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German Pages 367 [368] Year 2015
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 336 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Caspar Behme
Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze Ein Beitrag zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im europäischen Gesellschaftsrecht
Mohr Siebeck
Caspar Behme, geboren 1986, Studium der Rechtswissenschaft an der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg und an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., 2009 Erste Juristische Staatsprüfung in Frankfurt a. M., 2012 Zweite Juristische Staatsprüfung in Frankfurt a. M., 2014 Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
e-ISBN PDF 978-3-16-153899-5 ISBN 978-3-16-153462-1 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Kirchheim/Teck gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Vereins zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e.V.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 an der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis Dezember 2014 berücksichtigt. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig, der die Rolle eines „Doktorvaters“ in jeder Hinsicht so ausgefüllt hat, wie man sich das als Doktorand nur wünschen kann. Sein Stil und seine Methode, juristische Probleme wissenschaftlich und praktisch zu bearbeiten, haben mich stark geprägt. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. Dres. h. c. Werner F. Ebke, LL.M. (U. C. Berkeley), für die Erstattung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen vielfältigen Anregungen. Die Arbeit ist in wesentlichen Teilen in den Räumlichkeiten der Sozietät Hengeler Mueller entstanden, der ich für die intensive Beanspruchung ihrer Ressourcen ebenso zu Dank verpflichtet bin wie dem Heidelberger Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht und seinem Direktor, Herrn Prof. Dr. Armin von Bogdandy, für die Möglichkeit, Teile der Arbeit dort zu verfassen und im Rahmen der Kolloquien des Instituts zu diskutieren. Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard University), Herrn Prof. Dr. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), und Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Reinhard Zimmermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die von ihnen herausgegebene Reihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“. Für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses danke ich dem Verein zur Förderung des Deutschen, Europäischen und Vergleichenden Wirtschaftsrechts e. V. Es war mir ferner eine große Hilfe und zugleich ein großes Vergnügen, zentrale Gedanken der Arbeit mit meinen Freunden Dr. Nicolas Nohlen, LL.M. (Yale), und Till Wansleben zu diskutieren. Meinen Eltern bin ich schließlich sehr dankbar dafür, dass sie mir mein Studium ermöglicht und mich in meinem Bestreben, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, stets unterstützt haben. Da ich davon ausgehe, dass sie zwar nicht das gesamte Buch, zumindest aber doch das Vorwort lesen werden, möchte ich ihnen die Arbeit widmen. München, im März 2015
Caspar Behme
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
Erstes Kapitel: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Cartesio als gedanklicher Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung aus der Perspektive des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung 6 B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung . . . . . . . 26 C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Herkunftslandprinzip) im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . 65 E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug . . . . . . . . . . . . . . 100 F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug . . . . . . . . . . . . . . . 111 G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften aus der Perspektive des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 130 A. Terminologie: Die „Umwandlung“ als grenzüberschreitender Formwechsel von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
VIII
Inhaltsübersicht
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Viertes Kapitel / Zwischenfazit: Die Niederlassungsfreiheit – eine versteckte Kollisionsnorm? . . . . . . . . 227 Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 A. Kohärenz der EuGH-Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 B. Keine Begünstigung von Diskriminierungen durch die EuGH-Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 C. Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit: Cartesio Rn. 111 ff. als ultra vires-Akt? . . . . . . 258 D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung und des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
Erstes Kapitel: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Cartesio als gedanklicher Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung aus der Perspektive des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung 6 I. Semantische Klarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Satzungssitz und Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitender Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mögliche Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Aufnahmestaat folgt ebenfalls der Sitztheorie . . . . . . . . . (2) Aufnahmestaat folgt der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . bb) Herkunftsstaat folgt der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beschränkter Aussagegehalt und Modifikationen von Sitztheorie und Gründungstheorie in Wegzugsfällen . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung aus der Perspektive des Aufnahmestaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufnahmestaat folgt der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 7 8
10 10 10 12 13 13 14 16 20 22 22 22
X
Inhaltsverzeichnis
bb) Aufnahmestaat folgt der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . (1) Herkunftsstaat folgt ebenfalls der Gründungstheorie . . . . (2) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22 22 22 23
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung . . . . . . . 26 I. Die Niederlassungsfreiheit im System der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . II. Gesellschaften als Begünstigte der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . III. Die Niederlassungsfreiheit als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingrenzung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit . . . . . 1. Geschriebene Rechtfertigungsgründe des Primärrechts: Art. 52 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund . . 3. Rechtfertigung von Beschränkungen durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition und Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Rechtfertigung diskriminierender Maßnahmen . . . . . . . . . c) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit und Erforderlichkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 28 29 29 30 30 32
33 33 35 35 39 41
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
I. Zum rechtsformwahrenden Wegzug: Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Daily Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Cartesio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 aa) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 bb) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Würdigung durch den EuGH – Cartesio als Präzisierung und Fortentwicklung von Daily Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. National Grid Indus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 bb) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Inhaltsverzeichnis
b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum rechtsformwahrenden Zuzug: Centros, Überseering und Inspire Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Centros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überseering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inspire Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI 54 56 56 56 57 57 57 58 58 59 59 60 62 62 63 63 64
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Herkunftslandprinzip) im Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . 65 I. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit: Produktqualifikation als Bezugspunkt der Anerkennungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit natürlicher Personen: Berufsqualifikation als Bezugspunkt der Anerkennungspflicht . . . . . . . III. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als horizontale Kompetenzzuweisung an den Herkunftsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gegenseitige Anerkennung als unionsrechtliche Zielvorgabe und Möglichkeiten ihrer Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Qualifikation als Gesellschaft als Bezugspunkt der Anerkennungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung der Anerkennungspflicht im Gesellschaftsrecht . . . . . . . a) Verfahrensrechtliche Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kollisionsrechtliche Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Diskriminierende Wirkung kollisionsrechtlicher Anerkennung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 75 80 86 87 89 93 94 95 97 98
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug . . . . . . . . . . . . . . 100
XII
Inhaltsverzeichnis
I. Präzisierung des Umfangs der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Beschränkung auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung . . . . . 2. Die Anknüpfungsautonomie als Autonomie zur Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Modalitäten“ der Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Befugnis des Herkunftsstaates zur Untersagung des rechtsformwahrenden Wegzugs im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Befugnis zur Untersagung der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befugnis zur Untersagung der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Befugnis zur Untersagung der rechtsformwahrenden Hinausverlegung beider Sitze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100 100 102 106 107 108 108 109 109 109 110 110 111 111
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Präzisierung des Umfangs der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung des rechtsformwahrenden Zuzugs im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtlicher Schutz der rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herkunftsstaat folgt der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . bb) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herkunftsstaat folgt der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . bb) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unionsrechtlicher Schutz der rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unionsrechtlicher Schutz der rechtsformwahrenden Hereinverlegung beider Sitze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112 113 113 113 114 115 118 118 123 124 125 126 127 127 128
G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Inhaltsverzeichnis
XIII
Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften aus der Perspektive des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 130 A. Terminologie: Die „Umwandlung“ als grenzüberschreitender Formwechsel von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
I. Der Begriff der Umwandlung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Der Begriff der Umwandlung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Der rechtsformwechselnde Wegzug und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vorbehalt der Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels nach dem nationalen Recht des Aufnahmestaates . . . . . 1. Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Ermöglichung der Hereinverschmelzung – Die SEVIC-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragbarkeit auf den rechtsformwechselnden Zuzug: Der Fall Vale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalt und Vorlagefrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verlegung des Verwaltungssitzes als Voraussetzung des grenzüberschreitenden Formwechsels? – Zur erforderlichen tatsächlichen Mobilitätskomponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs – Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgeblichkeit des Rechts des Aufnahmestaates . . . . . . . . . . . . . b) Acquis communautaire für Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zentrale Wesenselemente des Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtskonstruktive Bewältigung des Formwechsels . . . . . . . . . . aa) Einzelübertragung der Vermögensgegenstände auf eine Gesellschaft anderer Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mechanismen zur Vereinfachung des Formwechsels – Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität . . . . . . . . . cc) Keine unmittelbaren sekundärrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . dd) Neutralität der Niederlassungsfreiheit gegenüber Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität . . . . . . . . .
136 141 143 143 143 144 145 148 151 161 162 163 165 166 168 169 172 172 174 174 175 177 179
XIV
Inhaltsverzeichnis
V. Einzelne Aspekte der Rechtfertigung von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates für die Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der rechtsformwechselnde Wegzug als rechtsmissbräuchliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzinteressen des Herkunftsstaates der Gesellschaft beim grenzüberschreitenden Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutz von Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schutz von (Minderheits-)Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutz von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Insbesondere die Erhaltung der unternehmerischen Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insbesondere die Erforderlichkeit der Beschränkung . . . . . . . (1) Die Bedeutung des Rechts des Aufnahmestaates . . . . . . . (2) Das Informationsmodell des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Milderer Abwägungsmaßstab bei Wegzugsfällen? . . . . . . . . .
186 186 187 189 189 189 190 191 192 198 198 198 199 200
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen des rechtsformwechselnden Zuzugs – Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisionsrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachrechtliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der identitätswahrende statutenwechselnde Zuzug unter der Sitztheorie – ein grenzüberschreitender Formwechsel? . . . . . . . . . . . . . 1. Identitätswahrender Zuzug unter Anpassung der Satzung an das Recht des Aufnahmestaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das deutsche Modell: Umqualifizierung in deutsche Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Umqualifizierung als Mechanismus des deutschen materiellen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insbesondere die Frage der rechtlichen Identität . . . . . . . . . . . . . 3. Unterschiede zwischen identitätswahrendem Statutenwechsel und grenzüberschreitendem Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der identitätswahrende statutenwechselnde Zuzug und die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203 203 203 204 206 206 207 208 210 211 213 219 223
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Inhaltsverzeichnis
XV
Viertes Kapitel / Zwischenfazit: Die Niederlassungsfreiheit – eine versteckte Kollisionsnorm? . . . . . . . . 227 Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 A. Kohärenz der EuGH-Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Kohärenz der Entscheidungen zur Wegzugsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Cartesio und Daily Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Cartesio und de Lasteyrie du Saillant / National Grid Indus . . . . . . . II. Kohärenz der Entscheidungen zur mitgliedstaatlichen Definitionsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Cartesio und Rottmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit: Zum Spannungsverhältnis von Daily Mail / Cartesio und der Golden Shares-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235 235 238 240 240
246
B. Keine Begünstigung von Diskriminierungen durch die EuGH-Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
I. Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und innerstaatlicher Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 III. Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwechselndem Wegzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
C. Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit: Cartesio Rn. 111 ff. als ultra vires-Akt? . . . . . . 258 D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung und des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
I. Vorbemerkung: Kompetenzrechtliche Grundlagen sekundärrechtlicher Harmonisierung im Bereich des Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 264 1. Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung – Begrenzt Cartesio unionale Harmonisierungskompetenzen? . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . 274 II. Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung . . . . . . . . . . . 275 1. Regelungsbedarf aus unternehmerischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Chancen und Risiken aus Sicht der betroffenen Mitgliedstaaten . . . 278 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 III. Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels . . . . . . . . . 285 1. Regelungsbedarf aus unternehmerischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Chancen und Risiken aus Sicht der betroffenen Mitgliedstaaten . . . 289
XVI
Inhaltsverzeichnis
Exkurs: Cartesio als Impuls für den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Abkürzungsverzeichnis ABl Amtsblatt Abs. Absatz Acp Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV Alte Fassung a. F. AG Amtsgericht AG Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) AG AktG Aktiengesetz Am. J. Comp. L. American Journal of Comparative Law Anh. Anhang AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel Aufl. Auflage BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BB Betriebs-Berater Bundesblatt (der Schweiz) BBl Bd. Band BFH Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch BGB BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ BT-Drs. Bundestagsdrucksache Besloten vennootschap (niederländische GmbH) BV BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht Common Market Law Review CML Rev. Colum. L. Rev. Columbia Law Review Der Betrieb DB ders. derselbe DGVR Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht Das heißt d. h. Diss. Dissertation DJT Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift DNotZ Deutsches Steuerrecht DStR Deutsches Verwaltungsblatt DVBl DZWiR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht European Business Law Review EBLR European Business Organization Law Review EBOR ECFR European Company and Financial Law Review
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
Ed. Edition European Free Trade Association EFTA EG Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche EGBGB Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einl. Einleitung European Journal of Legal Studies EJLS EMRK Europäische Menschenrechtskonvention Endg. Endgültig Europäische Union/European Union EU EuGH Gerichtshof der Europäischen Union Europäische Insolvenzordnung EuInsVO The European Legal Forum EuLF EuR Europarecht European Law Review Eur. L. Rev. Vertrag über die Europäische Union EUV EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWiR EWIV Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht EWS FGG Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Folgende Seite f. Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ FG Finanzgericht FS Festschrift Fußn. Fußnote Gesellschaft bürgerlichen Rechts GbR GeS Zeitschrift für Gesellschaftsrecht und angrenzendes Steuerrecht Der Gesellschafter GesRZ GG Grundgesetz GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Die GmbH-Rundschau GmbHR Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union GPR GS Gedächtnisschrift Harvard Int. L. J. Harvard International Law Journal Harvard Law Review Harvard L. Rev. Hrs. Herausgeber International & Comparative Law Quarterly ICLQ Internationales Gesellschaftsrecht IntGesR Int. Rev. L. Econ International Review of Law and Economics Internationales Privatrecht IPR Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRax IPRG Gesetz über das Internationale Privatrecht Internationales Steuerrecht IStR Juristische Schulung JuS JZ JuristenZeitung Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Mitteilungen der KOM Kommission an den Rat und das Europäische Parlament Komm. Kommentar krit. kritisch
Abkürzungsverzeichnis
XIX
KSzW Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht KTS LG Landgericht lit. litera Kommentierte BGH-Rechtsprechung (Fortführung der Kommentierten LMK BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring) MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von MoMiG Missbräuchen MüKo Münchener Kommentar Mit weiteren Nachweisen m. w. N. NAFTA North American Free Trade Agreement Neue Juristische Wochenschrift NJW Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NvWZ Nw. U. L. Rev. Northwestern University Law Review Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG Oberster Gerichtshof (Österreich) OGH OHG Offene Handelsgesellschaft OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ÖZW PLC Public Limited Company Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RabelsZ RCJB Revue critique de jurisprudence belge Recht der Arbeit RdA Rev. Review RGZ Entscheidungssammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft RIW Rn. Randnummer RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift Rnrn. Randnummern Rs. Rechtssache S. Seite Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) SCE Scil. scilicet SE Societas Europaea (Europäische Gesellschaft) Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft SE-VO SGB Sozialgesetzbuch Slg. Sammlung Societas Privata Europaea SPE Stanford Law Review Stan. L. Rev. StudZR Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg Syst. Systematisch UmwG Umwandlungsgesetz Verf. Verfasser Vgl. Vergleiche VO Verordnung Vorb. Vorbemerkung Wirtschaftsrechtliche Blätter Wbl Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen – WFBV WFBV WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht World Trade Organization WTO
XX
Abkürzungsverzeichnis
Yale J. Int. L. Yale Journal of International Law Yale Law Journal Yale L. J. ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZHR ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zit. zitiert ZPO Zivilprozessordnung ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
Erstes Kapitel
Einführung Die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV, ex-Art. 43, 48 EG) gehört zu den großen Themen der Jurisprudenz unserer Zeit; sie beschäftigt Autoren aus Wissenschaft und Praxis gleichermaßen. Eine Anfrage des Verfassers beim Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, das unter anderem die Datenbank EUR-Lex betreibt, ergab, dass sich die Entscheidungen Überseering1, Inspire Art2, SEVIC3 und Cartesio4 unter den 25 am häufigsten kommentierten Entscheidungen des EuGH seit dem 1. Januar 2000 befinden; sechs weitere Entscheidungen unter den „Top 25“ betrafen ebenfalls die Niederlassungs- oder die Dienstleistungsfreiheit.5 Zugleich betraf keine der 25 meistkommentierten Entscheidungen die Warenverkehrsfreiheit – jene Grundfreiheit, anhand derer der EuGH im 20. Jahrhundert die heutige Grundfreiheitendogmatik mit den Entscheidungen Dassonville6, Cassis de Dijon7 und Keck8 maßgeblich entwickelt hat. Diese Zahlen lassen sich als Hinweis darauf deuten, dass die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit im 21. Jahrhundert die Warenverkehrsfreiheit als paradigmatische Grundfreiheit abgelöst haben. Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, als das den Grundfreiheiten immanente Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Herkunftslandprinzip) in diesem Bereich eine weitaus 1
EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919. EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I – 10155. 3 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805. 4 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641. 5 Ebenfalls unter den meistkommentierten Entscheidungen finden sich die Entscheidungen EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), Slg. 2005, I – 10866; EuGH, Urteil vom 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I – 2409; EuGH, Urteil vom 11. 12. 2007, Rs. C-438/05 (Viking Line), Slg. 2007, I – 10779; EuGH, Urteil vom 18. 12. 2007, Rs. C-341/05 (Laval), Slg. 2007, I – 1176; EuGH, Urteil vom 3. 4. 2008, Rs. C-346/06 (Rüffert), Slg. 2008, I – 1989 und EuGH, Urteil vom 8. 9. 2009, Rs. C-42/07 (Liga Portuguesa de Futebol Profissional u. a./Departamento de Jogos da Santa Casa da Misericórdia de Lisboa), Slg. 2009, I – 7698. 6 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837. 7 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649. 8 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, Rs. C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I – 6097. 2
2
Erstes Kapitel: Einführung
größere soziale Sprengkraft entfaltet.9 Ohne die Warenverkehrsfreiheit in ihrer Bedeutung für den europäischen Binnenmarkt gering schätzen zu wollen, ist offensichtlich, dass die kraft unionalen Verfassungsrechts10 begründete Pflicht zur Anerkennung ausländischer Gesellschaften und Dienstleister die Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsordnung eines Mitgliedstaates in deutlich stärkerem Maße berührt als beispielsweise die Pflicht zur Anerkennung ausländischen Likörweins (Cassis de Dijon). Diese Bedeutungsverschiebung mag neben der beträchtlichen Relevanz der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften für die wirtschaftsberatende Praxis ein Grund für die Popularität des Themas sein. Gleichwohl ist es erklärungsbedürftig, wenn der Verfasser mit dieser Arbeit der vorhandenen Fülle einschlägiger Publikationen eine weitere Abhandlung hinzufügt. Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften wird in der deutschen Literatur bislang vorwiegend aus einem internationalprivatrechtlichen und aus einem gesellschaftsrechtlichen, nicht aber aus einem unionsrechtlichen11 Blickwinkel betrachtet. Im Vordergrund des Interesses steht dabei die Auslotung des praktischen Gestaltungsspielraums von Gesellschaften. Die Diskussion kreist im Wesentlichen um zwei Fragen: zum einen um die Frage, welches Maß an grenzüberschreitender Mobilität die Mitgliedstaaten den nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften zugestehen müssen; zum anderen um die Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten zuziehende ausländische Gesellschaften zur Beachtung ihres eigenen nationalen Gesellschaftsrechts zwingen können. Die vorgeschlagenen Antworten hängen regelmäßig stark von dem jeweiligen rechtspolitischen Standort des Autors und seiner Gewichtung der von einer Sitzverlegung betroffenen Interessen ab. So wird teilweise das Bemühen sichtbar, den Schutzwall um das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht so hoch aufzuschichten, wie es vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung gerade noch zulässig erscheint. Andere Autoren versuchen offenbar, die EuGHRechtsprechung dahingehend zu instrumentalisieren, sämtliche Hindernisse für eine grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften einzuebnen. Beide Argumentationsansätze greifen auf dieselbe Technik zurück: Überwiegend wird 9
Siehe dazu insbesondere S. Schmidt, Der moderne Staat 2010, 455 (467 ff.). Der bewusste Verzicht des Vertrags von Lissabon auf den Verfassungsbegriff (Pechstein, in: Streinz [Hrsg.], 2. Aufl. 2012, Art. 1 EUV Rn. 2) ändert nichts daran, dass es sich bei zahlreichen Inhalten der europäischen Verträge und insbesondere bei den europäischen Grundfreiheiten um Verfassungsrecht im materiellen Sinne handelt; vgl. Calliess, in: Calliess/ Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 1 EUV Rn. 54 ff.; siehe weiterführend von Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009. 11 Die Differenzierung zwischen „Gemeinschaft“ und „Union“ ist hinfällig, seitdem durch den Vertrag von Lissabon Union und Gemeinschaft unter dem Organisationsnamen „Europäische Union“ verschmolzen wurden. Daher soll das bislang als primäres und sekundäres „Gemeinschaftsrecht“ bezeichnete Recht im Folgenden als „Unionsrecht“ bezeichnet werden. Krit. zu diesem terminologischen Wandel Müller-Graff, GPR 2008, 105. 10
A. Cartesio als gedanklicher Ausgangspunkt
3
versucht, die Antwort auf konkrete Rechtsfragen – die Anwendbarkeit einer bestimmten inländischen Rechtsnorm auf ausländische Gesellschaften, die rechtliche Zulässigkeit einer Sitzverlegung – im Wege der Subsumtion unter die in den Entscheidungen Daily Mail bis Cartesio getroffenen Aussagen des EuGH zu finden. Eher in den Hintergrund rückt dabei das Bestreben, das hinter diesen Entscheidungen stehende Prinzip freizulegen und die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in ein übergreifendes System der Grundfreiheitendogmatik einzuordnen. Eine solche theoretische Aufarbeitung aus dem Blickwinkel des Unionsrechts, die Voraussetzung für die Beantwortung praktischer Fragen ist, will die vorliegende Untersuchung leisten.
A. Cartesio als gedanklicher Ausgangspunkt Den gedanklichen Ausgangspunkt bildet dabei die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Cartesio vom 16. Dezember 2008, mit der die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften ihren vorläufigen Kulminationspunkt erreicht hat. Abweichend von den Schlussanträgen des Generalanwalts Poiares Maduro12 hat der EuGH entschieden, dass die Verlegung des Sitzes einer ungarischen Kommanditgesellschaft nach Italien unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität als Gesellschaft ungarischen Rechts nicht von der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV geschützt ist. Von einer solchen Sitzverlegung ohne Änderung des für die Gesellschaft maßgeblichen Rechts zu unterscheiden sei hingegen der Fall, in dem – so die Formulierung des EuGH in Cartesio Rn. 111 – eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des anwendbaren nationalen Rechts verlegt und dabei in eine dem nationalen Recht des zweiten Mitgliedstaates unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt wird. Sanktioniere das nationale Recht des Mitgliedstaates, nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet wurde, einen derartigen rechtsformwechselnden Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat mit der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft, sodass im Aufnahmestaat eine Neugründung erforderlich ist, so liege darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. In der Cartesio-Entscheidung ist damit eine grundlegende Differenzierung zwischen zwei Fallgruppen angelegt:13 Die erste Fallgruppe betrifft den Wegzug einer Gesellschaft durch Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat unter Wahrung der Rechtsform, die ihr Herkunftsstaat ihr verliehen hat 12 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498; dazu ausführlich Behme/Nohlen, NZG 2008, 496. 13 So schon Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (14); zustimmend Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (155); Knop, DZWIR 2009, 147 (151); Teichmann, ZIP 2009, 393 (394).
4
Erstes Kapitel: Einführung
(rechtsformwahrender Wegzug). Die zweite Fallgruppe betrifft den Wegzug durch Verlegung einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat bei gleichzeitiger Umwandlung in eine dessen nationalem Recht unterliegende Gesellschaftsform (rechtsformwechselnder Wegzug). Jeder Wegzug, gleich ob unter Wahrung oder mit Wechsel der Rechtsform, stellt sich aus der Perspektive des Aufnahmestaates als Zuzug dar. Wegzug und Zuzug sind also wechselseitig bedingte Ausprägungen eines einheitlichen Vorgangs: der Ausübung grenzüberschreitender Mobilität.14 Insofern setzt sich die durch den EuGH vorgenommene Differenzierung aus dem Blickwinkel des Aufnahmestaates fort: Hier ist zu unterscheiden zwischen rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Zuzug von Gesellschaften. Die obige Formulierung, dass in Cartesio eine Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Wegzug von Gesellschaften angelegt ist, ist bewusst allgemein gehalten. Sie lenkt den Fokus auf das wesentliche Differenzierungskriterium, nämlich die Frage, ob sich in Folge des Wegzugs die Rechtsform der Gesellschaft ändert oder nicht. Der rechtsformwahrende Wegzug soll – so der EuGH – nicht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen, der rechtsformwechselnde Wegzug dagegen schon. In der Literatur wird diese Differenzierung häufig mit einer Differenzierung zwischen Verlegung des Verwaltungssitzes und Verlegung des Satzungssitzes gleichgesetzt.15 Die Wortwahl des EuGH ist dagegen eine andere: Er unterscheidet zwischen der Verlegung des „Sitzes“ der Gesellschaft und der Verlegung der „Gesellschaft“16 bei gleichzeitiger Umwandlung in eine dem nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegende Gesellschaftsform. Das wirft in beiden Konstellationen die Frage auf, was genau jeweils verlegt wird – mit anderen Worten: worin der „Wegzug“ der Gesellschaft besteht. Ändert sich die Rechtsform der Gesellschaft nicht, kann der Wegzug nur in einer Verlegung des Sitzes bestehen. Der rechtsformwahrende Wegzug ist also ohne eine Sitzverlegung nicht denkbar. Gleiches gilt für den rechtsformwahrenden Zuzug. Der rechtsformwahrende Wegzug und der rechtsformwahrende Zuzug sollen daher im Folgenden mit dem Oberbegriff „Rechtsformwahrende Sitzverlegung“ bezeichnet werden. Der Begriff „Sitzverlegung“ meint im Rahmen der vorliegenden Arbeit stets die grenzüberschreitende Verlegung des Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat. Dabei bleibt zunächst offen, welcher Sitz verlegt wird – Satzungssitz oder Verwaltungssitz. Beim rechtsformwechselnden Weg14
Siehe nur Kämmerer, EuR 2008, 45 (48). Grohmann, DZWIR 2009, 322 (325); Kindler, NZG 2009, 30 (31); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32); Kobelt, GmbHR 2009, 809 (812 f.); Schulz/Schröder, EWiR 2009, 141 (142). 16 Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (755) weisen zutreffend auf die identische Terminologie in den anderen Sprachfassungen der Cartesio-Entscheidung hin: englisch: „a company … moves“; französisch: „déplacement d’une société“; italienisch: „trasferimento di una società“; spanisch: „traslado de una sociedad“. 15
B. Gang der Untersuchung
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zug bzw. Zuzug kommt es dagegen nicht auf eine Verlegung des Sitzes an, sondern auf den Wechsel der Rechtsform: Der Wegzug besteht in der vom EuGH angesprochenen „Umwandlung“ in eine dem nationalen Recht des Aufnahmestaates unterliegende Rechtsform.17 Diese Umwandlung soll im Folgenden im Einklang mit der Terminologie des deutschen Umwandlungsrechts als „grenzüberschreitender Formwechsel“ bezeichnet werden.18
B. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit untersucht, welche Vorgaben der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit für die Regelung des Wegzugs und des Zuzugs von Gesellschaften durch das nationale Recht der Mitgliedstaaten zu entnehmen sind, und greift zu diesem Zwecke die in Cartesio angelegte Differenzierung zwischen grenzüberschreitender rechtsformwahrender Sitzverlegung (zweites Kapitel) und grenzüberschreitendem Formwechsel (drittes Kapitel) auf. Dabei sind mit Blick auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten stets zwei Ebenen zu unterscheiden: die Ebene des Internationalen Gesellschaftsrechts (Kollisionsrecht) einerseits und die Ebene des materiellen Gesellschafts- bzw. Umwandlungsrechts (Sachrecht) andererseits.19 Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. Es wird sich zeigen, dass sich alle einschlägigen Judikate auf eine einheitliche Prämisse zurückführen lassen: die Auslegung der Grundfreiheiten im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung (Herkunftslandprinzip). Die Übertragung dieses ursprünglich für den freien Warenverkehr entwickelten Prinzips auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften liefert den Maßstab für die Beurteilung der Primärrechtskonformität mitgliedstaatlicher Kollisions- und Sachnormen und lässt die Rechtsprechung des EuGH als dogmatisch konsistent erscheinen. Dogmatisch zwingend ist eine solche Übertragung freilich nicht; sie führt zudem teilweise zu rechtspolitisch unbefriedigenden Ergebnissen und ist daher – im Anschluss an ein kurzes Zwischenfazit zum kollisionsrechtlichen Gehalt der Niederlassungsfreiheit (viertes Kapitel) – im fünften Kapitel kritisch zu hinterfragen. Dieses Kapitel bildet damit die Grundlage einiger rechtspolitischer Empfehlungen, deren Adressat der Unionsgesetzgeber ist.
17 Zu der Frage, ob der Verwaltungssitz der Gesellschaft beim rechtsformwechselnden Wegzug mit verlegt werden muss, siehe unten S. 151 ff. 18 Siehe zur Terminologie noch ausführlich unten S. 133 ff. 19 Kollisionsnormen bestimmen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Anwendbarkeit der Rechtsordnung; Sachnormen entscheiden dagegen in der Sache selbst; siehe v. Bar/ Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2. Aufl. 2003, § 1 Rn. 16 f.
Zweites Kapitel
Die rechtsformwahrende Sitzverlegung aus der Perspektive des Unionsrechts Für die Analyse der unionsrechtlichen Vorgaben für die rechtsformwahrende Sitzverlegung ist zunächst zu klären, was unter einer Sitzverlegung zu verstehen ist und welche Auswirkungen eine Sitzverlegung nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten haben kann (unter A.). Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts stellt sich die Frage, ob diese Auswirkungen mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) vereinbar sind. Daher soll im Anschluss an die Darstellung der möglichen Auswirkungen einer Sitzverlegung nach nationalem Recht der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit erläutert werden (unter B.). Sodann ist die Rechtsprechung des EuGH zur rechtsformwahrenden Sitzverlegung von Gesellschaften zu analysieren, wobei zu unterscheiden ist zwischen Entscheidungen, die den rechtsformwahrenden Wegzug betreffen, und Entscheidungen, die den rechtsformwahrenden Zuzug betreffen (unter C.). Dieser Rechtsprechung liegt eine Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zugrunde, dessen Ursprung und Wirkungsweise ausführlich zu behandeln sind (unter D.), bevor daraus konkrete Schlussfolgerungen im Hinblick auf das nationale Kollisionsund Sachrecht der Mitgliedstaaten gezogen werden können, die einerseits den rechtsformwahrenden Wegzug (unter E.) und andererseits den rechtsformwahrenden Zuzug (unter F.) von Gesellschaften betreffen.
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung Da die grenzüberschreitende Sitzverlegung von Gesellschaften bislang nicht unionsrechtlich harmonisiert wurde, richten sich ihre Voraussetzungen und Auswirkungen allein nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Die Wahrung der Rechtsform bei einer Sitzverlegung setzt die Mitwirkung der Rechtsordnungen zweier Mitgliedstaaten voraus. Zum einen ist erforderlich, dass die Rechtsordnung des Mitgliedstaates, dessen Recht die Gesellschaft im Zeitpunkt der Sitzverlegung unterliegt und der damit der Gesellschaft ihre ak-
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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tuelle Rechtsform verleiht, den rechtsformwahrenden Wegzug gestattet. Dieser Staat soll im weiteren Text als Herkunftsstaat der Gesellschaft bezeichnet werden. Der Herkunftsstaat wird regelmäßig der Mitgliedstaat sein, nach dessen nationalem Recht die Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde. Zwingend ist dies allerdings nicht: Die Gesellschaft kann auch in einem anderen Staat als ihrem aktuellen Herkunftsstaat gegründet worden sein und im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine Rechtsform ihres aktuellen Herkunftsstaates angenommen haben. Zum anderen ist erforderlich, dass der Staat, in den die Gesellschaft ihren Sitz verlegt, einen rechtsformwahrenden Zuzug gestattet, mit anderen Worten: die ausländische Rechtsform anerkennt. Dieser Staat soll im weiteren Text als Aufnahmestaat bezeichnet werden.
I. Semantische Klarstellungen Bisher war lediglich von der rechtsformwahrenden Sitzverlegung in Abgrenzung zum grenzüberschreitenden Formwechsel die Rede. Der Begriff der „Sitzverlegung“ ist jedoch unscharf und bedarf in zweierlei Hinsicht der Präzisierung. Zum einen ist in den Rechtsordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten zwischen dem Verwaltungssitz und dem Satzungssitz zu differenzieren (unter 1.). Zum anderen wird die Verlegung des Satzungssitzes häufig mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung ist jedoch unzutreffend (unter 2.).
1. Satzungssitz und Verwaltungssitz Die Differenzierung zwischen dem Satzungssitz und dem Verwaltungssitz von Gesellschaften ist jedenfalls im Bereich der Kapitalgesellschaften den Rechtsordnungen vieler Mitgliedstaaten geläufig.1 Der Satzungssitz ist der in der Satzung angegebene Sitz der Gesellschaft. Der Verwaltungssitz ist – vereinfacht formuliert2 – der Ort, am dem sich die tatsächliche Hauptverwaltung der Gesellschaft befindet. Der Satzungssitz und der Verwaltungssitz von Gesellschaften können sowohl auf der Ebene des Gesellschaftskollisionsrechts als auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts eine Rolle spielen.3 Auf der Ebene des Kollisionsrechts können sie das maßgebliche Anknüpfungsmoment der Kollisionsnorm sein, nach der sich das auf die Gesellschaft anwendbare 1 Siehe zum Ganzen rechtsvergleichend Gesell/Flaßhoff/Krömker, in: van Hulle/Gesell (Hrsg.), European Corporate Law, 1. Aufl. 2006, S. 25 f. 2 Zur präzisen Definition des Verwaltungssitzes siehe unten S. 12 sowie S. 155 f. 3 Es sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass der Satzungssitz und der Verwaltungssitz auch für das Prozessrecht eine Rolle spielen können (vgl. für das deutsche Recht § 17 Abs. 1 ZPO); dies ist freilich für die vorliegende Untersuchung nicht von näherer Bedeutung.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
materielle Gesellschaftsrecht bestimmt. Auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts spielt insbesondere der Satzungssitz eine Rolle, da seine Angabe zu den Kernbestandteilen einer Satzung zählt4 und er in der Regel die örtliche Zuständigkeit des Registers begründet, in dem die Gesellschaft einzutragen ist. In manchen Rechtsordnungen muss der Verwaltungssitz mit dem Satzungssitz identisch sein; die Unterscheidung von Satzungssitz und Verwaltungssitz ist dann lediglich begrifflicher Natur und hat keine praktische Bedeutung. Andere Rechtsordnungen gestatten zumindest innerhalb ihres Territoriums ein Auseinanderfallen beider Sitze. Manche Mitgliedstaaten gestatten den nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften sogar, dass sich der Verwaltungssitz und der Satzungssitz in unterschiedlichen Staaten befinden.
2. Grenzüberschreitende Sitzverlegung und grenzüberschreitender Formwechsel Verbreitet wird die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes mit einem grenzüberschreitenden Wechsel der Rechtsform gleichgesetzt.5 Auch dem Vorentwurf eines Vorschlags der Kommission für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU6 liegt das Verständnis zugrunde, dass die Satzungssitzverlegung mit einem identitätswahrenden Rechtsformwechsel gleichzusetzen ist, ebenso der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von
4 Vgl. für Gesellschaften im Anwendungsbereich der Kapitalrichtlinie (Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten) deren Art. 3 lit. a. 5 Eckert, GesRZ 2009, 47 (49); Grohmann, DZWIR 2009, 322 (325); Hushahn, RNotZ 2014, 137 (138); Kallmeyer, AG 1998, 88 (89); Kindler, NZG 2009, 30 (31); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32); dies., GPR 2008, 134 (139); Kobelt, GmbHR 2009, 809 (812 f.); Neye, EWiR 2007, 715 (716); ders.; EWiR 2010, 625 (626); Schaumburg, GmbHR 1996, 585 (591); Schulz/ Schröder, EWiR 2009, 141 (142); Weller, IPRax 2013, 530; vgl. auch Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721 (725), wonach der grenzüberschreitende Formwechsel „funktionell“ einer Sitzverlegung entspricht; ferner Kronke, ZGR 1994, 26 (30). 6 Abgedruckt in ZIP 1997, 1721; siehe dazu Eidenmüller, JZ 2004, 24 (31 f.); Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 4 Rn. 30 f.; Heinze, ZGR 1999, 55; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43; Hügel, ZGR 1999, 71; Koppensteiner, FS Lutter, S. 141; Leible, ZGR 2004, 531; di Marco, ZGR 1999, 3; Meilicke, GmbHR 1998, 1053; Neye, ZGR 1999, 13; Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (139 ff.); Priester, ZGR 1999, 36; Rajak, ZGR 1999, 111; K. Schmidt, ZGR 1999, 20; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 806 ff.; Timmerman, ZGR 1999, 147; Wymeersch, ZGR 1999, 126.
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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eingetragenen Gesellschaftssitzen7 sowie der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen.8 Eine solche Gleichsetzung von Wechsel der Rechtsform und Satzungssitzverlegung liegt schon deshalb nahe, weil – soweit ersichtlich – kein Mitgliedstaat einer nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft die Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland unter Wahrung der Rechtsform gestattet.9 Ein praktisches Bedürfnis für eine rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat ist auf den ersten Blick auch nur schwer erkennbar. Es ist allerdings durchaus möglich, dass der Aufnahmestaat an einen inländischen Satzungssitz rechtliche Vorteile knüpft, die eine rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes für Gesellschaften interessant machen können, oder dass etwaige mit einem Satzungssitz im Herkunftsstaat verbundene rechtliche Nachteile – beispielsweise hohe Registergebühren10 – vermieden werden sollen. Ist dies nicht der Fall, lässt sich ein praktisches Bedürfnis für eine rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat jedenfalls dann begründen, wenn zugleich der tatsächliche Verwaltungssitz verlegt wird, da die Gesellschaft durch eine rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung dann die rechtliche Sitzlage mit der tatsächlichen Sitzlage in Einklang bringen könnte.11 Unabhängig von ihrer praktischen Bedeutung ist eine rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes (rechtskonstruktiv) gleichwohl denkbar, und zwar auch ohne gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes. Eine Satzungssitzverlegung geht also (rechtskonstruktiv) nicht zwingend mit einem Wechsel der Rechtsform einher.12 Umgekehrt ist freilich ein grenzüberschreitender Wechsel der Rechts7 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, online abrufbar unter ; siehe auch Lehne, KSzW 2010, 3 (4). 8 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen, online abrufbar unter . 9 Ebenso Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 222; Drinhausen/Gesell, BB-Special 8/2006, 3 (6); Kruchen, Europäische Niederlassungsfreiheit und „inländische“ Kapitalgesellschaften im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG, 2009, S. 176. 10 Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (101); die Vereinbarkeit derartiger Rechtsnachteile mit der Niederlassungsfreiheit ist allerdings zweifelhaft. 11 Eidenmüller, JZ 2004, 24 (32); dagegen Leible, ZGR 2004, 531 (553 f.); ein praktisches Bedürfnis nach statutenwahrender Satzungssitzverlegung verneint auch Koppensteiner, FS Lutter, S. 141 (147). 12 Ebenso Eidenmüller, JZ 2004, 24 (32); Leible, ZGR 2004, 531 (553 f.); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (101); Müller-Graff, EWS 2009, 489 (494); Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rn. 74; Schön, ZGR 2013,
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
form ohne gleichzeitige Verlegung des Satzungssitzes schon deshalb praktisch nur schwer vorstellbar, weil die Gesellschaft infolge des Formwechsels in der Regel zwingend im Aufnahmestaat einzutragen sein wird.13
II. Mögliche Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten Für die Analyse der unionsrechtlichen Vorgaben für die grenzüberschreitende Sitzverlegung ist es entscheidend, sich zunächst der möglichen Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung auf der Ebene des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten zu vergewissern. Diese Auswirkungen sind im Folgenden zunächst aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft und sodann aus der Perspektive des Aufnahmestaates darzustellen. Dabei ist sorgfältig zwischen kollisionsrechtlicher und sachrechtlicher Ebene zu unterscheiden. Diese Unterscheidung kommt in Rechtsprechung und Literatur oftmals zu kurz.14
1. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft a) Kollisionsrechtliche Ebene Verlegt eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Staat, so sind von diesem Vorgang zwei Rechtsordnungen betroffen: Die Rechtsordnung des Herkunftsstaates und die Rechtsordnung des Aufnahmestaates. Beide Rechtsordnungen sehen sich mit einem Bündel von Fragen konfrontiert, auf die sie der betroffenen Gesellschaft, aber auch deren Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern adäquate Antworten geben müssen, unter anderem: Welche Konsequenzen hat die Sitzverlegung für die rechtliche Existenz der Gesellschaft? Welche Rechte haben die Gläubiger aus beiden betroffenen Staaten? Muss die Gesellschaft einen – womöglich paritätisch – mitbestimmten Aufsichtsrat bilden? Diese Fragen stellen sich allesamt auf der Ebene des nationalen materiellen Gesellschaftsrechts. Ihrer Beantwortung logisch vorgelagert ist die Frage, welches nationale materielle Gesellschaftsrecht auf die Gesellschaft Anwendung findet 333 (355 f.); Wilhelmi, JZ 2009, 411 (413); vgl. auch Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (756); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (549). 13 Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (720); Jaensch, EWS 2007, 97; vgl. auch Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 130; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 790; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 817. 14 Die Bedeutung dieser Unterscheidung betont auch Behrens, RIW 1986, 590 f.; ders., ZGR 1994, 1 (24); vgl. ferner Behme, BB 2010, 1679 (1680 f.); Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 770; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43 (46); K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (23).
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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und damit auch über die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung entscheidet. Dies richtet sich nach dem Kollisionsrecht der jeweils betroffenen Rechtsordnung, d. h. der Rechtsordnung, deren Gerichte oder Behörden im konkreten Fall mit den Angelegenheiten der Gesellschaft befasst sind (lex fori). Dabei bestehen im Wesentlichen15 zwei Möglichkeiten der Anknüpfung: die sog. (Verwaltungs-)Sitztheorie und die Gründungstheorie. Beide „Theorien“ – Sitztheorie und Gründungstheorie – können im Internationalen Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten als Sachnormverweisung oder als Gesamtnormverweisung ausgestaltet sein.16 Bei einer Gesamtnormverweisung schließt die Verweisung auf eine Rechtsordnung deren Internationales Privatrecht mit ein. Die Sachnormen dieser Rechtsordnung sind daher nur unter der Bedingung anzuwenden, dass ihr Kollisionsrecht die Verweisung annimmt, also keine Rückverweisung (renvoi) oder Weiterverweisung ausspricht. Dagegen handelt es sich bei der Sachnormverweisung um eine unbedingte Verweisung auf das Sachrecht eines Staates; dessen Kollisionsrecht wird nicht berücksichtigt.17 Rechtspolitisch sprechen gute Gründe für das Konzept der Gesamtnormverweisung und damit die Beachtung von Rückverweisungen. Diese Gründe sind hier nicht näher zu erläutern.18 Auch wenn das Konzept der Gesamtnormverweisung in den nationalen Kollisionsrechten der europäischen Mitgliedstaaten19 weit verbreitet 15 Alternativen zu Sitztheorie und Gründungstheorie als Kollisionsnormen haben vor allem entwickelt: Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, 1970 („Differenzierungslehre“); Sandrock, in: Internationalrechtliche Probleme multinationaler Korporationen, Berichte DGVR Heft 18, 1978, S. 169 (200 ff.) („Überlagerungstheorie“); einschränkend aber ders., ZVglRWiss 102 (2003), 447; ders., BB 2003, 2588; ferner Beitzke, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen und internationalen Personen- und Sachenrechts, S. 116 ff.; Behrens, in: Hachenburg, GmbHG, 7. Aufl. 1975, Einl. Rn. 87; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, S. 231 (239) („Kombinationstheorie“). Auf diese alternativen Ansätze soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden. 16 Zur Bedeutung der Regeln über Rück- und Weiterverweisung im Internationalen Gesellschaftsrecht siehe Ferid, FS Hueck, S. 343 (346 ff.); Hausmann, in: Staudinger, Art. 4 EGBGB Rn. 179 ff.; Wisniewski/Opalski, EBOR 10 (2009), 595 (622). 17 Zu den verschiedenen Verweisungsmöglichkeiten ausführlich v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 214 ff.; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 6 Rn. 74 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 24 I. 18 Vgl. Hausmann, in: Staudinger, Art. 4 EGBGB Rn. 12 ff.; v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 6 Rn. 87 ff. 19 In kollisionsrechtsvereinheitlichenden europäischen Verordnungen wird vielfach ein Ausschluss von Rück- und Weiterverweisungen angeordnet, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten; vgl. etwa Art. 20 Rom I-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht [Rom I]), Art. 24 Rom II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht [Rom II]) sowie Art. 11 Rom III-Verordnung (Verordnung [EU] Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
ist,20 gibt es nach wie vor Mitgliedstaaten, die eine Beachtung des ausländischen Kollisionsrechts ablehnen und deshalb dem Konzept der Sachnormverweisung folgen, namentlich die skandinavischen Staaten und Griechenland.21 Soweit im Folgenden von einer Verweisung auf das Recht eines anderen Staates die Rede ist, ist daher stets zu berücksichtigen, ob es sich um eine Gesamtnormverweisung oder um eine Sachnormverweisung handelt.
aa) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie Die Sitztheorie war traditionell vor allem im kontinentaleuropäischen Rechtskreis verbreitet.22 Sie besagt, dass die Gesellschaft dem materiellen Gesellschaftsrecht des Staates unterliegt, in dem sich ihr effektiver Verwaltungssitz befindet. Als solcher gilt der Ort, an dem die grundlegenden Leitungsentscheidungen effektiv in laufende Geschäftsführungsmaßnahmen umgesetzt werden.23 Die Rechtsordnung des Sitzstaates bestimmt, wie die Gesellschaft entsteht, lebt und vergeht;24 sie regelt ihre Gründung, Rechtsfähigkeit, Binnenorganisation, Vertretung und schließlich ihre Auflösung, Abwicklung und Beendigung.25 Auf diese Weise trägt die Sitztheorie dem Schutzinteresse des am meisten betroffenen Staates Rechnung, da in dem Staat, in dem sich der Verwaltungssitz der Gesellschaft befindet, typischerweise auch die meisten Gläubiger, Anteilseigner und Arbeitnehmer der Gesellschaft leben werden.26 Bei der Anwendung der Sitztheorie durch die Gerichte und Behörden des Herkunftsstaates der Gesellschaft ist zwischen zwei Konstellationen zu unter20 Siehe für das deutsche Internationale Privatrecht den in Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB niedergelegten Grundsatz, wonach im Falle einer Verweisung auf das Recht eines anderen Staates auch dessen Internationales Privatrecht anzuwenden ist, sofern dies nicht dem Sinn der Verweisung widerspricht oder die Verweisung ausdrücklich als Sachnormverweisung (Art. 3a Abs. 1 EGBGB) gekennzeichnet ist. 21 Einen umfassenden rechtsvergleichenden Überblick bietet Hausmann, in: Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB. 22 Zur historischen Entwicklung der Sitztheorie Großfeld, FS Westermann, S. 199 (203 ff.); Sandrock, RIW 1989, 505 ff.; Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219 (224 ff.); speziell zur kollisionsrechtlichen Entwicklung in Deutschland jüngst Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (437 ff.). 23 Die Definition geht zurück auf Sandrock, in: Internationalrechtliche Probleme multinationaler Korporationen, Berichte DGVR Heft 18, 1978, S. 169 (238); ders., FS Beitzke, S. 669 (683). Sie hat sich bis heute durchgesetzt; siehe BGH, Urteil vom 21. 3. 1986, V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (272); Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 228; Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283; zur näheren Bestimmung dieses Ortes siehe ausführlich Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219 (222 f.) sowie rechtsvergleichend Chromek, Wegzugsfreiheit von Kapitalgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 2009, S. 22 ff. 24 So plastisch Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 1. 25 Zum Umfang des Gesellschaftsstatuts Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 543; vgl. die Auflistung in RGZ 73, 366 (367). 26 Ebke, EBLR 2005, 9 (13); Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1 (22 f.); Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 421; vgl. auch Arenas García, RIW 2000, 590 (591).
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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scheiden: zum einem dem Fall, dass das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates ebenfalls der Sitztheorie folgt, zum anderen dem Fall, dass das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates der Gründungstheorie folgt.27
(1) Aufnahmestaat folgt ebenfalls der Sitztheorie Folgt der Aufnahmestaat ebenfalls der Sitztheorie, führt die Verlegung des Verwaltungssitzes zu einem Wechsel des anwendbaren materiellen Gesellschaftsrechts (sog. Statutenwechsel)28, und zwar unabhängig davon, ob dem Internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates das Prinzip der Sachnorm- oder der Gesamtnormverweisung zugrunde liegt. Fortan gilt für die Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates; eine Verlegung des Verwaltungssitzes unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform nach dem Recht des Herkunftsstaates ist damit nicht möglich.
(2) Aufnahmestaat folgt der Gründungstheorie Dasselbe gilt, wenn der Aufnahmestaat der Gründungstheorie folgt und die Verweisung der Sitztheorie auf das Recht des Aufnahmestaates auf dessen Sachrecht beschränkt ist (Sachnormverweisung). Schließt die Verweisung durch das Internationale Privatrecht des Herkunftsstaates dagegen das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates mit ein (Gesamtnormverweisung) und folgt der Aufnahmestaat der Gründungstheorie, so erfolgt eine Rückverweisung durch das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates auf das Recht des Herkunftsstaates. Liegt dem Internationalen Privatrecht des Aufnahmestaates das Prinzip der Sachnormverweisung zugrunde, kommt das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates zur Anwendung; ein Statutenwechsel findet mithin nicht statt. Liegt dem Internationalen Privatrecht des Aufnahmestaates hingegen ebenfalls das Prinzip der Gesamtnormverweisung zugrunde, kann es zu einem circulus inextricabilis29 – einem unendlichen „Pingpongspiel“ – zwischen den beiden betroffenen Rechtsordnungen kommen. Um dies zu vermeiden, ist es international gebräuchlich, die Verweisungskette bei derjenigen Rechtsordnung zu unterbrechen, die als erste zum zweiten Mal in der Verweisungskette auftaucht, 27 Vgl.
Adensamer/Eckert, GeS 2004, 52 (54) aus österreichischer Sicht. Der Begriff des „Statutenwechsels“ beschreibt den Vorgang, dass sich infolge einer tatsächlichen Verlagerung des Anknüpfungsmoments von einem Staat in einen anderen das anwendbare Sachrecht ändert. Dabei wird teilweise begrifflich zwischen Eingangsstatutenwechsel (aus der Perspektive des Aufnahmestaates: Wechsel vom ausländischen zum inländischen Recht) und Ausgangsstatutenwechsel (aus der Perspektive des Herkunftsstaates: vom inländischen zum ausländischen Recht) unterschieden; vgl. v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2. Aufl. 2003, § 1 Rn. 19; Sonnenberger, in: MüKo BGB, Einl. IPR Rn. 665. 29 Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 24 I 2. 28
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
also bei der lex fori.30 Dies hat zur Folge, dass im Falle einer Rückverweisung auf das Recht des Herkunftsstaates nur dessen Sachrecht angewendet wird. Das Sachrecht des Herkunftsstaates entscheidet also über die Zulässigkeit der Verlegung des Verwaltungssitzes unter Wahrung der ursprünglichen Rechtsform der Gesellschaft. Es mag einen im Ausland belegenen Verwaltungssitz zulassen oder auch nicht.
bb) Herkunftsstaat folgt der Gründungstheorie Die Gründungstheorie ist demgegenüber vor allem in ehemaligen Kolonialstaaten wie Großbritannien verbreitet.31 Nach der Gründungstheorie wird das materielle Gesellschaftsrecht des Staates zur Anwendung berufen, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Unklar ist, wie der Ort der Gesellschaftsgründung bestimmt und damit das Anknüpfungsmoment der Gründungstheorie präzisiert werden kann. Verbreitet wird vertreten, dass der Satzungssitz das Anknüpfungsmoment der Gründungstheorie ist (Gründungstheorie als „Satzungssitztheorie“).32 Wäre dies richtig, könnte es auch nach der Gründungstheorie zu einem Statutenwechsel kommen, und zwar dann, wenn der Satzungssitz einer Gesellschaft verlegt wird und sowohl der Herkunftsstaat als auch der Aufnahmestaat der Gründungstheorie folgen.33 Dieses Verständnis der Gründungstheorie als „Satzungssitztheorie“ ist jedoch nicht zwingend.34 Vielmehr vollzieht sich die Gründung der Gesellschaft im Anschluss an die interne Willensbildung der Gesellschaftsgründer in mehreren formellen Akten, an die im Sinne der Gründungstheorie angeknüpft werden kann.35 Etwa könnte 30 v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2007, § 6 Rn. 91; vgl. etwa Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB oder § 5 des österreichischen IPR-Gesetzes. 31 Zur historischen Entwicklung der Gründungstheorie Großfeld, FS Westermann, S. 199 (200 ff.). 32 Behrens, RIW 1986, 590 (591); ders., EuZW 1992, 550; Bitter, in: Tietze/McGuire/ Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (301); Bungert, RIW 1999, 109 (112); Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung, 2001, S. 20; Kusserow/Prüm, WM 2005, 633 (635); Mülbert/Schmolke, ZVglRWIss 100 (2001), 233 (263); Neumayer, ZVglRWiss 82 (1984), 129 (137); Weller, DStR 2004, 1218. Bemerkenswert ist, dass das Reichsgericht teilweise den Satzungssitz als maßgebliches Anknüpfungsmoment erachtet hat, siehe nur RGZ 99, 217 (218) für die gothaischen Kaufgewerkschaften sowie RGZ 117, 215 (217) für eine Delaware Corporation. Daraus wird in der Literatur gefolgert, das Reichsgericht sei insoweit der Gründungstheorie gefolgt, siehe Dubovitskaya, Der Konzern 2010, 205 (206); KnobbeKeuk, ZHR 154 (1990), 325 (340). 33 Folgt dagegen der Aufnahmestaat der Sitztheorie, käme es zu einer Rückverweisung auf das (Sach-)Recht des Herkunftsstaates. 34 Vgl. Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283; Zimmer, RabelsZ 67 (2003), 298 (299 f.); treffend Eidenmüller, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007, S. 469 (470, Fußn. 1): „‚Die‘ Gründungstheorie gibt es nicht.“ 35 So zutreffend Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219 (227); vgl. auch Kindler, RabelsZ
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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das Anknüpfungsmoment subjektiv bestimmt und auf den Willen der Gründer zur Wahl der Gründungsrechtsordnung abgestellt werden.36 Ebenfalls möglich wäre eine Anknüpfung an den Ort der ursprünglichen Inkorporation37 oder das Recht des Staates, nach dem die Gesellschaft organisiert ist.38 Teilweise werden diese denkbaren Anknüpfungsmomente auch miteinander vermengt.39 Das englische Recht stellt traditionell auf das „domicile“ einer Gesellschaft ab, das wie folgt definiert wird: „The domicile of a corporation is in the country under whose law it is incorporated.“40 Im Gegensatz zum Satzungssitz ist der Ort der ursprünglichen Inkorporation unwandelbar. Aus einer solchen Definition des kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmoments der Gründungstheorie (Gründungstheorie als „Inkorporationstheorie“) folgt daher nicht nur, dass aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft eine Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland keinen Statutenwechsel zur Folge hat, sondern dass ein Statutenwechsel generell ausgeschlossen ist.41 Nach allen Ausprägungen der Gründungstheorie ist es für die Bestimmung des auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechts unerheblich, wo sich der Ver61 (1997), 227 (283) mit Blick auf Art. 25 Abs. 1 des italienischen IPR-Gesetzes, demzufolge Gesellschaften den Gesetzen des Staates unterliegen, in dessen Herrschaftsbereich das Verfahren ihrer Gründung beendet worden ist; Übersetzung der Vorschrift in IPRax 1996, 356 (360). 36 OLG Hamburg, Zwischenurteil vom 30. 3. 2007, 11 U 231/04, ZIP 2007, 1108 (1109); Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 55 I 4 a); Terlau, Das Internationale Privatrecht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts 1999, S. 188 f.; widersprüchlich Großfeld, in: Staudinger, IntGesR, demzufolge es auf den „Willen der Gründer“ ankommen soll (Rn. 18), gleichzeitig aber eine „Verlegung des Satzungssitzes“ das Gesellschaftsstatut ändern soll (Rn. 650), andererseits der Satzungssitz aber für das Gesellschaftsstatut keine Rolle spielen soll (Rn. 241). 37 Vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 20. 2. 1986, 6 U 147/85, NJW 1986, 2199; grundlegend Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283. 38 Vgl. Art. 154 des schweizerischen IPRG, dazu Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (303 ff.). Der deutsche Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 7. 1. 2008 (online abrufbar unter ) sah eine zweistufige Anknüpfung vor: Gesellschaften sollen demnach dem Recht des Staates unterliegen, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind. Sind sie nicht oder noch nicht eingetragen, sollen sie dem Recht des Staates unterliegen, nach dem sie organisiert sind (Art. 10 EGBGB-E). Siehe dazu ausführlich Franz/Laeger, BB 2008, 678; Kaulen, IPRax 2008, 389; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451 ff.; Rotheimer, NZG 2008, 181; Schneider, BB 2008, 566. 39 Vgl. etwa Schulz/Sester, EWS 2002, 545 (546), denen zufolge die Gründungstheorie das Gesellschaftsstatut nach der Rechtsordnung bestimmt, die von den Gesellschaftsgründern als satzungsmäßiger Gründungsort gewählt wurde. 40 Dicey/Morris, Conflict of Laws, 13th Ed., Rule 152 (1), zitiert nach Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283 (289); Dine, The Governance of Corporate Groups, 2004, S. 94. 41 v. Bar, Internationales Privatrecht II, 1991, Rn. 623; Chromek, Wegzugsfreiheit von Kapitalgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 2009, S. 53; Eckert, GesRZ 2009, 138; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43 (45); ders., ZVglRWiss 101 (2002), 283 (308); Panayi, Year book of European Law 2009, 123 (131).
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waltungssitz der Gesellschaft befindet. Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Gründungstheorie, führt die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland aus seiner Perspektive daher nicht zu einem Statutenwechsel. Ob das Internationale Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates der Sitztheorie oder der Gründungstheorie folgt, spielt keine Rolle. Es ist somit allein das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates, das bestimmt, ob einer Gesellschaft die Verlegung ihres Verwaltungssitzes ins Ausland unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform möglich ist oder nicht; die Gründungstheorie legt ausschließlich fest, dass dieses zur Anwendung kommt.
cc) Beschränkter Aussagegehalt und Modifikationen von Sitztheorie und Gründungstheorie in Wegzugsfällen Die vorstehenden Ausführungen zu den kollisionsrechtlichen Auswirkungen einer Verlegung des Verwaltungssitzes machen deutlich, dass es sich bei Sitztheorie und Gründungstheorie um Kollisionsnormen handelt, deren Regelungsgehalt sich darauf beschränkt, ein bestimmtes nationales Sachrecht zur Anwendung zu berufen. Aus der Tatsache, dass das Internationale Gesellschaftsrecht eines Staates der Sitztheorie oder der Gründungstheorie folgt, lassen sich a priori daher keine Rückschlüsse darauf ziehen, ob es den nach dem Recht dieses Staates gegründeten Gesellschaften möglich ist, ihren Verwaltungssitz unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform in einen anderen Staat zu verlegen oder nicht. Über diese Frage entscheidet nicht das Kollisionsrecht, sondern das materielle Gesellschaftsrecht.42 Dies wird vielfach verkannt, wenn aus der Tatsache, dass der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie folgt, gefolgert wird, die Verlegung ihres Verwaltungssitzes ins Ausland führe zur Auflösung der Gesellschaft.43 Die Auflösung einer Gesellschaft kann verschiedene Gründe haben, sie kann mit dem Willen und gegen den Willen der Gesellschafter erfolgen. Ein Untergang von Gesellschaften von einem Moment auf den anderen ist jedoch nicht möglich. Vor der Beendigung der Gesellschaft und ihrer Löschung im Register ist das Gesellschaftsvermögen zu versilbern, es sind noch ausstehende Verbindlichkeiten zu begleichen und ein etwaiger Überschuss muss verteilt werden. Die Beendigung von Gesellschaften ist daher ohne eine an die Auflösung 42 Darauf, dass die gegenteilige Auffassung auf einem Missverständnis der Sitztheorie beruht, hat zuerst Behrens, RIW 1986, 590 f.; ders., ZGR 1994, 1 (24) hingewiesen; ebenso Behme, BB 2010, 1679 (1680 f.); Knof/Mock, GPR 2008, 134 (135); Kruse, EWS 1998, 444 (445); K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (23). 43 So OLG Hamm, Beschluss vom 30. 4. 1997, 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 mit Anm. Neye; OLG Hamm, Beschluss vom 1. 2. 2001, 15 W 390/00, NJW 2001, 2183; siehe aus der Literatur etwa Hofmeister, WM 2007, 868 (869); Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 3 Rn. 83; Schall/Barth, NZG 2012, 414.
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anschließende Liquidationsphase nicht denkbar.44 Nach dem Verständnis der deutschen Dogmatik45 wird nach der Auflösung der Gesellschaft der ursprüngliche Gesellschaftszweck durch den Liquidationszweck verdrängt46 bzw. überlagert.47 Der verfolgte Zweck ist nicht mehr auf werbende Teilnahme am Wirtschaftsverkehr gerichtet, sondern auf Abwicklung. Unabhängig von dieser dogmatischen Erklärung schließt sich aber in allen Mitgliedstaaten an die Auflösung ein Liquidationsverfahren an; die Gesellschaft besteht also nach der Auflösung zwangsläufig noch für eine gewisse Zeit fort.48 Die Vorschriften, die das Liquidationsverfahren regeln, sind Bestandteil des Gesellschaftsstatuts. Auflösung und Liquidation sind also keine Mechanismen des Kollisionsrechts, sondern des kollisionsrechtlich zur Anwendung berufenen Sachrechts. Bei konsequenter Anwendung der Sitztheorie durch den Herkunftsstaat sind im Falle einer Verwaltungssitzverlegung ins Ausland zwei Szenarien denkbar: Das eine Szenario ist, dass es zu einem Statutenwechsel kommt, weil entweder der Aufnahmestaat ebenfalls der Sitztheorie folgt oder weil die kollisionsrechtliche Verweisung der Sitztheorie auf das Sachrecht des Aufnahmestaates beschränkt ist. Ab dem Moment, in dem sich der Verwaltungssitz im Aufnahmestaat befindet, unterliegt die Gesellschaft dessen materiellem Gesellschaftsrecht. Eine Auflösung nach dem Recht des Herkunftsstaates ist an sich gar nicht möglich, da dieses nicht mehr anwendbar ist. Selbst wenn das Recht des Herkunftsstaates für die Auflösung der Gesellschaft bereits eine juristische Sekunde früher ansetzt und als Auflösungsgrund nicht die Belegenheit des Verwaltungssitzes im Aufnahmestaat ansieht, sondern seine Verlegung in den Aufnahmestaat und 44 Gleiches gilt für die Nichtigkeit von Gesellschaften, vgl. Art. 12 Abs. 2 der Publizitätsrichtlinie (Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten). 45 Ebenso für das belgische Recht Wymeersch/de Vylder/de Wulf, in: Hohloch (Hrsg.), EUHandbuch Gesellschaftsrecht, Belgien Rn. 199, 273. 46 Vgl. RGZ 123, 151 (155); Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, Vorb. § 262 Rn. 12; Ulmer, in: Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 60 Rn. 6; Weitbrecht, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 3, 4. Aufl. 2012, § 62 Rn. 1. 47 Ausführlich Meyer, Liquidatorenkompetenzen und Gesellschafterkompetenzen in der aufgelösten GmbH, 1996, S. 35 f. im Anschluss an K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 270 (281); ders, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 11 V 4 c; ebenso Schulze-Osterloh/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 60 Rn. 9 m. w. N. 48 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 311; zum Begriff der Auflösung in anderen Rechtsordnungen siehe Ludwig, Die Beendigung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), 2007, S. 23. Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 der Publizitätsrichtlinie (Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten), wonach sich die Pflicht zur Offenlegung sowohl auf die Auflösung der Gesellschaft (lit. h) als auch auf den Abschluss der Liquidation (lit. k) erstreckt.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
damit das Verlassen des eigenen Territoriums, ist jedenfalls die Durchführung des Liquidationsverfahrens nach dem Recht des Herkunftsstaates nicht mehr möglich. Da Auflösung und Liquidation aber zwingend miteinander verbunden sind, gibt es aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft nur zwei Optionen: Entweder er verzichtet als logische Konsequenz der Anwendung der Sitztheorie auf die Auflösung der Gesellschaft und wendet auf die Gesellschaft ebenfalls das materielle Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates an. Oder er löst das Problem durch eine Durchbrechung des Gesellschaftsstatuts und wendet auf die Gesellschaft sein Liquidationsrecht an. Die Gesellschaft besteht dann für die Dauer der Liquidation nach dem Recht ihres Herkunftsstaates fort.49 Die erstgenannte Lösung – Anwendung des materiellen Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates – würde erhebliche Folgeprobleme nach sich ziehen, wenn die Gesellschaft im Aufnahmestaat gar nicht anerkannt oder – wie nach deutschem Recht50 – in eine Personengesellschaft umqualifiziert wird mit der Konsequenz, dass die Gesellschafter persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften. Den rechtspolitischen Zielen und Schutzinteressen, die der Herkunftsstaat durch die Anwendung der Sitztheorie verfolgt, wird eine solche Lösung zudem regelmäßig zuwiderlaufen.51 Die alternative Option – Anwendung des eigenen Liquidationsrechts – lässt sich in einem ersten Schritt als Modifizierung der Sitztheorie beschreiben, denn bei konsequenter Anwendung der Sitztheorie wäre das Liquidationsrecht des Herkunftsstaates nicht mehr anwendbar.52 In einem zweiten Schritt ist allerdings zu bedenken, dass die Vorschriften über die Liquidation von Gesellschaften in aller Regel rechtsformspezifisch ausgestaltet sind. Das Liquidationsrecht lässt sich daher kaum von dem sonstigen auf eine Gesellschaft anwendbaren materiellen Gesellschaftsrecht trennen. Aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft ist es daher nicht praktikabel, ausschließlich das eigene Liquidationsrecht auf eine ursprünglich nach seinem Recht gegründete Gesellschaft anwenden, es ansonsten aber bei dem durch die Sitztheorie angeordneten Statutenwechsel zu belassen und die Gesellschaft dem Recht des Aufnahmestaates zu unterwerfen, ihr also ihre ursprünglich gewählte Rechtsform zu entziehen. Behält die Gesellschaft aus der Perspektive ihres Herkunftsstaates aber ihre ursprünglich gewählte Rechtsform, und sei es nur aus Gründen der Durchführbarkeit der Liquidation, so folgt dieser Staat in Wahrheit nicht der Sitztheorie, sondern der Gründungstheorie. Denn auf die Gesellschaft wird bei Lichte betrachtet keine einzige Norm des materiellen Gesellschafts49
Vgl. auch Knof/Mock, GPR 2008, 134 (140). Siehe dazu sogleich S. 23 ff. 51 Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, 1999, S. 142 ff.; vgl. auch Wisniewski/Opalski, EBOR 10 (2009), 595 (610); vgl. mit Blick auf Zuzugskonstellationen auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (113 f.); Kern, Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung, 2004, S. 111 ff. 52 Behme, BB 2010, 1679 (1680). 50
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rechts des Aufnahmestaates angewandt, in dem sich der Verwaltungssitz befindet und dessen Recht die Gesellschaft bei Anwendung der Sitztheorie folglich unterliegen würde. Wenn der Gesetzgeber, die Rechtsprechung oder die Rechtswissenschaft des Herkunftsstaates der Gesellschaft in einer solchen Konstellation gleichwohl von der Geltung der Sitztheorie ausgehen, dann wird der Begriff „Sitztheorie“ nicht in seinem ursprünglichen Sinne zur Beschreibung einer an den tatsächlichen Verwaltungssitz anknüpfenden Kollisionsnorm verwendet, sondern als bloßes Schlagwort für die Unzulässigkeit der Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Staat. Der Begriff „Sitztheorie“ beschreibt dann in Wahrheit einen sachrechtlichen Vorgang. Das andere Szenario ist, dass es trotz Anwendung der Sitztheorie aus der Perspektive des Herkunftsstaates nicht zu einem Statutenwechsel kommt, weil die Verweisung der Sitztheorie sich auf das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates erstreckt und dieser der Gründungstheorie folgt mit der Konsequenz, dass es zu einer Rückverweisung auf das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates kommt. Dieses entscheidet also über die Zulässigkeit der Verlegung des Verwaltungssitzes der Gesellschaft unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform. Wie das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates diese Frage beurteilt, ist vom Kollisionsrecht völlig unabhängig. Ein Staat, der kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgt, kann durchaus – auf der Ebene des Sachrechts – eine rechtsformwahrende Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland zulassen.53 Und umgekehrt besagt die Tatsache, dass ein Staat der Gründungstheorie folgt, nicht, dass nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften die Verlegung ihres Sitzes ins Ausland unter Beibehaltung des auf sie anwendbaren Rechts möglich ist.54 Zwar wird dies nicht selten der Fall sein, da mit der kollisionsrechtlichen Anwendung der liberalen Gründungstheorie häufig auch auf der Ebene des Sachrechts ein liberalerer Ansatz einhergeht.55 Zwingend ist dies jedoch nicht.56 53 Teilweise wird vertreten, dass dies der deutschen Rechtslage entspricht. Geht man davon aus, dass das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht auch nach Inkrafttreten des MoMiG der Sitztheorie folgt, kommt deutsches Gesellschaftsrecht nur im Falle der Rückverweisung durch das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates (Gründungstheorie) zur Anwendung. Dieses gestattet nach richtiger Auffassung jedenfalls deutschen Kapitalgesellschaften einen ausländischen Verwaltungssitz (§ 4 a GmbHG, 5 AktG). Zu möglichen kollisionsrechtlichen Deutungen des MoMiG siehe grundlegend Hoffmann, ZIP 2007, 1581. 54 Dies verkennen etwa Körner, IStR 2012, 1 (1 f.); Mitschke, IStR 2012, 6 (7); Teichmann/ Ptak, RIW 2010, 817 (817 f.). 55 Dies zeigen etwa die Entscheidungen Daily Mail (EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 [Daily Mail], Slg. 1988, 5483) und National Grid Indus (EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 ([National Grid Indus], Slg. 2011, I – 12273): Großbritannien und die Niederlande folgen der Gründungstheorie, also war die Verwaltungssitzverlegung der Daily Mail PLC bzw. der National Grid Indus BV nach britischem bzw. niederländischem materiellen Gesellschaftsrecht zu beurteilen. Das britische und das niederländische materielle Gesellschaftsrecht standen der Verwaltungssitzverlegung nicht grundsätzlich entgegen. Die
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b) Sachrechtliche Ebene Will der Herkunftsstaat der Gesellschaft auf der Ebene seines (nach Maßgabe des Kollisionsrechts anwendbaren) materiellen Gesellschaftsrechts die Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft ins Ausland vereiteln, erschweren oder einfach nur regulieren, kommen dafür verschiedene Mechanismen in Betracht. Der rechtspolitischen Phantasie der nationalen Gesetzgeber sind insoweit zunächst keine Grenzen gesetzt. Erst auf einer dritten Ebene – nach (1) der kollisionsrechtlichen Ermittlung des anwendbaren Sachrechts und (2) dessen Anwendung – stellt sich die Frage, ob das auf diese Weise gefundene Ergebnis mit höherrangigem Unionsrecht vereinbar ist. Die schärfste Sanktion für die betroffenen Gesellschaften ist das Totalverbot der Sitzverlegung, verbunden mit der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft. Ein solches Totalverbot sah etwa das deutsche Recht vor Inkrafttreten des MoMiG57 am 1. November 2008 vor: Aus § 5 AktG a. F. bzw. § 4 a GmbHG a. F. (und nicht etwa schon daraus, dass das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht der Sitztheorie folgte) und damit aus Vorschriften des deutschen Sachrechts ergab sich, dass Satzungs- und Verwaltungssitz der Gesellschaft identisch sein mussten und damit eine Verlegung eines der beiden Sitze ins Ausland nicht möglich war. Aus diesem Grunde (und im Wege einer Modifikation der Sitztheorie)58 gingen zahlreiche Stimmen davon aus, dass die Bestimmung des Gesellschaftssitzes im Gesellschaftsvertrag bzw. in der Satzung infolge einer Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland nichtig geworden sei, weshalb die Gesellschaft gem. § 60 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 5 AktG i. V. m. § 144 a FGG a. F. aufzulösen sei;59 andere sahen die Verlegung des Verwaltungssitzes als gesetzlichen Auflösungsgrund
Beschränkung ergab sich in beiden Fällen allein aus steuerrechtlichen Regelungen. Zu Daily Mail siehe ausführlich unten S. 43 ff.; zu National Grid Indus S. 52 ff. 56 Dies zeigt etwa die Rechtssache Cartesio (EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 [Cartesio], Slg. 2008, I – 9641): Ungarn folgt der Gründungstheorie; dass die begehrte Eintragung der Verlegung des Sitzes nach Italien verweigert wurde, beruhte auf Vorschriften des ungarischen materiellen Gesellschaftsrechts. Zu Cartesio siehe ausführlich unten S. 45 ff. Rechtspolitisch ist eine derartige Regelung freilich wenig plausibel, da durch eine rechtsformwahrende Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat Schutzinteressen des Herkunftsstaates kaum berührt werden; siehe dazu ausführlich unten S. 278 ff. 57 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, S. 2026. 58 Siehe oben S. 17 ff. 59 In diesem Sinne Bandehzadeh/Thoß, NZG 2002, 803 (804 ff.); für analoge Anwendung von § 144 a FGG a. F. BGH, Beschluss vom 2. 6. 2008, II ZB 1/06, NJW 2008, 2914 (2915 f., der Fall betraf allerdings einen reinen Inlandssachverhalt); Casper, in: Ulmer/Habersack/ Winter, GmbHG, § 60 Rn. 33 f.; Ulmer, FS Raiser, S. 439 (447 ff.); Wessel, BB 1984, 1057 (1059); gegen die Anwendbarkeit von § 144 a FGG a. F. BayObLG, NZG 2002, 828; zustimmend Borges, EWiR 2003, 927.
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an.60 Damit war nach beiden Ansichten eine Neugründung der Gesellschaft im Aufnahmestaat erforderlich. Daneben sind jedoch auch sonstige Wegzugsbeschränkungen denkbar, welche die rechtliche Existenz der Gesellschaft unberührt lassen, etwa – wie in der Rechtssache Daily Mail61 und zuletzt in der Rechtssache National Grid Indus62 – auf der Ebene des Steuerrechts. Großbritannien folgt seit jeher der Gründungstheorie,63 sodass die steuerlich motivierte Verlegung des Verwaltungssitzes der Daily Mail and General Trust PLC in die Niederlande nach britischem Gesellschafts- und Steuerrecht zu beurteilen war. Aus britischem materiellem Gesellschaftsrecht (und nicht schon allein daraus, dass das britische Internationale Gesellschaftsrecht der Gründungstheorie folgt) ergab sich die grundsätzliche Zulässigkeit der Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland. Nach britischem Steuerrecht war hierfür allerdings die Zustimmung des britischen Finanzministeriums erforderlich.64 In der Rechtssache National Grid Indus ging es um einen ähnlichen Sachverhalt: Die nach niederländischem Recht gegründete National Grid Indus BV hatte ihren Verwaltungssitz nach Großbritannien verlegt. Da die Niederlande wie Großbritannien ebenfalls der Gründungstheorie folgen,65 änderte sich an der Anwendbarkeit des niederländischen Gesellschaftsrechts nichts; danach blieb die Eigenschaft der Gesellschaft als solche niederländischen Rechts unberührt. Aufgrund des Wegzugs wurde aber in den Niederlanden eine Schluss- bzw. Entstrickungsbesteuerung der während der Ansässigkeit in den Niederlanden entstandenen stillen Reserven durchgeführt.66 Denkbar ist schließlich auch, dass eine grenzüberschreitende Sitzverlegung nach dem Recht des Herkunftsstaates einer Gesellschaft ohne Wenn und Aber möglich ist – so etwa seit Inkrafttreten des MoMiG nach deutschem Kapitalgesellschaftsrecht: Gemäß §§ 5 AktG, 4 a GmbHG muss sich lediglich der Satzungssitz einer deutschen AG oder GmbH im Inland befinden, der Verwaltungssitz kann jedoch ins Ausland verlegt werden.67
60
Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 525; Staudinger/Großfeld, IntGesR Rn. 625. EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483. 62 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I – 12273. 63 Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 360. 64 Siehe zu Daily Mail noch ausführlich unten S. 43 ff. 65 Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 360. 66 Siehe zu National Grid Indus noch ausführlich unten S. 52 ff. 67 Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (746 ff.); Behme, BB 2008, 70 (72); Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 525; Peters, GmbHR 2008, 245 ff.; Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208 (1209); so auch der ausdrückliche Wille des deutschen Gesetzgebers: BT-Drs. 16/6140, S. 68 f., S. 125; a. A. Werner, GmbHR 2009, 191 (195). 61
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2. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung aus der Perspektive des Aufnahmestaates a) Kollisionsrechtliche Ebene Ebenso wie bei der Betrachtung einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft ist auch aus der Perspektive des Aufnahmestaates auf der Ebene des Kollisionsrechts danach zu differenzieren, ob der Aufnahmestaat kollisionsrechtlich der Sitztheorie oder der Gründungstheorie folgt. Dabei ist wiederum zu berücksichtigen, ob es sich bei der Verweisung auf das Recht eines anderen Staates um eine Gesamtnormverweisung oder um eine Sachnormverweisung handelt.
aa) Aufnahmestaat folgt der Sitztheorie Folgt der Aufnahmestaat der Sitztheorie, führt die Verlegung des Verwaltungssitzes einer ausländischen Gesellschaft ins Inland aus seiner Perspektive stets zu einem Statutenwechsel. Fortan findet auf die Gesellschaft sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht Anwendung. Dies gilt unabhängig davon, ob der Herkunftsstaat der Gesellschaft kollisionsrechtlich ebenfalls der Sitztheorie oder der Gründungstheorie folgt.
bb) Aufnahmestaat folgt der Gründungstheorie Folgt der Aufnahmestaat der Gründungstheorie, ist danach zu differenzieren, ob das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates ebenfalls der Gründungstheorie folgt oder ob es der Sitztheorie folgt.
(1) Herkunftsstaat folgt ebenfalls der Gründungstheorie Folgt der Herkunftsstaat ebenfalls der Gründungstheorie, führt die Verlegung des Verwaltungssitzes nicht zu einem Statutenwechsel, und zwar unabhängig davon, ob dem Internationalen Privatrecht des Aufnahmestaates das Prinzip der Sachnorm- oder der Gesamtnormverweisung zugrunde liegt. Für die Gesellschaft gilt weiterhin das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates.
(2) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie Dasselbe gilt, wenn der Herkunftsstaat der Sitztheorie folgt und die Verweisung der Gründungstheorie auf das Recht des Herkunftsstaates auf dessen Sachrecht beschränkt ist (Sachnormverweisung). Schließt die Verweisung durch das Internationale Privatrecht des Aufnahmestaates dagegen das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates mit ein (Gesamtnormverweisung) und folgt der Herkunftsstaat
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der Sitztheorie, so erfolgt eine Rückverweisung durch das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates auf das Recht des Aufnahmestaates. Liegt dem Internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates das Prinzip der Sachnormverweisung zugrunde, kommt das materielle Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates zur Anwendung; es findet also ein Statutenwechsel statt. Liegt dem Internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates dagegen das Prinzip der Gesamtnormverweisung zugrunde, kann es wiederum zu dem erwähnten circulus inextricabilis zwischen den betroffenen Rechtsordnungen kommen. Vermeidet der Aufnahmestaat dies durch eine Regelung, wonach im Falle einer Rückverweisung lediglich sein Sachrecht angewandt wird, findet ebenfalls das Sachrecht des Aufnahmestaates Anwendung. Folgt der Herkunftsstaat der Sitztheorie, findet also aus der Perspektive des Aufnahmestaates stets ein Statutenwechsel statt.
b) Sachrechtliche Ebene Folgt der Aufnahmestaat der Sitztheorie, muss er auf der Ebene seines kollisionsrechtlich zur Anwendung berufenen materiellen Gesellschaftsrechts die Frage beantworten, wie er mit der zugezogenen Gesellschaft umgeht und welche Konsequenzen der Statutenwechsel für die betroffene Gesellschaft hat. Insoweit bestehen verschiedene Möglichkeiten. Der Aufnahmestaat kann die zugezogene Gesellschaft als rechtliches Nullum behandeln mit der Konsequenz, dass sie im Aufnahmestaat ihre Rechtsfähigkeit verliert und neu zu gründen ist. Diese Sichtweise war in Deutschland68 und Österreich69 lange Zeit vorherrschend, wurde auch in der älteren französischen Literatur70 vertreten und ist erst infolge der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften in Frage gestellt worden.71 Denkbar ist aber auch, dass der Aufnahmestaat die zugezogene Gesellschaft in eine inländische Gesellschaftsform umqualifiziert, deren Gründungsanforderungen sie erfüllt. Dies werden in der Regel Personengesellschaften sein, da an deren Gründung geringere Anforderungen gestellt werden als an die Gründung von Kapitalgesellschaften und auch eine fehlende Registerein68 Siehe nur BGH, Urteil vom 30. 1. 1970, V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183); BGH, Urteil vom 21. 3. 1986, V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 f.); OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. 6. 1990, 3 W 43/90, NJW 1990, 3092; Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 427; weitere Nachweise bei Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, 1999, S. 14; einen Überblick zur deutschen Rechtslage vor den EuGH-Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit bieten Wessel/Ziegenhain, GmbHR 1988, 423 (426 f.) m. w. N.; siehe ferner Ebenroth/ Eyles, DB 1989, 363. 69 OGH, Beschluss vom 15. 7. 1999, 6 Ob 123/99b, NZG 2000, 36 (37 f.); Korn/Thaler, wbl 1999, 247 (251). 70 Vgl. Hamel/Lagarde, Traité de droit commercial, Bd. 1, 1954, Rn. 429. 71 Siehe insbesondere die Beiträge von Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 (516 f.) und Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
tragung im Aufnahmestaat ihrer Entstehung nicht zwingend entgegensteht. Diesen Lösungsweg geht die neuere deutsche Rechtsprechung. Demnach werden in Anwendung der Sitztheorie diejenigen ausländischen Gesellschaften dem deutschen materiellen Gesellschaftsrecht unterworfen, deren Verwaltungssitz sich in Deutschland befindet und die sich weder auf eine entsprechende staatsvertragliche Vereinbarung berufen können72 noch auf die Niederlassungsfreiheit, weil ihr Herkunftsstaat weder Mitgliedstaat der Europäischen Union noch des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) ist.73 In der Folge werden sie in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder, sofern ihr Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist, in eine OHG umqualifiziert.74 In Teilen der österreichischen Literatur wird dieses bereits in der Jersey-Entscheidung des deutschen BGH75 angelegte UmqualifizierungsModell übernommen.76 Die Umqualifizierung in eine Personengesellschaft des 72 Für eine Übersicht der Staatsverträge mit Bedeutung für das deutsche Gesellschaftskollisionsrecht siehe Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 326 ff. Von besonderer Bedeutung ist insoweit Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags (BGBl. II 1956, 487 [500]); dazu ausführlich Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607; Ebke, FS Hay, S. 119 (124 ff.); Seelinger, Gesellschaftskollisionsrecht und Transatlantischer Binnenmarkt, 2010, 48 ff. sowie monographisch Laeger, Deutsch-amerikanisches Internationales Gesellschaftsrecht, 2008. 73 Die Niederlassungsfreiheit kommt gem. Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) nicht nur Gesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten zugute, sondern auch Gesellschaften aus den Unterzeichnerstaaten des EWR-Abkommens. Der EWR setzt sich zusammen aus den Mitgliedstaaten der EU und denen der Europäischen Freihandelszone (EFTA) mit Ausnahme der Schweiz, die als einziger der vier EFTA-Staaten (Schweiz, Island, Norwegen und Fürstentum Liechtenstein) das EWR-Abkommen nicht ratifiziert hat. Aufgrund des Homogenitätsgebots ist die Niederlassungsfreiheit nach Art. 31 EWR-Abkommen entsprechend der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV auszulegen, siehe EuGH, Urteil vom 23. 9. 2003, Rs. C-452/01 (Ospelt und Schlössle Weissenberg), Slg. 2003, I – 9743, Rn. 29; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (927); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798); Weller, IPRax 2009, 202 (206); Weiss/Seifert, ZGR 2009, 542 (575). Zu Recht geht der BGH daher davon aus, dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften nach Art. 49, 54 AEUV auch die Anerkennung einer im Fürstentum Liechtenstein gegründeten Kapitalgesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland durch die Niederlassungsfreiheit geboten ist, siehe BGH, Urteil vom 19. 9. 2005, II ZR 372/03, BGHZ 164, 148; dazu Wachter, GmbHR 2005, 1484. 74 BGH, Urteil vom 27. 10. 2008, II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 (sog. „TrabrennbahnUrteil“) zu einer schweizerischen Aktiengesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland; krit. Behme/Nohlen, StudZR 2009, 199 (203); Gottschalk, ZIP 2009, 948; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338; zustimmend Kindler, IPRax 2009, 189 (190); Weller, IPRax 2009, 202 (208); siehe ferner BGH, Beschluss vom 8. 10. 2009, IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 zu einer in Singapur gegründeten Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland; dazu Lieder/Kliebisch, EWiR 2010, 117 f. 75 BGH, Urteil vom 1. 7. 2002, II ZR 380/00, BGHZ 151, 204; siehe dazu Kindler, IPRax 2003, 41; Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203; vgl. zur Umqualifizierung ausländischer Gesellschaften nach deutschem Recht ausführlich unten S. 210 ff. 76 In diese Richtung Adensamer/Eckert, GeS 2004, 52 (57); Schauer, in Kalss/Schauer: Die Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, Gutachten zum 16. Österreichischen
A. Begriff und Auswirkungen einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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Aufnahmestaates hat für die betroffene Gesellschaft erhebliche Konsequenzen; insbesondere haften die Gesellschafter nach dem Recht des Aufnahmestaates für Verbindlichkeiten der Gesellschaft mit ihrem Privatvermögen. Schließlich ist es denkbar, dass der Aufnahmestaat die zugezogene ausländische Gesellschaft den Vorschriften unterwirft, die für inländische Gesellschaften vergleichbarer Rechtsform gelten. Daraus können sich für die betroffene Gesellschaft zwar gewisse Verpflichtungen ergeben; so mag das Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates etwa eine Anpassung der Satzung verlangen. Grundsätzlich ist es für die Gesellschaft aber möglich, auch im Aufnahmestaat von einer Haftungsbeschränkung zu profitieren. Eine derartige gesetzliche Regelung der sachrechtlichen Konsequenzen des kollisionsrechtlich angeordneten Statutenwechsels kennen etwa Belgien, Portugal und Luxemburg. Auf diese Regelungen ist an späterer Stelle noch ausführlich zurückzukommen.77 Auch wenn der Aufnahmestaat eine zugezogene Gesellschaft kollisionsrechtlich nicht seinem eigenen materiellen Gesellschaftsrecht unterwirft, sondern auf die Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anwendbar bleibt, wird er oftmals ein Interesse an der zumindest partiellen Regulierung ausländischer Gesellschaften haben, die ihre Tätigkeit nahezu ausschließlich auf seinem Territorium entfalten.78 Die partielle Anwendung des eigenen materiellen Gesellschaftsrechts auf eine zugezogene Gesellschaft79 lässt sich kollisionsrechtlich im Wege der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen begründen.80 Eingriffsnormen werden unabhängig vom Gesellschaftsstatut auf die Gesellschaft angewandt. Eine Sonderanknüpfung setzt voraus, dass der internationale Geltungswille der betreffenden Norm trotz grundsätzlicher Maßgeblichkeit ausländischen Rechts erkennbar ist. Sofern der internationale Geltungswille einer Vorschrift nicht explizit angeordnet ist, ist er durch Auslegung zu ermitteln.81 Dabei ist grundsätzlich schon aus Gründen des Juristentag II/1, 2006, S. 681 (685) unter Verweis auf die Rechtsprechung des deutschen BGH; krit. Eckert, GesRZ 2009, 47 (48); ders., GesRZ 2009, 139 (141 f.), der für eine Behandlung zugezogener ausländischer Gesellschaften als Abwicklungsgesellschaften österreichischen Rechts plädiert. 77 Siehe unten S. 208 ff. 78 Ebke, EBLR 2005, 9 (30 ff.) mit rechtsvergleichendem Überblick über die Regulierung ausländischer Gesellschaften in den USA und in England, der darauf hinweist, dass dieses Regulierungsinteresse auch Staaten haben, die an sich – auch ohne dazu durch Unionsrecht verpflichtet zu sein – der liberalen Gründungstheorie folgen; siehe zur Rechtslage in den USA ferner ders., ZVglRWiss 110 (2011), 2 (13 ff.); Sandrock, RabelsZ 42 (1978), 227; Seelinger, Gesellschaftskollisionsrecht und Transatlantischer Binnenmarkt, 2010, S. 135 ff. 79 Bayer, BB 2003, 2457 (2365) und Mittelstädt, Bucerius Law Journal 2007, 7 (10) sprechen treffend von einer „Durchbrechung des Gesellschaftsstatuts“. 80 Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 121. 81 Martiny, in: MüKo BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 34 EGBGB Rn. 9; Magnus, in: Staudinger, Art. 34 EGBGB, Rn. 53.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Internationalen Privatrechts Zurückhaltung geboten, da die kollisionsrechtliche Grundentscheidung, auf die Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anzuwenden, durch eine allzu großzügige Handhabung von Sonderanknüpfungen unterlaufen würde.82
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung Im Folgenden soll der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit näher untersucht werden, die den unionsrechtlichen Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der grenzüberschreitenden Sitzverlegung durch das nationale Recht (Kollisions- und Sachrecht) der Mitgliedstaaten bildet. Die Darstellung beschränkt sich dabei auf die Erläuterung der für das Verständnis der EuGHRechtsprechung wesentlichen Punkte. Die Besonderheiten, die sich aus den Entscheidungen des EuGH mit Blick auf die grenzüberschreitende Sitzverlegung ergeben, sollen erst bei der Darstellung der einzelnen Urteile erläutert werden.
I. Die Niederlassungsfreiheit im System der Grundfreiheiten Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) gewährleistet gemeinsam mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) die Freizügigkeit der Personen, die gem. Art. 26 Abs. 2 AEUV konstituierender Bestandteil des europäischen Binnenmarkts83 ist. Sie wird daher vom EuGH als eines der Grundprinzipien des Vertrages angesehen.84 Der Begriff der Niederlassung erfasst die Aufnahme und Ausübung einer wirtschaftlichen Erwerbstätigkeit, die auf der Grundlage einer festen und dauerhaften Einrichtung auf die Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates angelegt ist, sowie die Gründung und Leitung von 82
Ebke, FS Hellwig, S. 117 (138). historisch bedingte Unterscheidung von Binnenmarkt und Gemeinsamem Markt wurde durch den Vertrag von Lissabon beseitigt. Soweit der EGV den Begriff des Gemeinsamen Marktes verwendet hat, wurde er im AEUV durch den Begriff des Binnenmarktes ersetzt (vgl. etwa Art. 81 EG mit Art. 101 AEUV); siehe Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 26 AEUV Rn. 3 (Stand September 2010); Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. 2010, S. 83. Zur überkommenen Abgrenzung von Binnenmarkt und Gemeinsamem Markt siehe Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 59 ff. 84 EuGH, Urteil vom 21. 6. 1974, Rs. 2/74 (Reyners), Slg. 1974, 631, Rn. 42/43; EuGH, Urteil vom 28. 1. 1986, Rs. 270/83 (Kommission/Frankreich), Slg. 1986, 273, Rn. 13; EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I – 1663, Rn. 29. 83 Die
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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Unternehmen.85 Das Merkmal der festen und dauerhaften Einrichtung grenzt den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit vom Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ab. Entscheidend für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden Grundfreiheiten im Einzelfall ist, ob der Unternehmer durch eine Standortveränderung die Produktionsfaktoren und sonstigen Kostenelemente einer fremden Volkswirtschaft nutzen will (dann Niederlassung), oder ob er lediglich die Leistung seines Betriebs, nicht aber diesen selbst in die fremde Volkswirtschaft einbringt (dann Dienstleistung).86 Als Formen der Niederlassung sind die primäre Niederlassung und die sekundäre Niederlassung zu unterscheiden. Eine primäre Niederlassung liegt vor, wenn in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit neu aufgenommen wird oder wenn die Hauptniederlassung in einen anderen Mitgliedstaat übersiedelt, also die Betriebsmittel und Produktionsanlagen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert werden, wobei im Herkunftsstaat keine oder nur eine von einem Haupthaus abhängige Betriebsstätte verbleibt.87 Sekundäre Niederlassungen sind dagegen von einer Hauptniederlassung im Herkunftsstaat rechtlich oder wirtschaftlich abhängig, wobei es sich entweder um rechtlich selbständige Einrichtungen, wie etwa Tochtergesellschaften, oder aber um unselbständige Einrichtungen, wie etwa Agenturen oder Zweigniederlassungen, handeln kann.88 Geschützt von Art. 49 AEUV sind sowohl primäre als auch sekundäre Niederlassungen sowie die Freiheit der Wahl zwischen beiden Formen der Niederlassung.89 Verstößt eine Norm des nationalen Rechts eines Mitgliedstaates gegen die Niederlassungsfreiheit, so ist sie in Konstellationen mit Bezug zum Unionsrecht nicht mehr anwendbar (Anwendungsvorrang des Unionsrechts).90 Das Anliegen der Niederlassungsfreiheit, Mobilität im Binnenmarkt zu ermöglichen, 85 EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I – 4165, Rn. 25; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 49 AEUV Rn. 11; Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf (Stand März 2011), Art. 49 AEUV Rn. 16. 86 Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 43 EG Rn. 17; vgl. zur Abgrenzung von Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit ausführlich EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I – 4165, Rn. 25 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2314 ff.; Hellwig, FS Hopt, S. 2791 (2807 f.). 87 Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 43 EG Rn. 32. 88 Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 43 EG Rn. 33. 89 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2239; zur freien Wahl zwischen Zweigniederlassung und Tochtergesellschaft siehe EuGH, Urteil vom 21. 9. 1999, Rs. C-307/97 (Saint-Gobain), Slg. 1999, I – 6161, Rn. 42; Schön, EWS 2000, 281. 90 EuGH, Urteil vom 15. 7. 1964, Rs. 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251; EuGH, Urteil vom 9. 3. 1978, Rs. 106/77 (Simmenthal), Slg. 1978, 629; vgl. zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts auch das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates vom 22. Juni 2007, beigefügt der Erklärung Nr. 17 zur Schlussakte der Regierungskonferenz zum Vertrag von Lissabon, ABl. 2008 C 115, S. 335 (344) sowie aus der deutschen Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 22. 10. 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 (375) – „Solange II“; BVerfG, Urteil vom 30. 6. 2009, 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09, BVerfGE 123, 267
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
wird bereits durch die Nicht-Anwendung der betreffenden Vorschrift erreicht. Eine darüber hinausgehende Sanktion des Grundfreiheiten-Verstoßes durch die Nichtigkeit der Vorschrift mit der Folge, dass ihr auch bei bloßen Inlandssachverhalten sowie gegenüber Staatsangehörigen aus Drittstaaten die Anwendung versagt bliebe, ist im Hinblick auf die Verwirklichung des Binnenmarkts nicht erforderlich.91
II. Gesellschaften als Begünstigte der Niederlassungsfreiheit Gemäß Art. 49 Abs. 1 AEUV sind Begünstigte der Niederlassungsfreiheit die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Diesen stehen gem. Art. 54 Abs. 1 AEUV für die Anwendung der Niederlassungsfreiheit die Gesellschaften gleich, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und die erforderliche Unionsverknüpfung aufweisen, indem sie ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben.92 Der Begriff der Gesellschaften wird in Art. 54 Abs. 2 AEUV in einem sehr weiten Sinne definiert: Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen. Diese weite Begriffsbestimmung soll der Vielfalt der unterschiedlichen nationalen Gesellschaftsformen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen.93 An das Merkmal der Verfolgung eines Erwerbszwecks sind geringe Anforderungen zu stellen. Hierfür ist es ausreichend, dass die Gesellschaft am Wirtschaftsleben teilnimmt bzw. das Wirtschaftsleben mitgestaltet; eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich. Nicht von der Niederlassungsfreiheit sollen lediglich Tätigkeiten erfasst sein, für die keine Gegenleistung – regelmäßig in Form eines Entgelts – erbracht wird, wie etwa die Tätigkeit kultureller oder karitativer Einrichtungen.94 Am Wirtschaftsleben nimmt eine Gesellschaft auch dann noch teil, wenn der Gesellschaftszweck nicht mehr auf werbende (398) – Vertrag von Lissabon; BVerfG, Beschluss vom 6. 7. 2010, 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (301 f.) – „Honeywell“. 91 Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rnrn. 931, 940. 92 Vgl. Teichmann, ZIP 2009, 393 (399); Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 774; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 54 AEUV Rn. 6; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Stand März 2011), Art. 49 AEUV Rn. 13. 93 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2286; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 54 AEUV Rn. 2; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 75. 94 Siehe zum Ganzen Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2290 f.; Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 48 EG Rn. 5; Art. 43 Rn. 54 ff. Nicht Träger der Niederlassungsfreiheit ist damit insbesondere der Idealverein, siehe Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 54 AEUV Rn. 2; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. 9. 2005, 3 W 170/05, NJW-Spezial 2006, 32.
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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Teilnahme am Rechtsverkehr, sondern auf Liquidation gerichtet ist.95 Die Trägerschaft der Niederlassungsfreiheit endet daher nicht schon mit der Auflösung, sondern erst mit der Vollbeendigung einer Gesellschaft im Anschluss an die Liquidation.96 Sofern ein bestimmter Vorgang – etwa eine grenzüberschreitende Sitzverlegung oder ein grenzüberschreitender Formwechsel – von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist, ändert die Tatsache, dass eine Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates bereits aufgelöst wurde und in Liquidation getreten ist, daran nichts. Darauf ist an späterer Stelle der Untersuchung noch zurückzukommen.97
III. Die Niederlassungsfreiheit als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot Die Niederlassungsfreiheit verbietet in ihrem Anwendungsbereich sowohl Diskriminierungen als auch Beschränkungen.
1. Diskriminierungsverbot Die Grundfreiheiten sind im Ausgangspunkt Diskriminierungsverbote98 und als solche konkrete Ausprägungen des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV.99 Eine Diskriminierung liegt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH vor, wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.100 Auch die Niederlassungsfreiheit enthält ein explizites Diskriminierungsverbot: Art. 49 Abs. 2 AEUV schreibt vor, dass für bestimmte von der Niederlassungsfreiheit erfasste Handlungen im Aufnahmestaat die gleichen Bestimmungen wie für die eigenen Staatsangehörigen zu gelten haben.101 Dabei erfassen die grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote sowohl offene (oder: unmittelbare) als auch versteckte (oder: mittelbare / indirekte) Diskriminierungen. Eine offene Diskriminierung liegt vor im Falle einer ausdrücklichen 95 Behme, BB 2008, 70 (72); ders., BB 2010, 1679 (1682); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1919) mit zutreffendem Hinweis auf die über Jahrzehnte andauernde Liquidation der IG Farben. 96 Vgl. Haar, GPR 2010, 187 (189), die zutreffend darauf hinweist, dass eine in ihrem Herkunftsstaat Großbritannien nicht mehr existente, weil erloschene Limited nicht mehr dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unterfällt. 97 Siehe unten S. 114 f. 98 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 113. 99 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 111. 100 EuGH, Urteil vom 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher), Slg. 1996, I – 3089, Rn. 40; EuGH, Urteil vom 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx), Slg. 1995, I – 2493, Rn. 17. 101 Vgl. im Bereich anderer Grundfreiheiten Art. 45 Abs. 2 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) und Art. 50 Abs. 3 AEUV (Dienstleistungsfreiheit).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
tatbestandsmäßigen Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Produkte bzw. Wirtschaftssubjekte in den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften. Demgegenüber sind versteckte Diskriminierungen gekennzeichnet durch eine zwar formale Gleichbehandlung, aber faktische Schlechterbehandlung ausländischer gegenüber inländischen Produkten oder Dienstleistungen bzw. Wirtschaftssubjekten.102
2. Beschränkungsverbot Die Grundfreiheiten werden jedoch in der modernen Grundfreiheitendogmatik nicht nur als Diskriminierungsverbote, sondern darüberhinaus als umfassende Beschränkungsverbote verstanden. Die Entwicklung von einem Verständnis der Grundfreiheiten als bloßen Diskriminierungsverboten hin zu den Binnenmarkt umfassend verwirklichenden Beschränkungsverboten nahm ihren Ausgangspunkt in den zur Warenverkehrsfreiheit ergangen EuGH-Entscheidungen Dassonville103 und Cassis de Dijon104 und wurde später auf die anderen Grundfreiheiten übertragen. Insofern übernahm die Warenverkehrsfreiheit eine Vorreiterrolle für das Verständnis der anderen Grundfreiheiten.105 In ihrer Ausprägung als Beschränkungsverbot untersagt die Niederlassungsfreiheit, so der EuGH, alle Maßnahmen, die ihre Ausübung unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen.106 Entscheidend ist damit nicht mehr der diskriminierende Charakter einer nationalen Maßnahme, sondern ihre bloße Eignung, einen Marktteilnehmer davon abzuhalten, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.107
3. Eingrenzung des Anwendungsbereichs Ein Verständnis der Niederlassungsfreiheit, wonach eine Beschränkung immer bereits dann gegeben ist, wenn eine nationale Maßnahme die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv macht, würde den Weg zu einer Generalrevision der gesamten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten am Maßstab ihrer Niederlassungsfreundlichkeit eröffnen. Denn so gut wie jede mitglied102 Zur Abgrenzung siehe Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 112; vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2444 ff., der zwischen offenen, versteckten und mittelbaren Diskriminierungen differenziert. 103 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn. 5. 104 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, Rn. 14. 105 Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Vorbem. Art. 28 bis 31 EG Rn. 10; zur Konvergenz der Grundfreiheiten grundlegend Behrens, EuR 1992, 154 (148 ff.); siehe ferner Classen, EWS 1995, 97 ff. sowie ausführlich unten S. 75. 106 Grundlegend EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I – 1663, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I – 4165, Rn. 37. 107 Pache, in: Schulze/Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 10 Rnrn. 25, 184.
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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staatliche Regulierung ist geeignet, zumindest mittelbar und potentiell den Handel innerhalb der Europäischen Union zu beschränken.108 Damit würde letztlich jede nationale Vorschrift unter den Vorbehalt einer Rechtfertigung durch zwingende Allgemeininteressen und des Verhältnismäßigkeitsprinzips gestellt. Dies wäre nicht nur für die Mitgliedstaaten problematisch, die hierfür die Beweislast tragen,109 sondern ließe auch eine Überforderung der europäischen Richter befürchten, die sich in einer Flut von Vorlagefragen110 mit immer neuen zwingenden Allgemeininteressen und Rechtfertigungsgründen konfrontiert sehen würden, die sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hätten.111 Das kann nicht Sinn und Zweck der Grundfreiheiten sein. Die Reichweite des Beschränkungsverbots bedarf daher einer Eingrenzung. Zu diesem Zwecke wird in der Literatur mehr oder weniger offen auf die Grundsätze der Keck-Entscheidung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit rekurriert.112 In dieser Entscheidung nimmt der EuGH eine Eingrenzung des mit der Entscheidung Dassonville für die Warenverkehrsfreiheit etablierten Beschränkungsverbots vor, indem er eine bestimmte Kategorie mitgliedstaatlicher Vorschriften aus dem Anwendungsbereich der Grundfreiheit herausdefiniert. Wörtlich heißt es dort: „Demgegenüber ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen [...] nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut.“ 113
108 Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 16; Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rnrn. 1664, 1666. 109 EuGH, Urteil vom 14. 7. 1983, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 22; EuGH, Urteil vom 4. 6. 1992, Rs. C-13/91 (Debus), Slg. 1992, I – 3617, Rn. 18. 110 Darauf weist Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 116 hin. 111 Siehe bereits Generalanwalt van Gerven in seinen Schlussanträgen vom 29. 6. 1989, Rs. C-145/88 (Torfaen), Rn. 26; Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1671. 112 Ausdrücklich Bitter, in: Tietze/McGuire/Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (318); Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 16; ders., JZ 2004, 24 (26 f.); Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607 (621); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 3 Rn. 7; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (667); weniger deutlich etwa Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 49 AEUV Rn. 33; krit. zum Ansatz der „Übertragung“ W.-H. Roth, FS Großfeld, S. 929 (930). 113 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, Rs. C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I – 6097, Rn. 16 f. (Hervorhebungen durch den Verf.).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Für bloße Verkaufsmodalitäten wird die Warenverkehrsfreiheit somit auf ein Diskriminierungsverbot zurückgeführt. Nach der Keck-Entscheidung hat der EuGH regelmäßig auf weitere Kriterien abgestellt, um das Beschränkungsverbot einzugrenzen. So wurde eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit mit der Begründung abgelehnt, die Wirkung einer Maßnahme sei so ungewiss und indirekt, dass sie nicht als Hindernis i. S. d. Art. 34 AEUV angesehen werden könne.114 Ebenso entschied der EuGH, dass die beschränkende Wirkung der italienischen Regelung über die Öffnungszeiten der Einzelhandelsgeschäfte an Sonn- und Feiertagen für die Niederlassungsfreiheit zu ungewiss und zu mittelbar sei, als dass die darin aufgestellten Verpflichtungen als geeignet angesehen werden könnten, die Niederlassungsfreiheit zu behindern.115 Marginale Beschränkungen können demnach als Teil der jeweiligen Standortbedingungen begriffen werden und bedürfen keiner Rechtfertigung („de minimis-Ausnahme“)116. Das entscheidende, auch in Keck zum Ausdruck kommende Kriterium ist also letztlich, ob eine Maßnahme den Marktzugang117 und damit die Niederlassung als solche erschwert oder ob es sich um bloße Rahmenbedingungen der Niederlassung118 handelt. Nicht erschwert wird der Marktzugang durch mitgliedstaatliche Regulierungen, die inländische und ausländische Marktteilnehmer nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch in gleichem Maße belasten.
IV. Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit Diskriminierungen oder Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch das nationale Recht der Mitgliedstaaten sind nicht per se unionsrechtswidrig, sondern im Einzelfall einer unionsrechtlichen Rechtfertigung zugänglich.
114 EuGH, Urteil vom 21. 9. 1999, Rs. C-44/98 (BASF), Slg. 1999, I – 6269, Rn. 21; dies ist letztlich eine bloße Kausalitätsfrage. 115 EuGH, Urteil vom 20. 6. 1996, Rs. C-418/93 (Semeraro), Slg. 1996, I – 2975, Rn. 32. 116 Ebenso Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 12. 117 EuGH, Urteil vom 11. 5. 1999, Rs. C-255/97 (Pfeiffer), Slg. 1999, I – 2835, Rn. 19; Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 25. 3. 2004, Rs. C-442/02 (CaixaBank France), Rn. 58, 66; zum Marktzugang als maßgeblichem Kriterium siehe ausführlich Büchele, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten, 2008, S. 335 (380 ff.); Jüttner, Gesellschaftsrecht und Niederlassungsfreiheit, 2005, 92; Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 131 ff.; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (667). 118 Zum Begriff der Rahmenbedingungen siehe noch ausführlich unten S. 85; Rehberg, EuLF 2004, 1 (7) spricht in Anlehnung an die Formulierung des EuGH treffend von „Niederlassungsmodalitäten“.
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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1. Geschriebene Rechtfertigungsgründe des Primärrechts: Art. 52 AEUV Gemäß Art. 52 AEUV können Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sein. Art. 52 AEUV enthält einen ordre public-Vorbehalt.119 Als Rechtfertigungsgrund erfasst er sämtliche Arten von Beeinträchtigungen der Niederlassungsfreiheit, d. h. sowohl offene als auch versteckte Diskriminierungen als auch bloße Beschränkungen, die von unterschiedslos anwendbaren Vorschriften des nationalen Rechts ausgehen.120 Jedoch ist Art. 52 AEUV als Ausnahme von einem Grundprinzip des Vertrags restriktiv in einem „quasi-polizeirechtlichen“121 Sinne auszulegen; erforderlich ist eine tatsächliche und gegenwärtige Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.122 Die bloße Gefahr einer Umgehung nationaler Rechtsvorschriften oder von Missbräuchen genügt nicht.123 Vor diesem Hintergrund ist die praktische Bedeutung des Art. 52 AEUV als Rechtfertigungsgrund als gering einzustufen.124
2. Missbrauch der Niederlassungsfreiheit als Rechtfertigungsgrund Beschränkungen der Grundfreiheiten können ferner dadurch gerechtfertigt sein, dass die Mitgliedstaaten verhindern wollen, dass von den wirtschaftlichen Freiheiten des Unionsrechts in missbräuchlicher oder betrügerischer Weise Gebrauch gemacht wird. Dass die missbräuchliche Berufung auf Unionsrecht nicht gestattet ist, hat der EuGH gerade im Kontext der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften mehrfach betont, unter anderem in den Entscheidungen Centros125 und Inspire Art126. Teilweise wird vertreten, die Figur des Missbrauchs der Grundfreiheiten betreffe nicht einen Rechtfertigungsgrund, sondern eine immanente Schranke, welche die tatsächliche Geltung der Grundfreiheiten gegenüber dem Wortlaut 119
Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2568. Urteil vom 11. 2. 2001, Rs. C-108/96 (Mac Queen), Slg. 2001, I – 837, Rn. 28; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2567. 121 Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447 (459); ders., AG 2004, 57 (65); vgl. auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 52 AEUV Rn. 4. 122 EuGH, Urteil vom 27. 10. 1977, Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, I – 1999, Rn. 33 ff.; EuGH, Urteil vom 19. 1. 1999, Rs. C-348/96 (Calfa), Slg. 1999, I – 11, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2004, Rs. C-36/02 (Omega), Slg. 2004, I – 9609, Rn. 30. Siehe zur restriktiven Auslegung von Ausnahmebestimmungen auch Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1571 f. 123 Tiedje/Troberg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 46 EG Rn. 23; vgl. auch EuGH, Urteil vom 10. 7. 1986, Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375. 124 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (169). 125 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459, Rn. 24 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH zu den übrigen Grundfreiheiten. 126 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I – 10155, Rn. 136. 120 EuGH,
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
der jeweiligen Bestimmung verkürzt; der Missbrauch lasse also von vornherein die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten entfallen.127 Die Rechtsprechung des EuGH ist, was die dogmatische Einordnung anbelangt, wenig aufschlussreich.128 So stellt der EuGH in Centros erst das Vorliegen einer Beschränkung fest (Centros Rn. 22), prüft sodann jedoch, ob ein missbräuchliches und betrügerisches Verhalten erkennbar ist, dass es dem Mitgliedstaat erlauben würde, „auf diese Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit nicht anzuwenden“ (Centros Rn. 29, Hervorhebung durch den Verf.). Sodann stelle sich die Frage, ob das nationale Vorgehen aus den von den dänischen Behörden angeführten Gründen gerechtfertigt sein könnte (Centros Rn. 31). Der Missbrauchseinwand wird also zwischen Beschränkungs- und Rechtfertigungsebene geprüft; die Wortwahl des EuGH scheint eher eine Einordnung als Verkürzung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit nahezulegen. Demgegenüber ordnet der EuGH in Inspire Art die Verhinderung einer missbräuchlichen oder betrügerischen Berufung auf die Grundfreiheiten als Unterfall der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses ein (Inspire Art Rn. 136), verortet sie also auf der Rechtfertigungsebene. Als offenbar eigenständiger Rechtfertigungsgrund erscheint der Missbrauch der Niederlassungsfreiheit schließlich in der Entscheidung Cadbury Schweppes, wo es heißt, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit könne gerechtfertigt sein, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates zu entgehen.129 Insgesamt sprechen die besseren Gründe für eine Einordnung der missbräuchlichen oder betrügerischen Berufung auf die Grundfreiheiten als Rechtfertigungsgrund.130 Ob ein Verhalten als missbräuchlich oder betrügerisch131 zu bewerten ist, ist, wie der EuGH betont, eine Frage des Einzelfalls.132 Dabei spielen objektive Faktoren ebenso eine Rolle wie die subjektive Willensrichtung 127
Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, 2009, S. 153 f.; Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 431. 128 Bitter, in: Tietze/McGuire/Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (315). 129 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I – 7995, Rn. 51 mit Komm. Sedemund, BB 2006, 2118. 130 Vgl. Behme, ZIP 2008, 351; für diese Einordnung auch Behrens, IPRax 1999, 323 (326); Ebke, JZ 1999, 656 (659); Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2608; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 132. 131 Zur Abgrenzung von Missbrauch und Betrug siehe Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 82 ff.; ders., JZ 2004, 24 (26); Fleischer, JZ 2003, 865 (870). 132 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I – 10155, Rn. 105; Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (136 f.).
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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der Beteiligten.133 Die Beurteilung folgt strengen Maßstäben: Nicht umsonst hat der EuGH in der Centros-Entscheidung sehr eng zu interpretierende Begriffe gewählt – in der englischen Übersetzung ist von abuse und fraudulent conduct die Rede, in der französischen Übersetzung von comportement abusive ou frauduleux.134 Die Annahme eines Missbrauchs kommt also nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in Betracht. Derartige Abwägungsfragen sind aber auf der Ebene der Rechtfertigung einer Beschränkung besser aufgehoben als auf der Ebene der Bestimmung des Anwendungsbereichs der einzelnen Grundfreiheit.
3. Rechtfertigung von Beschränkungen durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses Als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannt sind ferner zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Eine Rechtfertigung von Beschränkungen ist demnach möglich, wenn die Anforderungen des in der Gebhard-Entscheidung entwickelten Vier-KriterienTests erfüllt sind: (1) Die Maßnahmen des nationalen Rechts werden nicht in diskriminierender Weise angewandt; (2) sie sind aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses geboten und (3) zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und (4) erforderlich.135 Anders als bei der Beurteilung einer missbräuchlichen oder betrügerischen Berufung auf die Grundfreiheiten steht dabei nicht der konkret zu entscheidende Einzelfall im Zentrum der Prüfung, sondern es erfolgt eine generelle Betrachtung am Maßstab der Vier-Kriterien-Formel.136
a) Definition und Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses Der EuGH neigt generell zu einer recht großzügigen Bejahung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses. Bereits in der Entscheidung Cassis de Dijon hat der EuGH eine wirksame steuerliche Kontrolle, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz als zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses anerkannt;137 in späteren Entscheidungen folgten etwa der Umweltschutz und die Aufrecht-
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Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, 2009, S. 154 f. Sandrock, BB 1999, 1337 (1343); weitere Übersetzungen siehe dort. 135 EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I – 4165, Rn. 37. 136 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 138; Ulmer, NJW 2004, 1201 (1204). 137 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, Rn. 8. 134
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erhaltung der Medienvielfalt.138 Die Vielfalt der durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannten zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses lässt sich insbesondere dadurch erklären, dass auf diese Weise ein Korrektiv gegenüber der Entwicklung der Grundfreiheiten von einem Diskriminierungsverbot zu einem allgemeinen Beschränkungsverbot geschaffen wurde.139 Für die Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit tragen die Mitgliedstaaten die Beweislast.140 Die Mitgliedstaaten müssen also darlegen, dass eine Beschränkung zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses entspricht und welche zwingenden Erfordernisse dies konkret sind. Dabei können sie sowohl auf Zielvorstellungen zurückgreifen, die vom EuGH bereits als zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses anerkannt wurden, als auch neue Zielvorstellungen verfolgen. Der Prozess der Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses durch den EuGH ist nicht abgeschlossen; vielmehr hat der EuGH durch seine ausdrücklich nicht abschließende Aufzählung zwingender Erfordernisse in Cassis de Dijon („insbesondere“) selbst deutlich gemacht, dass er künftigen Entwicklungen durch die Anerkennung weiterer zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses Rechnung tragen will. Nicht jede mitgliedstaatliche Zielvorstellung kann jedoch als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses eingeordnet und auf diese Weise zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit herangezogen werden. Insbesondere aus Gründen des effet utile141, aber auch aus Gründen der Rechtssicherheit142 sind vielmehr Voraussetzungen für die Anerkennung zu ermitteln, anhand derer sich der Kreis potentieller zukünftiger zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses inhaltlich eingrenzen lässt. Nur geringe Anhaltspunkte bietet insoweit die vom EuGH verwendete Terminologie: Die Eingrenzung auf zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses macht deutlich, dass das verfolgte Regelungsbedürfnis von elemen138 Vgl. die Aufzählung bei Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1599 m. w. N.; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 225. 139 Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 190; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 138 f. 140 EuGH, Urteil vom 14. 7. 1983, Rs. 174/82 (Sandoz), Slg. 1983, 2445, Rn. 22; EuGH, Urteil vom 4. 6. 1992, Rs. C-13/91 (Debus), Slg. 1992, I – 3617, Rn. 18. 141 Wörtlich: aus Gründen der nützlichen Wirkung, siehe EuGH, Urteil vom 6. 10. 1970, Rs. 9/70 (Grad), Slg. 1970, 825, Rn. 5; EuGH, Urteil vom 4. 12. 1974, Rs. 41/74 (Van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12; Calliess, NJW 2005, 929; Potacs, EuR 2009, 465 (466). Die Auslegung nach dem effet utile fragt danach, wie der Sinn und Zweck einer Norm optimal verwirklicht werden kann; siehe Buerstedde, Juristische Methodik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 77; Potacs, EuR 2009, 465 (467). Der Grundsatz des effet utile basiert auf dem bereits aus dem römischen Recht bekannten Auslegungsprinzip, wonach Worte in einem juristischen Text so zu verstehen sind, dass ihr Sinn erhalten und nicht zerstört wird (ut res magis valeat quam pereat). Zur historischen Entwicklung und rechtsvergleichend Seyr, Der effet utile in der Rechtsprechung des EuGH, 2008, S. 94 ff.; zur Bedeutung des effet utile in der Rechtsprechung des EuGH Streinz, FS Everling, S. 1491. 142 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, 1997, S. 267.
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tarem Gewicht sein muss; bloß zweckmäßige Erwägungen genügen nicht. Dies folgt aus der elementaren Bedeutung, die das Unionsrecht den Grundfreiheiten für die Verwicklung des europäischen Binnenmarkts beimisst.143 Auch die Funktion des Begriffs des Allgemeininteresses – in manchen Entscheidungen ist auch von „Erwägungen des Gemeinwohls“ die Rede144 – ist letztlich darauf beschränkt, das notwendige Gewicht des verfolgten Regelungsbedürfnisses zu unterstreichen. Er bedeutet nicht, dass das Regelungsbedürfnis eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur rechtfertigen kann, wenn es im Interesse der gesamten Bevölkerung des jeweiligen Mitgliedstaates liegt (wie etwa der Umweltschutz); der EuGH hat vielmehr im Laufe seiner Rechtsprechung immer wieder den Schutz von Partikularinteressen auch gegenüber den Interessen anderer Bevölkerungskreise anerkannt. Dies gilt sowohl für den Schutz der Arbeitnehmer (gegenüber den Arbeitgebern) als auch für den Schutz der Verbraucher (gegenüber den Unternehmern).145 Die Rechtsprechung des EuGH ist hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses relativ unergiebig – abgesehen davon, dass mitgliedstaatliche Zielvorstellungen mit rein fiskalischem Charakter nicht erfasst sind.146 Unstreitig können mitgliedstaatliche Zielvorstellungen nur dann eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen, wenn sie ihrerseits mit dem Unionsrecht vereinbar sind.147 Das ergibt sich zum einen aus der Funktion der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses als Schranke der Niederlassungsfreiheit und folgt zum anderen aus dem Gebot der Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV).148 Sachlich nichts anderes 143 Vgl. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, 1997, S. 270; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 205. 144 EuGH, Urteil vom 16. 12. 1980, Rs. 27/80 (Fietje), Slg. 1980, 3839, Rn. 9; EuGH, Urteil vom 19. 2. 1981, Rs. 130/80 (Kelderman), Slg. 1981, 527, Rn. 8. 145 Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, 1997, S. 271. 146 EuGH, Urteil vom 28. 4. 1998, Rs. C-158/96 (Kohll), Slg. 1998, I – 1938, Rn. 41; Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, 1997, S. 272 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 2606; Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1600. 147 EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I – 1663, Rn. 32: „Anders verhielte es sich nur, wenn mit einer solchen Regelung ein berechtigter Zweck verfolgt würde, der mit dem EWG-Vertrag vereinbar und aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre.“; EuGH, Urteil vom 14. 7. 1981, Rs. 155/80 (Oebel), Slg. 1981, 1993, Rn. 12: „Es lässt sich nicht bestreiten, dass das für Bäckereien und Konditoreien geltende Herstellungsverbot vor 4 Uhr morgens eine berechtigte wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung darstellt, die den im allgemeinen Interesse liegenden Zielen des Vertrages entspricht.“ (Hervorhebungen durch den Verf.) Siehe ferner Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, 1997, S. 268; Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 423 ff.; Funk, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften nach Inspire Art, 2007, S. 162 f.; Hellwig/Behme, AG 2011, 740 (744 f.); Weiss/Seifert, ZGR 2009, 542 (550); tendenziell enger Steindorff, ZHR 148 (1984), 338 (346) unter Verweis auf den föderalen Charakter der Europäischen Union. 148 Vgl. Hammen, EuZW 1996, 460 (462), der zudem mit Art. 56 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 52 Abs. 2 AEUV) argumentiert; vgl. auch Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2006/48/EG des
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gemeint ist, wenn in der Literatur darauf hingewiesen wird, der Rechtfertigungsgrund der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses sei nicht auf den nationalen, sondern den unionsrechtlichen ordre public bezogen.149 Müssten sich die Mitgliedstaaten bei der Definition zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses nicht am Maßstab des Unionsrechts messen lassen, wären die Grundfreiheiten letztlich zu ihrer Disposition gestellt.150 Aus dem Postulat der Vereinbarkeit zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses mit höherrangigem Unionsrecht folgt zweierlei: Zum einen muss die Art und Weise, in der eine mitgliedstaatliche Zielvorstellung verfolgt wird, den Anforderungen des Unionsrechts entsprechen. Dies ist etwa dann zu verneinen, wenn ein Mitgliedstaat ein an sich legitimes Ziel durch eine in sich diskriminierende und damit gegen Art. 18 AEUV verstoßende Regelung verfolgt.151 Zum anderen muss die mitgliedstaatliche Zielvorstellung aber auch als solche mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Dies ist etwa bei rein protektionistischen Zielsetzungen zu verneinen. Zu weit dürfte es allerdings gehen, hieraus quantitative Anforderungen dahingehend abzuleiten, dass ein zwingendes Erfordernis in der gesamten EU anerkannt sei muss, entweder durch Rechtsakte des Unionsrechts oder durch die Rechtsordnungen aller oder jedenfalls der meisten Mitgliedstaaten.152 Auf diese Weise würde den Mitgliedstaaten Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute: „Der Aufnahmemitgliedstaat sollte bei der Ausübung des Niederlassungsrechts und beim freien Dienstleistungsverkehr die Einhaltung spezifischer Anforderungen seiner Rechtsvorschriften [...] verlangen können, soweit diese Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar und durch das Allgemeininteresse begründet sind [...].“ (Hervorhebung durch den Verf.). 149 Ebke, JZ 2003, 927 (931); zustimmend Behme, ZIP 2008, 351 (356). 150 Hammen, EuZW 1996, 460 (462); ders., WM 1999, 2487 (2495). 151 Dies ergibt sich bereits a minore ad maiorem daraus, dass nach der Rechtsprechung des EuGH offen diskriminierende Maßnahmen einer Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses nicht zugänglich sind; siehe nur EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I – 4165, Rn. 37. Dann muss dasselbe erst recht gelten, wenn bereits das mit einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verfolgte Ziel in sich diskriminierend ausgestaltet ist. Beispielweise ist die mitgliedstaatliche Zielvorstellung, Arbeitnehmer an unternehmerischen Entscheidungen teilhaben zu lassen, an sich mit dem Unionsrecht vereinbar; sie kann aber Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nur dann rechtfertigen, wenn sie in unionsrechtskonformer Weise verfolgt wird. Dies ist bei den deutschen Mitbestimmungsregeln, die ausländischen Arbeitnehmern das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vorenthalten, nicht der Fall. Der Schutz der deutschen Mitbestimmung kann daher Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen; siehe dazu bereits Hellwig/Behme, AG 2011, 740 (744 f.) sowie ausführlich unten S. 194 ff. 152 So aber Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse, 1997, S. 268; Becker, in: Schwarze, EUKommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 36 AEUV Rn. 37; krit. auch Bayer, AG 2004, 534 (537). Für den Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung (Art. 52 AEUV) hat der EuGH bereits wiederholt festgestellt, dass zwar seine Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden darf, die konkreten Umstände, die möglicherweise die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigen, allerdings von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel verschieden sein können,
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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die Möglichkeit genommen, auf neue Entwicklungen zu reagieren, indem sie neue Regelungsbedürfnisse definieren und diesen Bedürfnissen entsprechende nationale Vorschriften erlassen, die diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Die Mitgliedstaaten wären regelrecht gelähmt, da sie die Grundfreiheiten beschränkende Vorschriften erst dann erlassen dürften, wenn die anderen Mitgliedstaaten das gleiche Regelungsbedürfnis erkannt und darauf reagiert hätten; es dürfte aber kein Mitgliedstaat den ersten Schritt wagen und die notwendigen Regelungen erlassen. Den Mitgliedstaaten bliebe damit nur die Möglichkeit, auf eine unionsrechtliche Regelung hinzuwirken, was zum einen aufgrund der Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse innerhalb der Europäischen Union viel Zeit in Anspruch nehmen kann und zum anderen wegen ihrer begrenzten Kompetenzen nicht immer möglich ist. So kann beispielsweise ein Verbot oder eine Regulierung der Präimplantationsdiagnostik in den Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit (etwa spezialisierter Ärzte aus anderen Mitgliedstaaten) beschränken. Muss der Staat, der als erster den Embryonenschutz als Regelungsbedürfnis definiert und entsprechende Vorschriften erlässt, sich entgegenhalten lassen, der Embryonenschutz sei kein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses, weil die anderen Mitgliedstaaten vergleichbare Vorschriften (noch) nicht kennen und weil eine unionsrechtliche Regelung nicht existiert, obwohl die Europäische Union nicht einmal eine Regelungskompetenz auf dem Gebiet der Medizinethik hat?
b) Keine Rechtfertigung diskriminierender Maßnahmen Nach der Vier-Kriterien-Formel des EuGH können nur solche nationalen Maßnahmen durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, die nicht diskriminierenden Charakter haben. Das bedeutet, dass offen diskriminierende Maßnahmen über die zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses nicht rechtfertigungsfähig sind. Versteckte Diskriminierungen sollen demgegenüber einer Rechtfertigung zugänglich sein.153 Dies ist schon deshalb überzeugend, weil Beschränkungen und versteckte Diskriminierungen nur schwer zu unterscheiden sind.154 Ob der EuGH langfristig daran festhalten wird, dass offene Diskriminierungen nicht durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt weshalb insoweit den zuständigen innerstaatlichen Behörden ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den AEUV gesetzten Grenzen zuzubilligen ist; siehe EuGH, Urteil vom 4. 12. 1974, Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 18 f.; EuGH, Urteil vom 27. 10. 1977, Rs. 30/77 (Bouchereau), Slg. 1977, 1999, Rn. 33 f.; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2004, Rs. C-36/02 (Omega), Slg. 2004, I – 9609, Rn. 30 f. 153 Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 49 AEUV Rn. 84; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 139. 154 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 98 ff.; vgl. auch Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 49 AEUV Rn. 49.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
werden können, ist zweifelhaft. Jüngere Entscheidungen zur Warenverkehrsfreiheit deuten in eine andere Richtung.155 Gleiches gilt für die Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen SEVIC156 und Vale157. Dass sich nach den jeweils einschlägigen Bestimmungen des deutschen bzw. ungarischen Umwandlungsrechts nur inländische, nicht aber nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründete Gesellschaften an einer Umwandlung (Verschmelzung bzw. Formwechsel) beteiligen konnten,158 sah der EuGH nicht – wie an sich naheliegend159 – als Diskriminierung an, sondern als Beschränkung. Dieser Kunstgriff ebnete dem Gerichtshof zwar den Weg, eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses zu prüfen (die er im Ergebnis in beiden Fällen verneinte), lässt die Unterscheidung zwischen Beschränkung und Diskriminierung aber konturenlos erscheinen. Rechtspolitisch erscheint es wenig einsichtig, dass diskriminierenden Maßnahmen die Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses per se versagt wird: Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch offen diskriminierende Maßnahmen auf legitimen Gründen beruhen; entscheidend sollte dann sein, ob sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.160 Dies gilt umso mehr, als auch im Rahmen des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV eine Rechtfertigung von Diskriminierungen möglich ist, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird.161 Erforderlich sind ein sachlicher Grund, der die Differenzierung nicht will155 Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1608 ff. unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 9. 7. 1992, Rs. C-2/90 (Kommission/Belgien), Slg. 1992, I – 4431 und auf EuGH, Urteil vom 13. 3. 2001, Rs. C-379/98 (PreussenElektra), Slg. 2001, I – 2099; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 196 f. 156 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805; siehe dazu noch ausführlich S. 143 f. 157 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394; siehe dazu noch ausführlich S. 144 ff. 158 Inzwischen ist die grenzüberschreitende Verschmelzung im deutschen UmwG in Umsetzung der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in den §§ 122 a ff. UmwG ausdrücklich geregelt; siehe zur Umsetzung der Richtlinie monographisch Kulenkamp, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in der EU, 2009. 159 Auch Generalanwalt Tizzano hatte in seinen Schlussanträgen eine diskriminierende Wirkung der deutschen Verschmelzungsvorschriften angenommen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 7. 7. 2005, Rs. C-411/03 [SEVIC], ZIP 2005, 1227 [Rn. 56]); ebenso Behme, NZG 2012, 936 (938); Dorr/Stukenborg, DB 2003, 647 (648); W.-H. Roth, IPRax 2003, 177 (122); Koppensteiner, Der Konzern 2006, 40 (42). 160 Ebenso Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1613. 161 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2005, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I – 2119; Rn. 54; a. A. Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 18 AEUV Rn. 22 ff.
B. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) als Prüfungsmaßstab
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kürlich erscheinen lässt, sowie eine Güter- und Interessenabwägung im Lichte der Ziele des AEUV.162 Die Abwägungsstruktur wird dann derjenigen bei der Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses sehr ähnlich.
c) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit und Erforderlichkeit) Beschränkende Maßnahmen der Mitgliedstaaten sind, auch wenn sie zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses dienen, nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig sind. Dies bedeutet, dass die nationale Maßnahme zum einen zur Erreichung des verfolgten Ziels überhaupt geeignet sein muss und dass zum anderen dieses Ziel nicht mit milderen, d. h. weniger beeinträchtigenden Mitteln erreicht werden kann, die Maßnahme also erforderlich ist. So großzügig der EuGH bei der Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses ist, so streng erscheint sein Prüfungsmaßstab auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit, wo letztlich viele beschränkende Maßnahmen an der Geeignetheit oder Erforderlichkeit scheitern.163 Im Rahmen der Abwägung folgt der EuGH offensichtlich dem Grundsatz in dubio pro libertate; im Zweifel genießt die Niederlassungsfreiheit Vorrang vor mitgliedstaatlichen Schutzinteressen.164 Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ist auf einen strukturellen Unterschied im Vergleich zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen im deutschen Verfassungsrecht hinzuweisen: Anders als das deutsche Bundesverfassungsgericht165 verneint der EuGH die Verhältnismäßigkeit nationaler Beschränkungen schon dann, wenn das angestrebte Ziel durch ein milderes Mittel überhaupt verwirklicht werden kann. Ob es durch das mildere Mittel auch gleichermaßen vollständig und effektiv verwirklicht werden kann, ist nicht entscheidend.166 Die Erforderlichkeit entfällt vielmehr schon dann, wenn 162 Hellwig/Behme, AG 2009, 261 (265); Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 12 EG Rn. 3. 163 Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (609); krit. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 147. 164 Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (174); zust. Paefgen, ZIP 2004, 2253 (2257); vgl. für die Warenverkehrsfreiheit auch Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S. 428. 165 Siehe nur BVerfG, Beschluss vom 18. 12. 1968, 1 BvL 5, 14/64 u. 5, 11, 12/65, BVerfGE 25, 1 (20); BVerfG, Beschluss vom 16. 3. 1971, 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292 (319); BVerfG, Beschluss vom 14. 11. 1989, 1 BvL 14/85, 1 BvR 1276/84, BVerfGE 81, 70 (90 f.); BVerfG, Beschluss vom 5. 2. 2002, 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17 (36); zur Prüfung der Erforderlichkeit im deutschen Verfassungsrecht siehe ausführlich Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1985, S. 66 f.; Sachs, in: ders. (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 152 m. w. N. 166 Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459, Rn. 37; Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 63.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
durch das mildere Mittel zwar ein geringeres Schutzniveau erreicht wird, dafür aber die Ausübung der Niederlassungsfreiheit in geringerem Maße beeinträchtigt wird. Dieses Verständnis der Erforderlichkeit verlangt freilich schon auf dieser Ebene eine Abwägung aller betroffenen Rechtsgüter und Interessen. Die Bedeutung der beschränkenden Maßnahme für die Verwirklichung des angestrebten Ziels im Einzelfall muss in einem angemessenen Verhältnis zu der damit verbundenen Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit stehen. Erfolgt damit bereits auf der Ebene der Erforderlichkeit eine Abwägung der nationalen Regelungsbedürfnisse mit der unionsrechtlichen Zielvorstellung des Binnenmarkts,167 wird die der deutschen Verfassungsrechtsdogmatik geläufige eigenständige Prüfung der „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne“ oder „Angemessenheit“ obsolet.168 Folgerichtig wird diese vom EuGH auch nicht gesondert geprüft.169
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung Wenn im Folgenden vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zum nationalen Kollisions- und Sachrecht und zur Niederlassungsfreiheit die Rechtssprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Gesellschaften analysiert wird, ist zwischen Entscheidungen zum rechtsformwahrenden Wegzug (unter I.) und zum rechtsformwahrenden Zuzug (unter II.) zu differenzieren. Bei jeder Entscheidung ist zunächst zu untersuchen, ob die zugrunde liegende mitgliedstaatliche Beschränkung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung vom Kollisionsrecht oder vom materiellen Gesellschaftsrecht des betreffenden Mitgliedstaates ausging.
I. Zum rechtsformwahrenden Wegzug: Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus Mit dem rechtsformwahrenden Wegzug von Gesellschaften hatte sich der EuGH bislang dreimal zu befassen: Erstmals in der Entscheidung Daily Mail vom 27. September 1988 und dann erst wieder gut 20 Jahre später in den Ent167 Vgl.
Everling, GS Knobbe-Keuk, S. 607 (614). Snell, EBLR 2000, 50 (53); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 150 f.; Ueda, EBLR 2003, 557 (591); siehe zur Bedeutung der Angemessenheitsprüfung bei Unterlassungen aber Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl 2012, Rn. 599. 169 Kritischer Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 147 f. 168 Vgl.
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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scheidungen Cartesio vom 16. Dezember 2008 und National Grid Indus vom 29. November 2011.
1. Daily Mail a) Sachverhalt und Vorlagefrage Der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Daily Mail170 lag ein Rechtsstreit zwischen der britischen Daily Mail and General Trust PLC und dem britischen Finanzministerium zugrunde. Die Gesellschaft hatte 1984 beim Finanzministerium die nach britischem Recht erforderliche Zustimmung zur Verlegung des Sitzes ihrer Geschäftsleitung – also ihres Verwaltungssitzes – in die Niederlande beantragt. Die beabsichtigte Verlegung des Verwaltungssitzes war in erster Linie durch steuerliche Erwägungen motiviert: Nach Errichtung des steuerlichen Sitzes in den Niederlanden wollte die Gesellschaft einen erheblichen Teil der Wertpapiere ihres Finanzanlagevermögens verkaufen, ohne hierfür die Steuern entrichten zu müssen, die nach britischem Steuerrecht insbesondere angesichts des erheblichen Wertzuwachses dieser Papiere auf den Veräußerungsgewinn zu zahlen gewesen wären. Das Finanzministerium verweigerte daher die beantragte Zustimmung. Nachdem Daily Mail 1986 Klage zum High Court of Justice erhoben hatte, legte dieser dem EuGH die Frage vor, ob die Niederlassungsfreiheit es den Mitgliedstaaten verwehrt, einer juristischen Person die Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat ohne vorherige Zustimmung zu verbieten, wenn – verkürzt formuliert – die Verlegung des Verwaltungssitzes der Gesellschaft zu einer Verminderung von Steuereinnahmen führt.
aa) Kollisionsrechtliche Ebene Großbritannien folgt kollisionsrechtlich seit jeher der Gründungstheorie.171 Die Verlegung des Verwaltungssitzes einer nach britischem Recht gegründeten Gesellschaft in die Niederlande hat damit nach britischem Internationalen Gesellschaftsrecht keinen Statutenwechsel zur Folge. Die Frage nach der Zulässigkeit und den Voraussetzungen der von Daily Mail angestrebten rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes waren aus der Perspektive Großbritanniens ausschließlich nach britischem Sachrecht zu beurteilen.
170 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483; dazu Behrens, IPRax 1989, 354; Ebke/Gockel, The International Lawyer 24 (1990), 239; Großfeld/Luttermann, JZ 1989, 386; Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249. 171 Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 360.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
bb) Sachrechtliche Ebene Auf der Ebene des britischen Sachrechts ergab sich der Zustimmungsvorbehalt aus einer Vorschrift des Steuerrechts (Section 482 (1) (a) des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes von 1970). Danach war es den Gesellschaften mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Königreich verboten, diesen Sitz ohne Zustimmung des Finanzministeriums aufzugeben, d. h. in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Das Wegzugshindernis ergab sich somit nicht aus dem materiellen Gesellschaftsrecht, das eine rechtsformwahrende Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat ohne weiteres gestattete (Daily Mail Rn. 3), sondern aus dem Steuerrecht. Hierin besteht ein Unterschied zu den Sachverhalten, die den anderen Leitentscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften – Centros, Überseering, Inspire Art, Cartesio – zugrunde lagen: Dort ging es jeweils um eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das kollisionsrechtlich zur Anwendung berufene materielle Gesellschaftsrecht.
b) Würdigung durch den EuGH In den Entscheidungsgründen zu Daily Mail betont der EuGH zwar ausdrücklich, dass sich Gesellschaften auf die Niederlassungsfreiheit nicht nur gegenüber dem Aufnahmestaat, sondern auch gegenüber ihrem Herkunftsstaat berufen können. Könne der Herkunftsstaat Unternehmen verbieten, auszuwandern, um sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, wäre die Niederlassungsfreiheit sinnentleert (Daily Mail Rn. 16). Gleichwohl kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht verleiht, ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Er begründet dies im Wesentlichen mit dem spezifischen Charakter von Gesellschaften, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung gegründet werden und – so der EuGH – jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und Existenz regelt, keine Realität haben (Daily Mail Rn. 19).172 Gesellschaften sind mit anderen Worten „Geschöpfe des nationalen 172 Dieser Gedanke ist bedeutend älter als die Entscheidung Daily Mail. In einem Urteil der belgischen Cour de Cassation vom 8. 2. 1849 heißt es: „[…] la société anonyme, telle qu’elle existe en France […] est une érection de pur droit civil, un être fictif inconnu dans le droit des gens […]; qu’un tel être créé exclusivement par une loi étrangère, et n’existant que par elle, expire nécessairement là où finit l’empire de cette loi.“ In einer Entscheidung des American Supreme Court von 1839 findet sich derselbe Gedanke bereits zehn Jahre zuvor: „a corporation can have no legal existence out of the boundaries of the sovereignty by which it is created. It exists only in contemplation of law; and where that law ceases to operate, and is no longer obligatory, the corporation can have no existence.” Beide Entscheidungen
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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Rechts“. In der auf die Formulierung von „Theorien“ fokussierten deutschen Literatur wird diese Erkenntnis mit dem plakativen Begriff „Geschöpftheorie“ umschrieben.173 Der EuGH zieht daraus die Konsequenz, dass es jedem Mitgliedstaat freisteht, festzulegen, welche Art von Verknüpfung – Satzungssitz, Verwaltungssitz oder beide Sitze – eine Gesellschaft mit seinem Territorium aufweisen muss, um als Gesellschaft seines nationalen Rechts qualifiziert werden zu können. Den insoweit bestehenden Unterschieden im nationalen Recht der Mitgliedstaaten trage der EWG-Vertrag Rechnung, indem er in Art. 58 EWG (jetzt Art. 54 AEUV) den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung als Anknüpfung gleich achte. Zudem sei ein Abkommen nach Art. 220 EWG-Vertrag, wonach die Mitgliedstaaten, soweit erforderlich, Übereinkommen abschließen, um unter anderem die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen sicherzustellen, bislang nicht in Kraft getreten;174 auch beziehe sich keine der gem. Art. 54 Abs. 3 lit. g EWG-Vertrag (jetzt Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV) erlassenen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien auf die angeführten Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Dass das britische Steuerrecht eine Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat an die Zustimmung des britischen Finanzministeriums knüpfte, sah der EuGH demnach als mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar an.
2. Cartesio Aufgrund seiner Bedeutung für die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Wegzug bzw. Zuzug sowie aufgrund der zahlreichen Zweifelsfragen, die der Sachverhalt aufwirft und die bislang jedenfalls in der deutschsprachigen Literatur nicht hinreichend geklärt wurden, soll der Fall Cartesio175 ausführlicher behandelt werden. zitiert nach Timmermans, Neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG zum Europäischen Gesellschaftsrecht, 2003, S. 15; siehe ferner die Nachweise aus der US-amerikanischen Rechtsprechung bei Ebke, ZVglRWiss 110 (2011), 2 (9) und Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (520). 173 Siehe etwa Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481; Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (150); Kindler, NZG 2009, 130 (131); Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rn. 61 f. 174 Die Vorschrift wurde mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 aufgehoben. 175 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641; siehe dazu Barthel, EWS 2010, 316; Behme/Nohlen, BB 2009, 13; Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020; Eckert, GesRZ 2009, 139; Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154; Johnston/Syrpis, Eur. L. Rev. 34 (2009), 378 (386); Kindler, NZG 2009, 130; Knop, DZWIR 2009, 147; Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58; Mörsdorf, EuZW 2009, 97; Paefgen, WM 2009, 529; Ratka/Rauter, wbl 2009, 62; Sethe/Winzer, WM 2009, 536; Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703; Teichmann, ZIP 2009,
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a) Sachverhalt und Vorlagefrage Bei der Cartesio Oktató és Szolgátató bt handelt es sich um eine am 11. Juni 2004 in das Handelsregister eingetragene betéti társaság (Kommanditgesellschaft) ungarischen Rechts. Komplementär und Kommanditist der Gesellschaft sind ungarische Staatsbürger. Am 11. November 2005 stellte Cartesio bei dem als Handelsregistergericht zuständigen Bezirksgericht Bács-Kiskun den Antrag, die Verlegung ihres Sitzes176 nach Gallarate (Italien) zu bestätigen und die Sitzangabe im Handelsregister entsprechend zu ändern. Mit Entscheidung vom 24. Januar 2006 wurde der Antrag von Cartesio auf Eintragung der Sitzverlegung mit der Begründung abgelehnt, dass eine in Ungarn gegründete Gesellschaft nach geltendem ungarischen Recht ihren Sitz nicht unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts ins Ausland verlegen könne. Gegen diese Entscheidung hat Cartesio Berufung beim Regionalgericht Szeged eingelegt, das dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EG) – neben hier nicht weiter relevanten prozessualen Fragen177 – die Frage vorgelegt hat, ob die Art. 43, 48 EG (jetzt: Art. 49, 54 AEUV) so auszulegen sind, dass sie der Anwendung der entsprechenden Bestimmungen des ungarischen Rechts entgegenstehen. Seine besondere Note hat der Fall dadurch, dass die Gesellschaft durch einen ungarischen Rechtswissenschaftler namens Peter Metzinger gegründet worden war,178 der sich mit der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften wissenschaftlich befasst und durch Publikationen auf diesem Gebiet hervorgetreten ist.179 Es kann also davon ausgegangen werden, dass es sich um eine zumindest auch von wissenschaftlichem Interesse getragene und initiierte Vorlage an den EuGH gehandelt hat und die Begründung der Sitzverlegung mit den „Marktverhältnissen“ nur vorgeschoben war.180 Darüber, ob bereits die Gründung der Gesellschaft im Hinblick auf die nur gut ein Jahr später beantragte Sitzverlegung erfolgte, kann nur spekuliert werden. Dies wäre jedenfalls ein möglicher Grund dafür, warum Cartesio in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft gegründet wurde: Die Gründung einer Kommanditgesellschaft ist wesentlich kostengünstiger als die Gründung einer GmbH, deren Stammkapital nach 393; Wansleben, StudZR 2009, 365; Wilhelmi, JZ 2009, 411; Wisniewski/Opalski, EBOR 10 (2009), 595; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545. 176 Siehe zum Begriff des Sitzes (székhely) nach dem in casu maßgeblichen ungarischen Recht sogleich S. 48 f. 177 Dazu Epiney, NVwZ 2009, 949 (953); Goette, DStR 2009, 128; Schmidt-Kessel, GPR 2009, 26 (29 f.). 178 Vgl. die vor den eigentlichen Entscheidungsgründen abgedruckten Angaben zu den Vertretungsverhältnissen. 179 Metzinger, Európai jog 2008, 21; vgl. auch die Anmerkungen zur Cartesio-Entscheidung von Metzinger, Európai jog 2009, 8 sowie Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125. 180 Vgl. Búrian, in: Heun/Lipp (Hrsg.): Europäisierung des Rechts, 2008, S. 95 (S. 103 f.) m. w. N.; Kuipers, EJLS 2009, 66 (72).
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ungarischem Recht mindestens 3 Mio. Forint (ca. 12.000 EUR) betragen muss. Cartesio ist die einzige Entscheidung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften, die von der Sitzverlegung einer Personengesellschaft handelt. Da jedoch nach Art. 54 Abs. 2 AEUV Gesellschaften unabhängig von ihrer Rechtsform Träger der Niederlassungsfreiheit sind, ist die Entscheidung paradigmatisch für alle Gesellschaftsformen der Mitgliedstaaten.181
aa) Kollisionsrechtliche Ebene Nach welchem nationalen materiellen Gesellschaftsrecht die Sitzverlegung von Cartesio zu beurteilen war, richtet sich nach dem ungarischen Kollisionsrecht. Auf den ersten Blick scheint dieses der Sitztheorie zu folgen: Nach Art. 1 Abs. 1 des ungarischen Gesetzes CXLIV/1997 über die Handelsgesellschaften bzw. der inhaltsgleichen Nachfolgeregelung in § 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. IV/2006 über die Wirtschaftsgesellschaften finden die jeweiligen Gesetze (nur) Anwendung auf Gesellschaften mit Sitz in Ungarn. Bei dieser Vorschrift soll es sich jedoch um eine Vorschrift des materiellen ungarischen Gesellschaftsrechts ohne kollisionsrechtlichen Gehalt handeln, die in der Praxis zudem keine große Rolle spielt.182 Das ungarische Internationale Gesellschaftsrecht ist in Art. 18 des Gesetzesdekrets Nr. 13/1979 über das Internationale Privatrecht geregelt. Art. 18 Abs. 2 bestimmt, dass das Personalstatut der juristischen Personen das Recht desjenigen Staates ist, in dem sie eingetragen sind. Da der Staat, in dem eine Gesellschaft eingetragen ist, regelmäßig mit dem Staat identisch ist, nach dessen Recht sie gegründet wurde, folgt das ungarische Gesellschaftskollisionsrecht somit der Gründungstheorie.183 Die Sitztheorie kommt gem. Art. 18 Abs. 3 lediglich hilfsweise zur Anwendung, wenn eine Eintragung nach dem Recht mehrerer Staaten erfolgt oder nach den Vorschriften des Staates, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat, nicht erforderlich ist. Diese Ausnahmen waren in Bezug auf Cartesio beide nicht einschlägig. Die Geltung der Gründungstheorie betrifft nach dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 2 allerdings nur juristische Personen. Bei Cartesio handelte es sich dagegen um eine Kommanditgesellschaft, die nach ungarischem Recht keine 181 Ähnlich Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (253); zweifelnd Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (59), denen zufolge die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit nur für Körperschaften gilt, die aber für eine international-privatrechtliche Qualifizierung der KG als Körperschaft plädieren. 182 Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (143), Fußn. 52. 183 Ausführlich Búrian, in: Heun/Lipp (Hrsg.): Europäisierung des Rechts, 2008, S. 95 (S. 96); Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (143); zutreffend auch Adensamer/Eckert, GeS 2004, 52 (56 f.); Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (755); Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 509; Knop, DZWIR 2009, 147 (148); vor Geltung des Gesetzesdekrets Nr. 13/1979 bereits Réczei, Internationales Privatrecht, 1960, S. 178 f.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
eigene Rechtspersönlichkeit hat.184 Die Anknüpfung an den Registrierungsort ist jedoch unbestritten auch für sonstige nach ungarischem Recht gegründete Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit maßgeblich.185 Cartesio war als Kommanditgesellschaft im ungarischen Handelsregister eingetragen; Personalstatut war damit das ungarische Recht. Die Unzulässigkeit der Verwaltungssitzverlegung von Cartesio ergab sich also nicht, wie vielfach behauptet, aus einer vermeintlichen Geltung der Sitztheorie im ungarischen Internationalen Gesellschaftsrecht,186 sondern unmittelbar aus dem ungarischen materiellen Gesellschaftsrecht.187
bb) Sachrechtliche Ebene Die für die beantragte Eintragung der Sitzverlegung von Cartesio maßgebliche Frage war somit, ob das ungarische materielle Gesellschaftsrecht die Verlegung des Sitzes einer ungarischen Kommanditgesellschaft ins Ausland gestattet. Das ungarische materielle Gesellschaftsrecht bezeichnet den Sitz von Gesellschaften mit dem Begriff székhely. Es handelt sich dabei um einen einheitlichen Sitzbegriff, der sich auf den Satzungssitz und auf den Verwaltungssitz ungarischer Gesellschaften bezieht; die geläufige terminologische und inhaltliche Differenzierung zwischen dem Verwaltungssitz und dem Satzungssitz ist dem ungarischen Recht fremd.188 Art. 16 Abs. 1 des ungarischen Handelsregistergesetzes definiert den Sitz (székhely) der Gesellschaft als den 184
Brunner, Einführung in das ungarische Wirtschaftsrecht, 1991, S. 25 f. ausdrücklich Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (143): „The Nmjt. sets out the rules for determing the applicable law to legal persons, including companies.” (Hervorhebung durch den Verf.). 186 Von der Geltung der Sitztheorie gehen unzutreffend aus: Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1021); Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493; Paefgen, WM 2009, 529; Sethe/ Winzer, WM 2009, 536 (538); Teichmann, ZIP 2009, 393 und sogar Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498 (Rn. 23). Die Ursache dieses Missverständnisses liegt wohl darin, dass das Bezirksgericht die beantragte Eintragung der Sitzverlegung mit der Begründung abgelehnt hat, dass eine in Ungarn gegründete Gesellschaft nach geltendem ungarischen Recht ihren Sitz nicht unter Beibehaltung des ungarischen Personalstatuts ins Ausland verlegen könne (Cartesio Rn. 24). 187 Daran ändert sich auch nichts, wenn man mit Gyulai-Schmidt, Harmonisierung des ungarischen Gesellschaftsrechts mit dem Recht der Europäischen Union, 2004, S. 162 f. davon ausgeht, die Gründungstheorie nach Art. 18 Abs. 2 gelte nur für Gesellschaften, die ihren Hauptverwaltungssitz außerhalb Ungarns haben; für Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz bzw. ihren tatsächlichen Hauptverwaltungssitz in Ungarn haben, ordne Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes CXLIV/1997 über die Handelsgesellschaften dagegen die Geltung der Sitztheorie an. Auch nach dieser Auffassung würde auf eine nach ungarischem Recht gegründete ungarische Gesellschaft weiterhin das ungarische materielle Gesellschaftsrecht Anwendung finden, unabhängig davon, in welchem Staat sich ihr Verwaltungssitz befindet. Ein Unterschied zur hier vertretenen Auffassung ergibt sich dagegen in Zuzugskonstellationen, da nach Gyulai-Schmidt jede Gesellschaft mit (Verwaltungs-)Sitz in Ungarn als ungarische Gesellschaft gilt. 188 Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (135). 185 So
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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Ort, an dem sich die Hauptverwaltung befindet. Gemäß Art. 11 des ungarischen Gesetzes CXLIV/1997 über die Handelsgesellschaften muss der Gesellschaftsvertrag bzw. die Satzung den Sitz (székhely) der Handelsgesellschaft enthalten. Aus dem Zusammenwirken dieser Vorschriften ergibt sich, dass nach den im Zeitpunkt der Sitzverlegung von Cartesio gültigen189 Vorschriften des ungarischen Sachrechts der in der Satzung benannte Sitz (székhely) und der Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft einander zu entsprechen hatten. Diese Rechtslage entsprach insoweit der für deutsche Kapitalgesellschaften maßgeblichen Regelung vor Inkrafttreten des MoMiG (§§ 4 a GmbHG, 5 AktG a. F.). Dass der Sitz (székhely) einer ungarischen Gesellschaft in Ungarn liegen muss, ergab sich aus Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes CXLIV/1997 über die Handelsgesellschaften, wonach dieses „die Gründung, die Verfassung und den Betrieb der Handelsgesellschaften mit Sitz in Ungarn“ regelt. Damit war Cartesio eine Verlegung ihres Sitzes nach Italien unter Beibehaltung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft ungarischen Rechts nicht möglich.190 Rechtskonstruktiv wäre für eine Sitzverlegung erforderlich gewesen, dass die Gesellschaft zunächst nach ungarischem Recht zu bestehen aufhört und dann nach italienischem Recht neu gegründet wird.191 Die deutsche Literatur zu Cartesio geht üblicherweise davon aus, dass Cartesio lediglich ihren Verwaltungssitz nach Italien verlegen wollte.192 Die isolierte Verlegung des Verwaltungssitzes (d. h. ohne gleichzeitige Verlegung des Satzungssitzes) ist jedoch ein rein faktischer Vorgang, der allenfalls dann zum Gegenstand eines Rechtsstreits wird, wenn im Rahmen eines Zivilprozesses die Parteifähigkeit einer Gesellschaft unter Verweis auf den im Ausland belegenen Verwaltungssitz bestritten wird, wie etwa im Falle Überseering,193 oder die Verlegung des Verwaltungssitzes zu internen Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft führt. Darum ging es in casu aber nicht. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war vielmehr ein registerrechtliches Verfahren: Cartesio hatte die 189 Im Herbst 2007 hat der ungarische Gesetzgeber offenbar in Kenntnis der deutschen MoMiG-Entwürfe im Eilverfahren einen neuen § 7/B in das Gesetz Nr. V/2006 über die Wirtschaftsgesellschaften eingefügt: „Die nach diesem Gesetz eingetragene Firma ist auch in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union berechtigt, ihre primäre Tätigkeit auszuüben bzw. den Ort ihrer primären Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat der EU zu verlegen. Die diesbezügliche Entscheidung der Firma bedarf [...] keiner Modifikation der sich auf den Verwaltungssitz beziehenden Eintragung.“ 190 Ausführlich zur seinerzeit gültigen ungarischen Rechtslage Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (141 ff.); vgl. auch Knop, DZWIR 2009, 147 (148), der formal mit der fehlenden Zuständigkeit eines inländischen Registergerichts bei ausländischem Hauptverwaltungssitz argumentiert. 191 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 103. 192 Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (755); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (98); Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (261); Paefgen, WM 2009, 529; Teichmann, ZIP 2009, 393. 193 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Eintragung der Verlegung ihres Sitzes nach Italien in das ungarische Handelsregister beantragt. Eine Verlegung des Sitzes innerhalb Ungarns ist nach Art. 34 Abs. 1 des ungarischen Handelsregistergesetzes ohne weiteres möglich. Erforderlich hierfür ist die Eintragung der Sitzverlegung bei dem Gericht, das für den Ort des früheren Sitzes zuständig ist. Gegenstand des Sitzverlegungsverfahrens nach Art. 34 Abs. 1 Handelsregistergesetz ist nicht der Verwaltungssitz der Gesellschaft, sondern der székhely, mithin der einheitliche Satzungs- und Verwaltungssitz. Die Tatsache, dass Cartesio ein solches Verfahren eingeleitet hat, lässt sich nur dadurch erklären, dass es nicht – wie zumeist behauptet194 – lediglich um eine isolierte Verlegung der Hauptverwaltung ging, sondern um die Verlegung des székhely ins Ausland unter Wahrung der Eigenschaft von Cartesio als Gesellschaft ungarischen Rechts.195 Die Eintragung dieser beabsichtigten Verlegung des Sitzes ins Ausland in das Handelsregister wurde jedoch abgelehnt, da die Eigenschaft als Gesellschaft ungarischen Rechts voraussetzt, dass sich der Sitz in Ungarn befindet (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. IV/2006 über die Wirtschaftsgesellschaften). Das führt zu der Frage, warum Cartesio die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft nach Italien im Wege eines förmlichen Sitzverlegungsverfahrens angestrebt und nicht einfach faktisch ihre Hauptverwaltung nach Italien verlegt hat (was in Ungarn kaum bemerkt worden wäre). Da Ungarn der Gründungstheorie folgt, hätte die Gesellschaft – so lange sie in Ungarn eingetragen ist – weiterhin ungarischem Recht unterlegen. Gleichzeitig wäre aber das ungarische Gesetz über Handelsgesellschaften nicht mehr anwendbar gewesen. Dieser Widerspruch zwischen kollisions- und sachrechtlicher Regelung – die Gesellschaft unterliegt ungarischem Recht, ist aber dort nicht gesetzlich geregelt – erweist sich für betroffene Gesellschaften als nur schwer erträglich. Der entscheidende Grund für das förmliche Verfahren dürfte jedoch ein anderer gewesen sein: Nur durch die Beantragung der Eintragung kam es zu einem Rechtsstreit vor den ungarischen Gerichten, der die Möglichkeit eröffnete, die Frage der Vereinbarkeit der ungarischen Rechtslage – Sitzverlegung nur innerhalb Ungarns, aber nicht über die Grenze – mit der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens durch den EuGH klären zu lassen. Die von den Gesellschaftern beabsichtigte Provokation einer zeitnahen Vorlage an den EuGH wäre durch eine bloße faktische Verlegung der Hauptverwaltung nach Italien, die niemand bemerkt hätte, nicht möglich gewesen.
194 Siehe nur Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (755), die dies sogar annehmen, obwohl ihnen die Bedeutung des Begriffs „székhely“ bewusst ist. 195 Wie hier Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (141).
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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b) Würdigung durch den EuGH – Cartesio als Präzisierung und Fortentwicklung von Daily Mail Nach Ansicht des EuGH steht die Niederlassungsfreiheit den Vorschriften des ungarischen materiellen Gesellschaftsrechts, die einen rechtsformwahrenden Wegzug von Cartesio nach Italien verhinderten, nicht entgegen. Zunächst referiert der EuGH ausführlich seine Erwägungen in Daily Mail und bestätigt die in Daily Mail getroffene Aussage, dass eine Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und Existenz regelt, keine Realität hat. Die Cartesio-Entscheidung stellt jedoch nicht nur eine Bestätigung, sondern auch eine Präzisierung und Fortentwicklung von Daily Mail dar.196 In Rn. 109 und 110 führt der EuGH aus, dass eine einheitliche unionsrechtliche Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugute kommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, nicht existiert. Aus diesem Grunde, so der EuGH, ist die Frage, ob sich eine Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem geltenden nationalen Recht beantwortet werden kann. Nur eine Gesellschaft, die nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates existiert, kann sich also auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Erst wenn diese Vorfrage nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates bejaht wurde, kann sich die Frage stellen, ob sich diese Gesellschaft einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegenübersieht. Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten sowohl die Anknüpfung bestimmen können, die für die Gründung einer Gesellschaft nach ihrem nationalen Recht verlangt wird, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft erforderlich ist.197 Die Mitgliedstaaten müssen es einer nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft daher nicht gestatten, ihre Eigenschaft als Gesellschaft ihres nationalen Rechts und damit ihre ursprüngliche Rechtsform, zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Herkunftsstaates vorsieht. Die Mitgliedstaaten können die Lösung der Anknüpfung vielmehr mit Auflösung und Liquidation der Gesellschaft sanktionieren, ohne dass diese Sanktion am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen ist. Wo der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit – weil es sich um eine
196 Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (156); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547). 197 Kritisch demgegenüber Knop, DZWIR 2009, 147 (150); Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (716) unter Verweis auf den Wortlaut des Art. 54 AEUV, der nur auf die Gründung, nicht aber auf die Existenz der Gesellschaften nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates abstellt; zustimmend Barthel, EWS 2010, 316 (322).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Vorfrage handelt – überhaupt nicht eröffnet ist, kann keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angenommen werden.198 Es folgen die Ausführungen des EuGH, wonach der rechtsformwechselnde Wegzug – anders als der von Cartesio angestrebte rechtsformwahrende Wegzug – von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. Darauf ist im dritten Kapitel der Arbeit zurückzukommen.199 Abschließend setzt sich der EuGH noch mit dem Vortrag der Kommission auseinander, die Vorschriften der EWIV-Verordnung200 und der SE-Verordnung201, die eine Verlegung des Sitzes ohne vorherige Auflösung und Neugründung im Aufnahmestaat ermöglichen, müssten entsprechende Anwendung auf die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft finden. Zutreffend weist der EuGH darauf hin, dass sowohl die Sitzverlegung einer SE als auch die Sitzverlegung einer EWIV zwangsläufig eine Änderung des auf die betreffende Einheit anwendbaren nationalen Rechts mit sich bringt. Für die SE folgt dies aus Art. 9 Abs. 1 lit. c Ziff. ii SE-Verordnung, wonach auf die SE subsidiär die Rechtsvorschriften Anwendung finden, die auf eine nach dem nationalen Recht des Sitzstaates der SE gegründete Aktiengesellschaft Anwendung finden würden. Die Sitzverlegung der SE ist also – überspitzt formuliert – mit Blick auf das subsidiär anwendbare nationale Aktienrecht einem rechtsformwechselnden Wegzug vergleichbar, während es in Cartesio um die der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte Frage der Zulässigkeit eines rechtsformwahrenden Wegzugs nach ungarischem Recht ging (Cartesio Rn. 119).
3. National Grid Indus a) Sachverhalt und Vorlagefrage Den vorläufigen Schlusspunkt der Entscheidungen des EuGH zum rechtsformwahrenden Wegzug von Gesellschaften markiert die Rechtssache National Grid Indus,202 der ein Rechtsstreit zwischen der niederländischen National Grid Indus BV und dem Inspecteur van de Belastingdienst Rijnmond/kantoor Rotterdam zugrunde lag. Bei der National Grid Indus BV handelt es sich um eine nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaft beschränkter Haftung. Seit 198 Diese Argumentation findet sich bereits in einer Publikation des Berichterstatters in Cartesio aus dem Jahre 2003, siehe Timmermans, Neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG zum Europäischen Gesellschaftsrecht, 2003, S. 17. 199 Siehe unten S. 130 ff. 200 Verordnung (EWG) Nr. 85/2137 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV). 201 Verordnung (EWG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE). 202 EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I – 12273; dazu Hahn, BB 2012, 681; Kessler/Philipp, DStR 2012, 267; Körner, IStR 2012, 1; Mitschke, IStR 2012, 6; Schall/Barth, NZG 2012, 414.
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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dem 10. Juni 1996 war sie Inhaberin einer Forderung in Höhe von 33.113.000 GBP gegen die National Grid Company plc mit Sitz im Vereinigten Königreich. Da seit dem Entstehen der Forderung der Kurs des Pfund Sterling gegenüber dem niederländischen Gulden gestiegen war, war bei dieser Forderung ein nicht realisierter Kursgewinn entstanden. Am 15. 12. 2000 verlegte die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in das Vereinigte Königreich. Der Inspecteur entschied daraufhin, dass sie den erzielten Kursgewinn versteuern müsse. Daraufhin erhob die National Grid Indus BV Klage vor der Rechtbank Haarlem, welche die Entscheidung des Inspecteur bestätigte. Gegen diese Entscheidung legte die National Grid Indus BV ein Rechtsmittel vor dem Gerechtshof Amsterdam ein. Dieser legte dem EuGH die Frage vor, ob sich eine Gesellschaft nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts gegenüber ihrem Herkunftsstaat auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, wenn dieser ihr anlässlich der Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat eine Schlussrechnungssteuer auferlegt, und – bejahendenfalls – ob eine solche Besteuerung gegen die Niederlassungsfreiheit in dem Sinne verstößt, dass sie nicht durch die Notwendigkeit einer Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt werden kann.
aa) Kollisionsrechtliche Ebene Die Niederlande folgen kollisionsrechtlich ebenso wie Großbritannien der Gründungstheorie.203 Die Verlegung des Verwaltungssitzes einer nach niederländischem Recht gegründeten Gesellschaft in das Vereinigte Königreich hat damit nach dem niederländischen Internationalen Gesellschaftsrecht keinen Statutenwechsel zur Folge. Die Frage nach der Zulässigkeit und den Voraussetzungen der von National Grid Indus bezweckten rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes waren aus der Perspektive der Niederlande ausschließlich nach niederländischem Sachrecht zu beurteilen.
bb) Sachrechtliche Ebene Nach einem zwischen den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung im Bereich der Einkommen- und Vermögensteuer hatte die National Grid Indus BV mit der Verlegung ihres Verwaltungssitzes in das Vereinigte Königreich aufgehört, in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne zu erzielen; von diesem Zeitpunkt an wurde die Gesellschaft im Vereinigten Königreich steuerpflichtig. Art. 16 des niederländischen Einkommensteuergesetzes (Wet op de inkomstenbelasting von 1964) 203
Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 360.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
sah für diesen Fall vor, dass bislang nicht realisierte Gewinne dem Jahr zugerechnet werden, in dem die Steuerpflicht in den Niederlanden endet. Diese Vorschrift fand gem. Art. 8 des niederländische Körperschaftsteuergesetzes (Wet op de vennootschapsbelasting von 1969) auf die Erhebung der Körperschaftsteuer entsprechende Anwendung. Aufgrund der Anwendung dieser Vorschriften hatte die National Grid Indus BV folglich anlässlich ihres Wegzugs die aufgrund der Kurssteigerung erzielten stillen Reserven in den Niederlanden zu versteuern. Die Beschränkung des Wegzugs ergab sich folglich nicht aus dem niederländischen materiellen Gesellschaftsrecht, das eine rechtsformwahrende Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat ohne weiteres gestattete (National Grid Indus Rn. 32), sondern aus den genannten Bestimmungen des niederländischen Steuerrechts. Insoweit ähnelt der Sachverhalt jenem, der dem Verfahren Daily Mail zugrunde lag, wohingegen es in Centros, Überseering, Inspire Art und Cartesio jeweils um die Frage einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das kollisionsrechtlich zur Anwendung berufene materielle Gesellschaftsrecht ging.
b) Würdigung durch den EuGH Den gedanklichen Ausgangspunkt des EuGH für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage bilden die Erwägungen des Gerichtshofs in Daily Mail und Cartesio, wonach die Frage, ob sich eine Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, eine Vorfrage ist, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem geltenden nationalen Recht beantwortet werden kann. Dazu stellt der EuGH fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung sich darauf beschränke, steuerliche Folgen an eine grenzüberschreitende Sitzverlegung zu knüpfen; dagegen sei die Eigenschaft von National Grid Indus als Gesellschaft nach niederländischem Recht durch die Sitzverlegung nicht berührt worden (National Grid Indus Rn. 31). Daher habe diese Sitzverlegung keine Auswirkungen auf die Befugnis der Gesellschaft, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen (National Grid Indus Rn. 32).204 Relativ knapp führt der EuGH sodann aus, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, da die Gesellschaft durch die Wegzugsbesteuerung gegenüber einer vergleichbaren Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in den Niederlanden belässt, einen Liquiditätsnachteil erleidet. Diese unterschiedliche Behandlung könne eine Gesellschaft nach niederländischem Recht davon abhalten, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen (National Grid Indus Rn. 37). Der Schwerpunkt der Argumentation 204 Der EuGH geht nicht darauf ein, dass er mit dieser Begründung von der Entscheidung Daily Mail abweicht, in der er die Überprüfbarkeit einer steuerrechtlichen Wegzugsbeschränkung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit noch verneint hatte. Siehe zum Verhältnis von Daily Mail und National Grid Indus ausführlich unten S. 238 ff.
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des EuGH liegt sodann auf der Rechtfertigung der festgestellten Beschränkung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Dabei rekurriert er auf den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten205 Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten; zudem weist er darauf hin, dass in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten befugt bleiben, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (National Grid Indus Rn. 45). Bei der Prüfung, ob die Regelungen des niederländischen Steuerrechts verhältnismäßig sind, ist nach Auffassung des EuGH sodann zwischen der Festsetzung des Steuerbetrags und der Einziehung desselben anlässlich des Wegzugs zu unterscheiden (National Grid Indus Rn. 51). Die sofortige Festsetzung des Steuerbetrags sei auch dann verhältnismäßig, wenn dadurch Wertminderungen, die erst nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat eintreten, im Herkunftsstaat nicht berücksichtigt werden; eine solche Wertminderung werde vielmehr grundsätzlich durch den Aufnahmestaat im Zeitpunkt der Realisierung der Vermögenswerte der Gesellschaft erfolgen (National Grid Indus Rn. 54 ff.). Anders verhalte es sich mit der sofortigen Einziehung des Steuerbetrags. Zunächst setzt sich der EuGH mit dem Vorschlag von National Grid Indus und der Kommission auseinander, den festgesetzten Steuerbetrag erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung des Wertzuwachses einzuziehen. Eine solche aufgeschobene Steuereinziehung könne die Liquiditätsprobleme vermeiden, zu denen die sofortige Einziehung der Steuer führe; sie bringe jedoch einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand mit sich, da die Gesellschaft in diesem Falle einen regelmäßigen Nachweis über das Schicksal sämtlicher verlegter Vermögenswerte erbringen müsse. Dieser Verwaltungsaufwand könne im Einzelfall die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft ebenso beschränken wie der Liquiditätsverlust infolge einer sofortigen Steuereinziehung (National Grid Indus Rn. 70 f.). Als milderes Mittel komme aber, so der EuGH, eine Regelung in Betracht, die der Gesellschaft die Wahl lässt zwischen einerseits der sofortigen Zahlung des Steuerbetrags, was zu einem Liquiditätsnachteil führt, die Gesellschaft aber von späterem Verwaltungsaufwand befreit, und andererseits einer Aufschiebung der Zahlung dieses Steuerbetrags, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der geltenden nationalen Regelung, was für die betreffende Gesellschaft notwendigerweise einen Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Nachverfolgung des verlegten Vermögens mit sich bringt, dafür aber einen Liquiditätsnachteil vermeidet (National Grid Indus Rn. 73). Eine Regelung, die zwangsläufig die sofortige Einziehung des festgesetzten 205 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-446/03 (Marks & Spencer), Slg. 2005, I – 10837, Rn. 45; EuGH, Urteil vom 7. 9. 2006, Rs. C-470/04 (N), Slg. 2006, I – 7409, Rn. 42.
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Steuerbetrags im Zeitpunkt der Verwaltungssitzverlegung vorschreibt, sei daher unverhältnismäßig.
II. Zum rechtsformwahrenden Zuzug: Centros, Überseering und Inspire Art Der EuGH hatte innerhalb einer bemerkenswert kurzen Zeitdauer von weniger als fünf Jahren über drei Fälle zu entscheiden, in denen sich eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründet worden war, unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hatte und sich dabei rechtlichen Maßnahmen des Aufnahmestaates ausgesetzt sah, die die von der Gesellschaft gewählte Form der Niederlassung regulierten oder gänzlich vereitelten. Diese Fälle führten zu der berühmten Entscheidungs-Trias von Centros, Überseering und Inspire Art. Anders als in den Wegzugsfällen Daily Mail und Cartesio ging der EuGH in allen drei Fällen davon aus, dass sich die Gesellschaft gegenüber den entsprechenden Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaates auf die Niederlassungsfreiheit berufen konnte, und nahm eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit an, die auch durch einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit im Einzelfall oder durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses unionsrechtlich nicht gerechtfertigt werden konnte.
1. Centros a) Sachverhalt und Vorlagefrage Im Fall Centros206 hatte ein dänisches Ehepaar in Großbritannien eine Briefkastenfirma britischen Rechts in der Rechtsform einer Private Limited Company gegründet. Eine Geschäftstätigkeit war von vornherein in Großbritannien nicht vorgesehen, sondern sollte allein über eine Zweigniederlassung der Centros Ltd. in Dänemark entfaltet werden. Auf diese Weise sollten die strengeren Mindestkapitalerfordernisse des dänischen Rechts umgangen werden. Aus diesem Grunde verweigerte die dänische Zentralverwaltung für Handel und Gesellschaften die Eintragung der Zweigniederlassung. Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Centros Ltd. Klage. Das Berufungsgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die Ablehnung der Eintragung einer Zweigniederlassung mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn die Zweigniederlassung im Aufnahmestaat in der Absicht errichtet wird, von dort aus die gesamte Geschäfts206 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459; dazu Behrens, IPRax 1999, 323; Ebke, JZ 1999, 656; ders., The American Journal of Comparative Law 48 (2001), 623; Forsthoff, EuR 2000, 167; Kieninger, ZGR 1999, 724; Kindler, NJW 1999, 1993; Roth, ZIP 1999, 861; Sandrock, BB 1999, 1337; Steindorff, JZ 1999, 1140; Werlauff, ZIP 1999, 867; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23.
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tätigkeit zu entfalten, und dieses Vorgehen statt der Errichtung einer Gesellschaft im Aufnahmestaat gewählt wurde, um die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals nach den Vorschriften des Aufnahmestaates zu vermeiden.
aa) Kollisionsrechtliche Ebene Ebenso wie Großbritannien folgt auch Dänemark kollisionsrechtlich der Gründungstheorie.207 Daher weist der EuGH zutreffend darauf hin, dass die Centros Ltd. auch nach dänischem Recht als britische Private Limited Company anzusehen war (Centros Rn. 4).
bb) Sachrechtliche Ebene Die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits maßgebliche Vorschrift war § 117 des dänischen GmbH-Gesetzes (Anpartsselskabslov), wonach Gesellschaften mit beschränkter Haftung und ausländische Gesellschaften gleicher Rechtsform, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften niedergelassen sind, in Dänemark über eine Zweigniederlassung tätig werden können. In casu wurde die Eintragung der Zweigniederlassung mit der Begründung abgelehnt, Centros beabsichtige in Wahrheit nicht die Errichtung einer Zweigniederlassung, sondern eines Hauptsitzes in Dänemark, um auf diese Weise die Vorschriften des dänischen materiellen Gesellschaftsrechts über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals von damals 200.000 Kronen zu umgehen.208
b) Würdigung durch den EuGH Der EuGH nahm eine Beschränkung der sekundären Niederlassungsfreiheit209 der Centros Ltd. an. Dass die Gesellschaft in Großbritannien nur zu dem Zweck gegründet wurde, das dänische Recht über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals zu umgehen, ändere nichts daran, dass die Gründung einer Zweigniederlassung in Dänemark durch diese britische Gesellschaft unter die Niederlassungsfreiheit falle. Die Verweigerung der Eintragung sei auch nicht unionsrechtlich gerechtfertigt. Zwar seien die Mitgliedstaaten grundsätzlich 207 Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (134); Ebke, JZ 1999, 656 (658); Kindler, NJW 1999, 1993 (1997); Werlauff, ZIP 1999, 867 (874); dies verkennen Sedemund/Hausmann, BB 1999, 810. 208 Das britische Gesellschaftsrecht schreibt ein gesetzliches Mindeststammkapital für die Limited nicht vor; sieht die Satzung ein freiwilliges Mindeststammkapital vor, muss dieses nicht sofort geleistet werden. Siehe näher Micheler, ZGR 2004, 324 (325 f.). 209 Ausführlich Ebke, The American Journal of Comparative Law 48 (2001), 623 (632 ff.); zur Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit siehe oben S. 27.
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berechtigt, Missbräuchen entgegenzutreten. Die Gründung einer Gesellschaft in einem Staat und die Errichtung einer Zweigniederlassung in einem anderen Staat stelle jedoch für sich allein210 keinen Missbrauch dar. Vielmehr folge das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaates zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, im Binnenmarkt unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit. Zwar erkennt der EuGH an, dass ein wirksamer Schutz der Gesellschaftsgläubiger zu den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses zählt, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich rechtfertigen können. Allerdings sei die Verweigerung der Eintragung schon keine geeignete Maßnahme des Gläubigerschutzes, da die Zweigniederlassung in Dänemark eingetragen worden wäre, wenn die Gesellschaft eine Geschäftstätigkeit nicht nur in Dänemark, sondern zusätzlich in Großbritannien ausgeübt hätte. In diesem Falle wären dänische Gläubiger jedoch ebenso gefährdet gewesen wie bei einer ausschließlichen Geschäftstätigkeit in Dänemark (Centros Rn. 35). Auch sei die Eintragungsverweigerung zur Verwirklichung des Gläubigerschutzes nicht erforderlich, da die potentiellen Gläubiger durch das Auftreten der Centros Ltd. als ausländische Gesellschaft hinreichend informiert seien (Centros Rn. 36).211 Zudem seien mildere Mittel denkbar; so könnten etwa Gläubiger rechtlich die Möglichkeit erhalten, sich Sicherheiten einräumen zu lassen (Centros Rn. 37).
2. Überseering a) Sachverhalt und Vorlagefrage Im Fall Überseering212 ging es um die Niederlassungsfreiheit der niederländischen Überseering BV, die 1990 ein Grundstück in Düsseldorf erworben hatte, auf dem sie Bauarbeiten durchführen ließ. Da das Bauunternehmen nicht ordnungsgemäß leistete, nahm Überseering Nachbesserungsarbeiten selbst vor und klagte in Deutschland auf Ersatz der Kosten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts213 hatte die Überseering BV dadurch, dass 1994 zwei in Düsseldorf wohnhafte deutsche Staatsangehörige sämtliche Anteile an der Gesellschaft erworben hatten, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Düsseldorf verlegt. Die Verlegung des Verwaltungssitzes einer im Ausland wirksam gegründeten Gesellschaft nach Deutschland führte nach deutschem Recht zum Verlust der Rechtsfähigkeit. Da nach § 50 der deutschen Zivilprozessordnung 210 Auf
die Betonung dieser Worte weist Ebke, JZ 1999, 656 (659) hin. Zum sog. „Informationsmodell“ des EuGH siehe ausführlich unten S. 64 f. und S. 199 f. 212 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919; dazu Ebke, JZ 2003, 927; Kindler, NJW 2003, 1073; Knapp, DNotZ 2003, 85; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925; Lutter, BB 2003, 7; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117; Schulz/Sester, EWS 2002, 545; Straube/Ratka, ÖZW 2003, 34; Zimmer, BB 2003, 1. 213 OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. 9. 1998, 5 U 1/98, JZ 2000, 203 mit Anm. Ebke. 211
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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parteifähig ist, wer rechtsfähig ist, war folglich auch die aktive214 Parteifähigkeit der Überseering B. V. zu verneinen. Der als Revisionsinstanz mit dem Fall befasste VII. Zivilsenat des BGH legte dem EuGH durch Beschluss vom 30. 3. 2000 zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor: Erstens die Frage, ob es im Widerspruch zur Niederlassungsfreiheit steht, wenn die Rechts- und Parteifähigkeit einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates beurteilt wird, und dies zur Folge hat, dass sie vertraglich begründete Ansprüche im Aufnahmestaat nicht mehr gerichtlich geltend machen kann. Zweitens – für den Fall, dass der EuGH die erste Frage bejahen sollte – die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit es gebietet, die Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilen.215
aa) Kollisionsrechtliche Ebene Das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht folgte zum damaligen Zeitpunkt noch einheitlich der Sitztheorie, ohne danach zu differenzieren, ob sich eine zugezogene Gesellschaft aufgrund der Zugehörigkeit ihres Herkunftsstaates zur Europäischen Union oder zum Europäischen Wirtschaftsraum auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann oder nicht.216 Die Rechts- und Parteifähigkeit der Überseering B. V. war damit nach dem Sachrecht zu beurteilen, das am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt. Da der BGH davon ausging, dass dieser nach Deutschland verlegt worden war, kam er folgerichtig zur Anwendung des deutschen materiellen Gesellschaftsrechts.
bb) Sachrechtliche Ebene Das deutsche materielle Gesellschaftsrecht behandelte eine im Ausland wirksam gegründete Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hat, zum damaligen Zeitpunkt als rechtliches Nullum. Dies hatte zur Folge, dass
214 Bemerkenswert ist, dass die Überseering B. V. in einem parallel anhängigen Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf offenbar verurteilt wurde, Architektenhonorare zu begleichen (Überseering Rn. 12). Bei konsequenter Nicht-Anerkennung der Gesellschaft wäre freilich auch ihre passive Parteifähigkeit zu verneinen gewesen. Die passive Parteifähigkeit einer britischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland hatte bereits 1984 das OLG Nürnberg bejaht. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte könne sich nicht selbst auf eine fehlerhafte Rechtswahl berufen, weil sie sich dann selbst zu ihrem eigenen vorangegangenen Verhalten in Widerspruch setzen würde (venire contra factum proprium), OLG Nürnberg, Urteil vom 7. 6. 1984, 8 U 111/84, RIW 1985, 494. 215 BGH, Beschluss vom 30. 3. 2000, VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967. 216 Zur differenzierenden kollisionsrechtlichen Behandlung zugezogener ausländischer Gesellschaften nach deutschem Internationalem Gesellschaftsrecht siehe oben S. 23 ff.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
ihr die Rechts- und Parteifähigkeit aberkannt wurde.217 Diese Rechtsprechung wurde durch den für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat des BGH erst in seiner Jersey-Entscheidung vom 1. 7. 2002 aufgegeben,218 nachdem die Vorlage des VII. Zivilsenats im Fall Überseering bereits erfolgt war, aber noch bevor der EuGH zu den Vorlagefragen Stellung genommen hatte. Seitdem werden zugezogene ausländische Gesellschaften in Deutschland als Personengesellschaft behandelt, d. h. in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder – sofern der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist – in eine OHG umqualifiziert.219
b) Würdigung durch den EuGH Nach Auffassung des EuGH setzt die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit durch eine Gesellschaft zwingend die Anerkennung durch alle Mitgliedstaaten voraus, in denen sie sich niederlassen will (Überseering Rn. 59). Zunächst stellt der EuGH klar, dass die Art. 43, 48 EG (jetzt 49, 54 AEUV) die Niederlassungsfreiheit den Gesellschaften, die die in Art. 48 EG (jetzt Art. 54 AEUV) genannten Voraussetzungen erfüllen, unmittelbar zuerkennen. Dass die Mitgliedstaaten eine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften schließen (Art. 293 EG), sei für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit nicht erforderlich. Sodann hebt der EuGH die Unterschiede zwischen den Daily Mail und Überseering zugrunde liegenden Fallkonstellationen hervor: In Daily Mail habe der EuGH lediglich festgestellt, dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, einer nach seiner eigenen Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen. Der EuGH habe mit seiner Entscheidung in Daily Mail den Mitgliedstaaten aber nicht die Möglichkeit einräumen wollen, die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet durch in anderen Mitgliedstaaten wirksam gegründete Gesellschaften, von denen sie annehmen, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in ihr Hoheitsgebiet verlegt haben, von der Beachtung ihres na217 BGH, Urteil vom 30. 1. 1970, V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183); BGH, Urteil vom 21. 3. 1986, V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 f.); BGH, Beschluss vom 30. 3. 2000, VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967 (967 f.); Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 427. 218 BGH, Urteil vom 1. 7. 2002, II ZR 380/00, BGHZ 151, 204; siehe dazu Kindler, IPRax 2003, 41; Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203. 219 BGH, Urteil vom 27. 10. 2008, II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 (sog. „TrabrennbahnUrteil“) zu einer schweizerischen Aktiengesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland; krit. Behme/Nohlen, StudZR 2009, 199 (203); Gottschalk, ZIP 2009, 948; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338; zustimmend Kindler, IPRax 2009, 189 (190); Weller, IPRax 2009, 202 (208); siehe ferner BGH, Beschluss vom 8. 10. 2009, IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 zu einer in Singapur gegründeten Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland; dazu Lieder/Kliebisch, EWiR 2010, 117 f.
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tionalen Gesellschaftsrechts abhängig zu machen. Die Entscheidung Daily Mail behandle einen Wegzugsfall, während Überseering einen Zuzugsfall betreffe. Im Anschluss an diese bedeutenden Klarstellungen prüft der EuGH, ob in casu eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu bejahen sei. Er stellt fest, Überseering sei in den Niederlanden wirksam gegründet worden und bestehe auch nach der Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland nach niederländischem Recht fort. Aufgrund der Art. 43 und 48 EG (jetzt Art. 49 und 54 AEUV) genieße sie das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen (Überseering Rn. 80). Ihre Existenz hänge sogar unmittelbar mit ihrer Eigenschaft als Gesellschaft niederländischen Rechts zusammen (Überseering Rn. 81). Insoweit rekurriert der EuGH auf seine Aussage in Daily Mail, wonach eine Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, keine Realität hat. Daher stelle es eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich als Aufnahmestaat weigere, die Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft anzuerkennen, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet wurde und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, mit der Konsequenz, dass sie zur Neugründung nach dem Recht des Aufnahmestaates gezwungen ist (Überseering Rn. 82). Zwar erkennt der EuGH an, dass zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses unter bestimmten Umständen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können. Die Aberkennung der Rechts- und Parteifähigkeit komme jedoch einer Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich und könne durch diese Gründe daher nicht gerechtfertigt werden (Überseering Rn. 93). Mit dem umfangreichen Vortrag der deutschen Regierung zur Rechtfertigung der Nichtanerkennung ausländischer Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt haben, setzt sich der EuGH gar nicht erst näher auseinander. Dies wirft die Frage auf, ob es sich bei mitgliedstaatlichen Regelungen, die eine „Negierung“ der Niederlassungsfreiheit darstellen, um eine eigene Kategorie neben diskriminierenden und beschränkenden Maßnahmen handelt, die einer Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses per se nicht zugänglich sind,220 oder ob der Begriff der „Negierung“ eine bloße Umschreibung besonders gravierender Beschränkungen darstellt, bei der die Rechtfertigung besonders strengen Maßstäben folgt.221 Für ersteres Verständnis spricht die Formulierung des EuGH, wonach solche Ziele (scil.: zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses) die Aberkennung der Rechts- und Parteifähigkeit nicht rechtfertigen können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der EuGH, sofern er eine neue und eigenständig zu prüfende Kategorie niederlassungsrelevanter Maßnahmen hätte schaffen wollen, dies deutlicher 220
In diese Richtung Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 309, 316. Schulz/Sester, EWS 2002, 545 (548).
221 So
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
zum Ausdruck gebracht hätte. Die weitere Rechtsprechung des Gerichtshofs deutet im Gegenteil eher darauf hin, dass er das Vorliegen einer „Negierung“ der Grundfreiheiten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nationaler Beschränkungen feststellt, um die Begründung der jeweiligen Entscheidung möglichst knapp halten zu können. So stellt der EuGH in einer jüngeren Entscheidung fest, dass eine Regelung wie § 421 g Abs. 1 Satz 2 SGB III, wonach die Zahlung der einem privaten Arbeitsvermittler von einem Arbeitsuchenden für seine Vermittlung geschuldeten Vergütung durch einen Mitgliedstaat voraussetzt, dass die von diesem Vermittler vermittelte Beschäftigung in diesem Staat sozialversicherungspflichtig ist, über das zur Erreichung der verfolgten Ziele (in casu: Organisation des Arbeitsmarktes, Verhinderung des Verlusts von Fachkräften) Erforderliche hinausgeht, weil eine solche Maßnahme der Negierung der in Art. 39 EG verankerten Arbeitnehmerfreizügigkeit gleichkomme.222 Auch Generalanwalt Poiares Maduro geht in seinen Schlussanträgen zu Cartesio offenbar davon aus, dass eine Negierung der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich – wenn auch unter besonders strengen Voraussetzungen – gerechtfertigt werden kann: Die Anwendung des ungarischen Rechts durch das Registergericht knüpfe die Verlegung des Verwaltungssitzes nicht nur an bestimmte Voraussetzungen, sondern verpflichte die Gesellschaft dazu, sich aufzulösen. Es sei nicht ersichtlich, wie eine solche „Negierung der Niederlassungsfreiheit“ aus Gründen des Allgemeininteresses erforderlich sein könnte.223
3. Inspire Art a) Sachverhalt und Vorlagefrage Der Entscheidung Inspire Art224 lag ein Rechtsstreit zwischen der Handelskammer Amsterdam und der britischen Inspire Art Ltd. zugrunde. Die Inspire Art. Ltd. mit Satzungssitz in Großbritannien hatte eine Zweigniederlassung in Amsterdam, die im Handelsregister der Handelskammer Amsterdam eingetragen war. Die Handelskammer war der Auffassung, die Eintragung sei unvollständig, da es sich bei der Inspire Art Ltd. um eine „formal ausländische Gesellschaft“ handele, die ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich in den Niederlanden ausübe und deren Eintragung daher den besonderen Erfordernissen des niederländischen Gesetzes über formal ausländische Gesellschaften (Wet op de 222 EuGH,
Urteil vom 11. 1. 2007, Rs. C-208/05 (ITC Innovative Technology Center), Slg. 2007, I – 181, Rn. 44 unter Verweis auf Überseering Rn. 93. 223 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498 (Rn. 34). 224 EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I – 10155; dazu Bayer, BB 2003, 2357; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493; Spindler/Berner, RIW 2003, 949; Wachter, GmbHR 2004, 88; Weller, DStR 2003, 1800; Ziemons, ZIP 2003, 1913; Zimmer, NJW 2003, 3585.
C. Die Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung
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formeel buitenlandse vennootschappen – WFBV) zu genügen habe. Das Kantongerecht Amsterdam legte dem EuGH die Frage vor, ob die Niederlassungsfreiheit der Anwendung dieses Gesetzes auf solche zugezogenen Gesellschaften entgegenstehe, die in ihrem Herkunftsstaat keine Tätigkeit entfalten und nur deshalb nicht in den Niederlanden gegründet worden seien, um die strengeren Kapitalaufbringungsvorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts zu umgehen.
aa) Kollisionsrechtliche Ebene Die Niederlande folgen ebenso wie Großbritannien traditionell der Gründungstheorie.225 Obwohl die Inspire Art Ltd. ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich in den Niederlanden ausübte, war sie nach niederländischem Gesellschaftskollisionsrecht demnach weiterhin als Gesellschaft britischen Rechts anzusehen. Die Anwendung des niederländischen WFBV war daher nicht das Ergebnis einer Anwendung der Sitztheorie, sondern einer diesbezüglichen Sonderanknüpfung niederländischen Rechts.226
bb) Sachrechtliche Ebene Als formal ausländische Gesellschaft galt nach Art. 1 WFBV eine Kapitalgesellschaft, die nach einem anderen als dem niederländischen Recht gegründet worden war und die ihre Tätigkeit vollständig oder nahezu vollständig in den Niederlanden ausübt, ohne eine tatsächliche Bindung an den Staat zu haben, nach dessen Recht sie gegründet wurde. Derartige Kapitalgesellschaften waren als formal ausländische Gesellschaften in das Handelsregister einzutragen und mussten ihre Eigenschaft als formal ausländische Gesellschaft im Rechtsverkehr offenlegen. Zudem musste sich ihr gezeichnetes Kapital mindestens auf den Betrag des Mindestkapitals belaufen, das für niederländische Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorgeschrieben ist (Art. 4 Abs. 1 WFBV). Solange die Verpflichtung zur Eintragung in das Handelsregister oder die Voraussetzungen bezüglich des Kapitals nicht erfüllt waren, wurde angeordnet, dass die Geschäftsführer neben der Gesellschaft als Gesamtschuldner für die während ihrer Geschäftsführung im Namen der Gesellschaft vorgenommenen Rechtshandlungen haften (Art. 4 Abs. 4 WFBV).
225
Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 360; Kramer, IPRax 2007, 54 (57). Bitter, in: Tietze/McGuire/Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (310); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 555; Timmermans, Neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG zum Europäischen Gesellschaftsrecht, 2003, S. 19; zum Begriff der Sonderanknüpfung siehe oben S. 25 f. 226 Zutreffend
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
b) Würdigung durch den EuGH In den besonderen Publizitätspflichten des WFBV erblickte der EuGH bereits einen Verstoß gegen die Zweigniederlassungsrichtlinie227, die hinsichtlich der die Gesellschaft treffenden Offenlegungspflichten bei der Errichtung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich abschließend sei (Inspire Art. Rn. 66 ff.). Am Maßstab der Niederlassungsfreiheit waren daher nur die Vorschriften des WFBV über das erforderliche Mindestkapital und über die persönliche Haftung der Geschäftsführer zu überprüfen. Wie schon in Centros stellt der EuGH klar, dass sich sog. „Scheinauslandsgesellschaften“ trotz der beabsichtigten Umgehung der strengeren niederländischer Mindestkapitalisierungsvorschriften auf die Niederlassungsfreiheit berufen können. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nahm der EuGH an, obwohl die grundsätzliche Anerkennung der britischen Gesellschaft durch das niederländische Recht – anders als im Fall Überseering – nicht in Frage gestellt wurde. Die Beschränkung wird allein schon damit begründet, dass Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts zwingend auf ausländische Gesellschaften angewandt werden, wenn sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich in den Niederlanden ausüben (Inspire Art Rn. 100). Insoweit geht der EuGH in Inspire Art über seine Ausführungen in Überseering hinaus. Bei der Prüfung einer Rechtfertigung der Beschränkung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses lässt der EuGH offen, ob das Mindestkapitalerfordernis geeignet ist, Gläubiger zu schützen. Jedenfalls trete die Inspire Art Ltd. im Rechtsverkehr als Gesellschaft englischen Rechts auf, sodass potentielle Gläubiger hinreichend darüber informiert seien, dass ihr Vertragspartner ausländischem Recht unterliegt. Weiterhin könnten sie sich auf unionsrechtliche Schutzregelungen wie die vierte und elfte Richtlinie berufen (Inspire Art Rn. 135). Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei daher nicht gerechtfertigt. Dieses „Informationsmodell“228 hat seine Wurzeln in der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit: Der Gerichtshof entwickelt dort das Leitbild eines mündigen Verbrauchers, der auf der Grundlage von Produktinformationen eine Kaufentscheidung treffen kann, ohne auf den Schutz durch Importverbote angewiesen zu sein.229 In Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit argumentiert der EuGH, durch die Firmierungspflicht werde ein gleichartiger Schutz 227
Elfte Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen. 228 Ausführlich zum Informationsmodell des EuGH Grohmann, Das Informationsmodell im europäischen Gesellschaftsrecht, 2006; kondensiert ders., EWS 2007, 540; siehe ferner Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 33 ff.; Grundmann, DStR 2004, 232 (233) sowie unten S. 199 f. 229 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, Rn. 13.
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und Zuzug
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erreicht: Wer wisse, dass er mit einer ausländischen Gesellschaft kontrahiere, müsse mit einer von inländischen Rechtsformen abweichenden Kapitalausstattung und Haftungsstruktur rechnen.230 Dieser Ansatz ist jedenfalls insoweit überzeugend, wie es um den Schutz vertraglicher Gläubiger geht,231 da er auf die Eigenverantwortung aufgeklärter Individuen vertraut.232 Soweit der für die Marktteilnehmer des Aufnahmestaates entstehende Informations- und Kostenaufwand kritisiert wird,233 ist dem entgegenzuhalten, dass dieser auch bei „echten“ Auslandsgesellschaften besteht, deren Verwaltungssitz sich in dem Staat befindet, dessen Recht sie unterliegen, und sich zudem mit zunehmender Verbreitung ausländischer Rechtsformen relativieren wird.234 Die Gleichwertigkeit nationaler Informationssysteme ist ein Anliegen des europäischen Gesellschaftsrechts seit Erlass der Ersten Richtlinie.235
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Herkunftslandprinzip) im Gesellschaftsrecht In Anbetracht der Fokussierung der Literatur auf die rechtspraktischen Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH236 erscheint es nachvollziehbar, dass die in Überseering ausdrücklich betonte unterschiedliche Behandlung von Wegzugsfällen und Zuzugsfällen im Vorfeld von Cartesio vielfach als willkürlich und künstlich kritisiert wurde.237 Denn auf den ersten Blick erscheint es in 230 Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 35; Paefgen, ZIP 2004, 2253 (2256). 231 Zum Versagen des Informationsmodells bei Deliktsgläubigern, die unfreiwillig zu Gläubigern werden, siehe Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 39; Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (954). Gleiches gilt für sogenannte „nicht anpassungsfähige Gläubiger“, die sich aufgrund ihrer tendenziell schwachen Verhandlungsposition ihren Schuldner nicht aussuchen können (z. B. Kleingläubiger, Arbeitnehmer, aber auch der Fiskus); siehe Eidenmüller, JZ 2009, 641 (649); der Begriff geht zurück auf Bebchuk/Fried, Yale L. J. 105 (1996), 857 (882 ff.) („nonadjusting creditors“). 232 Kritischer Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 147, demzufolge diese Eigenverantwortung dem Gläubiger „aufgeladen“ wird. 233 Grundlegend W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (333 f.); ders., IPRax 2003, 117 (124). 234 Vgl. Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 37. 235 Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. 3. 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. 236 Siehe oben S. 2 f. 237 Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 4. 12. 2001, Rs. C-208/00 (Überseering), NZG 2002, 16 (Rn. 37); krit. auch Bayer, BB 2003, 2357; Eidenmüller/Rehm,
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
der Tat diffus und mit Blick auf die in Art. 26 AEUV verfassungsrechtlich verankerte wirtschaftspolitische Zielvorstellung eines europäischen Binnenmarkts fragwürdig, dass die Niederlassungsfreiheit ausländischen Gesellschaften zwar das Recht zum rechtsformwahrenden Zuzug, nicht aber inländischen Gesellschaften das Recht zum rechtsformwahrenden Wegzug aus ihrem Herkunftsstaat verleihen soll. Aus diesem Grunde wurde die Versagung der Wegzugsfreiheit in Daily Mail im Vorfeld von Cartesio weithin als überholt betrachtet. Aufgrund der Tatsache, dass sich die betroffenen Gesellschaften in den Entscheidungen Centros, Überseering und Inspire Art jeweils mit Erfolg auf die Niederlassungsfreiheit berufen hatten, wurde prognostiziert, der EuGH werde auch in Cartesio „binnenmarktfreundlich“ entscheiden und in Abkehr von Daily Mail auch Beschränkungen der rechtsformwahrenden Sitzverlegung einer Gesellschaft durch das Recht ihres Herkunftsstaates am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfen. Die Differenzierung zwischen Zuzugs- und Wegzugsfällen wäre damit hinfällig geworden.238 In diese Richtung gingen auch die Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro zu Cartesio, der dem EuGH vorschlug, die vierte Vorlagefrage so zu beantworten, dass die Art. 43 und 48 EG (jetzt Art. 49, 54 AEUV) nationalen Vorschriften entgegenstehen, die eine nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft daran hindern, ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.239 Der EuGH ist den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht gefolgt; die erwähnten Prognosen haben sich damit als falsch erwiesen. Auch nach Cartesio ist zwischen Zuzugs- und Wegzugskonstellationen zu unterscheiden.240 Während man jedoch vor Cartesio eine relativ grobe Einordnung dahingehend vornehmen konnte, dass „der Zuzug“ generell in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit falle, „der Wegzug“ dagegen nicht, erscheint nunmehr eine differenziertere Betrachtung geboten.241 Die in Daily Mail und Cartesio einerseits und der Entscheidungs-Trias Centros, Überseering und Inspire Art andererseits angelegte Unterscheidung zwischen Zuzug und Wegzug bezieht sich ausschließlich auf die Verlegung des Sitzes (Verwaltungssitz und/oder SatZGR 2004, 159 (175 ff.); Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 463; Herrler, EuZW 2007, 295 (298). 238 Vgl. Behme/Nohlen, NZG 2008, 296 f.; Campos Nave, BB 2008, 1410 (1413); Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 463 (464); Kämmerer, EuR 2008, 45 (52 f.); Knof/Mock, GPR 2008, 134 (138); Teichmann, EWiR 2008, 397 (398). 239 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498; siehe dazu Behme/Nohlen, NZG 2008, 496. 240 Krit. Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (139 f.); Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1025 ff.); Knop, DZWIR 2009, 147 (150); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (98 f.); Zimmer/ Naendrup, NJW 2009, 545 (546); zustimmend dagegen Barthel, EWS 2010, 316 (320); Sethe/ Winzer, WM 2009, 536 (538). 241 Zur Notwendigkeit zusätzlicher Differenzierungen vgl. auch Hennrichs/Pöschke/von der Laage/Klavina, WM 2009, 2009 (2012).
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und Zuzug
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zungssitz) von Gesellschaften unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform. Es handelt sich also lediglich um eine Unterdifferenzierung der vom EuGH in Cartesio angesprochenen Grundunterscheidung zwischen rechtsformwahrender Sitzverlegung und grenzüberschreitendem Formwechsel. Schon an dieser Stelle kann festgestellt werden, dass die unterschiedliche unionsrechtliche Behandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug auf den grenzüberschreitenden Formwechsel von Gesellschaften nicht übertragbar ist. Denn für den rechtsformwechselnden Wegzug hat der EuGH in Cartesio klar zum Ausdruck gebracht, dass dieser von der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften geschützt ist.242 Die Frage, wie es sich mit dem rechtsformwechselnden Zuzug verhält, ist im dritten Kapitel zu behandeln.243 Wie ist die unterschiedliche Behandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug dogmatisch zu erklären? Was ist der Grund dafür, dass die Mitgliedstaaten als Herkunftsstaaten autonom darin sind, die für die Gründung und den Fortbestand von Gesellschaften nach ihrem nationalen Recht erforderliche Verknüpfung mit ihrem Territorium festzulegen, zugleich aber in ihrer Eigenschaft als Aufnahmestaaten gezwungen sind, nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten wirksam gegründete Gesellschaften auch dann anzuerkennen, wenn sie die aus der Perspektive ihres eigenen nationalen Rechts erforderliche Verknüpfung mit ihrem Herkunftsstaat aufgegeben haben? Die Rechtsprechung des EuGH ist dadurch zu erklären, dass er das ursprünglich für den Bereich der Warenverkehrsfreiheit entwickelte Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Herkunftslandprinzip)244 auf die Niederlassungsfreiheit von 242
113.
243
EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 111–
Siehe dazu unten S. 130 ff. Teilweise wird terminologisch zwischen dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und dem Herkunftslandprinzip differenziert. Der Begriff der gegenseitigen Anerkennung sei richterrechtlich geprägt, das Herkunftslandprinzip dagegen sekundärrechtlich normiert; so Lippert, EuR 2007; 631 (636). In der Literatur werden beide Begriffe überwiegend synonym verwendet; vgl. Bitter, in: Tietze/McGuire/Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (324); Kahl, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 26 AEUV Rn. 25; MüllerGraff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 56 AEUV Rn. 112 f.; W.-H. Roth, EWS 2011, 314 (324); vgl. auch Behrens, EuR 1992, 145 (156), wonach das Anerkennungsprinzip im Herkunftsprinzip enthalten ist (Behrens verwendet den Begriff „Herkunftsprinzip“ statt „Herkunftslandprinzip“), und Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1625, wonach das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Ausdruck des Herkunftslandprinzips ist. Auf der Ebene des Sekundärrechts liegt das Herkunftslandprinzip insbesondere der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („E-Commerce-Richtlinie“) zugrunde, siehe dazu ausführlich Leible, Das Herkunftslandprinzip im IPR – Fata Morgana oder neue Metaregel?, in: Nordhausen (Hrsg.), Neue Entwicklungen in der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit, 2002, S. 71 (78 ff.); Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633. Gleiches gilt der Sache nach für die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt („Dienstleistungsrichtlinie“), wenn auch die Richtlinie das Herkunftsland244
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Gesellschaften überträgt.245 Diese Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. Denn das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung liefert nicht nur die Begründung für die unterschiedliche Behandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug von Gesellschaften. Es vermag auch zu erklären, warum der rechtsformwechselnde Wegzug von Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist.246 Im Folgenden sollen zunächst der Inhalt und die Wirkungsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung näher beleuchtet werden. Davon ausgehend ist sodann seine spezifische Wirkung im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zu untersuchen.
I. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit: Produktqualifikation als Bezugspunkt der Anerkennungspflicht Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit trägt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung dem Umstand Rechnung, dass es in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unterschiedliche Standards gibt, die ein Produkt erfüllen muss, um als Ware in den Verkehr gebracht werden zu können. Bei diesen Standards handelt es sich in erster Linie um technische Vorschriften und obligatorische Anforderungen an die Beschaffenheit und Sicherheit von Produkten.247 Da prinzip aufgrund der damit verbundenen politischen Kontroversen nicht ausdrücklich erwähnt; vgl. S. Schmidt, Der moderne Staat 2010, 455 (467); Hellwig, FS Hopt, S. 2791 (2818) („eingeschränktes Herkunftlandprinzip“); monographisch Parlow, Die EG-Dienstleistungsrichtlinie, 2010. Geradezu in Reinform verwirklicht ist das Herkunftslandprinzip in der Richtlinie 2005/36/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen („Berufsqualifikationsrichtlinie“); siehe dazu Kluth/ Rieger, EuW 2005, 486 sowie noch ausführlich unten S. 77 ff. 245 So zutreffend Bitter, in: Tietze/McGuire/Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (318); Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26 (28); Craig/de Burca, EU Law: Text, Cases and Materials, 5. Aufl. 2011, S. 784; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2241); Knapp, DNotZ 2003, 85 (88); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 543 f.; Paefgen, ZIP 2004, 2253 (2254); S. Schmidt, Der moderne Staat 2010, 455 (461); Straube/Ratka, ÖZW 2003, 34; Wernicke, EuZW 2002, 758 (759; Zimmer, BB 2003, 1 (2). Dagegen interpretiert Kuipers, EJLS 2009, 66 die EuGH-Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit als Ausdruck der überkommenen Theorie der wohlerworbenen Rechte (vested rights theory) im Internationalen Privatrecht, wonach kollisionsrechtlich die Rechtsordnung zur Anwendung berufen werden soll, die zur Anerkennung der nach einem ausländischen Recht erworbenen subjektiven Rechte führt; vgl. zur historischen Entwicklung und zu den Einwänden gegen diese Theorie Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 21 I. Nicht abzustreiten ist allerdings eine gewisse Verwandtschaft des unionsrechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der international-privatrechtlichen vested rights theory, auf die Kuipers, EJLS 2009, 66 (76) hinweist; siehe auch W.-H. Roth, EWS 2011, 314 (324). 246 Siehe unten S. 136 ff. 247 Zum Begriff der Standards siehe Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1388.
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und Zuzug
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solche Standards die Qualifikation eines Produktes als verkehrsfähige Ware betreffen, sollen sie in Abgrenzung von sonstigen Vorschriften, die Produzenten und Händler im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu beachten haben, im Folgenden als „Qualifikationsstandards“ bezeichnet werden.248 Da die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt sind, ihre eigenen Qualifikationsstandards auch auf ausländische Waren anzuwenden,249 verhindern diese als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne von Art. 34 AEUV das Funktionieren eines gemeinsamen Marktes, ohne dass dahinter eine protektionistische Absicht des Mitgliedstaates steht, der den Qualifikationsstandard erlässt. Ein Mitgliedstaat mag etwa für die Isolierung von elektrischen Kabeln eine Isolierschicht von drei Millimetern Gummi vorschreiben und ein anderer Mitgliedstaat eine Isolierschicht von zwei Millimetern Bakelit.250 Beide Mitgliedstaaten gewährleisten ein gleich hohes Schutzniveau; trotzdem ist ein Gemeinsamer Markt für elektrische Kabel unmöglich. Haltern kennzeichnet diesen Umstand mit dem Begriff der „gutgläubigen Marktfragmentierung“.251 Das Unionsrecht sah als Lösung dieses Problems zunächst die Harmonisierung der entsprechenden Qualifikationsstandards vor. Eine solche Harmonisierung hat zur Folge, dass ein Produkt in allen Mitgliedstaaten dieselben Anforderungen erfüllen muss, um als Ware qualifiziert und in den Verkehr gebracht werden zu können. Sie war jedoch über lange Zeit dadurch erschwert, dass hierfür Einstimmigkeit im Rat erforderlich war (vgl. Art. 115 AEUV). Die Vorgängervorschrift des heutigen Art. 114 AEUV, der eine Harmonisierung im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (Art. 294 AEUV) ermöglicht, wurde erst 1987 durch Art. 18 der Einheitlichen Europäischen Akte in den EG-Vertrag eingefügt (Art. 100 a EGV bzw. Art. 95 EG).252 Das Problem der gutgläubigen Marktfragmentierung konnte daher zunächst nicht auf der Ebene des Sekundärrechts, sondern musste in erster Linie auf der Ebene des Primärrechts durch die Auslegung der Grundfreiheiten gelöst werden. Vor diesem Hintergrund etablierte der EuGH in der Entscheidung Cassis de Dijon für die Warenverkehrsfreiheit das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung rechtlich definierter Qualifikationsstandards als Alternative zu ihrer unionsrechtlichen Harmonisierung.253 Er rekurriert damit auf ein Argumentationsmuster, dessen 248 Vgl.
treffend auch Behrens, EuR 1992, 145 (156): „Qualitäts- und Qualifikationsnormen“. 249 Vgl. Götz, FS Jaenicke, S. 763 (766). 250 Beispiel nach Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1626. 251 Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1574 ff. 252 Kahl, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 114 AEUV Rn. 1; Tietje, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 1 (Stand März 2011). 253 Die Funktion des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes ohne Harmonisierung zu bewirken, betonen Behrens, EuR 1992, 145 (150); Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1630; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (665);
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ideengeschichtliche Wurzeln in das Zeitalter der Aufklärung254 und des Deutschen Idealismus255 zurückreichen.256 Der Inhalt und die Entwicklung dieses Prinzips in der Rechtsprechung des EuGH sollen im Folgenden, ausgehend von der Entscheidung Cassis de Dijon, nachgezeichnet werden. In Cassis de Dijon ging es um die Vereinbarkeit von § 100 Abs. 3 des deutschen Branntweinmonopolgesetzes mit der Warenverkehrsfreiheit. Nach dieser Vorschrift durften Trinkbranntweine nur mit einem Mindestalkoholgehalt von 32 % in den Verkehr gebracht werden. Der Vertrieb von französischem Cassis, der einen Weingeistgehalt von lediglich 15 bis 20 % hat, war damit in Deutschland nicht gestattet. Der EuGH führt dazu aus: „Es gibt somit keinen stichhaltigen Grund dafür, zu verhindern, dass in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden; dem Absatz dieser Erzeugnisse kann kein gesetzliches Verbot des Vertriebs von Getränken entgegengehalten werden, die einen geringeren Weingeistgehalt haben, als im nationalen Recht vorgeschrieben ist.“257
Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung trägt auch dem Grundsatz der Subsidiarität besser Rechnung als eine umfassende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Vgl. zu diesem Aspekt Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven, KOM (2004) 401 endg. S. 10. 254 In einem vergleichbaren Sinne bezieht zuerst Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788), Kapitel 16, den Begriff der Anerkennung auf den Geltungsanspruch von Normen, wenn er von der „Anerkennung des moralischen Gesetzes“ spricht. 255 Eine bedeutende Rolle spielt der Begriff der Anerkennung erstmals bei Fichte, Grundlage des Naturrechts (1796), siehe dazu jüngst Frischmann, in: Czycholl/Marszolek/ Pohl (Hrsg.), Zwischen Normativität und Normalität, 2010, S. 29 ff. Er wird heute jedoch in erster Linie mit Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), assoziiert. Darin deutet Hegel die gesellschaftliche Entwicklungsgeschichte als dialektischen Kampf der Individuen um wechselseitige Anerkennung ihrer Identität, der vorübergehend in einen Zustand mündet, in dem der Sieger („Herr“) Anerkennung durch den Besiegten („Knecht“) erfährt. Dieser Zustand eines „einseitigen und ungleichen Anerkennens“ (Hegel) ist nicht nur für den Knecht, sondern auch für den Herrn unbefriedigend; er wird überwunden durch die Emanzipation des Knechts, die in eine (bürgerliche) Gesellschaft sich gegenseitig und gleichermaßen anerkennender Individuen mündet. In diesem Sinne ersetzt Anerkennung den Hobbesschen Gesellschaftsvertrag als Grundlegung von Staat und Recht, vgl. Amengual, „Anerkennung“, in: Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie, 2010. Siehe aus der Vielzahl der Interpretationen von Hegels HerrKnecht-Dialektik grundlegend Kojève, Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens, hrsg. von Iring Fetscher, 1975; Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, 1979, insb. S. 68 ff. m. w. N. 256 Darauf aufbauend wurde der philosophische Begriff der Anerkennung – verstanden als gesellschaftlich wirksame Achtung vor der Person eines anderen (vgl. „Anerkennung“, in: Mittelstraß [Hrsg.], Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 2. Aufl. 2005; siehe zum aktuellen Stand der philosophischen Forschung zur Anerkennungstheorie Schmidt am Busch/Zurn [Hrsg.], Anerkennung, 2009) – im 20. Jahrhundert durch die Frankfurter Schule wiederbelebt und fortentwickelt; grundlegend Honneth, Kampf um Anerkennung, 1992. 257 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, Rn. 14.
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und Zuzug
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Im Grundsatz darf daher auch französischer Cassis in Deutschland eingeführt werden, obwohl er den entsprechenden deutschen Qualifikationsstandards für Trinkbranntweine nicht entspricht – und zwar deshalb, so der EuGH, weil dieser Cassis rechtmäßig in Frankreich hergestellt und in den Verkehr gebracht worden ist.258 Übertragen auf das Beispiel der Isolierung von Elektrokabeln bedeutet dies: Wenn ein Mitgliedstaat die Herstellung und den Vertrieb von Elektrokabeln mit einer Isolierschicht von drei Millimetern Gummi gestattet, dürfen diese Elektrokabel auch in anderen Mitgliedstaaten vertrieben werden. Der Mitgliedstaat, in den die Kabel exportiert werden (Aufnahmestaat), hat die Qualifikationsstandards des Herkunftsmitgliedstaates anzuerkennen, auch wenn seine eigenen Qualifikationsstandards nicht erfüllt sind. Dies gilt nicht nur dann, wenn seine eigenen Qualifikationsstandards bloß andersartig sind als die des Herkunftsmitgliedstaates, aber ein identisches Schutzniveau gewährleisten (zwei Millimeter Bakelit statt drei Millimeter Gummi), sondern auch dann, wenn die eigenen Qualifikationsstandards strenger sind als diejenigen des Herkunftsmitgliedstaates (vier Millimeter Gummi statt drei Millimeter Gummi). In seinem Kern enthält das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung damit eine Äquivalenzvermutung: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die durch das nationale Recht des Herkunftsmitgliedstaates etablierten Qualifikationsstandards und die Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates funktionsäquivalent sind.259 Grundlage einer solchen Äquivalenzvermutung ist das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Güte ihrer jeweiligen Qualifikationsstandards, oder allgemeiner: in die Güte ihrer Rechtsordnungen.260 Sie findet ihre gedankliche Entsprechung in dem Axiom v. Savignys von der (fiktiven) Gleich-
258 Auch in EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn. 9 klingt dies bereits – wenn auch noch in sehr unscharfer Form – an, wenn der EuGH ausführt: „Sonach stellt es eine mit dem Vertrag unvereinbare Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung dar, wenn ein Mitgliedstaat eine Echtheitsbescheinigung verlangt, die sich der Importeur eines in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß im freien Verkehr befindlichen echten Erzeugnisses schwerer zu beschaffen vermag als der Importeur, der das gleiche Erzeugnis unmittelbar aus dem Ursprungsland einführt.“ Darauf weist mit Recht Behrens, EuR 1992, 145 (156) hin. 259 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (4); Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1626; Lippert, EuR 2007; 631 (637); von Borries/Petschke, DVBl. 1996, 1343 (1349); vgl. auch Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, KOM 85 (310) endg. Rn. 65: „Die Kommission trägt den eigentlichen Ursachen von Handelshemmnissen Rechnung und stellt fest, daß die gesetzgeberischen Ziele der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Schutzes der Gesundheit, der Sicherheit und der Umwelt im Kern gleichwertig sind.“ Krit. Götz, FS Jaenicke, S. 763 (772) unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 28. 1. 1986, Rs. 188/84 (Kommission/Frankreich), Slg. 1986, 419. 260 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 134; Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (668); Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 191 sowie ders., ZVglRWiss 111 (2012), 72 (73).
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wertigkeit der Zivilrechtsordnungen und der darin zum Ausdruck kommenden Ablehnung eines international-privatrechtlichen better law approach.261 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ist dem Grunde nach eine Konturierung der Beschränkungslogik der Dassonville-Formel. In Dassonville definiert der EuGH als Beschränkung des freien Warenverkehrs jede Handelsregelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu beschränken.262 Aus dieser Formel ergibt sich, dass theoretisch jede nationale Regelung des Aufnahmestaates allein deshalb eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellen kann, weil sie einen anderen Inhalt hat als eine entsprechende Regelung des Herkunftsstaates. Durch die Anerkennung der Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates wird eine durch die Unterschiede der mitgliedstaatlichen Qualifikationsstandards verursachte Beschränkung vermieden: Die Ware kann im Aufnahmestaat in den Verkehr gebracht werden, ohne dass sie an dessen Qualifikationsstandards angepasst werden und möglicherweise ein erneutes, mit zusätzlichem Aufwand und zusätzlichen Kosten verbundenes Zulassungsverfahren durchlaufen muss. Die Pflicht des Aufnahmestaates zur Anerkennung der Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates ist insofern die logische Schlussfolgerung aus dem bereits in Dassonville etablierten Beschränkungsverbot.263 Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, die Keck-Rechtsprechung des EuGH als Einschränkung der Anerkennungspflicht zu interpretieren.264 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung erweist sich durch Keck auch nicht partiell als Leerformel, weil unklar wird, für welche Art von Normen das Prinzip gelten soll und für welche nicht.265 Bezugspunkt der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates ist, wie sich aus Cassis de Dijon ergibt, die Rechtmäßigkeit der Herstellung des Produktes im Herkunftsstaat266 und damit seine Qualifikation als Ware durch den Herkunftsstaat. Nach Keck sind nun solche Vorschriften des Aufnahmestaates, die nicht das fremde Produkt als solches, sondern lediglich dessen Vertrieb im Inland betreffen und daher den Marktzugang von Produkten aus anderen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen, 261 Georganti, Die Zukunft des ordre-public-Vorbehalts im europäischen Zivilprozessrecht, 2006, S. 137 ff.; Sandrock, BB 2004, 897 (901); vgl. zum better law approach ausführlich Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 1982. 262 EuGH, Urteil vom 11. 7. 1974, Rs. 8/74 (Dassonville), Slg. 1974, 837, Rn. 5. 263 Vgl. ohne nähere Begründung auch Müller-Graff, ZVglRWiss 111 (2012), 72 (80): „Der Sache nach“ ergebe sich das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nicht erst aus Cassis de Dijon, sondern bereits aus den zeitlich vorlaufenden Entscheidungen Dassonville und van Binsbergen. 264 So aber S. Schmidt, Der moderne Staat 2010, 455 (458), die – ausgehend von ihrer These von der Pfadabhängigkeit der EuGH-Rechtsprechung – die Keck-Entscheidung als „Pfadbruch“ deutet; vgl. auch Büchele, in: Roth/Hilpold (Hrsg.), Der EuGH und die Souveränität der Mitgliedstaaten, 2008, S. 335 (356): „die große Trendwende“. 265 So Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 122. 266 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, Rn. 14.
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nicht als Beschränkung des freien Warenverkehrs anzusehen.267 Keck schränkt nicht den Grundsatz ein, dass der Aufnahmestaat die Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates dem Grunde nach als funktionsäquivalent anzuerkennen hat, sondern stellt klar, dass sich die Pflicht zur Anerkennung auf diese Qualifikationsstandards beschränkt268 und nicht darüber hinaus greift. Das ist der Grund dafür, warum vertriebsbezogene Vorschriften des Aufnahmestaates nicht am Maßstab der Warenverkehrsfreiheit zu überprüfen sind. Denn bei ihnen handelt es sich eben nicht um produktbezogene Qualifikationsstandards, sondern um bloße Standort- bzw. Rahmenbedingungen, die der Anerkennung auch gar nicht zugänglich sind:269 Ein Sonntagsverkaufsverbot270 im Aufnahmestaat etwa hat mit dem Grundsatz der Anerkennung ausländischer Produkte nichts zu tun. Sollte die im Herkunftsstaat bestehende Möglichkeit des Vertriebs eines Produktes am Sonntag „anerkannt“ werden, würde dies bedeuten, dass der Aufnahmestaat den Vertrieb am Sonntag erlauben und damit letztlich sein eigenes Sonntagsverkaufsverbot gänzlich aufgeben müsste.271 Keck beinhaltet damit, was das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung betrifft, keine Ausnahme, sondern eine bedeutende begriffliche Präzisierung.272 Die erst in der Keck-Entscheidung ausdrücklich vorgenommene Eingrenzung der weiten Dassonville-Formel ist so gesehen bereits in dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und damit in Cassis de Dijon angelegt. Während sich anhand der weit formulierten Dassonville-Formel der beschränkende Charakter einer rein vertriebsbezogenen Maßnahme (z. B. Sonntagsverkaufsverbot) noch ohne weiteres begründen ließe, erscheint dies vor dem Hintergrund der bereits auf produktbezogene Qualifikationsstandards beschränkten Anerkennungslogik in Cassis de Dijon deutlich schwieriger. 267 EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, Rs. C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I – 6097; zur Übertragbarkeit auf die Niederlassungsfreiheit siehe bereits oben S. 30 ff. 268 Aus diesem Grunde ist die Formulierung von Götz, FS Jaenicke, S. 763 (764) zu weit, wonach Gegenstand der gegenseitigen Anerkennung die „Vorschriften“ des Herkunftslandes und ihre Anwendung sind. 269 Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, 2004, S. 230. 270 In der Entscheidung Torfaen (EuGH, Urteil vom 23. 11. 1989, Rs. 145/88, Slg. 1989, 3851) hat der EuGH die beschränkende Wirkung eines britischen Sonntagsverkaufsverbots noch bejaht, während Generalanwalt van Gerven bereits eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Warenverkehrsfreiheit vorgeschlagen hatte (Schlussanträge vom 29. 6. 1989, Rn. 23). 271 Nimmt man etwa das Beispiel der Elektrokabel in den Blick, so wäre es aus praktischen Gründen undenkbar, dass ein Baumarkt am Sonntag ausschließlich die im Ausland hergestellten Elektrokabel verkauft, nicht aber die von inländischen Produzenten hergestellten Elektrokabel. 272 Ähnlich bereits Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, 2004, S. 230 („Bestätigung des Begriffes der gegenseitigen Anerkennung aus der Cassis-de-Dijon-Rspr. des EuGH“).
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Eine bedeutende Einschränkung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ergibt sich dagegen aus der ebenfalls in Cassis de Dijon273 entwickelten Möglichkeit, beschränkende Maßnahmen unionsrechtlich durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses zu rechtfertigen.274 Die unionsrechtliche Rechtfertigung unterliegt allerdings ihrerseits einem Schrankenregime: Sie setzt voraus, dass sich die beschränkende Maßnahme des Aufnahmestaates als verhältnismäßig erweist. Auf der Ebene der Rechtfertigung wird das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung wiederum durch die im Prinzip der gegenseitigen Anerkennung verankerte Äquivalenzvermutung determiniert: Wenn eine Ware die Voraussetzungen erfüllt, die das Recht des Herkunftsmitgliedstaates für die Herstellung und das Inverkehrbringen entsprechender Waren aufstellt, wird die Erforderlichkeit darüber hinausgehender Anforderungen regelmäßig zu verneinen sein.275 Insofern wirkt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als Verschärfung des Maßstabs der Verhältnismäßigkeitsprüfung.276 Kann eine die Warenverkehrsfreiheit beschränkende Vorschrift des Aufnahmestaates gleichwohl gerechtfertigt werden, bleibt die Marktfragmentierung bestehen mit der Konsequenz, dass eine Harmonisierungskompetenz nach Art. 114, 115 AEUV ausgelöst wird.277
273 EuGH, Urteil vom 20. 2. 1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, Rn. 8: „Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, müssen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.“ Ähnlich bereits EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, 1299, Rn. 12 mit Blick auf die Dienstleistungsfreiheit: „In Anbetracht der Besonderheiten der Dienstleistungen dürfen jedoch diejenigen an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar angesehen werden, die sich aus der Anwendung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregelungen […] ergeben […].“ Darauf weist mit Recht Behrens, EuR 1992, 145 (150 f.) hin. 274 Vgl. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (666); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 122; siehe zu den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses bereits oben S. 35 ff. Müller-Graff, ZVglRWiss 111 (2012), 72 (80) sieht darin die Kernbotschaft der Entscheidung Cassis de Dijon. 275 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 137; Leible, Das Herkunftslandprinzip im IPR – Fata Morgana oder neue Metaregel?, in: Nordhausen (Hrsg.), Neue Entwicklungen in der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit, 2002, S. 71 (72). 276 Zur dogmatischen Verortung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung als Verschärfung der Verhältnismäßigkeitsprüfung Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1629; Lippert, EuR 2007, 631 (636). 277 Ausführlich Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1591 f.; Weiler, Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders. (Hrsg.), The EU, the WTO, and the NAFTA, 2000, S. 201 (227); siehe auch Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 („Indiz für weiteren Harmonisierungsbedarf“) sowie unten S. 265 ff.
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II. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit natürlicher Personen: Berufsqualifikation als Bezugspunkt der Anerkennungspflicht Die Entwicklung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit ist paradigmatisch für das Verständnis der übrigen Grundfreiheiten.278 Der EuGH hat wiederholt ausdrücklich festgestellt, dass es sich um einen allen279 Grundfreiheiten innewohnenden Grundsatz handelt.280 Dies gilt insbesondere für jene Grundfreiheiten, die auf der Ebene des Unionsprimärrechts die grenzüberschreitende Erwerbstätigkeit natürlicher Personen gewährleisten. Angesprochen sind damit die vergleichbar strukturierten281 Grundfreiheiten der Dienstleistung (Art. 56 AEUV), der Niederlassung (Art. 49 AEUV) und der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV).282 Dass der Aufnahmestaat die grenzüberschreitende Erwerbstätigkeit natürlicher Personen anzuerkennen hat, sofern sie im Einklang mit den rechtlichen Anforderungen ihres Herkunftsstaates erfolgt, bringt der EuGH erstmals in der Entscheidung 278 Zur Vorreiterrolle der Warenverkehrsfreiheit Müller-Graff, in: von der Groeben/ Schwarze, 6. Aufl. 2003, Vorbem. Art. 28 bis 31 EG Rn. 10; zur Konvergenz der Grundfreiheiten grundlegend Behrens, EuR 1992, 154 (148 ff.); siehe ferner Classen, EWS 1995, 97 ff. 279 Mit Blick auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) wird teilweise bestritten, dass sie geeignet ist, praktische Anerkennungssituationen hervorzurufen; so Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, 2004, S. 274; vgl. auch Behrens, EuR 1992, 145 (154, 158). Zwar wird in der Literatur diskutiert, ob die in Dassonville, Cassis de Dijon und Keck für die Definition von Beschränkungen und ihre Rechtfertigung entwickelten Grundsätze auf die Kapitalverkehrsfreiheit übertragen werden können; siehe statt vieler Bröhmer, in: Calliess/ Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 63 AEUV Rn. 61 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 3707 ff.; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 63 AEUV Rn. 158 ff. (Stand Januar 2014), jeweils m. w. N. Der Anerkennungsgedanke wird dabei nicht thematisiert. Gleichwohl erscheint auch im Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit eine entsprechende Anerkennungslogik denkbar, etwa in Bezug auf die Konvertibilität von Währungen anderer Mitgliedstaaten außerhalb der Eurozone oder in Bezug auf die von der Kapitalverkehrsfreiheit erfasste Emission ausländischer Wertpapiere an inländischen Kapitalmärkten (vgl. zu Letzterem Anhang 1 Abschnitt III der Richtlinie des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [88/361/EWG]). 280 EuGH, Urteil vom 14. 9. 2000, Rs. C-238/98 (Hocsman), Slg. 2000, I – 6623 Rn. 24; EuGH, Urteil vom 22. 1. 2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Slg. 2002, I – 663, Rn. 25; vgl. auch Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651: „Grundprinzip des Europäischen Rechtsraums“; Ruffert, „Recognition of Foreign Legislative and Administrative Acts“, in: Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2008, online edition (), Rn. 12: „basis of the application of the fundamental freedoms“; S. Schmidt, Journal of European Public Policy 2007, 667: „the principle on which the single market is built.“ 281 Hellwig, FS Hopt, S. 2791 (2807). 282 Zu der insbesondere zwischen Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit erforderlichen Abgrenzung der jeweiligen Schutzbereiche siehe EuGH, Urteil vom 30. 11. 1995, Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I – 4165, Rn. 25 ff. sowie bereits oben S. 27, dort m. w. N.
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Säger klar zum Ausdruck. Die Entscheidung betrifft die Dienstleistungsfreiheit; der EuGH führt dazu aus: „Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 59 EWG-Vertrag [jetzt Art. 56 AEUV, der Verf.] nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten – verlangt, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern.“283
Diese Argumentation hat der EuGH in der Folgezeit konsequent fortgeführt; sie liegt der Sache nach auch den kontrovers diskutierten jüngeren Entscheidungen Viking Line284 und Laval285 zugrunde.286 Er hat sie folgerichtig287 auf die Niederlassungsfreiheit und die Arbeitnehmerfreizügigkeit natürlicher Personen übertragen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die sowohl aus der Niederlassungsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit als auch aus der Dienstleistungsfreiheit abzuleitende288 Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Zulassung zu einem bestimmten Beruf die in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen beruflichen Qualifikationen zu „berücksichtigen“.289 Anders 283 EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-76/90 (Säger), Slg. 1991, I – 4221, Rn. 12. In den Mediawet-Entscheidungen vom selben Tag führt der EuGH aus, es könne eine Beschränkung darstellen, wenn „innerstaatliche Vorschriften, die alle im Inland ansässigen Personen erfassen, auf im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates ansässige Erbringer von Dienstleistungen angewandt werden, die bereits den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates entsprechen müssen“, EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-288/89 (Mediawet I), Slg. 1991, I – 4007, Rn. 12 sowie EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-353/89 (Mediawet II), Slg. 1991, I – 4069, Rn. 16. Der Gedanke, dass die Dienstleistungsfreiheit ein Beschränkungsverbot enthält und nicht bloß ein Diskriminierungsverbot, ist jedoch bedeutend älter; siehe bereits EuGH, Urteil vom 3. 12. 1974, Rs. 33/74 (van Binsbergen), Slg. 1974, 1299, Rn. 10: „Unter die Beschränkungen, deren Beseitigung die Artikel 59 und 60 vorsehen, fallen alle Anforderungen, die [den Leistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit diskriminieren, der Verf.] oder in anderer Weise geeignet sind, die Tätigkeiten des Leistenden zu unterbinden oder zu behindern.“ (Hervorhebung durch den Verf.). 284 EuGH, Urteil vom 11. 12. 2007, Rs. C-438/05 (Viking Line), Slg. 2007, I – 10779. 285 EuGH, Urteil vom 18. 12. 2007, Rs. C-341/05 (Laval), Slg. 2007, I – 11767. 286 Thüsing, Stellungnahme zur Anhörung des Europa-Ausschusses des Deutschen Bundestags am 6. 10. 2010, Ausschussdrucksache 17(21)0267, passim; siehe zu den genannten Urteilen ferner Schubert, RdA 2008, 289; Skouris, RdA 2009, Sonderbeilage Heft 5, 25. 287 Krit. noch Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, 1997, S. 189 ff.: „Wer sich zum Zwecke der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit auf unbestimmte oder zumindest nicht nur vorübergehende Zeit in einen anderen Mitgliedstaat begibt, kann nicht damit rechnen, sein eigenes Recht dorthin ‚ausführen‘ zu können.“ 288 In EuGH, Urteil vom 22. 3. 1994, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I – 923, Rn. 11 ff. werden sogar alle drei Grundfreiheiten (Art. 48, 52 und 59 EWG-Vertrag) gemeinsam geprüft; vgl. auch Wölker/Grill, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 39 EG Rn. 47. 289 EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I – 2357, Rn. 16; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1992, Rs. C-104/91 (Aguire Borell), Slg. 1992, I – 3003, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 22. 3. 1994, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I – 923, Rn. 12;
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als im Falle der Qualifikation eines Produkts als verkehrsfähige Ware steht die Anerkennung ausländischer beruflicher Qualifikationen unter dem Vorbehalt, dass sie ihrem Inhaber die gleichen Kenntnisse und Fähigkeiten wie die innerstaatliche Qualifikation oder dieser zumindest gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt. Die Gleichwertigkeit ist durch den Aufnahmestaat anhand objektiver Kriterien zu prüfen.290 Ergibt diese Prüfung die Gleichwertigkeit der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Berufsqualifikation, verdichtet sich die Pflicht zur „Berücksichtigung“ zur Anerkennungspflicht. Ansonsten darf der Aufnahmestaat von dem Betroffenen den Nachweis verlangen, dass er die fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat.291 Die Äquivalenz der im Herkunftsstaat erworbenen Qualifikation wird also nicht von vornherein vermutet. Die praktische Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist im Hinblick auf berufliche Qualifikationen für den Betroffenen aufgrund der Gleichwertigkeitsprüfung im Aufnahmestaat mit einiger Rechtsunsicherheit verbunden. Daher hat der europäische Gesetzgeber schon 1988 mit der sog. Diplomanerkennungsrichtlinie292 einen sekundärrechtlichen Rahmen für die Anerkennung von Hochschuldiplomen geschaffen, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen. Daneben traten spezielle Richtlinien für einzelne Berufsgruppen. Ein Großteil dieser Richtlinien wurde mit Inkrafttreten der Berufsqualifikationsrichtlinie von 2005293 aufgehoben,294 die – ebenso wie die Dienstleistungsrichtlinie von 2006295 – einen sektorübergreifenden Ansatz verfolgt.296 EuGH, Urteil vom 14. 9. 2000, Rs. C-238/98 (Hocsman), Slg. 2000, I – 6623 Rn. 21; EuGH, Urteil vom 22. 1. 2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Slg. 2002, I – 663, Rn. 24. 290 EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I – 2357, Rn. 17; EuGH, Urteil vom 25. 7. 1991, Rs. C-58/90 (Kommission/Italien), Slg. 1991, I – 4193, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1992, Rs. C-104/91 (Aguire Borell), Slg. 1992, I – 3003, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 22. 3. 1994, Rs. C-375/92 (Kommission/Spanien), Slg. 1994, I – 923, Rn. 13. 291 EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I – 2357, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1992, Rs. C-104/91 (Aguire Borell), Slg. 1992, I – 3003, Rn. 14; siehe zum Ganzen ausführlich Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 1963 ff. 292 Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen. 293 Richtlinie 2005/36/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Die Berufsqualifikationsrichtlinie wurde durch die Richtlinie 2013/55/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 20. November 2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung) überarbeitet; s. dazu Stork, GewArch 2013, 338. 294 Siehe die Aufzählung in Erwägungsgrund Nr. 9 der Berufsqualifikationsrichtlinie. 295 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt. 296 Kluth/Rieger, EuZW 2005, 486 (486 f.). Für einige Berufe existieren nach wie vor
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Die Berufsqualifikationsrichtlinie enthält zwei grundlegende Differenzierungen. Die erste Differenzierung betrifft die Aufnahme einer Tätigkeit im Aufnahmestaat (d. h. den Marktzugang) einerseits und die Modalitäten der Berufsausübung (d. h. das Marktverhalten) andererseits.297 Für den Marktzugang gilt grundsätzlich das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Für das Marktverhalten gilt das Gebot der Inländerbehandlung. Die Reichweite der Anerkennungspflicht entspricht damit jener im Bereich der Grundfreiheiten nach den Entscheidungen Cassis de Dijon und Keck: Auch im Bereich des freien Warenverkehrs ist es so, dass für den Marktzugang ausländischer Produkte und ihre Qualifikation als verkehrsfähige Ware das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (= Beschränkungsverbot) gilt, während für das Marktverhalten – im Bereich des freien Warenverkehrs: den Vertrieb – allein das Gebot der Inländerbehandlung gilt. Gleiches gilt für jene Grundfreiheiten, welche die grenzüberschreitende Erwerbstätigkeit natürlicher Personen betreffen. Bei den die Modalitäten der Berufsausübung natürlicher Personen im Sinne der Richtlinie betreffenden Regelungen – etwa den Besitz der für die Berufsausübung erforderlichen Sprachkenntnisse (Art. 53 der Berufsqualifikationsrichtlinie) oder das Führen von akademischen Titeln (Art. 54 der Berufsqualifikationsrichtlinie) – handelt es sich zugleich um „Modalitäten“ im Sinne der KeckRechtsprechung des EuGH. Die zweite grundlegende Differenzierung der Berufsqualifikationsrichtlinie besteht zwischen bloß vorübergehender Dienstleistung im Aufnahmestaat (Titel II) und dauerhafter Niederlassung (Titel III). Dabei gelten das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und das Gebot der Inländerbehandlung im Bereich der Dienstleistungsfreiheit nahezu uneingeschränkt, während im Bereich der Niederlassungsfreiheit die Richtlinie dem Aufnahmestaat eine stärkere Regelungsautonomie zugesteht; eine automatische Anerkennung ist lediglich bei solchen Berufen vorgesehen, bei denen die Mindestanforderungen an die Ausbildung bereits durch spezifische Richtlinien harmonisiert wurden. Dies ist dadurch begründet, dass die Rechts- und Wirtschaftsordnung des Aufnahmestaates durch die bloß vorübergehende Erbringung von Dienstleistungen spezielle Richtlinien. So gelten etwa für Rechtsanwälte die anwaltsspezifische Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte) und die anwaltsspezifische Niederlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde). Siehe zum Verhältnis von anwaltsspezifischer und allgemeiner Dienstleistungsrichtlinie Hellwig, FS Hopt, S. 2791 (2815 ff.), sowie generell zum Verhältnis spezieller und allgemeiner Richtlinien Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 1978 ff. 297 Die Aufnahme der Berufstätigkeit ist geregelt in Titel II („Dienstleistungsfreiheit“) und Titel III („Niederlassungsfreiheit“), die Ausübung ist geregelt in Titel IV („Modalitäten der Berufsausübung“). Vgl. auch Kluth/Rieger, EuZW 2005, 486 (487).
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weniger stark betroffen ist als durch die dauerhafte Niederlassung ausländischer Marktakteure. Auch im Bereich der Grundfreiheiten wird vertreten, dass Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit einem strengeren Rechtfertigungsmaßstab unterliegen als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit oder der Arbeitnehmerfreizügigkeit.298 Inhaltlich erweist sich die Berufsqualifikationsrichtlinie demnach als ein Spiegelbild der Grundfreiheitendogmatik, ohne aber die Bedeutung der Grundfreiheiten im Bereich der Anerkennung von Berufsqualifikationen natürlicher Personen zu relativieren. Denn auch dann, wenn die einschlägigen sekundärrechtlichen Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung von Diplomen im konkreten Einzelfall nicht anwendbar sind, so greift ungeachtet dessen auf der Ebene des Primärrechts die aus den Grundfreiheiten abgeleitete Verpflichtung zur gegenseitigen Berücksichtigung bzw. Anerkennung beruflicher Qualifikationen.299 Denn diese Richtlinien, so der EuGH in der Entscheidung Dreessen mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen, haben lediglich die Funktion, die gegenseitige Anerkennung durch die Aufstellung gemeinsamer Regeln und Kriterien zu erleichtern. Sie haben dagegen nicht das Ziel, die gegenseitige Anerkennung in nicht von ihnen erfassten Sachverhalten zu erschweren, und dürfen dies auch nicht bewirken.300 Die Ausführungen des EuGH in der Entscheidung Dreessen zum Verhältnis von sekundärrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich der Anerkennung beruflicher Qualifikationen und dem Gewährleistungsgehalt der primärrechtlichen Grundfreiheiten sind nahezu identisch mit der Passage in Überseering, in welcher der EuGH festhält, dass sich die Pflicht zur Anerkennung ausländischer Gesellschaften unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit ergibt und keine Übereinkunft der Mitgliedstaaten über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften nach Art. 293 EG voraussetzt.301 Sowohl in Dreessen als auch in Überseering stellt der EuGH klar, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung unmittelbar in der Niederlassungsfreiheit verankert ist. Sekundärrechtliche Harmonisierungsvorschriften und Anerkennungs-Übereinkommen können die Anerkennung praktisch erleichtern, sind aber keine Voraussetzung für die Anerkennung. 298 Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 3276 (die „Eingriffsschwelle“ liege niedriger als bei der Niederlassungsfreiheit). 299 EuGH, Urteil vom 14. 9. 2000, Rs. C-238/98 (Hocsman), Slg. 2000, I – 6623, Rn. 31 ff.; EuGH, Urteil vom 22. 1. 2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Slg. 2002, I – 663, Rn. 25 ff.; siehe bereits EuGH, Urteil vom 28. 4. 1977, Rs. 71/76 (Thieffry), Slg. 1977, 765, Rn. 17 für den Fall, dass derartige Richtlinien noch nicht erlassen sind. 300 EuGH, Urteil vom 22. 1. 2002, Rs. C-31/00 (Dreessen), Slg. 2002, I – 663, Rn. 26. 301 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rnrn. 55, 60. Vier der fünf Richter, die an der Entscheidung Dreessen mitgewirkt hatten, waren auch an Überseering beteiligt, nämlich die Richter Edward, La Pergola, Jann und von Bahr. Vgl. ferner EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805, Rn. 67; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Auf. 2012, Art. 54 AEUV Rn. 14.
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III. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung als horizontale Kompetenzzuweisung an den Herkunftsstaat Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung hat im Bereich der Warenverkehrsfreiheit ebenso wie im Bereich der wirtschaftlichen Erwerbstätigkeit natürlicher Personen im Wesentlichen zwei Funktionen: Zum einen sichert es die Verkehrsfähigkeit von Waren sowie die Mobilität natürlicher Personen im Binnenmarkt.302 Zum anderen verhindert es, dass eine Ware den produktbezogenen Qualifikationsstandards aller Mitgliedstaaten genügen muss, in denen sie in den Verkehr gebracht werden soll, bzw. dass eine natürliche Person die beruflichen Qualifikationsstandards aller Mitgliedstaaten erfüllen muss, in denen sie ihre berufliche Tätigkeit aufnehmen will.303 Es löst damit in verschiedenen Bereichen das Problem der gutgläubigen Marktfragmentierung durch divergierende Qualifikationsstandards der Mitgliedstaaten. Dies geschieht dadurch, dass die Zuständigkeit für die Definition und die Durchsetzung von Qualifikationsstandards auf der horizontalen Ebene dem Herkunftsstaat zugewiesen wird.304 Auf diese Weise überwindet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung einen die Verkehrsfähigkeit von Produkten und die Mobilität natürlicher Personen hemmenden Kompetenzkonflikt. Dieser Kompetenzkonflikt resultiert daraus, dass in grenzüberschreitenden Sachverhalten zwei Mitgliedstaaten potentiell den Anspruch erheben, die für das Produkt bzw. die berufliche Tätigkeit maßgeblichen Qualifikationsstandards zu definieren: der Herkunftsstaat deshalb, weil ein bestimmtes Produkt innerhalb seines Territoriums hergestellt und erstmals in den Verkehr gebracht wird bzw. eine natürliche Person ihre berufliche Qualifikation innerhalb seines Territoriums erwirbt; der Aufnahmestaat deshalb, weil in Folge des Grenzübertritts das Produkt im Aufnahmestaat in den Verkehr gebracht wird bzw. eine natürliche Person dort ihren Beruf ausübt. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bewirkt, dass die Befugnis des Aufnahmestaates, grundsätzlich die innerhalb seines Territoriums zu erfüllenden 302
Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501. EuGH, Urteil vom 15. 12. 1982, Rs. 286/81 (Oosthoek), Slg. 1982, 4575, Rn. 15, wonach es nicht auszuschließen ist, „dass der für den betroffenen Unternehmer bestehende Zwang, sich entweder für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Systeme der Werbung und Absatzförderung zu bedienen oder ein System, das er für besonders wirkungsvoll hält aufzugeben, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen kann, wenn eine solche Regelung unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gilt.“ In seiner Entscheidung in der Rechtssache Keck hat der EuGH diese Rechtsprechung freilich erheblich eingeschränkt und bloße Verkaufsmodalitäten im Aufnahmestaat vom Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ausgenommen, siehe EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, Rs. C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I – 6097, Rn. 16 f.; dazu ausführlich oben S. 30 ff. 304 Vgl. schon Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (666), der insoweit nicht ganz präzise von einer horizontalen Kompetenzverlagerung spricht. Die Zuständigkeit für die Definition und Durchsetzung von Qualifikationsstandards ist dem Herkunftsstaat indes originär zugewiesen; sie bleibt auch im Falle des Grenzübertritts erhalten. 303 Eingehend
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Qualifikationsstandards zu definieren, in grenzüberschreitenden Sachverhalten gegenüber der entsprechenden, zeitlich vorgelagerten Befugnis des Herkunftsstaates zurücktritt. Die Definition und Durchsetzung von Qualifikationsstandards durch den Herkunftsstaat wirkt im Aufnahmestaat fort. Die so verstandene horizontale Kompetenzzuweisung an den Herkunftsstaat hat ihren Ursprung im Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts und damit im Bereich des öffentlichen Rechts.305 Denn es ist primär das öffentliche Recht, durch das ein Mitgliedstaat Qualifikationsstandards hoheitlich definiert und durchsetzt. Dies gilt im Bereich der Warenverkehrsfreiheit etwa für die Zulassung bestimmter Produkte (z. B. Elektrokabel), sofern ein Produkt die (öffentlich-rechtlich einzuordnenden) technischen Anforderungen des Herkunftslands erfüllt, und im Bereich der Dienstleistungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen etwa für die Verleihung von Diplomen, sofern eine natürliche Person die Leistungen erbracht hat, die das (öffentliche) Recht ihres Herkunftsstaates für die Verleihung des Diploms verlangt. Die horizontale Kompetenzzuweisung an den Herkunftsstaat bedeutet ferner, dass der Herkunftsstaat Qualifikationsstandards autonom definieren kann, ohne dass diese am Maßstab des freien Warenverkehrs, der Dienstleistungsfreiheit oder der Niederlassungsfreiheit überprüfbar sind. Die Definitionsautonomie des Herkunftsstaates ist dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung inhärent. Von gegenseitiger Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten kann man nur dann sprechen, wenn jeder Mitgliedstaat in seinem eigenen Regelungsbereich Autonomie beanspruchen kann. Kein Mitgliedstaat wäre zur Anerkennung der Qualifikationsstandards anderer Mitgliedstaaten bereit, wenn er sich nicht zugleich der Anerkennung seiner eigenen Qualifikationsstandards durch die anderen Mitgliedstaaten gewiss sein könnte. Die Autonomie der Mitgliedstaaten, in ihrer Eigenschaft als „Herkunftsstaaten“ eigene Qualifikationsstandards zu definieren, ist daher die ungeschriebene Prämisse der Anerkennung der Qualifikationsstandards anderer Mitgliedstaaten.306 Die intrinsische Reziprozität der Anerkennung illustriert bereits anschaulich Hegels berühmte HerrKnecht-Metapher:307 Die einseitige Anerkennung des Herrn durch den Knecht ist nur vorübergehender Natur und wird durch gegenseitige Anerkennung als
305 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (5); Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (664); Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (666); Spindler, RabelsZ 66 (2002), 633 (639); siehe monographisch Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, 2004. 306 Insofern trifft der EuGH nicht den eigentlichen Kern, wenn er in Vale die Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten aus dem Fehlen einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugute kommt, abzuleiten scheint („somit“); siehe EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 29. 307 Siehe oben Fußn. 255.
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gleichermaßen autonome Individuen überwunden.308 Die Gegenseitigkeit der Anerkennung und damit die Autonomie des jeweils Anzuerkennenden ist jedoch nicht nur der interpersonalen Anerkennung von individueller Identität, sondern auch der intermitgliedstaatlichen Anerkennung von produkt- oder berufsbezogenen Qualifikationsstandards inhärent. Da die Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung neben der Autonomie des Herkunftsstaates, wie gesehen, das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Funktionsäquivalenz ihrer jeweiligen Qualifikationsstandards ist, kann sich die Anerkennungspflicht im Bereich der Warenverkehrsfreiheit nur auf Waren beziehen, die den Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates entsprechen, also zumindest dort verkehrsfähig sind. Darüber hinaus wird man verlangen müssen, dass die Ware im Herkunftsstaat auch bereits tatsächlich und rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurde. Denn nur in diesem Fall wurde ihre Verkehrsfähigkeit durch den Herkunftsstaat auch tatsächlich überprüft, und nur diese bereits durch den Herkunftsstaat erfolgte Überprüfung rechtfertigt es, auf eine erneute Prüfung der Verkehrsfähigkeit durch die Behörden des Aufnahmestaates zu verzichten.309 Hätte beispielsweise im Fall Cassis de Dijon Frankreich die Herstellung und den Vertrieb von Cassis mit einem geringeren Alkoholgehalt als 32 % ebenfalls nicht zugelassen, wäre auch Deutschland unionsrechtlich nicht verpflichtet gewesen, derartigen Cassis anzuerkennen und zu gestatten, dass er in Deutschland in den Verkehr gebracht wird.310 Noch deutlicher wird dies im Bereich der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen: Anzuerkennen ist ausschließlich ein bereits nach dem Recht des Herkunftsstaates rechtmäßig erworbenes Diplom, nicht schon die bloße Tatsache, dass eine natürliche Person nach dem Recht ihres Herkunftsstaates die Voraussetzungen erfüllt, um ein bestimmtes Diplom zu erwerben. Wenn die Tatsache, dass eine Ware oder eine Person die Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates erfüllt, eine Anerkennungspflicht der übrigen Mitgliedstaaten begründet, hat dies zwangsläufig eine weitreichende Rechts308 Siehe zur Gegenseitigkeit der Anerkennung bei Hegel ausführlich Laitinen, in: Schmidt am Busch/Zurn (Hrsg.), Anerkennung, 2009, S. 301 (309 ff.). Im Bereich der Grundfreiheitendogmatik ist der Begriff der Gegenseitigkeit nicht in einem bilateralen Sinne zu verstehen, sondern auf die Beziehungen aller Mitgliedstaaten untereinander bezogen, siehe Matthies, FS Steindorff, S. 1287 (1294). 309 Wie hier Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (14); Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht, 1997, S. 61; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 134; Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungsgewalt in der Europäischen Union, S. 229 lässt dagegen die bloße Verkehrsfähigkeit eines Produkts ausreichen; ebenso wohl Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (666) („rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gelangt“); a. A. v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1 (14), demzufolge es auf die Rechtmäßigkeit nicht ankommt. 310 Ebenso Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 136 mit dem Argument, dass der deutschen Regelung dann jede marktaufspaltende Wirkung gefehlt hätte; a. A. v. Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 1 (14).
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wahlfreiheit im Binnenmarkt zur Folge. Denn der Herkunftsstaat ist frei wählbar: Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit ist es der Produzent einer Ware, der darüber entscheidet, in welchem Mitgliedstaat sie produziert wird und welcher Mitgliedstaat damit zum Herkunftsstaat der Ware wird, mit der Folge, dass sie dessen Qualifikationsstandards erfüllen muss und dass diese Qualifikationsstandards von den übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen sind.311 Im Bereich der grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit natürlicher Personen ist es der Erwerber eines Diploms, der darüber entscheidet, wo er das Diplom erwirbt, d. h. welchen Mitgliedstaat er insoweit als Herkunftsstaat auswählt.312 Die durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung eröffnete Rechtswahlfreiheit ist freilich nicht mit der Parteiautonomie im Internationalen Privatrecht zu verwechseln und mit dieser nicht deckungsgleich.313 Bezugspunkt der international-privatrechtlichen Parteiautonomie sind Rechtsverhältnisse, deren Inhalt grundsätzlich von den Parteien selbst bestimmt werden kann.314 Die Parteiautonomie gilt etwa im Schuldvertragsrecht nahezu unbeschränkt und setzt keinen räumlichen, sachlichen oder persönlichen Bezug des Vertrags zu der gewählten Rechtsordnung voraus.315 Dies ist bei der durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auf der Ebene der Grundfreiheiten eröffneten Rechtswahlfreiheit anders. Denn sie bezieht sich auf hoheitlich definierte (produkt- bzw. berufsbezogene) Qualifikationsstandards und damit auf den Bereich des öffentlichen Rechts, dem aufgrund der in diesem Bereich überwiegenden öffentlichen Interessen eine inhaltliche Rechtswahlfreiheit grundsätzlich fremd ist. Anders als bei der international-privatrechtlichen Parteiautonomie ist in diesem Bereich sehr wohl ein lokaler Bezug zu der Rechtsordnung erforderlich, die als Herkunftsstaat gewählt wird: Die Ware muss dort in den Verkehr gebracht werden bzw. die natürliche Person muss dort tatsächlich studieren und ihr Diplom erwerben, damit die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Anerkennung 311
Siehe nur Craig/de Burca, EU Law: Text, Cases and Materials, 5. Aufl. 2011, S. 685. Staat, den eine natürliche Person mit Blick auf ihr Diplom als „Herkunftsstaat“ auswählt, muss keineswegs mit dem Staat identisch sein, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, auch wenn der Begriff „Herkunftsstaat“ dies vordergründig suggeriert; vgl. EuGH, Urteil vom 31. 3. 1993, Rs. C-19/92 (Kraus), Slg. 1993, I – 1663, Rn. 14 ff. 313 Siehe zur international-privatrechtlichen Parteiautonomie umfassend Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 40. Auch die international-privatrechtliche Parteiautonomie wird freilich u. a. mit der prinzipiellen Gleichwertigkeit des Schuldrechts der meisten Länder begründet, siehe Martiny, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Art. 3 Rom I-VO Rn. 8. 314 Zur inneren Legitimation der freien Rechtswahl Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 40 III 2 sowie § 40 IV 3. 315 Martiny, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Art. 3 Rom I-VO Rn. 22; vgl. aber die Vorbehalte in Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) zugunsten von zwingendem Inlandsrecht und zwingendem Gemeinschaftsrecht. 312 Der
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ausgelöst wird.316 Ohne diesen lokalen Bezug zum Herkunftsstaat fehlt es an einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, sodass der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und des darin verankerten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nicht eröffnet ist. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wirkt immer nur in Richtung des jeweiligen Herkunftsstaates: Die übrigen Mitgliedstaaten haben die Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates anzuerkennen. Der Begriff „Herkunftslandprinzip“ bringt dies klarer zum Ausdruck als der Begriff der „gegenseitigen Anerkennung“.317 In entgegengesetzter Richtung besteht eine Pflicht zu gegenseitiger Anerkennung dagegen nicht. Es erscheint geradezu abwegig, dass der Herkunftsstaat verpflichtet sein soll, inländischen Produzenten zu gestatten, Elektrokabel mit einer Isolierschicht von nur drei statt vier Millimetern Gummi im Inland in den Verkehr zu bringen, nur weil andere Mitgliedstaaten eine derartige Isolierung von Elektrokabeln für ausreichend erachten. Nicht minder abwegig erscheint eine Verpflichtung des Herkunftsstaates, seinen eigenen Staatsangehörigen nach einer Studiendauer von sechs Semestern ein bestimmtes Diplom zu verleihen, nur weil in anderen Mitgliedstaaten deren Staatsangehörige ein solches Diplom nach sechs Semestern Studiendauer erhalten. In ihrer Eigenschaft als Herkunftsstaaten sind die Mitgliedstaaten vielmehr autonom darin, ihre eigenen Qualifikationsstandards zu definieren. Zugleich ist die Autonomie des Herkunftsstaates aber auf die Definition von Qualifikationsstandards beschränkt. Der Herkunftsstaat ist befugt, autonom die Qualifikationsstandards zu definieren, denen eine Ware genügen muss, um in den Verkehr gebracht werden zu können. Er kann aber den Export einer Ware, die diesen Qualifikationsstandards genügt, nicht verbieten: Art. 35 AEUV untersagt ausdrücklich mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung. Ebenso wenig darf der Herkunftsstaat mit Blick auf die grenzüberschreitende Erwerbstätigkeit natürlicher Personen die praktische Ausübung einer im Inland erworbenen Qualifikation im Ausland verbieten. In beiden Fällen läge eine Beschränkung der jeweils betroffenen Grundfreiheit vor. Differenziert man im Hinblick auf den freien Warenverkehr in Anlehnung an die Keck-Entscheidung des EuGH zwischen produkt- und vertriebsbezogenen Vorschriften, beschränkt sich die Autonomie des Herkunftslandes auf den Erlass produktbezogener Vorschriften (dies sind die hier sogenannten Qualifikationsstandards). Vertriebsbezogene Vorschriften („Verkaufsmodalitäten“) des Herkunftsstaates, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, sind dagegen am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar.
316 Bei Wahl einer ausländischen Gesellschaftsform besteht der lokale Bezug darin, dass der Gesellschaft in ihrem Herkunftsstaat Rechtsfähigkeit verliehen wird, siehe unten S. 89 ff. 317 Siehe zur Terminologie oben Fußn. 244.
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Die Autonomie des Herkunftsstaates verhält sich nach alldem spiegelbildlich zur Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates („umgekehrter Keck-Fall“): Während die Anwendung produktbezogener Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates eine Beschränkung darstellt, sind nach Keck vertriebsbezogene Vorschriften des Aufnahmestaates, die für inländische und ausländische Waren gleichermaßen gelten, nicht am Maßstab des Beschränkungsverbots überprüfbar; insoweit besteht also eine Definitionsautonomie des Aufnahmestaates, der ausschließlich durch das Diskriminierungsverbot Grenzen gezogen werden. Ebenso, wie für den Bereich der produktbezogenen Qualifikationsstandards eine horizontale Kompetenzzuweisung an den Herkunftsstaat festgestellt werden kann, kann man daher im Bereich der vertriebsbezogenen Vorschriften von einer horizontalen Kompetenzzuweisung an den Aufnahmestaat sprechen. Auch diese Erkenntnis lässt sich auf die Auslegung der übrigen Grundfreiheiten übertragen.318 Der Aufnahmestaat besitzt mit Blick auf ausländische Produkte bzw. Dienstleistungserbringer die grundsätzliche Zuständigkeit für die Definition und Durchsetzung jener Vorschriften, die nicht als „Qualifikationsstandards“ zu qualifizieren sind. Da es im Bereich anderer Grundfreiheiten als der Warenverkehrsfreiheit als wenig passend erscheint, begrifflich zwischen produktund vertriebsbezogenen Vorschriften zu differenzieren, sollen die letzteren Vorschriften in Abgrenzung zu den Qualifikationsstandards im Folgenden als „Rahmenbedingungen“ bezeichnet werden.319 Die wechselseitige Bedingtheit von Definitionsautonomie und Anerkennungspflicht im Bereich von Qualifikationsstandards einerseits und Rahmenbedingungen andererseits ermöglicht es, auf einfache Weise festzustellen, ob eine nationale Vorschrift im grenzüberschreitenden Kontext die Grundfreiheiten beschränkt. Zunächst ist zu ermitteln, ob es sich bei der jeweiligen Vorschrift um einen Qualifikationsstandard oder um eine Rahmenbedingung handelt. Die Zuständigkeit für die Definition und Durchsetzung von Qualifikationsstandards liegt beim Herkunftsstaat; die Zuständigkeit für die Definition und Durchsetzung von Rahmenbedingungen liegt beim Aufnahmestaat. Wenden die Mitgliedstaaten im Bereich der Definitionsautonomie eines anderen Mitgliedstaates ihre eigenen Vorschriften an, so liegt darin eine Beschränkung der jeweils betroffenen Grundfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Handeln die Mitgliedstaaten dagegen im Rahmen ihrer so verstandenen Zuständigkeit, sind 318 Zur Übertragung der Keck-Rechtsprechung auf die Niederlassungsfreiheit siehe bereits oben S. 30 ff. 319 Ähnlich Poiares Maduro, We the Court, 1998, S. 83, der mit Blick auf den freien Warenverkehr zwischen „characteristics” und “circumstances” differenziert, sowie MüllerGraff, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 254, der die hier als Rahmenbedingungen bezeichneten Vorschriften als Absatzhemmnisse charakterisiert, die allein aus allgemeinen, weder auf den zwischenstaatlichen Handel bezogenen noch spezifisch produktbezogenen Ordnungsvorschriften resultieren.
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sie allein an den Grundsatz der Inländerbehandlung (Diskriminierungsverbot) gebunden. Diese Bindung bringt der EuGH in Keck klar zum Ausdruck, wenn er darauf abstellt, dass nur solche Rahmenbedingungen des Aufnahmestaates den freien Warenverkehr nicht beschränken, die für inländische und ausländische Waren gleichermaßen gelten.320 Dies ist auch konsequent, denn würden für den Vertrieb ausländischer Waren strengere Rahmenbedingungen gelten als für den Vertrieb inländischer Waren, wäre eine spezifische Beschränkung des Marktzugangs zu bejahen. Umgekehrt stellen Marktzugangsbeschränkungen stets eine Diskriminierung ausländischer Marktteilnehmer dar, weil inländische Marktteilnehmer sich bereits auf dem Markt befinden, also auf einen freien Marktzugang nicht mehr angewiesen sind. Nur am Rande sei daher auf Folgendes hingewiesen: Ist der freie Marktzugang das entscheidende Kriterium für das Vorliegen einer Beschränkung der Grundfreiheiten, deutet dies auf eine gewisse Tendenz in der Rechtsprechung des EuGH hin, die Grundfreiheiten wieder verstärkt in ihrem ursprünglichen Sinne als Diskriminierungsverbote zu interpretieren.321
IV. Gegenseitige Anerkennung als unionsrechtliche Zielvorgabe und Möglichkeiten ihrer Umsetzung Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationsstandards schreibt keine bestimmte Methode, sondern lediglich das Ergebnis der Rechtsanwendung vor. Das Unionsrecht interessiert sich nicht für die dogmatische Begründung nationaler Maßnahmen der Mitgliedstaaten, sondern es fragt ausschließlich danach, ob eine Maßnahme den freien Binnenmarkt beschränkt oder nicht.322 Eine Beschränkung liegt nicht vor, wenn Waren aus einem anderen Mitgliedstaat, die dort rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, im Ergebnis anerkannt werden. Auf welche Weise die Anerkennung erfolgt, ist aus dem Blickwinkel der Grundfreiheiten irrelevant. Für den Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts hat Mansel überzeugend nachgewiesen, dass das nationale Recht des Aufnahmestaates die unionsrecht320
EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, Rs. C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I – 6097, Rn. 16. Poiares Maduro, We the Court, 1998, S. 81. Diese Tendenz würde noch verstärkt, würde man dem Vorschlag von Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen vom 14. 12. 2006, Rs. C-142/05 (Mickelsson/Roos), Rn. 42 ff. folgen, in analoger Anwendung der Keck-Formel nicht nur Verkaufsmodalitäten, sondern auch Nutzungsmodalitäten nach dem Recht des Aufnahmestaates von einer Prüfung am Maßstab des freien Warenverkehrs auszunehmen. Der EuGH hat sich mit diesem Vorschlag nicht näher auseinandergesetzt, siehe EuGH, Urteil vom 4. 6. 2009, Rs. C-142/05 (Mickelsson/Roos), Slg. 2009, I – 4273; gegen den Vorschlag von Generalanwältin Kokott argumentiert ausführlich Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 8. 7. 2008, Rs. C-110/05 (Kommission/Italien), Rn. 87 ff. 322 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (677); Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369 (378 ff.); für einen verweisungsrechtlichen Gehalt des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dagegen Basedow, RabelsZ 1995, 1 (13 ff.). 321 Vgl.
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liche Vorgabe – gegenseitige Anerkennung – rechtskonstruktiv auf dreierlei Weise umsetzen kann.323 Die erste Möglichkeit ist die Anerkennung ausländischer Wirtschaftsverwaltungsakte: Ein bestimmter Verwaltungsakt des Herkunftsstaates (z. B. die Zulassung eines Produkts) wird durch den Aufnahmestaat im Wege eines verfahrensrechtlichen Anerkennungsakts anerkannt mit der Folge, dass sich seine Wirkungen auf den Aufnahmestaat erstrecken.324 Die zweite Möglichkeit besteht in der Verweisung auf das Wirtschaftsverwaltungsrecht des Herkunftsstaates aufgrund einer (geschriebenen oder ungeschriebenen) öffentlich-rechtlichen Verweisungsnorm. Die Anwendung des Rechts des Herkunftsstaates ermöglicht dem Aufnahmestaat, den entsprechenden Verwaltungsakt (Zulassung des Produkts) selber zu erlassen. Der Grundsatz, wonach inländische Hoheitsträger kein ausländisches öffentliches Recht anwenden,325 wird damit durchbrochen. Die dritte Möglichkeit besteht schließlich darin, dass das eigene Sachrecht des Aufnahmestaates angewandt wird und das Ergebnis seiner Anwendung im Einzelfall auf seine Grundfreiheitenkonformität überprüft und im Falle einer unverhältnismäßigen Beschränkung entsprechend modifiziert wird. Mansel folgert aus diesen verschiedenen Möglichkeiten, dass die Grundfreiheiten selbst keine (versteckten) Kollisionsnormen vorgeben.326 Die Frage nach dem kollisionsrechtlichen Gehalt der Grundfreiheiten soll im Rahmen dieser Arbeit nicht generell, sondern nur für den Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften beantwortet werden. Zunächst ist aber zu untersuchen, wie die unionsrechtliche Zielvorgabe der gegenseitigen Anerkennung im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften überhaupt zu verstehen ist.
V. Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften Dass der EuGH mit seinen Entscheidungen zum rechtsformwahrenden Zuzug von Gesellschaften, namentlich den Entscheidungen Überseering und Inspire Art, die Auslegung der Warenverkehrsfreiheit und der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit natürlicher Personen im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften übertragen hat, erscheint auf den ersten Blick wenig überraschend: Warum sollte für die Anerkennung von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten 323 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (680 f.); vgl. im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs „Anerkennung“ in Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags (BGBl. II 1956, 487 [500]) auch Ebke, RIW 2004, 740 (741). 324 Siehe zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte Sonnenberger, in: MüKo BGB, 5. Aufl. 2010, Einl. IPR Rn. 397. 325 v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2. Aufl. 2003, § 4 Rn. 57 ff.; dagegen ausführlich Ohler, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR, 2006, S. 131 ff. 326 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (681).
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anderes gelten als für die Anerkennung von technischen Produktstandards anderer Mitgliedstaaten oder für die Anerkennung von Diplomen und anderen Berufsqualifikationen, die andere Mitgliedstaaten einer natürlichen Person verliehen haben? Auf den zweiten Blick bereitet die Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf Gesellschaften allerdings durchaus Probleme. Denn der Rechtsprechung des EuGH zum rechtsformwahrenden Zuzug lässt sich nicht eindeutig entnehmen, worauf genau sich die Pflicht zur Anerkennung bezieht und wie dieser Pflicht praktisch Rechnung zu tragen ist. So lassen sich etwa manche Passagen der Entscheidung Überseering dahingehend interpretieren, dass die Niederlassungsfreiheit die Anerkennung der Gesellschaft gebietet.327 Die Leitsätze scheinen dagegen enger formuliert zu sein: Nach dem ersten Leitsatz verstößt es gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn einer zuziehenden Gesellschaft infolge einer Hereinverlegung des Verwaltungssitzes die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor den nationalen Gerichten des Aufnahmestaates abgesprochen wird. Noch vager scheint jedenfalls in der deutschen Sprachfassung von Überseering der zweite Leitsatz formuliert, wonach die Niederlassungsfreiheit es gebietet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit einer zugezogenen Gesellschaft zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates besitzt.328 Die Entscheidung Inspire Art legt dagegen ein weiter gefasstes Verständnis der Anerkennungspflicht nahe, wonach sich die Verpflichtung zur Anerkennung nicht bloß auf die Rechtsfähigkeit, sondern auf die Gesellschaft als solche, d. h. als Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates, bezieht:329 Das niederländische Recht hatte die Rechtsfähigkeit der zugezogenen britischen Inspire Art Ltd. nicht in Frage gestellt, gleichwohl erblickte der EuGH in den Anforderungen des niederländischen Rechts an das Kapital formal ausländischer Gesellschaften eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.330 327 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rnrn. 59, 60, 62. 328 Vgl. Knapp, DNotZ 2003, 85 (88), ähnlich die französische („respecter“) und die italienische Übersetzung („rispettare“). In der englischen Übersetzung wird allerdings der Begriff „recognise“ (anerkennen) verwendet; siehe Roth, IPRax 2003, 117 (120). 329 So die überwiegende Auffassung, die daraus folgert, in Zuzugskonstellationen sei von einer generellen Geltung der Gründungstheorie auszugehen, siehe etwa Bayer, BB 2003, 2357 (2363); Ebke, EBLR 2005, 9 (26); ders., JZ 2003, 927 (928 f.); Forsthoff, DB 2003, 979; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (928); Maul/Schmidt, BB 2003, 2297 f.; zur Rezeption der EuGH-Rechtsprechung in anderen Mitgliedstaaten siehe Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (609 f.) mit umfangreichen Nachweisen. Zu den kollisionsrechtlichen Implikationen der Niederlassungsfreiheit siehe ausführlich S. 97 f. sowie Kapitel 4. 330 Einen differenzierenden Ansatz verfolgen Altmeppen, NJW 2004, 97 (98 ff.) und ders./Wilhelm, DB 2004, 1083 (1086 f.), denen zufolge sich die Pflicht zur Anerkennung auf die Gründung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat bezieht. Daher beurteilten sich Fragen, die auf das Engste mit der Entstehung und dem Bestand der Kapitalgesellschaft zusammenhängen, nach dem Recht des Herkunftsstaates, so etwa auch das Erlöschen der Gesellschaft und Satzungsänderungen. Davon abgesehen sei der Aufnahmestaat jedoch frei
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1. Die Qualifikation als Gesellschaft als Bezugspunkt der Anerkennungspflicht Der Schlüssel für das Verständnis der Anerkennungspflicht im Bereich des Gesellschaftsrechts liegt in der Wirkungsweise des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung einerseits und der Betonung der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten durch den EuGH in Cartesio andererseits. Wie gesehen, beruht das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auf der Prämisse, dass jeder Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Herkunftsstaat autonom darin ist, die Qualifikationsstandards zu definieren, die erfüllt sein müssen, damit eine Ware in den Verkehr gebracht werden kann oder damit eine natürliche Person eine bestimmte berufliche Qualifikation erwirbt. Im Bereich des Gesellschaftsrechts kommt diese Autonomie darin zum Ausdruck, dass jeder Mitgliedstaat als Herkunftsstaat frei darin ist, die Qualifikationsstandards zu definieren, die eine Gesellschaft erfüllen muss, damit sie als Gesellschaft nach seinem nationalen Recht „in den Verkehr gebracht“ und „im Verkehr belassen“ werden, d. h. gegründet werden und fortbestehen kann. Der Begriff der „Qualifikationsstandards“ meint also im Gesellschaftsrecht die Voraussetzungen für die Gründung und den Fortbestand der Gesellschaft in einer bestimmten Rechtsform des Herkunftsstaates.331 Erfüllt eine Gesellschaft die Voraussetzungen nicht, die der Herkunftsstaat für die Gründung von Gesellschaften in einer bestimmten Rechtsform formuliert, kann der Herkunftsstaat bereits ihre Entstehung nach seinem nationalen Recht verweigern; entfällt nachträglich eine der maßgeblichen Voraussetzungen, kann er ihr die ursprünglich verliehene Rechtsform wieder entziehen. Zu den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards, die für die Gründung und den Fortbestand von Gesellschaften in einer bestimmten Rechtsform erfüllt sein müssen, zählt auch der Sitz der Gesellschaft und ggf. das Erfordernis, dass sich der Sitz (Satzungssitz, Verwaltungssitz oder beide Sitze) im Inland befinden muss. Der Herkunftsstaat kann daher die Gründung einer Gesellschaft, deren Sitz sich von Anfang an im Ausland befindet, verweigern, und er kann die nachträgliche Verlegung des Sitzes ins Ausland mit dem Entzug der Rechtsform sanktionieren. Nur vordergründig reicht die Autonomie des Herkunftsstaates in der Definition von Qualifikationsstandards im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften weiter als im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit oder der Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen. Im Bereich der Warenverkehrsfreiheit kann der Herkunftsstaat zwar autonom die produktbezogenen Qualifikationsstandards definieren, denen eine Ware genügen muss, um in den Verkehr gebracht werden zu können; er kann aber den Export einer Ware, die diesen Qualifiktionsstandards entspricht, nicht verhindern. Im Bedarin, sein eigenes Gesellschaftsrecht anzuwenden, insbesondere Vorschriften zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger. 331 Siehe noch ausführlich unten S. 102 ff.
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reich des Gesellschaftsrechts scheint dies anders zu sein.332 Den „Export“ einer Gesellschaft seines nationalen Rechts im Wege der Verlegung des Sitzes ins Ausland darf der Herkunftsstaat durch den Entzug der Rechtsform unterbinden, obwohl die Gesellschaft wirksam nach seinem nationalen Recht gegründet wurde. Dieser Unterschied ist dadurch begründet, dass eine Ware den produktbezogenen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates auch dann genügt, wenn sie in einen anderen Mitgliedstaat exportiert wird. Ebenso hat der Wegzug einer natürlichen Person keinen Einfluss auf ihre im Herkunftsstaat erworbene Qualifikation – die natürliche Person genügt auch nach ihrem Wegzug weiterhin den berufsbezogenen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates. Bei Gesellschaften ist dies anders. Gesellschaften sind, wie der EuGH in Daily Mail, in Cartesio und in National Grid Indus betont, Geschöpfe des nationalen Rechts, denen erst die Rechtsordnung ihres Herkunftsstaates Realität verleiht. Ihre Existenz ist untrennbar mit dem nationalen Recht ihres Herkunftsstaates verknüpft. Darin unterscheiden sie sich von Waren: Ein Elektrokabel „existiert“ auch dann, wenn die Isolierschicht dem maßgeblichen Qualifikationsstandard nicht genügt. Wenn das Recht des Herkunftsstaates für Gesellschaften einer bestimmten Rechtsform als Qualifikationsstandard definiert, dass sie über einen inländischen Sitz verfügen müssen, dann genügt eine Gesellschaft, die ihren Sitz ins Ausland verlegt, nicht mehr den Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates. Diese muss eine Gesellschaft aber erfüllen, um überhaupt als Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates qualifiziert werden und sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen zu können. Aus diesem Grunde ist der Herkunftsstaat auch nicht aus Gründen des Unionsrechts gehalten, den „Export“ der Gesellschaft im Wege der Verlegung des Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat zu gestatten, sondern er darf ihr die Qualifikation als Gesellschaft seines nationalen Rechts und damit die ursprünglich verliehene Rechtsform entziehen. Eine Gesellschaft, die den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates nicht genügt, darf ebenso wenig als Gesellschaft des Herkunftsstaates in andere Mitgliedstaaten „exportiert“ werden wie eine Ware, die den produktbezogenen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates nicht genügt – etwa ein Elektrokabel, dessen Isolierschicht bereits im Zeitpunkt der Produktion nicht dick genug ist oder infolge zu langer Lagerung porös wird. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung verpflichtet aber zur Anerkennung der Qualifikationsstandards, die ein anderer Mitgliedstaat autonom definiert hat, und zur Anerkennung der Gesellschaften, die den Qualifikations332 Vgl. Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (99), der davon ausgeht, die unterschiedliche Behandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug weiche ohne nähere Begründung von dem dogmatischen Ansatz ab, den der EuGH bei den übrigen Grundfreiheiten verfolgt; ähnlich vor Cartesio bereits Herrler, EuZW 2007, 295 (298); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121).
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standards ihres Herkunftsstaates genügen. Wenn ein Mitgliedstaat Elektrokabel mit einer Isolierschicht von drei Millimetern Gummi in den Verkehr gelangen lässt, müssen andere Mitgliedstaaten dies akzeptieren. Ebenso müssen die Mitgliedstaaten akzeptieren, wenn ein anderer Mitgliedstaat eine Gesellschaft nach seinem nationalen Recht trotz eines im Ausland belegenen Sitzes zur Entstehung gelangen oder sie im Falle einer Sitzverlegung ins Ausland fortbestehen lässt.333 Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung ist in beiden Fällen auf die autonome Entscheidung des Herkunftsstaates gerichtet, die Ware bzw. die Gesellschaft in den Verkehr gelangen zu lassen. Der maßgebliche Bezugspunkt der Anerkennung ist bei Gesellschaften also die Tatsache, dass der Herkunftsstaat eine Gesellschaft als Gesellschaft qualifiziert und ihr eine Rechtsform nach seinem nationalen Recht verleiht. Diese „Verleihung“ der Rechtsform beruht zwar darauf, dass eine Gesellschaft den zwingenden Gründungsvorschriften des Gesellschaftsrechts des Herkunftsstaates genügt, ist also die Folge der Anwendung von Normen, die dem Privatrecht zuzuordnen sind. Die dabei geltenden Voraussetzungen sind aber Ausfluss einer autonom getroffenen hoheitlichen Entscheidung des Herkunftsstaates, der bei Kapitalgesellschaften durch den hoheitlichen Akt der Registrierung bzw. Registereintragung sinnbildlich vollzogen wird.334 Auch im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften bedeutet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung damit ein Fortwirken von durch den Herkunftsstaat hoheitlich definierten Qualifikationsstandards im Aufnahmestaat.335 Die Kompetenz, eine Gesellschaft als solche zu qualifizieren und ihr eine bestimmte Rechtsform zu verleihen, ist horizontal dem Herkunftsstaat der Gesellschaft zugewiesen. Die Parallele zwischen produktbezogenen Qualifikationsstandards im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, berufsbezogenen Qualifikationsstandards im Bereich der grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit natürlicher Personen und den Voraussetzungen für die Gründung und den Fortbestand von Gesell333 Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn der EuGH in Überseering betont: „Überseering, die in den Niederlanden wirksam gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, genießt aufgrund der Artikel 43 EG und 48 EG das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen. Insoweit ist es unbeachtlich, dass nach der Gründung dieser Gesellschaft deren gesamtes Kapital von in Deutschland ansässigen deutschen Staatsangehörigen erworben wurde, denn dieser Umstand hat offenbar nicht zum Verlust der Rechtspersönlichkeit geführt, die ihr das niederländische Recht zuerkennt.“ (Überseering Rn. 80, Hervorhebungen durch den Verf.); die Bedeutung dieser Passage verkennt Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (167). 334 Vgl. Pamboukis, Revue Critique de Droit International Privé 2008, 513 (545) („acte quasi public“); Kuipers, EJLS 2009, 66 (87) („semi-public nature“); das Wesen der Rechtspersönlichkeit von Gesellschaften als Ergebnis staatlicher Zuerkennung betont auch Zimmer, BB 2003, 1 (2). 335 Missverständlich ist daher der Befund von Müller-Graff, ZVglRWiss 111 (2012), 72 (74), wonach es im Binnenmarktrecht „nicht um die Verwirklichung von Hoheitsakten in einem anderen Land“ gehe.
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schaften in einer bestimmten Rechtsform im Bereich der Niederlassungsfreiheit („gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards“) lässt die Rechtsprechung des EuGH zur rechtsformwahrenden Sitzverlegung als dogmatisch konsistent erscheinen. Wenn der Sitz der Gesellschaft zum Bereich der gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zählt, die eine Gesellschaft erfüllen muss, fällt die Definition der Anforderungen an den Sitz in den der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten Bereich autonomer rechtspolitischer Entscheidungen des Herkunftsstaates (Cartesio). Zugleich muss der Aufnahmestaat unabhängig von seinen eigenen Qualifikationsstandards eine Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat anerkennen, die den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates genügt. Wo sich der Sitz der Gesellschaft befindet, ist mit Blick auf die Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates gleichgültig. Anerkennung bedeutet, dass der Aufnahmestaat der Gesellschaft weder die Rechtsfähigkeit nach dem Recht ihres Herkunftsstaates aberkennen (Überseering) noch – etwa durch über die Anforderungen des Heimatrechts hinausgehende Kapitalisierungs- und Haftungsvorschriften – in die Ausgestaltung der durch den Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform eingreifen darf (Inspire Art). Die nationalen Regelungsinteressen des Aufnahmestaates treten gegenüber der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft zurück und können lediglich auf der Ebene der Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit der herkunftsstaatlichen Gesellschaft durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses im Aufnahmestaat berücksichtigt werden.336 Mit Hilfe eines so verstandenen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und der Eigenschaft von Gesellschaften als Geschöpfen des nationalen Rechts lässt sich die Cartesio-Entscheidung dogmatisch begründen. Zwingend ist ein solches Verständnis freilich nicht.337 Denn wenn die Autonomie des Herkunftsstaates zur Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards sich auf das Erfordernis eines inländischen Sitzes erstreckt, besteht ein nicht unerheblicher Unterschied zu produktbezogenen Qualifikationsstandards im Bereich des freien Warenverkehrs: Der Qualifikationsstandard selbst ist es nämlich, der die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften verhindert, oder anders formuliert: Das für Waren ohne Zweifel unzulässige338 Exportverbot selbst wird zum Qualifikationsstandard erhoben. Stellt man diesen Unterschied in Rechnung, erscheint die Parallele zwischen produktbezogenen und gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates durchaus angreifbar. 336
In diese Richtung bereits Schön, in: FS Lutter, S. 685 (702 f.). Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (259): „Indes besagt dies noch nicht, dass die Anknüpfungskriterien der Beurteilung anhand der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit per se entzogen sein müssen.“ 338 Eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift enthält Art. 346 Abs. 1 lit. b AEUV für den Export von Rüstungsgütern; s. EuGH, Urteil vom 4. 3. 2010, Rs. C-38/06 (Kommission/ Portugal), Slg. 2010, I – 1569, Rn. 63. 337 Ebenso
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Denn ein Qualifikationsstandard, der etwa die erforderliche Dicke einer Isolierschicht für Elektrokabel definiert, erweist sich anders als das Erfordernis eines Inlandssitzes im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Verkehr als völlig neutral. Es sprechen jedenfalls keine zwingenden Gründe dagegen, die Autonomie der Mitgliedstaaten zur Definition von Qualifikationsstandards und zur Ausgestaltung ihrer nationalen Rechtsformen binnenmarktfreundlich auszugestalten und unter den Vorbehalt zu stellen, dass der autonom definierte Qualifikationsstandard des Herkunftsstaates sich nicht – wie das Erfordernis eines inländischen Gesellschaftssitzes – darauf beschränkt, ein Exportverbot zu statuieren. Das in Cartesio postulierte weite Verständnis der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie erscheint im Hinblick auf die Zielvorstellung eines funktionierenden Binnenmarktes, in dem der freie Verkehr von Personen – und zwar von natürlichen Personen ebenso wie von Gesellschaften – gewährleistet ist (Art. 26 Abs. 2 AEUV), als durchaus fragwürdig.
2. Umsetzung der Anerkennungspflicht im Gesellschaftsrecht Ausgehend von dem vorstehend entwickelten Verständnis der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates stellt sich wiederum die Frage, wie der Aufnahmestaat dieser Verpflichtung rechtstechnisch entsprechen kann. Für den Bereich des Wirtschaftsverwaltungsrechts wurde in Anlehnung an Mansel aufgezeigt, dass das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nur eine Zielvorgabe enthält, die der Aufnahmestaat auf dreierlei Weise umsetzen kann: durch eine verfahrensrechtliche Anerkennungsentscheidung, durch eine kollisionsrechtliche Verweisung auf das Recht des Herkunftsstaates oder durch die Anwendung seines eigenen grundfreiheitenkonformen Sachrechts.339 Diese Erwägungen scheinen sich auf den ersten Blick auf Gesellschaften übertragen zu lassen: So scheint es etwa denkbar, den quasi-hoheitlichen Akt der Registrierung der Gesellschaft in ihrem Herkunftsstaat im Wege einer verfahrensrechtlichen Anerkennungsentscheidung anzuerkennen. Des Weiteren kann der Aufnahmestaat eine zugezogene Gesellschaft dadurch anerkennen, dass er auf sie das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anwendet. Dies setzt voraus, dass der Aufnahmestaat kollisionsrechtlich nicht an den im Aufnahmestaat belegenen Sitz der Gesellschaft anknüpft, sondern eine Kollisionsnorm wählt, die an ein Merkmal anknüpft, das sich weiterhin im Herkunftsstaat befindet, und die daher nicht zu einem Statutenwechsel führt. Wurde etwa allein der Verwaltungssitz in den Aufnahmestaat verlegt, setzt die kollisionsrechtliche Anerkennung durch den Aufnahmestaat voraus, dass dieser kollisionsrechtlich nicht der Sitztheorie folgt. Ob er stattdessen an den nach wie vor im Herkunftsstaat belegenen Satzungssitz anknüpft oder an den Ort 339
Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (680 f.); siehe oben S. 86 f.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
der ursprünglichen Inkorporation der Gesellschaft,340 ist gleichgültig, da beide Anknüpfungsmomente nicht zu einem Statutenwechsel führen. Schließlich scheint eine Anerkennung dadurch möglich zu sein, dass der Aufnahmestaat sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht auf eine zugezogene Gesellschaft anwendet, sofern dieses grundfreiheitenkonform ausgestaltet ist. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Pflicht zur Anerkennung die Kehrseite der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates ist, und der Aussage des EuGH, wonach Gesellschaften Geschöpfe des nationalen Rechts sind, deren Existenz untrennbar mit der Zugehörigkeit zu der nationalen Rechtsordnung ihres Herkunftsstaates verknüpft ist, kann jedoch im Bereich des Gesellschaftsrechts die Anerkennung rechtstechnisch nur auf kollisionsrechtlichem Wege erfolgen. Dies ist im Folgenden näher zu begründen.
a) Verfahrensrechtliche Anerkennung Die Anerkennung im Wege einer verfahrensrechtlichen Anerkennungsentscheidung ist zum einen nur denkbar, wenn ein anerkennungsfähiger Rechtsakt besteht. Ein solcher kann bei Gesellschaften im Akt der Registrierung durch den Herkunftsstaat erblickt werden.341 Eine Registrierung ist aber längst nicht bei allen nationalen Rechtsformen der Mitgliedstaaten erforderlich: Sie kann – insbesondere bei Personengesellschaften – etwa nur deklaratorische Wirkung haben oder sogar ganz entbehrlich sein. Auch Gesellschaften, bei denen eine Registrierung nicht stattgefunden hat, können sich aber auf die Niederlassungsfreiheit berufen und sind daher, wenn (bzw. solange) sie den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates genügen, durch den Aufnahmestaat anzuerkennen. Art. 54 AEUV verlangt insoweit nur, dass die Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurde und dass sich der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung der Gesellschaft in der Union befindet. Zum anderen ist durch die verfahrensrechtliche Anerkennung einer im Herkunftsstaat erfolgten Registrierung noch nicht die Frage beantwortet, welches Recht auf die Gesellschaft fortan Anwendung findet. Diese Frage ist aber bei Gesellschaften – anders als bei Waren – von erheblicher Bedeutung. Die verfahrensrechtliche Anerkennung der Zulassung einer Ware hat zur Folge, dass die Ware im Aufnahmestaat in den Verkehr gebracht werden kann. Alle denkbaren Folgefragen – beispielsweise in Bezug auf etwaige Mängel konkreter Warenstücke – richten sich nach dem Vertrags- oder auch nach dem Deliktsstatut. Die Frage, welchen produktbezogenen Qualifikationsstandards eine Ware genügen muss, hat nur einmalige Bedeutung, 340 Zu den denkbaren Anknüpfungsmomenten unter der Gründungstheorie siehe oben S. 14 f. 341 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (675).
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und Zuzug
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wenn es darum geht, ob sie im Aufnahmestaat in den Verkehr gebracht werden darf oder nicht. Diese Frage kann durch eine verfahrensrechtliche Anerkennung befriedigend gelöst werden. Wird eine Gesellschaft im Aufnahmestaat tätig, ergeben sich aber typischerweise eine Vielzahl gesellschaftsrechtlich zu qualifizierender Folgefragen, für deren Beantwortung entscheidend ist, welche Rechtsform die Gesellschaft hat und welchem materiellen Gesellschaftsrecht die Gesellschaft unterliegt. Eine möglicherweise erfolgte verfahrensrechtliche Anerkennung entbindet den Aufnahmestaat nicht davon, diese Fragen zu beantworten; eine bloße Wirkungserstreckung des Gründungsrechts vermag dies nicht zu leisten.
b) Sachrechtliche Anerkennung Wendet der Aufnahmestaat sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht auf die zugezogene Gesellschaft an, d. h. kommt es infolge des Zuzugs zu einem Statutenwechsel, so bedeutet dies zwangsläufig, dass der Gesellschaft ihre bisherige Rechtsform entzogen wird. Denn dem materiellen Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates ist die konkrete Gesellschaftsform des Herkunftsstaates fremd. Eine Anerkennung der zugezogenen Gesellschaft „als solche“, d. h. in der durch ihren Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform, ist damit nicht möglich. Teilweise wird vertreten, die Anwendung des materiellen Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates auf eine zugezogene Gesellschaft stelle gleichwohl nicht notwendigerweise eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. So meint etwa Teichmann, die Niederlassungsfreiheit könne nicht als Zwang zur Anwendung des Gründungsstatuts verstanden werden, wenn das Sachrecht des Aufnahmestaates liberaler ist als dasjenige des Herkunftsstaates der Gesellschaft. In diesem Falle würde sich das Rechtskleid der Gesellschaft ändern, ohne dass sie dies bemerkt, möglicherweise sogar zu ihrem Vorteil.342 Es ist zwar durchaus denkbar, dass das Sachrecht des Aufnahmestaates in Einzelfragen „liberaler“ ist als das Sachrecht des Herkunftsstaates, also etwa geringere Anforderungen an die Kapitalausstattung der Gesellschaft stellt. Gleichwohl überzeugt diese Argumentation nicht. Zum einen erfolgt die Umqualifizierung einer zugezogenen Gesellschaft in eine Rechtsform des Aufnahmestaates infolge eines Statutenwechsels nicht notwendig in eine kongruente Rechtsform (also beispielsweise von einer britischen Private Limited Company in eine deutsche GmbH), sondern möglicherweise – wie nach deutschem Recht343 – in eine Personengesellschaft des Aufnahmestaates, an deren Entstehung geringere Anforderungen zu stellen sind als an die Entstehung einer Kapitalgesellschaft. Die Umqualifizierung in eine Personengesellschaft hat zur 342 343
Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 427. Siehe dazu unten S. 210 ff.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Folge, dass die Gesellschafter fortan persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften. Die Frage, welches materielle Gesellschaftsrecht in Bezug auf die ursprüngliche Rechtsform der Gesellschaft „liberaler“ ist, stellt sich somit gar nicht. Sofern dagegen das Sachrecht des Aufnahmestaates die Umqualifizierung der zugezogenen Gesellschaft in eine kongruente Rechtsform seines nationalen Rechts unter Aufrechterhaltung einer Haftungsbeschränkung gestattet, wie dies etwa nach portugiesischem oder nach belgischem Recht möglich ist,344 wird dies regelmäßig an bestimmte Voraussetzungen, etwa die Anpassung der Satzung, geknüpft. Der Statutenwechsel hat also in jedem Falle für die betroffene Gesellschaft nachteilige Auswirkungen – sei es in Gestalt des Verlusts der Haftungsbegrenzung oder in Gestalt einer erforderlichen Anpassung der Satzung, mag auch die kongruente Rechtsform des Aufnahmestaates ansonsten „liberal“ ausgestaltet sein. Zugegebenermaßen beruhen aber diese nachteiligen Auswirkungen ausschließlich auf dem materiellen Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates.345 Es handelt sich um materiell-rechtliche Folgen des Statutenwechsels, die aber durch die den Statutenwechsel anordnende Kollisionsnorm nicht zwingend vorgegeben sind. Dies zeigt sich schon daran, dass die Folgen des Statutenwechsels auch zwischen Mitgliedstaaten mit identischer kollisionsrechtlicher Anknüpfung erheblich divergieren. Zwingende Folge des Statutenwechsels ist dagegen, dass die zugezogene Gesellschaft fortan einem Konglomerat von Normen unterliegt, die nicht Bestandteil der Rechtsordnung sind, nach deren Recht sie gegründet wurde. Völlig unabhängig vom materiellen Gehalt dieser Normen kann allein dieser Umstand die Ausübung der Niederlassungsfreiheit für die Gesellschaft weniger attraktiv machen und sich damit als Beschränkung erweisen. Denn die Wahrung der ursprünglich gewählten Rechtsform setzt denklogisch eine Kontinuität des anwendbaren Normensystems voraus. Selbst wenn das Recht des Aufnahmestaates eine in jeder Hinsicht identische Gesellschaftsform bereithält und die zugezogene Gesellschaft ohne jede Bedingung in diese Gesellschaftsform umqualifiziert, führt dies dazu, dass die Gesellschaft gegen ihren Willen zwei (wenn auch inhaltsgleichen) Rechtsordnungen unterliegt, mithin zu einer Statutenverdoppelung.346 Abgesehen davon, dass dieser Fall nur hypothetischer 344
Siehe ausführlich unten S. 208 ff. Vgl. bereits oben S. 23 ff. 346 Dies verkennt auch Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rn. 70, demzufolge die Anerkennung ausländischer Gesellschaften in dem durch die Niederlassungsfreiheit gebotenen Umfang (also als solche ausländischen Rechts) konstruktiv auch erfolgen kann, wenn der Aufnahmestaat der Sitztheorie erfolgt. Denkbar sei etwa, dass der Aufnahmestaat ausländische Gesellschaftsformen durch eine Ergänzung seines materiellen Gesellschaftsrechts (also auf der Ebene des Sachrechts) den inländischen gleichstellt. Anders als Rehm meint, setzt dies aber denklogisch einen Statutenwechsel aus der Perspektive des Aufnahmestaates voraus, da die entsprechend ergänzte Norm 345
D. Die Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem Wegzug und Zuzug
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Natur ist, sieht sich die Gesellschaft gleichwohl mit einer Vielzahl intrikater Folgefragen konfrontiert, welche die Attraktivität des Grenzübertritts erheblich mindern.347 Beruft der Aufnahmestaat kollisionsrechtlich sein eigenes Sachrecht zur Anwendung, führt daher bereits der Statutenwechsel als solcher, d. h. unabhängig vom Inhalt des zur Anwendung berufenen Sachrechts zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Die weit verbreitete Auffassung, die Niederlassungsfreiheit sei kollisionsrechtlich neutral und allein von Kollisionsnormen könne keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ausgehen,348 ist damit nicht haltbar. Die Niederlassungsfreiheit kann sehr wohl der Anwendung einer Kollisionsnorm des Aufnahmestaates entgegenstehen.349
c) Kollisionsrechtliche Anerkennung Aus den vorstehend formulierten Einwänden gegen eine verfahrensrechtliche Anerkennung ausländischer Gesellschaften und gegen die Anwendung des Sachrechts des Aufnahmestaates auf eine zugezogene Gesellschaft, die den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates genügt, ergibt sich, dass die Anerkennung im Bereich des Gesellschaftsrechts stets eine kollisionsrechtliche Dimension hat.350 Die Anerkennung einer Gesellschaft in der Rechtsform, die ihr Herkunftsstaat ihr verliehen hat, setzt zwangsläufig voraus, dass der Aufnahmestaat auf die Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anwendet. Die Anerkennung im Wege der kollisionsrechtlichen Verweisung auf das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates ist daher mehr als eine bloße Zweckmäßigkeitsfrage.351 Im Bereich des Gesellschaftsrechts trifft das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung eine klare Anordnung hinsichtlich des anzuwendenden Rechts; die Auffassung, auf Ebene des Sachrechts des Aufnahmestaates sonst gar nicht anwendbar wäre. Dieser Statutenwechsel erweist sich völlig unabhängig von den Regelungen des Sachrechts als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. 347 Siehe zu den Folgeproblemen der Umqualifizierung in eine Personengesellschaft des Aufnahmestaates noch ausführlich unten S. 212. Diese Folgeprobleme erschöpfen sich keineswegs in bloßen Rechtsinformationskosten und -risiken; gegen deren Relevanz Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 443. 348 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 427; Kindler, NZG 2009, 130 (131); Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1208 f.); Rohe, RabelsZ 61 (1997), 1 (58 f.), demzufolge „die Anwendung bloßen Rechtsanwendungsrechts […] die Grundfreiheiten nicht verletzen“ kann; Wilhelmi, JZ 2009, 411 (412 f.), wonach „die Art. 43 und 48 EG das Internationale Privatrecht grundsätzlich unberührt“ lassen. 349 Wie hier Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (12); W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (645 ff.); einschränkend Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 440 ff. 350 Vgl. auch Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 (1084): „Ermessensreduzierung auf Null“. 351 So aber wohl Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (679), demzufolge es „im Rahmen des deutschen Rechts sachgerecht [ist], der Gründungstheorie zu folgen.“
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
dass es lediglich Begründungszwänge schafft bzw. verschärft, aber keine Wahl hinsichtlich des anzuwendenden Rechts trifft,352 greift daher zu kurz. Von der soeben erörterten und im Ergebnis bejahten Frage, ob die Niederlassungsfreiheit einen kollisionsrechtlichen Gehalt hat und dem nationalen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten im Einzelfall die Anwendung versagen kann, ist die Frage zu trennen, ob die Niederlassungsfreiheit eine „versteckte Kollisionsnorm“ in Gestalt der Gründungstheorie enthält.353 Diese Frage kann sinnvoll erst im Anschluss an das Kapitel zum grenzüberschreitenden Formwechsel beantwortet werden und sei daher zunächst zurückgestellt.354
3. Exkurs: Diskriminierende Wirkung kollisionsrechtlicher Anerkennung? Im Falle eines rechtsformwahrenden Zuzugs kommt der Aufnahmestaat seiner (kollisionsrechtlich verstandenen) Anerkennungspflicht nach, indem er zugezogene Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten dem materiellen Gesellschaftsrecht ihres jeweiligen Herkunftsstaates unterwirft. Für diese sind damit andere gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards maßgeblich als für nach dem eigenen nationalen Recht des Aufnahmestaates gegründete Gesellschaften. Es erscheint jedenfalls auf den ersten Blick dem Grunde nach nicht fernliegend, in der Anwendung ausländischen Sachrechts auf ausländische Marktteilnehmer und der lex fori auf inländische Marktteilnehmer einen Verstoß gegen das in den Grundfreiheiten verankerte Gebot der Inländerbehandlung zu erblicken (vgl. für die Niederlassungsfreiheit Art. 49 Abs. 2 AEUV).355 Dies gilt insbesondere dann, wenn die kollisionsrechtlich zur Anwendung berufenen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates strenger sind als jene des Aufnahmestaates.356 Die Frage soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht abschließend geklärt werden,357 da sie sich im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesell352 So Leible, Das Herkunftslandprinzip im IPR – Fata Morgana oder neue Metaregel?, in: Nordhausen (Hrsg.), Neue Entwicklungen in der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit, 2002, S. 71 (75); vgl. auch Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, 2004, S. 221: „Reduzierung des Anerkennungsermessens“. 353 Zutreffend Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (12); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 432; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 (1085). 354 Siehe unten 4. Kapitel, S. 227 ff. 355 So Drobnig, RabelsZ 34 (1970), 636 (639 ff.) ohne Rücksicht auf den Inhalt des Herkunftsstaatsrechts; vgl. auch Michaels, Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland, 2004, S. 240 f. 356 Vgl. Leible, Das Herkunftslandprinzip im IPR – Fata Morgana oder neue Metaregel?, in: Nordhausen (Hrsg.), Neue Entwicklungen in der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit, 2002, S. 71 (76 f.); Roth, GS Lüderitz, S. 635 (650 ff.). 357 Eine Diskriminierung durch die kollisionsrechtliche Berufung des Rechts des Herkunftsstaates lässt sich jedenfalls nicht durch einen vorschnellen Verweis auf die Wermutwein-Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil vom 20. 4. 1983, Rs. 59/82 [WeinvertriebsGmbH], Slg. 1983, 1217) bejahen. Dieser Entscheidung lag eine Bestimmung des deutschen
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schaften nicht stellt. Wenn der EuGH in Daily Mail, in Cartesio und in National Grid Indus betont, dass Gesellschaften Geschöpfe des nationalen Rechts sind, die jenseits der Rechtsordnung ihres Herkunftsstaates keine Realität haben, und daher die durch die Niederlassungsfreiheit gebotene Anerkennung auf anderem Wege als durch kollisionsrechtliche Berufung des Rechts des Herkunftsstaates nicht möglich erscheint, so kann in einer solchen kollisionsrechtlichen Anerkennung keine verbotene Diskriminierung liegen. Wenn nämlich der Aufnahmestaat seine eigenen – ggf. permissiveren – gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf die zugezogene Gesellschaft anwenden würde, würde er ihr zugleich die Rechtsform entziehen, die ihr Herkunftsstaat ihr verliehen hat. Eine Gleichbehandlung im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards würde die Gesellschaft ihrer Existenzgrundlage berauben und damit letztlich eine Negierung ihrer Niederlassungsfreiheit bewirken. Jedenfalls für den Bereich der Niederlassungsfreiheit wird man daher von einer unmittelbaren Legitimation der formalen Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Gesellschaften durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ausgehen müssen. Dies erhellt auch folgende, an Basedow angelehnte Überlegung:358 Wenn sich zwei Gesellschaften aus den Staaten A und B jeweils im Aufnahmestaat C gegenüber dessen strengeren gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf das Recht ihres Herkunftsstaates berufen können, so gelten gleichwohl für die Gesellschaft aus Mitgliedstaat A und die Gesellschaft aus Mitgliedstaat B unterschiedliche – und unterschiedlich permissive – gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards. Die Gesellschaft aus Mitgliedstaat A kann sich gegenüber dem Aufnahmestaat C auf die permissiveren gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates A berufen, nicht aber auf die ggf. noch permissiveren gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards von Mitgliedstaat B. Diese Ungleichbehandlung verschiedener ausländischer Gesellschaften ist unvermeidbare Konsequenz der Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung. Sie ist ebenso hinzunehmen wie die aus der Anwendung des Herkunftsstaatsrechts Weingesetzes zugrunde, wonach die Einfuhr von Wermutwein verboten war, dessen Mindestalkoholgehalt unter dem im Herkunftsstaat für den dortigen Vertrieb vorgeschriebenen Wert lag. Zwar hatte auch diese Vorschrift zur Folge, dass für ausländische Produkte ein anderer Qualifikationsstandard galt als für inländische Produkte (der sich freilich an dem maßgeblichen Qualifikationsstandard des Herkunftsstaates orientierte, weshalb v. Wilmowsky, RabelsZ 62 [1998], 1 [14] sie als geradezu ideale Verkörperung des Herkunftslandprinzips bezeichnet). Bei der maßgeblichen Bestimmung des deutschen Weingesetzes handelte es sich jedoch um eine Sachnorm des deutschen Rechts; ihre Einstufung als verbotene Diskriminierung lässt sich daher nicht ohne weiteres auf eine etwaige Diskriminierung durch die kollisionsrechtliche Berufung des Herkunftsstaatsrechts übertragen, vgl. Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 469. 358 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (38 f.) für den freien Warenverkehr.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
resultierende Ungleichbehandlung ausländischer Gesellschaften gegenüber inländischen Gesellschaften.
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug Die Erkenntnis, dass der Herkunftsstaat autonom die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards definieren kann, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um nach seinem nationalen Recht gegründet werden und fortbestehen zu können, stellt eine erste Konkretisierung der in Daily Mail und Cartesio betonten Anknüpfungsautonomie dar. Gleichwohl ist eine derartige Bestimmung des Umfangs der Anknüpfungsautonomie noch recht vage und bedarf weiterer Präzisierung (unter I.). Sodann ist zu zeigen, wie sich die Befugnis des Herkunftsstaates, den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften einen rechtsformwahrenden Wegzug zu untersagen, konkret auswirkt (unter II.).
I. Präzisierung des Umfangs der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates 1. Keine Beschränkung auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung Manche Autoren nehmen den EuGH beim Wort und definieren die Reichweite der Autonomie des Herkunftsstaates anhand des in Cartesio verwendeten Begriffs der „Anknüpfung“. Der Begriff der Anknüpfung ist fester Bestandteil der Terminologie des Internationalen Privatrechts. Dessen Funktion besteht nach einem viel zitierten Wort v. Savignys darin, bei jedem Rechtsverhältnis dasjenige Rechtsgebiet aufzusuchen, „welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigen thümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist (worin dasselbe seinen Sitz hat).“359 Dies geschieht – vereinfacht ausgedrückt – durch Kollisionsnormen, die anhand eines nach räumlichen Gesichtspunkten bestimmten Tatbestandsmerkmals, des sog. Anknüpfungsmoments, anordnen, welcher Rechtsordnung (Statut) eine bestimmte inhaltlich umschriebene Gruppe von Rechtsnormen (z. B. gesellschaftsrechtliche Vorschriften), der sog. Anknüpfungsgegenstand, zur Beurteilung eines konkreten Rechtsverhältnisses zu entnehmen ist.360 Angeknüpft wird mit anderen Worten die Maßgeblichkeit einer Rechtsordnung an ein bestimmtes Element des konkreten Sachverhalts.361
359
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 28, 108. zum Begriff der Anknüpfung ausführlich v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 3 ff. 361 Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 19 I im Anschluss an Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl. 1976, § 18 I. 360 Vgl.
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug
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Da der EuGH in Cartesio die Autonomie des Herkunftsstaates auf die „Anknüpfung“ bezieht,362 wird die Anknüpfungsautonomie von Teilen der Literatur in einem kollisionsrechtlichen Sinne interpretiert.363 Wäre dies richtig, würde sich die Anknüpfungsautonomie auf eine Befugnis der Mitgliedstaaten beschränken, auf der Ebene ihres Gesellschaftskollisionsrechts das Tatbestandsmerkmal festzulegen, das erfüllt sein muss, damit ihr materielles Gesellschaftsrecht auf eine Gesellschaft Anwendung findet. Da sich das Anknüpfungsmoment notwendigerweise an räumlichen Gesichtspunkten zu orientieren hat, könnten die Mitgliedstaaten für die Anwendung ihres materiellen Gesellschaftsrechts auf der Ebene des Kollisionsrechts verlangen, dass sich entweder der Verwaltungssitz, der Satzungssitz oder beide Sitze der Gesellschaft im Inland befinden. Würde einer der Sitze als das kollisionsrechtlich maßgebliche Anknüpfungsmoment nachträglich in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, dürfte der Herkunftsstaat der Gesellschaft die Anwendung seines Gesellschaftsrechts versagen, d. h. auf der Ebene seines Kollisionsrechts einen Statutenwechsel anordnen. Das Unionsrecht stünde damit weder einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Verwaltungssitz (Sitztheorie) noch einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Satzungssitz (als „Satzungssitztheorie“ verstandene Gründungstheorie) entgegen. Die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates auf die kollisionsrechtliche Anknüpfung zu beschränken, würde aber dem Grundsatz widersprechen, dass der Herkunftsstaat sämtliche Qualifikationsstandards definieren kann, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um als Gesellschaft seines nationalen Rechts qualifiziert werden zu können, und stünde damit nicht im Einklang mit der allgemeinen Grundfreiheitendogmatik. Die Anwendbarkeit des materiellen Gesellschaftsrechts des Herkunftsstaates ist nur eine von vielen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Gesellschaft in einer bestimmten Rechtsform seines nationalen Rechts gegründet werden und im Falle einer Sitzverlegung ins Ausland fortbestehen kann. Würden alle sonstigen Voraussetzungen am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüft, könnte der Herkunftsstaat einen rechtsformwahrenden Wegzug der nach seinem nationalen Recht gegründeten 362 Zwar wird der Begriff in den deutschen Fassungen der Urteile Daily Mail und Cartesio nicht einheitlich verwendet, vielmehr spricht der EuGH in Daily Mail Rn. 20 von der erforderlichen „Verknüpfung mit dem nationalen Gebiet“. In den englischen, französischen und italienischen Urteilsfassungen wird allerdings die kollisionsrechtliche Terminologie konsequent übernommen; dort ist in Daily Mail und Cartesio einheitlich von „connecting factor“ bzw. „lien de rattachement“ und „criterio di collegamento“ die Rede. Zur englischen und französischen Übersetzung des kollisionsrechtlichen Begriffs der Anknüpfung ausführlich v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band I, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 3. 363 So offenbar Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60), denen zufolge die Mitgliedstaaten den Wegzug über den Entzug des Gesellschaftsstatuts hinaus nicht beschränken dürfen, insbesondere nicht durch materiell-rechtliche Auflösungs- und Liquidationsregelungen, die an den faktischen Wegzug anknüpfen; Paefgen, WM 2009, 529 (530); Schall/Barth, NZG 2012, 414 (415); dagegen Barthel, EWS 2010, 316 (328).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Gesellschaft ausschließlich dadurch verhindern, dass er kollisionsrechtlich einen Statutenwechsel anordnet. Wenn nämlich auf eine Gesellschaft das Recht ihres Herkunftsstaates keine Anwendung mehr findet, ist eine Wahrung der durch das Heimatrecht verliehenen ursprünglichen Rechtsform nicht möglich. Auf der Ebene seines materiellen Gesellschaftsrechts könnte der Herkunftsstaat den rechtsformwahrenden Wegzug dagegen nicht – etwa durch die Auflösung der Gesellschaft – verhindern, da die mit der Auflösung dann verbundene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kaum je verhältnismäßig wäre und sich daher nicht unionsrechtlich rechtfertigen ließe. Ein Statutenwechsel tritt aus der Perspektive des Herkunftsstaates – jedenfalls dann, wenn sein Internationales Privatrecht dem Prinzip der Gesamtnormverweisung folgt – nur dann ein, wenn der Aufnahmestaat die Verweisung auf sein Sachrecht annimmt.364 Bei einer allein auf das Kollisionsrecht bezogenen Interpretation der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates wäre diese letztlich hinsichtlich der Erreichung des verfolgten Regelungsziels – Verhinderung des rechtsformwahrenden Wegzugs – vom Kollisionsrecht des Aufnahmemitgliedstaates abhängig und würde damit im Ergebnis leerlaufen. Ein rein kollisionsrechtliches Verständnis der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates überzeugt schließlich auch vor dem Hintergrund nicht, dass es sowohl in Daily Mail als auch in Cartesio um Regelungen des britischen bzw. ungarischen Sachrechts ging, die der EuGH nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüft (und sodann aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt), sondern als der Niederlassungsfreiheit vorgelagert angesehen hat. Dem widerspricht es, aus diesen Entscheidungen ausschließlich kollisionsrechtliche Schlussfolgerungen abzuleiten.
2. Die Anknüpfungsautonomie als Autonomie zur Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards Die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates bezieht sich demnach zwar auch, aber keinesfalls ausschließlich auf die kollisionsrechtliche Entscheidung, ob auf eine Gesellschaft sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht Anwendung finden soll oder nicht. Dies wirft die Frage auf, welche Normen seines materiellen Gesellschaftsrechts in den der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten Bereich seiner Anknüpfungsautonomie fallen, und welche Normen außerhalb dieses Bereichs liegen und deshalb am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüft werden können. Wie bereits dargelegt, besteht eine Parallele zwischen der Definitionsautonomie des Herkunftsstaates im Bereich des freien Warenverkehrs und der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. Hier wie dort ist zu differenzieren 364
Siehe oben S. 12 ff.
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug
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zwischen autonom durch den Herkunftsstaat zu definierenden Qualifikationsstandards und durch den Aufnahmestaat zu definierenden Rahmenbedingungen. Der Niederlassungsfreiheit vorgelagert, weil von der Definitionsautonomie des Herkunftsstaates der Gesellschaft erfasst, sind solche Vorschriften, die gesellschaftsbezogene Qualifikationsstandards definieren. Um festzustellen, ob eine Vorschrift am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar ist oder nicht, ist daher zu klären, ob sie zum Bereich der gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zählt oder ob es sich um eine bloße Rahmenbedingung handelt. Letztere fallen nach der Keck-Rechtsprechung des EuGH, wie gesehen, in den Zuständigkeitsbereich des Aufnahmestaates; Rahmenbedingungen, die der Herkunftsstaat erlässt, sind daher am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Methodisch erinnert diese Vorgehensweise an die Qualifikation von Vorschriften im Internationalen Privatrecht. So wie im Kollisionsrecht eine Vorschrift einer bestimmten inhaltlich umschriebenen Gruppe von Rechtsnormen zugeordnet, d. h. unter den Verweisungsgegenstand einer Kollisionsnorm subsumiert wird, geht es auch hier um die Zuordnung einzelner Vorschriften zu einer bestimmten Gruppe von Rechtsnormen – jener der gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards. Allerdings bestehen insoweit zwei gewichtige Unterschiede: Zum einen erfolgt die Zuordnung im Kollisionsrecht, um zu ermitteln, ob die Sachnorm einer bestimmten Rechtsordnung auf einen Sachverhalt anwendbar ist. Hier geht es jedoch nicht um die Frage der Anwendbarkeit nationaler Rechtsnormen, sondern um ihre Überprüfbarkeit am Maßstab der Niederlassungsfreiheit, d. h. um die Anwendbarkeit der Art. 49, 54 AEUV. Zum anderen erfolgt die Zuordnung nach strengeren Kriterien als die Zuordnung im Kollisionsrecht: Damit eine Norm im kollisionsrechtlichen Sinne als gesellschaftsrechtlich qualifiziert werden kann, genügt eine (relativ grobe) Zuordnung zum Gesellschaftsstatut.365 In den Bereich der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates fallen aber nicht alle Vorschriften, die Teil des Gesellschaftsstatuts sind, sondern lediglich solche, die gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards definieren, die für die Gründung und den Fortbestand einer Gesellschaft maßgeblich sind, mithin eine bestimmte Untergruppe gesellschaftsrechtlich zu qualifizierender Rechtsnormen. Wie die international-privatrechtliche Qualifikation, so wird auch diese Zuordnung funktionell-teleologisch erfolgen müssen; maßgeblich ist also nicht der systematische Standort einer Norm, sondern ihr Zweck.366 Gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards sind Vorschriften, welche die Rechtsform konstituieren, die der Herkunftsstaat einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft ver365
Zu Inhalt und Reichweite des Gesellschaftsstatuts siehe oben S. 12. Vgl. für die international-privatrechtliche Qualifikation Kindler, NZG 2003, 1086 (1090); ferner Hebert, JuS 2000, 254 (257); Sonnenberger, in: MüKo BGB, Einl. IPR Rn. 509 f. mit Beispielen. 366
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
leiht, die also die Rechtsform als solche betreffen. In den Worten des EuGH: Es handelt sich um die Vorschriften, welche die „Gründung und die Funktionsweise“ einer Gesellschaft regeln.367 Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht überzeugend, wenn teilweise vertreten wird, die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates erfasse lediglich solche Vorschriften, welche die erforderliche Verknüpfung einer nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft mit seinem Territorium betreffen.368 Von einer so verstandenen territorialen Anknüpfungsautonomie erfasst wären – neben den Kollisionsnormen Sitztheorie und Gründungstheorie – diejenigen Vorschriften des Herkunftsstaates, die sich auf eines der Merkmale beziehen, die Art. 54 AEUV für die Unionsverknüpfung369 einer Gesellschaft verlangt, d. h. den satzungsmäßigen Sitz und die Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung. Art. 54 AEUV würde sich insoweit als Spiegel der denkbaren nationalen Anknüpfungsmomente erweisen.370 Nicht erfasst wären demgegenüber sonstige gesellschaftsrechtliche Existenzvoraussetzungen wie etwa Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften. Derartige Existenzvoraussetzungen sind es aber, die eine bestimmte Rechtsform konstituieren und die korporative Identität371 prägen. Ihre (anfängliche oder nachträgliche) Nicht-Erfüllung führt dazu, dass eine Gesellschaft nicht wirksam gegründet werden kann bzw. aufgelöst wird. Sie sind gewissermaßen der Inbegriff eines gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards und daher ebenso wie das Erfordernis eines inländischen Sitzes als der Niederlassungsfreiheit vorgelagert anzusehen.372 Gleiches gilt für die Organisationsverfassung und Corporate Governance nationaler Rechtsformen, wozu auch Vorschriften über die interne Willensbildung der Gesellschaft zählen,373 sowie die Ausgestaltung der Haftung von Gesell367
EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 30. So wohl Teichmann, ZIP 2009, 393 (399); siehe auch Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (756) und dies., ZIP 2012, 1481 (1485): „territoriales Band“ der Gesellschaften zu ihrem Hoheitsgebiet; Wilhelmi, JZ 2009, 411 (412). 369 Zur notwendigen Differenzierung zwischen der in Art. 54 AEUV allein geregelten Unionsverknüpfung einer Gesellschaft und der territorialen Verknüpfung mit dem Gebiet des Herkunftsstaates in diesem Zusammenhang Teichmann, ZIP 2009, 393 (399 f.); vgl. auch Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 542 f.; Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (266); W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (631). 370 Teichmann, ZIP 2009, 393 (400). 371 Vgl. Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (138 und passim); Eidenmüller, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007, S. 469 (473). 372 Wie hier Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (156). 373 So auch, aber mit anderer Begründung bereits Teichmann, ZIP 2006, 355 (358 f.), demzufolge Vorschriften über die Willensbildung der Gesellschaft nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar sind, weil die Willensbildung der Niederlassung vorgelagert ist. Teichmann stellt hier offenbar auf die zeitliche Reihenfolge von Verschmelzungsbeschluss und (von der Niederlassungsfreiheit erfasster) grenzüberschreitender Verschmelzung ab. 368
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug
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schaftern und Gesellschaftsorganen. Im Hinblick auf die verkehrsschützende Funktion von gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen wird die Parallele zu produktbezogenen Qualifikationsstandards im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, die ebenfalls primär dem Schutz von Konsumenten dienen, besonders augenfällig. Nicht um einen der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard würde es sich demgegenüber handeln, wenn ein Mitgliedstaat die Gründung und den Fortbestand einer Gesellschaft nach seinem nationalen Recht davon abhängig macht, dass zu den Gesellschaftern ein Staatsangehöriger des eigenen Landes zählt374 oder dass die Gesellschaft im Inland jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Verträgen abschließt. Ein solches Erfordernis würde nicht mehr die Gesellschaft als solche betreffen, sondern die Gesellschafter. Die rechtliche Eigenständigkeit der Gesellschaft würde damit relativiert375 und die Kategorie gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards würde zweckentfremdet und entstellt. Daher wären derartige Vorschriften ohne Einschränkung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Vordergründig erscheint die praktische Relevanz einer derartigen Präzisierung des Umfangs der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates der Gesellschaft zweifelhaft. Denn aus dem weiten Spektrum an gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards kann eine Sitzverlegung allein durch das Erfordernis eines innerstaatlichen Sitzes beschränkt werden. Allein der Sitz der Gesellschaft soll sich ändern. Andere Gründungs- und Existenzvoraussetzungen, die das nationale Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates aufstellen mag, wie etwa Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungserfordernisse, bleiben demgegenüber auch nach einer Sitzverlegung weiterhin erfüllt. Die Frage, ob sie den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zuzurechnen sind, die der Herkunftsstaat autonom definieren kann, wird jedoch in zwei Konstellationen relevant: Zum einen bestimmt die Reichweite der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates zugleich den Umfang der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates. Wenn etwa die Kapitalstruktur einer Gesellschaft dem Bereich der – autonom durch den Herkunftsstaat zu definierenden – gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zuzuordnen ist, bedeutet dies, dass der Aufnahmestaat diese Kapitalstruktur grundsätzlich anzuerkennen hat. Wendet er Normen des Dagegen ausführlich Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 137 ff. 374 Wie hier Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (266). Im Kollisionsrecht wird eine derartige „Kontrolltheorie“ heute einhellig abgelehnt, vgl. Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 968 f.; ausführlich ders., Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, S. 67 ff. Denkbar ist freilich auch, dass ein solches Erfordernis auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts statuiert wird. 375 Vgl. – bezogen auf die kollisionsrechtliche „Kontrolltheorie“ – Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, S. 68; siehe auch Hübner, JZ 1978, 703.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
eigenen materiellen Gesellschaftsrechts über Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung auf eine zugezogene ausländische Gesellschaft an, so liegt darin, wie der EuGH in Inspire Art zu Recht geurteilt hat, eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit. Zum anderen wird die Frage nach der Reichweite der Anknüpfungsautonomie relevant, wenn es darum geht, in welchem Umfang bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel der Aufnahmestaat die zuziehende Gesellschaft zur Beachtung seines nationalen Gesellschaftsrechts zwingen darf, ohne dass dies am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen ist. Auf beide Aspekte ist noch zurückzukommen.
3. „Modalitäten“ der Sitzverlegung Nach der Rechtsprechung des EuGH in Daily Mail und Cartesio erstreckt sich die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates auch auf „Modalitäten“ der Sitzverlegung.376 Verstünde man darunter alle Vorschriften des Herkunftsstaates der Gesellschaft, welche die Sitzverlegung in irgendeiner Weise regulieren, würde die Autonomie des Herkunftsstaates mit Blick auf die grenzüberschreitende Sitzverlegung deutlich über die Autonomie des Herkunftsstaates mit Blick auf den Export von Waren hinausgehen. Denn im Bereich der Warenverkehrsfreiheit beschränkt sich die Autonomie des Herkunftsstaates auf die Definition produktbezogener Qualifikationsstandards. Sie erfasst aber nicht sämtliche „Exportmodalitäten“ – im Gegenteil: Diese sind nach der Logik von Art. 35 AEUV ausdrücklich am Maßstab des freien Warenverkehrs zu überprüfen. Was der EuGH unter „Modalitäten“ der Sitzverlegung versteht und warum sie von der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates erfasst sein sollen, ist den Entscheidungen Daily Mail und Cartesio nicht mit Gewissheit zu entnehmen. Schon aus Gründen der Kohärenz mit der allgemeinen Grundfreiheitendogmatik wird man den Begriff in einem engen Sinne verstehen müssen. Unter der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten „Modalitäten“ der Sitzverlegung können lediglich Vorschriften bzw. Erfordernisse zu verstehen sein, die eng mit dem gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard zusammenhängen, der die für den Erhalt der Rechtsform erforderliche territoriale Verknüpfung der Gesellschaft mit ihrem Herkunftsstaat definiert. Hierzu zählen insbesondere Vorschriften, die eine Beurkundung des Sitzverlegungsbeschlusses und seine – ggf. gebührenbehaftete – Eintragung ins Handelsregister verlangen.377 Nicht erfasst sein dürfte dagegen eine Vorschrift, wonach eine rechtsformwahrende Sitzverlegung nur unter der Voraussetzung zulässig ist, dass die Gesellschaft einer an den Grenzübertritt anknüpfenden Zahlungsverpflichtung nachkommt oder 376 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 107. 377 Ebenso Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (157).
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug
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vor Grenzübertritt ihre Schulden bezahlt oder ihre stillen Reserven auflöst und versteuert, oder besondere Bilanzierungsregeln für Gesellschaften mit Sitz im Ausland. Hierbei würde es sich vielmehr um die Sitzverlegung betreffende Rahmenbedingungen des Herkunftsstaates handeln, die als rechtfertigungsbedürftige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit einzustufen wären.
II. Die Befugnis des Herkunftsstaates zur Untersagung des rechtsformwahrenden Wegzugs im Einzelnen Es wurde bereits festgestellt, dass ein Wegzug unter Wahrung der Rechtsform der Gesellschaft rechtskonstruktiv ohne eine Sitzverlegung nicht denkbar ist: Ändert sich die Rechtsform der Gesellschaft nicht, ist es die Verlegung des Sitzes, die den Wegzug aus dem Herkunftsstaat ausmacht. Regelungen, wo sich der tatsächliche Verwaltungssitz oder der Satzungssitz einer Gesellschaft zu befinden hat, sind als gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandard anzusehen, der für die Gründung und den Fortbestand einer Gesellschaft nach dem nationalen Recht ihres Herkunftsstaates erfüllt sein muss. Verlangt der Herkunftsstaat, dass sich einer der Sitze oder beide Sitze auf seinem Territorium befinden, und entzieht er der Gesellschaft im Falle der Verlegung des jeweiligen Sitzes ihre ursprünglich gewählte Rechtsform, so liegt darin eine nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbare Ausübung seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie. Der Entzug der ursprünglichen Rechtsform, dessen Rechtsfolgen an dieser Stelle offen bleiben sollen, kann zum einen auf der Ebene des Kollisionsrechts erfolgen, sofern im Falle des Wegzugs der Gesellschaft das Gesellschaftskollisionsrecht ihres Herkunftsstaates einen Statutenwechsel anordnet. Aufgrund dieses Statutenwechsels ist der Gesellschaft die Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform nicht möglich, wenn und weil das nunmehr kollisionsrechtlich zur Anwendung berufene Sachrecht des Aufnahmestaates die ursprüngliche Rechtsform der Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates nicht kennt. Der Entzug der Rechtsform kann zum anderen aber auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts erfolgen, sofern der Grenzübertritt der Gesellschaft, d. h. die Verlegung des Verwaltungssitzes, des Satzungssitzes oder beider Sitze, mit der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft sanktioniert wird.378 Zwar führt die Auflösung nicht unmittelbar zum Verlust der Rechts378 Nicht möglich ist es den Mitgliedstaaten demgegenüber, eine nach ihrem nationalen Recht gegründete Gesellschaft, die ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, für nichtig zu erklären, da Art. 11 Abs. 2 der Publizitätsrichtlinie (Erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten) abschließend regelt, unter welchen Voraussetzungen die Nichtigkeit von Gesellschaften ausgesprochen werden kann; siehe auch Wisniewski/Opalski, EBOR 10 (2009), 595 (604, 606).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
form; vielmehr behält die Gesellschaft ihre Rechtsform zunächst schon allein aus dem Grunde, damit die rechtsformspezifisch ausgestalteten Vorschriften des Liquidationsrechts des Herkunftsstaates zur Anwendung gelangen können. Will sie ihre werbende Tätigkeit fortführen, ist jedoch eine Neugründung der Gesellschaft in einer durch das nationale Recht des Aufnahmestaates konfigurierten Rechtsform erforderlich.
1. Befugnis zur Untersagung der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes Aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie können die Mitgliedstaaten den nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften zunächst die rechtsformwahrende Verlegung ihres Verwaltungssitzes untersagen.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Auf der Ebene des Kollisionsrechts wird die Wahrung der Rechtsform nur durch einen Statutenwechsel unterbunden. Ein Statutenwechsel erfolgt bei einer Verlegung des Verwaltungssitzes aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft dann, wenn sowohl das Internationale Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates als auch das Internationale Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates der Sitztheorie folgt oder wenn die kollisionsrechtliche Verweisung des Herkunftsstaates auf das Recht des Aufnahmestaates auf dessen materielles Gesellschaftsrecht beschränkt ist (Sachnormverweisung).379 Ein Statutenwechsel hat bei konsequenter Anwendung380 der Sitztheorie zur Folge, dass die Gesellschaft auch aus der Perspektive ihres Herkunftsstaates nunmehr dem materiellen Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates unterliegt, also ggf. als Personengesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates zu behandeln ist. Darauf, dass die Sitztheorie in Reinform aus der Perspektive des Herkunftsstaates keine befriedigende Lösung für die mit einer Verwaltungssitzverlegung verbundenen Probleme liefert, wurde bereits hingewiesen: Wenn der Herkunftsstaat seine – typischerweise mit der Sitztheorie assoziierten – Schutzinteressen durchsetzen will, kann er das nur erreichen, indem er sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht weiterhin auf die Gesellschaft anwendet (es also gerade nicht zu einem Statutenwechsel kommt) und auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts ggf. die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft anordnet. Aus der Perspektive des Unionsrechts steht der kollisionsrechtlichen 379
Siehe oben S. 12 ff. Die Sitztheorie wird in der deutschen Rechtsprechung und Literatur häufig nicht als Kollisionsnorm, sondern als Schlagwort für die Unzulässigkeit der rechtsformwahrenden Sitzverlegung (miss-)verstanden; siehe oben S. 19. 380
E. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Wegzug
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Anordnung eines Statutenwechsels durch den Herkunftsstaat der Gesellschaft jedoch nichts entgegen.
b) Sachrechtliche Ebene Neben dem Fall, dass der rechtsformwahrende Wegzug bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts durch die Anordnung eines Statutenwechsels unterbunden wird, kann die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates im Übrigen auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts zum Tragen kommen. Auf dieser Ebene kann der Herkunftsstaat die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland mit Auflösung und Liquidation der Gesellschaft sanktionieren und auf diese Weise jedenfalls die dauerhafte Wahrung der Rechtsform über den Zeitraum des Liquidationsverfahrens hinaus unterbinden.381
2. Befugnis zur Untersagung der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Satzungssitzes Rechtskonstruktiv denkbar ist auch eine rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft ins Ausland. Die verbreitete Gleichsetzung von grenzüberschreitender Satzungssitzverlegung und grenzüberschreitendem Formwechsel ist unzutreffend; vielmehr kann der Satzungssitz zumindest theoretisch auch unter Wahrung der ursprünglichen Rechtsform in einen anderen Staat verlegt werden.382 Aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie können die Mitgliedstaaten den nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften jedoch die rechtsformwahrende Verlegung ihres Satzungssitzes untersagen und ihnen im Falle des Wegzugs die Rechtsform entziehen.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Auf der Ebene des Kollisionsrechts wird die Wahrung der Rechtsform wiederum nur dann unterbunden, wenn die Verlegung des Satzungssitzes aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft einen Statutenwechsel zur Folge hat. Ein Statutenwechsel findet statt, wenn der Herkunftsstaat kollisionsrechtlich einer Spielart der Gründungstheorie folgt, deren Anknüpfungsmoment der Satzungssitz ist,383 und entweder die kollisionsrechtliche Verweisung auf das Recht des Aufnahmestaates auf dessen Sachrecht beschränkt ist oder der Sat381 Auch
nach Cartesio noch zweifelnd offenbar Müller-Graff, EWS 2009, 489 (494). Siehe oben S. 8 ff. 383 Dies ist etwa in Spanien der Fall, siehe Hoffmann, in: NomosKommentar BGB, 2. Auflage 2012, Anh zu Art. 12 EGBGB Rn. 42 f.; Steiger, RIW 1998, 695 (697); vgl. auch Art. 4 des niederländischen Körperschaftskollisionsgesetzes bei Timmerman, ZGR 1999, 147 (154), der aber nur ausländische Gesellschaften betrifft. Zu den verschiedenen denkbaren Möglichkeiten, 382
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
zungssitz auch nach dem Kollisionsrecht des Aufnahmestaates das maßgebliche Anknüpfungsmoment darstellt.
b) Sachrechtliche Ebene Abgesehen von diesem Fall, dass die rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes unterbunden wird, weil beide betroffenen Mitgliedstaaten einer als „Satzungssitztheorie“ verstandenen Gründungstheorie folgen, wird die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates im Übrigen ausschließlich auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts zum Tragen kommen. Auf dieser Ebene kann er den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften – wie das deutsche Recht in § 4 a GmbHG, § 5 AktG – einen inländischen Satzungssitz vorschreiben und die Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland mit Auflösung und Liquidation der Gesellschaft sanktionieren. Kollisionsrechtlich wird das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates zum einen zur Anwendung berufen, wenn dieser der Sitztheorie folgt (der Verwaltungssitz befindet sich nach wie vor im Inland), zum anderen, wenn er einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie folgt, deren Anknüpfungsmoment der unwandelbare Ort der ursprünglichen Inkorporation ist. Ebenfalls zur Anwendung gelangt das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates schließlich, wenn er kollisionsrechtlich einer als „Satzungssitztheorie“ verstandenen Gründungstheorie folgt und das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates auf Grundlage der Sitztheorie auf das Sachrecht des Herkunftsstaates zurückverweist.
3. Befugnis zur Untersagung der rechtsformwahrenden Hinausverlegung beider Sitze Schließlich ist der Fall zu behandeln, dass sowohl der Verwaltungssitz als auch der Satzungssitz der Gesellschaft unter Wahrung der durch den Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform ins Ausland verlegt werden sollen. Dies ist nicht nur rechtskonstruktiv denkbar, sondern kommt auch in der Praxis durchaus vor, wie zuletzt der Fall Cartesio gezeigt hat.384 Auch eine rechtsformwahrende den Ort der Gesellschaftsgründung zu bestimmen und damit das Anknüpfungsmoment der Gründungstheorie zu präzisieren, siehe oben S. 14 ff. 384 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641; siehe dazu oben S. 45 ff. Vgl. aus der deutschen Rechtsprechung ferner BayObLG, Beschluss vom 7. 5. 1992, 3Z BR 14/92, NJW-RR 1993, 43; OLG Hamm, Beschluss vom 1. 2. 2001, 15 W 390/00, NJW 2001, 2183; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. 3. 2001, 3 Wx 88/01, NJW 2001, 2184; sowie den Sachverhalt, der dem Vorlagebeschluss des AG Heidelberg vom 3. 3. 2000, HRB 831 – SNH, ZIP 2000, 1617 mit Anm. Behrens, IPRax 2000, 384 (388); W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 und Zimmer, BB 2000, 1361 zugrunde lag. Dem Beschluss des OLG Hamm vom 30. 4. 1997, 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 lag demgegenüber ein Sachverhalt
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug
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Verlegung beider Sitze können die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie den nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften sowohl auf der Ebene ihres Kollisionsrechts als auch auf der Ebene ihres materiellen Gesellschaftsrechts untersagen.
a) Kollisionsrechtliche Ebene In Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass die Verlegung des Verwaltungs- und des Satzungssitzes ins Ausland stets zu einem Statutenwechsel führt.385 Diese Annahme ist unter der Prämisse richtig, dass die Gründungstheorie als „Satzungssitztheorie“ zu verstehen ist, da dann nach beiden kollisionsrechtlichen Theorien – Sitztheorie und Gründungstheorie – das für das Gesellschaftsstatut maßgebliche Anknüpfungsmoment ins Ausland verlagert wird und damit eine Rückverweisung ausgeschlossen ist. Ist als das maßgebliche Anknüpfungsmoment der Gründungstheorie dagegen der unwandelbare Ort der ursprünglichen Inkorporation der Gesellschaft zu verstehen, so findet ein Statutenwechsel auch bei Verlegung von Satzungssitz und Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat nicht statt.
b) Sachrechtliche Ebene Kommt es auf der Grundlage eines solchen Verständnisses der Gründungstheorie als Inkorporationstheorie aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft nicht zu einem Statutenwechsel, kann der Herkunftsstaat auf der Ebene seines materiellen Gesellschaftsrechts die Verlegung beider Sitze wiederum mit Auflösung und Liquidation der Gesellschaft sanktionieren.
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug Die Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung bedeutet, dass der Aufnahmestaat anerkennen muss, wenn eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründet wurde. Solange dieser Mitgliedstaat die Gesellschaft als solche seines nationalen Rechts qualifiziert und sie in ihrer ursprünglichen Rechtsform fortbestehen lässt, muss der Aufnahmestaat sie als solche anerkennen – und zwar auch dann, wenn sich der Sitz der Gesellschaft im Aufnahmestaat befindet. Die zugrunde, in dem eine deutsche GmbH in eine GmbH luxemburgischen Rechts umgewandelt werden sollte. 385 OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. 2. 2012, 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 (573); Behrens, EuZW 1992, 550; Weller, DStR 2004, 1218 (1219).
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung ist im Folgenden weiter zu präzisieren (unter I.). Sodann ist zu zeigen, welche konkreten Auswirkungen sie auf die Ausgestaltung des nationalen Kollisions- und Sachrechts des Aufnahmestaates hat (unter II.).
I. Präzisierung des Umfangs der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates Der Umfang der unionsrechtlichen Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates hängt davon ab, in welchem Umfang und auf welche Weise der Herkunftsstaat der Gesellschaft von seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie Gebrauch gemacht hat und den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften den rechtsformwahrenden Wegzug gestattet. Es wurde bereits aufgezeigt, dass die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates sowohl auf der Ebene des Kollisionsrechts als auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts zum Tragen kommen kann. Gleiches gilt für die Verpflichtung des Aufnahmestaates, den rechtsformwahrenden Zuzug ausländischer Gesellschaften zu ermöglichen. Zum einen hat die Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung, wie gesehen, im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zwangsläufig eine kollisionsrechtliche Dimension: Die Anerkennung einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft als solcher ist nicht möglich, wenn das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates einen Statutenwechsel anordnet. Denn der Statutenwechsel hat zur Folge, dass auf die Gesellschaft nunmehr das Sachrecht des Aufnahmestaates Anwendung findet, das die ursprüngliche Rechtsform der Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates jedoch nicht kennt. Einer Kollisionsnorm des Aufnahmestaates, die im Falle der Hereinverlegung des Sitzes in den Aufnahmestaat einen Statutenwechsel anordnet, kann die Niederlassungsfreiheit die Anwendung versagen. Diese entfaltet eine verdrängende Wirkung auch und gerade im Hinblick auf das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates, ist also nicht kollisionsrechtlich neutral.386 Zum anderen kann sich die Anerkennungspflicht auf die Behandlung zugezogener Gesellschaften durch das Sachrecht des Aufnahmestaates auswirken. Auch dann, wenn der Aufnahmestaat die Gesellschaft grundsätzlich als solche ihres Herkunftsstaates anerkennt, können als gesellschaftsrechtlich zu qualifizierende Sachnormen des Aufnahmestaates kollisionsrechtlich im Wege der Sonderanknüpfung auf die zugezogene Gesellschaft angewandt werden.387 Sonderanknüpfungen hindern die Anerkennung der Gesellschaft und die Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform bei der Hineinverlegung des Verwaltungssitzes grundsätzlich nicht. Die damit im Einzelfall womöglich verbundene 386 387
Siehe ausführlich oben S. 95 ff. Siehe oben S. 25 f.
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug
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Beschränkung der Niederlassungsfreiheit geht daher nicht vom Kollisionsrecht des Aufnahmestaates aus, sondern von der im Wege der Sonderanknüpfung zur Anwendung berufenen Norm seines materiellen Gesellschaftsrechts.388
II. Die Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung des rechtsformwahrenden Zuzugs im Einzelnen Bei der obigen Analyse der Möglichkeiten des Herkunftsstaates, den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften den rechtsformwahrenden Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat zu untersagen, wurde differenziert zwischen der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes, des Satzungssitzes und einer zeitgleichen Hinausverlegung beider Sitze.389 In gleicher Weise ist bei der Analyse der Reichweite der Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten zugezogenen Gesellschaften zu differenzieren zwischen Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz, ihren Satzungssitz oder beide Sitze in den Aufnahmestaat hereinverlegt haben. Dies ist im Folgenden – jeweils unter Berücksichtigung der kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie getroffenen Entscheidungen des Herkunftsstaates der Gesellschaft – näher zu entfalten.
1. Unionsrechtlicher Schutz der rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Verwaltungssitzes Der Aufnahmestaat muss zunächst eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründete Gesellschaft anerkennen, die ihren Verwaltungssitz unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform in sein Territorium verlegt, sofern das nationale Recht des Herkunftsstaates dieser Gesellschaft die rechtsformwahrende Hinausverlegung des Verwaltungssitzes gestattet. Gegenüber dem Aufnahmestaat kann sich diese Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen; er darf die Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform nicht vereiteln.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Wie gesehen, ist eine Anerkennung der Gesellschaft durch den Aufnahmestaat in der Rechtsform, die ihr Herkunftsstaat ihr verliehen hat, nicht möglich, wenn es aus der Perspektive des Aufnahmestaates zu einem Statutenwechsel kommt. Das ist dann der Fall, wenn der Aufnahmestaat kollisionsrechtlich der Sitztheorie 388 Die unionsrechtliche Zulässigkeit von Sonderanknüpfungen soll daher im Folgenden nicht auf der kollisionsrechtlichen Ebene, sondern auf der sachrechtlichen Ebene behandelt werden. 389 Siehe oben S. 108 ff.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
folgt. Soweit die Niederlassungsfreiheit den Aufnahmestaat zur Anerkennung der zugezogenen Gesellschaft verpflichtet, darf er auf diese Gesellschaft wegen des Vorrangs des Unionsrechts die Sitztheorie nicht mehr anwenden. Die Pflicht des Aufnahmestaates zur Anerkennung der zugezogenen Gesellschaft reicht aber nur so weit, wie der Herkunftsstaat ihr kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie die Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform gestattet. Ob der Aufnahmestaat im Einzelfall zur Anerkennung der zugezogenen Gesellschaft als solcher verpflichtet ist oder ob er kollisionsrechtlich einen Statutenwechsel anordnen und damit einen rechtsformwahrenden Zuzug der Gesellschaft verhindern darf, hängt daher davon ab, welche Rechtsfolgen das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates der Gesellschaft an eine Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland knüpft.
aa) Herkunftsstaat folgt der Gründungstheorie Folgt der Herkunftsstaat der Gründungstheorie (d. h. knüpft er kollisionsrechtlich je nach Spielart der Gründungstheorie an den Satzungssitz oder den Ort der ursprünglichen Inkorporation an), bringt er damit zum Ausdruck, dass er die nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften auch nach einer Verlegung ihres Verwaltungssitzes ins Ausland weiterhin seinem Sachrecht unterwerfen will. Ein rechtsformwahrender Wegzug ist aus seiner Perspektive mithin nicht aus Gründen des Kollisionsrechts unmöglich. Macht der Herkunftsstaat von seiner Anknüpfungsautonomie auf diese Weise Gebrauch, dürfen auch die anderen Mitgliedstaaten als Aufnahmestaaten die Wahrung der Rechtsform nicht durch die kollisionsrechtliche Anordnung eines Statutenwechsels unterbinden. Sie müssen also auf die zugezogene Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anwenden und damit – im Ergebnis – der Gründungstheorie folgen. Gestattet der Herkunftsstaat auf der Ebene seines aufgrund der Gründungstheorie zur Anwendung berufenen materiellen Gesellschaftsrechts den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften die rechtsformwahrende Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes, muss der Aufnahmestaat die zugezogene Gesellschaft als in vollem Umfang rechtsfähige werbende Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates anerkennen. Untersagt der Herkunftsstaat dagegen den nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften auf der Ebene seines (aufgrund der Gründungstheorie zur Anwendung berufenen) materiellen Gesellschaftsrechts die rechtsformwahrende Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes und sanktioniert den Grenzübertritt mit der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft, dann muss auch der Aufnahmestaat die zugezogene Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft behandeln. Zum einen darf der Aufnahmestaat die Gesellschaft nicht aufgrund der Auflösung nach dem materiellen Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates nunmehr seinem eigenen materiellen Gesellschaftsrecht unterwerfen und sie
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womöglich in eine Personengesellschaft seines Rechts umqualifizieren. Unabhängig davon, welche konkreten Folgen eine derartige Umqualifizierung nach dem Recht des Aufnahmestaates hat (z. B. die persönliche Haftung der Gesellschafter), läge bereits in der Statutenverdoppelung eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft.390 Diese kann sich so lange auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wie sie nach dem Recht ihres Herkunftsstaates existiert, und zwar auch dann, wenn sie in das Stadium der Liquidation getreten ist. Denn die Trägerschaft der Niederlassungsfreiheit endet nicht bereits mit der Auflösung, sondern erst mit der Beendigung der Gesellschaft im Anschluss an die Liquidation.391 Zum anderen muss der Aufnahmestaat die Gesellschaft aber auch dann als Liquidationsgesellschaft behandeln, wenn er selbst auf der Ebene seines eigenen materiellen Gesellschaftsrechts einen „liberaleren“ Ansatz verfolgt und den nach seinem eigenen Recht gegründeten Gesellschaften die rechtsformwahrende Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat gestattet. Denn es ist der Herkunftsstaat der Gesellschaft, der kraft seiner Anknüpfungsautonomie entscheidet, welches Sachrecht im Falle des Wegzugs auf die Gesellschaft Anwendung findet und – falls es das eigene ist – wie dieses den Wegzug bewertet. Über diese Wertung des Herkunftsstaates darf sich der Aufnahmestaat nicht hinwegsetzen; andernfalls würde er das Recht des Herkunftsstaates in fehlerhafter Weise anwenden.
bb) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie Schwieriger zu beurteilen ist der Fall, dass der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie folgt, wobei danach zu differenzieren ist, ob dem Internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates das Prinzip der Sachnormverweisung oder der Gesamtnormverweisung zugrunde liegt. Liegt dem Internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates das Prinzip der Sachnormverweisung zugrunde, kommt es aus seiner Perspektive immer zu einem Statutenwechsel, wenn der Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt wird. Eine Anerkennung der zugezogenen Gesellschaft als solche ist dem Aufnahmestaat nicht möglich. Denn jenseits der Rechtsordnung ihres Herkunftsstaates hat die Gesellschaft keine Realität; nimmt dieser eine Rückverweisung auf sein materielles Gesellschaftsrecht nicht an, kann die Gesellschaft nicht in ihrer ursprünglichen Rechtsform weiter bestehen. Der Aufnahmestaat kann daher sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht auf die Gesellschaft anwenden, ohne dass die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates und die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft dem entgegenstünde. 390 391
Siehe oben S. 96 f. Siehe oben S. 28 f.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
Liegt dem Internationalen Privatrecht des Herkunftsstaates dagegen das Prinzip der Gesamtnormverweisung zugrunde, hängt es aus seiner Perspektive vom Gesellschaftskollisionsrecht des Aufnahmestaates ab, ob die Hinausverlegung zu einem Statutenwechsel führt oder nicht. Folgt der Aufnahmestaat der Gründungstheorie, kommt es zur Rückverweisung auf das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates; folgt er der Sitztheorie, kommt es zum Statutenwechsel. Dagegen kommt es, wenn der Herkunftsstaat der Sitztheorie folgt, aus der Perspektive des Aufnahmestaates immer zu einem Statutenwechsel, wenn er der Sitztheorie folgt (gleich ob sie als Gesamtnorm- oder als Sachnormverweisung ausgestaltet ist). Gleiches gilt, wenn er der Gründungstheorie in Gestalt der Gesamtnormverweisung folgt, da das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates dann auf das Sachrecht des Aufnahmestaates zurückverweist. Ein Statutenwechsel findet aus der Perspektive des Aufnahmestaates nur dann nicht statt, wenn er kollisionsrechtlich ausschließlich auf das Sachrecht des Herkunftsstaates verweist, also der Gründungstheorie in Gestalt der Sachnormverweisung folgt. Dies ist mithin der einzige Fall, in dem eine Anerkennung der Gesellschaft als solche, d. h. in ihrer ursprünglichen Rechtsform, möglich erscheint. Damit ergibt sich, wenn der Herkunftsstaat der Sitztheorie folgt und seinem Internationalen Privatrecht das Prinzip der Gesamtnormverweisung zugrunde liegt, folgendes Bild: yy Aufnahmestaat folgt der Sitztheorie: Statutenwechsel aus der Perspektive beider betroffenen Staaten yy Aufnahmestaat folgt der Gründungstheorie (Gesamtnormverweisung): Statutenwechsel aus der Perspektive des Aufnahmestaates, kein Statutenwechsel aus der Perspektive des Herkunftsstaates yy Aufnahmestaat folgt der Gründungstheorie (Sachnormverweisung): kein Statutenwechsel aus der Perspektive beider betroffenen Staaten. Aus der Perspektive des Aufnahmestaates stellt sich wiederum die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit der Anwendung der Sitztheorie und möglicherweise auch der Gründungstheorie in Gestalt der Gesamtnormverweisung entgegensteht, d. h. ob er verpflichtet ist, kollisionsrechtlich auf das Sachrecht des Herkunftsstaates zu verweisen (Gründungstheorie / Sachnormverweisung) mit der Konsequenz, dass auf die Gesellschaft aus der Perspektive beider betroffener Staaten weiterhin das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates Anwendung findet. Mit besonderer Schärfe stellt sich diese Frage dann, wenn der Herkunftsstaat den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften auf der Ebene seines materiellen Gesellschaftsrechts die rechtsformwahrende Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes gestattet. Denn in diesem Falle hängt die Möglichkeit der rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung allein
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug
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vom Gesellschaftskollisionsrecht des Aufnahmestaates ab. Aber auch, wenn der Herkunftsstaat auf der Ebene seines materiellen Gesellschaftsrechts den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften die rechtsformwahrende Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes untersagt, ist es für die betroffene Gesellschaft weniger einschneidend, wenn der Aufnahmestaat auf sie das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anwendet. Denn in diesem Falle wird sie in ihrem Herkunftsstaat und im Aufnahmestaat gleichermaßen als aufgelöste, d. h. in Liquidation befindliche, aber gleichwohl rechts- und parteifähige Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates behandelt. Wendet der Aufnahmestaat dagegen sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht auf die Gesellschaft an, kommt es zu einer Statutenverdoppelung; der Aufnahmestaat wird der Gesellschaft möglicherweise die Rechts- und Parteifähigkeit absprechen oder sie als Personengesellschaft seines Rechts behandeln mit der Konsequenz, dass die Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich haften. Muss der Aufnahmestaat also aus Gründen des Unionsrechts den für die betroffene Gesellschaft „harmlosesten“ Weg gehen und auch dann einen Statutenwechsel vermeiden, wenn der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie folgt und damit einen Statutenwechsel billigt bzw. ermöglicht? Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage ist wiederum die wechselseitige Bedingtheit der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates und der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates, welcher der Gesellschaft die Rechtsform verliehen hat, deren Wahrung nach Verlegung des Verwaltungssitzes in Frage steht. Lässt der Herkunftsstaat einen Statutenwechsel zu, indem er der Sitztheorie folgt, bringt er damit zum Ausdruck, dass ihm nicht daran gelegen ist, den nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften eine rechtsformwahrende Hinausverlegung des Verwaltungssitzes in jedem Falle zu gestatten. Vielmehr legt er das weitere Schicksal der Gesellschaft und damit auch die Möglichkeit einer Wahrung der Rechtsform ausdrücklich in die Hände des Aufnahmestaates. Wenn aber die unionsrechtliche Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung nur so weit reicht, wie der Herkunftsstaat von seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie Gebrauch gemacht hat, lässt sich eine Verpflichtung des Aufnahmestaates, die Sitztheorie nicht anzuwenden, nur dann begründen, wenn der Herkunftsstaat – dadurch, dass er selbst der Gründungstheorie folgt – ausdrücklich angeordnet hat, dass die Hinausverlegung des Verwaltungssitzes keinen Statutenwechsel nach sich ziehen soll. Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft hingegen der Sitztheorie und ermöglicht dadurch einen Statutenwechsel, darf der Aufnahmestaat einen Statutenwechsel aus dem Blickwinkel des Unionsrechts folglich auch herbeiführen. Hierin liegt keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Vielmehr kann sich die Gesellschaft nach der Logik von Cartesio gar nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen, da ihr Herkunftsstaat und der Aufnahmestaat
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
gemeinsam durch das Zusammenwirken ihrer Kollisionsrechte die Wahrung der Rechtsform vereitelt haben, und zwar auch nicht gegenüber dem Aufnahmestaat: Die unionsrechtliche Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung setzt voraus, dass der Herkunftsstaat kraft seiner Anknüpfungsautonomie eine rechtsformwahrende Hinausverlegung des Verwaltungssitzes ermöglicht.392
b) Sachrechtliche Ebene Beschränkungen der rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Verwaltungssitzes durch das Sachrecht des Aufnahmestaates sind nur denkbar, wenn dieses kollisionsrechtlich zur Anwendung berufen wird. Ebenso wie bei den oben behandelten kollisionsrechtlichen Beschränkungen soll auch hier danach differenziert werden, ob der Herkunftsstaat der Gesellschaft kollisionsrechtlich der Gründungstheorie oder der Sitztheorie folgt.
aa) Herkunftsstaat folgt der Gründungstheorie Folgt der Herkunftsstaat der Gründungstheorie, so ist – wie gesehen – der Aufnahmestaat unionsrechtlich verpflichtet, die Sitztheorie in diesem Falle nicht anzuwenden und damit im Ergebnis ebenfalls der Gründungstheorie zu folgen. Auf die Gesellschaft findet demnach das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates Anwendung, das über die Zulässigkeit der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes entscheidet. Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch das Sachrecht des Aufnahmestaates sind daher nur in zwei Konstellationen denkbar. Zum einen kann eine sachrechtliche Norm des Aufnahmestaates zur Anwen dung gelangen, die nicht als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren ist, sodass das Gesellschaftskollisionsrecht über ihre Anwendbarkeit gar keine Aussage trifft. So bestimmt sich etwa das anwendbare Insolvenzrecht nach der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO).393 Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO beurteilt sich die internationale Zuständigkeit für das Hauptinsolvenzverfahren 392 Wie hier Eckert, GesRZ 2009, 47 (48); Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1586); Zimmer, ZHR 168 (2004), 355 (360); wohl auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 427 (Fußn. 133); a. A. Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680), die offenbar davon ausgehen, dass nach der „EuGH-Doktrin“ eine Anknüpfung an das Recht (sic!) des Herkunftsstaates unabhängig davon geboten ist, ob der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Gründungstheorie oder der Sitztheorie folgt; ebenso Knof/Mock, GPR 2008, 134 (135). Das OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. 12. 2003, I-6 U 171/02, DB 2004, 128 (129) lässt ausdrücklich offen, ob die „Gründungstheorie europarechtlicher Prägung“ auch dann zu gelten hat, wenn der Heimatstaat der Sitztheorie folgt. 393 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren. Zur EuInsVO siehe Paulus, ZIP 2002, 729 und rückblickend ders., NZI 2008, 1; monographisch Kompat, Die neue Europäische Insolvenzverordnung, 2006.
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug
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nach dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen – Centre of Main Interest (COMI)394 – der Gesellschaft. Als solcher gilt nach der widerlegbaren395 Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO der Ort des Satzungssitzes der Gesellschaft. Fallen Satzungssitz und Verwaltungssitz auseinander, werden der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen und der Verwaltungssitz der Gesellschaft regelmäßig identisch sein.396 Bei Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat wird daher kollisionsrechtlich das Insolvenzrecht des Aufnahmestaates zur Anwendung berufen. Der andere Weg, auf dem Normen des Sachrechts des Aufnahmestaates zur Anwendung gelangen können, obwohl der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Gründungstheorie folgt, ist die Durchbrechung des Gesellschaftsstatuts im Wege der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen in entsprechender Anwendung von Art. 9 Rom I-Verordnung,397 der die Sonderanknüpfung einer Vorschrift ermöglicht, „deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“398 Kommt auf einem der beiden aufgezeigten Wege eine Sachnorm des Aufnahmestaates zur Anwendung, ist im Hinblick auf ihre Überprüfbarkeit am Maßstab der Niederlassungsfreiheit entscheidend, ob die Norm einen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard betrifft oder eine bloße Rahmenbedingung. Die Autonomie zur Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards liegt beim Herkunftsstaat der Gesellschaft. Sofern die Gesellschaft die durch das nationale Recht ihres Herkunftsstaates definierten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards erfüllt, also nach diesem Recht wirksam gegründet 394 Zur Gebräuchlichkeit des englischen Begriffs Mankowski, BB 2006, 1753; Weller, ZGR 2008, 835 (837). 395 EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I – 3813, Rn. 34; Knof/Mock, ZIP 2006, 911 (914); Weller, ZGR 2008, 835 (854); zu den Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung siehe statt vieler Reuss, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011, S. 96 ff. m. w. N. 396 Wie hier Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 9 Rn. 11; Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 422; Vallender, KTS 2005, 283 (292 f.); vgl. auch Weller, ZGR 2008, 835 (857); ähnlich Knof/Mock, ZIP 2006, 911 (914); krit. Reuss, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011, S. 99 ff. 397 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I). 398 Einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift steht nicht Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-Verordnung entgegen, wonach sie auf Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht keine Anwendung findet, denn ihr Rechtsgedanke ist über den Bereich vertraglicher Schuldverhältnisse hinaus verallgemeinerungsfähig. Vgl. im Hinblick auf Art. 34 und Art. 37 Nr. 2 EGBGB a. F. bereits Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 49 (91); Sonnenberger, IPRax 2003, 104; a. A. Paefgen, DB 2003, 487 (489 Fußn. 27).
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wurde und fortbesteht, hat der Aufnahmestaat diese Qualifikationsstandards anzuerkennen. Wendet der Aufnahmestaat seine eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf die Gesellschaft an, liegt darin eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Dies gilt zum einen für Qualifikationsstandards, welche die Binnenorganisation und die Kapitalstruktur der Gesellschaft betreffen. Greift der Aufnahmestaat in die innere Ausgestaltung der durch den Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform ein, indem er die zugezogene Gesellschaft beispielsweise seinen eigenen Mindestkapitalisierungsvorschriften unterwirft (Inspire Art) oder ihre Binnenorganisation dahingehend modifiziert, dass er ihr vorschreibt, trotz monistischer Organisationsverfassung einen (mitbestimmten) Aufsichtsrat zu bilden,399 wird sich dies kaum je rechtfertigen lassen. Die Pflicht des Aufnahmestaates zur Anerkennung erstreckt sich zum anderen aber auch auf jene Qualifikationsstandards, welche die Haftung bestimmter Personen in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter oder Gesellschaftsorgane und damit den Schutz von Gesellschaftsgläubigern betreffen. Nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüft werden dagegen solche Vorschriften des Aufnahmestaates, die keine gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards darstellen, sondern lediglich Rahmenbedingungen im Sinne der Keck-Rechtsprechung des EuGH statuieren, die rechtlich und tatsächlich für inländische und ausländische Gesellschaften unterschiedslos gelten.400 Für die Überprüfbarkeit der Anwendung von Sachnormen des Aufnahme staates am Maßstab der Niederlassungsfreiheit ergeben sich daraus zwei Konsequenzen: Zum einen ist aus dem Blickwinkel des Unionsrechts die international-privatrechtliche Qualifikation einer Sachnorm des Aufnahmestaates irrelevant. Entscheidend ist allein die Abgrenzung von gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards und Rahmenbedingungen. Für die Frage, ob die Anwendung einer den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zuzuordnenden Sachnorm des Aufnahmestaates die Niederlassungsfreiheit beschränkt oder nicht, spielt es keine Rolle, ob diese Sachnorm internationalprivatrechtlich als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren ist und im Wege der Sonderanknüpfung zu Anwendung gelangt, oder ob sie anderweitig – als insolvenzrechtlich oder als deliktsrechtlich – zu qualifizieren ist und sich ihre Anwendung aus dem Internationalen Insolvenzrecht oder dem Internationalen Deliktsrecht ergibt. Daraus folgt zum anderen, dass die Niederlassungsfreiheit
399 In der Literatur wird insoweit vor allem auf die technischen Umsetzungsprobleme hingewiesen, vgl. Behme, ZIP 2008, 351 (355); Ebke, EBLR 2005, 9 (44); Kamp, BB 2004, 1496 (1499); G. H. Roth, ZIP 1999, 861 (864) („Fremdkörper im Gesellschaftsstatut“); a. A. Franzen, RdA 2004, 256 (260); siehe ferner unten S. 196 ff. 400 Siehe dazu oben S. 85 f.
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug
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auch der Anwendung von Eingriffsnormen des Aufnahmestaates und damit dessen nationalem ordre public Grenzen zieht.401 In der deutschen Literatur wird die Rechtsprechung des EuGH zur Nieder lassungsfreiheit von Gesellschaften vielfach so interpretiert, dass sich alle gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Fragen nach dem Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft beurteilen, die Niederlassungsfreiheit also zur Anwendung der Gründungstheorie zwingt, dass aber das nationale Insolvenzrecht und Deliktsrecht unberührt bleibt. Aus diesem Grunde ist eine Tendenz zu beobachten, Normen und Rechtsinstitute des deutschen Rechts, die dem Schutz von Gesellschaftsgläubigern dienen und die bislang ohne Weiteres dem Gesellschaftsstatut zugeordnet wurden, anderweitig zu qualifizieren, damit sie trotz der Maßgeblichkeit des materiellen Gesellschaftsrechts des Herkunftsstaates auf eine zugezogene Gesellschaft und ihre Gesellschafter Anwendung finden können. Durch eine solche begriffsjuristische Vorgehensweise402 soll einerseits den (vermeintlichen) Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit genügt werden, andererseits sollen die Schutzanliegen der Sitztheorie gewissermaßen durch die Hintertür gesichert werden, indem deutsches Gesellschaftsrecht im Mantel des Insolvenz- oder Deliktsrechts gleichwohl zur Anwendung gebracht wird.403 Ein Beispiel hierfür ist die Haftung der Gesellschafter einer GmbH wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs, die der BGH in seinem Trihotel-Urteil vom 16. 7. 2007404 als besondere Fallgruppe einer schadensersatzrechtlichen Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB eingeordnet hat, die neben dem Ausgleichsanspruch nach §§ 30, 31 GmbHG existieren soll. Die Existenzvernichtungshaftung knüpft an die spezifischen Pflichten der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft an; es erscheint daher sinnvoll, sie mit der überwiegenden Auffassung vor dem Trihotel-Urteil405 401 Vgl. bereits Generalanwalt Reischl in seinen Schlussanträgen vom 21. 9. 1978, Rs. 15/78 (Koestler), Abschnitt III.; W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (660 ff.); Steindorff, EuR 1981, 426 (439 f.). 402 Diesen Vorwurf erhebt zu Recht K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493 (499). 403 So Fischer, ZIP 2004, 1477; Horn, NJW 2004, 893 (899); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588 f.); krit. Bitter, in: Tietze/McGuire/Bendel u. a. (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, 2005, S. 299 (310); Fleischer, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 49 (97 f.); Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 785; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493 (499); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 465; Westermann, ZIP 2005, 1849 (1853). 404 BGH, Urteil vom 16. 7. 2007, II ZR 3/04, BGHZ 173, 246; dazu Altmeppen, NJW 2007, 2657; Schanze, NZG 2007, 681; Theiselmann, GmbHR 2007, 904; Weller, ZIP 2007, 1681. 405 Altmeppen, NJW 2004, 97 (101); Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 21; Gernoth, Pesudo Foreign Companies, 2005, S. 292; Mittelstädt, Bucerius Law Journal 2007, 7 (9); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (11); für insolvenzrechtliche Qualifikation aber G. H. Roth, NZG 2003, 1081 (1085); wohl auch Weller, IPRax 2003, 207 (209).
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nach wie vor als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren.406 Gleichwohl legt die dogmatische Verortung der Existenzvernichtungshaftung in § 826 BGB eine deliktsrechtliche Qualifikation nahe.407 Damit wäre nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB der Handlungsort das maßgebliche Anknüpfungsmoment, der bei inländischem Verwaltungssitz regelmäßig im Inland liegen wird; die deutsche Existenzvernichtungshaftung würde damit kollisionsrechtlich auf ausländische Gesellschaften mit deutschem Verwaltungssitz zur Anwendung berufen. Nach hier vertretener Auffassung ist dieser Weg der „Umqualifizierung“ von Sachnormen mit Blick auf die Überprüfbarkeit ihrer Anwendung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit nicht zielführend. Haftungsnormen wie die deutsche Existenzvernichtungshaftung zählen ohne weiteres zum Bereich gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards, die der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates unterliegen; die Anwendung derartiger Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates beschränkt daher unabhängig von ihrer internationalprivatrechtlichen Qualifikation die Niederlassungsfreiheit der zugezogenen Gesellschaft. Ist diese Beschränkung nicht aufgrund zwingender Allgemeininteressen unionsrechtlich gerechtfertigt, so ist die betreffende Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht anwendbar.408 Die international-privatrechtliche Qualifikation hat demnach allenfalls Indizwirkung für oder gegen die Anwendbarkeit einer Norm des Aufnahmestaates: Gesellschaftsrechtlich zu qualifizierende Normen des Aufnahmestaates finden prima facie keine Anwendung auf zugezogene Gesellschaften; anderweitig zu qualifizierende Normen dagegen schon. Dass die Qualifikation einer Sachnorm des Aufnahmestaates als delikts-, vertrags- oder insolvenzrechtlich darüber hinaus auch Indizwirkung für die Vereinbarkeit ihrer Anwendung mit der Niederlassungsfreiheit haben soll,409 geht dagegen zu weit und überzeugt nicht. Nicht überzeugend ist auch die Auffassung, die Anwendung nationaler insolvenzrechtlicher Gläubigerschutzvorschriften sei mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit unbedenklich, wenn sie sich aus der Verweisung auf die lex fori concursus in Art. 4 EuInsVO ergebe. Begründet wird dies damit, die europäische Harmonisierung sei im Insolvenzrecht weiter fortgeschritten als im Gesellschaftsrecht; die EuInsVO habe insofern integrationsfördernde Wirkung und stelle eine zulässige unionsrechtliche Konkretisierung des sachlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten dar.410 Dies überzeugt schon deshalb 406
Eidenmüller, ZHR 171 (2007), 644 (661, Fußn. 88); Gehrlein, WM 2008, 761 (769). Gloger/Goette/van Huet, DStR 2008, 1194 (1195 f.); Noack, LMK 2007, 240726; Weller, ZIP 2007, 1681 (1688 f.); vor Trihotel bereits Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (669). 408 Diese Auffassung hat der EuGH erst in der Rechtssache Kücükdeveci bestätigt, siehe EuGH, Urteil vom 19. 1. 2010, Rs. C-555/07 (Kücükdeveci), Slg. 2010, I – 365; siehe zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts ferner Hellwig/Behme, ZIP 2010, 871. 409 So Ulmer, NJW 2004, 1201 (1205). 410 Ulmer, KTS 2004, 291 (295 f.); ders., NJW 2004, 1201 (1205 und 1207, Fußn. 57); ebenso Fischer, ZIP 2004, 1477 (1479). 407
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nicht, weil auch Rechtsakte des sekundären Unionsrechts den Anforderungen des Primärrechts genügen müssen.411 Die integrationsfördernde Wirkung der EuInsVO ändert daran nichts; sofern ihre Anwendung im Einzelfall die Niederlassungsfreiheit beschränkt, bedarf dies der unionsrechtlichen Rechtfertigung.412
bb) Herkunftsstaat folgt der Sitztheorie Wiederum komplizierter ist der Fall, dass der Herkunftsstaat der Sitztheorie folgt. Erzwingt der Aufnahmestaat dann einen Statutenwechsel, indem er ebenfalls der Sitztheorie folgt, ist dies unionsrechtlich zulässig, da sich die Gesellschaft nach der Logik von Cartesio gar nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Die sachrechtliche Behandlung der zugezogenen Gesellschaft durch den Aufnahmestaat ist daher nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen. Wie aber ist der Fall zu beurteilen, dass der Herkunftsstaat zwar der Sitztheorie folgt und damit einen Statutenwechsel zulässt, der Aufnahmestaat aber auf das Sachrecht des Herkunftsstaates zurückverweist und der Herkunftsstaat diese Rückverweisung annimmt? In diesem Fall unterliegt die Gesellschaft aus der Perspektive beider betroffenen Staaten dem materiellen Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates. Wiederum stellt sich die Frage, ob es am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen ist, wenn der Aufnahmestaat (im Wege der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen oder durch eine insolvenz- oder deliktsrechtliche Qualifikation) eigene gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards auf die zugezogene Gesellschaft zur Anwendung gelangen lässt. Es sind zwei Wege denkbar, diese Frage zu beantworten. Auf den ersten Blick ließe sich folgendes argumentum a fortiori vertreten: Wenn der Aufnahmestaat, wie gesehen, der Sitztheorie folgen und damit die Gesellschaft vollumfänglich seinem eigenen materiellen Gesellschaftsrecht unterwerfen darf, so muss es erst recht zulässig sein, wenn er den für die Gesellschaft schonenderen Weg beschreitet und der Gründungstheorie folgt, sie also als Gesellschaft ihres Herkunftsstaates anerkennt und eigene gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards lediglich partiell zur Anwendung bringt. 411 EuGH, Urteil vom 25. 6. 1997, Rs. C-114/96, Slg. 1997, I – 3629, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 9. 8. 1994, Rs. C-51/93 (Meyhui), Slg. 1994, I – 3879, Rn. 11; Bievert, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 288 AEUV Rn. 11; Drinhausen/Nohlen, FS Spiegelberger, S. 645 (647); Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2004, Art. 230 EG Rn. 140; Leible, ZGR 2004, 531 (540); W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (640); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2004, S. 154; a. A. Calliess, DVBl. 2007, 336 (345); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 3. Aufl. 2007, Art. 28–30 EGV Rn. 110. 412 Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 3 Rn. 9; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 465; s. auch Zimmer, NJW 2003, 3585 (3590).
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Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung weist jedoch einen anderen Weg. Indem der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie folgt, bringt er zum Ausdruck, dass er es in Kauf nimmt, dass der Gesellschaft im Falle der Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes die Rechtsform entzogen wird, wenn der Aufnahmestaat ebenfalls der Sitztheorie folgt und damit ein Statutenwechsel stattfindet. Sofern der Aufnahmestaat jedoch der Gründungstheorie folgt, kommt es zu einer Rückverweisung auf das Sachrecht des Herkunftsstaates, das dann über die Möglichkeit der Sitzverlegung entscheidet. Der Aufnahmestaat ist also durch das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates nur dazu befugt, durch einen Statutenwechsel die Wahrung der Rechtsform der zuziehenden Gesellschaft gänzlich zu vereiteln. Findet jedoch weiterhin das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates auf die Gesellschaft Anwendung, muss dasselbe gelten, wie wenn der Herkunftsstaat von vornherein der Gründungstheorie gefolgt wäre: Das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates entscheidet autonom darüber, ob die Gesellschaft wegziehen und ihre ursprüngliche Rechtsform behalten darf. Bejaht der Herkunftsstaat diese Frage und gestattet den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften die rechtsformwahrende Hinausverlegung ihres Verwaltungssitzes, muss der Aufnahmestaat die zugezogene Gesellschaft als solche, d. h. in der durch ihren Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform, anerkennen. Sofern er in die durch den Herkunftsstaat verliehene Rechtsform eingreift, indem er partiell seine eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf die Gesellschaft anwendet, liegt darin eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der nach wie vor durch das nationale Recht ihres Herkunftsstaates konfigurierten und dessen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards entsprechenden Gesellschaft. Verneint der Herkunftsstaat die Frage dagegen und löst die Gesellschaft auf der Ebene seines materiellen Gesellschaftsrechts auf, so muss auch der Aufnahmestaat die Gesellschaft als Liquidationsgesellschaft behandeln.413 Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie, gilt also kein milderer Maßstab für die unionsrechtliche Rechtfertigung der Anwendung gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates, als wenn der Herkunftsstaat der Gründungstheorie folgt.
2. Unionsrechtlicher Schutz der rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Satzungssitzes Der Aufnahmestaat muss ferner eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründete Gesellschaft anerkennen, die ihren Satzungssitz unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform ins Inland verlegt, sofern das nationale Recht des Herkunftsstaates dieser Gesellschaft die rechtsformwah413
Siehe oben S. 114 f.
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rende Hinausverlegung ihres Satzungssitzes gestattet. Insoweit gelten dieselben Prinzipien wie bei der rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Verwaltungssitzes.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Aus der Perspektive des Aufnahmestaates ist eine Anerkennung der zugezogenen Gesellschaft in ihrer ursprünglichen Rechtsform wiederum nicht möglich, wenn die Hereinverlegung des Satzungssitzes auf der Ebene seines Kollisionsrechts zu einem Statutenwechsel führt. Ein Statutenwechsel tritt ein, wenn der Aufnahmestaat kollisionsrechtlich einer als „Satzungssitztheorie“ verstandenen Gründungstheorie folgt, deren Anknüpfungsmoment der Satzungssitz ist. Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts stellt sich wiederum die Frage, ob der Aufnahmestaat einen Statutenwechsel herbeiführen darf oder ob die Niederlassungsfreiheit es vielmehr gebietet, auf die zugezogene Gesellschaft ihr Heimatrecht anzuwenden, mithin der Sitztheorie oder einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie zu folgen, deren Anknüpfungsmoment der Ort der ursprünglichen Inkorporation ist. Dies hängt in Übertragung der oben zur rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Verwaltungssitzes entwickelten Ergebnisse davon ab, ob der Herkunftsstaat der Gesellschaft im Falle der Hinausverlegung des Satzungssitzes einen Statutenwechsel zulässt oder nicht. Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie oder einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie, kommt es aus der Perspektive des Herkunftsstaates im Falle der isolierten Hinausverlegung des Satzungssitzes nicht zum Statutenwechsel; in diesem Falle darf auch der Aufnahmestaat einen Statutenwechsel nicht herbeiführen und der zuziehenden Gesellschaft dadurch die Rechtsform entziehen. Vielmehr hat er die vom Herkunftsstaat der Gesellschaft kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie getroffene Entscheidung, dass die Gesellschaft auch nach der Hinausverlegung ihres Satzungssitzes weiterhin seinem Recht unterliegen soll, anzuerkennen und muss die zugezogene Gesellschaft als – ggf. in Liquidation befindliche – Gesellschaft ihres Herkunftsstaates anerkennen. Geht man davon aus, dass der Satzungssitz die Registerzuständigkeit begründet, hat die Hereinverlegung des Satzungssitzes zur Folge, dass der Aufnahmestaat eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft als solche in sein Register einzutragen hat.414 Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft dagegen kollisionsrechtlich einer Spielart der Gründungstheorie, deren Anknüpfungsmoment der Satzungssitz 414 Eidenmüller, JZ 2004, 24 (32) geht offenbar davon aus, dass die Gesellschaft in diesem Fall sowohl in das Handelsregister ihres Herkunftsstaates als auch in das Handelsregister des Aufnahmestaates einzutragen wäre.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
ist, ist danach zu differenzieren, ob er lediglich auf das Sachrecht (Sachnormverweisung) oder auch auf das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates verweist (Gesamtnormverweisung). Im Falle einer Sachnormverweisung nimmt der Herkunftsstaat eine Rückverweisung auf sein materielles Gesellschaftsrecht nicht an; die Gesellschaft kann nicht in ihrer ursprünglichen Rechtsform weiter bestehen. Der Aufnahmestaat kann daher sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht auf die Gesellschaft anwenden, ohne dass die Niederlassungsfreiheit dem entgegenstünde. Im Falle einer Gesamtnormverweisung auf das Kollisions- und Sachrecht des Aufnahmestaates legt der Herkunftsstaat das weitere Schicksal der Gesellschaft und damit auch die Möglichkeit einer Wahrung der Rechtsform in die Hände des Aufnahmestaates. Dieser darf somit ebenfalls kollisionsrechtlich an den Satzungssitz anknüpfen und damit einen Statutenwechsel erzwingen, ohne dass dies am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen ist. Auf die Niederlassungsfreiheit kann sich die Gesellschaft nämlich, nachdem ihr Herkunftsstaat und der Aufnahmestaat durch das Zusammenwirken ihrer Kollisionsrechte gemeinsam die Wahrung der Rechtsform vereitelt haben, auch gegenüber dem Aufnahmestaat nicht mehr berufen.
b) Sachrechtliche Ebene Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie oder einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie, deren Anknüpfungsmoment der Ort der ursprünglichen Inkorporation ist, so ist, wie gesehen, der Aufnahmestaat unionsrechtlich gehalten, keinen Statutenwechsel herbeizuführen und die zugezogene Gesellschaft als solche, d. h. in der durch ihren Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform, anzuerkennen. Wendet der Aufnahmestaat seine eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf die zugezogene Gesellschaft an, so liegt darin eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Bloße Rahmenbedingungen des Aufnahmestaates sind dagegen nach Maßgabe der Keck-Rechtsprechung des EuGH nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Die Zuordnung einer Sachnorm des Aufnahmestaates zum Bereich der Qualifikationsstandards oder zum Bereich der Rahmenbedingungen erfolgt unabhängig von ihrer international-privatrechtlichen Qualifikation. Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft dagegen einer als „Satzungssitztheorie“ verstandenen Gründungstheorie, lässt also im Falle der Hinausverlegung des Satzungssitzes abhängig von der Kollisionsnorm des Aufnahmestaates einen Statutenwechsel zu, so darf der Aufnahmestaat sein Sachrecht auf die Gesellschaft uneingeschränkt zur Anwendung bringen, ohne dass die Gesellschaft sich demgegenüber auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Verweist der Aufnahmestaat jedoch auf das Sachrecht des Herkunftsstaates zurück und nimmt der Herkunftsstaat diese Rückverweisung an, entscheidet
F. Konsequenzen für den rechtsformwahrenden Zuzug
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das anwendbare Recht des Herkunftsstaates darüber, ob die Gesellschaft wegziehen und dabei ihre ursprüngliche Rechtsform behalten darf. Greift der Aufnahmestaat dann in die durch den Herkunftsstaat verliehene Rechtsform ein, indem er seine eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards partiell auf die zugezogene Gesellschaft anwendet, so liegt darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Es gilt also kein milderer Maßstab, als wenn der Herkunftsstaat kollisionsrechtlich der Sitztheorie oder einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie folgt.
3. Unionsrechtlicher Schutz der rechtsformwahrenden Hereinverlegung beider Sitze Schließlich muss der Aufnahmestaat eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründete Gesellschaft anerkennen, die ihren Verwaltungssitz und ihren Satzungssitz unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform in sein Territorium verlegt, sofern das nationale Recht des Herkunftsstaates dieser Gesellschaft die rechtsformwahrende Hinausverlegung beider Sitze gestattet. Auch insoweit lassen sich die für die rechtsformwahrende Hereinverlegung des Verwaltungssitzes erarbeiteten Ergebnisse übertragen.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Kollisionsrechtlich darf der Aufnahmestaat einen Statutenwechsel wiederum nur herbeiführen, wenn das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates dies zulässt. Ein Statutenwechsel findet aus der Perspektive des Aufnahmestaates dann statt, wenn er entweder der Sitztheorie oder einer als „Satzungssitztheorie“ verstandenen Gründungstheorie folgt, da in beiden Fällen das maßgebliche Anknüpfungsmoment ins Inland verlegt wird. Gleiches gilt aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaft. Dieser lässt mithin einen Statutenwechsel nur dann nicht zu, wenn er einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie folgt, da nach dieser das maßgebliche Anknüpfungsmoment der unwandelbare Ort der ursprünglichen Inkorporation ist. In diesem Falle ist auch der Aufnahmestaat verpflichtet, der Gesellschaft die rechtsformwahrende Hineinverlegung beider Sitze zu ermöglichen, also im Ergebnis ebenfalls der Inkorporationstheorie zu folgen. Knüpft das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates dagegen an den Verwaltungssitz oder den Satzungssitz an, darf der Aufnahmestaat es ihm gleichtun. Beide Staaten vereiteln dann durch das Zusammenwirken ihrer Kollisionsrechte gemeinsam die Wahrung der Rechtsform der Gesellschaft; diese kann sich folglich auch gegenüber dem Aufnahmestaat nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen.
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Zweites Kapitel: Die rechtsformwahrende Sitzverlegung
b) Sachrechtliche Ebene Wendet der Herkunftsstaat der Gesellschaft auch nach der Hinausverlegung sowohl des Verwaltungs- als auch des Satzungssitzes weiterhin sein materielles Gesellschaftsrecht auf die Gesellschaft an, weil er einer als Inkorporationstheorie verstandenen Gründungstheorie folgt, so macht er damit von seiner Anknüpfungsautonomie Gebrauch und der Aufnahmestaat hat die Gesellschaft als solche anzuerkennen. Wendet der Aufnahmestaat seine eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf die zugezogene Gesellschaft an, so liegt darin eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Lässt der Herkunftsstaat der Gesellschaft dagegen im Falle der Hinausverlegung des Verwaltungs- und des Satzungssitzes – in Abhängigkeit von der Kollisionsnorm des Aufnahmestaates – einen Statutenwechsel zu, so darf der Aufnahmestaat sein Sachrecht auf die Gesellschaft uneingeschränkt zur Anwendung bringen, ohne dass die Gesellschaft sich demgegenüber auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Verweist der Aufnahmestaat jedoch auf das Sachrecht des Herkunftsstaates zurück und nimmt der Herkunftsstaat diese Rückverweisung an, entscheidet das anwendbare Recht des Herkunftsstaates darüber, ob die Gesellschaft wegziehen und dabei ihre ursprüngliche Rechtsform behalten darf. Greift der Aufnahmestaat in die durch den Herkunftsstaat verliehene Rechtsform ein, indem er eigene gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards zur Anwendung gelangen lässt, so liegt darin eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der zugezogenen Gesellschaft.
G. Ergebnis Die Differenzierung zwischen „Wegzugsfall“ und „Zuzugsfall“ bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Gesellschaften unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform ist auch nach der Cartesio-Entscheidung des EuGH nicht überholt. Im Gegenteil wurde sie durch die Entscheidung fortgeschrieben und präzisiert. Der Herkunftsstaat der Gesellschaft kann autonom die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards definieren, die erfüllt sein müssen, damit eine Gesellschaft nach seinem nationalen Recht als Gesellschaft qualifiziert, d. h. gegründet werden und als Gesellschaft seines Rechts fortbestehen kann. Zu diesen autonom durch den Herkunftsstaat zu definierenden und, da ihr vorgelagert, nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbaren Qualifikationsstandards zählen die Vorschriften, die eine Gesellschaft in einer bestimmten Rechtsform konstituieren, d. h. ihre Gründung und ihre Funktionsweise regeln. Dazu gehören insbesondere auch die Anforderungen an den Sitz
G. Ergebnis
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der Gesellschaft. Sofern der Herkunftsstaat der Gesellschaft eine bestimmte Rechtsform verleiht und ihr diese auch in Folge der Verlegung des Sitzes (Satzungssitz und/oder Verwaltungssitz) in einen anderen Mitgliedstaat nicht wieder entzieht, muss der Aufnahmestaat kraft Unionsrechts die zugezogene Gesellschaft als solche, d. h. in der durch ihren Herkunftsstaat verliehenen Rechtsform, anerkennen. Sofern er seine eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf die zugezogene Gesellschaft zur Anwendung bringt, liegt darin eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses bedarf. Dies gilt unabhängig davon, ob die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates nach dessen Internationalem Privatrecht als gesellschaftsrechtlich oder in sonstiger Weise – etwa als insolvenz- oder deliktsrechtlich – zu qualifizieren sind. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wirkt damit im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards als horizontale Kompetenzzuweisung an den Herkunftsstaat. Dagegen sind Vorschriften des Herkunftsstaates, die nicht als gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards, sondern als bloße Rahmenbedingungen einzuordnen sind, weiterhin ohne Einschränkung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Für die Definition und Durchsetzung von Rahmenbedingungen besteht im grenzüberschreitenden Kontext eine horizontale Kompetenzzuweisung an den Aufnahmestaat. Dies ist die Kernaussage der Keck-Entscheidung des EuGH zum freien Warenverkehr, die auf die anderen Grundfreiheiten übertragen werden kann. Für eine grenzüberschreitend tätige Gesellschaft bedeutet dies im Ergebnis, dass sie die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates erfüllen und die Rahmenbedingungen des Aufnahmestaates beachten muss. Die Definitionsautonomie des Herkunftsstaates und die Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates sind wechselseitig bedingt. Soweit der Herkunftsstaat im Falle der Sitzverlegung einen Statutenwechsel zulässt, darf der Aufnahmestaat einen solchen auch herbeiführen und eine zugezogene Gesellschaft seinem eigenen nationalen Recht unterwerfen. Dies gilt auch im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates. Wendet der Aufnahmestaat auf die zugezogene Gesellschaft gleichwohl weiterhin das nationale Recht ihres Herkunftsstaates an, bleibt dieser allein auch für die Definition von Qualifikationsstandards und damit auch für die Sanktionierung ihrer Verletzung zuständig; die Anwendung eigener Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates ist dann ohne Einschränkung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen.
Drittes Kapitel
Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften aus der Perspektive des Unionsrechts Die Entscheidungen des EuGH in Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus einerseits bzw. Centros, Überseering und Inspire Art andererseits betrafen allesamt Fälle, in denen eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen und dabei die durch ihren Herkunftsstaat verliehene Rechtsform behalten wollte. In Cartesio verneint der EuGH die Frage, ob der rechtsformwahrende Wegzug einer Gesellschaft von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. Der rechtsformwahrende Wegzug sei jedoch von dem Fall zu unterscheiden, dass eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des nationalen Rechts verlegt und dabei in eine dem nationalen Rechts des Aufnahmestaates unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt wird. In diesem Falle könne die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates insbesondere nicht rechtfertigen, dass er die Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlangt, daran hindert, sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht des Aufnahmestaates umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich ist. Ein solches Hemmnis für die tatsächliche Umwandlung, ohne vorherige Auflösung und Liquidation, einer solchen Gesellschaft in eine Gesellschaft des nationalen Rechts des Aufnahmestaates stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der betreffenden Gesellschaft dar, die, wenn sie nicht zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, nach Art. 43 EG (jetzt: Art. 49 AEUV) verboten sei.1 Weite Teile der Literatur charakterisieren diese Ausführungen als obiter dictum2 und werfen dem EuGH vor, er habe sich zum rechtsformwechselnden Wegzug ungefragt geäußert3 und dadurch Verwirrung gestiftet.4 Kindler ver1
EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 111 ff. Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (756); Bollacher, RIW 2009, 150 (152); Johnston/ Syrpis, Eur. L. Rev. 34 (2009), 378 (386); Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (618); Kindler, NZG 2009, 130 (131); Kobelt, GmbHR 2009, 808 (812); Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (154 f.); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (98); G. H. Roth, EuZW 2010, 607 (610); Wilhelmi, JZ 2009, 411 (412); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547). 3 Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1027); Kindler, NZG 2009, 130 (131); ders., IPRax 2009, 189 (191). 4 So Ratka/Rauter, wbl 2009, 62 (64). 2
Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
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weist sogar zur Begründung der von ihm vertretenen Auffassung, der rechtsformwechselnde Wegzug sei nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt, unter anderem auf die rechtliche Unverbindlichkeit von obiter dicta des EuGH.5 An diesem Hinweis ist richtig, dass sich die gegenständliche Reichweite der Rechtskraft von Entscheidungen des EuGH auf den Tenor und die tragenden Entscheidungsgründe beschränkt, wohingegen bloße obiter dicta nicht erfasst sind.6 Richtig ist auch, dass obiter dicta die Gefahr von Missverständnissen bergen.7 Es kann jedoch bereits bezweifelt werden, ob die Einstufung der betreffenden Passage in Cartesio als obiter dictum überhaupt zutreffend ist. Unter einem obiter dictum sind im Anschluss an Schlüter entbehrliche richterliche Ausführungen zu verstehen, die über die Lösung des konkreten Falls hinausgreifen;8 sie stehen in keinem logisch unterstützenden Verhältnis zum Entscheidungsausspruch.9 Überträgt man diese Definition auf Entscheidungen des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 Abs. 1 AEUV), dessen Gegenstand nicht die Entscheidung konkreter Fälle, sondern die Auslegung von Unionsrecht ist, wird man unter einem obiter dictum richterliche Ausführungen verstehen müssen, die über die Beantwortung der von den mitgliedstaatlichen Gerichten gestellten Vorlagefragen hinausgreifen. Cartesio ging es um die Verlegung ihres Sitzes nach Italien unter Wahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft ungarischen Rechts. Der Wechsel in eine italienische Rechtsform stand nicht zur Debatte. Gleichwohl bestand hinsichtlich des genauen Gegenstands der vierten Vorlagefrage an den EuGH im Vorfeld der Entscheidung erhebliche Unklarheit. Wie gesehen, war Gegenstand der nach ungarischem Registerrecht von Cartesio beantragten Eintragung die Verlegung des Sitzes (székhely) der Gesellschaft. Der ungarische Begriff székhely, der auch in der ungarischen Originalfassung der vierten Vorlagefrage verwendet wird, bezieht sich auf den Verwaltungssitz und den Satzungssitz.10 In der englischsprachigen Veröffentlichung der vierten Vorlagefrage im Amtsblatt der EU11 wurde er irrtümlich mit registered office übersetzt, der englischen Bezeichnung für den Satzungssitz. Dagegen beziehen sich die Schlussanträge 5 Kindler, NZG 2009, 130 (131); ders., IPRax 2009, 189 (191 f.); gegen ein Recht auf Sitzverlegung mit Statutenwechsel auch Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). 6 So bereits Generalanwalt Roemer in seinen Schlussanträgen vom 19. 10. 1965, Rs. C-29/63, 31/63, 36/63, 39/63 bis 47/63, 50/63 und 51/63 (S. A. des Laminoirs, Haut Fourneaux, Forges, Fonderies et Usines de la Providence u. a.); Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europäischen Union, 2009, S. 424 ff. 7 Ebke, JZ 1999, 656 (661). 8 Schlüter, Das obiter dictum, 1973; ebenso Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 2009, S. 208 (Fußn. 281). 9 Germelmann, Die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen in der Europäischen Union, 2009, S. 430. 10 Siehe oben S. 48 f. 11 ABl.EU v. 15. 7. 2006, C 165/17.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
von Generalanwalt Poiares Maduro12 ausschließlich auf die Verlegung des Verwaltungssitzes.13 Diese Unstimmigkeiten veranlassten Irland dazu, noch nach Erscheinen der Schlussanträge, die ausschließlich die Verlegung des Verwaltungssitzes zum Gegenstand hatten, in Bezug auf die vierte Vorlagefrage die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, was der EuGH jedoch ablehnte.14 Es ist zu vermuten, dass sich der EuGH wegen dieser terminologischen Unklarheiten sowohl in Bezug auf die Frage, ob die Verlegung des Verwaltungs- oder des Satzungssitzes Gegenstand des Verfahrens war, als auch in Bezug auf die etwaige Bedingtheit von grenzüberschreitender Satzungssitzverlegung und Wechsel der Rechtsform15 veranlasst sah, kurz auf die Konstellation eines rechtsformwechselnden Wegzugs einzugehen. Im Übrigen fällt auf, dass der EuGH bei seinen Ausführungen zum rechtsformwechselnden Wegzug die Begriffe „Satzungssitz“ und „Verwaltungssitz“ nicht verwendet, sondern von der Verlagerung „der Gesellschaft“ bei gleichzeitiger Umwandlung spricht, also anstatt zwischen Satzungssitz- und Verwaltungssitzverlegung ausschließlich zwischen rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Wegzug differenziert.16 Auch wenn man die Ausführungen des EuGH zum rechtsformwechselnden Wegzug als obiter dictum einstuft, weil es in Cartesio ungeachtet der exakten Formulierung der Vorlagefrage jedenfalls um einen rechtsformwahrenden Wegzug ging, sagt dies nichts über ihre inhaltliche Richtigkeit und damit – entgegen Kindler – auch nichts über den Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit aus.17 Obiter dicta kommen zwar in der 12 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498; dazu ausführlich Behme/Nohlen, NZG 2008, 496. 13 Vermutlich ist dies der Grund dafür, warum Cartesio in der Literatur nahezu ausschließlich als Fall der Verwaltungssitzverlegung behandelt wird. 14 Zur Vorgeschichte ausführlich Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (755 f.), die jedoch zu Unrecht davon ausgehen, Irland habe die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt, weil sich das Missverständnis nach Veröffentlichung der Schlussanträge aufgeklärt hatte. Irland ging vielmehr nach wie vor davon aus, der Fall betreffe die Verlegung des Satzungssitzes, daher sei eine der tatsächlichen Prämissen, auf denen die Würdigung des Generalanwalts beruhe, unrichtig; siehe EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 44. 15 Siehe dazu oben S. 8 ff. 16 Und zwar auch in den anderen Sprachfassungen der Entscheidung, siehe Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (755 m. w. N.). 17 Zu möglichen günstigen Auswirkungen von obiter dicta auf Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und Prozessökonomie siehe Köbl, JZ 1976, 752. Insbesondere soll, so Köbl (754), das sog. prospective overruling die Chance eröffnen, dass durch gemeinsame Anstrengungen von Gerichtspraxis, Rechtswissenschaft und interessierter Öffentlichkeit befriedigende und dauerhafte Regelungen erarbeitet werden. In Anbetracht der umfassenden und kontroversen Diskussion um Cartesio kann eine solche Wirkung der Passagen des Urteils zum formwechselnden Wegzug durchaus gesehen werden. Auf die Ausführungen des EuGH trifft aber auch der von Schneider, MDR 1973, 821 (822) grundsätzlich gegen obiter dicta angeführte Effekt zu, dass sie zur Interpretation nötigen und offen lassen, was genau eigentlich – etwa mit dem
A. Terminologie: Die „Umwandlung“ als grenzüberschreitender Formwechsel 133
Rechtsprechung des EuGH nur selten vor18 – wenn, dann sind sie aber oft von richtungweisender Bedeutung: So nahm etwa die Rechtsprechung des EuGH zur Existenz von Gemeinschaftsgrundrechten ihren Ausgang in der Rechtssache Stauder,19 wo diese Frage ebenfalls nicht unmittelbar entscheidungsrelevant war.20 Auch im Hinblick auf Cartesio spricht vieles dafür, in den Ausführungen des Gerichtshofs zum rechtsformwechselnden Wegzug die zentrale und richtungweisende Passage des Urteils zu sehen. Im Folgenden soll zunächst aufgezeigt werden, dass der EuGH mit dem Begriff der „Umwandlung“ den Vorgang meint, den das deutsche Umwandlungsrecht als Formwechsel bezeichnet (unter A.). Sodann ist zu klären, warum der rechtsformwechselnde Wegzug von Gesellschaften in einen anderen Mitgliedstaat – anders als der rechtsformwahrende Wegzug – von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. Auch dieser Aussage des EuGH liegt eine Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung zugrunde, aus dem sich die unionsrechtlichen Vorgaben für die Voraussetzungen, das Verfahren und die Wirkungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels ableiten lassen (unter B). Die Niederlassungsfreiheit schützt nicht nur den rechtsformwechselnden Wegzug, sondern auch den rechtsformwechselnden Zuzug von Gesellschaften. Auch insoweit sind die unionsrechtlichen Vorgaben näher zu untersuchen, wobei der grenzüberschreitende Formwechsel insbesondere von einem bloßen identitätswahrenden statutenwechselnden Zuzug abzugrenzen ist, den einige Mitgliedstaaten, die kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgen, bereits de lege lata ermöglichen (unter C).
A. Terminologie: Die „Umwandlung“ als grenzüberschreitender Formwechsel von Gesellschaften Der Begriff der „Umwandlung“ wird im deutschen Recht und im Unionsrecht in unterschiedlicher Weise verwendet. Der EuGH versteht unter der „Umwandlung“ von Gesellschaften den Vorgang, den das deutsche Umwandlungsrecht als Formwechsel bezeichnet. Das soll im Folgenden näher dargelegt werden.
Begriff der „Umwandlung“ – gemeint ist. Für eine grundsätzliche richterliche Zurückhaltung bei obiter dicta plädiert auch Lamprecht, NJW 1998, 1039. 18 Toth, The Authority of Judgments of the European Court of Justice: Binding Force and Legal Effects, YEL 1984, 1 (17 f.). 19 EuGH, Urteil vom 12. 11. 1969, Rs. 29/69 (Stauder/Ulm), EuR 1970, 39 m. Anm. Ehlermann, der die Ausführungen zu den Gemeinschaftsgrundrechten begrüßt. 20 Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 2009, S. 207 stuft dies als Rechtsfortbildung mittels eines obiter dictums ein.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
I. Der Begriff der Umwandlung im deutschen Recht Bis zum Umwandlungsgesetz von 1994 war unter dem Begriff der Umwandlung der Wechsel der Rechtsform zu verstehen,21 dabei wurde unterschieden zwischen rechtsformwechselnder und übertragender Umwandlung.22 Demgegenüber verwendet das bis heute geltende Umwandlungsgesetz von 1994 den Begriff der Umwandlung als Oberbegriff für vier verschiedene Vorgänge – Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung und Formwechsel (§ 1 Abs. 1 UmwG).23 Der Wechsel der Rechtsform wird als „Formwechsel“ bezeichnet; er ist geregelt im fünften Buch des Umwandlungsgesetzes (§§ 190 ff. UmwG). Konsequent durchgehalten wird diese Terminologie freilich nicht, wenn der Bericht des Vertretungsorgans des formwechselnden Rechtsträgers in § 192 UmwG als „Umwandlungsbericht“ und der Beschluss der Anteilseigner über den Formwechsel als „Umwandlungsbeschluss“ bezeichnet wird.24
II. Der Begriff der Umwandlung im Unionsrecht Unionsrechtlich ist der Begriff der Umwandlung bislang hingegen nicht klar definiert; vielmehr taucht er sowohl im Sekundärrecht (SE-VO) als auch in der Rechtsprechung des EuGH (Urteile SEVIC,25 Cartesio und Vale26) in verschiedenen Kontexten auf. Darauf, dass die „Umwandlung“ wie im deutschen Recht auch im Unionsrecht als Oberbegriff für verschiedene Formen von gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungsmaßnahmen zu verstehen sein könnte, deuten lediglich zwei Passagen in der SEVIC-Entscheidung des EuGH hin, in denen die grenzüberschreitende Verschmelzung als eine Form der Gesellschaftsumwandlung beschrieben wird („wie andere Gesellschaftsumwandlungen“, Rn. 19, sowie „Mittel zur Umwandlung von Gesellschaften“, Rnrn. 21 und 22). Aus dem Kontext dieser Textpassagen ist jedoch ersichtlich, dass der Begriff der Umwandlung dort in einem eher untechnischen Sinne gebraucht wird: Der EuGH erkennt allgemein an, dass die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung den Zusammenarbeits- und Umgestaltungsbedürfnissen von Gesellschaften entspricht; auf eine genauere Konturierung des Rechtsbegriffs der Umwandlung kommt es ihm dabei offenbar nicht an. Die besseren Argumente sprechen dafür, den unionsrechtlichen Begriff der Umwandlung in Cartesio als gleichbedeutend mit dem rechtlichen Vorgang auf21 Siehe
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1991, § 12. Siehe zu dieser Unterscheidung noch ausführlich unten S. 175 ff. 23 Dauner-Lieb, in: Kölner Kommentar zum UmwG, § 1 Rn. 2; zur Entwicklung dieser Terminologie K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 12 I 2; krit. Zöllner, AG 1994, 336 (340). 24 Drygala, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 5. Aufl. 2014, § 1 Rn. 2. 25 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805. 26 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394. 22
A. Terminologie: Die „Umwandlung“ als grenzüberschreitender Formwechsel 135
zufassen, den das deutsche Umwandlungsrecht als Formwechsel bezeichnet.27 Deutlich wird dies insbesondere daran, wie das europäische Sekundärrecht den Begriff der Umwandlung verwendet: In der SE-VO steht die Gründungsform der „Umwandlung“ einer Aktiengesellschaft in eine SE, verstanden als formwechselnde Umwandlung im Sinne des deutschen Rechts, auf einer Ebene mit der Gründungsform der Verschmelzung.28 Hinzu kommt, dass weder in der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung29 noch in den Richtlinien zur innerstaatlichen Verschmelzung30 und zur Spaltung31 der Begriff der Umwandlung erscheint, auch nicht in den Erwägungsgründen. Dieser Sprachgebrauch lässt vermuten, dass der Begriff der Umwandlung im Unionsrecht keinen Oberbegriff für verschiedene Formen von Gesellschaftsumwandlungen darstellt, sondern vielmehr das Unionsrecht den Begriff des Formwechsels nicht kennt und stattdessen den Begriff der Umwandlung verwendet. Diese Argumentation wird schließlich auch durch die englischsprachige Fassung der SE-VO bzw. der einschlägigen EuGH-Entscheidungen gestützt32: An den Stellen, wo ein Wechsel der Rechtsform gemeint ist, wird der Begriff „conversion“ verwendet (Cartesio, Vale, SE-VO), während in SEVIC – wie gesehen der einzigen Entscheidung, die Anhaltspunkte für die Annahme liefert, der Begriff „Umwandlung“ könne auch im Unionsrecht ein Oberbegriff sein – von „transformation“ (Rn. 19, 21 und 22) die Rede ist; zudem wird das deutsche Wort „Umwandlungsgesetz“ mit „law on transforming companies“ (Rn. 3) bzw. „law on transformations“ (Rn. 10) übersetzt. „Transformation“ scheint also eher ein Oberbegriff zu sein, während „conversion“ mit dem Begriff des Formwechsels übersetzt werden sollte. Im Folgenden soll der begrifflichen Klarheit wegen die deutsche Terminologie zugrunde gelegt und folglich die „Umwandlung“ im Sinne der Entscheidungen Cartesio und Vale als grenzüberschreitender Formwechsel bezeichnet werden. Der Begriff der „grenzüberschreitenden Umwandlung“ kann als Oberbegriff für die grenzüberschreitende Verschmelzung (SEVIC), den grenzüberschreitenden 27
Vgl. auch Schön, ZGR 2013, 333 (341); siehe ausführlich zur umwandlungsrechtlichen Terminologie nach deutschem, italienischem, ungarischem, englischem und französischem Recht auch Kindler, EuZW 2012, 888 (889). 28 Siehe zum einen Art. 2 Abs. 1 und 4 SE-VO, zum anderen unter Titel II die auf einer Ebene stehenden Überschriften „Abschnitt 2. Gründung einer SE durch Verschmelzung“ (Artt. 17 ff.) sowie „Abschnitt 5. Umwandlung einer bestehenden Aktiengesellschaft in eine SE“ (Artt. 37 ff.). 29 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 30 Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften. 31 Sechste Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17. Dezember 1982 betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften. 32 Die französischen Fassungen sprechen hingegen ebenso einheitlich von „transformation“ wie die deutschen von „Umwandlung“.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Formwechsel (Cartesio und Vale) und auch die grenzüberschreitende Spaltung verwendet werden.
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) Zentrales Wesenselement des rechtsformwechselnden Wegzugs ist – anders als beim rechtsformwahrenden Wegzug – nicht die Verlegung des (Verwaltungsund/oder Satzungs-) Sitzes, sondern der Wechsel der Rechtsform. Im Folgenden wird zunächst aufgezeigt, dass auch der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit Ausdruck des den Grundfreiheiten inhärenten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist (unter I.). In den Entscheidungen Cartesio und Vale macht der EuGH dies deutlich, indem er diesen Schutz unter den Vorbehalt stellt, dass nach dem Recht des Aufnahmestaates ein rechtsformwechselnder Zuzug von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten möglich ist. Der Aufnahmestaat kann allerdings nicht völlig frei darüber entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen er Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten einen rechtsformwechselnden Zuzug ermöglicht, sondern ist an das in Art. 49 Abs. 2 AEUV statuierte Gebot der Inländerbehandlung gebunden (unter II.). Das Recht des Aufnahmestaates entscheidet auch darüber, ob mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel eine Verlegung des Verwaltungssitzes von Herkunftsstaat in den Aufnahmestaat einhergehen muss oder nicht (unter III.). Im Anschluss an diese grundsätzlichen Feststellungen ist zu erörtern, welche Vorgaben das Unionsrecht im Einzelnen für den rechtsformwechselnden Wegzug von Gesellschaften macht (unter IV.). Dabei soll unterschieden werden zwischen den Voraussetzungen eines rechtsformwechselnden Wegzugs, dem von der Gesellschaft zu durchlaufenden Verfahren und den Wirkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs. Auch insoweit kommt dem Vorbehalt des EuGH, dass der grenzüberschreitende Formwechsel in eine dem nationalen Recht des Aufnahmestaates unterliegende Rechtsform nur von der Niederlassungsfreiheit geschützt wird, soweit er nach dem Recht des Aufnahmestaates möglich ist, zentrale Bedeutung zu. Schließlich sollen einige wichtige Aspekte der Rechtfertigung von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs näher betrachtet werden (unter V.).
I. Der rechtsformwechselnde Wegzug und das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass der rechtsformwechselnde Wegzug von der Niederlassungsfreiheit geschützt sein soll, der rechtsformwahrende
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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Wegzug dagegen nicht. Denn zum einen wird mit Blick auf die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit herkömmlich nur eine Abgrenzung von Wegzugsfällen und Zuzugsfällen vorgenommen, nicht aber eine Abgrenzung verschiedener Wegzugsfälle. Zum anderen scheint der EuGH von dem Grundsatz abzurücken, dass sich die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften nach dem nationalen Recht ihres Herkunftsstaates richtet: Der unionsrechtliche Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs, so der EuGH, steht unter dem Vorbehalt seiner Zulässigkeit nach dem Recht des Aufnahmestaates.33 Gleichwohl vollzieht der Gerichtshof in Cartesio keinen versteckten Paradigmenwechsel vom Herkunftslands- zum Bestimmungslandsprinzip. Seine Ausführungen zum rechtsformwechselnden Wegzug fügen sich vielmehr nahtlos in die tradierte Grundfreiheitendogmatik ein. Den Grundfreiheiten im Allgemeinen und der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften im Besonderen liegt, wie gesehen, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zugrunde. Jeder Mitgliedstaat ist autonom in der Definition der gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um nach seinem nationalen Recht gegründet zu werden und fortzubestehen. Wenn sie diese Qualifikationsstandards anfänglich oder nachträglich nicht erfüllt, darf er ihre Entstehung und ihren Fortbestand als Gesellschaft seines nationalen Rechts verweigern. Wenn eine Gesellschaft die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ihres Herkunftsstaates aber erfüllt und er ihr deshalb eine Rechtsform seines nationalen Rechts verleiht, haben die anderen Mitgliedstaaten die Gesellschaft als solche ihres Herkunftsstaates anzuerkennen. Der Zusammenhang zwischen dem so verstandenen Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und dem unionsrechtlichen Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels wird in der Literatur – soweit ersichtlich – bislang nicht thematisiert. Im Zuge eines grenzüberschreitenden Formwechsels gelangt aus der Perspektive des Aufnahmestaates, wie Hellwig zutreffend bemerkt, ohne formale Neugründung eine inländische Gesellschaft zur Entstehung. Der Formwechsel ist insoweit also einer echten Neugründung vergleichbar; der Gründungsvorgang wird durch den Umwandlungsvorgang als Anknüpfungstatbestand für die Existenz einer Gesellschaft des nationalen Rechts des Aufnahmestaates ersetzt.34 Auf diese Weise wird der Aufnahmestaat gewissermaßen zum neuen Herkunftsstaat der Gesellschaft. Der Aufnahmestaat kann daher als neuer Herkunftsstaat für sich in Anspruch nehmen, autonom die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zu definieren, die für die Entstehung und den Fort33
EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 112. Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (156); zustimmend Behme, NZG 2012, 936 (938). Hellwig wirft in seinem Beitrag die – von ihm nicht weiter vertiefte – Frage auf, ob der Aufnahmestaat den grenzüberschreitenden Formwechsel einer Gesellschaft ausländischen Rechts verweigern kann, weil er die von Cartesio bestätigte Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten auch für sich reklamiert. 34
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
bestand der Gesellschaft in einer Rechtsform seines nationalen Rechts erfüllt sein müssen. Wie der EuGH in der Entscheidung Vale klar herausarbeitet, geht in Folge des grenzüberschreitenden Formwechsels die Zuständigkeit für die Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards von dem Herkunftsstaat, nach dessen nationalem Recht die Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde, auf den Aufnahmestaat über.35 Die Ausgestaltung der Rechtsform des Aufnahmestaates, die eine Gesellschaft im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels erwirbt, ist daher nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Dies gilt für die gesamte Binnenorganisation der Gesellschaft ebenso wie für die Anforderungen an ihren (Satzungs- und/oder Verwaltungs-) Sitz, für die Grundsätze über Kapitalaufbringung und -erhaltung und für das mit der gewählten Rechtsform verbundene Haftungsregime.36 Die Gesellschaft kann einen grenzüberschreitenden Formwechsel durchführen, weil und wenn sie die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates erfüllt.37 Verstößt sie zu einem späteren Zeitpunkt gegen diese Qualifikationsstandards, weil sie etwa unter Verstoß gegen den betreffenden Qualifikationsstandard des Aufnahmestaates ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, darf der Aufnahmestaat ihr die im Zuge des grenzüberschreitenden Formwechsels verliehene Rechtsform auch wieder entziehen, ohne dadurch gegen die Niederlassungsfreiheit zu verstoßen. Dass ein grenzüberschreitender Formwechsel nur möglich ist, wenn die Gesellschaft fortan den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates genügt, steht wiederum im Einklang mit der Dogmatik der übrigen Grundfreiheiten. Die Erfüllung der gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates ist ebenso Ausfluss der Standortentscheidung der Gesellschafter wie es Ausfluss der Standortentscheidung eines französischen Bierproduzenten ist, dass er das deutsche Reinheitsgebot zu beachten hat, wenn er in Deutschland Bier produzieren und in den Verkehr bringen möchte. Die Warenverkehrsfreiheit steht dem nicht entgegen; sie besagt lediglich, dass Deutschland in Frankreich produziertes und dort bereits in den Verkehr gebrachtes Bier, das den französischen Qualifikationsstandards genügt, anerkennen muss. In beiden Fällen wird – in den Worten der Keck-Entscheidung – der Marktzugang durch die Anwendung der (produktbezogenen bzw. gesellschaftsrechtlichen) Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates 35 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 31. Soweit Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Fußn. 240 darauf hinweist, dass nur der Gründungsmitgliedstaat die Anknüpfungsautonomie für sich beanspruchen kann, bezieht sich diese Aussage lediglich auf den rechtsformwahrenden Wegzug und ist insoweit zutreffend. 36 Siehe zur Reichweite der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie ausführlich oben S. 100 ff. 37 Vgl. Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (262): „[…] vorausgesetzt, die Gesellschaft erfüllt die Anknüpfung des Zuzugsstaates.“
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nicht beschränkt, da diese für inländische und ausländische Marktteilnehmer gleichermaßen gelten. Wenn ein Mitgliedstaat als Aufnahmestaat im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine inländische Gesellschaft zur Entstehung gelangen lässt und ihr eine Rechtsform nach seinem nationalen Recht verleiht, haben die anderen Mitgliedstaaten dies anzuerkennen. Die übrigen Mitgliedstaaten dürfen auf diese Gesellschaft ihre eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards nicht anwenden, ohne dass darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschaft liegt, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Der grundsätzlichen Pflicht zur Anerkennung sind alle übrigen Mitgliedstaaten unterworfen – und damit auch der Herkunftsstaat, nach dessen Recht die Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde. Er muss anerkennen, wenn im Aufnahmestaat aus der ursprünglich nach seinem eigenen nationalen Recht entstandenen Gesellschaft eine durch das Recht des Aufnahmestaates konfigurierte Gesellschaft entsteht, und darf die Entstehung dieser Gesellschaft nicht durch die Anwendung seiner eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards bzw. ihre Durchsetzung im Wege der Auflösung der formwechselnden Gesellschaft verhindern. Vielmehr hat der Herkunftsstaat die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates, denen sich die Gesellschaft nunmehr unterwirft, grundsätzlich als funktionsäquivalent anzuerkennen. Auf seine eigene gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie kann sich der Herkunftsstaat nur so lange berufen, wie sich die Gesellschaft nach seinem nationalen Recht organisiert. Reorganisiert sich die Gesellschaft im Zuge eines grenzüberschreitenden Formwechsels nach dem Recht des Aufnahmestaates, so geht die Autonomie des Herkunftsstaates zur Definition der maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards auf diesen als den neuen Herkunftsstaat der Gesellschaft über. Der Herkunftsstaat wird, vereinfacht ausgedrückt, vom „Anerkennungsberechtigten“ zum „Anerkennungspflichtigen“. Die vorstehend skizzierte, dem Grunde nach simple Anerkennungslogik liefert die dogmatische Rechtfertigung für die in Cartesio nicht näher begründete Aussage des EuGH, dass der rechtsformwechselnde Wegzug von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist, soweit der Aufnahmestaat den grenzüberschreitenden Formwechsel ermöglicht. Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf den grenzüberschreitenden Formwechsel auch der Sache nach überzeugend ist. Denn auf der Wertungsebene geht die Verpflichtung zur Anerkennung im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels in ihrer Tragweite deutlich über die Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Gesellschaften im Falle eines rechtsformwahrenden Zuzugs hinaus. Nach Überseering und Inspire Art mussten die Mitgliedstaaten lediglich hinnehmen, dass sie eine von vornherein nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründete Gesellschaft nicht ihren eigenen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards
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unterwerfen dürfen, wenn diese sich bei ihnen niederlässt. Nach Cartesio müssen sie darüber hinaus hinnehmen, dass sich eine ursprünglich nach ihrem eigenen Recht gegründete Gesellschaft aus ihrer Rechtsordnung löst und den gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards eines anderen Mitgliedstaates unterwirft. Es geht also nicht mehr bloß um die Anerkennung der Qualifikationsstandards anderer Mitgliedstaaten, sondern um die Anerkennung eines Standardwechsels. Mit Blick auf die Schutzinteressen eines Mitgliedstaates erweist sich die Möglichkeit eines nachträglichen Wechsels der maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards aber als weitaus bedrohlicher als die bloße Möglichkeit der Gesellschaftsgründer, im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards eines frei gewählten Herkunftsstaates für maßgeblich zu erklären. Augenfällig wird dieser Wertungsunterschied am Beispiel der deutschen unternehmerischen Mitbestimmung: Wenn Unternehmensgründer die Wahl haben, eine mitbestimmungsfreie ausländische Gesellschaftsform zu wählen, ist die Gefahr einer Umgehung der Mitbestimmung noch relativ gering, da die meisten neu gegründeten Auslandsgesellschaften ohnehin nicht die für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsregeln erforderliche Größe erreichen werden.38 Die grundsätzliche Möglichkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels einer bereits mitbestimmungspflichtigen inländischen Gesellschaft mit einer entsprechend hohen Arbeitnehmerzahl in eine mitbestimmungsfreie ausländische Gesellschaftsform hat insoweit eine völlig andere Dimension.39 Gleichwohl ist es vor dem Hintergrund der Auslegung der Grundfreiheiten im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung konsequent, wenn der EuGH in Cartesio aus der Niederlassungsfreiheit ein Recht auf rechtsformwechselnden Wegzug von Gesellschaften ableitet. Wie bereits erörtert, führt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zu einer weitgehenden Rechtswahlfreiheit in Bezug auf die maßgeblichen Qualifikationsstandards. Der Marktteilnehmer kann im Binnenmarkt seinen Herkunftsstaat frei wählen.40 Grundlage dieser Rechtswahlfreiheit ist die Vermutung, dass die Qualifikationsstandards der Mitgliedstaaten funktionsäquivalent sind. Nimmt man diese 38 So sieht denn auch eine Anfang 2006 erschienene Studie der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung die deutsche Unternehmensmitbstimmung durch die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (Überseering, Inspire Art) nicht ernsthaft bedroht, siehe Sick, BöcklerImpuls 2/2006 (); vgl. ferner Behme, ZIP 2008, 351 (354). Die Möglichkeit, die Mitbestimmung durch die Wahl einer ausländischen Gesellschaftsform als Komplementärin einer KG zu umgehen, bestand bereits vor der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit, vgl. bereits Müffelmann, BB 1977, 628 sowie aus jüngerer Zeit Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249; Götze/Winzer/Arnold, ZIP 2009, 245 (250). 39 Vgl. zur Problematik negativ betroffener Drittinteressen infolge nachträglicher Ausübung der Rechtswahlfreiheit mit Blick auf das Insolvenzrecht Eidenmüller, JZ 2009, 641 (650) sowie ausführlich unten S. 280 f. 40 Siehe oben S. 82 ff. f f
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Vermutung ernst, spricht nichts dagegen, dass diese Rechtswahlfreiheit nicht nur einmalig im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung besteht, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit erneut ausgeübt werden kann. Dass bei einer solchen nachträglichen Ausübung der durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung eröffneten Rechtswahlfreiheit die Schutzinteressen des (nunmehr zur Anerkennung verpflichteten) ursprünglichen Herkunftsstaates in weitaus stärkerem Maße betroffen sein können als im Falle einer einmaligen Ausübung dieser Freiheit im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung, spielt für die Frage der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit – d. h. auf Tatbestandsebene – keine Rolle. Derartige Erwägungen können de lege lata ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung von Beschränkungen durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses oder auch de lege ferenda im Rahmen von sekundärrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen Berücksichtigung finden. Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit macht damit stärker als alle bislang diskutierten Anwendungsfälle des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung deutlich, dass dieses durch ein starkes voluntatives Element auf Seiten des Inhabers der Grundfreiheit geprägt ist.41
II. Der Vorbehalt der Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels nach dem nationalen Recht des Aufnahmestaates Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit bzw. die Pflicht des Herkunftsstaates zur Anerkennung der Entstehung einer Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates reicht nur so weit, wie dies nach dessen nationalem Recht möglich ist.42 Um eine durch das nationale Recht des Aufnahmestaates konfigurierte Rechtsform zu erwerben, muss sich die Gesellschaft im Zuge des Formwechsels an die für diese Rechtsform maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates anpassen. Die für den Erwerb der angestrebten Rechtsform zu erfüllenden Qualifikationsstandards kann der Aufnahmestaat, wie gesehen, autonom definieren; sie sind nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Die so verstandene Anknüpfungsautonomie des Aufnahmestaates wirft die Frage auf, ob es gänzlich in seinem rechtspolitischen Belieben steht, einen rechtsformwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften zu ermöglichen, oder ob er dazu unter bestimmten Umständen unionsrechtlich verpflichtet ist. 41 Dieses voluntative Element betont auch der EuGH in Cartesio, wenn es dort heißt: „Ein solches Hemmnis für die tatsächliche Umwandlung, ohne vorherige Auflösung und Liquidation, einer solchen Gesellschaft in eine Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, in den sie sich begeben möchte, stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar […].“; siehe EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 113 (Hervorhebungen durch den Verf.). 42 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 112.
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Soweit sich die Literatur mit dieser Frage befasst, wird lediglich vereinzelt vertreten, dass die Zulässigkeit des rechtsformwechselnden Zuzugs im völligen Belieben des Aufnahmestaates steht. Wäre der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit davon abhängig, dass der Aufnahmestaat den rechtsformwechselnden Zuzug ausdrücklich gestattet und entsprechende Verfahrensvorschriften bereit hält,43 würde er weitgehend ins Leere laufen, denn dies ist bislang in keinem Mitgliedstaat der Fall.44 Mit Blick auf eine etwaige unionsrechtliche Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Ermöglichung des rechtsformwechselnden Zuzugs wird verbreitet eine Parallele zu der Frage gezogen, ob die Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung ausländischer Gesellschaften zuzulassen. Mit dieser Frage hatte sich der EuGH in der Entscheidung SEVIC zu befassen.45 Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten die Hereinverschmelzung einer ausländischen Gesellschaft zulassen müssen, wenn und soweit nach ihrem nationalen Recht innerstaatliche Verschmelzungen möglich sind. Überträgt man diesen Gedanken auf den grenzüberschreitenden Formwechsel, so lässt sich argumentieren, dass die Mitgliedstaaten den rechtsformwechselnden Zuzug einer ausländischen Gesellschaft ebenfalls zulassen müssen, wenn und soweit nach ihrem nationalen Recht ein innerstaatlicher Formwechsel möglich ist. Demzufolge wäre der rechtsformwechselnde Wegzug nur dann nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt, wenn das nationale Recht des Aufnahmestaates den innerstaatlichen Formwechsel nicht kennt46 – oder positiv formuliert: Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs würde so weit reichen wie die Zulässigkeit des innerstaatlichen Formwechsels nach dem Recht des Aufnahmestaates.
43 So aber wohl Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60). 44 Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Johnston/Syrpis, Eur. L. Rev. 34 (2009), 378 (387); siehe aber unten S. 207 ff. zu den Vorschriften einiger Mitgliedstaaten, die einen identitätswahrenden statutenwechselnden Zuzug regulieren. 45 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805; siehe dazu Bayer/Schmidt, ZIP 2006, 210; Bungert, BB 2006, 53; Doralt, IPRax 2006, 572; Gottschalk, EuZW 2006, 83; Kieninger, EWS 2006, 49; Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721; Teichmann, ZIP 2006, 355. 46 Barthel, EWS 2010, 316 (325); Bayer/Schmidt, ZHR 2009, 735 (760); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100); Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721 (725); Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (721); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); ders./Ptak, RIW 2010, 817 (819); Wansleben, StudZR 2009, 365 (374); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548); siehe auch Drinhausen/Gesell, BB-Special 8/2006, 3 (7); dagegen Kindler, NZG 2009, 130 (132) mit dem Hinweis, dass es sich bei SEVIC um einen Zuzugsfall handelt; die Frage offen lassend OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. 2. 2012, 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 (575 f.).
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1. Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Ermöglichung der Hereinverschmelzung – Die SEVIC-Entscheidung a) Sachverhalt und Vorlagefrage Der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SEVIC lag die Verschmelzung der in Luxemburg ansässigen Gesellschaft Security Vision Concept SA auf die deutsche SEVIC Systems AG zugrunde. Das Amtsgericht Neuwied hatte die Eintragung dieser grenzüberschreitenden Verschmelzung in das deutsche Handelsregister mit der Begründung abgelehnt, das deutsche Recht sehe nur die Verschmelzung von Gesellschaften mit Sitz in Deutschland vor (§ 1 Abs. 1 UmwG). Auf die Beschwerde der SEVIC Systems AG legte das Landgericht Koblenz dem EuGH die Frage vor, ob die Niederlassungsfreiheit der Verweigerung der Eintragung mit dieser Begründung entgegensteht.
b) Würdigung durch den EuGH Der EuGH erblickte in dem generellen Verbot grenzüberschreitender Verschmelzungen nach deutschem Recht einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen wie andere Gesellschaftsumwandlungen den Zusammenarbeits- und Umgestaltungsbedürfnissen von Gesellschaften entsprechen und daher in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen (SEVIC Rn. 19). Denn durch die Verschmelzung werden Komplikationen sowie Zeit- und Kostenaufwand verringert, die andere Formen der Umgestaltung von Gesellschaften mit sich bringen, etwa die Auflösung einer Gesellschaft mit Vermögensabwicklung und die Gründung einer neuen Gesellschaft unter Übertragung der einzelnen Vermögensgegenstände auf diese (SEVIC Rn. 21). Dass nur innerstaatliche Verschmelzungen durch die Mechanismen des nationalen Umwandlungsrechts erleichtert werden,47 nicht aber grenzüberschreitende Verschmelzungen, könne Gesellschaften davon abhalten, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen, und stelle daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar (SEVIC Rn. 23). Diese sei auch nicht durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Wie bereits in Überseering stellt der EuGH fest, dass gemeinschaftliche Harmonisierungsvorschriften zur Erleichterung grenzüberschreitender Verschmelzungen zwar hilfreich seien, aber keine Vorbedingung für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit darstellen könnten (SEVIC Rn. 26). Zwar mögen im Einzelfall durchaus Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaften und Arbeitnehmern betroffen sein; ein generelles
47 Zur Vereinfachungsfunktion des gesetzlichen Umwandlungsrechts K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 12 I 5 sowie unten S. 174 ff.
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Verbot grenzüberschreitender Verschmelzungen sei aber jedenfalls zum Schutz dieser Interessen nicht erforderlich (SEVIC Rn. 30). Wenn nach Auffassung des EuGH die unterschiedliche Behandlung von innerstaatlicher und grenzüberschreitender Verschmelzung eine Beschränkung48 darstellt, bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich grenzüberschreitende Verschmelzungen unter denselben Voraussetzungen gestatten müssen wie innerstaatliche Verschmelzungen. Damit geht der primärrechtliche Schutz der grenzüberschreitenden Hereinverschmelzung durch die Niederlassungsfreiheit über den Anwendungsbereich der wenige Wochen vor der SEVIC-Entscheidung erlassenen Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften hinaus, deren persönlicher Anwendungsbereich gem. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie auf die Gesellschaftsformen beschränkt ist, die von der Publizitätsrichtlinie49 erfasst werden. Von praktischer Relevanz ist dies insbesondere für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Personengesellschaften und Genossenschaften, soweit die Mitgliedstaaten von ihrer durch Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht haben, die Genossenschaft vom Anwendungsbereich der nationalen Umsetzungsgesetze auszunehmen.50
2. Übertragbarkeit auf den rechtsformwechselnden Zuzug – Der Fall Vale Wenn die Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Hereinverschmelzung unabhängig ist von dem Stand der sekundärrechtlichen Harmonisierung, sondern allein von der Zulässigkeit innerstaatlicher Verschmelzungen nach dem Recht des Aufnahmestaates abhängt, dann legt dies die Parallele nahe, dass dasselbe für den rechtsformwechselnden Zuzug von Gesellschaften gilt. Auch mit Blick auf den Formwechsel könnten die Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Aufnahmestaaten verpflichtet sein, diesen im grenzüberschreitenden Kontext in demselben Umfang und unter denselben Voraussetzungen zuzulassen, in dem nach ihrem nationalen Recht ein innerstaatlicher Formwechsel möglich ist. Zu diesem Ergebnis, das bereits in der SEVIC-Entscheidung angelegt war, ist der EuGH in seiner Entscheidung der Rechtssache Vale51 gelangt. 48
Näher gelegen hätte die Annahme einer Diskriminierung; siehe bereits oben S. 40. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. 50 Bayer/Schmidt, ZIP 2006, 210 (212); Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (151); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 8 Rn. 59; Spahlinger/ Wegen, NZG 2006, 721 (726); die negatorische Wirkung der Grundfreiheiten betonend aber Teichmann, ZIP 2006, 355 (359 f.). 51 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394; siehe dazu Bayer/ Schmidt, ZIP 2012, 1481; Behme, NZG 2012, 936; Behrens, EuZW 2012, 625; Böttcher/Kraft, 49 Erste
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a) Sachverhalt und Vorlagefrage Dem Fall Vale lag folgender Sachverhalt zugrunde:52 Die Vale Società a responsibilità limitata (Srl), eine am 16. November 2000 in das Handelsregister der Stadt Rom eingetragene GmbH italienischen Rechts, hatte am 3. Februar 2006 ihre Löschung im Handelsregister beantragt, da sie beabsichtige, ihren Sitz nach Ungarn zu verlegen, dort ihre Tätigkeit fortzusetzen und gleichzeitig ihre Tätigkeit in Italien einzustellen. Dem Antrag auf Löschung wurde am 13. Februar 2006 entsprochen. Neun Monate später, am 14. November 2006, schlossen der Geschäftsführer der Vale Srl und eine weitere natürliche Person den Gesellschaftsvertrag der Vale Építési Korlátolt felelösségu társaság (Kft.), einer GmbH ungarischen Rechts. Deren Vertreter beantragte am 19. Januar 2007 beim zuständigen Gericht die Eintragung in das ungarische Handelsregister. In dem Antrag wies er darauf hin, dass die Vale Srl die Rechtsvorgängerin der Vale Építési Kft. sei. In erster und in zweiter Instanz wurde der Antrag auf Eintragung mit der Begründung zurückgewiesen, eine italienische Gesellschaft könne nach ungarischem Handelsregisterrecht nicht als Rechtsvorgängerin einer ungarischen Gesellschaft eingetragen werden. Das mit der dagegen erhobenen Kassationsbeschwerde befasste ungarische Oberste Gericht legte dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung vor, die im Wesentlichen darauf abzielen, ob der rechtsformwechselnde Zuzug ausländischer Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist und ob diese der Verweigerung der Eintragung des Rechtsnachfolgevermerks entgegensteht. Zunächst fällt auf, dass an dem Verfahren mit Italien und Ungarn dieselben Mitgliedstaaten beteiligt waren wie im Fall Cartesio;53 beide Gesellschaften wurden vor dem EuGH durch Peter Metzinger vertreten. Zwischen dem Antrag von Cartesio auf Eintragung der Sitzverlegung nach Italien am 11. November 2005 und dem Antrag der Vale Srl auf Löschung aus dem italienischen Handelsregister lagen keine drei Monate. Die Vermutung liegt daher nahe, dass zwischen beiden Verfahren ein Zusammenhang besteht und es sich auch bei Vale um einen „Testfall“ für den EuGH handelte. Dafür spricht auch, dass die Gesellschaft einer Recherche beim italienischen Handelsregister zufolge lediglich für das Rumpfgeschäftsjahr 2000 und das Geschäftsjahr 2001 ihre Jahresabschlüsse zum Handelsregister eingereicht hat. Danach fand im Jahr 2000 offenbar keine Geschäftstätigkeit statt; für das Jahr 2001 weist der Jahresabschluss einen
NJW 2012, 2701; Braun, DZWIR 2012, 411; Kindler, EuZW 2012, 888; Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398; Teichmann, DB 2012, 2085 ff. 52 Mit einem sehr ähnlich gelagerten Sachverhalt hatte sich das OLG Nürnberg, Beschluss vom 19. 6. 2013, 12 W 520/13, ZIP 2014, 128 zu befassen; siehe dazu ausführlich Bungert/de Raet, DB 2014, 761 sowie Schaper, ZIP 2014, 810. 53 Vgl. Neye, EWiR 2010, 625: „kurioser Zufall“.
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Umsatz von 700.000 Lire (361,52 EUR) aus. Es handelt sich demnach um eine reine Mantelgesellschaft ohne tatsächliche wirschaftliche Aktivität.54 Des Weiteren erscheint die verbreitete Einordnung des Sachverhalts als grenzüberschreitender Formwechsel55 zweifelhaft. Zwischen der Löschung der italienischen Gesellschaft aus dem Handelsregister und der Gründung der ungarischen Gesellschaft lag ein Zeitraum von neun Monaten. Es erfolgte also kein nahtloser Übergang von einer Gesellschaftsform in die andere, sondern es existierte – da die Löschung von Gesellschaften nach italienischem Recht konstitutiv ist56 – über einen Zeitraum von neun Monaten gar keine Gesellschaft. Auch wurden die Vorgaben des ungarischen Rechts für den (innerstaatlichen) Formwechsel nicht beachtet: Weder wurde die Umwandlung der Gesellschaft dem zuständigen Gericht binnen 60 Tagen nach Abschluss des Gesellschaftsvertrags mitgeteilt57 noch wurde die Löschung der Vorgängergesellschaft im Handelsregister gleichzeitig mit dieser Mitteilung beantragt (Art. 57 Abs. 3 des Gesetzes V über die Publizität in Gesellschaftsrechtssachen, das gerichtliche Registerverfahren und die freiwillige Liquidation). Auf die Argumentationslinie „grenzüberschreitende Umwandlung“ ist die Gesellschaft offenbar erst eingeschwenkt, nachdem sie die Argumentation des EuGH in Cartesio zum grenzüberschreitenden Formwechsel zur Kenntnis genommen hatte. Handelt es sich aber nicht um einen grenzüberschreitenden Formwechsel, so reduziert sich der Fall auf den schlichten Vorgang der (Neu-)Gründung der Vale Építési Kft. in Ungarn, ohne dass die Auslegung der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften überhaupt eine Rolle spielt: Die italienische Vale Srl ist infolge ihrer konstitutiven Löschung in Italien nicht mehr Trägerin der Niederlassungs54 Schon aus diesem Grunde ist zweifelhaft, ob Vale sich überhaupt auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, da sie keinen Erwerbszweck verfolgt (vgl. Art. 54 AEUV: „mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen“). Zum Kriterium des Erwerbszwecks siehe bereits oben S. 28 f. 55 Siehe etwa Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1484); Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072; Neye, EWiR 2010, 625 (626); Thiermann, EuZW 2012, 209 (211 f.); krit. Kindler, EuZW 2012, 888 (889 f.); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1398 f.). Die Vorlagefragen des ungarischen Obersten Gerichts zielen ebenfalls auf den Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit ab. Dagegen führt das Gericht in der Begründung des Vorlagebeschlusses (abgedruckt in ZIP 2010, 1956) aus, nach der Systematik des ungarischen Registerverfahrens handele es sich bei der Verlegung des Sitzes nach Ungarn in Verbindung mit einer neuen Gesellschaftsgründung nicht um eine Umwandlung, da nach ungarischem Recht nur die Änderung der Gesellschaftsform, die Verschmelzung und die Spaltung als Umwandlung anzusehen seien. 56 Vgl. die von Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 15. 12. 2011, Rs. C-378/10 (Vale), Rn. 41 referierte Stellungnahme der italienischen Regierung zu einer entsprechenden Anfrage des EuGH. Bemerkenswert ist, dass allerdings nach italienischem Recht die Löschung der Gesellschaft wieder aufgehoben werden kann, mit der Folge, dass sie sich dann wieder auf die Niederlassungsfreiheit berufen könnte. 57 Die Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags erfolgte am 14. November 2006, die Beantragung der Eintragung am 19. Januar 2007.
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freiheit i. S. d. Art. 54 AEUV und kann sich daher gegenüber den ungarischen Gerichten und Behörden nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit berufen.58 Dagegen kann sich die ungarische Vale Építési Kft. gegenüber den ungarischen Gerichten und Behörden schon deshalb nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen, weil es insoweit an jeglichem grenzüberschreitenden Bezug fehlt: Die Gesellschaft wurde in Ungarn gegründet und soll ausschließlich in Ungarn tätig sein.59 Der Vorgang der Neugründung der Vale Építési Kft. nach den für ungarische Staatsbürger geltenden Bestimmungen ist jedenfalls dann ohne weiteres nach Art. 49 AEUV von der Niederlassungsfreiheit geschützt, wenn zumindest eine der daran beteiligten Personen nicht ungarischer Staatsbürger ist und damit ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben ist.60 Aber auch dann, wenn es sich ausschließlich um ungarische Staatsangehörige handeln sollte, liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor, weil, wie Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen zutreffend bemerkt, bei dieser Fallgestaltung die Gesellschafter das Unternehmen von Italien in ihr Heimatland zurückführen würden. Die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter spielt damit keine entscheidende Rolle.61 Ebenfalls keine Rolle spielt bei einer solchen Einordnung des Falles als grenzüberschreitende Neugründung die Eintragung eines Rechtsnachfolgezusatzes. Denn ein solcher Rechtsnachfolgezusatz ist ausschließlich im Rahmen von Umwandlungsvorgängen von Bedeutung, da er den Rechtsverkehr über den Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge (Art. 70 Abs. 1 des Gesetzes IV über die Handelsgesellschaften) informieren soll. Bei der schlichten grenzüberschreitenden Neugründung einer ungarischen Gesellschaft kommt es aber nicht zu einer Gesamtrechtsnachfolge; die entsprechende Vorschrift des ungarischen Rechts wäre daher überhaupt nicht einschlägig. Konsequenz einer solchen Beurteilung wäre gewesen, dass die Verweigerung der Eintragung auch nicht als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen gewesen wäre.62 58 Unerfindlich ist, wie nach Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1484 f.), die Fortexistenz der Gesellschaft nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, speziell auch dem effet utile der Niederlassungsfreiheit, fingiert werden können soll. Diese Auffassung verkennt die Funktion des effet utile als unionsrechtlicher Auslegungsgrundsatz; als solcher vermag der effet utile aber nicht die Ergebnisse der Anwendung nationalen Gesellschaftsrechts zu korrigieren. Als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann die Löschung der Vale Srl in Italien auch nicht angesehen werden, da sie auf Antrag der Gesellschaft selbst erfolgte. 59 Problematisch ist insoweit zudem, dass die Gesellschaft mangels Eintragung nach ungarischem Recht noch nicht existiert; es handelt sich daher noch nicht um eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft i. S. d. Art. 54 AEUV. Allerdings hatte die in Gründung befindliche ungarische Gesellschaft, worauf Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 15. 12. 2011, Rs. C-378/10 (Vale), Rn. 45 zu Recht hinweist, die für ein Auftreten als Partei vor dem nationalen Gericht und vor dem Gerichtshof erforderliche Klagebefugnis. 60 Ebenso Behrens, EuZW 2012, 121 (122). 61 Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 15. 12. 2011, Rs. C-378/10 (Vale), Rn. 51. 62 So im Ergebnis auch Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
b) Würdigung durch den EuGH Aufgrund der geschilderten Umstände hat das Vereinigte Königreich die Zulässigkeit des gesamten Vorabentscheidungsersuchens bezweifelt und geltend gemacht, die Vorlagefragen hätten hypothetischen Charakter, da der fragliche Vorgang einer grenzüberschreitenden Umwandlung nicht entspreche. Anders als der Generalanwalt setzt sich der EuGH mit der Frage der rechtlichen Existenz der Vale Srl nach italienischem Recht jedoch nicht näher auseinander und stellt dazu lediglich fest, „in Anbetracht der klaren Aufgabentrennung zwischen nationalen Gerichten und dem Gerichtshof“ sei es nicht Sache des Gerichtshofes, darüber zu entscheiden, ob die Vale Srl aufgrund ihrer Löschung im Handelsregister von Rom erloschen ist (Vale Rn. 20). Offenbar wollte der EuGH die Gelegenheit ergreifen, seine in Cartesio getroffenen Aussagen zum Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit zu bestätigen, zu ergänzen und zu präzisieren.63 Zum Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit bestätigt der EuGH zunächst erneut die in Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus getroffene Aussage, wonach die Frage, ob sich eine Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, eine Vorfrage ist, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem geltenden nationalen Recht beantwortet werden kann (Vale Rn. 28). Jeder Mitgliedstaat könne sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem nationalen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die erforderlich ist, damit diese Eigenschaft später erhalten bleibt (Vale Rn. 29). Zutreffend weist der EuGH sodann darauf hin, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel die Anknüpfungsautonomie des Aufnahmestaates unberührt lässt, da die formwechselnde Gesellschaft fortan allein seinem nationalen Recht unterliegt, das die erforderliche Anknüpfung wie auch die Gründung und Funktionsweise der Gesellschaft regelt (Vale Rn. 30 f.). Dasselbe gilt – wenn auch der EuGH darauf in SEVIC nicht eingeht – für die grenzüberschreitende Hereinverschmelzung: Sowohl im Falle des grenzüberschreitenden Formwechsels als auch im Falle der grenzüberschreitenden Verschmelzung wird eine Gesellschaft ausländischen Rechts im Wege der Umwandlung in die Rechtsordnung des Aufnahmestaates integriert – im Falle des Formwechsels besteht sie als selbständige Gesellschaft des Aufnahmestaates fort, im Falle der Hereinverschmelzung geht sie in einer Gesellschaft des Aufnahmestaates auf. Im Wegzugsstaat verbleibt in 15. 12. 2011, Rs. C-378/10 (Vale), Rn. 79, der allerdings darauf hinweist, dass ggf. eine andere Beurteilung geboten wäre, wenn die Löschung der Vale Srl. im italienischen Handelsregister aufgehoben würde und diese sich damit wieder auf die Niederlassungsfreiheit berufen könnte; vgl. auch Behrens, EuZW 2012, 121 (122). 63 Behme, NZG 2012, 936 (938).
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beiden Fällen kein Rechtsträger; die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse der vormals ausländischen Gesellschaft richten sich künftig allein nach dem Recht des Aufnahmestaates. Aus Sicht der Gesellschafter bedeutet dies in beiden Fällen, dass sich der Inhalt des Mitgliedschaftsverhältnisses ändert; aus Sicht der Gesellschaftsgläubiger ändert sich durch beide Vorgänge das für das Außenverhältnis der Gesellschaft maßgebliche Recht.64 Auch wenn es sich bei grenzüberschreitender Verschmelzung und grenzüberschreitendem Formwechsel um rechtstechnisch unterschiedliche Mechanismen handelt, bewirken sie insoweit bei wirtschaftlicher Betrachtung dasselbe Ergebnis. Folgerichtig wird in der Beratung als Ersatz für den grenzüberschreitenden Formwechsel häufig die grenzüberschreitende Verschmelzung auf eine eigens dafür gegründete Zweckgesellschaft empfohlen.65 Ebenso wie in SEVIC66 stellt der EuGH fest, dass die unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine innerstaatliche oder um eine grenzüberschreitende Umwandlung handelt, Gesellschaften davon abhalten kann, von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen; die Ungleichbehandlung innerstaatlicher und grenzüberschreitender Umwandlungsvorgänge stelle daher eine Beschränkung67 der Niederlassungsfreiheit dar (Vale Rn. 36). Die Erwägungen des Gerichtshofs zu einer etwaigen Rechtfertigung dieser Beschränkung entsprechen jenen in der Entscheidung SEVIC: Sie könne weder durch das Fehlen von Vorschriften des abgeleiteten Unionsrechts gerechtfertigt werden, da solche Vorschriten zur Erleichterung grenzüberschreitender Umwandlungen zwar gewiss hilfreich wären, ihre Existenz aber keine Vorbedingung für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit darstellen könne (Vale Rn. 38), noch komme eine Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses in Betracht, da ein generelles Verbot grenzüberschreitender Umwandlungen zur Erreichung der im Schutz dieser Interessen bestehenden Ziele nicht erforderlich sei (Vale Rn. 39 f.). Sodann konkretisiert der EuGH im Rahmen seiner Antwort auf die dritte und die vierte Vorlagefrage den Regelungsgehalt der Niederlassungsfreiheit bei grenzüberschreitenden Umwandlungen. Zutreffend weist er darauf hin, dass der grenzüberschreitende Formwechsel die sukzessive Anwendung von zwei 64 Becht, Fusion und Spaltung von Kapitalgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 1996, S. 275. 65 Siehe nur Gottschalk, EuZW 2006, 83 (84); Kindler, NZG 2009, 130 (132); Kuipers, EJLS 2009, 66 (74) sowie Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 15. 12. 2011, Rs. C-378/10 (Vale), Rn. 35. Marsch-Barner, in Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a–122l Rn. 14 hält diesen Umweg auch nach Cartesio immer noch für erforderlich; ähnlich Messenzehl/ Schwarzfischer, BB 2012, 2072 (2073). 66 Die Parallelität zu der Argumentation des EuGH in SEVIC betonen auch Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1487); Behrens, EuZW 2012, 625. 67 Auch insoweit hätte die Annahme einer Diskriminierung näher gelegen; vgl. bereits oben S. 40. A. A. Schön, ZGR 2013, 333 (344 f.); Teichmann, DB 2012, 2085 (2089).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
nationalen Rechtsordnungen auf diesen Vorgang erfordert (Vale Rn. 44). Es sei grundsätzlich im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit der formwechselnden Gesellschaft nicht zu beanstanden, wenn der Aufnahmestaat die Bestimmungen seines nationalen Rechts anwendet, welche die Entstehung68 – d. h. die Durchführung des Formwechsels – und die Funktionsweise einer Gesellschaft in der angestrebten Rechtsform seines nationalen Rechts regeln (Vale Rn. 50 f.). Die Freiheit des Aufnahmestaates bei der Anwendung seines nationalen Rechts wird, so der EuGH, jedoch begrenzt durch den Äquivalenzgrundsatz und den Effektivitätsgrundsatz (Vale Rn. 48). Der für den indirekten Vollzug des Unionsrechts entwickelte Äquivalenzgrundsatz besagt, dass die Modalitäten, die den Schutz der den Rechtssuchenden aus dem Unionsrecht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates sind, jedoch nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige innerstaatliche Sachverhalte regeln.69 Dass der so verstandene Äquivalenzgrundsatz im Kontext grenzüberschreitender Umwandlungen einen über das der Niederlassungsfreiheit immanente Diskriminierungsverbot hinausgehenden oder davon abweichenden Gehalt hat, ist derzeit nicht erkennbar.70 Er wird flankiert durch den „Effektivitätsgrundsatz“, wonach mitgliedstaatliche Regelungen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen.71 Daraus leitet der EuGH etwa die Verpflichtung des Aufnahmestaates ab, die von den Behörden des Herkunftsstaates ausgestellten Dokumente im Rahmen des Eintragungsverfahrens als Nachweis darüber anzuerkennen, dass die Gesell68
In der deutschen Übersetzung der Entscheidung (Vale Rn. 51) ist wenig präzise von einer „Gründung“ der Gesellschaft (statt „Entstehung“) im Zuge des Formwechsels die Rede; dabei führt jedenfalls ein identitätswahrender Formwechsel gerade nicht zur Neugründung einer Gesellschaft im Aufnahmestaat, sondern der Gründungsvorgang wird durch den Umwandlungsvorgang als Anknüpfungstatbestand für die Existenz einer Gesellschaft nach dem nationalen Recht des Aufnahmestaates ersetzt; siehe bereits oben S. 137 sowie Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (156); zustimmend Behme, NZG 2012, 936 (938). 69 Vgl. EuGH, Urteil vom 22. 10. 1998, verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN. CO. GE.’90 u. a.), Slg. 1998, I – 6307, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 7. 6. 2007, verb. Rs. C-222/05 bis C-225/05 (van der Weerd u. a.), Slg. 2007, I – 4233, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 24. 3. 2009, Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), Slg. 2009, I – 2119, Rn. 31; EuGH, Urteil vom 30. 6. 2011, Rs. C-262/09 (Meilicke u. a.), Slg. 2011, I – 5669, Rn. 55, jeweils m. w. N. 70 Siehe bereits Behme, NZG 2012, 936 (938); ebenso von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Art. 4 EUV Rn. 98 (Stand September 2013). Dagegen leitet Teichmann, DB 2012, 2085 (2091) aus den Grundsätzen der Effektivität und der Äquivalenz (gemeinsam) eine positive Pflicht (!) der Mitgliedstaaten ab, in ihrem nationalen Recht die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass grenzüberschreitende Umwandlungen möglich werden. 71 Vgl. EuGH, Urteil vom 22. 10. 1998, verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN. CO. GE.’90 u. a.), Slg. 1998, I – 6307, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 7. 6. 2007, verb. Rs. C-222/05 bis C-225/05 (van der Weerd u. a.), Slg. 2007, I – 4233, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 24. 3. 2009, Rs. C-445/06 (Danske Slagterier), Slg. 2009, I – 2119, Rn. 31; EuGH, Urteil vom 30. 6. 2011, Rs. C-262/09 (Meilicke u. a.), Slg. 2011, I – 5669, Rn. 55, jeweils m. w. N.
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schaft die Voraussetzungen ihres Herkunftsstaates für die grenzüberschreitende Umwandlung erfüllt hat – vorausgesetzt, diese sind ihrerseits mit dem Unionsrecht vereinbar (Vale Rn. 60 f.).72 Die nach alldem sowohl der Entscheidung Vale als auch der Entscheidung SEVIC zugrunde liegende Diskriminierungslogik wird gestützt durch die oben entwickelten Erkenntnisse zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Aufnahmestaat im Wege des Formwechsels oder im Wege der Hereinverschmelzung eine innerstaatliche Gesellschaft entstehen kann, fällt ohne weiteres in den Zuständigkeitsbereich des Aufnahmestaates als des neuen Herkunftsstaates der Gesellschaft. Sie ist den durch ihn autonom zu definierenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zuzuordnen. Handeln die Mitgliedstaaten in ihrem Zuständigkeitsbereich, sind sie aber, wie der EuGH bereits in seiner Keck-Entscheidung ausdrücklich hervorhebt, stets an das Gebot der Inländerbehandlung gebunden.73 Auch vor diesem Hintergrund erscheint es stimmig, dass die Mitgliedstaaten vorbehaltlich zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses einen rechtsformwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften unter denselben Voraussetzungen ermöglichen müssen, unter denen sie inländischen Gesellschaften einen Wechsel der Rechtsform gestatten. Aus der Perspektive des Herkunftsstaates bedeutet dies im Ergebnis: Der rechtsformwechselnde Wegzug ist von der Niederlassungsfreiheit geschützt, wenn und soweit nach dem Recht des Aufnahmestaates ein innerstaatlicher Wechsel der Rechtsform möglich ist. Lässt der Herkunftsstaat den rechtsformwechselnden Wegzug gar nicht zu, obwohl das Recht des Aufnahmestaates einen innerstaatlichen Formwechsel ermöglicht, oder gestattet er den rechtsformwechselnden Wegzug nur unter abweichenden Voraussetzungen, indem er etwa Gesellschaften bestimmter Rechtsform (z. B. Personengesellschaften) die Möglichkeit des rechtsformwechselnden Wegzugs vorenthält, obwohl der Aufnahmestaat Gesellschaften vergleichbarer Rechtsform einen innerstaatlichen Formwechsel ermöglicht, so liegt darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf.
III. Verlegung des Verwaltungssitzes als Voraussetzung des grenzüberschreitenden Formwechsels? – Zur erforderlichen tatsächlichen Mobilitätskomponente Aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie ist der Aufnahmestaat frei darin, einen rechtsformwechselnden Zuzug ausländischer 72 Der EuGH führt aus, diesen Dokumenten sei „gebührend Rechnung zu tragen“; siehe zu den verbleibenden rechtspraktischen Schwierigkeiten Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1489 f.). 73 Siehe oben S. 85 f.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Gesellschaften an die Voraussetzung zu knüpfen, dass die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz im Inland nimmt74 – vorausgesetzt, das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes gilt auch für Gesellschaften, die von vornherein nach dem nationalen Recht des Aufnahmestaates gegründet worden sind. Verweigert der Aufnahmestaat unter Berufung auf seine Anknüpfungsautonomie einen rechtsformwechselnden Zuzug ohne gleichzeitige Hereinverlegung des Verwaltungssitzes, so liegt darin keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der betroffenen Gesellschaft, da deren Anwendungsbereich – weil es sich bei den Anforderungen an die Lokalisierung des Verwaltungssitzes um einen autonom durch das nationale Recht des Aufnahmestaates zu definierenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard handelt – nicht eröffnet ist. In diesem Falle muss die Gesellschaft also, wenn sie eine durch das nationale Recht des Aufnahmestaates konfigurierte Rechtsform annehmen will, ihren Verwaltungssitz in den Aufnahmestaat verlegen. Auf rechtspolitischer Ebene scheint diese Wertung auch der Unionsgesetzgeber zu teilen, wenn er in Art. 11 Abs. 2 des Vorentwurfs eines Vorschlags der Kommission für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU75 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die Eintragung einer zugezogenen Gesellschaft verweigern können, wenn sich deren Hauptverwaltung nicht im Mitgliedstaat des neuen Sitzes (Aufnahmestaat) befindet. In den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten existieren aber zahlreiche Gesellschaftsformen, für deren Entstehung der nationale Gesetzgeber nicht zwingend verlangt, dass sich der Verwaltungssitz der Gesellschaft im Inland befindet. Aus der Perspektive dieser Mitgliedstaaten kann ein grenzüberschreitender Formwechsel in die betreffende Gesellschaftsform erfolgen, ohne dass der Verwaltungssitz ins Inland verlegt wird. In der Literatur wird allerdings bestritten, dass ein rechtsformwechselnder Wegzug, bei dem der Verwaltungssitz im Herkunftsstaat verbleibt, überhaupt von der Niederlassungsfreiheit erfasst wird.76 Zur Begründung wird ausgeführt, bei einem grenzüberschrei74 Ähnlich Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102); ders., CMLR 2012, 629 (640) W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126); vgl. ferner Szydlo, ECFR 2010, 414, der das Erfordernis eines Verwaltungssitzes im Aufnahmestaat zunächst dessen Anknüpfungsautonomie zuordnet (435), wenig später dann aber doch als verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Aufnahmestaat qualifiziert (439), sowie Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (156), der die Frage offen lässt. 75 Abgedruckt in ZIP 1997, 1721; siehe dazu Eidenmüller, JZ 2004, 24 (31 f.); Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 4 Rn. 30 f.; Heinze, ZGR 1999, 55; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43; Hügel, ZGR 1999, 71; Koppensteiner, FS Lutter, S. 141; Leible, ZGR 2004, 531; di Marco, ZGR 1999, 3; Meilicke, GmbHR 1998, 1053; Neye, ZGR 1999, 13; Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (139 ff.); Priester, ZGR 1999, 36; Rajak, ZGR 1999, 111; K. Schmidt, ZGR 1999, 20; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 806 ff.; Timmerman, ZGR 1999, 147; Wymeersch, ZGR 1999, 126. 76 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494); Eckert, GesRZ 2009, 139 (147); Leible/ Hoffmann, BB 2009, 58 (61 f.); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (640); anders wohl noch ders.,
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tenden Formwechsel ohne Verwaltungssitzverlegung handele es sich nicht um einen niederlassungsrechtlich relevanten Vorgang, da die bloße Umwandlung in eine ausländische Gesellschaftsform nicht unmittelbar für die Lokalisierung des Unternehmensstandorts relevant sei.77 Der Herkunftsstaat der Gesellschaft sei daher unionsrechtlich nicht verpflichtet, den rechtsformwechselnden Wegzug in eine andere Gesellschaftsrechtsordnung zu gestatten, wenn die Gesellschaft ihren inländischen Verwaltungssitz behält. Die Gesellschaft könne allerdings, wenn das Recht des Aufnahmestaates es gestattet, im Anschluss an die Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels ihren Verwaltungssitz wieder in ihren Herkunftsstaat zurückverlegen.78 Dafür, dass ein rechtsformwechselnder Wegzug ohne Verlegung des Verwaltungssitzes in den Aufnahmestaat nicht von der Niederlassungsfreiheit erfasst ist, spricht auf den ersten Blick die Formulierung des EuGH in Cartesio, wonach der nicht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallende rechtsformwahrende Wegzug von dem Fall zu unterscheiden ist, dass eine Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des anwendbaren Rechts verlegt und dabei in eine Gesellschaftsform des Aufnahmestaates umgewandelt wird.79 Diese Formulierung lässt sich so verstehen, dass mit dem rechtsformwechselnden Wegzug der Wegzug der gesamten Gesellschaft „mit Haut und Haaren“ in den Aufnahmestaat gemeint ist, nicht aber die bloße Änderung des anwendbaren nationalen Rechts als solche bzw. die damit regelmäßig einhergehende Verlegung des Satzungssitzes. Insbesondere lässt sich für ein solches Verständnis die Entscheidung Cadbury-Schweppes anführen. Darin urteilte der EuGH, dass die Niederlassungsfreiheit eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem voraussetzt.80 Diese Aussage hat der EuGH in der Entscheidung Vale wieder aufgegriffen.81 Im Ergebnis würde bei einem solchen, den tatsächlichen Niederlassungsvorgang betonenden Verständnis der unionsrechtliche Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs ebenso weit reichen wie die ebenfalls kraft Unionsrechts bestehende Befugnis der SE, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen (Art. 8 SE-VO). Die Sitzverlegung der SE hat zur Folge, dass sich das auf die SE anwendbare EuZW 2009, 97 (100) („Verlegung des Verwaltungs- und/oder Satzungssitzes“); die Frage offen lassend Grohmann, DZWIR 2009, 322 (328) sowie Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (617 f.); differenzierend Verse, ZEuP 2013, 458 (479). 77 Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62). 78 Eckert, GesRZ 2009, 139 (147). 79 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 111 (Hervorhebungen durch den Verf.). 80 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I – 7995, Rn. 54 mit Komm. Sedemund, BB 2006, 2118. 81 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 34; krit. dazu Behme, NZG 2012, 936 (939); Braun, DZWIR 2012, 411 (414 f.).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Recht ändert, soweit die SE-VO in Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) auf das nationale Aktienrecht des Mitgliedstaates verweist, in dem die SE ihren Sitz hat. Insoweit, also mit Blick auf das subsidiär anwendbare nationale Aktienrecht, wirkt sich die Sitzverlegung der SE praktisch wie ein (rechtsformkongruenter) grenzüberschreitender Formwechsel aus.82 Da Art. 7 SE-VO verlangt, dass sich der Sitz und die Hauptverwaltung der SE in demselben Mitgliedstaat befinden,83 und diese Vorschrift vor dem Hintergrund der Erwägungen des EuGH in Daily Mail und Cartesio als primärrechtskonform anzusehen ist,84 geht auch die Sitzverlegung der SE zwingend mit einer zeitgleichen Verlegung der Hauptverwaltung in den Aufnahmestaat einher.85 Die Frage nach der für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit erforderlichen tatsächlichen Ausübung grenzüberschreitender Mobilität wurde bereits im Anschluss an die Centros-Entscheidung des EuGH und insbesondere im Anschluss an die Entscheidungen Überseering und Inspire Art diskutiert. Nachdem der EuGH klargestellt hatte, dass der Aufnahmestaat einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründeten und fortbestehenden Gesellschaft infolge der Hereinverlegung ihres Verwaltungssitzes nicht die Rechts- und Parteifähigkeit absprechen darf, sondern die zugezogene Gesell82
Oechsler, in MüKo AktG, Art. 8 SE-VO Rn. 3; Teichmann, ZIP 2002, 1109 (1111). Vergleichbare Vorgaben bestehen für die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (Art. 12 der 1. Verordnung des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung [EWIV] [85/2137/EWG]) und die Europäische Genossenschaft (Art. 6 Satz 1 der Verordnung [EG] Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der europäischen Genossenschaft [SCE]). Dagegen wird sich der Verwaltungssitz einer SPE nicht im gleichen Mitgliedstaat befinden müssen wie ihr eingetragener Sitz, vgl. Art. 7 Abs. 2 des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft unter http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/epc/proposal_de.pdf; zustimmend Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897 (901); vgl. auch Fleischer, ZHR 174 (2010), 385 (426 f.); krit. Sick/Thannisch, AuR 2011, 155 (158). Auch für die SE wird mit Blick auf die nach Art. 69 Satz 2 lit. a) SE-VO anstehende Evaluierung befürwortet, das Koppelungsgebot aufzugeben und zuzulassen, dass sich Sitz und Hauptverwaltung in verschiedenen Mitgliedstaaten befinden, vgl. Casper, ZHR 173 (2009), 181 (208 ff.); Fleischer, ZHR 174 (2010), 385 (427). 84 Vor Cartesio wurde diskutiert, ob dieses Koppelungsgebot mit der Niederlassungsfreiheit der SE vereinbar ist, dagegen Wymeersch, CML Rev. 40 (2003), 661 (693); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1918); a. A. bereits vor Cartesio Casper, in: Spindler/Stilz, AktG, Art. 7 SE-VO Rn. 2; Eidenmüller, JZ 2004, 24 (31); Oechsler, in MüKo AktG, Art. 7 SE-VO Rn. 2; Teichmann, ZGR 2003, 367 (399 f.). Nach Cartesio können hieran keine Zweifel mehr bestehen: Die in Cartesio bestätigte Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten wird man mit Blick auf die supranationalen Rechtsformen auch dem Unionsgesetzgeber zugestehen müssen; wie hier Casper, ZHR 173 (2009), 181 (208); Casper/Weller, NZG 2009, 681 (683); mit gleicher Argumentation bereits Timmermans, Neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG zum Europäischen Gesellschaftsrecht, 2003, S. 18 f.; a. A. Drinhausen/Nohlen, FS Spiegelberger, S. 645 (651) unter Verweis auf den effet utile. 85 Oechsler, in MüKo AktG, Art. 8 SE-VO Rn. 54; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO Rn. 10; Wenz, in: Theisen/Wenz, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 2005, S. 226 f. 83
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schaft als solche anzuerkennen hat, war fraglich, ob auch die Gründung einer ausländischen Gesellschaft, die von Anfang an ihren Verwaltungssitz im Inland hat, von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. Auch dies wurde teilweise mit dem Hinweis verneint, es fehle die für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erforderliche tatsächliche Mobilitätskomponente; die Niederlassungsfreiheit wolle nicht die freie grenzüberschreitende Rechtsformwahl, sondern eine freie, rationale Standortwahl der Gesellschaft gewährleisten.86 Auch die Vertreter dieser Auffassung konnten aber nicht bestreiten, dass die wirksam gegründete ausländische Gesellschaft ihren Verwaltungssitz unmittelbar nach Abschluss des Gründungsprozesses unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit ins Inland verlegen kann.87 Sowohl für den Fall des grenzüberschreitenden Formwechsels als auch für den Fall der Gründung ausländischer Gesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ein Hin- und Herverlegen des Verwaltungssitzes mit dem Ziel, den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu eröffnen, zwar theoretisch denkbar, praktisch aber kaum durchführbar ist. Eine für die gesellschaftsrechtliche Praxis taugliche Umgehungsstrategie wäre dies lediglich dann, wenn für die Bestimmung des Verwaltungssitzes ausschließlich auf den Ort der internen Willensbildung der Verwaltungsorgane abgestellt würde: Die Willensbildung der Verwaltungsorgane kann heutzutage aufgrund moderner Kommunikationsmittel an jedem beliebigen Ort erfolgen; dementsprechend kann dieser Ort auch jederzeit ohne nennenswerten Aufwand verlegt werden. Dieser Umstand macht aber zugleich deutlich, warum es für die Bestimmung des Verwaltungssitzes auf den Ort der internen Willensbildung der Verwaltungsorgane allein gerade nicht ankommen kann: Eine zuverlässige und dauerhafte Bestimmung des Verwaltungssitzes wäre dann nämlich kaum möglich. Richtigerweise kann der Verwaltungssitz daher nur anhand weiterer Indizien bestimmt werden, wobei besondere Bedeutung dem Ort zukommt, an dem die grundlegenden Leitungsentscheidungen effektiv in laufende Geschäftsführungsmaßnahmen umgesetzt werden.88 Der Verwaltungssitz hängt demnach eng mit dem wirtschaftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft zusammen; dessen
86 Kieninger, ZGR 1999, 724 (729 ff.); Kindler, NJW 2003, 1073 (1078); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (40). 87 Vgl. W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126, Fußn. 99). 88 Die Definition geht zurück auf Sandrock, in: Internationalrechtliche Probleme multinationaler Korporationen, Berichte DGVR Heft 18, 1978, S. 169 (238); ders., FS Beitzke, S. 669 (683). Sie hat sich bis heute durchgesetzt; siehe BGH, Urteil vom 21. 3. 1986, V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (272); Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 228; Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283; zur näheren Bestimmung dieses Ortes siehe ausführlich Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219 (222 f.) sowie rechtsvergleichend Chromek, Wegzugsfreiheit von Kapitalgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 2009, S. 22 ff.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Verlegung ist aber mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden.89 Die bloße Eröffnung eines Büros mit Schreibtisch und Telefonanschluss im Aufnahmestaat, womöglich durch einen darauf spezialisierten Dienstleister bereit gestellt, genügt jedenfalls nicht.90 Der Schlüssel für die Beantwortung der Frage, ob für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit eine Verlegung des Verwaltungssitzes und damit eine nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Ausübung grenzüberschreitender Mobilität erforderlich ist, liegt in der wechselseitigen Bedingtheit von gesellschaftsrechtlicher Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten und der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung. Die Mitgliedstaaten können autonom die für die Gründung und das Fortbestehen von Gesellschaften nach ihrem innerstaatlichen Recht zu erfüllenden Anforderungen an den Sitz der Gesellschaft definieren, sind aber verpflichtet, die Gründung und das Fortbestehen von Gesellschaften nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates anzuerkennen. Die Erwägung des EuGH in Überseering, wonach es nicht gerechtfertigt ist, einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründeten Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit abzusprechen,91 ist unabhängig davon, ob die Gesellschaft von Anfang an oder erst einige Zeit nach ihrer Gründung ihren Verwaltungssitz außerhalb ihres Herkunftsstaates hat.92 Für die Existenz einer Gesellschaft, die sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, kommt es nur darauf an, dass die Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründet wurde und sich eines der für die Unionsverknüpfung der Gesellschaft maßgeblichen Anknüpfungsmomente – Satzungssitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung – innerhalb der Union befindet (Art. 54 AEUV).93 Zu Recht geht die herrschende Auffassung daher davon aus, dass auch die Gründung einer ausländischen Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz von Anfang an im Inland hat, von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist; entscheidend ist, dass eine solche „Auslandsgründung“ nach dem Recht des Herkunftsstaates zulässig ist.94 89 Die mit der erforderlichen Geschäftsverlagerung verbundenen Transaktionskonsten betonen (jeweils mit Blick auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO) auch Klöhn, KTS 2006, 259 (271); Mankowski, NZI 2005, 368 (372); vgl. auch die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545 (548). 90 Zu den Anforderungen an die Begründung des Verwaltungssitzes in England aus Sicht der englischen Rechtsprechung siehe Weller, ZGR 2008, 835 (860) m. w. N. 91 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 93. 92 OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 28. 5. 2003, 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (58). 93 Vgl. Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 (499); ders., ZGR 1994, 1 (16 f.); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244). 94 OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 28. 5. 2003, 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (58); OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. 3. 2003, 3 W 21/03, NZG 2003, 537 (538); Behme/Nohlen, NZG 2008, 496 (498); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243 f.); Horn, NJW 2004, 893 (894);
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Diese Erwägungen lassen sich auf den rechtsformwechselnden Wegzug ohne Verwaltungssitzverlegung übertragen. Wenn der Aufnahmestaat die Entstehung einer seinem nationalen Recht unterliegenden Gesellschaft im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels zulässt, obwohl sich deren Verwaltungssitz im Ausland befindet, so haben die anderen Mitgliedstaaten die Gesellschaft als solche des Aufnahmestaates anzuerkennen. Diese Verpflichtung gilt auch für den ursprünglichen Herkunftsstaat der Gesellschaft. Dieser kann die Anerkennung der Entstehung einer Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates nicht an die Bedingung knüpfen, dass sich dort auch der Verwaltungssitz befindet. Dies gilt für die Entstehung einer ausländischen Gesellschaft im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels ebenso wie für die Entstehung einer ausländischen Gesellschaft im Wege der Neugründung. Würde also der Herkunftsstaat den rechtsformwechselnden Wegzug an die Bedingung knüpfen, dass auch der Verwaltungssitz der Gesellschaft in den Aufnahmestaat verlegt wird, so läge darin eine Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit. Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses, die eine solche Beschränkung rechtfertigen würden, sind kaum vorstellbar. Die Aussage des EuGH in der Entscheidung Cadbury-Schweppes, wonach die Niederlassungsfreiheit eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem voraussetzt,95 erweist sich damit als zu pauschal und ist auf den grenzüberschreitenden Formwechsel nicht zugeschnitten. Sie wurde aufgrund eines Sachverhalts getroffen, bei dem eine britische Konzernobergesellschaft eine irische Tochtergesellschaft zu dem alleinigen Zweck gegründet hatte, Gewinne dorthin zu verlagern und so von der nach irischem Recht gewährten niedrigen Besteuerung zu profitieren. Die Tochtergesellschaft sollte von vornherein keinerlei wirtschaftliche Tätigkeit entfalten – weder in Großbritannien noch in Irland.96 Zwar fällt nach dem Wortlaut des Art. 49 AEUV die Gründung von Tochtergesellschaften in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit. Dass der EuGH die rein steuerlich motivierte Gründung einer Tochtergesellschaft, die überhaupt keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet und daher auch nicht am Binnenmarkt teilnimmt, als „rein künstliche Gestaltung“97 ansah, die im Ergebnis nicht von den die VerG. H. Roth, FS Westermann, S. 1345 (1346); Weller, IPRax 2003, 324 (327); offen lassend W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126 f.). 95 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I – 7995, Rn. 54; vgl. auch noch Generalanwalt Darmon in seinen Schlussanträgen vom 7. 6. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail): „Sich niederlassen heißt, sich in eine nationale Wirtschaft integrieren.“ (Rn. 3). „Der Begriff der Niederlassung ist selbst wesentlich wirtschaftlich. Er verlangt immer ein tatsächliches wirtschaftliches Band.“ (Rn. 5). 96 G. H. Roth, EuZW 2010, 607 (608). 97 EuGH, Urteil vom 12. 9. 2006, Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006, I – 7995, Rn. 68.
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wirklichung des Binnenmarkts bezweckenden Grundfreiheiten geschützt ist, ist indes nachvollziehbar. Es ist anzunehmen, dass der EuGH bei der Gründung einer irischen Tochtergesellschaft mit operativem Geschäft anders entschieden hätte, und zwar auch dann, wenn sich der Verwaltungssitz der irischen Tochtergesellschaft in Großbritannien oder in einem dritten Mitgliedstaat befunden hätte. Dies gilt insbesondere, weil sowohl der Entscheidung Centros als auch der Entscheidung Inspire Art Sachverhalte zugrunde lagen, in denen die Gründer der Gesellschaft eine britische Private Limited Company gegründet hatten, die von vornherein keinen Bezugspunkt zu Großbritannien aufwies. Zwar lässt sich dies mit der zitierten Aussage des EuGH in Cadbury Schweppes noch insofern in Einklang bringen, als in beiden Fällen auf die Niederlassungsfreiheit der gegründeten britischen Gesellschaft abgestellt werden konnte, die sehr wohl im jeweiligen „Aufnahmestaat“ (Dänemark bzw. Niederlande) eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltete, während es in Cadbury Schweppes um die Ausübung der Niederlassungsfreiheit der britischen Konzernobergesellschaft durch Gründung einer aktivitätenlosen Tochtergesellschaft ging. Hätte der EuGH aber in Cadbury Schweppes eine über den Sonderfall einer „rein künstlichen Gestaltung“ hinausgreifende Aussage über die Gründung von Gesellschaften in einem Staat treffen wollen, in dem keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt wird, hätte er dies vor dem Hintergrund der älteren Entscheidungen Centros und Inspire Art deutlicher zum Ausdruck bringen müssen. Für eine Überbetonung der zitierten Formulierung in Cadbury Schweppes dahingehend, dass sie eine „erhebliche Einschränkung der Feststellungen in den Urteilen Centros und Inspire Art“ bedeutet98, bietet schließlich auch ihre Reaktivierung in der Entscheidung Vale99 keinen Anlass.100 Zum einen ist nicht recht ersichtlich, inwieweit das Kriterium der für den Niederlassungsvorgang 98 So Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen zu Cartesio vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498 (Rn. 25); eine klarstellende Äußerung des EuGH zur Bedeutung von Cadbury Schweppes hält auch G. H. Roth, EuZW 2010, 607 (610) für wünschenswert, der überdies auf die unterschiedliche Besetzung der Spruchkörper des EuGH in den Entscheidungen Centros und Inspire Art einerseits und Cadbury Schweppes andererseits hinweist. 99 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 34. 100 Insoweit relativierend auch Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1486 f.), die betonen, dass es in Cadbury Schweppes um die Frage der Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit ging, nicht um eine Begrenzung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit; siehe ferner Behme, NZG 2012, 936 (939); Braun, DZWIR 2012, 411 (414 f.); ausführlich und zutreffend auch Schön, ZGR 2013, 333 (358 ff.); siehe ferner die Einwände bei Drygala, EuZW 2013, 569 (570 f.) und Schaper, ZIP 2014, 810 (814 f.). Überwiegend wird die betreffende Passage der Vale-Entscheidung hingegen – in Verkennung des Anerkennungsgedankens – als einschränkende Auslegung der Niederlassungsfreiheit oder gar als partielle Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften interpretiert, siehe etwa Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2702 f.); Hushahn, RNotZ 2014, 137 (139); Kindler, EuZW 2012, 888 (891 f.); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); Junker, EuZA 2012, 223 (226 ff.); Roth, ZIP 2012, 1744.
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erforderlichen tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivität im Aufnahmestaat für den Fall Vale überhaupt relevant ist – abgesehen davon, dass es sich bei der italienischen Vale Srl von vornherein um eine aktivitätenlose Mantelgesellschaft handelte,101 was in dem gesamten Verfahren aber nicht näher thematisiert wurde. Vale betraf nämlich einen Fall des rechtsformwechselnden Zuzugs und damit die Frage nach dem Regelungsgehalt der Niederlassungsfreiheit in Zuzugsfällen, während sich die Frage nach der erforderlichen tatsächlichen Mobilitätskomponente eher aus der Perspektive des Herkunftsstaates beim rechtsformwechselnden Wegzug stellt.102 Zum anderen macht der EuGH an anderer Stelle der Entscheidung deutlich, dass er die Umwandlung von Gesellschaften an sich bereits als wirtschaftliche Tätigkeit ansieht: Umwandlungen, so der EuGH, gehören grundsätzlich zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit beachten müssen.103 Selbst wenn also der Niederlassungsbegriff die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Aktivität im Aufnahmestaat erfordern sollte, ist diesem Erfordernis bereits durch den grenzüberschreitenden Formwechsel als solchen hinreichend Rechnung getragen. Auf rechtspolitischer Ebene scheint auch der Unionsgesetzgeber die Wertung zu teilen, dass vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften die Möglichkeit haben sollten, eine Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates unabhängig davon anzunehmen, wo sich ihr Verwaltungssitz befindet. Zwar nähert sich der Unionsgesetzgeber dem Thema von der Sitzverlegung her an und geht offenbar davon aus, dass grenzüberschreitender Formwechsel und grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung gleichbedeutend sind.104 Sowohl der Vorentwurf eines Vorschlags der Kommission für eine Vierzehnte Richtlinie (Sitzverlegungsrichtlinie)105 als auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen106 101
Siehe oben S. 145 f. Siehe bereits Behme, NZG 2012, 936 (939). 103 EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 24; ebenso bereits EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805, Rn. 19. 104 Vgl. bereits oben S. 8 ff. 105 Abgedruckt in ZIP 1997, 1721; siehe dazu Eidenmüller, JZ 2004, 24 (31 f.); Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 4 Rn. 30 f.; Heinze, ZGR 1999, 55; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43; Hügel, ZGR 1999, 71; Koppensteiner, FS Lutter, S. 141; Leible, ZGR 2004, 531; di Marco, ZGR 1999, 3; Meilicke, GmbHR 1998, 1053; Neye, ZGR 1999, 13; Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (139 ff.); Priester, ZGR 1999, 36; Rajak, ZGR 1999, 111; K. Schmidt, ZGR 1999, 20; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 806 ff.; Timmerman, ZGR 1999, 147; Wymeersch, ZGR 1999, 126. 106 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, online abrufbar unter ; siehe auch Lehne, KSzW 2010, 3 (4). 107 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen, online abrufbar unter . 108 Vgl. Art. 11 Abs. 2 des Entwurfs der 14. Richtlinie sowie Empfehlung 2 lit. f) der Entschließungsempfehlung des Europäischen Parlaments vom 10. 3. 2009 („gegebenenfalls“). 109 Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts; der Fragebogen ist online abrufbar unter . Abschnitt VII der Konsultation befasst sich mit der „grenzübergreifenden Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes von Unternehmen“, womit der grenzüberschreitende Formwechsel gemeint ist; Frage 15 fragt nach den Bedingungen, denen die grenzübergreifende Verlegung eines geschäftsmäßigen Sitzes (damit ist der Satzungssitz gemeint) unterliegen sollte. Die von der Kommission vorgegebenen Auswahlmöglichkeiten lauten unter anderem: „Die Mitgliedstaaten sollten darüber entscheiden können, ob sie die Verlegung des Hauptsitzes (= Verwaltungssitz, der Verf.) zusammen mit dem geschäftsmäßigen Sitz für erforderlich halten.“ / „Eine Verlegung sollte von allen Mitgliedstaaten akzeptiert werden, auch wenn Hauptsitz und geschäftsmäßiger Sitz nicht gleichzeitig verlegt werden.“ / „Eine Verlegung sollte nur zugelassen werden, wenn auch der Hauptsitz und der geschäftsmäßige Sitz verlegt werden.“ 110 Die Ergebnisse der Konsultation sind online abrufbar unter ; siehe dort S. 9 f. (zu Frage 15).
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IV. Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs – Unionsrechtliche Vorgaben Da der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften bislang nicht unionsrechtlich harmonisiert ist, können rechtliche Vorgaben für seine praktische Durchführung nur den nationalen Rechtsordnungen der betroffenen Mitgliedstaaten entnommen werden: der Rechtsordnung des Herkunftsstaates, nach dessen nationalem Recht die Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde, und der Rechtsordnung des Aufnahmestaates, dessen nationalem Recht die Gesellschaft künftig unterliegen soll. Im Folgenden soll vor dem Hintergrund der Cartesio-Entscheidung des EuGH analysiert werden, welche Vorgaben das Unionsrecht den Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Herkunftsstaaten von Gesellschaften im Einzelnen für die rechtliche Ausgestaltung des rechtsformwechselnden Wegzugs von Gesellschaften macht. Dabei soll differenziert werden zwischen den Vorgaben, die das Unionsrecht an die Voraussetzungen eines rechtsformwechselnden Wegzugs nach dem Recht des Herkunftsstaates, an das von der Gesellschaft zu durchlaufende Verfahren und an die Wirkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs stellt. Diese Einteilung des Umwandlungsvorgangs geht zurück auf kollisionsrechtliche Vorarbeiten von Beitzke, demzufolge bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen die materiellen Umwandlungsrechte aller beteiligten Rechtsträger zu berücksichtigen sind mit der Folge, dass sich grundsätzlich die Rechtsordnung durchsetzt, die im Einzelfall die strengsten Anforderungen aufstellt (sog. Vereinigungstheorie).111 Nach überwiegender Auffassung sollen dabei aus Gründen der praktischen Handhabung die Voraussetzungen, das Verfahren und die Wirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung gesondert angeknüpft werden.112 Für die Analyse der Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für den rechtsformwechselnden Wegzug erscheint es zweckmäßig, diese Einteilung des Umwandlungsvorgangs aufzugreifen. Offen bleiben soll dagegen, ob die für grenzüberschreitende Verschmelzungen entwickelte und von der überwiegenden Auffassung in der deutschen Literatur auch auf grenzüberschreitende Spaltungsvorgänge angewandte113 kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel Geltung be111
Beitzke, FS Hallstein, S. 14 (23 und passim). Becht, Fusion und Spaltung von Kapitalgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 1996, S. 277; Dorr/Stukenborg, DB 2003, 647 (647 f.); Bungert/Schneider, GS Gruson, S. 37 (38 f.); Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 101; Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 876; Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 686 ff.; Simon/Rubner, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Vor §§ 122a ff. Rn. 22; krit. Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, 2001, S. 142 ff.; Prüm, Die grenzüberschreitende Spaltung, 2006, S. 74. 113 Jaensch, EWS 2007, 97 (99); Simon/Rubner, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Vor §§ 122a ff. Rn. 20; ausführlich zum Ganzen Prüm, Die grenzüberschreitende Spaltung, 2006, S. 54 ff. 112
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anspruchen kann.114 Diese Frage betrifft nicht die unionsrechtlichen Vorgaben der Niederlassungsfreiheit, sondern die nähere Ausgestaltung des deutschen Umwandlungskollisionsrechts, ebenso wie die Frage, ob Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen auf der Ebene des deutschen Kollisionsrechts taugliche Systembegriffe zur Benennung des Anknüpfungsgegenstands darstellen.115 Das deutsche Umwandlungskollisionsrecht ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Wenn im Folgenden die Anforderungen benannt werden, die aus dem Blickwinkel des Unionsrechts an die Ausgestaltung des rechtsformwechselnden Wegzugs von Gesellschaften durch das Kollisionsrecht und das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates zu stellen sind, kann es sich mangels unionsrechtlicher Harmonisierung des (innerstaatlichen und grenzüberschreitenden) Formwechsels nicht um positive (Detail-)Vorgaben handeln. Der einzige Maßstab, den das Unionsrecht bietet, ist die Niederlassungsfreiheit in der Auslegung, die sie durch die Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Da die Grundfreiheiten aber grundsätzlich nur verdrängende Wirkung entfalten,116 d. h. entgegenstehendem mitgliedstaatlichen Recht die Anwendung versagen, muss sich die Analyse auf die Frage beschränken, unter welchen Voraussetzungen der rechtsformwechselnde Wegzug generell von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist und was der Maßstab ist für die Prüfung, ob die Ausgestaltung des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Vorschriften des Kollisionsrechts und des materiellen Umwandlungsrechts der Mitgliedstaaten bzw. deren Zusammenwirken eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf.
1. Voraussetzungen In der Diskussion um das Kollisionsrecht grenzüberschreitender Verschmelzungen wird zu den Umwandlungsvoraussetzungen gezählt, dass die Verschmelzung in den beteiligten Rechtsordnungen (d. h. im Herkunftsstaat der übertragenden und der aufnehmenden Gesellschaft) überhaupt zulässig ist und dass die beteiligten Rechtsträger aktiv und passiv verschmelzungsfähig sind. Eine Gesellschaft ist aktiv verschmelzungsfähig, wenn sie grundsätzlich von ihrer Rechtsordnung zur Verschmelzung zugelassen ist, und passiv verschmelzungsfähig, wenn sie von ihrer Rechtsordnung als Verschmelzungspartner zu114 So v. Busekist, GmbHR 2004, 650 (651); Jaensch, EWS 2007, 97 (99); Weller, IPRax 2013, 530 (532 f.). 115 Krit. insbesondere Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, 2001, S. 142 ff. 116 Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 2; mit Blick auf die nationalen Kollisionsnormen der Mitgliedstaaten Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 417 ff.
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gelassen ist.117 Da bei einem Formwechsel anders als bei einer Verschmelzung immer nur eine Gesellschaft betroffen ist, ergibt eine Übertragung dieser Differenzierung keinen Sinn. Man wird es aber als Voraussetzung des Formwechsels bezeichnen können, dass die Gesellschaft in ihrer ursprünglichen Rechtsform nach dem Recht ihres Herkunftsstaates einen Formwechsel durchführen kann und nach dem Recht des Aufnahmestaates der Formwechsel in die angestrebte Rechtsform möglich ist. Da der rechtsformwechselnde Wegzug von der Niederlassungsfreiheit erfasst ist, ist der Spielraum des Herkunftsstaates der Gesellschaft bei der Festlegung der Voraussetzungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels sehr gering. Denn wenn der Herkunftsstaat die grundsätzliche Zulässigkeit des Formwechsels bzw. die Eignung einer bestimmten Gesellschaftsform als Ausgangs- oder Zielrechtsform im Rahmen eines Formwechsels verneint, so liegt darin regelmäßig mehr als eine bloße Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die den rechtsformwechselnden Wegzug und damit die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv macht und daher der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf. Vielmehr wird es sich regelmäßig um eine Negierung der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Überseering-Rechtsprechung des EuGH118 handeln, die der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses grundsätzlich nicht zugänglich ist.119 Der Herkunftsstaat der Gesellschaft kann den rechtsformwechselnden Wegzug sowohl auf der Ebene des Kollisionsrechts als auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts unterbinden und auf diese Weise die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft negieren.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Dem grenzüberschreitenden Wechsel der Rechtsform ist wesensimmanent, dass sich das auf die Gesellschaft anwendbare materielle Gesellschaftsrecht ändert: Das Ergebnis des Formwechsels ist eine Gesellschaft in einer dem nationalen Recht des Aufnahmestaates unterliegenden Rechtsform. Es vollzieht sich also zwangsläufig ein Statutenwechsel. Der Herkunftsstaat der Gesellschaft kann den grenzüberschreitenden Formwechsel daher auf der Ebene seines Kollisionsrechts unmöglich machen, indem er einen Statutenwechsel verweigert und damit die formwechselnde Gesellschaft nicht aus seiner Rechtsordnung entlässt. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit läge jedenfalls vor, wenn der Herkunftsstaat der Gesellschaft einer Spielart der Gründungstheorie folgt, die an den unwandelbaren Ort der ursprünglichen Inkorporation der Gesellschaft 117 Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 878; Prüm, Die grenzüberschreitende Spaltung, 2006, S. 60. 118 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 93. 119 Siehe dazu oben S. 61 f.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
anknüpft. Nach diesem vor allem im angloamerikanischen Raum vorherrschenden Verständnis der Gründungstheorie ist ein Statutenwechsel nämlich nicht möglich;120 es steht damit auch einem grenzüberschreitenden Formwechsel entgegen.121 Dies ist insofern bemerkenswert, als der Inkorporationstheorie rechtspolitisch an sich ein liberaler Ansatz zugrunde liegt: Sie ermöglicht in Zuzugsfällen die kollisionsrechtliche Anerkennung von Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Staates gegründet worden sind, und führt in Wegzugsfällen dazu, dass einer Gesellschaft nicht bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts die Rechtsform entzogen wird, wenn sie ihren Satzungs- und/ oder Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt. Zu Recht ist daher die Inkorporationstheorie mit einer weitreichenden Rechtswahlfreiheit assoziiert worden.122 Diese Rechtswahlfreiheit bezieht sich freilich ausschließlich auf die anfängliche Wahl des Gründungsrechts; eine nachträgliche Rechtswahl wird durch die Inkorporationstheorie verhindert. Folgt der Herkunftsstaat der Gesellschaft der Sitztheorie, findet der für den grenzüberschreitenden Formwechsel erforderliche Statutenwechsel aus der Perspektive des Herkunftsstaates nur dann statt, wenn auch der Verwaltungssitz der formwechselnden Gesellschaft in den Aufnahmestaat verlegt wird. Wie gesehen, ist jedoch auch ein grenzüberschreitender Wechsel der Rechtsform von der Niederlassungsfreiheit geschützt, bei dem der Verwaltungssitz im ursprünglichen Herkunftsstaat der Gesellschaft verbleibt, sofern der Aufnahmestaat dies zulässt.123 Daher würde in einem solchen Falle auch die Sitztheorie den rechtsformwechselnden Wegzug vereiteln und damit eine Negierung der Niederlassungsfreiheit darstellen. Regelmäßig keine Negierung der Niederlassungsfreiheit ist dagegen mit einer Spielart der Gründungstheorie verbunden, deren Anknüpfungsmoment der Satzungssitz ist. Da die Gesellschaft infolge des Formwechsels in der Regel zwingend im Aufnahmestaat einzutragen sein wird, geht mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel zwangsläufig eine Verlegung des Satzungssitzes einher,124 sodass in diesem Falle mit der materiellrechtlich erforderlichen Satzungssitzverlegung zugleich der kollisionsrechtlich erforderliche Statutenwechsel erfolgt.
120
Siehe oben S. 15. Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (131). 122 Spahlinger, in: Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht in der Praxis, 2005, Teil B Rn. 59; Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219 (230). 123 Siehe oben S. 151 ff. 124 Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (720); Jaensch, EWS 2007, 97; vgl. auch Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 817 . 121
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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b) Sachrechtliche Ebene Auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts werden Vorschriften des Herkunftsstaates der Gesellschaft, die einen rechtsformwechselnden Wegzug für unzulässig erklären, regelmäßig als Negierung der Niederlassungsfreiheit anzusehen sein und einer unionsrechtlichen Rechtfertigung nicht standhalten. Dies gilt sowohl für Vorschriften, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel explizit verbieten125 oder durch das materiellrechtliche Erfordernis eines dauerhaft im Inland befindlichen Satzungssitzes vereiteln126, als auch für Vorschriften, die Gesellschaften bestimmter Rechtsform die Fähigkeit absprechen, ihre bisherige Rechtsform aufzugeben oder eine bestimmte andere Rechtsform anzunehmen. Eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründete Gesellschaft kann sich auf die Niederlassungsfreiheit unabhängig 125 Ein derartiges Verbot ließe sich etwa § 1 des deutschen UmwG entnehmen, wonach nur Rechtsträger mit Satzungssitz im Inland an Umwandlungsvorgängen im Sinne des UmwG beteiligt sein können (§ 1 Abs. 1 UmwG), sowie § 191 UmwG, der eine auf deutsche Rechtsformen beschränkte Auflistung möglicher Ausgangsrechtsformen und Zielrechtsformen beim Formwechsel enthält. Daraus wurde lange Zeit gefolgert, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel nach den Vorschriften des UmwG nicht möglich sei; siehe nur Decher/Hoger, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 5. Aufl. 2014, Vor § 190 Rn. 33 f.; Drinhausen, in: Semler/Stengel (Hrsg.), UmwG, 2. Aufl. 2007, Einleitung C Rn. 34; Lawall, IStR 1998, 345 (347); Spahlinger/ Wegen, NZG 2006, 721 (722). Diese Auffassung ist nach den Entscheidungen des EuGH in SEVIC und Cartesio nicht länger haltbar. Geboten erscheint daher eine unionsrechtskonforme Auslegung, wonach es für grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge genügt, wenn sich der Satzungssitz der beteiligten Rechtsträger innerhalb der EU (oder innerhalb des EWR) befindet. An die Stelle der in § 191 UmwG genannten Rechtsträger kann im Wege der Analogie oder der Substitution der vergleichbare ausländische Rechtsträger treten; vgl. Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (764); Jaensch, EWS 2007, 97 (102) sowie mit Blick auf die grenzüberschreitende Verschmelzung Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224 (226) m. w. N. Das Analogieverbot des § 1 Abs. 2 UmwG steht dem nicht entgegen, da es durch die Niederlassungsfreiheit als höherrangiges Recht überwunden werden kann; dies verkennt Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 911. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, 2001, S. 114, wonach § 1 Abs 1 UmwG im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht anwendbar ist. Die Nicht-Anwendbarkeit einzelner Vorschriften wirft jedoch zahlreiche Folgefragen auf, die sich bei einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht stellen, vgl. Wackerbarth/Kreße, EuZW 2010, 252. Sie verkennt zudem den methodischen Vorrang unionsrechtskonformer Auslegung, siehe dazu Leible/ Domröse in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 9 Rn. 46 ff., insb. Rn. 49. 126 Nach deutschem Recht muss sich gem. § 4 a GmbH und § 5 AktG der Satzungssitz einer deutschen GmbH bzw. AG im Inland befinden. Die genannten Vorschriften sind unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass das Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes nur so lange gilt, wie die Gesellschaft eine Rechtsform deutschen Rechts behält, einer identitätswahrenden Satzungssitzverlegung im Zuge eines grenzüberschreitenden Formwechsels aber nicht entgegensteht. Solange die Gesellschaft nach deutschen Recht verfasst ist, ist das Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes als durch das deutsche Recht autonom definierter gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandard nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen; siehe Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (14); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (549).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
von ihrer Rechtsform berufen, wenn sie die nach Art. 54 AEUV erforderliche Unionsverknüpfung aufweist, d. h. ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union hat und einen Erwerbszweck verfolgt. Ein Mitgliedstaat, der einen Formwechsel nur für bestimmte Rechtsformen (z. B. Kapitalgesellschaften) erlaubt, negiert daher die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften, die sich einer anderen Rechtsform bedienen (z. B. Personengesellschaften, Genossenschaften). Voraussetzung ist jeweils, dass der Aufnahmestaat im innerstaatlichen Kontext Gesellschaften mit einer vergleichbaren Ausgangsrechtsform den Formwechsel in die angestrebte Rechtsform ermöglicht. Denn nur dann lässt sich eine Verpflichtung des Herkunftsstaates zur Anerkennung begründen, deren Verletzung einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt. Der innerstaatliche Formwechsel von Gesellschaften ist unionsrechtlich – anders als die Umwandlungsvorgänge Verschmelzung und Spaltung – nicht harmonisiert. Die Mitgliedstaaten sind daher nicht verpflichtet, den nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften im innerstaatlichen Kontext einen Wechsel ihrer ursprünglich gewählten Rechtsform zu gestatten. Dementsprechend unterschiedlich ist die Rechtslage in den Mitgliedstaaten. So ist etwa dem irischen Recht ein Wechsel der Rechtsform nicht bekannt.127 Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit ist aber davon unabhängig, ob das Umwandlungsrecht des Herkunftsstaates einen innerstaatlichen Formwechsel kennt oder nicht. Der EuGH stellt die Möglichkeit des rechtsformwechselnden Wegzugs vielmehr ausschließlich unter den Vorbehalt, dass der Aufnahmestaat einen rechtsformwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften zulässt. Auch wenn die Möglichkeit, nachträglich eine andere als die ursprünglich gewählte Rechtsform anzunehmen, dem nationalen Recht des Herkunftsstaates völlig fremd ist, muss er den rechtsformwechselnden Wegzug von nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften zulassen und auf diese Weise die Entstehung einer inländischen Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates anerkennen, sofern die vorgenannte Voraussetzung erfüllt ist.
2. Verfahren In der Diskussion um das Kollisionsrecht grenzüberschreitender Verschmelzungen werden zum Verfahren der grenzüberschreitenden Verschmelzung neben dem Abschluss des eigentlichen Verschmelzungsvertrags insbesondere die Vorbereitung und Durchführung der Beschlussfassung in den einzelnen Gesellschaften, die Information und der Schutz der Arbeitnehmer und sons127 Albrecht, in: Hohloch (Hrsg.), EU-Handbuch Gesellschaftsrecht, Irland, Rn. 289; vgl. auch Hommelhoff, FS Loewenheim, S. 591 (594); a. A. Szydlo, ECFR 2010, 414 (437), wonach alle Mitgliedstaaten einen innerstaatlichen Formwechsel zulassen. Belegt wird diese These freilich nicht.
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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tigen Gläubiger und ggf. erforderliche staatliche Genehmigungen gezählt.128 Soweit jede Gesellschaft isoliert an dem Verfahren der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligt ist (etwa beim Zustandekommen des Verschmelzungsbeschlusses), soll sich das Verfahren nach ihrem jeweiligen Personalstatut richten. Sofern ein Verfahrensschritt dagegen das gemeinsame Tätigwerden aller an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften erfordert, sollen alle Rechtsordnungen kumuliert werden mit der Konsequenz, dass sich im Hinblick auf diesen Verfahrensschritt die strengste Rechtsordnung durchsetzt.129 Auch hinsichtlich der Verfahrensvorschriften stellt sich wiederum die Frage, welche Vorgaben das Unionsrecht für die nähere Ausgestaltung des rechtsformwechselnden Wegzugs durch das nationale Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft macht. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei Verfahrensvorschriften immer um Normen des materiellen Rechts, nicht aber des Kollisionsrechts handelt. Das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates der Gesellschaft kann bestimmte materiell-rechtliche Verfahrensvorschriften zur Anwendung berufen. Beschränkende Wirkung entfaltet dann aber nicht die Kollisionsnorm, sondern allein die materiell-rechtliche Verfahrensvorschrift. Da mit jeder Verfahrensvorschrift, deren Beachtung der Herkunftsstaat für die Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels verlangt, für die Gesellschaft ein gewisser Lästigkeitswert verbunden ist, ist jede Verfahrensvorschrift potentiell geeignet, den rechtsformwechselnden Wegzug der Gesellschaft zu beeinträchtigen und damit die Niederlassungsfreiheit zu beschränken. Dies hat zur Folge, dass grundsätzlich jede Verfahrensvorschrift, die der Herkunftsstaat der Gesellschaft zum Schutz von Gläubigern, Gesellschaftern und Arbeitnehmern der formwechselnden Gesellschaft erlässt, der unionsrechtlichen Rechtfertigung bedarf und damit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen ist. Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine bedeutende Einschränkung. Sie ergibt sich aus dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, das sich in der Aussage des EuGH in Cartesio manifestiert, wonach der rechtsformwechselnde Wegzug von Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit nur geschützt ist, soweit ein rechtsformwechselnder Zuzug nach dem Recht des Aufnahmestaates möglich ist.130
128
Simon/Rubner, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Vor §§ 122a ff. Rn. 24; vgl. auch die Aufzählung bei Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 883: Abschluss des Verschmelzungsvertrags, Erstellung des Verschmelzungsberichts, Prüfung des Verschmelzungsvertrags, Beschlussfassung über den Verschmelzungsvertrag, Offenlegung der Verschmelzung; vgl. auch Prüm, Die grenzüberschreitende Spaltung, 2006, S. 60 f. 129 Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 104; Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 882. 130 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 112.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
a) Maßgeblichkeit des Rechts des Aufnahmestaates Nur, wenn der Aufnahmestaat die Entstehung einer inländischen Gesellschaft im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels zulässt, besteht eine Verpflichtung des Herkunftsstaates, diesen Vorgang anzuerkennen, und zwar unter den Voraussetzungen, die der Aufnahmestaat dafür aufstellt. Denn die Bedingungen, unter denen die Gesellschaft sich in einer Rechtsform des Aufnahmestaates reorganisieren kann, zählen zu den vom Aufnahmestaat (als neuem Herkunftsstaat der formwechselnden Gesellschaft) autonom zu definierenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards, die der (ursprüngliche) Herkunftsstaat anzuerkennen hat. Der Aufnahmestaat ist seinerseits verpflichtet, ausländischen Gesellschaften den Wechsel in eine inländische Rechtsform unter denselben Voraussetzungen zu gestatten wie inländischen Gesellschaften; die Niederlassungsfreiheit statuiert also ein Gebot der Inländerbehandlung (Art. 49 Abs. 2 AEUV). Den Vorschriften des Aufnahmestaates über den innerstaatlichen Formwechsel ist somit der Maßstab dafür zu entnehmen, ob eine den rechtsformwechselnden Wegzug regulierende Verfahrensvorschrift des Herkunftsstaates die Niederlassungsfreiheit beschränkt oder nicht. Sofern der Herkunftsstaat der Gesellschaft Erfordernisse verfahrensrechtlicher Natur aufstellt, die hinter den Vorgaben des Aufnahmestaates für den innerstaatlichen Formwechsel zurückbleiben oder mit ihnen identisch sind, können diese die Niederlassungsfreiheit nicht beschränken. Sofern der Herkunftsstaat der Gesellschaft strengere Erfordernisse aufstellt als das nationale Recht des Aufnahmestaates, beschränken diese die Niederlassungsfreiheit und bedürfen der unionsrechtlichen Rechtfertigung. Dies verdeutlicht das folgende Beispiel: Eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates A gegründet wurde, möchte eine Rechtsform von Mitgliedstaat B annehmen. Mitgliedstaat B verlangt für den innerstaatlichen Formwechsel seiner Gesellschaften einen Beschluss der Gesellschafter mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 der abgegebenen Stimmen. Mitgliedstaat A verlangt für den rechtsformwechselnden Wegzug einen Beschluss der Gesellschafter mit einer Mehrheit von mindestens 3/4 der abgegebenen Stimmen. Dieses Erfordernis ist strenger als die Vorgabe des Aufnahmestaates und stellt daher eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Verlangt Mitgliedstaat A hingegen für den rechtsformwechselnden Wegzug in Mitgliedstaat B einen Beschluss der Gesellschafter mit einer Mehrheit von lediglich mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen, ist dieses Erfordernis weniger streng als die Vorgabe des Aufnahmestaates. Auch wenn das Erfordernis einer absoluten Mehrheit für sich genommen einen gewissen Lästigkeitswert besitzt, so ist damit doch keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden, da von der Niederlassungsfreiheit nur ein Formwechsel zu den Bedingungen des Aufnahmestaates geschützt ist. Soll der rechtsformwechselnde
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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Wegzug dagegen in einen Mitgliedstaat C erfolgen, dessen Umwandlungsrecht für den innerstaatlichen Formwechsel von Gesellschaften einen Beschluss der Gesellschafter genügen lässt, der mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen getroffen wurde, so stellt auch die Verfahrensvorschrift von Mitgliedstaat A, die einen mit absoluter Mehrheit getroffenen Gesellschafterbeschluss verlangt, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, da sie über die Vorgaben des Aufnahmestaates hinausgeht. Das Beispiel macht deutlich, dass die beschränkende Wirkung einer Verfahrensvorschrift des Herkunftsstaates der Gesellschaft immer nur in Abhängigkeit von den entsprechenden Verfahrensvorschriften des Aufnahmestaates für den innerstaatlichen Formwechsel beurteilt werden kann. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs ist demnach nicht absolut, sondern nur relativ. Ein und dieselbe Verfahrensvorschrift des Herkunftsstaates der Gesellschaft kann im Einzelfall eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen oder auch nicht – je nachdem, ob die entsprechende Verfahrensvorschrift des Aufnahmestaates für den innerstaatlichen Formwechsel strenger oder weniger streng ist. Solange der grenzüberschreitende Formwechsel nicht harmonisiert ist und sich die materiellen Umwandlungsrechte der Mitgliedstaaten hinsichtlich der verfahrenstechnischen Anforderungen an Strukturveränderungen teils erheblich unterscheiden131, erfordert die Feststellung einer Beschränkung des rechtsformwechselnden Wegzugs durch Verfahrensvorschriften daher immer einen rechtsvergleichenden Blick auf die entsprechenden Vorgaben des Aufnahmestaates.132
b) Acquis communautaire für Strukturmaßnahmen Eine weitere Einschränkung des Grundsatzes, dass jede Verfahrensvorschrift eine potentielle Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, soll sich nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht aus dem acquis communautaire an gesellschaftsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien ergeben, die grenz131
Vgl. nur den kursorischen Überblick bei Kronke, ZGR 1994, 26 (41 ff.). Dies mag auf den ersten Blick verwundern, da damit der Gehalt der Niederlassungsfreiheit letztlich durch den Aufnahmestaat (als neuen Herkunftsstaat der Gesellschaft) definiert wird. Dies ist aber die logische Folge des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und im Bereich der anderen Grundfreiheiten nicht anders. So mag etwa ein Mitgliedstaat verlangen, dass alle auf seinem Markt in den Verkehr gebrachten Elektrokabel über eine Isolierschicht von 3 mm Gummi verfügen und diesen Produktstandard auch auf in anderen Mitgliedstaaten produzierte Elektrokabel anwenden. Eine Beschränkung des freien Warenverkehrs (Art. 34 AEUV) liegt darin nur dann, wenn der Herkunftsstaat eines im Ausland produzierten Elektrokabels eine geringere Isolierschicht (2 mm) ausreichen lässt, sein Produktstandard also weniger streng ist. Gegenüber Elektrokabeln, die in ihrem Herkunftsstaat noch strengeren Produktstandards unterliegen (4 mm Isolierschicht), erweist sich die Anwendung des 3 mmStandards nicht als Beschränkung, da er automatisch ebenfalls erfüllt ist. 132
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
überschreitende Strukturmaßnahmen regeln.133 Dieser acquis communautaire ergibt sich insbesondere aus den Verordnungen und Richtlinien, die den unionsrechtlichen Normenbestand für die supranationalen Rechtsformen enthalten, und aus der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften134, aber auch aus den Richtlinien, die innerstaatliche Umwandlungsvorgänge regeln, d. h. der Verschmelzungsrichtlinie135 und der Spaltungsrichtlinie136. Diese Rechtsakte sollen ein ursprünglich bereits in der Verschmelzungsrichtlinie angelegtes137 „europäisches Modell für Strukturmaßnahmen“138 enthalten, das aus den Elementen Plan, Offenlegung des Plans, Bericht der Organe, sachverständige Prüfung mit Bericht und Beschluss der Gesellschafter besteht, und Anhaltspunkte dafür liefern, welche Schutzinstrumente der Überprüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit standhalten würden. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass eine Übertragung der in diesen Rechtsakten enthaltenen verfahrensrechtlichen Vorgaben auf den grenzüberschreitenden Formwechsel regelmäßig gerechtfertigt wäre.139 Zwar ist, solange der grenzüberschreitende Formwechsel nicht harmonisiert ist, die Bewältigung des rechtsformwechselnden Wegzugs anders als durch die analoge Anwendung bestehender Vorschriften kaum möglich. Dabei bieten sich grundsätzlich sowohl die mitgliedstaatlichen Regelungen über den innerstaatlichen Formwechsel an als auch die Regelungen des Unionsrechts und des mitgliedstaatlichen Rechts für grenzüberschreitende Strukturmaßnahmen sowie die Regelungen betreffend die Sitzverlegung der SE.140 Der Ansatz, aus den teils unmittelbar geltenden, teils der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfenden Vorgaben des europäischen Sekundärrechts für andere Strukturmaßnahmen abzuleiten, welche Verfahrensvorschriften für den grenzüberschreitenden Formwechsel der Überprüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit durch 133
Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (757); Verse, ZEuP 2013, 458 (482). 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 135 Dritte Richtlinie des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (78/855/EWG). 136 Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Dezember 1982 betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (82/891/EWG). 137 Vgl. Riesenhuber, NZG 2004, 15, der von einem „Basisrechtsakt für ein Europäisches Recht der Strukturmaßnahmen“ spricht. 138 So Bayer/Schmidt, NJW 2006, 401 (402); dies., ZHR 173 (2009), 735 (757). 139 So Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (757); Verse, ZEuP 2013, 458 (482). 140 Beispiele für analogiefähige Normen finden sich bei Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (757 ff.); Paefgen, WM 2009, 529 (533); Teichmann, ZIP 2009, 393 (403); ausführlich zur praktischen Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels Hushahn, RNotZ 2014, 137 (142 ff.) sowie Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819 ff.); siehe ferner bereits Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 129 ff. Das OLG Nürnberg, Beschluss vom 19. 6. 2013, 12 W 520/13, ZIP 2014, 128 hat sich für eine analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG ausgesprochen; zustimmend Bungert/ de Raet, DB 2014, 761. 134 Richtlinie
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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den EuGH standhalten, ist gleichwohl nur begrenzt tragfähig. Zwar mögen sich die betroffenen Schutzinteressen von Minderheitsgesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern bei allen grenzüberschreitenden Strukturmaßnahmen zu einem gewissen Maße ähneln;141 sie sind aber nicht notwendigerweise identisch. So ist eine grenzüberschreitende Verschmelzung häufig durch die Erzielung von Rationalisierungs- und Synergieeffekten motiviert, insbesondere die Realisierung von Economies of Scale (Größenvorteilen),142 während die Wahl der Rechtsform Ausfluss einer unternehmerischen Entscheidung für einen bestimmten Standort ist. Eine Verfahrensvorschrift mag daher etwa mit Blick auf die grenzüberschreitende Verschmelzung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, um bestimmte Personengruppen vor den angestrebten Rationalisierungseffekten zu schützen. Dieselbe Vorschrift kann sich mit Blick auf den grenzüberschreitenden Formwechsel aber als unverhältnismäßig erweisen, weil die Rationalisierungseffekte, vor denen sie schützen soll, dort nicht existieren. Hinzu kommt, dass auch Rechtsakte des sekundären Unionsrechts den Anforderungen des Primärrechts genügen müssen.143 Dass eine nationale Verfahrensvorschrift für den grenzüberschreitenden Formwechsel inhaltlich einer Vorgabe des Sekundärrechts für eine andere Strukturmaßnahme – Verschmelzung oder Spaltung – entspricht, sagt damit über ihre Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit nichts aus. Die entsprechende Vorschrift des Sekundärrechts bringt lediglich die Wertung des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, dass dieser das Primärrecht so interpretiert, dass es einer solchen Verfahrensvorschrift nicht entgegensteht. Diese Wertung ist jedoch nicht allgemeinverbindlich; dass der EuGH sie teilt, ist nicht zwingend. Orientieren sich die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten bei der Regulierung des grenzüberschreitenden Formwechsels an den Verfahrensvorschriften, die das Sekundärrecht für andere Strukturmaßnahmen statuiert, kann dies daher allenfalls eine gewisse Indizwirkung für die Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Verfahrensvorschriften mit dem Primärrecht, konkret: der Niederlassungs-
141 Vgl.
im Hinblick auf die grenzüberschreitende Verschmelzung und den grenzüberschreitenden Formwechsel Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 350. 142 Siehe etwa Busse von Colbe, ZGR 1994, 595 (602 ff.); Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 63 f.; Niehues, BB 1993, 2241 (2245 f.). 143 EuGH, Urteil vom 25. 6. 1997, Rs. C-114/96 (Kieffer und Thill), Slg. 1997, I – 3629, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 9. 8. 1994, Rs. C-51/93 (Meyhui), Slg. 1994, I – 3879, Rn. 11; Bievert, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 288 AEUV Rn. 11; Drinhausen/Nohlen, FS Spiegelberger, S. 645 (647); Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2004, Art. 230 EG Rn. 140; Leible, ZGR 2004, 531 (540); W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (640); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2004, S. 154; a. A. Calliess, DVBl. 2007, 336 (345); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 34–36 AEUV Rn. 110.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
freiheit entfalten; dass diese per se mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind, lässt sich dagegen nicht begründen.144
3. Wirkungen In der Diskussion um das Kollisionsrecht grenzüberschreitender Verschmelzungen wird zu den Wirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung das Erlöschen übertragender Rechtsträger und der Übergang ihres Vermögens auf den aufnehmenden oder neu zu gründenden Rechtsträger gezählt. Dabei soll sich der Vermögensübergang grundsätzlich nach dem Statut der übertragenden Gesellschaft richten; ab dem Zeitpunkt des Erlöschens aller übertragenden Gesellschaften soll dagegen das Personalstatut der aufnehmenden Gesellschaft maßgeblich sein.145
a) Zentrale Wesenselemente des Formwechsels Hinsichtlich der Wirkungen besteht ein gravierender Unterschied zwischen grenzüberschreitender Verschmelzung und grenzüberschreitendem Formwechsel. Eine Verschmelzung – gleich ob innerstaatlich oder grenzüberschreitend – beinhaltet zwangsläufig einen Übergang von Vermögen. Dieser Vermögensübergang ist es, der die beteiligten Rechtsträger als „übertragend“ oder „aufnehmend“ charakterisiert; er ist das zentrale Wesenselement der Verschmelzung. Die Art und Weise, wie sich der Vermögensübergang vollzieht, ist aufgrund unionsrechtlicher Harmonisierung in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich identisch: Die Verschmelzungsrichtlinie146 definiert in Art. 19 Abs. 1 lit. a als Rechtswirkung der Verschmelzung, dass sowohl zwischen der übertragenden Gesellschaft und der übernehmenden Gesellschaft als auch gegenüber Dritten das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft 144 Vgl. auch Hellwig/Behme, AG 2009, 261 (264): In der Konzeption der Auffangregelung für die unternehmerische Mitbestimmung in der SE-RL und deren Inbezugnahme in Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung kommt zum Ausdruck, dass der Unionsgesetzgeber das Primärrecht (scil. das Diskriminierungsverbot) dahingehend interpretiert, dass es eine Gleichbehandlung der Belegschaften in den Mitgliedstaaten gebietet, in denen die SE und ihre Tochtergesellschaften Arbeitnehmer beschäftigen. Methodisch unvertretbar ist dagegen die Ansicht von Nienerza, Unternehmerische Mitbestimmung im grenzüberschreitenden Konzern, Diss. Köln 2005, S. 64, wonach die Vorschriften des deutschen Mitbestimmungsrechts bei einer AG im Lichte der SE-VO und der SE-RL ausgelegt werden müssen. Die hier befürwortete Indizwirkung von Sekundärrecht für die Vereinbarkeit inhaltlich entsprechender nationaler Vorschriften mit dem Primärrecht würde damit zu einer Art „Ausstrahlungswirkung“ von Sekundärrecht überdehnt. 145 Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 886 ff.; Simon/Rubner, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Vor §§ 122a ff. Rn. 26. 146 Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften.
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uno actu auf die übernehmende Gesellschaft übergeht, statuiert also bereits auf der Ebene des Unionsrechts das Prinzip der Gesamtrechtsfolge. Art. 14 Abs. 1 lit. a der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung147 ordnet den Vermögensübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung an. Jedenfalls bei der Verschmelzung von Gesellschaften innerhalb der EU kann man daher davon ausgehen, dass die Gesamtrechtsnachfolge allen beteiligten Rechtsordnungen bekannt ist.148 Beim Formwechsel ist dies anders. Ein Wechsel der Rechtsform – gleich ob innerstaatlich oder grenzüberschreitend – geht nicht zwangsläufig mit einem Vermögensübergang einher. Das wesentliche Charakteristikum des Formwechsels, wie auch immer man ihn rechskonstruktiv durchführt, besteht vielmehr in der wirtschaftlichen Kontinuität des Rechtsträgers vor und nach dem Formwechsel bei gleichzeitiger Änderung des für die Binnenorganisation und für die Außenbeziehungen des Rechtsträgers maßgeblichen Normensystems. Die wirtschaftliche Kontinuität beruht – typologisch betrachtet – auf zwei Faktoren: der grundsätzlichen Identität des Personenkreises, der vor und nach dem Formwechsel an dem Rechtsträger beteiligt ist, und der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens.149 Daher wird der Formwechsel schlagwortartig mit den Wendungen „Kontinuität des Vermögens und der Mitgliedschaft“ und „Diskontinuität der Verbands- und Haftungsordnung“ umschrieben.150 Anders als in Fällen der Umqualifizierung einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft in eine inländische Personengesellschaft infolge einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung, die aus Sicht der Gesellschaft unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform erfolgen soll,151 ist im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels die Diskontinuität der Verbands- und Haftungsordnung von den Gesellschaftern gewollt und als solche daher auch keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.
147 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 148 Auch unabhängig von der unionsrechtlichen Harmonisierung ist die Rechtstechnik der Gesamtrechtsnachfolge international verbreitet; siehe den rechtsvergleichenden Überblick bei Couret, ECFR 2009, 373 (375 f.). 149 Vgl. die Beschreibung des deutschen Gesetzgebers in der Begründung des Regierungsentwurfs zum UmwG, BT-Drucks. 12/6699, S. 136; ausführlich zum Ganzen Wiedemann, ZGR 1999, 568 ff. 150 Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungen, 1995, S. 31; Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, 1993, S. 231; K. Schmidt, AcP 191 (1991), 495 (506). 151 Siehe zur Umqualifizierung nach deutschem Recht ausführlich unten S. 210 ff.
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b) Rechtskonstruktive Bewältigung des Formwechsels Rechtskonstruktiv lässt sich ein Wechsel der Rechtsform auf unterschiedliche Art und Weise bewältigen, ohne dass sich an den genannten Wesensmerkmalen – wirtschaftliche Kontinuität und Wechsel des maßgeblichen Normensystems – etwas ändert. Insoweit kommen drei Wege in Betracht:152 Erstens kann aufgrund der allgemeinen Vorschriften zur Gründung und zur Liquidation und Beendigung von Gesellschaften eine Gesellschaft aufgelöst und ihr Vermögen im Wege der Einzelnachfolge (Singularsukzession) auf eine neu entstandene Gesellschaft anderer Rechtsform übertragen werden. Zweitens kann eine Gesellschaft ohne Liquidation erlöschen und ihr Vermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) auf eine neu entstandene Gesellschaft anderer Rechtsform übertragen werden. Drittens kann eine Gesellschaft unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität in eine Gesellschaft anderer Rechtsform umgewandelt werden.
aa) Einzelübertragung der Vermögensgegenstände auf eine Gesellschaft anderer Rechtsform Das erste Modell – Einzeleinbringung der Vermögensgegenstände in eine neu entstehende Gesellschaft anderer Rechtsform – steht der Praxis seit jeher zur Verfügung, und zwar auch im grenzüberschreitenden Kontext,153 da dieses Modell auf den Regeln des allgemeinen Zivilrechts und Gesellschaftsrechts basiert. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 49 Abs. 2 AEUV ist die Neugründung der ausländischen Gesellschaft Bestandteil des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit. Sowohl die Liquidation der ursprünglichen Gesellschaft als auch die separate Einbringung sämtlicher Vermögensgegenstände in die neu entstandene Gesellschaft ist jedoch mit einem erheblichen praktischen Aufwand und hohen Kosten verbunden: Da der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz bei der Übertragung im Wege der Singularsukzession eine hinreichende Individualisierung, d. h. eine exakte Bezeichnung des Verfügungsgegenstandes verlangt,154 müssen die einzelnen Vermögensgegenstände der formwechselnden Gesellschaft am Übergangsstichtag zunächst durch eine Inventur erfasst und sodann für jeden Vermögensgegenstand die einschlägigen Übertragungsvoraussetzungen erfüllt werden;155 ggf. müssen die Gläubiger der bisherigen Gesellschaft dem Schuldnerwechsel zustimmen.156 152 Eingehend
J. Flume, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Einl. B Rn. 51. Götze/Winzer/Arnold, ZIP 2009, 245 (248). 154 Siehe zu den Anforderungen des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes Seiler, in: Staudinger, Einleitung zum Sachenrecht Rn. 54 f. 155 Vgl. Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, 1993, S. 75 ff. 156 Priester, FS Zöllner, S. 449 (450). 153
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Der EuGH macht in Cartesio deutlich, dass er unter der grenzüberschreitenden „Umwandlung“ einen Vorgang versteht, bei dem die Auflösung und Liquidation der ursprünglichen Gesellschaft und die Übertragung ihres Vermögens im Wege der Einzelnachfolge (Singularsukzession) auf eine neu entstandene Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates entbehrlich ist. Dort heißt es nämlich, die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie könne es nicht rechtfertigen, dass der Herkunftsstaat eine nach seinem nationalen Recht gegründete Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlangt, daran hindert, sich in eine Gesellschaftsform nach dem Recht des Aufnahmestaates umzuwandeln.157 Das Erfordernis der Auflösung und Liquidation wird also als Hindernis für die „Umwandlung“ aufgefasst und dieser gegenübergestellt. Bei der „Umwandlung“ handelt es sich nach dem Verständnis des EuGH folglich um einen Mechanismus, der den Wechsel der Rechtsform erleichtert.
bb) Mechanismen zur Vereinfachung des Formwechsels – Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität Sowohl das zweite Modell – Gesamtrechtsnachfolge bei Rechtsträgerverschiedenheit – als auch das dritte Modell – Rechtsträgeridentität – sind Rechtskonstruktionen, um die mit einer Liquidation der Gesellschaft verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden, den Umwandlungsvorgang zu vereinfachen und zugleich die wirtschaftliche Kontinuität des Unternehmens zu sichern.158 Die Gesamtrechtsnachfolge macht die Vielzahl von Einzelübertragungen dadurch entbehrlich, dass sie die Übertragung des gesamten Vermögens auf den neuen Rechtsträger in einem einzigen Akt ermöglicht, der die Einzelübertragung ersetzt. Im deutschen Umwandlungsrecht bildete sie lange Zeit die dogmatische Grundlage der „übertragenden Umwandlung“ von Kapitalgesellschaften in Personengesellschaften und vice versa.159 Die Rechtsfigur der Identität macht die Vielzahl von Einzelübertragungen dadurch entbehrlich, dass von vornherein keine Übertragung von Vermögen von einem Rechtsträger auf den anderen stattfindet. Zuordnungssubjekt des Vermögens ist und bleibt vielmehr ein- und derselbe Rechtsträger, der nach einer gebräuchlichen Metapher lediglich sein „Rechtskleid“ wechselt.160 Die Möglichkeit der „identitätswahrenden Um157 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 112 (Hervorhebung durch den Verf.). 158 Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungen, 1995, S. 34 („Rechtstechnik“); ders., ZIP 1995, 794 (796); vgl. auch Timm, NJW 1995, 3209 (3212); Zöllner, ZGR 1993, 334 (336). Über die Tragweite der jeweiligen Modelle bei der Lösung konkreter Rechtsfragen ist damit freilich noch nichts gesagt. 159 Zur Entwicklung siehe J. Flume, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Einl. B Rn. 68 ff.; Priester, FS Zöllner, S. 449 (451). 160 So bereits die amtliche Begründung zum AktG 1937, zit. bei Schlegelberger/Quassowski, AktG, 1937, Vorbem. §§ 257 ff.; Böttcher, Gesellschafter- und Gläubigerschutz beim
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wandlung“ bestand im deutschen Recht lange Zeit nur zwischen Kapitalgesellschaften,161 liegt der Konzeption des Formwechsels im geltenden deutschen Umwandlungsrecht aber nunmehr einheitlich zu Grunde (§ 202 UmwG). Sie ist dem Unionsrecht bei der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE ebenso bekannt (Art. 37 Abs. 2 SE-VO) wie – freilich unter unterschiedlichen Voraussetzungen – den nationalen Umwandlungsrechten vieler anderer Mitgliedstaaten.162 So ist ein identitätswahrender Formwechsel ohne Änderung der Rechtspersönlichkeit etwa auch nach belgischem,163 französischem,164 luxemburgischem,165 italienischem,166 niederländischem,167 polnischem,168 spanischem169 und tschechischem170 Umwandlungsrecht möglich. Das österreichische Umwandlungsrecht kennt sowohl die übertragende Umwandlung, bei der das Vermögen der umgewandelten Gesellschaft durch Gesamtrechtsnachfolge auf den Nachfolgerechtsträger übergeht, als auch die formwechselnde Umwandlung, bei der die Gesellschaft unter Aufrechterhaltung ihrer Identität ihre Rechtsform ändert.171 Nach ungarischem Umwandlungsrecht vollzieht sich der Formwechsel im Wege der Gesamtrechtsnachfolge: Nach Art. 70 Abs. 1 des ungarischen Gesetzes IV über die Handelsgesellschaften172 ist die im Wege der Umwandlung gegründete Handelsgesellschaft Gesamtrechtsnachfolgerin der umgewandelten Handelsgesellschaft; es besteht also keine Rechtsträgeridentität. Formwechsel aus der Personen- in die Kapitalgesellschaft, 2006, S. 40; Decher/Hoger, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 5. Aufl. 2014, Vor § 190 Rn. 2; Habersack/Schürnbrand, NZG 2007, 81; krit. zu dieser Metapher Reinhardt, FS Bartholomeyczik, S. 307 (309). 161 Zur Entwicklung siehe J. Flume, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Einl. B Rn. 56 ff. 162 Ein Überblick über ausgewählte ausländische Umwandlungsrechte findet sich bei Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Anhang 3. 163 Thömmes/Deridder/Eicker/Verstraelen, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand April 2000, Anhang 3, Rn. B 54 f. 164 Ngatsing, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Februar 2014, Anhang 3, Rn. F 100. 165 Winandy, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Februar 2011, Anhang 3, Rn. L 37. 166 Psaier, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand November 2009, Anhang 3, Rn. I 211. 167 Viergever/Stollenwerk/de Vries, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand August 2008, Anhang 3, Rn. NL 28; nach niederländischem Recht ist die Umwandlung von einer bzw. in eine Personengesellschaft nicht möglich, und zwar auch nicht durch Gesamtrechtsnachfolge (Rn. NL 35). 168 Prejs, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Dezember 2006, Anhang 3, Rn. PL 113. 169 de Dios Martínez/Schönnenbeck, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Dezember 2012, Anhang 3, Rn. E 162. 170 Sparfeld, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Januar 2009, Anhang 3, Rn. CZ 125 f. 171 Zur Abgrenzung Hügel, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Juni 2000, Anhang 3, § 7 Rn. A 2. 172 Abgedruckt im Vorlagebeschluss des ungarischen Obersten Gerichts, ZIP 2010, 1956 (1958), EuGH Rs. C-378/10 (Vale).
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Das Identitätsprinzip war seit jeher,173 insbesondere aber im Zuge der Reformierung des deutschen Umwandlungsgesetzes, teils harscher Kritik in der Literatur ausgesetzt, die im Kern auf die angebliche Unvereinbarkeit von Identität des Rechtsträgers und Diskontinuität seiner Verfassung abzielte.174 Im vorliegenden Kontext – Analyse der unionsrechtlichen Vorgaben für die Wirkungen eines rechtsformwechselnden Wegzugs von Gesellschaften – braucht weder auf die nähere Begründung noch auf die Berechtigung dieser dogmatischen Kritik175 im Bereich des mitgliedstaatlichen Rechts näher eingegangen zu werden.
cc) Keine unmittelbaren sekundärrechtlichen Vorgaben Für den grenzüberschreitenden Formwechsel ist weder eines der Konzepte Gesamtrechtsnachfolge oder Rechtsträgeridentität unionsrechtlich vorgegeben noch lässt sich der Cartesio-Entscheidung des EuGH eine Präferenz des Gerichtshofes für eines dieser Konzepte entnehmen. Die Formulierung des EuGH in Cartesio – Verlagerung der Gesellschaft, die dabei umgewandelt wird176 – legt zwar nahe, dass der EuGH eher einen Formwechsel unter Wahrung der rechtlichen Identität der Gesellschaft als einen Vermögensübergang von der einen auf die andere Gesellschaft vor Augen hatte; zwingend ist ein solches Verständnis freilich nicht. Der EuGH trifft keine Entscheidung zwischen den auf der Ebene des nationalen Rechts denkbaren dogmatischen Konzepten. Dies ist auch nicht seine Aufgabe.177 Da bislang weder der innerstaatliche noch der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften unionsrechtlich harmonisiert ist, bieten de lege lata Art. 37 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 2 SE-VO den einzigen Anhaltspunkt für das unionsrechtliche Verständnis der Wirkungen des grenzüberschreitenden Formwechsels. Danach hat die Umwandlung einer nationalen Aktiengesellschaft in eine SE und umgekehrt die Umwandlung einer SE in eine nationale 173
Siehe bereits Horn, NJW 1964, 86 (89). Siehe die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins e. V. (DAV) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsgesetzes, WM 1993, Sonderbeilage 2 Rn. 124 f., sowie aus der Literatur insbesondere Zöllner, FS Claussen, S. 423 (424 ff.); ders., ZGR 1993, 334 (336 f.): „Identität eines Dr. Jekyll und Mr. Hyde“; ferner Bärwaldt/Schabacker, ZIP 1998, 1293; Petersen, Der Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, 2001, S. 97 ff.; krit. auch Priester, FS Zöllner, S. 449 (453); vgl. auch Mertens, Umwandlung und Universalsukzession, 1993, S. 75 ff. 175 Die praktische Relevanz der Kritik verneinend Böttcher, Gesellschafter- und Gläubigerschutz beim Formwechsel aus der Personen- in die Kapitalgesellschaft, 2006, S. 40 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 12 IV 2. 176 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 111. 177 Dies verkennt Thiermann, EuZW 2012, 209 (2011), demzufolge beim grenzüberschreitenden Formwechsel keine Gesamtrechtsnachfolge stattfindet, sondern der Grundsatz der Kontinuität (gemeint ist wohl: Identität) gelten soll. 174
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Aktiengesellschaft weder die Auflösung der Gesellschaft noch die Gründung einer neuen juristischen Person zur Folge. Die Gründung einer SE im Wege der Umwandlung entspricht daher dem identitätswahrenden Formwechsel nach deutschem Umwandlungsrecht.178 Nach dem zwischenzeitlich gescheiterten Kompromissvorschlag der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft wäre de lege ferenda auch die Gründung einer Europäischen Privatgesellschaft (SPE) im Wege der Umwandlung juristischer Personen möglich gewesen.179 Art. 5 b Abs. 1 dieses Kompromissvorschlags enthält eine dem Art. 37 Abs. 2 SE-VO nachempfundene Regelung, wonach die Gründung durch Umwandlung weder die Auflösung der umzuwandelnden juristischen Person noch den Verlust oder eine Unterbrechung ihrer Rechtspersönlichkeit zur Folge hat. In dieser Vorschrift, die ausdrücklich die Kontinuität der Rechtspersönlichkeit anordnet, kommt das Identitätsprinzip noch deutlicher zum Ausdruck als in Art. 37 Abs. SE-VO. Über den grenzüberschreitenden Formwechsel zwischen den nationalen Gesellschaftsformen der Mitgliedstaaten ist damit aber nichts gesagt. Dass sich die Umwandlung bzw. der Formwechsel von Aktiengesellschaften in eine SE und umgekehrt bzw. die Umwandlung juristischer Personen in eine Europäische Privatgesellschaft unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität vollzieht, ist eine rechtspolitische Entscheidung des Unionsgesetzgebers, die nur die seiner Regelungsgewalt unterliegenden supranationalen Gesellschaftsformen betrifft und darüber hinaus keine Ausstrahlungswirkung entfaltet.180 Daraus folgt, dass die Wirkungen des grenzüberschreitenden Formwechsels unionsrechtlich nicht festgelegt sind,181 sondern sich nach dem nationalen Recht der betroffenen Mitgliedstaaten beurteilen, das lediglich vom Primärrecht überlagert wird. Auf rechtspolitischer Ebene ist allerdings damit zu rechnen, dass der Unionsgesetzgeber im Zuge einer etwaigen Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels – bzw. in seiner Diktion: der Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen – ebenfalls von einer Identität des Rechtsträgers ausgehen wird. Sowohl Art. 3 des Vorentwurfs eines Vorschlags der Kommission für eine Vierzehnte Richtlinie (Sitzverlegungsrichtlinie)182 178 Schäfer, in: MüKo AktG, Art. 37 SE-VO Rn. 2; Scheifele, Die Gründung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), 2004, S. 431; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 37 SE-VO Rn. 7; Thoma/Leuering, NJW 2002, 1449 (1452); vgl. auch Paefgen, in: Kölner Kommentar zum AktG, Art. 37 SE-VO Rn. 1 („Kontinuitätsprinzip“). 179 Siehe dazu Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337 (338); zur Ausgestaltung des Formwechsels nach dem älteren Kommissionsentwurf krit. Hommelhoff, FS Loewenheim, S. 591 ff. 180 Zur „Ausstrahlungswirkung“ von Sekundärrecht siehe bereits oben S. 169 ff. 181 Wohl a. A. Szydlo, ECFR 2010, 414 (415), der unter „conversion“ offenbar nur einen identitätswahrenden Vorgang versteht. 182 Abgedruckt in ZIP 1997, 1721; siehe dazu Eidenmüller, JZ 2004, 24 (31 f.); Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 4 Rn. 30 f.; Heinze, ZGR 1999, 55; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43; Hügel, ZGR 1999, 71; Koppensteiner, FS Lutter, S. 141; Leible, ZGR 2004, 531; di Marco, ZGR 1999, 3; Meilicke, GmbHR 1998, 1053; Neye, ZGR
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als auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen183 sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen184 gehen nämlich davon aus, dass mit der Verlegung des eingetragenen Gesellschaftssitzes keine Unterbrechung der Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft verbunden ist.
dd) Neutralität der Niederlassungsfreiheit gegenüber Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität Dieser Befund wirft die Frage auf, inwiefern mit den nationalen Konzepten der Gesamtrechtsnachfolge bzw. der Rechtsträgeridentität eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden sein kann. Wie gesehen, reicht der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit nur so weit, wie nach dem Recht des Aufnahmestaates ein (innerstaatlicher) Formwechsel zulässig ist.185 Liegt dem Formwechsel in beiden betroffenen Mitgliedstaaten eines der beiden Konzepte einheitlich zugrunde, ist daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft ausgeschlossen. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft kommt somit von vornherein nur in Betracht, soweit dieses durch das Kollisionsrecht des Herkunftsstaates zur Anwendung berufen wird und hinsichtlich der Wirkungen des Formwechsels von der Konzeption des Aufnahmestaates abweicht. Zudem muss sich die Abweichung für die formwechselnde Gesellschaft nachteilig auswirken und auf diese Weise die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv machen. Wenn also die Tatsache, dass sich ein Formwechsel nach dem Recht des Herkunftsstaates im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vollzieht und nach dem Recht des Aufnahmestaates im Wege der Rechtsträgeridentität, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das Recht des Herkunftsstaates 1999, 13; Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (139 ff.); Priester, ZGR 1999, 36; Rajak, ZGR 1999, 111; K. Schmidt, ZGR 1999, 20; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 806 ff.; Timmerman, ZGR 1999, 147; Wymeersch, ZGR 1999, 126. 183 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, online abrufbar unter ; siehe auch Lehne, KSzW 2010, 3 (4). 184 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen, online abrufbar unter . 185 Siehe oben S. 141 ff.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
darstellen soll, so müsste sich die Gesamtrechtsnachfolge im Vergleich zum Prinzip der Rechtsträgerindentität für die Gesellschaft als nachteilig erweisen. Und ungekehrt: Wenn die Tatsache, dass sich ein Formwechsel nach dem Recht des Herkunftsstaates im Wege der Rechtsträgeridentität vollzieht, nach dem Recht des Aufnahmestaates aber im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das Recht des Herkunftsstaates darstellen soll, so müsste sich das Prinzip der Rechtsträgeridentität im Vergleich zur Gesamtrechtsnachfolge für die Gesellschaft als nachteilig erweisen. Die Beurteilung, ob eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, setzt also einen Vergleich der dogmatischen Konzepte im Hinblick auf ihre den grenzüberschreitenden Formwechsel erschwerende Wirkung voraus. Ein solcher Vergleich stößt allerdings auf erhebliche Probleme, da schon die begriffliche Einordnung von Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität zweifelhaft ist. Beide Modelle können einerseits als bloße dogmatische Erklärungsversuche für die praktische Entbehrlichkeit von Auflösung, Liquidation und Einzeleinbringung der Vermögensgegenstände gedeutet werden, aus denen sich keine unmittelbaren Rechtsfolgen ableiten lassen.186 In diesem Falle handelt es sich nicht um Bestandteile von Rechtssätzen, sondern um bloße Erklärungs- bzw. Aussagesätze,187 die grundsätzlich keine die Niederlassungsfreiheit beschränkende Wirkung entfalten. Andererseits können sie aber auch als Bestandteile von Rechtssätzen aufgefasst werden. Rechtssätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Geltungsanordnung enthalten: Immer, wenn ein Sachverhalt S einen bestimmten Tatbestand T verwirklicht, gilt für diesen Sachverhalt die Rechtsfolge R.188 Sowohl Tatbestandsvoraussetzungen als auch Rechtsfolgen können sich als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit erweisen. Ist die Ausübung der Niederlassungsfreiheit das angestrebte Ziel und sind dafür bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschweren oder weniger attraktiv machen, liegt eine Beschränkung auf Tatbestandsebene vor. Ist dagegen die Ausübung der Niederlassungsfreiheit das Tatbestandsmerkmal und sind an dieses Tatbestandsmerkmal nachteilige Rechtsfolgen geknüpft, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit erschweren oder weniger attraktiv machen, liegt eine Beschränkung auf der Rechtsfolgenseite 186 Aus der deutschen Literatur Priester, DB 1995, 911 (912); siehe bereits K. Schmidt, DB 1971, 2345 (2346) zur Identität der handelsrechtlichen Personengesellschaft und der durch Verpachtung ihres Betriebes entstandenen GbR: „Das Schlagwort „Identität“ bedeutet [...] nur eine Darstellung, nicht eine Begründung der vom BGH angenommenen Rechtsfolgen.“ Vgl. auch Schultze-v. Lasaulx, JZ 1952, 390 (395): „Aber aus diesem Veranschaulichungsbild für die begriffliche Erfassung dürfen keine Rechtsfolgen gezogen werden, [...].“ 187 Zur Abgrenzung von Rechtssätzen und Aussagesätzen siehe Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 250 ff. 188 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 256.
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vor. Sofern es sich bei Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität also um Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfolgen handelt,189 sind sie in beiden Fällen potentiell geeignet, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken. Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität können zunächst formal dem Bereich der Rechtsfolgen zuzuordnen sein: Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, dann vollzieht sich der Wechsel der Rechtsform der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bzw. der Rechtsträgeridentität. Entscheidend für die formwechselnde Gesellschaft ist dabei auf der Rechtsfolgenseite allein der angestrebte Wechsel der Rechtsform. Ob dieses Ziel rechtstechnisch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge oder im Wege der Rechtsträgeridentität erreicht wird, ist aus der Perspektive der Gesellschaft dagegen unerheblich; weicht das Recht des Herkunftsstaates insoweit – d. h. auf Rechtsfolgenseite – vom Recht des Aufnahmestaates ab, hat dies für die Gesellschaft keine nachteiligen Auswirkungen. Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit können sich lediglich die Voraussetzungen für den Wechsel der Rechtsform auf tatbestandlicher Ebene erweisen, und zwar sowohl die generellen Voraussetzungen des Formwechsels wie etwa die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre bisherige Rechtsform aufzugeben oder eine bestimmte andere Rechtsform anzunehmen, als auch das für den Formwechsel zu durchlaufende Verfahren. Bei Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität kann es sich allerdings auch um Elemente des Tatbestands handeln: Wenn sich der Wechsel der Rechtsform der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bzw. der Rechtsträgeridentität vollzieht, dann treten bestimmte (weitere) Rechtsfolgen ein. In diesem Falle leuchtet unmittelbar ein, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht in dem von der Gesellschaft angestrebten Wechsel der Rechtsform auf Tatbestandsebene liegt; sie kann sich aber ohne weiteres aus den Rechtsfolgen ergeben, die an den Formwechsel geknüpft werden und die den Formwechsel als weniger attraktiv erscheinen lassen, wie etwa eine anfallende Steuer. Dass sich in den soeben geschilderten Konstellationen Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit als neutral erweisen, liegt daran, dass die beschränkenden Voraussetzungen bzw. die beschränkenden Rechtsfolgen jeweils nicht auf das dem Formwechsel zugrunde liegende dogmatische Konzept bezogen sind, sondern auf den Wechsel der Rechtsform. Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität haben nur eine erläuternde Funktion. In beiden Beispielen läge ein vollständiger Rechtssatz auch dann vor, wenn die Worte „im Wege der Gesamtrechtsnachfolge bzw. der Rechtsträgeridentität“ ersatzlos entfallen würden. Als bloße dogmatische Erläuterungen des Rechtsformwechsels haben Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität aber keine die Niederlassungsfreiheit beschränkende 189
Wiedemann, ZGR 1999, 568 (570).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Wirkung, auch wenn sie formal der Tatbestands- oder der Rechtsfolgenebene zuzuordnen sind. Als „echte“ Tatbestandsmerkmale oder Rechtsfolgen, d. h. ohne die zwangsläufige Verknüpfung mit dem Wechsel der Rechtsform, tauchen Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität aber nicht auf. Dies kaschiert § 202 Abs. 1 Nr. 1 des deutschen UmwG sprachlich nur oberflächlich, wenn er als Rechtsfolge der Eintragung der neuen Rechtsform in das Register festlegt: „Der formwechselnde Rechtsträger besteht in der in dem Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter.“ Die entscheidende Rechtsfolge, die durch die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Formwechsels herbeigeführt wurde, ist auch hier nicht der Fortbestand bzw. die Identität des Rechtsträgers, so sehr sie auch durch die gewählte Formulierung betont wird, sondern der Wechsel der Rechtsform: In ihm allein liegt der Grund für das zuvor zu durchlaufende Verfahren – der Fortbestand des Rechtsträgers wäre selbstverständlich auch ohne ein solches Verfahren möglich, wenn sich die Rechtsform nicht ändern würde. Dass der Rechtsträger trotz des Formwechsels fortbesteht, ist keine eigenständige Rechtsfolge der tatbestandlichen Voraussetzungen, sondern eine erläuternde Klarstellung des deutschen Gesetzgebers. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann freilich dann mit den dogmatischen Konzepten Gesamtrechtsnachfolge oder Rechtsträgeridentität verbunden sein, wenn aus dem jeweiligen Konzept rechtliche Schlussfolgerungen gezogen werden, mit denen ihrerseits eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden ist. Zwar wird mit Blick auf das Modell der Rechtsträgeridentität davor gewarnt, aus der bloßen Begrifflichkeit rechtspraktische Konsequenzen abzuleiten.190 Ungeachtet dessen können sich jedoch aus beiden Modellen Folgefragen ergeben, die sich nach dem jeweils anderen Modell nicht stellen und deren Beantwortung den grenzüberschreitenden Formwechsel für die Gesellschaft erschwert und damit weniger attraktiv macht. Hier sollen einige Beispiele genügen: Bei einer Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge stellt sich die Frage, wie weit die Gesamtrechtsnachfolge reicht, d. h. ob bestimmte Rechtsbeziehungen von der Gesamtrechtsnachfolge ausgenommen sind.191 So können etwa nach dem Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft bestimmte Forderungen nicht übertragbar sein;192 als 190 Priester, DB 1995, 911 (912); K. Schmidt, ZIP 1995, 1385 (1387); Zöllner, FS Gernhuber, S. 563 (566); vgl. schon Schultze-v. Lasaulx, JZ 1952, 390 (395). 191 Ausführlich zum Ganzen Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungen, 1995, S. 44 ff.; zum Umfang der Gesamtrechtsnachfolge mit Blick auf die übertragende Umwandlung nach überkommenem deutschen Umwandlungsrecht Veith/ Börnstein, UmwG, 1958, § 5 Rn. 6 ff. und mit Blick auf die Verschmelzung Grunewald, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 5. Aufl. 2014, § 20 Rn. 12 ff.; zum Problem des gutgläubigen Erwerbs K. Schmidt, AcP 191 (1991), 495 (517 ff.). 192 Zur Diskussion im deutschen Recht um die Anwendung von § 399 BGB im Falle der Gesamtrechtsnachfolge siehe Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungen, 1995, S. 45 f.
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zweifelhaft mag sich ferner die Gesamtrechtsnachfolge in Beteiligungen an Personengesellschaften sowie in höchstpersönliche oder öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen erweisen. Bei einem identitätswahrenden Formwechsel wird zwar die Kontinuität der Zuordnung von Rechten vollkommen gewährleistet;193 es stellt sich aber die Frage, welche Kriterien unverändert bleiben müssen, damit die Rechtsordnung die Gesellschaft noch als „dieselbe“ behandeln kann.194 So wird etwa in Teilen der deutschen Literatur vertreten, aus dem Identitätsprinzip folge, dass der Gesellschafterbestand des Ausgangsrechtsträgers mit dem Gesellschafterbestand des Zielrechtsträgers identisch sein müsse.195 Jedenfalls sei – wiederum wegen des Identitätsprinzips – der Formwechsel einer Ein-Mann-Kapitalgesellschaft in eine zwangsläufig aus mehreren Gesellschaftern bestehende Personengesellschaft ohne den Umweg, dass die Ein-Mann-Kapitalgesellschaft vor der Durchführung des Formwechsels einen weiteren Gesellschafter aufnimmt, nicht möglich.196 Für sich genommen können nachteilige Wirkungen wie etwa das Erlöschen öffentlich-rechtlicher Erlaubnisse in Folge der Gesamtrechtsnachfolge oder die Unzulässigkeit des Formwechsels in eine Ein-Mann-Kapitalgesellschaft in Folge der Rechtsträgeridentität die Attraktivität des rechtsformwechselnden Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat durchaus mindern und damit die Niederlassungsfreiheit beschränken – stets vorausgesetzt, nach dem Recht des Aufnahmestaates bestehen diese Einschränkungen nicht. Dass die dogmatischen Konzepte Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität als solche die Niederlassungsfreiheit der formwechselnden Gesellschaft beeinträchtigen, ließe sich allerdings nur annehmen, wenn sich diese Wirkungen zwingend aus dem jeweiligen dogmatischen Konzept des Herkunftsstaates ergeben. Dies wird sich aber kaum je annehmen lassen. Gesellschaften sind Rechtsgebilde197 und Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität sind Rechtskonstruktionen, in deren näherer Ausgestaltung das Recht frei ist. Das Recht kann ohne weiteres den identitätswahrenden Formwechsel einer Personengesellschaft in eine EinMann-Kapitalgesellschaft zulassen, ebenso wie es einen solchen Formwechsel verweigern kann. Diese Entscheidung wird aber nicht durch das Prinzip der Rechtsträgeridentität prädeterminiert. In gleicher Weise kann das Recht einen Übergang öffentlich-rechtlicher Erlaubnisse im Wege der Gesamtrechtsnach193
Hennrichs, Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge bei Umwandlungen, 1995, S. 39; K. Schmidt, ZGR 1990, 580 (594). 194 So pointiert Wiedemann, ZGR 1999, 568 (577). 195 Bärwaldt/Schabacker, ZIP 1998, 1293 (1294 f.); ausführlich Baßler, GmbHR 2007, 1252; Decher/Hoger, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 5. Aufl. 2014, § 202 Rn. 10 ff.; Limmer, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, 4. Aufl. 2012, Rn. 2111 ff.; ders., FS Widmann, S. 51 (55 ff.); Priester, DB 1997, 560. 196 Bärwaldt/Schabacker, ZIP 1998, 1293 (1295); Limmer, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, 4. Aufl. 2012, Rn. 2119; ders., FS Widmann, S. 51 (58). 197 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 12 IV 2 (Hervorhebung im Original).
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folge zulassen oder deren Erlöschen anordnen oder die Frage differenziert nach Art und Inhalt der jeweiligen Erlaubnis beantworten – auch dies ist aber eine Frage der näheren Ausgestaltung der Gesamtrechtsnachfolge und keineswegs bereits durch das Konzept der Gesamtrechtsnachfolge als solches vorgegeben. Das Recht kann ferner einen Vermögensübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge besteuern oder auch nicht, ebenso wie es einen identitätswahrenden Formwechsel steuerneutral stellen oder wie einen Vorgang mit Vermögensübergang behandeln kann (vgl. § 14 des deutschen Umwandlungssteuergesetzes). Rechtlich zwingend und durch die dogmatische Konzeption des Formwechsels vorgegeben ist dies alles nicht. Der einzige zwingende Unterschied zwischen Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität besteht darin, dass mit einem Formwechsel im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nicht nur ein Wechsel der Rechtsform, sondern auch die Entstehung eines neuen Rechtsträgers verbunden ist, auf den das Vermögen der formwechselnden Gesellschaft übergeht. Dagegen findet ein Gründungsvorgang beim identitätswahrenden Formwechsel nicht statt.198 Kann das Recht des Herkunftsstaates, weil es nur einen Formwechsel im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kennt, den grenzüberschreitenden Formwechsel dogmatisch nur erfassen, wenn im Aufnahmestaat eine neue Gesellschaft entsteht, so kann damit grundsätzlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden sein. Gleichwohl lässt sich auch daraus nicht ableiten, dass die Gesamtrechtsnachfolge als solche eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Denn unabhängig davon, ob der Formwechsel im Wege der Gesamtrechtsnachfolge oder der Rechtsträgeridentität erfolgt, muss die Gesellschaft nach dem Formwechsel die Anforderungen an die neue Gesellschaftsform erfüllen. Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge wird dies durch den Vorgang der Gründung des neuen Rechtsträgers gewährleistet; im Falle der Rechtsträgeridentität erfüllt die Gesellschaft während des Umwandlungsverfahrens zusätzlich zu ihrem Geschäftsbetrieb die Aufgabe, die neue Gesellschaftsform aufzubauen, trägt also gewissermaßen einen „Doppelcharakter“199. Der identitätswahrende Formwechsel wird daher zugespitzt auch als „modifizierte Neugründung“200 umschrieben. Die Anforderungen an die neue Gesellschaftsform ergeben sich 198
Priester, FS Zöllner, S. 449 (456); K. Schmidt, ZIP 1995, 1385 (1389). Wiedemann, ZGR 1999, 568 (576); zustimmend Limmer, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Unternehmensumwandlung, 4. Aufl. 2012, Rn. 2120; ders., FS Widmann, S. 51 (58). Dieser Doppelcharakter wird auch daran deutlich, dass eine Anwendung von Gründungsvorschriften auch dann erforderlich sein kann, wenn sich der Formwechsel nach dem Recht eines Mitgliedstaates rechtstechnisch unter Wahrung der Identität der Gesellschaft vollzieht (vgl. § 197 des deutschen UmwG). 200 Bärwaldt/Schabacker, ZIP 1998, 1293; vielfach wird dem (identitätswahrenden!) Formwechsel „Sachgründungscharakter“ zugesprochen, siehe Mayer, in: Widmann/Mayer (Hrsg.), Umwandlungsrecht Kommentar, Stand Mai 2013, § 197 UmwG Rn. 3, 16; K. Schmidt, ZIP 1995, 1385 (1389). 199
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aus dem für diese maßgeblichen Normensystem; sie sind von der dogmatischen Begründung des Formwechsels unabhängig und leiten sich aus übergeordneten Regelungszielen, namentlich des Gläubiger- und Gesellschafterschutzes, ab. So gesehen, erweisen sich die Unterschiede zwischen Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität als dogmatischen Grundlagen des Formwechsels als gering.201 Es bleibt daher dabei, dass sich das Unionsrecht gegenüber den Rechtskonstruktionen Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität grundsätzlich neutral verhält. Die Charakterisierung einer dieser dogmatischen Konstruktionen als „niederlassungsfreundlicher“ als die andere ist nicht möglich. Soweit nach dem Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft allerdings aus dem Konzept der Gesamtrechtsnachfolge oder der Rechtsträgeridentität rechtliche Schlussfolgerungen gezogen werden, die sich auf die grundsätzliche Möglichkeit oder die praktische Durchführung des Formwechsels in für die formwechselnde Gesellschaft nachteiliger Weise auswirken, kann damit im Einzelfall eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden sein. Ist dies der Fall, bedürfen diese Schlussfolgerungen der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Die dogmatische Kohärenz des nationalen Umwandlungsrechts ist dabei nicht als zwingendes Erfordernis anzuerkennen, d. h. Beschränkungen können nicht allein dadurch gerechtfertigt werden, dass sie sich angeblich „zwingend“ aus dem Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge oder der Rechtsträgeridentität ergeben. Dies folgt bereits aus Gründen des effet utile, da die Grundfreiheiten völlig leerlaufen würden, wenn die Mitgliedstaaten ihre Ausübung bereits durch die rechtskonstruktive Ausgestaltung ihres nationalen Rechts vereiteln könnten. Überdies wäre es widersprüchlich, wenn einige Mitgliedstaaten aufgrund der Niederlassungsfreiheit den rechtsformwechselnden Wegzug zulassen müssen, obwohl der Formwechsel ihrer Rechtsordnung gänzlich fremd ist, gleichzeitig aber Rücksicht auf die nationale Dogmatik anderer Mitgliedstaaten genommen würde, deren Rechtsordnung ein Formwechsel grundsätzlich bekannt ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den sekundärrechtlichen Vorschriften über die Rechtswirkungen einer (innerstaatlichen oder grenzüberschreitenden) Verschmelzung oder Spaltung, wonach die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unberührt bleiben, die das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge durchbrechen, indem sie für die Wirksamkeit der Übertragung bestimmter, von der übertragenden Gesellschaft eingebrachter Vermögensgegenstände, Rechte und Pflichten gegenüber Dritten besondere Förmlichkeiten erfordern.202 Abgesehen davon, dass diese Vorschriften nur die 201
So auch Priester, FS Zöllner, S. 449 (452 f.). Vgl. Art. 19 Abs. 3 der Dritten Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften; Art. 17 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie 82/891/EWG des Rates vom 17. Dezember 1982 betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften und Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments 202
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Umwandlungsvorgänge Verschmelzung und Spaltung betreffen, ist damit lediglich gesagt, dass derartige Vorschriften des nationalen Verschmelzungs- und Spaltungsrechts im Einklang mit der jeweils einschlägigen Richtlinie stehen. Dies bedeutet allerdings nicht zwingend, dass sie auch mit der höherrangigen Niederlassungsfreiheit vereinbar sind.
V. Einzelne Aspekte der Rechtfertigung von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs Nachdem (unter IV.) analysiert wurde, unter welchen Voraussetzungen Rechtsnormen des Herkunftsstaates eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen, die den rechtsformwechselnden Wegzug von Gesellschaften untersagen oder seine Voraussetzungen, das von der Gesellschaft zu durchlaufende Verfahren und seine Wirkungen regulieren, sollen im Folgenden einige Aspekte der unionsrechtlichen Rechtfertigung von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs durch den Herkunftsstaat beleuchtet werden.
1. Bedeutung der Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates für die Rechtfertigung Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates als Rechtfertigungsgrund für Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs ausscheidet. Die Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates spielt eine Rolle bei der Frage, ob der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist: Löst eine wegziehende Gesellschaft die nach dem Recht ihres Herkunftsstaates erforderliche Anknüpfung, so ist schon die der Ausübung der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte Frage zu verneinen, ob ein Träger der Niederlassungsfreiheit existiert. Auf das Vorliegen einer Beschränkung und die Möglichkeit ihrer Rechtfertigung kommt es gar nicht erst an. Es handelt sich also um eine Frage des personellen Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit, nicht um eine Frage der Rechtfertigung von Beschränkungen.203 Insofern bringt der EuGH eine regelrechte Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, indem er klarstellt, dass die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie des Herkunftsstaates es nicht zu rechtfertigen vermag, dass er den rechtsformwechselnden Wegzug einer nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft mit deren Auflösung und Liquidation sanktioniert.204 Die und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 203 So aber Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 90. 204 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 112.
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Gesellschaft will sich mit dem rechtsformwechselnden Wegzug vollständig aus der Rechtsordnung ihres Herkunftsstaates lösen. Es wäre widersinnig, wenn der Herkunftsstaat in diesem Falle die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft damit begründen könnte, dass die Gesellschaft nicht mehr die Anknüpfung aufweist, die sie erfüllen müsste, um eine Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates zu bleiben (was sie gerade nicht will). In dieser Selbstverständlichkeit erschöpft sich der Gehalt der Klarstellung des EuGH. Insbesondere bringt der EuGH nicht zum Ausdruck, dass das Erfordernis der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft im Falle des rechtsformwechselnden Wegzugs per se gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt.205 Die Auflösung bzw. Liquidation lässt sich lediglich nicht – wie im Falle des rechtsformwahrenden Wegzugs – mit der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten begründen. Andere Möglichkeiten, die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft zu rechtfertigen, sind durch die Formulierung des EuGH nicht ausgeschlossen. Freilich werden die unionsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgründe die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft kaum tragen können, da sie dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit unterliegen.206 Regelmäßig dürfte es sich bei der Auflösung wegen des rechtsformwechselnden Wegzugs um eine Negierung der Niederlassungsfreiheit handeln, die einer Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses nicht zugänglich ist.207 Von deutlich größerer Bedeutung ist die Möglichkeit der unionsrechtlichen Rechtfertigung daher bei Rechtsnormen des Herkunftsstaates, die Gesellschaften den rechtsformwechselnden Wegzug nicht komplett untersagen bzw. ihn mit Auflösung und Liquidation sanktionieren, sondern die ihn in sonstiger Weise regulieren und auf diese Weise den Schutzinteressen des Herkunftsstaates zur Durchsetzung verhelfen.208
2. Der rechtsformwechselnde Wegzug als rechtsmissbräuchliche Gestaltung Eine missbräuchliche oder betrügerische Gestaltung, die im Einzelfall Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen vermag,209 wird sich in Fällen eines rechtsformwechselnden Wegzugs kaum je nachweisen lassen. Der EuGH hat in Centros ausdrücklich festgestellt, dass es für sich allein keine missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit darstellt, wenn 205
So aber wohl Haar, GPR 2010, 187 (188); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62). dogmatischen Einordnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Rechtfertigungsschranke siehe Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 562 f. 207 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 93; zur Rechtfertigung „negierender“ Maßnahmen siehe ferner oben S. 61 f. 208 Johnston/Syrpis, Eur. L. Rev. 34 (2009), 378 (386); Mörsdorf; CMLR 2012, 629 (650 f.); unklar Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (33), die wohl auch ein Totalverbot des Formwechsels als mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ansehen. 209 Siehe oben S. 33 ff. 206 Zur
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ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet.210 Auch die Tatsache, dass die Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, nach dessen Recht sie gegründet wurde und in dem sie ihren Sitz hat, keine Geschäftstätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, soll nicht für die Annahme eines missbräuchlichen und betrügerischen Verhaltens genügen.211 Für den grenzüberschreitenden Formwechsel kann insoweit nichts anderes gelten als für die Gründung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat. Denn unter dem Aspekt der freien Wahl der Rechtsordnung, die den Bedürfnissen der Gesellschafter am besten gerecht wird, entspricht der grenzüberschreitende Wechsel der Rechtsform der Gesellschaftsgründung im Ausland.212 Der Unterschied besteht lediglich darin, zu welchem Zeitpunkt diese Wahl getroffen wird: Bereits im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft oder später. Wenn es für sich allein nicht missbräuchlich ist, eine Gesellschaft von vornherein in einer regelungsarmen Rechtsordnung zu gründen, so kann es grundsätzlich auch nicht missbräuchlich sein, eine bereits gegründete Gesellschaft unter Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts in eine regelungsärmere Rechtsordnung zu verlegen und sich auf diese Weise die regulatorischen Freiheiten des Aufnahmestaates zunutze zu machen. Es müssen vielmehr konkrete Umstände hinzukommen, die im Einzelfall die Annahme einer missbräuchlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit tragen. Dies gilt – spiegelbildlich zu Centros – unabhängig davon, ob die Gesellschaft im Aufnahmestaat eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, d. h. im Zuge des Formwechsels ihren Verwaltungssitz in den Aufnahmestaat verlegt, oder nicht.213 Der EuGH stellt an die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sehr strenge Anforderungen: Sowohl in Centros als auch in Inspire Art hat er die darauf gerichtete Argumentation Dänemarks bzw. der Niederlande zurückgewiesen, obwohl die Gesellschaft in beiden Fällen ausschließlich deshalb nach britischem Recht gegründet worden war, um die strengeren Gründungsvorschriften des dänischen bzw. niederländischen Rechts zu umgehen.214 210
EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459, Rn. 27. EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459, Rn. 29. 212 Engert, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 4 Rn. 127; Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (150); Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (156); a. A. Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721 (725). 213 Zu der Frage, ob ein grenzüberschreitender Formwechsel ohne gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes in den Aufnahmestaat überhaupt von der Niederlassungsfreiheit erfasst ist, siehe oben S. 151 ff. 214 Johnston/Syrpis, Eur. L. Rev. 34 (2009), 378 (388 f.). 211
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3. Zur Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses Von weitaus größerer rechtspraktischer Bedeutung ist die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, ihre nationalen Regelungsinteressen als zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses zu formulieren.
a) Schutzinteressen des Herkunftsstaates der Gesellschaft beim grenzüberschreitenden Formwechsel Durch einen Wechsel der Rechtsform einer Gesellschaft sind im Wesentlichen die Interessen von drei Personenkreisen betroffen: von Gläubigern, (Minderheits-)Gesellschaftern und Arbeitnehmern.215 Die schutzwürdigen Interessen dieser Personenkreise hat der EuGH unter anderem in der Entscheidung Überseering216 ausdrücklich als zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses anerkannt. Die zu schützenden Interessen sind beim grenzüberschreitenden Wechsel der Rechtform grundsätzlich dieselben wie bei einem innerstaatlichen Formwechsel. Unterschiede zwischen grenzüberschreitendem und innerstaatlichem Formwechsel können allerdings hinsichtlich der Art und der Intensität ihrer Beeinträchtigung bestehen.
aa) Schutz von Gläubigern Gläubiger können sich nach dem Formwechsel einem weitaus weniger solventen Schuldner gegenübersehen: Aus einer Personengesellschaft, deren Gesellschafter persönlich für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften, mag eine haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaft werden; aus einer den Gläubigern vertrauten inländischen Kapitalgesellschaft, die zwar über eine Haftungsbeschränkung, aber immerhin über eine gesetzlich garantierte solide Kapitalstruktur verfügt, mag eine ihnen unbekannte ausländische Kapitalgesellschaft ohne gesetzliches Mindestkapital werden. Zudem können Ansprüche gegen ausländische Gläubiger prozessual nur mit erhöhtem Aufwand durchsetzbar sein.217 Sieht der Herkunftsstaat der Gesellschaft bei einem rechtsformwechselnden Wegzug Mechanismen zum Schutze der Gläubiger vor – etwa, indem er ihnen einen Anspruch auf Sicherheitsleistung einräumt – dürften derartige Mechanismen zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses entsprechen. Bei ihrer 215
Dauner-Lieb, in: Kölner Kommentar zum UmwG, Einl. A Rn. 15 ff.; J. Semler/Stengel, in: dies. (Hrsg.), UmwG, 2. Aufl. 2007, Einleitung A Rn. 23 ff. Schützenswert können ferner die Interessen der Inhaber von Sonderrechten sein, vgl. §§ 204, 23 UmwG; Frowein, Grenzüberschreitende Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften, 2001, S. 155. 216 Vgl. EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 92. 217 Grohmann, Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006, S. 350; Priester, ZGR 1999, 36 (38).
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rechtlichen Ausgestaltung hat der Herkunftsstaat freilich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
bb) Schutz von (Minderheits-)Gesellschaftern Die Interessen von (Minderheits-)Gesellschaftern können sowohl im Hinblick auf die mit ihrer Mitgliedschaft verbundene unternehmerische Beteiligung als auch im Hinblick auf die damit verbundene Kapitalanlage durch einen Wechsel der Rechtsform betroffen sein.218 Im grenzüberschreitenden Kontext kommt hinzu, dass mit einem rechtsformwechselnden Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat häufig eine Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einhergehen wird. Infolge der höheren geografischen Entfernung reduzieren sich die tatsächlichen Möglichkeiten des Gesellschafters, Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu nehmen. Zudem können sich aufgrund der Anwendung einer anderssprachigen Rechtsordnung Verständigungsprobleme ergeben, wenn etwa die Einladung zur Gesellschafterversammlung künftig in einer anderen Sprache erfolgt.219 Wird der grenzüberschreitende Formwechsel gegen den Willen von Minderheitsgesellschaftern durchgeführt, kann der Herkunftsstaat ihnen daher einen Ausstieg aus der Gesellschaft gegen Zahlung einer angemessenen Barabfindung ermöglichen. Auch der Schutz von Minderheitsgesellschaftern steht jedoch unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit.220 Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gesellschaftsrecht eines Mitgliedstaates einzelnen Gesellschaftern unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einräumt, gegen alle Arten von Gesellschafterbeschlüssen und damit auch gegen den Beschluss der Gesellschafter über den grenzüberschreitenden Formwechsel Beschlussmängelklage zu erheben und mit einer solchen Klage geltend zu machen, dass der angegriffene Beschluss gegen gesetzliche oder statutarische Vorschriften verstößt. Ein derartiges Beschlussmängelklageregime kennt insbesondere das deutsche Aktienrecht (§ 241 ff. AktG); es ist aber auch den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten keineswegs fremd, wenngleich es dort insgesamt eine geringere rechtspraktische Bedeutung hat als in Deutschland.221 Das Institut der Beschlussmängelklage gegen Gesellschafterbeschlüsse ist Bestandteil der ursprünglichen Rechtsform und damit den gesell218 Zur Doppelfunktion der Mitgliedschaft als Kapitalanlage und unternehmerische Beteilung siehe BVerfG, Urteil vom 7. 8. 1962, 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263 (Feldmühle-Urteil). 219 Vgl. Kalls, ZGR 2003, 593 (608); Priester, ZGR 1999, 36 (38). 220 Siehe grundlegend zum Minderheitenschutz bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nach deutschem Recht Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 39 ff.; die Ausführungen zur Vereinbarkeit der einzelnen deutschen Minderheitenschutzinstrumente mit der Niederlassungsfreiheit sind auf den grenzüberschreitenden Formwechsel weitgehend übertragbar. 221 Baums, Gutachten F für den 63. DJT, 2000, S. 44 ff.; Nohlen, Binnenmarktkonformer
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schaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates zuzurechnen. Die bloße Tatsache, dass ein Gesellschafter eine Beschlussmängelklage gegen den Beschluss über den grenzüberschreitenden Formwechsel erheben kann und im konkreten Einzelfall auch tatsächlich erhebt, ist demnach nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen. Dies gilt unabhängig von der konkreten rechtlichen Ausgestaltung des Beschlussmängelverfahrens, also insbesondere unabhängig von der Frage, ob die Erhebung der Klage zu einer Registersperre führt, aufgrund derer eine Eintragung des grenzüberschreitenden Formwechsels bis zum Abschluss des Verfahrens nicht möglich ist, oder nicht, und falls ja, ob eine solche Registersperre durch ein Freigabeverfahren überwunden werden kann oder nicht.222 Aus dem Blickwinkel des Europarechts – hier verstanden in einem weiteren Sinne223 – ist allenfalls die faktische Dauer des Beschlussmängelverfahrens problematisch, wenn auch nicht sub specie der Niederlassungsfreiheit nach Unionsrecht, sondern im Hinblick auf Art. 6 EMRK224 und ggf. auch Art. 13 EMRK225. Über eine Verletzung dieser Gewährleistungen entscheidet nicht der EuGH, sondern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
cc) Schutz von Arbeitnehmern Schließlich können schützenswerte Interessen der Arbeitnehmer insbesondere dann betroffen sein, wenn der „Wegzug“ des Unternehmens sich nicht in dem grenzüberschreitenden Wechsel der Rechtsform erschöpft, sondern zugleich der Tätigkeitsschwerpunkt des Unternehmens ins Ausland verlagert wird. Damit ändert sich zum einen das anwendbare Betriebsverfassungsrecht, das sich nach dem Recht des Staates bestimmt, in dem der Betrieb seinen Sitz hat (lex rei sitae);226 zum anderen kann mit der Standortverlagerung ein Abbau von Arbeitsplätzen im Inland einhergehen. Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 116 f. 222 Siehe rechtsvergleichend Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 104 ff. 223 Der Begriff des Europarechts im weiteren Sinne bezeichnet das Recht aller überstaatlichen europäischen Organisationen und umfasst damit insbesondere den Europarat mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), vgl. Frenz, Europarecht, 2011, Rn. 1; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 2; Herdegen, Europarecht, 16. Aufl. 2014, § 1 Rn. 6. 224 Siehe dazu Tiwisina, Rechtsfragen überlanger Verfahrensdauer nach nationalem Recht und der EMRK, 2010, S. 21 ff. 225 Siehe dazu Tiwisina, Rechtsfragen überlanger Verfahrensdauer nach nationalem Recht und der EMRK, 2010, S. 49 ff.; zur parallelen Anwendung von Art. 6 EMRK und Art. 13 EMRK siehe EGMR, Urteil vom 26. 10. 2006 – 30210/96 (Kudla), NJW 2001, 2694, Rn. 147 ff. 226 Heinze, ZGR 1999, 54 (56); v. Hoyningen-Huene, in: Münchener Handbuch Arbeits-
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dd) Insbesondere die Erhaltung der unternehmerischen Mitbestimmung Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Mitgliedstaaten Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs mit der Erhaltung der unternehmerischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat der Gesellschaft nach ihrem nationalen Recht rechtfertigen können. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn der rechtsformwechselnde Wegzug in einen Mitgliedstaat erfolgt, dessen Recht ein niedrigeres Mitbestimmungsniveau als das Recht des Herkunftsstaates oder gar keine Mitbestimmung227 vorsieht. Jedenfalls scheitert die Berücksichtigung der unternehmerischen Mitbestimmung im Rahmen der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses nicht schon daran, dass sie in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich ausgestaltet ist und einige Mitgliedstaaten die unternehmerische Mitbestimmung gar nicht kennen.228 Denn darauf, dass die anderen Mitgliedstaaten ein Regelungsziel in ihrer Gesamtheit oder mehrheitlich ebenfalls verfolgen, kommt es für seine Anerkennung als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses nicht an. Umgekehrt genügt die bloße Feststellung, dass die Mitbestimmung gefestigter Tradition und Praxis im Herkunftsstaat entspricht, nicht für die Rechtfertigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit.229 Entscheidend ist, ob die unternehmerische Mitbestimmung insoweit Teil des europäischen ordre public ist, als sie der Realisierung einer unionsrechtlich anerkannten oder zumindest unionsrechtskonformen mitgliedstaatlichen Zielvorstellung dient.230 Zwar wird verbreitet vertreten, dass die unternehmerische Mitbestimmung das unionsrechtlich anerkannte Ziel des Arbeitnehmerschutzes verfolgt.231 Ein genauerer Blick auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in jenen Rechtsordnungen, denen die unternehmerischen Mitbestimmung bekannt ist, begründet jedoch erhebliche Zweifel an deren arbeitnehmerschützender Funktion. Den Arbeitnehmervertretern kommen weitestgehend die gleichen Rechte und Pflichten zu wie den übrigen Mitgliedern des Aufsichtsrats. Im deutschen, niederländischen und luxemburgischen Recht haben die Arbeitnehmervertreter eine den Anteilseignervertretern völlig ebenbürtige Rechtsrecht, § 211 Rn. 12; Junker, Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, S. 374 ff.; Rieble/ Latzel, EuZA 2011, 145 (146 f.). 227 Unbekannt ist die unternehmerische Mitbestimmung u. a. in Belgien, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Portugal und Spanien. 228 Einen Überblick über das Mitbestimmungsniveau in den Mitgliedstaaten bietet Schwark, AG 2004, 173 (173 f.); ausführlich Baums/Ulmer (Hrsg.), Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, 2004. 229 von Halen, WM 2003, 571 (577). 230 Siehe zur Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses bereits ausführlich oben S. 35 ff. 231 Franzen, RdA 2004, 257 (262); Funke, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften nach Inspire Art, 2007, S. 165; Thüsing, ZIP 2004, 381 (385).
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stellung.232 In anderen Rechtsordnungen wird die Stellung der Arbeitnehmer eingeschränkt, soweit es um Personalangelegenheiten des Vorstands geht; in Frankreich, Österreich und Schweden erfolgt die Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter ehrenamtlich, wird also nicht vergütet. Derartige Einschränkungen ändern jedoch nichts daran, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht den Partikularinteressen der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer oder gar der Gewerkschaften verpflichtet sind, sondern – ebenso wie die Vertreter der Anteilseigner – allein dem Unternehmenswohl.233 Das niederländische Recht geht sogar so weit, dass zum Zwecke der Vermeidung von Interessenkollisionen Arbeitnehmer des Unternehmens und Gewerkschaftsrepräsentanten nicht Mitglieder des Aufsichtsrats sein können.234 Vielmehr werden als Arbeitnehmervertreter auf Empfehlung des Betriebsrats unternehmensexterne Personen als Aufsichtsratsmitglieder bestellt, die sich als dem Arbeitnehmerinteresse nahestehend profiliert haben.235 Aus der Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter als dem Unternehmenswohl verpflichtete, den Anteilseignervertretern gleichgestellte Mitglieder des Aufsichtsrats folgt, dass die unternehmerische Mitbestimmung nicht zugleich dem Schutz konkreter Belegschaftsinteressen dienen kann. Denn die Interessen des Unternehmens und der Belegschaft können durchaus gegenläufig sein, insbesondere wenn es um die Zustimmung des Aufsichtsrats zu Standortverlagerungen und sonstigen Rationalisierungsmaßnahmen geht. Der Schutz konkreter Belegschaftsinteressen ist die Funktion der betrieblichen Mitbestimmung, zumal eine auf betrieblicher Ebene und damit lokal verortete Interessenvertretung der Arbeitnehmer deren akuten Problemen viel eher gerecht werden kann als der Aufsichtsrat.236 Die unternehmerische Mitbestimmung dient demgegenüber primär der Verwirklichung einer sozialtheoretischen Vorstellung von Demokratie im Unternehmen und Umverteilung von Leitungsmacht.237 232 Siehe den Überblick bei Ulmer, in: Baums/Ulmer (Hrsg.), Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, 2004, S. 159 (169 f.). 233 Behme, ZIP 2008, 351 (356); Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 33 Rn. 66; Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, 2010, S. 82; die damit praktisch verbundenen Interessenkonflikte betont Hopt, FS Everling, Bd. I, S. 475 (478 f.). 234 Schwark, AG 2004, 173 (174); Timmerman/Spanjaard, in: Baums/Ulmer (Hrsg.), Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, 2004, S. 75 (86). 235 Timmerman/Spanjaard, in: Baums/Ulmer (Hrsg.), Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, 2004, S. 75 (90). 236 Behme, ZIP 2008, 351 (356); Eberspächer, ZIP 2008, 1951 (1955); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Junker, EuZA 2012, 223 (234); Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 (1238); Paefgen, DB 2003, 487 (492); Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (668); a. A. Weiss/ Seifert, ZGR 2009, 542 (567); krit. Kisker, Unternehmensmitbestimmung bei Auslandsgesellschaften, 2007, S. 196; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 3 Rn. 86. 237 Behme, ZIP 2008, 351 (356); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Hellwig/Behme, AG 2009, 261 (269); Veit/Wichert, AG 2004, 14 (17); zum egalisierenden Einfluss der Unter-
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass die unternehmerische Mitbestimmung im Rahmen der zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses keine Berücksichtigung finden kann. Es ist durchaus möglich, auch diese Zielvorstellung – und damit letztlich die unternehmerische Mitbestimmung als solche238 – als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses einzuordnen. Man wird auch davon ausgehen müssen, dass die unternehmerische Mitbestimmung Teil des europäischen ordre public ist. Dies kommt sowohl im Unionsprimärrecht zum Ausdruck, wonach die Union zur Verwirklichung ihrer sozialpolitischen Ziele die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter anderem auf dem Gebiet der Mitbestimmung unterstützt und ergänzt (Art. 153 Abs. 1 lit. f AEUV), als auch in den sekundärrechtlichen Vorgaben der SE-Beteiligungsrichtlinie und der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung, in denen sich der Unionsgesetzgeber das Interesse der Mitgliedstaaten am Erhalt ihrer nationalen unternehmerischen Mitbestimmung im Zuge grenzüberschreitender Umstrukturierungen zu eigen macht.239 Voraussetzung für die Berücksichtigung der unternehmerischen Mitbestimmung als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses ist freilich, dass ihre Ausgestaltung nach dem nationalen Recht des Herkunftsstaates den Anforderungen des Unionsrechts entspricht.240 Dies ist insbesondere mit Blick auf das deutsche Mitbestimmungsrecht zu verneinen. Nach deutschem Recht verfügen die in ausländischen Tochtergesellschaften und Zweigniederlassungen tätigen Belegschaften mitbestimmungspflichtiger Unternehmen weder über das aktive noch über das passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Dadurch werden sie gegenüber ihren in Deutschland tätigen Kollegen diskriminiert (Art. 18 AEUV). Zugleich liegt in dem Verlust des passiven Wahlrechts beim Wechsel in einen ausländischen Betrieb eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) zumindest jener Arbeitnehmer, die Mitglieder des Aufsichtsrats sind oder sich Chancen auf ein Aufsichtsratsmandat ausrechnen.241 Die Diskriminierung hält auch ihrerseits nehmensmitbestimmung auf die Einkommensverteilung im Staatenvergleich siehe die politikwissenschaftliche Untersuchung von Hörisch, Unternehmensmitbestimmung im nationalen und internationalen Vergleich, 2009, S. 229 ff. 238 Krit. Funke, Mitbestimmung in EU-Auslandsgesellschaften nach Inspire Art, 2007, S. 164. 239 Wie hier Bayer, AG 2004, 534 (537); Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (184). 240 Siehe bereits Hellwig/Behme, AG 2011, 740 (744 f.) sowie oben S. 37 ff. 241 Ausführlich Hellwig/Behme, AG 2009, 261; dies., ZIP 2009, 1791 (1793); dies., ZIP 2010, 871; dies., AG 2011, 740 (740); zustimmend Budras, FAZ vom 2. 9. 2010, S. 11; Habersack, Beilage ZIP 48/2009, 1 (3); Latzel, Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, 2010, S. 164; Rieble, FAZ vom 12. 6. 2010, S. C2; Rieble/Latzel, EuZA 2011, 145; Wansleben, NZG 2014, 213 (213 f.); wohl auch Baums/Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 153; mit Blick auf Art. 39 EG Müller-Graff, EWS 2009, 489 (497); die Frage offen lassend Jacobs, Beilage ZIP 48/2009, 18 (25); a. A. Krause, AG 2012, 485; Teichmann, Beilage ZIP 48/2009, 10 (12); ders., ZIP 2010, 874; krit. auch Hommelhoff, ZGR 2010, 48 (60 ff.).
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einer unionsrechtlichen Rechtfertigung nicht stand. Die mit der gerichtlichen Durchsetzung der Wahlvorschriften verbundenen praktischen Schwierigkeiten können insoweit ebenso wenig ins Feld geführt werden wie die institutionelle Verankerung des Wahlverfahrens auf der Ebene des nach deutschem Betriebsverfassungsrecht verfassten Betriebs. Denn jedenfalls ist der völlige Ausschluss ausländischer Belegschaften von den Aufsichtsratswahlen nicht verhältnismäßig. Es sind verschiedene Regelungen denkbar, welche die Diskriminierung ausländischer Belegschaften auf das der begrenzten Hoheits- und Regelungsgewalt des deutschen Gesetzgebers geschuldete Maß begrenzen, insbesondere die Einführung eines an den Regelungen der SE-Beteiligungsrichtlinie und der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung angelehnten Verhandlungsmodells, das eine Einbeziehung ausländischer Belegschaften im Rahmen der Verhandlungen ermöglicht,242 oder eine Bestellung der ausländischen Arbeitnehmervertreter durch das höchste Gremium der betrieblichen Mitbestimmung (Europäischer Betriebsrat, Konzernbetriebsrat, Gesamtbetriebsrat, Betriebsrat) bei der unternehmensmitbestimmungspflichtigen deutschen Gesellschaft. Was den Ausschluss der ausländischen Belegschaften betrifft, verstoßen deshalb die deutschen Mitbestimmungsregeln gegen Unionsprimärrecht.243 Jedenfalls so lange, wie die deutschen Wahlvorschriften nicht unionsrechtskonform, d. h. unter Einbeziehung der im Ausland tätigen Belegschaften, ausgestaltet werden, kann das Interesse des deutschen Gesetzgebers am Erhalt der deutschen unternehmerischen Mitbestimmung Beschränkungen des grenzüberschreitenden Formwechsels in eine nicht oder in geringerem Umfang mitbestimmte ausländische Gesellschaftsform nicht rechtfertigen. Vielmehr wird durch den Wegfall
242 In jüngerer Zeit wurde die Etablierung eines Verhandlungsmodells durch den Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ (ZIP 2009, 885) vorgeschlagen, der in der NichtEinbeziehung der ausländischen Belegschaften nur ein Legitimationsdefizit sieht, ohne die dahinter stehenden Rechtsprobleme (Verstoß gegen höherrangiges Unionsrecht) zu benennen. Siehe zum Vorschlag des Arbeitskreises die Stellungnahmen von Hommelhoff, ZIP 2009, 1785; Teichmann, ZIP 2009, 1787; Kraushaar, ZIP 2009, 1789 und Hellwig/Behme, ZIP 2009, 1791 sowie von Habersack, Hanau, Teichmann, Jacobs und Veil in Beilage ZIP 48/2009. Eine Modernisierung der deutschen Mitbestimmungsregeln durch die Einführung eines Verhandlungsmodells war bereits von der sog. Biedenkopf-Kommission (Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission mit Stellungnahmen der Vertretern der Unternehmen und der Vertreter der Arbeitnehmer, 2006, S. 35) empfohlen worden; vgl. ferner die Vorschläge von Raiser, in: Verhandlungen des 66. DJT, 2006, Gutachten B, S. B 67 ff.; Teichmann, AG 2008, 797 ff.; Hellwig/Behme, AG 2009, 261 (272). 243 Diese Erkenntnis greift auch eine von der Kommission beauftragte Arbeitsgruppe zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts auf und empfiehlt der Kommission daher die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland; siehe Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, online abrufbar unter , S. 53; dazu Hellwig/ Behme, AG 2011, 740; J. Schmidt, GmbHR 2011, R 177.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
der deutschen Mitbestimmung in Folge des grenzüberschreitenden Formwechsels erst ein unionsrechtskonformes Ergebnis hergestellt. Nur bei einer unionsrechtskonform ausgestalteten Mitbestimmungsregelung des Herkunftsstaates kann sich die Frage stellen, welche Maßnahmen der Herkunftsstaat treffen kann, um die Mitbestimmung im Falle eines rechtsformwechselnden Wegzugs einer nach seinem nationalen Recht gegründeten mitbestimmten Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Dabei sind zwei Fragen voneinander zu trennen. Zum einen stellt sich die Frage, ob das nationale Recht des Herkunftsstaates generell für den Fall des rechtsformwechselnden Wegzugs Schutzmechanismen zum Erhalt der unternehmerischen Mitbestimmung etablieren kann. Diese Frage ist zu verneinen: Der grenzüberschreitende Formwechsel hat zur Folge, dass die Gesellschaft dem nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegt. Auf dessen Kooperation wäre der Herkunftsstaat folglich angewiesen, wollte er die Mitbestimmung bereits bei der Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels sichern244 – etwa durch eine entsprechende Anwendung des unionssekundärrechtlich in der SE-Beteiligungsrichtlinie und der Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen etablierten Verhandlungsmodells.245 Nur, wenn der Aufnahmestaat das Ergebnis von Verhandlungen über die Mitbestimmung anerkennt und seine Durchsetzung gewährleistet, kann der Erhalt der unternehmerischen Mitbestimmung im Zuge eines grenzüberschreitenden Formwechsels gesichert werden. Der Aufnahmestaat als neuer Herkunftsstaat ist zu einer derartigen Kooperation allerdings unionsrechtlich nicht verpflichtet; vielmehr kann er autonom die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards definieren, denen die formwechselnde Gesellschaft fortan genügen muss. Hierzu zählt auch die unternehmerische Mitbestimmung.246 Verweigert der Aufnahmestaat die Kooperation mit dem Herkunftsstaat, kann der Herkunftsstaat seine nationale unternehmerische Mitbestimmung nur dadurch schützen, dass er den rechtsformwechselnden Wegzug komplett untersagt, indem er entweder die formwechselnde Gesellschaft auflöst oder zumindest den zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss für nichtig erklärt. Ob derartige Sanktionen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den EuGH standhalten würden, ist stark zu bezweifeln. Eine andere Frage ist dagegen, ob der Herkunftsstaat die im Zuge des grenzüberschreitenden Formwechsels entstandene ausländische Gesellschaft im Wege einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung weiterhin der unternehmerischen Mitbestimmung nach seinem eigenen nationalen Recht 244 Ähnlich
Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (759). Eckert, GesRZ 2009, 47 (49); wohl auch Teichmann, ZIP 2009, 393 (403), der aber auf die rechtstechnischen Schwierigkeiten einer analogen Anwendung hinweist. 246 Offenbar a. A. Krause, AG 2012, 485 (490 f., 495), demzufolge es sich bei der unternehmerischen Mitbestimmung um einen Teil der Arbeitsbedingungen handelt. 245 Dafür
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unterwerfen darf. Dies kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn der Verwaltungssitz der Gesellschaft im Herkunftsstaat verbleibt und damit einen Anknüpfungspunkt für die Sonderanknüpfung seiner gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards bietet. Dann stellt sich die Frage, ob die Sonderanknüpfung der inländischen unternehmerischen Mitbestimmung mit der Niederlassungsfreiheit der ausländischen Gesellschaft vereinbar ist. Diese Frage ist nicht neu. Sie wurde insbesondere in der deutschen Literatur im Anschluss an die EuGH-Entscheidungen Überseering und Inspire Art im Hinblick auf zuziehende ausländische Gesellschaften, vor allem die englische Limited, breit erörtert. Dabei wird insbesondere die Erforderlichkeit einer derartigen Erstreckung in Frage gestellt, da ein Schutz der Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern auch durch die betriebliche Mitbestimmung,247 die Etablierung eines Konsultationsrats248 oder die Etablierung eines gesonderten, auf ausländische Gesellschaften zugeschnittenen Verhandlungsmodells249 als mildere Mittel gewährleistet werden könnte. Dies soll hier im Einzelnen nicht thematisiert werden. Sofern die interne Ausgestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung des Herkunftsstaates den Anforderungen des Unionsrechts entspricht bzw. daran angepasst wird, dürfte eine Erstreckung auf ausländische Gesellschaften, die im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels aus einer inländischen Gesellschaft entstanden sind, jedenfalls nicht generell ausgeschlossen sein. Denn dabei geht es – anders als in der bisherigen Diskussion – nicht um die Erstreckung der Mitbestimmung auf eine ausländische Gesellschaft, die ursprünglich nach ausländischem Recht gegründet worden ist, also von vornherein niemals mitbestimmt war. Sondern es geht aus der Pers pektive des Herkunftsstaates um die Erstreckung der Mitbestimmung auf eine ausländische Gesellschaft, die ursprünglich nach inländischem Recht gegründet worden ist und damit zunächst mitbestimmt war. Es handelt sich daher nicht um die Oktroyierung eines neuen Mitbestimmungsregimes, sondern um den Erhalt eines bestehenden Mitbestimmungsregimes. Die Eingriffsintensität einer Sonderanknüpfung, die zur Folge hat, dass eine bislang mitbestimmte Gesellschaft weiterhin der Mitbestimmung nach dem Recht ihres Herkunftsstaates unterliegt, ist geringer als die Eingriffsintensität einer Sonderanknüpfung, die dazu führt, dass eine bislang nicht mitbestimmte ausländische Gesellschaft erstmals überhaupt der Mitbestimmung unterliegt. Diese geringere Eingriffsintensität kann 247 Behme, ZIP 2008, 351 (356); Eberspächer, ZIP 2008, 1951 (1955); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Müller-Bonanni, GmbHR 2003, 1235 (1238); Paefgen, DB 2003, 487 (492); Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (668); a. A. Weiss/Seifert, ZGR 2009, 542 (567); krit. Kisker, Unternehmensmitbestimmung bei Auslandsgesellschaften, 2007, S. 196. 248 Kirchner, AG 2004, 197 ff.; Säcker, AG 2004, 180 (185 f.); v. Werder, AG 2004, 166 (172); a. A. Weiss/Seifert, ZGR 2009, 542 (568 f.). 249 Behme, ZIP 2008, 351 (356); Eberspächer, ZIP 2008, 1951 (1956); Bartsch, Mitbestimmung und Niederlassungsfreiheit, 191 f.; Sandrock, AG 2004, 57 (66); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (35 f.); a. A. Weiss/Seifert, ZGR 2009, 542 (574).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Sie ändert freilich nichts daran, dass sich die Integration der Mitbestimmungsregeln des Herkunftsstaates in die Organisationsverfassung der gewählten ausländischen Rechtsform als äußerst schwierig erweisen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Mitbestimmung im Herkunftsstaat auf den Aufsichtsrat zugeschnitten ist, die im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels neu erworbene ausländische Rechtsform dagegen über eine monistische Struktur verfügt, die einen Aufsichtsrat überhaupt nicht kennt. Will der Herkunftsstaat auch in diesem Falle die unternehmerische Mitbestimmung zumindest partiell erhalten, wird kein Weg daran vorbei führen, Sonderregeln für ausländische Gesellschaften zu konstruieren, die einer abweichenden Struktur ihrer Rechtsform Rechnung tragen – etwa durch die Einführung eines obligatorischen Konsultationsrats.250 Der mit der Implementierung eines obligatorischen Aufsichtsrats verbundene Eingriff in die Organisationsverfassung der ausländischen Rechtsform dürfte sich dagegen auch dann als unverhältnismäßig erweisen, wenn die Gesellschaft vor der Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels über einen mitbestimmten Aufsichtsrat verfügt hat.251
b) Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit Mit Blick auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nationaler Maßnahmen stellt sich die Frage, inwieweit sich Argumentationsmuster, die aus der Rechtsprechung des EuGH zum rechtsformwahrenden Zuzug bekannt sind, auf die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs übertragen lassen.
aa) Insbesondere die Erforderlichkeit der Beschränkung (1) Die Bedeutung des Rechts des Aufnahmestaates In Fällen eines rechtsformwahrenden Zuzugs führt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung dazu, dass die Erforderlichkeit der Anwendung gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates auf eine zugezogene Gesellschaft jedenfalls dann zu verneinen ist, wenn diese sich mit Schutznormen des Herkunftsstaates der Gesellschaft überschneiden.252 Das Recht des Herkunftsstaates verschärft den Prüfungsmaßstab bei der Erforderlichkeit aber 250 Für eine generelle Verortung der unternehmerischen Mitbestimmung außerhalb des Aufsichtsrats Säcker, AG 2008, 17 (21). 251 Siehe zu den technischen Umsetzungsproblemen bereits Behme, ZIP 2008, 351 (355); Ebke, EBLR 2005, 9 (44); Kamp, BB 2004, 1496 (1499); a. A. Franzen, RdA 2004, 256 (260); 252 Vgl. zur Dienstleistungsfreiheit EuGH, Urteil vom 17. 12. 1981, Rs. 279/80 (Webb), Slg. 1981, 3305, Rn. 17; EuGH, Urteil vom 7. 5. 1991, Rs. C-340/89 (Vlassopoulou), Slg. 1991, I – 2357, Rn. 19.
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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auch schon dann, wenn das Recht des Herkunftsstaates einen der betreffenden Rechtsnorm des Aufnahmestaates vergleichbaren Schutzmechanismus kennt; auf die rechtstechnische Einkleidung kommt es dabei nicht an. Die bloße Feststellung, das Schutzniveau des Herkunftsstaatsrechts sei geringer als das eigene Schutzniveau, begründet noch nicht die Erforderlichkeit der Sonderanknüpfung von Rechtsnormen des Aufnahmestaates; vielmehr sind die Schutzmechanismen des Herkunftsstaates als funktionsäquivalent anzuerkennen. Wenn im Falle des rechtsformwahrenden Zuzugs das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung die Beurteilung der Erforderlichkeit von Beschränkungen durch das Recht des Aufnahmestaates prädeterminiert, dann muss dasselbe für die Beurteilung der Erforderlichkeit von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs durch das Recht des Herkunftsstaates gelten; es müssen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung also die Schutzmechanismen des Aufnahmestaates (als des neuen Herkunftsstaates der Gesellschaft) berücksichtigt werden. Dies gilt sowohl für die Schutzmechanismen, die Bestandteil der neuen Rechtsform der Gesellschaft sind, als auch für solche Schutzmechanismen, die auf den Prozess der Entstehung der Gesellschaft als solche des Aufnahmestaates, also auf den Formwechsel als solchen bezogen sind. Denn die Situation des Aufnahmestaates beim rechtsformwahrenden Zuzug entspricht jener des Herkunftsstaates beim rechtsformwechselnden Wegzug: Beide müssen den jeweiligen Vorgang nur deshalb ermöglichen, weil der (ursprüngliche bzw. neue) Herkunftsstaat ihn ermöglicht und sie dies anzuerkennen haben.
(2) Das Informationsmodell des EuGH In Inspire Art führt der EuGH im Hinblick auf die Erforderlichkeit gläubigerschützender Maßnahmen des Aufnahmestaates beim rechtsformwahrenden Zuzug einen weiteren Aspekt in die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein: die Möglichkeit des Selbstschutzes durch Information.253 Die Inspire Art Ltd., so der EuGH, trete im Rechtsverkehr als Gesellschaft englischen Rechts auf, sodass potentielle Gläubiger hinreichend darüber informiert seien, dass ihr Vertragspartner ausländischem Recht unterliegt.254 Diese Argumentation ist auf die Beurteilung der Erforderlichkeit von Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs nur sehr eingeschränkt übertragbar – nämlich nur, soweit es darum geht, künftige Gläubiger der Gesellschaft durch die Anwendung von Gläubigerschutzinstrumenten des Herkunftsstaates vor Gefährdungen zu schützen, die von der Struktur der neuen ausländischen Rechtsform ausgehen
253
Siehe zum „Informationsmodell“ des EuGH bereits oben S. 64 f. Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I – 10155, Rn. 135. 254 EuGH,
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
(institutioneller Gläubigerschutz255). Über diese Gefährdungen können sich die Gläubiger im Vorfeld eines Vertragsschlusses mit der Gesellschaft informieren. Die spezifische Gefährdung der Gläubigerinteressen im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels ist jedoch eine andere: Schützenswert sind insbesondere die vorhandenen Altgläubiger, die im Vertrauen auf die ursprüngliche Rechtsform und die ursprüngliche Kapitalstruktur mit der Gesellschaft kontrahiert haben und sich nun einem Wechsel dieser Rechtsform ausgesetzt sehen, mit dem sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht rechnen konnten und den sie nicht beeinflussen können. Möglicherweise hätten sie sich auf Geschäfte mit einer solchen Gesellschaft ausländischen Rechts nicht oder nur unter anderen Bedingungen eingelassen. Wenn der EuGH aber Gläubiger in Zuzugskonstellationen auf Selbstschutz durch Information verweist und sie damit verpflichtet, sich im Vorfeld des Vertragsschlusses über die Rechtsform ihres Vertragspartners zu informieren, dann muss sich ein Gläubiger, der in Kenntnis der ursprünglichen Rechtsform und des ursprünglichen Gesellschaftsstatuts einen Vertrag mit der Gesellschaft abschließt, darauf verlassen können, dass diese Umstände nicht nachträglich einseitig durch die Gesellschaft zu seinen Lasten geändert werden können.256 Dies ist die Kehrseite des Informationsmodells: Wo eine Pflicht zur Information besteht, begründet diese Information auch ein schutzwürdiges Vertrauen. Für den Fall eines grenzüberschreitenden Formwechsels bestehen für die Gläubiger grundsätzlich keine Möglichkeiten des Selbstschutzes durch Information im Vorfeld des Vertragsschlusses. Folglich lässt sich die Erforderlichkeit von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, durch die der Herkunftsstaat der formwechselnden Gesellschaft den Interessen der bestehenden Gläubiger Rechnung trägt (z. B. Einräumung eines Rechts auf Sicherheitenbestellung), nicht unter Rückgriff auf das Informationsmodell verneinen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der grenzüberschreitende Formwechsel kurz bevorsteht und die künftigen Gläubiger bereits vor dem Abschluss eines Vertrags mit der Gesellschaft hierüber informiert sind.
bb) Milderer Abwägungsmaßstab bei Wegzugsfällen? Die vorstehenden Ausführungen schlagen den Bogen zu der von Teichmann formulierten These, dass der Rechtfertigungsmaßstab bei Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs großzügiger sei als gegenüber Maßnahmen
255 Zur Abgrenzung von institutionellem Gläubigerschutz (generalpräventiver Schutz potentieller Gläubiger) und individuellem Gläubigerschutz (Schutz individualisierbarer vorhandener Altgläubiger) siehe K. Schmidt, ZGR 1993, 367; ders., Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 12 III 1; Petersen, Der Gläubigerschutz im Umwandlungsrecht, 2001, S. 16 ff. 256 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 175 f.
B. Der Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs
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des Aufnahmestaates beim rechtsformwahrenden Zuzug.257 Denn beim rechtsformwahrenden Zuzug gehe es immer um den Schutz von Außenstehenden, die zukünftig mit der Gesellschaft in Berührung kommen könnten, also um den Schutz abstrakter Verkehrsinteressen. Dagegen löse sich in Wegzugsfällen eine Gesellschaft aus einem Geflecht bestehender Rechtsbeziehungen, um sich einen neuen rechtlichen Rahmen zu geben; es lägen also konkrete einzelfallbezogene Schutzinteressen vor.258 In der Tat erscheint es einleuchtend, dass bei einem bloß abstrakten Schutzbedürfnis der Maßstab für die Rechtfertigung von beschränkenden Maßnahmen, die den Rechtsverkehr präventiv vor dem Zuzug der ausländischen Gesellschaft schützen sollen, strenger ist als in Fällen, in denen ein konkretes Schutzbedürfnis im Raum steht. Ein Altgläubiger, der vor dem Formwechsel mit der Gesellschaft kontrahiert hat, ist schutzbedürftiger als ein (potentieller) Neugläubiger, der erst nach dem Formwechsel mit der Gesellschaft kontrahiert und bei seiner Entscheidung über den Vertragschluss bereits die neue ausländische Rechtsform der Gesellschaft berücksichtigen und sich notfalls dagegen entscheiden kann. Das kann der Altgläubiger nicht. Dieses Beispiel macht jedoch bereits deutlich, dass es für die Schärfe des Rechtfertigungsmaßstabs nicht darauf ankommen kann, ob es sich aus der Perspektive des Staates, der die beschränkende Regelung erlassen hat, um einen „Zuzugsfall“ oder um einen „Wegzugsfall“ handelt. Denn auch in Fällen eines rechtsformwechselnden Wegzugs bestehen abstrakte Schutzinteressen, nämlich die Interessen künftiger Gesellschaftsgläubiger. Diese sind dieselben wie die Interessen künftiger Gläubiger einer unter Wahrung ihrer Rechtsform zuziehenden ausländischen Gesellschaft. Nationale Vorschriften, die zum Schutz der Interessen künftiger Gesellschaftsgläubiger den rechtsformwechselnden Wegzug beschränken, müssen folglich demselben Rechtfertigungsmaßstab unterliegen wie Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit einer zuziehenden ausländischen Gesellschaft. Ein konkretes Schutzbedürfnis besteht beim rechtsformwechselnden Wegzug demgegenüber nur zugunsten der Altgläubiger der Gesellschaft. Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs zu deren Gunsten unterliegen daher – wie Teichmann richtig erkennt – einem milderen Rechtfertigungsmaßstab. Als entscheidend für die Schärfe des Rechtfertigungsmaßstabs erweist sich daher nicht die Differenzierung zwischen „Zuzugsfall“ und „Wegzugsfall“, sondern die Konkretheit der durch den Zuzug oder Wegzug der Gesellschaft betroffenen Schutzinteressen.
257 Teichmann, LMK 2009, 275584; ähnlich schon Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (177); Weller, DStR 2004, 1218 (1220); a. A. Barthel, EWS 2010, 316 (327). 258 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 175 f.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) Der (unter B.) ausführlich behandelte rechtsformwechselnde Wegzug von Gesellschaften aus ihrem Herkunftsstaat stellt sich aus der Perspektive des Aufnahmestaates als rechtsformwechselnder Zuzug dar. Wie für den rechtsformwechselnden Wegzug gilt daher auch für den rechtsformwechselnden Zuzug: Das zentrale Wesenselement besteht anders als beim rechtsformwahrenden Wegzug bzw. Zuzug nicht in einer Hereinverlegung des (Satzungs- und/oder Verwaltungs-) Sitzes, sondern in dem Wechsel der Rechtsform der Gesellschaft. Der rechtsformwechselnde Zuzug hat zur Folge, dass aus der Perspektive des Aufnahmestaates eine inländische Gesellschaft zur Entstehung gelangt. Daher kann der Aufnahmestaat autonom die gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards definieren, die von der zuziehenden Gesellschaft zu erfüllen sind, damit sie eine Rechtsform seines nationalen Rechts erwerben kann. Diese Autonomie erstreckt sich – ebenso wie bei der Gründung von Gesellschaften – sowohl auf den Prozess der Entstehung der Gesellschaft, d. h. den Formwechsel als solchen, als auch auf die Ausgestaltung der neuen Rechtsform der Gesellschaft und die Voraussetzungen für den dauerhaften Erhalt dieser Rechtsform. Der Aufnahmestaat wird gewissermaßen zum neuen Herkunftsstaat der Gesellschaft und kann sich daher auch auf die der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie berufen; seine in Ausübung dieser Autonomie getroffene Entscheidung, den rechtsformwechselnden Zuzug zu ermöglichen, hat der (ursprüngliche) Herkunftsstaat anzuerkennen.259 Die gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie des Aufnahmestaates erfährt eine bedeutende Einschränkung durch das in Art. 49 Abs. 2 AEUV statuierte Gebot der Inländerbehandlung. Dass die Mitgliedstaaten auch dann an das den Grundfreiheiten inhärente Diskriminierungsverbot gebunden sind, wenn sie in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Qualifikationsstandards (als Herkunftsstaat) oder Rahmenbedingungen (als Aufnahmestaat) autonom definieren, ergibt sich bereits aus der Keck-Entscheidung des EuGH. Für den Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hat der EuGH diese Dogmatik in den Entscheidungen SEVIC und Vale näher konturiert; die in diesen Entscheidungen getroffenen Wertungen des Gerichtshofs lassen sich auf sämtliche Formen von grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgängen übertragen.260 Sofern ein Mitgliedstaat eine bestimmte Strukturmaßnahme wie etwa den Wechsel der Rechtsform nur im innerstaatlichen Kontext durch die Mechanismen des Umwandlungsrechts erleichtert, liegt darin eine Diskriminierung ausländischer Gesellschaften gegenüber inländischen Gesellschaften. 259 260
Siehe ausführlich oben S. 136 ff. Siehe ausführlich oben S. 143 ff.
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs
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Daher sind die Mitgliedstaaten vorbehaltlich zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses verpflichtet, sowohl die Verschmelzung als auch den Formwechsel im grenzüberschreitenden Kontext in demselben Umfang und unter denselben Voraussetzungen zuzulassen wie eine innerstaatliche Verschmelzung bzw. einen innerstaatlichen Formwechsel.
I. Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungen des rechtsformwechselnden Zuzugs – Unionsrechtliche Vorgaben Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden analysiert werden, welche Vorgaben das Unionsrecht den Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Aufnahmestaaten im Einzelnen für die rechtliche Ausgestaltung des rechtsformwechselnden Zuzugs von Gesellschaften macht. Dabei soll in Anlehnung an Beitzke261 wiederum differenziert werden zwischen den Vorgaben, die für die Voraussetzungen eines rechtsformwechselnden Zuzugs, das von der Gesellschaft zu durchlaufende Verfahren und die Wirkungen des rechtsformwechselnden Zuzugs bestehen.
1. Voraussetzungen Zu den Voraussetzungen des rechtsformwechselnden Zuzugs zählt wiederum seine grundsätzliche Zulässigkeit nach dem Recht des Aufnahmestaates sowie die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre ursprüngliche Rechtsform aufzugeben und eine bestimmte neue Rechtsform anzunehmen. Wie der Herkunftsstaat, so kann auch der Aufnahmestaat den rechtsformwechselnden Zuzug sowohl auf der Ebene des Kollisionsrechts als auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts unterbinden.
a) Kollisionsrechtliche Ebene Da mit dem rechtsformwechselnden Zuzug auch aus der Perspektive des Aufnahmestaates zwangsläufig ein Statutenwechsel einhergeht – die Gesellschaft soll eine seinem nationalen Recht unterliegende Rechtsform annehmen –, kann auch der Aufnahmestaat den grenzüberschreitenden Formwechsel auf der Ebene seines Kollisionsrechts dadurch unmöglich machen, dass er den erforderlichen Statutenwechsel verweigert und die Gesellschaft damit nicht in seine Rechtsordnung aufnimmt. Sofern das Recht des Aufnahmestaates den nach seinem eigenen nationalen Recht gegründeten Gesellschaften einen innerstaatlichen Formwechsel gestattet, läge darin ebenso wie in einer Verweigerung des Statutenwechsels durch das Recht des Herkunftsstaates der Gesellschaft eine 261
Beitzke, FS Hallstein, S. 14 (23 und passim).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Negierung der Niederlassungsfreiheit, die der Rechtfertigung durch zwingende Allgemeininteressen grundsätzlich nicht zugänglich ist. Eine Negierung der Niederlassungsfreiheit läge jedenfalls dann vor, wenn der Aufnahmestaat einer Spielart der Gründungstheorie folgt, die an den unwandelbaren Ort der ursprünglichen Inkorporation der Gesellschaft anknüpft und einen Statutenwechsel daher nicht kennt. Wie schon mit Blick auf die Wegzugskonstellation bemerkt,262 entfaltet beim grenzüberschreitenden Formwechsel gerade die ursprünglich liberalste Methode der kollisionsrechtlichen Anknüpfung eine mobilitätshemmende Wirkung. Folgt der Aufnahmestaat der Sitztheorie, findet ein Statutenwechsel aus seiner Perspektive nur statt, wenn auch der Verwaltungssitz der formwechselnden Gesellschaft in den Aufnahmestaat herein verlegt wird. Da es eine nicht auf ihre die Niederlassungsfreiheit beschränkende Wirkung überprüfbare autonome Entscheidung des Aufnahmestaates ist, welche Verknüpfung die seinem nationalen Recht unterliegenden Gesellschaften mit seinem Territorium aufweisen müssen, kann er die Anwendung seines nationalen Rechts auf die Gesellschaft und damit den grenzüberschreitenden Formwechsel davon abhängig machen, dass die formwechselnde Gesellschaft ihren Verwaltungssitz ins Inland verlegt. Folgt der Aufnahmestaat also der Sitztheorie, so liegt darin in Konstellationen, in denen die Gesellschaft eine durch das nationale Recht des Aufnahmestaates konfigurierte Rechtsform annehmen will, keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Auch dies ist bemerkenswert: Mit Blick auf den grenzüberschreitenden Formwechsel verhindert die Sitztheorie eine grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften nicht, sondern ermöglicht sie! Gleiches gilt, wenn der Aufnahmestaat die Anwendung seines nationalen Rechts und damit den Formwechsel von einer Verlegung des Satzungssitzes ins Inland abhängig macht, also einer Spielart der Gründungstheorie folgt, deren Anknüpfungsmoment der Satzungssitz ist.
b) Sachrechtliche Ebene Auf der Ebene des Sachrechts des Aufnahmestaates wird der rechtsformwechselnde Zuzug ausländischer Gesellschaften zum einen durch die rechtliche Ausgestaltung des Formwechsels, also durch die Regelungen des Umwandlungsrechts reguliert, zum anderen durch gesellschaftsrechtliche Vorschriften, welche die Gründung oder die Struktur der von der formwechselnden Gesellschaft angestrebten Rechtsform des Aufnahmestaates betreffen. Dass dieser rechtliche Rahmen wegen der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie des Aufnahmestaates nicht auf seine die Niederlassungsfreiheit beschränkende 262
Siehe oben S. 164.
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs
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Wirkung überprüfbar ist, sondern lediglich auf seine diskriminierende Wirkung, bedeutet im Einzelnen: Vorschriften, die den rechtsformwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften explizit für unzulässig erklären, stellen nur dann keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar, wenn das Recht des Aufnahmestaates einen innerstaatlichen Formwechsel ebenfalls nicht zulässt; ansonsten werden sie regelmäßig als Negierung der Niederlassungsfreiheit anzusehen sein, die der unionsrechtlichen Rechtfertigung nicht standhält. Die Mitgliedstaaten sind freilich unionsrechtlich nicht verpflichtet, in ihrem nationalen Umwandlungsrecht den innerstaatlichen Formwechsel zuzulassen. Anders als die Umwandlungsvorgänge der innerstaatlichen Verschmelzung und der innerstaatlichen Spaltung ist der Formwechsel nicht unionsrechtlich harmonisiert. Sofern das nationale Recht eines Mitgliedstaates den Formwechsel nicht vorsieht, ist dieser Mitgliedstaat auch nicht verpflichtet, ausländischen Gesellschaften einen Formwechsel in seine nationalen Gesellschaftsformen zu gestatten. Der Aufnahmestaat muss den rechtsformwechselnden Zuzug denjenigen Gesellschaften ausländischer Rechtsform ermöglichen, die einer innerstaatlichen Rechtsform entsprechen, der ein Formwechsel gestattet ist. Erlaubt das Recht des Aufnahmestaates also einer nach seinem Recht gegründeten Aktiengesellschaft den Formwechsel, muss es auch einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründeten Aktiengesellschaft den Formwechsel gestatten. Als Zielrechtsform muss der Aufnahmestaat die Rechtsformen zur Verfügung stellen, in die auch einer vergleichbaren Gesellschaftsform seines Rechts der Formwechsel gestattet ist. Kann sich also die Aktiengesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates nur in eine GmbH umwandeln, so muss der Aufnahmestaat auch einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründeten Aktiengesellschaft lediglich den Formwechsel in die GmbH gestatten. Dieser Vorbehalt der Zulässigkeit eines innerstaatlichen Formwechsels gilt mit einer Ausnahme: Die nationalen Umwandlungsrechte werden immer nur Regelungen für rechtsforminkongruente innerstaatliche Formwechsel bereithalten (z. B. von einer deutschen GmbH in eine deutsche AG). Im grenzüberschreitenden Kontext kann allerdings ein Bedürfnis nach rechtsformkongruenten Formwechseln bestehen, d. h. nach einem Wechsel in die Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates, die der ursprünglichen Rechtsform nach dem Recht des Herkunftsstaates entspricht (z. B. von einer deutschen GmbH in eine britische Private Limited Company). Für diese existieren auf nationaler Ebene logischerweise keine entsprechenden Regelungen.263 Gleichwohl wäre eine Verweigerung rechtsformkongruenter Formwechsel mit der Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar: Wenn die Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet 263 Vgl. auch Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen vom 15. 12. 2011, Rs. C-378/10 (Vale), Rn. 33.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
sind, einen rechtsforminkongruenten grenzüberschreitenden Formwechsel zuzulassen, so muss dies a maiore ad minus auch für rechtsformkongruente grenzüberschreitende Formwechsel gelten.264
2. Verfahren Aufgrund der Autonomie des Aufnahmestaates, die Voraussetzungen zu definieren, unter denen im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels eine inländische Gesellschaft zur Entstehung gelangen kann, sind auch Verfahrensvorschriften des Aufnahmestaates, welche die Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels regeln, lediglich auf ihre diskriminierende Wirkung überprüfbar. Nichts anderes ist der Sache nach gemeint, wenn der EuGH in der Entscheidung Vale auf das sog. Äquivalenzprinzip rekurriert, wonach die Modalitäten, die den Schutz der den Rechtssuchenden aus dem Unionsrecht erwachsenen Rechte gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates sind, jedoch nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen, die gleichartige innerstaatliche Sachverhalte regeln.265 Knüpft also der Aufnahmestaat den rechtsformwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften an strengere verfahrensrechtliche Voraussetzungen als den innerstaatlichen Formwechsel, liegt eine Diskriminierung ausländischer gegenüber inländischen Gesellschaften vor. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: Eine Vorschrift des Aufnahmestaates, die für einen Formwechsel einen Beschluss der Gesellschafter mit einer Mehrheit von mindestens 90 % der abgegebenen Stimmen verlangt, erschwert zwar den grenzüberschreitenden Formwechsel ganz erheblich, stellt aber einen autonom durch den Aufnahmestaat zu definierenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard dar und verstößt daher nicht gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn sie für den innerstaatlichen und den grenzüberschreitenden Formwechsel gleichermaßen gilt. Lässt der Aufnahmestaat dagegen für den innerstaatlichen Formwechsel einen Gesellschafterbeschluss genügen, der mit einer geringeren Mehrheit der abgegebenen Stimmen getroffen wurde, diskriminiert das Mehrheitserfordernis von 90 % der abgegebenen Stimmen für den grenzüberschreitenden Formwechsel ausländische Gesellschaften und verstößt damit gegen die Niederlassungsfreiheit.
3. Wirkungen Wie erörtert, versteht das Unionsrecht unter dem grenzüberschreitenden Formwechsel einen Vorgang, bei dem die Gesellschaft ihre Rechtsform wechselt, ohne dass die Gesellschaft zuvor aufgelöst und ihr Vermögen im Wege der 264 265
Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760); dies., ZIP 2012, 1481 (1488 f.). EuGH, Urteil vom 12. 7. 2012, Rs. C-378/10 (Vale), ZIP 2012, 1394, Rn. 48.
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs
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Einzelübertragung auf eine Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates übertragen werden muss. Gegenüber den dogmatischen Konzeptionen Gesamtrechtsnachfolge und Rechtsträgeridentität, die den Wechsel der Rechtsform erleichtern, verhält sich das Unionsrecht dagegen neutral.266 Es ist daher von vornherein ausgeschlossen, dass die formwechselnde Gesellschaft allein aufgrund der Tatsache, dass dem Formwechsel nach dem Recht des Aufnahmestaates eines der genannten Konzepte zugrunde liegt, in ihrer Niederlassungsfreiheit beschränkt wird. Eine für die Gesellschaft nachteilige Wirkung kann allerdings mit rechtlichen Schlussfolgerungen verbunden sein, die der Aufnahmestaat aus dem jeweiligen Konzept ableitet.267 Hinsichtlich dieser Schlussfolgerungen gilt dasselbe wie hinsichtlich des Verfahrens des Formwechsels: Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit reicht nur so weit, wie er nach dem Recht des Aufnahmestaates zulässig ist. Auch rechtliche Schlussfolgerungen, die der Aufnahmestaat aus dem Konzept der Gesamtrechtsnachfolge oder der Rechtsträgeridentität zieht, sind Teil der autonom durch den Aufnahmestaat zu definierenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards, die nicht auf ihre die Niederlassungsfreiheit beschränkende Wirkung überprüfbar sind. Etwas anderes würde lediglich dann gelten, wenn das Recht des Aufnahmestaates den innerstaatlichen und den grenzüberschreitenden Formwechsel unterschiedlich behandelt. Was die Wirkungen des Formwechsels anbelangt, sind derartige Unterschiede freilich kaum vorstellbar, da der Aufnahmestaat die Schlussfolgerungen, die er aus der dogmatischen Konzeption des Formwechsels zieht, in der Regel als dogmatisch zwingend und vom grenzüberschreitenden Charakter des Formwechsels unabhängig ansehen wird.
II. Der identitätswahrende statutenwechselnde Zuzug unter der Sitztheorie – ein grenzüberschreitender Formwechsel? Leible und Hoffmann weisen darauf hin, dass manche Mitgliedstaaten schon heute einen identitätswahrenden statutenwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften zulassen. Als Beispiele werden Portugal und Deutschland genannt. Das portugiesische Recht verlange lediglich eine Anpassung der Satzung an die Erfordernisse des portugiesischen Rechts und eine Eintragung in das Handelsregister. Das deutsche Recht erlaube, dass eine zuziehende ausländische Gesellschaft als deutsche Personengesellschaft fortbesteht, indem es sie in eine OHG oder GbR deutschen Rechts umqualifiziert.268 Im Folgenden sollen diese Mechanismen näher analysiert werden. Für den vorliegenden Kontext gilt es, 266
Siehe oben S. 179 ff. Siehe oben S. 185. 268 Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60 f.); siehe ferner Paefgen, WM 2009, 529 (532); Szydlo, ECFR 2010, 414 (421). 267
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
zwei Fragen zu klären: Zum einen die Frage, ob diese Vorschriften tatsächlich als rechtliche Regelungen des grenzüberschreitenden Formwechsels angesehen werden können, zum anderen die Frage, ob sie mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind.
1. Identitätswahrender Zuzug unter Anpassung der Satzung an das Recht des Aufnahmestaates Bei der von Leible/Hoffmann angeführten Vorschrift des portugiesischen Rechts handelt es sich um Art. 3 des portugiesischen Gesetzbuches der Handelsgesellschaften (Código das Sociedades Comerciais, kurz: CSC). Die Vorschrift lautet:269 Portugiesisch
Deutsch
1. As sociedades comerciais têm como lei pessoal a lei do Estado onde se encontre situada a sede principal e efectiva da sua administração. A sociedade que tenha em Portugal a sede estatutária não pode, contudo, opor a terceiros a sua sujeição a lei diferente da lei portuguesa. 2. A sociedade que transfira a sua sede efectiva para Portugal mantém a personalidade jurídica, se a lei pela qual se regia nisso convier, mas deve conformar com a lei portuguesa o respectivo contrato social. 3. Para efeitos do disposto no número anterior, deve um representante da sociedade promover o registo do contrato pelo qual a sociedade passa a reger-se. 4. [...] 5. [...]
1. Die Handelsgesellschaften haben als Personalstatut das Recht des Staates, in welchem sich der hauptsächliche und effektive Sitz ihrer Verwaltung befindet. Die Gesellschaft, die in Portugal ihren Satzungssitz hat, kann sich jedoch Dritten gegenüber nicht darauf berufen, dass sie einem anderen als dem portugiesischen Recht unterliegt. 2. Die Gesellschaft, welche ihren effektiven Sitz nach Portugal verlegt, behält ihre Rechtspersönlichkeit bei, wenn das Recht, das sie regelt, damit einverstanden ist; sie muss aber ihren jeweiligen Gesellschaftsvertrag dem portugiesischen Recht anpassen. 3. Für die Zwecke des vorhergehenden Artikels muss ein Vertreter der Gesellschaft die Eintragung des Vertrags beantragen, durch welchen sich die Gesellschaft regeln wird. 4. [...] 5. [...]
Portugal folgt kollisionsrechtlich also der Sitztheorie, d. h. wenn eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz nach Portugal verlegt, kommt es aus der Perspektive des portugiesischen Rechts zu einem Statutenwechsel. Auf die Gesellschaft findet nunmehr das portugiesische materielle Gesellschaftsrecht Anwendung (Abs. 1). Dieses erlaubt der Gesellschaft die Wahrung ihrer 269 Eine ältere Fassung der Vorschrift ist übersetzt bei Jayme, IPRax 1987, 46 (46 f.); die dort abgedruckte Fassung wurde geändert durch das Decreto-Lei no 76-A/2006 vom 29. 3. 2006.
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs
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Identität, sofern das Recht des Herkunftsstaates dem nicht entgegensteht; die Gesellschaft muss aber ihren Gesellschaftsvertrag an das portugiesische Recht anpassen (Abs. 2). In ihrem Ausgangspunkt, dass das portugiesische Recht einen identitätswahrenden statutenwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften gestattet, ist Leible/Hoffmann damit zuzustimmen.270 Ähnlich wie in Portugal ist die Rechtslage in Belgien. Gemäß Art. 110 des belgischen Gesetzbuches über das Internationale Privatrecht unterliegen juristische Personen dem Recht des Staates, auf dessen Gebiet sich ab ihrer Gründung ihre Hauptniederlassung befindet. Auch das belgische Internationale Gesellschaftsrecht folgt damit der Sitztheorie.271 Art. 112 bestimmt:272 Die Verlegung der Hauptniederlassung einer juristischen Person von einem Staat in einen anderen erfolgt ohne Unterbrechung der Rechtspersönlichkeit nur unter den Bedingungen, unter denen das Recht dieser Staaten es erlaubt. Bei einer Verlegung der Hauptniederlassung in das Gebiet eines anderen Staates unterliegt die juristische Person ab der Verlegung dem Recht dieses Staates.
Auch nach belgischem Recht kommt es bei einer Verlegung des Verwaltungssitzes von einem Staat in einen anderen also zu einem Statutenwechsel. Für den Fall eines Zuzugs nach Belgien ermöglicht das belgische Recht ausländischen Gesellschaften ebenfalls die Wahrung ihrer rechtlichen Identität, sofern das Recht ihres Herkunftsstaates dies erlaubt.273 Ähnlich wie nach Art. 3 Abs. 2 des portugiesischen CSC ist die Satzung der zugezogenen Gesellschaft an die Vorschriften des belgischen Rechts anzupassen. Das Erfordernis der Satzungsanpassung ergibt sich allerdings nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes, sondern aus dem Lamot-Urteil der belgischen Cour de Cassation vom 12. November 1965274, wo es heißt, „dass es keiner einzigen Bestimmung des belgischen Rechts zuwiderläuft, dass diese Gesellschaft erhalten bleibt, sobald sie in Übereinstimmung mit ihrer ursprünglichen Satzung, unter Umständen den belgischen Vorschriften angepasst, alle Voraussetzungen erfüllt, um sich auf ihre Rechtsfähigkeit [...] berufen zu können.“275 Die praktische Relevanz dieses Anpassungszwangs wird freilich als gering eingestuft: Die Anpassung wird zugezogenen Gesellschaften nur eventuell auferlegt und soll die wesentlichen
270 Siehe
auch Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, 1999, S. 21 f. m. w. N. aus der portugiesischen Literatur; Steiger, RIW 1998, 695 (697). 271 Pertegas, IPRax 2006, 53 (59); Veestraeten, Status:Recht 2008, 69; Wymeersch, ZGR 1999, 126. 272 Eine amtliche Übersetzung in die deutsche Sprache enthält das Belgische Staatsblatt vom 10. November 2005. 273 Pertegas, IPRax 2006, 53 (60); Veestraeten, Status:Recht 2008, 69 (70). 274 Court de Cassation, Urteil vom 12. 11. 1965, RCJB 1966, 392 (398). 275 Übersetzung der Passage bei Wymeersch, ZGR 1999, 126 (138), Hervorhebung durch den Verf.
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Elemente der ursprünglichen Gesellschaft nicht betreffen;276 unterbleibt sie, soll dies gleichwohl nicht zur Folge haben, dass die Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verliert.277 Ähnlich wie Belgien folgen auch Luxemburg und Frankreich der Sitztheorie: Art. 159 des luxemburgischen Gesetzes vom 10. August 1915 über Handelsgesellschaften bestimmt, dass jede Gesellschaft, die ihre Hauptniederlassung im Großherzogtum hat, dem luxemburgischen Gesetz unterworfen ist, auch wenn der Gründungsakt im Ausland erfolgt ist.278 Zur Frage der rechtlichen Identität teilte das luxemburgische Justizministerium auf ein Auskunftsersuchen des OLG Jena zur Rechtslage in Luxemburg mit: „Es wurde in der Vergangenheit diskutiert, ob eine Gesellschaft ihre Nationalität ändern kann, ohne ihre Rechtspersönlichkeit im Aufnahmestaat zu verlieren und eine neue Rechtspersönlichkeit im Land, wo die Gesellschaft neu etabliert ist, zu erwerben. Es wird jedoch heute allgemein angenommen, dass die Nationalitätenänderung keinen Bruch in der Kontinuität der Rechtspersönlichkeit mit sich bringt.“279
Auch in Frankreich wird bereits in der älteren Literatur teilweise ein identitätswahrender Zuzug ausländischer Gesellschaften anerkannt, die ihre Satzung an das französische Recht anpassen.280 Die Beispiele belegen, dass die Sitztheorie international – anders als lange Zeit in Deutschland – keineswegs als drakonische „reine Nicht-Anerkennungs-Theorie“281 interpretiert wurde.
2. Das deutsche Modell: Umqualifizierung in deutsche Personengesellschaft Auch nach deutschem Recht soll aber Leible/Hoffmann zufolge inzwischen die Möglichkeit eines identitätswahrenden statutenwechselnden Zuzugs ausländischer Gesellschaften bestehen, weil deutsche Gerichte eine zugezogene ausländische Gesellschaft als Personengesellschaft deutschen Rechts behandeln („Umqualifizierung“). Leible/Hoffmann gehen ferner davon aus, dass diese 276
Wymeersch, ZGR 1999, 126 (139); ders, CML Rev. 40 (2003), 661 (672); weitergehend Pohlmann, Das französische Internationale Gesellschaftsrecht, 1988, S. 94 f.; ausführlich zum Umfang der notwendigen Anpassung Loussouarn/Bredin, Droit du Commerce International, 1969, Rn. 280. 277 Wymeersch, ZGR 1999, 126 (139). 278 Eine zweisprachige Fassung (französisch/deutsch) enthält das Memorial des Großherzogtums Luxemburg Nr. 90 vom 30. Oktober 1915. 279 Wörtliche Wiedergabe in OLG Jena, Urteil vom 17. 12. 1997, 2 U 244/94, IPRax 1998, 364 (366); dazu Bechtel, IPRax 1998, 348 (349). 280 Grundlegend Loussouarn/Bredin, Droit du Commerce International, 1969, Rn. 273 ff.; ausführlich zum französischem Recht Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, 1999, S. 16 f., der darauf hinweist, dass in einigen französischen Gerichtsentscheidungen ein identitätswahrender Zuzug wegen des caractère frauduleux der Sitzverlegung im Einzelfall abgelehnt wurde. 281 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (341).
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs
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Möglichkeit in allen Mitgliedstaaten besteht, bei denen eine Gesellschaftsform ohne konstitutive Registereintragung existiert.282
a) Die Umqualifizierung als Mechanismus des deutschen materiellen Gesellschaftsrechts Richtig ist zunächst, dass aus der Perspektive des deutschen Rechts der Zuzug einer ausländischen Gesellschaft einen Statutenwechsel zur Folge hat: Deutschland folgt kollisionsrechtlich seit jeher der Sitztheorie und hält an dieser auch heute noch fest, soweit nicht die Niederlassungsfreiheit es gebietet, Gesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten bzw. Unterzeichnerstaaten des EWRAbkommens als solche anzuerkennen und damit die Anwendung der Sitztheorie untersagt, oder eine staatsvertragliche Vereinbarung besteht, die Deutschland zur Anwendung der Gründungstheorie verpflichtet.283 Nach der älteren Rechtsprechung wurden zugezogene ausländische Gesellschaften in Deutschland als rechtliches Nullum behandelt, d. h. ihnen wurde die Rechts- und Parteifähigkeit aberkannt.284 Diese Rechtsprechung wurde durch den BGH in seiner JerseyEntscheidung285 aber ausdrücklich aufgegeben. Nunmehr werden zugezogene ausländische Gesellschaften in Deutschland als Personengesellschaft behandelt, d. h. in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder – sofern der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist – in eine OHG umqualifiziert.286 Sowohl bei der Nichtanerkennung einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft als auch bei ihrer Umqualifizierung in eine deutsche Personengesellschaft handelt es sich um eine materiell-rechtliche Konsequenz des Statutenwechsels. Dass sich hierfür nach der Jersey-Entscheidung in Rechtsprechung und Literatur die Bezeichnung „modifizierte Sitztheorie“ (in Abgren282
Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (61). differenzierenden Behandlung zugezogener ausländischer Gesellschaften nach deutschem Internationalem Gesellschaftsrecht siehe oben S. 23 ff. 284 BGH, Urteil vom 30. 1. 1970, V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183); BGH, Urteil vom 21. 3. 1986, V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 f.); OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. 6. 1990, 3 W 43/90, NJW 1990, 3092; Großfeld, in: Staudinger, IntGesR Rn. 427; weitere Nachweise bei Bechtel, Umzug von Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, 1999, S. 14. 285 BGH, Urteil vom 1. 7. 2002, II ZR 380/00, BGHZ 151, 204; siehe dazu Kindler, IPRax 2003, 41; Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203. 286 BGH, Urteil vom 27. 10. 2008, II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 (sog. „TrabrennbahnUrteil“) zu einer schweizerischen Aktiengesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland; krit. Behme/Nohlen, StudZR 2009, 199 (203); Gottschalk, ZIP 2009, 948; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338; zustimmend Kindler, IPRax 2009, 189 (190); Weller, IPRax 2009, 202 (208); siehe ferner BGH, Beschluss vom 8. 10. 2009, IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 zu einer in Singapur gegründeten Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland; dazu Lieder/Kliebisch, EWiR 2010, 117 f. Für eine Umqualifizierung ausländischer Gesellschaften in eine inländische Rechtsform, die der ursprünglichen Rechtsform strukturell am ehesten entspricht („qualifizierte Fortschreibung der ausländischen Rechtsform“) nunmehr Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (425 ff.). 283 Zur
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
zung zu der ursprünglichen Praxis der Nichtanerkennung) eingebürgert hat,287 beruht auf einer unzulässigen Vermengung von kollisions- und sachrechtlicher Ebene.288 Was auch immer mit der zugezogenen Gesellschaft geschieht: Die Aussage der Sitztheorie als Kollisionsnorm beschränkt sich auf die Anordnung der Anwendung deutschen materiellen Gesellschaftsrechts auf die zugezogene ausländische Gesellschaft. Dieses entscheidet über das weitere Schicksal der Gesellschaft. Durch deren Umqualifizierung in eine deutsche Personengesellschaft wird daher nicht die Sitztheorie modifiziert, sondern die Frage der Behandlung ausländischer Gesellschaften auf der Ebene des kollisionsrechtlich durch die Sitztheorie zur Anwendung berufenen deutschen materiellen Gesellschaftsrechts anders beantwortet als zuvor. Die Umqualifizierung einer zugezogenen Gesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft evoziert eine Reihe kaum lösbarer289 Folgeprobleme: Sind die ausländische Gesellschaft und die deutsche Personengesellschaft rechtlich identisch? Kann der Geschäftsführer der ausländischen Kapitalgesellschaft in Deutschland ungeachtet des Grundsatzes der Selbstorganschaft die deutsche Personengesellschaft auch dann rechtswirksam vertreten, wenn er nicht Gesellschafter ist?290 Kann es zu einer Doppeltitulierung von Ansprüchen mangels entgegenstehender Rechtskraft kommen, weil eine Gesellschaft Ansprüche sowohl in ihrer Eigenschaft als deutsche Personengesellschaft vor deutschen Gerichten als auch in ihrer Eigenschaft als ausländische Kapitalgesellschaft vor einem Gericht ihres Herkunftsstaates geltend macht?291 Wie können Ansprüche gegen die Gesellschafter aufgrund ihrer persönlichen Haftung in Deutschland gerichtlich durchgesetzt werden, wenn sich ihr Wohnsitz und ihr Vermögen nach wie vor im Ausland befinden und damit ein allgemeiner Beklagtengerichtsstand nach §§ 12, 13 ZPO in Deutschland nicht existiert?292
287 Siehe etwa LG Duisburg, Beschluss vom 20. 2. 2007, 7 T 269/06, NZG 2007, 637 (638); Binz/Mayer, BB 2005, 2361; Gottschalk, ZIP 2009, 948 (949); Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 173; Hellgardt/Illmer, NZG 2009, 94; Jaensch, EWS 2007, 97 (99); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (341); Weller, IPRax 2003, 520 (521). 288 Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (416, Fußn. 32); Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203; Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219 (232). 289 Ebke, FS Hellwig, S. 117 (133); vgl. auch ders., JZ 2003, 927 (928) („unlösbar“); zustimmend Behme, BB 2010, 1679 (1683). 290 Binz/Mayer, BB 2005, 2361 (2364); Hellgardt/Illmer, NZG 2009, 94 (95); Lieder/ Kliebisch, BB 2009, 338 (341). 291 Binz/Mayer, BB 2005, 2361 (2365); Gottschalk, ZIP 2009, 948 (951); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (341); Walden, EWS 2001, 256 (259). 292 Hellgardt/Illmer, NZG 2009, 94 (95).
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b) Insbesondere die Frage der rechtlichen Identität Während etwa das portugiesische und das belgische Recht den Fortbestand der Rechtspersönlichkeit einer zuziehenden Gesellschaft in Folge des Statutenwechsels gesetzlich anordnen, beruht das deutsche Modell der Umqualifizierung allein auf höchstrichterlicher Rechtsprechung, die sich in den einschlägigen Judikaten mit der Frage nach der rechtlichen Identität der zugezogenen ausländischen Gesellschaft und der deutschen Personengesellschaft nicht näher befasst hat. Auch in der deutschen Literatur wird die Frage nur stiefmütterlich behandelt. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage nach der Identität der zugezogenen ausländischen Gesellschaft und der deutschen Personengesellschaft ist die Jersey-Entscheidung des BGH. Diese Entscheidung des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats erging am 1. 7. 2002 und damit zu einem Zeitpunkt, in dem die durch eine Vorlage des VII. Zivilsenats293 veranlassten Schlussanträge des Generalanwalts Colomer in der Rechtssache Überseering vom 4. 12. 2001 bereits vorlagen. In seinen Schlussanträgen hatte der Generalanwalt die Auffassung vertreten, dass die bislang durch die Rechtsprechung des BGH praktizierte Aberkennung der Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten mit deren Niederlassungsfreiheit unvereinbar ist.294 Dass der II. Zivilsenat nunmehr einer nach dem Recht der Kanalinsel Jersey gegründeten (und damit gar nicht in den Genuss der Niederlassungsfreiheit kommenden)295 Gesellschaft nicht die Rechts- und Parteifähigkeit abspricht, sondern sie in eine Personengesellschaft – im vorliegenden Fall: in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts – umqualifiziert, ist vor dem Hintergrund dieser Auffassung des Generalanwalts zu sehen. Behrens kennzeichnet die Jersey-Entscheidung des BGH treffend als „Entlastungsmanöver“, mit dem die Sitztheorie in letzter Minute vor dem Verdikt ihrer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht bewahrt werden sollte.296 Denn nach der Bejahung der (partiellen) Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts297 ist eine zugezogene ausländische Gesellschaft nicht nur als Personenhandelsgesellschaft, sondern – sofern der Betrieb eines Handelsgewerbes nicht feststellbar ist – auch als deutsche BGB-Außengesellschaft vor deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig. Die ursprüngliche Konsequenz der Anwendung deutschen Rechts auf die zugezogene ausländische Gesellschaft – Aberkennung der Rechts- und Parteifähigkeit – war damit überholt; dementsprechend äußerte 293
BGH, Beschluss vom 30. 3. 2000, VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967. Schlussanträge des Generalanwalts Colomer vom 4. 12. 2001, Rs. C-208/00 (Überseering), NZG 2002, 16 (Rn. 44 ff.). 295 Binz/Mayer, BB 2005, 2361; vorher schon Ebke, JZ 2003, 927 (928). 296 Behrens, IPRax 2003, 193 (199); zustimmend auch Ebke, JZ 2003, 927 (928); ebenso Heidenhain, NZG 2002, 1141 (1142) („Rettungsversuch“). 297 Grundlegend BGH, Urteil vom 29. 1. 2001, II ZR 331/00, BGHZ 146, 341. 294
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der damalige Vorsitzende des II. Zivilsenats rückblickend, der Vorlage des VII. Zivilsenats im Fall Überseering habe es nicht bedurft.298 Die Umqualifizierung soll also mit Blick auf die Rechts- und Parteifähigkeit gewissermaßen ein „milderes Mittel“ im Vergleich zur Behandlung der zugezogenen ausländischen Gesellschaft als rechtliches Nullum darstellen. Zu einem solchen milderen Mittel wird die Umqualifizierung aber erst, wenn man von einer rechtlichen Identität der ausländischen Gesellschaft und der deutschen Personengesellschaft ausgeht. Denn eine neue, d. h. mit der ausländischen Gesellschaft nicht identische deutsche Personengesellschaft entsteht auch dann, wenn man die zugezogene ausländische Gesellschaft als rechtliches Nullum behandelt, sie also nicht in eine deutsche Personengesellschaft umqualifiziert. An das Entstehen einer deutschen Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer deutschen OHG sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist gem. § 705 BGB lediglich der (ausdrückliche oder konkludente) Abschluss eines Gesellschaftsvertrags, durch den sich die Gesellschafter gegenseitig verpflichten, die Erreichung eines bestimmten Zweckes zu fördern. Ist der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet, handelt es sich gem. § 105 Abs. 1 HGB um eine OHG, wenn bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. Gemäß § 123 Abs. 2 HGB wird sie unabhängig von ihrer Eintragung in das Handelsregister im Verhältnis zu Dritten schon mit ihrem tatsächlichen Geschäftsbeginn wirksam. Das bedeutet: Sobald die Gesellschafter der ausländischen Gesellschaft in Deutschland einen gemeinsamen Zweck verfolgen, entsteht eine deutsche Gesellschaft bürgerlichen Rechts; sofern dieser Zweck – was der Regelfall sein wird – im Betrieb eines Handelsgewerbes besteht, entsteht mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit in Deutschland eine deutsche OHG.299 Diese ist zwar ohne Weiteres in Deutschland rechts- und parteifähig, aber mit der zugezogenen ausländischen Gesellschaft nicht rechtlich identisch, sondern vielmehr erst mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit in Deutschland neu entstanden.300 Sie kann Rechte und Pflichten ausschließlich aus Geschäften herleiten, die nach der Verlegung des
298 Goette, DStR 2002, 1679 (1680); siehe zur Diskussion um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen ausführlich W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 (1599 ff.); Walden, EWS 2001, 256 (260 ff.). 299 Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (340). 300 Eine OHG entsteht bei Zuzug einer ausländischen Gesellschaft unabhängig davon, ob die Gesellschafter nach wie vor im Ausland ansässig sind oder ebenfalls nach Deutschland ziehen. Entscheidend ist, dass sich der Verwaltungssitz im Inland befindet; dies ist der Fall, wenn die grundlegenden Verwaltungsentscheidungen im Inland effektiv in laufende Geschäftsführungsmaßnahmen umgesetzt werden (siehe oben S. 12). Auch bei einer deutschen Personengesellschaft ist daher ungeachtet des Grundsatzes der Selbstorganschaft der Verwaltungssitz nicht mit dem Wohnsitz bzw. Tätigkeitsort der Gesellschafter identisch.
C. Der Schutz des rechtsformwechselnden Zuzugs
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Verwaltungssitzes nach Deutschland abgeschlossen werden.301 Insbesondere kann die neue GbR oder OHG keine Ansprüche der ausländischen Gesellschaft in Deutschland gerichtlich geltend machen, die bereits vor der Verlegung des Verwaltungssitzes entstanden sind, da sie nicht Inhaberin dieser Ansprüche ist. Hierin besteht der zentrale Unterschied zwischen der Neuentstehung einer deutschen Personengesellschaft und der Umqualifizierung einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft. In dem der Jersey-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt kann die Gesellschaft als deutsche GbR die Beklagte aus einer Bürgschaftserklärung in Anspruch nehmen; die Sache wurde insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Auch im Trabrennbahn-Urteil302 hat der BGH die Zulässigkeit der (freilich unbegründeten) Klage einer schweizerischen Aktiengesellschaft mit der Begründung bejaht, diese werde als OHG behandelt und könne als solche ihre Ansprüche in Deutschland gerichtlich geltend machen. Dies ist aber nur möglich, wenn die deutsche Personengesellschaft Inhaberin der streitigen Ansprüche der ausländischen Gesellschaft ist. Weder in der Jersey- noch in der TrabrennbahnEntscheidung prüft der BGH, ob diese Ansprüche vor oder nach der Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland entstanden sind. Diese Frage ist aber nur dann unerheblich, wenn man davon ausgeht, dass die deutsche Personengesellschaft nicht erst mit der Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland entstanden, sondern mit der zugezogenen ausländischen Gesellschaft rechtlich identisch ist. Dass der BGH hiervon geradezu selbstverständlich ausgeht, zeigt auch seine Wortwahl: Der BGH spricht nicht davon, dass eine (neu entstandene) deutsche Personengesellschaft die Ansprüche der ausländischen Gesellschaft im Wege eines (womöglich gesetzlichen) Forderungsübergangs erworben hat, sondern er stellt fest, dass die zugezogene ausländische Gesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder als OHG behandelt wird. Auf diese Weise erscheint die Umqualifizierung in der Tat als milderes Mittel im Vergleich zur Nichtanerkennung der zugezogenen ausländischen Gesellschaft und der Entstehung einer neuen deutschen Personengesellschaft. Freilich hat dies an der Notwendigkeit, die Sitztheorie gegenüber zugezogenen Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten aufzugeben, nichts geändert: Mit der Rechts- und Parteifähigkeit als deutsche Personengesellschaft geht nämlich die persönliche Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der ausländischen Gesellschaft einher; die damit verbundene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit 301 Dass sie dabei unter ihrer Auslandsfirma auftritt, ist zwar firmenrechtlich unzulässig, ändert aber nichts daran, dass die deutsche OHG aus diesen Geschäften berechtigt und verpflichtet wird, siehe Bogler, DB 1991, 848 (850); Leible/Hoffmann, DB 2002, 2202 (2205); Müller, ZIP 1997, 1049 (1051); Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S. 300. 302 BGH, Urteil vom 27. 10. 2008, II ZR 158/06, BGHZ 178, 192; krit. Behme/Nohlen, StudZR 2009, 199 (203); Gottschalk, ZIP 2009, 948; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338; zustimmend Kindler, IPRax 2009, 189 (190); Weller, IPRax 2009, 202 (208)
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
ist unionsrechtlich ebenso wenig zu rechtfertigen wie die völlige Negierung der rechtlichen Existenz der Gesellschaft. Gesellschaften aus Drittstaaten, die sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, werden dagegen nach wie vor in deutsche Personengesellschaften umqualifiziert.303 Dass sich die Umqualifizierung unter Wahrung der rechtlichen Identität der Gesellschaft vollzieht, wird schließlich auch deutlich, wenn man sich ihre dogmatische Begründung vor Augen führt. Die Umqualifizierung zugezogener ausländischer Gesellschaften in eine deutsche Personengesellschaft stellt keine „Entdeckung“ des BGH in der Jersey-Entscheidung dar,304 sondern wurde in der Literatur schon zuvor diskutiert.305 Insbesondere K. Schmidt hebt hervor, die Vorstellung, eine zugezogene Gesellschaft würde nach der Sitztheorie als rechtliches Nullum behandelt, sei „unrichtig“, denn die Sitztheorie unterstelle die zugezogene Gesellschaft „natürlich“ nicht dem Inlandsrecht, um sie dann für inexistent zu erklären. Vielmehr könne es sich nach deutschem Recht nur entweder um eine fehlerhafte306 Vorgesellschaft oder um eine offene Handelsgesellschaft (in Fällen nicht- oder kleingewerblicher Tätigkeit um eine BGBGesellschaft) handeln.307 Begründet wird dies damit, dass die Gesellschaft mit ihrem Grenzübertritt inländischem Rechtsformzwang unterliegt und daher in den numerus clausus der deutschen Rechtsformen eingeordnet wird.308 Zitiert werden in diesem Zusammenhang zwei Entscheidungen des BGH,309 aus denen sich ergibt, dass der BGH auch bei Inlandssachverhalten jeden gesellschaftlichen Zusammenschluss derjenigen vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsform zuordnet, der sie objektiv entspricht. So ging der BGH davon aus, bei einem von den Inhabern in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründeten Adressbuchverlag handele es sich, da Verlagsgeschäfte nach § 1 Abs. 2 Nr. 8 HGB a. F. als Handelsgewerbe einzuordnen waren, um eine OHG.310 In einem anderen Fall hatten die Gesellschafter einer 303
Siehe zuletzt BGH, Beschluss vom 8. 10. 2009, IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 zu einer in Singapur gegründeten Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland; dazu Lieder/Kliebisch, EWiR 2010, 117 f. 304 So aber Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (341). 305 v. Bar, Internationales Privatrecht II, 1991, Rn. 623; Bogler, BB 1991, 848 (850); Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (90 f.); Müller, ZIP 1997, 1049 (1050 f.); W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (649); K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (24); Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S. 300; ders., BB 2000, 1361 (1362 f.). 306 Eine Qualifizierung als echte Vorgesellschaft scheidet aus, da die ausländische Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz in das Inland verlegt hat, regelmäßig nicht die Eintragung in das Handelsregister betreiben wird, vgl. Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (91); Müller, ZIP 1997, 1049 (1050). 307 K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (24). 308 Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (90 f.); K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (24); ausführlich zum Rechtsformzwang im Gesellschaftsrecht Jahnke, ZHR 146 (1982), 595 (602 ff.). 309 So etwa bei Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (91). 310 BGH, Urteil vom 17. 6. 1953, II ZR 205/52, BGHZ 10, 91 (96 f.).
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„Rohfaser GmbH“, deren Zweck auf die Herstellung von Rohfaserplatten gerichtet war, unter der Firma „Rohfa GmbH“ eine Fleischfabrik betrieben. Die „Rohfa GmbH“ war nicht in das Handelsregister eingetragen und sollte auch nicht in das Handelsregister eingetragen werden. Der BGH behandelte die „Rohfa GmbH“ als OHG; durch das tatsächliche Verhalten der GmbH-Gesellschafter sei schlüssig ein OHG-Vertrag zustande gekommen und die Beteiligten hätten ihre Haftung nicht in der gedachten Weise beschränken können.311 In beiden Fällen hat der BGH ausdrücklich betont, dass es für die Einordnung der Gesellschaft als OHG allein auf objektive Kriterien ankommt. Ein entgegenstehender Wille der Gesellschafter, die insbesondere im „Rohfa-Fall“ die mit der persönlichen Haftung verbundene Rechtsform der OHG nicht wollten, ist demnach unerheblich. In dieser Unbeachtlichkeit eines entgegenstehenden Willens der Gesellschafter liegt der berechtigte Kern der Parallele zwischen den angeführten BGH-Entscheidungen und den Fällen der Umqualifizierung zugezogener ausländischer Gesellschaften in eine deutsche Personengesellschaft. In beiden Fällen ignoriert der BGH den Willen der Gesellschafter und bürdet ihnen die persönliche Haftung auf, um auf diese Weise den Bestand der Gesellschaft zu sichern. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Einordnung als OHG im „Rohfaser-Fall“ den Interessen der Gesellschafter eher entspricht als die Annahme einer fehlerhaften GmbH mit der Konsequenz der Auflösung.312 Beiden Entscheidungen des BGH lagen allerdings Sachverhalte zugrunde, in denen die Gesellschafter von vornherein, d. h. bei Gründung der Gesellschaft, die falsche Gesellschaftsform gewählt hatten. Die Gesellschaft erfüllte aber von Anfang an die Voraussetzungen der Rechtsform, der sie später zugeordnet wurde; letztlich handelte es sich daher um Fälle einer bloßen Fehlbezeichnung der Rechtsform. Im Falle der Umqualifizierung einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft ist dies anders. Im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft im Ausland sind die Voraussetzungen keiner einzigen deutschen Gesellschaftsform erfüllt. Mit Blick auf die deutschen Kapitalgesellschaftsformen ist dies offensichtlich. Aber auch eine deutsche Personengesellschaft liegt erst im Moment des Grenzübertritts vor, da zuvor überhaupt kein Bezug zur deutschen Rechtsordnung besteht. Solange sich der Verwaltungssitz in ihrem Herkunftsstaat befindet, wird deutsches Gesellschaftsrecht nach Maßgabe der Sitztheorie schon kollisionsrechtlich gar nicht erst zur Anwendung berufen, sondern die Gesellschaft unterliegt dem Recht ihres Herkunftsstaates. Ist die Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates wirksam errichtet, handelt es sich unstreitig auch aus deutscher Perspektive um eine ausländische Gesellschaft. Erst durch die Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland ändert sich dies: 311
312
BGH, Urteil vom 29. 11. 1956, II ZR 282/55, BGHZ 22, 240 (245). Jahnke, ZHR 146 (1982), 595 (605 f.).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Die Gesellschaft ist aus deutscher Perspektive keine ausländische Gesellschaft mehr, da das ausländische Gesellschaftsrecht keine Anwendung mehr findet, sondern wird zu einer deutschen OHG. In dieser Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt der zentrale Unterschied zu den referierten Entscheidungen des BGH zum Rechtsformzwang. Durch den Grenzübertritt ändern sich wesentliche Merkmale der Gesellschaft, die zu einer Änderung der Rechtsform führen; darin liegt ein erheblicher qualitativer Unterschied zu einer bloßen anfänglichen falsa demonstratio. Richtigerweise wird man daher eine Parallele zu den Inlandssachverhalten ziehen müssen, in denen die Änderung der Rechtsform der Gesellschaft ebenfalls einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse folgt. Dies ist etwa der Fall, wenn die Gesellschafter einer OHG den Betrieb ihres Handelsgewerbes aufgeben und es daher zur „Umwandlung kraft Gesetzes“313 in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts kommt, oder wenn der einzige Kommanditist einer KG wegfällt und die verbleibenden ehemaligen Komplementäre die Gesellschaft als OHG weiterführen. In beiden Fällen wird die rechtliche Identität der Gesellschaft gewahrt: Im ersten Fall ändert sich lediglich der Gesellschaftszweck, der auf den Bestand der Gesellschaft keinen Einfluss hat. Im zweiten Fall ergibt sich die Identität aus § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach im Falle des Ausscheidens des Gesellschafters einer Personengesellschaft sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zuwächst. Diese Anwachsung setzt die Identität der Gesellschaft voraus.314 Zwar lässt sich aus beiden Fällen nicht unmittelbar auf die Identität der deutschen Personengesellschaft mit einer umqualifizierten ausländischen Gesellschaft schließen. Der Gesellschaftszweck der zuziehenden ausländischen Gesellschaft ändert sich durch den Grenzübertritt nicht (sofern nicht nach dem materiellen Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates der Liquidationszweck infolge der Hinausverlegung des Verwaltungssitzes den eigentlichen Gesellschaftszweck überlagert). § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB enthält eine Nachfolgeregelung, die auf deutsche Personengesellschaftsformen beschränkt ist. Gleichwohl wird deutlich, dass eine Änderung der Rechtsform, die dem Rechtsformzwang des deutschen Gesellschaftsrechts geschuldet ist, die Identität der Gesellschaft unberührt lässt. Mit anderen Worten: Der Rechtsformzwang zwingt nicht zur Neugründung von Gesellschaften. Er mag zu Lösungen führen, die dem Willen der Gesellschafter widersprechen, erlaubt aber das Fortbestehen der Gesellschaft. Dieser Rechtsgedanke lässt sich auf die Umqualifizierung durchaus übertragen und liefert einen weiteren Beleg für die These, dass die Umqualifizierung einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität erfolgt. 313 314
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 12 I 4. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 45 II 4.
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Damit ist Leible/Hoffmann in ihrem Befund zuzustimmen, dass das deutsche Recht mit dem Mechanismus der Umqualifizierung ebenso wie das portugiesische und das belgische Recht einen statutenwechselnden identitätswahrenden Zuzug ausländischer Gesellschaften ermöglicht. Nicht zu folgen ist ihnen aber, soweit sie annehmen, dass der Fortbestand eines zuziehenden rechtlichen Gebildes als einheimische Personengesellschaft wohl in allen Mitgliedstaaten möglich sein dürfte, bei denen eine Gesellschaftsform ohne konstitutive Registereintragung existiert; dies sei in allen Rechtsordnungen der Fall.315 Eine derartige Sichtweise verkennt, dass die bloße Existenz einer Gesellschaftsform ohne konstitutive Registereintragung nichts darüber aussagt, ob zuziehende ausländische Gesellschaften unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität in eine solche Gesellschaftsform umqualifiziert werden können. Gewährleistet ist lediglich, dass eine solche Gesellschaft mit Aufnahme der Geschäftstätigkeit im Aufnahmestaat neu entsteht. Diese neu entstandene Personengesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates ist aber mit der zugezogenen ausländischen Gesellschaft anders als im Falle der Umqualifizierung in eine deutsche Personengesellschaft nicht rechtlich identisch. Dagegen können nach deutschem Recht zuziehende ausländische Gesellschaften als deutsche Personengesellschaft fortbestehen, und zwar automatisch, ohne dass die Gesellschaft hierfür irgendwelche Voraussetzungen erfüllen muss. Der Fortbestand der Gesellschaft wird jedoch mit der persönlichen Haftung der Gesellschafter erkauft; ein entgegenstehender Wille ist unbeachtlich. Mit dieser Lösung beschreitet Deutschland einen Sonderweg, der gewissermaßen in der Mitte liegt zwischen der vergleichsweise liberalen Haltung Portugals und Belgiens, die einen statutenwechselnden identitätswahrenden Zuzug ausländischer Gesellschaften sogar unter Erhaltung der Haftungsbeschränkung gestatten, und der Sanktionierung der Hereinverlegung des Verwaltungssitzes mit der Behandlung der Gesellschaft als rechtliches Nullum und dem Verlust der Rechtspersönlichkeit. Auch bei einem solchen Verständnis der Sitztheorie kommt es im Falle der Hineinverlegung des Verwaltungssitzes zu einem Statutenwechsel und zur Entstehung einer neuen Personengesellschaft. Eine Umqualifizierung und die Möglichkeit eines identitätswahrenden Zuzugs ist damit aber nicht verbunden.
3. Unterschiede zwischen identitätswahrendem Statutenwechsel und grenzüberschreitendem Formwechsel Führt nun der identitätswahrende statutenwechselnde Zuzug zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel? Leible/Hoffmann nehmen dies offenbar an und ziehen daraus die weitreichende Konsequenz, dass jedenfalls beim Wegzug in einen Sitztheoriestaat der Herkunftsstaat der Gesellschaft keine Auflösung 315
Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (61).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
und Liquidation der ursprünglich nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft mehr anordnen dürfe, da dies den Zuzug als Personengesellschaft im Aufnahmestaat verhindern würde.316 Sowohl die gesetzlichen Regelungen in Art. 3 Abs. 2 des portugiesischen CSC und in Art. 112 Abs. 2 des belgischen IPR-Gesetzes als auch das deutsche Modell der Umqualifizierung sind Mechanismen, die auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts die Folgen des kollisionsrechtlich durch die Sitztheorie angeordneten Statutenwechsels bei Verlegung des „effektiven Sitzes“ (Art. 3 Abs. 2 CSC) bzw. der „Hauptniederlassung“ (Art. 112 IPR-Gesetz) ins Inland regeln und der zugezogenen ausländischen Gesellschaft in diesem Falle die Wahrung ihrer rechtlichen Identität ermöglichen. Damit zwingend verbunden sind entweder Anpassungen der Satzung (Portugal und Belgien) oder die persönliche Haftung der Gesellschafter (Deutschland). Die Auffassung von Leible/Hoffmann beruht auf der unzutreffenden Vorstellung, dass ein Statutenwechsel unter Wahrung der rechtlichen Identität der Gesellschaft und ein grenzüberschreitender Wechsel der Rechtsform gleichbedeutend sind.317 Zwischen beiden Vorgängen bestehen jedoch gravierende Unterschiede. Die Ursache für den Statutenwechsel liegt aus der Perspektive des der Sitztheorie folgenden Aufnahmestaates darin, dass der Verwaltungssitz einer ausländischen Gesellschaft ins Inland verlegt wird. Häufig liegt der isolierten Verlegung des Verwaltungssitzes lediglich ein tatsächliches Verhalten der Geschäftsführer zugrunde, deren Tätigkeitsschwerpunkt sich faktisch in einen anderen Mitgliedstaat verlagert. Dies kann sogar geschehen, ohne dass die Gesellschafter davon überhaupt Kenntnis haben.318 Die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen der Hereinverlegung des Verwaltungssitzes stellt sich dann erst, wenn im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens die Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft bestritten wird – so etwa in den Fällen Überseering oder auch Trabrennbahn. Aber selbst dann, wenn die Gesellschafter über die Verwaltungssitzverlegung informiert sind oder diese sogar ausdrücklich beschließen, lässt sich daraus nicht auf den Willen der Gesellschafter schließen, die Rechtsform der Gesellschaft zu ändern. Im Gegenteil soll im tatsächlichen Leben eine isolierte Verwaltungssitzverlegung wohl regelmäßig unter Wahrung der ursprünglichen Rechtsform erfolgen; ein Wille, der auf einen Wechsel der Rechtsform bzw. des anwendbaren materiellen Gesellschaftsrechts gerichtet ist, 316
Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60 f.). So wohl auch Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495), die von einem „Recht auf Statutenwechsel“ sprechen und dieses im Ergebnis verneinen; Jaensch, EWS 2007, 97 (99); Lennerz, Die internationale Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung deutscher Gesellschaften, 2001, S. 121; vgl. aber Behrens, ZGR 1994, 1 (10). 318 Behme, BB 2010, 1679 (1681); Behrens, ZGR 1994, 1 (9); Ebert, NZG 2002, 937 (938); Ebke, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2004, S. 101 (117). 317
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wird nicht gebildet. Jedenfalls die persönliche Haftung in Folge einer Umqualifizierung wird dem Willen der Gesellschafter regelmäßig diametral zuwiderlaufen. Aus Sicht der betroffenen Gesellschaft handelt es sich, wie Behrens treffend bemerkt, um einen oktroyierten Statutenwechsel.319 Anders als die isolierte Verlegung des Verwaltungssitzes hat der grenzüberschreitende Wechsel der Rechtsform zur Folge, dass sich infolge der Zugehörigkeit zu einer anderen Rechtsordnung die komplette Struktur der Gesellschaft ändert. Es dürfte ohne weiteres einen zum acquis communautaire320 zählenden Grundsatz des europäischen Gesellschaftsrechts darstellen, dass derartige Strukturmaßnahmen nicht ohne einen Beschluss vollzogen werden können, dem die Mehrheit der Gesellschafter zustimmt. Dies gilt für die Verschmelzung321 und die Spaltung322 auf nationaler Ebene ebenso wie für die grenzüberschreitende Verschmelzung323 und die Sitzverlegung der SE324 und muss daher auch für den grenzüberschreitenden Formwechsel gelten. Die gegen den Willen der Gesellschafter erfolgende Umqualifizierung in eine Personengesellschaft ist daher kein grenzüberschreitender Formwechsel, wie ihn der EuGH vor Augen hatte. Anders formuliert: Einen „faktischen grenzüberschreitenden Formwechsel“ gibt es nicht. Zudem vollzieht sich ein Statutenwechsel bei der Verlegung des Verwaltungssitzes aus einem Herkunftsstaat, dessen Gesellschaftskollisionsrecht der Gründungstheorie folgt, ausschließlich aus der Perspektive des Aufnahmestaates. So kommt es etwa in dem vom BGH entschiedenen Trabrennbahn-Fall nur aus deutscher Perspektive auf der Grundlage der Sitztheorie zu einem Statutenwechsel mit der Konsequenz, dass die Gesellschaft in Deutschland als deutsche Personengesellschaft (in diesem Fall: als OHG) behandelt wird. Dagegen bleibt die Gesellschaft aus schweizerischer Perspektive eine schweizerische Aktiengesellschaft, da die Schweiz der Gründungstheorie folgt und die Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland daher aus ihrer Perspektive keinen Statutenwechsel zur Folge hat. Führt man die vom EuGH in 319 Behrens, IPRax 2003, 193 (200); siehe auch Binz/Mayer, BB 2005, 2361 (2364); Ebke, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2004, S. 101 (117). 320 Zum Begriff Zoll, GPR 2008, 106 (108); wie hier Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (757). 321 Art. 7 der Dritten Richtlinie des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (78/855/EWG). 322 Art. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Dezember 1982 betreffend die Spaltung von Aktiengesellschaften (82/891/EWG). 323 Art. 9 der Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 324 Art. 8 der 1. Verordnung des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (2157/2001/EG).
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
Cartesio325 gezogene Parallele zwischen der Zugehörigkeit einer Gesellschaft zu einer bestimmten Rechtsordnung und der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen fort, so entsteht infolge des Statutenwechsels eine „Gesellschaft mit doppelter Staatsbürgerschaft“. Der aus der Perspektive des Aufnahmestaates stattfindende Statutenwechsel erweist sich also aus Sicht der Gesellschaft als Statutenverdoppelung.326 Beim grenzüberschreitenden Formwechsel ist dies anders. Die Gesellschaft löst sich aus ihrer Heimatrechtsordnung und nimmt eine durch das nationale Recht des Aufnahmestaates konfigurierte Rechtsform an. Auch aus der Perspektive des Herkunftsstaates ändert sich also das auf die Gesellschaft anwendbare Recht. Wenn der Formwechsel vollzogen ist, unterliegt die Gesellschaft aus der Perspektive beider betroffener Staaten allein dem Recht des Aufnahmestaates; die Gesellschaft wird (soweit nach dem Recht des Aufnahmestaates erforderlich) im Aufnahmestaat eingetragen. Zu einer Statutenverdoppelung kommt es nicht. Deutlich wird der Unterschied zwischen Statutenverdoppelung und grenzüberschreitendem Formwechsel, wenn man die Gesellschaft aus der Perspektive eines Drittstaates betrachtet, der kollisionsrechtlich der Gründungstheorie folgt: Im Falle einer Statutenverdoppelung unterliegt die Gesellschaft aus dessen Sicht nach wie vor dem Recht ihres Herkunftsstaates (ggf. handelt es sich um eine Gesellschaft in Liquidation, wenn der Herkunftsstaat auf der Ebene seines materiellen Gesellschaftsrechts die Hinausverlegung des Verwaltungssitzes nicht gestattet), während im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels die Gesellschaft eine solche des Aufnahmestaates wäre. Auch der EuGH geht offenbar nicht davon aus, dass bloßer Statutenwechsel und grenzüberschreitender Formwechsel dasselbe sind. In Cartesio werden der Statutenwechsel („Änderung des anwendbaren nationalen Rechts“) und die dabei zugleich erfolgende Umwandlung in eine Gesellschaftsform des Aufnahmestaates als kumulative Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit auf Wegzugsfälle genannt.327 Wäre der bloße Statutenwechsel mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel gleichbedeutend, wäre der letzte Halbsatz – „und dabei in eine dem nationalen Recht des zweiten Mitgliedstaates unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt wird“ – überflüssig. 325
EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 109. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (415); Binz/Mayer, BB 2005, 2361 (2364); Wymeersch, ZGR 1999, 126 (140); ders., CML Rev. 40 (2003), 661 (671); zu weit dürfte dagegen die Formulierung „Duplizierung der Rechtspersönlichkeit“ gefasst sein, da aus der Sicht beider betroffener Staaten die Identität der Gesellschaft gewahrt bleibt; so aber Ebke, in: Sandrock/Wetzler (Hrsg.), Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen, 2004, S. 101 (116); ders., JZ 2003, 927 (928); Gottschalk, ZIP 2009, 948 (950). Eine solche Statutenverdoppelung wäre auch dann anzunehmen, wenn man mit Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (425 ff.) die zugezogene ausländische Gesellschaft nicht in eine OHG, sondern in eine der ursprünglichen Rechtsform vergleichbare inländische Rechtsform umqualifizieren würde. 327 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 111. 326 Treffend
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4. Der identitätswahrende statutenwechselnde Zuzug und die Niederlassungsfreiheit Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts stellt sich die Frage, ob die dargestellten Mechanismen des portugiesischen, belgischen und deutschen Rechts, die auf der Ebene der materiellen Gesellschaftsrechts die Konsequenzen des kollisionsrechtlich durch die Sitztheorie angeordneten Statutenwechsels regeln, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Dies hängt entscheidend davon ab, ob der Zuzug in den Aufnahmestaat aus der Perspektive der betroffenen Gesellschaft unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform erfolgen soll oder ob sie einen grenzüberschreitenden Formwechsel anstrebt. Soll die Sitzverlegung aus der Perspektive der Gesellschaft unter Wahrung der ursprünglichen Rechtsform erfolgen, gilt das im zweiten Kapitel Gesagte: Sofern der Herkunftsstaat der nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft einen rechtsformwahrenden Wegzug ermöglicht und die Gesellschaft auch nach der Sitzverlegung kollisionsrechtlich seinem eigenen materiellen Gesellschaftsrecht unterwirft, hat der Aufnahmestaat die Gesellschaft als solche ihres Herkunftsstaates anzuerkennen. In der kollisionsrechtlichen Anordnung des Statutenwechsels liegt per se eine Negierung der Niederlassungsfreiheit – unabhängig davon, welche Konsequenzen der Statutenwechsel auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates hätte. Die Pflicht des Aufnahmestaates zur Anerkennung reicht jedoch nur so weit, wie der Herkunftsstaat der Gesellschaft die Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform gestattet. Ermöglicht er auf der Ebene seines Kollisionsrechts den Statutenwechsel und macht auf diese Weise die Wahrung der Rechtsform von einer Rückverweisung durch das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates abhängig, darf der Aufnahmestaat den Statutenwechsel auch herbeiführen – und zwar wiederum unabhängig davon, welche Konsequenzen der Statutenwechsel auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates hat. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn die Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel anstrebt. Die dargestellten Mechanismen des portugiesischen, belgischen und deutschen Rechts sind zwar ursprünglich nicht auf einen grenzüberschreitenden Formwechsel im eigentlichen (d. h. umwandlungsrechtlichen) Sinne zugeschnitten. Sie können aber durchaus nutzbar gemacht werden, um einen solchen Formwechsel herbeizuführen. Eine Gesellschaft, die sich in eine Rechtsform portugiesischen Rechts umwandeln will, mag ihre Satzung an das portugiesische Recht anpassen und sodann von den durch Art. 3 Abs. 2 CSC eröffneten Möglichkeiten Gebrauch machen. Aus der Perspektive ihres Herkunftsstaates ist dieser Vorgang durch die Niederlassungsfreiheit geschützt, d. h. er muss sie aus seiner Rechtsordnung entlassen. Aus der Perspektive des Aufnahmestaates (Portugal) entsteht eine portugiesische Gesellschaft. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist darin nicht zu
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
sehen, da diese Rechtsfolge von der Gesellschaft ja gerade angestrebt ist – es handelt sich um einen gewollten (weil im Zuge des grenzüberschreitenden Formwechsels erforderlichen), nicht um einen oktroyierten Statutenwechsel. Ebenso wenig beschränkt die Umqualifizierung einer ausländischen Gesellschaft in eine deutsche OHG deren Niederlassungsfreiheit, wenn sie sich in eine deutsche OHG umwandeln will. Da der Herkunftsstaat einen solchen grenzüberschreitenden Formwechsel ermöglichen und die Gesellschaft zu diesem Zwecke aus seiner Rechtsordnung entlassen muss, stellt sich auch das Problem einer Statutenverdoppelung nicht. Mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind die ursprünglich zur materiell-rechtlichen Bewältigung des kollisionsrechtlich durch die Sitztheorie angeordneten Statutenwechsels vorgesehenen Mechanismen des Aufnahmestaates in Fällen eines von der Gesellschaft angestrebten grenzüberschreitenden Formwechsels freilich nur dann, wenn sie keine strengeren Voraussetzungen aufstellen als das nationale Umwandlungsrecht für einen innerstaatlichen Formwechsel. So wäre es etwa ein klarer Verstoß gegen das in Art. 49 Abs. 2 AEUV verankerte Gebot der Inländerbehandlung, wenn ein Mitgliedstaat ausländischen Gesellschaften lediglich den grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Personengesellschaftsform seines nationalen Rechts ermöglichen, zugleich aber im innerstaatlichen Kontext (wie etwa § 191 Abs. 2 des deutschem UmwG) den Formwechsel in eine Kapitalgesellschaftsform gestatten würde.
D. Ergebnis Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts ist sowohl der rechtsformwechselnde Wegzug als auch der rechtsformwechselnde Zuzug von Gesellschaften durch die Niederlassungsfreiheit geschützt. Der Herkunftsstaat der Gesellschaft muss den rechtsformwechselnden Wegzug zulassen, soweit der Aufnahmestaat kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie im Zuge des Formwechsels eine inländische Gesellschaft zur Entstehung gelangen lässt. Der Aufnahmestaat muss den rechtsformwechselnden Zuzug unter den gleichen Bedingungen gestatten wie den innerstaatlichen Formwechsel. Soweit die betroffenen Mitgliedstaaten von diesen Grundsätzen abweichen, liegt darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der formwechselnden Gesellschaft, die der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses bedarf. Die Niederlassungsfreiheit entfaltet grundsätzlich aber nur verdrängende Wirkung, d. h. ihrer Ausübung entgegenstehendem Recht ist die Anwendung zu versagen (Anwendungsvorrang des Unionsrechts). Das bedeutet, dass Vorschriften der Mitgliedstaaten, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel für unzulässig erklären, an bestimmte Voraussetzungen knüpfen oder seine Durch-
D. Ergebnis
225
führung erschweren, vorbehaltlich ihrer unionsrechtlichen Rechtfertigung nicht mehr angewandt werden können. Weder der grenzüberschreitende noch der innerstaatliche Formwechsel sind jedoch unionsrechtlich harmonisiert. Ein rechtlicher Rahmen für die Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels ist dem Unionsrecht daher nicht zu entnehmen. Insoweit ähnelt die Situation nur bedingt der Rechtslage, die im Anschluss an das SEVIC-Urteil des EuGH für die grenzüberschreitende Verschmelzung bestand.328 In dieser Entscheidung, die am 13. Dezember 2005 erging, hatte der EuGH festgestellt, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften329 bereits verabschiedet, wenngleich den Mitgliedstaaten für die Umsetzung eine Frist bis zum Dezember 2007 eingeräumt war. Die Richtlinie stellte also keine Reaktion auf SEVIC dar, bot aber gleichwohl einen Anhaltspunkt für die Interpretation der Niederlassungsfreiheit durch den Unionsgesetzgeber.330 Zwar stehen auch rückblickend der teilweise in der Literatur geforderten unmittelbaren Anwendung der (zu diesem Zeitpunkt noch nicht umgesetzten) Vorgaben der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung331 erhebliche methodische Bedenken entgegen, da die unmittelbare Anwendung einer Richtlinie nicht nur voraussetzt, dass diese rechtlich vollkommen, d. h. unbedingt und rechtlich bestimmt ist,332 sondern darüber hinaus erst in Betracht kommt, wenn der Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Umsetzung nicht fristgemäß nachgekommen ist.333 Gleichwohl konnte für die Durchführung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung – auch, soweit sie nicht von der Richtlinie erfasst ist – auf einen soliden Bestand unionsrechtlich fundierter und analog anwendbarer Normen zurückgegriffen werden: Zumindest war die innerstaatliche Verschmelzung von Aktiengesellschaften aufgrund
328 Ebenso
Neye, EWiR 2010, 625 (626). 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten; siehe zu deren Umsetzung monographisch Kulenkamp, Die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in der EU, 2009. 330 Vgl. auch Bayer/Schmidt, ZIP 2006, 210 (212); Spahlinger/Wegen, NZG 2006, 721 (725) („Konkretisierung“ der Niederlassungsfreiheit). 331 Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224 (227); Nagel, NZG 2006, 97 (101); zurückhaltender demgegenüber Forsthoff, DStR 2006, 613 (617 f.). 332 Siehe bereits EuGH, Urteil vom 4. 12. 1974, Rs. 41/74 (van Duyn), Slg. 1974, 1337, Rn. 12; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, 2010, Rn. 30; zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH ausführlich Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 665 ff. 333 EuGH, Urteil vom 5. 4. 1979, Rs. 148/78 (Ratti), Slg. 1979, 1629, Rn. 22; siehe dazu Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 683; ferner Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 5, 2010, Rn. 31; dies verkennt Nagel, NZG 2006, 97 (101). 329 Richtlinie
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Drittes Kapitel: Der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften
ihrer Harmonisierung durch die Dritte Richtlinie334 den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten bekannt; ferner war mit der Gründung der SE durch die Verschmelzung von Aktiengesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten ein Sonderfall der grenzüberschreitenden Verschmelzung bereits abschließend durch die SE-Verordnung geregelt und die Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer bei der SE-Gründung bereits umgesetzt. Da derartige Anhaltspunkte für den grenzüberschreitenden Formwechsel weitgehend fehlen – eine Parallele besteht allenfalls zur Sitzverlegung der SE (Art. 8 SE-VO) und ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft (Art. 66 SE-VO) –, stößt seine Durchführung in der Praxis nach Cartesio auf weitaus größere Schwierigkeiten als die Durchführung der grenzüberschreitenden Verschmelzung nach SEVIC.
334 Dritte Richtlinie 78/855/EWG des Rates vom 9. Oktober 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften.
Viertes Kapitel / Zwischenfazit
Die Niederlassungsfreiheit – eine versteckte Kollisionsnorm? Die Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist der Schlüssel zu der in der Literatur kontrovers diskutierten Frage nach den kollisionsrechtlichen Implikationen der Niederlassungsfreiheit. Mit Blick auf den rechtsformwahrenden Zuzug wurde bereits ausführlich begründet, dass die Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften – anders als die Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates im Bereich der Warenverkehrsfreiheit – zwangsläufig eine kollisionsrechtliche Dimension hat. Bezugspunkt der Anerkennungspflicht des Aufnahmestaates ist die Rechtsform der zuziehenden Gesellschaft, die ihr Herkunftsstaat ihr verliehen hat. Würde der Aufnahmestaat auf eine zuziehende Gesellschaft sein eigenes materielles Gesellschaftsrecht anwenden, wäre die von der Niederlassungsfreiheit gebotene Anerkennung nicht möglich. Denn dem materiellen Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates ist die ursprüngliche Rechtsform der Gesellschaft fremd. Die kollisionsrechtliche Anordnung eines Statutenwechsels durch den Aufnahmestaat erweist sich damit als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.1 Dagegen ist dem grenzüberschreitenden Formwechsel wesensimmanent, dass die Gesellschaft eine Rechtsform annimmt, die nicht dem nationalen Recht ihres Herkunftsstaates unterliegt, sondern dem nationalen Recht des Aufnahmestaates, der zum „neuen Herkunftsstaat“ wird. Es findet daher notwendigerweise ein Statutenwechsel statt. Verweigert einer der betroffenen Staaten den Statutenwechsel (etwa durch eine kollisionsrechtliche Anknüpfung an den unwandelbaren Ort der ursprünglichen Inkorporation), ist ein grenzüberschreitender Formwechsel nicht möglich. In diesem Falle ist bereits auf der Ebene des Kollisionsrechts eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegeben, die sowohl den rechtsformwechselnden Wegzug als auch den rechtsformwechselnden Zuzug schützt. Die teilweise in der Literatur vertretene These von der kollisionsrechtlichen Neutralität der Niederlassungsfreiheit erweist sich daher als nicht haltbar.
1
Siehe oben S. 96 f.
228
Viertes Kapitel / Zwischenfazit: Die Niederlassungsfreiheit
Eine andere Frage ist aber, ob der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften eine primärrechtlich verankerte versteckte Kollisionsnorm zu entnehmen ist.2 Teile der Literatur leiten aus der Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung zugezogener ausländischer Gesellschaften ab, dass sich aus der Niederlassungsfreiheit eine unmittelbare Verpflichtung ergibt, kollisionsrechtlich der Gründungstheorie zu folgen.3 Dieser Auffassung kann aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Denn zum einen wäre eine derartige Kollisionsnorm nur für den Aufnahmestaat verbindlich, da jedenfalls der Herkunftsstaat die kollisionsrechtliche Anknüpfung autonom definieren kann; sie ist von seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie umfasst und folglich nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen.4 Zum anderen wird die Verpflichtung des Aufnahmestaates, auf eine zugezogene Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates anzuwenden, aus unionsrechtlicher Perspektive in mehrfacher Hinsicht relativiert; der kollisionsrechtliche Gehalt der Niederlassungsfreiheit ist insofern nicht hinreichend bestimmt, um von einer echten Kollisionsnorm sprechen zu können.5 Zunächst ist die kollisionsrechtliche Anerkennung zugezogener ausländischer Gesellschaften nur dann geboten, wenn der Gesellschaft nach dem Recht ihres Herkunftsstaates eine grenzüberschreitende Sitzverlegung unter Wahrung ihrer ursprünglichen Rechtsform möglich ist. In diesem Falle lässt sich der rechtsformwahrende Zuzug aus der Perspektive des Aufnahmestaates kollisionsrechtlich nur durch die Wahl eines Anknüpfungsmoments bewältigen, das sich nach wie vor im Herkunftsstaat der Gesellschaft befindet. Rechtskonstruktiv ist dies anders als durch eine Gründungsanknüpfung kaum möglich, weshalb der Sache nach in diesen Fällen in der Tat die Anwendung der Gründungstheorie geboten ist.6 Entzieht der Herkunftsstaat einer Gesellschaft dagegen die Rechtsform, wenn sie ihren Sitz ins Ausland verlegt, darf auch der Aufnahmestaat kollisionsrechtlich einen Statutenwechsel anordnen. Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft ist damit nicht verbunden, da sie sich auf diese nach der Logik von Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus gar nicht mehr berufen kann. Die Erforderlichkeit der Gründungsanknüpfung 2 Zur Trennung dieser Fragen Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (12); Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 432; Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 (1085). 3 Behrens, IPRax 2003, 193 (204 f.); ders., IPRax 2004, 20 (25); Eidenmüller, in: Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007, S. 469 (471 ff.); Grohmann, DZWIR 2009, 322 (326 f.); Leible, ZGR 2004, 531 (534); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (928 ff.); Sonnenberger, in: MüKo BGB, Einl. IPR Rn. 140; Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (950 f.); Weller, IPRax 2009, 202 (204 f.); ders., ZGR 2010, 679 (696 ff.). 4 Ebenso Kindler, NZG 2009, 130 (131). 5 Zutreffend Wendehorst, FS Heldrich, S. 1071 (1085). 6 Vgl. Ebke, JZ 2003, 927 (929); Großerichter, DStR 2003, 159 (166); Rehm, in: Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rn. 69.
Viertes Kapitel / Zwischenfazit: Die Niederlassungsfreiheit
229
besteht also nicht absolut, sondern nur relativ, d. h. in Abhängigkeit von der kollisionsrechtlichen Ausgangslage im Herkunftsstaat der Gesellschaft. Des Weiteren erstreckt sich die unionsrechtlich gebotene Anwendung des Herkunftsstaatsrechts auf alle gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates, auch wenn diese international-privatrechtlich nicht als gesellschaftsrechtlich, sondern als insolvenz- oder deliktsrechtlich zu qualifizieren sein mögen (wie etwa nach teilweise vertretener Auffassung die Existenzvernichtungshaftung nach deutschem Recht).7 Zugleich ist sie aber auf gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards beschränkt; die Pflicht des Aufnahmestaates zur Anerkennung bezieht sich nicht auf bloße Rahmenbedingungen, mögen diese auch international-privatrechtlich als gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sein. Würde man der Niederlassungsfreiheit eine versteckte Kollisionsnorm entnehmen, würde deren Anknüpfungsgegenstand somit einerseits über das Gesellschaftsrecht hinausreichen, dieses andererseits aber zugleich nicht vollständig erfassen. Die Notwendigkeit der Abgrenzung von gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards und bloßen Rahmenbedingungen lässt es zweifelhaft erscheinen, ob der Anknüpfungsgegenstand einer der Niederlassungsfreiheit inhärenten Kollisionsnorm hinreichend bestimmt wäre.8 Schließlich ist es aus dem Blickwinkel des Unionsrechts nur relevant, dass auf eine anzuerkennende Gesellschaft das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates angewandt wird, der Zuzug in den Aufnahmestaat also keinen Statutenwechsel zur Folge hat. Das Unionsrecht nimmt also nur das Ergebnis in den Blick; es interessiert sich dagegen nicht für die Auswahl des Anknüpfungsmoments, durch das dieses Ergebnis erzielt wird.9 Entscheidend ist lediglich, dass ein Anknüpfungsmoment gewählt wird, das im Herkunftsstaat liegt, da nur so die Anerkennung der Gesellschaft gewährleistet werden kann. Dies mag im Falle einer Hereinverlegung des Verwaltungssitzes etwa der Satzungssitz sein oder der Ort der ursprünglichen Inkorporation der Gesellschaft. Im Falle einer – jedenfalls rechtskonstruktiv denkbaren – rechtsformwahrenden Hereinverlegung des Satzungssitzes kann der Aufnahmestaat seiner Verpflichtung zur kollisionsrechtlichen Anerkennung durch die Anknüpfung an den Verwaltungssitz oder den Ort der ursprünglichen Inkorporation genügen. Würde man die Niederlassungsfreiheit als versteckte Kollisionsnorm interpretieren, wäre diese folglich auch hinsichtlich des Anknüpfungsmoments nicht hinreichend bestimmt.10 7
Siehe dazu oben S. 121 ff. Vgl. auch Sonnenberger, in: MüKo BGB, Einl. IPR Rn. 143, der aus ähnlichen Erwägungen bestreitet, dass aus der Warenverkehrsfreiheit eine versteckte Kollisionsnorm abzuleiten ist. Mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften sieht er dieses Problem offenbar nicht (vgl. Rn. 140). 9 Siehe bereits Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (649). 10 Lediglich eine Anknüpfung an den Ort der ursprünglichen Inkorporation ist im Hinblick 8
230
Viertes Kapitel / Zwischenfazit: Die Niederlassungsfreiheit
Die Gegenauffassung verkennt daher zum einen die Wirkungsweise der Grundfreiheiten und beruht zum anderen auf einem Missverständnis der Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. In keiner Entscheidung äußert der EuGH, die Niederlassungsfreiheit schreibe den Mitgliedstaaten eine bestimmte kollisionsrechtliche Anknüpfung vor. Im Gegenteil betont er in den Wegzugsfällen Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus die Autonomie der Mitgliedstaaten (auch) in der kollisionsrechtlichen Anknüpfung. Für eine Vereinnahmung durch die Vertreter der Sitztheorie bieten beide Entscheidungen keinen Anlass. Andererseits lässt sich aber auch den Zuzugsfällen Centros, Überseering und Inspire Art kein Votum gegen die Sitztheorie entnehmen.11 In Centros und Inspire Art spielte die Sitztheorie überhaupt keine Rolle, da die jeweils betroffenen Staaten – Dänemark (Centros) und die Niederlande (Inspire Art) – beide der Gründungstheorie folgten.12 Auch in Überseering bezieht der EuGH nicht ausdrücklich Position zugunsten der Gründungstheorie, obwohl der vorlegende VII. Zivilsenat des BGH eine derartige Stellungnahme des EuGH mit der Formulierung der zweiten Vorlagefrage13 regelrecht provoziert hatte. Auch wenn die durch die Niederlassungsfreiheit gebotene Anerkennung ausländischer Gesellschaften rechtskonstruktiv anders als durch eine Gründungsanknüpfung kaum möglich erscheint, vermeidet es der EuGH, den Mitgliedstaaten einen Übergang zur Gründungstheorie oder gar eine bestimmte Form der Gründungsanknüpfung14 vorzuschreiben. Dies ist auch nicht seine Aufgabe.15 Dies gilt umso mehr, als mit einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Ort der ursprünglichen Inkorporation nur dann keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit verbunden ist, wenn die Gesellschaft die ursprünglich gewählte Rechtsform behalten will (rechtsformwahrende Sitzverlegung). Strebt die Gesellschaft dagegen einen grenzüberschreitenden Formwechsel an, ist ein auf die Niederlassungsfreiheit in allen rechtsformwahrenden Zuzugskonstellationen unbedenklich, da eine solche Anknüpfung niemals zu einem Statutenwechsel führt, der die Wahrung der ursprünglich gewählten Rechtsform vereitelt. Eine für die Mitgliedstaaten verbindliche Anknüpfung an den Ort der ursprünglichen Inkorporation lässt sich der Niederlassungsfreiheit gleichwohl nicht entnehmen, da im Einzelfall auch die anderen denkbaren Anknüpfungen mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein können. 11 Zutreffend Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (158): „schon im Ansatz verfehlt“. 12 In Centros ging es um die Frage, ob die Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung einer britschen „private limited company“ in das dänische Register eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt; in Inspire Art ging es um die Vereinbarkeit einer Sonderanknüpfung niederländischen Rechts mit der Niederlassungsfreiheit. Siehe ausführlich oben S. 56 ff. und S. 62 ff. 13 „Gebietet es die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften, die Rechtsfähigkeit und die Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilen?“ 14 Zu den denkbaren Anknüpfungsmomenten unter der Gründungstheorie siehe oben S. 14 ff.; vgl. ferner Weller, ZGR 2010, 679 (701). 15 Zutreffend Behrens, ZGR 1994, 1 (18); Forsthoff, EuR 2000, 167 (170).
Viertes Kapitel / Zwischenfazit: Die Niederlassungsfreiheit
231
Wechsel des anwendbaren materiellen Gesellschaftsrechts hierfür notwendige Voraussetzung. Dies gilt aus der Perspektive des Herkunftsstaates (rechtsformwechselnder Wegzug) und aus der Perspektive des Aufnahmestaates (rechtsformwechselnder Zuzug) gleichermaßen. Nicht durch die Niederlassungsfreiheit vorgegeben ist dagegen, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen des Umwandlungsverfahrens sich dieser Statutenwechsel vollzieht. Einerseits ist es denkbar, dass der Statutenwechsel sehr früh stattfindet und sich bereits das gesamte Verfahren des Formwechsels nach dem materiellen Umwandlungsrecht des Aufnahmestaates bestimmt. Andererseits kann der Statutenwechsel auch erst am Ende des Umwandlungsvorgangs stehen, das Verfahren sich also noch nach dem materiellen Umwandlungsrecht des Herkunftsstaates der Gesellschaft richten. In diesem Falle beschränken Verfahrensvorschriften des Herkunftsstaates, die über die Anforderungen des Umwandlungsrechts des Aufnahmestaates hinausgehen, die Niederlassungsfreiheit; sie können aber durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Der Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ist also keine kollisionsrechtliche Anordnung zu entnehmen, dass sich Zulässigkeit und Durchführung des grenzüberschreitenden Formwechsels zwingend nach dem materiellen Umwandlungsrecht des Aufnahmestaates richten. Dieses gibt vielmehr lediglich den Maßstab vor, nach dem sich beurteilt, ob die Regelungen des Herkunftsstaates über die Voraussetzungen und das Verfahren des grenzüberschreitenden Formwechsels eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen oder nicht. Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet nicht mehr und nicht weniger, als dass sich ausländische Gesellschaften unter den gleichen Voraussetzungen in eine dem nationalen Recht des Aufnahmestaates unterliegende Rechtsform umwandeln können wie Gesellschaften, die von vornherein nach dem Recht des Aufnahmestaates gegründet wurden. Darüber, wie die betroffenen Mitgliedstaaten diese Vorgabe auf der Ebene ihres Kollisionsrechts und ihres materiellen Umwandlungsrechts umzusetzen haben, trifft die Niederlassungsfreiheit keine Aussage.
Fünftes Kapitel
Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften ist in der Literatur seit jeher auf massive und außergewöhnlich vielstimmige1 Kritik gestoßen, und man muss dem EuGH nicht unbedingt nahestehen, um die von Mitgliedern des Gerichtshofs geäußerte Einschätzung zu teilen, dass diese Kritik insgesamt deutlich überzogen erscheint.2 Die vorliegende Arbeit hat den Versuch unternommen, die bisherigen Entscheidungen auf ein einheitliches dogmatisches Konzept zurückzuführen: die kohärente Auslegung der Grundfreiheiten im Allgemeinen und der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften im Besonderen im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung. Diese Auslegung ist der Grund für die vielfach kritisierte unterschiedliche Behandlung von Wegzugsfällen und Zuzugsfällen und vermag zu erklären, warum der rechtsformwechselnde Wegzug von Gesellschaften anders als der rechtsformwahrende Wegzug von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. Die Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften stehen in einem potentiellen Spannungsverhältnis zu Entscheidungen, denen Fälle zugrunde liegen, die sich mit einer reinen Anerkennungs-Logik nicht bewältigen lassen. Im Folgenden soll zunächst anhand ausgewählter Entscheidungen, bei denen ein solches Spannungsverhältnis besonders offensichtlich erscheint, gezeigt werden, dass die Rechtsprechung des EuGH auch insoweit frei von Widersprüchen ist, die ihre Legitimationskraft schwächen würden (unter A.). Nicht überzeugen können ferner jene Stimmen, die den Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften eine diskriminierende Wirkung zuschreiben (unter B.), oder sie im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen dem EuGH, dem europäischen Gesetzgeber und den Mitgliedstaaten kritisieren (unter C.). 1 Vgl. Craig/de Burca, EU Law: Text, Cases and Materials, 5. Aufl. 2011, S. 782; K. Schmidt, ZHR 2004, 493 (494). EUR-Lex (Stand April 2011) weist bereits zu Daily Mail 32 Anmerkungen und Besprechungen aus; zu den folgenden Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften sind es jeweils deutlich über 100. 2 Everling, FS Lutter, S. 31 (44); Timmermans, Neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG zum Europäischen Gesellschaftsrecht, 2003, S. 4.
Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
233
Die dogmatische Schlüssigkeit der einzelnen EuGH-Entscheidungen bedeutet freilich weder, dass sie in ihrem jeweiligen Ergebnis zwingend waren, noch, dass der durch diese Entscheidungen geschaffene status quo rechtspolitisch überzeugend ist. In Cartesio etwa hätte der EuGH auch – wie dies vielfach prognostiziert worden war – „binnenmarktfreundlich“ entscheiden und einen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard von der Definitionsautonomie des Herkunftsstaates ausnehmen können, der sich letztlich darauf beschränkt, durch das Erfordernis eines im Inland belegenen Sitzes den Wegzug von Gesellschaften in einen anderen Mitgliedstaat zu verhindern.3 Jedenfalls mit Blick auf den Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens nicht erforderlich waren die Ausführungen zum rechtsformwechselnden Wegzug, mögen sie auch dogmatisch schlüssig sein. Ähnliches gilt für die Zuzugsfälle Centros, Überseering und Inspire Art: Der EuGH hätte die jeweils zu beurteilenden Maßnahmen zumindest in Centros und Inspire Art ohne dogmatische Friktionen als durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt ansehen können. Es würde daher der Bedeutung der Grundfreiheiten für die Marktintegration und ihren Auswirkungen auf das Wirtschafts- und Sozialgefüge der Mitgliedstaaten nicht gerecht, würde man die einschlägige EuGH-Judikatur ausschließlich als (zwingendes) Ergebnis der Anwendung eines bestimmten dogmatischen Prinzips begreifen. Ohne dass damit der (inhaltliche und methodische) Anspruch einer umfassenden Policy-Analyse4 oder einer rechtsökonomischen Analyse5 der durch den EuGH vorgenommen Übertragung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften verbunden ist, soll der durch diese Entscheidungen geschaffene status quo am Ende der Arbeit resümiert und einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird sich zeigen, dass die von breiten Teilen der Literatur und vom Europäischen Parlament erhobene Forderung nach sekundärrechtlicher Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung und des grenzüberschreitenden Formwechsels von Gesellschaften berechtigt erscheint (unter D.).
3
Siehe bereits oben S. 92 f.; ferner Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (259). Siehe dazu grundlegend Dye, Policy analysis. What governments do, why they do it, and what difference it makes, 1976; Schubert/Bandelow (Hrsg.), Lehrbuch der Politikfeldanalyse, 3. Aufl. 2014; einführend Gellner/Hammer, Policyforschung, 2010. 5 Zur ökonomischen Analyse des Rechts grundlegend Calabresi/Melamed, Harvard L. Rev. 85 (1972), 1089; Coase, The Journal of Law and Economics 3 (1960), 1; Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014; aus der deutschen Literatur siehe Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005; Horn, AcP 176 (1976), 307; siehe im Hinblick auf die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften Dammann, Yale J. Int. L. 29 (2004), 477 (507 ff.); Kirchner, FS Immenga, S. 607. 4
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
A. Kohärenz der EuGH-Judikatur Die Kohärenz der Rechtsprechung des EuGH ist von eminenter Bedeutung für die Legitimationskraft seiner Entscheidungen.6 Nur dann, wenn für die Rechtsanwender in den Mitgliedstaaten ersichtlich ist, dass die Entscheidungen des EuGH in einem sinnbildenden Zusammenhang stehen,7 kann der EuGH seiner Rolle als „Motor der Integration“8 gerecht werden. Wenn auch der EuGH – anders als Gerichte in den Systemen des common law9 – nicht unmittelbar an seine Präjudizien gebunden ist,10 verbietet es sich für den Gerichtshof schon aus diesem Grunde, sich allzu nonchalant in (offenen oder ungeschriebenen) Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung zu setzen. Der durch den Vertrag von Lissabon neu geschaffene Art. 7 AEUV11 unterstreicht die verfassungsrechtliche Dignität von Kohärenz als allgemeinem Rechtsprinzip des Unionsrechts,12 wenngleich zweifelhaft ist, ob der EuGH zu den unmittelbar angesprochenen Adressaten dieser Vorschrift zählt. Jedenfalls ist die Bedeutung von Kohärenz nicht nur der europäischen Rechtsetzung, sondern auch der europäischen Rechtsprechung für die Entwicklung einer tragfähigen Dogmatik des 6 Zur Bedeutung der inneren Überzeugungskraft von Urteilen für die Akzeptanz einer Gerichtsbarkeit siehe – jeweils mit Blick auf die Urteilstechnik des EuGH – Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 58; Everling, EuR 1994, 127 (131). 7 Der deutsche Begriff „Kohärenz“ leitet sich von lat. cohaerere (= zusammenhängen) ab; siehe zur Semantik des Kohärenzbegriffs ausführlich Bracker, Kohärenz und juristische Interpretation, 2000, S. 170 ff. 8 So eine gebräuchliche Metapher; siehe etwa Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, 1998, S. 66 m. w. N.; Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 290; Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 2009, S. 258; krit. dazu Hirsch, NJW 2000, 1817 (1820); vgl. auch die Charakterisierung des Gerichtshofs bei Hallstein, Die echten Probleme der europäischen Integration, 1965, S. 9 („Integrationsfaktor erster Ordnung“). 9 Dazu ausführlich Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, 2. Aufl. 2007, S. 287 ff. 10 Ausführlich Neuner in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 8 Rn. 22 ff. 11 Art. 7 AEUV lautet: „Die Union achtet auf die Kohärenz zwischen ihrer Politik und ihren Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen und trägt dabei unter Einhaltung des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung ihren Zielen in ihrer Gesamtheit Rechnung.“ Neu ist die prominente Stellung des Kohärenzprinzips im Primärrecht; Erwähnung fand die Kohärenz des Unionsrechts dagegen bereits in Art. 225 EG (jetzt Art. 256 AEUV) sowie Art. 299 Abs. 2 EG (jetzt 349 Abs. 3 AEUV). Zum rechtlichen Gehalt des bereits in Art. 1 Abs. 3 und Art. 3 Abs. 1 EUV a. F. verankerten Kohärenzgebots siehe Pechstein, EuR 1995, 247 (253 ff.). 12 In EuGH, Urteil vom 1. 3. 2011, Rs. C-236/09 (Association Belge des Consommateurs u. a.), Slg. 2011, I – 773, Rn. 21, wendet der Gerichtshof das Kriterium der Kohärenz erstmals ausdrücklich im Rahmen der Überprüfung einer Richtlinie (Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373, S. 37) an.
A. Kohärenz der EuGH-Judikatur
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Unionsrechts nicht zu unterschätzen.13 Daher steht der Aspekt der Kohärenz im Rahmen einer Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften an erster Stelle. Dass die Entscheidungen des EuGH zur Sitzverlegung von Gesellschaften und die Passagen in Cartesio, die sich auf den Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit beziehen, mit Blick auf das ihnen zugrunde liegende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ein kohärentes System bilden, wurde bereits umfassend erörtert. Im Folgenden ist die Kohärenz zweier weiterer Fallgruppen zu untersuchen. Die erste Fallgruppe betrifft die vom EuGH entschiedenen „Wegzugsfälle“. Insoweit soll zum einen ein kritischer Rückblick auf Daily Mail erfolgen und zum anderen der vermeintliche Widerspruch der Entscheidungen Cartesio und de Lasteyrie du Saillant14 aufgelöst werden (unter I.). Die zweite Fallgruppe betrifft die Fälle, die sich mit der Definitionsautonomie der Mitgliedstaaten befassen (unter II). Dabei ist zum einen auf die in Cartesio gezogene Parallele zwischen gesellschaftsrechtlicher Anknüpfungsautonomie und der Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, einzugehen. Zum anderen ist das Spannungsverhältnis zwischen Daily Mail und Cartesio und den Golden Shares-Urteilen des EuGH zu analysieren.
I. Kohärenz der Entscheidungen zur Wegzugsfreiheit Die im Folgenden näher zu beleuchtende Gruppe einschlägiger „Wegzugsfälle“ besteht aus den Entscheidungen Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus, die sich mit der Wegzugsfreiheit von Gesellschaften befassen, und der Entscheidung de Lasteyrie du Saillant, in der es um die Wegzugsfreiheit einer natürlichen Person ging.
1. Cartesio und Daily Mail Auf den ersten Blick ist Cartesio eine Bestätigung der Daily Mail-Entscheidung, an deren Kernaussage, wonach Gesellschaften aufgrund einer nationalen Rechtsordnung gegründet werden und existieren und jenseits dieser Rechtsordnung keine Realität haben,15 der EuGH ausdrücklich anknüpft. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass der EuGH deutlich über die Aussagen von Daily Mail hinausgeht und diesen teilweise sogar widerspricht. Dies betrifft zunächst die Ausführungen zum Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit. Dass ein grenzüber13 Diesen Aspekt betont Schorkopf, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 7 AEUV Rn. 24 (Stand September 2014); vgl. auch S. Schmidt, Der moderne Staat 2010, 455 (464). 14 EuGH, Urteil vom 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I – 2409. 15 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Rn. 19.
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schreitender Formwechsel möglich ist, ergibt sich in dieser Klarheit erst aus der Cartesio-Entscheidung. Im Gegenteil konnte man sowohl die Aussage des EuGH in Daily Mail, wonach Gesellschaften jenseits ihrer Gründungsrechtsordnung keine Realität haben, als auch seine Aussage in Überseering, wonach die Existenz der Gesellschaft „untrennbar“ mit ihrer Eigenschaft als Gesellschaft niederländischen Rechts zusammenhängen sollte,16 so verstehen, dass ein Recht auf rechtsformwechselnden Wegzug gerade nicht besteht.17 Die sich aus der Niederlassungsfreiheit ergebende unionsrechtliche Zulässigkeit eines rechtsformwechselnden Wegzugs hat ferner zur Folge, dass die Mitgliedstaaten den Wegzug der Gesellschaft nicht als solchen verhindern, sondern der Gesellschaft lediglich ihre alte Rechtsform entziehen können.18 Dies wirft die Frage auf, ob der EuGH in dem Daily Mail zugrunde liegenden Fall heute noch genauso entscheiden würde wie damals. Der Verlegung des Sitzes der Geschäftsleitung von Daily Mail in die Niederlande stand eine Vorschrift des britischen Steuerrechts entgegen, wonach eine solche Verlegung der Zustimmung des britischen Finanzministeriums bedarf.19 Anders als im Fall Cartesio war die Verlegung des Verwaltungssitzes also nach englischem Gesellschaftsrecht grundsätzlich möglich, aber an eine Bedingung in Gestalt der behördlichen Zustimmung geknüpft. Den Eintritt dieser Bedingung hätte die Gesellschaft durch entsprechendes Verhalten – Versteuerung ihrer stillen Reserven in Großbritannien – ohne weiteres herbeiführen können. Eine vergleichbare Möglichkeit, die Voraussetzungen für eine rechtsformwahrende Verlegung des Sitzes nach Italien herbeizuführen, bestand für Cartesio nicht, da das ungarische materielle Gesellschaftsrecht einen Sitz im Ausland per se untersagte. Würde der Fall Daily Mail heute entschieden, würde nach der Logik von Cartesio die entscheidende Frage lauten, ob es sich bei dem Zustimmungsvorbehalt nach britischem Steuerrecht um einen der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard handelt, den die Gesellschaft erfüllen muss, damit sie nach britischem Recht gegründet werden und fortbestehen kann. Diese Frage ist zu verneinen. Ein steuerrechtlicher Zustimmungsvorbehalt ist nicht auf den Bestand der Gesellschaft als solcher bzw. die Ausgestaltung ihrer Rechtsform bezogen. Er kann auch nicht als „Modalität“ der Sitzverlegung angesehen werden, die ebenfalls von der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie Großbritanniens erfasst ist. Würde man den Begriff der Modalitäten der Sitzverlegung in einem derart weiten Sinne verstehen, würde die Eingrenzung der mitgliedstaatlichen Anknüpfungs16
EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 81. Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100). 18 Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (155 f). 19 Siehe zum Sachverhalt oben S. 43 f. 17
A. Kohärenz der EuGH-Judikatur
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autonomie auf rechtsformbezogene Qualifikationsstandards relativiert.20 Dieses enge Verständnis des Begriffs der Modalitäten wird bestätigt durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache National Grid Indus,21 in der es um die Vereinbarkeit einer Regelung auf der Ebene des niederländischen Steuerrechts mit der Niederlassungsfreiheit ging, die im Falle der rechtsformwahrenden Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat die sofortige Versteuerung stiller Reserven in den Niederlanden vorsah. Auf die Frage, ob es sich bei der niederländischen Wegzugsbesteuerung möglicherweise um eine der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte „Modalität“ der Sitzverlegung handelt, ist der EuGH in seinen Entscheidungsgründen gar nicht erst eingegangen. Daraus ergibt sich, dass die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Daily Mail heute zumindest anders zu begründen wäre. Da der steuerrechtliche Zustimmungsvorbehalt außerhalb des der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten Bereichs gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards liegt, also eine bloße Rahmenbedingung des Herkunftsstaates darstellt, wäre er als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen und bedürfte daher der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses.22 Folgerichtig hat der EuGH im Fall National Grid Indus eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die niederländischen Vorschriften über die Wegzugsbesteuerung angenommen und sodann ausführlich die Rechtfertigung dieser Beschränkung geprüft; aus der Entscheidung ist ersichtlich, dass eine solche Rechtfertigung jedenfalls nicht schlechterdings ausgeschlossen ist.23 Die pauschale Aussage, dass der rechtsformwahrende Wegzug nach der Rechtsprechung des EuGH nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist, greift vor diesem Hintergrund also zu kurz. Wegzugshemmnisse, die nicht Folge eines der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards sind (wie etwa das Erfordernis eines inländischen Sitzes), sind uneingeschränkt am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar.24 Für diese Sichtweise spricht schließlich auch die unterschiedliche Formulierung der Leitsätze beider Entscheidungen. Während der Leitsatz der Daily Mail-Entscheidung noch ganz allgemein feststellt, dass die Artikel 52 und 58 EWG-Vertrag einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates 20
Siehe oben S. 106 f. Urteil vom 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I – 12273. 22 Ebenso Behrens, EuZW 3/2009, V; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 799; Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (157); Kruchen, Europäische Niederlassungsfreiheit und „inländische“ Kapitalgesellschaften im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG, 2009, S. 175; Schall/Barth, NZG 2012, 414 (418); Verse, ZEuP 2013, 458 (464); Wilhelmi, JZ 2009, 411 (412); a. A. Barthel, EWS 2010, 316 (328 f.); Bratton/McCahery/Vermeulen, Am. J. Comp. L. 57 (2009), 347 (350). 23 Siehe ausführlich oben S. 54 ff. 24 Kritisch Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (718). 21 EuGH,
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gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht gewähren, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, scheint der Leitsatz in der Rechtssache Cartesio enger formuliert zu sein: Demnach sind die Art. 43 EG und 48 EG dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht entgegenstehen, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaates, nach dessen Recht sie gegründet wurde, zu behalten. Der Daily Mail-Leitsatz deutet noch darauf hin, dass jegliche Beschränkung der Verwaltungssitzverlegung durch das nationale Recht eines Mitgliedstaates (also auch durch eine bloße Bedingung auf der Ebene des Steuerrechts oder eine Auflage25) nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen ist, auch wenn die Verwaltungssitzverlegung im Grundsatz zulässig ist. Dieser Schluss ist bei Daily Mail sogar zwingend, da der Entscheidung ja gerade eine solche Bedingung zugrunde lag. Der Cartesio-Leitsatz suggeriert hingegen, die Mitgliedstaaten könnten lediglich die Grundsatzentscheidung treffen, ob sie eine Verwaltungssitzverlegung zulassen wollen oder nicht („ganz oder gar nicht“). Die Wahrheit liegt, wie gesehen, in der Mitte: Gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards, welche die Anforderungen an die Lokalisierung des Gesellschaftssitzes definieren, aber auch flankierende Vorschriften, die als „Modalitäten“ der Sitzverlegung eng mit einem solchen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard zusammenhängen, sind nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen. Der Leitsatz in Daily Mail erweist sich aus der Perspektive der Mitgliedstaaten in ihrer Eigenschaft als Herkunftsstaaten also als zu weit, der Leitsatz in Cartesio als zu eng.
2. Cartesio und de Lasteyrie du Saillant / National Grid Indus Auf den ersten Blick besteht auch eine Parallele zwischen den Sachverhalten, die den Entscheidungen Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus und der Entscheidung de Lasteyrie du Saillant26 zugrunde lagen: Alle Sachverhalte sind „Wegzugsfälle“, in denen der EuGH über die Beschränkung der grenzüberschreitenden Mobilität einer Gesellschaft (Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus) bzw. einer natürlichen Person (de Lasteyrie du Saillant) durch deren Herkunftsstaat zu entscheiden hatte. Im Ausgangspunkt ähnelt der Sachverhalt in de Lasteyrie du Saillant den Sachverhalten in Daily Mail und National Grid Indus: Hier wie dort ging es um die Versteuerung stiller Reserven 25 Zum Unterschied zwischen Bedingung und Auflage grundlegend v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III, 1840, S. 231: Die Bedingung suspendiert, zwingt aber nicht; die Auflage zwingt, suspendiert aber nicht. 26 EuGH, Urteil vom 11. 3. 2004, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004, I – 2409.
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als Bedingung für den Wegzug. Nach französischem Steuerrecht muss ein französischer Steuerpflichtiger, der seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt, nicht realisierte Wertsteigerungen seiner Wertpapiere versteuern (Art. 167bis des französischen Code général des impôts). Gegen diese Regelung wendete sich ein französischer Staatsangehöriger, der seinen Wohnsitz nach Belgien verlegen wollte. Der EuGH bejaht eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und prüft ihre unionsrechtliche Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses, die er im Ergebnis verneint. Die bloße Tatsache, dass es sich bei beiden Fällen um Wegzugsfälle handelte, hat im Vorfeld der Cartesio-Entscheidung dazu geführt, die Erwägungen des EuGH in der Entscheidung de Lasteyrie du Saillant auf die Wegzugsfreiheit von Gesellschaften zu übertragen. Die dahinter stehende Logik ist simpel: Wenn der EuGH den Wegzug natürlicher Personen am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüft, so könne für den Wegzug von Gesellschaften, die diesen gem. Art. 54 AEUV gleichgestellt sind, nichts anderes gelten.27 Die Parallele zwischen Cartesio und de Lasteyrie du Saillant besteht jedoch nur vordergründig. Tatsächlich geht es in beiden Entscheidungen um unterschiedliche Fragen. In Cartesio geht es um die der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte Anknüpfungsfrage, ob eine nach ungarischem Recht gegründete Gesellschaft sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, wenn das ungarische Recht ihr im Falle des Grenzübertritts die Rechtsform entzieht. In de Lasteyrie du Saillant geht es um die Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit einer natürlichen Person, die sich als französischer Staatsbürger und Unionsbürger ohne jeden Zweifel auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann und diesen Status des französischen Staatsbürgers und Unionsbürgers durch den Wegzug nach Belgien auch nicht verliert – nicht dagegen um eine Vorfrage der Anwendung der Grundfreiheiten. Wegen der Unterschiedlichkeit der behandelten Fragen kann Cartesio auch nicht in einem Widerspruch zu der Entscheidung des EuGH in de Lasteyrie du Saillant stehen.28 Auch dieses Ergebnis wird durch die Entscheidung National Grid Indus bestätigt. Die Argumentation des EuGH macht deutlich, dass der rechtsformwahrende Wegzug von Gesellschaften nicht grundsätzlich, sondern lediglich insoweit von der Niederlassungsfreiheit ausgenommen ist, wie durch den Wegzug die Vorfrage der rechtlichen Existenz einer Gesellschaft berührt wird, die 27 Kleinert/Probst, DB 2003, 2217 (2218); dies., NJW 2004, 2425 (2427); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (616) unter Verweis auf die Zitierung von de Lasteyrie du Saillant in EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805, Rn. 23; Teichmann, ZIP 2006, 355 (357); offen lassend Behme, BB 2008, 70 (71); ablehnend Bergemann/Schönherr/ Stäblein, BB 2005, 1706 (1720); Körner, IStR 2004, 424 (430). 28 Einen solchen nehmen aber an: Teichmann, ZIP 2009, 393 (396); wohl auch Grohmann, DZWIR 2009, 322 (328); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60); relativierend Wilhelmi, JZ 2009, 411 (412) („auf der Wertungsebene unbefriedigend“); zutreffend dagegen Wansleben, StudZR 2009, 365 (372); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (546).
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sich nach Art. 54 AEUV auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Bestünde ein Widerspruch zwischen den Entscheidungen Cartesio und de Lasteyrie du Saillant, müsste ein solcher Widerspruch erst recht zwischen den Entscheidungen Cartesio und National Grid Indus angenommen werden. Aus den genannten Gründen besteht ein solcher Widerspruch indes nicht.
II. Kohärenz der Entscheidungen zur mitgliedstaatlichen Definitionsautonomie Die Ausführungen des EuGH zur gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten werfen zum einen die Frage auf, inwieweit die vom EuGH in Cartesio gezogene Parallele zu der mitgliedstaatlichen Autonomie im Bereich der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen berechtigt ist. Zum anderen ist zu untersuchen, wie die Golden Shares-Urteile mit Blick auf die in Daily Mail und Cartesio betonte gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie einzuordnen sind und ob insoweit möglicherweise ein Wertungswiderspruch zwischen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit besteht.
1. Cartesio und Rottmann Der EuGH zieht hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Anknüpfungsautonomie eine Parallele zu der Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist.29 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs fallen die Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.30 Diesen Grundsatz hat der EuGH erst jüngst in seiner Entscheidung in der Rechtssache Rottmann bestätigt.31 Er entspricht auch den Regelungen des Völkerrechts.32 Zwischen gesellschaftsrechtlicher 29 Siehe auch schon EuGH, Urteil vom 13. 7. 1993, Rs. C-330/91 (Commerzbank), Slg. 1993, I – 4017, Rn. 13 sowie EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 57 und EuGH, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I – 10155, Rn. 97 sowie Timmermans, Neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der EG zum Europäischen Gesellschaftsrecht, 2003, S. 17. Metaphorisch überspitzt wird diese Parallele, wenn Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen zu Cartesio, NZG 2008, 498, Rn. 31 schreibt: „Im Ergebnis bin ich der Auffassung, dass beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts unmöglich argumentiert werden kann, dass die Mitgliedstaaten völlig frei über ‚Leben und Tod‘ der nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften verfügen können […]. Andernfalls würde den Mitgliedstaaten der ‚Freibrief‘ erteilt, nach Belieben die ‚Todesstrafe‘ über eine nach ihrem Recht gegründete Gesellschaft zu verhängen […].“ (Hervorhebungen durch den Verf.). 30 EuGH, Urteil vom 7. 7. 1992, Rs. C-369/90 (Micheletti u. a.), Slg. 1992, I – 4239, Rn. 10; EuGH, Urteil vom 19. 10. 2004, Rs. C-200/02 (Zhu und Chen), Slg. 2004, I – 9925, Rn. 37. 31 EuGH, Urteil vom 2. 3. 2010, Rs. C-135/08 (Rottmann), Slg. 2010, I – 1449, Rn. 39 m. Anm. Behme, EWiR 2010, 373. 32 Art. 3 Nr. 1 des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit (in Kraft
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Anknüpfung und Staatsangehörigkeit besteht eine wesentliche Gemeinsamkeit: Beide sind Voraussetzung für die Berufung auf die Grundfreiheiten und diesen insoweit vorgelagert. Nur eine Gesellschaft, welche die durch das nationale Recht ihres Herkunftsstaates autonom definierten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards erfüllt, ist Trägerin der Niederlassungsfreiheit. Und nur eine natürliche Person, welche die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, ist Unionsbürger (Art. 20 AEUV) und kann sich auf die Grundfreiheiten berufen, deren personaler Anwendungsbereich auf die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten begrenzt ist.33 Bei manchen Grundfreiheiten bringt dies schon der Wortlaut klar zum Ausdruck (vgl. Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit, Art. 56 AEUV – Dienstleistungsfreiheit). Für die übrigen Grundfreiheiten gilt jedoch nichts anderes.34 In dieser Gemeinsamkeit liegt der berechtigte Kern der vom EuGH gezogenen Parallele zwischen Gesellschaften und natürlichen Personen. Gleichwohl zählt diese Parallele zu den am meisten kritisierten Passagen der Cartesio-Entscheidung. Zum einen wird – zutreffend – auf den zentralen Unterschied zwischen Gesellschaften und natürlichen Personen hingewiesen, dass letztere keine Geschöpfe des nationalen Rechts sind, sondern unabhängig von einer Rechtsordnung allein aufgrund ihrer Geburt existieren.35 Der „Vorfragebereich“ bei natürlichen Personen berührt also – anders als bei Gesellschaften – nicht deren Existenz. Zum anderen wird verbreitet und häufig ohne nähere Begründung ausgeführt, die Mitgliedstaaten dürften einer natürlichen Person bei Verlagerung des Lebensmittelpunkts in einen anderen Mitgliedstaat nicht die Staatsangehörigkeit entziehen.36 Auch Generalanwalt Poiares Maduro geht in seinen Schlussanträgen zu Rottmann davon aus, dass sich eine darauf gerichtete Befugnis der Mitgliedstaaten getreten am 1. 3. 2000) lautet: „Jeder Staat bestimmt nach seinem eigenen Recht, wer seine Staatsangehörigen sind.“ 33 Hellwig, in: von Westphalen (Hrsg.), Deutsches Recht im Wettbewerb, 2009, S. 154 (157). 34 Zu Art. 45 AEUV – Arbeitnehmerfreizügigkeit – siehe EuGH, Urteil vom 5. 7. 1984, Rs. 238/83 (Meade), Slg. 1984, 2631, Rn. 7; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 1404. Ebenso zu Art. 34 AEUV – Warenverkehrsfreiheit – und Art. 63 AEUV – Kapitalverkehrsfreiheit Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 34–36 AEUV Rn. 32 f.; ders./Störmer, EuR 1998, 263 (274 ff.); die überwiegende Auffassung nimmt dagegen an, dass sich auf die Warenverkehrsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit auch Drittstaatsangehörige berufen können, da sich ihrem Wortlaut eine Beschränkung des personellen Schutzbereichs dieser Grundfreiheiten auf die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nicht entnehmen lässt, siehe etwa Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 34 AEUV Rn. 32 (Stand September 2010); Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 34 AEUV Rn. 24. 35 Sethe/Winzer, WM 2009, 536 (538); Wansleben, StudZR 2009, 365 (371). 36 Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (59 f.); Teichmann, ZIP 2009, 393 (396); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (546); siehe im Vorfeld der Cartesio-Entscheidung bereits Eidenmüller/ Rehm, ZGR 2004, 159 (177); vgl. auch Großerichter, FS Sonnenberger, S. 369 (377); Leible, ZGR 2004, 531 (536).
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„nicht ernsthaft vertreten“ lasse.37 In einer Sanktionierung des Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit sehen diese Autoren wohl eine Beschränkung der unionsbürgerschaftlichen Freizügigkeit (Art. 21 Abs. 1 AEUV) oder der Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen.38 Die Argumentation des EuGH in der Cartesio-Entscheidung weist jedoch in eine andere Richtung. Führte man deren Logik konsequent fort, so wäre die Frage der Staatsangehörigkeit und damit auch ihres Entzugs im Falle des Wegzugs der Ausübung der Freizügigkeit und der Grundfreiheiten vorgelagert.39 Die Mitgliedstaaten dürften nicht nur die Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsangehörigkeit festlegen, sondern auch die Voraussetzungen, deren Erfüllung für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird. Aus dem hier allein relevanten Blickwinkel des Unionsrechts40 stünde einem Entzug der Staatsangehörigkeit im Falle der Verlagerung des Lebensmittelpunkts in einen anderen Mitgliedstaat damit nichts entgegen.41 Etwas anders müsste in Übertragung der bei Gesellschaften vorgenommenen Differenzierung zwischen rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Wegzug allerdings gelten, wenn eine natürliche Person gar nicht unter Beibehaltung ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit in einen anderen Mitgliedstaat wegziehen will, sondern die Staatsangehörigkeit des Aufnahmestaates annehmen will. Überträgt man wiederum die Logik der Cartesio-Entscheidung auf den Wegzug natürlicher Personen, so müsste der Wechsel der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen ebenso von der Freizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit geschützt sein, wie der Wechsel der Rechtsform von Gesellschaften von der Niederlassungs37 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro vom 30. 9. 2009, Rs. C-135/08 (Rottmann), Slg. 2010, I – 1449, Rn. 26. Die Formulierung erinnert an die Schlussanträge zu Cartesio, wo Poiares Maduro noch mit der gleichen Selbstverständlichkeit ausgeführt hatte, beim derzeitigen Stand des Unionsrechts könne „unmöglich argumentiert werden“, dass die Mitgliedstaaten völlig frei über „Leben und Tod” der nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften verfügen können, ohne dass die Folgen für die Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen wären (NZG 2008, 498, Rn. 31). Der EuGH ist dem nicht gefolgt. 38 Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (59 f.). 39 Behme, EWiR 2010, 373 (374); ähnlich in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit Paefgen, WM 2009, 529 (533). 40 Zu beachten sind jedoch die Regelungen des Völkerrechts, siehe Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie Art. 7 bis 9 des Übereinkommens zur Verbindung der Staatenlosigkeit sowie das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit; alle Vorschriften sind abgedruckt bei EuGH, Urteil vom 2. 3. 2010, Rs. C-135/08 (Rottmann), Slg. 2010, I – 1449, Rn. 14 ff. Auch das nationale Verfassungsrecht kann der Entziehung der Staatsangehörigkeit Schranken setzen, vgl. im deutschen Verfassungsrecht Art. 16 Abs. 1 GG, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf; zum Begriff der Entziehung vgl. Arnauld, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 16 Rn. 17 ff.; Masing, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 16 Rn. 38 ff. 41 Ähnlich bereits Wansleben, StudZR 2009, 365 (372), der ebenfalls davon ausgeht, dass einer natürlichen Person beim Wegzug die Staatsangehörigkeit aberkannt werden kann, aber nur, wenn sie im Aufnahmestaat eine neue zuerkannt bekommt.
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freiheit geschützt ist. Beschränkungen bedürften somit der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Die Konsequenzen einer Übertragung der Logik der Cartesio-Entscheidung auf die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen verdeutlicht folgendes Beispiel: Will der Staatsbürger eines Mitgliedstaates A unter Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit in einen anderen Mitgliedstaat B ziehen, dürfte Mitgliedstaat A ihm aus dem Blickwinkel des Unionsrechts die Staatsangehörigkeit entziehen, ohne dass darin eine Beschränkung der Freizügigkeit oder der Grundfreiheiten läge. Will der Betroffene jedoch die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates B annehmen und sieht dessen nationales Staatsangehörigkeitsrecht vor, dass der Betroffene hierzu mindestens zwei Jahre im Staatsgebiet von Mitgliedstaat B gelebt haben muss, dürfte Mitgliedstaat A ihm seine Staatsangehörigkeit nicht entziehen. Denn diese Maßnahme wäre – analog zu Beschränkungen des rechtsformwechselnden Wegzugs von Gesellschaften – am Maßstab der Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Die Ausübung dieser Rechte würde weniger attraktiv, wenn der Wechsel der Staatsangehörigkeit voraussetzen würde, dass der Betroffene für zwei Jahre als Staatenloser im Aufnahmestaat lebt und für diese Zeit seine Unionsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte verliert. Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses, die eine solche Beschränkung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Mitgliedstaat A wäre damit unionsrechtlich verpflichtet, dem Betroffenen für die Übergangszeit von zwei Jahren bis zum Erwerb der neuen Staatsbürgerschaft seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit zu belassen. Im Fall Rottmann hatte der EuGH über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Mitgliedstaat einen Einbürgerungsbescheid zurücknahm, was bei Rechtskraft der Rücknahme die Staatenlosigkeit des Betroffenen zur Folge gehabt hätte. In dieser Entscheidung hat der EuGH die Logik der Cartesio-Entscheidung mit Blick auf die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen nicht in dem vorgenannten Sinne fortgeführt, sondern die Ausübung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit im Bereich der Staatsangehörigkeit der Schranke der Verhältnismäßigkeit unterworfen und damit die Autonomie der Mitgliedstaaten im Vergleich zur gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie deutlich eingeschränkt. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Herr Rottmann, ein gebürtiger österreichischer Staatsbürger, hatte 1998 die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und im Einbürgerungsverfahren ein in Österreich gegen ihn anhängiges Ermittlungsverfahren verschwiegen. Mit der Einbürgerung in Deutschland verlor er nach österreichischem Recht die österreichische Staatsbürgerschaft. Nachdem der Freistaat Bayern von dem Ermittlungsverfahren Kenntnis erlangt hatte, nahm er die Einbürgerung rückwirkend zurück (§ 48 BayVwVfG), weil Herr Rottmann das Ermittlungsverfahren verschwiegen und sich dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit erschlichen habe. Seine österreichische Staatsbürgerschaft lebte dadurch nicht wieder auf. Da mit der
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Staatenlosigkeit der Verlust der Unionsbürgerschaft und der damit verbundenen Rechte und Grundfreiheiten einhergeht, legte das mit der von Herrn Rottmann gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung erhobenen Anfechtungsklage letztinstanzlich befasste Bundesverwaltungsgericht dem EuGH die Frage vor, ob das Unionsrecht einem solchen Ergebnis entgegensteht. Insbesondere wollte es wissen, wie die Formulierung des EuGH in der Entscheidung Micheletti42 zu verstehen sei, die Mitgliedstaaten hätten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit im Bereich der Staatsangehörigkeit das Unionsrecht zu beachten.43 Der EuGH führt aus, die Rücknahme der Einbürgerung könne mit dem Unionsrecht vereinbar sein, wenn sie auf der arglistigen Täuschung im Rahmen des Verfahrens zum Erwerb der betreffenden Staatsangehörigkeit beruht.44 In diesem Falle entspreche die Rücknahme einem im Allgemeininteresse liegenden Grund, nämlich dem Schutz des zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Staatsbürgern bestehenden Verhältnisses besonderer Verbundenheit und Loyalität. Allerdings habe das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die Rücknahmeentscheidung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Insofern hebt der EuGH die Bedeutung der Unionsbürgerschaft als grundlegender Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten hervor; zu prüfen sei daher (ggf. über die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nach nationalem Recht hinaus), ob der Verlust dieses Status gerechtfertigt ist im Verhältnis zu der Schwere des vom Betroffenen begangenen Verstoßes, zu der Zeit, die zwischen der Einbürgerungsentscheidung und der Rücknahmenentscheidung vergangen ist, und zu der Möglichkeit für den Betroffenen, seine ursprüngliche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen. Der Eintritt der Staatenlosigkeit könne einen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit durch Täuschung erschlichen wurde, jedoch nicht per se verpflichten, von der Rücknahme der Einbürgerung abzusehen. Ungeachtet der Besonderheit, dass es in Rottmann um die Rücknahme einer durch Täuschung erlangten Einbürgerung ging und nicht um den Entzug der Staatsangehörigkeit infolge der Verlagerung des Lebensmittelpunktes in einen anderen Mitgliedstaat, dürften die Ausführungen des EuGH verallgemeinerungsfähig sein. Für die in der Literatur und in den Schlussanträgen des Generalanwalts verneinte Frage, ob die Mitgliedstaaten einer natürlichen Person beim Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat die Staatsangehörigkeit entziehen dürfen, bedeutet dies: Es kommt darauf an, ob diese Maßnahme unter Berücksichtigung ihrer unionsrechtlichen Konsequenzen (Verlust der Unionsbürgerschaft und der damit verbundenen Rechte) verhältnismäßig, d. h. unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt ist. In diesem Verhältnismäßigkeitsgebot liegt der zentrale Unterschied zwischen gesellschaftsrecht42
EuGH, Urteil vom 7. 7. 1992, Rs. C-369/90 (Micheletti u. a.), Slg. 1992, I – 4239, Rn. 10. BVerwG, Beschluss vom 18. 2. 2008, 5 C 13/07, NVwZ 2008, 686 (687 f.). 44 EuGH, Urteil vom 2. 3. 2010, Rs. C-135/08 (Rottmann), Slg. 2010, I – 1449, Rn. 50. 43
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licher Anknüpfungsautonomie (Cartesio) einerseits und mitgliedstaatlicher Zuständigkeit für die Staatsangehörigkeit (Rottmann) andererseits: Die Befugnis der Mitgliedstaaten, einer Gesellschaft den rechtsformwahrenden Wegzug zu untersagen und sie im Falle des Grenzübertritts aufzulösen, unterliegt nicht der Schranke der Verhältnismäßigkeit.45 Dieser Unterschied führt jedoch nicht zu einem unter Kohärenz-Gesichtspunkten problematischen Wertungswiderspruch, sondern beruht auf gewichtigen Gründen. Natürliche Personen, denen die Staatsangehörigkeit entzogen wird, verlieren nicht nur die Möglichkeit, sich auf die Niederlassungsfreiheit und andere Grundfreiheiten zu berufen, sondern auch die Unionsbürgerschaft. Die Unionsbürgerschaft, über die Gesellschaften nicht verfügen, hat zum einen eine identitätsstiftende Funktion: Ihre Inspiration besteht in dem „Gedanken, dass Menschen sich über die Identität erheben können, welche ihnen durch ihre eigene, kulturell beschränkte nationale Gesellschaft aufgegeben ist.“46 Mit der Entziehung der Staatsangehörigkeit und der Unionsbürgerschaft wird natürlichen Personen diese Identität genommen. Gesellschaften besitzen demgegenüber eine solche – nationale oder europäische – Identität von vornherein nicht und können sie folglich durch einen Entzug der Rechtsform im Falle des Wegzugs auch nicht verlieren. Mit der Unionsbürgerschaft sind zum anderen Rechte verbunden, die über die durch die Grundfreiheiten gewährleistete Nutzung der Vorteile des europäischen Binnenmarkts hinausgehen: das Recht auf Freizügigkeit, das Wahlrecht bei Kommunalwahlen und Wahlen zum Europaparlament, das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz im Hoheitsgebiet von Drittstaaten durch die konsularischen und diplomatischen Behörden eines jeden Mitgliedstaates, das Petitionsrecht zum Europaparlament, das Recht auf Anrufung des Bürgerbeauftragten und das Recht, sich schriftlich in den Vertragssprachen an Organe und Einrichtungen der Union zu wenden und eine Antwort in der gewählten Sprache zu erhalten. Es handelt sich um demokratische Partizipationsrechte, die im Vergleich zu entsprechenden Mechanismen auf nationaler Ebene zwar nur schwach ausgeprägt sind, aber gleichwohl zu einer Teilhabe des Unionsbürgers am europäischen Gemeinwesen führen und ihn mehr sein lassen als einen bloßen Marktbürger.47 Auch diese politischen Rechte haben Gesellschaften naturgemäß nicht. Es handelt sich bei ihnen ausschließlich um durch das nationale Recht ihres Herkunftsstaates konfigurierte Marktakteure.48 45
Behme, EWiR 2010, 373 (374).
46 Nach Everson, in: Shaw/More (Hrsg.), New Legal Dynamics of European Union, 1995,
S. 73 (90); grundlegend Weiler, The Constitution of Europe, 1999, S. 324 ff. 47 Der Begriff des Marktbürgers kennzeichnet die Stellung des Bürgers im Rahmen des EWG-Vertrags; zur Entwicklung vgl. Oppermann, in: Nicolaysen/Quaritsch (Hrsg.), Lüneburger Symposion für Hans Peter Ipsen, 1988, S. 87 ff.; Randelzhofer, GS Grabitz, S. 581 ff. 48 Müller-Graff, EWS 2009, 489.
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Dass die identitätsstiftende und politische Dimension der Unionsbürgerschaft die Ursache dafür ist, dass der EuGH ihre Entziehung durch die Mitgliedstaaten anders als die Auflösung von Gesellschaften der Schranke der Verhältnismäßigkeit unterwirft, wird auch aus der Formulierung der Entscheidungsgründe zu Rottmann deutlich. Während das Bundesverwaltungsgericht mit der ersten Vorlagefrage noch wissen will, ob Unionsrecht der Rechtsfolge des Verlusts der Unionsbürgerschaft (und der mit dieser verbundenen Rechte und Grundfreiheiten) entgegensteht, greift der EuGH diese Formulierung nicht auf, sondern stellt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit allein auf den Verlust der mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte ab. Gemeint sind damit die in Art. 20 AEUV genannten Rechte; auf den Verlust der Grundfreiheiten, die lediglich eine wirtschaftliche Dimension haben, kommt es im Rahmen der Abwägung offenbar nicht an. Im Ergebnis lässt sich daher festhalten: Die Mitgliedstaaten genießen eine uneingeschränkte Autonomie, soweit es lediglich um die Festlegung der Voraussetzungen geht, die ein Rechtssubjekt aufweisen muss, um am europäischen Binnenmarkt teilzuhaben. Sofern aber seine Stellung als Teil des europäischen Gemeinwesens berührt wird, haben die Mitgliedstaaten mit Blick auf die unionsrechtlichen Konsequenzen bei der Ausübung ihrer Autonomie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
2. Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit: Zum Spannungsverhältnis von Daily Mail / Cartesio und der Golden Shares-Rechtsprechung Nicht nur die Entscheidungen des EuGH zur grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften, sondern auch die Entscheidungen zur Vereinbarkeit sog. „Goldener Aktien“ (Golden Shares) mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV)49 werfen die Frage auf, ob und in welchem Umfang die Grundfreiheiten den regulatorischen Spielraum der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts beschneiden.
49
EuGH, Urteil vom 4. 6. 2002, Rs. C-367/98 (Portugal), Slg. 2002, I – 4731; EuGH, Urteil vom 4. 6. 2002, Rs. C-483/99 (Frankreich), Slg. 2002, I – 4781; EuGH, Urteil vom 4. 6. 2002, Rs. C-503/99 (Belgien), Slg. 2002, I – 4809; EuGH, Urteil vom 13. 5. 2003, Rs. C-463/00 (Spanien), Slg. 2003, I – 4581; EuGH, Urteil vom 13. 5. 2003, Rs. C-98/01 (Großbritannien), Slg. 2003, I – 4641; EuGH, Urteil vom 2. 6. 2005, Rs. C-174/04 (Italien), Slg. 2005, I – 4933; EuGH, Urteil vom 28. 9. 2006, Rs. C-283/04 (Niederlande), Slg. 2006, I – 9141; EuGH, Urteil vom 23. 10. 2007, Rs. C-112/05 (Volkswagen-Gesetz), Slg. 2007, I – 8995; EuGH, Urteil vom 6. 12. 2007, Rs. C-463/04 (Federconsumatori), Slg. 2007, I – 10419; EuGH, Urteil vom 8. 7. 2010, Rs. C-171/08 (Portugal II), Slg. 2010, I – 6817; EuGH, Urteil vom 10. 11. 2011, Rs. C-212/09 (Portugal III), Slg. 2011, I – 10889; EuGH, Urteil vom 8. 11. 2012, Rs. C-244/11 (Griechenland), EuZW 2013, 29.
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Den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit bestimmt der EuGH seit jeher unter Rückgriff auf den Anhang der Richtlinie 88/361/EWG50 zur Durchführung des inzwischen aufgehobenen Art. 67 EWG. Die darin enthaltene Nomenklatur für den Kapitalverkehr umfasst insbesondere Direktinvestitionen51, die nach Auffassung des EuGH eine effektive Beteiligung des Investors an der Verwaltung der Gesellschaft oder an deren Kontrolle implizieren.52 Im Einklang mit der allgemeinen Grundfreiheitendogmatik geht der EuGH davon aus, dass auch die Kapitalverkehrsfreiheit nicht bloß ein Diskriminierungsverbot enthält, sondern auch ein weit zu verstehendes Beschränkungsverbot. Eine nationale Maßnahme soll demnach bereits dann als Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit anzusehen sein, wenn sie geeignet ist, den Erwerb von Aktien der betreffenden Unternehmen zu verhindern oder zu beschränken oder Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuschrecken, in das Kapital dieser Unternehmen zu investieren.53 Bereits früh wurde darauf hingewiesen, dass dieser extensive Beschränkungsbegriff den Weg zu einer Überprüfung des gesamten mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit eröffnet.54 Dies hätte zur Folge, dass jede gesellschaftsrechtliche Regelung, die auch nur geeignet ist, eine effektive Kontrolle von Unternehmen zu erschweren und dadurch ausländische Investoren von Direktinvestitionen abzuhalten, einer Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit durch den EuGH ausgesetzt wäre. Aus deutscher Perspektive ist es insbesondere die unternehmerische Mitbestimmung, die ausländische Investoren von Direktinvestitionen in deutsche Unternehmen abschrecken kann.55 Aber auch auf den ersten Blick deutlich „unverdächtigere“ Normen des Gesellschaftsrechts können Direktinvestitionen beeinträchtigen, da sie aus Investorensicht eine effektive Kontrolle von Unternehmen erschweren – 50 Richtlinie des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (88/361/EWG). 51 Den Begriff der Direktinvestitionen konkretisiert die Richtlinie wie folgt: 1. Gründung und Erweiterung von Zweigniederlassungen oder neuen Unternehmen, die ausschließlich dem Geldgeber gehören, und vollständige Übernahme bestehender Unternehmen; 2. Beteiligung an neuen oder bereits bestehenden Unternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen; 3. Langfristige Darlehen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen; 4. Reinvestitionen von Erträgen zur Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen. 52 Siehe zuletzt EuGH, Urteil vom 10. 11. 2011, Rs. C-212/09 (Portugal III), Slg. 2011, I – 10889, Rn. 47 m. w. N. Ausführlich zum Beschränkungsbegriff im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit Lübke, Der Erwerb von Gesellschaftsanteilen zwischen Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit, 2006, S. 284 ff. m. w. N. 53 Siehe zuletzt EuGH, Urteil vom 10. 11. 2011, Rs. C-212/09 (Portugal III), Slg. 2011, I – 10889, Rn. 48 m. w. N. 54 Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317 (349 ff.); Kainer, ZHR 168 (2004), 542 (556); Oechsler, NZG 2007, 161; Teichmann/Heise, BB 2007, 2577 (2581). 55 Adams, ZIP 2006, 1561 (1565); Hopt, EuZW 2007, 257; Pläster, EWS 2008, 173 (176 f.); Säcker, AG 2008, 17 (19 f.).
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etwa Kapitalschutznormen,56 der Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 25 Abs. 5 AktG)57, die Unabhängigkeit des Vorstands (§ 76 AktG)58 oder die dualistische Organisationsverfassung als solche, da sie die Ausübung von Leitungsmacht erst über den Umweg der Auswechselung von Aufsichtsratsmitgliedern ermöglicht.59 Das Volkswagen-Urteil60 hat diesen Eindruck noch verstärkt. Darin erblickte der EuGH einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit zum einen in § 4 Abs. 1 VW-Gesetz a. F., der die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen berechtigte, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat der Volkswagen AG zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören, und zum anderen in dem Zusammenspiel61 von § 2 Abs. 1 VW-Gesetz a. F., der das Stimmrecht jedes Aktionärs unabhängig von seinem Anteilsbesitz auf 20 % des Grundkapitals des Volkswagen AG beschränkte, und § 4 Abs. 3 VW-Gesetz, der für Beschlüsse der Hauptversammlung, für die nach dem Aktiengesetz eine Mehrheit von drei Viertel des vertretenen Grundkapitals erforderlich ist, eine Mehrheit von 80 % verlangt und damit eine Sperrminorität von 20 % statuiert. Damit geht das Volkswagen-Urteil in seiner Tragweite über die zuvor erlassenen Golden Shares-Urteile hinaus: Diese betrafen allesamt nationale Maßnahmen, durch die als solche benannte staatliche Sonderrechte an Unternehmen in Gestalt von privilegierten Aktien, besonderen Zustimmungsvorbehalten bei Anteilserwerben und Übernahmen oder vergleichbaren Maßnahmen geschaffen wurden. Auf diese Weise sollte der Einfluss des Staates auf privatisierte Unternehmen gesichert werden, an deren Unternehmensgegenstand (z. B. Energieversorgung) ein besonderes öffentliches Interesse bestand.62 Dagegen ging es im Volkswagen-Urteil – von den Entsenderechten abgesehen – nicht um eine offenkundige Privilegierung des Staates gegenüber privaten Aktionären, sondern mit dem Höchststimmrecht und der Sperrminorität um gesellschafts56
Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (149); Oechsler, NZG 2007, 161 (163). Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317 (360 ff.); Spindler, RIW 2003, 850 (858). 58 Spindler, RIW 2003, 850 (858). 59 Vgl. Hirte, ECFR 2005, 1 (12); Michalski, AG 1997, 152 (156); Pläster, EWS 2008, 173 (176 f.). 60 EuGH, Urteil vom 23. 10. 2007, Rs. C-112/05 (Volkswagen-Gesetz), Slg. 2007, I – 8995. 61 Der EuGH überprüft „die Wirkungen des Höchststimmrechts in Wechselwirkung mit dem in § 4 Abs. 3 VW-Gesetz vorgesehenen Erfordernis einer Mehrheit von mehr als 80 % des Grundkapitals für bestimmte Beschlüsse der Aktionärshauptversammlung“ im Hinblick auf ihre den freien Kapitalverkehr beschränkende Wirkung (Rn. 43) und kommt zu dem Ergebnis, dass „das Zusammenspiel von § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 VW-Gesetz“ eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG darstellt (Rn. 56). Diese Formulierung verleitete die Bundesregierung zu der Annahme, bereits durch die bloße Aufhebung des Höchststimmrechts (§ 2 Abs. 1 VW-Gesetz a. F.) den Anforderungen des EuGH zu genügen, siehe BT-Drs. 16/10389, S. 6; zustimmend Rapp-Jung/Bartosch, BB 2009, 2210 (2212 ff.). 62 Vgl. zum Begriff der „Golden Shares“ Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (145); Ebke/Traub, EWS 2002, 335 (336); Purnhagen, EuZW 2010, 706; grundlegend Grundmann/ Möslein, ZGR 2003, 317. 57 Vgl.
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rechtliche Mechanismen, die formal betrachtet alle Aktionäre gleichermaßen betrafen.63 Was nutzt den Mitgliedstaaten aber ihre in Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit betonte gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie, wenn ihr nationales Gesellschaftsrecht gleichwohl vollumfänglich am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit überprüft wird? Diese Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil das Prüfungsprogramm bei Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit nahezu identisch ist:64 Ob eine Beschränkung vorliegt, beurteilt sich bei beiden Grundfreiheiten in Anlehnung an die für den freien Warenverkehr geschaffene Dassonville-Formel65; ihre unionsrechtliche Rechtfertigung unterliegt ähnlichen, in Bezug auf die zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses sogar identischen Voraussetzungen. So verzichtet denn auch der EuGH in seinen Golden Shares-Urteilen, nachdem er einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit festgestellt hat, auf eine Prüfung der jeweiligen Maßnahme am Maßstab der Niederlassungsfreiheit und begnügt sich mit dem lapidaren Verweis darauf, dass diese Grundfreiheiten untrennbar miteinander verbunden sind.66 Kohärenz lässt sich in dieser für die weitere Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden Frage nur dann erzielen, wenn die Parallele zwischen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit nicht erst auf der Ebene von Tatbestand und Rechtsfolge gezogen wird, sondern bereits im Hinblick auf ihren jeweiligen Anwendungsbereich. Dies würde bedeuten, dass auch für die Kapitalverkehrsfreiheit ein der Grundfreiheit vorgelagerter Bereich autonomer rechtspolitischer Entscheidungen der Mitgliedstaaten geschaffen wird, die nicht auf ihre beschränkende Wirkung überprüft werden und folglich auch nicht der Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit durch den EuGH unterliegen. Dieser Bereich kann analog zur gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich der Niederlassungsfreiheit definiert werden. Der Kapitalverkehrsfreiheit vorgelagert wären dann alle gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards, welche die Gründung, den Fortbestand und die korporative Identität der Rechtsformen der Mitgliedstaaten 63 Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (148); Ringe, Cambridge Law Journal 69 (2010), 378 (388). 64 Spindler, RIW 2003, 850 (852); siehe zum Verhältnis von Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 63 AEUV Rn. 16 ff.; Schön, GS Knobbe-Keuk, 743 (749 ff.). 65 Siehe oben S. 247. 66 Siehe zuletzt EuGH, Urteil vom 10. 11. 2011, Rs. C-212/09 (Portugal III), Slg. 2011, I – 10889, Rn. 98 m. w. N.; dagegen hält Generalanwalt Colomer in seinen Schlussanträgen vom 6. 2. 2003, Rs. C-463/00 (Spanien), Rn. 36 den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit für eröffnet, wenn der Erwerb von Aktien auf die Leitung eines Unternehmens abzielt. Die Abgrenzung der Schutzbereiche von Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit stuft er aber selbst als wenig bedeutend ein, da der EuGH beide Grundfreiheiten einer ähnlichen Prüfung unterzieht.
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betreffen.67 Die Übertragung würde der Logik folgen, dass derjenige, der in eine Gesellschaft ausländischer Rechtsform investiert, die durch ihren Herkunftsstaat autonom definierten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards ebenso akzeptieren muss wie dies eine Gesellschaft tun muss, die einen Formwechsel in eine Gesellschaft ausländischer Rechtsform anstrebt. Auf der Wertungsebene erscheint eine derartige Übertragung auch plausibel, denn die Investition in eine ausländische Gesellschaft ist durchaus mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel in eine ausländische Rechtsform vergleichbar. Beide Vorgänge zielen bei wirtschaftlicher Betrachtung auf dasselbe Ergebnis, dass nämlich Gesellschafter aus einem Mitgliedstaat an einer Gesellschaft beteiligt sind, die durch das nationale Recht eines anderen Mitgliedstaates konfiguriert wird. Die Rechtsnormen, welche die wirtschaftliche Attraktivität dieses Ergebnisses mindern, sind in beiden Fällen identisch: So kann etwa die unternehmerische Mitbestimmung sowohl die Investition in eine ausländische mitbestimmte Gesellschaft weniger attraktiv erscheinen lassen als auch den grenzüberschreitenden Formwechsel in eine ausländische mitbestimmte Rechtsform. Gleiches gilt prinzipiell für den Grundsatz der Satzungsstrenge oder die Unabhängigkeit des Leitungsorgans. Aus Gründen der Kohärenz sind derartige Normen nicht nur von der Prüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit, sondern auch der Kapitalverkehrsfreiheit auszunehmen und der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten zu überlassen. Andernfalls würde die für den Bereich der Niederlassungsfreiheit postulierte gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten gänzlich entwertet. Der zum Zwecke der Konturierung der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie im Bereich der Niederlassungsfreiheit verwendete Begriff der „gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards“ ist insoweit auf die Anknüpfungsautonomie im Bereich der Kapitalverkehrsfreiheit übertragbar und kann zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs beider Grundfreiheiten herangezogen werden. Der Sache nach bedeutet dies nichts anders als eine Übertragung der Ratio der Keck-Rechtsprechung des EuGH auf die Kapitalverkehrsfreiheit:68 Die Anwendung gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards des Aufnahmestaates beeinträchtigt weder den Marktzugang einer formwechselnden Gesellschaft noch den Marktzugang ausländischer Investoren. Daher liegt der Einwand nahe, dass auch einige der klassischen Golden Shares-Regelungen den Markt67 Zur Reichweite der mitgliedstaatlichen Anknüpfungsautonomie im Bereich des Gesellschaftsrechts siehe ausführlich oben S. 100 ff. 68 Dafür auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 63 AEUV Rn. 62; RappJung/Bartosch, BB 2009, 2210 (2214); Ringe, Cambridge Law Journal 69 (2010), 378 (402); vgl. mit Blick auf das VW-Gesetz bereits Lübke, Der Erwerb von Gesellschaftsanteilen zwischen Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit, 2006, S. 324 ff.; Wellige, EuZW 2003, 427 (431 ff.); krit. Oechsler, NZG 2007, 161 (163), demzufolge der EuGH dazu noch nicht bereit ist.
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zugang ausländischer Gesellschaften nicht beeinträchtigen, sondern als bloße „Investitionsmodalitäten“ im Sinne von Keck angesehen werden könnten. Ein Beispiel sind die Regelungen, die dem Fall Kommission/Spanien zugrunde lagen. Danach bedurften bei bestimmten Unternehmen die Umwandlung, die Veräußerung wichtiger Vermögensgegenstände oder eine Änderung des Gesellschaftszwecks einer staatlichen Genehmigung. Die britische Regierung hatte in ihrer Stellungnahme vorgetragen, derartige Regelungen beschränkten den Marktzugang nicht und könnten daher den freien Kapitalverkehr nicht beeinträchtigen. Der EuGH hat dieses auf die Keck-Rechtsprechung gestützte Argument allerdings zurückgewiesen. Zwar seien die fraglichen Regelungen unterschiedslos sowohl auf Gebietsansässige als auch auf Gebietsfremde anwendbar, doch berührten sie die Situation des Erwerbers einer Beteiligung als solche und seien daher geeignet, Anleger aus anderen Mitgliedstaaten von solchen Investitionen abzuhalten und damit den Marktzugang zu beeinflussen. Daher sei von einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit auszugehen.69 Die Formulierung des Gerichtshofs ist unglücklich gewählt. Sie relativiert die in Keck angelegte Differenzierung zwischen (produktbezogenen) Qualifikationsstandards und (vertriebsbezogenen) Rahmenbedingungen, da sie den Eindruck erweckt, dass es für eine Beschränkung genügt, wenn eine mitgliedstaatliche Regelung die Situation ausländischer Investoren bzw. Marktteilnehmer „berührt“ und die Attraktivität des Marktzugangs behindert. Dies kann aber theoretisch bei jeder beliebigen Vorschrift angenommen werden, sodass der EuGH mit einer derartigen Argumentation Gefahr läuft, auf den Stand von Dassonville zurückzufallen.70 Die referierten Ausführungen des EuGH sollten in ihrer Bedeutung jedoch nicht überschätzt werden. Der eigentliche Grund für die Annahme einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit bestand in allen Golden Shares-Entscheidungen in der Privilegierung des Staates gegenüber privaten Investoren und der damit teilweise offen verfolgten protektionistischen Absicht des jeweiligen Mitgliedstaates. Dies gilt auch für die Volkswagen-Entscheidung: Der EuGH stellt maßgeblich darauf ab, dass das Höchststimmrecht von 20 % der Beteiligung entspricht, über die bei Erlass des VW-Gesetzes sowohl der Bund als auch das Land Niedersachsen verfügten und über die das Land Niedersachsen immer noch verfügt. Durch das Höchststimmrecht und die Sperrminorität ermögliche das VW-Gesetz den öffentlichen Akteuren, durch eine geringere Investition als nach dem allgemeinen Gesellschaftsrecht üblich wesentlichen Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben. Dass diese Regelungen 69 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 5. 2003, Rs. C-463/00 (Spanien), Slg. 2003, I – 4581, Rn. 59 ff.; ebenso EuGH, Urteil vom 13. 5. 2003, Rs. C-98/01 (Großbritannien), Slg. 2003, I – 4641 Rn. 45 ff.; vgl. demgegenüber Kainer, ZHR 168 (2004), 542 (556), der diese Passagen so versteht, dass der EuGH die in Keck entwickelte Betrachtungsweise auf die Kapitalverkehrsfreiheit überträgt. 70 Ähnlich Sander, EuZW 2008, 33; Spindler, RIW 2003, 850 (853).
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
des VW-Gesetzes formal für alle Aktionäre der Volkswagen AG gelten, hält der EuGH nicht für relevant.71 Zudem betrafen alle Golden Shares-Entscheidungen Sonderregelungen für privatisierte Unternehmen, Unternehmen einer bestimmten Branche oder – im Falle VW – ein einzelnes privatisiertes Unternehmen, nicht aber allgemeine gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards, die für alle Unternehmen einer bestimmten Rechtsform verbindlich sind und diese Rechtsform prägen. Diese Ungleichbehandlung zugunsten des Staates ist es, die Golden Shares aus der Perspektive des Binnenmarktes bedenklich erscheinen lässt. Für die Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach den Auswirkungen der Golden Shares-Urteile auf das allgemeine Gesellschaftsrecht ist damit entscheidend, wie der Fall Volkswagen zu entscheiden gewesen wäre, wenn das Land Niedersachsen seine Anteile verkauft hätte und damit eine Privilegierung des Staates nicht feststellbar gewesen wäre,72 oder wenn die durch das VWGesetz etablierte Kombination von Sperrminorität und Höchststimmrecht kraft gesetzlicher Regelung73 gar für alle deutschen Aktiengesellschaften verbindlich wäre. Nur dann würde es sich um einen echten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard handeln.74 In der Entscheidung Federconsumatori hat der EuGH die Frage noch ausdrücklich offen gelassen;75 früher oder später wird er dazu Stellung nehmen müssen. In Anbetracht der ähnlichen Struktur von Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit und im Interesse der Kohärenz sollte der EuGH in diesem Falle bereits die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit verneinen und auf diese Weise der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit gleichermaßen Geltung verschaffen. Am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit sollten dagegen weiterhin staatliche Sonderrechte an einzelnen Unternehmen oder Unternehmen einer bestimmten Branche überprüft werden.76 71
EuGH, Urteil vom 23. 10. 2007, Rs. C-112/05 (Volkswagen-Gesetz), Slg. 2007, I – 8995, Rn. 48 ff. 72 Vgl. auch Ringe, Cambridge Law Journal 69 (2010), 378 (400). 73 Die unionsrechtliche Beurteilung von durch die Satzung geschaffenen Höchststimmrechten ist mit Blick auf die hier untersuchte Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten im Gesellschaftsrecht nicht relevant und soll daher nicht näher betrachtet werden, siehe dazu Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317 (354 f.). 74 Für eine Einordnung als Beschränkung Grundmann/Möslein, ZGR 2003, 317 (352 f.). 75 EuGH, Urteil vom 6. 12. 2007, Rs. C-463/04 (Federconsumatori), Slg. 2007, I – 10419, Rn. 31. 76 Im Zuge der Aufarbeitung der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden in Deutschland durch die Finanzmarktstabiliserungsgesetze zahlreiche staatliche Sonderrechte an Unternehmen des Finanzsektors geschaffen, die keine allgemeinverbindlichen gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards darstellen, sondern als Golden Shares und damit als Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit anzusehen sind; dazu ausführlich Lübke, EWS 2010, 407.
B. Keine Begünstigung von Diskriminierungen durch die EuGH-Judikatur
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B. Keine Begünstigung von Diskriminierungen durch die EuGH-Judikatur Vielfach wurde im Vorfeld von Cartesio angenommen, das Erfordernis eines inländischen Gesellschaftssitzes und damit die Untersagung des rechtsformwahrenden Wegzugs einer Gesellschaft durch das nationale Recht ihres Herkunftsstaates sei eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Dagegen hat der EuGH – jedenfalls in dogmatischer Hinsicht kohärent und überzeugend – dargelegt, dass das Erfordernis eines inländischen Sitzes als autonom durch den Herkunftsstaat definierter gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandard überhaupt nicht auf seine die Niederlassungsfreiheit beschränkende Wirkung zu überprüfen ist. Teilweise wird jedoch angenommen, das Erfordernis eines inländischen Sitzes verstoße gegen die Niederlassungsfreiheit zwar nicht in ihrer Ausprägung als Beschränkungs-, wohl aber als Diskriminierungsverbot. Dieser Sicht steht die dogmatische Konzeption des EuGH nicht entgegen. Denn das dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung vermag lediglich zu begründen, dass der Herkunftsstaat grundsätzlich über die Zuständigkeit für die Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards verfügt und dass diese Qualifikationsstandards nicht am Maßstab der Grundfreiheiten in ihrer Ausprägung als Beschränkungsverbot überprüfbar sind. Regelungen, welche die Mitgliedstaaten in ihrem Zuständigkeitsbereich erlassen, dürfen aber gleichwohl keine diskriminierende Wirkung entfalten. Dies ergibt sich für die Zuständigkeit des Aufnahmestaates für den Erlass vertriebsbezogener Rahmenbedingungen im Bereich der Warenverkehrsfreiheit aus Keck, wonach nur solche Verkaufsmodalitäten nicht auf ihre den freien Warenverkehr beschränkende Wirkung zu überprüfen sind, die für alle Marktteilnehmer gleichermaßen gelten,77 und wurde mit Blick auf die Autonomie des Herkunftsstaates zur Definition gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards oben ausführlich begründet.78 Daher ist im Folgenden zu untersuchen, ob das Erfordernis eines inländischen Gesellschaftssitzes tatsächlich gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot verstößt, sodass sich gegen die Rechtsprechung des EuGH der Vorwurf erheben ließe, sie begünstige eine diskriminierende Ausgestaltung des nationalen Rechts. In der Literatur wird an drei verschiedene mögliche Ungleichbehandlungen angeknüpft, um eine Diskriminierung zu begründen: die Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und innerstaatlicher Sitzverlegung, sofern letztere möglich ist79 (unter I.), die Ungleichbehandlung 77
EuGH, Urteil vom 24. 11. 1993, Rs. C-268/91 (Keck), Slg. 1993, I – 6097, Rn. 16. Siehe oben S. 85 f. 79 So bereits Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen vom 22. 5. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), NZG 2008, 498 (Rn. 25); ferner Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1026 f.); Pießkalla, EuZW 2009, 81 (82). 78
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von wegzugswilligen inländischen Gesellschaften gegenüber zuziehenden ausländischen Gesellschaften80 (unter II.) und die Ungleichbehandlung von rechtsformwahrend wegziehenden Gesellschaften gegenüber rechtsformwechselnd wegziehenden Gesellschaften (unter III.).81
I. Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und innerstaatlicher Sitzverlegung Der Vorwurf einer Diskriminierung grenzüberschreitender gegenüber innerstaatlichen Sitzverlegungen durch das Erfordernis eines inländischen Gesellschaftssitzes basiert auf einem fehlerhaften Verständnis des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots, das in der verbreiteten Formulierung gipfelt, eine Diskriminierung bedeute die rechtliche Schlechterbehandlung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber einem vergleichbaren Inlandssachverhalt ohne grenzüberschreitenden Bezug durch einen Mitgliedstaat.82 Ein solches Verständnis des Diskriminierungsbegriffs ist mit dem Wortlaut des Art. 18 AEUV nicht vereinbar. Dieser verbietet nicht jede Ungleichbehandlung von innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Sachverhalten, sondern allein die Ungleichbehandlung verschiedener (natürlicher oder juristischer) Personen 18 aufgrund des Differenzierungskriteriums der Staatsangehörigkeit. Art. AEUV stellt mit anderen Worten keinen unspezifischen allgemeinen Gleichheitssatz auf. In seinem Anwendungsbereich gewährleistet er als per se-Verbot allerdings ein weitaus höheres Schutzniveau als der allgemeine Gleichheitssatz, der im Grundsatz ein bloßes Willkürverbot ist.83 Gleiches gilt für die als Konkretisierung von Art. 18 AEUV zu verstehenden grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote. Diese Auslegung des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, der unter einer Diskriminierung die unterschiedliche Behandlung einer Person gegenüber einer bestimmten Vergleichsgruppe aufgrund dessen versteht, was sie ist, und nicht aufgrund dessen, was sie macht. Demnach spielt das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot in Exportbzw. Wegzugskonstellationen kaum eine Rolle. Deutlicher wird dies, wenn man anstatt von einem Diskriminierungsverbot von einem Gebot der Inländerbe80 Ehricke, EWS 2009, Heft 1.2/2009, I; Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (520); Kobelt, GmbHR 2009, 808 (810). 81 In diese Richtung Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (717). 82 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 49 AEUV Rn. 19; Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 49 AEUV Rn. 42; Nohlen, Binnenmarktkonformer Minderheitenschutz bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 2012, S. 125; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 111. 83 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV Rn. 5 (Stand September 2010); vgl. zur Abgrenzung zum allgemeinen Gleichheitssatz auch Streinz, in: ders. (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 18 AEUV Rn. 13.
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handlung spricht: Kein ausländischer Marktteilnehmer darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit schlechter gestellt werden als ein vergleichbarer Inländer. Die unterschiedliche Behandlung von Inländern in unterschiedlichen Situationen ist dagegen nicht erfasst; sie kann aber im Einzelfall eine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellen. Aus diesem Grunde ist es bereits im Ansatz verfehlt, von einer Diskriminierung einer Gesellschaft eines Mitgliedstaates, der eine grenzüberschreitende Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat nicht möglich ist, gegenüber einer vergleichbaren Gesellschaft desselben Mitgliedstaates, die ihren Sitz innerhalb der Grenzen ihres Herkunftsstaates verlegt, auszugehen.
II. Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug Manche Autoren sehen eine Diskriminierung darin, dass die Mitgliedstaaten den nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften den rechtsformwahrenden Wegzug untersagen dürfen, gleichzeitig aber den rechtsformwahrenden Zuzug ausländischer Gesellschaften akzeptieren müssen. Eine solche Inländerdiskriminierung sei jedoch unionsrechtlich zulässig.84 Auch die Aussage, Inländerdiskriminierungen (oder: umgekehrte Diskriminierungen)85 seien unionsrechtlich zulässig,86 verkennt die Bedeutung des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots. Art. 18 Abs. 1 AEUV verbietet seinem Wortlaut nach im Anwendungsbereich der Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Ob eine Diskriminierung zulässig ist, bestimmt sich also nicht danach, wer diskriminiert wird – Inländer oder Ausländer –, sondern danach, ob die Diskriminierung im Anwendungsbereich der Verträge erfolgt. Dies ist der Fall, wenn ein Sachverhalt mit grenzüberschreitendem Bezug vorliegt. Daran stellt der EuGH relativ geringe Anforderungen.87 Nicht vom Diskriminierungsverbot nach Art. 18 Abs. 1 AEUV erfasst sind nur rein innerstaatliche Sachverhalte,88 wie etwa der Fall, dass ein 84 Ehricke, EWS 2009, Heft 1.2/2009, Die erste Seite; Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (520); Kobelt, GmbHR 2009, 808 (810); vgl. auch Kämmerer, EuR 2008, 45 (50 ff.). 85 Zur Terminologie Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, 1999, S. 59 f. m. w. N.; Lackhoff/Raczinski, EWS 1997, 109 f.; Riese/Noll, NVwZ 2007, 516 f. 86 Zur unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Behandlung von Inländerdiskriminierungen ausführlich Gundel, DVBl 2007, 269; König, AöR 1993, 591; Lackhoff/Raczinski, EWS 1997, 109; Riese/Noll, NVwZ 2007, 516; Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 12 EG Rn. 11, 14; siehe ferner Kämmerer, EuR 2008, 45. 87 Gundel, DVBl 2007, 269 (270 f.); Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 12 EG Rn. 11, 14; gegen dieses Kriterium Riese/Noll, NVwZ 2007, 516 (519). 88 Siehe nur EuGH, Urteil vom 15. 1. 1986, Rs. 44/84 (Hurd/Jones), Slg. 1986, 29; EuGH, Urteil vom 5. 6. 1997, verb. Rs. C-64/96 und 65/96 (Uecker u. Jacquet), Slg. 1997, I – 3171; vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 276 ff., der das primäre Unionsrecht treffend als supranationales Sonderrecht für internationale Sachverhalte charakterisiert.
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deutscher Bierproduzent im Inland das deutsche Reinheitsgebot beachten muss, ein ausländischer Konkurrent dagegen aufgrund des freien Warenverkehrs und des darin verankerten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nicht.89 Ein bloßer Inlandssachverhalt ist naturgemäß nicht gegeben, wenn Gesellschaften rechtsformwahrend ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen: Durch die Sitzverlegung überschreiten sie die Grenze und betätigen sich damit im Anwendungsbereich der Verträge. Das bedeutet: Sofern die unterschiedliche Behandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwahrendem Zuzug durch das nationale Recht eines Mitgliedstaates tatsächlich eine Diskriminierung im Sinne des Art. 18 AEUV darstellt, ist diese nicht als Inländerdiskriminierung per se zulässig. Sie ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird.90 Erforderlich ist mit anderen Worten ein sachlicher Grund, der die Differenzierung nicht willkürlich erscheinen lässt, sowie eine Güter- und Interessenabwägung im Lichte der Ziele des AEUV.91 Ob eine solche Rechtfertigung möglich ist, erscheint zweifelhaft. Die entscheidende Frage lautet mithin, ob eine Gesellschaft dadurch diskriminiert wird, dass ihr Herkunftsstaat die Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat untersagt, gleichzeitig aber – wozu er unionsrechtlich verpflichtet ist – den rechtsformwahrenden Zuzug ausländischer Gesellschaftsformen toleriert. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn ein Mitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet gleiche Sachverhalte ungleich behandelt und der betroffene Staatsbürger bzw. die betroffene Gesellschaft92 hierdurch eine Benachteiligung erleidet.93 In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, dass jeder Wegzug aus der Perspektive des Aufnahmestaates betrachtet ein Zuzug ist und vice versa. Rechtsformwahrender Wegzug und rechtsformwahrender Zuzug sind also wechselseitig bedingte Ausprägungen eines einheitlichen Vorgangs: der Ausübung grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften unter Wahrung der ursprünglichen 89 Vgl. EuGH, Urteil vom 12. 3. 1987, Rs. 178/84 (Reinheitsgebot für Bier), Slg. 1987, 1262; siehe dazu König, AöR 1993, 591 (603 ff.). 90 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2005, Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I – 2119, Rn. 54. 91 Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 12 EG Rn. 3; demgegenüber geht eine in der Literatur vertretene Auffassung davon aus, Art. 18 AEUV enthalte ein absolutes Diskriminierungsverbot und eine Differenzierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sei einer Rechtfertigung von vornherein nicht zugänglich, so Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 18 AEUV Rn. 22 ff. 92 Zur Anwendung der Grundfreiheiten auf Gesellschaften siehe den Überblick bei Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, Rn. 232 ff.; gleiches gilt für das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV. 93 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV Rn. 6 (Stand September 2010); siehe zum Begriff der Diskriminierung ausführlich Meyer, Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht, 2002, S. 35 ff.
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Rechtsform.94 Noch deutlicher wird die Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Gesellschaften, wenn man den rechtsformwahrenden Wegzug in einen dritten Mitgliedstaat betrachtet: Inländischen Gesellschaften dürften die Mitgliedstaaten diesen verweigern, während sie zugezogene ausländische Gesellschaften nicht daran hindern dürfen, ihren Verwaltungssitz zurück in ihren Herkunftsstaat oder in einen dritten Mitgliedstaat zu verlegen – über diese Möglichkeit entscheidet das nationale Recht ihres Herkunftsstaates.95 Allerdings erfasst das Diskriminierungsverbot nicht die Unterschiede in der Behandlung, die sich aus dem Zusammentreffen der Regelungen unterschiedlicher mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen ergeben können, sofern diese Rechtsordnungen auf alle ihnen unterworfenen Personen nach objektiven Merkmalen und ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Betroffenen anwendbar sind. Eine Diskriminierung setzt voraus, dass die zu vergleichenden Sachverhalte von demselben Hoheitsträger geregelt werden.96 Dies ist bei Wegzug und Zuzug unter Wahrung der Rechtsform nicht der Fall. Wenn eine Gesellschaft aus einem Mitgliedstaat A, die ihren Sitz rechtsformwahrend in einen anderen Mitgliedstaat B verlegen will, infolge des Grenzübertritts aufgelöst wird, so ist dies eine Sanktion, die durch das materielle Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates A angeordnet wird. Dass eine andere Gesellschaft aus Mitgliedstaat C ihren Sitz in Mitgliedstaat A genommen hat und diese Gesellschaft ihren Sitz rechtsformwahrend in Mitgliedstaat B verlegen kann, ergibt sich dagegen aus dem materiellen Gesellschaftsrecht ihres Herkunftsstaates C, nach dessen nationalem Recht sie gegründet wurde und weiterhin besteht. In beiden Fällen entscheidet der jeweilige Herkunftsstaat darüber, ob die Gesellschaft im Falle des Grenzübertritts ihre Rechtsform behalten darf. Sofern er diese Frage positiv beantwortet, verpflichtet die Niederlassungsfreiheit die anderen Mitgliedstaaten zur Anerkennung. Das materielle Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates bleibt auch für die Beurteilung aller künftigen Sitzverlegungen innerhalb der EU maßgeblich, wenn dabei die Rechtsform der Gesellschaft gewahrt werden soll. Die Zulässigkeit der rechtsformwahrenden Verlegung des Sitzes einer inländischen und einer zugezogenen ausländischen Gesellschaft beurteilt sich somit nach unterschiedlichen Rechtsordnungen. Eine sich aus der Unterschiedlichkeit dieser Rechtsordnungen ergebene Ungleichbehandlung – die ausländische Gesellschaft darf wegziehen, die inländische nicht – ist kein Anwendungsfall des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots. Es liegt keine – im Anwendungs94
Kämmerer, EuR 2008, 45 (48). Darauf weist zu Recht Kämmerer, EuR 2008, 45 (52) hin. 96 EuGH, Urteil vom 1. 2. 1996, Rs. C-177/94 (Perfili), Slg. 1996, I – 161; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 18 AEUV Rn. 9 (Stand September 2010); Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, 1999, S. 7; Rossi, EuR 2000, 197 (210); Streinz, in: ders. (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 18 AEUV Rn. 49; Teichmann, Beilage ZIP 48/2009, 10 (11). 95
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bereich der Verträge liegende und damit unzulässige – Inländerdiskriminierung vor. Zu Recht ist der EuGH daher in Cartesio auf diese Frage nicht eingegangen.
III. Ungleichbehandlung von rechtsformwahrendem Wegzug und rechtsformwechselndem Wegzug Keine unionsrechtlich relevante Diskriminierung besteht auch in der Ungleichbehandlung von Gesellschaften, denen ihr Herkunftsstaat kraft seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie eine grenzüberschreitende Sitzverlegung unter Wahrung ihrer Rechtsform untersagt, und rechtsformwechselnd wegziehenden Gesellschaften, die sich gegenüber ihrem Herkunftsstaat auf die Niederlassungsfreiheit berufen können.97 Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei rechtsformwahrendem und rechtsformwechselndem Wegzug um „gleiche“ Sachverhalte handelt, wie es für den Tatbestand einer Diskriminierung erforderlich ist, fehlt es wiederum an der notwendigen Anknüpfung an das verbotene Differenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit.98 Zudem basiert auch hier die Ungleichbehandlung der beiden Sachverhalte auf Regelungen unterschiedlicher Hoheitsträger. Denn die Möglichkeit des rechtsformwechselnden Wegzugs steht unter dem Vorbehalt, dass der Aufnahmestaat einen solchen Formwechsel zulässt. Es ist also letztlich der Aufnahmestaat, der die Entstehung einer inländischen Gesellschaft im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels ermöglicht und dabei zum neuen Herkunftsstaat der Gesellschaft wird, weshalb der ursprüngliche Herkunftsstaat zur Anerkennung verpflichtet ist und diesen Vorgang nicht behindern darf. Die Annahme einer Diskriminierung des rechtsformwahrenden Wegzugs gegenüber dem rechtsformwechselnden Wegzug geht daher fehl.
C. Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit: Cartesio Rn. 111 ff. als ultra vires-Akt? Vereinzelt wird vertreten, dass ein „Recht auf Sitzverlegung mit Statutenwechsel“99 auch nach Cartesio nicht besteht, weil die Mitgliedstaaten andernfalls in einer Intensität gebunden wären, die von den Zielen der Gemeinschaft her nicht geboten und deshalb nicht zu rechtfertigen sei. Dadurch wäre das Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 EG (jetzt: Art. 5 EUV) verletzt, der EuGH würde
97 In diese Richtung Szydło, CML Rev. 46 (2009), 703 (717), der die Gemeinsamkeiten beider Sachverhalte betont. 98 Vgl. oben S. 254. 99 Gemeint ist wohl ein Recht auf grenzüberschreitenden Formwechsel.
C. Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels
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sich zu einer Art „Übergesetzgeber“ aufschwingen.100 Diese Argumentation ist bereits insoweit verfehlt, als sie den Inhalt und die Wirkungsweise des Subsidiaritätsprinzips verkennt. Das Subsidiaritätsprinzip ist neben dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV), wonach jede sekundärrechtliche Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts einer ausdrücklichen primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) in Art. 5 Abs. 3 EUV loziert, der seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als Grundlagenbestimmung über die föderale Kompetenzordnung der Europäischen Union gelten kann.101 Art. 5 Abs. 1 EUV stellt klar, dass es sich bei dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung um eine Kompetenzzuweisungsregel, bei dem Grundsatz der Subsidiarität dagegen um eine Kompetenzausübungsregel handelt.102 Beide Grundsätze sind in erster Linie an den Unionsgesetzgeber adressiert, nicht an den EuGH, der allerdings über ihre Einhaltung durch den Unionsgesetzgeber wacht. Gleichwohl lässt sich jedenfalls der Rechtsgedanke des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung, wonach jede Tätigkeit der unionalen Organe eine entsprechende primärrechtliche Ermächtigung voraussetzt, auf die judikative Auslegung von Unionsrecht durch den EuGH übertragen. Darauf deutet bereits die weite Definition des Begriffs „ausbrechender Rechtsakt“ durch das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zu den Verträgen von Maastricht103 und Lissabon104 hin, wonach ein ausbrechender Rechtsakt jedes Handeln der „Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften“ außerhalb der Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte ist.105 Dagegen kann das Subsidiaritätsprinzip mit Blick auf die 100 So Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495); ein Recht auf grenzüberschreitenden Formwechsel verneint mit anderer Begründung – Allgemeininteressen, rechtlich unverbindliches obiter dictum – auch Kindler, NZG 2009, 130 (131); ders., IPRax 2009, 189 (191 f.). 101 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 5 EUV Rn. 1 (Stand September 2013). 102 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 5 EUV Rn. 4 (Stand September 2013); Streinz/ Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. 2010, S. 106; siehe bereits Müller-Graff, ZHR 159 (1995), 34 (47 f.) m. w. N. aus der älteren Literatur. 103 BVerfG, Urteil vom 12. 10. 1993, 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155 (5. Leitsatz). 104 BVerfG, Urteil vom 30. 6. 2009, 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09, BVerfGE 123, 267 (4. Leitsatz). 105 Siehe nur Zuleeg, NJW 2000, 2846 (2848) mit deutlicher Kritik an der Wortwahl des BVerfG; krit. gegenüber der Maastricht-Rechtsprechung auch ders., in: von der Groeben/ Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 5 EG Rn. 16; zu den Rechtsfolgen kompetenzwidriger Rechtsfortbildung durch den EuGH siehe Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 2009, S. 311 ff. Bislang ging es nur in einem Verfahren, in dem ein deutsches Gericht das Vorliegen eines ausbrechenden Rechtsakts geprüft hat, mit der Bananenmarktordnung (Verordnung [EWG] Nr. 404/93 des Rates vom 13. 12. 1993; siehe dazu Manservisi, EuZW 1994, 209) um einen Rechtsakt des europäischen Sekundärrechts, siehe BFH, Beschluss vom 9. 1. 1996, VII B 225/95, NJW 1996, 1367 (1368). In den meisten Fällen war Gegenstand der Prüfung die Auslegung von Unionsrecht durch den EuGH, siehe etwa BGH, Urteil vom 21. 4. 1994, I ZR 31/92, BGHZ 125, 382 (390 ff.); OVG Münster, Beschluss vom 19. 12. 1995, 6 B 2688/95, NVwZ
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judikative Auslegung von Unionsrecht durch den EuGH von vornherein keine Geltung beanspruchen.106 Denn es gilt nur, soweit die Union in Bereichen tätig wird, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen. Die letztverbindliche Auslegung von Unionsrecht fällt aber nach der Konzeption des Vorabentscheidungsverfahrens in Art. 267 AEUV, dessen Abs. 3 eine Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte begründet, in die ausschließliche Zuständigkeit des EuGH.107 Hinzu kommt, dass das Subsidiaritätsprinzip einen Gleichlauf der Ziele der Union und der Mitgliedstaaten voraussetzt, da sich nur dann die Frage stellen kann, ob das gemeinsam verfolgte Ziel besser auf unionaler oder auf mitgliedstaatlicher Ebene verwirklicht werden kann. Dagegen besteht in Fällen, in denen der EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens über die Auslegung der Grundfreiheiten entscheidet, regelmäßig ein inhaltlicher Zielkonflikt zwischen Unionsrecht (Verwirklichung des Binnenmarktes) und mitgliedstaatlichem Recht (Verwirklichung bestimmter Schutzinteressen). Dieser inhaltliche Zielkonflikt findet seine Auflösung im Vorrang des Unionsrechts; die durch den Grundsatz der Subsidiarität beantwortete Frage nach der vorrangig zuständigen instututionellen Ebene lässt sich dagegen nicht sinnvoll stellen.108 Der Vorwurf an den EuGH, er würde sich zu einer Art „Übergesetzgeber“ aufschwingen, findet seine Grundlage demnach nicht im Subsidiaritätsprinzip, sondern allenfalls im Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Zuletzt wurde er vor allem gegenüber der Mangold-Entscheidung des EuGH109 erhoben. Diese Entscheidung wurde von einigen Stimmen in der Literatur deshalb als ausbrechender Rechtsakt im Sinne der Maastricht- und Lissabon-Recht1996, 494 (495), wo ein ausbrechender Rechtsakt verneint wurde; bejaht wird er dagegen im Ergebnis durch das FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7. 4. 1994, 5 K 2813/93, EuZW 1995, 588, allerdings ohne dass das Gericht explizit von einem ausbrechenden Rechtsakt spricht (Begründung zit. nach juris); dagegen Reiche, EuZW 1995, 569. Aus jüngerer Zeit hervorzuheben ist die Honeywell-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 6. 7. 2010, 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286). In dieser Entscheidung prüfte und verneinte das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob die Mangold-Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 22. 11. 2005, Rs. C-144/04 [Mangold], Slg. 2005, I – 9981) einen ausbrechenden Rechtsakt im Sinne der Maastricht- und Lissabon-Rechtsprechung darstellt. Dafür aber insbesondere Gerken/Rieble/G. H. Roth/Stein/Streinz, Mangold als ausbrechender Rechtsakt, 2009; Herzog/Gerken, FAZ vom 8. 9. 2008, S. 8; a. A. Frenz, RdA 2010, 229; Repasi, EuZW 2009, 756. 106 Aus diesem Grunde ist es auch nicht überzeugend, die in der Keck-Entscheidung des EuGH betonte Autonomie des Aufnahmestaates zur Definition von Rahmenbedingungen in einen Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip zu stellen, so etwa Bermann, 94 Colum. L. Rev. (1994), 331 (402). Erst recht nicht überzeugend ist es, wenn Kindler, NJW 1999, 1993 (1998) vom EuGH offenbar verlangt, sämtliche Entscheidungen unter dem Aspekt des Subsidiaritätsprinzips zu begründen. 107 Müller-Graff, ZHR 159 (1995), 34 (74); ders., in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 245; Streinz, in: ders. (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 5 EUV Rn. 23. 108 Müller-Graff, ZHR 159 (1995), 34 (75); ders., in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 28 EG Rn. 245. 109 EuGH, Urteil vom 22. 11. 2005, Rs. C-144/04 (Mangold), Slg. 2005, I – 9981.
C. Der Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels
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sprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeordnet, weil der EuGH sie auf einen Verstoß gegen das angeblich „erfundene“ europäische Grundrecht „Verbot der Altersdiskriminierung“ gestützt habe.110 Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Bewertung in seiner Honeywell-Entscheidung jedoch nicht gefolgt und hat stattdessen deutlich gemacht, dass an das Vorliegen eines ausbrechenden Rechtsakts hohe Anforderungen zu stellen sind.111 Dass es sich bei den Ausführungen des EuGH in Cartesio, wonach der rechtsformwechselnde Wegzug von Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist, um einen ausbrechenden Rechtsakt handelt, lässt sich nicht ernsthaft vertreten. Denn der EuGH gelangt zu diesem Ergebnis im Wege der Auslegung der Niederlassungsfreiheit; er übt damit eine ihm ausdrücklich und ausschließlich zugewiesene Kompetenz aus (Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV). Überdies bewegt sich der EuGH mit seinen Ausführungen zum rechtsformwechselnden Wegzug auf den tradierten Pfaden der von ihm mit der Entscheidung Cassis de Dijon begründeten Grundfreiheitendogmatik: Ebenso wie die Entscheidungen Überseering und Inspire Art lassen sich auch die Passagen in Cartesio, die sich auf den unionsrechtlichen Schutz des rechtsformwechselnden Wegzugs von Gesellschaften beziehen, als Ausdruck des den Grundfreiheiten innewohnenden Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung verstehen. Wenn der EuGH aus diesem Prinzip – freilich, ohne dies selbst näher zu begründen – ein Recht auf grenzüberschreitenden Formwechsel ableitet, trägt er damit zur näheren Konturierung dieses Grundsatzes bei. Die mit Blick auf die Mangold-Entscheidung erhobene Kritik kompetenzwidriger „Erfindung“112 neuen Primärrechts ist insoweit nicht einschlägig.
110 So der Vorwurf von Gerken/Rieble/G. H. Roth/Stein/Streinz, Mangold als ausbrechender Rechtsakt, 2009; Herzog/Gerken, FAZ vom 8. 9. 2008, S. 8; a. A. Frenz, RdA 2010, 229; Repasi, EuZW 2009, 756. 111 BVerfG, Beschluss vom 6. 7. 2010, 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286 (1. Leitsatz): Erforderlich sei eine ersichtliche, d. h. „hinreichend qualifizierte“ Kompetenzüberschreitung der europäischen Organe und Einrichtungen. Eine solche liege vor, wenn „das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fällt.“ Auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Kücükdeveci (EuGH, Urteil vom 19. 1. 2010, Rs. C-555/07 [Kücükdeveci], Slg. 2010, I – 365) dürfte demnach nicht als ausbrechender Rechtsakt zu bewerten sein; siehe dazu Schubert, EuZW 2010, 180 (183); Thüsing, ZIP 2010, 199 (202), die beide die Frage offen lassen; vgl. auch Hellwig/Behme, ZIP 2010, 871 (873). 112 Siehe die Nachweise in Fußn. 110.
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung und des grenzüberschreitenden Formwechsels Dem EuGH ist es gelungen, sich an die Spitze einer Revolution113 zu setzen, die binnen eines Zeitraums von nur einer Dekade (zwischen Centros und Cartesio) zahlreiche kollisions- und sachrechtliche Mobilitätshemmnisse in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu Fall gebracht hat. Gleichwohl ist der EuGH nicht in der Lage, durch die bloße Auslegung von Primärrecht eine schrankenlose grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften, die auch den rechtsformwahrenden Wegzug erfasst, zu gewährleisten, sofern er einerseits eine gewisse Zurückhaltung gegenüber richterlicher Rechtsfortbildung114 wahren und andererseits dogmatisch kohärente Entscheidungen treffen will. Hinzu kommt, dass Vorlagen mitgliedstaatlicher Gerichte zur grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften den EuGH nur relativ selten und unregelmäßig erreichen.115 Seine Urteile führen nur zu einer punktuellen Nichtanwendbarkeit bestimmter mitgliedstaatlicher Normen, entfalten aber keinerlei rechtsgestaltende Wirkung. Dort, wo das Primärrecht an seine – letztlich seiner verfassungsrechtlichen Natur geschuldeten – Grenzen stößt, kann eine darüber hinausgehende grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften nur im Wege sekundärrechtlicher Harmonisierung erreicht werden. Am Ende dieser Arbeit soll daher die Frage stehen, ob eine Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung, die insbesondere allen durch das nationale Recht eines Mitgliedstaates konfigurierten Gesellschaften den rechtsformwahrenden Wegzug ermöglicht, und des grenzüberschreitenden Formwechsels von Gesellschaften rechtspolitisch sinnvoll ist. Diese Frage ist von erheblicher Aktualität. Nachdem der damalige Binnenmarktkommissar McCreevy in einer Rede vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 3. Oktober 2007 noch erklärt hatte, von dem Projekt einer „Sitzverlegungsrichtlinie“116 Abstand nehmen zu wollen,117 wurde nach der Cartesio-Entscheidung des 113
Ebke, The International Lawyer 38 (2004), 813; ders., EBLR 2005, 9. Befugnis des EuGH zu richterlicher Rechtsfortbildung siehe die Beiträge von Pechstein/Drechsler sowie Neuner in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl. 2010, § 8 Rn. 55 ff. sowie § 13. 115 Zwischen 1999 und 2011 waren es mit Centros, Überseering, Inspire Art, SEVIC, Cartesio, National Grid Indus und Vale sieben Fälle, welche die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften betrafen – im Schnitt also nicht ganz alle zwei Jahre ein Fall. Zwischen Daily Mail und Centros lagen allerdings zehn Jahre. 116 Der Begriff beruht auf einer unzutreffenden Gleichsetzung von grenzüberschreitender (Satzungs-) Sitzverlegung und grenzüberschreitendem Formwechsel; siehe oben S. 8 ff. 117 Speech/07/592, online unter . 114 Zur
D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung
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EuGH nicht nur in der Literatur118, sondern auch von Seiten des Europäischen Parlaments die Forderung erhoben, die Arbeiten an einer solchen Richtlinie wieder aufzunehmen: Am 10. März 2009 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließungsempfehlung zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen;119 nachdem eine Reaktion seitens der Kommission darauf zunächst nicht erfolgte, erneuerte das Parlament seine Forderung durch eine Entschließung vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen.120 Bereits im Mai 2011 hatte eine von der Kommission beauftragte Arbeitsgruppe namhafter Gesellschaftsrechtler aus verschiedenen Mitgliedstaaten einen Bericht zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts vorgelegt, der eine Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels ebenfalls befürwortet;121 zur rechtsformwahrenden Sitzverlegung äußert er sich – ebenso wie die genannten Initiativen des Europäischen Parlaments – nicht. In der ersten Jahreshälfte 2012 hat die Kommission eine öffentliche Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts durchgeführt,122 in der sowohl der grenzüberschreitende Formwechsel als auch die grenzüberschreitende Spaltung angesprochen wurden.123 Dabei hat sich die große Mehrheit der Teilnehmer für die Erleichterung des grenzüberschreitenden Formwechsels durch eine Harmonisierungsrichtlinie und für die Ergänzung der Richtlinie über
118 Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (770); Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (14); Behrens, EuZW 2009, Heft 3, V; Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1028); Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (63); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102); Teichmann, ZIP 2009, 393 (403 f.); Wisniewski/Opalski, EBOR 10 (2009), 595 (620 f.); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (549). 119 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. 3. 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, online abrufbar unter ; siehe auch Lehne, KSzW 2010, 3 (4). 120 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen, online abrufbar unter . 121 Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, online abrufbar unter , S. 17 ff.; dazu Hellwig/Behme, AG 2011, 740; J. Schmidt, GmbHR 2011, R 177. 122 Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts; der Fragebogen ist online abrufbar unter . 123 Abschnitt VII der Konsultation befasst sich mit der „grenzübergreifenden Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes von Unternehmen“, womit der grenzüberschreitende Formwechsel gemeint ist; Abschnitt IX befasst sich mit „grenzübergreifenden Spaltungen“.
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften124 durch Regelungen über die grenzüberschreitende Spaltung ausgesprochen.125 Im Rahmen der folgenden Überlegungen sollen Detailprobleme rechtstechnischer Art vollständig ausgeblendet werden. Vielmehr soll es um die grundsätzliche Frage gehen, welche Chancen und welche Risiken eine Harmonisierung der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften birgt, die durch das nationale Recht eines Mitgliedstaates konfiguriert werden. Dieser – der näheren rechtlichen Ausgestaltung eines etwaigen Harmonisierungsrechtsakts vorgelagerten – Frage wird in der aktuellen rechtspolitischen Diskussion kaum Aufmerksamkeit geschenkt oder ihre Bejahung wird stillschweigend vorausgesetzt. Für ihre Beantwortung ist zu analysieren, ob der durch die EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit geschaffene status quo rechtspolitisch überzeugend ist, oder ob er Defizite aufweist, die im Wege der Harmonisierung durch den europäischen Gesetzgeber behoben werden können und sollen. Diese Frage ist für die rechtsformwahrende Sitzverlegung (unter II.) und den grenzüberschreitenden Formwechsel (unter III.) getrennt zu behandeln. Zunächst soll jedoch untersucht werden, ob eine etwaige Harmonisierung überhaupt von den Kompetenznormen des Europäischen Primärrechts gedeckt ist (unter I.).
I. Vorbemerkung: Kompetenzrechtliche Grundlagen sekundärrechtlicher Harmonisierung im Bereich des Gesellschaftsrechts Jede sekundärrechtliche Harmonisierung mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts bedarf nach dem in Art. 5 Abs. 2 EUV verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung einer ausdrücklichen primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlage. Als Ermächtigungsgrundlage kommt im Bereich des Gesellschaftsrechts vor allem Art. 50 AEUV in Betracht. Dessen Abs. 1 ermöglicht den Erlass von Richtlinien „zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für eine bestimmte Tätigkeit“; Abs. 2 lit. g statuiert die Vorgabe, zur Erfüllung dieser Aufgabe insbesondere die Schutzbestimmungen zu koordinieren126, „die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Abs. 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.“ Weitere denkbare Ermächtigungsgrundlagen für eine Harmonisierung des Gesellschaftsrechts enthalten Art. 114, Art. 115 und
124 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 125 Die Ergebnisse der Konsultation sind online abrufbar unter ; siehe dort S. 9 (zu Frage 14) und S. 11 (zu Frage 18). 126 Der Begriff „koordinieren“ hat gegenüber den Begriffen „angleichen“ oder „harmonisieren“ keine eigenständige Bedeutung, siehe Pipkorn, ZHR 136 (1972), 499 (504 f.).
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Art. 352 AEUV.127 Die genannten Vorschriften stehen zueinander in aufsteigender Abstraktheit.128 Die Verhandlungsvorschrift des ehemaligen Art. 293 EG, der die Mitgliedstaaten verpflichtete, soweit erforderlich Verhandlungen einzuleiten, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen u. a. die Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit bei Verlegung des Sitzes von einem Staat in einen anderen und die Möglichkeit der Verschmelzung von Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten sicherzustellen, ohne aber einen Rechtsetzungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten zu enthalten,129 wurde durch die Judikatur des EuGH zum Schutz des rechtsformwahrenden Zuzugs durch die Niederlassungsfreiheit überholt und folgerichtig mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 aufgehoben.130 Dieses Bild wirft die Frage auf, inwieweit die genannten Ermächtigungsgrundlagen eine sekundärrechtliche Harmonisierung grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften im Europäischen Binnenmarkt ermöglichen. Die Frage ist für die rechtsformwahrende Sitzverlegung und den grenzüberschreitenden Formwechsel separat zu beantworten.
1. Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung – Begrenzt Cartesio unionale Harmonisierungskompetenzen? Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV enthält keine Generalermächtigung für die Harmonisierung des gesamten Gesellschaftsrechts, sondern sieht lediglich die Koordinierung solcher Normen vor, die an die Gesellschaft adressierte „Schutzbestimmungen“ zugunsten von Gesellschaftern und Dritten enthalten. Der Begriff des „Dritten“ erfasst nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur Gesellschaftsgläubiger, sondern auch sonstige schutzwürdige Personengruppen, womit insbesondere die Arbeitnehmer angesprochen sind.131 Die verbreitete 127 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 3 Rn. 40 ff.; Schön, ZHR 160 (1996), 221 (223). Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (255 f.) wirft zudem die von ihm offen gelassene Frage auf, inwieweit Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV für die Frage der Sitzverlegung eine rechtspolitische Handlungsgrundlage für die Union darstellen kann. 128 Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (255). 129 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 53 ff.; Leible, in: Streinz (Hrsg.), 2003, Art. 293 EGV Rn. 17. In Daily Mail hatte der EuGH freilich noch argumentiert, Art. 220 EWGV (später Art. 293 EG) zeige, dass der Vertrag die Unterschiede, die die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme betrachtet, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen; siehe EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Rn. 23. 130 Müller-Graff, FS Hellwig, S. 251 (255). 131 EuGH, Urteil vom 4. 12. 1997, Rs. C-97/96 (Daihatsu), Slg. 1997, I – 6843; Leible, ZHR 162 (1998), 594 (600).
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
Auslegung des Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV, die das gesamte Gesellschaftsrecht zu Schutzbestimmungen erklärt132 und auf diese Weise den Begriff der Schutzbestimmungen jeder selbständigen Bedeutung beraubt, ist mit dessen Wortlaut nicht vereinbar.133 Ob die Anforderungen der Mitgliedstaaten an den Sitz der nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften (z. B. das Erfordernis einer Lokalisierung im Inland) solche „Schutzbestimmungen“ im Sinne dieser Vorschrift darstellen, erscheint aber durchaus zweifelhaft. Die Vehemenz, mit der im kollisionsrechtlichen „Kampf“134 zwischen Sitztheorie und Gründungstheorie die Sitztheorie als Schutznorm insbesondere zugunsten von Gesellschaftsgläubigern positioniert wird, legt es auf den ersten Blick zwar nahe, die Frage zu bejahen. Bei Lichte betrachtet entfaltet die Sitztheorie eine drittschützende Wirkung jedoch nur in Zuzugskonstellationen: Sie verhindert die Umgehung von Schutzmechanismen des inländischen Rechts zugunsten von Gläubigern, Gesellschaftern und Arbeitnehmern durch die Wahl einer ausländischen Rechtsform,135 ist also eine präventive Schutznorm gegen den Einsatz von Scheinauslandsgesellschaften.136 Aus diesem Grunde ließen sich auf der Grundlage von Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV ohne weiteres die Bedingungen harmonisieren, unter denen die Mitgliedstaaten die Tätigkeit von Gesellschaften aus anderen
132 Siehe Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 3 Rn. 42; Pipkorn, ZHR 136 (1972), 499 (513); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Stand Oktober 2011), Art. 50 AEUV Rn. 13; Schön, ZHR 160 (1996), 221 (225); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 200; für einen Überblick über die bislang aufgrund von Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV erlassenen Richtlinien siehe Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 50 AEUV Rn. 18. 133 Wie hier Ebke, RabelsZ 62 (1998), 195 (221). 134 Ebke, FS Hellwig, S. 117 (130); Vásárhelyi-Nagy, StudZR 2010, 219. 135 Vgl. die Begründung des BGH in seinem Vorlagebeschluss zu Überseering (BGH, Beschluss vom 30. 3. 2000, VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967): Die Gründungstheorie vernachlässige den Umstand, dass die Gründung und Betätigung einer Gesellschaft auch die Interessen dritter Personen und des Sitzstaates berühren. Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz gewährleiste demgegenüber, dass die Bestimmungen zum Schutze dieser Interessen nicht durch eine Gründung im Ausland umgangen werden können. Wenn eine derart einfache Umgehungsmöglichkeit bestünde, liefen den Gründern unangenehme Schutzvorschriften im Ergebnis leer. Siehe ferner Ebke, The International Lawyer 36 (2002), 1015 (1028); Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1 (22 f.); Kern, Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung, 2004, S. 105 ff.; Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 421; Lombardo, EBOR 10 (2009), 627 (636). 136 Während die Sitztheorie demnach auf die kollisionsrechtliche Bewältigung von Zuzugsfällen zugeschnitten ist, ist die Gründungstheorie konzipiert, um Wegzugsfälle zu bewältigen – konkret: die Tätigkeit englischer Unternehmen in einer ihnen vertrauten englischen Rechtsform in den Kolonien zu ermöglichen und einen Anknüpfungspunkt für die Gewährung diplomatischen Schutzes durch England zu schaffen, vgl. Großfeld, FS Westermann, S. 199 (203).
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Mitgliedstaaten im Inland, d. h. den rechtsformwahrenden Zuzug, durch die partielle Anwendung ihres eigenen Gesellschaftsrechts regulieren können.137 Dagegen ist die Gefahr eher gering, dass der rechtsformwahrende Wegzug einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat zu einer Absenkung rechtsformspezifischer Schutzstandards führt. Aus der Perspektive des Herkunftsstaates sind die Interessen von Dritten, insbesondere von Arbeitnehmern, allenfalls mittelbar betroffen, nämlich dann, wenn mit der Verlegung des Sitzes zugleich eine Verlagerung des gesamten Unternehmensstandortes ins Ausland oder zumindest ein Ausbau ausländischer Standorte zulasten inländischer Standorte einher geht und dadurch bestehende Arbeitsplätze im Inland abgebaut oder zumindest neue Arbeitsplätze künftig im Ausland statt im Inland geschaffen werden. Für Gläubiger oder Minderheitsgesellschafter hat eine bloß geographische Verlagerung des Unternehmensstandortes ohne Änderung der Rechtsform dagegen keine spürbaren nachteiligen rechtlichen oder wirtschaftlichen Auswirkungen. Verbietet der Herkunftsstaat auf der Ebene des Kollisionsrechts oder des materiellen Gesellschaftsrechts den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften, ihren Sitz unter Wahrung der inländischen Rechtsform ins Ausland zu verlegen, handelt es sich bei diesem Verbot daher nicht um eine der Harmonisierung nach Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV zugängliche „Schutzbestimmung“, welche den Gesellschaften im Interessen von Gesellschaftern oder sonstigen Dritten vorgeschrieben ist. Das Problem wird freilich dadurch entschärft, dass Art. 50 Abs. 2 AEUV keinen abschließenden Charakter hat („insbesondere“). Es ist daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen, die Anforderungen an den Sitz nationaler Gesellschaften durch alleinigen Rückgriff auf Art. 50 Abs. 1 AEUV zu harmonisieren, soweit dies, wie es dort heißt, „zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit“ erforderlich ist. Sowohl der Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 AEUV, wonach das Europäische Parlament und der Rat sekundärrechtliche Richtlinien „zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit“ erlassen, als auch seine systematische Stellung im Kapitel über die Niederlassungsfreiheit deuten allerdings darauf hin, dass harmonisierende Maßnahmen auf diese Ermächtigungsgrundlage nur dann gestützt werden können, wenn sie in engem Zusammenhang mit der Ausübung der Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 49 AEUV stehen.138 Der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit dienen sekundärrechtliche Maßnahmen, die entweder 137 Ebenso Timmermans, RabelsZ 84 (1984), 1 (38 ff.); für eine solche Harmonisierung auch Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (613). Eine derartige Harmonisierung stünde freilich ihrerseits unter dem Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit. 138 Steindorff, EuZW 1990, 251 (252) m. w. N., vgl. auch Duden, RabelsZ 27 (1962), 89 (94 f.). Im Ausgangspunkt daher zutreffend auch Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703) und Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399), denen zufolge ein Formwechsel ohne gleichzeitige Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt sein soll (was nicht zutrifft, siehe oben S. 151 ff.) und deshalb (insoweit aber folgerichtig) auch eine Harmonisierung eines solchen „isolierten“ Formwechsels auch nicht auf Art. 50 Abs. 2
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unmittelbar Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durch das nationale Recht der Mitgliedstaaten beseitigen139 oder die potentielle Gefährdung mitgliedstaatlicher Schutzinteressen durch die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch eine Angleichung von Schutzbestimmungen kompensieren.140 Der EuGH hat in Cartesio festgestellt, dass die Anforderungen an den Sitz einer Gesellschaft zum Bereich der gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards zählen, die autonom durch ihren Herkunftsstaat definiert werden und der Niederlassungsfreiheit vorgelagert sind. Konsequenterweise wird man daher annehmen müssen, dass ihre Harmonisierung nicht der „Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit“ dienen würde. Nimmt man den Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage des Art. 50 Abs. 1 AEUV ernst, hat Cartesio damit eine Eingrenzung unionaler Harmonisierungskompetenzen zur Folge. Der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte gesellschaftsrechtliche Qualifikationsstandards können nur insoweit harmonisiert werden, wie es sich um Schutzbestimmungen i. S. d. Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV handelt, was aber bei den Anforderungen an den Sitz der Gesellschaft, wie gesehen, nicht der Fall ist. Die überwiegende Auffassung, wonach sich auf der Grundlage von Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV das gesamte Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten harmonisieren lässt,141 überdehnt den Wortlaut und verkennt sowohl die Eigenständigkeit von Art. 50 Abs. 1 AEUV als auch das Wesen des Abs. 2 lit. g, der Abs. 1 lediglich in nicht abschließender Weise konkretisiert. Gleichwohl erwecken die Äußerungen des EuGH in seinen Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften wiederholt den Eindruck, dass der Gerichtshof eine künftige Harmonisierung der Anforderungen des nationalen Rechts an den Sitz von Gesellschaften grundsätzlich für möglich hält. Bereits in Daily Mail weist der EuGH darauf hin, dass der EWG-Vertrag die Unterschiede, die die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme betrachtet, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst seien, sondern einer lit. g AEUV gestützt werden kann. Auf andere Ermächtigungsgrundlagen gehen diese Autoren nicht ein. 139 Leible, ZGR 2004, 531 (546); Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 50 AEUV Rn. 17. 140 Den Kompensationscharakter einer Angleichung mitgliedstaatlicher Gesellschaftsrechte betonen Timmermans, RabelsZ 84 (1984), 1 (12 ff.); Vasseur, ZHR 127 (1965), 177 (188); vgl. auch Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 202, der Rechtsangleichung treffend als Mittel „zum Schließen der Lücken, die eine Auslegung der Niederlassungsfreiheit als Beschränkungsverbot in die mitgliedstaatlichen Schutzsysteme reißt“ kennzeichnet. 141 Siehe oben S. 266 Fußn. 132.
D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung
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Lösung im Wege der Rechtsetzung oder des Vertragsschlusses zwischen den Mitgliedstaaten bedürfen; eine solche Lösung sei jedoch noch nicht gefunden worden.142 Diese Ausführungen werden sowohl in Überseering143 als auch in Cartesio144 bestätigt. Der EuGH nutzt sie als zusätzliches Argument, um zu begründen, dass der rechtsformwahrende Wegzug nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist.145 Ferner stellt der EuGH die Kernaussage von Daily Mail und Cartesio, wonach sich die Existenz einer Gesellschaft, die sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, und damit insbesondere die Anforderungen an den Gesellschaftssitz allein nach dem nationalen Recht richten, unter den Vorbehalt, dies gelte nur „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“.146 Dieser Vorbehalt lässt sich nur so verstehen, dass der EuGH damit eine sekundärrechtliche Harmonisierung im Blick hat. Es lässt sich auch kaum bezweifeln, dass ein sekundärrechtlicher Rechtsakt, der allen nationalen Gesellschaften die rechtsformwahrende Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht, eine marktintegrative Wirkung entfalten würde. Möglicherweise kann daher eine Harmonisierung der Anforderungen an den Sitz nationaler Gesellschaften anstatt auf Art. 50 AEUV auf die binnenmarktbezogene Ermächtigungsgrundlage des Art. 114 AEUV gestützt werden. Diese ermöglicht den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Damit stellt sich die in der Literatur bislang nicht erörterte Frage, ob sich die 142 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Rn. 21 ff. (Hervorhebung durch den Verf.). 143 EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I – 9919, Rn. 69. 144 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 108. 145 In dieser Argumentation besteht entgegen einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung (Frenzel, EWS 2009, 158 [162 f.]; Hennrichs/Pöschke/von der Laage/ Klavina, WM 2009, 2009 [2014]; Knop, DZWIR 2009, 147 [149]) kein Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Niederlassungsfreiheit unmittelbar anwendbar ist und sekundärrechtliche Harmonisierungsvorschriften keine Vorbedingung für ihre Ausübung darstellen (EuGH, Urteil vom 5. 11. 2002, Rs. C-208/00 [Überseering], Slg. 2002, I – 9919, Rn. 55; EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 [SEVIC], Slg. 2005, I – 10805, Rn. 26; siehe ferner bereits EuGH, Urteil vom 22. 1. 2002, Rs. C-31/00 [Dreessen], Slg. 2002, I – 663, Rn. 26 sowie oben S. 79). Diese Literaturauffassung verkennt den Kern der dogmatischen Konzeption des EuGH: Bei den Anforderungen an den Sitz der Gesellschaft handelt es sich um einen der Niederlassungsfreiheit vorgelagerten gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandard (zutreffend Barthel, EWS 2010, 316 [323]). Erst wenn der personelle Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist, weil eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaates existiert und die erforderliche Unionsverknüpfung (Art. 54 AEUV) aufweist, kann sie sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen – dann freilich unabhängig vom Stand sekundärrechtlicher Harmonisierung. 146 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 109; siehe auch EuGH, Urteil vom 29. 11. 2011, Rs. C-371/10 (National Grid Indus), Slg. 2011, I – 12273, Rn. 26 („beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts“).
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Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit in Cartesio auch auf die Möglichkeit einer Harmonisierung nach Art. 114 AEUV auswirkt oder ob die kompetenzlimitierende Wirkung von Cartesio auf Art. 50 AEUV beschränkt ist. Der Zusammenhang zwischen dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und der Ermächtigungsgrundlage des Art. 114 AEUV wird im Schrifttum insbesondere von Weiler147 und Haltern148 mit Blick auf die Keck-Entscheidung des EuGH thematisiert. Diese Autoren deuten Keck als gezielten Schritt des EuGH zur Reduzierung unionaler Harmonisierungskompetenzen. Die dahinter stehende Logik ist Folgende: Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Grundfreiheiten beschränken, wirken sich zugleich auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes i. S. d. Art. 114, 115 AEUV149 aus und können daher nach diesen Vorschriften harmonisiert werden, und zwar insbesondere auch dann, wenn die jeweilige Vorschrift durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Denn die Rechtfertigung einer Vorschrift beseitigt ihre Auswirkung auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes nicht – im Gegenteil: Es ist gerade die Rechtfertigung, welche die Beeinträchtigung des Binnenmarktes fortbestehen lässt und daher Art. 114, 115 AEUV ins Spiel bringt.150 Während für eine solche Harmonisierung zunächst Einstimmigkeit erforderlich war (Art. 94 EG, jetzt Art. 115 AEUV), wurde durch die Schaffung des heutigen Art. 114 AEUV der Weg für eine Harmonisierung durch schlichte Mehrheitsentscheidung bereitet.151 Die zunehmende Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene wird spätestens seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den Mitgliedstaaten aber zunehmend kritisch wahrgenommen, insbesondere aufgrund der Einführung des Mehrheitsprinzips in den Vorläufervorschriften des heutigen Art. 114 AEUV (Art. 100 a EGV bzw. Art. 95 EG) durch die Einheitliche Europäische Akte.152 Das deutsche Bundesverfassungsgericht reagierte 1993 in seiner viel diskutierten Maastricht-Entscheidung mit der Beanspruchung einer Prüfungskompetenz gegenüber Kompetenzüberschreitungen
147 Weiler, Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders. (Hrsg.), The EU, the WTO, and the NAFTA, 2000, S. 201 (227). 148 Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1673 ff. 149 Zur Konvergenz der Auslegung beider Vorschriften siehe nur Tietje, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Art. 115 AEUV Rn. 7 f. (Stand März 2011). 150 Craig/de Burca, EU Law: Text, Cases and Materials, 5. Aufl. 2011, S. 690; Leible/ Schröder, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 114 AEUV Rn. 40 und Art. 115 AEUV Rn. 9; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 23 (Stand März 2011); vgl. bereits Behrens, EuR 145 (150). 151 Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1673 f. 152 Weiler, Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders. (Hrsg.), The EU, the WTO, and the NAFTA, 2000, S. 201 (227).
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der EU.153 Keine sechs Wochen später – und damit wohl unter unmittelbarem Eindruck der ultra vires-Drohung des BVerfG – entschied der EuGH den Fall Keck und schränkte darin den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ein.154 In dieser Entscheidung stellt der EuGH klar, dass das den Grundfreiheiten innewohnende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auf produktbezogene Qualifikationsstandards beschränkt ist,155 wohingegen Rahmenbedingungen für den Vertrieb von Waren im Aufnahmestaat nicht am Maßstab des freien Warenverkehrs überprüft werden. Weiler und Haltern zufolge ist diese Einschränkung des Anwendungsbereichs des freien Warenverkehrs die Lösung für das Problem ausufernder Harmonisierungskompetenzen: Eine Maßnahme, die unter die Keck-Formel subsumiert werden könne, unterfalle nicht der Warenverkehrsfreiheit, eine Marktaufsplitterung sei gerade nicht gegeben und damit eine Harmonisierung aufgrund von Art. 114, 115 AEUV nicht möglich.156 Überträgt man die vorstehend skizzierte Argumentation zu Keck auf Cartesio, würde die darin vorgenommene Einschränkung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit ebenso die Harmonisierung gesellschaftsrechtlicher Qualifikationsstandards des Herkunftsstaates auf der Grundlage von Art. 114 AEUV verwehren wie die in Keck vorgenommene Einschränkung des Anwendungsbereichs der Warenverkehrsfreiheit die Harmonisierung vertriebsbezogener Rahmenbedingungen des Aufnahmestaates. Cartesio ließe sich dann als eine Art „Gegenbewegung“ zu vorangegangenen Urteilen deuten, in denen der EuGH im Ergebnis zu Lasten mitgliedstaatlicher Regelungsautonomie entschieden hat.157 Die genannte kompetenzrechtliche Interpretation von Keck ist jedoch aus mehreren Gründen nicht überzeugend. Erstens nimmt sie ausschließlich die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmestaates in den Blick. Aus der Perspektive des Aufnahmestaates ist es in der Tat so, dass lediglich die Anwendung eigener Qualifikationsstandards auf ausländische Produkte bzw. Marktteilnehmer die Grundfreiheiten beschränken kann und sich damit zugleich auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkt, nicht aber die Anwendung bloßer Rahmenbedingungen. Aus der Perspektive des Herkunftsstaates verhält es sich aber genau andersherum: Die Anwendung eigener Qualifikationsstan153
BVerfG, Urteil vom 12. 10. 1993, 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155 (5. Leitsatz). diesem engen zeitlichen Zusammenhang Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1676. 155 Dass Keck insoweit lediglich eine bedeutende Präzisierung des bereits in Cassis de Dijon verankerten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung enthält, wurde bereits oben (S. 72 f.) erörtert. 156 Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 1683; Weiler, Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders. (Hrsg.), The EU, the WTO, and the NAFTA, 2000, S. 201 (227). 157 So Barthel, EWS 2010, 316 (317) unter Verweis auf die Mangold-Entscheidung des EuGH und die darauf bezogene Kritik, siehe dazu schon oben S. 260 f. 154 Zu
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dards auf inländische Produkte bzw. Marktteilnehmer ist nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar, wohl aber die Anwendung bloßer Rahmenbedingungen (vorausgesetzt, diese Rahmenbedingungen weisen einen grenzüberschreitenden Bezug auf).158 Es kann also nicht nur die Anwendung eigener Qualifikationsstandards auf ausländische Produkte, sondern auch die Anwendung eigener Rahmenbedingungen auf inländische Produkte, welche die Grenze überschreiten, die Grundfreiheiten beschränken, sich auf diese Weise auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken und damit die Harmonisierungskompetenz nach Art. 114, 115 AEUV auslösen. Freilich ist letzterer Fall im Bereich der Warenverkehrsfreiheit eher theoretischer Natur, da schon aus Gründen der völkerrechtlichen Territorialität Rahmenbedingungen eines Staates nur selten Ausstrahlungswirkung über die Grenze entfalten; ein Sonntagsverkaufsverbot des Herkunftsstaates etwa betrifft nur den Vertrieb im Inland, nicht aber den Vertrieb inländischer Produkte im Ausland. Im Bereich der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften ist dies anders: Eine am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbare und diese tatsächlich beschränkende Rahmenbedingung des Herkunftsstaates wäre etwa eine an die Sitzverlegung anknüpfende Zahlungsverpflichtung oder Besteuerung, wie der Fall National Grid Indus erst jüngst belegt hat.159 Eine vergleichbare an den Export einer Ware anknüpfende Zahlungsverpflichtung wäre dagegen als Ausfuhrzoll bereits nach Art. 30 AEUV per se verboten. Zweitens ist es zwar richtig, dass jede gerechtfertigte Beschränkung der Grundfreiheiten zu einer Marktaufspaltung führt und deshalb das Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt. Eine Beschränkung der Grundfreiheiten ist allerdings nur hinreichende, nicht aber notwendige Voraussetzung für eine Beeinträchtigung des Binnenmarktes. Eine solche ist vielmehr auch dann gegeben, wenn mitgliedstaatliche Vorschriften zu einer Verfälschung des Wettbewerbs führen.160 Das Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung ist unabhängig von einer konkreten Beschränkung der Grundfreiheiten. Rahmenbedingungen, die zu unterschiedlichen Belastungen von Unternehmen führen und daher den Wettbewerb verfälschen, können daher auch dann nach Art. 114, 115 AEUV harmonisiert werden, wenn sie aufgrund der Keck-Formel nicht zugleich als Beschränkung des freien Warenverkehrs anzusehen sind.161 Voraussetzung ist 158
Siehe oben S. 84. Siehe dazu oben S. 52 ff. 160 EuGH, Urteil vom 18. 3. 1980, Rs. 91/79 (Detergenten), Slg. 1980, 1099, Rn. 8; EuGH, Urteil vom 18. 3. 1980, Rs. 92/79 (Gasöl), Slg. 1980, 1115, Rn. 8; EuGH, Urteil vom 11. 6. 1991, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat), Slg. 1991, I – 2867, Rn. 15; EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Slg. 2000, I – 8419, Rn. 106 f.; Leible/Schröder, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 114 AEUV Rn. 43 sowie Art. 115 AEUV Rn. 9; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 81 (Stand März 2011). 161 Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 98 (Stand März 2011); vgl. zur Alternativität von Grundfreiheitsbeschränkung und Wettbewerbsverfälschung ferner Leible/ 159
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allerdings eine qualitative Spürbarkeit der Wettbewerbsverfälschung, da der Harmonisierungskompetenz des Unionsgesetzgebers andernfalls keine Grenzen gezogen wären.162 Eine qualitativ spürbare Wettbewerbsverzerrung wird sich bei vielen vertriebsbezogenen Vorschriften, die nach der Dassonville-Formel als Beschränkung des freien Warenverkehrs anzusehen wären, annehmen lassen. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist es nämlich nur entscheidend, dass eine Vorschrift existiert, die zu einer Aufsplitterung des Marktes führt, nicht aber warum sie existiert. Ob eine Vorschrift die Grundfreiheiten beschränkt, aber gerechtfertigt werden kann, oder ob sie erst gar nicht am Maßstab der Grundfreiheiten überprüft wird, ist aus der Perspektive des Binnenmarktes irrelevant. Keck hat das Kompetenzproblem im Bereich der Art. 114, 115 AEUV demnach allenfalls entschärft, nicht aber aufgelöst; die Einschätzung, dass es sich dabei um „one of the most important issues which explain Keck“ handelt,163 erscheint daher überzogen. Aus denselben Gründen wirkt sich die in Cartesio vorgenommene Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit nicht auf die unionale Befugnis aus, die Anforderungen an den Sitz nationaler Gesellschaften auf der Grundlage von Art. 114 AEUV zu harmonisieren. Eine qualitativ spürbare Verfälschung des Wettbewerbs lässt sich nämlich ohne weiteres bejahen, wenn einige Unternehmen ihren Sitz innerhalb der EU unter Wahrung ihrer Rechtsform verlagern und damit den Ort ihrer Geschäftsleitung frei wählen können mit allen damit einhergehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen, andere hingegen nicht. Für die Auslösung der Harmonisierungskompetenz nach Art. 114 AEUV reicht eine solche Wettbewerbsverfälschung aus. Darin besteht der zentrale Unterschied zu Art. 50 AEUV,164 auf den die kompetenzlimitierende Wirkung von Cartesio mithin beschränkt ist. Vor diesem Hintergrund ist die zitierte Aussage des EuGH in Daily Mail, Cartesio und National Grid Indus zu verstehen, wonach sich die Anforderungen an den Gesellschaftssitz „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“ allein nach dem geltenden nationalen Recht richten.165 Sollte sich der UnionsSchröder, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 114 AEUV Rn. 44; Koenig/Kühling, EWS 2002, 12 (17). 162 EuGH, Urteil vom 5. 10. 2000, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Slg. 2000, I – 8419, Rn. 106 f.; Leible/Schröder, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 114 AEUV Rn. 45 f.; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 114 AEUV Rn. 102 (Stand März 2011). 163 So Weiler, Epilogue: Towards a Common Law of International Trade, in: ders. (Hrsg.), The EU, the WTO, and the NAFTA, 2000, S. 201 (227). 164 Wie hier Steindorff, EuZW 1990, 251 (253). Nicht zu überzeugen vermag daher die Auffassung Pipkorns, ZHR 136 (1972), 499 (512), der einen wesentlichen von Art. 50 AEUV verfolgten Gesichtspunkt in der Herstellung unverfälschten Wettbewerbs innerhalb der Gemeinschaft sieht. 165 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 109.
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gesetzgeber der rechtsformwahrenden Sitzverlegung annehmen, so ist eine Richtlinie, die sowohl die Bedingungen konkretisiert, unter denen die Mitgliedstaaten die Tätigkeit von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten im Inland durch die partielle Anwendung ihres eigenen Gesellschaftsrechts regulieren können, als auch durch eine Harmonisierung der Anforderungen an den Sitz nationaler Gesellschaften den rechtsformwahrenden Wegzug ermöglicht, auf Art. 50 AEUV und Art. 114 AEUV gemeinsam zu stützen.
2. Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels Die soeben erörterten kompetenzrechtlichen Probleme stellen sich mit Blick auf eine Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels nicht.166 Die einzige Richtlinie, die sich bislang mit der Umwandlung nationaler Gesellschaften über die Grenze befasst, ist die Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften.167 Diese ist gestützt auf Art. 44 EG (jetzt Art. 50 AEUV), und zwar insgesamt, ohne dass explizit auf Abs. 1 oder Abs. 2 lit. g verwiesen würde. Der Vorschlag der Kommission von 2003 war demgegenüber auf Abs. 1 der Vorschrift gestützt;168 der ältere Kommissionsvorschlag von 1985 auf Art. 54 Abs. 3 lit. g EGV (jetzt Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV).169 Die in der Richtlinie gewählte Lösung macht durch den umfassenden Verweis auf Art. 44 EG deutlich, dass die Harmonisierung grenzüberschreitender Verschmelzungen einerseits durch die Bereitstellung eines rechtlichen Rahmens für grenzüberschreitende Verschmelzungen der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit dient, von deren Schutzbereich grenzüberschreitende Verschmelzungen erfasst sind,170 und andererseits gerade die Interessen Dritter schützt, die durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung berührt werden, insofern also „Schutzbestimmungen“ i. S. d. Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV betrifft.171 Diese Erwägungen lassen sich ohne weiteres auf den 166 Siehe aber Mörsdorf; CMLR 2012, 629 (660 ff.) vor dem Hintergrund der Annahme, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel ohne gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist. 167 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. 168 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, KOM (2003) 703 endg., S. 8; siehe dazu Maul/Teichmann/Wenz, BB 2003, 2633 (die fälschlicherweise annehmen, der Vorschlag stütze sich auf Art. 44 Abs. 2 lit. g EG); Müller, ZIP 2004, 1790. 169 Vorschlag einer zehnten Richtlinie des Rates nach Art. 54 Abs. 3 lit. g des Vertrages über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Aktiengesellschaften (10. EG-Richtlinie), KOM (84) 727 endg., abgedruckt in ZIP 1985, 643; dazu Ganske, DB 1985, 581; siehe ferner Däubler, DB 1988, 1850, der sich gegen die Umsetzung dieses Entwurfs ausspricht. 170 EuGH, Urteil vom 13. 12. 2005, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I – 10805; siehe dazu oben S. 143 f. 171 Vgl. auch Kallmeyer/Kappes, AG 2006, 224 (227).
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grenzüberschreitenden Formwechsel übertragen. Er kann daher ebenfalls auf der Grundlage von Art. 50 AEUV harmonisiert werden. Nichts anderes dürfte für andere grenzüberschreitende Strukturmaßnahmen gelten, insbesondere die grenzüberschreitende Spaltung.
II. Harmonisierung der rechtsformwahrenden Sitzverlegung Der in der Praxis mit großem Abstand wichtigste Anwendungsfall der rechtsformwahrenden Sitzverlegung ist die Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat. Die rechtsformwahrende Hereinverlegung des Verwaltungssitzes (bzw. – fast noch wichtiger – die Gründung einer ausländischen Gesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz) wird bereits durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Dies gilt freilich nur, sofern das nationale Recht des Herkunftsstaates der ausländischen Gesellschaft sowohl auf der Ebene des Kollisionsrechts als auch auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts einen ausländischen Verwaltungssitz gestattet. Dazu ist der Herkunftsstaat aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie nicht verpflichtet. Die durch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung eröffnete Rechtswahlfreiheit172 erfährt damit für die Praxis eine bedeutende Einschränkung: Zwar können Unternehmer dem Grunde nach alle Gesellschaftsformen aus den Rechtsordnungen aller 28 Mitgliedstaaten auswählen. Sofern sie ihre Tätigkeit in einem bestimmten Mitgliedstaat entfalten wollen, können sie sich (neben den Gesellschaftsformen dieses Mitgliedstaates) nur der Gesellschaftsformen derjenigen Mitgliedstaaten bedienen, die einen Export ihrer Gesellschaftsformen zulassen.173 Konkret: Ein mittelständischer Unternehmer, der von Deutschland aus eine Gesellschaft gründen und leiten und dabei seine Haftung beschränken möchte, kann sich zu diesem Zwecke der deutschen GmbH ebenso bedienen wie der britischen Private Limited Company oder der niederländischen BV, nicht aber einer entsprechenden Gesellschaftsform ungarischen Rechts. Dieser Umstand rechtfertigt es, insoweit von einer nur eingeschränkten Rechtswahlfreiheit zu sprechen.174
1. Regelungsbedarf aus unternehmerischer Sicht Aus unternehmerischer Perspektive ist diese Einschränkung der Rechtswahlfreiheit allerdings ohne weiteres zu verschmerzen. Unternehmer haben zwar ein 172
Siehe oben S. 82 ff. Einen Überblick über die Mitgliedstaaten, die einen Export ihrer Gesellschaftsformen zulassen, bieten Gesell/Flaßhoff/Krömker, in: van Hulle/Gesell (Hrsg.), European Corporate Law, 1. Aufl. 2006, S. 25 f. 174 Vgl. bereits Behme/Nohlen, NZG 2008, 496 (498); siehe auch Grundmann, ZGR 2001, 783 (794): „mittelbare Wahlfreiheit“. 173
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Interesse daran, im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung zwischen strukturell ähnlichen Gesellschaftsformen verschiedener Mitgliedstaaten auswählen zu können und insbesondere mit der Entscheidung für einen bestimmten Unternehmensstandort nicht auf die an diesem Standort verfügbaren Gesellschaftsformen festgelegt zu sein. Dies gilt insbesondere bei internationalen Konzernstrukturen, bei denen eine Entkoppelung von Unternehmensstandort und Rechtsform es ermöglicht, alle Konzerngesellschaften nach demselben Gesellschaftsstatut zu organisieren und dadurch Beratungs- und Informationskosten zu senken.175 Unternehmer sind aber regelmäßig nicht darauf angewiesen, aus den in Betracht kommenden Gesellschaftsformen aller 28 Mitgliedstaaten auswählen zu können. Vielmehr dürfte es genügen, wenn Gesellschaftsgründern im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung die Gesellschaftsformen derjenigen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, die sich an dem insoweit nach überwiegender Auffassung bestehenden Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen176,177 bereits freiwillig – d. h. ohne dazu aus Gründen des Unionsrechts verpflichtet zu sein – beteiligen; der Grenznutzen weiterer Gesellschaftsformen wäre jedenfalls gering. Dass die Mitgliedstaaten unionsrechtlich nicht verpflichtet sind, den nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften einen ausländischen Verwaltungssitz zu gestatten, erweist sich im Zeitpunkt der 175 Vgl.
Casper, ZHR 173 (2009), 181 (209 f.). Zum Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen zusammenfassend Fleischer, in: MüKo GmbHG, Einl., Rn. 222 ff. m. w. N.; siehe ferner Buxbaum, RabelsZ 74 (2010), 1; Eidenmüller, ZGR 2007, 168; ders., JZ 2009, 641 (644 f.); Grundmann, ZGR 2001, 783; Hommelhoff/Teichmann, StudZR 2006, 3; Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 330 ff.; monographisch Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002, S. 105 ff.; zur ökonomischen Analyse des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsordnungen Kirchner, FS Immenga, S. 607; zur Diskussion in den USA siehe grundlegend Cary, Yale L. J. 83 (1974), 663; Winter, The Journal of Legal Studies 6 (1977), 251 sowie Romano, Journal of Law, Economics & Organization 1 (1985), 225; Bebchuk, Harvard L. Rev. 105 (1992), 1443; den vertikalen Einfluss auf den regulatorischen Wettbewerb aus Washington betont jüngst Roe, Harvard L. Rev. 117 (2003), 588; ders., Delaware Journal of Corporate Law 2009, 1. Eindrucksvoll entgegengetreten sind der verbreiteten These eines Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsordnungen Kahan/Kamar, Stan. L. Rev. 55 (2002), 679; siehe ferner Bebchuk/Hamdani, Yale L. J. 112 (2002), 553 sowie relativierend auch Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276 (290 ff.) im Anschluss an Cumming/MacIntosh, Int. Rev. L. Econ. 20 (2000), 141 (144 ff.). Zum europäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen aus US-amerikanischer Perspektive siehe Charny, Harvard Int. L. J. 32 (1991), 423. 177 Zu der mit einer Übertragung des aus dem Wirtschaftsleben entlehnten Wettbewerbsgedankens auf legislatorisches Handeln teilweise verbundenen Überzeichnung des Wettbewerbsgedankens kritisch Kirchhof, in: ders. (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 1 (4 ff.); Sinn, The New Systems Competition, 2003, S. 6 (Inhalt online verfügbar unter ); zurückhaltend auch Reuss, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011, S. 14 (der europäische Regulierungswettbewerb sei dem Wettbewerb der Privaten bloß „ähnlich“). 176
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Gesellschaftsgründung demnach nicht als wesentliche Beeinträchtigung unternehmerischer Freiheit.178 Anders verhält es sich dagegen, wenn eine bereits existierende Gesellschaft ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegt und der Herkunftsstaat den Grenzübertritt der Gesellschaft mit der „Todesstrafe“179 – Auflösung und Liquidation – sanktioniert. Die Auflösung hat ganz erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen: Möglicherweise wird die Liquidation von einzelnen Gesellschaftern aktiv betrieben oder gar gerichtlich eingefordert; eine Verzögerung des Beginns der Abwicklung kann Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsleitung nach sich ziehen.180 Darüber hinaus kann im Einzelfall Unklarheit darüber bestehen, wer durch Verträge verpflichtet wird, die nach der Hinausverlegung des Verwaltungssitzes geschlossen werden: die ursprüngliche Liquidationsgesellschaft, eine (Personen-) Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates oder womöglich die Gesellschafter selbst?181 Verschärft wird dieses Problem noch dadurch, dass es für eine Verwaltungssitzverlegung genügen kann, wenn sich der Tätigkeitsschwerpunkt der Geschäftsleitung faktisch ins Ausland verlagert.182 Gerade bei kleineren Gesellschaften, die an ihrem Verwaltungssitz nur über eine geringe Personal- und Sachausstattung verfügen, kann dies geschehen, ohne dass es von den Gesellschaftern gewollt oder auch nur bemerkt wird – etwa, wenn der Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens, der viel von zu Hause aus arbeitet, aus privaten Gründen von Breisach am Rhein ins 20 Kilometer entfernte elsässische Colmar zieht. Das praktische Bedürfnis bereits existierender Gesellschaften, ihren Verwaltungssitz unter Wahrung der ursprünglich gewählten Rechtsform ins Ausland verlegen zu können, wird auch nicht dadurch relativiert, dass sie anstelle der Verwaltungssitzverlegung unter dem Schutz der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit einen grenzüberschreitender Formwechsel durchführen oder auf eine Gesellschaft ausländischer Rechtsform verschmolzen werden können. Denn zum einen sind derartige grenzüberschreitende Strukturmaßnah178 Gleiches gilt in Fällen eines grenzüberschreitenden Formwechsels. Sofern ein Unternehmen einen grenzüberschreitenden Formwechsel ohne gleichzeitige Verlegung des Verwaltungssitzes in den Aufnahmestaat anstrebt, erfährt die Rechtswahlfreiheit dieselbe Einschränkung wie bei der Gründung einer Gesellschaft in einer ausländischen Rechtsform: Als Zielrechtsform kommen nur die Gesellschaftsformen der Mitgliedstaaten in Betracht, die einen ausländischen Verwaltungssitz gestatten. 179 Diese treffende Formulierung verwendet Generalanwalt Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen zu Cartesio, NZG 2008, 498, Rn. 31; sie findet sich bereits bei Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (356). 180 Im deutschen Recht § 43 GmbHG, §§ 93, 166 AktG, siehe Behme, BB 2010, 1679 (1682); Paura, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 69 Rn. 48; Schmidt-Hern, in: Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 18 Rn. 2. 181 Behme, BB 2010, 1679 (1682 f.). 182 Behme, BB 2010, 1679 (1681); Casper, in: Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 60 Rn. 33; Ebert, NZG 2002, 937 (938).
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men deutlich komplexer und daher mit höheren Transaktionskosten verbunden als eine rechtsformwahrende Verwaltungssitzverlegung. Diese betreffen im Wesentlichen die flankierende anwaltliche Beratung, die Vorbereitung und Durchführung der erforderlichen183 und möglicherweise außerordentlichen Gesellschafterversammlung sowie die Eintragung der Gesellschaft im Aufnahmestaat.184 Der entscheidende ökonomische Vorteil des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung besteht für Gesellschaften gerade darin, dass der Aufnahmestaat sie nicht zu einer zeit- und kostenaufwändigen Anpassung an seine Gesellschaftsrechtsordnung zwingen kann.185 Dieser Vorteil geht verloren, wenn Gesellschaften zu einer solchen Anpassung zwar nicht durch den Aufnahmestaat, aber durch ihren eigenen Herkunftsstaat gezwungen werden. Zum anderen beruht die ursprünglich gewählte Rechtsform auf einer bewussten unternehmerischen Entscheidung und ist darüber hinaus allen Beteiligten vertraut. Ein Wechsel in eine ausländische Rechtsform ist daher häufig nicht gewollt, auch wenn sich der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit ins Ausland verlagert hat. Dass die Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Sinne eines Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ein Recht auf rechtsformwahrenden Wegzug nicht zu begründen vermag, ist aus unternehmerischer Sicht demnach unbefriedigend. Versteht man „Liberalität“ im Sinne größtmöglicher unternehmerischer Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, so gilt Goethes Satz „Die wahre Liberalität ist Anerkennung“186 im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften187 nur eingeschränkt. „Wahre Liberalität“ besteht erst dann, wenn Gesellschaften nicht nur gegenüber einem potentiellen Aufnahmestaat, sondern auch gegenüber ihrem Herkunftsstaat das Recht geltend machen können, ihren Verwaltungssitz rechtsformwahrend über die Grenze zu verlegen. Ein solcher Zustand kann für sämtliche Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union erst durch entsprechende Harmonisierungsmaßnahmen des Unionsgesetzgebers geschaffen werden.
2. Chancen und Risiken aus Sicht der betroffenen Mitgliedstaaten Dass der fehlende Schutz des rechtsformwahrenden Wegzugs durch die Niederlassungsfreiheit rechtspolitisch unbefriedigend ist, gilt umso mehr, als 183 Zum Gesellschafterbeschluss als Voraussetzung für Strukturmaßnahmen siehe oben S. 170. 184 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002, S. 115 f. im Anschluss an Romano, Journal of Law, Economics & Organization 1 (1985), 225 (246 ff.). 185 Kern, Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung, 2004, S. 43. 186 Goethe, Maximen und Reflexionen, zit. nach Hamburger Ausgabe Band 12, 14. Aufl. 2005, S. 385 (Nr. 152). 187 Die Bezugnahme findet sich bereits bei Ebke, JZ 2003, 927.
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keine plausiblen Argumente ersichtlich sind, die aus Sicht des Herkunftsstaates dafür sprechen, den nach seinem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften die rechtsformwahrenden Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat zu untersagen. Nur durch den Zuzug von Gesellschaften ausländischer Rechtsform können die mit der Ausgestaltung inländischer Rechtsformen vefolgten Schutzinteressen überhaupt gefährdet werden. Folgerichtig schafft die Sitztheorie die kollisionsrechtlichen Voraussetzungen, um durch die Anwendung des eigenen materiellen Gesellschaftsrechts ausländische Gesellschaften im Inland zur Neugründung in einer inländischen Rechtsform oder zumindest zu einer Anpassung ihrer Satzung an das inländische Recht zu zwingen. Die Argumente der Sitztheorie gegen ein Auseinanderfallen von Satzungssitz und Verwaltungssitz in Zuzugsfällen lassen sich indes auf Wegzugsfälle kaum übertragen. Verlegt eine (inländische) Gesellschaft ihren Verwaltungssitz ins Ausland und behält dabei ihre ursprüngliche Rechtsform, werden die rechtsformspezifischen Schutzmechanismen des inländischen Rechts nicht beeinträchtigt. Die Gesellschaft unterliegt nach der rechtsformwahrenden Hinausverlegung des Verwaltungssitzes nach wie vor denselben Kapitalisierungsvorschriften, denselben Minderheitenschutznormen188 und denselben Regeln über die unternehmerische Mitbestimmung.189 Die Wahrung der Rechtsform im Falle des Wegzugs ist daher in Bezug auf die Schutzinteressen des Herkunftsstaates – anders als eine Neugründung der Gesellschaft im Ausland oder auch der grenzüberschreitende Formwechsel in eine ausländische Rechtsform – sogar eher positiv zu bewerten.190 Die Untersagung des rechtsformwahrenden Wegzugs ist nicht mehr als ein bloßer Reflex der Untersagung des rechtsformwahrenden Zuzugs ausländischer Gesellschaften durch die Sitztheorie. Der Gedanke, dass Wegzugsfälle und Zuzugsfälle unterschiedlich zu behandeln sind, ist noch jung und 188
Freilich können sich infolge der höheren geografischen Entfernung ggf. die tatsächlichen Möglichkeiten von Minderheitsgesellschaftern reduzieren, Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu nehmen; siehe bereits oben S. 190. 189 Ähnliche Argumentation bei Bungert, BB 2006, 53 (54), der zutreffend bemerkt, dass bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zur Aufnahme keine Schutzinteressen des Aufnahmestaates betroffen sind, da sich die Rechtsform der aufnehmenden Gesellschaft nicht ändert. 190 Vgl. auch Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1026): „[…] if States rather than persons are at the core of the Court’s reasoning it would perhaps be more logical to regulate immigration of pseudo-foreign companies than emigration since the State interest in the former ist far stronger than the latter.“ Ähnlich Lombardo, EBOR 10 (2009), 627 (637): [T]here is actually no more reason to continue to demand the presence of the administrative office in their territory as a condition for the valid formation of companies. Indeed, the rule loses its justification because, having been developed in order to defend internal business activity (as well as the national economy) against pseudo-foreign corporations from abroad, it has lost precisely this objective and hence its justification.” Dagegen gehen Wisniewski/ Opalski, EBOR 10 (2009), 595 (607, 612) von einer Beeinträchtigung der Schutzinteressen des Herkunftsstaates durch den rechtsformwahrenden Wegzug von Gesellschaften aus.
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
wird erst seit den Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften diskutiert. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf diejenigen Instrumente des Gläubigerschutzes, die nicht im Gesellschaftsrecht, sondern im Insolvenzrecht des Herkunftsstaates verortet sind. Zwar wird eine Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat regelmäßig dazu führen, dass sich zugleich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen i. S. d. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO in diesen Mitgliedstaat verlagert und damit dessen Insolvenzrecht zur Anwendung berufen wird.191 Die Möglichkeit der Hinausverlegung des Verwaltungssitzes und die Möglichkeit des insolvenzrechtlichen forum shoppings192 hängen daher eng miteinander zusammen.193 Auch ist ein Interesse des Herkunftsstaates, eine Umgehung seines Insolvenzrechts durch die gezielte Verlagerung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat vor der Insolvenzantragstellung194 zu unterbinden, grundsätzlich anzuerkennen. Allerdings hat dieses Interesse im europäischen Binnenmarkt keine per se-Relevanz: Den Grundfreiheiten kann auch jenseits ihres unmittelbaren Anwendungsbereichs die grundsätzliche Wertung entnommen werden, dass die Wahl einer bestimmten Rechtsordnung im Binnenmarkt zu dem alleinigen Zweck erfolgen darf, die strengeren Regelungen einer anderen Rechtsordnung zu umgehen. Diese Wertung bringt der EuGH in Centros klar zum Ausdruck;195 ihre Grundlage ist, wie gesehen, das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Güte ihrer Rechtsordnungen.196 Die Gründe, die aus Sicht des Herkunftsstaates gegen ein insolvenzrechtliches forum shopping sprechen, zielen indes nicht primär auf das rechtliche Ergebnis (die Anwendbarkeit des Insolvenzrechts des konkreten Aufnahmestaates), sondern auf den Wechsel des 191
Zur regelmäßigen Koinzidenz von Verwaltungssitz und Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen Eidenmüller, in: ders. (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 9 Rn. 11; Kindler, in: MüKo BGB, IntGesR Rn. 422; Vallender, KTS 2005, 283 (292 f.); vgl. auch Weller, ZGR 2008, 835 (857); ähnlich Knof/Mock, ZIP 2006, 911 (914); krit. Reuss, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011, S. 99 ff. 192 Zum Begriff des forum shopping siehe v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht I, 2. Aufl. 2003, § 5, Rn. 157; Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 2006, § 58 VI; Reuss, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011, S. 6 ff. 193 Insbesondere das englische Insolvenzrecht scheint insoweit eine große Anziehungskraft auszuüben, wie aus deutscher Sicht etwa die in England durchgeführten Insolvenzen von Schefenacker und der Deutschen Nickel illustrieren; zu den Gründen für die Attraktivität des englischen Insolvenzrechts Eidenmüller, ZIP 2007, 1729 (1733 ff.); Weller, ZGR 2008, 835 (838 ff.); die praktische Bedeutung von insolvenzrechtlichem forum shopping relativieren aufgrund einer empirischer Untersuchung jedoch Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545. 194 Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen EuGH, Urteil vom 17. 1. 2006, Rs. C-1/04 (Straubitz-Schreiber), Slg. 2006, I – 701, Rn. 29; Reuss, „Forum Shopping“ in der Insolvenz, 2011, S. 88 f.; Weller, ZGR 2008, 835 (858). 195 EuGH, Urteil vom 9. 3. 1999, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I – 1459, Rn. 25 ff. 196 Siehe oben S. 71 f.
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anwendbaren Insolvenzrechts als solchen.197 Ist ein Wechsel des Insolvenzstatuts im Zeitpunkt der Krise möglich, hat dies zur Folge, dass Gläubiger, insbesondere Kreditgeber, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Gesellschaft die Insolvenzrisiken nicht präzise kalkulieren können.198 Dieses Risiko werden sie durch einen Preisaufschlag kompensieren, der auch von den Schuldnern zu zahlen ist, die zu keinem Zeitpunkt eine Verlegung des Mittelpunkts ihrer hauptsächlichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat beabsichtigen. Im Ergebnis kommt es also zu einer ungerechtfertigen Quersubventionierung der forum shoppers durch alle übrigen Schuldner199 und damit zu einer Verteuerung von Krediten. Auch der europäische Gesetzgeber geht ausweislich des 4. Erwägungsgrundes der EuInsVO davon aus, dass ein insolvenzrechtliches forum shopping schädliche Auswirkungen hat, dem Interesse des europäischen Binnenmarktes zuwiderläuft und daher verhindert werden muss.200 Insolvenzrechtliches forum shopping lässt sich jedoch nur auf der Ebene des europäischen Insolvenzrechts wirksam verhindern,201 nicht aber durch das auf der Ebene des nationalen Gesellschaftsrechts statuierte Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes. Denn zum einen ändert die Sanktionierung der Verwaltungssitzverlegung durch Auflösung und Liquidation der Gesellschaft nichts daran, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nunmehr im Aufnahmestaat befindet und dort das Insolvenzverfahren durchgeführt werden kann. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Aufnahmestaat kann der Verwaltungssitz in den Herkunftsstaat zurückverlegt und ggf. die Fortsetzung als werbende Gesellschaft beschlossen werden.202 Zum anderen sind der Verwaltungssitz und der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nicht immer und zwingend deckungsgleich. Die Auslegung des Begriffes „Mittel197 Siehe
zu den positiven Effekten des insolvenzrechtlichen forum shopping aber Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (476 f.). 198 Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (478); ders., JZ 2009, 641 (650); Weller, ZGR 2008, 835 (848). 199 Klöhn, KTS 2006, 259 (264); Rasmussen/Thomas, Nw. U. L. Rev. 94 (2000), 1357 (1399). 200 Der 4. Erwägungsgrund der EuInsVO lautet: „Im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes muss verhindert werden, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sog. ‚forum shopping‘).“ 201 Eine Lösung bestünde etwa darin, die derzeit widerlegliche Vermutung in Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO, wonach bei Gesellschaften und juristischen Personen bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist, unwiderleglich auszugestalten. Dies wird in der Literatur schon seit langem vorgeschlagen und hätte überdies den Vorteil einer untrennbaren Koppelung von Insolvenzforum und Gesellschaftsstatut; siehe dazu Eidenmüller, ZGR 2006, 467 (480 ff.); zustimmend Weller, ZGR 2008, 835 (848 f.). 202 So zutreffend Weller, ZGR 2008, 835 (861 f.); zur Beendigung der Liquidation durch Fortsetzung der Gesellschaft ausführlich Behme, BB 2010, 1679.
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
punkt der hauptsächlichen Interessen“ ist durch die Eurofood-Entscheidung des EuGH nur so weit geklärt, dass er nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist.203 Darin sieht die Literatur mit Recht eine Absage an den insbesondere im angelsächsichen Raum verbreiteten mind of management-Ansatz, wonach sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an dem Ort befindet, an dem die für das Unternehmen wesentlichen strategischen Entscheidungen getroffen werden, und der für Dritte gerade nicht ohne weiteres objektiv feststellbar ist.204 Von dieser Klarstellung abgesehen belässt die Eurofood-Entscheidung den Gerichten des Aufnahmestaates nach wie vor einen erheblichen Spielraum bei der Feststellung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen.205 Es ist daher durchaus denkbar, dass aus der Perspektive des Aufnahmestaates eine Verlegung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen ins Inland angenommen wird, ohne dass aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Verwaltungssitz ins Ausland verlegt wurde. Dies gilt umso mehr, als aus der Sicht des Aufnahmestaates nicht unerhebliche Anreize dafür bestehen, möglichst viele prestigeträchtige und juristisch anspruchsvolle Insolvenzverfahren an sich zu ziehen.206 Die Gerichte des Aufnahmestaates werden daher tendenziell dazu neigen, großzügige Maßstäbe an die Beurteilung des Mittelpunktes der hautpsächlichen Interessen anzulegen und auf dieser Grundlage das Insolvenzverfahren rasch zu eröffnen. Ab seiner Eröffnung ist das Insolvenzverfahren in den anderen Mitgliedstaaten unabhängig davon anzuerkennen, ob das Gericht seine Zuständigkeit zu Recht annahm oder nicht;207 einzige Grenze ist der ordre public (Art. 26 EuInsVO).208 Nach alldem ist die massive Beeinträchtigung unternehmerischer Freiheit durch das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes nicht durch Schutzinteressen des Herkunftsstaates zu rechtfertigen. In Betracht kommen insoweit allerdings fiskalische Erwägungen. Der Rechtsprechung des EuGH zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses kann dabei die grundsätzliche Wertung entnommen werden, dass rein fiskalische Interessen der Mitgliedstaaten gegenüber der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit von Marktteilnehmern ein weitaus geringeres Gewicht haben als mitgliedstaatliche Schutzinteressen im 203
EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I – 3813, Rn. 33. Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 (90); Klöhn, KTS 2006, 259 (274); Knof/ Mock, ZIP 2006, 911 (914); Mankowski, BB 2006, 1753 (1754); Weller, ZGR 2008, 835 (855). 205 Krit. Knof/Mock, ZIP 2006, 911 (914 f.); Mankowski, BB 2006, 1753 (1754); vgl. auch Paulus, NZI 2006, 609 (612). 206 Siehe Klöhn, KTS 2006, 259 (264 f.); Rasmussen/Thomas, Nw. U. L. Rev. 94 (2000), 1357 (1363). 207 Siehe nur EuGH, Urteil vom 2. 5. 2006, Rs. C-341/04 (Eurofood), Slg. 2006, I – 3813, Rn. 41 f. unter Verweis auf den 22. Erwägungsgrund der EuInsVO; Klöhn, KTS 2006, 259 (272) m. w. N. 208 Weller, ZGR 2008, 835 (852); siehe dazu ausführlich Jacoby, GPR 2007, 200 (203 ff.). 204
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eigentlichen Sinne. Wie die Sachverhalte illustrieren, die den Fällen Daily Mail209 und National Grid Indus210 zu Grunde lagen, kann eine Verwaltungssitzverlegung aus Sicht der Gesellschaft steuerlich motiviert sein. Aus Sicht des Herkunftsstaates ist nach Cartesio ein Verbot der Verwaltungssitzverlegung die einzige Möglichkeit, eine derartige „Steuerflucht“ zu unterbinden. Denn anders als ein solches Verbot sind steuerrechtliche Voraussetzungen – etwa die vorherige Versteuerung der stillen Reserven im Inland – keine gesellschaftsrechtlichen Qualifikationsstandards, sondern als bloße Rahmenbedingungen des Herkunftsstaates am Maßstab der Niederlassungsfreiheit überprüfbar. Die Entscheidungen des EuGH in de Lasteyrie du Saillant und in National Grid Indus machen deutlich, dass ihre Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses zwar grundsätzlich möglich ist, an die Verhältnismäßigkeit dabei jedoch strenge Anforderungen zu stellen sind. Schließlich kann der Herkunftsstaat durch das Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes auch nicht verhindern, dass Unternehmen Standortverlagerungen ins Ausland durchführen und im Inland Arbeitsplätze abbauen. Denn zum einen können ohne weiteres einzelne Bestandteile der Verwaltung eines Unternehmens (etwa einzelne Ressorts innerhalb der Geschäftsleitung, nicht aber die gesamte Geschäftsleitung) ins Ausland verlagert werden, ohne dass von einer Verlegung des Verwaltungssitzes auszugehen ist. Weiteren Spielraum eröffnet die Verlagerung wirtschaftlicher Aktivitäten ins Ausland durch die Gründung von Zweigniederlassungen und Tochtergesellschaften. Will ein Unternehmen hingegen seine gesamte wirtschaftliche Tätigkeit ins Ausland verlagern, wird es sich davon nicht durch das rechtsformspezifische Erfordernis eines inländischen Verwaltungssitzes abhalten lassen, sondern notfalls den Weg über die Umwandlung in eine ausländische Gesellschaftsform beschreiten (sei es im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels oder im Wege der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf eine ausländische Zweckgesellschaft) und die damit verbundenen Kosten in Kauf nehmen.
3. Fazit Aus unternehmerischer Sicht besteht ein Bedürfnis danach, dass Gesellschaften ihren Verwaltungssitz rechtsformwahrend von ihrem Herkunftsstaat in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können. Dem stehen keine relevanten Interessen des Herkunftsstaates daran gegenüber, eine Verlegung des Verwaltungssitzes zu verhindern. Aus diesem Grunde ist eine sekundärrechtliche Harmonisierung der Anforderungen der Mitgliedstaaten an den Sitz der nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften zu befürworten. Eine solche Harmonisierung sollte 209 210
Siehe oben S. 43 ff. Siehe oben S. 52 ff.
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die Mitgliedstaaten verpflichten, Gesellschaften unabhängig von ihrer Rechtsform und ggf. vorbehaltlich missbräuchlicher Gestaltungen zu gestatten, ihren Verwaltungssitz rechtsformwahrend in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Im Jahre 2006 hat sich eine Spezialkommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht mit der Neugestaltung des Internationalen Gesellschaftsrechts befasst und sowohl einen Vorschlag für eine EG-Verordnung über das auf Gesellschaften anzuwendende Recht vorgelegt als auch für eine autonome deutsche Regelung im EGBGB.211 Eine solche Verordnung ließe sich neben Art. 114 AEUV auch auf Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV (ex-Art. 61 lit. c, 65 lit. b EG) stützen,212 der eine Angleichung des Internationalen Privatrechts vorsieht.213 Eine Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts hätte den Vorteil, dass die Vielzahl unterschiedlicher Anknüpfungen und Verweisungstechniken innerhalb der Union beseitigt würde; zugleich bestünde die Möglichkeit, die Voraussetzungen und Grenzen von Sonderanknüpfungen zu präzisieren und auch insoweit Rechtssicherheit zu schaffen. Schließlich könnte eine Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts über die Grenzen Europas hinauswirken und – sofern dies politisch gewollt ist – auch die kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus nicht privilegierten Drittstaaten regeln, die weder in den Genuss der Niederlassungsfreiheit noch entsprechender staatsvertraglicher Vereinbarungen kommen.214 Bereits die Vielzahl rechtspolitischer Fragen, die eine vollständige Harmonisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts aufwirft, macht deutlich, dass darüber eine Einigung weitaus schwieriger zu erzielen sein dürfte als über eine bloße sekundärrechtliche Harmonisierung des rechtsformwahrenden Wegzugs von Gesellschaften, durch den nationale Schutzinteressen der Mitgliedstaaten kaum berührt werden. Überdies kann sich eine Harmonisierung des rechtsformwahrenden Wegzugs nicht auf kollisionsrechtliche Fragen beschränken, sondern muss auch einen Abbau von Mobilitätshemmnissen auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts bewirken. Der Unionsgesetzgeber könnte sich 211 Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007; die Vorschläge für eine autonome deutsche Regelung im EGBGB bildeten die Grundlage für einen Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 7. 1. 2008, online abrufbar unter ; siehe dazu ausführlich Franz/Laeger, BB 2008, 678; Kaulen, IPRax 2008, 389; Kußmaul/ Richter/Ruiner, DB 2008, 451 ff.; Rotheimer, NZG 2008, 181; Schneider, BB 2008, 566. 212 Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007, S. 16. 213 Leible, in: Streinz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, Art. 81 AEUV Rn. 29; Rossi, in: Calliess/ Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 81 AEUV Rn. 22. 214 Die Spezialkommission spricht sich aus Gründen der Einheitlichkeit der Anknüpfung dafür aus, siehe Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007, S. 17 ff.; dafür auch Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (621 ff.); zu den Bedenken aber Ebke, FS Hellwig, S. 117 (136 ff.).
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daher kurzfristig auf die schlichte Vorgabe an die Mitgliedstaaten beschränken, zu gewährleisten, dass Gesellschaften unter Wahrung ihrer Rechtsform ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können. Wie die Mitgliedstaaten diese Vorgabe rechtstechnisch umsetzen, spielt aus dem Blickwinkel des Unionsrechts keine Rolle.
III. Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels Anders als die rechtsformwahrende Sitzverlegung ist der grenzüberschreitende Formwechsel aus der Perspektive beider betroffenen Staaten von der Niederlassungsfreiheit geschützt. Für den rechtsformwechselnden Wegzug ergibt sich dies aus der Entscheidung Cartesio, für den rechtsformwechselnden Zuzug aus den Entscheidungen SEVIC und Vale.
1. Regelungsbedarf aus unternehmerischer Sicht Die Motive, aus denen Unternehmen einen grenzüberschreitenden Formwechsel beabsichtigen, sind vielfältig. Neben denselben Gründen, die auch für einen innerstaatlichen Formwechsel sprechen können,215 sind im grenzüberschreitenden Kontext zwei Punkte hervorzuheben: Zum einen kann der grenzüberschreitende Formwechsel eine Strategie sein, um Schutzmechanismen zu umgehen, die nach dem Gesellschaftsrecht des Herkunftsstaates zugunsten von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern bestehen, sofern das Gesellschaftsrecht des Aufnahmestaates insoweit permissivere Regelungen bereithält. Insbesondere kann eine Gesellschaft durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel unabhängig von künftigem Wachstum der Gesellschaft die unternehmerische Mitbestimmung umgehen. Dies setzt voraus, dass der Aufnahmestaat keine unternehmerische Mitbestimmung kennt oder jedenfalls die angestrebte Zielrechtsform des Aufnahmestaates nicht mitbestimmt ist. Zwar kann der Herkunftsstaat im Falle des rechtsformwechselnden Wegzugs Maßnahmen zum Erhalt der unternehmerischen Mitbestimmung ergreifen, da diese – vorausgesetzt, ihre Ausgestaltung ist mit dem Unionsrecht vereinbar – zu den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses zählt, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können.216 Derartige Maßnahmen des Herkunftsstaates zum Erhalt der Mitbestimmung greifen aber nur bei Unternehmen, die im Zeitpunkt des grenzüberschreitenden Formwechsels bereits der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegen. Ein Unternehmen, das nicht mitbestimmt ist, weil es die für das Eingreifen der 215 Siehe dazu Decher/Hoger, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 5. Aufl. 2014, Vor § 190 Rn. 18 ff.; Stengel/Schwanna, in: Semler/Stengel (Hrsg.), UmwG, 2. Aufl. 2007, § 190 Rn. 5 ff. 216 Siehe ausführlich oben S. 194.
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Mitbestimmungsregeln relevanten Schwellenwerte noch nicht erreicht, kann jedoch ohne weiteres durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine nicht mitbestimmte ausländische Rechtsform die unternehmerische Mitbestimmung dauerhaft umgehen. Der grenzüberschreitende Formwechsel kann sich in der Praxis insofern als Alternative zu der häufig empfohlenen Strategie des „Einfrierens“ der unternehmerischen Mitbestimmung durch die Gründung einer SE217 anbieten. Insbesondere steht die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels allen nationalen Gesellschaften offen, da diese sich unabhängig von ihrer Rechtsform auf die Niederlassungsfreiheit berufen können (Art. 54 AEUV). Dagegen besteht die Möglichkeit der Gründung einer SE im Wege der Verschmelzung oder der identitätswahrenden Umwandlung nur für nationale Aktiengesellschaften. Zudem setzen alle Formen der SE-Gründung einen grenzüberschreitenden Bezug voraus (bei der Verschmelzungs-SE: ausländische AG als Verschmelzungspartner; bei den übrigen Gründungsformen: Tochtergesellschaft im Ausland seit mindestens zwei Jahren, Art. 2 SE-VO). Der Weg in die SE ist somit weitaus steiniger als der Weg in eine ausländische Rechtsform durch einen schlichten grenzüberschreitenden Formwechsel. Zum anderen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Kapitalmarkt den grenzüberschreitenden Formwechsel in bestimmte, besonders anteilseignerfreundlich ausgestaltete und mitbestimmungsfreie ausländische Rechtsformen positiv bewertet und dadurch der Börsenwert des Unternehmens steigt. US-amerikanische Studien belegen offenbar positive Reaktionen des Kapitalmarktes auf eine Reinkorporierung in Delaware;218 für die Umwandlung in eine SE lässt sich dies noch nicht sicher belegen.219 Empirische Untersuchungen – etwa der Auswirkungen eines grenzüberschreitenden Formwechsels in eine britische PLC – werden wohl auf absehbare Zeit mangels einer tragfähigen Zahl einschlägiger Umwandlungsfälle nicht möglich sein. Das Interesse von Unternehmen daran, grenzüberschreitende Formwechsel durchführen zu können, lässt sich auch nicht dadurch relativieren, dass diese Möglichkeit bereits bei der SE besteht (Art. 8 SE-VO), dort aber offenbar nur von wenigen Gesellschaften genutzt wird.220 Dem Bericht der Kommission 217 Siehe dazu Bayer/Schmidt, AnwBl 2008, 327 (332); Götze/Winzer/Arnold, ZIP 2009, 245 (250 ff.); Rieble, BB 2006, 2018; nach einer Untersuchung von Köstler, Der Schritt in die SE in Deutschland im Hinblick auf die für die deutsche Unternehmensmitbestimmung geltenden Schwellenwerte von 500 (DrittelbG) und 2000 (MitbestG) AN (unveröffentlicht, zit. nach Sick/Thannisch, AuR 2011, 155 [156]) waren von den bis Ende 2010 gegründeten SE 27 so nahe an den Schwellenwerten, dass dieser Aspekt eine Rolle gespielt haben könnte. 218 Siehe die Nachweise bei Romano, The Genius of American Corporate Law, 1993, S. 20 sowie Daines, Journal of Financial Economics 62 (2001), 525; relativierend jedoch Eidenmüller, JZ 2009, 641 (649). 219 Eidenmüller/Engert/Hornuf, EBOR 11 (2010), 35. 220 Bratton/McCahery/Vermeulen, Am. J. Comp. L. 57 (2009), 347 (366); vgl. auch Armour/Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (161).
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über die Anwendung der SE-Verordnung zufolge haben zwar bislang nur 49 SE ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt221 und auf diese Weise einen Wechsel des nach Art. 9 Abs. 1 lit. c ii) SE-VO subsidiär anwendbaren nationalen Aktienrechts herbeigeführt. Dies dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass die Verlegung des Sitzes einer SE aufgrund der – unter dem Aspekt der Niederlassungsfreiheit der SE nicht zu beanstandenden222 – Koppelung von Satzungs- und Verwaltungssitz (Art. 7 SE-VO) mit großem Aufwand verbunden ist.223 Zudem lassen sich viele Motive, die aus der Perspektive nationaler Gesellschaften für einen (innerstaatlichen oder grenzüberschreitenden) Formwechsel sprechen können, auf die Sitzverlegung der SE kaum übertragen. Denn der damit einhergehende „Formwechsel“ bezieht sich lediglich auf das subsidiär anwendbare nationale Aktienrecht, ändert also nichts am Wesen der SE als Aktiengesellschaft. Weitaus aussagekräftiger dürften daher empirische Erkenntnisse über rechtsforminkongruente Formwechsel der SE in nationale Gesellschaftsformen sein.224 Derzeitig wird die Praxistauglichkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels allerdings wesentlich dadurch beeinträchtigt, dass ein rechtlicher Rahmen für seine Durchführung bislang weder auf der Ebene des Unionsrechts noch auf der Ebene des nationalen Rechts besteht. Zwar lässt sich diese Lücke durch die analoge Anwendung von Vorschriften des nationalen Umwandlungsrechts sowie derjenigen unionsrechtlichen Rechtsakte schließen, die grenzüberschreitende Umstrukturierungs- und Kooperationsmaßnahmen ermöglichen.225 Gleichwohl besteht ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit, ins-
221 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), KOM (2010) 676 endg., S. 4. 222 Siehe bereits oben S. 154 Fußnote 84. 223 Vgl. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), KOM (2010) 676 endg., S. 4, Fußn. 4; Armour/ Ringe, CML Rev. 48 (2011), 125 (161). 224 Art. 66 SE-VO sieht zwar lediglich den Formwechsel in eine nationale AG vor, ist nach herrschender Auffassung aber nicht abschließend und steht dem Formwechsel in andere nationale Gesellschaftsformen nicht entgegen, vgl. ausführlich Kossmann/Heinrich, ZIP 2007, 164 (168); Marsch-Barner, FS Happ, S. 165 (177); Oplustil/Schneider, NZG 2003, 13 (15 f.). Diese Auffassung wurde durch die Cartesio-Entscheidung bestätigt. Den Schutz des grenzüberschreitenden Formwechsels durch die Niederlassungsfreiheit kann nämlich auch die SE als supranationale Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen. Die Regelung des Art. 66 SE-VO erscheint insoweit als Anachronismus und sollte de lege ferenda zumindest um eine Klarstellung ergänzt werden, dass sie nur hinsichtlich des Formwechsels in eine nationale AG abschließend ist; dies schlägt auch der Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht (AAK), ZIP 2009, 698 vor. 225 Siehe insbesondere Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (757 ff.); Hushahn, RNotZ 2014, 137 (141); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 sowie oben S. 170.
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Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
besondere hinsichtlich der Koordination der beteiligten Rechtsordnungen:226 Da der grenzüberschreitende Formwechsel von den Regelungen des Aufnahmestaates über den innerstaatlichen Formwechsel abhängt,227 kann er je nach angestrebter Zielrechtsform ganz unterschiedlichen Regeln folgen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden in der Praxis viele Unternehmen von der Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels abhalten. Daher ist aus unternehmerischer Sicht die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen im Wege unionsrechtlicher Harmonisierung uneingeschränkt zu befürworten. Diese Überlegungen werden bestätigt durch die veröffentlichten Ergebnisse der von der Kommission in den Jahren 2006 und 2012 durchgeführten Konsultationen: Im Rahmen der 2006 durchgeführten Konsultation und öffentlichen Anhörung über die künftigen Prioritäten des Aktionsplans zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union228 sprachen sich 79,6 % der eingegangenen Antworten für die Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels durch eine „Sitzverlegungsrichtlinie“229 aus. Ein ähnlich deutliches Ergebnis hat die in der ersten Jahreshälfte 2012 durchgeführte Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts230 hervorgebracht: Hier sprachen sich immerhin 68 % der Teilnehmer für die Erleichterung des grenzüberschreitenden Formwechsels durch eine Harmonisierungsrichtlinie aus.231 Die Kommission geht in einer relativ groben Schätzung aus dem Jahr 2007 davon aus, dass etwa 60.000 bis 300.000 Unternehmen von der Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels Gebrauch machen würden.232
226 In der erforderlichen Koordination der beteiligten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sieht bereits Kreuzer, EuZW 1994, 73 (76) den entscheidenden Grund für die Notwendigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung. 227 EuGH, Urteil vom 16. 12. 2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), Slg. 2008, I – 9641, Rn. 112. 228 Consultation and Hearing on Future Priorities for the Action Plan on Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union, online abrufbar unter . 229 Der Begriff beruht auf einer unzutreffenden Gleichsetzung von grenzüberschreitender (Satzungs-) Sitzverlegung und grenzüberschreitendem Formwechsel; siehe oben S. 8 ff. 230 Konsultation zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts; der Fragebogen ist online abrufbar unter . 231 Die Ergebnisse der Konsultation sind online abrufbar unter ; siehe dort S. 9 (zu Frage 14). 232 Abrufbar nur auf englisch: Impact assessment on the Directive on the cross-border transfer of registered office, SEC (2007) 1707, S. 13 f.
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2. Chancen und Risiken aus Sicht der betroffenen Mitgliedstaaten Es ist offensichtlich, dass bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel aus der Sicht des Herkunftsstaates Schutzinteressen weitaus stärker betroffen sind als bei einer rechtsformwahrenden Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat. Die Ausgestaltung seiner nationalen Rechtsformen ist Ausdruck einer rechtspolitischen Wertentscheidung über die Gewichtung der Interessen von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern gegenüber der unternehmerischen Freiheit der Mehrheitsgesellschafter bzw. des Managements. Mit der Zulässigkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels können sich Unternehmer der rechtspolitischen Entscheidung ihres Herkunftsstaates für ein bestimmtes Schutzniveau nicht mehr bloß durch die Wahl einer ausländischen Rechtsordnung im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung, sondern auch nachträglich zu jedem beliebigen Zeitpunkt entziehen. Die Cartesio-Entscheidung des EuGH stärkt somit nur vordergründig die Autonomie des Herkunftsstaates gegenüber der Gestaltungsfreiheit von Gesellschaftern. Seine gesellschaftsrechtliche Anknüpfungsautonomie nutzt dem Herkunftsstaat wenig, wenn sich die Rechtsbetroffenen jederzeit der gesellschaftsrechtlichen Anknüpfungsautonomie eines anderen Mitgliedstaates unterwerfen können, ohne dass der Herkunftsstaat dies letztlich verhindern kann. Sie ist aus einer rechtspolitschen Perspektive mithin ein stumpfes Schwert. Jede Regulierung des rechtsformwechselnden Wegzugs durch den Herkunftsstaat ist eine potentielle Beschränkung der Niederlassungsfreiheit wegzugswilliger Gesellschaften, sofern sie strenger ist als vergleichbare Regelungen des Aufnahmestaates.233 Sie kann jedoch durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Über die Frage der Rechtfertigung entscheidet letztverbindlich der EuGH. Damit wird die Anwendung jeder Rechtsnorm des Herkunftsstaates auf den grenzüberschreitenden Formwechsel einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den EuGH unterzogen, deren Ergebnis ungewiss ist.234 Die Generalanwälte und Richter am EuGH haben und benötigen keine besondere Expertise im nationalen Umwandlungsrecht, sondern beurteilen dieses ausschließlich aus dem Blickwinkel des Unionsrechts. Sie kommen zudem aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten und bringen nationalen Eigenarten des jeweils betroffenen Mitgliedstaates daher nicht unbedingt Verständnis entgegen. Sind sich die Gerichte des Herkunftsstaates der Machtfülle des EuGH bewusst, kann dies schlimmstenfalls zu einer verminderten Bereitschaft führen, Fragen der Auslegung der Niederlassungsfreiheit dem EuGH vorzulegen.235 Auch aus diesem Grunde ist eine Harmonisierung 233
Siehe oben S. 168 f. Vgl. auch Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (63). 235 Zur Notwendigkeit freiwilliger Kooperation der nationalen Gerichte im Vorabentscheidungsverfahren siehe Haltern, Europarecht, 2. Aufl. 2007, Rn. 354 ff. 234
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des grenzüberschreitenden Formwechsels durch den Unionsgesetzgeber zu befürworten: Sie schafft nicht nur für Unternehmen Rechtssicherheit hinsichtlich ihrer praktischen Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch für die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber. Dass Schutzmechanismen, die sekundärrechtlichen Vorgaben entsprechen, vom EuGH für nicht anwendbar erklärt werden, ist unwahrscheinlich.236 Hinzu kommt, dass die nationalen Gesetzgeber den Inhalt sekundärrechtlicher Harmonisierungsakte im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens über den Rat beeinflussen können, während ihnen dies bei Entscheidungen des EuGH nicht möglich ist.
Exkurs: Cartesio als Impuls für den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen“? In der Literatur wird vertreten, die Cartesio-Entscheidung setze einen neuen Impuls für den „Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen.“237 Damit ist gemeint, dass einige Mitgliedstaaten ihr nationales Umwandlungsrecht möglicherweise so ausgestalten werden, dass ausländischen Gesellschaften ein rechtsformwechselnder Zuzug erleichtert wird und auf diese Weise Anreize für die Wahl einer Rechtsform ihres nationalen Rechts geschaffen werden. Wenn – bildlich gesprochen – Gesellschaftsformen zu „Produkten“ geworden sind, die von den Staaten als Regelgebern nicht nur angeboten, sondern auch aktiv beworben werden,238 hat das Umwandlungsrecht aus der Perspektive der in einem so verstandenen Wettbewerb konkurrierenden Regelgeber im grenzüberschreitenden Kontext die Funktion, dem Rechtsanwender die Entscheidung 236 Damit soll freilich nicht verkannt werden, dass auch Rechtsakte des Sekundärrechts, die den grenzüberschreitenden Formwechsel betreffen, ihrerseits am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu überprüfen sind; siehe EuGH, Urteil vom 25. 6. 1997, Rs. C-114/96 (Kieffer und Thill), Slg. 1997, I – 3629, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 9. 8. 1994, Rs. C-51/93 (Meyhui), Slg. 1994, I – 3879, Rn. 11; Bievert, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 288 AEUV Rn. 11; Drinhausen/Nohlen, FS Spiegelberger, S. 645 (647); Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, 6. Aufl. 2004, Art. 230 EG Rn. 140; Leible, ZGR 2004, 531 (540); W.-H. Roth, RabelsZ 55 (1991), 623 (640); Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2004, S. 154; a. A. Calliess, DVBl. 2007, 336 (345); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 4. Aufl. 2011, Art. 34–36 AEUV Rn. 110. 237 In diese Richtung Johnston/Syrpis, Eur. L. Rev. 34 (2009), 378 (387), die Rn. 112 der Cartesio-Entscheidung als „invitation to the Member States to introduce rules allowing one-stage conversion for foreign entities“ betrachten; vgl. auch Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rn. 791, demzufolge Cartesio einen „Reinkorporationswettbewerb“ eröffnet haben soll, der neben den durch Centros, Überseering und Inspire Art evozierten „Gründungswettbewerb“ tritt, sowie Eidenmüller, ZGR 2007, 168 (174 f.), demzufolge bereits durch die SEVIC-Entscheidung des EuGH ein „Wettbewerb um die etablierten Unternehmen“ befördert wurde, der neben den – freilich im Vordergrund stehenden – „Wettbewerb um die Gründer“ getreten ist. 238 Eidenmüller, JZ 2009, 641 ff.; Weller, ZGR 2010, 679 (687); grundlegend Romano, Journal of Law, Economics & Organization 1 (1985), 225.
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für die Wahl eines bestimmten Produkts zu erleichtern. Eine solche Sichtweise beruht auf der Prämisse, dass bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel die Rolle des Aufnahmestaates die eines „Gewinners“ ist, dem der Zugang ausländischer Gesellschaften grundsätzlich willkommen ist.239 Nur dann, wenn für den Aufnahmestaat ein Anreiz besteht, sein Rechtsangebot in einer bestimmten Weise anzupassen, lässt sich nämlich von einem „Wettbewerb“ sprechen.240 Die Tatsache allein, dass Gesellschaften infolge der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit eine (begrenzte) Auswahl zwischen Rechtsformen haben, die durch das nationale Recht verschiedener Mitgliedstaaten konfiguriert werden, führt nicht zu einem Wettbewerb. Dies wirft die Frage auf, was der Aufnahmestaat dadurch „gewinnt“, dass ausländische Gesellschaften im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels eine inländische Gesellschaftsform annehmen. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel nicht zugleich eine Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes ins Inland einhergeht. Denn eine solche ausschließlich durch rechtliche Erwägungen motivierte „Standortentscheidung“ führt regelmäßig im Aufnahmestaat lediglich zur Entstehung einer Briefkastengesellschaft, die dort weder körperschaftsteuerpflichtig ist241 noch Arbeitsplätze schafft oder die Binnennachfrage nach inländischen Produkten stärkt. Mit Blick auf den von der überwiegenden Literaturauffassung242 konstatierten Wettbewerb der US-Bundesstaaten im Bereich des Gesellschaftsrechts scheint die Antwort auf diese Frage nicht schwer zu fallen: Der USBundesstaat Delaware, nach dessen Recht die Mehrheit der börsennotierten US-amerikanischen Gesellschaften organisiert ist,243 bezieht seit Jahrzehnten ca. 20 % seiner gesamten Staatseinnahmen aus incorporation bzw. franchise fees.244 In Europa bestehen freilich solche direkten finanziellen Anreize für die Vermarktung eigener Gesellschaftsformen nicht.245 Als wesentlich bedeutender 239
So bereits Kronke, ZGR 1994, 26 (29). Zu den Voraussetzungen eines institutionellen Wettbewerbs siehe zutreffend Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276 (290). 241 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002, S. 184 f.; Zimmer, FS K. Schmidt, S. 1789 (1790). 242 Siehe die Nachweise auf S. 276 in Fußn. 176; a. A. Kahan/Kamar, Stan. L. Rev. 55 (2002), 679; vgl. auch Bebchuk/Hamdani, Yale L. J. 112 (2002), 553. 243 Siehe zu den Gründen ausführlich von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 476 ff. 244 Für aktuelle Daten siehe Financial Summary: Budget Dollar Governor’s Recommendet Budget: Fiscal Year 2010 (online abrufbar unter ); ältere Daten finden sich bei Romano, The Genius of American Corporate Law, 1993, S. 7 f. Jüngere Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass dieses Phänomen weitgehend auf den Bundesstaat Delaware beschränkt ist; siehe die empirische Untersuchung von Kahan/Kamar, Stan. L. Rev. 55 (2002), 679 (687 ff.). 245 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 3 lit. a und Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (2008/7/EG); EuGH, Urteil vom 2. 12. 1997, Rs. C-188/95 (Fantask), Slg. 1997, 240
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für das Wettbewerbsverhalten der Mitgliedstaaten werden daher indirekte Anreize eingeschätzt. Etwa führe ein Export des eigenen Rechts zu einer Verbesserung der Auftragslage für die heimische Beratungsbranche und damit zu einer ertragreicheren Besteuerung der inländischen Rechtsberatung.246 Zudem wird angeführt, dass eine hohe Verbreitung der eigenen Rechtsordnung zu positiven Netzwerkexternalitäten247 in Gestalt einer tieferen wissenschaftlichen Durchdringung des Rechts, zu einer breiteren Auslegungspraxis der Gerichte und damit langfristig zu einer erhöhten Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung führt.248 Derartige Anreize haben gemeinsam, dass sie jedenfalls sehr mittelbar sind und sich (anders als direkte fiskalische Anreize wie im Falle des USBundesstaates Delaware) nur schwer verifizieren lassen. Dass sie tatsächlich die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten dazu motivieren, ihr Gesellschafts- bzw. Umwandlungsrecht gezielt so auszugestalten, dass möglichst viele ausländische Unternehmer eine inländische Rechtsordnung wählen, wie dies von den Vertretern eines „Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsordnungen“ offenbar angenommen wird, erscheint daher zweifelhaft.249 Freilich lässt sich kaum bestreiten, dass die aufgrund der Niederlassungsfreiheit eröffnete (eingeschränkte) Rechtswahlfreiheit von Gesellschaften dazu geführt hat, dass die Gesellschaftsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten unter I – 6783; zutreffend Becht/Mayer/Wagner, Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Cost of Entry, S. 5 f.; Bratton/McCahery/Vermeulen, Am. J. Comp. L. 57 (2009), 347 (349); Charny, Harvard Int. L. J. 32 (1991), 423 (447); Eidenmüller, ZIP 2009, 641 (643); Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002, S. 185 ff.; Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545 (564 f.). Für die Einführung einer entsprechenden Besteuerung zum Zwecke der Stimulierung des Regulierungswettbewerbs Eidenmüller, FS Heldrich, S. 581 (589). 246 Eidenmüller, ZIP 2009, 641 (643); vgl. auch Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276 (292) sowie ders., KTS 2006, 259 (264 f.) mit Blick auf den legislatorischen Wettbewerb im Insolvenzrecht: Steigerung der Einnahmen inländischer Insolvenzverwalter. 247 Der aus der Ökonomie entlehnte Begriff der „positiven Netzwerkexternalitäten“ beschreibt die wohlfahrtssteigernden Wirkungen, die mit der gleichzeitigen Nutzung einer gesellschaftsrechtlichen Regelung einhergehen, siehe Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (509). 248 Vgl. Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (509); Klöhn, KTS 2006, 259 (264 f.), jeweils mit umfangreichen Nachweisen aus der ökonomischen Literatur. 249 Zweifelnd auch Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002, S. 190; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 377; relativierend aus empirischer Sicht ferner Kahan/Kamar, Stan. L. Rev. 55 (2002), 679 (694 ff.); a. A. Eidenmüller, FS Heldrich, S. 581 (584). Bemerkenswert ist, dass die Schweiz es ausländischen Gesellschaften ausdrücklich nur dann gestattet, sich Schweizer Recht zu unterstellen, wenn zugleich der Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit in die Schweiz verlegt wird (Art. 162 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht). Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dadurch verhindert werden, „dass die Schweiz bloß als Inkorporationsstaat gewählt wird, ohne dass nähere Beziehungen vorliegen.“, Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 10. 11. 1982, BBl. 1983 I 263 (446 f.). Offenbar sieht also der Schweizer Gesetzgeber in der „bloßen Inkorporation“ ausländischer Gesellschaften eher Nachteile als Vorteile; vgl. auch Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002, S. 155.
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Anpassungsdruck geraten sind. Aus deutscher Sicht illustriert dies eindrücklich die rechtspolitische Diskussion um das MoMiG250. Dieses sollte ausweislich der Regierungsbegründung die Attraktivität der deutschen GmbH gegenüber „konkurrierenden“ Gesellschaftsformen anderer Mitgliedstaaten stärken; in der Regierungsbegründung wird explizit auf die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere die Entscheidung Inspire Art verwiesen.251 Unter dem Eindruck des bereits infolge der Centros-Entscheidung nachweisbaren zunehmenden Ausweichens deutscher Unternehmer auf die kostengünstiger und mit geringerem Zeitaufwand zu errichtende britische Private Limited Company („Limited“)252 stellte der deutsche Gesetzgeber der GmbH eine „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ zur Seite, deren Gründung mit einem Stammkapital von weniger als 25.000 EUR erfolgen kann (§ 5 a GmbHG); zudem darf eine deutsche GmbH oder AG nunmehr ihren Verwaltungssitz im Ausland nehmen (§ 4 a GmbHG, § 5 AktG).253 Ähnliche Reaktionen auf die zunehmende Wahl ausländischer statt inländischer Rechtsformen infolge der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften lassen sich in anderen Mitgliedstaaten beobachten:254 Der französische Gesetzgeber hat bereits 2003 das Recht der S. A. R. L. reformiert und dabei unter anderem das Mindestkapitalerfordernis gestrichen und das Verfahren der Gründung beschleunigt.255 Der spanische Gesetzgeber schuf 2004 mit der Sociedad limitada nueva empresa eine Alternative zur Sociedad de Responsabilidad Limitada, dem spanischen Pendant zur deutschen GmbH, die innerhalb von nur 48 Stunden gegründet werden kann.256 Nicht nur die Reduzierung des Mindestkapitals, sondern auch die beschleunigte Gesellschaftsgründung sind offensichtliche Reaktionen auf
250 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I 2008, S. 2026. 251 BT-Drucks. 16/6140, S. 25; siehe auch S. 56. 252 Das in ganz Europa zu beobachtende Phänomen des Ausweichens von Unternehmensgründern auf die britische Limited anstelle vergleichbarer Rechtsformen ihres Herkunftsstaates ist auf die Wahl der Private Limited Company anstelle der jeweiligen nationalen GmbH beschränkt, während im Bereich des mitgliedstaatlichen Aktienrechts eine solche Interaktion von Rechtsordnungen nicht stattfindet; siehe Becht/Mayer/Wagner, Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Cost of Entry, S. 14. 253 Offenbar waren diese Maßnahmen erfolgreich und konnten den „Boom“ der britischen Limited stoppen. Am 1. 1. 2010 waren nach einer Untersuchung von Kornblum, GmbHR 2010, 739 (746), 17.551 britische Limiteds im deutschen Handelsregister eingetragen; dies entspricht einem Anstieg von nur 0,2 % gegenüber dem Vorjahr (17.524 britische Limiteds). 254 Vgl. auch Becht/Mayer/Wagner, Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Cost of Entry, S. 19. 255 Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (612); siehe ausführlich zur franzöischen GmbHReform Becker, GmbHR 2003, 706; dies., GmbHR 2003, 1120; Meyer/Ludwig, GmbHR 2005, 346. 256 Eidenmüller, ZGR 2007, 168 (180); ausführlich Embid Irujo, RIW 2004, 760 (763).
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die britische Limited, deren Gründung regelmäßig etwa fünf Werktage dauert und gegen eine zusätzliche Gebühr sogar binnen 24 Stunden erfolgen kann.257 Die Beispiele legen die Vermutung nahe, dass zwar auch innerhalb der Europäischen Union eine Interaktion der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen stattfindet, diese aber einer anderen Logik folgt als die Interaktion der bundesstaatlichen Gesetzgeber in den USA. Offenbar geht es den Mitgliedstaaten bei der Anpassung ihres nationalen Gesellschaftsrechts in Reaktion auf die mögliche Wahl von Rechtsformen aus anderen Mitgliedstaaten weniger darum, inländische Gesellschaftsformen für ausländische Unternehmer attraktiv zu machen. Vielmehr scheint es ihnen eher darum zu gehen zu verhindern, dass sich inländische Unternehmer einer ausländischen Gesellschaftsform bedienen. Dieses Bestreben dürfte allerdings nicht durch fiskalische, sondern in erster Linie durch politische und ideologische Erwägungen motiviert sein258 und vor allem die Durchsetzung von Schutzinteressen zugunsten bestimmter Gruppen wie Gläubigern und Arbeitnehmern bezwecken.259 Können sich beispielsweise deutsche Gesellschaftsgründer in Deutschland der britischen Limited bedienen, hat dies zur Folge, dass die Gläubigerschutzmechanismen des deutschen Gesellschaftsrechts weitgehend leerlaufen: Unternehmensgründer haften nicht mehr zunächst als Einzelkaufmann oder OHG mit ihrem Privatvermögen und müssen sich die Haftungsbeschränkung in der Rechtsform der GmbH durch die Aufbringung eines vergleichsweise hohen Stammkapitals „erkaufen“260, sondern sie können die Haftungsbeschränkung deutlich günstiger durch die Gründung einer britischen Limited erreichen. Es steht in der Tat zu vermuten, dass viele der Unternehmer, die sich für die Gründung einer Limited entschieden haben, anderenfalls nicht die häufig zu kostspielige Rechtsform der GmbH gewählt hätten, sondern als Einzelkaufmann oder OHG tätig geworden wären.261 Aus rechtspolitischer Sicht besteht das Problem des Ausweichens auf die Limited darin, dass anders als bei der GmbH die Haftungsbeschränkung weder durch die Aufbringung des Stammkapitals noch durch die Anwendung der GmbH257 Ausführlich Luke, Die U. K. Limited, 2005, S. 21 ff.; Römermann, NJW 2006, 2065 (2066). 258 Vgl. auch Kahan/Kamar, Stan. L. Rev. 55 (2002), 679 (728) m. w. N.: “Indeed, political science scholars and public-choice economists agree that state lawmakers pursue political and ideological goals, rather than profits.” Siehe ferner Becht/Mayer/Wagner, Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Cost of Entry, S. 24: Es gehe den Mitgliedstaaten darum, „to avoid the loss of jurisdictional control of substantial part of their economies.“ (Hervorhebung durch den Verf.). 259 Daneben dürfte der (vermeintliche) Ehrgeiz der Ministerialbeamten, einen Bedeutungsverlust des von ihnen gestalteten Rechts zu verhindern, kaum eine Rolle spielen, so aber Zimmer, FS K. Schmidt, S. 1789 (1800); siehe dazu ausführlich und deutlich zurückhaltender Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276 (294 f.). 260 Vgl. BGH, Urteil vom 27. 9. 1999, II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 (322). 261 Vgl. Becht/Mayer/Wagner, Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Cost of Entry, S. 6 Fußn. 10.
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spezifischen Instrumente des Gläubigerschutzes (z. B. §§ 30, 31 GmbHG, Eigenkapitalersatzrecht) kompensiert wird. Diesem Schutzdefizit versucht der deutsche Gesetzgeber dadurch zu begegnen, dass er mit der Möglichkeit der Gründung einer GmbH als Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) den Preis für die Haftungsbeschränkung drastisch reduziert und damit die Eintrittsschwelle in die GmbH absenkt, auf diese Weise aber zugleich die Anwendung der übrigen GmbH-spezifischen Gläubigerschutzinstrumente ebenso sichert wie die Anwendung der Regeln über die unternehmerische Mitbestimmung, wenn die als Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) gegründete GmbH zu einem späteren Zeitpunkt die für das Eingreifen der Mitbestimmung maßgeblichen Schwellenwerte gem. §§ 1 Abs. 1 DrittelBG, 7 Abs. 1 MitbestG überschreitet. Dagegen dürfte die Erwägung, die Attraktivität der deutschen GmbH für ausländische Unternehmer zu erhöhen, keine entscheidende Rolle gespielt haben.262 Diese Vermutung wird auch nicht dadurch widerlegt, dass einige Rechtsordnungen, wie etwa Großbritannien, offenbar eine hohe Anziehungskraft auf ausländische Unternehmer ausüben. Der Ausgangspunkt für die Gründung britischer Limiteds in allen übrigen Mitgliedstaaten bestand nicht darin, dass der britische Gesetzgeber durch eine entsprechende Ausgestaltung dieser Gesellschaftsform gezielt um ausländische Unternehmer geworben hätte. Der Ausgangspunkt der Entwicklung liegt vielmehr im Kollisionsrecht: Großbritannien folgt seit jeher der Gründungstheorie und erlaubt den nach britischem Recht gegründeten Gesellschaften, ihren Verwaltungssitz im Ausland zu nehmen. Dahinter stand jedenfalls ursprünglich die Erwägung, dass britischen Unternehmern die Tätigkeit in einer ihnen vertrauten Gesellschaftsform britischen Rechts in den Kolonialstaaten möglich sein sollte.263 Dass damit britisches Gesellschaftsrecht auch ausländischen Unternehmern zur Verfügung stand, ist historisch gesehen eher eine Begleiterscheinung, jedenfalls aber nicht das primäre rechtspolitische Ziel des britischen Gesetzgebers. Die eigentliche Ursache für den „Gründungsboom“ der britischen Limited zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat dementsprechend auch nicht der britische Gesetzgeber durch ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten gesetzt, sondern der EuGH durch seine Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften. Die Regelungen des britischen Gesellschaftsrechts, die aus Sicht von Unternehmensgründern aus den übrigen
262 Die Regierungsbegründung zum MoMiG trifft lediglich im Kontext der Änderung von § 4a GmbHG und § 5 AktG die kurze Feststellung, es sei für ein ausländisches Unternehmen (bislang) nicht möglich, sich bei der Gründung des Unternehmens für die Rechtsform der deutschen Aktiengesellschaft bzw. der GmbH zu entscheiden, wenn die Geschäftstätigkeit ganz oder überwiegend aus dem Ausland geführt werden soll; siehe BT-Drucks. 16/6140, S. 29. 263 Siehe Großfeld, FS Westermann, S. 199 (203) sowie oben S. 266 Fußn. 136.
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Mitgliedstaaten die Attraktivität der Limited begründen, sind bedeutend älter als diese Rechtsprechung.264 Wenn nach alldem aber aus Sicht der Mitgliedstaaten allenfalls ein sehr mittelbares Interesse daran besteht, ausländische Unternehmer zur Wahl einer inländischen Rechtsform zu motivieren, dann besteht auch kein Grund zu der Annahme, dass die Mitgliedstaaten ihr nationales Umwandlungsrecht in Folge der Cartesio-Entscheidung des EuGH gezielt für ausländische Gesellschaften öffnen werden. Nur am Rande aufgeworfen, aber nicht abschließend geklärt werden soll im Rahmen dieser Arbeit die Frage, wie sich die soeben geschilderte Interaktion der Gesetzgeber im Bereich des Gesellschaftsrechts begrifflich einordnen lässt. Die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur deutet die Interaktion der bundesstaatlichen Gesetzgeber in den USA als eine Form von Regulierungswettbewerb und überträgt diese Deutung auf die Interaktion der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber innerhalb der Europäischen Union.265 Eine solche Sichtweise setzt jedenfalls voraus, dass der Begriff des „Wettbewerbs“ in einem relativ weiten Sinne verstanden wird und an die Anreize, welche die Mitgliedstaaten dazu motivieren, sich als Akteure an einem solchen Wettbewerb zu beteiligen, nur geringe Anforderungen gestellt werden. Denn es geht zumindest in Europa den nationalen Gesetzgebern nicht in erster Linie darum, möglichst viele Unternehmer oder Unternehmensgründer aus anderen Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, ihre durch die Niederlassungsfreiheit eröffnete Rechtswahlfreiheit zugunsten einer inländischen Rechtsform auszuüben, und auf diese Weise die Nachfrage nach den eigenen (Rechts-)Produkten am Markt zu steigern, um letztlich zu Lasten konkurrierender Mitgliedstaaten den eigenen Gewinn zu maximieren (so wie der Bundesstaat Delaware es in den USA offenbar praktiziert).266 Vielmehr zielen die oben erörterten Reformbestrebungen der europäischen Mitgliedstaaten im Bereich des Gesellschaftsrechts eher darauf ab, die Nachfrage nach den eigenen (Rechts-)Produkten im Inland konstant zu halten bzw. die Nachfrage nach ausländischen Produkten einzudämmen.267 Auf diese Weise 264 Becht/Mayer/Wagner, Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Cost of Entry, S. 24. 265 Siehe die Nachweise auf S. 276 in Fußn. 176; a. A. Kahan/Kamar, Stan. L. Rev. 55 (2002), 679; vgl. auch Bebchuk/Hamdani, Yale L. J. 112 (2002), 553. 266 Vgl. zu einem solchen engen Wettbewerbsverständnis etwa Kirchhof, in: ders. (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 1 (5). 267 Als Reaktion auf das zunehmende Ausweichen deutscher Rechtsanwälte auf die englische Limited Liability Partnership (LLP) infolge der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften hat der deutsche Gesetzgeber 2013 eine „Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung“ geschaffen, die ebenso wie die LLP die Möglichkeit bietet, die Haftung für Schäden aufgrund fehlerhafter Berufsausübung auf das Gesellschaftsvermögen zu begrenzen (§ 8 Abs. 4 PartGG); siehe dazu Römermann, NJW 2013, 2305. Hellwig äußert dazu in einem Interview (AnwBl. 2012, 345): „Wichtig ist aus der Sicht des deutschen Rechts in erster Linie, dass der weitere Exodus in die LLP zum Stillstand ge-
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sollen die eigenen rechtspolitischen Vorstellungen von einem angemessenen Gläubiger- und Arbeitnehmerschutz im Inland durchgesetzt werden. Als Ausprägung von „Wettbewerb“ lassen sich diese Reformen allenfalls im Sinne eines „Kampfes um das beste Recht“ verstehen; ein solcher Wettbewerb ist dann aber nicht primär durch ökonomische, sondern eher durch ideelle Zielsetzungen motiviert. In der jüngeren Literatur268 wird vor dem Hintergrund dieser Einsicht die Interaktion der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber in der Europäischen Union teilweise als „Defensivwettbewerb“ gekennzeichnet und als solcher dem „Offensivwettbewerb“ US-amerikanischer Prägung gegenübergestellt.269 Eine solche Begriffsprägung erlaubt es, an der Einordnung der legislatorischen Aktivitäten als „Wettbewerbsverhalten“ festzuhalten, läuft dabei aber Gefahr, die Bedeutung des Begriffs „Wettbewerb“ zu überspannen. Gilson/Hansmann/Pargendler stellen in einer jüngeren Untersuchung dem Phänomen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechtsordnungen ein von ihnen als regulatorischer Dualismus (regulatory dualism) bezeichnetes Phänomen gegenüber, das sie unter anderem in der Interaktion der Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der USA und der Europäischen Union verwirklicht sehen.270 Ein solcher regulatorischer Dualismus soll dann entstehen, wenn sich ein bestehendes Regime als ineffizient erweist, gleichzeitig aber starke Lobbygruppen von dieser Ineffizienz profitieren und daher gegen die an sich erforderlichen Reformen politischen Widerstand ausüben. Diese von Gilson/Hansmann/ Pargendler im Anschluss an den amerikanischen Ökonomen Olson271 als „Olson-Problem“ bezeichnete Reformstarre soll dadurch überwunden werden, dass ein neues und effizienteres Regime geschaffen wird, das neben das bestehende Regime tritt, anstatt es zu ersetzen, und auf das Unternehmer und Unternehmensgründer bei Bedarf ausweichen können. Da mit der Einführung dieses neuen Regimes zugleich der Reformdruck auf das etablierte Regime abnimmt , soll seine Einführung zugleich nicht mehr an dem Widerstand jener politischen Kräfte scheitern, die von der Ineffizienz des etablierten Regimes profitieren und daher an dessen Bestand interessiert sind. Die Autoren exemplifizieren dieses Phänomen anhand des Novo Mercado, eines im Jahr 2000 neu
bracht wird.“ Damit ist das Anliegen der Reform aus damaliger Sicht klar formuliert – davon, dass ausländische Rechtsanwälte künftig die Rechtsform der PartG mbB wählen sollen, ist nicht die Rede. 268 Cumming/MacIntosh, Int. Rev. L. Econ. 20 (2000), 141 (144 ff.); von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 590; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276 (293 ff.). 269 Cumming/MacIntosh, Int. Rev. L. Econ. 20 (2000), 141 (144 ff.) sprechen von „passive competition“ einerseits und „proactive competition“ andererseits. 270 Gilson/Hansmann/Pargendler, Stan. L. Rev. 63 (2011), 475. 271 Olson, The Rise and Decline of Nations, 1982; Nachweise zur Rezeption bei Gilson/ Hansmann/Pargendler, Stan. L. Rev. 63 (2011), 475 (478 Fußn. 3).
298
Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
eingeführten Segments an der Wertpapierbörse in São Paulo. 272 Die innerhalb dieses Segments gelisteten Gesellschaften unterliegen strengeren Corporate Governance-Anforderungen273 als Gesellschaften innerhalb des etablierten Regimes, wovon insbesondere Minderheitsgesellschafter profitieren; seine Einführung hatte eine regelrechte Welle von Börsengängen in Brasilien ausgelöst.274 Auch die Interaktion der bundesstaatlichen Gesetzgeber innerhalb der USA im Bereich des Gesellschaftsrechts deuten Gilson/Hansmann/Pargendler als eine Form von regulatorischem Dualismus, ebenso wie die Interaktion der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union;275 begrifflich präziser erscheint es aufgrund der Vielzahl involvierter Rechtsordnungen, in diesen Fällen von einem regulatorischen Pluralismus zu sprechen. Es ist das Verdienst der Untersuchung von Gilson/Hansmann/Pargendler, dass die Autoren eine neue Form der Interaktion verschiedener (Gesellschafts-) Rechtsordnungen276 beschreiben, die sich zwar wechselseitig beeinflussen, dabei aber nicht im Sinne eines regulatorischen Wettbewerbs im eigentlichen Sinne miteinander konkurrieren. Darin liegt die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen der Interaktion der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union auf der einen Seite und der Etablierung des Novo Mercado in Brasilien auf der anderen Seite. Ein Unterschied besteht darin, dass es sich bei der Etablierung des Novo Mercado offenbar um eine gezielte Strategie zur Überwindung von politischem Widerstand gegen Reformen (Olson-Problem) handelte, während sich die Mitgliedstaaten in Europa mit dem eher zufälligen Resultat einer bestimmten Auslegung der Grundfreiheiten durch den Europäischen Gerichtshof konfrontiert sehen. Die Beantwortung der Frage, ob eine solche Finalität ein zentrales Wesensmerkmal von regulatorischem Dualismus ist, muss weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben; nach 272 Gilson/Hansmann/Pargendler, Stan. L. Rev. 63 (2011), 475 (482 ff.); siehe zur Entwicklung ausführlich Sester, Institutionelle Reformen in heranreifenden Kapitalmärkten: Der brasilianische Aktienmarkt, 2009, S. 228 ff. 273 Siehe zur Konzeption des Novo Mercado ausführlich Sester, Institutionelle Reformen in heranreifenden Kapitalmärkten: Der brasilianische Aktienmarkt, 2009, S. 261 ff. 274 Sester, Institutionelle Reformen in heranreifenden Kapitalmärkten: Der brasilianische Aktienmarkt, 2009, S. 273 ff.; Sester/Schuster, Börsenzeitung vom 30. 3. 2011, S. 2. 275 Gilson/Hansmann/Pargendler, Stan. L. Rev. 63 (2011), 475 (508 ff.). Die Autoren legen den Schwerpunkt ihrer Ausführungen dabei auf die deutsche unternehmerische Mitbestimmung: Deren Reform werde durch den Widerstand der deutschen Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften verhindert (darin besteht das Olson-Problem); der EuGH habe durch seine Rechtsprechung ein alternatives und effizienteres Regime geschaffen, da Unternehmensgründern nunmehr nicht mitbestimmte Rechtsformen anderer Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. 276 Ebenso wie regulatorischer Wettbewerb kann regulatorischer Dualismus als Strategie zur Überwindung von politischem Widerstand gegen überfällige Reformen („Olson-Problem“) auch in anderen Rechtsgebieten auftreten; beide Phänomene sind nicht auf das Gesellschaftsrecht beschränkt.
D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung
299
Gilson/Hansmann/Pargendler scheint dies nicht der Fall zu sein, da sie die Frage der Finalität in der Rechtsprechung des EuGH offen lassen („whether or not intentionally“)277, gleichwohl aber die in Folge dieser Rechtsprechung eröffnete Rechtswahlfreiheit als Form von regulatorischem Dualismus einordnen. Gegen diese Einordnung spricht allerdings die Beobachtung, dass durch die Einführung des Novo Mercado der Reformdruck auf das brasilianische Gesellschaftsrecht eher abnimmt, während die Parallelität der Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union den Reformdruck auf einzelne mitgliedstaatliche Rechtsordnungen erhöht – letzteres soll bei regulatorischem Dualismus gerade nicht der Fall sein und einen der wesentlichen Unterschiede zwischen regulatorischem Dualismus und regulatorischem Wettbewerb ausmachen.278 Die Interaktion mitgliedstaatlicher Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union weist nach alldem sowohl Elemente eines regulatorischen Wettbewerbs als auch Elemente eines bloßen regulatorischen Dualismus bzw. Pluralismus auf, ohne sich aber reibungslos in eine dieser beiden Kategorien einzufügen. Möglicherweise lässt sich die Interaktion mitgliedstaatlicher Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union in Anlehnung an Kane279 als Ausprägung einer regulatorischen Dialektik begreifen. Ausgangspunkt der Überlegungen Kanes ist die Beobachtung, dass die Adressaten einer jeden Regulierung Umgehungsstrategien entwickeln, auf die der Normgeber durch eine Anpassung seiner Regulierung reagiert. Mit Blick auf die von ihm untersuchte Regulierung von Banken betrachtet Kane die von den Banken entwickelten Finanzinnovationen und Organisationsformen als Instrumente zur Umgehung der einschlägigen Regulierung („loophole financial instruments and loophole forms of corporate organization“).280 Die Regulierung („regulation“) von Banken und ihre Umgehung durch die Regulierungsunterworfenen („avoidance“) beschreibt er dabei unter Bezugnahme auf die Begriffswelt Hegels281 als These und Antithese; sie münden in eine Reregulierung („reregulation“), die sich zugleich als Synthese und als neue These im Rahmen eines neuen dialektischen Prozesses erweist, an dessen Ende eine erneute Reregulierung in Reaktion auf neue Ausweichstrategien (Antithesen) der Regulierungsadressaten steht.282 Kane bewertet diese regulatorische Dialektik durchaus als positiv; langfristig
277
Gilson/Hansmann/Pargendler, Stan. L. Rev. 63 (2011), 475 (509). Gilson/Hansmann/Pargendler, Stan. L. Rev. 63 (2011), 475 (480 f.). 279 Kane, The American Economic Review 78 (1988), 328; siehe dazu ausführlich Fest, Zwecke, Ansätze und Effizienz der Regulierung von Banken, 2008, S. 188 f. 280 Kane, The American Economic Review 78 (1988), 328 (331). 281 Krit. dazu Fest, Zwecke, Ansätze und Effizienz der Regulierung von Banken, 2008, S. 188 („ein wenig konstruiert erscheinend“). 282 Kane, The American Economic Review 78 (1988), 328 (332). 278
300
Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
soll sie zu einer Regulierung führen, die aus Sicht aller Beteiligten effizient ist und keine weiteren Umgehungsstrategien provoziert.283 Diese Überlegungen lassen sich durchaus auf den Bereich des Gesellschaftsrechts übertragen. Eine bestimmte Regelung des nationalen Rechts – etwa die deutsche Regelung über die Höhe des Stammkapitals bei der GmbH – wäre in einem solchen dialektischen Prozess die These; ihre Umgehung durch das Ausweichen auf eine ausländische Rechtsform – etwa die britische Limited – die Antithese. Der Rechtsprechung des EuGH käme im Rahmen einer solchen regulatorischen Dialektik die Funktion zu, diese Antithese erst ermöglicht und dadurch den dialektischen Prozess in Gang gesetzt zu haben. Die oben geschilderten Reformbemühungen der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber im Bereich des Gesellschaftsrechts lassen sich als Synthese beschreiben, deren Zweck darin besteht, eine Umgehung der ursprünglichen Regulierung durch das Ausweichen auf die Limited zu verhindern. Die Tatsache, dass in Folge dieser Reformen die Ausweichbewegungen in Richtung der britischen Limited abgenommen haben, ist jedenfalls ein gewichtiges Indiz dafür, dass diese Art der Reregulierung von den Regulierungsunterworfenen als effizienter empfunden wird als die ursprüngliche Regulierung. Dass es sich in der Tat um eine Synthese handelt, in der These und Antithese zusammengeführt werden, und nicht um eine bloße Adaption der britischen Regelungen, wird anhand des Beispiels der deutschen Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) deutlich: An dem rechtspolitischen Ziel der ursprünglichen Regulierung, im Interesse des Gläubigerschutzes eine ausreichende Kapitalausstattung haftungsbeschränkter Gesellschaften zu gewährleisten, hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Reformierung durch das MoMiG festgehalten (vgl. § 5a Abs. 5 GmbHG). Er hat lediglich die damit einhergehende Kostenbelastung für Unternehmensgründer im Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung – und damit nur vorübergehend – abgefedert und auf diese Weise einen Ausgleich der betroffenen Interessen herbeigeführt. Regulatorischer Wettbewerb, regulatorischer Dualismus und regulatorische Dialektik haben gemeinsam, dass es sich um Formen der Interaktion von Gesetzgebern handelt, die im Ergebnis zur Bereitstellung einer effizienteren Regulierung führen, sei es im Wege der Reform einer bestehenden ineffizienten Regulierung (regulatorischer Wettbewerb, regulatorische Dialektik) oder im Wege der Einführung einer effizienteren Parallelregulierung (regulatorischer Dualismus). Der entscheidende Unterschied besteht in der dahinter stehenden Motivation des Regulierungsgebers. Diese Motivation kann darin bestehen, möglichst viele Normadressaten zur Wahl der eigenen Regulierung zu bewegen, und zwar insbesondere auch solche Regulierungsadressaten, die bislang einer anderen Regulierung unterworfen waren, um dadurch einen unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Vorteil zu erzielen (regulatorischer 283
Kane, The American Economic Review 78 (1988), 328 (333).
D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung
301
Wettbewerb). Die Motivation kann aber auch darin bestehen, Ausweichreaktionen der eigenen Regulierungsadressaten zu vermeiden, um den eigenen rechtspolitischen Schutzinteressen zur Geltung zu verhelfen und dabei einen Ausgleich der Interessen aller von der Regulierung Betroffenen herzustellen (regulatorische Dialektik). Schließlich kann die Motivation darin bestehen, Widerstand gegen überfällige Reformen („Olson-Problem“) durch die Parallelität einer als ineffizient empfundenen überkommenen Regulierung mit einer neuen, effizienteren Regulierung zu überwinden (regulatorischer Dualismus). Die Interaktion der mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union lässt sich am ehesten als Ausprägung regulatorischer Dialektik beschreiben, weist aber auch Elemente eines regulatorischen Wettbewerbs und eines regulatorischen Dualismus auf. Dies zeigt, dass es sich bei den genannten Interaktionsformen um bloße Erklärungsmodelle handelt, die sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern einander überlagern und ergänzen. Aufgrund der vielfältigen rechtspolitischen Ziele, die ein Regulierungsgeber bei der Anpassung einer bestehenden oder der Etablierung einer neuen Regulierung verfolgen kann, und der vielfältigen Wege, auf denen er dabei von „konkurrierenden“ Regimen beeinflusst werden kann, wird sich die Interaktion von Rechtsordnungen nur selten einer dieser Interaktionsformen ausschließlich zuordnen lassen, diese also in Reinform widerspiegeln.
3. Fazit Sowohl aus unternehmerischer Sicht als auch mit Blick auf die Schutzinteressen der Mitgliedstaaten besteht ein Bedürfnis nach einer sekundärrechtlichen Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels. Die vielfach geäußerte Forderung, die Kommission möge die Arbeit an einer „Sitzverlegungsrichtlinie“284 wieder aufnehmen,285 ist daher berechtigt. Dass der damalige Binnenmarktkommissar McCreevy in einer Rede vor dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments am 3. Oktober 2007 erklärte, von dem Projekt einer Sitzverlegungsrichtlinie Abstand nehmen zu wollen,286 war schon zum damaligen Zeitpunkt nur schwer verständlich; dieser Standpunkt ist aber jedenfalls nach der Cartesio-Entscheidung des EuGH überholt. Vorschläge, wie 284 Der Begriff beruht auf einer unzutreffenden Gleichsetzung von grenzüberschreitender (Satzungs-) Sitzverlegung und grenzüberschreitendem Formwechsel; siehe oben S. 8 ff. 285 Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (770); dies., ZIP 2012, 1481 (1491 f.); Behme, NZG 2012, 936 (939); Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (14); Behrens, EuZW 2009, Heft 3, V; Borg-Barthet, ICLQ 58 (2009), 1020 (1028); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (63); Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102); Schön, ZGR 2013, 333 (364 f.); Teichmann, ZIP 2009, 393 (403 f.); ders., DB 2012, 2085 (2091 f.); Wisniewski/Opalski, EBOR 10 (2009), 595 (620 f.); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (549). 286 Speech/07/592, online unter .
302
Fünftes Kapitel: Bewertung der EuGH-Judikatur zur Niederlassungsfreiheit
eine Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels inhaltlich ausgestaltet werden könnte, liegen auf dem Tisch. Bereits 1997 veröffentlichte die Kommission einen Vorentwurf eines Vorschlags für eine Vierzehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU;287 weitere konkrete Regelungsentwürfe enthalten die bereits erwähnten Entschließungsempfehlungen des Europäischen Parlaments für eine Sitzverlegungsrichtlinie vom 10. März 2009288 und vom 2. Feburar 2012.289 Einen Vorschlag für eine kollisionsrechtliche Lösung enthält Art. 7 des Verordnungsvorschlags der Spezialkommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht.290 Sinnvoll erscheint die Anregung der Reflection Group on the Future of EU Company Law, alternativ zu einer Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels durch eine 14. Richtlinie die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften zu einer allgemeinen „Mobilitätsrichtlinie“ auszubauen.291 Dieser Vorschlag trägt dem Umstand Rechnung, dass sich viele Mechanismen der existierenden Richtlinie zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen auf den grenzüberschreitenden Formwechsel übertragen lassen und auf diese Weise unnötige Mehrfachregulierungen vermieden werden könnten. In diesem Zusammenhang könnte auch – wie von der Arbeitsgruppe vorgeschlagen – eine Regelung der grenzüberschreitenden Spaltung erfolgen. Inwieweit die Kommission die genannten Vorschläge aufgreifen wird, ist offen. Bislang ist nicht erkennbar, dass sie sich der Thematik ernsthaft annehmen würde. Der „Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Gov 287 Abgedruckt in ZIP 1997, 1721; siehe dazu Eidenmüller, JZ 2004, 24 (31 f.); Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006, S. 75 f.; Heinze, ZGR 1999, 55; Hoffmann, ZHR 164 (2000), 43; Hügel, ZGR 1999, 71; Koppensteiner, FS Lutter, S. 141; Leible, ZGR 2004, 531; di Marco, ZGR 1999, 3; Meilicke, GmbHR 1998, 1053; Neye, ZGR 1999, 13; Panayi, Yearbook of European Law 2009, 123 (139 ff.); Priester, ZGR 1999, 36; Rajak, ZGR 1999, 111; K. Schmidt, ZGR 1999, 20; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 806 ff.; Timmerman, ZGR 1999, 147; Wymeersch, ZGR 1999, 126. 288 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. 3. 2009 mit Empfehlungen an die Kommission zur grenzüberschreitenden Verlegung von eingetragenen Gesellschaftssitzen, online abrufbar unter ; siehe auch Lehne, KSzW 2010, 3 (4). 289 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen, online abrufbar unter . 290 Sonnenberger (Hrsg.), Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, 2007, S. 9 f. 291 Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, online abrufbar unter .
D. Rechtspolitischer Ausblick: Sekundärrechtliche Harmonisierung
303
ernance“ vom 12. 12. 2012 ist insoweit jedenfalls ernüchternd: Er hat lediglich eine (weitere) Konsultation angekündigt, die in der ersten Jahreshälfte 2013 auch durchgeführt worden ist, aber kaum neue Erkenntnisse gebracht hat.292 In ihrem Bericht zu den Ergebnissen dieser Konsultation hat sich die Kommission hinsichtlich der weiteren Entwicklung nicht festgelegt.293 Stattdessen scheint sie das in den von ihr durchgeführten Konsultationen deutlich zum Ausdruck gekommene praktische Bedürfnis nach einer Harmonisierung des grenzüberschreitenden Formwechsels294 – aus welchen Gründen auch immer – weiterhin zu ignorieren.295
292
So auch die Einschätzung von Verse/Wiersch, EuZW 2014, 375 (381). Der Bericht ist online abrufbar unter ; siehe dort S. 16. 294 Siehe oben S. 285 ff. 295 Kritisch auch Hommelhoff, ZIP 2013, 2177 (2183): „[...]; von außen betrachtet kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, diese Richtlinie solle mit Verfahrenstricks, aus welchen Gründen auch immer, auf die lange Bank geschoben werden.“ 293
Entscheidungsverzeichnis Gericht
Datum
Aktenzeichen
Fundstelle
AG Heidelberg BayObLG BayObLG BFH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BVerfG BVerfG
3. 3. 2000 7. 5. 1992 20. 2. 2002 9. 1. 1996 17. 6. 1953 29. 11. 1956 30. 1. 1970 21. 3. 1986 21. 4. 1994 27. 9. 1999 30. 3. 2000 29. 1. 2001 1. 7. 2002 19. 9. 2005 16. 7. 2007 2. 6. 2008 27. 10. 2008 8. 10. 2009 7. 8. 1962 18. 12. 1968
ZIP 2000, 1617 NJW-RR 1993, 43 NZG 2002, 828 NJW 1996, 1367 BGHZ 10, 9 BGHZ 22, 240 BGHZ 53, 181 BGHZ 97, 269 BGHZ 125, 382 BGHZ 142, 315 ZIP 2000, 967 BGHZ 146, 341 BGHZ 151, 204 BGHZ 164, 148 BGHZ 173, 246 NJW 2008, 2914 BGHZ 178, 192 ZIP 2009, 2385 BVerfGE 14, 263 BVerfGE 25, 1
BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG
16. 3. 1971 22. 10. 1986 14. 11. 1989 12. 10. 1993 5. 2. 2002 30. 6. 2009
BVerfG BVerwG EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
6. 7. 2010 18. 2. 2008 15. 7. 1964 12. 11. 1969 6. 10. 1970 21. 6. 1974 11. 7. 1974 3. 12. 1974 4. 12. 1974
HRB 831 – SNH 3Z BR 14/92 3Z BR 380/01 VII B 225/95 II ZR 205/52 II ZR 282/55 V ZR 139/68 V ZR 10/85 I ZR 31/92 II ZR 371/98 VII ZR 370/98 II ZR 331/00 II ZR 380/00 II ZR 372/03 II ZR 3/04 II ZB 1/06 II ZR 158/06 IX ZR 227/06 1 BvL 16/60 1 BvL 5, 14/64 u. 5, 11, 12/65 1 BvR 52, 665, 667, 754/66 2 BvR 197/83 1 BvL 14/85, 1 BvR 1276/84 2 BvR 2134, 2159/92 2 BvR 305, 348/93 2 BvE 2, 5/08 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09 2 BvR 2661/06 5 C 13/07 Rs. 6/64 (Costa/ENEL) Rs. 29/69 (Stauder/Ulm) Rs. 9/70 (Grad) Rs. 2/74 (Reyners) Rs. 8/74 (Dassonville) Rs. 33/74 (van Binsbergen) Rs. 41/74 (Van Duyn)
BVerfGE 30, 292 BVerfGE 73, 339 BVerfGE 81, 70 BVerfGE 89, 155 BVerfGE 105, 17 BVerfGE 123, 267 BVerfGE 126, 286 NVwZ 2008, 686 Slg. 1964, 1251 EuR 1970, 39 Slg. 1970, 825 Slg. 1974, 631 Slg. 1974, 837 Slg. 1974, 1299 Slg. 1974, 1337
306
Entscheidungsverzeichnis
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Fundstelle
EuGH EuGH EuGH EuGH
28. 4. 1977 27. 10. 1977 9. 3. 1978 20. 2. 1979
Slg. 1977, 765 Slg. 1977, I – 1999 Slg. 1978, 629 Slg. 1979, 649
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
5. 4. 1979 18. 3. 1980 18. 3. 1980 16. 12. 1980 19. 2. 1981 14. 7. 1981 17. 12. 1981 15. 12. 1982 20. 4. 1983
EuGH EuGH EuGH EuGH
14. 7. 1983 5. 7. 1984 15. 1. 1986 28. 1. 1986
EuGH EuGH
10. 7. 1986 12. 3. 1987
EuGH EuGH EuGH
27. 9. 1988 23. 11. 1989 7. 5. 1991
EuGH
11. 6. 1991
EuGH EuGH EuGH EuGH
25. 7. 1991 25. 7. 1991 25. 7. 1991 7. 5. 1992
EuGH EuGH
4. 6. 1992 7. 7. 1992
EuGH
9. 7. 1992
EuGH EuGH
31. 3. 1993 13. 7. 1993
EuGH EuGH
24. 11. 1993 22. 3. 1994
EuGH
9. 8. 1994
Rs. 71/76 (Thieffry) Rs. 30/77 (Bouchereau) Rs. 106/77 (Simmenthal) Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Rs. 148/78 (Ratti) Rs. 91/79 (Detergenten) Rs. 92/79 (Gasöl) Rs. 27/80 (Fietje) Rs. 130/80 (Kelderman) Rs. 155/80 (Oebel) Rs. 279/80 (Webb) Rs. 286/81 (Oosthoek) Rs. 59/82 (WeinvertriebsGmbH) Rs. 174/82 (Sandoz) Rs. 238/83 (Meade) Rs. 44/84 (Hurd/Jones) Rs. 270/83 (Kommission/ Frankreich) Rs. 79/85 (Segers) Rs. 178/84 (Reinheitsgebot für Bier) Rs. 81/87 (Daily Mail) Rs. 145/88 Rs. C-340/89 (Vlassopoulou) Rs. C-300/89 (Kommission/ Rat) Rs. C-288/89 (Mediawet I) Rs. C-353/89 (Mediawet II) Rs. C-76/90 (Säger) Rs. C-104/91 (Aguire Borell) Rs. C-13/91 (Debus) Rs. C-369/90 (Micheletti u. a.) Rs. C-2/90 (Kommission/ Belgien) Rs. C-19/92 (Kraus) Rs. C-330/91 (Commerzbank) Rs. C-268/91 (Keck) Rs. C-375/92 (Kommission/ Spanien) Rs. C-51/93 (Meyhui)
Slg. 1979, 1629 Slg. 1980, 1099 Slg. 1980, 1115 Slg. 1980, 3839 Slg. 1981, 527 Slg. 1981, 1993 Slg. 1981, 3305 Slg. 1982, 4575 Slg. 1983, 1217 Slg. 1983, 2445 Slg. 1984, 2631 Slg. 1986, 29 Slg. 1986, 273 Slg. 1986, 2375 Slg. 1987, 1262 Slg. 1988, 5483 Slg. 1989, 3851 Slg. 1991, I – 2357 Slg. 1991, I – 2867 Slg. 1991, I – 4007 Slg. 1991, I – 4069 Slg. 1991, I – 4221 Slg. 1992, I – 3003 Slg. 1992, I – 3617 Slg. 1992, I – 4239 Slg. 1992, I – 4431 Slg. 1993, I – 1663 Slg. 1993, I – 4017 Slg. 1993, I – 6097 Slg. 1994, I – 923 Slg. 1994, I – 3879
307
Entscheidungsverzeichnis
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Fundstelle
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
11. 8. 1995 30. 11. 1995 1. 2. 1996 20. 6. 1996 27. 6. 1996 5. 6. 1997
Slg. 1995, I – 2493 Slg. 1995, I – 4165 Slg. 1996, I – 161 Slg. 1996, I – 2975 Slg. 1996, I – 3089 Slg. 1997, I – 3171
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
25. 6. 1997 2. 12. 1997 4. 12. 1997 28. 4. 1998 22. 10. 1998
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
19. 1. 1999 9. 3. 1999 11. 5. 1999 21. 9. 1999 21. 9. 1999 14. 9. 2000 5. 10. 2000
EuGH EuGH
11. 2. 2001 13. 3. 2001
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
22. 1. 2002 4. 6. 2002 4. 6. 2002 4. 6. 2002 5. 11. 2002 13. 5. 2003 13. 5. 2003
EuGH
23. 9. 2003
EuGH EuGH
30. 9. 2003 11. 3. 2004
EuGH EuGH
14. 10. 2004 19. 10. 2004
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
15. 3. 2005 2. 6. 2005 22. 11. 2005 13. 12. 2005 13. 12. 2005
Rs. C-80/94 (Wielockx) Rs. C-55/94 (Gebhard) Rs. C-177/94 Rs. C-418/93 (Semeraro) Rs. C-107/94 (Asscher) verb. Rs. C-64/96 und 65/96 (Uecker u. Jacquet) Rs. C-114/96 Rs. C-188/95 (Fantask) Rs. C-97/96 (Daihatsu) Rs. C-158/96 (Kohll) verb. Rs. C-10/97 bis C-22/97 (IN. CO. GE.’90 u. a.) Rs. C-348/96 (Calfa) Rs. C-212/97 (Centros) Rs. C-255/97 (Pfeiffer) Rs. C-307/97 (Saint-Gobain) Rs. C-44/98 (BASF) Rs. C-238/98 (Hocsman) Rs. C-376/98 (Deutschland/ Parlament und Rat) Rs. C-108/96 (Mac Queen) Rs. C-379/98 (PreussenElektra) Rs. C-31/00 (Dreessen) Rs. C-367/98 (Portugal) Rs. C-483/99 (Frankreich) Rs. C-503/99 (Belgien) Rs. C-208/00 (Überseering) Rs. C-463/00 (Spanien) Rs. C-98/01 (Großbritannien) Rs. C-452/01 (Ospelt und Schlössle Weissenberg) Rs. C-167/01 (Inspire Art) Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant) Rs. C-36/02 (Omega) Rs. C-200/02 (Zhu und Chen) Rs. C-209/03 (Bidar) Rs. C-174/04 (Italien) Rs. C-144/04 (Mangold) Rs. C-411/03 (SEVIC) Rs. C-446/03 (Marks & Spencer)
Slg. 1997, I – 3629 Slg. 1997, I – 6783 Slg 1997, I – 6843 Slg. 1998, I – 1938 Slg. 1998, I – 6307 Slg. 1999, I – 11 Slg. 1999, I – 1459 Slg. 1999, I – 2835 Slg. 1999, I – 6161 Slg. 1999, I – 6269 Slg. 2000, I – 6623 Slg. 2000, I – 8419 Slg. 2001, I – 837 Slg. 2001, I – 2099 Slg. 2002, I – 663 Slg. 2002, I – 4731 Slg. 2002, I – 4781 Slg. 2002, I – 4809 Slg. 2002, I – 9919 Slg. 2003, I – 4581 Slg. 2003, I – 4641 Slg. 2003, I – 9743 Slg. 2003, I – 10155 Slg. 2004, I – 2409 Slg. 2004, I – 9609 Slg. 2004, I – 9925 Slg. 2005, I – 2119 Slg. 2005, I – 4933 Slg. 2005, I – 9981 Slg. 2005, I – 10805 Slg. 2005, I – 10866
308
Entscheidungsverzeichnis
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Fundstelle
EuGH
17. 1. 2006
Slg. 2006, I – 701
EuGH EuGH EuGH
2. 5. 2006 7. 9. 2006 12. 9. 2006
EuGH EuGH
28. 9. 2006 11. 1. 2007
EuGH
7. 6. 2007
EuGH
23. 10. 2007
EuGH
6. 12. 2007
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
11. 12. 2007 18. 12. 2007 3. 4. 2008 16. 12. 2008 24. 3. 2009
EuGH
4. 6. 2009
EuGH
8. 9. 2009
EuGH EuGH EuGH EuGH EuGH
19. 1. 2010 2. 3. 2010 4. 3. 2010 8. 7. 2010 1. 3. 2011
EuGH EuGH EuGH
30. 6. 2011 10. 11. 2011 29. 11. 2011
EuGH EuGH LG Duisburg OGH OLG Düsseldorf OLG Düsseldorf
12. 7. 2012 8. 11. 2012 20. 2. 2007 15. 7. 1999 10. 9. 1998 26. 3. 2001
Rs. C-1/04 (StraubitzSchreiber) Rs. C-341/04 (Eurofood) Rs. C-470/04 (N) Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes) Rs. C-283/04 (Niederlande) Rs. C-208/05 (ITC Innovative Technology Center) verb. Rs. C-222/05 bis C-225/05 (van der Weerd u. a.) Rs. C-112/05 (VolkswagenGesetz) Rs. C-463/04 (Federconsumatori) Rs. C-438/05 (Viking Line) Rs. C-341/05 (Laval) Rs. C-346/06 (Rüffert) Rs. C-210/06 (Cartesio) Rs. C-445/06 (Danske Slagterier) Rs. C-142/05 (Mickelsson/ Roos) Rs. C-42/07 (Liga Portuguesa de Futebol Profissional u. a./Departamento de Jogos da Santa Casa da Misericórdia de Lisboa) Rs. C-555/07 (Kücükdeveci) Rs. C-135/08 (Rottmann) Rs. C-38/06 Rs. C-171/08 (Portugal II) Rs. C-236/09 (Association Belge des Consommateurs u. a.) Rs. C-262/09 (Meilicke u. a.) Rs. C-212/09 (Portugal III) Rs. C-371/10 (National Grid Indus) Rs. C-378/10 (Vale) Rs. C-244/11 (Griechenland) 7 T 269/06 6 Ob 123/99b 5 U 1/98 3 Wx 88/01
Slg. 2006, I – 3813 Slg. 2006, I – 7409 Slg. 2006, I – 7995 Slg. 2006, I – 9141 Slg. 2007, I – 181 Slg. 2007, I – 4233 Slg. 2007, I – 8995 Slg. 2007, I – 10419 Slg. 2007, I – 10779 Slg. 2007, I – 1176 Slg. 2008, I – 1989 Slg. 2008, I – 9641 Slg. 2009, I – 2119 Slg. 2009, I – 4273 Slg. 2009, I – 7698
Slg. 2010, I – 365 Slg. 2010, I – 1449 Slg. 2010, I – 1569 Slg. 2010, I – 6817 Slg. 2011, I – 773 Slg. 2011, I – 5669 Slg. 2011, I – 10889 Slg. 2011, I – 12273 ZIP 2012, 1394 EuZW 2013, 29 NZG 2007, 637 NZG 2000, 36 JZ 2000, 203 NJW 2001, 2184
309
Entscheidungsverzeichnis
Gericht
Datum
OLG Düsseldorf 22. 12. 2003 OLG Frankfurt a. M. 28. 5. 2003 OLG Hamburg 20. 2. 1986 OLG Hamburg 30. 3. 2007 OLG Hamm 30. 4. 1997 OLG Hamm 1. 2. 2001 OLG Jena 17. 12. 1997 OLG Nürnberg 7. 6. 1984 OLG Nürnberg 13. 2. 2012 OLG Zweibrücken 27. 6. 1990 OLG Zweibrücken 26. 3. 2003 OLG Zweibrücken 27. 9. 2005 OVG Münster
Aktenzeichen
Fundstelle
I-6 U 171/02 23 U 35/02 6 U 147/85 11 U 231/04 15 W 91/97 15 W 390/00 2 U 244/94 8 U 111/84 12 W 2361/11 3 W 43/90 3 W 21/03 3 W 170/05
DB 2004, 128 IPRax 2004, 56 NJW 1986, 2199 ZIP 2007, 1108 ZIP 1997, 1696 NJW 2001, 2183 IPRax 1998, 364 RIW 1985, 494 ZIP 2012, 572 NJW 1990, 3092 NZG 2003, 537 NJW-Spezial 2006, 32 NVwZ 1996, 494
19. 12. 1995 6 B 2688/95
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Sachregister Acquis communautaire (für Strukturmaßnahmen) 169 Anerkennung, gegenseitige 68 ff., 78, 89, 93 ff. Angemessenheit 42 Anknüpfungsautonomie 89, 94, 100 ff. Anknüpfungsmoment 7, 14 f., 100 Anwendungsbereich der Grundfreiheiten –– Kapitalverkehrsfreiheit 247 –– Niederlassungsfreiheit 26 ff., 30, 143, 148, 186 –– Warenverkehrsfreiheit 271 Anwendungsvorrang des Unionsrechts 27, 224 f. Arbeitnehmer 10 ff., 43, 166 f., 191 ff., 285, 289, 294, 302 Arbeitnehmerfreizügigkeit 26 ff., 75 f. Aufnahmestaat 7 Auflösung (von Gesellschaften) 16 ff., 20, 107 f., 114 f., 186 f. ausbrechender Rechtsakt 259 ff. Berufsqualifikation –– Allgemein 75 ff., –– Richtlinie 78 f. Beschränkung –– Allgemein 33, 54 f., 61, 64, 72, 85, 97, 179 ff., 184, 198 ff., 243, 247, 289 –– Rechtfertigung 32 ff., 61, 186 ff., 237 –– Verbot 30 ff., 76, 78 Binnenmarkt 93, 270 Centre of Main Interest (COMI) 119 Circulus inextricabilis 13 COMI siehe Centre of Main Interest Dassonville-Formel 72 Definitionsautonomie (s. Anknüpfungsautonomie)
Dienstleistungsfreiheit 27, 76 ff. Dienstleistungsrichtlinie 77 Diplomanerkennungsrichtlinie 77 Diskriminierungsverbot 29 ff., 40, 85 f., 253 ff., 257 Effet utile 36, 185 Eingriffsnorm 25, 119 Einheitliche Europäische Akte 270 Einzelübertragung (von Vermögensgegenständen) 174 ff. Erforderlichkeit 41 f., 198 ff. Ermächtigungsgrundlage 259, 264 EuInsVO siehe Europäische Insolvenzverordnung Europäische Insolvenzverordnung 118, 122 f. Europäischer Wirtschaftsraum 24, 59 EWR siehe Europäischer Wirtschaftsraum Existenzvernichtender Eingriff 121 Formwechsel 8 f., 133 ff. Forum shopping 280 f. Freier Warenverkehr siehe Warenverkehrsfreiheit Funktionsäquivalenz 82 Geeignetheit 41 f. Gesamtnormverweisung 11, 13, 22, 126 Gesamtrechtsnachfolge 175 ff., 179 ff., 182 f. Geschöpftheorie 45 Gesellschaft (Begriff) 28 f. Gesellschaftsstatut 17 Gläubiger 58, 189 f., 199 ff., 295 Goethe 278 Golden Shares 246 Gründungstheorie 14 ff., 57, 109 ff.
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Sachregister
Harmonisierung 69, 259, 262 ff., 270, 274 ff., 283 ff. Hegel 81, 299 Herkunftslandprinzip 67, 84 Herkunftsstaat 7 Identität –– Allgemein 173, 245 –– Korporative 104 –– Rechtliche 175 ff., 182 ff., 213 ff., 219 ff. Informationsmodell des EuGH 64, 199 Inkorporation, Ort der ursprünglichen 15, 110, 114, 125 ff., 163, 204, 229 Inländerbehandlung 86, 168, 254 f. Insolvenzrecht 122, 280 f. Kapitalverkehrsfreiheit 247 ff. Keck-Formel 271 f. Kohärenz der EuGH-Rechtsprechung 234 ff., 249 Kollisionsrecht 8, 10 f., 100 Kollisionsnorm, Niederlassungsfreiheit als versteckte 227 ff. Kompetenzzuweisungsnorm, Grundfreiheiten als 80 ff., 124 Liquidation von Gesellschaften siehe Auflösung Marktzugang 32, 78 Minderheitsgesellschafter siehe Gesellschafter Missbrauch (der Niederlassungsfreiheit) 33 f., 187 Mitbestimmung 140, 192 ff., 285 ff. Mobilitätskomponente 151 ff. Modalitäten –– der Berufsausübung 78 –– der Sitzverlegung 106 f., 236 f. Modifizierte Sitztheorie 211 MoMiG 21, 293 Negierung der Niederlassungsfreiheit 61 f., 164 Nichtigkeit (von Gesellschaften) 17 Niederlassungsfreiheit 26 ff., 87 ff.
Obiter dictum 130 ff. Öffentliche Sicherheit und Ordnung 33 Olson-Problem 297 ff. Ordre public 121, 192 ff., 282 Parteiautonomie 83 Produktqualifikation 68 f. Qualifikationsstandard 69, 92, 102 Rahmenbedingung 73, 85 f., 129 Rechtfertigung (von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit) siehe Beschränkung Rechtsträgeridentität 175 ff., 182 ff. Rechtswahlfreiheit 82 f., 140 f., 275 Registereintragung 91, Regulatorischer Dualismus 297 ff. Regulatorische Dialektik 299 ff. Renvoi (s. Rückverweisung) Rückverweisung 11, 13 Sachnormverweisung 11 Sachrecht 5 Satzungssitz –– Begriff 14 ff., 109 –– Verlegung 107 Sitztheorie 12 ff. Sitzverlegung 6 ff., Sitzverlegungsrichtlinie 159, 178 Sonderanknüpfung 25, 63, 119 Spaltung 134 Staatsangehörigkeit 240 ff. Statutenverdoppelung 96, 117, 222 Statutenwechsel 13 Székhely 48 ultra vires-Akt 258 Umqualifizierung (von Gesellschaften) 24 f., 95 f., 210 Umwandlung (Begriff) 5, 133 ff. Unionsbürgerschaft 244 ff. Vereinigungstheorie 161 Verfahren (einer Umwandlung) 166 ff. Verhältnismäßigkeit 41 f. Verkaufsmodalitäten 31, 84 Verschmelzung 40, 143 f., 148
Sachregister
Verwaltungssitz –– Begriff 12, 155 –– Verlegung 106 f., 236 f. Voraussetzungen (einer Umwandlung) 162 ff. Warenverkehrsfreiheit 68, 92 Wegzug –– Allgemein 107 –– Rechtsformwahrend 107 ff.,
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–– Rechtsformwechselnd 136 ff. Weiterverweisung 11 Wettbewerb der Rechtsordnungen 290 ff. Wirkungen (einer Umwandlung) 172 ff. Zuzug –– Rechtsformwahrend 56 ff. –– Rechtsformwechselnd 202 ff. zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses 35, 61 ff., 194