Steuerliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung 9783504386467

Aktuelle BFH-Rechtsprechung; Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung; Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen

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German Pages 224 Year 2019

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Steuerliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung
 9783504386467

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Jürgen Lüdicke Gerrit Frotscher/Lars Hummel (Hrsg.) Steuerliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 48

Steuerliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung Herausgegeben von

Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater International Tax Institute Universität Hamburg

Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt International Tax Institute Universität Hamburg

Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. International Tax Institute Universität Hamburg mit Beiträgen von

Prof. Dr. Roland Wacker MR Dr. Wendelin Staats, LL.M. (San Diego) MD Martin Kreienbaum Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Prof. Dr. Florian Haase, M.I.TAX Diskussionsteilnehmer

Oliver Nußbaum Werner Thumbs und die Beitragsverfasser

2020

Zitierempfehlung: Autor in Lüdicke/Frotscher/Hummel, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 48, 2020, S. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61548-2 ©2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

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Vorwort Auch weiterhin sehen sich Wissenschaft, Wirtschaft und Politik vielfältigen Herausforderungen auf dem Gebiet des Internationalen Steuerrechts gegenüber. Der sich abzeichnende intensivere Steuerwettbewerb zwischen den Staaten sowie der Kampf gegen missbräuchliche Steuergestaltungen sind hier nur zwei Aspekte, denen insoweit Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der unter dem Generalthema „Steuerliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung“ stehenden 35. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen (IIFS) der Universität Hamburg am 7. Dezember 2018. Gerrit Frotscher vom IIFS der Universität Hamburg geht in seinem Grußwort auf die verschiedenen Herausforderungen ein, denen sich Unternehmen gegenüber sehen. Die Politik dürfe die Risiken ihres Handelns, die auf die Rechtssicherheit und Planbarkeit der Besteuerung ausgingen, nicht vernachlässigen. Kai Elmendorf, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, betont die Risiken neuer Handelshemmnisse für den Wirtschaftsstandort Hamburg und die negativen Folgen einseitiger Steuersenkungen anderer Staaten für die heimische Wettbewerbsfähigkeit. Das Steueraufkommen müsse gesichert und unzulässige Steuervermeidung bekämpft werden. Andreas Dressel, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, stellt die Fortschritte im Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug im Zusammenhang mit der Einfuhrumsatzsteuer heraus und charakterisiert den Brexit als steuerpolitische Herausforderung, die einen Wandel Großbritanniens zu einem Niedrigsteuerstandort befördern könnte. Roland Wacker diskutiert aktuelle Entscheidungen des BFH zum Internationalen Steuerrecht. Wendelin Staats befasst sich mit den derzeitigen Reformüberlegungen zur Hinzurechnungsbesteuerung und benennt unter anderem die Themen Beherrschung, die Niedrigsteuergrenze und die Vermeidung von Doppelbesteuerung als Schwerpunktthemen. Wolfgang Schön erläutert das Spannungsfeld aus Steuerwettbewerb und Koordinierung, in dem sich die internationale Steuerpolitik derzeit be-

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Vorwort Prof. Dr. J. Lüdicke, Prof. Dr. G. Frotscher, Prof. Dr. L. Hummel

wegt. Im Gegeneinander von Realwirtschaften und Steueroasen, Industrie- und Schwellenländern und den Industriestaaten untereinander würden Staaten ihre Interessen zunehmend unilateral verfolgen. Klaus-Dieter Drüen stellt die Frage nach einem neuen Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht und beleuchtet hierbei nationale und internationale Entwicklungen der Missbrauchsabwehr im Steuerrecht. Florian Haase beschäftigt sich mit steuerlichen Anzeigepflichten bei nationalen und internationalen Sachverhalten sowie den dazu kursierenden Gesetzesentwürfen. Der vorliegende Tagungsband enthält die Referate sowie die sich daran anschließenden Podiumsdiskussionen zwischen Martin Kreienbaum, Oliver Nußbaum, Werner Thumbs, Roland Wacker und den Referenten. Mit diesem Band geht die inhaltliche Verantwortlichkeit auf die beiden zuletzt genannten Herausgeber über, die auch die Beiträge des an erster Stelle genannten Herausgebers redaktionell bearbeitet haben. Hamburg, im April 2019 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Prof. Dr. Gerrit Frotscher Prof. Dr. Lars Hummel

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Grußwort Sehr geehrter Herr Senator, sehr geehrter Professor Lüdicke, sehr geehrter Professor Frotscher, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich sehr, Sie im Namen der Handelskammer hier begrüßen zu dürfen. Am Nikolaustag, am 7. Dezember – es scheint, wir haben die erste Fristverlängerung für uns schon mal bekommen. Ich hatte das früher im Studium immer, das Thema Steuern – meine Kollegen und Kommilitonen meinten immer: „Oh je, Steuern ist so was Dröges!“ Das wollten sie nicht. Ich habe diese Haltung nie ganz verstanden. Wahrscheinlich hing das damit zusammen, dass ich zum einen aus einer Kornbrennerei komme, das heißt, Zoll und Steuern waren unser täglich Brot, und das fand ich gar nicht schlimm, sondern eher spannend. Das andere war, dass Steuern eigentlich mehr sind als das, was ich als Bürger oder als Unternehmer abgebe. Steuern sind die Einnahmenseite des Staates, womit das Gemeinwohl überhaupt erst funktionieren kann. Und Einnahmen sind aus Unternehmersicht immer das Wichtigste. Deswegen fand ich Steuern spannend. Aber Steuern haben auf der Einnahmenseite einen Gestaltungsspielraum, der vielleicht sogar noch wichtiger ist, als der Gestaltungsspielraum auf der Ausgabenseite. Denn mit der Einnahmenseite hat der Staat viele Möglichkeiten, die Wirtschaft zu lenken und in diese einzugreifen. Allerdings heutzutage nicht mehr nur innerhalb des Staates selber, sondern wir sind globalisiert. Wir handeln international. Ich muss bei der Einnahmenseite des Staates darauf achten, wie der Wettbewerb im Internationalen ist, und kann mich nicht nur auf meine nationalen eigenen Gefilde berufen. Für Hamburg als Deutschlands Tor zur Welt ist das besonders wichtig, und wir merken zusehends Tendenzen, dass international die Besteuerung unterschiedlich wird, dass wir Handelshemmnisse bekommen. Das kann uns als Handelsstandort Hamburg oder auch als deutscher Handelsstandort eigentlich nicht gefallen. Andererseits merken wir, dass in vielen Ländern Unternehmenssteuern gesenkt werden oder Länder darüber nachdenken. Die USA haben einen ersten Aufschlag dafür gemacht. Aus unternehmerischer Sicht muss das im ersten Moment nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Besonders natürlich für die, die auch Standorte im Ausland haben, ist das sicherlich eher etwas Gutes. Für uns kann das aber im Inland zum Problem werden. Wir könnten ins Hintertreffen geraten. Da ist es wichtig, dass die Politik ein Augenmerk darauf hat,

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Grußwort Kai Elmendorf

dass hier gerechte Verhältnisse im internationalen Vergleich herrschen. 2008 wurde uns mit der Unternehmenssteuerreform in Deutschland eigentlich der erste Rang als Hochsteuerland genommen. Durch die aktuellen Planungen der anderen Länder rücken wir leider ungewollt wieder nach oben. Wir müssen daher auf der einen Seite dafür sorgen, dass wir als Standort wettbewerbsfähig bleiben. Auf der anderen Seite dürfen wir natürlich nicht vergessen, den Standort, die Arbeitsplätze und auch die Einnahmenseite des Staates zu sichern. Es geht also nicht um ein race to the bottom – wer ist der Schnellste, wer ist der Billigste? Es geht vielmehr darum, dass die Politik die Entwicklung auf internationaler Ebene betrachtet und ihr Rechnung trägt, damit wir in Deutschland als Standort nicht ins Hintertreffen geraten. Ziel sollte es daher sein, ein international wettbewerbsfähiges Niveau der Besteuerung in Deutschland sicherzustellen. Meine Damen und Herren, es gibt noch ein Thema, bei dem ich sage, so dröge ist das Thema Steuern gar nicht. Das kann manchmal die Gemüter recht erhitzen. Sie haben es eben schon angesprochen, und das Thema kommt nachher noch bei Ihnen mit drauf, und zwar geht es um die Anzeigepflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Wie Sie wissen, sieht die EU-Richtlinie als solche die Pflicht vor. Wir müssen diese Richtlinie in Deutschland bis zum Ende des Jahres umsetzen. Ich bin mir sicher, dass das der eine oder andere heftig diskutiert, und ich kann nachvollziehen, dass das Thema in der Öffentlichkeit zuerst mit Sympathie aufgenommen wird. Dabei wird aber oft vergessen, dass es hierbei um die Anzeigenpflicht legaler Steuergestaltungen geht, nicht um illegale. In der Öffentlichkeit wird das oft in einen Topf geworfen, und so wird das, was wir Unternehmer machen, was legal ist, oft kriminalisiert. Das ist nicht der richtige Weg. Da hätte ich mir gewünscht, wenn die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und auch teilweise die Äußerungen seitens der Politik das ein bisschen klarer herausgestellt hätten. Es ist richtig, dass Unternehmen Spielräume nutzen, die der Gesetzgeber gibt. Das ist auch notwendig. Denn so different unsere Bevölkerung ist, so unterschiedlich sind auch wir Unternehmen. So unterschiedliche Ansprüche habe ich in meiner Produktion und auch in meiner steuerlichen Gestaltung. Unterschiedliche Interpretationen sind nötig, sind vom Gesetzgeber auch gewollt. Natürlich gibt es auch ungewollte, nämlich die sogenannten Schlupflöcher. Doch meistens sind der Finanzverwaltung diese Schlupflöcher alle bekannt. Spätestens durch Fachpublikationen oder Fachtagungen werden sie bekannt, durch die Medien oder wenn der

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Grußwort Kai Elmendorf

erste Unternehmer das Schlupfloch für sich entdeckt hat, bevor der zweite kommt. Es mangelt also nicht an Information bei der Steuergestaltung, die die Finanzverwaltung nutzen kann. Es mangelt vielmehr daran, diese Information effektiv zu nutzen und in Gesetze umzuwandeln oder dort, wo es nötig ist, die Gesetze anzupassen. Zudem ist die Frage bei der Steueranzeigepflicht immer noch die Rechtsunsicherheit. Was muss ich anzeigen? Was nicht? Von der Verschwiegenheitspflicht der steuerberatenden Berufe möchte ich gar nicht reden. Diese Anzeigenpflicht bedeutet für die Unternehmen sicherlich sehr viel bürokratischen Aufwand, sehr hohe Kosten – Kosten, die wieder als Steuergelder auf der Einnahmenseite des Staates nachher fehlen –, und zudem bedeutet es auch auf Ihrer Seite, Herr Senator, sehr viel Aufwand, denn Ihre Mitarbeiter müssen die ganzen Informationen – und das werden viele sein, die in die Häuser reintrudeln – analysieren, und ich glaube, das ist eine ganze Menge. Ob sich das rechnet, darf hinterfragt werden. Was uns auch wichtig dabei ist, ist, dass wir nicht irgendwo noch einmal aufsatteln, sondern bitte die EU-Richtlinien eins zu eins umsetzen. Einen entsprechenden Beschluss der Finanzministerkonferenz, der eine Ausweitung auf nationale Steuergestaltungen vorsieht, halten wir daher für nicht zielführend. Dieses trifft auch vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die nur in Deutschland sind, besonders hart. Es sollte daher unser gemeinsames Ziel sein, sich für ein Steuersystem einzusetzen, welches exzessive Steuervermeidung verhindert, die Steuergestaltung oder Wettbewerb aber für einzelne Unternehmen gewährleistet. Wo es erforderlich ist, soll das Steuerrecht nachgebessert und nachjustiert werden. Aber mit Augenmaß bitte! Möglich wäre eventuell, dass man die verbindliche Auskunft ändert, dass man die erweitert. Denn das würde den Unternehmen und insbesondere den Finanzbehörden die Informationen geben, die sie benötigen und gern hätten. Es würde aber auch beiden Seiten eine Sicherheit geben, eine Rechtssicherheit – und das ist eklatant – und es würde wahrscheinlich auch die Gerichte entlasten, die sich sonst nachher mit allem wieder befassen müssen. Meine Damen und Herren, es gibt aber auch freudige Themen, die wir haben. Was hier in Hamburg als Importstandort für uns natürlich wichtig ist, aber das betrifft nicht nur Hamburg, sondern eigentlich alle Bundesländer, das ist das Thema der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer. Sehr geehrter Herr Senator, unsere gemeinsamen Bemühungen, auch in Deutschland ein Verrechnungssystem zu erhalten, sind auf einem sehr guten Wege. Im Schulterschluss mit Ihnen und Ihrem Haus können wir

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Grußwort Kai Elmendorf

die Nachteile des aktuellen Verfahrens für die importierenden Unternehmen langsam beseitigen. Für unser gemeinsames Ziel hat die Finanzministerkonferenz auf Ihr Einwirken hin erfreulicherweise erste Schritte mit einem Beschleunigungsmodell beschlossen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir gemeinsam und in absehbarer Zeit den zweiten Schritt für ein Verrechnungsmodell nach niederländischer Art gehen können. Meine Damen und Herren, Sie haben heute hier sehr hochkarätige Diskussionspartner und Redner. Ich freue mich, Ihnen daher den nächsten Redner ankündigen zu dürfen. Was er leistet, lässt sich vielleicht daran absehen: Hamburg benötigt elf Senatoren, um das Geld auszugeben, was er allein erwirtschaftet. Begrüßen Sie für mich Herrn Senator Dressel! Kai Elmendorf Vizepräses, Handelskammer Hamburg

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Grußwort Sehr geehrter Herr Vizepräses, lieber Kai, das war natürlich eine hervorragende Ankündigung, mal gucken, ob ich das drüben im Senatssaal auch mal so bekomme. Denn in der Tat ist das das Thema, das gelegentlich im politischen Raum vergessen wird, dass das, was ausgegeben wird – und da gibt’s jeden Tag viele gute Ideen, unendlich viele –, dass das auch irgendwo eingenommen werden muss, und insofern nehme ich diesen Hinweis sehr, sehr gerne mit. Sehr geehrter Professor Lüdicke, sehr geehrter Professor Frotscher, sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass ich die Tradition meines Vorgängers fortsetzen kann, Sie im Namen des Senats sehr herzlich zu begrüßen. Auch noch mal den Dank an den Gastgeber, dass das hier stattfinden kann. Das ist, glaube ich, eine sehr, sehr gute Tradition. Das Thema Steuern begleitet mich in der Tat seit meinem Amtsantritt quasi jeden Tag, und es gibt ja viele, viele Themen. Heute geht es um das Internationale. Wir könnten natürlich auch den ganzen Tag über die Grundsteuerreform miteinander sprechen. Das befasst uns jetzt im Moment sehr intensiv, und ich will Sie auch darüber kurz informieren: Wir sind jetzt dabei, die Informationen, die Vorschläge, auch aus dem Bundesfinanzministerium, für Hamburg auszuwerten. Was bedeutet das konkret? Wie können wir es hinbekommen, dass an der Stelle auch keine Mehrbelastungen für Mieter und Eigentümer entstehen? Aber auch da muss man, glaube ich, sehr genau aufs Detail gucken. Was bedeutet das konkret für einzelne Belegenheiten, für einzelne Flurstücke, für einzelne Stadtteile? Das Thema Einfuhrumsatzsteuer hat der Vizepräses eben genannt – ich glaube, das ist auch so ein Beispiel, bei dem es auch um einen internationalen Aspekt geht, nämlich, wenn in anderen EU-Ländern damit geworben wird, dass doch die Bedingung für die Einfuhrumsatzsteuer woanders besser ist und man sollte doch bitte aus Deutschland Logistikketten zum Beispiel in die Niederlande verlagern, dann ist das etwas, was eigentlich in einer europäischen Union, wo man nicht gegenseitig Dumpingwettbewerb betreiben will, eigentlich nicht sein kann, und deshalb ist es gut, dass wir uns da gemeinsam, im Schulterschluss von Wirtschafts- und Finanzbehörde, auf den Weg machen, eine Verständigung herbeizuführen, und ein 16:0-Beschluss in der Finanzministerkonferenz ist, glaube ich, eine sehr gute Grundlage.

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Grußwort Dr. Andreas Dressel

Dann das ganze Thema Share Deals und Grunderwerbsteuer. Auch ein großes Thema, über das wir im Moment diskutieren. Digitalsteuer, man könnte jetzt auch einen ganzen Vormittag oder einen ganzen Tag über die verschiedenen Fragen diskutieren. Heute soll es natürlich um Fragen der internationalen Besteuerung gehen, um die Fragen, wie sich das im Zuge der Globalisierung entwickelt, welche Chancen, welche Risiken dort bestehen, und das ist natürlich in dem ganzen Kontext der Panama-Papers etwas, was uns jeden Tag betrifft und wo es auch schwierig ist, Verständnis außerhalb des Fachpublikums für eine sehr differenzierte Sichtweise zu bekommen. Das hast du auch gerade eben angesprochen, Kai. Das ist ein sehr schwieriger Punkt. Ich will dazu ein paar Punkte, auch angesichts des Tagungsprogramms heute, aufgreifen. Herr Dr. Staats wird Ihnen heute zur Reform der Hinzurechnungsbesteuerung berichten, also der Besteuerung von Einkünften einer ausländischen Tochtergesellschaft beim inländischen Gesellschafter. Sie soll verhindern, dass unbeschränkt Steuerpflichtige ihre ausländischen Einkünfte auf eine steuerrechtsfähige Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Niedrigsteuerland hat und im Inland nicht steuerpflichtig ist, übertragen und dadurch Steuervorteile erzielen. Das ist natürlich auch für mich als Finanzsenator ein sehr relevantes Thema. Dann Herr Professor Dr. Schön. Er befasst sich in seinem Vortrag heute Mittag mit der Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen Umfeld. Das ist natürlich ein hochaktuelles Thema, gerade angesichts der Thematik der Steuerreformen in den USA und der Ankündigung der britischen Premierministerin Theresa May, sie wolle nach dem Brexit – da gucken wir, glaube ich, auch alle sehr gespannt auf den Beginn der nächsten Woche, wie das da in England ausgeht –, sie wolle nach dem Brexit die niedrigsten Unternehmenssteuern der G20-Staaten einführen. Da ist die deutsche Steuerpolitik natürlich jetzt wieder mit Forderungen konfrontiert. Auch wir müssen jetzt nachlegen an bestimmten Punkten. Das muss man sich sehr, sehr genau angucken, welcher Handlungsbedarf dort im Einzelnen besteht. Auch da ist es, glaube ich, wichtig, dass wir den Input auch aus der Fachwelt haben, damit dort eben nicht politisch irgendwelchen schnellen Trends hinterhergelaufen wird, sondern damit man sich fachlich sehr genau dazu bespricht. Das ist auch das, wozu ich ein paar Sätze mehr sagen möchte, nämlich zum Thema „steuerliche Anzeigepflichten bei nationalen und internationalen Sachverhalten“, worüber nachher Professor Dr. Haase sprechen

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Grußwort Dr. Andreas Dressel

wird. Das ist ein großes Thema zwischen den Gremien der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder. Wir haben das in der Finanzministerkonferenz intensiv thematisiert, mehrfach auch Beschlüsse gefasst, die Hamburg mitgetragen hat. Aktuell arbeitet das Bundesfinanzministerium an einem Gesetzentwurf. Dass wir die EU-Richtlinie zur steuerlichen Anzeigepflicht bei grenzüberschreitenden internationalen steuerlichen Gestaltungen auch umsetzen müssen, versteht sich von selbst. Die Frage, die natürlich kontrovers diskutiert wird, ist das Thema, ob wir das auch für nationale Gestaltungen ausweiten wollen. Wir haben die Beschlüsse von der Hamburger Seite mitgetragen, aber sagen auch – ich habe verschiedentlich Gespräche dazu schon mit Experten und auch beteiligten Betroffenen geführt –, dass wir, und das ist immer so ein bisschen der Hamburger Weg dabei, dass wir jetzt nicht bestimmten ideologischen Punkten einfach hinterherlaufen, sondern immer genau gucken: Funktioniert das auch, was man politisch will? Ist ein rechtssicherer Weg auffindbar? Kann es praktisch durchgeführt werden? Wo gibt es vielleicht Punkte, in denen man erkennbar in der konkreten Ausgestaltung über das Ziel hinausschießt? Und deswegen bin ich da auch sehr hoffnungsfroh und auch sehr gespannt auf Ihre Diskussionsergebnisse heute, und ich sage Ihnen da auch zu, dass fachliche Hinweise und Gesichtspunkte, genau wie wir das bei der Einfuhrumsatzsteuer ja auch geschafft haben, sozusagen die Betroffenen und die Wirtschaft und die Politik da zusammenzubringen und ihre Hinweise auch aufzunehmen, dass wir das auch bei dem Thema Anzeigepflicht in der konkreten Ausgestaltung machen. Insofern bin ich sehr gespannt, was Sie da heute erarbeiten und was die Diskussionsergebnisse sind. Nochmal: Es geht mir darum, dass, wenn man an der Stelle über die Umsetzung der EU-Richtlinie hinausgeht, wir einen sehr machbaren, rechtssicheren Rahmen definieren müssen und nicht sozusagen steuerpolitische Kollateralschäden mit in Kauf nehmen dürfen, die uns nachher noch schwer einholen werden. Insofern müssen wir genau gucken, wo ist dieser schmale Grat, wo ein Konsens möglich ist. Ich möchte sehr gerne den Hinweis von Professor Frotscher aufnehmen, denn das ist wohl sozusagen hier die steuerliche Elite dieser Stadt, die hier heute zusammensitzt: Ein ganz wichtiger Punkt, dass wir uns weiter um die Nachwuchsgewinnung auch aus dem universitären Bereich kümmern. Ich habe selber auch sozusagen einen universitären Hintergrund, denn ich komme aus einem Seminar für Verwaltungslehre, was irgendwann, als ich da weg bin, auch nicht mehr existierte, und die Frage, wenn

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Grußwort Dr. Andreas Dressel

sozusagen ein Kompetenzbereich in der Universität irgendwann dann nicht mehr existiert, das hat nachher nachhaltig einen großen Effekt. Das Thema Bibliothek ist angesprochen worden. Deshalb haben wir auch vereinbart, dass wir uns da jetzt sehr eng austauschen wollen, dass wir auch Ideen entwickeln wollen, wie wir auch die Finanzierung für eine Professur überlegen wollen, und ich möchte Sie da auch bitten, unsere Bemühungen zu unterstützen. Erstens natürlich, weil es natürlich um die steuerberatenden Berufe in verschiedenen Feldern in dieser Stadt geht, aber ich sag es auch Herrn Stoll, unserem Steueramtsleiter. Ein Stück natürlich auch aus Eigennutz, weil wir auch hochqualifizierte Steuerfachleute im höheren Dienst der Steuerverwaltung benötigen, und ich glaube, wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass dieser Bereich weiter gehegt und gepflegt wird, damit das, was an Kompetenz aufgebaut wurde, auch weitergeführt wird. Das ist ein Anliegen, das wir haben, und wir achten alle die Freiheit von Forschung und Lehre – deswegen werden wir der Universität da auch nicht direkt dreinreden, aber wir werden Angebote zur Unterstützung machen, dass wir einen Weg finden, damit dieses wichtige Kompetenzfeld auch weiter dort betrieben werden kann, und da, glaube ich, ist es auch gut, dass wir das heute gemeinsam ansprechen, dass wir da auch noch einmal aus diesem Tag einen gewissen Impuls dafür mitnehmen, das ist, glaube ich, ein großes gemeinsames Anliegen, dieses anzusprechen. Wir werden diesen deutlichen Applaus dem Dekan und dem Universitätspräsidenten dann übermitteln, und das ist, glaube ich, dann eine sehr gute Grundlage. In diesem Sinne glaube ich, haben wir viele interessante Themen, die heute während der Tagung diskutiert, fachlich bewegt werden können und für die sicherlich auch in den Tagungspausen genug Raum für Austausch besteht. In diesem Sinne: Alles Gute, einen informativen und auch ein Stück weit unterhaltsamen Tag. Vielen Dank. Dr. Andreas Dressel Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg

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Inhaltsverzeichnis Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge. Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Roland Wacker Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Steuerfreier Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften – keine Betriebsausgabenfiktion gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Betriebsstätte . . . . .

2

B. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

C. Gewerblich geprägte Personengesellschaften – ausländische Mitunternehmer und inländische Betriebsstätte – Zurechnung von Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

D. Berücksichtigung finaler Verluste – Neues vom EuGH . . . . . . . .

36

E. Hinzurechnung passiver Einkünfte nach § 8 AStG und Gegenbeweis – verdeckte Einlagen in Dreiecksverhältnissen . . . . . . . .

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Prof. Dr. Gerrit Frotscher (Diskussionsleitung) Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis Seite

MR Dr. Wendelin Staats, LL.M. (San Diego) Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Beherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Niedrigsteuergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Überarbeitung des Einkünftekatalogs (Art. 7 Abs. 2 ATAD) . . . .

65

E. Vermeidung von Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

F. Motivtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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G. Weiterer Anpassungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Jürgen Lüdicke/Prof. Dr. Gerrit Frotscher (Diskussionsleitung) Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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MinDirig Martin Kreienbaum Aktuelle internationale steuerpolitische Entwicklungen . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen Umfeld . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Zwischen Koordinierung und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Multilateralität und Unilateralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 D. Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 E. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Prof. Dr. Jürgen Lüdicke (Diskussionsleitung) Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen Umfeld Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

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Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 A. Einleitende Überlegungen zum Missbrauchsbegriff im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 B. Internationale Ebene bilateraler und multilateraler Missbrauchsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 C. Unionale Ebene der Missbrauchsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 D. Nationale Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 E. Fazit zu den verschiedenen Missbrauchsbegriffen im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Prof. Dr. Gerrit Frotscher (Diskussionsleitung) Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht? Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Prof. Dr. Florian Haase, M.I.Tax Steuerliche Anzeigepflichten bei nationalen und internationalen Sachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Drei zentrale Regelungswerke in der Diskussion . . . . . . . . . . . . . 169 C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 D. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Prof. Dr. Gerrit Frotscher (Diskussionsleitung) Steuerliche Anzeigenpflichten bei nationalen und internationalen Sachverhalten Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

A. Steuerfreier Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften – keine Betriebsausgabenfiktion gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . I. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 . . . . . . . . . 1. Sachverhalt (gestrafft) . . . . 2. Aus den Gründen . . . . . . . II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . B. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht . . . . . . . . . I. Sachverhalt des BFH-Urteils v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 . . . . . . . . . II. Normen und Erläuterungen . 1. Normen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erläuterungen . . . . . . . . . . III. Entscheidungsgründe . . . . . . IV. Anmerkungen – auch zum Entwurf des „JStG 2018“. . . . C. Gewerblich geprägte Personengesellschaften – ausländische Mitunternehmer und inländische Betriebsstätte – Zurechnung von Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . I. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFHE 260, 209 = FR 2018, 558 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Sachverhalt (vereinfacht) – Streitjahre: 2007 bis 2009 . 2. Einschlägige Vorschriften 3. Fallfragen . . . . . . . . . . . . . 4. Aus den Gründen – Revision des FA hat Erfolg. . . . 5. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . 1. Zur Kapitalertragsteuer . . a) Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils und Nicht-DBA-Fall . . . . . . b) Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils und DBA-Fall. . . . . . . . . . . . c) Keine Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils . . . aa) Kapitalertragsteuer-Entlastung/ Erstattung . . . . . . . bb) Unionsrechtliche Bedenken . . . . . . . . 2. Zum Veranlassungsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . D. Berücksichtigung finaler Verluste – Neues vom EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16 (A/S Bevola), FR 2018, 643 . . . . . . . . . . . . . II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . .

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht E. Hinzurechnung passiver Einkünfte nach § 8 AStG und Gegenbeweis – verdeckte Einlagen in Dreiecksverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. BFH v. 13. Juni 2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092 . . . . 1. Aus den Gründen . . . . . . . 2. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . .

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A. Steuerfreier Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften – keine Betriebsausgabenfiktion gemäß § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG ohne Betriebsstätte I. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 1. Sachverhalt (gestrafft) Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft (Limited) mit Sitz und Geschäftsleitung in Bermuda. Sie unterhielt im Inland keine Betriebsstätte. Allerdings erzielte ihre ebenfalls in Bermuda ansässige Tochtergesellschaft (LP) im Streitjahr aus der Veräußerung des Anteils an einer inländischen AG einen Gewinn. Das FA ging davon aus, dass die LP transparent zu behandeln und deshalb der Klägerin rd. 11 % des Veräußerungsgewinns zuzurechnen sei. Ferner nahm es an, dass hiervon nach § 8b Abs. 3 KStG ein Anteil von 5 % der inländischen KSt. der Klägerin unterläge. Der BFH hat Ersteres (Transparenz der LP) offen gelassen; zum zweiten Punkt ist er der Ansicht des FA nicht gefolgt.

2. Aus den Gründen „Revision und Klage erfolgreich 7 Die Revision ist im Hinblick auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer und des Verspätungszuschlags begründet und führt insoweit zur Aufhebung des FG-Urteils. Der Körperschaftsteuerbescheid ist dahin abzuändern, dass die Körperschaftsteuer für das Streitjahr auf 0 t festgesetzt wird; der Bescheid über die Festsetzung des Verspätungszuschlags ist aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Hinsichtlich des Solidaritätszuschlags ist die Revision unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Steuerfreiheit des Veräußerungsgewinns 8 1. Die von der Klägerin im Streitjahr erzielten inländischen Einkünfte sind von der Körperschaftsteuer befreit.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 9 a) Die Klägerin als Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Ausland hat und damit nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, unterliegt gemäß § 2 Nr. 1 KStG mit ihren inländischen Einkünften der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Als inländische Einkünfte steht hier ein (anteiliger) Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der L-AG durch die G-LP in Rede. Anteile an inländischer Kapitalgesellschaft 10 b) Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die unter den Voraussetzungen des § 17 EStG erzielt werden, wenn es sich um Anteile an einer Kapitalgesellschaft handelt, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Der in Bezug genommene § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG bestimmt, dass zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft gehört, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. hier: nur mittelbare Beteiligung 11 c) Die Vorinstanz ist – in Übereinstimmung mit den Beteiligten – davon ausgegangen, dass der von der G-LP aus der Veräußerung der Anteile an der L-AG erzielte Gewinn bei der Klägerin zu einem Anteil von 10,95 % als „mittelbarer“ Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sei. Inwiefern dies zutrifft, kann anhand der tatrichterlichen Feststellungen rechtlich und rechnerisch nicht vollständig nachvollzogen werden. Es fehlen insbesondere Feststellungen zur Rechtsnatur und zur Einordnung der G-LP aus nationaler steuerlicher Sicht, zur Höhe der Beteiligung der Klägerin an dieser Gesellschaft und zur Höhe der Beteiligung der G-LP an der L-AG. Zwar Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 2 KStG, aber 12 d) Es bedarf zur Entscheidung des Rechtsstreits jedoch keiner näheren Feststellungen zu diesen Punkten. Denn wenn die Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht nach den vorstehend beschriebenen Regelungen gegeben wären, wäre die Besteuerung vorliegend – was im Grundsatz auch FA und FG nicht anders beurteilen – aufgrund § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung, die gleichermaßen auf unbeschränkt wie beschränkt steuerpflichtige Körperschaftsteuersubjekte anzuwenden ist (allg. Auffassung, z.B. Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8b Rz 230; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8b Rz 169; Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8b KStG Rz 102), bleiben bei der Ermittlung des Einkommens u.a. Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG gehören, außer Ansatz. Bei den von der G-LP veräußerten Anteilen an der L-AG handelt es sich um derartige Anteile. Denn deren Leistungen (Dividenden aus Aktien) sind beim Empfänger Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht mangels inländischer Betriebsstätte keine Schachtelstrafe 13 e) Entgegen der Auffassung des FG wäre von dem auf die Klägerin entfallenden Veräußerungsgewinn i.S. des § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG kein Anteil von 5 % als nicht abziehbare Betriebsausgaben den beschränkt steuerpflichtigen inländischen Einkünften der Klägerin hinzuzurechnen. Zwar bestimmt § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG, dass von dem jeweiligen Gewinn i.S. des Abs. 2 Satz 1 der Norm 5 % als Ausgaben gelten, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Die Fiktion pauschalierter Betriebsausgaben geht indessen im Fall der Klägerin ins Leere, weil diese im Streitjahr mangels inländischer Betriebsstätte oder ständigen Vertreters keine inländischen Einkünfte erzielt hat, bei deren Ermittlung Betriebsausgaben berücksichtigt werden könnten. Ansichten der Literatur zur beschränkten KSt.-Pflicht 14 aa) Im Schrifttum bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG bei beschränkt steuerpflichtigen Körperschaftsteuersubjekten zu einer Hinzurechnung nicht abziehbarer Betriebsausgaben führen kann, wenn die betreffende Körperschaft über keine inländische Betriebsstätte verfügt. Während ein Teil der Literatur dies – ebenso wie die Vorinstanz – bejaht (Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 8b KStG Rz 178; Herlinghaus in Rödder/ Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 8b Rz 282; Blümich/Rengers, § 8b KStG Rz 263; Kröner in Ernst & Young, KStG, § 8b Rz 143; Watermeyer in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 8b KStG Rz. 103; Gröbl/Adrian in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8b KStG Rz 157), schließen andere eine solche Rechtsfolge aus (Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 49 Rz 35b; Wassermeyer, Der Betrieb 2008, 430, 431; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 8b KStG Rz 255; Mohr in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 2 Rz 165; Kempf/Hohage, Internationales Steuerrecht – IStR – 2010, 806, 807; Nitzschke, IStR 2012, 125, 126; skeptisch auch Weiss, Der Konzern 2017, 174, 180 f.). BFH: Fiktion erfordert inländischen betrieblichen Aufwand 15 bb) Der Senat hält die letztgenannte Auffassung für zutreffend. Die Betriebsausgabenfiktion des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG greift zwar als typisierende Pauschalierung unabhängig davon, ob und in welchem Umfang beim Steuerpflichtigen tatsächlich Betriebsausgaben im Zusammenhang mit dem veräußerten Anteil angefallen sind (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 12. Oktober 2010 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224). Fingiert werden aber lediglich der betriebliche Aufwand und dessen Nichtabziehbarkeit. Nicht Gegenstand der Fiktion ist der Besteuerungszugriff des deutschen Fiskus auf den fingierten betrieblichen Aufwand. Dieser muss sich daher aus anderen Bestimmungen ergeben. Die Fiktion nicht abziehbarer Betriebsausgaben durch § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG kann nur dann zu einer Erhöhung der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage führen, wenn der fingierte betriebliche Aufwand, falls er tatsächlich entstanden wäre, dem Besteuerungszugriff des deutschen Fiskus unterliegen würde. Bei der Klägerin ist dies nicht der Fall.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht hier nein, nur punktuelle Besteuerung des Veräußerungsgewinns 16 Die Klägerin erzielt zwar aufgrund der Bestimmung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e Doppelbuchst. aa i.V.m. § 17 EStG inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Zur Ermittlung dieser Einkünfte ist jedoch keine Gewinnermittlung nach § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4, § 5 EStG durchzuführen, in deren Rahmen Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) berücksichtigt werden könnten. Objekt der beschränkten Steuerpflicht der Klägerin ist ausschließlich der Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG, d.h. der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Es handelt sich dabei um den sich punktuell aus dem einzelnen Veräußerungsvorgang ergebenden Differenzbetrag zwischen Veräußerungspreis einerseits und Anschaffungskosten sowie Veräußerungskosten andererseits. Dieser Saldobetrag wird aufgrund gesetzlicher Fiktion als gewerbliche Einkünfte qualifiziert, ohne dass insoweit ein Betriebsvermögensvergleich nach den Maßgaben von § 4 Abs. 1, § 5 EStG oder eine Einnahmen-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG durchzuführen wäre. Soweit in den Saldo tatsächlicher betrieblicher Aufwand in Form der Veräußerungskosten eingeht, ist dieser von der Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG umfasst und ist schon von daher nicht abziehbar (vgl. Senatsurteile vom 12. März 2014 I R 45/13, BFHE 245, 25, BStBl II 2014, 719; vom 9. April 2014 I R 52/12, BFHE 245, 59, BStBl II 2014, 861; Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 8b KStG Rz 176). Ein etwaiger weiterer betrieblicher Aufwand der Klägerin, der in einem Veranlassungszusammenhang mit den veräußerten Anteilen steht, würde mithin in Ermangelung einer inländischen Betriebsstätte oder eines für das Inland bestellten ständigen Vertreters (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) nicht dem deutschen Besteuerungszugriff unterliegen. § 8b Abs. 2 KStG bewirkt vollständige Freistellung des Veräußerungsgewinns 17 cc) Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Sichtweise kann der vom Gesetz beschrittene rechtliche Weg der Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben nicht durch eine wirtschaftliche Betrachtung überspielt werden, der zufolge die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG im Ergebnis nur zu 95 % gewährt werden solle und § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG daher als Vorschrift verstanden werden müsse, die die Steuerfreistellung partiell wieder zurücknimmt (so aber Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 8b KStG Rz 178). 18 Mit § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG flankiert das Gesetz die prinzipielle Freistellung des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 2 KStG durch Qualifizierung eines pauschalen Prozentsatzes des Nettogewinns als fiktive Nichtabzugsgröße „nichtabziehbare Betriebsausgaben“ (Senatsurteile in BFHE 245, 25, BStBl II 2014, 719, und in BFHE 245, 59, BStBl II 2014, 861). Auch wenn diese Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben wirtschaftlich wie eine partielle Rücknahme der Steuerfreistellung um 5 % wirkt, ist der vom Gesetz gewählte Weg der Qualifizierung der Nichtabzugsgröße als nichtabziehbare Betriebsausgaben wörtlich zu verstehen und ernst zu nehmen. Aus diesem Grund hat der Senat zur Vorschrift des § 8b Abs. 7 KStG 1999 i.d.F. des Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601,

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht BStBl I 2000, 13), der eine vergleichbare Betriebsausgabenfiktion hinsichtlich der gemäß § 8b Abs. 1 KStG 1999 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 von der Besteuerung freigestellten Dividenden enthält, entschieden, dass die vollständige Freistellung der Dividenden von der Besteuerung rechtlich nicht durch die 5%-ige Betriebsausgabenfiktion beeinträchtigt wird und die Betriebsausgabenfiktion folglich nicht in Konflikt mit abkommensrechtlichen Schachtelprivilegien steht (Senatsurteil vom 29. August 2012 I R 7/12, BFHE 239, 45, BStBl II 2013, 89; s.a. Senatsbeschluss vom 22. September 2016 I R 29/15, BFH/NV 2017, 324). Ein gleichermaßen wörtliches Normverständnis als echte Pauschalierung nicht abziehbarer Betriebsaufwendungen ist auch in Bezug auf die Betriebsausgabenfiktion des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG geboten (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127, 224, Rz 53 f.). Folgen: KSt. i.H.v. null v 19 f) Das FG ist von einer anderen Auffassung ausgegangen. Sein Urteil ist daher im Hinblick auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer aufzuheben. Die festzusetzende Körperschaftsteuer beträgt 0 t …“.

Leitsätze „1. Der von einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft erzielte Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft ist gemäß § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfrei. 2. Die Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben nach Maßgabe von § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG (sog. Schachtelstrafe) geht ins Leere, wenn die veräußernde Kapitalgesellschaft im Inland über keine Betriebsstätte und keinen ständigen Vertreter verfügt.“

II. Anmerkungen –

(Finanzverwaltung) Das Besprechungsurteil ist zwischenzeitlich im BStBl. Teil II veröffentlicht und wird somit von der Finanzverwaltung akzeptiert (s. auch OFD Frankfurt v. 23.2.2018, juris).



Das Schrifttum stimmt gleichfalls mit allerdings unterschiedlicher Begründung zu.1



Der Kernpunkt der Argumentation des Senats ist zum einen die zwischenzeitlich stRspr. des I. BFH-Senats, der § 8b Abs. 3 KStG – in enger Anlehnung an den Gesetzeswortlaut – als Fiktion nichtabzieh-

1 Loose, IWB 2017, 912; Berger/Tetzlaff, NWB 2018, 324; nur im Ergebnis glA Früchtl, IStR 2017, 1040: § 8b Abs. 3 KStG nicht Teil des Veräußerungsgewinns gem. § 17 EStG und damit auch nicht Gegenstand der beschränken Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG.

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barer Betriebsausgaben und nicht als partielle Rücknahme der Steuerbefreiung versteht. Hiervon ausgehend erfordert die Kürzung fiktiver Betriebsausgaben zudem, dass der fingierte betriebliche Aufwand, falls er tatsächlich entstanden wäre, dem Bereich steuerbarer inländischer Einkünfte zugeordnet wäre. Dies wiederum setzt über den Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG hinaus voraus, dass die Anforderungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Betriebsstätte, ständiger Vertreter) erfüllt werden.2 –

Ist dies (Zuordnung des Kapitalgesellschafts-Anteils zur inländischen Betriebsstätte) zu bejahen und waren die veräußerten Kapitalgesellschaftsanteile der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen, ist der Veräußerungsgewinn Teil des Betriebsstättengewinns (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG iVm. § 8b Abs. 2 und 3 KStG).3



Anderenfalls (keine Zuordnung des Kapitalgesellschaftsanteils zu einer inländischen Betriebsstätte; s. Besprechungsurteil und damit Nichtgeltung von § 8b Abs. 3 KStG, dh. keine Kürzung fiktiver Betriebsausgaben) bleibt allerdings unberührt, dass der nach § 17 iVm. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG steuerbare Veräußerungsgewinn ein Nettobetrag ist, in den die Veräußerungskosten (dh. die durch die Veräußerung veranlassten Aufwendungen) als Abzugsposten eingehen.



(DBA) Die aus dem beschränkten Besteuerungsumfang der Normen des unilateralen Rechts abgeleitete Lösung des BFH setzt sich auch im DBA-Fall durch.



Nicht zu entscheiden hatte der BFH über den Fall, dass eine im Ausland ansässige natürliche Person unmittelbar oder mittelbar über einen transparent zu behandelnden Rechtsträger an der inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist. In dieser Konstellation greift selbstverständlich nicht die Steuerfreiheit gem. § 8b Abs. 2 iVm. Abs. 3 KStG, sondern gelten die Besteuerungsgrundsätze des Teileinkünfteverfahrens.4

2 Märtens, jurisPR-SteuerR 49/2017, Anm. 6. 3 Zutr. Loose, IWB 2017, 912 (917): effektive Belastung einschließlich GewSt. rund 1,5 %. 4 Blümich/Drüen, § 7 GewStG Rz. 71.

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B. Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft und Darlehensverzicht I. Sachverhalt des BFH-Urteils v. 7.12.2016 – I R 76/14, BStBl. II 2017, 704 Die luxemburgische Immobilien-S.à.r.l. (Kapitalgesellschaft = Klägerin) erhielt 2007 zum Zweck des Erwerbs von inländischem Grundbesitz von ihrer Muttergesellschaft ein Darlehen. Das Grundstück wurde zunächst vermietet, dann aber im Februar 2011 (Streitjahr) veräußert. Da die Darlehensrestschuld aus dem Veräußerungserlös nicht getilgt werden konnte, hat die Darlehensgeberin auch mit Rücksicht auf die Schuldsituation der Klägerin auf die restliche Tilgung im Dezember 2017 verzichtet. Fraglich war, ob der Ertrag aus Forderungsverzicht der beschränkten KSt.Pflicht unterlag.

II. Normen und Erläuterungen 1. Normen § 49 EStG „(1) Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Absatz 4) sind … 2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17), a) für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, … f) die, soweit sie nicht zu den Einkünften im Sinne des Buchstaben a gehören, durch aa) Vermietung und Verpachtung oder bb) Veräußerung von inländischem unbeweglichem Vermögen, von Sachinbegriffen oder Rechten, die im Inland belegen oder in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind oder deren Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung erfolgt, erzielt werden. 2 § 23 Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend. 3 Als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten auch die Einkünfte aus Tätigkeiten im Sinne dieses Buchstabens, die von einer Körperschaft im Sinne des § 2 Nummer 1 KStG erzielt werden, die mit einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen juristischen Person im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Körperschaftsteuergesetzes vergleichbar ist, oder …“

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§ 8 Abs. 2 KStG „(2) Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sind alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln.“

2. Erläuterungen –

Gewinne aus der Veräußerung von Grundbesitz sind bei inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften durchgängig steuerbar, nämlich als Einkünfte aus Gewerbebetrieb.



Im Fall der beschränkten KSt.-Pflicht der Kapitalgesellschaft bedarf es hierzu entweder einer originären gewerblichen Tätigkeit der Kapitalgesellschaft iVm. mit einer inländischen Betriebsstätte (oder ständigen Vertreters; § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) oder jedenfalls einer gewerblichen Tätigkeit im Hinblick auf die Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem inländischen Grundbesitz (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG).



Fehlt es hieran, würde sich – vorbehaltlich des Vorliegens eines privaten Grundstückveräußerungsgewinns nach § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 iVm. §§ 22 Nr. 2, 23 Satz 1 Nr. 2 EStG – im Vergleich zur Besteuerung der Grundstücksveräußerungsgewinne inländischer Kapitalgesellschaften ein Gefälle ergeben.



Letzteres wurde zunächst (ab VZ 1994) durch die Fiktion eines gewerblichen Veräußerungsgewinns beseitigt. Ab VZ 2009 wurde die Fiktion der Gewerblichkeit dann auch im Interesse einer einheitlichen Einkünfteermittlung auf die Vermietungserträge ausgedehnt.



Fazit: § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG dient der Lückenfüllung5 und der – allerdings nicht vollständigen (s. Besprechungsurteil) – Gleichbehandlung unbeschränkt und beschränkt KSt.-Pflichtiger.



Auch führt die Fiktion nicht zur Annahme einer inländischen Betriebsstätte iSv. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG.

III. Entscheidungsgründe Das FA ging für den Sachverhalt, der dem Verfahren I R 76/14 (s.o.) zugrunde lag, von der Steuerpflicht der Erlassbeträge gem. § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f EStG aus.

5 Loschelder in Schmidt, EStG37, § 49 Rz. 54.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht

Dem ist der BFH in der Sache nicht gefolgt. Das Urteil enthält zudem Ausführungen zur Zulässigkeit von Klagen gegen KSt.-Bescheide, mit denen die KSt auf 0 t festgesetzt wird. Leitsatz 2 „Zu den bei ausländischen Körperschaften nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG als gewerblich fingierten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder Veräußerung inländischen Grundbesitzes gehört nicht der Ertrag aus einem gläubigerseitigen Verzicht auf die Rückzahlung eines Darlehens, mit dem die Körperschaft den Erwerb der Immobilie finanziert hatte.“

Aus den Gründen „Ertrag aus Forderungsverzicht unterliegt nicht der beschränkten KSt.-Pflicht 16 II. … Der durch den Forderungsverzicht der B-L.P. bei der Klägerin im Streitjahr entstandene Ertrag gehört nicht zu deren der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden inländischen Einkünften. Insbesondere ist er – entgegen der Auffassung von FA und BMF – nicht im Rahmen der Ermittlung der (fiktiven) Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Maßgabe von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zu berücksichtigen. Vermietungseinkünfte der Klägerin aber steuerpflichtig 17 1. Die im Streitjahr erzielten Einkünfte der Klägerin aus der Vermietung und der Veräußerung des inländischen Grundstücks sind allerdings gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG inländische Einkünfte i.S. der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Nr. 1 KStG). Keine inländische Betriebsstätte 18 a) Der – vorrangige – Tatbestand der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. der §§ 15 bis 17 EStG, für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist) liegt im Fall der Klägerin mangels inländischer Betriebsstätte und ständigen Vertreters nicht vor. Keine gewerblichen Einkünfte iSv. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG 19 b) Auch sind die Voraussetzungen der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung sind gewerbliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Doppelbuchst. aa) oder Veräußerung (Doppelbuchst. bb) u.a. von inländischem unbeweglichem Vermögen beschränkt steuerpflichtig, soweit sie nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fallen. Die Vorschrift ist im Streitfall nicht einschlägig, weil es sich bei den Einnahmen der Klägerin aus der Vermietung und der Veräußerung des streitbefangenen Grundstücks nicht um gewerbliche Einkünfte i.S. von § 15 Abs. 2 EStG handelt. Die Regelung des § 8 Abs. 2 KStG, der zufolge bei den unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, gilt nicht für die beschränkte Steuerpflicht. Das streitbefangene Grundstück war nach den von den Beteiligten nicht in Zwei-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht fel gezogenen tatrichterlichen Feststellungen des FG das einzige Vermietungsund Veräußerungsobjekt der Klägerin, so dass es sich bei den Mieteinkünften originär um solche aus Vermögensverwaltung (Vermietung und Verpachtung, vgl. § 21 EStG) und nicht um solche aus gewerblicher Tätigkeit (§ 15 Abs. 2 EStG) gehandelt hat (vgl. zur Abgrenzung z.B. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 47 ff., 80 ff.). Jedoch: Fiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG 20 c) Über das Fehlen der originären Gewerblichkeit hilft indessen die Fiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG hinweg. Danach „gelten“ auch die Einkünfte aus den in Satz 1 der Norm beschriebenen Tätigkeiten, die von einer Körperschaft i.S. des § 2 Nr. 1 KStG erzielt werden, die mit einer Kapitalgesellschaft oder sonstigen juristischen Person i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG vergleichbar ist, als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Streitfall auszugehen. Zwar hat das FG keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, inwiefern die luxemburgische S.à.r.l. im Rahmen eines Typenvergleichs einer deutschen Kapitalgesellschaft (GmbH oder AG) oder sonstigen juristischen Person entspricht; es hat dies vielmehr offenkundig als selbstverständlich vorausgesetzt. Für die Zwecke des Revisionsverfahrens kann unterstellt werden, dass diese Annahme zutrifft. Verzichtertrag gehört nicht zu den fiktiven gewerblichen Einkünften 21 2. Der durch den Forderungsverzicht der B-L.P. verursachte Ertrag ist jedoch im Rahmen der Ermittlung der Einkünfte des sonach fiktiven Gewerbebetriebs nicht gewinnwirksam zu berücksichtigen. Denn es handelt sich dabei weder um Einnahmen aus der Vermietung und Verpachtung noch um solche aus der Veräußerung des inländischen Grundstücks. Die gesetzliche Umqualifizierung der Vermietungs- und Veräußerungseinkünfte in gewerbliche Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG ändert daran nichts. Betriebsvermögensvergleich 22 a) Die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG (fiktiv) gewerblichen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Veräußerung sind – ebenso wie die originär gewerblichen Einkünfte aus jenen Tätigkeiten nach Satz 1 der Vorschrift – mangels anderslautender gesetzlicher Vorgaben nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 4 ff. EStG zu ermitteln. Der Senat hat dies zu der bis 2008 geltenden Fassung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG entschieden, welcher bereits eine der heutigen Regelung entsprechende Umqualifizierung von Einkünften aus der Veräußerung inländischen unbeweglichen Grundvermögens in gewerbliche Einkünfte angeordnet hatte (Urteile vom 5. Juni 2002 I R 81/00, BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344, und I R 105/00, BFH/NV 2002, 1433). Nichts anderes gilt für die mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) geschaffene, im Streitjahr anwendbare Fassung der Vorschrift, die zusätzlich auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung inländischen unbeweglichen Grundvermögens – die zuvor, wenn sie nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fielen, der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG unterlagen – in die Umqualifizierung als gewerbliche

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Einkünfte einbezieht (Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2015 I B 93/15, BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66; BMF-Schreiben vom 16. Mai 2011, BStBl I 2011, 530 Rz 7; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 45 f.; Blümich/Wied, § 49 EStG Rz 138 f.; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz 59; Frotscher in Frotscher/Geurts, EStG, § 49 Rz 198; zweifelnd Drüen, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht – JbFSt – 2010/2011, S. 837 f.). 23 b) Im Streitfall sind die umqualifizierten Vermietungs- und Veräußerungseinkünfte somit durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Eine Ermittlung durch Einnahmen-/Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG ist hier ausgeschlossen (und wird von der Klägerin auch nicht angestrebt), weil die Klägerin über die betreffenden Einkünfte jedenfalls freiwillig Buch geführt und den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt hat (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66). Auf die vom FA in seiner Revisionserwiderung erörterten Fragen, ob die Klägerin nach luxemburgischem Recht buchführungspflichtig gewesen sei und ob eine solche Buchführungspflicht gemäß § 140 AO auch für Zwecke der inländischen Besteuerung von Bedeutung wäre, kommt es mithin im Streitfall nicht an. 24 c) Obgleich es in den Konstellationen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG an einem realen inländischen Betriebsvermögen fehlt, ist sonach für die Zwecke der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG ein Vermögensvergleich zwischen einem Anfangs- und einem Endbestand eines (fiktiven) Betriebsvermögens durchzuführen (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66; …). Offen, ob einheitlicher Vermögensvergleich für Vermietung und Veräußerung 25 Zu den in den Bestandsvergleich einzubeziehenden Wirtschaftsgütern gehören die betreffende inländische Immobilie und die Forderungen und Verbindlichkeiten, die mit den inländischen Einkunftsquellen (d.h. der Vermietungs- bzw. Veräußerungstätigkeit) im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (…). Unterschiedliche Auffassungen bestehen darüber, ob eine einheitliche Gewinnermittlung für alle umqualifizierten Einkünfte zu erfolgen hat (so BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 530, Rz 8 f.; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633) oder ob Vermietungs- und Verpachtungseinkünfte einerseits und Veräußerungseinkünfte andererseits in zwei Schedulen getrennt zu ermitteln sind (in diesem Sinne Mensching, DStR 2009, 96, 98; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 46 a.E.; Lieber/Wagner, Ubg 2012, 229, 236). Finanzierungsdarlehen jedenfalls nicht Teil des Betriebsvermögensvergleichs 26 d) Dieser Frage muss im anhängigen Verfahren jedoch nicht nachgegangen werden. Denn die Verbindlichkeit aus dem der Klägerin von der B-L.P. gewährten Darlehen würde weder bei einer einheitlichen noch bei einer getrennten Gewinnermittlung zu den steuerwirksam in die Bestandsvergleiche einzubeziehenden Wirtschaftsgütern gehören. Zwar besteht zwischen dem Darlehen und der Vermietungs- und Veräußerungstätigkeit der Klägerin ein wirtschaftlicher Zusammenhang (Veranlassungszusammenhang). Denn die Darlehensmittel sind von der Klägerin verwendet worden, um das inländische Grundstück zu erwerben, welches

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht sie sodann vermietet und später veräußert hat. Jedoch vermag eine Wertveränderung dieser Verbindlichkeit nicht zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung oder zu Veräußerungseinkünften i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG führen. Fiktion führt nicht zur Erweiterung der Steuerbarkeit 27 aa) Die Steuerbarkeit nach § 49 EStG bezieht und beschränkt sich auf die dort abschließend aufgeführten inländischen Einkunftsquellen und Tätigkeiten (Objektsteuerprinzip). Auch die den beschränkt Steuerpflichtigen treffende Einkünfteermittlung richtet sich daher nur auf diese steuerbaren Einkünfte (Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260). In die Besteuerung des nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f i.V.m. § 4 Abs. 1 EStG ermittelten Ergebnisses dürfen daher nur Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung (Satz 1 Doppelbuchst. aa) und Veräußerung (Satz 1 Doppelbuchst. bb) inländischen unbeweglichen Vermögens einbezogen werden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Umqualifizierung der Einkünfte durch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG in gewerbliche Einkünfte und der damit verbundene Wechsel der Gewinnermittlungsart den Umfang der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquellen oder Tätigkeiten erweitern sollte (vgl. Wassermeyer, IStR 2009, 238, 240; Gläser/Birk, IStR 2011, 762, 763 f.; Schmid/Renner, FR 2012, 463, 465; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633). Insbesondere wird durch die Fiktion der Gewerblichkeit nach allgemeiner – und zutreffender – Auffassung keine inländische Betriebsstätte fingiert (so auch BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 530, Rz 15), welcher die Fremdfinanzierungsverbindlichkeit zugeordnet werden könnte. Entstehungsgeschichte 28 Aus der Gesetzeshistorie ergibt sich kein Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Gewerblichkeitsfiktion des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zugleich eine Erweiterung der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquellen und Tätigkeiten beabsichtigt hat. Bis einschließlich 1993 wurden außerhalb der Betriebsstättenbesteuerung nur die Erträge ausländischer Körperschaften aus dem Immobilienbesitz als inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG besteuert; Gewinne aus der Veräußerung von inländischem Grundbesitz waren nicht steuerbar. Diese Lücke ist mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) durch Schaffung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG geschlossen worden, welcher erstmals die Veräußerungsgewinne erfasst und – soweit sie nicht ohnehin gewerblicher Natur waren – in Einkünfte aus Gewerbebetrieb umqualifiziert hat. Die Einbeziehung auch der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in den Anwendungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG – welcher dem § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG vorgeht – durch das Jahressteuergesetz 2009 ist damit begründet worden (BTDrucks. 16/10189, S. 58 f.), dass die Aufteilung von Veräußerungsgewinnen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb einerseits und Vermietungseinkünften als solche aus Vermietung und Verpachtung andererseits „zu einer Aufspaltung von einheitlichen wirt-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht schaftlichen Vorgängen in verschiedene Einkunftsarten und damit einhergehend zur Anwendung unterschiedlicher Einkunftsermittlungsarten“ führe, ohne dass es hierfür eine einleuchtende Rechtfertigung gebe. Mit der Änderung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG würden „die einer gewerblichen Tätigkeit des beschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnenden Einkünfte aus der zeitlich begrenzten Überlassung von Grundbesitz und Rechten künftig unabhängig von einer inländischen Betriebsstätte oder einem ständigen Vertreter im Inland als gewerbliche Einkünfte besteuert, so dass in solchen Fällen sowohl die laufenden Vermietungseinkünfte als auch der Veräußerungserlös den gleichen Gewinnermittlungsvorschriften unterliegen“. Der Gesetzesbegründung ist mithin zu entnehmen, dass die bisher allein dem Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zugeordneten laufenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des unbeweglichen Inlandsvermögens nunmehr einer anderen Einkünfteermittlungsart unterstellt werden sollten. Dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers damit zugleich eine Erweiterung des Objekts der unbeschränkten Steuerpflicht verbunden sein sollte, fehlt es an jeglichem Anhalt. Wertveränderung nicht Teil der VuV-Einkünfte 29 bb) Die Wertveränderung der Fremdfinanzierungsverbindlichkeit für den Grundstückserwerb gehört nicht zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung; sie ist auch kein Bestandteil des Gewinns aus der Grundstücksveräußerung und ist daher im Rahmen der Ermittlung der nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 2 EStG zu versteuernden fiktiv gewerblichen inländischen Einkünfte nicht zu berücksichtigen (ebenso …). 30 aaa) Für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. aa EStG) kann auf § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zurückgegriffen werden, der seinerseits grundsätzlich die Einkünfte des § 21 EStG umfasst (s. z.B. Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 85; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz 109). Danach gehören zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung die Gegenleistungen für die zeitlich begrenzte Überlassung des Mietobjekts sowie alle sonstigen Entgelte, die in einem objektiven tatsächlichen Zusammenhang mit dieser Einkunftsart stehen und durch diese veranlasst sind (vgl. Blümich/Schallmoser, § 21 EStG Rz 232). 31 Der durch den Verzicht auf die Darlehensforderung entstehende Vermögenszuwachs der Klägerin steht nicht in einem Veranlassungszusammenhang zur Vermietung des streitgegenständlichen Grundstücks durch die Klägerin. Die Vermietung war zum Zeitpunkt des Verzichts bereits seit mehreren Monaten beendet, weil die Klägerin das Grundstück veräußert hatte. Der Verzicht auf die Darlehensforderung hatte seine Ursache darin, dass die Klägerin, nachdem sie das Grundstück veräußert und die anderweitigen Verbindlichkeiten bedient hatte, zur Rückzahlung der Darlehensvaluta außerstande war und die Darlehensgeberin und mittelbare Gesellschafterin B-L.P. offenkundig bestrebt gewesen ist, eine Insolvenz der Klägerin zu vermeiden. Ein innerer Sachzusammenhang zur vormaligen entgeltlichen Gebrauchsüberlassung kann daraus nicht abgeleitet werden. Der Umstand, dass die Klägerin mit dem Darlehen den Grundstückserwerb finanziert

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht hatte, hat zwar dazu geführt, dass die während der Vermietungszeit angefallenen Darlehenszinsen als Betriebsausgaben gewinnmindernd zu berücksichtigen waren. Entgegen der Sichtweise des BMF folgt daraus aber keineswegs, dass deshalb auch das für den Erwerb der Vermögenssubstanz aufgenommene Darlehensstammrecht als im Inland steuerverhaftet angesehen werden müsste. Von einem unzulässigen „Cherry picking“ seitens der Klägerin kann mithin nicht die Rede sein. Verzichtsertrag auch nicht Teil des Veräußerungsgewinns 32 bbb) Die infolge des Verzichts auf die Darlehensforderung eingetretene Vermögensmehrung gehört auch nicht zum Veräußerungsgewinn i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 Doppelbuchst. bb EStG aus dem Verkauf des Grundstücks. Veräußerungsgewinn im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist der Veräußerungspreis abzüglich Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten und Veräußerungskosten (vgl. Senatsurteile in BFHE 199, 300, BStBl II 2004, 344, und in BFH/NV 2002, 1433, sowie vom 22. August 2006 I R 6/06, BFHE 215, 103, BStBl II 2007, 163). Die verzichtsbedingte Vermögensmehrung kann nicht als Bestandteil des der Klägerin zugeflossenen Kaufpreises angesehen werden; denn es handelt sich dabei nicht um eine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück. Der einzige Zusammenhang zwischen dem Darlehensverzicht und dem Verkaufserlös ist der Umstand, dass die geringe Höhe des erzielten Kaufpreises die Ursache für die prekäre Vermögenslage der Klägerin gewesen ist, welche sodann den Forderungsverzicht ausgelöst hat. Dies führt jedoch nicht dazu, die verzichtsbedingte Vermögensmehrung aus wirtschaftlicher Sicht als Gegenleistung zur Eigentumsverschaffung zu werten. Verzichtbedingte Vermögensmehrung im Inland nicht steuerbar 33 3. Sonach handelt es sich bei der verzichtsbedingten Vermögensmehrung nicht um der beschränkten Steuerpflicht unterliegende inländische Einkünfte der Klägerin. Auf die zwischen den Beteiligten des Weiteren streitige Frage, ob auf der Grundlage der Rechtsauffassung von FA und BMF das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nach dem für das Streitjahr geltenden Abkommen mit dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeschlossen wäre oder nicht, kommt es somit für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.“

IV. Anmerkungen – auch zum Entwurf des „JStG 2018“ –

Die Entscheidung wird von der Finanzverwaltung akzeptiert6 und ist zwischenzeitlich im BStBl Teil II veröffentlicht worden.7 Zustimmend ebenso das Schrifttum.8

6 OFD Frankfurt v. 9.8.2017, juris; ausführlich OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/0007-St 122, IStR 2017, 996 = StEK EStG § 49 Nr. 90. 7 BStBl II 2017, 704. 8 Bspw. Weiss, EStB 2017, 242; Werth, DB 2017, 1057; Trautmann/Dörnhöfer, IWB 2017, 499.

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Allerdings wird auch vereinzelt eine Differenzierung danach befürwortet, ob der Darlehensverzicht erst – wie im Streitfall – nach Beendigung der Vermietung oder noch während der Grundstücksüberlassung erklärt wird; in letzterem Fall gehöre der Ertrag zu den Einkünften nach § 21 EStG.9 Hierfür gibt das Besprechungsurteil aber keinen hinreichenden Anhalt.



Klar ist hiernach auch, dass Darlehenszinsen die gewerblichen VuVEinkünfte mindern. Nicht entschieden ist allerdings, ob hierbei an die Entstehung der Zinsschuld oder an die tatsächliche Bezahlung der Zinsen anzuknüpfen ist. Folgt man ersterer Betrachtung, so hat dies mE nicht zur Folge, dass ein Zinsverzicht des Gläubigers den BAAbzug unberührt ließe; er wird vielmehr durch den Ertrag aus dem Wegfall der (noch nicht erfüllten) Zinsverpflichtung ausgeglichen. In der Sache entspricht dies bei VuV-Einkünften der Behandlung der WKErstattung als Einnahmen aus VuV (s. dazu Schmidt/Kulosa, EStG37, § 21 Rz. 121).



Zur Frage, ob ein Veräußerungsgewinn nach § 6b EStG übertragen werden kann, s. verneinend OFD NRW v. 5.9.2017 – S 1300-2010/ 0007-St 122, IStR 2017, 996 = StEK EStG § 49 Nr. 90; Weiss, EStB 2017, 242 (244: kein Anlagevermögen; aber uU unionswidrig).



Beachte: Nach dem Entwurf zum „JStG 2018“ (genauer: Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften; BRDrucks. 372/18) soll für Wertveränderungen ab 2019 § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG dahin ergänzt werden, dass „zu den Einkünften aus der Veräußerung von inländischem unbeweglichen Vermögen auch Wertveränderungen von WG gehören, die mit diesem Vermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen“.

Die Entwurfsbegründung (BRDrucks. 372/18, 50) verweist hierbei auf die Geltung des Veranlassungsprinzips sowie darauf, dass ohne Einbeziehung der Darlehensverbindlichkeiten zur Finanzierung des unbeweglichen inländischen Vermögens auch die Schuldzinsen nicht abziehbar wären. Darüber hinaus wird dem Besprechungsurteil (I R 76/14) eine „zu enge Sicht“ sowie ferner vorgehalten, es begünstige ausländische Investoren gegenüber inländischen Grundstücksgesellschaften.

9 Böhmer/Mundhenke, ISR 2017, 243.

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Erste Einschätzung –

Die Entwurfsbegründung beruht nicht nur im Hinblick auf die Zurechnung von Zinsen zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf einem Missverständnis. Mit anderen Worten: Zinsen sind – wie ausgeführt – auch nach aktueller Rechtslage als BA bei den umqualifizierten Einkünften aus VuV anzusetzen.



Darüber hinaus wird das Veranlassungsprinzip nicht richtig gedeutet.10 Die Ausführung des Entwurfs berücksichtigen insoweit nicht hinreichend, dass § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG lediglich Vermietungseinkünfte im Wege der Fiktion in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert. Dies begrenzt – wie im Besprechungsurteil erläutert – den Bereich steuerbarer Einkünfte und damit den durch das Veranlassungsprinzip eröffneten Zurechnungszusammenhang.



Will man die Intention des Gesetzgebers umsetzen, wäre es deshalb vorzuziehen, das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte zu fingieren. Diese (fiktive) Betriebsstätte wäre dann auch zugleich der zutreffende Bezugspunkt für eine materiell korrekte Veranlassungsprüfung; s. aber nachfolgend, letzter Spiegelstrich.



Auf dieser Grundlage wäre zudem die nach aktuellem Stand vorgesehene und nicht recht nachvollziehbare Sonderregelung für Veräußerungsgewinne obsolet, dh. es könnte dann nicht fraglich sein, dass Wertveränderungen bei anderen Wirtschaftsgütern auch die umqualifizierten fingierten VuV-Einkünfte erhöhen könnten.



Im Schrifttum wird allerdings geltend gemacht, dass die Ausdehnung der Besteuerungsbefugnis nicht von den Art. 6 Abs. 1 bzw. Art. 13 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Vorschriften des jeweils einschlägigen Abkommens gedeckt werde11 und damit die Neuregelung DBArechtlich leer liefe. Die Frage berührt das Spannungsverhältnis, dass einerseits die Frage der Einkunftsermittlung dem nationalen Recht zugewiesen ist, es sich andererseits aber um Einkommen „aus unbeweglichem Vermögen“ oder „aus der Veräußerung (von unbeweglichem Vermögen)“ handeln muss. Vielleicht ist hierin auch das Motiv für den Gesetzgeber sehen, von einer Betriebsstättenfiktion Abstand zu nehmen.

10 Zu Recht kritisch Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1751. 11 Cloer/Hagemann/Lichel/Schmitt, BB 2018, 1751.

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C. Gewerblich geprägte Personengesellschaften – ausländische Mitunternehmer und inländische Betriebsstätte – Zurechnung von Wirtschaftsgütern I. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFHE 260, 209 = FR 2018, 558 1. Sachverhalt (vereinfacht) – Streitjahre: 2007 bis 2009 An der Ende 2007 errichteten Klägerin zu 1., einer inländischen GmbH & Co. KG (I-KG), waren zwei chilenische Kapitalgesellschaften (S.A.; im Folgenden CL-Kapitalgesellschaften) – Klägerinnen zu 2. und 3. – mit Kommanditanteilen von 70 % und 15 % beteiligt. Die Kapitalgesellschaften handelten in Chile mit Y-Produkten. Nach dem Gesellschaftsvertrag war eine solcher Handel auch Unternehmensgegenstand der I-KG; tatsächlich handelte es sich jedoch um eine gewerblich geprägte Personengesellschaft. Zum Geschäftsführer der Komplementär-GmbH wurde A berufen. Die CL-Kapitalgesellschaften waren ferner mittelbar an der inländischen B-KG beteiligt, die ihren Handelsbetrieb (ebenfalls betreffend Y-Produkte) mit demjenigen ihres Hauptkonkurrenten in der inländischen I-GmbH vereinigte. Die Klägerin zu 1. (I-KG) erwarb zum 1.1.2007 einen Anteil von 50 % an der I-GmbH. In den Streitjahren 2008 und 2009 erhielt die Klägerin zu 1. Gewinnausschüttungen von der I-GmbH (3 490 060 t [2008]; 1 059 349 t [2009]). Die I-KG hatte zudem im Zuge des Unternehmenszusammenschlusses verschiedene WG von der B-KG erworben und diese zunächst an die bisherige Mieterin (G-KG) weiterhin vermietet. Da die I-KG weder über eigenes Personal noch über eigene Büroräume verfügte, hatte sie mit der B-KG einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen; die Geschäfte der B-KG führte ihre Komplementär-GmbH, zu deren Geschäftsführer wurde gleichfalls A bestellt. Die I-KG begehrte für die Streitjahre gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellungen unter Einbeziehung sämtlicher Gesellschafter sowie – zur Vermeidung der Abgeltungsteuer – der Gewinnausschüttungen der I-GmbH (einschl. der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge: Kapitalertragsteuer, Zinsabschlag und Solidaritätszuschlag). Dem folgte das FA nicht. Das FG Bremen gab der dagegen gerichteten Klage statt (Urteil v. 25.6.2015 – 1 K 68/12 [6], EFG 2016, 88).

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Der BFH hat das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache mangels Entscheidungsreife an das FG zurückverwiesen.

2. Einschlägige Vorschriften (Hervorhebungen durch Verf.) „§ 49 EStG „(1) Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht … sind … 2. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§§ 15 bis 17), a) für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist, …“ „§ 50 EStG (1) 1Die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn oder vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a unterliegen, gilt bei beschränkt Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten. 2Satz 1 gilt nicht 1. für Einkünfte eines inländischen Betriebs …“ „§ 32 KStG (1) Die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen, ist durch den Steuerabzug abgegolten, … 2. wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen oder land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb angefallen sind.“

3. Fallfragen 1. Unterhält eine nur gewerbliche geprägte Personengesellschaft (hier: I-KG) einen Gewerbebetrieb und eine gewerbliche Betriebsstätte iSv. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit der Folge der beschränkten KSt.Pflicht der Kapitalgesellschaft? 2. Ist dies auch ein gewerblicher Betrieb iSv. § 32 KStG mit der Folge, dass die Dividendenerträge nicht mit dem Steuerabzug abgegolten sind? 3. Unter welchen Voraussetzungen sind Einkünfte iSv. § 32 KStG im inländischen Betrieb angefallen?

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4. Aus den Gründen – Revision des FA hat Erfolg „11 Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Sache ist nicht spruchreif. Zur Frage der Abgeltungswirkung des Kapitalertragsteuerabzugs (Ausschüttungen aus der KP GmbH) bedarf es weiterer Feststellungen, ob die Beteiligung an dieser Kapitalgesellschaft, soweit sie anteilig auf die Klägerinnen zu 2. und zu 3. entfällt, nach dem Veranlassungsprinzip deren durch ihre Beteiligung an der Klägerin zu 1. vermittelten inländischen Betriebsstätten oder ob sie den ausländischen Betriebsstätten der Klägerinnen zu 2. und 3. zuzurechnen sind, die diese aufgrund ihrer jeweils (eigenen) unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Ansässigkeitsstaat unterhalten. Keine Feststellungsverfahren bei Abgeltungswirkung 12 1. Gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) sind einkommen- und körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Gegenstand der einheitlichen Feststellung sind die von den Beteiligten gemeinschaftlich erzielten und im Inland steuerpflichtigen Einkünfte (z.B. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2013 I R 39/11, BFHE 241, 1, BStBl II 2016, 434; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Rz 56). Allerdings werden aus der Feststellung solche Einkünfte, die wegen beschränkter Steuerpflicht von Beteiligten einer abgeltenden Steuer unterliegen, ausgenommen, weil insoweit ein gesondertes Feststellungsverfahren keine „Bedeutung“ für ein Steuerfestsetzungsverfahren hat (Senatsurteil vom 23. Oktober 1991 I R 86/89, BFHE 166, 74, BStBl II 1992, 185; Brandis in Tipke/Kruse, ebenda). Die Entscheidung hierüber ist in dem Feststellungsverfahren zu treffen, in dem ansonsten diese Einkünfte festzustellen wären (Senatsurteil in BFHE 166, 74, BStBl II 1992, 185). Keine Abgeltungswirkung, wenn Einkünfte im inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind 13 2. Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG ist die Körperschaftsteuer für Einkünfte, die der Kapitalertragsteuer gemäß § 43 EStG unterliegen, durch den Steuerabzug abgegolten, wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind. Diese Regelung verwirklicht (wie auch § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) das sog. Betriebsstättenprinzip. Eine Abgeltungswirkung ist bei beschränkter Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen, wenn aufgrund einer Betriebsstätte Vollstreckungsmöglichkeiten gegeben sind (z.B. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 32 KStG Rz. 10a; Gosch, KStG, 3. Aufl., § 32 Rz. 21 und 26; Blümich/Werning, § 32 KStG Rz. 7; Hendricks in Rödder/Herlinghaus/ Neumann, KStG, § 32 Rz. 17; Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 KStG Rz. 14).

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Klägerin zu 1. ist gewerblich geprägte Personengesellschaft 14 a) Die Klägerin zu 1., eine nach den Feststellungen des FG nicht gewerblich, sondern vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft (KG), bei der ausschließlich eine Kapitalgesellschaft persönlich haftende Gesellschafterin ist und nur sie zur Geschäftsführung befugt ist, ist eine sog. gewerblich geprägte Personengesellschaft i.S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG. Demgemäß gilt ihre mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit – nach den Feststellungen des FG eine inländische Vermietungstätigkeit und das Halten einer inländischen Beteiligung – in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, so dass ihre Gesellschafter mitunternehmerisch gewerbliche Einkünfte erzielen. Diese Einkünftequalifizierung wird durch die Art der persönlichen Steuerpflicht der jeweiligen Gesellschafter nicht berührt (z.B. Mick/Dyckmans in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 4. Aufl., Rz. 8.68). Beschränkte KSt.-Pflicht der Klägerinnen zu 2. und 3. gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG 15 b) Die Einkünfte sind auch insoweit, als sie der Klägerin zu 2. und der Klägerin zu 3. zuzurechnen sind, im Inland steuerpflichtig, da die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfüllt sind. Klägerinnen zu 2. und 3. sind nach Typenvergleich Kapitalgesellschaften 16 aa) Die Klägerin zu 2. und die Klägerin zu 3. sind nach den Feststellungen des FG Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts. Sie sind als „Körperschaften“ ohne Geschäftsleitung (§ 10 AO) und ohne Sitz (§ 11 AO) im Inland beschränkt steuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG), da sie „inländische Einkünfte“ erzielen (zur gegenständlichen Begrenzung der beschränkten Steuerpflicht auf die inländischen Einkünfte s. z.B. Senatsurteile vom 17. Dezember 1997 I R 95/96, BFHE 185, 16, BStBl II 1998, 260; vom 10. April 2013 I R 22/12, BFHE 241, 251, BStBl II 2013, 728; Blümich/Rengers, § 2 KStG Rz. 30; Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 KStG Rz. 70). Gewerbebetrieb mit inländischer Betriebsstätte 17 bb) Die Klägerinnen zu 2. und 3. haben inländische Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erzielt, weil für den Gewerbebetrieb (hier: § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Gewerbebetrieb umfasst auch gewerblich Prägung 18 aaa) Der Begriff des Gewerbebetriebs (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG) bezieht sich mit dem Verweis auf (u.a.) § 15 EStG auf alle dort angeführten Einzeltatbestände. Damit ist auch § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG einbezogen (z.B. Roth in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 144, 160; Blümich/Wied, § 49 EStG Rz 59; Schmidt/ Loschelder, EStG, 36. Aufl., § 49 Rz 20). Inländische Betriebsstätte 19 bbb) Die Klägerin zu 1. hat ferner als Grundlage der Einkünfteerzielung ihrer Gesellschafter eine inländische Betriebsstätte unterhalten.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht gem. innerstaatlichem Recht (§ 12 AO) – nicht DBA-Recht 20 (1) Maßgebend hierfür ist – da in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht auf anderweitige Maßgaben verwiesen ist – das innerstaatliche Recht und damit § 12 AO (z.B. Senatsurteile vom 15. Dezember 1999 I R 16/99, BFHE 191, 45, BStBl II 2000, 404; vom 4. Juni 2008 I R 30/07, BFHE 222, 14, BStBl II 2008, 922; s.a. Senatsurteil vom 20. Juli 2016 I R 50/15, BFHE 254, 365, BStBl II 2017, 230; Gosch in Kirchhof, EStG, 16. Aufl., § 49 Rz 13; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 49 Rz 22; Blümich/Reimer, § 49 EStG Rz 65; Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 190; Kahle/Kindich, Unternehmensteuern und Bilanzen 2015, 782, 785; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 12 AO Rz 3; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz 5). Nach § 12 Satz 1 AO ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient (s. z.B. Senatsurteil vom 2. April 2014 I R 68/12, BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875). Da § 12 Satz 1 AO – im Gegensatz zur früheren Regelung in § 16 des Steueranpassungsgesetzes – nicht mehr die Ausübung eines stehenden Gewerbes, sondern allgemein die unternehmerische Tätigkeit fordert, werden von § 12 AO auch Betriebsstätten erfasst, die einem Betrieb zuzurechnen sind, dessen Tätigkeit kraft Gesetzesfiktion ertragsteuerrechtlich als Gewerbebetrieb gilt (so im Ergebnis wohl auch Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz 20; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 12 AO Rz 17; Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 200; Wiese/Lukas, GmbH-Rundschau – GmbHR – 2016, 803; s.a. BMF-Schreiben vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076 Tz. 1.1.5.1). Auch für einen solchen Betrieb ist insbesondere mit Blick auf die mit der Tätigkeit ausgelöste Gewerbesteuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Satz 3 des Gewerbesteuergesetzes) eine räumliche Zuordnung der Einkünfte erforderlich (s. insoweit auch Senatsurteil in BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz 5). Dass die Gesetzesfiktion in grenzüberschreitenden Zusammenhängen unter Geltung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) ungeachtet von Art. 3 Abs. 2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen – OECD-MustAbk –) nicht geeignet ist, den abkommensrechtlichen Begriff der Unternehmensgewinne zu erfüllen, sodass vermögensverwaltende Personengesellschaften abkommensrechtlich keine Unternehmensgewinne i.S. Art. 7 OECD-MustAbk erzielen (z.B. Senatsurteil vom 28. April 2010 I R 81/09, BFHE 229, 252, BStBl II 2014, 754), spielt hierbei keine Rolle (zutreffend z.B. Kahlenberg, Internationale Steuer-Rundschau 2016, 424, 426; Salzmann, Internationales Steuerrecht – IStR – 2016, 309, 311; Hagemann/Kahlenberg/ Cloer, Betriebs-Berater 2017, 599, 604 f.; Weiss, Neue Wirtschafts-Briefe 2016, 3148, 3155 f.; s.a. Lebelt, EFG 2016, 92 f.). hier: Geschäftsleistungsbetriebsstätte 21 (2) Als Betriebsstätte ist nach der beispielhaften Aufzählung in Satz 2 des § 12 AO insbesondere die Stätte der Geschäftsleitung (Nr. 1) anzusehen. Die Geschäftsleitung befindet sich nach § 10 AO dort, wo der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung liegt. Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i.S. von § 10 AO ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Es kommt hierbei darauf an, an welchem Ort die für die Geschäftsführung erforderli-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht chen Maßnahmen von einigem Gewicht angeordnet werden. Regelmäßig ist das der Ort, an dem die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende laufende Geschäftsführertätigkeit entfalten, d.h. an dem sie die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte). Für Personengesellschaften bedeutet dies, dass sich der Mittelpunkt der Geschäftsleitung regelmäßig dort befindet, wo die zur Vertretung befugten Personen die ihnen obliegende Geschäftsführertätigkeit entfalten. Für die zur Geschäftsführung berufene Komplementär-GmbH einer KG ist deshalb entscheidend, an welchem Ort die für die GmbH handelnde Geschäftsführung die Geschäfte, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes mit sich bringt, tatsächlich wahrnimmt. Mit den Tagesgeschäften sind diejenigen Geschäfte gemeint, die in die alleinige Zuständigkeit des Komplementärs fallen und keines Gesellschafterbeschlusses bedürfen (Senatsurteile vom 23. Januar 1991 I R 22/90, BFHE 164, 164, BStBl II 1991, 554; vom 7. Dezember 1994 I K 1/93, BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175; Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 3. Juli 1997 IV R 58/95, BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86; vom 12. Februar 2004 IV R 29/02, BFHE 205, 295, BStBl II 2004, 602; vom 5. November 2014 IV R 30/11, BFHE 248, 81, BStBl II 2015, 601). Ist der Komplementär verpflichtet, zu bestimmten Geschäften – i.S. der „über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgehenden“ Handlungen i.S. des § 164 des Handelsgesetzbuchs (HGB) – die Beschlussfassung der Kommanditisten einzuholen, so ist ein derartiger Vorbehalt nicht geeignet, den mehr durch das Tagesgeschäft als durch die gesellschaftsrechtlichen Kontroll- oder Weisungsbefugnisse bestimmten Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung vom geschäftsführenden Komplementär auf die Kommanditisten zu verlagern (BFH-Urteil in BFHE 184, 185, BStBl II 1998, 86). Tagesgeschäfte von A erledigt 22 (3) Nach diesen Maßgaben hat das FG ohne Rechtsfehler dahin erkannt, dass die Klägerin zu 1. über eine inländische Stätte der Geschäftsleitung verfügt hat. Nach den Feststellungen des FG wurden die Tagesgeschäfte der Klägerin zu 1. (z.B. Buchführung; Fertigung von Steuererklärungen; laufende Geschäftsvorfälle) – auch wenn sie mit Rücksicht auf die Art der (vermögensverwaltenden) Tätigkeit der Klägerin zu 1. keinen großen Umfang eingenommen haben sollten – ausschließlich von dem im Inland ansässigen A als Geschäftsführer der Komplementärin erledigt. Abschluss eines Managementvertrags unschädlich 23 Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats enthält § 12 AO in seinem Satz 2 grundsätzlich eine Definitionserweiterung, die nicht notwendigerweise eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraussetzt (z.B. Senatsurteil vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148, zur Geschäftsleitungsbetriebsstätte; s. zur Abgrenzung z.B. Senatsurteil vom 17. September 2003 I R 12/02, BFHE 203, 400, BStBl II 2004, 396, zur Verkaufsstelle). Dieser Rechtsprechung wird in der Literatur teilweise zugestimmt (z.B. Blümich/Reimer, § 49 EStG Rz 65; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 12 AO Rz 23; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht AO Rz 25), teilweise wird sie abgelehnt (z.B. Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 205). Jedenfalls sind die allgemeinen Anforderungen – nämlich eine „feste“ Geschäftseinrichtung mit einer festen Beziehung zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (z.B. Senatsurteil in BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875, m.w.N.) – vom FG ebenfalls rechtsfehlerfrei als erfüllt angesehen worden. Verfügungsmacht in diesem Sinne bedeutet, dass dem Unternehmer ein für seine Tätigkeit geeigneter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung steht, wofür insbesondere die Identität der handelnden Organe der überlassenden und der nutzenden Gesellschaft spricht (z.B. Senatsurteil vom 23. Februar 2011 I R 52/10, BFH/NV 2011, 1354; BFH-Urteil in BFHE 248, 81, BStBl II 2015, 601). Auch die Tatsache, dass eine Gesellschaft sowohl hinsichtlich der von ihr genutzten Räumlichkeiten als auch für das benötigte Personal auf eine Managementgesellschaft zurückgreift, hindert die Annahme einer Betriebsstätte nicht. Vielmehr reicht es aus, dass die Gesellschaft aufgrund des zur Verfügung gestellten „sachlichen und personellen Organismus“ in der Lage ist, ihrer unternehmerischen Tätigkeit „operativ“ nachzugehen; dies gilt sowohl für den abkommensrechtlichen Zusammenhang (Senatsurteil vom 24. August 2011 I R 46/10, BFHE 234, 339, BStBl II 2014, 764) als auch für einen „reinen Inlandsfall“. Hiervon ist nach den Feststellungen des FG auch im Streitfall auszugehen, da A sowohl Geschäftsführer der geschäftsführenden Komplementär-GmbH der B KG (als Dienstleister) als auch der Komplementär-GmbH der Klägerin zu 1. war. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG umfasst auch gewerblich geprägte Einkünfte 24 c) Die Klägerinnen zu 2. und 3. haben aufgrund der gewerblichen Prägung der Klägerin zu 1. nicht nur inländische Einkünfte erzielt. Zutreffend hat die Vorinstanz ferner angenommen, dass zu den Einkünften eines „gewerblichen Betriebs“ i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG auch gewerblich geprägte Einkünfte (hier: § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) gehören. 25 Der Senat kann dem Wortlaut der Regelung keinen Anhalt dafür entnehmen, dass der Tatbestand eine aktive gewerbliche Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG voraussetzen und damit den Tatbestand des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ausschließen würde. Dass es – je nach Normzweck – sachgerecht sein kann, die Fiktion gewerblicher Einkünfte aus dem Tatbestand, der eine gewerbliche Tätigkeit erfordert, auszunehmen, ändert hieran nichts. Insbesondere kann das FA insoweit nicht mit Erfolg auf den Rechtsbegriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (§ 14 AO) und das dazu ergangene Senatsurteil vom 25. Mai 2011 I R 60/10 (BFHE 234, 59, BStBl II 2011, 858) verweisen. Wenn dort vermögensverwaltende Einkünfte trotz gewerblicher Prägung vom „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ ausgeschlossen und dem steuerbefreiten Teil einer Tätigkeit zugewiesen sind, hat dies seine Ursache in der durch den Aspekt des Wettbewerbsgedankens geleiteten und damit normspezifischen Auslegung der Regelungen des § 14 AO. Auch der Umstand, dass bei der Formulierung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG die Fiktion gewerblicher Tätigkeit (gesetzliche Regelung ab 1986) noch unbekannt war, kann nicht als tragfähiges gesetzeshistori-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht sches Argument angesehen werden, das geeignet wäre, eine zweckgerechte und vom Wortlaut getragene Subsumtion zu beeinflussen. Aber: Ungeklärt, ob die Einkünfte im inländischen Gewerbebetrieb „angefallen“ sind 26 d) Die Sache ist jedoch nicht entscheidungsreif, da der Senat auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanz nicht entscheiden kann, ob die vorliegend streitigen Gewinnausschüttungen i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG im inländischen Gewerbebetrieb „angefallen“ sind. Maßgeblich Veranlassungsprinzip – Betriebsstätten-Zurechnungsgrundsätze ohne Rücksicht auf Gesamthandvermögenszugehörigkeit 27 Zwar ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl die vermieteten Wirtschaftsgüter als auch die Beteiligung an der KP GmbH als zivilrechtlich eigenes gesamthänderisches Gesellschaftsvermögen (§ 161 Abs. 2, § 105 Abs. 2 HGB, § 718 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zum Betriebsvermögen der Klägerin zu 1. gehören. Auch wenn dies für die ertragsteuerrechtliche Zuordnung eines rein innerstaatlichen Sachverhalts grundsätzlich genügt (zu den maßgebenden Prüfungskriterien innerstaatlichen Rechts s. z.B. BFH-Urteile vom 25. November 2004 IV R 7/03, BFHE 208, 207, BStBl II 2005, 354; vom 3. März 2011 IV R 45/08, BFHE 233, 137, BStBl II 2011, 552; s.a. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 480 ff.), ist vorliegend der Umstand zu berücksichtigen, dass die Klägerinnen zu 2. und 3. nicht nur aufgrund ihrer Beteiligung an der Klägerin zu 1. inländische gewerbliche Einkünfte erzielt haben, sondern in ihrem Ansässigkeitsstaat auch eine weitere eigene unternehmerische Tätigkeit ausgeübt haben. Demgemäß bedarf es der Prüfung, in welchem Umfang die Wirtschaftsgüter, aus deren Nutzung Einkünfte erzielt werden, nach dem Veranlassungsprinzip der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Maßstab ist demgemäß – wie der Senat bereits entschieden hat – die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu den in den einzelnen Betriebsstätten (Unternehmen) entfalteten betrieblichen Tätigkeiten. Dies gilt nicht nur – in Übereinstimmung mit den zu § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG und § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG zu beachtenden Grundsätzen – für den Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (z.B. Senatsurteile vom 24. Februar 1988 I R 95/84, BFHE 153, 101, BStBl II 1988, 663; vom 17. November 1999 I R 7/99, BFHE 191, 18, BStBl II 2000, 605; vom 12. Oktober 2016 I R 92/12, BFHE 256, 32; s.a. allgemein Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 49 Rz 15), sondern gleichermaßen auch, wenn, wie im Streitfall, zu erkennen ist, ob i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG die Einkünfte im inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind. Der Umstand, dass die Wirtschaftsgüter zum Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehören, steht dem erkennbar nicht entgegen. Im Gegenteil: Da nach der ertragsteuerrechtlich gebotenen Transparenzbetrachtung die Betriebsstätte der Klägerin zu 1. ihren Gesellschaftern (Klägerinnen zu 2. und 3.) zuzurechnen ist, müssen insoweit dieselben Zuordnungssätze zum Tragen kommen, die für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern zum ausländischen Stammhaus oder zur inländischen (nicht durch die Beteiligung an einer Personengesellschaft vermittelten) Betriebsstätte eines ausländischen Einzelunternehmers, einer ausländischen Personengesell-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht schaft oder einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu beachten sind (Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 165 i.V.m. Rz 408; Wassermeyer in Wassermeyer/Andresen/ Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Rz 9.4 f.; wohl auch Kraft/Hohage, Der Betrieb 2017, 2565, 2566 f.; unter Hinweis auf das Vorliegen von betrieblichem Gesamthandsvermögen im Ergebnis a.A. Töben, Finanz-Rundschau 2016, 543, 550 f.; Petersen, IStR 2012, 238, 241; Wiese/Lukas, GmbHR 2016, 803 f.). FG-Feststellung unzureichend 28 Das FG hat in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf den Erwerb der Beteiligung im eigenen Namen und mit eigenen Mitteln durch die Klägerin zu 1. sowie die Zuordnung zum dortigen Gesamthandsvermögen abgestellt. Zwar hat das FG im angefochtenen Urteil weiterhin festgehalten (s. dazu Rz 219 des jurisNachweises), für die Zurechnung der Beteiligung zur Klägerin zu 1. spreche, dass die Erträge der Klägerin zu 1. aus dieser Beteiligung in den Streitjahren erheblich gewesen seien. Außerdem seien unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhänge der Beteiligung zu den ausländischen Betriebsstätten der Klägerinnen zu 2. und zu 3. in Chile nicht ersichtlich, da unmittelbare wirtschaftliche Kontakte in keiner Weise belegt seien. Dass solche intensiven Beziehungen tatsächlich bestanden hätten, könne das Gericht nicht erkennen. Diese Feststellungen reichen indes für eine Veranlassungsprüfung (Zuordnungsentscheidung) i.S. einer Gewichtung der Tätigkeiten im Inland und im Ausland auf der Grundlage der in den (ausländischen) unternehmerischen Betriebsstätten der Klägerinnen zu 2. und zu 3. ausgeübten Tätigkeiten bereits deshalb nicht aus, weil die eigenen und offenkundig nicht vernachlässigbaren unternehmerischen Tätigkeiten der Klägerinnen zu 2. und 3. in ihrem Ansässigkeitsstaat nicht streitig sind. Demgemäß hätte es der Aufklärung dieser Umstände und einer hierauf – ggf. unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze zur Feststellungslast – gestützten Zuordnungsentscheidung bedurft. Der Senat kann diese Feststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen. Höhe der Managementvergütung zwischenzeitlich unstreitig 29 3. Im Revisionsverfahren haben das FA und das BMF keine Einwendungen gegen das angefochtene Urteil erhoben, soweit dort die von der Klägerin zu 1. aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrages geleisteten Zahlungen an die B KG als Betriebsausgaben gewinnmindernd im Rahmen der im Streit befindlichen gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung der Klägerin zu 1. in den Streitjahren berücksichtigt worden sind. Der Senat teilt diese rechtliche Würdigung des FG und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab …“

5. Leitsätze „1. Eine nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägte (inländische) KG vermittelt ihren (ausländischen) Gesellschaftern eine Betriebsstätte i.S. von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 2 Nr. 1 KStG; die Abgeltungswirkung für den Kapitalertragsteuerabzug (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG) ist insoweit ausgeschlossen.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 2. Übt der Gesellschafter einer solchen (inländischen) KG im Ausland eine (weitere) eigene unternehmerische Tätigkeit aus, bedarf es der Prüfung, ob die Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens der inländischen Betriebsstätte der KG oder der durch die eigene Tätigkeit des Gesellschafters begründeten ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen sind. Maßstab hierfür ist das Veranlassungsprinzip. Dies gilt auch bei Sitz/Ansässigkeit der Gesellschafter in einem Staat, mit dem kein DBA abgeschlossen ist.“

II. Anmerkungen Schrifttum (Auswahl): Wacker, FR 2018, 562; Brandis, BFH/PR 2018, 150; Schade, BB 2018, 1000; Kahlenberg, IStR 2018, 348; Hagemann, NWB 2018, 1687; Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388; Mroz/Wellmann, FR 2018, 740.

1. Zur Kapitalertragsteuer a) Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils und Nicht-DBA-Fall Gehört in dieser Ausgangskonstellation (s. vorliegend im Verhältnis zu Chile = Nicht-DBA-Staat) der Anteil an der inländischen Tochter-Kapitalgesellschaft zum inländischen gewerblichen Betrieb iSv. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG der beschränkt kst.-pflichtigen Kapitalgesellschaft (§ 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 KStG iVm. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG – was im Streitfall allerdings das FG erst noch zu untersuchen haben wird –), ist Letztere ungeachtet dessen, ob sie unmittelbar im Inland eine Betriebsstätte unterhält oder ihr diese aufgrund des Gewerbetriebs einer (inländischen oder ausländischen) Personengesellschaft vermittelt wird – ggf. auf der Grundlage eines Feststellungbescheids – zur KStG zu veranlagen (§ 31 KStG iVm. § 25 KStG; § 20 Abs. 3 und 4 AO) mit der Folge, dass die dem KapErtrSt.-Abzug unterliegenden Dividendeneinkünfte (soweit nicht von der KSt. befreit) in die Einkommensermittlung einzubeziehen und hiermit im Zusammenhang stehende Betriebsausgaben die Dividendeneinkünfte vorbehaltlich der Hinzurechnung nach § 8b Abs. 5 KStG mindern. Auf die KSt. ist die KapErtrSt. – im Rahmen des Erhebungs-, nicht des Festsetzungsverfahrens – nach Maßgabe von § 36 Abs. 2 EStG (iVm. § 31 KStG) anzurechnen. Dies gilt sowohl nach § 36 Abs. 2 Buchst. a EStG für nach § 8b Abs. 4 KStG steuerpflichtige Streubesitzdividenden (unmittelbare Beteiligung geringer als 10 %) als auch nach § 36 Abs. 2 Buchst. b EStG für nach § 8b Abs. 1 ggf. iVm. Abs. 6 Satz 1 KStG von der KSt. befreite Dividenden. Grund: der KapErtrSt.-Abzug ist nach § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG ungeachtet der Steuerfreiheit der Dividenden gem.

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§ 8b KStG vorzunehmen. Demgemäß kann die KapErtrSt.-Anrechnung auch zu einer Erstattung führen (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG).12

b) Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils und DBA-Fall Besteht mit dem Ansässigkeitsstaat der beschränkt kst.-pflichtigen Kapitalgesellschaft ein DBA, so sind zwar mE die Grundsätze des nationalen Veranlassungsprinzips auch im Rahmen von Art. 7 OECD-MA zu beachten.13 Auf die vorstehenden Ausführungen zur Veranlagung und Anrechnung ist deshalb zu verweisen. Das Besprechungsurteil (I R 58/15) thematisiert aber den Sonderfall der Betriebsstätte einer vermögensverwaltenden (aber gewerblich geprägten) Personengesellschaft, für deren Einkünfte Rspr. und mittlerweile auch die FinVerw. davon ausgehen, dass sie nicht den Unternehmensartikeln der DBA (s. Art. 7 OECDMA) unterstehen.14 Im Schrifttum wird hierzu erläutert, dass auch dann, wenn das DBA-rechtliche Verständnis des Unternehmensgewinns von demjenigen des gewerblichen Gewinns iSv. § 15 Abs. 3 EStG (einschl. deren Fiktionen) abweicht, der Begriff des gewerblichen Betriebs iSv. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG nach den unilateralen Vorgaben des deutschen Ertragsteuerrechts zu bestimmen ist.15 Dies ist – wie auch im Besprechungsurteil ausgesprochen – fraglos zutreffend. Die Meinung dürfte aber mit der weitergehenden Vorstellung verbunden sein, dass auch die nach dem einschlägigen DBA von der deutschen Besteuerung ausgenommenen Einkünfte (hier: keine inländische Betriebsstätte iSd. DBA) in die Veranlagung zur KSt. (gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG) eingehen und damit im Rahmen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG die Anrechnung und ggf. Erstattung der KapErtrSt. auslösen. Dem dürfte zuzustimmen sein.

c) Keine Inlandszugehörigkeit des Kapitalgesellschaftsanteils Diese Konstellation kann entweder dadurch ausgelöst sein, dass im Inland keine Betriebsstätte (im unilateralen Sinne; s.o.) unterhalten wird

12 EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09 (Kommission ./. Deutschland), DStR 2011, 2038 Rz. 49, 79; Loschelder in Schmidt, EStG37, § 36 Rz. 5. 13 Grundsätzlich gl.A. Gosch in Kirchhof, EStG17, § 49 Rz. 18, § 50 Rz. 19a. 14 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BFHE 229, 252 = BStBl. II 2014, 754; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097 BStBl. I 2014, 1258 Tz. 2.2.1. 15 Gosch, KStG3, § 32 Rz. 21 aE.

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oder die Kapitalgesellschaftsanteile nach dem Veranlassungsprinzip nicht der (bestehenden) inländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind. In beiden Fällen kann es zur Erstattung der einbehaltenen KapErtrSt. kommen; allerdings sind die sich hierbei ergebenden Rechtsfolgen unionsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.

aa) Kapitalertragsteuer-Entlastung/Erstattung –

Nach § 44a Abs. 9 Satz 1 EStG werden, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine beschränkt steuerpflichtige Körperschaft ist, zwei Fünftel der einbehaltenen KapErtrSt. (vgl. § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG: KapErtrSt. = 25 % der Kapitalerträge = Dividenden) nach Maßgabe der Bestimmungen des § 50d Abs. 1 Satz 3–12, Abs. 3 und 4 EStG (ua. Antrag beim BZS.t) erstattet. Dies führt zu einer Belastung in Höhe des des KSt.-Satzes (vgl. § 23 KStG) von 15 %.



Greift das Schachtelprivileg entsprechend Art. 10 Abs. 2 Nr. 1 OECD-MA (dort: Höchstsatz von 5 % bei Beteiligung von mindestens 25 % an der die Dividenden zahlenden Gesellschaft), so berührt dies zwar vorbehaltlich der Freistellung im Steuerabzugsverfahren nicht den KapErtrSt.-Einbehalt (§ 50d Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 EStG). Hiervon unberührt bleibt jedoch der gegenüber dem BZSt. geltend zu machende Anspruch auf Erstattung des die Höchstgrenze übersteigenden KapErtrSt.-Einbehalts (§ 50d Abs. 1 Satz 2 ff. EStG). Für die Erstattung nach dem DBA-rechtlichen Schachtelprivileg ist die Zugehörigkeit der inländischen Tochter-Kapitalgesellschaft nach dem sog. Spezialitätenvorrang des Art. 7 Abs. 4 OECD-MA ohne Bedeutung; die Gegenausnahme des Betriebsstätten-Vorbehalts (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA) greift tatbestandlich nicht, da es – gemäß der Grundannahme dieser Fallgruppe – auch für Zwecke des DBA-Rechts an der Zugehörigkeit des Anteils an der Tochter-Kapitalgesellschaft zu einer Betriebsstätte im Quellenstaat (Deutschland) fehlt.



Darüber hinaus ist die einbehaltene KapErtrSt. nach der in Umsetzung der Mutter-Tochter-Richtlinie (vgl. Richtlinie 2014/86/EU v. 8.7.2014, ABl. EU 2014, L 219/40) ergangenen Bestimmung des § 43b EStG in vollem Umfang zu erstatten. Auch hierfür sind die Bestimmungen des § 50d Abs. 1 und 2 EStG zu beachten (Freistellungsoder Erstattungsverfahren; s. aber einschränkend § 43 Abs. 2 Satz 5 Halbs. 2 EStG). Voraussetzung ist in materieller Hinsicht, dass die EU-Muttergesellschaft (einschl. SE und SCE; s. Anlage 2 zum EStG)

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zum Zeitpunkt des Entstehens der KapErtrSt. (oder des Gewinnverteilungsbeschlusses) für einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten nachweislich ununterbrochen zu mindestens 10 % unmittelbar am Kapital der deutschen Tochter-Kapitalgesellschaft beteiligt ist.

bb) Unionsrechtliche Bedenken Nachdem der EuGH mit Urteil v. 20.10.201116 entschieden hatte, dass ein Mitgliedstaat die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) verletzt, wenn er aufgrund der Abgeltungswirkung des KapErtrSt.-Einbehalts bei beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Streubesitzdividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterwirft als solche Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz im Inland ausgeschüttet werden, hat der Gesetzgeber hierauf mit dem EuGH-UmsG v. 21.3.201317 in zweifacher Weise reagiert: Zum einen hat er die Steuerfreiheit nach § 8b KStG für Streubesitzdividenden, die nach dem 28.2.2013 zufließen beseitigt (§ 8b Abs. 4 iVm. § 34 Abs. 7a KStG nF), zum anderen wurde für EU/EWR-Gesellschaften mit einer Beteiligung unter der Mindestschwelle des § 43b EStG ein Antragsrecht auf Erstattung in § 32 Abs. 5 KStG nF eingeführt, das allerdings für gem. § 8b Abs. 4 KStG nF nach dem 28.2.2013 zugeflossene und damit steuerpflichtige Streubesitzdividenden nicht greift (vgl. § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG nF). Im Schrifttum ist umstritten, ob hierdurch ein unionskonformer Rechtszustand hierbeigeführt worden ist. Zum Teil wird ausgeführt, durch § 8b Abs. 4 KStG nF sei die Diskriminierung beschränkt KSt.-pflichtiger beseitigt worden.18 Andere sehen hingegen fortdauernde Verstöße in verschiedener Hinsicht:19 –

Steuerpflichtige Streubesitzdividenden unterliegen bei beschränkt KSt.-pflichtigen einer abgeltenden Bruttobesteuerung, die auf 15 % der Dividende reduziert werden kann (s.o.). Diese haben jedoch grds. kein Veranlagungswahlrecht und damit auch keine Möglichkeit, die

16 EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09 (Kommission ./. Deutschland), DStR 2011, 2038. 17 BGBl. I 2013, 561. 18 Schaumburg/von Freeden in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 7.34. 19 Siehe zusammenfassend zB Wernig in Blümich, § 32 KStG Rz. 2.

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im Zusammenhang mit den Streubesitzdividenden angefallenen Betriebsausgaben steuermindernd geltend zu machen.20 –

Wird der Grenzwert für Streubesitzdividenden überschritten (dh. ab 10 %), wird ferner bezweifelt, ob die Benachteiligung von in Drittstaaten ansässigen Dividendenempfängern (Kapitalgesellschaften) gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt.21



Ferner wird bezweifelt, ob mit der konkreten tatbestandlichen Fassung des § 32 Abs. 5 KStG (Erstattung in Altfällen für EU-/EWR-Gesellschaften; s.o.) sämtliche nach dem EuGH-Urteil Kommission ./. Deutschland22 anzunehmenden Verstöße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit beseitigt wurden.23



Im Schrifttum wird schließlich auch in diesem Zusammenhang auf das Problem der Inländerdiskriminierung hingewiesen. Inländische Muttergesellschaften unterlägen mit ihren steuerfreien Dividenden der Regelung des § 8b Abs. 5 KStG, bei EU-ausländischen Muttergesellschaften würde hingegen nach § 43 EStG vom KapErtrSt.-Abzug abgesehen. Dies begründe allerdings nach stRspr. keinen Grundfreiheitenverstoß.24

2. Zum Veranlassungsprinzip –

Zentraler Ausgangspunkt des Besprechungsurteils ist insoweit, dass die innerstaatliche Zuordnung, nach der WG des Gesamthandsvermögens – vorbehaltlich ihrer Zugehörigkeit zum notwendigen Privatvermögen sowie vorbehaltlich missbräuchlicher Gestaltungen (zB nicht auf Dauer angelegter Übertragungen) – zum Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft gehören,25 im grenzüberschreitenden Sachverhalt – zB Stpfl. unterhält sowohl im Ausland (Ansässigkeits-

20 Hinweis auf EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04 (Scorpio Konzertproduktionen), BStBl. II 2007, 352 zu § 50a EStG; glA Rengers in Blümich, § 8b KStG Rz. 181. 21 Vgl. BFH v. 26.6.2013 – I R 48/12, BFHE 242, 195 = BStBl. II 2014, 367 Rz. 27; Rengers in Blümich, § 8b KStG Rz. 182 mit Hinweisen zur Abgrenzung von Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. 22 EuGH v. 20.10.2011 – C-284/09 (Kommission ./. Deutschland), DStR 2011, 2038. 23 Dazu Gosch, KStG3, § 32 Rz. 52 f.; Wernig in Blümich, § 32 Rz. 25 ff. 24 ZB EuGH v. 26.1.1993 – C-112/91 (Werner), ABl. EG 1993, C 46/11; BFH v. 18.9.2003 – X R 2/00, BStBl. II 2004, 17; v. 15.7.2005 – I R 21/04, BStBl. II 2005, 716. 25 Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 480 ff.

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staat) als auch im Inland eine Betriebsstätte – keine Anwendung finden kann. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass der inländische Besteuerungszugriff im grenzüberscheitenden Sachverhalt bei gewerblichen (unternehmerischen) Einkünften auf dem Begriff der Betriebsstätte als territorialem Anknüpfungspunkt fußt (genuine link) und es hiernach insbes. nicht in das freie Belieben des Betroffenen gestellt ist, immaterielle Wirtschaftsgüter (wie bspw. Anteile an Kapitalgesellschaften) der inländischen oder ausländischen Besteuerung zu unterstellen. Maßgeblich ist vielmehr nach § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG der wirtschaftliche Zusammenhang und damit – wie im Urteil ausgeführt – die nach dem Veranlassungsprinzip zu bestimmende wirtschaftliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu den in den einzelnen Betriebsstätten (Unternehmen) tatsächlich entfalteten betrieblichen Tätigkeiten.26 Das auf einer wertenden Betrachtung fußende Veranlassungsprinzip zwingt den Rechtsanwender, die maßgeblichen Wertungskriterien offen zu legen (zB Gewichtung der verschiedenen Aktivitäten, Substanzanforderungen, primäre Zuordnung zum Stammhaus etc.). Dass sich hierbei – je nach individueller Einschätzung – unterschiedliche Ergebnissen einstellen können, ist kein methodischer Makel, sondern im Gegenteil Ausdruck der Transparenz der Entscheidungsfindung. Soweit im Schrifttum von einem Rechtsprechungswandel und davon die Rede ist, dass es im Gegensatz zu der den Veranlassungszusammenhang konstituierenden rechtlichen Zugehörigkeit um eine „wirtschaftliche Betrachtung“ gehe,27 werden die aufgezeigten Zusammenhänge verkannt. Zum einen fehlt es an einer Änderung der Rspr.; zum anderen fußt das Veranlassungsprinzip seit jeher auf einer wertenden Betrachtung, die die wirtschaftlichen Aspekte einer rechtlichen Bewertung unterzieht. –

Transparenz der Mitunternehmerschaft/Maßgeblichkeit der individuellen Merkmale: Der hiervon abweichenden Ansicht des FG, das die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Gesamthandsvermögen auch im grenzüberschreitenden Sachverhalt als bindend angesehen hat, war demnach nicht zu folgen. Das FG hat hierbei nicht nur die aufgezeigten Zusammenhänge, sondern darüber hinaus auch verkannt, dass Personengesellschaften sowohl im Kontext des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG als auch demjenigen der DBA-Unternehmensarti-

26 Einschränkend Hagemann, NWB 2018, 1687 (1692): Vermutung für Inlandszuordnung im KG-Fall; unzutr. 27 Kahlenberg, IStR 2018, 348.

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kel als transparent mit der Folge behandelt werden, dass die Betriebsstätte der Personengesellschaft (= Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit) ihren Gesellschaftern (Mitunternehmern) als eigene Betriebsstätte zugerechnet werden.28 Demgemäß kann es keinen Unterschied machen, ob die inländische Betriebsstätte des im Ausland Ansässigen in dessen Eigenvermögen gehalten wird oder zum Gesamthandsvermögen einer in- oder ausländischen Personengesellschaft gehört.29 Folge hiervon ist des Weiteren, dass die Zuordnungsentscheidung an den individuellen Merkmalen des jeweiligen inländischen oder ausländischen Mitunternehmers auszurichten ist und deshalb im Vergleich der Mitunternehmer zueinander zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.30 Das FG wird deshalb – was im Schrifttum zT nicht hinreichend beachtet wird31 – zunächst einmal die inländischen und ausländischen Tätigkeiten ermitteln und hierauf aufbauend nach den Grundsätzen einer veranlassungsgerechten Zuordnung gewichten müssen. Dem konnte und wollte der BFH nicht vorgreifen. –

Das Gesagte gilt grundsätzlich auf für gewerbliche geprägte Personengesellschaften. Sie unterfallen zwar nicht dem DBA-Unternehmensartikel, jedoch – wie Besprechungsurteil erläutert – den Regelungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, die im Nicht-DBAFall (s. Besprechungsurteil im Verhältnis zu Chile) zugleich den inländischen Besteuerungszugriff bestimmen. Im DBA-Fall ist allerdings – wie erläutert – zu beachten, dass die gewerbliche geprägte Personengesellschaft ihren Mitunternehmern keine unternehmerischen Einkünfte vermittelt und deshalb das nationale DividendenBesteuerungsrecht aus den Art. 10 OECD-MA entsprechenden Zuteilungsartikeln zu entnehmen ist.



Zur Frage, ob das nationale Veranlassungsprinzip auch für die DBArechtliche Zuordnung im Rahmen von Art. 7 OECD-MA zu beachten ist:32 Teilweise wird die Frage aufgeworfen, ob es damit – entsprechend der Rspr. zum DBA-rechtlichen Betriebsstättenvorbehalt –

28 Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 165, 421: Maßgeblichkeit der individuellen Merkmale. 29 Zustimmend Kahlenberg, IStR 2018, 348 (351). 30 Kritisch insoweit Hagemann, NWB 2018, 1687 (1691). 31 ZB Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388 (390). 32 S. – im Grundsatz bejahend (m.E. zu Recht) – Gosch in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 49 Rz. 18, § 50 Rz. 19a; einschränkend Hagemann, NWB 2018, 1687 (1691 f.).

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auf den tatsächlich funktionalen Zusammenhang ankommt.33 Der Einwand verkennt, dass der BFH bisher aus dem Merkmal nur dann eine Verengung der Zurechnungszusammenhangs abgeleitet, wenn es um die Zuordnung von Forderungen ging, die aus der Perspektive der Mitunternehmerschaft (Gesamthand) mit einer Verbindlichkeit korrespondieren; die Rspr. zielt mit anderen Worten darauf, den sog. Betriebsstättenvorbehalt und damit die Konkurrenz verschiedener Zuteilungsartikel zu lösen (zB Art. 7 OECD-MA gegenüber dem Zinsartikel des Art. 11). Im Besprechungsurteil war hingegen eine Zuordnungsentscheidung im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte zu treffen. Nebenbei: Exakt dies ist auch die Sicht des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs.34 –

Zur Einwirkung des AOA iVm. § 1 Abs. 5 AStG Gosch in Kirchhof, EStG17, § 49 Rz. 18, § 50 Rz. 19a; Wacker, DStR 2019, 836; Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388, (391 ff. zu § 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV); einschränkend Mroz/Wellmann, FR 2018, 740 (744 f.). Weiteres Schrifttum: Schade, BB 2018, 1000; Kahlenberg, IStR 2018, 348 (350).



Zur Frage, ob dann, wenn im Ausland keine Betriebsstätte unterhalten wird, der Kapitalgesellschaftsanteil notwendigerweise der inländischen Betriebsstätte der gewerblichen oder gewerblich geprägte Personengesellschaft zuzuweisen ist (kein „floating income“), s. Hagemann, NWB 2018, 1687 (1692 f.); Kahlenberg, IStR 2018, 348 (349); ähnlich. Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388 (392); Mroz/Wellmann, FR 2018, 740, (743 und 745 betr. Holdinggesellschaften). Auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist aber die von Zuordnung von Wirtschaftsgütern (hier: Anteile an Kapitalgesellschaften) zum Privatvermögen in den Blick zu nehmen. Folge hiervon ist, dass die Wirtschaftsgüter nur dann der inländischen Betriebsstätte des Stpfl. zuzurechnen sind, wenn sie zumindest die Anforderungen an die Bildung gewillkürten Betriebsvermögens erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens einer inländischen Personengesellschaft in Frage stehen; handelt es sich hierbei um eine gewerblich geprägte Personengesellschaft, wird die Veranlassungsprüfung – allgemeinen Grundsätzen folgend – an der originär vermögensverwaltenden Tätigkeit sowie deren Finanzierung anzusetzen und diese gegenüber der Tätigkeit im Ausland zu gewichten haben.

33 Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388 (390). 34 Entscheidung v. 18.10.2017 – Ro 2016/13/0014: funktionale Zuordnung.

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Die vorstehenden Grundsätze sind auch im Outboundfall sowie im Rahmen der Zurechnungsentscheidung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 iVm. Satz 6 f. KStG zu beachten (Beteiligung an Organgesellschaft gehört zu inländischen Betriebsstätte des Organträgers).35



Zum etwaigen Vorrang der gesetzlichen Zuordnungsentscheidung im UmwStG (dort §§ 5, 7) s. Middendorf/Eberhardt, StuB 2018, 388; Mroz/Wellmann, FR 2018, 740 (746).



Bemerkenswert schließlich, dass das Veranlassungsprinzip und seine normbezogenen Konkretisierung in der jüngeren Rspr. des I. Senats zu grenzüberschreitenden Sachverhalten ein deutlich wahrnehmbares Gewicht erhält. Dies gilt nicht nur für die Frage der Schuldenzurechnung,36 sondern auch für die Frage, welche Aufwendungen iSv. § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in „wirtschaftlichem Zusammenhang“ mit den zum Gewinn eines inländischen Betriebs gehörenden ausländischen Einkünften und damit deren Höhe sowie dem hierauf fußenden Anrechnungshöchstbetrag stehen: BFH v. 6.4.201637 (ua. zu gemischte Verwaltungskosten): Leitsatz „1. Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S. des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (§ 4 Abs. 4 EStG). 2. Weisen die Aufwendungen sowohl mit ausländischen Einkünften i.S. des § 34d EStG als auch mit inländischen Einkünften oder mit mehreren Arten von ausländischen Einkünften einen Veranlassungszusammenhang auf, so sind sie aufzuteilen oder den Einkünften zuzurechnen, zu denen sie vorwiegend gehören. 3. Diese Zurechnungsgrundsätze verstoßen weder gegen Verfassungs- noch gegen Unionsrecht.“

BFH v. 18.4.201838 (betr. Teilwertabschreibungen auf Darlehensforderungen gegen ausländische Gläubiger, Depotgebühren und Gewerbesteuer): Leitsatz „1. Bei verzinslichen Wertpapieren, die eine Forderung in Höhe ihres Nominalwerts verbriefen, ist eine Teilwertabschreibung unter den Nennwert 35 36 37 38

Mroz/Wellmann, FR 2018, 740 (746 f.); Blumers, DB 2017, 2893. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFHE 256, 32. BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BFHE 253, 348 = BStBl. II 2017, 48. BFH v. 18.4.2018 – I R 37/16, BFHE 261, 166 = BStBl. II 2019, 73.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht allein wegen gesunkener Kurse regelmäßig nicht zulässig (Bestätigung des Senatsurteils vom 8. Juni 2011 I R 98/10, BFHE 234, 137, BStBl II 2012, 716). 2. Ob Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen mit den den ausländischen Einkünften zugrunde liegenden Einnahmen i.S. des § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, bestimmt sich nach dem Veranlassungsprinzip (Bestätigung des Senatsurteils vom 6. April 2016 I R 61/14, BFHE 253, 348, BStBl II 2017, 48). 3. In die Bemessung des Anrechnungshöchstbetrags nach § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG können auch Wertveränderungen des Vermögensstamms eingehen.“

D. Berücksichtigung finaler Verluste – Neues vom EuGH I. EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16 (A/S Bevola), FR 2018, 643 „Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft, die nicht eine Regelung der internationalen gemeinsamen Besteuerung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gewählt hat, auch dann verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, obgleich sie zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.“

II. Anmerkungen Im Schrifttum39 wird überwiegend angenommen, dass die Besprechungsentscheidung mit den erst im EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland40 ausgesprochenen („neuen“) Grundsätzen bricht und damit zur früheren Rspr. zurückkehrt.41 Sollte dem so zu folgen sein, werden auch die natio-

39 Vgl. Brandis, DStR 2018, 2051 mwN. 40 EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14 (Timac Agro), ECLI:EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362 (hieran anschließend BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BFHE 257, 120 = BStBl. II 2017, 709). 41 Vgl. auch EuGH v. 4.7.2018 – C-28/17 (NN A/S), IStR 2018, 811.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht

nalen Gerichte diesen neuerlichen Beurteilungswandel des EuGH nachzuvollziehen haben.42

E. Hinzurechnung passiver Einkünfte nach § 8 AStG und Gegenbeweis – verdeckte Einlagen in Dreiecksverhältnissen I. BFH v. 13. Juni 2018 – I R 94/15, FR 2018, 1092 „Sachverhalt – Streitjahr 2008/Wirtschaftsjahr 2007 1 Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist die Frage, ob für das Feststellungsjahr 2008 (Streitjahr)/Wirtschaftsjahr 2007 die Voraussetzungen für die Hinzurechnung passiver Einkünfte nach § 8 i.V.m. § 14 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) in der für das Streitjahr geltenden Fassung (AStG) gegeben sind. 2 Die unbeschränkt steuerpflichtige Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Wirtschaftsjahr 2007 zu 100 % an der in den Niederlanden ansässigen B B.V. und diese wiederum zu 100 % an der auf Zypern ansässigen C Ltd. beteiligt. Die Klägerin hatte die Anteile an der B B.V. im Jahr 2004 erworben und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA –) auch für das Feststellungsjahr 2005 mitgeteilt, dass die C Ltd. ausschließlich passive Einkünfte aus Lizenzgebühren erzielt habe. 3 Für das Streitjahr gab die Klägerin zwei Feststellungserklärungen nach § 18 AStG ab. Zum einen erklärte sie für die C Ltd. „Einkünfte aus der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern“ in Höhe von 342.193 t und „Ertragsteuern, mit denen diese Einkünfte belastet waren“ in Höhe von 34.214 t, zum anderen für die B B.V. einen Verlust als Zwischengesellschaft in Höhe von ./. 5.738 t und einen Zurechnungsbetrag der nachgeschalteten Zwischengesellschaft C Ltd. in Höhe von 307.925 t. Dabei vertrat die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – früher: Europäischer Gerichtshof – (EuGH) in der Rechtssache Cadbury Schweppes vom 12. September 2006 C-196/04 (EU:C: 2006:544, Slg. 2006, I-7995) die Auffassung, dass die Hinzurechnungsbesteuerung wegen der Ansässigkeit der C Ltd. in Zypern, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU), ausgeschlossen sei. 4 Das FA folgte dem nicht und erließ gegenüber der Klägerin entsprechend den abgegebenen Erklärungen neben dem Zurechnungsfeststellungsbescheid gemäß § 14 AStG als Beteiligte einer nachgeschalteten Zwischengesellschaft mit Einkünften der C Ltd. (Untergesellschaft) aus passivem Erwerb einen weiteren Feststellungsbescheid (Hinzurechnungsbescheid) nach § 18 AStG. Mit Letzterem wurden die 42 Zu weiteren sowohl beim BFH als auch beim EuGH anhängigen Verfahren sowie dazu, ob eine gesetzliche Regelung angezeigt sein könnte, s. Brandis, DStR 2018, 2051.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht der B B.V. (Obergesellschaft) zuzurechnenden Einkünfte der C Ltd. in Höhe von 307.925 t, die anzurechnenden Steuern gemäß § 12 AStG mit 34.214 t und der Verlustabzug gemäß § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG i.V.m. § 10d des Einkommensteuergesetzes in Höhe von 1.704 t festgestellt. Der eigene Verlust der B B.V. (5.738 t) blieb unberücksichtigt. 5 Zur Frage, ob die C Ltd. in Zypern tatsächlich ansässig und ob sie dort eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe, legte die Klägerin im Einspruchsverfahren gegen die vorgenannten Bescheide den Anstellungsvertrag vom 1. Dezember 2003 zwischen D, einer zypriotischen Staatsbürgerin mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung, und der B B.V. vor, nach dem D als Director der C Ltd. eine Vergütung von ca. 20.000 t p.a. erhalten sollte. Außerdem reichte sie einen Mietvertrag zwischen der C Ltd. und einer auf Zypern ansässigen Bank vom 1. März 2005 ein, wonach die C Ltd. das Büro Nr. 1 in einem bankeigenen Gebäude in Limassol gegen eine Monatsmiete von 226 t nutzte. Darüber hinaus erklärte die Klägerin, dass es Hauptaufgabe der C Ltd. sei, Lizenzen an Urheberrechten einzuholen, um an diesen jeweils Unterlizenzen zu Gunsten anderer Konzerngesellschaften (… Ukraine, … Russland und … Russland) zu bestellen. Mittels der Unterlizenzen verbreiteten diese Gesellschaften die entsprechenden Bücher auf dem russisch-sprachigen Markt. Die Kundenkontakte würden durch diese Gesellschaften im Namen der C Ltd. auf Buchmessen in der Ukraine, in Russland und anderen russisch-sprachigen Staaten sowie auf den sonst im Buchhandel üblichen Wegen hergestellt. Im Büro auf Zypern würden durch die Geschäftsführerin D administrative Aufgaben wahrgenommen. Hierunter falle der Schriftverkehr mit Kunden, die Durchführung und Überwachung des Zahlungsverkehrs, die Verwaltung der Geschäftsunterlagen und die Buchführung. 6 Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Münster hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. November 2015 10 K 1410/12 F, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2016, 453). 7 Die Klägerin rügt die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts und beantragt, das vorinstanzliche Urteil und die angefochtenen Feststellungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 15. März 2012 aufzuheben. 8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. 9 Der Senat hat in der Sache am 16. Mai 2018 mündlich verhandelt. Am 30. Mai 2018 erging der Beschluss, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Daraufhin haben die Beteiligten auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90 Abs. 2 FGO).

1. Aus den Gründen Revision bezüglich Zurechnungsbescheid begründet 10 I. Die Revision gegen das angefochtene Urteil ist – soweit der Zurechnungsbescheid (Klägerin als mittelbar Beteiligte der nachgeschalteten Zwischengesellschaft C Ltd.) angesprochen ist – begründet und führt insoweit zur Aufhebung die-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht ses Urteils und des zugrunde liegenden Zurechnungsbescheids vom 31. Mai 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. März 2012 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen einer Zurechnung (§ 14 Abs. 1 AStG) als erfüllt angesehen. 11 1. Gegenstand des Zurechnungsbescheids sind zuzurechnende Einkünfte der C Ltd. in Höhe von 307.925 t. Die dortige Einkünfteermittlung ist allerdings rechtsfehlerhaft; sie trägt den dabei zu beachtenden Regelungen des nationalen Steuerrechts nicht Rechnung. Hinzurechnung passiver Einkünfte gem. AStG – Gegenstand der Bescheide 12 a) Die §§ 7 bis 14 AStG regeln den inländischen Steuerzugriff auf Gewinne aus ausländischen Zwischengesellschaften ohne aktive Geschäftstätigkeit. Der inländischen Besteuerung unterliegen dabei auch thesaurierte Gewinne aus sog. passiven Tätigkeiten i.S. von § 8 Abs. 1 AStG. Rechtsgrundlage für die Zurechnung der Einkünfte der C Ltd. ist § 14 Abs. 1 AStG, der die Hinzurechnungsbesteuerung bei sog. nachgeschalteten Zwischengesellschaften in der Weise regelt, dass niedrig besteuerte passive Einkünfte einer ausländischen Untergesellschaft im Wege der sog. übertragenden Zurechnung anteilig einer ausländischen Obergesellschaft (im Streitfall: der B B.V.) zuzurechnen sind (sog. Zurechnungsverfahren). Der so zugerechnete Betrag ist Grundlage der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 und 2 AStG bei dem inländischen Anteilseigner der Obergesellschaft (im Streitfall: der Klägerin). Ermittlung der Einkünfte nach deutschem Steuerrecht einschl. vGA und verdeckten Einlagen 13 b) Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG sind die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. Demgemäß sind im Falle von Geschäftsbeziehungen zwischen (Kapital-)Gesellschaft und Gesellschafter zu nicht fremdüblichen – d.h. durch das Gesellschaftsverhältnis bestimmten – Bedingungen die hierdurch veranlassten Einkünfteminderungen und verhinderten Einkünfteerhöhungen ebenso wie die Zuführungen zum Gesellschaftsvermögen in entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) – mithin durch den Ansatz von verdeckten Gewinnausschüttungen (vGA) und verdeckten Einlagen – zu korrigieren (z.B. Senatsurteile vom 20. April 1988 I R 41/82, BFHE 153, 530, BStBl II 1988, 868; vom 1. Juli 1992 I R 6/92, BFHE 169, 138, BStBl II 1993, 222; vom 2. Juli 1997 I R 32/95, BFHE 183, 496, BStBl II 1998, 176; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 10 AStG Rz 302; Bauernschmitt in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., § 10 AStG Rz 67; Blümich/Vogt, § 10 AStG Rz 69; s.a. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 14. Mai 2004, BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 9.0.1 u. 10.1.1.1). Dem steht das Rechtsinstitut der Hinzurechnungsbesteuerung bereits deshalb nicht entgegen, da Gegenstand der Hinzurechnung die von der ausländischen Zwischengesellschaft als eigenes Rechtssubjekt erzielten Einkünfte sind (z.B. Senatsurteile vom 23. Oktober 1991 I R 40/89, BFHE 166, 323, BStBl II 1992,

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 1026; vom 10. Juni 1992 I R 105/89, BFHE 168, 279, BStBl II 1992, 1029; Wassermeyer, ebenda; Bauernschmitt, ebenda, Rz 71; Vogt, ebenda, Rz 14). Im Streitfall: verdeckte Einlage in C Ltd. aufgrund vGA an Klägerin 14 c) Ausgehend von den tatsächlichen und den Senat bindenden Feststellungen der Vorinstanz sind die an die C Ltd. geleisteten Lizenzzahlungen der anderen Konzerngesellschaften als vGA i.S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG an die Klägerin (inländische Muttergesellschaft) zu werten, die alsdann von der Klägerin im Wege der verdeckten Einlage über die B B.V. in das Vermögen der C Ltd. geleistet wurden. 15 Das FG hat hierzu erläutert, dass die Urheberkontakte durch die (anderen) Gesellschaften im Namen der C Ltd. auf Buchmessen in der Ukraine, in Russland und anderen russisch-sprachigen Staaten hergestellt wurden und die C Ltd. (lediglich) administrative Aufgaben wahrgenommen hat. Zur Frage, ob die C Ltd. auf Zypern einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen sei, hat das FG ausgeführt, die C Ltd. habe ihre wirtschaftliche Kernfunktion nicht selbst von Zypern aus ausgeübt und nicht selbst das Personal beschäftigt, das erforderlich gewesen wäre, um ihr Kerngeschäft, den Ankauf, die Verwaltung und die Weitergabe von Lizenzen gegen Entgelt, selbständig zu betreiben. Die wesentlichen, den Unternehmensgegenstand der C Ltd. charakterisierenden unternehmerischen Entscheidungen seien nicht auf Zypern, sondern durch die in Russland und der Ukraine ansässigen Konzerngesellschaften der Klägerin getroffen worden. Wenn hiernach – was auch von der Klägerin nicht bestritten wird – das „know-how“ des Verlagsgeschäfts bei den Konzerngesellschaften lag, ist nicht ersichtlich, dass ein ordentlicher und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter dieser Gesellschaften (Rechtsfigur entsprechend den Bedingungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) bereit sein konnte, für die Erlangung von Unterlizenzen an die C Ltd. ein höheres Entgelt als im Falle der Einräumung einer Hauptlizenz zu entrichten. Tut er dies dennoch, handelt er im Interesse des Konzerns und damit aus Gründen, die im Gesellschaftsverhältnis zur Muttergesellschaft (hier: Klägerin) liegen. Demgemäß sind die entsprechenden Zahlungen bei der C Ltd. als verdeckte Einlage der Klägerin zu erfassen (s. allgemein zur Konzeption bei vGA bei Schwestergesellschaften Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348; Senatsurteil vom 4. Februar 2014 I R 32/12, BFH/NV 2014, 1090, m.w.N.) mit der weiteren Folge, dass die Zwischeneinkünfte in entsprechender Höhe auf der Grundlage des § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG zu mindern sind. Ansatz der verdeckten Einlagen nicht durch § 8 Abs. 3 KStG ausgeschlossen, weil 16 d) Dieser einlagebedingten mindernden Korrektur des Zurechnungsbetrags stehen weder § 8 Abs. 3 Satz 4 noch Satz 5 KStG entgegen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelungen, die im Sinne einer materiellen Korrespondenz die Sicherung der Einmalbesteuerung bezwecken (s. die Begründung des Gesetzentwurfs, BTDrucks. 16/2712, S. 70: „Verhinderung von Besteuerungslücken“), sind nicht erfüllt.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht keine Einkommensminderung bei Klägerin und 17 aa) Nach § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG erhöht sich das Einkommen bei der die Einlage empfangenden Körperschaft, soweit eine verdeckte Einlage das Einkommen des (die Einlage leistenden) Gesellschafters gemindert hat. Letzteres ist hier nicht der Fall, weil sich das Einkommen der Klägerin im Zuge der Leistungsbeziehungen der Konzerngesellschaften nicht gemindert hat. die vGA bei der Klägerin steuerfrei gewesen wäre 18 bb) Nach § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG gilt die in Satz 4 der Regelung angesprochene Erhöhung des Einkommens auch für eine verdeckte Einlage, die auf einer vGA einer dem Gesellschafter nahestehenden Person beruht und bei der Besteuerung des Gesellschafters nicht berücksichtigt wurde, es sei denn, die vGA hat bei der leistenden Körperschaft das Einkommen nicht gemindert. Diese Regelung zielt auch in sog. Dreieckskonstellationen auf die Sicherung der Einmalbesteuerung, entweder beim Gesellschafter als Empfänger der (mittelbaren) vGA durch die nahestehende Person oder beim Begünstigten der durch den Gesellschafter bewirkten Einlage. 19 Die Sperrwirkung des § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG scheitert im Streitfall am Tatbestandsmerkmal der Nichtberücksichtigung der vGA beim Gesellschafter. Denn die vGA wäre, wenn sie bei der Veranlagung der Klägerin Berücksichtigung gefunden hätte, bei der Klägerin als Körperschaftsteuersubjekt gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG steuerfrei gewesen. Kein Ausschluss der Steuerfreiheit nach § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG 20 Bestimmend hierfür ist zum einen, dass die Freistellung der vGA nicht nach Maßgabe von § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG ausgeschlossen ist. Zwar ist nach dieser Vorschrift die Steuerfreiheit zu versagen, wenn die vGA das Einkommen der leistenden Gesellschaft gemindert hat. Die Regelung steht jedoch in sog. Dreiecksfällen nach der Gegenausnahme des § 8b Abs. 1 Satz 4 KStG unter dem Vorbehalt, dass die vGA das Einkommen einer dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person erhöht hat und die Anwendung des § 32a KStG auf die Veranlagung der nahestehenden Person keine Anwendung findet. An beidem besteht im Streitfall mit Rücksicht auf die mittelbare Alleinbeteiligung der Klägerin an der C Ltd. sowie den Umstand, dass die Lizenzeinnahmen den in Zypern angesetzten Gewinn erhöht haben und schließlich auch die Veranlagung der C Ltd. nicht der Korrekturbestimmung des § 32a KStG unterliegt, kein Zweifel. 21 Tragend für die Beurteilung des Sperrwirkungstatbestands des § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG, d.h. für die „Nichtberücksichtigung der vGA beim Gesellschafter“, ist zum anderen, dass es keinen Unterschied begründen kann, ob eine vGA im Rahmen der Veranlagung des Gesellschafters formal erfasst („berücksichtigt“) und sodann aber aufgrund der Steuerfreiheit wieder vom Gewinn abgesetzt oder ob sie – mit dem nämlichen Ergebnis – schlichtweg von vornherein nicht angesetzt worden ist (vgl. Gosch/Roser, KStG, 3. Aufl., § 8 Rz 125a). Keine Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Regelung des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG, derzufolge 5 % der Bezüge nach Abs. 1 der Vorschrift als nichtabziehbare Betriebsausgaben gelten (sog.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Schachtelstrafe). Dies bereits deshalb, weil es sich nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil vom 31. Mai 2017 I R 37/15, BFHE 258, 484, BStBl II 2018, 144, m.w.N.) bei der Schachtelstrafe nicht um eine partielle Rücknahme der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG, sondern – entsprechend dem Gesetzeswortlaut – um eine typisierende und pauschalierende Kürzung von Betriebsausgaben handelt. Im Rahmen des § 8 Abs. 3 Satz 3 ff. KStG geht es indessen nicht um die Kürzung von Betriebsausgaben, sondern um die korrespondierende Erfassung von vGA und Einlagen in Dreiecksverhältnissen. Folge der verdeckten Einlage: Zurechnungsbetrag nur für administrative Tätigkeit auf Zypern 22 2. Für Einkünfte in der nach Maßgabe der Ausführungen zu 1. modifizierten Höhe – die sich demnach nur auf die die administrative Tätigkeit abgeltenden Einnahmen (und die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben) bezieht – ist ein Zurechnungsbetrag betreffend die C Ltd. nicht festzustellen. Sein Ansatz widerspräche den unionsrechtlichen Grundfreiheiten. Auch wenn die einfachrechtlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a AStG erfüllt sein sollten – was unter den Beteiligten umstritten ist, vom FG aber so erkannt wurde –, stehen deren Rechtsfolge die unionsrechtlichen Maßgaben zur Gewährleistung der Grundfreiheiten entgegen. 23 a) Ist eine ausländische Gesellschaft allein oder zusammen mit unbeschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 7 AStG an einer anderen ausländischen Gesellschaft (Untergesellschaft) beteiligt, so sind für die Anwendung der §§ 7 bis 12 AStG die Einkünfte der Untergesellschaft, die einer niedrigeren Besteuerung unterlegen haben, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AStG der ausländischen Gesellschaft zu dem Teil, der auf ihre Beteiligung am Nennkapital der Untergesellschaft entfällt, zuzurechnen, soweit nicht nachgewiesen wird, dass die Untergesellschaft diese Einkünfte aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 AStG fallenden Tätigkeiten oder Gegenständen erzielt hat oder es sich um Einkünfte i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 8 bis 10 AStG handelt oder dass diese Einkünfte aus Tätigkeiten stammen, die einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallenden eigenen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dienen. 24 b) Das FG hat hierzu erkannt, die C Ltd. habe mit ihren Einkünften die Voraussetzungen für die übertragende Zurechnung erfüllt. Die B B.V. sei als ausländische Gesellschaft Alleingesellschafterin der C Ltd. und damit i.S. von § 7 Abs. 1 AStG an dieser beteiligt gewesen; insoweit habe aus der Sicht der Klägerin vermittels ihrer Alleinbeteiligung an der B B.V. eine (mittelbare) Alleinbeteiligung an der C Ltd. vorgelegen. Die Einkünfte der C Ltd. seien auch in Zypern i.S. von § 8 Abs. 3 AStG besteuert worden, da der dortige Körperschaftsteuersatz im Streitjahr 10 % betragen habe. Ferner habe die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die C Ltd. ihre Einkünfte aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallenden (aktiven) Tätigkeiten erzielt habe; sie seien mithin als (passive) Einkünfte i.S. von § 8 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a AStG anzusehen.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Insoweit aber: „wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“ i.S.d. EuGH-Urteils Cadbury Schweppes 25 c) Die Revision rügt insoweit die fehlerhafte Anwendung materiellen (und nationalen) Rechts. Dazu ist im Streitfall keine Entscheidung zu treffen, da von einer Zurechnung der Einkünfte der C Ltd. jedenfalls nach Maßgabe des EuGH-Urteils Cadbury Schweppes (EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995) abzusehen ist. Nach den vom FG im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen, die das Revisionsgericht gleichfalls binden (§ 118 Abs. 2 FGO), sind entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanz die Voraussetzungen einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ der C Ltd. im Ansässigkeitsstaat als sog. Gegenbeweis erfüllt. 26 aa) Der EuGH hat in dieser Rechtssache (C-196/04), die die britischen Rechtsvorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung („Foreign-Companies-Regeln“) betraf, entschieden, dass Art. 43 und 48 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte – EG – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1), jetzt Art. 49 und 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV – (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) über die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen sind, dass es ihnen zuwiderläuft, dass in die Steuerbemessungsgrundlage einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft die von einer beherrschten ausländischen Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Gewinne einbezogen werden, wenn diese Gewinne einem niedrigeren Besteuerungsniveau als im erstgenannten Staat unterliegen, es sei denn, eine solche Einbeziehung betrifft nur rein künstliche Gestaltungen, die dazu bestimmt sind, der normalerweise geschuldeten nationalen Steuer zu entgehen. Von der Anwendung einer solchen Besteuerungsmaßnahme ist folglich abzusehen, wenn es sich auf der Grundlage objektiver und von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte erweist, dass die genannte beherrschte Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat angesiedelt ist und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht. Diese Maßgabe (bestätigt z.B. im EuGH-Urteil Glaxo Wellcome vom 17. September 2009 C-182/08, EU:C:2009:559, Slg. 2009, I-8591) ist nach der Rechtsprechung des Senats auf §§ 7 ff. AStG zu übertragen (s. Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 114/08, BFHE 227, 64, BStBl II 2010, 774 - dort Rz 25 ff. des juris-Nachweises; Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2016 I R 80/14, BFHE 256, 223, BStBl II 2017, 615). Der deutsche Gesetzgeber hat auf diese EuGH-Rechtsprechung mit der durch das Jahressteuergesetz 2008 (Gesetz vom 20. Dezember 2007, BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218) in das Gesetz eingefügten Bestimmung des § 8 Abs. 2 AStG (AStG n.F.) reagiert, nach der Gesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte sind, für die nachgewiesen wird, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht; diese

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Regelung ist gemäß § 21 Abs. 17 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F. erstmals für den Veranlagungszeitraum, für den Zwischeneinkünfte hinzuzurechnen sind, die in einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft entstanden sind, das nach dem 31. Dezember 2007 beginnt, anzuwenden. Urteil ist im Streitfall anwendbar 27 bb) Die Rechtsgrundsätze des EuGH-Urteils Cadbury Schweppes (EU:C:2006: 544, Slg. 2006, I-7995) sind auch im Streitfall anzuwenden. Zwar ist § 8 Abs. 2 AStG n.F. nach seinem zeitlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig (s.o.). Insoweit ist jedoch der Anwendungsvorrang des Primärrechts der EU und damit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten vor nationalem Recht auch mit Blick auf die Steuerbelastungen der §§ 7 ff. AStG zu beachten (z.B. Senatsurteile in BFHE 227, 64, BStBl II 2010, 774; vom 18. Dezember 2013 I R 71/10, BFHE 244, 331, BStBl II 2015, 361; vom 19. Juli 2017 I R 87/15, BFHE 259, 435 – „geltungserhaltende Reduktion“). Demgemäß ist dem Steuerpflichtigen der unionsrechtlich gebotene Gegenbeweis über seine tatsächlichen wirtschaftlichen Aktivitäten im Einzelfall auch vor Inkrafttreten des § 8 Abs. 2 AStG n.F. zu eröffnen (vgl. BMF-Schreiben vom 8. Januar 2007, BStBl I 2007, 99). 28 Allerdings ist auch – umgekehrt und insoweit entgegen der Ansicht der Klägerin – von einer solchen Prüfung nicht schon unter dem Gesichtspunkt abzusehen, dass die C Ltd. nicht von der Klägerin errichtet wurde, sondern im Zuge des Erwerbs der Beteiligung an der B B.V. auf sie übergegangen ist. Dazu ist im angefochtenen Urteil vom FG zutreffend ausgeführt worden, dass der EuGH in seiner Entscheidung Cadbury Schweppes (EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995) nicht darauf abgestellt hat, ob eine Steuerminderung durch die Nutzung einer vom Steuerpflichtigen gegründeten oder einer durch Rechtsnachfolge übernommenen Gesellschaft erreicht wird. Inhalt des Cadbury-Substanztests 29 cc) Nach Auffassung des EuGH in seinem Urteil Cadbury Schweppes (EU:C: 2006:544, Slg. 2006, I-7995) können nationale Maßnahmen, die die Niederlassungsfreiheit beschränken, gerechtfertigt sein, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen beziehen, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates zu entgehen (s. dort zu Rz 51). Bei der Beurteilung des Verhaltens des Steuerpflichtigen ist insbesondere das Ziel der Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen, das darin besteht, es den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats zu erlauben, in einem anderen Mitgliedstaat eine Zweitniederlassung zu gründen, um dort ihren Tätigkeiten nachzugehen, und so die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Erwerbstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu fördern (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 52 f.). Der Niederlassungsbegriff soll dabei die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Staat auf unbestimmte Zeit erfordern, weshalb die Niederlassungsfreiheit eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem voraussetzt (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 54).

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 30 Im Urteil Cadbury Schweppes (a.a.O.) heißt es weiter: Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit lässt sich nur dann mit Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 55). Der Steuerpflichtige muss dabei die Gelegenheit haben, die in den gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommende Missbrauchsvermutung zu widerlegen (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 51 ff.). Dieser Gegenbeweis erfordert zum einen den Nachweis, dass das Hauptziel oder eines der Hauptziele der gewählten Gestaltung nicht in einer Steuerminderung bestand (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 62), die Gestaltung also nicht überwiegend steuerlich motiviert war (subjektives Element). Zum anderen muss anhand von objektiven Anhaltspunkten feststellbar sein (objektives Element), dass die Gründung einer beherrschten ausländischen Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art mit einer wirtschaftlichen Realität zusammenhängt, wobei die Gründung der Gesellschaft mit einer tatsächlichen Ansiedelung zusammenhängen muss, deren Zweck darin besteht, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat nachzugehen (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 64 ff.). 31 Zu den objektiven Anhaltspunkten für eine tatsächliche Ansiedelung gehören eine stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben des Ansässigkeitsstaates (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 53), die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 54) und das Vorhandensein von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 67). Führt die Prüfung solcher Anhaltspunkte zu der Feststellung, dass die beherrschte ausländische Gesellschaft keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat entfaltet, ist ihre Gründung als rein künstliche Gestaltung anzusehen (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 68). Der Umstand, dass die Tätigkeiten der beherrschten ausländischen Gesellschaft ebenso gut im Ansässigkeitsstaat des beherrschenden Gesellschafters hätten ausgeführt werden können, lässt demgegenüber nicht den Schluss auf eine rein künstliche Gestaltung zu (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 69). Wenn es sich auf der Grundlage objektiver und von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte erweist, dass die beherrschte ausländische Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat angesiedelt ist und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht, ist von der die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Besteuerungsmaßnahme abzusehen (EuGH-Urteil a.a.O., Rz 65, 69). Geltung der EuGH-Rechtsprechung auch im Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit 32 dd) Das FG hat sich im angefochtenen Urteil in seiner unionsrechtlichen Prüfung ausschließlich auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG, Art. 49 AEUV) bezogen. Nach den Prüfungsgrundsätzen zum Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit einerseits und der Kapitalverkehrsfreiheit andererseits, die der Senat in seinem Beschluss in BFHE 256, 223, BStBl II 2017, 615 dargestellt hat und die hier

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht nicht zu wiederholen sind, ist allerdings auch der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, Art. 63 AEUV) eröffnet (mit diesem Ergebnis auch Linn/ Pignot, Internationale Wirtschaftsbriefe – IWB – 2016, 466, 470; Köhler, Internationale Steuer-Rundschau – ISR – 2016, 119, 124; Haase, Internationales Steuerrecht – IStR – 2016, 767, 770). 33 Für die Abgrenzung der objektiven Anwendungsbereiche ist unabhängig davon, ob (wie hier) tatsächlich ein „sicherer Einfluss“ auf die Unternehmensleitung bestanden hat (s.a. Kraft, IStR 2017, 327, 328 – mit Hinweis auf EuGH-Urteil SECIL vom 24. November 2016 C-464/14, EU:C:2016:896 [Prüfung der Kapitalverkehrsfreiheit bei einer tatsächlichen Beteiligung von 98,72 %]), auf den Tatbestand der betreffenden nationalen Regelung abzustellen; die Hinzurechnungsbesteuerung des § 7 Abs. 1 AStG setzt zwar eine „Inländerbeherrschung“ voraus, zieht die Rechtsfolge aber unabhängig von der konkreten Beteiligungshöhe bei jedem unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligten. 34 Gleichwohl bedarf die Abgrenzung der Grundfreiheiten im anhängigen Verfahren keiner weiteren Erörterung, da jedenfalls die beschriebenen Maßgaben der EuGH-Rechtsprechung zum sog. Gegenbeweis unter dem Gesichtspunkt der sog. Konvergenz der Grundfreiheiten (z.B. Reimer in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2015, Rz 7.35) auch den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit konkretisieren (im Ergebnis ebenso Reiche in Haase, a.a.O., § 8 AStG Rz 142; Blümich/Vogt, § 8 AStG Rz 159). Demgemäß kann dann auch dahinstehen, ob – wie in der Literatur geltend gemacht wird (Linn/Pignot, IWB 2016, 466, 470; Köhler, ISR 2016, 119, 124) – im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit andere (z.B. nicht „ortsgebundene“) Nachweisanforderungen gelten. Hiernach: Hinzurechnung insgesamt ausgeschlossen 35 ee) Das FG hat seine Würdigung im Ausgangspunkt zutreffend daran ausgerichtet, ob die beherrschte ausländische Gesellschaft (hier: C Ltd.) eine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat (hier: Zypern) ausübt (EuGH-Urteil Cadbury Schweppes, EU:C:2006:544, Rz. 54, Slg. 2006, I-7995). Soweit es hierbei „qualitative“ Substanzanforderungen formuliert hat, bedarf dies mit Rücksicht auf die nach den vorstehenden Ausführungen (s. zu B.I.1.) gebotene Kürzung des Hinzurechnungsbetrags um die Lizenzeinnahmen keiner Entscheidung durch den erkennenden Senat, da für die in den Räumlichkeiten der C Ltd. wahrgenommenen administrativen Aufgaben der Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit (durch D) erbracht worden ist. Dies ist von den Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bekräftigt worden. Der Ansatz eines Hinzurechnungsbetrags aus dem hieraus erzielten Gewinn scheidet nach dem Vorstehenden aus. Revision bezüglich Hinzurechnungsbescheid ohne Erfolg 36 II. Die Revision gegen das angefochtene Urteil ist, soweit der Hinzurechnungsbescheid angesprochen ist, unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat diesen Bescheid zu Recht als Folgebescheid angesehen, soweit es um die im anhängigen Verfahren streitigen Voraussetzungen der §§ 7 ff. AStG mit Blick auf die mittelbare Beteiligung der Klägerin an der C Ltd. geht.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Zurechnungsbescheid ist insoweit Grundlagenbescheid 37 1. Nach der Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 18. Juli 2001 I R 62/00, BFHE 196, 243, BStBl II 2002, 334, m.w.N.) sind Einkünfte einer nachgeschalteten Zwischengesellschaft i.S. des § 14 Abs. 1 AStG nicht in dem Bescheid festzustellen, in dem über die Hinzurechnung von Einkünften der Obergesellschaft bei dem inländischen Anteilseigner entschieden wird (Hinzurechnungsbescheid). Vielmehr ist hierüber ein eigenständiger Feststellungsbescheid (Zurechnungsbescheid) zu erlassen, der Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) für den Hinzurechnungsbescheid ist. Daran ist festzuhalten (s.a. BMF-Schreiben in BStBl I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 18.1.4.2). 38 Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Gesetzeswortlaut von § 14 Abs. 1 Satz 1 und § 8 Abs. 2 AStG n.F. nicht eindeutig regele (vgl. auch Scheipers/Linn, IStR 2011, 601, 605 f.), ob die Substanzanforderungen bei einer nachgelagerten Zwischengesellschaft im Rahmen des Zurechnungs- oder des Hinzurechnungsbescheids zu prüfen sind, ist dies für den vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich, da § 8 Abs. 2 AStG n.F. – wie dargelegt – im Streitfall nicht anzuwenden ist. Unabhängig hiervon entspricht es zudem dem verfahrenskonzentrierenden Zweck einer gesonderten Feststellung (z.B. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 179 AO Rz 1 f.; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 179 AO Rz 51), diese Rechtsfrage gerade mit Blick auf die mögliche Beteiligung weiterer Personen an der nachgelagerten Zwischengesellschaft im Zurechnungsbescheid abschließend zu beurteilen. Da das maßgebliche Tatbestandsmerkmal der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ darüber hinaus die „andere ausländische Gesellschaft (Untergesellschaft)“ betrifft, spricht auch der Gesichtspunkt der Sachnähe dafür, diese Frage nicht dem Hinzurechnungsbescheid zu überantworten (so im Ergebnis auch Linn/Pignot, IWB 2016, 466, 471). 39 2. Anderweitige Rechtsfehler (z.B. bei der Auswertung des Grundlagenbescheids) weist der angegriffene Bescheid nach der Rechtsprüfung des FG nicht auf. Sie sind auch für den Senat nicht ersichtlich.“

2. Leitsätze „1. Bei der Ermittlung der dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AStG) sind im Falle von Geschäftsbeziehungen zwischen (Kapital-)Gesellschaft und Gesellschafter zu nicht fremdüblichen – d.h. durch das Gesellschaftsverhältnis bestimmten – Bedingungen die hierdurch veranlassten Einkünfteminderungen und verhinderten Einkünfteerhöhungen ebenso wie die Zuführungen zum Gesellschaftsvermögen in entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KStG – mithin durch den Ansatz von vGA und verdeckten Einlagen – zu korrigieren (Bestätigung der Rechtsprechung). 2. Eine verdeckte Einlage, die auf der vGA einer dem Gesellschafter nahestehenden Person beruht und bei der Besteuerung des Gesellschafters nicht berück-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht sichtigt wurde, kann zwar nach § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG das Einkommen der empfangenden Körperschaft erhöhen. An einer Nichtberücksichtigung i.S. von § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG fehlt es jedoch, wenn die vGA bei der Veranlagung des Gesellschafters zwar nicht erfasst worden ist, jedoch nach Maßgabe von § 8b Abs. 1 KStG ohnehin hätte außer Ansatz bleiben müssen. 3. Die Grundsätze des EuGH-Urteils Cadbury Schweppes vom 12. September 2006 C 196/04 (EU:C:2006:544, Slg. 2006, I-7995) zur Rechtfertigung der britischen Hinzurechnungsbesteuerung sind auch im Bereich der §§ 7 ff. AStG zu beachten (Bestätigung der Rechtsprechung). 4. Von der Hinzurechnungsbesteuerung ist hiernach jedenfalls dann abzusehen, wenn die der Hinzurechnung unterliegenden Einkünfte auf einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ und damit auf einer von der Zwischengesellschaft selbst ausgeübten Tätigkeit beruhen.“

II. Anmerkungen 1. Dem Urteil ist beizupflichten. Dies betrifft zunächst die Frage nach der Ermittlung der der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegenden Einkünfte und damit die Berücksichtigung verdeckter Gewinnausschüttungen (vGA) und verdeckter Einlagen. 2. Zutreffend ist ferner entschieden, dass vorliegend die Regelungen des KStG zur materiell korrespondierenden Behandlung von vGA und verdeckten Einlagen der Korrektur des von der C Ltd. erzielten Einkommens nicht entgegenstanden. Da § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG sicherstellen will, dass verdeckte Einlagen nicht das Einkommen des Gesellschafters mindern und dies aufgrund der Steuerfreiheit der vGA gewährleistet ist (s. insoweit Urteilsgründe zu Rz. 20), kann bereits aus diesem Grund die Sperrwirkung des § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG nicht greifen. Anders gewendet: Es wäre nicht einsichtig, den Tatbestand des § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG an das Formalium zu binden, ob die vGA im Rahmen der Veranlagung des Gesellschafters berücksichtigt und freigestellt oder schlichtweg – mit dem nämlichen Ergebnis – nicht angesetzt worden ist.43 Auch ist in diesem Zusammenhang unerheblich, dass die 5%ige Betriebsausgabenkürzung nach § 8b Abs. 5 KStG unterblieben ist, da es § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG nicht um die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs, sondern um die korrespondierende Behandlung von vGA und Einlagen in Dreiecksverhältnissen geht. Zudem fällt auf, dass die Beispiele der Gesetzgebungsmaterialien zu

43 Vgl. Roser in Gosch, KStG3, § 8 Rz. 125a.

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§ 8 Abs. 3 Satz 5 KStG44 jedenfalls ausdrücklich sich nicht mit körperschaftsteuerpflichtigen Muttergesellschaften befassen. Schließlich kommt – ohne dass der Senat hierauf eingegangen wäre – hinzu, dass die Hinzurechnungsbesteuerung darauf gerichtet ist, passive Einkünfte, die aus der deutschen Besteuerung durch „Einschaltung von Basisgesellschaften ungerechtfertigt ausgeklammert“ worden sind, den die Basisgesellschaft beherrschenden inländischen Gesellschaftern zuzurechnen. Erfasst werden sollen die „in ein steuerbegünstigtes Auffangbecken abgezogenen Einkünfte“. Allerdings soll die Hinzurechnungsbesteuerung „nicht zu einer Steuererschwernis führen, die über die Einebnung ungerechtfertigter Steuervorteile hinausgeht“.45 Auch dies schließt es mE aus, die Hinzurechnung auf die „Nichtberücksichtigung einer vGA“ zu stützen, die – würde sie angesetzt – von der Körperschaftsteuer zu befreien wäre. Auch hier gilt mit anderen Worten: die Hinzurechnungsbesteuerung will nicht die Betriebsausgabenkürzung nach § 8b Abs. 5 KStG absichern, sondern der Einkunftsverlagerung in den aufgezeigten und durch die gesetzlichen Vorgaben der §§ 7 ff. AStG bestimmten Grenzen begegnen. 3. Die vGA, die auf nicht fremdüblichen Entgelten der osteuropäischen Konzerngesellschaften für den Erhalt der Unterlizenzen an schriftstellerischen Werken von der C Ltd. beruhten, erhöhten damit – nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften – das Einkommen der russischen und ukrainischen Konzernkapitalgesellschaften. Ob sich hieraus ein Hinzurechnungstatbestand nach dem AStG ergeben könnte, war allerdings nicht Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung. 4. Mit den vGA waren nach stRspr. ferner (mittelbar) verdeckte Einlagen der Klägerin (Konzernspitze) in das Vermögen der C Ltd. verbunden mit der weiteren Folge, dass sich deren Einkommen minderte. Gegenstand der Korrektur war mithin der Lizenzhandelsgewinn der C Ltd. und damit der ganz überwiegende Teil ihres bisher der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfenen Einkommens. 5. Für das hiernach verbleibende Einkommen aus der Verwaltung der Lizenzen scheiterte die Hinzurechnung an dem nach der Rspr. des EuGH gebotenen Substanztest, der auch für das Streitjahr vorzunehmen war. Auf die Urteilsausführungen wird insoweit verwiesen.

44 BTDrucks. 16/2712, 70; BTDrucks. 16/3368, 21. 45 So insgesamt Begründung zum AStG, BTDrucks. VI/2883, 19.

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6. Nicht zu entscheiden war damit erstens darüber, ob das hiernach verbleibende „einkommenstragende“ Tätigkeitsfeld überhaupt unter den Katalog passiver Einkünfte fällt. Das Urteil spricht in diesem Zusammenhang die Rechteüberlassung nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 AStG an; zu denken ist aber auch an Einkünfte aus Dienstleistung iSv. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG. Nicht zu entscheiden war zweitens – und vor allem – darüber, ob bei gemischten Tätigkeiten (hier: operatives Verlagsgeschäft einerseits und Rechteadministration andererseits) ein positiver Substanztest bezüglich eines Teilbereichs (hier: Rechteverwaltung) dazu führt, insgesamt von einer nicht künstlichen Gestaltung auszugehen, oder ob die einzelnen Tätigkeitsfelder und die hieraus erzielten Einkünfte jeweils eigenständig dem Substanztest zu unterziehen, dh. eigenständig zu beurteilen sind. ME kann bei dieser vom EuGH bisher nicht ausdrücklich thematisierten Frage in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des GA Léger46 nur letztere segmentierende Sicht richtig sein. Sie dürfte mit Rücksicht auf die Erläuterungen des zwölften Erwägungsgrunds („Kategorien von Einkünften“) auch dem Substanztest von Art. 7 Abs. 2 Buchst. A Satz 2 ATAD I47 zugrunde liegen.

46 Stellungnahme v. 2.5.2006, Rz. 111 ff. 47 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016, L 193, 1.

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Oliver Nußbaum BASF SE, Global Head of Tax, Ludwigshafen

Werner Thumbs Profunda Verwaltungs-GmbH (Boehringer Ingelheim), Leiter Steuern

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank. Ich möchte das vielleicht mal so aus meiner Sicht zusammenfassen. Die beiden Urteile gehören zusammen, und das Problem ist, dass hier schedulenhaft Einzeleinkünfte mit eigener Gewinnermittlung geschaffen werden. Das ist bei § 17 EStG der Fall. Diese Schachtelstrafe sind keine Veräußerungskosten, aber nach § 17 EStG sind nur Veräußerungskosten zu berücksichtigen. Es scheint mir also selbstverständlich zu sein. Dass die Schachtelstrafe nicht eingreift. Bei § 49 EStG, dem Grundstücksfall, ist eben nur die Veräußerung von Grundstücken erfasst, und ein Erlass von Forderungen ist keine Veräußerung von Grundstücken. Also von daher würde ich sagen, das Problem, Herr Kreienbaum, liegt darin, dass hier eine Schedulenbesteuerung geschaffen worden ist und nicht eine umfassende Einkunftsart. Bei der Veräußerung bei § 49 EStG haben Sie es korrigiert, aber auch nur punktuell, bei § 17 EStG wollen Sie es nicht korrigieren – oder vielleicht wollen Sie es noch, ich weiß es nicht. Das scheint mir also das Problem zu sein, und von daher sind aus meiner Sicht die Urteile völlig richtig. Ich möchte Herrn Wacker nur in einem Punkt widersprechen: Sie hatten vorgeschlagen, eine fiktive Betriebsstätte zu schaffen. Da habe ich grundsätzliche Bedenken. Wir haben

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genügend Fiktionen. Wir sollten nicht noch eine Fiktion schaffen. Aber ich meine, Herr Nußbaum, Herr Thumbs, wir sind ja hier im Bereich der beschränkten Steuerpflicht. Das ist ja nicht das Gebiet, auf dem Ihre Unternehmen tätig sind. Wollen Sie trotzdem dazu Stellung nehmen? Thumbs Wir sind tatsächlich nicht beschränkt, sondern unbeschränkt steuerpflichtig. Es kann trotzdem Anwendungsfälle geben, wenn Investitionen über ausländische Kapitalgesellschaften erfolgen. Das heißt, der zweite Fall wäre durchaus von Interesse, aber das sind natürlich hoffentlich auch alles Investitionen, die erfolgreich sind, wo also ein Darlehensverzicht gar nicht nötig ist. Ansonsten vielleicht noch eine Anmerkung, die mir gerade eingefallen ist. Bei dem, was Professor Wacker zur Parallele mit dem Thema Zinsabzug gesagt hat, ich meine den Fall, dass man erst einen Zinsabzug hat, sozusagen einen steuerlichen Vorteil, und dann hinterher durch den Zinsverzicht, genauer, durch den Darlehensverzicht, dieser genau die vorher genannten Zinsen auch umfasst, kann tatsächlich ein Vorteil für den Steuerpflichtigen entstehen. Denn erst ziehe ich Zinsaufwand ab, den ich hinterher aber nicht besteuern muss. Ich bin bei Ihnen, dass dieses Ergebnis zu kurz gedacht ist, und ich glaube, dass man damit eher Gedanken der Einnahmeüberschussrechnung übertragen würde, die hier aber überhaupt nicht hinpassen. Wenn ich im Betriebsvermögensvergleich bin, dann kann nicht einfach die Systematik gewechselt werden. Wir erleben es aber auch an anderen Stellen, wie der Bilanzierung von Beteiligungen in einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen, dass bei Anwendung der Spiegelbildmethode – ich springe jetzt sehr weit – einzelne Finanzbeamte auf die kluge Idee kommen, ebenfalls EÜRGrundsätze anzuwenden und dann tatsächlich auch zu sagen, Zinsen sind erst dann abzuziehen, wenn sie gezahlt werden. Aber ich würde sagen, da verlasse ich den betrieblichen Bereich, das darf ich einfach nicht machen. Nußbaum Für uns hat eigentlich nur das erste Thema, nämlich die Schachtelstrafe, Relevanz, und zwar bei Reorganisationen im Konzern, wenn wir Beteiligungen an deutschen Unternehmen, die durch ausländische Gesellschaften gehalten werden, zum Zwecke der Integration umhängen. Ich bin inhaltlich bei Herrn Thumbs, und halte die Entscheidung im Kern

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auch für richtig. Die Finanzverwaltung mag zwar den Begriff „Schachtelstrafe“ oder „Wegelagerersteuer“ nicht hören, in den entschiedenen Fällen hätte es aber faktisch einen bestrafenden Charakter, da Kosten in Deutschland nie geltend gemacht werden konnten. Prof. Dr. Frotscher Herr Kreienbaum, Sie haben das Schlusswort zu diesen zwei Fällen. Kreienbaum So sehr viel möchte ich nicht dazu sagen. Die Urteile sind, wie so häufig beim Ersten Senat, sehr gut begründet, sie sind im Bundessteuerblatt veröffentlicht, die Finanzverwaltung wendet die Grundsätze der Urteile an. Vielleicht kann ich zum ersten Fall sagen, Herr Nußbaum hat das gerade schon aufgegriffen, der Begriff der „Schachtelstrafe“ gefällt mir natürlich nicht, und bei Lichte betrachtet handelt es sich um ein Schachtelprivileg. § 8b Absatz 3 Satz 1 KStG wurde im Interesse der Steuerpflichtigen aufgenommen. Er erlaubt es, die im Zusammenhang mit den steuerfreien Einkünften entstehenden Aufwendungen abzusetzen. Wenn das als Strafe empfunden wird, müsste man wohl darüber nachdenken, die mit den steuerfreien Einkünften verbundenen Aufwendungen nicht zum Abzug zuzulassen. Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank. Prof. Dr. Wacker Zwei Bemerkungen. Also erstens, der Erste Senat spricht nicht von der „Schachtelstrafe“, sondern er spricht von der „sogenannten Schachtelstrafe“. Darüber hinaus erwägt der Senat, sich in dieser Hinsicht sprachlich fortzuentwickeln. Soviel zu Punkt eins. Punkt zwei: Lieber Herr Frotscher, ich habe nicht die Schaffung einer fiktiven Betriebsstätte vorgeschlagen, sondern ich habe das dahin gedeutet, dass der Gesetzgeber sich für einen Besteuerungszugriff entschieden hat, der, wenn auch in verkappter Form, einer Besteuerung nach den Grundsätzen einer fiktiven Betriebsstätte gleichkommt. Auch das aber nur am Rande. Ich darf Sie noch einmal bitten, jetzt auf die Schaubilder zu gehen, weil, mir ist bedeutet worden, dass wir die Sache ein bisschen beschleunigen

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sollten. Das will ich auch gerne tun, aber der Fall ist so zentral, dass wir vielleicht unser Hauptaugenmerk darauf richten. Es folgt der Vortrag zum BFH-Urteil v. 29.11.2017.1 Prof. Dr. Frotscher Herr Professor Dr. Wacker, herzlichen Dank für diese sehr interessanten Ausführungen. Wir sind hier im Bereich der Personengesellschaften. Herr Thumbs, das ist Ihr Gebiet. Was halten Sie davon? Thumbs Ich muss ein bisschen ausholen, denn ich finde das Urteil auch wahnsinnig interessant. Aus Sicht unseres Unternehmens ist im Regelfall der DBA-Fall der wichtige. Sie haben den Vergleich DBA/Nicht-DBA angesprochen. Sie haben auch beim DBA-Fall das Thema tatsächlich als funktionalen Zusammenhang angesprochen. Funktionaler Zusammenhang und Veranlassungsprinzip entsprechen einander. Worauf es jetzt aber wirklich ankommt ist, wenn ich im Inland, nehmen wir mal an, tatsächlich eine gewerblich tätige Gesellschaft habe und, wie Sie gesagt haben, dann vielleicht einen Auslandsgesellschafter habe, dann sagten Sie jetzt zwar, dass ich nicht automatisch davon ausgehen kann, dass ich tatsächlich inländische Einkünfte/inländische Betriebsstätte/inländisches Betriebsvermögen habe. Bei der gewerblich tätigen Gesellschaft würde ich aber sagen, dass ich all das auf jeden Fall habe. Das heißt, und das ist schon eine sehr, sehr interessante Sache, dass als Betriebsstätte des ausländischen Gesellschafters die Betriebsstätte der inländischen KG im Inland gilt. Und das Problem, das sich gerade in dem internationalen Fall mit einem Gesellschafter im Ausland auftun kann, kein Kapitalertragsteuerthema, sondern eher ein Wegzugsteuerthema, ist, dass Sie natürlich darauf achten müssen, dass Sie diese inländische Betriebsstätte erhalten. Und dazu brauchen Sie auf der einen Seite diese KG. Sie haben jetzt hier für den nationalen Fall, also für den Fall, der nach nationalem Recht entschieden wird, nicht nach DBA, kein Problem damit, dass es nur eine gewerblich geprägte Gesellschaft ist, und auch nicht damit, dass Sie nicht originär selbst die Managementtätigkeit verfolgt. Ich muss sagen, aus Sicht des DBA-Falls reicht das nicht, aber das haben Sie auch gar nicht in Abrede gestellt. Da muss die KG selbst gewerblich 1 BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, FR 2018, 558.

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tätig sein, sie muss tatsächlich diesen funktionalen Zusammenhang herstellen. und da ist auch wichtig: Sie darf natürlich nicht nur ein Beteiligungsergebnis aus der Tochter erzielen, sondern sie muss tatsächlich ein Betriebsergebnis aus der Tochter erzielen. Wann das gegeben ist, ist fraglich. Ich kenne nur einen Aufsatz aus der Finanzverwaltung dazu, der geht viel zu weit, der sagt: Ich habe nur dann diesen funktionalen Zusammenhang, wenn die Mutter-Personengesellschaft Produkte vertreibt, die die Tochter-Kapitalgesellschaft erstellt hat. Das ist viel zu eng. Ich bin sehr dankbar, dass in diesem Urteil auch klargemacht wird, dass ich einen derart engen Zusammenhang überhaupt nicht brauche. Notwendig ist schon, dass diese Mutter-Personengesellschaft wirklich Aktivitäten entfaltet, die dafür sorgen, dass die Tochter-Kapitalgesellschaft ihr zugerechnet wird. Wenn ich jetzt aber das Urteil weiterspinne, dann kann ich eigentlich nicht sagen, dass ich um die Mutter-Personengesellschaft herum dem Gesellschafter im Ausland irgendetwas zuordne, wenn im Inland Aktivitäten stattfinden. Denn der zweite Punkt bei der funktionalen Zuordnung ist ja der, dass ich tatsächlich dahin kommen muss, dass diese Kapitalgesellschaft nicht dem ausländischen Gesellschafter direkt zugerechnet wird, sondern der inländischen Betriebsstätte. Und dafür brauche ich sicherlich mehr Aktivitäten, sagen wir mal durch eine Management-Holding, als sie der Gesellschafter selbst erbringt. Da sind zwei Dinge entscheidend. Auf der einen Seite: Wer entscheidet im Tagesgeschäft? Das macht auf jeden Fall irgendeine Organisation im Inland. Die Grundentscheidungen, sei es in einem Aufsichtsrat, in dem dieser Gesellschafter vertreten ist, würde ich dann empfehlen, sollten sicherheitshalber auch im Inland stattfinden, wobei eigentlich das Tagesgeschäft wirklich das ist, was für diese Zuordnung entscheidend ist. Und da, denke ich, springe ich vielleicht aus Ihrer Sicht sehr, sehr weit, aber da bin ich der Meinung, dass dieses Urteil schon extrem hilfreich ist. Der Urteilsfall selbst war anders, da, wie Professor Wacker vorhin auch schon gesagt hat, die chilenische Gesellschaft im Ausland selbst eigentlich die gleichen Aktivitäten wie diese I-GmbH im Inland durchführt. Und da sehen Sie dann natürlich, dass dieser funktionale Zusammenhang zu dem Ausland sehr viel stärker sein kann als in einem Fall, in dem einfach nur irgendeine natürliche Person im Ausland sitzt, die dort natürlich auch keine Geschäftstätigkeit durchführt. Ich glaube, das reicht erst einmal.

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Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank. Herr Nußbaum, wie ist Ihre Meinung dazu? Nußbaum Ich bin kein Spezialist für Mitunternehmerschaften, aber wenn ich das Urteil richtig verstehe, dann soll die Zuordnung von Betriebsvermögen zur Betriebsstätte mitunternehmerspezifisch auszulegen sein. Das heißt, wenn ich einen deutschen Mitunternehmer habe und einen ausländischen Mitunternehmer, dann kann die Zuordnung unterschiedlich ausfallen. Für den Deutschen ist es zwingend Betriebsvermögen, für den Ausländer muss man dann noch einmal den Veranlassungszusammenhang prüfen. Ist das nicht am Ende letztlich die Rückkehr zur Bilanzbündeltheorie, die man eigentlich 1984 beim BFH im Großen Senat aufgegeben hatte? Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank für diesen Hinweis. Herr Kreienbaum, wie sehen Sie das Urteil? Kreienbaum Mit Blick auf die funktionale Zuordnung stellt sich die Frage, ob er für jeden Mitgesellschafter einzeln zu betrachten ist oder für alle zusammen. Da bin ich mir nicht sicher und würde noch einmal darüber nachdenken, ob man nicht doch die gesamthänderische Qualität in den Vordergrund stellen muss. Prof. Dr. Frotscher Gibt es noch Stellungnahmen aus dem Publikum dazu? Hendrik Buse2 Nochmal eine Frage. Also, wir haben das Urteil eigentlich auch eher so verstanden, dass aufgrund der Tatsache, dass diese Aktivität von der Muttergesellschaft oder durch Personal der Muttergesellschaft entfaltet worden ist für die KG, dass das eben auch eine, ich möchte mal sagen Strategieträgerbetriebsstätte der KG in Chile begründet hat mit der Folge, dass 2 Hendrik Buse, M.I.Tax ist Verwaltungsinspektor beim Finanzamt BremenOst.

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das eben eine KG deutschen Rechts war aus unserer Sicht, die eben hier eine Leitungsbetriebsstätte im Sinne von §§ 10, 12 AO hatte, aber § 10 AO, wer da mal reinguckt, wird sehen, das ist ja ganz tief gehängt, also da muss man ja nicht viel machen, um, sag ich mal, im Tagesgeschäft diese Minimalanforderungen zu erfüllen, so dass man ja auch nicht unbedingt, glaube ich, sagen muss, dass dort, wo diese Minimalanforderungen erfüllt sind, immer das Stammhaus im eigentlichen Sinne ist, sondern dass man vielleicht eher sagen könnte, das Stammhaus ist da, wo wirklich die strategischen, ganz, ganz wichtigen langfristigen Entscheidungen getroffen werden, also da, wo diejenigen sitzen, die sozusagen die wirklich wichtigen Entscheidungen zu treffen haben, und dass das hier eben eine zweite Betriebsstätte in Chile der KG eben mittelbar begründet hat und dass deswegen auch der Tochter-Kapitalgesellschaftsanteil richtigerweise dann dieser Betriebsstätte zuzuordnen wäre. Meines Erachtens kann man das aus dem Urteil auch herauslesen, wenn man das denn möchte. Prof. Dr. Wacker Diese Deutung geht weit über das Urteil hinaus. Maßgeblich war für den Senat vielmehr, dass wir als Revisionsgericht zu materiellen Fragen keine Tatsachen ermitteln und deshalb auch im Besprechungsfall nicht ermitteln konnten, welche wirtschaftlichen Aktivitäten konkret in Chile entfaltet worden sind und welche im Inland. Schon deshalb sind dem Urteil keine weiteren Präzisierungen zu entnehmen. Ähnliches gilt für den chilenischen Geschäftsführer. Der im Schaubild eingetragene Geschäftsführer A war jedenfalls Inländer. Daneben gab es allerdings auch einen weiteren chilenischen Geschäftsführer. Welche Geschäftsführungstätigkeiten er tatsächlich ausgeübt hatte, ist vom FG gleichfalls nicht festgestellt worden. Zur Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft ist zu sagen, dass der BFH sie als partiell rechtsfähig ansieht. Sie ist Rechtssubjekt, was die Gewinnermittlung und die Art der Einkünfte anbelangt, nicht aber im Hinblick auf die Erzielung der Einkünfte. Das führt zu einem dualen Konzept und zu einer jeweils normbezogenen Entscheidung, ob auf die Merkmale der Gesamthand oder auf die Merkmale des Gesellschafters abzustellen ist. Man kann in den einschlägigen Kommentaren gut nachvollziehen, dass diese Rechtsprechung sich damit auf eine „mittlere Linie“ eingependelt hat. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der BFH hieran rütteln könnte. Demgemäß haben wir uns auch im Besprechungsfall an dieser Linie ausgerichtet.

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Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank, Herr Professor Wacker. Dieser Fall ist deshalb interessant, weil er eindringlich zeigt, was für ein Trümmerhaufen die Hinzurechnungsbesteuerung ist. Wenn man diesen Sachverhalt liest, kann ich in der zyprischen Gesellschaft eigentlich nicht viel Substanz sehen. Da ist eine verwaltende Sekretärin, und mehr ist da nicht und da passiert nichts. Ich würde sagen, da wir ja von Herrn Staats die Hinzurechnungsbesteuerung präsentiert bekommen, sollten wir das als Ansatzpunkt nehmen für die Diskussion nach der Pause. Aber ich möchte trotzdem ganz kurz den dreien hier auf dem Podium Gelegenheit geben, etwas dazu zu sagen, wenn sie möchten. Fangen wir bei Herrn Nußbaum an. Nußbaum Ganz kurz vielleicht zu den finalen Verlusten. Ich glaube, es wäre an der Zeit, dass der Gesetzgeber handelt. Ich weiß nicht genau, wie viele Jahre das Thema finale Verluste schon diskutiert wird. Bestimmt schon seit über zehn Jahren. Die Frage, ob finale Verluste abzugsfähig sind oder nicht, hat viele Kehrtwendungen genommen, die Herr Wacker auch beschrieben hat. Ich glaube, es liegt nunmehr am Gesetzgeber, hier Klarheit zu schaffen, und zwar zugunsten der Nutzung von finalen Verlusten. Zumindest, und das liegt glaube ich auf der Hand, in Fällen ausländischer Betriebsstätten. Bezüglich der Entscheidung zur Hinzurechnungsbesteuerung: Vorweg, ich finde das Ergebnis absolut in Ordnung. Was mir dagegen nicht klar ist, ist die Begründung der vGA und die Frage, ob die vGA auf BEPS-Grundsätzen basiert und konstruiert wurde oder Prä-BEPS-Maßstäbe angelegt worden sind. Die Frage der substanzbezogenen Wertschöpfung ist nämlich eine Diskussion, die wir erst im Rahmen der BEPS-Diskussion geführt und somit nachgelagert bekommen haben. Der Fall bezieht sich aber eigentlich auf eine Zeit vor BEPS. Prof. Dr. Frotscher Herr Thumbs? Nichts? Herr Kreienbaum? Kreienbaum Ganz kurz zu den finalen Verlusten. Wir sehen keine Kehrtwende von TIMAC AGRO. Wir werden abwarten müssen, wie die weitere Rechtsprechung sich entwickelt. Zum Motivtest und zur Cadbury-Schwep-

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pes-Rechtsprechung: Dieses Urteil ist nun schon einige Jahre alt. Vielleicht würde der EuGH, auch vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren geführten internationalen Diskussion zu BEPS und zu schädlichen Steuerpraktiken, auch mit der Rechtfertigung der Aufteilung der Besteuerungsrechte, die Dinge heute etwas anders sehen. Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank für Ihre Beiträge. Dann bleibt mir nur noch übrig, Herr Professor Dr. Wacker, Ihnen ganz herzlich für diesen interessanten Vortrag zu danken. Herzlichen Dank!

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Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung MR Dr. Wendelin Staats, LL.M. (San Diego) Bundesministerium der Finanzen, Berlin

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Beherrschung . . . . . . . . . . . . .

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C. Niedrigsteuergrenze . . . . . . .

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D. Überarbeitung des Einkünftekatalogs (Art. 7 Abs. 2 ATAD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Vermeidung von Doppelbesteuerung. . . . . . . . . . . . . .

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F. Motivtest. . . . . . . . . . . . . . . .

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G. Weiterer Anpassungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung Deutschland verfügt bereits seit Einführung des AStG im Jahr 1972 durch das „Gesetz zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen“1 über eine in den §§ 7 ff. AStG geregelte Hinzurechnungsbesteuerung. Als Vorbild diente die Subpart-F-Gesetzgebung aus dem Jahr 1962 in den USA.2 Bereits losgelöst von internationalen Entwicklungen wurde in der Vergangenheit gelegentlich eine grundlegende Reform der Hinzurechnungsbesteuerung gefordert. Insbesondere aber war die Erarbeitung von Standards für die Hinzurechnungsbesteuerung einer der Aktionspunkte des G20/OECD-BEPS-Projekts3 und mündete 2015 in dem entsprechenden Abschlussbericht „Designing Effective Controlled Foreign Company Rules“4. Einen wichtigen Schub für die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung brachte schließlich die vom Rat am 20. Juni 2016 verabschiedete „Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungsprakti1 Gesetz v. 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713. 2 Vgl. zur historischen Entwicklung zB Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 2 ff.; rechtsvergleichend zum USSteuerrecht vgl. ausführlich Kraft/Beck, IWB 2012, 629 und 682. 3 Vgl. hierzu insgesamt https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/The men/Steuern/Beps/beps.html (abgerufen am 15.3.2019). 4 Designing Effective Controlled Foreign Company Rules, OECD 2015. Aktuell online abrufbar über die Internetseite der OECD.

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ken“ (ATAD = Anti-Tax-Avoidance-Directive)5: Die Artikel 7 und 8 der ATAD sehen eine Hinzurechnungsbesteuerung für alle EU-Mitgliedstaaten als Mindeststandard (Art. 3 ATAD) vor. Da die ATAD selbst lediglich einen Mindeststandard vorsieht und Deutschland bereits seit 1972 über ein robustes Hinzurechnungsbesteuerungsregime verfügt, ergibt sich aus den Art. 7 und 8 ATAD allenfalls vereinzelt ein Umsetzungsbedarf für Deutschland. Allerdings stellt die ATAD davon losgelöst einen Anlass dar, die deutschen Regelungen der §§ 7 ff. AStG insgesamt zu überprüfen und über eine Reform insgesamt nachzudenken. So findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag der Regierungsparteien die entsprechende Aussage, dass die Verpflichtungen aus der ATAD im Interesse des Standorts Deutschland umgesetzt werden sollen und dabei unter anderem die Hinzurechnungsbesteuerung „zeitgemäß“ ausgestaltet werden soll.6 Nun verhält es sich so, dass im Zeitpunkt der diesjährigen 35. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung am 7. Dezember 2018 kein konkreter Gesetzentwurf veröffentlicht ist. Ich kann im Folgenden deshalb nur den Versuch unternehmen, in einem kurzen Überblick zumindest auf die Problemfelder einzugehen, die vom Gesetzgeber – auch unter Berücksichtigung der Regelungstechnik der ATAD – im Rahmen der Reform der Hinzurechnungsbesteuerung geprüft werden dürften.

B. Beherrschung § 7 Abs. 1 AStG verlangt in seinem Tatbestand eine Inländerbeherrschung. Nicht erforderlich ist damit eine echte Beherrschung durch den Stpfl. Es reicht, wenn in Deutschland unbeschränkt Stpfl. zu mehr als der Hälfte an der Zwischengesellschaft beteiligt sind. Eine Verbundenheit dieser im Inland unbeschränkt Stpfl. wird nicht vorausgesetzt. In § 7 Abs. 2 AStG wird das Beteiligtsein zu mehr als der Hälfte näher konkretisiert. Maßgeblich ist nach gängiger Auffassung die gesellschaftsrechtliche Beteiligung am Nennkapital der Zwischengesellschaft.7 Demgegenüber verfolgt die ATAD das Konzept einer echten Beherrschung. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD liegt eine beherrschte Zwi5 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016. 6 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode v. 12.3.2018, 69. 7 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, Tz. 7.1.1 Satz 1; Menck in Blümich, § 7 AStG Rz. 21.

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schengesellschaft vor, wenn der Stpfl. selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte hält oder unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % des Kapitals hält oder Anspruch auf mehr als 50 % der Gewinne dieses Unternehmens hat. Da die ATAD eine Beherrschung des Stpfl. verlangt, sieht sie einen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage in Deutschland erheblich engeren Tatbestand vor. Die deutsche Rechtslage ist aber insoweit richtlinienkonform, da die ATAD eben gemäß deren Art. 3 nur ein Mindestschutzniveau vorschreibt. Für bestimmte Situationen enthält die ATAD aber aufgrund des Einbezugs der Beherrschung durch nahestehende Personen und der weiter gefassten Definition der Beherrschung – neben der Kapitalbeteiligung reichen auch Gewinn- oder Stimmrechtsbeherrschungsverhältnisse – für den betroffenen Stpfl. strengere Vorgaben. Beispiel: Die in Deutschland ansässige A-GmbH ist zu 49 % am Kapital der Zwischengesellschaft beteiligt. Die in Frankreich ansässige 100%ige Muttergesellschaft B-SARL hält weitere 2 % an der Zwischengesellschaft. Die weiteren Anteilseigner sind nicht in Deutschland ansässig.

Nach geltendem Recht liegt keine Beherrschung durch die A-GmbH vor, da eine mehr als hälftige Inländerbeherrschung nicht vorliegt. Aus Art. 7 Abs. 1 ATAD ergibt sich aber eine Beherrschung, da die A-GmbH zusammen mit der ihr nahestehenden B-SARL die Zwischengesellschaft mit einer 51%-Beteiligung beherrscht.

Aufgrund des Einbezugs der Beteiligungen nahestehender Gesellschaften wird im Rahmen der Richtlinienumsetzung eine Anpassung des deut-

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schen Rechts deshalb wohl schon aufgrund des einzuhaltenden Mindestschutzniveaus notwendig. Insgesamt dürfte der Gesetzgeber auch prüfen müssen, ob losgelöst von dem Mindestschutzniveau das Konzept der Inländerbeherrschung fortgeführt werden sollte. Ein Abstellen auf echte Beherrschungssituationen hätte nicht zuletzt auch den Vorteil, dass die Hinzurechnungsbesteuerung dann in Drittstaatssachverhalten schon von Vornherein keinen europarechtlichen Bedenken ausgesetzt wäre, da in derartigen Beherrschungssachverhalten Prüfungsmaßstab allein die Niederlassungsfreiheit ist, deren Geltung auf EU- und EWR-Sachverhalte beschränkt ist.8 Mit Blick auf die aktuelle Entscheidung X des EuGH, die den Sonderfall einer Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter nach § 7 Abs. 6a AStG betraf, wird man aber auch bei dem geltenden Recht gute Gründe für die Europarechtskonformität der §§ 7 ff. AStG vortragen können.9 Eine weitere konzeptionelle Abweichung der ATAD vom geltenden deutschen Recht ergibt sich aus dem Umstand, dass nach der ATAD auch mittelbar beherrschte Zwischengesellschaften zur Hinzurechnungsbesteuerung führen können. Ist eine vom Stpfl. beherrschte ausländische Gesellschaft wiederum selbst an Zwischengesellschaften beteiligt (sog. nachgeschaltete Zwischengesellschaften), sieht § 14 AStG dagegen vor, dass die Hinzurechnungsbeträge aus den verschiedenen Zwischengesellschaften auf Ebene der obersten ausländischen Gesellschaft gebündelt werden. Folge daraus ist, dass Verluste nachgeschalteter Zwischengesellschaften ausnahmsweise mit positiven Einkünften anderer nachgeschalteter Zwischengesellschaften verrechnet werden dürfen. Dies folgt daraus, dass § 10 Abs. 1 Satz 3 AStG für die übertragende Zurechnung nicht gilt.10 Mit Blick auf den umzusetzenden Mindeststandard der ATADRichtlinie wird diese bisherige Technik überprüft werden müssen.

C. Niedrigsteuergrenze Die Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung finden derzeit gem. § 8 Abs. 3 AStG Anwendung, wenn die Einkünfte der ausländi8 Vgl. allgemein zum Konkurrenzverhältnis der Grundfreiheiten zueinander Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 90 ff. 9 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 (X), FR 2019, 313. 10 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, Tz. 14.1.6. Dies war nicht unstreitig und geht letztlich auf eine Entscheidung des BFH zurück, vgl. BFH v. 20.4.1988 – I R 41/82, BStBl. II 1988, 868.

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schen Gesellschaft einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 % unterliegen. Schon seit langem wird seitens der Wirtschaft eine Absenkung dieser Niedrigsteuergrenze gefordert.11 Der vorgeschriebene Mindeststandard der ATAD-Richtlinie würde eine Absenkung auf die Hälfte des inländischen Körperschaftsteuerbelastungsniveaus – also 7,5 % – erlauben.12 Zuzugeben ist den Befürwortern einer Absenkung, dass die im deutschen System vorgesehene Grenze im internationalen Vergleich auffällig hoch ist. Soweit ersichtlich kennt kein anderes Land eine vergleichbare oder höhere Niedrigsteuergrenze. Insbesondere aber könnte durch eine Absenkung der Niedrigsteuergrenze das Problem der Anrechnungsüberhänge durch die fehlende Anrechnungsmöglichkeit ausländischer Vorbelastungen auf die Gewerbesteuer beseitigt oder minimiert werden.13 Allerdings hat der Gesetzgeber zuletzt im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 trotz der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 auf 15 % keine Notwendigkeit gesehen, § 8 Abs. 3 AStG gleichfalls anzupassen.

D. Überarbeitung des Einkünftekatalogs (Art. 7 Abs. 2 ATAD) Art. 7 Abs. 2 ATAD sieht zwei verschiedene technische Möglichkeiten für die Ermittlung der hinzuzurechnenden Einkünfte vor.14 Die Mitgliedstaaten können sich demnach entscheiden, ob sie entweder einen Katalog von Einkünften zur Bemessungsgrundlage des beherrschenden Unternehmens15 oder aber „Einkünfte des Unternehmens oder der Betriebsstätte aus unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen“16 hinzurechnen. Letzteres kann man als eine Art pauschalierenden Missbrauchstatbestand verstehen.

11 Vgl. zB Kraft/Seydewitz, BB 2015, 1494; Wassermeyer/Schönfeld, IStR 2008, 496. 12 Dies folgt aus der etwas kompliziert gefassten Regelung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b ATAD. Vgl. hierzu näher Linn, IStR 2016, 645; Rautenstrauch/Suttner, BB 2016, 2391. 13 Vgl. hierzu noch weiter unten unter E. 14 Vgl. hierzu näher Hagemann in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 196 ff.; Kraft in Kraft, AStG2, Vor § 7 Rz. 161; Linn, IStR 2016, 645. 15 Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD. 16 Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD.

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Das deutsche Recht folgt aktuell der ersten Variante, indem es in § 8 Abs. 1 AStG einen Aktivkatalog vorsieht und alle Einkünfte, die nicht darunterfallen, als passiv und damit hinzurechnungspflichtig einstuft. Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD sieht zwar einen Passivkatalog vor, letztlich handelt es sich aber bei der Frage Passiv- oder Aktivkatalog um eine rechtstechnische Frage. Auch ein Aktivkatalog entspricht damit den Vorgaben der Richtlinie. Allerdings dürfte der Gesetzgeber durch die neuen Katalogvorgaben der ATAD § 8 Abs. 1 AStG entsprechend anpassen und in diesem Zusammenhang auch über eine nicht vom Mindeststandard geforderte Überarbeitung nachdenken. Aktuell wird die Behandlung von Dividenden nach der ATAD besonders kontrovers diskutiert.17 Art. 7 Abs. 2 Buchst. a iii ATAD qualifiziert Dividenden pauschal als passiv. Unerheblich ist, ob die ausgeschütteten Gewinne selbst aus „aktiven“ oder „passiven“ Einkünften stammen. Problematisch ist außerdem, dass die Dividenden in vielen Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen bei Körperschaften von der Besteuerung freigestellt werden.18 Allerdings sieht Art. 8 ATAD vor, dass die jeweils nationalen Gewinnermittlungsvorschriften und damit auch Einkommensermittlungsvorschriften anzuwenden sind. Damit wären § 8b KStG-privilegierte Dividenden auf Ebene der Zwischengesellschaft bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags gem. § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz zu lassen. Allerdings wären gem. § 8b Abs. 5 KStG 5 % der Dividende als nicht abzugsfähige Betriebsausgabe anzusehen. Ähnliches wäre gem. § 8b Abs. 2 und 3 KStG bei entsprechenden Gewinnen aus Anteilsveräußerungen zu beachten. Mit Blick auf die systematische Behandlung von Dividenden wird man der ATAD mE aber auch gerecht, wenn man Dividenden unter Berücksichtigung der Systematik des § 8b KStG von vornherein aus der Hinzurechnungsbesteuerung herausnimmt. Diesen Weg hat beispielsweise Österreich bestritten. Im Rahmen des österreichischen JStG 2018 wurde ein neuer § 10a Ö-KStG geschaffen, der vorsieht, dass Dividenden nur „Passiveinkünfte“ sind, „soweit diese bei der beteiligten Körperschaft steuerpflichtig wären“19.

17 Vgl. Zum Beispiel Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 7 Rz. 104 ff. mwN; Schnitger/Gebhardt, IStR 2018, 213. 18 Für Deutschland vgl. § 8b Abs. 1 KStG. 19 Vgl. zur Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung in Österreich allgemein Raab, IStR 2018, 789.

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Staats – Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung Beispiel: Beispiel: Eine A-GmbH ist an der Gesellschaft B-Sarl zu 8 % beteiligt. Ausschüttungen wären gem. § 8b Abs. 4 KStG steuerpflichtig. Die Regelung des § 8b Abs. 4 KStG könnte umgangen werden, indem man eine Zwischengesellschaft (ZG), bei der die Dividende selbst vollumfänglich steuerfrei bleibt, zwischen A-GmbH und B-Sarl implementiert. Folgte man dagegen der körperschaftsteuerlichen Systematik, wären die von ZG niedrig (zu 0 %) besteuerten Dividenden passiv.

E. Vermeidung von Doppelbesteuerung Die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Rahmen der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung gehört sicher zu den Dauerbrennpunkten in der steuerwissenschaftlichen und steuerpolitischen Diskussion.20 Ein besonderes Problem stellt dabei die fehlende Anrechnungsmöglichkeit auf die Gewerbesteuer dar. Die Steuerpflicht gem. § 7 AStG erstreckt sich auch auf die Gewerbesteuer. Wenn also Anteile an der Zwischengesellschaft einem inländischen Gewerbebetrieb zuzurechnen sind, so gelten die §§ 7–14 AStG auch bei der Ermittlung des Gewerbeertrags. Der Hinzurechnungsbetrag erhöht nach § 10 Abs. 2 Satz 2 AStG den Gewinn aus Gewerbebetrieb.21 Dies wurde jüngst vom BFH nochmal ausdrücklich bestätigt.22 Wenn im Ausland eine Steuer von effektiv zwischen 15 % und 25 % geschuldet wird, kann eine Anrechnung nur auf die im Inland geschuldete Körperschaftsteuer von 15 % erfolgen. Darüber hinaus erfolgt keine Anrechnung bei der ggf. geschuldeten Gewerbesteuer. Dieses Problem schien zunächst mit dem eben angesprochenen BFH-Urteil beseitigt, das trotz der Erhöhung des Gewerbeertrags durch § 10 AStG eine Belastung 20 Vgl. zum Beispiel Haase, ifst-Schrift 521 (2017), 31 und 183 f. 21 Vgl. Drüen in Blümich, § 7 GewStG Rz. 91. 22 BFH v. 10.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049.

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mit Gewerbesteuer ablehnte, weil der Hinzurechnungsbetrag auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfalle und deshalb nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zu kürzen sei.23 Der Gesetzgeber antwortet darauf zum einen mit der – im Lichte des BFH-Urteils nur klarstellenden – gesetzlichen Anordnung in § 7 Satz 7 GewStG, dass Hinzurechnungsbeträge iSd. § 10 Abs. 1 AStG Einkünfte sind, die in einer inländischen Betriebsstätte anfallen. Zum anderen wurde aber in § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG die vom BFH vorgesehene Kürzung ausdrücklich ausgeschlossen.24 Die Reaktion des Gesetzgebers wurde damit begründet, dass mit der Hinzurechnungsbesteuerung ua. der Verlagerung passiver Einkunftsquellen in Niedrigsteuergebiete entgegengewirkt werde. Deshalb zähle dann konsequenterweise der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus einer inländischen Betriebsstätte des zur Hinzurechnung verpflichteten Stpfl.25 Dies wird man als folgerichtig ansehen können. Das Problem von Anrechnungsüberhängen bei einer Vorbelastung von 15–25 % bleibt dann aber bestehen. In dem Zusammenhang wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Absenkung der Niedrigsteuergrenze dieses Problem entschärfen würde.26 Es wird auch darauf hingewiesen, dass eine ausdrückliche Regelung geschaffen werden sollte, wonach eine ausländische Hinzurechnungsbesteuerung anzurechnen ist.27 Aktuell wird seitens der Finanzverwaltung das geltende Recht bereits in diesem Sinne ausgelegt.28

F. Motivtest Zuletzt möchte ich noch kurz auf die Frage eingehen, ob der auf die EuGH-Rspr.29 zurückgehende Motivtest in § 8 Abs. 2 AStG, den in ähnlicher Form auch Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD kennt, überhaupt noch

23 BFH v. 10.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049. 24 Die Änderungen erfolgten durch das „BEPS-Umsetzungsgesetz“ v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 25 Vgl. BT-Drucks. 18/9536, 59. 26 Vgl. hierzu bereits oben unter C. 27 Vgl. hierzu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 8 Rz. 88. 28 BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, Tz. 14.1.5. 29 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), FR 2006, 987.

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zeitgemäß ist. Oder mit anderen Worten, ob die aktuellen Vorgaben des EuGH einen solchen auch heute noch erforderlich machen.30 Die ATAD schreibt diesen mE nicht vor, da die Richtlinie insgesamt nur ein Mindestschutzniveau vorgibt. Interessant ist aber ein Blick auf europäische Rechtsakte, die aktuell von der EU-Kommission zwar vorgeschlagen, aber bislang noch nicht umgesetzt wurden. So sah die ATAD ursprünglich im Kommissionentwurf v. 28.1.2016 noch eine sog. „Switch-over-Klausel“ vor, wonach ua. Dividenden nach nationalem Recht nicht freizustellen wären, wenn nicht gleichzeitig ein bestimmtes Maß an Vorbelastung gewährleistet ist.31 Eine vergleichbare Regelung findet sich im Richtlinienentwurf zur GKB-Richtlinie vom Oktober 2016.32 Zwar soll diese „Switch-over-Klausel“ nach den Vorstellungen der Kommission nur gegenüber Drittstaaten gelten. Da aber nationale Dividendenfreistellungen (in Deutschland zB § 8b Abs. 1 KStG) nicht zwingend eine Beteiligungsgrenze von 25 % oder mehr voraussetzen, stellt sich dann zumindest die Frage nach der Vereinbarkeit mit der Kapitalverkehrsfreiheit.33 Die Kommission geht also offenkundig davon aus, dass die besondere Besteuerung einer Dividende bei fehlender ausreichender Vorbelastung gerechtfertigt ist. Zwar dürfte dies sowieso der Fall sein, weil eine sekundärrechtliche Harmonisierung auch auf das Primärrecht wirken dürfte.34 Erstaunlich ist aber, dass die Kommission für die Hinzurechnungsbesteuerung (jetzt Art. 7 und 8 ATAD) aufgrund der „Cadbury Schweppes“Rspr. des EuGH einen Motivtest vorsieht, nicht aber für den switch-over, obwohl beide Regelungen eine sehr ähnliche Stoßrichtung haben. Letztlich unterscheidet sich die Hinzurechnungsbesteuerung insbes. dadurch, dass sie zeitig vorgezogen besteuert, sie möchte also ergänzend zu einem switch-over die Thesaurierung von nicht ausreichend besteuerten Gewinnen verhindern. Es ist zumindest nicht zwingend, dass hier für den switch-over und die Hinzurechnungsbesteuerung unterschiedli30 Dieses Thema war nicht Gegenstand des Vortrags. Es wird hier aber ergänzt, auch weil es als Thema bei der anschließenden Diskussion zumindest kurz angesprochen wurde, vgl. S. 80; vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Staats, IWB 2018, 838. 31 Vgl. Art. 6 ATAD-E v. 28.1.2016 – KOM (2016), 26 endg. 32 Vgl. Art. 53 GKB-RL-E v. 25.10.2016 – KOM (2016) 685 endg. 33 Vgl. allgemein zum Konkurrenzverhältnis der Grundfreiheiten zueinander Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 3 Rz. 90 ff. 34 Vgl. hierzu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union (2018), § 2 Rz. 92. Vgl. außerdem die Diskussion hierzu, S. 80.

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che Maßstäbe gelten. Gerechtfertigt sind letztlich beide Regelungen zur Wahrung einer angemessenen Aufteilung der Besteuerungsrechte. Ein Motivtest, der zur Fokussierung allein auf missbräuchliche Gestaltungen führt, ist deshalb mE bei beiden Regelungen entbehrlich. Die Hinzurechnungsbesteuerung ist eben keine reine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift.35 Und selbst wenn man davon ausgehen kann, dass die Hinzurechnungsbesteuerung mit ihrer Fokussierung auf passive Einkünfte zumindest auch eine besondere Missbrauchsvorschrift darstellt, wird man keinen strengeren Maßstab anwenden können, als wenn die Hinzurechnungsbesteuerung allein auf die nicht ausreichende Vorbelastung abstellte. Insoweit stellt die Hinzurechnungsbesteuerung eine mildere Maßnahme dar, die nicht strengeren Maßstäben ausgesetzt werden sollte. Zugegebenermaßen scheint die bisherige und auch aktuelle Rspr. des EuGH diese Sichtweise zumindest nicht zwingend zu stützen.36

G. Weiterer Anpassungsbedarf Einige eher technische Details, die aber im Einzelfall durchaus größere Bedeutung haben können, wird der Gesetzgeber mit Blick auf die Vorgaben der ATAD auf den Prüfstand stellen müssen. Hingewiesen sei beispielsweise auf folgende Gesichtspunkte: –

Art. 8 Abs. 4 ATAD sieht einen von § 10 Abs. 2 AStG abweichenden Hinzurechnungszeitpunkt vor. Nach der ATAD erfolgt die Hinzurechnung bereits in dem Wj. des Stpfl., in dem das maßgebliche Wj. der Zwischengesellschaft, in dem die hinzuzurechnenden Einkünfte erzielt wurden, endet.37



Nach Art. 8 Abs. 7 ATAD ist die steuerliche Vorbelastung der Zwischengesellschaft anzurechnen. Einen Steuerabzug von der Bemessungsgrundlage, so wie in § 10 Abs. 1 AStG vorgesehen, kennt die ATAD dagegen nicht. Es wird dennoch vertreten, dass eine ergänzende Betriebsausgabenabzugsmöglichkeit weiter den unionsrechtlichen Vorgaben entspräche, da Art. 8 Abs. 7 Satz 2 ATAD für die Berechnung auf die nationalen Vorschriften und damit auch auf § 26 Abs. 1

35 Vgl. hierzu Haase, ifst-Schrift 521 (2017), 27 mwN. 36 Vgl. dazu Staats, IWB 2018, 838 mwN. 37 Vgl. hierzu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 8 Rz. 84 f.

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Nr. 1 KStG iVm. § 34c Abs. 2 EStG verweise.38 Dem ist aber mE die klare und eindeutige Vorgabe des „Abzugs“ von der Steuer in Art. 8 Abs. 7 Satz 1 ATAD entgegenzuhalten. Folgte man der Gegenansicht, könnte der nationale Gesetzgeber zahlreiche Vorgaben des Mindeststandards umgehen, indem er bei den üblichen Verweisen in das nationale Recht den so vorhandenen Spielraum nutzt, um die Vorgaben der ATAD zu vermeiden. In diesem Sinne ist der Verweis auf das nationale Recht kaum zu verstehen. –

Art. 8 Abs. 1 Satz 2 ATAD sieht keinen Rücktrag eines negativen Hinzurechnungsbetrags vor. Auch hier weicht die Richtlinie vom aktuell geltenden Recht ab (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG).39



Fraglich dürfte auch sein, inwieweit die Ausschlüsse der §§ 4h und 4j EStG in § 10 Abs. 3 AStG mit der Vorgabe in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 ATAD in Einklang gebracht werden können.40

38 Vgl. hierzu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 8 Rz. 87; Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (967). 39 Vgl. hierzu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 8 Rz. 76. 40 Vgl. hierzu Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, ATAD, Art. 8 Rz. 77.

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Die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg

Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Hamburg

Teilnehmer Oliver Nußbaum BASF SE, Global Head of Tax, Ludwigshafen

MR Dr. Wendelin Staats, LL.M. (San Diego) Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Werner Thumbs Profunda Verwaltungs-GmbH (Boehringer Ingelheim), Leiter Steuern

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Lüdicke Herzlichen Dank, Herr Staats. Sie haben alle wirklich wesentlichen Themen angesprochen, und dies in einer Weise, die uns jetzt noch genügend Zeit belässt, sie zu diskutieren. Und das erscheint umso günstiger, als es tatsächlich einigen Diskussionsbedarf gibt. Ich darf sogleich folgende Frage in die Runde geben: Die Hinzurechnungsbesteuerung ist gerade auch für Kapitalgesellschaftskonzerne ein Thema – wie beurteilen Sie, Herr Nußbaum, denn das, was auf uns zukommt? Nußbaum Man weiß eben noch nicht, was kommt. Das ist, was mich mit Sorge umtreibt. Was mich sehr beunruhigt, ist die Aussage, man müsse den Steuersatz von 25 % nicht unbedingt nach unten reduzieren. Das AStG ist letztlich eine Vorschrift zur Bekämpfung des Missbrauchs. Dabei wird Missbrauch in typisierender Weise unterstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Steuersatz von 25 %, der jetzt flächendeckend fast alle Länder erfasst, noch geeignet ist, um eine typisierende Betrachtung eines Missbrauchsfalls zu gewährleisten. Wenn man das Urteil des EuGH zu

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§ 9 Abs. 1 Nr. 7 GewStG interpretiert, dann muss man hieran Zweifel haben – die Steuerwelt hat sich um den 25%-Steuersatz herum verändert. Früher war der reguläre deutsche Steuersatz im Vergleich zum Steuersatz von 25 % viel höher. In diesem Kontext haben die 25 % möglicherweise noch Sinn gemacht. Mit der Reduktion der Steuerbelastung in Deutschland auf 30 % und in Folge der Steuersatzreduktionen weltweit macht das Typisieren eines Missbrauchsfalls bei einem Steuersatz von 25 % keinen Sinn mehr und ist exzessiv. Insofern drängt sich ohnehin schon die Frage auf, ob es europarechtskonform ist, einen typisierenden Missbrauch bei einem Steuersatz von 25 % anzunehmen, oder ob der Prozentsatz nicht ohnehin deutlich niedriger sein müsste. Ich belasse es zunächst einmal dabei. Ich hätte später noch ein paar andere Punkte. Prof. Dr. Lüdicke Herr Thumbs? Thumbs Gerne. Jetzt nicht unbedingt eine Anmerkung aus Sicht der Kapitalgesellschaft. Ich würde gerne zu dem Thema Investmentsteuerrecht etwas sagen. Jetzt oder lieber später? Prof. Dr. Lüdicke Gerne jetzt. Thumbs Danke. Ich bin mir nicht sicher, Herr Dr. Staats, ob ich Sie richtig verstanden habe, dass Sie sagen, wir brauchen den § 7 Abs. 7 AStG so, wie er heute ist, oder eben gerade nicht. Nochmal zum Hintergrund, weil gerade auch die Folie nicht gezeigt worden ist: Der § 7 Abs. 7 AStG sagt ja, dass für Fälle des Investmentsteuerrechts das Außensteuergesetz gar nicht gilt. Und die Frage ist, ob das richtig ist. Ich glaube, Sie haben die Frage gestellt. Ich denke, die Antwort muss wirklich lauten: Es ist richtig! Und da komme ich dann doch wieder einerseits ganz plakativ-naiv zum Thema Hinzurechnungsbesteuerung. Wir haben beim intransparent besteuerten Fonds eine Körperschaftsteuer von 15 %. Ich bin wahrscheinlich zu schlicht unterwegs, wenn ich diese 15 % mit der Hinzurech-

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nungsbesteuerung von 25 % vergleiche – das passt von vornherein schon nicht. Im Übrigen ist es aber vor allen Dingen auch so, dass es ja inzwischen schwerer ist, durch bestimmte Regelungen, die im Investmentsteuergesetz schon enthalten sind – Stichwort § 16 Abs. 4 – überhaupt in die DBA-Befreiung in Deutschland reinzukommen. Dazu kommt noch, der Investmentfonds ist wahrscheinlich auch gar nicht DBA-berechtigt. Das ist jedenfalls nicht gesichert. Das ist dann natürlich wieder so ein typisches Personengesellschaftsproblem: wer bekommt die DBABegünstigung überhaupt? Deswegen tue ich mich mit solchen Steuersätzen wie den 25 % als Vergleichsbasis ohnehin immer schwer. Man muss aus Personengesellschaftssicht immer versuchen, von vornherein einen DBA-Fall zu vermeiden, das heißt, lieber über Kapitalgesellschaften in Auslandstransaktionen zu gehen, weil ich mit der Personengesellschaft für jeden Gesellschafter einzeln die DBA-Berechtigung prüfen muss. Das kann dann lustig werden, wenn Sie Gesellschafter aus unterschiedlichen Ländern haben. Dann versuche ich doch lieber, dass ich es gleich vermeide. Im Übrigen: Wir haben ja im Investmentsteuergesetz die Vorabpauschale. Die ersetzt eigentlich von vornherein schon das ganze Thema Hinzurechnungsbesteuerung. Die passt einfach überhaupt nicht dazu. Und wenn doch, wie oben angerissen, dann sollten wir, denke ich, auch tatsächlich die Grenze der Niedrigbesteuerung überdenken. Ich glaube, mit 15 % können wir leben. Ich glaube, der ganz wesentliche Punkt, fehlende Anrechnung auf die Gewerbesteuer, ist schon angesprochen worden. Tut uns natürlich auch aus Personengesellschaftsgesichtspunkten wieder weh. Aber ich kann auch nachvollziehen, dass Sie sagen, Sie sind selber dafür, und das nicht nur aus arbeitsökonomischen Gründen, die aber auch okay sind, sondern tatsächlich auch aus sachlichen Gründen. Ich glaube, das war jetzt schon wirklich genug dazu. Danke. Prof. Dr. Lüdicke Herr Staats, ich würde Sie gleich bitten, etwas zu dieser Investmentsteuerfrage zu sagen, möchte vorher aber noch einmal, weil dies auch von Herrn Nußbaum angesprochen wurde, die Frage der Niedrigsteuergrenze thematisieren. Ich höre immer wieder, dass die Niedrigsteuergrenze auf 15 % abgesenkt werden müsse und damit das Problem der Anrechnungsüberhänge beseitigt sei, wofür sicherlich etliches spricht. Ich glaube aber nicht, dass das Problem dann vollständig gelöst ist. Im Rahmen der Gewerbesteuer wäre das Problem beseitigt, nicht aber bei

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der Körperschaftsteuer. In einer Verlustsituation hat das Unternehmen nach wie vor den Hinzurechnungsbetrag, der den Verlustvortrag mindert und zukünftige Anrechnungen verhindert. Wir werden auch wieder schlechtere Zeiten in Deutschland erleben, in denen mehr Unternehmen, auch Kapitalgesellschaften, Verlustvorträge vor sich herschieben. Die Annahme, dass damit gewissermaßen das positive Ende der Fahnenstange erreicht sei, halte ich für einen gewaltigen Fehlschluss. Nach meiner Ansicht sollte darüber nachgedacht werden, ob man nicht auch in Sachen des Anrechnungsüberhangs bei der Körperschaftsteuer für Verlustfälle eine Regelung schaffen müsste. Das sollte unabhängig davon geprüft werden, auf welchen Satz man sich für die Niedrigsteuergrenze einigt. Wir haben auch natürliche Personen zu berücksichtigen, die der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Da kann das gleiche Problem auftreten. Und es gibt noch einen zweiten Punkt im Zusammenhang mit der Niedrigsteuergrenze: Wir reden jetzt immer über die 15 % aus der Körperschaftsteuer. Aber wir haben nun einmal in Deutschland, anders als in manchen anderen Staaten, eine Hinzurechnungsbesteuerung, die auch für natürliche Personen gilt, deren Steuerbelastung nicht 15 % beträgt. Entweder zahlen die Betreffenden nichts oder deutlich mehr. Wie wollen wir damit eigentlich umgehen? Ich gewann ein wenig den Eindruck, Herr Staats, dass Sie sagen wollten, man könne über die 15 % reden. Eine Niedrigsteuergrenze von 25 % sei vielleicht seit der Unternehmensteuerreform 2008 nicht mehr zeitgemäß, aber es gebe auch gute Gründe für eine Niedrigsteuergrenze in dieser Höhe. Hatten Sie die natürlichen Personen im Auge? Hat man eigentlich darüber nachgedacht, die Hinzurechnungsbesteuerung für natürliche Personen ganz abzuschaffen? Oder steuersatzmäßig von der Hinzurechnungsbesteuerung für Körperschaften abzukoppeln? Dr. Staats Das Investmentsteuerrecht ist in der Tat ein spannendes Thema. Sie sprechen mit Recht Themen an wie die Vorabpauschale, wobei man natürlich ein bisschen schmunzeln muss, wenn man sagt, das ersetzt ja quasi, oder, da braucht man jetzt die Hinzurechnungsbesteuerung nicht mehr. Denn die Konsequenzen sind natürlich ganz andere. Ob ich jetzt 0,30 % Steuern zahle, mal übertrieben gesagt, oder von mir aus 30 %, das ist doch ein erheblicher Unterschied. Bei der Investmentsteuer haben wir eine Regelung. Der § 7 Abs. 7 AStG ist so ausgestaltet, wie Sie es gesagt

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haben. Wir sind dabei, im Rahmen der Umsetzung auch darüber nachzudenken, wie man das denn zukünftig ausgestalten kann. Da vielleicht zwei Hinweise von meiner Seite. Erstens, man muss da auch die Vorgaben der ATAD beachten. Da stehen Dinge drin, die nicht in Ihrem Sinne sind, Herr Thumbs, um es mal so zu formulieren. Das Zweite ist, dass ich nicht so richtig viel Verständnis dafür habe – aber das ist jetzt vielleicht auch meine persönliche Meinung –, wenn jemand in Luxemburg eine ausländische Gesellschaft hat und da fließen jetzt die ganze Zeit irgendwelche passiven Einkünfte rein und ich greife mir die mit der Hinzurechnungsbesteuerung, wobei dank der EuGH- und BFH-Rechtsprechung muss ich jetzt den Fall anders bilden, also die ist jetzt irgendwo in Panama, weil die Hinzurechnungsbesteuerung wirkt ja in Europa eigentlich kaum noch. Und dann hänge ich aber statt dieser Gesellschaft in Panama einfach einen Fonds darunter, und dann umgehe ich dadurch wegen § 7 Abs. 7 AStG einfach die Hinzurechnungsbesteuerung. Dann ist das eine ganz billige Gestaltung. Das finde ich nicht in Ordnung. Dann muss man eher darüber nachdenken, ob man die Probleme, die da sind, versucht abzumildern oder einzufangen. Und da sind wir in interessanten technischen Diskussionen, auch gemeinsam mit unseren Experten für die Investmentsteuer, haben da aber auch noch kein abschließendes Ergebnis gefunden. Die von Ihnen, Herr Lüdicke, angesprochenen Anrechnungsüberhänge in Verlustfällen sind meiner Einschätzung nach, vielleicht habe ich es auch nicht ganz richtig verstanden, ein allgemeines Problem der Steueranrechnung. Gut, das weiß ich nicht, ob da jetzt die Hinzurechnungsbesteuerungsreform der richtige Aufhänger ist, um da jetzt generell über eine Anpassung des § 34c EStG nachzudenken. Das müsste man dann ja auch da machen. Da haben wir ja allgemein bei den Verlustsituationen ähnliche Probleme. Natürliche Personen sind jetzt bei der Hinzurechnungsbesteuerung – soweit ich das überblicke – kein Schwerpunktthema. Aber man kriegt ab und zu mal von Praktikern wie Herrn Buse – er ist ja da, mal sehen, ob er gleich nickt oder den Kopf schüttelt – eigentlich schon mit, dass die Fälle nicht so oft vorkommen. Erst einmal will ich die Frage beantworten: Ich meine, wir sollten das nicht abschaffen. Also die ATAD gilt ja nur für Körperschaften, aber wir sehen jetzt keine Notwendigkeit, das bei natürlichen Personen oder nicht Körperschaftsteuerpflichtigen anders zu machen. Der Gesetzgeber wird das aber letztlich entscheiden müssen. Aber da muss man natürlich schon auch ein bisschen schauen,

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warum das jetzt für die Niedrigsteuergrenze so maßgeblich ist. Ich finde, dass man das mal ganz generell mit Blick auf die ausländische Zwischengesellschaft betrachten muss, und da schließt sich für mich ein bisschen der Kreis zu dem, was Herr Nußbaum vorhin sagte: Die Hinzurechnungsbesteuerung ist eigentlich nichts anderes als ein Instrument, um eine angemessene Vorbelastung auf Ebene der ausländischen Gesellschaft sicherzustellen. Deswegen verwehre ich mich auch dagegen, dass man schon im geltenden Recht sagt, das sei eine reine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift. Das sehe ich nicht so. Auch jetzt schon nicht, nach dem geltenden Recht. Man muss das ganz eng im Kontext sehen mit dem § 8b KStG und dem Teileinkünfteverfahren. Der § 8b KStG stellt Dividenden unabhängig von der Vorbelastung im Grundsatz steuerfrei. Ich hatte es vorhin angedeutet. Da haben wir Ende der 90er Jahre bei der Kommission Verfahren anhängig gehabt im Rahmen des Code of Conduct, weil die gesagt haben, wir betreiben schädlichen Steuerwettbewerb. Deutschland wurde vorgeworfen, es betreibe schädlichen Steuerwettbewerb, weil es Dividenden steuerbefreit, obwohl wir, bei dem Schachtelsystem, das wir haben, eigentlich zwei Besteuerungsebenen haben. Und die eine, die müssen wir absichern, und zwar auch, wenn eben die Dividendenausschüttung hochkommt. Da könne man nicht einfach Gewinne nach Deutschland repatriieren, ohne dass die Vorbelastung da ist. Abgewendet wurde dieses Verfahren – das betraf, glaube ich, den damaligen § 8b Abs. 5 oder Abs. 7 KStG aF, da ging es um diese Auslandsfreistellungen noch im Vollanrechnungssystem. Ich kenne die Vorschriften ganz gut, weil ich da unangenehme Erinnerungen an die STEKO-Rechtsprechung des EuGH und auch des BFH habe und vor allem die Europarechtsprechung da auch eine wichtige Rolle spielte. Aber um den Kreis jetzt doch rund zu bekommen: Wir haben das Code-of-Conduct-Verfahren abgewendet, so hat es mir einmal jemand berichtet, der früher für die Hinzurechnungsbesteuerung zuständig war, indem wir auf unsere Hinzurechnungsbesteuerung hingewiesen haben. Wir haben der Kommission erklärt: „Schau mal! Wir sind ja sogar noch besser! Wir schauen nicht nur darauf, dass die Dividende, die ausgeschüttet wird, einer ordentlichen Vorbelastung unterlegen hat – nein, wir schauen uns sogar an, dass da nicht auch noch hundert Jahre lang thesauriert wird! Um derartige Gestaltungen zu unterbinden, wird der Hinzurechnungsbetrag gleich besteuert. Weil das auch nicht in Ordnung ist, wenn man eine nicht existente Vorbelastung einfach da so stehen lässt über Jahre hin-

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weg.“ Das hat die Kommission überzeugt, und sie hat das Verfahren gegen uns nicht weitergeführt. Da war natürlich noch keine Rede von Cadbury Schweppes, da war keine Rede von Missbrauchsbekämpfung im Zusammenhang mit dem Europarecht. Für mich ist so etwas wie das, was jetzt in der ATAD von der Kommission noch vorgeschlagen wurde im ATAD-Entwurf vom Januar 2016, was ja nicht Gesetz wurde, oder jetzt in den aktuellen Richtlinienentwürfen zur GKB, nämlich der sog. switch-over, dass der § 8b KStG eben auch nicht mehr gelten darf, wenn nicht mindestens eine gewisse Vorbelastung vorhanden ist, diese Art von switch-over – da muss ich sagen, das ist alles der Hinzurechnungsbesteuerung sehr ähnlich. Das wäre ein rundes, in sich geschlossenes System. Um auf Herrn Nußbaum abschließend noch einmal einzugehen: Deswegen bin ich auch bei Ihnen bei den 25 %, weil meine Argumentation, die ich eben aufgezogen habe, die funktioniert dann nicht mehr, wenn ich deutlich über 15 % bei der Niedrigsteuergrenze bin. Denn dann ist die Vorbelastung fragwürdig, und das ist für mich ein Argument mehr, auch noch einmal ein fachliches, von mir vorhin nicht angesprochenes Argument, das man häufig hört, dass nämlich 15 % unserem Körperschaftsteuersatz entspricht. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank! Herr Wacker, möchten Sie zu den gesetzgeberischen Überlegungen schon etwas sagen? Prof. Dr. Wacker Eine Frage an Herrn Staats bezüglich der ATAD-Umsetzung und Grundfreiheitenrechtsprechung des EuGH. Gibt es da nicht potentielle Konfliktfelder, wenn der der deutsche Gesetzgeber den Substanztest gemäß ATAD, der ja deutlich schärfer gefasst als die Cadbury-Rechtsprechung ist, umsetzt? Mit anderen Worten: Gerät dies nicht in Konflikt mit der EuGH-Rechtsprechung? Hierzu vielleicht so viel, dass nach aktueller Rechtsprechung des EuGH die Grundfreiheiten nicht zu prüfen sind, wenn der nationale Gesetzgeber sich darauf beschränkt, die Richtlinie umzusetzen; eine Ausgangsposition, die ich nebenbei bemerkt für nicht sehr überzeugend halte. Jedenfalls aber lässt der EuGH es hierbei nicht bewenden und geht ferner davon aus, dass Wahlrechte einer EU-Richtlinie oder Ermessensspielräume unter Wahrung der Grundfreiheiten auszuüben sind. Ich finde – aber das tut auch nicht viel zur Sache – auch das nicht sehr überzeugend. Wichtig erscheint mir, dass man beide Da-

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ten aufnehmen muss, wenn man sich daranmacht, die ATAD in nationales Recht umzusetzen. Dr. Staats Professor Wacker, das kann ich mir einfach machen. Erstens, ich sehe da sowieso keine Notwendigkeit für irgendwelche Motivtests aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben, wie ich ja eben versucht habe zu begründen. Deswegen gibt es diesen Konflikt nicht. Aber natürlich ist das, das sehe ich ja auch, mit Blick auf die Rechtsprechung, die wir haben, ein bisschen zu einfach. Deswegen stellt sich dann die Frage, die Sie eben gestellt haben: Wie sieht das aus mit höherrangigem Recht? Mit Primärrecht? Sekundärrecht? Niederrangigerem Recht? Da habe ich immer wieder in Diskussionen mit namhaften Europarechtlern, ich meine sogar auch schon einmal in der Diskussion mit Ihnen selbst, immer wieder auch gelernt und rausgehört, dass dieses sehr deutsche Denken, dass eben das höherrangige Recht das niederrangigere Recht bricht und immer zu beachten ist, dass das so in Europa nicht unbedingt 1:1 gilt. Dafür gibt es auch verschiedene Gründe. Weil nämlich der EuGH, zumindest mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit, die Kapitalverkehrsfreiheit mal außen vorgelassen, sich denken könnte, da, wo die Mitgliedstaaten harmonisiert haben, wo der Binnenmarkt sich selber geregelt hat, da ist nicht mehr unbedingt das Konfliktfeld da, und deswegen könnte es sein, dass sich der EuGH da zurückhält. In diese Richtung geht gerade zum Beispiel auch eine Äußerung in dem Buch von Frau Kokott, das sie gerade veröffentlicht hat.1 Mit Herrn Lüdicke hatte ich darüber schon einmal gesprochen, und Frau Kokott interpretiere ich zumindest auch so, dass sie sagt, wenn wir eine Richtlinie haben, dann ist da schon im Grundsatz nicht mehr viel Spielraum für Grundfreiheitenverstöße, weil sich der EuGH dann da zurückhalten würde. Prof. Dr. Wacker Wenn ich das vielleicht ergänzen darf: Das ist auch meine Auffassung; ich darf auf meinen Beitrag in der Festschrift für den RFH/BFH2 verweisen. Was Sie beschreiben haben, ist der Übergang von der negativen zur positiven Integration. Die Frage geht mithin dahin, ob und in welchem Umfang dann, wenn ein Akt positiver Integration in Form einer EU1 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, 2018, § 2 Rz. 92. 2 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland: Festschrift für den Bundesfinanzhof, 2018, S. 781.

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Richtlinie vorliegt, es noch geboten ist, die Prüfung der EU-Grundfreiheiten zu entfalten? Ein wirklich spannendes Thema, das umso virulenter und umso aktueller wird, je mehr die sekundärrechtliche Harmonisierung des EU-Rechts fortschreitet. Prof. Dr. Lüdicke Ja, vielen Dank. Herr Frotscher! Prof. Dr. Frotscher Ich habe eine Frage, die mich persönlich interessiert, an Herrn Dr. Staats. Werden im Rahmen dieser Reformüberlegungen auch die Aktivitätsklauseln in den DBAs einbezogen? Viele verweisen ja auf § 8 AStG. Dr. Staats Da könnte mein Chef, der ja auch hier sitzt, mehr zu sagen. Von mir der Hinweis, in der Hinzurechnungsbesteuerungs-Reform ist das nicht so ein Thema, aber es gibt ja gerade im BMF Arbeiten an unserer Verhandlungsgrundlage. Ich glaube, da spielt das mehr eine Rolle, dass man eben darüber nachdenkt, wie man die Aktivitätsklausel ausgestaltet. Ansonsten müsste ich noch einmal darüber nachdenken, wo das jetzt genau Sinn machen würde. Ich weiß jetzt nicht genau, was Sie da gesetzgeberisch konkret regeln wollten. Denn das ist ja an sich für mich eine Frage des DBAs selber. Prof. Dr. Lüdicke Im Fall einer in einem DBA vorhandenen Verweisung stellt sich natürlich die Frage, ob diese statisch ist oder nicht. Wenn sie statisch ist, dann spielen die aktuellen Änderungen keine Rolle, aber, wenn man das anders sieht, was wohl nicht viele tun, dann gäbe es Auswirkungen, über die man vorher günstigerweise sehr intensiv nachdenken sollte. Oder man müsste vielleicht ein Überleitungsgesetz dazu verabschieden. Ich weiß nicht, ob es solche Überlegungen gibt. Dr. Staats Das ist so ein Gedanke, würde ich mal sagen, den ich gerne auch mal mitnehme.

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Prof. Dr. Lüdicke Dafür ist diese Tagung ja bekannt. Dr. Staats Deswegen gehe ich auch immer gerne auf solche Veranstaltungen. Vielen Dank! Prof. Dr. Lüdicke Herr Nußbaum, ich habe den Eindruck, Sie bewegen noch andere Punkte. Nußbaum Vielleicht noch einmal eine Frage an Herrn Staats. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann denkt man auch darüber nach, Dividendenzahlungen jenseits der Streubesitzdividenden passiv zu behandeln und dann eventuell § 8b Abs. 1 KStG hierauf anzuwenden. Ist das ist eine der denkbaren Lösungen? Dr. Staats Das ist immer so die Gefahr, wenn man so einen schnellen Ritt durch die vielen Themen macht. Da ist vieles vielleicht doch verkürzt rübergekommen. Darüber wird nachgedacht, das will ich nochmal kurz wiederholen vielleicht, oder präzisieren zu meinem Vortrag: Wenn man, so wie die ATAD das vorsieht, Dividenden passiv sähe, dann müsste man im Rahmen des § 10 Abs. 3 AStG natürlich den § 8b KStG auch voll zur Anwendung bringen. Interessanterweise, ohne dass das praktische große Bedeutung hätte, ist der ja heute ausgeschlossen. Das heißt, wenn eine Zwischengesellschaft Dividenden von 100 bezieht, dann wären die eben steuerfrei, aber 5 % wären eben nicht abzugsfähige Betriebsausgaben. Das wäre dann die Konsequenz. Das war mein Hinweis auf eine Diskussion mit einem Hochschullehrer, der da noch schärfer war und meinte, das könne man noch nicht mal, denn dann würde man die Passivität der ATAD umgehen. Aber ich meine, da muss man die Kirche im Dorf lassen, so wäre das zumindest meiner Meinung nach. Was man bei uns alternativ überlegt, und da bin ich auch, das sage ich ganz offen, eher ein Freund von, dass wir die Dividenden im Grundsatz systemgerecht als passiv oder aktiv ansehen. Denn so eine ATAD ist ja nur eine Richtlinie. Die muss man auslegen. Und wenn wir eben sagen,

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gut, wir haben erst das Hinzurechnungsbesteuerungs-Regime, was nicht nur bei den nicht ausgeschütteten Gewinnen gilt, sondern ganz allgemein, plus, wir haben ein § 8b KStG-System. Dann hätte ich jetzt schon eine Präferenz dafür zu sagen, dass die Dividende im Grundsatz aktiv ist. Damit hätte man sie gar nicht mehr drin. Es sei denn, es ist eine steuerpflichtige Dividende, zum Beispiel nach § 8b Abs. 4 KStG, da kann man dann drüber nachdenken, oder auch bei § 8b Abs. 7, 8 KStG, dann wird’s aber noch ein bisschen komplizierter. Nußbaum Ich meine, die Gefahr besteht gerade darin, den § 8b KStG in das AStG zu transportieren. Die Folgewirkungen sind nicht nur die 5%-Schachtelbesteuerung, sondern viel weitreichender. Viele Unternehmen verwenden derzeit ausländische Holding-Gesellschaften schlicht, um eine Reorganisation im Konzern steuerneutral durchführen zu können. Das materielle Korrespondenzprinzips des § 8b KStG erlaubt dies in vielen Fällen nicht, soweit Beteiligungen direkt unter Deutschland hängen. Ich muss aus deutscher Sicht sicherstellen, dass eine nach deutscher Sicht angenommene vGA, die ich erhalte, dann auch wieder zu einer Steuerbelastung bei der anderen Gesellschaft geführt hat. Es reicht dabei nicht aus, wenn sich die Steuerbelastung erst nachträglich in einem anderen Jahr ergibt. Das materielle Korrespondenzprinzip wird zumindest von der Finanzverwaltung sehr eng ausgelegt. Wenn ich diese sehr enge Auslegung in das AStG übertragen würde, würden viele Reorganisationen im Ausland unter das AStG fallen. Die ausländische Gesellschaft würde nicht mehr schützen. Die Anwendungsfälle wären zB Fälle wie Umwandlungen im Ausland, Spaltungen im Ausland, die dort zwar steuerlich neutral möglich sind, aber nicht unter das deutsche Umwandlungssteuergesetz fallen. Aus deutscher Sicht lägen verdeckte Gewinnausschüttungen vor, die dem materiellen Korrespondenzprinzip unterliegen würden. Unternehmen könnten in vielen Fällen den Gegenbeweis nicht mehr führen, weil sich die nachträgliche Besteuerung in vielen Fällen nicht im nämlichen Veranlagungszeitraum ausgewirkt hat. Ich hielte dies für eine Katastrophe. Sollte § 8b KStG in seiner sehr engen Auslegung in das AStG hineintransportiert werden, wäre dies ein essentieller Standortnachteil für Stammhäuser in Deutschland. Das sollte man sich klarmachen.

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Dr. Staats Ich sehe das genauso. Schön, das ist ein bisschen ein anderer Fall, aber der von Herrn Wacker vorgestellte Zypernfall, der zeigt ja auch ein bisschen die Komplexität, wenn man da Einlagen und Gewinnausschüttungen berücksichtigen muss, und wenn wir die dann auf einmal noch passiv haben, wird’s sehr kompliziert. Aber eine Rückfrage: War das, was Sie eben gesagt haben, jetzt ein Plädoyer dafür, Dividenden in der Tendenz eher als aktiv anzusehen, oder dass man sagt … Nußbaum Eher aktiv, ja. Dr. Staats Oder einfach als passiv, aber ohne § 8b KStG? Nußbaum Damit hätten Sie ja Ihre Mindestbesteuerung dann sichergestellt, die ja auch die Intention des AStG war. Nein, also das war ein klares Plädoyer für eine Aktivstellung. Prof. Dr. Lüdicke Herr Wacker? Herr Thumbs? Haben Sie noch Fragen? Thumbs Ich wollte nur noch eine kleine Anmerkung zu dem VorabpauschaleThema von vorhin machen. Den Steuersatz konnte ich so nicht ganz stehenlassen. Man darf bitte nicht vergessen, dass ja die Vorabpauschale auf den Bruttowert des Fonds gerechnet wird, also nicht auf einen Ertrag. Wenn man sich den Ertrag ansieht und mit der Vorabpauschale vergleicht in heutigen Zeiten, dann kommt das einer vollen Ertragsbesteuerung schon ziemlich nahe. Dr. Staats Von mir nur der Hinweis, da haben wir eine Menge Beispiele auch durchgerechnet. Es ist nicht 0,30, das war ein bisschen spitz, aber Sie wissen, da gibt es einen Unterschied.

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Prof. Dr. Lüdicke Herr Staats, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie bei der Gesetzgebung darauf achten wollen, dass es nicht zu internationalen Doppelbesteuerungen kommt. Das ist sehr gut, denn die ATAD ist ja in dieser Beziehung etwas defizitär. Die Beispiele, die Sie auf Ihren Folien mitbrachten, behandeln – wenn ich sie richtig verstanden habe – einen bestimmten Fall jedoch nicht. Deswegen möchte ich diesbezüglich noch einmal nachfragen. Die ATAD sagt in Art. 8 Abs. 3, dass es auf die unmittelbar oder die mittelbar gehaltene Beteiligung ankommt. Das ist anders, als wir das bisher in Deutschland vorsehen. Lassen Sie mich die Problematik an einem Beispiel erklären. Nehmen Sie eine Zwischengesellschaft, an der die Muttergesellschaft direkt 50 % hält. An der Zwischengesellschaft ist eine weitere Konzerngesellschaft mit ebenfalls 50 % beteiligt, an der die Muttergesellschaft wiederum mit 100 % beteiligt ist. In diesem Fall haben Sie also eine unmittelbare Beteiligung von 50 % und über die hundertprozentige Tochtergesellschaft eine mittelbare Beteiligung von 50 %. Und nun stellt sich die folgende Frage: Was soll eigentlich der Hinzurechnungsbesteuerung in solchen Fällen unterliegen? Bisher würden wir wohl nur die unmittelbare Beteiligung heranziehen. Wenn Sie aber die mittelbare Beteiligung dazurechnen, dann sind Sie bereits bei 100 %. Sie haben aber eine weitere Hinzurechnung auf der Ebene dieser zwischengeschalteten Tochtergesellschaft aufgrund ihrer unmittelbaren Beteiligung an der Zwischengesellschaft. Wenn diese zwischengeschaltete Tochtergesellschaft in Deutschland ansässig ist, haben Sie ganz ersichtlich sogar im Inland eine doppelte Belastung. Ich habe die Befürchtung, dass diese Einbeziehung der mittelbaren Beteiligung zu Doppelbesteuerungen führt, und habe auch schon bei Diskussionen mit ausländischen Kollegen gesehen, dass diese das ähnlich beurteilen. Meiner Ansicht nach regelt die ATAD das Problem überhaupt nicht. Sie haben ja gesagt, so habe ich es mir notiert, „schnell gestrickte Richtlinie“. Ich stimme zu und darf sodann daran erinnern, dass nicht alles, was schnell gestrickt ist, auch inhaltlich gut gelingt. Die ATAD, so meine ich, löst das Problem überhaupt nicht, kann aber, selbst wenn man sie als Mindeststandard versteht, kaum eine eklatante Doppelbesteuerung erfordern. Wie wollen Sie damit umgehen?

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Dr. Staats Ja, also das Problem würden wir in dem Gesetzentwurf, wie wir ihn jetzt erarbeiten, lösen wollen und das Problem ist klar, das liegt auf der Hand. Es ist technisch auch nicht so schwierig zu lösen. Man muss so zwei, drei Dinge – ohne jetzt in die technischen Details zu gehen – im Blick haben. Erst einmal, darauf habe ich ja am Ende auch nochmal hingewiesen, könnte man auch ausländische Hinzurechnungsbesteuerungen anrechnen, wenn solche vorliegen. Das ist ein Teilbereich des von Ihnen beschriebenen Problems. Und das andere ist, wer greift da jetzt was ab und wie und wo – da muss man so eine Art Vorfahrtregel festlegen, und das sollte man meines Erachtens dann auch. Prof. Dr. Lüdicke Wunderbar. Auf dem Podium sehe ich keinen weiteren Bedarf an Anmerkungen. Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bedanken, Herr Staats, für diesen wunderbaren Vortrag.

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Aktuelle internationale steuerpolitische Entwicklungen MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Hinter dem allgemeinen Titel meines Beitrags „Aktuelle internationale steuerpolitische Entwicklungen“ steckt ein Thema, das wir schon im letzten Jahr bei dieser Veranstaltung diskutiert haben. Es geht um die Besteuerung der Digitalwirtschaft. Dieses Thema ist hochaktuell, sowohl auf europäischer Ebene – es ist gerade in dieser Woche am Dienstag beim Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, dem ECOFIN, beraten worden – als auch auf Ebene der OECD und des sogenannten Inclusive Framework on BEPS. Zur Erinnerung: Das Inclusive Framework on BEPS wurde zur weltweiten Implementierung der Standards und der Ergebnisse des BEPS Aktionsplans geschaffen, zur Schaffung eines level-playing field. Der Gruppe haben sich mittlerweile 123 Staaten angeschlossen. Neben den Implementierungsfragen und der Implementierungskontrolle werden dort auch die noch offen gebliebenen Fragen aus dem BEPS-Aktionsprogramm diskutiert. Im Zentrum der noch offenen Fragen steht dabei Aktionspunkt 1 des BEPS-Aktionsplans, die Besteuerung der Digitalwirtschaft. Die OECD ist mit dem Inclusive Framework aufgerufen, bis zum Jahre 2020 den G20 einen Abschlussbericht vorzulegen, in dem dann konkret beschrieben wird, mit welchen Maßnahmen die Mitgliedstaaten des Inclusive Framework diesem Thema begegnen werden. Und ich will gleich zu Anfang sagen: Das ist kein kleinteiliges Annexthema, das nur spezifische Sektoren, etwa die hochdigitalen Geschäftsmodelle der GAFAs, betrifft. Die Debatte hat sich zu einer fundamentalen Diskussion über die Frage der internationalen Zuordnung von Besteuerungsrechten entwickelt. Das war sicher schon zu Beginn des BEPS-Projekts eine Gefahr, die einige Beobachter im Hintergrund gesehen haben. Und heute wird man sagen müssen, dass die Auseinandersetzung über eine Neuausrichtung der internationalen Allokation von Besteuerungsrechten in vollem Gang ist. Sie versteckt sich in weiten Teilen hinter der Diskussion um die Besteuerung der Digitalwirtschaft. Wir diskutieren auf zwei Ebenen: Einmal auf Ebene der EU, zum anderen im größeren internationalen Kontext, auf Ebene der OECD.

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Ich will mit den Arbeiten auf Ebene der EU beginnen. Sie erinnern sich, etwa vor einem Jahr, im Oktober 2017, haben die G5, die fünf größten Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und Spanien, die EU-Kommission aufgerufen, Richtlinienvorschläge zur Besteuerung der Digitalwirtschaft vorzulegen. Diese zunächst fünf – später mehr – Staaten haben sowohl eine Interimslösung gefordert, etwas kurzfristig Umsetzbares mit vorübergehendem Geltungsanspruch, als auch eine langfristige Lösung. Auf Basis dieser Forderungen hat die EU-Kommission im März dieses Jahres zwei Richtlinienvorschläge vorgelegt, einen kurzfristig (Interimsmaßnahmen) und einen langfristig wirkenden Vorschlag. Der kurzfristige Richtlinienvorschlag,1 der zunächst im Zentrum der Diskussion steht, sieht eine sogenannte digital services tax vor. Den langfristigen Vorschlag,2 der auf Basis einer digitalen Präsenz eine Betriebsstätte fingiert, sieht selbst die Kommission als einen bloßen Ideenbeitrag zur weiteren internationalen Diskussion. Wir können daher den langfristigen EU-Kommissionsvorschlag für Zwecke der heutigen Diskussion beiseiteschieben. Der kurzfristige Lösungsvorschlag, die Interimslösung, soll jetzt im Zentrum stehen. Diesen haben auch die Wirtschafts- und Finanzminister am Dienstag dieser Woche in Brüssel beraten. Die österreichische Ratspräsidentschaft hatte angestrebt, diesen Vorschlag während ihrer Präsidentschaft als Erfolg zu verbuchen, ist aber mit der Annahme des Richtlinienvorschlags in dieser Woche gescheitert. Das Thema ist damit aber nicht ganz erledigt, denn es gab eine begleitende deutsch-französische Erklärung zur Diskussion des entsprechenden Tagesordnungspunkts. Dieser Erklärung haben sich dann noch weitere Staaten angeschlossen, weshalb ich den Kommissionsvorschlag zu den Interimsmaßnahmen sowie die deutsch-französische Erklärung kurz vorstellen will. Zunächst basiert der Kommissionsvorschlag zu den Interimsmaßnahmen auf Art. 113 AEUV, auf einem Artikel, der die indirekten Steuern in der Union regelt. Die Interimsmaßnahme ist entsprechend auch umsatzbasiert ausgestaltet, obwohl Mitgliedstaaten damit an den Gewinnen der betroffenen Unternehmen steuerlich partizipieren sollen. Der Anwendungsbereich umfasst im Wesentlichen drei Kategorien. Die erste Kategorie betrifft digitale Werbemaßnahmen, das entgeltliche Bereitstellen von Werberaum im Internet. Hierbei handelt es sich um soge1 Richtlinie COM (2018) 148 final. 2 Richtlinie COM (2018) 147 final.

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nanntes targeted advertisement, um zielgerichtete Werbung. Die Begründung für den steuerlichen Zugriff wird in den Beiträgen der Nutzer gesehen, diese zielgerichtete Werbung durch Preisgabe nutzerbezogener Daten erst zu ermöglichen. Die Kommission erkennt einen nutzerbezogenen Wertschöpfungsbeitrag in diesen Geschäftsmodellen. Dieser dient als innere Rechtfertigung dafür, dem Staat, in dem der Nutzer sitzt, ein Besteuerungsrecht an „Gewinnen“ einzuräumen, die aus dem Verkauf dieses Werberaums erzielt werden. Die zweite Kategorie bilden Plattformen, die eine digitale Interaktion von Nutzern ermöglichen. Das sind im Wesentlichen Vermittlungsplattformen, die Nutzer zusammenbringen, auf denen Dinge oder Dienstleistungen gekauft oder verkauft werden können, einschließlich rein digitaler Leistungen wie zB bei Streamingdiensten. Eine dritte Kategorie bildet der Verkauf von nutzergenerierten Daten. Zumindest zwei der genannten drei Kategorien sind seit Dienstag vom Tisch. Die deutsch-französische Erklärung fordert die Kommission auf, den Anwendungsbereich der Richtlinie auf die erste Kategorie, auf Werbeleistungen, zu reduzieren. Es wird erwartet, dass die Kommission den Richtlinienvorschlag nun überarbeitet und vor März nächsten Jahres einen veränderten Richtlinienvorschlag vorlegt, der ausschließlich Werbeleistungen erfassen soll. In den Anwendungsbereich der Richtlinie sollen nach Vorstellungen der Kommission nur Unternehmen kommen, die in der Gruppe mehr als 750 Millionen Euro Umsatz weltweit und mindestens 50 Millionen Umsatz in Europa generieren. Die Kommission steht auf dem Standpunkt, der Richtlinienvorschlag stünde im Einklang mit dem Abkommensrecht der Mitgliedstaaten. Einige Mitgliedstaaten stellen dies allerdings in Frage. Nach den Vorstellungen, die seit Dienstag diskutiert werden, soll der Richtlinienentwurf vor März 2019 beraten und beschlossen werden. In Kraft treten soll die Richtlinie am 1.1.2021, unter der Voraussetzung, dass bis dahin keine internationale Vereinbarung zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft auf Ebene der OECD und des Inclusive Framework on BEPS erreicht wurde. Maßgeblich für die Feststellung einer internationalen Vereinbarung ist der für das Jahr 2020 erwartete OECD-Abschlussbericht zur Besteuerung der Digitalwirtschaft. Technisch soll dies durch eine Vorschrift erreicht werden, nach der der ECOFIN nach Annahme der Richtlinie, aber vor dem geplanten Inkrafttreten, also bis zum 31.12.2020, mit einfacher Mehrheit, über das Nichtinkrafttreten der Richtlinie entschei-

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den können soll. Danach würde mit Einstimmigkeit jetzt entschieden, dass das Nichtinkrafttreten mit einfacher Mehrheit vor dem 1.1.2021 bewirkt werden kann. Darüber hinaus sieht der Richtlinienentwurf ein festgelegtes Ablaufdatum im Jahre 2025 vor. Die Finanzminister haben sich in ihren Beratungen im öffentlichen Teil des ECOFIN weitgehend geschlossen dafür ausgesprochen, gemeinsam eine breitere internationale Lösung auf OECD-Ebene zu suchen, zu unterstützen und dann auch in Europa umzusetzen. Von der europäischen Diskussion um die Interimsmaßnahme erhoffen sich einige Mitgliedstaaten mehr Druck auf die OECD-Arbeiten. Mit Blick auf die OECDArbeiten sind wir in der Pflicht, den erwähnten Bericht für die G20 bis zum Sommer 2020 zu erstellen. Dies bedeutet, dass bestimmte politischer Grundentscheidungen schon jetzt gefällt werden müssen, und noch ausreichende Zeit für weitreichendere technische Arbeiten einzuplanen. Auf Ebene der OECD haben wir vor ungefähr gut einem Jahr mit Beratungen zu konkreten Lösungsvorschlägen begonnen. Zu Beginn wurde vor allem ein britischer Vorschlag einer digital service tax erörtert. Diese ist in etwa so ausgestaltet wie die derzeit in Großbritannien diskutierte Digitalsteuer. Dabei handelt es sich um eine sehr spezifisch auf digitale Geschäftsmodelle zugeschnittene Lösung, die – ähnlich wie die Interimslösung der Kommission – eine umsatzbasierte Besteuerung vorsieht. In Reaktion auf diesen Ansatz haben die USA einen bisher nur in Ansätzen ausgearbeiteten Vorschlag entwickelt, der Besteuerungsrechte an Gewinnen aus der Ausbeutung von sogenannten marketing intangibles dem Marktstaat zuordnet. Auch wenn in diesem Zusammenhang noch eine Reihe von Fragen der Regelungstechnik offen ist, lässt sich feststellen, dass der US-Ansatz im Gegensatz zum britischen Ansatz deutlich breiter gefasst ist und nicht ausschließlich hochdigitale Geschäftsmodelle umfasst. Seine innere Rechtfertigung soll der US-Ansatz dabei aus dem Gedanken erfahren, dass Marken- und Marketingaufwendungen und die aus Ihnen erzielten Gewinne eine besondere Marktnähe aufweisen. Aus dem Bemühen, die Diskussion um eine internationale Neuallokation von Besteuerungsrechten an Unternehmensgewinnen nicht allzu sehr ausufern zu lassen und gleichzeitig einen konstruktiven Diskussionsbeitrag zu leisten, ist in der weiteren Folge der Diskussion in Deutschland und Frankreich der Gedanke gediehen, die Debatte wieder auf den ursprünglichen BEPS-Gedanken, die Verhinderung von Gewinnverschie-

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bungen, zu fokussieren. Darauf aufbauend haben wir zusammen mit unseren französischen Kollegen einen Ansatz entwickelt, der unter der Überschrift „Besteuerung der Digitalwirtschaft“ international diskutiert wird. Dabei geht es nicht um die Frage wertschöpfungsorientierter Neuzuordnungen von Besteuerungsrechten, sondern um die Frage der Sicherstellung eines bestimmten Mindestbesteuerungsniveaus. Im OECD-Bericht zur Besteuerung der Digitalwirtschaft aus dem Jahre 2015 wurde die besondere Abhängigkeit der Digitalwirtschaft von immateriellen Wirtschaftsgütern festgestellt. Rechte an Algorithmen, an Entwicklungen, an Patenten oder auch an Marken spielen bei digitalen Geschäftsmodellen eine herausragende Rolle. Immaterielle Wirtschaftsgüter können besonders leicht verlagert, man könnte auch sagen „willkürlich“ verortet werden, und bieten deshalb ein besonders großes Potenzial für Gewinnverschiebungen. Erst später in der Diskussion des BEPS-Aktionsplanes kam unter der Bezeichnung broader tax challenges eine neue Perspektive hinzu, die ich als „Allokationsdebatte“ bezeichnen möchte. In dieser Debatte um die internationale Zuordnung von Besteuerungsrechten geht es nicht mehr um die Verhinderung künstlicher Gewinnverschiebungen, sondern unabhängig von der Frage des Besteuerungsniveaus von Unternehmensgewinnen um die „gerechte“ und damit „richtige“ Zuordnung von Besteuerungsrechten an Unternehmensgewinnen. Selbst wenn Unternehmen im Ansässigkeitsstaat hoch besteuert werden, wird vor dem Hintergrund der Besonderheit digitaler Geschäftsmodelle das bestehende Zuordnungsgefüge in Frage gestellt. Zu den Besonderheiten digitaler Geschäftsmodelle, die hier eine Rolle spielen sollen, gehören beispielsweise die Einbindung von Nutzern in das Geschäftsmodell, die Erzeugung nutzergenerierten Inhalts oder auch die Verwertung nutzererzeugter (Meta-)Daten. Im Ergebnis werden nun diese beiden Perspektiven miteinander verknüpft und wir diskutieren auf internationaler Ebene zwei parallele Stränge: Einmal die Frage der Allokation: Sind die Besteuerungsrechte fair verteilt, unabhängig von der Frage, ob eine bestimmte Mindestbesteuerung sichergestellt ist? Und die andere Perspektive, von Deutschland und Frankreich eingebracht: Die Sicherstellung eines effektiven Mindestbesteuerungsniveaus. Mit Blick auf die Sicherstellung eines effektiven Mindestbesteuerungsniveaus kann ich hinzufügen, dass dieses Konzept schon relativ weit gediehen ist. Der Mechanismus ist nicht als Missbrauchsvermeidungs-

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regel ausgestaltet und wirkt damit unabhängig von Substanz und Aktivität. Für den Fall des Outbound-Investments, der niedrig besteuerte Einkünfte im Ausland ansässiger verbundener Unternehmen erfasst, sind hinzurechnungsähnliche Regeln vorgesehen. Auf die Art der Einkünfte kommt es dabei nicht an. Für den umgekehrten Fall bewirken Abzugsverbote ein Hochschleusen auf ein „angemessenes“ Steuerniveau. Für beide Konstellationen, Inbound wie Outbound, ist ein effektives Mindestbesteuerungsniveau festzulegen, das die beschriebenen Mechanismen (Hinzurechnung oder Abzugsverbot) auslöst. Darüber hinaus gehört zu den noch offenen technischen Ausgestaltungsmerkmalen auch die Frage, auf welches Steuerniveau „hochgeschleust“ wird bzw. wie weit das Abzugsverbot reichen soll. Der weitere Fahrplan sieht die Fertigstellung des Abschlussberichts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft bis zum Jahre 2020 vor. Bis dahin diskutieren wir die technische Ausgestaltung dieser beiden Ansätze – einmal Allokationsdebatte, einmal Sicherstellung eines bestimmten Mindestbesteuerungsniveaus – auf Ebene der OECD in der sogenannten Task Force on the Digital Economy, danach im OECD-Steuerausschuss, der zu diesen Fragen im Format des Inclusive Framework tagt.

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Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen Umfeld Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . B. Zwischen Koordinierung und Wettbewerb . . . . . . . . . . I. Wo stehen wir heute? . . . . . . II. Der Konflikt zwischen Realwirtschaften und Steueroasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Konflikt zwischen Industriestaaten und Entwicklungs-/Schwellenländern . . .

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IV. Industriestaaten gegen Industriestaaten . . . . . . . . . .

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C. Multilateralität und Unilateralität. . . . . . . . . . . . . . . . 100

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D. Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . 102 E. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

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A. Einleitung Meine Damen und Herren, lieber Jürgen, ich freue mich sehr, einmal wieder auf dem Podium dieser inzwischen doch sehr traditionsreichen Tagung stehen zu können. Das ist ja immer ein wirklich elegantes Umfeld und ein hochrangiges Publikum, auch vollbesetzte Reihen, vor denen man hier sprechen darf – ein ganz herzlicher Dank dafür. Ich freue mich auch, dass Herr Kreienbaum in seinem Kurzvortrag über die aktuelle Steuerpolitik im Grunde schon eine ganze Menge von Punkten angesprochen hat, die ich letztlich in vielem nur noch bestätigen oder vertiefen kann. Jürgen Lüdicke hat mir im Vorfeld dazu gesagt, man kann auch von der Repetition noch einmal richtig etwas lernen. Ob das der Fall sein wird, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob, wie angedeutet wurde, die Wissenschaft immer die richtigen Antworten gibt. Aber sie stellt vielleicht hin und wieder die richtigen Fragen, und das wäre ja auch schon etwas. Bevor ich meine Überlegungen präsentiere, will ich vielleicht in einem Punkt noch an die vorausgegangene Diskussion zur Hinzurechnungsbesteuerung anknüpfen und zwei Punkte ansprechen. Das eine ist die Technik der Gesetzgebung. Wir haben sowohl heute Morgen in dem Vor-

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trag zur Hinzurechnungsbesteuerung als auch heute Nachmittag in dem Vortrag von Herrn Haase zu den Anzeigepflichten mit Situationen zu tun, in denen die Bundesrepublik Deutschland in einem Feld, in dem nur mit Einstimmigkeit auf europäischer Ebene entschieden werden kann, ihre Zustimmung zu Rechtsakten gegeben hat, die man auch nur einstimmig abändern oder aufheben kann. Das bedeutet zunächst, dass diese ATAD-Richtlinie oder auch die Richtlinie über Anzeigepflichten aus deutscher Sicht nicht vom Himmel gefallen sind. Das ist auch unsere eigene Gesetzgebung. Und wenn jetzt von technischen Mängeln, aber auch ungelösten Grundsatzproblemen der europäischen Gesetzgebung die Rede ist, muss ich sagen: Vorsicht bei weiterer europäischer Gesetzgebung, mit der sich der Gesetzgeber selbst, aber auch alle Betroffenen langfristig bindet. Das halte ich für ein Grundsatzproblem. Eine Lösung hierfür kann sein, dass man nämlich von der sogenannten Passerelle-Klausel in Art. 48 EUV Gebrauch macht. Diese erlaubt nämlich den Regierungen der Mitgliedstaaten, ohne Änderung der Verträge vom Einstimmigkeitsprinzip zum Mehrheitsprinzip überzugehen, wenn die Sachkompetenz der EU gegeben ist. Dann könnte man solche Richtlinien auch mit Mehrheitsbeschluss wieder loswerden. Ich selber bin dafür, das Mehrheitsprinzip zwar nicht für die Einführung einer steuerlichen Richtlinie, aber für ihre Aufhebung einzuführen.

B. Zwischen Koordinierung und Wettbewerb I. Wo stehen wir heute? Jetzt aber: Steuerpolitik in einem sich wandelnden internationalen Umfeld. Wo stehen wir heute? Nun: Wir stehen zwischen Koordinierung und Wettbewerb. Der BEPS-Aktionsplan ist im Jahre 2015 abgeschlossen worden. Das war ein gewaltiges Koordinierungswerk, das sehr vielen Unkenrufen zum Trotz erfolgreich vollzogen worden ist. Im Jahr 2012 oder Anfang 2013 haben die wenigsten erwartet, dass man zweieinhalb Jahre später nicht nur mit 15 umfangreichen Berichten, sondern mit einem Multilateralen Instrument mit Mindeststandards, mit Umsetzungsaktivitäten nicht nur in den Mitgliedstaaten der OECD, sondern auch in vielen anderen Staaten dastehen würde. Die ATAD-Richtlinien, wie erwähnt, gehören zur Umsetzung des BEPS-Aktionsplans.

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Aber wir sehen eben auch gegenläufige Entwicklungen. Da ist die USSteuerreform, die zwar nicht direkt gegen den BEPS-Prozess gerichtet ist, die aber doch klar macht, dass hier der wichtigste Spieler der internationalen Besteuerung ganz neue Konzepte vorlegt und auch durchspielt. Es gibt das Vereinigte Königreich, das schon jetzt mit seinem Körperschaftsteuersatz unter 20 % liegt und noch weiter nach unten gehen möchte. Und wir erleben auch innerhalb der künftig verkleinerten Europäischen Union diesen Steuerwettbewerb. Frankreich hat angekündigt, auf 25 %, vielleicht auch noch weiter nach unten zu gehen. Manche osteuropäische Staaten, zum Beispiel Ungarn, liegen bei der Körperschaftsteuer schon unter 10 %. Und zwar nicht nur für bestimmte Einkommensarten, sondern für sämtliche Einkunftsarten. Selbst, wenn man so weit ginge, den Niedrigsteuersatz im AStG auf 10 % herabzusetzen, wären immer noch komplett alle ungarischen Tätigkeiten im Bereich dieser Niedrigbesteuerung. Damit kann man natürlich nicht so leicht umgehen. Im Ganzen gründet diese Spannung zwischen einer sehr erfolgreichen weitgehenden Koordinierung einerseits und einem wiederauflebenden Steuerwettbewerb andererseits in drei zentralen Konflikten. Und diese drei zentralen Konflikte werden gleichsam gebündelt in der aktuellen Diskussion über die Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Man kann eigentlich die ganze Diskussion und auch die politische Relevanz der Besteuerung der digitalen Wirtschaft erst dann einschätzen, wenn man sieht, was alles mittelbar auf dem Spiel steht:

II. Der Konflikt zwischen Realwirtschaften und Steueroasen Das Erste ist der Kampf der Realwirtschaften gegen die Steueroasen. Das ist das Thema, das unter BEPS behandelt worden ist und welches man versucht hat, mit dem Stichwort der Besteuerung am Ort der value creation abzuarbeiten. Eine der Grundaussagen des BEPS-Prozesses war ja von Anfang an: Besteuerung soll dort stattfinden, wo ökonomische Aktivität stattfindet, wo Werte geschaffen werden. Value creation ist – neben economic substance – das Zauberwort. Das kann man beispielhaft in den Arbeiten zu Aktionspunkt 5 sehen, bei den Nexus-Konzepten für die Präferenzregimes: Nur dort, wo tatsächlich Patente erzeugt worden sind, dürfen sie auch ermäßigt besteuert werden. Wir sehen es aber auch an den Aktionspunkten 8–10: Die neuen Regeln

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für Verrechnungspreise stellen für die Zuweisung von Gewinnen an die tatsächliche Präsenz von Personal in Tochter-Gesellschaften ganz andere Anforderungen. Das country-by-country reporting nach Aktionspunkt 13 dient ja auch letztlich dazu, zu kontrollieren, in welchen Staaten, in denen ein Konzern aktiv ist, tatsächlich gearbeitet wird, und in welchen Staaten der Gewinn verbucht wird. Die Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs nach Aktionspunkt 7 fällt ebenso darunter, oder auch die Einführung des allgemeinen Missbrauchsvorbehalts in Aktionspunkt 6. Nun, um all das zu würdigen, müsste man zunächst einmal feststellen, wie stark eigentlich der tatsächliche Effekt des BEPS-Prozesses auf die Steuergestaltung internationaler Unternehmen ist. Was hat sich eigentlich schon jetzt verändert und was muss man dann weiter tun? Wenn Sie bedenken, dass die Diskussion um die Einführung der Digitalsteuer etwa aus der Sicht der kontinentaleuropäischen Staaten vor allem unter dem Gesichtspunkt geführt wird, dass diesen großen Unternehmen das Handwerk bei der Steuergestaltung gelegt werden muss, dann müsste diesen Maßnahmen eigentlich eine solide empirische Analyse, wie viel Missbrauch schon jetzt durch den BEPS-Aktionsplan und seine Umsetzung verhindert wird, vorausgehen. Das Problem ist: Man wusste schon vor dem Aktionsplan nicht, wie groß dieser Missbrauch in seinen tatsächlichen Auswirkungen wirklich ist. Einer der am wenigsten gelesenen Aktionsberichte zum BEPS-Programm gehört zu Aktionspunkt 11. Aktionspunkt 11 ist der Bericht der OECD zu den tatsächlichen Dimensionen der Steuervermeidung internationaler Unternehmen. Und dieser Bericht ist eigentlich ein einziges Bekenntnis: „Wir wissen es nicht.“ In der Diskussion werden immer wieder dieselben großen Unternehmen genannt, und dann gibt’s noch so ein wenig anecdotal evidence aus anderen Staaten, aber es gab zu Beginn von BEPS keine verlässlichen empirischen Aussagen darüber, was eigentlich da draußen passiert. Und jetzt hat man eigentlich noch weniger in der Hand. Was man zum Beispiel sieht (das wird aus Amerika berichtet), ist ein enormer faktischer Einfluss der EU-Beihilfeverfahren auf die internationale Steuergestaltung. Die Verfahren der Europäischen Kommission gegen Apple und andere haben wahrscheinlich auf die US-Unternehmen mehr Eindruck gemacht als vieles, was im BEPS-Aktionsplan steht. Aber wir haben keine aktuellen Analysen. Im Grunde brauchen wir solide empirische, finanzwissenschaftliche, betriebswirtschaftliche Analysen zu der

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Frage, wie stark das BEPS-Aktionsprogramm auf die Nutzung von Steueroasen und Referenzregimen eingewirkt hat.

III. Der Konflikt zwischen Industriestaaten und Entwicklungs-/Schwellenländern Der zweite Konflikt, der hier im Vordergrund steht, ist der Konflikt der Industriestaaten im Hinblick auf die Entwicklungsländer und Schwellenländer. Da geht es schlicht und einfach darum, inwieweit der seit 100 Jahren etablierte Status quo, in dem exportorientierte Industriestaaten wie die Bundesrepublik Deutschland einen großen Teil der Gewinne aus der Produktion exportierter Güter und Dienstleistungen besteuern können, aufrechterhalten werden kann. Dieses Thema gab es natürlich schon vor dem BEPS-Programm und man hat dann versucht, diese Fragen im Rahmen des BEPS-Prozesses zurückzustellen. Und in diesem Kontext gewinnt plötzlich das Konzept der value creation eine ganz neue Bedeutung. Dabei ist die Aussage, dass Besteuerung nach Wertschöpfung das Grundkonzept der internationalen Besteuerungsregeln sei, gar nicht korrekt. Schlägt man in Lehrbüchern zum internationalen Steuerecht aus den 20er Jahren, aus den 50er Jahren, aus den 70er Jahren, aus den 90er Jahren nach – man findet nirgendwo einen Hinweis auf value creation. Dieses Konzept ist im Grunde eine Erfindung im Rahmen des BEPS-Prozesses, um eine Formel in der Hand zu haben, mit der man den Steueroasen den Garaus machen konnte. Denn in einem war man sich einig – sowohl in der OECD als auch im Inclusive Framework: value creation findet jedenfalls nicht in den Steueroasen statt. Und nicht dort, wo reine Präferenzregimes und Briefkastengesellschaften herrschen. Aber wo findet dann im Verhältnis der Realwirtschaften value creation statt? Jetzt wird plötzlich diese Idee von der value creation umgedreht und den Industrieländern entgegengehalten. Die Entwicklungs- und Schwellenländer weisen darauf hin, dass ohne ihre Existenz als Importmärkte die exportierenden Unternehmen keine Werte realisieren können. Und deswegen werden schon seit einigen Jahren zB Quellenbesteuerungsrechte von Entwicklungs- und Schwellenländern eingefordert. Man muss nur mal die Entwicklung des UN-Musterabkommens betrachten, die Diskussionen über digitale Leistungen, über die Service PE, über Quellensteuern auf Entgelte für Dienstleistungen, über die schleichende Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und so weiter. Das hat alles mit

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BEPS gar nichts zu tun, wird aber unter dem neuen Branding der value creation nach vorne getrieben. Ein weiteres Schlachtfeld hier ist auch die Ausweitung der Transferpreisregeln zugunsten von Marktstaaten. China, Indien und andere Staaten fordern, dass bei der Berechnung der Verrechnungspreise zwischen den in Industriestaaten ansässigen Produktionsunternehmen und ihren lokalen Tochtergesellschaften der location specific benefit, nämlich der Zugang zum Markt, zur Kaufkraft der Konsumenten einbezogen werden muss. Das Problem hinter dieser Diskussion liegt darin, dass der Begriff der value creation neu und nicht wirklich geklärt ist. Der traditionelle Bezug, der aus diesem Lande heraus verteidigt wird – und da bin ich eigentlich sehr froh, dass wir einen BMF haben, der die Fahne hochhält –, ist der Bezug zur Produktion im Sinne der Herstellung von Gütern. Das ist die value creation. Aber die Marktpräsenz und die Konsumkraft werden eben auch ins Feld geführt. Vor allem im Abgleich mit der Umsatzsteuer gab es hier immer klare Regeln: Im Produktionsland wird die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer bezahlt, im Bestimmungsland dann die Umsatzsteuer. Die USA haben aber keine Umsatzsteuer auf Bundesebene. Und deswegen gibt es im politischen Raum der USA auf Bundesebene immer eine Tendenz, den Steuerzugriff der Marktstaaten auf der Ebene der direkten Steuern zu verstärken. Nicht, weil man da den Entwicklungsländern etwas Gutes tun will, sondern weil seit 20 oder 30 Jahren die US-Steuerpolitik darunter leidet, dass amerikanische Exporte nach Europa dort über die Umsatzsteuer erfasst, europäische Exporte in die USA dort aber höchstens von der sales tax auf Staatenebene erfasst werden, und dann will man ein Gegengewicht.

IV. Industriestaaten gegen Industriestaaten Und an dieser Stelle überlappen sich ein Stück weit auch die genannten Konkurrenzsituationen. Die erste Konkurrenzsituation – „Realwirtschaften gegen Steueroasen“ – hat man unter BEPS versucht abzuräumen. Der zweite Konflikt – „Industriestaaten gegen Schwellenländer und Entwicklungsländer“ – steht heute auf der Agenda. Und dann gibt es natürlich noch den Konflikt von Industriestaaten gegen Industriestaaten. Und das nennen wir den Steuerwettbewerb. Es ist auch nicht so, dass die (westlich geprägten) Industriestaaten eine geschlossene

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Front bilden. Es ist ja nicht so, dass die OECD-Staaten sich in allem einig wären. Und diese Staaten leisten sich aktuell einen steigenden Steuerwettbewerb über Steuersätze. Das geht jetzt in die nächste Runde. Und dieser Wettbewerb ist deshalb so wichtig und interessant – ich nenne das gern Steuerwettbewerb 2.0 –, weil es jetzt im Steuerwettbewerb um Realinvestitionen geht. Damit meine ich folgendes: Die klassischen Techniken der internationalen Gewinnverlagerung sind zwar von den Staaten immer als Missbrauch angegriffen worden, aber sie hatten, wie kluge Ökonomen einmal ermittelt haben, einen großen Vorteil: Die Gewinne wurden zwar durch geschickte Gestaltungen abgesaugt, aber die Arbeitsplätze blieben da! In dem Moment, in dem die Möglichkeit von Gewinnverlagerungen davon abhängig gemacht wird, dass reale ökonomische Substanz verlagert wird – ja, dann geht eben vielleicht auch die Substanz ins Ausland! Dann geht nicht nur Geld auf ein Konto in Irland, sondern dann geht die Forschungs- und Entwicklungsabteilung nach Irland. Oder dann geht der Vertrieb nach Luxemburg. Oder dann wandert eben wirklich eine komplette Beteiligungsverwaltung auf die Cayman Islands. Insofern ist dieser neue Steuerwettbewerb fast noch gefährlicher als der alte. Der BEPS-Aktionsplan hat den Steuerwettbewerb im Bereich der rulings und Steuerpräferenzen bekämpft. Wir haben jetzt die Meldepflichten über rulings, wir haben insbesondere auch die Maßnahmen der EUKommission im Bereich günstiger Vorbescheide – das sind alles Maßnahmen, die einiges geändert haben. Aber wir haben zusätzlich noch einen steigenden Steuerwettbewerb für die Ansiedlung von high networth individuals. Das ist eigentlich das faszinierendste Element der letzten Jahre. Sie können heute nach Italien ziehen und zahlen für zehn Jahre auf Ihre ausländischen Einkünfte nichts. Gar nichts. Sie sind zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtig. Sie haben sogar eine bessere Welt als eine non-domiciled person im Vereinigten Königreich und können Ihren Lebensabend genießen. Und jetzt kommt das Interessante: Dieser Steuerwettbewerb zwischen den Industriestaaten hat Effekte auch zugunsten der Marktstaaten. Denn was bedeutet Steuerwettbewerb? Steuerwettbewerb bedeutet: Man siedelt seine Produktion, seinen Vertrieb, seine Forschungs- und Entwicklungsabteilungen dort an, wo die Sätze am niedrigsten sind. Die Steuersätze in den Produktionsstaaten sinken also – weil Investitionen mobil sind. Wer aber nicht mobil ist, ist der Konsument. Der bleibt im Grundsatz, wo er ist. Und deswegen können die Staaten, die wie die Entwick-

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lungs- und Schwellenländer oder auch die USA mit der Kaufkraft ihrer Konsumenten argumentieren, ihren Steueranspruch massiv nach vorne bringen. Das bedeutendste Beispiel für diesen Konflikt bildet eine Diskussion, die wir vor anderthalb Jahren in den USA um die destination-based cash flow tax erlebt haben. Danach sollte Körperschaftsteuer dort gezahlt werden, wo der Kunde sitzt. Das war uns aus europäischer Sicht völlig fremd. Aber wenn Sie in einem Land leben wie den USA, das auf Bundesebene über keine Umsatzsteuer verfügt, dann kann ein solches Modell dazu dienen, die Körperschaftsteuer in eine Art Umsatzsteuer umzufunktionieren. Wir sehen Reste von diesem Konzept heute noch in der sogenannten BEAT (base erosion and anti abuse tax), die vor einem Jahr im Zuge der Steuerreform in den USA eingeführt worden ist und die ja im Grunde eine Sondersteuer auf Zulieferungen von Tochtergesellschaften aus dem Ausland darstellt. Diese drei Grundkonflikte: Realwirtschaften gegen Steueroasen (unter dem BEPS-Label), Industriestaaten gegen Marktstaaten (Entwicklungsländer/Schwellenländer) unter dem Label broader tax challenges, und schließlich noch der Steuerwettbewerb zwischen den Industriestaaten, prägen die internationale Steuerwelt von heute. Das ist die Welt, in der sich Herr Kreienbaum und seine Truppe bewähren müssen, und das ist anspruchsvoll.

C. Multilateralität und Unilateralität Und das Zweite, was sich hier entfaltet, ist ein Gegensatz zwischen einer sich beschleunigenden Multilateralität einerseits und einer sich beschleunigenden Unilateralität andererseits, von denen noch keiner weiß, was sich durchsetzt. Die Idee, den Steuerwettbewerb zu kanalisieren, und die Idee, auch andere Konflikte einzuhegen, legen es nahe, multilaterale Institutionen und Regelwerke zu schaffen. Und in dem Bereich der internationalen Steuerkoordinierung sind die letzten Jahre ein riesiger Erfolg: Die G20, von denen im Steuerrecht vor zehn Jahren noch kein Mensch geredet hat, sind heute auf Ebene der Regierungschefs der wesentliche Treiber der internationalen Steuerpolitik. Die OECD, der IMF, die Weltbank, alle buhlen im Grunde um die Zuneigung der G20, und diese verteilt Aufträge zur Fortentwicklung der internationalen Steuerpolitik.

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Die OECD hat sich um das Inclusive Framework erweitert. Das ist ein Gremium von mehr als 120 Staaten, thematisch fokussiert auf die Umsetzung von BEPS, aber jeder kann sich denken (bei der Breite der internationalen Themen), dass dieses Inclusive Framework sich mit der Zeit auch auf andere Themen erstrecken kann. Das Global Forum on Tax Transparency hat uns den Common Reporting Standard gebracht, den wir seit einem Jahr anzuwenden verpflichtet sind. Hinzu treten das Multilaterale Instrument – das erste weltweit wirkende Instrument zur Angleichung von Doppelbesteuerungsabkommen, die multilateralen Informationsaustausche beim country-by-country reporting, und schließlich auch der peer review zwischen den Staaten, bei denen eine Vielfalt von praktischen Anwendungen dieser multilateralen Regeln auf ihren tatsächlichen Vollzug geprüft werden. Wer diese Entwicklung der letzten drei Jahre Revue passieren lässt, der müsste eigentlich denken, dass wir in die Welt einer totalen Steuerkoordination hineinlaufen. Aber ganz so ist es eben doch nicht, denn wir beobachten parallel zu diesem Koordinierungsprozess bereits einseitige Regeländerungen. Große Spieler werfen einfach mal den Tisch um und bauen ein neues Schachbrett auf. Ganz evident ist dies bei den Steuersätzen – davon haben wir schon gesprochen. Als Beispiel für ein neues Spiel im materiellen Steuerrecht kann der Tax Cuts and Jobs Act 2017 angeführt werden. Die mit diesem Gesetz vor einem Jahr eingeführten US-Steuerregeln stehen zwar nicht direkt im Widerspruch zu den Maßnahmen unter BEPS, aber sie bringen doch eine völlig andere Philosophie hinein. Die GILTI-Vorschriften schaffen für Global Intangible Low Taxed Income eine nie dagewesene, breitflächige Hinzurechnungsbesteuerung, die für alle ausländischen Tochtergesellschaften von US-Unternehmen einen Mindeststeuersatz von 10,5 % oberhalb eines bestimmten Routinegewinns auf materielle Investitionen anordnet. Das geht weit über alles hinaus, was wir selbst in der ATAD vorfinden. Auch die Entwicklungsländer gehen mit einseitigen Maßnahmen voran. Dazu zählen eben auch neue Steuern auf digitale Leistungen. Dazu hat Indien eine Vorreiterrolle eingenommen. Und interessant ist hier auch das Verhalten des Vereinigten Königreichs. Das Vereinigte Königreich geriert sich ja einerseits als die größte künftige Steueroase Europas, zumindest als der attraktivste Steuerstandort Europas. Und dennoch will die britische Regierung schon vorab und unabhängig von einem Konsens

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auf der Ebene der europäischen Richtlinien und der OECD-Vereinbarungen die großen Digitalunternehmen besteuern. Darin ist eine Tendenz erkennbar, die ich bereits eben versucht habe anzudeuten: Der Steuerwettbewerb führt dazu, die Steuersätze auf die eigene Produktion herunterzufahren, um Investitionen zu attrahieren. Und wie kompensiert man das? Indem man die Unternehmen aus anderen Staaten höher besteuert. Die britische Regierung weiß natürlich ganz genau, dass das Vereinigte Königreich kein international großer Spieler ist, was die Internetwirtschaft angeht – von social networks und digitalen Handelsplattformen bis zu Datenverkäufen – und deswegen gönnt man sich etwas, was man eigentlich sonst bei Entwicklungsländern findet, nämlich die Rolle des Marktstaats einzunehmen und auf dieser Grundlage Besteuerungsansprüche zu formulieren. Natürlich geschieht dies immer verbunden mit dem Angebot: Kommt zu uns und investiert, dann kriegt ihr den niedrigsten Körperschaftsteuersatz in Westeuropa!

D. Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft Diese Konflikte – Realwirtschaften gegen Steueroasen, Industriestaaten gegen Entwicklungs- und Schwellenländer und der Steuerwettbewerb zwischen den Industriestaaten – bündeln sich gewissermaßen in der Diskussion der Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Und da kann ich auf vieles schon Bezug nehmen, was Herr Kreienbaum ausgeführt hat. Die Europäische Kommission hat zwei Entwürfe für Richtlinien vorgelegt, eine langfristige Konzeption zur Besteuerung nach digitaler Präsenz, und eine kurzfristig einzuführende Digital Services Tax. Die OECD arbeitet sich seit Jahren an diesem Thema ebenfalls ab. Aktionspunkt 1 des BEPS-Programms zur digitalen Wirtschaft ist ja im Bericht 2015 als einziger wichtiger Aktionspunkt nicht mit einer klaren Empfehlung versehen worden. Und zwar deshalb, weil die OECD erkannt hat, dass eine Vorfestlegung hier über den Tatbestand der Missbrauchsbekämpfung hinausgeht und zu massiven Verschiebungen der internationalen Besteuerungsrechte führen kann. Daher sollen weitere Berichte folgen. Und Deutschland hat hier immer eine sehr vorsichtige, eine grundsätzlich skeptische Haltung bewahrt, wohl wissend, dass man sehr schnell auf eine schiefe Ebene kommen kann, die dann dem deutschen Fiskus und der deutschen Exportwirtschaft an anderen Ecken schadet. Der aktuelle deutsch-französische Vorschlag, den Herr Kreienbaum genannt hat, nämlich eine Steuer von 3 % nur auf Umsätze aus OnlineWerbung, ist der Versuch der Einhegung und Begrenzung von Schäden.

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Versuchen wir einmal, diese Interessenlage der Staaten zu den Digitalsteuervorschlägen in das Bild der oben genannten Konflikte einzubauen! Dann lässt sich zunächst feststellen, dass es offiziell der Europäischen Kommission nach wie vor um die Bekämpfung von Steuerminimierung geht. Digital tätige Unternehmen könnten wegen der hohen Bedeutung mobiler Immaterialgüter für ihre Geschäftsmodelle und durch ihre geringe physische Präsenz im Kundenstaat – so wird behauptet – nach wie vor Gewinne in großem Umfang verstecken und einer extremen Niedrigbesteuerung zuführen. Die Europäische Kommission begründet ihre Vorschläge mit diesen Steuervermeidungsvorwürfen, macht aber letztlich ihre Steuervorschläge im Tatbestand nicht von einem solchen „vorwerfbaren“ Verhalten der Digitalindustrie abhängig. In der Sache zielen die Vorschläge der Europäischen Kommission auf eine klare Reallokation von Besteuerungsrechten. Es gibt in diesen Richtlinien keinen Tatbestand, der nach Vorbelastungen in anderen Staaten fragt. Insofern muss man festhalten, dass sich die aktuell vorliegenden Vorschläge nicht durch die Vermeidung von Steuern oder jedenfalls bei weitem nicht alleine durch den Kampf gegen Steueroasen legitimieren lassen. Die Alternative, die darauf einen Bezug nimmt, ist ebenfalls von Herrn Kreienbaum bereits genannt worden: Wenn man nach wie vor das Hauptproblem darin sieht – und das ist bisher die Haltung der Bundesrepublik Deutschland –, dass es darum geht, internationale Steuervermeidung zu bekämpfen, dann ist in der Tat der Weg einer weltweiten Mindestbesteuerung – also eine Art Kombination aus Hinzurechnungsbesteuerung im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft und Abzugsschranken bzw. Quellensteuern in den Quellenstaaten bzw. Kundenstaaten – sinnvoll. Wenn es um die Frage geht: „Wie stehen Entwicklungsländer gegen Industriestaaten?“, dann sind wir vor der Frage: „Ist die Digitalbesteuerung der Einstieg in eine massive Verlagerung von Besteuerungsrechten im Hinblick auf die Kundenstaaten?“ Und da wandeln vor allem die europäischen Industriestaaten auf einem schmalen Grat. Man versucht, steuerliche Tatbestände zu definieren, die zwar den digitalen Steuerkuchen aus den Vereinigten Staaten und Asien nach Europa bringen, aber ohne die starke europäische Exportindustrie von Daimler bis LouisVuitton zu gefährden. Daher beruft man sich auf angebliche Besonderheiten der digitalen Wirtschaft, zum Beispiel die Teilhabe von usern an der Wertschöpfung. Dieser gibt seine Daten frei, nimmt an sozialen Netzwerken teil, lädt Bilder und Informationen hoch – das sei ein Unterschied gegenüber der normalen Exportindustrie.

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Dieses Konzept der user participation, das vor allem von England und der Europäischen Kommission propagiert wird, passt im Kern nicht auf die Vorstellung der Körperschaftsteuer als Steuer auf die Erträge des investierten Kapitals. Wenn aber der Kunde Werte schafft, muss er dafür auch entgolten werden. Das wird er ja vielfach auch. Wer auf YouTube ein erfolgreiches Katzenvideo hochlädt, erhält dafür eine Gegenleistung, und andere Nutzer erhalten „kostenlose“ Suchfunktionen, Marktzutritt oder die Teilhabe an sozialen Netzwerken. Auch der Konflikt zwischen Industriestaaten und Industriestaaten ist betroffen. Die digitale Steuer ist eben auch ein Mittel im aktuell laufenden Kampf zwischen den USA und Europa im Hinblick auf Handelsverträge, dh. vor allem im Hinblick auf Zölle. Die USA haben ja in der letzten Zeit schon an vielen Fronten mit Strafzöllen gedroht, und sie werden die Digitalsteuer unabhängig von der korrekten rechtlichen Qualifikation auch als eine Art Strafzoll gegen ihre digitalen Leistungen ansehen. Die USA haben ihrerseits eben eine Erweiterung der Hinzurechnungsbesteuerung nach den GILTI-Regeln schon vorgenommen. Und vor diesem Hintergrund kann man auch den alternativen Vorschlag der USA zur Besteuerung der digitalen Unternehmen einordnen. Danach sollen die digital tätigen Unternehmen über die Besteuerung auf Investitionen in „marketing intangibles“ erfasst werden. Überall dort, wo ein Unternehmen „branding“ schafft, wo ein Unternehmen Vertriebsnetze aufbaut, wo ein Unternehmen einen Kundenstamm konsolidiert, hat es doch eigentlich investiert, und dieses Investment kann man zum Anlass für eine Besteuerung nehmen. Dem kann man in systematischer Hinsicht zustimmen. Im Ergebnis würde dies aber, auch das hat Herr Kreienbaum schon angedeutet, deutlich über die Besteuerung der digitalen Wirtschaft im Kundenstaat hinausgehen. Dann sind auch alle möglichen anderen Formen von Branding erfasst. Und an der Stelle haben die USA eine von den Europäern abweichende ambivalente Stellung. Die USA verfügen nicht auf Bundesebene über den umsatzsteuerlichen Zugriff. Sie versuchen seit Jahren, einen zusätzlichen steuerlichen Zugriff auf die aus Europa importierten Waren zu bekommen. Das Konzept der marketing intangibles würde ihnen erlauben, die in den USA erzielten Gewinne starker Markenunternehmen wie Daimler und Louis Vuitton abzugreifen. Ich habe selber einmal einen ähnlichen Vorschlag gemacht, den ich aber hier nicht ausbreiten will: Man könnte versuchen, gewissermaßen den Investitionsgedanken auf digitale Investitionen zu beschränken.

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Die Digital Services Tax wirft natürlich auch Rechtsfragen auf. Die ersten Autoren sagen schon: Diese Steuer soll ja nur ab 750 Millionen Euro Umsatz eingreifen, das ist eine verdeckte Diskriminierung ausländischer Unternehmen. Es ist auch schon gesagt worden, dies sei eine verdeckte Beihilfe. Auch die Vereinbarkeit mit Doppelbesteuerungsabkommen wird intensiv diskutiert. Die EU-Kommission sagt: Dies ist doch eine indirekte Steuer. Aber interessanterweise soll sie in der Sache die fiskalischen Ausfälle bei der Körperschaftsteuer kompensieren. Also, was ist sie nun wirklich? Und auch die Vereinbarkeit mit WTO-Recht wird behandelt. Ich meine übrigens nach wie vor, man könnte die grenzüberschreitenden digitalen Leistungen schlicht bei der Umsatzsteuer erfassen. Dafür müsste man einfach nur die simple Erkenntnis Platz greifen lassen, dass eine Vielzahl der digitalen Leistungen, die der Kunde scheinbar „kostenlos“ bekommt, in Wahrheit doch entgeltlich ist. Die Kunden erhalten „freie“ Leistungen von Google und Facebook und YouTube und geben dafür Daten preis, erlauben den Zugriff von Werbekunden, und all das könnte im Rahmen der Umsatzsteuer erfasst werden. Schauen Sie sich Spotify an (ein Streamingdienst für Musikdateien)! Man kann Spotify für ein festes Entgelt buchen oder für 0 t – dann aber gegen Werbeleistungen. Soll denn das erste Geschäft umsatzsteuerpflichtig sein und das zweite nicht?

E. Schluss Ich komme zum Schluss. Wir stehen vor dem Problem der Verlagerung der Besteuerungsrechte in die Marktstaaten. Das ist im Grunde eine natürliche Folge des Steuerwettbewerbs. In Europa versuchen wir, diesen Konflikt dadurch flexibel zu steuern, dass wir den Gewinn der Produzenten über die Einkommensteuer und den Konsum der Kunden über die Umsatzsteuer belasten. Die USA tun das nicht. Und die Entwicklungsländer und die Schwellenländer wollen auch nicht weiter auf die Umsatzsteuer angewiesen sein, sondern auch die Unternehmensgewinne aus der Sicht der Kundenstaaten erfassen. Die digitale Steuer wirft daher die Frage auf, ob sich die westlichen Industriestaaten in dieser Grundsatzdiskussion aus Anlass eines letztlich vielleicht gar nicht so fiskalisch relevanten Sonderfalls auf einen steuerpolitischen Paradigmenwechsel einlassen sollen. Es bleibt spannend.

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Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen Umfeld Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Jürgen Lüdicke Rechtsanwalt, Steuerberater, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Oliver Nußbaum BASF SE, Global Head of Tax, Ludwigshafen

Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München

Werner Thumbs Profunda Verwaltungs-GmbH (Boehringer Ingelheim), Leiter Steuern

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Lüdicke Dem Vortragenden, der uns einen glänzenden Überblick über den derzeitigen Stand der Dinge gab, gilt ein herzlicher Dank. Ich glaube, wenn vor zehn Jahren jemand einen Vortrag zu dem Thema „Wie sieht die internationale Steuersituation in zehn Jahren aus?“ gehalten hätte, dann wäre er ganz anders ausgefallen. Das kann man, davon bin ich überzeugt, ohne Weiteres festhalten. Also noch einmal: Einen ganz herzlichen Dank für diesen wirklich umfassenden Überblick. Die Ausführungen sind nach meiner Überzeugung eine sehr gute Grundlage für die Diskussion und ergänzen wunderbar das, was Herr Kreienbaum sagte: Der Player ist wohl nicht die Wissenschaft, der Player ist die Politik. Die Frage ist nur: welchen Landes? Wer möchte beginnen, etwa Herr Nußbaum für ein Großunternehmen, gewissermaßen als einer der Hauptbetroffenen?

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Podiumsdiskussion: Steuerpolitik im sich wandelnden internationalen Umfeld

Nußbaum Vielleicht können wir mit der Allokationsfrage anfangen. Herr Prof. Schön hat ja viele Themen angesprochen, von der digitalen Betriebsstätte bis zur Digitalsteuer sowie der Besteuerung des Marktzugangs. Fangen wir vielleicht mit letzterem, der Besteuerung des Marktzugangs an. Wenn man den Marktzugang als einen den Verrechnungspreis bestimmenden Faktor anerkennen möchte, ist das mE letztlich die Aufgabe des arm’s-length-Prinzips. Bereits heute bestimmen wir die Verrechnungspreise, soweit wir über eine Vertriebsgesellschaft in ein Land liefern, anhand von Benchmarks. Letztlich allokieren wir damit bereits heute den Gewinn in ein Land, nach dem Grundsatz, was fremde Dritte, also unabhängige Unternehmen, in diesem Markt für die Tätigkeit verdienen würden. Diese Marge dient als Maßstab für die Festsetzung von Verrechnungspreisen. Das ist unbestritten. Wenn ich heute und zukünftig einen Dritten in meine Lieferkette einschalte, dann würde die Tätigkeit neben dem vereinbarten Preis nicht noch zusätzlich mit einer Gebühr für den Marktzugang vergütet werden. Dieser ist eben im Preis mit enthalten. Wenn ich jetzt aber für gruppeninterne Zwecke den Marktzugang gesondert verpreisen möchte, dann löse ich mich doch eigentlich von dem Fremdvergleich. Das wäre die erste Frage. Die zweite Frage wäre dann: Würde das dann auch für Zollzwecke anerkannt werden? Zumindest derzeit verwenden wir die Verrechnungspreise als Ausgangsbasis für die Zollfestsetzung. Würde das dann bedeuten, dass der Zollwert abweichend nach unten festzusetzen wäre? Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Möchte jemand direkt darauf antworten? Prof. Dr. Dr. h. c. Schön Ja, Herr Nußbaum, das sind tolle Fragen. Im Grunde muss man ja Folgendes sagen: Wir haben eine konstante gesetzliche Situation in Deutschland, was den Fremdvergleich angeht. Diese Situation wird jetzt erst einmal überformt durch die BEPS-Aktionspunkte 8–10, die von der bisherigen Praxis abweichen. Sie haben eben selber bei dem Zypern-Beispiel gesagt, das fand ich ganz erhellend: Reden wir denn über die Verrechnungspreise vor BEPS oder nach BEPS? Die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland haben sich gar nicht geändert! Eigentlich hätte Herr Wacker sagen können und müssen: „Ja, wieso? Solange hier die Vorschriften im

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§ 1 AStG nicht verändert sind, haben wir eigentlich immer noch das alte System zu beachten, und zwar auch in Zukunft.“ Aber wir erleben eine internationale Verwaltungspraxis, die das überspielt. Und genau dasselbe machen eben auch die Entwicklungsländer. Sie haben vollkommen recht, das hat mit arm’s length nichts zu tun, weil arm’s length die Produktionsbeiträge, die Wertschöpfungsbeiträge aus der Sicht des produzierenden Unternehmens reflektiert und nicht noch die Existenz des Kunden als solches vergütet. Das ist vollkommen zutreffend. Das Zweite ist die Geschichte mit dem Zoll. Letztlich ist der Zoll ja auch nur eine Steuer. Und er ist eine Steuer, die genau diesen Marktzutritt bezahlen soll. Sonst würde der Hersteller eben woanders hin liefern. Und dementsprechend müsste das korrigiert werden. Aber ich würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass jeder in Asien das so sieht. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum! Kreienbaum Ja, vielen Dank. Herr Nußbaum, ich habe die gleiche Frage auch meinen Kollegen gestellt, als wir anfangs dieses Thema diskutiert haben. Wenn wir den Marktzugang einpreisen, lösen wir uns vom Fremdvergleich, denn für den Marktzugang gibt es keinen Fremdvergleichspreis. Ein fremder Dritter zahlt – wie Sie zu Recht ausgeführt haben – auch nicht für den Marktzugang. Wenn man nun dem Marktstaat Besteuerungsrechte für etwas zubilligen will, für das früher niemand etwas bezahlt hat, stellt sich die Frage, ob man einen Bereich aus dem bestehenden System der Gewinnzuordnungsregeln herausschneiden kann. Für einen spezifischen Bereich lösen wir uns dann vom Fremdvergleich, und im Übrigen bleibe ich dabei? Oder muss ich den Fremdvergleichsgrundsatz insgesamt über Bord werfen? Ich glaube, das ist eine Frage, die die Diskussion der nächsten Jahre maßgeblich beeinflussen wird. Prof. Dr. Lüdicke Herr Thumbs! Thumbs Ja, gerne. Zwei Sachen dazu, Herr Kreienbaum, wo Sie das gerade gesagt haben, den Fremdvergleich über Bord werfen. Wir haben letzte Woche

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eine ganz andere Diskussionsrunde gehabt, die den ganzen Tag unter der Überschrift „Quo vadis, Fremdvergleich?“ stand, und da kam eigentlich was ziemlich Ähnliches heraus, nämlich, dass wir uns wirklich überlegen müssen, was kann der Fremdvergleich und was kann er nicht. Und dass wir dann zu dem Schluss kommen, die Dinge, die er nicht kann, die können wir auch mit ihm nicht lösen, und ihn dann auch nicht anzuwenden versuchen. Ich glaube, das ist vielleicht wirklich ein neuer Ansatz, dass wir passend zur Situation vorgehen. Auf der einen Seite, denke ich, ist das für den Fremdvergleich so. Er hat seine Qualitäten, er hat seine Fähigkeiten. Dabei sollten wir es belassen. Aber er kann nicht alles lösen. Dort, wo ich mit einem residual profit split unterwegs bin oder wo ich mir tatsächlich den Marktzugang aussuche – das hat mit dem klassischen Fremdvergleich einfach nichts zu tun. Eine Sache bei der Beurteilung des Marktzutritts, mit der ich mich noch wahnsinnig schwertue: Wie lange gibt es eigentlich den Begriff „Wertschöpfung“ überhaupt schon als Kriterium im Verrechnungspreisthema? Als die Gewinnzuordnung nach Wertschöpfung aufkam hieß es, es soll dort besteuert werden, wo die Wertschöpfung entsteht. Da hatte ich als dummer BWLer eine Menge Fragezeichen im Gesicht, denn Wertschöpfung ist für mich immer noch Output minus Input des Unternehmens. Und es ist eben nur die Unternehmenssichtweise. Jetzt will ich nicht sagen, dass der Kunde mit dem Unternehmen nichts zu tun hat, denn wir brauchen ihn ja schließlich doch und mit ihm wird ja auch der Umsatz erzielt. Aber jetzt zu sagen, ich will an der Lokation des Kunden die Verteilung dessen festmachen, was das Unternehmen erwirtschaftet hat und eben nicht der Kunde für das Unternehmen erwirtschaftet hat – das ist wirklich eine Out-of-the-Box-Denke, um das mal so zu bezeichnen. Das ist ein komplett anderer Ansatz. Kann man machen, aber bitte verschont meinen armen Fremdvergleich davon. Prof. Dr. Lüdicke Möchte dazu noch jemand beitragen? Wolfgang Schön! Prof. Dr. Dr. h. c. Schön Ich will das vielleicht an dieser Stelle nochmal am Beispiel der Digitalsteuer und der Lösungskonzepte erläutern. In dem Moment, in dem Teile des Körperschaftsteuer- und Einkommensteueraufkommens dem Marktstaat alleine wegen der Existenz von Nachfrage zugeordnet werden, funktioniert der Fremdvergleich nicht mehr. Das ist übrigens auch ein The-

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ma, das die Europäische Kommission in dem Richtlinienentwurf zur digitalen Betriebsstätte oder signifikanten digitalen Präsenz sehr unsauber behandelt. Dort wird vorgeschlagen, einen profit split einzuführen. Es gibt aber mehrere Arten von profit split. Es gibt profit splits, die versuchen, in grober und geschätzter Form Wertschöpfungsbeiträge abzubilden. Und es gibt profit splits, die haben damit gar nichts zu tun, sondern bedeuten im Grunde eine Teilverlagerung von Steuerbasis in die Marktstaaten. In dem Moment, in dem ich sage, dass die bloße Existenz eines Users zur neuen Gewinnzuordnung führt, hat das mit Fremdvergleich und auch mit einem profit split im traditionellen Sinne gar nichts zu tun. Eine andere Frage steckt hinter den marketing intangibles und auch hinter dem Konzept der digitalen Investitionen: Hier geht es darum, ob das Unternehmen in diesen Markt immaterielle Investitionen unternommen, dort Marken geschaffen, Vertriebssysteme aufgebaut, länderspezifische Webseiten etabliert hat. Dies ist eigentlich eine klassische Investition in den deutschen Markt, und dieser Investition kann ich im Rahmen eines Fremdvergleichs auch relativ problemlos Wertschöpfungsbeiträge zuordnen. Aber es ist was völlig anderes, Investitionen in einen Markt in einer Verrechnungssituation aufzunehmen oder die schlichte Existenz von „Kundschaft“ zum Ausgangspunkt einer veränderten Gewinnzuordnung zu nehmen. Prof. Dr. Lüdicke An Herrn Kreienbaum möchte ich folgende Frage richten: Wird genau diese Unterscheidung eigentlich in der internationalen Diskussion schon vorgenommen? Kreienbaum Mein Eindruck ist, dass wir in der Diskussion noch ziemlich am Anfang stehen. Auch die Suche nach und die Definition von Wertschöpfungsbeiträgen kann sich nicht auf ein etabliertes Konzept des Internationalen Steuerrechts stützen. Herr Thumbs hatte darauf hingewiesen, dass er Wertschöpfung nur aus Unternehmenssicht sehen will und keinen Beitrag des Marktes, der Nachfrageseite des Marktes, erkennt. Das kann man so oder so sehen. Die unternehmerische Wertschöpfung ist ohne Kunden nicht denkbar. Wenn Sie Ihre produzierten Waren im Lager stehen haben und keine Abnehmer finden, dann haben Sie eher eine Verbindlichkeit als eine Gewinnaussicht. Ohne Abnahme, ohne Kunden, oh-

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ne Markt ist unternehmerische Wertschöpfung aus meiner Sicht nicht denkbar. Die Frage ist tatsächlich, ob und inwieweit Geschehnisse im Markt unternehmerischer Wertschöpfung zugeordnet werden sollen. Kann man sich darauf einigen, dass der Markt als solcher keine Rolle spielen soll, oder soll die reine Verbrauchsseite, die Marktseite, eine Rolle spielen bei der internationalen Zuordnung von Besteuerungsrechten? Oder sollen etwa nur Funktionen, die über den Verbrauchsaspekt im Markt hinausgehen, erfasst werden? Dieser Gedanke liegt dem britischen Konzept der user participation zugrunde. Der Google-Nutzer trägt einen integralen Teil zum Gelingen des Geschäftsmodells über die reine Nachfrage der Google-Suchmaschine hinaus bei. Der Nutzer gibt beispielsweise Daten preis, durch die das gesamte Geschäftsmodell erst funktionieren kann. Dem US-amerikanischen Vorschlag hingegen liegt die Vorstellung zugrunde, dass marktspezifische Investitionen in marketing intangibles eine teilweise Zuordnung von Besteuerungsrechten an Unternehmensgewinnen an den Marktstaat rechtfertigen. Man kann sich natürlich fragen, ob ein Kunde ein Produkt wegen der Marke kauft oder wegen der Produkteigenschaften. Wenn beides eine Rolle spielen soll, dann müsste konsequenterweise auch der Gewinn aus der Ausbeutung beispielsweise eines Patents dem Marktstaat mit zugeordnet werden. Und da beginnen dann die Abgrenzungsschwierigkeiten. Man muss sich wohl darüber im Klaren sein, dass diese Diskussion Weiterungen nach sich zieht, die aus heutiger Sicht sowohl schwer vorherzusagen als auch schwer zu kontrollieren sind. Nußbaum Selbst wenn man akzeptieren möchte, dass es im Fremdvergleichsfall zu anderen Ergebnissen kommt als in der Gruppe, dann stelle ich mir die praktische Umsetzung sehr schwierig vor. Normalerweise setzen die Steuerrechte der Länder auf der Handelsbilanz auf. Die Handelsbilanz wiederum berücksichtigt nur Rechnungen, die grundsätzlich auf dem Fremdvergleichsgrundsatz aufbauen. Muss bzw. kann man zukünftig im Konzern handelsrechtlich eine Rechnung erstellen, die sich nur an den Vorgaben des Steuerrechts orientiert, aber eigentlich dem Handeln eines ordentlichen Kaufmanns, arm’s length, widerspräche? Ich wüsste gar nicht, wie man das dann praktisch umsetzen sollte. ME müsste das steuerlich gewünschte Ergebnis fiktiv in den Steuererklärungen im In-

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land und im Ausland korrigiert werden. Letzteres stelle ich mir aus praktischen Erwägungen schon schwierig vor. Prof. Dr. Lüdicke Herr Thumbs! Thumbs Also ich glaube, das geht auch ein bisschen in die Richtung, die ich gemeint habe. Die Eingangsgröße der Wertschöpfungsberechnung des Unternehmens ist natürlich der Umsatz mit dem Kunden. Natürlich ist der Kunde da drin. Aber es wird nie ermittelt, welchen Beitrag der Kunde tatsächlich dazu liefert. Es sei denn, Sie sagen, natürlich den ganzen Beitrag, weil ich ja den ganzen Umsatz mit dem Kunden gemacht habe. Was ich aber meinte war, dass wir sagen müssen, gut, dann müssen wir entweder komplett out of the box denken oder aber, und so habe ich eigentlich Herrn Professor Schön verstanden, wir sagen, na gut, dann verteilen wir eben nach den Investitionen. Die sind in meiner Berechnung ja auch drin, die werden ja dann abgezogen, sei es nun periodisiert oder was auch immer, aber sie sind in meinem Ansatz enthalten, und dann habe ich tatsächlich eine Möglichkeit einer Bewertung mit einem halbwegs klassischen Wertschöpfungsbegriff. Das führt dann irgendwie doch dazu, dass – ich hab’s ja vorhin schon gesagt – dort besteuert werden soll, wo die Wertschöpfung entsteht. Und dann fragen Sie mal – jetzt haben wir 300 Leute im Raum sitzen –, die Zuhörer: Was ist Wertschöpfung? Wahrscheinlich kriegen Sie sogar 310 verschiedene Antworten. Aber Sie haben ja auch schon gesagt, wir müssen mit der Definition von Wertschöpfung anfangen. Klar! Da wird der Kunde auch irgendwo reinspielen, aber ich muss vom Unternehmen aus anfangen. Prof. Dr. Lüdicke Professor Kroppen! Prof. Dr. Kroppen1 Ich wollte vielleicht zwei Gedanken in die Diskussion einbringen, weil ich mich auch aktuell sehr intensiv damit beschäftige. Die eine Frage, die ja auch auf dem Podium für die Aufteilung schon angesprochen wur1 Prof. Dr. Heinz-Klaus Kroppen ist Partner bei der PwC GmbH WPG, Düsseldorf.

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de, ist: Wird eigentlich der Fremdvergleich als Maßstab vom Besteuerungsgut mittelfristig überleben? Ich hätte nicht gedacht, dass ich das je in meiner Karriere sagen würde, aber ich glaube, die Antwort ist Nein. Aus meiner Sicht wird er mittelfristig nicht überleben. Warum? Das hat sich ja gerade auf dem Podium schon gezeigt. Weil er im Grunde genommen heute schon löcherig ist, wie ein Schweizer Käse, und irgendwann ist er nur noch ein großes Loch. Wir diskutieren heute so wichtige Bereiche wie den Marktzugang oder die Bedeutung immaterieller Wirtschaftsgüter. In diesen großen Teilbereichen haben wir heute schon Lösungen, die nichts mehr mit dem Fremdvergleich zu tun haben. Bei der wichtigen Problematik der Finanzierung gibt es Vorschläge, die aus meiner Sicht auch nicht dem Fremdvergleich entsprechen. Da fragt man sich irgendwann, was eigentlich vom Fremdvergleich noch übrigbleibt. Und vielleicht muss man irgendwann eingestehen, dass es nicht mehr der Maßstab ist, der die Lösung der Probleme sachgerecht abbildet. Und ich glaube, dass in dem großen Verteilungskampf, Herr Kreienbaum, den Sie zu Recht geschildert haben, der Fremdvergleich mehr und mehr in Frage gestellt wird. Und dann hatten Sie zu Recht gesagt, dass es zwei große Tendenzen gibt. Die eine ist, müssen wir generell zu einer Neuverteilung des Steuerkuchens kommen? Dabei muss klar sein, dass alles, was wir hier treiben, nicht zu einer Vergrößerung des Kuchens führt. Wir verteilen immer einen bestehenden Kuchen, der immer gleich groß ist. Das muss uns zu denken geben, wie viel Aufwand man da eigentlich treiben sollte. Jedenfalls gibt es diesen einen Trend, Neuaufteilung des Kuchens. Den anderen Trend haben Sie so ein bisschen dagegengestellt: Kann man über eine Mindestbesteuerung vielleicht auch zu Lösungen kommen? Ich befürchte, dass man das gar nicht alternativ sehen kann. Weil, wenn wirklich die Lösung eine Mindestbesteuerung im Wohnsitzstaat sein sollte, würden Ihnen viele Entwicklungs- und Schwellenländer vorwerfen: Das ist ja perfide! Das führt ja geradezu zu einer Perpetuierung des Zustands, wie er heute ist! Heute ist die Verteilung zugunsten der Industrieländer, und jetzt nehmen sie den Entwicklungsländern sogar die Möglichkeit über steuerliche Anreize Investitionen in ihr Land zu ziehen, indem sie mit einer Hinzurechnungsbesteuerung eingreifen und die Besteuerung wieder in den Wohnsitzstaat ziehen. Das wird nicht klappen. Ich befürchte deshalb, dass das gar nicht als Alternative in der internationalen Diskussion gesehen wird, sondern dass die Maßnahmen

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oft kumulativ angewandt werden und am Ende die Geschnittenen die Unternehmen sind. Nußbaum Bei der Mindestbesteuerung kommt es natürlich darauf an, wie man sie ausgestaltet. Wenn man die Mindestbesteuerung per Land sieht oder per legal entity, dann hat das mit Sicherheit die Konsequenzen, die Sie beschrieben haben. Wenn man die Mindestbesteuerung aber analog GILTI als basket sozusagen für alle zusammen sieht und es weder auf die Art der Einkünfte, ob passiv oder aktiv, noch auf die Höhe der Besteuerung im jeweiligen Land ankommt, sondern der Mix aller Einkünfte und der Mix der Steuersätze maßgebend ist, dann kann man ggf. damit leben. Wie gesagt, es ist letztlich eine Frage der Ausgestaltung und natürlich des zugrunde liegenden Steuersatzes. Prof. Dr. Lüdicke Herr Kreienbaum! Kreienbaum Vielleicht zwei Punkte. Einmal zum Kuchen. Der zu versteuernde Gewinn bleibt natürlich weltweit gleich groß. Insofern, Herr Kroppen, das sehe ich auch so, wird der Kuchen nicht größer. Aus der Sicht des Fiskus sieht das anders aus. (Gelächter) Da kann der Kuchen sehr wohl größer werden. Der zweite Punkt: Kann man die Idee der Mindestbesteuerung weltweit durchsetzen? Was sagen die Entwicklungsländer? Wir haben eine solche Diskussion schon heute im Zusammenhang mit steuerlichen Präferenzregimen und dem Nexus-Approach. Auch in diesem Zusammenhang vertreten einige Staaten, die als Entwicklungsländer Präferenzregimes eingerichtet haben, dass die OECD-inclusive-framework-Vereinbarung zum Nexus-Ansatz ihr Bemühen, ausländische Investitionen anzulocken, konterkariere. Dieses Beispiel haben wir schon einmal durchexerziert, und das bisher mit Erfolg. Prof. Dr. Dr. h. c. Schön Ich würde vielleicht gerne noch einmal auf das Thema Verrechnungspreise zu sprechen kommen. Ich glaube, man muss die Fragen hier abschichten. Die erste Frage ist die: Bleibt es dabei, dass der Gewinn des

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Unternehmens zwischen den verschiedenen Investments und Aktivitäten des Unternehmens verteilt wird? Oder kriegt der Marktstaat so eine Art „Vorab“? Das ist das, was sich die Europäische Union zum Teil vorstellt, was viele Staaten sich im Bereich der digitalen Steuern vorstellen. Das würde ich für extrem problematisch halten, weil das letztlich die Körperschaftsteuer in eine Art Umsatzsteuer umfunktioniert. Auf diesen Steuerzugriff werden wir dann irgendwann reagieren, indem bei uns die Körperschaftsteuersätze noch weiter runtergehen und die Umsatzsteuersätze hoch. Das ist übrigens langfristig die Tendenz, die sich abzeichnet, denn wir sind ja auch ein Markt und können auf diese Weise Bemessungsgrundlagen abgreifen. Wenn ich andererseits davon ausgehe, zwischen verschiedenen Aktivitäten oder Tochtergesellschaften innerhalb des Unternehmens zu verteilen, dann habe ich in der Tat mehrere Möglichkeiten. Ich kann den globalen profit split machen, ich kann den formulary approach machen, ich kann im traditionellen Fremdvergleich stehenbleiben. Und da schießt sich die OECD im Grunde jetzt bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft selber in den Fuß durch eine Entscheidung, die sie vor ein paar Jahren meines Erachtens zu den Verrechnungspreisen fehlerhaft getroffen hat. Die Körperschaftsteuer ist bei traditioneller Betrachtung eine Steuer auf das investierte Eigenkapital. Die OECD hat demgegenüber in den letzten Jahren die Vorstellung vertreten, dass sie eine Steuer auf gewinnbringende Aktivitäten ist. Daher fragen auch heute die BEPS-Aktionspunkte 8–10 nach den significant key people? Wo wird gearbeitet? Wo sind genügend Personen, die Risiken kontrollieren? Und so weiter und so fort. Das heißt, man hat im Grunde der Gewinnverteilung eine Zuordnung nach Personalfunktionen zugrunde gelegt. Das schafft Probleme bei der Besteuerung der Digitalwirtschaft. Diese Unternehmen mögen zwar dort, wo sie ihre digitalen Leistungen anbieten, Kunden haben. Sie haben vielleicht auch Investitionen getätigt. Aber sie benötigen keine eigenen Personen im Kundenstaat. Und schon fliegt einem das ganze schöne Konzept der significant key people um die Ohren. Das ist ein Selbstwiderspruch, aus dem die OECD überhaupt noch nicht herausgekommen ist. Die Vorschläge aus den USA gehen übrigens eher in die Richtung, jeder Unternehmensfunktion eine Art routine profit zuzuweisen. Das funktioniert wie ein safe harbour mit einem bestimmten Prozentsatz auf den Marktwert der Investitionen oder was auch immer, und der Residualgewinn geht dann in den Marktstaat. Das ist so ein bisschen die Richtung, die dahintersteckt.

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Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank! Herr Wacker, was sagen Sie, gleichsam aus der Sicht der vorausschauenden Rechtsprechung? (Gelächter) Prof. Dr. Wacker Nein, aus Sicht der Rechtsprechung ganz sicher nicht. Aber ist es nicht so, dass wir heute aufgrund der Digitalisierung unserer Wirtschaft auch ohne Personalbindung vor Ort von einer ganz anderen Durchdringung der Märkte in den einzelnen Staaten auszugehen haben? Mit anderen Worten: Wer auf Märkten im Ausland agieren will, hat heute weniger Aufwand und einen leichteren Zugang. Mündet das nicht zwangsläufig in die Frage, ob die Koordinaten der territorialen Zuordnung der Besteuerungsrechte dem nicht – und zwar auch bezüglich der Gewinnsteuern – Rechnung tragen müssen? Prof. Dr. Dr. h. c. Schön Also in diese Richtung wird ja immer wieder argumentiert. Man hat gewissermaßen jetzt eine hohe Marktpräsenz, ohne physisch anwesend zu sein. Es ist aber doch eine Frage, was das Argument eigentlich heißt. Wenn man von dem Nutzenprinzip ausgeht, dann betont man die Nutzung der örtlichen digitalen Infrastruktur. Aber wenn man vorher Wein aus Frankreich nach Deutschland geliefert hat, dann hat man auch die Straßen genutzt. Wahrscheinlich sogar noch mehr als man jetzt das Glasfasernetz nutzt – für das man übrigens ohnehin Gebühren bezahlen muss. Das Konzept der Marktpräsenz zu operationalisieren ist nicht einfach, und mein Verdacht ist auch immer, dass sich hinter dieser Diskussion letztlich nur fiskalpolitische Konflikte verbergen. Dann sollte man die lieber aussprechen als das, was sie sind, nämlich als Verteilungskonflikte zwischen verschiedenen Staaten. Ich hätte aber doch noch eine Frage an Herrn Wacker, wenn ich darf. Das betrifft die sich abzeichnenden Tendenzen zu den Verrechnungspreisen. Ihr Senat urteilt auf der Grundlage von § 1 AStG und Art. 9 des OECD-Musterabkommens in seinen jeweiligen Ausprägungen in den bilateralen Abkommen. Sie fahren da ja auch eine strenge Linie, und wenden gewissermaßen statische Interpretationen an. Das geschieht alles in Konformität mit dem geltenden Recht und damit eher positivistisch – ich kann das alles auch nur sehr unterstützen. Wie geht man nun als Richter eigentlich mit einer Tendenz um, in der in den letzten Jahren gerade die Verrechnungspreisregeln ohne Modifikation der gesetzlichen

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oder völkervertraglichen Grundlagen in einer Weise erweitert worden sind, nicht zuletzt durch BEPS? Man scheint sich überhaupt nicht mehr darum zu kümmern, was eigentlich im Gesetzestext oder auch in den alten Abkommenstexten steht. Prof. Dr. Wacker Natürlich hat man das mit im Kopf, aber es erreicht die Arbeiten an einem Fall erst dann, wenn es wirklich entscheidungsrelevant wird; so weit sind wir aber noch nicht. Mit Ausnahme von einem kleinen Teilaspekt, der bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist, nämlich die Entscheidung Hornbach-Baumarkt2. Er berührt das Zentrum des § 1 AStG. Der EuGH akzeptiert zwar für den Fall einer unentgeltlichen Patronatserklärung zugunsten einer nachgeordneten ausländischen Konzerngesellschaft eine Gewinnkorrektur nach Maßgabe des Fremdvergleichs; im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eröffnet er aber in Konzernsachverhalten die Möglichkeit, für bestimmte Fallkonstellationen von der Besteuerungsaufteilung nach Fremdvergleichsgrundsätzen abzurücken. Ganz interessant: Der EuGH entscheidet dies nicht abschließend, sondern überantwortet die hierfür erforderliche Abwägung zwischen den Konzerninteressen und dem Fremdvergleich den nationalen Gerichten. Ein Punkt, der sicherlich auch in der Rechtsprechung Beachtung finden wird, zB in München. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank! München ist das Stichwort: Herr Professor Lehner. Prof. Dr. Lehner3 Die Zeit ist fortgeschritten, deswegen nur die kurze Frage an Herrn Schön, wie er die Chancen für die Verwirklichung von Neutralitätskonzepten im Abkommensrecht sieht.

2 EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366, FR 2018, 596 – HornbachBaumarkt. 3 Prof. em. Dr. Moris Lehner ist entpflichteter Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Wirtschafts- und Steuerrecht.

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Prof. Dr. Dr. h. c. Schön Hinter den Neutralitätskonzepten steht die Frage: Anrechnungsmethode oder Befreiungsmethode? Diese Frage ist im Grunde mit all diesen Aufteilungsthemen noch gar nicht abschließend berührt! In der Theorie kann beides zusammen geschehen, wobei natürlich klar ist, dass die Kombination aus Anrechnungsmethode und einer völlig veränderten internationalen Steueraufteilung schon schwierig und hart wird. Wobei ich nur sagen kann: die Anrechnungsmethode hat übrigens auch den Effekt einer Mindestbesteuerung, und zwar einer Mindestbesteuerung auf der Höhe des inländischen Körperschaftsteuersatzes. Noch nicht einmal darunter. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank. Herr Kreienbaum wollte, glaube ich, noch was zum NexusBegriff sagen. Kreienbaum Ja, vielen Dank. Wir haben ja jetzt einige Zeit über die Frage der Gewinnzuordnung geredet, aber noch nicht so sehr über die Frage, auf welcher Basis auch abkommensrechtlich dies geschehen könnte. Braucht Google denn hier eine Betriebsstätte oder eine Tochtergesellschaft? Die haben vielleicht zufällig eine, aber im Grunde kann man mit digitalen Geschäftsmodellen, das ist ja gerade deren Besonderheit, Märkte erreichen, ohne physisch präsent zu sein. Und da schließt sich die Frage an, welche Änderungen an dem Nexus-Begriff, in unserer Sprache an der Betriebsstätte, notwendig sind, um überhaupt eine Gewinnzuordnung zu ermöglichen. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank! Mit Blick auf die Uhr möchte ich die Diskussion schließen, aber nicht ohne unsere beiden Referenten, nämlich Herrn Kreienbaum und Professor Schön, noch etwas zu fragen. Wird aus Sicht der Referenten – sagen wir in zehn Jahren, wenn alles umgesetzt würde – der Kuchen, wie Professor Kroppen es soeben sagte, größer geworden sein? Mit anderen Worten: Wird die Industrie mehr belastet werden, oder werden wir zu einer zwar anderen, aber im Kern dann letztlich gerechten Aufteilung kommen?

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Kreienbaum Gerechtigkeit in Fragen der Verteilung von Besteuerungsrechten ist ein beliebig interpretierbarer Begriff. Ich hatte vorhin schon versucht darzulegen, dass aus Sicht der Fisci der Kuchen größer und kleiner werden kann. Wir sehen eine internationale Tendenz hin eher zu niedrigen Steuersätzen. Und wir sehen eine andere Tendenz hin eher zum Zurückhalten und zum Nachholen von Besteuerungsrechten. Wir haben das bei den Hybriden gesehen, bei der Hinzurechnungsbesteuerung, bei der Zinsschranke, bei vielen BEPS-Aktionsthemen, und sehen es auch im Kontext der Mindestbesteuerung. Insofern sehen wir gegenläufige Tendenzen. Wo wir am Ende ankommen, ist tatsächlich schwer vorherzusagen. Prof. Dr. Dr. h. c. Schön Also das spricht ein Stück weit mein zweites Thema an, das ich zwischenzeitlich in den Vortrag eingebaut hatte, nämlich: Stehen wir eigentlich vor mehr koordinierter oder mehr unilateraler Tätigkeit? Und vor drei, vier Jahren hätte man einen Brexit oder eine Regierung Trump für völlig unvorstellbar gehalten. Für mich war es andererseits unvorstellbar, mit welchem Erfolg die OECD in der Lage war, zusammen mit G20 und dann im inclusive framework wirklich mehr als hundert Staaten auf eine Linie zu bringen. Und wenn diese Tendenz sich verstärken sollte, dann wären wir auf einem guten Weg der Stabilisierung von Steuereinnahmen, und dann würde man auch Aufteilungsmechanismen finden, mit denen man klarkommt. Aber wir haben eben seit zwei, drei Jahren auch eine Tendenz zur Unilateralität, die uns selbst die europäischen Maßnahmen zerschlagen kann. Und ich möchte keine Wette abgeben, welche dieser beiden Tendenzen sich durchsetzt. Aber davon wird abhängen, was gewissermaßen mit dem Rest passiert. Prof. Dr. Lüdicke Vielen Dank für diese Ausführungen. Ich glaube, das war ein gutes Schlusswort für diese Diskussion.

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Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht? Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Ludwig-Maximilians-Universität, München

A. Einleitende Überlegungen zum Missbrauchsbegriff im Steuerrecht. . . . . . . . . . . . . . . 122 B. Internationale Ebene bilateraler und multilateraler Missbrauchsabwehr. . . . . . . . I. Das BEPS-Projekt von OECD/G20 als Gegenwind gegen internationale „aggressive“ Steuergestaltung. . . . . . II. Missbrauchsabwehr nach dem Multilateralen Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das MLI mit speziellen Missbrauchsfeldern. . . . . . 2. Allgemeine Missbrauchsregelung (Art. 7 MLI). . . . . 3. Umsetzung des MLI in Deutschland . . . . . . . . . . . III. Sonstige Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr im Recht der DBA . . . . . . . . . . . . C. Unionale Ebene der Missbrauchsabwehr. . . . . . . . . . . . I. Plurale Missbrauchsbekämpfungsansätze der Rechtsprechung und im europäischen Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . 1. Unionsrechtliches Rechtsmissbrauchsverbot bei den indirekten Steuern . . . . . . 2. Cadbury-SchweppesMissbrauchsrechtsprechung bei den direkten Steuern. . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Konvergenzanzeichen für einen einheitlichen, unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff? . . . . . . . . . II. Die allgemeine Missbrauchsvorschrift (Art. 6 EU-Richtlinie ATAD I) für das Körperschaftsteuerrecht . . . . . . . . . 1. Nationale Umsetzung: Rechtsvergleich Deutschland (§ 42 AO) vs. Österreich (§ 22 BAO n.F.). . . . . 2. Quis iudicabit? – Rechtsprechungshoheit des EuGH bei der Missbrauchsabwehr im Ertragsteuerrecht? . . . . . . D. Nationale Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr im Steuerrecht . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Missbrauchsabwehr? . . . II. Neue Maßstäbe der Rechtsprechung zu § 42 AO i.d.F. des JStG 2008?. . . . . . . . . . . . III. Der ungebrochene Trend zu speziellen Missbrauchsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konkurrenzfragen bei den Missbrauchsvorschriften im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . 1. Legislatives Ziel multipler Missbrauchsbekämpfung nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO . . . . . . . . . . . . .

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Drüen – Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internat. Steuerrecht? 2. Antwort der Rechtsprechung: Sperrender Vorrang spezieller Missbrauchsvorschriften gegenüber § 42 AO . . . . . . . . 147

3. Aber: Möglichkeit der missbräuchlichen Vermeidung der speziellen Missbrauchsvorschrift . . . 148 E. Fazit zu den verschiedenen Missbrauchsbegriffen im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . 148

A. Einleitende Überlegungen zum Missbrauchsbegriff im Steuerrecht Auf dieser traditionsreichen Nikolaustagung hat die Auseinandersetzung mit Missbrauchsvorschriften eine lange Tradition: So hat Johanna Hey bereits im Jahre 2008 „Nationale Missbrauchsvorschriften im Spannungsfeld von DBA- und EU-Recht“1 beleuchtet und acht Jahre später war die „Neuausrichtung der Missbrauchsbekämpfung“2 bereits Thema. Folglich ist in Hamburg bereits viel zum Missbrauch im deutschen (Internationalen) Steuerrecht vorgedacht und vorgetragen worden. Warum sollte sich eine neuerliche Auseinandersetzung mit dem Missbrauch auf dem Feld des Steuerrechts lohnen? Dafür spricht zunächst die Aktualität des Themas. Die verstärkte Einführung von Missbrauchsvermeidungsvorschriften gilt im BMF „als geeignetes Instrument zur Wiederherstellung des Vertrauens der Gemeinschaft der Steuerzahler in ein gerechtes und zuverlässiges Steuersystem“3. Die mir vorgegebene Frage „Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht?“ greift dabei aktuelle Entwicklungen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene auf. Angesichts der verschiedenen Regelungsebenen und der durchaus unterschiedlichen Entwicklungslinien möchte ich bereits eingangs Zweifel an der Singularität des Missbrauchsbegriffs anbringen. Denn gerade die jüngeren Entwicklungen belegen die Pluralität der Missbrauchsabwehr im Steuerrecht. Wilhelm Haarmann sprach bei der Bayerischen IFA in 1 Hey, Nationale Missbrauchsvorschriften im Spannungsfeld von DBA- und EURecht, in Lüdicke (Hrsg.), Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht?, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 35, 2009, S. 137. 2 van Weeghel, Neuausrichtung der Missbrauchsbekämpfung, in Lüdicke (Hrsg.), BEPS-Herausforderungen für die Unternehmen, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 44, 2015, S. 23. 3 Kiesewetter, IStR 2018, 629 (631).

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diesem Jahr darum von einer „Missbrauchsverwirrung“4. Der inzwischen in der Zeitschrift IStR veröffentlichte Beitrag widmet sich den verschiedenen Missbrauchsvorschriften im Steuerrecht und ihrem Verhältnis zueinander. Haarmann kommt zu dem Schluss, dass „viele Themen im Zusammenhang mit dem Missbrauch noch ungeklärt sind. Die Verwirrung ist groß“5. Darum liegt angesichts einer Vielzahl von Missbrauchsregelungen bereits im Titel der Auftrag, das Phänomen des Missbrauchs zu entwirren und das Themenfeld zu ordnen. Dabei bedarf es zunächst einleitender Überlegungen zum Missbrauchsbegriff. Die Ausgangsfrage lautet, ob sich Missbrauch abstrakt definieren lässt oder ob sich Missbrauch nur nach Maßgabe der jeweils einschlägigen Missbrauchsvorschriften bestimmen lässt. Jens Schönfeld geht von einem abstrakten Missbrauchsbegriff aus: „Außerhalb des Steuerrechts wird mit Missbrauch im Allgemeinen ein funktionswidriger, Treu und Glauben widersprechender Gebrauch einer Sache oder eines Rechts beschrieben.“6

Dann geht er in spezieller Zuschneidung auf den steuerlichen Missbrauch unter Paraphrasierung von § 42 AO ein und behandelt vor diesem begrifflichen Hintergrund die Missbrauchsbekämpfungsvorschriften.7 Dagegen lässt sich – so meine These – Missbrauch nicht abstrakt und losgelöst vom positiven Recht begreifen. Der Missbrauchsbegriff ist immer abhängig von den einzelnen nationalen, europäischen oder internationalen Vorschriften, die missbräuchliche Gestaltungen verhindern sollen.8 De jure gibt es keinen überpositiven oder vorpositiven Missbrauchsbegriff, sondern nur verschiedene rechtskreisspezifische Instrumentarien zur Missbrauchsabwehr.9 Dazu zählen allgemeine und spezi-

4 Haarmann, IStR 2018, 561. 5 Haarmann, IStR 2018, 561 (574). 6 Schönfeld, Nationale Regelungen zur Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen – Nationale und internationale Entwicklungen, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 41, 2012, S. 137 f. unter Hinweis auf Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band IV (K-OZ), 1982, S. 688. 7 Schönfeld in Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 41, 2012, S. 137 (138). 8 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 9, 15, 17 f. (Stand: Juli 2016); Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 64 (Stand: März 2008); Ratschow in Klein14, § 42 AO Rz. 49. 9 Oellerich in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerecht2, Rz. 8.202.

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elle Missbrauchsverhinderungsvorschriften.10 Dabei kann der jeweilige Rechtssetzer den Missbrauchsbegriff natürlich unterschiedlich fassen. Im Rahmen des höherrangigen Rechts besteht eine freie Definitionsbefugnis des Gesetzgebers. Denn Begriffe sind nicht vorgefunden, sondern werden geprägt. Sie sind eine Schöpfung des Geistes und haben spezielle Zwecke und bestimmte Funktionen. Insoweit ist vorab fragen, was mit Hilfe des Begriffs erreichen werden soll. So lässt sich ein weiter Missbrauchsbegriff zugrunde legen, der die Funktion der vorgelagerten Sichtung von positiven und negativen Kandidaten eines Missbrauchs hat. Dieser rein vorbereitende Missbrauchsbegriff ist noch kein Begriff, der konkrete Rechtsfolgen trägt, sondern ein vorgeschalteter Begriff, der erst den Auftakt zur Subsumtion unter eine allgemeine oder spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift markiert. Innerhalb dieses weiten potentiellen Missbrauchsfelds ist keineswegs alles ein Missbrauch im Rechtssinne. Rechtsbegriffe sind Zweckschöpfungen.11 Als Tatbestandsmerkmale legen Rechtsbegriffe durch eine konditionale Verknüpfung fest, ob eine Rechtsfolge eintreten soll oder nicht.12 In diesem Sinne ist der rechtliche Missbrauchsbegriff eng zu verstehen als das positive Ergebnis der Anwendung einer Missbrauchsvermeidungsvorschrift. Um Missverständnisse beim Missbrauchsbegriff bereits eingangs auszuräumen, ist der Blick von den Folgen der begrifflichen Einordnung auf seine Voraussetzungen zurück zu lenken: Das Präfix „miss“ drückt einen Mangel, Fehler oder das Gegenteil von einem Gebrauch aus.13 Das Wort taucht etymologisch erstmals im spätmittelhochdeutschen 16. Jahrhundert als „Missebrüch“ für eine „Handlung gegen den guten Brauch“ auf.14 Daran anknüpfend ließe sich fragen, ob es ein guter Gebrauch ist, möglichst viel Steuern zu zahlen. Das wäre allerdings ein Missverständnis des steuerrechtlichen Missbrauchsbegriffs. Denn es gilt, sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Rechtsordnun-

10 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 10 ff. (Stand: Juli 2016). 11 Klassisch v. Ihering, Der Zweck im Recht, Band I, 1877, 432: „Das ganze Recht ist nichts als eine einzige Zweckschöpfung.“ 12 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 250 ff.; Drüen in Tipke/ Kruse, § 4 AO Rz. 10 (Stand: Oktober 2011). 13 Siehe https://www.duden.de/rechtschreibung/miss_ (zuletzt abgerufen: 9.3.2019). 14 Köbler, Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995, S. 270.

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gen, der Grundsatz der Gestaltungsfreiheit.15 Im Ausgangspunkt darf unter dem Grundgesetz das Individuum sich so einrichten, dass es möglichst wenig Steuern zahlt. Diese Aussage bestätigt sowohl der Bundesfinanzhof (BFH)16 als auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)17. Auch auf internationaler Ebene ist der Grundsatz von vielen anderen Gerichten in dieser oder anderer Form bekräftigt worden.18 Im Steuerrecht als Eingriffsrecht19 bedarf die Verkürzung der Gestaltungsfreiheit20 zur Abwehr von Missbräuchen einer gesetzlichen Grundlage. Mit dieser Sensibilisierung für den Missbrauchsbegriff (oder besser: verschiedene Missbrauchsbegriffe) und die daraus abzuleitenden Folgerungen gilt es, sich nunmehr den internationalen (Abschn. B.), den europäischen (Abschn. C.) und schließlich den nationalen Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr im Steuerrecht (Abschn. D.) zuzuwenden, um auf dieser Basis abschließend die gestellte Frage nach einem neuen Missbrauchsbegriff zu beantworten (Abschn. E.).

B. Internationale Ebene bilateraler und multilateraler Missbrauchsabwehr I. Das BEPS-Projekt von OECD/G20 als Gegenwind gegen internationale „aggressive“ Steuergestaltung Auslöser der „Neuausrichtung der Missbrauchsbekämpfung“21 ist zweifellos die jüngst äußerst dynamische internationale Ebene bilateraler und multilateraler Missbrauchsabwehr. Das BEPS-Projekt von OECD und G20 mit seinen verschiedenen Zielen und Aktionspunkten22 enthält verschiedenartige Maßnahmen gegen grenzüberschreitende Steueroptimie15 Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 3 (Stand: Oktober 2010) m.w.N.; Drüen, StuW 2008, 156. 16 BFH v. 29.11.1982 – GrS 1/81, BStBl. II 1983, 272 unter C.III. der Gründe. 17 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237 (249 f.); weitere Nachweise bei Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 3 (Stand: Oktober 2010). 18 Prokisch in Vogel/Lehner6, Art. 1 OECD-MA Rz. 89 m.w.N. 19 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 1 Rz. 27; P. Kirchhof, Die Steuern, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V3, § 118 Rz. 65. 20 Zur unternehmerischen Handlungsfreiheit Kraft, IStR 2018, 614 (616 f.) m.w.N. 21 van Weeghel in Lüdicke (Hrsg.), Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 44, 2015, S. 23. 22 Dazu sub specie der Missbrauchsabwehr zuletzt Kraft, IStR 2018, 614 (617); Kiesewetter, IStR 2018, 629.

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rung und aggressive Steuergestaltung. Dabei sind auch diese Begriffe schillernd und es bleibt sicherlich gewollt im Ungefähren, was aggressive Steuergestaltung juristisch ausmacht.23 Es lohnt eine nähere Betrachtung des Multilateralen Instruments als neue Regelungsebene für das Internationale Steuerrecht und speziell für die Missbrauchsabwehr.

II. Missbrauchsabwehr nach dem Multilateralen Instrument 1. Das MLI mit speziellen Missbrauchsfeldern Das sog. Multilaterale Instrument (MLI)24 ist ein mehrseitiger (= multilateraler) völkerrechtlicher Vertrag, der auf die Modifikation bestehender DBA abzielt und der Empfehlungen und Mindeststandards zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und doppelter Nichtbesteuerung enthält.25 Es sollte mit diesem Instrument eine flexible Rahmenordnung zur Anpassung bestehender DBA geschaffen werden.26 Zur Umsetzung der Mindeststandards haben sich alle teilnehmenden Staaten völkerrechtlich verpflichtet. Das MLI ist auf das BEPS-Maßnahmenpaket (Aktionspunkt 15) gestützt und tangiert in Deutschland rund 30 Abkommen.27 Das MLI führt nicht zu einer automatischen „Änderung“ der optierten Vorschriften eines notifizierten DBA.28 Faktisch hat das MLI Anstoßfunktion für und innerhalb bilateraler Revisionsverhandlungen von DBA. Inhaltlich tangiert das MLI ganz verschiedene und heterogene im BEPSProzess von OECD/G20 adressierte Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung.29 Dazu zählen Bestimmungen über hybride Gestaltungen (Art. 3–5 MLI) wie zur Nutzung hybrider transparenter Gesellschaften,30 zur Bekämpfung des Abkommensmissbrauchs (Art. 6–11 MLI),31 zur Bekämpfung der Betriebsstättenvermeidung (Art. 12–15 MLI) durch Erweiterungen des Betriebsstät23 Hey, StuW 2017, 248. Vertiefend Rödder, Steuergestaltung aus der Sicht der Beratungspraxis, DStJG 33 (2010), S. 93 ff.; Blumers, BB 2013, 2785. 24 Eingehend Haase, Multilaterales Instrument, 2018. 25 Dazu und zum Folgenden Drüen in Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 178 ff. (Stand: März 2018). 26 Reimer, IStR 2015, 1 (8). 27 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 1 Rz. 92; Schön, IStR 2017, 681. 28 Näher Schön, IStR 2017, 681 (682). 29 Vgl. Liste in Art. 28 MLI. 30 Dazu Grotherr, ISR 2017, 179; Grotherr, ISR 2017, 221. 31 Dazu Grotherr, DStZ 2017, 518.

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tenbegriffs.32 Das MLI sieht neben zwingend zu übernehmenden Mindeststandards eine Vielzahl optionaler Bestimmungen vor. Verpflichtend für die Unterzeichner sind die Ziele, die doppelte Nichtbesteuerung zu verhindern (Art. 6 MLI), eine allgemeine Missbrauchsvorschrift (s. Abschn. B.II.2.) sowie bestimmte Verbesserungen des Verständigungsverfahrens (Art. 16 MLI) zu erreichen.

2. Allgemeine Missbrauchsregelung (Art. 7 MLI) Das MLI enthält eine allgemeine Missbrauchsklausel als Mindeststandard (Art. 7 MLI).33 Es sieht gegen das Phänomen des treaty shopping (BEPS-Aktionspunkt 6: Verhinderung von Abkommensmissbrauch) einen Principal Purpose Test34 und/oder eine Limitation-on-BenefitsKlausel (LoB-Klausel) vor.35 Letztere stammt aus dem amerikanischen Abkommensrecht36 und gilt nunmehr auch als optionaler allgemeiner Standard für das multilaterale Abkommen.37 Die LoB-Klausel entspricht nicht der deutschen Abkommenspolitik und wird nur auf Drängen des anderen Vertragsstaats vereinbart.38 Demgegenüber wird der Principal Purpose Test als allgemeine Missbrauchsregelung wohl Eingang in die meisten oder sogar sämtliche deutsche DBA finden.39 Darum soll der Fokus im Folgenden allein auf ihn gerichtet werden. Das Instrument des Principal Purpose Test ist nicht neu und bereits in diversen Rechtsordnungen verankert.40 Auch das deutsche Steuerrecht kennt eine Ausgestaltung des Principal Purpose Test in § 50d Abs. 3 EStG (dazu Abschn. C.I.3.). Die tatbestandliche Offenheit des Principal Purpose Test ruft Anwendungsunsicherheiten in der Praxis hervor.41 Jürgen Lüdicke hat sich in 32 33 34 35 36 37 38

Dazu Grotherr, Ubg 2017, 125; Grotherr, Ubg 2017, 188. Dazu Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804. Art. 7 Abs. 1 MLI; dazu Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804 (806 f.). Art. 7 Abs. 8–13 MLI; dazu Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804 (807 f.). Art. 22 US-MA. Zu Grundlagen und Einzelheiten Braun, Ubg 2018, 83. Jü. Lüdicke, Missbrauch und grenzüberschreitende Sachverhalte, in Drüen/ Hey/Mellinghoff, Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1073) unter Hinweis auf die DBA mit den USA (1989) und Japan (2015). 39 Ebenso Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1073). 40 Prokisch in Vogel/Lehner6, Art. 1 OECD-MA Rz. 90a ff., 121 ff. 41 Schnitger, IStR 2018, 169 (173) m.w.N.

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der Festschrift für den BFH eingehend und gewohnt kritisch mit der grenzüberschreitenden Missbrauchsabwehr beschäftigt.42 Er bemängelt, dass Art. 7 MLI allein nach seinem Text nur schwer zu durchschauen ist und die OECD durch 13 Beispiele mit illustrativem Charakter versucht, Inhalt und Wirkungsweise des Principal Purpose Test näher zu umreißen.43 Dabei stellen sich bei der Anwendung des Principal Purpose Test vergleichbare Fragen wie im nationalen Recht.44 Die zentrale Frage ist, wann ein steuerlicher Vorteil der Hauptzweck einer Gestaltung oder einer Transaktion ist. Der Principal Purpose Test hat zwei Prüfungsebenen: eine Grundregel und Rückausnahmen, die zusammen die Prüfung ermöglichen sollen, wann eine Abkommensvergünstigung in Anspruch genommen wird, obwohl sie eigentlich unberechtigt ist.45 Ob der Principal Purpose Test zugleich eine Beweislastverteilung enthält,46 wie sie im nationalen Recht durch das Nachweisverfahren des § 42 Abs. 2 AO47 vorgesehen ist, ist noch nicht geklärt.48

3. Umsetzung des MLI in Deutschland Hinsichtlich der Rechtsqualität des MLI und seiner Rechtsverbindlichkeit ist das Multilaterale Abkommen wie normale DBA ein völkerrechtlicher Vertrag.49 Für innerstaatliche Wirksamkeit bedarf es nach Art. 59 Abs. 2 GG eines Zustimmungsgesetzes.50 Dann geht es um die weitere Umsetzung der einzelnen Regelungen. Der Blick in die deutsche Umsetzungspraxis zeigt, dass sich das MLI bislang nicht als grundstürzende Rechtsinnovation im Recht der DBA bewiesen hat. Die Anwendungsfälle sind zahlenmäßig mit rund 30 Ab42 Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053. 43 Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1072 ff.). 44 Zur allgemeine Missbrauchsregelung im deutschen Steuerrecht Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 34 (Stand: Juli 2016) m.w.N. 45 Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804 (807). 46 Dafür Fischer/Pitzer, IStR 2017, 804 (807). 47 Dazu Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 27 ff. (Stand: Juli 2016). 48 Ablehnend Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1074) mit dem Hinweis auf eine keinem Beweis zugängliche Rechtsfrage. 49 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 1 Rz. 92. 50 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 1 Rz. 92. Die Ratifikation des MLI ist – Stand Oktober 2019 – noch nicht erfolgt.

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kommen gering. Das neue Instrument wirkt in der Abkommenspraxis nicht revolutionär und prozedural ist die von manchen erhoffte „automatische Änderung“ von DBA damit auch nicht verbunden. Vielmehr ist es ein Anstoß zu einer bilateralen Revision des einzelnen Abkommens. Das wird in der deutschen DBA-Praxis auch genutzt und verkürzt den Umsetzungsvorgang. Auf diesem Weg über das MLI und als neuer Standard für künftige Abkommensverhandlungen wird der in Art. 29 Abs. 9 OECD-MA 2017 aufgenommene Principal Purpose Test zukünftig über die bisherige vereinzelte Aufnahme weitergehend Eingang in deutsche DBA finden.51

III. Sonstige Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr im Recht der DBA Mit Blick auf die neuen Entwicklungen auf Abkommensebene bei der Missbrauchsabwehr ist festzustellen, dass die Rechtsprechung des BFH die allgemeine nationale Missbrauchsabwehrvorschrift des § 42 AO auch im Bereich der DBA anwendet.52 DBA stehen in Gestalt des erforderlichen Zustimmungsgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG) im Rang eines gewöhnlichen Bundesgesetzes53 und sind dadurch nicht der Anwendung der allgemeinen Missbrauchsklausel entzogen.54 Ist die allgemeine Klausel zur Missbrauchsabwehr auf DBA anwendbar, so stellt sich das weitere Problem, wie sie im Verhältnis zu speziellen Missbrauchsklauseln steht.55 Diese Frage stellt sich im Internationalen, im nationalen und im europäischen Steuerrecht. Dabei beruft sich der BFH – in Einschränkung seiner ursprünglichen Rechtsprechung – auf den abschließenden Charakter ei-

51 Ebenso Schnitger, IStR 2018, 169 (172) m.w.N. zur bisherigen deutschen DBAPraxis. 52 BFH v. 1.7.1992 – I R 6/92, BStBl. II 1993, 222; BFH v. 6.12.1995 – I R 40/95, BStBl. II 1997, 118; Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1070) m.w.N. zur „ständigen Rechtsprechung“. 53 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (363); Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 5 (Stand: April 2017); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 3.23. 54 Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.133; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 2 AO Rz. 3 (Stand: November 2017). 55 Dazu Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 102 (Stand: Januar 2010); Schwarz in Schwarz/Pahlke, § 42 AO Rz. 162 (Stand: Februar 2010) m.w.N.; Ferrara, ISR 2014, 296 ff. m.w.N.

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ner speziellen DBA-Regelung im Verhältnis zu § 42 AO.56 Dies entspricht der Rechtsprechung und herrschenden Rechtslehre zum nationalen Recht.57 Der deutsche Gesetzgeber hat die Einverhandlung von allgemeinen Missbrauchsabwehrregeln zur Grundlage der deutschen Verhandlungspolitik gemacht.58 Das belegt die deutsche Verhandlungsgrundlage, die den Vertragsstaaten insbesondere die Anwendung ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung ausdrücklich ermöglicht.59 Daneben ist in neueren Abkommen, wie z.B. Art. 23 des DBA-Australien, auch eine spezielle Missbrauchsregel enthalten.

C. Unionale Ebene der Missbrauchsabwehr I. Plurale Missbrauchsbekämpfungsansätze der Rechtsprechung und im europäischen Sekundärrecht Missbrauchsvorschriften im europäischen Steuerrecht genießen erst in jüngerer Zeit die Aufmerksamkeit von Steuerpraxis und -wissenschaft.60 Auf der unionalen Ebene der Missbrauchsabwehr bestätigt sich bereits im Ausgangspunkt die begriffliche Unterscheidung zwischen verschiedenen Missbrauchsbegriffen. Es gibt nicht einen Missbrauchsbegriff, sondern im europäischen Primär- und Sekundärrecht und durch die Rechtsprechung forcierte plurale Missbrauchsansätze. Die Ausgangsthese lautet, dass es bereits verschiedene Missbrauchsbegriffe bei direkten und indirekten Steuern gibt.61

56 BFH v. 19.12.2007 – I R 21/07, BStBl. II 2008, 619; ebenso Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1070). 57 Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 102 (Stand: Januar 2010); Vor § 42 AO Rz. 42 (Stand: Juli 2017). 58 Kraft, IStR 2018, 614 (622) unter Hinweis auf Brunsbach/Endres/Lüdicke/ Schnitger, Deutsche Abkommenspolitik – Trends und Entwicklungen 2012/ 2013, IFSt-Schriftenreihe Nr. 492, 2013. 59 Art. 28 Abs. 1 Nr. 1 DE-VG. 60 Frühzeitig Thömmes, Auslegung und Anwendung von Missbrauchsvorschriften im EG-Steuerrecht, in: Haarmann (Hrsg.), Grenzen der Gestaltung im Internationalen Steuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 4, 1994, S. 27. 61 Kritisch zur differenzierenden Rechtsprechung Kokott, Europäisches Steuerrecht, 2018, § 2 Rz. 113 ff., die selbst einen einheitlichen Maßstab bei der

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1. Unionsrechtliches Rechtsmissbrauchsverbot bei den indirekten Steuern Beginnend mit den indirekten Steuern ist insoweit der intensivere Stand der europäischen Integration bei der Umsatzsteuer im Mehrwertsteuersystem lehrreich für die Entwicklung bei den direkten Steuern. Bei der Mehrwertsteuer hat der Europäische Gerichtshof in jüngerer Zeit in der Rechtssache Italmoda,62 bestätigt in einer Folgeentscheidung aus dem November 2017,63 auf einen unionsrechtlichen Grundsatz des Rechtsmissbrauchsverbots rekurriert. Selbst in nationalen Rechtsordnungen, die keine Vorschrift gegen Missbrauch vorsehen, erfordert das Unionsrecht danach eine wirksame Missbrauchsabwehr. Dieser unionsrechtliche Grundsatz hat aus Sicht des EuGH allgemeinen Charakter und zu seiner Durchsetzung bedarf es keiner speziellen Regelung im nationalen Recht. Aus deutscher Sicht ist es eine eher erstaunliche Aussage, dass aus nicht kodifizierten, allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die der EuGH selber geschaffen hat, unter Missachtung des Gesetzmäßigkeitsprinzips gesetzlich vorgesehene Rechtspositionen des Betroffenen versagt werden können. Aus der Teleologie und aus der eigenen finanziellen Abhängigkeit des europäischen Haushalts von der Umsatzsteuer64 ist erklärlich, dass der EuGH das Primärrecht so versteht, dass es nur geltend gemacht werden kann, ohne das System der Mehrwertsteuer zu gefährden. Der Vorsteuerabzug ist die Achillesferse dieses Systems,65 so dass bei fehlenden Schutzregelungen allgemeine Rechtsgrundsätze zum Schutze der Ressourcen der Union aktiviert werden.66 Das nationale Recht muss auch bei der Missbrauchsabwehr im Einklang mit dem Unionsrecht ste-

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Missbrauchsbekämpfung im Bereich der direkten und der indirekten Steuern für geboten hält (ebd., Rz. 116 ff.). EuGH v. 18.12.2014 – verb. Rs. C-131/13, C-163/13 u. C-164/13, ECLI:EU:C: 2014:2455 – Italmoda et al. EuGH v. 22.11.2017 – C-251/16, ECLI:EU:C:2017:881 – Cussens u.a. Erwägungsgrund 8 der RL 2006/112/EG v. 28.11.2006, ABl. EU Nr. L 347, 1, ber. ABl. EU 2007 Nr. L 35, 60, wonach die Mittel zur Finanzierung des Haushalts der EU u.a. Einnahmen aus der Mehrwertsteuer umfassen, die sich aus der Anwendung eines gemeinsamen Satzes auf die harmonisierte MwSt-Bemessungsgrundlage ergeben. P. Kirchhof, DStR 2008, 1 (2). Kritisch zur Rechtfertigung mit dem finanziellen Eigeninteresse Kokott, Europäisches Steuerrecht, 2018, § 2 Rz. 117.

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hen. Dieser Rechtsprechungslinie67 folgend hat Deutschland auch ohne gesetzliche Grundlage die Vorsteuerversagung in Betrugsfällen68 und in Hinterziehungsfällen69 übernommen. Ohne diese Umsetzung stellte sich nach der Rechtsprechung des EuGH die Frage, ob solche Fälle mit § 42 AO bekämpft werden müssten. Der Blick auf die indirekten Steuern lehrt, dass selbst im zumindest teilharmonisierten Mehrwertsteuerrecht explizite und zugeschnittene Regelungen zur Missbrauchsabwehr fehlen können und der EuGH die Lücke unter Hinweis auf allgemeine Rechtsgrundsätze durch ein Rechtsmissbrauchsverbot schließt.70

2. Cadbury-Schweppes-Missbrauchsrechtsprechung bei den direkten Steuern Im Bereich der direkten Steuern existieren als Sekundärrecht nur punktuelle Rechtsangleichungen im europäischen Binnenmarkt, die wie die Mutter-Tochter-Richtlinie71 und die Fusionsrichtlinie72 spezielle Missbrauchsregeln für ihren Bereich vorsehen, die zum Teil unterschiedlich gefasst sind. Natürlich muss das nationale Recht im Einklang mit diesen sekundärrechtlichen Vorgaben ausgelegt werden.73 Die Missbrauchsrechtsprechung auf europäischer Ebene wurde beflügelt durch die Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung,74 die gerade in Beraterkreisen auch als Cadbury-Schweppes-Test vielfach bemüht wird,75 indem Missbrauch häufig mit rein künstlichen Gestaltungen gleichgesetzt wird.76 Verhindert werden dadurch Gestaltungen wie die Nutzung 67 EuGH v. 21.6.2012 – verb. Rs. C-80/11 u. C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373 – Mahagében und Dávid; EuGH v. 3.5.2005 – C-32/03, ECLI:EU:C:2005:128 – Fini H. 68 Bspw. BFH v. 12.9.2014 – VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161 zum Umsatzsteuerkarusselbetrug. 69 Heidner in Bunjes17, § 15 UStG Rz. 184 ff. m.w.N. 70 EuGH v. 21.2.2006 – C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121 – Halifax u.a.; EuGH v. 22.11.2017 – C-251/16, ECLI:EU:C:2017:881 – Cussens u.a. 71 Richtlinie 90/435/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 6–9. 72 Richtlinie 90/434/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 1–5. 73 Zuletzt Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053 (1071 f.) m.w.N. 74 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes. 75 Z.B. Rödder/Schönfeld, IStR 2006, 49; Köhler/Tippelhofer, IStR 2007, 681; Schönfeld, IStR 2012, 215; Schönfeld, IStR 2019, 397. 76 Haarmann, IStR 2018, 561 (573) m.w.N., wonach als „Missbrauch, der eine Rechtfertigung der Einschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellte, nur die ‚künstliche Gestaltung‘ angesehen [wurde]“.

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des Binnenmarkts durch Niederlassungen oder Tätigkeiten in anderen Staaten, ohne dass eine hinreichende Substanz im anderen Staat Grundlage der Wirtschaftstätigkeit ist. Die unmittelbaren Folgen von Cadbury-Schweppes sind im deutschen Außensteuerrecht durch das Nachweisverfahren des § 8 Abs. 2 AStG verarbeitet.77 Die Frage ist indes, ob die Cadbury-Schweppes-Formel der „rein künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Gestaltung“ der richtige und alleinige Maßstab für den europäischen Missbrauchsbegriff ist. Die Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung zielt auf die Einschränkung der grundrechtlichen Freiheiten ab, sich in Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit grenzüberschreitend im Binnenmarkt zu bewegen. Die Cadbury-Schweppes-Formel ist aus meiner Sicht der richtige Ansatzpunkt für die Frage, ob jemand die Grundfreiheiten missbraucht. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass Missbrauch im europäischen Recht der direkten Steuern nur darauf zu verkürzen ist.78

3. Konvergenzanzeichen für einen einheitlichen, unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff? Gegen die Verengung auf die Abwehr rein künstlicher Gestaltung spricht auch die aktuelle Diskussion, ob sich bei den direkten Steuern nicht ein einheitlicher unionsrechtlicher Missbrauchsbegriff abzeichnet.79 Anlass sind nationale Regelungen über treaty shopping oder directive shopping. Im deutschen Recht soll § 50d Abs. 3 EStG Gestaltungen begegnen, bei denen durch die Zwischenschaltung von substanzschwachen Gesellschaften eine Entlastung der Quellensteuer erreicht werden soll, obwohl dem eigentlichen Empfänger nicht der Vorteil eines DBA (sog. treaty shopping) oder der europäischen Mutter-Tochter-Richtlinie (sog. directive shopping) zusteht. Die „unendliche Geschichte des § 50d Abs. 3 EStG“, so ein jüngster zusammenfassender Aufsatz,80 hat mehrere Kapitel mit verschiedenen Fassungen des § 50d Abs. 3 EStG und der Frage, ob und inwieweit besondere Anforderungen an den Quellensteuerabzug den neueren Entscheidungen des EuGH genügen. In den verbundenen 77 Schnitger, IStR 2007, 729 (731 ff.). 78 Nur darauf abhebend aber Haarmann, IStR 2018, 561 (573). 79 Hey, StuW 2017, 248 (258) im Hinblick auf den allgemeinen Missbrauchstatbestand in Art. 6 ATAD; Lampert, Global Taxes, TLE-031-2018; zuletzt für einen einheitlichen Maßstab Kokott, Europäisches Steuerrecht, 2018, § 2 Rz. 116 ff. 80 Graf, BB 2018, 2391.

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Rechtssachen Deister Holding und Juhler Holding81 und aktuell in der Rechtssache GS82 hat der EuGH sowohl die alte Fassung des § 50d Abs. 3 EStG 2007 als auch die revidierte Fassung aus dem Jahre 2012 als Verstoß gegen das europäische Sekundärrecht (die Mutter-Tochter-Richtlinie) und gegen das europäische Primärrecht angesehen, weil die Missbrauchsabwehr überschießend und unwiderleglich ist. Insoweit zeigt sich – was durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht überraschend ist –, dass eine nationale Missbrauchsregelung im Einklang mit dem europäischen Primär- und Sekundärrecht stehen muss. Daran gemessen konnte die deutsche überschießende Regelung nicht bestehen. Im Anschluss an Fälle zu parallelen Regelungen in anderen Staaten, insbesondere in Dänemark, stellt sich die Frage nach einem einheitlichen Missbrauchsbegriff und Konvergenzanzeichen bei der Rechtsprechung.83 Für eine begriffliche Annäherung hatte die Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen zu den dänischen Fällen plädiert.84 Missbrauchsabwehr im europäischen Unionsrecht ist nicht nur auf die rein künstlichen Fälle zu begrenzen, die jeder wirtschaftlichen Realität entbehren, sondern muss zudem nach dem Zweck der Gestaltung und der Erzielung von Steuervorteilen fragen. Da das keine Gegensätze bzw. unterschiedliche Ansätze sind, hatte sie für eine Kombination plädiert, wonach rein künstliche Gestaltungen nur ein Indiz für einen Missbrauch darstellen, aber eine am Maßstab der einzelnen Regelung zu treffende Individualprüfung des Missbrauchs nicht erübrigen. Ob der Missbrauchsbegriff der europäischen Rechtsprechung zukünftig beide Aspekte „integriert“, so dass rein künstliche Gestaltungen nur eine Vorstufe mit Indizwirkung darstellen, ist noch nicht abzusehen. Meiner Meinung nach ist zu unterscheiden, und auch im Binnenbereich der direkten Steuern gibt es nicht den unionsrechtlichen Missbrauchs-

81 EuGH v. 20.12.2017 – verb. Rs. C-504/16 u. C-613/16, ECLI:EU:C:2017:1009 – Deister Holding und Juhler Holding. 82 EuGH v. 14.6.2018 – C-440/17, ECLI:EU:C:2018:437 – GS. 83 So unter dem Titel „Auf dem Weg zu einem einheitlichen unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff?“ Lampert, Global Taxes, TLE-031-2018 sowie Lampert, ISR 2018, 207 (210) unter Hinweis auf EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 1.3.2018 – C-116/16 u. C-117/16 sowie C-115/16, C-118/16, C-119/16 und C-299/16, ECLI:EU:C:2018:143–148 – T Danmark, Y Denmark, N Luxemburg 1, X Danemark und Z Denmark. 84 Z.B. EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 1.3.2018 – C-117/16, ECLI:EU:C:2018:145 Rz. 47 ff. – Y Denmark.

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begriff:85 Wenn es um den Missbrauch von Primärrecht geht, ist die relevante Missbrauchsschwelle durchaus hoch anzusetzen, wie sie der EuGH bei rein künstlichen Konstruktionen mit der Cadbury-Schweppes-Rechtsprechung auch anlegt.86 Grundsätzlich wird die Freiheit im Binnenmarkt geschützt, es sei denn, es wird nur vorgeschoben, dass eine Grund- oder Marktfreiheit ausgeübt wird. Die Fälle, die bar jeder wirtschaftlichen Substanz sind, erscheinen nur als suggerierte Formen der Ausübung von Marktfreiheiten in anderen Staaten, hinter denen keine schützenswerte Marktteilnahme steht. Darum sind die Grundfreiheiten von ihrem integrationspolitischen Sinn her nicht anwendbar.87 Diese hohe Missbrauchsschwelle gilt nicht gleichermaßen für das schlichte „Ergehen“ von Steuervorteilen und das „Umgehen“ von Steuerlasten. Sofern europäische oder nationale Vorschriften „einfachrechtlich“ Rechtsmissbrauch von steuerlichen Vorschriften identifizieren, sind nicht die Schwelle einer rein künstlichen Gestaltung, sondern die spezielle Missbrauchsvorschrift und ihr Zweck entscheidend. Insoweit stehen verschiedene Missbrauchsbegriffe und unterschiedliche Funktionen und Schutzzwecke nebeneinander. Trotz möglicher Konvergenzanzeichen in der Rechtsprechung darf die verschiedene Funktion der einzelnen Missbrauchsnormen nicht überspielt werden, so dass auch unionsrechtlich Differenzierungen geboten bleiben.

II. Die allgemeine Missbrauchsvorschrift (Art. 6 EU-Richtlinie ATAD I) für das Körperschaftsteuerrecht Die EU-Richtlinie ATAD I88 enthält neben speziellen Regelungen zur Bekämpfung missbilligter grenzüberschreitender Gestaltungen, insbesondere hybrider Gestaltungen, Finanzierungsgestaltungen (Zinsschranke) und der Einkünfteverlagerung (Hinzurechnungsbesteuerung) eine allgemeine Missbrauchsvorschrift für das Körperschaftsteuerrecht.89 Art. 6 ATAD orientiert sich in vielen Regelungspunkten an § 42 AO.90 Die Aufnahme mehraktiger Gestaltungen, die nicht nur aus einem Akt, sondern

85 Zu dem unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff im Bereich der direkten Steuern aber Thiele, IStR 2011, 452. 86 Dazu Kokott, Europäisches Steuerrecht, 2018, § 2 Rz. 76, 81 m.w.N. 87 Treffend Kokott, Europäisches Steuerrecht, 2018, § 2 Rz. 76. 88 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1. 89 Dazu Franz, DStR 2018, 2240; Musil, FR 2018, 933 (936 f.). 90 Hey, StuW 2017, 248 (263).

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einer Kette aufeinander aufbauender Gestaltungen bestehen,91 erinnert an den deutschen Gesamtplan, der keine eigene Rechtsfigur ist, sondern nur in die Angemessenheitsprüfung des § 42 AO einfließt.92 Aus grundsätzlicher Perspektive wirft die allgemeine Missbrauchsklausel zwei Fragen auf: die nationale Umsetzung von Art. 6 ATAD im Rechtsvergleich zwischen Deutschland, mit dem unveränderten § 42 AO, und Österreich, mit der Neufassung des § 22 BAO. Anschließend ist in Frage zu stellen, inwieweit die Rechtsprechung des EuGH nun „das letzte Wort“ in der Missbrauchsabwehr haben wird.

1. Nationale Umsetzung: Rechtsvergleich Deutschland (§ 42 AO) vs. Österreich (§ 22 BAO n.F.) Die Regelungen der ATAD sind grundsätzlich bis zum 31.12.2018 in nationales Recht umzusetzen und seit dem 1.1.2019 anzuwenden. In Deutschland wird kein Anpassungsbedarf an § 42 AO gesehen. Die allgemeine Missbrauchsverhinderungsnorm des Art. 6 ATAD „ähnelt“ nach deutscher Einschätzung dem § 42 AO,93 ist mit ihm „vergleichbar“94, „entspricht“ ihm95 oder „korrespondiert“ mit ihm.96 Auch die Finanzverwaltung sieht keinen Anpassungsbedarf.97 Diese Einschätzung wird von der deutschen Literatur fast unisono geteilt.98 Allerdings wird befürchtet, dass durch die europäische Richtlinie das Schutzniveau auf die Bekämpfung rein künstlicher Gestaltungen abgesenkt wird.99 Allerdings wird auch umgekehrt vertreten, dass § 42 AO „weniger scharf

91 Hey, StuW 2017, 248 (259, 263). 92 Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 357 (Stand: März 2009); aus der Rechtsprechung BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 Rz. 16. 93 Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht5, S. 417. 94 Müller/Wohlhöfler, IWB 2016, 665 (667). 95 Eilers/Oppel, IStR 2016, 312 (316). 96 BDI/Ebner Stolz, Änderungen im Steuer und Wirtschaftsrecht 2016/2017, Rz. 29. 97 Vgl. AEAO zu § 42 AO Rz. 2.7, wonach die Mindeststandards der EU-Richtlinie „durch § 42 AO national erfüllt [werden].“ 98 Explizit Rautenstrauch/Suttner, BB 2016, 2391 (2396); Hey, StuW 2017, 248 (263). 99 Haug, DStZ 2016, 446 (454); a.A. Dettmeier/Dörr/Neukam/Prodan, NWB 2016, 3082 (3086) unter Hinweis auf das Mindestschutzniveau nach Art. 3 ATAD.

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zu sein“ scheint als die Richtlinie, so dass es einer Anpassung bedürfe.100 Das hängt freilich von der Auslegung von Art. 6 ATAD ab.101 Grundsätzlich steht fest, dass § 42 AO durch das Unionsrecht überlagert wird, so dass die Maßstäbe der Rechtsprechung des EuGH zu einer unionsrechtskonformen Auslegung zwingen können.102 Eine richtlinienkonforme Auslegung von § 42 AO wurde nach Verabschiedung der ATAD auch bereits erwogen.103 Konkret ist fraglich, inwieweit andere und strengere Vorgaben aus Art. 6 ATAD erwachsen.104 Bislang gibt es dazu kein klares Meinungsbild. Die endgültige Beurteilung hängt maßgeblich von der Auslegung des Mindeststandards durch den EuGH ab (dazu sogleich Abschn. C.II.2.). Anders als Deutschland hat Österreich mit dem Jahressteuergesetz 2018 Änderungen an § 22 BAO vorgenommen. Dies geschah explizit auch, um den „unionsrechtlichen Anforderungen zu entsprechen“105. Dabei hat die Neufassung des § 22 BAO auch zahlreiche Formulierungen aus Art. 6 ATAD übernommen. Beispielsweise ist in beiden Vorschriften von „Gestaltung“ und „Abfolge [von] Gestaltungen“ die Rede, auch ist die Wortfolge „weil der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderläuft“ dem Art. 6 Abs. 1 ATAD entnommen.106 Der österreichische Gesetzgeber hat sich daneben nur scheinbar in nahezu gleicher Weise von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH zu § 22 BAO a.F. inspirieren lassen.107 Die weitgehende Beibehaltung des § 22 Abs. 1 BAO, die fast unveränderte Übernahme des § 22 Abs. 2 BAO a.F. in den § 22 Abs. 3 BAO n.F. sowie die Übernahme bestimmter Formulierungen aus der Rechtsprechung zu § 22 BAO a.F. deuten zwar die Kontinuität des bisher zu § 22 BAO vertretenen Verständnisses an.108 Dennoch war die Umsetzung von Art. 6 ATAD das Hauptanliegen des Gesetzgebers und die „bestehende Auslegungstradition“ zu § 22 BAO sollte nur „so weit wie möglich“ beibe-

100 101 102 103 104 105 106 107 108

So Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 318 (322). Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 41j (Stand: Juli 2017). Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 41k (Stand: Juli 2017). Müller/Wohlhöfler, IWB 2016, 665 (667). Ebenso Dettmeier/Dörr/Neukam/Prodan, NWB 2016, 3082 (3086). Lang, ÖStZ 2018, 419 f. unter Hinweis auf ErlRV 190 BlgNR 26. GP 42. Lang, ÖStZ 2018, 419 (420). Lang, ÖStZ 2018, 419 (433). Lang, ÖStZ 2018, 419 (420) m.w.N.

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halten werden.109 Das zeigt sich insbesondere darin, dass die der Rechtsprechung entnommenen Formulierungen in der neuen Fassung mit Legaldefinitionen angereichert wurden, um auf diese Weise die Voraussetzungen des Art. 6 ATAD nachzuvollziehen. M. Lang spricht bereits von einer neuen „Zeitrechnung“ des steuerlichen Missbrauchsverständnisses im österreichischen Steuerrecht.110 § 22 BAO n.F. verhelfe der von der österreichischen Finanzverwaltung und Teilen der Rechtsprechung abgelehnten, von der Lehre dagegen schon lange bevorzugten Innentheorie111 endgültig zum Durchbruch.112 Die praktischen Konsequenzen der gesetzlichen Neufassung bleiben abzuwarten.

2. Quis iudicabit? – Rechtsprechungshoheit des EuGH bei der Missbrauchsabwehr im Ertragsteuerrecht? Die Existenz von Art. 6 ATAD wirft auch die spannende Frage auf, inwieweit nun eine allgemeine Rechtsprechungszuständigkeit des EuGH für die Missbrauchsabwehr im Steuerrecht besteht.113 Dabei ist angesichts der langen und nicht immer friktionsfreien Tradition der Missbrauchsjudikatur des EuGH in verschiedenen Feldern fragwürdig, ob dies eine beruhigende oder eher „besorgniserregende“114 Annahme ist. Der EuGH lässt bisweilen in „Missbrauchsfällen“ – gerade im Mehrwertsteuerrecht – die begriffliche Feinarbeit vermissen und setzt die Begriffe Gestaltung, Vermeidung, Umgehung, Missbrauch, Steuerhinterziehung und Ähnliches gleich.115 Insoweit ist einige Begriffs- und Funktionsschärfung beim EuGH anzumahnen. Grundlegender ist die Frage der Entscheidungskompetenz des EuGH, die zum Teil unter Hinweis auf die Dzodzi-Rechtsprechung des EuGH116 109 Lang, ÖStZ 2018, 419 (434) unter Hinweis auf ErlRV 190 BlgNR 26. GP 42. 110 Lang, ÖStZ 2018, 419 (434) unter Hinweis auf Langer, RdW 2017, 459 (462). 111 Zum (verfehlten) Theorienstreit näher Drüen, Über Theorien im Steuerrecht, Festschrift J. Lang, 2010, S. 57 (77 ff.). 112 Lang, ÖStZ 2018, 419 (434) m.w.N. 113 So Müller/Wohlhöfler, IWB 2016, 665 (667). 114 So Hey, FR 2016, 554 (559). 115 Exemplarisch EuGH v. 18.12.2014 – verb. Rs. C-131/13, C-163/13 u. C-164/13, ECLI:EU:C:2014:2455 – Italmoda et al.; dazu eingehend und kritisch Wäger, UR 2015, 81. 116 EuGH v. 18.10.1990 – verb. Rs. C-297/88 u. C-197/89, ECLI:EU:C:1990:360 – Dzodzi; bestätigend EuGH v. 17.7.1997 – C-28/95, ECLI:EU:C:1997:369 –

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auch bei nicht grenzüberschreitenden Fällen angenommen wird.117 Alleine die Einführung von Art. 6 ATAD begründet indes keine zentrale Zuständigkeit des EuGH für die gesamte Missbrauchsabwehr im nicht harmonisierten Körperschaftsteuerrecht.118 Denn Art. 6 ATAD enthält keine zwingende und absolute Vorgabe. Nach Art. 3 ATAD soll die Richtlinie nur ein Mindestschutzniveau gewährleisten. Die Richtlinie verhindert aber nicht die Anwendung nationaler oder vertraglicher Bestimmungen zur Wahrung eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen. Darum kann nur eine Vorlagepflicht des nationalen Höchstgerichts hinsichtlich der Auslegung dieses Mindeststandards bestehen. Insoweit hat der EuGH in der Tat „das letzte Wort“, den Mindeststandard zu bestimmen. Aber die Beurteilung, ob das jeweilige nationale Recht diesem Mindeststandard entspricht, obliegt nicht dem EuGH. Darüber hat allein das nationale Gericht zu entscheiden. Der unionsrechtliche Anwendungsvorrang und das Primat des EuGH reichen nur für die Bestimmung des Mindeststandards der Missbrauchsabwehr im Anwendungsbereich der Richtlinie, dem Körperschaftsteuerrecht. Das ruft freilich Folgefragen einer nach Steuersubjekten „gespaltenen Missbrauchsabwehr“ und einer gespaltenen Gerichtskontrolle auf den Plan. Nicht auszuschließen ist, dass die Missbrauchsjudikatur des EuGH über den sachlichen Anwendungsbereich der ATAD für Körperschaftsteuersubjekte Rückschläge auf die nationale Missbrauchsabwehr entfalten wird.

D. Nationale Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr im Steuerrecht I. Verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zur Missbrauchsabwehr? Auf nationaler Ebene sind ebenfalls rechtsrelevante Entwicklungen in jüngerer Zeit auszumachen. Auch für die Missbrauchsabwehr des Gesetzgebers lassen sich deutliche neue Impulse für die Stärkung der Missbrauchsabwehr ausmachen. Das BVerfG hat sich in seiner Entscheidung

Leur-Blöm; vertiefend Radtke, Autonome Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts, 2006. 117 Oppel, IStR 2016, 797 (799) unter Berufung auf Hey, FR 2016, 554 (559). 118 A.A. für Österreich unter Hinweis auf die Dzodzi-Rechtsprechung des EuGH Lang, ÖStZ 2018, 419 (434 f.) m.w.N.

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vom 10.4.2018119 zu der Frage der Verfassungskonformität der ungleichen Behandlung von Veräußerungsgewinnen bei der Gewerbesteuer nach § 7 Satz 2 GewStG, wonach die Veräußerungsgewinne eines Unternehmers, der unmittelbar beteiligt ist, nicht der Gewerbesteuer, dagegen mittelbare Mitunternehmeranteile der Gewerbesteuer unterliegen, intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie zielgenau die Missbrauchsabwehr im Steuerrecht sein muss.120 Es bestand aufgrund des langen Fragenkatalogs zur mündlichen Verhandlung die Hoffnung, dass das BVerfG ein „Einmaleins“ der zielgenauen Gestaltungsabwehr im Steuerrecht entwickelt. Das Ergebnis ist indes ernüchternd, weil das BVerfG dem Steuergesetzgeber erhebliche Freiräume bei der Missbrauchsbekämpfung einräumt. In Rz. 123, die vermutlich in künftigen Gesetzesbegründungen zu Missbrauchsabwehrvorschriften standardmäßig zitiert wird, heißt es: „Mit der Bekämpfung von Steuergestaltungen zur Umgehung der Gewerbesteuerpflicht verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel. Er darf Vorkehrungen treffen, um die Bemessungsgrundlage einer Steuer auch im praktischen Vollzug möglichst weitgehend zu erhalten. […] Unter Umständen folgt aus dem Gebot der gleichheitsgerechten Besteuerung sogar die Pflicht, Möglichkeiten für Umgehungsgestaltungen im Gesetz zu vermeiden.“121

Die legislatorische Pflicht zur Abwehr übermäßiger Steuergestaltungen zur Gewähr tatsächlicher Besteuerungsgleichheit war schon die Kernthese meiner Düsseldorfer Antrittsvorlesung im Jahre 2008.122 Die freiheitsrechtlich fundierte Gestaltungsfreiheit des Einzelnen stößt verfassungsrechtlich dahingehend an die Grenze, dass der Gesetzgeber die Besteuerungsgleichheit gewährleisten muss. Im Ausgangspunkt steht die Freiheit des Steuerpflichtigen. Die Freiheit, steuerbegründende Tatbestände zu vermeiden, ist indes nicht unbeschränkt, sondern die Besteuerungsgleichheit ist insoweit eine verfassungsrechtliche Grenze zum Schutz der Rechte der Mitsteuerpflichtigen. Gestaltungen, die die Besteuerungsgleichheit verletzen, dürfen und müssen ggf. durch gegenläufige Missbrauchsabwehrmaßnahmen verhindert werden.123 Das BVerfG verweist zur Begründung der verfassungsrechtlichen Pflicht, Umgehungsgestaltung zu vermeiden, auf seine Erbschaftsteuerentschei-

119 120 121 122 123

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BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303. BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303. BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303 Rz. 123. Drüen, StuW 2008, 154 (157 ff.). Drüen, StuW 2008, 154 (157 ff.).

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dung.124 Tatsächlich hatte das BVerfG sich in der letzten Erbschaftsteuerentscheidung dezidiert mit Missbrauchsvermeidungsvorschriften auseinandergesetzt.125 Dabei ging es um gesetzliche Maßnahmen gegen den Einsatz von Cash-GmbHs und überschießende Gestaltungsmöglichkeiten, um in den Genuss der überwiegenden oder sogar vollständigen Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer zu kommen.126 Dabei hat das BVerfG zu Recht festgestellt, dass der Gesetzgeber seinen Verschonungswillen konditionieren muss, so dass dem Steuerpflichtigen nicht außerhalb des Zwecks und der gesetzlichen Limitation weitreichende Steuerverschonungen gegenüber der Normallast offenstehen. Diese Gestaltungsresistenz ist in der Entscheidung zur Erbschaftsteuer zugespitzt und überschießend in Richtung einer verfassungsrechtlichen Pflicht formuliert.127 Daraus soll der Grundsatz abzuleiten sein, dass Steuergesetze so auszulegen sind, dass sie möglichst missbrauchsvermeidend wirken.128 Ein solcher Rechtssatz und Auslegungsgrundsatz ist indes weder in der Rechtsprechung angelegt, noch wäre er begründbar.129 Der Gesetzgeber muss durch eine klare Teleologie des Gesetzes und einen einsichtigen Belastungsgrund klarstellen, was er besteuern will.130 Einen allgemeinen Auslegungsgrundsatz zu Lasten von Gestaltungen ist dem freiheitsachtenden Staat fremd. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Fiskalnorm des § 7 Satz 2 GewStG aus dem Jahre 2018 mit dem Verweis auf die Erbschaftsteuer die Ebenen gewechselt. In der Erbschaftsteuerentscheidung ging es um eine „übermäßige Befreiungsvorschrift“ durch Verschonungen gegenüber der Regellast der Besteuerung. Insoweit ist verfassungsrechtlich eine Begrenzung erforderlich, damit nur, wenn auch die Zwecke der Vergünstigung erfüllt sind, eine Befreiung greift.131 Bei § 7 Satz 2 GewStG geht es dagegen um einen Eingriffstatbestand durch Besteuerung von Veräußerungsgewinnen. Wenn das BVerfG auch insoweit annimmt, dass Maßnahmen gegen Umgehungsgestaltungen unter Umständen gleichheitsrechtlich vorgeschrieben sind, so überträgt es die Verfassungspflicht

124 125 126 127 128 129 130 131

BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50. BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 Rz. 254 f. BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 Rz. 271 ff. m.w.N. Vgl. BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 Rz. 253, 255. In diese Richtung Amann, DB 2016, 1463 (1464). Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 38a (Stand: Juli 2017). So auch Hüttemann, DStR 2015, 1146 (1150 f.). BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 Rz. 176, 253 ff.

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zur Missbrauchsabwehr von der Steuerverschonung auf die Ebene des Steuertatbestands. Das BVerfG animiert den Gesetzgeber, solche Abwehrmaßnahmen zu treffen. Im konkreten Fall gesteht es ausdrücklich ein, dass die getroffene Maßnahme keineswegs zielgenau ist. „Die Norm ist tatbestandlich nicht auf Umgehungsfälle begrenzt, die Anlass für sie waren.“132 Der Anlass waren die bekannten Umwandlungsmodelle,133 bei denen nicht Anteile einer Kapitalgesellschaft verkauft werden, sondern diese zuvor in Mitunternehmerschaften eingebracht werden, um anschließend die Mitunternehmeranteile zu verkaufen.134 In der mündlichen Verhandlung ist vorgetragen worden, dass das BMF aus der Literaturschau 50 Aufsätze zu diesen Gestaltungsmöglichkeiten identifiziert hatte. Das schlägt die Brücke zum Folgethema der Anzeigepflichten, um seitens der Finanzverwaltung einfacher Gestaltungen zu identifizieren und dagegen vorzugehen. Der Gesetzgeber wird sich die verfassungsgerichtliche Aussage zum Auftrag der Missbrauchsbekämpfung sicherlich in mancher Gesetzesbegründung auf die Fahnen schreiben und eine auch überschießende Gestaltungsabwehr damit zu begründen suchen. Meiner Auffassung nach hat das BVerfG dabei eine Grenze überschritten. Es hätte die Anforderungen für zielgenaue Missbrauchsabwehr, insbesondere bei einer Regelung, die fiskalische Schlagseite hat, deutlicher formulieren sollen. Das BVerfG erkennt deutlich, dass § 7 Satz 2 GewStG auch fiskalische Ziele verfolgt. Trotz greifbarer Überdehnung der Missbrauchsabwehr hält es die ungleiche Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei der Gewerbesteuer aber im Ergebnis mit der Begründung, dass der Missbrauchskern die Regelung trägt und überschießende Fiskaleffekte hinzunehmen sind. Danach erscheinen überschießende Missbrauchsabwehrregeln trotz fiskalischer Aufladung als unschädlich. Ich halte dies für fragwürdig und plädiere weiterhin für zielgenauere Vorschriften zur Missbrauchsabwehr. Gleichwohl liegt die Prognose nicht fern, dass auch sehenden Auges überschießende Missbrauchsabwehrvorschriften unter Hinweis auf dieses Judikat begründet werden.

132 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303 Rz. 130. 133 BT-Drucks. 14/6882, 41. 134 Drüen in Blümich, § 7 GewStG Rz. 129 (Stand: Dezember 2018).

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II. Neue Maßstäbe der Rechtsprechung zu § 42 AO i.d.F. des JStG 2008? Vor zehn Jahren ist § 42 AO neu geregelt worden, um die Missbrauchsabwehr schlagkräftiger und effektiver zu machen.135 Seither gibt es einzelne finanzgerichtliche und nur wenige Urteile zur Auslegung der neuen Vorschrift.136 Beim BFH sind noch manche Revisionsverfahren zu § 42 AO anhängig, aber die Streitjahre liegen teilweise noch vor dem 1.1.2008.137 Ob der BFH neue Maßstäbe für die Neufassung des § 42 AO entwickeln wird, ist noch nicht absehbar, aber die Finanzrechtsprechung deutet bislang nicht darauf hin.138 Die innovative Neuausrichtung von Herrn Wendt, § 42 AO ganz am vorgesehenen Steuervorteil auszurichten,139 hat sich (noch) nicht durchgesetzt. Die Instanzgerichte wenden, abgesehen von der expliziten Regelung der Beweislastverteilung, bisher die Neufassung in den alten Bahnen des § 42 AO an. Diese Tendenz bestätigen jüngere Entscheidungen der Finanzgerichte, die im Folgenden mangels einer neuen Positionierung des BFH anzusprechen sind.

III. Der ungebrochene Trend zu speziellen Missbrauchsvorschriften Der Gesetzgeber greift im nationalen wie grenzüberschreitenden Bereich gehäuft zu speziellen Missbrauchsvorschriften. Die Buchstabenparagrafen §§ 4i, 4j, 36a, 50j EStG stehen für heterogene und abstrakte Regelungen, die ein nicht erwünschtes Verhalten unterbinden sollen. Die Lizenzschranke an dieser Stelle außer Acht gelassen, geht es – neben der zu vertiefenden Kapitalertragsteueranrechnung – namentlich um den doppelten Abzug von Sonderbetriebsausgaben über die Grenze. Der deutsche Gesetzgeber sieht insoweit einen besonderen Regelungsbedarf,140 ob135 BT-Drucks. 16/7036, 24; näher zur Entwicklung Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 1 ff. (Stand: Juli 2017). 136 Übersicht bei Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 37a (Stand: Juli 2016). 137 Bspw. BFH-Mitteilung v. 20.8.2018 – XI R 36/17 (Streitjahre 2007–2013); BFH-Mitteilung v. 20.7.2018 – I R 2/18 (Streitjahr 2008). 138 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 37a a.E. (Stand: Juli 2016). 139 Wendt, DStJG 33 (2010), S. 128 (137); dazu Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 20a (Stand: Juli 2016). 140 Zum doppelten Abzug von Sonderbetriebsausgaben BR-Drucks. 406/16, 3 f.

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wohl das Problem mit dem Festhalten an der Kategorie des Sonderbetriebsvermögens141 und seiner Sogkraft hausgemacht ist. Nach dem Rückzug von Österreich ist mittlerweile Deutschland eines der wenigen Länder, welches mit der Figur des Sonderbetriebsvermögens und den Sonderbetriebsausgaben arbeitet und dadurch die Ursache für einen doppelten Abzug insbesondere von Finanzierungsaufwendungen setzt. Anstelle im Unternehmenssteuerrecht auf internationale Anschlussfähigkeit zu setzen, wird versucht, mit immer neuen Regelungen mit Missbrauchsvermeidungscharakter142 (vgl. zuvor § 50d Abs. 10 EStG) ein Rechtsaltertum zu verteidigen, das sich nur durch die Gewerbesteuer erklären lässt. Dabei gibt es nach der Ausdehnung der privaten Veräußerungs- und Vermögenserfassungstatbestände, insbesondere bei Grundstücken und im Bereich des § 20 Abs. 2 EStG, einkommensteuerlich keinen Grund mehr für die Sonderbehandlung von Mitunternehmern. Wenn der insoweit reformunfähige Gesetzgeber am überholten Recht festhält, sind Optimierungsgestaltungen die Folge, die wiederum mit Missbrauchsregelungen beantwortet werden. Dabei stellt sich zudem die Frage, welche Instanz zu welchem Zeitpunkt nach welchem Maßstab Missbrauchsfälle aufgreift. Die wirksame Anwendung der generellen Missbrauchsklausel liegt in den Händen der Richterschaft.143 Dagegen erleichtern und stärken spezielle Missbrauchsregelungen die Finanzverwaltung. Das Verhältnis mögen die gesetzlichen Regelungen gegen Gestaltungen zur Kapitalertragsteueranrechnung illustrieren. § 36a EStG regelt auch den nationalen Fall der Anrechnung von Kapitalertragsteuer durch einen eigentlich nicht anrechnungsberechtigten Steuerausländer. Das richtet sich gegen Cum-Cum-Gestaltungen um den Dividendenstichtag, bei denen mit Dividende verkauft und später auch mit Dividende von bei einem ausländischen, nicht anrechnungsberechtigten Anteilseigner zurückgekauft wird. § 50j EStG ergänzt die Nichtentlastung von Kapitalertragsteuer für Gestaltung zur Erlangung eines niedrigen abkommensrechtlichen Quellensteuersatzes.144 Der Gesetzgeber ist unzweifelhaft gerade unter dem Eindruck der zuvor geschilderten Entscheidung des BVerfG für die Zukunft berechtigt, auch 141 Zu dogmatischen Zweifeln am Institut des Sonderbetriebsvermögens vgl. nur Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 10 Rz. 131 m.w.N. 142 Wacker in Schmidt38, § 4i EStG Rz. 1. 143 Hüttemann, DStR 2015, 1146 (1151). 144 Dazu kritisch wegen „unverhältnismäßiger Gesetzgebung“ Salzmann/Heufelder, IStR 2018, 62.

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unter Rückgriff auf internationale Vorbilder wie Regelungen in Amerika und Australien, eine Mindesthaltedauer von Anteilen vorzuschreiben, um in den Genuss der Kapitalertragsteueranrechnung zu kommen. Die Neuregelung der Kapitalertragssteuerentlastung in einem gestaltungsoffenen Feld für die Zukunft ab dem Jahre 2016 liegt in seiner gestalterischen Freiheit innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens. Problematisch145 ist dagegen, wenn das Bundesfinanzministerium in einem Schreiben für die alten Jahre vor 2016, als die Neuregelung noch nicht in Kraft getreten war, dieselben tatbestandlichen Voraussetzungen und dieselben Rechtsfolgen für die Kapitalertragsteueranrechnung antizipieren will.146 Unter dem Deckmantel des § 42 AO versucht der Rechtsanwender eine angemessene Gestaltung und Rechtsfolge aus § 36a EStG abzuleiten, die der Gesetzgeber sehenden Auges erst für spätere Jahre eingeführt hat. Die Verwaltung will mit dem Rückgriff auf § 42 AO die identischen Gestaltungen als Missbrauch „einfangen“, obwohl das Parlament den Rechtsanwendungsbefehl in zeitlicher Hinsicht erst ab dem Jahre 2016 gesetzt hat. Dabei stellt sich im gewaltengegliederten Verfassungsstaat die Frage, ob die Tür für den Rechtsanwender, mithin die Verwaltung, nicht versperrt ist, wenn der Rechtssetzer eine konturierte und schärfere Missbrauchsabwehr erst für die Zukunft anordnet. Missbrauchsabwehr ist zwar Aufgabe aller drei Staatgewalten,147 aber es müssen die jeweiligen Funktionen und Grenzen im Verfassungsstaat geachtet werden.

IV. Konkurrenzfragen bei den Missbrauchsvorschriften im Steuerrecht Der letzte Punkt des Konkurrenzverhältnisses von Missbrauchsregelungen durchzieht alle Regelungsebenen, wobei Art. 6 ATAD im Gegensatz zu § 42 AO die Frage der Spezialität nicht anspricht.148 Dabei ist der Streit über das Verhältnis zwischen der allgemeinen Missbrauchsklausel und speziellen Missbrauchsvorschriften so alt wie die Missbrauchsver-

145 Zur Kritik bereits Helios/Lenz, DB 2017, 1738. 146 BMF v. 17.7.2017 – IV C 1-S 2252/15/10030:005 – DOK 2017/0616356, BStBl. I 2017, 986. 147 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 1 (Stand: Juli 2017); Ratschow in Klein14, § 42 AO Rz. 8. 148 M.E. gilt der im Folgenden begründete sperrende Wertungsvorrang einer speziellen Missbrauchsvorschrift gleichermaßen für die europäische Ebene.

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meidung selbst.149 Schon Albert Hensel, der Gründungsvater der deutschen Steuerrechtslehre in der Weimarer Republik, hat dem Gesetzgeber den durch spezielle Missbrauchsvorschriften ausgelösten „Wettlauf“ beschrieben:150 Wenn der Steuergesetzgeber einmal mit Spezialregelungen anfängt, wird sich die Gestaltungspraxis genau an diesen Regeln orientieren und Wege finden, das „Leck des Gesetzes“ bei speziellen Missbrauchsregelungen auszunutzen. Der mit der „Waffe der Spezialklauseln“ ausgerüstete Gesetzgeber müsse „fast aussichtlos […] nachjagen“. Darum hielt Hensel auch eine allgemeine Missbrauchsklausel für unverzichtbar.

1. Legislatives Ziel multipler Missbrauchsbekämpfung nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO Der deutsche Gesetzgeber sieht in mehreren Gesetzesfassungen, insbesondere seit der Fassung ab 2008, eine multiple Missbrauchsbekämpfung nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO ausdrücklich vor.151 Durch eine spezialgesetzliche Missbrauchsvorschrift soll die allgemeine Missbrauchsklausel des § 42 AO nicht verdrängt werden.152 Diese Auffassung widerspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH.153 Dieser geht davon aus, dass eine spezielle Missbrauchsvorschrift in ihrem Anwendungsfeld den Rückgriff auf die allgemeine Missbrauchsvorschrift sperrt, weil insoweit der Gesetzgeber das missbrauchsverdächtige Feld gesichtet hat und sowohl für den Tatbestand als auch die Rechtsfolgen Vorgaben getroffen hat.154 Als Beispiel aus jüngster Zeit illustriert § 36a EStG das Problem. Ob für die Anrechenbarkeit von Kapitalertragsteuer eine Haltedauer von 40, 45, 50 oder 60 Tagen erforderlich ist, ist eine Entscheidung, die das Parlament in Sichtung dieses Feldes der Gestaltungen zur Dividendenarbitrage getroffen hat und demokratisch verantwortet. Für die Zeitspanne gibt es ausländische Beispiele, aber weder aus der Verfassung noch aus 149 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 13 ff. (Stand: Juli 2016) m.w.N. 150 Hensel, Zur Dogmatik des Begriffs „Steuerumgehung“, in Bonner Festgabe für Zitelmann, 1923; wiederabgedruckt bei Reimer/Waldhoff, Albert Hensel – System des Familiensteuerrechts und andere Schriften, 2000, S. 303, 334, 336 ff. 151 Dazu Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 13 ff. (Stand: Juli 2016) m.w.N. 152 BT-Drucks. 16/7036, 24. 153 BFH v. 23.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50; BFH v. 29.1.2008 – I R 26/06, BStBl. 2008, 978 (980) m.w.N. 154 Ferrara, ISR 2014, 296.

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anderen Rechtssätzen erfolgt die zeitliche Konkretisierung zwingend. Das kann das Parlament insoweit frei wählen und die Haltedauer setzen. Darum setzt es zugleich auch eine Maßstabsfunktion für die Missbrauchsabwehr nach der Generalklausel. Denn der Wertungsakt der Unangemessenheit bedarf eines normativen Maßstabs.

2. Antwort der Rechtsprechung: Sperrender Vorrang spezieller Missbrauchsvorschriften gegenüber § 42 AO Allgemeine Missbrauchsklauseln bedürfen der Ausfüllung durch gesetzliche Wertungen. Diese Wertungen enthält das Blankett des § 42 AO nicht selbst. Die Vorschrift umschreibt nur, was ein Missbrauch ist, ohne die Maßstäbe dafür zu liefern. Die erforderlichen Wertmaßstäbe ergeben sich allein aus dem umgangenen Gesetz. Die Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, was er steuerlich belasten oder nicht belasten will, muss der Ausgangspunkt für die Missbrauchsabwehr sein. § 42 AO ist, ähnlich wie der Gleichheitssatz, eine Norm, die diese Wertungen nicht in sich trägt, vielmehr sind diese bereichsspezifisch aus der potentiell umgangenen Regelung abzuleiten. Das Missbrauchsurteil setzt eine Angemessenheitsprüfung voraus. Der Maßstab für diese Prüfung ist dem umgangenen Gesetz zu entnehmen.155 Zur Illustration ist noch einmal das Beispiel des § 36a EStG bei der Anrechnung der Kapitalertragsteuer heranzuziehen. Die zeitliche Konkretisierung des Mindesthaltezeitraumes mit 45 Tagen um den Dividendenstichtag wirkt als Wertungsmaßstab. Darum kann der Rechtsanwender trotz des Vorbehalts in § 36a Abs. 7 EStG nicht bei Gestaltungen mit 46 oder 47 Tagen Haltedauer die Anrechnung allein wegen des Zeitraums über § 42 AO versagen. Denn gesetzliche zeitliche Konkretisierung oder sachliche Eingrenzung im Tatbestand der speziellen Missbrauchsnorm wirkt insoweit maßstabsbildend. Die Sperrwirkung, wie die Rechtsprechung zu Recht annimmt, beruht auf dem Wertungsrückschlag für die Angemessenheitsprüfung für die allgemeine Missbrauchsklausel.156 Die speziellen Maßstäbe setzen sich für das Angemessenheitsurteil durch.157 Darum geht auch der zweite Versuch des Gesetzgebers, § 42 AO zur Anwendung zu bringen, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale der speziellen Missbrauchsvorschrift nicht erfüllt sind, aus meiner Sicht 155 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 17 ff. (Stand: Juli 2016); Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, 42 AO Rz. 247 (Stand: September 2008). 156 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 13a (Stand: Juli 2016). 157 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 13a (Stand: Juli 2016).

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ins Leere. Diese Auffassung vertritt auch das Finanzgericht Hessen in einer jüngeren Entscheidung für die neue Fassung des § 42 AO.158

3. Aber: Möglichkeit der missbräuchlichen Vermeidung der speziellen Missbrauchsvorschrift Die Sperrwirkung der Spezialregelung ist indes nicht absolut. Eine jüngere Entscheidung des FG Hamburg159 nimmt dem Gesetzgeber die Sorge, dass sich eine Spezialvorschrift als zu eng erweist oder ihrerseits missbraucht wird. Die Entscheidung hatte die Körperschaftsteuerbefreiung nach § 8b KStG zum Gegenstand, die Kaskadeneffekte bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften verhindern soll. Das FG Hamburg hat eine konkrete Gestaltung als missbräuchlich angesehen, obwohl die spezielle Missbrauchsvorschrift nicht erfüllt war. Es hat damit eine Position aufgenommen, die auch Jürgen Lüdicke in der Festschrift für den BFH vertreten hat.160 Richtigerweise ist davon auszugehen, dass § 42 AO erfüllt ist, wenn das missbräuchliche Verhalten gerade darin besteht, die tatbestandlichen Voraussetzungen einer speziellen Missbrauchsregelung zu umgehen.161 Der Missbrauch der Missbrauchsvorschrift, bei dem gezielt ein Tatbestandsmerkmal der speziellen Regelung ausgeschaltet wird, ist – wie vom FG Hamburg jüngst bestätigt – unter besonderen Umständen ein Fall des § 42 AO. Diese Relativierung der Sperrwirkung führt zu Unsicherheit in der Beratungs- und Besteuerungspraxis. Die Fragen, wann eine sperrende Spezialvorschrift vorliegt und wann ihre einzelnen Tatbestandsmerkmale umgangen werden, lässt sich indes naturgemäß nicht allgemeingültig beantworten. Das sind vielmehr nur im Wege der Auslegung der konkreten Vorschrift mit Blick auf die konkrete Gestaltung zu klärenden Fragen.

E. Fazit zu den verschiedenen Missbrauchsbegriffen im Steuerrecht Verschiedene Missbrauchsbegriffe im Steuerrecht beruhen nicht auf einer begrifflichen Verwirrung. Sie stehen vielmehr auf verschiedenen Ebe158 FG Hessen v. 29.11.2017 – 4 K 127/15, juris = Der Konzern 2018, 180. 159 FG Hamburg v. 27.6.2017 – 6 K 127/16, EFG 2017, 1718. 160 Jü. Lüdicke in Festschrift 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland, 2018, S. 1053. 161 Drüen in Tipke/Kruse, Vor § 42 AO Rz. 14 (Stand: Juli 2016) u. § 42 AO Rz. 20b (Stand: Oktober 2010).

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nen und folgen verschiedenen Rationalitätsanforderungen und Vorgaben. Aufgabe des Juristen ist es darum, die der Missbrauchsabwehr dienenden Rechtsgebiete, Normquellen und Rechtsschichten zu ordnen und die einzelnen Missbrauchsvorschriften ins Verhältnis zu setzen. Im Mehrebenensystem der Missbrauchsabwehr werden Regelungen in DBA und durch das multilaterale Instrument innerstaatlich durch einfaches Bundesgesetz umgesetzt. § 2 Abs. 1 AO begründet keinen allgemeinen Vorrang dieser Normen, die Völkerrecht mit Bezug auf die Besteuerung umsetzen, obwohl der Wortlaut der Vorschrift dies suggeriert.162 Das BVerfG lässt einen nationalen Treaty override unter Hinweis auf das Demokratieprinzip allgemein zu.163 Leider begrenzt es die Zulässigkeit nicht als ultima ratio zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen. Das spätere Gesetz kann das frühere überschreiben. Ein Völkerrecht umsetzendes nationales Gesetz, das später erlassen wird, kann das vorher erlassene nationale Missbrauchsgesetz genauso überrollen wie im umgekehrten Fall. Ob dies trotz § 2 Abs. 1 AO auch verdeckt geschehen kann, ist noch offen.164 Für das Unionsrecht gilt sowohl der Anwendungsvorrang als auch das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung. Die nationale Missbrauchsvorschrift muss sich im Rahmen des Primärrechts und des Sekundärrechts halten. Daran sind bereits mehrfach überschießende und unverhältnismäßige nationale Missbrauchsvorschriften gescheitert. Bei umgekehrter nationaler „Untererfüllung“ effektiver Missbrauchsabwehr greift der vom EuGH kreierte unionsrechtliche Grundsatz des Rechtsmissbrauchsverbots. Seine Überformung nationaler Vorschriften zur Missbrauchsabwehr wird die Gerichte sicherlich noch beschäftigen. Mein Bestreben war, angesichts der Verwirrung beim Missbrauch im Steuerrecht die verschiedenen Ebenen und die unterschiedlichen juristischen Missbrauchsbegriffe zu ordnen. Die Verengung auf einen übergreifenden Missbrauchsbegriff im Steuerrecht führt nicht weiter. Vielmehr stehen im Mehrebenensystem verschiedene Missbrauchsbegriffe nebeneinander. Die Gefahr einer Verwirrung besteht nur bei einem Rückzug auf überpositive, allgemeine und abstrakte Missbrauchsvorstellungen. Bei der juristischen Suche nach Rechtsmaßstäben und Rechtsfolgen ver162 Kritisch darum Frotscher, Internationales Steuerrecht4, Rz. 305: „eher irreführend als hilfreich“. 163 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 Rz. 48, 53 ff. 164 Dazu einerseits Jü. Lüdicke, IStR 2017, 289 (290 ff.) und andererseits Schwenke, DStR 2018, 2310 (2314).

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bietet sich indes die Argumentation mit allgemeinen Missbrauchsbegriffen und Missbrauchsvorstellungen. Der Gefahr einer Verwirrung lässt sich durch Abschichtung der verschiedenen Ebenen und Funktionen von Missbrauchsregelungen im Steuerrecht durchaus begegnen. Verschiedene Missbrauchsbegriffe sind nur deren natürliche Folge.

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Ein neuer Missbrauchsbegriff im deutschen Internationalen Steuerrecht? Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen, Ludwig-Maximilians-Universität, München

MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Oliver Nußbaum BASF SE, Global Head of Tax, Ludwigshafen

Werner Thumbs Profunda Verwaltungs-GmbH (Boehringer Ingelheim), Leiter Steuern

Prof. Dr. Frotscher Herr Drüen, herzlichen Dank, dass Sie Klarheit in diese doch für den Außenstehenden etwas verwirrende Vielfalt von Vorschriften gebracht haben. Ich fand das sehr überzeugend, was Sie dargestellt haben. Ich darf die Diskussion eröffnen. Ich möchte an eine Formulierung anknüpfen, die Sie benutzt, oder eine Befürchtung, die Sie geäußert haben. Sie haben gesagt, dass Sie befürchten, dass das BMF uns weiter mit überschießenden Missbrauchsvorschriften überziehen wird. Herr Kreienbaum, haben Sie das vor? Kreienbaum Nein. Überschießende Vorschriften dürfen Sie in keinem Fall vom BMF erwarten. Es hängt im Übrigen sehr davon ab, welche Regelungen man als Missbrauchsvorschriften ansieht. Herr Professor Drüen hatte bereits darauf hingewiesen, dass wir uns in der Diskussion dem Begriff des Missbrauchs nähern wollen. Wenn hier z.B. die Frage diskutiert wird, ob eine spezielle Vorschrift eine allgemeine verdrängt, dann stellt sich für mich im Vorfeld die Frage, ob denn die als spezielle Missbrauchsvor-

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schrift betrachtete Regelung tatsächlich eine Missbrauchsvorschrift ist. Was qualifiziert also eine Vorschrift als Missbrauchsvorschrift? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Auch wenn die Motivation, die Regelung zu schaffen, die Verhinderung von ungewollten Gestaltungen war, ist es m.E. bspw. gut vertretbar, in § 50d Abs. 3 EStG keine spezifische Missbrauchsvorschrift im engeren Sinne zu sehen. Es sind dort objektive Tatbestandsvoraussetzungen formuliert – der angemessen eingerichtete Geschäftsbetrieb und die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Die Intention des Steuerpflichtigen steht dabei nicht im Vordergrund, selbst wenn man vertritt, dass darauf aus den objektiven Begleitumständen geschlossen werden kann. Die leichtfertige Einordnung einer Vorschrift, das bloße „Labeln“ als Missbrauchsvorschrift, damit sie dann in der weiteren Folge eine allgemeine Missbrauchsvorschrift sperrt – das halte ich für schwierig. Am Anfang der Diskussion muss deshalb die Frage stehen: Was macht eine Missbrauchsvorschrift als solches aus? Muss sie allgemein-abstrakt sein? Muss sie auf die Intention des Steuerpflichtigen schließen lassen? Kann sich nur aus einer subjektiven Haltung ein Missbrauch ergeben? Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass sog. spezifische Missbrauchsklauseln in einem Spezialitätsverhältnis gegenüber allgemeinen Missbrauchsregelungen stünden, würde sich in vielen Fällen die Frage erübrigen, ob spezielle Missbrauchsvorschriften die allgemeinen Missbrauchsvorschriften sperren, weil die als spezielle Missbrauchsregelungen angesehenen Vorschriften bei genauerer Betrachtung nicht als Missbrauchsvorschriften anzusehen sind. Insbesondere möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass das ausschlagende Kriterium für die Frage, ob eine spezielle Norm eine allgemeine verdrängt die ist, ob eine Norm einen Regelungsbereich abschließend regeln will oder nicht. Ich hatte, wenn ich das an dieser Stelle auch gleich sagen darf, mir einen Punkt aufgeschrieben, Herr Professor Drüen. Sie hatten bei den Mindesthaltefristen gefragt, ob eine spätere, schärfere Vorschrift denn die allgemeine, den § 42 AO, sperren kann. Verhindert dann die spezielle Vorschrift, dass ich für Sachverhalte, die vorher realisiert wurden, den § 42 AO nicht anwenden darf? Und da würde ich schon vertreten, dass das nicht so sein kann. Selbst wenn man von einem Spezialitätsverhältnis ausgehen würde. Denn der Gesetzgeber hat sich vorher keine Gedanken um die speziellere Regelung gemacht. Möglicherweise hat der Gesetzgeber sogar erkannt, dass die allgemeine Missbrauchsregel mit Blick auf einen von einer ggf. spezielleren Norm erfassten Regelungsbereich

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zu weitgehend war. Dann stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber eine rückwirkende Anwendung ausdrücklich angeordnet hat. Soweit der Gesetzgeber dies aber nicht getan hat, kann man m.E. nicht im Nachhinein sagen, dass vorher der § 42 AO genauso auszulegen wäre wie nachher eine ggf. speziellere Vorschrift. Prof. Dr. Frotscher Darf ich dazu vielleicht, zu dem § 50d Abs. 3 EStG, etwas sagen? Ich habe Ihre Ausführungen eigentlich nicht ganz verstanden. Wenn wir von § 50d Abs. 3 EStG ausgehen, haben wir als Ausgangspunkt die MutterTochter-Richtlinie, die dem Steuerpflichtigen das Recht auf Erstattung der Kapitalertragsteuer gibt. Und wir haben das DBA, das dem Steuerpflichtigen das Recht auf Kapitalertragsteuerbefreiung bzw. -erstattung gibt. Doch jetzt kommt der Gesetzgeber und sagt: „Wir sperren dir diese Erstattung der Kapitalertragsteuer. Der Steuerpflichtige erhält sie nicht.“ Weshalb? Wenn das keinen Missbrauch verhindern soll, weshalb nimmt sich der Gesetzgeber das Recht, gegen die EU-Richtlinie und gegen die DBA den Steuerpflichtigen in Anspruch zu nehmen? Das begreife ich nicht, tut mir leid. Kreienbaum Wichtig ist zu unterscheiden, wovon wir reden. Geht es um die Frage der Normenhierarchie und die m. E. abzulehnende Auffassung, dass es eine Kategorie der spezifischen Misstrauensregelungen gibt, die als solche die allgemeinen verdrängt, oder reden wir über die europarechtliche Rechtfertigung einer innerstaatlichen Regelung? Das ist eine andere Frage. Und nehmen wir nur einmal das DBA. Da kann der Gesetzgeber natürlich entscheiden, dass er im Wege eines treaty override bspw. eine bestimmte Rechtsfolge, die er DBA-rechtlich vereinbart hat, nicht mehr stehen lässt. Prof. Dr. Frotscher Aber warum? Das muss doch einen Grund haben! Kreienbaum Das kann er aus ganz verschiedenen Gründen tun. Der Gesetzgeber möchte die Rechtsfolge nicht mehr gelten lassen. Wichtig ist aber, dass aus einer Motivation, Missbrauch zu verhindern, nicht zwingend auf eine Normenhierarchie geschlossen werden kann.

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Prof. Dr. Frotscher Dann sagen Sie doch mal einen Grund, warum eine holländische Gesellschaft nach den DBA keinen Anspruch auf Kapitalertragsteuer haben soll, wenn sie nicht missbräuchlich ist. Also keinen missbräuchlichen Grund, sondern einen anderen Grund. Warum will das BMF das nicht? Kreienbaum Es ist bspw. denkbar, dass der Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsfolge, bspw. bei Abschluss eines DBA, nicht gesehen hat. Der Gesetzgeber ist souverän, er lässt sich von verschiedensten Motiven leiten, auch bspw. dem Wunsch nach Vermeidung doppelter Nichtbesteuerung, manchmal spielen auch verwaltungsökonomische Gründe eine Rolle. Prof. Dr. Frotscher Hat er das? (Gelächter) Wir wollen konkret sein, tut mir leid! Ich will wissen, warum der Gesetzgeber den § 50d Abs. 3 EStG geschaffen hat. Kreienbaum Ich möchte nur darauf hinweisen, dass der Gesetzgeber sich durchaus in einer Position wiederfinden kann, dass er Sachverhalte aufgrund neuer oder neu erkannter Umstände neu regeln will und sich bewusst entscheidet, im Wege des treaty override eine andere Rechtsfolge herbeizuführen, ohne dem Steuerpflichtigen damit automatisch Missbrauch zu unterstellen oder auch unterstellen zu wissen. Prof. Dr. Frotscher Also tut mir leid, das ist mir zu abstrakt. Gut. Aber Herr Drüen, ich glaube, Herr Kreienbaum hatte an Sie noch eine Frage. Prof. Dr. Drüen Ich will Herrn Kreienbaum erst einmal verteidigen. Die Frage, ob eine Vorschrift eine spezielle Missbrauchsvorschrift ist, die echte Sperrwirkung hat, ist in der Tat eine Auslegungsfrage. Sie haben zu Recht gesagt, das „Label“ reicht nicht aus. Es reicht weder das Label in der Gesetzesbegründung noch eins in der weiteren Anwendung durch das BMF oder durch andere Rechtsanwender. Darum ist im ersten Schritt nach dem Zweck und der Systematik zu fragen – und dabei hilft manchmal die Gesetzesgeschichte allein nicht weiter oder ist nicht aussagekräftig, darin

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gebe ich Ihnen recht. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass die Sperrwirkung zwingend und absolut ist. Wenn eine Norm nur, was auch vertreten wird, einen leichteren Aufgriff missbrauchsgeneigten Verhaltens ermöglichen soll, dann hat sie keine absolut sperrende Wirkung. Die Abgrenzung ist insoweit einzelfallorientiert vorzunehmen. Zu § 36a EStG, bei dem der Gesetzgeber den Vorbehalt, den Sie vor Augen haben, ausdrücklich aufgenommen hat. In Abs. 7 heißt es, § 42 AO bleibt unberührt. Nur nochmals meine Frage, und das ist eine Frage, die auch das Rückwirkungsverbot betrifft. Ich hätte kaum Schwierigkeiten damit, wenn der Gesetzgeber eine Regelung rückwirkend in Kraft setzt, gestützt auf die zitierte Entscheidung des BVerfG, weil er meint, es sind unerträgliche Gestaltungen im Gange, die auch rückwirkend nicht hinzunehmen sind. Das wäre eine Frage, die an den normalen Rückwirkungsmaßstäben des BVerfG zu messen wäre. Aber kann denn, unter dem Umweg von § 42 AO mit der Begründung, die Sie gegeben haben, dasselbe, was das Parlament in mühevoller Erarbeitung von tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen mit dem Bruch, was noch angerechnet werden kann und den weiteren Haftungsfolgen, kann das vom Rechtsanwender schon für frühere Jahre herangezogen werden? Die vom Parlament beschlossenen Begrenzungen würden überrollt durch die Verwaltung, die die gleichen Rechtsmaßstäbe unter dem Deckmantel von § 42 AO zeitlich antizipieren will. Das ist nicht nur eine Rechtsanwendungsfrage, es ist zugleich eine Verfassungsfrage. Prof. Dr. Frotscher Möchten Sie darauf antworten? Kreienbaum Ja, das würde ich gerne direkt tun. Wenn man sich den Fall einmal umgekehrt vorstellt: Nehmen wir einmal an, diese Verkäufe um den Dividendenzeitpunkt wären tatsächlich vorher von § 42 AO erfasst worden, und zwar in der gleichen Form, wie sie nachher geregelt worden sind, und der Gesetzgeber sagt sich, das will ich jetzt explizit noch einmal ausdrücken. Würde der Gesetzgeber dann nach Ihrer Theorie, Herr Professor Drüen, zugleich sagen, für die Vergangenheit ist diese gleiche Regelung im Rahmen des § 42 AO gar nicht mehr möglich? Also vor Fassen der Neuregelung hätte man gesagt, ja, das wird von § 42 AO erfasst. Man möchte es aber speziell und ausdrücklich regeln und würde damit gleichzeitig sagen, dass ich in der Ver-

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gangenheit den § 42 AO nicht mehr anwenden darf. Wäre das die logische Konsequenz? Prof. Dr. Drüen Nein, das ist nicht die logische Konsequenz. Es ist einfach die Frage, wer darf was in einem gewaltengegliederten Staat. Der Gesetzgeber darf im Rahmen der Verfassung alles. Wenn wir Ihr Beispiel aufnehmen, auch wenn es konkret kontrafaktisch ist, die Rechtsprechung hätte diese Modelle schon früher immer an § 42 AO scheitern lassen. Tatsächlich hat selbst die Verwaltung nicht daran gedacht. Jahre- und jahrzehntelang waren diese Gestaltungen bekannt. Auch wenn wir später über Anzeigepflichten reden, ist auf die Notwendigkeit und Erforderlichkeit der Information der Finanzverwaltung abzustellen, die Elemente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind. Aber gehen wir gleichwohl auf Ihr Beispiel ein. Über Jahre, wäre – anders als es tatsächlich war – annahmegemäß für solche Gestaltungen die Missbrauchsklausel bemüht worden. Dann würde der Gesetzgeber diesen Missbrauchsfall erst ab 2016 ins Gesetz aufnehmen. Dann wäre das eine deklaratorische Gesetzgebung, die auch mitunter vorkommen kann, die aber nichts darüber aussagt, dass es vorher keine andere Rechtsgrundlage gab. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass mein Fall, den ich am Rückwirkungsverbot und der Gewaltenzuständigkeit scheitern lasse, anders zu lösen ist, das kann ich nicht recht nachvollziehen. Prof. Dr. Frotscher Da hinten eine Wortmeldung! Prof. Dr. Osterloh-Konrad1 Ich habe eine Anmerkung zur Diskussion „allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschrift – spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift“. Das Problem ist aus meiner Sicht gar nicht primär dasjenige, was Sie, Herr Kreienbaum, ansprechen, also die Frage: „Ist das überhaupt eine Missbrauchsvermeidungsvorschrift oder nicht?“, woran dann die Konkurrenzfrage anknüpfen würde. Das Problem ist grundsätzlicherer Natur. Ausgangspunkt, das hat m.E. Herr Drüen sehr klar dargestellt, ist der folgende Gedanke: Wenn wir uns überlegen, warum überhaupt der Rück1 Prof. Dr. Christine Osterloh-Konrad ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Tübingen.

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griff auf § 42 AO gesperrt sein sollte, dann liegt die Ursache dafür in der Teleologie des zugrunde liegenden, möglicherweise umgangenen Gesetzes. Gibt dieses spezielle Maßstäbe vor, so wird der Rückgriff auf den allgemeinen Antimissbrauchstatbestand schwierig. Dieses Problem haben wir aber nicht nur bei speziellen Antimissbrauchsvorschriften, sondern bei jeder speziellen Vorschrift. Die Funktion von § 42 AO und von vergleichbaren Instrumenten in anderen Rechtsordnungen liegt darin, einen Rechtsanwendungsprozess zu konturieren, den wir im Zivilrecht durch eine Analogie oder durch eine teleologische Reduktion vollziehen würden. Wir haben es mit einem Fall zu tun, der nicht unter den Wortlaut einer steuerrechtlichen Norm fällt, aber nach der Teleologie dieser Norm darunterfallen sollte, und § 42 AO sagt dem Rechtsanwender, dass er diesen Fall unter bestimmten Voraussetzungen so behandeln darf, als fiele er unter die Norm. Das Ganze funktioniert im Steuerrecht nicht so einfach wie im Zivilrecht, aus verschiedenen Gründen, denen ich jetzt nicht näher nachgehen möchte. Deswegen gibt es in vielen Rechtsordnungen Vorschriften wie § 42 AO, welche die Analogiemöglichkeiten im Vergleich zu dem, was im Zivilrecht möglich wäre, etwas einschränken; in anderen Ländern wird das Gleiche durch Rechtsprechungsregeln bewirkt. Derartige punktuelle Überschreitungen des Wortsinns einer Norm kommen aber überhaupt nur dann in Betracht, wenn ein Bruch zwischen Teleologie der Norm und Wortlaut der Norm existiert. Sobald der Gesetzgeber in einem bestimmten Bereich ganz klar sagt, was er will, wird es schwierig, einen solchen Bruch anzunehmen, z.B. bei betragsmäßigen Grenzen. Wenn der Gesetzgeber etwa eine präzise Haltedauer festlegt, unterhalb derer eine bestimmte Steuerrechtsfolge nicht mehr gerechtfertigt ist, so haben wir es mit einem klaren Cut zu tun – ob wir nun von Missbrauch sprechen möchten oder nicht. Dann aber kann bei einer Gestaltung, bei der die entsprechenden Vermögensgegenstände einen Tag länger gehalten werden, schlicht nicht von einem Bruch zwischen Wortlaut und Teleologie die Rede sein. Das ist das eigentliche Problem. Das bedeutet: Wir müssen an dieser Stelle gar nicht lange darüber diskutieren, ob eine Norm als spezielle Missbrauchsvorschrift zu qualifizieren ist oder nicht. Allein auf die Frage eines Widerspruchs zwischen Wortlaut und Teleologie kommt es an.

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Prof. Dr. Frotscher Darf ich dazu vielleicht Stellung nehmen? Herr Drüen, Ihr Beispiel mit den 45 Tagen war schlagend und wirklich überzeugend. Das Problem ist nur, dass das nur ein Einzelbeispiel ist, und wenn eben der Gesetzgeber 45 Tage sagt, dann sind es 45 Tage. Da kann man nichts ändern. Aber ich möchte einmal ein anderes Beispiel nehmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt ein Missbrauch rein künstliche Gestaltungen voraus. In der ATAD und in anderen Richtlinien ist die Regelung enthalten, dass Missbrauch u.U. schon dann vorliegen kann, wenn nur einer der Gründe für die Gestaltung die Steuerersparnis ist. Sperrt jetzt die Rechtsprechung des EuGH die ATAD, oder sperrt die ATAD die Rechtsprechung des EuGH? Das heißt, wenn Sie nicht solche festen Begriffe haben wie „45 Tage“, sehe ich eigentlich nicht, wie Sie einen Vorrang einer Vorschrift vor der anderen begründen wollen. Und Sie hatten ja das Zivilrecht und andere Rechte angesprochen. Überall haben wir die Normenkonkurrenz, die Parallelen, wo man, wenn eine Norm keine angemessene Rechtsfolge ergibt, sich auf eine andere einschlägige Norm beziehen kann – warum soll das nicht steuerrechtlich gehen? Das erschließt sich mir nicht. Prof. Dr. Drüen Weil Steuerrecht Eingriffsrecht ist und der Gesetzgeber klar regeln muss, was er besteuern will. Die beste Missbrauchsabwehr baut auf dem steuerlichen Belastungsgrund auf, wie Frau Osterloh-Konrad es in ihrer Frage zugrunde gelegt hat. Wenn dieser klar erkennbar ist, dann kann ihm der Rechtsanwender auch mit teleologischer Auslegung zum Durchbruch verhelfen. Die alte Diskussion geht dahin, ob die Rechtsordnung überhaupt eine allgemeine Missbrauchsklausel braucht oder ob Missbrauch nur mit Mitteln der zielorientierten Auslegung des Gesetzes unterbunden werden kann. Viele halten eine allgemeine Missbrauchsklausel für überflüssig. Sie brauche gar nicht angewendet zu werden. Ich meine, man sollte aus den methodischen Gründen, die Sie in Ihrer Frage eingeschlossen haben, eine klare Grenze ziehen, ob und wann eine Analogie beschritten und ob sie auch gerechtfertigt ist. Dadurch erhöht sich erheblich der argumentative Aufwand, aber auch die Transparenz der Rechtsanwendung. Zu Ihrem unionsrechtlichen Problem, denn aus Zeitgründen konnte ich im Vortrag zur ATAD und dem EuGH nicht alles ausführen. Wir stehen in der Tat vor ganz neuen Entwicklungen bei der Missbrauchsabwehr,

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die Sie in Ihrer Frage angedeutet haben. Einmal: Die ATAD gilt nur unmittelbar für Körperschaftsteuersubjekte. Der deutsche Gesetzgeber geht davon aus, dass kein Umsetzungsbedarf besteht. § 42 AO sei hinreichend und erfülle auch die Kriterien der ATAD, ggf. in Randbereichen mittels unionsrechtskonformer Auslegung. Die Österreicher haben ihre allgemeine Missbrauchsregel im § 22 BAO komplett umformuliert. Sie gilt für alle Steuerarten, und man darf gespannt sein, ob das eintritt, was der Kollege Lang schon publiziert hat: Man wollte alle „Wurzeln“ zur nationalen Rechtsprechung kappen, auch wenn man noch Rechtsprechungsformeln ins Gesetz aufgenommen hat, soll es jetzt allein unionsrechtlich auszulegen sein, praktisch ein unionsrechtlicher Missbrauchsbegriff, der auch den nationalen überrollt. Dann würde man natürlich nur innerhalb des Unionsrechts sich die Frage stellen, aber auch dann käme es wieder, wie ich es für das nationale Recht ausgeführt habe, auf das Verhältnis von Spezialität und Allgemeinheit an. Sie haben recht, dass das Beispiel, und auch Frau Osterloh-Konrad, ähnliche Freigrenzen und Freibeträge im Blick hatten, bei denen es leicht fällt zu sagen, das Parlament kann frei wählen, wie die Grenze gesetzt wird. Wenn es sie aber gesetzt hat, dann muss der Gesetzgeber auch daran festgehalten werden. Aber wenn man Ihren Gedanken noch einmal aufnimmt zu § 50d EStG, dann habe ich überhaupt keinen Zweifel daran, dass, wie Herr Gosch es auch in seiner Kommentierung schreibt,2 es sich um eine spezielle Missbrauchsklausel handelt. Denn der Ausgangspunkt ist nicht eine abstrakte, freischwebende Auslegung, sondern, wie Sie es gesagt haben, auszugehen ist von dem Schutz, den der Steuerpflichtige über die Mutter-Tochter-Richtlinie und über das DBA hat. Der Gesetzgeber mag, Herr Kreienbaum, diesen Schutz einschränken wollen – ich hätte mir gewünscht, dass genau Ihre Überlegung auch das BVerfG anstellt. Ich bin auch kein Verfechter, dass ein treaty override immer verfassungswidrig ist, sondern ich habe literarisch eine differenzierende Rechtfertigungslehre vertreten. Eine Rechtfertigung greift in solchen Fällen, die Sie genau beschrieben haben, in denen eine Entwicklung den Gesetzgeber überrollt, wo man nicht damit hat rechnen können, wo faktische oder rechtliche Veränderungen dazu führen, dass die DBA-Freistellung völlig anders ist, als das Parlament es sich vorgestellt hat. Das wären für mich äußere Umstände, unter denen der neue Gesetzgeber auch den Willen des alten aufgeben könnte. Das ist natürlich völkerrechtswidrig, aber national vor der Verfassung gerechtfertigt. Sie lesen freilich die Ent2 Gosch in Kirchhof, EStG18, § 50d Rz. 24, 30.

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scheidung des Verfassungsgerichts anders und sagen, wir können alles brechen, und sagen deswegen auch auf die Rückfrage von Herrn Frotscher: „Ja warum, weil wir’s nicht wollen!“ Das war Ihre Antwort: „Wir wollen es nicht mehr.“ Auf den Grund kommt es nicht an. Das BVerfG zwingt Sie auch nicht zu einer solchen Analyse der Gründe. Sie können es einfach überschreiben. Ich finde dieses Allmachtsstreben aber für einen Rechtsstaat unerträglich. Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank, Herr Drüen. Ich wage nun gar nicht, die Vertreter der Wirtschaft zu fragen, was sie vom Missbrauch halten, denn ihre Unternehmen begehen ja keinen Missbrauch. Wer möchte vielleicht etwas sagen? Thumbs Ich hätte jetzt auch gesagt, ich weiß gar nicht, was das ist! Aber nein, eigentlich hätte ich auch tatsächlich gesagt, ich bin ein bisschen verwirrt durch die Diskussion vorher, aber vielleicht schaffe ich es noch, Sie alle zu verwirren. Weil Sie schon den § 36a EStG angesprochen hatten, eine Missbrauchsvorschrift. Sie hatten auch schon die 45 Tage angesprochen, die eine Erstattung der Kapitalertragsteuer ausschließen: Was passiert, wenn Sie ein Aktiendepot haben und dort hedgen? Das ist in unserem Rebalancing-System passiert. Das System prüft nicht die Einhaltung einer Haltefrist von 45 Tagen, sondern prüft lediglich die Risikopositionen und nimmt den Verlust der Kapitalertragsteuer hin. Das habe ich mal mit jemandem aus dem BMF diskutiert und bin dann auf Randziffer 121 des BMF-Schreibens zu § 36a EStG3 hingewiesen worden. Dort steht sinngemäß: „Wenn keine Umgehung beabsichtigt ist, dann wird der § 36a EStG nicht angewendet.“ Jetzt sind Sie ähnlich verwirrt wie ich. Die Aussage aus dem BMF hat mich doch schwer gewundert, und ich weiß auch nicht, wie das in die Diskussion über Missbräuche reinpasst. Vielleicht hat es auch gar nichts damit zu tun. Ich weiß es nicht. Prof. Dr. Frotscher Herr Nußbaum, möchten Sie etwas zum Missbrauch sagen? 3 BMF v. 3.4.2017 – IV C 1 - S 2299/16/10002 – DOK 2017/0298180, BStBl. I 2017, 726 Rz. 121 – Anwendungsfragen zur Beschränkung der Anrechenbarkeit der Kapitalertragsteuer nach § 36a EStG.

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Nußbaum Nicht zum speziellen Fall, aber insgesamt ist es aus Unternehmenssicht natürlich besser, wenn man spezielle Missbrauchsvorschriften hat, denn nur dann hat man ein eindeutiges und klares Regelwerk, an das man sich auch halten kann. Es ist natürlich dann wieder nicht hilfreich, wenn allgemeine Regeln zusätzlich noch zu berücksichtigen sind und die speziellen Regelungen überschreiben. Dies nur aus Sicht der Praxis. Viele als Missbrauch bezeichnete Fälle und spezialgesetzlich geregelte Fälle sind gerade keine Gestaltungen. Sie sind einfach „missliebige Ergebnisse“, die die Finanzverwaltung unter dem Schirm des Missbrauchs versucht zu regeln. Wenn wir § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG als Beispiel nehmen, kann man sich die Frage stellen: Handelt es sich um eine Missbrauchsregelung oder ist das eine Einkünfteermittlungsvorschrift? Die damalige Intention war sicherlich, Gewinnminderungen aus alternativen Kapitalzuführungen an notleidende Tochtergesellschaften den steuerlichen Abzug zu versagen. Da sich dies über allgemeine Missbrauchsregeln rechtlich nicht in den Griff bekommen ließ, wurde der Fall über eine spezialgesetzliche Norm geregelt. Im Kern geht es zwar um die Bekämpfung des Missbrauchs, dem Wortlaut der Norm nach werden aber nicht nur missbräuchliche Fälle geregelt. Sie hat klar überschießende Wirkung. Insofern halte ich es für richtig, den eigentlichen Anlass und die Natur der einzelnen Norm zu betrachten. Ist es eine Gestaltungsnorm oder ist es eine Einkünfteermittlungsvorschrift? Richterliche Entscheidungen sollten sich daran bei der Auslegung orientieren. Thumbs Darf ich noch eine Anmerkung machen? Wir erleben es nur ganz selten, dass in der Betriebsprüfung tatsächlich etwas wie § 42 AO auch nur erwähnt wird. Das kommt eigentlich nie vor. Und wenn, dann eigentlich immer dann, wenn tatsächlich Begriffe wie „legitim“ und „fair“ kommen. Jetzt habe ich heute noch „mögen“ dazugelernt, aber da bin ich im Grunde doch bei Ihnen. Es gibt aber auch andere Vorschriften, an die ich dabei denken muss, wie § 3c Abs. 2 EStG. Da habe ich eher das Gefühl, das ist eine umgekehrte Missbrauchsvorschrift, also gegenüber dem Steuerpflichtigen sehr unfair und missbräuchlich. Aber ich glaube, dazu müssen Sie nicht unbedingt etwas sagen.

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Prof. Dr. Frotscher Ich habe noch eine Frage an Herrn Kreienbaum – wir sammeln das noch, und dann wird Herr Kreienbaum das Schlusswort zu diesem Vortrag sprechen. Ich möchte auf das Urteil des Hessischen Finanzgerichts eingehen. In dem Urteil gab es eine Verlustgesellschaft und eine Gewinngesellschaft. Die Gewinngesellschaft ist auf die Verlustgesellschaft verschmolzen worden, um die Verluste zu erhalten. Das hat die Finanzverwaltung offensichtlich als Missbrauch angesehen. Ich frage mich, warum. Das Umwandlungsgesetz lässt die Umwandlungsrichtung völlig frei. Ebenso enthalten §§ 11, 12 ff. UmwStG keine Beschränkungen der Umwandlungsrichtung. Das UmwStG hat ja für sämtliche Umwandlungsrichtungen eigene Bestimmungen. Für diese Regelung, dass eine Gewinngesellschaft auf die Verlustgesellschaft verschmolzen wird, hat § 2 Abs. 4 UmwStG eine Regelung. Wie kann man bei dieser Situation auf Missbrauch kommen? Ich habe das Gefühl, dass die Finanzverwaltung, oder einige in der Finanzverwaltung, sich sagen, den Grundsatz, den Herr Drüen ausgeführt hat, nämlich, dass jeder seine Verhältnisse so gestalten kann, dass er möglichst wenig Steuern zahlt, umdreht und stattdessen sagt, ein Missbrauch liege vor, wenn der Steuerpflichtige seine Verhältnisse nicht so gestaltet, dass er möglichst viel Steuern zahlt. Das kann doch nicht sein! Ich habe mich gewundert, dass so etwas überhaupt zum Gericht geht, und jetzt ist von der Finanzverwaltung sogar Revision eingelegt worden! Herr Kreienbaum, Sie haben das Schlusswort. Kreienbaum Sie haben bewusst überspitzt formuliert. Selbstverständlich ist der Steuerpflichtige frei darin, dass er seine steuerlichen Verhältnisse so gestaltet, dass er möglichst wenig Steuern zahlt. Dies aber im Rahmen des geltenden Rechts. Den Rechtsrahmen formuliert der Gesetzgeber auch mit Hilfe von sogenannten Missbrauchsvermeidungsvorschriften, durch die er – häufig in Form von typisierenden Merkmalen – Abweichungen von der Regel formuliert. So frei wie der Steuerpflichtige in der Gestaltung seiner Verhältnisse ist, so frei ist der Gesetzgeber in der Formulierung der Voraussetzungen, unter denen Rechtsfolgen eintreten oder auch nicht eintreten sollen. So kann es z.B. sein, dass der Gesetzgeber abkommensrechtlich etwas vereinbart hat und später feststellt, dass er diese Rechtsfolge so nicht hat herbeiführen wollen, bestimmte Sachverhalte

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nicht gesehen hat, bestimmte Konstellationen nicht gesehen hat, vielleicht nicht gesehen hat, dass es zu enormen fiskalischen Verlusten führt. Und dann kann der Gesetzgeber sehenden Auges durch einen treaty override das auch konkret so bezeichnen. Und es wäre eine Korrektur, die nicht zwingend mit Missbrauch begründet werden müsste. Prof. Dr. Frotscher Herr Kreienbaum. Vielen Dank! Prof. Dr. Drüen Entschuldigung, aber ich möchte noch eine kurze Anmerkung zu dem Hessischen FG-Urteil machen. Sie haben noch einmal schön den Sachverhalt dargestellt. Ich glaube, es ist auch wichtig für das Missbrauchsurteil, was die Ausgangslage ist. In der Ausgangslage geht es darum, dass Verlustvernichtungsvorschriften drohen und dass deswegen wirtschaftlich die andere Richtung gewählt wird, um nicht deren Eintritt auszulösen. Wenn Sie mal an einen wirklich krassen Fall denken, wo der Missbrauch greifbar war, dann waren das die Rücklagenmodelle beim Übergang des Körperschaftsteuersystems, bei denen die alten Guthaben aktiviert wurden, die sonst nicht mehr ausgelöst werden konnten. Später kam noch die Rechtsprechung zu den Umgliederungsverlusten, die Verfassungsverstöße durch willkürlichen Verlustuntergang beanstandet hat. Der BFH hat diese Rücklagenmodelle anerkannt, obwohl es für sie keinen außersteuerlichen Grund gibt und das Ziel der steuerlichen Gestaltung, den Verlust des Körperschaftsteuerguthabens zu verhindern, auf der Stirn geschrieben stand. Gleichwohl hat der BFH keinen Missbrauch angenommen wegen der verfassungsrechtlichen Grundüberlegung, dass Verluste steuerlich zu berücksichtigen sind. Dieses Argument greift auch in Ihrem Fall. Verluste sind natürlich dem Fiskus unlieb und missliebig. Er hat lieber Gewinne, das ist völlig klar. Aber sie sind die Kehrseite von Gewinnen und bei einer Besteuerung muss das Ergebnis in beide Richtungen zugrunde gelegt werden. Für das Missbrauchsurteil ist entscheidend, dass es um eine Gestaltung ging, die nur versucht, den Verlust von Verlusten zu verhindern. Dagegen wird das Urteil über Missbrauch ganz anders ausfallen, wenn es um eine Gestaltung geht, die die eigentlich vorgesehene Steuerbelastung vermeidet.

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Prof. Dr. Frotscher Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten den Diskutanten hier noch einmal herzlich danken, vor allen Dingen Ihnen, Herr Kreienbaum. Ich sagte ja am Anfang, dass das hier nie ein Heimspiel für Sie ist, aber Sie haben sich sehr gut geschlagen!

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Steuerliche Anzeigepflichten bei nationalen und internationalen Sachverhalten Prof. Dr. Florian Haase, M.I.Tax HSBA Hamburg School of Business Administration/ Rödl & Partner, Hamburg

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . 165 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Jüngere steuerpolitische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . 167 B. Drei zentrale Regelungswerke in der Diskussion . . . . I. Richtlinie (EU) 2018/822. . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . 2. Meldepflichtige Personen . 3. Meldepflichtige Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Meldeprozess und Sanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der sog. Länderentwurf. . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . 2. Meldepflichtige Personen . 3. Meldepflichtige Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Meldeprozess und Sanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwurf eines Umsetzungsgesetzes zur Richtlinie (EU) 2018/822 . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . .

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2. Meldepflichtige Personen 3. Meldepflichtige Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Meldeprozess und Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unterschiede der Regelungswerke im Überblick . . . . . . .

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C. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . II. Insbesondere: Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . III. Erfassung einer Vielzahl gewöhnlicher Geschäftsvorfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsschutz. . . . . . . . . . . . . V. Belastung des Mandatsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . VI. Erhebliche administrative Belastungen. . . . . . . . . . . . . . VII. Friktionen mit BEPS/ATAD und der EuGH-Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Fazit und Ausblick . . . . . . . . 187

A. Ausgangslage I. Einführung Rund zehn Jahre ist es her, dass in Gestalt des § 138a AO-E durch das JStG 2008 bereits schon einmal eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen auf dem Tisch lag, die sich indes seinerzeit politisch nicht durch-

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zusetzen vermochte und im Schrifttum ganz erheblich auf Kritik gestoßen war. Kessler/Eicke1 bspw. ordneten sie m.E. zutreffend ein als „[…] eine überflüssige, überschießende und unter verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten höchst fragwürdige Anzeigepflicht, deren Tatbestände viel zu ausufernd und unpräzise sind.“

Dabei ist jedenfalls im Grundsatz gegen steuerliche Anzeigepflichten weder ganz praktisch noch theoretisch etwas einzuwenden. Sie sind im Gegenteil notwendig, um die erhebliche Informationsasymmetrie zwischen den Steuerpflichtigen einerseits und der Finanzverwaltung andererseits auszugleichen, und ergänzen so die allgemeine steuerliche Mitwirkungspflicht (§ 90 AO) im Spannungsfeld zwischen Amtsermittlung (§ 88 AO) und Massenfallrecht (v.a. in der Einkommensteuer). Wie soll die Finanzverwaltung in bestimmten Bereichen überhaupt von steuerlich relevanten Sachverhalten Kenntnis erlangen? Im Prinzip stellt daher auch die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen im Veranlagungsverfahren nichts anderes als eine einzige „große Anzeigepflicht“ dar. Anzeigepflichten kennen die deutschen Steuergesetze schon bisher im nationalen (z.B. § 30 ErbStG) und internationalen (z.B. § 138 Abs. 2 AO) Kontext. § 138 Abs. 2 AO etwa soll die Überwachung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ermöglichen bzw. erleichtern2 und flankiert so die sog. erweiterte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO) bei Auslandssachverhalten. Die Anzeigepflichten treffen i.d.R. den Steuerpflichtigen bzw. – vor allem in jüngerer Zeit – in eng definierten Ausnahmefällen auch fremde Dritte (§ 33 ErbStG; §§ 138b, 138c AO n.F.). Ihre Nichtbefolgung ist i.d.R. bußgeldbewehrt, weitere Rechtsfolgen ergeben sich isoliert betrachtet allerdings daraus nicht (weder im Hinblick auf die Einordnung als Fall des § 42 AO noch in steuerstrafrechtlicher Hinsicht). Die bisherigen, schon bestehenden Anzeigepflichten haben eine lediglich veranlagungsunterstützende bzw. veranlagungsbegleitende Funktion (Rechtsanwendungsfunktion) und sollen damit die Finanzverwaltung von steuerlich relevanten Sachverhalten in Kenntnis setzen. Die Anzeigepflichten wirken dabei insoweit retrospektiv, als sie sich auf bereits verwirklichte Sachverhalte beziehen (z.B. § 30 ErbStG auf eine bereits erfolgte Schenkung). Eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen, wie sie gegenwärtig diskutiert wird, würde hingegen in die Zukunft wirken. Anzeigepflichtig sind Steuergestaltungen, die zwar umsetzungsbe1 Kessler/Eicke, BB 2007, 2370 ff. 2 So ausdrücklich BT-Drucks. VI/1982, 123.

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reit, aber eben noch nicht umgesetzt sind, was zugleich die Schwierigkeit der tatbestandlichen Erfassung deutlich macht: Wie erfasst man sprachlich Sachverhalte, die erst in der Zukunft verwirklicht werden und zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung noch gar nicht bekannt sind? Im Ausland sind Anzeigepflichten für Steuergestaltungen teilweise schon gängige Praxis, so hat man etwa in Großbritannien, Irland, Portugal oder Kanada gute Erfahrungen damit gemacht. In den USA z.B. müssen Steuerpflichtige schon bei der Abgabe der Steuererklärung in einem Anhang erklären, ob sie eine oder mehrere der dort eng definierten Fallgruppen einer Steuergestaltung erfüllen. Dennoch wird man sagen müssen, dass sich Anzeigepflichten für Steuergestaltungen international noch bei Weitem nicht flächendeckend durchgesetzt haben.

II. Jüngere steuerpolitische Entwicklungen Die gegenwärtig diskutierten Anzeigepflichten haben ihren Ursprung im BEPS-Aktionspunkt 12 („Disclosure of Aggressive Tax Planning“). Der Final Report aus Oktober 2015 befasste sich mit der Schaffung und Erhöhung von Transparenz durch Einführung von Informations- und Offenlegungspflichten von bestimmten Steuergestaltungsmodellen, wie ja überhaupt die Herstellung von mehr Transparenz im Besteuerungsverfahren neben der Besteuerung nach der Wertschöpfung von Anfang an einer der wichtigsten Eckpfeiler des BEPS-Projekts war. Der genannte Aktionspunkt gehörte indes nicht zum Mindeststandard des BEPS-Projekts mit der Folge, dass er von den beteiligten Staaten nicht verbindlich zu zeichnen war. Insofern haben die dort erarbeiteten Vorschläge lediglich einen reinen Empfehlungscharakter („soft law“). Parallel bzw. zeitlich etwas vorgezogen dazu vollzog sich die Entwicklung im Hinblick auf den automatischen Informationsaustausch bei Finanzkonteninformationen (common reporting standards) und von Informationen zur Verschleierung tatsächlich wirtschaftlich Berechtigter, der bereits 2014 beschlossen und Ende September 2017 erstmals durchgeführt worden war und zu dem das BMF am 30.9.2018 nochmals eine aktualisierte Staatenliste vorgelegt hatte.3 Die in diesem Rahmen ausgearbeiteten Meldepflichten lehnen sich terminologisch und konzeptionell an den BEPS-Aktionspunkt 12 an. Sehr schnell hat sich in der Praxis jedoch gezeigt, dass sich Umgehungsstrategien herausgebildet hatten. 3 Siehe dazu BMF v. 28.6.2018 – IV B 6 - S 1315/13/10021:050 – DOK 2018/ 0407280, BStBl. I 2018, 716.

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Dem versuchte man mit den Vorschlägen vom 9.3.2018 zu „Model Mandatory Disclosure Rules for CRS Avoidance Arrangements and Opaque Offshore Structures“4 entgegenzuwirken (und die z.T. jetzt gemeinsam mit den allgemeinen Anzeigepflichten umgesetzt werden sollen). Auch hier ist eine Meldefrist für sog. Intermediäre von 30 Tagen vorgesehen. Neben der OECD nahm sich sodann mit der EU ein zweiter internationaler Regelungsgeber der Problematik der Anzeigepflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten an. Am 25.5.2018 wurde die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen5 verabschiedet (dazu sogleich unter Abschn. B.I.), zu der bereits ein nicht veröffentlichter Diskussionsentwurf eines nationalen Umsetzungsgesetzes auf dem Tisch liegt (dazu sogleich unter Abschn. B.III.). Rechtstechnisch handelt es sich dabei um die 6. Änderungsrichtlinie zur Amtshilferichtlinie, weshalb sie v.a. im englischsprachigen Schrifttum auch unter dem Terminus „DAC 6“ („Directive on Administrative Cooperation“) bekannt ist. Die Richtlinie sieht im Grundsatz ein zweistufiges Verfahren vor: In einem ersten Schritt werden die meldepflichtigen Gestaltungen an die zuständige nationale Behörde eines Mitgliedstaats gemeldet, und in einem zweiten Schritt erfolgt dann quartalsweise der automatische Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Kurz darauf wurde bekannt, dass sich die deutschen Länderfinanzminister am 21.6.2018 auf die Einführung einer Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen geeinigt hatten, die nach ihrer Vorstellung sogleich gemeinsam mit der Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Sachverhalte umzusetzen wäre. In Gestalt des § 138d AO-E ist hierfür inoffiziell ein ebenfalls nicht veröffentlichter Diskussionsentwurf bekannt geworden (dazu sogleich unter Abschn. B.II.). Hinzuweisen bleibt noch auf zweierlei, nämlich auf die Anzeigepflicht arrondierende Regelungen im Spannungsfeld rund um Steuergestaltungen: einerseits eine Inkompatibilitätsregel für Wirtschaftsprüfer von kapitalmarktorientierten Unternehmen in § 391a Abs. 1 Nr. 2 HGB, wonach der Wirtschaftsprüfer von der Abschlussprüfung ausgeschlossen ist, wenn er 4 Abrufbar unter http://www.oecd.org/tax/exchange-of-tax-information/modelmandatory-disclosure-rules-for-crs-avoidance-arrangements-and-opaque-off shore-structures.htm. 5 ABl. EU 2018, Nr. L 139, 1.

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Haase – Steuerliche Anzeigepflichten bei nat. und internat. Sachverhalten „[…] über die Prüfungstätigkeit hinaus Steuerberatungsleistungen […] erbracht hat, die sich einzeln oder zusammen auf den zu prüfenden Jahresabschluss unmittelbar und nicht nur unwesentlich auswirken; eine nicht nur unwesentliche Auswirkung liegt insbesondere dann vor, wenn die Erbringung der Steuerberatungsleistungen im zu prüfenden Geschäftsjahr den für steuerliche Zwecke zu ermittelnden Gewinn im Inland erheblich gekürzt hat oder ein erheblicher Teil des Gewinns ins Ausland verlagert worden ist, ohne dass eine über die steuerliche Vorteilserlangung hinausgehende wirtschaftliche Notwendigkeit für das Unternehmen besteht.“

Andererseits gibt es aus jüngerer Zeit einen Vorschlag vom 23.4.2018 für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden.“6 Art. 1 Abs. 1 Buchst. d des Richtlinienvorschlags schützt danach auch Personen, die Verstöße melden „gegen die Körperschaftsteuer-Vorschriften und Körperschaftsteuer-Regelungen […], die darauf abzielen, sich einen steuerlichen Vorteil zu verschaffen, der dem Ziel oder dem Zweck des geltenden Körperschaftsteuerrechts zuwiderläuft.“

Anzeigepflichten für Steuergestaltungen waren bereits bei der 33. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung ein zentrales Thema. Ein entsprechendes Gutachten des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, das sich mit der Möglichkeit der Einführung einer Anzeigepflicht unter verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzte, hatte Osterloh-Konrad vorgestellt.7

B. Drei zentrale Regelungswerke in der Diskussion I. Richtlinie (EU) 2018/822 1. Allgemeines Die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom 25.5.20188 sieht einen verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung von sog. meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltungen vor. Leider setzt sich damit der mit der ATAD-Richtlinie9 begonnene 6 COM(2018) 218 final. 7 Siehe dazu auch Osterloh-Konrad, Anzeigepflichten bei Steuergestaltungen, in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 46, 2017, S. 128 ff. 8 ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-con tent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018L0822&from=DE. 9 „Richtlinie 2016/1164 zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts“, ABl.

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„Trend“ zum Erlass von den Steuerpflichtigen belastenden Richtlinien fort, die zudem in extrem kurzer Zeit diskutiert und verabschiedet werden. Dass in diesem Tempo die teils sehr komplexe Regelungsmaterie nicht im Ansatz durchdacht werden kann, liegt eigentlich auf der Hand, scheint aber die Verantwortlichen nicht zu stören. Die Eckdaten der Richtlinie sehen wie folgt aus: Sie ist am 25.6.2018 (also 20 Tage nach Veröffentlichung im ABl. EU) in Kraft getreten und ist bis zum 31.12.2019 von den Mitgliedstaaten verbindlich umzusetzen. Anzuwenden ist die Richtlinie dann erstmals ab dem 1.7.2020, und am 31.10.2020 findet der erste automatische Informationsaustausch statt (Informationsaustausch auch im Folgenden stets einen Monat nach Quartalsschluss). Zu beachten ist die Nachmeldefrist: Meldepflichtige Gestaltungen, die zwischen dem 25.6.2018 und dem 1.7.2020 implementiert werden, sind bis zum 31.8.2020 gesammelt zu melden. Am 24.9.2018 fand die erste öffentliche Anhörung der Working Party IV bei der EU-Kommission statt, die zu tatbestandlichen Unklarheiten der Richtlinie Stellung bezogen hat. Diese Anhörungen, deren Ergebnisse veröffentlicht werden und der genaueren Auslegung der Richtlinie dienen sollen, sollen fortan regelmäßig wiederholt werden.

2. Meldepflichtige Personen Vorrangig meldepflichtig nach der Richtlinie sind sog. Intermediäre, wobei die Richtlinie zwischen Primär- und Sekundärintermediären unterscheidet. Primärintermediäre sind nach Art. 3 Nr. 21 Abs. 1 Personen, die eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung konzipieren, vermarkten, organisieren, zur Umsetzung bereitstellen oder die Umsetzung verwalten. In der Hauptsache trifft die Meldepflicht daher namentlich Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Notare, Banken, M&A-Berater und vergleichbare Berater, wobei die Meldepflicht den konkreten Vertragspartner des Steuerpflichtigen trifft. Das wird in der Regel eine Beratungsgesellschaft und nicht der konkrete Berater als Einzelperson sein. Sekundärintermediäre sind nach Art. 3 Nr. 21 Abs. 2 Satz 1 Personen, die im weitesten Sinne Hilfe, Unterstützung oder Beratung im Hinblick auf die oben für den Primärintermediär genannten Tätigkeiten leisten und dies wissen bzw. vernünftigerweise wissen müssEU 2016 Nr. L 193, 1 (Anti-Tax Avoidance Directive I, im deutschsprachigen Schrifttum teils auch „Anti-BEPS-Richtlinie“ genannt; dazu Linn, IStR 2016, 645 ff.; Rautenstrauch/Suttner, BB 2016, 2391 ff.).

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ten. Sekundärintermediäre können damit auch Einzelpersonen sein, z.B. der Steuerberater, der eine Gestaltung zwar nicht selbst beraten hat, sie aber in Steuererklärungen verarbeitet, oder auch Hilfspersonen wie Steuerfachangestellte oder Bilanzbuchhalter. Beiden Arten von Intermediären ist dabei gemein, dass ein weiteres Merkmal im Hinblick auf einen hinreichenden EU-Bezug gegeben sein muss. Dieser EU-Bezug des Intermediärs wird in Art. 3 Nr. 21 Abs. 3 angesprochen und z.B. durch die steuerliche Ansässigkeit in einem EU-Mitgliedstaat, die Eintragung nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats oder die Zugehörigkeit zu einer berufsrechtlichen Organisation in einem EU-Mitgliedstaat begründet. Unterliegt der Primärintermediär in seinem Ansässigkeitsstaat einer berufsrechtlichen Verschwiegenheitsverpflichtung, geht die Meldepflicht auf nachrangig meldeverpflichtete Personen über (Art. 8ab Abs. 5 Satz 1), sofern der Intermediär darauf hinweist. Nach der Richtlinie bedeutet das zunächst den Übergang auf andere in- oder ausländische Intermediäre (soweit solche vorhanden sind) und sodann auf den sog. relevanten Steuerpflichtigen (Art. 3 Nr. 22). Ist gar kein Intermediär vorhanden, geht die Meldepflicht unmittelbar auf den Steuerpflichtigen über (Art. 8ab Abs. 6). Nach der Working Party IV ist dies auch der Anwendungsfall für Steuergestaltungen, die „inhouse“ beraten werden. Die Definitionen der Intermediäre weisen diverse Probleme auf. Abgesehen davon, dass die Definition des Sekundärintermediärs viel zu ausufernd ausgefallen ist und das „wissen müsste“ der Willkür im Aufgriffsfall Tür und Tor öffnet, wird schnell deutlich, dass die Meldepflichten allein auf zweiseitige Mandatsbeziehungen (klassisch: Berater – Mandant) zugeschnitten sind und der Richtliniengeber an Unterbeauftragungen offenbar nicht gedacht hat. Wir wollen annehmen, dass eine deutsche Beratungsgesellschaft einen deutschen Mandanten und dessen ausländische Tochtergesellschaft bei einer grenzüberschreitenden Gestaltung berät und dafür die ausländische Tochter- oder Schwestergesellschaft der Beratungsgesellschaft im Unterauftrag eingeschaltet wird. Hier kann es dazu kommen, dass die ausländische Beratungsgesellschaft Primärintermediär in Bezug auf das Unterauftragsverhältnis ist und zugleich Sekundärintermediär in Bezug auf das Hauptauftragsverhältnis zwischen Beratungsgesellschaft und Mandant, während in diesem Verhältnis die Beratungsgesellschaft ebenfalls Primärintermediär ist. Zugleich kann die ausländische Beratungsgesellschaft Primärintermediär in Bezug auf die ausländische Tochter-

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gesellschaft des deutschen Mandanten sein. Der Vielfalt der möglichen rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen trägt die Richtlinie nicht Rechnung, zumal die Meldefristen für Primär- und Sekundärintermediäre leicht abweichend geregelt sind und es unklar bleibt, welche Frist gilt, wenn eine Person zugleich Primär- und Sekundärintermediär ist. Wenn dann im In- und Ausland in Bezug auf berufsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtungen Unterschiede bestehen, entsteht schnell ein Durcheinander, für das die Richtlinie nach der gegenwärtigen Fassung keine Lösung bereithält, zumal grundsätzliche meldepflichtige Personen auch bei einer Meldung durch vorrangig meldepflichtige Personen nur dann von ihrer eigenen Meldepflicht frei werden, wenn die nämlichen Informationen bereits gemeldet worden sind. Grundsätzlich gilt, dass eine Person natürlich nur diejenigen Informationen melden muss, die ihr persönlich bekannt sind.

3. Meldepflichtige Gestaltungen Grundsätzlich sind nur sog. grenzüberschreitende Gestaltungen meldepflichtig, wobei der grenzüberschreitende Bezug durch einen Bezug zwischen entweder mehreren Mitgliedstaaten oder einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat begründet wird und mindestens eine weitere Bedingung hinsichtlich der Beteiligten erfüllt sein muss, z.B. eine unterschiedliche oder mehrfache steuerliche Ansässigkeit (vgl. Art. 3 Nr. 18 Buchst. a–e). Erst aber durch das Vorliegen eines sog. Kennzeichens („Hallmark“) i.S.d. Anhangs IV zur Richtlinie wird die grenzüberschreitende Gestaltung zur sog. meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung. Die Regelung über die Kennzeichen entbindet offenbar nach der Vorstellung des Richtliniengebers zugleich von der Notwendigkeit, den Begriff der Gestaltung zu definieren. Er dürfte daher sehr weit gefasst sein – nach Ansicht der Working Party IV reichen bereits mündliche Absprachen aus, wobei das im Steuerrecht nicht die Regel sein dürfte. Die Kennzeichen A–E, die in Untergruppen weiter spezifiziert werden, stehen entweder für sich genommen oder nur im Zusammenwirken mit dem sog. Main-Benefit-Test. Letzterer betrifft damit insbesondere die Kennzeichen A und B sowie bestimmte Kennzeichen C und gilt als erfüllt, wenn der Nachweis erbracht werden kann, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, den eine Person unter Berücksichtigung aller relevanter Fakten und Umstände vernünftigerweise von einer Gestaltung erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist (siehe An-

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hang IV Teil I Abs. 2 der Richtlinie). Der Begriff des Steuervorteils ist indes in der Richtlinie ebenfalls nicht definiert. Schon der Wortlaut der Kennzeichen lässt erahnen, dass die Richtlinie kaum trennscharf angewendet werden kann. In der Anhörung der Working Party IV am 24.9.2018 wurde teilweise versucht, den weiten Wortlaut etwas einzugrenzen. So sollen etwa unilaterale Safe-Harbor-Regeln i.S.d. Kennzeichens E.1 jedenfalls all jene Gestaltungen sein, die von den OECD Transfer-Pricing-Guidelines abweichen. Ein Steuersatz „nahe null“ i.S.d. Kennzeichens C.1.b.i soll „kleiner 1 %“ bedeuten, und eine gesetzliche oder berufsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung soll nicht ausreichen, dass Kennzeichen A.1 zu erfüllen.

4. Meldeprozess und Sanktionen Die Meldefrist beträgt 30 Tage ab Bereitstellung, Nutzungsbereitschaft oder Vollzug des ersten Schritts zur Umsetzung für den Primärintermediär (Art. 8ab Abs. 1 Satz 1) bzw. 30 Tage ab Hilfeleistung für den Sekundärintermediär (Art. 8ab Abs. 1 Satz 2) und ebenfalls 30 Tage für den relevanten Steuerpflichtigen (Art. 8ab Abs. 7). Es sind umfangreiche personen- und gestaltungsbezogene Informationen an eine noch zu benennende nationale Behörde eines Mitgliedstaats zu melden, die Informationen sind im Einzelnen in Art. 8ab Abs. 14 aufgelistet. Zu den Sanktionen im Fall einer nicht erfolgten oder nicht rechtzeitigen Meldung verhält sich die Richtlinie nicht im Einzelnen. In Art. 25a Satz 2 wird lediglich ausgesagt, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten. Hierzu ist zu konstatieren, dass das Element der Abschreckung klar im Vordergrund steht und zwischen den Zeilen aus den Erwägungsgründen deutlich herauszulesen ist.

II. Der sog. Länderentwurf 1. Allgemeines Der nicht veröffentlichte Länderentwurf, der insbesondere auf Betreiben der Bundesländer Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz ausgearbeitet worden war, sieht in Gestalt des § 138d AO-E eine Anzeigepflicht für Steuergestaltungen vor, ohne nach nationalen und grenzüberschreitenden Sachverhalten zu differenzieren. Nach der Erklärung der beteiligten Bundesländer sollte die Anzeigepflicht sogleich gemeinsam mit der Richtlinie (EU) 2018/822 umgesetzt werden, was im Ausgangspunkt er-

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staunt, weil die EU-Kommission selbst auf Anfrage des Bundesrates erklärt hatte, dass aus ihrer Sicht eine Erstreckung der Anzeigepflicht auf rein nationale Sachverhalte über die Richtlinie hinaus zumindest aus europarechtlicher Sicht nicht zwingend und auch nicht geboten sei. Immerhin verfolgt der Länderentwurf ausweislich der Gesetzesbegründung einen rein rechtspolitischen Ansatz, wonach der Gesetzgeber durch die Anzeigepflicht frühzeitig über bestimmte Steuergestaltungen informiert werden muss, um entsprechend über Gesetzesänderungen reagieren zu können. Konzeptionell ähnelt der Länderentwurf der Richtlinie (EU) 2018/822, es gibt aber – vor allem für die Anwendungspraxis – wichtige Unterschiede. Das betrifft insbesondere die Steuerarten, die über die von der Amtshilferichtlinie bzw. dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz erfassten Steuerarten deutlich hinausgehen und damit namentlich auch Zölle, die Umsatzsteuer und bestimmte Verkehrssteuern betreffen.

2. Meldepflichtige Personen Die Meldepflicht trifft auch hier in der Hauptsache Intermediäre. Das sind nach § 138d Abs. 2 AO-E Personen, die eine Steuergestaltung vermarkten, zur Nutzung bereitstellen, konzipieren, organisieren oder deren Umsetzung managen. Insbesondere das „Managen“ hat in einem deutschen Steuergesetz nichts zu suchen und sollte gestrichen werden. Zu beachten ist, dass eine Definitionserweiterung entsprechend der Sekundärdefinition der Richtlinie nicht stattfindet und dass sich der Intermediär auch nicht auf eine berufsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung berufen kann. Letzteres liegt darin begründet, dass die Anzeige abstrakt-anonym erfolgen soll und den konkreten Mandanten als Vertragspartner des Intermediärs nicht benennt (§ 138d Abs. 6 AO-E). Lediglich eine Beschreibung der Struktur der Steuergestaltung und ihrer steuerlichen Effekte soll die Anzeige enthalten, gewissermaßen ohne Ansehen der Person. Die Meldepflicht des Steuerpflichtigen tritt nach dem Länderentwurf gleichrangig neben die Meldepflicht des Intermediärs, wobei es dafür ausreicht, dass der Steuerpflichtige die Steuergestaltung lediglich „nutzen will“ (§ 138d Abs. 4 Satz 1 AO-E). Für die Praxis wichtig werden die Ausnahmen von der Meldepflicht des Steuerpflichtigen (§ 138d Abs. 4 Satz 2 AO-E). Unterhalb einer bestimmten Einkommensschwelle (, 500.000 Euro p.a.) bspw. oder bei einem eingereichten Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft entfällt die Meldepflicht.

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Positiv ist ferner zu bewerten, dass der Länderentwurf als einziges Regelungswerk in § 138d Abs. 10 AO-E eine ausdrückliche Regelung für Personengesellschaften enthält. Hiernach gelten diese selbst (und nicht ihre Gesellschafter) als Steuerpflichtige für Zwecke der Meldung. Die Richtlinie enthält insoweit keine Regelung. Lediglich aus der Anhörung der Working Party IV ergibt sich, dass auf die Gesellschafter selbst abgestellt werden soll. Im Umsetzungsgesetz schließlich ist in § 138d Abs. 7 AO-E zwar eine sog. Personenmehrheit angesprochen, jedoch sprechen die deutschen Steuergesetze zumindest bislang eher von einer Personenvereinigung, wenn und soweit Personengesellschaften angesprochen sein sollen.

3. Meldepflichtige Gestaltungen Für eine meldepflichtige Gestaltung muss mindestens eines der in § 138d Abs. 5 AO-E genannten Kennzeichen erfüllt sein. Letztlich versucht sich der Gesetzgeber hier an einer Definition der Steuergestaltung, was jede Transaktion bedeutet soll, die gesetzliche Regelungen kombiniert, Sachverhalte geplant verwirklicht mit dem Ziel, durch die Reduzierung des deutschen Steueranspruchs oder durch die Begründung einer Steueranrechnung oder Steuererstattung einen Steuervorteil zu erlangen. Interessanterweise entspricht diese Definition der Steuergestaltung nahezu exakt der Definition des sog. Steuervorteils, wie er im deutschen Umsetzungsgesetz zur Richtlinie (dazu sogleich) enthalten ist. Für die Praxis ebenfalls wichtig ist die Aussage, dass im Grundsatz nur modellhafte Gestaltungen anzeigepflichtig sein sollen. Keine Anzeigepflicht soll i.d.R. bestehen, wenn die Gestaltung so auf die Bedürfnisse und den Einzelfall des Steuerpflichtigen zugeschnitten ist, dass sie nicht ohne Weiteres auf andere Sachverhalte übertragbar ist (§ 138d Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AO-E). Diese Unterscheidung zwischen modellhaften und maßgeschneiderten Gestaltungen findet sich in der Richtlinie zwar auch wieder (dort Art. 3 Nr. 24 u. 25), sie hat dort aber nur Auswirkungen auf die Art der Meldepflicht (Art. 8ab Abs. 2 der Richtlinie). Die Beschränkung der Anzeigepflicht auf modellhafte Gestaltungen hängt auch eng mit der Konzeption der Meldepflicht zusammen, die rechtstechnisch über positive und negative Regelbeispiele umgesetzt wird. Die positiven Regelbeispiele (§ 138d Abs. 5 Satz 2 AO-E) orientieren sich dabei im Wesentlichen an den Kennzeichen der Richtlinie, ergänzt um unangenehme Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit wie Cum/cum-Modelle oder die sog. Goldfinger-Modelle. Die negativen Re-

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gelbeispiele präzisieren die Anzeigepflicht bzw. schränken sie ein oder schließen sie aus (§ 138d Abs. 5 Satz 3 AO-E), etwa wenn die fragliche Steuergestaltung bereits bekannt war (wem und wie lange, bleibt unklar) oder wenn der Barwert des Steuervorteils unterhalb einer Schwelle von 50.000 Euro liegt.

4. Meldeprozess und Sanktionen Der Meldeprozess und die Meldefrist sind ähnlich angelegt wie in der Richtlinie. Die Meldefrist beträgt 30 Tage ab dem erstmaligen Tätigwerden (für Intermediäre) oder bei dem Steuerpflichtigen ab den ersten Vorbereitungshandlungen mit dem erkennbaren Entschluss zur Nutzung der Gestaltung. Die Anzeige muss es der Finanzverwaltung ermöglichen, die Steuergestaltung inhaltlich und rechtlich nachvollziehen zu können. Dafür muss die Anzeige – trotz der Anonymität – wie bereits oben ausgeführt eine abstrakte Beschreibung der Gestaltung und der steuerlichen Effekte enthalten. Das Bundeszentralamt für Steuern wird als sog. zentrale Stelle für das Sammeln (und Auswerten?) der Anzeigen benannt. Von dort aus wird den angezeigten und sodann elektronisch erfassten Gestaltungen auch eine Registriernummer zugewiesen. Die Sanktionen sind eher moderat ausgestaltet und unterstreichen so den rechtspolitischen Ansatz des Länderentwurfs, der nicht auf Abschreckung setzt. Bei einem Unterlassen der Anzeigepflicht kann nach § 379a AO-E ein Bußgeld von bis zu 100.000 Euro festgesetzt werden. Bei einer verspäteten Anzeige durch einen Intermediär beträgt die Geldbuße in den Fällen des § 138d Abs. 2 AO-E mindestens 200 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung.

III. Entwurf eines Umsetzungsgesetzes zur Richtlinie (EU) 2018/822 1. Allgemeines Der Entwurf der §§ 138d–f AO ist konzeptionell eng an die Richtlinie angelehnt. Insbesondere im Haupttatbestand der Meldepflichten (§ 138d AO-E) ist die Richtlinie nahezu „eins zu eins“ umgesetzt. Positiv ist zu bewerten, dass die Gesetzesbegründung sich an vielen Stellen an teleologischen Einschränkungen und Präzisierungen der doch sehr weit geratenen Tatbestände versucht. Richtigerweise gehören solche Einschränkungen indes bereits in den Tatbestand selbst, weil die Gesetzesbegründung

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nur eine Auslegungshilfe ist. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass sich das Umsetzungsgesetz in wichtigen, nachstehend kurz zu skizzierenden Punkten von der Richtlinie entfernt. Auch wenn das inhaltlich durchaus zu begrüßen ist: Wie sich die Abweichungen mit dem Effektivitätsgrundsatz des Europarechts vertragen und ob der Bundesrepublik Deutschland dafür ein Vertragsverletzungsverfahren droht, bleibt abzuwarten.

2. Meldepflichtige Personen Was die meldepflichtigen Personen anbelangt, so ist zunächst auffällig, dass eine Definition des Sekundärintermediärs gänzlich fehlt. Zudem wird als nachrangig Meldepflichtiger nicht wie in der Richtlinie der sog. relevante Steuerpflichtige, sondern der sog. Nutzer einer Steuergestaltung benannt (§ 138d Abs. 7 AO-E). Ob dies die oben angesprochenen Dreieckssachverhalte meinte, bleibt zwar unklar. Dafür teilt § 138d Abs. 10 AO-E mit, dass eine Person zugleich Intermediär und Nutzer in Bezug auf dieselbe Steuergestaltung sein kann. Auch ist, abweichend zur Richtlinie, ein Übergang der Meldepflicht auf andere (in praxi meist wohl ausländische) Intermediäre nicht vorgesehen. Die Meldepflicht geht nach § 138d Abs. 6 Satz 3 AO-E unmittelbar auf den Nutzer über, es sei denn, ein in die Steuergestaltung involvierter Intermediär oder ein anderer Nutzer hat die Gestaltung bereits gemeldet (§ 138d Abs. 9 Satz 3 AO-E).

3. Meldepflichtige Gestaltungen Die Kennzeichen des § 138e Abs. 2 AO-E entsprechen im Wesentlichen den Kennzeichen des Anhangs IV zur Richtlinie – das Fehlen des Merkmals der Abzugsfähigkeit von grenzüberschreitenden Zahlungen in § 138e Abs. 1 Nr. 4 AO-E gegenüber dem Kennzeichen C.1 der Richtlinie wird vermutlich ein Redaktionsversehen sein, das im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch zu bereinigen wäre. Ebenso wie die Kennzeichen der Richtlinie stehen die Kennzeichen des Umsetzungsgesetzes entweder für sich genommen oder zusammen mit dem Main-BenefitTest. Anders als in der Richtlinie steht dem Steuerpflichtigen aber eine Exkulpationsmöglichkeit offen. Wenn nachgewiesen werden kann, dass für eine Steuergestaltung wirtschaftliche Gründe bestehen, ist damit zugleich belegt, dass der Steuervorteil nicht der Hauptvorteil der Gestaltung sein kann. Allerdings findet sich bei der Beurteilung des Steuervorteils im Hinblick auf den Main-Benefit-Test anders als in der Richtlinie

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keine Einschränkung auf die von Art. 2 der Amtshilferichtlinie erfassten Steuerarten. Anders als in der Richtlinie wird im Umsetzungsgesetz auch eine Definition des Steuervorteils gegeben (§ 138e Abs. 3 AO-E). Es kann sich danach, enumerativ aufgezählt, um Steuererstattungen, Steuervergütungen, die Verringerung von Steueransprüchen, die Entstehung von Steueransprüchen in anderen Besteuerungszeiträumen oder die Verschiebung von Steueransprüchen in andere Besteuerungszeiträume handeln. Etwas vage bleibt der räumliche Anwendungsbereich der Meldepflichten. Während sich die Richtlinie auf grenzüberschreitende Gestaltungen zwischen (1) entweder einem Mitgliedstaat und einem anderen Mitgliedstaat oder (2) einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat beschränkt, ist die Formulierung in § 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO-E sehr unglücklich gewählt. Durch das zweimalige Verwenden des Wortes „oder“ hintereinander bleibt unklar, ob auch reine Gestaltungen zwischen Drittstaaten als dritte Fallgruppe von der Meldepflicht erfasst werden sollen.

4. Meldeprozess und Sanktionen Der Meldeprozess, der in der Richtlinie naturgemäß den Mitgliedstaaten zur konkreten Ausformung überlassen wurde, wird in § 138f AO-E näher umschrieben. Hiernach sind die Mitteilungen über Steuergestaltungen nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über eine amtlich bestimmte Schnittstelle einzureichen (dem Vernehmen nach über das ELSTER-Portal der Finanzverwaltung). Der Inhalt des zu meldenden Datensatzes entspricht im Wesentlichen der Richtlinie (EU) 2018/822. Die Mitteilung hat in einem ersten Schritt an das für den Intermediär/Nutzer nach §§ 18 ff. AO zuständige Finanzamt zu erfolgen, und erst in einem zweiten Schritt werden dann alle Meldungen beim Bundeszentralamt für Steuern als zentraler Stelle gesammelt. Das Bundeszentralamt weist dann der Gestaltung eine Vergabenummer zu. Für die nicht erfolgte oder nicht rechtzeitige Meldung ist gegenwärtig eine Geldbuße bis zu 25.000 Euro vorgesehen, wenn die Tat nicht als leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) geahndet werden kann. Noch in Diskussion befindlich ist die Frage, ob auch die nicht vollständige Meldung bußgeldbewehrt sein soll. Angesichts der Vielzahl der offenen Fragen um die Tatbestände der Meldepflicht sollte davon Abstand genommen werden.

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IV. Unterschiede der Regelungswerke im Überblick RL (EU) 2018/822

§ 138d AO-E

§§ 138d-f AO-E

Art. 2 AmthilfeRL

Alle Steuerarten, für die die AO gilt

Alle Steuerarten, für die das EUAHiG gilt

Anzeigepflichtige Person (Primärer Intermediär)

konzipiert, vermarktet, organisiert, zur Umsetzung bereitstellt, Umsetzung verwaltet

vermarktet, zur Nutzung bereitstellt, konzipiert, organisiert, Umsetzung managt

konzipiert, vermarktet, organisiert, zur Nutzung bereitstellt, Umsetzung verwaltet

Sekundärer Intermediär (mit Exkulpation)

Hilfspersonen bei Hilfe, Unterstützung, Beratung Exkulpation: Ja

Nein

Nein

Relevanter Steuerpflichtiger

Steuerpflichtiger (ohne Registriernummer originär)

Nutzer

Ja Art. 8ab Abs. 5 S. 2

Nein

Nein § 138d Abs. 6 S. 3

Nein

Ja

Unklar Personenmehrheit?

Nein (Gestaltung)

Ja (Steuergestaltung)

Nein (grenzüberschreitende Steuergestaltung)

Ja

Ja i.d.R. keine Steuergestaltung wenn nicht übertragbar

Ja

Abzugsfähigkeit als Tatbestandsmerkmal eines Kennzeichens

Kennzeichen C.1. „abzugsfähige grenzüberschreitende Zahlungen“

Nein

§ 138e Abs. 1 Nr. 4 „grenzüberschreitende Zahlungen“

Anzeigemodalitäten

umfangreiche personenund gestaltungsbezogene Informationen

anonym abstrakte Beschreibung

umfangreiche personenund gestaltungsbezogene Informationen

Erfasste Steuerarten

Hilfsweise anzeigepflichtig Übergang auf andere Intermediäre Sonderregel für Personengesellschaften Definition (Steuer)Gestaltung Unterschiede zwischen maßgeschneiderter und marktfähiger Gestaltung

C. Bewertung I. Allgemeines Was die Zielsetzung der Anzeigepflichten anbelangt, so wird bei der Lektüre der Regelungswerke schnell deutlich, dass die Richtlinie und damit zwangsläufig auch das Umsetzungsgesetz auf Abschreckung setzen, während der Länderentwurf den rechtspolitischen Ansatz in den Vordergrund stellt. Die bisher im deutschen Recht bekannten Anzeigepflichten verfolgen hingegen, wie oben bereits erwähnt, eher eine veranlagungsunterstützende Zielsetzung. Was die Vereinbarkeit der Anzeigepflichten mit höherrangigem Gemeinschafts- und Verfassungsrecht betrifft, so sind aus jüngerer Zeit zwei größere Gutachten bekannt geworden, nämlich einerseits ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen (Os-

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terloh-Konrad et al.) vom 15.7.2016,10 das Anzeigepflichten in engen Grenzen tendenziell für zulässig hält, und andererseits ein Gutachten von Johanna Hey aus dem Februar 2018,11 das tendenziell zur Verfassungswidrigkeit neigt, sich allerdings im Kern auch auf Anzeigepflichten bei nationalen Sachverhalten kapriziert.

II. Insbesondere: Bestimmtheitsgebot Steuerrecht ist Eingriffsverwaltung par excellence. In der Eingriffsverwaltung muss nach Tatbestand und Rechtsfolge klar definiert sein, was vom Steuerpflichtigen erwartet wird, damit er sein Verhalten danach ausrichten kann. Hinter diesem Anspruch bleiben die Anzeigepflichten nach allen drei vorliegenden Regelungswerken bei Weitem zurück. Gemünzt auf die Anzeigepflicht bedeutet es nämlich, dass der Intermediär und der Steuerpflichtige „klipp und klar“ wissen müssen, ob sie eine Gestaltung melden müssen oder nicht. Ob sich dies mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Bestimmtheitsgebot in der Ausprägung des Grundsatzes der Normenklarheit verträgt, darf füglich bezweifelt werden. Indes: Noch nie hat das Verfassungsrecht eine steuerliche Norm allein aufgrund einer Verletzung des Bestimmtheitsgebots für verfassungswidrig erklärt. Während das BVerfG in seinem Urteil vom 10.10.196112 noch ausführte, dass dem Bestimmtheitsgebot nur Genüge getan sei, wenn der Steuerpflichtige anhand des Gesetzestexts die auf ihn entfallende Steuerlast selbst berechnen könne, so blieb das Gericht in der Folge hinter dieser eigenen Maßgabe erheblich zurück. Nunmehr reicht es nach jüngerer Rechtsprechung für die Normenklarheit aus, wenn sich der Bedeutungsinhalt einer Norm anhand der gängigen Auslegungsmethoden durch Rechtsprechung und Finanzverwaltung erschließen lasse.13 Der Grund für diese Rechtsprechungsänderung ist wohl eine Art „richterliche Notwehr“: Setzt man den Maßstab an das Bestimmtheitsgebot zu streng an, so wären mutmaßlich Dreiviertel der deutschen Steuerrechtsnormen verfassungswidrig. Dass es umgekehrt für die Bestimmtheit

10 Abrufbar unter https://www.tax.mpg.de/fileadmin/TAX/docs/TL/MA/Gutach ten_Anzeigepflichten_MPI.pdf. 11 Abrufbar unter https://www.bstbk.de/export/sites/standard/de/ressourcen/Do kumente/04_presse/pressemitteilungen_anlagen/2018/Gutachten_Prof.Hey_ Anzeigepflichten_Feb-2018.pdf. 12 BVerfG v. 10.10.1961 – 2 BvL 1/59, BVerfGE 13, 153. 13 BVerfG v. 12.10.2010 – 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335.

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nicht auf die Sichtweise eines steuerlichen Laien ankommen kann, ist natürlich auch unmittelbar einsichtig. Die folgenden Beispiele illustrieren die Probleme des Bestimmtheitsgebots anhand der Richtlinie (EU) 2018/822. Unterstreicht man in der Definition des Main-Benefit-Tests bspw. alle nicht in der Richtlinie definierten bzw. alle auslegungsbedürftigen, unbestimmten Rechtsbegriffe, so ergibt sich folgendes Bild: „Dieser Test gilt als erfüllt, wenn festgestellt werden kann, dass der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, den eine Person unter Berücksichtigung aller relevanter Fakten und Umstände vernünftigerweise von einer Gestaltung erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist.“

Ähnlich verhält es sich mit der Sekundärdefinition des Intermediärs in Art. 3 Nr. 21 Abs. 2: „Person, die – unter Berücksichtigung der relevanten Fakten und Umstände und auf der Grundlage der verfügbaren Informationen sowie des einschlägigen Fachwissens und Verständnisses […] vernünftigerweise wissen müsste, dass sie unmittelbar oder über andere Personen Hilfe […] geleistet hat.“

Einem Offenbarungseid des Steuergesetzgebers kommt es ferner gleich, wenn Art. 8ab Abs. 14 Buchst. g der Richtlinie vorgibt, dass in dem Datensatz zur Meldung die Mitgliedstaaten anzugeben sind, die wahrscheinlich von der meldepflichtigen Gestaltung betroffen sind. Noch deutlicher wird das Kennzeichen D.1, wonach eine Steuergestaltung zu melden ist, wenn sie möglicherweise Auswirkungen auf den automatischen Informationsaustausch hat. Wir sind hier an der Grenze dessen, was Sprache zu leisten imstande ist. Natürlich darf ein Rechtsstaat nicht per se vor Komplexität kapitulieren, aber es fragt sich doch, ob man etwas regeln muss, was sinnvoll und verständlich nicht mehr zu regeln ist.

III. Erfassung einer Vielzahl gewöhnlicher Geschäftsvorfälle Neben der Unbestimmtheit ist v.a. die Reichweite der Kennzeichen ein besonders gewichtiges Problem. Kennzeichen A.3 etwa setzt lediglich eine Dokumentation/Struktur voraus, die im Wesentlichen standardisiert ist, und ist damit sicherlich das „schwammigste“ Kennzeichen. Nach dem Wortlaut fallen alle standardisierten Gestaltungen darunter, also bspw. Steuerbelastungsvergleiche bei Outbound-Investitionen über Personen- oder Kapitalgesellschaften, Gestaltungen unter Verwendung von standardisierten Notarverträgen, Rahmenverträge aus der Finanzwirt-

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schaft oder der privaten Altersvorsorge etc. Die Anhörung der Working Party IV hat immerhin zum Ausdruck gebracht, dass „standard banking agreements“ nicht unter dieses Kennzeichen fallen sollen – dies allerdings nur, weil dort der Steuervorteil regelmäßig kein Hauptvorteil sei. Nur sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen die Transaktion eben doch steuerinduziert ist, und dann lebt die Anzeigepflicht mit allen damit verbundenen Unsicherheiten bei der Auslegung des Main-BenefitTests wieder auf. Soweit in der Literatur14 vorgeschlagen wurde, dass z.B. auch die beraterseitige Empfehlung an eine natürliche Person, eine Immobilie im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG länger als zehn Jahre zu halten, um in den Genuss der Steuerfreiheit zu gelangen, in den Anwendungsbereich des Kennzeichens A.3 fallen könnte, relativiert dies die Gesetzesbegründung zum Umsetzungsgesetz dergestalt, dass Vorteile aus der direkten Gesetzesanwendung nicht in den Anwendungsbereich des Kennzeichens fielen. Auch diese, wohl gutgemeinte Einschränkung hilft allerdings im Streitfall nicht weiter, weil letztlich fast alle Gestaltungen aus einer direkten Gesetzesanwendung resultieren. Auch das Kennzeichen B.2 wirft erhebliche Fragen auf. In seiner ersten Variante geht es um die Umwandlung von Einkünften in Vermögen. Es bedarf schon einiger Fantasie, um überhaupt ein Anwendungsbeispiel zu finden. Wird etwa einem Mandanten geraten, aus einer Kapitalgesellschaft keine Ausschüttung vorzunehmen, führt dies dann zu einer Situation, in der Einkünfte (grundsätzlich steuerbare und steuerpflichtige Dividendeneinkünfte) in Vermögen (nämlich Betriebsvermögen der thesaurierenden Kapitalgesellschaft) umgewandelt werden? Und wie verhält es sich mit der 3. Variante des Kennzeichens, wonach Einkünfte in andere niedriger besteuerte oder steuerbefreite Arten von Einkünften umgewandelt werden? Fällt darunter z.B. der Fall, dass einem Mandanten geraten wird, 2 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft hinzuzuerwerben, um die Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 KStG zu vermeiden? Es gibt im Steuerrecht viele Schwellenwerte, so bspw. auch in § 9 Nr. 2a und 7 GewStG oder in § 8c KStG. Bleibt der Steuerpflichtige auf der steuerlich günstigeren Seite des Schwellenwerts, so löst das nach dem Wortlaut das Kennzeichen aus. Wie ist es um die in der Praxis häufigen Fälle bestellt, in denen zinstragende Forderungen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in eine Kapitalgesellschaft eingelegt 14 Schnitger/Brink/Welling, IStR 2018, 513 (516).

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werden, oder, allgemeiner gewendet, Fälle, in denen Fremd- in Eigenkapital umgewandelt wird, das regelmäßig steuerlich günstiger behandelt wird? Wie verhält es sich mit Umwandlungen von ausländischen Kapitalgesellschaften in ausländische Personengesellschaften, die – anders als zuvor die Inbound-Dividenden – der Freistellungsmethode nach einem DBA unterliegen? Das Kennzeichen B.3 erfasst ebenfalls in der Beratungspraxis häufig vorkommende Konstellationen. Wird etwa von einer Muttergesellschaft Eigenkapital in die freie Rücklage einer Tochtergesellschaft eingelegt, um damit ein von der Muttergesellschaft ausgereichtes Darlehen abzulösen und die Entstehung eines außerordentlichen Ertrags im Fall eines alternativ möglichen Darlehensverzichts zu verhindern, so handelt es sich um eine zirkuläre Transaktion i.S. dieses Kennzeichens.15 Im finalen Report zum BEPS-Aktionspunkt 12 finden sich weitere Beispiele, v.a. aus dem Bereich gewöhnlicher Sale-and-lease-back-Transaktionen. Die Kennzeichen D.2.a und D.2.b sind ebenfalls sprachlich kaum zu verstehen. Eine „intransparente Kette an rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentümern durch die Einbeziehung von Personen, Rechtsvereinbarungen oder Strukturen“ findet sich in jeder gewöhnlichen mehrstufigen Inbound-Investitionsstruktur und wird meist unter dem Gesichtspunkt des § 50d Abs. 3 EStG untersucht. Was „Rechtsvereinbarungen“ und „Strukturen“ in diesem Sinne sein sollen, besagt die Richtlinie leider nicht. Das Kennzeichen E.2 spricht von „schwer zu bewertenden immateriellen Wirtschaftsgüter[n]“. Spricht man mit Verrechnungspreisexperten, trifft das allerdings so gut wie auf jede Geschäftsbeziehung zu, da sich ein exakter Fremdvergleichspreis in diesem Bereich mangels griffiger Kriterien ohnehin nur selten ermitteln lässt. Bei wörtlicher Auslegung wäre damit fast jeder Verrechnungspreisfall in Bezug auf die in der Zukunft immer wichtiger werdenden „intangibles“ erfasst, wie auch die weiteren Beispiele aus dem finalen Report zum BEPS-Aktionspunkt 8 belegen. Insgesamt an vielen Kennzeichen problematisch ist ferner die Tatsache, dass sich deren Wortlaut von den Erwägungsgründen der Richtlinie bzw. 15 Durch die untergerichtliche Rechtsprechung anerkannt und nicht als § 42 AO gewürdigt, sofern es sich nicht um eine reine Buchtransaktion handelt, siehe FG München v. 27.10.2009 – 6 K 3941/06, EFG 2010, 462 ff.; FG BerlinBrandenburg v. 13.4.2010 – 6 K 53/06, EFG 2010, 1671 ff.

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der Gesetzesbegründung zum Umsetzungsgesetz in manchen Punkten deutlich entfernt. So sollen nach der Gesetzesbegründung etwa Gestaltungen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung nicht unter die Kennzeichen fallen, jedoch spricht der Wortlaut oft eine andere Sprache.

IV. Rechtsschutz Bei aller Kritik an der Richtlinie und auch dem Umsetzungsgesetz wird man leider sagen müssen, dass es um den Rechtsschutz für den Steuerpflichtigen schlecht bestellt sein wird. Eine Vorlage zum BVerfG wird schon daran scheitern, dass man bei aller Irrationalität mancher EuGHEntscheidungen wohl kaum sagen kann, dass der Grundrechtsstandard des Europarechts unter den Grundrechtsstandard nach dem Grundgesetz gesunken ist. Genau dies wäre nach der durch die Bananenmarkt-Entscheidung16 fortentwickelte Solange-Rechtsprechung17 des BVerfG aber Voraussetzung für eine erfolgreiche Vorlage. Ausnahmen mag es bei einer überschießenden Umsetzung der Richtlinie oder in (echten) Rückwirkungsfragen geben, aber solche sind nach der gegenwärtigen Fassung des Umsetzungsgesetzes nicht erkennbar. Auch vor dem EuGH kann der Steuerpflichtige nur versuchen, sein Heil zu finden. Hier wäre die erste Frage, was eigentlich der Prüfungsmaßstab für ein deutsches Umsetzungsgesetz wäre: nur die Richtlinie (dann begrenzt auf eine Willkürprüfung und im Wesentlichen formale Fragen), oder doch die Grundfreiheiten mit einer kompletten dogmatischen Prüfung? In der Literatur wird zuweilen vortragen, dass es kein primärrechtswidriges Sekundärrecht innerhalb der Gemeinschaft geben könne und dass deshalb jeder Rechtsakt anhand der Grundfreiheiten zu messen sei. Der EuGH ist indes anderer Ansicht. Er geht vom Anwendungsvorrang des Sekundärrechts jedenfalls dann aus, wenn mit einer Richtlinie eine abschließende Harmonisierung bezweckt ist.18 Nur bei Wahlrechten oder Ausgestaltungsmöglichkeiten leben die Grundrechte wieder auf und sind vollumfänglich zu prüfen. Da die Richtlinie jedenfalls in ihrem Kernbereich keine Wahlrechte enthält, sondern verpflichtend von 16 BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147. 17 BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339. 18 EuGH v. 18.9.2003 – C-168/01, ECLI:EU:C:2003:479 – Bosal; EuGH v. 8.3.2017 – C-14/16, ECLI:EU:C:2017:177 – Euro Park Service; EuGH v. 23.11.2017 – C-292/16, ECLI:EU:C:2017:888 – A Oy; EuGH v. 20.12.2017 – verb. Rs. C-504/16 u. C-613/16, ECLI:EU:C:2017:1009 – Deister Holding und Juhler Holding.

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den Mitgliedstaaten umzusetzen ist, wird sich die Prüfung des Umsetzungsgesetzes durch den EuGH vermutlich allein anhand der Richtlinie vollziehen. Da diese in Teilen fast wörtlich in das Umsetzungsgesetz überführt wurde, wird der EuGH insoweit keine Bedenken haben.

V. Belastung des Mandatsverhältnisses Durch die Einführung von Anzeigepflichten wird nicht zuletzt das Mandatsverhältnis zwischen Berater und Mandant erheblich belastet, wobei hiermit ausdrücklich keine Gestaltungen gemeint sind, mit denen steuerstrafrechtliche Implikationen einhergehen können. Dennoch ist es auch hier unklar, wie sich eine Anzeigepflicht, sei sie nun anonym oder auf den Steuerpflichtigen selbst übergehend oder nicht, mit dem NemoTenetur-Grundsatz des Strafrechts verträgt. Aber auch ganz allgemein ist der Ansatz der Richtlinie sehr problematisch, weil dem Mandanten regelmäßig nicht mit dem Hinweis geholfen ist, er müsse nunmehr aufgrund der Verschwiegenheit seines Beraters seinen Anzeigepflichten nachkommen. Bis auf Mandanten mit professioneller Steuerabteilung nämlich wird es kaum ein Mandant schaffen, das Vorliegen eines Kennzeichens rechtssicher beurteilen zu können. Hinzu kommt, dass die Richtlinie den Berater in seinem Berufsstand in unwürdige Honorardiskussionen treibt, sollte der Mandant den Berater von der Verschwiegenheit entbinden. Lebt dann die originäre Meldepflicht des Beraters wieder auf mit der Folge, dass er für die Meldung kein Honorar verlangen kann, oder lässt er sich entsprechend entgeltlich bevollmächtigen, was im Einzelfall begründet werden müsste? § 1 BRAO erhebt zumindest den Rechtsanwalt in den Stand eines Organs der Rechtspflege. Historisch ist der Anwalt als Gegengewicht zur staatlichen Allmacht mit diversen Rechten ausgestattet worden. Damit verträgt es sich nur schwerlich, wenn der Anwalt legale Steuergestaltungen flächendeckend zur Anzeige bringen muss. Datenschutzfragen stellen sich ebenfalls. Beim Bundeszentralamt für Steuern wird künftig eine Fülle von teils sehr persönlichen Informationen gespeichert und vorgehalten werden. Der Präsident des Bundesfinanzhofs Mellinghoff äußerte jüngst in der FAZ die Besorgnis, das BZSt könne nun einmal auch wie jedes andere Unternehmen „gehackt“ werden. Zwar stellt sich durchaus die Frage, wem die dort gespeicherten Daten genau nützen sollen, aber die Informationen zu den Finanzkonteninformationen, zu erteilten Rulings innerhalb der EU, zum CbCR

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bei den Verrechnungspreisen und nun zu Steuergestaltungen stellen gebündelt eine nie dagewesene Datenquelle dar, die einen besonderen Schutz verdient.

VI. Erhebliche administrative Belastungen Die Einführung der Anzeigepflicht wird eine nie gekannte Flut an Meldungen auslösen. Viele Beratungsgesellschaften haben schon ihre Bereitschaft erkennen lassen, im Zweifel „alles“ zu melden, um den drohenden Bußgeldern zu entgehen. Besonders problematisch ist auch, dass nach den Erwägungsgründen der Richtlinie auch nur potentiell umsetzbare Alternativgestaltungen zu melden sind. Schlägt der Berater seinem Mandanten vier Strukturierungsalternativen vor, so sind auch alle vier Alternativen zu melden – unabhängig von der Umsetzung. Auch fragt sich, wer auf Seiten der Finanzverwaltung wie und in welchem Zeitrahmen all die gemeldeten Informationen auswerten wird. Eigentlich ist in ganz praktischer Hinsicht klar, dass eine zeitnahe Auswertung mangels entsprechender personeller Ressourcen kaum wird erfolgen können.

VII. Friktionen mit BEPS/ATAD und der EuGH-Rechtsprechung Erstaunlich ist, dass die Richtlinie trotz der zeitlichen Nähe doch erhebliche Friktionen insbesondere mit der ATAD-Richtlinie aufweist. So wird bspw. im Kennzeichen C.2 eine Situation angesprochen, in der in mehr als einem Hoheitsgebiet Abzüge für die Abschreibung desselben Vermögenswerts beantragt werden. Gemeint ist also offenkundig die Situation einer Anrechnungsbetriebsstätte, bei der im Quellenstaat nach den dortigen Regeln eine Abschreibung eines Wirtschaftsguts erfolgt und im Ansässigkeitsstaat aufgrund des Welteinkommensprinzip ebenfalls eine Abschreibung vorgenommen wird. Art. 9 Abs. 1 Satz 2 ATAD hingegen lässt eine doppelte Abschreibung zu, wenn und soweit die zugrunde liegenden Einkünfte ebenfalls in zwei Staaten der Besteuerung unterliegen. Entsprechendes lässt auch die Gesetzesbegründung zum Umsetzungsgesetz und auch die Anhörung der Working Party IV vermuten. Nur leider kommt diese wichtige und systemgerechte Einschränkung im Wortlaut des Kennzeichens nicht zum Ausdruck.

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Art. 3 Nr. 18 Buchst. a und b der Richtlinie schließlich werfen ganz praktische Fragen auf. Dort wird der grenzüberschreitende Bezug einer Gestaltung unter Rückgriff auf die steuerliche Ansässigkeit definiert. Nachdem Art. 4 des Multilateralen Instruments den Art. 4 Abs. 3 des OECD-Musterabkommens dahingehend ändern soll, dass für die Bestimmung der Ansässigkeit in den Fällen der Doppelansässigkeit ein Verständigungsverfahren eingeleitet werden muss, wird dies jedenfalls nicht innerhalb der Meldefrist der 30 Tage abgeschlossen sein. Wie Intermediäre und Steuerpflichtige vor diesem Hintergrund eine rechtssichere Meldung abgeben können sollen, ist mehr als fraglich. Last but not least ist zu bemerken, dass sich das Kennzeichen D.2.a einer Formulierung bedient, die zwar schon aus der ATAD-Richtlinie bekannt ist, aber eine Abweichung von der sog. Cadbury-Formel des EuGH bedeutet. In der Cadbury-Schweppes-Entscheidung19 hatte der EuGH ausgeführt, dass bei einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit im Staat der Zwischengesellschaft nicht von einer missbräuchlichen Gestaltung auszugehen wäre. In der Folge hatte der deutsche Steuergesetzgeber das Erfordernis von der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ in den Substanztest nach § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG überführt. Bedeutet es demgegenüber nunmehr eine Qualifizierung, wenn sowohl die ATAD als auch das Kennzeichen D.2.a von einer „wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ sprechen? Angesichts der Tatsache, dass es schon bei der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit ganz erhebliche Auslegungsschwierigkeiten und keine klaren Leitlinien gibt, hätte der Richtliniengeber besser auf weitere Nebelkerzen verzichten sollen. Der Rechtssicherheit sind derlei Formulierungen jedenfalls nicht zuträglich.

D. Fazit und Ausblick Das Grundproblem der diskutierten Anzeigepflichten ist, dass sie ein zutiefst legales Verhalten pönalisieren, und dies in der Hauptsache bei Gestaltungen, die mit der von der OECD gegeißelten „aggressiven Steuerplanung“ nichts gemein haben. Steuerplanung ist und bleibt legal und legitim. Jedem Steuerpflichtigen steht es frei, seine Verhältnisse so zu ordnen, dass keine oder eine möglichst geringe Steuerbelastung für ihn entsteht: Eine sog. Steuervermeidung bleibt folgenlos.20 19 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes. 20 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237; BFH v. 20.5.1997 – VIII B 108/96, BFH/NV 1997, 462 ff.

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Dies wirft die Frage nach dem Zweck der Anzeigepflichten auf. Die Finanzverwaltung unterstreicht deren rechtspolitische Funktion, wonach der Gesetzgeber möglichst frühzeitig über Steuergestaltungen informiert werden soll, damit er ggf. Gesetzesänderungen anstrengen kann. In den Erwägungsgründen zur Richtlinie hingegen überwiegt das Argument der Abschreckung. Selbst aber wenn die Finanzverwaltung Recht haben sollte, stellt sich die Frage, ob der Zweck einer solchen Anzeigepflicht nicht bereits nach der ersten Anzeige erfüllt wäre. Nach der Richtlinie hingegen sind Steuergestaltungen immer wieder aufs Neue zu melden. Bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales deutsches Steuerrecht sollte der Steuergesetzgeber die folgenden Kurzhinweise beachten: –

Die Umsetzungsfrist sollte ausgenutzt werden, um ausgewogene und wohl durchdachte Regelungen zu schaffen;



die Richtlinie (EU) 2018/822 sollte unter Beschränkung auf deren Kerninhalt und die Präzisierung des Inhalts i.S.v. Praktikabilität umgesetzt werden;



insbesondere sollte kein abweichender/überschießender Wortlaut verwendet werden;



es bieten sich Erläuterungen der Kennzeichen anhand von Beispielen (Gesetzesbegründung oder BMF-Schreiben) an;



Nutzung des in der Richtlinie genannten Beobachtungszeitraums; Evaluierung und Einwirken auf EU-Gremien;



Neugestaltung des Instruments der verbindlichen Auskunft oder anderweitiger Instrumente zur Stärkung der Steuerplanungssicherheit;



Zurückstellen „nationaler Anzeigepflichten“, bis ausreichend Erfahrungen mit der Anzeigepflicht in der Praxis gesammelt wurden;



eine besondere Rechtswegezuweisung an die Finanzgerichte ist sinnvoll, um Bußgeldstreitigkeiten von steuerlichen Fachleuten klären zu lassen.

Auch auf Unternehmen (als Steuerpflichtige) und Beratungsgesellschaften wird eine Reihe von Aufgaben zukommen. Für beide gilt: Es müssen interne Verhaltensrichtlinien erarbeitet und Prozesse definiert sowie Mitarbeiter geschult werden, um einen rechtssicheren Umgang mit den Meldepflichten zu erlangen. Unternehmen werden sich in der Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Steuerabteilung, Risikomanagement und Controlling eigene Compliance-Vorschriften geben müssen.

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Hier besteht gegenwärtig ebenso wie für Berater die besondere Schwierigkeit, dass einerseits für Gestaltungen, die zwischen dem 1.7.2018 und dem 31.8.2020 implementiert werden, eine rückwirkende Nachmeldefrist besteht, andererseits das Umsetzungsgesetz in wichtigen Bereichen (z.B. bei der Sekundärdefinition des Intermediärs oder auch beim Übergang der Anzeigepflicht auf den nachrangig Verpflichteten) von der Richtlinie abweicht und man daher gegenwärtig nicht genau weiß, wie der Prozess im Umsetzungsgesetz aussehen wird. Insofern bietet es sich für die Zwischenzeit lediglich an, die Gestaltungen zu erfassen und nach einem geeigneten Muster zu katalogisieren. Berater werden im Hinblick auf die oben unter Abschn. C.V. dargestellten Vergütungsfragen ihre Beratungsverträge anpassen müssen und dabei zu beachten haben, dass bereits eine besondere, über die gesetzliche Verschwiegenheitsverpflichtung hinausgehende vertragliche Regelung das Kennzeichen A.1 auslösen kann. Zudem wird die Anzeigepflicht bei Gutachten zu Steuergestaltungen künftig im steuerlichen Gutachten proaktiv benannt und diskutiert werden müssen. Letztlich bleibt es daher aus vielen Gründen bei dem eingangs geschilderten Befund von Kessler/Eicke21, es handelt sich immer noch um „[…] eine überflüssige, überschießende und unter verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten höchst fragwürdige Anzeigepflicht, deren Tatbestände viel zu ausufernd und unpräzise sind.“

21 Kessler/Eicke, BB 2007, 2370 ff.

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Steuerliche Anzeigenpflichten bei nationalen und internationalen Sachverhalten Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Gerrit Frotscher Rechtsanwalt, International Tax Institute, Universität Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Ludwig-Maximilians-Universität, München

Prof. Dr. Florian Haase, M.I.Tax Rödl & Partner, Hamburg

MinDirig. Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Oliver Nußbaum BASF SE, Global Head of Tax, Ludwigshafen

Werner Thumbs Profunda Verwaltungs-GmbH (Boehringer Ingelheim), Leiter Steuern

Prof. Dr. Frotscher Herr Haase, vielen Dank für dieses Feuerwerk von Ideen und Anregungen. Wie spannend das Thema ist, sehen Sie daran, dass der Saal immer noch voll ist, obwohl es schon spät am Tag ist. Das finde ich sehr begrüßenswert. An sich hätte ich jetzt gern Herrn Kreienbaum das Wort zur Antwort gegeben, nur, Herr Nußbaum muss uns bald verlassen, und ich würde doch gerne seine Stellungnahme noch hören. Deshalb ziehen wir das vor. Nußbaum Dankeschön. Herr Haase hat das eigentlich schon prima zusammengefasst. Im Grunde geht’s bei den Meldungen um Sachverhalte, die sowohl legal sind als auch im Grunde nicht missbräuchlich. Also materiell sollten Unternehmen mit einer Meldepflicht eigentlich keine Probleme haben. Der Gesetzgeber kann auf bestimmte Meldungen mit unerwünschten Gestaltungen nachgelagert gesetzgeberisch reagieren.

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Solange Letzteres nicht zu einer exzessiven Besteuerung führt, ist dagegen nichts einzuwenden. Womit ich ein massives Problem habe, sind zwei Dinge: Das eine ist der Zeitpunkt der Meldung, das andere der Umfang der Meldungen. Sie haben ja gehört, bei den internationalen Sachverhalten müssen wir schon Sachverhalte ab Juni 2018 melden. Das hört sich so einfach an. Man kann die meldepflichtigen Sachverhalte in einer Konzerntochter mit einer eigenen Steuerabteilung ggf. noch darstellen, aber wir müssen alle Gesellschaften in Europa auf ein Level bringen und wir haben nicht überall große Steuerfunktionen in all diesen Ländern. Polen fängt übrigens bereits am 1.1.2019 mit den Meldepflichten an, mit deutlich stärkeren Strafen. Das ist in einem Konzern schwierig umzusetzen. Insbesondere deswegen, weil wir heute noch nicht wissen, was wir genau melden müssen. Bei Verrechnungspreisen kann ein Zahlungsziel eigentlich schon eine Vermeidung eines Darlehens und damit möglicherweise eine Quellensteuer bewirken. Ist eine Trademark, die sich im Verrechnungspreis niederschlägt, eine Umgehung bzw. eine Vermeidung einer Lizenz? Stellt die Anwendung der Service-Charging-Methode nach USA at cost auch schon das Ausnutzen einer Freigrenze dar? Im Grunde können alle Sachverhalte, die Sie im Konzern haben, in irgendeiner Weise erfasst sein. Für Konzerne gilt es dabei nicht nur, die deutschen Unternehmen zu organisieren, sondern es geht auch um die Beziehungen, die Spanien mit Belgien hat, die Spanien mit den USA hat und so weiter. Die Meldepflichten hören sich zwar trivial an, aber die praktische Umsetzung im Unternehmen ist kein Kinderspiel. Es werden von Beratern schon die ersten Tools angeboten. Diese sind nicht ganz günstig. Aber kann ich heute schon ein Tool kaufen, obwohl ich noch gar nicht weiß, was ich hier eigentlich einsammeln und berichten muss? Ich kann nur hoffen, dass man vom BMF eine klare Guidance bekommt, wie man die Regeln genau interpretiert, und dies möglichst schnell. Was muss ich konkret melden? Wie kann ich exzessive Meldungen am Ende vermeiden? Denn der Aufwand ist enorm. Auch die IT-Schnittstelle ist wichtig. Ich habe Ihnen hier einmal das Kommunikationshandbuch für das Country-by-Country Reporting mitgebracht. Das sind über 40 Seiten nur über die Bedienung der IT-Schnittstelle, die das Bundeszentralamt für Steuern den Unternehmen zugesandt hat, d.h., wie man den Report an das Bundeszentralamt für Steuern übermitteln soll. Die Anweisung ist für Steuerkollegen nicht zu verstehen. Das versteht eigentlich nur noch ein IT-Kollege.

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Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank, Herr Nußbaum. Vielleicht sammeln wir erst einmal noch die Sicht von Boehringer, Herr Thumbs? Thumbs Sehr gerne. Es ist sehr viel schon gesagt worden. Ich würde gern ein oder zwei Dinge noch einmal wirklich hervorheben. Wenn wir nicht wissen, was genau auf uns zukommt, dann werden so dämliche Beispielsfragen wie die folgende auch wieder gestellt: Versuchen Sie bitte mal, unter die Hallmarks zu subsumieren, ob eine Heirat eine schädliche Steuergestaltung ist! Wir haben das mal spaßeshalber diskutiert. Sie kommen vom Hundertsten ins Tausendste – also die Hochzeit selber reicht auf keinen Fall, mindestens der Heiratsantrag –, aber gut, Steuerleute sind halt manchmal auch ein bisschen spinnert. Aber ganz ernsthaft: Ich finde, das BMF ist nicht zu beneiden um die Aufgabe, hier eine Vorgabe umzusetzen, die diese Unklarheiten schon in sich angelegt hat, und deswegen auch wirklich das Petitum: Versuchen Sie bitte, so konkret wie möglich zu werden! Ich meine, möglichst konkrete Beispiele zu bilden, vielleicht tatsächlich eine Liste zu schaffen mit Fällen, die unter die Meldepflicht fallen und Fällen, die nicht darunterfallen. Ansonsten wird das wirklich eine Katastrophe. Eine Anmerkung noch zu dem Thema „Intermediär“, oder eigentlich zwei. Wir haben unter anderem auch mit dem Finanzministerium Rheinland-Pfalz gesprochen, einem Bundesland das, wie Sie zu Recht gesagt haben, auch mit hinter diesem sog. Text-Entwurf steht. Die zielen bei Intermediären gar nicht unbedingt auf Steuerberater oder Anwälte ab, sondern die zielen z.B. auf Banken ab, also auf diejenigen, die Modelle angeboten haben oder das auch heute noch tun, und wollen eigentlich damit diesen Berufsgruppen das Geschäft schwer machen. Das sagen Vertreter des Ministeriums ziemlich deutlich. Das geht in die Abschreckungsidee, die Sie für die EU-Richtlinie schon angesprochen haben. Eine Frage, die Sie vielleicht auch schon mal gestellt bekommen haben, ist: Komme ich als Steuerpflichtiger einfach aus der Anzeigepflicht raus, indem ich meinen Steuerberater von der Verschwiegenheit entbinde? Frau Professor Hey hat dazu gesagt: Ja, geht. Die bei dieser Gelegenheit anwesenden Steuerberater waren ganz anderer Meinung. Die Thematik kann man vielleicht nochmal aufnehmen.

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Was ich auch noch ansprechen wollte: Sie hatten hard to value intangibles schon angesprochen. Was ich nochmal verdeutlichen möchte, weil es an einigen Stellen, vor allem von Herrn Nußbaum, angerissen, aber noch verstärkt werden sollte: Die hard to value intangibles, also ganz typische Verrechnungspreissachverhalte, sind in § 138e Abs. 2 AO-E, im Arbeitsentwurf des Bundes, enthalten. Der Bezug zu Abs. 2 bedeutet, dass sie auch dann zu melden sind, wenn ein Steuervorteil überhaupt nicht Ziel des Ganzen ist. Die Meldepflicht besteht ohne Main-BenefitTest, ist also anlasslos. Auf der anderen Seite sind all diese Dinge, auch die Verrechnungspreissachverhalte, sofern sie relevant sind, wie Herr Nußbaum sie vorhin genannt hat, etwas, was in einer Verrechnungspreisdokumentation ohnehin enthalten ist. Also frage ich mich auch, wo da der Mehrwert in einer Doppelung ist, zumal hard to value intangibles kaum jemand richtig bewerten kann, das ist ja auch schon angesprochen worden. Sie müssen nicht, aber Sie können und Sie wollen als Finanzverwaltung mit dem, was Sie gemeldet bekommen, auch etwas anfangen. Und dazu müssen natürlich auch die richtigen Leute mit der Bewertung dieser Meldungen befasst sein. Warum nimmt man dann solche Sachen hier auf, wo sie doch höchstens von Verrechnungspreisspezialisten beurteilt werden können? Okay, jetzt werden Sie sagen, weil’s in der Richtlinie so steht. Aber vielleicht gibt es da eine Möglichkeit zu sagen, das ist anderweitig abgedeckt, das bekommen sowieso die Personen, die das richtig beurteilen können, und das ist dann vielleicht auch etwas, was uns allen hilft, auch dem BMF. Zwei kleine Anmerkungen noch – dann habe ich wirklich lange genug geredet. Das eine: Bei diesem Länderentwurf ärgern wir uns sehr über die De-minimis-Regelung. Nach den Entwürfen werden explizit keine Sachverhalte abgefragt bei Unternehmen, die nicht anschlussgeprüft sind. Das heißt, melden müssen eigentlich ausdrücklich nur die Unternehmen, bei denen die Betriebsprüfung das sowieso in einer Tour sieht. Kann man vielleicht ein bisschen schneller machen als bisher, dann sieht man die kritischen Fälle auch gleich. Dann braucht man die Anzeigepflicht, zumindest diese nationale, eigentlich überhaupt nicht mehr. Letzte Anmerkung: Ich weiß nicht, ob sich die US-Regeln die letzten Jahre geändert haben. Ich kenne aus eigener Erfahrung nur die Vorgehensweise von vor etwa acht Jahren. Das war ein riesiger Aufwand, die Geschäftsführungen der einzelnen Länder darüber zu informieren, was sie machen dürfen und was nicht. Angesprochen auf die kleinen Schweinereien, die man US-Unternehmen so gerne vorwirft, haben mei-

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ne damaligen US-Kollegen eine Meldepflicht aber verneint. Auch von daher wäre es, denke ich, ganz gut, wenn man die Regelungen wirklich so genau wie möglich gestaltet. Ich glaube, das hilft uns allen. Natürlich haben Sie dann auch wieder den Gedanken, dann wird wieder einer genau außen herumgehen, klar. Aber wenn wir das nicht haben, dann sehen wir das von Herrn Haase erwähnte Monster C.4, das von einem Helden besiegt werden muss. Also ich hoffe, dass Sie der Held sind, Herr Kreienbaum! Prof. Dr. Frotscher Ja, Herr Kreienbaum, seien Sie der Held! Kreienbaum Vielen Dank. Zunächst zum Verfahren und zum zeitlichen Ablauf. Wir haben, wie dargestellt, bisher noch keinen Referentenentwurf veröffentlicht. Bund und Länder befinden sich noch in Abstimmung über den Gesetzesentwurf. Nun zum Inhalt: Was sind die wesentlichen Punkte, die zu entscheiden waren und zu entscheiden sind? Einmal die Frage der Umsetzung der Richtlinie, die sich nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte bezieht. Hierzu wird über den Richtlinienentwurf hinaus auch über eine Erstreckung auf nationale Sachverhalte diskutiert. Das ist eine Weiterung, die auch öffentlich diskutiert wurde und von der bekannt ist, dass sich eine Reihe von Ländern dafür einsetzen, auch nationale Sachverhalte mit zu erfassen. Eine zweite grundlegende Diskussion fand statt über die Frage, welchen Zweck die Meldepflichten verfolgen. Hier kann ein rechtspolitischer Ansatz verfolgt werden oder ein veranlagungsunterstützender. Auch eine Kombination von beidem ist denkbar. Der rein rechtspolitische Ansatz hätte zur Folge, dass anonymisierte Meldungen abzugeben wären, Steuerpflichtige wären in der Meldung nicht zu identifizieren. Bei dem veranlagungsunterstützenden Vorschlag hingegen würde die Identität konkreter Steuerpflichtiger offengelegt. Die in der Meldung enthaltenen Informationen flössen in das Veranlagungsverfahren ein. Für die internationalen Sachverhalte werden sowohl der rechtspolitische Ansatz als auch der veranlagungsunterstützende Ansatz verfolgt. Ein weiterer Punkt, der aus meiner Sicht erwähnenswert ist, betrifft die Frage, wer meldepflichtig ist. In Betracht kommen der Steuerpflichtige selbst oder dessen Berater. Hier spricht vieles dafür, dass primär der Intermediär meldepflichtig wird. Und dann stellt sich die bereits angespro-

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chene Frage, ob der Steuerpflichtige den Intermediär von den Vertraulichkeitsverpflichtungen entbinden kann. Die Meldepflicht fiele dann auf den Steuerpflichtigen zurück, entsprechend würde der Intermediär wohl den Steuerpflichtigen auf seine Meldepflichten aufmerksam machen müssen. Aus der Schwierigkeit, Sachverhalte, die wir nicht kennen, in einer abstrakt-generellen Rechtssprache zu fassen, kommt der Gesetzgeber nicht heraus. Das ist in der Tat eine Herausforderung. Herr Nußbaum hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Steuerpflichtige einen Anspruch darauf haben, über eine typisierende oder auch eine konkrete Vorgabe hinreichend Klarheit zu bekommen über die Details der Meldepflicht. Das gebietet schon das Bestimmtheitserfordernis. Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank. Eine Frage: Wann rechnen Sie denn mit einem veröffentlichten Entwurf? Kreienbaum Ich hoffe, dass wir noch vor Weihnachten mit einem Entwurf in die fachöffentliche Diskussion gehen können. Das ist vielleicht etwas optimistisch, aber die Richtlinie ist bis zum 31.12.2019 in nationales Recht umzusetzen. Prof. Dr. Frotscher Gut. Herr Kaminski! Prof. Dr. Kaminski1 Herr Kreienbaum, mal losgelöst von den Inhalten habe ich eine ganz andere Frage: Wenn diese Meldepflicht nun eingeführt wird, wie immer die im Detail auch ausgestaltet wird, wer soll die Daten eigentlich auswerten? Wo kommt die Manpower in der Finanzverwaltung her, um dieses Volumen bearbeiten zu können? Außerdem: Je mehr Sie informiert werden, hat das doch auch Auswirkungen auf die Grenze zu einem steuerstrafrechtlichen Verhalten. Wenn Ihnen als Finanzverwaltung ein „Modell“ angezeigt wir und Sie gehen als Finanzverwaltung 1 Prof. Dr. Bert Kaminski ist Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Helmut-Schmidt-Universität – Universität der Bundeswehr Hamburg.

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nicht dagegen vor, dann stellt sich doch hinterher die Frage, inwieweit das möglicherweise eine Steuerhinterziehung darstellen kann. Außerdem würde mich interessieren, ob es Berechnungen gibt, wie viele Planstellen die Finanzverwaltung braucht, um diese Daten sachgerecht auszuwerten zu können. Woher sollen entsprechend qualifizierten Mitarbeiter kommen, um mögliche neue Planstellen zu besetzen? Prof. Dr. Frotscher Wollen Sie gleich antworten? Kreienbaum Die vielfältigen, in den vergangenen Jahren eingeführten Meldepflichten – angefangen bei den Meldepflichten zum Finanzkonteninformationsaustausch, über die Meldepflichten zu rulings und zum Country-by-Country Reporting, wie auch jetzt die Meldepflichten zu Steuergestaltungen – stellen eine gewaltige Herausforderung für die Finanzverwaltung dar. Abseits der Einzelauswertungen entfalten diese einen nicht zu unterschätzenden generalpräventiven Effekt. Unabhängig davon stellt sich rechtspolitisch die Frage, ob die Finanzverwaltung diese Informationen überhaupt verlangen und erhalten darf, wenn sie sie nicht ausreichend verwertet und nutzt. Daher muss ein gewisses Aufbereitungs- und Verwendungsniveau durch die Finanzverwaltung sichergestellt werden. Wir haben bspw. mit Blick auf den Finanzkonteninformationsaustausch über risikogewichtete Mitteilungen nachgedacht. Ähnliches kann ich mir auch im Kontext der Anzeigepflichten vorstellen. Wir befinden uns jetzt in einer Phase, in der wir Neuland betreten. Das gilt sowohl für die Frage der Definition und Auslegung der meldepflichtigen Umstände als auch für die Frage der Auswertung. Die Sicherstellung eines hinreichenden Auswertungsniveaus wird ein erster Schritt hin zu einer möglichst effizienten und effektiven Auswertung sein. Prof. Dr. Osterloh-Konrad2 Ich habe noch eine kurze Anmerkung zu Ihrem hervorragenden Vortrag, Herr Haase. Das, was uns da ins Haus steht, ist ja tatsächlich eine ziemliche Katastrophe. Meine Anmerkung ist methodischer Natur und be2 Prof. Dr. Christine Osterloh-Konrad ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Tübingen.

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zieht sich auf das Umsetzungsgesetz, aber auch auf den eben angesprochenen Länderentwurf, der ja nicht öffentlich ist, aber an manchen Stellen informell kursiert. Das Problem, das man, meine ich, sowohl mit der Richtlinie als auch mit diesem Vorentwurf hat, ist das folgende: Der Gesetzgeber versucht in einem ersten Schritt, alles zu erfassen, was er möglicherweise wissen wollen könnte, und überlegt sich erst in einem zweiten Schritt, wie sich punktuelle Rückausnahmen bewerkstelligen lassen. Das ist aber ein ernst zu nehmendes methodisches Problem, wenn zunächst einmal ein ganz allgemeiner Tatbestand in die Welt gesetzt wird. In dem deutschen Entwurf liest es sich so, als falle unter den Begriff der Steuergestaltung alles Mögliche, und dann schließen sich negative Regelbeispiele an. Normalerweise sind Regelbeispiele aber darauf gerichtet, etwas zu konkretisieren. Regelbeispiele schließen nicht etwas aus dem Anwendungsbereich einer allgemein gefassten Norm aus, was ihrem Wortlaut nach unzweifelhaft darunterfällt, sondern Regelbeispiele sagen etwas darüber, wie die allgemein gefasste Norm auszulegen ist. Die im Entwurf angelegte Struktur funktioniert methodisch daher m.E. nicht. Ein ähnliches Problem wird man auch bei der Umsetzung der Richtlinie haben. Es ist schwierig, Gestaltungen, die dem Wortlaut der Richtlinie nach eindeutig unter die Anzeigepflicht fallen, im Nachhinein – etwa durch BMF-Schreiben – daraus auszusortieren, wenn man feststellt, dass man über sie gar nicht informiert werden möchte. Hier würde mich interessieren, ob man einen Weg gefunden hat, damit umzugehen, oder ob man zumindest darüber nachdenkt, wie das gehen könnte. Methodisch ist das jedenfalls schwierig. Prof. Dr. Frotscher Wollen Sie dazu antworten? Kreienbaum Im Grunde haben wir den Punkt ja schon angesprochen, nämlich die Frage: Wie fasse ich unbestimmte, aber durch bestimmte Merkmale gekennzeichnete Sachverhalte, von denen wir aber die Vermutung haben, sie könnten für die beschriebenen rechtspolitischen und veranlagungsstützenden Zwecke relevant sein? Ich gehe davon aus, dass sich im weiteren Verlauf in der Arbeit mit den Anzeigepflichten noch stärkere Konkretisierungen herausbilden werden.

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Prof. Dr. Frotscher Vielleicht in dem Zusammenhang eine Frage, Herr Kreienbaum. Glauben Sie, dass Sie Vorschriften dort schaffen können, die dem Bestimmtheitsgebot entsprechen? Was ich meine ist, dass eine Konkretisierung durch BMF-Schreiben ja schön und gut ist, aber eigentlich reicht das nicht. Eigentlich muss es im Gesetz stehen. Kreienbaum Ja, da kann ich Ihnen nur zustimmen. Prof. Dr. Frotscher Ich kenne den Entwurf nicht, aber so, wie ich hier diesen Vortrag und auch Ihre Stellungnahme gehört habe, ist das ein bisschen die Quadratur des Kreises. Kreienbaum Es ist jedenfalls sehr anspruchsvoll. Sie werden sich nachher selbst ein Urteil darüber bilden können, ob die Regeln hinreichend bestimmt sind. Diesen Anspruch haben wir, und wir versuchen, ihn auch zu erfüllen. Prof. Dr. Frotscher Gut, weitere Fragen? Herr Drüen! Prof Dr. Drüen Nochmals zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Anzeigepflichten. Ich denke, man kann nicht dahinstehen lassen, weder europäisch noch national, was das Ziel dieser Informationspflichten ist. Es muss klar festgelegt sein, ob das Ziel eine allgemeine gesetzgeberische Information ist, um Gestaltungsmodelle legislativ bekämpfen zu können, oder aber eine Veranlagungsbegleitung. Das ist auch maßgeblich für die Frage der Verhältnismäßigkeit. Verhältnismäßigkeit ist immer zielbezogen. Das Urteil über die Verhältnismäßigkeit fällt anders aus, je nachdem, wie die Weichenstellung der legislativen Zielfestlegung ausfällt. Schon von Herrn Professor Haase angesprochen wurde die Frage der Verhältnismäßigkeit trotz Redundanzen, weil verschiedene Informationspflichten zusammenkommen. Herr Nußbaum hat zu Recht betont, bei Konzernen bestehen nach § 90 Abs. 3 AO Konzerndokumentationspflichten, ergänzend nunmehr das Country-by-Country Reporting hinzu, bei dem

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man sich bereits fragen kann, worin der informatorische Mehrwert für die Finanzverwaltung liegt. Jetzt kommen bei diesen Pflichtenträgern, die zudem einer Anschlussprüfung unterliegen, zu diesen Pflichten noch weitere Pflichten hinzu. Insoweit muss auch der Gesetzgeber die Verhältnismäßigkeit durch Verweise auf andere Informationsquellen wahren, die das abstrakte Informationsbedürfnis hinreichend befriedigen können. Herr Kreienbaum, ich teile Ihre Ansicht, dass man nicht nur einfach sammeln kann. Das war auch der Punkt, den Herr Kaminski deutlich angesprochen hat. Staatliche Datenfriedhöfe sind für sich kein Eingriffsziel und keine Eingriffsberechtigung. Erforderlich ist, wie Sie es beschrieben haben, eine hinreichende Auswertung der angehäuften Informationen. Ich würde bei der E-Bilanz nicht so weit gehen, dass diese gar keinen Mehrwert hat. Die E-Bilanz als einen anderen Testfall hat schon auf die Dauer der Zeit etwas gebracht, weil die Betriebsprüfung risikoorientiert unter Auswertung der elektronischen Gewinnermittlungsdaten Schwerpunkte bilden kann. Als Maßstab ist darum nicht nur auf die Einführungsperiode abzustellen, sondern auf einen etwas längeren Zeitraum. Die letzte Frage ist, ob man den Unternehmen durch weitere Maßnahmen den Aufwand der Erfüllung der Anzeigepflichten erleichtern kann und muss. Ein Punkt ist schon angesprochen worden: Erforderlich ist eine sichere Orientierung zu Bestehen und Inhalt der Anzeigepflicht, und zwar im Handlungszeitpunkt, in dem Zeitpunkt, in dem die Anzeigepflichten zu erfüllen sind. Deswegen ist eine gestufte Konkretisierung durch das Gesetz und durch BMF-Schreiben geboten. Die Beispielsmethode bietet sich an, um auch zu zeigen, welche Anzeigen die Finanzverwaltung nicht will, weil sie schon hinreichende Kenntnis hat. Dabei sollte sie eine abschnittsweise Konkretisierung der Anzeigepflicht vornehmen. Für eine erste Periode, meinetwegen die ersten drei Berichtsjahre, wird danach der Standard festgelegt, der zu erfüllen ist. Wenn die Finanzverwaltung dann bei ihrer Evaluation dazu kommt, dass weitere Fälle davon umfasst sein sollten, sollte der Anzeigekatalog nur für die Zukunft ergänzt werden. Das ist wieder das Thema, was wir gerade hatten, ob man, wenn man später schlauer ist, das auch auf die Vergangenheit zurückbeziehen darf. Ich meine, bei sanktionsbewehrten Pflichten darf der Staat immer nur auf den Handlungszeitpunkt abstellen und nicht aus der Rückschau strengere Maßstäbe anlegen. Das war mehr eine Anmerkung als eine Frage.

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Prof. Dr. Frotscher Noch Fragen oder Beiträge? Herr Haase, dann haben Sie das Schlusswort. Prof. Dr. Haase Vielen Dank! Trotz dem, was Herr Kreienbaum gerade gesagt und Herr Drüen noch einmal spezifiziert hat, es bleibt bei dem Befund: Noch nie hat das Verfassungsgericht eine steuerliche Norm nur aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der Normenklarheit für verfassungswidrig erklärt. Ich frage mich ernsthaft, ob wir nicht an dem Punkt sind, dass das Verfassungsgericht hier mal ein Zeichen setzen müsste. Und, Herr Kreienbaum, Sie haben das eben sehr schön nochmal zusammengefasst: Das muss natürlich der Anspruch sein, und ich habe bei der Recherche, als ich mich gefragt habe, wie ist das eigentlich mit Sprache, Sprache in Rechtsnormen? Wie weit geht eigentlich der Anspruch? Da habe ich was gefunden, das war mir bisher nicht geläufig, und das passt eigentlich sehr schön hierhin. Ich habe einmal gefunden den § 42 Abs. 5, eine Dunkelnorm aus der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien. Da steht drin: „Gesetzesentwürfe müssen möglichst für jedermann verständlich sein.“

Und dann gibt es noch ein vom BMJ herausgegebenes „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“3 schon in dritter Auflage, das offensichtlich vom wissenschaftlichen Dienst verfasst und dort lektoriert wird. Das ist sehr, sehr umfänglich, und da steht in Randnummer 54: „Nur eine klare Gesetzessprache schafft Normenklarheit. Gesetze, die sich nur mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten oder einer gewissen Lust zum Lösen von Denksportaufgaben erschließen, erfüllen diesen Anspruch nicht.“

Prof. Dr. Frotscher Vielen Dank, Herr Haase. Das war ein Schlusswort, dem man eigentlich nichts hinzufügen kann.

3 Abrufbar unter http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Themen seiten/RechtssetzungBuerokratieabbau/HandbuchDerRechtsfoermlichkeit_deu .pdf?__blob=publicationFile.

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Stichwortverzeichnis § 10 AO 57 § 42 AO – Auslegung 157 – Funktion 157 – Verhältnis zu speziellen Missbrauchsklauseln 129, 147 – Ziel 146 f. § 138a AO-E 165 § 138d–f AO-E 173 ff. – De-minimis-Regelung 194 – Meldefrist 176 – meldepflichtige Gestaltung 175 – meldepflichtige Person 174 – Meldeprozess 176 § 7 AStG 62 f., 74 ff.; s. auch Beherrschung § 22 BAO – a.F. 137 – n.F. 136 f. § 36a EStG 144 ff., 155, 160 § 50d Abs. 3 EStG 127, 133 f., 152 ff., 159 § 7 GewStG 68 § 8b KStG 2 ff., 66 ff., 78 f., 82 ff., 161 Aktivitätsklausel 81 Aktivkatalog 66 Anrechnungsbetriebsstätte 186 Anzeigepflicht – Bestimmtheitsgebot 180 f., 199 – Funktion 166, 188 – grenzüberschreitende Gestaltung 166, 168 – steuerliche 165 ff., 191 ff. – Vereinbarkeit höherrangiges Recht 199 – Zielsetzung 179 Arm’s-length-Prinzip 108 f., 112 ATAD – Dividendenbehandlung 66 – Umsetzung und Grundfreiheiten 79

Ausländische Immobilienkapitalgesellschaft – Darlehensverzicht 8 Base Erosion and Anti-Abuse Tax (BEAT) 100 Beherrschung 62 f.; s. auch § 7 AStG BEPS-Abschlussbericht 61 BEPS-Aktionsplan 91, 94, 96, 99 Besteuerungsrecht – Allokation 87 ff., 90 f., 102 f., 105, 109 ff., 117 ff. Betriebsausgabenfiktion 2 ff. Betriebsstätte – Betriebsstättenprinzip 20 – Betriebsstättenvorbehalt 33 f. – fiktive 51 – Geschäftsleitungsbetriebsstätte 23 Betriebsvermögensvergleich 5, 11 f., 52 Bilanzbündeltheorie 56 Broader tax challenges 91, 100 BVerfG – Solange-Rechtsprechung 184 Cash-GmbH 141 Code of Conduct 78 Common Reporting Standard(s) 101, 167 Country-by-Country-Reporting 96, 101, 192, 197, 199 Darlehensforderung – Teilwertabschreibung 35 Darlehenszins – Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 16 DBA s. Doppelbesteuerungsabkommen DBA-Australien 130 Destination-based Cash Flow Tax 100 Deutsch-Französische Erklärung 88 f., 102

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Stichwortverzeichnis Digital Services Tax 88, 102, 105 Digitalwirtschaft 87 ff., 116 – Besteuerung 87 ff., 102 ff., 116 Directive on Administrative Cooperation 168 Directive Shopping 133 Dividende – Streubesitz 27, 30 f., 82 Dividendenzahlung 82 Doppelbesteuerung – Vermeidung 67 f. Doppelbesteuerungsabkommen 101, 105 – Aktivitätsklausel 81 ECOFIN 87 ff. Einkünfte – gewerblich geprägte 24 – Hinzurechnung passiver 37 ff. – inländischer Gewerbebetrieb 25 Einkünftekatalog – Überarbeitung 65 ff. Einlage – Folge verdeckter 42 – verdeckte 40 f., 47 – verdeckte Einlage Dreiecksverhältnis 37 ff. Erlassbetrag – Steuerpflicht 9 Feststellung – gesonderte und einheitliche 18 Fiktion – nicht abziehbare Betriebsausgabe 5 Finanzierungsdarlehen 12 Floating Income 34 Forderungsverzicht – Ertrag 8, 10 Formulary Approach 116 Fremdvergleich 108 ff., 114 ff., 118 Gestaltung – grenzüberschreitende 172 – meldepflichtige 175

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Gestaltungsfreiheit – Grundsatz 125 Gewerbebetrieb 25 Gewerbesteuer – Anrechnung 75 Gewerblichkeitsfiktion – Entstehungsgeschichte 13 GKB-Richtlinie 69 Global Forum on Tax Transparency 101 Global Intangible Low Taxed Income (GILTI) 101, 104, 115 Goldfinger-Modell 175 Grundbesitz – Erwerb inländischen Grundbesitzes 8 ff. – Veräußerungsgewinn 9 Grundfreiheitenrechtsprechung – ATAD 79 Hard to value Intangibles 194 High Net-Worth Individual 99 Hinzurechnung – Ausschluss 46 Hinzurechnungsbesteuerung – Reform 61 ff. Hinzurechnungsbetrag – Ermittlung 66 – Rücktrag negativen Hinzurechnungsbetrags 71 Hinzurechnungszeitpunkt 70 Inclusive Framework (on BEPS) 87 ff., 92, 97, 101, 115 Inländerdiskriminierung 31 Inländische Kapitalgesellschaft – Anteilsveräußerungsgewinn 2 ff. Innentheorie 138 Intermediär – EU-Bezug 171 – Unterbeauftragung 171 Investmentfonds – intransparent besteuerter 74 – Hinzurechnungsbesteuerung 74 Investmentsteuerrecht 74

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Stichwortverzeichnis Kapitalertragsteuer – Abzug 20, 26 – Anrechnung 27 f. – Befreiung 153 – Dividendeneinkünfte 20 – Erstattung 27 f. Kapitalverkehrsfreiheit 30 f., 45 f., 69, 80 Kennzeichen („Hallmark“) 172 ff. – A.1 173, 189 – A.3 181 f. – B.2 182 – B.3 183 – C.1.b.i. 173 – C.2 186 – D.1 181 – D.2.a 183, 187 – D.2.b. 183 – E.1 173 – E.2 183 Limitation-on-Benefits-Klausel 127 Location specific Benefit 98 Main Benefit Test 172, 177, 181 f., 194 Managementvertrag 23 Marketing Intangibles 90, 104, 111 f. Marktzugang – Besteuerung 108 Mindestbesteuerung 84, 91 f., 103, 114 f., 119 f. Mindestbesteuerungsniveau 91 f. Mindestschutzniveau 63 f., 69, 139 Mindeststandard – Auslegung EuGH 137 – Bestimmung 139 Missbrauchsabwehr – EuGH-Zuständigkeit 138 – Pluralität 122 f. – Multilaterales Instrument 126 ff. – internationale Ebene 125 ff. – Überdehnung 142 – überschießende 134, 141 f., 149, 151, 161, 166, 184, 188 f. – unionale Ebene 130 ff.

– verfassungsrechtliche Gesetzgeberpflicht 139 ff. Missbrauchsbegriff – Definition 122 ff. – einheitlicher 133 ff. – Singularität 122 – unionsrechtlicher 133 ff., 159 – weiter 124 Missbrauchsschwelle 135 Missbrauchstatbestand – pauschalierender 65 Missbrauchsvorschrift – Konkurrenzfragen 145 ff. Mitunternehmerschaft – Transparenz 32 Model Mandatory Disclosure Rules for CRS Avoidance Arrangements and Opaque Offshore Structures 168 Motivtest 58, 68 ff. Multilaterales Instrument – Mindeststandard 126 ff. – Rechtsqualität 128 f. – Umsetzung in Deutschland 128 f. Mutter-Tochter-Richtlinie 29, 132 ff., 153, 159 Nemo-Tenetur-Grundsatz 185 Neutralitätskonzepte – Abkommensrecht 118 f. Nexus-Approach 95, 115, 119 Niedrigbesteuerung – Grenze 75 ff. Niedrigsteuergrenze 64 f., 75 ff. Passerelle-Klausel 94 Passivkatalog 66 Personengesellschaft – gewerblich geprägte 18 ff. Principal Purpose Test 127 ff. Profit Split 110 f., 116 Realinvestition 99 Rs. Cadbury Schweppes – Formel 43 ff., 58 f., 69, 79, 132 ff., 187 – Substanztest 44, 49 f., 79, 187

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Stichwortverzeichnis Rs. Deister Holding und Juhler Holding 134 Rs. Dzodzi 138 Rs. GS 134 Rs. Italmoda 131 Rs. STEKO 78 Rs. Timac Agro Deutschland 36, 58 Ruling 99, 185, 197 Safe Harbour 116 Schachtelprivileg 6, 29, 53 Schachtelstrafe 4 ff., 42, 51 ff. Schedulenbesteuerung 51 Solange-Rechtsprechung BVerfG 184 Substanztest s. Rs. CadburySchweppes Switch-over-Klausel 69, 79 Targeted Advertisement 89 Task Force on the Digital Economy 92 Tax Cuts and Jobs Act 2017 101 Treaty Override 149, 153 f., 159, 163 Treaty Shopping 127, 133 Typenvergleich 11 Untergesellschaft 37, 39, 42, 47 User Participation 104, 112 US-Steuerreform 95 Value Creation 95, 97 f. Veranlassungsprinzip 17, 20, 25, 27 ff., 31 ff., 54

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– DBA 33 Veräußerungsgewinn – Freistellung 5 – punktuelle Besteuerung 5 – Steuerfreiheit 2 Veräußerungskosten 5 ff. Verlust – Berücksichtigung finalen Verlusts 36 – finaler 58 Vermögensvergleich – einheitlicher 12 Vorabpauschale – Hinzurechnungsbesteuerung 75 f., 84 Wegzugsteuer 54 Wertschöpfung – Verrechnungspreis 110 Wertschöpfungsbegriff 113 Wertschöpfungsbeitrag 89, 109, 111 Wirtschaftsgut – immaterielles 32, 91, 111, 114, 183 Zusammenhang – funktionaler 54 Zwischengesellschaft – beherrschte 62 ff. – mittelbar beherrschte 64 – nachgeschaltete 64

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