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German Pages 361 Year 1994
Umweltpolitik mit hoheitlichen Zwangsabgaben? Karl-Heinrich Hansmeyer zur Vollendung seines 65. Lebensjahres
Umweltpolitik mit hoheitlichen Zwangsabgaben? Karl-Heinrich Hansmeyer zur Vollendung seines 65. Lebensjahres
llerausgegeben von
Klaus Mackscheidt Dieter Ewringmann Erik Gawel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Umweltpolitik mit hoheitlichen Zwangsabgaben? : Karl-Heinrich Hansmeyer zur Vollendung seines 650 Lebensjahres I hrsgo von Klaus Mackscheidt 000- Berlin : Duncker und Humblot, 1994 ISBN 3-428-08173-0 NE: Mackscheidt, Klaus [Hrsgo]; Hansmeyer, Karl-Heinrich: Festschrift
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-8173-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken
Vorwort Im Juli 1993 wurde an der Universität zu Köln ein Symposium zum Thema "Umweltpolitik mit hoheitlichen Zwangsabgaben?" abgehalten. Teilnehmer waren Volkswirte und Finanzwissenschaftler, aber auch Juristen und Wirtschaftshistoriker. Die Idee, ein solches Treffen zu veranstalten, darf auf zwei Motive zurückgeführt werden, und von beiden Motiven ist das hiermit vorgelegte Buch in entscheidener Weise geprägt. Das erste Motiv lag in der Tatsache, daß die Zeit reif, ja dringlich für ein Treffen, einen Meinungsaustausch der Wissenschaftler geworden war, die, aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften kommend, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen ökologischer Steuerpolitik beschäftigen. Zwar ist die Diskussion um das Instrument der Umweltabgabe alles andere als neu zu nennen, doch mit der Ökosteuerdiskussion der 80er Jahre hat sich hier eine enorme Dynamik in der Instrumentenfrage ergeben, die unverändert eine Herausforderung für Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler darstellt. Dies um so mehr, als wesentliche Impulse für die neuere Abgabendiskussion von "außerhalb" kommen: aus dem politischen Raum oder von umweltpolitisch engagierten Naturwissenschaftlern. So fand die Einladung zu einem Symposium auch spontan Beifall. Obwohl der Teilnehmerkreis an diesem Symposium sehr groß war - was einerseits beweist, daß die Motivation, ökologische Steuerpolitik ins Visier zu nehmen, auch seitens der Gesellschaftswissenschaften durchaus verbreitet ist -, sind doch die Beiträge nicht vollkommen heterogen; sie lassen sich vielmehr gruppieren und Schwerpunkten zuordnen - was andererseits beweist, daß bereits ein geordnetes Bild über Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Umweltabgaben und von Umweltsteuern gegeben werden kann. Das zweite Motiv der Einladung zu diesem Symposium war persönlichen Ursprungs. Im Juli 1994 wird Karl-Heinrich Hansmeyer sein 65. Lebensjahr vollenden. Für die Fachkollegen, für die befreundeten Wissenschaftler und für seine Schüler wäre das ein willkommener Anlaß gewesen, ihm mit einem Festschriftbeitrag zu gratulieren. Wer das Schrifttum von Karl-Heinrich Hansmeyer kennt, wer mitverfolgt hat, in welch' unterschiedliche Fachgebiete der Finanzwissenschaft, der Geldpolitik und der Wirtschaftspolitik er
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Vorwort
vorgedrungen ist, der wird zugeben, daß es in heutiger Zeit unmöglich ist, alle potentiellen Gratulanten unter einem Dach zu versammeln - sprich als Teilnehmer einer festlichen Gesamtveranstaltung einzuladen. Die Idee nun, aus den vielen fachlichen Schwerpunkten nur einen auszuwählen, konnte aus der Not eine Tugend machen - wie das vorliegende Buch beweist. Auch die Auswahl fiel nicht schwer, denn das Thema "Umweltpolitik mit hoheitlichen Zwangsabgaben" entsprach in besonderer Weise dem Engagement von Karl-Heinrich Hansmeyer. Man erinnere sich, daß durch Erlaß des Bundesministers des Inneren vom 28.12.1971 der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen gebildet wurde, der die Situation der Umwelt und deren Entwicklungstendenzen darstellen, auf Fehlentwicklungen hinweisen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung aufzeigen sollte. Den ersten Vorsitz dieser interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe von zwölf Ratsmitgliedern hatte Karl-Heinrich Hansmeyer übernommen; er leitete den Rat bis 1978 und war bis 1981 Mitglied. Im Sommer 1972 begann der Sachverständigenrat mit der Diskussion des ersten Hauptgutachtens, das im Juni 1974 als "Umweltgutachten 1974" erschienen ist; vier Jahre später kam das "Umweltgutachten 1978" heraus. Es ist bekannt, daß Karl-Heinrich Hansmeyer nicht nur den Stil der Gutachten entscheidend mitgeprägt hat - als Vorbild für Aufbau und Ausgestaltung schwebten ihm die Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vor-, sondern er es auch in besonderer Weise verstanden hat, Naturwissenschaftler, Ingenieure, Ökonomen und Sozialwissenschaftler in einen fruchtbaren Diskurs zu bringen. Die kühne Idee, mit Hilfe eines ökonomisch-ökologischen Gesamtmodells die wichtigsten Zustände und Entwicklungen auf dem Umweltsektor darzustellen, wurde in den Umweltgutachten tatsächlich vorbereitet und methodisch ausgekundschaftet. Rechnet man noch die Sondergutachten (Auto und Umwelt 1973, Die Abwasserabgabe 1974, Umweltprobleme des Rheins 1976) hinzu, dann wird man nicht umhin können, die Leistungen des Rates als Pionierarbeit ersten Ranges zu bezeichnen, sowohl was die Umweltschutzaufklärung angeht, als auch was die Wegweisung für instrumentelle Umweltschutzstrategien betrifft. Wenn die amtliche Umweltschutzpolitik nur wenig von den Empfehlungen des Rates Gebrauch gemacht oder jedenfalls nur sehr zaghaft die Umweltschutzinstrumente eingesetzt hat, so ist dies zuletzt dem Rat und seiner Aufklärungsarbeit zur Last zu legen. Was Tempo, Ehrgeiz und Qualität angeht, so hat gerade in den 70er Jahren unter der Leitung von Karl-Heinrich Hansmeyer der SRU Pionierarbeit geleistet. Dies gilt speziell für die Diskussion umweltpolitischer Instrumente. Der Rat hat seit seinem Bestehen die Forderung nach Ergänzung staatlicher Handlungsarsenale in der Umweltpolitik durch ökonomische Instrumente erhoben. Dabei stand Hansmeyer in der Pigou-Tradition
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stets dem Ansatz der Umweltabgabe am nächsten. Auch hat er als einer der ersten Umweltökonomen erkannt und deutlich ausgesprochen, daß in der Praxis nur ein instrumenteller Verbund erfolgreich sein kann. Daß Hansmeyer diese Rolle sogar in einer gewissen Einsamkeit und keineswegs mit Aussicht auf unverzüglichen politischen Erfolg durchgehalten hat, kommt in einem der Referate dieses Symposiumbandes zum Ausdruck, in dem der Autor (H:olger Bonus) Karl-Heinrich Hansmeyer auf persönliche und liebevolle Weise ein Kompliment für die geleistete Arbeit in der U mwelt:politik macht. Bei der Einladung an die Teilnehmer dieses Symposiums war keineswegs daran gedacht, nur die Befürworter einer Umweltabgabe zu Worte kommen zu lassen, vielmehr interessierte selbstverständlich auch die Meinung der Kritiker und Gegner von Umweltabgaben. Des weiteren war angestrebt, ein interdisziplinäres Treffen des umweltpolitischen Sachverstandes zu besorgen und insbesondere auch die rechtswissenschaftliche Seite mit einzubeziehen. Obwohl nun dieser vorliegende Band keine Festschrift, sondern das Ergebnis eines fachlichen Symposiums ist, haben natürlich auch befreundete Kollegen und Schüler von Karl-Heinrich Hansmeyer am Entstehen dieses Bandes mitgewirkt und mögen insofern ihren Beitrag als festliches Geschenk an ihn betrachten. Dies bleibt jedem unbenommen und stellt einen sehr schönen externen Effekt der Schrift dar. Trotzdem ist die primäre Leistung der sachliche Beitrag zum Fachthema des Symposiums und somit derjenige Einzelbaustein, der letztlich zur Gesamtqualität dieses Bandes erbracht werden mußte. Sowohl die Vorbereitung des Symposiums als auch die Auswertung der Beiträge wäre mir als Initiator des ganzen Vorhabens ohne die sachkundige Hilfe - das sei hier dankbar erwähnt - von Herrn Dr. Ewringmann und Herrn Dr. Gawel vom Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität zu Köln nicht möglich gewesen. So ist es nur konsequent, daß sie als meine Mitherausgeber erscheinen. Die einzelnen Beiträge lassen sich fünf verschiedenen Kapiteln zuordnen. Im ersten Kapitel (A) über "Grundlagen und Perspektiven" finden sich Aufsätze, die Veränderungen von Staat und Gesellschaft reflektieren, wenn Umweltabgaben als Instrument der Umweltpolitik eindringen wollen oder vielleicht auch vorerst noch nicht eindringen können. Es sind die entsprechenden Beiträge von Ulrich van Suntum, Dietrich Fürst und Wolfgang Benkert. Im Kapitel B "Umweltabgaben im Steuer- und Abgabesystem" sind Beiträge versammelt, die Umweltabgaben jeweils in eine Beziehung zu allgemein bekannten finanzwissenschaftliehen Themen der Einnahme- oder Steuerlehre setzen. Hierzu zählen die Beiträge von Bernd Rahmann und Hans Georg Martensen, Klaus Tiepelmann, Rolf Caesar, Josef Wysocki,
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Vorwort
Wolfgang Ströbele, Horst Zimmermann und Heinz Dieter Hessler. Von großer Bedeutung ist auch das darauf folgende Kapitel C über "Institutionelle und rechtliche Aspekte von Umweltabgaben". Hier wird auf verschiedene Weise gezeigt, wie man von der theoretischen Reflexionsebene in die Ebene der Vollzugsverbindlichkeit gelangt und welche rechtliche oder politische Rahmenbedingungen auf dem Wege zur Anwendungreife zu beachten sind. Beschrieben wird das in den Beiträgen von Michael Kloepfer, Dieter Cansier, Erik Gawel, Klaus W. Zimmermann und Manfred Kops. Im vierten Kapitel D geht es um die traditionelle instrumentelle Perspektive "Abgaben und andere Instrumente". Um den Vergleich der Umweltabgaben mit anderen Spielarten der Umweltpolitik bemühen sichErich W. Streissler, Guy Kirsch, Dieter Ewringmann, Holger Bonus und Dietrich Dickertmann. Das letzte Kapitel E enthält schließlich Beiträge zu einzelnen konkreten Umweltabgaben: Volkmar Hartje über die Naturschutzabgaben sowie Alfred Endres und Karin Holm-Müller über die Abfallabgabe. Insgesamt haben somit 25 Autoren zu dem Gelingen dieses Bandes über Umweltabgaben beigetragen. Köln, im Mai 1994
Klaus Mackscheidt
Inhalt
A. Grundlagen und Perspektiven Ulrich van Suntum, Kritische Würdigung des umweltökonomischen Instrumentenansatzes ............................................................................................................... 15 Dietrich Fürst, Abgabelösungen - Schritte zu einem neuen Konzept staatlicher Steuenmg? .......................................................................................................... 33 Woljgang Benkert, Warum sind Umweltabgaben ebenso populär wie selten? Ein Beitrag zur Theorie der umwelt- und finanzpolitischen Willensbildung:............. 47
B. Umweltabgaben im Steuer- und Abgabesystem
Bernd Rahmann und Hans Georg Martensen, Ökosteuern im Konzept der Optimal Taxation ............................................................................................... 61 Klaus Tiepelmann, Umweltabgaben -Renaissance der Fondswirtschaft? ................. 75 RolfCaesar, Umweltsonderabgaben oder Umweltsteuern? ........................................ 91 Woljgang Ströbele, Ökosteuern und Umweltabgaben-Versuch einer Systematisienmg ............................................................................................... 107 Horst Zimmermann, Umweltsteuern als Unternehmenssteuern .............................. 123 Heinz D. Hessler, Anknüpfungspunkte für Ökosteuern und Umweltabgaben im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf....................................................................... 135 fosefWysocki, Probleme beim Eindringen von Umweltaspekten in historische Abgabensysteme ............................................................................................... 147
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Inhalt C. Institutionelle und rechtliche Aspekte von Umweltabgaben
Michael Kloepfer, Grundrechtsfragen der Umweltabgaben....................................... 161 Dieter Cansier, Rechtspositionen im Umweltschutz und der Spielraum für ökonomische Instrumente- die Perspektive des Ökonomen .................................... 181 Erik Gawel, Vollzug von Umweltabgaben in Theorie und Praxis ........................... 191 Klaus W. Zimmer1714nn, Eine Umweltunion in Deutschland: Vom Glanz und Elend des Subsidiaritätsprinzips ........................................................................ 211 Manfred Kops, Umweltabgaben im Föderalismus .................................................... 225
D. Abgaben und andere Instrumente
Erich W. Streissler, The Problem of lnternalization of and Liability for Environmental Damages ............................................................................................... 245 Guy Kirsch, Umweltmoral- Ein Ersatz für staatliche Umweltpolitik? .................. 261 Dieter Ewringmann, Umweltsteuern-Konzeptioneller Wandel des Abgabensystems und instrumentelle Folgen ................................................................... 273 Holger Bonus, Vergleich von Abgaben und Zertifikaten .......................................... 287 Dietrich Dickertmann, Die Einbeziehung von Umwelt-Strafen in den Instrumentenvergleich von Auflagen und Abgaben .......................................................... 301
E. Ausgestaltung und Wirkung spezieller Umweltabgaben
Paul Klemmer, C02-Abgaben- eine kritische Bestandsaufnahme aus empirischer Sicht .............................................................................................. 321 Volkmar J Hartje, Naturschutzabgaben. Eine ökonomische Bewertung ihres Einsatzes nach dem Bundesnaturschutzgesetz ................................................... 331
Inhalt
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Alfred Endres und Karin Holm-Müller, Die ökonomische Beurteilung einer
Abfallabgabe unter besonderer Berücksichtigung des Vermeidungs- und Verwertungsgebotes.......................................................................................... 349
Verzeichnis der Mitarbeiter .................................................................................... 359
A. Grundlagen und Perspektiven
Kritische Würdigung des umweltökonomischen Instrumentenansatzes Ulrich van Suntum A. Das Umweltproblem aus ökonomischer Sicht Die Umweltpolitik steht im Schnittfeld verschiedener Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Sie erfordert zunächst einmal die Feststellung bzw. Prognose möglicher Umweltwirkungen menschlicher bzw. wirtschaftlicher Verhaltensweisen, was im Kern ein naturwissenschaftliches Problem ist. Im Prinzip läßt sich feststellen, welche Naturschäden bzw. Risiken als Folge wirtschaftlicher Handlungsweisen auftreten, wenngleich bereits auf dieser Ebene Schwierigkeiten auftreten, da viele Umweltschäden nicht monokausal einzelnen Ursachen zuzurechnen sind bzw. überhaupt erst von der Erreichung bestimmter Schwellenwerte ab wirkungsrelevant werden. Die Feststellung der physikalisch-naturwissenschaftlichen Systemzusammenhänge ist jedoch nur ein erster Schritt. Im zweiten Schritt müssen die Schäden bewertet werden, bzw. es muß überhaupt erst einmal definiert werden, was als Schaden gelten soll. So ist zum Beispiel umstritten, ob nur solche Schäden relevant sein sollen, welche die Lebenschancen der Menschen beeinträchtigen, oder ob die Natur auch unabhängig davon einen Eigenwert besitzt, also um ihrer selbst willen zu schützen ist.l Selbst wenn man der ersteren Auffassung zuneigt, bleibt immer noch das Problem, daß künftige Generationen möglicherweise andere Präferenzen beispielsweise hinsichtlich der Erhaltung bestimmter Tier- oder Pflanzenarten haben. So haben sich etwa die Ansichten hinsichtlich der Einteilung von Tieren in Nutztiere und Schädlinge im Laufe der Zeit stark gewandelt. Allerdings handelt es sich bei dieser Frage aus ökonomischer Sicht im Grunde um ein Scheinproblem. Definiert man nämlich in der Tradition der Wohlfahrtsökonomie als potentiell nutzbringend, was von auch nur einem Mitglied der gegenwärtigen Gesellschaft als erhaltenswert angesehen wird, 1 Reiche/Fülgra/f(198~; Stitzel (1991)
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so verschwindet der Gegensatz zwischen den beiden Auffassungen: Sofern es auch nur einige Mitglieder der gegenwärtigen Gesellschaft gibt, in deren Präferenzfunktionen das Wohl der "Natur an sich" bzw. das Wohl künftiger Generationen mit positiver erster Ableitung eingeht, so sind diese Güter wohlfahrtsökonomisch genauso relevant wie diejenigen Güter, die der heutigen Generation einen "direkten" Nutzen stiften. Gibt es aber solche "moralischen" Individuen nicht, dann stellt sich auch das Problem nicht, da offenbar niemand im gesellschaftlichen Diskurs die Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen bzw. der "Natur an sich" fordern würde.2 Als potentiell erhaltenswert müßte also aus ökonomischer Sicht gelten, was von zumindest einigen Mitgliedern der heutigen Menschheitsgeneration als erhaltenswert angesehen wird. Eine solche, individualistische Sichtweise des Problems hat zwei wesentliche Konsequenzen: - Zum einen impliziert sie, daß die Erhaltung der Natur bzw. die Vermeidung von Umweltrisiken kein den materiellen Wohlstandszielen vorgelagertes Ziel ist. Vielmehr ist sie ein Ziel wie viele andere auch, von dem ggfs. auch Abstriche vorzunehmen sind, wenn die gleichzeitige Erreichung aller Individualziele nicht möglich ist. -Zum anderen wird deutlich, daß die Umweltpolitik letztlich ein Problem der Allokation von knappen Ressourcen ist, das wie alle Allokationsprobleme sowohl eine Effizienz- als auch eine Verteilungsdimension hat. Unter Effizienzgesichtspunkten ist gängiger ökonomischer Theorie zufolge ein Pareto-Optimum anzustreben, hier definiert als eine Situation, in der es keine wechselseitig vorteilhaften Tauschmöglichkeiten i.w.S. zwischen den Individuen (den Mitgliedern der heutigen Generation!) mehr gibt. Die Verteilungsdimension betrifft die Forderung, daß diese Tauschvorgänge sich auf der Grundlage einer als gerecht empfundenen Ressourcenausstattung der Tauschpartner abspielen sollten. Zusammenfassend stellt das Umweltproblem aus ökonomischer Sicht somit im Prinzip gar nichts Besonderes dar. Es wirft die gleichen Fragen auf wie jedes andere Problem knapper Ressourcen und ist damit auch prinzipiell den gleichen Lösungsansätzen zugänglich. Allerdings häufen sich in diesem Bereich gewisse Spezialprobleme, die mit dem Auseinanderfallen privater und 2 Man könnte einwenden, daß es den Interessen künftiger Generationen nicht gerecht werde, wenn sie durch vielleicht nur wenige Fürsprecher der heutigen Generation vertreten werden. Aber sie selbst können nun einmal nicht befragt werden, und es erscheint auch kaum begründbar, jedem, der in ihrem Namen zu sprechen behauptet, mehr als eine Stimme im po· litischen Entscheidungsprozeß oder besondere ökonomische Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Alles, was man ihm anbieten kann, ist, seinen Argumenten zuzuhören und sich ggf. davon überzeugen zu lassen, d. h. die (vermuteten) Interessen künftiger Generationen in die eigene Präferenzfunktion aufzunehmen.
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sozialer Kosten, mit free-rider-Verhalten und mit der Nicht-Rivalität der Nutzung knapper Ressourcen zu tun haben. Damit weist das Umweltproblem starke Parallelen zum Problem der effizienten Bereitstellung öffentlicher Güter auf.3 4 B. Das Umweltproblem aus gesellschaftspolitischer Sicht
Der ökonomischen Betrachtungsweise steht eine andere Problemsicht gegenüber, welche die ökonomische Zuständigkeit grundsätzlich bestreitet. Es wird in Frage gestellt, daß sich Schädigungen der Natur oder mortale Risiken für die Menschen überhaupt gegen "rein ökonomische" Vorteile (etwa Kostenersparnisse oder Mehrkonsum) aufwiegen lassen. Vielmehr müßten entsprechende Abwägungen politisch, notfalls auch gerichdich erfolgen, wobei unveräußerlichen Grundwerten wie der körperlichen Unversehrtheit im Zweifel der Vorrang vor den profanen ökonomischen Zielen gebühre. Wie bereits deutlich wurde, beruht diese Vorstellung von "ökonomischen" bzw. "nicht-ökonomischen" Zielen auf einem Mißverständnis; auch moralische Ziele wie die Erhaltung der Umwelt sind "ökonomisch" faßbar, sofern sie Gegenstand von individuellen Präferenzfunktionen sind. Die Ökonomie hat allerdings der populären Gleichsetzung von ökonomischen mit materiellen Zielen selbst Vorschub geleistet, indem sie sich in ihren theoretischen und empirischen Analysen weitgehend auf unmittelbar meßbare und damit zumeist materielle Ziele beschränkt hat. Daher verwundert es kaum, daß sie in der gesellschaftspolitischen Diskussion etwa um die angemessene Inkaufnahme gesundheitlicher oder gar lebensbedrohender Risiken oft nur eine Nebenrolle spielt. Allerdings wird der Ökonomie inzwischen insofern wieder eine prominente Rolle in der Umweltpolitik zuerkannt, als sie als ein in vielen Fällen überlegenes Instrument der Durchsetzung gesellschaftlicher Ziele anerkannt wird. Alle großen Parteien in der Bundesrepublik haben inzwischen Konzepte für ökonomische Steuerungsinstrumente vorgelegt, mit denen die umweltpolitischen Ziele durchgesetzt werden sollen. Diese reichen von partiellen Ansätzen wie etwa der Erhebung von C02-Abgaben bis hin zum kompletten "ökologischen Umbau der Industriegesellschaft". Die Fesdegung der Umweltziele selbst wird dagegen einem nicht näher problematisierten politischen Entscheidungsprozeß übertragen. Dementsprechend reduziert sich die Rolle des Ökonomen darauf, dem Staat bei der möglichst effizienten Durch-
3 Gschwendtner {1993). 4 Benkert/Bunde/Hansjürgens {1990, 197 ff.); Förster {1990, 9 ff.). 2 Sß llansmcyer
illrich van Suntum
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setzung solcher Ziele beratend beiseite zu stehen und ggfs. ihre Opportunitätskosten zu berechnen. Im folgenden wird argumentiert, daß die hier skizzierte Instrumentalisierung der Ökonomie durch die Politik dem Selbstverständnis der ökonomischen Wissenschaft als der Lehre vom Umgang mit knappen Ressourcen nicht gerecht wird. Vielmehr ist es gerade die umweltökonomische Zielbestimmung selbst, zu der die Ökonomie wichtige Beiträge leisten kann. Dies würde allerdings eine Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie in einer Weise voraussetzen, die sie wieder näher an die übrigen Gesellschaftswissenschaften, insbesondere die Rechtswissenschaft, heranrückt.
C. Kritik des ökonomischen Umweltinstrumentariums
l Preisansatz Den wohl ältesten umweltökonomischen Ansatz stellen Abgaben bzw. Steuern auf umweltschädliche und/oder riskante Aktivitäten dar. Die auf Pigou zurückgehende Idee dabei ist es, soziale und private Grenzkosten in Übereinstimmung zu bringen, d. h. derjenige, der das knappe Gut Umwelt beansprucht, soll dafür einen knappheitsgerechten Preis bezahlen.S Wird die Abgabe in der "richtigen" Höhe erhoben, so ist die dann noch verbleibende Umweltbelastung im Sinne der ökonomischen Theorie effizient und somit hinzunehmen. Bei näherem Hinsehen wirft dieser Ansatz jedoch eine Reihe von Problemen auf, die ihn bestenfalls als eine drittbeste Lösung erscheinen lassen. 1. Das Bewertungsproblem In erster Linie stellt sich die Frage, was genau die "richtige" Höhe einer Umweltabgabe sein soll. Theoretisch entspricht sie den sozialen Zusatzkosten, die nicht beim Verursacher, sondern bei Dritten bzw. bei der Allgemeinheit anfallen. Für ihre konkrete Ermittlung gibt es verschiedene Bewertungsansätze. Der direkte Bewertungsansatz versucht, die Kosten einer Umweltbelastung anhand einer monetären Abschätzung der auftretenden Schäden zu schätzen. Dies ist verhältnismäßig unproblematisch, solange es sich um reine Produktionsausfälle - etwa in der Land- oder Forstwirtschaft - handelt, für die es Marktpreise gibt. Auch reine Sachschäden, etwa infolge von Verkehrsunfällen oder eines atomaren Supergaus, lassen sich im Prinzip durchaus mit Hilfe der Marktpreise der untergegangenen Güter bewerten. Der weitaus 5 Vgl. z. B. Bonus (1977)
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größte - und in der politischen Diskussion im Vordergrund stehende Teil der Kosten von Umwelt- oder Unfallschäden fällt jedoch in Form von "intangibles" an, das sind Personen- oder Naturschäden, die sich einer direkten Bewertung anhand von Marktpreisen entziehen. Wie soll man etwa den Verlust unwiederbringlicher Kunstwerke, eine zunehmende Rate von Krebserkrankungen oder gar Verluste von Menschenleben in Mark und Pfennig ausdrücken? Sind nicht insbesondere Menschenleben mit einem Wert von Unendlich anzusetzen? Die für die Messung dieser Schäden üblicherweise verwendeten Produktions- und Konsumausfälle sind ganz unbefriedigende Maßgrößen, was man schon daran erkennt, daß sie z. B. im Falle eines getöteten Rentners den Wert Null oder gar negative Werte (d. h. einen volkswirtschaftlichen Nutzen aufgrund ersparter Rentenzahlungen!) implizieren. In den Unfallkostenrechungen der Bundesanstalt für Straßenwesen machen aber die auf dieser absurden Basis ermittelten Personenschäden über 50% der Gesamtschäden von Verkehrsunfällen aus, wobei allein der Kostenanteil der Getöteten ein Drittel beträgt.6 Und von den vier Billionen DM, die als Kosten eines Supergaus in Biblis errechnet wurden, sind 90% Personenschäden, von denen zwei Drittel auf Todesfälle und ein Drittel auf tödlich verlaufende Krebserkrankungen entfallen.? Es liegt auf der Hand, daß bei solchen Dimensionen eine zutreffende Bewertung der "intangibles" von zentraler Bedeutung für die gesamte Kostenschätzung ist. Eine solche Bewertung vermag der direkte Bewertungsansatz aber aus den erwähnten Gründen nicht zu leisten. Der indirekte Bewertungsansatz geht einen grundsätzlich anderen Weg, indem er die Zahlungsbereitschaft der Betroffenen für "bessere Umwelt" bzw. "geringere Risiken" zu ermitteln versucht und daraus die monetäre Bewertung entsprechender Beeinträchtigungen ableitet. Dabei kann zum einen von Marktpreisänderungen ausgegangen werden, indem z. B. die Wertminderung von Grundstücken als Folge der Ansiedlung eines umweltrelevanten Industrie- oder Verkehrsprojektes beobachtet wird oder indem von den selbst getroffenen Schutzmaßnahmen der Betroffenen (etwa dem Einbau von Schallschutzfenstern) auf ihre Zahlungsbereitschaft zurückgeschlossen wird (Marktdatendivergenzanalyse).8 Zum anderen werden im Rahmen des sog. kontingenten Bewertungsansatzes Befragungen durchgeführt, in denen offen oder versteckt nach der Zahlungsbereitschaft für bessere Umwelt oder geringere Risiken gefragt wird. 6 Van Suntum (1986, 148) 7 Ewers/Rennings {1991, 389) 8 Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen auch Endres {1981/82).
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Bei diesem Ansatz treten zunächst einige theoretische Probleme auf. So ist zu klären, was eigentlich ermittelt werden soll, die Zahlungsbereitschaft zur Verhinderung einer drohenden Umweltverschlechterung (äquivalente Variation) oder die Kompensationsforderung für eine Inkaufnahme der Umweltverschlechterung (kompensierende Variation). Beide sind i.d.R. keineswegs identisch; vielmehr ist aufgrund des Einkommenseffektes normalerweise die Kompensationsforderung für eine eingetretene Umweltbeeinträchtigung höher als die Zahlungsbereitschaft für ihre Verhinderung.9 Empirische Studien haben gezeigt, daß der Unterschied zwischen beiden Maßen beträchtlich und sogar viel höher ist, als es allein mit dem Einkommenseffekt erklärt werden könnte; die Kompensationsforderung für die Zulassung von Umweltschäden war bis zu 60 mal höher als die Bereitschaft, für die Verhinderung der Umweltschädigung selbst etwas zu zahlen.10 Für den Preisansatz bedeutet dies, daß die scheinbare Eindeutigkeit der Definition externer Kosten sofort verschwindet, sobald man den Bereich reiner Sachschäden verläßt. Vielmehr wird dann plötzlich der Kostenbegriff von normativen Vorentscheidungen, nämlich hinsichtlich der implizit unterstellten Eigentumsrechte, abhängig. Man kann nicht sagen, was die Umweltbelastung kostet, ohne vorher festzulegen, wem die Umwelt gehören soll. 2. Das Akzeptanzproblem Angenommen, das Bewertungsproblem der externen Kosten sei gelöst, so folgt daraus noch keineswegs, daß der Preisansatz auch politische bzw. gesellschaftliche Akzeptanz findet. Gerade bei der Bewertung von Krankheiten und Naturschäden haftet ihm der Makel der Amoral an, was indirekt auch aus den oben referierten, sehr hohen Kompensationsforderungen hervorgeht. Es erscheint keineswegs gewährleistet, daß die Bevölkerung einer Region die Ansiedlung eines umweltgefährdenden Betriebes hinnehmen wird, nur weil dieser nachweisen kann, daß er die geforderten Umweltabgaben entrichtet, zumal wenn diese Abgaben in einen anonymen Topf gehen und den tatsächlich Geschädigten bzw. Gefährdeten gar nicht zugute kommen. Auch der Hinweis auf durch Befragungen gewonnene Umweltbewertungen dürfte hier kaum weiterhelfen, solange nicht die konkret Betroffenen selbst gefragt wurden. 9 Dabei ist angenommen, daß das Gut "Umwelt" ein superiores Gut ist, d.h. mit zunehmendem Einkommen wird tendenziell mehr Umwelt nachgefragt; der Einkommenseffekt ist alsocrositiv. 1 Römer (1991, 432 ff.). Die Erklärungen für diese Beobachtung reichen von einer angenommenen Protesthaltung ("Wie komme ich dazu, mir meine Gesundheit abkaufen zu lassen!") über den hypothetischen Charakter der Befragung bis hin zu der psychologischen Hypothese, daß sich die Individuen stärker an der Abweichung von einem einmal gegebenen Nutzenniveau orientieren als am absolut erreichten bzw. erreichbaren Nutzenniveau selbst.
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Der ökonomische Hinweis auf die Effizienzvoneile des Preisansatzes greift hier zu kurz, denn es geht auch um unmittelbare Veneilungsfragen. Niemand wird es den potentiell Geschädigten verdenken können, daß sie, wenn sie schon die Risiken tragen sollen, zumindest auch an den Kompensationszahlungen partizipieren wollen. Die Erhebung hoheitlicher Umweltabgaben löst somit vielleicht ein theoretisches Allokationsproblem, aber sie löst nicht das konkrete Problem des Interessenkonfliktes zwischen Schädiger und Geschädigten. Auch in der Rechtswissenschaft wird zunehmend anerkannt, daß "Akzeptanz und Einsicht der Betroffenen notwendige Voraussetzung für den gesetzgeberischen Erfolg, ja für die Funktionsfähigkeit der staatlichen Gemeinschaft überhaupt (sind)" .11 Die mehr oder weniger willkürliche Bepreisung von Tatbeständen, für die es nun einmal keine objektivierbaren Kosten gibt, ist aber weder für die damit angestrebten Allokationsziele noch für die Ökonomie als Wissenschaft akzeptanzfördernd.
I/. Mengenansatz Als Alternative zum Preisansatz wird die Festlegung von höchstzulässigen Mengen umweltschädlicher Emissionen diskutiert; der Preis für die Beanspruchung der Umwelt und die Aufteilung der Emissionsmenge auf die einzelnen Emittenden ergibt sich dann aus den jeweiligen Nachfrageelastizitäten. Der wesentliche Voneil dieses Ansatzes gegenüber dem Preisansatz wird darin gesehen, daß auf konkrete Schätzungen der volkswirtschaftlichen Kosten von umweltbelastenden Aktivitäten verzichtet werden kann. Sie ergeben sich vielmehr implizit aus Angebot und Nachfrage auf dem "Umweltmarkt" und passen sich auch automatisch Nachfrageänderungen an. Auf die verschiedenen Varianten des Mengenansatzes (Zertifikate, Kompensationslösungen, indirekte Bemessung von Umweltabgaben nach Maßgabe der angestrebten Emissionsmengen und der geschätzten Preiselastizitäten) soll hier nicht im einzelnen eingegangen werden, auch nicht auf die eher technischen Fragen ihrer Implementierung.12 Vielmehr sind auch mit diesem Ansatz grundsätzliche Probleme verbunden, die ihn nur sehr bedingt als geeignete Lösung des umweltökonomischen Grundproblems erscheinen lassen. 1. Das Mengenbemessungsproblem
Der entscheidende Schwachpunkt dieses Ansatzes liegt in der "richtigen" Bemessung der zuzulassenden Emissions- bzw. Immissionsmengen. Nur bei 11 Hill (1988, 377). 12 Vgl. dazu Bonus (1984); Gawel (1993); Huckestein (1993).
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oberflächlicher Betrachtung handelt es sich dabei um ein im wesentlichen naturwissenschaftlich-technisches Problem. Zwar wird es in vielen Fällen möglich sein, absolute Obergrenzen der vertretbaren Umweltbelastung zu determinieren, bei deren Überschreitung es z. B. zu schweren Störungen im Naturhaushalt oder zu starken gesundheitlichen Gefahren käme. Aber zwischen diesem Punkt und dem anderen Extrem eines absolut unbedenklichen Belastungsniveaus liegt i. a. ein weites Spektrum unterschiedlicher Schadensbzw. Gefährdungsniveaus, welches erst den eigentlichen Entscheidungsbedarf erzeugt. Dieser aber kann nicht mehr rein naturwissenschaftlich befriedigt werden, sondern er erfordert Bewertungen und Abwägungen von Nutzen und Kosten der Umweltbelastung. Die ökonomische Antwort auf dieses Problem lautet natürlich, daß die Umweltbelastung so weit auszudehnen ist, wie der dabei erzielte Grenznutzen die Grenzkosten der Umweltschädigung gerade noch überschreitet.13 Leider lassen sich nun aber die Grenzkosten der Umweltbelastung im Regelfall nicht angeben, und so leistet diese Formel nicht viel mehr, als daß sie eine Vorstellung von der theoretischen Grundstruktur des Problems vermittelt. Aus der Sicht der praktischen Umweltpolitik bleibt sie dagegen zunächst eine LeerformeL 2. Das Zwischenzielproblem Die ökonomische Grundidee des Mengenansatzes ist es, eine effiziente Nutzung der knappen Umweltressource zu gewährleisten, indem zwar eine höchstzulässige Gesamtbelastung definiert wird, aber keine Zuweisung auf einzelne Nutzer stattfindet. Die in der politischen Praxis wirksamen Mechanismen bewirken nun aber vielfach gerade das Gegenteil, indem nämlich Zwischenziele der Art definiert werden, welchen Beitrag verschiedene Nutzergruppen bzw. Nutzungsarten zur Erreichung des Gesamtzieles leisten sollten. Dies entspricht dem in der Politik wohl unvermeidlichen Streben, Belastungen bzw. Opfer welcher Art auch immer möglichst "gerecht" auf die verschiedenen Gruppen aufzuteilen. Gerade die Vorgabe eines quantifizierten Mengenzieles leistet diesem Denken Vorschub, und es erscheint beinahe aussichtslos, mit Effizienzargumenten dagegenzuhalten, zumal auch hier wieder massive Verteilungskonflikte ausgetragen werden. Sehr schnell sind dann auch wieder ordnungsrechtliche Vorgaben im Spiel, die ja eigentlich durch die ökonomischen Ansätze zurückgedrängt werden sollten. Es ist aber nun einmal ein Unterschied, ob der Benzinpreis steigt, was vor allem "den kleinen Mann" trifft, oder ob der Höchstverbrauch von Pkw auf 8 Li13 Genauer müßte man eigentlich formulieren, daß die Umweltbelastung so weit zugelassen werden sollte, wie durch eine weitere Belastungsausweitung niemand mehr besser gestellt werden könnte, ohne die dadurch Schlechtergestellten kompensieren zu können.
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ter pro Hundert Kilometer begrenzt wird, was den Luxuslimousinen der "Reichen" den Garaus machen würde. Vertritt man den Mengenansatz, dann ist es auch auf der theoretischen Ebene nicht mehr leicht, gegen solche Vermischungen von Allokations- und Verteilungspolitik zu argumentieren. Denn wenn die insgesamt zu tolerierende Belastungsmenge letztlich eine rein politische Entscheidung ist, warum sollte man dann nicht auch über ihre Verteilung politisch entscheiden? Man muß schon zu sehr artifiziell wirkenden Kompensationsfiktionen greifen, um dieses Argument zu widerlegen.14 Hinsichtlich der Akzeptanz gilt für den Mengenansatz ähnliches wie für den Preisansatz; der Kürze halber soll dies hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden.lS Der Mengenansatz führt somit, obgleich dem Preisansatz konzeptionell überlegen, in der Praxis zu ganz ähnlichen Problemen. Letztlich werden in beiden Fällen nur Pseudomärkte bzw. Quasi-Marktmechanismen installiert, die zwar äußerlich ganz ähnlich wie echte Märkte funktionieren, letztlich aber nur der Umsetzung politischer Ziele dienen und damit auch politisch nahezu beliebig manipulierbar sind. Das entscheidende Merkmal eines wettbewerbsbestimmten Marktes, nämlich die dezentrale und nichtautoritäre Abstimmung divergierender Individualziele, bleibt diesen Märkten fremd.16
IIL Haftungsansatz Die bisher behandelten ökonomischen Ansätze betreffen vor allem solche Umweltbeeinträchtigungen, die nach Art und Höhe einigermaßen sicher geschätzt werden können und die mehr oder weniger regelmäßig anfallen. Zunehmenden Raum in der umweltpolitischen Diskussion nehmen aber stochastische Ereignisse wie Chemieunfälle oder Störfälle bei Atomkraftwerken ein, die zwar keine regelmäßige Belastung, wohl aber gewisse Risiken für die Umwelt und für die Menschen mit sich bringen. Für diese Fälle hat die Ökonomie das Haftungsprinzip als Lösungsansatz anzubieten.17 14 Beispielsweise könnte man im oben angefühnen Fall argumentieren, daß die Fahrer von Luxusautos möglicherweise bereit wären, die übrigen Autofahrer für denjenigen Teil der Benzinpreiserhöhung zu entschädigen, der notwendig wird, um trotz ihres Luxusverbrauchs das angestrebte Mengenziel zu erreichen. Aber man sieht schon, daß dies in der politischen Diskussion kaum ein Argument mit durchschlagendem Erfolg sein dürfte. 15 Es liegt auf der Hand, daß beispielsweise die Ansiedlung eines Chemiebetriebes nicht schon deshalb Akzeptanz unter der Bevölkerung der betreffenden Region finden muß, weil er die notwendigen Zenifikate für die Versehrnutzung der Umwelt vorweisen kann. Ebensowenig kann vorausgesetzt werden, daß die Bemessung und Erstveneilung von Verschmutzungsrechten ausschließlich nach umweltpolitischen Sachgesichtspunkten erfolgen wird. ' 16 So auch Nienhaus (1983/84, insbesondere 267). 17 Endres (1989) und (1991).
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Der Grundgedanke ist wieder die Internalisierung externer Effekte, indem der Verursacher eines Störfalles die Geschädigten in angemessener Weise entschädigen muß. Da er dafür entsprechende Rückstellungen oder Haftpflichtprämien in seine Preise einkalkulieren muß, liegt insoweit offenbar die gewünschte Internalisierung der Risikokosten vor. Auch dieser scheinbar elegante Lösungsansatz wirft jedoch eine Reihe von Problemen auf. 1. Das Problem unkompensierbarer Schäden Gerade im Umweltbereich treten Risiken auf, die im Falle ihres Eintretens unkompensierbare Schäden verursachen, etwa den Verlust von Menschenleben oder die Zerstörung unwiederbringlicher Schätze der Natur.18 Der (negative) Erwartungswert von Großrisiken wie etwa eines atomaren Supergaus ist daher selbst bei noch so geringer Wahrscheinlichkeit unendlich hoch, d. h. die bei einem tatsächlichen Schadensfall auftretenden Folgen können auch bei noch so großzügiger Bemessung von Schadensersatzzahlungen niemals voll ausgeglichen werden. Besteht man somit auf der Forderung, daß ein Investor im Wege von Schadensersatzpflicht die vollen Kosten seines Projektes zu tragen habe, so dürften entsprechende Projekte offenbar nicht realisiert werden. Es ist allerdings fraglich, ob eine solche Lösung paretooptimal wäre. Es ist nämlich durchaus denkbar bzw. sogar wahrscheinlich, daß die von Großrisiken Betroffenen zwar das tatsächliche Eintreten des Schadensfalles mit dem Wert "unendlich"bewerten würden, daß sie aber gleichwohl für die Inkaufnahme eines gewissen Schadensrisikos mit endlichen Beträgen kompensiert werden könnten. Dies setzt allerdings voraus, daß sie das Schadensrisiko mit einem Wert unterhalb des (unendlich hohen) Erwartungswertes ansetzen, sich also zumindest ab einem gewissen, bereits erreichten Sicherheitsniveau risikofreudig im Sinne der üblichen Definition dieses Begriffes verhalten. Dies ist vor allem dann zu erwarten, wenn das Gut "Sicherheit" zumindest ab einem gewissen Niveau einen sinkenden Grenznutzen aufweist, wie dies ja auch für alle anderen Güter i. d. R. angenommen wird. Bei dieser Sichtweise käme es also nicht darauf an, den Verursacher für die volle Kompensation eines tatsächlich eintretenden Schadens haftbar zu machen, sondern er müßte verpflichtet werden, den potentiell Geschädigten eine angemessene Kompensation für die reine Inkaufnahme des Risikos zu zahlen.19 Nur bei reinen Sachschäden, deren Höhe anhand von Marktpreisen sicher zu bestimmen ist, könnte ihm eine Wahlmöglichkeit zwischen der a priori-Abgeltung des Risikos und der nachträglichen Entschädigung bei 18 Binswanger (1990). 19 Calabresi (1978, 269) spricht in diesem Zusammenhang vom "Kaufpreis der Einwilligung
des Opfers".
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tatsächlichem Schadenseintritt gewährt werden. Welche Möglichkeit die günstigere ist, hängt von den jeweiligen Risikoeinstellungen des Verursachers und der Betroffenen ab. 2. Verschuldungs- versus Gefährdungshaftung Das 1990 in Kraft getretene Umwelthaftungsgesetz20 sieht die verschuldungsunabhängige Gefährdungshaftung des Verursachers vor, d. h. selbst wenn er alle einschlägigen Vorsorgevorschriften eingehalten hat, haftet er in vollem Umfang für die Folgen eines dennoch eintretenden Schadensfalles. Dagegen hatte das bis dahin geltende Verschuldungsprinzip ihn in einem solchen Falle von der Schadensersatzpflicht befreit.21 In der ökonomischen Literatur wird der Übergang zur Gefährdungshaftung überwiegend positiv beurteilt.22 Zwar sind beide Prinzipien insofern allokativ gleichwertig, als sie im theoretischen Idealmodell zum gleichen Vorsorgeniveau führen, falls der Staat das optimale Vorsorgeniveau23 kennt und als Haftungsgrenze im Falle des Verschuldungsprinzips vorschreibt. Dennoch verdient die Gefährdungshaftung nach weithin vertretener Auffassung den Vorzug.24 Da nun aber im Falle von Großrisiken "unendliche" Schäden auftreten, ist eine Haftung im strengen Sinne gar nicht möglich. Sie endet spätestens an der Vermögensgrenze des Schädigers bzw. an der vereinbarten Höchstgrenze der Haftplichtversicherungsleistung, die aber ex definitione zu niedrig ist. Tritt dann noch Risikofreude des Verursachers hinzu (nach dem Motto: "Wenn der Schadensfall wirklich eintreten sollte, ist sowieso alles aus"), so gewährleistet die Gefährdungshaftung keineswegs mehr das optimale Vorsorgeniveau. Dagegen bietet die Verschuldungshaftung, da sie mit bindenden Auflagen für die einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften verbunden ist, zumindest die Möglichkeit, das optimale Vorsorgeniveau zu erreichen. Sie führt bei Nichteinhaltung dieses Vorsorgeniveaus ja auch dann schon zu finanziellen Nachteilen des potentiellen Verursachers, wenn es noch nicht zur
20 Vgl. dazu näher Heyn (1993), Rohde-Liebenau (1992). 21 Vgl. zu einer ausführlichen ökonomischen und juristischen Analyse dieser beiden Prinzipien Schäfer/Ott (1986, 85 ff.). 22 Kirchgässner (1992); Endres/Schwarze (1991).
23 Dieses ist durch die Minimierung der Summe aus Vorsorgekosten und dem Erwartungswen der Schadenskosten definiert. 24 Zum einen kennt der Staat i. a. das optimale Vorsorgeniveau nicht. Selbst wenn er es aber kennt und vorschreibt, wird die Menge der auf diesem Sicherheitsniveau produzierten Güter zu hoch sein, weil das verbleibende Restrisiko nicht in die betriebliche Kalkulation eingeht. Unter dynamischen Gesichtspunkten bietet außerdem nur die Gefährdungshaftung ständige Anreize zur Suche nach neuen Vorsorgetechniken; vgl. Kirchgässner (1992, 22 ff.); Endres (1989, 126).
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Katastrophe gekommen ist, nämlich in Form von Strafen bis hin zur Schließung des Betriebes. Wie erwähnt, ist aber das optimale Vorsorgeniveau bei Großrisiken nicht am Erwartungswert des möglichen Schadensfalles zu orientieren, sondern an der a-priori-Risikobewertung der Betroffenen.25 Sind diese risikofreudig, so kann es durchaus auch bei endlichen Schäden unterhalb des Niveaus liegen, welches sich aus dem Erwartungswert des Schadens ergeben würde; eine Haftpflichtversicherung wäre dann nicht angezeigt, weil ihre Prämienforderung höher wäre als der Wert, den der erwartete Schaden für die Betroffenen darstellt. Über gesetzliche Haftungsvorschriften und vorgeschriebene Versicherungen läßt sich das Problem von Umweltrisiken daher offenbar nicht befriedigend lösen. D. Verhandlungen und Wettbewerb als Alternative I Umweltrisiken als Gegenstand von Privatverträgen
Vieles, was heute unter dem Stichwort Umwelt- und Gesundheitsschutz diskutiert wird, ist im Grunde gar kein öffentliches Gut, sondern Gegenstand privatrechtlicher Arbeits-, Miet- oder Kaufverträge. So kann zum Beispiel die Frage, ob in Gaststätten geraucht werden darf, ohne weiteres im Wettbewerb entschieden werden, indem es jedem Gastwirt überlassen wird, ob er das Rauchen in seinen Gasträumen erlaubt oder verbietet. Man kann dies als Qualitätsmerkmal der erbrachten Bewirtungsleistung betrachten, wobei der Wettbewerb entscheidet, ob für die Qualität "Nichtrauchergaststätte" eine hinreichende Nachfrage vorhanden ist. Ähnlich läßt sich für (nicht monopolisierte) Fluglinien, Sportstätten und auch Arbeitsplätze argumentieren. Auch die Frage, wieviel Lärm des Nachbarn hingenommen werden muß, erfordert nicht unbedingt eine hoheitliche Regelung. Sie kann Gegenstand von frei gestalteten Hausordnungen sein, deren Anerkennung Gegenstand des jeweiligen Miet- bzw. Kaufvertrages ist, und im Falle von Lärm aus den Nachbarhäusern können ebenfalls entsprechende Vereinbarungen zwischen den Besitzern benachbarter Häuser oder Blocks getroffen werden, an die sich dann die Bewohner nach Maßgabe ihrer Miet- bzw. Kaufverträge zu halten haben.
25 Dies entschärft auch das Kausalitäts- und Beweisproblern im Falle von Schäden, bei denen der Verursacher nur vermutet werden kann (vgl. dazu Endres, 1989, 120). Ist jeder potentielle Verursacher vorab kornpensationspflichtig, so kann im tatsächlichen Schadensfall den Geschädigten z. B. aus diesen Zahlungen eine Entschädigung gewährt werden.
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Auch kommunale Regelungen, ggfs. differenziert nach Wohngebieten und in Absprache mit den Bewohnern dieser Gebiete, sind möglich; keinesfalls bedarf es hier einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung im Detail. Allerdings wird hier der Bereich des reinen Privatvertrages strenggenommen bereits verlassen, obwohl argumentiert werden kann, daß bei Ausweisung hinreichend differenzierter Gebietstypen die Wohnortentscheidung gleichzeitig auch als Zustimmung zu den in dem betreffenden Bezirk geltenden Lärmschutzvorschriften interpretiert werden darf. Der Vorteil entsprechend differenzierter Umweltschutzvorschriften liegt auf der Hand: Es werden Wahlmöglichkeiten geschaffen, die bei einheitlicher gesetzlicher Regelung nicht bestehen würden, und somit werden die Möglichkeiten pareto-verbessernder Tauschhandlungen erweitert. Im Gegensatz zu den oben besprochenen Ansätzen ist hier die sich ergebende Umweltqualität (genauer: sind die sich ergebenden Umweltqualitäten) Ergebnis von Marktprozessen. Sie treten zwar äußerlich u. U. im Gewande ordnungsrechtlicher Vorgaben auf (im Gebiet X ist z. B. das Fußballspielen während der Mittagszeit verboten), aber der Ansatz ist aufgrund der gebotenen Wahlmöglichkeiten dennoch ungleich marktwirtschaftlicher und auch praktikabler als z. B. die Erhebung einer Lärmabgabe, mit der die ruhebedürftigen Mitbewohner (theoretisch) kompensiert werden könnten. Sofern die jeweiligen Umweltstandards allen potentiell Betroffenen vorab bekannt und Gegenstand der entsprechenden Miet-, Dienstleistungs- oder Arbeitsverträge sind, sollten auch keine größeren Akzeptanzprobleme mehr auftreten. IL Umweltrisiken als Gegenstand örtlicher Verhandlungen
Wesentlich komplexer liegen die Dinge im Falle der Erstellung oder Erweiterung umweltrelevanter Industrieanlagen oder Verkehrsprojekte. Hier sind die Auswirkungen tatsächlicher oder potentieller Emissionen zwar ebenfalls häufig regional begrenzt, aber nicht mehr in einem so engen Rahmen, daß man im Regelfall von hinreichenden Wahl- bzw. Ausweichmöglichkeiten der Betroffenen ausgehen könnte. Dies ist der klassische Coase-Fall, in dem nur direkte Verhandlungen zwischenSchädigerund Geschädigten eine marktmäßige Bestimmung des optimalen Belastungs- bzw. Risikoniveaus erhoffen lassen. Dazu wäre zunächst sicherzustellen, daß einerseits alle Betroffenen an den Verhandlungen über die zu entscheidende Ansiedlung bzw. die dabei zu treffenden Sicherheits- und Kompensationsmaßnahmen teilnehmen können, daß aber andererseits Nichtbetroffene von diesen Verhandlungen ausgeschlossen bleiben. Es dürften also bei lokal abgrenzbaren Risikien z. B. nicht irgendwelche autonome Umweltgruppen zu den Verhandlungen "eingeflogen" werden, sofern sie nicht auf die Gefährdung von überregionalen
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Interessen verweisen können, etwa die Gefahr der Ausrottung seltener Tierarten. In die umweltpolitische Praxis haben entsprechende Verhandlungen namentlich in den USA, teilweise aber auch in der Bundesrepublik bereits Eingang gefunden.26 Wesentliches Kennzeichen dieser sog. Mediations- bzw. Alternative-Dispute-Resoltion-Verfahren ist die direkte, in einem durchdachten und gegliederten Verhandlungsprozeß zwischen allen Betroffenen stattfindende Suche nach Konsens, wobei die Verfahren sich im einzelnen danach unterscheiden, ob ein neutraler Dritter als Moderator, eventuell auch als Schiedsrichter im Konfliktfall eingesetzt wird. Die Rolle des Moderators kann auch von staatlichen Instanzen eingenommen werden, sofern der Staat bzw. die entsprechende staatliche Instanz nicht selbst Verhandlungspartner ist. Sie kann aber auch von anderen, zum Beispiel Wissenschaftlern eingenommen werden, sofern sich die Verhandlungspartner darauf einigen. Sieht diese Art der Problemlösung auch zunächst sehr unökonomisch aus sie wurde in der Tat vor allem von Politologen entwickelt -, so offenbart sich bei näherem Hinsehen doch eine unmittelbare Nähe zum ökonomischen Verhandlungsansatz von Coase. Damit weist sie neben den Vorteilen dieses Ansatzes natürlich auch alle seine Nachteile auf, insbesondere verhältnismäßig hohe Transaktionskosten und die Gefahr strategischen Verhaltens bis hin zur Ausbeutung der Verhandlungspartner durch möglicherweise nur wenige, für den Konsens aber unverzichtbare Beteiligte. Aus Praktikabilitätsgründen erscheint es daher nicht angezeigt, einen vollständigen Konsens aller Beteiligten zur Bedingung des Verhandlungserfolges zu machen, und es sollte außerdem ein Druck auf alle Beteiligten bestehen, möglichst zu einem einvernehmlichem Ergebnis zu kommen. Letzteres könnte dadurch erreicht werden, daß andernfalls eine Entscheidung "von oben" (sei es durch den Staat oder durch ein Gericht) droht, deren Ausgang in der Praxis zumindest ungewiß ist. Andererseits darf im Falle eines hinreichenden Konsensniveaus nicht mehr die Möglichkeit bestehen, das Verhandlungsergebnis politisch oder rechtlich anzugreifen, d. h. die entsprechenden Verhandlungsergebnisse müßten Rechtskraft erhalten, sofern sie bestimmten, vorab festgelegten Anforderungen hinsichtlich Beteiligung, Verfahren und Konsensniveau genügen. Offenbar besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich der genauen Spezifizierung der Bedingungen, die an erfolgreiche und wohlfahrtsökonomisch befriedigende Konfliktlösungsverfahren dieser Art zu knüpfen sind. Die ökonomische Theorie kann zur Lösung dieser Proble26 Zilleßen/Barbian {1992); Fietkau/Weidner (1992); Ziehschank (1991).
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matik viel beitragen, befaßt sie sich doch letztlich mit der zweckmäßigen Ausgestaltung von Spielregeln für einen dezentralen Ausgleich konfligierender Individualziele. Es dürfte aber unumgänglich sein, diese Problematik in engerer Zusammenarbeit als bisher mit anderen Disziplinen, insbesondere mit der Rechtswissenschaft, anzugehen. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, daß Adam Smith von Hause aus Moralphilosoph war und daß namhafte Vertreter der Freiburger Schule wie Pranz Böhm keine ökonomische oder mathematische, sondern eine juristische Ausbildung hatten.27 An diese Tradition kann die Ökonomie anknüpfen, will sie im umweltpolitischen Entscheidungsprozeß nicht zunehmend als reine Hilfswissenschaft instrumentalisiert werden. Literatur Apel, K.-0. (1990): Diskursethik als Verantwortungsethik und das Problem der ökonomischen Rationalität, in: Biervert, B. et al. (Hrsg.): Sozialphilosophische Grundlagen ökonomischen Handelns, Frankfurt/M., 121-154. Benkert, W./Bunde, j./Hansjürgens, B. {1990): Umweltpolitik mit Umweltsteuern? Marburg. Binswanger, H. Ch. {1990): Neue Dimensionen des Risikos, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht 13, 103-118. Bonus, H. {1983/84): Zwei Philosophien der Umweltpolitik: Lehren aus der amerikanischen Luftreinhaltepolitik, in: List Forum 12, 323-340. - {1977/78): Neues Umweltbewußtsein-Ende der Marktwirtschaft? in: List Forum 9, 3-24. Calabresi, G. (1978): Die Entscheidung für oder gegen Unfälle: Ein Ansatz zur nichtverschuldensbezogenen Allokation von Kosten, in: Assmann, H. -D. et al. (Hrsg.): Ökonomische Analyse des Rechts, Kronberg/Ts., 259-290. El Shagi, E. S. {1985/86): Können marktmäßige Verhandlungen und Vereinbarungen eine aktive Umweltpolitik erübrigen? in: List Forum 13, 118-134. Endres, A. (1981/82): Ökonomische Grundprobleme der Messung sozialer Kosten, in: List Forum 11 , 251-269.
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27 Streit (1992); zur Geschichte der Freiburger Schule bzw. zur Entstehung der Wirtschaftswissenschaften aus den staatswissenschaftliehen Fakultäten des 19. Jahrhunderts vgl. auch Seifert {1990) und die dort angegebe Literatur.
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Abgabelösungen - Schritte zu einem neuen Konzept staatlicher Steuerung? Dietrich Fürst A. Die Ausgangslage: Wandel der Steuerungsstrukturen des Staates Seit gut 10 Jahren findet in den Sozialwissenschaften eine extensive Diskussion über den Wandel gesellschaftlicher Steuerungsstrukturen als Folge veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen statt. Da der Staat traditionell der zentrale Aktor gesellschaftlicher Steuerung war, richtete sich die Diskussion vor allem auf ihn. Zu den "staatlichen Steuerungsstrukturen" zählen die Träger der Steuerung, die Instrumente sowie die Organisation und die Verfahren zur Koordination von Akteuren. Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen implizieren veränderte Aktorenkonstellationen, veränderte Zugänge zu "politischen Arenen", Wandel der Steuerungsinstrumente u. ä. Die Frage, ob Umweltabgaben ein neues Steuerungskonzept des Staates darstellen, ist auf zwei Ebenen abzuhandeln. Zunächst ist zu klären, ob Umweltabgaben Veränderungen in den staatlichen Steuerungsstrukturen auslösen können oder nur deshalb politisch populärer sind, weil sie dem Wandel der Steuerungsstrukturen folgen, der sich ohnehin vollzieht (Kap. B). Wenn Umweltabgaben Veränderungen in den Steuerungsstrukturen auslösen sollen, so erfordern sie politisch-administrative Promotoren und begünstigende Rahmenbedingungen, die es wahrscheinlich machen, daß Umweltabgaben in großem Stile eingeführt werden. Dazu gehört und wird im folgenden untersucht, -ob die Umweltabgabe mit den traditionellen Steuerungsstrukturen kompatibel ist (und nicht bereits Widerstände aus Inkompatibilität auslöst) (Kap. C); -ob die Umweltverwaltung zu den Promotoren einer Umgestaltung staatlicher Steuerungsstrukturen zu rechnen ist (Kap. D); - ob institutionelle Bedingungen im gesamten Verwaltungssystem existieren, die förderlich wirken (Kap. E).
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