alle Verbindlichkeiten einen Weg, den Abschluss mit den Prinzipien der übrigen Standards konsistenter und damit insgesamt relevanter und zuverlässiger zu machen. Eine explizite Berücksichtigung von Zins und Inflation sowie die Offenlegung der Annahmen für die Schätzung von Zeitpunkt und Höhe der Schadenzahlungen würde die Aussagekraft des Abschlusses stärken. Auch die Prüfung der Schadenshöhe durch den Abschlussprüfer würde somit an Qualität gewinnen.
3. Diskontierungsfaktor Hat man sich für die Diskontierung der Verbindlichkeiten aus dem Versicherungsvertrag entschieden, stellt sich die Frage, wie der Diskontierungsfaktor zu ermitteln ist. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund diskutiert, dass zwischen der Aktiv- und Passivseite aufgrund des Asset-Liability-Managements (ALM) Ansatzes Wechselwirkungen bestehen. Zudem wird die erwartete Rendite aus den Finanzanlagen auch im Rahmen des Pricing der Produkte berücksichtigt. Basiert die Bewertung einer Verbindlichkeit aus dem Versicherungsverhältnis jedoch auf den erwarteten zukünftigen Überschüssen aus den Finanzanlagen, beeinträchtigt dies die Vergleichbarkeit zwischen Versicherungsunternehmen. Der Wert einer Verbindlichkeit hinge somit von der Fähigkeit des Versicherers ab Erträge aus Finanzanlagen zu generieren. Da diese Fähigkeit aber bei einem Transfer der Verbindlichkeit nicht mitübertragen wird, handelt es sich nicht um einen objektiven, sondern unternehmensspezifischen Wert für die Verbindlichkeit. ___________ 11 Das International Accounting Standards Committee (IASC), die Vorgängerorganisation des IASB, hatte in 1997 ein Steering Committee einberufen, das im Dezember 1999 ein Issues Paper veröffentlichte. Nach der Auswertung von Comment Letter zu diesem Papier schloss das Steering Committee seine Arbeit mit dem DSOP ab. Das IASB hat diesen Bericht im November 2001 diskutiert, aber nie darüber entschieden.
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Der Bilanzansatz spiegelt also nicht die Einzelbewertung eines Vermögensgegenstands wider, der selbstständig veräußerbar ist. In die Bewertung fließt vielmehr ein Stück Goodwill ein, der jedoch nach IFRS gesondert erfasst wird (vgl. IFRS 3.51-55). Daher ist es systemkonform, bei der Ermittlung des Diskontierungsfaktors, „die für die Schuld spezifischen Risiken“12 ohne Anpassung an die unternehmensspezifischen Faktoren zu berücksichtigen.
V. Risk margin 1. Methoden Um den Wert einer Verbindlichkeit aus einem Versicherungsvertrag zu bestimmen muss die Ungewissheit aus den Zahlungsströmen berücksichtigt werden. Doch wie ist diese Unsicherheit zu messen? Ein Ansatz stellt auf den am Markt beobachtbaren Risikozuschlag ab. Diese Methode beruht auf der Annahme, dass der Versicherer die Prämie so kalkuliert, dass sie den erwarteten Schaden zuzüglich eines Aufschlags umfasst. In diesem Aufschlag spiegelt sich zum einen der Preis für das übernommene Risiko wieder, zum anderen enthält sie auch den erwarteten Gewinn. Jedoch ist weder auf dem Primär- noch auf dem Sekundärmarkt diese Unterscheidung exakt zu beobachten, so dass es in der Praxis schwierig ist, die Höhe der Risikomarge eindeutig zu identifizieren. Weitere Überlegungen versuchen die Ungewissheit vor dem Hintergrund der Angemessenheit zu ermitteln. Demnach wird die Verbindlichkeit so bemessen, dass entsprechend einer angenommenen Wahrscheinlichkeitsverteilung und gegebenem Konfidenzniveau der Betrag ausreicht, um die endgültige Verpflichtung zu erfüllen. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, wie das Konfidenzniveau festzusetzen ist und ob sich die zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilung mit hinreichender Genauigkeit ermitteln lässt.
2. Unit-of-account Eng verknüpft mit der Unsicherheit und wie man sie sachgerecht bei der Bemessung der Verbindlichkeit berücksichtigt ist das Problem der unit-ofaccount. Hierbei wird nach dem Bewertungsobjekt gefragt. Konkret bedeutet dies, soll der einzelne Versicherungsvertrag oder ein Portfolio von Verträgen bewertet werden? Betrachtet man ein Portfolio, kann sich das Risiko auf Port___________ 12 IAS 37.47 IFRS 2004, autorisierte deutsche Fassung der englischen Originalausgabe 2004.
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folioebene aufgrund von Kovarianzen der Risiken aus Einzelverträgen von der Summe der einzelvertraglichen Risiken unterscheiden.
3. Kapitalkosten Da es sich bei vielen Versicherungsverträgen um Produkte handelt, die einer Aufsicht mit Mindestkapitalanforderungen unterliegen, ist die Frage zu stellen, ob nicht auch die Kapitalkosten für die Bereitstellung des Eigenkapitals eine Auswirkung auf die Höhe der Verbindlichkeit aus dem Versicherungsverhältnis hat. Diese Vermutung findet auch eine Begründung in der Definition von Verbindlichkeiten im IASB Framework. Demnach ergeben sich Verbindlichkeiten auch aus der Verpflichtung, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift rechtlich durchsetzbar ist.13 Auf den Fall der Versicherung übertragen bedeutet dies, dass die Verpflichtung Eigenkapital für die Absicherung von Ansprüchen aus den Versicherungsverträgen vorzuhalten zu Bereitstellungsaufwand führt. Auf das Eigenkapital als solches besteht zwar erst ein Anspruch, wenn es unwiderruflich zur Befriedigung von Ansprüchen herangezogen wird, aber die Opportunitätskosten spiegeln den Wert der gegenwärtigen Verpflichtungen zur Bereitstellung wider. Jedoch hat auf die Verzinsung des Eigenkapitals kein Gläubiger Anspruch. Insofern fehlt es an dem Definitionsmerkmal für Verbindlichkeiten, dass „das Unternehmen Ressourcen, die wirtschaftlichen Nutzen enthalten, aufgeben muss, um die Ansprüche der anderen Partei zu erfüllen“14.
VI. Gewinnmarge für zukünftige Gewinne 1. Aufwandsarten Die Höhe der Verbindlichkeit könnte auch die mit dem Vertrag eingegangene Verpflichtung berücksichtigen, die der Versicherer zur Erbringung von Dienstleistungen in der Zukunft aufzuwenden hat. Diese Marge könnte folgende Elemente umfassen: – Aufwand, der durch die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur entsteht (z.B. Außendienst-Netzwerk, Schadensabwicklungskapazität, Erlangung der Zulassung zum Versicherungsgeschäft), ___________ 13
IASB Framework paragraph 60. IASB Framework paragraph 62, autorisierte deutsche Fassung der englischen Originalausgabe 2004. 14
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– Akquisitionsaufwand, z.B. für Provisionen an Angestellte oder externe Vermittler oder auch indirekte Kosten für die Vertragsgenehmigung und Erstellung der Police, – Verwaltungskosten für den Vertrag während der Laufzeit (z.B. Erhebung der Prämien, Abwicklung von Schäden). Aus Sicht des Frameworks stellt sich die Frage, welche dieser Leistungen die Kriterien für eine Verbindlichkeit zum Berichtszeitpunkt erfüllt. Eine wesentliche Eigenschaft von Verbindlichkeiten ist, dass ihr eine gegenwärtige Verpflichtung zu Grunde liegt.15 IAS 37 präzisiert dies durch den Verweis, dass eine gegenwärtige Verpflichtung entweder rechtlich oder faktisch bestehen muss und aus einem Ereignis der Vergangenheit entstanden ist.16 Wie verhält es sich nun vor diesem Hintergrund mit einem Versicherungsvertrag? Durch den Abschluss des Versicherungsvertrages verpflichtet sich der Versicherer zur Erbringung von Versicherungsschutz bis zum Ablauf der Vertragslaufzeit. Das verpflichtende Ereignis in der Vergangenheit ist also der Vertragsabschluss, der eine rechtliche Verpflichtung begründet. Die Art und der Umfang der Verpflichtung ergeben sich aus dem Vertragsinhalt.
2. Merkmale Aufwendungen für die Bereitstellung der Infrastruktur sind zwar in der Vergangenheit angefallen, aber sie führen nicht zu einer Verpflichtung gegenüber einer dritten Person.17 Dies ist jedoch ein konstitutives Merkmal für die Begründung einer Verpflichtung. Folglich können auch Aufwendungen für die Bereitstellung der Infrastruktur nicht bei der Bemessung der Verbindlichkeiten aus dem Versicherungsvertrag berücksichtigt werden. Abschlusskosten fallen in der Regel bei Vertragsabschluss an. Sie begründen jedoch keine Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer und sind somit nicht Bestandteil einer gegenwärtigen Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag. Demnach bilden sie gemäß den Prinzipien der IFRS keine eigenständige Verbindlichkeit (siehe jedoch IAS 9.3). Die Kosten, die notwendig sind, um das Geschäft in der Zukunft zu betreiben, begründen gemäß IAS 37.18 keine Verbindlichkeit. Demnach stellen Verwaltungskosten für den Vertrag während der Laufzeit keine gegenwärtige Verpflichtung zum Berichtszeitpunkt dar. Diese Aufwendungen können folglich ___________ 15
Framework paragraph 60. IAS 37.14 (a). 17 IAS 37.20. 16
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nicht bei der Bemessung der Verbindlichkeit aus dem Versicherungsvertrag berücksichtigt werden.
VII. Day-1 problem 1. Ursachen Ein Thema von hoher Sensibilität ist der Ausweis von Gewinnen oder Verlusten zu Beginn des Vertragsverhältnisses. Dieses Phänomen tritt nicht auf, wenn im deferral-and-matching Modell alle Akquisitionskosten abgegrenzt werden oder wenn im asset-liability-Modell die Verbindlichkeit der vereinnahmten Prämie abzüglich Akquisitionskosten gleicht. Wenn diese Bedingungen nicht vorliegen, kann es in beiden Modellen zum Ausweis von Gewinnen und Verlusten zum Zeitpunkt der erstmaligen buchhalterischen Erfassung kommen. Für den deferral-and-matching-Ansatz trifft das z.B. dann zu, wenn nicht alle Akquisitionskosten abgegrenzt werden bzw. wenn sich bereits bei Vertragsabschluss anhand des Liability Adequacy Tests ergibt, dass die zukünftigen Zahlungsströme einen Verlust erwarten lassen. Dies liegt immer dann vor, wenn von Beginn an die vereinbarte Prämie nicht ausreichend bemessen ist. Einige Modelle sind darauf ausgelegt, den erwarteten Gewinn konstant über die Laufzeit zu verteilen. Dies kann dadurch geschehen, dass ein gewisser Prozentsatz der Prämie als Gewinn gebucht wird (vgl. SFAS 60). Als Konsequenz ergibt sich ein Gewinn bereits dann, wenn die erste Prämie vereinnahmt wird.
2. Prospektive Modelle Prospektive Modelle sind dadurch charakterisiert, dass sich der Ausweis der Verbindlichkeit an den erwarteten Cashflows bemisst. Somit ergeben sich Gewinne und Verluste bei Vertragsabschluss immer dann, wenn der Nettozahlungsfluss, ggf. unter Berücksichtigung des Zeitwertes, von Null verschieden ist. Ursache für einen Gewinn können Prämien sein, die der Versicherer aufgrund seines besonderen Vertriebssystems erzielt oder aufgrund seiner Marktmacht durchsetzen kann. Ein Tarif kann aber auch zu einem Verlustausweis zu Beginn führen, wenn die Prämien unter Marktniveau liegen, um einen Marktanteil zu erreichen oder cross-selling-Erträge zu generieren. Schließlich sind Gewinne oder Verlust zu Beginn möglich, wenn die Prämien regulatorisch fixiert sind. Insbesondere für langlaufende Versicherungsverträge ist es weiterhin von zentraler Bedeutung, welche Investment Margin während der Vertragslaufzeit
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erzielt werden kann. Die Erwartung über die Erträge aus den Finanzanlagen zählen in diesen Fällen zu den wesentlichen Parametern für die Prämienkalkulation. Würde man die Zahlungsströme aus der Investment Margin bei der Anwendung eines Liability Adequacy Tests ausschließen, würde dies in vielen Fällen zu erheblichen Verlustausweisen bei Vertragsbeginn führen.
3. Exit-Wert Ein erfolgswirksamer Effekt bei Vertragsabschluss kann sich auch einstellen, wenn die Verbindlichkeit zum Exit-Wert angesetzt wird. Der Exit-Wert kann z.B. unter dem Entry-Wert liegen, um einen Anreiz für den Versicherungsnehmer zu setzen, den Vertrag bis zum Laufzeitende zu erfüllen, oder um durch einen Exit-Gewinn die Akquisitionskosten auszugleichen. Systematische Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang können sich aus dem Deposit-Floor-Postulat aus IAS 39 ergeben.18 Demnach können Finanzverbindlichkeiten nicht unter dem Rückkaufswert angesetzt werden. Aufgrund der wünschenswerten systematischen Konsistenz zwischen den Standards liegt es deshalb nahe, dass diese Untergrenze auch für Verbindlichkeiten aus Versicherungsverträgen verlangt wird.
4. Revenue recognition Gerade die Möglichkeit, dass ein Gewinn zu Beginn des Vertrages entstehen kann, stößt bei zahlreichen Betroffenen auf Ablehnung19. Im Wesentlichen stützt man sich auf das Argument, dass der Gewinn erst mit Erbringung der Leistung realisiert wird. Bei einem Versicherungsvertrag bedeutet dies, dass der Gewinn mit der Gewährung des Versicherungsschutzes entsteht, folglich über die Vertragslaufzeit erwirtschaftet wird. Zudem unterliegt die Schätzung der Cashflows, die der Gewinnermittlung zugrunde liegen, der Ungewissheit. Folglich muss ein Gewinnausweis zu Vertragsbeginn als unsicher gelten. Befürworter einer erfolgswirksamen Erfassung des Vertrages zu Beginn der Laufzeit beziehen sich auf einen strikten asset-liability-Ansatz. Demnach entscheidet ausschließlich die Bewertung der aus dem Vertragsverhältnis entstehenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten über die Ertragsrealisie___________ 18
IAS 39.49. Gemeinsamer Comment Letter der American Council of Life Insurers (ACLI), the German Insurance Association (GDV) and the Life Insurance Association of Japan (LIAJ) zum Draft Statement of Principles on Insurance Contracts (DSOP) vom 11. Juni 2002. 19
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rung. Während der Vertragslaufzeit ergeben sich Erträge und Aufwendungen durch die Änderung der Annahmen bei der Schätzung des Fair Values, durch Erträge aus Finanzanlagen sowie Zinsaufwendungen aus der Aufzinsung der diskontierten Verbindlichkeiten.
VIII. Verhalten des Versicherungsnehmers Betriebswirtschaftlich betrachtet managt ein Versicherungsunternehmen nicht nur den Versicherungsvertrag, sondern die gesamte Kundenbeziehung zum Versicherungsnehmer. Bei der Vertragsgestaltung und der Prämienkalkulation fließen deshalb Erwartungen über dessen Verhalten ein. Bei der Bilanzerstellung ist insoweit zu fragen, ob es sich hierbei um bilanzierungsfähige bzw. bilanzierungspflichtige Vorgänge handelt. Im Zentrum der Diskussion stehen zum einen das Kündigungsverhalten und zum anderen die Verlängerung des Vertrages.
1. Verlängerungs- und Kündigungs-Optionen Einige befürworten es, die Erwartungen über die Vertragsverlängerung bei der Bemessung der Verbindlichkeit aus dem Vertrag zu berücksichtigen. Sie gehen davon aus, dass ein Teil der Verträge regelmäßig verlängert wird. Der Prozess der Vertragsverlängerung wird vom Versicherer bewusst so gestaltet, dass für den Versicherungsnehmer eine Verlängerung unkompliziert bzw. eine Nichtverlängerung umständlich ist20. Deshalb verhalten sich in der Praxis sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer so, als handele es sich für beide um mehrjährige Verträge. Wenn nun die Vertragsverlängerungen relativ zuverlässig vorhersehbar sind, könnte es für den Bilanzleser eine nützliche Information sein, wenn sich diese stabilen Erwartungen bereits im gegenwärtigen Jahresabschluss widerspiegeln. Deshalb wird vorgeschlagen, die diskontierten Zahlungsüberschüsse aus dem Anschlussvertrag bei der Höhe der Verbindlichkeiten aus dem bestehenden Vertrag zu berücksichtigen. Grundsätzlich können sowohl positive wie negative Überschüsse aus dieser gewährten Verlängerungsoption dem Versicherer erwachsen. Haben sich z.B. die Preise für das Versicherungsrisiko zum Zeitpunkt der Verlängerung nicht geändert oder hat der Versicherer eine Option, diese an das aktuelle Marktni___________ 20
In der Praxis finden sich häufig Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die eine stillschweigende Vertragsverlängerung unterstellen, wenn der Versicherungsnehmer nicht bis zu einem festgesetzten Termin kündigt.
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veau anzupassen, kann der Versicherer mit einer Vermögenserhöhung aus dem Vertrag rechnen. Demnach würde die gegenwärtige Verbindlichkeit durch die erwartete Verlängerung reduziert. Handelt es sich jedoch z.B. um eine Krankenversicherung und der Gesundheitszustand des Versicherers hat sich verschlechtert, ist zu erwarten, dass die Verlängerungsoption zu einer Vermögensminderung führt, wenn dem Versicherer kein Recht zur Prämienanpassung zusteht.
2. Bilanzierungsfähigkeit Demgegenüber wird bezweifelt, dass dem Versicherer durch die Gewährung der Verlängerungsoption bereits ein bilanzierungsfähiger Vermögensgegenstand zugewachsen ist21. Dabei wird dem Versicherer die Fähigkeit abgesprochen, dass er den Zufluss der Mittel kontrollieren kann. Obwohl es eine Erwartung über den Netto-Cashflow gibt, haben beide Parteien das verbindliche Recht, die Verlängerungsoption nicht auszuüben. Zieht man zur Beurteilung IAS 38 Intangible Assets heran, erscheint es gegenwärtig nicht vertretbar, die Zahlungsflüsse aus Vertragsverlängerungen bei der Bemessung der Verbindlichkeit zu berücksichtigen. Ohne dass es in der Definition der immateriellen Vermögensgegenstände22 verwendet wird, gilt im Weiteren die Kontrolle über die zukünftigen Zahlungsflüsse als wesentliches Merkmal zur Begründung eines immateriellen Vermögensgegenstandes23. Demnach muss das Unternehmen die Macht haben, den aus der zugrunde liegenden Quelle fließenden zukünftigen Nutzen zu erlangen und den Zugang zu diesem Nutzen anderen zu verwehren.24 Die Gewährung einer Option hat jedoch grundsätzlich nie zur Folge, dass der Verpflichtete aus der Option die Ausübung der Option kontrollieren kann. Dies widerspricht dem Wesen der Gewährung einer Option. Die Option berechtigt ja gerade den Empfänger ein Recht auszuüben und dies zumeist zu Lasten des Verpflichteten. Somit erfüllt die Gewährung einer Verlängerungsoption nicht die Bedingung, die an die Bilanzierung eines immateriellen Vermögensgegenstandes geknüpft werden. So wie Kundenbeziehungen keinen bilanzierungsfähigen Ver___________ 21 IASB Framework paragraph 89, autorisierte deutsche Fassung: „Ein Vermögenswert wird in der Bilanz angesetzt, wenn es wahrscheinlich ist, dass der künftige wirtschaftliche Nutzen dem Unternehmen zufließen wird, und wenn seine Anschaffungsoder Herstellungskosen oder ein anderer Wert verlässlich bewertet werden können.“ 22 IAS 38.8 Definitions: „An intangible asset is an identifiable non-monetary asset without physical substance.“ 23 IAS 38.10: „… definition of an intangible asset, i.e. identifiability, control over a resource and existence of future economic benefits.“ 24 IAS 38.13.
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mögensgegenstand darstellen25, so enthält auch die Verlängerungsoption lediglich eine Form von intern erzeugtem Goodwill. Dieser wird in der Bilanz erst dann offenbar, wenn sich aus ihm bilanzierungspflichtige Geschäfte ergeben. Unter dem derzeitigen Framework und vor dem Hintergrund der Konsistenz der Standards sind Optionen zur Kündigung oder Verlängerung von Versicherungsverträgen deshalb nicht aktivierungsfähig. Somit kommen sie auch nicht in Frage, im Rahmen einer Saldierung die Höhe der Verbindlichkeit zu mindern. Die Verpflichtungen jedoch, die sich für den Stillhalter der Option, also den Versicherer, ergeben, sind bei der Bemessung der Verbindlichkeit zu berücksichtigen.
IX. Akquisitionskosten 1. Amortisation Ein besonderer Aspekt des Renewal-Problems findet sich bei der Diskussion, wie Abschlusskosten zu bilanzieren sind. In der Regel fallen diese Kosten zu Beginn des Vertrages in Form von Provisionszahlungen an den Abschlussvermittler und internen Vertragserstellungskosten an. Fraglich ist jedoch, wann diese Ausgaben zu Aufwand führen. Derzeit werden in vielen Jurisdiktionen die Akquisitionskosten im Rahmen eines deferral-and-matching-Verfahrens zunächst aktiviert oder mindern die Verbindlichkeiten. Im Anschluss werden sie so amortisiert, dass der Aufwand mit der Vereinnahmung der Prämien korrespondiert. Die Befürworter dieses Verfahrens weisen darauf hin, dass sich somit Verzerrungen bei der Gewinnrealisierung vermeiden ließen. Anderenfalls würden z.B. Versicherer in einer Wachstumsphase Verluste ausweisen, obwohl sie von der Profitabilität der Verträge ausgehen. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass z.B. Kosten für Werbung und Mitarbeiterschulung zur Einführung neuer Produkte bereits im Vorfeld der Akquisition anfallen und ebenfalls nicht aktivierbar sind. Vielmehr ist es kennzeichnend für eine Startphase von Unternehmen oder Produkten, dass zunächst Anlaufverluste anfallen. Insoweit unterscheiden sich Versicherungsverträge nicht von anderen Produkten.
___________ 25
IAS 38.16.
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2. Bestimmung des Zeitraums Bei einer Abgrenzung der Abschlusskosten über die Zeit bleibt es zudem fraglich, über welche Periode die Aufwendungen zu realisieren sind. Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten. Entweder wird die vertragliche Laufzeit oder die erwartete Laufzeit zu Grunde gelegt, um den Aufwand mit den Erträgen in Einklang zu bringen. Erfahrungsgemäß werden Versicherungsverträge nicht immer und vollumfänglich gemäß der ursprünglichen Vertragslaufzeit abgewickelt. Entweder es kommt zur frühzeitigen Kündigung (z.B. Lebensversicherung) oder zur stillschweigenden Vertragsverlängerung (z.B. Sachversicherung). Aus ökonomischer Sicht erscheint deshalb die erwartete Vertragslaufzeit eher geeignet, Aufwendungen und Erträge einander zuzuordnen. Das Konzept Erwartungswerte zur Bewertung heranzuziehen ist den IFRS nicht fremd.26 Jedoch gerät es in Konflikt mit den Prinzipien des Frameworks, wenn es sich über den bereits bestehenden Vertrag hinaus auf die gesamte Geschäftsbeziehung ausweitet. Die bestehenden IFRS lassen den Ansatz von Vermögenswerten, die auf dem Abschluss zukünftiger Verträge beruhen, nicht zu.27 Aber genau diese Situation ergibt sich, wenn die Abschlusskosten über den Zeitraum des Vertrages hinaus aktiviert werden, für den sie angefallen sind.
3. Analogie zu anderen IFRSs Die Abgrenzung von Akquisitionskosten findet sich in vielen Standards. So werden Transaktionskosten28 beim erstmaligen Ansatz von Finanzinstrumenten als Erwerbsnebenkosten29 angesetzt, oder der Bilanzansatz von Leasingobjekten30 wird durch Nebenkosten31 erhöht. In diesen Fällen erreichen die Akquisi___________ 26 Siehe IAS 39.9: „Definitions Relating to Recognition and Measurement: … The effective interest rate is the rate that exactly discounts estimated future cash payments or receipts through the expected life of the financial instrument …“. 27 Framework paragraph 58: „The assets of an entity result from past transactions or other past events.“ 28 IAS 39 Appendix A AG13: „Transaction costs include fees and commissions paid to agents (including employees acting as selling agents), … Transaction cost do not include … internal administrative or holding cost.“ 29 IAS 39.43: „When a financial asset or financial liability is recognised initially, an entity shall measure it at its fair value plus, …, transaction costs that are directly attributable to the acquisition or issue of the financial asset or financial liability.“ 30 IAS 17.20: „… Any initial direct costs of the lessee are added to the amount recognised as an asset.“ 31 IAS 17.24: „Initial direct costs are often incurred in connection with specific leasing activities, such as negotiating and securing leasing arrangements. The costs identi-
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tionskosten jedoch nicht aus eigener Kraft die Bilanzierungsfähigkeit, sondern das Recht wird aus der engen Verbundenheit mit dem Vermögensgegenstand abgeleitet. Akquisitionskosten von Versicherungsverträgen müssten deshalb entweder diese enge Verbundenheit nachweisen oder aus eigenem Recht bilanzierungsfähig sein. Um als immaterieller Vermögensgegenstand bilanziert werden zu können, müssten sie die folgenden Kriterien erfüllen: Identifizierbarkeit, Kontrolle der Ressource und Existenz von zukünftigen ökonomischem Nutzen32. Um als eigener Vermögensgegenstand identifizierbar zu sein, müssten die Akquisitionskosten insbesondere separierbar sein, d.h. gesondert von dem Versicherer verwertbar sein.33 Die Akquisitionskosten sind jedoch weder vom Unternehmen gesondert verwertbar, da sie kein vom Versicherungsvertrag gesondert verwertbares Recht beinhalten, noch gewährleisten sie eine hinreichende Kontrolle über die vollständige Erfüllung des wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vertrag, wenn dem Versicherungsnehmer ein Kündigungsrecht zusteht. So würde selbst ein Käufer bei einem Erwerb des Versicherers lediglich dem akquirierten Kundenstamm und den aus den bestehenden Verträgen zu erzielenden Erträgen einen Wert beimessen. Die Abschlusskosten wären für ihn jedoch auch nur „sunk costs“. Folglich sind Akquisitionskosten für Versicherungsverträge keine immateriellen Vermögensgegenstände. Um sie dennoch in der Bilanz anzusetzen, müssen sie – um die Logik der übrigen Standards aufzugreifen – als Erwerbsnebenkosten zur Anschaffung der Versicherungsverbindlichkeiten definiert werden und somit zusammen mit diesen bilanziert werden. In der Umsetzung bedeutet dies: Akquisitionskosten mindern die Verbindlichkeiten.
X. Unbundling Jeder Versicherungsvertrag enthält neben dem Versicherungsrisiko auch eine implizite oder explizite Sparkomponente. Jedoch werden gegenwärtig beide Komponenten nicht voneinander getrennt, sondern sowohl bei der Produktgestaltung, als auch beim Management und der aufsichtsrechtlichen Überwachung als Paket behandelt. Kritiker dieser Praxis sehen darin eine Verschleierung der tatsächlichen Risiken aus dem Vertrag, denn es können Erträge aus den Sparkomponenten ge___________ fied as directly attributable to activities performed by the lessee for a finance lease are added to the amount recognised as an asset.“ 32 IAS 38.10. 33 IAS 38.12.
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nutzt werden, um Verluste aus der Versicherungskomponente auszugleichen, ohne dass dies im Jahresabschluss hinreichend transparent wird. So wird auch die Auffassung vertreten eine Differenzierung der Prämie in einen erfolgswirksamen und einen erfolgsunwirksamen Teil sei geboten.34 Zudem würde eine Entflechtung die Vergleichbarkeit mit ähnlichen Produkten erleichtern. Insbesondere bei Bank-Versicherungs-Konzernen werden Sparprodukte hergestellt, die ganz ähnliche Risiken beinhalten, wie die Sparkomponente in Lebensversicherungsverträgen. Somit entscheidet lediglich die Beimischung eines Versicherungsrisikos, ob das Produkt marginal unter die Bilanzierungsregeln für Versicherungen (IFRS 4) oder Finanzinstrumente (IAS 39) fällt. So wie sich die Verbindlichkeit aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung leicht anhand des Fair Values der Fonds ermitteln lässt, würden sich auch Verbindlichkeiten aus der Sparkomponente klassischer Lebensversicherungen nach dem Marktwert der verbundenen Investments bestimmen. Ebenso würden die erhaltenen Prämien in ein Entgelt für das Versicherungsrisiko und eine Verbindlichkeit aus der Einlagekomponente aufgespalten. Umsatz wäre fortan nur der auf die Versicherung entfallende Anteil. Die Ertragssituation aus der Sparkomponente würde ganz ähnlich wie bei einem reinen Vermögensverwalter von der Verwaltungsvergütung abhängen.35 Für die Realisierung der Erträge und Aufwendungen aus der Versicherungskomponente würden die allgemeinen Regeln für Versicherungsverträge gelten.
XI. Überschussbeteiligung 1. Vertragstyp Einige Versicherungsverträge (und einige Sparverträge) verpflichten den Versicherer, den Versicherungsnehmer an den Überschüssen zu beteiligen, die sich aus der Anlage der Prämien ergeben. Es steht jedoch im Ermessen des Versicherers, wie hoch dieser Anteil ist und wann er diesen an die Versicherungsnehmer verteilt. Das Ausmaß des Ermessens kann dabei entweder durch vertragliche sowie gesetzliche Regelungen oder faktisch durch den Wettbewerb beschränkt sein. Auch wenn dem Versicherer ein Ermessen über die Verteilung der Überschüsse zusteht, werden entweder den gegenwärtigen oder zukünftigen Versicherungsnehmern ein Teil der akkumulierten Überschüsse zufließen. Aufgrund der Ungewissheit über die Höhe der Zuteilung sind die Versicherungsnehmer ___________ 34 35
Vgl. Rückle (2001), S. 569 – 571. Vgl. Rückle (1997a), S. 294 – 297.
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jedoch wenigstens partiell in derselben Position wie Anteilseigner.36 Im Mittelpunkt der Diskussion steht deshalb die Frage, ob und in welchem Umfang es sich bei der Überschussbeteiligung um eine Verpflichtung handelt.37
2. Verbindlichkeit oder Eigenkapital Bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit reduziert sich das Problem auf die Frage, ob die Verpflichtung gegenüber den gegenwärtigen oder zukünftigen Versicherungsnehmer besteht. Bei Versicherungen in Form der Kapitalgesellschaft läuft es auf die Entscheidung raus, wie viel vom Überschuss den Eigen- und Fremdkapitalgebern unwiderruflich zusteht. In beiden Fällen bleibt jedoch zu entscheiden, inwieweit der Versicherer zum Berichtsstichtag eine unausweichliche Verpflichtung eingegangen ist.38 In IFRS 4 hat man folgende Regelung gefunden: Der Versicherer darf, muss aber nicht, das diskretionäre Element von dem garantierten gesondert ausweisen. Wenn er das Element nicht gesondert ausweist, hat er den vollen Betrag als Verbindlichkeit zu bilanzieren. Weist er die Elemente gesondert aus, hat er den garantierten Anteil als Verbindlichkeit zu zeigen.39 Den diskretionären Teil kann er entweder vollständig oder anteilig als Eigenkapital oder Fremdkapital zeigen. Er muss jedoch dieses Wahlrecht bei allen Verträgen in der gleichen Weise ausüben.40 Entscheidend für die Regelung in Phase II wird sein, ob es sich bei den Überschussbeteiligungen um bedingte oder unbedingte Verpflichtungen handelt. Dies war bereits der Kernpunkt der Diskussion über den Eigenkapitalcharakter von Genossenschaftsanteilen, die zur Veröffentlichung von IFRIC 2 Members’ Shares in Co-operative Entities and Similar Instruments führte. Im Ergebnis kam das International Financial Reporting Interpretation Committee (IFRIC) zu dem Ergebnis, dass es sich bei Genossenschaftsanteilen um Eigen___________ 36
Vgl. Rückle (2001), S. 566. Das Problem der Erfassung und Aufteilung von stillen Reserven bei der Ermittlung des Überschusses (nach deutschem Verständnis also eine latente Rückstellung für Beitragsrückerstattung) wird hier nicht behandelt. Diese Frage stellt sich dann, wenn der Anteil der Versicherungsnehmer sich nur an den realisierten Erträgen bemisst, das Versicherungsunternehmen jedoch durch die Bewertung der Kapitalanlagen zu Marktwerten auch „stille Reserven“ entweder als Erträge (Finanzinstrumente als fair value through profit or loss) oder im Eigenkapital (available-for-sale) ausweist. Vgl. Rückle (1997b), S. 178 – 186. 38 Framework paragraph 60: „An essential characteristic of a liability is that the entity has a present obligation. An obligation is a duty or responsibility to act or perform in a certain way.“ 39 IFRS 4.34(b). 40 IFRS 4.34(b). 37
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kapital handelt, „… if the entity has an unconditional right to refuse redemption of the members’ shares“41. Jedoch kommt IFRIC nicht umhin, genauer auf die Formen der gebräuchlichen Beschränkungen einzugehen. Insbesondere die Qualität und der Umfang der Restriktion sind auch nach IFRIC 2 im Einzelfall genau abzuwägen.42 Die Antwort auf die Frage, ob eine unwiderrufliche Verpflichtung zur Ausschüttung der Überschüsse besteht, ist auch vor dem Hintergrund der faktischen Verpflichtung43 zu diskutieren. Es ist dabei zu klären, inwieweit eine in der Vergangenheit geübte Praxis des Versicherers bereits eine gerechtfertigte Erwartung beim Versicherungsnehmer begründet, die den Versicherer unweigerlich auch für die Zukunft bindet. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die im Markt erzeugten Erwartungen über die endgültige Höhe der Überschussbeteiligungen den Versicherer nicht nachhaltig gebunden haben. Vielmehr wurde die Beteiligung vor dem Hintergrund der Schwankungen am Kapitalmarkt bestimmt. Somit wird man innerhalb des gegenwärtigen Frameworks in der geübten Praxis der Überschussbeteiligung keine faktische Verpflichtung erkennen können. Im Hinblick auf das Performance Reporting-Projekt des IASB ist bei der Bestimmung des Überschussbegriffs zu klären, inwiefern die Versicherungsnehmer an realisierten und unrealisierten Erträgen beteiligt werden. Entscheidend für den Ansatz und die Höhe der Verpflichtungen aus Überschussbeteiligungen werden die vertraglichen Pflichten im Einzelfall sein. Hat der Versicherungsnehmer eine garantierte Verzinsung, führt diese zum Ausweis von Verbindlichkeiten. Wird ihm darüber hinaus eine Beteiligung an einem Investmentportfolio in Aussicht gestellt, die Höhe aber ins Ermessen des Versicherers gestellt, fehlt es an der unbedingten Verpflichtung und somit an der Voraussetzung, um eine Verbindlichkeit auszuweisen.
XII. Zusammenfassung Phase I des Versicherungsprojektes mündete nach mehrjährigen Beratungen in der Veröffentlichung von IFRS 4. Wesentliche Fragen zur Bilanzierung von Merkmalen, die spezifisch für einen Versicherungsvertrag sind, wurden jedoch ___________ 41
IFRIC 2.7. Vgl. IFRIC 2 Appendix, Examples of application of the consensus. 43 IAS 37.10: „A constructive obligation is an obligation that derives from an entity’s actions where: (a) by an established pattern of past practice, published policies or a sufficiently specific current statement, the entity has indicated to other parties that it will accept certain responsibilities; and (b) as a result, the entity has created a valid expectation on the part of those other parties that it will discharge those responsibilities.“ 42
Die Abbildung des Versicherungsvertrages im IFRS-Abschluss
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nicht einheitlich geregelt. Vielmehr erlaubt der Standard in Kernbereichen, die bestehende Bilanzierungspraxis fortzusetzen. Die wenigen Restriktionen beschränken die nationalen Versicherungs-GAAPs nur geringfügig. Deshalb hat es das IASB als dringliches Ziel formuliert, möglichst rasch die Schwächen in der Bilanzierung von Versicherungsverträgen durch den Abschluss von Phase II zu beseitigen. Legt man das bestehende Framework und die Konzepte, die in den IFRSs entwickelt wurden, zu Grunde, wird sich das Ergebnis von Phase II wie folgt darstellen: Am Ende muss eine Prinzipien-Basierte Lösung stehen. Das Board darf nicht versuchen jede Variante eines Versicherungsvertrages im Detail regeln zu wollen. Insbesondere sollte auf eine versicherungsmathematisch geprägte Implementation Guidance verzichtet werden. Ziel müssen Regeln sein, die sich auf die Behandlung von Grundfällen und typischen Konstruktionen im Versicherungsmarkt beschränken. Die Diskussion von rein theoretischen Fällen führt weder zu einem effizienten Beratungsmanagement auf Seiten des Boards noch dient es der Klarheit auf Seiten der Nutzer. Als typisches Merkmal des Versicherungsvertrages gilt die Verpflichtung Schäden zu begleichen. Dazu muss die Versicherung bis zum Eintreten des Schadensereignisses eine Stand-ready-Verpflichtung ausweisen. Praktischer Weise geschieht dies in Höhe der noch nicht verdienten Prämie. Die Prämie darf erst dann vollständig vereinnahmt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Schadensmeldung nicht mehr signifikant ist. Wie die Prämie über diesen Zeitraum vereinnahmt wird, hängt von dem erwarteten Schadensaufkommen ab. Die zugrunde liegenden Annahmen hat der Versicherer offen zu legen und während der Vertragslaufzeit an die aktuellen Erwartungen anzupassen. Sollte es sich um eine längerfristige Vertragslaufzeit handeln und die Prämie up-front gezahlt worden sein, ist diese mit einem Zinssatz, der das Unternehmensrisiko berücksichtigt, zu diskontieren. Schadensforderungen sind ebenfalls mit einem Zinssatz, der das Unternehmensrisiko einschließt, zu diskontieren, sofern der Zeitwert der Forderung materiell ist. Der Zinssatz ist jeweils zum Berichtszeitpunkt zu aktualisieren. Die Schätzung der Forderungshöhe sollte nach dem Erwartungswertprinzip erfolgen. Unsicherheiten sind im Rahmen der Schätzung durch die Gewichtung mit Wahrscheinlichkeitsannahmen zu berücksichtigen. Die Verbindlichkeit ist mit dem diskontierten Erwartungswert zu bilanzieren. Es erfolgt keine Anpassung anhand einer Risikomargin, da solche Größen nicht beobachtbar sind und auch keine verlässlichen Methoden bestehen, die eine Abgrenzung von der Gewinnmarge ermöglichen. Ein aufsichtrechtlich erwünschter Risikopuffer muss durch Eigenkapitalanforderungen im Rahmen der Solvency-Konzepte (vgl. Solvency II) abgedeckt werden.
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Friedhelm Kläs und Christoph Bonin
Sparkomponenten werden von Versicherungskomponenten getrennt und nach IAS 39 bilanziert. Sparkomponenten ergeben sich insbesondere aus Formen der Beitragsrückerstattungen, wenn diese nicht von der gemeldeten Schadenshöhe abhängen. Die Verbindlichkeit bemisst sich nach der Höhe der garantierten Rückerstattung. Diskretionäre Beteiligungen am Ertrag aus der Sparkomponente bilden erst dann eine Verbindlichkeit, wenn sie unwiderruflich zugesagt wurden. Sollte sich das Board nicht zu einer grundsätzlichen Überarbeitung der Regeln zur Bilanzierung von Erwerbsnebenkosten entscheiden, mindern Akquisitionskosten, die unmittelbar im Zusammenhang mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages entstehen, die Höhe der Verbindlichkeit. Eine Aktivierung scheidet aus, da sie nicht die Kriterien für einen Vermögensgegenstand erfüllen.
Literaturverzeichnis Rückle, Dieter (1997a): Überschußermittlung und -verwendung in der kapitalbildenden Lebensversicherung aus der Sicht des Bilanz-, Abfindungs- und Kapitalanlagerechts; in: Versicherungsvertrag und Versicherungs-Treuhand – Ertragsbesteuerung – Überschußermittlung und -verwendung, Hrsg. Matthias Lehmann / Karl Kirchgesser / Dieter Rückle; (Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 5); Baden-Baden 1997; S. 249 – 297. – (1997b): Alternative Rechnungslegungskonzepte als Basis für die Überschußbeteiligung in der Kapitallebensversicherung; in: Erneuerung des Versicherungsvertragsgesetzes – Versichertenschutz in den USA – Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen; Hrsg. Jürgen Basedow / Ulrich Meyer / Hans-Peter Schwintowski; (Versicherungswissenschaftliche Studien, Band 6); Baden-Baden 1997; S. 171 – 186. – (2001): Kritische Analyse der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 53. Jg. (2001), S. 563 – 577. Rückle, Dieter / Karst, Oliver (2000): Internationalisierung der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen – Kurzbericht über Entwicklungstendenzen; in: Transparenz und Verständlichkeit – Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung – Reform des Versicherungsvertragsgesetzes; Hrsg. Jürgen Basedow / Ulrich Meyer / Dieter Rückle / Hans-Peter Schwintowski; (Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 15); Baden-Baden 2000, S. 159 – 183.
Diskriminierungsverbote und Versicherungsrecht Von Wolfgang B. Schünemann
I. Einleitung Zu den Essentialien eines gelungenen Lebens zählt es nach einem Albert Einstein zugeschriebenen on-dit, sich allzeit eine Neugier zu bewahren, wie sie Kindern von Natur aus zu Eigen ist. Für jeden Wissenschaftler ist und bleibt diese Neugier in besonderem Maße und berufsspezifisch die treibende Kraft seiner forschenden Aktivitäten. Dabei liegt es einerseits nahe, sich auf die Forschung im eigenen Fachgebiet zu konzentrieren, ja, ist diese Konzentration geradezu notwendig, um der Gefahr des Dilettantismus zu begegnen. Andererseits dürfen sich die Wissenschaftsdisziplinen nicht von einander isolieren, wenn sie – und dies sollte doch der gemeinsame Fluchtpunkt aller Wissenschaften sein ! – Erkenntnisse zum Ziel haben, die in ihrer Gesamtheit mehr sein sollen als die Summe ihrer Teile. Es gilt also im Interesse wohlverstandener Interdisziplinarität durchaus, von Neugier getragen sich den Nachbardisziplinen jedenfalls so weit zu nähern, dass die Anschlussfähigkeit im wissenschaftlichen Diskurs gewährleistet ist. Scylla oder Charybdis markieren auch hier nicht die fatale Alternative. Nicht allen Vertretern der Wirtschaftswissenschaften einerseits und der Rechtswissenschaft andererseits lässt sich nun bescheinigen, auf diesem schwierigen Terrain immer den richtigen Kurs gehalten zu haben, wenn sie dies denn überhaupt ernstlich gewollt haben sollten. Der Befund ist umso bedauerlicher, als Ökonomik und Jura doch vielfach in auffälliger Weise mit einander verknüpft sind, wie jeder weiß, der einmal für diese Schnittstelle hinreichend sensibilisiert ist. Denn das Recht (und seine Interpretation) liefert doch allemal den institutionellen, normativen Rahmen ökonomischer Prozesse und oft genug auch deren Instrumente und Handlungsformen, während umgekehrt es sinnlos erscheint, Recht zu setzen und zu handhaben, ohne das ökonomische Sachsubstrat hinreichend zu kennen, auf das die Rechtsnormen treffen und das sie – gewollt oder ungewollt – beeinflussen. Als partes pro toto mögen hier zunächst nur das Bilanz- und das Steuerrecht sowie das Wettbewerbsrecht und das Arbeitsrecht genannt sein. Die von manchem vielleicht ungeliebte, aber notwendige Symbiose der Wirtschafts- und der
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Wolfgang B. Schünemann
Rechtswissenschaft ist auf diesen Feldern ebenso evident wie trivial, jedenfalls für den hier tätigen wissenschaftlichen Insider, wenngleich die Zugänge und Akzente unterschiedlich sind: So ist das Bilanz- und Steuerrecht traditionell eher die Domäne der Ökonomen, wobei diesbezügliche Wirtschaftspolitik im Grunde genuine Rechtspolitik darstellt, während das Arbeits- und das Wettbewerbsrecht zumindest im Bereich des Lauterkeitsrechts fest in der Hand der Juristen sind, die freilich ohne solide ökonomische Kenntnisse insbesondere der Wettbewerbstheorie unter Einschluss der Arbeitsmarkttheorie auf verlorenem Posten stehen und dann in rechtsdogmatischem Gewand kontraproduktive Wirtschaftspolitik betreiben. Man kann das Nachbarschaftsverhältnis von Wirtschafts- und Rechtswissenschaft als Jurist selbstkritisch auch so formulieren: In der juristischen Tradition sicherlich nicht nur Deutschlands herrscht ein befremdlicher Autarkieglaube, der andere Wissenschaftsdisziplinen allenfalls als Hilfswissenschaften wahrnimmt, deren „Hilfe“ aber selbst dort ausschlägt, wo die Jurisprudenz als normative Wissenschaft nichts wirklich leisten kann, weil und soweit es um wirklichkeitswissenschaftliche Fragestellungen geht. Sicher kann der Jurist mithilfe der Fiktion die Sonne juristisch auch auf der Nordhalbkugel im Westen aufgehen lassen,1 aber tatsächlich geht sie hier doch nach wie vor im Osten auf. Auf diese Art und Weise kann man sich wohl seine ganz eigene „Wirklichkeit“ basteln, wird aber herbe Enttäuschungen erleben, wenn man Ge- und Verbote auf eine solche artifizielle Welt und ihre Bewohner münzt oder mithilfe nicht hinreichend realitätsbasierter Konstruktionen das Wirtschafts- und Sozialleben zu bewerten und zu steuern sucht. Kurz gesagt: Der Jurist kommt nicht an der „Natur der Sache“ vorbei, über die, soweit es um das ökonomische Sachsubstrat rechtlicher Regelungen geht, nur die Wirtschaftswissenschaften genuine und kompetente Auskünfte geben können. Es hieße nun die sprichwörtlichen Eulen nach Athen tragen, Rückle, dem Jubilar, die Zusammenhänge von Wirtschafts- und Rechtswissenschaft in Erinnerung rufen zu wollen, legen doch sein literarisches Werk wie auch der persönliche, peripatetische Umgang mit ihm in bester aristotelischer Tradition am Rande diverser Symposien jederzeit hinreichend Zeugnis davon ab, wie produktiv Rückle sich in jenem Grenzbereich bewegt. Exemplarisch hierfür ist als Forschungsfeld gerade auch das Versicherungswesen, für das Rückle aufgrund seiner Wahrnehmungen der „rechtlich-ökonomischen Besonderheit“, die die Überschussermittlung und -verwendung in der kapitalbildenden Lebensversicherung deutscher Provenienz auszeichnet, aus der Sicht des Bilanz-, Abfindungs- und Kapitalanlagerechts deutliche Gegenpositionen zum herrschenden, ___________ 1
Ein bekannter akademischer Lehrer der Juristenfakultät der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt am Main hat den damals noch studierenden Autor mit dieser Behauptung nur sehr kurzfristig beeindrucken können.
Diskriminierungsverbote und Versicherungsrecht
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die rechtlich-ökonomischen Implikationen weniger zur Kenntnis nehmenden mainstream bezogen hat.2 Das Bundesverfassungsgericht hat sich nun jüngst in den Urteilen des Ersten Senats vom 27. Juli 2005 ersichtlich diese Auffassungen Rückles zu Eigen gemacht und unter breiter medienöffentlicher Anteilnahme der bisherigen Praxis der Überschussbeteiligung (auch vor dem Hintergrund zugriffsverhindernder Bestandsübertragungen) und ihrer Absegnung durch die Aufsichtsbehörde wie auch durch die Rechtsprechung der Zivil- und Verwaltungsgerichte Verfassungswidrigkeit bescheinigt.3 Insofern darf vermutet werden, dass auch die rechtlich-ökonomische Thematisierung des Versicherungswesens sub specie der hier seit jeher geläufigen Unterscheidungen z.B. nach Geschlecht oder Alter das Interesse des Jubilars wie der Gratulanten und der Leser schlechthin findet, nachdem der Entwurf der Bundesregierung zu einem weitgreifenden, auch Geschlecht und Alter einbeziehenden „Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung“, kurz: Antidiskriminierungsgesetz (ADG-E)4, für große Beachtung nicht nur der Fachöffentlichkeit geführt hat.5 Durch die zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags unübersichtliche politische Lage, die eine baldige Auflösung des Bundestages und Neuwahlen wahrscheinlich erscheinen lässt, sind die Realisierungschancen des ADG-E zwar gering, eine Reflexion über ihn aber dennoch nicht gegenstandslos. Denn zum Einen wirft der Gesetzentwurf prinzipielle Fragen auf, und zum Anderen wird sich aus noch näher darzulegenden europarechtlichen Gründen eine einschlägige Gesetzesinitiative auch unter neuen politischen Rahmenbedingungen, wenngleich wohl mit einem verkürzten Inhalt, mit Sicherheit wiederholen.
II. Diskriminierungsverbote versus Privatautonomie Es gehört zu unser aller moralischem Wertekanon (wenngleich nicht immer zu geübter Praxis), Diskriminierung der Menschen nach Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiösen oder politischen Anschauung, körperlicher oder geistiger Behinderung als unakzeptabel, ja, als verwerflich zu konnotieren, unser eigenes Verhalten an diesem Maßstab zu orientieren und diskriminierendes Verhalten anderer zu kritisieren und anzuprangern. Eben diese Diskriminierungsverbote statuiert verfassungsrechtlich ___________ 2
Vgl. Rückle (1997), S. 253. Vgl. BVerfG, 27.07.2005, S. 2363, und BVerfG, 27.07.2005, S. 2376. 4 BT-Drs. 15/4538 (15.12.2004). 5 Vgl. z.B. Die Zeit vom 25.5.2005 (Nr. 22), S. 21, die den ADG-E ironisch zumindest als „Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen“ würdigt. Siehe ferner Wandt / Ehlers (2005), S. 21. 3
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ausdrücklich auch Art. 3 Abs. 3 GG6 und gießt damit offenbar ethisch Selbstverständliches lediglich in eine angemessen rechtliche Form, nämlich auf höchster Stufe der Hierarchie der Rechtsquellen. Voreilige Schlüsse auf ein derart umfassendes, alle Lebensbereiche durchdringendes Diskriminierungsverbot verbieten sich allerdings, hält man sich vor Augen, dass das zitierte, umfassend angelegte grundgesetzliche Diskriminierungsverbot Teil des Öffentlichen Rechts ist und damit grundsätzlich an den Staat adressiert ist. Mangels sog. Drittwirkung zielt Art. 3 Abs. 3 GG entgegen landläufigen Vorstellungen trotz seines verfassungsrechtlichen Rangs (juristisch gesehen: gerade wegen seiner verfassungsrechtlichen Qualität!) von vornherein nicht auf die Rechtsverhältnisse zwischen den Subjekten des Privatrechts, namentlich also nicht auf die Rechtsverhältnisse zwischen Bürgern und Unternehmern oder unter diesen,7 sondern entfaltet nur mittelbar eine gewisse Fernwirkung dadurch, dass insbesondere bei der Konkretisierung privatrechtlicher Generalklauseln, die auf die „guten Sitten“ abstellen,8 die grundgesetzliche Wertordnung mit einfließt. Die Privatrechtssubjekte sind also gerade nicht dem grundgesetzlichen Diskriminierungsverbot unterworfen, vielmehr herrscht hier das Prinzip der Privatautonomie: Von daher darf man sehr wohl von Rechts wegen diskriminieren, einen Freundeskreis also unter bewusstem Ausschluss von Frauen, Ausländern, Andersgläubigen und Behinderten konstituieren und pflegen, mag dies auch etwa unter dem Aspekt humanistisch-aufgeklärter Kultur oder unter einem feministischen Leitmotiv verdammungswürdig sein. Die Privatautonomie strukturiert aber keineswegs nur den Bereich des rechtlich unverbindlichen gesellschaftlichen Handelns, sondern reicht darüber hinaus, ja, hat erst dort, im rechtsgeschäftlichen Raum, als Medium marktlich organisierter ökonomischer Akte und Prozesse, überhaupt ihren Wirkungsschwerpunkt: Effizienz und optimale Allokation auf der Basis freiheitlich-wettbewerblich gesteuerter Märkte sind ohne Privatautonomie der Marktteilnehmer undenkbar. Zugleich ist die Privatautonomie integraler Bestandteil wie Garant einer gerade im Grundgesetz keineswegs nur in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Freiheits- und Verantwortungsethik.9 ___________ 6 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 (BGBl. III 1949 S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1, Gesetz vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2863). 7 Vgl. hierzu und zum Folgenden für die insoweit völlig einhellige Meinung hier nur Schünemann (2002), S. 7. 8 Vgl. § 138 Abs. 1, § 826 BGB; Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.08.1896 (RGBl. 1896 S. 195), neugefasst durch Bekanntmachung vom 02.01.2002 (BGBl. I, S. 42, 2909; BGBl. I 2003 S. 738), zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 1, Gesetz vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970). 9 Vgl. näher Schünemann (1997), S. 125 – 130.
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Die Privatautonomie als privatrechtsprägendes, verfassungsbasiertes Strukturprinzip schließt nicht aus, dass der Gesetzgeber einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote auch für den Privatrechtsverkehr erlässt, solange er den Wesensgehalt, den Kernbereich der Privatautonomie unangetastet lässt.10 Solche Diskriminierungsverbote in Bezug auf das Geschlecht normieren für das Arbeitsrecht §§ 611 a und b BGB und machen übrigens gerade dadurch deutlich, dass es ihrer bedarf und ohne sie eine geschlechtsbezogene Diskriminierung nicht etwa schon an Art. 3 Abs. 3 GG rechtlich scheitert. Im Wettbewerbsrecht statuiert § 20 GWB auch nach seiner grundlegenden Novellierung für marktbeherrschende Unternehmen ein Diskriminierungsverbot, relativiert durch das Fehlen eines „sachlichen Grundes“.11 Auch das Europarecht kennt (potentielle) Diskriminierungsverbote für den Privatrechtsverkehr schon im Primärrecht, die den Diskriminierungsverboten auf verfassungsrechtlicher Ebene Deutschlands sehr ähnlich sind. So wird dem Rat in Art. 13 Abs. 1 EGV12 die Möglichkeit eingeräumt, in Abstimmung mit der Kommission und dem Europäischen Parlament „geeignete Vorkehrungen (zu) treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ zu bekämpfen. Ergänzt wird dieser Katalog durch Art. 12 Abs. 1 EGV, der in seinem Anwendungsbereich „jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ für verboten erklärt. Im Einklang damit untersagt seit 1994 § 81e VAG13 für alle Versicherungssparten die Verknüpfung des Merkmals der Staatsangehörigkeit mit Tarifen und Regelwerken. Schon vordem hatte das Bundesverwaltungsgericht 1988 der Praxis, in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung mit speziellen, d.h. schlechteren Ausländertarifen zu arbeiten, einen Riegel vorgeschoben.14 Es hatte sich dabei freilich vor allem mit den Besonderheiten auseinander zu setzen, die sich daraus ergeben, dass die Kraftfahrzeughaftpflicht als Pflichtversicherung ausgestaltet ___________ 10 So in unmissverständlicher Deutlichkeit Art.19 Abs. 2 GG. Auf die sehr komplexe Dogmatik der Einschränkung von Grundrechten mit und ohne ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt kann hier nicht eingegangen werden. 11 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.08.1998 (BGBl. I S. 2521), neugefasst durch Bekanntmachung vom 15.07.2005 (BGBl. I S. 2114), zuletzt geändert durch Art. 1, Gesetz vom 01.09.2005 (BGBl. I S. 2676), in Kraft seit 01.07.2005. 12 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Konsolidierte Fassung 1997) vom 10.11.1997 (ABl. EU 1997, Nr. C 340, S. 0308), zuletzt geändert durch den Vertrag von Nizza vom 10.03.2001 (ABl. EU 2001, Nr. C 80, S. 1). 13 Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG) vom 17.12.1992 (BGBl. I 1993 S. 2), zuletzt geändert durch Art. 1, Gesetz vom 29.08.2005 (BGBl. I S. 2546). 14 Vgl. BVerwG, 17.05.1988, S. 2191.
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ist. Ausdrücklich in diesem Zusammenhang hat das Gericht ausgeführt, dass eben „wegen des Zwangscharakters dieser Versicherung“ die „Risikogerechtigkeit“ der Prämie „weder der Vereinbarung der Beteiligten noch der uneingeschränkten Tarifierungsmacht der Versicherungsunternehmen“ überantwortet sei. Darüber hinaus hat die Entscheidung aber auch allgemeine Bedeutung für andere als Pflichtversicherungen, insofern sie höchstrichterliche Feststellungen über eine sachgerechte Tarifierung und ihre Anknüpfungen trifft. Dies ist abgesehen von der eher ins Auge springenden europarechtlichen Komponente der tiefere Grund dafür, dass der Gesetzgeber in § 81e VAG keine Beschränkung des ausländerbezogenen Diskriminierungsverbots auf Pflichtversicherungen hat vornehmen können. Auf die für das gesamte Versicherungswesen richtungsweisende Dimension dieser insoweit ersichtlich nicht ausreichend gewürdigten höchstrichterlichen Judikatur wird noch zurückzukommen sein. In dem bunten Strauß der supranationalen Antidiskriminierungsbemühungen stechen einige Akte des Sekundärrechts, die Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2002/73, besonders hervor. In ihrer Zusammenschau ergeben sich für den nationalen Gesetzgeber folgende Umsetzungsdirektiven: Diskriminierungen hinsichtlich Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität sind demnach (nur) im Bereich des Arbeitsrechtes zu unterbinden, eine Diskriminierung anhand des Merkmals Rasse oder Ethnie hingegen auf allen Feldern, also auch unter Einschluss des Versicherungswesens. Ubiquitär, aber gegenständlich beschränkt auf die Versorgung der Bürger mit Gütern und Dienstleistungen sollte nach dem Vorschlag einer sog. Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahre 200315 einer Diskriminierung anhand des Geschlechts rechtlich entgegengetreten werden. Für die Assekuranz hätte dies zwingend die Einführung sog. Unisex-Tarife namentlich in der Krankenversicherung zur Folge gehabt, hätte nicht der Rat im Oktober 2004 dem Vernehmen nach16 gegen die vorgeschlagene Fassung eingewandt, eine geschlechtsbezogene Tarifierung sollte doch zulässig bleiben, solange ihr „relevante und versicherungsmathematisch exakte Fakten“ zugrunde lägen. Ob und in welcher konkreten Gestalt sich dieser Einwand in der Richtlinie niederschlagen wird, bleibt abzuwarten. Ob nun Deutschland mit der Umsetzung der genannten drei europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien überhaupt unter Zugzwang steht, ist keineswegs sicher, lässt man schon vorhandene Regelungen wie die bereits erwähnten §§ 611 a und b BGB oder / und die eingefahrene Rechtsprechung in den einschlägigen Fragenkreisen Revue passieren.17 Unabhängig davon ist jedoch fest___________ 15 Vgl. Vorschlag der Kommission vom 05.11.2003, KOM (2003) 657 endg.; http:// europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2003/com2003_0657de01.pdf, Download 05.10.2005. 16 Vgl. FAZ vom 5.10.2004, S. 13. 17 Starke Zweifel hinsichtlich eines Umsetzungsbedarfs hegt z.B. Picker (2003), S. 540, 542 .
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zustellen, dass der ADG-E über das europarechtliche Ziel allemal weit hinausschießt. Denn nach § 1 ADG-E verfolgt das Antidiskriminierungsgesetz den Zweck, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ im Prinzip überall „zu verhindern oder zu beseitigen“, obwohl das geltende europäische Sekundärrecht in der Richtlinie 2000/43 EG diesen umfassenden Schutz doch nur hinsichtlich Rasse bzw. Ethnie vorschreibt bzw. durch die vorgeschlagene Gleichbehandlungsrichtlinie hinsichtlich des Geschlechts vorzuschreiben beabsichtigt.18 Insofern ist es – vorsichtig formuliert – doch sehr schief, wenn es in der Entwurfsbegründung zu etwaigen Alternativen apodiktisch und lakonisch heißt: „Keine“. Ebenso erstaunlich ist, dass dort ausdrücklich darauf beharrt wird, das geplante Gesetz diene lediglich der Umsetzung der genannten in Kraft befindlichen EGRichtlinien und stelle keine vollständige und abschließende Regelung des Schutzes vor Benachteiligung dar.19 Letzteres ist freilich insofern nicht wirklich falsch, als § 2 Abs. 3 ADG-E sonstige Diskriminierungsverbote unberührt lassen will. Sind schon die europäischen Vorgaben einer Antidiskriminierung von Rechtswegen in ihrem beschränkten Zuschnitt hinsichtlich ihrer die Privatautonomie (man kann ohne Weiteres auch sagen: die Freiheit) betreffenden Einschnitte keineswegs unbedenklich, so sind die vom ADG-E vorgezeichneten Effekte geradezu grotesk, je mehr man sich in dessen normative Welt hineindenkt: Es markiert tatsächlich den Übergang in ein gesetzlich verordnetes Gutmenschentum, eine die historisch mühsam errungene Trennung von Recht und Moral wieder beseitigende Intervention auf dem besten Wege, „den auf Individualfreiheit gegründeten Staat über kurz oder lang zum freiheitsverdrängenden, totalitären Tugendstaat (zu) wandeln“ und sich damit zwanglos in die Reihe der Jakobiner und ihrer geschichtlich nicht minder unheilvollen Wiedergänger einzureihen.20 Ins Ökonomische gewendet: Die Ineffizienzen der Märkte, die nunmehr dem Regime moralisch „gelenkter“ und politisch korrekter, diesen Namen freilich nicht mehr verdienenden „Privatautonomie“ (speziell der Vertragsfreiheit) unterworfen sind, werden Staat und Gesellschaft sehr teuer zu stehen kommen.
___________ 18
Siehe bereits vorstehend Fn. 15. Vgl. BT-Drs. 15/4538 (16.12.2004), S. 29. 20 Vgl. Picker (2003), S. 541, in scharfsinniger Analyse und mit zahlreichen Nachweisen. 19
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III. Diskriminierung durch Tarifierungsmerkmale? 1. Versicherungstechnische und versicherungspolitische Ausgangslage Von dem Herzensanliegen des ADG-E, jeder Diskriminierung auch im Raum des Privatrechts den Garaus zu machen, ist selbstverständlich auch das Versicherungswesen betroffen, besser: es ist davon in einer ganz spezifischen Weise betroffen. Denn schon die versicherungstechnische Notwendigkeit, überhaupt erst einmal Risiken zu definieren, über so definierte Risikomerkmale (abstrakt) homogene Gefahrengemeinschaften zu konstituieren21 und auf dieser Basis das schwer beherrschbare individuelle Risiko des Einzelnen mithilfe des Gesetzes der großen Zahl, der Statistik und versicherungsmathematischer Methoden in ein kalkulierbares kollektives Risiko zu transformieren, bedeutet Differenzierung und birgt damit jedenfalls prima vista die Gefahr einer Diskriminierung im Sinne einer Benachteiligung, einer Ungleichbehandlung von Gleichem. Zusätzlich kommen generell, vor allem aber in der privaten Versicherungswirtschaft Wettbewerbseffekte zum Tragen, die eine Prämiendifferenzierung im Gefolge differenziert erfasster Risiken wünschenswert erscheinen lassen.22 Worum es hier geht, wird gerne anhand der privaten Krankenversicherung illustriert: Theoretisch könne ein Versicherer den nach dem kollektiven Äquivalenzprinzip kalkulierten Gesamtkapitalbedarf für Leistungen an die Gesamtheit der Versicherten durch die Zahl der Versicherten teilen und so zu einem Einheitswert der Risikoprämie kommen. Diese Einheitsprämie würde aber der Tatsache nicht gerecht, dass Frauen insgesamt etwa 40 % höhere Krankheitskosten verursachten als Männer, wobei etwa 25 % der Gesamtaufwendungen auf medizinischen Leistungen wegen Schwangerschaft und Entbindung beruhten. Eine geschlechtsneutrale Einheitsprämie würde ferner unter der Bedingung funktionierenden Wettbewerbs zu negativer Risikoselektion führen, sofern nämlich andere Versicherer eine geschlechtsabhängige Prämiendifferenzierung im Hinblick auf die bei Männern und Frauen unterschiedlich hohen Krankheitskosten vornähmen.23 Für Frauen heißt dies im Klartext zumindest bei Eintrittsaltern bis etwa Mitte 50 Jahren höhere Prämien als für Männer, so gesehen also durchaus eine Schlechterstellung und Benachteiligung, freilich eine zumindest plausibel vorgetragen sachlich motivierte Benachteiligung. Diese Überlegungen haben of___________ 21 Konkret-individuell ist der Risikobeitrag jedes einzelnen Versicherten gleichwohl sehr unterschiedlich und kaum fassbar, weil er sich naturgemäß der Statistik verschließt, der Einzelfall für sich genommen aber keine Prognosebasis liefert. 22 Näher Wandt (2004), S. 1342. 23 Vgl. Wandt wie zuvor.
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fensichtlich auch den deutschen Gesetzgeber in so hohem Maße beeindruckt, dass er für die substitutive Krankenversicherung und für die nicht-substitutive, aber nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung durch § 178g VVG24 / § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 VAG eine geschlechterdifferenzierende Tarifierung als die gegenüber der Einheitsprämie offenkundig gerechtere Lösung zwingend vorgeschrieben hat. Umgekehrt wird die gegenüber Männern um Jahre höhere Lebenserwartung von Frauen jedenfalls in Europa, den USA und Japan versicherungsseitig zum Anlass genommen, in der Risikolebensversicherung den Männern eine gegenüber Frauen höhere Prämie abzufordern. Bei Verrentung einer Kapitallebensversicherung und in der Rentenversicherung erhalten Frauen eben deshalb eine niedrigere Monatsrente als Männer, weil der zur Verfügung stehende Geldbetrag bei Frauen auf einen statistisch längeren Zeitraum umzulegen ist. Der Fokus darf freilich nicht auf geschlechtsbedingte Ungleichbehandlungen verengt werden. So werden in der Kraftfahrzeughaftpflicht-Versicherung die Versicherungsnehmer sehr unterschiedlich nach ihrer Herkunft behandelt. Denn je nach ihrer Zugehörigkeit zu diversen Regionalklassen werden die Versicherungsnehmer mit unterschiedlichen Tarifprämien belastet. Der Herkunftsbezug, wird dabei zwar nicht durch die Ethnie,25 wohl aber durch den Wohnsitz bzw. durch den ständigen Aufenthalt hergestellt. Dahinter steht der statistisch klar belegte Zusammenhang, dass beispielsweise der Großstadtverkehr deutlich größere Schadensrisiken generiert als der Flächenverkehr in ländlichen Räumen und dass auch zwischen den großstädtischen Ballungsräumen signifikante Unterschiede in der Schadenshäufigkeit bestehen. Hier entsprechend der „Her___________ 24
Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30.05.1908 (RGBl. 1908 S. 263), zuletzt geändert durch Art. 6, Gesetz vom 02.12.2004 (BGBl. I S. 3102). 25 Während § 1 ADG-E ausdrücklich auf die ethnische Herkunft abstellt, ist Art. 3 Abs. 3 GG jedenfalls in seiner Sprachform weiter gefasst und rekurriert allgemein auf die Ungleichbehandlung nach „Herkunft“. Ob das deutsche Verfassungsrecht mit diesem seinen speziellen Differenzierungsverbot aber tatsächlich weiter greift, ist durchaus zweifelhaft. Denn das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, 25.05.1956, S. 12; BVerfG, 30.05.1978, S. 287 f.) sieht den Herkunftsbegriff gerade nicht geographisch, sondern soziokulturell besetzt. „Herkunft“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG soll sich damit begrifflich nicht nur von „Heimat“ (als Bezugspunkt einer zumeist durch den Geburtsort vermittelten inneren Verankerung der Person mit einem geographischen Raum), sondern auch von „Wohnsitz“ und „gewöhnlichem Aufenthalt“ als rein geographischen Angaben abgrenzen. Diese Inhaltsbestimmung begegnet freilich ihrerseits Einwänden, denn es ist schwer vorstellbar, dass z.B. die ins Ermessen gestellte, ablehnende Entscheidung einer Verwaltungsbehörde in Bayern rechtsfehlerfrei, ohne Verletzung von Art. 3 Abs. 3 GG, darauf sollte gestützt werden können, dass der Antragsteller aus Brandenburg zugezogen sei. Man wird deshalb entgegen der verfassungsgerichtlichen Deduktion den Begriff „Herkunft“ sehr wohl, wenngleich nicht ausschließlich, auch geographisch, nämlich als Oberbegriff von Wohnsitz (Rechtsbegriff) und „gewöhnlichem Aufenthalt“ (empirisch zu ermittelnder Sachverhalt) zu verstehen haben. Wie die Rechtsprechung aber z.B. Kannengießer (1999), Rn. 42.
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kunft“ zu differenzieren, erscheint nicht nur nicht willkürlich, sondern scheint gerade ein Postulat der Gerechtigkeit in ihrer versicherungsrechtlichen Ausprägung, der Prämiengerechtigkeit, zu sein. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Vor diesem Hintergrund kann man auch aus der wissenschaftlich gebotenen kritischen Distanz zur Versicherungswirtschaft die mit Verve kommunizierte Position von Wrabetz als Vorsitzendem des Rechtsausschusses des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft nicht einfach als rhetorischapologetische Phrase von interessierter Seite vom Tisch wischen, wenn Wrabetz kategorisch erklärt: „Um es ganz deutlich zu sagen: Versicherer diskriminieren nicht“26. Indessen liegen die Dinge, wie so oft, nun doch nicht so einfach, wie es Plausibilität und „gesunder Menschenverstand“ nahe legen möchten. Auch die einfachgesetzlichen Festschreibungen der § 178g VVG / § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 VAG statuieren kein wissenschaftliches Denkverbot, zumal solche Normen ihrerseits bereits verfassungsrechtlicher Prüfung standhalten müssen.
2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeitsaspekte Ob § 178g VVG / § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 VAG durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwänden aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG unterliegen und daher nichtig sind, kann nicht en passant im Rahmen des vorliegenden Beitrags entschieden werden, denn hier wird eine Fülle schwieriger verfassungsdogmatischer Fragen aufgeworfen.27 Festzuhalten ist allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG zwar nicht verabsolutiert, dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aber sehr enge Grenzen setzt. Dies gilt besonders dann, wenn es sich nicht um dispositives, dem Vorbehalt vertraglicher Abänderung unterliegendes, sondern es sich, wie bei § 178g VVG / § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 VAG, um zwingendes Recht handelt.28 Speziell bezüglich der geschlechtsbezogenen gesetzlich angeordneten Differenzierung hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Unzulässigkeit des früher bestehenden Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen erklärt, es reiche zur Rechtfertigung solchen einfachgesetzlichen Rechts nicht aus, dass dabei keine absichtlich benachteiligende Regelungsziele verfolgt würden. Ebenso wenig ausreichend sei, dass die gesetzliche Ungleichbehandlung von ___________ 26
Wrabetz (2005), S. 10. Vgl. eingehend Wandt (2004), S. 1346 (mit weiteren Nachweisen), der im Ergebnis die genannten Regelungen für verfassungskonform hält. 28 Vgl. BVerfG, 07.02.1990, S. 1469. 27
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Männern und Frauen auf „biologische und/oder funktionale Unterschiede“ zwischen den Geschlechtern gestützt werde. Vielmehr seien derartige rechtliche Differenzierungen nur zulässig, „soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Frauen oder bei Männern auftreten können, zwingend erforderlich sind“.29 Allgemeine Erwägungen der Versicherungstechnik oder der Prämiengerechtigkeit mit Blick auf das Prinzip individueller (statt, wie bei der Einheitsprämie: kollektiver)30 Äquivalenz werden diesem Zulässigkeitsmaßstab nicht gerecht. Auch der versicherungspolitische Hinweis auf die Gefahr negativer Risikoselektion kann schwerlich die zwingende Erforderlichkeit geschlechterdifferenzierender Prämiengestaltung dartun, weil eine Risiko-Entmischung gar nicht eintreten kann, wenn der Gesetzgeber – sachgerecht oder nicht – allen Versicherungsunternehmen eine solche Differenzierung untersagt. Für die zwingende Erforderlichkeit einer geschlechtsbedingten Prämiendifferenzierung jedenfalls in der privaten Krankenversicherung wird allerdings noch ein weiteres, mit den Besonderheiten gerade der privaten im Vergleich zur gesetzlichen Krankenversicherung begründetes Argument ins Feld geführt, nämlich die gebotene Gewährleistung der dauernden Erfüllbarkeit der vertraglichen Leistungsverpflichtung des Versicherers. Es wird bei diesem Argumentationsstrang also vermieden, in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts lediglich „allgemeine Erwägungen der Versicherungstechnik“ anzustellen. Vielmehr werden gerade spezielle Eigentümlichkeiten einer Versicherungssparte geltend gemacht, die eine geschlechtsbedingte Prämiendifferenzierung im Gegenschluss zu den Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts zulässig erscheinen lassen sollen. Die private Krankenversicherung, so wird ausgeführt,31 beruhe bekanntermaßen nicht wie derzeit noch die gesetzliche Krankenversicherung auf dem Umlageverfahren, sondern auf dem Kapitaldeckungsverfahren. Der Krankenversicherer sei verpflichtet, die Prämie bei Beginn des seinerseits nicht ordentlich kündbaren Vertragsverhältnisses so zu kalkulieren, dass sie für die gesamte Dauer des Vertrages, faktisch also für die gesamte Lebensdauer des Versicherungsnehmers, konstant bleibe. Der Versicherer dürfe die Prämie nicht wegen Kostensteigerungen in der Person des konkreten Versicherungsnehmers, sondern nur wegen eines Anstiegs der Gesundheitskosten im Ganzen. Es sei deshalb von herausragender Bedeutung, dass die bei Vertragsbeginn kalkulierte Prämie die Leistungspflicht auf Dauer decke.
___________ 29
BVerfG, 28.01.1992, S. 964 f. Vgl. bereits oben im Text zu Fn. 23. 31 Vgl. Wandt (2004), S. 1344. 30
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Bei der internen Kalkulation des Gesamtbedarfs nach dem kollektiven Äquivalenzprinzip könne der Versicherer nun nicht ignorieren, dass die Gruppe der Männer und diejenige der Frauen unterschiedliche Schadensprofile aufwiesen. Deshalb müsse es zur entsprechenden Prämiendifferenzierung kommen, wenn der Versicherer vermeiden wolle, unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte hinsichtlich der Schwankungsbreite der Bestandsquoten von Männern und Frauen auf eine Einheitsprämie erhebliche Sicherheitszuschläge vorzunehmen, um eine prämienrelevante, jedoch von der Schwankungseinschätzung im Bestand abweichende Geschlechterverteilung aufzufangen. Die sich dann stellende Frage der Rückgewähr nicht benötigter Sicherheitszuschläge werfe wegen der Langfristigkeit erhebliche Probleme im Blick auf eine Gleichbehandlung der Versicherungsnehmer auf. Mit dem Verbot der Prämiendifferenzierung nach Geschlecht sei deshalb jedenfalls in der (privaten) Krankenversicherung zu befürchten, dass man hier den Teufel mit dem Beelzebub austreiben würde. Diese Argumentation bezeichnet zutreffend Schwierigkeiten im Gefolge einer Einheitsprämie für Männer und Frauen, greift jedoch im Ergebnis nicht durch. Sicherheitszuschläge sind für die Versicherungsnehmer generell und so auch hier zwar lästig, aber dann akzeptabel, wenn nicht verbrauchte Sicherheitszuschläge vollständig und samt ihren (Zins-)Erträgen an die Versicherungsnehmer rückgeführt werden. Die dabei auftretenden Zuordnungsprobleme sind nicht zu leugnen, rechtfertigen aber gewiss nicht umgekehrt den Einbehalt insoweit überhobener Beträge durch die Versicherungsunternehmen zu Lasten der Versicherungsnehmer. Vor allem aber stellt die Differenzierung von Männer- und Frauentarifen auch in diesem Kontext keine Problemlösung dar, die „zwingend erforderlich“ ist. Das Fehlen zwingender Erforderlichkeit einer geschlechtsbedingten Prämiendifferenzierung unter der Perspektive langfristig gesicherter Auskömmlichkeit der Einnahmen zur Deckung der Ausgaben in der privaten Krankenversicherung bzw. einer geschlechtsbedingten (monatlichen) Leistungsdifferenzierung in der Risikolebens- und Rentenversicherung wird durch eine weitere Überlegung unterstrichen: Man könnte nämlich in weit höherem Maße als bisher das individuelle Risikopotenzial durch ärztliche Untersuchungen, Eruierung von Lebensumständen (beruflicher Dysstress, psychische Belastungen durch Prozesse, familiäre Situation, Wohnen unter großer Lärmeinwirkung etc.) und Lebensgewohnheiten (Rauchen, Betreiben riskanter Sportarten etc.) zu erfassen versuchen und daran anknüpfend einer Basisprämie gestufte Sicherheitszuschläge hinzurechnen. Auch dies könnte unter dem Regime einer geschlechtsindifferenten Einheitsprämie bzw. Einheitsleistung die dauernde Erfüllbarkeit der vertraglich geschuldeten Versicherungsleistungen sicherstellen.32 ___________ 32
Dies konzediert letztlich auch Wandt (2004), S. 1345, zieht daraus aber andere Schlüsse als der Text.
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Die dazu notwendigen versicherungsmathematischen Regelwerke und deren Konsequenzen in der Versicherungsbetriebswirtschaft sind sicher wesentlich komplexer als dies der jetzigen Situation entspricht. Außerdem handelt es sich im Gegensatz zur geschlechtlichen Identität, die bis auf seltenste Ausnahmefälle unveränderlich und deshalb gut zu „greifen“ ist, bei Lebensumständen und Lebensgewohnheiten um Faktoren, die im Lebenslauf vieler Menschen als variabel gelten müssen und deshalb jedenfalls ex ante nicht sicher kalkulierbar und nicht einmal hinreichend prognostizierbar sind. Gleichgültig, wie man die dadurch evozierten Schwierigkeiten gewichtet, ist nochmals zu betonen, dass auch aus ihnen nicht die vom Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit vorausgesetzte zwingende (!) Erforderlichkeit gesetzlich fixierter geschlechtsbedingter Differenzierungen im Versicherungswesen hergeleitet werden kann. Mit Rücksicht darauf bestehen an der Verfassungsmäßigkeit von § 178g VVG / § 12 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 VAG doch ganz erhebliche Zweifel. Damit muss freilich noch nicht das letzte Wort bezüglich der Zulässigkeit einer unterschiedlichen Tarifierung nach Geschlecht gesprochen sein, denn zu geschlechtsbedingter Tarifdifferenzierung, die nicht durch den (deutschen) Gesetzgeber erzwungen sind, äußert sich das Bundesverfassungsgericht ja gar nicht. Hier könnte es jedenfalls aus Sicht des Verfassungsrechtes also durchaus noch weite Spielräume für „diskriminierende“ Tarifierungen geben, soweit diese Spielräume nicht – für das Versicherungswesen – durch bislang nur vereinzelt bestehende einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote, namentlich durch § 81e VAG mit seinem Verbot spezieller Ausländertarife, punktuell eingeengt sind. Eben dieses noch zumindest prima vista sehr freie Feld aber würde das geplante deutsche Antidiskriminierungsgesetz besetzen. Soweit es EG-rechtliche Vorgaben vollzieht, ist seine Vereinbarkeit mit dem deutschen Verfassungsrecht wegen des in der Normhierarchie auch dem nationalen Verfassungsrecht übergeordneten EG-Rechts selbst mit Richtlinienqualität weitestgehend eine Frage akademischer Natur. Im übrigen aber bestehen Zweifel, die wegen ihrer Grundsätzlichkeit, eher den Geist als bestimmte Artikel der Verfassung berührenden Art nur einleitend und dann auch nur noch abschließend gestreift werden sollen. Das Augenmerk soll an dieser Stelle vielmehr auf die Passagen des ADG-E gerichtet werden, die auch ihrerseits gerade das Versicherungswesen fokussieren, um die Grenzen dieses Beitrags nicht zu sprengen.
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3. Versicherungsspezifische Zulässigkeitsaspekte Wie schon angesprochen,33 verfolgt der ADG-E mit § 1 das Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse bzw. ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, und bezieht dies in § 2 Abs. 1 Nr. 8 bezüglich seines Anwendungsbereichs auch auf Benachteiligungen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum. Näher ausgestaltet wird diese Zielsetzung durch ein „zivilrechtliches Benachteiligungsverbot“ nach § 20 ADG-E, das gemäß Abs. 1 Nr. 1 in seiner weitest-reichenden Form ausdrücklich nicht nur „Massengeschäfte“ (mit einer dort hinterlegten Legaldefinition) und solche „zivilrechtlichen Schuldverhältnisse“ erfasst, „bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“. Vielmehr bezieht § 20 Abs. 1 Nr. 2 ADG-E expressis verbis auch solche Geschäfte in seine Normierungen mit ein, die „eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben“. Die Systematik ist dabei nicht recht klar, insbesondere, ob es sich insoweit um eine (partielle) lex specialis gegenüber Nr. 1 handelt.34 Darauf kommt es im Ergebnis aber nicht an, weil auch eine Doppelzuordnung von Versicherungsverträgen sowohl zu Nr. 1 als auch zu Nr. 2 ADG-E konsequenzenlos bleibt. Die Kritik von Wrabetz, Versicherungsgeschäfte würden vom ADG-E zu Unrecht den „Massengeschäften“ zugerechnet, weil bei „Versicherungen die individuellen Besonderheiten von Personen oft eine große Rolle“ spielten,35 setzt deshalb falsch oder doch zumindest schief an, gibt gleichwohl Anlass zum Erstaunen, weil ansonsten doch gerade der Massengeschäftscharakter der Versicherungsverträge allenthalben ins Feld geführt wird, um teilweise massive versicherungsrechtliche Abweichungen gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht sachlich legitim erscheinen zu lassen und sie vom Verdacht lediglich lobbyistischer Erfolgsgeschichten zu reinigen.36 Das demnach für Versicherungen geltende Diskriminierungsverbot ist zwar umfassend in dem Sinne, dass – quasi horizontal – sämtliche in § 1 ADG-E ___________ 33
Siehe vorstehend im Text zu Fn. 18. So wohl doch die Sicht der Entwurfsbegründung (BT-Drs. 15/4538 (16.12.2004), S. 39: „Spezialvorschrift“), die allerdings auch sprachliche Wendungen benutzt, die in die Richtung unverbundener Normkonkurrenz weisen. 35 Wrabetz (2005), S. 10. 36 Vgl. etwa Römer (1994), S. 125; Wandt (2001), S. 1450 f.; Weyers / Wandt (2003), Rn. 97. 34
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aufgeführten Kriterien als verbotene Anknüpfungsmerkmale erfasst werden, in der Verbotsintensität – quasi vertikal – aber für manche Anknüpfungsmerkmale Relativierungen erfolgen. Denn § 21 Satz 1 ADG-E erklärt eine „Verletzung des Benachteiligungsverbots (sei) nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt“. Nach § 21 Nr. 5 ADG-E kann dies „insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung bei privatrechtlichen Versicherungsverträgen darin besteht, dass ein in Satz 1 genannter Grund ein bestimmender Faktor bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ist.“ Mit der Formel von den „relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten“ greift § 21 Nr. 5 ADG-E ganz bewusst die sprachliche Wendung auf, mit der der Rat die geplante, auf die Verhinderung und Beseitigung allein der geschlechtsbedingten Diskriminierung ausgerichteten europäischen Gleichbehandlungsrichtlinie für die Eigenheiten des Versicherungswesen geöffnet hat,37 und erstreckt diese Ausnahme auf die versicherungstechnische Anknüpfung auch an Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. Was zunächst wie eine Art Freibrief für die Versicherungswirtschaft erscheint, schlicht ihre bisherige Tarifierungspraxis fortzuführen, könnte sich indes als die sprichwörtlichen Steine anstelle des erhofften Brotes erweisen, als eine „leere Menge“ tarifärer, an Geschlecht, Religion etc. anknüpfender Gestaltungsoptionen. Der Engpass liegt dabei weniger in der Qualität der zur Verfügung stehenden und angewendeten versicherungsmathematischen und statistischen Methoden sowie in den empirischen „genauen“ Daten, die in die jeweiligen Kalküle eingestellt werden (obwohl auch hier die Schwierigkeiten nicht unterschätzt werden sollten), als vielmehr in der geforderten „Relevanz“ der Daten. Der Laie lässt sich gewiss von „anerkannten Grundsätzen der Versicherungsmathematik“ und ähnlichen Dingen beeindrucken, kommen sie doch im Gewand und als Garant vollkommener Objektivität daher, gleichsam als derart naturgesetzlich gesteuerte und ablaufende Prozesse, an deren Ende dann eben die „Versicherungsprodukte“ mit ihren Prämien als „Preisen“ stehen.38 Innerhalb der mathematisch-statistischen Operationen herrscht gewiss jene kühle Rationalität und Transparenz, die diese Wissenschaftsdisziplinen nun einmal auszeichnet, aber alles kommt doch darauf an, welche Ausgangsannahmen man ___________ 37
Vgl. die Begründung zu dieser Regelung in BT-Drs. 15/4538 (16.12.2004), S. 43, sowie oben im Text zu Fn. 15. 38 Scharf gegen diese Begrifflichkeit, die auf der fundamentalen Verkennung des zugrunde liegenden Sachsubstrates beruhen und eine Fülle fataler Konsequenzen zeitigen: Schünemann z.B. (1995), S. 431.
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zugrunde legt, welche Entscheidungen zur „Relevanz“ von Risiko- und Kalkulationsfaktoren man trifft. Bei diesen Entscheidungen geht es der Natur der Sache gemäß nicht um Erkenntnis oder um Schrittfolgen innerhalb formal-logischer Operationen, sondern vor allem um vielfältige unternehmenspraktische Wünschbarkeiten aus Sicht etwa des Marketing, vor allem aber auch aus Sicht der Kosten, die mit der Gewinnung und operativen Handhabung jener Daten einhergehen, mit denen die Anknüpfungsmerkmale empirisch zu hinterlegen sind. Dass die Dinge so liegen, wird auch offen beim Namen genannt. So heißt es, als Risikomerkmale seien von vornherein nur solche Umstände geeignet, „die zu vertretbaren Kosten erfassbar sind“. „In aller Regel“ seien dies eben „aus Kostengründen“ nicht die eigentlich ursächlichen Risikofaktoren wie z.B. in der Krankenversicherung die den Krankheitskostenaufwand bedingende Ausübung verletzungsträchtiger Sportarten oder ungesunde Lebensführung. Deshalb behelfe sich der Versicherer mit bloßen Risikoindikatoren, die statistisch signifikant mit der Schadenserwartung korrelierten, in der Krankenversicherung neben den sog. Vorerkrankungen bekanntermaßen also nur mit dem Geschlecht und dem Alter, da dies nicht zuletzt „unter Kostengesichtspunkten vernünftig“, da leicht zu ermitteln sei.39 Mit der geforderten „Relevanz“ der Risikomerkmale haben diesbezügliche kostenorientierte Überlegungen ersichtlich nichts zu tun, auch wenn die Verfasser des ADG-E eben dies unter wörtlicher Übernahme einer einschlägigen Passage aus dem soeben zitierten, der Assekuranz traditionell nahe stehenden Schrifttum so darstellen möchten.40 Vielmehr geht es um die Ursächlichkeit zwischen versichertem Risiko und den Tarifierungsmerkmalen. Eine signifikante Korrelation reicht zu dieser Kausalitätsfeststellung nicht aus, wie schon das Bundesverwaltungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung zur Unzulässigkeit von Ausländertarifen in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung festgestellt hat.41 Ein solches Vorgehen hat nicht die Sachgerechtigkeit des Tarifierungsmerkmals und damit die Risikogerechtigkeit der Prämie auf seiner Seite, sondern verbleibt an der Oberfläche bequemer, aus dem Blickwinkel der involvierten Sachstrukturen aber letztlich willkürlicher Handhabbarkeit praktischer Tarifierungsarbeit. „Relevant“ anzuknüpfen ist vielmehr ausschließlich an das, was mit einem eingeführten juristischen Terminus einen „innere[n] Zusammenhang“ zwischen Tarifierungsmerkmal und versichertem Risiko stiftet. ___________ 39
Vgl. Wandt (2004), S. 1342. Vgl. BT-Drs. 15/4538 (16.12.2004), S. 43, mit Wandt (2004), S. 1342 (allerdings mit Fehlzitat), der auch sonst in seinen Publikationen durchweg die Positionen der Assekuranz argumentativ unterfüttert. 41 BVerwG, 17.05.1988, S. 2193. 40
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Zwei Beispiele mögen ausreichen, um die Differenz zwischen einer im vorstehenden Sinne „irrelevanten“ Scheinkausalität in Gestalt bloß äußerlicher, wenngleich statistisch robuster Korrelation und wirklicher Kausalität zu illustrieren. Das erste Beispiel liefert der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedene Fall zur Kraftfahrzeughaftpflicht. Zutreffend hat das Gericht hier dargelegt,42 dass der statistisch gut belegbar weit über dem Durchschnitt aller Versicherungsnehmer liegende Schadensbedarf türkischer, (damals noch:) jugoslawischer und griechischer Fahrzeughalter sich auf kein Merkmal zurückführen lasse, das die erfassten Wagnisse typischerweise und damit in hohem Maße übereinstimmend aufwiesen und also, wie der Gedankengang abzuschließen wäre, spezifisch für das versicherte Risiko sei. Vielmehr sei offenkundig die „Staatsangehörigkeit als solche auf das Versicherungsrisiko ohne Einfluss.“ Eindrucksvoll ist auch das immer wieder gern aufgegriffene Storchenbeispiel:43 Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges wanderten die Störche Ostpreußens in Richtung Westen. Gleichzeitig sank die Geburtenzahl in Ostpreußen stark, stieg aber in demselben Maße im Westen Deutschlands. Zwischen der Wanderbewegung der Störche und der Geburtenzunahme bestand eine hochsignifikante Korrelation, gleichwohl ersichtlich keine Kausalität. Ursache für den Geburtenanstieg war vielmehr die Flucht der Bevölkerung vor der Roten Armee nach Westen, wohin es wegen der kampfbedingten Einwirkungen auf Nist- und Futterplätze in Ostpreußen auch die Störche zog. Als derart irrelevante Anknüpfung dürfte sich auch die Tarifierung nach Regionalklassen vor allem in der Kraftfahrzeughaftpflicht darstellen, nicht anders als die Privilegierung von Beamten. Vermutlich würden auch Träger von Anzügen und Krawatten gegenüber legerer gekleideten Personen signifikante Unterschiede aufweisen bezüglich der Häufigkeit, in Unfälle verwickelt zu werden, ohne dass dabei mehr als Scheinkausalitäten reklamiert würden. In der Krankenversicherung gibt es zwischen den für Männer und Frauen unterschiedlichen Schadensvolumina im Prinzip genauso wenig einen versicherungsrechtlich anzuerkennenden relevanten, inneren Zusammenhang, nämlich einen solchen, der an die biologisch-genetischen Unterschiede anknüpft. Die Differenzen erklären sich vielmehr, wie durchaus eingeräumt wird,44 aus ganz anderen Gründen, nämlich aus psychosozialen Faktoren wie z.B. einer deutlich höheren Zahl von Arbeitsunfällen, aber auch von Suiziden sowie in einem wesentlich ausgeprägteren selbstschädigendem Verhalten von Männern im Vergleich zu Frauen. Die signifikante Korrelation ist nun einmal „ohne inhaltliche Analyse nicht ausreichend, um tatsächliche Wirkzusammenhänge nachzuweisen“,45 um ___________ 42
BVerwG wie zuvor. Vgl. Schwintowski (1994), S. 133, der wieder auf Küssner (1994) verweist. 44 Vgl. Wandt (2004), S. 1342. 45 Küssner (1994), S. 142. 43
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die inhaltliche Validität eines Tarifierungsmerkmals, also seinen „sachlichen Grund“, seine „Relevanz“ für eine diesbezügliche Anknüpfung darzutun. Man ist nach alledem geneigt, als „relevant“ an das weibliche Geschlecht angeknüpft in der Krankenversicherung jedenfalls die Kosten von Schwangerund Mutterschaft zu erachten.46 Doch erscheint selbst dies fraglich, wird doch – sicher mit vollem Recht – darauf hingewiesen, dass diese Kosten immer auch von Männern mitverursacht seien.47 Diese Einschätzung hat neben Anderem48 offenbar auch § 21 Nr. 5 Satz 2 ADG-E zu der Anordnung inspiriert, dass „Kosten, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung entstehen, nicht geschlechtsspezifisch in Ansatz gebracht werden (dürfen).“ Die Frage relevanter Tarifierung stellt sich somit nicht mehr. Vive la petite difference ? Damit dürfte im Ergebnis sich kaum jemals die versicherungstechnische Anknüpfung an die in § 21 ADG-E genannten Kriterien (Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität oder Geschlecht) als eigentlich „relevant“ und damit als sachlicher Grund für eine differenzierende Behandlung ohne Diskriminierungscharakter erweisen lassen und die durch § 21 ADG-E für die Versicherungswirtschaft scheinbar eröffneten Spielräume in Wahrheit gar nicht bestehen. Denn wegen des Regel-Ausnahme-Mechanismus von § 20 und § 21 ADG-E müsste ein innerer Zusammenhang zwischen dem versicherten Risiko und den grundsätzlich der Diskriminierung verdächtigen Kriterien nicht nur mit gewiss hohem Aufwand überhaupt erst einmal eruiert, sondern gegenüber Versicherungsaufsicht und Gerichten als wirklich ursächlich auch überzeugend kommuniziert werden, weil Zweifel aus Gründen der beim Versicherer liegenden Beweislast zu seinem Nachteil gereichen müssten. Ob es sich bei § 21 ADG-E tatsächlich um einen „Rechtfertigungsgrund“ im überkommenen, deliktsrechtlich-dogmatischen Sinne handelt, wie die Entwurfsbegründung meint,49 spielt für die hier „gesteigerte Darlegungs- und Beweislast“ einer Versicherungsunternehmung, die sich auf § 21 ADG-E beruft,50 letztlich keine Rolle.
___________ 46
In diesem Sinne auch BVerfG, 18.03.1993, S. 734. Vgl. Hartwig (2002), S. 111. 48 Vgl. Art. 4 der noch nicht erlassenen EG-Gleichbehandlungsrichtlinie in der Fassung vom 6. Okt. 2004 und den Entschließungsantrag des Bundestages vom 30. Juni 2004 (BT-Drs. 15/3477 (30.06.2004)). 49 Vgl. BT-Drs. 15/4538 (16.12.2004), S. 43. 50 So auch die Entwurfsbegründung (wie zuvor). 47
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IV. Rückblick und Ausblick Es hat sich gezeigt, dass (auch) die Versicherungswirtschaft fest im Griff der geplanten Antidiskriminierungsgesetzgebung ist und Ausnahmetatbestände kaum zu ihren Gunsten wird nutzen können. Dies mag man begrüßen, wenn man in der Vergangenheit allfällige Sonderregelungen zugunsten der Assekuranz eher kritisch beobachtet hat. Ein positiver Effekt ist jedenfalls, dass die Konfrontation des Versicherungswesens mit dem ADG-E wieder den Blick dafür geschärft hat, dass die Tarifierungspraxis auch ganz unabhängig von den sich aus dem ADG-E ergebenden Konsequenzen immer noch weit hinter den Standards hinterherhinkt, die die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht schon im Jahre 1988 gesetzt hat. In diesem Zusammenhang ist leider auch an die Adresse der Versicherungsaufsicht gerichtet festzustellen, dass die Behörde ersichtlich nichts unternommen hat, risikogerechte Tarifierungen im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzumahnen und ihr Fehlen als Missstand zu verfolgen. In einem übergeordneten Kontext, der noch einmal die „Philosophie“ des ADG-E kritisch aufgreift, kann es hingegen nur bei einer rigorosen Ablehnung des Versuches verbleiben, die Privatautonomie, das rechtstechnische Synonym für Freiheit,51 weiter auszuhöhlen. Eine Tugendrepublik von Menschenfreunden soll durch Gesetz errichtet werden,52 und nicht erst jetzt dämmert manchem, was damit nach Talleyrand an wirklichem Moralverlust einhergehen wird: „Die Heuchelei ist der Tribut der Sünde an die Tugend.“53 Es scheint, dass die Betriebswirtschaftslehre, der der Jubilar bei aller Offenheit für die Rechtswissenschaft doch zuvörderst verbunden bleibt, solchen Versuchungen gegenüber resistenter ist als die Jurisprudenz in ihrer Ausprägung als Rechtspolitik.
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___________ 51
Vgl. Picker (2002), S. 880. Vgl. Säcker (2002), S. 286. 53 Zitiert nach Adomeit (2005). 52
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Rechtsprechungsverzeichnis BVerfG, Urteil vom 25.05.1956 – 1 BvR 83/56, BVerfGE 5 S. 17. BVerfG, Beschluß vom 30.05.1978 – 1 BvL 26/76, BVerfGE 48 S. 287. BVerfG, Beschluß vom 07.02.1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990 S. 1469. BVerfG, Urteil vom 28.01.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83 und 1 BvL 10/91, NJW 1992 S. 964. BVerfG, Beschluß vom 18.03.1993 – 1 BvR 1927/92, VersR 1993 S. 733. BVerfG, Urteil vom 27.07.2005 – 1 BvR 782/94, 957/96, NJW 2005 S. 2363. BVerfG, Urteil vom 27.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005 S. 2376. BVerwG, Urteil vom 17.05.1988 – 1 A 42/84, NJW 1988 S. 2191.
Richter rechnen doch Von Astrid Wallrabenstein
I. Einleitung Am 26. Juli 2005 hat das BVerfG zwei Urteile zur Überschussbeteiligung und Bestandsübertragung bei der kapitalbildenden Lebensversicherung1 gefällt.2 Dieter Rückle wurde vom BVerfG als Sachverständiger gehört und hat damit einen wichtigen Beitrag zum Ausgang des Verfahrens geleistet. Die Auseinandersetzung zwischen Versicherten und Versicherern um die Überschussbeteiligung wird schon seit vielen Jahren auch gerichtlich ausgetragen. In der Rechtswissenschaft wird grundlegend um die Rechtsnatur des Versicherungsvertrages gestritten.3 Im konkreten Fall vor Gericht ging und geht es untechnisch gesprochen um die Frage, wem das Geld gehört, mit dem die Versicherungsunternehmen arbeiten. Die Unternehmen wollten mit „ihrem“ Geld (natürlich im Rahmen des Versicherungsaufsichtsrechts) machen, was sie wollen. Die Versicherten wollen an „ihrem“ Ersparten ihren Anteil. Bisher haben Gerichte die Auffassung der Versicherungsunternehmen gestärkt. Das hierfür maßgebliche Urteil des BGH von 19944 hat Rückle bereits vor Jahren kritisiert und gleich zwei Möglichkeiten aufgezeigt, wie den Interessen der Versicherungsnehmer de lege lata und de lege ferenda Rechnung getragen werden kann.5 Der Ort hierfür sei die Rechnungslegung des Versicherungsunternehmens, weil hier der Überschuss ermittelt wird, auf den Unternehmen wie Versicherte Anspruch erheben. Die Aufgabe des Rechts bestehe ___________ 1 Im Folgenden wird ausschließlich auf die kapitalbildende Lebensversicherung Bezug genommen, auch wenn zur besseren Lesbarkeit nur der Begriff Lebensversicherung verwandt wird. 2 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, und BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376. 3 Vgl. die Modelle, die z.B. Basedow (1992) oder Schünemann (1995), (2004) gegen die h.M., z.B. Prölss (2004), § 1 Rn. 21 f., 30, vorgestellt haben. 4 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 124/92, BGHZ 128, S. 54. 5 Vgl. Rückle (1997 a), (1997 b), (2001); speziell für das Geschäftsbesorgungsmodell: Rückle (2004).
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darin, für die Bilanzierung diejenigen Vorgaben zu machen, die den betroffenen Interessen gerecht werden. Nun hat das BVerfG die justizielle Perspektive korrigiert. Es hat nicht nur den eigentumsrechtlichen Schutz des Anspruchs auf Überschussbeteiligung herausgearbeitet (dazu unter II.), sondern auch die Interessenkonflikte bei der Überschussermittlung erfasst (dazu unter III.). Bei den Konsequenzen bleibt das Gericht allerdings vage, so dass hier Weiterdenken gefordert ist (unter IV.).
II. Der Eigentumsschutz des Anspruchs auf Überschussbeteiligung In der versicherungsrechtlichen Literatur wurde die eigentumsrechtliche Bedeutung der Versichertenansprüche bisher nicht erkannt, weil für die Rechtslage bis 1994 bereits die Einordnung der Überschussbeteiligung als zivilrechtlicher Anspruch überhaupt verweigert wurde6 und die Neubeurteilung seit der Deregulierung 1994 noch keineswegs konsolidiert ist.7 Entsprechend rar waren auch verfassungsrechtliche Stellungnahmen, die den Schutz der Versichertenansprüche im Rahmen der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG8 begründeten.9 Auch die Feststellung des BVerfG aus 1991, dass die Überschussbeteiligung im Rahmen einer Bestandsübertragung unter eigentumsrechtlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen sei,10 wurde in der versicherungsrechtlichen Literatur nur für die Bestandsübertragung, nicht für die Überschussbeteiligung als solche rezipiert.11 Dies ist erstaunlich. Hat doch die verfassungsrechtliche Lehre schon seit Weimar den verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums von der zivilrechtlichen Kategorie entkoppelt12 und das BVerfG schon seit geraumer Zeit auch schuldrechtlichen Ansprüchen diesen Schutz gewährt.13 Nun hebt das BVerfG ausdrücklich den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG für den Anspruch auf Überschussbeteiligung in seinem vollen Umfang hervor:
___________ 6 Vgl. Kollhosser (2004), Rn. 3; ein Anspruch wurde nur insoweit zugebilligt, als der Versicherer durch Direktgutschrift oder Zuwendung aus der RfB Überschüsse einem bestimmten Vertrag zugeteilt hat. 7 Vgl. die unsichere Erörterung bei Prölss (2004) Vorbem. I Rn. 114 und § 1 Rn. 24. 8 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1947 (BGBl. S. 1), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2863). 9 Soweit ersichtlich nur Bryde (1996), S. 67 f. 10 BVerfG (Kammer), Beschluß v. 11.07.1990 – 1 BvR 570/90, VersR 1991, S. 757. 11 Vgl. Präve (2005), Rn. 24. 12 Vgl. nur Papier (2002), Rn. 201; Bryde (2000), Rn. 11, 13. 13 BVerfGE 45, S. 142, 179; 83, S. 201, 208.
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„Soweit die den Versicherten zukommenden vermögensrechtlichen Positionen schon zu subjektiven Rechten erstarkt sind – wie jedenfalls der Anspruch auf den schon zugeteilten Überschuss –, werden sie als solche durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Im Übrigen aber wirkt der objektivrechtliche Gehalt des Art. 14 Abs. 1 GG dahingehend, dass der Gesetzgeber Vorkehrungen zum Schutz auch der im Werden begriffenen Position hinsichtlich der Überschussbeteiligung treffen muss. Diese stellt nicht nur eine potentielle Erwerbsaussicht dar.“14
Es kommt für den verfassungsrechtlichen Schutz nicht darauf an, dass die konkrete Höhe des Anspruchs auf Überschussbeteiligung noch nicht feststeht. Ausreichend ist nach dem BVerfG, dass dieser Anspruch eine „vertrags- und aufsichtsrechtlich abgesicherte, bei planmäßigem Verlauf auch wirtschaftlich gehaltvolle Position“15 ist. Für die Rechtsordnung folgt daraus, dass die Vorkehrungen zum Schutz dieses Anspruchs die Interessen der Versicherten wahren müssen. Dies ist nicht erst bei der Verteilung eines vom Unternehmen ausgewiesenen Überschusses zwischen den Versicherten von Bedeutung, sondern bereits zuvor bei der Feststellung des Überschusses selbst.16 Denn an dieser Schaltstelle treffen die verschiedenen Interessen von Versicherten und Unternehmen aufeinander. Ist diese Basis gelegt, überrascht die Subsumtion des BVerfG nicht mehr. Deshalb konnte Bryde bereits 1996 sagen, dass „es schwer zu sehen [sei], wie […] eine Konstruktion, die zwar den Anspruch des Versicherten auf Überschussbeteiligung bejaht, dann aber diesen […] Anspruch völlig den Manipulationsmöglichkeiten des anderen Vertragspartners ausliefert“, Bestand haben soll, „wenn das BVerfG bei seiner Linie verfassungsrechtlichen Schutzes von Eigentumsrechten auch im Zivilrecht bleibt“.17 Tatsächlich hat das BVerfG nun festgestellt, dass die bisherige Rechtsordnung – „jedenfalls in der Auslegung durch den BGH“18 – den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt. Das Versicherungsvertrags- und Versicherungsaufsichtsrecht greifen hier nicht so ineinander, dass ein Netz zur Sicherung der Interessen der Versicherten bestünde. Vielmehr fallen sie zwischen diesen Regelungsansätzen buchstäblich durch.
___________ 14 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, 2367. 15 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, 2367. 16 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2380. 17 Bryde (1996), S. 67. 18 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2380.
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III. Die Interessenkonflikte bei der Überschussermittlung Jenseits der grundrechtsdogmatischen Einordnung des Anspruchs auf Überschussbeteiligung benennen die Urteile des BVerfG den in der Rechtswissenschaft bisher ausgeblendeten Punkt, dass bei der Überschussermittlung Spielräume bestehen.19 Und wichtiger noch: Es wird nun auch juristischerseits erkannt, dass die Rechnungslegung und damit die Ermittlung des Überschusses von verschiedenen, teils gleichlaufenden aber eben auch teils gegenläufigen Interessen bestimmt ist.20 Die handels- und steuerrechtlichen Bilanzspielräume berücksichtigen jeweils einzelne dieser Interessen, können aber anderen zuwiderlaufen. Unternehmen und Versicherte haben solange – partiell – gleichgerichtete Interessen, wie das Versicherungsverhältnis besteht. Eine vorsichtige Bilanz mit niedrig und zu niedrig angesetzten Gewinnen sichert den Bestand und die Solvenz des Unternehmens, weil alle erfolgsabhängigen Schulden – Steuern, Dividenden und eben auch die Überschussbeteiligung – niedrig ausfallen und so das Vermögen des Unternehmens geschont wird.21 Im Interesse auch der Versicherten liegt dies dann, wenn die Risikoabsicherung, also die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens im Versicherungsfall, wichtiger ist als die „Gewinnbeteiligung“. Dies ändert sich aber im Verlauf des Vertragsverhältnisses. Insbesondere bei der kapitalbildenden Lebensversicherung ist zudem eben das Kapitalbildungsinteresse regelmäßig hoch, häufig höher als das Risikoabsicherungsinteresse. Jedenfalls am Ende des Versicherungsvertrages besteht kein spezifisches Interesse des Versicherten mehr daran, das Vermögen des Unternehmens auf seine, des Versicherten Kosten, zu schonen. Dies mag man ein wenig anders gewichten, wenn es sich um einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit handelt. Hier kann man einem Versicherten ein gewisses Maß an solidarischem Interesse unterstellen, wenn auch freilich in der Praxis die Rechtsform des Versicherers kaum eine Rolle spielt.22 Für die Rechnungslegung des Unternehmens bedeutet dies, dass zumindest bei der Ermittlung des Schlussüberschusses eine Interessendifferenz zwischen ausscheidenden Versicherten auf der einen und dem ___________ 19
Vgl. nur Rückle (1997 c), S. 268 – 271; schärfer noch Rückle (2001), S. 572 f. Z.B.: BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2381: „Aus der auf die Gesamtheit der Belange aller und die Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens insgesamt bezogenen Perspektive des Versicherungsaufsichtsrechts liegt es nahe, stille Reserven möglichst für zukünftige Zeiten zu erhalten; den Belangen einzelner Versicherter kann dies aber widersprechen.“ 21 Vgl. Rückle (1997 c), S. 285. 22 Nicht zufällig haben verschiedene Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit die Rechtsform zu einer Aktiengesellschaft gewechselt – rechtstechnisch im Wege der Bestandsübertragung, die ebenfalls Gegenstand der hier behandelten Urteile des BVerfG ist. 20
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Unternehmen sowie den verbleibenden Versicherten auf der anderen Seite besteht. Der Blick auf diesen Interessengegensatz, genauer noch die Veränderung der Versicherteninteressen im Vertragsverlauf, fehlt bisher im Versicherungsrecht. Nicht nur das Versicherungsvertragsrecht mit seiner unvollkommenen Erfassung der wechselseitigen Verpflichtungen und damit zusammenhängend der streitigen Frage nach der Rechtsnatur des Versicherungsvertrages23 bietet keine Antwort. Dabei ist es die Aufgabe des Zivilrechts, die typischen Interessenkonflikte durch rechtliche Vorgestaltung bzw. als Auffangordnung zu einem gerechten Ausgleich zu bringen.24 Auch das Versicherungsaufsichtsrecht kennt in seinen Normen nur eine pauschale Berücksichtigung der Versichertenbelange. Weder die Versicherungsaufsicht noch das BVerwG haben es verstanden, diese offene Bestimmung auszufüllen und eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen und wechselnden Versicherteninteressen vorzunehmen. Das BVerfG hat sich von der Flickschusterei der rechtlichen Rahmenbedingungen nicht irritieren lassen.25 Es hat sich auch nicht von den Rechenkünsten der Versicherungsunternehmen beirren lassen, mit denen im Verfahren beteuert wurde, dass alle Bilanzierungsvorsicht immer nur – oder etwas ehrlicher: auch – dem Wohl der Versicherten diene. Als Prozessstrategie mag dies viel versprechend sein, ist es doch ein Gemeinplatz, dass Juristen das Rechnen fern liege. Das BVerfG hat aber stets die Interessenkonflikte im Blick gehalten und auf diese Weise den Mangel an rechtlicher Rahmenordnung zu ihrer Bewältigung feststellen können: „Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, rechtliche Maßstäbe vorzugeben und deren Prüfung im Interesse der Versicherungsnehmer dahingehend zu ermöglichen, ob die mit den Versicherungsprämien des jeweiligen Versicherungsnehmers bei dem Versicherer geschaffenen Vermögenswerte in einer einen gerechten Interessenausgleich ermöglichenden Weise der Ermittlung des Schlussüberschusses zu Grunde gelegt werden.“26
___________ 23
Vgl. die Darstellung bei Schwintowski (1997); Ebers (2001), S. 217 – 249; Schünemann (2004) oder Prölss (2004), § 1 Rn. 20 – 24. 24 Grundlegend zur Privatautonomie ausgestaltenden Funktion des Zivilrechts: Bäuerle (2001), insb. S. 321 – 343, 362 f. Schünemann (1996), S. 49 f., beklagt konkret zutreffend das Defizit an zivilrechtlicher Bearbeitung des Versicherungsvertrages im Unterschied beispielsweise zum Leasingvertrag. 25 Beispielhaft sei auf den „Verschiebebahnhof“ verwiesen, den der BGH in seinem Urteil v. 23.11.1994 – IV ZR 124/92, BGHZ 128, S. 54, konstruiert hat. 26 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2380, Hervorhebungen von der Verf.
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IV. Konsequenzen Bei den Folgen aus dieser Feststellung hält sich das BVerfG zurück. Zum einen spricht es nur davon, dass bei der Bilanzierung zwischen den Interessen der ausscheidenden und verbleibenden Versicherten sowie des Unternehmens abgewogen werden müsse.27 Nach welchen Maßstäben, gar zu welchen Werten die Bilanz zu erstellen ist, lässt das BVerfG offen. So richtig hier die Zurückhaltung ist, so notwendig ist es, die Maßstäbe zu entwickeln, was eine „gerechte“ oder „faire“ Bilanz für den Schlussüberschuss ist (dazu unter 1.). Zum Zweiten hält das BVerfG für das Versicherungsaufsichtsrecht, genauer für die Rechtsgrundlagen zur Bestandsübertragungsgenehmigung, Auslegungs- bzw. Rechtsfortbildungsspielräume nicht für gegeben.28 Für den privatrechtlichen Anspruch auf höhere Überschussbeteiligung hilfsweise Auskunft über die Überschussermittlung verneint es aufgrund der defizitären Rechtslage einen durchsetzbaren Anspruch, verweist also auch hier auf den Gesetzgeber. Kritik ist an beiden Entscheidungen zu üben, darüber hinaus muss aber auch ausgelotet werden, wie Verwaltung und Gerichte fortan mit der verfassungswidrigen Rechtslage umzugehen haben (dazu unter 2.). Zum Dritten hält das BVerfG verschiedene Lösungswege zur Behebung des Normendefizits für möglich. Der Gesetzgeber könne sowohl im Versicherungsaufsichtsrecht wie auch im Versicherungsvertragsrecht den Interessen der Versicherten im grundrechtlich geforderten Rahmen genüge tun. Rechtspolitische Überlegungen sind auch hier erlaubt und notwendig (dazu unter 3.).
1. „Faire“ Schlussüberschussbilanz Die zu berücksichtigenden Interessen hat das BVerfG benannt. Für den Schlussüberschuss könne es nicht ausschließlich auf die Interessen der Versicherten oder eines einzelnen Versicherten ankommen und schon gar nicht allein auf das Interesse eines aus dem Versicherungsverhältnis Ausscheidenden.29 Die Interessen der fortbestehenden Risikogemeinschaft sind ebenso zu berücksich___________ 27
BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2381: „Allerdings ist der Gesetzgeber gehindert, die Feststellung des Schlussüberschusses ausschließlich am Interesse der oder eines einzelnen Versicherten oder gar an dem Interesse eines aus dem Versicherungsverhältnis Ausscheidenden an der Optimierung der an ihn auszukehrenden Leistungen auszurichten. Dies widerspräche dem für das Versicherungsrecht typischen Grundgedanken einer Risikogemeinschaft und damit des Ausgleichs der verschiedenen, weder im Zeitablauf noch hinsichtlich des Gegenstands stets identischen Interessen der Beteiligten.“ 28 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, 2371. 29 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2381.
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tigen wie die wirtschaftlichen Interessen des Versicherungsunternehmens. Entscheidend ist, wie diese Maßgaben für die Überschussermittlung konkretisiert werden können. Rückle hat bereits 1997 vorgeschlagen, die Bilanz zum Schlussüberschuss an den Regelungen auszurichten, die für das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer fortbestehenden Gesellschaft gelten.30 Die Situation ist vergleichbar. In beiden Fällen geht es nicht um die Liquidationsbilanz, die zu Tageswerten erfolgen würde. Stattdessen schlägt Rückle eine „mittlere“ Bewertung vor, die im Schnitt erfolgsneutral ist.31 Auf diese Weise würde das Solvabilitätsinteresse des Versicherungsunternehmens – und der Versicherten – gewahrt. Auch müssten zur Bedienung dieser Schlussüberschüsse keine Reserven aufgelöst werden, weil sie zur Sicherung dieser Forderungen bereitstünden. Sollten – etwa bei einem rückläufigen Versicherungsgeschäft – die Schlussüberschüsse die Sicherungsreserven übersteigen, kann eine Abgeltung beispielsweise durch Genussrechte den in diesem Fall vorrangigen Interesse des Bestandsschutzes Rechnung tragen.32 An dieser Stelle kommt es nicht auf Details an. Der Weg ist jedoch erkennbar: Die Bilanz zur Berechnung des Schlussüberschusses kann anderen Maßstäben folgen als die „allgemeine“ Rechnungslegung des Versicherungsunternehmens – und solange die Überschussberechnung im Interesse der WeiterVersicherten besonders vorsichtig ist,33 muss sie das auch. Eine zweite, von der Überschussfeststellung zu trennende Frage ist die, wie die Ausschüttung so erfolgen kann, dass der Bestand und die Solvabilität des Versicherungsunternehmens nicht gefährdet wird – wobei dies natürlich kein Selbstzweck ist, sondern nur den berechtigten Interessen der weiteren Versicherten, nicht etwa des Unternehmens, Rechnung trägt. Entscheidend ist, dass so sichergestellt werden kann, dass die ausscheidenden Versicherten an dem Vermögenszuwachs, der (auch) aus ihren Prämien erwirtschaftet wurde, voll beteiligt werden. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, in der vom BVerfG gesetzten Frist diesen Grundsätzen entsprechende Vorgaben für die Rechnungslegung zu machen.
___________ 30
Vgl. Rückle (1997 a), S. 296 f., 300; Rückle (1997 c), S. 286 f. Vgl. Rückle (1997 c), S. 286: es genügt der „wahre“, „volle“ Wert der einzelnen Vermögensgegenstände. 32 So Rückle (1997 b), S. 181 unter Bezugnahme auf Basedow (1992), S. 428. 33 Ob eine „vorsichtige Kalkulation“ tatsächlich den Interessen der Versicherten dient oder nur dem Management Spielräume belässt, die von der – die Versicherteninteressen schützenden – staatlichen Aufsicht gerade nicht kontrolliert werden können, steht noch auf einem anderen Blatt. 31
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2. Umgang mit der aktuellen Rechtslage Interessant ist aber auch, was bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber gilt. Dies nicht nur, weil bis zum 31.12.2007 noch einige Zeit ins Land gehen wird, sondern auch, weil weder garantiert ist, dass der Gesetzgeber die Frist einhält, noch, dass eine Reform den Vorgaben des BVerfG genügt. So grundlegend das BVerfG-Urteil für den Schutz der Versicherten ist, so stumpf ist es als Waffe gegen die herrschenden Missstände. Das BVerfG ist mit seiner Feststellung, dass die Rechtslage verfassungswidrig ist, zwar einerseits weiter gegangen, als die Beschwerdeführer geltend gemacht haben. Denn in den Verfassungsbeschwerden wurde „nur“ die Auslegung der geltenden Bestimmungen durch Verwaltung und Gerichte als verfassungswidrig gerügt. Andererseits ist das BVerfG damit aber hinter dem Begehren der Verfassungsbeschwerden zurückgeblieben, weil es die angegriffenen Urteile des BGH und des BVerwG aufrechterhalten hat. Das BVerfG begründet diesen Spagat damit, dass die Gerichte dem grundrechtlich vollauf berechtigten Begehren der Beschwerdeführer de lege lata nicht nachkommen konnten. Für die Anfechtungen der Bestandsübertragungen folge dies – so das BVerfG – aus den Grundsätzen der Normenbestimmtheit und Normenklarheit.34 Für den zivilrechtlichen Anspruch auf Überschussbeteiligung enthält das Urteil nur den lapidaren Satz, dass es bis zur Neuregelung bei der gegenwärtigen Rechtslage bleibe.35 Dahinter lässt sich als Erklärung nur die Zurückhaltung des BVerfG vermuten, das die Zivilgerichtsbarkeit nicht zu einer Rechtsfortbildung zwingen wollte. Unbestreitbar ist ein moderneres und verbraucherfreundlicheres Versicherungsrecht überfällig.36 Das BVerfG betont für das Versicherungsaufsichtsrecht die Notwendigkeit klarer und konkreter Normen zum Schutz der Versicherteninteressen gerade aus ihrer schwachen Verfahrensposition.37 Aber das Urteil wäre für die Versicherten Steine statt Brot, wenn dieser Mangel für den status quo keine Konsequenzen beinhaltete. A majore ad minus verlangt das BVerfG in Bestandsübertragungsverfahren von der Verwaltung sowie von Gerichten, dass sie bis zu einer Neuregelung das geltende Recht nach Maßgabe des BVerfG-Urteils anwenden.38 Im Urteil zum zivilrechtlichen Begehren auf Überschussbeteiligung fehlt ein solcher Hinweis. ___________ 34
BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, 2371. 35 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 80/95, NJW 2005, S. 2376, 2381. 36 Vgl. nur die nun bereits zwei Legislaturperioden dauernde Vorbereitung einer Versicherungsvertragsreform. 37 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, 2371. 38 BVerfG v. 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 und 1 BvR 957/96, NJW 2005, S. 2363, 2376.
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Nichtsdestotrotz gilt dies ebenso für die Zivilinstanzen. Auch sie dürfen natürlich kein verfassungswidriges Recht sprechen. Also werden auch sie das BVerfG-Urteil umsetzen müssen. An Möglichkeiten wird es den Zivilgerichten nicht mangeln. Verbraucherschützer raten, vorsorglich Klagen auf eine höhere Überschussbeteiligung anhängig zu machen39 – ein Vorgehen, das angesichts z.T. drastischer Kürzungen der Überschussbeteiligungen hohe praktische Relevanz haben dürfte. Den Zivilgerichten bieten sich in solchen Verfahren zwei Alternativen. Entweder sie vermeiden es, aufgrund der bisherigen Rechtslage – in ihrer Auslegung durch den BGH, wie das BVerfG ausdrücklich betont – zu handeln. Sie können die Verfahren bis zu einer Neuregelung aussetzen. Aber spätestens dann sind sie gefragt. Trifft der Gesetzgeber eine rückwirkende Regelung, stellt sich unmittelbar die Frage, ob diese – gegebenenfalls in welcher Auslegung – den verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt. Aber auch, wenn der Gesetzgeber keine Bestimmungen für bereits laufende bzw. abgeschlossene Verträge vorsieht, bleibt die gegenwärtige Rechtslage für die heute anhängigen Verfahren verfassungswidrig. Die Gerichte müssen dann entweder die Neuregelung wegen des Fehlens rückwirkender Bestimmungen dem BVerfG vorlegen.40 Oder sie können bereits jetzt im Wege der Rechtsfortbildung eine Anspruchsgrundlage entwickeln. Die im hier besprochenen Verfahren angegriffene BGH-Entscheidung41 verstellt diesen Weg keineswegs. Auch wenn die Ablehnung einer gerichtlichen Billigkeitsprüfung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB beibehalten bliebe,42 müsste geprüft werden, welche Ansprüche noch neben den ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen vereinbarten Zahlungsansprüchen bestehen. Lücken im Gesetz mögen ein verfassungsrechtliches Problem sein. Bei Lücken im Vertrag sind in erster Linie die Zivilgerichte aufgerufen, sie im Sinne der Rechtsordnung zu schließen. Grundlage hierfür kann die Natur des Versicherungsverhältnisses sein. In der Literatur wurden aus der sog. Geschäftsbesorgungstheorie Anspruchsanalogien abgeleitet,43 eine Anwendung des KAGG44 gefordert45 oder aus der aufsichtsrechtlich konturierten Über___________ 39
Vgl. z.B. Versicherungsrecht kompakt 9/2005, S. 160. Strukturell vergleichbar war der – insoweit erfolgreiche – Vorlagebeschluss des AG Korbach zur Elterlichen Sorge, BVerfG v. 29.01.2003 – 1 BvL 20/99, BVerfGE 107, S. 150. 41 BGH v. 23.11.1994 – IV ZR 124/92, BGHZ 128, S. 54. 42 Mit überzeugenden Argumenten für eine analoge Anwendung des § 315 Abs. 3 S. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.10.1896 (RGBl. S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970)): Ebers (2001), S. 258 – 270. 43 Vgl. Schünemann (1996), (2004). 44 Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften vom 09.09.1998 (BGBl. I S. 2726), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.12.2003 (BGBl. I S. 2840). 45 Vgl. Schwintowski (1997), S. 63 – 65, 67. 40
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schussbeteiligung ein zivilrechtlicher Kontrollanspruch des Versicherten entwickelt46. Die Interessenkongruenz mit den ausscheidenden Gesellschaftern einer Personengesellschaft47 weisen in eine vielleicht rechtsdogmatisch einfachere Richtung. „Nur“ die Grundsätze der Rechnungslegung, auf die die Versicherungsbedingungen verweisen, müssen um die Ausscheidensbilanz für die Berechnung des Schlussüberschusses ergänzt werden.48 Weil die Rechnungslegung ohnehin auf vielfältige Rechtsquellen Bezug nimmt, ist rechtssystematisch nicht der Versicherungsvertrag selbst zu ergänzen, sondern nur die Verweisungen sind anders auszugestalten. Weitere Lösungen sind sicherlich zu finden, wenn die Zivilrechtswissenschaft hier den Ball aufgreift, den das BVerfG ihr zugeworfen hat. In erster Linie ist sie nun aufgerufen, eine verfassungskonforme Theorie des Versicherungsvertrages zu entwickeln und sowohl für die Justiz als auch den Gesetzgeber Umsetzungsvorschläge anzubieten.
3. Ort für Neuregelungen Das BVerfG lässt dem Gesetzgeber für die Umsetzung des Urteils sogar das Rechtsgebiet offen. Das komplexe Zusammenspiel zwischen Versicherungsvertrags- und -aufsichtsrecht ist von verfassungswegen nicht in einer bestimmten Weise aufzulösen. Entscheidend sei nur, dass die Schutzbestimmungen im Interesse der Verbraucher so ineinander greifen, dass das verfassungsrechtlich geforderte Schutzniveau nicht unterschritten wird. In der Tat sind verschiedene Modelle denkbar. Eine wesentliche Weichenstellung liegt dabei in der Frage, ob der Verbraucherschutz eher öffentlichrechtlich und von staatlicher Seite gewährleistet werden soll, oder ob den betroffenen Verbrauchern zivilrechtliche Instrumente an die Hand gegeben werden, selbst für ihre Interessen zu sorgen. Traditionell wird die Überschussbeteiligung als rein aufsichtsrechtliches Problem angesehen. Es fehlen nicht nur im Versicherungsvertragsrecht jedwede Regelungen hierzu. Auch innerhalb der Bundesregierung ressortiert die Überschussbeteiligung nur im Finanzministerium; das Justizministerium versteht sich allein für die vertraglichen Aspekte des Versicherungsrechts für zuständig. Und das Verbraucherschutzministerium hat bisher ohnehin für den sog. rechtlichen Verbraucherschutz keine Federführungskompetenz. Die Auswirkungen dieses Zuständigkeitsverständnisses zeigen sich in den Entwürfen zur Versiche___________ 46
So Ebers (2001), S. 257-270, zum entsprechenden Auskunftsanspruch: S. 277 –
280. 47
Vgl. Rückle (1997a), (1997b). Entsprechend de lege lata entwirft Rückle (2001), S. 569 – 571, 574 f., auch die bilanzielle Umsetzbarkeit der Prämientrennung. 48
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rungsvertragsreform, wie sie der Abschlussbericht der hierzu eingesetzten Reformkommission entworfen hat. Die Überschussbeteiligung wird zwar als eine der wichtigsten Fragen der Lebensversicherung erkannt.49 Dies führt aber nicht zu einem Reformvorschlag. Stattdessen wird dieser Komplex ausgeklammert und in andere Rechtsgebiete abgeschoben.50 Die Finanzaufsicht ihrerseits sieht aber keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Hier wird Bewegung notwendig sein, um den organisatorischen Rahmen für eine Reform zu bieten, die den Anforderungen des BVerfG genügt. Die vom BVerfG eingeräumte Freiheit des Gesetzgebers wird allerdings durch europarechtliche Vorgaben eingeschränkt. Die Versicherungsaufsicht kann europarechtlich nur eine Missstandsaufsicht sein. Die individuelle Kontrolle eines Einzelfalles kann auf diese Weise nicht geleistet werden. Typischerweise stellt sich das Europarecht individuellen Rechtsschutz eher im Zivilrecht vor. Rechtlicher Verbraucherschutz erhält in diesem Verständnis eine wichtige Funktion als Wettbewerbselement. Wollte man die Fragen um die Überschussbeteiligung in diesem rechtlichen Ordnungsrahmen bewältigen, müsste das Versicherungsvertragsrecht um spezifische Verbraucherschutzrechte ergänzt bzw. dem bestehenden Verbraucherschutzrecht kompatibel gemacht werden. Allerdings darf eine öffentlich-rechtliche Verortung des Verbraucherschutzes nicht voreilig als europarechtswidrig verworfen werden. Die Zurücknahme der Versicherungsaufsicht auf eine Missstandskontrolle muss aus der Perspektive der Unternehmen ein „weniger“ an Staat sein. Dem steht aber Individualschutz der Versicherten nicht entgegen. Das deutsche Versicherungsaufsichtsrecht hat den einzelnen Versicherten bisher gerade nicht berechtigt, wie bspw. gut daran sichtbar wird, dass den Aufsichtstatbeständen kein drittschützender Charakter beigemessen wird. Jenseits der Klagebefugnis mangelt es auch an eigenen Verfahrenspositionen der Versicherten. Dies schließt prinzipiell nicht aus, dass diese in einer Reform, die nicht allein das Versicherungsvertragssondern auch das Versicherungsaufsichtsrecht umfasst, geschaffen werden könnten. Welcher Weg auch immer gewählt wird: Ein grundlegender Verständniswandel ist unverzichtbar. Entweder das Versicherungsvertragsrecht muss auch die Überschussbeteiligung als „seine“ Regelungsmaterie anerkennen und ihr das Instrumentarium zivilrechtlicher Durchsetzung eröffnen. Oder das Versicherungsaufsichtsrecht muss sich von seiner Position verabschieden, dass es ___________ 49
Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (2004): S. 1: „In der Lebensversicherung erwarte die Öffentlichkeit Lösungen zur Überschussbeteiligung.“; S. 98: „Sie [die Überschussbeteiligung] spielt für den Versicherungsnehmer eine außerordentlich große Rolle …“. 50 Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts (2004): S. 101, 102.
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ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig wird und zu einer „echten“ Verbraucherschutzbehörde werden. Auch eine Doppelung beider Wege ist denkbar. Die Feinabstimmung auch gerade nach Praktikabilitätsgesichtspunkten kann dann in der Anwendung gefunden werden. Um einem beliebten Missverständnis vorzubeugen, sei gleich hinzugefügt: Mehr Schutz individueller Verbraucherinteressen ist kein Wirtschaftshemmnis. Dezentrale Kontrolle der Wirtschaftssubjekte durch Betroffene ist das Steuerungsinstrument einer Marktwirtschaft, die über einen funktionierenden Wettbewerb die Anpassung und Optimierung der Produkte verwirklichen will. Die Einbeziehung des Staates ist dabei immer dann sinnvoll, wenn auf diese Weise die Defizite einer rein den Individuen überlassenen Steuerung aufgefangen werden können. An diesen Maximen ausgerichtet, kann auch eine Reform des Rechts der Überschussbeteiligung und der Lebensversicherung insgesamt gelingen. Die Umsetzung dieser ideellen Maßgaben in der konkreten Regelung ist nun die Herausforderung an die Gesetzgebung und die Gerichte. Dieses Herunterbrechen von der hohen Abstraktionsebene auf einzelne Handlungsvorgaben ist der besondere Verdienst Rückles in seinen vielfältigen Arbeiten zur Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen. Ohne ihn wäre der Erfolg der Versicherten vor dem BVerfG wohl nicht so ausgefallen. Für die Reform des Versicherungsvertragsrechts ist zu hoffen, dass an seine Überlegungen angeknüpft wird.
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Analyse der Regelungen zur Cashflow-Schätzung beim Goodwill Impairment Test vor dem Hintergrund der Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Prüfung Von Dirk Hachmeister
I. Problemstellung Als sich Dieter Rückle vor nunmehr 25 Jahren in der Festschrift für Erich Loitlsberger mit der Prüfung externer Prognosen beschäftigte,1 konnte er nicht ahnen, welche Bedeutung sein Aufsatz heute mehr denn je hat. Seine damaligen Aussagen, dass „Adressaten externer Informationen zur zielentsprechenden Entscheidungsfindung zukunftsorientierte Informationen benötigen“ und „die Relevanz zukunftsorientierter Informationen ... daher unbestritten (ist)“,2 hat sich das International Accounting Standards Board (IASB) in einer Weise zu eigen gemacht, die damals sicherlich nicht abzusehen war. Während Dieter Rückle wohl eher an die Berichterstattung im Lagebericht, zusätzliche Offenlegungen oder Sonderberichterstattungen wie die Prospektpublizität dachte, ist das Leitbild der entscheidungsrelevanten Informationsvermittlung mithilfe von zukunftsorientierten Informationen mittlerweile auch bei so elementaren Fragen wie dem Werthaltigkeitstest von Vermögenswerten bilanzieller Alltag. So wurde mit IFRS 3 der impairment-only approach für Vermögenswerte mit einer nicht bestimmbaren Nutzungsdauer eingeführt. Zu diesen Vermögenswerten zählen in der Interpretation des IFRS 3.54 insbesondere Geschäftsoder Firmenwerte.3 Da der Geschäfts- oder Firmenwert als Differenz zwischen den Anschaffungskosten für den Erwerb des Unternehmens und dem beizulegenden Zeitwert der erworbenen Vermögenswerte abzüglich der übernommenen Schulden definiert ist,4 entzieht er sich einer eigenständigen, isolierten ___________ 1
Vgl. Rückle (1981); Rückle (1984). Rückle (1984), S. 59, beide Zitate. 3 Vgl. Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. (2003), S. 109. 4 Nach den Vorstellungen des ED IFRS 3.49 f. (2005) entspricht der Geschäfts- oder Firmenwert der Differenz zwischen dem fair value des erworbenen Unternehmens und dem neu bewerteten Eigenkapital. Im Gegensatz zum value in use, der als interner Nutzungswert definiert ist, wird mit dem fair value ein Marktwert gesucht. 2
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Überprüfung der Werthaltigkeit. Seine Werthaltigkeit kann nur im Rahmen eines Unternehmensbewertungskalküls ermittelt werden, wobei nach IAS 36 auf Unternehmensteileinheiten, sog. cash generating units, abgestellt wird, denen der Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet werden kann. Beim impairment test nach IAS 36 handelt es sich mithin um eine komplexe Schätzung, die auf einer umfassenden Analyse von aktuellen Daten sowie von Prognosen zukünftiger Ereignisse beruht.5 Die Abgrenzung der entsprechenden firmenwerttragenden cash generating units,6 die Allokation der Geschäfts- oder Firmenwerte auf diese Einheiten und die Ermittlung des value in use bzw. des fair value less costs to sell dieser Einheiten sind die entscheidenden Parameter für die Bilanzpolitik. Besondere Bedeutung bei der Ermittlung des value in use, der dem Barwert zukünftiger Cashflows dieser firmenwerttragenden cash generating units entspricht, hat dabei die Schätzung der zukünftig erwarteten Cashflows. Eingedenk der Ausführungen von Dieter Rückle zur Prognoseerstellung und -prüfung und zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlussprüfung7 sollen im folgenden Beitrag seine Gedanken aufgegriffen werden, um die Regelungen der CashflowSchätzungen in IAS 36 zu würdigen.8 Dass die Cashflow-Schätzungen mithilfe geeigneter Bewertungsmodelle in einen Barwert überführt werden müssen, wird im Folgenden vernachlässigt; wie Währungsrisiken, operative Risiken und Finanzierungsrisiken sowie Annahmen über die Zinsstruktur bzw. die erwartete Zinsentwicklung in den Kalkül zu integrieren sind, wird nicht thematisiert.9
___________ 5 Die Differenzierung zwischen einfachen und umfassenden Schätzungen findet sich auch in IDW (2001), Abschn. 7. 6 Als cash generating unit für den impairment test des Geschäfts- oder Firmenwerts gilt jene kleinste Teileinheit des Unternehmens, in der der Geschäfts- oder Firmenwert überwacht und gesteuert wird. Auf diese Weise soll erreicht werden, dass eine Überwachung auf der Ebene jener Teileinheiten erfolgt, für die Berichts- und Überwachungsstrukturen bestehen. Damit wird beim impairment test des Geschäfts- oder Firmenwerts ein Zusammenhang zum internen Berichtswesen hergestellt, das dem Management zur Unternehmenssteuerung dient. Obergrenze für firmenwerttragende cash generating units ist die Segmentebene i.S.d. IAS 14 (IAS 36.80). 7 Vgl. Rückle (1975); Rückle (1980); Rückle / Klatte (1994); Rückle (1996); Rückle (2002). 8 Eine Prognoseprüfung ist nicht allein beim Werthaltigkeitstest notwendig. Zu weiteren Prognoseprüfungen vgl. Mandl / Jung (2002), Sp. 1701 – 1703. 9 Vgl zur Risikoberücksichtigung im Rahmen der Ermittlung des Nutzungswertes Mandl (2005).
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II. Ermittlung des Value in Use im Rahmen des Goodwill Impairment Test nach IAS 36 Beim impairment test des Geschäfts- oder Firmenwerts wird der value in use der firmenwerttragenden cash generating unit mit dem Buchwert der in ihr zusammengefassten Vermögenswerte verglichen. Dabei werden die der cash generating unit zugeordneten Vermögenswerte nicht mit den beizulegenden Zeitwerten zum Zeitpunkt des impairment test neu bewertet, sondern mit ihren fortgeführten Buchwerten erfasst;10 auf die Ermittlung eines impliziten Geschäfts- oder Firmenwerts zum Zeitpunkt des Werthaltigkeitstests wird somit verzichtet. Der value in use wird als unternehmensspezifischer Nutzungswert verstanden und entspricht dem Barwert der zukünftigen Cashflows, diskontiert mit einem äquivalenten Zinsfuß. Sollte der Buchwert der in einer firmenwerttragenden cash generating unit zusammengefassten Vermögenswerte über deren value in use liegen, wird diese Wertdifferenz erfolgswirksam mit dem Geschäfts- oder Firmenwert verrechnet (IAS 36.104).11 Beim impairment test nach IFRS wird somit die (verminderte) Ertragskraft der in einer cash generating unit zusammengefassten Vermögensgegenstände (einschließlich des Geschäfts- oder Firmenwerts) untersucht, wobei aufgrund der Verbundeffekte zwischen den Vermögenswerten einschließlich eines Geschäfts- oder Firmenwerts innerhalb einer cash generating unit keine Einzelbewertung vorgenommen werden soll. Da die aktuelle Ertragskraft des Unternehmens bestimmt werden soll, ist zudem ein Rückgriff auf Vergangenheitsdaten wenig aussagekräftig. Der Standardsetzer ist daher einer rigiden Normierung und Objektivierung wie beim „Stuttgarter Verfahren“ nicht gefolgt.12 Die in IAS 36 geforderte Prognose der erwarteten Zahlungsüberschüsse basiert auf den ___________ 10 Sollte der impairment test des Geschäfts- oder Firmenwerts auf der Ebene einer übergeordneten (Gruppe von) cash generating unit(s) durchgeführt werden, ist vorab jede cash generating unit, die dieser übergeordneten (Gruppe von) cash generating unit(s) zugeordnet wird, auf ihre Werthaltigkeit zu überprüfen (IAS 36.97). 11 Eine spätere Zuschreibung ist beim Geschäfts- oder Firmenwert nicht zulässig (IAS 36.124). Sollte der Abwertungsbedarf des Geschäfts- oder Firmenwerts größer sein als der der cash generating unit zugeordnete Geschäfts- oder Firmenwert, wird dieser Restbetrag proportional auf die der cash generating unit zugeordneten Vermögenswerte verteilt. Dabei sind jedoch Wertuntergrenzen für die Vermögenswerte zu beachten: So darf der Wert der einzelnen Vermögenswerte nicht unter dem beizulegenden Zeitwert (soweit dieser bestimmt werden kann), dem Nutzungswert (soweit dieser bestimmt werden kann) oder null fallen. Sollten Abwertungsverluste aufgrund der genannten Untergrenzen einzelnen Vermögenswerten nicht zugerechnet werden können, werden diese auf die anderen Vermögenswerte proportional verteilt (IAS 36.105). Die auf die Vermögenswerte verteilten Abwertungsverluste werden erfolgswirksam erfasst. 12 Zum Stuttgarter Verfahren und seinen Eigenschaften vgl. Moxter (1983), S. 39.
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– Einschätzungen des Managements, die auf den ökonomischen Bedingungen beruhen, von denen vermutet wird, dass sie während der Nutzungsdauer der cash generating unit gelten; allerdings haben die externen Informationsquellen Vorrang vor den Annahmen des Managements (IAS 36.33(a)); – Budgets und Planungen des Managements (IAS 36.33(b), 36.35 f.), wobei die Budgets / Planungen einen Zeitraum von fünf Jahren nur dann überschreiten dürften, wenn eine längere Periode sachlich gerechtfertigt ist. Dabei ist das Management aufgefordert, die Plausibilität seiner Annahmen, auf denen die Planungen basieren, anhand von Budgets und Planungen aus der Vergangenheit einerseits und den realisierten Einzahlungsüberschüssen andererseits zu überprüfen (IAS 36.34). Zudem wird die Verwendung von vernünftigen und vertretbaren Annahmen bei der Gewinnung der Vorhersagen verlangt (IAS 36.38), die insbesondere auf unternehmensexternen Informationen beruhen sollen. Weitere Objektivierungen ergeben sich aus der Forderung, die CashflowSchätzungen der cash generating units an das bestehende Unternehmenskonzept zu binden und somit das Prognoseproblem auf die erwartete Entwicklung jener Erfolgsfaktoren zu begrenzen, die bereits in der Vergangenheit von Bedeutung waren und unabhängig von zukünftigen Entwicklungen sind. Sollten Maßnahmen noch nicht eingeleitet sein – wie Erweiterungsinvestitionen oder Desinvestitionen –, sind die daraus resultierenden Veränderungen der Zahlungsüberschüsse daher nicht zu beachten. Vielmehr sind nach IAS 36 Veränderungen der Einzahlungsüberschüsse, wie sie aus zukünftigen Restrukturierungen oder Investitionen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit resultieren, bei der Prognose explizit zu vernachlässigen (IAS 36.33(b), 36.44(a), (b), 36.49). Von dieser Interpretation des Stichtagsprinzips wird nur dann abgegangen, wenn Anlagen im Bau (IAS 36.42), regelmäßige Überholungsaufwendungen (IAS 36.49) und Veräußerungserlöse (IAS 36.39(c)) betrachtet werden.13 Die Cashflow-Schätzung hat zudem an dem operativen Einzahlungsüberschuss vor Steuern (free cash flow) anzuknüpfen. Der Verzicht auf die Erfassung von Finanzierungszahlungen nimmt der Schätzung eine weitere Einflussgröße. Bei der Bewertung kann man sich auf die Prognose der operativen Einzahlungsüberschüsse konzentrieren, was die Nachprüfbarkeit der Schätzung verbessern könnte. Der Verzicht auf Finanzierungszahlungen ist für den betrachteten Bewertungsanlass auch deshalb angemessen, weil eine Zuordnung der Finanzierung auf die einzelne cash generating unit nur schwer anhand nachprüfbarer Kriterien erfolgen kann und im Regelfall zentral von der Unternehmensleitung vorgenommen wird und somit der cash generating unit weitgehend entzogen ist. ___________ 13
Vgl. Lüdenbach / Hoffmann (2004), S. 1075.
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Die Bindung der Cashflow-Schätzung an den am Stichtag vorhandenen Umfang der cash generating unit, der weitgehende Verzicht auf Erweiterungsinvestitionen oder Desinvestitionen, die sich noch nicht in der Planung niedergeschlagen haben, sowie die Vernachlässigung der Finanzierung und Besteuerung lassen keinen Raum für Ausschüttungsplanungen, in denen explizit die Abbildung der Wirkungen einbehaltener finanzieller Überschüsse erfasst wird. Durch die implizite Annahme der Vollausschüttung der erzielten operativen Einzahlungsüberschüsse sind somit Annahmen über die interne Verzinsung der einbehaltenen Beträge entbehrlich bzw. werden implizit normiert, weil eine Rendite in der Zukunft vorzunehmender Investitionen in Höhe der Kapitalkosten erwartet wird. Damit werden bei der Bewertung Ermessenspielräume vermindert, die daraus entstehen, dass die zukünftige Rendite auf das eingesetzte Vermögen den Wert einer cash generating unit beeinflussen kann.
III. Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose im Rahmen der Cashflow-Schätzung beim Goodwill Impairment Test nach IAS 36 1. Anforderungen an die Cashflow-Schätzung mittels Grundsätzen ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung sind ein System nicht auf den Einzelfall und einzelne Personen bezogener Normen, die das Verhalten des Bewerters steuern sollen. Sie sind kein Gesetzesbegriff, lassen sich aber als Konkretisierung der im Verkehr geforderten Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 BGB14) ansehen.15 Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung schützen vor den Folgen von Kunstfehlern und verhindern Fahrlässigkeiten bei Prognosen und Schätzungen. Die Einhaltung der Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung ist zudem die Basis für die Prüfung dieser Prognosen und Schätzungen.16 Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung lassen sich aus den allgemeinen Arbeitsschritten von Prognosen und Schätzungen sowie den Eigenschaften unternehmerischer Planungssysteme ableiten. Bei Prognosen lassen sich im Allgemeinen folgende Arbeitsschritte erkennen:17 ___________ 14
Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.08.1896 (RGBl. S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970). 15 Vgl. Rückle (1984), S. 65. 16 Vgl. Rückle (1984), S. 65. 17 Vgl. Rückle (1984), S. 63; Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. (2003), S. 106.
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– Zunächst sind künftige, im Allgemeinen nicht beeinflussbare Ereignisse sowie geplante Aktionen des Unternehmens bei der Prognose oder Schätzung zu trennen; – aufbauend auf den Randbedingungen werden anschließend mithilfe von Wenn-dann-Aussagen i.S.v. erfahrungswissenschaftlichen Hypothesen oder sonstigen Gesetzmäßigkeiten die entsprechenden Cashflows geschätzt. Gesetzmäßigkeiten bei Cashflow-Schätzungen lassen sich aufgrund von Plausibilitätsüberlegungen, Erfahrungen der Schätzenden, empirischen Ergebnissen oder modelltheoretischen Überlegungen ermitteln. Aus Porters Theorie des Wettbewerbsverhaltens lassen sich beispielsweise entsprechende Gesetzmäßigkeiten ableiten. Allerdings müssten die zwar industrieökonomisch fundierten, aber weitgehend qualitativ formulierten Aussagen präzisiert werden. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass viele Aussagen den Charakter von Normstrategien haben; zudem beruht die Quantifizierung weitgehend auf subjektiven Erfahrungen, Erwartungen und Meinungen des Schätzenden.18 Modelle, die auf statistisch fundierten Zusammenhängen zwischen den identifizierten Erfolgsfaktoren und den Cashflows zurückgreifen, sind selten.19 Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose orientieren sich an dem erforderlichen Ausmaß und den Eigenschaften der unternehmerischen Planungssysteme.20 Dabei ist zu beachten, dass entsprechende Systeme nicht nur auf der Unternehmensgesamtebene eingereicht sein müssten, sondern bereits auf der Ebene der firmenwerttragenden cash generating units, die das Bewertungsobjekt beim impairment test darstellen. Die betriebswirtschaftlichen Anforderungen an den Stand der unternehmerischen Planungen werden jedoch auch von der Entwicklung der Rechnungslegung bestimmt. Durch die Anwendung des management approach im Rahmen der Rechnungslegung nach IFRS wird eine gezielte Übernahme interner Unternehmensdaten für die Rechnungslegung gegenüber dem Kapitalmarkt und anderen Anspruchsgruppen verfolgt.21 Basis des management approach ist eine funktionsfähige Unternehmensplanung und ein angemessen ausgebautes Controlling mit dem Ziel der Informationsversorgung und Unterstützung bei der Koordination. Mit dem management approach in der Rechnungslegung werden somit Anforderungen an den Entwicklungsstand der Unternehmensplanung und internen Unternehmensrechnung gestellt, die dann wiederum die Anforderungen an eine ordnungsmäßige Prognose im Rahmen der Rechnungslegung beeinflussen. ___________ 18
Vgl. Hachmeister (2000), S. 79 f. Vgl. Wilde (1989), S. 255; Hanssmann (1990), S. 320 f. 20 Vgl. Rückle (1984), S. 65. 21 Vgl. Böcking (1998). 19
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Allerdings sollte nicht erwartet werden, dass ein vollständiges Normensystem für die Prognosebildung aufgestellt werden könnte, das aus den übergeordneten Zielen abgeleitet oder durch eine unabhängige Institution aufgestellt werden kann und das geeignet ist, das Ermessen bei der Prognose vollständig einzuschränken.22 Gleichwohl hat Dieter Rückle mit seiner Formulierung von Rahmengrundsätzen wie der Wahrheit, Vollständigkeit, Klarheit und Stetigkeit Vorarbeiten für die Entwicklung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Prognose geleistet.23 Unter dem Grundsatz der Wahrheit bzw. subjektiven Richtigkeit wird die Übereinstimmung der Prognose bzw. Schätzung mit internen Planungen und Berechnungen für andere Zwecke verstanden. Sollten zudem für die Randbedingung der Prognose oder Schätzung einschlägige Daten Dritter vorliegen, beispielsweise von statistischen Ämtern, Konjunkturforschungsinstituten etc., sind diese bei der Prognose zugrunde zu legen. Abweichungen von durch externe Quellen fundierten Randbedingungen sind zu begründen. Zudem kann gefordert werden, dass alle zumutbaren Informationsbeschaffungsmöglichkeiten zu nutzen sind.24 Der Grundsatz der Vollständigkeit verlangt, dass alle verfügbaren Informationen bei der Prognose oder Schätzung beachtet werden und nicht willkürlich bestimmte Informationen unbeachtet bleiben oder nicht erhoben werden. Die Auswahl der Daten und der Annahmen darf nicht mit dem Ziel erfolgen, ein bestimmtes Bild zu erreichen. Da beim impairment test die Prognosen, Schätzungen und Berechnungen nicht offen gelegt werden, sondern nur das Endergebnis bilanziell erfasst wird, kann der Grundsatz der Vollständigkeit so interpretiert werden, dass diese bilanziellen Informationen aus einem umfassenden System der Unternehmensplanung abzuleiten sind.25 Bei Prognosen und Schätzungen ist zwischen den Randbedingungen, d.h. den Informationen über die Gegenwart, die empirisch gestützt sind, und den Annahmen, d.h. jenen Informationen über künftige Bedingungen und Entwicklungen, zu differenzieren.26 Dem Grundsatz der Klarheit oder Transparenz folgend sind Daten und Annahmen bei der Prognose bzw. Schätzung zu trennen. Nur so kann einerseits überprüft werden, ob die Daten vollständig und die Annahmen „folgerichtig“ entwickelt wurden. Zudem wird nur so ersichtlich, ob ___________ 22
Vgl. Rückle (1984), S. 66. Die Überlegungen basieren maßgeblich auf den von Leffson und Moxter formulierten Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung bzw. Unternehmensbewertung. Vgl. hierzu Leffson (1987), S. 112 – 150, und Moxter (1983), S. 1 – 3, in ihren späteren Arbeiten. 24 Vgl. Rückle (1984), S. 66. 25 Vgl. Rückle (1984), S. 66. 26 Vgl. Rückle (1984), S. 63 f.; Ruhnke / Schmidt (2005), S. 584. 23
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sich das Unternehmen planmäßig und systematisch mit der Schätzung auseinander gesetzt hat. Letztlich lassen sich nur so begründete Annahmen über Sensitivitätsanalysen oder Szenariotechniken treffen, weil für diese bei gegebenen Daten die Annahmen über künftige Bedingungen und Entwicklungen variiert werden.27 Der Grundsatz der Stetigkeit kann in eine zeitliche und sachliche Komponente differenziert werden. Beide Aspekte sollen helfen, die Willkür bei Schätzungen zu verhindern: Dem Gebot der zeitlichen Stetigkeit entsprechend soll ein verwendetes Prognose- oder Schätzverfahren im Zeitablauf beibehalten werden. Sollte aufgrund einer verbesserten Einsicht ein anderes Verfahren verwendet werden, ist dies zu begründen; eventuell ist auch auf Einflussfaktoren auf das zu schätzende Ergebnis zu verweisen.28 Das Gebot der sachlichen Stetigkeit fordert, dass für die einzelnen cash generating units nicht willkürlich andere Planungs- oder Schätzverfahren verwendet werden;29 Unterschiede in den verwandten Instrumenten sind zu begründen.
2. Würdigung der Regelungen für Prognosen und Schätzungen in IAS 36 Im Folgenden sollen die oben vorgestellten Vorgaben für die Prognose und Schätzung von zukünftigen Cashflows einer cash generating unit auf ihre Zweckmäßigkeit hin gewürdigt und daraufhin untersucht werden, ob oder inwieweit die aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Prognose abgeleiteten Anforderungen umgesetzt sind. Die Bewertungsvorgaben des IAS 36 folgen grundsätzlich dem von Dieter Rückle geforderten Gebot der subjektiven Richtigkeit, wenn die Bindung der Cashflow-Schätzungen an vorhandene Budgets und Planungen sowie die Verwendung externer Informationen als Basis für Schätzungen verlangt werden, soweit diese verfügbar sind (IAS 36.33 f.). Zudem wird trotz der Analyse der zukünftigen Ertragskraft auch eine „Orientierung“ an realisierten Größen gefordert.30 Ansonsten gehen die Regelungen des IAS 36 jedoch einen anderen Weg: Statt den Prozess der Prognose oder Schätzung zu regeln, wird das Bewerterermessen durch explizite Vorgaben eingeschränkt, die zum Teil sogar den Grundsätzen ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung zuwiderlaufen. So werden die Cashflow-Schätzungen der cash generating units an das bestehende ___________ 27
Vgl. Ruhnke / Schmidt (2005), S. 587. Vgl. Rückle (1984), S. 67. 29 Vgl. Bartels / Graf von Kanitz (2005), S. 246. 30 Vgl. Künnemann (1985), S. 262. 28
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Unternehmenskonzept gebunden und das Prognoseproblem auf die erwartete Entwicklung jener Erfolgsfaktoren begrenzt, die bereits in der Vergangenheit von Bedeutung waren und weitgehend unabhängig von zukünftigen Entwicklungen sind. Die mit Erweiterungsinvestitionen,31 unkonkretisierten Restrukturierungsmaßnahmen und sonstigen Erwartungen verbundenen Zahlungsreihen entziehen sich einer Nachvollziehbarkeit bzw. Nachprüfbarkeit durch Außenstehende in einem höheren Maße als Zahlungen, die sich bereits in (internen) Planungen niedergeschlagen haben. So können die Zusammenhänge zwischen der Nutzung des vorhandenen Vermögens und den damit verbundenen Zahlungen von einem Abschlussprüfer leichter erkannt und eingeschätzt werden, weil Erfahrungswissen besteht. Liegen hingegen keine vergleichbaren Anhaltspunkte vor, sind Prognosen und deren Plausibilisierung im Regelfall schwieriger. Der Rückgriff auf die Einheit „wie sie steht und liegt“ verbessert jedoch grundsätzlich die Nachprüfbarkeit der Unternehmensbewertung und damit die Objektivierung der Rechnungslegung und ihrer Inhalte.32 Gleichwohl steht die Vernachlässigung zukünftiger Entwicklungen bei der Prognose und Schätzung im Widerspruch zu den oben formulierten Anforderungen, wenn die zukünftige Ertragskraft bestimmt werden soll. Einschränkend muss zudem angemerkt werden, dass es schwer zu definieren ist, welche Teilschritte zwischen erster Planung und Abschluss der Maßnahmen am Bewertungsstichtag bereits vollzogen sein müssen, damit die damit verbundenen Ertragserwartungen als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden, um sie bei der Ermittlung eines bilanzobjektivierten Unternehmenswerts berücksichtigen zu können/müssen. Als brauchbare Arbeitshypothese wird (bei Aktiengesellschaften) die Beschlussfassung der Organe über eine verfolgte Unternehmensstrategie empfohlen; Anhaltspunkte, ob ein Restrukturierungsprogramm bereits eingeleitet ist, könnten gebuchte Rückstellungen sein (IAS 36.46).33 Problematisch ist zudem, wie der geforderte Verzicht auf Investitionen mit den in IAS 36.33(b) thematisierten Wachstumsannahmen vereinbar ist, da ein Wachstum ohne Investitionen bei Preisstabilität wenig sachgerecht erscheint. Wird von der Annahme der Preisstabilität abgewichen, kann zumindest ein Wachstum der Zahlungsüberschüsse in Höhe der überwälzbaren Preissteige___________ 31 Zu Problemen hinsichtlich der Abgrenzung von Erhaltungs- und Erweiterungsinvestitionen vgl. Lüdenbach / Hoffmann (2004), S. 1076. 32 Vgl. Beyhs (2002), S. 230. 33 Dieser Hinweis wird bei einer Neuformulierung der Anforderungen an Restrukturierungsrückstellungen nach ED IAS 37 (2005) nicht mehr möglich sein, da Rückstellungen erst dann gebildet werden dürfen, wenn das Restrukturierungsprogramm eingeleitet wird (ED IFRS 3.37 (2005) i.V.m. ED IAS 37.60 – 66 (2005)).
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rung unterstellt werden. Bei Preisniveausteigerungen ist jedoch im Allgemeinen die Annahme der Vollausschüttung zu modifizieren, um die notwendigen Erhaltungsinvestitionen durchführen zu können. Wenn die vom IASB geforderten Regelungen (safeguards) als unzureichend kritisiert werden, weil sie das Bewerterermessen nicht hinreichend einschränken,34 ist dem zuzustimmen, problematischer finde ich allerdings, dass die Anforderungen an den Prozess der Prognose und Schätzung nicht nur nicht aufgegriffen werden, sondern zum Teil explizit missachtet werden. So vernachlässigt IAS 36 die notwendige Bindung von Prognosen und Schätzungen an Planungsund Berichtssysteme: „Die Entwicklung zusätzlicher Berichtssysteme ist daher selbstverständlich nicht erforderlich“ (IAS 36.82). Dies steht im Gegensatz zum Grundsatz der Vollständigkeit, wenn dieser so interpretiert wird, dass die bilanziellen Informationen aus einem umfassenden System der Unternehmensplanung abzuleiten sind. Pauschal zu unterstellen, dass die vorhandenen Systeme diese Anforderung erfüllen, erscheint wenig sachgerecht. Dabei gilt es insbesondere zu beachten, dass entsprechende Systeme auf der Ebene der firmenwerttragenden cash generating unit einzurichten sind. Der Grundsatz der Klarheit verlangt eine planmäßige und systematische Auseinandersetzung mit den Prognosen und Schätzungen. Das Gebot der sachlichen Stetigkeit, dass für die einzelnen cash generating units nicht willkürlich andere Planungs- oder Schätzverfahren verwendet werden, wird in IAS 36 nicht erwähnt. Ohne explizite Anforderungen an die Unternehmensplanung ist eine Einhaltung dieser Grundsätze aber nicht zu beurteilen. Insgesamt wird damit der Prozess der Prognose und Schätzung in den Regelungen des IAS 36 zu wenig beachtet. Implizites Prüfungsobjekt ist nach dem Verständnis des IAS 36 das Ergebnis der Prognose oder Schätzung, nicht der Prozess, was letztlich sinnvoller wäre, da nur dieser einer internen oder externen Prüfung unterzogen werden kann. Diese Vernachlässigung ist schwer zu begründen, da die Cashflow-Schätzungen, auf denen der Werthaltigkeitstest firmenwerttragender cash generating units basiert, nicht nur stark vom Bewerterermessen beeinflusst sind, sondern auch von den Adressaten nicht überprüft werden können, so dass an dieser Stelle ein besonderes Bedürfnis der Prüfung (durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer) entsteht.
___________ 34
Vgl. Beyhs (2002), S. 257 f.
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IV. Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung im Rahmen der Cashflow-Schätzung beim Goodwill Impairment Test nach IAS 36 1. Die Formulierung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlussprüfung Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlussprüfung sind ein „System überindividueller Normen, die das Verhalten von Abschlussprüfern steuern sollen.“35 Die Steuerung soll dabei zweckgerecht sein und wird letztlich in der Abgabe eines vertrauenswürdigen Urteils durch den Abschlussprüfer gesehen.36 Die mit dieser Formulierung einhergehende deduktive Methode der GoA-Bestimmung gilt heute als unbestritten, allerdings ist die Deduktionsbasis, die Sicherung eines vertrauenswürdigen Urteils, zu vage, als dass daraus eindeutige Handlungsempfehlungen für den Prüfer resultieren. Vorschläge zur Konkretisierung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlussprüfung des impairment test liegen mit den berufsständischen Vorschriften zur Prüfung von geschätzten Werten in der Rechnungslegung (IDW PS 314) und der Prüfung von Zeitwerten (IDW EPS 315) vor. In ihnen wird als Anforderung formuliert, dass zwischen einer Ex-ante- und einer Ex-postPrüfung zu unterscheiden ist; zudem wird zwischen einer Prüfung des Systems, das bei der Bestimmung der Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten für die Prognose und Schätzung verwendet wird, und der (Plausibilitäts-)Prüfung der konkreten Prognose- und Schätzwerte unterschieden. Nach dieser Differenzierung wird im Folgenden zwischen einer Systemprüfung der organisatorischen Rahmenbedingungen sowie den aussagebezogenen Prüfungshandlungen im Zusammenhang mit der Ex-ante- und Ex-post-Prüfung unterschieden.37
2. Prüfung der organisatorischen Gestaltung Ausgehend von den im Rahmen der risikoorientierten Prüfung gewonnenen Erkenntnissen über die Geschäftstätigkeit sowie das rechtliche und wirtschaftliche Umfeld des zu prüfenden Unternehmens ist zu beurteilen, ob die die Prog___________ 35
Rückle (2002), Sp. 1026. Vgl. Leffson (1988), S. 8; Rückle (2002), Sp. 1026. 37 Bei Systemprüfungen werden die Verfahrensabläufe und Prozesse untersucht; bei aussagebezogenen Prüfungshandlungen werden die konkreten Ergebnisse indirekt durch analytische Prüfungshandlungen, die auf die Plausibilität der Ergebnisse abstellen, oder direkt durch Einzelfallprüfungen analysiert. 36
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nose bestimmenden Annahmen und Wirkungszusammenhänge sowie die Art der Schätzung und der Zeithorizont hinreichend erläutert werden. Die Einflussfaktoren sind auf Plausibilität, Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit zu prüfen.38 Auf diese Weise sollen nicht nur eventuell bestehende Kommunikationsdefizite im Unternehmen aufgedeckt werden, die möglicherweise verhindern, dass wertmindernde Sachverhalte dem Management bei der Bestimmung des value in use bekannt sind, sondern es sollen auch tendenziöse Schätzungen und Prognosen sowie das bewusste Unterdrücken von relevanten Daten aufgedeckt werden. Entsprechende Prüfungshandlungen orientieren sich an dem Gedanken der Systemprüfung.39 Ziel ist es, sich einen Eindruck von der Qualität des Datengewinnungsprozesses und der Verlässlichkeit der von der Unternehmensleitung verwandten Annahmen über die Entwicklung des Wettbewerbs, die Wettbewerbsvorteile des Unternehmens und letztlich die Cashflow-Schätzung zu machen. Es muss sichergestellt werden, dass die notwendigen Daten vom Bilanzierenden angemessen analysiert und aufbereitet wurden.40 Voraussetzung für die Prüfung der Cashflow-Schätzung ist somit, dass sich der Prüfer von der Zuverlässigkeit und Funktionsfähigkeit unternehmensinterner Planungssysteme überzeugt hat, soweit sie die Prognose betreffen.41 Die Zuverlässigkeit und Funktionsfähigkeit von Planungen und Planungssystemen werden vom Grad der Koordination und Abstimmung der Planungsziele, der Planungsträger, der Planungsprozesse, der Planungsgegenstände sowie der Planungsebenen bestimmt. Die Prüfungshandlungen orientieren sich an einer Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Unternehmensplanung, bei der die Systematik der Gesamtplanung und die Konsistenz der Teilpläne gewürdigt werden.42 Auf diese Weise soll überprüft werden, ob die Datenbasis vom Unternehmen angemessen analysiert und aufbereitet wird.43 Darüber hinaus wird sich der Abschlussprüfer zunächst mit den Verfahren und Prozessen beschäftigen müssen, die beim Herleiten, Dokumentieren, Umsetzen oder Korrigieren von Annahmen und Wirkungszusammenhängen im Unternehmen verwandt werden.44 Besondere Relevanz bei der Prüfung der organisatorischen Rahmenbedingung hat die Frage, ob die Prognosen und Schätzungen beim impairment test mit den weiteren Planungs-, Steuerungs- und Kontrollrechnungen der Unternehmensleitung vereinbar sind.45 Sollte dies nicht der Fall sein, ist zu vermuten, ___________ 38
Vgl. IDW (1998), Abschn. 4, 16. Vgl. Rückle (1984), S. 68. 40 Vgl. IDW (2001), Abschn. 16; IDW (2004), Abschn. 29. 41 Vgl. IDW (1998), Abschn. 15. 42 Vgl. Scheffler (1995), S. 678. 43 Vgl. Bartels / Graf von Kanitz (2005), S. 245. 44 Vgl. Bartels / Graf von Kanitz (2005), S. 244. 45 Vgl. IDW (2001), Abschn. 18. 39
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dass für Zwecke der Bilanzierung „geschönte“ Zahlungen verwandt werden, die bei internen Aufgaben mit guten Gründen nicht zum Zuge kommen. Trotz der formulierten Anforderungen geht es nicht um eine umfassende Einschätzung des Planungssystems, sondern nur um jene Teile, die für die Cashflow-Schätzung im Rahmen der Bilanzierung relevant sind. Es wird somit keine Prüfung der periodenbezogenen finanziellen Gesamtschau aller Unternehmensbereiche im Hinblick auf seine Zweckmäßigkeit gefordert. Um die notwendige Zuverlässigkeit der Bilanzierung sicherstellen zu können, werden beispielsweise die Instrumente des wertorientierten und des strategischen Controllings sowie ihre Anwendung aufgrund ihrer Bedeutung für die Informationsversorgung der Unternehmensleitung zum Objekt der Jahresabschlussprüfung. Auch wenn in IAS 36.82 keine zusätzlichen Berichtssysteme gefordert werden, ergibt sich aufgrund der gestiegenen Prüfungsanforderungen bei der Goodwill-Bilanzierung letztlich die Forderung nach dem Aufbau eines Geschäftsbereichs-Controllings, da die Wertentwicklung der Berichtseinheiten regelmäßig zu analysieren ist, um die Notwendigkeit einer außerplanmäßigen Abschreibung der den Berichtseinheiten zugeordneten derivativen Geschäftsoder Firmenwerte zu erkennen. Dabei ist einer fest installierten Planungsroutine der Vorzug vor fallweise vorgenommenen Schätzungen zu geben, da die Gefahr besteht, dass bestimmte Informationen dem Bilanzierenden möglicherweise nicht bekannt sind. Zudem hätten gewollte „Verzerrungen“ bei der Schätzung auch Konsequenzen für andere Führungsaufgaben. Dies erfordert in letzter Konsequenz den Einsatz wertorientierter Steuerungskonzepte, da nur bei laufender Kenntnis der Einzahlungsüberschüsse und Kapitalkosten der zahlungsmittelgenerierenden Einheiten die notwendigen Unternehmensbewertungen reibungslos durchgeführt werden können.46 Darüber hinaus müssen Instrumente des strategischen Controllings eingesetzt werden oder es muss ein Frühwarnsystem vorhanden sein, um Indikatoren für eine Wertminderung erkennen zu können.47 Die notwendigen Prüfungshandlungen gehen in jedem Fall über die Frage hinaus, ob die Maßnahmen auf einer angemessenen Hierarchieebene des Unternehmens getroffen werden.48 Die Prüfung von Prognosen umfasst nicht nur Überwachungsabläufe (wie beim internen Kontrollsystem), sondern es sind auch bestimmte Verfahren und Methoden zu prüfen, die vom Management bei Entscheidungen genutzt werden. Der Abschlussprüfer beurteilt somit die Qualität der bei der Entscheidung verwandten Informationen und urteilt indirekt über ___________ 46
Vgl. Alvarez / Biberacher (2003), S. 352, mit Verweis auf die US-GAAP. Vgl. Alvare z /Biberacher (2003), S. 352, mit Verweis auf die US-GAAP. 48 So jedoch IDW (2001), Abschn. 22. 47
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die Entscheidung. Die Prüfung von Prognosen und Schätzungen beim impairment test weist damit Elemente einer Geschäftsführungsprüfung auf.49 Ein wichtiger Punkt, der hier der Prüfung des organisatorischen Umfelds zugeordnet ist, ist die Analyse der Integrität der Bilanzierenden und der Anreize, denen dieser Personenkreis unterliegt.50 Dabei interessieren neben der Integrität auch die Erfahrung, der Führungsstil oder Veränderungen im Management oder Aufsichtsrat. Wichtig ist auch, welche Bedeutung der Abschluss für das Management hat: Ist ein Verkauf geplant? Stehen Finanzierungsmaßnahmen ins Haus? Ist die Entlohnung des Managements an den Größen des Jahresabschlusses oder die Einhaltung von Jahresabschlussvorgaben gebunden?
3. Möglichkeiten und Grenzen einer Ex-ante-Prüfung von Prognosen und Schätzungen a) Überblick Prognosen und Schätzungen können ex ante niemals als richtig oder falsch bezeichnet werden. Ex-ante-Prüfungen sind vielmehr prozessorientiert und erlauben eine Aussage, ob die Ergebnisse korrekt hergeleitet werden.51 Dabei kann man nicht bei einer Systemprüfung der organisatorischen Rahmenbedingungen stehen bleiben, sondern es müssen auch aussagebezogene Prüfungshandlungen vorgenommen werden. Bei der Prüfung der Cashflow-Schätzung wird grundsätzlich keine eigene Prognose erwartet, sondern eine plausible Beurteilung der getroffenen Feststellungen des Bilanzierenden.52 Dabei sind vom Abschlussprüfer die Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten, auf denen die Prognosen und Schätzungen beruhen, zu analysieren.53 Darüber hinaus sind die Prognoseargumente zu würdigen, insbesondere um Strukturbrüche untersuchen zu können, die Wahl des Verfahrens zur Ableitung der Cashflow-Schätzung zu beurteilen sowie die logisch einwandfreie Ableitung des Prognoseergebnisses aus den zugrunde liegenden Annahmen zu hinterfragen. Damit ist die Prüfung mehr denn je eine zukunftsbezogene Einschätzung der Entwicklung, nicht nur des Fortbestands des Unternehmens. Die Prüfung ist prospektiv auszurichten, um zukünftige Chancen und Risiken zu erkennen. ___________ 49
Vgl. Rückle (1984), S. 66, bezogen auf Prognoseprüfungen im Allgemeinen. Vgl. Rückle (1984), S. 68. 51 Vgl. Mandl / Jung (2002), Sp. 1704. 52 Vgl. IDW (2004), Abschn. 15. 53 Vgl. Rückle (1984), S. 69. 50
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b) Prüfung der Randbedingungen Ausgangspunkt der Prognose- und Schätzprüfung ist die Frage, ob die Randbedingungen, die einer Prognose oder Schätzung zugrunde liegen, korrekt gemessen wurden. Dabei ist insbesondere zu fragen, ob die Vereinfachungen und Annahmen plausibel und für die Fragestellung der Cashflow-Schätzung angemessen sind. Dies kann grundsätzlich bejaht werden, wenn die Informationsquellen als zuverlässig und kompetent eingeschätzt werden; hier haben externe Quellen einen Vorteil. Weiterhin muss geprüft werden, ob sie aus diesen Quellen korrekt abgeleitet und weiter verarbeitet wurden und die Vereinfachungen und Annahmen insgesamt nicht widersprüchlich sind. Wichtig ist zudem die konsistente Handhabung von Randbedingungen (und auch Gesetzmäßigkeiten) bei unterschiedlichen zahlungsmittelgenerierenden Einheiten, solange keine begründeten Abweichungen vorliegen.54
c) Plausibilitätsprüfung der verwendeten Gesetzmäßigkeiten Die Plausibilitätsbeurteilung der verwandten Gesetzmäßigkeiten beruht zuerst auf der Feststellung, ob die Gesetzesaussagen allgemein anerkannt sind. Darüber hinaus bedeutet eine Beurteilung der Plausibilität eine an Erfahrungswissen, Indizien und sonstigen Anhaltspunkten orientierte Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der verwendeten Gesetzmäßigkeiten und Wirkungszusammenhänge.55 Da fraglich ist, ob die Wahrscheinlichkeit zu quantifizieren ist, wird vorgeschlagen, von der Wahrscheinlichkeit des besseren Arguments zu sprechen und auf die Nachvollziehbarkeit und Qualität der Annahmen und Argumente abzustellen. Die Beurteilung, ob mehr Gründe für als gegen den Eintritt eines Ereignisses sprechen, wird sich an dem Gesamtbild der Verhältnisse orientieren müssen. Daher kann diese Formulierung auch nicht als ein „Zählen“ der Gründe interpretiert werden, sondern als ein Bewerten.56 Dass dabei trotz einer sorgfältigen Analyse der Argumente und Gegenargumente ein subjektiver Ermessensspielraum bleiben wird, muss akzeptiert werden. Bei der Diskussion von Gesetzmäßigkeiten bei Cashflow-Schätzungen wurde oben auf die Subjektivität entsprechender Ableitungen und auf den geringen Verbreitungsgrad statisch-fundierter Zusammenhänge zwischen den identifizierten Erfolgsfaktoren und dem Cashflow verwiesen. Dies ist zu bedauern, bieten entsprechend formulierte Finanzsimulationsmodelle doch Vorteile bei ___________ 54
Vgl. Bartels / Graf von Kanitz (2005), S. 246. Vgl. Ruhnke / Schmidt (2005), S. 585; Drukarzyk / Schüler (2003), S. 60. 56 Vgl. Euler / Engel-Ciric (2004), S. S140, im Zusammenhang mit einer Formulierung aus der BFH-Rechtsprechung. 55
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der Prüfung. Zum Ersten werden die Bewerter gezwungen, ihre strukturellen Annahmen über den Einfluss von Erfolgsfaktoren auf den Cashflow offen zu legen. Zum Zweiten liefern entsprechende Modelle einen Argumentationsrahmen, der eine klare Formulierung der Probleme unterstützt.57 Bei der Prüfung von Cashflow-Schätzungen ist auch eine Verprobung der Ergebnisse mithilfe unternehmensunabhängiger Bewertungen zu fordern.58 In jedem Fall erscheint es sachgerecht, im Rahmen der Prüfung eigene oder fremde Schätzungen auf der Basis der von der Unternehmensleitung verwandten Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten oder unter Verwendung alternativer Annahmen vorzunehmen.59 Mithilfe entsprechender Prüfungshandlungen werden die verwandten Randbedingungen und Gesetzmäßigkeiten einer umfassenden Prüfung ihrer Plausibilität und Vollständigkeit unterzogen.60 Der Verweis auf die unternehmensinternen Erwartungen bei der CashflowSchätzung lässt im ersten Moment eine Plausibilisierung der Ergebnisse aussichtslos erscheinen. Allerdings wird im letzten Satz des IAS 36.35(a) explizit gefordert, dass auf externe Hinweise ein größeres Gewicht als auf die Managementperspektive zu legen ist. Diese Relativierung des management approach ist zu begrüßen, erschwert doch die Managementperspektive eine nachprüfbare Cashflow-Schätzung. Plausibilitätsprüfungen sind allerdings nicht nur bei der Schätzung der free cash flows auf der Ebene der cash generating units einzusetzen. Über alle Einheiten sollte die Finanzierbarkeit der geplanten Unternehmensentwicklungen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung überprüft werden.61 Ausgehend von der Annahme, dass Kapitalzuführungen von außen nicht möglich sind, ist zu fragen, ob die geschätzten free cash flows ausreichen, die erwarteten Entwicklungen zu finanzieren. In einem zweiten Schritt wäre dann zu prüfen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Kapitalzuführungen notwendig sind, bevor in einem dritten Schritt die Frage der Durchführbarkeit entsprechender Zuführungen untersucht werden sollte. Entsprechende Plausibilisierungen fördern die Abstimmung der Planung der einzelnen cash generating units untereinander. Schließlich ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass eine transparente und verständliche Vorgehensweise bei der Entwicklung der verwendeten Annahmen zeigt, dass sich das zu prüfende Unternehmen systematisch und umfassend mit der Cashflow-Schätzung auseinander gesetzt hat. Zu___________ 57
Vgl. Hachmeister (2000), S. 80. Vgl. IDW (2004), Abschn. 41; Bartels / Graf von Kanitz (2005), S. 249. 59 Vgl. IDW (2004), Abschn. 41. 60 Vgl. Bartels / Graf von Kanitz (2005), S. 250. 61 Vgl. IDW (1991), Abschn. 5. 58
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dem wird durch eine nachvollziehbare Entwicklung der Annahmen eine Sensitivitätsanalyse erleichtert, da Ansatzpunkte für Variationen gezeigt werden.62
d) Sensitivitätsanalysen Bei der Cashflow-Schätzung lässt sich die Unsicherheit mithilfe von begründeten und plausiblen Szenarien erfassen. Veränderungen von Marktverhältnissen oder anderen Rahmenbedingungen lassen sich ebenso wie alternative Wirkungszusammenhänge abbilden. Durch entsprechende Sensitivitätsanalysen im Rahmen der Prüfung kann der Abschlussprüfer ein Gefühl für die Sensitivität der Cashflow-Schätzungen auf Veränderungen von Rahmenbedingungen oder Wirkungszusammenhängen entwickeln.63 Im Idealfall werden entsprechende Sensitivitätsanalysen vom Unternehmen selbst durchgeführt. Sollte dies nicht erfolgt sein, ist der Wirtschaftsprüfer angehalten, entsprechende Sensitivitätsanalysen eigenständig durchzuführen.64 Dabei sollten die Annahmen in den Breiten variiert werden, die vom Prüfer noch als plausibel eingeschätzt werden. Sollte die Streuung des ermittelten value in use auf dieser Basis zu groß sein, ist die Zuverlässigkeit eines value in use zu hinterfragen.65
4. Möglichkeiten und Grenzen einer Ex-post-Prüfung von Prognosen und Schätzungen Große Bedeutung haben Prüfungshandlungen, bei denen der Abschlussprüfer die in früheren Geschäftsjahren vorgenommenen Schätzungen mit den tatsächlich eingetretenen Ergebnissen vergleicht. Auf diese Weise kann zum einen die Verlässlichkeit der bei der Schätzung unterstellten Wirkungszusammenhänge beurteilt werden; außerdem werden Hinweise gewonnen über mögliche Anpassungen der Wirkungszusammenhänge.66 Zum anderen kann bei Ex-post-Prüfungen ein weiterer Indikator für die Integrität des Managements gewonnen werden. Damit einher geht eine eingehende Abweichungsanalyse, um die Gründe für ein Verfehlen der Schätzung erkennen zu können, da kaum davon ausgegangen werden kann, dass das Management qua Amt bessere Schätzungen abgeben kann. Durch die Prüfungshand___________ 62
Vgl. Ruhnke / Schmidt (2005), S. 587. Vgl. IDW (1996), Abschn. 3, bezüglich der Überschuldungsprüfung. 64 Vgl. IDW (2004), Abschn. 33, 35 f. 65 Vgl. Ruhnke / Schmidt (2005), S. 588. 66 Vgl. IDW (2001), Abschn. 21. 63
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lungen soll analysiert werden, „ob die Prognose ursprünglich guten Glaubens gegeben wurde oder nicht. Dem Wirtschaftsprüfer sind die Abweichungsursachen offenzulegen und glaubhaft zu machen.“67
V. Thesenförmige Zusammenfassung 1. Die zur Schätzung zukünftiger Cashflows in IAS 36 formulierten Regelungen sollen das Bewerterermessen begrenzen. Die entsprechenden Regelungen sind naturgemäß unvollständig. Umso unverständlicher ist, dass das IASB dem Prozess der Prognose und Schätzung wenig Beachtung geschätzt hat. Höhere Anforderungen an die Unternehmensplanung, die aus der verstärkten Verwendung von Prognosen und Schätzungen resultieren, werden weitgehend vernachlässigt. Grundsätze ordnungsmäßiger Prognose und Schätzung, wie sie nicht nur von Dieter Rückle, sondern auch von anglo-amerikanischen Quellen postuliert werden, finden keine Beachtung. 2. Die hier diskutieren Vorgaben, die bei der Prüfung der CashflowSchätzungen beim impairment test zu beachten sind, machen deutlich, dass die Abschlussprüfung durch die stärkere Verwendung von Prognose- und Schätzwerten eine neue Dimension erhalten hat. Sie muss in größerem Umfang diese Absichten und Einschätzungen des Managements überprüfen. Dass die diskutierten Prüfungsnormen allgemein gefasst sind und keine konkreten Vorgaben für die notwendigen Prüfungshandlungen vorsehen, liegt letztendlich darin begründet, dass die Prüfung auf konkreten Einzelfragen beruht und im Vorhinein nicht durch umfassende und detaillierte Normen geregelt werden kann.68
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Besonderheiten der Rechnungslegung bei Nonprofit Organisationen Von Thomas von Hippel
I. Einleitung Der interdisziplinäre Dialog zwischen Ökonomen und Juristen ist wichtig, wünschenswert, aber auch anspruchsvoll. Für den Verfasser waren die jährlichen Tagungen des Bundes der Versicherten e.V., die der Jubilar prägend mitgestaltet hat1, eine der ersten Gelegenheiten, einen solchen Dialog kennen und schätzen zu lernen. Freilich ist das Versicherungsrecht nur eines der Themen, die für ein interdisziplinäres Gespräch von Interesse sind2. Ein anderes ist die Rechnungslegung – ein Thema, das einen Großteil des Oeuvres des Jubilars ausmacht. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Besonderheiten der Rechnungslegung von Nonprofit Organisationen, einem vergleichsweise jungen Thema, mit dem sich bislang vor allem Ökonomen3, aber auch Juristen4 beschäftigt haben. Er beginnt mit einer Bestandsaufnahme des deutschen Rechts (II.) und stellt ihm das englische Recht gegenüber, das besonders interessante Regeln enthält (III.), aus denen sich Anregungen für eine Reform des deutschen Rechts gewinnen lassen (IV.). Aus räumlichen Gründen konzentriert sich der Beitrag auf fremdnützige Nonprofit Organisationen, die in Deutschland typischerweise als Stiftungen und Spendenvereine auftreten5. ___________
Ich danke meiner studentischen Hilfskraft, Herrn Björn Walser, für wertvolle Vorarbeiten und Anregungen. 1 Als engagierter Referent – siehe z.B. Rückle (2004) – als Diskussionsleiter und -teilnehmer und als Mitherausgeber der Tagungsbände. 2 Siehe zum Steuerrecht näher Siegel / Kirchner / Elschen / Küpper / Rückle (2000). 3 Siehe (allgemein) die Monographien von Löwe (2003) und Schauer (2003); sowie für Stiftungen Sandberg (2001) und Koss (2003). 4 Siehe insbesondere (allgemein) Walz (2004), derselbe (2005); sowie für Vereine Lutter (1988) und Segna (2005); und für Stiftungen: Orth (2004). 5 Siehe näher zur Vielfalt der Nonprofit Organisationen und ihrer interdisziplinären Relevanz die verschiedenen Beiträge in Hopt / von Hippel / Walz (2005).
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Thomas von Hippel
II. Deutschland 1. Vereinsrecht Für Vereine gelten grundsätzlich nur die bürgerlich-rechtlichen Berichtsund Rechenschaftspflichten des Auftragsrechts6, die von der Literatur als „geradezu archaisch“ kritisiert werden7. Im Vereinsrecht findet sich lediglich § 27 Abs. 3 BGB8, der auf die auftragsrechtliche Regelung des § 666 BGB verweist, über die man wiederum zur allgemeinen Vorschrift des § 259 BGB gelangt. § 259 Abs. 1 BGB konkretisiert die Rechenschaftspflicht inhaltlich, indem er eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und/oder der Ausgaben und die Vorlage der Belege verlangt. Eine Gewinn- und Verlustrechnung nach kaufmännischem Vorbild ist nicht erforderlich9. Außerdem besteht nach § 260 Abs. 1 BGB die Pflicht, ein Bestandsverzeichnis zu erstellen, das sich freilich in einer bloßen Auflistung ohne Bewertung erschöpft und nicht den Anforderungen eines handelsrechtlichen Inventars genügt10. Die Vorgaben der §§ 259 f. BGB reichen nicht einmal aus, um Insolvenztatbestände zu erkennen, denn eine Überschuldung (§ 19 InsO11) kann weder durch eine bloße Einnahmen/Ausgaben-Rechnung festgestellt werden noch durch eine bloße Auflistung der Vermögensgegenstände ohne Bewertung12. Um seiner Insolvenzantragspflicht (§ 42 Abs. 2 BGB) zu genügen, muss der Vereinsvorstand daher zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen treffen. Der Entwurf der IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung von Vereinen vom 14.10.2004 (ERS HFA 14) empfiehlt Vereinen, „die in einem wesentli___________ 6
In besonderen Fällen bestehen spezielle, branchenbezogene Rechenschaftspflichten, z.B. nach der Pflege-Buchführungsverordnung (Verordnung über die Rechnungs- und Buchführungspflichten der Pflegeeinrichtungen (PBV) vom 22.11.1995 (BGBl. I S. 1528), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.10.2001 (BGBl. I S. 2702)) oder der Krankenhaus-Buchführungsverordnung (Verordnung über die Rechnungslegungs- und Buchführungspflichten von Krankenhäusern (KHBV) vom 10.04.1978 (BGBl. I S. 473), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.07.2003 (BGBl. I S. 1461)). Das Publizitätsgesetz ist auf Stiftungen, die ein Gewerbe betreiben, anwendbar (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 PublG (Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (PublG) vom 15.08.1969 (BGBl. I S. 1189; BGBl. I S. 1113), zuletzt geändert durch Gesetz vom 04.12.2004 (BGBl. I S. 3166)), nicht hingegen auf Idealvereine. 7 Lutter (1988), S. 490; zustimmend Walz (2005), S. 260; Segna (2005), S. 12. 8 Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.08.1896 (RGBl. S. 195), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.07.2005 (BGBl. I S. 1970). 9 Siehe Walz (2005), S. 263. 10 Vgl. Koss (2003), S. 48; Walz (2005), S. 265. 11 Insolvenzordnung vom 05.10.1994 (BGBl. I S. 2866), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.03.2005 (BGBl. I S. 837). 12 Vgl. Koss (2003), S. 50.
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chen Umfang Anlagevermögen, Forderungen, Verbindlichkeiten, Rückstellungen oder Abgrenzungsposten zu verzeichnen habe“, freiwillig nach handelsrechtlichen Grundsätzen zu bilanzieren13.
2. Stiftungsrecht Auch für die Stiftung gelten die BGB-Regeln (vgl. die Verweisung in § 86 BGB). Hinzu kommen landesgesetzliche Rechenschaftspflichten gegenüber der Stiftungsaufsicht. Gemeinhin handelt es sich hierbei um die Pflicht, einen jährlichen Rechenschaftsbericht einzureichen, der regelmäßig aus einer Jahresrechnung mit Vermögensübersicht und einem Tätigkeitsbericht über die Erfüllung des Stiftungszwecks besteht14. Hinsichtlich des Inhalts verlangt nur das Berliner Landesstiftungsgesetz, dass die „Jahresberichte den Anforderungen der Aufsichtsbehörde entsprechen müssen“15. Die Berliner Stiftungsbehörde wünscht eine Einnahmen/AusgabenRechnung, die nur die Zahlungsmittelveränderungen erfasst16, und eine Vermögensübersicht, die das übrige Geld- und Sachvermögen enthält („Berliner Muster“)17. Andere Landesstiftungsgesetze verlangen, die Bücher nach den „Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung“ zu führen18 und/oder nach diesen Grundsätzen Rechnung zu legen19 bzw. eine „ordnungsgemäße Jahresabrechnung“20 einzureichen. Die überwiegende Ansicht versteht diese Formulierungen nicht als Verweis auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, sondern als Verweis auf die allgemeinen Grundsätze der Kameralistik, wonach die Buchführung ordnungsmäßig, sicher, wirtschaftlich, vollständig, richtig, klar, übersichtlich, nachprüfbar und zeitnah sein muss21. ___________ 13
Siehe IDW, ERS HFA 14 (2004), Tz. 18. § 9 Abs. 2 Nr. 2 StiftGBW; Art. 25 Abs. 2 Satz 1 BayStG; § 8 Abs. 1 Nr. 2 StiftG Bln; § 6 Abs. 2 Satz 1 StiftG BbG; § 12 Abs. 2 Nr. 2 BremStiftG (Vorlage nur auf Verlangen der Behörde); § 13 Abs. 1 lit. c HHStiftG; § 7 Nr. 2 HessStiftG; § 15 Abs. 2 Nr. 2 StiftGMV; § 11 Abs. 2 NStiftG; §§ 14 Abs. 4, 17 Abs. 2 StiftGRhPf; §§ 5 Abs. 1 Satz 3, 11 Abs. 2 Nr. 2 SaarlStiftG; § 10 Abs. 1 SHStiftG. In Hamburg sind Familienstiftungen hingegen von der Pflicht der Rechnungslegung gegenüber der Stiftungsaufsichtsbehörde befreit, siehe § 14 Abs. 2 HHStiftG. 15 § 8 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 StiftG Bln. 16 Kritisch hierzu Richter (2003), S. 315: „kameralistischer Abschluss“. 17 Vgl. Orth (2004), S. 40. 18 Art. 25 Abs. 1 BayStG; § 4 Abs. 7 SHStiftG. 19 § 9 Abs. 3 StiftGMV; § 5 Abs. 1 Satz 3 SaarlStiftG. 20 § 7 Nr. 2 HessStiftG. 21 Vgl. Orth (1997), S. 1346; zustimmend Schwintek (2001), S. 166 f. 14
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Dem entspricht die IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung von Stiftungen (RS HFA 5) von 200022, nach der der Jahresabschluss nicht nach den kaufmännischen Vorschriften (§§ 238 – 263 HGB23) aufgestellt werden muss24. Sachgerecht seien die für Kapitalgesellschaften geltenden Bewertungsvorschriften (§§ 279 – 282 HGB), die das Vorsichtsprinzip betonen25. Die Vermögensübersicht darf als Bilanz nach kaufmännischen Regeln (§§ 242 ff. HGB) oder als Gegenüberstellung der Besitz- und Schuldposten aufgestellt werden26. Damit die Befolgung des Vermögenserhaltungsgebots überprüfbar ist, ist das Grundstockvermögen getrennt auszuweisen27. Die Darstellung ist im Übrigen davon abhängig, wie das Vermögenserhaltungsgebot verstanden wird: Die Erhaltung des nominalen Vermögens lässt sich durch die Ermittlung des Reinvermögens (Besitzposten abzüglich Schuldposten) ermitteln. Die Erhaltung des realen Vermögens bedarf einer Nebenrechnung (sog. Kapitalerhaltungsrechnung). Sofern der Stifter angeordnet hat, dass bestimmte Vermögensgegenstände nicht veräußert werden dürfen, sind ergänzende verbale Angaben in einem Anhang oder innerhalb des Tätigkeitsberichts notwendig28. Die Landesstiftungsgesetze enthalten keine Vorgaben über den Inhalt des Tätigkeitsberichts29. Aus der Funktion des Tätigkeitsberichts folgt, dass über die Förderung des Stiftungszwecks bzw. der Stiftungszwecke im Berichtszeitraum zu informieren ist. Hierzu gehören Angaben, welcher Zweck (bei mehreren Zwecken) durch welche Maßnahmen (stiftungseigene Tätigkeit oder Zuwendungen an Dritte30) gefördert worden ist, für welche Tätigkeiten Mittel bewilligt worden sind und welche weiteren Tätigkeiten zukünftig geplant sind31. Darüber hinaus soll der Tätigkeitsbericht nach überwiegender Ansicht ___________ 22
IDW, RS HFA 5 (2000). Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.08.2005 (BGBl. I S. 2267). 24 IDW, RS HFA 5 (2000), Tz. 20. Allerdings empfiehlt der IDW, a.a.O., Tz. 35, Stiftungen mit umfangreicherem Anlagevermögen, die handelsrechtlichen Regeln freiwillig anzuwenden. 25 IDW, RS HFA 5 (2000), Tz. 36. 26 Vgl. Schwintek (2001), S. 169. 27 IDW, RS HFA 5 (2000), Tz. 51 – 60, schlägt die folgende Gliederung vor: (I) Stiftungskapital, (II) Ergebnisrücklagen, (III) Mittelvortrag. Das Stiftungskapital kann weiter untergliedert werden in (1) Grundstockvermögen einschließlich Zustiftungen, (2) Zuführungen aus der Ergebnisrücklage, (3) Ergebnisse aus Vermögensumschichtungen. 28 Siehe Hüttemann (2000), S. 200; Schwintek (2001), S. 169 f. 29 Vgl. IDW, RS HFA 5 (2000), Tz. 88; Koss (2003), S. 181. 30 Gemäß § 13 Abs. 2 HHStiftG ist eine gesonderte Aufstellung zu erstellen, die die Beiträge und die Namen der Empfänger enthält. 31 Siehe IDW, RS HFA 5 (2000), Tz. 88; sowie Schwintek (2001), S. 170. 23
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über Umstände informieren, die für die Umsetzung des Stifterwillens von Bedeutung sind (z.B. Planung und Abschluss wichtiger Verträge, Änderungen der Stiftungsorganisation in struktureller oder personeller Hinsicht)32. Die Berichtspflichten bestehen nur gegenüber der Stiftungsaufsicht. Publizitäts- und Prüfungspflichten sind in den Landesstiftungsgesetzen nicht vorgesehen. In Einzelfällen kann die Stiftungsaufsicht aber die Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer anordnen, wenn ein besonderer Grund vorliegt33.
3. Handelsrecht Betreibt die Stiftung ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB, so unterliegt sie wie jede andere Handelsgesellschaft den handelsrechtlichen Vorschriften zur Rechnungslegung und zur Publizität34. Entsprechendes gilt, wenn der eingetragene Verein – im Rahmen des Nebenzweckprivilegs35 – ein Handelsgewerbe betreibt. Die Pflicht beschränkt sich allerdings jeweils auf den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, während es innerhalb des ideellen Tätigkeitsbereichs des Vereins bei der bürgerlich-rechtlichen Berichts- und Rechenschaftspflicht nach § 27 Abs. 3 i.V.m. § 666 BGB bleibt36. Holdingvereine und Holdingstiftungen unterliegen nicht der Pflicht zur Konzernrechnung nach den §§ 290 – 293. HGB, weil § 290 Abs. 1 und 2 HGB voraussetzen, dass die Konzernmutter eine Kapitalgesellschaft ist.
4. Steuerrecht Im Steuerrecht gelten gemäß § 63 Abs. 3, § 140 AO37 öffentlich-rechtliche Aufzeichnungspflichten gegenüber dem Finanzamt38. ___________ 32
Vgl. Schwintek (2001), S. 171. So ausdrücklich § 12 Abs. 1 Satz 3 BremStiftG, § 11 Abs. 3 SaarlStiftG; näher hierzu Schwintek (2001), S. 248. 34 Siehe näher hierzu das Dritte Buch des HGB (Handelsbücher, §§ 238 – 342e HGB). 35 Siehe hierzu näher Schmidt (1984), S. 183 – 205. 36 Vgl. Reuter (1984), S. 1062; Menke (1998), S. 147; Segna (2002), S. 60. 37 Abgabenordnung vom 16.03.1976 (BGBl. I S. 613), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.9.2005 (BGBl. I S. 2809). 38 Gemäß § 22 UStG (Umsatzsteuergesetz vom 26.11.1979 (BGBl. I S. 1953), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.9.2005 (BGBl. I S. 2809) bestehen außerdem Aufzeichnungspflichten, soweit die Organisation den Vorsteuerabzug geltend macht oder Umsatzsteuer in Rechnung stellt; siehe zu weiteren steuerrechtlichen Aufzeichnungspflichten den Überblick von Galli (1998), S. 265. 33
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§ 140 AO verweist auf die nach anderen Gesetzen bestehenden Pflichten, so dass auch insoweit die vorgenannten Rechnungslegungsvorschriften nach dem BGB bzw. dem HGB gelten39. § 63 Abs. 3 AO verlangt außerdem, dass eine gemeinnützige Körperschaft durch ordnungsgemäße Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben nachweist, dass sie die Voraussetzungen des Gemeinnützigkeitsrechts erfüllt. Diese Pflichten gehen insoweit über die BGB-Vorgaben hinaus, als eine getrennte Aufstellung der verschiedenen gemeinnützigkeitsrechtlichen Vermögenssphären (ideeller Bereich, Vermögensverwaltung, ggf. steuerbegünstigter Zweckbetrieb und steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb) nötig ist40. Soweit Einnahmen nicht schon im Jahr ihres Zuflusses für die steuerbegünstigten Zwecke verwendet oder zulässigerweise dem Vermögen zugeführt werden, ist ihre zeitnahe Mittelverwendung nachzuweisen, zweckmäßigerweise durch eine gesonderte Nebenrechnung (Mittelverwendungsrechnung)41. Schließlich enthält § 50 Abs. 4 EStDV42 spendenrechtliche Aufzeichnungsund Aufbewahrungspflichten. Um Missbräuchen beim Spendenabzug vorzubeugen, präzisiert § 50 Abs. 4 EStDV die sich aus § 63 Abs. 3 AO ergebenen Pflichten dahingehend, dass die steuerbegünstigte Körperschaft die Vereinnahmung von Zuwendungen und deren zweckentsprechende Verwendung ordnungsgemäß aufzuzeichnen und ein Doppel der erteilten Zuwendungsbestätigung aufzubewahren hat. Publizitätspflichten oder Prüfungspflichten sind jedoch nicht vorgesehen.
III. England: Rechnungslegung von Charities Ein Vergleich mit anderen Rechtsordnungen legt nahe, dass das deutsche Recht für Nonprofit Organisationen hinsichtlich Rechnungslegung, Transparenz und Publizität rückständig ist. Aufgrund der räumlichen Beschränkung soll hier exemplarisch auf die englischen Regelungen eingegangen werden, die in mehrfacher Hinsicht von Interesse sind. Das englische Recht unterscheidet nicht zwischen Vereinen und Stiftungen, sondern enthält rechtsformübergreifende Vorgaben zur Rechnungslegung und ___________ 39
Vgl. Orth (1997), S. 1349. Vgl. Pahlke / Koenig (2004), Rn. 8 zu § 63 AO; Orth (2004), S. 71; siehe näher Galli (1998), S. 264 f. 41 Abgabenerlass zur Abgabenordnung vom 15.07.1998 (BStBl. I S. 630), zuletzt geändert durch Schreiben vom 10.09.2002 (IV A 4 – S 0171 – 93/02), zu § 55 AO, Nr. 27 Satz 3. 42 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 21.12.1955 (BGBl. I S. 756; BGBl. I S. 710), zuletzt geändert durch Verordnung vom 29.12.2004 (BGBl. I S. 3884). 40
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Publizität von Charities (die sowohl für den Charitable Trust als auch für die Charitable Company gelten) in den folgenden drei Regelwerken: (1) dem Charities Act 199343, (2) einer vom Innenministerium (Home Office) erlassenen Richtlinie44 und (3) dem Statement of Recommended Practice for Accounting and Reporting by Charities (SORP)45, dessen letzte Version aus dem Jahre 2005 stammt (SORP 2005)46. Das SORP ist eine Buchführungsrichtlinie, die im Jahre 1988 von der Charity Commission in Zusammenarbeit mit der Standesorganisation der Wirtschaftsprüfer (Accounting Standards Committee) erarbeitet wurde, um die Buchführung und Jahresberichte der Charities aussagekräftig und vergleichbar zu machen47. Nachdem sich zeigte, dass die Charities nicht bereit waren, die Vorschläge freiwillig zu übernehmen, erklärte der englische Gesetzgeber Anfang der neunziger Jahre das SORP bei größeren Charities48 für verbindlich49.
1. Jahresabschluss Das Statement of Recommended Practice (SORP) weicht bewusst von den für erwerbswirtschaftliche Unternehmen geltenden Vorschriften ab, um den Besonderheiten der Charities gerecht zu werden. Der Jahresabschluss (Statement of Accounts)50 besteht aus drei Teilen51: (a) dem Statement of Financial Activities52, (b) der Bilanz53 und (c) dem Anhang.
___________ 43
ss. 41 – 49 Charities Act 1993; in Kraft getreten zum 1.3.1996. Charities (Accounts and Report) Regulations, SI 1995 / 2724; in Kraft getreten zum 1.3.1996; neugefasst in SI 2000 / 2868; in Kraft getreten zum 15.11.2000. 45 Siehe s. 3(6)(a) Charities (Accounts and Report) Regulations 2000: „The statement shall be prepared in accordance with the methods and principles set out in the SORP“. 46 Frühere Versionen des SORP stammen aus den Jahren 1995 und 2000. 47 Die Charity Commission hatte die Erfahrung gemacht, dass die eingereichten Jahresberichte sehr unterschiedlich gestaltet und daher kaum miteinander vergleichbar waren. 48 Buchführungspflichtig ist jede Charity, deren jährliche Bruttoeinnahmen (gross income) 10.000 £ (ca. 15.000 €) übersteigt. Als Bruttoeinnahmen gelten Verbrauchsspenden, Erträge aus der Vermögensverwaltung, Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit sowie aufgelöste Rücklagen, nicht aber Dotationen (Zuwendungen in den Vermögensgrundstock) oder Wertsteigerungen des Vermögensgrundstocks; siehe SORP 2005, Appendix 1, GL 35.1. 49 Siehe näher hierzu Pianca / Dawes (2002), p. vii – viii; sowie zur historischen Entstehung Dawes (2004), S. 80 – 82. In Schottland ist das SORP dagegen weiterhin nur eine unverbindliche Empfehlung. 50 Siehe für den Charitable Trust s. 42(1) Charities Act 1993; sowie für die Charitable Company ss. 226, 234 Companies Act 1985. Zu näheren Einzelheiten siehe Brauch (2001), S. 143 – 148. 44
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Das speziell für Charities entwickelte Statement of Financial Activities geht über die für erwerbswirtschaftliche Unternehmen konzipierte Gewinn- und Verlustrechnung hinaus54, indem es alle Einnahmen und Ausgaben darstellt55. Hierdurch soll die Prüfung erleichtert werden, wie die Charity ihr Vermögen verwendet hat56. Die Bilanz gibt einen Überblick über das Vermögen der Charity und zeigt, inwieweit die Verwendung des Vermögens durch Anordnungen der Spender beschränkt ist57. Das Reinvermögen ist daher (wie auch im Statement of Financial Activities) aufzugliedern in Unrestricted, Restricted und Endowment Funds58. Im Übrigen lehnen die detaillierten Vorgaben stark an die Regeln für englische Kapitalgesellschaften an59 und enthalten außerdem Vorgaben zum Ansatz und zur Bewertung60, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann61. Der Anhang enthält Erläuterungen und Ergänzungen zu Sachverhalten, die im Statement of Financial Activities oder in der Bilanz nicht dargestellt werden können62.
2. Jahresbericht Zur Veranschaulichung des Jahresabschlusses63 ist ein Jahresbericht (Annual Report) zu erstellen64, der über die Tätigkeiten, Erfolge und Besonderheiten der Charity berichtet und der in sechs Abschnitte gegliedert ist. ___________ 51 s. 3(4) und (5) Charities Act 1993. Große Charities müssen zusätzlich eine Kapitalflussrechnung (Cashflow-Statement) erstellen, wenn zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind: Der Umsatz übersteigt 5,8 Mio. ǧ (ca. 8,7 Mio. €), das Vermögen übersteigt 5,8 Mio. ǧ, die Zahl der Angestellten übersteigt 50; näher hierzu SORP 2005, para. 351 – 355. 52 Einzelheiten zu Format und Inhalt des Statement of Financial Activities sind in SORP 2005, paras. 82 – 243 geregelt. 53 Einzelheiten zu Format und Inhalt der Bilanz sind in SORP 2005, paras. 243 – 350 geregelt. 54 Siehe Löwe (2003), S. 184; Dawes (2004), S. 93. 55 Siehe SORP 2005, paras. 30(a), 82 – 83. 56 Vgl. Dawes (2004), S. 93. 57 Siehe SORP 2005, para. 245. 58 Siehe näher SORP 2005, Table 7. 59 Siehe Koss (2004), S. 127. 60 Siehe SORP 2005, paras. 252 – 335. 61 Siehe zum Sonderproblem der Berücksichtigung von immateriellen Vorteilen näher Dawes (2004), S. 94 – 99. 62 SORP 2005, para. 30(e).
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Zunächst sind mehrere Angaben zur Charity, ihren Organen und Beratern zu machen65, z.B. der Name der Charity, die Namen aller (höchstens jedoch fünfzig) Charity Trustees im Zeitpunkt der Genehmigung des Jahresberichts und die Namen und Adressen anderer wichtiger Organisationen und Personen, z.B. Banken, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer. Es folgen verschiedene Angaben zur Organisationsstruktur66; z.B. zur Rechtsform, zum Verfahren, mit dem die Charity Trustees bestellt werden und zur Verteilung der Entscheidungs- und Geschäftsführungsbefugnisse. Der dritte Abschnitt soll die Ziele und Strategien der Charity verdeutlichen67 und insbesondere die folgenden Punkte enthalten68: (1) Überblick über die satzungsmäßigen Zwecke der Charity; (2) Erläuterung der Absichten der Charity sowie der Besonderheiten und Änderungen, die sie bei ihren Tätigkeiten entfaltet; (3) Hauptziele des Geschäftsjahrs; (4) Strategien, um diese Ziele zu erreichen; sowie (5) detaillierte Angaben zu wichtigen Tätigkeiten (Programmen, Projekten, erbrachten Dienstleistungen) zur Erreichung des Ziels. Diese Angaben sollen zumindest die Ziele, Tätigkeiten und Dienstleistungen hinreichend präzisieren, so dass sie in den Angaben des Statement of Financial Activities wiederzufinden sind69. Außerdem sollen besondere Stellungnahmen zur verfolgten Politik abgegeben werden, wenn eine der folgenden Tätigkeiten bei der Gesamtschau als wesentlich anzusehen ist: Fundraising70, Anlage nach den Grundsätzen des ethischen Investments71, Hilfe durch Ehrenamtliche72. Im vierten Abschnitt soll über die erzielten Erfolge berichtet werden73. Die Charity soll eine Einschätzung abgeben, inwieweit ihre Tätigkeiten das Ziel erfolgreich gefördert haben, und hierbei möglichst geeignete Indikatoren und Kri___________ 63
Siehe SORP 2005, para. 35(a) – (e). Siehe s. 45(1) Charities Act 1993; s. 7 Charities (Accounts and Report) Regulations 2000; SORP 2005, paras. 35 – 59. 65 SORP 2005, para. 41(a) – (g). 66 SORP 2005, para. 44(a) – (f). 67 Die Vorgaben des SORP 2005 sind insoweit in großen Teilen überarbeitet worden; siehe Charities Commission, SORP 2005: What Has Changed? (version 2005), para. 42. 68 Siehe SORP 2005, para. 47(a) – (e); kleine Charities, die nicht verpflichtet sind, sich durch einen Wirtschaftsprüfer kontrollieren zu lassen, müssen nur den satzungsmäßigen Zweck angeben und einen Überblick über die wesentlichen Tätigkeiten geben; siehe SORP 2005, para. 52. 69 SORP 2005, para. 48. 70 SORP 2005, para. 49: Stellungnahme zur Fundraisingpolitik. 71 SORP 2005, para. 50: Stellungnahme zur Anlagepolitik. 72 SORP 2005, para. 51: Stellungnahme zur Art und zum zeitlichen Umfang der ehrenamtlichen Tätigkeiten. 73 Kleine Charities dürfen sich damit begnügen, ihre wesentlichen Erfolge überblicksartig anzugeben; siehe SORP 2005, para. 54. 64
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terien heranziehen, um ihre Einschätzung zu verdeutlichen. Insbesondere soll der Bericht folgende Angaben enthalten74: (1) Bewertung des Erfolgs der Tätigkeiten anhand objektiver qualitativer oder quantitativer Maßstäbe, über die ein Überblick zu geben ist; (2) sofern die Charity erhebliche Aktivitäten zur Spendenwerbung unternimmt: Detaillierte Angaben zum Erfolg der Aktivitäten im Hinblick auf die gesetzten Ziele, Erläuterungen zu den beabsichtigten Ausgaben für Spendenwerbung, zur Verwendung der erzielten Spenden und künftiger Spenden; (3) sofern die Charity erhebliche Vermögensanlagetätigkeiten unternimmt: Detaillierte Angaben zum Erfolg der Investmenttätigkeiten im Hinblick auf die gesetzten Ziele; (4) Stellungnahme zu den von der Charity beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Faktoren, die zum Erfolg ihrer Tätigkeit beitragen (z.B. Beziehungen zu Arbeitnehmern, Kunden, Spendern, Beneficiaries und Angaben zur Position der Charity in der Gesellschaft). Der fünfte Abschnitt enthält eine Bewertung der finanziellen Situation der Charity und soll insbesondere folgende Punkte ansprechen75: (1) Rücklagenpolitik, insbesondere das Ausmaß der Rücklagen und eine Begründung hierfür; sofern erhebliche Rücklagen bestehen, soll die Begründung detailliert sein, und es sollen Hinweise zur voraussichtlichen Auflösung der Rücklagen gemacht werden; (2) Sofern ein bestimmter Vermögensbereich (fund) defizitär ist: Erläuterung der Ursachen und der beabsichtigten Abhilfemaßnahmen; (3) Hauptsächliche Einnahmequellen und Angabe, inwieweit die Ausgaben im Geschäftsjahr den Zweck gefördert haben; (4) Sofern erhebliches Vermögen angelegt ist: Investmentpolitik und verfolgte Ziele, einschließlich eventueller sozialer oder ethischer Grundsätze76. Der sechste Abschnitt behandelt die Zukunftspläne der Charity, insbesondere die mittelfristigen Planungen für die kommenden Jahre77.
3. Publizität Jedermann kann bei der Charity Commission die eingereichten Jahresabschlüsse78, Jahresberichte und Prüfungsberichte79 einsehen, ohne hierfür ein ___________ 74
SORP 2005, para. 53(a) – (d). SORP 2005, para. 55(a) – (d). 76 Kleine Charities müssen nur zu den ersten beiden Punkten Stellung nehmen, siehe SORP 2005, para. 56. 77 SORP 2005, para. 57; kleine Charities müssen hierzu keine Angaben machen; siehe SORP 2005, para. 58. 78 Bzw. die Einnahmen-/Ausgabenrechnung samt Vermögensübersicht. 79 Zu den Prüfungspflichten siehe unten unter III. 4. 75
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besonderes rechtliches Interesse geltend machen zu müssen80. Das öffentliche Register of Charities, welches bei der Charity Commission geführt wird, ist von jedermann im Internet einsehbar, enthält allerdings nur relativ wenige Informationen. Seit 2005 ist das Angebot jedoch erweitert: GuideStar UK81 veröffentlicht nun in Zusammenarbeit mit der Charity Commission die wichtigsten Daten der Jahresabschlüsse und der Jahresberichte im Internet. Im Ergebnis unterliegen größere Charities82 in England einer weitergehenden Publizität als erwerbswirtschaftliche Unternehmen83.
4. Prüfungspflichten Der Charities Act 1993 sieht eine größenabhängige Prüfungspflicht durch einen Wirtschaftsprüfer vor84. Prüfungsgegenstand ist der Jahresabschluss; der Jahresbericht wird hingegen nur darauf untersucht, ob er in einem wesentlichen Punkt im Widerspruch zum Jahresabschluss steht. Anhand der Größe (Größenmaßstab sind das Bruttoeinkommen des betreffenden Jahres85 sowie die Gesamtaufwendungen, also diejenigen Zahlungen, die hiermit im Zusammenhang stehen86) werden drei Klassen unterschieden: (1) Keiner Prüfungspflicht unterliegen nicht registrierte Charities87 sowie Charities, deren Bruttoeinkommen oder Gesamtausgaben unterhalb von 10.000 ǧ (ca. 15.000 €) liegen88. (2) Charities, deren Bruttoeinnahmen oder Gesamtausgaben in dem Geschäftsjahr 250.000 ǧ (ca. 375.000 €) nicht übersteigen, müssen ihren Jahres___________ 80
s. 7(1) Charities Act 1993. Die Organisation kooperiert mit GuideStar USA und überträgt deren Konzept auf England. Siehe die Homepage: http://www.guidestar.org.uk, Download 7.12.2005. 82 Publizitätspflichtig sind (nur) diejenigen 41% aller registrierten Charities, deren jährliches Bruttoeinkommen 10.000 £ (ca. 15.000 €) übersteigt. Diese Charities erzielten im Jahre 2004 99% aller Einnahmen. 83 Siehe näher Brauch (2001), S. 147 f. 84 Für die Prüfung von Charities in der Rechtsform der Company gelten jedoch gemäß s. 43 (9) Charities Act 1993 ausschließlich die Regelungen des Companies Act 1985, der in ss. 249 A, 249 C, 249 D spezielle Vorschriften für Charitable Companies enthält. 85 Siehe s. 43(1) Charities Act 1993. 86 Siehe näher hierzu Charity Commission, CC 64: Erfasst sind Ausgaben für die Erfüllung des Zwecks, Fundraisingausgaben, Verwaltungsausgaben (einschließlich der Ausgaben für die Vermögensverwaltung), nicht aber Ausgaben im Zusammenhang mit Vermögensumschichtungen. 87 s. 46 Charities Act 1993. 88 s. 43(1) und (3) Charities Act 1993. 81
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abschluss prüfen lassen. Es genügt aber, dass die Prüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen (Independent Examiner)89 durchgeführt wird. (3) Charities, deren Bruttoeinnahmen oder Gesamtausgaben in dem Geschäftsjahr 250.000 ǧ übersteigen, müssen ihren Jahresabschluss in diesem Geschäftsjahr und den beiden folgenden Geschäftsjahren von einem Wirtschaftsprüfer90 prüfen lassen91. Der Wirtschaftsprüfer ist (im Gegensatz zum „unabhängigen Sachverständigen“) verpflichtet, die Charity Commission über Missstände zu informieren, die zu Untersuchungs- und Aufsichtsmaßnahmen92 führen können (z.B. nicht vorschriftsmäßige Mittelverwendung)93. Der Prüfungsbericht ist bei der Charity Commission einzureichen94 und kann dort von der Öffentlichkeit eingesehen werden95.
IV. Stellungnahme 1. Reformbedarf Die Gegenüberstellung zeigt, dass die deutschen Vorschriften zur Rechnungslegung und Publizität für Vereine und Stiftungen weit hinter dem in England geltenden Standard zurückbleiben. Es verwundert daher nicht, dass Forderungen zur Verbesserung der Rechnungslegung und Publizität von Vereinen und Stiftungen schon vor Jahrzehnten erhoben worden sind96 und inzwischen ___________ 89 s. 43(3) Charities Act 1993. Siehe näher zu den Anforderungen Charity Commission, CC63, Appendix 1: Sachverständig ist eine Person, von der vernünftigerweise angenommen werden kann, dass sie die notwendige Fähigkeit und praktische Erfahrung für eine kompetente Prüfung der Rechnungslegung hat; unabhängig ist die Person, wenn sie keine Verbindung zu den Charity Trustees hat, die die Unabhängigkeit ihres Urteils beeinträchtigen könnte. 90 Wirtschaftsprüfer (auditors) sind Sachverständige, die zur Prüfung von Companies berechtigt sind; vgl. s. 43(2)(a) Charities Act 1993. Von der Ermächtigung in s. 43(2)(b) i.V.m. s. 44(1)(a) Charities Act 1993, per Verordnung weitere Personen als Prüfer zuzulassen, hat das Home Office bislang keinen Gebrauch gemacht. 91 Siehe s. 43(1)(a) und (2) Charities Act 1993 (Prüfungspflicht) und s. 43(1)(b) und (c) Charities Act 1993 (Erstreckung auf die beiden folgenden Geschäftsjahre). 92 Zum Beispiel s. 8 (Einleitung von Untersuchungen) oder s. 18 (Eingriffe zum Schutz der Charity) Charities Act 1993. 93 Siehe näher Charity Commission, CC63, Appendix 2 mit Verweis auf Charities (Accounts and Reports) Regulations 1995, Regulation 7. 94 s. 45(4)(a) Charities Act 1993. 95 s. 47(1) Charities Act 1993; siehe bereits oben unter C. III. 96 Siehe für Vereine Hemmerich (1982), S. 114 – 116; Schmidt (1984), S. 188, und für Stiftungen die Gutachten zum 44. DJT (1962) von Ballerstedt / Salzwedel, S. 5, 39, 41, 45, 50, 51, und Mestmäcker (1962), S. G 22 f.; sowie monographisch Mühlhäuser (1970).
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von der überwiegenden deutschen Literatur (zumindest bei größeren Organisationen) unterstützt werden97. Enttäuschend ist allerdings, dass sich entsprechende Vorschläge nicht in der Reform des Stiftungszivilrechts (im Jahre 2002) durchsetzen konnten98, und dass der Referentenentwurf zur Reform des Vereinsrechts diese Forderungen ignoriert und auf sie mit keinem Wort eingeht99.
2. Funktion der Rechnungslegung In der betriebswirtschaftlichen Literatur zu gewinnorientierten For-Profit Organisationen werden verschiedene Funktionen des Jahresabschlusses diskutiert. Hierzu gehören insbesondere die Informationsfunktion (Information der Rechnungslegungsadressaten zur Unterstützung ihrer Entscheidungen), die Bemessungsfunktion (Bemessung des Gewinns und der Steuerlast) und die Dokumentationsfunktion100. Hierbei kann es zu Zielkonflikten zwischen den verschiedenen Funktionen und den Interessen der Beteiligten kommen. So kann das dem Gläubigerschutz dienende Anschaffungskostenprinzip101 dazu führen, dass kein den Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (True and Fair View) vermittelt wird102. Bei Nonprofit Organisationen dient die Rechnungslegung nach herrschender Ansicht vor allem der Information103, während sich die Bemessungsfunktion darauf reduziert, bei Organisationen mit einem Grundstockvermögen (z.B. Stiftungen) den auszuschüttenden Ertrag zu ermitteln104.
___________ 97 Siehe aus der neueren Literatur zum Vereinsrecht Segna (2002), S. 423 – 427; derselbe (2005), S. 7 – 27; Adams / Maßmann (2002), S. 128 f.; zum Stiftungsrecht Reuter (2005), Rn. 83 Vor § 80 BGB; Burgard (2002), S. 701; Mattheus (2003), S. 258 f.; sowie allgemein für Nonprofit Organisationen Walz (2004), S. 7 – 13; derselbe (2005), S. 277 – 279; Hopt (2005), S. 253, 255. 98 Siehe Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht (2001), S. 61 f. 99 Der Referentenentwurf vom 25. August 2004 ist einsehbar unter http:// www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/noack/Texte/Normen/VereinsRRefE.pdf, Download 7.12.2005. 100 Siehe Kühnberger (1996), S. 19 – 23; Löwe (2003), S. 57 – 61. 101 Siehe § 253 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 352 Abs. 1 Nr. 4 HGB, wonach Vermögensgegenstände nicht zu einem höheren Wert als den historischen Anschaffungskosten bilanziert werden dürfen, auch wenn der Marktpreis höher liegt. 102 Siehe § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB, der das True-and Fair-View-Gebot unter den Vorbehalt der Beachtung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung stellt und damit dem Anschaffungskostenprinzip den Vorrang einräumt. 103 Siehe Löwe (2003), S. 70 f. 104 Siehe zum Stiftungsrecht IDW, RS HFA 5 (2000), Tz 29; Orth (1997), S. 1343; Sandberg (2000), S. 162 f.; Doppstedt (2004), S. 144.
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Bei For-Profit Organisationen werden als Adressaten der Rechnungslegung gemeinhin die Organe, die Gesellschafter, die Gläubiger und (gegebenenfalls) die Interessenten am Kapitalmarkt genannt105. Bei Nonprofit Organisationen ist hingegen umstritten, wer als Rechnungslegungsadressat anzusehen ist. So wird etwa im Stiftungszivilrecht teilweise nur die Stiftungsaufsicht genannt106, teilweise (Zu)Stifter, Spender107, Destinatäre108, teilweise die Gläubiger109 oder die Öffentlichkeit insgesamt110.
3. Rechtsformübergreifende Regeln Diese Unsicherheiten über die Adressaten der Rechnungslegung bei Nonprofit Organisationen verdeutlichen, dass eine Differenzierung innerhalb der Nonprofit Organisationen sinnvoll ist, und zwar nicht zwischen Vereinen und Stiftungen111, sondern anhand einer (an anderer Stelle entwickelten) funktionalen Typologie112. An dieser Stelle kann nur auf die so genannten fremdnützigen Spendenorganisationen näher eingegangen werden, die unentgeltliche Zuwendungen von Spendern, Stiftern oder Zustiftern erhalten113. Diese Organisationen können im deutschen Recht als Verein, als Stiftung und (in seltenen Fällen) als gemeinnützige Kapitalgesellschaft auftreten.
___________ 105
Siehe Kühnberger (1996), S. 9 – 11; Schildbach (1996), S. 15. Vgl. Sandberg (2000), S. 159. 107 Siehe Löwe (2003), S. 65; Walz (2004), S. 4. 108 Vgl. Walz (2004), S. 4. 109 Vgl. Walz (2005), S. 272 für mittelgroße und große Vereine mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb sowie Segna (2005), S. 17, für Sportvereine. 110 So für gemeinnützige Spendenvereine Lutter (1988), S. 493, und Segna (2005), S. 17; sowie für gemeinnützige Stiftungen Hommelhoff (2001), S. 229 f.; Mattheus (2003), S. 258 f., und Saenger / Veltmann (2005), S. 72. 111 Die Gemeinsamkeiten von Stiftungen und fremdnützigen Vereinen sind stärker als die Unterschiede, die darin bestehen können, dass sich die Stiftung typischerweise aus den Erträgen ihres zu erhaltenden Stiftungskapitals finanziert, während sich der fremdnützige Verein typischerweise durch laufende Spenden oder Mitgliedsbeiträge finanziert. Rechtlich darf aber auch ein Verein ein großes stiftungsartiges Vermögen haben und eine Stiftung Verbrauchsspenden empfangen; siehe von Hippel (2005), S. 89. 112 Siehe näher hierzu von Hippel (2005). 113 Näher hierzu von Hippel (2005), S. 90 – 92. 106
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4. Reformvorschläge für Spendenorganisationen a) Publizität Adressaten bei der Spendenorganisation sind generell Spender. Bei steuerbegünstigten Organisationen kommt die Finanzverwaltung hinzu und bei Stiftungen die Stiftungsaufsicht. Möchte man das bei fremdnützigen Organisationen inhärente Kontrollproblem (des „fehlenden Eigentümers“) dadurch berücksichtigen, dass man nicht nur auf die interne Selbstkontrolle114 oder auf die behördliche Kontrolle (Stiftungsaufsicht, Finanzverwaltung) vertraut, sondern auch externe Personen (z.B. die Begünstigten)115 und den „Spendenmarkt“ als Kontrollmechanismus einbezieht, so müssen die Berichte für jeden Interessenten und damit für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Eben dies ist die Lösung im englischen Charity Law und auch im US-amerikanischen Recht. Für diese Lösung spricht auch, dass Spendenorganisationen auf Vertrauen in der Gesellschaft angewiesen sind, um hinreichende Spenden zu erhalten und die Steuerbegünstigungen zu rechtfertigen. Dieses Vertrauen wird durch Skandale einzelner Organisationen gefährdet, die in allen Ländern aufgetreten sind (in Deutschland sind die bekanntesten Fälle der Sozialkonzern Caritas Trägergesellschaft Trier116 und der Spendenverein Deutsches Tierhilfswerk117). Skandale sind keine Besonderheit von Nonprofit Organisationen, sondern kommen auch bei For-Profit Organisationen vor, wie der Enron-Skandal und vergleichbare Fälle gezeigt haben. Im For-Profit Bereich sind Anstrengungen unternommen worden, um dass Vertrauen in die Integrität der Geschäftswelt wiederzugewinnen bzw. zu erhalten118. In den USA findet derzeit eine parallele Diskussion statt, ob und inwieweit durch strengere Regeln das Vertrauen in Nonprofit Organisationen erhöht bzw. erhalten werden kann, obwohl die derzeitigen US-amerikanischen Anforderungen schon weit über die des deutschen Rechts hinausgehen119. Auch der Vergleich zu anderen Nachbarstaaten (wie Österreich120) verdeutlicht, dass das deutsche Recht der Aufgabe, durch Publi___________ 114 Zum Beispiel durch einen freiwilligen Aufsichtsrat oder (beim Verein) durch die Mitgliederversammlung. 115 Siehe etwa zur Kontrolle durch die Destinatäre einer Stiftung Schwintek (2001), S. 289 – 344. 116 Nähere Informationen zur Affäre können unter http://125jahretv.uni-trier.de/ macher/04/01_doerf.htm, abgerufen werden, Download 7.12.2005. 117 Siehe näher hierzu die Artikel in der taz vom 2.8.2002, (abrufbar unter http:// www.taz.de/pt/2002/08/02/a0086.nf/text.name,askN59Bqz.n,0, Download 7.12.2005), und in der WELT vom 2.4.2003, abrufbar unter http://www.welt.de/dta/2003/04/02/ 62578.html, Download 7.12.2005. 118 So etwa durch den Sarbanes-Oxley Act in den USA. 119 Siehe näher hierzu Braakman Reiser (2005). 120 Näher hierzu Grünberger (2004).
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zität und Transparenz das Vertrauen zu erhöhen, nicht gerecht wird und im Vergleich zu anderen Staaten ins Hintertreffen geraten ist. Die gegen Publizitäts- und Rechnungslegungspflichten insbesondere von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht erhobenen Einwände schlagen nicht durch. Die Sorge vor unnötigen bürokratischen Belastungen von kleinen, ehrenamtlich geführten Organisationen121 kann durch größenabhängige Abstufungen berücksichtigt werden122, wie sie auch in England (und anderen Ländern) bestehen123. Das in der stiftungsrechtlichen Diskussion vorgetragene Argument, Stiftungen würden durch eine rechtsformspezifische Publizitätspflicht schlechter gestellt als Vereine124, erledigt sich, wenn man – wie hier vorgeschlagen – für rechtsformübergreifende Publizitätspflichten plädiert. Ohne Gewicht ist schließlich der Einwand, Publizität und Transparenz seien für Stiftungen gefährlich, weil der Wettbewerb mit anderen Stiftungen den Stiftungsvorstand zu einer riskanteren Anlagepolitik veranlassen könne125. Abgesehen davon, dass das Ablehnen eines Wettbewerbs eigenartig anmutet126, kann die Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit im Gegenteil dazu führen, dass der Stiftungsvorstand eine risikoreiche Anlagestrategie meidet, weil er die Kritik der Öffentlichkeit oder gar die Aufdeckung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur sorgfaltsgemäßen Vermögensanlage befürchtet.
b) Rechnungslegung Auch wenn Abweichungen von der gewohnten Art der Rechnungslegung so möglichst gering gehalten werden sollten, weil sie zusätzlichen Aufwand bedeuten127, ist bei Spendenorganisationen eine reine Übernahme der HGB Regeln problematisch, weil der Zweck der HGB-Regeln den Bedürfnissen nur teilweise gerecht wird. Aus diesem Grunde hat England für Charities (die dem Typus der Spendenorganisation entsprechen) die Regeln modifiziert. ___________ 121
Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht (2001), S. 61. Für eine größenmäßige Abstufung auch die überwiegende Literatur, siehe etwa Adams / Maßmann (2002), S. 129; Hopt (2005), S. 253, 255; Walz (2005), S. 276; sowie (besonders detailliert) Segna (2005), S. 20 – 24 für das Vereinsrecht. 123 Siehe oben unter III. 124 So die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht (2001), S. 61. 125 So die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht (2001), S. 61. 126 Niemand wird ernsthaft vorschlagen, die Publizität bei börsennotierten Unternehmen einzuschränken, weil der hierdurch entfachte Wettbewerb dazu führt, dass die Manager zu risikoreiche Geschäfte durchführen. 127 Es ist daher verständlich, dass die IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung von Stiftungen und der Entwurf einer IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung von Vereinen für eine Übertragung der HGB-Regeln plädieren; siehe oben unter II. 1. und 2. 122
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Weitgehend beibehalten werden können die HGB-Regeln, soweit es um die Gliederung der Bilanz geht. Auch hinsichtlich der Bewertung können grundsätzlich die Grundsätze des HGB angewendet werden128. Eine Ausnahme ist aber zu erwägen, soweit es um die Bewertung des reinen Anlagevermögens geht: Die erzielte Rendite lässt sich nur in aussagekräftiger Weise beurteilen, wenn der Wert des eingesetzten Vermögens bekannt ist129. Vor allem aber sollten Spendenorganisationen verpflichtet werden, die Bilanz durch einen Lagebericht bzw. Jahresbericht zu ergänzen, weil nur so eine aussagekräftige Beurteilung der Tätigkeit von Spendenorganisationen möglich wird. Hier empfehlen sich die englischen SORP 2005 als Vorbild, die gerade in diesem Bereich neu gefasst worden sind, um der Öffentlichkeit und (potentiellen) Spendern möglichst aufschlussreiche Ergebnisse zu präsentieren130. Dies gilt insbesondere für die Angaben zur Rücklage- und Anlagepolitik sowie zur Struktur der Organisation, die in den USA nicht zugänglich sind.
c) Prüfungspflichten In England131 bestehen Prüfungspflichten, die üblicherweise größenabhängig abgestuft sind. Auch für das deutsche Recht empfiehlt sich die Einführung größenabhängiger Prüfungspflichten.
5. Umsetzungsfragen
a) Zwingende Vorschriften oder Selbstregulierung Die Realisierung der hier vorgeschlagenen Publizitäts- und Rechnungslegungspflichten ist sowohl durch gesetzliche Anordnung als auch durch Selbstregulierung möglich. Die Selbstregulierung hat gegenüber zwingenden gesetzlichen Vorgaben den Vorteil, dass sie flexibler ist und von den beteiligten ___________ 128 Wohl weitergehend Sandberg (2000), S. 168 f.: es sei stets nach dem Zeitwert zu bewerten, um zu verhindern, dass das Stiftungskapital durch zu hohe Ausschüttungen ausgezehrt werde. Diese Ansicht steht und fällt mit ihrer Prämisse, dass alle Stiftungen ihr reales Stiftungsvermögen zu erhalten haben, was aber mittlerweile überwiegend (zu Recht) abgelehnt wird; siehe näher Hüttemann (2000), S. 192 – 200. 129 Siehe zu diesem Problem näher (aus steuerrechtlicher Sicht) Walz (2001), S. 206 – 212. 130 Siehe oben unter III. 2. 131 Siehe oben unter III. 2. c).
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Organisationen in der Regel besser angenommen wird132. Andererseits setzt eine erfolgreiche Selbstregulierung voraus, dass sie auf sachgerechten Regeln basiert und dass sich genügend Organisationen beteiligen. Als Beispiel für eine erfolgreiche Selbstregulierung kann der deutsche Versicherungsombudsmann angesehen werden133, der auf Vorbildern im britischen Bank- und Versicherungswesen beruht, die der Verfasser schon an anderer Stelle vorgestellt hat134. Auch in Deutschland bestehen Versuche, eine Selbstregulierung der gemeinnützigen Organisationen zu etablieren. Das bislang prominenteste Beispiel ist das (bereits dargestellte) Spendensiegel des DZI, ein weiteres Beispiel der Versuch, die US-amerikanische Transparenz durch die Internet-Plattform „Guide Star Deutschland“ auch in Deutschland zu etablieren135. Ein wichtiger Schritt wäre es, wenn sich die einzelnen Dachverbände einigen könnten, sich im Interesse einer verbesserten Aussagekraft ihrer veröffentlichten Finanzberichte auf einheitliche Grundsätze zur Rechnungslegung zu verständigen, wobei eine Kooperation mit dem Institut der Wirtschaftsprüfer (nach englischem Vorbild) naheliegend ist. Freilich haben die englischen Erfahrungen gezeigt, dass die Hoffung auf eine Selbstregulierung der Charities (durch freiwillige Übernahme der SORP) misslungen ist136. Sofern eine angemessene Verbesserung der Transparenz auf freiwilliger Basis innerhalb einer gewissen Zeitspanne nicht erkennbar ist, sollte der Gesetzgeber daher gesetzliche Bestimmungen zur Offenlegung und zur Vereinheitlichung der Rechnungslegung gemeinnütziger Organisationen erlassen, die sich (zunächst) auch auf Rahmenregeln beschränken und größenabhängig sein können.
b) Anknüpfungspunkte Die hier vorgeschlagenen Pflichten sollten rechtsformübergreifend an die Funktion anknüpfen. Bei Spendenvereinen sollte auf die Höhe der Spenden abgestellt werden137, und zwar unabhängig davon, ob die Spende als „Mitgliedsbeitrag“ bezeichnet ___________ 132
Siehe zu den Vor- und Nachteilen der Selbstregulierung näher von Hippel (2000), S. 201 – 208. 133 Siehe hierzu näher Knauth (2001). 134 Siehe von Hippel (2000), S. 115 – 186; derselbe (2004). 135 Siehe näher hierzu Vogelsang / Buttkus (2005). 136 Siehe oben unter III. am Anfang. 137 Eine andere Frage ist, welche Größenordnung sinnvoll ist: In England sind bereits Organisationen mit Bruttoeinnahmen über 10.000 £ (ca. 15.000 €) buchführungspflichtig; siehe oben in Fn. 48. Lutter (1988), S. 495, möchte eine Pflicht zur standardisierten
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wird. Nicht entscheidend sollte sein, ob der Spendenverein gemeinnützig ist, weil auch die Spender von nichtgemeinnützigen Vereinen schutzwürdig sind138. Bei Stiftungen sollten nur gemeinnützige Stiftungen erfasst sein und es sollte auf ihr Vermögen abgestellt werden, und zwar in einer Weise, dass sich wohlhabende Stiftungen nicht durch bilanzielle Tricks „arm rechnen“ können. Dies kann in doppelter Weise geschehen: eine Pflicht zur fairen Bewertung des Anlagevermögens oder durch vergleichsweise niedrige Schwellenwerte, möglicherweise auch durch eine Kombination der beiden Ansätze.
V. Ergebnisse 1. Der Vorstand eines deutschen Vereins ist grundsätzlich nur verpflichtet, in jeder ordentlichen Mitgliederversammlung eine übersichtliche und wahrheitsgemäße Einnahmen-/Ausgabenrechnung vorzulegen. Stiftungen müssen der Stiftungsaufsicht Jahresberichte einreichen, für die regelmäßig nur unpräzise Vorgaben bestehen. Publizitäts- und Prüfungspflichten bestehen weder im Vereinsrecht noch im Stiftungsrecht. 2. Dieses niedrige Transparenzniveau wird nur teilweise durch sondergesetzliche Vorschriften erhöht (z.B. die Vorschriften durch die KrankenhausBuchführungsverordnung). 3. Das geltende Recht ist unzureichend, soweit es um größere Vereine und Stiftungen geht. 4. Ein Beleg hierfür sind die deutlich höheren Anforderungen für englische Charities, und zwar sowohl für die Rechnungslegung (inklusive eines Jahresberichts) als auch für die Publizität und die Prüfung. 5. Die englischen Regeln können eine Anregung für eine Reform des deutschen Rechts sein. Es empfiehlt sich eine rechtsformübergreifende Regelung für fremdnützige Spendenorganisationen (namentlich Spendenvereine und Stiftungen). ___________ Rechnungslegung bereits bei jährlichen Spenden in Höhe von 50.000 DM (ca. 25.000 €) auferlegen; Adams / Maßmann (2002), S. 129, und Segna (2005), S. 23, schlagen 500.000 € vor. 138 So war etwa dem Deutschen Tierhilfswerk vom Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzogen worden, weil die Verwaltungskosten als zu hoch angesehen wurden; siehe näher die in Fn. 117 zitierten Zeitungsartikel. Es wäre widersinnig, wenn ein solcher Verstoß zu geringeren Anforderungen an die Rechnungslegung und die Publizität führen würde. Vielmehr sollte die Organisation verpflichtet sein, über Beanstandungen der Finanzverwaltung im Jahresbericht an exponierter Stelle zu berichten und hierzu Stellung zu nehmen.
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6. Eingeführt werden sollten folgende Regeln, die nach der Größe der Organisation abzustufen sind: (a) die Publizität gegenüber der Öffentlichkeit; (b) eine standardisierte Rechnungslegung auf Grundlage der HGB-Vorschriften mit den gebotenen Abweichungen und Ergänzungen (insbesondere einem Jahresbericht mit präzisen Vorgaben); (c) Vorgaben zur Prüfung. 7. Diese Regeln können sowohl als zwingendes Recht als auch im Wege der Selbstregulierung eingeführt werden. Sie sollten nach der Höhe der Spenden und/oder des Vermögens der Organisation abgestuft werden. Privatnützige Stiftungen sollten nicht erfasst sein, wohl aber Spendenorganisationen, die nicht (mehr) gemeinnützig sind.
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Fair Value-Bewertung nach Internationalen Rechnungslegungsstandards als Schwachstelle der Corporate Governance Von Christian Kirchner
I. Einführung 1. Ausgangspunkt: Externe Rechnungslegung und Corporate Governance Rechnungslegungsstandards und -vorschriften spielen für die Kontrolle der Unternehmensführung eine nicht unerhebliche Rolle.1 Dieter Rückle und Theodor Siegel sprechen von der ‚Rechnungslegung als Mittel der Disziplinierung von Managern‘.2 Die erforderliche Kontrolle des Managements setzt nämlich eine adäquate Information der Kontrolleure voraus. Ist es Ziel der Rechnungslegungsnormen,3 den Informationsadressaten entscheidungsnützliche Informationen zur Verfügung zu stellen4 und rechnen diejenigen, die mit der Aufgabe der Kontrolle der Unternehmensführung betraut sind, zu den Informationsadressaten, bilden Informations- und Kontrollfunktion eine Einheit.5 Dann werden Rechnungslegungsnormen direkt relevant für die Fragen der Unternehmensführung und der Kontrolle der Unternehmensführung. Dieses System von Leitung und Leitungskontrolle kann man als Corporate Governance bezeichnen.6 Entscheidend ist hier nicht die präzise Definition von Corporate Governance, die es schon deshalb nicht geben kann, weil der Begriff wohl mit Absicht schillernd und vielschichtig ist. Der von Oliver Williamson in die Diskussion einge___________ 1
Vgl. bereits Bresser / Kirchner (1977), S. 153 f.; grundlegend zum Zusammenhang von Publizitätsvorschriften und unternehmerischem Verhalten: Moxter (1962). 2 Vgl. Siegel (1986), S. 423; Rückle (2005), S. 275. 3 Im folgenden werden unter ‚Rechnungslegungsnormen‘ sowohl von Standardsetzern gesetzte Rechnungslegungs- und Finanzberichtsstandards als auch gesetzliche Vorschriften zur Rechnungslegung und Finanzberichterstattung von staatlichen und supranationalen Gesetzgebern verstanden. 4 Vgl. Wüstemann (2002), S. 16 f.; Kirchner (2000), S. 50 – 53. 5 Vgl. Kirchner (1983). 6 Vgl. Kirchner (2002b), S. 95 Fn. 1.
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führte Begriff7 ist heute sehr unterschiedlich besetzt.8 Doch unabhängig von der gewählten Definition spielt die Kontrolle des Managements durch Gruppen anderer Akteure – seien dies Anteilseigner (shareholder), potentielle Investoren, Kreditgeber, Arbeitnehmer – eine wesentliche Rolle. Denn die Vertreter des Managements führen – im Gegensatz zum Schumpeterschen Unternehmer – nicht ihre eigenen Geschäfte, sondern die Geschäfte anderer. Sie werden fremdnützig tätig. Es bedarf einer – wie immer gearteten – Rückkoppelung zwischen den Vertretern des Managements und denen, für die sie tätig sind. Die Kontrolle des Managements setzt ein verbindliches Regelwerk der Zwangspublizität voraus, das die ‚Kontrolleure‘ in die Lage versetzt, von ihren Kontrollbefugnissen effektiv Gebrauch zu machen.9 Die Rechtfertigung solcher Kontrollbefugnis wird regelmäßig darin gesehen, daß zwischen den betreffenden Akteuren, deren von ihnen beanspruchte Kontrollbefugnisse zu legitimieren sind, und dem Management unvollständige Verträge geschlossen werden. Damit sind notwendigerweise Probleme des Ex-postOpportunismus enthalten. Dies bedeutet, daß nach Vertragsschluß von Akteuren versucht werden kann, ihre Position gegenüber der anderen Partei zu verbessern. Die Möglichkeit dazu gibt ihnen etwa eine Investition der anderen Seite in den Vertrag, die diese bei Beendigung der Vertragsbeziehungen nicht zu ihrem vollen Wert zurückerlangen kann (spezifische Investition). Derartige spezifische Investitionen spielen in Langzeitverträgen – also etwa Kreditverträgen oder Arbeitsverträgen – eine Rolle, aber auch in der Beziehung zwischen Investoren und Management. In dieser Beziehung wird kein expliziter Vertrag geschlossen. Der ‚implizite Vertrag‘ zwischen Investoren und dem Management (genauer gesagt, den Vertretern des Managements) ist dadurch gekennzeichnet, daß die Investoren dafür, daß sie Ressourcen zur Verfügung stellen, ein Bündel von Rechten erhalten. Ihr Gewinnanteilsrecht ist im Vergleich zu den Entgeltansprüchen anderer Akteure, die explizite Verträge mit dem Management schließen, schwächer ausgestaltet, nämlich nur als Residualanspruch. Das Bündel von Rechten, das die Investoren für sich aushandeln, enthält – gleichsam als Kompensation für die Schwäche des Gewinnanteilsrechts – Mitentscheidungsrechte, Informations- und Kontrollrechte. Die anderen Akteure können derartige Rechte in ihren (expliziten) Verträgen mit dem Management vereinbaren. Es ist aber auch denkbar, daß unabhängig von solchen privatautonom vereinbarten Sicherungen ihnen bestimmte Rechtspositionen qua zwingender rechtlicher Regelung eingeräumt werden, etwa in Gestalt von Rechten von Arbeitnehmern bestimmter großer Kapitalgesellschaf___________ 7
Vgl. Richter / Furubotn (2003), S. 198 Fn. 24; Williamson (1985), S. 298. Vgl. Pridatt (2004), S. 173 – 180; Schmidt (2004), S. 388; von Werder (2004), S. 4. 9 Vgl. Kirchner (2002a), Sp. 1940 – 1944. 8
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ten mit Sitz in Deutschland, indirekt an der Kontrolle des Managements beteiligt zu werden. Solche indirekten Kontrollrechte können – wie dies bei der deutschen Unternehmensmitbestimmung der Fall ist – in einer Art und Weise ausgestaltet werden, daß die betreffenden Arbeitnehmer Repräsentation in einem Aufsichtsgremium wählen können, dem gegenüber die Vertreter des Managements verantwortlich sind. Es ist deutlich, daß für die effektive Ausübung von Kontrollbefugnissen die entsprechenden Informationsrechte eine zentrale Funktion haben. Da im Verhältnis zwischen Investoren und Management keine expliziten Verträge geschlossen werden, in denen solche vereinbart werden könnten, spielt hier die zwingend geregelte Informationsvergabe eine wichtige Rolle. Andere Akteure, die deshalb, weil sie ihrerseits spezifische Investitionen getätigt haben, folglich stakes am Unternehmen haben, also stakeholder sind, können gegebenenfalls Nutzen aus einer solchen zwingend geregelten Informationsvergabe (Zwangspublizität) ziehen. Ihnen stehen daneben aber vertraglich vereinbarte – oder sondergesetzlich geregelte – Informationsrechte zur Verfügung, etwa auf Grund von Kreditverträgen oder Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung. Diese Asymmetrie zwischen der (möglichen) Sicherung von Stakeholdern in expliziten Verträgen und der Position von Investoren ist eine der Gründe dafür, daß die Informationsinteressen der Investoren – also der aktuellen und der potentiellen Anteilseigner – in der Diskussion um externe Rechnungslegung und Finanzberichtserstattung heute deutlich gegenüber den Informationsinteressen anderer Stakeholder in den Vordergrund treten. Im Lichte des zuvor Gesagten ist die bereits erwähnte enge Verbindung zwischen Rechnungslegung und ‚Disziplinierung von Managern‘ heute ein wesentlicher Aspekt in der Rechnungslegungsdiskussion.10 Dennoch ist der systematische Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Anforderungen an die Zwangspublizität nur selten erörtert worden.11 Das mag seinen Grund darin haben, daß von Seiten der Rechnungslegungsdiskussion die Kontrollfunktion der Zwangspublizität außer Frage steht. In dieser Diskussion wird auf der einen Seite gefragt, wie es um die Entscheidungsnützlichkeit der qua Zwangspublizität bereitzustellenden Informationen bestellt ist. Sodann wird getrennt nach der Verläßlichkeit der betreffenden Informationen gefragt. Es wird allerdings aufzuzeigen sein, daß eine theoretisch entscheidungsnützliche Information, bei der ein sehr niedriger Grad der Verläßlichkeit vorliegt, für die Kontrolle des Managements keinen Wert hat. Aus diesem Grunde erscheint es geraten, den Zusammenhang zwischen effektiver Kontrolle des Managements mittels des In___________ 10 11
Vgl. ausführlich Mujkanovic (2002), S. 46 – 51. Vgl. Kirchner (2004).
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strumentariums der Zwangspublizität und der Verläßlichkeit der durch diese Publizität generierten Informationen näher auszuleuchten. Besonderes Augenmerk gilt dann jenen Normen der Rechnungslegung, die dem – für die Rechnungslegung verantwortlichen – Management einen weiten und gegebenenfalls unkontrollierbaren Entscheidungsspielraum einräumen. Bei solchen Normen kann es sich um Ansatz- oder Bewertungsnormen handeln.
2. Corporate Governance-Tauglichkeit der Fair Value-Bewertung Hier sollen Bewertungsnormen auf ihre Corporate Governance-Tauglichkeit hin untersucht werden, und zwar die Vorschriften zur Bewertung mit dem beizulegenden Wert, dem Fair Value in den Internationalen Rechnungslegungsstandards. Unter diesen Standards sollen mit der Verordnung 1606/200212 International Accounting Standards (IAS), International Financial Reporting Standards (IFRS) und damit verbundene Auslegungen (SIC/IFRIC-Interpretationen)13 verstanden werden. Im folgenden geht es nicht allein darum, ob eine Rechnungslegung unter Verwendung internationaler Rechnungslegungsstandards im Sinne von International Accounting Standards und International Financial Reporting Standards mit der Forderung nach qualitativ hochwertiger Corporate Governance kompatibel ist. Mit der Übernahme der Fair Value-Bewertung ins europäische Gemeinschaftsrecht und auch ins deutsche Recht schlagen Mängel der Rechnungslegungsvorschriften direkt auf die Qualität von Corporate Governance in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch. Zudem gewinnt die Fragestellung dadurch an praktischer Relevanz, daß verschiedene Unternehmensführungskodizes (Corporate Governance Codes) auf internationale Rechnungslegungsstandards verweisen. Damit wird dynamisch auf die jeweils geltenden Bewertungsansätze dieser Standards Bezug genommen. In diesen Verweisungen könnte sich ein Widerspruch zum erklärten Ziel der Kodizes ergeben, das in der Verbesserung der Kontroll- und Anreizstrukturen für die Unternehmensführung in kapitalmarktorientierten Unternehmen liegt. Es sollen verschiedene Fragestellung erörtert werden. Es geht darum, ob Rechnungslegungsregelungen, die der Geschäftsführung einen weiten Manipulationsspielraum einräumen, das für ein funktionsfähiges Governance-System erforderliche Kontrollsystem funktionsuntauglich machen. Sodann ist nach den ___________ 12 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (IAS-Verordnung), Abl. EG Nr. L 243 v. 11.9.2002, S. 1. 13 IAS-Verordnung (Fundstelle in Fn. 12), Art. 2.
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Manipulationsspielräumen der Fair Value-Bewertung, wie sie in verschiedenen Internationalen Rechnungslegungsstandards vorgesehen wird, zu fragen. Ergeben sich aus den Untersuchungen schwerwiegende Defizite der Corporate Governance, ist zu fragen, ob neben den Rechnungslegungsinformationen zusätzliche Informationen im Rahmen der Beziehungen zwischen Management und Investoren zu vergeben sind.
3. Notwendigkeit eines methodischen Fundaments Da die Kritik am Fair Value-Ansatz regelmäßig dann einsetzt, wenn für das zu bewertende Aktivum kein Marktwert vorliegt, der sich auf einem vollkommenen und vollständigen Markt gebildet hat,14 erscheint es geraten, vorab das methodische Fundament für die weiteren Überlegungen zu legen. Es ist zu klären, mit welchen Annahmen in der positiven und der normativen Analyse gearbeitet wird.
II. Methodische Überlegungen In der Rechnungslegungsdiskussion spielen Annahmen zur Funktionsweise von Güter- und Faktormärkten eine wichtige Rolle. Das hat seinen Grund darin, daß die Bestimmung von Marktwerten in vollkommenen und vollständigen Märkten problemlos ist, bei Nichtvorliegen dieser Annahmen jedoch zu extremen Schwierigkeiten führen kann.15 Dies kann zur Folge haben, daß eine Aussage zur Brauchbarkeit von bestimmten Bewertungsregeln direkt abhängig von den verwendeten Annahmen ist. Im Rahmen der hier anzustellenden Überlegungen soll von den Annahmen ausgegangen werden, wie sie in der Neuen Institutionenökonomik verwendet werden.16 Zu diesen zählen neben der Annahme systematisch unvollkommener Information, der Annahme eingeschränkter Rationalität, die Annahme opportunistischen Verhaltens, die Annahme positiver Transaktionskosten. Diese Annahmen spielen auch für die Untersuchung von Problemen der Corporate Governance eine wichtige Rolle, aber zunehmend auch für die Rechnungslegungsliteratur.
___________ 14
Vgl. Rückle (2005), S. 290; Streim / Bieker / Esser (2005), S. 103; Vgl. für viele Ballwieser / Küting / Schildbach (2004), S. 530. 16 Zur Neuen Institutionenökonomik: Richter / Furubotn (2003); Voigt (2002); insbes. zur Anwendung der Neuen Institutionenökonomik auf Rechnungslegungsfragen: Kirchner (1997). 15
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III. Corporate Governance und Spielräume in den Bewertungsregeln für die Aufstellung des Jahresabschlusses Corporate Governance als ein System der Unternehmensführung und deren Kontrolle setzt funktionsfähige Anreiz- und Kontrollstrukturen voraus. Dies gilt unabhängig davon, ob von der Frage ausgegangen wird, welche Verträge potentielle Anteilseigner (Investoren) dem Management anbieten, um den Wert ihrer Beteiligung (shareholder value) zu maximieren, oder von der Frage, welche Art von Anreiz- und Kontrollsystem das Management potentiellen Investoren anbietet, um die Kosten der Aufnahme von Eigenkapital zu minimieren.17 Diejenigen, die Kontrollaufgaben wahrzunehmen haben, müssen über Unabhängigkeit, Fachwissen und ein ausreichendes Maß an für die Kontrollaufgabe geeigneten Information verfügen. Die Unternehmensführung (Management) unterliegt heute – unabhängig vom konkreten Corporate Governance-Konzept – einer mehrstufigen Kontrolle, nämlich durch Anteilseigner und solche Kontrollorgane, die entweder durch die Anteilseigner oder durch gesetzliche Vorgaben legitimiert sind. Das können Mitglieder des Aufsichtsrats oder unabhängige Direktoren des Verwaltungsrats/Boards, Mitglieder von Rechnungsprüfungsausschüssen (audit committees) und Abschlußprüfer sein. Das wirksamste Kontrollinstrument auf Seiten der aktuellen und potentiellen Anteilseigner (Investoren) ist die Entscheidung, zu verkaufen bzw. nicht zu kaufen. Die Summe dieser Entscheidungen hat Einfluß auf den Aktienkurs und damit in der Folge auf die Kosten der Kapitalbeschaffung. Dazu kommt eine erhöhte Übernahmegefahr durch eine Verringerung des kapitalisierten Börsenwertes bei Absinken des Kurses. Haben Anteilseigner alternative Anlagemöglichkeiten, so werden sie die erwarteten Zahlungsströme aus unterschiedlichen Anlagemöglichkeiten miteinander vergleichen. Es handelt sich dabei um Zukunftswerte. Eine – notwendigerweise unsichere – Informationsgrundlage dafür ist der vom Management aufzustellende Jahresabschluß. Aus der Höhe, der Struktur und dem Wert des dem Unternehmen zur Verfügung stehenden, in der Bilanz ausgewiesenen Vermögens sollen Schlüsse auf künftige Zahlungsströme gezogen werden können. Damit spielen Ansatz und Bewertung von Vermögenswerten und Schulden in der Bilanz indirekt eine – gewisse – Rolle für die Investitions- oder Desinvestitionsentscheidungen der Anteilseigner. Das Management kann dann durch Entscheidungen über Ansatz und Bewertung von Vermögenswerten und Schulden Einfluß auf die Anlageentscheidun___________ 17
Zu diesen zwei unterschiedlichen Perspektiven: Kirchner / Richter (2004).
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gen der Investoren nehmen. Ob und wieweit dies möglich ist, hängt davon ab, über welchen Entscheidungsspielraum das Management bei diesen Ansatz- und Bewertungsentscheidungen verfügt. Dieser Entscheidungsspielraum ist abhängig von der Qualität der Ansatz- und Bewertungsregeln und ihrer Durchsetzung. Diese sind Kernstück von Rechnungslegungsstandards und -vorschriften. Es hängt dann von der Qualität dieser Standards und Vorschriften ab, ob Kontrollorgane bei nicht sachgerechter Anwendung der Regelungen erfolgreich intervenieren können. Weite Entscheidungsspielräume in diesen Regelungen schwächen die Position der betreffenden Kontrollorgane (Mitglieder des Aufsichtsrats, unabhängige Direktoren des Verwaltungsrates/Boards, Mitglieder des Rechnungsprüfungsausschusses, Abschlußprüfer). Als Argument, solche weiten Entscheidungsräume einzuräumen, kann der Gedanke ins Spiel gebracht werden, daß diese erforderlich seien, um Aufwendungen den daraus resultierenden Nutzenströmen periodengerechter zuordnen zu können. Dann stehen den Vorteilen einer solchen verbesserten Periodisierung die möglichen Nachteile eines erweiterten Entscheidungsspielraums gegenüber.18 Dann kann man den Eindruck gewinnen, als ginge es um eine einfache Abwägung von verbesserter Entscheidungsnützlichkeit der Rechnungslegungsinformationen und deren Grad an Verläßlichkeit. Doch dieses Kalkül ist falsch, wenn es um weite Entscheidungsspielräume geht. Wenn nämlich die theoretisch erzielbare Entscheidungsnützlichkeit der übermittelten Informationen sehr hoch liegt, der Manipulationsspielraum aber auch, dann werden die Informationen für Kontrollzwecke wertlos. Der methodische Fehler einer einfachen Abwägung liegt darin, daß nicht zwei voneinander unabhängige Größen vorliegen. Die Entscheidungsnützlichkeit selbst ist abhängig vom Grad der Verläßlichkeit der Information. Damit läßt sich die These, daß Rechnungslegungsregelungen, die der Geschäftsführung einen weiten Manipulationsspielraum einräumen, das für die Corporate Governance unerläßliche Kontrollsystem beeinträchtigen, in der theoretischen Argumentation belegen.
IV. Entscheidungsspielräume des Managements bei Bewertung mit dem Fair Value-Ansatz nach Internationalen Rechnungslegungsstandards Ansatz und Bewertung bilden nach dem IAS-Rahmenkonzept eine Einheit. Nach den Ansatzvorschriften bestimmt sich, welche Vermögenspositionen im ___________ 18
In dieser Richtung auch Ballwieser / Küting / Schildbach (2004), S. 547, die von der mangelnden Einschränkbarkeit des Gestaltungspotentials des Bilanzierenden sprechen.
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Abschluß auszuweisen sind, nämlich sogenannte Vermögenswerte (assets). Bewertungsvorschriften regeln dann, wie der Geldbetrag zu ermitteln ist, mit dem ein Vermögenswert zu erfassen und anzusetzen, also zu bewerten ist. Unter Vermögenswerten (assets) versteht das IAS-Rahmenkonzept eine in der Verfügungsmacht des rechnungslegenden Unternehmens stehende Ressource, die ein Ergebnis von Ereignissen in der Vergangenheit darstellt, von dem erwartet wird, daß dem Unternehmen in Zukunft aus dessen Nutzung wirtschaftlicher Nutzen zufließen wird. Bewertung zielt auf die Abschätzung der Höhe der künftigen Nutzenströme. Soll diese Prognose nachprüfbar sein, etwa durch die genannten Kontrollorgane, ist sie nach Regeln aufzustellen, die den Entscheidungsspielraum desjenigen eingrenzen, der die Prognose erstellt. In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, daß der Entscheidungsspielraum – und damit das Gestaltungspotential des Bilanzierenden – dann gegen Null geht, wenn es um vollkommene und vollständige Güter- und Faktormärkte im Gleichgewichtszustand geht, daß dann aber das Bewertungsproblem als solches irrelevant ist.19 Unter der Annahme von Transaktionskosten und systematisch unvollständiger Information ändert sich das Problem. Der Fair Value kann dann nicht einfach als der Betrag definiert werden, zu dem ein Vermögenswert zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Akteuren getauscht werden würde. Dieser Betrag ließe sich nur unter der Annahme vollkommener und vollständiger Güter- und Faktormärkte im Gleichgewicht bestimmen. Wenn dies – wie betont – unmöglich ist, muß nach Substituten in abgestuften Bewertungsebenen gesucht werden. Die Bewertung von Vermögenswerten des Sachanlagevermögens nach dem Fair Value-Ansatz erfolgt in mehreren Stufen.20 Auf der ersten Stufe als Marktwert der zu bewertenden Vermögenswerte und Schulden. Auf der zweiten Stufe wird der Fair Value als aktueller Preis auf ähnlichen Märkten für nahezu identische Vermögenswerte und Schulden ermittelt. Auf der dritten Stufe wird, wenn kein marktbasierter Wert existiert, unter Anwendung von wissenschaftlichen fundierten Bewertungsmodellen ein hypothetischer Marktwert bestimmt. Dies eröffnet dem Bilanzierenden einen erheblichen Ermessensspielraum.21 Diese Spielräume werden heute von vielen Autoren als eine ernstzunehmende Gefahr für die Informationsqualität eines nach IAS/IFRS aufgestellten Ab___________ 19 Ballwieser / Küting / Schildbach (2004), S. 530 f.; zur Irrelevanz der Bewertung in dieser Konstellation auch: Beaver / Demski (1979), S. 38. 20 Baetge / Zülch (2001), S. 547. 21 So sehr akzentuiert: Ballwieser / Küting / Schildbach (2004), S. 534; vgl. bereits Schildbach (1998), S. 587; auch Kley (2001), S. 2259; Tanski (2004).
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schlusses angesehen.22 Das systematische Problem der Regeln der internationalen Rechnungslegungsstandards zur Fair Value-Bewertung liegt darin, daß diese unter Idealannahmen zu brauchbaren – aber irrelevanten – Ergebnissen führen, unter den hier zugrunde gelegten Annahmen (eingeschränkte Rationalität, opportunistisches Verhalten) aber mit steigender Stufenfolge dem Management einen erheblichen, nicht kontrollierten und nicht kontrollierbaren Ermessensspielraum einräumen.
V. Folgerungen für Fragen der Corporate Governance Erweisen sich Regelungen zur Fair Value-Bewertung in internationalen Rechnungslegungsstandards als ernstzunehmende Gefahrenquelle für die Qualität der Corporate Governance, ist – unabhängig von einer Reform der Rechnungslegungsstandards – zu überlegen, wie Investoren vor unzuverlässigen Informationen geschützt werden können, die ihnen die effektive Kontrolle über das Management unmöglich macht. Wenn es um das Problem der Zuverlässigkeit von Informationen geht, die durch die Rechnungslegung vermittelt werden, liegt es nahe, auf Systeme der mehrdimensionalen Rechnungslegung zurückzugreifen.23 Doch wird dies nicht leicht auf der Ebene der internationalen Rechnungslegungsstandards durchzusetzen sein. Zudem wäre eine Lösung auf der Ebene mit Grundsatzdiskussionen verbunden, ob Zusatzinformationen, die sich etwa auf historische Werte beziehen, quer zu einem Rechnungslegungskonzept liegen, das auf Tageswerten basiert. Es wird also der Streit ausgelöst, ob hilfsweise auf historische Werte zurückzufallen ist, um die Zuverlässigkeit der vergebenen Informationen zu verbessern oder ob nicht statt dessen Methoden zu entwickeln wären, mit denen Tageswerte zuverlässiger bestimmt werden können. Es läßt sich leicht vorstellen, daß ein solcher Grundsatzstreit mehrere Jahre dauern könnte. In der Zwischenzeit wären Abschlüsse, die nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufgestellt werden, eine Schwachstelle für alle Corporate GovernanceStandards, die sich auf diese Rechnungslegungsstandards beziehen. Es wird aus diesem Grunde ein anderer, möglicherweise erheblich einfacherer Weg vorgeschlagen. In der Informationsvergabe von Unternehmen an Investoren sind zusätzlich zu den Rechnungslegungsinformationen solche Informationen zu vermitteln, aus denen die Investoren Rückschlüsse auf den Bewertungsspielraum (und damit das Manipulationspotential) bei Verwendung der ___________ 22 Vgl. insbes. Ballwieser / Küting / Schildbach (2004); Schildbach (2005); Kampmann (2005); Rückle (2005); vgl. auch Mujkanavic (2002), S. 241 – 253, 358. 23 Vgl. Kampmann (2005), S. 315 mit Hinweis auf Kampmann / Schmidt (2002).
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Fair Value-Bewertung ziehen können. Unter diesem Aspekt sind historische Werte als Eckpunkte für Bewertungsspielräume brauchbar. Die Aufnahme solcher Zusatzinformationen in die Informationsvergabe von Unternehmen an Investoren hat den Vorteil, daß es keiner zwingenden Regelungen bedarf. Man kann sich gut vorstellen, daß entsprechende Empfehlungen in Unternehmensführungskodizes (Corporate Governance Codes) aufgenommen werden können. Macht ein Unternehmen dann keinen Gebrauch von der Möglichkeit der betreffenden Zusatzinformationen, können auch daraus die Investoren ihre Schlüsse ziehen. Es ist aber auch denkbar, daß Unternehmen freiwillig und unabhängig von entsprechenden Regelungen in nicht bindenden Kodizes in Form einer Selbstbindung sich verpflichten, den Investoren die betreffenden Zusatzinformationen zur Verfügung zu stellen. Das hätte den Vorteil, daß dann geprüft werden kann, ob und wie sich eine solche Selbstbindung auf den Aktienkurs auswirkt. Solange alle Unternehmen die Fair ValueBewertung der internationalen Rechnungslegungsstandards ohne Zusatzinformationen anwenden, kann ein solcher Markttest nicht erfolgen. Hinter den hier angestellten Überlegungen steht der Grundgedanke, daß Rechnungslegungsinformationen zwar ein wichtiges Teilstück der Corporate Governance darstellen, daß aber keineswegs sichergestellt werden muß, daß sich Corporate Governance nur auf Rechnungslegungsinformationen stützt. Das ist schon heute mit der Differenzierung von Jahresabschlußinformationen und Ad hoc-Informationen der Fall. Damit die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes nicht durch Sonderregelungen der Beziehungen der Unternehmen zu den Investoren gefährdet wird, ist allerdings eine strikte Gleichbehandlung aller Investoren geboten.
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Fair Value-Bewertung nach Internationalen Rechnungslegungsstandards
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Christian Kirchner
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Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen unter Berücksichtigung des Unbundling Von Volkmar Klatte
I. Einführung Eine Segmentberichterstattung spielt bei diversifizierten Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen oder Konzernen sowohl im Rahmen der externen Rechnungslegung als auch zum Zwecke der internen Steuerung und Überwachung eine wesentliche Rolle: Nach Segmenten (z.B. produkt- oder regionenbezogenen Geschäftsbereichen) differenzierte Informationen sollen Aufschluss bieten insbesondere über wirtschaftlichen Erfolg, Erfolgspotenzial und mögliche Risiken der einzelnen Segmente sowie über ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Lage und Entwicklung der gesamten Wirtschaftseinheit; zugleich soll damit eine Beurteilung der wirtschaftlichen Situation und Entwicklungsperspektiven der Wirtschaftseinheit als Ganzes gefördert werden1. Im Zuge der fortschreitenden Liberalisierung und Internationalisierung der Märkte für Strom und Erdgas sehen sich Energieversorgungsunternehmen auch hinsichtlich der Erfordernisse einer Segmentberichterstattung mit erhöhten Anforderungen konfrontiert. Energieversorgungsunternehmen haben nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG)2 die Aufgabe, „(…) eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas“ zu gewährleisten. Diesen Unternehmen kommt damit in einer modernen Industriegesellschaft eine Schlüsselfunktion zu. Im Regelfall sind Energieversorgungsunternehmen in Unternehmensgruppen oder Konzernen eingebunden; diese weisen zumeist eine u.a. nach verschiedenen Energieträgern und Wert___________ 1
Vgl. nur Alvarez (2004), S. 8; Böcking / Orth (2003), S. 763; Haller / Park (1994), S. 499 f. 2 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) vom 29.4.1998 (BGBl. I S. 730), zuletzt geändert durch Zweites Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 7.7.2005 (BGBl. I S. 1970). – Zur Unterscheidung von voraufgehenden Gesetzesfassungen im Folgenden zitiert als EnWG (2005).
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schöpfungsstufen diversifizierte Struktur auf. Besonders im Rahmen der Konzernrechnungslegung von Energieversorgungsunternehmen erscheint daher eine Segmentberichterstattung zumindest angezeigt3; im Falle einer Kapitalmarktorientierung besteht bilanzrechtlich eine Segmentberichterstattungspflicht. Hierbei sind grundsätzlich ab 1.1.2005 International Accounting Standards (IAS) bzw. International Financial Reporting Standards (IFRS) anzuwenden4. Obendrein haben Energieversorgungsunternehmen nach Bestimmungen des Energiewirtschaftsgesetzes, welches insoweit europarechtliche Vorgaben5 in nationales Recht umsetzt, ein so genanntes Unbundling vorzunehmen. Nach § 10 Abs. 3 EnWG (2005) müssen Energieversorgungsunternehmen unter bestimmten Bedingungen in Buchführung und Jahresabschluss sowohl im Elektrizitäts- als auch im Gasversorgungsbereich eine Segmentierung (Trennung) nach vorgegebenen Tätigkeiten vornehmen. Neben dieser so genannten rechnerischen Entflechtung hat – mit Pflichtenabstufungen und z.T. mit Übergangsfristen – eine rechtliche, eine operationelle und eine informationelle Entflechtung des Netzgeschäfts zu erfolgen6. Ein derartiges Unbundling bezweckt eine erhöhte Transparenz, soll etwaige Quersubventionierungen zwischen einzelnen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgungsunternehmen vermeiden, einen diskriminierungsfreien Netzzugang gewährleisten und damit insgesamt zu einem „wirksamen und unverfälschten“ Wettbewerb beitragen7. Soweit es sich bei Energieversorgungsunternehmen um öffentliche Unternehmen handelt, sind ergänzend Segmentierungspflichten nach dem Transpa___________ 3 Nach § 297 Abs. 1 Satz 2 HGB gilt bei fehlender Kapitalmarktorientierung allerdings keine Segmentberichterstattungspflicht. – Soweit nicht anders gekennzeichnet, wird das Handelsgesetzbuch vom 10.5.1987 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz vom 3.8.2005 (BGBl. I S. 2267), verwendet. 4 Vgl. § 315a Abs. 1 und 2 HGB; zu Übergangsfristen vgl. Art. 57 und Art. 58 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch (EGHGB) vom 10.5.1897 (RGBl. S. 437) in der Fassung vom 3.8.2005 (BGBl. I S. 2267). 5 Zuletzt: Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. EG, Nr. L 176, S. 37); Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. EG, Nr. L 176, S. 57). 6 Vgl. §§ 7, 8 und 9 EnWG (2005). – Pflichten zum rechnerischen Unbundling gelten nach vorherigen Fassungen des Energiewirtschaftsgesetztes in Umsetzung voraufgehender europarechtlicher Vorgaben für den Elektrizitätsbereich bereits seit 1998, für den Gasbereich seit 2003; zur Gesetzesgenese vgl. nur Bolsenkötter / Poullie (2003), S. 13 – 20; von den anderen Unbundlingpflichten ist zuletzt die rechtliche Entflechtung (außerdem nur für Energieversorgungsunternehmen mit mehr als 100.000 angeschlossenen Kunden) spätestens bis zum 1.7.2007 zu realisieren; vgl. z.B. Säcker (2005), S. 85. 7 Siehe hierzu insbesondere § 1 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 10 Abs. 3 Satz 1 EnWG (2005).
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renzrichtlinie-Gesetz8 zu beachten. Angestrebt ist hiernach eine Transparenz finanzieller Beziehungen zwischen öffentlicher Hand und öffentlichen Unternehmen (wie z.B. hinsichtlich staatlicher Beihilfen). Im Übrigen bleibt aber eine Segmentberichterstattung im Rahmen der Konzernrechnungslegung bzw. im Sinne des Unbundling für diese Unternehmen unberührt9. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist zunächst eine Darstellung und Analyse der Anforderungen an die Segmentberichterstattung bei Energieversorgungsunternehmen unter dem Einfluss der Erfordernisse des Unbundling (Abschnitte II. und III.). Zudem soll anhand von Geschäftsberichten der sechs größten Energieversorgungsunternehmen in Deutschland untersucht werden, wie diesen Anforderungen in der Unternehmenspraxis Rechnung getragen wird (Abschnitt IV.). Ziel ist insgesamt zu ermitteln, inwieweit Erfordernisse des Unbundling geeignet sind, die Aussagefähigkeit der Segmentberichterstattung im Rahmen der externen Rechnungslegung zu fördern. Dieser Aspekt wurde im betriebswirtschaftlichen Schrifttum bisher kaum erörtert10. Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung werden in Abschnitt V. zusammengefasst. Hierbei ergeben sich vielfältige Berührungspunkte zu dem weit gespannten Interessens- und Arbeitsgebiet unseres Jubilars. Fragen der Segmentberichterstattung stehen im Schnittfeld zwischen internem und externem Rechnungswesen und haben vor allem Bedeutung für die Konzernrechnungslegung unter dem Einfluss internationaler Rechnungslegungsstandards. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen von Dieter Rückle zu „Entwicklungslinien und Aussagekraft der Konzernrechnungslegung“11. Dabei zeigt er die zentrale Bedeutung, aber auch die Aussagegrenzen einer konsolidierten Rechnungslegung im Konzern auf und setzt sich zu Recht kritisch mit einer vermeintlichen „Überlegenheit ausländischer oder internationaler Rechnungslegungssysteme“12 auseinander. Dies wird auch im vorliegenden Beitrag eine wesentliche Rolle spielen. Ein unmittelbarer Bezug besteht zur Arbeit von Rückle / Karst / Bietz13. Aus Gründen der Effizienz und Qualität der Daten wird dort die Methode einer originären Herleitung von Segmentabschlüssen präferiert. Im vorliegenden Beitrag soll u.a. darauf eingegangen werden, inwieweit sich diese Methode auch zur Berücksichtigung der Erfordernisse des ___________ 8 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kommission vom 26.7.2000 zur Änderung der Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (Transparenzrichtlinie-Gesetz – TranspRLG) vom 16.8.2001 (BGBl. I S. 2141). 9 In diesem Sinne auch Bolsenkötter / Poullie (2003), S. 69; Srocke (2003), S. 701. 10 Als Ausnahme vgl. Kriete / Werner (2003), S. 248 – 258. 11 Rückle (2001), S. 249 – 271. 12 Rückle (2001), S. 264. 13 Vgl. Rückle / Karst / Bietz (2004), S. 107 – 135.
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Unbundling für die Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen eignet.
II. Anforderungen an eine Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen aus Sicht externer Adressaten 1. Adressatenkonkretisierung Erfordernis, Inhalt und Gestaltung einer Segmentberichterstattung als Informationsinstrument der Rechnungslegung haben sich entsprechend den Informationsgrundsätzen primär an den (berechtigten) Interessen externer Adressaten auszurichten14. Dies sind jene Rechnungslegungsinteressenten, denen nach gesetzgeberischen Wertungen ein Anspruch auf Rechnungslegungsinformationen zusteht oder zuzubilligen ist15 und die nicht bereits als Insider Zugang zu den Informationen des Unternehmens haben. Bei einer kapitalmarktorientierten Betrachtung stehen aktuelle und potenzielle Kapitalgeber im Vordergrund. Je nach Regelungs- bzw. Sachzusammenhang kommen aber auch andere Personen, Personengruppen oder Institutionen als Adressaten in Betracht. Bei Energieversorgungsunternehmen können dies u.a. öffentliche Träger (z.B. Kommunen16) oder öffentlich-rechtliche Einrichtungen (z.B. die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen – kurz: Bundesnetzagentur17) sein. Aufgrund der Schlüsselfunktion der Versorgung der Allgemeinheit mit Energie haben „Energieversorgungsunternehmen (…) ungeachtet ihrer Eigentumsverhältnisse und ihrer Rechtsform einen Jahresabschluss nach den für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften des Handelsgesetzbuchs aufzustellen, prüfen zu lassen und offen zu legen“18. Demnach zählt zum Adressatenkreis grundsätzlich auch die so genannte interessierte Öffentlichkeit.
___________ 14 Zu Informationsgrundsätzen i.S. von Informations-GoB siehe insbesondere Moxter (2003), hier bes. S. 223 – 229 (Informationsinteressens- und Informationsanspruchsprinzip); Ballwieser (2002), hier S. 115 f. 15 Vgl. Moxter (2003), S. 227 – 229. 16 So etwa nach eigenbetriebsrechtlichen Regelungen der Bundesländer. 17 Der „Regulierungsbehörde“ (d.h. der Bundesnetzagentur) ist u.a. der Jahresabschluss einzureichen (§ 10 Abs. 5 Satz 1 EnWG (2005)). 18 § 10 Abs. 1 EnWG (2005).
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2. Adressatenorientierte Anforderungen an die Segmentberichterstattung Grundsätzlich werden alle Adressaten an aufschlussreichen Informationen über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung der Energieversorgungsunternehmen interessiert sein; denn deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist generell Voraussetzung für die Erfüllung der energiewirtschaftsrechtlich verankerten Aufgabe einer zuverlässigen Versorgung mit Elektrizität und Gas. Als Grundlage für Interesse wahrende Entscheidungen benötigen Kapitalgeber Informationen zur Rechenschaft über anvertrautes Vermögen sowie über zu erwartende Zielzahlungen (z.B. Ausschüttungen an Anteilseigner, Zins- und Tilgungszahlungen an Kreditgeber)19. Zur Fundierung von „Zahlungsstromerwartungen“20 sind Prognosen oder zumindest prognosefähige Informationen erforderlich21. „Entscheidungsnützliche Informationen sollten idealerweise zugleich zukunftsbezogen und intersubjektiv nachprüfbar sein; beides zugleich ist leider nicht erreichbar.“22 Für externe Adressaten, insbesondere Kapitalgeber, können daher – teils auch nur hilfsweise – Informationen insbesondere über die effiziente Verwendung des eingesetzten Kapitals, die finanzielle Stabilität und Leistungsfähigkeit, den Erfolg und dessen Komponenten sowie die Chancen und Risiken der unternehmerischen Betätigung nützlich sein. Die Informationsinteressen beziehen sich aber nicht nur auf das rechtlich selbstständige Unternehmen, bei dem das finanzielle Engagement besteht oder begründet werden soll. Auch reichen nicht nur aggregierte Informationen über die Energieversorgungsunternehmensgruppe oder den Energieversorgungs-Konzern als Wirtschaftseinheit, dem das Unternehmen angehört. Energieversorgungs-Konzerne verfügen im Allgemeinen über verschiedene Unternehmens- bzw. Geschäftsbereiche: Im Bereich der Elektrizitätsversorgung kommen etwa die Teilbereiche Stromerzeugung, -übertragung, -verteilung, -handel und -vertrieb in Betracht; zum Gasversorgungsbereich lassen sich bspw. die Teilbereiche Gasfernleitung, -verteilung, -speicherung, -handel und -vertrieb unterscheiden; mögliche weitere Bereiche sind Fernwärme- und Wasserversorgung sowie u.U. Entsorgungs- und Recyclingtätigkeiten23. Neben ___________ 19 Zur Rechenschaft vgl. insbes. Leffson (1987), S. 63 – 90; zur Betonung der Zielzahlungsinteressen siehe Moxter (2003), S. 224 – 226; wie hier auch Rückle (2005), S. 279 f. 20 Moxter (2003), S. 225. 21 Zu externen Prognosen, deren Gestaltung und Prüfung vgl. Rückle (1981), S. 431 – 468; derselbe (1984), S. 249 – 271; Rückle / Klatte (1994), S. 216 (dort zur Beurteilung der Prämisse der Unternehmensfortführung). 22 Rückle (2005), S. 280. 23 Vgl. auch z.B. Bolsenkötter / Poullie (2003), S. 77; Schulz / Riechmann (2002), S. 42 – 50 (dort nur für den Bereich der Elektrizitätsversorgung).
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regional begrenzt agierenden Energieversorgungsunternehmen sind größere Energieversorger zunehmend überregional oder sogar international tätig. Die einzelnen Unternehmens- bzw. Geschäftsbereiche bergen unterschiedliche wirtschaftliche Chancen und Risiken und können sich daher in unterschiedlichem Maße auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage und die künftige wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Wirtschaftseinheit auswirken. Bei einer nur aggregierten Betrachtung würde nicht erkennbar sein, inwieweit sich defizitäre und wirtschaftlich prosperierende Bereiche gegenüberstehen; eine Quersubventionierung marktnaher Bereiche kann zudem zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. Die Adressaten sind daher für eine zutreffende Beurteilung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation, der Chancen und Risiken sowie der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Wirtschaftseinheit zusätzlich auf aussagekräftige, nach Segmenten disaggregierte Informationen angewiesen. Die Wirtschaftseinheit kann ein rechtlich und wirtschaftlich selbstständiges Unternehmen sein; dies ist zugleich das rechtliche Bezugsobjekt für zu erwartende Zielzahlungsströme. Im Konzern besteht hingegen ein Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftseinheit (Konzern) und rechtlicher Vielheit (der rechtlich selbstständigen aber wirtschaftlich unselbstständigen Konzernunternehmen, die prinzipiell jeweils rechtliche Bezugsobjekte sind)24; hinzutritt eine wirtschaftliche Vielheit der Segmente, die der rechtlichen Konzernstruktur zumeist nicht entspricht25. Adressaten müssen daher damit rechnen, dass im Konzern die unmittelbare Beurteilung einzelner rechtlicher Konzernunternehmen aufgrund von Segmentinformationen scheitert, falls Segmentstruktur und rechtliche Konzernstruktur auseinanderfallen. Allenfalls gelingt über eine bessere Beurteilung der Wirtschaftseinheit auch eine relativierende Beurteilung einzelner Konzernunterunternehmen sowie eine informationsinduzierte Relativierung von Rechtsfolgen, die an Konzernunternehmen als rechtliche Bezugsobjekte anknüpfen26. Dies verlangt eine Segmentabgrenzung und Ermittlung der anzugebenden Segmentdaten nach sachgerechten, objektiven (intersubjektiv nachprüfbaren und willkürfreien) Kriterien, die zudem den Branchenspezifika der Energieversorgungsunternehmen Rechnung tragen. Die Segmente sind nach Art und Bedeutung der unternehmerischen Tätigkeit hinreichend zu erläutern, soweit dies für die angestrebte Beurteilung seitens der externen Adressaten – und zwar auch jener, die nicht über branchenspezifische Fachkenntnisse verfügen – erforderlich ist. Beurteilen bedeutet auch vergleichen. Im Hinblick auf eine inter___________ 24 Vgl. nur Busse von Colbe et al. (2003), insbes. S. 28 – 33; Rückle (2001), hier insbes. S. 254 – 260. 25 Zu verschiedenen Beispielen für das Verhältnis von Segmentstruktur zu rechtlicher Konzernstruktur vgl. Rückle / Karst / Bietz (2004), S. 118 – 122. 26 Vgl. Klatte (1991), S. 455 f.
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temporale Vergleichbarkeit ist daher nach dem Grundsatz der Stetigkeit27 eine konsistente Berichterstattung (u.a. hinsichtlich Segmentabgrenzung und Ermittlung der Segmentgrößen) geboten. Dies darf allerdings nicht missverstanden werden im Sinne einer Berichtsinhaltsglättung; vielmehr können „grundlegende (...) Sachverhaltsänderungen“ (z.B. Aufnahme einer neuen oder Beendigung einer bisherigen Geschäftstätigkeit) Anlass zu Stetigkeitsdurchbrechungen sein28. Diese sind dann aber zu erläutern und zu begründen29. Aus Adressatensicht ist zudem eine unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit innerhalb der Branche der Energieversorgungsunternehmen, etwa für ein Benchmarking, zweckgerecht. Die Bundesnetzagentur ist zur Wahrnehmung ihrer Regulierungsaufgaben auf eine derartige Vergleichbarkeit hinsichtlich der dem Unbundling unterliegenden Tätigkeitsbereiche der Energieversorgungsunternehmen angewiesen. Auch aus informationsökonomischer Perspektive sollten allerdings hinsichtlich Ermittlung und Detailliertheit der Segmentangaben Informationsnutzen und -kosten in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen30: Direkte Kosten lassen sich reduzieren, indem Unternehmen auf die interne Segmentberichterstattung zurückgreifen, soweit dies für die externe Segmentberichterstattung zweckgerecht ist. Die Vermeidung indirekter Kosten (etwa i.S. von Wettbewerbsnachteilen durch Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen) kann eine entsprechende Begrenzung der Segmentberichterstattung oder eine Beschränkung in der Informationsverwendung erfordern. Andererseits wird durch eine angemessene Offenlegung von Segmentinformationen die Wettbewerbsneutralität gefördert, wenn damit vergleichbare Einblicksmöglichkeiten geschaffen werden, wie sie bei einem nicht diversifizierten, regional begrenzt agierenden Konkurrenzunternehmen bestehen31.
___________ 27
Vgl. hierzu allgemein Leffson (1987), insbes. S. 426 – 456. So zu recht Moxter (2003), S. 232 („relative Gültigkeit“ des Stetigkeitsprinzips „(i)m Rahmen der Informations-GoB“). 29 Vgl. allgemein auch Moxter (2003), S. 232, der allerdings das Erfordernis einer Begründung dort nicht explizit erwähnt. 30 Vgl. auch Alvarez (2004), S. 3, 20 – 26 (m.w.N.). 31 Vgl. Haller / Park (1994), S. 503 (m.w.N.); Coenenberg (2005), S. 841. 28
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III. Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen nach rechtlichen Normen 1. Segmentberichterstattung nach bilanzrechtlichen Normen (HGB/DRS, IAS und US-GAAP) a) Zu Pflicht und Zielsetzung einer Segmentberichterstattung Rechnungslegungs-, Prüfungs- und Offenlegungspflichten der Energieversorgungsunternehmen richten sich – unabhängig von ihren Eigentumsverhältnissen und ihrer Rechtsform – nach den für Kapitalgesellschaften maßgeblichen Vorschriften des HGB, vorbehaltlich zusätzlicher Erfordernisse nach dem Energiewirtschaftsgesetz32. Die Ausnahmen nach § 264 Abs. 3 und § 264b HGB sind im Hinblick auf den Zweck des Energiewirtschaftgesetzes nicht anwendbar33. Für Energieversorgungsunternehmens besteht somit grundsätzlich die Pflicht, nach § 285 Nr. 4 bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 3 HGB im Anhang des Jahresabschlusses bzw. des Konzernabschlusses die Umsatzerlöse aufzugliedern „nach Tätigkeitsbereichen sowie nach geographisch bestimmten Märkten, soweit sich, unter Berücksichtigung der Organisationsstruktur des Verkaufs (…), die Tätigkeitsbereiche und geographisch bestimmten Märkte erheblich unterscheiden“. Eine derartige Berichterstattung, die sich auf die Segmentierung der Umsatzerlöse beschränkt, bleibt hinter den Informationsbedürfnissen der Adressaten zurück. Obendrein gelten folgende Ausnahmen von der Pflicht zur Umsatzsegmentierung: x
Die Umsatzaufgliederung im Anhang des Jahresabschlusses kann nach den größenabhängigen Erleichterungen des § 288 HGB bei im Sinne von § 267 Abs. 1 und 2 HGB kleinen und mittelgroßen Energieversorgungsgesellschaften sowie größenunabhängig bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen der Schutzklausel des § 286 Abs. 2 HGB unterbleiben.
x
Auf die Umsatzaufgliederung im Konzernanhang kann verzichtet werden, wenn stattdessen der Konzernabschluss um eine Segmentberichterstattung erweitert wird (§ 314 Abs. 2 Satz 1 HGB).
___________ 32
Vgl. § 10 Abs. 1 EnWG (2005); zu darüber hinausgehenden energiewirtschaftsrechtlichen Rechnungslegungspflichten siehe unten, Abschnitt III.2. – Für Eigenbetriebe sind zudem ggf. weitergehende Anforderungen nach eigenbetriebsrechtlichen Vorschriften der Bundesländer zu beachten, vgl. IDW (2005b), Tz. 8. 33 Vgl. IDW (2005b), Tz. 4; so wohl auch Bolsenkötter / Poullie (2003), S. 17.
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Eine (über die Segmentierung von Umsatzerlösen hinausgehende) Segmentberichterstattung brauchen allerdings nicht-kapitalmarktorientierte Energieversorgungsunternehmen nach handelsbilanzrechtlichen Regelungen nicht vorzulegen. Nach § 297 Abs. 1 Satz 2 HGB gilt insoweit nur ein Wahlrecht, den Konzernabschluss um eine Segmentberichterstattung zu erweitern. Im Fall der Kapitalmarktorientierung34 des Mutterunternehmens oder eines der Tochterunternehmen besteht hingegen Segmentberichterstattungspflicht im Rahmen der Konzernrechnungslegung35. Sofern dabei nicht schon bisher – etwa nach § 292a HGB – die Anwendung international anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze (insbesondere IAS/IFRS oder US-GAAP) erfolgt, gelten für die Ausgestaltung der Segmentberichterstattung die Regeln nach dem Deutschen Rechnungslegungsstandard Nummer 3 (DRS 3)36. DRS 3 orientiert sich jedoch weitgehend an den internationalen Grundsätzen. Prinzipiell sind für ab dem 1.1.2005 beginnende Geschäftsjahre gemäß § 315a HGB bei der Konzernrechnungslegung IAS/IFRS anzuwenden; hierbei besteht eine Pflicht zur Segmentberichterstattung nach IAS 1437. IAS/IFRS müssen zwingend erst ab 1.1.2007 angewendet werden, sofern die kapitalmarktorientierten Unternehmen lediglich Schuldtitel begeben haben oder aufgrund eines Börsenlisting in den USA bereits seit der Zeit vor dem 11.9.2002 US-GAAP anwenden38. Für die US-GAAP-Anwender besteht insoweit eine Segmentberichterstattungspflicht nach dem Statement of Financial Accounting Standards Number 131 (SFAS 131)39. Im Lagebericht bzw. Konzernlagebericht ist gemäß § 289 Abs. 1 bzw. § 315 Abs. 1 HGB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des Geschäftsverlaufs und der Lage des Unternehmens bzw. des Konzerns zu vermitteln; hierbei wird eine „ausgewogene und umfassende, dem Umfang und der Komplexität der Geschäftstätigkeit entsprechende Analyse“ verlangt; „die voraussichtliche Entwicklung mit ihren wesentlichen Chancen und Risiken (ist) zu beurteilen und zu erläutern“. Um diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, werden im (Konzern-)Lagebericht auch auf Segmente bezogene Ausführungen ___________ 34 Gemeint ist hiermit der Handel oder die beantragte Zulassung zum Handel von Wertpapieren i.S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) vom 26.7.1994 (BGBl. I S. 1749), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.5.2005 (BGBl. I S. 1373), an einem organisierten Markt i.S. von § 2 Abs. 5 WpHG bzw. deren Handel auf einem geregelten Markt eines beliebigen anderen EG-Mitgliedstaats. – Zu Einzelheiten hierzu vgl. z.B. Orth (2004), Tz. 6. 35 So noch explizit § 297 Abs. 1 Satz 2 HGB in der Fassung des Transparenz- und Publizitätsgesetzes vom 19.7.2002 (BGBl. I S. 2681). 36 Siehe hierzu DRSC (Hrsg.) (2005). 37 Zu IAS 14 siehe IASB (Hrsg.) (2004). 38 Dies folgt aus den Übergangsvorschriften der Art. 57 und Art. 58 Abs. 5 EGHGB. 39 Zu SFAS 131 siehe FASB (Hrsg.) (1997).
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geboten sein. DRS 15 „Lageberichterstattung“ verlangt zur Darstellung der Geschäftstätigkeit und deren Rahmenbedingungen u.a. Angaben zu Segmenten (DRS 15.36 ff.). Segmentbezogene Ausführungen zur Ertragslage werden nach DRS 15.103 aber lediglich empfohlen. Falls der Konzernabschluss eine Segmentberichterstattung enthält, ist gemäß DRS 15.90 über die voraussichtliche Entwicklung der Segmente gesondert zu berichten. IAS/IFRS schreiben einen Lagebericht nicht vor. In dem nach IAS 1.9 empfohlenen Managementbericht über die Unternehmenslage werden indes auch segmentbezogene Ausführungen zu erwarten sein. US-GAAP-Anwender haben nach den Bestimmungen der SEC Regulation S-K40 § 229.101 Item 101(b) und (c) im Rahmen der Management’s Discussion and Analysis u.a. die Geschäftstätigkeit zu beschreiben und Angaben zur Zusammensetzung und Entwicklung der Segmente zu machen. Hinsichtlich der Zielsetzung der Segmentberichterstattung betont DRS 3 stärker die Information der Adressaten über Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie Chancen und Risiken wesentlicher Geschäftsbereiche; nach IAS 14 und SFAS 131 steht die verbesserte Beurteilung der gesamten Wirtschaftseinheit im Vordergrund. Letztlich sollen aber nach allen drei Standards die Adressaten durch nach Segmenten disaggregierte Informationen in die Lage versetzt werden, die wirtschaftliche Situation der diversifizierten Wirtschaftseinheit besser zu verstehen sowie deren zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und – zumindest mittelbar – zukünftige Zahlungsströme (Cashflows) besser einzuschätzen41. Diese Zielsetzung stimmt mit der Interessensrichtung externer Adressaten, insbesondere der Kapitalgeber, überein. Eine entsprechende Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen ist allerdings auch bei deren Nicht-Kapitalmarktorientierung zur Erfüllung der Informationsbedürfnisse von Adressaten (z.B. öffentlichen Trägern) angezeigt. Zur Einschätzung der zukünftigen Entwicklung, Chancen und Risiken werden die Adressaten zudem auf aussagekräftige Segmentinformationen im Lagebericht angewiesen sein.
b) Segmentabgrenzung und Gestaltung der Segmentberichterstattung Zur Segmentabgrenzung und Segmentberichtgestaltung ist konzeptionell zwischen dem „Management Approach“ und dem „Risk and Reward Approach“ zu unterscheiden. Nach dem Management Approach richtet sich die externe Berichterstattung insbesondere hinsichtlich der Segmentdefinition, der anzuwendenden Rech___________ 40 41
Vgl. SEC (Hrsg.) (2004). Vgl. auch Alvarez (2004), S. 8.
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nungslegungsregeln und der Segmentberichtsgrößen nach der internen Berichterstattung42. Extern kann aber weniger detailliert berichtet werden als intern. Beim Risk and Reward Approach erfolgt für die externe Berichterstattung eine Segmentierung nach Unternehmensbereichen, die sich innerhalb eines Segments durch homogene und zwischen den Segmenten durch heterogene Risiko- und Chancenstrukturen auszeichnen43. Hierbei kann es hinsichtlich der Segmentabgrenzung, der anzuwendenden Rechnungslegungsregeln und der Segmentberichtsgrößen zu Abweichungen von der internen Segmentberichterstattung kommen. Die Segmentberichterstattung nach DRS 3 folgt dem Management Approach mit Einschränkungen. Ausgehend von der internen Organisations- und Berichtsstruktur werden operative Segmente nach produktorientierten, geographischen und sonstigen Segmenten unterschieden. Als operative Segmente gelten Unternehmensbereiche, die externe oder intersegmentäre Umsatzerlöse generieren und regelmäßig von der Unternehmensleitung zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage überwacht werden (DRS 3.8). Produktorientierte operative Segmente zeichnen sich insbesondere aus durch gleiche bzw. ähnliche Produkte oder Dienstleistungen, gleichartige Produktions- oder Dienstleistungsprozesse, gleichartige Kundengruppen, gleichartige Vertriebsmethoden oder „geschäftszweigbedingte Besonderheiten, z.B. (…) für öffentliche Versorgungsbetriebe“ (DRS 3.8). Geographische Segmente lassen sich etwa nach Tätigkeiten in unterschiedlichen geographischen Regionen abgrenzen (DRS 3.8). Führt die interne Organisations- und Berichtsstruktur zu unterschiedlichen Segmentierungsoptionen, hat sich die Segmentabgrenzung nach der Chancen- und Risikostruktur zu richten (DRS 3.11). Die Segmentberichtsgrößen sind grundsätzlich in Übereinstimmung mit den Bilanzansatz- und Bewertungsmethoden des zugrunde liegenden (Konzern-)Abschlusses, allerdings vor Konsolidierungsmaßnahmen, zu ermitteln (DRS 3.19). Abgesehen von erforderlichen Konsolidierungen innerhalb eines Segments, erfolgen Konsolidierungsmaßnahmen im Rahmen einer Überleitung der Segmentdaten auf die korrespondierenden Posten des Abschlusses. Die Segmentberichterstattung nach IAS 14 (in der überarbeiteten Fassung 1997) geht vorrangig vom Risk and Reward Approach aus44. Den Adressaten soll vor allem ein Einblick in die Risiko- und Chancenstruktur der unterschied___________ 42 Vgl. nur Böcking / Orth (2003), S. 775; Coenenberg (2005), S. 844 f. (jeweils m.w.N.). 43 Vgl. nur Böcking / Orth (2003), S. 774 f.; Coenenberg (2005), S. 844 (jeweils m.w.N.). 44 Vgl. insbes. Haller (2003), Tz. 31; a.A. z.B. Förschle / Kroner (2006), Anm. 251 zu § 297 HGB: IAS 14 folge dem Management Approach; dieser werde aber in Zweifelsfällen vom Risk and Reward Approach „überlagert“.
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Volkmar Klatte
lichen Aktivitäten des Unternehmens bzw. der Wirtschaftseinheit gewährt werden. Hiernach richtet sich auch, ob eine Berichterstattung nach Geschäftssegmenten oder nach geographischen Segmenten im Vordergrund steht und damit als primäres Berichtsformat zu wählen ist45; für das sekundäre Berichtsformat gelten geringere Berichtspflichten. Angenommen wird, dass diese Segmentierung zumeist auch für die interne Organisations- und Managementstruktur prägend ist46. Die Unterscheidung nach Geschäftssegmenten und geographischen Segmenten entspricht weitgehend jener nach produktorientierten und geographischen Segmenten i.S. von DRS 3. Im Unterschied zu DRS 3 muss nach IAS 14.35 nur über jene Segmente berichtet werden, deren Umsatzerlöse mehrheitlich mit externen Kunden erzielt wurden. Segmente mit überwiegend intersegmentären Umsätzen können mit anderen berichtspflichtigen Segmenten zusammengefasst oder in der Überleitungsrechnung ausgewiesen werden (IAS 14.36(b) und .36(c)). Die Segmentinformationen sind in Übereinstimmung mit den Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden zu ermitteln, die dem (Konzern-)Abschluss zugrunde liegen (IAS 14.44). Der Zusammenhang zwischen den Segmentdaten und den korrespondierenden Posten des Abschlusses ist in einer Überleitungsrechnung darzustellen (IAS 14.67). Im Rahmen des Convergence Project ist allerdings beabsichtigt, IAS 14 an SFAS 131 anzupassen und damit den hiernach geltenden Management Approach zu übernehmen47. Die externe Segmentberichterstattung nach SFAS 131 hat der internen Organisations- und Managementstruktur zu folgen. Zu trennen ist nach operativen Segmenten. Als operatives Segment definiert SFAS 131.10 einen Unternehmensbereich, (a) dessen Geschäftsaktivitäten zu Erträgen und Aufwendungen führen (einschließlich solcher aus intersegmentären Transaktionen), (b) dessen operative Ergebnisse regelmäßig von der Geschäftsleitung überwacht werden als Grundlage für die segmentbezogene Ressourcenzuweisung und Erfolgsbeurteilung und (c) für den gesonderte rechnungslegungsbezogene Informationen verfügbar sind. Unternehmensteile, die keine Außenerträge erzielen, wie etwa i.d.R. die Konzernzentrale oder eine Pensionskasse, gelten nicht als operative Segmente. In Betracht kommt demnach eine Segmentierung u.a. nach rechtlich selbstständigen Unternehmensbereichen, organisatorischen, leistungsbezogenen, regionalen Teileinheiten oder nach einer Kombination aus diesen Segmentierungskriterien48. Anders als nach DRS 3 und IAS 14 sind nach SFAS 131 die Segmentinformationen auf Basis der intern angewandten Grundsätze und Methoden zu ermitteln, auch wenn diese nicht den externen Rechnungslegungsgrundsätzen entsprechen. In einer ___________ 45
Vgl. IAS 14.26. Vgl. IAS 14.27 f. 47 Vgl. IASB (2005), Tz. 1 – 14. 48 Vgl. Fey / Mujkanovic (1999), S. 263. 46
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
323
Überleitung der Segmentdaten auf die korrespondierenden Abschlussposten und mit ergänzenden Erläuterungen (SFAS 131.31 f.) sollen „Auswirkungen aus der Anwendung interner Ermittlungsgrundsätze (…) transparent“ werden49. Alle drei Rechnungslegungsstandards tragen dem Grundsatz der Segmentwesentlichkeit durch quantitative Kriterien Rechnung: Grundsätzlich gilt ein Segment nur bei Überschreitung von Wesentlichkeitsschwellen (bei mindestens 10 % der Umsatzerlöse oder des Ergebnisses oder des Vermögens aller Segmente) als berichtspflichtig; zudem ist eine Mindestsegmentierung (von mindestens 75 % der konsolidierten Gesamtumsatzerlöse) vorgesehen50. Hinsichtlich der formalen Gestaltung des Segmentberichts enthalten die Standards keine zwingenden Vorgaben, allerdings Beispiele51. Unter Beachtung der Grundsätze der Klarheit und Übersichtlichkeit erscheint demnach für den numerischen Kerninhalt insbesondere eine tabellarische Darstellung zweckgerecht. Hierbei können etwa die einzelnen berichtspflichtigen Segmente, die Überleitung und die korrespondierenden Abschlussposten spaltenweise und die anzugebenden Segmentberichtsgrößen zeilenweise angeordnet werden. Ergänzende Segmentinformationen müssen eindeutig zuordenbar sein. Die den drei Rechnungslegungsstandards zugrunde liegenden Konzeptionen zur Segmentberichterstattung sollen nun im Hinblick auf die Informationsbedürfnisse der externen Adressaten beurteilt werden. Hierbei zeigt sich, dass Segmentabgrenzung und Segmentberichtgestaltung in einem Spannungsverhältnis zwischen den Anforderungen der Entscheidungsnützlichkeit, Verlässlichkeit (insbesondere i.S. einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit und Willkürfreiheit) und Vergleichbarkeit stehen52. Eine Segmentabgrenzung und Segmentberichtgestaltung nach dem Management Approach bietet einen Einblick in die Erfolgs- und Risikopotenziale aus der Sicht des Managements. Angenommen wird, dass derartige Informationen, die dem Management zur Steuerung und Überwachung sowie zur Beurteilung der Lage und Entwicklung einzelner Unternehmenseinheiten und der gesamten Wirtschaftseinheit dienen, auch für Entscheidungen externer Adressaten besonders nützlich sind53. Die Transparenz der internen Steuerungs- und Berichtsstruktur ermögliche zudem eine Beurteilung der Managemententscheidungen54. ___________ 49 Siehe hierzu nur Coenenberg (2005), S. 853 (wörtliches Zitat ebendort); im Einzelnen vgl. Ordelheide / Stubenrath (2000), S. 397 – 400. 50 Zur Segmentwesentlichkeit vgl. grundsätzlich Haller / Park (1994), S. 511; zu Einzelheiten der Wesentlichkeitskriterien nach den jeweiligen Standards vgl. z.B. Orth (2004), Tz. 102 – 106. 51 Vgl. Anlage 2 zu DRS 3; Anlage B zu IAS 14.73; SFAS 131.121 – .127. 52 So auch Haller (2003), Tz. 33; ähnlich Baetge / Kirsch / Thiele (2004), 581. 53 Vgl. z.B. Böcking / Orth (2003), S. 776; Haller (2003), Tz. 31. 54 Vgl. Alvarez (2004), S. 23 (m.w.N.).
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Volkmar Klatte
Auch sei im Unterschied zum Risk and Reward Approach eine Segmentberichterstattung nach dem Management Approach leichter intersubjektiv nachprüfbar: Abschlussprüfer könnten ihre Beurteilung auf vorhandene Berichtsund Organisationsstrukturen stützen55. Schließlich ermögliche eine hohe Homogenität zwischen interner und externer Berichterstattung Kostenvorteile56. Diese Argumente für den Management Approach sind allerdings unter folgenden Aspekten zu relativieren. Die Festlegung interner Organisations- und Managementstrukturen erfordert in erheblichem Maße Ermessensentscheidungen des Managements und eröffnet Gestaltungsspielräume. Nicht auszuschließen sind daher im Einzelfall suboptimale, bilanz- bzw. publizitätspolitisch motivierte und im Zeitablauf wechselnde Strukturen, die eine externe Beurteilung beeinträchtigen. Die Ermittlung von Segmentberichtsgrößen nach Regeln, die von externen Rechnungslegungsgrundsätzen abweichen, erschwert externen Adressaten die Nachvollziehbarkeit; dies gilt besonders für Verrechnungspreise bei intersegmentären Transaktionen oder die Zuordnung von Ressourcen zu einzelnen Segmenten durch Schlüsselungen. Die konsequente Anwendung des Management Approach führt zu einer unternehmensindividuellen Darstellung; dies erschwert allerdings – sogar innerhalb derselben Branche – eine für ein Benchmarking zweckgerechte unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit57. Alle drei Rechnungslegungsstandards erwähnen zwar, dass als Kriterien für die Segmenthomogenität u.a. Branchenspezifika, z.B. für öffentliche Versorgungsunternehmen, zu berücksichtigen seien58; aber diese Kriterien werden nicht konkretisiert. Besondere Probleme treten im Fall vertikal integrierter Unternehmenseinheiten auf, die bei Energieversorgungsunternehmen z.B. mit den Bereichen Stromerzeugung, Stromübertragung und Stromverteilung als Elemente einer hierarchisch aufsteigenden Wertschöpfungskette eine wesentliche Rolle spielen. Für derartige Unternehmensbereiche, sofern sie nicht zugleich mehrheitlich Umsatzerlöse mit externen Kunden erzielen, ergibt sich nach IAS 14 ein Wahlrecht: Sie können freiwillig als berichtspflichtige Segmente behandelt (IAS 14.36(a)) oder in nachgelagerte Segmente einbezogen werden (IAS 14.41); besteht für eine solche Einbeziehung keine sachliche Zurechnungsmöglichkeit, kommt eine Erfassung im Rahmen der Überleitungsrech___________ 55 Vgl. Böcking / Orth (2003), S. 776, 789. – Zur Prüfung der Segmentberichterstattung durch den Abschlussprüfer vgl. Lenz / Focken (2002), hier insbes. S. 857 f.; Geiger (2002), hier insbes. S. 1904 – 1906. 56 Vgl. Böcking / Orth (2003), S. 778, 789. 57 Vgl. auch insbes. Haller (2003), Tz. 32 f., 34; Heyd (2003), S. 533. 58 Vgl. DRS 3.8; IAS 14.9; SFAS 131.17(e). – Branchenspezifika enthalten indessen DRS 3-10 (Segmentberichterstattung von Kreditinstituten) und DRS 3-20 (Segmentberichterstattung von Versicherungsunternehmen).
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
325
nung in Betracht59. Bei nicht gesondertem Ausweis kann ein externer Adressat somit u.U. wesentliche Wertschöpfungsbeiträge bzw. Quersubventionierungen nicht erkennen. Entsprechend dem Management Approach sind vertikal integrierte Bereiche als (eigenständige) operative Segmente zu behandeln, sofern sie auch nach der internen Organisations- und Managementstruktur als eigene, entscheidungsrelevante Bereiche gelten60. Faktisch kommt aber auch dies einem Ausweiswahlrecht gleich. Insgesamt erweist sich, ausgerichtet auf die Informationsbedürfnisse der externen Adressaten, keine der den drei Rechnungslegungsstandards zugrunde liegenden Konzeptionen zur Segmentberichterstattung als uneingeschränkt überlegen. Die Entscheidungsnützlichkeit für Adressaten wird daher wesentlich von der individuellen Berichterstattung hinsichtlich Segmentabgrenzung und Segmentberichtgestaltung abhängen. Hierzu gehören insbesondere aufschlussreiche Erläuterungen zu wesentlichen Bestimmungsfaktoren der Segmentabgrenzung, zur Zusammensetzung der Segmente, zur Ermittlung der Segmentberichtsgrößen und deren Überleitung auf die korrespondierenden Posten des (Konzern-) Abschlusses. Im Hinblick auf eine intertemporale Vergleichbarkeit sind Vergleichsangaben sowie Erläuterungen und Begründungen bei Stetigkeitsdurchbrechungen geboten. Noch zu prüfen ist, ob Erfordernisse des Unbundling die unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit der Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen fördern61.
c) Überblick über offenzulegende Segmentangaben Alle drei Standards verlangen in der Segmentberichterstattung nur ausgewählte Segmentangaben, nicht jedoch Bilanzen oder Gewinn- und Verlustrechnungen für die einzelnen Segmente. Branchenspezifika finden hinsichtlich der offenzulegenden Segmentangaben nicht explizit Berücksichtigung62. Die nachstehende Tabelle 1 vermittelt einen Überblick über die wesentlichen Pflichtangaben. Gegenüber DRS 3 und SFAS 131 sieht IAS 14 einen nach primärem und sekundärem Berichtsformat abgestuften Umfang der zu machenden Angaben vor. Wird im primären Berichtsformat nach Geschäftssegmenten berichtet, ist nach ___________ 59
Vgl. allgemein Haller (2003), Tz. 66; speziell zum Wahlrecht vgl. Heuser / Thiele (2005), Tz. 2175; Hütten (2005), Tz. 82 – 89. 60 Vgl. Böcking / Orth (2003), S. 777; siehe explizit auch SFAS 131.79 f. 61 Siehe hierzu unten, Abschnitt III.2. und Abschnitt IV. 62 Branchenspezifika enthalten indessen DRS 3-10 (Segmentberichterstattung von Kreditinstituten) und DRS 3-20 (Segmentberichterstattung von Versicherungsunternehmen).
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Volkmar Klatte
geographischen Segmenten im sekundären Berichtsformat zu berichten und umgekehrt. Der Sekundärbericht muss nur Umsatzerlöse mit Dritten, Segmentvermögen und -investitionen enthalten. Tabelle 1 Wesentliche Segmentangaben nach DRS 3, IAS 14 und SFAS 13163 DRS 3
IAS 14
SFAS 131
Operative
Primäres
Operative
Segmente
Berichtsformat
Segmente
Segmentergebnis
X
X
X
Segmenterträge bzw. -umsatzerlöse mit Dritten
X
X
X*
Intersegmentäre Segmenterträge/-umsatzerlöse
X
X
X*
Abschreibungen
X
X
X*
dungen (außer Abschreibungen) und Erträge
X
X
X*
Ergebnisbeiträge aus Equity-Beteiligungen
X
ņ
X*
Ungewöhnliche Aufwendungen und -erträge
ņ
ņ
X*
Zinsaufwendungen und -erträge
X*
ņ
X*
Steueraufwendungen bzw. -erträge
X*
ņ
X*
Equity-Beteiligungen
ņ
X
X**
Segmentvermögen (ohne Finanzanlagen)
X
X
X**
Segmentschulden
X
X
ņ
Segmentinvestitionen
X
X
X**
Überleitungsrechnungen
X
X
X
Segmentberichtsgrößen
Wesentliche zahlungsunwirksame Aufwen-
Ausgewählte Zusatzinformationen Bestimmungsfaktoren der Segmentabgrenzung
X
ņ
X
Zusammensetzung anzugebender Segmente
X
X
X
Ermittlung der Segmentberichtsgrößen
X
ņ
X
Intersegmentverrechnungspreise
X
X
X
Dominate Kunden
X
ņ
X
Vergleichsangaben
X
X
X
Stetigkeitsdurchbrechungen
X
X
X
*) Angaben sind nur verpflichtend, wenn sie Bestandteil des angegebenen Segmentergebnisses sind. **) Angaben sind nur verpflichtend, wenn Vermögensdaten auch für die interne Steuerung verwendet werden.
___________ 63
Coenenberg (2005), S. 867 (hier aber gekürzt und mit formalen Modifikationen).
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
327
Nach SFAS 131 ist stets das jeweilige Segmentergebnis anzugeben, welches als intern verwendete Steuerungsgröße dient. Die Pflicht zur Angabe weiterer Segmentberichtsgrößen hängt davon ab, ob sie auch tatsächlich zur Steuerung eingesetzt werden. Eine zur Abschätzung von Zahlungsstromerwartungen nützliche Angabe segmentbezogener Cash Flows aus laufender Geschäftstätigkeit und aus Investitionstätigkeit wird nach allen drei Standards weder in der Segmentberichterstattung noch in der Kapitalflussrechnung verlangt64. Segmentbezogene Cash Flows sollen aber Adressaten offenbar selbst ermitteln können aus den Angaben Segmentergebnis, Abschreibungen und wesentliche zahlungsunwirksame Aufwendungen (außer Abschreibungen) und Erträge. Segmentbezogene Prognoseinformationen werden indessen im Lagebericht zu erwarten sein. Insgesamt wird auch hinsichtlich der segmentbezogenen Einzelangaben die Berichtsqualität wesentlich von der individuellen Segmentberichterstattung abhängen.
2. Erfordernisse des rechnerischen Unbundling und deren Bedeutung für die bilanzrechtliche Segmentberichterstattung a) Zu Pflicht und Zielsetzung des rechnerischen Unbundling Die Pflicht zum so genannten rechnerischen Unbundling im Sinne von § 10 Abs. 3 EnWG (2005) betrifft Unternehmen, die zu einem „vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmen verbunden sind“. Gemeint sind damit Unternehmen, die außer dem Netzbetrieb entweder selbst auch Tätigkeiten auf den vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsstufen (d.h. Erzeugung oder Vertrieb von Elektrizität bzw. Gewinnung oder Vertrieb von Gas) ausüben oder die zu einer entsprechend agierenden Unternehmensgruppe gehören65. Diese Unternehmen haben ihre Geschäftstätigkeiten „in ihrer internen Rechnungslegung“ nach gesetzlich vorgegebenen Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsbereichen zu segmentieren. Dabei sind für die (Netzbetriebs-)Tätigkeiten Elektrizitätsübertragung, Elektrizitätsverteilung, Gasfernleitung, Gasverteilung, Gasspeicherung sowie Betrieb von LNG-Anlagen66 jeweils getrennte Konten zu ___________ 64
Vgl. Busse von Colbe et al. (2003), S. 614. Zur Legaldefinition des „vertikal integrierte(n) Energieversorgungsunternehmen(s)“ vgl. § 3 Nr. 38 EnWG (2005). 66 LNG steht für Liquid Natural Gas; eine LNG-Anlage ist gem. § 3 Nr. 26 EnWG (2005) „eine Kopfstation zur Verflüssigung von Erdgas oder zur Einfuhr, Entladung und Wiederverdampfung von flüssigem Erdgas“. – Alle anderen vorgenannten Netzbetriebstätigkeiten betreffen ausschließlich den Strom- und Gastransport auf verschiedenen 65
328
Volkmar Klatte
führen, „wie dies erforderlich wäre, wenn diese Tätigkeiten von rechtlich selbständigen Unternehmen ausgeführt würden“ (§ 10 Abs. 3 Satz 1 EnWG (2005)). Auch für andere Tätigkeiten innerhalb des Elektrizitätssektors und innerhalb des Gassektors sowie – hiervon getrennt – für Tätigkeiten außerhalb dieser Sektoren sind Konten zu führen; diese Konten können aber jeweils innerhalb dieser genannten Bereiche zusammengefasst werden (§ 10 Abs. 3 Satz 3 und 4 EnWG (2005)). Für jeden Tätigkeitsbereich ist „intern“ jeweils eine Bilanz sowie eine Gewinn- und Verlustrechung entsprechend den für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften des HGB zu erstellen (§ 10 Abs. 3 Satz 6 EnWG (2005)). Darüber hinaus haben Energieversorgungsunternehmen im Anhang zum Jahresabschluss „Geschäfte größeren Umfangs“ mit verbundenen oder assoziierten Unternehmen i.S. von § 271 Abs. 2 oder § 311 HGB gesondert auszuweisen (§ 10 Abs. 2 EnWG (2005)). Die Einhaltung der Segmentierungspflichten unterliegt der Abschlussprüfung nach §§ 316 ff. HGB, ungeachtet der Eigentumsverhältnisse und Rechtsform des Energieversorgungsunternehmens67. Der Regulierungsbehörde sind der geprüfte Jahresabschluss nebst Prüfungstestat und die internen Segmentbilanzen und Segmentgewinn- und Verlustrechnungen zu übersenden; hiervon bleiben die Befugnisse der Behörde (etwa zu Auskunft und eigener Prüfung) unberührt (§ 10 Abs. 5 Satz 1 bis 3 EnWG (2005)). „Geschäftsberichte zu den Tätigkeitsbereichen, die nicht in [§ 10] Absatz 3 Satz 1 [EnWG (2005)] aufgeführt sind, hat die Regulierungsbehörde als Geschäftsgeheimnisse zu behandeln“ (§ 10 Abs. 5 Satz 4 EnWG (2005)). Diese Regelungen sind erstmals auf das nach dem Inkrafttreten des EnWG (2005) am 13.7.2005 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden. Das Energiewirtschaftsgesetz in der vorherigen Fassung68 sieht grundsätzlich gleiche Rechnungslegungs- und Prüfungspflichten, modifizierte Offenlegungspflichten sowie ähnliche Segmentierungspflichten vor. Elektrizitätsversorgungsunternehmen haben gem. § 9 Abs. 2 EnWG (2003) nach den „Aktivitäten“ Erzeugung, Übertragung und Verteilung und nach zusammengefassten Aktivitäten außerhalb des Elektrizitätsbereichs zu segmentieren. Für Gasversorgungsunternehmen verlangt § 9a Abs. 2 EnWG (2003) eine Trennung nach den Bereichen Fernleitung, Verteilung, Speicherung, Gashandels- und Vertriebsaktivitäten ___________ Stromspannungs- bzw. Gasdruckstufen sowie die Gasspeicherung, nicht jedoch die Belieferung der Kunden selbst (vgl. im Einzelnen § 3 Nrn. 19, 31, 32, 37 EnWG (2005)). 67 Vgl. § 10 Abs. 4 i.V.m. § 10 Abs. 1 EnWG (2005); vgl. hierzu im Einzelnen IDW (2005a). 68 Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz – EnWG) vom 24.4.1998 (BGBl. I S. 730), zuletzt geändert durch Artikel 126 der Verordnung vom 25.11.2003 (BGBl. I S. 2304). – Im Folgenden zitiert als EnWG (2003).
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
329
sowie ggf. nach zusammengefassten Aktivitäten außerhalb des Gassektors. Die jeweils zu erstellenden Segmentbilanzen und Segmentgewinn- und Verlustrechnungen (auch „Aktivitätenabschlüsse“ genannt) müssen – nebst zugehöriger Angaben – bei Elektrizitätsversorgungsunternehmen, nicht jedoch bei Gasversorgungsunternehmen, in den Anhang zum Jahresabschluss aufgenommen werden. Diese Informationen zum Elektrizitätsbereich unterliegen insoweit ggf. einer Offenlegungspflicht nach §§ 325 bis 329 HGB oder sind als Bestandteil des Jahresabschlusses gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 EnWG (2003) in der Hauptverwaltung zur Einsicht bereitzuhalten. Zusammen mit dem rechtlichen, dem operationellen und dem informationellen Unbundling des Netzgeschäfts soll das rechnerische Unbundling zur Förderung eines diskriminierungsfreien Netzzugangs und mithin zu einem fairen Wettbewerb im Elektrizitäts- und Gasversorgungsbereich beitragen69. Ziel ist, dass die Segmentierung nach einheitlichen Kriterien, unter Anwendung der für Kapitalgesellschaften geltenden Rechnungslegungsvorschriften des HGB, der Transparenz und der besseren unternehmensübergreifenden Vergleichbarkeit dient70. Etwaige Quersubventionierungen zwischen einzelnen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgungsunternehmen sollen erkennbar und damit offenbar vermieden werden71. Schließlich sollen getrennte Konten und Segmentabschlüsse im Netzbereich Informationen liefern, die für eine effiziente Prüfung von Netznutzungsentgelten erforderlich sind72.
b) Bedeutung des rechnerischen Unbundling für die bilanzrechtliche Segmentberichterstattung Die Erfüllung der Erfordernisse des rechnerischen Unbundling hat – zusammen mit jenen des rechtlichen, operationellen und informationellen Unbundling – teils erhebliche Auswirkungen auf die Aufbau- und Ablauforganisation sowie auf die Managementstrukturen von Energieversorgungsunternehmen73. Das rechnerische Unbundling erfordert zumindest innerhalb des Elektrizitätssektors und innerhalb des Gassektors eine Segmentabgrenzung nach den gesetzlich vorgegebenen Tätigkeitsbereichen sowie deren Trennung von sonsti___________ 69
Vgl. Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 14.10.2004 (BT-Drs. 15/3917), Gesetzesbegründung zu § 6 E-EnWG; vgl. außerdem z.B. Säcker (2005), S. 85 und 92; Cord et al. (2003), S. 251 f. 70 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 10 E-EnWG. 71 Dies folgt auch aus § 10 Abs. 3 Satz 1 EnWG (2005). 72 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 10 Abs. 3 E-EnWG. – Die Bundesnetzagentur wird hierzu aber auf weitergehende und kostenorientierte Unterlagen angewiesen sein; vgl. allgemein zur kostenorientierten Preisregulierung Siegel (2002), S. 244 – 267. 73 Vgl. nur Cord et al. (2003), insbes. S. 257 – 259.
330
Volkmar Klatte
gen Tätigkeiten außerhalb dieser beiden Sektoren. Dies kann auch in der bilanzrechtlichen Segmentberichterstattung dazu beitragen, die unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit hinsichtlich der Segmentabgrenzung in den Kernbereichen der Energieversorgung zu fördern74. Das rechnerische Unbundling verlangt für die abzugrenzenden Tätigkeitsbereiche jeweils differenzierte Angaben eines Jahresabschlusses, bestehend aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung, entsprechend den für Kapitalgesellschaften geltenden Bilanzierungs-, Bewertungs- und Gliederungsvorschriften des HGB. Damit liegt zumindest eine segmentbezogene Datenbasis vor, die auch für die bilanzrechtliche Segmentberichterstattung genutzt werden kann. Insofern sind zudem die Voraussetzungen für die von Rückle / Karst / Bietz präferierte originäre Herleitung der Segmentdaten75 erfüllt. Indessen darf die Bedeutung des rechnerischen Unbundling für eine verbesserte unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit der bilanzrechtlichen Segmentberichterstattung nicht überschätzt werden: Die Abgrenzung zwischen den zu unterscheidenden Tätigkeitsbereichen (etwa zwischen Elektrizitätsübertragung und -verteilung) ist nicht stets zweifelsfrei möglich; die Zurechnung von Aufwendungen und Erträgen, Vermögen und Schulden zu den einzelnen Teilbereichen erfordert häufig Schlüsselungen; intersegmentäre Transaktionen sind mit Verrechnungspreisen zu bewerten76. Hierbei bestehen z.T. erhebliche Ermessensspielräume. Darüber hinaus sind zusätzlich ermessensbehaftete Anpassungen der Segmentberichtsgrößen erforderlich, wenn für die bilanzrechtliche Segmentberichterstattung statt der HGB-Normen IAS/IFRS bzw. US-GAAP angewendet werden.
IV. Empirische Analyse der Segmentberichterstattung ausgewählter Energieversorgungsunternehmen 1. Grundlagen der Analyse Ermittelt werden soll, wie den erörterten Anforderungen an eine Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen unter dem Einfluss des rechnerischen Unbundling in der Unternehmenspraxis Rechnung getragen wird. Im Vordergrund steht dabei die Vergleichbarkeit der Segmentabgrenzung. Die
___________ 74
Vgl. auch Kriete / Werner (2003), S. 249 f. Vgl. hierzu Rückle / Karst / Bietz (2004), S. 120 – 128. 76 Vgl. hierzu im Einzelnen Bolsenkötter / Poullie (2003), insbes. S. 30 f., 46 – 55; IDW (2005b), insbes. Tz. 25, 29 – 32. 75
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
331
vorliegende Untersuchung knüpft an die Studie von Kriete / Werner77 an, erstreckt sich aber auf einen überwiegend anderen Kreis von Energieversorgungsunternehmen und einen aktuelleren Berichtszeitraum: Ausgewertet werden im Folgenden die Geschäftsberichte 2004 bzw. 2003/2004 der Energieversorgungskonzerne EnBW Energie Baden-Württemberg AG, E.ON AG, EWE Aktiengesellschaft, MVV Energie AG, RWE Aktiengesellschaft und Vattenfall Europe AG als der sechs größten Energieversorger in Deutschland. Sie entfalten ihre Geschäftsaktivitäten in Deutschland auf regionaler und überregionaler Ebene; darüber hinaus sind sie, abgesehen von Vattenfall Europe, in jeweils unterschiedlichem Maße über Auslandsbeteiligungen auch international tätig. Tabelle 2 vermittelt einen Überblick zu den untersuchten Unternehmen. Tabelle 2 Untersuchte Unternehmen Unternehmen
Geschäftsberichte
Rechnungslegungsnormen
(1) Umsatzerlöse (2) EBIT 1) (jeweils in Mio. €)
EnBW
2004
IAS/IFRS
(1) 9.844 (2) 1.217
E.ON
2004
US-GAAP
(1) 49.103 (2) 7.361
EWE
2004
HGB / DRS
(1) 6.120 (2)
MVV
2003/2004
IAS/IFRS
(1) 1.652 2) (2)
RWE
2004
IAS/IFRS
331
41 2)
(1) 42.137 (2) 5.564
Vattenfall Europe
2004
HGB / DRS
(1) 10.706 (2)
1)
In den Geschäftsberichten mit zum Teil anderer Bezeichnung und Ermittlungsmodifikationen.
2)
Im Berichtsjahr bereinigt um Einmalaufwendungen für Portfoliobereinigungen.
595
___________ 77
Vgl. Kriete / Werner (2003), insbes. S. 250 – 258; ausgewertet werden dort die Geschäftsberichte 2001 der im STOXX Utilities enthaltenen 24 Energieversorgungsunternehmen aus verschiedenen europäischen Ländern.
332
Volkmar Klatte
Unter Anwendung von § 292a HGB stellen EnBW, MVV und RWE die Konzernabschlüsse nach IAS/IFRS und E.ON nach US-GAAP auf; EWE und Vattenfall Europe erstellen ihre Konzernabschlüsse nach HGB, unter Berücksichtigung von DRS. Jeder Geschäftsbericht enthält segmentbezogene Informationen, und zwar jeweils eine „Segmentberichterstattung“ nebst Erläuterungen im Konzernanhang sowie jeweils unterschiedlich ausführliche Segmentinformationen im Lagebericht und in einem Zusatzbericht. Der Anhang/Konzernanhang im EWE-Geschäftsbericht umfasst zudem einen „Aktivitätenabschluss“ im Sinne von § 9 EnWG (2003) (bestehend aus „Aktivitätenbilanz“, „Aktivitäten-Gewinn- und Verlustrechung“ und zugehörenden Angaben) der EWE AG.
2. Segmentabgrenzung und Segmentberichtgestaltung Zur Beurteilung einer unternehmensübergreifenden Vergleichbarkeit der Segmentabgrenzungen unter dem Einfluss des rechnerischen Unbundling werden die von den betrachteten Unternehmen berichteten Segmente den „Unbundlingkategorien“ nach §§ 9 und 9a EnWG (2003)78 zugeordnet, soweit dies möglich ist79. Die Zuordnung erfolgt nach Maßgabe der jeweiligen Segmentbeschreibungen der Unternehmen. Um den Stellenwert der jeweiligen Segmente für die jeweilige Wirtschaftseinheit zu verdeutlichen, werden deren anteilige Segmenterträge/Umsatzerlöse mit Dritten („Außenumsätze“) angegeben. Die Ergebnisse zeigt Tabelle 3. Hierbei wird deutlich, dass für E.ON und RWE eine differenzierte Zuordnung zu den Bereichen Strom und Gas zumindest anhand der „Segmentberichterstattung“80 nicht möglich ist. Weiteren Aufschluss bieten zwar die jeweiligen segmentbezogenen Zusatzberichte; aber auch mit ergänzenden Berechnungen gelingt keine eindeutige differenzierte Zuordnung zu den Bereichen Strom und Gas oder gar zu deren Teilbereichen. E.ON hat im Vergleich zum Vorjahr eine grundlegende Neuordnung seiner Segmente nach „Zielmärkten“ vorgenommen und weist – abgesehen vom „Corporate Center“ – zusätzlich die zusammengefassten Segmente „Kerngeschäft Energie“ und „Weitere Aktivitäten“ aus. Wegen dieser Neustrukturierung ist einem externen Adressaten außerdem ein
___________ 78 Dies entspricht prinzipiell auch der Kategorisierung nach § 10 Abs. 3 EnWG (2005); für den untersuchten Berichtszeitraum konnte indes unmittelbar nur die Anwendung der §§ 9 und 9a EnWG (2003) von den Unternehmen erwartet werden. 79 Dies entspricht dem Vorgehen von Kriete / Werner (2003), S. 252, und soll einen Vergleich mit deren Studie ermöglichen. 80 Vgl. E.ON, Geschäftsbericht 2004, S. 158 – 160; RWE, Geschäftsbericht 2004, S. 167 – 171.
___________
81
1)
0%
Erzeugung
Strom
95 % 2)
50 %
0%
27 %
71 %
Übertragung
27 % 1)
Verteilung
74 %
0%
98 %
Andere Aktivitäten / Tätigkeiten
Fernleitung
81
Andere Aktivitäten / Tätigkeiten
3)
[3]
5%
Auf 0 % abgerundet.
(0 %) 3)
10.706
100 %
42.137
100 % [3]
0,2 %
100 %
6.120
100 %
25,8 %
0,5 %
4%
49.103
100 %
9.844
100 %
1.652
2%
9%
Gesamt Umsatz (Beträge Mio. €)
[5]
33,5 %
[1]
2%
[1]
5%
Sonstiges / Konsolidierung
Sonstige Weitere Segmente [Anzahl]
Nach einer Bereinigung um Fernwärme.
0%
16 %
67 %
15 %
Speicherung / LNGAnlagen
Gas
Eigenerstellung, aber der Struktur nach angelehnt an Kriete / Werner (2003), S. 252.
2)
Verteilung
Ermittelt unter Berücksichtigung des „Aktivitätenabschlusses“ und vereinfachenden Annahmen.
Europe
Vattenfall
RWE
MVV
EWE
E.ON
EnBW
Unternehmen
Tabelle 3 Zuordnung der angegebenen Segmente zu den Kategorien des rechnerischen Unbundling81 Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen 333
334
Volkmar Klatte
Segmente-Vergleich zum Vorjahr, auch unter Heranziehung des Vorjahresberichts, nur eingeschränkt möglich. Für EnBW und MVV gelingt nach der „Segmentberichterstattung“82 zumindest eine Zuordnung zu den Bereichen Strom und Gas. Bei EnBW werden für das Geschäftsfeld Strom die „Wertschöpfungsstufen Erzeugung, Handel, Transport, Verteilung und Vertrieb“ sowie für den Bereich Gas die Teilbereiche Bezug, Transport, Verteilung und Vertrieb zwar erwähnt; eine entsprechend differenzierte Angabe von Teilsegmentberichtsgrößen erfolgt indessen nicht. Bei beiden Unternehmen sind zwar ebenfalls weitergehende Segmentinformationen an anderen Stellen der jeweiligen Geschäftsberichte zu finden. Auffällig ist, dass dort zwar u.a. differenzierte Mengenangaben (etwa zum Stromabsatz in kWh) und technische Details berichtet, nicht jedoch entsprechend differenzierte „ökonomische“ Segmentberichtsgrößen angegeben werden. EWE unterscheidet in der „Segmentberichterstattung“ hinsichtlich des Kerngeschäfts nur nach den Segmenten Energie und Ferngas83. Zum Segment Energie rechnen angabegemäß die Bereiche Strom, Gas und Umwelt/Sonstiges; Ferngas steht für das Anfang 2004 erworbene Teilkonzernmutterunternehmen VNG – Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft mit den Geschäftsfeldern Import, Transport, Speicherung, Großhandel und Export von Erdgas. Erst bei Auswertung der nach § 285 Nr. 4 HGB für die EWE AG aufgegliederten Umsatzerlöse ist, unter vereinfachenden Annahmen über die Zuordnung von Differenzbeträgen, eine Trennung nach den Bereichen Strom und Gas möglich. Im „Aktivitätenabschluss“ wird zwischen „Stromverteilung“ und „Übrige Aktivitäten“ unterschieden; letztere umfassen – ohne betragsmäßige Segmentierung – außer dem Gasgeschäft alle Dienstleistungen außerhalb des Stromgeschäfts84. Folglich entfallen die insgesamt angegebenen Umsätze aus dem Stromgeschäft fast nur auf den Teilbereich Stromverteilung. Bei Vattenfall Europe liegt eine Geschäftstätigkeit im Gasbereich offenbar nicht vor. Die „Segmentberichterstattung“ 85 enthält das Segment „Strom/Fernwärme“. Die Auswertung der nach § 314 Abs. 1 Nr. 3 HGB aufgegliederten Umsatzerlöse ermöglicht eine näherungsweise Bereinigung um den Bereich Fernwärme und zeigt, in welchem Umfange die Umsatzerlöse im Strombereich auf die Teilbereiche „Stromvertrieb und Netznutzung“, „Stromhandel“ und „Stromlieferung nach Erneuerbare-Energiegesetz“ entfallen. Diese Differenzie___________ 82
Vgl. EnBW, Geschäftsbericht 2004, S. 148 – 150; MVV, Geschäftsbericht 2004, S. 89 und 113. 83 Vgl. EWE, Geschäftsbericht 2004, S. 155 f. 84 Vgl. EWE, Geschäftsbericht 2004, S. 157 – 159. 85 Vgl. Vattenfall Europe, Geschäftsbericht 2004, S. 51 f.
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
335
rung erlaubt allerdings keine eindeutige Zuordnung zu den Unbundlingkategorien innerhalb des Stromgeschäfts. Insgesamt bleibt festzustellen, dass auf Basis der Segmentberichterstattungen ein aussagefähiger Vergleich der betrachteten Unternehmen hinsichtlich ihrer Kerngeschäftsbereiche Strom und Gas nur bedingt möglich ist. Die Vergleichbarkeit nimmt mit zunehmender Größe und Internationalisierung ab. So steht bei E.ON und RWE eine geographische Organisations- und Managementstruktur im Vordergrund, die auch die Segmentberichterstattung prägt. Bei den übrigen betrachteten Unternehmen wird eine Vergleichbarkeit durch die vorrangige Ausrichtung auf die branchentypischen Tätigkeitsbereiche begünstigt. Hierbei ist teilweise eine Differenzierung entsprechend dem rechnerischen Unbundling erkennbar; eine betragsmäßige Zuordnung zu Teilbereichen zumindest innerhalb des Segments Strom gelingt aber nur bei Offenlegung eines „Aktivitätenabschlusses“. Hinsichtlich der angegebenen weiteren Segmente ist eine Vergleichbarkeit nicht zu erwarten. Diese Segmente spiegeln verschiedene unternehmensindividuelle Geschäftsbereiche wider, wie z.B. Wasserversorgung, Fernwärme, Entsorgung und verschiedene Dienstleistungen (etwa Consulting, Telekommunikation). Die Angabe der Segmentberichtsgrößen im Rahmen der jeweiligen „Segmentberichterstattung“ folgt grundsätzlich den entsprechend Tabelle 1 anzugebenden Pflichtangaben, geht aber bei EnBW, E.ON und RWE auch teilweise darüber hinaus. MVV hingegen verzichtet auf die Angabe regionaler Segmente wegen Unterschreitung der Grenzwerte nach IAS 14.69 und ordnet den Segmenten keine Verbindlichkeiten zu, da es sich hauptsächlich um Finanzschulden gegenüber der Holding handele86. Innenumsatzerlöse aus intersegmentären Transaktionen werden angabegemäß jeweils zu Marktpreisen bzw. zu Bedingungen unter fremden Dritten ermittelt. Facettenreichtum besteht hinsichtlich der angegebenen Segmentergebnisgrößen: EnBW (EBIT, EBITDA), E.ON (Adjusted EBIT), EWE (Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ohne Beteiligungs- und Zinsergebnis), MVV (EBIT), RWE (Betriebliches Ergebnis, EBITDA), Vattenfall Europe (Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ohne Beteiligungs- und Zinsergebnis). Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Ergebnisermittlungsrechnungen werden zudem von Abweichungen zwischen den jeweils angewendeten Rechnungslegungsnormen überlagert87. Insofern ist ein unternehmensübergreifender Vergleich – auch unter ergänzenden Anpassungen – nur schwer möglich. ___________ 86
Vgl. MVV, Geschäftsbericht 2004, S. 89 und 113. Berechtigt ist daher auch die Kritik an u.U. bilanzpolitisch geprägten „Fortentwicklungen der EBIT-Kennzahlenfamilie“, siehe hierzu Rückle (2005), S. 283 f. 87
336
Volkmar Klatte
Dem „Aktivitätenabschluss“ der EWE sind zu den dort unterschiedenen Tätigkeitsbereichen die jeweiligen Aktiva, Passiva, Aufwendungen und sonstigen Erträge zu entnehmen. Zusammen mit den zugehörigen Erläuterungen ermöglicht dies einen Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage dieser Bereiche im Rahmen der konzeptionellen Grenzen eines Jahresabschlusses. Diese Informationen werden aber externen Adressaten (außer der Regulierungsbehörde) künftig wohl nicht mehr zur Verfügung stehen, wenn Unternehmen sich darauf berufen, dass § 10 Abs. 3 EnWG (2005) nur noch eine „interne“ Segmentierung verlangt.
V. Schlussbemerkungen Ausgerichtet auf die Informationsbedürfnisse externer Adressaten soll die Segmentberichterstattung als Instrument der Rechnungslegung eines Energieversorgungsunternehmens bzw. eines Energieversorgungs-Konzerns dazu dienen, die wirtschaftliche Situation dieser diversifizierten Wirtschaftseinheit besser zu verstehen und deren zukünftige Entwicklung, Risiken und Chancen sowie zu erwartende künftige Zahlungsströme besser einzuschätzen. Eine Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen ist bilanzrechtlich bei Kapitalmarktorientierung zwingend, aber auch bei NichtKapitalmarktorientierung aus Adressatensicht angezeigt. Keine der den drei Rechnungslegungsstandards (DRS 3, IAS 14, SFAS 131) zugrunde liegenden Konzeptionen erweist sich nach den Informationsgrundsätzen als uneingeschränkt überlegen. Branchenspezifika von Energieversorgungsunternehmen finden zudem keine explizite Berücksichtigung. Die dominante Ausrichtung auf den Management Approach hat zur Folge, dass die Berichtsqualität wesentlich von der individuellen Segmentberichterstattung abhängt. Entscheidungsnützlichkeit verlangt außer Verlässlichkeit auch Vergleichbarkeit der Berichterstattung in intertemporaler und – für ein Benchmarking der Kerngeschäftstätigkeit – in unternehmensübergreifender Hinsicht. Rechnerisches Unbundling nach energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften erfordert bei integrierten Energieversorgungsunternehmen eine Segmentierung nach Tätigkeiten des Elektrizitätssektors, des Gassektors und weiteren Tätigkeiten außerhalb dieser Sektoren. Innerhalb der Sektoren sind vorgegebene Tätigkeiten des Netzgeschäfts zu sondern. Dies hat – zusammen mit dem rechtlichen, operationellen und informationellen Unbundling – Auswirkungen auf die Organisations- und Managementstruktur in Energieversorgungsunternehmen. Die nach Tätigkeiten aufzustellenden Segmentabschlüsse schaffen eine segmentbezogene Datenbasis, die sich auch für die bilanzrechtliche Segmentberichterstattung nutzen lässt und eine unternehmensübergreifende Vergleichbarkeit fördern kann.
Segmentberichterstattung von Energieversorgungsunternehmen
337
Die empirische Analyse zeigt, dass ein aussagefähiger Vergleich der betrachteten Energieversorgungsunternehmen hinsichtlich ihrer Kerngeschäftsbereiche Strom und Gas nur bedingt möglich ist und mit zunehmender Größe und Internationalisierung der Unternehmen abnimmt. Eine Segmentierung nach den branchentypischen Kerngeschäftstätigkeiten der Bereiche Strom und Gas entsprechend dem Leitbild des Unbundling begünstigt eine Vergleichbarkeit. Derartige Segmentangaben sind zur Förderung der Transparenz zumindest als standardisierte Zusatzangaben zu empfehlen. Nach gleichen Erwägungen erscheint auch hinsichtlich einzelner Segmentberichtsgrößen ein Mindestmaß an Standardisierung (z.B. eines Schemas zur Ermittlung des anzugebenden Segmentergebnisses) nützlich zu sein. Darüber hinaus bleibt eine unternehmensindividuelle differenzierte Berichterstattung zu den Geschäftstätigkeiten des Energieversorgungsunternehmens bzw. des Energieversorgungs-Konzerns unentbehrlich88.
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___________ 88
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Eigenkapitalausweis österreichischer Privatstiftungen Von Eduard Lechner
I. Einleitung Das breite Interessenspektrum des Jubilars umfasst unter anderem das Bilanzrecht. Unter den zahlreichen bilanzrechtlichen Publikationen des Jubilars findet sich auch ein Beitrag zum „Eigenkapital des Einzelkaufmanns und der Personenhandelsgesellschaften“.1 Diese Publikation veranlasste den Verfasser des vorliegenden Beitrages, sich mit dem Eigenkapitalausweis österreichischer Privatstiftungen zu befassen, für den Besonderheiten zu beachten sind, die bei anderen Rechtsformen nicht bestehen.
II. Die österreichische Privatstiftung Mit dem 1993 beschlossenen Privatstiftungsgesetz (PSG)2 wurde in Österreich die Möglichkeit geschaffen, eigennützige Stiftungen zu errichten.3 Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes konnten in Österreich Stiftungen nur für gemeinnützige und wohltätige Zwecke errichtet werden.4 Mit der Ermöglichung eigennütziger Privatstiftungen verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, den Vermögensabfluss in Länder mit liberalerem Stiftungsrecht zu verhindern und einen Rückfluss von Vermögenswerten aus dem Ausland zu bewirken. Auch bestand die Hoffnung, dass ausländische Stifter Vermögen in österreichische Stiftungen einbringen. Derzeit bestehen nahezu 3000 nach dem PSG errichtete Privatstiftungen. Somit übertrifft die Zahl der Privatstiftungen jene der Aktiengesell___________ 1
Rückle (1986), S. 113. Privatstiftungsgesetz vom 14.10.1993 (BGBl. 1993/694), i.d.F. des 1. Euro-Umstellungsgesetzes vom 07.08.2001 (BGBl. I 2001/98). 3 Vgl. dazu und zum Folgenden auch Lechner / Wundsam / Szauer (2001), S. 297. 4 Rechtsgrundlage waren und sind weiterhin das Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz vom 27.11.1974 (BGBl. 11/1975) sowie die Landes-Stiftungs- und Fondsgesetze, auf deren Grundlage derzeit rund 400 Stiftungen existieren. Auch Privatstiftungen nach dem PSG können gemeinnützig sein. Die meisten Privatstiftungen sind jedoch nicht gemeinnützig. 2
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schaften bei weitem. Dies indiziert auch die mittlerweile große volkswirtschaftliche Bedeutung der Privatstiftungen, die u.a. häufig auch Holdingfunktionen an bedeutenden österreichischen Unternehmen wahrnehmen. Privatstiftungen sind eigentümerlose Körperschaften. Sie unterliegen keiner staatlichen Aufsicht, jedoch einer Kontrolle durch einen gerichtlich zu bestellenden Stiftungsprüfer, welcher Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sein muss. Die gerichtliche Bestellung erfolgt meist auf Vorschlag durch den Stiftungsvorstand. Obwohl das Gericht nicht an den Vorschlag gebunden ist, wird in aller Regel der vorgeschlagene Stiftungsprüfer bestellt. Der Stiftung ist eine eigene gewerbsmäßige Betätigung untersagt. Sie kann sich jedoch an Gesellschaften beteiligen und solcherart indirekt gewerblich tätig werden. Bloß Beteiligungen, die mit einer unbeschränkten persönlichen Haftung verbunden sind, sind nicht zulässig.5 Da weder die Errichtung noch die Verwaltung der Privatstiftung einer staatlichen Kontrolle unterliegt, kommt der Rechnungslegung und der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung6 der Stiftung (auch als Instrumentarium der internen Kontrolle7) besondere Bedeutung zu.
III. Weitgehende Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften Das PSG enthält in § 18 unter der Überschrift „Rechnungslegung“ eine durch den Stiftungsvorstand zu erfüllende Verpflichtung der Privatstiftung zur Buchführung.8 Durch einen Verweis auf taxativ aufgezählte Bestimmungen des HGB9 werden zahlreiche für Kapitalgesellschaften geltende Rechnungsle___________ 5
Eine Privatstiftung kann daher Aktionär, GmbH-Gesellschafter oder Kommanditist, nicht aber Komplementär sein. Nach herrschender Auffassung ist jedoch der Betrieb einer Landwirtschaft oder einer Forstwirtschaft durch eine Privatstiftung zulässig. 6 Zur Prüfung der Privatstiftung vgl. z.B. Hofians (1994), S. 233; Ostendorf / Lechner (1999); Pajer (1996), S. 53; Lechner / Wundsam / Szauer (2001), S. 265; Gelter (2001), S. 247; Vetter (2000), S. 115. 7 Vgl. Hofians (1994), S. 233. 8 Vgl. dazu z.B. Hofians (1994), S. 233; Pajer (1996), S. 53; Lechner / Wundsam / Szauer (2001), S. 265; Ostendorf / Lechner (1999); Gelter (2001), S. 247; Gruber (1995), S. 302. 9 Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (dRGBl. 1897 S. 219), übernommen in den österreichischen Rechtsbestand durch das Rechts-Überleitungsgesetz vom 01.05.1945 (StGBl.1945/6), zuletzt geändert durch das Rechnungslegungsänderungsgesetz vom 30.12.2004 (BGBl. I 2004/161). Das HGB wird ab 2007 durch das Unternehmensgesetzbuch (UGB) abgelöst werden. Die Rechnungslegungsbestimmungen des HGB wer-
Eigenkapitalausweis österreichischer Privatstiftungen
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gungsbestimmungen für Privatstiftungen als sinngemäß anwendbar erklärt. Unter den Bestimmungen auf die verwiesen wird, findet sich auch § 229 HGB betreffend das Eigenkapital. Im Wesentlichen haben Privatstiftungen nahezu alle für große Kapitalgesellschaften geltenden Rechnungslegungsvorschriften zu befolgen. Ausdrücklich ausgenommen sind die Bestimmungen über Größenklassen, die Bestimmungen über Ingangsetzungskosten, die Ausschüttungssperre für Zuschreibungen, Pflichtangaben im Anhang für Aktiengesellschaften, die Schutzklausel, größenabhängige Erleichterungen und die Offenlegungsbestimmungen. Im Übrigen sind die Prüfungsbestimmungen für Privatstiftungen gesondert geregelt. Prüfungspflicht besteht gemäß § 21 PSG für den Jahresabschluss einschließlich Buchführung und Lagebericht. Weiters besteht unter Umständen bei Sachgründungen eine Gründungsprüfungspflicht (§ 11 PSG).10 In den Gesetzesmaterialien11 wird zu § 18 PSG u.a. ausgeführt, dass bei den auf Kaufleute und Unternehmen zugeschnittenen Bestimmungen im Rahmen der Ausweisvorschriften anstelle der Bezeichnung „Kaufmann“ die Bezeichnung „Privatstiftung“ zu verwenden ist (weil eine Privatstiftung nicht „Kaufmann“ ist). Ebenso tritt an die Stelle des „Handelsgewerbes“ die „Tätigkeit der Privatstiftung“. Bestimmungen, die sich auf Gesellschafter (welche eine Privatstiftung nicht hat), einen Firmenwert oder auf Aktien beziehen, sind nicht anwendbar.12 In diesem Sinne wird auch anstelle von „sonstigen betrieblichen Erträgen und Aufwendungen“ bloß von „sonstigen Erträgen und Aufwendungen“ zu sprechen sein, soweit eine Stiftung nicht tatsächlich betrieblich tätig ist. Auch kann es sich je nach Tätigkeit der Privatstiftung empfehlen, die Gliederung der Gewinn- und Verlustrechnung der Stiftung aussagekräftiger zu machen, etwa indem der Finanzbereich vorangestellt wird, wenn das Vermögen der Stiftung überwiegend aus Kapitalanlagen besteht.
___________ den im Wesentlichen unverändert in das UGB übernommen, sodass die hier zu treffenden Aussagen auch nach der Umstellung auf das UGB Gültigkeit haben werden. 10 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit von Sonderprüfungen (§ 31 PSG). 11 Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage (Erl RV) des PSG (1132 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrats, XVIII. Gesetzgebungsperiode). 12 Vgl. zum Ganzen nochmals die Erl RV (Fn. 11).
344
Eduard Lechner
IV. Das Eigenkapital der Privatstiftung 1. Besonderheiten des Eigenkapitals von Privatstiftungen aus Sicht des historischen Gesetzgebers Für das vorliegende Thema von besonderer Bedeutung ist die Aussage in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, wonach die sinngemäße Anwendung der handelsrechtlichen Rechnungslegungsbestimmungen für Privatstiftungen es erfordere, dass „an die Stelle des Eigenkapitals das Stiftungsvermögen“ tritt.13 Diese Aussage ist ein Beispiel dafür, in welch betriebswirtschaftlicher Unkenntnis Legisten gelegentlich mit betriebswirtschaftlichen Begriffen umgehen. Die Bezeichnung des Eigenkapitals als „Stiftungsvermögen“ ist irreführend und daher abzulehnen. Die sinngemäße Anwendung der handelsrechtlichen Rechnungslegungsbestimmungen auf Stiftungen erfordert – entgegen der in den Gesetzesmaterialien geäußerten Meinung – für das Eigenkapital einer Privatstiftung keine andere Bezeichnung als „Eigenkapital“. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb das Eigenkapital einer Privatstiftung als „Stiftungsvermögen“ zu bezeichnen sein sollte. Wenn sich der historische Gesetzgeber schon am Begriff „Eigenkapital“ stößt, so könnte als vermittelnde Lösung eine Bezeichnung des Eigenkapitals als „Stiftungskapital“ konsensfähig erscheinen. Die Verwendung dieser Bezeichnung wird auch in der Literatur empfohlen.14 Auch die Bezeichnung „Stiftungsreinvermögen“15 könnte sinnvoll erscheinen. Entgegen den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien spricht daher nichts dagegen, das Eigenkapital der Privatstiftung entweder als „Stiftungskapital“ oder schlicht als „Eigenkapital“ zu bezeichnen. Ein empirischer Befund zeigt, dass sich dennoch in zahlreichen Bilanzen tatsächlich die Bezeichnung „Stiftungsvermögen“ findet. Dies wird aber nicht zu beanstanden sein, weil dies dem Willen des historischen Gesetzgebers entspricht. Jedenfalls wäre es aber besser gewesen, wenn sich der historische Gesetzgeber zu dieser Frage verschwiegen hätte.
___________ 13
Erl RV (Fn. 11) zu § 18 PSG. Vgl. Ostendorf / Lechner (1999), Rz. 8; Pajer (1996), S. 58; Lechner / Wundsam / Szauer (2001), S. 301; Gelter (2001), S. 263. 15 Angelehnt an den steuerrechtlichen Begriff des Betriebsvermögens, verstanden als Reinvermögen (Saldo zwischen Aktiva und Verbindlichkeiten bzw. verbindlichkeitsähnlichen Positionen als andere Bezeichnung für „Eigenkapital“). 14
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2. Bedeutung des Fehlens gesetzlicher Kapitalerhaltungsvorschriften für den Eigenkapitalausweis Vielfach wird darauf hingewiesen, dass für Privatstiftungen der Grundsatz der Kapitalerhaltung nicht gelte16 und dass deswegen eine Aufgliederung des Eigenkapitals der Privatstiftung in Nennkapital, Kapitalrücklagen, Gewinnrücklagen und Bilanzgewinn entbehrlich erscheine.17 Vielmehr lasse sich das Stiftungskapital mit dem eines Einzelkaufmanns vergleichen, weshalb anstelle der Eigenkapitalgliederung gemäß § 224 Abs. 3 A. HGB bloß ein einziges (variables) Eigenkapitalkonto zu führen sei, dem Gewinn und Verlust im Rahmen der Abschlussbuchungen zugebucht werden.18 Gemäß § 224 Abs. 3 A. HGB ist das Eigenkapital zu untergliedern in: I. Nennkapital (Grund-, Stammkapital); II. Kapitalrücklagen: 1. gebundene; 2. nicht gebundene; III. Gewinnrücklagen: 1. gesetzliche Rücklage; 2. satzungsmäßige Rücklagen; 3. andere Rücklagen (freie Rücklagen); IV. Bilanzgewinn (Bilanzverlust), davon Gewinnvortrag/Verlustvortrag. Der Ausweis von Nennkapital ist für eine Privatstiftung schon deswegen nicht angebracht, weil eine Privatstiftung kein Nennkapital hat. Auch das anlässlich der Gründung gewidmete Kapital19 oder das anlässlich einer Nachstiftung gewidmete Kapital ist kein Nennkapital. Der Ausweis von „Nennkapital“ wäre daher irreführend und falsch. Weiters sind gebundene und nicht gebundene Kapitalrücklagen – zumindest gesetzlich – für Privatstiftungen nicht vorgesehen (zu satzungsgemäß gebundenen Kapitalrücklagen siehe unten Abschnitt IV.4.). Allerdings ist ein Ausweis des einer Privatstiftung gewidmeten Kapitals als „Kapitalrücklagen“ auch nicht unzulässig. Die Bezeichnungen „Gewinnrücklagen“ und „Bilanzgewinn“ (bzw. „Bilanzverlust“) erscheinen für Privatstiftungen in gleicher Weise wie für Kapitalgesellschaften „passend“; ein gesonderter Ausweis von Gewinnrücklagen und Bilanzgewinn (bzw. Bilanzverlust) erscheint somit durchaus sinnvoll, ist aber nicht zwingend. Die Aussage, dass für Privatstiftungen keine (gesetzlichen) Kapitalerhaltungsvorschriften für das Stiftungsvermögen existierten, ist allerdings in dieser allgemeinen Form nicht zutreffend. Einschränkungen in der Verfügung über das Stiftungsvermögen gibt es in einer (wenngleich der einzigen) Bestimmung des Privatstiftungsgesetzes, nämlich in § 17 Abs. 2 PSG. Danach darf der Stiftungsvorstand Leistungen an Begünstigte zur Erfüllung des Stiftungszwecks ___________ 16 Kapitalerhaltungsvorschriften können sich jedoch aus der Stiftungserklärung ergeben; vgl. dazu unten Abschnitt IV.4. 17 Vgl. Hofians (1994), S. 240; Pajer (1996), S. 57. 18 Gelter (2001), 263. 19 Gemäß § 4 PSG muss einer Privatstiftung bei Gründung ein Vermögen im Wert von mindestens 70.000 EUR gewidmet werden.
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nur dann und soweit vornehmen, wenn dadurch Ansprüche von Gläubigern der Privatstiftung nicht geschmälert werden.20 Allerdings ist daraus für die Darstellung des Eigenkapitals in der Bilanz nicht viel zu gewinnen, weil auch bei anderen Rechtsformen, insbesondere bei Kapitalgesellschaften, bei der Eigenkapitaldarstellung nicht auf konkrete Gläubigeransprüche abgestellt wird. Ergeben sich keine Vorgaben für die Gliederung des Eigenkapitals aus der Stiftungserklärung, wird daher ein einziges (variables) Eigenkapitalkonto (sei es unter der Bezeichnung „Eigenkapital“, „Stiftungskapital“, „Stiftungsreinvermögen“ oder auch „Stiftungsvermögen“) den gesetzlichen Vorgaben genügen. Dies hindert den Bilanzersteller aber in keiner Weise an einer tieferen Gliederung, etwa in der Form, dass eine Unterteilung in „gewidmetes Kapital“ einerseits und „sonstiges Kapital“ andererseits erfolgen kann. Unter „gewidmetem Kapital“ sind alle der Stiftung vom Stifter bzw. anderen Personen im Wege der Errichtung der Privatstiftung bzw. im Wege späterer Nach- bzw. Zustiftungen gewidmeten Werte (bewertet nach den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften des § 202 HGB) zu verstehen. Dies entspricht im Wesentlichen jenen Positionen, die bei Kapitalgesellschaften getrennt als Nennkapital und als Kapitalrücklagen ausgewiesen sind. Das „sonstige Kapital“ könnte, wie schon oben angedeutet, in „Gewinnrücklagen“ und „Bilanzgewinn“ (bzw. „Bilanzverlust“) untergliedert werden. Sofern die Stiftungserklärung nicht ausdrücklich den Ausweis von Gewinnrücklagen anordnet, erscheint aber der Ausweis bloß einer einzigen dem sonstigen Kapital zuordenbaren Position unter der Bezeichnung „Bilanzgewinn“ (bzw. „Bilanzverlust“) am aussagekräftigsten. Die Aussagekraft einer Untergliederung in „gewidmetes Kapital“ und „Bilanzgewinn“ sollte allerdings nicht überschätzt werden, zumal das Stiftungskapital nicht nur durch Verluste, sondern auch durch Zuwendungen an Begünstigte gekürzt wird und dabei mangels konkreter Vorgaben wahlweise eine Kürzung des „gewidmeten Kapitals“ bzw. des „Bilanzgewinns“ erfolgen könnte.
___________ 20 Zu dieser „Ausschüttungssperre“ vgl. zuletzt Eiselsberg (2005), S. 7, sowie z.B. Vetter (2000), S. 122.
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3. Bedeutung „faktischer“ Kapitalerhaltungsvorschriften für den Eigenkapitalausweis Abgesehen von der in einem weiteren Sinn als Kapitalerhaltungsvorschrift auffassbaren „Ausschüttungssperre“ des § 17 Abs. 2 PSG (vgl. dazu oben IV.2.) könnte in der Bilanzierungspraxis noch eine weitere „Ausschüttungssperre“ eine Rolle spielen. Aus steuerrechtlichen Gründen besteht geradezu ein faktischer Zwang, der Stiftung gewidmetes Vermögen (bzw. im Falle dessen Veräußerung an dessen Stelle getretenes Vermögen) für zehn Jahre ab dem Zeitpunkt der Vermögenswidmung an die Stiftung dem Stiftungsvermögen nicht unentgeltlich zu entziehen. Dieser faktische Zwang ergibt sich aus § 8 Abs. 3 lit. b Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz21, wonach Zuwendungen eines Stifters an eine Privatstiftung einem ermäßigten Steuersatz von 5 % unterliegen. Dieser ermäßigte Steuersatz steht allerdings unter der auflösenden Bedingung, dass das gewidmete Vermögen (nicht allerdings die erwirtschafteten Erträge) nicht innerhalb von zehn Jahren von der Stiftung unentgeltlich veräußert22 wird.23 Erfolgt innerhalb von zehn Jahren eine unentgeltliche Veräußerung des der Stiftung von einem Stifter gewidmeten Vermögens, so ist für die ursprüngliche Vermögenswidmung an die Stiftung die Differenz auf die tarifmäßige Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer nachzuerheben.24 Bei der Nachversteuerung ist auf den steuerlichen Wert der der Stiftung gewidmeten Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt des Übergangs des Wirtschaftsgutes auf die Privatstiftung abzustellen. Wertveränderungen zwischen dem Übergang des Vermögens und der unentgeltlichen Weiterveräußerung sind unbeachtlich.25 Nach Meinung der Finanzverwaltung kommt der Nachversteuerungstatbestand nicht zum Tragen, wenn die „eingefrorenen Eingangswerte“ für insgesamt zehn Jahre in der Stiftung verbleiben.26 Da die Erbschaftsund Schenkungssteuer (jedenfalls auch) von der Privatstiftung geschuldet ___________ 21 Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz (ErbStG) vom 30.06.1955 (BGBl. 1955/141), zuletzt geändert durch das Abgabenänderungsgesetz 2004 vom 30.12.2004 (BGBl. I 2004/180). 22 Unter einer unentgeltlichen Veräußerung ist im Wesentlichen eine Zuwendung an einen Begünstigten zu verstehen. 23 Vgl. dazu z.B. Arnold (2005), Rz. II/456 f. (S. 288). 24 Ausnahmen bestehen für Zuwendungen zurück an den Stifter selbst bzw. zur satzungsgemäßen Erfüllung von angemessenen Unterhaltsleistungen. 25 Rz. 292 der Stiftungssteuerrichtlinien 2001 (Erlass des BMF vom 20.12.2001, AÖF 2002/37 i.d.F. AÖF 2004/117). 26 Rz. 295 der Stiftungssteuerrichtlinien 2001. Zu Ausnahmen vom Grundsatz des „Einfrierens“ der seinerzeitigen erbschafts- und schenkungssteuerlichen Eingangswerte für die Frage der Erfüllung des Nachversteuerungstatbestandes des § 8 Abs. 3 lit. b ErbStG siehe Rz. 296 f. der Stiftungssteuerrichtlinien 2001.
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wird, wird ein „ordentlicher“ Stiftungsvorstand bemüht sein, diese „faktische Ausschüttungssperre“ zu beachten, da er andernfalls das Stiftungsvermögen unnotwendigerweise schmälern würde und damit möglicherweise sogar in eine Haftungsproblematik gelangen könnte. So gesehen könnte es sich empfehlen, im Hinblick auf die erbschafts- bzw. schenkungssteuerrechtliche „Sperrfrist“ von zehn Jahren jenen Teil des Stiftungskapitals, der der zehnjährigen Sperrfrist unterliegt, in einer gesonderten Position auszuweisen. Wenngleich dies sperrig klingt, könnte die Bezeichnung etwa „Der Erbschaftssteuernacherhebung unterliegendes Kapital“ lauten.27 Nach Ablauf der Zehnjahresfrist müsste dann eine Umbuchung auf eine andere Eigenkapitalposition erfolgen. Die Sinnhaftigkeit eines gesonderten Ausweises des der Erbschaftssteuernacherhebung unterliegenden Kapitals ist allerdings insoweit in Frage zu stellen, als der Erbschaftssteuernacherhebung bloß die erbschafts- bzw. schenkungssteuerrechtlich maßgeblichen „Eingangswerte“ unterliegen, diese aber aus der Handelsbilanz der Stiftung nicht ersichtlich sind. Die erbschafts- bzw. schenkungssteuerlich maßgebenden Werte können von den für die eingebrachten Vermögenswerte maßgebenden handelsrechtlichen Werten (und somit vom nach handelsrechtlichen Vorschriften ermittelten bücherlichen Eigenkapital) abweichen.28 Ein gesonderter Ausweis des der Erbschaftssteuernacherhebung unterliegenden Kapitals in der Handelsbilanz müsste sich daher auf das nach erbschafts- und schenkungssteuerrechtlichen Bewertungsregeln ermittelte Eigenkapital beziehen.
___________ 27
Sollte – entsprechend den Ausführungen oben in Abschnitt IV.2. – eine Untergliederung des Eigenkapitals in „gewidmetes Kapital“ und „sonstiges Kapital“ erfolgen, könnte die Position „Der Erbschaftssteuernacherhebung unterliegendes Kapital“ als Unterposition zum „gewidmeten Kapital“ ausgewiesen werden. 28 Ohne im Detail auf die Unterschiede einzugehen, sei darauf hingewiesen, dass handelsrechtlich grundsätzlich der beizulegende Wert (§ 202 HGB) maßgeblich ist, während für erbschafts- und schenkungssteuerrechtliche Zwecke gemäß § 19 Abs. 1 i.d.R. der „gemeine Wert“ sowie gemäß § 19 Abs. 2 ErbStG für inländisches (österreichisches) land- und forstwirtschaftliches Vermögen sowie für inländisches Grundvermögen und für inländische Betriebsgrundstücke der nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes vom 13.07.1955 (BGBl. 1955/148), zuletzt geändert durch das Abgabenänderungsgesetz 2004 vom 30.12.2004 (BGBl. I 2004/180), zu ermittelnde dreifache Einheitswert maßgeblich ist.
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4. Bedeutung satzungsmäßiger Kapitalerhaltungsvorschriften für den Eigenkapitalausweis Kapitalerhaltungsvorschriften können sich aus der Stiftungserklärung29 ergeben. In der Stiftungserklärung kann ein Mindestvermögensstand festgelegt werden, der durch Zuwendungen an Begünstigte nicht geschmälert werden darf. Die Möglichkeit, dass in der Stiftungserklärung über die gesetzlich zwingenden Mindestinhalte des § 9 Abs. 2 PSG hinaus weitere Inhalte geregelt werden, ist in § 9 Abs. 2 PSG ausdrücklich angeführt. In der (demonstrativen) Aufzählung dispositiver Stiftungserklärungsbestimmungen findet sich in Ziffer 11 ausdrücklich „die Festlegung eines Mindestvermögensstandes, der durch Zuwendungen an Begünstigte nicht geschmälert werden darf“. Wenn die Stiftungserklärung eine solche Bestimmung vorsieht, dann bedeutet dies aber nicht zwangsläufig, dass der stiftungserklärungsgemäße Mindestvermögensstand auch in der bilanziellen Eigenkapitaldarstellung seinen Niederschlag finden muss. Wenngleich einzelne Literaturmeinungen davon ausgehen, dass diesfalls das gebundene Kapital getrennt vom frei zur Verfügung stehenden variablen Kapital auszuweisen sei30 muss wohl danach differenziert werden, ob in der Stiftungserklärung zusätzlich auch das ausdrückliche Gebot aufgestellt wird, ein solches Mindestkapital in der Stiftungsbilanz gesondert auszuweisen, oder ob eine solche zusätzliche ausdrückliche sich auf die Eigenkapitaldarstellung beziehende Aussage in der Stiftungserklärung fehlt. Ein unbedingter Zwang zur Trennung des Kapitalausweises in stiftungserklärungsgemäß gebundenes und ungebundenes Kapital besteht nur dann, wenn dies in der Stiftungserklärung ausdrücklich verlangt ist. Ist dies nicht der Fall, ist eine entsprechende Kapitalgliederung nicht zwingend (wenngeleich sinnvoll und unbestreitbar zulässig). Sofern sich aus den hier angesprochenen Kapitalerhaltungsüberlegungen Untergliederungen des Eigenkapitals als zwingend oder doch zumindest sinn___________ 29
Die Stiftungserklärung ist neben dem PSG die Rechtsgrundlage der Privatstiftung, vergleichbar einer Satzung, einem Gesellschaftsvertrag oder einer Errichtungserklärung einer Handelsgesellschaft. Gesetzlich zwingende Mindestinhalte der Stiftungserklärung sind in eine Stiftungsurkunde aufzunehmen. Gesetzlich nicht zwingende Inhalte können, wenn in der Stiftungsurkunde angegeben wird, dass eine Stiftungszusatzurkunde errichtet ist oder errichtet werden kann, in einer Stiftungszusatzurkunde geregelt werden. Sowohl Stiftungsurkunde als auch Stiftungszusatzurkunde sind durch Notariatsakt zu beurkunden. Eine Stiftungszusatzurkunde ist dem Firmenbuchgericht nicht vorzulegen (§ 10 Abs. 2 letzter Satz PSG) und somit – anders als die dem Firmenbuch vorzulegende und aus der Urkundensammlung ersichtliche Stiftungsurkunde – der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sowohl Stiftungsurkunde als auch Stiftungszusatzurkunde enthalten Anordnungen des Stifters bzw. der Stifter. 30 Vgl. Filnkößl (1996), S. 52; Gelter (2001), S. 264.
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voll erweisen, bedeutet dies aber nicht, dass diesfalls die Eigenkapitalgliederungsvorschriften des § 224 Abs. 3 A. HGB anwendbar werden.31
5. Bedeutung anderer als direkt die Kapitalerhaltung ansprechender Vorgaben der Stiftungserklärung für den Eigenkapitalausweis a) Zwingende vs. implizite Eigenkapitalausweisvorschriften Die Stiftungsurkunde oder die Stiftungszusatzurkunde können (wie schon in Abschnitt IV.4. erwähnt) auch Anordnungen betreffend den Eigenkapitalausweis enthalten. Dabei wird (wiederum) zwischen Anordnungen, die sich ausdrücklich auf einen bestimmten Eigenkapitalausweis beziehen und solchen, die bloß bestimmte Vermögensverwendungsregeln festlegen (welche in der Stiftungserklärung jedoch nicht mit einem bestimmten zwingenden Eigenkapitalausweis verbunden sind) zu unterscheiden sein. Im letztgenannten Fall wird es aber oft dennoch sinnvoll sein, dass sich spezifische Vermögensverwendungsanordnungen auch ohne ausdrückliche Regelung in einer bestimmten Darstellung des Eigenkapitals widerspiegeln.
b) Den Eigenkapitalausweis ausdrücklich betreffende Regelungen der Stiftungserklärung Zu jenen möglichen Regelungen in der Stiftungserklärung, die unmittelbar den Kapitalausweis betreffen, gehören typischerweise Formulierungen wie die folgenden: x
„Die kumulierten Jahresergebnisse sind in eine freie Rücklage einzustellen.“
x
„Der Jahresüberschuss ist zu … % in eine Rücklage einzustellen, die für die Abdeckung von Verlusten und/oder zur Zeichnung von Kapitalerhöhungen bei Unternehmen, an denen die Stiftung unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, verwendet werden soll.“
In solchen Fällen wäre in der Gliederung des Stiftungsvermögens eine Position „Stiftungserklärungsgemäße Rücklagen“ aufzunehmen.32 ___________ 31 Vgl. Gelter (2001), S. 264, geht davon aus, dass in den Fällen eines stiftungserklärungsgemäß zu erhaltenden Mindestvermögens (§ 9 Abs. 2 Z. 11 PSG) eine „Annäherung“ an das Konzept der Gliederung der Kapitalrücklagen erforderlich ist. 32 Vgl. Pajer (1996), 57.
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Häufig findet sich in Stiftungserklärungen die Formulierung, dass das vom Stifter der Stiftung gewidmete Vermögen als „Stammvermögen“ der Stiftung auszuweisen ist. In diesem Fall ist eine Untergliederung des Eigenkapitals so vorzunehmen, dass eine – zweckmäßigerweise die erste – Unterposition des Eigenkapitals als „Stiftungsstammvermögen“ oder „Stammvermögen“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung der anderen Eigenkapitalpositionen bzw. der anderen Eigenkapitalposition ist diesfalls nur dann zwingend vorgegeben, wenn sich diesbezüglich weitere Anordnungen in der Stiftungserklärung finden. Ist dies nicht der Fall, hat der Stiftungsvorstand das darüber hinausgehende „sonstige“ Eigenkapital der Privatstiftung mit einer oder mehrerer sinnvollen anderen Bezeichnung zu versehen. Vgl. dazu die Ausführungen oben in Abschnitt IV.2.
c) Nicht ausdrücklich den Eigenkapitalausweis ansprechende Reglungen der Stiftungserklärung Wie schon erwähnt, kann eine Untergliederung des Eigenkapitals (wenn auch nicht zwingend, so doch) sinnvoll sein, wenn dies stiftungsspezifisch durch Anordnungen über bestimmte Grundsätze der Vermögensgebarung nahe liegt. Dies betrifft nicht nur den bereits oben unter IV.4. genannten Fall, dass die Stiftungserklärung einen Mindestvermögenstand festlegt, der durch Zuwendungen an Begünstigte nicht geschmälert werden darf, sondern beispielsweise auch, wenn die Stiftungserklärung vorsieht, dass Zuwendungen nur aus laufenden Erträgen erfolgen dürfen.33
6. Auswirkungen von Zuwendungen an Begünstigte auf den Eigenkapitalausweis Zuwendungen an Begünstigte vermindern das Eigenkapital der Privatstiftung. Vor dem Hintergrund der Themenstellung des vorliegenden Beitrages interessiert daher, wie sich diese Verminderung des Eigenkapitals auf die Darstellung des Eigenkapitals im Jahresabschluss der Privatstiftung auswirkt. Die Auswirkungen von Zuwendungen auf die Darstellung des Eigenkapitals hängen zum einen davon ab, ob in der Stiftungsbilanz bloß eine einzige Eigenkapitalposition besteht, oder ob das Eigenkapital der Stiftung in verschiedene Unterpositionen untergliedert ist. Zum anderen hängt der Ausweis von Zuwendungen auch davon ab, ob die Zuwendungen direkt gegen Eigenkapital (oder ein Unterkonto desselben) gebucht werden oder ob Zuwendungen auch in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen werden. ___________ 33
Vgl. Hofians (1994), S. 240; Pajer (1996), S. 57.
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Werden Zuwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen (was jedenfalls zulässig, aber nicht zwingend ist), so wird dazu von einem Teil der Lehre ein Ausweis in einem gesonderten Posten nach der Position Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag empfohlen. Diesfalls wirken sich Zuwendungen über einen verminderten Bilanzgewinn(-verlust) auf das Stiftungskapital aus.34 Demgegenüber hält Gelter eine Darstellung der Zuwendungen unterhalb der Position Jahresüberschuss für dem Zweck von Privatstiftungen nicht entsprechend und empfiehlt den Ausweis sämtlicher Aufwendungen zur Erfüllung des Stiftungszwecks bereits vor dem Jahresüberschuss/-fehlbetrag, und zwar in einem zusätzlichen Aufwandsposten gleichrangig zum Betriebs- und Finanzergebnis;35 Gelter erblickt hier einen Anwendungsbereich des § 223 Abs. 4 HGB, wonach unter Umständen die Aufnahme weiterer zusätzlicher Posten erforderlich sein kann. Auch bei dieser Vorgangsweise wirken sich die Zuwendungen über einen verminderten Bilanzgewinn(-verlust) auf das Stiftungskapital aus. Soweit eine Darstellung gewählt wird, bei der die Zuwendungen das Eigenkapital erfolgsneutral kürzen, stellt sich bei einer tieferen Untergliederung des Eigenkapitals die Frage, welche Unterposition des Eigenkapitals gekürzt wird. Da, wie ausgeführt, für eine Stiftung grundsätzlich keine Kapitalerhaltungsgrundsätze bestehen, kann im Prinzip jede Eigenkapitalposition um die Zuwendungen gekürzt werden. In den häufigen Fällen, in denen eine Untergliederung des Stiftungskapitals in „gewidmetes Kapital“ und „Bilanzgewinn“ erfolgt (vgl. nochmals oben Abschnitt IV.2.), wird sich in der Regel eine Kürzung des Bilanzgewinns empfehlen (welcher sich dann wie folgt zusammensetzt: Gewinnvortrag abzüglich Zuwendungen an Begünstigte zuzüglich Jahresüberschuss des letzten Geschäftsjahres).
V. Rechnungskreise Gelegentlich ergibt sich das Bedürfnis, das Vermögen der Stiftung gedanklich einzelnen Begünstigten zuzuordnen. Dies kann schon in der Stiftungserklärung so vorgesehen sein, kann aber auch vom Stiftungsvorstand so festgelegt werden. Eine solche Zuordnung findet in der Praxis häufig in der Bildung von „Rechnungskreisen“ ihren Niederschlag. Das „Rechnungskreisvermögen“ erfordert eine Zuordnung einzelner Aktiva und Passiva (sowie von Erträgen und Aufwendungen) zu dem jeweiligen Rechnungskreis und führt dazu, dass jedem Rechnungskreis auch ein Anteil am Eigenkapital entspricht. Da eine gesetzliche Definition des Rechnungskreises fehlt, muss bei jeder Einrichtung eines Rechnungskreises eine möglichst exakte Ausgestaltung des ___________ 34 35
Vgl. Ostendorf / Lechner (1999), Rz. 9 sowie die dortigen weiteren Hinweise. Vgl. Gelter (2001), S. 265.
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Begriffes für den jeweiligen Einzelfall erfolgen. Dies kann entweder bereits durch den Stifter in der Stiftungserklärung oder in Ermangelung dessen durch den Stiftungsvorstand erfolgen.36 Die Zuordnung von Vermögen zu internen Rechnungskreisen wirkt ausschließlich im Innenverhältnis. Im Außenverhältnis ist nämlich eine zivilrechtliche Trennung der einzelnen Rechnungskreise nicht möglich. Die Ausschüttungssperre des § 17 Abs. 2 PSG wirkt „rechnungskreisübergreifend“. Im Extremfall kann das Vermögen eines Rechnungskreises durch Verluste eines anderen Rechnungskreises geschmälert werden.37 Auch wenn Vermögen intern in Rechnungskreise eingestellt wird, bleibt es bis zu einer Zuwendung von Teilen des Rechnungskreisvermögens an einen Begünstigten (oder bis zu einer anderen Verwendung des Vermögens) Vermögen der Privatstiftung und ist daher zusammen mit allen anderen Vermögensgegenständen der Stiftung in der Bilanz der Stiftung auszuweisen. Die Ansprüche von Begünstigten an die Privatstiftung auf Zuwendungen aus einem Rechnungskreis dürfen (auch) aus ertragsteuerlichen Gründen nicht so „stark“ ausgestaltet sein, dass das Rechnungskreisvermögen (oder Teile davon) als bereits dem Begünstigten zugewendet anzusehen ist.38 Wäre der Begünstigte bereits als wirtschaftlicher Eigentümer des Rechnungskreisvermögens (oder von Teilen davon) anzusehen, so würde der Übergang des Eigentums an Vermögen von der Privatstiftung an den Begünstigten dazu führen, dass diese Vermögensgegenstände bereits dem Begünstigten zuzurechnen wären und damit aus den Büchern der Privatstiftung auszuscheiden hätten.39 Damit Hand in Hand ginge der Zufluss einer Einnahme an den Begünstigten mit der Folge der Einkommensteuerpflicht dieser Zuwendung beim Begünstigten. Im Regelfall werden Zuwendungen beim Begünstigten gemäß § 27 Abs. 1 Z. 7 EStG40 zu Einkünften ___________ 36
Vgl. Fries / Lechner (2006), S. 17. Vgl. auch dazu Fries / Lechner (2006), S. 17. 38 Zur Vermeidung eines steuerpflichtigen Zuflusses an einen Begünstigten muss daher sichergestellt sein, dass der Begünstigte über das „seinem“ Rechnungskreis (bzw. richtiger: des für ihn eingerichteten Rechnungskreises) zugewiesene Vermögen keine volle Verfügungsmacht haben darf (vgl. Lechner (2005), S. 55). Bei der Ausgestaltung von Rechnungskreisen (insbesondere solchen, die bereits in der Stiftungserklärung geregelt sind) wird daher aus den erwähnten steuerrechtlichen Gründen darauf zu achten sein, dass keinesfalls eine freie Verfügung des Begünstigten über Rechnungskreisvermögen möglich ist. 39 Unterstellend, dass die ertragsteuerlichen und die handelsrechtlichen Grundsätze für die Zurechnung von Vermögensgegenständen bzw. Wirtschaftsgütern weitgehend deckungsgleich sind (Crezelius (2003), § 5 Rn 66), bedeutet dies, dass das bereits einem Begünstigten zuzurechnende Vermögen aus dem Vermögen der Privatstiftung (und damit aus der Bilanz der Privatstiftung) auszuscheiden hat und folglich das Eigenkapital der Stiftung schmälert. 40 Einkommensteuergesetz vom 07.07.1988 (BGBl 1988/400), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.08.2005 (BGBl. I 2005/104). 37
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aus Kapitalvermögen führen,41 von denen gemäß § 93 Abs. 2 Z. 1 lit. d EStG Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % des Wertes der Zuwendung einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen ist. Bei natürlichen Personen hätte die Kapitalertragsteuer Abgeltungswirkung.42 Durch die Zuordnung einzelner Vermögensgegenstände zu Rechnungskreisen ergibt sich automatisch auch ein jedem Rechnungskreis zuordenbares Eigenkapital. Da interne „Rechnungskreise“ keine Außenwirkung entfalten und insbesondere auch anderen Gläubigern der Stiftung gegenüber (anderen als Begünstigten) wirkungslos sind, werden Rechnungskreise wohl meist bloß als eine Art „Nebenrechnung“ zum Jahresabschluss geführt werden. Durch Gegenüberstellung der aktiven und passiven Vermögensgegenstände ergibt sich dann automatisch das Eigenkapital jedes Rechnungskreises. Sollten die Ansprüche von Begünstigten auf Zuwendungen (die allerdings noch nicht dazu führen dürfen, dass ein Zufluss anzunehmen ist) der Höhe nach auf Teile des Rechnungskreisvermögens beschränkt sein, könnte sich für die interne Vermögens- und Eigenkapitaldarstellung eine Trennung bzw. Untergliederung nach dem Grad der „Gebundenheit“ als zweckmäßig erweisen. Wenngleich dies in der Praxis zumindest bisher nicht vorkommen dürfte, erscheint es auch möglich, die Rechnungskreise nicht nur in internen Nebenrechnungen, sondern direkt im Jahresabschluss der Privatstiftung abzubilden. Auch erscheint es denkbar, das Eigenkapital in der Bilanz so zu untergliedern, dass die Zuordnung des Eigenkapitals auf die einzelnen Rechnungskreise ersichtlich gemacht wird. So wäre es etwa denkbar, dass ein variables Eigenkapital wie folgt untergliedert wird: „Eigenkapital Rechnungskreis für Begünstigten A“, „Eigenkapital Rechnungskreis für Begünstigten B“ usw. Allenfalls könnte eine noch tiefere Untergliederung erfolgen, in „gebundenes Eigenkapital“ und „zuwendungsfähiges Eigenkapital“, wenn beispielsweise (sei es aufgrund der Stiftungserklärung oder eines Stiftungsvorstandsbeschlusses) vorgesehen ist, dass Zuwendungen z.B. bloß aus den laufenden Erträgen möglich sein sollen. Besondere Schwierigkeiten bei der Zuordnung einzelner Aktiva und Passiva bzw. Erträge und Aufwendungen zu einzelnen Rechnungskreisen werden sich regelmäßig aus der Zuordnung von Aufwendungen für Ertragsteuern ergeben. Wenn beispielsweise mit dem Vermögen eines Rechnungskreises ein Verlust43 erzielt wird, während ein anderer Rechnungskreis einen Gewinn erwirtschaftet, ___________ 41
Vgl. dazu Stangl (2005), Rz. II/531 (S. 256). „Endbesteuerung“ bestimmter Kapitalerträge; vgl. § 97 Abs. 1 EStG. 43 Ein Verlust könnte sich beispielsweise aus Vermietung und Verpachtung, aus einer gewerblichen Betätigung als Mitunternehmer (z.B. aus einem Kommanditanteil), oder aus einer von der Privatstiftung betriebenen Land- oder Forstwirtschaft ergeben. 42
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stellt sich die Frage, wie sich der Umstand, dass ein Verlustausgleich44 möglicherweise dazu führt, dass die Stiftung insgesamt keine Körperschaftsteuer zu zahlen hat, auf die jedem Rechnungskreis zuzurechnende Steuerbelastung auswirkt. So wäre es denkbar, dass der mit Verlust abschließende Rechnungskreis eine Forderung gegenüber dem anderen, mit Gewinn abschließenden Rechnungskreis in jener Höhe ausweist, in der sich für den anderen Rechnungskreis isoliert betrachtet eine Steuerpflicht ergeben hätte, wenn der Verlustausgleich nicht eingetreten wäre. Ebenso gut könnten aber auch bloß die tatsächlichen Steueraufwendungen berücksichtigt werden. Allein schon dieses simple Beispiel zeigt ansatzweise die verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung auf. Ohne Regelung in der Stiftungserklärung wird es Aufgabe des Stiftungsvorstands sein, für jeden Einzelfall praktikable Lösungen zu finden. Weitere Probleme können sich auch im Hinblick auf die Zuordnung der „Körperschaftsteuer-Zwischensteuer“ (§ 13 Abs. 3 und 4 KStG) ergeben. Diese Steuer fällt für bestimmte von Privatstiftungen erzielte Kapitalerträge (insb. Zinserträge) und Beteiligungsveräußerungsgewinne an. Im Falle von (kapitalertragsteuerpflichtigen) Zuwendungen an Begünstigte, welche im Jahr der Erzielung zwischensteuerpflichtiger Einkünfte erfolgen, entfällt insoweit die Zwischensteuerpflicht. Kommt es erst in späteren Jahren zu Zuwendungen, so ist die in Vorjahren entrichtete Zwischensteuer wieder gutzuschreiben (§ 24 Abs. 5 KStG). Eine Zuwendung an Begünstigte eines Rechnungskreises kann somit dazu führen, dass einem anderen Rechnungskreis im Jahr der Zuwendung zufließende – grundsätzlich zwischensteuerpflichtige – Erträge nicht der Zwischensteuer unterliegen. Auf der anderen Seite kommt es aufgrund der Verrechnung von Erträgen und Zuwendungen für Zwecke der Zwischensteuer dazu, dass bei isolierter Betrachtung dem zuwendenden Rechnungskreis zustehende Zwischensteuergutschriften tatsächlich nicht gewährt werden. Sowohl der Zufluss von Erträgen bei einem Rechnungskreis als auch das Tätigen von Zuwendungen aus einem Rechnungskreis können somit dazu führen, dass die Summe der den einzelnen Rechnungskreisen bei isolierter Betrachtung zuzurechnenden Steuerbelastung/Steuergutschrift nicht der tatsächlichen Steuerlast der Privatstiftung als Ganzes entspricht. Für die buchhalterische Berücksichtigung der oben kurz dargestellten Konstellationen bieten sich wiederum verschiedene Lösungsansätze an. Einerseits wäre mithilfe einer isolierten Jahresbetrachtung die von der Privatstiftung tatsächlich zu zahlende Steuer bzw. die der ___________ 44 Ein Verlustausgleich ist allerdings nicht mit solchen Kapitaleinkünften möglich, die der „Sondersteuer“ des § 13 Abs. 3 und 4 i.V.m. § 22 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes vom 07.07.1988 (BGBl. 1988/401), zuletzt geändert durch die Versicherungsaufsichtsgesetznovelle 2005 vom 11.08.2005 (BGBl. I 2005/93), (sog. Körperschaftsteuer-Zwischensteuer in Höhe von 12,5 %) auf die in § 13 Abs. 3 KStG genannten Bruttozinserträge bzw. die in § 13 Abs. 4 KStG genannten Beteiligungsveräußerungsgewinne unterliegen.
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Privatstiftung tatsächlich erteilte Steuergutschrift nach gewissen, festzulegenden Regeln aufzuteilen. Eine solche isolierte Jahresbetrachtung wird jedoch dem jahresübergreifenden Auswirkungen der Zwischensteuer bzw. deren Erstattung nicht gerecht, weshalb der Stiftungsvorstand nach Möglichkeiten suchen müssen wird, mittels internen Forderungen bzw. Verbindlichkeiten zwischen den Rechnungskreisen eine möglichst verursachungsgerechte Darstellung zu ermöglichen.
VI. Ergebnis Die Besonderheiten der Privatstiftung gebieten es, die Eigenkapitalausweisvorschriften des § 224 Abs. 3 A. HGB für Privatstiftungen nicht für anwendbar zu erachten. Die Privatstiftung ist hinsichtlich der Kapitalausweisvorschriften eher einem Einzelunternehmen als einer Kapitalgesellschaft vergleichbar. Wenn die Stiftungserklärung keine besonderen Anordnungen enthält, genügt der Ausweis eines nicht weiter untergliederten variablen Eigenkapitals. Untergliederungen des Eigenkapitals können sich aber unter verschiedenen Gesichtspunkten als zweckmäßig erweisen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Untergliederung des Eigenkapitals der Privatstiftung besteht aber nicht. Soweit die Stiftungserklärung spezielle Ausweisvorschriften vorgibt, sind diese zu beachten. Unter Umständen kann auch durch andere Anordnungen der Stiftungserklärung, insbesondere in Bezug auf bestimmte Grundsätze der Vermögensgebarung, eine bestimmte diesen Grundsätzen Rechnung tragende Untergliederung des Eigenkapitals ratsam erscheinen. Völlig ungelöste Fragen ergeben sich für die Zuordnung des Eigenkapitals zu vom Stifter angeordneten oder vom Stiftungsvorstand eingerichteten „Rechnungskreisen“. Da derartige Rechnungskreise keine Außenwirkung entfalten, ist die Ermittlung und Darstellung von „Rechnungskreiseigenkapital“ ein rein interner Vorgang, für den in jedem Einzelfall spezifische Lösungen zu suchen sind.
Literaturverzeichnis Arnold, Nikolaus (2005): Zuwendungen aus der Privatstiftung – Verkehrsteuern und Gebühren; in: Privatstiftungs-Steuerrecht – Systematische Kommentierung, Teil I; Hrsg. Nikolaus Arnold / Christian Stangl / Michael Tanzer; Wien 2005; S. 226 – 246. Crezelius, Georg (2003): Kommentierung zu § 5 EStG; in: EStG-KompaktKommentar; 3. Auflage; Hrsg. Paul Kirchhof; Heidelberg 2003. Eiselsberg, Maximilian (2005): Der Zweck der Privatstiftung; in: Zeitschrift für Stiftungswesen, 3. Jg. (2005), S. 4 – 10. Filnkößl, Heinz (1996): Rechnungslegung und Prüfung der Privatstiftung; in: Rechnungslegung, Prüfung und Beratung: Festschrift aus Anlaß des 50-Jahr-Jubiläums der KPMG Alpen-Treuhand; Hrsg. Christian Nowotny; Wien 1996; S. 49 – 68.
Eigenkapitalausweis österreichischer Privatstiftungen
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Zur bilanziellen Berücksichtigung von Rückdeckungsversicherungsansprüchen Von Adolf Moxter
I. Einführung Dieter Rückle hat wie kein anderer Versicherungs- und Bilanzrecht fruchtbar verknüpft.1 Es liegt daher nahe, den Spuren des Meisters zu folgen und in dieser ihm gewidmeten Festschrift ein Problem herauszugreifen, das Gegenstand einer langjährigen und im Ergebnis unbefriedigenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ist: die bilanzielle Berücksichtigung von Rückdeckungsversicherungsansprüchen.
II. Das Urteil des I. BFH-Senats2 1. Sachverhalt Streitig war, mit welchem Wert die Steuerpflichtige „ihre Ansprüche aus Rentenrückdeckungsversicherungen (ab dem Zeitpunkt des Rentenbeginns) zu aktivieren“3 hatte. Die Steuerpflichtige hatte ihre gegenüber Mitarbeitern bestehenden Pensionsverpflichtungen „in voller Höhe (kongruent) durch Rückversicherungen abgedeckt, wobei ab dem Zeitpunkt des Rentenbeginns die Erstattung des angesammelten Deckungskapitals (Rückkauf) für den Fall der Vertragsauflösung ausgeschlossen war“. Die Steuerpflichtige hatte die Rückdeckungsansprüche unterschiedlich bewertet: Soweit es sich um Pensionsverpflichtungen gegenüber noch aktiven ___________ 1 Sein normativer Grundansatz schlägt sich bereits in dem Werk „Normative Theorie der Steuerbilanzpolitik“ nieder: Rückle (1983). Vgl. aus dem Kreis der jüngsten Arbeiten insbesondere Rückle (2004). 2 BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 54/02 (Vorinstanz: FG München, Urteil vom 10.07.2001 – 7 K 5498/99). Vgl. auch die BFH-Urteile vom 01.02.1966 – I 90/63, vom 28.06.2001 – IV R 41/00, vom 28.11.1961 – I 191/59 S, und vom 05.06.1962 – I 221/60 U. 3 Alle folgenden Zitate stammen aus dem zu analysierenden BFH-Urteil I R 54/02.
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Mitarbeitern handelte, bewertete sie die Rückdeckungsansprüche mit den „nachgewiesenen Deckungskapitalwerten“. Dagegen „begrenzte sie den Wertansatz derjenigen Rückdeckungsansprüche, die Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Beginns der jeweiligen Rentenzahlungen betrafen, auf den Wert der von ihr für die betreffenden Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 6a des Einkommensteuergesetzes (EStG4) gebildeten Pensionsrückstellungen“. Die Steuerpflichtige argumentierte, daß mit Beginn der Rentenzahlungen die Rückkaufsmöglichkeit entfalle und der Rückdeckungsanspruch infolgedessen „keinen Wert mehr habe, der über den der (abgedeckten) Rentenverpflichtung hinausgehe“.
2. Urteilsergebnis und Urteilsbegründung Der Senat lehnte die vom Steuerpflichtigen begehrte Kürzung des Wertes der Rückdeckungsansprüche ab. Der Leitsatz des Urteils lautet: „Ansprüche aus einer Rückdeckungsversicherung für eine Pensionsverpflichtung sind in Höhe der verzinslichen Ansammlung der vom Versicherungsnehmer geleisteten Sparanteile der Versicherungsprämien (zuzüglich etwa vorhandener Guthaben aus Überschußbeteiligungen) zu aktivieren.“ Die wesentlichen Argumente des Senats werden im folgenden dargestellt.
a) Getrennte Bilanzierung von Rückdeckungsanspruch und Pensionsverpflichtung Gestützt auf das gesetzliche Saldierungsverbot (§ 246 Abs. 2 HGB) betont der Senat, daß es sich bei Rückdeckungsanspruch und Pensionsverpflichtung um „unabhängig voneinander zu bilanzierende Wirtschaftsgüter“ handle. Auch „gemäß § 240 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 HGB“ seien Vermögensgegenstände und Schulden „einzeln aufzunehmen“. Pensionsverpflichtung und Rückdeckungsanspruch müßten mit Rücksicht auf die „grundlegende gesetzliche Forderung nach Bilanzierung ... der ,einzelnen‘ Wirtschaftsgüter“ gesondert bilanziert werden; diese Vorschrift mache „die Betrachtung des kleinsten Sachverhalts erforderlich, der nach der Verkehrsanschauung als selbständig realisier- und bewertbar angesehen wird“.
___________ 4
Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.2002 (BGBl. I S. 4210, BGBl. I 2003 S. 179), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 2013).
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b) Selbständige Bewertung von Rückdeckungsanspruch und Pensionsanspruch Der Senat meint, Rückdeckungsanspruch und Pensionsverpflichtung bildeten nicht nur getrennt anzusetzende Wirtschaftsgüter, sie seien auch unabhängig voneinander zu bewerten. Er begründet diese These mit der gesetzlichen Einzelbewertungsvorschrift (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB5). Eine Ausnahme im Sinne von § 252 Abs. 2 HGB sieht der Senat im Streitfall nicht gegeben: Eine Abweichung vom Einzelbewertungsprinzip könne in Betracht kommen, „wenn im Zuge der Einzelbewertung einzelner Bilanzpositionen Wertveränderungen berücksichtigt werden, die systematisch im Sinne einer gegenläufigen Korrelation mit Wertänderungen anderer Bilanzpositionen verbunden sind, es sich also um objektübergreifende identische wertbildende Faktoren handelt ..., die sich gegenläufig neutralisieren“. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall „bereits deshalb“ nicht gegeben, weil keine „gegenläufigen wertbeeinflussenden Korrelationen“ vorlägen; es fehle im Streitfall an „systematischen wertmäßigen Abhängigkeiten“. Die unterschiedliche Bewertung beider Bilanzposten folge „aus zwingenden normierten Besonderheiten der jeweiligen Bewertung“. Die „bestehende wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Ansprüchen aus der Rückdeckung und den Pensionsverpflichtungen“, ihre (wirtschaftliche) „Deckungsgleichheit“, reichten nicht aus, um eine Abweichung vom Einzelbewertungsprinzip zu begründen.
c) Zwingendes Wertgefälle zwischen Rückdeckungsansprüchen und Pensionsverpflichtungen Das Problem, ob Rückgriffsansprüche und Pensionsverpflichtungen zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen sind, wäre im Ergebnis gegenstandslos, wenn man Rückgriffsansprüche und Pensionsverpflichtungen zwar jeweils selbständig zu bilanzieren und zu bewerten hätte, aber mit gleichen Wertansätzen für beide Posten (wie das der Steuerpflichtige begehrt hatte). Der Senat meint indes, es entspreche „der gesetzgeberischen Absicht, den bilanziellen Ausweis von Pensionsverpflichtungen bestimmten Maßgaben – etwa der Anwendung eines Zinsfußes von 6 % – zu unterwerfen und damit wertmäßig bewußt nur in einer Höhe zuzulassen, die jedenfalls unter dem bei dem Versicherungsunternehmen angesparten Deckungskapital liegt; auch für rückgedeckte Pensionsverpflichtungen hat der Gesetzgeber keine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen“. Da der Wertansatz der Pensionsverpflichtungen durch ___________ 5 Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch das Bilanzkontrollgesetz vom 15.12.2004 (BGBl. I S. 3408).
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§ 6a EStG festliegt, konnte sich der Senat auf das Problem der Bewertung der Rückdeckungsansprüche konzentrieren.
aa) Anschaffungskosten der Rückdeckungsansprüche Als Anschaffungskosten der Rückdeckungsansprüche sieht der Senat „die bis zum jeweiligen Bilanzstichtag vom Versicherungsnehmer aufgewendeten Sparanteile der Versicherungsprämien (Sparbeiträge)“ sowie die „rechnungsmäßige Verzinsung dieser Sparbeiträge, die vertraglich garantiert“ ist und daher zu Zinsansprüchen führe. Dem so verstandenen Betrag der Anschaffungskosten entspreche beim Versicherungsunternehmen „zum jeweiligen Bilanzstichtag begrifflich und betragsmäßig dessen geschäftsplanmäßiges Deckungskapital“; infolgedessen bilde das „vom Versicherer jeweils nachgewiesene Deckungskapital (Deckungsrückstellung) ... auch Bewertungsgrundlage und -maßstab für den korrespondierenden Rückdeckungsanspruch des Versicherungsnehmers zu dessen Anschaffungskosten“.
bb) Teilwert der Rückgriffsansprüche Zum Teilwert der Rückgriffsansprüche meint der Senat, „daß der gedachte Erwerber des Betriebs auch in die Pensionsverpflichtungen und die dafür abgeschlossenen Rückdeckungsversicherungen eintreten und daher zwangsläufig die vom Versicherer kalkulierten und als dessen Deckungskapital verzinslich angesammelten Sparbeiträge entgelten würde. Denn sie entsprechen dem marktgerechten Entgelt für den Erwerb des jeweiligen Rückdeckungsanspruchs und damit auch dessen Teilwert“. Das Deckungskapital des Versicherers gleiche daher „betragsmäßig nicht nur den Anschaffungskosten, sondern auch dem Teilwert des Versicherungsanspruchs“. Unmaßgeblich sei, „daß der Rückkaufswert einer Versicherung das angesammelte Deckungskapital regelmäßig unterschreitet, sofern „der Rückkauf nicht beabsichtigt“ bzw., wie im Streitfall, ausgeschlossen ist. Schließlich könne eine Teilwertabschreibung im Streitfall auch nicht mit einer „geschäftlichen Fehlmaßnahme“ begründet werden, weil nichts für eine solche Fehlmaßnahme spreche.
3. Beurteilung der BFH-Entscheidung a) Rückdeckungsanspruch und Pensionsverpflichtung als selbständige Bilanzposten Die getrennte Bilanzierung von Rückdeckungsansprüchen und Pensionsverpflichtungen ist zwingend, und zwar selbst dann, wenn beide Posten etwa mit
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dem gleichen Wert anzusetzen wären. Das folgt formal aus dem Vollständigkeitsgebot bzw. Verrechnungsverbot des § 246 HGB, materiell aus dem bilanzrechtlichen Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB): Die Erfüllungsverpflichtungen hinsichtlich der Pensionszahlungen bestünden fort, wenn sich die Rückdeckungsansprüche etwa – ganz oder teilweise – wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Versicherungsunternehmens entwerten sollten, und solche Schwierigkeiten lassen sich insbesondere wegen der im allgemeinen relativ langen Vertragsdauer nicht ausschließen.6 Im übrigen muß die Bilanz schon im Hinblick auf das Einblicksgebot (§ 242 Abs. 1, § 264 Abs. 2 HGB) ein solches Risiko zeigen.
b) Selbständige Bewertung von Rückdeckungsanspruch und Pensionsverpflichtung Dem Senat ist auch zuzustimmen, wenn er die Zulässigkeit von Bewertungseinheiten restriktiv sieht: Das Einzelbewertungsprinzip hat gerade die Aufgabe, Umgehungen grundlegender handelsrechtlicher GoB wie des Anschaffungskostenprinzips und des Imparitätsprinzips zu verhindern, wie sie durch die Bildung von Bewertungseinheiten drohen. Doch hieße es, das Einzelbewertungsprinzip allzu formal auszulegen, wenn man gegenseitige Wertbeeinflussungen von Bilanzposten beim Wertansatz ausschließen wollte: Wenn sich etwa die (gesuchten) Anschaffungskosten von Bilanzposten A nach den (feststehenden) Anschaffungskosten von Bilanzposten B bestimmen, bedeutet die Berücksichtigung dieser Verkettung gar keine Ausnahme vom Einzelbewertungsprinzip, beachtet man dessen Sinn und Zweck.7
aa) Anschaffungskosten der Rückdeckungsansprüche Anschaffungskosten im Sinne des Gesetzes (§ 255 Abs. 1 HGB) werden nach dem klaren Gesetzeswortlaut stets für einen „Vermögensgegenstand“ aufgewendet: Das Gesetz will „nicht die Aktivierung der Ausgabe als solcher, sondern des für sie Erlangten“, des „Gegenwerts“.8 Bei der Ermittlung der Anschaffungskosten muß daher zunächst dieses Erlangte bestimmt werden. Im Streitfall hat der Steuerpflichtige keinen Anspruch erlangt auf das „vom Versicherer ausgewiesene Deckungskapital“; vielmehr richtet sich der Anspruch des Steuerpflichtigen rechtlich wie wirtschaftlich auf die Deckung sei___________ 6
Vgl. auch Rückle (2004), S. 1147. Vgl. insbes. Schreiber (2003), Rz. 229 – 239. 8 RFH, Urteil vom 21.09.1927 – VI A 383/27 (alle Zitate). 7
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ner Pensionsverpflichtungen: Hierin drückt sich der für die Ausgaben (Versicherungsprämien) erlangte Gegenwert aus, hierin ist der erlangte Vermögensgegenstand zu sehen, der die zuzuordnenden Anschaffungskosten bestimmen muß. Die Anschaffungskosten der am jeweiligen Bilanzstichtag erlangten Rückdeckungsansprüche können mithin nicht unabhängig ermittelt werden vom Wert der bis zu dem betreffenden Bilanzstichtag aufgelaufenen Pensionsverpflichtungen. Dieser (Bar-)Wert sollte sich in den passivierten Pensionsverpflichtungen niederschlagen; so gesehen verschiebt sich das Problem der Anschaffungskosten des Rückdeckungsanspruchs auf die Bewertung der Pensionsverpflichtungen: Nur wenn diese Pensionsverpflichtungen mit einem unzutreffenden Wert passiviert sind, kann der Anschaffungskostenbetrag des Rückdeckungsanspruchs vom Betrag der passivierten Pensionsverpflichtungen abweichen. § 6a EStG begrenzt den Betrag der passivierten Pensionsverpflichtungen; als besonders ins Gewicht fallend wird der Abzinsungssatz von 6 % gesehen.9 Sofern dies tatsächlich zu einer Unterbewertung der Pensionsverpflichtungen führte, wäre den passivierten Pensionslasten ein sie übersteigender Rückdekkungsanspruch gegenüberzustellen, eine Bilanzierung, die sich mit dem (auch bilanzsteuerrechtlich nicht etwa unbeachtlichen) Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) sicher nicht vereinbaren ließe. Es ist aber gerade diese GoBwidrige Bilanzierung, die der Senat für zutreffend hält, im wesentlichen mit dem Argument, es handle sich um eine „vom Gesetzgeber beabsichtigte Konsequenz“, die „nicht durch Bildung von Bewertungseinheiten ausgeglichen werden“ dürfe. „Gerade dies würde aber geschehen, wenn die jeweiligen Pensionsverpflichtungen (jedenfalls im Ergebnis) mit dem Wert des Deckungskapitals gleichgesetzt würden“. Die „vorgeschriebenen unterschiedlichen Rechnungsgrundlagen“ dürften nicht unberücksichtigt bleiben.
bb) Teilwert der Rückdeckungsansprüche Überhöhte Anschaffungskosten wären im Ergebnis im Streitfall irrelevant, wenn man die Rückdeckungsansprüche mit einem niedrigeren Teilwert zu aktivieren hätte. Das wird vom Senat indes, wie gezeigt, verneint, im wesentlichen mit dem Argument, das angesammelte Deckungskapital entspreche „dem marktgerechten Entgelt für den Erwerb des jeweiligen Rückdeckungsanspruchs und damit auch dessen Teilwert“. ___________ 9 Vgl. zur Regelung nach IFRS: IAS 19.78 und zu Einzelheiten Rhiel (2004), Rz. 40 f.
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Es fällt auf, daß der Senat eine Begründung für seine These vom „marktgerechten Entgelt“ vermissen läßt: Es wäre ihm auch kaum gelungen, seine Behauptung stichhaltig zu untermauern. Der mit der gesetzlichen Teilwertdefinition unterstellte Erwerber des ganzen Betriebs hätte zwar für die Rückdeckungsansprüche ein marktgerechtes Entgelt zu entrichten, aber er berechnete dieses Entgelt im Rahmen seiner Bestimmung des Gesamtkaufpreises für das Unternehmen völlig abweichend vom angesammelten Deckungskapital: Die erworbenen Rückdeckungsansprüche befreien ihn grundsätzlich von den übernommenen Pensionsverpflichtungen; infolgedessen blieben Rückdeckungsansprüche und Pensionsverpflichtungen in seiner Kaufpreiskalkulation grundsätzlich unberücksichtigt. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, daß der gedachte Unternehmenserwerber Anlaß hat zu befürchten, die Rückdeckungsansprüche könnten etwa durch wirtschaftliche Schwierigkeiten des Versicherers ganz oder teilweise entwertet werden; dann veranschlagte der gedachte Unternehmenserwerber dieses Risiko in der Form einer Minderung des Gesamtkaufpreises für das Unternehmen. Bilanziell gesehen setzte er mithin die Rückdeckungsansprüche niedriger an als die Pensionsverpflichtungen. Man mag einwenden, daß die Teilwertkonzeption den selbständigen Ansatz von Rückgriffsansprüchen und Pensionsverpflichtungen im Rahmen des Gesamtkaufpreiskalküls erfordere, und daß der gedachte Unternehmenserwerber die künftigen Pensionszahlungen mit einem höheren (Bar-)Wert ansetze als der sich aufgrund von § 6a EStG ergebende Barwert: Der gedachte Unternehmenserwerber rechne insbesondere mit einem niedrigeren Abzinsungssatz als 6 %, was ihn veranlasse, auch die Rückdeckungsansprüche (im Ergebnis im Sinne des Senats) höher zu bewerten. Der gedachte Unternehmenserwerber diskontiert in der Tat künftige Zahlungsströme, hier die (wahrscheinlichen) künftigen Pensionsauszahlungen. Nur gehen die einzelnen Zahlungen unter in einem riesigen Zahlungsgeflecht; diskontiert werden jene Unterschiedsbeträge von Periodeneinzahlungen und -auszahlungen, die sich als jährliche Ausschüttungen an den Unternehmenserwerber darstellen. Der maßgebliche Abzinsungssatz wird daher von den Eigenschaften dieses Ausschüttungsstroms bestimmt und kann nicht auf einzelne Komponenten des gesamten Zahlungsgeflechts bezogen werden. Will man gleichwohl – in wörtlicher Auslegung der Teilwertvorschrift – den künftigen Pensionszahlungen einen speziell auf sie bezogenen Abzinsungssatz gegenüberstellen, so lautet die Fragestellung: Welchen Mehrbetrag für das ganze Unternehmen entrichtet der gedachte Unternehmenserwerber, weil die Pensionszahlungen nicht bereits zum Bewertungszeitpunkt fällig werden, sondern erst später. Dieser Mehrbetrag bestimmt sich aus der Überlegung, daß die spätere Fälligkeit der Auszahlungen dem gedachten Unternehmenserwerber ermöglicht, vorhandene Mittel in der Zwischenzeit anderweitig anzulegen (statt die Pensionszahlungen etwa vorzeitig abzulösen) bzw. auf die bei Sofortfällig-
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keit der Auszahlungen erforderliche Mittelaufnahme zu verzichten. In beiden Fällen, der Mittelverwendung wie auch der (alternativen) Mittelaufnahme, darf nicht mit einem Zinssatz gerechnet werden, den Versicherer aufgrund (wechselnder) aufsichtsrechtlicher, am Schutz der Versicherten orientierter Vorschriften der Ermittlung des Deckungskapitals zugrunde legen müssen (und der den sogenannten landesüblichen Zinssatz noch unterschreitet). Vielmehr wird dieser vom gedachten Unternehmenserwerber verwendete Zinssatz deutlich höher sein; der in § 6a EStG typisierte Zinssatz von 6 % kommt als Annäherungswert durchaus in Betracht.
III. Zusammenfassung 1. Gegenstand der Untersuchung war der Wertansatz von Rückdeckungsversicherungsansprüchen anhand eines BFH-Urteils aus dem Jahre 2004. 2. Der BFH hatte, einer langjährigen Rechtsprechung folgend, entschieden, daß dem Ausgleich von Pensionsverpflichtungen dienende Rückdeckungsansprüche mit dem vom Versicherungsunternehmen nachgewiesenen Deckungskapital zu aktivieren seien. Dieses Deckungskapital (beim Versicherungsunternehmen zugleich die Deckungsrückstellung) entspreche den Anschaffungskosten des Versicherungsnehmers für seine Rückdeckungsansprüche und auch deren Teilwert. 3. Da der Berechnung des Deckungskapitals aufgrund aufsichtsrechtlicher Vorschriften vom Versicherungsunternehmen ein Abzinsungssatz von 3,5 % zugrunde zu legen war, die Pensionsverpflichtungen dagegen wegen § 6a EStG mit einem niedrigeren Wert (insbesondere wegen des Abzinsungssatzes von 6 %) passiviert werden mußten, ergab sich ein entsprechender Aktivenüberschuß, der aber, wie der Senat meint, gesetzgeberisch beabsichtigt sei. 4. Der Steuerpflichtige hatte eine Aktivierung seiner Rückdeckungsansprüche in Höhe der gemäß § 6a EStG passivierten Pensionsrückstellung begehrt; er argumentierte im wesentlichen, daß sich wegen des im Streitfall vertraglich ausgeschlossenen Rückkaufs der Wert der Rückdeckungsansprüche im Wert der Pensionsrückstellungen erschöpfe. 5. Zutreffend hat der Senat festgestellt, daß eine Bewertungseinheit von Rückdeckungsansprüchen und Pensionsverpflichtungen insofern nicht in Betracht kommt, als beide als selbständige Posten zu bilanzieren sind; das folgt insbesondere aus dem bilanzrechtlichen Vorsichtsprinzip. 6. Entgegen der Auffassung des Senats bestimmen sich die Anschaffungskosten der Rückdeckungsansprüche nicht anhand des nachgewiesenen Dekkungskapitals; denn Anschaffungskosten werden nach ihrer gesetzlichen Definition stets für einen bestimmten Vermögensgegenstand im Sinne des für die
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Anschaffung Erlangten aufgewendet: Erlangt hat der Steuerpflichtige indes keine Ansprüche auf das Deckungskapital, sondern auf die Deckung seiner Pensionsverpflichtungen, woraus folgt, daß Rückdeckungsansprüche und Pensionsverpflichtungen grundsätzlich einheitlich zu bewerten sind. 7. Eine Ausnahme von der im gerade erwähnten Sinne zu verstehenden Bewertungseinheit von Rückdeckungsansprüchen und Pensionsverpflichtungen könnte sich ergeben, wenn die gemäß § 6a EStG passivierten Pensionsverpflichtungen den tatsächlichen Wert der Pensionsverpflichtungen nicht voll erfaßten; insofern könnte sich durchaus ein Aktivenüberschuß herausstellen, wenn auch nur zufällig mit dem vom Senat statuierten Betrag. 8. Der tatsächliche Wert der Pensionsverpflichtungen muß als deren Teilwert verstanden werden; entgegen der Auffassung des Senats darf dieser indes nicht in Höhe des Deckungskapitals angesetzt werden, weil dieses Deckungskapital, anders als der Senat meint, nicht das vom gedachten Unternehmenserwerber zu entrichtende marktgerechte Entgelt darstellt. 9. Versteht man den Teilwert der Rückdeckungsansprüche, wie geboten, als Mehrbetrag, den der gedachte Unternehmenserwerber als Gesamtkaufpreis für das Unternehmen zu entrichten bereit wäre, wenn er die Pensionsverpflichtungen nicht zu übernehmen hätte, so sind die entsprechenden Mittelaufnahmebzw. Mittelverwendungssätze abzinsungsrelevant; der in § 6a EStG festgelegte Abzinsungssatz kann durchaus als brauchbare Typisierung gelten, für die übrigen in § 6a EStG vorgesehenen Berechnungsgrundlagen gilt unter den Voraussetzungen des Streitfalls nichts anderes. 10. Dieter Rückle vermag als Mensch wie als Wissenschaftler gleichermaßen zu faszinieren, schon weil er jenes von mächtigen Interessentengruppen unabhängige Streben nach Wahrheit verkörpert, das dem überkommenen Professorenideal entspricht, aber heute wohl nicht mehr allgemein praktiziert wird.
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Fortentwicklung von Rechnungslegungsnormen, Rechnungslegungsversicherung und Wirtschaftsprüfung Von Matthias Schmidt
I. Einleitung und Problemstellung Dieter Rückles Breite im wissenschaftlichen Interesse und seine Tiefe im Wissen sind in der akademischen Gemeinschaft nur selten vorzufinden. Zu den Gebieten in der Betriebswirtschaftslehre, mit denen er sich besonders gern und intensiv beschäftigt, zählen zweifellos jene der Rechnungslegung, der Wirtschaftsprüfung und der Versicherungswirtschaft.1 Ein im Jahr 2002 von Joshua Ronen in die breitere Diskussion gebrachter Vorschlag zur Rechnungslegungsversicherung2 stellt eine hoch interessante Verbindung der drei Gebiete her und dürfte deshalb besonders – aber nicht nur – bei dem vom Verfasser sehr verehrten Jubilar auf große Neugier stoßen. Das Besondere an Ronens Vorschlag ist der Versuch, Reformen der Rechnungslegung und Prüfung, die angesichts der weltweiten Bilanzskandale als notwendig erachtet werden, strikt anreizkompatibel zu gestalten. Viele ad hoc Reformen nach den Skandalen großer US-Aktiengesellschaften wie Enron und Worldcom lassen diese Anreizkompatibilität seines Erachtens vermissen. Kern einer Sicherstellung der Vertrauenswürdigkeit der Rechnungslegung sei eine gewissenhafte und vor allem unabhängige Abschlussprüfung.3 Die wesentlichen Adressaten eines Prüfungsurteils über den Jahresabschluss sind die Kapitalgeber des geprüften Unternehmens. Der radikale Vorschlag Ronens basiert aber interessanter Weise nicht auf dem Gedanken, die Kapitalgeber als primären Auftraggeber für den Wirtschaftsprüfer vorzusehen. Vielmehr sollen sich kapitalnachfragende Unternehmen bei einem Versicherer gegen die Folgen einer nicht ordnungsgemäßen Darstellung der Unternehmenslage in ihrer Rechnungslegung versichern.4 Begünstigte aus der Versicherung ___________ 1
Vgl. etwa Rückle (2005a, b), (2001), (1999a), (1999b), (1996), (1995). Vgl. Ronen (2002). 3 So Ronen (2002), S. 41 – 42. 4 Siehe Ronen (2002), S. 41. 2
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sollen die Kapitalgeber als Leidtragende einer Fehldarstellung der Unternehmenslage sein. Eigentlicher Auftraggeber des Wirtschaftsprüfers eines kapitalnachfragenden Unternehmens wird dann der Versicherer. Die Interessen des Versicherers sind aber aufgrund des Versicherungsauftrags eng mit denen der Kapitalgeber verbunden, so dass der Prüfer automatisch auch im Sinne der Kapitalgeber agieren muss, wenn er für den Versicherer prüft.5 Zur Verbesserung der Qualität der Jahresabschlussprüfung schlägt Ronen ferner eine Rechnungslegungsreform vor, die im Kern auf dem auch in der deutschen Literatur vorgeschlagenen Separationsmodellen6 beruht: zunehmend zukunftsgerichtete, wenig verlässliche aber als entscheidungsrelevant für Kapitalgeber angesehene Informationen sollen von objektivierbaren und verlässlichen Zahlen getrennt dargestellt werden. Gleichzeitig solle sich die Verantwortung des Wirtschaftsprüfers primär auf den verifizierbaren Teil beziehen. Für diesen Teil solle auch der Versicherer in der Pflicht stehen.7 Im Folgenden wird der Ansatz Ronens im Kontext eines u.a. vom Verfasser vorgeschlagenen Reformkonzeptes für die deutsche Rechnungslegung diskutiert. Zunächst wird dabei auf die zwei mit den Reformüberlegungen im Zusammenhang stehenden wesentlichen Probleme eingegangen: die zunehmende „Überfrachtung“ der externen Rechnungslegung mit zukunftsgerichteter Information und die verstärkten Zweifel an der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers (Kapitel II). Die Vorstellung und Diskussion der Reformvorschläge erfolgt in Kapitel III. Kapitel IV fasst den Beitrag zusammen.
II. Zukunftsorientierung der Rechnungslegung und Prüferabhängigkeit als drängende Probleme 1. Verstärkt prognostische Funktion von Bilanzierungsregeln in der internationalen Rechnungslegung Externe Rechnungslegung ist im Kern eine zukunftsbezogene Form der Unternehmensberichterstattung. So wird nicht etwa ausschließlich über vergangene Ein- und Auszahlungen berichtet, sondern der Versuch unternommen, mit___________ 5 Vgl. zu diesem Abschnitt Ronen (2002), S. 48. Bhattacharjee / Moreno / Yardley (2005) schlagen eine Lösung vor, die jener von Ronen sehr ähnelt. Die im Folgenden vorzustellenden zentralen Ideen sind mithin identisch. 6 Vgl. Siegel (1997), S. 140 – 141; Böcking (1998); S. 30; Ordelheide (1998); S. 31; Siegel (2004); Reichelt / Schmidt (2005), S. 55 – 61; Schmidt (2005), S. 175 – 179; Sigloch (2005), S. 563 – 564. 7 Vgl. Ronen (2002), S. 66.
Rechnungslegung, Rechnungslegungsversicherung und Wirtschaftsprüfung
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tels Bilanzierungsregeln Informationen des Managements über künftige Zahlungsströme zu vermitteln.8 Periodenein- und -auszahlungen werden durch Bilanzierungsregeln auf bestimmte Art und Weise künftigen Perioden zugeordnet oder in der aktuellen Periode antizipiert. Der Periodengewinn (Gt) ergibt sich folglich als eine Summe aus positiven oder negativen tatsächlichen Periodenzahlungen (Ct) und den durch Bilanzierungsregeln periodisierten Zahlungen, den sog. Accruals (At): Gt = Ct + At.9 Der Zukunftsbezug eines Rechnungslegungssystems schlägt sich offenbar in der Accruals-Komponente (At) des Periodengewinns nieder. Je mehr zukunftsgerichtete Informationen durch die Bilanzierungsregeln verarbeitet werden sollen, desto umfangreicher werden zwangläufig die Accruals.10 Als typisches Beispiel sei eine Investition in die Entwicklung eines immateriellen Vermögenswerts des Anlagevermögens – etwa intern genutzte Software – genannt. Auszahlungen seien dafür in Höhe von 100 € angefallen. Der Barwert der durch das Management erwarteten Einzahlungsüberschüsse aus der Nutzung der Software sei 1.000 €. In der Funktion ähnliche Softwareprogramme werden am Markt für 200 € gehandelt. Während die Periodenauszahlungen in t = 0 zu C0 = 100 € führen, hängt die Höhe der Accruals At in jeder Periode von der durch die Bilanzierungsregel eines Rechnungslegungssystems zu vermittelnden Information ab. Und diese Regel ist abhängig von der Zwecksetzung des Systems. Bei einem vollständig auf die Vermittlung kapitalmarktrelevanter Informationen ausgerichteten System wäre die Regel so zu wählen, dass möglichst viel der Information des Managements über die erwarteten Rückflüsse aus der Investition in At fließt. Im Idealfall müsste demnach für den Periodengewinn im Beispiel für t = 0 gelten: G0 = C0 + A0 = 100 € + 1.000 € = 900 €.11 Der Informationsvorsprung des Managements in Bezug auf die erwarteten Vorteile einer Investition kann von diesem jedoch opportunistisch zu Lasten der Kapitalgeber genutzt werden.12 Dieses Agency-Problem13 zwischen Management
___________ 8
Vgl. etwa Beaver (1998), S. 81; Christensen / Demski (2003), S. 126 – 138. Die Aktivierung einer Forderung informiert etwa über einen erwarteten Einzahlungsstrom, eine passivierte Rückstellung über erwartete Auszahlungen. Auch die Aktivierung einer Maschine lässt sich als Erwartung über künftige Einzahlungen in mindestens der Höhe der aktivierten Anschaffungs- oder Herstellungskosten begreifen; vgl. etwa Ordelheide (1988a), S. 287 – 290; Ordelheide (1988b), S. 280 – 281. 9 Siehe etwa Penman (2004), S. 123. 10 Vgl. z.B. Richardson et al. (2005), S. 441 – 442. 11 So u.a. Beaver (1998), S. 81 – 83. 12 Vgl. statt vieler Wagenhofer / Ewert (2003), S. 197 – 199. 13 Siehe dazu grundlegend Jensen / Meckling (1976).
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und Kapitalgebern wird verstärkt, wenn Gewinngrößen maßgeblich für die Messung von Dividendenausschüttungsrestriktionen sind.14 Aus diesem Grund wird mit Bilanzierungsregeln ein Kompromiss zwischen Relevanz und Verlässlichkeit der zu vermittelnden Information gesucht. Je nach Zwecksetzung eines Rechnungslegungssystems sowie nach Art einer damit abzubildenden Transaktion ist dieser Kompromiss unterschiedlich stark in die eine oder in die andere Richtung ausgeprägt. Der primäre Gläubigerschutzzweck der deutschen Rechnungslegung15 führt etwa durch § 248 Abs. 2 HGB16 für das Beispiel zu einem Accrual A0 in Höhe von Null. Denn selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens dürfen generell nicht aktiviert werden, so dass die für die Herstellung dieser Werte getätigten Ausgaben vollständig den Gewinn mindernd zu erfassen sind. Für den Periodengewinn in t = 0 gilt demnach im Beispiel: G0 = 100 € + 0 € = 100 €. Die International Financial Reporting Standards (IFRS) kennen demgegenüber den Zweck des Gläubigerschutzes durch vorsichtige Ermittlung eines ausschüttungsfähigen Gewinns nicht.17 Eine Definition von A0 in Höhe von Null führt für das Beispiel zu einem vollständigen Verlust der zukunftsbezogenen und damit für die Kapitalgeber entscheidungsrelevanten Information im Periodengewinn in t = 0. Diese Übergewichtung des Verlässlichkeitsgrundsatzes widerspricht dem Informationszweck der IFRS.18 Grundsätzlich sind daher Entwicklungsausgaben für immaterielles Vermögen zu aktivieren,19 so dass sich für das Beispiel eine Bemessung der Accruals A0 in Höhe von 100 € ergibt. Der Periodengewinn G0 wäre für das Beispiel gemäß IFRS Null.20 Dass G0 nur um die Entwicklungsauszahlungen erhöht wird, ist dabei Ausdruck der Abwägung zwischen Relevanz und Verlässlichkeit der zu vermittelnden Information.21 Diese Abwägung wird nach IFRS insoweit weitergeführt, als die Aktivierbarkeit der genannten Auszahlungen an weitere Kriterien geknüpft wird. So verlangt IAS 38.57, dass bestimmte Voraussetzungen im Zusammenhang mit ___________ 14 Eine solche Messung ist bekanntlich den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung immanent; vgl. Beisse (1993), S. 77. 15 Vgl. dazu Rückle (1983), S. 209 – 211; Rückle (2005a), S. 280, sowie ausführlich Beisse (1993). 16 Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.08.2005 (BGBl. I S. 2267). 17 Vgl. etwa Wagenhofer (2005), S. 117 – 118. 18 Vgl. zum Informationszweck der IFRS das IFRS-Framework F.12. 19 Vgl. dazu IAS 38.57. 20 Hier sei vereinfachend eine unbestimmbare Nutzungsdauer angenommen, so dass gemäß IAS 38.89 keine planmäßige Abschreibung erfolgen darf. 21 Vgl. grundlegend zu dieser Abwägung Kuhner (2001).
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den Entwicklungsausgaben erfüllt sein müssen, etwa die grundsätzliche technische Realisierbarkeit des zu entwickelnden Vermögenswertes, das Vorliegen der finanziellen und technischen Voraussetzungen zur Realisierung usw. Die Festlegung von At ist mithin an Prognosen gebunden, für die wiederum das Problem der Objektivierbarkeit besteht. Dieses Problem erfährt bei den IFRS dadurch eine Verstärkung, dass, anders als nach HGB, in mehreren Regeln Ansätze über die Anschaffungskosten hinaus verlangt oder erlaubt werden. Hierzu zählen etwa die Bilanzierung zum sog. Fair Value bei der Neubewertung von Sachanlagen und immateriellen Vermögenswerten, bei der Bilanzierung von bestimmten Wertpapieren oder bei Immobilien, die als Finanzinvestition gehalten werden.22 In allen Fällen verändern sich zwangsläufig, anders als nach HGB, die Accruals um prognostische Elemente. Besonders deutlich wird dieser Aspekt, wenn für die Feststellung eines Fair Value keine Marktpreise ermittelbar sind und erwartete Einzahlungsüberschüsse aus einem Vermögenswert geschätzt werden müssen.23 Bei bestimmten Bewertungsvorgängen, etwa der Feststellung von außerplanmäßigen Wertminderungen im Vermögen (Impairment), ist die Berechnung des Barwertes künftiger Einzahlungsüberschüsse immer erforderlich, selbst wenn eine solche Berechnung lediglich über die Bildung von Bewertungseinheiten mehrerer Vermögenswerte und Schulden möglich ist.24 Die zunehmende Überfrachtung von At durch prognostische Elemente reduziert die Verlässlichkeit der Periodengewinne.25 Dass die abnehmende Verlässlichkeit seitens der Kapitalmarktteilnehmer kaum durchschaut wird, lässt sich in Ansätzen anhand der empirisch festgestellten sog. Accruals-Anomalie belegen: Anleger scheinen die Nachhaltigkeit wenig verlässlicher Elemente des Periodengewinns bei der Aktienbewertung systematisch zu hoch zu gewichten – mit negativen Folgen für die Informationseffizienz der Kapitalmärkte und damit letztlich für die Kapitalallokation.26 Es erscheint wenig verwunderlich, dass vor diesem Hintergrund auch die Wirtschaftsprüfer unter erhöhtem Druck stehen. Wenn zunehmend prognostische Elemente Eingang in die Berechnung des Periodengewinns finden, nimmt zwangsläufig das Opportunismusproblem auf der Seite des Managements zu, so dass die Überwachung der Informationsbereitstellung durch den Wirtschafts-
___________ 22
Vgl. hierzu die maßgeblichen Regeln in IAS 16.31 – .42, IAS 38.75 – .87, IAS 39 und IAS 40. 23 Vgl. dazu ausführlich Ballwieser / Küting / Schildbach (2004), S. 535 – 548. 24 Siehe etwa die Vorschriften in IAS 36.65 – .108. 25 Vgl. allgemein Watts (2003); Richardson et al. (2005), S. 438 – 439. 26 Vgl. auch Sloan (1996), S. 299 – 306; Richardson et al. (2005), S. 482 – 483.
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prüfer an Bedeutung gewinnt.27 Allerdings ergeben sich hieraus zwei sehr grundsätzliche Probleme: (1) Es ist zu fragen, was tatsächlich durch einen Wirtschaftsprüfer verifiziert werden kann. Prognosen sind immer mit Spielräumen verbunden, und eben diese müssen zwangsläufig steigen, je weiter man At um prognostische Elemente ergänzen will. Es ist schlicht unmöglich, alle hierfür notwendigen Schätzungen als richtig oder falsch zu qualifizieren. Die Verifizierbarkeit der im Periodenergebnis vermittelten Information vermindert sich folglich durch die Überfrachtung dieser Größe mit prognostischen Elementen.28 (2) Selbst wenn durch den Wirtschaftsprüfer zumindest feststellbar ist, inwieweit das Management seine Schätzungen vorsichtig und im Sinne der Rechnungslegungsadressaten durchführt, ist fraglich, ob die derzeitige Anreizstruktur des Prüfers sichert, dass er dies auch macht. Dieser Aspekt leitet über zum Problem der Abhängigkeit des Wirtschaftsprüfers von den opportunistischen Interessen des Managements des zu prüfenden Unternehmens. 29
2. Das Problem der Mandantenabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers a) Mandantenabhängigkeit als institutionelles Problem Die seitens der Rechnungslegungsadressaten erwartete Vertrauenswürdigkeit von Wirtschaftsprüfungsergebnissen bedarf der Urteilsfähigkeit und der Urteilsfreiheit des Wirtschaftsprüfers. Die Unabhängigkeit des Prüfers ist hierfür eine wesentliche Grundlage. Sie ist gegeben, wenn der Prüfer sein Urteil uneingeschränkt an die Jahresabschlussadressaten weitergeben kann, also sein Prüfungsergebnis weder durch eigene Interessen geleitet ist noch den Einflüssen und Weisungen anderer Personen unterliegt, und er dem Untersuchungsobjekt unvoreingenommen gegenüber steht.30 Dabei unterscheidet man zwischen der Unbefangenheit (independence in fact) als unvoreingenommene geistige Haltung des Prüfers31 und der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers aus der Sicht Dritter (independence in appearance). Letztere ist wesentlich für das Vertrauen der Adressaten in Abschlussinformationen.32 ___________ 27
Siehe statt vieler Quick (2004), S. 488. Vgl. Ronen (2002), S. 63. 29 Vgl. dazu auch ausführlich Rückle (2005b). 30 Vgl. zu diesem Absatz statt vieler Leffson (1988), S. 61 und S. 67. 31 Siehe dazu Quick (2004), S. 488. 32 Vgl. dazu Leffson (1988), S. 67 – 68. Bezüglich der Unabhängigkeitsbegriffe vgl. etwa Röhricht (2001), S. 80, und Stefani (2002), S. 10. 28
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Die Gefährdung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers ist aus ökonomischer Sicht im Auftragsverhältnis zwischen Prüfer und zu prüfender Unternehmung angelegt. Insbesondere die Notwendigkeit einer Fortführung des bestehenden Prüfungsauftrags in künftigen Perioden führt zu problematischen Anreizen für den Prüfer. Vorteile des Prüfers aus der Auftragsfortführung gegenüber dem zu prüfenden Unternehmen erscheinen vor dem Hintergrund der Konkurrenzsituation auf dem Prüfungsmarkt als nicht nachhaltig.33 Vielmehr werden diese Vorteile, die im Wesentlichen aus der Vermeidung von Transaktionskosten des Prüferwechsels für den Mandanten resultieren,34 bereits bei der Bepreisung der Erstprüfung antizipiert. Die Aussicht auf den Erhalt eines Prüfungsauftrags kann dazu führen, dass sich die konkurrierenden Prüfer so lange unterbieten, bis ihre erwarteten Vorteile aus Folgeprüfungen gerade die Preisabschläge kompensieren.35 Durch dieses sog. Low Balling erscheint aber der Verlust der Vorteile aus der Folgeprüfung durch einen Prüferwechsel des Mandanten fatal für den Prüfer – mit zwangsläufig negativen Folgen für die Unabhängigkeit des Prüfers vom Management des geprüften Unternehmens.36 Im Verhältnis zwischen Prüfer und Abschlussadressaten besteht aus ökonomischer Sicht zudem das Problem, dass die Qualität der Abschlussprüfung kaum erkennbar ist. Die Fälle, in denen der Prüfer seine Unabhängigkeit durch ein z.B. eingeschränktes Testat nach außen signalisieren kann, sind offensichtlich sehr begrenzt. Fehlt es an der Beobachtbarkeit der Prüfungsqualität, versagt letztlich auch der Reputationsmechanismus, der wesentlich für den Anreiz des Prüfers ist, hochwertige Qualität anzubieten.37 Insoweit erweist sich der Prüfungsmarkt als typischer „Lemons-Market“:38 Die Unmöglichkeit des Nachfragers, ein hochwertiges Produkt („Cherry“) von einem minderwertigen („Lemon“) zu unterscheiden, führt dazu, dass der Anbieter den Anreiz verliert, ein hochwertiges Produkt überhaupt zu offerieren. Da durch die generelle Prüfungspflicht ein geprüfter Jahresabschluss den Normalfall darstellt, ist in der Konsequenz auch der Mandant nicht in der Lage, ___________ 33
Vgl. hierzu die wegweisenden ökonomischen Ansätze von DeAngelo (1981a, b). Eine aufbereitete Darstellung der Ansätze sowie der daraus erwachsenen Folgeliteratur liefern insbesondere Wagenhofer / Ewert (2003), S. 475 – 488, und Stefani (2003), S. 473 – 477. 34 Der Vorteil der Folgeprüfung ist eine vom Mandanten erhobene Gebühr in Höhe eines die direkten Kosten der Folgeprüfung übersteigenden Betrags, ohne dass ein Prüferwechsel angesichts der zu erwartenden Transaktionskosten für den Mandanten vorteilhaft würde; vgl. Stefani (2003), S. 474. 35 Der Vorteil der Folgeprüfung ist insoweit lediglich eine sog. „Quasi-Rente“; siehe Stefani (2003), 474. 36 Vgl. Wagenhofer / Ewert (2003), S. 486 – 488. 37 Vgl. Sunder (2003), S. 18 – 20. 38 Vgl. dazu ausführlich Ackerlof (1970).
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den Rechnungslegungsadressaten einen durch die Prüfung in der Qualität herausragenden Jahresabschluss zu signalisieren.39 Damit fehlt beim Mandanten der Anreiz, die höheren Kosten einer hochwertigen Prüfung zu übernehmen – die Folge ist der oben beschriebene Preisverfall bei der Erstprüfung mit den fatalen Konsequenzen für die Unabhängigkeit des Prüfers. Für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer blieb die beschriebene Situation auf dem Prüfungsmarkt nicht ohne Folgen. Der Kostendruck führte zu einer Anpassung des Produktes „Prüfung“: Substanzielle Prüfungsmaßnahmen wichen vermehrt den analytischen Prüfungshandlungen im Rahmen der sog. risikoorientierten Prüfungsansätze.40 Ferner wurde das Dienstleistungsprogramm des Prüfers um die Beratungskomponente erweitert: Das Vertrauensverhältnis zwischen Prüfer und Mandanten, die intime Kenntnis der Stärken und Schwächen des geprüften Unternehmens, die geringen Suchkosten des Mandanten für kompetente Berater und schließlich die geringen Marketingkosten im Zusammenhang mit dem Beratungsangebot machten den Beratungszweig für den Prüfer attraktiv.41 Ob diese zusätzliche Einnahmequelle Folgen für die Prüferunabhängigkeit hat, ist jedoch nicht offensichtlich.
b) Der Aspekt des kombinierten Angebots von Prüfung und Beratung Vordergründig scheint sich das unter Abschnitt a) beschriebene Problem im Zusammenhang mit den potentiellen Folgeaufträgen für den Prüfer bei gleichzeitigem Angebot von Prüfung und Beratung zu verschärfen. Da der Prüfer einerseits die Informationen aus der Beratung für die Prüfung nutzen kann, andererseits Synergievorteile aus der Prüfung für die Beratung entstehen (sog. Knowledge-Spillover-Effekte), erhöhen sich die Kostenvorteile bei einer Fortführung eines Prüfungsauftrages.42 Der Prüfer erhält die Möglichkeit, seine Konkurrenten (ohne Beratungstätigkeit) im Kampf um Erstprüfungen weiter zu unterbieten, und zwar umso mehr, je umfangreicher sein Angebot an Nichtprüfungsleistungen ist. Ein Abhängigkeitsproblem entsteht aus ökonomischer Sicht aber erst, wenn das Risiko eines Reputationsverlustes bei der vorhandenen Mandantenbasis im Falle eines publik werdenden Gefälligkeitstestates gering ist. Denn das Paket aus Prüfung und Beratung wird seitens des Prüfers auch bei weiteren Mandanten angeboten, und ein Reputationsproblem kann zu einem Verlust der Rück___________ 39
Siehe Sunder (2003), S. 15 – 16. Vgl. Sunder (2003), S. 22 – 23. 41 Vgl. etwa Marx (2002), S. 40 – 45. 42 Siehe Stefani (2003), S. 483. 40
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flüsse aus eben diesen Paketen bei den anderen Mandanten führen.43 Eine Verschärfung des Abhängigkeitsproblems durch das Paketangebot kann insoweit nicht mit Bestimmtheit angenommen werden. Zudem können die genannten Spillover-Effekte von der Beratung auf die Prüfung die Kosten eines hohen Prüfungsniveaus vermindern.44 Dieser Aspekt erscheint gerade vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Überfrachtung des Periodengewinns mit prognostischen Elementen relevant. So gehört etwa die Beratung von Unternehmen bei der sog. Goodwill-Allokation zum festen Programm der Big 4 Prüfungsgesellschaften.45 Die adäquate Verteilung eines aus Unternehmensakquisitionen resultierenden Geschäftswerts auf operative Geschäftseinheiten und die Notwendigkeit, diese Einheiten jährlich durch Maßnahmen der Unternehmensbewertung auf außerplanmäßigen Wertverlust zu überprüfen,46 stellt Unternehmen und deren Prüfer vor erhebliche Probleme. Die Möglichkeit zur Lösung der Probleme durch das Angebot von Beratung und Prüfung aus einer Hand kann dabei nicht nur aus Mandantensicht erhebliche Vorteile bringen. So kann das Paketangebot dazu beitragen, die Probleme, welche der Prüfer mit der Verifizierbarkeit vermehrt prognostischer Elemente im Periodengewinn hat, durch die Beratung im Vorwege zu mildern. Geht dieser Spillover-Vorteil dagegen verloren, muss dies Auswirkungen auf den Preis einer hohen Prüfungsqualität zur Sicherung der Verifizierbarkeit der Informationen haben. Diesen Preis durchzusetzen, ist aber angesichts der unter Abschnitt a) beschriebenen Zusammenhänge schwierig. Damit kann die Überfrachtung des Periodengewinns mit prognostischen Elementen dann das Unabhängigkeitsproblem des Abschlussprüfers erhöhen, wenn die Möglichkeit zur Beratung ex ante fehlt.47 Regulierungsmaßnahmen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Abschlussprüfung, welche zu einem Verbot zusätzlicher Beratungsangebote durch den Prüfer führen, sind insoweit kritisch zu betrachten.48
___________ 43
Vgl. Stefani (2003), S. 484; Ewert / Wagenhofer (2003), S. 617. Vgl. Ewert / Wagenhofer (2003), S. 617 – 619. 45 Vgl. etwa das Angebot von PriceWaterhouseCoopers im Internet unter: http:// www.pwc.com/Extweb/service.nsf/docid/A74D332B1D422EFE80256C860036B04F, Download 22.12.2005. 46 Vgl. IAS 36.80 – .90. 47 Siehe dazu z.B. Streim / Bieker / Esser (2005), S. 94 – 97. 48 So auch Ewert / Wagenhofer (2003), S. 619. 44
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c) Ansatzpunkte für effektive Regulierungsmaßnahmen Effektive Regulierungsmaßnahmen müssen offenbar an dem in Abschnitt II.2.a) beschriebenen Ausgangspunkt eines potentiellen Unabhängigkeitsproblems ansetzen: dem Auftragsverhältnis zwischen Prüfer und Geprüften. Da der Prüfer als „Gatekeeper“ für die Kapitalgeber fungiert, sind es im Kern die Kapitalgeber, die als Auftraggeber des Prüfers agieren müssen.49 In der Tat erweist sich aus ökonomischer Sicht ein möglicher Verlust von Folgeaufträgen im Falle des Low Balling sogar als Vorteil für die Prüferunabhängigkeit, wenn die Anteilseigner als Auftraggeber des Prüfers auftreten. Denn der ökonomische Vorteil aus Folgeaufträgen kann dann wie ein „Pfand“ in den Händen der Eigner gegen die potentielle Kollusion zwischen Prüfer und Management wirken.50 Das Problem besteht aber darin, dass die Anteilseigner ihre Rolle als Auftraggeber effektiv wahrnehmen müssen. Insoweit stellt sich die Frage, wie selbst im Falle einer weiten Streuung der Anteile eine adäquate Auftraggeberrolle durch die Eigner organisierbar ist. Ansätze, in denen der Aufsichtsrat oder Audit Committees die Auftraggeberrolle für die Anteilseigner wahrnehmen, sind Schritte in die richtige Richtung. Mit Maßnahmen, die Kapitalgebern ergänzend erleichtern, den „Typ“ des Prüfers (potentiell zur Kollusion mit dem Management neigend oder nicht) zu identifizieren51, könnte das Problem der Mandantenabhängigkeit des Prüfers durchaus effektiv gemildert werden. Es bleibt aber zu fragen, ob die Stärkung der Rolle der Kapitalgeber als den eigentlichen Auftraggebern des Prüfers und die Verminderung des Kollusionsriskos zwischen Management und Prüfer durch eine völlig neue institutionelle Anbindung der Jahresabschlussprüfung besser gelingen könnten.
___________ 49
Siehe Ronen (2002), S. 48. Vgl. Stefani (2003), S. 478. 51 So identifiziert Stefani (2003), S. 479 – 487, in diesem Zusammenhang etwa die externe Rotation des Prüfers, die Offenlegung von Prüfungshonoraren, die Qualitätskontrolle durch ein unabhängiges Wirtschaftsprüferaufsichtsorgan wie dem Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) als vorteilhaft, Verfahren des sog. Peer Review oder der internen Rotation dagegen als weniger nützlich. 50
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III. Mehrdimensionale Rechnungslegung und Rechnungslegungsversicherung 1. Das Modell des mehrdimensionalen Abschlusses und die Notwendigkeit einer kombinierten Rechnungslegungs- und Wirtschaftsprüfungsreform Wie erwähnt, kombiniert Ronen einen Vorschlag zur Verbesserung der Unabhängigkeit des Prüfers mit Reformüberlegungen für die Rechnungslegung. Die Sicherung der Unabhängigkeit des Prüfers durch ein Modell der Rechnungslegungsversicherung ist in seinen Ausführungen zentral und bildet den Schwerpunkt seines Beitrages. Seine Überlegungen zu einer Rechnungslegungsreform bleiben vergleichsweise oberflächlich, fußen jedoch auf einem bereits in der deutschen Literatur diskutierten Separationsgedanken, nämlich der Trennung objektivierbarer und verlässlicher Information von prognosebezogenen und schwer verifizierbaren Daten.52 Es ist aber in der Tat die Kombination der Vorschläge aus Prüfungs- und Rechnungslegungsreform, die Ronens Ansätze so interessant machen. Denn jegliche Reform der Rechnungslegung muss zwangsläufig so lange unbefriedigend bleiben, wie die Anreize zu einer Fehldarstellung durch das Management konstant sind. Am Beispiel eines in der Literatur durch den Verfasser vorgeschlagenen Rechnungslegungsmodells53, dass als eine mögliche Konkretisierung der Vorschläge Ronens zur Rechnungslegungsreform betrachtet werden kann, sei dies verdeutlicht. Kern des durch den Verfasser vorgeschlagenen Rechnungslegungsmodells ist die Trennung der Wertdimensionen in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Im Grundkonzept werden dabei auf der Aktivseite54 für jeden Vermögenswert die Dimensionen (1) Anschaffungs- und Herstellungswert, (2) Einzelveräußerungszeitwert und (3) Ertragswertbeitrag im Sinne eines Barwertes erwarteter Einzahlungsüberschussbeiträge unterschieden. In der Bilanz wird für jede Dimension eine Spalte vorgesehen. Im Beispiel aus Abschnitt II.1 wären die Herstellungsauszahlungen für den immateriellen Vermögenswert in Höhe von 100 € in Spalte (1), der Veräußerungswert in Höhe von 20 € in Spalte (2) und der Barwert der erwarteten Zahlungsüberschüsse aus der Investition in Höhe von 1.000 € in Spalte (3) aufzuführen. Ferner wird eine weitere Differenzierung der Dimension (1) nach Verlässlichkeitsgraden vorgeschlagen. Im einfachsten Fall wären z.B. drei Verlässlich___________ 52
Siehe Ronen (2002), S. 65. Vgl. zum Folgenden Schmidt (2005), S. 175 – 177. 54 Für die Passiva gelten analoge Überlegungen, die hier nicht näher ausgeführt werden sollen. 53
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keitsgrade (A), (B) und (C) zu unterscheiden.55 Auszahlungen im Zusammenhang mit der Entwicklung immateriellen Vermögens wären – wie im Beispiel die 100 € – zweckmäßiger Weise als Aktivum in der am wenigsten verlässlichen Kategorie (C) einzustufen. Die GuV ist analog zur mehrdimensionalen Bilanz aufzuspalten. Der Periodengewinn Gt ist in dem Modell abgestuft darzustellen, wobei sich die Abstufung aus einer Differenzierung der Accruals At ergibt: In der ersten Stufe ergibt sich ein Cashflow in Höhe von Ct. Der Periodengewinn der höchsten Verlässlichkeitsstufe ergibt sich aus der Aktivierung in Spalte (1), Kategorie (A): Gt(1) = Ct + At(1A).56 Die folgenden Gewinnstufen Gt(2) bis Gt(5) erhöhen sich dann jeweils um Accruals aus den nächsten Wertkategorien in den Spalten (1B), (1C), (2) und (3). Für das Beispiel aus Abschnitt II.1. ergäbe sich für t = 0 in der untersten Stufe C0 in Höhe von 100 €. G0(1) und G0(2) wären angesichts der Einstufung des Aktivums in die niedrigste Verlässlichkeitskategorie identisch mit C0. Für G0(3) ergäbe sich durch die Aktivierung der Auszahlungen in der Kategorie (1C) der Betrag Null. G0(4) wäre jener Gewinn, der sich aus einer Zeitbewertung des Vermögenswertes zum Einzelveräußerungswert ergibt. Dieser Wert ist im Beispiel 200 €, also exakt 100 € höher als der Buchwert. Damit gilt für G0(4): C0 + A0(1C) + A0(2) = 100 € + 100 € + 100 € = + 100 €. Für G0(5) ist wesentlich, dass der Ertragswertbeitrag den aktivierten Auszahlungsbetrag (also A0[1C]) um 900 € übersteigt57: G0(5) = C0 + A0(1C) + A0(3) = 100 € + 100 € + 900 € = 900 €. Der Sinn dieser Form der separierten Darstellung wird primär in der Verdeutlichung verschiedener Verlässlichkeitskategorien gesehen. Diese Verdeutlichung scheint mit Blick auf die oben angedeutete Accruals-Anomalie wesentlich: den Schwierigkeiten der Investoren, der unterschiedlichen Verlässlichkeit verschiedener Accruals-Dimensionen bei der Aktienbewertung Rechnung zu tragen, könnte durch eine separierte Darstellung begegnet werden. Ferner wird in der mehrdimensionalen Rechnungslegung ein möglicher Weg gesehen, Inkonsistenzen in der Gewinnermittlung durch die Vermischung von Wertkategorien zu vermeiden. Die zunehmende Ergänzung des Periodengewinns um prog-
___________ 55
Auf der Passivseite könnten analog unterschiedliche Kategorien der Verlässlichkeit von Rückstellungen differenziert werden. 56 Hier könnte etwa die Aktivierung einer Forderung aus Lieferungen und Leistungen eine Erhöhung des Periodengewinns bewirken. 57 Zu beachten ist, dass Gt5 generell andere Informationen enthält als Gt4. Ist wie im Beispiel nur ein Vermögenswert vorhanden, stellt Gt4 jenen Gewinn dar, der bei Verkauf dieses Vermögenswerts zum Zeitpunkt t entstünde. Gt5 dagegen repräsentiert den zum Zeitpunkt t erwarteten Gewinn aus der Fortführung der Nutzung des Vermögenswerts im Unternehmen. Bei nur einem Vermögenswert ist At(2) insoweit für Gt5 irrelevant.
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nostische Elemente unterschiedlicher Wert- und Verlässlichkeitsdimensionen erfährt insoweit eine Ordnung.58 Ungeachtet dessen bleibt aber das Problem eines möglicherweise opportunistisch agierenden Managements, wie oben erwähnt, bestehen. Die Anreize, möglichst Gewinne in den hochverlässlichen Kategorien auszuweisen und Accruals entsprechend zu manipulieren, dürften hoch sein.59 Demnach bleibt auch der Druck auf den Prüfer unverändert, solche Manipulationen zu verhindern. Jedoch greift insoweit nach wie vor das oben diskutierte Problem der Abhängigkeit des Prüfers von den Interessen des Managements. Keine Reform der Rechnungslegung kann diesen Grundkonflikt und damit die zwangsläufige Manipulationsoffenheit eines jeden Rechnungslegungssystems verhindern. Die Herstellung der Vertrauenswürdigkeit von Jahresabschlüssen muss deshalb zwangsläufig Rechnungslegungsreformen mit Überlegungen verbinden, wie die Anreize des Managements zur Manipulation gemindert werden können. Genau hier soll der Vorschlag Ronens zu einer Rechnungslegungsversicherung greifen.
2. Das Modell der Rechnungslegungsversicherung von Ronen In Abschnitt II.2.c) wurde angedeutet, dass es für die Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers wesentlich ist, die Rolle des Prüfers als Agent der Kapitalgeber zu stärken. Im Sinne einer Adressatengruppe zu agieren setzt aber nicht zwingend voraus, dass diese Adressatengruppe tatsächlich als unmittelbarer Auftraggeber des Prüfers auftritt. Das Entscheidende ist vielmehr, dass der Auftraggeber des Prüfers so weit wie möglich in seinen eigenen Interessen mit jenen der Kapitalgeber verbunden ist.60 Ronens Versicherungsmodell sieht so eine Auftragsstruktur vor. Denn dem Interesse der Kapitalgeber an vertrauenswürdigen Jahresabschlüssen wird dadurch Rechnung getragen, dass die Kapitalgeber durch eine Versicherung des Kapitalnehmers vor Vermögensverlusten durch eine Fehldarstellung der Unternehmenslage des Kapitalnehmers im Jahresabschluss geschützt sind. Auftraggeber des Prüfers ist der Versicherer, der den Prüfer auch bezahlt, und zwar aus der Versicherungsprämie des versicherten Jahresabschlusserstellers. Die Qualität der Prüfung bestimmt die durch den Versicherer bereit gestellte Deckungs___________ 58
Vgl. Schmidt (2005), S. 176 – 177. Vgl. in diesem Zusammenhang McVay (2005), die für die USA Manipulationen der „Core Earnings“ in der GuV durch „Classification Shifting“ von Aufwandsbestandteilen (Herstellungskosten des Umsatzes, Vertriebs- und Verwaltungsaufwendungen) zu den sog. „Special Items“ empirisch nachweisen konnte. 60 Vgl. Ronen (2002), S. 48; Bhattacharjee / Moreno / Yardley (2005), S. 2. 59
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summe. Eine höhere Deckungssumme wäre aber auch durch eine höhere Prämie erreichbar. Deckungssumme und Prämie werden im Jahresabschluss offen gelegt. Unternehmen mit hoher Deckung und geringen Prämien signalisieren den Kapitalgebern insoweit eine hohe Qualität ihrer Jahresabschlüsse. 61 Die Prozedur62 der Rechnungslegungsversicherung startet mit einer Anfrage des Unternehmens bei einem Versicherer. Der Versicherer wird daraufhin einen Prüfer vorab beauftragen, im Rahmen einer Due-Dilligence-Prüfung das Risiko des Unternehmens abzuschätzen. Der Versicherer wird dann dem Unternehmen Angebote über minimale und maximale Deckungssummen sowie damit verbundene Prämienzahlungen unterbreiten. Den Aktionären des Unternehmens können dann auf der Hauptversammlung die Angebote des Versicherers mitgeteilt und zur Entscheidung gestellt werden. Das Ergebnis der Entscheidung wäre Basis für die Vereinbarung mit dem Versicherer und Grundlage der Planung der Abschlussprüfung. Abschlussprüfer sowie der Due-Dilligence-Prüfer können, müssen aber nicht identisch sein, mit entsprechender Folge für den Planungsaufwand. Kommt nach der periodischen Prüfung der Abschlussprüfer zu einem uneingeschränkten Urteil, tritt die Versicherungsdeckung zu den vereinbarten Konditionen in Kraft. Bei einem eingeschränkten Urteil kann über Prämien und Deckungssumme nachverhandelt werden. In jedem Fall ist vorgesehen, dass sowohl Deckungssumme als auch Prämie und das (im Zweifel eingeschränkte) Testat des Prüfers im Abschluss publiziert werden. Element des Vorschlages von Ronen ist auch ein strukturierter Prozess zur Befriedigung der Ansprüche der Kapitalgeber.63 In diesem Prozess einigen sich Unternehmen und Versicherer über einen Treuhänder, der die Kapitalgeber im Falle des Schadenseintritts vertritt. Sofern Kapitalgeber Ansprüche geltend machen, informiert der Treuhänder den Versicherer, und Versicherer sowie Treuhänder einigen sich auf einen unabhängigen Experten. Dieser stellt fest, ob eine Fehldarstellung der Unternehmenslage vorliegt und inwieweit diese zu dem behaupteten Schaden geführt hat. Stellen sich die Ansprüche als berechtigt heraus, zahlt der Versicherer bis zur Deckungssumme an den Treuhänder, welcher dann die Verteilung des Geldes an die betroffenen Kapitalgeber übernimmt.
3. Diskussion der Modelle Durch die Trennung der Informationsebenen im mehrdimensionalen Jahresabschluss wird, wie oben erwähnt, die unterschiedliche Verlässlichkeit der Informationen für die Kapitalgeber erkennbar. Sehr wesentlich erscheint es aus ___________ 61
Siehe Ronen (2002), S. 48 – 49. Vgl. zum folgenden Absatz Ronen (2002), S. 50 – 51. 63 Siehe zum Folgenden Ronen (2002), S. 51. 62
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Sicht der Ausführungen unter Abschnitt II.2. aber, dass für die Abschlussprüfung gut und weniger gut verifizierbare Größen in dem Rechnungslegungsmodell besser unterschieden werden können. Folglich könnten auch an das Prüfungstestat je nach Verlässlichkeitskategorie unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Die beschriebene zunehmende Überfrachtung einzelner Periodengewinnbestandteile mit zukunftsgerichteter Information wird zwar nicht vermieden, wohl aber könnte je nach Wert- und Gewinnkategorie eine differenzierte Anforderung an das Prüfertestat gestellt werden. Damit wird letztlich der Tatsache Rechnung getragen, dass bei bestimmten Wertkategorien eine Verifizierung der in diesen Kategorien vermittelten Information durch den Prüfer nicht mehr hinreichend geleistet werden kann. Diesen Aspekt zu verdeutlichen, sieht Ronen zutreffend als wesentlich dafür an, die Vertrauenswürdigkeit eines geprüften Abschlusses zu erhöhen.64 Durch die Kombination von mehrdimensionaler Rechnungslegung und Rechnungslegungsversicherung wird zudem erreicht, dass der Prüfer den Anreizen des Managements, durch Manipulation eine Einordnung von Daten in die verlässlicheren Bilanz- und GuV-Kategorien zu erreichen, unabhängig entgegen treten kann. Der mögliche Verlust der ökonomischen Vorteile aus Folgeaufträgen ist für den Prüfer ein Problem im Verhältnis zum Versicherer und nicht in jenem zum geprüften Unternehmen. Eine Kollusion von Prüfer und geprüftem Unternehmen ist folglich kaum zu befürchten. Die Trennung der Informationsebenen, verbunden mit der im Versicherungsmodell verbesserten Sicherung der Verlässlichkeit in einzelnen Ebenen, erscheint aus deutscher Sicht auch vor dem Hintergrund der Zweckdichotomie des Jahresabschlusses interessant. Bekanntlich gilt es nach Handelsrecht primär, mit Hilfe des (Einzel-)Jahresabschlusses auch einen aus Gläubigersicht unbedenklich ausschüttbaren Betrag zu ermitteln. Die Wirksamkeit kapitalerhaltender Gewinnermittlungsregeln ist aus Sicht der Gläubiger zwar alles andere als selbstverständlich,65 dennoch wird – m.E. zutreffend – davon ausgegangen, dass derzeit keine bessere Alternativen des Schutzes insbesondere der ungesicherten Gläubiger bestehen.66 Die in der deutschen Literatur vorgeschlagenen Separationsmodelle hatten vorwiegend das Ziel, der Dichotomie aus Gläubigerschutz- und Informationszweck Rechnung zu tragen.67 Auch in dem oben skizzierten Modell könnte etwa der entziehbare Gewinn beschränkt werden auf jene Bestandteile, die sich aus einer Aktivierung in der Spalte (1) unter der Verlässlichkeitskategorie (A) ___________ 64
Vgl. Ronen (2002), S. 65. Vgl. Wagenhofer / Ewert (2003), S. 179 – 182. 66 Siehe etwa Rammert (2004), S. 586 – 591. 67 Vgl. etwa Böcking (1998), S. 29 – 31; Siegel (1997), S. 140 – 141. 65
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ergeben. Für den entziehbaren Gewinn würde also gelten: G1ent = Ct + At(1A). Im Beispiel aus Abschnitt II.1. würde sich mithin gar kein entziehbarer Gewinn ergeben. Dennoch ginge, anders als nach derzeitigem HGB, durch die strukturierte Darstellung von Gewinnen auf unterschiedlichen Ebenen keine Information über künftig erwartete Rückflüsse verloren.68 Kritisch könnte in Bezug auf Ronens Versicherungsmodell angemerkt werden, dass weder Pflichtprüfung noch Pflichtversicherung vorgesehen sind. Die Hauptversammlung könnte sich in dem Modell nämlich auch – mit entsprechender Dokumentation im Jahresabschluss gegen eine Versicherung entscheiden. Damit entfiele automatisch die Prüfung des Abschlusses. Offenbar ergibt sich aber selbst aus einer möglichen Pflichtversicherung keine Prüfungspflicht. Denn eine Nicht-Prüfung müsste nach dem Modell vom Unternehmen entweder mit einer sehr niedrigen Deckungssumme für die Kapitalgeber oder mit einer sehr hohen Prämie kompensiert werden. Ronen setzt insoweit voll auf fatale Kapitalmarktsignale, welche sich für das Unternehmen aus der Pflicht zur Offenlegung von Deckungssumme, Prämie und den Tatbeständen von NichtPrüfung oder gar fehlendem Versicherungsschutz der Kapitalgeber ergeben.69 Der möglichen Skepsis gegenüber einem funktionierenden Druck der Kapitalmärkte kann man in dem Modell aber mit einer generellen Pflichtversicherung und Überlegungen zur Festlegung von – z.B. umsatzabhängigen Mindestdeckungssummen begegnen. Nicht-Prüfung wäre in dem Fall ausgeschlossen. Die für die Unabhängigkeit der Prüfung wesentlichen Anreizstrukturen dürften hiervon kaum tangiert werden. Denn der Versicherer wird immer auf die Einschränkung des Testates drängen, wenn für ihn das Risiko der Inanspruchnahme steigt. Allerdings kann auch ein fälschlicherweise eingeschränktes Testat zu einer Fehldarstellung der Unternehmenslage mit dann versicherten Vermögensverlusten für Kapitalgeber führen. Folglich ergibt sich für den Versicherer gleichzeitig der Anreiz, nicht auf übertriebene Skepsis des Prüfers zu drängen. Ein nahe liegender Einwand gegen das Versicherungsmodell ist der mögliche Verlust des Vertrauensverhältnisses zwischen Prüfer und geprüftem Unternehmen. Wesentliche Folge eines möglichen Vertrauensverlustes wäre eine Einschränkung des Informationsflusses zwischen geprüftem Unternehmen und Prüfer.70 Auch könnte ein eingeschränktes Vertrauensverhältnis zwischen Prüfer und Mandanten Einfluss auf die seitens des Mandanten wahrgenommene ___________ 68
Gläubiger sind im Versicherungsmodell zwar vor Vermögensverlusten geschützt – allerdings nur insoweit, wie die Verluste einer Fehldarstellung der Unternehmenslage geschuldet sind. Das Problem, dass ungesicherte Gläubiger bei einem nicht durch solche Fehldarstellungen induzierten Konkurs leer ausgehen könnten, bleibt also bestehen. 69 Vgl. Ronen (2002), S. 57 – 58. 70 Siehe dazu Painter (2004), S. 406 – 410.
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Vorteilhaftigkeit des kombinierten Angebotes von Prüfung und Beratung haben. Vor dem Hintergrund der Ausführungen unter Abschnitt II.2.b) könnte man mithin befürchten, dass der Bruch der engen Verbindung zwischen Prüfer und Mandanten auch negative Rückwirkungen auf die Prüfungsqualität hat. Für ein insoweit notwendiges Trade-off-Kalkül ist aber wesentlich, inwieweit Vertrauen und Unabhängigkeit einander wirklich ausschließen. In dem beschriebenen Versicherungsmodell übernimmt der Prüfer letztlich eine Vermittlerrolle zwischen Unternehmen und Versicherer. Dem Versicherer dürfte angesichts einer angestrebten langfristigen Vertragsbeziehung kaum an einem Konkurs des Unternehmens gelegen sein, unabhängig davon, ob vorher „true and fair“ über die Risiken im Abschluss berichtet wurde oder nicht. Denn auch bei Nichteintritt des Versicherungsfalls entgehen dem Versicherer künftige Einkünfte aus dem Vertragsverhältnis. Eine sachkundige Beratung durch den Wirtschaftsprüfer im Vorwege der Testierungen erscheint insoweit durchaus im Interesse des Versicherers. So ist es denkbar, dass aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Versicherer und Prüfer heraus sogar Prämienvorteile für das geprüfte Unternehmen resultieren, wenn der Prüfer gleichzeitig Berater des Unternehmens ist. Die Folge wäre offensichtlich eher eine Stärkung des Vertrauens zwischen Wirtschaftsprüfer und geprüftem Unternehmen. Wie sich das Geschäftsmodell des Prüfers bei Einführung des Vorschlags von Ronen tatsächlich entwickeln wird, ist vor diesem Hintergrund schwer antizipierbar. Anlass für übertriebenen Pessimismus besteht m.E. aber nicht.
IV. Zusammenfassung Zwei Problembereiche wurden in den vorangegangenen Ausführungen als ursächlich für die abnehmende Vertrauenswürdigkeit der externen Rechnungslegung identifiziert: (1) die zunehmende Überfrachtung des Jahresabschlusses mit prognosebezogenen und damit kaum durch Wirtschaftsprüfer verifizierbaren Daten. Und (2) die Zweifel an der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers von den opportunistischen Interessen des Managements der zu prüfenden Unternehmen. Der erste Problembereich könnte gelöst werden, indem die Adressaten des geprüften Jahresabschlusses in die Lage versetzt werden, verlässliche und damit leichter durch den Prüfer verifizierbare Abschlussdaten von prognosebezogenen zu unterscheiden. Der Beitrag nimmt Bezug auf ein vom Verfasser vorgeschlagenes Konzept einer mehrdimensionalen Rechnungslegung, welches eine solche Unterscheidung ermöglicht. Gleichzeitig wird dieses Konzept mit einem von Ronen in die Diskussion gebrachten Vorschlag einer Rechnungslegungsversicherung verbunden. Das Modell der Rechnungslegungsversicherung erweist sich als hochinteressante Möglichkeit, die Anreize des Wirtschaftsprü-
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fers zu verstärken, seine Prüfung an den Interessen der Kapitalgeber als Adressaten der Rechnungslegung auszurichten. Folglich könnte der zweite der genannten Problembereiche, die Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, durch das Ronen-Modell eine Lösung erfahren. Mögliche Einwände gegen eine Funktionsfähigkeit des Ronen-Modells, insbesondere jener der Zerstörung eines auch aus Kapitalgebersicht wertvollen Vertrauensverhältnisses zwischen Prüfer und Mandanten, erscheinen als nicht stichhaltig. Ronens Vorschläge haben den Blick dafür geschärft, eine jegliche Rechnungslegungsreform im Kontext der konstanten Anreize und Möglichkeiten des Managements zur opportunistischen Jahresabschlussmanipulation zu sehen. Dagegen kann letztlich nur durch eine Stärkung der „Gatekeeper“-Rolle des Wirtschaftsprüfers vorgegangen werden. Der Verfasser hatte das Glück, diesen Aspekt mit Dieter Rückle in vielen gemeinsamen Doktoranden- und Habilitandenseminaren zu diskutieren. Dass gerade aus dem für den Jubilar so interessanten Gebiet der Versicherungswirtschaft eine mögliche Lösung erwachsen könnte, war uns bisher nicht bewusst. Umso größer ist die Freude des Verfassers, die Verbindung von mehrdimensionaler Rechnungslegung und Rechnungslegungsversicherung in diesem Beitrag für den Jubilar erörtern zu dürfen.
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Bilanzen der Kommunen – Implikationen für Lehre und Praxis Von Tanja Palzer und Eckhard Schmitz
Persönliche Erinnerungen Der Jubilar, den es mit den hier vorgelegten Beiträgen zu würdigen gilt, ist nicht nur seinen Schülern als Wissenschaftler mit einem sehr breiten Wissensund Interessengebiet bekannt. Ebenso umfassend sind daher häufig auch seine berüchtigten Exkurse und Querverweise in den Lehrveranstaltungen angelegt. Dabei gelingt es ihm allerdings, Zusammenhänge in gebotener Einfachheit und Prägnanz vorzutragen. Dieser den Jubilar kennzeichnenden Vortragstil gewährt einen interdisziplinären Blick auf das Ganze und fördert dadurch in hohem Maße die kritische Grundhaltung seiner Schüler. Diese lernen, in Zusammenhängen zu denken und diese undogmatisch zu hinterfragen, nicht alles als Neuheit zu akzeptieren, was als solche daherkommt und zur Würdigung etwa von Rechnungslegungsinstrumenten und -informationen immer auch deren Zielsetzung mit heranzuziehen. Daher wagen die Verfasser die Aussage, dass Rückle-Schüler geringere Probleme bei der adäquaten Interpretation von kommunalen Bilanzen haben werden. Jene, denen die Gunst des Veranstaltungsbesuchs bei unserem Jubilar nicht vergönnt ist, können aus dem nachfolgenden Beitrag hoffentlich wertvolle Impulse für ihre Arbeit mit kommunalen Bilanzen gewinnen. Das Vorwort schließt mit einer häufig verwendeten Aussage des Jubilars: „Der Kritiker hat immer Recht!“. In diesem Sinne freuen sich die Verfasser auf Kritik.
I. Problemstellung Bisher ist die Bilanzierung von Städten, Gemeinden und Gemeindeverbänden (im Folgenden kurz „kommunale Bilanzierung“) im Allg. nicht Gegenstand allgemeiner Bilanzierungslehrveranstaltungen an Hochschulen. Auch die Lehr-
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buchliteratur behandelt diesen Anwendungsbereich der Bilanzierung bisher nicht.1 Demgegenüber steht der Beschluss der Innenministerkonferenz vom November 2003, wonach den Bundesländern empfohlen wird, gesetzliche Regelungen herbeizuführen, um das bisherige kamerale Rechnungswesen der Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände bis spätestens 2012 überwiegend2 durch doppelte Buchführung und „betriebswirtschaftlichen“ Jahresabschluss (im Folgenden „Doppik“) zu ersetzen.3 Die Sinnhaftigkeit einer Umstellung des kommunalen Rechnungswesens von Kameralistik auf Doppik wird in Wissenschaft und Praxis seit langem äußerst kontrovers diskutiert4, soll jedoch in diesem Beitrag nicht thematisiert werden. Positiv lässt sich für Absolventen der Betriebswirtschaftslehre jedenfalls festhalten, dass sich mit den Kommunen ein weiterer, vom Umfang her durchaus bedeutender Arbeitsmarkt für Rechnungswesenpersonal auftut. Während Rechnungswesenpositionen der Kommunen bisher überwiegend mit Absolventen der Verwaltungsfachschulen und -fachhochschulen, welche mit ihrer speziellen Ausbildung mehr oder minder zugleich auf das Arbeitsfeld öffentlicher Haushalte festgelegt waren, besetzt wurden, sind nunmehr auch Absolventen allgemeiner betriebswirtschaftlicher Studiengänge gefragt. Bisher insbesondere unter Praktikern allgemein gültige Lehrsätze, Methoden und Erkenntnisse zu HGB5-Bilanzen sind, wie im Folgenden gezeigt wird, auf kommunale Bilanzen übertragen jedoch häufig schlicht falsch.6 Diese Problematik ergibt sich generell, wenn ein für einen bestimmten Anwendungsbereich und -zweck geschaffenes Instrument wie die doppelte Buchführung nach HGB auf andere Anwendungsbereiche und -zwecke übertragen werden soll.7 ___________ 1 Vgl. nur Coenenberg (2005); Federmann (2000); Bitz / Schneeloch / Wittstock (2003). 2 Nach dem derzeitigen Stand räumen drei Bundesländer den Kommunen ein Wahlrecht zwischen Doppik und dem Konzept einer erweiterten Kameralistik ein. Vgl. Brixner (2005), S. 187. 3 Vgl. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (2003), S. 19 – 21. 4 Vgl. nur Lüder (2001), S. 12 – 17. 5 Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG) vom 15.12.2004 (BGBl. I S. 3408). 6 So sinngemäß Rückle (2001a), S. 249, zur begrenzten Übertragbarkeit von Aussagen zur Unternehmensbeurteilung bei Unternehmensverbindungen. 7 Zu bemerkenswert ähnlichen Problemen bei der Verwendung der doppelten Buchführung nach HGB für Zwecke der Hochschulrechnung vgl. Küpper (2000), S. 348 – 369.
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Die Lehrveranstaltungen und Lehrbücher zur allgemeinen betriebswirtschaftlichen Bilanzierung müssen daher die Besonderheiten der kommunalen Bilanzierung berücksichtigen, damit sie nicht einseitig vorgeprägte, den Besonderheiten der kommunalen Bilanzierung nicht zugängliche Absolventen hervorbringen. Ziel dieses Beitrages ist es, Unterschiede der Lebenswirklichkeiten und der Rechnungslegungszwecke zwischen Kommunen und privatwirtschaftlichen Unternehmen aufzuzeigen und hieraus resultierende Implikationen für den Umgang mit kommunalen Bilanzen darzustellen. Es soll ein Bezugsrahmen geschaffen werden, der eine Beurteilung erlaubt, welche Erkenntnisse der Bilanzierung von privatwirtschaftlichen Unternehmen auf kommunale Jahresabschlüsse nicht uneingeschränkt übertragbar sind. Dem verständigen Bilanzierungsexperten mögen diese Erkenntnisse teilweise offensichtlich erscheinen. Mit der Zielsetzung dieses Beitrages folgen die Verfasser jedoch gerne dem Vorbild des Jubilars, dem es stets ein Anliegen ist, auch die Konsequenzen menschlicher Unvollkommenheit, etwa beim Lesen von Bilanzen, aufzuzeigen und in seine Forschungen einzubeziehen, und so durch mangelndes Wissen oder mangelndes Nachdenken entstehende, ggf. noch durch Halbwissen genährte weit verbreitete Irrtümer als solche zu entlarven.8
II. Ziele und Bestandteile des neuen kommunalen Rechnungswesens Sowohl die finanziellen Probleme der Gebietskörperschaften als auch die Entwicklungen in zahlreichen ausländischen Ländern9 haben zu Beginn der neunziger Jahre die Reformbestrebungen im öffentlichen Rechnungswesen in Deutschland unterstützt. Dabei ist das sog. „Neue Steuerungsmodell“ der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.10 Danach soll die Verwaltung nicht mehr über den Einsatz von Finanzen und Personal (input), sondern über die Vorgabe von Leistungszielen (output) gesteuert werden.11 Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen der Politik und Verwaltung soll der gesamte Ressourcenverbrauch einbezogen werden. Im Mittelpunkt der Reformüberlegungen steht die Tatsache, dass mehr Werte verbraucht als geschaffen werden, was als Raubbau zu Lasten künftiger Generationen bezeichnet wird. Für ein nachhaltiges Wirtschaften ist es erforderlich, dass das Rechnungswesen ___________ 8 Vgl. nur Rückle (2001a), S. 263, 264; Rückle (2001b), S. 572; Rückle (1983), S. 219. 9 Ein Überblick über die Reformen des Haushalts- und Rechnungswesens in ausgewählten Ländern findet sich bei Lüder (2001), S. 24 – 34. 10 Vgl. Buschor (2000), S. 21. 11 Vgl. Schäuble (1999), S. 106.
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die Wertschöpfung und den Werteverzehr periodenbezogen erfasst.12 Das Rechnungswesen soll durch eine Orientierung an Aufwand und Ertrag den Ressourcenverbrauch vollständig nachweisen, was wiederum eine Erfassung und Bewertung des kommunalen Vermögens voraussetzt. Das reformierte Rechnungssystem der Kommunen setzt sich aus drei Komponenten zusammen, die buchungstechnisch miteinander verbunden sind.13 In der der Bilanz vergleichbaren Vermögensrechung soll eine vollständige Erfassung von Vermögen und Schulden erfolgen, während die Ergebnisrechnung, ähnlich der Gewinn- und Verlustrechnung, Aufwand und Ertrag gegenüberstellt. Zusätzlich soll die Finanzrechnung die Ein- und Auszahlungen sichtbar machen.14 Der Übergang zur Doppik im Kernhaushalt erleichtert außerdem die Erstellung konsolidierter Jahresabschlüsse.15 Dies führt zu einer Beendigung der Fragmentierung des Rechnungswesens im „Konzern Kommune“ zwischen dem Kernhaushalt und den kommunalen Eigenbetrieben und Beteiligungsgesellschaften.16
III. Ausgewählte rechnungslegungsrelevante Unterschiede in der Lebenswirklichkeit zwischen Kommunen und privatwirtschaftlichen Unternehmen 1. Bedarfsdeckung statt Gewinnmaximierung In kommunalen Einrichtungen gibt es aufgrund der Bedarfsdeckungsfunktion, die zudem noch in hohem Maße indisponibel gesetzlich fixiert ist, quasi keinen Verursachungszusammenhang zwischen Aufwendungen und Erträgen. Je mehr Aufwendungen eine Gemeinde tätigt, um so mehr Dienstleistungen oder Hilfeleistungen wie z.B. Sozialleistungen können angeboten werden. Im Gegensatz zum unternehmerischen Bereich schaffen Aufwendungen aber keine Erträge. Die in der Ergebnisrechnung dargestellten Geschäftsvorfälle sind größtenteils als „gegenleistungslos“ zu bezeichnen. Aufwendungen und Erträge resultieren nicht aus wirtschaftlichen Handlungen von Kommunen, sondern setzten sich aus Transfererträgen und Transferleistungen zusammen.17 Eine der kaufmännischen Rentabilität vergleichbare, sinnvoll messbare Erfolgsgröße ___________ 12
Vgl. Paul (2004), S. 14. Vgl. Lüder (2001), S. 37. 14 Es handelt sich also um eine Kombination einer Bestandsrechnung mit zwei Bewegungsrechnungen, einer leistungswirtschaftlichen und einer finanzwirtschaftlichen. Vgl. Oettle (2000), S. 238 – 243; Bals / Reichard (2000), S. 214. 15 Vgl. Oettle (2000), S. 240. 16 Vgl. Frischmuth (2003), S. 75; Körner (2001), S. 34 – 35. 17 Vgl. Oettle (2000), S. 240. 13
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existiert daher nicht. Sinnvolles Rechnungsziel von Verwaltungen ist allenfalls die Ermittlung der Selbstfinanzierungsquote.18 Angesichts dieser Unterschiede verfolgt der kommunale Haushalt finanzwirtschaftliche Rechnungslegungsziele, aus denen Bedarf und Deckungsmöglichkeiten hervorgehen, während die traditionellerweise die Doppik anwendenden privatwirtschaftlichen Unternehmen hauptsächlich am leistungswirtschaftlichen Ziel der Rentabilität interessiert sind.19 Während privatwirtschaftliche Unternehmen im Rechnungswesen die Abbildung des erwerbswirtschaftlichen Erfolges verfolgen, streben kommunale Einrichtungen üblicherweise die Abbildung eines Bedarfsdeckungserfolges an.20
2. Der Charakter von kommunalem Vermögen Grundsätzlich ist das kommunale (Sach-)Vermögen beträchtlich und weist Besonderheiten auf, die eine Bewertung äußerst schwierig machen. Ursächlich für Bewertungsprobleme ist zunächst die Tatsache, dass z.B. bei Denkmälern weder Anschaffungs- oder Herstellungskosten noch Informationen über Nutzungsdauern vorliegen. Darüber hinaus ist kommunales Vermögen mangels potenzieller Käufer größtenteils nicht veräußerbar. Diese Besonderheiten verursachen aber nicht nur Bewertungsprobleme, sondern eröffnen gleichzeitig zahlreiche Ermessensspielräume. Während Vermögensgegenstände in kommerziellen Unternehmen dazu bestimmt sind, Einzahlungsüberschüsse zu erwirtschaften, sind zahlreiche Vermögensgegenstände in kommunalen Einrichtungen eher eine Last, da die damit verbundene Aufgabenwahrnehmung häufig lediglich Auszahlungsüberschüsse generiert. Der Terminologie der Internationalen Rechnungslegung folgend wäre neben dem gebräuchlichen Begriff der Cash-Generating-Units (CGU) für den überwiegenden Teil der Vermögensgegenstände kommunaler Einrichtungen der Begriff der Cash-Burning-Units (CBU) neu einzuführen. In der Literatur wurde gefordert, das Vermögen in Verwaltungsvermögen und realisierbares Vermögen, welches im Wesentlichen für öffentliche Zwecke nicht benötigt wird und daher jederzeit veräußert werden könnte, zu unterteilen. Hiernach sollte das Verwaltungsvermögen mit fortgeführten Anschaffungs-/Herstellungskosten und das realisierbare Vermögen mit seinem Veräu___________ 18
Vgl. Diemer (1996), S. 19. Zur Unterschiedlichkeit der Merkmale der öffentlichen Finanzwirtschaft und der Erwerbswirtschaft vgl. auch Bolsenkötter (2000), S. 10. 20 Vgl. Eichhorn (1987), S. 56. 19
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ßerungswert bewertet werden.21 Dies wurde im Leittext für eine „doppische“ Gemeindehaushaltsverordnung nicht umgesetzt, so dass nur einige Bundesländer dieser Unterscheidung gefolgt sind.22
3. Kommunen als heterogene Mischbetriebe Kommunale Einrichtungen sind heterogene Gebilde mit regelmäßig höchst verschiedenartigen Aufgaben.23 Es gibt unbestrittenerweise auch in der Privatwirtschaft Fälle von ausgesprochenen Mischbetrieben. Diese stellen jedoch eine Ausnahme dar und reichen selten an die Heterogenität der kommunalen Einrichtungen (Sozialhilfe, Schulbetrieb, Verwaltung, Bäder, Wasserversorgung, Beteiligungen, Wirtschaftsförderung, historisch gewachsene teils exotische Besitztümer u.v.m.) heran. Auch hinsichtlich der Organisation und Vertragsgestaltung ihrer Aufgabenerfüllung sind Gemeinden höchst unterschiedlich aufgestellt. Hierbei gibt es Gemeinden, die große Teile ihrer Aufgaben auf (bereits bilanzierende) gesonderte Rechtseinheiten ausgelagert haben, während andere Gemeinden diese Tätigkeiten im Rahmen ihres Kernhaushaltes erfüllen. Ein Vorteil der neuen Rechnungslegung wird vielfach darin gesehen, dass damit die Erstellung von Konzernbilanzen des Konzerns „Gemeinde“ ermöglicht wird.24 Hierbei wird jedoch das Einheitsprinzip der Konzernrechnungslegung auf höchst heterogen ausgestaltete „Rechtsbeziehungen und Anspruchsgrundlagen“ angewendet. „Man könnte auch sagen: Es wird Rechnung gelegt, man weiß aber nicht, worüber.“25 Neben der Heterogenität der wahrgenommenen Aufgaben unterscheiden sich Gemeinden, Gemeindeverbände und Gebietskörperschaften untereinander auch erheblich durch ihre „Betriebs“-Größe, von kleinen Gemeinden mit wenigen hundert Einwohnern bis hin zu Großstädten, wobei selbst die Klasse der Großstädte von der kleinsten Großstadt Trier (100.000 Einwohner)26 bis hin zu Berlin (3,3 Mio. Einwohner) eine beachtliche Spannweite aufweist.
___________ 21
Vgl. Lüder (2001), S. 47 – 51. Vgl. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (2003), Anlage 3 zum IMK-Beschluss vom 21.11.2003, S. 81. 23 Vgl. auch Fuchs (1987), S. 64. 24 Vgl. Frischmuth (2003), S. 75; Körner (2001), S. 34 – 35. 25 Rückle (2001a), S. 259; dort im Hinblick auf die Heterogenität von Konzernen. 26 Derzeit (Stichtag 30.06.2005) verfehlt diese Wirkungsstätte des Jubilars die Größenvoraussetzung zur Großstadt allerdings um 315 Ersteinwohner. Vgl. Stadt Trier (2005). 22
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4. Zwecke kommunaler Rechnungslegung Bei der Darstellung von Funktionen des externen Rechnungswesens unterscheidet man im privatwirtschaftlichen Bereich regelmäßig zwischen Informationsbereitstellung und Zahlungsbemessung.27 Sämtliche Zwecke kommunaler Rechnungslegung28 sind dagegen auf eine Informations- bzw. Kontrollfunktion zurückzuführen. Selbst die Unterscheidung zwischen internem und externem Rechnungswesen ist für den kommunalen Bereich nicht erforderlich, da prinzipiell alle Informationen öffentlich sind.29 Die öffentliche Deckung fremder Bedarfe unterliegt keinem Marktmechanismus. Daher soll die Rechnungslegung von Kommunen gewährleisten, dass Haushaltsgrundsätze30 beachtet werden.31 Durch das Aufzeigen des Ressourcenverbrauchs soll außerdem eine intergenerative Gerechtigkeit gewährleistet werden.32 Kommunen haben keine Anteilseigner im kommerziellen Sinne. Es gibt keine Ausschüttungen und damit bilanziell auch keinen Bedarf, Ausschüttungen im Sinne des Gläubigerschutzes zu begrenzen. Daneben haben Kommunen (bisher) keine Schwierigkeiten, am Kapitalmarkt Kredite zu erlangen. Im Rahmen des Ratings von Forderungen kommerzieller Unternehmen etwa werden Forderungen gegenüber Kommunen im Allg. als ausfallsicher qualifiziert. Während nur Handelsbilanzen mittelgroßer und großer Kapitalgesellschaften prüfungspflichtig sind, werden kommunale Bilanzen größenunabhängig von den Rechnungsprüfungsämtern auf die Einhaltung der Haushaltsgrundsätze geprüft.33
IV. Die Übertragung vorhandener Bilanzierungskenntnisse auf die Jahresabschlüsse von Kommunen Als einer der wesentlichen Vorteile, auch im kommunalen Bereich mit der doppelten Buchführung und mit Jahresabschlüssen kommerzieller Prägung zu arbeiten, wird immer wieder angeführt, dass für diese Anwendung umfangreich ___________ 27
Vgl. Bitz / Schneeloch / Wittstock (2003), S. 32 – 46. Vgl. Diemer (1996), S. 79. 29 Vgl. Bals / Reichard (2000), S. 213. 30 Ausführlich werden einzelne Grundsätze der Haushaltswirtschaft dargestellt bei Schwarting (2001), S. 56 – 63 und S. 227 – 237. 31 Vgl. Diemer (1996), S. 19. 32 Vgl. Lüder (1999), S. 7. 33 Zu Zielen und Funktionen öffentlicher und privater Rechnungslegung vgl. auch Bolsenkötter (2000), S. 23. 28
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Know-how vorhanden ist, welches dann, ggf. moderat angepasst, für die Kommunen und den Umgang mit ihrem Rechnungswesen nutzbar gemacht werden könne. Umgekehrt wird die, aus Sicht der kommerziellen Wirtschaft eher exotische, kamerale Rechnungslegung schon sehr lange als Hindernis für ein breiteres Interesse der Öffentlichkeit gesehen. „Das mit Recht so viel beklagte mangelnde Interesse des Bürgers an den Vorgängen in Staat und Gemeinde ist nicht zuletzt eine Folge der Tatsache, daß Rechnungslegung und Publizität der öffentlichen Haushalte, ihre Lesbarkeit für den Bürger, und damit das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Haushalts- und Vermögenswirtschaft völlig unzureichend sind.“34 Es ist damit nicht allzu weit hergeholt, wenn man sich den im Rahmen der kommerziellen Bilanzierung vorliegenden Wissensschatz (Fachleute, Literaturbeiträge, Rechtsprechung, Softwarepakete, Prozesse, Verfahren, Managementmethoden u.v.m.) zunutze machen möchte. Ideal wäre es, wenn man diesen Erfahrungsschatz ohne allzu große Modifikationen schlicht auf den neuen Anwendungsbereich kommunale Bilanzierung übertragen könnte. Grundsätzlich sind die Vorschriften der Muster-GemHVO35 auch sehr eng an die für alle Kaufleute geltenden Rechnungslegungsvorschriften des HGB (§§ 238 – 263) angelehnt. Das neue kommunale Haushalts- und Rechnungswesen nutzt das HGB als Referenzmodell. Abweichungen von privatwirtschaftlich gültigen Regelungen sollen auf ein Mindestmaß beschränkt werden und nur dann auftreten, wenn spezifische Ziele des Rechnungswesens von Kommunen dies erfordern.36 Lediglich die zahlreichen Ansatz- und Bewertungswahlrechte des HGB sind in der Muster-GemHVO bis auf wenige Ausnahmen aufgehoben. Dies verführt zu der Annahme, dass Bilanzkundige ihr bisheriges Wissen relativ problemlos auf die Bilanzierung in kommunalen Einrichtungen übertragen können. Genau dies ist jedoch ausdrücklich nicht der Fall, und damit liegt gerade in dem größten Vorteil der Rechnungslegungsreform der öffentlichen Haushalte, ___________ 34
Mülhaupt (1966), S. 106. Vgl. hierzu Leittext für eine „doppische“ Gemeindehaushaltsverordnung, Stand 17.10.2003; in: Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (Hrsg.): Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 173. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 21. November 2003 in Jena; Berlin 2003, Anlage 2 zum IMK-Beschluss vom 21.11.2003, S. 42 – 70. 36 Für die Regelungen in NRW vgl. hierzu Modellprojekt „Doppischer Kommunalhaushalt in NRW“ (2003), S. 28. Auf Unterschiede in der Umsetzung des Leittextes für eine „doppische“ Gemeindehaushaltsverordnung in den Bundesländern soll hier nicht eingegangen werden, vgl. hierzu Frischmuth (2004), S. 144 – 147; Kußmaul / Henkes (2005), S. 136 – 137. 35
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nämlich in dem weit verbreiteten Bilanzierungswissen, auch eine wesentliche Gefahr.37 Eine unkritische Übertragung vorhandener Kenntnisse auf kommunale Bilanzierung kann nämlich, wie später ausgeführt, zu unsinnigen Einschätzungen führen, da „... dem i.d.R. nicht mit Unterschieden von Rechnungslegungssystemen Vertrauten Äquivalenz [suggeriert wird], wo in Wahrheit keine gegeben ist.“38 Hier gilt es zu vermeiden, dass im Übrigen Bilanzkundige, welche mit den kommunalen Besonderheiten nicht vertraut sind, politisches Unheil anrichten.
V. Auf kommunale Bilanzen nicht oder nur eingeschränkt übertragbare Bilanzierungserfahrungen Dort wo know-how (Abbildungsregeln, Analysen oder Prüfungshandlungen zu Jahresabschlüssen) an Größen und Zielen ansetzt, welche in der kommunalen Lebenswirklichkeit bzw. für die kommunale Bilanzierung nicht ausschlaggebend sind, führen diese Regeln und Methoden zu unbrauchbaren, im schlimmsten Fall irreführenden Ergebnissen. In der Reihenfolge der in Abschn. III. genannten Aspekte lassen sich folgende Schlussfolgerungen ableiten.
1. Analyse der Ergebnisrechnung Privatwirtschaftliche Unternehmen und Kommunen verfolgen unterschiedliche Erfolgsziele. Kennzahlen und Aussagen zu Jahresabschlüssen, welche sich auf das Ergebnis der Gewinn- und Verlustrechnung als Erfolgsmaßstab beziehen, kommen daher zu irreführenden Ergebnissen, weil diese Ergebnisrechnung eben nicht die Zielerreichung des Bedarfsdeckungserfolges von Kommunen misst. Kennzahlen und Aussagen zu Jahresabschlüssen, welche eine Angemessenheit von Aufwendungen in Relation zu Erträgen oder Gesamtergebnisgrößen darstellen sollen, sind irreführend, da ein solcher Verursachungszusammenhang zwischen Aufwendungen und Erträgen überwiegend nicht gegeben ist. Der Saldo der Ergebnisrechnung entspricht zwar formal dem Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung, inhaltlich ist die Aussagekraft der beiden Rech___________ 37
Vgl. Schmidt (2004), S. 15. Rückle (2001a), S. 263; dort allerdings in Bezug auf Unterschiede zwischen Konzernrechnungslegung nach HGB und nach „international anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen“. 38
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nungen jedoch nicht identisch. Die Gewinn- und Verlustrechnung kann herangezogen werden, um Informationen über den leistungswirtschaftlichen Periodenerfolg zu erhalten. Im öffentlichen Bereich kann die „Produktion“ nicht mit Geld gemessen werden, in der Ergebnisrechnung existieren keine Erlöse, die mit den produzierten Dienstleistungen zusammenhängen. Der Zweck der Ergebnisrechnung ist daher ausschließlich die periodengerechte Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben.39 Aussagen über die Relation von Aufwendungen und Erträgen sind nicht nur aufgrund des fehlenden Verursachungszusammenhangs nicht zweckmäßig, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass die Aufgaben und damit die Aufwendungen von Kommunen größtenteils nicht freiwillig und damit auch nicht steuerbar sind. Während die Leistung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens anhand der Gewinn- und Verlustrechnung analysiert werden kann, ist eine Beurteilung der Tätigkeit der Kommune äußerst problematisch. Die Qualität kommunaler Tätigkeit ist allenfalls anhand des Angebots an Dienstleistungen und des Wohlbefindens der Bürger zu prüfen. Herangezogen werden kann die Ergebnisrechnung jedenfalls für die Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes des Haushaltsausgleiches.40 Aufschlussreich kann darüber hinaus die Analyse bestimmter Aufwands- und Ertragspositionen im Zeitvergleich oder Betriebsvergleich sein. Hierbei sind aber die zuvor dargestellten Besonderheiten (Mischbetrieb, Bewertungsprobleme) zu berücksichtigen. Der mangelnden Aussagekraft der Ergebnisrechnung als „Leistungsindikator“ öffentlicher Haushalte wird dadurch Rechnung getragen, dass § 4 der Muster-GemHVO eine überwiegend produktbezogene Bildung von Teilhaushalten als Bewirtschaftungseinheiten vorschreibt, für welche jeweils gesonderte Teilergebnishaushalte aufgestellt werden. Anhand dieser Teilergebnishaushalte lassen sich durchaus valide Aussagen über den finanziellen Erfolg der Einheiten treffen. Dies wird jedoch branchenunkundige Bilanzleser nicht davon abhalten, Erfolgsbetrachtungen in ihren eigenen tradierten Kategorien anzustellen.
2. Analyse der Vermögensstruktur Betrachtungen von Vermögenskennzahlen sind aus mehreren Gründen erheblich zu relativieren.
___________ 39 40
Vgl. Oettle (2000), S. 250. Vgl. § 18 Muster-GemHVO.
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Zunächst birgt die Tatsache, dass der Umfang des Vermögens von Kommunen teilweise beträchtlich ist, die Gefahr der Fehlinterpretation der Vermögenslage.41 Für eine Einschätzung der Vermögenssituation ist es unabdingbar zu berücksichtigen, dass große Teile des Vermögens keine Einzahlungsüberschüsse erwirtschaften. Eine Stadt, die in der Vermögensbilanz ein Schwimmbad und einige Baudenkmäler zu berücksichtigen hat, hat c.p. ein höheres Aktivvermögen und damit ein höheres Eigenkapital als Städte ohne solche Einrichtungen. Letzteren dürfte es aber wegen der fehlenden Lasten für Betriebskosten der Einrichtungen c.p. finanziell besser gehen als den bilanziell „vermögenden“ Städten. Daher führt auch der Vergleich von Kennzahlen kommunaler Bilanzen mit dem privaten Bereich bestenfalls zu unsinnigen und schlechtestenfalls zu irreführenden Ergebnissen. So ist beispielsweise die von der Stadt Dreieich stolz präsentierte Eigenkapitalquote von 62,8 % entgegen den Darstellungen der Verantwortlichen („Dieser Wert würde viele Unternehmen der freien Wirtschaft mit Neid erfüllen“42) nicht unbedingt ein Hinweis auf eine positive Vermögenssituation. Ein Indiz für eine eher als problematisch zu bewertende tatsächliche Situation ist in diesem Zusammenhang die Information, dass mit dieser Eigenkapitalquote ein Fehlbetrag von sieben Mio. EUR korrespondiert. Angesichts dieser Zusatzinformation ist die ermittelte hohe Eigenkapitalquote nicht nur nicht aussagekräftig, sondern könnte zu der Forderung führen, dass angesichts der negativen Erfolgslage Vermögenswerte liquidiert werden. Das Eigenkapital als Saldo von Vermögen und Schulden ist in kommunalen Bilanzen kein Wert, der für eine Aussage von zukünftigen Chancen herangezogen werden kann. Lediglich eine Aussage über die Finanzierung kann aus ihm abgeleitet werden.43 Hier ist aber zum einen zu berücksichtigen, dass Teile des Vermögens eher belastend sind. Zum anderen haben Schwierigkeiten bei der Bewertung in der Eröffnungsbilanz erhebliche Ermessensspielräume eröffnet, welche sich in den Folgejahren beständig auswirken und daher bei Bilanzanalysen der Folgejahre zu berücksichtigen sind. Trotz der Tatsache, dass die Muster-GemHVO im Vergleich zum HGB kaum Ansatz- und Bewertungswahlrechte eröffnet, ist es aufgrund der sich aus den Bewertungsproblemen ergebenden Ermessensspielräume möglich, Bilanzpolitik zu betreiben.
___________ 41
Vgl. Schwarting (2001), S. 290. Adler / Portis (2005), S. 2. 43 Vgl. Oettle (2000), S. 250. 42
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3. Vergleich kommunaler Bilanzen Die Analyse von kommunalen Bilanzen anhand eines horizontalen Betriebsvergleichs führt wohl nicht zu brauchbaren Ergebnissen, da sich aufgrund der Unterschiedlichkeit der von ihnen angebotenen Leistungen und der von ihnen bilanzierten Vermögensgegenstände selbst Gemeinden gleicher Größe kaum vergleichen lassen. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die für die Organisation der Aufgabenerfüllung gewählten Rechtsbeziehungen von Gemeinde zu Gemeinde höchst unterschiedlich ausgestaltet sind. Vergleicht man Bilanzen von Kommunen verschiedener Bundesländer sind darüber hinaus die länderspezifischen Unterschiede zu berücksichtigen. Insbesondere der in einigen Ländern vorgesehene Ansatz mit dem Zeitwert für das realisierbare Vermögen oder für die gesamte Eröffnungsbilanz beeinflusst die Vergleichbarkeit erheblich. Beim vertikalen Betriebsvergleich (= Zeitvergleich) ist darauf zu achten, dass die Entwicklungen der „Branchen“ einer Gemeinde (von Wasserwirtschaft bis Sozialamt) rechnerisch für Vergleichszwecke auseinander gehalten werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die in der Eröffnungsbilanz durchgeführte Bewertung aufgrund des Bilanzzusammenhangs die Ergebnisse in den Folgejahren beeinflusst. Daher ist insbesondere die Ausübung von Wahlrechten oder die Vorgehensweise bei Ermessensspielräumen in der Eröffnungsbilanz bei der Analyse folgender Bilanzen zu berücksichtigen. Die Absicht, nach Einführung der Doppik auch verwaltungsexterne Vergleiche mit privatwirtschaftlichen Unternehmen durchzuführen, um Entscheidungen über Privatisierungen oder Fremdvergaben sowie Aussagen über die Wirtschaftlichkeit öffentlicher Leistungen zu treffen44, ist angesichts der dargestellten Besonderheiten von Kommunen eher kritisch zu bewerten.45
4. Anwendung des Vorsichtsprinzips Da Gläubiger nicht gefährdet sind und Ausschüttungen nicht erfolgen, sind die vorsichtsgeprägten Vorschriften des HGB, die dort wichtige Zielsetzungen verfolgen im Bereich der Muster-GemHVO bloße festlegende und damit objektivierende Vorschriften. Bei der Prüfung der kommunalen Jahresabschlüsse kommt der Einhaltung dieser Vorsichtsmaßnahmen damit ein deutlich geringe___________ 44
Vgl. Körner (2001), S. 34. Nicht nachvollziehbar ist daher das Argument des IDW, das für HGB-Bilanzen geltende Vorsichtsprinzip sei zwecks Gewährleistung eines vergleichbaren Ergebnisausweises auch in kommunalen Bilanzen anzuwenden. Vgl. IDW (2001), S. 1407. 45
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res Gewicht zu als bei der Prüfung von Jahresabschlüssen kommerzieller Unternehmen. Überhaupt dürfte sich das Sachziel der Rechnungsprüfungsämter durch die geänderte Aufbereitung des Zahlenmaterials nicht wesentlich ändern. Der fehlende Marktmechanismus erfordert von der haushaltswirtschaftlichen Rechnungslegung den Nachweis, dass die Haushaltsgrundsätze eingehalten werden. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Überprüfung bestimmter Grundsätze z.B. anhand der Ergebnisrechnung die Besonderheiten des kommunalen Bereiches berücksichtigt werden. So müssen anhaltend hohe Fehlbeträge in der Ergebnisrechnung nicht das Ergebnis unwirtschaftlichen Haushaltens sein, sondern können beispielsweise auf eine tendenziell hohe Bewertung von abnutzbarem Vermögen in der Eröffnungsbilanz oder auf die Erfüllung gesetzlich fixierter Dienst- und Hilfeleistungen zurückzuführen sein. Dass die Übernahme des Vorsichtsprinzips aus dem HGB in die MusterGemHVO einer soliden und langfristigen Haushaltsführung dient,46 ist daher nicht unbedingt einleuchtend. Zumindest führt die vorsichtige Bewertung von abnutzbaren Vermögensgegenständen in der Eröffnungsbilanz zu geringeren Abschreibungsbeträgen und damit c.p. zu höheren Ergebnissen. Dies könnte zu einer Verschönerung der tatsächlichen Haushaltslage führen. Überspitzt könnte man formulieren, dass die Anwendung des Vorsichtsprinzips in der Eröffnungsbilanz aufgrund der damit verbundenen Verschleierung der tatsächlichen Lage einer soliden Haushaltsführung nicht förderlich ist. Ein wichtiges Argument für die Reform der Rechnungslegung im öffentlichen Bereich war die Darstellung des Ressourcenverbrauchs im Interesse der Herstellung einer intergenerativen bzw. interperiodischen Gerechtigkeit. Eine vorsichtige Bewertung in der Eröffnungsbilanz steht diesem Ziel entgegen. Angesichts der Tatsache, dass an das Ergebnis kommunaler Bilanzen keine Ausschüttungen geknüpft sind, ist die Anwendung des Vorsichtsprinzips nicht mit einem Schutz von Gläubigern zu begründen. Beachtenswert ist dagegen der Umstand, dass eine vorsichtige Bewertung zu einer Bildung stiller Reserven führt. Solange diese stillen Reserven nicht offengelegt werden, ist der Informationsgehalt der Rechnungslegung erheblich beeinträchtigt.47
___________ 46 47
Vgl. IDW (2001), S. 1407. Vgl. nur Siegel / Bareis / Rückle et al. (1999), S. 2078 – 2079.
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Tanja Palzer und Eckhard Schmitz Tabelle 1 Rechnungslegungsrelevante Unterschiede und deren Implikationen
Rechnungslegungsrelevante Unterschiede in der Lebenswirklichkeit Erfolgsziel
Implikationen für den Umgang mit kommunalen Bilanzen Analyse der Ergebnisrechnung
Kommunen verfolgen das Ziel der Bedarfsdeckung statt der Gewinnmaximierung.
Der Saldo der Ergebnisrechnung misst nicht den Bedarfsdeckungserfolg von Kommunen.
Es besteht kein Verursachungszusammenhang zwischen Aufwendungen und Erträgen.
Sämtliche Kennzahlen, die sich auf die Relation von Aufwendungen und Erträgen beziehen, sind irreführend.
Aufgaben und damit Aufwendungen sind in hohem Maße nicht freiwillig bzw. nicht steuerbar. Analyse der Vermögensstruktur Besonderheiten von kommunalem Vermögen Vermögenskennzahlen haben eine gerinKommunales Vermögen ist beträchtlich, ge Aussagekraft. Es besteht die Gefahr generiert aber z.T. Auszahlungsüberder Fehlinterpretation der Vermögensschüsse. lage. Bewertungsprobleme (insbesondere in der Beim Vergleich von VermögenspositioEröffnungsbilanz) eröffnen Ermessensnen verschiedener Kommunen sind sämtspielräume. liche bewertungsrelevante Unterschiede zu berücksichtigen. In den Bundesländern existieren unterschiedliche Bewertungsprinzipien. Kommune als heterogener Mischbetrieb Eine Kommune erfüllt die unterschiedlichsten Aufgaben durch zahlreiche Einrichtungen. Es existieren beträchtliche Unterschiede zwischen Kommunen, selbst bei vergleichbarer Größe.
Vergleich kommunaler Bilanzen Bei der Analyse sind die unterschiedlichen Aufgabenbereiche auseinander zu halten. Der Vergleich von aggregierten Bilanzen verschiedener Kommunen führt kaum zu aussagekräftigen Ergebnissen.
Der Vergleich mit Bilanzen privatwirtschaftlicher Unternehmen ist i.d.R. unzweckmäßig. Zwecke kommunaler Rechnungslegung Anwendung des Vorsichtsprinzips
Bilanzierung in Kommunen hat lediglich den Zweck der Informationsbereitstellung.
Eine vorsichtige Bewertung ist nicht mit dem Rechnungslegungszweck zu begründen.
Es besteht keine Notwendigkeit des Gläu- Eine vorsichtige Bewertung kann zu Lasbigerschutzes durch Ausschüttungsbeten von Information gehen. grenzung.
Bilanzen der Kommunen – Implikationen für Lehre und Praxis
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5. Zusammenfassung Die Tabelle 1 fasst die dargestellten Besonderheiten in der Lebenswirklichkeit von Kommunen im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen und die sich daraus ergebenden Implikationen für den Umgang mit kommunalen Bilanzen zusammen. Dabei werden einige Zusammenhänge zugunsten einer besseren Übersicht nicht dargestellt. Diese Übersicht soll nämlich nicht nur Bilanzkundige davor bewahren, ihre Kenntnisse und Erfahrungen unreflektiert auf kommunale Bilanzen zu übertragen, sondern auch den Vertretern von Kommunen eine Argumentationshilfe sein, wenn diese sich mit Bilanzkundigen auseinandersetzen müssen. Es ist zu erwarten, dass durch die Umstellung des öffentlichen Rechnungswesens auf die Doppik das Interesse für die kommunale Rechnungslegung steigen wird, so dass sich Kommunen einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sehen. So ist durchaus zu erwarten, dass ein Gewerbetreibender vor dem Hintergrund seiner Bilanzierungskenntnisse es nicht verstehen kann, wenn z.B. die Kommune Dreieich trotz einer Eigenkapitalquote von 62,8 %48 den Hebesatz der Gewerbesteuer erhöhen würde. Neben den beschriebenen Unterschieden ist beim Umgang mit kommunalen Bilanzen stets zu berücksichtigen, dass die Bestandteile kommunaler Rechnungslegung weitaus weniger Aussagekraft besitzen als die Jahresabschlüsse von privatwirtschaftlichen Unternehmen, da große Bereiche kommunaler Tätigkeit nicht unmittelbar monetär fassbar sind und daher auch nicht durch das Rechnungswesen abgebildet werden. Während in der Privatwirtschaft üblicherweise die Zufriedenheit von Kunden langfristig mit dem Erfolg eines Unternehmens einhergeht, ist die Zufriedenheit von Bürgern nicht unbedingt positiv mit dem bilanziellen Ergebnis der Kommune korreliert.
VI. Schlussbemerkungen Die Einführung der Doppik im kommunalen Sektor ist nicht mehr aufzuhalten. Die Kommunen, aber auch die Lehre und Bilanzierungspraxis, haben sich darauf einzustellen. Falsch ist jedoch die Meinung, dass aufgrund der Reform nur diejenigen umlernen müssen, die bisher ausschließlich die Kameralistik angewendet haben. Branchenfremde Bilanzkundige können ebenfalls erhebliche Fehler bei der Interpretation kommunaler Bilanzen begehen, indem sie ihre vorhandenen Erfahrungen und Attitüden49 unreflektiert auf die kommunalen Bilanzen übertragen. ___________ 48
Vgl. Fn. 42. Zur Verwendung dieses Begriffs im Zusammenhang mit Reaktionsmechanismen der Bilanzempfänger vgl. Rückle (1983), S. 212. 49
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Dieser Fehler vergrößert sich noch dadurch, dass ggf. tatsächlich sinnvolle zusätzliche Informationen der kommunalen Jahresabschlüsse (Teilergebnishaushalte, Kennzahlen etc.) mangels Branchenkenntnis ignoriert werden. Aufgabe der Lehre und der Bilanzierungspraxis wird es sein, ihre Adressaten für die trotz der Verwendung eines einheitlichen Instrumentes existierenden Unterschiede zu sensibilisieren. Möge der vorliegende Artikel einen Beitrag zur „aktiven Bilanzpolitik“ im Sinne des Jubilars50 leisten.
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Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung – off- or on-balance sheet? Von Jochen Sigloch
I. Problemstellung Leasing als innovativer Vertragstyp zwischen Miete und Kauf hat viele neue Fragen aufgeworfen. So ist die Frage „Leasing oder Kreditkauf“ schon früh auch von Rückle1 thematisiert worden. Zu den Zentralproblemen zählt auch die Bilanzierung von Leasingtransaktionen, da diese je nach Ausgestaltung eher miet- oder kaufähnliche Züge aufweisen und ihre rechtliche Einordnung rechtlich noch immer umstritten ist.2 Der bemerkenswerte Siegeszug der im Jahr 1962 aus den USA importierten Vertragsinnovation „Leasing“ dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass die von einem Unternehmen beschafften Anlagenwerte im Gegensatz zum Kreditkauf im Regelfall nur beim Leasinggeber, nicht aber in der Bilanz des Leasingnehmers zu bilanzieren sind.3 Dies eröffnet den Bilanzierenden erhebliche bilanzpolitische Vorteile, weil sich damit – zumal bei einer offenbar üblichen oberflächlichen Betrachtung4 – die bilanzielle Verschuldung vordergründig niedrig halten lässt. Der Beitrag untersucht die Frage nach dem Erfordernis einer generellen Bilanzierung von Leasingtransaktionen. Nach einer ökonomischen Einordnung von Kauf, Leasing und Miete sind die Vorteile einer off-balance-Finanzierung zu skizzieren, die schon früh zu Bemühungen geführt haben, Leasing entsprechend der Leitvorstellung des wirtschaftlichen Eigentums in der Bilanz des Nutzers auszuweisen.5 Zur Fundierung eines allgemeinen Lösungsansatzes ist anhand eines einfachen Modells zu untersuchen, in welchen Punkten sich mietvertragliche Überlassungsformen und Ratenkauf im Hinblick auf den Bilanz___________ 1
Vgl. Rückle / Klatte (1983) und (1984). Vgl. Habersack (2004), S. 1163, RdNr. 23. 3 Vgl. statt vieler Schimmelschmidt / Happe (2004), S. 1 – 12. 4 Vgl. hier Fülbier / Pferdehirt (2005), S. 278 mit weiterführenden Literaturhinweisen. 5 Vgl. hierzu die ersten Leasing-Erlasse der Finanzverwaltung BMF-Schreiben vom 19.04.1971, S. 264 und BMWF-Schreiben vom 21.03.1972, S. 188. 2
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und Erfolgsausweis unterscheiden. Danach sind zwei aktuell international diskutierte Konzepte zur Leasingbilanzierung vorzustellen und zu beurteilen. Zusammenfassende Thesen schließen den Beitrag ab.
II. Grundlagen Miete, Leasing und Kauf sind alternative Wege, sich gegen die Zahlung eines Entgelts für eine bestimmte Zeit das Recht zur Nutzung eines ökonomischen Guts – dessen Nutzungspotential – zu beschaffen. Miet- und Kaufvertrag können als Eckpunkte eines Kontinuums gesehen werden, auf dem Leasing eine (variable) Mittelposition einnimmt:6 x
Ein Mietvertrag sichert für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit die Nutzung des Mietobjekts.
x
Im Leasingvertrag wird das Recht zur Nutzung für eine – im Regelfall unkündbare – Grundmietzeit festgelegt.
x
Auch der Kaufvertrag gewährleistet das Recht zur zeitlichen Nutzung, räumt darüber hinaus auch weitere Rechte – so das Recht zur Beleihung, Belastung und Veräußerung – ein.
Alle Vertragstypen zwischen Miete und Kauf gewähren ein zeitliches Nutzungsrecht, wobei der überlassende Vertragspartner bei Voll- und Teilamortisationsverträgen stets darauf achten wird, das mit der Überlassung des Guts verbundene Risiko auf den Nutzer zu übertragen. Zwar weisen Miete und Kauf im Regelfall unterschiedliche Zahlungsstrukturen auf, doch können diese ohne weiteres identisch ausgestaltet werden. Geht man von einer weitgehenden ökonomischen Vergleichbarkeit der Beschaffungsalternativen von Miete und Kauf aus, so bestehen doch erhebliche Unterschiede in der bilanziellen Abbildung im Rahmen der Rechnungslegung: x
Im Fall der Miete verbleibt das vermietete Objekt in der Bilanz des Leasingnehmers und wird dort nach den allgemeinen Regeln abgeschrieben. Die Bilanz des Nutzers wird nicht tangiert, die Mietzahlungen wirken sich allein in dessen Gewinn- und Verlustrechnung aus.
x
Im Fall des Kaufes verlässt das veräußerte Gut die Bilanz des Veräußerers, an seine Stelle tritt der Zugang einer Forderung oder liquider Mittel. Das veräußerte Gut wird beim Erwerber bilanziert, der auch die Abschreibungen vornimmt.
___________ 6
Vgl. auch Küting / Hellen / Brakensiek (1998), S. 1465.
Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung x
411
Auch der Erfolgsausweis wird von der Klassifikation von Leasing als Miete oder Kauf berührt: Zwar ergeben sich keine Unterschiede im Totalerfolg, doch sind Unterschiede im Hinblick auf den zeitlichen Ausweis der Periodenerfolge und deren Zusammensetzung zu beobachten.7
Die nachfolgende Übersicht macht die unterschiedliche Abbildung der ökonomisch vergleichbaren Beschaffungsalternativen in der Rechnungslegung deutlich: 8
Leasing: Vertrag zwischen
Vertragsgestaltung Bilanzielle Abbildung der Vertragsgestaltung
Miete Keine Bilanzierung beim Nutzer
Kauf Bilanzierung beim Nutzer (Leasingnehmer) abhängig von Vertragsgestaltung
Operate Leasing
keine Bilanzierung beim Nutzer Bilanzierung beim Nutzer
nein
Bilanzierung beim Nutzer (und zugleich juristischen Eigentümer)
Finance Leasing
kein wirtschaftliches Eigentum beim Nutzer:
wirtschaftliches Eigentum beim Nutzer:
keine Bilanzierung beim Nutzer
Bilanzierung beim Nutzer ja
Abbildung 1: Kontinuum von Miete, Leasing und Kauf in der Rechnungslegung
Die Dichotomie der bilanziellen Abbildung von Miete und Kauf und die schwierige Grenzziehung zwischen beiden Beschaffungsalternativen werfen die Frage nach den (vermuteten) Vorzügen der jeweiligen bilanziellen Abbildung ___________ 7
Ein identischer Erfolgsausweis im Miet- und Kauffall wäre nur erreichbar, wenn der in den Leasingraten enthaltene Zinsanteil linear über die Laufzeit verteilt würde. 8 Die Systematik folgt der in Deutschland üblichen Unterscheidung zwischen Operate und Finance Leasing. International gelten alle Leasing-Verträge, bei denen das wirtschaftliche Eigentum beim Leasinggeber verbleibt, als Operate-Leasing-Verträge. Zu den nationalen und internationalen Zurechnungskriterien vgl. Pellens / Fülbier / Gassen (2004), S. 563 – 598 und Gelhausen et al. (2006), Rn. 25 – 36.
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Jochen Sigloch
in der Rechnungslegung auf. Hier werden vor allem zwei Argumente zugunsten der Abbildung als Mietvertrag vorgetragen: x
Die Behandlung als Mietvertrag vermeidet beim Nutzer die Bilanzierung des genutzten Guts und der entsprechenden Verbindlichkeit und verhindert daher eine Erhöhung der (sichtbaren) bilanziellen Verschuldung. Dem steht entgegen, dass in Mietverträgen künftige Zahlungsverpflichtungen festgelegt werden und diese ökonomisch die Verschuldung erhöhen, auch wenn sie derzeit bilanziell nicht auszuweisen sind.
x
Die Nicht-Bilanzierung beim Nutzer ist steuerlich von Vorteil, da die gesamten Zahlungen steuerlich sofort als Aufwand behandelt werden. Diesem Argument ist entgegen zu halten, dass im Falle der Behandlung als Kauf neben den Zinskosten auch die lineare Abschreibung der Anschaffungskosten steuerlich absetzbar ist und dies gegenüber dem Mietaufwand zu einer zeitlich früheren Aufwandsverrechnung führt. Ursache ist, dass in den jährlich gleich bleibenden Zahlungen faktisch nur eine progressive Abschreibung enthalten ist.
Die ökonomische Gleichartigkeit der Beschaffungsalternativen von Miete und Kauf und fehlende überzeugende Gründe für eine Ungleichbehandlung lassen es geboten erscheinen, die unterschiedlichen Überlassungsformen von Nutzungspotential weitgehend gleich zu behandeln – und zwar auch in der Rechnungslegung.
III. Leasing als Miet- oder Kaufvertrag 1. Ausgangspunkt Die unterschiedliche Abbildung von Ratenzahlungen im Rahmen eines Mietoder Kaufvertrags in der Rechnungslegung soll nachfolgend am Grenzfall eines Leasingvertrags demonstriert werden, bei dem während der Vertragsdauer konstante Jahresraten bezahlt werden und die Zahlungsdauer genau der wirtschaftlichen Nutzungsdauer entspricht. Beispiel 1: Beschaffung einer Maschine gegen laufende Leasingraten A überlässt B eine Maschine mit Anschaffungskosten von 100 gegen Zahlung von fünf nachschüssigen Leasingraten in Höhe von 26,38. Beim geltenden Marktzins von 10 % beträgt der Barwert dieser Zahlungen genau 100. Ausgehend davon, dass ein Gewinnaufschlag nicht gegeben sei, entspricht dieser Barwert exakt den Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Über die Gesamtlaufzeit beträgt der Zinsanteil 31,90.
Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung
413
Da in diesem Fall die Zahlungsreihen bei Miete und Ratenkauf vollkommen identisch sind, liegt wegen der Annahme, dass die Nutzungsdauer des Mietvertrags der wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Guts entspricht, ökonomisch ein identischer Sachverhalt vor. Dennoch gestaltet sich die bilanzielle Abbildung völlig unterschiedlich.
2. Leasing als Mietvertrag Bei einer Qualifikation des Leasingvertrags als Mietvertrag gilt: Der Leasinggeber A bleibt Eigentümer, bilanziert die Maschine und schreibt sie linear über die Laufzeit von fünf Jahren ab. Die erhaltenen Leasingraten werden als Ertrag vereinnahmt und ergeben vermindert um die Abschreibungen den Erfolg. Der Leasingnehmer B verbucht die laufenden Zahlungen als Mietaufwand. In der Bilanz des Nutzers erfolgt weder eine Bilanzierung des vertraglichen Nutzungsrechts noch eine Passivierung der künftigen Zahlungsverpflichtungen. Bilanziell ergibt sich folgende Darstellung: Mietvertrag (A Vermieter, B Mieter) A-Anlagevermögen A-Kasse Maschine 100 AfA1 -20 80 EZ1 26,38 AfA2
-20
60
EZ2
26,38
AfA3
-20
40
EZ3
26,38
AfA4
-20
20
EZ4
26,38
AfA5
-20
20
EZ5
26,38
B-Anlagevermögen kein kein Aktivum Passivum
B-Kasse AZ1 AZ2 AZ3 AZ4 AZ5
AfA = Abschreibung AHK = Anschaffungs- oder Herstellungskosten
A-GuV AfA1 Erfolg1 AfA2 Erfolg2 AfA3 Erfolg3 AfA4 Erfolg4 AfA5 Erfolg5
26,38 26,38 26,38 26,38 26,38
LA1 LA2 LA3 LA4 LA5
AZ = Auszahlung LA = Leasingausgaben
20 6,38 20 6,38 20 6,38 20 6,38 20 6,38
LE1 26,38 LE2 26,38 LE3 26,38 LE4 26,38 LE5 26,38
B-GuV 26,38 26,38 26,38 26,38 26,38 EZ = Einzahlung LE = Leasingeinnahmen
Abbildung 2: Leasing als Mietvertrag in der Rechnungslegung
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3. Leasing als Kaufvertrag Wird die Vertragsgestaltung als (Raten-)Kaufvertrag qualifiziert, so ist beim Leasinggeber A statt der Maschine eine Forderung zu bilanzieren. Sofern die Vertragsgestaltung keinen Gewinnaufschlag enthält, entspricht die Höhe der Forderung den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Maschine. Die eingehenden Zahlungen dienen zum einen Teil der Tilgung dieser Forderung und stellen zum anderen Teil Zinsertrag dar. Beim Leasingnehmer B findet ein Zugang der Maschine statt, die in den folgenden fünf Jahren linear abgeschrieben wird. Mit dem Zugang der Maschine ist der Zugang einer Verbindlichkeit in entsprechender Höhe verbunden. Die laufenden Zahlungen dienen – spiegelbildlich zur Behandlung beim Leasinggeber – zum einen Teil der Tilgung dieser Verbindlichkeit und stellen zum anderen Zinsaufwand dar. Bei einer Einordnung als (Raten-)Kaufvertrag stellt sich für beide Vertragspartner grundsätzlich die Frage nach der Aufteilung der jährlichen Raten von 26,38 in Zins und Tilgung. Da die Tilgung der Forderung beim Leasinggeber wie auch die Tilgung der spiegelbildlichen Verbindlichkeit beim Leasingnehmer nicht linear erfolgt, sondern im Rahmen einer annuitätischen Zahlung im Zeitablauf ansteigt, während der Zinsanteil fällt, ergeben sich Veränderungen in der zeitlichen Verteilung und strukturellen Zusammensetzung der Erträge beim Leasinggeber und der Aufwendungen beim Leasingnehmer. Die Aufgliederung der Jahresannuitäten kann mit Hilfe der Barwertvergleichsmethode oder vereinfacht mit der Zinsstaffelmethode erfolgen. Bei der Barwertvergleichsmethode wird zunächst der Barwert der ausstehenden Leasingzahlungen berechnet, die Differenz zur Leasingrate ergibt den Zins- und Kostenanteil. Bilanziell ergibt sich die Darstellung wie in Abbildung 3. Bei der in Deutschland steuerrechtlich zulässigen Zinsstaffelmethode9 bildet die Berechnung des Zins- und Kostenanteils nach der digitalen Methode den Ausgangspunkt der Berechnung. Die Differenz zur Leasingrate ergibt den Tilgungsanteil. Im ersten Jahr beträgt der Zins- und Kostenanteil (5/15 von 31,90 =) 10,63, entsprechend errechnet sich die Tilgung zu (26,38 – 10,63 =) 15,75: Es ergibt sich die Darstellung wie in Abbildung 4.
___________ 9
Vgl. BFM-Schreiben vom 13.12.1973 (1973), S. 2485 f.
Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung Kaufvertrag (A Veräußerer, B Erwerber) A-Bilanz A-Kasse AHK Forderung Ti1 16,38 Ti2 18,02 Ti3 19,82 Ti4 21,80 Ti5 23,98
(100) 100 83,62 65,60 45,78 23,98 10
EZ1 EZ2 EZ3 EZ4 EZ5
A-GuV Zins1 Zins2 Zins3 Zins4 Zins5
26,38 26,38 26,38 26,38 26,38
B-Bilanz
415
B-Kasse
AHK AfA1
100 -20 80
Schuld 100,00 Ti1 16,38 83,62
AZ1
26,38
AfA2
-20
60
Ti2
18,02
65,60
AZ2
26,38
AfA3
-20
40
Ti3
19,82
45,78
AZ3
26,38
AfA4
-20
20
Ti4
21,80
23,98
AZ4
26,38
AfA5
-20
20
Ti5
23,98
20
AZ5
26,38
10,00 8,36 6,56 4,58 2,40
B-GuV AfA1 Zins1 AfA2 Zins2 AfA3 Zins3 AfA4 Zins4 AfA5 Zins5
20 10,00 20 28,36 20 26,56 20,62 24,58 20,62 22,40
30 28,36 26,56 24,58 22,40
Ti = Tilgung
Abbildung 3: Leasing als Kaufvertrag – Barwertvergleichsmethode
Kaufvertrag (A Veräußerer, B Erwerber) A-Bilanz A-Kasse Maschine (100) Forderung 100 Ti1 15,75 84,25 Ti2 17,87 66,38 20,00 46,38 Ti3 Ti4 22,13 24,25 24,25 10 Ti5
EZ1 EZ2 EZ3 EZ4 EZ5
B-Bilanz Maschine AfA1 -20
100 80
Schuld Ti1 15,75
A-GuV
Zins1 Zins2 Zins3 Zins4 Zins5
26,38 26,38 26,38 26,38 26,38
B-Kasse 100 84,25
AZ1
12,62
AfA2
-20
60
Ti2
17,87
66,38
AZ2
12,62
AfA3
-20
40
Ti3
20
46,38
AZ3
12,62
AfA4
-20
20
Ti4
22,13
24,25
AZ4
12,62
AfA5
-20
10
Ti5
24,25
10
10,63 18,51 16,38 14,25 12,13
B-GuV AfA1 Zins1 AfA2 Zins2 AfA3 Zins3 AfA4 Zins4 AfA5 Zins5
20 10,63 20 8,51 20 6,38 20,62 4,25 20,62 2,13
Abbildung 4: Bilanz und Kaufvertrag – Zinsstaffelmethode
30,63 28,51 26,38 24,25 22,13
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Die unterschiedlichen Methoden der Aufteilung des Zins- und Kostenanteils führen zu durchaus unterschiedlichen Erfolgsperiodisierungen. Die Wahl der Aufteilungsmethode kann damit – zumindest in deutschen Handels- und Steuerbilanzen – als bilanzpolitisches Instrument eingesetzt werden.
4. Zwischenergebnis Wird der Leasingvertrag nicht als Miet-, sondern als Kaufvertrag qualifiziert, führt dies bei den beteiligten Vertragspartnern zu erheblichen Auswirkungen auf die Bilanzstruktur, die Erfolgsperiodisierung und die Erfolgsstruktur: Im Hinblick auf die Bilanzstruktur wandelt sich das Bilanzobjekt „Maschine“ beim Leasinggeber zur „Leasingforderung“. Beim Leasingnehmer wird die Nichtbilanzierung im Fall der Miete bei einer Umqualifizierung durch eine vollständige Bilanzierung eines Nutzungspotentials mit korrespondierender Zahlungsverpflichtung ersetzt. Strategischen „Bilanzverschlankungen“ durch Sale-and-Lease-back-Transaktionen10 ist damit die Grundlage entzogen. In Bezug auf den zeitlichen und strukturellen Erfolgsausweis ergeben sich bei Übergang vom Miet- zum Kaufvertrag ebenfalls erhebliche Konsequenzen: Beim Leasinggeber A erfolgt im Kauffall eine spätere, beim Leasingnehmer B eine frühere Aufwandsverrechnung (Abbildung 5).11 Die Einordnung als Kaufvertrag verändert bei beiden Vertragspartnern darüber hinaus auch die Struktur des Erfolgs. Statt Mieterträge und -aufwendungen im Betriebsergebnis auszuweisen, werden nur jeweils der Abschreibungsanteil im Betriebsergebnis, der Zinsanteil aber im Finanzergebnis ausgewiesen (Abbildung 6).
___________ 10
Vgl. Schulze-Osterloh (2005), S. 1617 – 1620. Im Fall des Kaufes ist wegen der linearen Abschreibung beim Leasingnehmer eine frühere Aufwandsverrechnung gegeben, während im Mietfall faktisch eine progressive Abschreibung vorliegt (vgl. auch Lipe (2001), S. 303). Die spätere Aufwandsverrechnung im Mietfall führt im Ergebnis zu einem geringeren Steuerentlastungsbarwert. Daraus folgt, dass – ohne Berücksichtigung der Gewerbesteuer – entgegen der landläufigen Meinung die Behandlung einer Leasinggestaltung als Mietvertrag im Regelfall steuerlich ungünstiger ist als die Behandlung als Kaufvertrag. 11
Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung Vertragspartner
Alternativen
Mietvertrag
A (Leasinggeber) AfA linear + Mietertrag konstant
Zinsertrag fallend
B (Leasingnehmer) Ȉ Saldo
AfA
Miete
t1 t2 t3 t4 t5
(-20) (-20) (-20) (-20) (-20)
+26,38 +26,38 +26,38 +26,38 +26,38
+6,38 +6,38 +6,38 +6,38 +6,38
Ȉ
(-100)
+131,90
+31,90
(AfA)
Mietaufwand konstant AfA progressiv + Zins fallend
(16,28) (18,02) (19,82) (21,80) (23,98)
(10) (8,36) (6,56) (4,58) (2,40)
-26,38 -26,38 -26,38 -26,38 -26,38
Ȉ
(100)
(31,90)
-131,90
AfA
t1
+16,38
t2
+18,02
+10 +8,36
t3
+19,82
+6,56
t4
+21,80
+4,58
t5 Ȉ
+23,98 -100
+2,40 +31,90
AfA linear + Zinsaufwand fallend
Ȉ Miete
(Zins)
t1 t2 t3 t4 t5
Zinsertrag
Tilgung Kaufvertrag
417
Zinsaufwand
Ȉ
t1
(-20)
t2
(-20)
-10 -8,36
-30 -28,36
t3
(-20)
-6,56
-26,56
t4
(-20)
-4,58
-24,58
t5 Ȉ
(-20) (-100)
-2,40 -31,90
-22,40 -131,90
Abbildung 5: Ertrags- und Aufwandsperiodisierung bei Miet- und Kaufvertrag
C
D Abschreibungsanteil E F Miete
G ZinsH Miete
I J Kauf Abschreibung
KaufKZins L
30 25
10,00
8,36 8,36
10,00
6,56 6,56
2,40
4,58 4,58
2,40
20 15 10
20,00 16,38
18,02
20,00
19,82 20,00
21,80
23,98 20,00
20,00
5 0
M
K t1
M
K t2
M
K t3
M
K t4
M
K t5
Abbildung 6: Ertrags- und Aufwandsperiodisierung bei Miete (M) und Kauf (K))
Die Analyse führt zu dem (unbefriedigenden) Ergebnis, dass die derzeitige Abbildung von ökonomisch vergleichbaren Miet- und Kaufverträgen in der Rechnungslegung zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen im Bilanz- und Erfolgsausweis führt. Damit eröffnen sich dem Rechnungslegenden bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten. Die zur Rechnungslegung verpflichteten Ma-
418
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nager können die Vertragsform gezielt gestalten, um die jeweils erwünschte Qualifikation als Miet- oder Kaufvertrag zu erreichen.12 Auch bei einer Klassifikation als Kaufvertrag stehen nach den internationalen Regeln des IAS 17 zahlreiche Ermessenspielräume offen, die manchem die Bilanzierung von Leasingverhältnissen als „Eldorado bilanzpolitischer Möglichkeiten“ erscheinen lässt.13 Ob derartige weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten auch im Interesse der Rechnungslegungsadressaten liegen, darf bezweifelt werden. Die reizvolle Frage lautet daher, ob es Wege gibt, die Abbildung von Leasingverträgen in der Rechnungslegung unabhängig(er) von der jeweils gewählten Vertragsgestaltung zu machen.
IV. Internationale Lösungsvorschläge 1. Ausgangspunkt und Leitvorstellung Die aus kaufähnlichen Leasinggestaltungen folgenden Auswirkungen auf die Bilanzstruktur, den zeitlichen Erfolgsausweis und die Erfolgsstruktur haben zu Bemühungen geführt, ökonomische Sachverhalte unabhängig von ihrer juristischen Gestaltung einheitlich in der Rechnungslegung abzubilden. Jenseits der traditionellen Wege, Verträge über den Weg des wirtschaftlichen Eigentums zu klassifizieren,14 werden in jüngerer Zeit verstärkt radikale Ansätze diskutiert, Leasingverträge generell ökonomisch stets als (Teil-)Kaufverträge zu behandeln und eine Bilanzierung beim Nutzer vorzusehen.15 Unterschieden werden die beiden Ansätze „financial components approach“ und „whole asset approach“. Die Auswirkungen der beiden theoretischen Bilanzierungsansätze sollen wiederum an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden:
___________ 12
Vgl. hierzu Götz / Spanheimer (2005), S. 265. Vgl. Vater (2002), S. 2094 – 2100. 14 Vgl. hierzu die zahlreichen BMF-Schreiben zum Leasing und die mehr oder weniger gelungenen Klassifizierungsversuche nach SFAS 13 (Accounting for Leases, 1976) und IAS 17 (Leases 2004). 15 Vgl. hierzu die Leasingkonzepte der G 4+1-Gruppe (McGregor (1996); Nailor / Lannard (2000)), die im Rahmen des „financial components approach“ im Rahmen eines IASB-Projekts weiterentwickelt werden, und der weitergehende Gegenentwurf des „whole asset approach“, der von Monson (2001) in die Diskussion eingeführt wurde (vgl. hierzu auch Fülbier / Pferdehirt (2005), S. 278 – 282 und Wildner (2004), S. 98 – 102 mit weiteren Literaturhinweisen. 13
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419
Beispiel 2: Leasingvertrag mit dreijähriger Grundmietzeit Leasinggeber A schließt mit Leasingnehmer B einen Leasingvertrag über die Nutzungsüberlassung eines Objekts. Die unkündbare Nutzungsdauer beträgt drei Jahre, die wirtschaftliche Nutzungsdauer des Objekts fünf Jahre. Eine Mietverlängerungs- oder Kaufoption besteht nicht, wohl aber liegen die bei Teilamortisationsverträgen üblichen Abreden vor. Angenommen wird, dass der Leasinggegenstand am Ende der Vertragslaufzeit erfolgsneutral an den Leasinggeber zurückgegeben wird.
2. Leasing-Bilanzierung nach dem „financial components approach“ Nach dem „financial components approach“ werden Leasinggestaltungen beim Leasinggeber in der Weise bilanziell abgebildet, dass der Barwert der Leasingraten als (Teil-)Forderung aktiviert und die Forderung auf Rückübertragung der Maschine in Höhe des nach Beendigung des Leasingvertrags wieder verfügbaren Nutzungspotenzials angesetzt wird. Im Weiteren wird die (Teil-)Forderung gegenüber dem Leasingnehmer entsprechend dem Eingang der Leasingraten anteilig progressiv getilgt, der fallende Zinsanteil wird als im Zeitablauf fallender Zinsertrag ausgewiesen. Die Forderung auf Rückübertragung der Maschine wird jährlich erfolgswirksam progressiv auf den Zeitwert zugeschrieben. Bei Beendigung des Leasingvertrags erhält der Leasinggeber das Leasinggut zurück und verbucht es erfolgsneutral gegen die zugeschriebene Restwertforderung:
Leasinggeber A Anlagevermögen Maschine (100) (Teil-)Forderung 65,60 Ti1 19,82 45,78 23,98 Ti2 21,80 Ti3 23,98 10 Forderung (Rest-)Wert ZS1 3,44 ZS2 3,78 ZS3 4,16
34,40 37,84 41,62 45,78
Kasse
EZ1 26,38 EZ2 26,38 EZ3 26,38
GuV
Zins1 Zins2 Zins3
6,56 4,58 2,40 13,54
ZS1 ZS2 ZS3
3,44 3,78 4,16 11,38
ZS = Zuschreibung
Abbildung 7: Bilanzierung beim Leasinggeber nach dem „financial components approach“
420
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Beim Leasingnehmer wird zu Beginn des Leasingverhältnisses der Zugang eines Nutzungsrechts in Höhe des Barwerts der drei Leasingraten in Höhe von 65,60 angenommen, zugleich wird der Zugang einer Schuld in gleicher Höhe verbucht. Das Nutzungsrecht wird über die Vertragslaufzeit linear abgeschrieben. Die nachfolgende Übersicht fasst die Auswirkungen beim Leasingnehmer zusammen:
Leasingnehmer B Anlagevermögen Nutzungsrecht 65,60 43,73 AfA1 -21,87 21,86 AfA2 -21,87 AfA3 -21,86 10
Kasse AZ1 26,38 AZ2 26,38 AZ3 26,38
Verbindlichkeit Schuld 65,60 45,78 Ti1 19,82 23,98 Ti2 21,80 Ti3 23,98 10
GuV AfA1 21,87 Zins1 6,56 AfA2 21,87 Zins2 4,58 AfA3 21,86 Zins3 2,40
28,43 26,45 24,26 Abbildung 8: Bilanzierung beim Leasingnehmer nach dem „financial components approach“
3. Leasing-Bilanzierung nach dem „whole asset approach“ Nach dem in der US-Literatur16 vorgeschlagenen „whole asset approach“ wird bei Vorliegen eines Leasingvertrags nicht lediglich ein Nutzungsrecht als Teil des Vollrechts abgespalten und bilanziert, vielmehr soll der gesamte Vermögenswert mit korrespondierender Verbindlichkeit beim Leasingnehmer angesetzt werden. Die Verbindlichkeit beim Leasingnehmer setzt sich damit aus dem Barwert der Leasingraten und der Rückgabeverpflichtung am Ende des Leasingvertrags zusammen. Für die Abschreibung des übertragenen Anlageguts sind mehrere Lösungen denkbar: 1. Das Anlagegut mit Anschaffungskosten in Höhe der diskontierten Leasingraten wird linear bis auf den Rückgabewert bei Vertragsende abgeschrieben. ___________ 16
Vgl. Monson (2001), S. 275 – 287.
Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung
421
2. Die Abschreibung des Anlageguts wird ohne Beachtung des vereinbarten Rückgabewerts linear von den Anschaffungskosten vorgenommen. Bei Vertragsende ergibt sich eine Differenz gegenüber dem vereinbarten Rückgabewert, der ertragswirksam aufzulösen ist. 3. Die Abschreibung des Anlageguts orientiert sich an der Tilgung der Verbindlichkeit und wäre damit progressiv vorzunehmen. Dies widerspricht gängigen Vorstellungen, die (offene) progressive Abschreibungen nur in Ausnahmefällen zulassen.17 Vorliegend wird von erstgenannter Lösung und damit von einer linearen Abschreibung auf den Rückgabewert ausgegangen.18 Bei Beendigung des Leasingvertrags erfolgt beim Leasingnehmer eine erfolgsneutrale Ausbuchung des Maschinenrestwerts gegen die gleich hohe Rückgabeverpflichtung. Die nachfolgende Übersicht fasst die Ergebnisse zusammen:
Leasinggeber A Leasing-Forderung (Voll-)Forderung100 Ti1 16,38 83,62 18,02 65,60 Ti2 19,82 45,78 Ti3
Kasse EZ1 26,38 EZ2 26,38 EZ3 26,38
GuV Zins1 Zins2 Zins3
10,82 8,36 6,56 24,92
Abbildung 9: Bilanzierung beim Leasinggeber nach dem „whole asset approach“ Leasingnehmer B Anlagevermögen Maschine AfA1 18,07 AfA2 18,07 AfA3 18,08
AfA1 Zins1 AfA2 Zins2 AfA3 Zins3
(100) 81,93 63,86 45,78
Kasse AZ1 26,38 AZ2 26,38 AZ3 26,38
Verbindlichkeit Schuld Ti1 16,38 Ti2 18,02 Ti3 19,82
100 83,62 65,60 45,78
GuV 18,07 10,00,00 28,07 18,07 8,3626,43 18,08 6,5624,64
Abbildung 10: Bilanzierung beim Leasingnehmer nach dem „whole asset approach“
___________ 17 18
Progressive Abschreibungen sind derzeit nur bei Obstplantagen zulässig. Vgl. auch Fülbier / Pferdehirt (2005), S. 281.
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4. Zwischenergebnis Wählt man – entsprechend der gegenwärtig in Deutschland üblichen Handhabung – die Abbildung von Leasingverträgen als Mietverträge als Bezugspunkt, ergeben sich bei Anwendung des „financial components approach“ und des „whole asset approach“ bei den Vertragspartnern erhebliche Veränderungen hinsichtlich der Bilanzstruktur, des zeitlichen Erfolgsausweises und der Struktur der Periodenergebnisse. Im Hinblick auf die Bilanzstruktur wandelt sich das überlassene Leasingobjekt beim Leasinggeber zu einer (Teil-) oder (Voll-)Forderung. Beim Leasingnehmer entsteht bei Anwendung des „financial components approach“ ein Nutzungsrecht mit korrespondierender Verbindlichkeit. Beim „whole asset approach“ ist beim Leasingnehmer die ganze Maschine mit entsprechender Verbindlichkeit auszuweisen, wobei letztere auch eine Sachleistungsverpflichtung zur Rückgabe der Maschine am Ende des Mietvertrags enthält. Der „whole asset approach“ führt damit zu einer gewissen Aufblähung der LeasingnehmerBilanz. Im Hinblick auf die Erfolgswirkungen sind folgende Ergebnisse festzuhalten: x
Für alle drei Varianten erben sich für die beteiligten überlassenden und nutzenden Vertragsparteien jeweils gleiche Totalerfolge. Bei der Behandlung des Leasingvertrags als Mietvertrag ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die lineare Abschreibung gegenüber dem Marktwert bei Rückgabe zu einer Überabschreibung (stillen Reserve) von 5,78 führt. Damit beträgt der Ertrag bei allen drei Varianten auf Seiten der Überlassenden jeweils 24,92, auf Seiten der Nutzer jeweils 79,14.
x
Bezogen auf die Periodenerfolge führen „financial components approach“ und „whole asset approach“ gegenüber der Mietvertragslösung beim Leasinggeber zu einem früheren Erfolgsausweis in gleicher Höhe, beim Leasingnehmer ist beim „whole asset approach“ eine geringfügig spätere Aufwandsverrechnung zu konstatieren. Erhebliche Unterschiede bestehen allerdings im Hinblick auf die Struktur der Periodenerfolge: Beim „financial components approach“ führt die höhere Abschreibung zu einer höheren Belastung des Betriebsergebnisses, während der „whole asset approach“ das Finanzergebnis stärker belastet. Die nachfolgende Übersicht fasst die Ergebnisse nochmals zusammen:
Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung
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Vertragspartner A (Leasinggeber) Alternativen
Mietvertrag
t
t0 t1 t2 t3 Ȉ
Buch- AfA/ wert Tilgung
Zins
Maschine
Zins
100 80 60 40 -
(-20) (-20) (-20) (-60)
B (Leasingnehmer) Ȉ Ertrag
Buchwert
AfA
Schuld
-
-
AfA/ Tilgung
Zins
Ȉ Aufwand
(Leasingrate)
6,38 6,38 6,38 6,38 6,38 6,38 19,14 19,14a)
-
(-19,82) (-6,56) (-21,80) (-4,58) (-23,98) (-2,40) (-60) (-19,14)
-26,38 -26,38 -26,38 -79,14
a) Stille Reserven im Buchwert der Maschine 5,78 „financial components approach“
(Teil-)Forderung t0 t1 t2 t3 Ȉ
65,60 45,78 23,98 0 -
-19,82 -21,80 -23,98 -65,60
(Voll-)Forderung „whole asset approach“
t0 t1 t2 t3 Ȉ
100 83,62 65,60 45,78 -
-16,38 -18,02 -19,82 -54,22
Zins
Nutzungsrecht
6,56 6,56 4,58 4,58 2,40 2,40 13,54 13,54b)
65,60 43,73 21,86 0 -
Zins 10 8,36 6,56 24,92
(-21,87) (-21,87) (-21,86) (-65,60)
Maschine 10 8,36 6,56 24,92
100 81,93 63,86 45,78 -
(-18,07) (-18,07) (-18,08) (-54,22)
Verbindlichkeit 65,60 45,58 23,98 0 -
-19,82 -21,80 -23,98 -65,60
Zins -6,56 -4,58 -2,40 -13,54
Verbindlichkeit
Zins
100 83,62 65,60 45,78 -
-10 -8,36 -6,56 -24,92
-16,38 -18,02 -19,82 -54,22
-28,43 -26,45 -24,26 -79,14
-28,07 -26,43 -24,64 -79,14
b) Zuschreibung zum (Rest-)Wert der Maschine 11,38 Abbildung 11: Beschaffungsalternativen im bilanziellen Abbildungsvergleich
V. Ergebnisse Die Ergebnisse lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen: 1. Die Bilanz soll ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermitteln. Dies erfordert einen vollständigen Vermögens- und Schuldenausweis. 2. Bereits das Prinzip der Vollständigkeit des Ausweises von Vermögenswerten (= konkretisierbaren Einzahlungserwartungen) und Schulden (= konkretisierbaren Auszahlungserwartungen) fordert zwingend die vollständige bilanzielle Abbildung von Leasing-Transaktionen in der Rechnungslegung. Die bisherige Übung, über Leasingverpflichtungen im Anhang zu berichten (§285 Abs. 3 HGB19), ist als unzureichend abzulehnen: Zum einen sind Per___________ 19
Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.08.2005 (BGBl. I S. 2267).
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sonenunternehmen zu solchen Anhangsangaben nicht verpflichtet, zum anderen werden Anhangsangaben offenbar kaum zu Kenntnis genommen. 3. Die Aufnahme von Leasing-Transaktionen in die Bilanz schafft die notwendige Gleichbehandlung alternativer Beschaffungsformen von Nutzungspotential. Sie schränkt damit – wegen des Befunds, dass Anhangsangaben kaum zur Kenntnis genommen werden – eine de facto irreführende Bilanzpolitik erheblich ein. 4. Die international diskutierten Ansätze zur Bilanzierung von LeasingTransaktionen erscheinen gut geeignet, den vollständigen Reinvermögensausweis und die entsprechende Periodengewinnermittlung wirkungsvoll zu unterstützen: x
Der „financial components approach“ verdient grundsätzlich den Vorzug, solange davon auszugehen ist, dass die Vertragspartner ihre geplanten Vertragslaufzeiten vertraglich korrekt dokumentieren oder die Vertragskonditionen zu einer zutreffenden Einschätzung der tatsächlichen Vertragslaufzeiten führen.
x
Wer vermutet, dass die Vertragsparteien ihre beabsichtigten Vertragslaufzeiten nicht offenbaren, wird eher den „whole asset approach“ präferieren, obwohl dieser den Nachteil hat, beim Leasingnehmer tendenziell zu hohe Ein- und Auszahlungserwartungen auszuweisen.
5. Leasing als innovatives Finanzierungsinstrument war zunächst der Wegbereiter der so genannten „off-balance-sheet“-Finanzierungen. Leasing könnte heute eine Gegenentwicklung auslösen und den Weg frei machen, die juristisch veranlasste bilanzielle Dichotomie zwischen Kauf und Miete zu überwinden und genutzte Anlagewerte – unabhängig von der Art ihrer Beschaffung – generell in der Bilanz des Nutzers aufzunehmen. Damit könnte auch ein Paradigmenwechsel in der Bilanzierung schwebender Geschäfte eingeläutet sein.
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Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote im Rahmen der Analyse der Erfolgslage Von Jörg Baetge und Achim Lienau
I. Einleitung Der verehrte Jubilar Dieter Rückle erörtert in vielen seiner Beiträge die Themen der Rechnungslegung und betriebswirtschaftlichen Steuerlehre. Mit unserem dem Jubilar gewidmeten Beitrag wollen wir seine Überlegungen zu dem Thema „Erfolgsteuern und handelsrechtliche Rechnungslegung“1 aufgreifen und untersuchen, wie die Ertragsteuerbelastung eines nach IFRS bilanzierenden Konzerns analysiert werden kann. Das europäische Parlament und der Rat der europäischen Union haben im Wege der Verordnung grundsätzlich alle kapitalmarktorientierten Unternehmen Europas verpflichtet, ab 2005 einen Konzernabschluss nach IFRS aufzustellen und zu veröffentlichen.2 Den Mitgliedstaaten wurde die Wahl gelassen, einen Einzelabschluss nach IFRS vorzuschreiben oder diesen lediglich zu gestatten. Eine von den Aufstellungs- und Offenlegungspflichten des HGB3 befreiende Wirkung eines Einzelabschlusses nach IFRS hat der deutsche Gesetzgeber lediglich für die Veröffentlichung im Bundesanzeiger (§ 325 Abs. 2a HGB) vorgesehen. Die Bilanzierung nach IFRS ändert die Berichterstattung im Vergleich zur bisherigen handelsrechtlichen Rechnungslegung über die wirtschaftliche Lage der bilanzierungspflichtigen Unternehmen grundlegend. Die Angabepflichten nach IFRS sind wesentlich umfangreicher als die Angabepflichten nach HGB, so dass sich für die erfolgswirtschaftliche Analyse, und hier speziell die Analyse der Ertragsteuerbelastung, neue Möglichkeiten, aber auch neue „Pflichten“, für den externen Bilanzanalytiker ergeben. Ein einfacher Vergleich von Ertragsteuerauf___________ 1
Vgl. Rückle (1991). Vgl. Art. 4 f. der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.07.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (ABl. EG 2002, Nr. L 243, S. 1). 3 Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3.8.2005 (BGBl. I S. 2267). 2
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Jörg Baetge und Achim Lienau
wendungen verschiedener Unternehmen oder von Steuersätzen unterschiedlicher Länder sagt nicht viel über die Steuerbelastung eines international tätigen Unternehmens aus. International üblich ist die Analyse der Steuerbelastung eines Unternehmens mit der Konzernsteuerquote, die in den angelsächsischen Ländern effective tax rate genannt wird. Durch die Internationalisierung der Rechnungslegung erlangt diese Kennzahl auch für die Analyse deutscher Unternehmen an Bedeutung, da die Angabepflichten des IAS 12, Income Taxes, weit reichende Berichtspflichten enthalten. Im vorliegenden Beitrag werden zunächst die Teilbereiche der Analyse der Erfolgslage dargestellt und die Behandlung der Ertragsteuern im Rahmen der Erfolgsquellenanalyse erörtert. Daran anschließend wird die Analyse des Ertragsteueraufwands mit den neuen Analysemöglichkeiten aufgrund der Angabepflicht einer steuerlichen Überleitungsrechnung und der Konzernsteuerquote nach IAS 12 erläutert.
II. Die Analyse der Erfolgslage 1. Die Teilbereiche der Analyse der Erfolgslage Mit der Analyse der Erfolgslage des Unternehmens verfolgt der externe Bilanzanalytiker das Ziel, zu beurteilen, wie das Unternehmen das Ziel „Geld verdienen“ erreicht hat und ob diese Zielerreichung für ihn zufrieden stellend ist. Dazu werden im Rahmen der Erfolgsquellenanalyse der erwirtschaftete Erfolg und die dahinter stehenden Erträge und Aufwendungen danach untersucht, ob die Erfolgsquellen nachhaltig und betrieblich veranlasst sind. Nach einer Trennung der Erfolgsquellen in nachhaltige und nicht nachhaltige Erfolgsquellen sowie in betriebliche und nicht betriebliche Erfolgsquellen kann die Herkunft des Erfolges genauer beurteilt und darauf basierend der künftige Erfolg besser prognostiziert werden. Bei der Rentabilitätsanalyse wird das erwirtschaftete Ergebnis zum erzielten Umsatz bzw. zum eingesetzten Kapital ins Verhältnis gesetzt, um die relative Höhe des Ergebnisses beurteilen zu können. Die Analyse der Ertrags- und Aufwandsstruktur dient dazu, einzelne Komponenten des Periodenerfolges zu untersuchen. Neben diesen Teilbereichen der Analyse der Erfolgslage kann der Bilanzanalytiker eine segmentorientierte Analyse vornehmen sowie die Ergebnisverwendungspolitik untersuchen. Mit der Wertschöpfungsanalyse untersucht der externe Bilanzanalytiker, wie die Eigentümer in Form von Ausschüttungen, die Fremdkapitalgeber in Form von Kapitalverzinsungen, der Staat in Form von Steuer- und Abgabenzahlungen und die Arbeitnehmer in Form von Lohn und Gehalt sowie übrige Anspruchsgruppen am Erfolg des Unternehmens teilhaben.
Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote
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2. Die Erfolgsquellenanalyse a) Zweck und Interpretation der Erfolgsquellenanalyse Ziel der Erfolgsquellenanalyse ist, die Erfolgselemente eines Unternehmens nach den Kriterien der Nachhaltigkeit und der betrieblichen Verursachung zu ordnen, um die Herkunft des erwirtschafteten Gewinnes zu analysieren und Aussagen über künftige Erfolge treffen zu können. Mithilfe der Erfolgsquellenanalyse als einem zentralen Element der Analyse der Erfolgslage4 kann der Bilanzanalytiker die wichtigsten Erfolgsquellen identifizieren und einschätzen, ob der erwirtschaftete Erfolg nachhaltig ist und voraussichtlich auch künftig in ähnlicher Höhe auftreten wird.5 Die Trennung der Erfolgsbestandteile in nachhaltige und nicht nachhaltige Aufwendungen und Erträge ermöglicht eine Prognose der künftigen Ertragskraft auf der Basis der nachhaltigen Aufwendungen und Erträge der Vergangenheit.6 Die als nachhaltig angesehenen Aufwendungen und Erträge gelten als Indikatoren für künftige Erfolgsbeiträge.7 Bei der sog. Erfolgsspaltung werden nachhaltige Erfolgsquellen von nicht nachhaltigen Erfolgsquellen in vier Erfolgsquellen getrennt, d.h., das Jahresergebnis wird aufgeteilt („gespalten“):8 1. Dem ordentlichen Betriebserfolg werden die nachhaltigen sowie betrieblichen Erfolgsbestandteile zugeordnet, die aus der eigentlichen betrieblichen Tätigkeit des Unternehmens entstehen, wie die Umsatzerlöse, die Material- und die Personalaufwendungen. 2. Der Finanz- und Verbunderfolg umfasst solche nachhaltigen Erfolgsbestandteile, die aus Kapitalanlagen und aus Kapitalaufnahmen entstanden sind. 3. Im außerordentlichen Erfolg werden nicht nachhaltige Erfolgsbestandteile erfasst, die entweder einmalig sind oder nur selten vorkommen. 4. Dem Bewertungserfolg werden Erfolgsbestandteile zugeordnet, die aus bewusst steuerbaren bilanzpolitischen Maßnahmen oder bilanzpolitisch motivierten Sachverhaltsgestaltungen (financial engineering) resultieren ___________ 4
Die Erfolgsquellenanalyse wird manchmal auch als Ergebnisquellenanalyse bezeichnet, vgl. etwa Gräfer (2001), S. 53; Schult (2003), S. 104. 5 Vgl. Coenenberg (2005), S. 1047 f.; Perridon / Steiner (2003), S. 546; Schult (2003), S. 104. 6 Vgl. Coenenberg (1988), S. 89. 7 Vgl. Lange (1989), S. 208 f.; Leffson (1984), S. 83; Küting (1997), S. 700. 8 Zu dem handelsrechtlichen und dem bilanzanalytischen Erfolgsspaltungskonzept und zur Zuordnung der Posten der Gewinn- und Verlustrechnung zu den Erfolgsquellen vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 103 – 116.
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und nicht aufgrund der originär betriebswirtschaftlich optimierten Tätigkeit des Unternehmens entstanden sind.9 Die Erfolgsquellenanalyse ermöglicht dem Bilanzanalytiker, die oben genannten Erfolge verschiedener Unternehmen zu vergleichen (Betriebsvergleiche) sowie unterschiedliche Zeiträume zu vergleichen (Zeitvergleiche). Damit kann der Bilanzanalytiker die relative Ertragskraft des zu analysierenden Unternehmens im Vergleich zu den Referenzunternehmen ermitteln sowie Erfolgsentwicklungen erkennen.10 Beide Analyserichtungen veranlassen den Bilanzanalytiker zu Fragen nach den Ursachen für Unterschiede zu Referenzunternehmen sowie für die Entwicklung des Erfolges. Bei der Erfolgsquellenanalyse sind zunächst die Höhe und die Entwicklung des ordentlichen Betriebserfolges bedeutend, da hieraus die aktuelle Ertragskraft hergeleitet und daraus auf die künftige Ertragskraft des Unternehmens geschlossen werden kann. Mit Verhältniskennzahlen kann der Bilanzanalytiker darauf aufbauend den relativen Anteil des ordentlichen Betriebserfolges am Jahresergebnis vor Ertragsteuern beurteilen. Eine gleichmäßige zeitliche Entwicklung des ordentlichen Betriebserfolges und ein hoher relativer Anteil des ordentlichen Betriebserfolges an der Summe aller Erfolgsquellen des zu untersuchenden Unternehmens lassen auf eine positive künftige Ertragskraft schließen.11
b) Behandlung der Ertragsteuern In der Literatur wird diskutiert, ob die Erfolgsspaltung vor oder nach Ertragsteuern vorzunehmen ist.12 In der Gewinn- und Verlustrechnung werden bei deutschen Gesellschaften die Einkommensteuer bzw. die Körperschaftsteuer, die Gewerbeertragsteuer sowie der Solidaritätszuschlag als Steuern vom Einkommen und Ertrag ausgewiesen. Für die Analyse der Erfolgslage mithilfe von Betriebs- und Zeitvergleichen ist es unserer Meinung nach zweckgerecht, die einzelnen Erfolgskomponenten als Erfolge vor Ertragsteuern zu betrachten. Diese Meinung überwiegt mittlerweile auch im Schrifttum.13 Bei einer Analyse vor Ertragsteuern vermeidet der ___________ 9
Vgl. Gräfer (2001), S. 72. Vgl. Schnettler (1961), S. 203 – 211. 11 Vgl. Schult (2003), S. 108. 12 Vgl. m.w.N. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 341 f.; Küting / Weber (2004), S. 234. 13 Vgl. z.B. Gräfer (2001), S. 60 und S. 65; Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 341; Küting / Weber (2004), S. 234; Coenenberg (2005), S. 1049 und 1051; a.A. Schult (2003), S. 107. 10
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Bilanzanalytiker Verzerrungen beim Vergleich der Abschlüsse von Unternehmen, die aufgrund unterschiedlicher Rechtsformen und unterschiedlicher Sitzländer nicht vergleichbaren Steuerpflichten unterliegen.14 Bei einer Erfolgsquellenanalyse nach Steuern steht der Bilanzanalytiker vor dem Problem, dass die Erfolge nach Steuern mehrerer Unternehmen nicht ohne Weiteres verglichen werden können, und zwar aufgrund von steuerlichen Unterschieden zwischen Personenhandels- und Kapitalgesellschaften, regional unterschiedlichen Hebesätzen für die Gewerbeertragsteuer, Periodenverschiebungen durch Steuernachzahlungen und -erstattungen und unterschiedlichen steuerlichen Belastungen international tätiger Großunternehmen. Zudem führt die nach den Periodisierungs-/Abgrenzungsgrundsätzen vorgenommene und als „periodengerecht“ apostrophierte Zurechnung des Steueraufwandes auf die einzelnen Ergebnisse zu Problemen,15 da die Höhe der Steuernachzahlungen und der Steuererstattungen nicht immer ausreichend offen gelegt werden. Sollen die Erfolgsgrößen trotz der genannten Nachteile nach Ertragsteuern ermittelt werden, muss der Bilanzanalytiker die Ertragsteuern auf die einzelnen Erfolgsquellen verteilen, indem die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Solidaritätszuschlag sowie die Gewerbeertragsteuer dem Betriebsergebnis, dem Finanzergebnis, dem außerordentlichen Ergebnis sowie dem Bewertungserfolg vor Ertragsteuern betragsproportional zugeordnet werden.16 Damit wird indes (fälschlich) unterstellt, dass alle Aufwendungen und Erträge gleich besteuert werden. Diese Prämisse der gleichmäßigen Besteuerung der Erfolgsquellen trifft indes regelmäßig nicht zu, da z.B. steuerfreie Erträge und nicht abzugsfähige Aufwendungen existieren und vor allem bei großen Konzernen mit Tochtergesellschaften unterschiedlicher Rechtsformen einzelne Erfolgsgrößen unterschiedlich besteuert werden. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Steuersenkungsgesetz (StSenkG)17 im Jahr 2000 das Halbeinkünfteverfahren eingeführt und das körperschaftsteuerliche Vollanrechnungssystem von 1977 abgeschafft. Im Halbeinkünfteverfahren werden die Gewinnanteile aus der Beteiligung an der Körperschaft bei dem Anteilseigner als Ausschüttungsempfänger grundsätzlich nur hälftig besteuert. Handelt es sich bei der Ausschüttungsempfängerin um eine Kapitalgesellschaft (z.B. Mutter-AG), die von einer Tochterkapitalgesellschaft (z.B. Tochter-AG) Dividenden empfängt, so bleiben diese aus___________ 14
Vgl. Gräfer (2001), S. 60; Hauschildt (1990), S. 196; Küting / Weber (2004), S. 234. 15 Vgl. Küting / Weber (2004), S. 215 f.; Gräfer (2001), S. 65. 16 Vgl. Kerth / Wolf (1993), S. 225 f.; Gräfer (2001), S. 65; Küting / Weber (2004), S. 234. 17 Gesetz zur Reform der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl. I S. 1433).
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Jörg Baetge und Achim Lienau
geschütteten Gewinne aufgrund des so genannten Dividendenprivilegs steuerfrei (§ 8b Abs. 1 KStG)18. Mit diesem Privileg ist ein Betriebsausgabenabzugsverbot für Ausgaben verbunden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den steuerfreien Dividenden stehen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 3c Abs. 1 EStG)19, wie Fremdkapitalzinszahlungen, die im Rahmen der Fremdfinanzierung der Beteiligung anfallen. Zusätzlich gelten 5 % der Dividendeneinkünfte als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 KStG), so dass lediglich 95 % der erhaltenen Dividenden steuerfrei sind.20 Daneben werden im Ausland gelegene Erfolgsquellen aufgrund des Auslandsbezugs besonders besteuert, da z.B. durch Doppelbesteuerungsabkommen spezielle Regelungen zwischen den Staaten getroffen wurden, wie grenzüberschreitende Erfolge zu besteuern sind. Die Prämisse einer gleichen Besteuerung aller Erfolgsquellen kann also nicht aufrecht gehalten werden. Aufgrund der ungleichen Besteuerung der Erfolgsquellen halten wir Betriebs- und Zeitvergleiche der einzelnen Erfolgskomponenten vor Ertragsteuern grundsätzlich für zweckgerecht. Im Einzelfall kann es indes vorteilhaft sein, die Erfolgsquellen nach Ertragsteuern zu analysieren.21 Dies ist z.B. der Fall, wenn der künftige Abfluss liquider Mittel besonders entscheidend ist wie bei der Einschätzung eines Unternehmens durch einen Kreditanalysten, ob die geschuldeten Zins- und Tilgungszahlungen vom analysierten Unternehmen künftig geleistet werden können.
c) Grenzen der Erfolgsquellenanalyse Mit der Erfolgsquellenanalyse kann kein absolut richtiger Erfolg ermittelt werden, auch wenn diese Analyse eines der wichtigsten Instrumente der Analyse der Erfolgslage ist. Denn das bilanzierende Management kann durch diverse bilanzpolitische Maßnahmen die Darstellung der Ertragslage steuern. Bilanzpolitisch motivierte Sachverhaltsgestaltungen und die Nutzung von Ermessensspielräumen und faktischen Wahlrechten22 sind aus dem Jahresabschluss nicht unmittelbar er___________ 18
Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4144), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15.12.2004 (BGBl. I S. 3416). 19 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.2002 (BGBl. I S. 4210 berichtigt BGBl. I S. 179), zuletzt geändert durch das Gesetz zum Dritten Zusatzprotokoll vom 4.6.2004 zum Abkommen vom 16.6.1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande vom 15.12.2004 (BGBl. II S. 1653). 20 Vgl. Scheffler (2004), S. 172 f. 21 Vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 342. 22 Vgl. Ziesemer (2002), S. 112 – 114, 190 – 193 und 248 – 251.
Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote
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kennbar. Der IASB räumt dem Management bspw. durch die zunehmende Fair Value-Bilanzierung bei den unvollkommenen Märkten für die zu bewertenden Vermögenswerte und Schulden mit dem Discounted Cashflow-Verfahren vielfältige Möglichkeiten der Ergebnissteuerung ein. Denn die Prognose der künftigen Cashflows und die Wahl des Kalkulationszinssatzes sind stark ermessensbehaftet. Der Abschlussprüfer muss die vom Management gewählten Einschätzungen in einem weiten Rahmen akzeptieren; durch die hohe Parametersensitivität der Bewertungsverfahren wird die Erfolgsermittlung intransparent und kann vom Bilanzanalytiker nicht abschließend beurteilt werden.23 Zudem muss der Bilanzanalytiker sich bewusst sein, dass die aus dem Jahresabschluss entnommenen Daten der Erfolgslage vergangenheitsbezogen sind und daraus nur dann auf die künftige Erfolgslage des zu analysierenden Unternehmens geschlossen werden kann, wenn künftig mit ähnlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten zu rechnen ist wie in der Vergangenheit.24
III. Die Analyse der Steuerbelastung 1. Die Analyse der Ertrags- und Aufwandsstruktur Ziel der Analyse der Ertrags- und Aufwandsstruktur ist die Analyse der Zusammensetzung der einzelnen Erfolgsquellen. Mit Hilfe von Kennzahlen der Ertrags- und Aufwandsstruktur untersucht der Bilanzanalytiker die einzelnen Bestandteile des Erfolges sowie die Gründe für die Entwicklung der Teilerfolge, vor allem des ordentlichen Betriebserfolges.25 Dazu werden Verhältniskennzahlen gebildet, bei denen eine Ertrags- oder Aufwandsgröße in Relation zu einer anderen Ertrags- oder Aufwandsgröße gesetzt wird. Dabei wird unterstellt, dass zwischen den beiden Größen ein Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, nicht aber ein funktionaler Zusammenhang besteht.26 Zu unterscheiden ist dabei zwischen Strukturkennzahlen und Quotenkennzahlen.27 Bei Strukturkennzahlen setzt der Bilanzanalytiker eine Teilgröße (z.B. den Materialauf___________ 23
Vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 343. Vgl. Lange (1989), S. 225; Ballwieser (1987), S. 60 f. Küting / Weber halten die Realitätsnähe der Prämisse „ähnlicher wirtschaftlicher Gegebenheiten in der Zukunft“ für zweifelhaft, vgl. Küting / Weber (2004), S. 245. 25 Vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 381; Küting / Weber (2004), S. 254. 26 Vgl. mit Bezug auf Rentabilitätskennzahlen Schult (2003), S. 101. 27 Gräfer unterscheidet dagegen zwischen dem Begriff der Intensitätskennzahl, bei der eine Aufwandsart ins Verhältnis zum Umsatz (Umsatzkostenverfahren) gesetzt wird, und dem Begriff der Quotenkennzahl, bei der eine Aufwandsart ins Verhältnis zur Gesamtleistung (Gesamtkostenverfahren) gesetzt wird, vgl. Gräfer (2001), S. 80. Wir verwenden die Begriffe im Folgenden synonym. 24
434
Jörg Baetge und Achim Lienau
wand) ins Verhältnis zu einer Gesamtgröße (z.B. der Summe aller Aufwendungen) und bildet eine Materialaufwandsstrukturkennzahl. Quotenkennzahlen beschreiben hingegen das Verhältnis einer Aufwandsart oder Ertragsart im Zähler zum Umsatz oder zur Gesamtleistung im Nenner. Diese beiden Arten von Verhältniskennzahlen werden vor allem für die Analyse des Aufwandes und weniger für die Analyse des Ertrages eingesetzt.28 Daneben kann der Bilanzanalytiker Quotenkennzahlen als Strukturkennzahlen verwenden, mit denen angegeben wird, wie bedeutend die jeweilige Aufwandsart (z.B. der Steueraufwand) in Bezug auf die Summe aller Aufwendungen des Berichtszeitraumes ist. Im Schrifttum und in der Praxis wird indes regelmäßig eine Aufwandsart in Relation zum Umsatz oder zur Gesamtleistung gesetzt und auch als „Intensitätskennzahlen“ bezeichnet.29
2. Die Analyse des Steueraufwandes Von zentraler Bedeutung bei der erfolgswirtschaftlichen Analyse ist die Analyse der Steuerbelastung innerhalb eines Konzerns. In der Praxis wird regelmäßig beobachtet, dass große international tätige deutsche Konzerne durch die hohen Steuersätze in Deutschland veranlasst sind, steuerliche Gewinne in Niedrigsteuerländern entstehen zu lassen, d.h., das Steuergefälle zwischen Deutschland und den Niedrigsteuerländern zu nutzen. Diese Beobachtung kann mit Hilfe der tatsächlichen und der fiktiven Steuerquote des Konzerns geprüft werden. Die tatsächliche Steuerquote setzt den Ertragsteueraufwand zum Jahresüberschuss vor Ertragsteuern ins Verhältnis:30 Übersicht 1 Tatsächliche Steuerquote
Tatsächliche Steuerquote
Steuern vom Einkommen und vom Ertrag Jahresüberschuss vor Ertragsteuern
Die fiktive Steuerquote ermittelt sich aus dem Verhältnis von fiktiver Steuerbelastung zum Jahresüberschuss vor Ertragsteuern. Die fiktive Steuerbelastung erhält der Bilanzanalytiker, indem er den Steueraufwand berechnet, der sich ergäbe, wenn das gesamte Konzernergebnis mit den relevanten Steuersätzen versteuert würde. Eine Differenz zwischen der tatsächlichen und der fiktiven Steu___________ 28
Vgl. Leonardi (1990), S. 168; Rogler (1990), S. 185 f. Vgl. Gräfer (2001), S. 80. 30 Vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 416. 29
Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote
435
erquote deutet darauf hin, dass die niedrigeren Steuersätze teilweise realisiert wurden, indem ein Teil des Konzernergebnisses im Ausland mit niedrigeren Steuersätzen versteuert wurde. Der zur Ermittlung der absoluten Steuerlast benötigte typisierte Steuersatz kann mit Hilfe der Teilsteuerrechnung gewonnen werden. Teilsteuersätze bilden Gesamtbelastungsfaktoren der relevanten Steuern und werden auf die entsprechende Bemessungsgrundlage der Ertragsteuern angewendet. Ausgangspunkt für die Ermittlung eines Teilsteuersatzes für eine deutsche Kapitalgesellschaft ist der vom Gesetzgeber mit dem Steuersenkungsgesetz im Jahr 2000 eingeführte einheitliche Körperschaftsteuersatz i.H.v. 25 % (§ 23 Abs. 1 KStG). In dem mit dem Steuersenkungsgesetz eingeführten Halbeinkünfteverfahren wird für die Besteuerung des Unternehmensgewinns nicht mehr zwischen Ausschüttung und Thesaurierung unterschieden. Das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren von 1977 wurde mit dem Steuersenkungsgesetz abgeschafft; die Körperschaftsteuer hat seitdem definitiven Charakter. Die Körperschaftsteuer wird an dem Überschuss aus der Summe der steuerpflichtigen Erträge über die als Betriebsausgaben abzugsfähigen Aufwendungen bemessen. Neben der Körperschaftsteuer unterliegt der von einer Kapitalgesellschaft erwirtschaftete Gewinn der Gewerbeertragsteuer. Diese Gewerbeertragsteuer ist Betriebsausgabe gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 4 EStG. Der Gewerbeertragsteuersatz wird durch Multiplikation der Gewerbesteuermesszahl i.H.v. 5 % (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 GewStG)31 mit dem relevanten Gewerbesteuerhebesatz der Gemeinde ermittelt (beispielsweise 455 %).32 Mit Hilfe der folgenden Formel lässt sich der effektive Gewerbeertragsteuersatz berechnen, der berücksichtigt, dass die Gewerbesteuer bei der Ermittlung ihrer eigenen Bemessungsgrundlage abgezogen wird:33
___________ 31 Gewerbesteuergesetz (GewStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4167), zuletzt geändert durch das Gesetz zum Dritten Zusatzprotokoll vom 4.6.2004 zum Abkommen vom 16.6.1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande vom 15.12.2004 (BGBl. II S. 1653). 32 Die Staffelung der Gewerbesteuermesszahl unterbleibt aus Vereinfachungsgründen. 33 Vgl. zur Berechnung Wotschofsky (2001), S. 653.
436
Jörg Baetge und Achim Lienau Übersicht 2 Berechnung des effektiven Gewerbesteuersatzes
s s
GewSt
m h 1 m h
0,05 455 % 18,53 % 1 0,05 455 %
GewSt
m h
Neben der Körperschaftsteuer und der Gewerbeertragsteuer wird der Gewinn einer deutschen Kapitalgesellschaft zudem mit dem Solidaritätszuschlag als Zuschlag i.H.v. 5,5 % (§ 4 Satz 1 SolZG)34 auf die festgesetzte Körperschaftsteuer belastet. Die fiktive Steuerquote einer deutschen Kapitalgesellschaft lässt sich bei einem Gewerbesteuerhebesatz i.H.v. 455 % beispielhaft wie folgt berechnen: Übersicht 3 Berechnung der fiktiven Steuerquote einer Kapitalgesellschaft
s sKSt (1 sGewSt ) (1 sSolZ ) sGewSt s 0,25 (1 0,1853) (1 0,055) 0,1853 s 0,40
s
s KSt s sSolZ GewSt
Die fiktive Steuerquote beträgt bei einem Gewerbesteuerhebesatz i.H.v. 455 % ohne Beachtung der gestaffelten Gewerbesteuermesszahlen 40 %. Diese Steuerquote kann indes zur Ermittlung der absoluten Steuerlast nicht unmittelbar mit dem Ergebnis vor Ertragsteuern multipliziert werden, da seit der Umstellung des Körperschaftsteuersystems durch das Steuersenkungsgesetz das Halbeinkünfteverfahren gilt. Anteilseigner haben als Ausschüttungsempfänger ihre Gewinnanteile aus der Körperschaft grundsätzlich lediglich hälftig zu ver___________ 34
Solidaritätszuschlaggesetz 1995 (SolZG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4130), zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I S. 4621).
Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote
437
steuern. Empfängt indes eine Körperschaft (z.B. Mutter-AG) selbst Dividenden von einer Tochterkörperschaft (z.B. Tochter-AG), so bleiben die ausgeschütteten Gewinne steuerfrei (§ 8b Abs. 1 KStG). Diese Regelungen schlagen auch auf die Höhe des Gewerbeertrages durch und mindern somit auch die Höhe der Gewerbesteuerschuld. Der Gesetzgeber verhindert mit diesem Dividendenprivileg Mehrfachbelastungen mit Körperschaftsteuer im Konzern. Der oben ermittelte Teilsteuersatz kann also nicht ohne weiteres auf das ausgewiesene Vorsteuerergebnis im Einzelabschluss der Konzernmuttergesellschaft angewendet werden, da Teile des Vorsteuerergebnisses unter die Körperschaftsteuerbefreiung fallen. Zudem muss der Bilanzanalytiker die Übergangsregelungen bezüglich des Wechsels vom alten körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren beachten. Im Vollanrechnungssystem von 1977 wurden thesaurierte Gewinne mit 40 % Körperschaftsteuer belastet (Tarifbelastung) und ausgeschüttete Gewinne mit 30 % Körperschaftsteuer belastet. Verfügt eine Kapitalgesellschaft noch über versteuerte Altgewinne, die in Zeiten des Vollanrechnungssystems thesauriert wurden, so gelten Übergangsregelungen zur Herstellung der geringeren Ausschüttungsbelastung. Für diese Altgewinne wurde der Kapitalgesellschaft ein Körperschaftsteuerguthaben in Höhe von 1/6 der thesaurierten Altgewinne als körperschaftsteuerliches Minderungspotential zugestanden, um die Thesaurierungsbelastung auf das Niveau der alten Ausschüttungsbelastung i.H.v. 30 % zu reduzieren.35 In der Übergangszeit ausgeschüttete Altgewinne mindern somit grundsätzlich die zu zahlende Körperschaftsteuer um den sechsten Teil der Dividende (§ 37 Abs. 2 Satz 1 KStG). Der Gesetzgeber hat diese ursprünglich auf 15 Jahre angelegte Übergangsregelung durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG)36 indes auf 18 Jahre erweitert und die Inanspruchnahme des körperschaftsteuerlichen Minderungspotentials für jeden Veranlagungszeitraum begrenzt.37 Diese Komplexität des Steuerrechts erschwert dem externen Bilanzanalytiker die Ermittlung des zutreffenden Teilsteuersatzes. Als Folge der hohen Komplexität und der ungenauen Ermittlung weicht die fiktive Steuerquote von der tatsächlichen Steuerquote regelmäßig ab.38 Die tatsächliche und die fiktive Steuerquote unterscheiden sich zudem, wenn Erfolgsquellen des Konzerns im Ausland mit von deutschen Steuersätzen abweichenden Steuersätzen versteuert ___________ 35
Der Unterschied zwischen der Thesaurierungsbelastung und der Ausschüttungsbelastung entspricht genau 1/6 der thesaurierten Altgewinne, da (40 – 30) / (100 – 40) = 10/60 = 1/6. Vgl. dazu Scheffler (2004), S. 194; Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 419. 36 Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG) vom 16.5.2003 (BGBl. I S. 660). 37 Vgl. Streck / Binnewies (2003), S. 1133 f. 38 Vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 420.
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Jörg Baetge und Achim Lienau
werden oder Teile der vom Unternehmen bilanzierten Erträge in der aktuellen Periode nicht steuerbar (z.B. Ertrag aus der Neubewertung von investment property nach IAS 40.35) oder steuerbefreit (z.B. nach § 5 KStG) sind. Rechnet der Bilanzanalytiker die steuerlich nicht nachvollzogenen Erträge aus einer Neubewertung zum Fair Value heraus, so deutet eine danach im Vergleich zur fiktiven Steuerquote niedrigere tatsächliche Steuerquote tendenziell darauf hin, dass der Konzern die Steuerbelastung durch Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer reduziert hat. Die Interpretation der tatsächlichen und der fiktiven Steuerquote im Rahmen der externen Bilanzanalyse wird zudem dadurch erschwert, dass die Höhe der Steuern vom Einkommen und Ertrag unter anderem durch Steuererstattungen, Steuernachzahlungen, steuerlich nicht abzugsfähige Aufwendungen und durch die Nutzung von Verlustvorträgen beeinflusst wird.39 Diese Informationen liegen einem externen Bilanzanalytiker i.d.R. aber nicht vollständig vor. Überdies werden als Steuern vom Einkommen und Ertrag auch latente Steuern nach IAS 12 ausgewiesen. Über diese Besonderheiten muss das bilanzierende Unternehmen im Rahmen der umfangreichen Anhangangaben nach IAS 12 indes berichten, so dass der externe Bilanzanalytiker dies grundsätzlich beachten kann. Auf diese Weise können erhebliche Unterschiede bei den ausgewiesenen Steuern vom Einkommen und Ertrag mit Hilfe der steuerlichen Überleitungsrechnung im Rahmen eines Zeitvergleichs analysiert werden. Ebenso kann der Bilanzanalytiker im Rahmen eines Betriebsvergleichs die Ertragskraft und die Steuerlast beurteilen. Bei einer gleichen Ertragskraft mit einer gleichen Gewinnhistorie ist grundsätzlich dasjenige Unternehmen zu bevorzugen, das weniger Ertragsteuern aufwenden muss.
3. Die steuerliche Überleitungsrechnung und die Konzernsteuerquote nach IAS 12 Bei der Analyse der Steuerbelastung eines Konzerns wird im Schrifttum und in der Praxis regelmäßig die Konzernsteuerquote verwendet.40 Die Konzernsteuerquote ist dabei grundsätzlich die tatsächliche Steuerquote des Konzerns unter Verwendung der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Jahresüberschusses vor Steuern. Problematisch ist bei der Bildung der Kennzahl, dass die IFRS-Bilanz von der Steuerbilanz abweicht, da keine Maßgeblichkeit dieser Handelsbilanz für die Gewinnermittlung nach deutschem Steuerrecht besteht. ___________ 39
Vgl. Schneider (1992), S. 187 f.; Küting / Weber (2004), S. 216 f. Vgl. Herzig / Dempfle (2002), S. 1; Müller (2002), S. 1684; Herzig (2003a), S. 431 – 434; Herzig (2003b), S. S80; Hannemann / Pfeffermann (2003), S. 727; Kuhn / Röthlisberger / Niggli (2003), S. 637; Gahleitner / Furherr (2005), S. 129. 40
Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote
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Da die Bemessungsgrundlage mit Hilfe der Steuerbilanz ermittelt wird, hängt der Betrag der Steuern vom Einkommen und Ertrag im Zähler der Kennziffer funktional von der Steuerbilanz ab. Der Jahresüberschuss vor Steuern nach IFRS wird dagegen mit Hilfe der Gewinn- und Verlustrechnung nach IFRS ermittelt, so dass sich Zähler und Nenner der Konzernsteuerquote sachlich nicht eindeutig entsprechen. Damit ist das Äquivalenzprinzip als Voraussetzung für eine betriebswirtschaftlich akzeptable Verhältniszahl nicht hinreichend erfüllt. Diese Lücke zwischen IFRS-Bilanz und Steuerbilanz kann geschlossen werden, indem die künftigen Steuerschulden und die künftigen Steuererstattungsansprüche zusätzlich zu den tatsächlich gezahlten oder geschuldeten Steuern bzw. den Steuererstattungsansprüchen in der Kennzahl berücksichtigt werden, sofern sie hinreichend quantifizierbar sind. Dieses erreicht der Bilanzanalytiker, wenn er die latenten Steuern berücksichtigt.41 Mit IAS 12, Income Taxes, verpflichtet der IASB den Bilanzierenden, latente Steuern aufgrund von temporären Unterschieden zwischen dem Wertansatz nach IFRS und dem Steuerwert eines Bilanzierungsobjektes anzusetzen, die sich in folgenden Perioden durch Veräußerung, Ge- oder Verbrauch eines Vermögenswertes bzw. Ablösung einer Schuld wieder ausgleichen.42 Bei der Analyse eines IFRS-Abschlusses kann darüber hinaus die Überleitungsrechnung vom erwarteten zum tatsächlichen Steueraufwand (tax rate reconciliation, IAS 12.81c)43 herangezogen werden. In der steuerlichen Überleitungsrechnung werden u.a. die wesentlichen Auswirkungen von steuerlich nicht anerkannten Aufwendungen, von steuerfreien Erträgen, von Änderungen des Steuersatzes sowie von Steuersätzen unterschiedlicher Steuerhoheiten quantifiziert. Bei diesem Berichtsinstrument muss der Bilanzierende wahlweise die Relation zwischen dem tatsächlichen ausgewiesenen Steueraufwand (bzw. Steuerertrag) und dem Produkt aus dem Ergebnis vor Steuern und dem hierauf anzuwendenden Steuersatz (applicable tax rate)44 erklären oder die Relation zwischen dem durchschnittlichen tatsächlichen Steuersatz (average effective tax rate)45 und dem hierauf anzuwendenden Steuersatz. Anhand der steuerlichen Überleitungsrechnung kann der Bilanzanalytiker damit detailliert die Bestandteile des ausgewiesenen Ertragsteueraufwandes untersuchen. Besondere Beachtung findet regelmäßig die Aktivierung latenter ___________ 41
Vgl. dazu Beermann (2001), S. 150 – 156. Zur Bilanzierung latenter Steuern vgl. ausführlich Baetge / Kirsch / Thiele (2005), S. 574 – 584; Baetge / Kirsch / Thiele (2004b), S. 514 – 527; Zülch / Lienau (2004), S. 569 – 575. 43 Vgl. Hannemann / Pfeffermann (2003), S. 727. 44 Der anzuwendende Steuersatz kann mit Hilfe der Teilsteuerrechnung ermittelt werden. 45 Durchschnittlicher tatsächlicher Steuersatz = ausgewiesener Ertragsteueraufwand / Ergebnis vor Steuern. 42
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Jörg Baetge und Achim Lienau
Steuern auf steuerliche Verlustvorträge als abzugsfähige temporäre Differenz. In Höhe des Verlustvortrages werden Gewinne künftiger Perioden grundsätzlich nicht besteuert, so dass für die in künftigen Perioden eintretende Steuerersparnis nach IAS 12.34 ein Vermögenswert angesetzt wird, wenn es wahrscheinlich ist, dass in der Zukunft ein steuerliches Ergebnis zur Verfügung steht, mit dem der Vortrag verrechnet werden kann. Das zu versteuernde Einkommen muss wahrscheinlich (probable) im Sinne einer über 50 % liegenden Wahrscheinlichkeit (more likely than not) sein.46 Der IASB konkretisiert das Kriterium des wahrscheinlichen künftigen Nutzenzuflusses in IAS 12 im Hinblick auf aktivische latente Steuern näher und sieht es als erfüllt an, wenn das Unternehmen latente Steuerverpflichtungen gegenüber derselben Steuerbehörde hat, und die tatsächliche Verpflichtung in derselben Periode entsteht (IAS 12.28a) oder in unterschiedlichen Perioden, zwischen denen ein Verlustvortrag oder -rücktrag möglich ist (IAS 12.28b). Daneben müssen aktivische latente Steuern angesetzt werden, wenn das Unternehmen in der Periode, in der sich die abzugsfähigen Differenzen auflösen werden, wahrscheinlich einen hinreichend hohen Gewinn zu versteuern hat (IAS 12.29a) oder einen entsprechenden Gewinn durch Steuergestaltungsmöglichkeiten generieren kann (IAS 12.29b; IAS 12.30).47 Da das Bestehen eines Verlustvortrages ein Indiz für eine schlechte Ertragslage des Unternehmens ist, verlangt IAS 12.35 einen „überzeugenden Nachweis“ (convincing other evidence) dafür, dass die steuerlichen Verluste auf Ursachen basieren, die künftig wahrscheinlich nicht mehr eintreten werden. Denkbar ist dieser Fall beispielsweise in der Anlaufphase eines Unternehmens oder in der Phase, in der das Unternehmen einen neuen Markt erschließt.48 Zudem muss das bilanzierende Unternehmen gem. IAS 12.80 f. den Betrag der Steuerminderung durch einen bislang nicht berücksichtigten Verlustvortrag sowie noch bestehende Verlustvortragspotenziale angeben. Hat das bilanzierende Unternehmen auf einen Verlustvortrag keine aktivischen latenten Steuern bilanziert, ist dies für den Bilanzanalytiker ein Indiz für eine nachhaltig schlechte Ertragslage des jeweiligen Steuersubjektes. Die Konzernsteuerquote ergibt sich unter Berücksichtigung des latenten Steueraufwandes (bzw. des latenten Steuerertrags) wie folgt:49
___________ 46 Vgl. IASB (2003), S. 3; Zülch / Lienau (2004), S. 568; Küting / Zwirner (2005), S. 1554. 47 Der Abschlussprüfer steht bei der Prüfung der Prognose vor einem erheblichen Problem, vgl. Rückle (1984), S. 67 – 69. 48 Vgl. Baetge / Kirsch / Thiele (2005), S. 580. 49 Vgl. Herzig / Dempfle (2002), S. 2; Baetge / Kirsch / Thiele (2004a), S. 421.
Die Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote
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Übersicht 4 Konzernsteuerquote
Konzernsteuerquote
Tatsächlicher latenter Steueraufwand Jahresüberschuss vor Ertragsteuern
Der Bilanzanalytiker muss bei der Analyse der Steuerbelastung mit Hilfe der Konzernsteuerquote beachten, dass auch in Organschaftsfällen bei der steuerlichen Gewinnermittlung keine steuerliche Konsolidierung im Gesamtkonzern entsprechend der Konzernrechnungslegung stattfindet. Die begrenzte Aussagefähigkeit des Ertragsteueraufwandes und die komplexen Regelungen der steuerrechtlichen Sachverhalte erschweren damit die Analyse der Konzernsteuerquote. Wenn mit der Konzernsteuerquote der Erfolg einer Konzernsteuerabteilung gemessen werden soll, muss zudem beachtet werden, dass nicht alle steuerlichen Sachverhalte von der Steuerabteilung beeinflusst werden können, wie die Nichtabziehbarkeit bestimmter Betriebsausgaben.50 Überdies misst die Konzernsteuerquote auch bei Berücksichtigung der latenten Steuern als überwiegend statische Kennzahl das Ziel der Konzernsteuerabteilung, die Minderung des Steuerbarwertes, nicht korrekt.51 Denn eine Verschlechterung der Konzernsteuerquote in einem Geschäftsjahr kann langfristig betrachtet vorteilhaft für den Konzern sein, wenn dadurch der Steuerbarwert verringert wird.
IV. Zusammenfassung Mit Hilfe der erfolgswirtschaftlichen Analyse untersucht der externe Bilanzanalytiker die nachhaltige Ertragskraft eines Unternehmens. Im Rahmen der Erfolgsspaltung ist es unserer Meinung nach grundsätzlich zu empfehlen, die Erfolgsquellen vor Ertragsteuern zu analysieren, da die Steuern vom Einkommen und Ertrag den Erfolgsquellen nicht verursachungsgerecht zugeordnet werden können. Die Komplexität des Steuerrechts erschwert die Analyse der Ertragskraft des Unternehmens. Bei der Analyse der Steuerbelastung eines Unternehmens sind für den Bilanzanalytiker vor allem die Entwicklungen der Steuerquoten im Zeitablauf und der Vergleich der Steuerquoten verschiedener Unternehmen von großem Interesse. Eine Differenz zwischen der tatsächlichen Steuerquote und der fiktiven Steuerquote eines deutschen Unternehmens deutet darauf hin, dass das Unternehmen Teile des Gewinns in einem Land mit niedrigeren Unternehmenssteu___________ 50 51
Vgl. Müller (2002), S. 1685. Vgl. Müller (2002), S. 1687.
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Jörg Baetge und Achim Lienau
ern realisiert hat. Die fiktive Steuerquote kann mit Hilfe der Teilsteuerrechnung ermittelt werden; der Teilsteuersatz lässt sich bei Kapitalgesellschaften indes nicht unmittelbar auf das Vorsteuerergebnis anwenden, da im Halbeinkünfteverfahren nicht alle Einkünfte der Kapitalgesellschaft gleich besteuert werden. Die Bilanzierung nach IFRS ändert die Darstellung der erfolgswirtschaftlichen Lage grundlegend, da Wertänderungen der Vermögenswerte und Schulden teilweise erfolgswirksam erfasst werden. Die Bedeutung der latenten Steuern nimmt zu, da eine Maßgeblichkeit der IFRS-Bilanz für die Steuerbilanz nicht existiert und der IASB sich mit der Fair Value-Bewertung von den Grundsätzen der steuerlichen Bilanzierung entfernt.52 Die umfassenden Angabepflichten des IAS 12, Income Taxes, ermöglichen es dem externen Bilanzanalytiker indes mit der steuerlichen Überleitungsrechnung und der Konzernsteuerquote, die Steuerbelastung des Unternehmens angemessen zu beurteilen.
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Ist die Umwandlung in eine GmbH aus steuerlicher Sicht für den Einzelunternehmer eine Alternative? Von Susanne Delahaye und Reinhold Hömberg
I. Problemstellung Unternehmen unterliegen sowohl im Zivil- als auch im Steuerrecht abhängig von ihrer Rechtsform unterschiedlichen Regelungen. Ein Teilbereich der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, die nach Rückle1 primär eine betriebswirtschaftliche Funktionslehre ist, besteht darin, den Einfluss der Steuern auf die Rechtsformwahl zu bestimmen. Die fehlende Rechtsformneutralität2 im deutschen Steuerrecht führt zu Steuerbelastungsdifferenzen. Diese sind auf die rechtsformabhängigen Bemessungsgrundlagen, Steuertarife und Vergünstigungen in den einzelnen Steuerarten zurückzuführen.3 Insbesondere ein mittelständischer Unternehmer steht deshalb vor dem Entscheidungsproblem der Rechtsformwahl4, nicht nur anlässlich der Existenzgründung, während einer Konsolidierungsphase, in Anbetracht des Generationenwechsels oder der Ruhestandsvorbereitung, sondern auch kontinuierlich im Hinblick auf seine individuellen Verhältnisse und die Änderungen des Steuerrechts.5 Das Problem fehlender Rechtsformneutralität und der daraus resultierenden Steuerbelastungsdifferenzen wird in der Literatur häufig6 speziell unter dem Aspekt der Ertragsbesteuerung analysiert. Im Folgenden wird jedoch mittels eines normativen Rechtsformvergleichs mit angeschlossener kasuistischer Veranlagungssimulation das – aufgrund der zahlreich zu beachtenden steuerlichen Regelungen – komplexere Entscheidungsproblem der Rechtsformwahl anlässlich der absehbaren Übertragung eines Unternehmens auf den Nachfolger durch ___________ 1
Vgl. Rückle (1967), S. 48. Vgl. Herzig (2001), S. 253; Homburg (2001), S. 8 f.; zum Diskussionsstand der Forderung nach Rechtsformneutralität der Besteuerung vgl. Pelka (2000), S. 392 – 397. 3 Vgl. Wagner (1993), Sp. 4057 4060. 4 Vgl. Kolbeck (1993), Sp. 3742; Seer (2003), S. 431. 5 Vgl. Jacobs / Scheffler (1998), S. 5; Schneeloch (1997), S. 364 – 370; Rose / Glorius-Rose (1995), S. 122; Kolbeck (1993), Sp. 3754. 6 Vgl. beispielhaft Seer (2003), S. 432 – 436. 2
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Susanne Delahaye und Reinhold Hömberg
Eintritt des Erbfalls näher untersucht. Nachgelagert werden ausgewählte unsichere Daten im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse variiert, um den Einfluss dieser Daten auf die Rechtsformwahl zu bestimmen. Durch die Berechnungen wird auch der Frage nachgegangen, ob es steuerlich günstig ist, dass derzeit immer mehr Unternehmen in der Rechtsform der GmbH geführt werden7, obwohl diese Rechtsform im Erbfall nur selten für die beteiligten Steuerpflichtigen von Vorteil ist8. Eine Analyse der Übertragung eines Personengesellschaftsanteils oder der Übertragung im Wege der Schenkung kann analog, jedoch mit Anpassungen im Modell, z.B. hinsichtlich der Finanzierung der Lebenshaltung durch eine Nießbrauchsvereinbarung zugunsten des scheidenden Einzelunternehmers, vorgenommen werden.
II. Grundlagen zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit Ausgehend von einem bestehenden Einzelunternehmen9 wird anhand des Beispielsfalls eines „einfach strukturierten Musterkaufsmanns“10 mit gewerblichen Einkünften nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG11 geprüft, ob die Umwandlung durch Einbringung12 des Einzelunternehmens in eine GmbH gegen Gewährung von Anteilen aus steuerlicher Sicht empfehlenswert ist13. Die Einbringung kann im Wege der Einzelrechtsnachfolge durch die GmbH an jedem einzelnen Wirtschaftsgut des Einzelunternehmens14, aber auch durch Gesamtrechtsnachfolge15 erfolgen, d.h. durch den Eintritt der GmbH in die Rechtsstellung des Einzelunternehmers an dem als Sachgesamtheit übertragenen Betrieb. Daneben wird in ___________ 7
Vgl. Hansen (2003), S. 23. Vgl. Elser (2001), S. 805. 9 Vgl. zum Vorgehen Fasselt (1992), S. 123. 10 Baur versteht hierunter einen ledigen, konfessionslosen Kaufmann, dessen gewerbliche Aktivitäten sich auf das Inland beschränken. Vgl. Baur (2001), S. 120. 11 Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.2002 (BGBl. I S. 4210, BGBl. I 2003 S. 179), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2809). 12 Zur Definition vgl. Schmitt (2001a), Tz. 194. 13 Annahme: Nach einer Vorauswahl aus dem Katalog möglicher Rechtsformen verbleibt lediglich als Alternative zum Einzelunternehmen die Ein-Mann-GmbH, wenn der Einzelunternehmer bis zum Eintritt seines Todes das Unternehmen allein leiten und besitzen möchte. 14 Vgl. Mayer (1994), S. 432 f.; Herrmann (1998), Tz. 16. 15 Die Gesamtrechtsnachfolge ist nur möglich, wenn der Einzelunternehmer bereits vor der Umwandlung im Handelsregister eingetragen war; vgl. §§ 152, 158 UmwG (Umwandlungsgesetz vom 28.10.1994 (BGBl. I S. 3210), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.12.2004 (BGBl. I S. 3214)). 8
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beiden Einbringungsfällen der übernehmenden Kapitalgesellschaft ein Bewertungswahlrecht für das anzusetzende Betriebsvermögen gem. § 20 Abs. 2 UmwStG16 gewährt. Die Gesellschaft kann die übernommenen Wirtschaftsgüter einheitlich17 höchstens mit dem Teilwert, mindestens jedoch mit dem Buchwert ansetzen. Der grundsätzlich mögliche Zwischenwertansatz wird im Modell nicht betrachtet.18 Die Buchwerteinbringung bei Einzelrechtsnachfolge unterscheidet sich nicht von derjenigen bei Gesamtrechtsnachfolge im Hinblick auf die steuerlichen Auswirkungen.19 Daher werden im Modell neben dem Fall der Beibehaltung des Einzelunternehmens die folgenden drei Einbringungsfälle betrachtet: x
Einbringung zum Buchwert,
x
Einbringung zum Teilwert bei Einzelrechtsnachfolge,
x
Einbringung zum Teilwert bei Gesamtrechtsnachfolge.
Unter der Annahme, dass sowohl der Erblasser als auch der Erbe eine Vermögensmaximierung am Ende des Planungshorizonts bei jährlich konstantem Entnahmestrom anstreben, dient als Beurteilungskriterium der vier Alternativen vereinfachend der aus der Investitionsrechnung bekannte Vermögensendwert20 – d.h. der Bestand der entnahmefähigen liquiden Mittel am Planungshorizont21 –, der mit Hilfe eines vollständigen Finanzplans berechnet wird, in welchen die jährlichen Steuerbelastungen als Liquiditätsabflüsse22 eingehen. Zur Darstellung der von der Rechtsformwahl abhängigen periodischen und aperiodischen Besteuerungsfolgen wird ein Planungsintervall von 20 Jahren (die Jahre 01 bis 2023) betrachtet, während dessen dem Erbfall vorgelagert die Umwandlungsentscheidung getroffen wird, der Erbfall voraussichtlich eintritt ___________ 16 Umwandlungsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4133), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.05.2003 (BGBl. I S. 660, 738). 17 Vgl. Patt (2003a), Tz. 151. 18 Vgl. begründend: Patt (2003a), Tz. 231a. 19 Vgl. Patt (2003b), Tz. 24. 20 Vgl. zum Investitionsbegriff: Kruschwitz (2003), S. 3, 106; Trompeter (1994), S. 183; Schneeloch (2002), S. 63. 21 Vgl. Grob (1989), S. 109. 22 Sämtliche Zahlungen werden auf einen Zeitpunkt des jeweiligen Jahres verdichtet. Dies ist in der Regel der 31.12. Lediglich der Erbfall und die Umwandlung finden im vorliegenden Modell zum 1.1. der entsprechenden Jahre statt. 23 Die Vorlaufjahre 01, 02 vor der frühestens in 03 stattfindenden Umwandlung dienen der rechnerischen Veranschaulichung der Einkommensbesteuerung des Einzelunternehmers vor Durchführung der Umwandlung, etwa hinsichtlich der Auswirkungen von Verlusten. Für das Jahr 01 (02) werden die im natürlichen Jahr 2004 (2005) geltenden steuerlichen Belastungen zugrunde gelegt; die Folgejahre bauen auf dem Rechtsstand des Jahres 2005 auf.
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und an dessen Ende der Verkauf24 des Unternehmens ansteht.25 Die im Rahmen des vollständigen Finanzplans ermittelten Finanzmittelüberschüsse bzw. -defizite werden durch einjährige, beliebig teilbare und unlimitierte26 Ergänzungsinvestitionen zu bestimmten Anlage- bzw. Kreditzinssätzen27 solange jeweils in das nächste Jahr transferiert, bis der Planungshorizont erreicht ist und durch die Veräußerung des Unternehmens die Entnahme der liquiden Zielgröße erreicht wird.28 Der Veräußerungspreis ergibt sich aus der Summe der Teilwerte für das Anlagevermögen und das Umlaufvermögen29 abzüglich vorhandener – durch das Modell berechneter – betrieblicher Schulden. Die im Modell getroffene Datenauswahl des Beispielsfalls (s. Tabelle 1) ist durch Beschränkung auf rechtsformabhängige Aspekte in Tiefe und Breite an das Entscheidungsproblem angepasst.30 So müssen die jährlichen, zu prognostizierenden Betriebsergebnisse vor Steuern, Geschäftsführergehalt31, Zinsen und Abschreibungen (diese Betriebsergebnisse werden nachfolgend kurz Basiserfolge genannt) sowohl im Fall ohne Umwandlung als auch im Umwandlungsfall identisch sein, um den Einfluss der Besteuerung auf die Zielgröße zu identifizieren.32 Regelungen ohne rechtsform- oder umwandlungsabhängige Auswirkungen (z.B. die Umsatzsteuer33 oder die Grundsteuer) bleiben unberücksichtigt.34 Dagegen ist eine explizite Betrachtung der Vermögenszusammensetzung und der buchmäßigen Veränderungen im Anlagevermögen35 ebenso unerläss___________ 24 In der vorliegenden Veröffentlichung wird vom Erbfall im Jahre 19 und vom Verkauf im Jahre 20 ausgegangen. Möglich ist jedoch auch die Analyse hinsichtlich der Auswirkungen eines früheren Ablebens des Erblassers bzw. eine Ausweitung der Untersuchung über den Planungszeitraum von 20 Jahren hinaus. 25 Vgl. zum Vorgehen Forster (2002), Tz. 1346 – 1349; Herzig (2001), S. 265. 26 Vgl. zu den vereinfachenden Annahmen Kruschwitz (2003), S. 52. 27 Im Beispielsfall werden sowohl für private als auch für gewerbliche Anleger ein Anlagezins von 2 % sowie ein Kreditzins von 5 % für kurzfristige Kredite angesetzt. 28 Vgl. Kruschwitz (2003), S. 52, 61; Jacobs / Scheffler (1998), S. 31. 29 Im Umlaufvermögen enthalten ist das Bankguthaben, das durch den jährlichen Transfer mit Hilfe einjähriger Anlagen von Liquiditätsüberschüssen entsteht. 30 Vgl. König / Sureth (2002), S. 25. 31 Das Geschäftsführergehalt wird nur bei Vorliegen der GmbH berücksichtigt. 32 Vgl. Jacobs / Spengel (2003), S. 316. In der Ausgangskonstellation wird ein ertragsschwaches Unternehmen mit jährlichem Basiserfolg von konstant 500.000 € betrachtet. 33 Vgl. Steuer (2002), Tz. E 33 f., E 41; Crezelius (1998), Tz. 213; Patt (2003b), Tz. 94; Wagner (2000), S. 619. 34 Berücksichtigt wird jedoch der Solidaritätszuschlag (SolZ). 35 Vereinfachend werden die Güter des Anlagevermögens in zehn Gruppen in Abhängigkeit von ihrer Nutzungsdauer zusammengefasst. Vgl. zu diesem Vorgehen Trompeter (1994), S. 204. Die Abschreibungen erfolgen gem. § 7 Abs. 1 EStG linear über die Nutzungsdauer, bei Gebäuden nach § 7 Abs. 4 EStG. Nach vollständiger Abschreibung
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lich wie z.B. Angaben über die Teilwerte36 zu verschiedenen Zeitpunkten, aber auch die Altersangabe über den Erblasser und den Erben (Kind des Erblassers) zur Gewährung bestimmter Steuervergünstigungen. Tabelle 1 Auszug aus den in das Modell fließenden Basisdaten Planungsperiode: Zeitpunkte 00 bis 20 (jeweils 31.12.), d.h. Jahre 01 bis 20 Unternehmensdaten zum Zeitpunkt 00: Anlagevermögen: 840.190,47 €37 Eigenkapital: 950.190,47 € Umlaufvermögen: 300.000,00 € Verbindlichkeiten: 200.000,00 € Liquide Mittel: 10.000,00 € Persönliche Daten des Unternehmers und seines Kindes: Alter des Unternehmers in 00: 52 J. Alter des Kindes in 00: 30 J. Benötigte Liquidität zur Deckung der Lebenshaltung p.a.: 60 T€ Umwandlung am 1.1.03; Erbfall am 1.1.19; Veräußerung zum 31.12.20
III. Der Vermögensendwert bei Beibehaltung des Einzelunternehmens Der im Unternehmen erwirtschaftete und nach § 5 Abs. 1 EStG bestimmte Gewinn38 wird wegen der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit des Einzelunternehmens einheitlich39 beim Einzelunternehmer nach § 15 EStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb besteuert.40 Berechnet wird die jährliche laufende Steuerbelastung des erwirtschafteten Gewinns mit Einkommensteuer (ESt), Gewerbesteuer (GewSt) und Solidaritätszuschlag (SolZ) unter der Annahme des Fehlens anderer als gewerblicher Einkünfte. Der Gewinn wird abgeleitet aus der – als Nebenrechnung vereinfacht modellierten – Gewinn- und Verlustrechnung, in
___________ eines beweglichen Wirtschaftsgutes des Anlagevermögens wird eine Neuanschaffung vorgenommen, die zum Abfluss liquider Mittel führt. 36 Vgl. Kußmaul (1983), S. 84. Die Teilwerte zu den verschiedenen relevanten Zeitpunkten werden im Modell vorgegeben. 37 Nach Berücksichtigung von Abschreibungen des im Jahre 00 bereits bestehenden Unternehmens ergibt sich zum 31.12. des Jahres 00 das Anlagevermögen i.H.v. 840.190,47 €. 38 Im Modell abgeleitet aus der als Nebenrechnung modellierten Gewinn- und Verlustrechnung. 39 Vgl. Hey (2005), Rz. 1. 40 Vgl. Jacobs / Scheffler (1995), S. 12.
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die neben den Basiserfolg separat die Abschreibungen sowie die zu- oder abfließenden Zinsen aus den Ergänzungsinvestitionen einbezogen werden. Der unter Berücksichtigung der §§ 8, 9 GewStG41 sowie eines möglicherweise auftretenden Gewerbeverlusts42 gem. § 10a GewStG aus dem Gewinn entwickelte Gewerbeertrag fließt unter Beachtung der In-Sich-Abzugsfähigkeit der GewSt sowie des Staffeltarifs nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 GewStG und eines anzugebenden Hebesatzes43 in einen speziellen Berechnungsalgorithmus44 der Gewerbesteuer. Diese mindert als Betriebsausgabe den in die Einkommensteuerberechnung eingehenden Gewinn gem. § 4 Abs. 4 EStG45. Der Einzelunternehmer versteuert lediglich Einkünfte gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG, da er seine Lebenshaltung aus der im Beispielsfall auf 60 T€ festgelegten jährlichen Entnahme bestreitet und keine weiteren Einkünfte hat, so dass sich bei ihm weder private Sparguthaben noch Schulden bilden. Mögliche Verluste werden gem. § 2 Abs. 3, § 10d Abs. 1 EStG nicht nur im Entstehungsjahr, sondern auch durch Rück- und Vortrag beachtet. Aufgrund der Annahme des Zusammenfallens von Steuerentstehung und Steuerzahlung wird der Verlustrücktrag durch eine Steuererstattung im Verlustjahr in das Modell einbezogen. Der Verlustrücktrag beeinflusst jedoch nicht die Bezugsgröße für den höchstzulässigen Verlustvortrag.46 Die Berechnungen für die Jahre 01 bis 20 legen den progressiven Einkommensteuertarif zu Grunde. Nach Anwendung des Tarifs wird beim Einzelunternehmer die Tarifvergünstigung nach § 35 Abs. 1 EStG für gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 EStG zur pauschalierten teilweisen47 Vermeidung einer Doppelbelastung48 mit Gewerbe- und Einkommensteuer gewährt. Obwohl der Abkömmling als Alleinerbe im Erbfall per gesetzlicher Erbfolge Gesamtrechtsnachfolger gem. §§ 1922, 1924 BGB49 wird, findet die steuerliche Vermögensübertragung des Betriebsvermögens nicht als rechtliche Einheit statt.50 Vielmehr werden die einzelnen im Betriebsvermögen enthaltenen Wirt___________ 41 Gewerbesteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4167), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2004 (BGBl. II S. 1653). 42 Ein Verlust entsteht im Basisfall nicht. Im Modell können Verluste jedoch durch entsprechende Wahl der Basiserfolge abgebildet werden. 43 Im Basisfall wird ein Hebesatz von 400 % angenommen. 44 Vgl. König / Kunkel / Stegmaier (1992), S. 923 f.; Scheffler (2005), S. 269 – 271; Seider (2002), Tz. 2; Wollseifen (1998), S. 780; Stüttgen (1993), S. 951. 45 Vgl. zur Einordnung als betriebliche Steuer Heinicke (2005), Tz. 520 „Steuern“. 46 Vgl. Hill / Kavazidis (2003), S. 2028; Dötsch / Pung (2004), S. 151. 47 Vgl. Bareis (2000), S. 606; Förster (2000), S. 866; Broer (2004), S. 260. 48 Vgl. Gosch (2005), Tz. 1. 49 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.01.2002 (BGBl. I S. 42), zuletzt geändert durch Gesetz vom 07.07.2005 (BGBl. I S.1970). 50 Vgl. Gebel (2002), S. 42.
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schaftsgüter in verschiedene Vermögensarten eingeteilt und gem. § 12 ErbStG51 bewertet.52 Soweit gem. § 109 Abs. 1 BewG53 Steuerbilanzwerte für die einzelnen Wirtschaftsgüter angesetzt werden, werden die Werte im Modell vereinfachend unverändert aus der letzten Schlussbilanz übernommen.54 Der Grundbesitz wird nach §§ 138 ff. BewG mit dem Grundbesitzwert angesetzt, der im Modell vereinfacht nach dem für bestimmte Industrie- und Gewerbegrundstücke55 anzuwendenden Sachwertverfahren gem. § 147 BewG aus den – ebenfalls aus der letzten Bilanz56 vor Eintritt des Erbfalls entnommenen – Steuerbilanzwerten der aufstehenden Gebäude, einem vorzugebendem Bodenrichtwert sowie der vorzugebenden Grundstücksfläche ermittelt wird. Der Übergang des Betriebsvermögens durch Erbanfall ist beim Erwerb durch den Abkömmling begünstigt nach § 13a ErbStG (Freibetrag und Bewertungsabschlag vom Steuerwert des Betriebsvermögens). Einbezogen werden darüber hinaus Nachlassverbindlichkeiten gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG sowie der Freibetrag nach § 16 ErbStG57. Die Erbschaftsteuer (ErbSt) wird schließlich berechnet unter Beachtung der Vorschriften des § 19 ErbStG. Die für den Erwerb eines Einzelunternehmens durch Erbanfall bestehende Möglichkeit zur Steuerstundung gem. § 28 ErbStG wird im Modell nicht berücksichtigt. Grunderwerbsteuer (GrESt) fällt – zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung mit ErbSt und GrESt – gem. § 3 Nr. 2 GrEStG58 beim Erbfall nicht an.59 Der Erbe führt die Buchwerte des Einzelunternehmens nach § 6 Abs. 3 EStG zwingend60 fort. Die Buchwertfortführung gilt durch Anwendung der Gewinnermittlungsvorschriften des EStG gem. § 7 GewStG auch für die Ermittlung der Gewerbesteuer; dennoch gilt der Gewerbebetrieb gem. § 2 Abs. 5 Satz 2 GewStG als neu gegründet. Änderungen ergeben sich daher bei einem u.U. gem. § 10a ___________ 51
Erbschaftsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.02.1997 (BGBl. I S. 378), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.12.2003 (BGBl. I S. 3076). 52 Vgl. Meincke (2004), Tz. 1; Gebel (2002), S. 42. Viskorf (2004), Rz. 40. 53 Bewertungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 01.02.1991 (BGBl. I S. 230), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3794). 54 R 39 Abs. 2 S. 1 ErbStR (Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003 vom 17.03.2003, BStBl. I Sondernummer 1 S. 2) schreibt dagegen – soweit von einer Bilanzerstellung auf den Todestag abgesehen wird – die aus der letzten Schlussbilanz abgeleiteten Vermögenswerte vor. 55 Vgl. R 178 Abs. 1 Satz 3 ErbStR. 56 Vgl. R 179 Abs. 3 Satz 5 ErbStR. 57 Der Freibetrag nach § 17 Abs. 2 ErbStG ist dem Erben im Basisfall aufgrund seines Alters nicht zu gewähren. 58 Grunderwerbsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.02.1997 (BGBl. I S. 418), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.09.2002 (BGBl. I S. 2676). 59 Vgl. Hofmann / Hofmann (2004), Tz. 7. 60 Vgl. BFH vom 05.07.1990, S. 837; BMF vom 11.01.1993 V B 2 – S 2242 – 86/92, BStBl. I 1993, S. 62 – 87; Gratz (2004), Tz. 1334, 1395; Schoor (2001), S. 302.
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GewStG bestehenden gewerbesteuerlichen Verlustvortrag, der im Erbfall untergeht.61 Umstritten62 – aber vom BFH noch nicht endgültig ablehnend entschieden63 – ist der Eintritt des Erben in die Rechtsstellung des Erblassers hinsichtlich der beim Erblasser entstandenen und noch nicht verrechneten einkommensteuerlichen Verluste. Während ein ggf. vorhandener Verlust des Erblassers im Modell bei der Einkommensermittlung des Erben mindernd berücksichtigt wird, kann die ErbStSchuld, wie auch die ESt oder der SolZ, aufgrund des Abzugsverbots gem. § 12 Nr. 3 EStG die Bemessungsgrundlage der ESt nicht mindern.64 Die Begleichung der Steuerschulden wird daher nur durch eine Entnahme von Barmitteln aus dem Unternehmen modelliert.65 Entnahmen, z.B. für die ErbSt66, können bei Überschreiten eines gewissen Überentnahmebetrags nach § 13a Abs. 5 Nr. 3 ErbStG in einem Zeitraum von 5 Jahren nach Eintritt des Erbfalls für die Gewähr der Begünstigungen gem. § 13a Abs. 1, 2 ErbStG schädlich sein und zur Nachversteuerung führen. Dies wird im Modell ebenso berücksichtigt wie der im Basisfall eintretende, begünstigungsschädliche Verkauf des Einzelunternehmens in der Behaltefrist nach § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, der zum vollständigen Entfallen der Entlastung und u.U. zur Anwendung eines höheren Erbschaftsteuertarifs gem. § 19 Abs. 1, 3 ErbStG führt.67 Im Verkaufszeitpunkt 20 kann nicht nur ErbSt anfallen; vielmehr wird durch den Verkauf des Einzelunternehmens als Ganzes der einkommensteuerliche Tatbestand gem. § 16 EStG realisiert. Der nach Abzug von Veräußerungskosten und dem Buchwert des Nettobetriebsvermögens vom Veräußerungspreis verbleibende Veräußerungsgewinn fließt unter Berücksichtigung der Begünstigungen in § 16 Abs. 4, § 34 Abs. 1, 3 EStG68 in die Bemessungsgrundlage der ___________ 61 Vgl. BFH vom 26.06.1997, S. 897; BFH vom 7.12.1993, S. 332; BFH vom 14.01.1965, S. 115. 62 Vgl. beispielhaft für die Ablehnung der Vererblichkeit Strnad (1998), beispielhaft für befürwortende Autoren Laule / Bott (2002). 63 Vgl. BFH, anhängiges Verfahren GrS 2/04 (Stand 02.2006). 64 Vgl. BFH vom 09.08.1983, S. 28. 65 Die Problematik der Versagung des Schuldzinsenabzugs gem. § 4 Abs. 4a EStG bleibt unberücksichtigt. 66 Den unbeschränkten Einbezug aller Entnahmen – einschließlich der Entnahme zur Begleichung der Erbschaftsteuerschuld – in die Berechnung der Überentnahmen gem. § 13a Abs. 5 Nr. 3 ErbStG kritisieren Hübner (2004), Tz. 147; Weinmann (2004b), Tz. 123. 67 Weinmann (2004b), Tz. 144. 68 Eine Doppelbegünstigung durch die Inanspruchnahme von § 34 Abs. 1 und 3 EStG existiert nicht. Vielmehr ist eine Vergleichsrechnung erforderlich, aus der bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 EStG die für den Steuerpflichtigen günstigere Variante gewählt wird.
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Einkommensteuer (inkl. SolZ) für das Jahr 20 ein. Gewerbesteuer fällt für den Veräußerungsgewinn jedoch nicht an.69
IV. Der Vermögensendwert bei Umwandlung zu Buchwerten Die Einbringung stellt ertragsteuerlich einen Veräußerungstatbestand i.S.d. § 16 EStG dar.70 Durch Ausnutzung des Wahlrechts zur Einbringung des Einzelunternehmens zu Buchwerten kann eine Besteuerung der stillen Reserven auf den entgeltlichen Veräußerungszeitpunkt verschoben werden. Denn gem. § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG71 gilt als Veräußerungspreis i.S.d. § 16 EStG zum Zeitpunkt der Umwandlung der angesetzte Wert des Betriebsvermögens. Unter Vernachlässigung von Veräußerungskosten72 beim einbringenden Gesellschafter ergibt sich daher ein Veräußerungsgewinn gem. § 16 Abs. 2 EStG i.H.v. 0 €. Die Versteuerung der stillen Reserven beim einbringenden Gesellschafter wird gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG durch Bildung von steuerverhafteten einbringungsgeborenen Anteilen mit Anschaffungskosten i.H. des Veräußerungspreises in die Zukunft, i.d.R. auf den Zeitpunkt der entgeltlichen Veräußerung verlagert.73 Während es weder beim Gesellschafter noch bei der GmbH zu einer Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer im Umwandlungszeitpunkt kommt, wird jedoch durch den Übergang eines im Betriebsvermögen enthaltenen Grundstücks ein grunderwerbsteuerlicher, nicht durch § 5 GrEStG begünstigter74 Tatbestand realisiert. Gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG wird die Grunderwerbsteuer nach dem Bedarfswert gem. §§ 138 ff. BewG bemessen, welcher beim vorliegenden Fall durch das Sachwertverfahren75 ermittelt wird. Die Grunderwerbsteuer wird i.d.R. von der GmbH getragen und führt bei ihr zwar zu einem Liquiditätsabfluss im Entstehungsjahr; die GrESt ist aufgrund der Zugehörigkeit zu objektbezogenen Kosten jedoch nicht unmittelbar abzugsfähig ___________ 69 Vgl. R 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GewStR (Gewerbesteuer-Richtlinien 1998 vom 21.12.1998, BStBl. I Sondernummer 2 S. 91). 70 Vgl. Kauffmann (2005), Tz. 48. 71 Zum Verhältnis von § 20 UmwStG als lex specialis zu § 16 EStG vgl. Hörtnagl (2001), Tz. 11. 72 Vgl. zum Diskussionsstand zur Behandlung von Einbringungskosten Patt (2003a), Rz. 204, sowie Widmann (1991), Tz. 771 f. 73 Vgl. Strahl (2001), S. 12731; Killinger (1998), S. 981. 74 Kritisch zur Versagung der Begünstigung Seeger / Leonard (2000), S. 550; Müller (1997), S. 1433. 75 Dazu wird der Steuerbilanzwert aus der Schlussbilanz des Einzelunternehmens herangezogen. Vgl. Pahlke (2000), Tz. 191.
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und muss zu den Steuerbilanzwerten des Grundvermögens hinzuaktiviert werden.76 Grundsätzlich tritt die GmbH in die steuerliche Rechtsstellung des Einzelunternehmers insbesondere in Bezug auf die Abschreibungen gem. § 22 Abs. 1 UmwStG i.V.m. § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG ein.77 Dies gilt auch für die Gewerbesteuer.78 Ein beim Einzelunternehmen unter Umständen bestehender Gewerbesteuerverlustvortrag gem. § 10a GewStG wird jedoch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags der GmbH nicht mehr berücksichtigt.79 Während für das Einzelunternehmen ein Freibetrag sowie ein Staffeltarif vorgesehen sind, wird die Gewerbesteuer der GmbH unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 GewStG mit einem konstanten Steuertarif von 5 % ohne Abzug eines Freibetrags berechnet. Die GmbH wird ertragsteuerlich neben der Gewerbesteuer mit Körperschaftsteuer belastet. Die Körperschaftsteuer ergibt sich durch Anwendung des konstanten Steuersatzes von 25 % nach § 23 Abs. 1 KStG80 auf das zu versteuernde Einkommen. Im Gegensatz zum Gewinn aus Gewerbebetrieb des Einzelunternehmens wird das zu versteuernde Einkommen der GmbH durch den Abfluss an Liquidität, die dem Unternehmer zur Finanzierung seiner Lebenshaltungskosten dient, grundsätzlich81 mindernd beeinflusst, da gesellschafts- und steuerrechtlich zwischen der Sphäre der Gesellschaft und der des Gesellschafters differenziert wird.82 Im Modell wird die Finanzierung der Lebenshaltungskosten durch ein Geschäftsführergehalt83 modelliert.84 Das Trennungsprinzip erfordert, den bestehenden Finanzplan ab dem Zeitpunkt der Umwandlung um einen weiteren Finanzplan zur Bestimmung des ___________ 76
Vgl. BFH vom 19.09.2003, S. 686. Vgl. Patt (2003b), Tz. 24. 78 Vgl. Patt (2003b), Tz. 76, 78; Widmann (2000), Tz. 105. 79 Kritisch dazu Friedrichs (2000), Tz. 20. 80 Körperschaftsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4144), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2004 (BGBl. I S. 3416). 81 Die Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe entfällt, soweit die Liquiditätsabflüsse verdeckte Gewinnausschüttungen an den Gesellschafter im Sinne der R 36 KStR (Körperschaftsteuer-Richtlinien 2004 vom 13.12.2004, BStBl. I Sondernummer 2 S. 2) darstellen. Die Diskussion um verdeckte Gewinnausschüttungen wird an dieser Stelle vernachlässigt. 82 Vgl. Hey (2005), Rz. 1. 83 Zu anderen Gesellschafter-Gesellschafts-Verträgen vgl. Krüger (2002), S. 12. 84 Die Annahme wird getroffen, dass der Unternehmer einen konstanten Bedarf an Liquidität zur Deckung seiner Lebenshaltung benötigt. Die Entnahme des Einzelunternehmers wird nicht weiter versteuert und ist daher eine Nettogröße. Zur Vergleichbarkeit der Auswirkungen bei Umwandlung in eine GmbH wird daher per Suchverfahren derjenige Bruttobetrag ermittelt und als Geschäftsführergehalt angesetzt, der nach Steuern einen (annähernd) gleichen Liquiditätszufluss ergibt. 77
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Vermögens des Anteilseigners zu erweitern. Die Pläne werden im Endzeitpunkt des Betrachtungsintervalls durch den Liquiditätszufluss des für den Anteil erzielten Veräußerungspreises wieder zusammengeführt. Der Gesellschafter kann entstehende Liquiditätsüberschüsse ebenfalls als Sparguthaben anlegen oder Defizite durch einjährige Kredite decken. Aufgrund des Trennungsprinzips wird die Kapitalgesellschaft im und durch den Erbfall steuerlich nicht belastet.85 In die Ermittlung des erbschaftsteuerpflichtigen Erwerbs des Erben fließt nun sowohl der Steuerwert der Anteile an der GmbH – ermittelt nach dem Stuttgarter Verfahren86 aus den Substanzwerten der GmbH unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten – als auch das zum Nennwert bewertete private Sparguthaben87 des Erblassers. Möglicherweise vorhandene private Schulden88 mindern als Nachlassverbindlichkeiten den steuerpflichtigen Erwerb. Die Anteilsübertragung ist im vorliegenden Fall gem. § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG durch den Freibetrag i.S.d. § 13a Abs. 1 ErbStG und den Bewertungsabschlag gem. § 13a Abs. 2 ErbStG begünstigt. Eine Stundung der ErbSt gem. § 28 ErbStG wird wegen fehlendem Betriebsvermögenscharakter nicht gewährt.89 Daher führt die ErbSt zu einem unmittelbaren Liquiditätsabfluss beim Anteilseigner im Jahr des Erbfalls. Ein hierdurch notwendiger Finanzierungsbedarf wird durch einen einjährigen Kredit gedeckt. Die daraus resultierenden Schuldzinsen dürfen das zu versteuernde Einkommen des Anteilseigners nicht mindern.90 Zu einem weiteren Liquiditätsabfluss im Erbfalljahr durch den Erbfall kommt es beim Anteilseigner nicht, da zwar der Tatbestand des Übergangs aller Anteile gem. § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG realisiert wird, aufgrund der Befreiung des § 3 Nr. 2 GrEStG eine Grunderwerbsteuerschuld jedoch nicht entsteht.91 Ein unter Umständen bestehender Verlustvortrag des Erblassers geht ebenfalls auf den Erben über.92 Der Erbe führt in den Folgejahren die Anschaf___________ 85
Selbst die Verlustabzugsbeschränkung des § 8 Abs. 4 Satz 2 KStG ist im Erbfall nicht anzuwenden; vgl. Brendt (2003), Tz. 432. Auch ein gewerbesteuerlicher Verlustvortrag bei der GmbH bleibt im Erbfall bestehen; vgl. Güroff (2002b), Tz. 21. 86 Ermittelt i.S.d. R 96 – 108 ErbStR. Die Ableitung des gemeinen Werts nach § 11 Abs. 2 S. 1 BewG aus der Einbringung scheidet aufgrund fehlender Preisbildung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr aus. Vgl. Jülicher (2003), Tz. 284. 87 Ein privates Bankguthaben entsteht dadurch, dass das Geschäftsführer-Nettogehalt der Entnahme zur Lebenshaltung nur angenähert ist und sich jährlich Finanzüberschüsse ergeben können. 88 Private Schulden können durch den Finanzierungsbedarf einer – nicht durch private Finanzmittel gedeckten – Steuerschuld entstehen. 89 Vgl. Gebel (2002), S. 332 f. 90 Vgl. von Beckerath (2005a), Tz. 103; BFH vom 09.08.1983, S. 27. 91 Vgl. Crezelius (1998), S. 156; Halaczinsky (2003), S. 101. 92 Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel III.
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fungskosten nach § 20 Abs. 4 UmwStG fort, d.h. die Steuerverstrickung der Anteile bleibt wegen der Unentgeltlichkeit des Erwerbs und des in § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG bestimmten Eintritts in die Rechtsstellung des Erblassers bestehen.93 Bei Veräußerung des einbringungsgeborenen 100 %-Anteils werden die in der Kapitalgesellschaft enthaltenen stillen Reserven und die thesaurierten Gewinne dadurch realisiert, dass ein entsprechender Veräußerungspreis festgesetzt wird.94 Die Steuerentstrickung durch die entgeltliche Veräußerung der einbringungsgeborenen Anteile entsteht, indem nach § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG der Veräußerungsgewinn als Saldo aus Veräußerungspreis und dem nach § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG (fiktiv) festgesetzten Anschaffungspreis des Anteils bestimmt wird. Der Veräußerungsgewinn gilt als Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 EStG und unterliegt als solcher unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG der Einkommensbesteuerung.95 Abhängig von der Dauer des Behaltens des Anteils vor der entgeltlichen Veräußerung werden außerdem die folgenden Begünstigungen gewährt. Grundsätzlich ist der Veräußerungsgewinn96 aus der Veräußerung von Anteilen gem. § 3 Nr. 40 Buchst. b EStG i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG hälftig steuerbefreit. Innerhalb einer 7-jährigen Behaltefrist ist der Veräußerungsgewinn jedoch stattdessen nach § 34 Abs. 1 oder 3 EStG begünstigt.97 Die Einkommensteuer mindert den am Ende der Betrachtungsperiode verbleibenden Zahlungssaldo (den Vermögensendwert) des Anteilseigners im Veräußerungsjahr. Eine Gewerbesteuerpflicht des Veräußerungsgewinns besteht nicht.98 Unter Umständen kann es jedoch zu einem weiteren Liquiditätsabfluss im Veräußerungsjahr kommen, wenn durch den Verkauf der erbschaftsteuerliche Nachsteuertatbestand innerhalb der Behaltefrist nach § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG ausgelöst wird.
V. Der Vermögensendwert bei Umwandlung zu Teilwerten Während bei einer Buchwertumwandlung die zivilrechtliche Gestaltung des Vermögensübergangs ohne steuerliche Auswirkung bleibt, muß bei der Teilwerteinbringung im Hinblick auf die Behandlung des Anlagevermögens zwi___________ 93
Vgl. Schmitt (2001b), Tz. 33; Haritz (2000), S. 1541. Der Veräußerungspreis enthält nicht nur die bereits bei Umwandlung vorhandenen, sondern auch die nach der Umwandlung u.U. entstehenden stillen Reserven sowie die thesaurierten Gewinne und aufgezinsten Steuerersparnisse; vgl. hierzu Killinger (1998), S. 981; Schmitt (2001b), Tz. 111. 95 Vgl. Patt / Rasche (2001), S. 183; Meichelbeck / Vollath (2001), S. 2192. 96 Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG wird erst nach der Anwendung von § 3 Nr. 40 Buchst. b, § 3c EStG berücksichtigt. 97 Vgl. § 3 Nr. 40 Satz 3, 4 EStG. 98 Vgl. Schmitt (2001b), Tz. 168. 94
Umwandlung in eine GmbH aus steuerlicher Sicht
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schen den Besteuerungsfolgen bei Einzelrechts- und Gesamtrechtsnachfolge unterschieden werden.99 Die Teilwerteinbringung führt beim Anteilseigner – unabhängig von der zivilrechtlichen Rechtsnachfolge – gem. § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG zu einem Veräußerungspreis, der über dem Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens liegt. Im Umwandlungsjahr entsteht ein der Besteuerung durch § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG unterliegender Veräußerungsgewinn100, der nach § 16 Abs. 4 EStG sowie nach § 34 Abs. 1 oder 3 EStG gem. § 20 Abs. 5 Satz 2 UmwStG begünstigt ist. Der durch Teilwertumwandlung realisierte Veräußerungsgewinn unterliegt nicht der GewSt.101 Der Anteil geht in das Privatvermögen des Anteilseigners mit Anschaffungskosten i.H. des Wertansatzes bei der GmbH gem. § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG ein. Die Einkommensteuerbelastung führt beim Anteilseigner zu einem Liquiditätsdefizit, das durch einen einjährigen Kredit gedeckt wird. Auf diesen entfallende Schuldzinsen dürfen das einkommensteuerliche Einkommen des Anteilseigners aufgrund des fehlenden wirtschaftlichen Zusammenhangs mit der Einkunftsquelle nicht als Werbungskosten mindern.102 Wie bei Buchwerteinbringung fällt auch im Fall der Teilwerteinbringung Grunderwerbsteuer an, welche die GmbH nach Verwaltungsauffassung103 den Anschaffungskosten des Grundvermögens sowohl im Fall der Einzel- als auch der Gesamtrechtsnachfolge hinzuaddieren muß. Welche Werte als Anschaffungskosten von der GmbH anzusetzen sind, ist abhängig von der zivilrechtlichen Rechtsnachfolge. Die Einzelrechtsnachfolge bewirkt durch die Anschaffungsfiktion des § 22 Abs. 3 UmwStG eine Zäsur hinsichtlich der Gewinnermittlung, denn wegen der fehlenden Verweisung auf § 12 Abs. 3 Satz 1 UmwStG sind die Teilwerte unmittelbar als Anschaffungskosten anzusetzen; die Abschreibungsmethode kann neu gewählt und die Nutzungsdauer neu geschätzt werden.104 Bei Teilwertumwandlung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 22 Abs. 3 Halbsatz 2 UmwStG tritt die GmbH dagegen die steuerliche Rechtsnachfolge des Einzelunternehmers durch den Verweis auf § 12 Abs. 3 Satz 1 ___________ 99
Vgl. Patt (2003b), Tz. 62. Vgl. Reiß (2005), Tz. 17 f. 101 Vgl. Güroff (2002a), Tz. 318. 102 Vgl. von Beckerath (2005b), Tz. 480. 103 Vgl. BMF-Schreiben vom 25.03.1998, IV B 7 – S 1978 – 21/98, BStBl I, S. 268 – 341, Tz. 22.01. 104 Vgl. Patt (2003b), Tz. 69; Widmann (2000), Tz. 390, 392. Von einer Neuschätzung der Nutzungsdauer sowie einem Wechsel der Abschreibungsmethode wird im Modell abgesehen. Das Modell berücksichtigt lediglich die lineare Abschreibung bzw. die Gebäudeabschreibung nach § 7 Abs. 4 EStG. Im Einzelfall ist allerdings in der Praxis die Möglichkeit des Wechsels der Abschreibungsmethode zu prüfen. 100
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UmwStG im Hinblick auf die Abnutzung des Anlagevermögens105 an. Die ursprünglichen Anschaffungskosten des Einzelunternehmers sind um den Differenzbetrag (Aufstockungsbetrag) zwischen dem jeweiligen angesetzten Teilwert und dem jeweiligen Buchwert beim Einzelunternehmen zu erhöhen. Die Abschreibungen werden durch Anwendung des vom Einzelunternehmer zu übernehmenden Abschreibungssatzes, der Abschreibungsmethode sowie der Nutzungsdauer auf die aufgestockten Anschaffungskosten ermittelt und vom Teilwert in den der Umwandlung folgenden Perioden abgezogen. Durch den Aufstockungsbetrag sind die Abschreibungen bei der Gesamtrechtsnachfolge höher als bei der Einzelrechtsnachfolge. Im Vergleich zum Einzelunternehmen ergibt sich mit den Daten des Beispielsfalls für die drei Umwandlungsalternativen und hier insbesondere für die Umwandlung zu Teilwerten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in der Zeit zwischen Umwandlung und Eintritt des Erbfalls eine geringere Gesamtsteuerbelastung. Im Erbfall unterscheidet sich die Ermittlung des Steuerwertes des Kapitalgesellschaftsanteils bei Teilwerteinbringung nicht grundsätzlich von derjenigen bei Buchwerteinbringung. Aufgrund des Teilwertansatzes ergeben sich jedoch sowohl zwischen der Einzel- und der Gesamtrechtsnachfolge als auch gegenüber der Buchwerteinbringung voneinander verschiedene Steuerwerte, da die beim Stuttgarter Verfahren berücksichtigten Größen etwa der Substanzwert des Unternehmens differieren. Unter Umständen noch bestehende Kreditverbindlichkeiten des Erblassers können als Nachlaßverbindlichkeiten beim erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb mindernd berücksichtigt werden.106 Bei der Veräußerung des Anteils an der GmbH wird der Besteuerungstatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1, 4 EStG realisiert, d.h. der nach § 17 Abs. 2 EStG durch den Saldo aus Veräußerungspreis, Veräußerungskosten und Anschaffungskosten ermittelte Veräußerungsgewinn wird mit Einkommensteuer belastet. Als Anschaffungskosten werden gem. § 17 Abs. 2 Satz 4 EStG die historischen Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers angesetzt, da im Erbfall lediglich ein unentgeltlicher Erwerb stattgefunden hat. Der Veräußerungsgewinn wird begünstigt durch die Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens nach § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG sowie durch § 17 Abs. 3 EStG. Die entstehende Einkommensteuerschuld mindert den Zahlungssaldo am Ende des Betrachtungszeitraums durch den Liquiditätsabfluss. Daneben kann es auch im Fall der Veräußerung der zum Teilwert umgewandelten GmbH zu einer Nachversteuerung gem. § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG kommen, die zu einem weiteren Liquiditätsabfluss führt und somit den Vermögensendwert verringert. ___________ 105 Vgl. zu den Regelungen ausführlich Herrmann (1999), Tz. 17 f.; Widmann (2000), Tz. 243 f. 106 Eine Schuldenkappung gem. § 10 Abs. 6 Satz 3 ErbStG kommt nicht in Frage; vgl. Weinmann (2004a), Tz. 157; Weinmann (2004b), Tz. 94.
Umwandlung in eine GmbH aus steuerlicher Sicht
459
VI. Vergleich der Vorteilhaftigkeit der vier Handlungsalternativen Unter der Annahme der Basisdaten sind die Umwandlungsalternativen trotz der günstigeren ertragsteuerlichen Belastung in den Zeitpunkten 04 bis 19 (vgl. Abbildung 1) gegenüber der Alternative, das Einzelunternehmen beizubehalten, bei Betrachtung der Gesamtperiode ungünstiger, da beim Einzelunternehmen der höchste entnahmefähige Zahlungssaldo (Vermögensendwert) realisiert wird. Es ergibt sich die in Tabelle 2 gezeigte Rangfolge der Handlungsalternativen. Tabelle 2 Vermögensendwerte der vier Handlungsalternativen Rangfolge
Handlungsalternative
Vermögensendwert (auf 100 € gerundet)
1
Einzelunternehmen
4.671.600 €
2
Umwandlung durch Buchwerteinbringung
4.382.600 €
3
Umwandlung durch Teilwerteinbringung und Einzelrechtsnachfolge
4.105.000 €
4
Umwandlung durch Teilwerteinbringung und Gesamtrechtsnachfolge
4.071.700 €
Eine Betrachtung der Gesamtsteuerbelastung (Abbildung 1) zeigt, dass die beiden Umwandlungsalternativen zu Teilwerten zu einer gegenüber der Buchwerteinbringung erhöhten Einkommensteuerbelastung im Umwandlungszeitpunkt (03) durch Versteuerung der stillen Reserven führen. Jährliche Gesamtsteuerbelastung in € 1.300.000 1.100.000 900.000 700.000 500.000 300.000 100.000 01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Einzelunternehm en
Buchwertum wandlung
Teilwertum wandlung Einzelrechtsnachfolge
Teilwertum wandlung Gesam trechtsnachfolge
19
20 Zeitpunkt
Abbildung 1: Jährliche Gesamtsteuerbelastung der vier Handlungsalternativen über den Planungszeitraum
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Susanne Delahaye und Reinhold Hömberg
Mit ErbSt wird der Einzelunternehmer im Jahr 19 und 20 (Nachversteuerung107) höher belastet (Tabelle 3), als dies bei den Umwandlungsalternativen der Fall ist, bedingt durch die unterschiedliche Wertermittlung nach § 12 ErbStG. Tabelle 3 Erbschaftsteuerbelastung der vier Handlungsalternativen Handlungsalternative
Gesamtbelastung der Jahre 19 und 20 mit ErbSt (auf 100 € gerundet)
Einzelunternehmen
801.200 €
Umwandlung durch Buchwerteinbringung
761.100 €
Umwandlung durch Teilwerteinbringung und Einzelrechtsnachfolge
765.500 €
Umwandlung durch Teilwerteinbringung und Gesamtrechtsnachfolge
709.100 €
Von besonderer Bedeutung für die Vorteilhaftigkeit des Einzelunternehmens ist jedoch die unterschiedliche Ermittlung108 sowie Besteuerung des Veräußerungsgewinns am Planungshorizont. Insbesondere aufgrund des niedrigeren Veräußerungsgewinns ist die Einkommensteuerbelastung im Veräußerungsjahr beim Einzelunternehmen am geringsten (Tabelle 4). Die Besteuerung im Veräußerungszeitpunkt führt schließlich dazu, dass das Einzelunternehmen insgesamt die vorteilhafteste Alternative im Basisfall darstellt. Die Alternative Buchwerteinbringung führt zwar durch die endgültige Aufdeckung der stillen Reserven zu einer höheren Ertragsteuerbelastung als die Alternativen der Teilwerteinbringung, ist gegenüber Letzteren aber wegen der Vermeidung der Besteuerung im Umwandlungszeitpunkt dennoch insgesamt vorzuziehen (Tabelle 2).
___________ 107 Die Nachversteuerung wird ausgelöst, da es im Basisfall (Erbfall angenommen am 01.01.19, Veräußerung am Planungshorizont 31.12.20) zu einer Veräußerung innerhalb der Behaltefrist i.S.d. § 13a Abs. 5 ErbStG kommt. 108 Während bei der Veräußerung des Einzelunternehmens die nicht entnommenen Gewinne sowohl den Veräußerungspreis als auch den zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns herangezogenen Buchwert des Betriebsvermögens erhöhen, wirken sich die thesaurierten Gewinne bei der Anteilsveräußerung lediglich auf den Veräußerungspreis aus, da die Anschaffungskosten nach § 20 Abs. 4 Satz 1 UmwStG festgeschrieben sind.
Umwandlung in eine GmbH aus steuerlicher Sicht
461
Tabelle 4 Veräußerungsgewinn und Einkommensteuerbelastung im Jahr 20 bei Betrachtung der 4 Handlungsalternativen Handlungsalternative
Veräußerungsgewinn (auf 100 € gerundet)
ESt im Veräußerungsjahr (auf 100 € gerundet)
854.600 €
319.300 €
Umwandlung durch Buchwerteinbringung
2.508.700 €
1.045.800 €
Umwandlung durch Teilwerteinbringung und Einzelrechtsnachfolge
2.335.100 €
972.800 €
Umwandlung durch Teilwerteinbringung und Gesamtrechtsnachfolge
2.276.400 €
948.200 €
Einzelunternehmen
VII. Vergleich der Vorteilhaftigkeit der vier Handlungsalternativen bei Variation ausgewählter Daten Die Modelldaten lassen sich in Handlungsvariablen des Unternehmers sowie von diesem unbeeinflussbare, aber sich potentiell ändernde Umweltzustände109, etwa die tarifliche Steuerbelastung, unterteilen. Zu den vom Unternehmer beeinflussbaren Variablen gehört z.B. der Umwandlungszeitpunkt. Wird dieser vom Beginn des Planungszeitraums kontinuierlich an den Planungshorizont – jedoch noch vor Eintritt des Erbfalls – verlagert, so bleibt das Einzelunternehmen zwar weiterhin die für den Vermögensendwert günstigste Alternative, in Abhängigkeit vom Umwandlungsjahr differiert die Rangfolge zwischen den Umwandlungsalternativen jedoch. In Abbildung 2110 werden die entsprechenden Vermögensendwerte dargestellt, die am Planungshorizont jeweils aus der Umwandlung im jeweiligen auf der Abszisse angegebenen Jahr folgen. Tendenziell steigt der Endwert der Umwandlungsalternativen mit jedem Jahr, in dem noch das gegenüber der Umwandlung vorteilhaftere Einzelunternehmen ___________ 109 In der vorliegenden Veröffentlichung wird der Eintritt des Erbfalls unverändert im Jahr 19 angenommen. Eine Variation des Todeszeitpunkts ist jedoch im Modell ebenso denkbar. 110 Die nichtlinearen Verläufe sind primär bedingt durch die nach dem Umwandlungszeitpunkt differierenden Abschreibungspläne in den Alternativen, z.B. aufgrund des Aufstockungsbetrags bei Teilwertumwandlung.
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besteht. Auffällig ist die Senkung des Endvermögens bei Buchwertumwandlung genau 7 Jahre vor dem Veräußerungszeitpunkt. Die Senkung beruht auf dem erstmaligen Eintritt der steuerlichen Konsequenzen aus der Behaltefrist i.S.d. § 3 Nr. 40 S. 3, 4 EStG. Die Modifikation des Umwandlungszeitpunkts zeigt, dass es – wenn eine Umwandlung angestrebt wird – unter den gegebenen Annahmen tendenziell von Vorteil ist, diese so spät wie möglich, jedoch unter Beachtung der Konsequenzen des § 3 Nr. 40 S. 3, 4 EStG vorzunehmen. Unter Berücksichtigung der Behaltefrist nach § 13a Abs. 5 ErbStG wäre darüber hinaus ein Zeitraum von mehr als 5 Jahren zwischen dem Erbfall und der Veräußerung empfehlenswert. Vermögensendw ert in € 4.800.000 4.700.000 4.600.000 4.500.000 4.400.000 4.300.000 4.200.000 4.100.000 4.000.000 3.900.000 3.800.000 03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16
17
18 Umw andlungszeitpunkt
Einzelunternehmen
Buchw ertumw andlung
Teilw ertumw andlung Einzelrechtsnachfolge
Teilw ertumw andlung Gesamtrechtsnachfolge
Abbildung 2: Abhängigkeit der Vermögensendwerte der vier Handlungsalternativen vom Umwandlungszeitpunkt (Variation des Umwandlungszeitpunkts im Basisfall)
Das Steuerrecht ist im Hinblick auf Steuersätze und Begünstigungen einem ständigen Wandel unterworfen. Im Sommer des Jahres 2005 brachte die damalige Bundesregierung einen Gesetzentwurf im Bundestag ein, der sich für eine Senkung des Körperschaftsteuertarifs von 25 % auf 19 % aussprach.111 Die Variation des Tarifs unter Beibehaltung der Ausgangsdaten ergibt, dass eine Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf die geplanten 19 % nicht ausreicht, damit eine der Umwandlungsalternativen im Hinblick auf den Vermögensendwert günstiger wird (vgl. Abbildung 3). Die Buchwertumwandlung ist jedoch dann gegenüber dem Einzelunternehmen die günstigere Alternative, wenn das ___________ 111
Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 15/5554 vom 30.05.2005.
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463
körperschaftsteuerliche Einkommen mit einem Steuersatz von weniger als 17,80 % belastet wird. Ursache hierfür ist einerseits die – gegenüber der laufenden Ertragsteuerbelastung des Einzelunternehmers – geringere Ertragsteuerbelastung der GmbH und ihres Anteilseigners. Andererseits ist die Buchwertumwandlung den Umwandlungsalternativen zum Teilwert dadurch überlegen, dass beim Anteilseigner im Umwandlungszeitpunkt keine Versteuerung stiller Reserven stattfindet.112 Vermögensendwert in € 5.000.000 4.800.000 4.600.000 4.400.000 4.200.000 4.000.000 3.800.000 3.600.000 15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
Körperschaftsteuersatz in %
Einzelunternehmen
Buchwertumwandlung
Teilwertumwandlung Einzelrechtsnachfolge
Teilwertumwandlung Gesamtrechtsnachfolge
Abbildung 3: Abhängigkeit der Vermögensendwerte der vier Handlungsalternativen vom Körperschaftsteuersatz (Variation des Körperschaftsteuersatzes im Basisfall)
Bei Untersuchung eines ertragstärkeren Unternehmens mit einem Basiserfolg von 1.000.000 € (Basisfall: 500.000 €) und Variation des Körperschaftsteuersatzes wird die Umwandlung zum Buchwert erst ab einem Tarif von 15,27 % gegenüber dem Einzelunternehmen vorteilhaft. Sinkt der jährliche Basiserfolg dagegen unter 500.000 €, z.B. auf 250.000 €, so ist eine Buchwertumwandlung bereits zum aktuellen Körperschaftsteuersatz von 25 % gegenüber dem Fall eines Einzelunternehmens u.a. aufgrund einer – insbesondere aus dem niedrigeren Ertragshundertsatz resultierenden – geringeren Erbschaftsteuerbelastung vorteilhaft. Unter Berücksichtigung von einmalig auftretenden Verlusten – modelliert durch zu einem negativen Betriebsergebnis führenden Basiserfolg – würde sich jedoch die Rangfolge der Handlungsalternativen in Abhängigkeit des Zeitpunkts, zu dem der Verlust auftritt, ändern. ___________ 112 Die Einkommensteuerbelastung bei Einbringung zum Teilwert führt beim Anteilseigner zu einem kontinuierlichen Finanzierungsbedarf, während der Anteilseigner bei Einbringung zu Buchwerten erst im Erbfall zur Tilgung der Erbschaftsteuerschuld Finanzmittel aufnehmen muss.
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Die Variation des Basiserfolges und des Gewerbesteuerhebesatzes ergibt (vgl. Abbildung 4), dass tendenziell ein größerer Basiserfolg zu erzielen ist, je höher der Gewerbesteuersatz wird, damit das Einzelunternehmen weiterhin die günstigste Alternative bleibt.113 Während bei einem erwarteten jährlichen Basiserfolg von 250.000 € die Buchwertumwandlung kontinuierlich zu einem höheren Vermögensendwert führt als das Einzelunternehmen, wenn Gewerbesteuerhebesätze zwischen 350 % und 440 % betrachtet werden, ist das Einzelunternehmen bei einem jährlich zu erwarteten Basiserfolg von 270.000 € bis zu einem Gewerbesteuerhebesatz von ca. 430 % überlegen. Bei einem jährlich zu erwartenden Basiserfolg von 290.000 € ist das Einzelunternehmen bereits kontinuierlich bei Variation des Gewerbesteuerhebesatzes zwischen 350 % und 440 % hinsichtlich des erreichten Vermögensendwerts vorzuziehen.
Vermögensendwert in €
Betriebsergebnis
2.900.000 2.800.000 2.700.000 290.000 € 2.600.000 2.500.000
270.000 €
2.400.000 250.000 €
2.300.000 2.200.000 350
360
370
380
390
400
410
420
430
440
Gewerbesteuerhebesatz in %
Einzelunternehmen
Buchwertumwandlung
Teilwertumwandlung Einzelrechtsnachfolge
Teilwertumwandlung Gesamtrechtsnachfolge
Abbildung 4: Abhängigkeit der Vermögensendwerte der vier Handlungsalternativen vom Gewerbesteuerhebesatz bei Basiserfolgen i.H.v. 250.000 €, 270.000 € und 290.000 €
___________ 113
Zu einem ähnlichen – jedoch auf die Steuerbelastungsdifferenz ohne Betrachtung der verschiedenen Umwandlungsalternativen bezogenen Ergebnis kommen Jacobs / Spengel (2003), S. 319.
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Neben der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes sind insbesondere – im Bereich der Erbschaftsteuer – Änderungen beim Bewertungsverfahren zur Ermittlung des Betriebsvermögens möglich.114 Nach dem Vorlagebeschluss des BFH115 vom 22. Mai 2002 ist ebenfalls eine Änderung in der Bewertung des Grundvermögens einschließlich der Betriebsgrundstücke zu erwarten.116 Die – auf eine Erhöhung der Grundbesitzwerte beschränkten – Auswirkungen der zu erwartenden Änderungen werden im Modell durch die Variation des Grundbesitzwertes mit einem Faktor berücksichtigt. Selbst eine Erhöhung des bei der Erbschaftsteuer anzusetzenden Grundbesitzwerts um 100 % führt nicht zur Änderung der Rangfolge in den Handlungsalternativen gegenüber dem Basisfall.117
VIII. Ergebnis und Ausblick Die vorliegenden Analysen haben gezeigt, dass die Umwandlung in eine GmbH aus steuerlicher Sicht für den Einzelunternehmer eine Alternative sein kann, unter Berücksichtigung eines möglichen Erbgangs und unter Berücksichtigung von Ertragsteuern, Grunderwerbsteuer und Erbschaftsteuer aber die Weiterführung des Einzelunternehmens häufig steuerlich vorteilhafter ist. Die Untersuchungen haben damit gezeigt, dass die Frage nach der steuerlich vorteilhaften Rechtsformwahl nicht allein durch einen normativen Rechtsformvergleich ohne Bezug auf konkrete Planungsdaten zu beantworten ist. Betrachtungen nur kurzfristiger Planungszeiträume, in denen lediglich ertragsteuerliche periodische Auswirkungen sichtbar werden, sind zu vermeiden. Vielmehr sollten in die Betrachtung auch relevante aperiodische Ereignisse einbezogen werden. Zur Beurteilung von Alternativen kann die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre auf die Investitionsrechnung zurückgreifen; die Analyse der primären Datenkonstellation des bei der Rechtsformwahl zu beurteilenden Einzelfalles ist durch eine anschließende Sensitivitätsanalyse unsicherer Daten, wie die zu prognostizierenden Basiserfolge, aber auch die Höhe der Steuersätze, zu erweitern.
___________ 114 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Sicherung der Unternehmensnachfolge, BT-Drs. 15/5555 vom 30.05.2005. Einen Überblick zu den Auswirkungen bietet Bäuml (2005), S. 411 – 415. 115 Vgl. BFH, Beschluss vom 22.05.2002, S. 598. 116 Vgl. zu dieser Einschätzung Eisele (2004), S. 188. 117 Im Modell nicht betrachtet ist die im Gesetzentwurf vorgesehene einheitliche Bewertung von Einzelunternehmen sowie Anteilen an Personengesellschaften und an Kapitalgesellschaften im Erbfall.
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Susanne Delahaye und Reinhold Hömberg
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Analyse und Gestaltung steuerlicher Hilfen bei Katastrophenschäden Von Hans Günter Rautenberg
I. Anlass und Ziel der Untersuchung Die große Flutkatastrophe im August 2002, die vor allem Sachsen schwer betroffen hatte, war Anlass zu vielfachen Überlegungen und Diskussionen über die notwendigen und zweckmäßigen Hilfsmaßnahmen. Auf meine Anregung hin wurde an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig ein gemeinsames fachübergreifendes Seminar mehrerer Kollegen geplant und durchgeführt, das im Herbst 2003 als mehrtägiges Blockseminar in Kohren-Salis stattfand. Dabei beschränkten wir uns auf volkswirtschaftliche und finanzwissenschaftliche Aspekte1 sowie auf Fragen der Versicherungswissenschaft2 und der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre.3 Zu diesen Bereichen4 wurden Seminararbeiten und Präsentationen erarbeitet, bei der Blockveranstaltung vorgetragen und diskutiert. Die Ergebnisse wurden anschließend von den Studierenden zum Entwurf eines Gesamtberichtes zusammengestellt. Die Blockveranstaltung wurde erweitert um einen Bericht über eine laufende soziologische Untersuchung zu den Motivationsfaktoren der Helfer und Spender, die ebenfalls an der Universität Leipzig erarbeitet wurde. Das im Seminar und in zwei Diplomarbeiten zur Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre erarbeitete Material zur Wirkung der steuerlichen Hilfen erscheint mir besonders geeignet, im Zusammenhang mit den Arbeiten von Dieter ___________ 1
Betreut durch Prof. Dr. Thomas Lenk, Institut für Finanzen an der Universität Leip-
zig. 2 Betreut durch Prof. Dr. Fred Wagner, Institut für Versicherungswissenschaften an der Universität Leipzig. 3 Betreut durch Prof. Dr. Hans Günter Rautenberg, Institut für Unternehmensrechnung und Steuerlehre an der Universität Leipzig. 4 Um noch größeren Koordinationsaufwand zu vermeiden und ausreichende Tiefe der einbezogenen Aspekte sichern zu können, wurde davon Abstand genommen, auch weitere Bereiche einzubeziehen; Fragen der Bankwirtschaft, des Wirtschafts- und Bankrechts, der empirischen Wirtschaftsforschung sowie der Psychologie und Soziologie und anderer Bereiche hätten sich angeboten. Das konnte im vorgesehenen Rahmen nicht realisiert werden.
472
Hans Günter Rautenberg
Rückle fortentwickelt und präsentiert zu werden, denn der Untersuchungsbereich berührt mehrere seiner Arbeitsgebiete. Es könnte als Vergleich zu einer versicherungswirtschaftlichen Studie ausgearbeitet werden, die sich mit der Versicherbarkeit befasst und auch die Fragen des „moral hazard“ und des Staates als „Ersatzversicherer“ (ersatzleistende Institution) für den nicht versicherten Schaden berücksichtigt. Es kann auch die besondere betriebswirtschaftliche Situation von Betrieben (oder Geschädigten allgemein) in einer solchen unvorhersehbaren und extern verursachten Krise verdeutlichen und das sich daraus ergebende spezielle Zielsystem mit krisenbedingten Prioritäten betrachten und die bei dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse können dazu genutzt werden, auf der Basis dieser besonderen Ziele und Prioritäten die Eignung der (meist vom Staat vorgegebenen und organisierten) Hilfsmaßnahmen zu beurteilen und zu verbessern.5 Mit den „steuerlichen Hilfen“ im Katastrophenfall beschäftigt sich dieser Beitrag. In Beziehung zu den Interessengebieten und wissenschaftlichen Arbeiten von Dieter Rückle gesetzt: Im Sinne „seiner“ normativen Theorie werden die Auswirkungen bilanzrechtlicher und steuerrechtlicher Regelungen mit betriebswirtschaftlichen Methoden ermittelt, beurteilt und darauf basierend und im Sinne der Beratung des Gesetzgebers Ansätze zur zielgerechten Verbesserung aufgezeigt.6 Auch einer „die bloße Rechtskommentierung überwindenden Sicht der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre“7 entspricht der Beitrag; der Autor sieht sich damit der Sichtweise des Jubilars verbunden.
II. Systematisierung der steuerlichen Möglichkeiten für Katastrophenopfer 1. Die Systematisierung der Schäden Die Systematisierung der Schäden ist ein erster Ansatz. Es wird sich zeigen, dass schon aus der Schadenssystematisierung eine erste Würdigung der steuerlichen Maßnahmen abgeleitet werden kann. Alle Beispiele für die möglichen Schäden werden hier auf die Flutkatastrophe bezogen, die Anlass zur Beschäftigung mit dem Thema war.
___________ 5
Hier werden die ganz entscheidenden nicht-staatlichen Hilfen keineswegs übersehen oder vernachlässigt, es werden aber die staatlichen Organisations- oder Koordinationsaufgaben in den Vordergrund der Beurteilung und der Anregungen gestellt, die sich auch auf die zweckmäßige Gestaltung dieser Maßnahmen beziehen. 6 Vgl. Rückle (1983), Vorwort (S. 3). 7 Vgl. Rückle (1983), S. 3 f.
Steuerliche Hilfen bei Katastrophenschäden
473
Schon im Bericht des Freistaates Sachsen8 wurden als Kriterien der Einteilung unmittelbare (hier: direkte) Schäden von mittelbaren Schäden und Folgeschäden abgegrenzt; daraus wurde die Einteilung der vier Arten von Schäden entwickelt: direkte und indirekte Schäden einerseits, primäre und sekundäre Schäden (Folgeschäden) andererseits. Direkte Schäden werden unmittelbar durch die Katastrophe verursacht, im Beispiel also durch das Hochwasser. Der direkt betroffene Betrieb ist „nass geworden“; so ist ein Sachschaden durch Hochwasser entstanden. Indirekte Schäden können aber auch den treffen, der nicht vom Hochwasser selbst betroffen ist: Ein Betrieb ist wegen des Hochwassers für Kunden oder Mitarbeiter nicht erreichbar, kann nicht ausliefern oder seine Energieversorgung fällt aus. Auch (direkte oder indirekte) Schäden bei Kunden oder Lieferanten können zu weiteren indirekten Schäden führen, indem Absatz ausfällt oder Zulieferungen unmöglich werden und so Betriebsstörungen ausgelöst werden. Die so verursachten Schäden können höher sein als die direkten Schäden, sie bestehen aber nicht im hochwasserbedingten Sachschaden, sondern in Vermögensschäden durch entstandene Nachteile für den Betroffenen. In beiden Fällen kommt die Unterscheidung von primären und sekundären Schäden hinzu: Primäre Schäden entstehen unmittelbar durch die Katastrophe, also auch zeitnah, ohne dass allerdings diese Zeit genau begrenzt oder bestimmt werden kann. Sekundäre Schäden folgen, wenn Hochwasserschäden nicht schnell oder nur ungenügend beseitigt werden können. Leider sind sie vielfach durch unüberlegtes Handeln der Geschädigten oder sogar durch behördliche Auflagen oder Erwartungen bedingt, wenn diese unrealistisch waren. Ein klares Beispiel dafür sind schnelle Renovierungsmaßnahmen in Betrieben, die in bestimmten Fällen verpflichtet wurden, innerhalb von 30 Tagen den Betrieb wieder aufzunehmen: Wenn bei unzureichend getrockneten Gebäuden neu gefliest oder Fußböden bzw. Tapeten aufgebracht wurden, mussten diese später wieder entfernt und nach Austrocknung zum zweiten Mal erneuert werden. Die Kosten dafür verursachen den sekundären Schaden. Vor allem nach direkten primären Schäden treten oft sekundäre Schäden auf, weil im Bemühen um schnelle Überwindung der Folgen sehr leicht Fehlmaßnahmen veranlasst werden. Die Abgrenzung, was als sekundärer Katastrophenschaden anzusehen ist, mag schwierig sein; dieser Schaden kann bis zu einem dauerhaften Verlust von Arbeitsplätzen oder zur Insolvenz eines Betriebes reichen, wenn anzunehmen ist, dass diese Folgen ohne den Primärschaden nicht eingetreten wären. Sekundäre Schäden nach indirekten Katastrophenschäden sind oft kaum abzugrenzen und zu beziffern. Es kann sich zum Beispiel um eine endgültige Ver___________ 8
Vgl. Freistaat Sachsen (2003), S. 10 – 12.
474
Hans Günter Rautenberg
schlechterung oder Beendigung der Beziehung zu Kunden oder Lieferanten handeln. Die folgende Übersicht verdeutlicht Merkmale und Beispiele zu den Schadensarten in Anlehnung an die Unterscheidungen des Freistaates Sachsen9 und der IHK Leipzig; sie wurde auf der Basis von Beiträgen aus dem Blockseminar erarbeitet.
Direkte Schäden
Indirekte Schäden
Unmittelbare Einwirkung des Katastrophenereignisses
Keine unmittelbare Einwirkung des Katastrophenereignisses, aber mittelbare Schäden (indirekte Hochwasserwirkung)
(direkte Hochwasserwirkung )
Primär „Sofortschäden“, enger zeitlicher Zusammenhang
Sekundär Folgeschäden, Auswirkung erst später sichtbar
Beispiele: - Bauschäden - Wasserschäden an Anlagen - Verlust von Vorratsvermögen
Beispiele: Schäden durch - Stromausfall, - Nichterreichbarkeit für Kunden, Lieferanten, Arbeitnehmer etc.
Beispiele: - Spätschäden durch Feuchtigkeit - Frostschäden im folg. Winter - Erfolglose Renovierungsversuche - Ertragsminderung nasser Böden
Beispiele: neg. Auswirkungen - auf Lieferantenbeziehungen, Kundenstamm - Arbeitnehmer-Abwanderung - Kosten der Betriebsunterbrechung
Abbildung 1: Typologie der Schadensarten
Diese Abgrenzung der Schadensarten ist schon deshalb wichtig, weil zahlreiche staatliche Ausgleichsmaßnahmen, vor allem Geldleistungen, nur bei primären direkten Schäden gewährt wurden. Andere Schadensarten wurden dabei nicht berücksichtigt.10 Schon hier kann vorweggenommen werden, dass eine so enge Schadensdefinition, wie sie der Entschädigung durch Geldleistungen des Staates zugrunde lag, steuerlich nicht relevant ist: Alle vier genannten Schadensarten können steuerlich berücksichtigt werden, soweit sie Einflüsse auf die Einkünfte haben oder im Privatbereich zu außergewöhnlichen Belastungen i.S.d. § 33 EStG11 ___________ 9
Vgl. Freistaat Sachsen (2003), S. 10 – 12. Vgl. Freistaat Sachsen (2003), S. 12. 11 Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.10.2002 (BGBl. I S. 4210, ber. BGBl. I 2003 S. 179), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2809). 10
Steuerliche Hilfen bei Katastrophenschäden
475
führen. Dadurch ist die steuerliche Berücksichtigung von Schäden weniger eingeschränkt, was als positiver Beitrag zur Bewältigung der Katastrophe zu beurteilen ist. Unabhängig von dieser erfreulich weiten Fassung steuerlich zu berücksichtigender Schäden bleibt später zu beurteilen, ob die steuerlichen Möglichkeiten und besonderen Maßnahmen zieladäquat ausgestaltet sind.
2. Die steuerlichen Maßnahmen nach dem Erlass des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen12 In diesem Beitrag können nicht alle Einzelmaßnahmen dargestellt und untersucht werden, auf die anlässlich der Katastrophe von den Finanzbehörden hingewiesen wurde. Daher werden die Hinweise und Regelungen aus dem Erlass hier nur kurz genannt; später soll eine Gruppenbildung so erfolgen, dass Aussagen über die Wirkungen gemacht und die Wirksamkeit beurteilt werden kann. Der Erlass nennt folgende Maßnahmen (Gliederung etwas gekürzt): 1.
Allgemeines
1.1
Stundungs- und Vollstreckungsmaßnahmen, Anpassung der Vorauszahlungen
2.
Nachweis steuerbegünstigter Zuwendungen (erleichterter Spendennachweis)
3.
Verlust von Buchführungsunterlagen
4.
Maßnahmen bei Einkommen-, Körperschaft- und Lohnsteuer
4.1
Gemeinsame Regelungen für Gewinneinkunftsarten (darin u.a.)
4.1.1 Sonderabschreibungen beim Wiederaufbau von Betriebsgebäuden 4.1.2 Sonderabschreibungen beim Ersatz beweglicher Anlagegüter 4.1.4 Bildung von Rücklagen vor Wiederaufbau bzw. Ersatzbeschaffung 4.1.7 Erleichterte Anerkennung von Erhaltungsaufwand 4.1.8 Anerkennung der Schadensbeseitigung als Betriebsausgabe 4.1.9 Wahlrecht, Erhaltungsaufwand bei § 4 Abs. 3-Rechnung auf bis zu fünf Jahre zu verteilen 4.2
Sonderregelungen für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft13
___________ 12 Vgl. Sächsisches Staatsministerium der Finanzen (2002): Erlass vom 15.08.2002, 32 – S 2284 – 8/42 – 49082; http://www.sachsen.de/de/bf/staatsregierung/ministerien/ smf/aktuelles/002/files/002.pdf, Download: 20.12.2005. 13 Diese sehr speziellen Regelungen werden hier nicht betrachtet.
476
4.3
Hans Günter Rautenberg
Sonderregelungen für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
4.3.1 Sonderabschreibungen bei Wiederaufbau von Gebäuden 4.3.2 Erleichterte Anerkennung von Erhaltungsaufwand 4.4
Unterstützung von privaten Arbeitgebern an geschädigte Arbeitnehmer
4.5
Wiederbeschaffung bzw. Schadensbeseitigung als Außergewöhnliche Belastung im Rahmen von R 187 EStR14
4.6
Eintragung eines Freibetrages für Außergewöhnliche Belastungen auf der Lohnsteuerkarte
5.
Grundsteuererlass (entsprechend den §§ 33, 34 Abs. 2 GrStG15)
6.
Erlassanträge zur Gewerbesteuer (entsprechend § 1 GewStG16 und Abschnitt 3 GewStR17).
Maßstab der nachfolgenden Beurteilung soll die Eignung sein, die Folgen der Katastrophe für den betroffenen Steuerpflichtigen zu bewältigen. Auf Interessen des Staates an Einnahmensicherung wird in dieser Sondersituation keine Rücksicht genommen.18 Schon vorher können aber bestimmte für die Beurteilung wesentliche Aspekte erwähnt werden: die rechtliche Basis und die Allgemeingültigkeit oder das Vorliegen einer speziellen Regelung für Katastrophenfälle.
3. Rechtliche Basis und Bedeutung der Regelungen Es ist eindeutig, dass das geltende Steuerrecht nicht von der Exekutive außer Kraft gesetzt werden darf. Das gilt auch im Katastrophenfall. Spezielle Regelungen sind daher selten und nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen möglich oder sie bestehen in der Nutzung von Ermessenspielräumen, die aufgrund einer Verwaltungsanweisung bei Betroffenen vorübergehend großzügiger ausgeübt werden können. Daneben sind unter den Regelungen im Erlass auch ___________ 14
Einkommensteuer-Richtlinien 2003 vom 15.12.2003 (BStBl. I Sondernummer 2). Grundsteuergesetz vom 07.08.1973 (BGBl. I S. 965), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.09.2005 (BGBl. I S. 2676). 16 Gewerbesteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.10.2002 (BGBl. I S. 4167), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.12.2004 (BGBl. I S. 3242). 17 Gewerbesteuer-Richtlinien 1998 vom 21.12.1998 (BStBl. I Sondernummer 2 S. 91). 18 Es sei aber darauf hingewiesen, dass zur umfassenden Beurteilung staatlicher bzw. steuerlicher Hilfsmaßnahmen nach Katastrophen eine günstige Relation zwischen der Belastung des Staates und der Wirkung für den hilfsbedürftigen, von der Katastrophe betroffenen Steuerpflichtigen sinnvoll und nötig ist. Darauf wird später eingegangen. 15
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Verweise auf allgemein geltendes Steuerrecht, also rein deklaratorische Hinweise. Jede dieser Gruppen ist anders zu beurteilen. Erst später werden dann auch genauere Betrachtungen der Wirkungsweise einzelner Instrumente zu Beurteilung herangezogen. Rein deklaratorische Hinweise auf allgemein zur Verfügung stehende steuerliche Regelungen im Zusammenhang mit der Katastrophenbewältigung können durchaus nützlich sein, wenn sie erinnernde und klarstellende Funktion haben. Beispiele für rein deklaratorische Teile (bloße Hinweise auf geltendes Recht) sind im Erlass (alle angegebenen Nummern beziehen sich auf den Erlass): – der Hinweis auf die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen zur Schadensbeseitigung als Betriebsausgabe (Nr. 4.1.8), – der Hinweis auf die Wiederbeschaffung bzw. Schadensbeseitigung als Außergewöhnliche Belastung (Nr. 4.5 mit ausdrücklichem Hinweis auf R 187 EStR), – der Hinweis auf die mögliche Eintragung solcher Außergewöhnlicher Belastungen in die Lohnsteuerkarte (Nr. 4.6 mit Verweis auf die gesetzlichen Grundlagen in § 39a EStG), – die Hinweise auf die Möglichkeit und die Zuständigkeiten bei Erlassanträgen zur Grund- und Gewerbesteuer (Nr. 5 und 6, jeweils mit Verweis auf die gesetzlichen Grundlagen). Alle diese Hinweise enthalten keinerlei besondere Regelung, nicht einmal zur Ermessensausübung. Regelungen zur Ausübung von Ermessensentscheidungen können schon als steuerliche Hilfsmaßnahmen angesehen werden: Wegen der hohen Zahl von Fällen oder der besonderen Situation nach der Katastrophe soll das Ermessen der Finanzbehörden großzügiger und vor allem einheitlich kanalisiert werden. Für den Steuerpflichtigen hilfreiche Anweisungen zur Ausübung des behördlichen Ermessens kann man als Interpretationen des allgemein geltenden Rechtes im Hinblick auf die Katastrophenbewältigung ansehen. Beispiele mit Erleichterungen zur Ermessensausübung bei allgemein geltenden anwendbaren Regelungen sind – Erleichterungen bei Stundungsanträgen, Anpassungen der Vorauszahlungen und der Verzicht auf Vollstreckung sowie auf Stundungszinsen und Säumniszuschläge bis zum 31.12.2002 (Nr. 1.1.1 und 1.1.3), – der Hinweis auf die Vorgehensweise beim Verlust von Buchführungsunterlagen (Nr. 3.) und
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– Hinweise und Erweiterungen der steuerlichen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Erhaltungsaufwand bei Betriebsgebäuden (4.1.7) und im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (4.3.2). Diese Teile des Erlasses enthalten neben Hinweisen auf verfügbare Instrumente auch Anweisungen zur Ermessensausübung an die nachgeordneten Finanzbehörden; soweit dies tatsächliche Erleichterungen für betroffene Steuerpflichtige bedeutet, können sie als steuerliche Hilfen angesehen werden. Für den Katastrophenfall geschaffene Sonderregelungen sind seltener und rechtlich u. U. fragwürdig19. Angesichts der Tatsache, dass unser Steuerrecht gesetzlich fixiert ist und keine ausdrücklichen gesetzlichen Sonderregelungen oder Ermächtigungen für die Anwendung in Katastrophenfällen enthält, ist fraglich, ob es überhaupt andere Hilfen als großzügige Ermessensausübung geben kann. Dennoch wurde hier eine dritte Gruppe von Maßnahmen gebildet, da im Erlass einige sehr spezielle Instrumente für die Katastrophenhilfe genannt werden20: – Sonderabschreibungen für den Wiederaufbau von Betriebsgebäuden (bis zu 30 %, Nr. 4.1.1 des Erlasses), – Sonderabschreibungen für die Wiederbeschaffung beweglicher Anlagegüter (bis zu 50 %, Nr. 4.1.2), – Bildung steuerbegünstigter Rücklagen im Jahr vor der Wiederbeschaffung in bestimmten Fällen (4.1.4) und – Sonderabschreibungen beim Wiederaufbau von Gebäuden im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Nr. 4.3.1) wie bei Betriebsgebäuden. Auf die Darstellung der einzelnen Bedingungen und Obergrenzen wird hier verzichtet. Die Sonderabschreibungen und die Gestattung steuerbegünstigter Rücklagen sind so spezielle Maßnahmen und in den hier nicht dargestellten Bedingungen sowie Anwendungsvoraussetzungen geregelt, so dass sie später noch gesondert untersucht werden sollen.
___________ 19
Die rechtliche Fundierung soll entsprechend der Ausrichtung des Beitrages hier nicht näher untersucht werden. 20 Eine eindeutige Rechtsgrundlage für diese Regelungen wird im Erlass nicht angegeben und ist schwer zu konkretisieren; damit wird wohl das Ermessen im Hinblick auf allgemein tolerierte Minderungen der Bemessungsgrundlagen i. S. von § 163 AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 01.10.2002 (BGBl. I S. 3866, ber. BGBl. 2003 I S. 61), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2809) geregelt.
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Eine Unterscheidung nach Sofortmaßnahmen und längerfristig wirkenden Maßnahmen ermöglicht eine weitere, völlig andere Systematisierung: Diese lässt sich grob danach einteilen, ob die Hilfen unmittelbar nach der Katastrophe einsetzbar sind und auch unmittelbar ihre Wirkung entfalten oder ob sie aufgrund von typischerweise erst später eintretenden Voraussetzungen (z.B. nach Wiederaufbau oder Wiederherstellung) wirken bzw. ihre Wirkung erst nach Verzögerung eintreten kann. Hinzu kommt die Abhängigkeit von speziellen betrieblichen Situationen, so kann z.B. die Wirkung nur oder vorwiegend in einer Gewinnsituation eintreten oder mit der Steuerbelastung progressiv sein. Beides mindert die Brauchbarkeit als Hilfe zur Überwindung einer Katastrophe und ist auch bei längerfristig wirkenden Hilfen nachteilig. Für beide Typen lassen sich unter den beschriebenen Maßnahmen Beispiele finden: – Als Soforthilfen eignen sich grundsätzlich vor allem die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen und die Erleichterung von Stundung und Herabsetzung der Vorauszahlungen; sie setzen aber das Bestehen solcher Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Schäden voraus. Andere geschädigte Betriebe erhalten keine vergleichbaren Liquiditätshilfen. Außerdem sind diese Soforthilfen auf weniger als 5 Monate befristet, was zur Überwindung der Katastrophenschäden zu kurz sein kann. – Sehr viel breiter ist das Angebot von erst später oder unter bestimmten Voraussetzungen wirkenden Maßnahmen, die daher zwar im Einzelfall hilfreich sein können, da sie steuermindernd wirken, aber als Katastrophenhilfe im eigentlichen Sinn nicht sinnvoll sind: das sind vor allem die angebotenen Sonderabschreibungen und steuerbegünstigten Rücklagen, aber auch die Anerkennung von Betriebsausgaben für Aufräumarbeiten oder Erhaltungsmaßnahmen usw. Auf diesen Systematisierungen aufbauend sollen die Hilfsmaßnahmen beurteilt und spezielle steuerliche Regelungen entwickelt werden, die für besondere Situationen, z.B. die Katastrophenhilfe eingesetzt werden können und optimal wirksam sind. Dazu müssen zunächst die Anforderungen an solche Hilfen festgestellt werden.
III. Anforderungen an wirksame Hilfen im Katastrophenfall Um eine Beurteilung der steuerlichen Möglichkeiten auf Ihre Eignung zu fundieren, müssen zunächst die Anforderungen, also der Bedarf der von einer Katastrophe Betroffenen festgestellt werden. Das soll hier nicht empirisch, son-
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dern auf der Basis eines plausiblen betrieblichen Zielsystems erfolgen, das im Bezug auf die plötzlich eingetretene Krisensituation modifiziert wird: Geht man davon aus, dass normalerweise die Teilziele Gewinnstreben oder Rentabilität, Liquiditätssicherung und Sicherheitsstreben (Risikominderung) die wesentlichen Ziele sind, kann man weiter unterstellen, dass beim ungestörten Betrieb Liquiditätssicherung und Sicherheit als weniger hochrangig angesehen sind und das Rentabilitätsziel als oberstes Ziel angesehen werden kann. Das gilt, wie gesagt, für den ungestörten Betriebsablauf eines geordneten Betriebes. Abbildung 2 verdeutlicht diese Situation grafisch und vereinfacht, denn je nach der speziellen Situation kann eines der untergeordneten Zeile durchaus höher einzuordnen sein als das andere, was zu einer „schiefen“ Darstellung des hier als gleichseitiges Dreieck dargestellten Schemas führen würde.
Rentabilität
Liquidität
Sicherheit
Abbildung 2: Schema betrieblicher Ziele (Normalfall, vereinfacht)
In einer unvorhergesehenen, durch eine Katastrophe heraufbeschworenen Sondersituation wird sich für einen betroffenen Betrieb ein anderes Zielschema ergeben, das vor allem auf Sicherung des Unternehmens und auf die Krisenbewältigung bezogen ist: Liquiditätssicherung erhält während der Krise und deren Überwindung einen höheren Rang. Auch Sicherheit ist in der existenzbedrohenden Krise höher zu gewichten, weil weitere Risiken und Ungewissheiten in dieser Lage existenzgefährdend sein können. Bezogen auf die Maßnahmen der Krisenhilfe bedeutet das, dass der Geschädigte sich auf diese Maßnahmen verlassen kann, dass er erkennbare und schnell feststellbare Rechtsansprüche hat. Gerade in einer Krise, die möglicherweise existenzbedrohend sein kann, helfen Aussichten und Versprechen deutlich weniger als Rechtsansprüche, besonders wenn diese eindeutig festgestellt sind. In diesem Fall entlastet die rechtswirksam festgestellte Hilfe von der Sorge um deren Erreichbarkeit und von der Arbeit, sie zu sichern. Unter Umständen sichert die rechtsverbindliche Zusage die Kreditwürdigkeit des Betrof-
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fenen und kann eventuell sogar als Grundlage für Kredite dienen, noch bevor die Hilfe tatsächlich gewährt wird. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der auch im Normalfall wirksam, aber von weit geringerer Bedeutung ist und daher nur im Sonderfall in einem Zielsystem auftreten wird: „Einfachheit“. Darunter werden Verwaltungsfreundlichkeit und unbürokratische Regelungen verstanden. Weil die Betroffenen in der Krisenzeit durch notwendige Sofortmaßnahmen und Existenzsorgen oft extrem belastet sind, sollte bei Hilfsmaßnahmen streng darauf geachtet werden, dass sie mit minimalem Verwaltungsaufwand (besonders für die Krisenopfer!) verbunden sind. Die Auswahl zwischen verschiedenen möglicherweise zuständigen Behörden und Hilfsprogrammen, die Antragstellung selbst und die Durchsetzung bis zum Bescheid, der Rechtssicherheit schafft und bis zur Auszahlung muss vor allem bei Soforthilfemaßnahmen einfach gehalten werden. Anforderungen der Verwaltungen, die Missbräuchen entgegenwirken und der Lastenverteilung auf die Geldgeber dienen, sollten allein behördenintern bewältigt werden und die Krisengeschädigten nicht belasten.21 Die damit verbundene Gefahr des Missbrauches oder der Hilfe im Übermaß, vor allem aus dem Zusammenwirken mehrer Maßnahmen oder Programme, kann später ausgeräumt werden.22 Vielleicht ist sogar eine verschärfte Anwendung von Straftatbeständen sinnvoll, indem die Erschleichung unberechtigter Vorteile, die nur für Katastrophenopfer vorgesehen sind, bei Unberechtigten als Strafmaß-erhöhender Umstand angesehen wird. Jedenfalls sollte zuerst geholfen und erst später überprüft und ggf. korrigiert und geahndet werden. Im Gegensatz zur Normalsituation wird der Aspekt Rentabilität im System der unternehmerischen Ziele für die Krisenphase in Abbildung 3 als unwesentlich dargestellt.23 Dabei wird die Umkehrung der Zielhierarchie möglicherweise überbetont, um die Veränderung der relevanten Ziele hervorzuheben.
___________ 21 Leider wurden sowohl die Antragstellung, die zahlreichen Zuständigkeiten und die ungenauen bzw. unzutreffenden Auskünfte und Bescheide zu Hilfsmaßnahmen 2002 vielfach bemängelt. Analysen und Verbesserungsvorschläge dazu sind nicht Gegenstand dieses Beitrages über die steuerlichen Maßnahmen. 22 Dazu wurde in Sachsen ein Abstimmungsprogramm, das IT-Werkzeug PHOENIX entwickelt, das die Erfassung und Koordination geleisteter Hilfen ermöglicht. Vgl. Freistaat Sachsen (2003), S. 61 f. 23 Später wird der Aspekt der Rentabilität wieder einbezogen werden: sowohl die Höhe der Auswirkungen für den Betrieb als auch ein günstiges Verhältnis des Nutzens einer Maßnahme für den Krisengeschädigten zu den Kosten dieser Maßnahme für die helfenden Organisationen (bei steuerlichen Maßnahmen also für den Fiskus) kennzeichnen gut geeignete Hilfsmaßnahmen.
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Liquidität
Einfachheit
Sicherheit
Rentabilität Abbildung 3: Schema betrieblicher Ziele im Krisenfall
IV. Beurteilung der Wirkung steuerlicher Maßnahmen für Katastrophenopfer Maßnahmen zur Krisenbewältigung nach einer Naturkatastrophe sollten demnach folgende Eigenschaften haben: a) Es muss sich vor allem um Liquiditätshilfen handeln, b) es muss ein Rechtsanspruch bestehen und c) die Gewährung muss schnell sowie nach einfachem, unbürokratischem Verfahren erfolgen. Der Wert der Steuerminderung bzw. der Barwert des Vorteiles kann nur ergänzend mit herangezogen werden, um die Auswirkungen auf Gewinn und Rentabilität des Betriebes nicht ganz zu vernachlässigen. Darüber hinaus sind aber zwei weitere Aspekte wichtig für die Wirksamkeit, die schon bei der Systematisierung der Maßnahmen erwähnt wurden: d) Zeitaspekte Für die Beurteilung werden ergänzend zwei zeitliche Aspekte einbezogen: Es geht um die Zeit bis zum Einsetzen der Wirkung einer steuerlichen Maßnahme und um die Wirkungsdauer. Beide Aspekte können gerade in der Situation nach einer Katastrophe so entscheidend sein wie die erste Hilfe nach einem
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lebensbedrohenden Unfall. Daher kann eine sehr wirksame Maßnahme, die zu spät kommt, negativ zu beurteilen sein. Allerdings ist dabei zu unterscheiden, ob eine Soforthilfe oder eine auch später noch sinnvolle Wiederaufbauhilfe beabsichtigt ist. Beispiel: Die Stundung und die Aussetzung von Vollziehungsmaßnahmen für Betroffene wirken sofort nach dem Nachweis, von der Katastrophe betroffen zu sein. Es handelt sich also um Sofortmaßnahmen, die allerdings auf nur ca. viereinhalb Monate befristet waren. Im Gegensatz dazu wirken die erleichterte Anerkennung von Erhaltungsaufwand und Sonderabschreibungen erst viel später; beide setzen die Renovierung bzw. den Wiederaufbau, also Maßnahmen der Schadensbeseitigung voraus und sind in dieser Situation weniger geeignet. e) Betriebssituation, Bedingungen der Wirkung Weiteres ergänzendes Moment für die Beurteilung ist die Frage, in welcher Situation eines Betriebes die Wirkung (bzw. eine stärkere Wirkung) eintritt: Maßnahmen, die eine Minderung der Steuerbemessungsgrundlage bewirken, sind nur bzw. vor allem bei positiven Bemessungsgrundlagen wirksam (von der Möglichkeit des Verlustrücktrages wird noch abgesehen) und wirken beim progressiven Einkommensteuertarif ebenfalls progressiv. Solche Maßnahmen sind daher zur Krisenbewältigung kritisch zu sehen. Wirksamkeit vor allem bei Gewinn und eine vom Steuersatz abhängige progressive Wirkung sind wenig geeignet, weil sie umgekehrt zum Bedarf betroffener Steuerpflichtiger wirken und bei Verlustsituationen fast wirkungslos sind. Sondermaßnahmen zur Krisenbewältigung sind eindeutig Interventionsinstrumente, die anders als Fiskalzwecknormen nicht entsprechend dem Leistungsfähigkeitsgedanken progressiv gestaltet werden sollten. Durch die Anwendung überwiegend normaler Instrumente des Steuerrechtes zur Minderung der Bemessungsgrundlagen haben die im Erlass genannten Maßnahmen überwiegend diese problematische Wirkung. Beispiel: Die (erleichterte) Anerkennung von Erhaltungsaufwand, Sonderabschreibungen und die Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen wirken vorwiegend bei Gewinn und (in der Einkommensteuer) progressiv, sind also für niedrig Besteuerte nur wenig oder nicht wirksam. Der Mangel der Eignung dieser steuerlichen Instrumente bleibt auch bestehen, wenn daneben direkte Maßnahmen (Geldzuwendungen aus staatlichen Programmen oder aus Spenden) angeboten werden.
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Sachgerechte Krisenhilfen sollten nicht progressionsabhängig sein; eher könnten sie regressiv zu Gewinnsituation und Steuerbelastung gewährt werden.24 Daraus ergibt sich, dass die im Erlass angebotenen Maßnahmen im Hinblick auf diese Kriterien weitgehend kritisch zu beurteilen sind. Eine speziell für die Krisensituation nach Katastrophen geeignete steuerliche Hilfsmaßnahme fehlt trotz der von der Politik zugesagten Hilfen dieser Art.
V. Anregungen zur Verbesserung steuerlicher Hilfen bei Katastrophen Die Übersicht über die im Erlass als steuerliche Hilfen angebotenen Maßnahmen und die dargestellte besondere Bedarfssituation von Betrieben in einer katastrophenbedingten Krise lassen deutlich werden, dass viele der Maßnahmen nur wenig geeignet sind. Rein deklaratorische Hinweise auf bestehendes Steuerrecht können kaum als Hilfen bezeichnet werden. Gewisse Erleichterungen durch eine großzügigere Ausübung des Ermessens können im Einzelfall gut helfen, sind aber kein wirklich bemerkenswerter Beitrag zur Katastrophenbewältigung. Vor allem aber sind nur wenige der im Erlass genannten Maßnahmen geeignet, betroffenen Steuerpflichtigen schnell und für eine ausreichende Dauer Liquiditätshilfen zu gewähren. Andere Maßnahmen, vor allem die Sonderabschreibungen und die Bildung steuerbegünstigter Rücklagen, haben offensichtlich mehrere entscheidende Nachteile: Sie wirken erst spät und die Stärke ihrer Wirkung ist vom Gewinn abhängig bzw. sogar mit der Steuerlast progressiv, also im Gegensatz zum Bedarf wirkend. Es sollten also für künftige Katastrophenhilfen durch steuerliche Maßnahmen neue Instrumente erarbeitet werden, die den Anforderungen betroffener Betriebe und den Interessen des Staates besser entsprechen: 1. Liquiditätshilfen von ausreichender Dauer sollten schnell zugesagt und kurzfristig ausgezahlt werden. 2. Es muss ein eindeutiger Rechtsanspruch bestehen, der mit einem einfachen Antragsverfahren in Anspruch genommen werden kann. 3. Die Maßnahme muss unabhängig von der aktuellen Erfolgssituation des Betriebes in der Zeit nach der Katastrophe und der Höhe des aktuellen Steuersatzes sein, d.h. auch ohne Gewinn und Entstehung einer Besteuerung wirksam werden. ___________ 24 Hierbei wird allerdings vorausgesetzt, dass grundsätzlich lebensfähige und förderwürdige Projekte vorliegen.
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4. Hinzu kommt aus staatlicher Sicht ein verständliches Interesse an einem möglichst geringen Risiko für die Steuereinnahmen und möglichst geringe Kosten. Ein solches, schnell wirkendes und für den Staat wenig kostspieliges Hilfsinstrument wäre ein erleichterter bzw. erweiterter Verlustrücktrag für von Katastrophen betroffenen Betriebe: So könnten in einer besonderen Vorschrift besondere Bedingungen festgelegt werden, nach denen – erleichterte Anforderungen für den vorläufigen Nachweis der Katastrophenschäden schon während des von der Katastrophe betroffenen Geschäftsjahres definiert werden, – die vorgezogene Anwendung eines Verlustrücktrages für glaubhaft gemachte katastrophenbedingte Verluste25 schon vor Jahresabschluss und Steuererklärung für das Katastrophenjahr ermöglicht und die vorzeitige Auszahlung von deshalb zu erwartenden Steuerrückzahlungen26 angeordnet wird und – ein höherer Höchstbetrag des Verlustrücktrages in Katastrophenfällen und eine Rücktragsmöglichkeit für mehr als ein Jahr gewährt werden. Selbstverständlich sollte eine solche „Vorratsvorschrift für steuerliche Katastrophenhilfe“ auch festlegen, wer berechtigt ist, die Anlässe und den Kreis der Betroffenen festzustellen, auf die diese Sondervorschrift im Einzelfall anwendbar wird. Sie kann auch festlegen, welche Verzinsung für eine vom Antragsteller überhöht bzw. unberechtigt in Anspruch genommene Hilfe dieser Art ausgelöst wird. Selbst wenn es dadurch zu unberechtigten Liquiditätshilfen für Steuerpflichtige käme, könnte der Staat mit seinen guten Zugriffsmöglichkeiten die entstehenden höheren Steueransprüche wirksam geltend machen und wieder einziehen. Die Verzinsung brächte eine Entschädigung für den unberechtigt in Anspruch genommenen „Steuerkredit“. Darüber hinaus können für Fälle groben Missbrauchs spezielle Straftatbestände vorgesehen werden. ___________ 25 Der besondere Rücktrag kann auf die Höhe der direkten Katastrophenschäden begrenzt werden. U.U. können auch schwere primäre indirekte Schäden, also zeitlich unmittelbar durch die Katastrophe ausgelöste Schäden anderer Betriebe einbezogen werden. Auch durch solche Schäden können Betriebe wesentlich betroffen sein. 26 Grundsätzlich könnte die Liquiditätshilfe auch unabhängig vom vorher gezahlten Steuerbetrag gestaltet werden; dann läge aber ein über die Finanzbehörden abgewickeltes spezielles Kreditprogramm vor, was hier nicht vorgeschlagen wird. Das Anknüpfen an früher geleistete Steuerzahlungen ist ein (grober) Indikator dafür, dass nur Betriebe gefördert werden, die vor der Katastrophe leistungsfähig waren. Wenn trotz der Katastrophenschäden kein Verlustrücktrag glaubhaft gemacht werden kann, steht die Herabsetzung der Vorauszahlungen als sofortige Liquiditätshilfe zur Verfügung. Dabei können auch schon geleistete Vorauszahlungen erstattet werden.
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Die Vorteile einer solchen Sonderregelung werden anhand der oben genannten Anforderungen an Katastrophenhilfen deutlich: Die Regelung erweitert die schnelle und leicht erreichbare Liquiditätshilfe, die bisher nur durch kurzfristige Aussetzung der Vollziehung, Stundung und Herabsetzung der Vorauszahlungen möglich war, indem absehbare Steuerminderungen durch die Katastrophenschäden sofort als Liquiditätshilfe nutzbar gemacht werden. Die Wirkung kann also schnell nach dem Katastrophenfall einsetzen und ist daher besonders wertvoll; die Dauer geht wesentlich über die bisher vorgesehenen Sofortmaßnahmen hinaus. Die Sonderregelung kann leicht in das geltende System der Besteuerung und Steuerverwaltung einbezogen und durch die Steuerberater der Betriebe beantragt werden, weil sie an bekannte Instrumente anknüpft. Das macht die Beantragung beim zuständigen Finanzamt leicht. Durch den begründeten Antrag sollte ein Rechtsanspruch auf schnelle Auszahlung entstehen.27 Schließlich setzt die Wirkung nicht die vorherige Durchführung von Erhaltungs- oder Wiederherstellungsmaßnahmen voraus und ist von der Ertragssituation und Steuerlast des geschädigten Betriebes weitgehend unabhängig.28 Wenn eine entsprechende Grundlage im Gesetz geschaffen ist, kann den Steuerpflichtigen kurzfristig ein Rechtsanspruch auf diese Hilfe gewährt werden, indem die zuständigen Behörden die Regelung für den vorliegenden Katastrophenfall für anwendbar erklären. Der Rechtsanspruch wäre deutlich wertvoller als die Hoffnung auf großzügige Auslegung der Vorschrift des § 163 AO, die u.U. eine niedrigere Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen aus Billigkeitsgründen im Rahmen des behördlichen Ermessens ermöglicht. Für den Staat bedeutet diese Gestaltung, die oft versprochene schnelle und wirksame Hilfe (auch) durch die Steuerbehörden zu gewähren, also durch eine Verwaltung, mit der die Betriebe ständig in Kontakt stehen. Sein Risiko, hier als Katastrophenhelfer ausgenutzt zu werden, ist gering, denn der Steuerverwaltung stehen alle Möglichkeiten des Ausgleichs und der Vollstreckung bei unberechtigter Inanspruchnahme zur Verfügung, die den Steueranspruch des Staates schützen und durchsetzen helfen. Vor allem bei der Abwägung gegenüber den (ergänzend sicher außerdem nötigen) Hilfen durch spezielle Kredite und Schadensausgleichszahlungen kann das die Risiken durch Missbrauch oder übermäßige Inanspruchnahme der Hilfen mindern. Die Kosten eines solchen vorgezogenen Verlustabzuges für den Staat bestehen nur im Zinsverlust, weil der nach ___________ 27 Wie beim Verlustabzug nach § 10d EStG sollte dem katastrophengeschädigten Steuerpflichtigen ein Wahlrecht für den besonderen Rücktrag gewährt werden, um Nachteile für ihn aus der Katastrophenhilfe zu vermeiden. 28 Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass der Vorteil des Verlustrücktrages auch in diesem Fall davon abhängt, wie hoch die Besteuerung bei sofortiger Ausgleichsmöglichkeit im Jahr der Verlustentstehung wäre.
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den allgemeinen steuerlichen Vorschriften zu gewährende Verlustausgleich oder Verlustabzug nun früher gewährt wird.29 Selbst die Auswirkungen auf die Verteilung des Steuerertrages entsprechen denen bei einer späteren Berücksichtigung der steuerlichen Auswirkungen.30 Auch auf außergewöhnliche Situationen wie Katastrophenschäden, die in unregelmäßigen Abständen immer wieder vorkommen, sollte der Staat durch Vorschriften vorbereitet sein, die geeignete Maßnahmen vorsehen. Die Bereitschaft, in diesen Fällen auch durch steuerliche Hilfen zur Überwindung der Probleme für die Betroffenen beizutragen, wird immer wieder betont. So kündigte der sächsische Finanzminister Dr. Horst Metz schnelle Hilfe für Opfer der Flutkatastrophe durch steuerliche Erleichterungen an: „Außergewöhnliche Umstände wie diese Flutkatastrophe erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“.31 Im Gegensatz zum Bedarf der Geschädigten und dieser Ankündigung äußerte ein führender Vertreter der sächsischen Finanzbehörden, es gebe keinerlei wesentlichen speziellen steuerlichen Maßnahmen. Das gab den Anstoß, die steuerlichen Regelungen bei Katastrophenschäden näher zu untersuchen. Hier wurde gezeigt, dass die schon in der Erklärung des Finanzministers angekündigten steuerlichen Maßnahmen, die dem Rahmenkatalog aus dem koordinierten Ländererlass entsprechen, nur zum geringen Teil auf die besondere Situation der von einer Katastrophe betroffenen Steuerpflichtigen zugeschnitten sind: Während die am Anfang des Kataloges genannten Sofortmaßnahmen zwar schnell, aber nur begrenzt und für kurze Zeit helfen, sind andere Maßnahmen nur Hinweise auf das geltende Recht. Die Anwendung des geltenden Steuerrechtes kann aber kaum als Katastrophenhilfe bezeichnet werden.32 Allenfalls einige konkrete Anweisungen zur („großzügigen“) Ausübung möglicher Ermessensentscheidungen können eine gewisse Hilfe sein. Eine dritte Gruppe „steuerlicher Hilfen“, vor allem Sonderabschreibungen und steuerbegünstigte Rücklagen, setzen sogar völlig falsch an: Ihre Wirkungen kommen zu spät, weil sie Maßnahmen der Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung voraussetzen, statt diese zu erleichtern und zu beschleunigen und weil sie abhängig ___________ 29 Dabei wird hier davon abgesehen, dass das System des Verlustabzuges durch die Übertragung von Bemessungsgrundlagenteilen in andere Veranlagungszeiträume auch zur Anwendung eines anderen Steuersatzes führen kann. 30 Dabei wird allerdings von einer immer möglichen Änderung der Verteilung des Steueraufkommens von Jahr zu Jahr abgesehen. 31 Pressemitteilung 169/2002 des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen vom 14.08.2002. 32 Die Zusammenfassung mit dem Hinweis auf die wesentlichen steuerlichen Möglichkeiten kann dennoch hilfreich sein und die außergewöhnliche Situation klären helfen. Andererseits bleiben bei der Komplexität der steuerrechtlichen Regelungen Widersprüchlichkeiten kaum aus: vgl. z.B. die Hinweise auf Probleme bei der Lohnsteuer und der Erbschaft- und Schenkungsteuer von Hartmann (2005).
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von der Gewinnsituation und der Höhe der Steuerlast, also entgegengesetzt zum Bedarf der Geschädigten wirken. Hier wurde offensichtlich das früher übliche Förderinstrumentarium von Abschreibungen und Rücklagen eingesetzt, das auch für den „Normalfall“ der Wirtschaftsförderung sehr problematisch ist und dessen Anwendung zur Zeit reduziert wird. Positiv anzumerken war, dass alle Arten von Schäden sich steuerlich auswirken, aber das entspricht den allgemeinen Regelungen der Besteuerung und kann nicht als steuerliche Hilfe bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu werden staatliche Finanzhilfen nur für einen eng begrenzten Bereich, nämlich direkte primäre Schäden gewährt, während andere eindeutig katastrophenbedingte Schäden nicht berücksichtigt werden. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass steuerliche Sonderregelungen entwickelt werden können, die der speziellen Aufgabe der Katastrophenhilfe besser gerecht werden und den Staat im Vergleich zu anderen Hilfsmaßnahmen weniger belasten. Er leistet damit zweierlei: Die Anregung eines besseren Instrumentariums für steuerliche Katastrophenhilfe ist nämlich gleichzeitig ein konstruktives Beispiel für eine stärkere Verbindung von ökonomischen Analysen und rechtlichen Regelungen, wie sie auch von Dieter Rückle schon seit seiner „Normativen Steuerbilanzpolitik“ und immer wieder gefordert und geleistet wurde33. Wir hoffen gemeinsam34 auf eine Verbesserung dieser Zusammenarbeit von Betriebswirtschaften und Rechtswissenschaften zur zielgerichteten Gestaltung und Interpretation unserer Rechtsvorschriften! Hoffentlich ist dies nicht länger nur eine schöne Utopie! Die genaue Ausarbeitung einer vorsorglich zu schaffenden Regelung für eine verbesserte steuerliche Hilfe im Katastrophenfall wäre ein geeignetes Feld für eine solche Zusammenarbeit, da sie ohne Hektik und politische Zwänge erfolgen könnte, wie sie die großen steuerlichen Gesetzgebungsverfahren leider oft bestimmen. Dieses wäre ein geeigneter Schritt zur Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Beratung bei der zielgerechten Gestaltung steuerlicher Vorschriften.
Literaturverzeichnis Freistaat Sachsen (2003): Schadenausgleich und Wiederaufbau im Freistaat Sachsen; Dresden 2003. Hartmann, Winfried (2005): Folgen aus den „Katastrophen“-Erlassen; in: Der Erbschaft-Steuer-Berater, 3. Jg. (2005), S. 308 – 309. Rautenberg, Hans Günter (2004): Ökonomische Aspekte der wechselnden Steuerbegünstigungen für Veräußerungsgewinne nach § 34 EStG; in: Deutsches Steuerrecht, 42. Jg. (2004), S. 1936 – 1940.
___________ 33 34
Vgl. z.B. Rückle in dem Beitrag Siegel et al. (2000). Beiträge des Verfassers sind z.B. Rautenberg (2004) und (2005).
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– (2005): Betriebswirtschaftliche Analysen als Beitrag zur Steuerrechtsinterpretation und -gestaltung; in: Steuertheorie, Steuerpolitik und Steuerpraxis, Festschrift für Peter Bareis zum 65. Geburtstag; Hrsg. Theodor Siegel et al.; Stuttgart 2005, S. 211 – 230. Rückle, Dieter (1983): Normative Theorie der Steuerbilanzpolitik; Wien 1983. Siegel, Theodor / Kirchner, Christian / Elschen, Rainer / Küpper, Hans-Ulrich / Rückle, Dieter (2000): Juristen und Ökonomen: Kooperation oder Mauerbau?; in: Steuer und Wirtschaft, 77. Jg. (2000), S. 257 – 260.
Prüfungsrationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Werk von Dieter Rückle Von Andreas Klein und Tomas Walter
I. Einleitung Ein hervorstechendes Merkmal des Werkes von Dieter Rückle ist seine Vielseitigkeit. Bekannt geworden sind vor allem seine Arbeiten in den Bereichen Bilanzierung, Finanzierung, Investition, Prüfungswesen, Steuern und Versicherungswesen.1 Rückles Arbeiten zeichnen sich durch eine Originalität aus, deren Quellen Kreativität und umfassendes Wissen sind. Das in diesem Beitrag beschriebene, weniger bekannte Projekt, das der Jubilar zusammen mit Gerwald Mandl in den siebziger Jahre an der Hochschule für Welthandel in Wien durchführte, verdeutlicht beide Aspekte.2 Die damalige Ausgangssituation ist auch dem heutigen Leser nur allzu vertraut: Personelle Engpässe an den Hochschulen gefährdeten die Qualität der Lehre. Anfang der siebziger Jahre nahm die Zahl der Studierenden an der Hochschule für Welthandel rapide zu. Zugleich wurden durch Änderungen der Studienordnung Übungen – und damit verbunden auch Prüfungen – in Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre für immer mehr Studierende verpflichtend. Um die Prüfungstätigkeit effizienter zu gestalten, entwickelte Dieter Rückle zusammen mit Gerwald Mandl3 ein System zur computerunterstützten Prüfungsdurchführung. Selbst heute sind außerhalb der IT-Branche rechnerunterstützte Prüfungen im deutschsprachigen Raum nur wenig verbreitet, seinerzeit gehörten sie zu den Vorreitern in einem damals eher futuristisch anmutenden Bereich.
___________ 1 Zu den Einzelnachweisen vgl. das Schriftenverzeichnis des Jubilars in dieser Festschrift. 2 Vgl. hierzu und im folgenden Mandl / Rückle (1971); Mandl / Rückle (1976). 3 Die Verfasser bedanken sich bei Herrn Prof. Dr. Gerwald Mandl für seine hilfreichen Hinweise.
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Das Ziel des Projektes war es, die Prüfungen so effizient wie möglich durchzuführen. Die gewonnene Zeit konnte zur persönlichen Betreuung der Studierenden – eine weitere Stärke von Dieter Rückle – genutzt werden. Dieser Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird das damalige Vorgehen bei der computergestützten Prüfungsdurchführung beschrieben. Es folgen Überlegungen dazu, wie das damalige Prüfungsformat auf Basis der heutigen Informationstechnologie umgesetzt werden könnte und warum trotz der technologischen Entwicklung und der sich ständig verschlechternden Personalsituation solche Systeme heute eine so geringe Verbreitung haben.
II. Die Vorgehensweise von Mandl / Rückle Zum Zeitpunkt ihres hier beschriebenen Projektes waren Gerwald Mandl und Dieter Rückle (im folgenden Mandl / Rückle) Assistenten am Institut für Treuhandwesen der damaligen Hochschule für Welthandel, der heutigen Wirtschaftsuniversität Wien. Die bereits genannte Pflichtübung aus Allgemeiner Betriebswirtschaftslehre bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil behandelte Buchführung und Bilanzierung und war Inhalt einer Klausur. Mandl / Rückle unterteilten den Prüfungsstoff in drei Gruppen: In der ersten Gruppe sollten die Prüfungsteilnehmer Buchungssätze angeben, in der zweiten Gruppe waren die Beträge von abschlussrelevanten Posten zu ermitteln und in der dritten Gruppe wurde über Multiple-Choice-Fragen das Basiswissen der Studierenden zu Fragen der Buchführung geprüft. Das Ziel einer rechnergestützten Auswertung erforderte die Beschränkung auf relativ einfache Aufgabentypen. Das Vorgehen wird im Folgenden näher erläutert.4
1. Aufbau der Prüfung a) Formulierung von Buchungssätzen Um das Vorgehen von Mandl / Rückle aus heutiger Sicht besser einordnen zu können, muss man sich klar machen, dass die damals an der Hochschule für Welthandel zur Verfügung stehenden Rechner im Hinblick auf Rechenleistung sowie verfügbaren Arbeitsspeicher heute bereits von manchem modernen Kaffeevollautomaten in den Schatten gestellt werden. Aus diesem Grund musste der Aufwand für die computergestützte Erfassung und Auswertung möglichst gering gehalten werden. ___________ 4 Dies geschieht zunächst am Beispiel des zuerst installierten Systems „Wien 1“, ausführlich beschrieben in Mandl / Rückle (1971), S. 64 – 67.
Rationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung
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In den Prüfungen hatten die Studierenden ihre Buchungssätze als Zahlensequenz zu kodieren. Zu diesem Zweck wurde ihnen ein Kontenverzeichnis zur Verfügung gestellt, in dem jedem Konto eine eindeutige, willkürlich gewählte zweistellige Zahl zugeordnet war. Der Buchungsbetrag war in eine einstellige Zahl zu konvertieren, indem von dem gerundeten Buchungsbetrag nur die Einerstelle angegeben wurde. Das Vorgehen soll an einem Beispiel erläutert werden. Es soll der Buchungssatz „ordentliche Abschreibungen vom Anlagevermögen an Maschinen 117,43“ gebildet werden. Das Kontenverzeichnis sieht auszugsweise wie folgt aus: 11 Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert 30 Gebäude 27 Maschinen 13 ordentliche Abschreibung vom Anlagevermögen 90 vorzeitige Abschreibung
Die Einerstelle des gerundeten Buchungsbetrages ist die 7. Daher konnte der Buchungssatz wie folgt kodiert werden: 1
3
2
7
7
Besondere Probleme ergaben sich, wenn ein Geschäftsvorfall durch mehrere Buchungssätze beschrieben werden musste. Aus technischen Gründen konnte nicht zugelassen werden, dass die Prüflinge die Buchungssätze in beliebiger Reihenfolge eingaben. Zugleich sollten den Prüflingen jedoch keine zusätzlichen Hinweise zur Lösung gegeben werden. Die nahe liegende Lösung, die Buchungssätze aufsteigend nach den Nummern der Soll-Konten anzugeben, erwies sich als nicht praktikabel. Die entstehenden Probleme sollen anhand eines Beispiels erläutert werden. Angenommen, zu dem obigen Buchungssatz tritt der zusätzliche Buchungssatz „vorzeitige Abschreibung an Gebäude 402,31“. Die korrekte Kodierung wäre
1
3
2
7
7
9
0
3
0
2
gewesen. Falls ein Kandidat statt des Kontos „vorzeitige Abschreibung“ das Konto „Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert“ verwendet hätte, hätte sich die folgende Antwort ergeben:
494
Andreas Klein und Tomas Walter 1
1
3
0
2
1
3
2
7
7
Das falsch gewählte Soll-Konto verändert also die Reihenfolge der Buchungssätze. Im Ergebnis wäre die Antwort von dem Auswertungsprogramm als vollständig falsch gewertet worden, obwohl nur ein Buchungssatz fehlerhaft ist. Die Lösung von Mandl / Rückle bestand darin, dass die Prüflinge die Summen der Soll- und Haben-Konten sowie der Buchungsbeträge angeben mussten. Soweit die Summen der Soll- und Haben-Konten dreistellig wurden, fiel die Hunderterstelle weg. Für das Beispiel ergibt sich 13
27
117,43
90
30
402,31
103
57
519,74
Die richtige Antwort ist also
0
3
5
7
0
Durch die Summation spielt die Reihenfolge der Buchungssätze keine Rolle mehr. Trotz der Aggregation war es möglich, leichte Fehler in einem Buchungssatz zu erkennen. Hätte ein Kandidat bspw. den bereits genannten Fehler gemacht, so hätte sich
11
30
117,43
13
27
402,31
24
57
519,74
ergeben. Der Prüfling hätte also
2
4
5
7
0
Rationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung
495
einzutragen gehabt. Die Summen der Haben-Konten und der Beträge sind korrekt. Es wäre in diesem Fall somit möglich gewesen, Teilpunkte zu vergeben.5 Buchungssätze, die mehrere Soll- oder Haben-Konten ansprechen, musste der Prüfling zerlegen. So wären bspw. statt des Buchungssatzes Ordentl. Abschr. vom Anlageverm.
15.134 an Maschinen 45.263
vorzeitige Abschreibung
30.129
die beiden Buchungssätze „ordentl. Abschr. vom Anlageverm. an Maschinen 15.134“ und „vorzeitige Abschreibung an Maschinen 30.129“
zu bilden gewesen. Da nur numerische Werte abgefragt werden, bestand die nicht unerhebliche Gefahr, dass die Prüflinge Lösungen austauschten. Daher wurde die für alle gleiche Aufgabenstellung durch für jeden Prüfling individuelle Zahlenwerte für Beträge und Kontonummern ergänzt. Dazu erhielten bspw. alle Prüflinge auf hektographiertem Papier die folgende Frage: „Am 30.9.1970 wurde ein „Unbebautes Grundstück“, das am 1.4.1958 um ... (19) angeschafft worden war und mit dem Anschaffungswert zu Buche steht, um ... (20) gegen 6 Monate Ziel an einen Makler verkauft. Führen Sie alle mit dem Verkauf des Grundstücks zusammenhängende Buchungen durch.“6 Zusätzlich wurde jedem Teilnehmer noch ein personalisierter Computerausdruck ausgegeben, der ein Kontenverzeichnis mit individuellen Kontonummern, die hier nur auszugsweise wiedergegeben sind, 33 Sonstige Forderungen 39 Bank 43 Unbebaute Grundstücke 34 Erlöse aus Anlagenverkauf 99 Buchwert verkaufter Anlagen
sowie individuell vorgegebene Beträge (19) 119.829,-, (20) 1.234.171,-
enthielt.
___________ 5 Vgl. hierzu neben Mandl / Rückle (1971), S. 64 f. auch die präzisierenden Ausführungen in Mandl / Rückle (1976), S. 81 f. 6 Mandl / Rückle (1971), S. 69.
496
Andreas Klein und Tomas Walter
b) Abschlusserstellung In der zweiten Gruppe von Aufgaben sind Beträge von abschlussrelevanten Posten zu berechnen. Dazu gehören bspw. Bilanzansätze für selbst erstellte Anlagen, Rückstellungen für Gewerbe- und Körperschaftsteuer und aktienrechtlicher Reingewinn. Die Prüflinge mussten wiederum nur die Einerstelle des gerundeten Betrages angeben. Ein Beispiel soll die Art der Aufgaben erläutern: „Eine Lagerhalle wurde selbst erstellt. Folgende Kosten (= Aufwand = Betriebsausgaben) wurden erfasst: x
Löhne 55.722,-
x
Material 30.873,-
x
Betriebsgemeinkosten 63.001,-
x
Verwaltungsgemeinkosten 31.124,-
x
Vertriebsgemeinkosten 28.112,-
Im Abschlussjahr war das Unternehmen nur mit 60 % seiner Normalbeschäftigung ausgelastet. Ein Drittel der Betriebsgemeinkosten und die gesamten Verwaltungsund Vertriebsgemeinkosten sind beschäftigungsunabhängig. 1. Wie hoch sind die aktivierungsfähigen Betriebsgemeinkosten? 2. Wie hoch sind die aktivierungsfähigen Verwaltungsgemeinkosten? 3. Wie hoch ist der handelsrechtlich zulässige Höchstansatz der Herstellungskosten? 4. Wie groß wäre der handelrechtlich zulässige Höchstansatz, falls Normalauslastung vorläge?“7
c) Kontenklassifikation Bei der dritten Gruppe der Aufgaben mussten die Prüflinge entscheiden, ob es sich bei vorgegebenen Konten um Bestands- oder Erfolgskonten handelt. Es handelt sich also um Multiple-Choice-Aufgaben. Der Vollständigkeit halber sei auch hier ein Beispiel in Anlehnung an Mandl / Rückle angegeben: „Beurteilen Sie bei den folgenden Konten, ob sie in einer Probebilanz in die V + G eingetragen werden
___________ 7
Mandl / Rückle (1971), S. 66 f.
Rationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung JA
497 NEIN
Passive Rechnungsabgrenzung Privat Bestandsveränderungen Transporte durch Dritte Gegebene Anzahlungen Dubiose Forderungen Aktivierte Eigenleistungen Gesetzliche Rücklage Rückstellung für unterlassene Reparaturen
2. EDV-gestützte Auswertung Zur Auswertung wurden die Ergebnisse jedes Kandidaten, seine Matrikelnummer und ein Schlüssel, aus dem sich seine individuellen Zahlenwerte für Kontonummern und Beträge errechnen lassen, auf Lochkarten übertragen.8 Das Auswertungsprogramm überprüfte zunächst für jeden einzelnen Kandidaten die Prüfungszulassung. Im nächsten Schritt wurde die individuelle Punktzahl ermittelt. Dazu wurden für jede Aufgabe die Antworten mit den richtigen Lösungen verglichen und die erreichten Punkte aufsummiert. Aus der erreichten Punktzahl wurde anschließend auf Basis eines Notenschemas die Gesamtnote errechnet. Danach wurde ein Ausdruck mit Name, Matrikelnummer, Note und den Ergebnissen der Teilaufgaben erstellt. Abschließend wurde ein Schein zum Nachweis der absolvierten Veranstaltung ausgedruckt, der nur noch zu unterschreiben war. Nach Bearbeitung aller Klausuren wurde schließlich noch eine Notenstatistik erstellt.
___________ 8
Vgl. hierzu und im Folgenden Mandl / Rückle (1971), S. 71 – 73.
498
Andreas Klein und Tomas Walter
3. Weiterentwicklungen a) Differenzierte Fehleranalyse und Lehrsteuerung Je genauer die Analyse der Fehler in den Antworten ist, desto differenzierter kann die Notengebung erfolgen. Zugleich wird eine präzisere Lernsteuerung möglich. Denn die Bewertung der Antworten des Prüflings liefert zugleich Hinweise auf Bereiche, in denen noch Wissenslücken bestehen. Im Rahmen der Weiterentwicklung ihrer Software gingen Mandl / Rückle deshalb über die reine Prüfungsrationalisierung hinaus, indem sie sich die enge Beziehung zwischen Prüfungskorrektur und Lernsteuerung zu nutze machten.9 Eine Detaillierung der Antwortmöglichkeiten schuf die Basis für die erforderliche verfeinerte Analyse10. Das Kernstück des Systems war ein ದ auch heute noch bemerkenswerter – Algorithmus zur Klassifizierung der Prüfungsantworten. Hierzu wurde zunächst für eine Aufgabe eine sog. „Basislösung“ festgelegt. Bei der Basislösung handelte es sich um die einzige oder die am häufigsten zu erwartende richtige Lösung. Von der Basislösung sind eine ex ante unbestimmte Anzahl von Lösungsvarianten zu unterscheiden. Lösungsvarianten sind entweder neben der Basislösung existierende richtige Lösungen oder (im Normalfall) falsche Lösungen. Falschen Lösungsvarianten wurde ein Text mit Lernhinweisen zugeordnet.11 Während der automatischen Klausurkorrektur wurden nun die Antworten der Prüfungsteilnehmer (im Folgenden als Testlösung bezeichnet) mit der Basislösung und den Lösungsvarianten verglichen. Durch die Verwendung von Lösungsvarianten wurde sichergestellt, dass im Vergleich die Gleichwertigkeit einer Testlösung mit der Basislösung auch dann erkannt wurde, wenn die Reihenfolge der einzelnen Buchungen in Test- und Basislösung voneinander abwich. Das Auswertungsprogramm war ebenfalls in der Lage festzustellen, ob die Testlösung einer Basislösung oder Lösungsvariante „ähnlich“ war (z.B. indem sie sich nur im Sollkonto oder dem Buchungsbetrag unterschied). Sofern die Testlösung als identisch mit einer hinterlegten Lösung erkannt wurde, erhielt der Prüfling einen Computer-Ausdruck mit dem Text, der dieser Lösungsvariante zugeordnet war. War die Testlösung nur ähnlich, so wurde ein ergänzender Hinweis gegeben (z.B. Betrag ist falsch!). Bei der Umsetzung dieses Grundgedankens ergab sich für Mandl / Rückle das Problem, dass einerseits eine größere Anzahl von Lösungsvarianten zu ei___________ 9
Vgl. Mandl / Rückle (1976). So waren nun in einem erweiterten Erfassungsbogen alle Buchungssätze eines abgefragten Geschäftsvorfalls in beliebiger Reihenfolge einzutragen. Vgl. Mandl / Rückle (1976), S. 83. 11 Vgl. Mandl / Rückle (1976), S. 83. 10
Rationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung
499
ner tendenziell besseren Lernsteuerung (und einer differenzierteren Benotung) führt. Andererseits war die Generierung der verschiedenen Lösungsvarianten mit erheblichem Aufwand verbunden. Um diesen Arbeitsaufwand möglichst gering zu halten wählten Mandl / Rückle die äußerst elegante Lösung, zuerst die tatsächlich vorkommenden Lösungsvarianten zu sammeln und diese – soweit neu – in einem Zwischenschritt zu kommentieren. Dazu wurden zunächst die Testlösungen aller Studierenden mit der Basislösung verglichen. Wich die Testlösung eines Prüflings von der Basislösung und allen bis dato untersuchten Testlösungen ab, so wurde sie gespeichert. Nach Abschluss des Vergleichs wurden alle gespeicherten Testlösungen nach Item-Nummern geordnet und unter Angabe ihrer Häufigkeit ausgedruckt. Dieser Ausdruck half den Korrektoren gleich in doppelter Hinsicht bei der Erstellung von Lernhinweisen. Zum einen mussten sie nur für die Lösungsvarianten Texte hinterlegen, die tatsächlich vorkamen. Ein zeitraubendes Konstruieren von möglichen Fehlern entfiel. Zum anderen bestand die Möglichkeit sich – je nach verfügbarer Zeit – auch einmal auf die häufigsten Lösungsvarianten zu beschränken.12
b) Vollautomatische Erstellung individueller Klausuren Um dem Problem des „Mogelns“ Herr zu werden strebten Mandl / Rückle die Generierung vollständig individueller Klausuren an. Das von ihnen damals entwickelte Konzept ist sehr weit reichend und aus heutiger Sicht verblüffend aktuell, auch wenn seine vollständige Umsetzung an den damaligen technischen Möglichkeiten scheiterte. Die Beschreibung soll deshalb an dieser Stelle in Auszügen wörtlich wiedergegeben werden: „Das gesamte Stoffgebiet wird in standardisierte Einzelaufgaben zerlegt. Für die Lösungsalgorithmen der Einzelaufgaben werden Unterprogramme geschrieben. Damit kann die Einschränkung auf Aufgaben entfallen, deren Lösungsvektoren lineare homogene Funktionen der Variablen sind. Ebenso werden für den Ausdruck der Texte Unterprogramme geschrieben. Die Erstellung einer Prüfungsarbeit für einen Kandidaten erfolgt durch Auswahl der gewünschten Anzahl von Einzelaufgaben aus den gespeicherten Einzelaufgaben mittels eines Zufallsgenerators. Die Einteilung der gespeicherten Einzelaufgaben in Schwierigkeitsklassen ist zweckmäßig, weil die Anzahl der Einzelaufgaben, die bei einer Prüfung gegeben werden, im allgemeinen nicht so gross ist, dass man ohne diese Klasseneinteilung mit ausreichender Sicherheit eine Gleichschwierigkeit der den einzelnen Studenten gestellten Prüfungsaufgaben erwarten könnte. Die gespeicherten Testprogramme für die Einzelaufgaben enthalten Formalparameter, für die aktuelle Werte gefunden werden müssen; es ist arbeitssparend, auch dafür wieder einen Zufallsgenerator zu verwenden.“13
___________ 12 13
Vgl. Mandl / Rückle (1976), S. 90. Mandl / Rückle (1976), S. 94.
500
Andreas Klein und Tomas Walter
4. Praktische Erfahrungen Das Verfahren wurde von den Studierenden gut angenommen. Positiv waren aus ihrer Sicht die Objektivität der Bewertung und die Hinweise zu gemachten Fehlern. Durch sie konnte auch der Aufwand für die Einsicht drastisch reduziert werden. Als neuralgischer Punkt stellte sich die elektronische Erfassung heraus. Da Lochkartenschreiber zu teuer waren, mussten die Ergebnisse der Kandidaten – bei bis zu 600 Teilnehmern pro Klausur – von Hand gelocht werden. An einem anderen Institut der Hochschule für Welthandel wurde der Versuch unternommen, die Kandidaten direkt während der Prüfung maschinenlesbare Belege ausfüllen zu lassen.14 Dies scheiterte allerdings an der hohen Fehlerquote beim Einlesen der Belege, die in vielen Fällen eine manuelle Nachbearbeitung notwendig machte. Selbst der Ausdruck der individuellen Aufgabenstellungen stellte angesichts der damals verfügbaren Drucker ein Problem dar. Letztlich führte der hohe Erfassungsaufwand dazu, dass das System nur einige Jahre zur Anwendung kam.
III. Umsetzungsmöglichkeiten aus heutiger Sicht Das gesamte Vorgehen von Mandl / Rückle wurde – wie schon erwähnt – stark durch die damaligen Möglichkeiten der vorhandenen Datenverarbeitungssysteme bestimmt. Im Folgenden soll nun überlegt werden, welche Möglichkeiten der heutige Stand der elektronischen Datenverarbeitung zur Unterstützung der heute mehr denn je notwendigen Prüfungsrationalisierung bietet. Die Darstellung erfolgt aus der Sicht des Anwenders mit betriebswirtschaftlichen Hintergrund und trägt, schon um den hier vorgegebenen Rahmen nicht zu sprengen, technischen Aspekten nur ansatzweise Rechnung.
1. Unterstützung des Klausurerstellungsprozesses Als Mandl / Rückle ihr Konzept entwickelten standen noch keine modernen, dialogorientierten Datenbank-Management-Systeme zur Verfügung. Das von ihnen realisierte System erforderte noch viel „Handarbeit“ und war ohne Programmierkenntnisse nicht zu betreiben. Die heute verfügbaren DatenbankManagement-Systeme, versehen mit grafischen Benutzeroberflächen, bieten hier inzwischen völlig andere Möglichkeiten. Zu ihrem Betrieb sind weder be___________ 14 Es handelte sich hierbei um das Institut für Soziologie. Vgl. Mandl / Rückle (1971), S. 63.
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501
sondere Programmierungskenntnisse erforderlich noch bedarf es vertiefter Einsichten in die Logik der Programme. Sind die Systeme erst einmal installiert und grundlegend parametrisiert, erfordert ihre Anwendung neben spezifischem Fachwissen im Hinblick auf die jeweilige Fragestellung und einer klaren Zielvorstellung in der Regel ausschließlich gute PC-Kenntnisse. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich als zentrale Komponente einer Prüfungssoftware eine erweiterbare, elektronische Klausurdatenbank mit leichtem Zugriff auf im jeweiligen Fall geeignete Klausuraufgaben und ihrer Lösungen. Eine Klausurdatenbank kann prinzipiell wie eine Sammlung von Textbausteinen aufgebaut werden. Die einzelnen Aufgaben sind entsprechend Themengebiet, Veranstaltung und ggf. weiterer Kriterien zu indizieren. Die Datenbank sollte für den Benutzer möglichst einfach editier- und erweiterbar sein. Mit der Zeit entstünde ein Fundus an einheitlich erfassten Klausuraufgaben mit effizienter Zugriffsmöglichkeit. Sinnvolle Ergänzungen wären zusätzliche Felder pro Aufgabe für Kommentare bzw. Lösungshinweise und Angaben, ob und wann die Aufgabe bereits schon einmal gewählt wurde. Werden die in der Datenbank abgelegten Klausuraufgaben direkt entsprechend einem einheitlichen an der vorgesehenen Bearbeitungszeit der Einzelaufgabe orientierten Punkteschema bewertet, wäre es leicht möglich, Klausuren je nach Bedarf entsprechend der in der geltenden Studien- und Prüfungsordnung vorgesehenen Gesamtbearbeitungszeiten zusammenzustellen. Ergänzend sollte die Software – soweit eine Tischvorlage für die anschließende Prüfung vorzusehen ist15 – automatisch ein durch den Bearbeiter vorzugebendes Deckblatt erzeugen. Sollen individuelle Einzelklausuren erstellt werden, bieten sich – neben einer reinen Variation der Reihenfolge der Aufgaben16 – die von Mandl / Rückle bereits beschriebenen Möglichkeiten an: x
Bei Aufgaben mit numerischen Werten können diese durch die Software entsprechend Vorgabe variiert werden. Dazu müssten in der Klausurdatenbank an den entsprechenden Stellen in den Aufgaben Felder hinterlegt werden können. Dabei ist es aus heutiger Sicht als selbstverständlich anzusehen, dass die Eingabe derartiger Felder durch den Anwender erfolgen und dieser auch die Ausprägung des Merkmalsraums (diskret oder stetig, ggf. mit Grenzen) bzw. einen Algorithmus vorgeben kann.
x
Sollen vollständig individuelle Klausuren realisiert werden, ist es erforderlich, in der Datenbank Aufgabenklassen mit gleichen Themen und ___________ 15 In dem in Abschnitt III.2.c) diskutierten Fall einer rechnergestützten Durchführung der Prüfung wäre dieser Schritt nicht erforderlich. 16 So bspw. realisiert in den webbasierten Prüfungen des Cisco Networking Academy Program (s.a. http://www.cisco.com/web/learning/netacad/, Download 02.02.2006).
502
Andreas Klein und Tomas Walter
Schwierigkeitsgrad zu bilden. Eine Beurteilung der Schwierigkeit könnte in Abhängigkeit von der Bearbeitungszeit oder über die Einführung eines geeigneten Schwierigkeitsmaßes erfolgen. Im ersten Fall wird unterstellt, dass die Bearbeitungszeit mit der Schwierigkeit der Aufgabe steigt, so dass Aufgaben mit längerer Bearbeitungszeit mit mehr Punkten zu bewerten sind. Im zweiten Fall wird die Punktezahl entsprechend der manuellen Bearbeitungszeit vergeben und mit einem weiteren Maß versucht, die eigentliche Schwierigkeit der Aufgabe zu erfassen. Dazu könnte bspw. die Anzahl der Kandidaten, die diese Aufgabe bisher erfolgreich bearbeitet haben, in Relation zu allen bisherigen Bearbeitern gesetzt werden und auf dieser Basis eine Einordnung in Schwierigkeitsklassen erfolgen. Das setzt allerdings voraus, dass die Aufgabe bereits in früheren Klausuren verwendet wurde; die notwendige Statistik könnte in diesem Fall über die Prüfungsauswertungssoftware erzeugt werden. Der Prüfer muss nun nur noch Themenbereich, Aufgabentyp, Zeit und ggf. Schwierigkeitsgrad festlegen und kann es dann der Software überlassen, individuelle Klausuren zu erstellen. Sollen die Prüfungen direkt am PC durchgeführt werden, sind eine komplette Erfassung der Prüfungsteilnehmer sowie eine Zuordnung von User-IDs und Passwörtern erforderlich.17 Für eine diesbezüglich effiziente Prüfungsabwicklung wäre eine Schnittstelle zur Datenbank des Prüfungsamts oder zumindest die Möglichkeit eines listengestützten Daten-Uploads zu realisieren. Aber auch bei klassischen Klausuren auf Papier böte die Schnittstelle Vorteile: So wäre es leicht möglich personalisierte Klausuren bzw. Deckblätter auszudrucken.18 Bei bekannten Räumlichkeiten (Anzahl Sitzreihen und Arbeitsplätze pro Reihe) könnte zusätzlich ein Sitzplan erzeugt werden. Der meist als lästig empfundene Aufwand für die Prüfungsorganisation würde damit auf ein Mindestmaß reduziert. Somit lässt sich konstatieren, dass durch die Einführung eines solchen Systems selbst bei Verzicht auf alle im Folgenden noch zu diskutierenden Funktionalitäten bereits ein nicht unerheblicher Fortschritt erzielt wäre, da auf diese Weise x
eine Beschleunigung der Klausurerstellung und Entlastung der Prüfer erzielt würde,
___________ 17 Da Studierende heute üblicherweise bereits mit der Immatrikulation auch mit einem Zugang zum Hochschul-Netzwerk ausgestattet werden, bietet es sich natürlich an, diesen zu nutzen. Technisch lässt sich dies relativ leicht realisieren. Wieder sei hier auf die bereits erwähnten Cisco-Prüfungen verwiesen (FN 16). 18 Alternativ müssten ansonsten Name bzw. Matrikelnummer der Prüfungsteilnehmer nachträglich zusammen mit den Prüfungsergebnissen erfasst werden.
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x
insbesondere bei wechselnden Fachprüfern die Einhaltung eines einheitlichen Schwierigkeitsniveaus wirksam unterstützt werden könnte,
x
ein einheitliches Design für alle Klausuren sichergestellt würde,
x
je nach Organisation der Prüfungsprozesse auch im Prüfungsamt oder in den jeweiligen Sekretariaten nicht unerhebliche Entlastungen erzielt werden könnten
x
und eine zuverlässige Archivierung der Klausuren ermöglicht würde.
2. Technische Erfassung der Prüfungsleistungen a) PC-gestützte Erfassung der Prüfungsleistungen Anfang der siebziger Jahre mussten die Klausurteilnehmer zunächst Prüfungsbögen ausfüllen, deren Inhalt anschließend mühsam über Lochkarten erfasst und eingelesen wurde. Die heute übliche allgemeine Verfügbarkeit von Rechnern schafft die Möglichkeit, diesen Medienbruch zu vermeiden. Im Rahmen einer rechnergestützten Prüfung können Prüfungsteilnehmer sämtliche Aufgaben direkt am PC bearbeiten. Moderne, komfortable Benutzeroberflächen und der alltägliche, selbstverständliche Umgang der meisten Studierenden mit Informationstechnologie können in ausreichendem Maß gewährleisten, dass den Prüfungsteilnehmern durch computergestützte Klausuren kein zusätzlicher Prüfungsstress entsteht.19 Gerade im Fach Buchführung ließe sich das für den Prüfer Angenehme – die elektronische Erfassung der Prüfungsleistung – mit dem für die Teilnehmer Nützlichen – einer direkten Praxisorientierung – ideal verbinden: Während ihrer Prüfung könnte den Kandidaten die – ggf. vereinfachte – Anwendungsumgebung des Buchhaltungsmoduls einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware zur Verfügung gestellt werden, in der sie unter realistischen Bedingungen vorgegebene Buchhaltungsaufgaben zu lösen hätten. Die Teilnehmer der Prüfung erhielten in diesem Fall ein Aufgabenblatt, auf welchen verbal Arbeitsanweisungen bzw. Geschäftsvorfälle beschrieben sind, die dann analog zum Vorgehen in der Praxis am Rechner zu erfassen wären. Noch realistischer wäre es, bspw. bei der Erfassung von eingehenden Rechnungen mehr oder weniger vollständige fingierte Unterlagen mitzuliefern. ___________ 19 Dies bestätigen auch konkrete mehrjährige Erfahrungen eines der Verfasser mit schreib- bzw. sehbehinderten Studierenden an der Fachhochschule Heidelberg, die ihre ansonsten gegenüber den übrigen Teilnehmern identischen Klausuren unter Verwendung eines Notebook-Computers mit dem Software-Paket Microsoft Office bearbeiten dürfen.
504
Andreas Klein und Tomas Walter
Gegen dieses Vorgehen ließe sich einwenden, dass die für die Auseinandersetzung mit IT-Systemen erforderliche Zeit zu Lasten anderer Inhalte gehen würde. Dem ist entgegen zu halten, dass nach Ansicht der Verfasser nicht zuletzt in Folge des Bologna-Prozesses ein immer stärkerer Druck in Richtung der Vermittlung direkt einsetzbarer Fähigkeiten entsteht. Dies wird auch durch die Einführung berufsqualifizierender Bachelor- und Master-Studiengänge dokumentiert.20 Aber auch wenn man nicht so weit gehen möchte, stehen inzwischen zweifelsohne weitgehende Möglichkeiten für eine komfortable Erfassung von Prüfungsleistungen am PC zur Verfügung. Soweit die Korrektur der Prüfung nicht von vornherein vollständig automatisiert ablaufen soll, ist auch die Eingabe von Texten kein Problem. Viele Studierende können heute mindestens so schnell auf der Tastatur wie mit der Hand schreiben. Grundsätzlich abzuraten ist demgegenüber von der rechnergestützten Erfassung von Grafiken. Im Vergleich zum klassischen Vorgehen wäre hierfür nicht nur ein erheblich größerer Zeitaufwand vorzusehen, zusätzlich wäre auch nicht zwangsläufig vorhandenes Bedienungs-Know-how vorauszusetzen.21 Neben Vorteilen bringt die rechnergestützte Prüfung jedoch auch eine ganze Reihe neuer Probleme mit sich. Im Folgenden sollen drei herausgegriffen werden: x
Jeder PC-Benutzer dürfte sich schon einmal über einen Systemabsturz geärgert haben. Bei einer computergestützten Prüfung wären möglicherweise hunderte Personen betroffen, so dass sehr hohe Ansprüche an das fehlerfreie Funktionieren von Hard- und Software zu stellen sind. Kommt es dennoch zu einem Absturz22, so muss die Software dafür Sorge tragen, dass alle bis zu diesem Zeitpunkt von den Prüfungsteilnehmern vorgenommenen Eingaben verlustsicher erfasst wurden. Die wahrscheinlich beste Lösung stellt hier eine zentrale Speicherung der Daten auf einem separaten Rechner im Rahmen einer Client-ServerLösung dar. Systemabstürze des Clients führen in diesem Fall bei geeignet programmierter Software nur zum Verlust der Daten aus der aktuellen Routine. Noch größere Eignung für die Prüfungsabwicklung besitzen so genannte Terminalemulationen. Der Client dient dabei ausschließlich als Eingabe/Ausgabe-Medium (Tastatur und Maus bzw.
___________ 20
Vgl. Hochschulrektorenkonferenz (2005), S. 22, sowie passim. Der Einwand würde bei entsprechender Ausstattung der jeweiligen PCs beispielsweise mit Grafiktabletts entfallen. Diese zählen jedoch nicht zur typischen Standardausstattung von PC-Poolräumen. 22 Dies schließt insbesondere den Fall ein, dass ein Prüfungsteilnehmer vorsätzlich seinen Rechner zum Absturz bringt, um auf diese Weise einen Prüfungsabbruch herbeizuführen. 21
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Bildschirm), während sämtliche Verarbeitungsprozesse auf dem Server ablaufen. Im Falle eines vorübergehenden Ausfalls des Clients kann nach Wiederherstellung der Verbindung zum Server die dort noch aktive „Sitzung“ wieder aufgenommen und nahtlos weitergearbeitet werden. Dies schützt natürlich nicht vor Systemabstürzen des Servers, die jedoch sehr viel seltener zu befürchten sind. x
Der technische Fortschritt eröffnet ganz neue Möglichkeiten zum „Schummeln“. Hier seien zwei Punkte beispielhaft genannt: – Üblicherweise sind die in Pool-Räumen von Hochschulen zur Verfügung stehenden PCs untereinander und mit der Außenwelt vernetzt. – Zur Standardausstattung derartiger PCs zählen Einrichtungen zum Lesen externer Speichermedien wie CD-ROMs, USB-Sticks etc.
Die Rechner wären deshalb so zu konfigurieren, dass der Im- und Export von Daten jederzeit zuverlässig unterbunden werden kann. Fraglos handelt es sich hierbei um ein nicht triviales Problem, das je nach vorhandener Hardware unterschiedlich anzugehen ist. x
Vor dem Hintergrund möglicher prüfungsrechtlicher Auseinandersetzungen stellt die Dokumentation der Prüfungsleistung ein weiteres nicht unerhebliches Problem dar. Die nahe liegende Lösung, den Prüfling einen Ausdruck seiner Eingaben unterschreiben zu lassen, würde wahrscheinlich bereits an fehlenden Druckerkapazitäten scheitern. Die bessere Möglichkeit wäre die Protokollierung aller Eingaben während der Prüfung durch eine von geeigneter Stelle zertifizierte Software. Hier könnten sich allerdings die mit der Zertifizierungen verbundenen Kosten insbesondere für Individualprogrammierungen als Hindernis erweisen.
b) Papiergestützte Erfassung der Prüfungsleistungen Als klassische Alternative zur direkten Durchführung der Prüfung am PC bleibt die Klausur auf Papier. Aufgrund der heute vorhandenen leistungsfähigen Schnelldrucker ist es auch im Fall von mehr als 1.000 Prüfungsteilnehmern kein Problem mehr, für alle Kandidaten rechnergestützt erstellte individuelle Klausuren zu erzeugen, die vorsortiert und geheftet ausgedruckt werden können. Während der Klausurbearbeitung hätten die Prüfungsteilnehmer ihre Lösungen – ähnlich wie schon bei Mandl / Rückle – auf dem Klausurpapier in entsprechende Antwortfelder einzutragen. Um den Aufwand zur Erfassung zu begrenzen, erschien es seinerzeit sinnvoll, die Prüfungsteilnehmer ihre Antworten kodieren zu lassen, z.B. indem sie die Summe mehrerer Zahlen bildeten und
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Andreas Klein und Tomas Walter
anschließend die erste Nachkommastelle in ihr Prüfungsblatt eintrugen. Neben der einzuplanenden Zeit zur Kodierung (die zu Lasten des abprüfbaren Stoffumfangs ging), litt darunter auch die Validität, da das Abschneiden unter anderem davon abhing, ob der Kandidat in der Lage war, einfache Additionen in möglichst kurzer Zeit korrekt durchzuführen. Angesichts der heute verfügbaren automatischen Scanner und Schrifterkennungssysteme wird sich in vielen Fällen eine manuelle elektronische Erfassung der Antworten wie bei Mandl / Rückle vermeiden lassen. Zugleich wären bei den Antwortformaten sicherlich weniger Zugeständnisse an die Erfassbarkeit notwendig. Bei geeigneter Gestaltung der Klausurblätter (maschinenlesbare Markierung der Blätter und Antwortfelder) sollten Antworten, die ausschließlich aus Zahlen bestehen (wie Buchungssätze) kein Problem darstellen. Automatische Scanner und Schrifterkennungen sind inzwischen aber auch in der Lage, handschriftliche Notizen zu erfassen wie das Beispiel der so genannten Tablett-PCs zeigt. Eine entsprechend programmierte Software wäre somit dazu geeignet, auch ganze Antworttexte in ein maschinenlesbares Format zu verwandeln. Die diesbezüglichen Möglichkeiten sollten dennoch nicht überbewertet werden, da trotz der gewaltigen technischen Fortschritte auf diesem Gebiet die Leseleistung automatischer Systeme stark mit der Qualität der Vorlage, sprich der Klarheit und Lesbarkeit der jeweiligen Schrift, schwankt. Erfahrungen mit den von Prüfungsteilnehmern unter Stress und Zeitdruck abgelieferten Schriften bestätigen die Erfahrungen von Mandl / Rückle23 und lassen daran zweifeln, dass, insbesondere bei Texten, für den Großteil der zu erfassenden Klausuren wirklich automatisierte Abläufe ohne umfangreiche manuelle Nachbearbeitungen zu realisieren sind. Somit bleibt zu konstatieren, dass sich das wesentliche Problem der Schrifterkennung auch heute noch immer nicht befriedigend lösen lässt.
3. Auswertung der Prüfungsleistungen und Übermittlung der Ergebnisse Bei der rechnerunterstützten Korrektur und Bewertung von Klausuren sind unterschiedliche Grade der Automatisierung denkbar. Technisch am wenigstens anspruchsvoll ist es, wenn Korrektur und Bewertung der auf Papier vorliegenden oder am PC erfassten Antworten ausschließlich manuell erfolgen. Der Prüfer könnte Korrekturhinweise und vergebene Punkte in entsprechende Bildschirmmasken eingeben. Der jederzeitige Zugriff auf Punkte und Korrekturhinweisen zu einzelnen Aufgaben und Klausuren würde die Arbeit bereits wesentlich erleichtern. Es wäre bspw. möglich, die Antworten automatisch nach ___________ 23
Vgl. Mandl / Rückle (1976), S. 95.
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den vergebenen Punkten zu sortieren. Durch den schnellen Zugriff auf gleich bewertete Antworten könnte der Prüfer auf einfache Weise die Konsistenz der Benotung überprüfen. Ein System zur halb- oder vollautomatischen Korrektur stellt demgegenüber technisch wesentlich höhere Ansprüche. Es setzt die komplette Erfassung der betreffenden Antworten voraus. Mit steigendem Anspruch der Aufgaben erhöhen sich meist auch die Komplexität der Antworten und damit der Aufwand für eine automatische Korrektur und Bewertung. Dies gilt insbesondere, wenn neben dem Ergebnis auch Lösungswege in die Beurteilung einbezogen werden sollen. In Hinblick auf das Antwortformat lassen sich grob zwei Aufgabentypen unterscheiden: x
Aufgaben mit eingeschränktem Antwortformat,
x
Aufgabentypen mit offenem Antwortformat.
Technisch am wenigsten anspruchsvoll sind Multiple-Choice-Aufgaben. Aufgrund der binären Antwortvorgabe ist die Erfassung einfach, Lösungswege spielen keine Rolle. Diesen technischen Vorzügen stehen jedoch die hinlänglich bekannten Einschränkungen gegenüber.24 Falls nur die Lösung bewertet werden soll, sind Aufgaben, die einen oder mehrere (alpha-)numerische Werte als Antwort verlangen, nur unwesentlich schwerer zu korrigieren und zu bewerten. Zu diesem Aufgabentyp lässt sich auch das Formulieren von Buchungssätzen zählen. Werden derartige Aufgaben durch Variation numerischer Werte individualisiert, muss der Prüfer eine Berechnungsvorschrift für die Lösung definieren. Erfahrungen aus dem Bereich der Business Intelligence zeigen, dass dies inzwischen durchaus auch von Anwendern ohne Programmierungskenntnisse realisiert werden kann.25 Die Problemstellung verkompliziert sich nachhaltig, wenn Lösungen nicht nur auf richtig oder falsch, sondern auch auf Teilrichtigkeit hin korrigiert werden sollen. Dem höheren Aufwand stehen allerdings eine gerechtere Leistungsmessung und eine genauere Lernsteuerung gegenüber. Für ihre Buchführungsaufgaben entwickelten und implementierten Mandl / Rückle einen immer noch aktuellen halbautomatischen Lösungsansatz. Bei einer heutigen Umsetzung kann die Bedienung aufgrund des technischen Fortschritts wesentlich vereinfacht werden: Die Antworten der Prüfungsteilnehmer würden dazu zunächst ___________ 24 So verweisen bereits Mandl / Rückle (1971), S. 63 sowie (1976), S. 79 darauf, dass „das Erkennen und das Selbstfinden einer richtigen Lösung zweierlei sind.“ 25 Dies setzt natürlich die Programmierung einer entsprechenden Anwendungsoberfläche voraus. Was in diesem Bereich heute möglich ist, zeigen Planungssimulationen wie SAP SEM BPS. Durch die Nutzung von grafisch unterstützten Editoren lassen sich Formeln wie bspw. für Kapitalwert- oder Rentenbarwertberechnungen leicht hinterlegen. Durch die Einbindung von Microsoft Excel (Excel Inplace) in die Bedieneroberfläche können darüber hinaus auch betriebwirtschaftliche Modelle abgebildet werden.
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Andreas Klein und Tomas Walter
in einem halbautomatischen Prozess sortiert und zu Klassen (Lösungsvarianten) zusammengefasst. Für bereits bekannte Lösungsvarianten kann vollautomatisch die Bewertung und Kommentierung erfolgen. Nur bei den Antworten, die nicht mit einer Lösungsvariante übereinstimmen, ist eine manuelle Nachkorrektur erforderlich. Damit mehr Antworten bei der automatischen Korrektur erfasst werden, kann der Prüfer auch abstraktere Antwortvarianten definieren. So ist es bspw. denkbar, dass viele Kandidaten bei der Formulierung eines Buchungssatzes zwar die richtigen Konten angesprochen haben, die Buchungsbeträge aber weit streuen. Der Prüfer könnte unter Verwendung von Operatoren wie „ist gleich“ und „ist verschieden von“ eine entsprechende Lösungsvariante definieren und Teilpunkte vergeben. Standardfächer wie die Buchführung böten hierbei eine zusätzliche Option: Statt es ausschließlich dem Nutzer zu überlassen, eigene Klausurfragenbestände aufzubauen, wäre es nahe liegend, editierbaren fachspezifischen „Examination Content“ zusammen mit der Software anzubieten. Über das bisher besprochene Maß weit hinaus gehende Umsetzungsschwierigkeiten ergeben sich, wenn neben der Lösung auch der Lösungsweg mit in die Bewertung einbezogen werden soll. Nur zwei seien hier aufgegriffen: Damit der Lösungsweg mit vertretbarem Aufwand nachvollzogen werden kann, wäre eine Erfassungsstruktur vorzugeben. Gerade dies gilt es jedoch zu vermeiden, wenn man nicht mehr oder weniger unfreiwillig Lösungshinweise geben will. Aber auch aus vorangehenden Fehlern resultierende Folgefehler wären jeweils zu neutralisieren. Dies stellt schon für den menschlichen Prüfer einen nicht unerheblicher Aufwand dar. Für automatische Korrektursysteme jedoch kann dies jedoch zu einer nur äußerst schwer bzw. gar nicht zu überwindenden Hürde werden. Ähnliches ist für Aufgaben mit offenem Antwortformat zu konstatieren. Eine vollautomatische Korrektur ist hier bis auf weiteres kaum zu erwarten. Doch selbst wenn nur Teile von Klausuren vollautomatisch bearbeitet werden können und offene Antwortformate weiterhin manuell korrigiert werden müssten, wäre dies bereits ein entscheidender Fortschritt. Zumindest soweit es gelingt, bei ausgewogener Benotung die Korrekturzeiten insgesamt signifikant zu reduzieren. Ist die Bewertung der Einzelaufgaben abgeschlossen, können die Noten der Teilnehmer ermittelt werden. In diesem Bereich hat der technische Fortschritt nur wenige neue Möglichkeiten geschaffen. Ein Beispiel ist die nachträgliche Festlegung eines Notenschemas. Der Prüfer kann bestimmte Vorgaben haben (z.B. Durchschnittsnote oder Normal-Verteilung der Noten26). Durch Variation einzelner Parameter des Bewertungsschemas kann er versuchen, schrittweise ___________ 26
Dieses Vorgehen ist aktuell insbesondere in den USA zu finden.
Rationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung
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das gewünschte Schema zu erreichen. Im Gegensatz zu dem Stand der Technik vor 30 Jahren ist dies heute im direkten Bildschirmdialog möglich. Außerdem können graphische Darstellungen der Notenverteilung die Aufgabe erleichtern. Liegen die Klausurnoten vor, besteht wie schon seinerzeit die Möglichkeit, neben dem Erfolgsnachweis, ggf. in Form eines Scheins, automatisch für jeden Klausurteilnehmer individuelle Auswertungen der Klausur mit gezielten Hinweisen zur Lernsteuerung zu erzeugen. Ergebnisse und Auswertung ließen sich durch Rückgriff auf die Stammdaten der Studierenden automatisch per E-Mail leicht verteilen. Damit könnte die sonst übliche Klausureinsicht auf die Klärung von Unstimmigkeiten reduziert werden. Gleichzeitig wäre eine Notenliste zu erzeugen und mittels Datenschnittstelle an das Prüfungsamtssystem zu übertragen. So wären Übertragungsfehler durch einen Medienbruch ausgeschlossen.
IV. Ursachen der geringen Verbreitung In Abschnitt III wurde deutlich, dass immer noch erhebliche technische Hindernisse für den Betrieb automatischer Prüfungssysteme an Hochschulen bestehen. Das kann allerdings nicht erklären, wieso diese Systeme in der deutschen Hochschulpraxis kaum vorzufinden sind während sie bspw. an USamerikanischen und australischen Hochschulen27 bereits relativ häufig eingesetzt werden. Ein Grund kann darin liegen, dass EDV-gestützte Prüfungsformate in Deutschland häufig als einer Hochschulausbildung nicht adäquat angesehen werden. Dies wird nicht zuletzt damit begründet, dass derartige Systeme – wie auch in Abschnitt III.3. erörtert – eine nur eingeschränkte Eignung für komplexere Aufgabenformate besitzen. Nur ihre erfolgreiche Bearbeitung dokumentiere aber den Erwerb der an Hochschulen zu vermittelnden Kenntnisse. Auch wenn man sich dieser Meinung, was Examensklausuren bzw. die Prüfungsleistungen im Hauptstudium betrifft, anschließen mag, so ist immer noch die Frage zu stellen, ob nicht zumindest im Grundstudium Klausuren EDVgestützt durchgeführt werden können. So zeigte denn auch eine durch die Verfasser stichprobenartig durchgeführte Analyse von Klausuren im Grundstudium an der Universität Trier und der Fachhochschule Heidelberg, dass in vielen Fällen Inhalte abgeprüft werden, die sich auch mit Hilfe computer-gestützter Verfahren erheben ließen.28 Dies gilt insbesondere dann, wenn man akzeptiert, dass ___________ 27
Webbasierte Prüfungen werden bspw. an der University of Missouri St. Louis und der Temple University, Pennsylvania (vgl. hierzu Blackboard (2006)) sowie an der australischen Monash University (www.monash.edu.au, Download 02.02.2006) durchgeführt. 28 Für eingeschriebene Studierende sowie Mitarbeiter der Universität Trier werden Klausuren unter http://unidotcom.uni-trier.de/, Download 02.02.2006, zur Verfügung
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Andreas Klein und Tomas Walter
nicht die gesamte Klausur, sondern nur entsprechend geeignete Teile durch automatische Verfahren korrigiert werden. In diesem Fall können auch eher stark strukturierte Frageformate mit rechnerischen Lösungswegen und offene Frageformate kombiniert werden.29 Neben didaktischen Bedenken bestehen auch personell-organisatorische Hürden: An vielen Hochschulen ist die Organisation von Prüfungen an den akademischen „Mittelbau“ delegiert. Meist handelt es hierbei um wissenschaftliche Mitarbeitern bzw. Assistenten mit zeitlich eng begrenzten Arbeitsverträgen. Die Bedienung eines eher komplexen Systems müsste somit immer wieder neu erlernt werden. Daneben sind die Anreize für eine Einführung aus Sicht des Mitarbeiters begrenzt, da er nicht unerhebliche Arbeit bei der Implementierung zu leisten hätte, vom verringerten Aufwand in der Zukunft allerdings nur begrenzt profitieren würde. Eine weitere Hürde stellen die nicht unerheblichen Kosten für die Anschaffung und mehr noch den laufenden Betrieb eines solchen Systems dar. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die erforderlichen personellen Kapazitäten. Erfahrungen der Verfasser mit server-client-basierten Datenbanksystemen an der Universität Trier belegen, dass derartige Systeme nur sinnvoll betrieben werden können, wenn hierfür eingearbeitete Mitarbeiter in der IT zur Verfügung stehen. Dies gilt umso mehr bei Systemen zur Prüfungsunterstützung, da die Systemsicherheit – im Hinblick auf technische Ausfälle aber auch im Hinblick auf Einbruchsversuche – höchsten Stellenwert besitzt. Einzelne Lehrstühle sind kaum in der Lage, diesen Aufwand zu tragen; es bedarf dazu des Zusammenwirkens ganzer Fakultäten bzw. der gesamten Hochschule sowie des beteiligten Prüfungsamts. Auch für potenzielle Anbieter derartiger Systeme ergeben sich Hindernisse: Hier ist neben der chronischen Finanzknappheit ihrer potentiellen Kunden vor allem das Fehlen einheitlicher Prüfungsstandards zu nennen. Auf ihrer Basis könnten standardisierte Lösungen angeboten werden. Dies erschwert das Angebot standardisierter Lösungen. Einen gangbaren Weg zeigen hier die Anbieter von ERP-Systemen auf: Sie geben dem Benutzer die Möglichkeit, die Software durch die Wahl von Parametern an seine individuellen Bedürfnisse anpassen. Bei Systemen zur Prüfungsunterstützung könnte dies bspw. in Form von einfach zu bedienenden Programmoberflächen geschehen, mit denen eigene Prüfungsabläufe definiert werden können.
___________ gestellt. Einen ähnlichen Service bietet die Fachhochschule Heidelberg für das Fach Betriebswirtschaftslehre unter http://www.bwlarchiv.de/, Download 02.02.2006. 29 Dies setzt, wie in Abschnitt III.2. diskutiert, eine Erfassung der Klausuren am PC voraus.
Rationalisierung durch Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung
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V. Schlussbetrachtungen Mandl / Rückle haben die damals noch neuen technischen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung aufgegriffen und versucht, sie für ihren Arbeitsbereich einzusetzen. Dazu war, weit mehr noch als heute, eine intensive Auseinandersetzung mit Soft- und Hardware erforderlich. Die notwendigen technischen Fähigkeiten ergänzten sie durch pädagogischen Sachverstand sowie wissenschaftliche Distanz und Reflexion. Beeindruckend ist aus heutiger Sicht, dass auch gut 30 Jahre später ihre Überlegungen kaum an Gültigkeit verloren haben. Computergestützten Prüfungen stehen trotz des rasanten technischen Fortschritts noch immer eine ganze Reihe von Hindernissen entgegen. Es ist davon auszugehen, dass diese in Zukunft weiter an Bedeutung verlieren. Doch auch schon heute bieten halbautomatische Systeme Möglichkeiten, den Aufwand für schriftliche Prüfungen signifikant zu reduzieren ohne die Qualität der Korrektur zu gefährden. Darüber hinaus wird der Druck auf die Hochschulen infolge abnehmender Ressourcen und zunehmenden Wettbewerbs es erforderlich machen, auch die akademischen Kernprozesse weiter zu rationalisieren.
Literaturverzeichnis Blackboard (2006): Bubble Sheets Are Becoming a Thing of the Past With More College Students Taking Finals Online, http://www.blackboard.com/company/press/ release.aspx?id=780011, Download 19.02.2006. Hochschulrektorenkonferenz (2005): Service-Stelle Bologna 2005: Bologna-Reader. Texte und Hilfestellungen zur Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses an deutschen Hochschulen; Bonn 2005. Mandl, Gerwald / Rückle, Dieter (1971): Der Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung für Hochschulprüfungen aus dem Gebiete der Buchhaltung und Bilanzierung; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 21 (1971), S. 59 – 76. – (1976): Lernsteuerung und Prüfungsrationalisierung mit EDV auf dem Gebiet des Rechnungswesens, in: Schweitzerische Zeitschrift für Kaufmännisches Bildungswesen, 70. Jg. (1976), S. 77 – 96.
Der Sarbanes-Oxley Act und seine Auswirkungen auf die Gestaltung von Informationssystemen Von Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger
I. Problemstellung und Gang der Untersuchung Gesamtwirtschaftlich und insbesondere aus Aktionärsperspektive unerfreuliche Entwicklungen haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren die Corporate Governance zu einem Schwerpunktthema der Unternehmensführung wurde. Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden und Fachgremien verschiedener Staaten versuchen, die Corporate Governance zu verbessern. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Verschärfung der US-Gesetzgebung, die der SarbanesOxley Act (SOA; häufig auch als SOX abgekürzt)1 mit sich gebracht hat. Dieses Gesetz ändert und ergänzt bestehende Vorschriften mit dem Ziel, Aktionärsinteressen stärker als bisher zu schützen. Der SOA gilt für alle Unternehmen, deren Wertpapiere an einer der SEC unterstehenden Börse gehandelt werden. Er ist daher auch für Unternehmungen außerhalb der USA relevant, wenn x
ihre Wertpapiere (auch) an einer US-Börse notiert sind oder
x
sie wesentliche Tochtergesellschaften („significant subsidiary“) einer an amerikanischen Börsen gehandelten Gesellschaft sind.
Dabei können Konflikte mit nationalen Rechtsordnungen auftreten.2 Indirekt können die durch den SOA geforderten Vorgehensweisen auch darüber hinaus relevant werden, wenn z.B. Unternehmen mit an US-Börsen notierten Gesellschaften in starker Konkurrenz stehen und daher freiwillig am SOA orientierte Vorgehensweisen (strikt oder als „SOA light“) umsetzen oder Gerichte Fragen nach „Best Practices“ stellen und diese von Experten mit Verweis auf den SOA beantwortet werden. ___________ 1 Der Gesetzestext ist u.a. auf http://www.law.uc.edu/CCL/SOact/soact.pdf [Abruf 2006-01-09] zu finden. Seine Bedeutung lässt sich daran ermessen, dass die Suchmaschine Google im November 2005 rund 15.000.000 zugehörige Seiten fand. 2 Vgl. Sarbanes Oxley Group / Anand (2004), S. 99 f.
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Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger
Seit Jahren steht die prozessorientierte Gestaltung von Unternehmen im Mittelpunkt betriebswirtschaftlichen Denkens. Geschäftsprozesse sollen in einer klar definierten Weise unter Berücksichtigung von Geschäftsregeln („Business Rules“)3 ablaufen. Die Versorgung der Geschäftsprozesse mit den notwendigen Informationen hat zur Entwicklung komplexer Informationssysteme (ITSysteme) geführt, die zu Nervenzentren der Unternehmen geworden sind. Die bei Ausführung der Geschäftsprozesse erzeugten und durch IT-Systeme verwalteten Daten bilden die Grundlage der Rechnungslegung. Daher besteht eine enge Verflechtung zwischen Geschäftsprozessen, den zugehörigen IT-Prozessen und der Rechnungslegung. Dies wird durch den SOA stärker als bisher berücksichtigt. Wegen der hohen Dynamik in der Entwicklung der IT ist es nicht einfach, die Qualität der im IT-Bereich erbrachten Leistungen zu beurteilen. Die Qualität der IT-Prozesse soll u.a. durch Beschreibung von „Best Practices“ und Reifegradmodellen greifbar gemacht werden. Ein bekanntes Reifegradmodell ist das (mittlerweile in verschiedenen Varianten weiter entwickelte) Capability Maturity Model (CMM) des Software Engineering Instituts der Carnegie Mellon University, nach dem IT-Prozesse eines Unternehmens einer der Stufen 1 bis 5 (benannt als Initial, Repeatable, Defined, Managed und Optimizing) zugeordnet werden.4 Weniger als 10 % der beurteilten Unternehmen erreichen die Stufen 4 oder 5.5 Viele IT-Prozesse laufen also offenbar nicht perfekt ab. Später wurden Reifegradmodelle z.B. auch generell im Hinblick auf die prozessorientierte Gestaltung von Unternehmen formuliert.6 Der SOA verlangt, dass ein Unternehmen seiner Prüfungsgesellschaft darlegt, durch welche Kontrollen die Qualität der Rechungslegung gewährleistet wird. Dazu muss sich das interne Kontrollsystem (IKS) an einem geeigneten „Framework“ orientieren. Mehrere Frameworks befassen sich mit der Sicherstellung der Qualität der Rechnungslegung und dem Management der Informationssysteme. Letztere Gesichtspunkte kommen in der Diskussion um die Qualität der Rechnungslegung und Überwachung zu kurz7 und bilden daher den Schwerpunkt der folgenden Ausführungen. ___________ 3
Vgl. etwa Knolmayer / Herbst (1993); Herbst / Knolmayer (1995); Klaus (2005). Carnegie Mellon Software Engineering Institute (2005). 5 Vgl. SAIC (2003). 6 Vgl. etwa Rosemann / de Bruin (2005) und die dort angeführte Literatur. 7 So lässt der Arbeitskreis ‚Externe und Interne Überwachung der Unternehmung‘ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft (2004) derartige Aspekte unberücksichtigt. Vgl. auch Cunningham (2005): „So far, the early stages of SOX have only impacted financial analysts, auditors and accountants in companies, the paradigm is shifting to IT departments and will serve as a cornerstone to making SOX compliance a reality“ sowie die Sarbanes Oxley Group / Anand (2004), S. 20: „Sarbanes-Oxley will 4
Sarbanes-Oxley und die Gestaltung von Informationssystemen
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In seiner Darstellung der Systemprüfung hat der verehrte Jubilar einige Elemente einer Prüfung, welche heute durch den SOA gesetzlich gefordert sind, bereits 1978 beschrieben.8 Durch Regelungen wie jene des SOA erhält die „EDV-Revision“ einen deutlich höheren Stellenwert als bisher.9 Abschnitt II. gibt einen knappen Überblick über die für diesen Beitrag relevanten Vorschriften des SOA. In Abschnitt III. werden zunächst die den Regulierungen zugrunde liegenden Problemkreise analysiert und anschließend zwei im SOA-Umfeld zentrale Frameworks skizziert. Abschnitt IV. befasst sich mit wirtschaftlichen Konsequenzen des SOA. Abschließend wird erörtert, ob der SOA als Grundlage international einheitlicher Standards dienen sollte.
II. Der Sarbanes-Oxley Act Nach großen Unternehmenszusammenbrüchen, bei denen die veröffentlichten und testierten Jahresabschlüsse die wirtschaftliche Situation dieser Unternehmen (sehr vorsichtig formuliert) wenig präzise abbildeten,10 verloren viele Kapitalanleger ihr Vertrauen in die Rechnungslegung. Daher wurden die USamerikanischen Rechnungslegungsvorschriften in einem von Paul Sarbanes und Michael G. Oxley initiierten Gesetzestext für in den USA börsennotierte Gesellschaften im Jahr 2002 teilweise massiv verschärft. Auf dieser Basis hat die Securities and Exchange Commission (SEC) eine Reihe von Durchführungsverordnungen erlassen.11 Der SOA fordert die Gründung eines Aufsichtsgremiums über Prüfungsgesellschaften, was zur Gründung des Public Company Accounting Oversight Boards (PCAOB)12 geführt hat. Prüfungsgesellschaften werden in regelmäßigen Abständen durch das PCAOB geprüft. Dies soll eine Antwort auf die oft aufgeworfene Frage „Wer prüft die Prüfer“ geben. Eine Prüfungsgesellschaft darf einem von ihr geprüften Unternehmen nicht uneingeschränkt andere Dienstleistungen anbieten. Unter anderem ist eine Mitwirkung bei Entwurf und Implementierung von Informationssystemen verboten.13 ___________ require radical changes to the manner and speed of information flow within the corporation: IT and its value position will change forever.“ 8 Vgl. Rückle (1978), S. 803. 9 Vgl. auch Protiviti (2005), S. 8. 10 Die zuweilen unscharfen Grenzen zwischen Bilanzkosmetik und Betrug werden unter dem Begriff „Earnings Management“ erörtert; vgl. z.B. Lev (2003). 11 Vgl. etwa Warncke (2005), S. 87. 12 Vgl. PCAOB (2005). 13 Vgl. etwa Von der Crone / Roth (2003), S. 136; Hunton / Bryant / Bagranoff (2004), S. 250.
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Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger
Der SOA verpflichtet Unternehmen offen zu legen, mit welchen Prozessen die Jahresrechnung erstellt wird und wie zuverlässig diese arbeiten. Es soll sichergestellt werden, dass die Geschäftsprozesse regelkonform abgewickelt und korrekt im Rechnungswesen abgebildet werden. Die Prozesse sollen so gestaltet werden, dass Fehler bei der Rechnungslegung erkannt werden. Hierfür sind Kontrollen zu definieren, auf ihre Wirksamkeit zu testen und zu dokumentieren. Durch den SOA werden somit interne Kontrollsysteme (IKS) aufgewertet. Section 302 des SOA verlangt vom CEO und CFO, die Wahrheit und Vollständigkeit der veröffentlichten Geschäftsberichte zu bestätigen. Damit sie dies gewährleisten können, sollen ein „Disclosure Committee“ eingerichtet und „Disclosure Controls and Procedures“ implementiert werden, welche dem Management für die Rechnungslegung relevante Informationen umgehend zugänglich machen. Der Informationsfluss für die Rechnungslegung muss klar definiert und die Zuverlässigkeit des Systems durch Kontrollen sichergestellt und getestet werden.14 Section 404 des SOA verlangt, dass Unternehmen Rechnungslegungskontrollen (Internal control over financial reporting) implementieren. Ihr Vorhandensein muss bei Veröffentlichung des Jahresabschlusses vom Management bestätigt werden. Über Unregelmäßigkeiten oder Schwachstellen in der Berichterstattung sind sowohl der Prüfungsausschuss als auch die Prüfungsgesellschaft zu informieren. Die Prüfungsgesellschaft hat Stellung zu nehmen, ob der Bericht des Managements zur Qualität der Kontrollen der Realität entspricht. Von den 276 „material weaknesses“, die der SEC bis April 2005 gemeldet wurden, wären viele durch geeigneten IT-Einsatz vermeidbar gewesen.15 Unter anderem werden die in Standardsoftware-Systemen vorgesehenen, aber nicht notwendigerweise aktivierten Kontrollen zu wenig genutzt.16 Realistischerweise kann keine völlige Fehlerfreiheit von Informationssystemen und damit auch der Rechnungslegung erwartet werden; Unternehmen sollten aber Maßnahmen zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung implementieren.17 Zudem wird auch bezüglich der Erfüllung der Anforderungen des SOA eine Abstufung in mehrere Reifegrade vorgeschlagen.18
___________ 14
Vgl. Spitters (2004). Bace / Rozwell / Caldwell (2005). 16 Vgl. etwa Monn (2005), S. 21 – 24. 17 Vgl. Lahti / Peterson (2005), S. 266 – 268. 18 Vgl. Butler / Richardson (2005), S. 20. 15
Sarbanes-Oxley und die Gestaltung von Informationssystemen
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III. Forderungen an die IT durch den Sarbanes-Oxley Act 1. Vornahme von Kontrollen
a) Risiko-Management, Prozessgestaltung und Datenqualität Durch ein systematisch ausgerichtetes IKS sollen die für ein Unternehmen bestehenden Risiken reduziert werden. Als Beispiel eines Gefahrenpotenzials für die Rechnungslegung beschreibt das PCAOB folgenden Sachverhalt:19 „The company has a standard sales contract, but sales personnel frequently modify the terms of the contract. Sales personnel frequently grant unauthorized and unrecorded sales discounts to customers without the knowledge of the accounting department. These amounts are deducted by customers in paying their invoices and are recorded as outstanding balances on the accounts receivable aging. Although these amounts are individually insignificant, they are material in the aggregate and have occurred consistently over the past few years.“
Zur Sicherstellung der Qualität der relevanten Daten20 müssen zunächst jene Geschäftsfälle bestimmt werden, die signifikanten Einfluss auf das Ergebnis der Rechnungslegung besitzen. Danach sind Kontrollen zu definieren und durchzuführen, welche eine zeitnahe und korrekte Abbildung dieser Geschäftsvorfälle in der Rechnungslegung sicherstellen. So muss das IKS z.B. für den oben beschriebenen Sachverhalt Kontrollen bereitstellen, welche die Vertragsdetails der Verkäufe mit den eingegangenen Zahlungen vergleichen. Um zielgerichtete Kontrollen einzurichten, müssen die zugrunde liegenden Geschäftsprozesse bekannt sein und reproduzierbar ausgeführt werden. Daher ist es sinnvoll, „end-to-end-Geschäftsprozesse“ zu definieren, diese in einzelne Prozessschritte zu unterteilen und entsprechende Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuordnen. Aus Prozessbeschreibungen müssen beispielsweise folgende für die Prozessdurchführung relevante Eigenschaften ersichtlich sein:21 x
Wer initiiert einen Geschäftsfall auf welche Weise?
x
Wie, wann und wer autorisiert einen Geschäftsfall?
x
Wie wird der Datensatz zum Geschäftsfall erstellt und verwendet?
Prozessbeschreibungen geben jedoch zuweilen nicht den Ist-Zustand wieder, sondern beschreiben eher Soll-Vorstellungen. Kontrollen bei einzelnen Prozessschritten können nur dann erfolgen, wenn die Prozessbeschreibungen die ___________ 19
PCAOB (2004), S. 261. Zu Früherkennung, Ursachen, Prüfungen und möglichen Abhilfen bei schlechter Datenqualität vgl. etwa Strong / Lee / Whang (1997); Krishnan et al. (2005). 21 Vgl. PCAOB (2004), S. 158; KPMG (2004), S. 4. 20
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Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger
Ist-Abläufe korrekt wiedergeben. Auf Abweichungen zwischen Prozessdokumenten und Ist-Prozessen werden Prüfungsgesellschaften hinweisen. Erste Erfahrungen mit dem SOA zeigen, dass eine sehr große Zahl von Kontrollen erforderlich ist und deren Dokumentation und Verbesserung erheblichen Aufwand verursacht.22 Durchschnittlich haben die Unternehmen 26.000 Arbeitsstunden aufgewendet, um die SOA-Nachweise zu erfüllen.23 Zuweilen wurden umfangreiche Selbst-Zertifikationen vorgenommen; so ließ etwa die UBS AG im 1. Quartal 2005 von rund 8.500 Mitarbeitenden mehr als 170.000 Fragen beantworten.24
b) Zielgerichtete Kontrollen durch Verwendung von Frameworks Das IT Governance Institute beschreibt Unternehmen durch Geschäftsprozesse, das IT-System und das Management;25 jedes dieser Elemente könne die Rechnungslegung des Unternehmens gefährden. Im Folgenden werden diese Elemente kurz beschrieben und mögliche Gefahren und Kontrollen aufgezeigt. Geschäftsprozesse sind mit den für ihren Ablauf notwendigen Informationen zu versorgen und die bei ihrer Ausführung erzeugten Daten müssen nachfolgenden Prozessen zur Verfügung stehen. Unterschiedliche Kontrollen sollen die Qualität der bereitgestellten und verarbeiteten Informationen gewährleisten. Sie können beispielsweise sicherstellen, dass x
Geschäftsfälle nur durch autorisierte Mitarbeitende durchgeführt werden,
x
das Vieraugenprinzip eingehalten wird,
x
in Eingabemasken bestimmte Datenfelder zwingend ausgefüllt werden,
x
die Konsistenz und Aktualität der Daten überprüft wird und
x
Buchungen nur in der laufenden Periode möglich sind.
Bei der erstmaligen Durchführung SOA-basierter Prüfungen wurden viele Kontrollschritte manuell oder mit Hilfe von Endbenutzerwerkzeugen (insbes. ___________ 22 In einem von der SEC organisierten Roundtable-Gespräch wurde für ein Unternehmen die Existenz von 9.000 internen Kontrollschritten genannt. Ein anderes Unternehmen berichtet, 1.500 Prozesskontrollen und 3.500 allgemeine IT-Kontrollen dokumentiert und dafür 125.000 Arbeitsstunden aufgewendet zu haben. Eine Prüfungsgesellschaft habe bei 225 Klienten rund 63.000 unbefriedigende Kontrollschritte festgestellt. Vgl. SEC (2005). 23 Vgl. SEC (2005). 24 Siehe Friesenecker (2005), Folie 18. 25 Vgl. zum Folgenden ITGI (2004), S. 19 – 21.
Sarbanes-Oxley und die Gestaltung von Informationssystemen
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Spreadsheets) durchgeführt.26 Mit diesem Vorgehen entstehen jedoch zusätzliche Gefahren.27 Daher und wegen der damit verbundenen Kosten ist eine Automatisierung vieler Kontrollschritte anzustreben.28 Generell sollten SOA-Nachweise nicht als Projekt, sondern als Prozess organisiert werden.29 IT-Systeme speichern die Buchungen zu den Geschäftsfällen und fassen diese zur Jahresrechnung zusammen. Somit sind klar definierte und umgesetzte IT-Prozesse für die Sicherstellung der Qualität der Rechnungslegung relevant. Der Einsatz von Software, welche die Geschäftsprozesse unterstützt, benötigt zentrale Dienstleistungen einer IT-Abteilung und/oder (bei Outsourcing) eines Dienstleisters. Diese sollen für einen sicheren Betrieb der IT-Infrastruktur sorgen. Die Einhaltung der hierfür erforderlichen Maßnahmen soll durch Kontrollen in den Prozessen der Softwareentwicklung und -wartung sowie beim laufenden Betrieb der Systeme sichergestellt werden. Gefahren können unter anderem darin bestehen, dass x
Daten durch Unbefugte verändert werden,
x
Programme die Daten nicht korrekt verarbeiten,
x
gespeicherte Daten durch Verlust gefährdet sind oder
x
die benötigte IT-Infrastruktur nicht ausreichend sicher betrieben wird.
Das Management richtet die Geschäftsprozesse nach strategischen Gesichtspunkten aus und erlässt Richtlinien, welche Kontrollen ermöglichen und zielorientiert gestalten. Diese müssen anschließend implementiert werden, was ausreichende Ressourcen erfordert. Kostensenkungsprogramme und Personalfluktuationen können dazu führen, dass in bestimmten Prozessen vorgesehene Kontrollschritte (z.B. Vieraugenprinzip) zumindest vorübergehend nicht eingehalten werden, oder das Unternehmen zumindest temporär nicht über das für die Durchführung der Kontrollen notwendige Wissen verfügt. Auf der skizzierten Struktur basieren Frameworks, durch deren Verwendung die Kontrollprozesse so ausgerichtet werden sollen, dass Gefahren für die Rechnungslegung eliminiert oder wenigstens gemindert werden. Der SOA verlangt, dass sich das IKS nach einem passenden, von Experten anerkannten „Control Framework“ richten müsse. Dafür kommen mehrere Frameworks in Betracht.30 Da in den USA das vom Committee of Sponsoring Organizations of ___________ 26
Vgl. Siebel (2005), S. 4. Vgl. etwa Kugel (2005); „Managing Spreadsheets in the light of Sarbanes-Oxley“ war Gegenstand der Jahreskonferenz der European Spreadsheet Risks Interest Group EuSpRIG (2005). 28 Vgl. CFO Research Services (2005); Tims (2005); Worthen (2005). 29 Vgl. etwa Hoffman (2003); Wakem (2005). 30 Vgl. z.B. Hunton / Bryant / Bagranoff (2004), S. 55 f; Warncke (2005), S. 302. 27
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Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger
the Threadway Commission (COSO) 1992 veröffentlichte Framework besonders bekannt ist, verwendet das PCAOB Definitionen von COSO. Zwar verlangen der SOA und das PCAOB nicht, dass COSO zur Erfüllung der Vorschriften der Section 404 herangezogen werden muss;31 angesichts der bei vielen Unternehmen und ihren Prüfungsgesellschaften bestehenden Unsicherheiten scheint sich aber das (in Mitteleuropa zuvor wenig beachtete) COSO-Framework als Quasi-Standard zu etablieren. Trotz der Verweise auf Frameworks bleibt ein weiter Ermessensspielraum hinsichtlich SOA-kompatibler Vorgehensweisen. Die dem SOA unterliegenden Unternehmen müssen sich der Akzeptanz bestimmter Vorgehensweisen durch ihre Prüfer schon vor Erstellung des Jahresabschlusses sicher sein. Prüfungsgesellschaften sollen (auch vor dem Hintergrund der Unsicherheit der bei ihnen von der PCAOB angelegten Prüfkriterien) rigide Anforderungen erhoben haben.32 Zudem wäre es verwunderlich, wenn sie nicht versuchten, möglichst umfassende und prüfungsintensive Prozeduren durchzusetzen und im Gegenzug ihre Auftraggeber solche Maximalforderungen als unnötig abwenden wollten. In der Tat führen die neuen Regelungen zu erhöhten Stundensätzen der Prüfungsgesellschaften und deutlich vergrößerten Arbeitsvolumina.33
c) Die Frameworks COSO und COBIT COSO soll Vergleiche zwischen dem existierenden IKS eines Unternehmens und einem Standard ermöglichen.34 Das Framework unterscheidet fünf Aktivitätsbereiche:35 x
Control Environment (CE)
Dieser Bereich bildet die Grundlage für die vier anderen Bereiche und beschäftigt sich mit Fragen der Integrität, Ethik und fachlicher Kompetenz. Geprüft werden u.a. der Führungsstil, die Unternehmenskultur, die Überwachungstätigkeit der Aufsichtsgremien, die Organisationsstruktur, die Zuordnung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung oder auch die Grundsätze der Personalpolitik.
___________ 31
Vgl. PCAOB (2004), S. 150. In diesem Zusammenhang wird ein „lack of balance“ beklagt; vgl. SEC (2005). 33 Vgl. etwa Schmitz (2005), Teil 2 und 3; Tucci (2005). 34 Vgl. Butler / Richardson (2005), S. 4. 35 Vgl. zum Folgenden Ramos (2004), S. 30 – 47; Menzies (2004), S. 78 – 80. In COSO (2004) wird eine etwas erweiterte Systematik verwendet, die z.B. auch eine „Event Identification“ umfasst. 32
Sarbanes-Oxley und die Gestaltung von Informationssystemen
x
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Risk Assessment (RA)
Das IKS soll sicherzustellen, dass Ziele definiert und Risiken erkannt werden. Daher müssen die für die Erreichung der Ziele bestehenden Risiken identifiziert, ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten bestimmt und das mit den Risiken verbundene Schadenspotenzial quantifiziert werden. x
Control Activities (CA)
Control Activities setzen Strategien zur Risikovermeidung entweder durch Mitarbeitende oder durch IT-Systeme in Kontrollen um. x
Information and Communication (IC)
Zur Durchführung von Kontrollen werden die dafür benötigten Informationen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle benötigt. Dieser Bereich von COSO soll sicherstellen, dass die definierten Kontrollprozesse mit den erforderlichen Daten versorgt werden. Mitarbeitende sollen die Möglichkeit besitzen, sich bei Versagen der Berichtswege direkt an das Management oder die Aufsichtsgremien zu wenden. x
Monitoring (M)
Die definierten Kontrollen müssen in regelmäßigen Abständen auf ihre Wirksamkeit und Zielgerichtetheit überprüft werden. Sie können z.B. durch Änderungen der Umweltbedingungen ihre Wirksamkeit verlieren oder bestimmte Gefahren können nicht mehr relevant sein. Veränderte Rahmenbedingungen können Anpassungen im IKS erfordern. Auch andere Prüfungsstandards (z.B. jener der International Federation of Accountants) orientieren sich am COSO-Modell.36 COSO betont zwar die Wichtigkeit der IT-Prozesse, ist aber auf einen Umgang mit allgemeinen Risiken ausgerichtet. Um konkrete Anforderungen an IT-Prozesse besser berücksichtigen zu können, benötigt die IT-Abteilung spezifischere Ausführungen. Im Umfeld des SOA wird hierfür insbesondere auf das bereits 1994 veröffentlichte IT-Framework COBIT (Control Objectives for Information and Related Technology)37 verwiesen; Ende 2005 wurde COBIT-Version 4.0 freigegeben.38 In COBIT werden 34 kritische Prozesse für die Erstellung und den Betrieb der IT-Systeme sowie die dafür notwendigen Ressourcen definiert. Tabelle 1 zeigt, wie das Information Technology Governance Institute (ITGI)39 diese
___________ 36
Vgl. Menzies (2004), S. 85 – 90. Vgl. etwa ITGI (2004), S. 33. 38 Vgl. ISACA (2005). 39 Vgl. ITGI (2004), S. 50. 37
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Gerhard Knolmayer und Thomas Wermelinger Tabelle 1 Beziehungen zwischen COSO und COBIT COSO Component
COBIT Area CE RA CA IC M Plan and Organize (IT Environment) IT strategic planning X X X X Information architecture X X Determine technological direction IT organization and relationships X X Manage the IT investment Communication of management aims and direction X X X Management of human resources X X Compliance with external requirements X X Assessment of risks X Manage projects Management of quality X X X X Acquire and Implement (Program Development and Program Change) Identify automated solutions Acquire or develop application software X Acquire technology infrastructure X Develop and maintain policies and procedures X X Install and test application software technology infrastructure X Manage changes X X Deliver and Support (Computer Operations and Access to Programs and Data) Define and manage service levels X X X Manage third-party services X X X X Manage performance and capacity X X Ensure continuous service Ensure systems security X X X Identify and allocate costs Educate and train users X X Assist and advise customers Manage the configuration X X Manage problems and incidents X X X Manage data X X Manage facilities X Manage operations X X Monitor and Evaluate (IT Environment) Monitoring X X Adequacy of internal controls X Independent assurance X X Internal audit X
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34 IT-Prozesse den 5 Bereichen von COSO zuordnet.40 Einige IT-Prozesse sind keinen COSO-Bereichen zugeordnet, werden aber der Vollständigkeit halber in der Tabelle aufgeführt. COBIT stellt eine Vielzahl konkreter Fragen bereit, welche die Beurteilung der Kontrollen über IT-Systeme unterstützen sollen. Beispielsweise sollen für „IT Organization and Relationships“ folgende Fragen geprüft werden:41 x
Do IT managers have adequate knowledge and experience to fulfill their responsibilities?
x
Have key systems and data been inventoried and their owners identified?
x
Are roles and responsibilities of the IT organization defined, documented and understood?
x
Do IT personnel have sufficient authority to exercise the role and responsibility assigned to them?
x
Do IT staff understand and accept their responsibility regarding internal control?
x
Have data integrity ownership and responsibilities been communicated to appropriate data/business owners and have they accepted these responsibilities?
x
Is the IT organizational structure sufficient to provide for necessary information flow to manage its activities?
x
Has IT management implemented a division of roles and responsibilities (segregation of duties) that reasonably prevents a single individual from subverting a critical process?
x
Are IT staff evaluations performed regularly (e.g., to ensure that the IT function has a sufficient number of competent IT staff necessary to achieve objectives)?
x
Are contracted staff and other contract personnel subject to policies and procedures created to control their activities by the IT function, and to assure the protection of the organization’s information assets?
x
Are significant IT events or failures, e.g., security breaches, major system failures or regulatory failures, reported to senior management or the board?
___________ 40 In der Literatur finden sich auch davon abweichende Zuordnungen, vgl. etwa Butler / Richardson (2005), S. 8. 41 ITGI (2004), S. 51 f.
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COBIT ist ein Rahmenwerk, das in seiner Breite und Tiefe kaum vollständig umgesetzt werden kann.42 Die Unternehmen werden daher die auszuführenden Kontrollen im Hinblick auf ihre individuelle Situation und in Absprache mit den Prüfungsgesellschaften filtern müssen.43 Unangemessen ist es, wenn Prüfungsgesellschaften aus den COBIT-Materialien Checklisten ableiten und die Erfüllung aller Anforderungen verlangen.44
d) Kontrollen bei Beschaffung, Entwicklung und Wartung der IT-Systeme Änderungen einzelner Elemente des IT-Systems können die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems gefährden. Beschaffung, Entwicklung und Unterhalt der IT-Systeme sollten daher nach klar definierten Prozessen mit präzise definierten Zuständigkeiten erfolgen. Die IT-Abteilung muss vor Einführung neuer oder veränderter Systeme durch systematische Tests ihre Zuverlässigkeit sicherstellen. Problematisch sind insbesondere Schnittstellen zwischen einzelnen Applikationen. Während in vielen Unternehmen Applikationsverantwortliche definiert sind, werden Schnittstellen-Verantwortliche viel seltener benannt. Insgesamt wächst durch den SOA die Bedeutung systematischen und wiederkehrenden Testens; die Automatisierung und Nachvollziehbarkeit der Testprozesse gewinnt an Bedeutung.45
e) Kontrollen des Betriebs der IT-Systeme Zuverlässigkeit und Sicherheit sind wichtige Ziele beim Betrieb von IT-Systemen. Zu ihrer Erreichung bieten Richtlinien und Standards (wie etwa das IT Grundschutzhandbuch des BSI oder BS ISO/IEC 17799:2005)46 Hilfestellung. Für das Management des Betriebs von IT-Systemen ist zu berücksichtigen, dass sich in Europa mit ITIL47 ein im SOA-Umfeld wenig beachtetes Modell weitgehend durchgesetzt hat. Unternehmen sollten Mitarbeitenden nur jene Rechte zuteilen, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben nötig sind. Diese Informationen muss die IT-Abteilung durch ein Berechtigungsmanagement in den IT-Systemen abbilden. Ein klar de___________ 42
Vgl. auch ISACA (2001), Vorwort. Vgl. Lathi / Peterson (2005), S. 38 – 52. 44 Vgl. SEC (2005). 45 Vgl. etwa Hunton / Bryant / Bagranoff (2004), S. 82; Ramos (2004), S. 164 – 176. 46 Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2004); British Standards Online (2005). 47 Vgl. etwa Köhler (2005) und die über das Office of Government Commerce (2005) beschaffbaren Originaldokumente. 43
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finierter Prozess für Sperre und Löschung nicht mehr benötigter Benutzerkonten ist erforderlich. Sicherheit steht vielfach im Konflikt mit Benutzerfreundlichkeit: Eine restriktive Vergabe von Benutzerrechten kann eine flexible Arbeit der Mitarbeitenden behindern, wenn ausnahmsweise in der Stellenbeschreibung nicht vorgesehene Arbeiten durchzuführen sind. Sollten die IT-Systeme nicht wie gefordert arbeiten, muss die Fähigkeit vorhanden sein, Fehlermeldungen und Log-Daten zeitnah zu analysieren. Dies erfordert, dass Prozesse definiert sind, mit welchen die teilweise extrem großen Datenmengen gezielt zur Fehlersuche ausgewertet werden können.48 Um den physischen Schutz der IT-Systeme sicherzustellen, müssen diese in geeigneten Räumen beispielsweise vor unautorisierten Manipulationen, Feuer, Wasser oder Stromausfällen geschützt werden.
2. Zeitnahe Offenlegung Section 409 des SOA verlangt, dass Unternehmen relevante Informationen über ihre Finanzlage zeitnah an die interessierte Öffentlichkeit weiterleiten. Zunächst forderte die SEC, dass Unternehmen über bestimmte Ereignisse49 rascher als bisher informieren müssen. Weitere Regelungen werden vermutlich folgen. Damit den Informationspflichten entsprochen werden kann, müssen Informationen zeitgerecht gewonnen, beurteilt und gegebenenfalls veröffentlicht werden. Ein erster Schritt dazu ist, dass das Management selbst diese Informationen besitzt. Daher ist es erforderlich, Signale über relevante Änderungen der Unternehmenssituation frühzeitig wahrzunehmen. Anzustreben wäre, dass ITSysteme die von der SEC definierten Ereignisse automatisch erkennen und an die zur Beurteilung zuständigen Stellen weiterleiten. Auch andere Ereignisse können die finanzielle Situation und damit den Aktienkurs beeinflussen.50 Die (Wirtschafts-)Informatik hat mit Data Mining und Text Mining51 Methoden entwickelt, um aus großen Datenmengen automatisch zusätzliche, nicht offensichtliche Informationen zu gewinnen. Dadurch lassen sich möglicherweise Sachverhalte erkennen, die offenlegungspflichtig sind. Derartige Verfahren der künstlichen Intelligenz sind heute bei fortschrittlichen IT-Anwendern in Erprobung. Es erscheint denkbar, dass von den Unternehmen ___________ 48
Vgl. ITGI (2004), S. 25. Vgl. SEC (2004). 50 Vgl. etwa Cunningham (2005). 51 Vgl. etwa Sullivan (2001). 49
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zukünftig gefordert wird, solche fortgeschrittenen Methoden der Informationsgewinnung einzusetzen. Die Informationen müssen von den Verantwortlichen auf ihre Relevanz für die Öffentlichkeit beurteilt werden. Die Frage, welcher Zeitraum für diese Beurteilung angemessen ist, stellt sich vor allem dann, wenn eine längere Prüfung von schwachen Signalen zu besseren Prognosewahrscheinlichkeiten führen kann. Der SOA verlangt die Offenlegung von „material events“ innerhalb von 2 Tagen. Gegebenenfalls muss ein Unternehmen in der Lage sein, als relevant beurteilte Informationen in geeigneter Weise zu kommunizieren. Verschiedene Dienstleister (in den USA vor allem Businesswire und Newswire, in Großbritannien der Regulatory News Service) unterstützen die Unternehmen bei der Weiterleitung solcher Informationen insbesondere über das Internet. Die Forderung nach einer schnellen und zeitnahen Offenlegung kann auch so verstanden werden, dass die bereit gestellten Informationen schneller verarbeitbar und vergleichbar sind. Eine Möglichkeit dazu bietet die auf XML basierende eXtensible Business Reporting Language XBRL.52
3. Dokumentenaufbewahrungspflicht Der SOA verlangt, dass die für die Geschäftstätigkeit relevanten Daten (unterschiedlich lange) aufbewahrt werden.53 Dazu gehören auch E-Mails54 und (nach Ansicht einiger Fachvertreter) sogar Instant-Messenger-Nachrichten55. Durch die gespeicherten Daten soll nachvollziehbar sein, welche Mitarbeiter zu welchem Zeitpunkt über welche Informationen verfügten. Derartige Anforderungen sind in Verbindung mit „Prüfungen höherer Ordnung“ bereits früh erörtert worden.56 Zuweilen wird die Meinung vertreten, Daten sollten (deutlich) länger als gesetzlich gefordert gespeichert werden.57 Ein Schaden durch Nichtverfügbarkeit von Daten könne größer sein als die Kosten für eine permanente (elektronische) Speicherung. Neben der Aufbewahrung von Daten muss aber auch sichergestellt sein, dass im Bedarfsfall rasch auf diese Daten zugegriffen werden kann. ___________ 52
Vgl. etwa Nutz / Strauß (2002); Moeller (2004), S. 302 – 306; Stone (2005). Vgl. Miller / Pashkoff (2002). 54 Vgl etwa Iosub (2003); Weiss (2005). Unterschiedliche Aufbewahrungspolitiken diskutiert Goulet (2005). 55 Vgl. etwa Shapiro (2004); NN (2005); Williams (2005). 56 Vgl. etwa Loitlsberger (1966), S. 29 – 32; Knolmayer (1981), S. 374 – 390. 57 So z.B. Sanchez (2005). 53
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Um die Forderungen des SOA zur Datenspeicherung zu erfüllen, müssen Regeln zum Umgang mit Dokumenten geschaffen werden: x
Der permanente Zugriff auf Daten muss sichergestellt sein. Dabei ist zu bedenken, dass durch die Hardwareentwicklung früher verwendete Datenträger möglicherweise nicht mehr lesbar sind.58
x
Daten müssen so abgelegt werden, dass sie zeitnah auffindbar sind. Zahlreiche Hersteller bieten Dokumenten-Management-Systeme an. Fortgeschrittene Techniken zum Information Retrieval vereinfachen das Wiederauffinden von Daten.
E-Mails stellen heute ein zentrales Kommunikationsmedium zwischen den Mitarbeitenden und mit Externen dar. Daher sind folgende Fragen zu klären: x
Welche Daten dürfen überhaupt per E-Mail versandt werden? In welchen Fällen sind die Nachrichten verschlüsselt zu übertragen? Sind gegebenenfalls die verschlüsselten oder die entschlüsselten Daten zu speichern? Sollen die E-Mails in den Archivierungssystemen verschlüsselt werden, um unberechtigten Zugriff zu erschweren?59
x
Werden alle E-Mails archiviert? Falls dies nicht zutrifft: Wie können die für die Rechnungslegung relevanten Mails mit hinreichender Genauigkeit von der großen Zahl anderer Mails gefiltert werden?
x
Sind auch die (teilweise umfangreichen) Attachments zu speichern?
x
Genügt es, nur die eigentliche Nachricht zu speichern oder müssen auch die Daten des Mail-Headers gespeichert werden, aus denen z.B. der sendende Computer ersichtlich wird?
Für die effiziente Archivierung von E-Mails werden spezialisierte Archivierungssysteme angeboten. Eine Produktbeschreibung formuliert: „Essential for compliance and legal admissibility, the system automatically audits and actions taken with email files, including document storage in archive, document access and recovery, categorisation, policy creation or modification, document destruction and any change to access rights. The audit trail provides demonstratable integrity; by tracking every action and providing ‚after the fact‘ forensics capability, even auditors are audited.“60
Zur Unterstützung allfälliger interner oder externer Untersuchungen muss das Unternehmen auf computerforensisches Wissen61 zugreifen können, um ___________ 58
Vgl. etwa Chan / Lepeak (2004). Vgl. etwa Tebo (2005). 60 Fortuna Power Systems (2005). 61 Vgl. etwa Vacca (2002). 59
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verdächtige Vorgänge durch Erfassung, Analyse und Auswertung digitaler Spuren in IT-Systemen untersuchen zu können.
IV. Folgen des Sarbanes-Oxley Act Die zur Erfüllung des SOA durchzuführenden Maßnahmen erhöhen die Kosten.62 Für 2006 werden die durch den SOA ausgelösten Kosten (ohne die zusätzlichen Kosten der Wirtschaftsprüfung) auf über 6 Milliarden USD geschätzt.63 Manche Unternehmen verzichten wegen der hohen Kosten, die mit der Erfüllung der Vorschriften verbunden sind, auf eine Börsennotierung; einige erwägen, ihre Aktien vom Handel zurückzuziehen.64 Damit wird der Zugang zum Kapitalmarkt erschwert und für Investoren wird es schwieriger, Aktien zu handeln. Auch Mergers & Acquisitions werden durch den zusätzlich notwendigen Koordinationsbedarf bei den internen Kontrollsystemen erschwert.65 Die vom SOA vorgesehenen Kontrollen dürften zukünftig in stärkerem Maße als bei der erstmaligen Erfüllung der Vorschriften automatisiert werden. Spezielle Tools sollen den Nachweis der SOA-Compliance unterstützen.66 Bei Entwicklung von neuen IT-Systemen wird vermehrt eine flexible Prozessunterstützung durch IT-Systeme an die sich rasch ändernden Organisationsabläufe erforderlich. Dies kann dazu führen, dass IT-Systeme in stärkerem Ausmaß regelbasiert entwickelt werden und Werkzeuge wie „Rules Engines“67 an Bedeutung gewinnen. Somit wird die Informationstechnologie als Folge von SOA weiter an Bedeutung und Komplexität gewinnen. Die durch den SOA geforderte erhöhte Datenqualität kann zu einer Zentralisierung bisher dezentral gelöster Aufgaben führen. Beispielsweise kann die Berechtigung für Änderungen in Lieferantenstammsätzen als Konsequenz kontrollsicherer Prozesse auf wenige Mitarbeitende konzentriert werden.68 Durch diesen Schritt können sich Verzögerungen in den Arbeitsabläufen ergeben, weil die Mitarbeitenden auf die Anlage oder Anpassung der Datensätze durch eine Zentralinstanz warten müssen. ___________ 62
Vgl. z.B. Jones (2003); Ostler (2005). Vgl. Hagerty / Scott (2005). 64 Vgl. z.B. Jones (2003); Sarbanes Oxley Group / Anand (2004), S. 99; Wayman (2005). 65 Vgl. Krivda (2005). 66 Zu einer Bewertung des Einsatzes von Tools zur Gewährleistung der SOACompliance vgl. Ramos (2004), S. 138 – 144. Mehr als 100 einschlägige SoftwareWerkzeuge beschreiben Brooks / Goldman / Lanza (2005). 67 Vgl. für eine Übersicht etwa Owen (2004) oder Sinur (2005). 68 Vgl. Zaugg (2004), Folie 22. 63
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Die erhöhten Anforderungen an die Zuverlässigkeit der IT-Systeme können für Unternehmen, die dem SOA unterstehen, einen Anreiz darstellen, ihre ITSysteme an spezialisierte und mit dem SOA erfahrene Dienstleister auszulagern.69 Unter den nach dem CMM mit Bestnote 5 beurteilten Dienstleistern befinden sich überproportional viele indische Unternehmen.70 Der SOA kann somit zu verstärktem Offshoring führen.71 Handkehrum können Probleme mit Nachweisen der SOA-Anforderungen an ausländischen Standorten ein Backsourcing von IT-Systemen72 bewirken. Der CEO von Sun Microsystems wird mit der Aussage zitiert, der SOA führe auf ein „disaster“, mit dem „buckets of sand into the gears of the market economy“ geworfen würden.73 Sicherlich können zusätzliche Kontrollaktivitäten organisatorische Schwachstellen unterschiedlicher Bedeutung aufzeigen. Durch Beseitigung mancher so diagnostizierter Schwachstellen können Vorteile z.B. im Risikomanagement, im Wissensmanagement, in der Wettbewerbsfähigkeit und bei den Finanzergebnissen resultieren.74 Dieses Argument kann allerdings für viele unternehmerische Tätigkeiten belastende Auflagen vorgebracht werden: Das im Alltagsgeschäft übermäßig beanspruchte Unternehmen brauche den Anstoß von außen, um bestehende Rationalisierungschancen aufzugreifen. Mit der Theorie rationalen Handelns ist diese Sichtweise unvereinbar, weil danach Unternehmen betriebswirtschaftlich vorteilhafte Änderungen ihrer Geschäfts- und IT-Prozesse (und damit auch ihrer Kontroll- und Berichtsprozesse) von sich aus aufgreifen sollten. Vorstellbar ist auch, dass wirtschaftlich nötige Anpassungen nicht vollzogen werden können, da der SOA finanzielle Mittel und Management-Kapazitäten bindet und weniger Ressourcen für die Erfüllung strategischer, innovativ bedeutsamer Aufgaben verbleiben.75 IT-Abteilungen können sich nicht die Wettbewerbsposition stärkenden Systemen widmen, sondern müssen Prozesse kontrollsicher machen. Erste empirische Befunde kommen zu dem Schluss, dass die betroffenen Unternehmen nicht von der ausgebauten Regulierung profitieren, sondern dadurch Nachteile erleiden.76 Eine (allerdings kühne) Berechnung schätzt die durch den SOA verursachte Vernichtung an Marktkapitalisierung auf 75 Milliarden USD.77 ___________ 69
Vgl. Sarbanes Oxley Group / Anand (2004), S. 98 f. Vgl. Deutsche Bank Research (2005), S. 6: Von 80 Software-Unternehmen, die 2003 weltweit mit CMM Level 5 bewertet wurden, stammten 60 aus Indien. 71 Vgl. Hoch (2005). 72 Vgl. etwa Kaplan (2005). 73 Vgl. Jones (2003). 74 Vgl. etwa Grivolas (2005); Sanchez (2005). 75 Vgl. auch Börsig (2005), S. 27; Butler / Richardson (2005), S. 9; Wayman (2005). 76 Vgl. Zhang (2005), S. 42. 77 Vgl. Moe (2004). 70
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V. Zusammenfassung und Ausblick Der SOA ist eines der Gesetze, welches Beziehungen zwischen Aktionären und Management regelt. In anderen Regionen sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten. So arbeitet die EU ebenfalls an Regelungen zur Verbesserung der Corporate Governance.78 Vorteile des SOA sollen in einer klar definierten Beziehung zwischen dem Management und den Aktionären sowie in einer genaueren Finanzberichterstattung bestehen. Um die Handlungen des Managements auf Aktionärsinteressen auszurichten, seien detaillierte Kontrollen vorzusehen. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Aufdeckens von Fehlverhalten etwas, können es aber nicht mit Sicherheit vermeiden. In einer Umfrage gaben 65 % der Antwortenden an, der SOA sei ein wirksames Instrument, um Finanzbetrug aufzudecken.79 Die geforderten Kontrollprozesse verursachen Kosten, die den Unternehmenswert reduzieren und somit letztlich die Aktionäre belasten. Manche (eher risikoscheue) Aktionäre werden extensive Kontrollen begrüßen, weil ihnen die zusätzlich gewonnene Wahrscheinlichkeit für eine aussagefähige Rechnungslegung mehr Nutzen bringt als die damit verbundenen Kosten; andere (eher risikobereite) Aktionäre werden solche Regelungen ablehnen. Von Entscheidungsmodellen zur Bestimmung des optimalen Ausmaßes einer Corporate Governance ist die Wirtschaftstheorie weit entfernt.80 Zudem differieren die subjektiven Vorstellungen über Optimalität weit, sodass sich die Suche nach einer für alle Beteiligten besten Lösung erübrigt. Einerseits wären für multinational operierende Gesellschaften vereinheitlichte Regeln wünschenswert, um Parallelarbeit zu vermeiden. Andererseits kann es sinnvoll sein, unterschiedliche, miteinander konkurrierende Governance-Modelle anzubieten81; im Idealfall besitzt auch ein in einem bestimmten Staat domiziliertes Unternehmen Wahlmöglichkeiten.82 Den zuständigen Unternehmensorganen steht es frei, sich über gesetzliche Vorschriften hinaus an strengeren GovernanceModellen auszurichten und dies zu kommunizieren, wenn es diese Vorgehensweise für die Erreichung seiner Ziele als vorteilhaft ansieht. Der Markt lässt diese Entscheidungen in seine Bewertung des Unternehmens einfließen. Wägt man diese Argumente gegeneinander ab, so kann auf Grund der vorliegenden
___________ 78
Europäische Kommission (2005). Vgl. SmartPros (2005). 80 Vgl. Brockhoff (2005), S. 202. 81 Vgl. etwa Witt (2003). 82 Vgl. Romano (2004), S. 205 – 215; Brockhoff (2005), S. 178. 79
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Erfahrungen kaum empfohlen werden, die in den USA mit dem SOX geschaffenen Bestimmungen in andere Wirtschaftsräume zu übernehmen.83
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Zu Unabhängigkeit und Besorgnis der Befangenheit bei Wirtschaftsprüfern und bei Hochschullehrern Von Theodor Siegel
I. Unabhängigkeit und Engagement Engagement ist ein hervorstechendes Charakteristikum von Dieter Rückle, das sich in seinen vielfältigen beruflichen Aktivitäten zeigt. Aktuell ist ein besonderer Erfolg, der sich für sein Engagement zugunsten von Transparenz und Kundenorientierung bei Lebensversicherungsunternehmen eingestellt hat: Die diesbezüglichen Urteile des Bundesverfassungsgerichts1 vom 26.7.2005 stehen weitgehend mit seiner dogmatischen Vorarbeit2 und seiner Mitarbeit im Wissenschaftlichen Beirat des Bundes der Versicherten e.V. im Einklang. In beiden Urteilen wird der Gesetzgeber zu Gesetzesänderungen aufgefordert. So engagiert sich Dieter Rückle außer in verantwortungsbewußter Forschung und Lehre3 auch bei Störungen im Forschungsumfeld. Wenn ein Wissenschaftler dem anderen ungerechtfertigt „Schuster bleib bei deinen Leisten“4 zuruft, beteiligt er sich am notwendigen Ordnungsruf 5. Insbesondere denkt der Verfasser an gemeinsame Anstrengungen zur Aufrechterhaltung, wenn nicht Erhöhung, der Qualitätsanforderungen an Wirtschaftsprüfer.6 Hierin besteht die Verbindung zwischen dem Engagement Dieter Rückles und dem Thema dieses Beitrages. Ausgangspunkt dieses Beitrages ist die Problematik der Unabhängigkeit von Personen, die in einem Auftrag tätig werden, mit dem Interessen der Öffent___________ 1 Vgl. BVerfG (2005a, 2005b) mit Hinweis auf die Gutachtertätigkeit von Dieter Rückle in Abschnitt A.V. bzw. unter den Gründen, Abschnitt A.III. 2 Vgl. etwa Rückle (2001a) sowie (2005a). Zur Transparenz stiller Reserven vgl. auch Siegel / Bareis / Rückle / Schneider / Sigloch / Streim / Wagner (1999). Zu speziellen Problemen von Versicherungsverträgen vgl. Rückle (1997), insbes. S. 296 – 302, und Rückle (1999a). 3 Hierzu sei auch ein langjähriges ertragreiches gemeinsames Doktorandenseminar – gemeinsam mit weiteren Kollegen – erwähnt. 4 So Vogel (2000), S. 90, gegenüber Bareis (2000). 5 Siehe Siegel / Kirchner / Elschen / Küpper / Rückle (2000). 6 Vgl. hierzu unten in den Abschnitten III.3.b) und IV.2.
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lichkeit oder zumindest breiter Kreise wahrgenommen werden sollen. Eine solche Principal-Agent-Beziehung liegt bekanntlich für die Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers7 vor8; doch kann für die Aufgabe des Hochschullehrers leicht eine Parallele gesehen werden. Mögliche Interessengegensätze werfen hier wie dort offene Fragen auf. Daher erscheint es reizvoll, von der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers auf die Unabhängigkeit des Hochschullehrers, insbesondere eines Wirtschaftsprüfungsprofessors, zu schauen. Gemeinsame Erfahrungen mit dem Jubilar sollen Anlaß sein, ihm den Versuch einer entsprechenden Analyse zu seinem 65. Geburtstag zu widmen. Zunächst wird das Unabhängigkeitsproblem allgemein modelliert (Kapitel II). Dann werden Probleme und Lösungsmöglichkeiten bezüglich der Unabhägngigkeit des Wirtschaftsprüfers diskutiert (Kapitel III). Schließlich werden Parallelen zu Problemen der Unabhängigkeit bei Hochschullehrern aufgezeigt (Kapitel IV), bevor Ergebnisse thesenförmig zusammengefaßt werden (Kapitel V).
II. Modellierung des Unabhängigkeitsproblems Das Grundmodell des Unabhängigkeitsproblems zeigt neben dem Auftraggeber und dem Beauftragten interessierte Dritte, deren Interessen möglicherweise nicht der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Auftragsbeziehung entsprechen. Auch beim Beauftragten selbst mag es Eigeninteressen geben, die der Auftragsabwicklung im Wege stehen. Wegen solcher Probleme kann es sowohl auf der Seite des Auftraggebers als auch auf der Seite des Beauftragten Institutionen geben, die u.a. zu dem Zweck eingerichtet sind, das Einwirken solcher Interessen zu verhindern, die der Auftragserfüllung entgegenstehen. Doch kann dieser Effekt wiederum durch Eigeninteressen dieser Institutionen bzw. bei deren handelnden Personen gestört werden. Abbildung 1 stellt zunächst die Akteure im allgemeinen Modell gegenüber. Abbildung 2 benennt die Akteure und skizziert die Dienstleistungsaufgaben (durchgezogene Pfeile) sowie möglicherweise entgegenstehende Interessen (gestrichelte Pfeile) im Hinblick auf die Aufgabe der Wirtschaftsprüfung. (Das Beziehungsgeflecht mag nicht vollständig dargestellt sein; hier geht es um die wichtigsten Verbindungslinien.)
___________ 7 Zur öffentlichen Aufgabe des Wirtschaftsprüfers vgl. etwa Hax (1965), S. 111; vgl. auch Rückle (2002), Sp. 1026. 8 Vgl. bereits Ballwieser (1987); vertiefend Ewert (1990), insbes. S. 17 – 96.
Unabhängigkeit bei Wirtschaftsprüfern und Hochschullehrern
Auftraggeber Eigen-I. Kontrollinstitutionen ökonomisch interessierte D r i t t e Berufsinstitutionen Eigen-I.
Eigen-I.
Beauftragter
Abbildung 1: Grundmodell
Kapitalmarktteilnehmer
Eigen-I. Aufsichtsrat Prüfstelle DPR / Wirtschaftsprüferkammer
Management
Institut der Wirtschaftsprüfer Eigen-I.
Eigen-I. Wirtschaftsprüfer Wirtschaftsprüfer
Abbildung 2: Modell Wirtschaftsprüfung
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Bevor auf Probleme und Lösungsansätze eingegangen wird, wird die (bedingte) Parallele hinsichtlich der Aufgabe des Hochschullehrers in gleicher Methodik skizziert (Abbildung 3). Im Vergleich zu Abbildung 2 wird hier auf einige Interessenlinien verzichtet, obwohl diese im Einzelfall dennoch relevant sein können. Studierende / Öffentlichkeit
Eigen-I. Hochschulgremien Wiss.Ministerium
ökonomisch interessierte D r i t t e
z.B. Verband der Hochschullehrer für BWL Eigen-I.
Eigen-I. Hochschullehrer
Abbildung 3: Modell Hochschullehrer
III. Zur Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers 1. Aufgaben des Wirtschaftsprüfers Zentrale Aufgabe des Wirtschaftsprüfers ist es, möglichst gut abzusichern, daß Jahresabschluß, ggf. Konzernabschluß und Lagebericht(e) der geprüften Unternehmung und ggf. des Konzerns9 für die Adressaten dieser Informationsinstrumente verläßlich sind.10 Dazu muß er sachkundig, vertrauenswürdig und „gegenüber dem zu untersuchenden Sachverhalt und den Personen, die ihn her___________ 9
Zur Bestellung und Abberufung des Abschlußprüfers nach österreichischem Recht vgl. Rückle (1989), (1996) und (2001b). 10 Zur Informationsasymmetrie als Ausgangspunkt der Prüfung vgl. Rückle (2005b), S. 13. Vgl. die Betonung der öffentlichen Aufgabe des Wirtschaftsprüfers bei Richter (2005b), S. 39 – 40, sowie Koch (2005).
Unabhängigkeit bei Wirtschaftsprüfern und Hochschullehrern
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beigeführt haben, unbefangen“11 sein. Bei den Adressaten handelt es sich um aktuelle und potenzielle Kapitalmarktteilnehmer12 i.w.S., also z.B. unter Einschluß von Banken und anderen Gläubigern. Unzutreffende Informationen in der Rechnungslegung seitens des Managements können bei Anlegern und Gläubigern Dispositionen veranlassen, durch die deren Ziele verfehlt (bzw. zielführende Dispositionen verhindert) werden. Bekanntlich kann das Management das Interesse verfolgen, nicht wahrheitsgemäß im Sinne der Rechnungslegungsregeln zu berichten, insbesondere um eigene Fehler zu verheimlichen oder auch nur um einen ohne eigenes Verschulden zustande gekommenen ungünstigen Geschäftsverlauf nicht verteidigen zu müssen; selbst bei günstigem tatsächlichem Ergebnis können sie zur Täuschung versucht sein, um Reserven für künftige Rückschläge zu legen. Der Abschlußprüfer muß mit derartigen Interessen rechnen und seine Prüfungshandlungen so einrichten, daß er ggf. Täuschungen möglichst aufdeckt. Voraussetzung für diese Fähigkeit ist zunächst eine gute Ausbildung – und später eine ständige Weiterbildung13 – des Wirtschaftsprüfers, u.a. damit er komplexe rechtliche und organisatorische Gestaltungen durchschauen kann. Jedoch wäre auch die Aufgabenerfüllung eines gut ausgebildeten Wirtschaftsprüfers gestört, wenn er gegenüber dem Management der geprüften Unternehmung nicht unabhängig ist.
2. Mögliche Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit Probleme der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers14, die sich aus der Beziehung zum Management ergeben können, lassen sich in Aspekte der Mandantenunabhängigkeit (äußere Unabhängigkeit) und Aspekte der Unbefangenheit (innere Unabhängigkeit) gliedern.15 Neben der tatsächlichen Unabhängigkeit (independence in fact) muß nach außen hin Vertrauen in ein unabhängig zu___________ 11
Leffson (1988), S. 8. Diese ökonomische Sicht hat sich im deutschen Recht noch nicht voll durchgesetzt; daher fehlt in Deutschland (anders als in den USA) bisher noch ein zweckentsprechendes Klagerecht von Aktionären. 13 Vgl. § 43 Abs. 2 Satz 4 WPO (Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung) i.d.F. vom 05.11.1975 (BGBl. I S. 2803), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.12.2004 (BGBl. I S. 3846)). 14 Ein Unabhängigkeitsproblem auf anderer Ebene kann hier nur erwähnt werden: Standardsetzer sind finanziell oder durch die Zusammensetzung des Gremiums Einflüssen der Rechnungsleger ausgesetzt. Vgl. Liesel Knorr nach einem Bericht in: Financial Times Deutschland, 28.1.2003, zitiert nach Ruhnke (2005), S. 74: „[...] die großen Konzerne [...] fordern dafür Einfluss. Motto: Wer zahlt, bestimmt die Musik.“ Vgl. ferner in bezug auf den FASB Braun (2005), S. 200, sowie zum IASB Schildbach (2005), S. 52. 15 Z.T. wird Unbefangenheit als Oberbegriff verstanden; vgl. Ewert (2002), Sp. 2387. 12
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stande gekommenes Prüfungsergebnis bestehen (independence in appearance); damit darf keine Besorgnis der Befangenheit vorliegen.16 Daß Abschlußprüfer dem Wunsch des Managements ausgesetzt sein können, einen Abschluß zu testieren, den sie für problematisch halten, dürfte unstrittig sein. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, daß sie im Interesse der Erhaltung ihres Mandates – möglicherweise auch von Beratungsaufträgen – nachgeben.17 Die Entwicklung hat vielfach dazu geführt, daß der Prüfer auch „umfassender Berater des Managements“ geworden ist; so versteht er sich möglicherweise nicht „nur einem Herrn, nämlich der Öffentlichkeit, verantwortlich“, sondern mag sich „typischerweise Seite an Seite im inneren Gleichklang“ mit dem Management sehen18. Eine Abhängigkeit vom Mandanten kann sich um so eher einstellen, je mehr der Prüfer wirtschaftlich auf die Fortführung seines Mandates angewiesen ist. Wirtschaftlicher Druck auf den Wirtschaftsprüfer mag durch deutliche Einbrüche bei den Prüfungshonoraren gefördert werden, die von Praktikern oft beklagt werden19; hier ist die Gefahr nicht zu übersehen, daß die Vertrauenswürdigkeit in das Testat sinkt, weil dem Prüfer als Reaktionsmöglichkeit vielleicht nur verbleibt, seine Prüfungshandlungen in zu geringem Umfang oder mit zu geringer Intensität bzw. Qualität vorzunehmen.20 Befangenheit kann eine objektive Aufgabenerfüllung des Prüfers stören, wenn – unabhängig von tatsächlicher oder latenter Einwirkung des Geprüften – Störungen dadurch eintreten können, daß der Prüfer durch persönliche Umstände mit der Unternehmung als Prüfungsgegenstand verbunden ist.21 Zunächst ist hier die Selbstverständlichkeit festzuhalten, daß ein Wirtschaftsprüfer nicht als Prüfer bei Sachverhalten in Betracht kommen kann, an deren Zustandekommen er beteiligt war. Relevant können weiterhin neben persönlichen Beziehungen im privaten Bereich oder als Funktionsträger bzw. Mitarbeiter der geprüften Unternehmen finanzielle Interessen aus Leistungsbeziehungen, aber auch als Anteilseigner sein. Heikel ist es dabei, die Frage zu beantworten, ob seine Unabhängigkeit beeinträchtigt ist, wenn er gleichzeitig als Berater und Prüfer auftritt. ___________ 16
Vgl. z.B. Rückle (2001b), Tz. 80 – 83; Marten / Quick / Ruhnke (2003), S. 151. Vgl. bereits Forster (1976), S. 331; Leffson (1988), S. 82. 18 Röhricht (2001), S. 82 (einschließlich der wörtlichen Zitate). Zum zweiten Zitat vgl. auch Seligman (2002) für die US-amerikanische Diskussion. 19 Vgl. auch Röhricht (2001), S. S 82. 20 Vgl. hierzu eindringlich Richter (2005b), S. 49 – 54: „Der Honorardruck ist außerordentlich hoch.“ (S. 49). Vgl. auch das Grünbuch der Kommission der Europäischen Union: „Anlaß zur Besorgnis“ (ABl. EG Nr. C 321 v. 28.10.1996, S. 1, hier Ziffer 4.11). 21 Vgl. zum Folgenden vertiefend etwa Leffson (1988), S. 70 – 86; v. Wysocki (1988), S. 64 – 70. 17
Unabhängigkeit bei Wirtschaftsprüfern und Hochschullehrern
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3. Gegenmaßnahmen a) Institutionalisierte Ansätze Der Gesetzgeber des HGB22 versucht, den skizzierten Unabhängigkeitsproblemen durch eine Reihe von Gegenmaßnahmen beizukommen. Wesentliche Versuche der Abhilfe stellen die Vorgabe von Begrenzungen der Honorare von Mandanten (in Relation zum Gesamtumsatz des Prüfers) und die Verpflichtung zu deren differenzierter Angabe dar.23 Weitere Transparenzmaßnahmen kommen in Betracht.24 Alternativen – wie etwa zeitliche Begrenzung25, mehrjährige Bestellung oder Bestellung von neutraler Seite – werden seit langem in der Literatur diskutiert26. Auch wird vorgeschlagen, der eventuellen Verführbarkeit des Wirtschaftsprüfers durch die Erwartung von Folgeaufträgen das Risiko der Dritthaftung gegenüberzustellen.27 Zur Vermeidung der Befangenheit stellt der Gesetzgeber z.T. strikte Regeln in HGB und WPO auf.28 Selbstverständlich darf der Prüfer nichts prüfen, an dessen Zustandekommen er beteiligt war.29 Eindeutig ist die gesetzliche Regelung indessen nur in bezug auf eine Beteiligung an Buchführung und Ab___________ 22 Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (RGBl. S. 219), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.08.2005 (BGBl. I S. 2267). 23 Vgl. § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 bzw. „bei Unternehmen von öffentlichem Interesse“ § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB; für diese vgl. auch die Pflicht zur differenzierten Angabe von Honoraren nach § 285 Nr. 17 HGB. Vgl. ferner die Berufssatzung für Wirtschaftsprüfer / vereidigte Buchprüfer vom 11.06.1996 (BAnz S. 7509), zuletzt geändert am 16.06.2005 (BAnz S. 12296), insbes. §§ 2, 21 – 23b. Vgl. zur Honorartransparenz auch Rückle (2005b), S. 22 und 27 – 28. 24 Vgl. hierzu Marx (2001), S. 491 – 508. 25 Zur internen Rotation „bei Unternehmen von öffentlichem Interesse“ vgl. § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 HGB. 26 Vgl. etwa als Überblick Buchner (1997), S. 48 – 50. Der in Deutschland unangefochtene Ausschluß als Abschlußprüfer bei jeglichem Anteilsbesitz (§ 319 Abs. 3 Nr. 1 HGB) gilt in Österreich erst ab 70.000 € oder 5 % des Nennkapitals (§ 271 Abs. 2 Z 1, Abs. 4 Z 1 HGB [Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (deutsches RGBl. S. 219), übernommen durch Rechts-Überleitungsgesetz vom 01.05.1945 (StGBl. 1945/6), zuletzt geändert durch das Rechnungslegungsänderungsgesetz vom 30.12.2004 (BGBl. I 2004/161)]; dies wird von Rückle (2005b), S. 19, mit Recht kritisiert. Vgl. im übrigen zur Auswahl der Abschlußprüfer und zu Ausschließungsgründen nach österreichischem Recht Rückle (1999b). 27 Vgl. Heukamp (2005), S. 484. Kritisch beurteilt Simons (2005), S. 133 – 161, den Nutzen einer Haftungsverschärfung; ähnlich bereits Rückle (2000), S. 203. 28 Vgl. § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 HGB, § 43a Abs. 3 WPO. Zu den Maßnahmen der Wirtschaftsprüferorganisationen zur Qualitätssicherung, u.a. mit Hilfe einer zu unterschreibenden Unabhängigkeitserklärung, vgl. Wirtschaftsprüferkammer / Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (2005), insbes. Tz. 36. 29 Vgl. § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a HGB.
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schlußaufstellung; für andere genannte Fälle sind jedoch mit Passagen wie „nicht nur unwesentlich“ Unschärfen der Regelung festzustellen30. Aber auch bezüglich der Abschlußaufstellung besteht ein Problem, auf das Rückle mit Recht hinweist31: Wenn ein Prüfer auf der Änderung des Jahresabschlusses besteht, muß er davor geschützt werden, daß ihm dies als unzulässige Mitwirkung ausgelegt wird. Im übrigen war bedauerlich, daß dem Wirtschaftsprüfer im Falle aufgedeckter Befangenheit bei seiner Tätigkeit nur berufsrechtliche, nicht aber zivilrechtliche Nachteile – insbesondere hinsichtlich seines Honorars32 – drohten, so daß insoweit eine Gesetzesänderung empfohlen wurde33; mit der Neufassung des § 319 Abs. 2 HGB durch das Bilanzrechtsreformgesetz34 entfällt nunmehr der Honoraranspruch bei Besorgnis der Befangenheit35. Für Kapitalmarktunternehmen ist zudem der Ausschluß von Rechts- oder Steuerberatungsmaßnahmen sowie der Installation von Rechnungslegungsinformationssystemen relevant. Auch hier sind Regelungsunschärfen zu verzeichnen36. Problematisch kann es sein, Prüfung und Beratung gleichzeitig zuzulassen37; der deutsche Gesetzgeber hat jedoch hierzu kein generelles Verbot ausgesprochen. Somit ist die deutsche Regelung38 weniger restriktiv als die in den USA nach dem Sarbanes Oxley Act39. Die Rechtsprechung zieht seit dem sog. Allweiler-Urteil40 die Grenze zur unzulässigen Beratung dort, wo der Prüfer über die Darstellung von Hand___________ 30 So in § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b – c HGB. Schwandtner (2002), S. 332, fordert die Formulierung eines umfassenden, detaillierten Katalogs strikter Befangenheitsgründe. 31 Vgl. Rückle (1995), S. 514. 32 Kein Verlust des Honoraranspruchs: BGH (2004). Das Gericht unterschied hier zwischen den (früher) in § 319 HGB und den nur in der WPO geregelten Fällen; bei alleinigem Verstoß gegen § 49 2. Alternative WPO sah es keine Nichtigkeit des Prüfungsvertrages. Anders BGH (1992) bei Verstoß gegen § 319 HGB; zu den daraus entstehenden Anreizen für den Auftraggeber der Prüfung vgl. Rückle (1995), S. 513 – 514. 33 Vgl. Ekkenga (2004), S. 2013; Richter (2005b), S. 47. 34 Bilanzrechtsreformgesetz vom 04.12.2004 (BGBl. I S. 3166). 35 Vgl. Förschle / Schmidt (2006), Anm. 93; Gelhausen / Heinz (2005), S. 699 – 700. 36 Vgl. § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 HGB. 37 Vgl. bereits Skepsis bei Leffson (1988), S. 84 – 86, und Rückle (1995), S. 511, sowie jüngere Abwägungen bei Ballwieser (2001), S. 104 – 110 (tendenziell gegen Ausschluß) sowie Marten / Quick / Ruhnke (2003), S. 160 – 162 (eher für Ausschluß). 38 Zum Vorschlag der Europäischen Kommission vgl. deren Pressemitteilung vom 16.3.2004, http://europa.eu.int/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/04/60& format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en (Abruf 31.01.2006). Zum aktuellen Stand der zu erwartenden EU-Richtlinie vgl. Lanfermann (2005). 39 Vgl. hierzu etwa Lenz (2002) mit einem kritischen Vergleich mit der Situation in Deutschland. 40 Vgl. BGH (1997) („Allweiler“), womit das entgegenstehende Urteil des OLG Karlsruhe (1995) aufgehoben wurde. Vgl. hierzu z.B. Demme (2003), S. 91 – 96.
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lungsmöglichkeiten und ihrer Konsequenzen hinausgeht und in die Entscheidungsfreiheit des Managements eingreift.41 Jedoch sieht dieses Kriterium nach einem Pyrrhussieg für die Objektivität aus: Sollte der kritische Fall vorliegen, daß Management und Prüfer einvernehmlich gegen die Interessen der Jahresabschlußadressaten handeln, so dürfte das Management doch wohl kaum erkennen lassen, daß ihm der Prüfer eine jahresabschlußrelevante Entscheidung abgenommen hat.42 Mit zunehmenden Restriktionen, die zu stärkerer Unabhängigkeit führen, wird die Prüfung für die Unternehmung und damit indirekt für die Kapitalmarktteilnehmer allerdings teurer.43 Für welches Ausmaß an Unabhängigkeit sich diese „Grenzkosten“ mit volkswirtschaftlichen „Grenzerträgen“ ausgleichen, ist offensichtlich unbekannt und wohl auch nicht im Zeitablauf konstant. Wahrscheinlichkeitsverteilungen lassen sich hierzu praktisch nicht abschätzen, zumal gerade vorher als quasi unmöglich angesehene Fälle wie bei Enron besonders gravierende Auswirkungen haben. Unter dieser Unsicherheit muß der Gesetzgeber politisch entscheiden. In den USA wird nach Enron die Abschaffung der Pflichtprüfung und ihre Ersetzung durch eine Versicherung diskutiert.44 Ggf. wäre zu erwarten, daß die Versicherungsunternehmungen Prüfungen veranlassen, für die das Unabhängigkeitsproblem entfiele. Die Interessenverbindung zwischen Prüfer und Versicherungsunternehmung dürfte sich positiv auf die Verläßlichkeit des Prüfungsergebnisses auswirken; nicht auszuschließen sind allerdings Einbußen des Informationsflusses zwischen geprüfter Unternehmung und Prüfer.45 Insgesamt könnte diese marktorientierte Lösung vorteilhaft für den Kapitalmarkt sein; offen – und von der Ausgestaltung eines solchen Versicherungsmodells abhängig – ist indessen, inwieweit andere Kreise als die (Eigen-)Kapitalgeber geschützt werden bzw. geschützt werden sollen46. Die möglicherweise vorhandenen Einschränkungen der Unabhängigkeit sollen im übrigen durch Institutionen verhindert werden, die zum Schutz der Kapitalmarktteilnehmer eingerichtet sind. Dies ist zunächst im Falle der Aktienge___________ 41 Vgl. hierzu die Empfehlung einer gesetzlichen Abgrenzung bei Rückle (2000), S. 194. 42 Vgl. bereits Siegel (1997), S. 876. 43 Vgl. die Betonung von Transaktionskosten- bzw. Synergievorteilen bei gleichzeitiger Prüfung und Beratung in der Diskussion um die Urteile des OLG Karlsruhe (1995) und des BGH (1997) bei Böcking / Löcke (1997), S. 465 – 467; Kämpfer (1997), S. 871; Schildbach (1997), S. 873; und Wiedmann (1997), S. 878. 44 Vgl. insbes. das Modell von Ronen (2002) sowie hierzu etwa Koch (2005) und Schmidt (2006), Kapitel 2 und 3. 45 Vgl. die tendenziell positive Einschätzung bei Schmidt (2006), Kapitel 3. 46 Daher eher skeptisch Koch (2005), S. 731 – 732.
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sellschaft der Aufsichtsrat47, ggf. unterstützt von einem Prüfungsausschuß48 in Anlehnung an Audit Committees in den USA, als Vertreter der Aktionäre. Da der Aufsichtsrat i.d.R. nicht über die fachliche Kompetenz verfügt, ist unverkennbar, daß der Erfüllung seiner Aufgaben nach § 171 AktG49, nämlich Jahresabschluß, Lagebericht und Gewinnverwendungsvorschlag zu prüfen, Grenzen gesetzt sind. Zudem kann ein Unabhängigkeitsproblem50 vorliegen, wenn Besorgnis der Befangenheit nicht auszuschließen ist, falls traditionell der bisherige Vorstandsvorsitzende als Aufsichtsratsvorsitzender bestellt wird.51 Auch bei Mitgliedern weiterer Institutionen sind Eigeninteressen oder Befangenheit denkbar, weil diese zumindest teilweise mit Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Verbindung stehen oder standen. Als weitere Kontrollinstitutionen kommen hier in Betracht die private Einrichtung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, die erforderlichenfalls Verdachtsfälle unzutreffender Rechnungslegung an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht weiterzugeben hat, sowie die öffentliche Einrichtung der Wirtschaftsprüferkammer, deren Aufgabe die Berufsaufsicht über die Wirtschaftsprüfer darstellt. So könnte gefragt werden, ob die Wirtschaftsprüferkammer erkennbar gegen den oben erwähnten Honorarverfall hätte eintreten sollen – aber vielleicht versuchte sie es im Hintergrund. Auch kann es fraglich sein, ob sich das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) als freiwillige, aber einflußreiche Berufsorganisation im Interesse des Kapitalmarkts verhält, falls ein Konflikt mit Wirtschaftsprüferinteressen besteht. Repräsentanten und Mitarbeiter des IDW stehen dem Berufsstand nah, dessen Interessen sie vertreten. Es ist nicht auszuschließen, daß hier Befangenheit zu besorgen ist.
___________ 47 Zur Beziehung zwischen Aufsichtsrat und Abschlußprüfer vgl. u.a. Rückle (2000), S. 178 – 185. 48 Vgl. Nr. 5.3.2. Deutscher Corporate Governance Kodex in der Fassung vom 02.06.2005, https://www.ebundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet?session.sessionid =30bbc0fcecdb26aa8233dfd2f7beb865&page.navid = quicksearchlisttoquicksearchdetail &globalsearch_searchlist.selected= 979d79cac117b290&globalsearch_searchlist.destHis toryId=3 (Abruf 27.12.2005). 49 Aktiengesetz vom 06.09.1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2802). 50 Vgl. zum Problem der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats insbes. Roth / Wörle (2004). 51 Dies soll nach Ziff. 5.4.4 des Deutschen Corporate Governance Kodex „nicht die Regel“ sein; vgl. http://www.corporate-governance-code.de/ger/download/D_CorGov_ Endfassung2005.pdf (Abruf 31.01.2006). Vgl. aber eine Pressenotiz (Der Tagesspiegel, 03.01.2006, S. 15): „Dax-Konzerne mißachten Moral-Kodex“ mit Hinweisen auf abweichende Handhabungen.
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b) Qualitätsanforderungen Den Jubilar dürfte der zuletzt angesprochene Zusammenhang an eine Aktion erinnern, an der er u.a. mit dem Verfasser beteiligt war:52 Unser Anliegen war es, zu vermeiden, daß Qualitätsanforderungen im Wirtschaftsprüferexamen gemindert werden. Wir wollten verhindern, daß das bisherige WP-Examen in vielen Fällen faktisch weitgehend abgeschafft würde53. Ausgangspunkte des Vorhabens seitens eines Teils der Wirtschaftsprüfer waren das bisherige hohe Anspruchsniveau des WP-Examens54 und zunächst wohl das Motiv, den Beruf für gute Hochschulabsolventen attraktiver zu machen55. Während die Dringlichkeit, anziehender zu werden, durch die Entwicklung auf den konkurrierenden Märkten reduziert wurde, wurde von einflußreichen Wirtschaftsprüfern argumentiert, durch die Prüfungserleichterung müsse ein früheres Bestallungsalter für Wirtschaftsprüfer erreicht werden.56 So formulierte ein prominenter Wirtschaftsprüfer auf der Jahrestagung des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft 2000 die Erwartung, die Universität solle schnell einsetzbare Prüfer hervorbringen.57 Dieter Rückle, der Verfasser und andere sehen hier einen Interessengegensatz, den sie zugunsten einer Zunahme der Wahrscheinlichkeit besserer Prüfungsqualität gelöst hätten, die u.E. aus dem Zwang folgt, einige Jahre nach dem Hochschulabschluß ein inzwischen gewachsenes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge nachzuweisen. Die durch die zunehmende Komplexität wirtschaftlicher Sachverhalte und namentlich seit dem KonTraG58 „deutlich gestiegenen Anforderungen an die betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten der WP“59 verlangen nach stärkerer Absicherung im Examen60; die Verlän___________ 52 Vgl. Siegel / Rückle / Sigloch (2001); Schneider / Bareis / Rückle / Siegel / Sigloch (2002); sowie den nach Einwirkungen von Wirtschaftsprüferseite nicht im Hauptteil, sondern auf römisch gezählten Seiten erschienenen Beitrag Siegel / Bareis / Rückle (2003); falls dieser Beitrag vom Buchbinder entfernt wurde, kann er beim Verfasser angefordert werden. 53 Vgl. inzwischen §§ 8a, 13b WPO. Vgl. auch Richter (2005a), S. 387, mit Hinweisen auf den voraussichtlichen Studienaufbau im Falle von § 8a WPO. 54 Vgl. eine Notiz [von Kolja Rudzio] in: Die Zeit, 12.6.2003, S. 26: „Der Einfall könne von Brecht sein, schimpft Theodor Siegel [...:] Der Kultusminister stellt fest, dass zu viele Prüflinge am Abitur scheitern – und schafft das Abi ab.“ 55 „Die ,Reform‘ war offensichtlich von einem kurzfristigen starken Personalengpass getrieben“: so Richter (2005a), S. 394, mit Hinweis auf Baetge / Ballwieser / Böcking (2001), S. 1138. 56 Vgl. IDW/WPK-Arbeitskreis „Reform des Wirtschaftsprüferexamens“ (2001), S. 1110. 57 Vgl. hierzu Schneider / Bareis / Rückle / Siegel / Sigloch (2002), S. 398. 58 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.04.1998 (BGBl. I S. 786). 59 Richter (2005a), S. 389, mit gleicher Hervorhebung.
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gerung der mündlichen Prüfung im Wirtschaftlichen Prüfungswesen um 15 Minuten ist als Ersatz im Vergleich mit einer vier- bis sechsstündigen Klausur „mehr als zweifelhaft“61. Auch geht der Vorwurf einer theorielastigen betriebswirtschaftlichen Ausbildung weitgehend fehl, denn die Komplexität einer sich wandelnden Welt kann nicht ohne Methodenkenntnisse erfaßt werden.62 Wie ein Testat mit einer Aussage zu Risiken für Entwicklung und Fortbestand der Unternehmung ohne theoretisches Durchdringen der Materie in einer Abschlußprüfung, die Züge eines „externen Controlling“63 annimmt64, verantwortet werden soll, erscheint unklar. Abgesehen davon ist zweifelhaft, ob bei einer Umorientierung der Studiengänge die kritische Funktion der Wissenschaft noch gefragt ist.65 Auch der Hinweis auf die internationale Harmonisierung des Wirtschaftsprüferberufs66 rechtfertigt keine Abstriche im Interessengegensatz zwischen einem Teil der Wirtschaftsprüfer und den Kapitalmarktinteressen an kompetenter Prüfung; die Anforderungen an die Qualifikation des Wirtschaftsprüfers dürfen nicht reduziert werden67. Falls gut ausgebildete deutsche und schwächer ausgebildete ausländische Prüfer konkurrieren, könnte ein aufgeklärter Kapitalmarkt auf Qualität achten.68
IV. Zur Unabhängigkeit des Hochschullehrers 1. Der Hochschullehrer im Unabhängigkeitsgeflecht Im folgenden sei betrachtet (vgl. Abbildung 3), inwieweit Parallelen zwischen dem Unabhängigkeitsproblem bei Wirtschaftsprüfern und bei Hochschullehrern zu erkennen sind. Beide werden letztlich im Interesse der Öffentlichkeit tätig – der im Fach Wirtschaftsprüfung Berufene etwa, um seinen Studierenden ___________ 60
Vgl. Schneider / Bareis / Rückle / Siegel / Sigloch (2002), S. 398. So auch Richter (2005b), S. 55, inzwischen mit dem Kommentar: „Das Gegenteil ist eingetreten.“ 61 Richter (2005a), S. 389 (beide Zitate, das erste mit derselben Hervorhebung). Im übrigen passen die zu „prüfenden“ betriebswirtschaftlichen Inhalte nicht zur Definition des Prüfungsfaches Wirtschaftliches Prüfungswesen; vgl. Siegel / Bareis / Rückle (2003). 62 Vgl. Schneider / Bareis / Rückle / Siegel / Sigloch (2002), S. 398. 63 So Förschle (2001), S. 283. 64 Vgl. Schwandtner (2002), S. 332. 65 Vgl. hierzu Hömberg (2002), S. 718; Richter (2005), S. 390. 66 Vgl. in diesem Zusammenhang Marten / Köhler / Klaas (2001). 67 So auch Richter (2005a), S. 392. 68 Vgl. Schneider / Bareis / Rückle / Siegel / Sigloch (2002), S. 402. Insoweit skeptisch allerdings Richter (2005a), S. 393.
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das Rüstzeug dafür zu vermitteln, daß Wirtschaftsprüfer ihre Aufgaben zugunsten des Kapitalmarktes erfüllen können. Zugleich soll der Hochschullehrer Forschungsergebnisse erarbeiten, die für Staat und Gesellschaft von Nutzen sind. Offensichtlich ist jedoch nicht auszuschließen, daß Ergebnisse in Forschung und Lehre dem Interesse Dritter zuwiderlaufen. Andererseits sollte das Interesse der Öffentlichkeit durch Hochschulgremien und z.B. Wissenschaftsministerien gestützt werden, wie die Unabhängigkeit des Hochschullehrers durch seine Berufsorganisationen gefördert werden sollte. Derartige Beziehungen einschließlich denkbarer Störungen durch Eigeninteressen seien im folgenden skizziert.
2. Mögliche Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit Daß ökonomisch interessierte Dritte, wie insbesondere Unternehmungen oder Wirtschaftsverbände, möglicherweise die Verbreitung von Forschungsergebnissen nicht gerade fördern, wenn sie ihrem Interesse entgegenstehen, dürfte unstrittig sein. Dies kann man ihnen nicht verübeln. Zu kritisieren ist jedoch, daß in Einzelfällen auch versucht wird, den Hochschullehrer durch Gewährung von Vorteilen zum Stillschweigen (oder gar zur Darstellung unzutreffender Ergebnisse) zu bewegen.69 So können dessen Eigeninteressen seiner tatsächlichen Unabhängigkeit im Wege stehen. Der Übergang zu einer Problematik, die durch die Knappheit der öffentlichen Finanzen ausgelöst wird, ist fließend: Nicht selten können Fächer nur noch angeboten werden, wenn es gelingt, einen Stiftungslehrstuhl zu gewinnen. Das Interessenproblem kann sich verstärken, wenn eine Professur auf Zeit betroffen ist, deren Verlängerung faktisch von der Zustimmung Externer abhängt. Es ist nicht auszuschließen, daß an solchen Lehrstühlen Forschungsergebnisse entstehen, die dem Interesse des Stifters zuwiderlaufen. Was aber, wenn an einem von der Pharmaindustrie bezahlten Lehrstuhl die Schädlichkeit eines von der betreffenden Unternehmung hergestellten Medikaments festgestellt wird? In klaren Fällen dürfte das Verhalten der Beteiligten klar ethischen Maßstäben genügen70 – aber die Situation ist nicht immer so „klar“. ___________ 69
So in einer Notiz in: Die Zeit, 09.06.2005, S. 41: „15,5 Prozent [der Forscher] hatten gar auf Druck ihrer Finanziers Aufbau, Methode oder Resultat einer Studie verändert“; vgl. im Detail Martinson / Anderson / de Vries (2005), hier Table 1. Vgl. ferner Grüning / Gilmore / McKee (2006) mit der Kommentierung „Es ist besonders verwerflich, dass sich ausgerechnet Gesundheitswissenschaftler von der Tabakindustrie haben kaufen lassen.“ in: Der Spiegel, 04.06.2005 (zitiert nach: www.spiegel.de/spiegel/vorab/ 0,1518,druck-358976,00.html; Abruf 31.01.2006). 70 Vgl. aber bei FN 69.
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Dieter Rückle war mit dem Verfasser an einer Veröffentlichung beteiligt, die mit dem Eintreten für die Transparenz stiller Reserven kaum im Interesse einiger Kapitalgesellschaften war.71 Er hat Positionen vertreten und war an deren Durchsetzung beteiligt, die der Versicherungsbranche nicht zur Freude geraten sein können.72 Der Verfasser kennt Dieter Rückle lange genug, um überzeugt zu sein, daß er die Intransparenz stiller Reserven nicht verteidigt hätte, würde sein Lehrstuhl von einer Versicherungsgesellschaft finanziert. Aber hätte er nicht um das brisante Thema einen Bogen machen müssen? Hält jeder die zu vermutenden Konflikte durch? Nicht zuletzt können auch an Wirtschaftsprüfungslehrstühlen Auffassungen vertreten werden73, bei denen Schwierigkeiten nicht auszuschließen sind, wenn es sich um entsprechende Stiftungslehrstühle handelt. Andererseits ist zumindest die Forschung häufig nicht ohne Drittmitteleinwerbung möglich. Hinzu kommt, daß die Verteilung des Hochschulbudgets vielfach positiv von den eingeworbenen Drittmitteln abhängt. M.E. liegt hier ein schwerwiegendes Problem vor, das insbesondere in der Medizin viele offene Fragen aufwirft: Einerseits kann es zu den Dienstaufgaben gehören, Drittmittel einzuwerben; andererseits ist die Grenze zur Vorteilsnahme bzw. Korruption unklar. Ein Medizinerkongreß unter dem Titel „Drittmitteleinwerbung – strafbare Dienstpflicht?“ brachte das Problem auf den Punkt.74 In der Nähe der zuletzt angesprochenen Problematik liegt die Situation, daß der Hochschullehrer zwar unabhängig ist, jedoch Eigeninteressen verfolgt, die seiner dienstlichen Aufgabe zuwiderlaufen. Gedacht ist hier nicht an das mitunter auftretende fehlende Engagement, sondern daß ein Wissenschaftler eine persönliche Wertung nicht erkennen läßt. Hier besteht die Gefahr, daß er seine Wertung als wissenschaftlich „bewiesenes“ Ergebnis einbringt. Beispielsweise kann ein Wissenschaftler vielleicht aus christlicher Überzeugung der Ansicht sein, daß eine Ehe steuerlich progressionsabhängig gefördert werden soll. Wenn er – statt inhaltlich zu begründen, warum der Splittingvorteil mit zunehmendem Einkommen (in vielen Fällen) steigen soll – dies als zwangsläufiges Ergebnis des Progressionstarifs darstellt, ist dies m.E. bedenklich.75
___________ 71
Vgl. Siegel / Bareis / Rückle / Schneider / Sigloch / Streim / Wagner (1999). Vgl. oben bei FN 1 und 2. 73 Vgl. oben in Abschnitt III.3.b). 74 Vgl. hierzu Tag / Tröger (2003). 75 Vgl. hierzu Siegel (2001). 72
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3. Gegenmaßnahmen Unabhängigkeitsprobleme werden sich wohl kaum jemals völlig vermeiden lassen. Doch ist nach Maßnahmen zu suchen, die eine Abschwächung erwarten lassen. Zunächst könnte auch hier an öffentliche Institutionen gedacht werden, welche die Studierenden und damit letztlich die Öffentlichkeit schützen. Solche Gegenmaßnahmen könnten von Gremien an der jeweiligen Hochschule oder von Organen der Dienstaufsicht wie einem Wissenschaftsministerium ausgehen. Es ist allerdings fraglich, ob ein Ministerium systematisch Instrumente einsetzen kann, mit denen eine Einflußnahme von außen aufgedeckt werden kann; dies gilt erst recht hinsichtlich des Unterschiebens von Eigeninteressen. Eine Aufsichtsinstanz könnte wohl allenfalls „Whistleblowing“ aufgreifen.76 Auch erscheint die Aussicht gering, äußere oder „innere“ Beeinträchtigungen bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Hochschullehrers innerhalb der Fakultät oder der Hochschule zu beseitigen. Am ehesten könnte dies aus dem engen Kollegenkreis zu erwarten sein. Doch ist hier wiederum mit Befangenheit zu rechnen; häufig besteht ein Beziehungsgeflecht, innerhalb dessen leicht ein bisheriger Interessenausgleich bei Kritik unter Kollegen gefährdet sein kann. Befangenheit kann sich ebenfalls auf der Ebene von Berufsverbänden der Hochschullehrer einstellen. Auch deren Repräsentanten können Eigeninteressen unterliegen. Als im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) erhebliche Kritik gegenüber den von großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften (und im Umfeld des IDW) betriebenen Erleichterungen des Wirtschaftsprüferexamens aufkam77, erschien es fragwürdig, daß der VHB-Vorstand in den Gesprächen78 mit den Wirtschaftsprüfern ausgerechnet durch einen früheren Vorsitzenden des IDW vertreten wurde. Weiterhin haben Dieter Rückle, der Verfasser und andere Akteure nicht verstanden, daß der VHB-Vorstand das Vorhaben der großen WP-Gesellschaften zumindest tolerierte, wenn nicht faktisch guthieß; er begründete sein Verhalten mit einer hohen Anzahl sich nicht beteiligender Mitglieder, obwohl die Ergebnisse der Gespräche durch eine Umfra-
___________ 76
Zur Problematik des Whistleblowing vgl. Schmidt (2005). Vgl. oben in Abschnitt III.3.b). 78 Beschluß der VHB-Hauptversammlung am 12.6.2003 in Zürich: „Es muss sichergestellt werden, dass die angewandte BWL innerhalb des WP-Examens angemessen geprüft wird“; vgl. auch Richter (2005a), S. 388, FN 48. 77
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gemehrheit von 88 % zu 12 % abgelehnt wurde.79 Eine Stärkung der Unabhängigkeit von Hochschullehrern war hier wohl nicht zu erkennen.80 Die kommende Verbindung zwischen WP-Examen und Hochschulexamen81 führt auch zu einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Hochschulen: Die inzwischen erlassene Wirtschaftsprüferexamens-Anrechnungsverordnung82 greift faktisch in die Festlegung von Studienprogrammen ein83; vermutlich lassen sich die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten im Interesse ihrer Absolventen nach Möglichkeit darauf ein. Allerdings ist es zweifelhaft, ob kleinere Universitäten über diese Möglichkeit verfügen! Dieter Rückle hat gemeinsam u.a. mit dem Verfasser und anderen bereits 2002 auf anzunehmende Folgewirkungen hingewiesen, wenn Studiengänge wie Master of Accounting eingerichtet werden: „Dann könnten die Verwaltungschefs von Kliniken ,Gesundheitsmanagement’ zertifizieren wollen [...]“.84 So verwundert es nicht, daß die Deutsche Gesellschaft für Personalführung verkündet hat, „künftig das Studienfach Personalwirtschaft an den Hochschulen zertifizieren zu wollen.“ Vielleicht hat eine Mehrheit der fachlich nahestehenden Hochschullehrer („Die laufen dagegen Sturm“, wie z.B. Christian Scholz: „Die glauben, einen Studiengang kann man genauso zertifizieren wie ein KfzErsatzteil.“85) diesmal mehr Erfolg. Ein Studiengang Master of Taxation mit Anrechnungen beim Steuerberaterexamen dürfte dagegen mehr Aussichten auf seine Einrichtung haben. Die Bundessteuerberaterkammer erwartet dabei „ein wesentliches Mitspracherecht bei der Gestaltung der Studienpläne“ und geht auch von einem „Mitwirkungsrecht“ der Finanzverwaltung aus.86 Die zu ver___________ 79 Richter (2005a), S. 378: Die „Bedenken gegen den Wegfall der BWL-Prüfung im WP-Examen wurden von zahlreichen Universitätsprofessoren und WPs geteilt.“ 80 Grundsätzlich kommt auch Besorgnis der Befangenheit in Betracht, wenn ein Verbandsvorstand einer Fakultät angehört, in der eine Stiftungsprofessur mit wesentlicher Finanzierung durch WP-Gesellschaften eingeworben wurde. 81 Dabei wird im übrigen – m.E. ohne hinreichenden Widerstand des VHB – die angeblich „überkommene Unterscheidung zwischen Universitätsstudium und Fachhochschulstudium abgeschafft“, wie sich faktisch mit Kaiser (2003), S. 996, das federführende Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ausdrückt (jetzt: BMWi). Vgl. die Warnung bei Schneider et al. (2002), S. 402 – 403, und die Kritik bei Richter (2005b), S. 55. 82 Wirtschaftsprüfungsexamens-Anrechnungsverordnung vom 27.05.2005 (BGBl. I 2005 S. 1520). 83 „Eine Standardisierung der Inhalte wäre eine Fortschrittsbremse erster Klasse. Wir können es uns noch leisten, voraus zu denken, während die Praktiker in ihrer Arbeit ertrinken.“: so Hans-Jürgen Drumm, zitiert bei Schwertfeger (2006), S. 31. 84 Schneider / Bareis / Rückle / Siegel / Sigloch (2002), S. 401. 85 Alle Zitate bei Schwertfeger (2006), S. 30. Zur Evaluation vgl. Armutat (2005), insbes. S. 35 – 38. 86 Grürmann (2005).
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mutenden Kompromisse lassen sich m.E. nicht mit der erforderlichen Autonomie der Hochschulen vereinbaren.87 Grundsätzlich könnten Berufsverbände wie der VHB die Hochschullehrer durch die Diskussion eines Ethik-Kodex zumindest sensibilisieren. Dabei sind Kontrollen zur Vermeidung der Fälschung von Forschungsergebnissen in der Betriebswirtschaftslehre wohl weniger relevant und wären ggf. auch kaum zu realisieren. (Immerhin kann durch ein Fehlverhalten Einzelner – wie bei Wirtschaftsprüfern – bekanntlich ein Berufsstand insgesamt in Mißkredit geraten.) Jedoch ist es m.E. lohnenswert, mehr Verständnis dafür zu erzielen, daß es sich bei der Betriebswirtschaftslehre nicht um eine Naturwissenschaft mit beweisbaren bzw. falsifizierbaren Sachverhalten handelt, wenn sie sich normativen Fragen widmet – hier liegt stets eine Wertung zugrunde. Transparenz in bezug auf die Ausgangswertung und die Ableitung des Ergebnisses hieraus ist m.E. eine wesentliche Forderung an den Hochschullehrer, deren Erfüllung seine Unanfechtbarkeit und damit indirekt seine Unabhängigkeit fördert. Die mögliche Befangenheit von Hochschullehrern in ihrer Beziehung zu Lehrstuhlstiftern kann vermieden – zumindest verringert – werden, wenn die Stiftung über ein Sammelbecken wie z.B. den Stifterverband für die deutsche Wissenschaft erfolgt. Entsprechendes kann offensichtlich für partielle Förderungen angeführt werden; so kamen dem Verfasser Büchermittel von einem regionalen Förderverein zugute, ohne die er seinen Wirtschaftsprüfungslehrstuhl längst in einen Lehrstuhl für Wirtschaftsprüfungsgeschichte hätte umwidmen lassen müssen. Schließlich sei eine Lösung für ein indirektes Unabhängigkeitsproblem des Hochschullehrers vorgeschlagen, bei der sich der Verfasser in Übereinstimmung mit Dieter Rückle glaubt, der stets für Transparenz eingetreten ist: Die wissenschaftliche Fachgemeinschaft sollte einen common sense entwickeln, nach dem darauf geachtet wird, daß Wissenschaftler bei der Darstellung normativer Ergebnisse nicht implizit eine „naturwissenschaftliche“ Logik reklamieren, sondern ihre Ausgangswertungen offenbaren und daraus ihre Lösungen ableiten. Damit ist nicht gemeint, daß zunächst z.B. ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft abzulegen ist; aber innerhalb dieses Rahmens ist durchaus nicht selbstverständlich, welche Vorstellungen z.B. über das Leistungsfähigkeitsprinzip oder die Aufgaben des Jahresabschlusses bzw. dessen Prüfung dem Forschungsergebnis zugrunde liegen. Die Offenlegung von Wertungen ist insbesondere dann angezeigt, wenn für das zu lösende Problem unterschiedliche Ziele in Betracht kommen: Warum werden welche Ziele in welcher Weise berücksichtigt (oder nicht)? ___________ 87
Inzwischen hat sich das Bundesfinanzministerium „dem Vernehmen nach“ genau aus diesem Grund mit verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Anrechnungsprojekt zurückgezogen. Leider kennt das BMWi (vgl. Fn. 81) entsprechende Bedenken nicht.
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V. Thesen 1. Unabhängigkeitsfragen weisen für Wirtschaftsprüfer und für Hochschullehrer gewisse Parallelen bezüglich ihrer öffentlich orientierten Aufgabenstellung auf. In beiden Bereichen sollte der Möglichkeit, daß Dritte wegen abweichender Interessen eine Einflußnahme versuchen, entgegengetreten werden. Dazu gehört auch, daß bereits eine Besorgnis der Befangenheit vermieden werden sollte. 2. Ein wichtiges Instrument zur Förderung der Unabhängigkeit von Wirtschaftsprüfern ist die Forderung von Transparenz. Hier sind Fortschritte zu verzeichnen; Transparenz von Honoraren wirkt der Gefahr unvertretbarer Preiszugeständnisse und der damit verbundenen Gefahr erheblich verringerter Prüfungsqualität entgegen. 3. Ob der Gesetzgeber gleichzeitige Prüfung und Beratung bei demselben Mandanten verbieten oder in bestimmtem Ausmaß erlauben sollte, ist eine offene Frage, zu der ein Optimum wegen der Gefahr von Ausreißern kaum zu bestimmen ist: Die Erlaubnis ist für die beteiligten Unternehmungen kostensparend; die Verweigerung verringert das mögliche Abhängigkeitsproblem. Wo sich volkswirtschaftliche „Grenzkosten“ und „Grenzerträge“ ausgleichen, ist unter der gegebenen Unsicherheit nicht festzustellen. 4. Daß die Tätigkeit von Abschlußprüfern möglicherweise kontrolliert wird, erscheint zur Förderung des Vertrauens in deren Tätigkeit geeignet und fördert indirekt ihre Unabhängigkeit. Gegenwärtig zeichnet sich ein nützliches Wirken der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung ab. 5. Daß demnächst vielfach auf die zusätzliche Absicherung betriebswirtschaftlicher Kenntnisse und Fähigkeiten im WP-Examen verzichtet wird, erscheint dem Verfasser gemeinsam mit Dieter Rückle und anderen unzweckmäßig, und zwar auch im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer, die nicht zuletzt mit ihrer fachlichen Kompetenz zu tun hat. Die zunehmende Komplexität der ökonomischen Umwelt (einschließlich der Rechnungslegungsvorschriften) bei steigenden Anforderungen an die Abschlußprüfung, z.B. hinsichtlich der Risikovorsorge, verlangen wohl eher eine Erschwerung des Examens statt seine Erleichterung. 6. Eine problematische Entwicklung könnte eintreten, wenn Praktiker an der Zertifizierung von Studiengängen beteiligt sind. Die lang anhaltende Ablehnung wissenschaftlich begründeter Verfahren der Unternehmensbewertung bei Wirtschaftsprüfern88 könnte in diesem Zusammenhang bei Hochschullehrern ___________ 88
Vgl. etwa den Vorwurf „Orientierung an ‚Hausrezepten‘ statt an ,Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung‘ “ bei Moxter (1977), S. 253, sowie die Diskus-
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wie Dieter Rückle und dem Verfasser, die an Fragen der Unternehmensbewertung interessiert sind, erinnerlich sein. 7. Es wäre lebensfremd, bei Hochschullehrern eine Beeinflußbarkeit seitens Dritter, verbunden mit finanziellen oder anderen Vorteilen, auszuschließen. Bei fehlenden öffentlichen Mitteln kann der Hochschullehrer den Interessen Dritter um so stärker ausgesetzt sein. Eine wirksame Gegenmaßnahme dürfte die Unterstützung seitens der Praxis über einen „anonymisierenden“ Pool darstellen. 8. Als wesentliche indirekte Förderung der Unabhängigkeit des Hochschullehrers zumindest im Bereich der Ökonomie erscheint die Anerkennung der Tatsache, daß bei normativen Fragen keine quasi-naturwissenschaftlich logischen Ergebnisse zu gewinnen, sondern stets nur logisch aus bestimmten Ausgangswertungen abzuleiten sind. Es ist wichtig, diese Wertungen transparent zu machen. Diese Forderung wird man kaum mit Vorschriften erreichen können, doch dürfte es nicht vergeblich sein, wenn unter Fachkollegen auf eine entsprechende gute „Corporate Governance“ hingearbeitet würde. 9. Das hier gewünschte Engagement für Transparenz paßt nach der Wahrnehmung des Verfassers gut auf die Person Dieter Rückles. Daher verbindet der Verfasser seine Glückwünsche nicht nur mit dem Wunsche, daß Dieter Rückle der Fachwelt mit weiteren wissenschaftlichen Ergebnissen verbunden bleibt, sondern sich auch weiterhin in relevante Praxisfragen „einmischt“.
Literatur- und Rechtsprechungsverzeichnis Armutat, Sascha (2005): Leitfaden für die Erstellung und Evaluation profesionalitätsförderlicher Studienfachkonzepte im Studienfach Personal; PraxiPapiere 5/2005; Hrsg. Deutsche Gesellschaft für Personalführung; Düsseldorf 2005; http://www1.dgfp.com/ dgfp/data/Wissenschaft_und_Praxis/Hochschulstandard.pdf (Abruf 31.1.2006). Baetge, Jörg / Ballwieser, Wolfgang / Böcking, Hans-Joachim (2001): Ansätze für eine Reform der Hochschulausbildung im Fach „Wirtschaftsprüfung“; in: Die Wirtschaftsprüfung, 54. Jg. (2001), S. 1138 – 1152. Ballwieser, Wolfgang (1987): Auditing in an Agency Setting; in: Agency Theory, Information, and Incentives; Hrsg. Günter Bamberg / Klaus Spremann; Berlin et al. 1987; S. 327 – 346. – (1991): Die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers – Eine Analyse von Beratungsverbot und externer Rotation; in: Der Wirtschaftsprüfer als Element der Corporate Governance; Hrsg. Marcus Lutter; Düsseldorf 2001; S. 99 – 115. Bareis, Peter (2000): Gebietet das Grundgesetz bei der Ehegattenbesteuerung die Mißachtung ökonomischer Wirkungen? – Analyse eines Rechtsgutachtens Klaus Vogels; in: Steuer und Wirtschaft, 77. Jg. (2000), S. 81 – 90.
___________ sion zwischen Wolfgang Dörner (seinerzeit Vorsitzender des Arbeitskreises Unternehmensbewertung des IDW) und Adolf Moxter in dem Band dieser Quelle, S. 260 – 261.
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Theodor Siegel
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Schriftenverzeichnis Dieter Rückle (1)
Zur Diskussion um die Selbständigkeit der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 19. Jg. (1967), S. 36 – 48.
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(3)
Zielfunktion und Rechengrößen der Investitionsrechnung; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 20 (1970), S. 39 – 76.
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Rezension zu: Stahl, Hans: Aktien vor und nach Kapitalerhöhungen. Ausstattung und Kursentwicklung alter und junger Aktien; Frankfurt am Main 1969; in: Österreichisches Bankarchiv, 18. Jg. (1970), S. 240 – 245.
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(mit Gerwald Mandl): Der Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung für Hochschulprüfungen aus dem Gebiete der Buchhaltung und Bilanzierung; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 21 (1971), S. 59 – 76.
(6)
Rezension zu: Scherpf, Peter: Die aktienrechtliche Rechnungslegung und Prüfung; Köln-Marienburg 1967; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 21 (1971), S. 147 – 149.
(7)
Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft (Besprechungsaufsatz zu: Adler / Düring / Schmaltz (1968 / 1972): Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft; Kurt Schmaltz / Karl-Heinz Forster / Reinhard Goerdeler / Hans Havermann; 4. Auflage; Band 1 – 3; Stuttgart 1968 / 1972); in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 22 (1972), S. 204 – 228.
(8)
Die Reform der Rechnungslegungsfristen des Aktiengesetzes 1965 – eine publizitätspolitische Notwendigkeit; in: Quartalshefte der Giro-Zentrale (Wien), 7. Jg. (1972), S. 109 – 117.
(9)
Die bücherliche Behandlung des Investitionsfreibetrages gem. § 6 f EStG; in: Österreichische Steuer- und Wirtschaftskartei, 47. Jg. (1972), Abteilung A I, S. 167 – 170.
(10) Zur optimalen zeitlichen Verschiebung der Zahlungslasten aus einem Darlehen; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 24. Jg. (1972), S. 701 – 703. (11) (mit Gerwald Mandl): Die Abschreibungsberechnung für nachträgliche Einbauten; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 22 (1972), S. 78 – 86. (12) (mit Helmut Uhlir): Der steuerbegünstigte Erwerb junger Aktien – eine Fehlkalkulation?; in: Österreichische Steuer- und Wirtschaftskartei, 48. Jg. (1973), Abteilung A VII, S. 1 – 17. (13) Rezension zu: Walter Losert / Karl Schiemer unter Mitwirkung von Max Stadler (Hrsg.): Aktiengesetz 1965 – Mit Gesetzesmaterialien und ausführlichen Erläute-
562
Schriftenverzeichnis Dieter Rückle rungen; Wien 1966; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 23 (1973), S. 126 – 128.
(14) Rezension zu: Bühler, Ottmar / Scherpf, Peter: Bilanz und Steuer; 7. Auflage; München 1971; in: Der Österreichische Betriebswirt, Band 23 (1973), S. 253 – 255. (15) (mit Erich Loitlsberger und Gerhard Knolmayer): Hochschul-Planungsrechnung – Aktivitätenplanung und Kostenrechnung an Hochschulen; Wien / New York 1973. (16) Aktuelle Probleme der Berechnung der Absetzung für Abnutzung; in: Österreichische Steuer- und Wirtschaftskartei, 49. Jg. (1974), Abteilung A I, S. 62 – 68. (17) Rezension zu: Stüdemann, Klaus: Der Effektenbestand in West-Deutschland als materielle Grundlage der allgemeinen Einführung von Bucheffekten, Berlin 1966; in: Österreichisches Bankarchiv, 22. Jg. (1974), S. 66 – 69. (18) Rezension zu: Becker, Claus: Optimale Betriebsgrößen, Köln / Opladen 1969; in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Band 34 (1974), S. 229 – 233. (19) Interessenausgleich und wirtschaftliche Aufgabenteilung bei der Entwicklung von Grundsätzen ordnungsmäßiger Abschlußprüfung; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 27. Jg. (1975), S. 517 – 537. (20) Rezension zu: Müller-Kröncke, Gerhard A.: Entscheidungsmodelle für die Steuerbilanzpolitik; Berlin 1974; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 27. Jg. (1975), S. 663 – 665. (21) Rezension zu: Geese, Wieland: Steuern im entscheidungsorientierten Rechnungswesen. Zur Zurechenbarkeit von Steuern in der Deckungsbeitragsrechnung; Opladen 1972; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 27. Jg. (1975), S. 462 – 465. (22) Die Investitionsentscheidung als Problem der Betriebswirtschaftslehre und der Informatik (Besprechungsaufsatz zu: Niemeyer, Gerhard: Investitionsentscheidungen mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung; Berlin 1970); in: Journal für Betriebswirtschaft, 25. Jg. (1975), S. 236 – 246. (23) Rezension zu: Eisenach, Manfred: Entscheidungsorientierte Steuerplanung; Wiesbaden 1974; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 27. Jg. (1975), S. 657 – 659. (24) (mit Gerwald Mandl): Lernsteuerung und Prüfungsrationalisierung mit EDV auf dem Gebiet des Rechnungswesens; in: Schweizerische Zeitschrift für kaufmännisches Bildungswesen, 70. Jg. (1976), S. 77 – 96. (25) (mit Gerhard Knolmayer): Betriebswirtschaftliche Grundlagen der Projektkostenminimierung in der Netzplantechnik; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 28. Jg. (1976), S. 431 – 447. (26) Rezension zu: Sieben, Günter / Matschke, Manfred Jürgen / Neuhäuser, HansJürgen: Bilanzdelikte; Wiesbaden 1974; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 28. Jg. (1976), S. 77. (27) Rezension zu: Sölter, Arno: Investitionswettbewerb und Investitionskontrolle. Ordnungspolitische Aspekte der unternehmerischen, staatsinterventionistischen,
Schriftenverzeichnis Dieter Rückle
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planwirtschaftlichen und basisdemokratischen Investitionspolitik; Köln et al. 1973; in: Zeitschrift für Nationalökonomie, Band 36 (1976), S. 213 – 216. (28) Betriebswirtschaftliche Analyse einer Kreditsteuer; in: Österreichisches Bankarchiv, 25. Jg. (1977), S. 206 – 220. (29) Besteuerung des periodenrichtigen Erfolges, unsichere Erwartungen und Konkurs; in: Journal für Betriebswirtschaft, 27. Jg. (1977), Teil 1: S. 102 – 115, Teil 2: S. 129 – 137. (30) Rezension zu: Klussmann, Günther: Geschäftslagetäuschungen nach § 400 AktG; Stuttgart 1975; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 29. Jg. (1977), S. 54 – 55. (31) Rezension zu: Haberstock, Lothar: Die Steuerplanung der internationalen Unternehmung; Wiesbaden 1976; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 29. Jg. (1977), S. 601 – 603. (32) Rezension zu: Tipke, Klaus: Steuerrecht; 4. Auflage; Köln 1977; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 29. Jg. (1977), S. 825 – 827. (33) Rezension zu: Bilanzfragen – Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Ulrich Leffson; Hrsg. Jörg Baetge / Adolf Moxter / Dieter Schneider; Düsseldorf 1976; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 30. Jg. (1978), S. 252 – 254. (34) Prüfungswege; in: Treuhandwesen; Hrsg. Karl Lechner; Wien 1978; S. 797 – 842. (35) Zur Diskussion um systemkonforme Prüfungsgrundsätze; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 32. Jg. (1980), S. 54 – 73. (36) Rezension zu: Jacob, Herbert (Hrsg.): Betriebswirtschaftliche Fallstudien mit Lösungen; Wiesbaden 1976; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 32. Jg. (1980), S. 384 – 385. (37) Gestaltung und Prüfung externer Prognosen; in: Management und Kontrolle: Festschrift für Erich Loitlsberger; Hrsg. Gerhard Seicht; Berlin 1981; S. 431 – 468. (38) Bericht über das 7th Annual Meeting der European Finance Association in Graz vom 11.–13. September 1980; in: Die Betriebswirtschaft, 41. Jg. (1981), S. 153 – 154. (39) Bericht über das Symposion „Wirtschaftsprüfung und Universität“ am 18. Oktober 1980 in Münster; in: Die Betriebswirtschaft, 41. Jg. (1981), S. 161 – 162. (40) Diskussionsbeiträge; in: Verhandlungen des Vierundfünfzigsten Deutschen Juristentages; Nürnberg 1982; Abteilung Sanierung von Unternehmen; Hrsg. Ständige Deputation des Deutschen Juristentages; Band II (Sitzungsberichte); München 1982; S. M 99 – 101 und M 148 – 151. (41) (mit Volkmar Klatte): Die Wahl zwischen Leasing und darlehensfinanziertem Kauf, Arbeitspapier Nr. 1 des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzierung; Münster 1983 (IV + 67 S.); 2. Auflage; Münster 1984 (IV + 73 S.) (als Manuskript veröffentlicht). (42) Betriebliche Investitionen (Sammelrezension); in: Die Betriebswirtschaft, 43. Jg. (1983), S. 457 – 476.
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Schriftenverzeichnis Dieter Rückle
(43) Von Arbeitern und Angestellten gegebene Kautionen; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Karl Vodrazka; Wien 1983; S. 531 – 532; (unveränderte Fassung) 2. Auflage; Wien 1987; S. 551 – 552. (44) Anzahlungen von Kunden; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Karl Vodrazka; Wien 1983; S. 533 – 536. (45) Verbindlichkeiten auf Grund von Warenlieferungen und Leistungen; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Karl Vodrazka; Wien 1983; S. 537 – 567. (46) Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlußprüfung; in: Handwörterbuch der Revision; Hrsg. Adolf G. Coenenberg / Klaus v. Wysocki; Stuttgart 1983; Sp. 554 – 571. Wieder abgedruckt in: Handbuch der Abschlußprüfung; Hrsg. Adolf G. Coenenberg / Klaus v. Wysocki, Stuttgart 1985; Sp. 732 – 749. (47) Normative Theorie der Steuerbilanzpolitik; Österreichische Akademie der Wissenschaften: Veröffentlichungen der Kommission für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: Nr. 18; Wien 1983. (48) Externe Prognosen und Prognoseprüfung; in: Der Betrieb, 37. Jg. (1984), S. 57 – 69. (49) Plädoyer für ein lesbares Bilanzrecht; in: Handelsblatt, 8.5.1985, S. 18. (50) Finanzlage; in: Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB; Hrsg. Ulrich Leffson / Dieter Rückle / Bernhard Großfeld; Köln 1986; S. 168 – 184. (51) Vorsicht; in: Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB; Hrsg. Ulrich Leffson / Dieter Rückle / Bernhard Großfeld; Köln 1986; S. 403 – 416. (52) (mit Volkmar Klatte): Eigenkapital des Einzelkaufmanns und der Personenhandelsgesellschaften; in: Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB; Hrsg. Ulrich Leffson / Dieter Rückle / Bernhard Großfeld; Köln 1986; S. 113 – 134. (53) Rezension zu: Klein, Werner / Nohl, Friedhelm / Zschiegner, Hans / Klein, KlausGünter: Konzernrechnungslegung und Konzernverrechnungspreise; Stuttgart 1983; in: Die Wirtschaftsprüfung, 39. Jg. (1986), S. 572 – 573. (54) Rezension zu: Arbeitskreis „Revision der Anlagen- und Materialwirtschaft“ des deutschen Instituts für interne Revision e.V.: Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Prüfungsfragen für die Revisionspraxis; Berlin 1983; in: Die Wirtschaftsprüfung, 39. Jg. (1986), S. 680. (55) (mit Klaus Terhart): Die Befolgung von Umweltschutzauflagen als betriebswirtschaftliches Entscheidungsproblem; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 38. Jg. (1986), S. 393 – 424. (56) Einführung in die Wirtschaftspraxis, Vorlesungsskriptum; Wien 1987 (88 S.); 2. Auflage; Wien 1989 (108 S.) (als Manuskript veröffentlicht). (57) Rezension zu: Bamberg, Günter / Coenenberg, Adolf Gerhard: Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre; 4. Auflage; München 1985; in: Die Wirtschaftsprüfung, 40. Jg. (1987), S. 400.
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(58) Anzahlungen von Kunden (überarb. Fassung); in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Karl Vodrazka; 2. Auflage; Wien 1987, S. 553 – 556. (59) Verbindlichkeiten auf Grund von Warenlieferungen und Leistungen (überarb. und erweiterte Fassung); in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; 2. Auflage; Hrsg. Karl Vodrazka; Wien 1987; S. 557 – 594. (60) Grunderwerbsteuer: Mobiler Freibetrag gegen starre Besteuerung [Titel von der Redaktion eingesetzt]; in: Österreichische Steuer- und Wirtschaftskartei, 62. Jg. (1987), Abteilung T, S. 73 – 74. (61) Ausgestaltung und Bedeutung der Generalnormen im neuen Rechnungslegungsrecht; in: Rechnungslegung und Gewinnermittlung, Gedenkschrift für Karl Lechner; Hrsg. Erich Loitlsberger / Anton Egger / Eduard Lechner; Wien 1987; S. 307 – 325. (62) Der Einblick in die Erfolgslage nach neuem Rechnungslegungsrecht; in: Wirtschaftsrechtliche Blätter, 1. Jg. (1987), S. 317 – 321. (63) Rezension zu: Harald Lenz (Bearb.): Themen der Aufsichtsarbeiten für die Wirtschaftsprüferexamen 1983–1986; Hrsg. Wirtschaftsprüferkammer; Düsseldorf 1986; in: Die Wirtschaftsprüfung, 41. Jg. (1988), S. 88 – 89. (64) Rezension zu: Bericht über die Fachtagung 1986 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., Generalthema: Übergang auf das neue Bilanzrecht; Düsseldorf 1986; in: Die Wirtschaftsprüfung, 41. Jg. (1988), S. 148. (65) Rezension zu: Schildbach, Thomas: Jahresabschluß und Markt; Berlin et al. 1986; in: Die Wirtschaftsprüfung, 41. Jg. (1988), S. 376 – 377. (66) Rezension zu: Bitz, Michael / Hemmerde, Wilhelm / Rausch, Werner: Gesetzliche Regelungen und Reformvorschläge zum Gläubigerschutz; Berlin et al. 1986; in: Die Wirtschaftsprüfung, 41. Jg. (1988), S. 629. (67) Rezension zu: Helmrich, Herbert (Bearb.): Bilanzrichtlinien-Gesetz. Amtliche Texte und Entwürfe, Begründungen, Stellungnahmen und Protokolle; München 1986; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 40. Jg. (1988), S. 1059 – 1060. (68) Aus der Arbeit des Kooperationsverbandes der ordentlichen Professoren der Betriebswirtschaftslehre in Österreich; in: Journal für Betriebswirtschaft, 38. Jg. (1988), S. 69 – 83. (69) (mit Volkmar Klatte): Auswirkungen des Rechnungslegungsgesetzes 1989 auf Rechnungslegung, Prüfung und Offenlegung der GmbH; in: Wirtschaftsrechtliche Blätter, 2. Jg. (1988), S. 409 – 415. (70) (mit Christian Keber): Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit EDV-gestützter Buchführungen; in: Statistik, Informatik und Ökonomie: Festschrift für Josef Roppert; Hrsg. Wolfgang H. Janko; Berlin / Heidelberg / New York 1988; S. 251 – 271. (71) Der Entwurf eines Rechnungslegungsgesetzes 1989 – Konzeption und Würdigung des Ministerialentwurfes; in: Österreichisches Recht der Wirtschaft, 6. Jg. (1988), S. 213 – 216. (72) Der Ansatz von Rückstellungen nach neuem Rechnungslegungsrecht; in: Österreichisches Recht der Wirtschaft, 6. Jg. (1988), S. 370 – 372.
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Schriftenverzeichnis Dieter Rückle
(73) Der Anhang im neuen Rechnungslegungsrecht; in: Österreichisches Recht der Wirtschaft, 6. Jg. (1988), S. 405 – 408. (74) Investitionskalküle für Umweltschutzinvestitionen; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 41. Jg. (1989), S. 52 – 67. Wieder abgedruckt (mit aktualisierender Ergänzung) in: Betriebliche Umweltökonomie. Reader zur ökologieorientierten Betriebswirtschaftslehre (1988-1991); Hrsg. Eberhard Seidl / Heinz Strebel; Wiesbaden 1993; S. 373 – 388. (75) Reform der Abschlußprüfung. Prüfungspflichtige und Abschlußprüfer nach dem neuen Rechnungslegungsgesetz; in: Jahrbuch für Controlling und Rechnungswesen '89; Hrsg. Gerhard Seicht; Wien 1989; S. 127 – 178. (76) (mit Volkmar Klatte): GmbH & Co. KG und Offenlegungspflicht – Möglichkeiten eines differenzierenden Offenlegungskonzepts; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 41. Jg. (1989), S. 193 – 212. (77) Investitionen; in: Handwörterbuch der Öffentlichen Betriebswirtschaft; Hrsg. Klaus Chmielewicz / Peter Eichhorn, Stuttgart 1989, Sp. 715 – 726. (78) Rezension zu: Sieben, Günter / Duck, Klaus / Minz, Rainer / Swart, Christoph: Prüfung von Dialog-Buchführungssystemen; Herne / Berlin 1987; in: Die Wirtschaftsprüfung, 42. Jg. (1989), S. 437. (79) Beruf und Aufgaben des Wirtschaftsprüfers (zugleich Besprechung des Wirtschaftsprüfer-Handbuches 1985/86); in: Journal für Betriebswirtschaft, 40. Jg. (1990), S. 51 – 56. (80) Vermögensgegenstand/Wirtschaftsgut; in: Lexikon des Rechnungswesens; Hrsg. Walther Busse v. Colbe; München / Wien 1990; S. 495 – 497. (81) Einführung in die Konzernrechnungslegung; in: Beteiligungen; Hrsg. Gerhard Seicht; Wien 1990; S. 145 – 192. (82) Das Tagungsthema aus betriebswirtschaftlicher Sicht, Einleitung zur Podiumsdiskussion „Leistungsmotivation und Leistungsevaluierung aus der Sicht der Universität“; in: „Internationale Leistungsfähigkeit der Universität in Forschung, Lehre und Verwaltung“, Österreichischer Wissenschaftstag 24. und 25. Oktober 1989; Hrsg. Österreichische Forschungsgemeinschaft; Wien 1990; S. 115 – 123. (83) Rezension zu: Küting, Karl-Heinz / Weber, Claus-Peter (unter Mitarbeit von Bernd Haeger / Manfred Jutz / Heinz Kammers / Horst Zündorf): Der Konzernabschluß nach neuem Recht – Fallstudie zur Praxis der Konzernrechnungslegung; 2. Auflage; Stuttgart 1988; in: Die Wirtschaftsprüfung, 43. Jg. (1990), S. 55. (84) Rezension zu: Obst, Georg / Hintner, Otto: Geld-, Bank- und Börsenwesen; 38. Auflage; Hrsg. Norbert Kloten / Johann Heinrich von Stein; Stuttgart 1988; in: Die Wirtschaftsprüfung, 43. Jg. (1990), S. 157. (85) Rezension zu: Biener, Herbert / Berneke, Wilhelm (unter Mitwirkung von Karl Heinz Niggemann): Bilanzrichtlinien-Gesetz. Textausgabe des BilanzrichtlinienGesetzes vom 19.12.1985 (Bundesgesetzbl. I S. 2355) mit Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Regierungsentwürfe mit Begründung, EGRichtlinien mit Begründung, Entstehung und Erläuterung des Gesetzes; Düsseldorf 1986; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 42. Jg. (1990), S. 100 – 101.
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(86) Rezension zu: Schruff, Lothar (Hrsg.): Entwicklung der 4. EG-Richtlinie (Bilanzrichtlinie); Düsseldorf 1986; in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 42. Jg. (1990), S. 276 – 277. (87) Herbsttagung der Kommission „Rechnungswesen“ am 29./30.9.1989 in Wien; in: Die Betriebswirtschaft, 50. Jg. (1990), S. 286 – 287. (88) Analyse der österreichischen Reformbestrebungen auf dem Gebiete der handelsrechtlichen Rechnungslegung, Offenlegung und Prüfung („Rechnungslegungsgesetz“) im Lichte der EG-Richtlinien und des deutschen Bilanzrichtlinien-Gesetzes (Projekt „Rechnungslegungsvorschriften“, gefördert aus dem Universitätspreis der Wiener Wirtschaft); Wien 1990 (1. Lieferung 54 S., 2. Lieferung 81 S.) (als Manuskript veröffentlicht). (89) Offenlegung und Prüfung rechtzeitig gestalten; in: ecolex, 2. Jg. (1991), S. 169 – 172. (90) Zur neuen steuerlichen Gewinnermittlung (zugleich Besprechung von: Doralt, Werner: Einkommensteuergesetz. Kommentar. Teil I, §§ 1–14; Wien 1990; sowie von: Köglberger, Walter: GRL. Gewinnermittlungsrichtlinien des Bundesministeriums für Finanzen zum Einkommensteuergesetz 1988; Wien 1990); in: Journal für Betriebswirtschaft, 41. Jg. (1991), S. 130 – 133. (91) Erfolgsteuern und handelsrechtliche Rechnungslegung; in: Aktuelle Fragen der Finanzwirtschaft und der Unternehmensbesteuerung: Festschrift für Erich Loitlsberger zum 70. Geburtstag; Hrsg. Dieter Rückle; Wien 1991; S. 535 – 566. (92) Internes Rechnungswesen: Bessere Koordination angestrebt. (Bericht über die Herbsttagung der Kommission „Rechnungswesen“ am 28./29.9.1990 in Vallendar); in: Hochschulnachrichten aus der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung Koblenz, 6. Jg. (1991), Heft 15, S. 74 (Tagungsbericht). (93) Rezension zu: Piltz, Detlev: Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung; 2. Auflage; Düsseldorf 1989; in: Die Wirtschaftsprüfung, 44. Jg. (1991), S. 525 – 526. (94) Investition und Finanzierung; in: Handbuch des Umweltmanagements; Hrsg. Ulrich Steger; München 1992; S. 451 – 467. (95) Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlußprüfung (überarb. Fassung); in: Handwörterbuch der Revision; Hrsg. Adolf G. Coenenberg / Klaus v. Wysocki; 2. Auflage; Stuttgart 1992; Sp. 752 – 769. (96) Laudatio für Adolf Moxter anläßlich dessen Ehrenpromotion am 21.2.1992 durch den Fachbereich IV der Universität Trier; in: Zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Adolf Moxter; Hrsg. Peter Hecheltjen; Trier 1992; S. 7 – 13. (97) Entscheidungstheoretische Ansätze zur Handhabung umweltbezogener Unternehmensrisiken; in: Ökonomische Risiken und Umweltschutz; Hrsg. Gerd Rainer Wagner; München 1992; S. 46 – 66. (98) Rezension zu: Lukas, Walter / Zetter, Peter (Hrsg.): Das Rechnungslegungsgesetz mit den einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland sowie ausführlichen Erläuterungen und Verweisungen – Manzsche Gesetzesausgaben; Sonderausgabe Nr. 75; Wien 1991; in: Die Wirtschaftsprüfung, 46. Jg. (1993), S. 83 – 84.
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(99) Bewertungsprinzipien; in: Handwörterbuch des Rechnungswesens; 3. Auflage; Hrsg. Klaus Chmielewicz / Marcell Schweitzer; Stuttgart 1993; Sp. 192 – 202. (100) Bilanztheorie; in: Handwörterbuch des Rechnungswesens, 3. Auflage; Hrsg. Klaus Chmielewicz / Marcell Schweitzer; Stuttgart 1993; Sp. 249 – 261. (101) Investition; in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft; 5. Auflage; Hrsg. Waldemar Wittmann et al.; Stuttgart 1993; Sp. 1924 – 1936. (102) Die Bilanzierung von Besserungsverpflichtungen; in: Gläubigerschutz, Betriebswirtschaftslehre und Recht: Festgabe für Otmar Koren; Hrsg. Gerhard Seicht; Wien 1993; S. 107 – 120. (103) Instrumente der Insolvenzvorsorge und -bewältigung; in: Der Wirtschaftstreuhänder, o. Jg. (1993), Heft 6, S. 4 – 13. (104) Rezension zu: Christian, Claus-Jörg: Finanzinnovationen und bank-aufsichtsrechtliche Information. Eine Konzeption der Informationsbasis der Bankenaufsicht zur laufenden Überwachung der Geschäftstätigkeit und der Risikostrukturen von Kreditinstituten; Stuttgart 1992; in: Die Wirtschaftsprüfung, 47. Jg. (1994), S. 293 – 294. (105) Rezension zu: Altenburger, Otto A.: Kommentar zum Rechnungslegungsgesetz. Buchführung und Jahresabschluß (§§ 189 bis 243 HGB mit Übergangsbestimmungen); Wien 1993; in: Die Wirtschaftsprüfung, 47. Jg. (1994), S. 786 – 787. (106) Rezension zu: Männel, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kostenrechnung; Wiesbaden 1992; in: Die Wirtschaftsprüfung, 47. Jg. (1994), S. 191 – 192. (107) (mit Andreas Klein): Product-Life-Cycle-Cost-Management; in: Neuere Entwicklungen im Kostenmanagement; Hrsg. Klaus Dellmann / Klaus-Peter Franz; Bern / Stuttgart / Wien 1994; S. 335 – 367. (108) Die Bilanzierung des Skontos – ein Anwendungsfall der Grundsätze für verdeckte Zinsen; in: Bilanzrecht und Kapitalmarkt: Festschrift für Adolf Moxter; Hrsg. Wolfgang Ballwieser et al.; Düsseldorf 1994; S. 353 – 377. (109) (mit Volkmar Klatte): Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlußprüfung – Diskussionsstand und mögliche Fortentwicklung; in: Das Wirtschaftsstudium, 23. Jg. (1994), Teil 1: S. 138 – 141, 162, Teil 2: S. 212 – 218, 249. (110) Vermögensgegenstand/Wirtschaftsgut (überarb. Fassung); in: Lexikon des Rechnungswesens; 3. Auflage; Hrsg. Walther Busse v. Colbe; München / Wien 1994; S. 641 – 643. (111) (mit Andreas Klein): Finanzierung; in: Handbuch zur Umweltökonomie; Hrsg. Paul Klemmer / Gerd Rainer Wagner / Martin Junkernheinrich; Berlin 1995; S. 37 – 42. (112) Bestellung und Auswahl des Abschlußprüfers – Zur ökonomischen Analyse des Rechts der Rechnungslegung; in: Unternehmenstheorie und Besteuerung: Festschrift für Dieter Schneider; Hrsg. Rainer Elschen / Theodor Siegel / Franz W. Wagner; Wiesbaden 1995; S. 495 – 514. (113) Rezension zu: Gebhardt, Günther / Gerke, Wolfgang / Steiner, Manfred (Hrsg.): Handbuch des Finanzmanagements. Instrumente und Märkte der Unternehmensfinanzierung; München 1993; in: Die Wirtschaftsprüfung, 48. Jg. (1995), S. 381 – 382.
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(114) Grundsätze ordnungmäßiger Abschlußprüfung (GoA) – Stand und Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen des Gesamtsystems der Unternehmensführung; in: Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensführung (GoF) für die Unternehmensleitung (GoU), Überwachung (GoÜ) und Abschlußprüfung (GoA); Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung: Sonderheft 36; Hrsg. Axel v. Werder, Düsseldorf / Frankfurt am Main 1996; S. 107 – 148. (115) Bestellung und Abberufung des Abschlußprüfers gemäß § 270 HGB; in: Betriebswirtschaftliches Prüfungswesen in Österreich: Festschrift für Karl Vodrazka; Hrsg. Herbert Kofler / Wolfgang Nadvornik / Helmut Pernsteiner; Wien 1996; S. 557 – 614. (116) Rechnungslegung der Versicherungen und Überschußbeteiligung der Versicherten; in: Jahresabschluß und Jahresabschlußprüfung: Festschrift für Jörg Baetge; Hrsg. Thomas R. Fischer / Reinhold Hömberg; Düsseldorf 1997; S. 279 – 306. (117) Jahresabschlußaufstellung und -feststellung bei Personengesellschaften; in: Handelsbilanz und Steuerbilanz: Festschrift für Heinrich Beisse; Hrsg. Wolfgang Dieter Budde et al.; Düsseldorf 1997; S. 433 – 449. (118) Alternative Rechnungslegungskonzepte als Basis für die Überschußbeteiligung in der Kapitallebensversicherung; in: Erneuerung des Versicherungsvertragsgesetzes – Versicherungsschutz in den USA – Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 6; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 1997; S. 171 – 186. (119) Überschußermittlung und -verwendung in der kapitalbildenden Lebensversicherung aus der Sicht des Bilanz-, Abfindungs- und Kapitalanlagerechts; in: Matthias Lehmann / Karl Kirchgesser / Dieter Rückle: Versicherungsvertrag und Versicherungs-Treuhand – Ertragsbesteuerung – Überschußermittlung und -verwendung; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 5; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 1997; S. 249 – 297. (120) Vermögensgegenstand/Wirtschaftsgut (überarb. Fassung); in: Lexikon des Rechnungswesens; Hrsg. Walther Busse v. Colbe / Bernhard Pellens; 4. Auflage; München / Wien 1998; S. 725 – 728. (121) (mit Ralf Gerhards): Interner Revisor und Controller – zwei Berufsbilder im Vergleich; in: Zeitschrift Interne Revision, 33. Jg. (1998), Teil I: S. 219 – 226, Teil II: S. 268 – 280. (122) (mit Eckhard Schmitz): Zur Besteuerung der privaten Nutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge – Analyse, Gestaltungsempfehlungen und Reformvorschläge; in: Unternehmensrechnung und -besteuerung. Grundfragen und Entwicklungen: Festschrift für Dietrich Börner; Hrsg. Heribert Meffert / Norbert Krawitz; Wiesbaden 1998; S. 537 – 573. (123) Diskussionsbeitrag; in: Lebensversicherung und Geschäftsbesorgung. Kolloquium in memoriam Karl Sieg; Hrsg. Walter Karten / Manfred Weber / Gerrit Winter; Karlsruhe 1998; S. 178 – 181. (124) (mit Oliver Karst): Das Kapitalanlagegeschäft im Jahresabschluß von Versicherungsunternehmen; in: Das Wirtschaftsstudium, 27. Jg. (1998), S. 1427 – 1434, 1480.
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(125) § 211 Abs. 1 – Wertansätze von Passivposten; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al.; 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 2. Lieferung März 1999 (42 Seiten). (126) § 224 Abs. 3 D 3 – Erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al., 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 2. Lieferung März 1999 (8 Seiten). (127) § 224 Abs. 3 D 8 – Sonstige Verbindlichkeiten; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al., 3. Auflage, Loseblattausg., Wien 1998 ff., 2. Lieferung März 1999 (12 Seiten). (128) § 271 Abs. 1 bis 4 – Auswahl der Abschlußprüfer; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al.; 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 2. Lieferung März 1999 (38 Seiten). (129) (mit Theodor Siegel, Peter Bareis, Dieter Schneider, Jochen Sigloch, Hannes Streim und Franz W. Wagner): Stille Reserven und aktienrechtliche Informationspflichten; in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 20. Jg. (1999), S. 2077 – 2085. (130) Vertriebssysteme und Laufzeit von Versicherungsverträgen in ökonomischer Perspektive; in: Aspekte langfristiger Versicherungsverhältnisse – Auswirkungen des EURO auf Versicherungsverträge – Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Reform des VVG – Tarifentwicklung in der Kraftfahrtversicherung; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 13; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 1999; S. 11 – 23. (131) Zentrale Aspekte des SPD-Entwurfes zur Reform des Versicherungsvertragsgesetzes in der Diskussion; in: Aspekte langfristiger Versicherungsverhältnisse – Auswirkungen des EURO auf Versicherungsverträge – Gesetzentwurf der SPDFraktion zur Reform des VVG – Tarifentwicklung in der Kraftfahrtversicherung; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 13; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 1999; S. 123 – 129. (132) (mit Oliver Karst): Die stillen Reserven in den Kapitalanlagen der Versicherungsunternehmen; in: Das Wirtschaftsstudium, 28. Jg. (1999), Teil 1: S. 81 – 86, 126, Teil 2: S. 193 – 197, 244. (133) (mit Oliver Karst): Internationalisierung der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen. Kurzbericht über Entwicklungstendenzen; in: Transparenz und Verständlichkeit – Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung – Reform des Versicherungsvertragsgesetzes; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 15; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 2000; S. 159 – 183. (134) Die Abschlußprüfung im Gesamtsystem der Unternehmensüberwachung – Problemaufriß und Reformvorschläge; in: Fortschritte im Rechnungswesen: Gerhard Seicht zum 60. Geburtstag; Hrsg. Otto A. Altenburger / Otto Janschek / Heinrich Müller; Wiesbaden 1999; S. 169 – 210; (unveränderte Fassung) 2. Auflage; Wiesbaden 2000; S. 169 – 210. (135) (mit Theodor Siegel, Christian Kirchner, Rainer Elschen und Hans-Ulrich Küpper): Juristen und Ökonomen: Kooperation oder Mauerbau?; in: Steuer und Wirtschaft, 77. Jg. (2000), S. 257 – 260. (136) § 225 Abs 6 – Vermerk der Restlaufzeit von Verbindlichkeiten und Erläuterung später zahlungswirksamer Aufwendungen; in: Handbuch Bilanz und Abschluß-
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prüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al.; 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 3. Lieferung Februar 2000 (11 Seiten). (137) § 237 Z 1 – Angaben im Anhang über die in der Bilanz ausgewiesenen Verbindlichkeiten; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al.; 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 3. Lieferung Februar 2000 (10 Seiten). (138) § 237 Z 2 – Die Grundlagen für die Umrechnung in Euro; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al.; 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 3. Lieferung Februar 2000 (6 Seiten). (139) Entwicklungslinien und Aussagekraft der Konzernrechnungslegung; in: Zum Erkenntnisstand der Betriebswirtschaftslehre am Beginn des 21. Jahrhunderts: Festschrift für Erich Loitlsberger zum 80. Geburtstag; Hrsg. Udo Wagner; Berlin 2001; S. 249 – 271. (140) (mit Theodor Siegel und Jochen Sigloch): Reform des WP-Examens: Beibehaltung des Fachs BWL in modifizierter Form; in: Betriebs-Berater, 56. Jg. (2001), S. 1084 – 1086. (141) § 270 Abs. 1 und 3 bis 7 – Bestellung und Abberufung des Abschlußprüfers; in: Handbuch Bilanz und Abschlußprüfung; Hrsg. Herbert Kofler et al.; 3. Auflage; Loseblattausg.; Wien 1998 ff.; 4. Lieferung Juni 2001 (50 Seiten). (142) Geleitwort zur 18. Projektbörse von Contact und Cooperation; in: Praxis total. Praxisorientierte Unternehmensberatung mit C & C; Trier o. J. (2001); S. 4 – 5. (143) Kritische Analyse der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen; in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, 53. Jg. (2001), S. 563 – 577. (144) Lebenszykluskosten- und -erlösmanagement; in: Handwörterbuch Unternehmensrechnung und Controlling; Hrsg. Hans-Ulrich Küpper / Alfred Wagenhofer; Stuttgart 2002; Sp. 1205 – 1214. (145) (mit Dieter Schneider, Peter Bareis, Theodor Siegel und Jochen Sigloch): Die Qualität des Wirtschaftsprüfers und die Betriebswirtschaftslehre im Wirtschaftsprüfer-Examen; in: Die Wirtschaftsprüfung, 55. Jg. (2002), S. 397 – 403. (146) Aufgaben des Aufsichtsrates bei der Erkennung von Unternehmenskrisen; in: Krisenmanagement – Sanierung – Insolvenz; Hrsg. Birgit Feldbauer-Durstmüller / Josef Schlager; Wien 2002; S. 287 – 306. (147) Arbeitsgruppe Normierung der Rechnungslegung (Leiter: Theodor Siegel; weitere Mitglieder: Roland Euler, Klaus Henselmann, Norbert Krawitz, Thomas Schildbach, Dieter Schneider und Hannes Streim), Bilanzierung des Goodwill nach DRS 1a, Stellungnahme Nr. 1; in: Betriebs-Berater, 57. Jg. (2002), S. 880 – 881. (148) Arbeitsgruppe Normierung der Rechnungslegung (Leiter: Theodor Siegel; weitere Mitglieder: Roland Euler, Klaus Henselmann, Norbert Krawitz, Thomas Schildbach, Dieter Schneider und Hannes Streim), Erfassung und Bewertung der Erlöse nach E-DRS 17, Stellungnahme Nr. 2; in: Zeitschrift für kapitalmarktorientierte Rechnungslegung, 2. Jg. (2002), S. 243 – 244. (149) Arbeitsgruppe Normierung der Rechnungslegung (Leiter: Theodor Siegel; weitere Mitglieder: Roland Euler, Klaus Henselmann, Norbert Krawitz, Thomas Schildbach, Dieter Schneider und Hannes Streim), Zum Entwurf der Grundsätze ord-
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Schriftenverzeichnis Dieter Rückle nungsmäßiger Rechnungslegung des DRSC, Stellungnahme Nr. 3; in: BetriebsBerater, 57. Jg. (2002), S. 2595 – 2599.
(150) Grundsätze ordnungsmäßiger Abschlußprüfung; in: Handwörterbuch der Rechnungslegung und Prüfung; 3. Auflage; Hrsg. Wolfgang Ballwieser et al.; Stuttgart 2002; Sp. 1026 – 1041. (151) Stichtagsprinzip; in: Handwörterbuch der Rechnungslegung und Prüfung; 3. Auflage; Hrsg. Wolfgang Ballwieser et al.; Stuttgart 2002; Sp. 2304 – 2321. (152) (mit Eckhard Schmitz): Betriebsprüfungsstellen der Finanzverwaltung; in: Handwörterbuch der Rechnungslegung und Prüfung, 3. Auflage; Hrsg. Wolfgang Ballwieser et al.; Stuttgart 2002; Sp. 346 – 352. (153) Rating und Qualitätskriterien von Altersvorsorgeverträgen aus ökonomischer Sicht; in: Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 24; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 2003; S. 219 – 233. (154) (mit Theodor Siegel und Peter Bareis): Gesetzgebung: Probleme der geplanten Reform des Wirtschaftsprüferexamens – BWL-Professoren geht ein Teil der Änderungen zu weit; in: Deutsches Steuerrecht, 41. Jg. (2003), Heft 32, S. XVI. (155) Der Geschäftsbesorgungsversicherer – die ökonomische Perspektive; in: Lebensversicherung – Altersvorsorge – Private Krankenversicherung – Versicherung als Geschäftsbesorgung – Gentests – Der Ombudsmann im Privatversicherungsrecht; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 25; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 2004; S. 89 – 104. (156) (mit Peter Bareis und Theodor Siegel): Der nächste Skandal kommt bestimmt – Warnung vor einem Abbau der Qualität bei der Hochschul-Ausbildung; in: Süddeutsche Zeitung, 28.1.2004, S. 22. (157) (mit Oliver Karst und Stefan Bietz): Interne und externe Segmentberichterstattung im Konzern – Eine effizienzorientierte Betrachtung der alternativen Vorgehensweisen zur Generierung segmentierter Daten; in: Jahrbuch für Controlling und Rechnungswesen 2004; Hrsg. Gerhard Seicht; Wien 2004; S. 107 – 135. (158) Neuer Honorarprofessor im Fach Betriebswirtschaftslehre; in: Unijournal – Zeitschrift der Universität Trier, 30. Jg. (2004), Heft 2, S. 54. (159) Zum Verhältnis von Staat und Bürger im Zeitalter der europäischen Integration; in: Soziokultureller Wandel im Verfassungsstaat – Phänomene politischer Transformation: Festschrift für Wolfgang Mantl zum 65. Geburtstag; Hrsg. Hedwig Kopetz / Joseph Marko / Klaus Poier; Wien / Köln / Graz 2004; S. 1139 – 1150. (160) (mit Peter Bareis, Dirk Hachmeister, Holger Kahle, Dirk Kiesewetter, Rolf König, Ralf Maiterth, Rainer Niemann, Dieter Schneider, Theodor Siegel, Caren Sureth und Corinna Treisch): Verbessern Tax-Master- und WP-Master-Studiengänge die Ausbildungsqualität von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern?; in: Zeitschrift für Steuern und Recht, 2. Jg. (2005), S. 140 – 141. (161) (mit Niels-Frithjof Henckel): Unternehmensumwandlungen – wisu-Studienblatt; in: Das Wirtschaftsstudium, 34. Jg. (2005), Beilage zu Heft 10. (162) Zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers; in: Reformbedarf der Abschlussprüfung – Umstrittene Rückstellungen; Hrsg. Otto A. Altenburger; Wien 2005; S. 9 – 33.
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(163) Transparenzdefizite in der Anlegerinformation; in: Kritisches zu Rechnungslegung und Unternehmensbesteuerung: Festschrift zur Vollendung des 65. Lebensjahres von Theodor Siegel; Hrsg. Dieter Schneider et al.; Berlin 2005; S. 275 – 297. (164) Berufliche Mobilität und Förderung von Wohneigentum – Zu Widersprüchen zwischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und Steuerpolitik; in: Steuertheorie, Steuerpolitik und Steuerpraxis: Festschrift für Peter Bareis zum 65. Geburtstag; Hrsg. Theodor Siegel et al.; Stuttgart 2005; S. 231 – 249. (165) Ökonomische Fehlsteuerungen und ökonomische Fehlanreize bei intransparenten Versicherungsbedingungen; in: Rechtsdurchsetzungsdefizite Europa: Entwicklungen und Perspektiven – Aktuelle Probleme der Versicherungspraxis – Elementarschadenversicherung – Vermittlerrichtlinie – Kunstversicherung – Die Reform des schweizerischen VVG; Beiträge zur 15. Wissenschaftstagung des Bundes der versicherten; Versicherungswissenschaftliche Studien; Band 32; Hrsg. Jürgen Basedow et al.; Baden-Baden 2006; S. 33 – 54. (166) Rechnungslegung im Widerstreit der Interessen – Zum aktuellen Vordringen sogenannter „kapitalmarktorientierter“ Rechnungslegung: Defizite und Chancen; in: Der Schweizer Treuhänder, 80. Jg. (2006) (im Druck). (167) Fehlerarten, auftretende im Rahmen der Abschlußprüfung; in: Vahlens Großes Auditing Lexikon; Hrsg. Carl-Christian Freidank / Laurenz Lachnit / Jörg Tesch, München (erscheint in 2007). (168) (mit Tobias Schmalzhaf): Rechnungshöfe; in: Vahlens Großes Auditing Lexikon; Hrsg. Carl-Christian Freidank / Laurenz Lachnit / Jörg Tesch; München (erscheint in 2007).
Autorenverzeichnis Altenburger, Otto A.; Dr. rer. soc. oec.; Univ.-Professor; Universität Wien, Lehrstuhl für Externes Rechnungswesen; Brünner Straße 72, A–1210 Wien; [email protected]. Baetge, Jörg; Dr. rer. pol., Dr. h.c.; Professor (em.); Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Universitätsstraße 14/16, D–48143 Münster / Honorarprofessor an der Universität Wien; [email protected]. Basedow, Jürgen; Dr. Dr. h.c., LL.M. (Harvard); Professor; Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht; Mittelweg 187, D–20148 Hamburg; [email protected]. Bäuerle, Michael; Dr.; Professor; Fachbereich Polizei, Verwaltungsfachhochschule Wiesbaden; Talstraße 3, D–35394 Gießen / Externer Dozent: Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachbereich Rechtswissenschaft; [email protected]. Bonin, Christoph; M.A.; Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Mitarbeiter Financial Services, Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft; Franklinstraße 50, D–60486 Frankfurt am Main; [email protected]. Brömmelmeyer, Christoph; Dr.; Privatdozent; Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät; Unter den Linden 6, D–10099 Berlin; [email protected]. Delahaye, Susanne; Dipl.Kffr.; Wissenschaftliche Mitarbeiterin; Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Wirtschaftsprüfung; Templergraben 64, D–52062 Aachen; [email protected]. Großfeld, Bernhard; Dr.; Professor (em.); Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Rechtswissenschaftliche Fakultät; Universitätsstraße 14/16, D–48143 Münster; [email protected]. Hachmeister, Dirk; Dr.; Professor; Universität Hohenheim, Institut für Betriebswirtschaftslehre (510 C), Lehrstuhl für Rechnungswesen und Finanzierung; D–70593 Stuttgart; [email protected]. von Hippel, Thomas; Dr. iur., Referent; Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht; Mittelweg 187, D–20148 Hamburg; [email protected]. Hömberg, Reinhold; Dr. rer. pol.; Professor; Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Betriebswirtschaft-
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liche Steuerlehre und Wirtschaftsprüfung; Templergraben 64, D–52062 Aachen; [email protected]. Hundsdoerfer, Jochen; Dr. rer. pol.; Professor; Freie Universität Berlin; Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Betriebswirtschaftliche Steuerlehre; Garystraße 21, D–14195 Berlin; [email protected]. Kirchner, Christian; Dr. iur. Dr. rer. pol.; Professor; Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät; Unter den Linden 6, D–10099 Berlin; [email protected]. Kläs, Friedhelm; Dr.; Honorarprofessor an der Universität Trier; Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Geschäftsführender Partner; Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft; Franklinstraße 50, D–60486 Frankfurt am Main; [email protected]. Klatte, Volkmar; Dr. rer. pol.; Professor; Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Rechnungswesen und Controlling; Parkstraße 4, D–73312 Geislingen; [email protected]. Klein, Andreas; Dr. rer. pol.; Professor; Fachhochschule Heidelberg, Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Controlling & International Accounting; LudwigGuttmann-Straße 6, D–69123 Heidelberg; [email protected]. Knolmayer, Gerhard F.; Dr. rer. soc. oec.; Professor; Universität Bern, Institut für Wirtschaftsinformatik; Engehaldenstrasse 8, CH–3012 Bern; [email protected]. Lechner, Eduard; Dr. iur. et rer. soc. oec.; o.Univ.-Professor; Universität Wien, Institut für Recht der Wirtschaft; Türkenstraße 23/11, A–1090 Wien; [email protected]. Lienau, Achim; Dipl.Kfm., LL.M.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter; Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; Universitätsstraße 14/16, D–48143 Münster; [email protected]. Mandl, Gerwald; Dr. rer. comm.; Professor; Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Revisions-, Treuhand- und Rechnungswesen; Universitätsstrasse 5/F1, A–8010 Graz; [email protected]. Moxter, Adolf; Dr. rer. pol. Dr. h.c. Dr. h.c. Dr. h.c.; Professor (em.) der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main; Rotbornstraße 22, D–61440 Oberursel. Palzer, Tanja; Dipl.Kffr.; Steuerberaterin; Theodor-Heuss-Straße 2/8, D–54329 Konz; [email protected]. Rabel, Klaus; Mag. Dr.; Wirtschaftstreuhänder und Steuerberater; Hartenaugasse 34, A–8010 Graz; [email protected] Rautenberg, Hans Günter; Dr. rer. pol.; Professor; Universität Leipzig, Institut für Unternehmensrechnung und Steuerlehre; Marschnerstraße 31, D–04109 Leipzig; [email protected].
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Autorenverzeichnis
Schmidt, Matthias; Dr. rer. pol.; Professor; Universität Leipzig, Institut für Unternehmensrechnung und Steuerlehre; Marschnerstraße 31, D–04109 Leipzig; [email protected]. Schmitz, Eckhard; Dr. rer. pol.; Professor; Steuerberater; Fachhochschule Heidelberg, Professur für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Steuerlehre und Rechnungswesen; Ludwig-Guttmann-Straße 6, 69123 Heidelberg; [email protected]. Schneider, Dieter; Dr. rer. pol. Dr. h.c. Dr. h.c. Dr. h.c. Dr. h.c.; Professor (em.); RuhrUniversität Bochum; Fakultät für Wirtschaftswissenschaft; D–44780 Bochum; [email protected]. Schünemann, Wolfgang B.; Dr. iur. habil.; Professor; Universität Dortmund, Lehrstuhl Privatrecht; D–44221 Dortmund; [email protected]. Schwintowski, Hans-Peter; Dr. iur.; Professor; Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät; Unter den Linden 6, D–10099 Berlin; [email protected]. Seicht, Gerhard; Dr. rer. pol.; o.Univ.Professor; Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Betriebswirtschaftslehre der Industrie; Augasse 2 – 6, A–1090 Wien; [email protected]. Siegel, Theodor; Dr. rer. pol.; Professor i.R.; Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung; Spandauer Straße 1, D–10099 Berlin; [email protected]. Sigloch, Jochen; Dr. rer. pol.; Professor; Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre II; Postfach 30 08, D–95747 Bayreuth; [email protected]. Wallrabenstein, Astrid; Dr. iur.; Rechtsanwältin; Wissenschaftliche Mitarbeiterin; Justus-Liebig-Universität Gießen, Professur für Öffentliches Recht I; Hein-HeckrothStraße 5, D–35390 Gießen; [email protected]. Walter, Tomas; Dipl.Wirtsch.Math.; Wissenschaftlicher Mitarbeiter; Universität Trier, Lehrstuhl für Wirtschaftsprüfung und Controlling; D–54286 Trier; [email protected] Wermelinger, Thomas; Lic. rer. pol.; Research Assistent; Universität Bern, Institut für Wirtschaftsinformatik; Engehaldenstraße 8, CH–3012 Bern; [email protected]