Die Würde der Pflanze: Ein sinnvolles ethisches Prinzip im Kontext der Grünen Gentechnik? 9783495860052, 9783495484067


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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Zielsetzung
2 Die Würde der Pflanze? – Genese einer Frage
2.1 Der Schweizerische Verfassungsbegriff Würde der Kreatur – Ausgangspunkt der Diskussion um die Würde der Pflanze
2.2 Die Bedeutung des Verfassungsbegriffs Würde der Kreatur für den Umgang mit Pflanzen – Ein erster Zwischenstand
2.2.1 Die Würde der Kreatur bezieht sich auch auf Pflanzen
2.2.2 Die Achtung vor der Würde der Kreatur fordert, auch Pflanzen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen
2.3 Die Stellung der Pflanze in der Hierarchie des Organischen
2.4 Die Tradition der hierarchischen Naturinterpretation in der Debatte um den moralischen Status der Pflanzen
2.4.1 Die öffentliche Ökologiedebatte – Ein Anstoß zum Umdenken
2.4.2 Auswirkungen der Ökologiedebatte auf die Haltung gegenüber Pflanzen
2.5 Über die Schmerz- und Leidensfähigkeit hinaus
2.6 Die Rezeption der Würde der Pflanze in der Debatte um die Würde der Kreatur 1992–2009
2.6.1 Die BUWAL-Gutachten zur Würde der Kreatur
2.6.2 Die Stellungnahmen der EKAH
2.6.3 Über die Auslegung des Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur hinaus
2.6.4 Fazit
3 Direkte moralische Berücksichtigung von Pflanzen?
3.1 Unbegreifliche Andersartigkeit
3.2 Die Subjektivität von Pflanzen
3.3 Das verletzbare eigene Gut von Pflanzen
3.3.1 Die Rede vom eigenen Gut ist auf Individuen beschränkt
3.3.2 Individuelle Würde für Pflanzen?
3.3.2.1 Der Individualitätsbegriff in der biologischen Terminologie
3.3.2.2 Philosophische Konzeptionen von Individualität
3.3.2.3 Ergebnis
3.4 Fazit
4 Verpflichtungsgrund zur direkten moralischen Berücksichtigung von Pflanzen?
4.1.1 Der Mensch verdankt sich der Natur
4.1.2 Die Güte der Schöpfung
4.1.3 Gleichstellung von Mensch und nichtmenschlichen Lebewesen
4.1.3.1 Die Universalität des genetischen Codes
4.1.3.2 Die Selbstzwecklichkeit als Merkmal der Lebewesen
4.1.3.3 Keine mit der Menschenwürde vergleichbare Würde für Pflanzen
4.1.4 Menschenwürde
4.2 Fazit
5 Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen?
5.1 Zuerkennung von Würde für Pflanzen?
5.2 Pflanzenwürde als moralische Überforderung?
5.3 Fazit
6 Die Würde der Pflanze – Konkretisierung
6.1 Vorschlag einer Konzeption von Pflanzenwürde
6.2 Verortung
6.3 Was macht das eigene Gut der Pflanzen aus?
6.3.1 Funktionen und Fähigkeiten, die ein Lebewesen einer bestimmten Art im Regelfall ausüben kann
6.3.2 Integrität
6.3.2.1 In welcher Beziehung zueinander stehen Würde und Integrität?
6.3.2.2 Um wessen Integrität geht es?
6.3.2.3 Integrität und Eigenart
6.3.2.4 Integrität des Individuums als Bedingung zur Verwirklichung des eigenen Gutes
6.4 Fazit
7 Wie man gegen die Würde der Pflanze verstoßen kann
7.1 Verletzungen der Integrität pflanzlicher Lebewesen
Exkurs: Unterschiede im Umgang mit Pflanzen und Tieren
7.2 Verstöße gegen die Würde der Pflanze bei gentechnischen Eingriffen
7.2.1 Eine kurze Einführung zur Gentechnik
7.2.1.1 Begriffsbestimmung
7.2.1.2 Methoden der gentechnischen Veränderung von Pflanzen
7.2.1.3 Einsatz von in-vitro Kulturtechniken
7.2.1.4 Zielsetzungen der gentechnischen Veränderung von Pflanzen
7.2.2 Die Gentechnik – ein Sonderfall?
7.2.2.1 Beurteilung hinsichtlich des gentechnischen Zugriffs auf Pflanzen
7.2.2.2 Beurteilung hinsichtlich der Folgen des Eingriffs für die gentechnisch veränderte Pflanze
7.2.3 Fallbeispiel für einen Input-Trait: Bt-Mais
7.2.3.1 Hintergründe und Methode
7.2.3.2 Bewertung
7.2.4 Fallbeispiel für einen Output-Trait: Die Kartoffelsorte »Amflora«
7.2.4.1 Hintergründe und Methode
7.2.4.2 Bewertung
7.2.5 Fallbeispiel: »Terminatortechnologie«
7.2.5.1 Hintergründe und Methoden
7.2.5.2 Kritik an der »Terminatortechnologie«
7.2.5.3 Integrität und Fortpflanzungsfähigkeit
7.2.5.4 Eine Richtigstellung
7.2.5.5 Bewertung
7.3 Fazit
8 Zusammenfassung
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Gesetzestexte
Internetquellen
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Die Würde der Pflanze: Ein sinnvolles ethisches Prinzip im Kontext der Grünen Gentechnik?
 9783495860052, 9783495484067

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https://doi.org/10.5771/9783495860052 .

Sabine Odparlik Die Würde der Pflanze

ANGEWANDTE ETHIK

A

https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

2014

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Der Ausdruck der Würde der Kreatur fand Eingang in die Bioethik im Zusammenhang mit der Frage, ob sich gentechnische Veränderungen nichtmenschlicher Lebewesen aus Gründen der moralischen Rücksichtnahme auch dann verbieten, wenn der entsprechende Eingriff nicht mit Leiden und Schmerzen bei dem betroffenen Individuum verbunden ist. Stellt sich vor diesem Hintergrund nicht die Frage, ob das Konzept der Würde der Kreatur nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Pflanzen angewendet werden sollte. Basierend auf der Analyse der Diskussion um die Würde der Pflanze widmet sich diese Studie der Frage, ob der Begriff der Würde sinnvoll mit Bezug auf pflanzliche Lebewesen verwendet werden kann. Das erfolgt in Auseinandersetzung mit der vielfach geäußerten Kritik zu diesem Konzept. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung wird eine eigene Konzeption pflanzlicher Würde entwickelt. Anschließend wird dargelegt, inwiefern diese der ethischen Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik dienlich sein kann.

Die Autorin: Sabine Odparlik, geb. 1975, Studium der Biologie und Humanbiologie an den Universitäten Halle und Greifswald, 2004 Diplom, 2009 Promotion, seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Ethik in den Wissenschaften der Universität Jena.

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2014

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Sabine Odparlik

Die Würde der Pflanze Ein sinnvolles ethisches Prinzip im Kontext der Grünen Gentechnik?

Verlag Karl Alber Freiburg / München

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2014

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ANGEWANDTE ETHIK Herausgegeben von Nikolaus Knoepffler, Peter Kunzmann, Reinhard Merkel, Ingo Pies und Anne Siegetsleitner Wissenschaftlicher Beirat: Reiner Anselm, Carlos Maria Romeo Casabona, Klaus Dicke, Matthias Kaufmann, Jürgen Simon, Wilhelm Vossenkuhl, LeRoy Walters Band 12

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48406-7

(Print)

ISBN 978-3-495-86005-2 (E-Book) https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Für meinen Mann Andreas und meine Kinder

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Vorwort

Seitdem sich die Schweizer für die Aufnahme des Begriffs der Würde der Kreatur in ihre Bundesverfassung entschieden haben, wird er auch außerhalb Schweizer Grenzen immer wieder in Anschlag gebracht, um den gentechnischen Zugriff auf nichtmenschliche Lebewesen zu begrenzen. Das gilt nicht nur für den Umgang mit Tieren, sondern zunehmend auch für die gentechnische Veränderung pflanzlicher Lebewesen. Eine solche Erweiterung erscheint sinnvoll, insofern Verstöße gegen die Würde des Tieres auch dann vermutet werden, wenn die entsprechenden Eingriffe bei den betroffenen Individuen weder Schmerz noch Leid verursachen oder dieses sogar zu mindern suchen. Allerdings erscheint die Idee einer Würde der Pflanze aus verschiedenen Gründen vielen auch recht befremdlich, ja sogar lächerlich. Das verdeutlicht besonders die z. T. recht schadenfroh aufgenommene Verleihung des »Ig Nobel Peace Prize« an die Schweizerische Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich im Oktober 2008 »for adopting the legal principle that plants have dignity.« Obwohl es bei dieser Preisverleihung darum geht, ungewöhnliche, ja skurrile Forschungsvorhaben auszuzeichnen, streben die Organisatoren keineswegs an, die jeweiligen Arbeiten der Lächerlichkeit preiszugeben. Ihr Ziel besteht vielmehr darin, »[to] honor achievements that first make people laugh, and then make them think.« Dass die Idee einer Würde der Pflanze durchaus geeignet ist, über das in unserer Kultur übliche Verhältnis zu pflanzlichen Lebewesen neu nachzudenken, ist ein Ergebnis dieser Studie. Darüber hinaus wird eine Konkretisierung dieses Konzepts vorgeschlagen und dargelegt, ob und wie es als ethisches Prinzip Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik dienen kann. Entstanden ist diese als Promotionsvorhaben im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts »Würde in der Gentechnologie«. Mein besonderer Dank gilt daher dem BMBF und dem Leiter der Nachwuchsforschergruppe 7 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Vorwort

Prof. Dr. Peter Kunzmann. Letzterer hat mich über die Jahre der Entstehung dieser Arbeit wohlwollend begleitet, gefördert und immer wieder im positiven Sinne herausgefordert. Außerdem gilt mein Dank dem Leiter des Projekts Prof. Dr. mult. Nikolaus Knoepffler, der dieses initiiert und mit viel Interesse verfolgt und unterstützt hat. Ein herzliches Dankeschön richte ich auch an meine Kollegen am Lehrstuhl für Angewandte Ethik Jena, welche durch ein freundliches, einander wohlgesonnenes Miteinander, aber auch durch kritische Diskussionen eine Atmosphäre schaffen, in der sowohl persönliche als auch wissenschaftliche Weiterentwicklung möglich ist. Und nicht zuletzt ein herzliches Dankeschön an Frau Christiane Burmeister, Herrn Johannes Achatz und Frau Maximiliane Theml für die Korrektur des Manuskripts. Jena, im April 2010

Sabine Odparlik

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . .

13

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Die Würde der Pflanze? – Genese einer Frage

. . . . .

17

2.1 Der Schweizerische Verfassungsbegriff Würde der Kreatur – Ausgangspunkt der Diskussion um die Würde der Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Bedeutung des Verfassungsbegriffs Würde der Kreatur für den Umgang mit Pflanzen – Ein erster Zwischenstand . 2.2.1 Die Würde der Kreatur bezieht sich auch auf Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Achtung vor der Würde der Kreatur fordert, auch Pflanzen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Stellung der Pflanze in der Hierarchie des Organischen 2.4 Die Tradition der hierarchischen Naturinterpretation in der Debatte um den moralischen Status der Pflanzen . . . . . 2.4.1 Die öffentliche Ökologiedebatte – Ein Anstoß zum Umdenken . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Auswirkungen der Ökologiedebatte auf die Haltung gegenüber Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Über die Schmerz- und Leidensfähigkeit hinaus . . . . . . 2.6 Die Rezeption der Würde der Pflanze in der Debatte um die Würde der Kreatur 1992–2009 . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Die BUWAL-Gutachten zur Würde der Kreatur . . 2.6.2 Die Stellungnahmen der EKAH . . . . . . . . . . . 2.6.3 Über die Auslegung des Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur hinaus . . . . . . . . . . . . . 2.6.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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Direkte moralische Berücksichtigung von Pflanzen? . . .

3.1 Unbegreifliche Andersartigkeit . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Subjektivität von Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das verletzbare eigene Gut von Pflanzen . . . . . . . . . 3.3.1 Die Rede vom eigenen Gut ist auf Individuen beschränkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Individuelle Würde für Pflanzen? . . . . . . . . . . 3.3.2.1 Der Individualitätsbegriff in der biologischen Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Philosophische Konzeptionen von Individualität . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.3 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verpflichtungsgrund zur direkten moralischen Berücksichtigung von Pflanzen? . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Der Mensch verdankt sich der Natur . . . . . . . . 4.1.2 Die Güte der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . .

4.1.3 Gleichstellung von Mensch und nichtmenschlichen Lebewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.1 Die Universalität des genetischen Codes . . 4.1.3.2 Die Selbstzwecklichkeit als Merkmal der Lebewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3.3 Keine mit der Menschenwürde vergleichbare Würde für Pflanzen . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen? . . . . . . 111

5.1 Zuerkennung von Würde für Pflanzen? . . . . . . . . . . 5.2 Pflanzenwürde als moralische Überforderung? . . . . . . 5.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Würde der Pflanze – Konkretisierung . . . . . . . . 119

6.1 Vorschlag einer Konzeption von Pflanzenwürde . . . . . . 6.2 Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Was macht das eigene Gut der Pflanzen aus? . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

6.3.1 Funktionen und Fähigkeiten, die ein Lebewesen einer bestimmten Art im Regelfall ausüben kann . . . . . 6.3.2 Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2.1 In welcher Beziehung zueinander stehen Würde und Integrität? . . . . . . . . . . . 6.3.2.2 Um wessen Integrität geht es? . . . . . . . 6.3.2.3 Integrität und Eigenart . . . . . . . . . . . 6.3.2.4 Integrität des Individuums als Bedingung zur Verwirklichung des eigenen Gutes . . . . . 6.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wie man gegen die Würde der Pflanze verstoßen kann . 137

7.1 Verletzungen der Integrität pflanzlicher Lebewesen . . . Exkurs: Unterschiede im Umgang mit Pflanzen und Tieren . . 7.2 Verstöße gegen die Würde der Pflanze bei gentechnischen Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Eine kurze Einführung zur Gentechnik . . . . . . . 7.2.1.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . 7.2.1.2 Methoden der gentechnischen Veränderung von Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1.3 Einsatz von in-vitro Kulturtechniken . . . 7.2.1.4 Zielsetzungen der gentechnischen Veränderung von Pflanzen . . . . . . . . . 7.2.2 Die Gentechnik – ein Sonderfall? . . . . . . . . . . 7.2.2.1 Beurteilung hinsichtlich des gentechnischen Zugriffs auf Pflanzen . . . . . . . . . . . . 7.2.2.2 Beurteilung hinsichtlich der Folgen des Eingriffs für die gentechnisch veränderte Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Fallbeispiel für einen Input-Trait: Bt-Mais . . . . . 7.2.3.1 Hintergründe und Methode . . . . . . . . 7.2.3.2 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Fallbeispiel für einen Output-Trait: Die Kartoffelsorte »Amflora« . . . . . . . . . . . . 7.2.4.1 Hintergründe und Methode . . . . . . . . 7.2.4.2 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Fallbeispiel: »Terminatortechnologie« . . . . . . . . 7.2.5.1 Hintergründe und Methoden . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

. . . . 7.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5.2 7.2.5.3 7.2.5.4 7.2.5.5

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Kritik an der »Terminatortechnologie« Integrität und Fortpflanzungsfähigkeit Eine Richtigstellung . . . . . . . . . Bewertung . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Gesetzestexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Internetquellen

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1 Einleitung und Zielsetzung

Seitdem die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik im Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise angekommen sind, wird zunehmend diskutiert, ob sich derartige Eingriffe in Lebewesen aus Gründen der moralischen Rücksichtnahme gegenüber nichtmenschlichen Organismen auch dann verbieten oder zumindest gerechtfertigt werden sollten, wenn diese nicht mit Schmerzen oder Leiden bei den betroffenen Individuen verbunden sind. Im deutschsprachigen Raum werden diese Bedenken vorzugsweise mit dem Verweis auf die Würde der entsprechenden Lebewesen ausgedrückt. In diesem Zusammenhang wird dieser Ausdruck folglich nicht mehr allein auf Menschen angewendet. Als ein besonders prominentes Beispiel ist hier der Schweizerische Verfassungsbegriff der Würde der Kreatur zu nennen. Dieser fand 1992 im Rahmen eines Artikels zur Regelung von Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie per Volksabstimmung Eingang in die eidgenössische Bundesverfassung. Wird angesichts der gentechnischen Möglichkeiten vom bisher allgemeine Akzeptanz findenden pathozentrischen Paradigma abgerückt, so stellt sich die Frage, ob vor diesem Hintergrund nicht auch Pflanzen zum Kreis der direkt moralisch zu berücksichtigenden Lebewesen gezählt werden müssten. Verschiedene Gutachter des Schweizerischen Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur kamen jedenfalls zu dem Schluss, dass sich dieser Ausdruck nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Pflanzen beziehe. Während sich der Begriff der Würde der Tiere in der Folgezeit immer größerer Beliebtheit erfreute und zu einem vieldiskutierten Ausdruck wurde, ist die Würde der Pflanze in den bioethischen Debatten bis heute ein Randthema. Nur wenige Autoren haben sich bisher mit diesem Begriff beschäftigt und wo er thematisiert wird, stößt er vorwiegend auf deutliche Vorbehalte. Diese erschweren eine intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept der pflanzlichen Würde und 13 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Einleitung und Zielsetzung

demzufolge auch dessen Weiterentwicklung. Die Diskussion über den Sinn und die Bedeutung der Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen ist daher nach wie vor defizitär. So gelang es bisher auch nicht, auf der Grundlage des Konzepts der Würde der Pflanze allgemein anerkannte Kriterien für den Umgang mit Pflanzen im Rahmen gentechnischer Eingriffe zu entwickeln. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke. Vor dem Hintergrund der Analyse der Diskussion um die Würde der Pflanze widmet sie sich angesichts der vielfach geäußerten Kritik zu diesem Konzept zuerst der Frage, ob der Begriff der Würde sinnvoll in Bezug auf pflanzliche Lebewesen verwendet werden kann. Ausgangspunkt und Grundlage dieser und der folgenden Überlegungen ist die These, dass sich mit dem Begriff der Würde der Pflanze der Anspruch verbindet, pflanzliche Lebewesen auch um ihrer selbst willen und nicht allein um menschlicher Interessen willen moralisch zu berücksichtigen. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchung wird eine eigene Konzeption pflanzlicher Würde entwickelt. Anschließend wird anhand einiger Fallbeispiele dargelegt, inwiefern diese der ethischen Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik, welche hier eingeschränkt auf den gentechnischen Umgang mit Pflanzen verstanden wird, dienlich sein kann. Die bioethische Literatur, welche sich explizit mit der Würde der Pflanze auseinandersetzt, ist noch recht überschaubar. In der Mehrzahl der Beiträge zur Würde nichtmenschlicher Lebewesen werden Beispiele aus dem Tierreich bevorzugt, um die jeweilige Konzeption näher zu erläutern. Gleichwohl gibt es eine Reihe an Autoren aus Philosophie, Theologie, Biologie und Rechtswissenschaft, welche die Pflanzen ganz selbstverständlich dem Schutzbereich einer Würde nichtmenschlicher Lebewesen zuordnen. Daher sollen im Folgenden zur Analyse der Diskussion um Sinn, Bedeutung und Implikation der Würde der Pflanze nicht nur solche Texte untersucht werden, die sich auf Überlegungen zu genau diesem Begriff konzentrieren, sondern auch solche, die sich allgemeiner mit der Würde nichtmenschlicher Lebewesen beschäftigen, diese aber auch auf Pflanzen bezogen verstanden wissen wollen. Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch die Argumente erwogen werden, welche gegen die direkte moralische Berücksichtigung von Pflanzen sprechen, werden selbstverständlich auch die entsprechenden Beiträge in die Analyse einbezogen. Naturwissenschaftliche Beobachtungen lassen keinen Schluss auf 14 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Einleitung und Zielsetzung

ethische Prinzipien zu. Dennoch ist es für die vorliegende Studie zwingend erforderlich, nicht nur Texte aus dem bioethischen Bereich, sondern auch naturwissenschaftliche Publikationen zu Rate zu ziehen, um die Stichhaltigkeit der verschiedenen, in der Diskussion um die Pflanzenwürde vorgelegten Argumente überprüfen zu können. Gleiches gilt auch für die Erarbeitung einer eigenen Konzeption der Würde der Pflanze, welche sich im Rahmen der ethischen Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik als fruchtbar erweisen soll. Gerade in den letzten Jahren wurden erstaunliche pflanzenphysiologische Beobachtungen veröffentlicht, welche vermuten lassen, dass die bisher gängigen Vorstellungen über die Lebensweise von Pflanzen nicht in jeder Hinsicht haltbar sind. Wenn angesichts des Konzepts der Würde der Pflanze darüber nachgedacht wird, ob pflanzliche Lebewesen für eine direkte moralische Berücksichtigung in Frage kommen, können solche Forschungsergebnisse nicht außer Acht gelassen werden. Darüber hinaus besteht auch für die ethische Bewertung gentechnischer Eingriffe in Pflanzen die Notwendigkeit, auf die entsprechende Sachkenntnis über die Möglichkeiten des technisch-züchterischen Umgangs mit diesen Lebewesen zurückzugreifen. Nach der Charakterisierung des Untersuchungsvorhabens werden abschließend nun die einzelnen Arbeitsschritte skizziert: Das auf die Einleitung folgende 2. Kapitel der vorliegenden Studie ist überwiegend von deskriptivem Charakter, insofern hier die Inhalte der Debatten um die Würde der Pflanze in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext vorgestellt werden. Wesentlich für die Überlegungen der sich anschließenden Kapitel ist vor allem das Ergebnis der Analyse der verschiedenen Gutachten zur Bedeutung des Schweizerischen Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur. Vor dem Hintergrund der hierarchischen Naturinterpretation und der Beobachtung, dass die Frage nach den Prinzipien des moralisch richtigen Umgangs mit Pflanzen in den bioethischen Debatten auch nach der Einführung des neuen Verfassungsbegriffs ein Randthema bleibt, wird zusätzlich die Relevanz des vorliegenden Untersuchungsvorhabens dargelegt. Das Kapitel 3 geht von der Auffassung der Verteidiger der Würde der Pflanze aus, dass sich mit diesem Begriff die Forderung verbindet, Pflanzen um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen. Da diese Möglichkeit vielfach bestritten wird, wird in diesem Abschnitt der 15 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Einleitung und Zielsetzung

Frage nachgegangen, ob und, wenn ja, wie Pflanzen hinsichtlich ihrer Lebensweise für eine direkte moralische Berücksichtigung in Frage kommen. Es wird sich zeigen, dass die Rede von der Würde der Pflanze sachgemäß ist, so dass die Forderung nach ihrer direkten moralischen Berücksichtigung mit Blick auf die pflanzlichen Lebewesen eingelöst werden kann. In Kapitel 3 wird allerdings nicht die Frage geklärt, ob sich auch eine Pflicht zur Achtung vor der Würde der Pflanze begründen lässt. Diese zu erörtern, ist die Aufgabenstellung des Kapitels 4. Da sich die Begründungsvorschläge einiger Autoren im Rahmen einer Strategie der Gleichstellung von Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen bewegen, wird in diesem Abschnitt auch das Verhältnis von Pflanzenwürde und Menschenwürde thematisiert. Mit Verweis auf die Ergebnisse der Untersuchungen der Kapitel 3 und 4 kann aufgezeigt werden, dass die Idee der Würde der Pflanze als ethisches Konzept durchaus in Frage kommt. Damit ist allerdings nicht geklärt, ob die Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen geeignet ist, um dem damit verbundenen Anspruch Ausdruck zu verleihen. Dieses zu untersuchen ist Gegenstand des Kapitels 5. In diesem Zusammenhang wird auch danach gefragt, ob eine derartige Verwendung des Würdebegriffs nicht notwendig zu einer moralischen Überforderung der auf pflanzliche Produkte zwingend angewiesenen Menschen führt. Im Kapitel 6 wird auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungsergebnisse eine eigene Konzeption pflanzlicher Würde vorgeschlagen. Die Konkretisierung des Begriffs dient dem Ziel, ihn für die ethische Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik fruchtbar zu machen. Da der Begriff der Würde der Pflanze im Rahmen der Frage nach der Bewertung gentechnischer Eingriffe in Lebewesen Eingang in die bioethischen Debatten fand, widmet sich das 7. Kapitel der Frage, wie Verfahren der Grünen Gentechnik im Lichte der hier vorgeschlagenen Konzeption der Pflanzenwürde bewertet werden können. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, ob angesichts der Würde der Pflanze ein wesentlicher Unterschied zwischen konventioneller und gentechnischer Pflanzenzüchtung besteht. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird anhand einiger prominenter Fallbeispiele aus dem landwirtschaftlichen Bereich dargestellt, wann ein Verfahren der Grünen Gentechnik im Lichte der Pflanzenwürde als problematisch zu bewerten ist. 16 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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2 Die Würde der Pflanze? – Genese einer Frage

2.1 Der Schweizerische Verfassungsbegriff Würde der Kreatur – Ausgangspunkt der Diskussion um die Würde der Pflanze Die derzeitige Diskussion um die Würde der Pflanze nahm ihren Ausgang in der Debatte um die Bedeutung des schweizerischen Verfassungsbegriffs Würde der Kreatur. Dieser fand am 17. Mai 1992 im Rahmen einer Volksabstimmung, welche positiv über die Aufnahme eines Artikels zur Regelung von Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin entschied, Eingang in die Schweizerische Bundesverfassung (SBV). 1 Im Absatz 1 des neu verabschiedeten Art. 24novies SBV wird die allgemeine, Mensch und Umwelt umfassende Zielnorm, nämlich der Schutz gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie, formuliert. Bestimmungen für den Humanbereich folgen in Absatz 2. Der Absatz 3 schließlich gilt den nichtmenschlichen Lebewesen: »Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten.« 2 Mit der Zustimmung zum Art. 24novies SBV drückten Volk und Stände ihren Wunsch aus, dass nicht nur Menschen vor nicht wünschenswerten fortpflanzungs- und gentechnischen Zugriffen geschützt werden sollten, sondern darüber hinaus auch die nichtmenschlichen Lebewesen. Die Pflanzen werden laut Verfassungstext dabei explizit eingeschlossen. Ob sich aus dem Aufbau des Art. 24novies Abs. 3 SBV Zur Genese des Art. 24novies SBV vgl. Krepper 1998, 283–289; Baranzke 2002, 15– 32. 2 Zit. n. Krepper 1998, 355. 1

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Die Würde der Pflanze? – Genese einer Frage

selbstverständlich ergibt, dass der Begriff der Würde der Kreatur auf Pflanzen zu beziehen ist, war nach seiner Verabschiedung allerdings noch nicht gesichert. Ebenso ungeklärt wie die Reichweite des neuen Verfassungsbegriffs war seine Bedeutung. Verschiedene Gründe für die Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung der Würde der Kreatur wurden genannt. So stellen Praetorius und Saladin z. B. fest, dass der Ausdruck vor der Abstimmung über den Art. 24novies SBV – mit Ausnahme der Aargauer Kantonsverfassung – keinen Eingang in Rechtstexte des In- und Auslandes gefunden hatte. 3 Auf eine schon bestehende Rechtspraxis, welche seine Bedeutung hätte erhellen können, konnte also nicht zurückgegriffen werden. 4 Viel entscheidender mag aber gewesen sein, dass der Begriff in der Debatte um die Formulierung des Art. 24novies SBV von den beteiligten Interessengruppen sehr unterschiedlich gefüllt wurde. Heike Baranzke unterscheidet hierbei drei Fraktionen. Deren mit dem neuen Verfassungsartikel verfolgten Ziele waren nicht immer deckungsgleich, teilweise standen sie sogar in Konkurrenz zueinander. Den unterschiedlichen Interessen entsprechend gestalten sich die jeweiligen Konzeptionen des Begriffs der Würde der Kreatur: So stand für die, bei Baranzke so bezeichnete, »anthropozentrische Fraktion« 5 eher der Schutz des Menschen vor gentechnischen und fortpflanzungsmedizinischen Eingriffen im Mittelpunkt. Die Würde der Kreatur wurde hier, wenn überhaupt anerkannt, nur als untergeordneter Gegenbegriff zur Menschenwürde verstanden. Die »Tierschutzfraktion« 6 dagegen »versteht den Kreaturbegriff als auf die Tiere begrenzt.« 7 Für beide Fraktionen dürften Pflanzen in ihren Überlegungen wohl kaum eine Rolle gespielt haben. Anders verhält es sich allerdings bei der so genannten »ganzheitlichen Fraktion«, 8 welche »aus unterschiedlichen Motiven und Gründen« 9 eine Regelung für alle Lebewesen, also auch Pflanzen, anstrebte. Die Frage, was der Gesetzgeber mit dem neuen Verfassungsbegriff genau gemeint haben könnte, lässt sich aus der Genese des

3 4 5 6 7 8 9

Praetorius et al. 1996, 60. Vgl. Praetorius et al. 1996, 83. Baranzke 2002, 31. Baranzke 2002, 31. Baranzke 2002, 31. Baranzke 2002, 31. Baranzke 2002, 31.

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Die Bedeutung des Verfassungsbegriffs Würde der Kreatur

Art. 24novies SBV also nicht einfach ablesen. 10 Gleiches lässt sich hinsichtlich seines Aufbaus sagen, 11 welcher durch seinen Kompromisscharakter ebenfalls die Beteiligung verschiedener Interessengruppen widerspiegelt. 12

2.2 Die Bedeutung des Verfassungsbegriffs Würde der Kreatur für den Umgang mit Pflanzen – Ein erster Zwischenstand Ohne das Wissen um die Reichweite und den Inhalt des Begriffs der Würde der Kreatur gestaltete sich die Konkretisierung des entsprechenden Verfassungsartikels auf der Gesetzesebene schwierig. Daher waren und sind seit der Aufnahme des neuen Verfassungsartikels 13 verschiedene Gremien damit beschäftigt, ein justiziables oder ethisch verbindliches Verständnis der Würde der Kreatur zu entwickeln. Als herausragend darf hier die Interdepartementale Arbeitsgruppe Gentechnologie (IDAGEN) genannt werden, die bereits im Juli 1992 vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) eingesetzt wurde. Ihre Aufgabe war es, ein Programm über die im Bereich der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie erforderlichen Rechtssetzungsmaßnahmen zu erarbeiten. Im Januar 1993 legte die IDAGEN ihren Bericht vor, in dem sie sich auch zur Reichweite des Begriffs der Würde der Kreatur äußerte. Wichtige Diskussionsbeiträge stellen auch die vom Bundesministerium für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) 14 finanzierten Gutachten von Praetorius und Saladin sowie Balzer, Rippe und Schaber dar, die 1996 und 1998 publiziert wurden. Ab 1998 folgten die Stellungnahmen der im April desselben Jahres vom Bundesrat eingesetzten Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH). 15 In diesen widmet sich die EKAH immer wieder der Auslegung und Konkretisierung des BeVgl. Praetorius et al. 1996, 80. Vgl. Praetorius et al. 1996, 83. 12 Baranzke 2002, 36 bis 47. 13 Seit der Verfassungsnovellierung am 18. April 1999 findet sich der 3. Absatz des Art. 24novies SBV im Wortlaut unverändert im Art. 120 Abs. 2 SBV wieder. 14 Seit der Fusion des BUWAL mit dem Bundesamt für Wasser und Geologie im Jahre 2006, wird es unter dem Namen »Bundesamt für Umwelt« (BAFU) geführt. 15 Zum Zeitpunkt ihrer Gründung nannte sich die EKAH »Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnologie im ausserhumanen Bereich.« 10 11

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griffs der Würde der Kreatur, wie es ihrem Aufgabenbereich entspricht. 16 Vergleicht man die verschiedenen Auslegungen, zeichnet sich nach wie vor kein klares Bild davon ab, wie die Würde der Kreatur genau zu konkretisieren ist. Gleichwohl finden sich tendenziell einige Übereinstimmungen in der Interpretation, welche hinsichtlich der Bedeutung des neuen Verfassungsbegriffs für den Umgang mit pflanzlichen Lebewesen interessant sind. Diese betreffen sowohl die Reichweite des Ausdrucks Würde der Kreatur als auch seine Funktion.

2.2.1 Die Würde der Kreatur bezieht sich auch auf Pflanzen Die Ergebnisse der verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen, die mit der Auslegung des Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur beauftragt wurden, entsprechen einander in der Feststellung, dass sich der Ausdruck nicht nur auf die Tiere, sondern auch auf die Pflanzen bezieht. Bereits die Interdepartementale Arbeitsgruppe Gentechnologie schreibt in ihrem Bericht, dass sich aus der Analyse des Art. 24novies Abs. 3 SBV ergibt, dass sich »Kreatur« nicht nur auf Tiere, sondern auch auf Pflanzen bezieht. 17 Die Gutachter Praetorius und Saladin folgen der IDAGEN in dieser Einschätzung, denn auch für sie ergibt die systematische Analyse des entsprechenden Absatzes, »dass ›Kreatur‹ ›Tiere und Pflanzen‹ bedeuten muss.« 18 Zwar geben sie zu, dass ihr Ergebnis aufgrund der Architektonik des Verfassungsartikels auf »wackeligen interpretatorischen Füßen steht«, 19 beziehen diese Unsicherheiten aber nur auf die Frage, ob auch die nichtmenschlichen Lebewesen, welche weder Pflanzen noch Tiere sind, als »Kreatur« im Sinne des Gesetzgebers zu verstehen sind. Ganz ähnlich äußern sich die Autoren des zweiten Gutachtens Balzer, Rippe und Schaber: »Der Verfassungsgeber anerkennt in Art. 24novies Abs. 3 SBV moralische Pflichten gegenüber Kreaturen. 16 17 18 19

EKAH 1998, 1. IDAGEN 1993, 33. Praetorius et al. 1996, 82 f. Praetorius et al. 1996, 83.

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Die Bedeutung des Verfassungsbegriffs Würde der Kreatur

Unter den Kreaturbegriff fallen Tiere, Pflanzen und (vielleicht) einige andere nicht-empfindungsfähige Lebewesen.« 20 Offensichtlich teilen sie also Praetorius und Saladins Auffassung: »Würde ist gewiss den Tieren und Pflanzen zuerkannt.« 21 Die Mitglieder der EKAH lassen sich mehrheitlich von den Einschätzungen ihrer Vorgänger überzeugen und beziehen die »Pflicht zur Würdewahrung« 22 zumindest auch auf Pflanzen, wenn sie schreiben: »Eine klare Mehrheit der Ethikkommission will die Pflicht zur Achtung der ›Würde der Kreatur‹ auf Tiere und Pflanzen beschränken, unter Ausklammerung der Mikroorganismen.« 23 In späteren Stellungnahmen der EKAH wird diese, kurz nach ihrer Gründung geäußerte Ansicht über die Reichweite des Verfassungsbegriffs wieder bestätigt. Dementsprechend folgte im April 2008 auf eine bereits 2001 publizierte Broschüre über »Die Würde des Tieres« 24 auch die Veröffentlichung einer gesonderten Broschüre über »Die Würde der Kreatur bei Pflanzen«. 25 So groß die Unsicherheit bei den verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen auch sein mag, wenn es um den Einschluss von Pilzen, Flechten und Mikroorganismen in den Kreaturbegriff geht, so sicher scheinen sie sich aber zu sein, dass die Würde der Kreatur nicht nur auf Tiere, sondern darüber hinaus auch auf Pflanzen zu beziehen ist.

2.2.2 Die Achtung vor der Würde der Kreatur fordert, auch Pflanzen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen Doch nicht nur hinsichtlich der Reichweite offenbaren sich ganz ähnliche Auffassungen über den Verfassungsbegriff, sondern auch hinsichtlich seiner Funktion lässt sich beim vergleichenden Lesen der Berichte, Stellungnahmen und Gutachten eine wesentliche Gemeinsamkeit erkennen: Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der Würde der Kreatur das Bekenntnis zu der moralischen Verpflichtung ausdrückt, Pflanzen und andere Lebewesen um ihrer selbst 20 21 22 23 24 25

Balzer et al. 1998, 39. Praetorius et al. 1996, 83. EKAH 1998, 2. EKAH 1998, 2. EKAH/EKTV 2001. EKAH 2008.

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willen zu achten und zu schonen. Zu diesem Schluss kommen Praetorius und Saladin, wenn sie schreiben: »›Würde‹ verbietet es auf beiden Ebenen, ihren Träger bloss als Objekt, d. h. als Gegenstand ›fremder‹ Interessen anzusehen und zu behandeln.« 26 Auch das später veröffentlichte Gutachten von Balzer, Rippe und Schaber verbindet mit dem Ausdruck, »daß wir uns ihnen [den Kreaturen] gegenüber um ihretwillen moralisch verhalten sollten.« 27 Die EKAH folgt diesen Stellungnahmen und interpretiert die Bundesverfassung in gleicher Weise. Dabei betont die Kommission, dass »jedes Lebewesen in erster Linie um seiner selbst willen« 28 existiert und es sich daher verbietet, »ein Tier oder eine Pflanze nicht mehr je als eigenständiges, lebendes Wesen, sondern nur noch unter dem Aspekt der Verwertbarkeit« 29 wahrzunehmen. Dem entspricht auch der Untertitel der Broschüre der EKAH zur Würde der Kreatur bei Pflanzen: »Die moralische Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen«. 30 Die Auffassung, dass die Achtung vor der Würde der Kreatur die Forderung impliziert, dass auch nichtmenschliche Lebewesen direkt moralisch berücksichtigt werden sollten und nicht nur in Abhängigkeit von ihrer Nützlichkeit für menschliche Ziele, findet sich auch bei solchen Autoren, die unabhängig von der Interpretation des eidgenössischen Verfassungstextes über diesen Begriff nachdenken. Nichtmenschliche Lebewesen seien dementsprechend nicht nur instrumentell wertvoll, sondern verfügen darüber hinaus über einen Wert, der unabhängig von der Nützlichkeit dieser Lebewesen für den Menschen besteht und der im Umgang mit diesen zu berücksichtigen ist. Sowohl die Interpreten des Verfassungsbegriffs als auch die unabhängig vom Verfassungstext argumentierenden Autoren folgern aus diesen Überlegungen, dass auch ein nichtmenschliches Lebewesen angesichts seiner Würde nicht verdinglicht, d. h. nicht bloß als Mittel zur Durchsetzung menschlicher Interessen berücksichtigt werden darf. So kritisiert z. B. der Jurist Jörg Leimbacher die Behauptung, »nur dem Menschen käme eine Würde zu [und] alles andere, alles Nicht- oder Außermenschliche sei nicht mehr als Mittel zum Zweck, Mittel zu

26 27 28 29 30

Praetorius et al. 1996, 86. Balzer et al. 1998, 50. EKAH 2001, 10. EKAH 2001, 10. EKAH 2008.

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unserem Zweck.« 31 Für die Verteidiger der Würde nichtmenschlicher Lebewesen unterschiedlichster fachlicher Herkunft, wie z. B. für den Theologen Hans Münk, 32 für den Juristen Hermann Geissbühler, 33 für die Philosophin Anne Siegetsleitner und auch für die interdiszplinär zusammengestellte EKAH 34 sowie für die Gutachter des Art. 24novies SBV Praetorius und Saladin 35 entspricht dieses Würdeverständnis »einem reinen Instrumentalisierungsverbot«. 36 Worauf die Pflicht zur Achtung der Würde der Kreatur beruht, wem diese Würde zukommt – dem Individuum, der Gattung oder einer größeren Gesamtheit von Lebewesen, die sich z. B. einen bestimmten Lebensraum teilen – und warum auch Pflanzen in den Genuss direkter moralischer Berücksichtigung kommen sollten, wird, wenn überhaupt, sehr unterschiedlich beantwortet. Dementsprechend unscharf erscheint der Begriff der Würde der Kreatur und somit auch der Würde der Pflanze nach wie vor. Auf dieser Basis Kriterien für den Umgang mit Pflanzen zu entwickeln, die von der Allgemeinheit anerkannt werden, ist wohl nur sehr schwer möglich. Nur in einem Punkt scheint also tatsächlich Einigkeit zu herrschen: Bei der Rede von der Würde der Pflanze geht es darum anzuzeigen, dass pflanzliche Lebewesen direkte moralische Berücksichtigung verdienen. Diese gewinnt im Umgang mit Pflanzen darin Gestalt, dass sie nicht nur hinsichtlich des mit ihnen verfolgten menschlichen Zieles berücksichtigt werden sollten, sondern darüber hinaus auch um ihrer selbst willen.

2.3 Die Stellung der Pflanze in der Hierarchie des Organischen Die Bestrebung Pflanzen Würde zuzuerkennen, wie aus dem Schweizer Votum geschlossen wurde, und damit die Forderung zu verbinden, auch diese Lebewesen direkt moralisch zu berücksichtigen, ist recht überraschend, wenn man bedenkt, dass den Pflanzen in der abendländischen Kultur traditionell kein moralischer Status 37 zuerkannt wird. 31 32 33 34 35 36 37

Leimbacher 1994, 107. Münk 1997, 28. Geissbühler 2001, 243. EKAH 2008, 8. Preatorius et al. 1996, 94. Siegetsleitner 2007, 113. Zur Bedeutung des moralischen Status vgl. Düwell 2006, 434.

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Die Idee, dass auch Pflanzen um ihrer selbst willen moralische Berücksichtigung verdienen, kann sich dementsprechend nicht auf eine lange Tradition berufen. 38 Den historischen Hintergrund bildet eine »komplexe Ideengeschichte der Hierarchie im Organischen«, 39 die auf die Seelen- und Naturkonzepte von Platon und Aristoteles zurückgeht. Sie legten »den Grundstein zur Tradition einer hierarchischen Naturinterpretation«. 40 Wie Ingensiep darlegt, war diese Hierarchie »nicht bloß theoretisch in der Seinsordnung verankert«, 41 sondern brachte auch eine hierarchische Wertordnung zum Ausdruck. In dieser nahmen die Pflanzen unter den Lebewesen die niedrigste Stellung ein. Dementsprechend wurde ihnen, wenn überhaupt, nur die geringste Berücksichtigungswürdigkeit zuerkannt. Für den im 5. Jh. v. Chr. lebenden griechischen Naturphilosophen Empedokles scheint die Vorstellung von einer Hierarchie der Lebewesen noch weniger stark ausgeprägt gewesen zu sein. Er verstand die Seele (psyché) als allgemeines Lebensprinzip, die das Bindeglied zwischen allen Lebewesen darstellt. Das ist ganz wörtlich zu verstehen, denn die Seele ist für Empedokles nicht nur ein Unterscheidungsmerkmal zwischen belebten und unbelebten Entitäten der Natur. Im Rahmen seiner Tatvergeltungslehre beschreibt er darüber hinaus »eine metempsychotische ›Seelenverwandtschaft‹, welche eine ethische Gemeinschaft zwischen Menschen, Tieren und auch Pflanzen« 42 stiftet. Daraus folgt für ihn die Aufforderung zu einer asketischen Lebensweise, welche durch die Rücksichtnahme gegenüber Tieren und auch einigen Pflanzen verwirklicht werden soll. 43 Trotz dieser prinzipiellen Verwandtschaft aller Lebewesen scheint es allerdings schon bei Empedokles hierarchische Vorstellungen zu geben. 44 Innerhalb dieser stehen die Pflanzen auf der untersten Stufe, womit ihnen unter den

Eine sehr ausführliche ideengeschichtliche Übersicht über Pflanzenbilder im Abendland bietet Hans-Werner Ingensieps Monographie »Geschichte der Pflanzenseele«, vgl. Ingensiep 2001. 39 Ingensiep 2008, 28. 40 Ingensiep 2008, 28. 41 Ingensiep 2008, 28. 42 VS 31 B, 115–117. 43 VS 31 B 133–145. 44 VS 31 B 127. 38

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Die Stellung der Pflanze in der Hierarchie des Organischen

lebenden Organismen die geringste Berücksichtigungswürdigkeit zukommt. 45 Platon und sein Schüler Aristoteles hielten am Biopsychismus fest 46 und betonten noch stärker als Empedokles die Seele in ihrer Funktion als Unterscheidungsmerkmal zwischen belebter und unbelebter Natur. Sie bleibt damit auch hier das Grundprinzip, welches alles Leben unter einem Dach vereint. Nach Platon verfügen alle Lebewesen inklusive der Pflanzen über einen begehrenden Seelenteil und damit über ein Empfindungsvermögen. 47 Allerdings werden sie nicht, wie noch bei Empedokles, in eine Tatvergeltungslehre einbezogen, so dass ihre moralische Berücksichtigungswürdigkeit nun entfällt. 48 Der Mensch dagegen wird in der Philosophie Platons stärker herausgehoben. Nach dieser verfügen Menschen nicht nur über den leidenschaftlichen Seelenteil, eine Eigenschaft, die sie mit den Tieren verbindet, sondern zusätzlich über den vernünftigen Seelenteil. Dieser ist als einziger der drei Seelenteile unsterblich und sollte im Idealfall über die beiden anderen herrschen.49 Diese Hierarchie der moralischen Ordnung entspricht der Hierarchie in der Naturordnung, in der die Pflanzen wiederum die unterste Stufe einnehmen. Die funktionale Dreiteilung der Seele führt damit zu einer klaren Einteilung der Lebewesen in die drei Kategorien »Mensch«, »Tier« und Pflanze«. Aristoteles nimmt diesen Gedanken auf, doch er entwickelt den Seelenbegriff weiter zu einem eher biologischen Begriff. Religiöse Elemente, wie eine Metempsychose, spielen in dieser Hinsicht also nun keine Rolle mehr. Auch er unterscheidet zwischen drei Seelenteilen, welche jeweils mit einem spezifischen Vermögen ausgestattet sind und der hierarchischen Stufenordnung des Lebendigen entsprechen: Die Nährseele, als niedrigster Seelenteil, welcher Ernährung und Fortpflanzung gewährleistet, kommt allen lebenden Organismen und damit auch Pflanzen zu. Über die wahrnehmende Seele, welche die Fähigkeit zur Empfindung und zur freien Ortsbewegung gewährleistet, verfügen nur Tiere und Menschen. Den obersten Seelenteil, die Geist-

45 46 47 48 49

Ingensiep 2001, 5–13. Plat. Tim., 77b und Arist. Anim. 2, 413a. Plat. Tim., 77a. Plat. Phaid., 249b. Plat. Tim., 89d–90d und Plat. Resp. 6, 441d–442d.

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seele, welche als einzige vom Körper trennbar ist und das Denkvermögen vermittelt, besitzen lediglich Menschen. Pflanzen, die auf der untersten Stufe der dreigeteilten Ordnung der Lebewesen stehen, haben nach der Auffassung des Aristoteles also eine Nährseele und gehören damit zu den lebenden Organismen. Dennoch werden sie aufgrund ihres Mangels an Empfindungsvermögen aus dem Kreis der »echten« Lebewesen ausgeschlossen. 50 Trotz des allen gemeinsamen untersten Seelenteils tut sich daher spätestens bei Aristoteles eine unüberbrückbare Kluft zwischen Tieren und Pflanzen auf, während Menschen und Tiere näher zusammenrücken.51 Die Vertreter der Stoa übernahmen prinzipiell die von Aristoteles vertretene Dreiteilung der Natur, doch festigten sie nicht nur die bis heute wirkmächtige und sich bereits seit Platon anbahnende Anthropozentrik, sondern vertieften zusätzlich den Graben zwischen Tieren und Pflanzen durch eine begriffliche Änderung: Im Rahmen ihrer Seelenlehre gingen sie so weit, den Begriff der psyché, der mit dem Empfindungsvermögen verbunden wird, nur noch auf »echte« Lebewesen, also Menschen und Tiere, anzuwenden, während den Pflanzen nur noch die physis und damit die Wachstumskraft zuerkannt wird. 52 Diese Gegenüberstellung zwischen Menschen und Tieren als Lebewesen auf der einen und Pflanzen auf der anderen Seite findet sich auch im biblischen Weltbild. Auch hier gibt es eine Vorstellung von einem seelischen Lebensprinzip (nefesch), welches durch die Kehle geht und seinen Sitz im Blut hat. Pflanzen, die weder über Blut verfügen, noch sichtbar atmen, werden daher nicht zu den Lebewesen (nefesch chajjah) gezählt, sondern gelten als Teil des Lebensraumes. 53 In der christlichen Tradition schließlich verstärken sich antikes und biblisches Gedankengut hinsichtlich der Rolle der Pflanzen in der hierarchisch gedachten Seinsordnung. Das betrifft, wie Ingensiep darlegt, »vor allem die Wertfrage [denn] im aristotelisch-scholastischem Theorem, [nach dem] ens und bonum konvertierbar sind, was in christlich-thomistischer Interpretation bedeutet, dass in einer von einem guten Gott geschaffenen Welt alles Seiende (ens) als ein wertvolles Gut Vgl. Arist. Anim. 2. Zu Pflanzenvorstellungen bei Platon und Aristoteles und zum Vergleich der philosophischen Ansätze Empedokles, Platons und Aristoteles vgl. Ingensiep 2001, 26–60. 52 Zur Naturordnung in der Philosophie der Stoa vgl. Ingensiep 2001, 80–88. 53 Vgl. Ingensiep 2001, 107–109. 50 51

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(bonum) anzusehen sei […] wird zugleich eine hierarchische Wertrangigkeit der Naturdinge etabliert, die der Seinsstufe eines jeden Naturwesens in der Welt – je nach Beseelungsgrad – korrespondiert. Generell gilt gemäß der griechisch-christlichen Interpretation das Prinzip: Je perfekter die Seele im Organischen, desto höher ist ihr Seins- und damit ihr Wertrang. […] Pflanzen mit ihrer bloß ›vegetativen Seele‹ [fallen in diesem Rahmen] auf die niederste Seins- und Wertstufe im Organischen«. 54 Obgleich immer wieder kritisiert, wirkte die aristotelisch geprägte hierarchische Naturinterpretation bis in die Zeit der Aufklärung hinein. Über Bonnets scala naturae und selbst »bis in die Zeiten nach Darwin prägte sie noch die Vorstellung von der progressiven Phylogenese; dargestellt in anthropozentrischen Stammbäumen, bzw. als Siegergeschichte durch natürliche Selektion bis hin zum Menschen.« 55

2.4 Die Tradition der hierarchischen Naturinterpretation in der Debatte um den moralischen Status der Pflanzen 2.4.1 Die öffentliche Ökologiedebatte – Ein Anstoß zum Umdenken Erst im Zusammenhang mit der Zunahme des Umweltbewusstseins in den westlichen Industriestaaten seit den späten 1960er Jahren, als die Auswirkungen der Industrialisierung erstmals als »ökologische Krise« erfahren wurden, schien sich der Blick auf die Pflanzen zu wenden, insofern nun auch sie in den Bereich von Fragestellungen gerieten, die das moralisch richtige Handeln betreffen. Wie Praetorius und Saladin darlegen, war es dieses auch in der Schweizer Bevölkerung wachsende Umweltbewusstsein, welches dem Ausdruck der Würde der Kreatur den Weg zur Aufnahme in die Verfassung bereitete. 56 Beobachtungen und Untersuchungen ökologischer Natur, die sich bereits bei antiken Autoren finden lassen, aber – beeinflusst von der Evolutionstheorie Darwins – erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zur Entwicklung einer eigenständigen, bis dato wenig beachteten Disziplin führten, erreichten gegen Ende der 1960er Jahre auch das Bewusstsein 54 55 56

Ingensiep 2008, 29. Ingensiep 2008, 28. Praetorius et al. 1996, 1–8.

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breiter Bevölkerungskreise. 57 Angestoßen in den USA v. a. durch Rachel Carsons Publikation »Silent Spring« im Jahre 1963 und etwas später in Europa durch die Veröffentlichung der Studie »Die Grenzen des Wachstums«, ein Bericht des »Club of Rome«, im Jahre 1972 wurde aber nun auch zunehmend in wissenschaftlichen Kreisen verschiedener Disziplinen wie Ökologie, Philosophie, Ökonomie, Geschichte und Soziologie, über die Ursachen und Hintergründe der zunehmenden anthropogenen Zerstörung menschlicher Lebensgrundlagen und über Möglichkeiten der Abhilfe debattiert. 58 Im Rahmen dieser Diskussionen entstand ein neuer Zweig der normativen Ethik, der als Umweltethik bzw. ökologische Ethik bezeichnet wird. Dieser setzt sich mit der Frage auseinander, welche Normen und Werte das Verhältnis des Menschen gegenüber seiner Umwelt bestimmen sollten. In einigen Positionen wird dabei an der traditionellen anthropozentrischen Ethik festgehalten, d. h. es wird davon ausgegangen, dass sich die moralische Pflicht zum Naturschutz nur im Hinblick auf das gute Leben der Menschen begründen ließe. Andere Vertreter der Umweltethik fordern dagegen eine grundlegende Änderung dieser Haltung den nichtmenschlichen Entitäten bzw. der Gesamtnatur gegenüber, da die ausschließlich am menschlichen Wohlergehen orientierte Haltung für die Lösung der Umweltprobleme nicht ausreiche bzw. als weltanschaulicher Hintergrund sogar mitverantwortlich für ihre Entstehung sei. 59 So z. B. kritisierte der Historiker Lynn White in einem 1967 in der Zeitschrift Science veröffentlichten Aufsatz das jüdisch-christliche Bild vom Menschen, welches diesen als ein Gegenüber und nicht als einen Teil der Natur darstelle. 60 Die Idee der Gottebenbildlichkeit des Menschen hätte diesen den übrigen Lebewesen entfremdet, welche – »auf den Status des nützlichen Materials zurückgestuft« 61 – dem Subjekt gegenübergestellt werden. Angesichts der so genannten »ökologischen Krise« galt die Vorstellung von einer hierarchisch geordneten Natur, in welcher der Mensch einen erhabenen Standpunkt einnimmt, nicht nur als für die Lösung der Umweltprobleme unzureichend, sondern sie wurde auch

57 58 59 60 61

Mehr zur Geschichte der Ökologie siehe Bick 1993, 1–7. Vgl. Praetorius et al. 1996, 2 f.; Palmer 2003, 15 f.; Light et al. 2003, 1 f. Palmer 2003, 18 f. White 1967. Fraser-Darling 1980, 12.

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zunehmend hinsichtlich ihrer Legitimität befragt. Mit dem Ziel auch der nichtmenschlichen Natur in ihrer Gesamtheit bzw. ihren Elementen einen Eigenwert und sogar Rechte zuzugestehen, um damit direkte Pflichten des Menschen gegenüber ihrer Umwelt zu begründen und der fortschreitenden Zerstörung der menschliche Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten, griffen die Kritiker anthropozentrischer Ansätze gern und häufig auf die Erkenntnisse der Biologie zurück. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass sich aus ihrer Perspektive »eine essentialistische Hierarchie des ›Höher‹ und ›Niedriger‹ zwischen Mensch, Tier und Pflanze« 62 nicht ohne weiteres legitimieren lässt. Aus naturwissenschaftlicher Sicht werden Tiere und Menschen nicht einfach als eine Weiter- oder vielmehr Höherentwicklung im Vergleich zu den nicht empfindungsfähigen und sessilen, d. h. ortsgebundenen Pflanzen, betrachtet, sondern die verschiedenen Lebensweisen der Pflanzen und der Tiere sind das Ergebnis verschiedener sich evolutionär entwickelnder Überlebensstrategien. 63 Neben den Ergebnissen evolutionsbiologischer Forschung bediente man sich auch derer der Ökologie, um mit ihnen die traditionelle Hierarchie der Organismen zu hinterfragen. Aufgrund ihrer »systemare[n] Betrachtungsweise« 64 und ihrer Nähe zur Evolutionsbiologie bot die wissenschaftliche Disziplin der Ökologie vielen Vertretern der Umweltethik eine Perspektive, aus welcher der Mensch lediglich als ein Teil der Elemente der Biosphäre verstanden werden kann, wobei er sich von den anderen hinsichtlich seiner Herkunft, seiner Fähigkeiten und seiner Rolle im Ökosystem nicht wesentlich, sondern lediglich graduell unterscheidet. Bill Deval z. B., ein Vertreter der so genannten »tiefenökologischen Bewegung«, betont, dass sich diese »auf ein Bild vom Menschen in der Natur« 65 gründet: »Am Anfang der Tiefenökologie steht ein Prinzip der Einheit und kein Dualismus, wie er das vorherrschende Thema der westlichen Philosophie war.« 66 Als eine Quelle dieser Bewegung nennt er die Ökologie als wissenschaftliche Disziplin, welche mit »ihrer Perspektive subversiv wirken« und »die wichtigsten Prämissen des herrschenden sozialen Paradigmas in Frage stellen« 67 könne. Auch andere Vertreter nichtanthropozentrischer An62 63 64 65 66 67

Ingensiep 2008, 26. Vgl. Ingensiep 2008, 21–26. Bick 1993, 5. Devall 1997, 21. Devall 1997, 31. Devall 1997, 29.

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sätze verweisen auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, um zur Begründung direkter Pflichten gegenüber der Natur als Gesamtheit, aller Entitäten der Natur oder zumindest aller Lebewesen, die überlieferte Hierarchie argumentativ zu überwinden und ein Prinzip der Einheit oder der Gleichheit aufzuzeigen. So deutet Aldo Leopold, der Begründer der Land Ethic, die Ausweitung des Kreises moralisch berücksichtigungswürdiger Entitäten naturalistisch als »ein[en] Prozeß ökologischer Evolution.« 68 Die Ethik, welche laut seinem Nachfolger Baird Callicott auf Gefühlen beruhe und daher vor der Vernunft entstanden sei, 69 versteht er biologisch als eine »Beschränkung der Handlungsfreiheit im Überlebenskampf.« 70 Die Gefühle der Mitglieder einer Gemeinschaft untereinander dienten der fitness derselben, wovon wiederum die innerhalb dieser Gemeinschaft voneinander abhängigen Individuen profitierten. Demzufolge sei es zur Verbreitung des sozialen Gefühls und dem Wachsen der Gesellschaft gekommen. Vor diesem Hintergrund erscheint selbst die Moralfähigkeit des Menschen nicht mehr als spezifisch menschliche Eigenschaft. Dennoch sei die Grenze der menschlichen Gesellschaft bisher als Grenze der Moral wahrgenommen worden. Im evolutionären Prozess immer weiter ausgedehnt, habe sie sich im Verlauf der Zeit zum heutigen global village entwickelt, in dem die Menschenrechte jedem Mitglied zuerkannt würden. Da nicht nur die menschliche Gesellschaft von der wechselseitigen Abhängigkeit ihrer Mitglieder gekennzeichnet ist, sondern auch alle Entitäten der Natur in einem ökologischen Wechselverhältnis zueinander stehen, könnten auch diese in ihrer Gesamtheit als biotische Gesellschaft anerkannt werden und eine entsprechende Land Ethic im kulturellen Bewusstsein entstehen. 71 Das höchste Gut sei in diesem Zusammenhang der Erhalt der Struktur des Ganzen. Doch auch den Teilen dieser Ganzheit, also den Lebewesen, dem Wasser, den einzelnen Biotopen etc. gebühre moralische Berücksichtigung. Als ein Bestandteil dieser Gemeinschaft sind für Baird Callicott dementsprechend auch Pflanzen Gegenstand moralischer Berücksichtigung. 72

68 69 70 71 72

Leopold 1949, 202; zit. n. Callicott 1997, 215. Callicott 1997, 216 f. Leopold 1949, 202; zit. n. Callicott 1997, 215. Callicott 1997, 217–221. Callicott 1997, 221–224.

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Die Tradition der hierarchischen Naturinterpretation

Paul Taylor stellt mit seiner »Ethik der Achtung gegenüber der Natur« 73 keine radikal physiozentrische, sondern eine biozentrische Konzeption 74 der ökologischen Ethik vor und stuft dementsprechend nur Lebewesen als direkt moralisch berücksichtigungswürdig ein. Die Haltung der Achtung gegenüber allen Lebewesen, welche in diesem Rahmen als Entitäten mit inhärentem Wert betrachtet werden, weswegen dem Schutz und der Förderung ihres Wohls intrinsischer Wert beigemessen wird, wird von der »biozentrischen Sicht auf die Natur« 75 getragen. Diese Perspektive stellt die Gemeinsamkeit aller Lebewesen heraus, um sie zu einer Gemeinschaft gleichrangiger Mitglieder zusammenzufassen und lehnt demzufolge die Vorstellung von der Überlegenheit des Menschen ab. Dabei wird wiederum auf ökologische Erkenntnisse verwiesen: »Zusammengenommen geben diese Elemente [der biozentrischen Sicht] uns eine bestimmte Gesamtansicht der natürlichen Welt und der Stellung des Menschen in ihr. So gelangen wir zu einem Verständnis für andere Lebewesen, für deren Umweltbedingungen und ökologische Beziehungen, ein Verständnis, das in uns ein tiefes Gefühl für unsere gemeinsame Zugehörigkeit zur Gemeinschaft alles Lebendigen weckt. Menschen ebenso wie Nichtmenschen werden als integrale Teile eines einheitlichen Ganzen aufgefasst, in dem alle Lebewesen funktional aufeinander angewiesen sind. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf das individuelle Leben von Pflanzen und Tieren richten, sehen wir schließlich, daß sie viel mit uns gemein haben: Alle sind wir teleologische Zentren von Leben, die sich bemühen, ihr eigenes Wohl auf ihre einzigartige Weise zu verwirklichen.« 76 Für Paul Taylor ist es daher selbstverständlich, von der moralischen Pflicht zu sprechen, auch das Wohl individueller Bäume, pflanzlicher Populationen und ganzer Pflanzengemeinschaften um ihrer selbst willen zu schützen und zu fördern. 77 Ansätze der ökologischen Ethik mit holistischem oder biozentrischem Zuschnitt übernehmen also – wie dargestellt – sehr häufig den »ganzheitlichen« Blick der Ökologie als wissenschaftliche Disziplin, um der Idee der Gleichwertigkeit aller Lebewesen bzw. aller Entitäten, Taylor 1997. Zum Begriff des Biozentrismus und des radikalen Physiozentrismus siehe Krebs 1997, 345. 75 Taylor 1997, 124. 76 Taylor 1997, 141. 77 Taylor 1997, 77–82. 73 74

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welche die Welt ausmachen, den Weg zu ebnen und sie zu einer Einheit zusammenzufassen. Der Mensch erscheint aus dieser Perspektive nur noch als ein moralisch berücksichtigungswürdiges Mitglied der »Gemeinschaft alles Lebendigen« 78 unter vielen anderen oder nur als ein Teil eines »sich selbst erhaltenden System[s]«, 79 der »Natur« 80 oder »Gaia[s].« 81 Aus dieser Gemeinschaft sind gerade die Pflanzen, welche die Welt erst für Menschen und Tiere bewohnbar machen, nicht mehr wegzudenken. 82 Während der moralische Status der Tiere bereits seit dem 18. Jh. in einer zunehmenden Anzahl von Tierschutzschriften diskutiert wird, 83 rückten im Zusammenhang mit dem entstehenden umweltethischen Diskurs nun auch die Pflanzen in den Fokus moralischer Erwägungen.

2.4.2 Auswirkungen der Ökologiedebatte auf die Haltung gegenüber Pflanzen Verfolgt man aber die bioethischen Debatten weiter bis zur heutigen Zeit, so zeigt sich, dass sich umweltethische Entwürfe, welche die Idee einer hierarchischen Ordnung der Organismen ablehnen, in den bioethischen Debatten nicht durchsetzen konnten und vergleichsweise selten vertreten werden. Die Tradition der hierarchischen Naturinterpretation und die damit verbundenen Vorstellungen vom Wert und Wesen der Pflanze haben daher auch heute noch eine beträchtliche Bedeutung, wenn es um die Frage des moralisch richtigen Umgangs mit Entitäten der außerhumanen Natur geht. Das hierarchische Denken zeigt sich aber auch an der üblichen Strukturierung der verschiedenen bioethischen Entwürfe. Wie Ingensiep darlegt, lassen sich diese nach dem aristotelischen Prinzip der Seelenstufenordnung strukturieren, wobei die tradierten theoretischen Schlüsselbegriffe der modernen Ethikdiskurse offenbar werden: Denken, Empfinden, Leben und Sein. 84 So findet sich die seit der Stoa ge78 79 80 81 82 83 84

Taylor1997, 112. Clark 1997, 155. Clark 1997, 115. Clark 1997, 116. Vgl. Ingensiep 2001, 618. Baranzke 2002, 226. Ingensiep 2008, 32.

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festigte Entgegensetzung vom denkenden, vernunftbegabten Menschen, dem allein moralische Rücksicht gebührt, und der nur um des Menschen willen schützenswerten Umwelt, in den anthropozentrischen Ansätzen der Bioethik wieder. Demgegenüber stehen sentientistische bzw. pathozentrische Ansätze, welche sowohl den Menschen als auch den Tieren angesichts der beiden gemeinsamen Leidensfähigkeit einen moralischen Status zuerkennen. Hier wird ganz offensichtlich nicht nur an die seit Darwin bekannte evolutionäre Zugehörigkeit des Menschen zum Tierreich angeknüpft, sondern v. a. an die aristotelische Vorstellung von den über den empfindenden Seelenteil verfügenden und so zur Einheit der »echten« Lebewesen gehörenden Menschen und Tieren. Von den Biozentristen wird – in Anlehnung an die »vegetative Seele« – »das ›Leben‹ zum ethischen Schlüsselbegriff erhoben.« 85 Und der radikale Physiozentrismus schließlich erkennt allem Seienden einen Wert zu. Insofern moderne Ethiker bevorzugt utilitaristisch, pathozentrisch oder neurozentrisch argumentieren, wenn sie anthropozentrikkritische Ansätze vertreten, oder an der Vorstellung festhalten, dass nur Menschen direkt moralisch berücksichtigt werden können, werden Handlungen an Pflanzen in den bioethischen Debatten kaum problematisiert. Dabei können sie mit größerer Akzeptanz ihrer Argumentationen rechnen, was die tiefe Verwurzelung der Tradition der hierarchischen Naturinterpretation in unserer Kultur vor Augen führt. Vor diesem Hintergrund fallen Pflanzen wie selbstverständlich aus dem Bereich der Moral heraus. So vertritt z. B. Peter Singer im Rahmen seines Präferenzutilitarismus folgende Ansicht: »… in the case of plants […] it is possible to give a purely physical explanation of what is happening; and in the absence of consciousness, there is no good reason why we should have greater respect for the physical processes that govern the growth and decay of living things than we have for those that govern non-living things. This being so, it is at least not obvious why we should have greater reverence for a tree than for a stalactite, or for a single-celled organism than for a mountain.« 86 Jürgen Habermas, der einen anthropozentrischen Ansatz vertritt, aber die Berücksichtigung von Tieren dennoch nicht völlig ausschließen möchte, legt anhand des Mangels an kommunikativen Fähigkeiten dar, dass 85 86

Ingensiep 2008, 32. Singer 1993, 279 f.

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sich aber angesichts der Pflanzen ganz sicher keine moralischen Forderungen für den Menschen ergeben: »Wie moralische Verpflichtungen überhaupt, so hat auch unsere moralanaloge Verpflichtung gegenüber Tieren ihren Bezug und ihren Grund in jenem, allen sozialen Interaktionen innewohnenden Gefährdungspotenzial. Soweit Lebewesen an unseren sozialen Interaktionen teilnehmen, begegnen sie uns […] als ein schonungsbedürftiges Gegenüber […] Für viele Tiere, aber wohl nicht für Pflanzen gilt, daß wir ihnen gegenüber eine performative Einstellung einnehmen können.« 87 Um diese Ansichten naturwissenschaftlich zu legitimieren, wird häufig darauf verwiesen, dass Pflanzen kein Nervensystem besitzen. So schreibt z. B. Ursula Wolf: »Aber was Wesen zu Gegenständen der Moral macht, war, daß es ihnen subjektiv gut oder schlecht gehen kann, daß sie leiden und wollen können. Pflanzen können das nicht, denn sie haben keine Nerven und keine Muskeln.« 88 Aufgrund der Dominanz der auf Empfindungs- und Leidensfähigkeit konzentrierten Ansätze in den bioethischen Debatten im Allgemeinen und in den Diskussionen um die Würde der Kreatur im Besonderen, werden die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren immer stärker hinterfragt, während die Pflanzen in ihrer Stellung zwischen »echten« Lebewesen und Lebensraum verbleiben, wobei sie vorzugsweise dem Lebensraum zugeordnet werden. Ganz augenscheinlich zeigt sich das auch daran, dass die nichtmedizinische Bioethik üblicherweise in die Disziplinen »Tierethik« und »ökologische Ethik« bzw. »Umweltethik« unterteilt wird. 89 Eine der Tierethik vergleichbare Disziplin der Pflanzenethik, die sich im Rahmen einer breiten Diskussion explizit mit der Begründung sich auf Pflanzen beziehender moralischer Pflichten und den damit verbundenen Handlungsrichtlinien auseinandersetzt, hat sich dagegen, wie Angela Kallhoff kritisch anmerkt, bisher nicht etabliert. 90 Diese Unterteilung zeigt die prägende Kraft der alten Hierarchie also nicht nur im Hinblick auf die Abfolge der einzelnen Stufen in der Ordnung des Seins, sondern auch im Hinblick auf den seit der Antike nachzuweisenden und in der Folge immer wieder bestäHabermas 1997, 97. Wolf 2004, 94. 89 Vgl. z. B. Krebs 1997; Düwell et al. 2006; Knoepffler et al. 2006, 76; Nida-Rümelin 2005. 90 Kallhoff 2002, 11. 87 88

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tigten Graben zwischen Tieren und Pflanzen. Dieser tat sich bei Aristoteles mit der Unterscheidung zwischen nur lebenden Organismen und »echten« Lebewesen anhand der anima sensitiva sowie in der biblischen Tradition mit der Unterscheidung zwischen Lebewesen und Lebensraum anhand der nefesch auf. Anschließend wurde er in der Philosophie der Stoa durch die Unterscheidung von psyché und physis gefestigt. Auf der Grundlage dieses bis heute nachwirkenden ideengeschichtlichen Hintergrundes – verbunden mit der Aufwertung der Sinnlichkeit im 18. Jh., v. a. durch Benthams Utilitarismus, welcher das »Glück des Menschen … auf der Basis einer empirischen Bedürfnisanthropologie gleichfalls auf der anima sensitiva-Ebene definiert« 91 – konnte man sich der egalitären Logik eines ›widening the circle‹-Arguments in Bezug auf Tiere schwerlich entziehen«. 92 Pflanzen dagegen, denen die Empfindungsfähigkeit im Allgemeinen abgesprochen wird, gelten im Gegensatz zu Tieren nur im Rahmen der seltener vertretenen biozentrischen und radikal physiozentrischen Ansätze als moralisch relevant. Allerdings geht es auch innerhalb des radikalen Physiozentrismus selten um die Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen. Zwar wenden sich seine Vertreter gegen die Vorstellung, dass Pflanzen nur zum Wohle des Menschen existieren und dementsprechend behandelt werden sollten, doch nun geht es vorwiegend um ihre Rolle für das Gelingen der Gesamtnatur. 93 Doch selbst solche Autoren, welche für eine direkte Berücksichtigung der Pflanzen plädieren, können sich von der tradierten Hierarchie nicht ganz lösen: So vertritt Robin Attfield einen hierarchischen Biozentrismus, nach welchem die Interessen von Menschen und Tieren Vorrang vor den Interessen von Bäumen hätten. 94 Jedoch sind sich auch die Egalitaristen offensichtlich unsicher, wie man das Gleichheitsprinzip hinsichtlich der Pflanzen, auf die man so elementar angewiesen ist, im Handeln umsetzen könnte. Oft werden Handlungsrichtlinien in Bezug auf diese Lebewesen im Gegensatz zu Tieren, wenn überhaupt, häufig nur am Rande erwähnt und nicht genauer ausgeführt. Außerdem wird bei Pflanzen i. d. R. lediglich der Schutz von pflanzlichen Ar91 92 93 94

Baranzke 2002, 277. Baranzke 2002, 278. So z. B. Clark 1997, 156. Attfield 1981, 51.

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ten, Populationen und Lebensräumen, aber nicht der Schutz von Individuen gefordert, wie das für Tiere der Fall ist. 95 Letzten Endes scheint auch hier der moralischen Berücksichtigung der Einzelpflanzen der Artenschutz, die Wahrung der »Interessen des Ganzen« 96 oder »die Sorge um die Integrität, Stabilität und Schönheit der biotischen Gemeinschaft« 97 vorauszugehen. Auch wenn die radikal physiozentrischen und biozentrischen Ansätze einen Anstoß dazu gegeben haben mögen, auch über die bisherige Haltung des Menschen gegenüber pflanzlichen Lebewesen nachzudenken, konnte sich die Idee, dass auch Pflanzen direkt moralisch berücksichtigt werden sollten, im Rahmen bioethischer Überlegungen bisher nicht durchsetzen. Weiterhin werden sie vorwiegend als »Diener« betrachtet – wenn nicht zum Wohle des Menschen oder der tierlichen Lebewesen, dann zum Wohle der Gesamtnatur.

2.5 Über die Schmerz- und Leidensfähigkeit hinaus Dass »die alte Hierarchisierung und Katalogisierung« 98 auch im Bezug auf die bioethischen Debatten um die Gentechnik voll durchschlägt, verdeutlicht Peter Kunzmann, indem er auf die Diskussion in den Niederlanden verweist. Dort hatte sich, wie Henk Verhoog beschreibt, hinsichtlich der gesetzlichen Regelung gentechnischer Eingriffe folgendes Schema durchgesetzt: 99 • bacteria: yes (no moral problems as long as risks for humans are controlled) • plants: yes, but (no moral problems as to the plant itself, but there are social and environmental risks which are relevant in consequentialist ethics) • animals: no, unless • humans: no 95 96 97 98 99

So z. B. Altner 1991, 108; Kallhoff 2002, 141–146. Meyer-Abich 1986, 190. Callicott 1997, 224 f. Kunzmann 2008, 142. Verhoog 2001, 17.

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Über die Schmerz- und Leidensfähigkeit hinaus

Während bei pflanzlichen Lebewesen also der gentechnische Eingriff in Bezug auf die Pflanze selbst als unproblematisch gilt, sofern keine ökologischen oder sozialen Probleme in der Folge zu erwarten sind, ist die Beweislast beim Tier umgekehrt. Technische Veränderungen des Genoms von Tieren müssen erst durch positive Gründe legitimiert werden. 100 Doch auch wenn die Pflanzen in Überlegungen über moralische Fragen traditionell höchstens ein Randthema sind, kommt man gerade mit Blick auf die Möglichkeiten der Gentechnik nicht mehr an ihnen vorbei. Das ist der Fall nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sich an »pflanzlichen Zellen erprobte Methoden auf den Menschen übertragen« 101 lassen, wie der Schweizer Bundesrat in seiner Botschaft an die Bundesversammlung zur Eidgenössischen Volksinitiative »gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie« vom 18. September 1989 betonte. Viel entscheidender für die Frage nach der Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen ist, dass es eine Reihe tierethischer Einwände gegen die Herstellung gentechnisch veränderter Tiere gibt, »die über die Sorge um deren subjektives Wohlergehen hinausgehen.« 102 In diesem Zusammenhang spielt der Begriff der Würde der Kreatur eine wichtige Rolle, denn, wie Peter Kunzmann darlegt, wird er häufig gerade dann in Anschlag gebracht, wenn bestimmte Praktiken des Umgangs mit Tieren zwar nicht mit deren Leiden verbunden sind oder dieses auf gentechnischem Wege sogar zu mindern suchen, aber dennoch das Gewissen wachrufen. 103 So vertritt die EKAH in ihrer ersten Stellungnahme zur Würde der Kreatur »einstimmig die Meinung, dass bei gentechnischen Vorhaben mit höheren Tieren grundsätzlich von den Kriterien der Tierschutzgesetzgebung auszugehen ist. Es wird jedoch Wert darauf gelegt, dass der in Art. 13 Abs.1 TSchG verwendete Begriff des ›Schadens‹ nicht ausschließlich pathozentrisch verstanden wird, sondern im Sinne des zu integrierenden ethischen Aspekts (›Würde der Kreatur‹) auch solche Verletzungen der Integrität eines Tieres bzw. seiner artspezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten zu erfassen sind, die nicht mit Schmerz oder Leiden verbunden sind.« 104 Geht es hier aber um »Animal Protection … be100 101 102 103 104

Vgl. Kunzmann 2008, 142 f. BBI 1989 III 989 ff., zit. n. Praetorius et al. 1996, 48. Schmidt 2008, 31. Kunzmann 2007, 53–56. EKAH 1998, 2.

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yond pain and injury« 105 und werden Eingriffe ins Erscheinungsbild, Erniedrigung und nicht zu rechtfertigende Instrumentalisierung demzufolge als Verstöße gegen die Würde dargestellt, 106 ist die Beschränkung der Reichweite der Würde der Kreatur auf Wirbeltiere – zumindest mit Verweis auf den Mangel an Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit – nicht mehr ohne Weiteres haltbar. Tatsächlich empfiehlt die EKAH in ihrer »Stellungnahme zur Konkretisierung der Würde der Kreatur im Rahmen der geplanten Revision des Tierschutzgesetzes«, dass »das Tierschutzgesetz ohne Einschränkung auf alle Tiere im zoologischen Sinne angewendet werden« 107 soll. Auch den Gutachtern Preatorius und Saladin »erscheint die grundsätzliche Einschränkung des Tierschutzgesetzes auf Wirbeltiere höchst problematisch.« 108 Gleiches gilt für Balzer, Rippe und Schaber, denn nach deren Position »läßt sich die Verfassungsbestimmung auch nicht im Sinn der pathozentrischen Auffassung interpretieren, der zufolge nur empfindungsfähige Lebewesen um ihretwillen moralisch berücksichtigungswürdig sind.« 109 Konsequenterweise müssten nun auch Pflanzen mit dem neuen Verfassungsbegriff ganz selbstverständlich in den Fokus ethischer Erwägungen rücken. Das fordert Henk Verhoog auch für die Niederländische Gesetzgebung angesichts deren hierarchisch geordneten Regelung gentechnischer Eingriffe in Lebewesen: »The concept of animal integrity is thus brought in to deal with those infringements of the animal’s nature which go beyond health and well-being. But an immediate logical consequence of the introduction of this concept is that, because it is independent of sentiency, it can be applied to all animals. […] The question can now be asked if the same way of reasoning does not automatically lead to the idea that plants also have a nature of their own (a telos) and an integrity which can be violated. The answer must be yes«. 110 Die Gentechnik wirft also Fragen auf, die an der tradierten hierarchischen Naturinterpretation vorbeigehen. Damit rücken nun auch die Pflanzen selbst in den Bereich moralischer Erwägungen. Es ist demnach nur konsequent, sich auch entgegen der Tradition mit einem Be105 106 107 108 109 110

Brom 2000, 61. EKAH 1999, 2. EKAH 1999, 2. Praetorius et al. 1996, 119. Balzer et al. 1998, 38. Verhoog 2001, 16.

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griff, wie dem der Würde von Pflanzen, auseinanderzusetzen und damit zu fragen, ob und, wenn ja, auf welche Weise auch pflanzliche Lebewesen direkt moralisch berücksichtigt werden können.

2.6 Die Rezeption der Würde der Pflanze in der Debatte um die Würde der Kreatur 1992–2009 2.6.1 Die BUWAL-Gutachten zur Würde der Kreatur Für die Autoren der vom BUWAL finanzierten Gutachten zur Auslegung des Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur schien zunächst festzustehen, dass der Ausdruck über das pathozentrische Paradigma hinausreicht (vgl. Kap. 2.5) und sicher auf Tiere und Pflanzen zu beziehen ist (vgl. Kap. 2.2.1). Eine Analyse der verschiedenen Gutachten in ihrer chronologischen Reihenfolge verdeutlicht aber, dass die tradierte Hierarchie der Lebewesen in den Interpretationen auch hier wieder zunehmend an Raum gewinnt. Das lässt sich vor allem an einer chronologisch verfolgbaren Reduktion des Umfangs des Kreaturbegriffs und damit der Reichweite der Würde der Kreatur darlegen: Im ersten, 1996 veröffentlichten Gutachten der Theologin Ina Praetorius und des Juristen Peter Saladin bemühen sich die Autoren darum, die Bedeutung der Würde der Kreatur im Anschluss an das Konzept der Menschenwürde zu entwickeln. Dabei gehen sie zwar angesichts der Vernunft des Menschen nicht von einer völligen inhaltlichen Gleichsetzung der beiden Begriffe, aber auch nicht von ihrer völligen Verschiedenheit aus: »Würde der Kreatur [kann] nicht den völlig gleichen Gehalt haben … wie Würde des Menschen. Den Tieren und Pflanzen fehlt weitgehend (nicht vollständig) das, was wir – in Hinsicht auf den Menschen – als Vernunft bezeichnen … aber, … ›Würde der Kreatur‹ [ist] ebenfalls – und in grundsätzlich gleicher Weise wie ›Menschenwürde‹ – als spezifische Werthaftigkeit, als spezifischer Eigenwert zu verstehen … In solcher Eigenwertigkeit kann und muss der gemeinsame Begriffskern erkannt werden.« 111 In diesem Zusammenhang knüpfen Praetorius und Saladin an die bereits in frühen ökoethischen Texten behauptete Einheit von Mensch und Natur an:

111

Praetorius et al. 1996, 85 f.

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»Würde der Kreatur, so verstanden, steht auch in einem tiefen inneren Zusammenhang zur Würde des Menschen. Der Mensch und die ihn umgebende und durchdringende Natur sind ›zu einer Einheit verbunden‹«. 112 Eine hierarchische Einteilung der Lebewesen in solche, die direkt moralisch zu berücksichtigen sind, und solche, die es nicht sind, verbietet sich damit für die Gutachter, so dass nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen nicht »bloss als Objekt, d. h. als Gegenstand fremder Interessen anzusehen und zu behandeln sind.« 113 Ganz anders dagegen die Autoren des zweiten, 1998 veröffentlichten Gutachtens: Hier wird die Würde des Menschen der Würde der Kreatur gegenübergestellt, indem beide jeweils eine eigenständige, vom anderen Begriff unabhängige inhaltliche Bestimmung erfahren: »Menschenwürde [besteht] in dem moralischen Recht […], nicht erniedrigt zu werden […] Dieses moralische Recht kann nur Wesen zugeschrieben werden, die erniedrigt werden können. Da nur Wesen erniedrigt werden können, die zur Selbstachtung fähig sind und über ein praktisches Selbstverständnis verfügen, ist der Begriff der Menschenwürde auf (andere) nicht-menschliche Lebewesen nicht anwendbar […] Daß auch nicht-menschlichen Lebewesen eine Würde zukommt, ist aus unserer Sicht also am besten so zu verstehen, daß auch sie einen inhärenten Wert haben und ihr Wohl um ihretwillen moralisch zu berücksichtigen ist. Dieser Wert wird ihnen deswegen zugeschrieben, weil auch nicht-menschliche Lebewesen ein eigenes Gut haben, individuelle Ziele verfolgen und organische Einheiten bilden.« 114 Über die inhaltlich getrennte Bestimmung hinaus gehen die Autoren des zweiten Gutachtens – in Abgrenzung zu Praetorius und Saladin – von einem wesentlich höheren moralischen Gewicht der Menschenwürde im Vergleich zur Kreaturwürde aus, indem sie bemerken: »Praetorius & Saladin gehen hier zu weit, wenn sie schreiben, daß eine Beeinträchtigung der kreatürlichen Würde nur erfolgen dürfe, wenn (Menschen) allenfalls selbst in der Existenz bedroht sind.« 115 Das zweite Gutachten von Balzer, Rippe und Schaber stellt sich zwar prinzipiell hinter die Auffassung von Praetorius und Saladin in-

112 113 114 115

Praetorius et al. 1996, 87. Praetorius et al. 1996, 86. Balzer et al. 1998, 14 f. Balzer et al. 1998, 49.

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sofern sie die kreatürliche Würde auf Tiere und Pflanzen bezogen wissen wollen, 116 jedoch gehen dessen Autoren einen weiteren Schritt in Richtung Einschränkung des Kreaturbegriffs: Zum einen halten sie das Kriterium der Würde eher bei gentechnisch veränderten Tieren als bei ebensolchen Pflanzen und Mikroorganismen für relevant. Bei letzteren sollte die Risikoproblematik ihrer Meinung nach im Vordergrund stehen. Hierbei geht es allerdings nicht mehr um eine direkte Berücksichtigung von Pflanzen und Mikroorganismen. Zum anderen legen sie die Würde der Kreatur in der Tradition der hierarchischen Naturinterpretation aus: »Daß allen Lebewesen ein inhärenter Wert zukommt, besagt ebenfalls nicht, daß alle Kreaturen denselben inhärenten Wert besitzen. Mit dem Konzept der Würde der Kreatur stünde durchaus im Einklang, daß einem Schimpansen ein höherer inhärenter Wert zukommt als einem Grashalm, oder einer Rose ein höherer als einem Schimmelpilz. Eine solche hierarchische Konzeption steht wohl eher im Einklang mit unseren wohlüberlegten Intuitionen.« 117 Aus dieser Konzeption folgt, dass z. B. Pflanzen gegenüber Tieren an Wert verlieren und in Konfliktfällen weniger Gewicht erhalten. 118 Das BUWAL finanzierte aber nicht nur die Gutachten von Praetorius und Saladin und Balzer, Rippe und Schaber, sondern etwas später noch ein Drittes. Diese im Jahre 2001 unter dem Titel »Wert und Würde von ›niederen‹ Tieren und Pflanzen« veröffentlichte Studie der Theologen Andrea Arz de Falco und Denis Müller geht noch einen weiteren Schritt der Einschränkung. Zwar erkennen ihre Autoren an, dass sich der schöpfungstheologische Begriff der Kreatur »grundsätzlich auf alles Geschaffene beziehen kann … [, doch sei er] heute gleichbedeutend mit dem säkularen Terminus Lebewesen, im wissenschaftlichen Kontext mit Organismus.« 119 Obwohl die Gutachter Arz de Falco und Müller anerkennen, dass die Lebewesen bzw. Mitgeschöpfe uns nicht nur in ihrer Vielfalt, sondern – »in eigenartigem Kontrast« dazu – in ihrer »Einheitlichkeit« erscheinen, verzichten sie aufgrund der »besondere[n] Qualität des Personenseins« nicht auf eine Differenzie116 117 118 119

Balzer et al. 1998, 37 f. Balzer et al. 1998, 49 f. Balzer et al. 1998, 49 f. Arz de Falco et al. 2001, 69.

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rung. 120 So erkennen sie die kreatürliche Würde nur den »höheren« Tieren zu, während »niedere« Tiere und Pflanzen lediglich über einen, ebenfalls graduell abgestuften Wert verfügen: »Die Abstützung auf die Empfindungsfähigkeit, auf kognitive und soziale Kompetenzen, auf Interaktionen zwischen Menschen und Tieren als Kriterien für die Zuschreibung von Würde privilegiert die Analogie des Würdebegriffs beim Tier zu dem des Menschen und unterstreicht somit eine […] Auffassung von der ›Hierarchie der Kreaturen‹«. 121 Obwohl also zumindest »höheren Tieren« in Analogie zur Menschenwürde Würde zuerkannt wird, wird der Mensch-Umwelt-Dualismus von den Autoren Arz de Falco und Müller klar und deutlich betont: »Der Respekt vor der Kreatur bedingt zuallererst die Anerkennung des […] Unterschiedes zwischen Mensch und außerhumaner Kreatur [, denn d]er Respekt vor der Kreatur geht einher mit dem Platz, den die außerhumanen Kreaturen in der strukturierten Welt des Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt einnehmen.« 122 »In Bezug auf Pflanzen gehen [die Autoren] von der Hypothese aus, dass der Begriff der Würde noch nicht einmal metaphorisch gebraucht werden kann, es gilt vielmehr eine andere sprachliche Form zu finden, um den Respekt gegenüber pflanzlichem Leben in Worte zu fassen.« 123 Es scheint für Arz de Falco und Müller allerdings unwahrscheinlich zu sein, dass dieser Respekt in der direkten moralischen Berücksichtigung von Pflanzen seinen Ausdruck finden kann: »Die Diskussion um die Würde bei niederen Tieren und Pflanzen gestaltet sich ungleich schwieriger als in Bezug auf höhere Tiere. Sobald der Bereich der Empfindungsfähigkeit und somit die Frage nach dem subjektiv guten Leben […] verlassen werden, ist die Frage nach dem moralischen Wert und der moralischen Berücksichtigung weniger eindeutig und wird teilweise verneint«. 124 Auf dieser Grundlage gehen die beiden Gutachter »davon aus, dass die wesentlichen ethischen Aspekte im Rahmen einer Beurteilung von gentechnischen Veränderungen von ›niederen‹ Tieren und Pflanzen durch den Einbezug von Reflexionen zur Biosicherheit, zur Erhaltung der Biodi-

120 121 122 123 124

Arz de Falco et al. 2001, 70. Arz de Falco et al. 2001, 17. Arz de Falco et al. 2001, 111. Arz de Falco et al. 2001, 18. Arz de Falco et al. 2001, 16.

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versität, zu möglichen sozial- und entwicklungspolitischen Folgen abgedeckt sind.« 125 Interessant ist, dass die in den Gutachten chronologisch zu beobachtende zunehmende Hierarchisierung der Lebewesen tendenziell nicht hauptsächlich zu einer Abgrenzung des Kreaturbegriff gewissermaßen »nach oben«, also zwischen Tieren und Menschen führte, sondern v. a. »nach unten«, also zwischen Tieren und Pflanzen. Letztere Grenzlinie verläuft also wiederum zwischen empfindungsfähigen Lebewesen und solchen, denen man diese Eigenschaft nicht zuerkennt, und damit entlang der aristotelischen Grenzlinie zwischen »echten Lebewesen« und nur lebenden Organismen. Obwohl der Begriff der Würde der Kreatur insbesondere dazu verwendet wird, auch solche gentechnischen Eingriffe zu kritisieren, die bei den transgenen 126 Lebewesen weder Schmerz noch Leid verursachen, kommen die BUWALGutachten der Frage nach dem moralisch richtigen Umgang mit Pflanzen nicht näher. Vielmehr kann von einer sukzessiv fortschreitenden Abwertung der Pflanzen gesprochen werden, indem sie wieder in der tradierten Wertehierarchie verortet werden.

2.6.2 Die Stellungnahmen der EKAH Auch in den Stellungnahmen der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich scheint immer wieder das traditionelle hierarchische Denken auf, obwohl man sich zunächst mehrheitlich dafür aussprach, dass sich der Verfassungsbegriff der Würde der Kreatur »auf Tiere und Pflanzen« 127 bezieht. Das zeigt sich zum einen daran, dass bereits in der ersten Stellungnahme der EKAH nicht vergessen wurde, zu betonen, dass zumindest eine Minderheit ihrer Mitglieder die Auffassung vertritt, nur bei »höheren« Tieren könne von einer Würde der Kreatur gesprochen werden. 128 Zum anderen verbinden selbst die Befürworter einer Pflanzenwürde mit der Würde der Kreatur hinsichtlich ihrer Schutzfunktion 125 126 127 128

Arz de Falco et al. 2001, 16. Zur wissenschaftlichen Terminologie siehe Kapitel 7.2.1.1. EKAH 1998, 2. EKAH 1998, 1–3.

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bei Tieren und Pflanzen nicht dasselbe: Während sie »bei höheren Tieren […] ein[en] Individualschutz im Sinne des Schutzes des Eigenwerts des einzelnen Tieres [und im Sinne] der Erhaltung der jeweiligen Tierart« 129 für möglich halten, will die Mehrheit der EKAH die Würde der Kreatur »bei Pflanzen [nur] als Schutz des Fortbestandes der jeweiligen Pflanzenart« 130 verstanden wissen. Diese Differenzierung zwischen Tieren und Pflanzen, obwohl beide dem Bereich der kreatürlichen Würde zugeordnet werden, lässt sich in den späteren Publikationen der EKAH auch anhand der unterschiedlichen Intensität der Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Würde der Kreatur für den Umgang mit Tieren und Pflanzen darlegen: So erfolgte bereits ein Jahr nach der Gründung der EKAH die Veröffentlichung einer ersten Stellungnahme zur Revision des Tierschutzgesetzes eine explizite Beschäftigung mit der Würde des Tieres. 131 Die gemeinsam erarbeiteten und hier vorgestellten Kriterien für Würdeverstöße beim Tier fanden sich in der ausführlichen, in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Kommission für Tierversuche (EKTV) erstellten und 2001 der Öffentlichkeit vorgelegten Broschüre »Die Würde des Tieres« 132 wieder. Dagegen fand bis zum April 2008 die Würde der Pflanze in den Publikationen der EKAH lediglich am Rande, meist mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten, welche eine solche Diskussion begleiten, 133 bzw. mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Anforderungen im Umgang mit Tieren und Pflanzen, 134 Erwähnung. Eine tiefe Auseinandersetzung mit der Frage, was die Würde der Pflanze genau bedeutet und welche Eingriffe diese beeinträchtigen könnten, wurde – zumindest in den auf der Website der EKAH öffentlich zugänglichen Stellungnahmen 135 – konsequent vermieden. Besonders drastisch jedoch wird dieses Vermeidungsverhalten hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit der Würde der Pflanze angesichts der im Jahre 2000 von der EKAH veröffentlichten Stellungnahme zur »Terminator«-Technologie, in der eine abschließende AusEKAH 1998, 2. EKAH 1998, 3. 131 EKAH 1999. 132 EKAH & EKTV 2001. 133 EKAH & EKTV 2001, 11. 134 EKAH 2001, 10. 135 www.ekah.admin.ch/de/themen/wuerde-der-kreatur/index.html (letzter Zugang 20. 04. 10). 129 130

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sage zur Rolle der kreatürlichen Würde im Kontext der ethischen Bewertung dieses Verfahrens fehlt, 136 obwohl gerade dieses Verfahren im Hinblick auf die direkte moralische Berücksichtigung von Pflanzen immer wieder der Kritik ausgesetzt ist. 137 Auch in den Stellungnahmen der EKAH zu gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln und Freisetzungsversuchen findet die Würde der Pflanze keinen Platz. Es ist zwar richtig, dass es hier nicht speziell um die ethische Bewertung der Herstellung gentechnisch veränderter Organismen geht, auf die sich der Art. 24novies Abs. 3 bzw. der Art. 120 SBV bezieht, allerdings gehen die Vorschläge der EKAH zur Konkretisierung der Würde der Kreatur im Vorfeld der Revision des Tierschutzgesetzes aber auch ganz selbstverständlich über den gentechnologischen Anwendungsbereich hinaus. 138 Erst zehn Jahre nach der Gründung der EKAH – nachdem verschiedene Experten befragt wurden 139 und eine naturwissenschaftliche Studie über die pflanzliche Lebensform in Auftrag gegeben und publiziert wurde 140 – legte die EKAH eine Broschüre unter dem Titel »Die Würde der Kreatur bei Pflanzen« 141 vor. Schon der Titel im Vergleich zu dem der Broschüre »Die Würde des Tieres« legt die Vermutung nahe, dass die Rede von einer Würde der Pflanze und damit von der moralischen Berücksichtigung eines pflanzlichen »Lebewesens um seiner selbst willen« 142 für die Kommission mit gewissen Unsicherheiten behaftet ist. Diese Vermutung bestätigt sich angesichts des Inhalts der Broschüre, da von einer Konkretisierung der Würde der Kreatur bei Pflanzen hier kaum die Rede sein kann. Eher werden die »innerhalb der EKAH [bestehenden] sehr heterogene[n] Intuitionen in Bezug auf [den] Umfang und [die] Begründung moralischer Verpflichtungen gegenüber Pflanzen« 143 dargestellt. Dies erfolgte in Form eines »Entscheidungsbaum[s]«, 144 der zunächst nur aufzeigen soll, »welche ethischen Grundsatzpositionen eine Berücksichtigung von Pflanzen um 136 137 138 139 140 141 142 143 144

EKAH 2000a, 7. Vgl. z. B. Sitter-Liver 2008, 179; Kallhoff 2007, 41. EKAH 1999, 3. EKAH 2008, 3 f. Stöcklin 2007. EKAH 2008. EKAH 2008, 3. EKAH 2008, 5. EKAH 2008, 6.

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ihrer selbst willen zulassen.« 145 Zwar konnten sich die Mitglieder der EKAH darauf einigen, »dass Pflanzen nicht willkürlich geschädigt oder zerstört werden dürften« 146 und, dass »die vollständige Instrumentalisierung von Pflanzen […] moralisch rechtfertigungspflichtig« 147 ist, doch »[o]b und welche konkreten Handlungsanweisungen sich aus diesem Verbot ableiten lassen, blieb […] unklar.« 148 Die Heterogenität der Meinungen, welche die Entstehung durchsetzungsfähiger Mehrheiten bei konkreten Fragen nicht zuließ, oder die Unsicherheiten der jeweiligen Mitglieder einer Mehrheit über ihren eigenen Standpunkt mögen wohl ursächlich dafür gewesen sein, dass Minderheitenmeinungen in der Stellungnahme mit berücksichtigt werden, was wiederum die Konkretisierung unmöglich machte. So vertritt z. B. die Mehrheit die Auffassung, dass nur »Pflanzenindividuen einen Eigenwert« 149 haben, während Pflanzenkollektive und Arten nicht um ihrer selbst willen zählen. 150 Bei der Darlegung der Schlussfolgerungen werden allerdings auch die Minderheitenpositionen zu dieser Frage berücksichtigt, so dass die vollständige Instrumentalisierung von Pflanzen, nicht nur als Individuen, sondern auch als Arten und Kollektive, als moralisch rechtfertigungspflichtig deklariert wird. Und nicht nur das: Obwohl sich die Mehrheit gegen die Möglichkeit der moralischen Berücksichtigung von Pflanzenarten ausspricht, findet sich auch eine Mehrheit – wenn auch eine knappe – welche die Auffassung vertritt, dass »die Gefährdung einer Pflanzenart moralisch gleich bedeutsam ist wie dieselbe Gefährdung einer (Wirbel-)Tierart.« 151 So bleibt auch nach der Publikation der Broschüre der EKAH zur Berücksichtigung der Würde der Kreatur bei Pflanzen – im Gegensatz zu der kreatürlichen Würde bei Tieren – die Frage offen, welche Eingriffe in pflanzliche Lebewesen deren Würde beeinträchtigen können. Zusammenfassend kann für die Berücksichtigung der kreatürlichen Würde in den Stellungnahmen der EKAH gesagt werden, dass angesichts der Würde der Kreatur und ihren Implikationen die Tiere im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, während Pflanzen nur selten 145 146 147 148 149 150 151

EKAH 2008, 5. EKAH 2008, 5. EKAH 2008, 20. EKAH 2008, 5. EKAH 2008, 10. EKAH 2008, 8. 11 f. EKAH 2008, 19.

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Erwähnung finden. Im Gegensatz zu Tieren, konnte man sich für Pflanzen nicht auf Kriterien für Verstöße gegen deren Würde einigen. Das ist insofern nicht verwunderlich, da nicht einmal Sicherheit darüber besteht, ob Pflanzen überhaupt angesichts einer ihnen zuerkannten Würde um ihrer selbst willen moralisch berücksichtigt werden sollten, denn obwohl zunächst davon ausgegangen wird, dass der Verfassungsbegriff der Würde der Kreatur Tiere, Pflanzen und andere Organismen 152 umfasst, zieht es die EKAH in ihren Stellungnahmen vor, sich vorsichtiger auszudrücken, wenn es konkret um pflanzliche Lebewesen geht. So wird lediglich »nicht ausgeschlossen, dass auch […] Pflanzen ein Eigenwert zukommt.« 153 Sicher scheinen sich die Mitglieder der Ethikkommission aber zu sein, dass sie ein »hierarchisch[es] Würdekonzept« 154 vertreten wollen, nach dem die »Interessen eines Wirbeltieres nicht gleich gewichtet werden, wie diejenigen eines wirbellosen Tieres« 155 und diejenigen einer Pflanze. 156 Die Lebewesen werden also auch hier wieder im Lichte der Idee ihrer hierarchischen Ordnung wahrgenommen, in der die Pflanzen den untersten Platz einnehmen.

2.6.3 Über die Auslegung des Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur hinaus Die Publikationen, die sich mit der Würde der Kreatur auseinandersetzen, blieben nicht auf die genannten Schweizer Gremien und Arbeitsgruppen beschränkt. Die vorgelegten Auslegungen des Art. 24novies Abs. 3 SBV brachten die Diskussion über die direkte moralische Berücksichtigung nichtmenschlicher Lebewesen erst ins Rollen. So folgten eine Vielzahl von Beiträgen – nicht nur Schweizerischer Herkunft – welche sich auf unterschiedliche Art und Weise mit diesem Begriff auseinandersetzten, ohne sich dabei auf seine Auslegung als Verfassungsbegriff zu beschränken. Ganz vorn ist hier die Studie »Würde der Kreatur?« 157 von Heike Baranzke zu nennen, welche die 152 153 154 155 156 157

EKAH et al. 2001, 2. EKAH et al. 2001, 9. EKAH et al. 2001, 9. EKAH et al. 2001, 9. EKAH 2008, 19. Baranzke 2002.

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geistesgeschichtliche Herkunft dieses Ausdrucks zum Thema hat. Während aber Peter Kunzmann feststellen kann, dass die »›Würde des Tieres‹ […] fast über Nacht zum Slogan in der Bioethik geworden« 158 ist, da der »Ausdruck […] über einige Eigenschaften verfügen [muss], die ihm […] hohe Selektionsvorteile verschaffen«, 159 so dass er heute sogar jenseits der bioethischen Debatten häufiger in Gebrauch kommt, 160 bleiben die Pflanzen auch in der philosophischen Literatur ein Randthema. Dies wird besonders deutlich angesichts der Flut an Publikationen, die sich ausschließlich mit der Würde des Tieres befassen wie z. B. Teutsch 1995, Liechti 2002, v. d. Pfordten 2003, Hoerster 2004 und Kunzmann 2007. Aber auch solche Publikationen, die den umfassenderen Begriff der Würde der Kreatur im Titel tragen, verzichten i. d. R. auf Explikationen hinsichtlich pflanzlicher Lebewesen wie z. B. Bondolfi et al. 1997 und Krepper 1998. Selbst die groß angelegte Studie zur historischen Herkunft des Begriffes der Würde der Kreatur von Heike Baranzke ist stark auf die Würde des Tieres konzentriert. 161 Einige Autoren betonen sogar, dass Würdezuerkennung prinzipiell nur für Tiere möglich sei. So scheint z. B. Frans Brom die Ansicht von Balzer, Rippe und Schaber stark machen zu wollen, wenn er schreibt, dass »the practical use of the concept is limited to animals.« 162 Häufiger ist allerdings zu beobachten, dass die Thematisierung der moralischen Berücksichtigung von Pflanzen in den Beiträgen lediglich vermieden wird. Während in den letzten 15 Jahren die philosophischen Publikationen zur Würde des Tieres, die diesen Begriff auch selbst dann gern im Titel tragen, wenn der Autor dem Begriff mit Vorbehalten gegenübertritt, »mächtig angeschwollen und […] internationaler geworden« 163 sind, scheint der Begriff der Würde der Pflanze eher zum Schmunzeln anzuregen. Es macht den Eindruck, dass dieser Ausdruck als Titel für Kunzmann 2007, 13. Kunzmann 2007, 14. 160 So findet sich der Begriff der Würde des Tieres heute z. B. in der 1994 vom Europäischen Parlament angenommenen »Entschließung zum Wohlergehen und Status von Tieren in der Gemeinschaft« und auch im Codex Veterinarius der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Münk 1997, 22; http://www.tierschutz-tvt.de/codex.html (letzter Zugang am 20. 04. 10). 161 Baranzke 2002. 162 Brom 2000, 58. 163 Kunzmann 2007, 13. 158 159

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eine Publikation, die ernst genommen werden will, eher ungeeignet ist. So reagierte die Wochenzeitschrift »Die Zeit« mit einer Glosse unter dem Titel »Erbsenwürde« 164 auf die Veröffentlichung der EKAH-Broschüre »Die Würde der Kreatur bei Pflanzen«. Letztere meidet den Begriff der Würde der Pflanze im Titel, wie bereits angemerkt, allerdings selbst. Und auch die Schweizer Tageszeitung »Der Bund«, die sich am 21. Juni 2008, kurz nach der Veröffentlichung dieser EKAHBroschüre, in ihrer Wochenendbeilage »Der kleine Bund« 165 der Würde der Kreatur widmete, bevorzugte – geht es um die moralische Berücksichtigung der Pflanzen – die Befragung einer Kindergartengruppe anstelle eines Mitglieds der EKAH. Dem gegenüber kommen in allen anderen Artikeln dieser Beilage z. T. recht bekannte Namen aus Naturund Geisteswissenschaft zu Wort, die sich zu diesem Thema entweder nicht oder eher vorsichtig und kritisch äußern. Insgesamt liegt der Fokus also auch hier auf der Menschenwürde und der Würde des Tieres. Gleichwohl ist Hans Werner Ingensieps Befund richtig, wenn er in seiner umfassenden Studie zur »Geschichte der Pflanzenseele« 166 schreibt: »Unerwarteten Auftrieb erhalten Interessen im Reich des Vegetabilen neuerlich durch eine Formulierung in der Schweizer Bundesverfassung« 167 – gemeint ist die Würde der Kreatur. Auch wenn von der breiten Öffentlichkeit noch wenig beachtet, so erschienen nach der Einführung des Art. 24novies SBV nun immerhin einige, wenn auch wenig von der breiten Öffentlichkeit beachtete Publikationen, welche sich explizit der Frage, ob und wie Pflanzen direkt moralisch berücksichtigt werden können, stellen. Besonders umfassend ist unter diesen die Dissertationsschrift von Angela Kallhoff, welche 2002 unter dem Titel »Prinzipien der Pflanzenethik« erschien.168 Aus dem Rahmen fällt diese Arbeit aber nicht nur wegen ihres im Vergleich zu anderen, sich diesem Thema widmenden Texten beachtlichen Umfangs, sondern auch, weil sie nicht von den ethischen Fragen ausgeht, die mit Blick auf die Grüne Gentechnik geäußert werden. Üblicherweise werden ethische Aspekte des Umgangs mit Pflanzen im Zusammenhang mit der Debatte um ihre gentechnische Veränderung thematisiert. Hier hat die

164 165 166 167 168

Carduus 2008, 43. Der kleine Bund vom 21. 06. 2008. Ingensiep 2001. Ingensiep 2001, 605. Kallhoff 2002.

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Diskussion um die Würde der Pflanze bis heute ihre Heimat. Das ist insofern nicht überraschend, da es trotz des mit diesem Ausdruck verbundenen »Problem[s] der Übersetzung der moralischen Konsequenzen in einer praktischen Haltung« 169 kaum möglich scheint, unabhängig von den Folgen gentechnischer Eingriffe für das subjektive Wohlergehen eines Tieres zu behaupten, dass mit dem biotechnologischen Zugriff auf das Genom generell der Bereich des moralisch richtigen Handelns verlassen wird und gleichzeitig den Pflanzen die Anerkennung eines moralischen Status zu verweigern. 170 Dementsprechend nähern sich auch die Publikationen zur direkten moralischen Berücksichtigung von Pflanzen, i. d. R. von der Biotechnologie her kommend, ihrer Thematik an. So veranstaltete z. B. das International Forum for Genetic Engineering (Ifgene) zwei interdisziplinäre Tagungen zu ethischen Aspekten der Gentechnik, deren Beiträge 2001 und 2002 jeweils in einem Sammelband publiziert worden sind. Im ersten Band, der unter dem Titel »Intrinsic Value and Integrity of Plants in the Context of Genetic Engineering« 171 erschien, stehen die Pflanzen sogar im Fokus der Aufmerksamkeit und werden auch im zweiten Band 172 thematisch nicht ausgeschlossen. Einige Artikel dieser Publikation setzen sich auch explizit mit der Würde von Pflanzen auseinander wie z. B. der Beitrag von Christoph Rehmann-Sutter. 173 Ebenfalls im Jahre 2002 veröffentlichte Rainer Hohlfeld im Auftrag der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler den Bericht der von ihr beauftragten Studiengruppe »Moderne Pflanzenzüchtung und Gesellschaft« unter dem Titel »Leitbilder und Wege von Pflanzenzucht und Landbau in der modernen Industriegesellschaft«. 174 Diese Publikation stellt das Ergebnis des sechsjährigen Dialogs einer interdisziplinären Arbeitsgruppe dar, deren Mitglieder sehr unterschiedliche Zugangsweisen und Ansichten zum Thema Grüne Gentechnik vertreten. Das Ziel war das Entwickeln einer Gesprächskultur, die eine Grundlage für die gegenseitige Verständigung zu dieIngensiep 2001, 619. Ein generelles Verbot der Herstellung transgener Tiere wollte z. B. die von der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) 1993 lancierte Volksinitiative »zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulation« mit dem Vorschlag des Art. 24decies BV (neu) erwirken. Vgl. Krepper 1998, 368 f. 171 Heaf et al. 2001. 172 Heaf et al. 2002. 173 Rehmann-Sutter 2001. 174 Hohlfeld 2002. 169 170

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sem Thema darstellen kann. Zwar nur im Anhang, aber immerhin nicht ausgeschlossen, findet sich ein Text von Petran Kockelkoren, der sich mit den ethischen Aspekten der Pflanzenbiotechnologie unter dem Titel »Pflanzenwürdiges Leben« 175 auseinandersetzt. Und nicht zuletzt sind auch die beiden von der Arbeitsgruppe »Würde in der Gentechnologie« – in der auch die vorliegende Arbeit verortet ist – im Jahre 2007 und 2008 veröffentlichten Sammelbände »Eine Würde für alle Lebewesen?« 176 und »Wie die Würde gedeiht« 177 zu nennen, die sich ebenfalls im Rahmen ethischer Überlegungen zur gentechnischen Veränderung nichtmenschlicher Lebewesen auch dem Begriff der Würde der Pflanze intensiver widmen. Die wenigen bisherigen Veröffentlichungen zu dieser Thematik sind allerdings erst der Anfang der Debatte um die direkte moralische Berücksichtigung von Pflanzen, denn zur Frage, was denn die Würde der Pflanze genau bedeutet und damit, welche Handlungen an Pflanzen gegen diese verstoßen könnten, werden kaum konkrete Ergebnisse vorgelegt. Werden dennoch Schutzziele genannt, die sich aus der Achtung vor der Würde der Kreatur ergeben, welche über tierschützerische Belange hinausgehen, dann kann häufig beobachtet werden, dass Pflanzen nicht direkt berücksichtigt werden, sondern nur indirekt, quasi als Teil des Lebensraumes. In den Fokus der Aufmerksamkeit kommen sie hier also hauptsächlich im Rahmen von Arten-, Umwelt-, Natur- und Heimatschutz wie z. B. bei Antoine F. Goetschel: »Von der schützenswerten Würde der Kreatur lässt sich aber – über die tierschützerischen Fragen hinaus – ebenso im Zusammenhang etwa mit der gesamten Gesetzgebung über Artenschutz, Vogelschutz, Jagd und Fischerei, Umweltschutz, Natur- und Heimatschutz, Raumplanung, Landwirtschaft und Tierzucht, Ein- und Ausfuhr von Tieren, Tiertransporte, Tierseuchen und Tierversuche, Schlachtwesen und Lebensmittelhygiene sprechen.« 178 Das hierarchische Denken, nach dem die Pflanzen zwischen Lebensraum und »echten Lebewesen« stehen, scheint also auch hier wieder auf und zog schließlich auf der Gesetzesebene ein: Im Schweizer Gentechnikgesetz vom 21. März 2003 (GTG), dass sich u. a. auf den 175 176 177 178

Kockelkoren 2002. Odparlik et al. 2007. Odparlik et al. 2008. Goetschel 1995, Xf.

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Art. 120 Abs. 2 SBV stützt, werden Pflanzen in der Darlegung der allgemeinen Bestimmungen im Art. 1 nicht explizit erwähnt, sondern unter dem Begriff »Umwelt« subsumiert: »Dieses Gesetz soll den Menschen, die Tiere und die Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnologie schützen.« 179 Dass damit der Nerv der Allgemeinheit getroffen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Rede von der Würde der Tiere sehr populär ist und auch der Ausdruck geschöpfliche Würde oder Würde der Natur leicht über die Lippen zu gehen scheint, während der Begriff von der Würde der Pflanze lieber vermieden wird. Wie die Würde der Kreatur laut GTG genau zu achten ist, wird im Art. 8 dargelegt: »Ob die Würde der Kreatur missachtet ist, wird im Einzelfall anhand einer Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung von Tieren und Pflanzen und der Bedeutung der schutzwürdigen Interessen beurteilt. Schutzwürdige Interessen sind insbesondere: a. die Gesundheit von Mensch und Tier b. die Sicherung einer ausreichenden Ernährung c. die Verminderung ökologischer Beeinträchtigungen d. die Erhaltung und Verbesserung ökologischer Lebensbedingungen e. ein wesentlicher Nutzen für die Gesellschaft auf wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Ebene f. die Wissensvermehrung«. 180 Offensichtlich gehen also nicht nur im Rahmen der Umweltethikdebatte, sondern auch im Rahmen der Anerkennung einer Würde der Kreatur das Wohlergehen des Menschen, der Tiere und der Erhalt des Lebensraumes dem Schutz der Pflanzen vor der Beeinträchtigung ihrer Würde voraus und man kann mit Peter Kunzmann feststellen: »Abermals scheint die Kraft einer langen Tradition stark genug, die Pflanzen doch wieder ›nach unten‹ durchzureichen, indem eine Hierarchie konstituiert wird.« 181 Somit ist es auch nicht überraschend, dass die Debatten um den neuen Verfassungsbegriff in Bezug auf Tiere immerhin zu der Entscheidung führten, das Tierschutzgesetz dergestalt zu verändern, dass der Bundesrat in Berücksichtigung der »Würde des Tieres […] die Zucht, das Erzeugen und das Halten von Tieren mit bestimmten Merkmalen, insbesondere Abnormitäten in Körperbau und Verhal179 180 181

GTG Art. 1. GTG Art. 8. Kunzmann 2008, 142.

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ten« 182 verbieten kann, während über die Frage, ob und, wenn ja, wie der Würdebegriff in seiner Anwendung auf Pflanzen ethisch für die Zulässigkeit von Vorhaben der Grünen Gentechnologie von Bedeutung sein kann, bisher keine Einigkeit erzielt werden konnte.

2.6.4 Fazit Was sind die Gründe dafür, dass sich der mit der Würde der Kreatur transportierte Gedanke von einer direkten moralischen Berücksichtigung pflanzlicher Lebewesen bisher nicht erfolgreich im Denken und Handeln niederschlagen konnte? Und das, obwohl »ein über pathozentrische Fragen hinausgehender Tierschutz die Frage nach dem ›Warum‹ einer moralischen Achtung auf eine breitere Basis stellt.« 183 Liegt es allein daran, dass unsere Gesellschaft so stark von dem traditionellen hierarchischen Wahrnehmungsmuster geprägt ist, dass sich eine Veränderung des Blicks auf den Menschen und seine Umwelt nur in einem langsamen Prozess vollziehen kann, dessen Abschluss zu erwarten ist, wenn heute noch ungeklärte Fragen zum Leben der Pflanzen und zu unserem Verhältnis zu ihnen beantwortet sind, oder stehen vielmehr systematische Gründe einer Umsetzung der Forderung, auch Pflanzen direkt moralisch zu berücksichtigen, entgegen? Ist letzteres der Fall, dann müsste das Konzept der Würde der Pflanze, so wie es bisher verstanden wird, fallen gelassen werden. Der Frage, ob ein solches Konzept überhaupt sinnvoll sein kann, widmen sich die folgenden beiden Kapitel. Im ersten, dem Kapitel 3 wird es darum gehen, ob die mit der Würde der Pflanze verbundene Forderung, pflanzliche Lebewesen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, auf einer sachlichen Grundlage steht. Die entscheidende Frage wird hierbei also sein, aus welcher Perspektive Pflanzen überhaupt direkt moralisch berücksichtigt werden können. Im Zentrum der Aufmerksamkeit des darauf folgenden Kapitels 4 steht die Frage, ob und, wenn ja, warum Menschen Pflanzen direkt berücksichtigen sollten. Hier geht es also um den Verpflichtungscharakter der Würde der Pflanze.

182 183

TSchG Art. 10 Abs. 2. Kunzmann et al. 2008, 52.

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Geht es darum, aufzuzeigen, warum auch Pflanzen eine Würde zuerkannt werden sollte und diese dementsprechend um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen sind, verweisen die Verteidiger der Würde nichtmenschlicher Lebewesen üblicherweise darauf, dass diese Lebewesen nicht nur einen instrumentellen Wert für Menschen haben. Darüber hinaus hätten sie auch einen Wert, der nicht in Abhängigkeit ihres Nutzens zur Verwirklichung menschlicher Interessen bestimmt werden kann. Es geht also um einen Wert, den auch Pflanzen »an sich« 1 haben. Diese Vorstellung von einem nichtinstrumentellen Wert der nichtmenschlichen Lebewesen wird begrifflich allerdings sehr unterschiedlich gefasst. So verweisen z. B. Praetorius und Saladin in ihrer Auseinandersetzung mit der Würde der Kreatur auf die »spezifische Werthaftigkeit« von Tieren und Pflanzen. 2 Für Wolfgang Fritsche sollte angesichts der Würde der Kreatur der »intrinsische Wert, Lebewesen um ihrer selbst willen zu achten … für den Umgang mit Lebewesen bestimmend werden.« 3 Um den Anspruch, dass Tieren und Pflanzen moralische Sorge gebührt, Ausdruck zu verleihen, wird auch von »immanenter Würde« 4 und »inhärenter Würde« 5 gesprochen, welche jeweils ebenfalls als Ausdruck für den nicht-instrumentellen Wert von Lebewesen verwendet werden. Alternativ zu diesen beiden und den zuvor vorgestellten Begriffen wird im Zusammenhang mit der Rede von der Würde nichtmenschlicher Lebewesen auch der Begriff des »inhärenten Wertes« verwendet. So schlägt Anne Siegetsleitner vor, »Würde als Eigenwert zu fassen, und zwar als inhärenten Wert: Etwas Praetorius et al. 1996, 44. Praetorius et al. 1996, 86. 3 Fritsche 2008, 241. 4 Geissbühler 2001, 242 f. 5 Brandt 1992, 445, zit. n. Teutsch 1995, 74; Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 82. 1 2

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hat genau dann inhärenten Wert, wenn sein Wohlergehen um seiner selbst willen berücksichtigt (respektiert) werden muss.« 6 Sie steht damit in der Nachfolge des Umweltethikers Paul Taylor. So wie auch die Gutachter Balzer, Rippe und Schaber, welche die Auffassung vertreten, dass die »Konzeption eines inhärenten Wertes [dem entspricht], was die Verfassungsgeber durch die Aufnahme des Begriffs ›Würde der Kreatur‹ intendierten.« 7 Peter Kunzmann folgt ihnen hier 8 und auch Robert Heeger 9 sowie Beat Sitter-Liver präferieren diesen Begriff. Letzterer z. B. schreibt, dass die Achtung vor der Würde der Kreatur »die Anerkennung eines inhärenten Wertes, verstanden als Eigenwert des jeweils Geachteten« 10 impliziert. Besonders häufig – darauf deuten schon die letzten Zitate hin – wird die Rede von der Würde der Pflanze und anderer nichtmenschlicher Lebewesen mit dem Begriff des »Eigenwertes« verbunden. Wie auch viele andere Autoren, 11 geht die EKAH in ihren Überlegungen zur Würde der Kreatur bei Pflanzen von folgendem Gedanken aus: »Verfügt etwas über Eigenwert, bedeutet dies, dass es über etwas verfügt, dass man auch ›Würde‹ nennt. Ein Wesen, das Eigenwert hat, zählt deshalb moralisch um seiner selbst willen.« 12 Über Sinn und Unsinn der Verwendung der genannten Wertbegriffe soll hier nicht debattiert werden. Wichtig ist an dieser Stelle zunächst nur, festzuhalten, dass es in jedem Fall darum geht, der Idee eines Wertes der Pflanzen Ausdruck zu verleihen, welcher unabhängig von der Nützlichkeit dieser Lebewesen für Andere, insbesondere für den Menschen besteht. Zur Vereinfachung wird in den nachfolgenden Kapiteln der vorliegenden Studie der Begriff des Eigenwertes verwendet, um dieses auszudrücken. Es ist kein Zufall, dass die Idee eines Eigenwertes nichtmenschlicher Lebewesen in den Texten der Verteidiger der Würde der Kreatur so prominent ist, schafft sie doch erst die Voraussetzung für die Rede von der Berücksichtigung nichtmenschlicher Lebewesen um ihrer Siegetsleitner 2007, 117. Balzer et al. 1998, 48. 8 Kunzmann 2008, 151. 9 Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 82. 10 Sitter-Liver 2008, 170. 11 So z. B. Praetorius et al. 1996, 44, 86; Balzer et al. 1998, 42, 48; Fritsche 2008, 241; Kunzmann 2008, 151; Teutsch 1995, 38. 12 EKAH 2008, 7. 6 7

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selbst willen und damit auch für die Rede von der Würde der Pflanze. Diese wäre nicht sinnvoll, würden Pflanzen nur hinsichtlich ihres Nutzens für die Verwirklichung menschlicher Interessen als wertvoll erachtet. An dieser Stelle ist allerdings noch nichts gesagt über die Plausibilität der Rede vom Eigenwert und dementsprechend über die der direkten moralischen Berücksichtigung der Pflanzen. Diese Frage zu klären, ist das Ziel der Untersuchung des vorliegenden Kapitels. Hierzu werden die Texte der Befürworter der Würde nichtmenschlicher Lebewesen daraufhin untersucht, ob die jeweils hervorgehobenen Merkmale der Pflanzen, welche der Rede von ihrem Eigenwert Gehalt verleihen sollen, tatsächlich geeignet sind, der mit der Würde verbundenen Forderung, auch Pflanzen direkt moralisch zu berücksichtigen, eine sachliche Grundlage zu verschaffen. Die verschiedenen Positionen lassen sich in drei Gruppen einteilen. Während eine Gruppe auf das verletzbare eigene Gut verweist, welches allen Lebewesen gemein sei, ist in einer zweiten Gruppe von der unbegreiflichen Andersartigkeit der außermenschlichen Entitäten der Natur die Rede. Die Argumentation dieser beiden Gruppen grenzt sich von der häufig vertretenen Idee ab, dass nur solche Organismen direkt moralisch berücksichtigt werden können, die Schmerz empfinden können und zu bestimmten kognitiven oder kommunikativen Leistungen fähig sind. Die Argumentation der dritten Gruppe dagegen verbleibt auf der Ebene der im ethischen Diskurs prominenten pathozentrischen Positionen und versucht, die Möglichkeit der Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen zu belegen, indem sie auf Ergebnisse der pflanzenphysiologischen Forschung verweist, welche die Ähnlichkeit von Tieren und Pflanzen z. B. hinsichtlich der Wahrnehmungsfähigkeiten, Informationsweitergabe und -verarbeitung belegen.

3.1 Unbegreifliche Andersartigkeit Einige Autoren plädieren dafür, den Eigenwert von Pflanzen und anderer nichtmenschlicher Lebewesen an deren nicht bis ins Letzte begreifbaren Andersartigkeit festzumachen. Praetorius und Saladin weisen darauf hin, dass sie mit dieser Auffassung der erkenntnistheoretischen Grundposition der Moderne, der »Reduktion des anderen auf das Sel56 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Unbegreifliche Andersartigkeit

be«, 13 welche den Kern einer Einstellung bildet, die zu sozial und ökologisch hochproblematischen Handlungsweisen führte, kritisch begegnen wollen. Damit stünden solche Autoren in der Tradition Emmanuel Levinas, 14 welcher der Auffassung Praetorius’ und Saladins, der »zur ›Selbstverständlichkeit‹ gewordenen … Position«, 15 dass außermenschliche Entitäten und bestimmte Menschen für das autonome Subjekt frei verfügbar sind, »weil es ihr Wesen und ihren Wert gänzlich erkennen zu können glaubt«, 16 die These gegenüberstellt, dass »dem anderen … prinzipiell Respekt zu zollen [sei], eben weil es anders und als Anderes von einem zeitlich und räumlich begrenzten Bewusstsein nicht zu begreifen sei. … Das Kriterium, das hier die ›Würde der Kreatur‹ begründet, ist nichts als ihre prinzipielle Nichtbegreifbarkeit: weil ich als begrenztes Bewusstsein das Andere nicht in seinem Wesen erkennen kann, darf ich nicht über es verfügen.« 17 Auf dieser Grundlage kommen Praetorius und Saladin zu dem Schluss, dass es sich »[i]m Falle der Kreaturwürde … bei der hier geforderten verstehenden Aneignung des Verfassungstextes vor allem darum handeln [wird], die Fähigkeit, andere Menschen und Kreaturen als unverfügbar Andere zu respektieren, als notwendige Grundhaltung bewusstzumachen und einzuüben.« 18 Eine andere Vertreterin dieser Auffassung ist Ursula Wolf, wenn sie betont »daß wir wesentlich in einer Welt von anderen Wesen und Dingen leben, deren Existenz … in ihren letzten Gründen nicht erkennbar ist, wie die eigene« 19 und daraus schließt: »Dieses Selbstsein der Dinge, das uns entzogen ist, kann man, wenn man will, wiederum so ausdrücken, daß die Dinge einen Eigenwert oder eine Würde haben … und wenn die Moral dem Schutz des Wertvollen dient, würde folgen, daß prima facie alle Dinge in ihrem Wert nicht verletzt werden sollten.« 20 Für Beat Sitter-Liver gründet sich die Nichtbegreifbarkeit und damit Unverfügbarkeit des Anderen, im speziellen Fall der Pflanze, mit 13 14 15 16 17 18 19 20

Praetorius et al. 1996, 41. Levinas 2004. Praetorius et al. 1996, 42. Praetorius et al. 1996, 41. Praetorius et al. 1996, 42. Praetorius et al. 1996, 46. Wolf 2004, 138. Wolf 2004, 138.

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der »ich in Beziehung stehe, … [dass sie nie aufgeht] in der Beziehung zu mir, sondern ist was … [sie] ist, aus der Wechselbeziehung auch zu Anderen, mir Entzogenen.« 21 »Die Gehaltenheit in solchem Anderen vermittelt allem, was Menschen bearbeiten, eine einzigartige Würde, nämlich eine dem menschlichen Zugriff endgültig entzogene Besonderheit, eine Selbstbezogenheit und dadurch einen eigenen Wert. […] Auf diesen Eigenwert und auf die prinzipielle Uneinholbarkeit dessen, was je in der Natur erscheint und uns begegnet, weist die Metapher von der Würde der Kreatur hin. Sie nötigt dem vernünftigen, das heißt hier: für Anderes offenen Menschen unbedingten Respekt ab.« 22 Im Rahmen einer solchen Argumentation ist für die Anerkennung einer Pflanze als ein über Würde verfügendes Wesens nicht das Vorhandensein bestimmter einsehbarer Merkmale ausschlaggebend, sondern es geht vielmehr um die »Dimension hinter dem für uns Wissbaren und Verfügbaren«. 23 Die Würde der Pflanze wird auf dieser Grundlage nicht aufgrund des Vorhandenseins bestimmter empirischer Eigenschaften zugeschrieben, sondern tritt in einer besonderen Form der Wahrnehmung eines Wesens auf. Das betont Christoph Rehmann Sutter, wenn er schreibt: »Seeing something as a dignified entity implies a special mode of perception where this dignity can appear.« 24 Martin Seel geht so gar so weit, zu behaupten: »Nur aus ästhetischer Einstellung … kann der Natur auch jenseits bewussten Lebens so etwas wie ein ›Eigenwert‹ zukommen.« 25 Gleichzeitig zeigt er aber auch, dass die aufgrund eines ästhetischen Zugangs gewonnene moralische Anerkennung der Natur »keine direkte Anerkennung … sein kann, sondern allein eine Anerkennung der ästhetischen Anerkennung der Natur durch den Menschen.« 26 Angelika Krebs folgt ihm hier, wenn sie davor warnt, den ästhetischen Eigenwert mit dem moralischen Eigenwert zu verwechseln: »Von der Einsicht, daß der Wert der Natur in der ästhetischen Kontemplation eine Form des nicht-instrumentellen Wertes ist, gehen manche direkt zur Behauptung über, die Natur habe also Eigenwert und sei so um ihrer selbst willen zu schützen. Vor diesem übereilten Schluß schützt aber die Erkenntnis, daß es neben moralischem 21 22 23 24 25 26

Sitter-Liver 2008, 172. Sitter-Liver 1999, 472. Wolf 2004, 138. Rehmann-Sutter 2001, 6. Seel 1997, 311. Seel 1997, 311.

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Eigenwert noch andere Formen von Eigenwert gibt. Der ästhetische Eigenwert der Natur leitet sich ab von dem Wert, den die Naturbetrachtung für den jeweiligen Betrachter hat.« 27 Auch wenn Seel und Krebs in diesem Zusammenhang von der Natur in ihren wahrnehmbaren Zusammenhängen sprechen, gilt gleiches auch für die einzelnen Entitäten der Natur: Der Schutz des »Naturschöne[n]«28 wie z. B. eines Baums kann demnach nur um willen des guten individuellen Lebens direkt zu berücksichtigender Wesen begründet werden, nicht aber um des Baumes selbst willen. Es ist also durchaus anzunehmen, dass der Gedanke von der Nichtbegreifbarkeit des Anderen zu einer Haltung des Respekts vor dem in gewisser Hinsicht immer fremd bleibenden und – gerade mit Blick auf Pflanzen – im Vergleich zu den gängigen Vorstellungen möglicherweise facettenreicheren Lebewesen anregt. Transportiert er doch ein Bild vom Menschen, das ihn als ein Wesen darstellt, welches aufgrund seiner begrenzten Möglichkeiten zum Erkenntnisgewinn nie Sicherheit darüber erlangen kann, ob er z. B. über das Leben von Pflanzen vollständig informiert ist. Die so ins Bewusstsein gebrachte Begrenztheit des Menschen im Bezug auf sein Wissen über Pflanzen könnte also als ein Motiv für einen behutsameren Umgang mit der vegetativen Natur dienen. Doch obwohl Pflanzen auf der Grundlage der Idee der Andersartigkeit durchaus berücksichtigt werden können, kann es hier nicht um eine Form der direkten Berücksichtigung gehen, da sich Kriterien für den richtigen Umgang nicht aus dem Schutzobjekt selbst ergeben. Eine Konzeption von Pflanzenwürde, welche mit der Forderung zur direkten moralischen Berücksichtigung verbunden wird, kann also nicht darauf beruhen, dass uns die Pflanzen in ihrer nichtbegreifbaren Andersartigkeit vor Augen treten können. Darüber hinaus weist der Ansatz im Zusammenhang mit der Diskussion um die Würde nichtmenschlicher Lebewesen noch weitere Schwächen auf: Wie Praetorius und Saladin betonen, birgt die mit der Nichtbegreifbarkeit des Anderen transportierte »Mystifizierung des Anderen« die Gefahr, »aus dem neugewonnen Respekt schliesslich keine Konsequenzen zu ziehen. […] Die Achtung vor dem Anderen kann leicht in ihr Gegenteil umschlagen: Die Verantwortungslosigkeit ge27 28

Krebs 1997, 371 f. Seel 1997, 320.

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genüber allem, das mir nicht gehört.« 29 Diese Befürchtung ist nicht unbegründet, denn auf der Grundlage eines solchen Würdekonzepts wäre es möglich, nicht nur Lebewesen, sondern auch unbelebte Entitäten wie Steinen oder sogar Artefakten 30 Würde zuzusprechen. Doch selbst wenn man sich darauf verständigen könnte, bestünde noch das Problem, dass sich aus einer solchen Konzeption keine Handlungsrichtlinien für den moralisch richtigen Umgang mit Pflanzen erheben ließen. In der Praxis käme es aus diesen Gründen wohl schnell zu einer Überforderung handelnder Personen und in der Folge zu einer Entwertung dieses Konzepts.

3.2 Die Subjektivität von Pflanzen Die Stimmen, die sich immer wieder einmal aus dem »biozentrischen Lager« erheben, um mittels der Einebnung oder wenigstens der Modifizierung der überlieferten Seins- und Werthierarchie den Kreis der moralisch direkt zu berücksichtigenden Lebewesen auf die Pflanzen auszuweiten, greifen für ihre Begründungen z. T. auf Begriffe zurück, welche sonst nur in Bezug auf Menschen und einige Tiere verwendet werden, um deren moralischen Status auszuweisen. So spricht z. B. Robin Attfield von »interests of trees« 31 und Paul Taylor auch im Bezug auf Pflanzen von deren »well-being«. 32 Busch et al. denken sogar darüber nach, im Rahmen eines vertragstheoretisch orientierten personenzentrierten Ansatzes, nicht nur menschlichen Personen bestimmte Anspruchsrechte und damit einen bestimmten Schutz zuzuerkennen, sondern darüber hinaus auch menschlichen und sogar nichtmenschlichen Lebewesen, welche vermutlich Personen sind, dieses aber nicht zum Ausdruck bringen können. Die Autoren verwenden für solche Lebewesen den Ausdruck locked in persons. Auch wenn sie davor warnen, »in die Fallen eines radikalen Biozentrismus zu geraten« 33 und nicht explizit von Pflanzen sprechen, so halten sie es doch auch im Rahmen des von ihnen vertretenen vertragstheoretischen perPraetorius et al. 1996, 42. Peter Kunzmann hat dieses Problem bereits mit Blick auf das Würdekriterium der Geschöpflichkeit dargelegt: Kunzmann 2008, 81; vgl. auch Krebs 1997, 372. 31 Attfield 1981, 51. 32 Taylor 1986, 67. 33 Busch et al. 2002, 46. 29 30

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sonenzentrierten Ansatzes für vernünftig, die Möglichkeit eines auf dieser Grundlage beschriebenen »Eigenwertes [von Lebewesen] zu berücksichtigen und sich daher eine ›Ehrfurcht vor dem Leben‹ … zu bewahren«. 34 Florianne Koechlin, die sich u. a. als Mitglied der EKAH in der Schweiz für die Achtung der Würde der Pflanze einsetzt, wird noch konkreter: Mit dem Verweis auf Ergebnisse der pflanzenphysiologischen Forschung fragt sie im Rahmen bioethischer Erwägungen ganz direkt nach der Intelligenz, dem Bewusstsein und der Empfindsamkeit von Pflanzen. 35 Sie verbleibt damit im Rahmen patho- und neurozentrischer Positionen und hinterfragt angesichts neuer, z. T. ganz erstaunlicher Erkenntnisse über die Lebensweise pflanzlicher Organismen, ob die Beschränkung der direkten moralischen Berücksichtigung auf Menschen und bestimmte Tiere noch überzeugen kann. Könnte man auch bei Pflanzen Fähigkeiten nachweisen, auf deren Grundlage ein gewisses subjektives Erleben anzunehmen wäre, dann könnten laut pathozentrischer bzw. neurozentrischer Positionen selbstverständlich auch Pflanzen um ihrer selbst willen berücksichtigt werden. Neuere Forschungsergebnisse der Botanik, wie Florianne Koechlin richtig darstellt, legen tatsächlich pflanzliche Fähigkeiten offen, die unserem traditionellen, mechanistischen Pflanzenbild nicht entsprechen. So wurde beschrieben, dass einige der pflanzlichen Bewegungen und die Lichtempfindlichkeit der Pflanzen in Zusammenhang mit Proteinen stehen, die auch in den Muskeln bzw. Sehorganen der Tiere eine Rolle spielen. 36 Auch ein gewisses Gedächtnis- und Lernvermögen konnte bei Pflanzen beobachtet werden, 37 ebenso Kommunikation zwischen Pflanzen einer Art, Pflanzen verschiedener Arten und sogar Pflanzen und nichtpflanzlichen Lebensformen. 38 Die Liste ließe sich fortsetzen, besonders erstaunlich aber ist, dass einige der Pflanzenhormone tierischen Hormonen, 39 ja sogar tierischen Neurotransmittern, ähnlich sind 40 und Pflanzen – wie Tiere – Signale mittels Aktions-

34 35 36 37 38 39 40

Busch et al. 2002, 46. Koechlin 2007, 65, 69 f. Fleurat-Lessard et al. 1988; Forster et al. 1980; Forster et al. 1984. Trewavas 2003; Trewavas 2001; Trewavas 1986. Ninkovic et al. 2006; Perry et al. 2006. Le Page-Degrivy et al. 1986. Steward et al. 1949; Kinnersley et al. 2000.

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potenzialen übertragen können, 41 obwohl sie kein Nervensystem besitzen. 42 Mittlerweile sprechen einige Pflanzenphysiologen sogar über eine gehirnähnliche Struktur in der Wurzelspitze pflanzlicher Lebewesen. 43 Derlei Ergebnisse führten zur Gründung eines neuen Forschungszweiges, der Pflanzenneurobiologie. 44 Wie der Pflanzenphysiologe Jörg Stöcklin betont, zeigen solche naturwissenschaftlichen Ergebnisse, dass »die Unterschiede von Tieren und Pflanzen, Informationen aus ihrer Umwelt aufzunehmen, zu verarbeiten und darauf zu reagieren, [nur] gradueller Natur« 45 sind. Für einen Vertreter einer patho- oder einer neurozentrischen Position dürfte es damit ein großes Problem sein, eine klare Grenze zwischen solchen Wesen, welche direkt moralisch berücksichtigt werden können, und solchen, bei denen diese Möglichkeit nicht besteht, aufzuzeigen. Eine sichere Unterscheidung zwischen empfindungs- und nicht-empfindungsfähigen Lebewesen anhand empirischer Daten ist jedenfalls unmöglich, so wie aus »biologischer Sicht … [auch] keine Höherentwicklung von Tieren im Vergleich mit Pflanzen postuliert werden« 46 kann. Allerdings ist auch unter Naturwissenschaftlern sehr umstritten, ob die neuen naturwissenschaftlichen Einsichten in das pflanzliche Leben mit der Verwendung von Begriffen wie »Intelligenz«, »Bewusstsein« oder »Empfindungsfähigkeit« interpretiert werden sollten. Das wird u. a. verdeutlicht durch den Austausch von Streitschriften der Pflanzenphysiologen Anthony Trewavas und Richard Firn im Fachblatt Annals of Botany über die Anwendung des Begriffs Intelligenz in Bezug auf Pflanzen 47 und das Befremden, das die Gründung des pflanzenphysiologischen Forschungszweiges »Pflanzenneurobiologie« bei einer großen Anzahl von Fachkollegen auslöste. 48 Letztlich, darauf weist Pickard 1973. Der Biologe Paul Simons stellt in folgendem Buch neuere botanische Erkenntnisse dar, welche das traditionelle Pflanzenbild hinterfragen und die graduellen Unterschiede zwischen Pflanzen und Tieren aufzeigen: Simons 1994. 43 Baluska et al. 2004. 44 Davon zeugt z. B. das neu erschienene Lehrbuch »Communication in Plants. Neuronal Aspects of Plant Life« von Baluka et al. 2006 und das seit Beginn 2006 erscheinende Fachblatt »Plant Signaling and Behavior«. 45 Stöcklin 2007, 6. 46 Stöcklin 2007, 6. 47 Trewavas 2003; Firn 2004; Trewavas 2004. 48 Alpi et al. 2007. 41 42

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Klaus Peter Rippe richtigerweise hin, ist es Naturwissenschaftlern auch nicht möglich, zweifelsfrei nachzuweisen, ob z. B. Pflanzen Schmerz oder Freude tatsächlich empfinden können. Lediglich Indizien für ein Empfindungsleben können geliefert werden. 49 Welche Ansicht zu diesem Thema auch immer vertreten wird: Die Tatsache, dass die Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen hinsichtlich bestimmter, für die pathozentrische Argumentation zentraler Fähigkeiten nur graduell sind, verdeutlicht zwar, dass pflanzliche Lebewesen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten bisher wohl unterschätzt wurden. Nichts weist jedoch darauf hin, dass Pflanzen subjektiv erfahrende Wesen mit einer bestimmten Art von »Innerlichkeit« sind. Es erscheint daher nach wie vor wenig überzeugend, die mit der Würde der Pflanze verbundene Forderung, pflanzliche Lebewesen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, im Rahmen eines neurozentrischen bzw. pathozentrischen Ansatzes auf einer solch spekulativen Grundlage zu begründen. Diese Auffassung teilt auch Rippe, wenn er schreibt: »Sollen Pflanzen in die moralische Gemeinschaft zugelassen werden, müssen Indizien vorliegen, die auf Empfindungsfähigkeit hinweisen. Solange diese nicht vorliegen, ist es eine Frage der privaten Überzeugung, mit Pflanzen behutsam umzugehen. Eine intersubjektiv verbindliche Moral kann nur jene Lebewesen aufnehmen, bei denen Indizien bestehen, dass sie empfindungsfähig sind.« 50 Doch selbst wenn sich eine dem Patho- bzw. Neurozentrismus anhängende Mehrheit einer Gesellschaft darauf verständigen könnte, auch solche Lebewesen moralisch zu berücksichtigen, welche mit einer im Vergleich zu bestimmten Wirbeltieren wesentlich geringeren Wahrscheinlichkeit empfindungsfähig sind oder über ein Bewusstsein verfügen, wird es ihr schwer fallen, auf einer solchen Grundlage konkrete Richtlinien für den Umgang mit solchen Lebewesen zu erheben. Zusätzlich ist es fraglich, ob man der Eigenart der Pflanzen durch eine derartige »Vertierlichung« 51 bzw. »Vermenschlichung«, wie es bei einer Anwendung des personenzentrierten Ansatzes auf pflanzliche Lebewesen der Fall wäre, im Umgang mit ihnen tatsächlich gerecht werden kann.

49 50 51

Rippe 2008, 316. Rippe 2008, 315. Kunzmann 2008, 145.

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3.3 Das verletzbare eigene Gut von Pflanzen Die Mehrzahl der Befürworter der Rede von der Würde der Pflanze versucht zu belegen, dass die Forderung, Pflanzen direkt moralisch zu berücksichtigen, eine sachgerechte Grundlage hat, indem sie auf die »Verletzlichkeit allen Lebens« 52 verweisen und damit auf eine Gemeinsamkeit, welche alle Lebewesen teilen. Tatsächlich ist dieser Weg vielversprechend, wenn es darum geht, für einen moralischen Status der Pflanzen zu argumentieren, insofern er die Möglichkeit eröffnet, die jeweiligen Handlungen nur mit Blick auf das behandelte pflanzliche Lebewesen als fördernd oder schädigend zu bewerten. 53 Um darzulegen, worauf diese Verletzlichkeit beruht, werden allerdings verschiedene Begriffe verwendet: Immer wieder wird, wie z. B. von Praetorius und Saladin sowie von Sitter-Liver auf die »teleologische Konstitution« 54 bzw. »teleonome Bestimmtheit« 55 aller Lebewesen hingewiesen, um der Würde der Kreatur auch mit Blick auf Pflanzen einen Grund zu geben. Mit diesen Begriffen wird der Annahme Ausdruck verliehen, dass Lebewesen »[u]nabhängig von auf Nützlichkeit, Schönheit oder auch sonst emotionale Befriedigung bezogener Wertschätzung der Menschen […] in ihrer Entwicklung einen Zustand der Erfüllung«, 56 also ein bestimmtes telos anstreben. Das Ziel dieses Strebevermögens wird alternativ auch als »eigenes Gut« 57 bzw. »eigenes Wohl« 58 bezeichnet. Gerade mit Blick auf Pflanzen wird dem Prozess der Verwirklichung des eigenen Gutes bevorzugt mit dem Begriff des »Gedeihens« 59 Ausdruck verliehen. Ein gedeihliches Leben sei dann möglich, wenn zum einen die jeweils bestehenden Bedürfnisse 60 bzw. Interessen 61 weitestgehend befriedigt werden können, d. h. die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Mit dem Ziel des »Selbstaufbau[s] und Selbst52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

Baranzke 2002, 349. Vgl. Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 81. Praetorius et al. 1996, 44. Sitter-Liver 1996, 145; vgl. auch Sitter-Liver 1999, 472. Sitter-Liver 1996, 144. Balzer et al. 1998, 50; Sitter-Liver 1999, 472; EKAH 2008, 7. Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 81. Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 81. Praetorius et al. 1996, 44. Praetorius et al. 1996, 36. 44. 86.

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erhalt[s]« 62 müssen für ein gedeihliches Leben zum anderen auch bei der Pflanze selbst die Voraussetzungen gegeben sein, die es erlauben, ihre Integrität 63 zu wahren, weil nur so die zur Verfügung stehenden Ressourcen auch genutzt werden können. Autoren, welche die Auffassung vertreten, dass die Rede von der direkten moralischen Berücksichtigung der Pflanzen und anderer Lebewesen angesichts ihrer Würde sinnvoll ist, weil alle Lebewesen auf die Verwirklichung des jeweils eigenen Gutes angelegt sind und daran auch gehindert werden können, also verletzbar sind, stehen in der Tradition Paul Taylors. Dieser sehr prominente Bioethiker geht im Rahmen seines egalitär biozentrischen Ansatzes davon aus, dass Menschen und nichtmenschliche Lebewesen »gleichermaßen teleologische Zentren von Leben [sind,] in dem Sinne, daß ein jedes ein einheitliches System zielgerichteter Aktivitäten ist, die seiner Erhaltung und seinem Wohlergehen dienen.« 64 Vor diesem Hintergrund können Pflanzen als Wesen beschrieben werden, die »nicht allein für Menschen und Tiere, sondern auch um ihrer selbst willen« existieren und dementsprechend »Zwecke in sich selber« 65 haben bzw. über »Entelechie [und] Selbstzwecklichkeit« 66 verfügen. Susanne Hiekel legt in einem Aufsatz über teleologische Erklärungsmodelle in Biologie und Ökophilosophie dar, inwiefern solche Ansätze »in naher Verwandtschaft zum aristotelischen Naturverständnis« 67 stehen: »Unter dem Begriff des Lebendigen ist nach Aristoteles […] all das zusammengefasst, was eine Seele besitzt. Diese Seele wiederum dient als organisierende Kraft, als Entelechie. Das vollkommen erwachsene Lebewesen selbst ist das immanente Telos, welches in der Entwicklung verwirklicht wird.« 68 Doch, wie Ingensiep betont, »ist das Telos … [nicht nur] auf die zweckmäßige Ausgestaltung und Verwirklichung des lebendigen Individuums ausgerichtet, [sondern] ebenfalls auf die Erhaltung der Art, indem die Seele auch die Fortpflanzung orAmmann et al. 1999, 6. Baranzke 2002, 349; Praetorius et al. 1996, 36, 44, 86; Sitter-Liver, 1999, 476; Lötscher 2000, 150 f.; Ammann et al. 1999, 6; Münk 1997, 28. 64 Taylor 1997, 131. 65 Weisshaupt 1995, 24–26, zit. n. Koechlin 2004, 204. 66 Weisshaupt 1995, 24–26, zit. n. Koechlin 2004, 204; vgl. auch Sitter-Liver 1996, 145; Balzer et al. 1998, 44; Goetschel 2002, 143. 67 Hiekel 2007, 21. 68 Hiekel 2007, 21. 62 63

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ganisiert. So betrachtet sind Pflanze, Tier und Mensch zuerst um ihrer selbst willen, als natürlicher Endzweck für sich selbst, und nicht allein um eines Höheren willen da.« 69 Auch wenn im Rahmen der Diskussion um die Würde nichtmenschlicher Lebewesen nicht von der Seele der Pflanzen geredet wird, so geht es doch auch hier darum »Tiere und Pflanzen [nicht] ausschliesslich als Mittel zu menschlichen Zwecken anzusehen«, 70 da jedem Lebewesen »bestimmte artspezifische Lebensformen eignen, die seine je eigene unvergleichliche teleologische Konstitution ausmachen.« 71 Derart teleologische Erklärungen natürlicher Lebensvollzüge werden allerdings »von Vertretern der naturalistischen Weltsicht zurückgewiesen«, 72 denn seit Kant ist die Vorstellung vorherrschend, dass »die genuine Sphäre des Zweckbegriffs … die menschliche (praktische) Vernunft« 73 ist. Wie Kristian Köchy und Susanne Hiekel aber darlegen, sind »auch Forschungsprogramme, die sich von einer Übertragung spezifisch menschlicher Zwecksetzungen auf organische Vollzüge im allgemeinen fern halten, […] von Versuchen nicht frei, das – im Prozess der Evolution entstandene – zweckanaloge, planmäßige oder zielgerichtete Geschehen im Organischen in ihr Erklärungsmodell zu integrieren.« 74 »In der Biologie wird also im Rahmen teleologischer Erklärungen die Organisation von Lebewesen fokussiert und weiterhin sowohl die zielgerichtete – funktionsgemäße – Entwicklung von ganzen Organismen als auch von deren Teilen verstanden. Die Analyse von biologischen Gegenständen erfolgt dann mit Rekurs auf dieses Ziel.« 75 »Diese Tendenz in naturalistischen Konzepten trägt der Tatsache Rechnung, dass teleologische Erklärungsmodelle auch unter den Prämissen des modernen Erkenntnisstandes der Naturwissenschaften zur Beschreibung spezifischer Eigenschaften des Lebendigen sinnvoll verwendet werden können. In diesem Sinne läuft beispielsweise bereits Kants in der Kritik der Urteilskraft formulierte Auseinandersetzung mit dem Zweckgedanken in der Erklärung des Organischen […] trotz des Postulatcharakters des verwendeten Zweckbegriffs auf ein Zuge69 70 71 72 73 74 75

Ingensiep 2001, 45. Praetorius et al. 1996, 44. Praetorius et al. 1996, 44. Köchy 2003, 297; vgl. Hiekel 2007; Mahner et al. 2000, 348. Köchy 2003, 310. Köchy 2003, 297. Hiekel 2007, 22.

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ständnis gegenüber teleologischen Erklärungsmustern hinaus, die als methodologisch sinnvolle und heuristisch fruchtbare Ergänzung mechanisch-kausaler Modelle angesehen werden. Die in Kants Ansatz deutlich werdende Funktion des Begriffs ›Zweckmäßigkeit‹ im Phänomenbereich des Organischen ist es, die trotz aller Gefahren, die in ihrer Verwendung schlummern, den vollkommenen Verzicht teleologieanaloger Erklärungen auch in der Biologie lediglich unter Inkaufnahme großer Einschränkungen in der Erklärungskraft möglich macht.« 76 So behält selbst bei Kant, der die Ansicht vertritt, dass der »menschliche Verstand nicht fähig [ist], sich Naturdinge anders als durch Zwecke und Endursachen zu erklären«, 77 »der Begriff der ›Zweckmäßigkeit‹ eine zentrale Bedeutung für die Philosophie des Organischen und die Methodologie der Biologie [und] wird […] zum Ausdruck für die Sonderrolle des Organischen.« 78 Trotz der Einwände erscheint die teleologische Sprache in der Biologie daher durchaus gerechtfertigt. Für Joel Feinberg reicht die Tatsache, dass auch die Lebensweise von Pflanzen teleologischen Erklärungen zugänglich ist, allerdings nicht hin, um die Möglichkeit ihrer direkten moralischen Berücksichtigung einzuräumen, da es unwahrscheinlich ist, dass ihr Strebevermögen in gewisser Weise von ihnen selbst erfahren werden kann. Er fordert nur, dass wir »Tiere rücksichtsvoll behandeln [sollten] …, um der Tiere selbst willen«, 79 da »[z]umindest viele der höheren Tiere … Triebe, Strebungen und – ansatzweise – Wünsche [besitzen], deren umfassende Befriedigung ihr Wohlergehen ausmacht.« 80 Solche Begriffe auf Pflanzen zu beziehen, lehnt er allerdings ab, obwohl er davon ausgeht, dass auch »Pflanzen … dieses oder jenes brauchen, um ihren Funktionen zu genügen; [d]och ihre Funktionen haben ihren Wert nicht an sich selbst, sondern erhalten ihn aufgrund irgendwelcher menschlicher Interessen.« 81 Feinberg begründet seine Auffassung damit, dass Pflanzen und auch niedere Tiere trotz der Tatsache, »dass [sie] biologische Verhaltenstendenzen besitzen, […] doch nicht zu jenen Lebwesen [gehören], denen man ein eigenes Wohlergehen zuspricht. Da sie keine bewußten eigenständigen Wünsche oder Ziele verfolgen, 76 77 78 79 80 81

Köchy 2003, 297. Hiekel 2007, 26. Köchy 2003, 310. Feinberg 1980, 150. Feinberg 1980, 150. Feinberg 1980, 155.

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sind sie unfähig, Befriedigung oder Enttäuschung, Freude oder Schmerz zu erleben.« 82 Um seine Überlegungen zum Wert pflanzlicher Funktionen zu untermauern, geht Feinberg sogar so weit, diese mit den Funktionen eines Autos zu vergleichen: »Ein Auto braucht zum Fahren Benzin und Öl; aber … ein leerer Tank steht seinen Interessen nicht entgegen oder im Wege. Ganz ähnlich bedeutet die Bemerkung, ein Baum brauche Licht und Wasser, nur[,] daß er ohne Licht und Wasser nicht wachsen und überleben kann. Doch solange das Wachsen und Überleben von Bäumen nicht im praktischen oder ästhetischen Interesse irgendwelcher Menschen liegt, können die bloßen Bedürfnisse nicht die Grundlage für irgendetwas bilden, was wir ihnen an sich ›schuldeten‹.« 83 Diese von Feinberg vertretene Ansicht, welche unterstellt, dass Pflanzen nur passive Organismen sind, welche wie Automaten auf bestimmte Umwelteinflüsse nur mit vorprogrammierten Reaktionen antworten, ist sehr verbreitet. Allerdings hält sie einer genaueren Prüfung nicht stand: Im Gegensatz zu Autos können Pflanzen aufgrund ihrer phänotypischen Plastizität, über die zwar alle Lebewesen verfügen, die bei Pflanzen aber besonders augenscheinlich ist, auf vielfältige Weise auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren und Mängel kompensieren. Das allerdings nur bis zu einer gewissen Toleranzgrenze, d. h. ist z. B. der Mangel an einem Nährstoff zu ausgeprägt bzw. zu lange dauernd, geht eine Pflanze zugrunde. Auch das unterscheidet sie von einem Auto, dass seine Funktionsfähigkeit behält, auch wenn kein Benzin im Tank ist und es nicht gefahren wird. 84 Auf dieser Grundlage wendet sich Robin Attfield gegen Feinbergs Argument, dass Handlungen an Pflanzen nur hinsichtlich menschlicher Interessen bewertet werden können. Ginge man von der Richtigkeit Feinbergs Auffassung aus, wäre eine direkte Berücksichtigung vegetativer Lebensformen ausgeschlossen und demnach hätte die Rede von der Würde der Pflanze mit Blick auf diese Lebewesen keine Grundlage. Doch auch wenn Attfield Feinbergs Auffassung, »that plants lack beliefs and desires, and […] that we cannot be cruel to plants«, 85 zustimmt, so ist ihm aber nicht klar, warum »›desires or wants are the 82 83 84 85

Feinberg 1980, 153. Feinberg 1980, 155. Vgl. Stöcklin 2007, 23. Attfield 1981, 39.

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materials interests are made of‹ and hence that ›mindless creatures have no interests of their own‹. [A]ll [individual animals and plants] have latent tendencies […], all have direction of growth, all can flourish after their natural kind.« 86 Auch wenn man über die Frage, auf welcher Grundlage von den Interessen eines Lebewesens gesprochen werden sollte, durchaus streiten kann und in Bezug auf Pflanzen – um Missverständnisse zu vermeiden – der Ausdruck »Bedürfnisse« vielleicht besser geeignet wäre, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass wir, angesichts pflanzlicher Anpassungsreaktionen auf Umweltreize, ihre Lebensweise nicht anders als auf das Gedeihen, d. h. auf die Entwicklung auf das eigene Gut hin angelegt, verstehen können. 87 Auf dieser Grundlage macht auch die Rede vom eigenen Wohl oder besser, um auch hier Missverständnisse zu vermeiden, vom eigenen Gut einen Sinn. Attfield schreibt dazu: »what can thrive, reach maturity, be endangered and be protected itself, I contend, has a good. How else could I know that it was thriving?« 88 Auch für die Gutachter Praetorius und Saladin besitzt die Vorstellung vom eigenen Gut aller Lebewesen »hohe alltagsweltliche Plausibilität«, 89 da sachkundige Urteile über die Schädigung und Förderung dieses Wohls, auch dann durch das menschliche Handeln möglich sind, 90 »wenn diese Lebewesen solche Urteile weder selbst fällen noch verstehen können.« 91 Für Attfield ist damit klar: »Feinberg seems quite mistaken to hold that trees have no needs of thier own. Trees had needs before people existed, and cannot be supposed to have lost them.« 92 Es ist also durchaus plausibel, Einflüsse auf Pflanzen als förderlich oder schädlich für deren Entwicklung auf ihr eigenes Gut hin zu beurteilen. Es ist sicher problematisch, in Bezug auf Pflanzen von Interessen zu sprechen – in diesem Punkt ist Feinberg durchaus Recht zu geben – doch auf dieser Grundlage ist es möglich, nicht nur unseren eigenen Wünschen folgend im Interesse von Pflanzen zu handeln, wenn wir mit pflanzlichen Lebewesen umgehen. Einen Hinweis darauf, welche Einflüsse sich positiv und welche sich negativ auf das pflanzli86 87 88 89 90 91 92

Attfield 1981, 39 f. Vgl. Kunzmann 2008, 151 f. Attfield 1981, 37. Praetorius et al. 1996, 36. Praetorius et al. 1996, 44; vgl. auch Sitter-Liver 1999, 475. Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 81. Attfield 1981, 40.

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che Gedeihen auswirken, können, wie Angela Kallhoff darlegt, naturwissenschaftliche Beobachtungen geben. Dabei, so betont Heike Baranzke zu Recht, ist allerdings immer im Bewusstsein gegenwärtig zu halten, dass Begriffe wie »›Wohl‹, ›Gedeihen‹ oder ›Interesse‹ bei Pflanzen nicht aus experimentellen naturwissenschaftlichen Messergebnissen einfach hin ablesbar sind. Vielmehr müssen diese experimentellen Daten naturphilosophisch gedeutet werden, d. h. unter Rückgriff auf eine Theorie pflanzlichen Daseins, die auf naturwissenschaftliche Ergebnisse derart rekurriert, dass sie bestimmte Messwerte heuristisch als Indikatoren für ein pflanzliches Gedeihen definiert.« 93 Mit der Idee, dass Pflanzen, wie auch Menschen und Tiere, – bewusst oder unbewusst – eigene Zwecke verfolgen bzw. darauf angelegt sind, ihr je eigenes Gut zu verwirklichen, und »Menschen aufgrund von aufmerksamer Beobachtung über [diese Zwecke] etwas wissen können«, 94 ist also ein Aspekt pflanzlichen Lebens beschrieben, der die Möglichkeit eröffnet, die jeweiligen Handlungen an Pflanzen unabhängig von menschlichen Interessen als fördernd oder schädigend zu bewerten. Damit erhält die mit der Würde der Pflanze verbundene Forderung, pflanzliche Lebewesen aufgrund ihrer Eigenwertigkeit um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen, eine sachgerechte Grundlage. Sofern man sich darauf einigen kann, was das eigene Gut der Lebewesen genau ausmacht, hat eine so verstandene Würde der Pflanze auch den Vorteil, dass Kriterien zur Bewertung der Beeinflussung pflanzlichen Lebens hinsichtlich eines möglichen Würdeverstoßes abgeleitet werden können. Aus den genannten Gründen wird diese auf dem eigenen Gut von Pflanzen beruhende Rede vom Eigenwert der Lebewesen für die noch ausstehende Konkretisierung des Konzepts der Würde der Pflanze im Fortgang der vorliegenden Studie weiter verfolgt werden.

3.3.1 Die Rede vom eigenen Gut ist auf Individuen beschränkt Ein Problem, welches sich mit der Verwendung des Begriffs des eigenen Gutes und des Strebevermögens im Rahmen der Diskussion um 93 94

Baranzke 2008, 49. Praetorius et al. 1996, 44.

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die Würde nichtmenschlicher Lebewesen stellt, ist die Übertragung teleologischer Erklärungen für die Lebensvollzüge individueller Organismen auf Arten, Populationen und Ökosysteme. So vertritt z. B. Beat Sitter-Liver die Ansicht, dass nicht nur »Organismen […] je ihr eigenes Gutes« 95 und einen »Eigenwert [besitzen], welcher sich in einem auf ein selbst bezogenen Streben manifestiert«, 96 sondern auch ökologische Ganzheiten: »Die Natur, wie wir sie heute auch wissenschaftlich auffassen, ist Inbegriff von teleonomen Verbänden oder Netzen, die ihre eigenen ›Ziele‹ – unabhängig von menschlicher Willkür und Betrachtung – zu realisieren streben. Ökosysteme, beherrscht durch die Prinzipien von Selbsterhaltung, Gleichgewicht und Harmonie, bestehen nicht nur um der Menschen willen. Sie genügen sich selber, sind insofern Zwecke in sich selbst und in diesem Sinne Träger eines Eigenwerts.« 97 Tatsächlich war die Vorstellung von einem Gleichgewicht in der Natur bereits in der Antike verbreitet und wurde bis in die heutige Zeit hinein tradiert. Ursprünglich basiert diese Idee auf dem Glauben, dass eine göttliche Macht für den angenommenen Gleichgewichtszustand Sorge trägt. 98 Darüber hinaus ist seit dem 17. Jh. auch die Auffassung verbreitet, dass das Streben nach einem Gleichgewichtszustand ein Merkmal der Natur selbst ist, d. h. dass entweder ein göttlicher Schöpfer die Natur derart eingerichtet hat oder dass empirisch zugängliche Naturgesetze für die Stabilität verantwortlich sind. Im Rahmen der ökologischen Wissenschaft wurde diese Idee übernommen und unter dem Begriff des »ökologischen Gleichgewichts« mit Blick auf Populationen, Biozönosen und Ökosysteme thematisiert. So entwickelte der Ökologe Howard Odum eine Theorie, nach der Ökosysteme darauf angelegt sind, sich auf einen Gleichgewichtszustand hin zu entwickeln, welcher mit dem Begriff »Homöostase« beschrieben wird. Diese Idee findet sich auch in John Lovelocks »Gaia-Hypothese«, welche davon ausgeht, dass die biotischen und abiotischen Teile der Erde ein durch komplexe Interaktionen gekennzeichnetes, selbstregulierendes System bilden. Sitter-Liver 1996, 144. Sitter-Liver 1996, 144. 97 Sitter-Liver 1996, 144. 98 Mit der Geschichte des Gedankens vom Gleichgewicht der Natur habe ich mich bereits auseinandergesetzt in: Odparlik 2009, 365–372. 95 96

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Die Vorstellung von einem ökologischen Gleichgewicht als das Ziel, auf das sich ökologische Ganzheiten hin entwickeln, beeinflusste bereits die frühe Umweltbewegung der 70er Jahre des 20. Jh.s und wirkt, wie dargelegt, bis in die Debatten um die Würde nichtmenschlicher Lebewesen hinein. Sofern es genug Informationen über die Bedingungen gibt, die erfüllt sein müssen, um den Gleichgewichtszustand z. B. einer Pflanzengesellschaft bzw. die Entwicklung darauf hin nicht zu gefährden, könnte man auf einer solchen Grundlage tatsächlich vorhersagen, wie man das so verstandene eigene Gut schädigen oder fördern kann. Allerdings hat sich gerade in den letzten Jahrzehnten die Diskussion um den Begriff des ökologischen Gleichgewichts innerhalb der naturwissenschaftlichen Diskussion stark gewandelt: Schon in den 1920er Jahren gab es z. B. Zweifel an der Annahme, dass sich Pflanzengesellschaften auf eine bestimmte Klimaxgesellschaft hin entwickeln, die sich dann in einem dynamischen Gleichgewichtszustand befindet. Doch erst in den 50er Jahren des 20. Jh.s mehrten sich Stimmen, die darauf hinwiesen, dass es nicht genug Daten gäbe, welche diese These stützen. So wiesen Publikationen aus der neu entstandenen Disziplin der evolutionären Ökologie darauf hin, dass Landschaften in einem ständigen Prozess des Wandels sind – angetrieben nicht von internen Faktoren, sondern von vielerlei Zufallsereignissen. Auch wurde in Publikationen vermehrt die Auffassung vertreten, dass die Entwicklung von Pflanzengesellschaften und -arten weniger von internen Faktoren als vielmehr von externen Faktoren angetrieben wird. Geht man von der Richtigkeit dieser These aus, dann scheint die Rede vom eigenen Gut ökologischer Ganzheiten unplausibel, denn »[o]bwohl der Aristotelische Zweckbegriff […] eng mit einem prozessualen Verständnis von Natur verbunden zu sein scheint, [so schließt] die Annahme eines vor aller Entwicklung festgelegten Zieles die Art und Wandlungsfähigkeit der Natur in enge Grenzen ein … Der mögliche Gestaltungsspielraum der Entwicklung ist so von Beginn an festgelegt. Aus diesem Grund liegt die Vorstellung vom Wandel der Arten im Zuge des organischen Entwicklungsgeschehens […] außerhalb des vom Aristotelischen Standpunkt aus Denkbaren.« 99 Die Forderung, auch ökologische Ganzheiten seien moralisch direkt zu berücksichtigen, da sie wie individuelle Organismen darauf 99

Köchy 2003, 301.

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angelegt sind, ein bestimmtes Ziel, ihr eigenes Gut anzustreben, ist mit Verweis auf ökologische Erklärungsmodelle also nicht überzeugend zu untermauern, denn neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützen nicht die These, dass die Entwicklung z. B. einer Pflanzengesellschaft auch von internen Faktoren abhängig ist, welche die Entwicklungsrichtung von vornherein vorgeben. In diesem Punkt unterscheidet sich die Vorstellung von Lebewesen und ökologischen Ganzheiten voneinander. 100 Man könnte natürlich unterstellen, dass die seit den beiden Weltkriegen zunehmende Erfahrung der Unsicherheit aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen und Umbrüche, aber auch aufgrund der anthropogenen Umweltveränderungen die Interpretation naturwissenschaftlicher Daten derart beeinflusst, dass der Natur ihr Streben auf einen Gleichgewichtszustand hin nicht mehr zuerkannt wird. Wäre diese Auffassung richtig, stellte sich aber noch ein zweites Problem, wenn man z. B. Arten oder Ökosystemen so verstehen will, dass sie sich zielgerichtet auf ein eigenes Gut hin entwickeln: Wie Kristian Köchy darlegt, erlangt »[m]it Blick auf das Wozu und Wohin, also das Ziel der Entwicklung, […] die sich entwickelnde Form als Entelechie [u. a.] den Charakter substanzieller Geschlossenheit.« 101 Die Rede vom »Charakter substanzieller Geschlossenheit« erschließt sich aber auch nur mit Blick auf individuelle Organismen, denn im Gegensatz dazu sind z. B. »Ökosystem« und »Art« operationale Begriffe, deren Begrenzung sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Perspektive im Ermessen des jeweiligen Bearbeiters liegt. Was jeweils als Art, Population oder Ökosystem definiert wird, ergibt sich also nicht direkt aus der Struktur des zu Untersuchenden, sondern aus der jeweils zu bearbeitenden Forschungsfrage. 102 Die Forderung, Entitäten der Natur nicht nur in Abhängigkeit von menschlichen Interessen moralisch zu berücksichtigen, sondern auch um ihrer selbst willen hinsichtlich eines von diesen angestrebten eigenen Gutes, kann also nur in Bezug auf individuelle Organismen sinnvoll gestellt werden. Dem entspricht auch die Tendenz im Rahmen der Diskussion über die Würde der Kreatur – meist mit dem Blick auf

100 101 102

Vgl. dazu auch Rippe 2008, 108 f. Köchy 2003, 300. Vgl. dazu auch Rippe 2008, 108.

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Wirbeltiere 103 – davon auszugehen, dass es sich hier eher um die Würde individueller Lebewesen handelt und weniger um die Würde von Arten oder ökologischer Ganzheiten. Gleiches gilt auch schon für Taylors »inherent worth« 104 und Attfiels »good of trees«. 105 So ist z. B. Peter Kunzmann der Ansicht, »dass ›Würde‹ auf eine Auszeichnung des Individuums rekurriert.« 106 Und auch die Gutachter Balzer, Rippe und Schaber sind der Auffassung, dass die Würde der Kreatur nur den Schutz von Individuen fordert, »da der Kreaturbegriff nur individuelle natürliche Einheiten und näherhin nur Lebewesen umfaßt.« 107 Diese Tendenz zeichnet sich auch mit Blick auf die Würde der Pflanze ab wie die Studie der EKAH zur Würde der Kreatur bei Pflanzen aufzeigt: »Die klare Mehrheit [der EKAH] vertritt […] die Position, dass wir mit Pflanzen aus moralischen Gründen zurückhaltend umgehen müssen, weil Pflanzenindividuen einen Eigenwert haben.« 108 Balzer, Rippe und Schaber weisen darauf hin, dass es auch praktische Gründe gibt, die gegen die Ausweitung des Begriffs der Würde der Kreatur auf supraorganismische Ganzheiten sprechen: Ihnen erscheint es »weder hilfreich noch sinnvoll«, neben der »individuellen kreatürlichen Würde« noch eine kreatürliche »Würde der Art« zu schaffen, 109 wie das z. B. auch im Gutachten von Preatorius und Saladin vorgeschlagen wurde, 110 denn der Versuch der Erarbeitung von Handlungsrichtlinien hinsichtlich einer Würde der Pflanze, die sich sowohl auf individuelle Lebewesen als auch auf Arten bezieht, endet unweigerlich aporetisch, da der Schutz eines Individuums dem Schutz von Arten völlig konträr gegenüberstehen kann. 111 Wird auf dem Hintergrund dieser Überlegung die Erarbeitung eines konsistenten Begriffs der Würde der Pflanze angestrebt, ist also zuvor die Entscheidung, ob sie sich auf Individuen oder supraorganismische Ganzheiten bezieht, un-

Vgl. Kunzmann 2008, 153; Arz de Falco 2001, 19. Taylor 1986, 78 f. 105 Attfield 1981, 52. 106 Kunzmann 2008, 153. 107 Balzer et al. 1998, 38. 108 EKAH 2008, 10. 109 Balzer et al. 1998, 51. 110 Praetorius et al. 1996, 86 f. 111 Man denke nur an die Ausrottung von Neobiota oder die Zerstörung von gentechnisch veränderten Pflanzen auf Versuchsfeldern als Maßnahme zum Arten- oder Biotopschutz. 103 104

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umgänglich. 112 Diese Entscheidung wurde hier gefällt, indem aufgezeigt wurde, dass die Rede vom eigenen Gut und damit dem Eigenwert pflanzlichen Lebens, nur mit Blick auf individuelle Lebewesen sinnvoll geführt werden kann.

3.3.2 Individuelle Würde für Pflanzen? Im vorherigen Kapitel wurde dargelegt, dass sich die mit dem Würdebegriff verbundene Verpflichtung zur direkten moralischen Berücksichtigung nur auf individuelle Lebewesen beziehen kann. Dieser Anspruch kann auch auf Pflanzen sinnvoll bezogen werden, insofern es möglich ist, Einflüsse auf pflanzliche Lebewesen ohne Blick auf menschliche Interessen als für deren Leben förderlich oder schädlich zu bewerten. Da es allerdings umstritten ist, ob der Begriff des Individuums auch auf pflanzliche Lebewesen angewendet werden sollte, ist also noch nicht ausgemacht, ob die Rede von der Würde der Pflanze überzeugen kann. Aufgrund des modulären Aufbaus der Pflanzen und ihrer damit verbundenen Fähigkeit, sich klonal zu vermehren und damit teilbar zu sein, ist für Andrea Arz de Falco und Denis Müller die Anwendung des Begriffs der Individualität auf Pflanzen im selben Sinn wie auf Tiere ausgeschlossen. Sie entscheiden sich hinsichtlich des pflanzlichen Lebens daher gegen die »Verwendung einer anthropomorphen und zoomorphen Rede von Individualität« und demzufolge gegen die Ausdehnung der Achtung der Würde der Kreatur auf Pflanzen. 113 Auch wenn in anderen Publikationen diese Ansicht nicht geteilt wird, wie z. B. in der Broschüre »Die Würde der Kreatur bei Pflanzen« der EKAH, deren Mitglieder mehrheitlich davon ausgehen, »dass [das] Objekt der moralischen Berücksichtigung die Einzelpflanze ist«, 114 muss die Kritik Arz de Falcos und Müllers hinsichtlich der Anwendung des Würdebegriffs auf Pflanzen ernst genommen werden, insofern tatsächlich bis heute ungeklärt ist, ob es die von der EKAH angesprochene individuelle Einzelpflanze tatsächlich gibt. So fragt Heike Baranzke in ihrer Auseinandersetzung mit der Würde der Pflanze: »Ob die Pflanze ein Individuum 112 113 114

Vgl. dazu auch Mahner et al. 2000, 171. Arz de Falco et al. 2001, 129. EKAH 2008, 18.

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– ein unteilbar Einzelnes – oder doch eher ein ›Dividuum‹ – ein Teilbares – ist […] wurde von Gelehrten erörtert und ist nach wie vor ein aktuelles Desiderat.« 115 Es ist also durchaus umstritten, ob pflanzliche Lebewesen Individuen sind und damit für die Zuschreibung der Würde der Kreatur in Frage kommen. 116 Bevor man also die Pflanzen in den Schutzbereich einer individuell verstandenen Würde der Kreatur einbeziehen kann, wäre zuerst zu prüfen, ob man Pflanzen analog zu Menschen und Wirbeltieren tatsächlich als Individuen beschreiben kann. Das ist die Frage des vorliegenden Unterkapitels, welches biologische und philosophische Konzeptionen von Individualität hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf pflanzliche Lebewesen hin analysiert und vor diesem Hintergrund zu dem Schluss kommt, dass Pflanzen durchaus als Individuen beschrieben werden können und demnach der Würdezuschreibung zugänglich sind. 3.3.2.1 Der Individualitätsbegriff in der biologischen Terminologie Die ökologische und pflanzenphysiologische Forschung förderte in den letzten Jahren erstaunliche Erkenntnisse über die Fähigkeiten der Pflanzen, auf ihre Umwelt zu reagieren und selbst auf diese einzuwirken, zu Tage und beeinflusste damit die Debatte um den moralischen Status der Pflanzen. 117 Kann ein Blick aus dieser Perspektive auch einen Hinweis für die Beantwortung der Frage geben, ob man Pflanzen sinnvoll als Individuen beschreiben kann? Innerhalb der zeitgenössischen biologischen Fachliteratur wird auch in Bezug auf Pflanzen nicht selten recht unbefangen von Individuen gesprochen. 118 Üblicherweise wird darunter ein räumlich und zeitlich abgrenzbares Einzellebewesen verstanden, das aufgrund seiner spezifischen Merkmalsausprägung einzigartig ist. Allerdings ist in vielen Fällen die Frage, welche Organisationsform denn als solches anzusehen ist, nicht einfach zu beantworten 119 und so ist sie, obwohl sporadisch immer wieder von einigen Biologen thematisiert, 120 bis heute Baranzke 2008, 47. Vgl. Sitter-Liver 2008, 178; Knoepffler 2008, 208; Kunzmann 2008, 153; Köchy 2003, 276. 117 Vgl. Koechlin 2007, 65–72. 118 So z. B. in Begon et al. 2006. 119 Stöcker et al. 1986, 405. 120 Z. B. von Schleiden 1842, Haeckel 1866, Naegeli 1856, Braun 1852. Interessanter115 116

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ungelöst. 121 Die Vielfalt der Lebensformen scheint einer einheitlichen biologischen Definition des Individualitätsbegriffs entgegen zu stehen. 122 Die Diskussion wird zusätzlich erschwert, indem nicht in jedem Fall nur Einzellebewesen oder deren Bestandteile als Individuen bezeichnet werden, sondern z. T. auch umfassendere Entitäten wie z. B. Spezies. 123 Die Auffassungen, dass bestimmte Entitäten der supraorganismischen Ebene Individuen sind, soll im Rahmen dieser Studie allerdings nicht thematisiert werden, da – wie dargestellt – eher einzelne Lebewesen für die Zuerkennung der Würde der Kreatur in Frage kommen. Diese Untersuchung zielt dementsprechend lediglich darauf ab, zu klären, ob und, wenn ja, in welcher Hinsicht pflanzliche Einzellebewesen als Individuen beschrieben werden können und ob die Reichweite der Würde der Kreatur also auch sie umfasst oder nicht. Im Fachbereich der Botanik ist der Begriff der Individualität nicht nur inhaltlich umstritten, sondern es wird sogar diskutiert, ob er überhaupt in Bezug auf Pflanzen angewendet werden sollte. Das offenbaren z. B. die Streitschriften der beiden Pflanzenphysiologen Anthony Trewavas und Richard Firn, die sich um die Frage drehen, ob Pflanzen als intelligente Lebewesen beschrieben werden können. Richard Firn lehnt Trewavas Konzept von Pflanzenintelligenz als irreführend ab. Seiner Ansicht nach könne man von Intelligenz nur in Bezug auf Individuen reden. Zu diesen könnten Pflanzen aber angesichts ihres modulären Aufbaus, ihrer Fähigkeit zu lebenslangem Wachstum und zur klonalen Vermehrung nicht gezählt werden. 124 Er schlägt daher vor, sich auf die 1977 von John Harper eingeführten Begriffe Genet und Ramet zu halten. Während ersterer solche Pflanzen bezeichnet, die sich aus einer bestimmten Zygote entwickelten, bezieht sich letzterer auf Pflanzen, die aus vegetativer Fortpflanzung hervorgegangen sind, aber bereits von der Mutterpflanze getrennt sind. 125 Neben diesen beiden Ebenen weise beklagte Carl Fisch schon 1880, dass die Frage nach der Individualität von Pflanzen trotz des Forschungsfortschritts innerhalb der Botanik noch nicht abschließend geklärt werden konnte: Fisch 1880, 1. Gleiches kann auch für unsere Zeit noch gesagt werden. 121 Mehr dazu siehe Wilson 1999, 22–27. 122 Siehe dazu Wilson 1999, 52; Wilson 2007. 123 Vgl. z. B. Ghiselin 1997; Hull 1978. 124 Firn 2004, 345 f. 125 Harper 1977.

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individueller Organisation bei Pflanzen werden heute häufig noch zwei weitere genannt: zum einen der Klon, der sich aus allen existierenden genetisch identischen Rameten zusammensetzt, 126 und zum anderen das Modul bzw. Phytomer. Letzteres benennt die Sprossorganisationseinheit, welche aus Knoten (Nodium), Blatt, Achselknospe und Zwischenknotenstück (Internodium) besteht, bzw. die Wurzelorganisationseinheit, welche aus einem Abschnitt der Wurzelachse und der dazugehörigen Seitenwurzelanlage aufgebaut ist. 127 Die biologische Literatur gibt demnach keine klaren Vorgaben hinsichtlich der Frage, ob man erstens überhaupt von pflanzlichen Individuen reden sollte und zweitens – falls man sich den Befürwortern der Rede vom pflanzlichen Individuum anzuschließen gedenkt – welche der genannten Organisationsebenen für die Zuschreibung von Individualität in Frage kommen. Ganz im Gegenteil, die naturwissenschaftlichen Beschreibungen des Aufbaus und der Lebensweise der Pflanzen verdeutlichen eher die Problematik, als dass sie Antworten vorlegen. Gleichwohl kann das botanische Wissen der Problemlösung dienlich sein: Läge eine konkrete inhaltliche Bedeutung des Individualitätsbegriffs vor, so könnte anhand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über den Aufbau und die Funktionsweise der Pflanzen geklärt werden, ob diese die entsprechenden Eigenschaften aufweisen, welche die Rede vom pflanzlichen Individuum rechtfertigen. 3.3.2.2 Philosophische Konzeptionen von Individualität Es ist nicht verwunderlich, dass die biologische Terminologie keine eindeutige Antwort auf die Frage geben kann, ob es sinnvoll sein könnte, von pflanzlichen Individuen zu sprechen, insofern der Begriff des Individuums dort nicht eigens zur Benennung eines bestimmten morphologischen Korrelats in Pflanzen entwickelt wurde. Vielmehr wird eine Begriffsbedeutung vorausgesetzt, welche sich im Verlaufe der Philosophiegeschichte entwickelte. In der Auseinandersetzung mit dem Individualitätsbegriff hatten Philosophen allerdings kaum Pflanzen vor Augen, so dass man auch hier nicht auf eine bereits allgemein anerkannte Konzeption pflanzlicher Individualität zurückgreifen kann. Dennoch erscheint es der Aufgabenstellung dienlich, philosophische 126 127

Strasburger 2002, 544. Stöcklin 2007, 20; Strasburger 2002, 364 f.

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Konzeptionen von Individualität zu befragen, da sie die Basis der allgemeinen Vorstellung vom Individuum darstellen und auf diese im Streit um die pflanzliche Individualität zurückgegriffen wird. Da Individuen zentrale Objekte unserer Erfahrung sind, wurde ihre Existenz in der Geschichte der Ontologie kaum bestritten. Das Hauptanliegen bestand vielmehr darin, zu klären, welche Merkmale Individuen als solche qualifizieren. 128 Verschiedene Individualitätskriterien wurden dazu vorgestellt, doch bis heute wird über die Relevanz der einzelnen Merkmale und über deren Interpretation debattiert. 129 In der Beschränkung auf die Beantwortung der Frage, ob auch Pflanzen angesichts einer individuellen Würde der Kreatur moralisch berücksichtigt werden können, verzichtet die vorliegende Untersuchung darauf, sich an der philosophischen Diskussion um die Relevanz der verschiedenen vorgeschlagenen Individualitätskriterien zu beteiligen. Es soll hier lediglich untersucht werden, ob es angesichts der traditionellen Individualitätskriterien möglich ist, sinnvoll von pflanzlichen Individuen zu sprechen. Eine hilfreiche Grundlage dafür bietet der von Jorge Gracia zusammengestellte und 1988 publizierte Kriterienkatalog, in dem der Autor sechs verschiedene Merkmale vorstellt, die im Verlaufe der Philosophiegeschichte hinsichtlich ihrer Tauglichkeit als Individualitätskriterien untersucht worden sind: Nicht-Instanziierbarkeit, Zugehörigkeit zu einem Typus oder einer Klasse mit mehreren Mitgliedern, Nicht-Prädizierbarkeit, Identität, Unteilbarkeit und Verschiedenheit bzw. Einzigartigkeit. 130 Nicht Instanziierbarkeit, Zugehörigkeit zu einem Typus oder einer Art und Nicht-Prädizierbarkeit Gracia selbst vertritt die Ansicht, dass unter diesen Merkmalen einzig die Nicht-Instanziierbarkeit notwendiges und hinreichendes Kriterium für Individualität sei. Dieses unterscheidet Individuen (z. B. bestimmte Menschen), welche demzufolge nicht in Mehrerem zugleich sein können, von Universalien (z. B. der Gattung Mensch), die gleichzeitig in mehreren Individuen präsent sein können. Da seiner Auffassung nach alles, was existiert, nicht-instanziierbar und damit auch individuell ist

128 129 130

Meixner 2004, 35. Gracia 1988, 27–29; Rungaldier et al. 1998, 110 f. Gracia 1988, 28.

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und er zudem ein konkretes florales Beispiel nennt, gehören, aus dieser Perspektive betrachtet, auch Pflanzen zu den Individuen. 131 Eng verbunden mit der Vorstellung der Nicht-Instanziierbarkeit von Individuen ist die in aristotelischer Tradition stehende Ansicht, dass Individuen selbst Instanziierungen einer bestimmten Wesenform (eidos) sind, die bestimmen, von welcher Art etwas ist. Nach dieser Auffassung erfolgt Individuation immer nur im Verhältnis des Einzelnen zur Art. 132 So kann z. B. der einzelne Eichenbaum nur klassifiziert, identifiziert und individuiert werden, mittels der gedachten Merkmale der Wesensform »Eiche«. Gleiches gilt auch für alle anderen Gattungen des Pflanzenreichs. Sieht man von den nicht nur auf pflanzliche Lebewesen zutreffenden Problemen der Annahme, dass die Zugehörigkeit einer Art eine Bedingung für Individualität darstellt, ab, 133 können Pflanzen aus dieser Perspektive als Individuen beschrieben werden. Da die Annahme der Existenz artspezifischer Wesenszüge mit Blick auf die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie für viele fragwürdig erscheint, 134 wird heute bevorzugt auf ein naturwissenschaftliches Verständnis von Arten zurückgegriffen. 135 Auch hinsichtlich des Individualitätskriteriums der Nicht-Prädizierbarkeit 136 lassen sich einzelne Pflanzen als Individuen beschreiben,

Gracia 1988, 112, 234–237. Buddensiek 2006, 5. 133 Mehr zu den Problemen, die mit dieser Auffassung verbunden sind, siehe Gracia 1988, 37 f.; Buddensiek 2006, 5 f., 263. 134 So z. B. Balzer et al. 1998, 52. 135 Allerdings ist auch diese Position mit generellen Schwierigkeiten verbunden. So sind z. B. verschiedene Speziesbegriffe im Umlauf, auf die im Rahmen naturwissenschaftlicher Forschung je nach der untersuchten Lebensform und der konkreten Fragestellung Bezug genommen wird: Campbell et al. 2006, 550. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass nur ein Teil der Artbegriffe Spezies typologisch bestimmen, da es höchst unwahrscheinlich ist, typische Eigenschaften einer Art zu entdecken, die alle Mitglieder dieser Art und zwar nur diese aufweisen: Ereshefsky 2007. Ferner wird die typologische Bestimmung von Spezies – auch wenn sie in der Praxis durchaus berechtigt sein kann – der evolutiven und adaptiven Veränderlichkeit von Arten nicht gerecht. Aus diesen Gründen ist es auch für Naturwissenschaftler schwer möglich, sich auf die Eigenschaften und Merkmale einer Pflanze zu einigen, die diese wenigstens erfüllen muss, um sie einer bestimmten Art zuordnen zu können. 136 Mehr zur Nicht-Prädizierbarkeit als Individualitätskriterium siehe Gracia 1988, 41 f.; Rungaldier et al. 1998, 58; Strawson 1961. 131 132

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insofern sie sich charakterisieren lassen, ohne aber selbst als Charakterisierungen von etwas verwendet werden zu können. Formal erfüllen Pflanzen also die Individualitätskriterien der Nicht-Instanziierbarkeit, der Zugehörigkeit zu einem Typus oder einer Art und der Nicht-Prädizierbarkeit. Dennoch ist nicht zu vermuten, dass die Gegner der Zuerkennung einer individuell verstandenen Würde der Kreatur für Pflanzen vor diesem Hintergrund von der Unhaltbarkeit ihrer Auffassung überzeugt werden können, da keines der genannten Kriterien in der Diskussion um die Individualität im Zusammenhang mit der kreatürlichen Würde von Pflanzen eine wesentliche Rolle spielt. In dieser Debatte geht es nicht um logische oder semantische Fragen, sondern vielmehr darum, wie pflanzliche Lebewesen im Vergleich zu den als Individuen anerkannten Wirbeltieren und Menschen erfahren werden. Ob also Pflanzen trotz ihres modulären Aufbaus, ihrer erstaunlichen Regenerationsfähigkeit und ihrer klonalen Vermehrungsfähigkeit analog zu der Vorstellung von der Individualität der Wirbeltiere und Menschen als einzigartige, klar abgrenzbare und damit von anderen Exemplaren derselben Art unterscheidbare Entitäten beschrieben werden können, die vom Beginn ihrer Existenz bis zu dessen Ende ein und dasselbe Lebewesen bleiben, ist an dieser Stelle noch offen und wird in den folgenden Kapiteln erörtert. Identität Geht es um die Voraussetzungen, die eine Entität erfüllen muss, um als Individuum beschrieben werden zu können, wird nicht selten auch auf den Begriff der Identität verwiesen. Verschiedene Interpretationen dieses Ausdrucks werden diskutiert, doch meistens ist damit die diachrone Identität gemeint, d. h. das Vermögen, im Verlaufe der Zeit ein- und dasselbe zu bleiben. 137 Die fortwährende Veränderung lebender Organismen stellt sich vor diesem Hintergrund als Problem dar, denn daraus ergibt sich die Frage, was die Selbigkeit eines Lebewesens trotz aller Veränderungen garantiert. Verweist man zur Antwort darauf auf ein oder mehrere empirische Eigenschaften, so erweist sich die Benennung der Eigenschaften oder Arteigenschaften, deren Veränderung die Identität eines Individuums direkt oder indirekt maßgeblich gefährden

137

Gracia 1988, 38; Rungaldier et al. 1998, 96; Buddensiek 2006, 238.

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würden, ohne dem Vorwurf der Willkürlichkeit ausgesetzt zu sein, als äußerst schwierig. 138 Die Tatsache, dass diese Problematik auch nicht mit dem Verweis auf den Genotyp eines Lebewesens umgangen werden kann, lässt sich anhand der Auffassung Andrea Arz de Falcos und Denis Müllers illustrieren. Die Autoren scheinen davon auszugehen, dass die Identität eines lebenden Individuums durch dessen genetische Ausstattung gewährleistet wird, die stabil bleibt, während alle anderen Eigenschaften des Lebewesens Veränderungen unterliegen. Gestützt durch den Verweis auf naturwissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Pflanzen über kein stabiles Genom im Raum und in der Zeit verfügen, verteidigen sie ihre Position, nach der Pflanzen im Gegensatz zu Säugetieren nicht zu den Individuen zu zählen seien. 139 Es ist aber keineswegs der Fall, wie Arz de Falco und Müller andeuten, dass nur Pflanzen »genomische Plastizität« 140 aufweisen, denn Mutationen, welcher Ursache auch immer, können in Körperzellen aller Lebewesen vorkommen. 141 Da also üblicherweise Mutationen während des Wachstums und der Entwicklung eines Organismus auftreten, ist auch der Genotyp eines Lebewesens, wie alle anderen Eigenschaften, veränderlich. Die Position, dass gerade die genetische Ausstattung prädestiniert sei, diachrone Identität zu garantieren, ist demnach prinzipiell schwer zu begründen. Wenn man vor dem Hintergrund der Annahme, dass Identität ein Individualitätskriterium ist, aber dennoch von der Richtigkeit dieser Auffassung ausginge, gäbe es keinen Grund, Pflanzen, im Gegensatz zu Menschen und Tieren, aufgrund ihrer genomischen Plastizität Individualität abzusprechen, da es sich dabei um eine Eigenschaft aller Lebewesen handelt. Hinsichtlich der Frage nach der Identität lebender Organismen sind Pflanzen also mit Tieren und Menschen vergleichbar. Gleiches gilt allerdings nicht für die Fähigkeit der Pflanzen, in gene-

Buddensiek 2006, 239–241. Arz de Falco et al. 2001, 139. 140 Arz de Falco et al. 2001, 139. 141 Andrea Arz de Falco und Denis Müller beziehen sich bei dieser Aussage auf die Entdeckung der Transposons durch die Botanikerin Barbara McClintock, die für ihre Arbeiten 1983 mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurde. Zwar beschrieb sie das Phänomen dieser so genannten »springenden Gene« an Maispflanzen, jedoch konnten solche später auch in anderen Organismen, z. B. im Menschen, nachgewiesen werden: McClintock 1950; Fedoroff 2001, 300. 138 139

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tisch identische Klone geteilt werden zu können, welche auch nach der Teilung lebens- und entwicklungsfähig bleiben. Unteilbarkeit Zunächst zum Individualitätskriterium der Unteilbarkeit, welches auf die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes individuum rekurriert. Dieses diente zunächst als Lehnübersetzung für das griechische Wort atomon, welches das Unteilbare bzw. das Nicht-Zusammengesetzte bezeichnet. Auch wenn die Geschichte für diese beiden Begriffe in verschiedene Richtungen verlief und sich daher heute der Ausdruck Individuum keineswegs mehr auf seine ursprüngliche Bedeutung reduzieren lässt, 142 wurde und wird die Unteilbarkeit als Individualitätskriterium immer wieder diskutiert. Allerdings wird dieser Begriff nicht von allen Autoren gleich interpretiert. So lässt sich nach Jorge Gracia absolute von relativer Unteilbarkeit unterscheiden: Erstere trifft zu für Entitäten, die in jeder Hinsicht unteilbar sind. Da aber dieses Merkmal – zumindest bei materiellen Entitäten, die wir als Individuen erfahren – praktisch nicht vorkommt, könnte auf dieser Basis kein Lebewesen als Individuum gelten, was allerdings in klarer Opposition zur allgemeinen Verwendung des Individualitätsbegriffes stünde. 143 Relative Unteilbarkeit dagegen bezieht sich auf die von Gracia in Anlehnung an von Francisco Suárez beschriebene Auffassung, derzufolge ein Individuum nicht in Gleichartiges geteilt werden könne. Es ist eine ganz alltägliche Erfahrung, dass Pflanzen mittels Stecklingen klonal vermehrt werden können, also ganz offensichtlich in Entitäten derselben Spezies teilbar sind. Allerdings ist fraglich, ob die Tatsache, dass ein Lebewesen klonal in Tochterorganismen derselben Art teilbar ist, tatsächlich eine überzeugende Grundlage dafür schaffen kann, den entsprechenden Wesen die Individualität abzusprechen. So werden z. B. auch menschliche eineiige Zwillinge, die aus einer Eizelle entstehen, welche sich klonal teilt, als Individuen erfahren. Auch einzelne Bäume, z. B. Pappeln, die das Merkmal aufweisen, sich sehr erfolgreich klonal vermehren zu können, werden üblicherweise als Individuen erfahren, unabhängig davon, ob sie auf geschlechtlichem oder ungeschlechtlichem Wege entstanden sind und auch unabhängig davon, ob sie sich selbst eines Tages klonal vermehren werden. Schon 142 143

Kaulbach 1976, 300. Köchy 2003, 287; Gracia 1988, 30; Meixner 2004, 44 f.

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aufgrund der Mannigfaltigkeit ihrer Wuchsformen erscheinen sie uns als individuelle Wesen, die für sich bestehen. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint der Ausschluss der Pflanzen aus dem Kreis der Individuen mit dem Argument, dass Pflanzen klonal in Entitäten derselben Art teilbar sind, problematisch. Es stellt sich die Frage, ob das Kriterium der relativen Unteilbarkeit nicht überzeugender darauf bezogen werden sollte, ob sich ein Einzellebewesen hinsichtlich seiner konkreten Eigenschaften in identische Entitäten teilen lässt oder nicht, anstatt sich auf die Zugehörigkeit zu einer Art zu beziehen. Hinsichtlich der Individualität der Pflanzen wäre hier also zu klären, ob und in welcher Hinsicht die verschiedenen Rameten eines Klons qualitativ identisch sind oder nicht. Diese Überlegung fordert die Auseinandersetzung mit einem weiteren Individualitätskriterium, nämlich dem der Einzigartigkeit. Einzigartigkeit Das Individualitätskriterium der Einzigartigkeit bzw. Verschiedenheit wurde bereits in der Antike diskutiert. So findet sich z. B. bei dem neuplatonischen Autor Porphyrios folgende Vorstellung: »Individuen aber heißen solche Wesen, weil jedes aus Eigentümlichkeiten besteht, deren Gesamtheit bei keinem anderen jemals dieselbe wird«. 144 Als Garant für die Einzigartigkeit jedes Lebewesens, die es ermöglicht, dieses von anderen Organismen derselben Art zu unterscheiden, scheint sich wiederum zunächst der individuelle Genotyp anzubieten, der sich vom Genotyp anderer Organismen derselben Art unterscheidet, sofern diese auf dem Wege der sexuellen Fortpflanzung ins Leben kamen. Nach dieser Voraussetzung könnten Pflanzen als Individuen beschrieben werden. Konkret wäre mit diesem Begriff der jeweilige Genet gemeint, der sich durch vegetative Vermehrung zu einem pluralen Individuum entwickeln kann. 145 Allerdings ist auch diese Position mit der Schwierigkeit verbunden, dass, wie bereits angemerkt, in den Körperzellen aller Lebewesen spontane Mutationen auftreten können. In einem solchen Fall wäre nicht nur die genotypische Identität der verschiedenen Rameten eines Klons, sondern auch die genotypische Identität verschiedener Module bzw. Zellen eines Rameten nicht mehr gegeben. Damit bliebe weiterhin ungeklärt, auf welche pflanzliche Or144 145

Zitiert nach Kobusch 1976, 300. Meixner 2004, 45 f.; Wilson 1999, 86–89.

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ganisationsebene sich der Begriff der Individualität bezieht und damit, welcher die Würde der Kreatur zukommt. Geht es um die Einzigartigkeit von Lebewesen, liegt es daher näher, zusätzlich zu deren genetischen Ausstattung ihre phänotypischen Eigenschaften in den Blick zu nehmen. Während der letzten Jahrzehnte hinterfragten Biologen angesichts der phänotypischen Diversität nicht nur innerhalb einer Population, sondern auch innerhalb einer Gruppe genetisch identischer Organismen zunehmend die Ansicht, dass der Genotyp eine Art Plan sei, der dann im Verlaufe der individuellen Entwicklung nur noch verwirklicht werden müsse. Dies führte zu einer Neudefinierung des Genoms als ein Repertoire an unterschiedlichen Möglichkeiten der Realisierung des Genotyps innerhalb festgelegter Grenzen. Der Genotyp legt demnach nicht die genauen Merkmale fest, sondern lediglich die Reaktionsnorm, d. h. die Breite in der die verschiedenen Merkmale eines Lebewesens schwanken können. Die darauf basierende phänotypische Plastizität aller Lebewesen erlaubt die Anpassung des einzelnen Organismus an seine spezifischen Lebensumstände im Verlaufe seiner Ontogenese. Die lässt sich besonders gut an Pflanzen verdeutlichen, da sich hier die Einflüsse der Lebensbedingungen eindrucksvoll in der jeweiligen Wuchsform niederschlagen. 146 Es wird auch diskutiert, ob der phänotypischen Plastizität hinsichtlich der Anpassung an den Lebensraum bei Pflanzen aufgrund ihrer sessilen Lebensweise und ihrer lebenslangen Entwicklung eine besonders große Bedeutung zukommt. 147 Da neben morphologisch-anatomischen auch physiologische und biochemische Merkmale phänotypische Plastizität aufweisen und die Lebensumstände eines Lebewesens denen eines anderen wohl nie in jeder Hinsicht gleichen, ist es zwar theoretisch möglich, dass zwei Rameten eines Klons aus jeder Perspektive identisch sind, aber in der Realität sicher nie anzutreffen. Die Einzigartigkeit eines Organismus ergibt sich demnach nicht nur aus seiner genetischen Ausstattung, sondern zusätzlich aus seiner ganz eigenen Lebensgeschichte, die sich in seinem besonderen Phänotyp darstellt. Werden von einer Pflanze einzelne Phytomere zur Vermehrung abgetrennt, entstehen zwar in vielen Fällen Tochterpflanzen derselben Art, doch in der Folge individuiert sich jede einzelne im Rahmen ihres eigenen Lebensprozesses in Abhängigkeit von den jeweiligen Lebens146 147

Sultan 2000, 1; Strasburger 2002, 254. Novoplansky 2002, 178.

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umständen. Unteilbarkeit kommt somit dem Lebensprozess zu, der die individuelle Einzigartigkeit eines Lebewesens verwirklicht. 148 Auch auf der Basis der Annahme, dass sich Individuen durch relative Unteilbarkeit und der damit im Zusammenhang stehenden Einzigartigkeit auszeichnen, lassen sich Pflanzen als individuelle Lebewesen beschreiben. Dennoch bleibt die Position, dass Pflanzen die Würde der Kreatur abzusprechen sei, da sie keine Individuen seien, auch angesichts dieser Argumentation nachvollziehbar, denn sowohl die phänotypische als auch die genotypische Plastizität, welche gemeinsam die Einzigartigkeit lebender Wesen bedingen, kommen allen Organisationsebenen pflanzlichen Lebens zu. Demnach kann keine dieser Ebenen vor den anderen aufgrund einer spezifischen Besonderheit als Individuum ausgezeichnet werden. Im Gegensatz zu Wirbeltieren und Menschen bleibt bei Pflanzen also die Schwierigkeit, ein Individuum vom einem anderen derselben Art oder sogar desselben Genotyps zu unterscheiden. Somit ist die Diskussion der von Gracia zusammengestellten Individualitätskriterien nicht ausreichend, um die Fragen nach der pflanzlichen Individualität zu klären, die im Rahmen der Diskussion um Zuerkennung der Würde der Kreatur für Pflanzen eine Rolle spielen. Einheit Obwohl bei Jorge Gracia Einheit nicht als eines der klassischen Individualitätskriterien aufgeführt ist, wurde und wird in der philosophischen Tradition mit dem Begriff des Individuums etwas bezeichnet, das durch Einheit, Ganzheit, Geschlossenheit und Selbstständigkeit gekennzeichnet ist. 149 Friedemann Buddensiek knüpft in seiner 2006 veröffentlichten Monographie über »Die Einheit des Individuums« an diese Tradition an, indem er sich mit der Frage befasst, »wie sich die Einheit von Individuen, die materielle Gegenstände sind, begrifflich fassen lässt«. 150 Er vertritt dabei folgende These: »Ein Individuum, das ein materieller Gegenstand ist, ist ein Funktionsgefüge. Dieses Gefüge wird durch den kausalen Beitrag aller seiner Teile konstruiert, die ihrerseits durch das Leisten ihres Bei148 149

Köchy 2003, 293 f. Oeing-Hanhoff 1976, 306; Buddensiek 2006, 1–4; Köchy 2003, 265; Meixner 2004,

36. 150

Buddensiek 2006, 1.

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trags als Teile identifizierbar sind und die mit dem Leisten ihres Beitrags ihre Funktion ausüben. Im Leisten ihres Beitrags interagieren und kooperieren die Teile auf solche Weise miteinander, daß ein persistierendes, kohärentes und gegebenenfalls flexibles Gefüge gebildet wird, das dank seiner Struktur der Welt als etwas synchron und diachron Ganzes selbstständig gegenübertreten kann. Die Einheit des Individuums besteht in der synchronen und diachronen Kohärenz dieses Gefüges.« 151 Etwas ist also immer dann Teil eines individuellen Lebewesens, wenn es in den Gesamtzusammenhang integriert ist, was dann der Fall ist, wenn es in der Interaktion mit den übrigen Teilen zur inneren Einheit des jeweiligen Organismus und damit auch zu dessen Selbstständigkeit in Form von Selbsterhaltung und Selbstorganisation beiträgt. 152 Die miteinander in einem Beziehungsgeflecht stehenden Teile eines Individuums konstituieren also durch ihre Funktion im Gefüge dessen Einheit und erlauben, dass es sich als abgeschlossenes Ganzes in ein Verhältnis zur Welt setzen kann. Tatsächlich zeichnen sich alle Lebewesen, also auch Pflanzen, durch eine hohe strukturelle und funktionelle Ordnung aus, die aufgrund des dementsprechend niedrigen Entropie-Niveaus sehr labil ist und nur aufrechterhalten werden kann, wenn alle Komponenten des Organismus durch funktionelle Vernetzung und aufeinander abgestimmtes Zusammenwirken zur Erhaltung des Lebenszustandes beitragen. 153 Dennoch wird Pflanzen diese Form der Einheit und Abgeschlossenheit häufig abgesprochen. So lehnt Richard Firn die Anwendung des Konzepts der Individualität auf Pflanzen mit der Begründung ab, dass die Bestandteile der Pflanze weitgehend unabhängig voneinander agieren, weswegen es nicht die Pflanze gäbe, die als Individuum betrachtet werden könnte. 154 Neuere Erkenntnisse der pflanzenphysiologischen Forschung zeigen aber, dass es durchaus intensive Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Teilen einer Pflanze über die Grenzen des einzelnen Phytomers hinweg gibt, die den Pflanzenkörper zu einem »harmonischen Ganzen« 155 machen. Dieser Pro151 152 153 154 155

Buddensiek 2006, 7 f.; vgl. Wilson 1999, 89. Buddensiek 2006, 208 f., 212. Strasburger 2002, 2 f. Firn 2004, 346. Strasburger 2002, 411.

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zess der systemischen Entwicklungskontrolle, Korrelation genannt, wird nicht nur, wie Richard Firn vermutet, 156 durch Konkurrenz um die gegenseitige Belieferung mit Nährstoffen, sondern v. a. durch Kommunikation – z. T. über weite Strecken – mittels Phytohormonen, Signalmolekülen und sogar Aktionspotenzialen vermittelt. 157 Auf der Basis dieser Erkenntnisse kann man also auch in Bezug auf Pflanzen von einer Einheit des Individuums, so wie Buddensiek diese versteht, sprechen. Da nur das als integrierter Teil eines pflanzlichen Individuums gilt, was zur Selbstständigkeit des Funktionsgefüges beiträgt, muss es mit diesem in einem physiologischen Zusammenhang stehen, so dass Wechselwirkungen mit den übrigen Teilen stattfinden können. 158 Dementsprechend kann auch jede einzelne, aus ein und derselben Mutterpflanze durch vegetative Vermehrung entstandene Tochterpflanze als Individuum betrachtet werden: Jede stellt ein abgeschlossenes Funktionsgefüge dar, das durch die Integrität seiner Teile konstituiert wird. Da nicht nur bei den Sprosspflanzen, sondern auch bei den Thallophyten korrelative Vorgänge beobachtet werden können, 159 kann z. B. auch in Bezug auf einzelne Moospflanzen von Individuen gesprochen werden. Alle einzelnen Rameten eines Klons, welcher Gattung auch immer, können also jeweils als ein Individuum bezeichnet werden. Die Tatsache, dass sie dem gleichen Genotyp angehören, schwächt ihre Individualität dabei nicht, da jeder einzelne Ramet seine Einheit und Selbstständigkeit in Abhängigkeit von seinen Lebensumständen in ganz einzigartiger Weise verwirklicht. Die Gene sind dabei nur ein Teil des Funktionsgefüges und werden den Bedürfnissen des einzelnen Individuums gemäß reguliert. 160 Aufgrund dieses Individualitätsverständnisses können auch Chimären als vollwertige Individuen betrachtet werden, sofern die genetisch verschiedenen Gewebe miteinander interagierend ein selbstständiges Funktionsgefüge bilden. 161 Somit Firn 2004, 346. Eine sehr ausführliche Zusammenstellung der neuere Erkenntnisse über Kommunikation in Pflanzen mit Verweis auf die jeweiligen Veröffentlichungen bieten Baluka et al. 2006. 158 Trewavas 2004, 354 f. 159 Strasburger 2002, 410. 160 Buddensiek 2006, 264. 161 Vgl. Wilson 1999, 97. Hier ist zusätzlich anzumerken, dass tierische und menschliche Chimären, Letztere durch Dunsford et al. 1953 belegt, trotz ihrer genetisch ver156 157

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sind auch durch Pfropfung entstandene Chimären nach erfolgreicher Integration des Propfreises in den Gewebezusammenhang der Unterlage Individuen. 162 Die Wechselwirkungen zwischen den artverschiedenen Geweben zeigen sich dann besonders deutlich, wenn die modifikatorische Beeinflussung der Eigenschaften der beiden Pfropfpartner so weit geht, dass die entstandenen chimären Gewebe äußerlich den Eindruck geschlechtlich entstandener Bastarde erwecken. 163 Selbst die beiden Partner einer symbiotischen Beziehung, wie sie z. B. in Form der Mykorrhiza bekannt ist, könnten auf dieser Grundlage als Bestandteile ein und desselben Individuums betrachtet werden, insofern die Partner nicht nur von den Produkten des jeweiligen Symbiosepartners profitieren, wie sie auch von dem Nährstoffvorkommen in ihrer Umgebung profitieren, sondern in einer sich gegenseitig beeinflussenden physiologischen und anatomischen Wechselwirkung miteinander stehen, welche die Grundlage der Selbsterhaltung und Selbstorganisation des Gesamtgefüges bildet. 164 3.3.2.3 Ergebnis Zurück zur Ausgangsfrage: Kann der Begriff der Würde der Kreatur, sofern er nur auf Individuen bezogen gedacht wird, auch in Bezug auf pflanzliche Lebewesen angewendet werden? Vor dem Hintergrund der vorliegenden Überlegungen ist diese Frage positiv zu beantworten, da Pflanzen angesichts der traditionellen Individualitätskriterien als Individuen aufgefasst werden können: Wie alle Lebewesen sind Pflanzen durch Nicht-Instanziierbarkeit und Nicht-Prädizierbarkeit gekennzeichnet. Auch können sie als Mitglieder eines bestimmten Typus oder einer bestimmten Klasse aufgefasst und dieser zugeordnet werden. Ob bestimmte Eigenschaften oder Bestandteile von Pflanzen deren diachrone Identität gewährleisten, konnte hier angesichts ihrer geno- und phänotypischen Veränderlichkeit aber nicht beantwortet werden. Da es sich dabei aber um ein Merkmal aller Lebewesen handelt und die Frage nach der diachronen schiedenen Zellen als Individuen erfahren werden – vermutlich da sie eine in sich abgeschlossene Entität bilden. 162 Buddensiek 2006, 272–275. 163 Zur Pfropfung siehe Strasburger 2002, 399. 164 Strasburger 2002, 501 f.

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Identität nicht nur für Pflanzen schwer zu beantworten ist, wäre ihr Ausschluss aus dem Kreis der Individuen inkonsistent, nähme man gleichzeitig an, dass z. B. Menschen und Tiere Individuen sind. Sollten sich lebende Individuen tatsächlich durch diachrone Identität auszeichnen, dann erscheint es überzeugender, diese eher in der ununterbrochenen Kohärenz des Gefüges und damit im Prozess der beständigen Aufrechterhaltung der Einheit und Selbstständigkeit zu sehen. Hinsichtlich dieses Prozesses, der sich als einzigartige Lebensgeschichte eines Individuums darstellt und besonders offensichtlich bei pflanzlichen Lebewesen seinen besonderen phänotypischen Ausdruck findet, können Pflanzen zusätzlich als relativ unteilbar beschrieben werden. Auf dieser Grundlage sind Pflanzen hinsichtlich ihrer Individualität durchaus mit Tieren und Menschen vergleichbar. Somit kann auch ihnen entgegen der Kritik Arz de Falcos und Müllers analog zu diesen die individuelle Würde der Kreatur zuerkannt werden.

3.4 Fazit Das Kapitel 3 widmete sich der Frage, ob die mit dem Begriff der Würde der Kreatur verbundene Forderung, nichtmenschliche Lebewesen um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen, auch auf Pflanzen bezogen werden kann. Es konnte dargelegt werden, dass die Rede von der Würde der Pflanze durchaus plausibel ist, insofern sich Pflanzen als individuelle Wesen mit einem eigenen Gut, auf das hinzustreben, sie angelegt sind, beschreiben lassen. Von der Würde der Pflanze zu reden, ist mit Blick auf pflanzliche Lebewesen also sachgemäß, da die Forderung, sie um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, eingelöst werden könnte. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob sich auch eine Pflicht zur Achtung vor pflanzlichen Lebewesen begründen lässt. Diese Frage gilt es noch zu erörtern.

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Pflanzen als Wesen beschreiben zu können, die über ein eigenes Gut verfügen, das verletzt werden kann, verdeutlicht zwar, dass es möglich ist, sie direkt moralisch zu berücksichtigen, zeigt aber nicht auf, warum wir das tun sollten. Mit der Würde der Pflanze wird aber eben auch ein Anspruch verbunden, der sich auf den Umgang mit pflanzlichen Lebewesen bezieht. Die Plausibilität der Rede von der Würde der Pflanze ist auf der Basis des bisher Erarbeiteten demnach noch nicht hinreichend dargelegt, denn wie Marcus Düwell schreibt, »kann … eingewandt werden, dass mit dem Verweis auf die Verletzlichkeit noch nicht gezeigt ist, dass einem bedürftigen Wesen auch der Anspruch zukommt, dass seine Interessen berücksichtigt werden.« 1 Wie Klaus Peter Rippe richtigerweise bemerkt, heißt das: »Man kann ohne Selbstwiderspruch akzeptieren, dass Lebewesen in dem Sinne ein eigenes Gut haben, als sie gedeihen, ohne sich verpflichtet zu sehen, dieses Gut zu respektieren.« 2 Heike Baranzke begründet dies folgendermaßen: »die Interpretation eines auf ›Gedeihen‹ aus seienden Daseins der Pflanze [führt] des Weiteren noch nicht zu einem sollenden Wert, einer ›pflanzlichen Würde‹. Seit David Humes berühmtem Verdikt ist klar, dass sonst ein ethisch noch unbegründeter Schritt vom Sein zum Sollen vollzogen würde. Dass etwas ist, bedeutet nämlich noch nicht, dass es auch im moralischen Sinne gut sein sollte.« 3 Aus diesem Grund kann vor dem Hintergrund der Idee des eigenen Gutes von Pflanzen von einer Würde der Pflanze »erst als Resultat einer moralphilosophischen Begründung eines auf naturphilosophischem Weg ausgewiesenen Naturzwecks gesprochen werden«. 4 Um die Verpflichtung der Achtung der Würde nichtmenschlicher 1 2 3 4

Düwell 2006, 436. Rippe 2008, 111. Baranzke 2008, 49. Baranzke 2008, 49.

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Lebewesen zu begründen, werden verschiedene Argumentationsstrategien verfolgt, die in der Folge dargelegt und daraufhin geprüft werden, welchen Beitrag sie für die angestrebte Konkretisierung des Konzepts pflanzlicher Würde leisten können. In jedem Fall verweist der mit der Würde der Pflanze verbundene Anspruch letztlich auf den Menschen, der einen solchen Anspruch sich selbst gegenüber erhebt. Für Bernard Williams heißt das, dass es sich »um unausweichlich menschliche Fragen [handelt], in dem Sinne, daß es Fragen für Menschen sind. Das impliziert … [,] daß die Antworten menschliche Antworten sein müssen: Sie müssen auf menschlichen Werten basieren, Werten, die Menschen zum Teil ihres Lebens machen können und die zu verfolgen und zu respektieren in ihr Bild von sich selbst passt.« 5 Unterschiede in den Argumentationsmustern können sich sinnvollerweise also nur hinsichtlich der Frage ergeben, warum der Eigenwert pflanzlicher Lebewesen vom Menschen als Würde anerkannt und dementsprechend moralisch berücksichtigt werden sollte.

4.1.1 Der Mensch verdankt sich der Natur Zum einen wird versucht, die Anerkennung der Pflicht zur Berücksichtigung der Würde der Kreatur von der Gegebenheit her abzuleiten, dass sich der Mensch in all seinen Facetten der außerhumanen Natur verdankt. Diesen Weg verfolgt Beat Sitter, wenn er schreibt: »Erst die nichtmenschliche Natur […] gewährt dem Menschen die Bedingung dafür, Würde zu tragen und zu bewahren. Gerade auch in seiner Befähigung zu Autonomie, zu Sittlichkeit und zu Transzendenz, geht der Mensch aus der Natur hervor. Kommt ihm in bestimmter Hinsicht Würde zu, dann aufgrund seiner besonderen und damit zugleich der allgemeinen Natur als universelle Formkraft, der Natur als das eine und schöpferische Ganze. Wenn Würde dasjenige kennzeichnet, was einen höchsten Wert hat, dann scheint es inkonsistent … diesen absoluten Wert dem Menschen vorzubehalten. Man wird ihn auch jenem Grund, aus welchem Menschen in ihrem Wert und ihrer Würde hervorgehen, zubilligen müssen.« 6 Ähnlich könnte man auch argumentieren, wenn es um die Mani5 6

Williams 1997, 297. Sitter-Liver 1999, 471 f.

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festationen der Natur geht, von denen die Existenz und damit die besondere Lebensweise des Menschen abhängt. Die Gegebenheit, dass Menschen als heterotrophe Organismen hinsichtlich ihrer evolutionären Entstehung wie auch hinsichtlich ihres täglichen Überlebens elementar von Pflanzen abhängig sind, wäre dann das Motiv für die besondere Hochschätzung pflanzlichen Lebens und damit für die Anerkennung pflanzlicher Würde. Selbstverständlich – insoweit ist Beat Sitter-Liver Recht zu geben – ermöglichen erst die Entitäten der nichtmenschlichen Natur, darunter nicht zuletzt die Pflanzen, die phylogenetische und die ontogenetische Entwicklung des Menschen als eine ganz besondere Lebensform, bei welcher von Würde die Rede ist. Insofern sind sie als eine Bedingung der menschlichen Würde zu verstehen, aber eben nur als eine notwendige, nicht als eine hinreichende Bedingung. Doch auch, wenn man davon absieht, bleibt diese Begründungsstrategie problematisch. Darauf weisen die Gutachter des Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur Balzer, Rippe und Schaber hin: »Sicher ist richtig, daß es natürliche Voraussetzungen gibt, ohne die wir keine Autonomie entwickeln würden, ja ohne die wir überhaupt nicht existieren könnten. Aber dies bedeutet ja nicht, daß auch diesen Voraussetzungen menschlicher Autonomie ein moralischer Wert zukommt. Es ist ein genetischer Fehlschluß anzunehmen, daß wir gegenüber etwas, auf dessen Existenz wir angewiesen sind, zu einer bestimmten moralischen Haltung verpflichtet sind.« 7 So ist es wahrscheinlich, dass gerade besonders schwierige Lebensbedingungen, die sich z. B. durch eine so genannte Naturkatastrophe oder langsamere klimatische Veränderungen ergeben haben, die Entwicklung des Menschen zu einem intelligenten, autonom handlungsfähigen Wesen begünstigt haben. Dennoch würde wohl niemand einfordern, dass Naturkatastrophen oder einer Eiszeit bzw. einer klimatischen Erwärmung eine Würde und damit ein gewisser Schutzanspruch zukommen. 8 Will man also eine Pflicht zur moralischen Berücksichtigung von Pflanzen begründen, so sollte ein anderer Argumentationsweg beschritten werden. Ein mit Blick auf die Diskussion um die Würde nichtmenschlicher Lebewesen bedeutendes Problem dieser Begründungsstrategie ergibt Balzer et al. 1998, 45 f.; zu Beat Sitter-Livers Antwort auf diese Kritik vgl. Sitter-Liver 2008, 170. 8 Vgl. Münk 1997, 25. 7

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sich darüber hinaus aus einer Konzeption von Pflanzenwürde, welche mit dem Anspruch verbunden ist, Pflanzen um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen. Insofern eine solche Position nicht als biozentrisch, sondern als ökozentrisch klassifiziert werden müsste, kann sie vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. Wie Peter Kunzmann mit Rekurs auf die Würde der Tiere darlegt, wird »in dieser Konstruktion von Würde … nicht deutlich, warum unter allen Naturdingen gerade den Lebewesen … Respekt geschuldet sein soll.« 9 Aber nur um individuelle Lebewesen kann es gehen, wenn mit der Würde nichtmenschlicher Lebewesen die Forderung ihrer direkten moralischen Berücksichtigung verbunden wird, denn hinsichtlich unbelebter Entitäten der Natur oder supraorganismischer Ganzheiten können Urteile über Förderung und Schädigungen immer nur mit Rekurs auf menschliche Interessen erfolgen, da die Rede vom eigenen Gut und Eigenwert, wie bereits dargelegt, in diesem Zusammenhang keinen Sinn macht.

4.1.2 Die Güte der Schöpfung Mit der geistesgeschichtlichen Herkunft des Schweizer Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur und der Genese des entsprechenden Artikels 24novies SBV Abs. 3, welcher der Regelung von Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie gilt, hat sich Heike Baranzke ausführlich in ihrer Monographie »Die Würde der Kreatur?« 10 auseinandergesetzt. Darin legt sie entgegen der Auffassung der EKAH dar, dass die Idee einer Würde der Kreatur kein völliges Novum darstellt, sondern lediglich als Rechtsbegriff auf keine Tradition zurückblicken kann. 11 Ihrer Analyse nach verweist der Wortbestandteil »Kreatur« auf das »schöpfungstheologische Startkapital« 12 des Ausdrucks, genauer: auf die biblisch-theologische Auffassung von der grundsätzlichen Güte alles Geschaffenen. Diese hat ihre Quelle im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht: »Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte und siehe, es war sehr gut.« 13 Vor diesem Hintergrund sei die kreatürKunzmann 2007, 82. Baranzke 2002. 11 Baranzke 2002, 51 f. 12 Baranzke 2002, 47. 13 Gen 1, 31. 9

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liche Würde im Sinne einer bonitas, also einer Güte, zu verstehen, die alle Elemente der Schöpfung unter ihrem Dach vereint und ihrem Schöpfer gegenüberstellt. So kann die Bedeutung der Würde der Kreatur nach Heike Baranzke auch nicht aus der Idee der spezifisch menschlichen Würde, der dignitas, erhoben werden, da letztere ja gerade die Sonderstellung des gottebenbildlichen, vernunft- und moralfähigen Menschen in der Welt hervorhebt. Insofern würde sich gerade die im Rahmen der Schöpfungstheologie tradierte Idee einer bonitas als eine Ausgangsbasis für anthropozentrikkritische Einwände erweisen: »Wenngleich undeutlich, aber doch im kulturellen Gedächtnis anwesend[,] vermochte die Idee geschöpflicher Güte immer wieder Einspruch gegen die intellektualistische Verdrängung der Kreatürlichkeit zu erheben.« 14 Eine besondere Chance dazu habe sich im Umfeld der protestantischen Theologie geboten, »wo die gottebenbildliche Würde des Menschen durch den Sündenfall an selbstgenügsamem Glanz verloren und im Gegenzug an Weltverantwortungsdimension gewonnen hat.« 15 Legt man diese Annahmen zugrunde, wird verständlich, warum zuerst ein protestantischer Geistlicher – der dänische Philosophieprofessor und lutherische Pfarrer Lauritz Smith (1754–1794) – an die kreatürliche bonitas anknüpfte, um entgegen der vorherrschenden Annahme geltend zu machen, dass die Tiere nicht nur um des menschlichen Nutzens willen, sondern zunächst um ihrer selbst willen existieren und eine dementsprechende Behandlung durch den Menschen verdienen. 16 Neben den tierethischen griffen später auch umweltethische Positionen die Idee der Güte der Schöpfung auf, um ihren Argumentationen eine Grundlage zu verschaffen. Beide Strömungen beeinflussten die Diskussion um den Art. 24novies SBV. Die starke Präsenz schöpfungstheologisch argumentierender Tier- und UmweltethikerInnen, besonders im deutschen Sprachraum, ermöglichten in der Schweiz die Akzeptanz des theologisch geprägten Terminus Würde der Kreatur als Verfassungsbegriff. Wie auch der diesem nahe stehende Ausdruck »Mitgeschöpf«, der in das deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) eingeführt wurde, 17 verweist er nach Heike Baranzkes Auffassung »auf eine 14 15 16 17

Baranzke 2007, 49. Baranzke 2007, 49. Smith 1790; Smith 1793. TierSchG § 1: »Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für

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positive Beziehung des In-die-Existenz gerufen- und In-der-Existenz gehalten-Seins der guten Schöpfung Gottes.« 18 Ursächlich für den Erfolg der schöpfungstheologischen Sprache in sich heute säkular verstehenden Gesellschaften ist für Heike Baranzke die sich damit bietende Möglichkeit, dem durch die Erfahrung der »ökologischen Krise« angestoßenen »Wertewandel« Ausdruck zu verleihen. Dazu böte die säkulare Sprache offensichtlich nicht die geeigneten Begriffe. 19 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie »die Rücksicht auf die Würde der Kreatur … geltendes Recht« 20 einer pluralistischen, der Glaubens- und Gewissensfreiheit verpflichteten Gesellschaft werden konnte. Auch nach der Verabschiedung des Art. 24novies SBV wird auf dieses »theologische Startkapital« des Schweizer Verfassungsbegriffs der Würde der Kreatur bzw. der Rede von der Mitgeschöpflichkeit in der Diskussion um die Würde der Kreatur immer wieder zurückgegriffen, um der Anerkennung der Pflicht zur Berücksichtigung nichtmenschlicher Lebewesen eine Grundlage zu geben. Für Hans Münk handelt es sich dabei um eine theologische Parallele zu dem bereits vorgestellten philosophischen Gedankengang, dass alle Würde des Menschen ihren Ursprung in der Würde der Natur hat, »die um den Grundsatz der Mitgeschöpflichkeit kreist: Am Anfang steht die Würde der Schöpfung. Alle Kreatur ist von Gott erschaffen, für gut befunden und von Christus in die Erlösung miteinbezogen worden. Geschöpflichkeit ist der Grund der Würde. … Alle Geschöpfe nehmen an der Würde Teil, die der Schöpfung vom Schöpfer verliehen wurde.« 21 Vor diesem Hintergrund ist es quasi selbstverständlich, davon auszugehen, dass »trees too have some dignity and standing before God.« 22 Wie Heike Baranzke sieht auch Hans Münk keine Möglichkeit, die Würde der Schöpfung mit der Würde des Menschen gleichzusetzen, denn »[f]ür den Menschen gilt, daß er ›Imago Dei‹, Bild Gottes bzw. Christus ist. Für die nichtmenschliche Natur lautet das entscheidende theologische Stichwort ›Vestigia Dei‹, Spuren Gottes.« 23 Der Wertcharakter der das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.« 18 Baranzke 2002, 48. 19 Vgl. Baranzke 2002, 47; Praetorius et al. 1996, 35. 20 Praetorius et al. 1996, 30. 21 Münk 1997, 23. 22 Linzey 1987, 86, zit. n. Teutsch 1995, 93. 23 Münk 1997, 26.

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Entitäten der Umwelt des Menschen liegt also »nicht auf der gleichen Ebene, wie die gottebenbildliche, christusförmige Personenwürde, wird aber insgesamt durch seinen Gottesbezug so gewürdigt, daß in einem analogen Sinn der Würdebegriff aufgenommen werden könnte.« 24 Vor diesem Hintergrund gründet sich die Pflicht des Menschen zur moralischen Berücksichtigung nichtmenschlicher Entitäten darin, dass er angesichts seiner Würdestellung von »Gott zur Verantwortung als Sachverwalter der Schöpfung bestellt wurde«: 25 »Aufgrund des angedeuteten theologischen Status der Natur eignet ihr ein Wert, auf den der Mensch eine angemessene Wertantwort zu geben verpflichtet ist. Es muss eine Antwort sein, in der ein Echo auf das mehrmalige ›und Gott sah, daß es gut war‹ des ersten Schöpfungsberichts vernehmbar ist. Ebendies fordert die menschliche Würdestellung.« 26 Die Frage, ob der Versuch, die Würde der Pflanze mit Verweis auf die Güte alles von Gott Geschaffenen zu begründen, theologisch stichhaltig ist, soll hier nicht erörtert werden. Sicher ist jedoch, dass eine solche Argumentation nur auf der Grundlage der Überzeugung, »dass Gott die Welt geschaffen und als gute Schöpfung bejaht hat«, 27 nachvollziehbar sein kann. Wie schon die Gutachter Praetorius und Saladin dazu geäußert haben, kann angesichts der weltanschaulichen Pluralität moderner Gesellschaften, heute eher nicht mit einer allgemeinen Zustimmung gerechnet werden. 28 Es erscheint daher schon aus praktischen Gründen sinnvoller, einer weltanschaulich weniger engen Argumentation zur Begründung des mit der Würde der Pflanze verbundenen Anspruchs zu folgen. Mit Blick auf die Würde der Pflanze betrifft die Hauptkritik an dieser Position aber die Unmöglichkeit ihrer Einschränkung auf individuelle Lebewesen. Peter Kunzmann begründet dies auf folgende Weise: »Wenn alle Kreatur qua ›Geschaffen-Sein‹ ein unverlierbares ›GutSein‹ hat – dann eben alles Geschaffene und jedes einzelne Geschaffene, von der Primzahl bis zur Primel, vom Meteor bis zur Mülltonne. Wenn wir diese … Güte, als eine ›Würde‹ herausheben oder eine solche

24 25 26 27 28

Münk 1997, 26 f. Münk 1997, 27. Münk 1997, 27. Praetorius et al. 1996, 34. Praetorius et al. 1996, 35.

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ableiten wollen, dann müssen wir sie allen Geschöpfen, neutral gesagt allen Gegenständen[,] zuschreiben.« 29 Die Rede von der Würde nichtmenschlicher Lebewesen und damit die Forderung, auch Pflanzen direkt moralisch zu berücksichtigen, macht allerdings nur in Bezug auf individuelle Lebewesen Sinn.

4.1.3 Gleichstellung von Mensch und nichtmenschlichen Lebewesen Argumentationsstrategien, die das Ziel verfolgen, darzustellen, warum allen Lebewesen, also auch Pflanzen, eine Würde zuerkannt werden sollte, tun dies nicht selten, indem sie die Idee der Hierarchie des Organischen angesichts bestimmter Eigenschaften, die alle Lebewesen teilen, auf den Prüfstand stellen. Dabei geht es besonders darum, die in diesem Rahmen gedachte Stellung des Menschen als einzig direkt moralisch zu berücksichtigendes Wesen zu hinterfragen und ihn den anderen Lebewesen in dieser Hinsicht gleich zu stellen. 4.1.3.1 Die Universalität des genetischen Codes Dass die in der Diskussion um den Art. 24novies SBV vorgelegten Argumente, wie im Kapitel 4.1.2 dargelegt, begrifflich häufig an die ökoethischen Debatten der 1970er und -80er Jahre anknüpfen, ist nicht verwunderlich, da sich hinsichtlich der Bedenken, Fragestellungen und Lösungsvorschläge, die mit Blick auf Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin geäußert werden, ein ähnliches Muster ergibt wie zuvor im Falle der »ökologischen Krise.«: In beiden Fällen war der Ausgangspunkt für die Diskussion um den moralischen Status nichtmenschlicher Entitäten der Natur die Sorge um die Folgen der »Umweltkrise« für das menschliche Leben. Gleiches kann für die spätere Diskussion um den Art. 24novies Abs. 3 SBV gesagt werden, denn der Ruf nach der gesetzlichen Regelung der Gentechnologie und Fortpflanzungsmedizin ging im »April 1987 … [von der] … eidgenössische[n] Volksinitiative ›gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie beim Menschen‹, kurz Beobachter-Initiative« 30 aus. Nach dem Initiativtext ging es also zunächst 29 30

Kunzmann 2007, 81. Krepper 1998, 347.

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um »die Wahrung der Würde des Menschen und den Schutz der Familie.« 31 Bei einem Schutzanspruch nur für Menschen blieb es aber nicht, da in beiden Fällen die Vorstellung von der Sonderstellung des Menschen als ein einzigartiges Wesen ins Wanken geriet: Wie schon die »ökologische Krise« verdeutlichte, dass massive Eingriffe in die Umwelt auch den Menschen selbst betreffen, da der Mensch als ein »aus dem graduellen Kontinuum der Evolution« 32 hervorgegangenes Wesen nur ein Teil der ökologischen Zusammenhänge ist, so verdeutlichte auch die auf der Universalität des genetischen Codes 33 beruhende Möglichkeit zum horizontalen Gentransfer die Schwierigkeit der klaren Abgrenzung von Mensch und Umwelt, geht es allein um gentechnische Fragestellungen. Aus diesem Grunde formulierte die Expertenkommission für Humangenetik und Reproduktionsmedizin, welche vom Bundesrat eingesetzt wurde, um über den Antrag der »Beobachter-Initiative« zu beraten, einen Gegenvorschlag, der zusätzlich den außerhumanen Anwendungsbereich der genannten Verfahren berücksichtigt. Sie begründete diese Empfehlung mit der Tatsache, dass die Methoden der Fortpflanzungs- und Gentechnologie auf alle Lebewesen anwendbar sind und Erbsubstanz über Speziesgrenzen hinweg miteinander kombinierbar ist. 34 Die pflanzlichen Lebewesen werden vor diesem Hintergrund wie selbstverständlich zu einem Teil des zu regelnden Anwendungsbereiches. Ähnlich argumentiert Petran Kockelkoren, jedoch nicht im Zusammenhang mit zunächst rechtlichen Fragen, sondern, um die ethische Relevanz der Pflanzen herauszustellen: »Allerdings gelten die Fragen hinsichtlich der Möglichkeit, Artgrenzen durchlässig zu machen und so in die natürliche Ordnung einzugreifen … für den pflanzlichen Bereich ebenso wie für den tierischen. Auch in Bezug auf Pflanzen sind ethische Fragen also durchaus relevant«. 35 Die Schwierigkeit der Aufrechterhaltung des Dualismus zwischen Art. 24octies Abs. 2 SBV, zit. n. Krepper 1998, 348. Gruber 2003, 132. 33 Die »Universalität« des genetischen Codes ist allgemein anerkannt, da er in allen bisher bekannten Lebensformen gilt. Allerdings sollte an dieser Stelle auch daran erinnert werden, dass es einige wenige Ausnahmen, z. B. in Mitochondrien, gibt, welche Abweichungen vom so genannten kanonischen Code darstellen. Eine kurze Einführung zu diesem Thema gibt der Artikel von Weitze 2006. 34 Praetorius et al. 1996, 48. 35 Kockelkoren 2002, 202. 31 32

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Mensch und nichtmenschlichen Lebewesen ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass der gemeinsame evolutionäre Ursprung aller Lebewesen sowohl angesichts der Universalität des genetischen Codes als auch angesichts der wechselseitigen ökologischen Abhängigkeit aller Lebewesen deutlich vor Augen tritt. Um es mit den Worten von Johannes Wirz zu sagen: »recent progress in molecular genetics … suggests a kind of genetic continuum amongst all living beings … whereas molecular genetics is a powerful tool to reveal the common origin of all life forms, it fails to unravel the differences which make a plant distinct from an animal, or bacteria distinct from man. As a consequence, concepts of integrity or wholeness applied to single organisms or individual species are prone to become meaningless.« 36 Darüber hinaus durchbrechen »moderne gentechnisch hergestellte … [Chimären] … die hierarchischen Ordnungsvorstellungen vom Organischen, wenn Genomelemente« 37 einer bestimmten Art in artfremde Lebewesen inseriert werden. Nach Ingensieps Auffassung lässt sich daher »bereits in ethischer Perspektive fragen, wie viele menschentypische Gene dereinst in Pflanzen enthalten sein müssen, damit auch bei Pflanzen von einer zu berücksichtigenden Würde gesprochen werden kann.« 38 Und umgekehrt wird die traditionelle »Einordnung aller Entitäten in eine Welt der Subjekte und in eine Welt der Objekte« 39 erschwert durch die »Tendenz, auch menschliche Subjekte zum Gegenstand der früher nur auf die Objektwelt beschränkten naturwissenschaftlichen Forschung«40 und gentechnischer Eingriffe zu machen. H. M. Schönherr schreibt dazu: »Wenn die Technik dem Menschen nicht mehr als Instrument zur Verfügung steht, sondern umgekehrt, dann ist der Mensch nicht mehr das mit der Technik bewusst und kontrolliert umgehende Subjekt. Vielmehr reduziert ihn die Technik sogar zum Objekt.« 41 Mit Bezugnahme auf diese Aussage befürchtet Günter Altner, dass der Mensch »unter die Räder jener objektivierenden Bemächtigung zu geraten [droht], die einst als Herrschaftsinstrument des Menschen über die Natur deklariert wurde.« 42 36 37 38 39 40 41 42

Wirz 2001, 3. Ingensiep 2003, 168. Ingensiep 2003, 168. Gruber 2003, 132. Gruber 2003, 132 f. Schönherr 1989, 81, zit. n. Altner 1991, 16. Altner 1991, 17.

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Um es zusammenzufassen: Sieht man lediglich auf die gentechnischen Möglichkeiten – wie auch auf die ökologischen Abhängigkeiten des Menschen von seiner Umwelt – ist die klare Trennung von direkt zu berücksichtigenden Menschen und den nur indirekt zu berücksichtigenden übrigen Lebewesen nicht aufrechtzuerhalten, da die Idee der wesenhaften Besonderheit des Menschen in diesem Lichte nicht aufscheinen kann. Für einige BioethikerInnen ist vor diesem Hintergrund die Rechtfertigung der Instrumentalisierung außermenschlicher Lebewesen bzw. ihre Nutzung über »ein natürliches Maß« hinaus mit Verweis auf die Sonderstellung des Menschen als vernunftfähiges Wesen nichts weiter als menschliche Hybris. Auf das anthropozentrikkritische Potenzial dieser Perspektive scheint auch der Schweizerische Bundesrat in der Diskussion um den Art. 24novies SBV zurückzugreifen. Er vertritt eine Position, welche auf der Grundlage der Idee beruht, »dass der Mensch und die belebte Natur zu einer Einheit verbunden seien.« 43 Daher folgte er der Empfehlung der Amstad-Kommission und betonte: »Nicht allein der Mensch verdient Schutz vor Missbräuchen, sondern auch die Natur – Mikroorganismen, Tiere und Pflanzen.« 44 Doch auch für den Nationalrat Koller scheint der Begriff der Würde der Kreatur dem Ziel einer Gleichstellung von Mensch und nichtmenschlichen Lebewesen entgegenzukommen: »Wiewohl gerade in unserem Kreise eine Hierarchie der Werte zwischen Mensch, Tier und Pflanze spürbar« ist, ist es dennoch »unser allumfassendes Anliegen …, die Kreatur gleichrangig zu schützen«. 45 Diese Auffassung wurde von einigen Teilnehmern der Debatte um den neuen Verfassungsartikel weiter getragen und färbte sich auch auf die Diskussion jenseits politischer Gremien ab. Aus der Tatsache, dass Menschen, Tiere und Pflanzen sich hinsichtlich ihres genetischen Codes nicht unterscheiden und daher von den Möglichkeiten der Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin gleichermaßen betroffen sein können, lässt sich allerdings nicht ohne Umschweife folgern, dass nichtmenschliche Lebewesen den menschlichen in moralischer Hinsicht gleich gestellt werden sollten. Zwar teilt der Mensch, der als direkt moralisch berücksichtigungswürdiges Wesen anerkannt ist, mit den anderen Lebewesen den genetischen Code, wie 43 44 45

Krepper 1998, 351. BOTSCHAFT Gentechnologie, 29, zit. n. Krepper 1998, 349. Amtl. Bull. NR 1991, 560, zit. n. Krepper 1998, 356.

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auch viele andere Merkmale, doch ein Analogieschluss vom Menschen auf Pflanzen kann aus dieser Perspektive nicht überzeugen und damit auch keine Konzeption der Würde der Pflanze, die mit Verweis auf die Universalität des genetischen Codes untermauert wird. Die Pflicht zur moralischen Berücksichtigung von Menschen bezieht sich zwar auch auf den gentechnischen Umgang mit ihnen und damit auch auf die Möglichkeit, genetisches Material anderer Spezies auf Menschen zu übertragen, doch beruht sie nicht auf derselben, sondern vielmehr auf der Erfahrung bestimmter Eigenschaften, welche sich z. B. bei Pflanzen eben nicht beobachten lassen. Auf Grundlage der rein empirischen Beobachtung, dass genetisches Material von Menschen auf Pflanzen übertragbar ist und umgekehrt, lässt sich also nicht begründen, warum die Pflicht zur direkten moralischen Berücksichtigung auch auf pflanzliche Lebewesen übertragen werden sollte. 4.1.3.2 Die Selbstzwecklichkeit als Merkmal der Lebewesen Eine andere Strategie der Gleichstellung zur Rechtfertigung der Übertragung des Würdebegriffs verweist darauf, dass Menschen und nichtmenschliche Lebewesen jeweils ein eigenes Gut, einen Selbstzweck, besitzen und demnach einen Zustand der Erfüllung anstreben. Wie bereits dargelegt wurde, stellen sich im Lichte dieser Idee auch nichtmenschliche Lebewesen als direkt moralisch berücksichtigungswürdig dar (vgl. Kap. 3.3). Für Beat Sitter-Liver folgt daraus und aus dem »im ethischen wie im rechtlichen Denken verwurzelten Grundsatz, Gleiches im Hinblick auf seine Gleichheit nicht unterschiedlich zu bewerten und zu behandeln, … den Eigenwert, welcher sich in einem auf ein Selbst bezogenen individuellen Streben manifestiert, anzuerkennen und praktisch zu achten.« 46 Michael Schlitt scheint eine solche Argumentation nicht zu überzeugen, wenn er schreibt: »Sollte der Würdebegriff neben dem Menschen nun auch auf Tiere, Pflanzen und Steine ausgedehnt werden, so ist zu befürchten, daß dieser Terminus am Ende mehr Ungleiches als Gleiches bei ihnen bezeichnet.« 47 Diese Befürchtung ist nicht unbegründet, insofern einige Befürworter der Rede von der Würde der 46 47

Sitter-Liver 1999, 472. Schlitt 1992, 181, zit. n. Teutsch 1995, 101.

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Kreatur die in aristotelischer Tradition stehende Vorstellung von der Selbstzwecklichkeit aller Lebewesen mit dem kantischen Gedanken der Selbstzwecklichkeit vernünftiger Wesen als kategorial vergleichbar darstellen, um von der Sinnhaftigkeit der Übertragung des Würdebegriffs in die außerhumane Sphäre zu überzeugen. Auf dieser Grundlage wird versucht, den mit der Würde der Kreatur verbundenen Sollensanspruch, nichtmenschliche Wesen nicht übermäßig zu instrumentalisieren, Legitimität zu verleihen. Das gilt auch für Beat Sitter-Liver, der seine Idee von der Würde nichtmenschlicher Lebewesen auf der Grundlage des kantischen Würdeverständnisses entwickelt: »Von Würde spricht Kant im Hinblick auf etwas, das einen ›unbedingten‹, unvergleichlichen Wert hat, an dessen Stelle kein anderes treten kann, das nicht Mittel für ein anderes ist, sondern Selbstzweck. Für Kant ist jedes rein vernünftige Gesetz allgemeines Gesetz in der Welt vernünftiger Wesen. Wenn eines dieser Wesen Maximen für sein Handeln entwirft, dann immer so, daß diese Maximen zugleich für alle anderen vernünftigen Wesen gelten können: Die subjektive Maxime verfolgt nichts anderes als Vernunft, und eben darum macht das vernünftige Wesen in seinem Handeln sich selber zum Zweck. Ein in dieser Weise von aller empirischen Bestimmung freies, darum sittliches Wesen ist anzusehen als autonomes Glied in einem Reich der Zwecke. Seine Autonomie begründet seine Würde.« 48 Da laut Kant also nur »[d]as autonome Verantwortungssubjekt … moralische Zwecke zu setzen [vermag], die in der neuzeitlich konzipierten Natur nicht zu finden sind – weder mit naturphilosophischen und erst recht nicht mit naturwissenschaftlichen Mitteln« 49 –[,] bleibt eine Übertragung des Würdebegriffs vom Menschen auf nichtmenschliche oder besser nicht freiheitsfähige Wesen ausgeschlossen. Dennoch argumentiert Beat Sitter-Liver für die Übertragung des Würdebegriffs, wie er von Kant in Bezug auf die »Selbstzwecklichkeit« des Menschen als zur Sittlichkeit fähiges Wesen entwickelt wurde, auf die nichtmenschlichen Organismen. Er verweist dabei auf die Möglichkeit, deren Lebensprozesse auf der Grundlage der Annahme von Naturzwecken zu erklären: »Kants Rede von der Würde des Menschen begründet sich aus der die Sittlichkeit fundierenden Qualität, Zweck sein zu können, ›an dessen Stelle kein anderer Zweck gesetzt werden kann‹. Dasein in 48 49

Sitter-Liver 1999, 471. Baranzke 2008, 51.

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Form von Selbstzweck vermag Kant nur als Vernünftigkeit zu deuten. Daß zumindest eine andere, komplementäre Auslegung möglich ist, haben wir gesehen: Jedenfalls Organismen … fristen ein Leben mit einem ihnen nicht erst durch menschliche Erkenntnis geschaffenen Telos. Wenn aber der Blick auf das Dasein als Selbstzweck die Rede von der Würde legitimiert, dann läßt sich nicht länger vertreten, die Qualität der Würde ausschließlich Menschenwesen vorzubehalten. Als Mitbewohner der Erde hat der Mensch Teil an der gleichen kreatürlichen Würde, die alles teleonom interpretierbare Seiende auszeichnet. Hierin unterscheidet er sich nicht von anderen Lebewesen. Die besondere Ausgestaltung seiner Würde liegt in dem Umstand, daß für ihn Würde nicht allein ontologische Auszeichnung ist, sondern zugleich Auftrag und Verpflichtung.« 50 Ohne Frage können nicht nur die Funktionen nichtmenschlicher Wesen, sondern auch die des menschlichen Körpers auf der Grundlage der in aristotelischer Tradition stehenden Rede von Naturzwecken interpretiert werden. Als biologische Wesen erscheinen Mensch, Tier und Pflanze in diesem Lichte als einander gleichartig. Das kantische Verständnis von der Selbstzwecklichkeit des Menschen bezieht sich aber gerade nicht auf seinen Platz im Reich der Natur, sondern auf seinen Platz im Reich der Zwecke. Schon aus diesem Grund ist eine Herleitung des Begriffs der Würde der Pflanze aus dem kantischen Menschenwürdeverständnis problematisch. 51 4.1.3.3 Keine mit der Menschenwürde vergleichbare Würde für Pflanzen Insofern sich die Idee der Menschenwürde auch auf die moralische Selbstgesetzgebungskompetenz des Menschen bezieht, ist es nicht möglich, einen so verstandenen Würdebegriff auch auf Pflanzen zu beziehen, indem man auf ihr Strebevermögen, auf ihr eigenes Gut verweist. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Rede von der Würde der Pflanze dennoch sinnvoll sein kann, so kann es doch hier nicht um eine Würde gehen, deren Reichweite sich vom Menschen bis zu den pflanzlichen Lebewesen erstreckt.

50 51

Sitter-Liver 1999, 474 f. Vgl. Kunzmann 2007, 66.

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Darüber hinaus wäre eine solche Gleichsetzung von Naturzwecken und moralischen Zwecken mit zwei wesentlichen Schwierigkeiten verbunden: Auf eine davon weist Heike Baranzke hin, wenn sie schreibt: »Wer eine solche Position vertritt, blendet das Bewusstsein aus, dass moralische Zwecke von der praktischen Vernunft des Menschen hervorgebracht und nicht in der Natur gefunden werden. Wer aber immanente Naturzwecke einfachhin als moralische Zwecke deklariert, der verstößt gegen Humes Verdikt und hat zuvor schon eine kritische Teleologie verlassen, indem er heuristisch vom Forschungssubjekt entworfene Naturzwecke als ontologisch-konstitutive an-sich-Zwecke in der Natur ausgegeben hat.« 52 Auch wenn die Rede vom eignen Gut der Pflanzen durchaus plausibel ist, lässt sich auf ihrer Grundlage also noch kein Sollensanspruch formulieren. Und noch weitere Schwierigkeiten sind mit der Forderung der Behandlung menschlicher und nichtmenschlicher Leben nach dem Gleichheitsprinzip verbunden, wenn diese mit dem Verweis auf eine allen Lebewesen eigene Würde begründet wird, die sich aus dem Menschenwürdegedanken herleitet. So führt zum einen eine Partizipierung der Pflanzen an dem kantischen Begriff menschlicher Würde zu Forderungen für den Umgang mit Pflanzen, die keinesfalls durchzuhalten sind. So mutet ein »Lebensrecht, [das] sich [zwar] nicht unmittelbar aus der Menschenwürde ergibt, … [aber] doch ›mit dieser verquickt‹« 53 ist, und das schon mit Blick auf Tiere kaum durchsetzungsfähig scheint, 54 hinsichtlich der Pflanzen geradezu lächerlich an. Während man in den Industriegesellschaften über die Notwendigkeit der Tötung von Tieren durchaus streiten kann, besteht die Abhängigkeit des Menschen von pflanzlichen Lebewesen ganz elementar. Von diesen eher praktischen Erwägungen abgesehen, lässt sich angesichts einer Partizipierung nichtmenschlicher Lebewesen an dem kantischen Begriff menschlicher Würde nicht mehr sinnvoll begründen, warum der Mensch eine sittliche Verantwortung für die außerhumane Natur hat: Es ist also »davon abzuraten, die menschliche Dignitas-Würde zu naturalisieren, um sie derart zu gradualisieren, weil damit der Mensch als verantwortliches Subjekt letztlich unterminiert 52 53 54

Baranzke 2008, 51 f. Löwer 2001, 42, zit. n. Kunzmann 2007, 65. Vgl. Kunzmann 2007, 65.

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wird.« 55 Gerade diese wird aber immer wieder von solchen Befürwortern der Würde nichtmenschlicher Lebewesen eingefordert, welche die Ausweitung der Moral mit dem Verweis auf gleiche Merkmale aller Lebewesen und auf das Prinzip der Gleichheit zu begründen suchen. 56 Wie Bernard Williams darlegt, stellt eine solche Einstellung, welche von vielen Menschen vertreten wird, »ein merkwürdiges Paradox dar. Einerseits lehnen diese Leute nämlich traditionelle Bilder von der Transzendenz des Menschen über die Natur aufgrund seiner Vernunft ab und erinnern uns ständig daran, daß andere Spezies die gleiche Welt sozusagen unter gleichen Konditionen mit uns teilen. Andererseits übernehmen diese Leute ohne weiteres die Vorstellung von der moralischen Transzendenz des Menschen über die übrige Natur in ihr Menschenbild, wobei diese moralische Transzendenz uns allein befähige und damit verpflichte, uns von jeder Determination unseres Verhaltens durch die Natur freizumachen.« 57 Der Gedanke von der Sonderstellung des Menschen unter den Lebewesen – zumindest hinsichtlich seiner Moralfähigkeit – die gerade im Begriff der Menschenwürde seinen Ausdruck findet, kann also auch von den Befürwortern der Würde der Pflanze nicht negiert werden, wenn sie gleichzeitig einfordern wollen, dass Pflanzen direkt moralisch zu berücksichtigen sind. Wer also mit dem Begriff der Würde der Pflanze nicht nur den Eigenwert pflanzlicher Lebewesen verbindet, sondern zusätzlich auch der Pflicht, diesen Eigenwert zu achten, Ausdruck verleihen möchte, der kommt um den Gedanken von einer besonderen Auszeichnung des Menschen nicht herum: Um es in den Worten Peter Kunzmanns zu sagen: »[w]er … die Menschen ausschließlich als Säuger betrachtet und nur als solche, wird schwerlich an die ethischen Qualitäten im Menschen zu appellieren in der Lage sein«. 58

4.1.4 Menschenwürde Geht es also um den Verpflichtungscharakter des Begriffs der Würde der Pflanze, ist der Mensch als vernünftiges und sittliches Wesen an55 56 57 58

Baranzke 2008, 58 f. Vgl. Kunzmann 2007, 93. Williams 1997, 302. Kunzmann 2007, 95.

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gesprochen. Auf der Vernunft- und Moralfähigkeit beruht aber gerade die Vorstellung von der Würde des Menschen, 59 die »[v]on der antiken Philosophie bis in die heutige Gegenwart hinein … als dasjenige angesehen [wird], was den Menschen vor der nichtmenschlichen Kreatur auszeichnet.« 60 Vor diesem Hintergrund wurde die Idee der Menschenwürde immer wieder herangezogen, um für die bioethische Position zu argumentieren, dass nur Menschen, nicht aber andere Entitäten der Natur, einen moralischen Wert haben und dementsprechend direkt moralisch zu berücksichtigen sind. Aus einer solchen Perspektive kommen nur menschliche Wesen als Schutzobjekte in Frage. Darüber hinaus wird die Erweiterung der Moral auf die außerhumane Natur als Bedrohung des menschlichen Lebens empfunden, da das Unterwandern menschlicher Schutzansprüche befürchtet wird. Bioethische Auseinandersetzungen über die Bewertung von Handlungen an nichtmenschlichen Lebewesen erfolgen im Rahmen solcher Ansätze des moralischen Anthropozentrismus 61 daher immer nur mit Rekurs auf die Interessen von Menschen. So kreist z. B. auch die öffentliche Debatte um die Grüne Gentechnik vorzugsweise um die Frage nach Chancen und Risiken für das menschliche Leben. Wenn aber die Idee der Würde des Menschen auf die menschliche Vernunft- und Moralfähigkeit rekurriert, so darf gefragt werden, ob es nicht zu kurz greift, aus der Sonderstellung des Menschen zu folgern, dass ausschließlich Menschen moralisch zu berücksichtigen sind. So gründet für Robert Spaemann die Überlegenheit des Menschen nicht nur in seiner »instrumentellen Intelligenz …, sondern [auch in der] … Fähigkeit, das was ist, als es selbst und nicht nur als Bestandteil der eigenen Umwelt aufzufassen« 62 und dementsprechend »der naturwüchsigen Expansion des eigenen Machtwillens Grenzen zu setzen.« 63 Für ihn macht es also gerade die Menschenwürde aus, »einen nicht auf eigene Bedürfnisse bezogenen Wert anzuerkennen … [und] den eigenen Standpunkt zugunsten eines übersubjektiven zu relativieren«: 64 Nur »Menschen können etwas, das sie tun möchten und was ihnen nützt unterlassen, weil und nur weil es einem anderen Wesen schadet 59 60 61 62 63 64

Vgl. Teutsch 1995, 39. Schlitt 1992, 81, zit. n. Teutsch 1995, 101. Zum moralischen Anthropozentrismus vgl. Krebs 1997, 342 f. Spaemann 1984, 76 f., zit. n. Teutsch 1995, 106. Spaemann 1984, 76 f., zit. n. Teutsch 1995, 105. Spaemann 1984, 76 f., zit. n. Teutsch 1995, 105.

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oder Schmerzen zufügt. Sie können etwas, was ihnen unerfreulich oder schädlich ist, dennoch tun, weil es einen anderen freut, ihm nützt oder auch, weil der andere einen Anspruch darauf hat. Die Fähigkeit einen solchen Anspruch zu vernehmen und sich selbst gegenüber geltend werden zu lassen, nennen wir Gewissen. Als mögliches Gewissenssubjekt und nur als solches besitzt der Mensch das, was wir Würde nennen.« 65 Es ist demnach nicht die Besonderheit des Menschen als mit bestimmten Fähigkeiten ausgestattetes Naturwesen, welche seine Würde begründet, »sondern die moralische Bestimmung und Befähigung des Menschen im moralischen Kosmos …, die damit zum moralische Grund und Fundament jeglicher Pflichten wird.« 66 Die Menschenwürde spricht den Menschen daher nicht in erster Linie auf seine Bedürfnisse hin an, sondern fordert den Menschen v. a. in seiner Selbstgesetzgebungskompetenz und damit in seiner »Fähigkeit zu vernünftigen Bewertungsentscheidungen auf einer Metaebene gegenüber eigenen und fremden Wünschen und Interessen.« 67 Somit kann aus der Menschenwürde nicht in erster Linie der Anspruch abgeleitet werden, dass in jedem Fall zuallererst menschliche Interessen zu befriedigen sind. Vielmehr erwächst daraus die Verpflichtung zur Überprüfung und gegebenenfalls Relativierung der eigenen Wünsche auf einer übergeordneten Entscheidungsstufe. Um es mit den Worten Manuel Schneiders zu sagen: »[d]ie unbestrittene Sonderstellung des Menschen in der Natur, seine spezifische Würde, die er durch Moral und ethische Abwägungen bekundet, … enthält eher ein Argument für als gegen die Berücksichtigung nicht-menschlicher Interessen.« 68 Wie dargelegt, können auch Pflanzen als Wesen mit einem eigenen Gut beschrieben werden, weswegen ihnen auch ohne Rekurs auf menschliche Interessen ein Eigenwert zuerkannt werden kann (vgl. Kap. 3.3). Wenn wir Pflanzen dennoch als etwas betrachten und behandeln, das nur für uns ist, werden wir vor dem Hintergrund des Menschenwürdegedankens nicht nur ihrem Wesen nicht gerecht, sondern zugleich auch unserem eigenen Wesen nicht, insofern wir so unsere Möglichkeiten als Menschen, die sich dadurch auszeichnen, für unsere Handlungen Verantwortung übernehmen zu können, verfehlen. Der 65 66 67 68

Spaemann 1984, 76 f., zit. n. Teutsch 1995, 105 f. Baranzke 2007, 40. Pfordten, v. d. 2003, 115. Schneider 1992, 125, zit. n. Kunzmann 2007, 96.

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Gedanke, dass der Mensch entgegen seiner eigenen Würde handeln kann, wenn er sich gegenüber anderen Lebewesen unwürdig verhält, d. h. an ihnen Handlungen vornimmt, die er nicht vor sich selbst verantworten kann, da sie nicht dem Selbstbild entsprechen, das er in seinem Tun und Lassen zu verwirklichen sucht, ist bereits in der Tierethik mit Blick auf die Würde des Tieres vielfach geäußert worden, 69 aber er gilt nicht weniger für pflanzliche Lebewesen. 70 Auch Pflanzen kann ein moralischer Wert zuerkannt werden. Ihre direkte moralische Berücksichtigung ist also nicht nur möglich, sondern kann auch zur Pflicht werden, insofern ihnen ein eigenes Gut zugeschrieben werden kann und insofern der mit dem Menschenwürdegedanken verbundene Anspruch die Pflicht zu einem sachgemäßen Umgang des Menschen mit den Elementen seiner Umwelt einschließt. Wenn also bestimmte Interessen des Menschen angesichts der Anerkennung von Pflanzen als Würdenträger den Bedürfnissen der Pflanzen untergeordnet werden, findet die »eigenständige Würdeausübung und -manifestation« 71 durch den moralischen Akteur statt. Vor diesem Hintergrund macht die Rede von der Würde der Pflanze erst im Zusammenhang mit der Menschenwürde Sinn. Letztere bewährt sich darin, ob dem mit der Würde der Pflanze verbundenen Anspruch im Handeln Genüge getan wird. Sinnvoller erscheint es, die Pflicht zur direkten Berücksichtigung pflanzlicher Lebewesen mit einem Menschenwürdegedanken zu verbinden, der nicht Ausdruck für die Auszeichnung des Menschen als ein Naturwesen mit bestimmten empirischen Fähigkeiten ist, sondern der auf die moralische Bestimmung und Befähigung des Menschen im moralischen Kosmos verweist und so zum moralischen Grund jeglicher Pflichten wird. Dieses in der Tradition Kants stehende Verständnis der Menschenwürde rekurriert auf den Menschen als autonomes, sittliches Wesen und damit auf der Fähigkeit, Anderes nicht nur hinsichtlich der eigenen Interessen wahrzunehmen und zu behandeln. Da Pflanzen als Wesen mit einem eigenen Gut beschrieben werden können, kann ihnen ein Eigenwert zugeschrieben werden. Würden Pflanzen dennoch nur als Mittel zu menschlichen Zwecken betrachtet und behandelt, ent69 Vgl. z. B. Kunzmann 2007, 97; Brenner 2002, 254; Wolf 2002, 62; Rust 1993, 93; Pfliegler 1961, 121. 70 Fritsche 2008, 241. 71 Pfordten, v. d. 2003, 115; vgl. auch Spaemann 1985/86, 23–27.

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Verpflichtungsgrund zur direkten moralischen Berücksichtigung von Pflanzen?

spräche das weder ihrem Wesen, wie es uns erscheint, noch dem Wesen des Menschen. Ein sachgemäßer Umgang mit pflanzlichen Lebewesen, d. h. ein Umgang der ihrem eigenen Gut gerecht wird, wird zur Pflicht des Menschen insofern er damit seine eigene Würde verwirklicht.

4.2 Fazit Als Ergebnis der bisherigen Überlegungen kann also festgehalten werden, dass der mit der Würde der Pflanze verbundene Anspruch, pflanzliche Lebewesen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, nicht ohne Grundlage ist und dementsprechend nicht nur auf unreflektierten Intuitionen fußt, sondern unter gewissen Vorbedingungen durchaus als ethisches Konzept in Frage kommt. Das ist der Fall, da Pflanzen für eine direkte moralische Berücksichtigung in Frage kommen, insofern sie als Wesen beschrieben werden können, welche darauf angelegt sind, sich auf ein eigenes Gut hin zu entwickeln. Ein guter Grund, diesen Anspruch sich selbst gegenüber geltend zu machen, ergibt sich aus der Idee der Menschenwürde. Dieser Begriff drückt auch das menschliche Selbstverständnis aus, ein selbstgesetzgebendes Wesen zu sein, welches sich darin von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Damit verbunden ist die Fähigkeit, eigene Wünsche auch mit Blick auf fremde Bedürfnisse hin überprüfen zu können. Sieht man sich als Mensch in der Pflicht, nicht unter diesen Möglichkeiten zu bleiben, d. h. sich als vernünftiges und damit autonomes Wesen zu realisieren, dann verbindet sich mit dieser Pflicht der Anspruch, auch das Gute der Pflanzen zu berücksichtigen. Auch wenn damit dargelegt werden konnte, dass die Würde der Pflanze, so wie sie im Allgemeinen verstanden wird, als ethisches Konzept in Frage kommt, ist damit aber noch nicht ausgemacht, ob die Übertragung des Begriffs der Würde auf Pflanzen geeignet ist, um dem dahinter stehenden Anspruch Ausdruck zu verleihen. Dies zu untersuchen, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

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5 Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen?

Wenn man von der Plausibilität der Rede vom eigenen Gut der Pflanzen überzeugt ist und auf dieser Grundlage anerkennt, dass sie um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen sind, ist damit noch nicht ausgemacht, dass man dieser Position mit der Rede von der Würde der Pflanze Ausdruck verleihen sollte. Fraglich ist v. a., mit welcher Berechtigung ein bisher die unbestreitbare Sonderstellung des Menschen als moralfähiges Wesen unterstreichender Ausdruck nicht nur auf Tiere, sondern sogar auf Pflanzen ausgedehnt werden kann, wenn es darum geht, deren direkte Berücksichtigungswürdigkeit begrifflich zu fassen. Damit schließt sich eine zweite Frage an, nämlich, ob trotz der Plausibilität der Rede von der Würde der Pflanze, der mit diesem Begriff verbundene Anspruch nicht zu absurden Konsequenzen führt, die uns Menschen letztlich moralisch überfordern. Das vorliegende Kapitel ist der Beantwortung dieser Fragen gewidmet. Darin wird dargelegt, dass es für eine solche Erweiterung des Sprachgebrauchs gute Gründe gibt. Die Anerkennung des Konzeptes der Würde der Pflanze zieht nicht notwendigerweise die moralische Überforderung der Handelnden nach sich, da es sich bei der Pflanzenwürde nicht um eine Erweiterung der Menschenwürde auf nichtmenschliche Lebewesen handelt.

5.1 Zuerkennung von Würde für Pflanzen? Den Würdebegriff nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere, ja sogar auf Pflanzen anzuwenden, trifft sehr häufig auf große Skepsis. Das zeigt nicht zuletzt die Verleihung des »Ig Nobel Peace Prize« der Universität Harvard an die EKAH für die Zuschreibung pflanzlicher

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Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen?

Würde. 1 Zweifel an der Übertragbarkeit des Würdebegriffs auf nichtmenschliche Lebewesen werden aber nicht nur im Rahmen von Positionen geäußert, nach denen die Forderung, pflanzliche Lebewesen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, generell gehaltlos ist. Auch solche Autoren, die Pflanzen für direkt moralisch berücksichtigungswürdig halten, bevorzugen häufig andere Begriffe, um ihrer Wertschätzung Ausdruck zu verleihen. So zweifeln z. B. Kallhoff sowie Arz de Falco und Müller, welche jeweils die Position vertreten, dass auch Pflanzen moralischen Respekt verdienen, an der Übertragbarkeit des Konzepts der Würde auf Pflanzen. Höchstens »in Analogie auf gewisse höhere Tiere« 2 erscheint Arz de Falco und Müller das »Konzept der Würde, wie es im Diskurs über die Menschenwürde verstanden wird«, 3 anwendbar, da es »idealerweise bei jenen, auf die es sich bezieht, präzise Kriterien« 4 voraussetze: »Subjektivität, Reflexivität, Expressivität und Reziprozität.« 5 Da diese Kriterien von Pflanzen nicht erfüllt werden, kommen sie zu folgendem Schluss: »Einzig die Beschränkung des Konzepts der Würde der Kreatur auf höhere Tiere (vor allem Säugetiere) ist imstande, die Glaubwürdigkeit und die Plausibilität eines derart kontroversen Konzepts zu verstärken.« 6 Sie schlagen daher vor, »auf so genannte niedere Tiere und auf Pflanzen … strikt den Terminus immanenter oder intrinsischer Wert anzuwenden«, 7 bei diesen Lebewesen also auf die Rede von deren Würde zu verzichten. Richtig ist, dass die Idee der Menschenwürde tatsächlich auf einer Grundlage steht, die seine Erweiterung auf Pflanzen, aber auch auf andere nichtmenschliche Lebewesen, ausschließt (vgl. Kap. 4.1.3.3). Will man allerdings dem moralischen Anspruch Ausdruck verleihen, dass Pflanzen direkt zu berücksichtigen sind, dann scheinen Begriffe wie »inhärenter Wert« oder »Eigenwert« ungenügend. Sie drücken lediglich die Auffassung aus, dass es auch für pflanzliche Individuen ein eigenes Gut gibt, auf das hinzustreben, sie angelegt sind. Ein solcher Neue Züricher Zeitung vom 4. Oktober 2008: http://www.nzz.ch/nachrichten/ schweiz/jeder_schweizer_ein_nobelpreistraeger_1.1019172.html (letzter Zugang 20. 04. 10). 2 Arz de Falco et al. 2001, 87. 3 Arz de Falco et al. 2001, 87. 4 Arz de Falco et al. 2001, 87. 5 Arz de Falco et al. 2001, 87. 6 Arz de Falco et al. 2001, 86. 7 Arz de Falco et al. 2001, 87. 1

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Zuerkennung von Würde für Pflanzen?

»heuristisch vom Forschungssubjekt entworfene[r] Naturzweck« 8 impliziert, wie bereits dargelegt, selbst noch kein moralisches Sollen, denn ein solches lässt sich nicht in den Dingen der menschlichen Umwelt entdecken – mögen sie zum Lebendigen gehören oder nicht – sondern kann nur vom Menschen als moralischem Subjekt festgelegt werden. Wie Heike Baranzke richtigerweise aufzeigt, ist die Beschränkung auf die Rede vom intrinsischen Wert, inhärenten Wert oder auch Eigenwert daher irreführend: sie verschleiern, »dass Menschen die Verantwortung dafür tragen, zu den Dingen der Natur willentlich in eine Wertbeziehung zu treten, um sie in ihren Wertkosmos einzuordnen.« 9 Eine Gleichsetzung des Begriffs der Würde der Pflanze mit dem ihnen zugeschriebenen Eigenwert, wie das bei Balzer, Rippe und Schaber vorgeschlagen wird, 10 kann daher nicht überzeugen, wenn es nicht nur darum geht, die Möglichkeit zur moralischen Berücksichtigung pflanzlicher Lebewesen darzulegen, sondern damit auch Forderungen hinsichtlich eines angemessenen Umgangs mit diesen zu verbinden. So ist es auch nicht überraschend, dass die Gutachter mit dieser Auffassung unter den Autoren, die der Anerkennung einer Würde der Kreatur zustimmend gegenüberstehen, ein Alleinstellungsmerkmal haben. Genau darin, dass die Zuerkennung von Würde für nichtmenschliche Lebewesen immer zugleich moralische Pflichten hinsichtlich des Umgangs mit diesen nach sich zieht und nicht das Vorhandensein bestimmter, auch beim Menschen zu beobachtender Fähigkeiten oder Eigenschaften, besteht das tertium comperationis der Würde der Pflanze und der Würde der Menschen, welches die Übertragung rechtfertigt. 11 Eine Analogie zwischen beiden Würdebegriffen ergibt sich also allein auf der Ebene ihres Gebrauchs: Sowohl in ihrer Anwendung auf Menschen als auch in ihrer Anwendung auf nichtmenschliche Lebewesen verbindet sich mit der Rede von der Würde immer auch der Anspruch, die über diese verfügenden Wesen um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen. Beat Sitter-Liver drückt es so aus: »›Würde‹ beinhaltet immer eine Zumutung.« 12 Und auch Michael Hauskeller ist der Auffassung: »it belongs to the very definition of dignity that it ought not Baranzke 2007, 52. Baranzke 2007, 53. 10 Balzer et al. 1998, 50. 11 Vgl. Sitter-Liver 1999, 466. 12 Sitter-Liver 2008, 172. 8 9

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Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen?

to be violated.« 13 Dementsprechend werden Pflanzen und andere nichtmenschliche Lebewesen mit der Zuschreibung von Würde in den Bereich der Moral hinein gehoben und so vom Menschen gegenüber der unbelebten Natur ausgezeichnet. Um es mit den Worten Anne Siegetsleitners zu sagen: »Für alle Lebewesen bedeutet es [Würde] einheitlich, ihr Wohlergehen/Gut um ihrer selbst willen berücksichtigen zu müssen.« 14 Insofern schreibt Kirsten Schmidt, die sich kritisch mit der Übertragung des Würdebegriffs speziell auf Tiere auseinandersetzt, zu Recht: »Die Aufgabe des Konzepts nach seiner Säkularisierung scheint also in erster Linie darin zu liegen, eine Aura der Normativität auf die zunächst normativ neutrale Vorstellung des … Eigenwerts zu übertragen«. 15 Erst die Zuerkennung von Würde verleiht also dem Anspruch, Pflanzen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, Ausdruck. Insofern andere vorgeschlagene Begriffe dies nicht leisten können, rechtfertigt sich die Verwendung dieses Begriffes in Bezug auf Pflanzen. Dem von Arz de Falco und Müller geäußerten Vorwurf, dass ein nicht nur auf Menschen beschränkter Würdebegriff zu unscharf ist – es fällt in diesem Zusammenhang auch der Terminus »Gummibegriff« – und daher in der Gefahr steht, überdehnt zu werden und an Bedeutung zu verlieren, 16 kann entgegnet werden, dass mit dem Würdebegriff eben nicht »ethische Berücksichtigungswürdigkeit im allgemeinen« 17 verbunden wird, wie Dietmar von der Pfordten kritisch anmerkt, sondern allein direkte moralische Berücksichtigungswürdigkeit. Diese lässt sich eben nicht nur für Menschen formulieren. Allerdings kann die Reichweite des Würdebegriffs auch nicht unbegrenzt ausgedehnt werden, sondern bleibt, insofern er auf das eigene Gut rekurriert, auf den Kreis individueller Lebewesen beschränkt (vgl. Kap. 3.3.1).

13 14 15 16 17

Hauskeller 2003, 9, zit. n. Schmidt 2008, 230. Siegetsleitner 2007, 115. Schmidt 2008, 230. Arz de Falco et al. 2001, 18. Pfordten, v. d. 2007, 131.

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Pflanzenwürde als moralische Überforderung?

5.2 Pflanzenwürde als moralische Überforderung? Bereits Angela Kallhoff hat darauf hingewiesen, dass die Forderung, pflanzliche Lebewesen direkt moralisch zu berücksichtigen, Ängste vor einer Verringerung des Gewichts menschlicher Bedürfnisse im Rahmen moralischer Abwägungen hervorruft: »Wenn Pflanzen einmal als Adressaten der Moral anerkannt sind, droht die Konsequenz, das[s] die moralische Berücksichtigung von Pflanzen das gleiche Gewicht erhält, wie die Berücksichtigung berechtigter Interessen von Menschen.« 18 Befürchtungen vor absurden Konsequenzen solcher Ideen und Forderungen werden noch viel häufiger geäußert, wenn diesen mit der Übertragung des Würdebegriffs auf nichtmenschliche Lebewesen und dabei ganz besonders auf Pflanzen Ausdruck verliehen wird. Auf einen wesentlichen Grund für die »verbreitete Hemmung auch in Bezug auf außermenschliche Lebewesen von Würde zu sprechen« 19 weist Teutsch hin, wenn er schreibt: »als ob dem Menschen eine bisher ihm vorgehaltene Qualität genommen oder, weil gleichsam vulgarisiert, entwertet würde.« 20 Eine Verringerung des Wertes von Menschen im Vergleich zu dem von Tieren scheint angesichts der Akzeptanz der Tierwürde noch tragbar – zumindest in solchen Gesellschaften, in denen ihre Bürger jederzeit auf eine breite Palette von vegetarischen und veganen Lebensmitteln zurückgreifen können. Ein Verzicht auf tierische Produkte scheint hier möglich. Von Pflanzen sind Menschen allerdings in sehr viel elementarerer Weise abhängig, so dass es völlig ausgeschlossen ist, sich der Nutzung und dem Töten von Pflanzen zu enthalten, sofern man nicht daran interessiert ist, das menschliche Leben zu gefährden. So ist es nicht überraschend, dass es selbst Befürworter der moralischen Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen nicht selten vorziehen, auf einen Begriff wie die Würde der Pflanze zu verzichten wie z. B. Andrea Arz de Falco und Denis Müller 21 sowie Angela Kallhoff. 22 Selbst die EKAH bevorzugt den vorsichtigeren Ausdruck

18 19 20 21 22

Kallhoff 2002, 128. Teutsch 1995, 18. Teutsch 1995, 18. Arz de Falco et al. 2001, 18–20. Kallhoff 2007, 33–35.

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Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen?

»Würde der Kreatur bei Pflanzen«, während sie mit einer gewissen Selbstverständlichkeit von der »Würde der Tiere« spricht. 23 Ist es aber tatsächlich so, dass die Besonderheit des Menschen angesichts einer Würdezuerkennung auch für nichtmenschliche Lebewesen zwangsläufig aus dem Blick gerät, eine derartige Übertragung also die Gefahr in sich birgt, »das … Prinzip Menschenwürde als ›Herzstück‹ einer vom geltenden Verfassungs- (und Gesetzes-) Recht ›verfassten‹ Wertordnung« 24 zu schwächen? Solche Befürchtungen wären nur dann angebracht, wenn sich die analoge Verwendung des Würdebegriffs nicht nur auf den Anspruch beziehen würde, der mit diesem Ausdruck verbunden ist. Insofern die Idee der Menschenwürde immer auch auf die Vernunft- und Moralfähigkeit rekurriert, welche nach wie vor die Sonderstellung des Menschen unter den Lebewesen unterstreicht, die hier vertretene Konzeption der Pflanzenwürde aber allein auf das eigene Gut pflanzlicher Lebewesen, ergeben sich ganz unterschiedliche Forderungen für den Umgang mit Menschen und das Handeln an Pflanzen. Zum einen erfährt und beschreibt sich der Mensch selbst als ein über Würde verfügendes Wesen, wenn er sich durch die Erweiterung des Würdebegriffs auf Pflanzen dazu verpflichtet, auch diese Lebewesen direkt moralisch zu berücksichtigen (vgl. Kap. 4.1.4). Insofern diese Selbstbeschreibung in der Festlegung und der Verfolgung selbstgesetzter Prinzipien ohne Rekurs auf eine äußere Instanz erfolgt, handelt es sich hierbei nicht um eine relationale, sondern um eine absolute Würde. Aus dieser Vorstellung von der absoluten Menschenwürde resultiert auch die Idee der Unverrechenbarkeit des mit Würde begabten Individuums gegen andere Werte und selbst gegen andere Menschen, soviel sie auch jeweils sein mögen. In diesem Sinne unterscheiden sich die Würde der Pflanze und die Menschenwürde tatsächlich ganz erheblich voneinander, denn die Würde der Pflanze wird aufgrund bestimmter Einsichten in das pflanzliche Leben durch Menschen zugeschrieben und ist dementsprechend immer nur als anthroporelationales Konzept zu verstehen. Demzufolge ist auch die Würde der Pflanze im Unterschied zur Menschenwürde einer Güterabwägung zugänglich. Obwohl also Würde in beiden Fällen impliziert, das jeweilige Lebewesen um seiner selbst willen moralisch zu berücksichtigen, ergeben sich Unter23 24

Vgl. die Titel der beiden Stellungnahmen EKAH 2008 und EKAH et al. 2001. Praetorius et al. 1996, 63.

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Pflanzenwürde als moralische Überforderung?

schiede auf der Anwendungsebene, die dergestalt sind, dass ein menschliches Lebewesen eben nicht gegen ein pflanzliches verrechnet werden kann. Ein Verbot der Nutzung und des Tötens von Pflanzen lässt sich aus einer so verstandenen Würde der Pflanze also nicht ableiten. Ein Verstoß gegen die pflanzliche Würde kann durch andere Güter wie z. B. das gute menschliche Leben, das in vielfacher Weise von der Nutzung der Pflanzen abhängig ist, gerechtfertigt werden. Die Ängste vor einer moralischen Überforderung sind also unbegründet, sofern dieser Unterschied zwischen Menschenwürde und der Würde der Pflanze zuvor deutlich gemacht wird und auch begrifflich gefasst wird, indem nicht von Würde schlechthin die Rede ist, sondern wie es Anne Siegetsleitner vorschlägt »von der Würde des Menschen, des Tieres, der Pflanze etc.«. 25 Darüber hinaus ergeben sich Unterschiede auf der Anwendungsebene auch hinsichtlich des mit dem Würdebegriff verbundenen Anspruchs, solche Entitäten, bei denen von Würde die Rede ist, moralisch direkt zu berücksichtigen, d. h. deren eigenes Gut im Umgang mit ihnen im Auge zu behalten: Was das eigene Gut aber genau ausmacht, kann bei den verschiedenen Lebewesen aufgrund ihrer teilweise sehr unterschiedlichen Lebensweisen und Bedürfnisse etwas ganz Anderes sein. Eine Gleichbehandlung von Menschen und Pflanzen wäre also auch aus dieser Perspektive nicht sinnvoll. Anne Siegetsleitner drückt es so aus: »Aufgrund der unterschiedlichen Konstitution [der Lebewesen] ergeben sich … erhebliche Unterschiede in der Form des Respekts. So kann auf einer konkreten Ebene von dem, was Würde beim Menschen fordert, nicht direkt darauf geschlossen werden, was sie bei Tieren und Pflanzen fordert.« 26 Dem mit der Pflanzenwürde verbundenen Anspruch würde also eher zuwidergehandelt werden, wenn man Pflanzen wie Menschen und nicht ihren ganz spezifischen Bedürfnissen entsprechend behandelt. So ist z. B. die Leidensfähigkeit – darauf kann man sich sicher einigen – nicht relevant für den Respekt vor der Würde der Pflanze, wohl aber für die Achtung vor der Würde von Menschen und der einiger Tiere.

25 26

Siegetsleitner 2007, 115. Siegetsleitner 2007, 115.

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Übertragung des Würdebegriffs auf Pflanzen?

5.3 Fazit Es konnte aufgezeigt werden, dass die Rede von der Würde der Pflanze hinsichtlich des mit dieser verbundenen Anspruchs sowohl in Bezug auf das menschliche Handlungssubjekt (vgl. Kap. 4) als auch auf das Handlungsobjekt, die Pflanzen, (vgl. Kap. 3) nicht ohne Grundlage ist. Darüber hinaus konnte dargelegt werden, dass sich die Übertragung des Würdebegriffs von der humanen in die außerhumane Sphäre angesichts des normativen Charakters des Würdebegriffs rechtfertigt. Ängste vor einer Überforderung moralischer Akteure sind unbegründet, insofern die Begriffe Menschenwürde und Pflanzenwürde auf verschiedenen Ebenen fußen (vgl. Kap. 5). Einigt man sich darauf, Pflanzen um ihrer selbst willen moralisch zu berücksichtigen, steht eine Konkretisierung des Begriffs der Pflanzenwürde allerdings noch aus, denn die bisherigen Untersuchungsergebnisse lassen noch keine Aussagen darüber zu, welche Handlungen an Pflanzen angesichts einer ihnen zuerkannten Würde auf den Prüfstand zu stellen wären.

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6 Die Würde der Pflanze – Konkretisierung

Gegenstand des vorliegenden Kapitels ist es, auf den vorangegangenen Überlegungen aufbauend, den Begriff der Pflanzenwürde zu konkretisieren, um ihn für die ethische Bewertung von Handlungen an Pflanzen fruchtbar zu machen. Folgende Konzeption des Begriffs der Würde der Pflanze wird dabei zugrunde liegen:

6.1 Vorschlag einer Konzeption von Pflanzenwürde Der Begriff der Würde der Pflanze rekurriert zum einen auf das eigene Gut pflanzlicher Lebewesen. Die Idee des eigenen Gutes beruht darauf, dass Pflanzen als Wesen beschrieben werden können, die auf das Gedeihen hin angelegt sind. Diese Perspektive auf pflanzliche Lebewesen verleiht der Rede von der moralischen Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen eine Grundlage. Die Würde der Pflanze ist aber nicht mit dem eigenen Gut gleichzusetzen, das allein noch keine sittliche Pflicht impliziert. Sie geht über diese hinaus, indem sie dem Anspruch Ausdruck verleiht, das eigene Gut von Pflanzen im Umgang mit ihnen zu berücksichtigen. Pflanzen als Wesen mit einem Strebevermögen Würde zuzuerkennen, verbindet sich für den Menschen als vernünftiges und moralfähiges Wesen mit der sittlichen Pflicht, diese Lebewesen sachgemäß zu behandeln, d. h. sie angesichts ihres eigenen Gutes um ihrer selbst willen und nicht nur menschlicher Interessen wegen zu achten.

6.2 Verortung Mit der vorgestellten Konzeption wird also davon ausgegangen, dass es sich bei der Würde der Pflanze um eine menschliche Zuschreibung handelt, die der Wertschätzung des pflanzlichen Lebens um seiner 119 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Die Würde der Pflanze – Konkretisierung

selbst willen Ausdruck verleiht. Damit verortet sich dieser Ansatz nach Angelika Krebs 1 im Rahmen des epistemischen Wertanthropozentrismus. Insofern sich diese Wertschätzung auf das allen Lebewesen und damit auch Pflanzen eigene Gut bezieht und nicht auf menschliche Interessen, handelt es sich um eine Version des Physiozentrismus, genauer: des Biozentrismus. Zusammengenommen lässt sich die hier vorgelegte Konzeption der Würde der Pflanze demnach im Rahmen des epistemisch-anthropozentrischen Biozentrismus einordnen. Damit wird zum einen der herausragenden Stellung des Menschen als vernunftfähiges und damit sittliches Wesen Rechnung getragen. Zum anderen ist sie aber trotz der anerkannten Besonderheit des Menschen nicht »der Unfähigkeit des instrumentell verkürzten Anthropozentrismus …, dem Reichtum und der Tiefe unseres Naturverhältnisses gerecht zu werden« 2 ausgeliefert, sondern nimmt die »Frage, wie menschliche Antworten uns den Wert von Dingen angeben können, die aus Gründen geschützt werden sollen, die über menschliche Interessen hinausgehen« 3 ernst und bietet zugleich eine Antwort darauf an.

6.3 Was macht das eigene Gut der Pflanzen aus? Setzt man die Anerkennung der Würde der Pflanze voraus, stellt sich die Frage, wie dem damit verbundenen Anspruch nachgekommen werden kann. Wie also können Pflanzen ganz konkret um ihrer selbst willen berücksichtigt werden? Welche Handlungen an Pflanzen sind angesichts ihrer Würde auf den Prüfstand zu stellen? Der Würdebegriff allein kann die Beantwortung solcher Fragen selbstverständlich nicht leisten. Weiterhelfen kann allerdings die Tatsache, dass der mit diesem Ausdruck verbundene Anspruch darauf basiert, dass auch Pflanzen ein individueller Eigenwert und damit ein eigenes Gut zugeschrieben werden kann. Nur auf dieser Grundlage Mehr zur begrifflichen Unterscheidung der verschiedenen Positionen zur Frage des moralisch richtigen Umgangs mit der Natur und ihren Elementen vgl. Krebs 1997, 337– 379. 2 Krebs 1997, 378. 3 Williams 1997, 297. 1

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Was macht das eigene Gut der Pflanzen aus?

können Kriterien für die Entscheidung erarbeitet werden, ob bestimmte Handlungen an Pflanzen, wie z. B. gentechnische Eingriffe, für diese selbst förderlich oder schädlich sind. Eine tatsächliche Operationalisierung ist aber erst dann möglich, wenn geklärt ist, was das eigene Gut individueller Pflanzen bedingt. Dazu wurden verschiedene Vorschläge gemacht: Balzer, Rippe und Schaber beziehen das eigene Gut von Lebewesen unter Rückgriff auf Alan Holland und Robin Attfield »auf jene Funktionen und Optionen, die Angehörige einer Art im Regelfall ausüben können.« 4 Sie grenzen sich dabei von einer Reihe von Autoren ab, welche versuchen, sich dem Eigenwert und dem eigenen Gut von Lebewesen mit dem Begriff der Integrität anzunähern. Das Konzept der Integrität wird allerdings sehr unterschiedlich verstanden und auf verschiedene Erscheinungsformen des Lebens bezogen, z. B. auf die Art, auf das Genom oder auf das Individuum. In der Folge werden diese Vorschläge daraufhin untersucht, inwiefern sie der Konkretisierung des Konzepts der Würde der Pflanze dienlich sein können. Es wird sich zeigen, dass allein das Konzept der individuellen Integrität als Kriterium für die Beantwortung der Frage, welche Handlungen gegen die Würde pflanzlicher Lebewesen verstoßen, geeignet zu sein scheint.

6.3.1 Funktionen und Fähigkeiten, die ein Lebewesen einer bestimmten Art im Regelfall ausüben kann Für Balzer, Rippe und Schaber liegt »[e]in Verstoß gegen die kreatürliche Würde … dann vor, wenn das eigene Gut von Mikroorganismen, Pflanzen oder Tieren verletzt wird. Dies ist der Fall, wenn Lebewesen darin beeinträchtigt werden, jene Funktionen und Fähigkeiten auszuüben, die Wesen ihrer Art in der Regel haben.« 5 Mit diesem Vorschlag folgen sie Robin Attfields Auffassung, dass nicht nur Tieren, sondern auch individuellen Pflanzen ein eigenes Gut und Interessen zugeschrieben werden könnten: »For all have latent tendencies at some time or other, all have direction of growth, and all can flourish after their natural kind.« 6 Dieses Zitat stammt aus Attfields 1981 veröffent4 5 6

Balzer et al. 1998, 57. Balzer et al. 1998, 60. Attfield 1981, 39 f.

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Die Würde der Pflanze – Konkretisierung

lichtem Beitrag »The Good of Trees«. Darin grenzt sich der Autor von Joel Feinbergs These ab, nach der nur schmerz- und leidensfähige Lebewesen direkt moralisch zu berücksichtigen sind. Nach Feinbergs Auffassung müsste bei einer Erweiterung der Begriffe »Interesse« und »eigenes Gut« auf nicht schmerz- und leidensfähigen Lebewesen, wie Pflanzen, auch Maschinen ein eigenes Gut zugeschrieben werden. 7 Darauf erwidert Attfield, dass »machines or cities … lack natural fulfilment even when built according to a plan«. 8 Gleiches gilt nach Attfield auch für Arten und Ökosysteme, bei denen die Rede von der natürlichen Selbstentfaltung keinen Sinn macht, da es sich um Entitäten »lacking inherited capacities« 9 handele. Welches sind aber die Kapazitäten einer Pflanze oder eines anderen Lebewesens, die deren bzw. dessen eigenes Gut gewährleisten? Attfield macht dazu folgenden Vorschlag: »Let the ›essential‹ capacities of an x be capacities in the absence of which from most members of a species would not be the species of x’s, and let ›x‹ range over terms for living organisms. Then the flourishing of an x entails the development in it of the essential capacities of x’s.« 10 Demnach sind es bei Attfield, wie später auch bei Balzer, Rippe und Schaber, genau die Fähigkeiten und Eigenschaften eines Lebewesens einer bestimmten Art, welche dessen eigenes Gut bedingen, die das Lebewesen erst zu einem Mitglied dieser Art machen. Welche sind aber die Eigenschaften, die das »unbeeinträchtigte Ausüben artspezifischer Funktionen« 11 erlauben? Diese Frage bleibt im Gutachten von Balzer, Rippe und Schaber ungeklärt und wird »kompetenten Botanikern, Zoologen oder Veterinärmedizinern« 12 überlassen. Das ist allerdings eine problematische Vorgehensweise, denn es ist unter Biologen keineswegs geklärt, welche Eigenschaften eines Lebewesens tatsächlich artspezifische Eigenschaften sind. Das betont Marc Ereshefsky, wenn er schreibt: »Biologists have a hard time finding biological traits that occur in all and only the members of a species.« 13 Genaueres zu Feinbergs Argumentation vgl. Feinberg 1980, 152–157. Attfield 1981, 39. 9 Attfield 1981, 39. 10 Attfield 1981, 42. 11 Balzer et al. 1998, 57. 12 Balzer et al. 1998, 60. 13 Ereshefsky 2007, http://www.plato.stanford.edu/entries/species/ (letzter Zugang 17. 05. 09). 7 8

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Was macht das eigene Gut der Pflanzen aus?

Doch selbst wenn das gelingen würde, wäre es unwahrscheinlich, dass es sich dabei um eine artspezifische Funktion handeln würde: »That trait is the essence of a species only if it is unique to that species. Yet organisms in different species often have common characteristics.« 14 Gilt es also bei der Bestimmung solcher Eigenschaften einer Pflanze, deren Veränderung das eigene Gut derselben beeinträchtigt, eine Auswahl zu treffen, d. h. die artspezifischen Funktionen zu bestimmen, hätte das immer den Beigeschmack einer gewissen Willkürlichkeit. Darüber hinaus: Naturwissenschaftlern diese Entscheidung zu überlassen, wie das Balzer, Rippe und Schaber vorschlagen, übersteigt zudem die Möglichkeiten biologischen Arbeitens, da hier lediglich nach Kausalzusammenhängen und nicht nach normativen Erkenntnissen gesucht wird. Zwar werden die Eigenschaften von Lebewesen untersucht und beschrieben, doch können die deskriptiven Beschreibungen nicht zu moralischen Urteilen führen. Es muss vorher entschieden werden, welche Eigenschaft für die Zuschreibung von Würde privilegiert. Erst dann ist es sinnvoll, die sich heute als wertneutral verstehenden Naturwissenschaften daraufhin zu befragen, ob die gesuchte Eigenschaft im Einzelfall vorliegt. Nur in dieser Form, also die für moralische Urteile notwendige Sachkenntnis vermittelnd, können die empirischen Wissenschaften eine wichtige Dienstleistungsfunktion übernehmen. Es ist allerdings fraglich, ob es Balzer, Rippe und Schaber tatsächlich um das unbeeinträchtigte Ausüben artspezifischer Funktionen geht, wie Sie es selbst ausdrücken, und nicht vielmehr um den Erhalt der Funktionen, die z. B. einer Pflanze ein gedeihliches Leben ermöglichen, völlig unabhängig davon, ob die entsprechenden Funktionen für diese Art typisch sind oder nicht. Dafür spricht zweierlei: Erstens suchen sich die Autoren klar von essentialistischen Ideen abzugrenzen und das, obwohl sie sich auf den Vorschlag Attfields beziehen, der seinerseits an der aristotelischen Idee von der Entelechie individueller Lebewesen anknüpft. 15 Sie schreiben dazu: »Es geht in dieser … Position nicht darum, daß ein Schaf ein Leben führen soll, 14 Ereshefsky 2007, http://www.plato.stanford.edu/entries/species/ (letzter Zugang 17. 05. 09). 15 »Underlying my chriticisms of Hare and Feinberg there is, of course, the Aristotelian principle that the good life for a living organism turns on the fulfilment of its nature.« Attfield 1981, 42.

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Die Würde der Pflanze – Konkretisierung

wie es Schafe von ihrem Wesen her führen sollen. Es geht nicht um ein artspezifisches Wesen oder eine artgemäße Zielsetzung. Es geht darum, daß ein Schaf jene Funktionen ausführen kann, die Schafe oder verwandte Säugetiere in der Regel ausführen können.« 16 Die Schwierigkeit eine Auswahl treffen zu müssen, wenn man verhindern möchte, dass jede Veränderung als ein Eingriff in das eigene Gut und damit als ein Verstoß gegen die kreatürliche Würde zu qualifizieren ist, umgehen Balzer, Rippe und Schaber damit allerdings auch nicht. Den zweiten Hinweis, dass es Balzer, Rippe und Schaber nicht im eigentlichen Sinne um artspezifische Funktionen geht, sondern eher um den Erhalt der Möglichkeit, ein gutes, d. h. gedeihliches Leben, zu führen, geben die vorgebrachten Beispiele für das, was bei Lebewesen angesichts ihrer Würde nicht beeinträchtigt werden sollte. Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang ganz selbstverständlich von »Wachstum, Fortpflanzung [und] Bewegung«, 17 Merkmale des Lebens im Allgemeinen, 18 die dementsprechend bei allen individuellen Lebewesen, welcher Art sie auch immer angehören mögen, nachzuweisen sind. Ein Würdeverstoß liegt dann z. B. vor, »wenn man … Rosen verkümmern läßt« 19 oder »[w]enn etwa somaklonale Veränderungen zu Sterilität oder frühzeitigem Blattverlust führen«. 20 Die gentechnische Veränderung von Lebewesen als solche wird nicht als problematisch eingestuft. Ein Würdeverstoß liegt also nur dann vor, wenn die Veränderungen die Lebensqualität reduzieren bzw. dem Gedeihen entgegenstehen, wenn also »Wachstum und Fortpflanzung nicht beeinträchtigt« sind. Ob z. B. das Wachstum auf eine für die gegebene Art spezifische Weise funktioniert, scheint dabei völlig irrelevant, da Balzer, Rippe und Schaber z. B. die Zucht von Riesenforellen nicht für einen Verstoß gegen die Würde der Kreatur halten, bei denen Wachstumsfunktionen züchterisch derart verändert wurden, dass ein Wachstum weit über die für diese Fischart typische Größe hinaus ermöglicht wurde. Wenn es den Autoren aber nicht um das unbeeinträchtigte Ausüben artspezifischer Fähigkeiten geht, worum geht es ihnen dann? Die

16 17 18 19 20

Balzer et al. 1998, 57. Balzer et al. 1998, 57. Vgl. Strasburger 2002, 2 f. Balzer et al. 1998, 57. Balzer et al. 1998, 60.

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in ihrem Gutachten vorgebrachten Beispiele für Eingriffe in das eigene Gut von Pflanzen und anderen Lebewesen deuten darauf hin, dass ihrer Argumentation eher eine bestimmte Vorstellung der individuellen Integrität von Lebewesen zugrunde liegt.

6.3.2 Integrität Gotthard Teutsch stellte in seiner 1995 veröffentlichten Studie »Die ›Würde der Kreatur‹. Erläuterungen zu einem neuen Verfassungsbegriff am Beispiel des Tieres« fest, dass die Idee einer Würde der Kreatur häufig in Verbindung mit der Forderung genannt wird, die Integrität nichtmenschlicher Lebewesen zu respektieren. 21 Beispielsweise wurde im ersten Gutachten zum neuen Schweizer Verfassungsbegriff der Ausdruck der Würde der Kreatur mit dem der »Integrität« verbunden. 22 Neben dem Begriff der Integrität werden aber auch verwandte Begriffe wie »Unversehrtheit«, »Unverletzlichkeit« bzw. der dazu korrespondierenden Begriff »Verletzlichkeit« verwendet. So z. B. wurde bei einer Beratung zum Art. 24novies SBV Abs. 3 folgende Alternativformulierung vorgeschlagen: »Das Tier, die Pflanze und die Umwelt sind gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie geschützt. Die Würde der Kreatur ist zu gewährleisten; Tiere und Pflanzen haben Anspruch auf Unversehrtheit.« 23 Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Würde der Kreatur wird mit dem Begriff der Integrität also ein Zustand eines Lebewesens bezeichnet, welcher für dieses gut ist, insofern es unversehrt bzw. unverletzt ist. Auch für Heike Baranzke »steht die ›Würde der Kreatur‹ für die verletzbare Integrität allen Seins, des lebendigen Seins insbesondere« und sei daher »in englischen und französischen Übersetzungen angemessener mit ›integrity/integrité‹ oder ›goodness/bonté‹ wiederzugeben.« 24 Und tatsächlich wurde im Zuge der Verfassungsnovellierung im April 1999 der Begriff dignité de la créature in der Teutsch 1995, 44. Praetorius et al. 1996, 36. 44. 86; vgl. auch Ammann et al. 1999, 6; Sitter-Liver 1999, 476. 23 Amtl. Bull. NR 1991, 636, zit. n. Lötscher 2000, 149. 24 Baranzke 2002, 349. 21 22

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französischen Fassung der SBV durch integrité des organismes vivants ersetzt. Die EKAH nahm zu dieser Entwicklung zwar äußerst kritisch Stellung, 25 dennoch ist folgende These Andreas Lötschers angesichts der oben genannten Beobachtungen über die Diskussion um die Würde der Kreatur kaum von der Hand zu weisen: »In der ganzen Diskussion um die ›Würde der Kreatur‹ ist ›Integrität‹ keineswegs ein Fremdkörper, sondern im Gegenteil ein offenkundig sehr nahe liegendes Konzept.« 26 Es lohnt sich also, zu prüfen, ob und, wenn ja, auf welche Weise das Konzept der Integrität der inhaltlichen Bestimmung des eigenen Gutes von Lebewesen und damit der Operationalisierung der Würde der Pflanze dienlich sein kann. Dieses Ziel vor Augen ist es aber zunächst notwendig, sich etwas differenzierter mit der Bedeutung des Begriffs der Integrität auseinanderzusetzen, denn hinsichtlich einer Aussage in ihrer Stellungnahme zur französischen Version des Art. 120 SBV (vormals Art. 24novies SBV Abs. 3) ist den Mitgliedern der EKAH ohne Frage Recht zu geben: Es sei nicht zu erwarten, dass die mit der Auslegung des Begriffs der Würde der Kreatur verbundenen Schwierigkeiten durch seine Ersetzung mit dem Begriff der Integrität lebender Organismen umgangen werden können, da dieser »selber sehr ambivalent« 27 ist. Diese Ambivalenz erstreckt sich auf drei Ebenen: Zum einen gibt es kein einheitliches Verständnis hinsichtlich der Frage, in welchem Verhältnis die Integrität eines Lebewesens und dessen Würde stehen. Zum anderen bestehen sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, um wessen Integrität es hinsichtlich der Würde der Kreatur genau geht. Drittens »Die Eidgenössische Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich (EKAH) führt seit ihrer Einsetzung durch den Bundesrat im April 1998 intensive Debatten über die Bedeutung dieses Begriffes, der bereits auf mehrere Gesetzesvorlagen Einfluss genommen hat. Den Begriff zu ersetzen, steht im Widerspruch zum Geist dieser Debatte und führt zu einer Erschwernis für die gesamtschweizerische Diskussion. Sicherlich bietet die Auslegung des Begriffes der Würde der Kreatur eine Vielzahl an Schwierigkeiten. … In welchem Ausmass und in welcher Art und Weise Tiere und Pflanzen über eine Würde verfügen und welche Konsequenzen dies für den Umgang mit ihnen hat, darüber bestehen Divergenzen. Diese Auseinandersetzung ist jedoch kein Grund, vom Begriff Würde der Kreatur in der französischen Version Abstand zu nehmen. … Mit der Vermischung von zwei Begriffen mit unterschiedlicher Bedeutung schafft man eine begriffliche Verwirrung auf der Verfassungsebene und erschwert unnötig die ohnehin schon komplexe und kontroverse Auslegung.« EKAH 2000b. 26 Lötscher 2000, 149. 27 EKAH 2000b. 25

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besteht auch keine Einigkeit darüber, was die Integrität als Zustand der Unversehrtheit genau auszeichnet. Diese Fragen müssen geklärt werden, bevor untersucht werden kann, ob und wie Integrität und Würde in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden können, welcher sich auch mit Blick auf mögliche Konsequenzen einer Achtung der Würde der Kreatur als fruchtbar erweist. 6.3.2.1 In welcher Beziehung zueinander stehen Würde und Integrität? Zunächst zu der Frage wie die Würde der Pflanze in ihrem Verhältnis zur Integrität derselben sinnvoll beschrieben werden kann: Über dieses Verhältnis bestehen unterschiedliche Auffassungen, insofern die Begriffe »Integrität« und »Würde« bei einigen Autoren eher synonym verwendet werden, während Integrität bei anderen eher als »bedeutungserweiternde Qualität« 28 der Würde verwendet wird. Nach letzterer Position ergibt sich der Schutz der Integrität lediglich als Konsequenz aus dem Gebot der Achtung der Würde der Kreatur. 29 So identifizieren Praetorius und Müller die Würde der Kreatur mit der Integrität der entsprechenden Lebewesen: »Das bedeutet aber, dass ›Würde der Kreatur‹ … als spezifische Werthaftigkeit, als spezifischer Eigenwert zu verstehen ist, als ›Integrität‹.« 30 Eine synonyme Verwendung der Begriffe finden sich beispielsweise auch bei Schneider: »Als Vorschlag möchte ich zur Diskussion stellen, die geschöpfliche Würde als natürliche Integrität des Tieres zu verstehen« 31 sowie bei Huber: »The dignity inherent in an object … is an integrity«. 32 Für andere Autoren, wie z. B. für Daniel Ammann und Antoine Goetschel, ergibt sich die Forderung, die Integrität eines Lebewesens zu schützen, erst aus der Anerkennung der kreatürlichen Würde: »Die Würde eines jeden Lebewesens beruht aus biologischer Sicht darauf, dass es sich selbst entfalten, erhalten und gestalten kann. Die Fähigkeit zu Selbstaufbau und Selbsterhalt unterscheidet das Lebewesen von der unbelebten Materie und ist deshalb unter dem Aspekt der kreatürli-

28 29 30 31 32

Teutsch 1995, 51. Vgl. Teutsch 1995, 51; Lötscher 2000, 149 f. Praetorius et al. 1996, 86. Schneider 1992, 133, zit. n. Teutsch 1995, 101. Huber 1991, 54, zit. n. Teutsch 1995, 85.

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chen Würde besonders schützenswert. Daraus lässt sich ganz allgemein die Forderung ableiten, die physische und psychische Integrität und die artgerechte Lebensweise aller Tierindividuen und Tierarten zu respektieren«. 33 Die Interdepartementale Arbeitsgruppe Gentechnologie äußerte sich einige Jahre zuvor – ebenfalls mit dem Blick auf Tiere – ganz ähnlich: Bei der gesetzlichen Konkretisierung von Art. 24novies Abs. 3 SBV »ist der Integrität des Tieres, insbesondere seiner Fähigkeit zum Selbstaufbau und Selbsterhalt, der Erhaltung von artgemässer Gestalt und artgemässen Verhaltens sowie dem Vermeiden unnötigen Leidens und einer dem Tier nicht angepassten Produktionsleistung Aufmerksamkeit zu schenken.« 34 Welches Verhältnis von Würde und Integrität ist angesichts der in dieser Studie vertretenen These bei der Würde der Pflanze sinnvoll? Auch wenn das Konzept der Integrität inhaltlich noch nicht näher beschrieben wurde, wird bei näherer Betrachtung deutlich, dass die Verwendung dieses Begriffs als Synonym für den der Würde nicht überzeugen kann, da die beiden Ausdrücke allein von ihrer Funktion her nicht in Deckung gebracht werden können. Warum das der Fall ist, erklärt Andreas Lötscher sehr treffend: »Der Unterschied zwischen dem Ausdruck ›Würde‹ und dem Ausdruck ›Integrität‹ besteht also darin, dass in der Zuschreibung von ›Würde‹ auch ein Werturteil enthalten ist, aus dem die Pflicht zur Achtung bestimmter Güter folgt, währendem mit ›Integrität‹ lediglich ein bestimmter Zustand bezeichnet wird. Werturteile und Sachurteile sind Entitäten auf logisch unterschiedlichen Ebenen, die nicht miteinander vermischt werden sollten.« 35 Der normative Charakter des Würdebegriffs ist also nicht auf das Konzept der Integrität übertragbar. Das bedeutet allerdings nicht, dass das eigene Gut der Pflanzen, welches der Rede von ihrer Würde erst eine Grundlage verleiht und welches bei Anerkennung der pflanzlichen Würde zugleich zu berücksichtigen ist, nicht unter Zuhilfenahme des Konzeptes der Integrität berücksichtigt werden kann. In diesem Falle würde sich die Forderung, die Integrität von Pflanzen zu schützen, als Konsequenz aus der Achtung vor der Würde der Pflanze ergeben.

33 34 35

Ammann et al. 1999, 6. IDAGEN 1993, 34. Lötscher 2000, 151.

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6.3.2.2 Um wessen Integrität geht es? Im Zusammenhang mit Überlegungen zur Würde nichtmenschlicher Lebewesen wird der Begriff der Integrität auf ganz verschiedene Entitäten bezogen: So diskutieren Balzer, Rippe und Schaber die auch von der EKAH angesprochene Möglichkeit, mit der Würde der Kreatur die Forderung zu verbinden, die Integrität des Genoms zu berücksichtigen. 36 Andreas Lötscher, der aus der Anerkennung der Würde der Kreatur folgert, »dass die Integrität des Lebewesens geschützt werden muss«, 37 tut dies mit Blick auf ein Integritätsverständnis, das von der EKAH als »physisch-biologische Integrität« 38 bezeichnet wird, das sich also auf das individuelle Lebewesen in seiner Gesamtheit bezieht: »›Integrität‹ kann umschrieben werden als ›Zustand eines komplexen Organismus, als solcher in seinen Teilen nicht beschädigt oder in seinen Funktionen nicht beeinträchtigt zu sein, so dass er seine wesensgemässen Funktionen ausüben kann.‹« 39 Für Daniel Ammann und Antoine Goetschel fordert die Würde der Kreatur bei Tieren nicht nur den Respekt vor der Integrität von Individuen, sondern darüber hinaus den Respekt vor der Integrität von Arten. 40 Ähnlich äußert sich Gotthard Teutsch, der – ebenfalls mit Blick auf Tiere – die geschöpfliche Würde mit der »Integrität der Arten« in Verbindung bringt: »Die Tierwelt zu bewahren verlangt …, sie in ihren Arten unversehrt zu lassen«. 41 Im Rahmen der Diskussion um die Würde nichtmenschlicher Lebewesen wird kaum erörtert, ob diese verschiedenen Ebenen der Integrität auch auf Pflanzen bezogen werden können. Doch ein Blick in die niederländische Debatte um den intrinsischen Wert nichtmenschlicher Lebewesen, die viele Parallelen zur deutschsprachigen Würdediskussion aufweist, zeigt, dass der Integritätsbegriff auch hinsichtlich seiner Anwendbarkeit auf verschiedene Ebenen der Organisation pflanzlichen Lebens hin diskutiert wird. 42 Einzufordern, dass alle der genannten Ebenen pflanzlicher Inte-

Vgl. Balzer et al. 1998, 55 f.; EKAH 2000b, 1 mit Rolston 2002. Lötscher 2000, 151. 38 EKAH 2000b, 1. 39 Lötscher 2000, 150. 40 Ammann 1999, 6. 41 Teutsch 1989 7 f., zit, n. Teutsch 1995, 111 f. 42 Einen tabellarischen Überblick über die verschiedenen Ebenen pflanzlicher Integrität bietet Lammerts van Bueren et al. 2005, 485. 36 37

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grität zu berücksichtigen sind, kann angesichts der in dieser Studie vertretenen These zur Würde der Pflanze allerdings nicht überzeugen, da sich diese Würde weder auf das Genom von Lebewesen noch auf Arten beziehen kann, sondern allein auf individuelle Lebewesen, denn nur in Bezug auf diese macht die Rede vom eigenen Gut der Lebewesen einen Sinn (vgl. Kap. 3.3.1). In der Folge wird daher lediglich untersucht werden, ob das Konzept der Integrität, bezogen auf die Einzelpflanze, einen Beitrag zum inhaltlichen Verständnis des eigenen Gutes leisten kann und uns damit der Beantwortung der Frage, welche Handlungen an Pflanzen als Verstoß gegen deren Würde zu qualifizieren sind, näher bringt. 6.3.2.3 Integrität und Eigenart Kirsten Schmidt hat sich im Rahmen tierethischer Fragestellungen mit verschiedenen Interpretationen des Begriffs der Integrität auseinandergesetzt, welche die Frage betreffen, was den Zustand der Unversehrtheit eines Lebewesens genau ausmacht. Sie unterscheidet dabei zwei Interpretationsvarianten dieses Konzeptes, wie sie in Bezug auf Tiere in der Literatur geäußert werden: Während die eine dem Integritätsbegriff auch dynamische Aspekte zuschreibt, ist die andere eher von statischem Charakter und wird von Schmidt als »ursprüngliche Auffassung der Integrität« 43 bezeichnet, da es nach ihrem Befund zuerst Eingang in die tierethische Diskussion der Niederlande gefunden hat. 44 Als frühen Vertreter letzterer Interpretation von Integrität stellt sie Jan Vorstenbosch vor, der folgende Definition des Begriffs vorschlägt: »integrity means ›wholeness‹, ›intactness‹ and ›unharmed or undamaged‹ state of something, presumably a living being … The concept seems to be more ›at home‹ in contexts where there is an entity with (relatively) well defined boundaries (like a body) that can be transgressed or ›violated‹.« 45 Es geht hier also um die Unversehrtheit der Grenzen eines Organismus und seine Vollständigkeit hinsichtlich seiner Teile und Eigenschaften. 46 Gerade letzteren Punkt, die Vollständigkeit eines Lebewesens betreffend, scheinen Balzer, Rippe und Schaber vor Augen zu 43 44 45 46

Schmidt 2008, 128. Schmidt 2008, 127. Vorstenbosch 1993, 110. Vgl. Schmidt 2008, 128 f.

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haben, wenn sie fordern, angesichts der Würde der Kreatur das eigene Gut zu berücksichtigen. Das bedeutet in ihrem Fall, das »unbeeinträchtigte Ausüben artspezifischer Funktionen« 47 z. B. bei einer Pflanze nicht störend zu beeinflussen. Nach der Auffassung der Gutachter verletzen »[e]ine Reduktion und Einschränkung von Fähigkeiten […] das Gut eines Wesens.« 48 Ähnliches scheint der IDAGEN vorzuschweben, wenn sie den Schutz der Integrität eines Tieres u. a. mit »der Erhaltung von artgemässer Gestalt und artgemässen Verhaltens« 49 verbindet. Eine derartige Interpretation der Integrität, also die Vorstellung, dass Integrität – Balzer, Rippe und Schaber sprechen in diesem Zusammenhang lediglich vom eigenen Gut – mit einer gewissen Vollständigkeit des Organismus gleichzusetzen ist, birgt allerdings nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Diese basieren darauf, dass die inhaltliche Bestimmung der Integrität von Lebewesen die Notwendigkeit mit sich bringt, ein bestimmtes Ideal vom Zustand eines Lebewesens zu entwickeln. Will man nämlich die Frage beantworten, ob und in welchem Ausmaß eine bestimmte Handlung z. B. an einer Pflanze diese in ihrer Integrität, ihrem eigenen Gut, beeinträchtigt und somit als Würdeverstoß zu qualifizieren ist, wäre eine genauere Vorstellung vom Idealzustand dieser Pflanze als Maßstab für die angestrebte Bewertung des Eingriffs notwendig. Was aber kann einen Hinweis darauf geben, wie der Zustand der Integrität im Einzelfall auszusehen hat? Wann ist eine Pflanze unversehrt und vollständig? Wird »die Wahrung der Eigenart im Erscheinungsbild« 50 angestrebt, muss der Begriff der Eigenart entweder auf ein bestimmtes naturwissenschaftliches Artverständnis bezogen werden oder aber auf bestimmte ästhetische Gewohnheiten wie z. B. der Gewohnheit, dass Kühe Hörner haben oder Rosen weiß, gelb oder rot, aber nicht blau blühen. Für Balzer, Rippe und Schaber wie auch für Robert Heeger sind eher empirische Beobachtungen über »artspezifische Funktionen« 51 bzw. »artspezifische Eigenschaften« 52 ausschlaggebend für die Bewertung einer Handlung angesichts der Anerkennung der Würde der Kreatur. Auf die Problematik, von den Naturwissenschaften zu for47 48 49 50 51 52

Balzer et al. 1998, 57. Balzer et al. 1998, 57. IDAGEN 1993, 34; vgl. auch Amman et al. 1999, 6. Kunzmann 2007, 124; Vgl. auch Wolfinger 1990, 360, zit. n. Teutsch 1995, 118. Balzer et al. 1998, 57. Heeger 1992, 257–260, zit. n. Teutsch 1995, 81.

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dern, die für die Achtung der Würde der Kreatur relevanten artspezifischen Fähigkeiten und Eigenschaften anzugeben, wurde im Einzelnen bereits hingewiesen (vgl. Kap. 6.3.1). Eine gewisse Willkürlichkeit ist hier jedenfalls ebenso zu unterstellen wie in dem Falle, dass die Idealvorstellung von einem bestimmten Lebewesen durch ästhetische Gewohnheiten geprägt ist. Problematischer noch als die Willkürlichkeit einer solchen Festlegung ist jedoch, dass dabei »eine allgemeine gesellschaftliche Übereinstimmung wohl nicht zu erwarten ist, allein schon, weil ästhetische Urteile als solche selten konsensfähig sind.« 53 Was Peter Kunzmann in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Tiere feststellt, gilt auch für Pflanzen: »Die Würde an die Erscheinung der Tiere zu knüpfen, bindet das Urteil an Kriterien, die erstens unscharf, weil graduell sind und die zweitens einem ersichtlichen Wandel in der Zeit unterliegen.« 54 Diese Feststellung weist darauf hin, dass die inhaltliche Bestimmung der Integrität bzw. des eigenen Gutes eines Lebewesens, mit Verweis auf ein ästhetisch gewonnenes Ideal von seiner Eigenart, immer nur eine menschliche Projektion sein kann. Über die Funktion der Ästhetik in der Ethik lässt sich sicher streiten, doch hinsichtlich der hier vertretenen These zur Würde der Pflanze ist ein derartiger Zugang zum eigenen Gut eher als problematisch zu bewerten, da es aufgrund der Begrenztheit menschlichen Erkenntnisvermögens fraglich scheint, ob ein solches Artideal tatsächlich irgendetwas mit dem eigenen Gut einer ganz spezifischen Pflanze zu tun hat, welches zu berücksichtigen aber gefordert wird. Wenn es bei der Würde der Kreatur gerade darum geht, »anderes in Freiheit ›sein zu lassen‹«, 55 also einen sachgerechten, den verschiedenen Lebensformen entsprechenden Umgang anzustreben, scheint eine Orientierung an menschlichen Gewohnheiten und ästhetischen Bedürfnissen anstelle einer Orientierung an wissenschaftlichen Beobachtungen über die Lebensweise der verschiedenen Pflanzen eher unangemessen. Nicht nur ästhetische Gewohnheiten unterliegen einem Wandel der Zeit, sondern auch Lebewesen verändern ihre Erscheinung im Verlauf ihres Lebens z. T. ganz erheblich. Wie Kirsten Schmidt mit Blick auf Tiere darstellt, müssen Veränderungen der Grenzen oder der Zu53 54 55

Kunzmann 2007, 124. Kunzmann 2007, 125. Spaemann 1984, 76.

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sammensetzung des Körpers nicht prinzipiell ein Angriff auf die Integrität sein: »Vielmehr stellen sie häufig wesentliche und lebensnotwendige Vorgänge für die Aufrechterhaltung des Organismus als einer autonomen Ganzheit dar und sind damit selbst Teil der tierlichen Integrität.« 56 Auch aus diesem Grund scheint eine statische Interpretation der Integrität in Bezug auf Lebewesen eher am Kern der Sache vorbeizugehen. Darauf weist selbst Vorstenbosch hin, wenn er schreibt: »This connotation may be an obstacle for using the concept in biological or genetic contexts, where continuity, development and process are so obvious.« 57 Ein eher statisches Verständnis von Integrität, wie vorgeschlagen, scheint also wenig geeignet für die Operationalisierung des Begriffs der Würde der Pflanze zu sein. Interpretationen des Integritätsbegriffs, welche eher die Prozesshaftigkeit des Lebens eines Organismus vor Augen haben, könnten möglicherweise eher die Chance bieten, der mit der Würde der Pflanze verbundenen Forderung, pflanzliche Lebewesen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, gerecht zu werden. 6.3.2.4 Integrität des Individuums als Bedingung zur Verwirklichung des eigenen Gutes Interpretationen der Integrität von stärker dynamischem Charakter berücksichtigen, wie Kirsten Schmidt darlegt, in unterschiedlichem Maße die Veränderlichkeit von Lebewesen über die Zeit ihres Daseins hinweg, bei gleichzeitiger beständiger Aufrechterhaltung und Verteidigung ihrer individuellen Ganzheit, deren Grenzen nun aber als fließend verstanden werden. Es geht hier also weniger um die Unverletzlichkeit der Grenzen und um das Vorhandensein artgemäßer Eigenschaften oder bestimmter Körperteile. Vielmehr steht »das Gleichgewicht, die Harmonie oder Balance« 58 eines Organismus im Mittelpunkt, welches »ständig aktiv aufrecht erhalten bzw. erarbeitet werden muss.« 59 Darauf, dass eine solche Interpretation der Integrität sprachlich durchaus plausibel ist, verweist Kirsten Schmidt, wenn sie aufzeigt, dass »man den Begriff ›Integrität‹ nicht nur auf das lateinische Adjek56 57 58 59

Schmidt 2008, 130. Vorstenbosch 1993, 110; vgl. auch Schmidt 2008, 129 f. Schmidt 2008, 129. Schmidt 2008, 129.

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tiv ›integer‹, sondern auch auf das Verb ›integrare‹ (unversehrt machen, wiederherstellen, erneuern, ergänzen) zurückführen« 60 kann. Diese Vorstellung von Integrität, die also vom einzelnen Organismus selbstständig hergestellt wird, scheint in den bioethischen Debatten z. B. dann auf, wenn im Zusammenhang mit der Rede von der Integrität einzelner Lebewesen auf ihre »Fähigkeit zu Selbstaufbau und Selbsterhalt« 61 bzw. die damit im Zusammenhang stehende »Lebensfähigkeit« 62 verwiesen wird. Häufig wird diese Interpretation von Integrität aber vermischt mit statischen Aspekten, indem nicht nur die Gedeihfähigkeit eines Lebewesens, sondern parallel dazu auch immer wieder die artgemäße Gestalt als Kriterium für die Bestimmung des Zustandes eines Lebewesens hinsichtlich seiner Unversehrtheit verwiesen wird. 63 Auf die Problematik eines eher statische Aspekte beinhaltenden Integritätsverständnisses im Zusammenhang mit der hier vertretenen These zur Würde der Pflanze wurde bereits verwiesen (vgl. Kap. 6.3.2.3). Aus den genannten Gründen konzentriert sich die Untersuchung auf die dynamische Interpretation der Integrität. Aus naturwissenschaftlicher Sicht erscheint die dynamisch verstandene Integrität einleuchtender in Bezug auf Lebewesen, da es gerade die Besonderheit von Lebewesen ausmacht, ihre individuelle Einheit gegen zerstörerische Einflüsse zu verteidigen, indem sie sich beständig entwickelnd, d. h. wachsend und differenzierend, an ihre Umwelt anpassen und so ihr Leben abzusichern oder sogar zu verbessern suchen. Dies erfolgt in einem kontinuierlichen, von Energiezufuhr abhängigen Prozess der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Ordnung der eigenen körperlichen Struktur, bei dem die Entwicklung eines jeden Körperteils mit der der anderen Teile durch eine systemische Entwicklungskontrolle, die auch für Pflanzen beschrieben ist, in Einklang gebracht wird. Doch nicht nur der Erhalt und die Verbesserung des eigenen Lebens wird durch den Integrationsprozess erreicht. Wie Friedemann Buddensiek darlegt, schafft der einzelne pflanzliche Organismus in seinem Entwicklungsprozess selbstständig seine individuelle Einheit, seine harmonische Ganzheit durch die beständige Integration seiner Zel60 61 62 63

Schmidt 2008, 129. Ammann et al. 1999, 6; vgl. auch Lammerts van Bueren et al. 2005, 485. Schneider 1992, 134, zit. n. Teutsch 1995, 102; vgl. auch Münk 1997, 28. Vgl. z. B. IDAGEN 1993, 34.

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Fazit

len, Gewebe und Organe, welche in Wechselwirkung miteinander stehen (vgl. Kap. 3.3.2.2). Insofern erst dieser integrierende und so Einheit schaffende Prozess der beständigen Interaktion und Kooperation der Teile eines individuellen Lebewesens es ermöglicht, dass sich dieses als selbstständiges, abgeschlossenes Ganzes in ein Verhältnis zur Welt setzen kann und nicht in dieser aufgeht, bildet er die notwendige Grundlage für die Verwirklichung des eigenen Gutes. Die Integrität eines Organismus wird hier demnach nicht mit dem eigenen Gut gleichgesetzt, wird aber als notwendige Bedingung für die Verwirklichung desselben verstanden.

6.4 Fazit Es ist von Vorteil, wenn Integrität, wie hier vorgeschlagen, nicht mit dem eigenen Gut gleichgesetzt wird, sondern lediglich als Grundbedingung für die Verwirklichung des eigenen Gutes verstanden wird. Der Grund dafür ist, dass die mit erheblichen Schwierigkeiten verbundene Frage, worin das eigene, individuelle Gut einer bestimmten Pflanze im Einzelnen besteht, offen bleiben darf. Die Berücksichtigung der Integrität der Pflanzen als Vorbedingung der Verwirklichung ihres jeweiligen eigenen Gutes bietet einen Weg zum Umgehen all dieser Schwierigkeiten an, da es naturwissenschaftlich leichter zugänglich ist. Das ist der Fall, da die Möglichkeit besteht, die Struktur eines Organismus, die Wechselwirkungen seiner Teile und seinen Gesamtzustand im Hinblick auf seine Lebensfähigkeit mit empirischen Methoden zu ermitteln. Hier und nur hier hat der morphologische Artbegriff 64 in der Diskussion um die Würde nichtmenschlicher Lebewesen seinen Platz: Insofern er Informationen darüber aufnehmen und transportieren kann, auf welche Art und Weise Organismen, die aufgrund ihrer Merkmale oder ihrer Abstammung einer bestimmten Art zuzuordnen sind, ihre Integrität üblicherweise aufrechterhalten, kann er dabei behilflich sein, bereits vor einem Eingriff in eine bestimmte Pflanze eine Aussage darüber zu machen, ob als Folge die Beeinträchtigung ihrer Integrität zu erwarten ist und, wenn ja, in welchem Ausmaß. Bezieht sich das eigene Gut also auf ein dynamisches Integritäts64

Vgl. Campbell 2006, 550.

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verständnis, wie es hier im Anschluss an Friedemann Buddensieks These zur Einheit lebender Individuen formuliert wurde, lässt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erheben, welche Eingriffe in das Leben einzelner Organismen die Integrität desselben beeinträchtigen bzw. zerstören, also der Verwirklichung des eigenen Gutes entgegenstehen. Gilt es also angesichts der Würde der Pflanze nicht nur eigene Interessen zu verfolgen, sondern auch das eigene Gut pflanzlicher Lebewesen zu berücksichtigen, ist dies in einer indirekten Form möglich, indem man untersucht, ob und wie stark die Integrität der jeweiligen Pflanze von einer Handlung betroffen sein könnte.

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7 Wie man gegen die Würde der Pflanze verstoßen kann

Der Begriff der Würde der Pflanze fand im Zusammenhang mit Fragen zur Bewertung gentechnischer Eingriffe in nichtmenschliche Lebewesen Eingang in die bioethischen Debatten (vgl. Kap. 2.5). Gleichwohl konnte bisher keine Einigkeit erzielt werden, inwiefern dieser Ausdruck ethisch für die Zulässigkeit von Vorhaben der Grünen Gentechnik von Bedeutung sein kann. An diesen Ausgangspunkt der Diskussion zurückkehrend wird im vorliegenden Kapitel ein Vorschlag zur Beantwortung der Frage unterbreitet, wie Verfahren der so genannten »Grünen Gentechnik«, d. h. Verfahren zur gentechnischen Veränderung pflanzlicher Lebewesen, im Lichte der Würde der Pflanze ethisch bewertet werden können. Auf Grundlage der bisher erarbeiteten Ergebnisse wird dabei von folgender These ausgegangen: Eine Verletzung des eigenen Gutes und dementsprechend der Würde der Pflanze liegt dann vor, wenn ihre Integrität beeinträchtigt oder sogar zerstört wird. Das ist der Fall, wenn in den Prozess der Herstellung der individuellen Ganzheit auf störende Weise eingegriffen bzw. er gänzlich unterbunden wird.

7.1 Verletzungen der Integrität pflanzlicher Lebewesen Dieses Integritätsverständnis erlaubt in seinem Zusammenhang mit der Würde der Pflanze eine Antwort auf Frankenas Frage »Warum […] sollte ich kein Blatt von einem Baum reißen?«: 1 Selbst geringe Eingriffe, wie z. B. das Abtrennen kleinerer Pflanzenteile, wie das beim Blumenpflücken der Fall ist, stellen bereits eine Verletzung dieser Integrität dar. Durch das Entfernen von Pflanzenteilen, welchen im Gesamtgefüge der Einzelpflanze jeweils eine bestimmte, der Selbst1

Frankena 1997, 283.

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Wie man gegen die Würde der Pflanze verstoßen kann

erhaltung und Selbstentfaltung dienende Funktion zukommt, erfolgt zwangsläufig eine Störung des Integrationsprozesses und damit eine Schwächung der Integrität. Daraus folgt, dass das völlige Vermeiden von Verstößen gegen die Würde der Pflanze mit dem menschlichen Leben unvereinbar ist. Das Ziel des guten menschlichen Lebens rechtfertigt allerdings viele Eingriffe in die Integrität von Pflanzen, die z. B. zur Sicherung von Ernährung und Gesundheit zwangsläufig unternommen werden müssen (vgl. Kap. 5.2). Im Hinblick auf die Notwendigkeit, Pflanzen zu beeinträchtigen und zu zerstören, drängt sich die Frage auf, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine pflanzliche Würde anzuerkennen, wenn es schließlich doch unmöglich ist, dem damit verbunden Anspruch gerecht zu werden. Dagegen lässt sich einwenden, dass keineswegs jeder Eingriff in die pflanzliche Integrität unausweichlich ist. Zum Beispiel konnten sich die Mitglieder der EKAH in ihrer Broschüre zur Würde der Kreatur bei Pflanzen trotz sehr unterschiedlicher Intuitionen in Bezug auf Umfang und Begründung moralischer Pflichten gegenüber pflanzlichen Lebewesen darauf einigen, »dass Pflanzen nicht willkürlich geschädigt werden dürfen.« 2 Es geht dabei um solche Beeinträchtigungen, die unbedacht und ohne Notwendigkeit oder sogar aus bloßer Lust am Zerstören erfolgen. Ein derartiger Umgang mit Pflanzen ist tatsächlich vermeidbar. Angesichts der Würde der Pflanze gilt also nicht mehr nur für Tiere, sondern auch für Pflanzen, dass sie nicht ohne vernünftigen Grund geschädigt werden dürfen. 3 Was ist aber ein vernünftiger Grund und welche Eingriffe in die Integrität pflanzlicher Lebewesen sind für das gute menschliche Leben unerlässlich? Auf diese Frage mögen im Einzelfall nicht selten sehr unterschiedliche Antworten vorgelegt werden. Ein Konsens – wo er notwendig ist – wird sich also häufig nur unter Mühen erreichen lassen. Dementsprechend wird sich eine Güterabwägungen, die klären soll, wann ein Eingriff in die Integrität von Pflanzen angemessen ist und somit gerechtfertigt werden kann und wann er sich verbietet, häufig schwierig gestalten und nicht immer zu befriedigenden Lösungen

2 3

EKAH 2008, 5. Vgl. TierSchG § 1.

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Verletzungen der Integrität pflanzlicher Lebewesen

führen. Dass trotz aller Widrigkeiten, die mit derartigen Abwägungsprozessen verbunden sind, nicht auf diese verzichtet werden sollte, verbindet sich, wie Beat Sitter-Liver überzeugend darstellt, mit der Pflicht des vernunft- und damit moralfähigen Menschen, »die eigene Vernünftigkeit auch unter nicht eindeutigen, schwierigen, widersprüchlichen Bedingungen praktisch werden zu lassen.« 4 Das ist der Fall, da der Mensch seiner eigenen Würde gerade im Vollzug solch abwägenden Überlegens und dementsprechenden Handelns, zu dem er sich mit der Anerkennung der Würde der Pflanze selbst auffordert, erst gerecht wird. Es rekurriert doch die Würde des Menschen gerade darauf, dass wir in unserem Handeln frei sind und nicht allein den Verhältnissen uns ergebend bloß auf diese reagieren (vgl. Kap. 4.1.4). Sitter-Liver fasst es folgendermaßen zusammen: »Richtig bleibt, dass die Anerkennung des Eigenwerts von anderen Wesen uns nicht von der Notwendigkeit entbindet, solche Andere zu beeinträchtigen und zu zerstören. Doch diese Existenzbedingung entzieht uns nicht der Möglichkeit einer Ethik der Achtung, die uns anhält, Kreaturen insgesamt nur so weit zu beeinträchtigen, wie es für uns im Streben nach einem guten Leben unerlässlich ist. Würde … hebt die Zerrissenheit der Welt nicht auf, bringt in dieser jedoch umfassende Humanität zur Erscheinung, mit deren Verwirklichung wir das realisieren, was uns als Menschen zugleich auszeichnet und in Anspruch nimmt: Menschenwürde.« 5 Wollen wir also unsere Menschlichkeit entfalten, dann geht es darum, Verantwortung für solche Handlungen zu übernehmen, die wir zu unseren Gunsten und zum Schaden pflanzlicher Lebewesen ausführen. Übernehmen wir diese Verantwortung bewusst, dann sind wir sicher in vielen Fällen auch in die Lage versetzt, unsere eigenen, weniger gewichtigen Interessen zu Gunsten der Bedürfnisse anderer Lebewesen zurückzustellen. Das schließt ein, auf bestimmte Formen des Umgangs mit Pflanzen zu verzichten, wenn diese deren Integrität beeinträchtigen und für unser gutes Leben nicht verzichtbar erscheinen.

4 5

Sitter-Liver 2008, 176. Sitter-Liver 2008, 174–177.

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Exkurs: Unterschiede im Umgang mit Pflanzen und Tieren Geht es um die Frage, wie sich Abwägungsprozesse vor einem Eingriff in Pflanzen gestalten sollten, ist es wichtig, festzuhalten, dass nicht jede Störung pflanzlicher Integrität einen nachhaltigen Schaden zur Folge haben muss. Häufig kann die auf einen geringeren Eingriff in eine Pflanze folgende Störung ihrer Integrität durch die erstaunliche Regenerationsfähigkeit pflanzlicher Lebewesen von dem betroffenen Organismus selbst wiederhergestellt werden, wenn auch nicht in exakt dergleichen Form. Bei geeigneten Lebensbedingungen ist eine Pflanze vielfach in der Lage, z. B. verloren gegangene Körperteile wieder zu ersetzen. Möglich ist dies durch zahlreiche Vegetationspunkte, in denen sich noch undifferenzierte Zellen befinden, die zeitlebens teilungs- und differenzierungsfähig bleiben. Darüber hinaus weist die Möglichkeit, ganze Pflanzen auch aus bereits ausdifferenzierten Pflanzenzellen zu regenerieren, wenn sie in Zellkultur überführt und entsprechend behandelt wurden, auf die Totipotenz ihrer Zellen hin. Gemeint ist damit die Fähigkeit dieser Zellen einen vollständigen, lebensfähigen Organismus aufzubauen bzw. sich zu allen Zelltypen des betreffenden Organismus entwickeln zu können. Die Integrität einer Pflanze muss also nicht dauerhaft gestört sein. Würdeverstöße, die eine selbstständige Regeneration noch erlauben, könnten also auch durch weniger gewichtige Güter gerechtfertigt werden. Hier ist nun tatsächlich ein Unterschied zwischen Pflanzen und vielen Tieren angesichts ihrer Würde zu machen, wie von der EKAH angemahnt, 6 denn das Abtrennen eines Körperteils führt für ein Wirbeltier unter Umständen zu ganz erheblichen, weil wesentlich nachhaltigeren Einschränkungen hinsichtlich der Möglichkeit einer aktiven und selbstständigen Aufrechterhaltung des eigenen Lebensprozesses. Ein Hund z. B., dem ein Bein abgetrennt wurde, ist auf Dauer geschädigt und ohne Hilfe wohl kaum überlebensfähig, da dieses aufgrund der eingeschränkten Regenerationsfähigkeit von Säugetieren nie nachwachsen kann. Doch auch wenn vergleichbare Eingriffe bei Tieren und Pflanzen hinsichtlich ihrer Integrität sehr unterschiedliche Auswirkungen auf das jeweilige Individuum haben können und Störungen der Integrität 6

EKAH 2001, 10.

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bei Pflanzen daher durch weniger gewichtige Güter gerechtfertigt werden können, bleibt aber in beiden Fällen die Notwendigkeit einer Rechtfertigung bestehen. Angesichts der Würde der Pflanze bedeutet das, dass nicht nur Tiere, sondern auch pflanzliche Lebewesen nicht willkürlich beeinträchtigt oder zerstört werden dürfen.

7.2 Verstöße gegen die Würde der Pflanze bei gentechnischen Eingriffen Die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen, dass sich der Begriff der Würde der Pflanze nicht nur auf gentechnische Züchtungsverfahren anwenden lässt, insofern gegen die pflanzliche Würde auch bei anderen Formen des Umgangs mit Pflanzen, einschließlich der konventionellen Zucht von Kulturpflanzen, verstoßen werden kann. Zu dem gleichen Ergebnis kamen Praetorius und Saladin bereits 1996 in ihrem Gutachten zum Schweizerischen Verfassungsbegriff der Würde der Kreatur: »Indessen ist mit dem ›Prinzip Würde‹, wie wir es mit Blick auf Tiere und Pflanzen beschrieben haben […], der Gedanke bloß sektorieller Geltung unvereinbar. […] Der Konkretisierungs-Auftrag darf sich [daher] nicht auf die Regelungsbereiche der Gentechnologie und der Fortpflanzungsmedizin beschränken.« 7 Dementsprechend kann die Würde der Pflanze, nach der hier vertretenen Konzeption, auch nichts zur generellen Kritik an Verfahren der Grünen Gentechnik beitragen. Diese Einsicht lässt jedoch weiterhin die Frage zu, ob die Kritik an der Grünen Gentechnik im Rahmen der hier vorgeschlagenen Konzeption der Würde der Pflanze dennoch gerechtfertigt ist, weil die gentechnische Veränderung von Pflanzen im Vergleich zur konventionellen Züchtung möglicherweise einen besonders schweren Eingriff in die pflanzliche Integrität darstellt, wie z. B. auch Praetorius und Saladin unterstellen: »Die ›Verdinglichung‹ der Kreatur erhält damit einen neuen grellen Ausdruck.« 8 Ließe sich das tatsächlich bestätigen, so wäre – setzt man die Anerkennung der Würde der Pflanze voraus – konventionellen Verfahren der Pflanzenzucht generell der Vorzug zu

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Praetorius et al. 1996, 91 f. Praetorius et al. 1996, 94.

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geben. Der Einsatz der Grünen Gentechnik in der Zucht neuer Kultursorten wäre nur mit Blick auf ein sehr hohes menschliches Gut zu rechtfertigen, wenn dieses mit den Mitteln der konventionellen Züchtung gar nicht oder nicht in der gebotenen Zeit, bzw. mit vertretbarem Aufwand zu erreichen sei. 9 Um den Vergleich konventioneller und gentechnischer Verfahren in der Pflanzenzucht anhand des Kriteriums der Integrität zu ermöglichen, wird ihm eine kurze Einführung zur Gentechnik an Pflanzen vorangestellt, welche primär nach methodischen Besonderheiten dieses Züchtungsansatzes fragt.

7.2.1 Eine kurze Einführung zur Gentechnik 7.2.1.1 Begriffsbestimmung Der Begriff der Gentechnik ist nicht einheitlich definiert und wird daher unterschiedlich verwendet: In einem weiteren Sinne fasst man unter dem Begriff der Gentechnik alle molekularbiotechnischen Verfahren zusammen, die sowohl der Untersuchung als auch der gezielten Veränderung von Erbinformationen durch den Menschen dienen. 10 In diesem Falle sind auch die Methoden der markergestützten Züchtung zum Bereich der gentechnischen Verfahren zu zählen. Bei dieser auch als smart breeding bezeichneten Präzisionszüchtung wird auf Gentransfertechniken verzichtet: Sie bleibt auf konventionelle Züchtungsmethoden beschränkt und damit auch auf einen eingeschränkten Genpool. Der Vorteil des smart breeding gegenüber den üblichen Verfahren der konventionellen Züchtung besteht darin, dass der Erfolg der jeweils durchgeführten Kreuzungsversuche durch die Untersuchung der Nachkommen mittels molekularbiologischer Techniken verfolgt wird. Das smart breeding nutzt also die Kenntnisse der Genetik und Molekularbiologie zu diagnostischen Zwecken und ermöglicht es so, konventionelle Züchtungsprozesse zu beschleunigen und kostengünstiger zu gestalten. 11 In einem engeren Sinne versteht man unter Gentechnik nur solche Verfahren, die der Herstellung gentechnisch veränderter OrganisVgl. Praetorius et al. 1996, 98. http://www.biologie-lexikon.de (letzter Zugang: 06. 05. 09). 11 Müller-Röber et al. 2007, 18–26. 9

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men (GVO) dienen. 12 Einen solchen Vorgang nennt man auch gentechnische Modifikation oder Transformation. Laut deutschem Gentechnikgesetz (GenTG) ist ein GVO »ein Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie es unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt«. 13 Zu der Frage, ob nicht nur transgene Lebewesen, in deren Genom artfremde Gene durch gentechnische Modifikation eingebracht wurden, zu den GVO zu zählen sind oder darüber hinaus auch cisgene Organismen, fehlen bisher rechtlich bindende Stellungnahmen. 14 Bei letzteren ist, wie auch bei den transgenen Lebewesen, das Genom mittels Gentransfertechniken verändert worden. Der Unterschied besteht darin, dass im Falle der cisgenen Organismen nur arteigene Gene in das Genom eines Organismus eingebracht werden, welche diesen zuvor entnommen wurden, um sie neu zu kombinieren. Durch die Neukombination arteigenen genetischen Materials können neue Funktionen in Kulturpflanzen generiert werden. 15 In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der Gentechnik in dem oben vorgestellten, weiten Sinne verwendet. Die genetische Modifikation von Organismen bzw. die gentechnische Veränderung, also die Herstellung trans- oder cisgener Lebewesen, wird hier also lediglich als Teilbereich der Gentechnik, zu der auch das smart breeding gezählt wird, verstanden. Um die verschiedenen Anwendungsbereiche gentechnischer Verfahren zu kennzeichnen, unterscheidet man die Weiße bzw. Graue Gentechnik von der Grünen und der Roten Gentechnik. Allerdings werden auch diese Begriffe nicht einheitlich verwendet: So versteht man unter der Grauen bzw. Weißen Gentechnik häufig die industrielle Anwendung gentechnischer Verfahren, z. B. im Rahmen der Herstellung von Medikamenten, Enzymen und Kunststoffen. 16 Allerdings finden die Begriffe auch eine eingeschränkte Verwendung als Bezeichnung für den gentechnischen Umgang mit Mikroorganismen. 12 13 14 15 16

Vgl. Schopfer et al. 2006, 659. GenGT § 3. Müller-Röber et al. 2007, 28. Rommens et al. 2004. Thies 2008, 2.

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Der Begriff der Grünen Gentechnik findet einerseits Anwendung in Bezug auf die gesamte Landwirtschaft und Lebensmittelherstellung. Diese schließt nicht nur die Zucht von Kulturpflanzen ein, sondern z. B. auch die Zucht von Nutztieren. Als Alternativbegriff findet in diesem Zusammenhang auch der Ausdruck »Agro-Gentechnik« 17 Verwendung. Andererseits versteht man die Grüne Gentechnik auch auf den Bereich der Pflanzenzucht begrenzt. 18 Die so genannte Rote Gentechnik fasst üblicherweise die medizinischen Anwendungen zusammen. 19 Dieser Begriff kann aber auch eingeschränkt auf alle an tierischen Organismen durchgeführten Verfahren der Gentechnik verstanden werden. Mit Blick auf die Würde der Pflanze fokussiert diese Studie allein auf die ethische Bewertung gentechnischer Verfahren an pflanzlichen Lebewesen. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, den Begriff der Grünen Gentechnik nicht im Sinne von »Agro-Gentechnik« zu verstehen, sondern ihn auf seine Funktion als Bezeichnung für gentechnische Verfahren an Pflanzen zu beschränken. 7.2.1.2 Methoden der gentechnischen Veränderung von Pflanzen Die gentechnische Modifikation einer Pflanze erfolgt mittels molekularbiologischer Methoden, welche es ermöglichen, kurze Desoxyribonukleinsäureabschnitte (DNS) in das pflanzliche Genom zu inserieren und zu integrieren. Modifiziert werden kann dabei nicht nur die DNS des Zellkerns, sondern auch die der Mitochondrien oder der Plastiden, also z. B. das Genom der Chloroplasten. Erfolgreich ist eine Transformation dann, wenn der inserierte DNS-Abschnitt in das Genom integriert wurde und die gewünschte Expressionsrate aufweist. Gelingt die Expression der eingebrachten DNS nur zeitweise, dann spricht man von einer transienten Expression. Die Expressionsrate ist zum einen abhängig von der Kopplung des Inserts mit einem geeigneten Promotor, also eines die Expression regulierenden Elements. Darüber hinaus hat der Insertionsort in diesem

17 18 19

Thies 2008, 2. Müller-Röber et al. 2007, 70; Suchert et al. 2000, 7. Thies 2008, 1 f.

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Zusammenhang auch eine Bedeutung, da die DNS-Abschnitte, welche das Insert flankieren, dessen Expressionsrate entscheidend beeinflussen können. Gentransfermethoden zeichnen sich allerdings durch eine geringe Zielgenauigkeit aus. Wie auch im Falle der Methoden der konventionellen Pflanzenzucht ist das jeweilige Ergebnis des gentechnischen Eingriffs nicht vorhersagbar. Daher besteht die Notwendigkeit, eine Vielzahl transgener Pflanzen herzustellen, die dann hinsichtlich ihrer Eigenschaften zunächst untersucht und dann selektiert werden müssen. Aufgrund der Universalität des genetischen Codes ist dagegen der Herkunftsorganismus des übertragenen DNS-Abschnitts für den Erfolg der Transformation unbedeutend. Im Unterschied zur konventionellen Pflanzenzucht kann die Grüne Gentechnik daher auf einen über die Grenzen der Gattung, der Familie, ja sogar über die des Pflanzenreiches hinaus erweiterten Genpool zurückgreifen, um Kulturpflanzen mit neuen Eigenschaften zu erzeugen. Allerdings ist auch die konventionelle Pflanzenzucht bei weitem nicht mehr auf das klassische Einkreuzen z. B. von Genen aus der Wildpopulation oder nahe verwandten Kultursorten beschränkt. Vielmehr verfügt auch sie über Möglichkeiten zur Erzeugung neuartiger genetischer Variationen und – in gewissen Grenzen – auch zur Überschreitung von Artgrenzen: Eine in der konventionellen Züchtung genutzte Möglichkeit, neue Sortenmerkmale in Kulturpflanzen zu erhalten, ist die induzierte Mutation. Mutationen, d. h. spontane, sprunghafte Veränderungen genetischen Materials, welche an Tochterzellen weitervererbt werden können, sind für die Evolution der Organismen grundlegend. Über die Selektion von Pflanzen mit interessanten Merkmalen haben Pflanzenzüchter schon immer von derartigen erblichen Veränderungen Gebrauch gemacht. Erst seit den 1960er Jahren allerdings, ist die induzierte Mutationsauslösung von zunehmender Bedeutung für die Zucht neuer Kulturpflanzen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, bei dem mittels ionisierender Strahlen, wie z. B. Röntgen- und GammaStrahlen sowie UV-Licht, oder mittels chemischer Mutagene, wie z. B. Alkyl-Verbindungen, bewusst Mutationen ausgelöst werden. Die Besonderheit der Mutationszüchtung besteht darin, dass man hierbei nicht auf den Genpool, der über klassische Kreuzungsverfahren zugänglich ist, eingeschränkt ist, sondern auch solche Merkmale erhalten 145 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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kann, wie sie in der verwendeten Sorte und in den mit dieser sexuell kreuzbaren Sorten bisher nicht beobachtet werden konnten. 20 Ein weiteres Verfahren der konventionellen Pflanzenzucht, welches es ermöglicht, den durch klassische Kreuzung zugänglichen Genpool zu erweitern, ist die so genannte Protoplastenfusion. Protoplasten sind pflanzliche Zellen, die nur noch von der Zellmembran umgeben sind, da die Zellwand enzymatisch entfernt wurde. Mit der Hilfe von Chemikalien oder elektrischem Puls lassen sich derartig präparierte Zellen zur Fusion bringen. Die Besonderheit dieser Methode besteht darin, dass sich nicht nur Zellen ein und derselben Art zur Fusion bringen lassen (intraspezifische somatische Hybridisierung), sondern auch Zellen zweier verschiedener Arten (interspezifische somatische Hybridisierung), welche in einigen Fällen zu einer vollständigen Pflanze regeneriert werden können. Die interspezifische somatische Hybridisierung ist besonders dann von Interesse, wenn eine sexuelle Bastardisierung nicht möglich ist, denn mit diesem Verfahren lässt sich in einigen Fällen auch Erbmaterial von Arten kombinieren, die normalerweise nicht miteinander kreuzbar sind. 21 Neuartige genetische Variationen zu erzeugen und Artgrenzen zu überschreiten, ist demnach keine Besonderheit der gentechnischen Pflanzenzucht. Zur Durchführung der genetischen Modifikation von Pflanzen stehen heute verschiedene Verfahren zur Verfügung. Welches jeweils zum Einsatz kommt, wird in Abhängigkeit der Eigenschaften der Empfängerpflanze gewählt. Gentransfer mit Agrobacterium tumefaciens Erstmals gelang die gentechnische Modifikation von Pflanzenzellen mit Hilfe des Bodenbakteriums Agrobacterium tumefaciens. 22 Diese Bakterien können Pflanzen nach einer Verwundung des Wurzelbereichs infizieren und dadurch Tumore in Form der so genannten Wurzelhalsgallen hervorrufen. Bei der Infektion dringen nicht die Bakterien selbst in das Gewebe ein, sondern nur ein Plasmid, d. h. ein extrachromosomales, ringförmiges DNS-Molekül, welches den tumorinduzierenden Faktor und weitere Gene enthält, die dem Tumorwachs20 21 22

Linnert et al. 1997, 218–222. Hoffmann et al. 1997, 252–256. Van Vliet et al. 1980.

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tum und der Nährstoffversorgung der Agrobakterien dienen. Das Plasmid wird in die Pflanzenzelle übertragen und dort in das Genom integriert. Bei der gentechnischen Modifikation von Pflanzen wird diese Fähigkeit von Agrobacterium tumefaciens zum Gentransfer genutzt. Das Bakterium wird als Genfähre (Vektor) eingesetzt, um einen gewünschten DNS-Abschnitt in das pflanzliche Genom zu integrieren. Dafür wird der tumorinduzierende Faktor aus dem Plasmid des Bakteriums entfernt und stattdessen das gewünschte Gen inseriert. Der Gentransfer mit Hilfe von Agrobakterien ist hinsichtlich der Stabilität des Einbaus eine sehr zuverlässige Methode und bis heute eine der am häufigsten verwendeten Verfahren der genetischen Modifikation von Pflanzen. Obwohl v. a. zweikeimblättrige Pflanzen zu den natürlichen Wirten der Agrobakterien zählen, konnte diese Methode des Gentransfers auch bei einigen einkeimblättrigen Getreidepflanzen erfolgreich angewendet werden. 23 Gentransfer mit viralen Vektoren Neben den Agrobakterien kommen auch Pflanzenviren als Vektoren für Fremd-DNS zum Einsatz. Vorteilhaft an dieser Methode ist die hohe Expressionsrate des inserierten DNS-Abschnitts. Im Vergleich zu der Methode des Gentransfers mittels Agrobakterien erscheint dieses Verfahren allerdings nachteilig. So dürfen die zu übertragenden DNS-Abschnitte eine bestimmte Länge nicht überschreiten, um wichtige Virusfunktionen nicht zu behindern. Des Weiteren ist diese Methode aufgrund der Wirtsspezifität pflanzenpathogener Viren nur begrenzt anwendbar. Da die virale DNS üblicherweise nicht in das Pflanzengenom integriert wird, kann die neue Eigenschaft nicht an die nächste Generation weitervererbt werden. Trotz der Modifikation des viralen Genoms zeigen die infizierten Pflanzen z. T. die Symptome einer Virusinfektion und sind in ihrer Entwicklung geschädigt. Bessere Erfolge sind zu beobachten, wenn die virale DNS in den modifizierten tumorinduzierenden Faktor von Agrobacterium tumefaciens integriert und mittels einer Agroinfektion in die pflanzliche Zelle überführt wird. 24

23 24

Riva et al. 1998. Kahl et al. 1988; Grimsley et al. 1987; Brandt 2004 17 f.

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Direkter Gentransfer Neben den Verfahren des Gentransfers, welche mit Agrobakterien durchgeführt werden, findet eine weitere Methode zur gentechnischen Modifikation ebenfalls sehr breite Anwendung: Dieses auch als Makroinjektion bezeichnete bioballistische Verfahren gehört zum Methodenspektrum des direkten Gentransfers, da die Übertragung der Fremd-DNS hier ohne Zuhilfenahme eines Vektors erfolgt. Stattdessen kommt eine so genannte Partikelkanone zum Einsatz. 25 Sie wurde entwickelt, um auch solche Kultursorten gentechnisch verändern zu können, bei denen das mit den gängigen Verfahren bisher nicht möglich war. Die Transformationsrate im Vergleich zum Gentransfer mittels Agrobakterien ist allerdings geringer. 26 Um die genetische Modifikation zu erreichen, werden kleine Metallpartikel mit dem gewünschten DNS-Abschnitt beladen und anschließend mit hohem Druck auf ganze Gewebestücke, auf Protoplasten oder auch auf pflanzliche Embryonen, geschossen. Beim Durchschlag der Partikel werden die DNS-Abschnitte in den Zellen abgestreift und können dort in die DNS nicht nur des Zellkerns, sondern auch in das Genom der Mitochondrien oder der Plastiden integriert werden. 27 Neben der bioballistischen Methode wurde und wird an der Entwicklung noch weiterer Verfahren des direkten Gentransfers gearbeitet. Diese Techniken werden aber in der Pflanzenzucht nicht auf breiter Ebene angewendet, da sie sich eher noch in einem experimentellen Stadium befinden. Oft können nur einige wenige, z. T. umstrittene Erfolge aufgezeigt werden, wobei häufig nur eine transiente, also vorübergehende Genexpression erreicht werden konnte. Den Methoden des direkten Gentransfers wird u. a. die so genannte Elektroporation zugeordnet. Hierbei werden Protoplasten 28 oder auch pflanzliche Gewebeverbände, die sich in wässriger Lösung zwischen zwei Elektroden befinden, mittels elektrischer Impulse für die Fremd-DNS permeabel, also durchlässig gemacht. Die jeweils zu inserierende DNS wird der wässrigen Lösung, die das Pflanzenmate-

25 26 27 28

Sanford 1987. Klein 1992. Klein 1992. Lindsey et al. 1889.

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rial umgibt, in Form von Plasmiden oder DNS-Konstrukten beigemischt. 29 Andere Varianten, Zellwände und Zellmembranen pflanzlicher Gewebe für Fremd-DNS, welche einer Inkubationslösung beigemischt wird, durchlässig zu machen und so die Integration dieser DNS-Abschnitte in das pflanzliche Genom zu erreichen, erfolgen unter Verwendung eines Mikrolasers30 oder mit Hilfe von Mikrofibrillen. 31 Beide Verfahren führen zu Schädigungen an Zellwänden und Zellmembranen und erleichtern damit den DNS-Konstrukten den Eintritt in die Pflanzenzellen. Der Makroinjektion, also den bioballistischen Gentransfertechniken, wird häufig die Mikroinjektion gegenübergestellt. 32 Bei dieser Transformationsmethode wird die Fremd-DNS mit Hilfe einer Mikrokanüle in das Zellplasma einzelner Zellen, die entweder als Protoplasten vorliegen oder sich in einem Gewebeverband befinden, injiziert. 33 Dieses Verfahren ist hinsichtlich seines Erfolges umstritten und findet nur in Einzelfällen Anwendung, da der experimentelle Aufwand sehr hoch ist. 34 Erprobt wird auch der Gentransfer unter Einsatz von Liposomen. Dabei handelt es sich um geschlossene Vesikel aus Lipiddoppelschichten, die in der Lage sind, wässrige Lösungen, welche die entsprechende Fremd-DNS enthalten, zu umschließen und so zu transportieren. Gelingt es, derartig präparierte Liposomen zur Verschmelzung mit der Zellmembran von Pflanzenzellen zu bringen, werden die DNS-Konstrukte in das Zellplasma entlassen. Die Erfolge sind allerdings noch beschränkt. 35 7.2.1.3 Einsatz von in-vitro Kulturtechniken Im Rahmen der gentechnischen Veränderung von Pflanzen: Wie bereits dargelegt wurde, steht heute eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung, mit denen die gentechnische Veränderung von Pflan29 30 31 32 33 34 35

Brandt 2004, 24 f. Weber et al. 1990. Frame et al. 1994. Hoffmann et al. 1997, 283. Simmonds et al. 1992; Neuhaus et al. 1990. Brandt 2004, 23. Brandt 2004, 22 f.

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zen erreicht werden kann. Mit wenigen Ausnahmen ist allen gemeinsam, dass die Verfahren nicht an ganzen Pflanzen vorgenommen werden können, sondern nur an abgetrennten Teilen derselben. Diese müssen nach der Transfektion mit Hilfe von in-vitro-Gewebe- oder Zellkulturtechniken wieder zu ganzen Pflanzen regeneriert werden. Die Regeneration erfolgt auf einem Nährmedium unter der Zugabe für das Ziel geeigneter, also wachstumsstimulierender Phytohormone. 36 Eine Ausnahme stellt das Verfahren der so genannten VakuumInfiltration dar. Der Gentransfer erfolgt bei dieser Methode mit der Hilfe von Agrobacterium tumefaciens. Ganze Pflanzen werden dabei vollständig oder teilweise in die Agrobakterien enthaltende Lösung getaucht. Durch Unterdruck wird die Aufnahme der Fremd-DNS in die Zellen erleichtert. Aufgrund der Einfachheit und Effizienz dieser Methode ist sie im Forschungsbereich etabliert, allerdings nicht für kommerziell interessante Pflanzenzuchtprojekte, da sich das Verfahren erstaunlicherweise bisher nur für den Modellorganismus Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) als derart geeignet erwiesen hat. 37 Im Rahmen der konventionellen Pflanzenzüchtung: Allerdings kommt auch die konventionelle Züchtung ohne derartige in-vitro-Techniken nicht mehr aus. Mit dem Ziel, die Züchtung geeigneter Kulturpflanzen zu beschleunigen und um ihre bisherigen Möglichkeiten zu erweitern, begann man die Techniken der pflanzlichen Zell- und Gewebekultur bereits vor Eingang der Gentechnik in die Pflanzenzucht zu entwickeln. Wie oben aufgezeigt stellen sie eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführbarkeit vieler züchterischer Vorhaben dar, die mittels gentechnologischer Methoden realisiert werden. Aber auch viele konventionelle Züchtungsverfahren, wie z. B. die bereits dargestellte induzierte Mutation und die Protoplastenfusion, sind ohne in-vitro-Kulturtechniken nicht denkbar. Wie die Protoplastenkultur und -fusion, 38 so stellt auch die Embryonenkultur 39 eine Methode dar, die dabei helfen kann, Ausgangslinien solcher Artzugehörigkeit zu kreuzen, die sich mit den Mitteln der klassischen Züchtung nicht hybridisieren lassen. Die Embryonen36 37 38 39

Hoffmann et al. 1997, 276 f. Tague et al. 2006. Odenbach et al. 1997, 125. Odenbach et al. 1997, 126 f.

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kultur kommt beispielsweise bei der Zucht von Triticale, einer Kreuzung aus Roggen und Weizen, zum Einsatz. 40 Kreuzt man Pflanzen verschiedener verwandter Arten, kommt es in einigen Fällen zwar zu einer Befruchtung, allerdings in deren Folge nicht immer zur Ausbildung von Samen und dementsprechend nicht zum Heranwachsen einer Tochtergeneration. Das ist der Fall, da sich aufgrund der Inkompatibilität der elterlichen Genome kein Nährgewebe entwickeln kann und der Embryo daraufhin untergeht. Wird der Embryo aber rechtzeitig aus der Samenanlage herauspräpariert, kann er wie im Falle der Kultursorte Triticale zu einer ganzen Pflanze herangezogen werden. Die auch als Pollen- bzw. Mikrosporenkultur bezeichnete Antherenkultur 41 wird dagegen verwendet, um für die Zucht leistungsfähiger Hybridsorten 42 reinerbige Pflanzen der Elterngeneration ohne langwierige Inzuchtprozesse erhalten zu können. Bei diesem Verfahren werden aus den Pollen unter der Einwirkung von Phytohormonen im Idealfall haploide Pflanzen herangezogen, deren Chromosomenzahl anschließend mittels einer Colchizinbehandlung verdoppelt werden kann. 43 Auf diesem Wege ist es möglich, reinerbige Pflanzen zu erhalten, deren mischerbige Tochterorganismen – kreuzt man sie sexuell mit reinerbigen Pflanzen eines anderen Genotyps, aber derselben Art – sich durch hohe Wachstumsleistung und hohe Erträge auszeichnen. Kalluskulturen spielen nicht nur für viele Zuchtverfahren eine entscheidende Rolle, sie kommen z. B. auch bei der vegetativen Vermehrung genotypisch identischer Kartoffelpflanzen zum Einsatz. Bei diesem Verfahren werden Pflanzenteile auf Nährmedien gebracht, um dort mittels geeigneter Phytohormone eine starke Zellproliferation auszulösen. Dabei entsteht ein Kallus, d. h. ein Zellhaufen aus undifferenzierten Zellen, welcher sich unter dem Einfluss von bestimmten Phytohormonen wieder zu einem organisierten Wachstum anregen lässt. 44 Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Technisierung der Pflanzenzucht kein neueres Phänomen ist, das erst mit der Entwicklung der

40 41 42 43 44

Fried 2008. Odenbach et al. 1997, 125 f. Schopfer 2006, 657–659. Linnert et al. 1997, 243 f. Odenbach et al. 1997, 123–125.

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Gentechnik Einzug in die Pflanzenproduktion hält, sondern in diesem Zusammenhang bereits seit den 1960er Jahren von stetig wachsender Bedeutung ist. 7.2.1.4 Zielsetzungen der gentechnischen Veränderung von Pflanzen Das herausragende Züchtungsziel der konventionellen Pflanzenzucht für die Landwirtschaft war und ist die Steigerung der Erträge der Kulturpflanzen. Derart optimierte Nutzpflanzen zeigen allerdings häufig eine besondere Anfälligkeit für Pathogene, das sind z. B. krankheitserregende Viren, Bakterien oder Insekten. Ein intensiver Einsatz von Chemikalien zur Bekämpfung derartiger Pathogene ist daher häufig notwendig. Auch wenn das Integrieren eines Fremd-Gens an eine zuvor bestimmte Stelle des Genoms einer Pflanzenzelle mit den in der Pflanzenzucht üblichen gentechnischen Verfahren bisher nicht gelingt, ist eine gezieltere Veränderung von Kulturpflanzen möglich, bei der nicht das gesamte Genom neu zusammengestellt wird, wie das bei der klassischen Kreuzung der Fall ist, sondern nur einzelne, zuvor ausgewählte Gene. Dadurch bieten gentechnische Veränderungen die züchterische Möglichkeit, auf etablierte, ertragsstarke Kultursorten zurückzugreifen, welche nach dem gentechnischen Eingriff in ihren bisher bekannten Eigenschaften erhalten bleiben, mit der Ausnahme um eine Eigenschaft, wie z. B. die Resistenz gegen ein bestimmtes Pathogen, erweitert zu sein. In der gentechnischen Pflanzenzucht macht man sich diese Möglichkeit zu Nutze, um transgene Kulturpflanzen mit so genannten input-traits zu erzeugen. Dabei handelt es sich um Pflanzen, die sich durch Toleranz gegenüber bestimmten Herbiziden oder auch abiotischen Faktoren, wie z. B. Trockenheit, auszeichnen oder aber gegenüber bestimmten pathogenen Organismen resistent sind. 45 Doch nicht nur der Erwerb von Resistenzen oder Toleranzen bei bestimmten Kulturpflanzen wird mit den Mitteln der Grünen Gentechnik angestrebt, sondern auch die qualitative Veränderung der pflanzlichen Syntheseleistung, um z. B. industriell oder pharmazeutisch interessante Produkte zu erhalten, wie Impfstoffe, bestimmte Stärke-, Fett- oder Proteinzusammensetzungen und Polymere. Derart

45

Genauere Informationen dazu bei Brandt 2004, 68–191.

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veränderte Pflanzen werden den so genannten output-traits zugeordnet. 46

7.2.2 Die Gentechnik – ein Sonderfall? Wie zu Beginn des Kapitels 7.2 bereits dargelegt, ist das Verletzen und Zerstören der Integrität von Pflanzen keineswegs auf das Durchführen von Verfahren der Grünen Gentechnik beschränkt, insofern es sich auf alle Bereiche des Umgangs mit pflanzlichen Lebewesen anwenden lässt. Das gilt auch für die allgemein akzeptierten Methoden der konventionellen Pflanzenzucht, ja selbst für die des ökologischen Landbaus, 47 schon allein weil die für den Züchtungsprozess notwendige Selektion von Pflanzen nach den jeweils erwünschten Merkmalen mit der Zerstörung der Exemplare einhergeht, welche für die Weiterverwendung uninteressante und unerwünschte Eigenschaften aufweisen. Die Frage, ob gentechnische Zugriffe auf Pflanzen im Lichte des hier vertretenen Verständnisses von der Würde der Pflanze einen Sonderfall darstellen, kann demnach nur in folgendem Sinne verstanden werden: Stellt die Anwendung der Grünen Gentechnik im Vergleich zu den konventionellen Methoden der Pflanzenzucht einen besonders schweren Eingriff in die Integrität von Lebewesen dar, die im Rahmen einer Güterabwägung wesentlich gewichtigerer Rechtfertigungsgründe bedürfte, um hinsichtlich der Durchführung zu einer positiven Entscheidung zu kommen? Um die besondere Eingriffstiefe gentechnischer Zugriffe auf Lebewesen kritisch zu unterstreichen, wird häufig darauf verwiesen, dass es diese Methoden erlauben, Gene über Artgrenzen hinweg zu übertragen. Wie bereits dargelegt, ist die Erzeugung neuartiger genetischer Variationen inklusive Artgrenzenüberschreitungen auch mit einigen Methoden der konventionellen Pflanzenzucht möglich. Die Unterschiede zwischen der Grünen Gentechnik und der konventionellen Pflanzenzucht sind in dieser Hinsicht dementsprechend nur graduell. Gleichwohl weisen die gentechnischen Verfahren hier eine besondere Eingriffstiefe auf, da mit ihrer Hilfe Gene über wesentlich größere

46 47

Genauere Informationen dazu bei Brandt 2004, 192–264. Lammerts von Bueren et al. 2005.

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evolutionäre Entfernungen hinweg übertragen werden können als das mit den Mitteln der konventionellen Zucht möglich wäre. Vor dem Hintergrund einer derartigen Kritik an der gentechnischen Modifikation von Pflanzen könnte die Zucht von cisgenen Kultursorten eher Akzeptanz finden. Tatsächlich werden cisgene Pflanzen z. T. als mit traditionell gezüchteten Sorten vergleichbar dargestellt. 48 Insofern sich das hier vertretene Integritätsverständnis allerdings nicht auf das Beibehalten bestimmter arttypischer Eigenschaften bezieht, ist es für die Bewertung gentechnischer Eingriffe in pflanzliche Lebewesen unerheblich, ob in die jeweiligen Pflanzenzellen arteigene oder artfremde Gene eingebracht werden, ob also die entstehende Pflanze den cis- oder transgenen Organismen zuzuordnen ist. Ob ein gentechnischer Eingriff an einer Pflanze gegen deren Würde verstößt, kann also nur danach beurteilt werden, ob deren Selbsterhaltungs- und Selbstentfaltungsprozess während des Eingriffs bzw. nach dem Eingriff, also bei der hervorgehenden genetisch veränderten Pflanze, beeinträchtigt ist. 7.2.2.1 Beurteilung hinsichtlich des gentechnischen Zugriffs auf Pflanzen Es wurde bereits geschildert, dass verschiedene Verfahren der gentechnischen Veränderung pflanzlicher Lebewesen zur Verfügung stehen. Mit Ausnahme des Verfahrens der bisher nur für den Forschungsbereich etablierten Vakuuminfiltration ist es methodisch nicht möglich, mit ganzen Pflanzen zu arbeiten. Üblicherweise werden abgetrennte Pflanzenteile bzw. einzelne Protoplasten mit der Fremd-DNS in Verbindung gebracht. Diese müssen nach der Transformation in Form von in-vitro-Gewebe- oder Zellkulturen wieder zu ganzen Pflanzen regeneriert werden. Die Integrität dieser Pflanzenteile ist derart zerstört, dass die Regeneration nicht mehr von den Pflanzen selbst geleistet werden kann, sondern je nach Spezies nur unter der Zugabe einer bestimmten Kombination und Konzentration von Pflanzenhormonen. Insofern die pflanzliche Selbsterhaltungs- und Selbstentfaltungsfähigkeit für die Durchführung von Verfahren zur gentechnischen Ver-

48

Schouten et al. 2006, zit. n. Müller-Röber 2007, 29.

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änderung massiv beeinträchtigt wird, ist der Eingriff selbst als ein Verstoß gegen die Würde der Pflanze zu werten. Der Glaube, die konventionelle Züchtung käme ohne derartige Techniken aus und beruhte allein auf der Kreuzung zweier artgleicher Pflanzen und der Auslese ihrer Nachkommen, ist allerdings nur eine romantische Vorstellung.49 Vielmehr greift man für die Entwicklung und Weiterentwicklung der Grünen Gentechnik auf die bereits in der konventionellen Pflanzenzucht etablierten in-vitro-Kulturverfahren zurück. Wie Mathias Boysen richtigerweise betont, lässt sich daher besonders am Beispiel der Pflanzenzüchtung gut darstellen, dass sich technologische Entwicklungen niemals von heute auf morgen ereignen, sondern vielmehr kontinuierlich entlang so genannter »Technikpfade«. 50 Auch wenn die Grüne Gentechnik einen verhältnismäßig neuen Teilbereich der Pflanzenzüchtung darstellt, erweisen sich die methodischen Grenzen zwischen der konventionellen und der gentechnischen Züchtung neuer Kultursorten als fließend. Wird also der gentechnische Eingriff angesichts der Würde der Pflanze aufgrund der für diese Methode notwendigen Integritätsverletzung kritisiert, so muss das dementsprechend auch für die konventionelle Zucht gelten. So zeigt sich in diesem Zusammenhang erneut, dass sich das Prinzip der Pflanzenwürde hinsichtlich des eingesetzten Methodenspektrums nicht auf Fragen der gentechnischen Pflanzenzucht eingrenzen lässt, sondern darüber hinaus reicht. Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass sich die Kritik an der gentechnischen Veränderung pflanzlicher Lebewesen dementsprechend nicht auf die Einführung Grüner Gentechnik selbst bezieht, sondern vielmehr darauf, dass die Technisierung der Pflanzenzucht anhand dieser Verfahren erst deutlich vor Augen tritt. Es ist allerdings fraglich, ob wir angesichts der elementaren Abhängigkeit des Menschen von den Pflanzen, der wachsenden Weltbevölkerung und den damit verbundenen Herausforderungen tatsächlich auf derlei technische Verfahren der Pflanzenzucht verzichten können. In den meisten Fällen würde eine Güterabwägung wohl zugunsten menschlicher Bedürfnisse, wie z. B. der Sicherstellung der Ernährung und der Gesundheit, aber auch der ökologischen Grundlagen des menschlichen Lebens ausfallen. 49 50

Mehr dazu vgl. Boysen 2008, 264 f. Boysen 2008, 249.

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Im Umkehrschluss muss das aber nicht bedeuten, dass jeder gentechnische Zugriff auf Pflanzen mit Blick auf die Würde der Pflanze als unbedenklich akzeptiert werden muss. Trotz methodischer Ähnlichkeiten handelt es sich bei der Gentechnik um eine besonders wirksame Technik im Hinblick auf die Breite der züchterischen Möglichkeiten. Kulturpflanzen können nicht nur schneller und gezielter verändert werden, sondern es können Veränderungen erreicht werden, die vorher kaum denkbar waren. Es wäre also auch möglich, ganz gezielt die Integrität einer gentechnisch modifizierten Pflanze negativ zu beeinflussen. Daher erscheint es für die ethische Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik als sinnvoll, nicht nur die jeweils verwendeten Methoden zu beachten, sondern ebenso die Folgen des Eingriffes für die betroffenen Pflanzen. 7.2.2.2 Beurteilung hinsichtlich der Folgen des Eingriffs für die gentechnisch veränderte Pflanze Aus der Perspektive der Achtung vor der Würde der Pflanze sind gentechnische Veränderungen mit Blick auf die erzeugte Kultursorte also erst dann nur mit Hinweis auf besonders gewichtige Gründe zu rechtfertigen, wenn es im Interesse des Züchters liegt, die pflanzliche Integrität negativ zu beeinflussen. Allerdings liegt es üblicherweise im Bestreben eines Pflanzenzüchters, besonders gedeihfähige Kultursorten zu produzieren, da nur ertragsstarke Sorten auch interessant für den Anbau sein können. Allerdings wird die Gentechnik auch genutzt, um gezielt solche Pflanzen zu züchten, bei denen das nicht der Fall ist. Anhand der von Fall zu Fall möglicherweise sehr verschiedenen Auswirkungen der gentechnischen Modifikation auf die Integrität der Pflanzen wird deutlich, dass gerade mit Blick auf die Folgen des gentechnischen Zugriffs für die betroffenen Pflanzen die Notwendigkeit einer fallweisen Betrachtung besteht. Im folgenden Kapitel wird diese Gegebenheit berücksichtigt, indem einzelne prominente Beispiele aus dem landwirtschaftlichen Bereich der Pflanzenzucht dargestellt und hinsichtlich möglicher Integritätsverletzungen beurteilt werden.

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7.2.3 Fallbeispiel für einen Input-Trait: Bt-Mais 7.2.3.1 Hintergründe und Methode Insekten können Kulturpflanzen sowohl indirekt, durch das Übertragen von Krankheitserregern, als auch direkt, durch Fraßbefall, schädigen. Zur letzteren Gruppe gehören die Larven des den Schmetterlingen zugeordneten Maiszünslers (Ostrinia nubilalis). Diese Schmetterlingsart stammt aus den wärmeren Regionen Europas. Allerdings konnte sie sich mit dem Maisanbau derart verbreiten, dass sie heute in allen Maisanbaugebieten nachgewiesen wird und dort zu bedeutenden Ernteeinbußen führen kann. Seit den 1960er Jahren werden die so genannten d-Endotoxine bzw. Cry-Proteine in Form von im Wasser gelöstem Pulver im ökologischen und konventionellen Pflanzenbau als Insektizid zur Bekämpfung verschiedener Insekten eingesetzt. Werden sie von diesen mit der Nahrung aufgenommen, so bindet sich das Toxin an spezifische Rezeptoren, welche sich auf der Oberfläche des Darmepithels befinden. Dort führen sie zu einer Lyse der Epithelzellen. Die betroffenen Individuen sterben ca. fünf Tage nach Aufnahme des Toxins ab. Die d-Endotoxine werden von dem gram-positiven Bodenbakterium Bacillus thuringiensis während dessen Sporulationsprozesses gebildet. In den unterschiedlichen Subspezies dieser Bakterienart hat man bisher mehr als 100 verschiedene derartige Toxine identifiziert, welche aufgrund ihrer Herkunft auch als Bt-Toxine bezeichnet werden. Diese werden in vier Gruppen eingeteilt (CryI bis CryIV), je nachdem auf welche Insektengruppe sie toxisch wirken. Eine toxische Wirkung auf Schmetterlingsarten, wie den Maiszünsler, zeigen die d-Endotoxine der Gruppe CryI. 51 Diese Eigenschaft der d-Endotoxine wurde auch bei der Entwicklung transgener Maissorten genutzt, welche gegen den Maiszünsler resistent sind. Besonders bekannt ist die von der Firma Monsanto entwickelte und hinsichtlich ihrer möglichen ökologischen Risiken vieldiskutierte transgene Maislinie MON 810, welche seit dem 22. April 1998 in der Europäischen Union (EU) für den Anbau sowie als Lebensund Futtermittel zugelassen ist. 52 Unter Einsatz einer Partikelkanone 51 Mehr zu den Hintergründen und den Methoden der Erzeugung transgener Bt-Pflanzen vgl. Brandt 2004, 105–114; Kempken et al. 2006, 130–133. 52 ABl. L 131/32 vom 22. 04. 1998.

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wurde dem Mais ein Gen der d-Endotoxine aus der Gruppe CryI übertragen. Der auf diese Weise genetisch modifizierte Mais ist so in die Lage versetzt, das entsprechende Toxin selbst zu bilden, weswegen sich der Maiszünsler in den Pflanzen nicht etablieren kann. Das Spritzen von befallenen Maisfeldern entfällt für die anbauenden Bauern. 7.2.3.2 Bewertung Die Zulassung der Maislinie MON 810 für den Anbau sowie dessen Nutzung als Futter- und Lebensmittel auf dem Gebiet der Europäischen Union ist sehr umstritten: Die Firma Monsanto wirbt für ihr Produkt mit Hinweisen auf die ökologischen, ökonomischen und gesundheitlichen Vorteile. Diese beruhen v. a. auf der Einsparung des Einsatzes von Insektiziden, welche bei einem Maiszünslerbefall von konventionellem Mais mit erheblichem Arbeitsaufwand auf die Felder gespritzt werden müssen. 53 Bei dieser Art der Bekämpfung wirkt das Toxin nicht nur auf die Schädlinge, sondern kann auch solche Schmetterlingsarten beeinträchtigen, welche keine Fraßschäden an den Maispflanzen verursachen.54 Gesundheitliche Vorteile ergäben sich laut Hersteller aus dem geringeren Mykotoxingehalt der Bt-Pflanzen gegenüber konventionellen Sorten. 55 Gentechnikkritische Verbände, wie z. B. der Verein Greenpeace, zweifeln diese Vorteile nicht nur an, sondern halten den Anbau und die Nutzung von Bt-Mais im Vergleich zum Gebrauch konventionell gezüchteter Maissorten aus ökologischem und gesundheitlichem Blickwinkel sogar für gefährlich. Mit Verweis auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Untersuchungen machen sie darauf aufmerksam, dass auch Raupen geschützter Schmetterlinge durch den Anbau geschädigt werden können. Eine Gefährdung bestünde auch für nützliche Insekten, welche als natürliche Feinde der Schadinsekten fungieren. Darüber hinaus sei die Beeinträchtigung der Bodenorganismen zu befürchten, da das Toxin http://www.monsanto.de/Produktbereiche/btºekonomie.php (letzter Zugang 23. 05. 09). 54 http://www.monsanto.de/Produktbereiche/bt_nuetzlingsschonend.php (letzter Zugang 13. 04. 10). 55 http://www.monsanto.de/Produktbereiche/bt_mykotoxine.php (letzter Zugang 13. 04. 10). 53

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über die Wurzeln ausgeschieden werde und sich im Boden anreichern könne. Mit gesundheitlichen Gefahren rechnet Greenpeace wie auch die Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie (SAG) dann, wenn der veränderte Stoffwechsel der transgenen Pflanze dazu führt, dass nicht nur das Toxin aus Bacillus thuringiensis gebildet wird, sondern noch weitere, unerwünschte Inhaltsstoffe, die eine schädliche Wirkung auf den menschlichen Organismus zeigen. 56 Geht es um die Erzeugung und Nutzung transgener Pflanzen generell, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass diese mit sozioökonomischen Risiken verbunden seien. Aufgrund der hohen Kosten für die Entwicklung und die Zulassung gentechnisch veränderter Sorten und des damit verbundenen Interesses der entsprechenden Firmen, ihre Produkte zu schützen, werde der Monopolisierung Tür und Tor geöffnet. Mittelständische Firmen, die nicht in der Lage sind, diese Investitionen aufzubringen, könnten im Wettbewerb nicht mehr bestehen, so dass die Bauern in die Abhängigkeit multinational operierender Konzerne geraten und nur noch aus einem immer enger werdenden Angebot verschiedener Sorten wählen können. 57 Würden sich diese Befürchtungen der gentechnikkritischen Verbände und Arbeitsgruppen als sachlich begründet erweisen, dann wären die Erzeugung, der Anbau und die Nutzung aus der Perspektive des von Busch et al. vertretenen Bewertungsmodells ethisch nicht zulässig, da solche Folgen auf die menschliche Gesundheit und auf wirtschaftliche sowie ökologische Zusammenhänge dem Leitbild der Nachhaltigkeit nicht entsprächen. 58 Bei einer ethischen Bewertung im Lichte der Würde der Pflanze spielen allerdings derartige Interessen keine Rolle. Das ist der Fall, da der Erhalt der Gesundheit und bestimmter ökonomischer Rahmenbedingungen rein menschliche Interessen sind. Die Würde der Pflanze aber wird mit dem Anspruch verbunden, pflanzliche Lebewesen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, d. h. unabhängig von menschlichen Interessen. Gleiches kann hinsichtlich möglicher ökologischer Folgen des An56 http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user-upload/themen/gentechnik/ greenpeace_gensaat_o-kontr.pdf (letzter Zugang 13. 04. 10); Amman 1999, 13 f. 57 Thies 2008, 11; Lammerts van Bueren 2001, 33 f.; Busch et al. 2002, 71 f. 58 Busch et al. 2002.

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baus von Bt-Maispflanzen gesagt werden, denn ökologische Zusammenhänge, wie z. B. Äcker als Lebensraum von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, können nicht Objekt direkter moralischer Berücksichtigung sein, da nur individuellen Lebewesen ein eigenes Gut zugeschrieben werden kann. Dieses Ergebnis schließt allerdings nicht aus, dass ökologische, soziale oder ökonomische Gründe gegen die Herstellung transgener BtMaislinien sprechen können. Im Rahmen einer Güterabwägung haben sie selbstverständlich ihren Platz. Aus der Perspektive der Würde der Pflanze stehen diese Fragen, wie dargestellt, allerdings nicht zur Debatte. Die Herstellung und die Nutzung transgener Pflanzen werden hinsichtlich ihrer ethischen Zulässigkeit aber auch unabhängig von dem menschlichen Interesse der ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit diskutiert. Günter Altner z. B. geht es bei seiner Auseinandersetzung mit der Gentechnik »um eine Sorgfaltspflicht den Lebensformen gegenüber, die nicht allein vom Nutzwert für den Menschen abgeleitet werden kann und darf.« 59 Auch Pflanzen sind für ihn »nicht der Beliebigkeit preisgegeben.« 60 Die von Altner eingeforderte Sorgfaltspflicht bezieht sich bei pflanzlichen Lebewesen v. a. auf die Erhaltung der Art, denn »[d]er Eigenwert der nichtmenschlichen Geschöpfwelt zeigt sich in der unverwechselbaren Ausprägung der Arten.« 61 Der Erhalt der Arten könnte, so die Befürchtungen, auf zweierlei Wegen durch die gentechnische Veränderung pflanzlicher Lebewesen gefährdet werden. So wird zum einen auf die Gefahr hingewiesen, dass sich transgene Pflanzen »stark vermehren, in neue Lebensräume vordringen und verwandte Arten (vor allem die Wildformen) verdrängen« 62 können. Zum anderen stünde die Identität von Arten auf dem Spiel, wenn natürliche Artschranken mittels Gentransfer durchbrochen werden. 63 Auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse zur Würde der Pflanze ist diese Argumentation nicht stichhaltig, insofern Arten, wie

59 60 61 62 63

Altner 1991, 216. Altner 1991, 216. Altner 1991, 217. Thies 2008, 12; vgl. Altner 1991, 214. Altner 1991, 214.

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auch Ökosystemen, kein eigenes Gut zugeschrieben werden kann. Von einem Eigenwert kann in diesem Zusammenhang daher ebenfalls nicht die Rede sein. Dementsprechend sind Arten der direkten moralischen Berücksichtigung nicht zugänglich. Gleichwohl kann der Erhalt von Pflanzenarten ein wichtiges menschliches Anliegen sein, das im Falle einer Güterabwägung ein gewisses Gewicht bekommt. Dem Schutzbereich der Würde der Pflanze können Arten allerdings nicht zugeordnet werden, sondern nur individuelle Lebewesen. Die Artzugehörigkeit spielt allerdings auch in einigen Fällen eine Rolle, bei denen es um die moralische Berücksichtigung individueller Pflanzen geht. Das ist der Fall, wenn sich, wie bei Balzer, Rippe und Schaber vorgeschlagen, die Berücksichtigung des eigenen Gutes eines bestimmten Lebewesens daran bemessen sollte, ob solche Fähigkeiten beeinträchtigt werden, die ein Lebewesen einer bestimmten Art im Regelfall ausüben kann. 64 Für Edith Lammerts van Bueren korrespondiert die Artzugehörigkeit mit der genetischen Integrität: »The volume of genetic variation should be in correspondence with the species.« 65 Aus ihrer Perspektive sollten Artgrenzen im Rahmen von Züchtungsverfahren daher respektiert werden, denn »a crop should be able to keep its species specific characteristics like taste, colour, form and keeping qualities.« 66 Auch diese Argumentation ist aus der Perspektive der Würde der Pflanze nicht überzeugend, denn zum einen sind es individuelle Organismen und nicht deren Genom, die dem Schutzbereich der Pflanzenwürde nach der hier vertretenen Konzeption zugeordnet werden. Darüber hinaus ist, wie dargelegt, die Orientierung an arttypischen Eigenschaften, geht es um die Berücksichtigung des eigenen Gutes von Pflanzen, mit dem Problem verbunden, dass es kaum möglich ist, für jedermann nachvollziehbar festzulegen, um welche Eigenschaften es sich dabei im Einzelfall handelt. Selbst wenn es z. B. im Falle von Kulturmais gelingen würde, könnte immer noch darüber gestritten werden, ob durch Hinzufügen einer Eigenschaft, wie im Falle der BtMaissorte MON 810, die speziestypischen Eigenschaften beeinträchtigt sind, da kein Merkmal durch den gentechnischen Eingriff weggenommen wird, sondern vielmehr eine Eigenschaft hinzugefügt 64 65 66

Balzer et al. 1998, 57. Lammerts van Bueren 2005, 485. Lammerts van Bueren 2001, 32 f.

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wurde. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass sich bei diesem Kriterium über konkrete Fragestellungen der ethischen Bewertung gentechnischer Eingriffe in Pflanzen ein konsensfähiger Beschluss erarbeiten lässt. Die Ergebnisse der Untersuchung zur Würde der Kreatur haben ergeben, dass die Integrität einer Pflanze, verstanden als der die Entwicklung auf das eigene Gute hin bedingender Prozess der Selbsterhaltung- und Selbstentfaltung des Individuums, ein geeigneteres Kriterium für Fragen der Berücksichtigung der pflanzlichen Würde ist. Das ist der Fall, da diese Konzeption der Integrität naturwissenschaftlich zugänglich ist, Integritätsverletzungen also empirisch beobachtbar sind und die schwierige Frage nach der Bestimmung des eigenen Gutes damit offen bleiben darf. Legt man dieses Kriterium zugrunde, ergibt sich aus der Perspektive der Achtung vor der Würde der Pflanze kein besonders hoher Rechtfertigungsdruck für die Erzeugung von Bt-Mais im Vergleich zu anderen Züchtungsansätzen. Das ist der Fall, da es sich bei MON 810 um eine Maislinie mit einem input-trait handelt, welcher die Gedeihfähigkeit von Mais beim Befall mit dem Maiszünsler nicht beeinträchtigt. Ganz im Gegenteil: Die Larven können sich auf den befallenen Pflanzen nicht etablieren, so dass sich die Fraßschäden und damit die Beeinträchtigung der Integrität dementsprechend in Grenzen halten. Die transgenen Maispflanzen werden durch diese gentechnische Modifikation also in die Lage versetzt, sich durch die Toxinproduktion selbstständig gegen den Maiszünsler zur Wehr zu setzen. Ihre Fähigkeit zur Selbsterhaltung und Selbstentfaltung im Agrarökosystem ist dementsprechend nicht gefährdet, sondern wird vielmehr verbessert. Da sich die gentechnische Zucht von Kultursorten mit input-traits geradezu darauf richtet, den entsprechenden Pflanzen die Fähigkeit zu verleihen, ihre Integrität auch bei der Einwirkung ungünstiger Umweltbedingungen zu wahren, ist ein ähnliches Ergebnis der Bewertung im Lichte der Würde der Pflanze auch für viele andere Sorten mit input-traits zu erwarten.

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7.2.4 Fallbeispiel für einen Output-Trait: Die Kartoffelsorte »Amflora« 7.2.4.1 Hintergründe und Methode Der für Pflanzen typische Kohlenhydratspeicherstoff ist Stärke, welcher in den Amyloplasten, einer chlorophyllfreien Plastidenform, gebildet und gespeichert wird. Dabei handelt es sich um ein Polysaccharid, das sich aus einzelnen Zuckerbausteinen zusammensetzt. Stärke besteht aus zwei verschiedenen Glucosepolymeren, die sich hinsichtlich ihrer Verzweigung unterscheiden. Während Amylose dem unverzweigten Stärketyp entspricht, repräsentiert Amylopektin den verzweigten Stärketyp. Die Eigenschaften der Stärke sind davon abhängig, in welchem Mengenverhältnis diese beiden Stärkekomponenten in den Pflanzen vorhanden sind. Für die Herstellung von Nahrungsmitteln sind sowohl Amylopektin als auch Amylose geeignet. Allerdings ist Stärke auch als so genannter »nachwachsender Rohstoff« für die industrielle Nutzung von wachsender Bedeutung, z. B. als Bestandteil von Klebstoffen, Papier, aber auch für die Herstellung von kompostierbarem Verpackungsmaterial. Für solche Anwendungen ist es jedoch notwendig, die beiden Stärkekomponenten voneinander zu trennen. Derartige Trennverfahren für die industrielle Verarbeitung sind allerdings technisch sehr aufwendig und belasten das Abwasser. 67 Mit den Methoden der gentechnischen Pflanzenzucht ist es möglich, Sorten mit veränderter Stärkezusammensetzung zu erzeugen. Ein Beispiel für Pflanzen mit einem derartigen output-trait stellt die Kartoffelsorte »Amflora« dar. Diese durch gentechnische Veränderung erzeugte Kartoffelsorte wurde von der Firma BASF Plant Science entwickelt, die seit 1996 beim Europäischen Gerichtshof um die Zulassung in der EU durch die Europäische Kommission kämpfte. Aus der Sicht des Unternehmens endete der Streit Anfang des Jahres 2010 erfolgreich insofern die Zulassung zum großflächigen Anbau für die industrielle Nutzung erfolgte. »Amflora« enthält ausschließlich den Stärketyp Amylopektin, der für die industrielle Nutzung aufgrund seiner Kleistereigenschaften von großem Interesse ist. 68 Erreicht wurde dieses Ergebnis auf folgende Weise: Ein Gen, des67 68

Vgl. Kempken et al. 2006, 140–142. Sentker 2009.

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sen Sequenz invers zu der Sequenz des Gens der granulum-gebundenen Stärke-Synthase (GBSS) ist, wurde in den tumorinduzierenden Faktor von Agrobakterium tumefaciens eingebunden und auf diesem Wege in das Genom von Kartoffelzellen integriert. Aufgrund der in den gentechnisch modifizierten Kartoffelpflanzen synthetisierten GBSS-Antisense-RNS (Ribonukleinsäure) wird die Expression der pflanzeneigenen GBSS verhindert. Da diese gebundene Synthese für die Polymerisation der Amylose verantwortlich ist und die GBSS-Antisense-RNS die lösliche Stärkesynthese, welche der Polymerisation von Amylopektin dient, nicht beeinträchtigt, ist es möglich, auf diesem Wege transgene Kartoffelpflanzen zu erzeugen, welche ausschließlich bzw. vorwiegend den Stärketyp Amylopektin enthalten. 69 7.2.4.2 Bewertung Die Argumente gegen den Anbau und die Nutzung der transgenen Kartoffelsorte »Amflora« entsprechen in vielerlei Hinsicht den Argumenten, die bereits mit Blick auf Bt-Mais diskutiert wurden: Trotz der Tatsache, dass der Wegfall des energieaufwendigen und wasserverbrauchenden industriellen Trennverfahrens der beiden Stärkekomponenten natürliche Ressourcen schont, weisen gentechnikkritische Verbände auf nicht auszuschließende ökologische Risiken hin. Laut Greenpeace könnten transgene Kartoffeln von Wildtieren gefressen werden, die daraufhin möglicherweise Schaden nehmen könnten. Außerdem sei eine unerwünschte Ausbreitung dieser Kartoffeln zu befürchten, wenn einige nach der Ernte im Boden verbleiben und im kommenden Jahr wieder auskeimen. Aufgrund der bei der Zucht von »Amflora« als Marker in das Genom der Kartoffelpflanzen eingeführten Antibiotika-Resistenzgene werden auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier befürchtet. Pathogene Bakterien könnten durch den horizontalen Transfer solcher Gene, d. h. über Artgrenzen hinweg, resistent gegen bestimmte Antibiotika werden, die dann bei Infektionen nicht mehr wirksam wären. 70 Ebenso wie beim Bt-Mais wird auf mögliche sozio-ökonomische Visser et al. 1991. http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/gentechnik/ greenpeace_genkartoffel_basf.pdf (letzter Zugang 23. 05. 09).

69 70

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Folgen des Anbaus und der Nutzung von »Amflora« hingewiesen. So erwarten die Mitglieder des Projekts »Gentechnikfreie Landwirtschaft Nordrhein-Westfalen (NRW)« der »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft NRW e. V.« die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz von Unternehmen, die auf den Anbau gentechnikfreier Pflanzen setzen wollen, da die Koexistenz des Anbaus transgener und konventionell gezüchteter Kartoffeln nicht möglich sei. 71 Wie im vorangegangenen Kapitel 7.2.3 bereits dargelegt wurde, spielen ökologische, gesundheitliche und sozio-ökonomische Aspekte bei der ethischen Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik aus der Perspektive der Würde der Pflanze keine Rolle. Gleiches gilt für Interessen am Erhalt der Arten, der Integrität der Arten sowie am Erhalt der Integrität des Genoms. Geht es um die Berücksichtigung der Würde der Pflanze, ist die Integrität des Individuums und damit dessen Fähigkeit zur Selbsterhaltung und Selbstentfaltung das entscheidende Kriterium für die ethische Bewertung gentechnischer Eingriffe in Pflanzen. Nach diesem Kriterium ist Bt-Mais und »Amflora« nicht ohne Weiteres gleichzusetzen, denn im ersten Fall wird das Gedeihen im Agrarökosystem unter bestimmten Umständen verbessert, während im zweiten Fall Produkteigenschaften verändert werden, indem eine Eigenschaft, die für Kartoffeln ganz typisch ist, beseitigt wurde. Die für die ethische Bewertung entscheidende Frage ist also, ob die Integrität der transgenen Kartoffelpflanzen in Folge der Reduktion der Fähigkeit, Amylose zu synthetisieren, beeinträchtigt ist. Dazu Folgendes: Auch wenn es im Falle der Kartoffelsorte »Amflora« nicht darum geht, die Gedeihfähigkeit der gentechnisch modifizierten Pflanzen bei bestimmten ungünstigen Umweltbedingungen zu verbessern, wie das bei den input-traits der Fall ist, sondern neue Produkteigenschaften zu verleihen, liegt es auch bei Sorten mit outputtraits im Interesse des Saatgutkäufers und damit auch des Pflanzenzüchters, dass sich diese unter den gegebenen Anbaubedingungen gut entwickeln können. Das ist insofern nicht überraschend, da wirtschaftlich interessante Erträge nur mit gut gedeihenden Sorten erreicht werden können. Hinsichtlich der Folgen des gentechnischen Eingriffs für die ent71 http://www.gentechnikfrei-nrw.de/fileadmin/download/Amflora.pdf (letzter Zugang 13. 04. 10).

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Wie man gegen die Würde der Pflanze verstoßen kann

standene Kulturpflanze ist diese Züchtung angesichts der Würde der Pflanze dementsprechend nicht als kaum zu rechtfertigen zu beurteilen, da die Integrität der transgenen Pflanzen nicht gefährdet ist. In vielen anderen Fällen, wie z. B. beim so genannten »Golden Rice«, ist ein ähnliches Urteil zu erwarten.

7.2.5 Fallbeispiel: »Terminatortechnologie« 7.2.5.1 Hintergründe und Methoden Eine Weiterentwicklung der Zucht gentechnisch veränderter Pflanzen stellen die »Gene Usage Restriction Technologies« – kurz GURTs – dar. Dabei handelt es sich um verschiedene gentechnische Verfahren, die es ermöglichen, Kulturpflanzen daraufhin zu züchten, dass sie ihre transgenen, qualitätssteigernden Eigenschaften nur dann ausbilden, wenn sie zuvor einem bestimmten chemischen oder physikalischen Reiz ausgesetzt waren bzw. ohne diese Behandlung krankheitsanfällig oder nicht lebensfähig sind. Derartig erzeugte Zuchtsorten eignen sich als biologischer Patentschutz, insofern sie ohne die entsprechende Behandlung, z. B. mit einer zu erwerbenden Chemikalie, nicht nachgebaut werden können bzw. die Nutzung ihrer qualitätssteigernden Eigenschaften unterbunden werden kann. Je nachdem, ob nur die Ausprägung bestimmter Eigenschaften oder die Entwicklung ganzer Pflanzen chemisch reguliert werden, unterscheidet man trait-specific-GURTs (t-GURTs) und variety-levelGURTs (v-GURTs). Mit der Hilfe der v-GURTs, die auch als »Terminator«-Technologie bezeichnet werden, ist es möglich die Samenkeimung durch gentechnisch eingebrachte Toxin-Gene zu verhindern. Entwickelt wurde dieses Verfahren der Grünen Gentechnik von der Firma Delta and Pine Land Co. in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des United States Departement of Agriculture. Das ursprüngliche, 1998 patentierte Verfahren 72 basiert auf dem Einbringen eines Gens, das für ein Toxin codiert, in das Genom einer gewünschten Pflanze. Verbunden ist dieses Gen, das auch als Suizidbzw. Unterbrecher-Gen bezeichnet wird, mit einem Promotor, der erst spät in der Embryonalentwicklung aktiv wird. Durch eine Blocker72

Oliver et al. 1998; vgl. auch Odell et al. 1994.

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sequenz, die die Expression des Toxingens verhindert, werden Promoter und das Toxingen räumlich voneinander getrennt. Die Abtötung des Embryos erfolgt also nur dann, wenn diese Blockersequenz aus dem Genom entfernt wird. Das wird erreicht durch die chemische Induktion des Promotors eines ebenfalls transgenen, sequenzspezifischen Rekombinase-Gens. Dessen Produkt wirkt wie eine molekulare Schere und entfernt die Blockersequenz zwischen Toxin-Gen und seinem Promotor. Die Induktion der Rekombinase wird ermöglicht, indem ein ständig aktives Repressor-Gen als drittes Transgen in die Pflanze integriert wird. Dessen Produkt verhindert die Expression des RekombinaseGens durch Bindung an dessen Promotor. Wird diese Bindung durch eine chemische Behandlung des Saatguts mit dem Antibiotikum Tetracyclin aufgehoben, beginnt die Expression des Rekombinase-Gens. Die entstehende Rekombinase entfernt die Blockersequenz zwischen dem Toxin-Gen und seinem Promotor, so dass das Toxin-Gen während der Embryonalentwicklung aktiviert und das Toxin in den Zellen des Embryos gebildet wird. Die steigende Toxin-Konzentration führt zur Abtötung des Embryos und damit zum Abbruch der Embryonalentwicklung. Die Keimung des Samens ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich und der Nachbau unterbunden. Neben Verfahren mit dem Ziel der induzierbaren Abtötung des Embryos wurden auch solche beschrieben, nach denen die transgenen Pflanzen generell nicht entwicklungsfähig oder in ihrer Entwicklung stark eingeschränkt sind. 73 Die Entwicklungsfähigkeit kann dort aber z. B. durch thermische oder chemische Maßnahmen erhalten werden. 7.2.5.2 Kritik an der »Terminatortechnologie« Die so genannte »Terminator«-Technik ist in bioethischen Debatten vielfach der Kritik ausgesetzt. Die Diskussion dreht sich häufig um mögliche sozio-ökonomische Folgen, 74 sie geht allerdings auch über die Sphäre menschlicher Interessen hinaus: Für Angela Kallhoff z. B. ist »[d]ie Einpflanzung eines ›Terminatorgens‹ […] schon deshalb falsch, weil es das Gedeihen der Pflanze verunmöglicht, indem es ihren Fortpflanzungszyklus verunmög73 74

Vgl. z. B. Koivu et al. 2001. Vgl. z. B. Busch et al. 2002, 75.

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licht.« 75 Auch Edith Lammerts van Bueren äußert sich sehr kritisch angesichts technischer Möglichkeiten, die Fortpflanzungsfähigkeit pflanzlicher Lebewesen beeinträchtigen bzw. steuern zu können. Angesichts einer Achtung vor der Integrität der Pflanzen fordert sie: »Techniques should not affect the plant’s potential for completing its life cycle, thus allowing reproduction in a natural way.« 76 Auch aus der Perspektive der Würde der Kreatur wird teilweise gefordert, die Fortpflanzungsfähigkeit der nichtmenschlichen Lebewesen durch züchterische Eingriffe nicht zu unterbinden. So gehört z. B. für Balzer, Rippe und Schaber die Fortpflanzungsfähigkeit zu den Funktionen eines Lebewesens, die das eigene Gut desselben bedingen. Dementsprechend sollte diese Fähigkeit nicht beeinträchtigt werden. 77 Ebenfalls kritisch beurteilt Beat Sitter-Liver angesichts der Würde der Kreatur die »Außensteuerung der Fortpflanzungsfähigkeit« 78 und folgert u. a. daraus, dass sich die »Terminator«-Technik moralisch nicht vertreten lässt. 79 7.2.5.3 Integrität und Fortpflanzungsfähigkeit Es ist allerdings fraglich, ob die Integrität individueller Pflanzen und damit deren eigenes Gut tatsächlich von ihrer Fähigkeit zur Fortpflanzung abhängig ist, denn erstens steht hier keine psychische Integrität auf dem Spiel, insofern Pflanzen nicht unter dem Verlust der Fähigkeit, eigene Nachkommen zu haben, leiden können. Zweitens spielt die Fähigkeit zur Fortpflanzung im Rahmen der Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit und Geschlossenheit einer individuellen Pflanze keine Rolle bzw. eher eine negative, da die Fortpflanzung Ressourcen verbraucht, welche sonst eher für die Aufrechterhaltung der Lebens-, Wachstums- und Entwicklungsprozesse hätten eingesetzt werden können. Zwar ist das, was infolge der Fortpflanzung in der Welt bleibt, wie Friedemann Buddensiek es ausdrückt, »etwas Eigenes, … [insofern] es – dank der Typidentität (oder weitgehend Typähnlichkeit) zusammen mit der kausalen Verbindung – die struk-

75 76 77 78 79

Kallhoff 2007, 41. Lammerts van Bueren et al. 2005, 485. Balzer et al. 1998, 57. Sitter-Liver 2008, 179. Sitter-Liver 2008, 179.

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turell relevante Information über das Individuum ist, die – dank ihrer Verkörperung in der Genstruktur – ihrerseits struktureller Teil eines Individuums werden kann. […] Doch damit bleibt weder das erzeugende Individuum bestehen, noch liegt etwas zeitlich überindividuell Bestehendes vor.« 80 Daraus folgt, dass nach dem hier vertretenen Verständnis der Würde der Pflanze, die Beeinträchtigung der Fortpflanzung nicht generell als Verstoß gegen die pflanzliche Würde einzustufen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit keinerlei moralische Relevanz hat. So kann es z. B. im Interesse des Menschen sein, dass mit den Nachkommen der verschiedenen Lebewesen und Lebensformen »etwas Eigenes« in der Welt bleibt, weil sie beispielsweise das Einzigartige, Seltene und damit korrespondierend, die Vielfalt intrinsisch schätzen. Dabei geht es allerdings nicht um eine direkte Berücksichtigung z. B. der Vielfalt, da sich die Berücksichtigung nicht auf einen bestimmten individuellen Organismus und dessen eigenes Gut bezieht. Vielmehr ergibt sich die moralische Rücksichtnahme allein aus dem Interesse von Menschen. 7.2.5.4 Eine Richtigstellung Auch wenn die »Terminator«-Technik die Möglichkeit eröffnet, Saatgut durch eine chemische Behandlung keimungsunfähig zu machen, ist sie im eigentlichen Sinne keine Methode um die Fortpflanzung generell zu verhindern. Darauf weisen naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse hin, die das Argument der Befürworter dieser Technologie, v-GURTs könnten zum Schutz vor der Verwilderung transgener DNA eingesetzt werden, auf seine Stichhaltigkeit hin überprüfen. Dieses Argument bezieht sich auf die Befürchtungen von gentechnikkritischen Organisationen, transgene Pflanzen könnten sich in der Umwelt ausbreiten und dort das Artenspektrum verändern. Würde die Fortpflanzung derart veränderter transgener Pflanzen tatsächlich ausgeschaltet, dann böte diese Technik eine Möglichkeit, die Ausbreitung des Transgens in die Umwelt völlig zu unterbinden. Das ist allerdings nicht der Fall, nicht nur weil es unwahrscheinlich ist, dass sich das System aus immerhin drei Transgenen im Genom der Pflanzen als jederzeit stabil erweist, sondern auch, weil der Pollen dieser Pflanzen durch diese 80

Buddensiek 2006, 266.

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Technik nichts an seiner Befruchtungsfähigkeit verliert und zu Auskreuzungen führen kann. 81 Doch nicht nur der Pollen ist fruchtbar, auch die Eizellen der transgenen Pflanzen können befruchtet werden. Das bedeutet, dass die transgene Elterngeneration fertile Geschlechtszellen ausbildet, deren Vereinigung zur Entstehung eines Embryos führt, der zunächst das Potenzial hat, sich zu einer vollständigen Pflanze zu entwickeln. Die »Terminator«-Technologie führt dementsprechend nicht zu einer Unterbindung der Fortpflanzung. Vielmehr geht es darum, das Gedeihen derart modifizierter transgener Pflanzen in einem frühen Entwicklungsstadium zu verhindern, indem die Integrität der entsprechenden Individuen durch die Wirkung eines vom Organismus selbst produzierten Toxins zerstört wird. 7.2.5.5 Bewertung So unterschiedlich die Möglichkeiten des Aufbaus der »Terminator«-Technologie auch sind, in allen Fällen geht es nicht darum, das Strebevermögen von Pflanzen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, wie das für jede Züchtungsmethode ein selbstverständliches Ziel ist. Vielmehr geht es darum, Kultursorten darauf anzulegen, ihr Strebevermögen unter Einwirkung einer Chemikalie beeinträchtigen bzw. vollständig unterbinden zu können. Vor dem Hintergrund der im Rahmen dieser Studie vertretenen Konzeption der Würde von Pflanzen erscheint die Anwendung der v-GURTs in der Pflanzenzucht kaum rechtfertigbar bzw. nur mit sehr gewichtigen Gründen. Hält man sich vor Augen, dass Lebewesen eine Würde zuerkannt wird, weil sie auf ein eigenes Gut hin angelegt verstanden werden, verwundert es nicht, dass gerade diese Technik in der Diskussion um die Würde der Pflanze immer wieder im Zentrum der Kritik steht, untergräbt sie doch das, was Lebewesen für uns besonders macht und zur Achtung vor ihnen anregt. Dabei ist irrelevant, dass es sich hierbei um ein gentechnisches Verfahren handelt. Bedeutsam ist vielmehr, dass der mit der Würde der Pflanze verbundenen Forderung, einem Wesen in seiner Integrität und damit in seinem Streben nach Entfaltung gerecht zu werden, vollständig zuwidergehandelt wird. Eine ex81

Vgl. Hills et al. 2007.

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Fazit

tremere Form der Verdinglichung von Lebewesen ist kaum denkbar, so dass die Legitimität derartiger Forschungsziele, ob auf gentechnischem oder konventionellem Weg erreicht, angesichts der Pflanzenwürde auf dem Prüfstand stehen muss.

7.3 Fazit Der Begriff der Würde der Pflanze kam, wie dargelegt, im Zusammenhang mit der Debatte um die gentechnische Veränderung nichtmenschlicher Lebewesen auf. Bis heute konnten aber auf der Grundlage dieses Konzepts und ohne Rückgriff auf pathozentrische Argumente kaum überzeugende Gründe gefunden werden, warum die Erzeugung transgener Pflanzen verboten werden sollte. Die generelle Kritik an der Gentechnik basiert häufig auf einem durchaus hinterfragbaren Natürlichkeitsverständnis oder auf romantisierenden Vorstellungen von konventionellen Züchtungsverfahren. Von Seiten der Forscher werden solche Argumente i. d. R. nicht ernst genommen. Sie verweisen dagegen immer wieder darauf, dass die Grenzen zwischen der konventionellen und der gentechnischen Züchtung fließend sind. Auch angesichts der im Rahmen dieser Studie vertretenen Konzeption der Würde der Pflanze lässt sich kein wesentlicher Unterschied zwischen konventionellen und gentechnischen Verfahren der Pflanzenzucht aufzeigen. Aus der Tatsache, dass sich aus der Anerkennung der Würde der Pflanze kein generelles Verbot der Anwendung gentechnischer Verfahren der Pflanzenzucht ableiten lässt, folgt aber nicht, dass dieses Konzept nichts zur ethischen Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik beitragen kann. In der Auseinandersetzung mit einzelnen Fallbeispielen konnte im Lichte der Würde der Pflanze dargelegt werden, dass sich die ethische Bewertung nicht auf die Frage konzentrieren sollte, ob ein konventionelles oder ein gentechnisches Verfahren zum Einsatz kommt, sondern vielmehr darauf, wie in qualitativer und quantitativer Hinsicht auf die Integrität und damit auf die Möglichkeit einer Pflanze, sich auf ihr eigenes Gut hin zu entwickeln, Einfluss genommen wird. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass sich viele gentechnische Züchtungsansätze im Rahmen einer Güterabwägung als rechtfertigbar erweisen. Im letzten Abschnitt des vorliegenden Kapitels 171 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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wurde allerdings auch ein Züchtungsansatz zur Erzeugung transgener Pflanzen vorgestellt, dessen Durchführung angesichts der Würde der Pflanze kaum rechtfertigbar erscheint: die so genannte »Terminator«-Technik. Als Extrembeispiel verweist dieses Verfahren auf die grundlegenden Fragen, die hinsichtlich der Berücksichtigung des eigenen Gutes von Pflanzen im Rahmen von ethischen Entscheidungen für oder gegen ihre transgene Veränderung, geklärt werden sollten. Es könnte daher als Präzedenzfall dienen, dessen Bewertung zum Maßstab für die ethische Bewertung anderer Verfahren zur Erzeugung transgener Pflanzen werden könnte.

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8 Zusammenfassung

In der vorliegenden Studie konnte dargelegt werden, dass die Idee der Würde der Pflanze trotz aller Vorbehalte durchaus als ethisches Konzept geeignet ist, das als handlungsleitendes Prinzip für den Umgang mit pflanzlichen Lebewesen dienlich sein kann. Der Ausgangspunkt der Überlegungen, die zu diesem Ergebnis führten, war die im ersten Abschnitt beschriebene Beobachtung, dass sich die Befürworter des Konzepts der Würde der Pflanze darin einig zeigen, dass sich mit diesem Ausdruck die Forderung verbindet, Pflanzen nicht nur um menschlicher Interessen willen zu berücksichtigen, sondern auch um ihrer selbst willen. Gegner dieses Konzeptes beziehen sich häufig auf diese Auffassung, indem sie die Möglichkeit bezweifeln, dass nichtempfindungsfähige Lebewesen, wie Pflanzen, direkter moralischer Berücksichtigung zugänglich sind. Wäre dem so, so wäre die Abkehr vom pathozentrischen Paradigma bei Fragen der Bewertung gentechnischer Eingriffe noch kein Argument für die Erweiterung des Kreises der moralisch direkt zu berücksichtigenden Lebewesen auf Pflanzen. Das Kapitel 3 widmet sich dieser Argumentation gegen das Konzept der Würde der Pflanze ausführlich und kommt zu folgendem Schluss: Die Empfindungsfähigkeit ist keine zwingende Voraussetzung für die Möglichkeit, Objekt direkter moralischer Berücksichtigung zu sein. Die Rede von der Würde der Pflanze kann auf eine sachliche Grundlage hinsichtlich der pflanzlichen Lebensweise verweisen, insofern auch diese Organismen als auf ein eigenes Gut hinstrebend angelegt beschrieben werden können. Demzufolge ist es auch möglich, darüber zu urteilen, ob Handlungen an Pflanzen unabhängig von menschlichen Interessen für diese förderlich oder schädlich sind. Demnach kommen auch pflanzliche Lebewesen für eine direkte moralische Berücksichtigung in Frage. Diese Form der Berücksichtigung kann sich allerdings nur auf individuelle Lebewesen beziehen und nicht auf Arten, Populationen 173 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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Zusammenfassung

oder Ökosysteme, da diesen kein eigenes Gut zugeschrieben werden kann. Ein weiteres Argument gegen die Rede von der Würde der Pflanze bezieht sich auf diese Feststellung, indem die Existenz individueller pflanzlicher Lebewesen bezweifelt wird. Auch dieses Argument wird im Kapitel 3 entkräftet, indem aufgezeigt wird, dass sich Pflanzen angesichts der traditionellen Individualitätskriterien als Individuen beschreiben lassen. Die Tatsache, dass es möglich ist, individuelle Pflanzen direkt moralisch zu berücksichtigen, legt allerdings die Plausibilität der Rede von der Würde der Pflanze noch nicht hinreichend dar. Das ist der Fall, da mit diesem Konzept nicht nur die Möglichkeit, sondern immer auch der Anspruch verbunden wird, Pflanzen um ihrer selbst willen zu berücksichtigen. Das 4. Kapitel ist daher der Frage gewidmet, ob sich eine Pflicht zur direkten Berücksichtigung pflanzlicher Lebewesen begründen lässt. Die Überlegungen führen zu folgendem Ergebnis: Pflanzen als Wesen mit einem Strebevermögen Würde zuzuerkennen, verbindet sich für den Menschen als vernünftiges und moralfähiges Wesen vor dem Hintergrund der Idee der Menschenwürde mit der sittlichen Pflicht, diese Lebewesen sachgemäß zu behandeln, d. h. sie angesichts ihres eigenen Gutes um ihrer selbst willen und nicht nur menschlicher Interessen wegen zu achten. Im Rahmen dieser These kann die Sonderstellung des Menschen, welche mit dem Begriff der Menschenwürde ihren Ausdruck findet, nicht negiert werden. Vielmehr bedingt der Gedanke einer besonderen Auszeichnung des Menschen die Rede von der Würde der Pflanze, wenn sich diese nicht nur auf das eigene Gut pflanzlicher Lebewesen bezieht, sondern darüber hinaus dazu dient, Menschen dazu aufzufordern, das Gut der Pflanzen im Umgang mit diesen Lebewesen zu beachten. Daraus ergibt sich, dass das Konzept der pflanzlichen Würde nach dem hier vertretenen Verständnis nicht an der Idee der Menschenwürde partizipiert. Wenn es sich, wie im 4. Kapitel dargelegt, beim Konzept der Pflanzenwürde nicht um eine Erweiterung der Idee der Menschenwürde auf pflanzliche Lebewesen handelt, zieht die Anerkennung der Würde der Pflanze auch nicht notwendigerweise eine moralische Überforderung der Handelnden nach sich, wie immer wieder befürchtet wird. Es bleibt allerdings die Frage, ob es sinnvoll ist, der Position, dass auch das Gut pflanzlicher Lebewesen direkt moralisch berücksichtigt werden 174 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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sollte, mit dem üblicherweise die Sonderstellung des Menschen betonenden Begriff der Würde Ausdruck verliehen werden sollte. Dazu wird im Kapitel 5 folgendermaßen Stellung bezogen: Die Vergleichbarkeit der Begriffe Menschenwürde und Würde der Pflanze ergibt sich allein auf der Ebene ihres Gebrauchs. In beiden Fällen wird mit dem Begriff der Würde immer auch der Anspruch verbunden, die über Würde verfügenden Wesen direkt moralisch zu berücksichtigen. Es ist also der normative Charakter des Würdebegriffs, den andere vorgeschlagene Begriffe, wie z. B. der des Eigenwertes, nicht aufweisen, der diese Übertragung rechtfertigt. Der Befürchtung, dass der Würdebegriff vor diesem Hintergrund unbegrenzt ausdehnbar ist und so in Gefahr läuft, an Bedeutung zu verlieren, kann entgegnet werden, dass mit der Würde allein der Anspruch zur direkten moralischen Berücksichtigung verbunden wird. Daraus ergibt sich, dass er über den Kreis individueller Lebewesen hinaus keine Anwendung finden kann. Im 6. Kapitel werden die bisher erarbeiteten Untersuchungsergebnisse zusammengeführt, indem auf ihrer Grundlage eine eigene Konzeption pflanzlicher Würde vorgeschlagen wird. Da diese der Bewertung gentechnischer Eingriffe in Pflanzen dienlich sein soll, wird im Abschnitt 6 auch erörtert, wie dem mit der Pflanzenwürde verbundenen Anspruch, das eigene Gut pflanzlicher Individuen zu berücksichtigen, nachgekommen werden kann. Es zeigt sich, dass eine Konzeption der Integrität, verstanden als Prozess der Integration der Einzelteile eines pflanzlichen Individuums zur Selbsterhaltung und Selbstentfaltung, als geeignetes Kriterium für Verstöße gegen die Würde der Pflanze fungieren kann. Das ist der Fall, da dieser Prozess die Hinentwicklung auf das eigene Gut notwendig bedingt. Es ist von Vorteil, wenn die Beantwortung der Frage, worin das eigene Gut pflanzlicher Lebewesen besteht, ausbleiben darf, da sie mit erheblichen Problemen verbunden ist. Diese können bei der Wahl des Konzepts der Integrität als Kriterium für Würdeverstöße umgangen werden, da es im Gegensatz zu dem Konzept des eigenen Gutes naturwissenschaftlich zugänglich ist. In Kapitel 7 wird dargelegt, wie gentechnische Eingriffe in pflanzliche Lebewesen im Lichte der Würde der Pflanze mit Hilfe des Kriteriums der Integrität ethisch bewertet werden können. Da Verletzungen der Integrität nicht auf Verfahren der Grünen Gentechnik beschränkt sind, lassen sich gentechnische Züchtungs175 https://doi.org/10.5771/9783495860052 © Ver

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ansätze im Vergleich zu Verfahren der konventionellen Pflanzenzucht anhand dieses Kriteriums nicht als wesentlich verschieden darstellen. Eine Güterabwägung müsste sich mit Blick auf die Würde der Pflanze also nicht darauf konzentrieren, welches Verfahren zum Einsatz kommt, sondern vielmehr darauf, wie dabei auf die pflanzliche Integrität Einfluss genommen wird. Jedoch zeichnet sich die Gentechnik durch eine besondere Eingriffstiefe hinsichtlich der Möglichkeiten, Kulturpflanzen zu verändern, aus. Dies wird am Fallbeispiel der so genannten »Terminator«-Technik verdeutlicht. Dabei handelt es sich um ein gentechnisches Verfahren, das nicht, wie üblich, mit dem Ziel eingesetzt wird, neue Eigenschaften, wie Insektenresistenz oder eine veränderte Zusammensetzung bestimmter pflanzlicher Produkte, einzubringen, sondern das Gedeihen und damit die Integrität der transgenen Pflanzen zu beeinträchtigen. Im Vergleich zu sonstigen Anwendungen der Gentechnik ist dieses Verfahren nur schwer zu rechtfertigen. Die angesichts der bioethischen Diskussion um die Würde der Pflanze einleitend gestellte Frage, ob der Würdebegriff sinnvoll auf pflanzliche Lebewesen angewendet werden kann und, ob dieses Konzept als ethisches Prinzip zur Bewertung von Verfahren der Grünen Gentechnik beizutragen imstande ist, wird vor dem Hintergrund der dargelegten Ergebnisse positiv beantwortet. Damit steht fest, dass das Konzept, wie es im Rahmen der vorliegenden Studie vertreten wird, über das pathozentrische Paradigma hinausreicht. Aber nicht nur das: Es lässt sich auch nicht nur auf Fragen der gentechnischen Veränderungen von Pflanzen eingrenzen. Damit wird die Würde der Pflanze zum Prüfstein für die viel umfassendere Frage, wie ernst wir unsere eigenen Wertvorstellungen im Umgang mit Lebewesen nehmen und damit, wie wir unseren eigenen sittlichen Fähigkeiten gerecht werden.

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Abkürzungsverzeichnis

Abs. Amtl. Bull. Art. BAFU BUWAL DNS EJPD EKAH GBSS GenGT GTG GURT GVO IDAGEN Ifgene Kap. NRW RNS SAG SBV t-GURT TierSchG TIR TSchG v-GURT

Absatz Amtliches Bulletin Artikel Bundesamt für Umwelt Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Desoxyribonukleinsäure Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich Granulum gebundende Stärke-Synthase Gesetz zur Regelung der Gentechnik (dt. Gentechnikgesetz) (eidgenössisches) Gentechnikgesetz Gene Usage Restriction Technology Gentechnisch veränderter Organismus Interdepartementale Arbeitsgruppe Gentechnologie International Forum for Genetic Engineering Kapitel Nordrhein-Westfalen Ribonukleinsäure Schweizerische Arbeitsgruppe Gentechnologie Schweizerische Bundesverfassung Trait-specific-GURT (deutsches) Tierschutzgesetz Stiftung für das Tier im Recht (eidgenössisches) Tierschutzgesetz Variety-level-GURT

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Gesetzestexte

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